Butler Parker Auslese Nr. 178
GünterDönges
PARKER zieht dem
Boß die Zähne
Butler Parker war versucht, wohlgefällig ...
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Butler Parker Auslese Nr. 178
GünterDönges
PARKER zieht dem
Boß die Zähne
Butler Parker war versucht, wohlgefällig zu nicken, als der junge Mann die Schalterhalle der Bank betrat und selbstsicher zu einem der Angestellten ging, um hier einen Scheck vorzulegen. Natürlich behielt Parker das ausdruckslose Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers bei. Es entsprach nicht seiner Art, Gefühlsregungen zu zeigen. Ein Mann wie Parker registrierte und enthielt sich jeden Kommentars, mochte sich das auch nur im Hochziehen einer Augenbraue zeigen. Dennoch, es war wohltuend, einen korrekt gekleideten jungen Mann zu sehen. Parker hob für Lady Simpson, in deren Diensten er stand, Bargeld ab. Seine Herrin saß draußen vor dem Bankgebäude in ihrem frisch erworbenen Land-Rover und wollte ein wenig einkaufen. Parker hatte keine große Lust, sich wieder in den Wagen zu setzen. Der Fahrstil der älteren Dame war dazu angetan, seine an sich sehr starken Nerven zu strapazieren. Er verzögerte daher den Moment des Zusteigens und beobachtete den jungen Mann.
Scan, Korrektur, Layout by Larentia Mai 2003 Diese digitale Kopie ist NICHT für den Verkauf bestimmt !
Die Hauptpersonen: Herbert F. Corbett
kassiert mit leichter Hand immense Summen. Randolph Laxham bekommt eine fast kostenlose Zahnbehandlung. Richard Russell läßt sich eine Zahnfüllung verpassen. Dr. Kenson erweist sich als begabter Dentist. Lorne Haspelt gibt heiße Tips, die nicht immer stimmen. Kathy Porter soll einen Bohrer kennenlernen. Lady Agatha Simpson bohrt mit Wonne in fremden Zähnen. Butler Parker sucht nach einem ganz bestimmten Zahnarzt. Er war knapp dreißig Jahre alt, mittelgroß und schlank, trug einen ausgezeichnet sitzenden, dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd und einen äußerst korrekt geschlungenen Binder. Er bewegte sich in einer Mischung aus Höflichkeit und Selbstbewußtsein und nickte, als der Bankangestellte sich entschuldigte, aufstand und zu einem Glasverschlag eilte, hinter dem der Filialleiter der Bank seinen Platz hatte, wie Parker wußte. Doch dann sah Parker mehr und stutzte innerlich. Seinem scharfen, geschulten Blick war nicht entgangen, daß der junge Mann eindeutig ein Schulterhalfter trug, das sicher nicht leer war. Holte er Beträge oder Wertpapiere ab, die eines besonderen Schutzes bedurften? Warum war der junge Mann dann aber allein gekommen? Butler Parker nahm an einem der schmalen Tische Platz und sortierte die Unterlagen, die für Agatha Simpson waren und die er ihr überbringen wollte. Er ließ sich Zeit damit und
beobachtete unauffällig den jungen Mann. Der Filialleiter, ein etwas fünfzigjähriger Mann, Hut und gestreifte Hose tragend, kam zusammen mit seinem Angestellten aus der Glasloge und näherte sich dem Kunden. Was man miteinander sprach, konnte Josuah Parker zwar nicht verstehen, doch ihm entging nicht, daß der Filialleiter sich um außerordentliche Zuvorkommenheit bemühte. Der junge, korrekt gekleidete Mann schien Bedeutung und Ansehen zu genießen. Die beiden Bankangestellten marschierten hintereinander zurück in die Glasloge, während der junge Mann sich eine Zigarette anzündete, seinen schwarzen Diplomatenkoffer öffnete und Schriftstücke durchblätterte. Er machte sich Notizen, schien Korrekturen vorzunehmen und nahm zwischendurch kurze Eintragungen in einem schwarz gebundenen Terminkalender vor. Und dann kamen die beiden Bankangestellten hintereinander wieder aus der Glasloge, in der sie drei bis vier Minuten geblieben waren. Der Angestellte der unteren Gehaltsgruppe trug mit beiden Händen ein Tablett, auf dem Banknotenbündel sich förmlich türmten. Der Kunde lächelte flüchtig, als der Filialleiter erneut einige Worte mit ihm wechselte, und legte dann mit abgezirkelten Bewegungen die Banknotenbündel in den Diplomatenkoffer, nachdem er sie schnell, aber auch konzentriert durchgezählt hatte. Er unterschrieb eine Quittung, erhob sich, deutete eine Verbeugung an und verließ die Schalterhalle. Butler Parkers Interesse war nach wie vor in Schwingungen geraten. Auch er erhob sich und verließ die Filiale der renommierten Bank. Seiner bescheidenen Schätzung nach hatte der junge Mann etwa zwanzigtausend Pfund mitgenommen. ***
»Also, das ist aber doch die Höhe«, entrüstete Agatha Simpson sich. »Ich möchte wissen, Kindchen, was Sie dazu sagen.« Lady Agatha Simpson, eine ungemein stattliche Dame, die automatisch Respekt einflößte, war eine immens reiche Frau, die mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert ist. Nach dein Tod ihres Mannes vor vielen Jahren gab sie sich ganz ihren Neigungen hin und stürzte sich mit Vehemenz von einem Abenteuer ins andere. Lady Simpson liebte die Kriminalistik im weitesten Sinn des Wortes und beschäftigte sich mit der Aufklärung von großen und kleinen Verbrechen. Butler Parker und Kathy Porter hatten eigentlich immer alle Hände voll zu tun, um Mylady vor Ungemach zu schützen. Kathy Porter war das >Kindchen<, das von der Lady gerade angesprochen worden war. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, etwas über mittelgroß, schlank und als das scheue Reh bekannt, wozu ihre rotbraunen Haare noch erheblich beitrugen. Man sah es ihr auf keinen Fall an, daß sie sich in wenigen Sekunden in eine entfesselte Pantherkatze verwandeln konnte, der kein Mittel des Angriffs und der Selbstverteidigung fremd war. Die Entrüstung Lady Simpsons war fast verständlich. Sie hatte Butler Parker aus der Bank kommen sehen, doch er schien die Anwesenheit des Land-Rover völlig vergessen zu haben. Er hatte den Wagen gerade passiert und schritt stocksteif über den Gehweg, das Urbild eines englischen Butlers, den nichts zu erschüttern vermag. Josuah Parker trug über seinem schwarzen Zweireiher einen selbstverständlich ebenfalls schwarzen, knielangen Covercoat, eine schwarze Melone und einen altväterlich gebundenen Regenschirm, dessen Bambusgriff über dem linken, angewinkelten Unterarm hing.
»Dieser Mann drückte sich vor der Weiterfahrt«, vermutete Agatha Simpson gereizt. »Ich hätte größte Lust, ihm den Weg abzuschneiden.« »Mr. Parker hat bestimmt Gründe, Mylady, sich so zu verhalten«, antwortete Kathy Porter. »Dann soll er sie mir gefälligst mitteilen.« Die Detektivin brachte den Motor in Gang und traf Anstalten, ihrem Butler zu folgen. »Vielleicht hätte das Aufsehen erregt, Mylady.« »Ein neuer Fall?« Agatha Simpson beruhigte sich augenblicklich und machte sofort einen animierten Eindruck. »Natürlich, ein neuer Fall, Kindchen. Sie werden sehen, daß ich wieder mal recht habe.« »Darum sollte man ihm wohl nicht unbedingt folgen, Mylady«, schlug Kathy Porter vor. »Mister Parker schien größten Wert darauf zu legen, die Verfolgung allein aufzunehmen.« »Wer sagt denn, daß ich ihm folgen will?« Agatha Simpson sah ihre Sekretärin und Gesellschafterin fast strafend an. »Keiner weiß schließlich besser als ich, wie man sich unauffällig benimmt, Kindchen. Nein, nein, wir räumen erst mal das Feld, bleiben aber selbstverständlich in der Nähe. Sie wissen doch inzwischen auch, daß man Mister Parker nicht allein lassen darf, er richtet sonst nur Unheil an.« Sie glaubte das, was sie sagte, und Kathy Porter hütete sich, dem zu Widersprechen. Zudem hatte sie jetzt wichtigere Dinge zu tun. Sie stemmte sich mit ihren Schuhen fest gegen das Bodenbrett des Wagens, kontrollierte noch mal den straffen Sitz des Sicherheitsgurtes und faßte mit der linken Hand nach dem Griff vorn am Armaturenbrett, um sich einen zusätzlichen Halt zu schaffen. Sie wußte aus einschlägiger Erfahrung, was auf sie zukam. Lady Simpson wollte sich wieder mal optimistisch und
unternehmungslustig in den Straßenverkehr der Millionenstadt London stürzen, was stets einer kleinen bis mittleren Katastrophe gleichkam. *** Der dezent gekleidete, selbstsichere junge Mann ging ohne Hast ein Stück die Straße hinunter und betrat einen Parkplatz. Er öffnete den Schlag eines Daimlers, und Butler Parker bedauerte es bereits, nicht zu Lady Agatha in den Wagen gestiegen zu sein. Die weitere Verfolgung war jetzt so gut wie ausgeschlossen, denn innerhalb weniger Sekunden mußte der junge Mann im dichten Verkehr verschwunden sein. Nun, Butler Parker prägte sich das Wagenkennzeichen ein und wurde anschließend angenehm überrascht. Der junge Mann setzte sich nämlich keineswegs ans Steuer, sondern richtete sich wieder auf, schloß die Wagentür und sperrte sie ab. Danach verließ er wieder den Parkplatz und schritt mit seinem schwarzen Diplomatenkoffer hinüber zur Parallelstraße. Parker wechselte die Straßenseite und fuhr wie bei einem elektrischen Schlag zusammen, als er hinter sich das entnervende Quietschen von Bremsen und Reifen hörte. Bruchteile von Sekunden später mischte sich das Geräusch von mißhandeltem Blech darunter. Nur zögernd Wandte sich der Butler um und nahm die kleine Karambolage zur Kenntnis, die sich seinen Blicken bot. Ein hochbeiniger Land-Rover hatte ein Taxi gerammt, dessen Fahrer gerade ausstieg und einen aufgebrachten Eindruck machte. Er belegte seinen Kontrahenten am Steuer des LandRovers mit ausgesuchten Schimpfwörtern und riß dabei die Tür des Wagens auf. Er hätte es besser nicht getan und seinen Mund gehalten.
Josuah Parker schloß für einen Moment ergeben die Augen und kämpfte gegen einen aufsteigenden Seufzer an. Aus dem Land-Rover stieg nämlich eine stattlich aussehende Dame, die ein Tweed-Kostüm trug. Agatha Simpson, um sie handelte es sich natürlich, maß den temperamentvollen Taxifahrer mit einem eisigen, geradezu vernichtenden Blick. Dann holte sie aus und ... verabreichte dem stämmigen Mann in der Lederjacke eine Ohrfeige, die wie eine Explosion klang. Der Fahrer ging prompt in die Knie und taumelte zurück. Lady Simpson folgte ihm und nannte ihn mit ihrer dunklen Baritonstimme, die schon fast an einen grollenden Baß erinnerte, einen ausgemachten Lümmel, der es nicht noch mal wagen solle, eine wehrlose Dame zu beleidigen. Parker hatte leider keine Zeit, sich weiter diesem kleinen Intermezzo zu widmen. Er hielt Ausschau nach dem jungen Mann, der sich nicht hatte aufhalten lassen. Dieser bog gerade in eine weitere Straße ein und blieb vor einer Bankfiliale stehen. Auch sie sah äußerlich recht unansehnlich und fast bedeutungslos aus. Neben dem Eingang gab es ein schmales Bronzeschild, auf dem nur zwei Namen standen. Der Eingeweihte aber wußte, daß es sich hier ,um eine Bank handelte, die höchstes internationales Ansehen genoß. Der junge Mann betrat die Bank, und Parker folgte nach wenigen Augenblicken. Er setzte sich vor eines der alten, zerschrammten Schreibpulte und holte seine Brieftasche hervor. Er öffnete sie, klappte eine Innenseite herum und schaute in den dahinter befindlichen Spiegel. Der junge, korrekt gekleidete Mann mit den erstklassigen Manieren präsentierte dem Beamten am Schalter einen Scheck und wartete erst gar nicht eine Frage ab. Er nahm auf einem
Ledersofa Platz, schlug die Beine übereinander und studierte anschließend wieder Akten, die er dem Diplomatenkoffer entnommen hatte. Der Vorgang wiederholte sich. Der Bankangestellte verschwand hinter der Tür, die zum leitenden Manager des Hauses führte, der nach wenigen Minuten erschien und den Kunden begrüßte. Der Schalterangestellte hielt ein Zahlbrett in Händen, auf dem eine Reihe von Banknotenbündeln lagen. Der junge Mann zählte nach, quittierte und legte die Scheine dann ohne Hast in den Koffer, der übrigens leer war, wie Parker jetzt deutlich erkannte. *** »Leer?« fragte Lady Simpson überrascht, als ihr Butler diesen Punkt seines Berichtes erreicht hatte. »Wo waren dann die Noten der ersten Bank?« »Meiner durchaus bescheidenen Meinung nach, Mylady, dürfte besagter junger Mann die Koffer ausgetauscht haben, zumal er anschließend noch eine dritte Bank besuchte und auch dort eine nicht unbeträchtliche Geldmenge kassierte.« »Er brachte den zweiten Koffer auch zurück zu seinem Daimler, Mister Parker?« erkundigte Kathy Porter sich. »In der Tat, Miß Porter«, antwortete Parker gemessen, wie es seiner Art entsprach, »Dort muß er ihn gegen einen dritten ausgetauscht haben.« »Und warum das alles, Mister Parker?« Mylady sah ihren Butler streng an. »Ich hoffe, Sie haben sich eine Theorie zurechtgelegt!« »Sie befindet sich noch im Stadium einer gewissen geistigen Unordnung«, gestand Parker. »Der Daimler wurde übrigens, wie ich inzwischen weiß, ausgeliehen. Der Mieter dieses Wagens nannte sich Herbert F. Corbett.«
»Sein richtiger Name, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson. »Dies, Mylady, wird man erst noch eruieren müssen«, entgegnete Josuah Parker. »Eine sehr faule Sache«, fand Lady Agatha und nickte zufrieden. »Das riecht nach einem Gaunerstück, finden Sie nicht auch?« »Gewiß, Mylady, zumal der junge Mann, der sich Corbett nennt, ein Schulterhalfter samt Inhalt trug. Dies veranlaßte mich, ihm ein wenig zu folgen.« »Ein Scheckbetrüger«, grollte die ältere Dame. »Eigentlich interessiert mich solch ein kleiner Gauner nicht besonders. Für mich zählen nur wirklich große Verbrechen.« »Warum erkundigen wir uns nicht, unter welchen Namen dieser Corbett in den drei Banken aufgetreten ist?« schaltete Kathy Porter sich ein. »Sehr richtig, Kindchen«, lobte Lady Simpson. »Genau das wollte ich gerade sagen. Rufen Sie bei den Banken an! Arbeiten wir mit diesen drei Häusern?« »Auf Umwegen bestimmt, Mylady«, versicherte Kathy Porter. »Ich fürchte nur, daß man mir keine Auskunft geben wird. Sie würden das viel schneller schaffen.« »Den Apparat, Kindchen.« Lady Agatha nickte grimmig. »Ich werde mich direkt an die Vorstände wenden.« »Ich suche die Adressen und Telefonnummern gerade heraus, Mylady«, meinte Kathy Porter. »Und auch die Nummer des Innenministers«, verlangte die Detektivin. »Da wäre noch dieser Überfall auf mich.« »Mylady wurden...überfallen?« fragte Parker pflichtschuldig. »Richtig, Sie hatten ja wieder mal keine Zeit für mich. Ich bin förmlich überfallen worden, Mister Parker. So ein Rüpel von einem Taxifahrer nahm mir die Vorfahrt, fuhr meinen
Wagen fast zu Schrott und wurde anschließend noch beleidigend. Aber diesem Flegel habe ich gezeigt, was Manieren sind.« »Mylady riefen den Taxifahrer zur Ordnung?« Parker hatte die bewußte Szene zwar beobachtet, doch er wußte, daß seine Herrin diese Begebenheit unbedingt noch mal erzählen wollte. »Er wird sich in Zukunft nicht mehr mit hilflosen Frauen einlassen«, erwiderte sie und nickte zufrieden. »Das muß man sich mal vorstellen. Dieser Lümmel wagte es doch, seine Hand zur Faust zu ballen, nachdem ich ihm eine Ohrfeige verabreicht hatte!« »Eine Geste, die man nur als rüde und verwerflich bezeichnen kann, Mylady.« »Nicht wahr?« Die Sechzigjährige nickte noch zufriedener. »Bevor er mich aber tätlich angreifen konnte, habe ich ihm meinen Pompadour auf die Nasenspitze gedrückt.« »Mit niederschmetterndem Erfolg, Mylady, wie ich unterstellen möchte.« »Darauf können Sie sich verlassen!« Parker kannte diesen perlenbestickten Handbeutel, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende trugen. Sie waren eigentlich dazu gedacht, Kleinigkeiten wie Puderdose, Taschentuch und Riechfläschchen aufzunehmen. Im Fall der Lady Simpson hingegen befand sich in diesem Pompadour, wie die Handbeutel genannt wurden, ein echtes Pferdehufeisen, das aus Gründen der Humanität mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. In der Hand der Lady Agatha war dieser Pompadour mit dem darin befindlichen >Glücksbringer<, wie die resolute Dame das Hufeisen nannte, eine ungemein wirkungsvolle und gefährliche Waffe. Sie konnte damit einen ausgewachsenen Ochsen zu Boden strecken. »Der Apparat und die Telefonnummern, Mylady«, meldete Kathy Porter und stellte das Telefon neben Lady Simpson auf
einen kleinen Beistelltisch. Was nun folgte, war beeindruckend. Innerhalb von zehn Minuten besaß Agatha Simpson sämtliche Informationen, die sie zu erfahren wünschte. Die Vorstände der drei Banken beeilten sich geradezu, der Anruferin dienlich sein zu dürfen. Eine Kundin wie die Lady wollten sie auf keinen Fall verärgern. Natürlich wahrte sie das Bankgeheimnis und nannten keine Summen, doch gewisse Namen wurden durchaus und ohne Zögern erwähnt. Für die Vorstände der drei Banken war Agatha Simpson nicht nur eine Kundin, sondern auch eine mehr oder weniger vertraute Freundin. Sie war in der Lage, diese Herren familiär bei ihren Vornamen zu nennen, was dem Informationsfluß nur förderlich war. »Schlechte Nachrichten«, sagte die Detektivin, als sie ihre Gespräche beendet hatte. Sie wirkte sichtlich verärgert. »Wie darf ich mir gestatten, Myladys Hinweis zu interpretieren?« erkundigte Parker sich in seiner gespreizt-barocken Form. »Dieser junge Bursche, wie heißt er denn, richtig, Herbert F. Corbett, dieser Bursche also, Mister Parker, dürfte vollkommen harmlos sein. Er ist der Chef eines kleinen privaten Geldtransportunternehmens.« »Dies, Mylady, klingt in der Tat überraschend.« »Er übernimmt das Inkasso von Bargeld für besondere Kunden und hat in allen drei Fällen, die Sie beobachtet haben, Mister Parker, die entsprechenden Vollmachten vorlegen können.« »Rückversicherten die Banken sich, Mylady?« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Es handelte sich, wie ich erkennen konnte, um durchaus ansehnliche Beträge.« »Die drei Kunden, für die Corbett das Bargeld abholte, bestätigten die Vollmachten«, lautete Lady Simpsons Antwort. »Ich habe ja gleich gesagt, Mister Parker, daß Sie wieder mal
falsch liegen. Das hier ist kein Kriminalfall für mich. Und was die Waffe betrifft, so muß dieser junge Mann ja wohl so etwas mit sich herumtragen, oder? Schade um das Telefongeld, völlig unnötige Ausgaben!« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich diese Mehrausgaben zutiefst bedaure«, behauptete Josuah Parker. Sein Gesicht blieb ausdruckslos wie stets. »Ich werde mich bemühen, Mittel und Wege zu finden, diesen finanziellen Verlust ausgleichen zu können.« »Ich werde nicht gleich nach dem Bettelstab greifen müssen«, meinte die ältere Dame und sah den Butler ein wenig mißtrauisch an. Sie wußte nicht recht, was sie zu dieser Versicherung sagen sollte, »Reden wir nicht von Geld, sondern von diesem angeblichen Kriminalfall, Mister Parker. Hoffentlich haben Sie inzwischen eingesehen, daß man es eben in den Fingerspitzen haben muß. Mit Fleiß allein schafft man es nicht! Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel!« »Mylady dürfen dessen gewiß sein«, lautete Parkers Antwort, während er sich andeutungsweise verbeugte. Er übersah das Schmunzeln von Kathy Porter, die seitlich hinter Lady Simpson stand. Er wußte natürlich, daß dieses Schmunzeln einzig und allein Agatha Simpson galt, die sich wieder mal total überschätzte. *** Die Adresse des Herbert F. Corbett war nicht schlecht. Butler Parker stand am frühen Nachmittag vor einem ansehnlichen Haus im Stadtteil Kensington und studierte die Firmentafeln, die durchweg in Bronze gehalten waren. Er entdeckte tatsächlich den Namen Corbett, betrat die Halle des Hauses und fuhr mit dem Lift hinauf in die zweite Etage.
Corbetts Firmenräume befanden sich am Ende eines langen Korridors. Parker blieb vor der Haupttür stehen und genierte sich keineswegs, ein wenig zu lauschen. Als höflicher Mensch wollte er selbstverständlich nicht stören. Nun, er hörte überhaupt nichts. Er vermißte das Stakkato einer Schreibmaschine, nahm keine Stimmen wahr und auch keine Schritte. Parker klopfte also höflich an und bewegte anschließend den Türknauf. Die Tür war verschlossen, wie sich herausstellte. War Mr. Corbett wieder unterwegs, um Bargeld für diverse Kunden zu kassieren? Handelte es sich bei seiner Firma um einen Einmannbetrieb? Parker schaute sich das Türschloß genauer an und wunderte sich wieder mal, wie wenig Wert gewisse Leute doch auf Sicherheit legten. Dieses Türschloß war von einfacher Bauart und reizte ihn geradezu, es aufspringen zu lassen. Bevor er dieser Versuchung jedoch nachkommen konnte, hörte er das diskrete Rauschen des Lifts, der auf der zweiten Etage hielt. Sicherheitshalber brachte Parker sich in Deckung. Es konnte ja sein, daß der Benutzer des Lifts diesen Teil des Korridors benutzte. Josuah Parkers Deckung war ebenso einfach wie überzeugend. Er prüfte den Sitz seines falschen Schnurrbarts und ging in Richtung Lift. Er sah keineswegs aus wie ein Butler, hatte auf seine übliche Kleidung verzichtet. Parker glich einem straffen Mitsechziger, dem man den altgedienten und inzwischen pensionierten Major auf den ersten und zweiten Blick ansah. Sein grauer Mantel wirkte ein wenig abgetragen, war aber peinlich sauber. Die Farbe seiner Nase deutete diskret an, daß er einem Whisky nie abgeneigt war. Parker hielt sich militärisch straff, und die Haftschalen vor seinen Augen funkelten förmlich vor Energie. Parker hatte Glück.
Um die Korridorecke bog... Herbert F. Corbett. Der junge, sorgfältig gekleidete Mann trug einen jener schwarzen Diplomatenkoffer, die Parker bereits kannte. Corbett sah den altgedienten »Major« mit einem schnellen, sehr wachen und prüfenden Blick an und blieb stehen. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?.« erkundigte er sich. »Mason, Mason und Söhne«, schnarrte Parker nasal. »Scheußlich, diese vertrackten Bürohäuser.« »Sie sind zu früh ausgestiegen, Sir«, meinte Corbett. »Mason, Mason und Söhne haben ihre Büros in der dritten Etage.« »Dritte Etage.« Der altgediente »Major« räusperte sich explosionsartig und nickte verstehend. »Scheußlich, dieses Herumgesteige, einfach scheußlich.« Herbert F. Corbetts Blick war weniger wachsam geworden. Die Augen drückten aus, daß der junge Mann belustigt war. Er nickte grüßend und ging weiter zur Haupttür seines Büros. Hier angekommen, wandte Corbett sich noch mal nach dem Altgedienten um, der die Korridorecke gerade erreicht hatte. Parker ging sicherheitshalber durch bis zum Lift, fuhr in die dritte Etage, um dann über die Treppe wieder hinunter in die zweite zu gehen. Als er vorsichtig um die Ecke schaute, war Corbett bereits in seinen Räumen verschwunden. Butler Parker ging ganz bewußt das Risiko ein, schon im nächsten Moment überrascht zu werden. Er marschierte gemessen, aber durchaus nicht langsam auf die bewußte Tür zu und brauchte nur ein paar Sekunden, um einen sehr altbewährten Mini-Sender unten am Türblatt anzubringen. Er brauchte nur den Klebestreifen gegen das Holz zu drücken, um diesen Sender förmlich festzuschweißen. Natürlich war es sich über das, was er da tat, vollkommen im klaren. Es war auf keinen Fall das, was man gemeinhin die feine englische Art nannte, und innerlich schämte Parker sich
durchaus. Im Grund verabscheute er es, sich in die Intimsphäre seiner Gegner einzuschleichen, wenn dies auch nur akustisch war, doch er sah sich immer wieder gezwungen, die Methoden der Gangster zu unterlaufen. Zudem beruhigte er sein Gewissen mit der ihm nur zu gut bekannten Tatsache, daß auch durchaus offizielle Behörden so und nicht anders arbeiteten. Nach der Befestigung des Mini-Senders ging er zurück zur Korridorecke und nahm dahinter eine blitzschnelle Verwandlung vor. Es zeigte sich wieder mal, welch ein Meister der Maske dieser Mann war. Nach wenigen Sekunden war aus dem altgedienten und whiskyfreudigen Militär ein biederer Handwerker geworden, der noch dazu schwerhörig schien. Er schob sich nämlich noch den Clip eines Hörgerätes in das rechte Ohr und begann mit dem Auspacken einer abgegriffen aussehenden Thermosflasche, die offensichtlich Tee enthielt. *** »... sollte es Schwierigkeiten gegeben haben?« hörte Parker deutlich die Stimme des jungen Mannes, der Herbert F. Corbett hieß. »Selbstverständlich habe ich das Geld. Es liegt hier abholbereit wie immer. Wie? Ob es Schwierigkeiten gegeben hat? Wieso denn? Die Sache mit den Rückrufen ist doch völlig wasserdicht. Nein, nein, Lorne, macht euch keine Sorgen! Nein, wirklich nicht, ich bin auch nicht verfolgt oder beschattet worden. Und selbst wenn? Glaubst du wirklich, deine Kunden würden sich freiwillig noch mal behandeln lassen?« Die Unterhaltung war damit leider beendet, wie der biedere Handwerker hörte, denn Corbett verabschiedete sich und legte auf. Etwas später übertrug der Mini-Sender das Geräusch einer Flasche, die geöffnet wurde, dann war das Klingeln von Eiswürfeln in einem Glas zu vernehmen. Herbert F. Corbett schien auf seinen Erfolg zu trinken.
