Birgit Becker · David Reimer (Hrsg.) Vom Kindergarten bis zur Hochschule
Birgit Becker David Reimer (Hrsg.)
Vom Kindergarten bis zur Hochschule Die Generierung von ethnischen und sozialen Disparitäten in der Bildungsbiographie
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1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16224-9
Inhalt
Birgit Becker und David Reimer Etappen in der Bildungsbiographie. Wann und wie entsteht Ungleichheit? ..... 7
Beginn des Kindergartens und Übergang in die Grundschule Birgit Becker Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion: Die Wahl von unterschiedlich stark segregierten Kindergärten in deutschen und türkischen Familien ......................................................................................... 17 Nicole Biedinger und Birgit Becker Frühe ethnische Bildungsungleichheit: Der Einfluss des Kindergartenbesuchs auf die deutsche Sprachfähigkeit und die allgemeine Entwicklung .................................................................................................... 49
Übergang in die Sekundarstufe Volker Stocké Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder: Kompetenzvorsprung oder statistische Diskriminierung durch Lehrkräfte? ... 81 Cornelia Kristen und Jörg Dollmann Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft: Kinder aus türkischen Familien am ersten Bildungsübergang ......................................................................... 117
Schulformwechsel in der Sekundarstufe Marita Jacob und Nicole Tieben Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen? Soziale Selektivität bei Schulformwechseln und nachgeholten Schulabschlüssen ........................................................................................... 145
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Inhalt
Übergang in die Ausbildung und die Hochschule Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an! Soziale Ressourcen und die Bildungsaspirationen der Mütter von Haupt-, Real- und Gesamtschülern in Deutschland ................................................................................................... 179 Christian Hunkler Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung und Erwerb von Ausbildungsabschlüssen ................................................................................ 213 David Reimer und Steffen Schindler Soziale Ungleichheit und differenzierte Ausbildungsentscheidungen beim Übergang zur Hochschule ............................................................................. 251
Nachholen von Bildungsabschlüssen Marita Jacob und Felix Weiss Soziale Selektivität beim Hochschulzugang – Veränderungen der Zugangssequenzen zur Hochschule im Kohortenvergleich ........................... 285
Vorstellung der Autorinnen und Autoren ...................................................... 313
Etappen in der Bildungsbiographie. Wann und wie entsteht Ungleichheit? Birgit Becker und David Reimer
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Entstehungsgeschichte dieses Buches*
Es gibt zahlreiche Bücher und Sammelbände, die sich mit Ungleichheit im deutschen Bildungssystem beschäftigen. Die meisten Beiträge zum Thema Bildungsungleichheit untersuchen dabei bestimmte kritische Übergänge, vor allem den Übergang nach der Grundschule in die Sekundarstufe, sowie die letztendlich erreichten Abschlüsse von Jugendlichen. Daneben werden auch Kompetenzunterschiede von Kindern und Jugendlichen analysiert, die PISA-Studien sind hierfür ein gutes Beispiel. Relativ selten wird hingegen der Versuch unternommen, die Bildungsbiographie mit ihren verschiedenen Etappen in ihrer Gesamtheit abzubilden. Daraus entstand die Idee zu einem Buch, das, beginnend bei der Wahl des Kindergartens bis hin zur Entscheidung für oder gegen ein Studium, die Entstehung von sozialer und ethnischer Ungleichheit untersucht. Dazu werden aktuelle Ergebnisse aus Forschungsprojekten am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) und der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim berichtet, die sich mit speziellen Fragestellungen der Bildungsforschung beschäftigen und zum Teil eigene Primärdaten für diese Zwecke erhoben haben. Die Projekte bieten einen detaillierten Einblick in die gesamte Bildungskarriere von Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen. Anders als lange wahrgenommen beginnt die Bildungskarriere eines Kindes nicht erst mit der Einschulung, sondern schon in der Vorschulzeit. Bereits die Entscheidung, ob bzw. wann ein Kind welchen Kindergarten besucht, stellt eine wichtige Bildungsentscheidung der Eltern dar. Diese frühen Selektionen entscheiden auch mit darüber, mit welchen Voraussetzungen Kinder die Schule beginnen. Auch in Bezug auf die weitere Bildungskarriere existieren noch deutliche Forschungslücken. Wenig beachtet sind bisher Bildungsverläufe, die nicht den geradewegs „typischen“ Verlauf nehmen. So sind etwa die Thema Schul*
Die Herausgeber danken dem Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung für die finanzielle Unterstützung dieses Buches. Zudem möchten wir uns bei Gerhard von Stockum und Sabine Döbbeling für die Hilfe bei den Formatierungsarbeiten bedanken.
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formwechsel, das spätere Nachholen von Bildungsabschlüssen oder Rückkehr in das Bildungssystem – beispielsweise nach einer Erwerbstätigkeit – bisher kaum erforscht. Auch andere Übergänge im deutschen Bildungssystem, die nicht dem klassischen „akademischen Pfad“ entsprechen, sowie der Übergang von der Sekundarstufe in das duale System der Berufsausbildung, wurden bisher nur unzureichend erforscht. Ein Beitrag dieses Buch ist es daher zu zeigen, inwiefern ethnische oder soziale Ungleichheit auch bei diesen bisher erst wenig untersuchten Etappen der Bildungsbiographie vorkommt und welche Mechanismen dafür verantwortlich sind. Aber auch bei den Etappen der Bildungsbiographie, die schon relativ viel untersucht wurden, gibt es noch Forschungsbedarf. Dies betrifft vor allem die Bildungsübergänge, wie etwa von der Grundschule in die Sekundarstufe oder den späteren Übergang in die Hochschule. Hier ist das Problem, dass zur Untersuchung dieser Übergänge häufig Querschnittsdaten verwendet wurden, die dem Untersuchungsgegenstand wenig angemessen sind. Für ein detailliertes Bild solcher Bildungsübergänge sind jedoch Längsschnittdaten notwendig, die sowohl den Leistungsstand und die familiäre Situation der Kinder vor dieser Entscheidung als auch die später tatsächlich getroffene Entscheidung beinhalten. Gerade für die Untersuchung von Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien fehlen bisher häufig geeignete Datensätze, die auch Kinder aus verschiedenen Migrantengruppen in ausreichender Fallzahl beinhalten. Auch in dieser Hinsicht möchte der vorliegende Band den Forschungsstand erweitern. Es werden Ergebnisse aus verschiedenen Forschungsprojekten vorgestellt, deren Daten meist speziell für Fragestellungen der Bildungsforschung erhoben wurden und daher eine adäquatere Basis für die Erklärung von sozialer und ethnischer Bildungsungleichheit bieten als die meisten Sekundärdatenquellen.
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Die Beiträge in diesem Band
Die Kapitel in diesem Buch sind chronologisch nach den Etappen in der Bildungsbiographie sortiert. Das erste Kapitel beginnt mit einer Analyse der Kindergartenwahl, denn diese stellt bereits eine frühe Bildungsentscheidung dar. Birgit Becker untersucht dabei vor allem Unterschiede im Entscheidungsverhalten von deutschen und türkischen Eltern. Mit den Daten aus dem Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“ geht die Autorin der Frage nach, ob sich die Kindergärten, die von deutschen und türkischstämmigen Kindern besucht werden, in Bezug auf bestimmte Merkmale (wie dem Migrantenanteil) systematisch unterscheiden. Es zeigt sich, dass die Kindergärten, die von Kindern mit türkischem Migrations-
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hintergrund besucht werden, im Durchschnitt einen wesentlich höheren Migrantenanteil aufweisen als diejenigen, die von deutschen Kindern besucht werden, auch wenn der Anteil ausländischer Kinder in der Wohnumgebung berücksichtigt wird. Zudem folgen türkische Familien stärker den in der Umgebung vorgefundenen Gegebenheiten als deutsche Familien. Als zentraler Bestimmungsfaktor für die Kindergartenwahl erweist sich die Informiertheit der Eltern zum Thema Kindergarten: Besser informierte Eltern wählen für ihre Kinder Einrichtungen mit einem niedrigeren Migrantenanteil als weniger gut informierte Eltern. Sind die Eltern in Bezug auf Öffnungszeiten und Wohnortnähe eingeschränkt, so wählen sie tendenziell stärker segregierte Kindergärten. Auch das soziale Kapital hat einen Einfluss auf die Kindergartenselektion: Bei deutschen Eltern führt das Vorhandensein von Vorbildern zum Kindergartenbesuch zur Wahl von geringer segregierten Einrichtungen, während bei den türkischen Eltern die ethnische Zusammensetzung ihres sozialen Netzwerks ausschlaggebend ist und ein höherer Anteil deutscher Freunde die Wahl eines Kindergartens mit geringerem Migrantenanteil begünstigt. Die Wirkungen des Kindergartenbesuchs werden im zweiten Kapitel behandelt. Nicole Biedinger und Birgit Becker untersuchen in diesem Beitrag, wie sich die Dauer des Kindergartenbesuchs sowie die soziale und ethnische Zusammensetzung der Kinder in den Einrichtungen auf die deutschen Sprachfähigkeiten sowie