Butler Parker ließ das Gehörte noch mal Revue passieren. Hatte es sich um einen völlig normalen Anruf gehandelt? Was sollte dann der Ausdruck »wasserdicht« bedeuten? Was bedeutete es, daß gewisse Kunden sich freiwillig nicht noch mal behandeln lassen würden? Warum hatte Corbetts Gesprächspartner sich nach etwaigen Verfolgern erkundigt? Nein, harmlos und regulär konnte dieser Anruf nicht gewesen sein! Der angeblich biedere Handwerker beendete seine Teepause, packte die Thermosflasche weg und schlurfte zurück zur Haupttür der Inkassofirma. In seiner linken Hand befand sich der Griff einer zerschlissenen Arbeitstasche, die er nach Belieben zu einer Winzigkeit zusammenrollen konnte. Er pochte an. »Wer ist da?« fragte Corbett hinter der Bürotür. »Wer schon?« gab Parker mit gespielt heiserer Stimme zurück. »Haben Sie mich nu' angerufen oder nich'?« »Was... Was soll das heißen?« fragte Corbett, der die Tür jedoch noch nicht öffnete. »Sie doch, Mann! Ich soll die Neonröhre auswechseln, oder?« »Das muß ein Mißverständnis sein!« Corbett fiel auf den an sich gängigen Trick herein, was wohl mit dem Slang zusammenhing, den Parker benutzte. Corbett hakte eine Sicherheitskette aus und bewegte den Schlüssel im Schloß. Dann sperrte er die Tür halb auf und sah den biederen Handwerker erstaunt an. »Hier is' der Bestellzettel«, sagte Parker und griff in die Brusttasche seines Wendemantels, der jetzt einem Arbeitskittel glich. Corbett, ganz sicher ein wachsamer und mißtrauischer Mensch, schöpfte keinen Verdacht. Daher war er auch nicht in der Lage, etwas gegen Parkers Zerstäuber zu unternehmen. Dieser Zerstäuber gehörte eigentlich in die Handtasche einer gepflegten Dame und diente dem diskreten Versprühen von
Duftstoffen. In Parkers Zerstäuber aber befand sich ein Spray, der wie Pfeffer in den Augen brannte. Entsprechend reagierte Corbett. Er jaulte auf wie ein getretener Hund, schloß prompt die Augen und beging dann noch den zusätzlichen Fehler, sich die Augen zu reiben. Damit trieb er den Spray erst recht in die Augen. Deshalb bekam der junge Mann überhaupt nicht mit, wie schnell und gründlich er entwaffnet wurde. Parker langte mit der profihaften Geschicklichkeit eines Taschendiebes nach der Schußwaffe in der Schulterhalfter und nahm sie sicherheitshalber an sich. »Ich möchte Ihnen versichern, Mister Corbett, daß Ihre Augen keinen Schaden nehmen werden«, sagte Parker höflich. »Wenn Sie erlauben, führe ich Sie hinüber zum Sessel.« Herbert F. Corbett schlug ohne Übergang wütend um sich, doch er traf selbstverständlich nicht. Parker wich gemessen aus und wartete, bis die Aktivitäten des jungen Mannes sich ein wenig gelegt hatten. »Sie benehmen sich unnötig heftig«, stellte Parker fest, »Es ist auch sinnlos, nach der Schußwaffe greifen zu wollen. Ich war so frei, sie an mich zu nehmen.« »Wer, zum Teufel, sind Sie?« fragte Corbett, der einsah, daß er im Moment nichts ausrichten konnte. Er wich vorsichtig zurück und blieb vor der Wand stehen. Seine Augen waren immer noch geschlossen. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Ich möchte keineswegs verhehlen, daß ich mich für Ihre Geldgeschäfte interessiere. Ich bin bereits jetzt sicher, daß Sie mir mit einigen Auskünften dienen werden!« *** »Und was hatte er zu sagen, Mister Parker?« wollte Lady
Simpson wissen. Sie machte einen ungnädig grimmigen Eindruck, denn sie fühlte sich wieder mal gründlich übergangen. Sie selbst hätte diese Befragung liebend gern übernommen. »Mister Corbett zeigte sich verstockt, wenn ich es so umschreiben darf, Mylady«, antwortete Josuah Parker. Er befand sich im Salon des Stadthauses seiner Herrin und übersah die wachsende Gereiztheit Lady Agathas. »Und Sie haben sich das natürlich bieten lassen, nicht wahr?« »Es lag mir fern, Mylady, Mister Corbett zu einer Aussage zu zwingen«, gab Parker würdevoll zurück. »Ich bin sicher, daß der junge Mann schon recht bald gewisse Aussagen machen wird.« »Ihren Optimismus möchte ich haben, Mister Parker«, reagierte Lady Simpson gereizt. »Sie haben dieses Subjekt natürlich nicht mitgebracht, wie?« »In der Tat, Mylady«, entgegnete Parker. »Mir lag daran, Myladys Gastfreundschaft nicht unnötig zu strapazieren.« »Aber Sie glauben, daß er sich freiwillig melden wird, wie?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« »Dieser Lümmel wird Ihnen was husten, Mister Parker! Warum sollte er sich freiwillig melden?« »Aus Angst, Mylady! Ich vergaß zu berichten, daß ich so frei war, Mister Corbetts Tageseinnahmen in Verwahrung zu nehmen.« »Nun ja, das klingt schon besser.« Lady Agatha ließ sich zu einem leicht gnädigen Kopfnicken herab. »Um welche Summe handelt es sich denn, Mister Parker?« fragte Kathy Porter. Sie hatte bisher absichtlich geschwiegen, um ihre Gesellschafterin und Chefin nicht noch zusätzlich zu reizen.
»Mister Corbett kassierte bis zu meinem Besuch die Summe von insgesamt sechzigtausend Pfund.« ,»Die doch bei ihm abgeholt werden sollten, oder?« Lady Agatha hatte sehr genau zugehört. »Dies, Mylady, entspricht durchaus den Tatsachen«, erwiderte Josuah Parker. »Mylady sind der Ansicht, daß ich auf diesen Boten hätte warten sollen?« »Selbstverständlich! Dieser Bote hätte uns einen entscheidenden Schritt weitergebracht, nämlich zu den Hintermännern dieses Corbett.« »Eben das, Mylady, wage ich zu bezweifeln. Die Gefahr, abgeschüttelt zu werden, war meiner bescheidenen Ansicht nach zu groß. Auf Fragen aber würde solch ein Bote mit Sicherheit nicht reagieren.« »Mir hätte er geantwortet, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson grimmig. »Aber Sie beherrschen ja auch nicht die Verhörtechnik.« »Ein schwerer Mangel, Mylady, dessen ich mir durchaus bewußt bin«, erwiderte Parker gelassen. Sein Gesicht ließ nicht erkennen, wie er darüber wirklich dachte. »Mir ging es darum, Mister Corbett einen gewissen Spielraum einzuräumen, den er dann auch tatsächlich nutzte.« »Und wie, wenn man fragen darf?« »Mister Corbett verließ das Bürohaus nach meinem Fortgehen in allergrößter Eile, um sich wahrscheinlich erst mal in Sicherheit zu bringen. Da er die sechzigtausend Pfund nicht abliefern konnte und kann, rechnet er natürlich mit gewissen Repressalien seitens seiner Auftraggeber.« »Sie schätzen diese Gangster natürlich wieder mal falsch ein«, räsonierte Lady Simpson. »Corbett dürfte London längst verlassen haben. Wenn er tatsächlich Angst hat, sitzt er bereits in einem Flugzeug und taucht irgendwo im Kontinent unter.«
»Mit solch einer Entwicklung muß man allerdings ebenfalls rechnen, Mylady«, räumte Josuah Parker ein. »Sie haben sich zwar Mühe gegeben, alles gründlich zu verpatzen, Mister Parker, aber ich werde Ihnen wieder mal aus der Klemme helfen.« Lady Simpson nickte ausdrücklich und triumphierend. »Mylady machen meine bescheidene Wenigkeit glücklich.« »Papperlapapp, Mister Parker!« Sie winkte großmütig ab. »Ich bin es ja gewöhnt, Ihre Fehler auszubügeln. Sie können froh sein, mich zu haben.« »Dieses Glückes, Mylady, bin ich mir durchaus bewußt.« »Wir werden diesen Fall nach meinem Rezept lösen«, redete die ältere Dame energisch weiter. »Wir werden nämlich diese drei Herrschaften besuchen, für die Corbett angeblich kassiert hat. Miß Porter hat mich bereits angekündigt. In ein paar Stunden können wir einem gewissen Chief-Superintendent McWarden einen bereits gelösten Fall auf den Tisch legen. Lassen Sie mich nur machen!« *** Er hieß Randolph Laxham, war etwa fünfzig Jahre alt und machte einen nervösen Eindruck, den er jedoch um jeden Preis überspielen wollte. Laxham war ein in Fachkreisen bekannter Industriemakler und verdiente gut. Er bewohnte im Stadtteil Belgravia ein altes, schönes Haus und beeilte sich, Lady Simpson zu empfangen. Ihm war natürlich bekannt, wie immens reich diese Dame war und über welch einmalige Kontakte zur Finanzwelt sie verfügte. Eine Lady Agatha Simpson empfing man, auch wenn man nervös war oder sich krank fühlte. Und er war offensichtlich nicht ganz auf der Höhe seiner
Gesundheit, als er die resolute Dame und Butler Parker in seine Bibliothek führte. Er griff immer wieder verstohlen nach seiner linken Wange und massierte sie leicht. »Haben Sie Zahnschmerzen, Laxham?« erkundigte Lady Agatha sich überraschend und voller Mitgefühl. »Sieht man mir das an, Mylady?« fragte Laxham und massierte sich ungeniert die Backe. »Ich war tatsächlich beim Zahnarzt.« »Ich hasse Zahnärzte«, meinte die ältere Dame. »Ich hatte mir eine Krone abgebissen«, redete Randolpf Laxham weiter. »Hat man gebohrt?« wollte Lady Simpson weiter wissen. »Ausgiebig, Mylady.« Laxham fühlte sich wirklich nicht wohl. Er ließ sich in einem Sessel nieder, bevor die Detektivin Platz genommen hatte. Normalerweise hätte er sich solch eine Ungezogenheit nie erlaubt. »Haben Sie einen guten Zahnarzt?« fragte Agatha Simpson interessiert weiter. »Doch, ja, Mylady.« Laxham nickte hastig. »Aber vergessen wir meinen Backenzahn. Was kann ich für Sie tun?« »Sie arbeiten mit dem Inkassobüro Corbett zusammen, Sir?« fragte Butler Parker ohne jede Umschweife. »Corbett? Corbett? Äh, natürlich, richtig, gute Firma, problemlos und korrekt Wie... Wieso fragen Sie das?« »Sie ließen Mr. Corbett heute vormittag einen Bargeldbetrag in Ihrer Hausbank abholen?« »Okay! Sicherheit ist bei mir das höchste Gebot.« Laxham wandte sich an Lady Simpson. »Heutzutage ist man doch nicht sicher, nach dem Verlassen einer Bank ungeschoren davonzukommen, nicht wahr? Ich beauftrage für solche Transaktionen die Firma Corbett, da trete ich wenigstens nicht in Erscheinung und begebe mich nicht in Gefahr.«
»Er hat Ihnen das Geld bereits zugestellt, Sir?« lautete Parkers nächste Frage. »Selbstverständlich, umgehend«, log Laxham ein wenig zu hastig. »Ich sagte ja schon, auf diese Firma kann man sich fest verlassen. Darf ich fragen, warum Sie diese Fragen stellen? Stimmt etwas nicht?« »Sie werden nicht vielleicht erpreßt, Laxham?« erkundigte Lady Simpson sich ungeniert und direkt, worauf der Industriemakler ein rotes Gesicht bekam. Die Frage hatte ihr Ziel voll getroffen. »Erpreßt? Ich? Mylady, wie kommen Sie darauf?« Randolph Laxham hüstelte sich seine Befangenheit aus dem Hals. »Davon kann, äh, wirklich keine Rede sein. Wer sollte mich wie erpressen?« »Sie brauchen also keine Hilfe?« Agatha Simpson sah ihr Gegenüber eindringlich an. »Ich sehe Ihnen doch an, daß Sie irgendwie unter Druck stehen.« »Aber nein, Mylady«, sprudelte es jetzt aus Laxham heraus. »Da täuschen Sie sich gründlich! Äh, woher wissen Sie eigentlich, daß Corbett für mich arbeitet?« »Darüber später mehr, Laxham.« Lady Simpson erhob sich und nickte dem Industriemakler gnädig zu. »Sollten Sie sich in Schwierigkeiten befinden, dann rufen Sie mich an. Und legen Sie sich eine Kamillenkompresse auf die Backe, sie schwillt von Sekunde zu Sekunde immer stärker an.« Ihr Abgang war beeindruckend. Sie rauschte aus dem Haus wie eine regierende Herrscherin und ließ einen völlig irritierten und nervösen Mann zurück, der sich immer wieder die schmerzende Wange massierte. ***
Parkers innere Alarmanlage schrillte. Er geleitete seine Herrin hinüber zu seinem hochbeinigen Wagen, als er akute Lebensgefahr witterte. Blitzschnell musterte er die Passanten und parkenden Wagen. Irgendwo lauerten potentielle Mörder auf Lady Simpson und ihn. Butler Parker rechnete instinktiv mit einem Feuerüberfall. Dementsprechend reagierte er. Seinem Gefühl nach ging es um Bruchteile von Sekunden. Wahrscheinlich befand man sich bereits im Visier einiger leistungsstarker Feuerwaffen. Er nahm seinen Universal-Regenschirm vom angewinkelten Unterarm und wirbelte ihn herum. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff des Schirmes hakte er nach der linken Wade der Lady und zog leicht, aber dennoch nachdrücklich an. Das Ergebnis war frappierend. Lady Agatha stolperte prompt, geriet mit ihrer majestätischen Fülle aus dem Gleichgewicht und ... fiel gegen Parker, der sie fest an sich riß und mit ihr zu Boden ging. Als höflicher Mensch sorgte Parker dafür, daß Agatha Simpson sich auf ihn legen konnte. Während der Butler das wütende Rattern der Maschinenpistole hörte, hatte er das Gefühl, von einer Dampfwalze überrollt worden zu sein. Lady Agatha lag auf ihm und nagelte ihn auf dem Boden fest. Parker hatte seine liebe Mühe und Not, sich freizukämpfen. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen die ihn fast erstickende Fülle, strampelte sich in einer Art und Weise frei, die wenig butlerhaft war, sondern fast verzweifelt und menschlich wirkte wurde plötzlich entlastet und merkte, daß die ältere Dame sich erstaunlich schnell aufgerichtet hatte. Sie war ärgerlich. »Mylady«, rief Parker. »Vorsicht, wenn ich bitten darf.« »Schnickschnack«, sagte sie grollend und wirbelte ihren Pompadour kreisförmig herum, um ihn dann auf die Reise zu schicken. Parker stand neben ihr, als das Wurfgeschoß sich in
rasendem Flug einem Morris näherte, der gerade aus einer Parklücke schoß und Fahrt aufnahm. Der Pompadour samt darin befindlichem >Glücksbringer< zischte durch die Luft und wurde wie von unsichtbarer, sicherer Hand auf die Seitenscheibe des kleinen Wagens gelenkt. »Diese Subjekte«, ärgerte Lady Agatha sich, »wagen es, auf eine wehrlose Frau zu schießen.« »Mylady mögen mein unangekündigtes und ungestümes Vorgehen entschuldigen«, sagte Parker und rückte sich die schwarze Melone zurecht, die ihm ein wenig schief auf dem Kopf saß. »Treffer«!« Mehr sagte Lady Simpson nicht, nickte dabei nachdrücklich und zufrieden, denn der Pompadour hatte sein Ziel erreicht und durchschlug die Seitenscheibe des Wagens. Jetzt erst zeigte sich, mit welcher Wucht dieser perlenbestickte Handbeutel bewegt worden war. Das Glas splitterte und klirrte, der Fahrer des Morris wurde offensichtlich in Mitleidenschaft gezogen und verriß das Lenkrad. Bruchteile von Sekunden später krachte der Kühler des Wagens gegen einen Hydranten. Die Motorhaube verformte sich, der Kühlergrill schien den Hydranten geradezu liebevoll zu umarmen, dann wurde alles in eine Wolke von Wasserdampf eingehüllt. »Schaffen Sie mir diese Individuen herbei, Mister Parker«, verlangte Lady Simpson grimmig. »Muß ich denn wieder mal alles allein machen?« Parker schritt hinüber zur Unfallstelle und machte im Wasserdampf zwei Gestalten aus, die sich gerade schleunigst absetzen wollten. Sie waren allerdings noch benommen, nicht ganz sicher auf den Beinen und taumelten. »Wenn die Herren sich freundlicherweise zu Lady Simpson bemühen würden?« Parker deutete mit seinem UniversalRegenschirm in Richtung der älteren Dame.
Die beiden Männer waren an solchen Höflichkeiten nicht interessiert. Genau das Gegenteil war sogar der Fall. Sie hatten innerlich und äußerlich etwas Tritt gefaßt und wollten Parkers Einladung ignorieren. »Entschuldigen Sie, bitte«, redete Parker weiter und langte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms nachdrücklich zu. Daraufhin wurden die beiden Männer prompt wieder von einer tiefen Mattigkeit erfaßt, ließen sich auf dem Boden nieder und legten eine längere Ruhepause ein. *** »Ich war zufällig in der Nähe«, behauptete ChiefSuperintendent McWarden wieder mal und verbeugte sich respektvoll vor Agatha Simpson. »Natürlich, rein zufällig«, höhnte die Lady genußvoll. »Mit anderen Worten, Sie brauchen wieder mal meine Hilfe, nicht wahr?« McWarden überhörte Spott und Hohn. Er war ein untersetzter, bullig wirkender Mann von etwa fünfzig Jahren. Er erinnerte stets an eine leicht bissige und gereizte Bulldogge, wozu seine Basedowaugen nur noch beitrugen. »Wie ich hörte, hatten Sie Ärger, Mylady?« erkundigte McWarden sich. Er befand sich im Salon des Stadthauses der Agatha Simpson, den er von früheren Besuchen her nur zu gut kannte. »Ärger, junger Mann? So kann man einen Mordversuch allerdings auch umschreiben«, entrüstete Lady Agatha sich. »Wozu zahle ich eigentlich meine Steuern, wenn Sie noch nicht mal in der Lage sind, mich zu schützen?« »Ich bedaure diesen Vorfall, Mylady«, sagte McWarden. »Darf ich davon ausgehen, daß dieser Überfall nicht rein
zufällig geschah?« »Wie äußerten die beiden jungen Männer sich dazu, Sir?« schaltete Josuah Parker sich ein, »Sie wurden inzwischen gewiß verhört, nicht wahr?« »Sie sagen kein Wort«, antwortete McWarden grimmig. »Sie hüllen sich in Schweigen. Übrigens, vielen Dank, daß man die Polizei verständigte.« »Ich habe nur meine Pflicht getan«, entgegnete Lady Agatha und lächelte ironisch. »Mister Parker und ich würden doch niemals private Ermittlungen anstellen.« »Natürlich nicht, niemals«, erwiderte McWarden süßsauer, denn er wußte vom Gegenteil. »Dummerweise hatten diese beiden Mordschützen nichts bei sich, was auf ihre Identität hindeutet.« »Sie werden, wie ich annehmen möchte, Fingerabdrücke genommen haben, Sir.« Parker sah den Chief-Superintendent höflich an. »Was dachten denn Sie!? Selbstverständlich! Sie haben uns aber auch nicht weitergebracht, sie sind nicht registriert.« »Sie stehen also wieder mal vor einem Ihrer vielen Rätsel, nicht wahr?« freute Lady Agatha sich ungeniert. »Könnten Sie vielleicht mit einem Hinweis dienen, Mylady?« fragte McWarden vorsichtig. »Ich meine, weil man auf Sie geschossen hat, müßten Sie doch eigentlich wissen oder ahnen, warum man Sie umbringen will.« »Ich muß Sie enttäuschen, junger Mann«, sagte sie stichelnd, denn sie wußte, wie sehr er sich über den Ausdruck »junger Mann« ärgerte. »Um im Klartext zu reden, Mylady«, redete McWarden weiter und wurde jetzt dienstlich. »Sie besitzen nicht zufällig irgendwelche Hinweise auf die Personen dieser beiden Schützen?«
»Was wollen Sie damit andeuten?« gab sie aggressiv zurück. »Nun ja, vielleicht gelangten Sie in den Besitz von Brieftaschen oder anderen Hinweisen, könnte ja sein ...« Auch McWarden wurde aggressiv. »Sie unterstellen mir Taschendiebstahl?« Sie sprach plötzlich sehr leise. »Aber nein, Mylady.« McWarden wich sicherheitshalber einen Schritt zurück. »Sie haben mich völlig mißverstanden. So etwas würde ich Ihnen nie unterstellen. Ich, äh ... Mister Parker, Sie haben am Tatort auch nichts entdecken können?« McWarden wandte sich an den Butler, um dem eisigen Blick der älteren Dame zu entgehen. »Die Ereignisse, Sir, überschlugen sich«, antwortete Parker ausweichend und höflich. »Hat die Durchsuchung des Wagens nichts erbracht?« »Nichts, aber Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.« »Über diese Frage, Sir, muß ich erst mal in aller Ruhe nachdenken«, redete Parker weiter. »Meine bescheidene Person steht noch jetzt völlig unter dem Eindruck dessen, was auf mich einstürmte.« »Die beiden Männer sind Ihnen unbekannt?« McWarden merkte, daß Parker nicht antworten wollte. »Ich habe sie mit letzter Sicherheit noch nie in meinem Leben gesehen«, konnte Parker wahrheitsgemäß antworten. »Ebenso ist mir das Motiv dieses Feuerüberfalls nicht bekannt. Sagte ich Ihnen schon, daß meine bescheidene Wenigkeit noch immer unter dem Eindruck dessen steht, was auf mich einstürmte?« »Und ich stehe unter dem Eindruck, daß diese beiden Schützen eiskalte Profis und Mörder sind«, antwortete McWarden gereizt. »Aber es ist ja Ihr Leben, das Sie da aufs
Spiel setzen! Ich weiß es ganz genau, daß Sie wieder mal auf eigene Faust einen Kriminalfall lösen wollen. Okay, ich kann Sie daran nicht hindern, aber ich kann Sie auch nicht schützen. Nehmen Sie das zur Kenntnis!« McWarden verbeugte sich vor Lady Simpson, um sich dann von Parker zur Tür bringen zu lassen. »Ist er nicht liebenswert, wenn er sich ärgert?« fragte die Detektivin, als Butler Parker zurück in den Salon kam. »Man sollte seine Warnung vielleicht nicht auf die sprichwörtlich leichte Schulter nehmen, Mylady«, schlug Parker vor. »Dieser Mordversuch war ernst gemeint. Noch steht er in keinem Verhältnis zu dem Geld, das ich in Mr. Corbetts Büro sicherstellte.« »Ich habe Ihnen ja von Anfang an gesagt, daß wir es mit einem Kapitalverbrechen zu tun haben«, lautete die Antwort der älteren Dame. »Hoffentlich sehen Sie das endlich ein!« *** Richard Russel, etwa fünfundfünfzig Jahre alt, groß und schlank, empfing Lady Simpson und Butler Parker gespielt munter. Russel, ein erfolgreicher Kaufmann, sehr begütert und unabhängig, rechnete es sich zur Ehre an, von Lady Simpson besucht zu werden. Ihm war natürlich bekannt, wie wichtig diese ältere Dame war, was Geschäfte und Kontakte betraf. Russel wohnte in Wimbledon, wo sein villenähnliches Haus stand. Er führte seine Gäste in eine Art Bibliothek und bemühte sich fast aufdringlich um Lady Agatha. »Haben Sie getrunken, Russel?« erkundigte die Lady sich ungeniert wie stets. Sie nahm den Kopf zurück, um der Alkoholfahne zu entgehen, die Russel flattern ließ. »Nicht eigentlich, Mylady«, erwiderte Russel ohne jede
Verlegenheit. »Ich hatte Zahnschmerzen. Die Tabletten allein haben nicht geholfen.« »Sie waren beim Zahnarzt, Sir?« erkundigte Parker sich höflich. »Nicht gern«, antwortete Russel und verzog das, Gesicht. »Wer geht schon gern zum Zahnarzt, nicht wahr?« »Hoffentlich hat man Ihnen einen Zahn gezogen?« Agatha Simpson sah Russel schadenfroh an. »Nur gebohrt, Mylady, nur gebohrt. Ich hatte da Ärger mit einer Füllung. Aber bitte, reden wir nicht vom Zahnarzt. Was kann ich für Sie tun?« Ähnlich hatte auch Laxham gefragt, und ähnlich lautete auch Myladys Gegenfrage. Sie kam sofort zum Kern der Sache und erkundigte sich nach dem Inkassobüro Corbett. »Gute Firma, guter Service«, erwiderte Russel etwas zu hastig. Auch darin ähnelte seine Reaktion der von Laxham. »Er war heute für Sie tätig, Sir?« schaltete Parker sich ein. »Auch, Mister Parker, auch! Er arbeitet schon eine ganze Weile für mich.« »Seit wann?« wollte Lady Simpson wissen. »Nun ja, ich weiß nicht, Mylady... Ich verstehe den Sinn Ihrer Fragen nicht. Liegt gegen Corbett etwas vor? Bisher hat der Mann vollkommen korrekt gearbeitet.« »Seit wann beschäftigen Sie ihn?« Agatha Simpson ließ sich nicht ablenken. »Seit... Seit knapp einer Woche«, lautete die Antwort. »Wissen Sie, Mylady, ich wollte das Risiko nicht mehr eingehen, eventuell überfallen und ausgeraubt zu werden. Aber bitte, warum erkundigen Sie sich nach Corbett?« »Er rief bei mir an und bot seine Dienste an.« »Völlig korrekter Mann, Mylady, sehr korrekt«, wiederholte
Russel unnötigerweise noch mal. Während dieser Feststellung rieb Russel sich die linke Wange und beulte die Haut mit seiner Zungenspitze aus. Er war noch nervöser geworden und griff nach einem Tablettenröhrchen. Er schüttete eine Tablette in die linke hohle Hand und warf sie sich geschickt in den Mund. »Sie haben Schmerzen, Russel?« erkundigte die ältere Dame sich. »Ziemlich, Mylady! Entschuldigen Sie!« Er goß sich einen Whisky ein, zerkaute vorsichtig die Tablette und verzog sein Gesicht, als er den Tablettenbrei schluckte. »Darf ich mir erlauben, eine persönliche Frage zu äußern?« bat Josuah Parker. »Selbstverständlich, Mister Parker.« Russel war bekannt, wie wichtig und einflußreich Parker war. Er behandelte Parker auf keinen Fall wie einen Butler, wie er es normalerweise sicher getan hätte. »Wie heißt Ihr Zahnarzt?« fragte Parker weiter. »Ich muß bekennen, daß auch ich mich einer Behandlung unterziehen muß.« »Mein Zahnarzt?« Russel schluckte. »Ihr Zahnarzt, Sir.« Parker nickte andeutungsweise. »Wenn schon, dann möchte ich mich selbstverständlich an einen hervorragenden Fachmann wenden.« »Das ist Dr. Kenson«, gab Russel zurück. »Aber wenn Sie mich fragen, Mister Parker, dann sollten Sie nicht zu ihm gehen. Ich habe den Eindruck, daß er nicht mehr so souverän arbeitet wie früher. Sein Alter, verstehen Sie, sein Alter! Seine Hände zittern...« »Bleiben wir bei Mr. Corbett«, schaltete Agatha Simpson sich ein. »Sie können mir diese Firma also empfehlen?« »Auf der ganzen Linie, Mylady«, bestätigte Russel. »Ich
könnte mir keinen besseren Mann vorstellen.« Bevor man diesmal zurück zum Wagen ging, sicherte Parker die nähere Umgebung. Er wollte Lady Simpson nicht noch mal in die Schußlinie von Gangstern bringen. Butler Parker verließ als erster das Haus und benutzte dazu die Hintertür. Er schritt durch den dunklen Garten und hielt Ausschau nach auffällig parkenden Wagen vorn auf der Straße. Nein, diesmal schien alles in Ordnung zu sein! Die schußfreudigen Gangster schienen eine kleine Pause eingelegt zu haben. Parker holte Lady Simpson vorn an der Haustür ab und geleitete sie zum Wagen. Als sie in diesem hochbeinigen Gefährt saß, war sie in Sicherheit. Parkers Privatwagen, ein ehemaliges, altes Londoner Taxi, war nach seinen sehr eigenwilligen Vorstellungen völlig umgewandelt worden. Das »Monstrum«, wie dieser Wagen gern mehr oder weniger spöttisch genannt wurde, war so zu einer Trickkiste auf Rädern geworden. So bestanden die Scheiben zum Beispiel aus Panzerglas, die jedem Schuß standhielten. »Was halten Sie von diesem Russel, Mister Parker?« erkundigte Lady Simpson sich, als man zurück in die City fuhr. »Er lobte Mr. Corbett, den Inhaber des Inkassobüros, über den grünen Klee, wie der Volksmund sich auszudrücken beliebt, Mylady. Normalerweise würde man über solch eine Firma kaum ein Wort verlieren.« »Natürlich nicht, Mister Parker. Das wollte ich gerade sagen. Sie haben mir wieder mal das Wort von der Zunge genommen. Und dann diese Nervosität bei Laxham und Russel. Sie muß Gründe haben, und ich werde Ihnen sagen, was ich vermute.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit in gespannter Erwartung.« »Laxham und Russel werden von Corbett erpreßt. Und was haben Sie getan: Sie haben Corbett laufenlassen!«
»Ein Umstand, der sich gewiß noch auszahlen wird, Mylady. Darf ich mich übrigens erkühnen, auf eine weitere Gemeinsamkeit zu verweisen, was die Herren Laxham und Russel angeht?« »Ich weiß, was Sie sagen wollen.« Sie nickte herablassend, doch sie hütete sich, mehr zu sagen. Sie hatte nämlich keine Ahnung. »Sowohl Mr. Laxham als auch Mr. Russel klagten über Schmerzen nach einer Zahnbehandlung, Mylady.« »Das würde ich wahrscheinlich auch tun, Mister Parker.« Sie war enttäuscht, sie hatte mehr erwartet. »Falls meine bescheidenen Sinne mich nicht trügen, Mylady, dürfte nun auch Mr. Cordam eine Zahnbehandlung hinter sich haben«, schloß Josuah Parker. »Aber damit stelle ich ja nur etwas fest, was Mylady längst ahnen.« »Natürlich«, lautete ihre prompte Antwort, doch sie hütete sich auch jetzt, irgendwelche Fragen zu stellen. Mylady hatte keine Ahnung, was Butter Parker mit seinem Hinweis meinte. *** »Jetzt bin ich aber wirklich gespannt«, schickte Kathy Porter voraus und sah Parker an. »War er tatsächlich auch bei einem Zahnarzt?« »Richtig, Kindchen, wie ich es ja gleich vermutete und Mister Parker sagte«, warf Lady Simpson ein. »Es ist klar, daß da Zusammenhänge bestehen.« »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker nur, als die ältere Dame ihn fragend anschaute. »Äh, welche?« erkundigte Lady Agatha sich notgedrungen, denn sie selbst sah diese Zusammenhänge zu ihrem Ärger noch nicht.
»Vielleicht doch nur ein Zufall, Mister Parker?« meinte Kathy Porter. »An einen Zufall, Miß Porter, glaube ich allerdings nicht«, gab der Butler gemessen zurück und wandte sich an seine Herrin. »Wenn Mylady gütigst erlauben, werde ich die bisher bekannten Tatsachen noch mal zusammenfassen.« Es ging auf 22.00 Uhr zu, und man befand sich im Salon des altehrwürdigen Stadthauses der Lady Simpson. Parker hatte der älteren Dame einen heißen Rumpunsch serviert, dem sie ungeniert zusprach. Sie hatte es sich bequem gemacht und trug einen ihrer abenteuerlichen Hausmäntel: Lange, bunt bedruckte Stoffbahnen hüllten ihre Fülle ein und verliehen ihr ein majestätisches Aussehen. »Mr. Corbett, der sich als der Inhaber eines sogenannten Inkassobüros ausgibt, Mylady, besuchte drei Banken und hob Bargeld für die Herren Laxham, Russel und Gordom ab«, schickte Butler Parker voraus. »In allen drei von mir beobachteten Fällen erfolgten Rückfragen seitens der Banken, die diese Abhebungen jedoch bestätigten und anstandslos zahlten.« »Das wissen wir doch längst, Mister Parker«, warf Lady Simpson ungeduldig ein. »Mylady besuchten am frühen und späten Nachmittag die drei eben erwähnten Kunden Corbetts«, redete der Butler ungerührt weiter. »Erstaunlicherweise hatten alle drei Herren sich einer zahnärztlichen Behandlung unterzogen.« »Und genau das macht mich mißtrauisch«, unterbrach Lady Agatha ihren Butler. »Sie wollen diese Zusammenhänge ja nicht sehen, Mister Parker, aber ich vermute einiges dahinter!« »Und was, Mylady?« erkundigte Kathy Porter sich leichtsinnigerweise, wofür sie einen eisigen Blick erntete. »Aber Kindchen, mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich doch nicht ab«, erwiderte Lady Simpson abfällig. Dann schaute
sie Butler Parker an. »Ich hoffe, daß Sie mir da bald etwas anbieten werden.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mich ungemein bemühen werde«, versicherte Parker ihr. »Wenn es erlaubt ist, möchte ich noch einen Augenblick bei Mr. Corbett verweilen.« »Nur zu, Mister Parker!« Lady Agatha nickte gewährend und beschäftigte sich dann wieder mit ihrem Rumpunsch. »Mr. Corbett unterhielt sich von seinem Büro aus mit einem gewissen Lorne«, führte der Butler weiter aus. »Diesem Gespräch war deutlich zu entnehmen, daß Corbett dem Mann einen mehr als ansehnlichen Geldbetrag übergeben wollte. Diese sechzigtausend Pfund erlaubte ich mir erst mal sicherzustellen.« »Sie hätten Corbett sicherstellen sollen«, warf Agatha Simpson grollend ein. »Aber wenn man nicht alles selber macht...!« »Mylady vermuten eine Erpressung der Herren Laxham, Russel und Cordam«, redete Josuah Parker höflich weiter, ohne auf den Einwand seiner Herrin einzugehen. »Jetzt erhebt sich folgerichtig die Frage, ob es zwischen den drei zahnärztlichen Behandlungen und den gezahlten Geldbeträgen eine Verbindung gibt.« »Natürlich nicht, Mister Parker«, lautete die Antwort der älteren Dame. Sie lächelte fast mitleidig. »Was haben Zahnplomben, Kronen und Brücken mit Erpressungen zu tun?« »Ich muß gestehen und einräumen, Mylady, daß ich darauf vorerst keine Antwort weiß«, räumte Josuah Parker ein. *** »Corbett«, stellte die ziemlich undeutliche Stimme am Telefon sich vor. »Spreche ich mit Mister Parker?«
»In der Tat, Mister Corbett«, antwortete der Butler. »Darf ich mich vorab nach Ihrem werten Befinden erkundigen?« Agatha Simpson hatte sich bereits in ihr Schlafzimmer begeben, Kathy Porter befand sich jedoch noch im Salon und räumte auf. Parker konnte sich also völlig ungestört mit dem Inhaber des Inkassobüros unterhalten. »Mann, Sie haben mir da eine ganz schöne Suppe eingebrockt«, erklärte Corbett, dessen Stimme nun besser zu verstehen war. »Wertes Befinden? Ich habe Angst!« »Vor wem, um direkt zu sein?« »Das kann ich Ihnen am Telefon nicht erklären, Mister Parker. Sie wissen, es handelt sich um das Geld, das Sie mir weggenommen haben. Meine Auftraggeber wollen es morgen mittag sehen.« »Eine äußerst geringe Zeitspanne, Mr. Corbett.« Parker hatte Kathy Porter herangewinkt und deutete auf den Adapter, den Kathy Porter einschaltete. Sie konnte jetzt die Unterhaltung verfolgen und auf Tonband mitschneiden. »Ich würde ja gern aus London verschwinden, Mister Parker, aber ich werde natürlich überwacht. Draußen vor meinem Haus treiben sich ein paar Gestalten herum, denen ich nicht über den Weg traue.« »Sie benötigen demnach eine gewisse Hilfe, Mister Corbett?« »Ich brauche vor allen Dingen Geld«, antwortete Corbett. »Wie soll ich mich sonst absetzen können? Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Für fünftausend Pfund blättere ich Ihnen ein paar Sachen auf den Tisch, die Sie glatt umhauen werden.« »Einige Andeutungen, Mister Corbett, wären schon vonnöten«, lautete Parkers gemessene Antwort. »Sie wollen doch sicher wissen, wie ich an das Geld gekommen bin, oder? Möchten Sie mal hören, warum die
Kunden von mir so schnell gezahlt haben? Von allein würden Sie nie darauf kommen, wetten?« »Diese Wette, Mr. Corbett, würden Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verlieren.« »Niemals, Mister Parker. Der Trick ist einmalig.« »Ihre Hintermänner müssen über einen ausgezeichneten Zahnarzt verfügen«, sagte Parker trocken. Er ließ damit einen Versuchsballon aufsteigen und war auf die Reaktion gespannt. Auf der Gegenseite blieb erst mal alles sehr still. Corbett schien es die Sprache verschlagen zu haben. Parker dachte nicht im Traum daran, das Gespräch von sich aus wieder in Gang zu bringen. Er wartete gelassen ab. »Zahnarzt?« fragte Corbett schließlich. Seiner Stimme war deutlich anzuhören, daß der junge Mann sich zusammenriß. »Zahnarzt«, wiederholte Josuah Parker. »Wo kann ich Sie erreichen?« »Wieso Zahnarzt?« fragte Corbett erneut. »Ein Gedankenschuß, der sich meiner bescheidenen Person förmlich aufdrängte«, antwortete Parker höflich. »Die behandelten Herren, deren Namen Sie ja nur zu gut kennen, haben sich selbstverständlich gehütet, auch nur eine Andeutung in dieser Hinsicht zu machen. Sie leben nach wie vor in einer panischen Angst.« »Ich ... Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Wollen Sie also Informationen gegen fünftausend Pfund eintauschen, Mister Parker? Können Sie mich heil aus London bringen?« »Es läßt sich manches bewerkstelligen, Mister Corbett, um es mal so auszudrücken.« »Dann erwarte ich Sie in einer Stunde hier in meiner Wohnung.« Corbett nannte eine Adresse in Soho und legte dann abrupt auf. »Das ist natürlich eine Falle, Mister Parker«, meinte Kathy
Porter. »In der Tat«, antwortete Parker. »Es fragt sich nur, ob Mr. Corbett diesen Anruf freiwillig tätigte oder nicht.« »Würde das im Moment etwas ändern, Mister Parker?« fragte Kathy Porter. »Nicht direkt, Miß Porter«, räumte Josuah Parker ein. »Es würde mich jedoch interessieren, ob er noch auf der Seite der Gangster steht und mit ihnen kooperiert, oder ob er von ihnen aufgespürt wurde.« »Werden Sie zu ihm fahren?« »Meine Neigung dazu möchte ich als äußerst gering bezeichnen.« »Ob er nun freiwillig oder gezwungenermaßen angerufen hat, Mister Parker, über ihn könnte man an seine Hintermänner herankommen, falls man es geschickt anfängt.« »Ein an sich vollkommen richtiger Hinweis, Miß Porter, aber inzwischen verfüge ich über die Information, die meine bescheidene Person weiterbringen wird.« »Information?« Kathy Porter sah den Butler überrascht an, doch dann verstand sie und nickte. »Sie denken an diese Sache mit dem Zahnarzt, die Sie erwähnten, nicht wahr?« »In der Tat, Miß Porter! Die Herren Laxham, Russel und Cordam dürften zahnärztlich behandelt worden sein, während man ihre Konten plünderte.« »Sind sie jetzt nicht gefährdet? Könnten die Gangster nicht annehmen, daß sie von einem der drei Männer verraten worden sind?« »Ein beachtenswerter Hinweis, Miß Porter«, pflichtete Josuah Parker ihr bei. »Und darum sollte man tatsächlich etwas unternehmen, womit die Gangster nicht rechnen.« ***
Agatha Simpson hatte sich für Arthur Cordam entschieden und ahnte nicht, daß Butler Parker sie geschickt manipuliert hatte. Er hatte in ihr den Argwohn geweckt, er selbst wolle Cordams Schutz übernehmen, weil dieser Mann seiner Ansicht nach besonders gefährdet sein mußte. Daraufhin hatte die Detektivin darauf bestanden, hinaus nach Bayswater zu fahren, um hier auf Cordam aufzupassen. Es war kurz nach Mitternacht, und Lady Agatha saß in ihrem Land-Rover, den sie ohne jeden Zwischenfall durch die Stadt hierher gesteuert hatte. Sie hatte den Wagen so abgestellt, daß sie das Haus und die Gartenmauer gut zu überblicken vermochte. Sie stärkte hin und wieder ihren Kreislauf und langweilte sich ungemein. Bisher hatte sich überhaupt nichts getan, und im Erdgeschoß des Hauses brannte Licht, das Geborgenheit und Wärme vermittelte. Agatha Simpson hielt es nicht länger im Wagen. Sie stieg aus, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Sie fragte von Minute zu Minute intensiver, ob sie sich auch richtig verhalten hatte. Lohnte es sich wirklich, diesen Cordam zu überwachen? Würde er tatsächlich von aufgebrachten Gangstern besucht werden, die sich verraten fühlten? Alle diese Zweifel fielen in dem Augenblick in sich zusammen, als ein Wagen in langsamer Fahrt die Straße herunterkam und unweit des Cordam-Grundstückes hielt. Die Lichter wurden ausgeschaltet, dann stiegen zwei Männer aus, die langsam Richtung Gartentor schlenderten und sich dabei wiederholt umwandten. Gangster! Lady Simpsons Blut geriet in Wallung. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk pendelte bereits leicht. Die ältere Dame fühlte sich ausgesprochen animiert und tatendurstig. Endlich kamen die Dinge in Bewegung. Die beiden Männer hatten das Tor erreicht und flankten
darüber. Dann verschwanden sie in der Dunkelheit des Vorgartens und hinter hohen Sträuchern und Zierbüschen. Agatha Simpsons Kreislauf war voll aktiviert. Dies war ganz nah ihrem Herzen. Sie freute sich noch nachträglich darüber, sich für Cordam entschieden zu haben. Sie kam um ihren Land-Rover herum und war einen Moment lang versucht, ebenfalls über das an sich niedrige Gartentor zu flanken. Dank besserer Einsicht verzichtete sie dann aber darauf, öffnete es geräuschlos und marschierte über den Rasen zum Haus, bis sie eines der Fenster erreicht hatte. Sie erkannte Cordam, der die beiden Besucher gerade empfing. Was sie sich zu sagen hatten, konnte sie wegen der Doppelfenster leider nicht verstehen, doch Cordam machte ihrer Ansicht nach einen durchaus aufgeregten Eindruck. Das war natürlich kein Wunder. Cordam schien Angst zu haben, verteidigte sich offenbar und beteuerte seine Unschuld. Er gestikulierte, wich eindeutig verängstigt hinter einen schmalen Schreibtisch zurück und redete erneut geradezu verzweifelt auf seine beiden Besucher ein. Die hatten nicht viel zu sagen. Sie hörten sich die Beteuerungen an, während sie Cordam aufmerksam musterten. So konnten nur hartgesottene Gangster reagieren, die sich an der Angst ihrer Opfer weideten. Die Empörung der kriegerischen Dame wuchs von Sekunde zu Sekunde. Sie war bereit, diesen Subjekten deutlich ihre Meinung zu sagen und sie mit dem Pompadour noch zu unterstreichen. Gangster dieser Art konnte man nur hart anfassen. Lady Agatha machte sich einsatzbereit und wechselte zur Haustür hinüber. In wenigen Sekunden würde Arthur Cordam vor Dankbarkeit und grenzenloser Erleichterung vor ihr knien und ihr die Hände küssen.
***
Butler Parker kümmerte sich um Randolph Laxham, der in Belgravia wohnte. Im Gegensatz zu seiner Herrin aber wartete er nicht vor dem Haus, sondern im Arbeitszimmer des Maklers auf etwaige Gangster. Parker hatte geläutet und um eine kurze Unterredung gebeten. Laxham, zuerst abweisend und ängstlich, hatte den Butler schließlich doch eintreten lassen und befand sich nun in einem Zustand höchster Spannung. Parker hatte ihm nämlich angekündigt, daß man ihn möglicherweise zu einer zweiten Zahnbehandlung abholen würde. »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Laxham. »Dank einer Indiskretion, Sir, ist inzwischen bekannt, wie man Sie zu einer gewissen Zahlung veranlaßt hat.« »Ich... Ich verstehe kein Wort, Mister Parker. Wir sollten diese Unterhaltung besser beenden.« »Wollen Sie sich widerstandslos einen Zahn anbohren lassen?« erkundigte Parker sich höflich. »Darf ich davon ausgehen, daß die erste Behandlung für Sie bereits mehr als schmerzhaft war?« »Warum mischen Sie sich in meine Angelegenheiten? Ich brauche keine Hilfe, Mister Parker. Sie machen alles nur noch schlimmer.« »Wo fand die erste Zahnbehandlung statt, Sir?« Parker fragte rundheraus. »Ich weiß nicht.« Laxham ließ den Kopf sinken. »Warum sollte man mich noch mal abholen? Ich verstehe das nicht? Woher wissen Sie überhaupt ...?« »Eine erfreuliche Indiskretion aus den Reihen dieser Gangster«, wiederholte der Butler noch mal. »Auf welche Art und Weise brachte man Sie in die Zahnpraxis, Sir?«
»Warum sollte man mich noch mal holen?« blieb Laxham hart. »Weil die Gangster vermuten, Sie, Sir, könnten die Indiskretion begangen haben, von der ich gerade sprach. Ob Sie nun reden oder nicht, man wird Sie verdächtigen.« »Großer Gott«, stöhnte Laxham und ließ sich in einen Sessel fallen. »Noch mal stehe ich das nicht durch. Dann werde ich wahnsinnig. Sie ahnen ja nicht, was man mit, mir angestellt hat!« »Sie wurden also zahnärztlich behandelt?« »Die Gangster schnallten mich auf einen Behandlungsstuhl, Mister Parker. Ich konnte mich überhaupt nicht wehren. Und mit Klammern öffneten sie meinen Mund. Dann der Bohrer! Ich habe gebrüllt, aber das hat sie nicht beeindruckt. Sie haben auf dem Nerv herumgebohrt, immer auf dem Nerv herum ...« »Unter diesem Eindruck bestätigten Sie der Bank, daß ein Mr. Corbett autorisiert sei, Geld von Ihrem Konto abzuheben, nicht wahr?« »Das hätte jeder getan, jeder!« »Vorher aber stellten Sie diesem Mr. Corbett eine Vollmacht aus, wie ich vermute?« »Ich hätte alles unterschrieben, Mister Parker, alles. Bitte, schützen Sie mich vor diesen Sadisten!« »Man trug Ihnen absolutes Schweigen auf?« »Falls ich mich an die Polizei wende, werden sie mich wieder abfangen. Irgendwann, wie sie gesagt haben.« »Um wie viele Männer handelte es sich?« »Zwei junge Männer und dieser Kerl, der sich Zahnarzt nannte.« »Welchen Eindruck hatten Sie von diesem Mann, Sir? Wußte er mit dem technischen Gerät umzugehen? Befanden Sie sich in einer regulär ausgestatteten Praxis?«
»In einer Praxis«, bestätigte Laxham und wischte sich mit dem Handrücken den Angstschweiß von der Stirn. »Sie war sogar sehr modern eingerichtet, würde ich sagen. Glauben Sie wirklich, daß man mich noch mal holen wird?« »Mit dieser Möglichkeit sollten Sie durchaus rechnen, Sir. Sie zahlten etwa zwanzigtausend Pfund, wenn ich nicht irre?« »Fünfundzwanzigtausend Pfund, Mister Parker! Ich hätte mein ganzes Vermögen geopfert. Hat man Ihnen schon mal einen Zahnnerv angebohrt? Die Hölle muß das reine Vergnügen dagegen sein.« »Darf ich weiter fragen, wie man Sie zu diesem Arzt brachte? Ich darf wohl davon ausgehen, daß Sie nicht gerade freiwillig mitgingen.« »Die beiden jungen Kerle sprangen in meinen Wagen, als ich vor einer Ampel in der City hielt. So einfach war das. Dann preßten sie mir einen Revolverlauf in die Seite und fuhren mit mir zu den West India Docks. Dort erhielt ich einen Schlag auf den Hinterkopf. Als ich wieder zu mir kam, saß ich bereits auf dem Behandlungsstuhl.« Bevor Parker weitere Fragen stellen konnte, läutete es an der Haustür. Laxham wurde kreidebleich und sackte förmlich in sich zusammen. Er sah den Butler flehend an, schluckte und wollte etwas sagen, schaffte es aber nicht. »Erwarten Sie Besuch?« erkundigte sich Parker. »Nein, nein«, flüsterte Laxham mit heiserer Stimme. »Das sind die Gangster. Sie wollen mich wieder behandeln. Ich halte das nicht aus, ich halte das nicht aus!« »Ich versichere Sie meines Schutzes, Sir«, sagte Parker gemessen und höflich. »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich jetzt öffnen.«
***
Mylady hatte geklingelt und hörte schnelle Schritte hinter der Tür, die geöffnet wurde. Sie sah sich einem der beiden jungen Männer gegenüber, der sie irritiert anschaute. Mit solch einem nächtlichen Besuch hatte er bestimmt nicht gerechnet. »Mein Wagen«, sagte Lady Agatha. »Ich sah Licht im Haus, darf ich mal anrufen?« Bevor der junge Mann sich dazu überhaupt äußern konnte, traf ihn der Pompadour. Myladys »Glücksbringer« legte sich auf das Kinn des Mannes, der plötzlich verwegen schielte, einen kleinen Luftsprung machte und dann gegen einen hohen Sessel in der Empfangshalle taumelte. Eine Sekunde später ließ der junge Mann sich darin nieder, schloß die Augen und trat geistig weg. Agatha Simpson konnte sich sehr schnell bewegen, wenn es sein mußte. Es zahlte sich dann immer wieder aus, daß sie Sport trieb. Golf und Bogenschießen gehörten zu ihren Spezialitäten, die sie meisterlich beherrschte. Lady Agatha baute sich neben der Schiebetür auf, die in den Wohnraum führte, und wartete auf den zweiten jungen Mann, der mit Sicherheit bald erscheinen mußte. Es dauerte wirklich nur ein paar Augenblicke, bis Lady Agatha erneut Schritte hörte. Dann tauchte Laxhams zweiter Besucher in der Tür auf, um nach seinem Begleiter Ausschau zu halten. Er benahm sich genau so, wie Lady Simpson es wünschte. Wie richtig sie die beiden Burschen eingeschätzt hatte, zeigte sich deutlich. Der zweite Mann hielt einen Revolver in der rechten Hand, mit einem Schalldämpfer modernster Bauart. Mylady ließ den Mann passieren, um dann beherzt zuzulangen.