die allgemeine Entwicklung von Kindern auswirken. Dabei vergleichen sie deutsche Kinder mit Kindern, deren Eltern aus der Türkei bzw. der ehemaligen UdSSR stammen. Die Analysen werden mit Daten der Osnabrücker Schuleingangsuntersuchung der Jahrgänge 2000-2005 durchgeführt. Für alle Kinder wird festgestellt, dass sich eine längere Kindergartenbesuchsdauer positiv auf ihre allgemeine Entwicklung auswirkt. Für die beiden Migrantengruppen reduziert eine längere Kindergartenbesuchsdauer zudem die Wahrscheinlichkeit, dass bei ihnen Förderbedarf in der deutschen Sprache festgestellt wird. Für Kinder mit türkischem Migrationshintergrund ist hier jedoch vor allem der Kontext im Kindergarten entscheidend: Wenn sie Einrichtungen mit einem hohen Anteil an Kindern der eigenen ethnischen Gruppe besuchen, wirkt sich dies negativ auf ihre deutschen Sprachfähigkeiten aus. Für die allgemeine Entwicklung der Kinder ist dagegen die soziale Zusammensetzung entscheidender als die ethnische: Eine positivere soziale Komposition hat einen eigenständigen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder. Dieser Kontexteffekt zeigt sich bei allen ethnischen Gruppen. Insgesamt können die Autorinnen damit zeigen, dass sich der Kindergartenbesuch positiv auf verschiedene Kompetenzen der Kinder auswirkt, es jedoch auch auf die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen ankommt. Das dritte Kapitel von Volker Stocké untersucht Determinanten der Notenvergabe am Ende der Grundschulzeit. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt dabei
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auf der Rolle von schulbezogenem Sozialkapital. Es werden verschiedene Mechanismen untersucht, auf welche Art die Intensität des Kontakts zwischen Elternhaus und Schule die Notenvergabe der Lehrkräfte beeinflussen kann. Die Sozialkapitaltheorie prognostiziert dabei, dass sich das schulische Engagement der Eltern vermittelt über die Leistung und Motivation der Kinder auf die Noten auswirkt. Dabei werden keine fächerspezifischen Unterschiede in der Wirkung des schulbezogenen Sozialkapitals erwartet. Dagegen geht die Theorie statistischer Diskriminierung von einer Überforderung der diagnostischen Kompetenz von Lehrkräften bei der Notenvergabe aus. Diese verwenden das leicht sichtbare schulbezogene Engagement von Eltern als Heuristik bei der Leistungsbewertung von Schülern. Die Deutschnote sollte daher stärker vom elterlichen Schulkontakt beeinflusst sein als die Mathematiknote, da im Fach Deutsch größere Anforderungen an die Bewertung von Fachleistungen an die Lehrer gestellt werden. Die empirischen Analysen werden mit den Daten des Projektes „Bildungsaspirationen, Bezugsgruppen und Bildungsentscheidungen“ durchgeführt, das die schulische Laufbahn und Entwicklung der Kinder im Längsschnitt ab der 3. Klasse untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Notenvergabe in Mathematik und Deutsch in starkem Maße von der sozialen Herkunft der Kinder geprägt ist. Die Häufigkeit, mit der die Eltern Elternabende in der Schule besuchen (als Indikator für schulbezogenes Sozialkapital) wirkt sich ebenfalls auf die Noten der Kinder aus. Allerdings ist nur noch der Effekt auf die Deutschnote signifikant, wenn auch die durch unabhängige Leistungstests ermittelten Kompetenzen, die Leistungsmotivation sowie das leistungsbezogene Sozialverhalten der Kinder berücksichtigt werden. Dieses Ergebnis ist mit den Vorhersagen der Theorie statistischer Diskriminierung, nicht aber mit denen der Sozialkapitaltheorie, vereinbar. Im vierten Kapitel analysieren Cornelia Kristen und Jörg Dollmann den Übergang von deutschen und türkischstämmigen Kindern von der Grundschule in die Sekundarstufe. Dabei unterschieden sie zwischen primären und sekundären Effekten der sozialen und der ethnischen Herkunft. Unter primären ethnischen Effekten verstehen sie Leistungsunterschiede, die mit der ethnischen Herkunft verknüpft sind (z.B. Möglichkeiten des Spracherwerbs in der Familie) und nach der Kontrolle von primären sozialen Herkunftseffekten fortbestehen. Bei den sekundären ethnischen Effekten handelt es sich dagegen um mit der ethnischen Herkunft verbundene Bedingungen, die bei gegebener Leistung auf die Bildungsentscheidung wirken. Dabei geht es um diejenigen Einflüsse der ethnischen Zugehörigkeit, die auch nach Berücksichtigung der Leistungen (primäre Effekte) und der sekundären sozialen Herkunftseffekte fortbestehen. Die Autoren untersuchen in ihrem Beitrag, ob sich ethnische sekundäre Effekte beim ersten Bildungsübergang nachweisen lassen. Die Analysen werden mit den Daten aus
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dem Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ durchgeführt, wobei Familienbefragungen im Vorfeld und zum Zeitpunkt der Bildungsentscheidung mit Ergebnissen aus standardisierten Leistungsmessungen kombiniert werden. Zunächst finden die Autoren, dass Kindern aus türkischen Familien seltener der Wechsel auf eine Realschule oder ein Gymnasium gelingt als deutschen Kindern. Diese Nachteile lassen sich jedoch vollständig auf Disparitäten in den schulischen Leistungen und auf die mit der sozialen Herkunft verbundenen unterschiedlichen Übergangsbedingungen zurückführen. Statt einer zusätzlichen Benachteiligung finden die Autoren sogar positive sekundäre ethnische Effekte: Kinder mit türkischem Migrationshintergrund haben nach Berücksichtigung ihrer Schulleistung und sozialen Herkunft sogar höhere Chancen, nach der Grundschule einen anspruchsvolleren Bildungspfad zu wählen als deutsche Kinder. Abschließende Analysen zeigen, dass diese positiven sekundären Effekte mit der besonders hohen Bildungsorientierung in türkischen Familien in Zusammenhang stehen. Die Bildungskarrieren von Kindern verlaufen nicht immer geradlinig. Marita Jacob und Nicole Tieben untersuchen im fünften Kapitel, welche Kinder in der Sekundarstufe die Schulform wechseln oder später allgemein bildende Schulabschlüsse nachholen. Bei den Effekten der sozialen Herkunft auf diese intra-sekundären Übergänge unterscheiden sie zwischen Effekten der absoluten und der relativen Elternbildung. Die absolute Elternbildung dient dabei als Indikator für die zur Verfügung stehenden Ressourcen der Eltern, die sich positiv auf den Schulerfolg der Schüler auswirken können oder auch einen ausreichenden finanziellen Spielraum bieten, um riskante und kostspieligere Schulformen finanzieren zu können. Die relative Elternbildung hingegen isoliert das Motiv des Statuserhalts, nämlich das Streben von Eltern nach einem zumindest gleichwertigen Schulabschluss ihrer Kinder. Die Autorinnen vermuten, dass intrasekundäre Übergänge aufgrund des (Bildungs-)Statuserhaltmotivs sozial selektiv genutzt werden. Zudem vergleichen die Autorinnen verschiedene Geburtskohorten miteinander, da wichtige Reformen im Bildungssystem in den sechziger und siebziger Jahren die soziale Selektivität intra-sekundärer Transitionen im Zeitverlauf verändert haben könnten. Als Datengrundlage werden die retrospektiven Längsschnittdaten der (West-)Deutschen Lebensverlaufsstudie des MaxPlanck-Instituts für Bildungsforschung genutzt. Die Ergebnisse zeigen, dass Aufstiege in eine höhere Schulform deutlich häufiger dann vollzogen werden, wenn durch die ursprüngliche Platzierung das Bildungsniveau der Eltern nicht reproduziert werden kann und damit ein Statusverlust droht. Für die Höherqualifizierungen ergibt sich ein ähnliches Bild. Abstiege in niedrigere Schulformen hingegen werden zwar tendenziell vermieden, wenn dadurch ein Statusverlust in Kauf genommen werden müsste, dennoch werden die elterlichen Ressourcen
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auch dann noch wirksam gegen den Abstieg in eine niedrigere Schulform eingesetzt, wenn kein unmittelbarer Statusverlust droht. Für die Kohorte, die nach den Bildungsreformen der sechziger und siebziger Jahre in die Sekundarstufe eingetreten ist, sind die Effekte der absoluten Elternbildung auf die Wahrscheinlichkeit eines Aufstiegs zurückgegangen, jedoch hat der Effekt der relativen Elternbildung sogar zugenommen. Die weiteren Kapitel des Buches beschäftigen sich mit Bildungsentscheidungen nach der Sekundarstufe I. Im sechsten Kapitel gehen Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan der Frage nach, welche Bildungsaspirationen die Mütter von Haupt-, Real- und Gesamtschülern am Ende der 9. bzw. 10. Klasse für ihre Söhne bzw. Töchter hinsichtlich der erfolgreichen Beendigung eines Studiums haben. Besonderes Augenmerk wird darauf gerichtet, wie sich soziale Ressourcen auf diese Bildungsaspirationen auswirken. Dabei vergleichen die Autoren Familien türkischer und russischer Herkunft untereinander sowie mit deutschen Familien. Für die Analysen verwenden sie Daten aus der Panelstudie „Kinder und Jugendliche im deutschen und israelischen Bildungssystem“. Zur Messung des im Netzwerk der Mütter befindlichen Sozialkapitals wird ein Positionsgenerator verwendet. Dabei sollten die Befragten anhand einer Liste von Berufen angeben, ob sie jemanden kennen, der die jeweiligen Berufe ausübt (sowie ggf. deren ethnische Herkunft). Es zeigt sich, dass die vorhandenen sozialen Ressourcen von der Bildung der Eltern abhängen: Höher gebildete Eltern kennen durchschnittlich mehr Personen mit unterschiedlichen Berufen und geben gleichzeitig deutlich mehr Personen an, die Berufe mit hohem Prestige ausüben. Mütter mit Migrationshintergrund haben viel häufiger Kontakt zu Personen aus dem eigenen ethnischen Netzwerk als zu Deutschen und kennen deutlich weniger Personen aus höheren sozialen Schichten als Deutsche. In den multivariaten Analysen zeigt sich, dass die Aspiration der Mutter umso höher ist, je mehr und je bessere soziale Ressourcen in ihrem Netzwerk vorhanden sind: Sowohl der durchschnittliche als auch der maximale Berufsprestigewert und die Anzahl der Berufe, die in der Regel ein Studium voraussetzen, haben jeweils einen signifikant positiven Effekt, während dies für die Anzahl der Berufe mit niedrigem Prestige nicht zutrifft. Die Autoren interpretieren dies als Hinweis dafür, dass es vor allem die Qualität der Netzwerke ist, welche die Aspiration hinsichtlich eines erfolgreichen Studienabschlusses positiv beeinflusst. Das siebte Kapitel von Christian Hunkler geht der Frage nach, inwiefern sich im Zugang zu Ausbildungsplätzen im dualen System und schließlich im Erwerb von Ausbildungszertifikaten ethnische Unterschiede zeigen und auf welche Ursachen diese Unterschiede zurückzuführen sind. Mit den Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) bestätigt der Autor den bekannten Befund, dass Migranten der zweiten Generation das sekundäre Schulbildungssystem mit