Der »Glücksbringer« im Pornpadour wirkte wie ein mächtiger Keulenschlag. Der junge Gegner absolvierte einen weiten Sprung nach vorn, verlor dabei seine Schußwaffe und landete auf dem Bauch. Er schlidderte etwa anderthalb Meter über die Steinfliesen der kleinen Halle und blieb vor einem Wandschrank liegen. Aber noch war Leben in ihm. Der Mann stützte sich auf, zog das linke Bein an und wollte eindeutig aufstehen. Lady Simpson, damit überhaupt nicht einverstanden, beendete diese Bemühungen auf sehr einfache, aber auch wirkungsvolle Art und Weise: Sie hatte bereits eine Blumenvase in der Hand und warf sie auf ihren Gegner, der sich weiter hochstemmte. Sie landete zwischen den Schulterblättern des Revolverhelden, der sich zurück auf seinen Bauch legte und dann entspannt liegenblieb. Die Blumen aus der Vase, es handelte sich um Flieder, einige Tulpen und Levkojen, drapierten sich malerisch und dekorativ um den Schläfer und verliehen ihm ein frühlingshaftes Aussehen. Agatha Simpson kümmerte sich zuerst mal um die Schußwaffen. Als sie zwei Revolver geborgen hatte, richtete sie sich auf und musterte Arthur Cordam, der inzwischen angekommen war und sprachlos in der Verbindungstür stand. »Wollen Sie sich nicht bedanken?« fuhr Lady Agatha ihn grollend an. »My... My... Mylady«, stotterte Cordam. »Was haben Sie getan? Sie ahnen ja nicht, was Sie angerichtet haben!« »Sie Hasenfuß«, fuhr die resolute Detektivin den Hausherrn an. »Wie lange noch wollen Sie sich von solchen Subjekten herumstoßen lassen? Möchten Sie wirklich noch mal am Zahn behandelt werden?« »Eben nicht, Mylady. Äh, ich habe keine Ahnung, was Sie da gerade gemeint haben.« »Besorgen Sie mir etwas, womit ich diese beiden Subjekte
binden kann«, forderte die ältere Dame energisch. »Und beeilen Sie sich gefälligst.« Arthur Cordam zuckte zusammen und setzte sich sofort in Bewegung. In der Stimme der Sechzigerin hatte sich ein schweres Gewitter angekündigt, das er nicht über sich ergehen zu lassen bereit war. *** »Da sind Sie ja endlich«, sagte Lady Simpson, als Parker im altehrwürdigen Stadthaus erschien und höflich grüßte. »Sie haben sich wieder mal viel Zeit gelassen, Mister Parker.« »Mylady waren erfolgreich, wie ich vermuten darf?« Der Butler hatte das leichte Frohlocken in Agatha Simpsons Stimme sofort registriert. »Damit haben Sie bestimmt nicht gerechnet, wie?« Die Hausherrin nickte triumphierend. »Ich habe zwei dieser Subjekte überwältigt, Mister Parker. Und wie war das bei Ihnen?« »Auch ich bin in der erfreulichen Lage, Mylady, die Festnahme zweier Gangster zu melden«, berichtete Josuah Parker. »Hat Miß Porter inzwischen von sich hören lassen?« »Nein, das nicht, aber sie wird bestimmt gleich kommen. Sie hat ja von mir gründlich gelernt, wie man Gangster behandelt.« »Darf ich fragen, Mylady, in welch seelischem Zustand Mylady Mr. Cordam zurückließen?« »Dieser Schwächling wird wahrscheinlich noch immer zittern«, sagte sie verächtlich. »Ich möchte wetten, daß er bereits auf dem Weg ist, London weit hinter sich zu lassen.« »Wie Mr. Laxham, Mylady. Er möchte sich irgendwo in der Provinz von der zahnärztlichen Behandlung erholen, wie Mr. Laxham sich auszudrücken beliebte.«
»Was für Männer!« Lady Agatha schüttelte mißbilligend den Kopf. »Kein Wunder, daß das Commonwealth immer mehr zusammenschrumpft. Hat dieser Laxham ausgepackt, warum und wieso er das Geld an Corbett gezahlt hat?« »Ausführlich, Mylady. Die Arbeitsmethode der Gangster dürfte damit geklärt sein.« »Wie ich es ja von Beginn an vermutet habe«, meinte Lady Agatha mit größter Selbstverständlichkeit. »Man hat diese Männer entführt, auf einen Behandlungsstuhl gesetzt und ihnen einen Zahnnerv angebohrt. Nun ja, ehrlich gesagt, wer würde da nicht zahlen?« »Erheben Mylady Einwände dagegen, daß man sich mit Mr. Russel in Verbindung setzt?« »Wegen Kathy? Natürlich, rufen Sie an, ich wollte es ohnehin gerade tun.« Parker ging zum Apparat hinüber, wählte Russels Nummer in Wimbledon und mußte einige Zeit warten, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. Dann meldete sich Russels Stimme. »Miß Porter? Ob sie hier bei mir gewesen ist? Ganz sicher nicht! Nein, nein, ich bin auch nicht besucht worden, Mister Parker. Wie drückten Sie sich gerade aus? Zahnbehandlung durch Gangster? Also, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Das alles verstehe ich nicht, davon müßte ich doch etwas wissen. Ich bin nur von meinem Zahnarzt behandelt worden, Dr. Kenson, wie ich Ihnen ja bereits sagte. Wollen Sie mir nicht sagen, was hier eigentlich vorgeht?« Parker brachte ein paar Gemeinsätze an den Mann, legte dann auf und wandte sich an seine Herrin, die über den Adapter mitgehört hatte. »Dieser Russel lügt«, sagte die ältere Dame grimmig. »Eindeutig, Mylady«, pflichtete Parker ihr bei. »Er weiß mit Sicherheit, was mit Miß Porter geschehen ist.«
»Glauben sie an eine... Entführung?«
»Davon sollte man ausgehen, Mylady.«
»Nun, dann können die Gangster hier im Haus sich auf
einiges gefaßt machen!« Lady Simpsons Augen funkelten. »Ein privates Verhör könnte in Anbetracht der Lage und Entwicklung nicht schaden, Mylady.« »Worauf warten wir eigentlich noch, Mister Parker?« Agatha Simpson setzte sich bereits in Bewegung. »In fünf Minuten weiß ich, wohin man das arme Kind gebracht hat, verlassen Sie sich darauf!« Parker folgte der Detektivin, die in den Tiefkeller des Hauses gehen wollte, wo die eingesammelten Gangster untergebracht waren. Als man in der großen Wohnhalle war, läutete das Telefon. Parker begab sich sofort zurück an den Apparat und hob ab. Kathy Porter meldete sich. Ihre Stimme klang bedrückt, wie Parker sofort heraushörte. Sie schien sich in Schwierigkeiten zu befinden. »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte sie. »Bitte, Mister Parker, sorgen Sie dafür, daß die vier Männer sofort auf freien Fuß gesetzt werden.« »Sie befinden sich offensichtlich bei einem Zahnarzt, oder sollte ich mich täuschen?« »Nein, Mister Parker, Sie täuschen sich nicht.« »Nun gut, Miß Porter, die vier Herren werden sofort wieder in den Genuß ihrer Freiheit kommen«, versprach Parker automatisch. »Und wo kann ich Sie danach abholen?« »Ich weiß es nicht, ich muß mich überraschen lassen. Da wäre aber noch etwas, Mister Parker.« »Sollte ich davon ausgehen, daß die vier Herren Bargeld mitbringen müssen?« »Pro Person zehntausend Pfund, Mister Parker«, lautete
Kathy Porters Antwort. »Bitte, helfen Sie, sonst werden meine Backenzähne plombiert.« *** »Ich bin sehr verärgert«, sagte Agatha Simpson gereizt. »Und ich denke bestimmt nicht an die vierzigtausend Pfund.« Parker zweifelte keinen Moment an dieser Aussage. Für Kathy Porter hätte Lady Agatha ein Vermögen ausgegeben. Sie war mehr für sie als nur eine Sekretärin und Gesellschafterin, Kathy Porter war so etwas wie eine Adoptivtochter der älteren Dame. »Mylady grämen sich über diese Niederlage?« »Was denn sonst, Mister Parker? Da haben wir nun vier dieser Gangster, die uns an diesen Zahnarzt herangeführt hätten, und was müssen wir tun: Wir müssen diese Individuen laufenlassen! Ich fürchte, mein Kreislauf ist in Unordnung geraten...« Parker hatte das vorausgesehen und als perfekter Butler bereits entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er Lady Simpson einen gut gefüllten Kognakschwenker reichte. Sie labte sich und sah ihren Butler dann abwartend an. »Und?« fragte sie. »Ihnen ist hoffentlich etwas eingefallen, oder? So schnell gibt eine Lady Simpson nicht auf.« »Man könnte die Verwendung von Mini-Sendern in Betracht ziehen, Mylady.« »Daran dachte ich auch schon, Mister Parker. Wird man sie so anbringen können, daß sie nicht entdeckt werden?« »Das, Mylady, ließe sich schnell einrichten. Ich erlaube mir, an die Schuhabsätze der vier Herren zu denken.« »Gut, versuchen wir es. Ich werde inzwischen das Geld
holen. Haben wir überhaupt soviel Bargeld im Haus?« »Mit Sicherheit, Mylady.« Parker war bekannt, daß sogar bedeutend mehr Geld im Haus war. Es brauchte nur aus dem Wandsafe geholt zu werden. »Wenn Mylady gestatten, werde ich es holen.« »Und ich werde mir inzwischen mal anhören und ansehen, was diese Individuen sich so zu sagen haben.« Sie meinte es wörtlich. Parker schaltete das Fernsehgerät ein und tätigte eine versteckt angebrachte Zusatzschaltung. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis auf dem Bildschirm der Kellerraum gezeigt wurde, in dem die vier Gangster hausten. Dieser Raum befand sich in einem Keller, der noch unterhalb der uralten, ehemaligen Abteigewölbe ausgebaut worden war. Der Zugang zu diesen zusätzlichen Kellerräumen war raffiniert getarnt und hätte selbst einen Profi vor Rätsel gestellt. Die vier von Lady Simpson und Butler Parker gefaßten Männer saßen in einem völlig normal eingerichteten, aber eben fensterlosen Raum. Sie hatten keine Ahnung, daß sie von einer raffiniert installierten Kamera erfaßt wurden. Auch war ihnen unbekannt, daß Unterputzmikrofone ihre Gespräche weiterleiteten und das Bild mit synchronem Ton versorgten. Zwei der Männer - es handelte sich um die, die Agatha Simpson bei Arthur Cordam eingefangen hatte -, wanderten unruhig hin und her und waren eindeutig nervös und gereizt. Die beiden anderen Männer hingegen zeigten Gelassenheit. »Der Boß kann uns doch nicht so einfach hängenlassen«, sagte einer der beiden Wandervögel und blieb stehen. »Wir sitzen jetzt schon seit 'ner Stunde in der Klemme. Der Boß muß doch längst wissen, daß es 'ne Panne gegeben hat.« »Weiß er auch«, antwortete einer der beiden Sitzenden lässig. »Und der holt uns hier raus! Rennt doch nicht wie
verrückt rum, Leute! Uns kann überhaupt nichts passieren.« »Und wie will er uns finden?« fragte der Gangster, der Zweifel geäußert hatte. »Wo soll er uns schon suchen? Hier bei der verrückten Lady natürlich.« »Und wo hier? Ich wette, wir sitzen zehn Stockwerke tief unter der Erde.« »Was ändert das an den Tatsachen?« Der Sitzende lachte siegessicher. »Schön, wir wissen nicht, wie wir runtergeschafft worden sind, aber der Boß wird's uns bald sagen.« Lady Simpson hatte längst herausgefunden, daß die vier Männer ihr keinen Anhaltspunkt liefern würden. Sie schaltete das Gerät aus und ging Parker entgegen, der mit dem Geld kam. »Mylady sind an einer weiteren Übertragung nicht interessiert?« erkundigte der Butler sich. »Nutzloses Gewäsch«, gab sie zurück. »Hören Sie, Mister Parker, mir ist da gerade ein Gedanke gekommen. Und wie wäre es, wenn ich einen dieser Gangster einem Schnellverhör unterziehen würde? Ich bin sicher, daß er reden wird.« »Er könnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kaum sagen, Mylady, wo man Miß Porter festhält. Vermutlich weiß er noch nicht mal - und das bezieht sich auch auf seine Begleiter -, wer dieser Boß und Zahnarzt ist. Wenn Mylady erlauben, werde ich die vier Herren jetzt mit Lachgas behandeln, um dann anschließend die Mini-Sender zu installieren.« »Nun gut.« Lady Simpson nickte zustimmend. »Aber das sage ich Ihnen, mit diesen Individuen werde ich mich zu einem späteren Zeitpunkt noch mal gründlich unterhalten. Und ich schwöre Ihnen, diese Unterhaltung wird für diese Subjekte dann nicht sehr angenehm sein!«
***
Kathy Porter saß in einem modernen Behandlungsstuhl, wie man ihn heute bei Zahnärzten antrifft. Die Rückenlehne war zurückgekippt worden, ihre Arme und Beine mit breiten Lederriemen festgeschnallt. Sie hätte sich gegen eine einschlägige Behandlung niemals wehren können. Nach dem Anruf bei Butler Parker war sie ruhiger geworden. Sie zweifelte keine Sekunde daran, daß Lady Simpson und Butler Parker sie auslösen würden. Kathy Porter hatte deshalb Zeit, sich gründlich zu ärgern. Wie eine harmlose und unbedarfte Anfängerin war sie in die Falle gestolpert, die man ihr im Haus des Mr. Richard Russel gestellt hatte. Leider waren die beiden Gangster schon bei Russel gewesen, als sie dort erschienen war. Und es war Russel gewesen, der sie ins Haus gebeten und den Gangstern ausgeliefert hatte. Alles weitere war dann schnell über die Bühne gegangen. Die beiden wartenden Gangster hatten sie völlig überrascht und ausgeschaltet. Sie hatte sich zwar verzweifelt gewehrt, doch nichts ausrichten können. Gegen einen gezielten Handkantenschlag war auch sie machtlos gewesen. Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie sich bereits in einem fahrenden Wagen befunden, dessen Fenster verhängt worden waren. Zusätzlich hatte man ihr sogar noch einen kleinen, schwarzen Tuchsack über den Kopf gestülpt, den man erst hier in der Zahnarztpraxis wieder abgenommen hatte. Sie wußte nicht, wo sie sich befand. Kathy fuhr unwillkürlich zusammen, als plötzlich das Läuten des Telefons zu vernehmen war. Wenig später erschien ein untersetzter, rundlicher Mann seitlich neben ihr, gekleidet in einen weißen Arztkittel, der bis zu den Hüften reichte. Dieser
Mann trug einen Mund- und Nasenschutz, der sein Gesicht völlig verbarg. Der Zahnarzt -falls er einer war - ging an den Apparat, hob ab und lachte dann leise. Er ließ den Hörer zurück auf die Gabel fallen und wandte sich Kathy Porter zu. »Ohne Zweifel, eine prompte Bedienung«, sagte er dann mit undeutlicher und verzerrter Stimme. »Die Lady hat meine vier Mitarbeiter bereits entlassen. Sie werden vierzigtaugend Pfund mitbringen. Ich glaube, ich sollte mich bei Ihnen bedanken,« »Werden Sie sich an das gegebene Wort halten und mich jetzt auch freigeben?« Kathy Porter bemühte sich um Ruhe, wenngleich ihre Nerven vibrierten. Immer wieder mußte sie zu dem Gestänge hinübersehen, an dessen Ende sich der Bohrer befand, den sie schon als Kind panisch gefürchtet hatte. »Ich lasse Sie gleich Irgendwo in der City absetzen«, sagte der Mann, der wie ein Zahnarzt gekleidet war. »Aber ich werde Ihnen eine Warnung mit auf den Weg geben, Miß Porter. Sagen Sie der Lady und Butler Parker, daß sie sich aus der Sache heraushalten sollen! Sagen Sie das möglichst sehr eindringlich! Ich lasse mir meine Kreise nicht stören, verstehen Sie? Und falls man sich an diese Warnung nicht hält, werde ich der Lady und dem Butler einige Zähne ziehen, und zwar ohne Betäubung!« »Ich werde das wortwörtlich ausrichten«, versprach Kathy Porter. Sie atmete innerlich auf und war grenzenlos erleichtert. »So, jetzt werde ich Ihnen eine Spritze setzen, Miß Porter, damit man Sie gleich wegbringen kann. Nein, nein, keine Sorge, es wird Ihnen nichts passieren ... Ich bin sicher, daß man mich und meine Praxis jetzt in Ruhe lassen wird. Wer hat es schon gern, wenn man an einem seiner Zahnnerven herumbohrt, und das ohne Betäubung, nicht wahr?« Der untersetzte, dickliche Mann lachte amüsiert auf, als er sich mit der Spritze Kathy näherte, »Finden Sie nicht auch, Miß Porter, daß meine Methode geradezu genial ist? Schneller
kann man eigentlich nicht mehr an das Geld anderer Leute kommen. Sie drängen es einem förmlich auf, wie ich immer wieder erleben muß!« *** »Wie haben Sie geschlafen, Kindchen?« erkundigte Agatha Simpson sich am Morgen und -sah Kathy Porter fragend an, »Fast gar nicht, Mylady«, gab Kathy zurück. »Ich glaube, daß ich noch ein paar Tage brauche, bis ich diesen Zahnarzt vergessen habe.« »War es so schlimm?« Lady Simpsons Gefühle schwappten über. Sie zog Kathy an ihren mächtigen Busen und drückte sie mütterlich an sich, Sie übersah dabei, daß sie auf dem besten Weg war, Kathy ein paar kurze Rippen zu brechen. »Der Tee, Mylady«, meldete Parker geistesgegenwärtig, um Schaden von Kathy abzuwenden. »Darüber hinaus habe ich leider eine, recht unerfreuliche Mitteilung zu machen.« Lady Agatha gab Kathy Porter frei, die bereits verzweifelt nach Luft geschnappt hatte. Sie wandte sich Parker zu, »Unerfreuliche Nachrichten?« grollte sie. »Der Kontakt mit den vier Gangstern ist vor wenigen Minuten abgerissen, Mylady,« »Was soll das heißen, Mister Parker?« »Die vier Herren dürften inzwischen die Mini-Sender in ihren Schuhabsätzen entdeckt haben, Mylady. Es steht zu befürchten, daß die Geräte zerstört wurden.« »Was daß alles wieder kostet«, seufzte Lady Agatha, »Wieso konnten diese Subjekte die Sender entdecken, Mister Parker?« »Man scheint es eindeutig mit sehr wachsamen und mißtrauischen Gegnern zu tun zu haben, Mylady.«
»Die nun alle Spuren verwischt haben, nicht wahr?« Agatha Simpson setzte sich an den reich gedeckten Frühstückstisch und musterte prüfend das Angebot. Parker hatte zum Tee gebratenen Speck, Spiegeleier, Würstchen, gegrillten Fisch, Schinken und einige Sorten Käse serviert. »Mylady vermissen etwas?« erkundigte Parker sich. »Haben Sie mich auf Hungerrationen gesetzt?« fragte die ältere Dame. »Haben Mylady noch spezielle Wünsche?« »Das kann ich jetzt noch nicht sagen«, erwiderte die Hausherrin und machte sieh über die angebliche Hungerration her, während Kathy Porter kaum etwas zu sich nahm. Sie stand noch eindeutig unter dem Schock, den sie erlitten hatte. »Wie soll es jetzt weitergehen, Mister Parker?« fragte die resolute Dame mißmutig. »Ich hoffe, Sie haben da bereits bestimmte Vorstellungen.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit im Augenblick ein wenig ratlos«, gestand Josuah Parker. »Die Arbeitsmethode der Gangster ist nun zwar durchaus bekannt, es fehlt jedoch die Möglichkeit, an sie heranzukommen. Leider ließ und läßt sich nicht feststellen, wo sich die Praxis dieses Zahnarztes befindet.« »Ich könnte noch nicht mal einen vagen Anhaltspunkt liefern«, schaltete Kathy Porter sich bedauernd ein. »Das heißt, meinem Gefühl nach muß die Folterpraxis irgendwo in der City sein.« »Dazu noch diese scheußliche Drohung, Mister Parker.« Lady Simpson befaßte sich gerade intensiv mit den gegrillten Würstchen. »Offen gesagt, ich habe keine Lust, in diesen Behandlungsstuhl gepreßt zu werden.« »Eine Reaktion, Mylady, der ich mich voll und ganz anschließen möchte«, räumte Parker ein. »Hier dürfte auch der
einmalige psychologische Vorteil der Gangster liegen. Wer mal solch einer Behandlung unterzogen wurde, wird schweigen, selbst wenn er wichtige Entdeckungen gemacht hat, die den Gangstern gefährlich werden könnten.« »Wir sollten uns nicht weiter um diesen Fall kümmern«, sagte Agatha Simpson überraschend. »Sehen Sie mich nicht so an, Mister Parker, ich meine das, was ich sage. Gut, ich schlage mich mit normalen Gangstern herum, aber mit einem Zahnarzt will ich nichts zu tun haben.« »Eine Entscheidung, Mylady, die zu respektieren ich mir voll und ganz erlaube.« »Geben Sie's schon zu, Mister Parker. Auch Sie haben Angst, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady«, räumte der Butler ein. »Wenn es gestattet ist, so möchte auch ich mir erlauben, ein Geständnis abzulegen. Schon allein der Gedanke an einen Zahnarzt löst in meiner bescheidenen Wenigkeit das aus, was die Medizin eine Allergie nennt.« *** Andy Boltex war etwa vierzig Jahre alt, mittelgroß, schlank und erinnerte in seinen ganzen Bewegungen an einen gerissenen, sehr wachsamen Fuchs, wozu sein schmales Gesicht und die schnellen, dunklen Augen nur noch zusätzlich beitrugen. Andy Boltex war der Besitzer einer Diskothek in Soho, die zwei Gesichter hatte, wie Parker wußte. In der eigentlichen Diskothek ging es völlig normal zu, in einigen Hinterräumen jedoch konnten Interessenten Roulette spielen. Boltex war dem Butler verpflichtet, wie so viele zwielichtige Gestalten in der Stadt. Unter Mordanklage stehend, hatte
Boltex mit einem harten Urteil rechnen müssen. Einer seiner Konkurrenten hatte ihm eine böse Falle gestellt und Zeugen aufmarschieren lassen, gegen deren Aussagen Boltex nie hätte ankommen können. Erst durch Parkers indirekte Ermittlungen war dann der wahre Mörder gefunden worden, worauf Boltex freigesprochen wurde. »Ob ich einen Gangster kenne, der mit Vornamen Lorne heißt«, wiederholte Boltex die Frage des Butlers. Man befand sich in Boltex' Büro hinter der Diskothek. »Da muß ich erst mal gründlich nachdenken, Mister Parker. Der Vorname Lorne ist nicht gerade selten. Was soll dieser Kerl denn angestellt haben?« »Erpressung«, gab Parker allgemein zurück. »Meinen Informationen nach wechseln erstaunlich hohe Summen ihren Besitzer. Sollte in dieser Hinsicht etwas durchgesickert sein?« »Lorne... Lorne...« murmelte Boltex und schloß die Augen, um sich besser zu konzentrieren. Dann durchfuhr ihn fast so etwas wie ein elektrischer Schlag. Er öffnete die Augen und nickte. »Lorne Haspelt, Mister Parker. Lorne Haspelt, das ist Ihr Mann.« »Einige zusätzliche Informationen könnten durchaus von Nutzen sein«, erwiderte Parker in seiner höflichen Art. »Lorne Haspelt ist Spezialist für Erpressungen«, schickte Andy Boltex voraus und verzog angewidert sein Gesicht. »Sehen Sie, Mister Parker, ich bin bestimmt kein Engel, aber Erpressung. ..? Mies, sehr mies. So was macht man nicht. Es gibt bessere Methoden, um an das Geld anderer Leute ranzukommen, verstehen Sie?« »Durchaus, Mister Boltex.« Parker ließ sich auf keine weitere Diskussion ein. Er kannte den eigenartigen Ehrenkodex der Unterwelt nur zu genau. »Lorne Haspelt macht sich an Leute ran, die hier in Soho mal so richtig auf die Pauke hauen wollen. Soll's ja geben. Sie