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durchschnittlich schlechteren Abschlüssen verlassen als vergleichbare deutsche Jugendliche. Es zeigt sich, dass türkische Jugendliche sowohl beim Übergang in eine Ausbildung als auch beim Abschluss einer dualen Berufsausbildung deutlich niedrigere Übergangsraten haben als deutsche Jugendliche, auch wenn das Niveau ihrer Bildungsabschlüsse berücksichtigt wird. Die Nachfahren von Gastarbeitern aus anderen Herkunftsländern, die mit ähnlich unvorteilhaften Schulabschlüssen ausgestattet sind, weisen im Vergleich zur deutschen Vergleichspopulation hingegen keine signifikanten Unterschiede auf. Die ethnischen Nachteile reduzieren sich allerdings deutlich, wenn die soziale Herkunft und Aufnahmeland-spezifische Kapitalien (wie deutsche Sprachfähigkeiten) kontrolliert werden. Nur für männliche türkische Jugendliche können weiterhin signifikant niedrigere Übergangsraten beim Zugang zu dualer Ausbildung festgestellt werden. Im letzten Teil der Analysen wird überprüft, ob dieselben sekundären Bildungsabschlüsse für die drei analysierten Gruppen die gleichen Übergangschancen implizieren. Der Autor findet dabei signifikante Unterschiede beim Zugang zu Ausbildungsplätzen: Während die Vergleichgruppe deutscher junger Männer mit niedrigeren Schulabschlüssen bessere Übergangsraten in das berufliche Ausbildungssystem hat, steigen die Raten für türkische Männer signifikant stärker bei höheren Abschlüssen. Dieses Muster könnte durch statistische Diskriminierung auf Seiten der Arbeitgeber oder auch durch unterschiedliche Übergangsstrategien der türkischen Jugendlichen verursacht worden sein. Die Nachteile türkischer männlicher Schulabgänger lassen sich auf jeden Fall nicht vollständig über ihre Ausstattung mit Humankapital oder Aufnahmelandspezifischen Ressourcen erklären. Im achten Kapitel analysieren David Reimer und Steffen Schindler soziale Ungleichheiten bei der Wahl verschiedener postsekundären Ausbildungsalternativen. Im Rahmen des Projektes „Hochschulexpansion und Hochschuldifferenzierung: Folgen für die soziale Ungleichheit bei der Bildungsbeteiligung und auf dem Arbeitsmarkt“ untersuchen sie anhand von StudienberechtigtenErhebungen der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) die Ausbildungsentscheidungen von Studienberechtigten. Im Gegensatz zu vorherigen Analysen zu sozialer Ungleichheit beim Hochschulzugang, die häufig nur die Wahl zwischen Studium und Berufsausbildung differenzieren, betrachten sie vielfältige postsekundäre Ausbildungsalternativen und unterscheiden zwischen der Wahl von Universität, Fachhochschule, Berufsakademie/ duales Studium, Verwaltungsfachhochschule, betriebliche Ausbildung, schulische Ausbildung oder einen direkten Berufseinstieg und analysieren, inwiefern diese Wahl sozial selektiv ist. Die Autoren klassifizieren diese verschiedenen Ausbildungsalternativen hinsichtlich ihres akademischen Anspruchniveaus sowie ihrer Kosten und Erträge und formulieren daraus Erwartungen über klassenspezifische Wahlmuster, wobei
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sie in Bezug auf ein Universitätsstudium die größte soziale Selektivität erwarten. Die Ergebnisse zeigen deutliche soziale Ungleichheiten bei der Wahl postsekundärer Ausbildungsalternativen, beispielsweise haben Arbeitersöhne mit guten Noten ungefähr die gleiche Wahrscheinlichkeit für einen Universitätsbesuch wie Dienstklassensöhne, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, mit „schlechten“ Abiturnoten. In weiterführenden kontrafaktischen Analysen beziehen die Autoren die von den Studienberechtigten genannten Motive bei ihrer Ausbildungsentscheidung (z.B. Wunsch nach Sicherheit) mit ein, um die gefundenen klassenspezifischen Wahlmuster zu erklären. Klassenunterschiede in den Leistungen sowie die theoretisch abgeleiteten Ertrags- und Kostenvariablen können die klassenspezifische Unterschiede bei der Wahl differenzierter postsekundärer Ausbildungsangeboten – zumindest zum Teil – erklären. Nicht alle Erwartungen werden jedoch bestätigt und ein Teil des Klassenunterschieds bleibt unerklärt. Das neunte Kapitel von Marita Jacob und Felix Weiss untersucht, wie sich die Struktur der Wege zur Hochschule über die Zeit verändert hat. Davon ausgehend, dass im Zuge der Bildungsexpansion nicht nur der Anteil der Abiturienten zugenommen hat, sondern auch zunehmend unterschiedliche Ziele und Motive dem Erwerb des Abiturs zu Grunde liegen, vermuten die Autoren eine Ausdifferenzierung der Bildungswege. Zudem stellen sie die Frage, wie sich soziale Ungleichheiten in den Übergangsmustern zur Hochschule im Zeitverlauf entwickelt haben. Mit den Daten der (West-)Deutschen Lebensverlaufsstudie des MaxPlanck Instituts für Bildungsforschung betrachten sie Hochschulzugangsberechtigte verschiedener Geburtskohorten zwischen 1955 und 1971 daraufhin, wie stark ihr Bildungsweg von der Standardsequenz „Grundschule – Gymnasium – Studium“ abweicht. Mittels Sequenzanalysen vergleichen sie dabei alle Bildungsmuster mit dieser Standardsequenz und untersuchen, wie sich Kohorten und soziale Herkunftsgruppen in Bezug auf ihre Ähnlichkeit mit dieser Standardsequenz unterscheiden. Die Ergebnisse zeigen keinen eindeutigen Trend, weder zu einer größeren Ähnlichkeit, noch zu einer zunehmenden Abweichung von der Standardsequenz „Grundschule – Gymnasium – Studium“. Zwischen verschiedenen sozialen Herkunftsgruppen können deutliche Unterschiede in den Mustern festgestellt werden: Kinder oberer Klassen weisen eine größere Ähnlichkeit zur Standardsequenz auf als Kinder anderer Klassen. Dieser Befund findet sich sowohl für alle Hochschulzugangsberechtigten als auch bei der Betrachtung aller Bildungskarrieren, die in ein Studium münden. Diese Klassenunterschiede in der Ähnlichkeit zur Standardsequenz sind im Zeitverlauf stabil und bleiben bis zur jüngsten Kohorte bestehen. In einzelnen Teilaspekten zeigt sich eine Zunahme der Bedeutung der Fachhochschulreife und der Fachhochschule. Hier sind die Unterschiede in der sozialen Herkunft eindeutig geringer als beim klassischen Weg. Zusammenfassend resümieren die Autoren, dass es neben den bekannten
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Klassenunterschieden an einzelnen Übergängen auch Unterschiede in einer umfassenderen Betrachtung des gesamten Musters einer Bildungskarriere nach dem Abitur gibt.
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Ausblick
Die Beiträge in diesem Band behandeln jeweils spezielle Etappen in der Bildungsbiographie von Kindern und Jugendlichen. Damit bieten sie in ihrer Gesamtheit wichtige Erkenntnisse, wann und wie soziale und ethnische Ungleichheit im deutschen Bildungssystem entsteht. Eine zusammenfassende Analyse der vorliegenden Befunde ist unter anderem aufgrund der Betrachtung unterschiedlicher ethnischer Gruppen sowie der Heterogenität in Hinblick auf die verwendeten Schemata zur Messung von sozialer Herkunft, Geburtskohorten und Repräsentativität der Daten nur bedingt sinnvoll. Trotzdem zeigen die Ergebnisse der einzelnen Beiträge, dass man die kumulative Natur von Bildungsergebnissen in Rechnung stellen muss, wenn man an der Entstehung von sozialen und ethnischen Ungleichheiten im Verlauf der Bildungskarriere interessiert ist. Die punktuelle Betrachtung eines einzelnen Übergangs, wie z.B. der Übergang zu den weiterführenden Schulen ist nur dann sinnvoll, wenn man um die vorangegangenen Selektionsprozesse weiß, die – wie die ersten beiden Kapitel dieses Bandes verdeutlicht haben – bereits mit der Wahl des Kindergartens beginnen. In Zukunft wird eine ganzheitlichere Betrachtung von Bildungsverläufen sicher weiter zunehmen. Ausschlaggebend für diese Entwicklung ist nicht zuletzt die zunehmende Verfügbarkeit von Längsschnittdatensätzen, die es erlauben, die schulische Entwicklung der Kinder längerfristig im Zeitverlauf zu verfolgen. Der wichtigste Schritt in diese Richtung ist sicherlich die Gründung des Nationalen Bildungspanels (NEPS). Das Nationale Bildungspanel wird die Kompetenzentwicklung und die Bildungsverläufe von Individuen langfristig und in großer Fallzahl verfolgen.1 In (weiter) Zukunft werden damit auch für Deutschland Daten über die komplette Bildungsbiographie von Kindern und Jugendlichen vorliegen.
1 Ziele und Design von NEPS sind detaillierter auf der Homepage des Nationalen Bildungspanels abrufbar: http://www.uni-bamberg.de/neps/.
Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion: Die Wahl von unterschiedlich stark segregierten Kindergärten in deutschen und türkischen Familien Birgit Becker
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Einleitung*
Kinder beginnen ihre Schullaufbahn mit unterschiedlichen Voraussetzungen und damit unterschiedlichen Chancen auf eine erfolgreiche Bildungskarriere (vgl. Lee/Burkam 2002). Über welche Fähigkeiten und Wissensbestände sie zu Schulbeginn verfügen, hängt sehr stark von ihrer bis dahin erlebten primären Sozialisation im Elternhaus ab. Dabei sind vor allem die bildungsrelevanten Ressourcen der Familie von entscheidender Bedeutung. Vor diesem Hintergrund nehmen außerfamiliale Lernkontexte im Vorschulalter (wie in Deutschland der Kindergarten) eine wichtige Stellung ein, da sich hier Möglichkeiten zur Kompensation von Nachteilen bieten können. Die meisten Studien zur Wirkung des Besuchs vorschulischer institutioneller Einrichtungen weisen auf positive Effekte hin, auch wenn die Diskussion um die Langfristigkeit und mögliche Moderatorvariablen noch offen ist (vgl. Aughinbaugh 2001; Barnett 1995; Garces et al. 2002). Doch auch die Inanspruchnahme solcher vorschulischer Betreuungseinrichtungen ist selektiv (vgl. Binder 1995; Kreyenfeld 2004), so dass sich durch diese Wahl Kompetenzunterschiede der Kinder im Vorschulalter eventuell sogar vergrößern könnten. Neben der Frage, ob bzw. ab wann Kinder vor Schulbeginn den Kindergarten besuchen, ist vor allem die Wahl einer konkreten Einrichtung von großer Bedeutung. Kindergärten unterscheiden sich bezüglich zahlreicher Merkmale (z.B. Qualität, angebotene Programme, Zusammensetzung der Kinder etc.), die einen Einfluss auf das Lernen im Kindergarten haben können (vgl. NICHD 2002; Tietze et al. 1998). Damit stellt sich die Frage, welche Kinder welchen Kindergarten besuchen.
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Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des DFG-Projekts „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft gilt daher mein Dank für die finanzielle Unterstützung.
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Ethnische Bildungsungleichheit ist an verschiedenen Stufen im deutschen Bildungssystem nachgewiesen worden (vgl. Diefenbach 2004). Vor allem untersucht wurden bisher der Übergang zu weiterführenden Schulen nach der vierten Klasse sowie die tatsächlich erreichten Abschlüsse (z.B. Alba et al. 1994; Kristen 2002). Ethnische Unterschiede bei den Schulleistungen sind jedoch auch schon in der Grundschule vorhanden (Schwippert et al. 2003), und auch bereits zum Zeitpunkt des Schulbeginns können ethnische Kompetenzunterschiede nachgewiesen werden (Becker/Biedinger 2006; Mengering 2005; Schöler et al. 2004). Es wird angenommen, dass die ethnische Bildungsungleichheit zu Schulbeginn in erster Linie die soziale Ungleichheit widerspiegelt, da Migranten in Deutschland im Durchschnitt über weniger bildungsrelevante Ressourcen verfügen. Ein Mangel an aufnahmelandspezifischem Kapital wie etwa sprachliche und kulturelle Ressourcen erschwert die Situation von Migrantenfamilien jedoch noch zusätzlich. Daher ist es für Kinder mit Migrationshintergrund besonders wichtig, außerfamiliäre Lernkontexte (wie den Kindergarten) frühzeitig zu nutzen. Gerade in Bezug auf den Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen bietet der Kindergarten eine besonders günstige Gelegenheit, um mit der deutschen Sprache und Kultur in Kontakt zu kommen. Das Beherrschen der deutschen Sprache auf einem adäquaten Niveau hat sich für den Schulerfolg von Kindern mit Migrationshintergrund als Schlüsselkompetenz erwiesen (vgl. Baumert/Schümer 2001; Schwippert et al. 2003) und inzwischen gibt es auch zahlreiche Sprachförderprogramme in Kindergärten. Doch neben solchen Sprachförderprogrammen (die zudem oftmals nur im letzten Kindergartenjahr stattfinden), ist für den Spracherwerb von Migrantenkindern auch die Zusammensetzung der Kinder im Kindergarten entscheidend: Eine hohe Konzentration an Kindern nicht-deutscher Herkunft kann den Erwerb der deutschen Sprache im Kindergarten deutlich erschweren (vgl. Becker 2006). Daher ist es durchaus bedeutsam zu untersuchen, ob Migranteneltern bei der Wahl eines konkreten Kindergartens systematisch andere Entscheidungen treffen als deutsche Eltern und auf welche Faktoren diese Wahl zurückgeführt werden kann. In diesem Kapitel wird die Wahl von unterschiedlich stark segregierten Kindergärten von deutschen und türkischen Eltern untersucht, wobei die Kindergartenwahl als frühe Bildungsentscheidung der Eltern konzipiert wird. Konkret wird der Frage nachgegangen, welche Faktoren einen Einfluss darauf haben, ob die Eltern Kindergärten mit einem hohen oder niedrigen Anteil an Migrantenkindern auswählen. Die Entscheidung für unterschiedlich stark segregierte Kindergärten wird natürlich in erster Linie von der residentiellen Segregation vorstrukturiert: In Wohngegenden mit einem hohen Migrantenanteil ist auch die Wahrscheinlichkeit für die Wahl eines Kindergartens mit einem hohen Anteil an Migrantenkindern deutlich höher als in Wohngegenden, wo es nur wenige
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Migrantenfamilien gibt. Doch wahrscheinlich unterscheiden sich Eltern auch gerade darin, inwiefern sie diesen Vorgaben folgen; z.B. besteht auch die Möglichkeit, das Kind in einen weiter entfernten Kindergarten zu schicken. Doch auch wenn die Wahl innerhalb eines bestimmten Wohngebietes getroffen wird, gibt es sehr wahrscheinlich deutliche Unterschiede zwischen den Familien, welchen Kindergarten (mit welchem Anteil an Migrantenkindern) sie dort auswählen. Es kann vermutet werden, dass neben Restriktionen bei der Wahl (z.B. dass der Kindergarten schnell erreichbar sein muss) vor allem auch die Informiertheit der Eltern zum Thema Kindergarten einen Einfluss auf die Kindergartenwahl hat. Zudem könnte auch spezielles soziales Kapital (z.B. entsprechende Vorbilder im Freundeskreis) eine Rolle spielen. Bei Migrantenfamilien könnte dabei jedoch auch die ethnische Komposition des sozialen Netzwerks die Wahl beeinflussen. Der Aufbau des Kapitels gliedert sich wie folgt: Im nächsten Abschnitt wird zunächst ein Gesamtmodell zur Erklärung der Kindergartenwahl und dem Erwerb vorschulischer Kompetenzen vorgestellt. Anschließend wird dargestellt, inwiefern die Kindergartenwahl als frühe Bildungsentscheidung konzipiert werden kann. Danach werden in Abschnitt 3 bisherige Forschungsbefunde zur Kindergartenwahl sowie aus dem Bereich der Schulwahl berichtet, die wahrscheinlich auch für die Kindergartenwahl relevant sind. Die empirischen Analysen werden mit den Daten aus dem DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“ durchgeführt, das in Abschnitt 4 beschrieben wird. Hier werden auch die Operationalisierungen der theoretischen Konstrukte vorgestellt. Danach werden im Abschnitt 5 die Ergebnisse präsentiert, worauf im letzten Abschnitt 6 eine Zusammenfassung und Diskussion der Befunde folgt.
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Ein theoretisches Modell der Kindergartenwahl
2.1 Gesamtmodell zur Kindergartenwahl und zum Erwerb vorschulischer Kompetenzen Die Bildungschancen von Kindern unterscheiden sich bereits zu Beginn der Schulzeit, da Kinder die Schule mit unterschiedlichen Voraussetzungen beginnen. Die Hauptursache für diese frühe Bildungsungleichheit kann in einer unterschiedlichen Ausstattung an Kompetenzen gesehen werden (Becker/Biedinger 2006; vgl. hierzu auch primäre Herkunftseffekte bei Boudon 1974). Bei der Erklärung von früher ethnischer Bildungsungleichheit sollte daher der Erwerb von
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Kompetenzen im Vorschulalter im Vordergrund stehen. Die vermuteten Kausalbeziehungen sind schematisch in Abbildung 1 dargestellt. Abbildung 1:
Modell zur Kindergartenwahl und zum Erwerb vorschulischer Kompetenzen
Anmerkungen: Grau unterlegte Teile des Modells werden in diesem Kapitel nicht untersucht, vgl. Kapitel 2 dieses Buches.