verstehen, ich meine das nach außen hin seriöse Volk, das hier bewußt mal flippen will. Wenn die an Lorne Haspelt geraten, sind sie geliefert. Der fängt sie wie 'ne Spinne die Fliege und preßt sie aus wie 'ne Zitrone.« »Wo finde ich diesen Herrn?« stellte Parker seine nächste Frage. »Herr?« Andy Boltex grinste. »Das is' 'ne widerliche Ratte, Mister Parker, aber ich verstehe, Sie sind ja immer so verdammt vornehm.« »Ich würde diesem Mr. Haspelt gern einen Besuch abstatten.« »Dann müssen Sie aber auf Draht sein, Mister Parker, lassen Sie sich das sagen! Haspelt hat ein paar Männer um sich, die erst mal zuschlagen und dann fragen. Richtig, wo Sie ihn finden! Gehen Sie in die Bath Street, Haspelt hat da 'nen Tarnladen aufgezogen. Da verhökert er gebrauchte Radio- und Fernsehgeräte. Ich glaube sogar, das hat er früher mal gelernt.« »Sie haben in Ihren Kreisen nicht von einem Mann gehört, der Zahnarzt genannt wird?« »Zahnarzt? Nee!« Andy Boltex schüttelte den Kopf. »Ist das ein Spitzname?« »Ich möchte es annehmen«, gab Parker vorsichtig zurück. »Fehlanzeige, Mister Parker. Mit welcher Masche soll der denn arbeiten?« »Mir fehlen leider die Einzelheiten, um diese Frage korrekt beantworten zu können«, meinte der Butler, der Andy Boltex keine Tips geben wollte. »Sollten Sie aber je solch eine oder ähnliche Bezeichnung hören, Mister Boltex, so lassen Sie es mich bitte wissen.« »Sie können sich fest auf mich verlassen, Mister Parker. Was ich noch sagen wollte: Das mit dem Tip Haspelt bleibt unter uns, ja? Der Bursche ist ziemlich aggressiv. Ich möchte nicht,
daß seine Jungens meinen Laden hier auseinandernehmen.« »Sie können sich auf meine Diskretion fest verlassen, Mister Boltex«, schloß Parker, lüftete seine schwarze Melone und verließ das Büro. Als er auf der Straße war, kreisten seine Gedanken natürlich um diesen Lorne Haspelt. War das der Mann, den er suchte? Parker beschloß, diesem Erpresser einen Besuch abzustatten. Und er war froh, allein zu sein. Eine Lady Simpson hätte jetzt wohl doch nur gestört und unnötige Verwicklungen heraufbeschworen. *** Das Ladenlokal war nur klein, doch die Auswahl war bestechend zu nennen. Auf Regalen, die bis zur Decke reichten, stapelten sich gebrauchte Radiound Fernsehapparate, die zu recht günstigen Preisen angeboten wurden. Zwei männliche Angestellte bedienten die Kundschaft, von der im Augenblick jedoch nichts zu sehen war. Die beiden Angestellten, die etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein mochten, trugen weiße Kittel und Schußwaffen, wie Parker sofort bemerkte. Diese Schußwaffen waren natürlich für ein ungeübtes Auge nicht zu erkennen. Sie befanden sich in untergeschnallten Schulterhalftern und hatten mit dem Service im Ladenlokal nichts zu tun. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, nachdem er den Raum betreten hatte, und schaute sich prüfend um. Er wartete, bis einer der .beiden Verkäufer zu ihm gekommen war. »Was soll's denn sein?« fragte der junge Mann lässig und
amüsiert. »Ich möchte Mr. Corbett sprechen«, antwortete Parker gemessen. »Corbett? Wer soll das denn sein?« Der Verkäufer hatte mit Sicherheit keine Ahnung, wer dieser Mann war. Parker verstand es gut, in fremden Gesichtern zu lesen. »Nun, dann möchte ich Mr. Haspelt sprechen«, sagte Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Ich habe ein kleines Päckchen abzugeben.« Der zweite Verkäufer war bereits hellhörig geworden und schob sich heran. Der Mann machte ebenfalls einen wachen Eindruck. Parker übersah ihn jedoch scheinbar. Als der Butler in seine Manteltasche griff, hoben die beiden Verkäufer fast gleichzeitig ihre rechten Arme, die Hände glitten zur Brust. Wahrscheinlich wollten sie blitzschnell ihre Waffen ziehen. Parker übersah erneut diese Bewegung, tat arglos und zeigte das flache Päckchen, das aus dem Kofferraum seines hochbeinigen >Monstrums< stammte. Geschenkartikel dieser Art führte er stets mit sich. Sie waren präpariert, in entsprechendem Papier eingeschlagen und zugeschnürt. In der Vergangenheit hatte Parker schon manches dieser Päckchen weitergereicht. »Von wem stammt das?« fragte der erste Verkäufer, der das Päckchen entgegennahm. Er hielt es ans Ohr. Wahrscheinlich vermutete er unter dem Karton eine Höllenmaschine. »Dies soll aus dem Inhalt des Päckchens hervorgehen, wurde mir gesagt«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Wenn Sie es bitte an Mr. Haspelt weiterleiten würden? Ich möchte mich jetzt verabschieden, meine Herren.« »Aber warum denn so hastig?« erkundigte der zweite Verkäufer sich. »Wollen Sie nicht warten, was Mr. Haspelt dazu zu sagen hat?«
»Wenn Sie meinen, Sir?« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Darf ich mich inzwischen ein wenig umsehen? Ich hätte durchaus Bedarf für einen kleinen, nicht zu teuren Transistor.« »Okay, sehen Sie sich um!« Der zweite Verkäufer war voll einverstanden, während sein Kollege bereits mit dem flachen Päckchen nach hinten eilte und eine Tür öffnete, die er allerdings spaltbreit offen ließ. Parker hatte seinen Universal-Regenschirm vom linken Unterarm genommen, während er an den vollen Regalen entlangschritt. »Dieses Gerät hier würde meinen bescheidenen Ansprüchen entsprechen«, sagte Parker und deutete mit der Schirmspitze auf einen kleinen Transistorapparat. »Wie schön«, meinte der Verkäufer völlig desinteressiert. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Moment war hinter der nur angelehnten Tür ein heiserer Aufschrei zu hören. Für einen Moment ließ der Verkäufer sich ablenken, nahm den Kopf herum und sah in Richtung Tür. Er hätte es besser nicht getan, denn Josuah Parker nutzte seine Chance und ... warf dem Verkäufer einen wesentlich größeren Apparat als das erste Transistorgerät an den Kopf. Besser hätte Parker gar nicht treffen können. Der Verkäufer, der schon wieder seine Hand hochgerissen hatte, verzichtete darauf, diese Bewegung zu beenden. Er grunzte unschön, wurde weich in den Knien und sackte anschließend zu Boden. Parker bedauerte seine Handlungsweise ungemein, doch er hatte so und nicht anders aus einem gewissen Selbsterhaltungstrieb handeln müssen. Er nahm sich übrigens vor, sich bei passender Gelegenheit bei dem Betroffenen zu entschuldigen. Der Butler entwaffnete den Verkäufer und nahm einen
kurzläufigen Trommelrevolver an sich. Dann wechselte er hinüber zur angelehnten Tür und warf einen Blick in den dahinter liegenden Raum. Der erste Verkäufer kniete vor dem geöffneten Päckchen und rieb sich verzweifelt die Augen. Er bekam überhaupt nicht mit, wie Parker würdevoll näher trat, um ihn einer kurzen Nachbehandlung mit dem Bambusgriff zu unterziehen. *** »Habe ich Ihren Namen nicht schon mal gehört?« fragte Lady Simpson grimmig. Sie stand neben dem Wandtisch in ihrem Salon und hielt den Telefonhörer in der Hand. »Corbett, Mylady«, lautete die Antwort. »Natürlich kennen Sie meinen Namen. Darf ich erinnern? Ich habe für die drei Zahnkranken Laxham, Russell und Cordam Geld von den Banken geholt.« »Was wollen Sie?« fragte die ältere Dame. Sie winkte Kathy Porter zu sich heran und schaltete den Adapter ein, damit Kathy mithören konnte. »Warum denn so unfreundlich, Mylady?« fragte Corbett ironisch. »Sie können sich bisher doch wirklich nicht beklagen. Aber zur Sache! Sie wissen, daß Sie uns noch sechzigtausend Pfund schulden?« »Papperlapapp, Corbett!« »Die sechzigtausend, die Ihr komischer Butler aus meinem Büro mitgenommen hat.« »Und was ist damit? Sie haben immerhin schon vierzigtausend Pfund zurückerhalten, oder?« »Sie sind 'ne kleine Witzboldin, Lady, wie?« Corbett lachte amüsiert auf. »Aber jetzt mal Scherz beiseite, Lady! Das Geld wird in, sagen wir, zehn Minuten abgeholt werden, ist das klar,
sonst erfolgt irgendwann eine einmalige Zahnbehandlung.« »Und wo wollen Sie das Geld abholen?« erkundigte Lady Simpson sich. »In Shepherd's Market, drüben an der Durchgangsstraße. Stellen Sie das verpackte Geld an der Laterne, gegenüber vom Park, einfach auf dem Gehweg ab! Keine Sorge, es wird nicht in falsche Hände fallen...« Agatha Simpson nahm zur Kenntnis, daß Kathy Porter sich umgehend entfernte. »Warum haben Ihre vier Subjekte das Geld nicht mitgenommen?« fragte die Detektivin grimmig. »Taktik, Mylady, nichts als Taktik.« Corbett lachte wieder ungeniert auf. »Aber so was werden Sie nie verstehen.« »Dummes Zeug«, grollte Lady Agatha. Sie sah Kathy, die für einen kurzen Moment in der geöffneten Tür erschien und hier die Tasche mit dem Geld abstellte. Es handelte sich um den schwarzen Diplomatenkoffer, den Butler Parker in Corbetts Büro an sich genommen hatte. Danach war Kathy sofort wieder verschwunden. »In zehn Minuten, Lady Simpson«, erinnerte Corbett, der wohl auflegen wollte. »Ich habe Sie Flegel etwas gefragt«, meinte die Hausbesitzerin wütend. »Antworten Sie gefälligst! Warum haben diese vier Subjekte das Geld nicht gleich mitgenommen?« »Sie haben ja richtig Haare auf den Zähnen, Lady«, stellte Corbett fest. »Den komischen Belag müßte man eines Tages vielleicht mal entfernen, wie? Aber schön, Sie sollen 'ne Antwort haben, man ist ja schließlich ein höflicher Mensch. Sie sollen sich so an die nächsten Zahlungen gewöhnen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« »Was soll das heißen?«
»Trommeln Sie bis Ende der Woche noch mal sechzigtausend Pfund zusammen, alles in hübschen, kleinen Scheinen! Ich werde Ihnen dann schon sagen, wo Sie das Geld abstellen müssen.« »Sie müssen wahnsinnig sein. Dann hätte ich ja hunderttausend Pfund an Sie gezahlt!« »Richtig, Lady, hunderttausend Pfund, denn meine sechzigtausend wollen wir ja nicht mitzählen, oder? So, jetzt aber Schluß! Denken Sie immer an Ihre Zahnnerven und dann intensiv an einen Bohrer! Wetten, daß Ihnen die Zahlung dann leichtfällt?« Es klickte in der Leitung. Agatha Simpson legte ihrerseits auf und rief nach Kathy. Sie antwortete jedoch nicht. »Kleines Dummchen«, murmelte die Lady verständnisvoll. Sie nahm an, Kathy habe sich aus Angst oben im Zimmer eingeschlossen. Couragiert nahm die ältere Dame also den schwarzen Diplomatenkoffer in die linke Hand, langte nach ihrem Pompadour und verließ das ehrwürdige Haus. Sie marschierte über den kleine Vorplatz vor dem Haus, erreichte die Durchgangsstraße und stellte hier den Diplomatenkoffer unterhalb der Straßenlaterne ab. Dabei hielt sie ungeniert Ausschau nach etwaigen Gangstern. Sie war in der richtigen Stimmung, sich mit diesen Subjekten anzulegen. Leider taten die Gangster ihr nicht den Gefallen. Erst als sie zurück zum Haus ging, hörte sie einen Wagen, der sich in schneller Fahrt der Laterne näherte. Agatha Simpson wandte sich um und sah gerade noch, wie aus dem Wagen heraus eine Hand nach dem Koffer griff. *** Parker hörte Schritte hinter einer Tür aus Stahlblech.
Er schleifte den schlafenden Verkäufer zur Seite und baute sich seitlich neben der Tür auf. Es dauerte nur knapp zehn Sekunden, bis die Tür geöffnet wurde. Herein kam ein stämmiger Mann, etwa fünfundvierzig Jahre alt. Er hatte ein breites Gesicht und eine schiefe Boxernase. In jedem Kriminalfilm gängiger Machart hätte man ihm ohne Zögern die Rolle des Gangsterbosses angetragen. »Päckchen für mich?« fragte er und... blieb dann regungslos stehen, als er Parker sah, der vorgetreten war. »Ich erlaube mir, einen schönen Vormittag zu wünschen, Mister Haspelt«, sage Josuah Parker. »Sie werden später gewiß verstehen und entschuldigen, daß ich mir die Freiheit nahm, Sie mit einem an sich recht einfachen Trick herunterzubitten.« Lorne Haspelt war fassungslos. Er hatte schon viel erlebt, doch solch eine höfliche Begrüßung war ihm völlig fremd. Er wußte auch nichts mit diesem Mann anzufangen, der eindeutig ein Butler sein mußte. Dann allerdings schien ihm ein Licht aufzugehen. »Moment mal«, fragte er, »sind Sie etwa dieser Butler? Sie wissen schon, was ich meine.« »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, erwiderte der Butler. »Bitte, Mister Haspelt, verzichten Sie für einige Minuten auf mit Sicherheit geplante Überraschungsangriffe, zumal ich mich dann gezwungen sähe, sie im Keim zu ersticken.« »Mann, können Sie nicht normal reden?« fauchte Haspelt los, Er fühlte sich auf den Arm genommen. »Mr. Corbett schickt mich«, behauptete Parker, ohne auf die Frage des Gangsterbosses einzugehen. »Wer ist Corbett?« wollte auch Haspelt wissen. Seinem Gesicht war ebenfalls anzusehen, daß ihm dieser Name nichts sagte.
»Ein junger Mann, der für einen Zahnarzt Behandlungsgelder einzutreiben pflegt«, gab der Butler zurück. Er ließ Haspelt nicht aus den Augen, doch der Gangsterboß zeigte weiterhin keine Reaktion. »Wovon reden Sie eigentlich? Und was haben Sie mit meinen beiden Verkäufern angestellt?« »Einer liegt draußen im Ladenlokal und pflegt der Ruhe«, antwortete Josuah Parker. »Sein Kollege, wenn ich es so ausdrücken darf, liegt dort hinter dem Schreibtisch. Auch er hat eine kleinere Pause eingelegt.« »Donnerwetter, darauf können Sie sich was einbilden, Parker«, meinte Haspelt. »Die beiden Jungens sind nämlich Spitze. Die lassen sich nicht so leicht reinlegen.« »Sie sollten ihnen später nicht gram sein, Mister Haspelt«, schlug Parker vor. »Ich glaube, ich sollte Ihnen schon jetzt sagen, daß Sie keineswegs jener Mann sind, den ich suche.« »Wen denn?« Haspelts Augen belauerten den Butler, aber noch traute der Gangsterboß sich nicht, Parker anzugreifen. Irgend etwas warnte Haspelt. Er hatte das sichere Gefühl, dann zuzahlen zu müssen. Es war die ungemein höfliche Gelassenheit des Butlers, die ihn vorsichtig machte. Sie war beeindruckender als eine Schußwaffe. »Ich suche, um ehrlich zu sein, Mister Haspelt, einen Zahnarzt, der sich gewaltsam Patienten verschafft und sie dann auch recht rüde behandelt. Von solch einem Mann wissen Sie nichts?« »Keine Ahnung davon. Ist das 'ne neue Masche?« »Sie wird sich mit Sicherheit nicht lange halten«, prophezeite Parker. »Von solch 'ner Tour weiß ich nichts, Parker.« Haspelt hatte sich entschlossen, friedlich zu bleiben. Er zuckte die Achseln.
»Bei mir sind Sie auf jeden Fall an der falschen Adresse.« »Aber Sie befassen sich immerhin mit Erpressungen, wie mir zugetragen wurde.« »Wer behauptet das? Das muß man mir erst mal beweisen!« Haspelt geriet in Wut. »Nennen Sie mir einen einzigen Mann, den ich erpresse! Den gibt's nicht.« »Wie schön für Sie, Mr. Haspelt, dann werden sich unsere Wege wahrscheinlich nicht wieder kreuzen.« »Wollen Sie mir Angst einjagen?« »Ich möchte Ihnen nur eine Empfehlung ans Herz legen«, korrigierte Josuah Parker. »Übrigens, kennen Sie einen Herrn aus Ihren Kreisen, der Ihren Vornamen hat?« »Lorne?« Dem Gangsterboß war anzusehen, daß er dachte. »Lorne«, bestätigte Parker. »Dies wäre dann meine nächste Adresse.« »Lorne Ground«, sagte Haspelt, als sei ihm plötzlich die Erleuchtung gekommen. »Richtig, diesem Ground traue ich so was zu.« »Wo könnte ich diesen Mann finden, Mister Haspelt?« Der Gangsterboß hatte sofort eine Adresse parat, die er dem Butler nannte. Und er grinste ausgesprochen tückisch, als Parker sieh verabschiedet hatte und das Ladenlokal verließ. *** Butler Parker brauchte nicht lange zu warten, bis ein Wagen durch die Toreinfahrt kam, sich in den Verkehr einfädelte und dann schnelle Fahrt aufnahm. Parker wunderte sich gar nicht, daß Lorne Haspelt am Steuer dieses Wagens saß. Die beiden anderen Insassen im Fond machten noch einen recht verwirrten und angeschlagenen
Eindruck. Es handelte sich um die Verkäufer, die von ihrem Boß wohl auf recht rauhe Art und Weise wieder zu sich gebracht worden waren. Natürlich hatte der Gangsterboß es eilig. Er wollte hinüber zur angegebenen Adresse dieses angeblichen Ground, um dort den Butler abzufangen. Ein Mann wie Haspelt steckte niemals eine Niederlage ein, ohne anschließend zu reagieren. Parker hatte Haspelts Trick sofort durchschaut und sich darauf eingestellt. Als der Wagen hinter der nächsten Straßenecke verschwunden war, schritt Parker durch die Toreinfahrt und benutzte den Hintereingang, um hinauf in die Wohnung des Gangsterbosses zu gelangen. Gewiß, es gab da zwar einige Schlösser, doch die stellten für einen Butler Parker kein Hindernis dar. Sein Verhältnis zu Schlössern aller Art war nur als sehr intim zu bezeichnen. Er sah sie sich kurz an, redete auf sie ein, worauf sie sich willig öffneten. Dabei spielte das kleine Spezialbesteck des Butlers allerdings eine entscheidende Rolle. Die Privatwohnung des Gangsterbosses befand sich über dem Ladenlokal, Die Einrichtung war konventionell und zeigte keinen Luxus. Ein gerissener Gangsterboß wie Haspelt hütete sich natürlich, auf großem Fuß zu leben. Parker versetzte sich in die Gedankenwelt eines Lorne Haspelt. Solch ein Mann verdiente mit seinen Erpressungen viel Geld, aber dieses schmutzige Geschäft befand sich mit Sicherheit nicht in der Wohnung. Haspelt mußte ja immer damit rechnen, daß eines Tages die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl erschien. Ein Mann wie Lorne Haspelt wollte auf der anderen Seite natürlich das erpreßte Geld auch genießen. Also mußte er hier in London oder sonst irgendwo eine zweite Wohnung oder gar ein luxuriös eingerichtetes Haus besitzen. Hinweise darauf aber mußten hier zu finden sein.
Butler Parker ließ sich in einem einfachen Sessel nieder und öffnete seine Gedanken. Wo mochten solche Hinweise sich finden lassen? In einem Geheimsafe? Nein, ein Haspelt machte sieh erst gar nicht die Mühe, sich einen solchen Safe einbauen zu lassen. Suchende Polizisten hätten ihn ja doch gefunden. Gab es Geheimverstecke? Nun, auch sie waren von findigen Köpfen und findigen Händen aufzuspüren. Ein Lorne Haspelt rechnete mit allen Möglichkeiten und Eventualitäten. Aber würde ein Haspelt vollkommen darauf verzichten, sich der Dinge zu erfreuen, die er zusammengerafft hatte? Wollte er sie nicht wenigstens optisch genießen, zumal er doch hier in einer recht einfachen Umgebung wohnte? Parker erhob sich und ging hinüber zu einem Schreibtisch, auf dem sich Rechnungen, Quittungen und Prospekte türmten. Parker setzte sich vor den Schreibtisch und ... hatte dann auch schon des Rätsels Lösung gefunden. An der Wand rechts hingen Landschaftsfotos aus der Umgebung von Oxford, wie Parker unschwer herausfand. Zwei dieser Fotos zeigten ein Landhaus bester Qualität, das inmitten eines Parks stand. Es handelte sich um ein altes Haus, das viel Geld gekostet haben mußte. Parker nahm beide Bilder von der Wand, drehte sie um und suchte nach irgendwelchen Beschriftungen. Als er nichts fand, brachte er die Fotos, die wirklich wie zufällig dort hingen, zurück an ihren alten Platz und fotografierte sie anschließend mit seiner Kleinstbildkamera, die er stets bei sich führte. Nach wenigen Minuten erschien Parker wieder unten auf der Straße und machte sich auf den Weg, wieder in Sachen Zahnarzt tätig zu werden. Sein eigentliches Ziel hatte er nicht aus den Augen verloren. ***
»Und was haben Sie ausgerichtet?« fragte Agatha Simpson eine knappe Stunde später, als Parker sich höflich zurückgemeldet hatte. »Ein unmittelbarer Erfolg war meiner bescheidenen Wenigkeit nicht beschieden, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Aber ich möchte davon ausgehen, daß man mein Erscheinen vor dem Haus, in dem Mr. Corbetts Büros liegen, durchaus zur Kenntnis genommen hat« »Was wollen Sie damit eigentlich erreichen?« »Die Gangster werden hoffentlich ein wenig unsicher und daher gereizt werden«, erläuterte Parker seine Absichten.. »Sie verbaten sich jede weitere Einmischung, wie Mylady sich vielleicht erinnern werden. Da man sich an dieses Gebot nicht hält, könnten sie gewisse Maßnahmen erwägen.« »Nun, Sie warten geduldig«, meinte die resolute Dame triumphierend, »Kathy und ich aber haben inzwischen gehandelt.« »Mylady sehen meine bescheidene Person erstaunt.« »Kindchen, erzählen Sie, was sich hier inzwischen ereignet hat«, forderte Lady Agatha ihre Sekretärin und Gesellschafterin auf. Sie lehnte sich dabei zufrieden zurück und genoß ihre Überlegenheit. Kathy Porter erzählte kurz und sachlich von Corbetts Anruf, von seinen Forderungen und von der Tatsache, daß man ihm die sechzigtausend Pfund überantwortet hatte, »Dieses Geld holen wir uns selbstverständlich wieder zurück«, warf Agatha Simpson ein, als Kathy Porter ihren Bericht beendet hatte. »Aber das braucht ja nicht überstürzt zu werden. Hauptsache, die Gangster sitzen an der Angel.« »Wie darf ich diesen Hinweis deuten, Mylady?« erkundigte Parker sich. »Kathy hat die Gangster hereingelegt«, lautete die Antwort.