Über welche Kompetenzen ein Kind bei Schuleintritt verfügt, hängt wahrscheinlich in erster Linie von Merkmalen der Familie ab. Verschiedene Studien haben einen klaren Zusammenhang zwischen Familienmerkmalen (wie etwa dem Bildungsstand der Eltern) und dem Kompetenzniveau der Kinder zu Schulbeginn in verschiedenen Bereichen nachgewiesen (z.B. Baharudin/Luster 1998; Mistry et al. 2004; Zill/West 2001). Neben diesem direkten Einfluss der Familie auf den Kompetenzerwerb haben die Eltern noch weitere indirekte Einflüsse, weil sie (bewusst oder unbewusst) die Kontexte auswählen, in denen das Kind lebt und lernt. Einen solchen außerfamiliären Lernkontext stellen institutionelle vorschulische Betreuungseinrichtungen wie in Deutschland der Kindergarten dar.1 Der Besuch einer solchen vorschulischen Einrichtung fördert die Entwicklung der 1 Unter „institutioneller vorschulischer Betreuungseinrichtung“ wird im Rahmen dieses Beitrags eine außerhäusliche Betreuung durch professionelles Personal in für diesen Zweck vorgesehenen Räumlichkeiten verstanden. In Deutschland entspricht dies dem Kindergarten (bzw. für Kinder unter drei Jahren auch der Kinderkrippe). Die Begriffe institutionelle vorschulische Betreuungseinrichtung, vorschulische Einrichtung und (deutscher) Kindergarten werden im Rahmen dieses Beitrags synonym gebraucht.
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Kinder in verschiedenen Bereichen, wobei dieser förderliche Effekte zum Teil von den Rahmenbedingungen der Einrichtung (z.B. der Qualität) abhängt (Barnett 1995; Sammons et al. 2004; NICHD 2002). Mit dem Erwerb vorschulischer Kompetenzen und insbesondere der Rolle des Kindergartens in diesem Prozess beschäftigt sich das zweite Kapitel dieses Buches. Gerade für Kinder mit Migrationshintergrund könnte der Kindergarten einen besonders wichtigen Kontext zum Erwerb der deutschen Sprache bieten, wobei es auch hier auf die konkreten Rahmenbedingungen ankommt. Ob Migrantenkinder jedoch wirklich die für sie günstigsten Einrichtungen besuchen (und dies schon möglichst frühzeitig) kann aufgrund von Ergebnissen zur Schulwahl von Migrantenfamilien bezweifelt werden, in denen sich gezeigt hat, dass Migrantenfamilien oftmals Schulen mit ungünstigeren Lernbedingungen auswählen (vgl. Kristen 2005). Ob dies auch bei der Kindergartenwahl in ähnlicher Weise zu finden ist, ist bisher noch nicht untersucht worden. Mit diesen Selektionsprozessen in Migrantenfamilien und einheimischen Familien beschäftigt sich der vorliegende Beitrag, wobei die Opportunitäten des Wohnkontextes berücksichtigt werden. In der Abbildung 1 entspricht dies den beiden schwarzen, hervorgehobenen Pfeilen.
2.2 Kindergartenwahl als frühe Bildungsentscheidung Eltern möchten für ihr Kind nicht nur eine Betreuung, sondern sie haben auch weitergehende Bildungs- und Erziehungsziele. Verschiedene pädagogische Studien zeigen, dass Eltern über die Betreuung hinausgehende Erwartungen an den Kindergarten stellen, etwa die Förderung von Persönlichkeitseigenschaften und sozialer Kompetenz (Tietze et al. 1998: 91; Stuck/Wolf 2004). In einer Studie von Dippelhofer-Stiem (2002) stellt sich heraus, dass Eltern als Aufgaben des Kindergartens vor allem auch die Erleichterung des Schulübergangs und die Vermittlung von zusätzlichen Lernchancen sehen. Vor diesem Hintergrund erscheint es gerechtfertigt, die Entscheidung der Eltern für die Nutzung des Kindergartens auch als eine frühe Bildungsentscheidung aufzufassen. Durch diese Konzeption sind prinzipiell auch Theorien zu Bildungsentscheidungen (in modifizierter Form) anwendbar (Breen/Goldthorpe 1997; Erikson/Jonsson 1996; Esser 1999: 265ff.). Die Basisidee hierbei ist, dass die Eltern aus verschiedenen Kindergärten diejenige Einrichtung auswählen, die ihnen den höchsten Nutzen verspricht. Bei dieser Wahl werden Kosten- und Nutzenaspekte jeder Alternative abgewogen sowie die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit zur Zielerreichung. Als wichtigstes Ziel bei der Kindergartenwahl wird die optimale Förderung der Entwicklung des Kindes angenommen. Unter-
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Birgit Becker
schiedliche Entscheidungen der Eltern bei der Kindergartenwahl werden auf unterschiedliche Verteilungen der relevanten Modellparameter zurückgeführt, die vor allem von bestimmten Ressourcen und Restriktionen der Familien abhängen. Im Extremfall könnten die Familien aufgrund von Restriktionen (z.B. bestimmte Öffnungszeiten notwendig) oder Unkenntnis (z.B. bestimmte Kindergärten sind ihnen gar nicht bekannt) gar keine „Wahl“ im eigentlichen Sinne mehr haben, sondern sie würden einfach die „nächst beste passende“ Einrichtung auswählen. Generell wird angenommen, dass Eltern für ihr Kind einen „guten“ Kindergarten wünschen, in dem das Kind sich in verschiedenen Bereichen entfalten und weiterentwickeln kann (vgl. Peyton et al. 2001). Die ethnische und soziale Zusammensetzung der Kinder könnte dabei als Indikator für die Lernumgebung verwendet werden. Ein hoher Anteil an Kindern aus unteren sozialen Schichten und Migrantenkindern könnte dabei als Indiz für ein schlechteres Lernumfeld gewertet werden (vgl. auch Kristen 2008). Danach würden Eltern, wenn ihnen mehrere Alternativen bekannt sind und sie in ihrer Wahl nicht eingeschränkt sind, tendenziell eher Kindergärten mit einem niedrigeren Migrantenanteil bevorzugen. Natürlich könnten Eltern auch andere Kriterien bei der Kindergartenwahl haben und etwa Einrichtungen präferieren, die am besten zu ihren Werten oder ihrer Kultur passen. Beispielsweise wäre es vorstellbar, dass türkische Eltern Kindergärten in Trägerschaft christlicher Kirchen aus solchen Gründen eher meiden. Dies ist jedoch in dem hier verwendeten Datensatz nicht festzustellen und der Träger des Kindergartens wird von den Eltern generell auch als eher unwichtig eingestuft. Eine weitere Alternative wäre das Vorliegen von Segregationspräferenzen, so dass Eltern unabhängig von etwaigen Bewertungskriterien Einrichtungen mit einer hohen Konzentration an Kindern der eigenen ethnischen Gruppe wählen (vgl. Schelling 1971). In der Schulwahlforschung hat sich jedoch gezeigt, dass Eltern versuchen, Schulen mit möglichst optimalen Lernbedingungen auszuwählen, während die ethnische Zusammensetzung der Schüler kein eigenständiges relevantes Selektionskriterium darstellt (Kristen 2008: 506-507).
3
Befunde zu den Determinanten der Kindergartenwahl
Amtliche Statistiken zeigen, dass die Nutzung des Kindergartens vor Schuleintritt inzwischen in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist: Im Jahr 2007 besuchten knapp 95 Prozent der 5-jährigen Kinder einen Kindergarten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 50). Unterschiede in der Kindergartennutzung können jedoch beim Startzeitpunkt festgestellt werden: Deut-
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sche Kinder werden häufiger bereits mit drei Jahren in einen Kindergarten geschickt als dies in Migrantenfamilien der Fall ist (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 150; BMFSFJ 2005: 5). Mögliche ethnische Unterschiede bei der Wahl konkreter Kindergärten (z.B. in Bezug auf Qualität oder die Segregation in den Einrichtungen) wurden bisher nicht untersucht. Die bisherige Forschung zur Wahl vorschulischer Einrichtungen hat sich auf die Frage konzentriert, welche Kinder überhaupt eine institutionelle vorschulische Betreuungseinrichtung nutzen (was für die Kindergartenwahl in Deutschland heutzutage jedoch kaum mehr relevant sein dürfte). Die Wahl konkreter Kindergärten wurde dagegen kaum thematisiert. Im folgenden Abschnitt 3.1 werden Studien aufgeführt, die Hinweise darauf liefern, welche Faktoren bei der Wahl konkreter Kindergärten relevant sein könnten. Da es hierzu jedoch nur wenig Literatur gibt, werden danach (Abschnitt 3.2) auch Ergebnisse aus der Schulwahlforschung vorgestellt, die auch für die Kindergartenwahl relevant sind. Im Abschnitt 3.3 wird schließlich ein Fazit aus der Forschungsliteratur gezogen und es werden die konkreten Hypothesen für diesen Beitrag formuliert.