»Sie hatte mich erfreulicherweise sofort verstanden, nicht wahr, Kindchen?« Kathy Porter konnte sich zwar nicht erinnern, von Lady Simpson einen Hinweis erhalten zu haben, doch sie nickte zustimmend. »Kathy verließ das Haus, während ich Corbett am Telefon hinhielt«, sagte die Detektivin stolz. »Und sie schaffte es, den Wagen der Gangster zu markieren.« »Ich habe einen der Geheimausgänge benutzt, Mister Parker«, erklärte Kathy Porter. »Der Wagen mit den beiden Gangstern war schnell ausgemacht. Ich konnten einen MiniSender unten an der Karosserie befestigen.« »Ein Unterfangen, das ich nur als äußerst kühn bezeichnen kann, Miß Porter.« »Besonders schwer war das wirklich nicht, Mister Parker.« Kathy Porter lächelte verschmitzt. »Ich bin als Krankenschwester an diesem Wagen vorbeigegangen. Die Gangster haben mit Sicherheit keinen Verdacht geschöpft.« »Und der Sender arbeitet noch, Mister Parker«, bemerkte die ältere Dame. »Wir brauchen ihn also nur anzupeilen und die Burschen dann zu überraschen.« Sie deutete auf den Empfänger hinter sich. Es handelte sich um ein kleines Präzisionsgerät von der Größe einer Zigarrenkiste, auf der sich eine ringförmige Peilantenne befand. »Bedanken Sie sich bei Miß Porter, daß ich nicht schon losgefahren bin«, sagte Lady Simpson. »Das gute Kind bat mich, auf Sie zu warten. Aber jetzt wollen wir die Dinge in Angriff nehmen.« Sie machte einen unternehmungslustigen Eindruck und freute sich auf die Auseinandersetzung mit den Gangstern. Parker versuchte erst gar nicht, Mylady diesen Plan
auszureden, obwohl er ihren Optimismus nicht teilte. Seiner Ansicht nach würden die Peilzeichen sie nicht in das eigentliche Versteck des Zahnarztes führen. Der Wagen mit dem angehefteten Sender stand gewiß auf einem Parkplatz und war von den Gangstern aufgegeben worden. »Worauf warten Sie denn noch?« fragte Lady Simpson ungeduldig. »Wollen Sie uns um alle Chancen bringen?« »Ich werde in wenigen Minuten vorfahren«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Wenn Mylady erlauben, möchte ich vorher noch einige kleine, aber wahrscheinlich notwendige Vorkehrungen treffen.« »Sie sind der geborenen Zögerer«, tadelte die resolute Dame. »Sie sind wieder mal zu vorsichtig. Was soll denn schon passieren? Die Gangster ahnen ja noch nicht mal, daß ich ihnen bereits dicht auf den Fersen bin!« *** »Das ist der Wagen, Mister Parker«, sagte Kathy Porter. »Das Peilgerät bestätigt Ihre Aussage, Miß Porter«, antwortete Josuah Parker. »Es zeigt den größten Ausschlag.« Sie hatten ein kleines Gelände nordwestlich vom Hyde Park erreicht und konnten sich das Auto in aller Ruhe ansehen. Es stand unter einem Baum und machte einen verlassenen Eindruck. »Diese Subjekte scheinen sich abgesetzt zu haben«, meinte Lady Agatha verärgert. »Aber damit habe ich ja von Anfang an gerechnet.« »Ob sie gemerkt haben, daß der Wagen sendete?« fragte Kathy nachdenklich. »Ich bin sicher, daß sie in Shepherd's Market keinen Verdacht geschöpft haben.« »Man hat es mit geschickten und mißtrauischen Gegnern zu
tun«, warf Butler Parker ein. »Dieser Wagen dort dürfte gestohlen worden sein. Er diente nur dazu, die sechzigtausend Pfund abzuholen.« »Und was machen wir jetzt?« wollte die ältere Dame wissen. Sie sah sich um ihr Vergnügen betrogen und ärgerte sich wieder mal maßlos. »Ich war ja schon immer gegen diese Fahrt. Sie konnte einfach nichts einbringen.« »Soll ich mir den Wagen näher ansehen?« fragte Kathy. »Davon würde ich dringend abraten, Miß Porter.« Parker horchte in sich hinein. Seine Alarmanlage meldete sich und signalisierte Gefahr. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Moment näherten sich zwei noch sehr junge Männer dem herrenlosen Wagen. Vertrauenerweckend sahen die beiden nicht aus. Sie trugen abgerissene Jeanshosen und Lederwesten, die mit Chromnieten übersät waren. Die jungen Männer hatten die Absicht, sich näher mit diesen Wagen zu befassen, zumal die Fahrertür spaltbreit geöffnet war und zum Einsteigen einlud. Es war deutlich zu erkennen, daß die beiden nicht nur mit der Möglichkeit spielten, eventuell mit diesem Wagen eine kleine Spritztour zu unternehmen, nein, sie hatten eindeutig diese Absicht. Parkers innere Alarmanlage meldete sich noch deutlicher. Er stieg aus, ohne sich bei Mylady zu entschuldigen. Es ging um Sekunden. Parker schritt schneller als gewöhnlich aus und näherte sich den beiden jungen Männern, die ihn bereits entdeckt hatten. Leider löste das bei ihnen eine Schnellreaktion aus. Sie hielten Parker wohl für den Fahrer des Wagens und wollten ihm zuvorkommen. Einer der beiden jungen Männer griff nach der spaltbreit geöffneten Tür und wollte sie vollends öffnen. Genau in diesem Augenblick nahm Josuah Parker seine
schwarze Melone ab und warf sie aus dem Handgelenk heraus auf diesen jungen Mann. Die Melone verwandelte sich in eine Art Diskus, der mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft zischte und... genau den Oberarm des jungen Mannes traf. Das Resultat war frappierend, denn die Wölbung von Parkers Kopfbedeckung war mit starkem Stahlblech gefüttert. Der Hutrand übrigens nicht weniger. Als die Melone den Oberarm traf, hatte der junge Mann das feste Gefühl, von einem Hammer erwischt worden zu sein. Er flog zur Seite, brüllte auf und landete im Gras. Der zweite junge Mann fühlte sich veranlaßt, die Schmach zu rächen. Er ließ vom Wagen ab und wandte sich Parker zu. Er zog aus seiner Lederjacke eine lange Fahrradkette, schwang sie durch die Luft und wollte mit ihr den Butler traktieren. »Muß ich davon ausgehen, daß Sie mich angreifen wollen?« erkundigte Parker sich in seiner höflichen Art. »Dir schlag ich die Knochen kaputt«, drohte der junge Mann und rückte gefährlich näher. »So was machste niemals wieder!« »Die Umstände zwingen mich, aktive Gegenwehr zu leisten«, erklärte Josuah Parker und benutzte seinen UniversalRegenschirm als Abwehrwaffe. Er bremste damit die gefährliche Fahrradkette, die sich wie eine giftige Schlange um den Schirm wickelte. Butler Parker zog den jungen Mann, der sich die Kette um die Faust gewickelt hatte, ruckartig zu sich heran und stellte ihm gleichzeitig ein Bein. Der Angreifer stolperte, legte sich flach auf die Luft und schoß dicht an Parker vorbei nach hinten. Parker ließ seinen UniversalRegenschirm los, worauf der junge Mann als identifizierbares Flugobjekt noch etwa vier Meter durch die Luft segelte, um dann eine recht gekonnte Bauchlandung auszuführen. Er blieb dicht vor Parkers hochbeinigem Monstrum liegen. Natürlich wollte er nach einer kurzen Verschnaufpause
wieder aufstehen und sich mit Parker befassen. Er ahnte nicht, daß er sich aber in der Reichweite einer gewissen Lady Simpson befand, die nur darauf brannte, sich ein wenig sportlich zu betätigen. Als der junge Mann ein Messer zog, um Parker damit in den Rücken zu fallen, knallte Myladys Pompadour gegen seine rechte Schulter. Der junge Mann mußte annehmen, von einem Pferd getroffen worden zu sein, so nachdrücklich wirkte der >Glücksbringer<. Er flog nach vorn, verlor noch mal sein Gleichgewicht und landete erneut im Gras. »Lümmel«, sagte Lady Simpson, die hinter dem hochbeinigen Monstrum hervorkam. »Ich hasse Messer! Lassen Sie sich das eine Lehre sein! Und wagen Sie es nie wieder, Ihre Hand gegen eine wehrlose Frau zu erheben!« *** Die beiden jungen Männer saßen im Gras und wurden von Lady Simpson und Kathy Porter bewacht. Aber im Moment dachten sie nicht daran, die Flucht zu ergreifen. Sie beobachteten den Butler, der seltsame Dinge trieb. Parker hatte sich wieder dem Wagen genähert, der da so harmlos auf der Rasenfläche stand. Er schlang die Fahrradkette um den Türgriff und besorgte das mit der Vorsicht eines Mannes, der mit rohen Eiern hantiert. Anschließend befestigte Parker am freien Kettenende ein langes Stück Seil, das aus dem Kofferraum seines Wagens stammte. Er wickelte dieses Seil ab und kam so in die Nähe der älteren Dame, Kathy Porters und der beiden jungen Männer. »Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, sollte man sich vielleicht ein wenig in Deckung begeben«, schlug Josuah Parker vor. »Ich möchte jetzt die Wagentür dort drüben
vollends öffnen.« »Deckung, Mister Parker?« Agatha Simpsons Stimme klang irritiert. »Ich sehe mich zu meinem Leidwesen außerstande zu berechnen, wie stark die Sprengladung ist, mit der zu rechnen ich mir erlaube.« »Spreng ... Sprengladung?« stotterte der erste junge Mann und stand sehr hastig auf. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, gab Parker zurück. »Sie werden jetzt hoffentlich verstehen, daß man Sie daran hindern mußte, sich näher und intensiver mit dem Wagen zu befassen.« Man begab sich hinter Parkers Wagen in Deckung. Der Butler vergewisserte sich, daß nach menschlichem Ermessen nichts passieren konnte, um dann nachdrücklich an der Leine zu ziehen. Es war schon recht beachtlich, was sich daraufhin ereignete: Im Wageninnern erfolgte eine dumpfe Detonation, als würde ein großes Stück Tuch brutal zerrissen. Dann wurden die Scheiben nach draußen gedrückt, während das Auto um etwas fünfzehn Zentimeter senkrecht in die Luft stieg. Selbst hinter Parkers schützendem Monstrum war noch der scharfe Luftdruck zu spüren. Die beiden jungen Männer, jetzt kreidebleich im Gesicht, sahen sich betreten und wortlos an, schluckten und rutschten dann förmlich in sich zusammen. »Eine erfreulicherweise kleine Sprengladung«, stellte Josuah Parker sachlich fest. »Woher haben Sie davon gewußt, Mister Parker?« erkundigte sich die Detektivin. »Der Wagen dort, oder besser gesagt, das, was von ihm übrigblieb, machte einen zu einladenden Eindruck, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Darüber hinaus war anzunehmen,
daß die Gangster mit weiteren Mini-Sendern rechneten.« »Eine tödliche Falle!« Lady Simpsons Atem ging ein wenig schneller als sonst. »Man rechnete mit dem Anpeilen und Finden des Wagens.« Parker deutete zustimmendes Nicken an. »Aus Gründen der Sicherheit lag mir daran, die Ladung zu zünden. Sie hätte sonst entweder Unbeteiligte oder gar Sprengstoffspezialisten der Polizei unnötig gefährdet.« »Wollen Sie sich nicht endlich bedanken?« raunzte die ältere Dame die beiden Lederjackenträger an. Sie starrten den Butler an, schluckten wieder und brachten kein Wort hervor. Ihnen war vollkommen klar, wovor der Butler sie bewahrt hatte. »Mit solchen oder ähnlichen Überraschungen sollten Sie immer rechnen, wenn Sie sich mit Wagen befassen, die Sie nicht kennen«, warnte Parker gemessen. »Sie sollten sich jetzt entfernen, meine Herren, mit dem Erscheinen der Polizei ist innerhalb der nächsten Minuten fest zu rechnen.« Die beiden jungen Männer, die sich eben noch ungemein stark gefühlt und mit dem eigentlichen Fall überhaupt nichts zu tun hatten, schnürten wie scheues Wild davon, drehten sich wiederholt nach Parker um und verschwanden schließlich hinter parkenden Fahrzeugen. »Diese Lümmel werden wahrscheinlich nie wieder Wagen stehlen wollen«, stellte Lady Simpson grimmig, aber auch durchaus zufrieden fest. »Diese Lektion werden sie gelernt haben.« »Es steht zu hoffen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Leider wird man sich jetzt auf einige Fragen Mr. McWardens einrichten müssen, Mylady. Der kleine Vorfall hier wird ihm mit Sicherheit gemeldet werden.«
***
»Nein, wie ich mich freue«, begrüßte Lady Simpson den eintretenden Chief-Superintendent und nickte McWarden gleichzeitig mehr als wohlwollend zu. »Man hat sich ja schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Es wurde höchste Zeit, daß Sie hier wieder mal hereinsahen.« McWarden, die Fassung fast verlierend, war sofort unsicher und daher gereizt. »Ich komme nicht zufällig vorbei«, stellte er dann nach ausgiebigem Räuspern klar. »Das möchte ich auch nicht hoffen, lieber Freund«, antwortete die ältere Dame und versprühte ihren Charme, über den sie verfügte, und der war erstaunlicherweise in großer Menge vorhanden. »Eben noch sagte ich zu Mr. Parker, daß man Sie umgehend zu einem Dinner einladen müßte. Man soll sich, so oft es geht, mit Freunden umgeben, finden Sie nicht auch?« Der Chief-Superintendent glaubte zu träumen. Er bekam dann einen leicht roten Kopf und fühlte sich auf den Arm genommen. Er räusperte sich erneut und bemühte sich um ein sehr dienstliches Aussehen. »Sie lunchen doch hoffentlich mit mir, oder?« erkundigte Lady Agatha sich. »Nein, nein, keine Widerrede, lieber McWarden. Sie wissen ja, wie sehr ich Ihre Gegenwart schätze.« »Ich bin dienstlich hier, Mylady«, sagte McWarden. »Und ich habe da einige Fragen, auf die es keine Ausreden gibt.« »Hätten Sie so etwas schon mal bei mir erlebt?« erkundigte Lady Simpson sich. »Ich erinnere Sie an unsere bisherige Zusammenarbeit, lieber Freund. Harmonischer könnte sie doch gar nicht sein. Vertrauen gegen Vertrauen, nicht wahr?«
»Es sind da zwei Dinge, die geklärt werden müssen«, schickte McWarden voraus. »Einmal wäre da der Wagen, der von Mr. Parker in die Luft gejagt wurde, dann möchte ich mehr über einen gewissen Mr. Haspelt erfahren.« »Sie werden selbstverständlich jede gewünschte Auskunft bekommen. Wie immer, wenn ich daran erinnern darf.« »Darf ich einen Sherry servieren?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Im Dienst trinke ich nicht«, gab McWarden grimmig zurück. »Einen Sherry für unseren lieben Freund«, sagte Agatha Simpson. »Nein, nein, lieber McWarden, Sie wollen mich doch hoffentlich nicht beleidigen, oder?« »Ich will keinen Sherry, ich will einige Auskünfte.« »Sie werden beides bekommen«, versicherte Lady Simpson dem Chief-Superintendent. »Nehmen Sie erst mal Platz. Und dann wird Mr. Parker Sie mit einem neuen Fall vertraut machen.« »Sie ermitteln also wieder mal auf eigene Faust?« »Ermitteln, lieber McWarden, können nur Sie allein. Sie sind der anerkannte Fachmann. Mr. Parker, Miß Porter und ich sind doch nur blutige Laien. Aber wem sage ich das? Sie wissen doch längst Bescheid.« Parker servierte den Sherry und begann mit seinem Bericht. Er faßte sich erstaunlich knapp und brauchte nur knapp zehn Minuten, bis er McWarden informiert hatte. »Haben Sie diesen Haspelt inzwischen festgenommen?« fragte die Detektivin anschließend. »Mehr konnte Mr. Parker wirklich nicht für Sie tun. Er lieferte Ihnen immerhin einen gemeinen Erpresser, nicht wahr?« »Nun ja«, räumte der hohe Polizeioffizier widerwillig ein. »Dieser Hinweis auf das Landhaus draußen in Oxford hat ihm
das Genick gebrochen, bildlich gesprochen, natürlich.« »Sie konnten Material über Mr. Haspelts Erpressungen finden, Sir?« fragte Parker höflich. »Sämtliche Unterlagen, Mister Parker.« »Die Fotos von seinem Landhaus haben Ihre Leute also übersehen«, meinte die ältere Dame zufrieden. »Nun, das kann selbst Spezialisten passieren, verlieren wir darüber kein Wort mehr. Wir alle können irren, nicht wahr?« »Wie haben Sie es geschafft, Haspelt reinzulegen?« wollte McWarden wissen. Er sah den Butler in einer Mischung aus Interesse, Anerkennung und Ärger an. Natürlich paßte es ihm überhaupt nicht, daß die Männer seines Dezernats bisher nicht fündig geworden waren. »Mr. Haspelt wollte meiner bescheidenen Wenigkeit eine Falle stellen«, antwortete Parker. »Verständlicherweise lehnte ich es ab, darauf einzugehen. Während er also auf meine bescheidene Wenigkeit wartete, nutzte ich die Zeit, mich ein wenig in seiner Wohnung umzusehen.« »Und wie sind Sie da reingekommen?« fragte McWarden weiter. »In der Hast seines Aufbruchs wird Mr. Haspelt vergessen haben, die Türen ordentlich zu sichern und zu verschließen«, lautete Parkers ausweichende Antwort. »Ich weiß ja, lieber Freund, daß solche Details Sie nie interessieren«, schaltete Lady Simpson sich ein. »Befassen wir uns mit diesen Gangstern, die sich augenscheinlich einen eigenen Zahnarzt leisten. Dazu könnte Miß Porter Ihnen einiges sagen.« Was Kathy auch umgehend tat. McWarden war sichtlich beeindruckt, als sie ihren Bericht beendet hatte. »Das sind ja völlig neue Methoden«, meinte McWarden
dann. »Schreckliche Vorstellung, diesen Gangstern in die Hände fallen zu können. Ich glaube nicht, daß ich das nervlich überstehen würde. Offen gesagt, Mylady, ich bekomme Zahnschmerzen.« »Und ich verspreche Ihnen, lieber Freund, daß dieser Zahnarzt auch bald Zahnschmerzen haben wird«, sagte die resolute Dame nachdrücklich. »Sie sind ihm bereits auf der Spur?« reagierte McWarden prompt. »Diese Frage muß leider negativ beantwortete werden, Sir«, antwortete Josuah Parker. »Die Gangster haben sich ungewöhnlich gut abgesichert und alle Spuren verwischt. Leider ist es ja unmöglich, diesen Mr. Corbett zu befragen, er würde keine Aussagen machen. Er weiß, daß man ihm nichts nachweisen kann.« »Ob er der Gangsterboß sein könnte?« fragte der ChiefSuperintendent. »Mit einiger Sicherheit wohl nicht, Sir«, meinte Parker. »Mr. Corbett ist nur der Mittelsmann und Kassierer, wenn ich es so ausdrücken darf. Meiner bescheidenen Ansicht nach ist hier eine Bande tätig, die bisher noch nie kriminell in Erscheinung getreten ist.« »Anfänger, wie?« »Das sollte man gewiß unterstellen, Sir. Die Methode allein ist schon mehr als ungewöhnlich.« »Und damit, Mylady, haben Sie die Grenzen Ihrer Möglichkeiten erreicht«, freute McWarden sich und stand auf. »Jetzt werde ich wohl meinen kriminaltechnischen Apparat einsetzen müssen.« »Der natürlich unschlagbar ist, bester Freund.« Agatha Simpson lächelte McWarden geradezu honigsüß zu. Er wußte dieses Lächeln nicht recht zu deuten.
»Eines steht fest, Mylady«, sagte er dann, »Laien können hin und wieder mit etwas oder viel Glück Teilerfolge haben, räume ich ohne weiteres ein, aber im Endeffekt werden sie draufzahlen.« »Wie wahr das ist, lieber Freund.« Lady Agatha nickte einsichtsvoll. »Heutzutage zählt nur noch die umfassende Computerfahndung«, stellte McWarden weiter klar. »Wir werden uns den richtigen Täter schon heraussieben lassen.« Er verabschiedete sich und verließ das Haus wie ein Sieger. Lady Agatha schaute ihm grimmig nach, als er in seinen Wagen stieg. »Computerfahndung«, resonierte sie dann abfällig. »Was dieser aufgeblasene McWarden sich nur einbildet. Ich hoffe, Mister Parker, Sie haben sich inzwischen etwas einfallen lassen. McWarden braucht mal wieder eine Lektion. Computerfahndung! Oder hat er tatsächlich eine Chance, an diesen Zahnarzt schneller heranzukommen als ich?« »Dies, Mylady, dürfte von der Nervosität der Gangster abhängen«, antwortete Josuah Parker. »Noch besser wäre es allerdings, die Gegner würden sich überschätzen. In Anbetracht des zurückgelassenen Wagens, der wirkungslos explodierte, könnten beide möglichen Reaktionen eine recht wirkungsvolle Bindung eingehen.« Sie verstand zwar nicht, was er meinte, aber sie nickte sicherheitshalber zustimmend. *** Butler Parker hatte auf jede Tarnung verzichtet. Er befand sich nach dem Dinner im Stadtteil Kensington und nahm eine eigenartige Beobachtung jenes Bürohauses vor, in
dem Herbert F. Corbett seine Firmenräume hatte. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum verlassen und schritt gemessen auf dem Gehweg hin und her. Er trug seinen schwarzen Zweireiher, den Eckkragen, den schwarzen Binder und die passend dazu gestreifte Hose. Ein Filmbutler hätte ihn äußerlich nicht auszustechen vermocht. Daß man seine Anwesenheit vor dem Haus längst bemerkt hatte, war ihm klar, aber genau darauf kam es ihm ja an. Er hatte sich in Anbetracht der allgemeinen Lage eine neue Taktik zugelegt und bot sich den Gangstern als leichte Beute an. Mit einem Schuß aus dem Hinterhalt rechnete er nicht. Dennoch hatte er sich auch darauf vorbereitet Unter dem Zweireiher trug er eine der modernen schußsicheren Westen, die im Falle eines Falles das Schlimmste verhüteten. Nach etwa zwanzig Minuten - Parker hatte nicht die Spur von Ungeduld gezeigt - tat sich endlich etwas. Es war Corbett, der langsam aus dem Bürohaus kam, die Straße überquerte und sich ihm näherte. Corbett lächelte spöttisch, als er sich vor dem Butler aufbaute, der höflich seine schwarze Melone zog. »Was versprechen Sie sich von diesem Unsinn?« erkundigte der elegant gekleidete Corbett sich in ironisch klingendem Tonfall. »Das überlasse ich einer näheren Zukunft«, antwortete Josuah Parker. »Ich werde es auf keinen Fall versäumen, Ihre nächsten Schritte aus nächster Nähe zu beobachten.« »Und was bringt das?« Corbett zündete sich eine Zigarette an. »Wenn ich Geld abhole, geschieht das völlig legal. Sie wissen doch inzwischen, daß meine Kunden mir entsprechende Vollmachten ausstellen. Sie wissen auch, daß die Banken mit meinen Kunden sogar telefonisch sprechen und sich die Abhebungen noch zusätzlich bestätigen lassen. Diese Transfers sind völlig in Ordnung.«
»Weil Ihre Kunden inzwischen auf einem Behandlungsstuhl sitzen und wohl im wahrsten Sinne des Wortes Blut und Wasser schwitzen, wie der Volksmund es so treffend ausdrückt.« »Und genau das müssen Sie ja erst mal beweisen, Mister Parker.« Corbett schmunzelte. »Das werden Sie nicht schaffen, Mister Parker! Wer mal von uns behandelt wurde, der hält eisern dicht. Stecken Sie auf, verschwenden Sie nicht unnötig Ihre Zeit! Sie haben gegen uns keine Chance!« »Man sagt meiner bescheidenen Wenigkeit eine gewisse Hartnäckigkeit nach, Mister Corbett.« »Die hier nie etwas einbringen wird, Mister Parker. Sie gehen nur unnötige Risiken ein.« »Könnten Sie mir diese Andeutung freundlicherweise ein wenig interpretieren?« »Sind Sie scharf darauf, eine neue Zahnkrone zu bekommen? Brauchen Sie eine neue Brücke? Möchten Sie, daß man Ihnen ein paar Nerven anbohrt?« »Ich würde dies nur recht ungern durchstehen müssen«, räumte Josuah Parker ein. »Sie können von Glück sagen, Mister Parker, daß Sie nicht zusammen mit dem Wagen in die Luft geflogen sind«, redete Corbett eindringlich weiter. »Kompliment übrigens, Sie sind ein sehr aufmerksamer und mißtrauischer Mensch.« »Dieses Kompliment muß ich notgedrungen an Ihre Freunde weitergeben, Mister Corbett. Ich meine da ganz gezielt einen gewissen Mann, dessen Vornamen Lorne ist.« »Lorne?« Corbett lächelte nicht mehr. »Sie waren so freundlich, diesen Namen zu nennen«, erwiderte Parker in seiner überaus höflichen Art. »Wahrscheinlich haben Sie damit bereits eine tödliche Indiskretion begangen, wie ich mir vorstellen könnte.«
»Was wollen Sie denn damit wieder sagen?« Corbett hatte sich wieder unter Kontrolle und rang sich ein Lächeln ab, das allerdings keineswegs überlegen ausfiel. »Ihr Chef oder Boß, wie es in Ihren Kreisen heißt, wird es gar nicht gern hören, daß Sie seinen Vornamen erwähnten. Möglicherweise glaubt er dann an das, was er Verrat nennen könnte.« »Sie... Sie bluffen, Parker.« »Ihre Stellung innerhalb dieser Bande ist stärker, als ich vermutete«, schickte Josuah Parker voraus. »Als ich mir die Freiheit nahm, die sechzigtausend Pfund aus Ihrem Büro mitzunehmen, dachte ich in der Tat, Sie würden in gewisse Schwierigkeiten geraten. Das war nicht der Fall, wie Miß Porters Fall bewies. Sie scheinen demnach großes Vertrauen zu besitzen, Mr. Corbett. Wird es aber auch dann noch vorhanden sein, wenn der Vorname Lorne bekannt wird?« »Sie wollen mich in die Enge treiben?« Corbetts Stimme klang gereizt. Parker wußte, daß er einen wunden Punkt des jungen Mannes berührt hatte. »Noch haben Sie eine Möglichkeit, Mister Corbett, die Fronten zu wechseln«, antwortete Parker. »Gut, ich hätte Ihnen das per Telefon sagen können, oder gar oben in Ihren Büroräumen, doch ich bin der Meinung, daß man gewisse Dinge im Freien bespricht, wo eine elektronische Überwachung erschwert ist.« »Sie sind ein verdammt cleverer Bursche, der Daumenschrauben anziehen kann, Mister Parker.« »Nur notgedrungen, Mister Corbett. Und ich möchte noch mal wiederholen, daß ich ab sofort stets in Ihrer Nähe bleibe. Da man Sie wohl auch überwacht, dürften daraus fast schon pikant zu nennende Beobachtungen für Ihre Freunde werden. Könnten sie nicht auf den Gedanken kommen, daß Sie eine gewisse Schwäche oder Kooperationsbereitschaft zeigen?«
Corbett antwortete nicht, drehte sich abrupt um, überquerte die Straße und verschwand im Bürohaus. Parker, der nach wie vor mit der Möglichkeit einer Kurzschlußreaktion rechnen mußte, setzte sich in sein hochbeiniges Monstrum und harrte der Dinge, die da mit letzter Sicherheit kommen mußten. *** Zuerst erschienen zwei junge Männer auf der Straße. Sie kamen um die nahe Häuserecke herum und unterhielten sich angeregt miteinander. Sie bemühten sich, einen harmlosen Eindruck zu erwecken. Parker beobachtete .sie im Rückspiegel seines Wagens und erkannte sie. Sie waren Gäste im Keller des Stadthauses von Lady Simpson gewesen und zusammen mit den beiden anderen Männern notgedrungen wieder in Freiheit gesetzt worden. Nun trugen die beiden jungen Männer Sonnenbrillen, um sich ein wenig zu tarnen. Sie schlenderten langsam an das hochbeinige Monstrum heran, blieben vor einem der vielen Schaufenster stehen und schauten sich die Auslagen an. Sie warteten offensichtlich. Auf wen, zeigte sich ebenfalls schon bald. Zwei andere junge Männer näherten sich Parkers Wagen von vorn. Auch sie hatten sich eindeutig in Myladys Kellerräumen befunden, auch sie trugen jetzt Sonnenbrillen. Und wie harmlos sie sich gaben! Sie bewunderten ebenfalls Auslagen, schoben sich näher an die ersten beiden jungen Leute heran und nahmen dann Maß. Parker freute sich über Corbetts Reaktion. Der Hinweis auf den Vornamen Lorne schien ihn ein wenig nervös gemacht zu haben. Wahrscheinlich hatte er die vier jungen Männer losgeschickt, um Parker auf einen Behandlungsstuhl bringen zu lassen. Diesmal tat Corbett endlich genau das, wozu er
geschickt gezwungen worden war. Die vier jungen Sonnenbrillenträger hatten sich verständigt und arbeiteten genau mit dem Überraschungstrick, den Parker kannte: Sie schoben sich von beiden Seiten an den Wagen heran und rissen die hinteren Türen auf. Blitzschnell verschwanden sie im Innern und schlugen die Türen hinter sich zu. Parker verriegelte sie elektrisch. Dann wollten seine Fahrgäste sich mit ihm unterhalten, doch erst jetzt ging ihnen auf, daß es da eine Trennscheibe gab, die den Fond vorn Fahrerraum trennte. Und diese Trennscheibe war selbstverständlich geschlossen, was Sekunden vorher noch nicht der Fall gewesen war. Parker hatte das besorgt, als seine Gäste zugestiegen waren. Irgendwie gefiel den jungen Männern das gar nicht. Einer von ihnen hatte bereits einen kurzläufigen Revolver in der Hand und drosch mit dem Griff seiner Handfeuerwaffe gegen die Trennscheibe. »Panzerglas«, erklärte Parker über die im Wagen eingebaute Bordsprechanlage. »Auch Schüsse wären sinnlos, meine Herren.« Parker hatte den Motor gezündet und fuhr los. Die vier jungen Männer gerieten in eine leichte Panik und wollten aussteigen. Aber das klappte nicht, denn die Zentralverriegelung hielt die beiden Wagentüren fest. »Auch mit Schüssen sind die Türschlösser nicht zu öffnen«, erläuterte Josuah Parker weiter. »Aber Sie können es natürlich durchaus versuchen, falls Querschläger Ihnen nichts ausmachen.« Sie verzichteten darauf und brüllten nun erst mal durcheinander. Sie belegten den Butler mit Schimpfwörtern und waren überhaupt sehr böse mit ihm.
»Sie echauffieren sich völlig unnötig«, sagte Parker, dessen Worte peinlich genau nach hinten in den Fond übertragen wurden. »Sollte Mr. Corbett Sie nicht gewarnt haben?« Vor weiteren Andeutungen hütete Parker sich. Seine Frage sollte ja noch nachklingen und Mißtrauen auslösen. Er beugte sich ein wenig vor und legte mit seinen schwarz behandschuhten Fingern einen Kipphebel auf dem reich bestückten Armaturenbrett um. Daraufhin strömte Lachgas in den Fahrgastraum. Nun, die vier jungen Mitfahrer brachen zwar nicht in unkontrolliertes Gelächter aus, aber sie nahmen immerhin Abstand davon, weiter zu schimpfen oder gar Fragen in Richtung Corbett zu stellen. Sie fühlten sich matt und schlaff, wurden von einem wohligen Gefühl des Entspanntseins ergriffen, schlossen versuchsweise die Augen, fanden Gefallen daran und waren bald darauf fest eingeschlafen. Parker warf einen Blick in den Rückspiegel. Hinter seinem Wagen war immer noch ein eleganter Daimler zu sehen, der von Corbett gesteuert wurde. Hatte der junge Mann bereits bemerkt, was mit seinen Mitarbeitern geschehen war? Parker prüfte die Möglichkeit, auch Corbett noch zu Mylady einzuladen. Er war sicher, daß seine Herrin selbst mit solch einem Massenbesuch voll und ganz einverstanden sein würde. Parker bog in eine Seitenstraße ab und sorgte dafür, daß er vor einer Ampelanlage halten mußte. Der Daimler schob sich neben sein hochbeiniges Monstrum, und Corbett hatte jetzt Gelegenheit, einen Blick in das Monstrum zu werfen. Er nutzte diese Gelegenheit auch prompt und wunderte sich ungemein, daß seine vier Mitarbeiter derart unkontrolliert im Fond saßen und dazu sogar noch schliefen. Parker lüftete seine schwarze Melone und grüßte in Richtung Corbett, der ihn voll musterte.
Corbett war die fleischgewordene Verblüffung. Das Licht der Ampel wechselte, und Parker brachte seinen hochbeinigen Wagen wieder in Fahrt. Corbett war derart durcheinander, daß er den Motor seines Daimlers abwürgte. Es kostete ihn einige Sekunden, bis er Parker wieder folgen konnte. Der Butler bog in die nächste Seitenstraße ein und zog den aufholenden Daimler mit sich. Parker machte sich bereit, Corbett zu düpieren. *** Während der Weiterfahrt griff Josuah Parker in eine der vielen Westentaschen und holte eine kleine Pillendose hervor, die völlig harmlos aussah. Er drückte den Deckel auf und ließ die kleine Dose neben sich auf dem Beifahrersitz liegen. Er war bereit, Corbett einige, hübsche Überraschungen zu liefern. Denn Corbett folgte ihm nach wie vor. Der junge Mann rechnete sich wahrscheinlich noch immer eine echte Chance aus, die Fahrt des Butlers irgendwie zu stoppen. Hinzu kam wohl seine grenzenlose Wut darüber, daß die vier Mitarbeiter ziemlich tatenlos im Fond von Parkers Wagen lagen und nichts taten. Corbett fühlte sich verpflichtet, etwas für seine Freunde zu tun. Parker hatte die Fahrt seines hochbeinigen Monstrums gemindert und lud Corbett förmlich zu einem Überholmanöver ein, das auch nicht lange auf sich warten ließ. Der Daimler wurde schneller und schob sich immer dichter an das Monstrum des Butlers heran, der das Wagenfenster auf seiner Fahrerseite elektrisch heruntergelassen hatte. Die Straße lud zu einem Angriff förmlich ein. Man befand sich hinter einem großen, langgestreckten Gebäude, dessen Fenster geschlossen waren und einen abweisenden Eindruck machten. Auf der anderen Seite gab es eine lange Häuserzeile
mit vielen parkenden Autos. Corbett nutzte also seine vermeintliche Chance, leitete ein Überholmanöver ein und schob sich dann energisch neben Parkers Wagen. Der Butler reagierte natürlich wesentlich schneller als Corbett, der mit seiner Schußwaffe erst zielen mußte. Parker hatte längst einige Kapseln in der hohlen Hand, wie sie von der Pharmaindustrie zur Verabreichung von Medizin verwandt werden. Er holte aus dem Handgelenk heraus aus und warf... warf diese Kapseln geschickt in Corbetts geöffneten Daimler. Corbet kam nicht mehr dazu, den ersten Schuß auf Parker abzufeuern. Natürlich hatte er bemerkt, daß Parker etwas in den Daimler geschleudert hatte. Corbett machte instinktiv eine Abwehrbewegung, nahm blitzschnell den Kopf zur Seite und erlebte dann ungemein peinliche Sekunden. Parkers Kapseln hatten es nämlich in sich. Sie platzten auseinander und füllten das Innere des Wagens mit milchigweißen Nebelschwaden, die sich schnell ausbreiteten und immer dichter wurden. Corbett trat voll auf das Bremspedal, da er nichts mehr sah. Der Daimler schlingerte ein wenig, kam aus dem Kurs und stieß dann im Auslaufen gegen das Eisengeländer eines winzig kleinen Vorgartens. Die schweren Eisenstäbe stoppten den Daimler endgültig. Parker bremste, hielt und setzte zurück. Selbst jetzt regte sich nichts in seinem Gesicht. Dieser seltsame Mann war offentsichtlich durch nichts zu beeindrucken. Parker fuhr seitlich an den Daimler heran, stieg aus und kümmerte sich um den Fahrer. Corbett bekam das schon nicht mehr mit. Er lag seitlich auf dem Beifahrersitz und gab sich seinen Träumen hin. Die Schwaden aus den aufgeplatzten Kugeln hatten ihn blitzschnell eingeschläfert.
Josuah Parker holte noch mal tief Luft, bevor er sich daran machte, Corbett aus dem Wagen zu bergen. Ihm war die Wirkung dieser Dämpfe nur zu bekannt. Eine kleine Dosis reichte bereits, um in einen intensiven Tiefschlaf zu fallen. Mit erstaunlicher Kraft zog Parker den jungen Mann ins Freie und beförderte ihn anschließend in den Fond seines Wagens, in dem nun schon drangvolle Enge herrschte. Dann setzte Parker sich wieder ans Steuer seines Monstrums und fuhr weiter. Ein schneller Blick in den Rückspiegel bestätigte ihm, daß die Schwaden bereits aus dem Daimler abgezogen und sich mit der Außenluft zu einem ungefährlichen Gemisch verbanden. Unbeteiligte also, die sich jetzt um das Fahrzeug kümmern würden, hatten nichts zu befürchten. Butler Parker war recht zufrieden. Das Gesetz des Handelns war an ihn zurückgefallen. *** »Es hätte schlimmer kommen können«, konstatierte die ältere Dame eine halbe Stunde später. Sie ärgerte sich über Parkers Erfolg, den sie natürlich wieder mal herunterspielen wollte. »Haben Sie wenigstens Corbetts Büroräume durchsucht?« »Dazu blieb leider keine Zeit mehr, Mylady«, erwiderte Parker gemessen. »Zudem möchte ich annehmen, daß diese Büroräume kaum Hinweise auf den gesuchten Zahnarzt liefern werden.« »Vermutungen, nichts als Vermutungen«, meinte die resolute Dame. »Nun ja, Sie haben vermutlich auch ein wenig den Kopf verloren.« »Eine Möglichkeit, die abzustreiten ich mir niemals gestatten
würde, Mylady.« »Haben Sie diese Subjekte sicher untergebracht?« »Sie befinden sich bereits in den Sicherheitsräumen. Mylady möchten einen Blick auf ihre Gäste werfen?« »Später, Mister Parker, später. Jetzt dürften die Lümmel ja noch schlafen. Was versprechen Sie sich übrigens von diesen Individuen? Glauben Sie etwa, sie würden jetzt reden? Ich bezweifle, ob sie überhaupt etwas über den Bandenführer aussagen können.« »Höchstens Mr. Corbett, Mylady. Seine Rolle innerhalb dieser Gangster-Organisation dürfte größer und wichtiger sein, als ich zu Beginn vermutete.« »Das habe ich Ihnen ja von Anfang an immer gesagt, aber Sie wollten mir ja wieder mal nicht glauben.« »Diesmal braucht Mr. Corbett nicht im Austausch auf freien Fuß gesetzt zu werden, Mylady.« Parker ging auf die Behauptung seiner Herrin nicht ein. »Ich werde ihn später verhören«, sagte sie grimmig. »Versuchen Sie nicht, mich daran zu hindern, Mister Parker!« »Mylady können mit meiner Mitarbeit rechnen!« »Mir kommt da gerade eine Idee.« Lady Simpson hatte ihren Ärger über Parkers Erfolg bereits vergessen. Jetzt funkelten ihre Augen sehr unternehmungslustig. »Auge um Auge, Zahn um Zahn! Sie kennen diesen Spruch?« »In der Tat, Mylady, aber man sollte ihn vielleicht nicht zu wörtlich nehmen.« »Papperlapapp, Mister Parker!« Sie winkte ungeduldig ab. »Wie hat man denn Miß Porter behandelt? Wie hat man Laxham, Russel und Cordam mitgespielt?« »Mylady schweben eine zahntechnische Befragung vor?« »Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker. Jetzt werde ich verschiedene Nerven anbohren!«
»Leider verfügt das Haus nicht über diese technischen Einrichtungen, Mylady.« »Und? Dann werden Sie eben dafür sorgen, daß das nachgeholt wird. Lassen Sie sich schnell etwas einfallen, Mister Parker! Ich brauche alles, was für eine Zahnbehandlung notwendig ist.« »Mylady könnte man später wegen Körperverletzung und Foltern anklagen«, erwiderte Parker zurückhaltend. »Unsinn, Mister Parker!« Sie reagierte unwillig. »Ich möchte ja nur ein klein wenig bohren.« »Am Tatbestand würde sich nichts ändern, Mylady.« »Gut, gut, aber haben Sie einen besseren Vorschlag?« »Wenn Mylady gestatten, werde ich mir entsprechende Gedanken machen.« »Die natürlich wieder mal völlig harmlos ausfallen werden. Man kennt das ja. Sie scheinen in letzter Zeit mit dem Gesetzbuch unter dem Arm herumzulaufen.« »Mylady sind mit meiner bescheidenen Wenigkeit unzufrieden?« erkundigte sich Parker. »Besorgen Sie mir eine Zahnarztpraxis«, verlangte die ältere Dame noch mal, ohne Parkers Frage zu beantworten. »Ich möchte diesen Fall endlich abschließen und mich wieder meinem Buch widmen.« Sie schaltete das hauseigene Fernsehen ein und beobachtete die vier jungen Männer, die in einem separaten Raum untergebracht waren. Sie machten inzwischen wieder einen recht munteren Eindruck und belegten einen gewissen Corbett mit drastischen Schimpfwörtern. Sie machten ihn für ihr Debakel voll verantwortlich. Corbett bekam das alles nicht mit. Er war in einem anderen, kleineren Raum untergebracht und lag auf einem schmalen Feldbett. Auch er war wach, stierte zur
Decke und haderte offensichtlich mit seinem Schicksal. *** »Mylady, es ist eine Ehre für mich«, sagte Dr. Kenson, übersprudelnd vor Herzlichkeit. »Wo drückt Sie der Schuh, ich meine natürlich, welcher Zahn schmerzt?« Dr. Kenson, der Zahnarzt von Richard Russel, war sich durchaus bewußt, wer Lady Agatha Simpson war. Der hohe Rang ihrer gesellschaftlichen Stellung konnte für ihn so etwas wie eine wichtige Aufwertung bedeuten, die auch geschäftlich zu Buche schlug. »Ich brauche Ihre Hilfe, Doktor«, erwiderte die resolute Dame und schaute sich in Dr. Kensons Praxis um, die modern eingerichtet war. »Ich werde Sie schmerzfrei behandeln, Mylady, das ist etwas, worauf ich besonders stolz bin. Wenn Sie hier bitte Platz nehmen wollen?« »Ich soll mich auf diesen Marterstuhl setzen?« Agatha Simpson sah den Zahnarzt fast empört an. »Es müßte schon sein, Mylady.« Der untersetzte, agile Mann war ein wenig irritiert. »Wie sollte ich Sie sonst behandeln können? Welche Beschwerden darf ich notieren?« »Keine, Doktor«, gab sie zurück. »Ich bin nicht wegen meiner Zähne gekommen. Noch nicht. Aber ich werde kommen, wenn es soweit ist.« »Keine Behandlung? Soll ich mir Ihre Zähne nicht wenigstens mal ansehen? Die meisten Menschen ahnen ja nicht, wie schlecht es um ihre Gebisse bestellt ist.« »Mylady benötigt eine, wenn ich es so ausdrücken darf, berufsinterne Auskunft«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Berufsintern?« Dr. Kenson Schluckte ein wenig und zog
ein sehr enttäuschtes Gesicht. »Mylady arbeitet an einem Kriminalfall«, erläuterte Parker weiter, während Lady Simpson sich jetzt das Bohrgestänge sehr interessiert betrachtete. »Mylady wird mit Sicherheit Ihre Hilfsbereitschaft allenthalben zu rühmen wissen.« »Kriminalfall?« Dr. Kenson schluckte erneut. »Ob ich da aber helfen kann?« »Mylady geht davon aus, daß es eine Art Standesorganisation der Zahnärzte gibt«, schickte Parker voraus. »Mylady wünscht einen Zahnarzt zu finden, dessen Vorname Lorne lautet.« »Lorne? Aber wie soll ich denn...?« »Mylady meint weiterhin, daß Sie mit Sicherheit über ein Verzeichnis Ihrer Herren Kollegen verfügen.« »Solch ein Verzeichnis gibt es natürlich. Soll dieser Kollege hier in London praktizieren?« »Das ist anzunehmen, Sir.« »Wenn Sie einen Moment warten würden, ja? Ich hole schnell mal das Verzeichnis.« Dr. Kenson war zur Mitarbeit bereit. Wie gesagt, er erhoffte sich von Lady Simpson für die Zukunft eine Menge an wohlwollender Mundreklame. Privatpatienten waren gesuchte Klienten, da der Gesundheitsdienst ja verstaatlicht war. Dr. Kenson kam schon wieder aus dem kleinen Nebenraum zurück und hielt ein dickes Adreßbuch in der Hand. »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich nach der Adresse suchen«, schlug Parker vor. »Darüber hinaus wünscht Mylady noch eine Aufstellung all jener Zahnärzte, die seit, sagen wir, einem Jahr aus irgendwelchen Gründen nicht mehr praktizieren.« »Ich weiß, Doktor, daß ich mich auf Sie verlassen kann«, schaltete Lady Agatha sich liebenswürdig ein. »Ihre Mitarbeit
bedeutet mir sehr viel. Ich werde sie nie vergessen.« »Sie ... Sie machen mich glücklich, Mylady.« »Ich werden Ihnen bei Gelegenheit meinen Butler vorbeischicken«, redete Agatha Simpson weiter. »Er klagt in jüngster Zeit über Zahnschmerzen.« »Wie schön«, freute sich Dr. Kenson und sah Parker sofort tatendurstig und abschätzend an. »Wenn ich vielleicht schon jetzt mal einen schnellen Blick auf Ihre Zähne werfen darf?« »Später, Sir, später«, gab Parker ungewöhnlich hastig zurück. »Ich werde mir erlauben, Sie rechtzeitig zu verständigen.« »Nutzen Sie doch die einmalige Gelegenheit, Mister Parker«, stichelte die Detektivin genußvoll. »Oder haben Sie etwa Angst?« »In der Tat, Mylady«, gestand Josuah Parker. »Jeder Mensch hat seinen schwachen Punkt, wenn ich es so umschreiben darf.« »Angst vor einem Zahnarzt? Das hätte ich Ihnen aber nicht zugetraut, Mister Parker.« »Mylady sehen mich beschämt.« »Sie kommen mir auf einmal direkt menschlich vor«, stellte die ältere Dame ironisch fest, um dann aber gleich vorwurfsvoll den Kopf zu schütteln. »Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel: Wenn es mal sein müßte, würde ich ohne jedes Zögern zu Dr. Kenson gehen und mich ihm anvertrauen.« Worauf der Zahnarzt fest entschlossen war, für die bezaubernde ältere Dame alle erforderlichen Informationen zu sammeln. ***
Die vier jungen Männer horchten überrascht auf, als sich plötzlich ein unsichtbar eingebauter Lautsprecher meldete und ihnen eine Übertragung lieferte, die ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sie erkannten die Stimme von Butler Parker, der sich auf sehr einseitige Art und Weise mit Herbert F. Corbett unterhielt. » ... werden Sie nicht anders behandelt werden, wie zum Beispiel die Herren Laxham, Russel und Cordam, Mister Corbett. Sie können sich also auf keinen Fall beklagen.« Corbetts Antwort war nicht zu verstehen, sie bestand aus einem dumpfen Ächzen. »Richtig, ich vergaß, daß Sie bereits die Kiefernsperre eingelegt bekamen«, entschuldigte Parker sich höflich. »Nun, wenn Sie etwas Essentielles zu sagen haben sollten, dann heben Sie möglichst umgehend die linke oder auch rechte Hand, damit man sich verständigen kann. Sie wissen, was Mylady in Erfahrung bringen will, nicht wahr? Nun gut, dann also ans Werk.« Die vier jungen Männer wurden sichtlich kleiner, als nach einer winzig kurzen Pause das typische Geräusch eines zahnärztlichen Bohrers zu vernehmen war. Dieses Geräusch klang in den Ohren der vier Hausgäste geradezu widerlich und verursachte ihnen Zahnschmerzen. Dieses Bohren schwoll an, wurde lauter und intensiver und ging schließlich in schleifendes Kreischen über. Die vier jungen Gangster hielten sich die Ohren zu, doch sie hörten dennoch, was mit Corbett angestellt wurde. Trotz der Kiefernsperre produzierte Corbett ein Geheul, das förmlich durch die schweren Betonwände des Kellerraums drang. Der Mann reagierte wie ein gequälter Hund. »Hatten Sie die Hand erhoben?« fragte Parker plötzlich. Das Bohren klang für einen Moment etwas schwächer. »Sie wollen mir etwas über Ihren Hintermann sagen? Nein? Entschuldigen
Sie, dann muß ich mich getäuscht haben.« Die vier jungen Männer rissen erneut die Hände hoch, stopften sich die Fingerspitzen in die Gehörgänge und mußten dennoch zuhören, wie Josuah Parker diverse Zahnnerven behandelte. Corbetts Stöhnen lieferte eine eigenartige Hintergrundmusik dazu. »Das ist doch nicht alles«, war dann die grollende Stimme der Lady zu vernehmen. »Sie machen das ja viel zu vorsichtig, Mister Parker. Jetzt werde ich mal die Behandlung übernehmen und mich einstimmen. Wir haben immerhin noch vier weitere Subjekte zu behandeln.« Was jetzt folgte, war die akustische Hölle. Die vier jungen Gangster sahen alles genau vor sich. Die füllige Lady mußte jetzt den Bohrer in der Hand haben. Und sie arbeitete sehr ungeniert damit. Das Kreischen des Bohrkopfes und Corbetts Reaktion füllten den ganzen Keller. »Mylady, Mr. Corbett scheint sich gemeldet zu haben«, rief Parker nach einigen Sekunden. »Mylady, Mr. Corbett wünscht offensichtlich etwas zu sagen.« »Schnickschnack«, gab sie zurück, laut und widerwillig. »Unterbrechen Sie mich jetzt nicht, Mister Parker, ich habe diesen Nerv gerade im Griff. So leicht geht das!« Corbett heulte wie ein mondsüchtiger Coyote. Die vier jungen Gangster standen inzwischen vor der schweren Kellertür und hämmerten mit ihren Fäusten wie verrückt auf sie ein. Sie wollten möglichst schnell freigelassen werden, denn sie hatten laut und deutlich mitbekommen, was ihnen noch bevorstand. »Jetzt scheint er wirklich gewinkt zu haben«, stellte die Stimme der älteren Dame plötzlich zufrieden fest. »Mister Parker, dieses Subjekt scheint reden zu wollen. Geben wir ihm eine Chance.«
Die vier jungen Gangster hatten von der Tür abgelassen und horchten zur Decke hoch, von wo aus diese Übertragung kam. Sie hörten ein ächzendes Wimmern, dann so etwas wie eine menschliche Stimme, die aber sehr verzerrt klang und dann ein Knacken, womit die Sendung ihr Ende fand. Schweißnaß vor innerer Anspannung und Nervosität ließen die vier Männer sich auf den Feldbetten nieder und stierten zu Boden. Sie warteten darauf, zur Wurzelbehandlung abgeholt zu werden und wußten, daß es davor kein Entrinnen gab. *** »Waren Mylady mit der akustischen Aufbereitung zufrieden?« erkundigte Josuah Parker sich höflich bei seiner Herrin. Sie befand sich im Salon ihres Stadthauses und saß in einem bequemen Sessel vor dem Fernsehgerät. »Ansprechend«, räumte sie widerwillig ein. »Diese vier jungen Subjekte dürften dicht vor einem Nervenzusammenbruch stehen.« Parker beugte sich ein wenig vor und schaute sich das Fernsehbild an. Auf dem Bildschirm waren die vier jungen Gangster zu erkennen, die dumpf auf das warteten, was die Übertragung ihnen angekündigt hatte. »Wechseln Sie doch mal auf Corbett über«, sagte Lady Simpson. »Eben noch hockte er in einer Ecke seines Zimmers.« Parker betätigte eine Stationstaste, und auf dem Bildschirm war jetzt der kleinere Kellerraum zu sehen, in dem man Herbert F. Corbett untergebracht hatte. Corbett lag der Länge nach auf seinem Feldbett und hielt sich die Ohren zu, obwohl es längst nichts mehr zu hören gab. Er schien darüber hinaus noch ein wenig zu schluchzen, denn seine Schultern bebten fast im Takt.