3.1 Befunde zur Wahl vorschulischer Einrichtungen 3.1.1 Restriktionen bei der Wahl Es kann vermutet werden, dass monetäre und zeitliche Restriktionen eine wichtige Rolle bei der Wahl konkreter Einrichtungen spielen. So sind Eltern, denen beispielsweise bestimmte Öffnungszeiten oder die räumliche Nähe zum Kindergarten sehr wichtig sind, in ihrer Wahl deutlich eingeschränkter als diejenigen Eltern, die diesen Faktoren ein geringeres Gewicht beimessen. Die Wichtigkeit solcher Faktoren bei der Wahl vorschulischer Kinderbetreuung wird von einigen Autoren auch als extrinsische Motivation bezeichnet (Johansen et al. 1996; Wise 2002). Diese extrinsische Motivation scheint bei den meisten Eltern eine Rolle zu spielen (vgl. Long et al. 1996; van Horn et al. 2001), besonders hoch ist sie bei Müttern mit langen Arbeitszeiten (Johansen et al. 1996; Peyton et al. 2001) und in Familien mit geringen Einkommen (Hofferth et al. 1998; Peyton et al. 2001). Eltern mit starken Restriktionen dieser Art bevorzugen tendenziell eine Betreuung zu Hause durch Verwandte oder Babysitter gegenüber einer institutionellen Betreuung in child care centers (Johansen et al. 1996: 767).
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Birgit Becker
3.1.2 Informationen und Wissen Möglicherweise treffen Eltern aufgrund von Informationsdefiziten suboptimale Entscheidungen. Es gibt Hinweise, dass Eltern große Schwierigkeiten dabei haben, die Qualität von vorschulischen Einrichtungen richtig einschätzen zu können. Cryer und Burchinal (1997) weisen in ihrer Studie nach, dass die Qualitätseinschätzung der Eltern mit der von unabhängigen Beobachtern nur einen moderaten Zusammenhang aufweist, wobei die Eltern die Qualität der Kinderbetreuungseinrichtungen in hohem Umfang überschätzen. Noch eindeutiger ist das Ergebnis von Barraclough und Smith (1996): Zwischen der von neutralen Beobachtern beurteilten Qualität der Kinderbetreuungseinrichtung und der Qualitätswahrnehmung der Eltern finden sie keinerlei Zusammenhang (Barraclough/Smith 1996: 16-17). Gerade vor diesem Hintergrund, dass eine „objektive“ Qualitätsbeurteilung für die Eltern sehr schwierig ist, erscheint es plausibel, dass Eltern einfachere Merkmale wie die soziale und ethnische Zusammensetzung in der Einrichtung als Indikator für die Güte der Lernumgebung verwenden. Jedoch gibt es das generelle Problem, dass Eltern selten eine aktive Informationssuche betreiben und stattdessen eher „passive Entscheidungen“ treffen (Barraclough/Smith 1996: 18, siehe auch nächster Abschnitt). Die wenigsten besuchen mehrere Einrichtungen, um gezielte Vergleiche anstellen zu können (Barraclough/Smith 1996: 18).
3.1.3 Soziale Netzwerke Im Zusammenhang mit Informationen sind auch soziale Netzwerke der Familien von Bedeutung. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Empfehlungen von Freunden und Bekannten bei der Wahl einer Betreuungseinrichtung eine große Rolle spielen. In der Studie von Barraclough und Smith (1996) wurde als häufigster Grund für die Wahl einer konkreten Einrichtung die Empfehlung durch Freunde oder Verwandte genannt (von 46,5 Prozent der Eltern). Dass Freunde die wichtigste Informationsquelle bei der Suche nach einer vorschulischen Einrichtung sind, wird auch in anderen Studien bestätigt (Hofferth et al. 1998: 66-67; Long et al. 1996: 57). Es ist jedoch zu erwarten, dass die Informationen, die durch Freunde und Bekannte über verschiedene Kinderbetreuungseinrichtungen erlangt werden können, je nach der Zusammensetzung des sozialen Netzwerks selektiv sind.
Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion
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3.2 Befunde aus der Schulwahlforschung Da es bisher keine Studien zu ethnischen Unterschieden bei der Wahl konkreter vorschulischer Einrichtungen gibt, werden im folgenden Abschnitt ausgewählte Ergebnisse aus dem Bereich der Schulwahl vorgestellt. Dabei geht es hier nicht um die Wahl zwischen verschiedenen Schulformen (z.B. in Deutschland die Wahl zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium nach der 4. Klasse), sondern darum, ob und ggf. warum Migranten bei gegebener Schulform Schulen mit bestimmten Merkmalen über- oder unterdurchschnittlich häufig besuchen. Es ist zu vermuten, dass bei der Schul- und Kindergartenwahl die gleichen Mechanismen wirken und daher aus den Ergebnissen zu ethnischen Unterschieden bei der Schulwahl wichtige Erkenntnisse auch für die Kindergartenwahl gewonnen werden können. Welche Bildungserfolge Schüler erzielen können, ist nicht nur von individuellen Merkmalen der Schüler und ihrem Familienhintergrund abhängig, sondern auch von den Bedingungen in den Schulen und Klassen (z.B. Ausstattung der Schulen mit Materialen, Qualifikation und Motivation der Lehrer, Zusammensetzung der Schülerschaft). Solche Kontexteffekte sind gut belegt (z.B. Kristen 2002; Klieme et al. 2006; Dar/Resh 1986). Es stellt sich nun die Frage, welche Schüler welche Schulen besuchen bzw. ob es bestimmte Gruppen von Schülern gibt, die häufiger solche Schulen besuchen, die für ihre Schulleistungen förderlicher sind, als andere Gruppen von Schülern. Dabei ist festgestellt worden, dass die Verteilung von Migrantenkindern und einheimischen Kindern über die Schulen in einer bestimmten Region nicht zufällig ist, sondern mit solchen Merkmalen der Schulen systematisch zusammenhängt. Dabei kann eine Tendenz gefunden werden, dass Migrantenkinder vermehrt auf Schulen gehen, die weniger förderliche Lernbedingungen aufweisen, als dies bei einheimischen Kindern der Fall ist (Neild 2001; Betts/Fairlie 2001; Kristen 2005, 2007). Eine nahe liegende Ursache für die unterschiedliche Verteilung zwischen Migranten und Einheimischen auf Schulen mit mehr oder weniger förderlichen Lernbedingungen ist die ethnische Segregation der Wohnumgebung, die sich in der Schulsegregation widerspiegelt. Migranten wohnen häufiger in schlechten Wohngegenden als Einheimische und die Schulen in diesen Gegenden sind meistens von geringerer Qualität als die Schulen in besseren Wohngegenden (z.B. durch private Spenden der Eltern, Selbstselektion der Lehrer etc.). Selbst wenn die Ausstattung und Qualität in allen Schulen gleich wäre, wäre allein schon durch die unterschiedliche soziale und ethnische Schülerzusammensetzung zu erwarten, dass Migranten im Durchschnitt Schulen mit einem weniger förderlichen Lernklima besuchen, da auch die Schülerkomposition das Lern- und Leistungsklima beeinflusst und einen eigenständigen Effekt auf Schülerleistungen
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Birgit Becker
hat (vgl. Kristen 2002). Jedoch gibt es selbst im gleichen Wohnkontext noch Varianz bei den Schulen in Bezug auf ihre Schülerzusammensetzung und andere qualitätsrelevante Merkmale. An diesem Punkt spielt die individuelle Schulwahl der Familien eine wichtige Rolle (Kristen 2005). In Schulsystemen, in denen die Familien überhaupt eine Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Schulen haben, können Familien bei der Schulwahl ihren Präferenzen folgen, was schließlich die Verteilung der Schüler über die Schulen bestimmt. Auf diese Weise könnte durch die Schulwahl der Eltern die Segregation in Bezug auf die ethnische oder soziale Verteilung in den Schulen noch verstärkt werden. In einer Studie zur Wahl einer High School nach der achten Klasse in Philadelphia stellt Neild (2001) fest, dass vor allem sehr gute und weiße Schüler die höchste Wahrscheinlichkeit haben, eine sehr gute High School zu besuchen. Ein Hauptergebnis der Autorin ist, dass vor allem diejenigen Schüler, die schon vorher eine qualitativ gute Schule besucht haben, auch nach der achten Klasse am wahrscheinlichsten eine gute Schule besuchen. Die ethnische und soziale Ungleichheit bei der Verteilung über die Schulen bleibt nach der Schulwahl erhalten. Als eine Ursache hierfür wird ein unterschiedliches Niveau an Informationen über die Schuloptionen bei den Familien genannt und die Art und Weise, wie diese Informationen von den Familien interpretiert werden (Neild 2001: 326). Spezielle Informationen zu bestimmten Schulprogrammen werden von offizieller Seite kaum angeboten und die Familien müssen von sich aus aktiv werden und Zeit und Mühe investieren, um diese Informationen zu erhalten. Die stärkste Determinante für diese aktive Informationssuche der Eltern ist ihre Bildung. Hinzu kommen unterschiedliche Aspirationen und kulturelle Präferenzen, die auch zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen variieren. So bemühen sich relativ wenig hispanische Familien um einen Schulwechsel, obwohl gerade hispanische Schüler im Durchschnitt Schulen mit unter-durchschnittlichen Schülerleistungen besuchen. Es gibt Hinweise, die die Ursache dafür in einer starken Präferenz der hispanischen Eltern für Schulen in der Nähe der Wohnung und für Schulen mit einem ähnlichen kulturellen und sprachlichen Rahmen sehen (Neild 2001: 117). Insgesamt gesehen spielt das aktive Bemühen der Eltern bei der Schulwahl eine Schlüsselrolle. Auch in Deutschland gibt es ethnische Unterschiede bei der Schulwahl. Kristen findet in ihrer Studie zur Schulsegregation, dass türkische Familien häufiger Grundschulen mit einem höheren Migrantenanteil wählen, womit sich die Segregation in den Schulen, die zu einem großen Teil bereits durch die residentielle Segregation geprägt ist, noch verstärkt (Kristen 2005, 2007, 2008). Die Hauptursache für diese unterschiedliche Schulwahl findet die Autorin in der unterschiedlichen Alternativenwahrnehmung der Familien. Diese Alternativenwahrnehmung wird stark durch die in den Familien vorhandenen Ressourcen
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bestimmt, wobei Informationen über das Schulsystem die wichtigste Ressource darstellen. Familien, die über die relevanten Informationen zum Bildungssystem verfügen, betrachten bei der Schulwahl mehr Alternativen als Familien, denen dieses Wissen fehlt. Die ethnischen Unterschiede bei der Alternativenwahrnehmung verschwinden komplett, wenn die in der Familie vorhandenen Informationen über das Bildungssystem kontrolliert werden. Damit sind vor allem fehlende Informationsressourcen dafür verantwortlich, dass türkische Familien für ihre Kinder häufiger Schulen mit weniger förderlichen Lernkontexten auswählen. Das Vorhandensein dieser Informationsressourcen ist stark von der Bildung der Eltern abhängig. Bei den Türken hat sich zudem gezeigt, dass bessere Deutschkenntnisse die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ausreichend über das Schulsystem informiert zu sein.
3.3 Zwischenfazit und Hypothesen Die bisherige Forschung zur Wahl vorschulischer Einrichtungen hat sich auf die Frage konzentriert, welche Kinder überhaupt eine institutionelle vorschulische Betreuungseinrichtung nutzen. In Deutschland besuchen inzwischen jedoch fast alle Kinder vor Schulbeginn den Kindergarten, so dass sich diese Frage kaum noch stellt. Sehr wahrscheinlich gibt es jedoch Unterschiede in Hinblick darauf, wer ab wann welchen Kindergarten (mit welchen Merkmalen) besucht. Im Folgenden empirischen Teil dieses Kapitels wird konkret der Frage nachgegangen, welche Kinder eher stark und welche eher schwach segregierte Kindergärten besuchen. Aus den Hinweisen in der Literatur und insbesondere den Befunden zur Schulwahl lässt sich eine zentrale Rolle der Informiertheit der Eltern vermuten. Eltern, denen gar nicht alle Kindergärten im Umfeld bekannt sind oder denen Informationen zur Beurteilung der Einrichtungen fehlen, treffen möglicherweise suboptimale Entscheidungen. Daraus wird die erste Hypothese abgeleitet: Hypothese 1: Eltern, die besser über Kindergärten informiert sind, wählen eher Kindergärten mit einem geringen Migrantenanteil als schlechter informierte Eltern. Aus der Literatur zur Kindergartenwahl deutet sich an, dass besonders konkrete Restriktionen bezüglich der räumlichen Nähe und der Öffnungszeiten die Wahl stark einschränken können (indirekte Kosten der Kindergartenwahl). Eine solche Einschränkung wirkt sich jedoch wahrscheinlich vor allem in Wohngebieten mit hohem Migrantenanteil auf die Kindergartenwahl aus: Wenn eine Familie in
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Birgit Becker
einer Gegend mit einem geringen Migrantenanteil wohnt, so wird sie wahrscheinlich auch einen Kindergarten mit einem geringen Migrantenanteil wählen (schon deshalb, weil es dort kaum Kindergärten mit höherem Migrantenanteil geben wird) – ganz unabhängig von ihren Restriktionen. In Gegenden mit einem hohen Migrantenanteil hingegen können sich Restriktionen bei der Kindergartenwahl dahingehend auswirken, dass eher Kindergärten mit einem höheren Migrantenanteil gewählt werden (müssen). Damit wird ein positiver Interaktionseffekt zwischen der Stärke der Restriktionen und der residentiellen Segregation erwartet. Zusammengefasst werden aus diesen Überlegungen die folgenden Hypothesen formuliert: Hypothese 2a: Je stärker den Eltern konkrete Restriktionen bei der Kindergartenwahl auferlegt sind (bezüglich räumlicher Nähe und Öffnungszeiten), desto eher wählen sie stärker segregierte Kindergärten. Hypothese 2b: Dieser Zusammenhang ist umso größer, je höher der Migrantenanteil im Wohnumfeld ist. Schließlich hat sich in verschiedenen Studien erwiesen, dass das soziale Netzwerk der Eltern eine wichtige Rolle bei der Wahl konkreter Einrichtungen spielt. Generell ist davon auszugehen, dass sich Empfehlungen und Informationen von Freunden positiv auswirken, jedoch kommt es dabei wohl auch darauf an, welche Freunde man hat. Hier sind auch ethnische Unterschiede plausibel: Bei Migrantenfamilien sind die Empfehlungen von Freunden der eigenen ethnischen Herkunft vielleicht weniger hilfreich, da diese selbst weniger gut über Kindergärten Bescheid wissen. Damit kommt es in Migrantenfamilien wahrscheinlich auf die ethnische Zusammensetzung des sozialen Netzwerks an. Damit werden zwei Hypothesen aufgestellt: Hypothese 3: Deutsche Eltern mit Freunden, die selbst Erfahrung mit Kindergärten haben, wählen eher Kindergärten mit einem geringeren Migrantenanteil als deutsche Eltern ohne solche Vorbilder im Freundeskreis. Hypothese 4: Migranteneltern mit einem hohen Anteil an Freunden nichtdeutscher Herkunft wählen eher stark segregierte Kindergärten als Migranteneltern, die über einen höheren Anteil an deutschen Freunden verfügen.
Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion 4
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Daten und Operationalisierungen
4.1 Daten Die Daten für die empirischen Analysen stammen aus dem DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, das am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (Universität Mannheim) durchgeführt wird. Dabei wurden Einwohnermeldeamtsstichproben von deutschen und türkischen Familien mit einem 3-4jährigen Kind in 30 Städten und Gemeinden in einer Region im Südwesten Deutschlands zufällig gezogen. Die Familien erhielten ein Ankündigungsschreiben (die türkischen Familien erhielten diesen Brief auf Deutsch und Türkisch), danach wurden sie von Interviewern kontaktiert, um einen Termin für ein persönliches Interview bei ihnen zu Hause zu vereinbaren. Die um neutrale Ausfälle bereinigte Teilnahmequote lag bei 66 Prozent (63 Prozent bei den deutschen, 69 Prozent bei den türkischen Familien). Das Interview wurde computergestützt mit dem Elternteil durchgeführt, der hauptsächlich für die Betreuung des 3-4-jährigen Zielkindes zuständig ist (dies war in ca. 95 Prozent der Fälle die Mutter). Türkische Familien wurden von bilingualen Interviewern kontaktiert und konnten Deutsch oder Türkisch als Interviewsprache frei wählen. Nach dem Elterninterview wurde mit dem Zielkind der standardisierte Entwicklungstest „Kaufman Assessment Battery for Children“ (K-ABC) durchgeführt. Die Familien wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2007 zum ersten Mal interviewt, nach ca. einem Jahr erfolgte eine zweite Befragung. Insgesamt haben 1283 Familien an der ersten Erhebungswelle teilgenommen, davon 610 deutsche und 627 türkische Familien (zusätzlich sind im Datensatz 46 Kinder mit einem anderen Migrationshintergrund enthalten, die jedoch in den folgenden Analysen nicht weiter berücksichtigt werden). Als Kinder mit „türkischem Migrationshintergrund“ werden solche Kinder definiert, von denen mindestens ein Eltern- oder Großelternteil in der Türkei geboren wurde. Zur zweiten Befragung im Frühjahr 2008 haben 579 deutsche und 559 türkische Familien erneut an der Studie teilgenommen, die Panelmortalität lag bei knapp 8 Prozent. Im Elterninterview wurde erfragt, ob das Zielkind aktuell einen Kindergarten besucht oder nicht. Zum ersten Erhebungszeitpunkt, als die Zielkinder zwischen drei und vier Jahre alt waren, besuchten bereits 94 Prozent der deutschen und 84 Prozent der türkischen Kinder einen Kindergarten. Zum zweiten Erhebungszeitpunkt etwa ein Jahr später waren es über 99 Prozent in beiden Gruppen. Sofern das Kind einen Kindergarten besuchte, wurde auch nach der konkreten Einrichtung gefragt. Insgesamt liegen von 602 deutschen und 610 türkischen Familien Informationen darüber vor, in welchen konkreten Kinder-
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Birgit Becker
garten das Zielkind geht (wenn das Zielkind in der ersten Welle noch nicht den Kindergarten besucht hatte, wurde die entsprechende Angabe aus der zweiten Welle verwendet). Alle Kindergärten, die während der Elterninterviews genannt wurden, wurden schriftlich kontaktiert und gebeten, einen kurzen Fragebogen auszufüllen und zurückzusenden. Diejenigen Einrichtungen, die nach einigen Wochen den Fragebogen noch nicht zurückgeschickt hatten, wurden telefonisch kontaktiert, um auf diesem Weg die Befragung durchzuführen bzw. zumindest die wichtigsten Merkmale der Einrichtung abzufragen. 81 Prozent der kontaktierten Einrichtungen haben den Fragebogen vollständig beantwortet, von 92 Prozent konnten zumindest die wichtigsten Merkmale (wie die ethnische Zusammensetzung) abgefragt werden. Damit liegen für 552 deutsche und 539 türkische Kindern Informationen über die ethnische Segregation in dem Kindergarten, den sie aktuell besuchen, vor. Nur für diese Kinder können die folgenden empirischen Analysen durchgeführt werden (dies entspricht bei den Deutschen 90 Prozent und bei den Türken 86 Prozent der Fälle aus der 1. Welle). Zusätzlich mussten noch einige wenige Fälle ausgeschlossen werden, bei denen keine vollständige Informationen bei den Modellvariablen vorhanden war, so dass für die Analysen insgesamt 1084 Fälle (550 deutsche, 534 türkische) verbleiben.