Parker hatte für Corbett ein Sondertonband zurechtgeschnitten und es ihm zugespielt. Corbett mußte der festen Ansicht sein, daß einer seiner vier Mitarbeiter zahntechnisch behandelt worden war. »Mr. Corbett macht einen recht mitgenommenen Eindruck«, stellte Parker fest. »Sagen Sie, Mister Parker, woher stammen eigentlich diese scheußlichen Bohrgeräusche?« wollte die ältere Dame jetzt wissen. »Ich war so frei, einen Schlagbohrer aus meinem privaten Labor zu verwenden«, gab Parker gemessen zurück. »Die Zusatzgeräusche stammen aus meinem Tonarchiv, Mylady. Ich verwandte die Geräusche einer Coyotenfamilie bei Nacht, verdoppelte allerdings die Bandgeschwindigkeit beim Einmischen.« »Ich denke, ich werde mich jetzt tatsächlich mit Corbett befassen«, sagte Lady Simpson und erhob sich. »Oder sollte man ihn noch mal beschallen?« »Dies, Mylady, wird mit Sicherheit nicht mehr notwendig sein«, versicherte Parker ihr. »Falls Mr. Corbett etwas auszusagen hat, wird er mit Freuden reden.« *** »Und hat er eine Aussage machen können, Mylady?« erkundigte Kathy Porter sich eine halbe Stunde später, als Lady Simpson und Butler Parker wieder oben im Erdgeschoß erschienen, wo Kathy Telefonwache gehalten hatte. »Entweder hat er überhaupt keine Nerven, Kindchen, oder er wußte tatsächlich nichts«, gab Agatha Simpson gereizt zurück. »Er weiß angeblich nicht, wie sein Hintermann heißt, für den er das Geld kassiert hat.«
»Und wie gab er es an diesen Lorne weiter, Mylady?« stellte Kathy Porter die nächste Frage. »Es wurde in seinem Büro abgeholt, Kindchen. Das behauptet er wenigstens.« »Und Corbett hat nie versucht herauszufinden, wer dieser Zahnarzt oder Hintermann war?« staunte Kathy Porter. »Das kann ich mir einfach nicht vorstellen, Mylady.« »Er wollte es versuchen, Miß Porter«, schaltete Butler Parker sich ein. »Corbett räumte das sofort ein, doch er wollte diesen Hintermann erst mal in Sicherheit wiegen.« »Dann arbeitet er noch nicht lange für diesen Zahnarzt?« . »In der Tat, Miß Porter!« Parker nickte andeutungsweise. »Laut Mr. Corbett wurden bisher erst zehn sogenannte Patienten behandelt. Ich neige dazu, Mr. Corbett Glauben zu schenken.« »Zudem tauchte dieser Zahnarzt immer erst dann in Corbetts Büroräumen auf, wenn dieses Subjekt das Haus verlassen hatte und sich von irgendeinem weit entfernten Punkt telefonisch gemeldet hatte. Ja, ich weiß schon, Kindchen, was Sie jetzt wieder fragen wollen: Welche Telefonnummer er anzurufen hatte, nicht wahr?« »Das wollte ich tatsächlich fragen, Mylady.« »Diese Nummer wechselte von Fall zu Fall, Kindchen. Sie sehen, dieser Zahnarzt ist sehr vorsichtig.« »Und muß über einen Vertrauten verfügen«, warf Josuah Parker ein. »Mr. Corbett konnte aussagen, daß seine Anrufe stets von einer Frau entgegengenommen wurden. Sie informierte dann wohl diesen Zahnarzt, der dann ins Büro ging und den Geldkoffer abholte.« »Dann wissen die vier anderen Gangster mit Sicherheit nichts«, sagte Kathy Porter. »Richtig, Kindchen«, warf Lady Agatha grimmig ein. »Sie
kennen nur Corbett, der sie irgendwo im Osten der Stadt engagiert hat. Das ist der Stand der Dinge. Wir sind nicht einen einzigen Schritt weitergekommen.« »Noch eine Frage, Mylady«, bat Kathy lächelnd. »Nur heraus damit, Kindchen.« Sie nickte zustimmend. »Haben wir es wirklich mit einem Zahnarzt zu tun?« »Davon ist Corbett fest überzeugt. Das würde er sogar beschwören. Sein Hintermann muß ein Zahnarzt sein.« »Dann gibt es leider sehr viele Möglichkeiten«, seufzte Kathy Porter auf. »Das ist es ja, was mich so ärgert«, antwortete Lady Simpson und war schon wieder gereizt. »Wo soll man da mit der Suche beginnen? Eine Stecknadel im Heuhaufen ist schneller zu finden.« »Aber irgendwer muß mich doch in die Praxis des Sadisten gebracht haben«, meldete Kathy sich wieder zu Wort. »War es Corbett? Waren es die jungen Männer, die mich erwischten?« »Auch diese Frage ist geklärt, Kindchen«. Lady Simpson hob ratlos die Schultern. »Nachdem man Sie außer Gefecht gesetzt hatte, ließ man Sie in einem sonst leeren Wagen zurück, der dann später abgeholt wurde.« »Mit Sicherheit von dem oder der Vertrauten des Zahnarztes, um bei dieser Bezeichnung zu bleiben«, fügte Josuah Parker hinzu. »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit haben alle Möglichkeiten in Betracht gezogen, wie ich versichern darf. Auf ähnliche Weise schaffte man sie auch wieder aus der Praxis.« »Dann weiß ich mir keinen Rat mehr«, gestand Kathy Porter hilflos ein. »Mir geht es kaum anders, Kindchen.« Lady Simpson sah Butler Parker grollend an. »Von Ihnen ist im Augenblick wohl
auch nichts zu erwarten, wie?« »Wenn Mylady gestatten, werde ich ein wenig nachdenken«, gab Josuah Parker zurück. Er wollte noch eine der üblichen Floskeln hinzufügen, als das Telefon sich meldete. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein«, sagte Agatha Simpson. »Hoffentlich ist es Dr. Kenson.« Es war Dr. Kenson, und seine Stimme vibrierte vor Freude und Diensteifer, als er mit der älteren Dame reden durfte. »Ich habe sechs Kollegen gefunden, die mit Vornamen Lorne heißen«, meldete er. »Und dann gibt es noch zwei ehemalige Kollegen, Mylady, deren Vornamen ebenfalls auf Lorne lauten. Einer hat eine Praxis aus Altersgründen geschlossen, der zweite wurde aus unserer Standesorganisation ausgeschlossen und darf nicht mehr praktizieren.« »Und warum nicht?« »Er fälschte Abrechnungen, Mylady, ein mehr als seltener Fall.« »Wie heißt dieser Mann?« Mylady vibrierte vor Tatendrang. »Es handelt sich um einen gewissen Lorne Broadwick, Mylady. Warten Sie bitte einen Moment, hier wäre seine Adresse.« *** Lorne Broadwick war ein untersetzter, rundlicher Mann, der etwa an die fünfzig Jahre alt sein mochte. Er wohnte in einem recht ansehnlich aussehenden Haus im Stadtteil Chelsea und machte auf keinen Fall einen deprimierten oder nervösen Eindruck. Als er die Tür öffnete und sich Lady Simpson, Kathy Porter und Butler Parker gegenübersah, lächelte er und schüttelte den Kopf. »Wenn Sie eine Zahnbehandlung wünschen, sind Sie an der
falschen Adresse«, meinte er. »Ich prozessiere gerade wegen meiner Zulassung, darf im Moment nicht behandeln.« »Wir möchten nur liebe Grüße überbringen«, sagte die ältere Dame und gab sich freundlich. »Mr. Corbett bat mich, bei Ihnen vorbeizusehen.« »Wer, bitte, ist Mr. Corbett?« fragte Lorne Broadwick interessiert. »Sie sollten ihn aber kennen«, grollte Lady Simpson schon wieder verärgert »Merken Sie nicht, daß Ihr Spiel aus ist, junger Mann?« »Bitte, welches Spiel?« wollte Lorne Broadwick wissen. »Aber kommen Sie doch herein, ich habe ohnehin interessanten Besuch.« Sie folgten ihm ins Haus, und Lady Simpson sah Kathy Porter fragend an. »Von der Statur her könnte er es durchaus sein«, flüsterte Kathy Porter. »Das ist leider zu wenig, Kindchen. Aber wir werden uns noch sein Behandlungszimmer ansehen, verlassen Sie sich darauf!« Sekunden später war die ältere Dame mehr als verblüfft. Sie sah sich nämlich einem gewissen Chief-Superintendent McWarden gegenüber, der seinerseits verblüfft zurückschaute. »Die Herrschaften kennen sich?« fragte Zahnarzt Broadwick vergnügt. »Dann brauche ich ja wohl nicht vorzustellen, wie?« »Wie kommen Sie denn hierher?« fuhr Agatha Simpson den Chief-Superintendent an. »Diese Frage wollte ich gerade Ihnen stellen, Mylady«, gab McWarden zurück. »Sie wollen also auch herausfinden, ob ich kriminell tätig bin?« Broadwick lachte vergnügt, auf. »Der ChiefSuperintendent stellte recht eigenartige Fragen.«
»Ich habe Ihnen noch nicht mal andeutungsweise irgendwelche Ungesetzlichkeiten unterstellt«, meinte McWarden hastig. Er war schließlich an seine Dienstvorschriften gebunden. »Natürlich nicht, Chief-Superintendent«, beruhigte Broadwick sein Gegenüber. »Keine Sorge, ich werde keine Beschwerde gegen Sie einreichen oder gar Schadenersatzforderungen stellen.« »Kommen wir auf Corbett zurück«, sagte Lady Simpson streng zu Broadwick. »Er wurde von mir zahntechnisch behandelt, um es genau zu sagen. Daraufhin beeilte er sich, mir Ihren Namen zu nennen.« »Wie schön von diesem Mr. Corbett!« Broadwick war überhaupt nicht zu beeindrucken. »Corbett hatte längst herausgefunden, an wen er die nicht gerade kleinen Summen zahlte.« »Wenn ich das alles richtig begreife, halten Sie mich für einen Kriminellen?« erkundigte der Zahnarzt sich rundheraus. • »Das hat Mylady nicht gesagt«, schaltete Parker sich schnell ein. »Selbst wenn, ich hätte nichts gehört«, erklärte Broadwick vergnügt. »Sie wollen sich natürlich auch mal meine ehemaligen Praxisräume ansehen, nicht wahr?« »Mylady würde das sehr schätzen«, antwortete Parker gemessen. »Schön, ich werde einen Rundgang veranstalten«, sagte Broadwick. »Hoffentlich kommen Sie auf Ihre Kosten.« Er ging voraus und führte seine Gäste in die jetzt stillgelegte Praxis, die modern eingerichtet war. Die beiden Behandlungsstühle waren abgedeckt, ebenso die Instrumentenschränke und Glaskonsolen. »Nun?« Lady Simpson sah Kathy Porter erneut fragend an.
»Ja und nein«, erwiderte Kathy unsicher. »Festlegen, Mylady, kann ich mich wirklich nicht.« *** »Nun, McWarden, was halten Sie von diesem vergnügten Zahnarzt?« fragte Lady Simpson eine halbe Stunde später, als man das Haus gerade verlassen hatte. »Nachzuweisen ist diesem Mann überhaupt nichts«, räumte McWarden ein. »Und was sagen Sie, Mister Parker?« Sie wandte sich an ihren Butler. »Mr. Broadwicks Heiterkeit könnte aus einer gewissen Sicherheit heraus kommen, Mylady.« »Solch eine Antwort habe ich erwartet«, sagte Lady Simpson abfällig. »Nur nicht festlegen, wie?« »Man tut einem Menschen leicht unrecht, Mylady, um es mal so auszudrücken.« »Für mich ist es der Mann, den wir suchen«, meinte die Detektivin mit Nachdruck. »Ich zweifle keinen Moment daran. Er amüsiert sich doch über uns, haben Sie das nicht mitbekommen? Er weiß genau, daß wir ihm nichts anhaben können, aber da soll er sich getäuscht haben.« »Sie glauben, ihn überführen zu können?« schnappte McWarden sofort zu. »Irgendwie schon«, antwortete die ältere Dame, ohne sich auf Einzelheiten festzulegen. »An wem bleibt wieder mal alles hängen? An mir!« »Und wie wollen Sie das schaffen, Mylady?« bohrte McWarden weiter. »Lassen Sie sich gefälligst überraschen, McWarden«, gab Lady Agatha zurück. »Nur nicht ungeduldig werden. Auch diesen Fall werde ich Ihnen wieder mal gelöst auf den Tisch
legen.« Um weiteren Fragen zu entgehen, marschierte die ältere Dame stramm auf Parkers hochbeiniges Monstrum zu, mit dem man gekommen war. »Das war doch wohl ein Bluff, oder?« fragte McWarden und sah Butler Parker fragend-zweifelnd an. »Mylady sollte man niemals unterschätzen«, gab Parker zurück. »In diesem Fall glaube ich allerdings, daß man mit dem oft zitierten und sprichwörtlichen Latein am Ende sein dürfte. Der Täter hat sich ungewöhnlich gut abgesichert.« »Ich werde diesen Broadwick Tag und Nacht beschatten lassen«, sagte Chief-Superintendent McWarden wütend. »Irgendwann wird dieser Mann sich eine Blöße geben.« »Falls er überhaupt weiterarbeitet«, meinte Kathy Porter beiläufig. »Donnerwetter«, erregte McWarden sich umgehend. »Es wäre ja eine Katastrophe, wenn er jetzt Schluß machen würde. Das darf er mir nicht antun.« »Das will ich aber auch meinen!« Agatha Simpson pflichtete McWarden bei, was mehr als ungewöhnlich war. Er zuckte förmlich zusammen und sah die ältere Dame irritiert an. Sie war ebenfalls überrascht, schaute zurück und räusperte sich. »Sie sprachen eben von Corbett«, meinte McWarden und wechselte das Thema. »Habe ich das so richtig verstanden, daß Corbett Ihr Gast ist, Mylady?« »Ist er unser Gast?« fragte Lady Simpson und wandte sich an Parker. Sie wußte im Augenblick nicht, wie sie sich verhalten sollte. »Zusammen mit vier anderen Herren«, bestätigte Parker, der die Gangster nicht länger brauchte, um an Informationen zu gelangen. »Und die sind so einfach zu Ihnen ins Haus gekommen,
Mylady?« McWarden sah Lady Agatha eindringlich an. »Ich war nicht dabei«, gab sie ausweichend zurück. »Wenden Sie sich an Mister Parker, der weiß da besser Bescheid als ich.« »Sie versuchten, meine bescheidene Wenigkeit zu überfallen und offensichtlich zu entführen«, erklärte Parker gemessen. »Dank glücklicher Umstände war es mir vergönnt, diese Herren außer Gefecht zu setzen und sie vorsorglich in Privathaft zu nehmen. Sie stehen jetzt selbstverständlich zu Ihrer Verfügung, Sir.« »Wie großzügig«, antwortete McWarden süßsauer. »Dann komme ich doch gleich mit nach Shepherd's Market und lasse sie abholen.« »Geht das?« Lady Simpson warf ihrem Butter einen schnellen Blick zu. Um die Gangster aus dem Tiefkeller herauszuholen, mußten sie erst ein wenig eingeschläfert werden, denn sie sollten auf keinen Fall herausfinden, wo sie sich befunden hatten und wie man sie wieder herauf ans Tageslicht geholt hatte. »Es wird alles zu Myladys Zufriedenheit geregelt werden«, versprach Josuah Parker. »Nun übertreiben Sie nicht gleich wieder«, grollte sie umgehend zurück. »Was scheren mich diese Randfiguren, Mister Parker? Ich möchte endlich diesem Zahnarzt gegenüberstehen.« Sie konnte wirklich nicht ahnen, daß dies schon sehr bald geschehen würde. *** Es war bereits dunkel geworden, als Lady Simpson ihr Haus verließ und zum parkenden Land-Rover hinübereilte. Sie trug
das übliche, viel zu weite Tweed-Kostüm, derbe Schuhe und einen Hut, der eine witzige Kreuzung aus Marine-Südwester und Topfhut darstellte. An ihrem linken Handgelenk pendelte unternehmungslustig der perlenbestickte Pompadour. Mylady befanden sich auf dem Kriegspfad. Sie hatte vor wenigen Minuten einen aufregend interessanten Telefonanruf erhalten. Dr. Kenson hatte sich gemeldet und geheimnisvoll getan. Er schien eine ungemein wichtige Entdeckung gemacht zu haben, was den geheimnisvollen Zahnarzt anbetraf. Leider hatte er schnell auflegen müssen, bevor Lady Simpson diesem Mann ein paar Fragen stellen konnte. Lady Agatha war nun auf dem Weg, Dr. Kenson sofort einen Besuch abzustatten. Dies geschah ohne Begleitung, da Butter Parker und Kathy Porter etwa eine halbe Stunde vor ihr das Haus verlassen hatten. Sie waren von einem Polizeifahrzeug zum Yard geholt worden, um dort Aussagen gegen die Randfiguren zu machen, wie Lady Simpson die vier jungen Gangster und Corbett bezeichnet hatte. Es war wieder mal beeindruckend, wie rasant die ältere Dame ihren Land-Rover bewegte. Der schwere Wagen schoß wie eine Rakete um die Rasen- und Blumenanlage vor dem Haus herum, wurde knapp vor der Einbiegung in die Durchgangsstraße scharf abgebremst, beschleunigte erneut wie ein Düsenjäger und fädelte sich in den nicht unbeträchtlichen Verkehr ein, was bei einigen anderen Autofahrern nervöse Zuckungen und Vollbremsungen auslöste. In Rekordzeit erreichte Lady Simpson die Praxis von Dr. Kenson, stieg aus und knallte die Wagentür nachhaltig hinter sich zu. Als sie auf das Haus zugehen wollte, sah sie sich plötzlich zwei Männern gegenüber, die keinen angenehmen Eindruck auf sie machten. Sie ließen Lady Simpson in die kleinen Öffnungen moderner
Schalldämpfer blicken. Der untersetzte, rundliche Mann lächelte wölfisch. »Zurück in den Wagen«, sagte er, »schnell, Mylady, oder ich drücke ab.« »Soll das ein Überfall sein?« erkundigte die Detektivin sich gereizt. »Soll, Mylady«, lautete die Antwort des jüngeren, anderen Mannes. »Los, oder ich ziehe durch!« »Ich weiche der Gewalt«, sagte Lady Agatha. «Sie wollen mich zu diesem Zahnarzt bringen, nicht wahr?« »Der Bohrer wartet bereits auf Sie, Mylady«, sagte der untersetzte Gangster und leckte sich die Lippen. »Wir werden sehr viel Freude miteinander haben.« »Aber Sie... Sie sind doch gar nicht Broadwick«, wunderte die ältere Dame sich, die jetzt einen total verwirrten Eindruck machte. »Wer ist Broadwick?« fragte der Untersetzte, während er die resolute Dame auf den Rücksitz des Land-Rovers schob. »Sie sind auf dem falschen Dampfer, Lady. Ich bin der Zahnarzt, den Sie suchen!« *** Die Dame vor dem Haupteingang zum Yard mochte etwa vierzig Jahre alt sein. Sie war schlank, mittelgroß und sah recht gut aus. Sie hatte sich eine modische Schultertasche umgehängt und sich so aufgebaut, daß sie eine bestimmte Fensterflucht einer bestimmten Etage gut überblicken konnte. Von Zeit zu Zeit holte sie gekonnt-verstohlen ein kleines Mikrofon aus der Handtasche und brachte es an ihren Mund. In Abständen von etwa zehn Minuten setzte sie eine Meldung ab, nach der sich ein gewisser Butter Parker und eine Miß Porter noch immer im
Yard befanden. Nach etwa dreißig Minuten verließ sie jedoch ihren Beobachtungsposten und ging zu einem parkenden Ford hinüber, vor dessen Steuer sie sich setzte. Sie durchquerte die City ohne jede Hast, ja, fast schon langsam, steuerte in Richtung Belgravia und hielt vor einem Haus mit einer weiten, einladenden Toreinfahrt. Sie stieg aus, durchschritt die Toreinfahrt und erreichte einen Hinterhof, der keineswegs eng und düster war. Ja, eine wahre Lichterflut erhellte jeden Winkel, eine Lichterflut, die aus den Ausstellungsräumen einer Firma drang, die mit zahntechnischen Geräten handelte. Die Vierzigjährige kannte sich hier bestens aus. Sie ging an den Auslagen vorüber, bog um die Ecke der vorgebauten Ausstellungsräume und hielt auf eine Tür zu, die in die hinteren Räume der Firma führte. Als sie aufgeschlossen hatte, blieb sie plötzlich wie erstarrt stehen. Eine Hand hatte sich auf ihre rechte Schulter gelegt. »Darf man sich Ihnen anschließen, Madam?« fragte dann eine ungemein höfliche und diskrete Stimme. Die Vierzigjährige brauchte Sekunden, bis sie sich endlich halb umwenden konnte. Ihre Glieder schienen mit Blei ausgegossen worden zu sein. »Parker?« fragte sie dann gedehnt. »In der Tat, Madam«, erwiderte der Butter und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Sie werden gewiß verzeihen, daß man Sie ein wenig täuschte.« »Sie... Sie...« Die Vierzigjährige konnte nur noch fassungslos stottern. »Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit befanden sich durchaus im Yard«, antwortete Parker, der die Fortsetzung der Frage durchaus richtig zu deuten verstand. »Aus Gründen der Sicherheit aber verließen wir ihn sofort wieder und hielten nach Ihnen Ausschau.«
»Nach mir?« Die Frau hatte sich inzwischen wieder gefangen und fragte blitzschnell und hellwach. »Ich erlaubte mir, davon auszugehen, Madam, daß man Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit überwachen würde«, redete Parker höflich weiter. »Es war nicht sonderlich schwer, Sie vor dem Zentralzugang zum Yard ausfindig zu machen. Erfreulicherweise reagierten Sie genau so, wie ich es mir wünschte. Sie verschafften Ihrem Partner die notwendige Sicherheit, sich Lady Simpsons zu bemächtigen, nicht wahr?« Die Vierzigjährige starrte Parker an, sagte aber nichts. »Ihr Partner zwang Dr. Kenson, Lady Simpson anzurufen und so in die Falle zu locken«, sagte Butler Parker. »Sie hingegen, Madam, waren so entgegenkommend, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit zur Praxis Ihres Partners zu bringen.« Die Vierzigjährige holte tief Luft und wollte dann mit Sicherheit einen spitzen Schrei ausstoßen, doch dazu kam es nicht mehr. Bevor die Stimmbänder schwingen konnten» hatte Kathy Porter bereits reagiert. Sie stand hinter der Vierzigjährigen und... klebte ihr blitzschnell ein breites Pflaster über den Mund. »Erlösen wir Lady Simpson von der Pein«, schlug Parker dann vor. »Sie dürfte mit einiger Sicherheit bereits sehnsüchtig darauf warten, befreit zu werden.« *** Die resolute Dame saß festgeschnallt auf dem Behandlungsstuhl und maß die beiden Männer mit grimmigen Blicken. Der untersetzte, rundliche Mann war bereit, Mylady zahntechnisch zu behandeln. Er hielt bereits einen Bohrer in
der Hand und lächelte sein hilfloses Opfer hintergründig an. »Mein Assistent wird Ihnen gleich eine Mundsperre setzen«, sagte er. »So läßt es sich einfacher arbeiten. Bei Ihnen habe ich nämlich das Gefühl, daß Sie zubeißen könnten.« »Sagen Sie doch endlich, wieviel Sie verlangen?« erwiderte Lady Simpson mit belegter Stimme. »Sie werden jede gewünschte Summe bekommen.« »Später, Mylady, später«, antwortete der Mann, der sich als Zahnarzt betätigen wollte. »Sie selbst werden diese Summe dann bestimmen und sehr großzügig sein.« »Sind Sie überhaupt Zahnarzt?« fragte Agatha Simpson, um Zeit zu gewinnen. Sie fuhr zusammen, als der Bohrer eingeschaltet wurde und in immer höher werdenden Tonlagen sang. »Aber nein, Mylady«, lautete die Antwort. »Ich bin nur Verkäufer dieser netten Geräte, aber keine Sorge, ich kann damit ziemlich gut umgehen.« »Sie sind nur ein Verkäufer?« Nun klang die Stimme schon entrüsteter. »Ein schlecht bezahlter«, entgegnete der Mann. »Und darum bessere ich meine Einkünfte jetzt intensiv auf.« »Und warum haben Sie mich ohne jede Betäubung hierher gebracht? Was hat das zu bedeuten?« »Mit Ihnen, Mylady, endet meine private Praxis«, erklärte der Mann. »Der Boden wird mir allmählich doch zu heiß« Sie werde ich noch behandeln, dann fahren ich und meine beiden Partner in eine Gegend, wo wir vielleicht eine neue Praxis eröffnen werden. Mann kann nie vorsichtig genug sein.« »Dem möchte ich voll und ganz beipflichten«, ließ sich in diesem Augenblick die Stimme des Butlers vernehmen. Er stand in der Tür zu dem Ausstellungsraum und hielt eine kurzläufige Schußwaffe in der Hand. »Nach der landläufigen
Volksmeinung geht der Krug so lange zum Brunnen, bis er bricht. Sie sind hoffentlich damit einverstanden, daß nun ein gewisser Szenenwechsel vorgenommen wird, ja?« *** Miß Porter und Josuah Parker hatten das Souterrain der Ausstellungsräume verlassen, in dem sich unter anderem auch die Musterpraxis befand, in der Lady Simpson hatte behandelt werden sollen. »Man hört überhaupt nichts«, sagte Kathy Porter. »Die Musterpraxis ist schalldicht angelegt worden«, erwiderte Josuah Parker. »Glauben Sie wirklich, Mister Parker, daß Mylady ihre Drohungen wahr macht?« »Dieser Frage möchte ich nicht nachgehen«, gab Parker gemessen zurück und zog seine unförmige Taschenuhr aus der Weste. »Mylady nimmt sich auf jeden Fall recht viel Zeit.« »Sie war sehr gereizt, nicht wahr?« »Verständlicherweise«, räumte Parker ein. »Man sollte aber darauf setzen, daß Mylady recht geschickt ist.« »Sagten Sie eben, die Musterpraxis ist schalldicht?« fragte Kathy Porter und fuhr zusammen. »War das nicht gerade ein Schrei?« »Möglicherweise, Miß Porter«, entgegnete Parker. »Mylady scheint einen Zahnnerv getroffen zu haben.« »Und noch einen«, sagte Kathy Porter und zog unwillkürlich den Kopf ein, als erneut ein Schrei zu vernehmen war »Sollte man das grausame Spiel nicht beenden, Mister Parker?« »Durchaus, Miß Porter«, pflichtete der Butler seiner Begleiterin bei. »Aber man soll natürlich auch nichts überstürzen. Das Ziehen von Zähnen und das Anfertigen neuer
Kronen und Brücken braucht seine Zeit, wie ich mir vorstellen könnte.« »Nein, das traue ich Mylady nicht zu«, meinte Kathy Porter und hielt sich erneut die Ohren zu, als wieder ein greller Schrei zu hören war. »Auch meiner bescheidenen Wenigkeit liegt es fern, Mylady so etwas zu unterstellen«, antwortete Josuah Parker. »Ich möchte davon ausgehen, Miß Porter, daß Mylady nur bluffte, doch ich kann mich natürlich auch gründlich irren. Bemerkenswert ist der Mut, mit dem Mylady sich als Opfer und Köder zugleich anbot. Mylady war klar, was Mylady unter Umständen erwartet.« »Diesen Mut hätte ich nie aufgebracht«, gestand Kathy Porter und schüttelte sich. »Dies trifft auch für meine bescheidene Person zu«, erwiderte der Butler. »Ich bin geradezu erleichtert, daß Mylady die Behandlung der drei Gangster übernommen hat. Meine an sich schwachen Nerven würden das niemals zulassen.« Parker warf einen weiteren Blick auf seine Taschenuhr und setzte sich in Bewegung. »Ich halte es für angebracht«, schloß er, »Mr. McWarden zu verständigen, der gewiß schon ungeduldig warten wird. Bis dahin sollte man Mylady aber keineswegs stören.« Butler Parker setzte sich sehr langsam in Bewegung, um hinauf zu seinem Wagen zu gehen. Er schien ungemein viel Zeit zu haben. ENDE
Nächste Woche erscheint Butler Parker AUSLESE Band 179 Günter Dönges PARKER »checkt« den Schleudersitz Butler Parker-Auslese erscheint wöchentlich im Zauberkreis Vertag, Abteilung der Erich Pabel Verlag GmbH, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-Moewig, Pabelhaus, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 11. Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Rornanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: PressegroBvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskripteinsendungen wird keine Gewähr übernommen. Einzelheft-Nachbestellungen sind zu richten an: PV Buchversand, Postfach 51 03 31,7500 Karlsruhe 51. Lieferung erfolgt bei Vorauskasse zzgl. DM 3,50 Porto- und Verpackungskostenanteil auf Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 85 234-751 oder per Nachnahme zum Verkaufspreis zzgl. Porto- und Verpackungskostenanteil. Ab DM 40,- Bestellwert erfolgt Lieferung porto- und verpak-kungskostenfrei. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Pabel Verlag GmbH, Postfach 2352, 7550 Rastatt. Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr. Printed in Germany. Oktober 1987