4.2 Operationalisierungen Anteil Migrantenkinder im Kindergarten (abhängige Variable): In diesem Kapitel wird die Wahl von unterschiedlich stark segregierten Kindergärten von deutschen und türkischen Eltern untersucht. Dabei wird der Frage nachgegangen, welche Faktoren einen Einfluss darauf haben, ob die Eltern Kindergärten mit einem hohen oder niedrigen Anteil an Migrantenkindern für ihr Kind auswählen. Zur Messung der ethnischen Segregation im Kindergarten wird die folgende Frage aus dem Kindergarten-Fragebogen verwendet, die vom Personal der Einrichtung beantwortet wurde: Wie ist die Zusammensetzung der Kinder in Ihrer Einrichtung? Bitte geben Sie bei den folgenden Fragen an, auf wie viel Prozent der Kinder in Ihrer Einrichtung die jeweilige Aussage zutrifft. Wenn Sie sich nicht sicher sind, können Sie auch eine Schätzung vornehmen. Wie viele Kinder haben Eltern, von denen mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist?
Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion
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Die Antwort erfolgte auf einer 10er-Skala in 10-Prozent-Schritten (1: 0-10%, 2: 11-20%, 3: 21-30%, etc.).2 Diese Variable stellt somit eigentlich ein Merkmal der Kindergärten dar, wird jedoch in diesem Beitrag als „Quasi-Individualmerkmal“ behandelt und als Entscheidung der Eltern für eine Einrichtung mit einem bestimmten Maß an ethnischer Segregation interpretiert. Dies ist analog zu entsprechenden Vorgehensweisen bei der Wahl von Schularten (z.B.: Wer wählt ein Gymnasium? Wer wählt eine Privatschule?) – auch hier werden Merkmale der Schule als abhängige Variable verwendet und als „QuasiIndividualmerkmale“ interpretiert.3 Anteil ausländischer Kinder im Postleitzahl-Gebiet: Die meisten Eltern wählen für ihr Kind einen Kindergarten in ihrem Wohngebiet aus. Ob die Eltern einen Kindergarten mit eher hohem oder niedrigem Migrantenanteil auswählen, hängt daher in erster Linie von der ethnischen Zusammensetzung der 3-6-jährigen Kinder in ihrem Wohngebiet ab. Daher muss für die Erklärung der Wahl unterschiedlich stark segregierter Kindergärten der Anteil an Migrantenkindern im Kindergartenalter im Wohngebiet kontrolliert werden. Da diese Information jedoch nicht verfügbar ist, wird als Proxy-Variable der Anteil ausländischer Kinder des Geburtsjahrgangs 2003 im Postleitzahlgebiet verwendet. Diese Variable konnte direkt aus den Daten berechnet werden, die von den Einwohnermeldeämtern zur Verfügung gestellt wurden: Für die Stichprobenziehung lag eine Liste aller Familien mit einem zwischen Januar 2003 und Juni 2004 geborenem Kind im Erhebungsgebiet vor, in der auch die Nationalität des Zielkindes enthalten war. Daher konnte für jedes Postleitzahlgebiet der Anteil an Kindern mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft berechnet werden. Anteil Ausländer in der direkten Wohnumgebung: Da ein Postleitzahlgebiet teilweise recht großflächig sein kann, wird als zusätzliches Maß der residentiellen Segregation der Anteil Ausländern in der Nachbarschaft verwendet. Hierbei wird folgende Frage aus dem Elterninterview benutzt: 2 Bei den späteren Analysen wird diese 10er-Skala als abhängige Variable verwendet, die Interpretation und Beschriftung der Grafiken erfolgt jedoch teilweise in Prozentangaben. Für die Berechnung des Migrantenanteils in Prozent wurde auf der 10er-Skala die Mitte der jeweiligen Kategorien zugrunde gelegt. So wird z.B. ein Mittelwert von 2 (11 bis 20%) als 15% ausgedrückt. 3 Ein Problem könnte die Tatsache darstellen, dass das Zielkind selbst jeweils die ethnische Zusammensetzung im Kindergarten mitbestimmt. Idealerweise hätte man die ethnische Zusammensetzung im Kindergarten, bevor das Zielkind diesen Kindergarten besucht, verwendet. Der dadurch entstehende Fehler dürfte jedoch nicht allzu groß sein, da die befragten Kindergärten im Durchschnitt von 72 Kindern besucht werden und ein einzelnes Kind damit nur etwa 1-2 Prozent der Kindergartenpopulation ausmacht.
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Birgit Becker Wie viele ausländische Menschen leben in Ihrer direkten Wohnumgebung? [Alle/ über die Hälfte/ etwa die Hälfte/ etwa ein Viertel/ weniger/ keine]
Aus den Antworten dieser Frage wurde eine dichotome Variable gebildet, die den Wert 1 annimmt, wenn mindestens die Hälfte der Menschen in der direkten Wohnumgebung Ausländer sind, und den Wert 0, wenn dies auf weniger als die Hälfte zutrifft. Wissen über den Kindergarten: Die Informiertheit der Eltern zu speziellen Einrichtungen wird indirekt über die Messung der allgemeinen Informiertheit über das Thema Kindergarten operationalisiert. Es wird angenommen, dass diejenigen Eltern, die allgemein gut über Kindergärten informiert sind, wahrscheinlich auch über konkrete Einrichtungen besser Bescheid wissen als die Eltern, die solches Wissen nicht haben. Um den Grad an Informiertheit der Eltern zum Thema Kindergarten zu messen, sind den Eltern Aussagen vorgelesen worden, zu denen sie jeweils angeben sollten, ob diese richtig oder falsch sind oder ob sie es nicht wissen. Für die Konstruktion der Wissensvariablen wurden die folgenden Aussagen verwendet:
Jedes Kind in Deutschland hat ab dem Alter von 3 Jahren einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Die Eltern müssen für ihr Kind immer den nächstgelegenen Kindergarten nehmen. Kinder dürfen immer erst im Herbst den Kindergarten beginnen, auch wenn das Kind schon früher drei Jahre alt geworden ist. Kinder müssen vor Beginn der Schule für mindestens ein Jahr einen Kindergarten besucht haben. Katholische und evangelische Kindergärten dürfen nur von Kindern besucht werden, die dieser Religionsgemeinschaft angehören.
Es wurde ein additiver Index gebildet, der den Anteil der korrekt beantworteten Wissensfragen enthält (d.h. „weiß nicht“-Antworten wurden wie falsche Antworten behandelt). Restriktionen zum Kindergartenbesuch: Als Maß für das Vorhandensein von konkreten Einschränkungen der Kindergartenwahl werden die Antworten auf die Frage verwendet, welche Kriterien (aus einer vorlegten Liste) den Eltern bei der Wahl des Kindergartens sehr wichtig waren. Als Indikator für solche Restriktionen wird dabei die Nennung der Kriterien „Nähe des Kindergartens zur Wohnung“ und „Öffnungszeiten des
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Kindergartens“ gewertet. Die Variable „Restriktionen zum Kindergartenbesuch“ nimmt den Wert 0 an, wenn keines dieser beiden Kriterien als sehr wichtig für die Kindergartenwahl genannt wurde, den Wert 0,5 wenn eines und den Wert 1, wenn alle beiden Kriterien als sehr wichtig genannt wurden. Vorbilder im Freundeskreis zum Kindergartenbesuch: Als Indikator für soziales Kapital, das für das spezielle Thema Kindergarten hilfreich sein könnte, wird das Vorhandensein von Vorbildern im Freundeskreis zum Kindergartenbesuch verwendet. Die konkrete Frageformulierung hierzu lautete: Haben Sie Freunde, die selbst Kinder im Alter von [Name Zielkind] haben? [Ja/ nein] Falls ja: Wie viele dieser Kinder ihrer Freunde besuchen einen Kindergarten? [Alle/ die meisten/ etwa die Hälfte/ weniger/ gar keine]
Die Variable über das Vorhandensein von Vorbildern im Freundeskreis zum Kindergartenbesuch ist eine dichotome Variable mit dem Wert 1, wenn die Eltern Freunde haben, bei denen alle oder die meisten Kinder einen Kindergarten besuchen und dem Wert 0, wenn dies nicht der Fall ist. Bildung der Eltern: Der höchste Bildungsabschluss beider Eltern wird verwendet. Dabei werden die drei Kategorien „kein Abschluss oder Hauptschulabschluss“, „Realschulabschluss oder Abitur“ und „FH- oder Universitätsabschluss“ unterschieden. Anteil deutscher Freunde im sozialen Netzwerk des Befragten (nur türkische Familien): Die ethnische Zusammensetzung des sozialen Netzwerks wurde durch folgende Frage gemessen: Denken Sie nun bitte an die Personen, mit denen Sie näher befreundet sind und mit denen Sie sich häufiger treffen. Berücksichtigen Sie jedoch nur Personen, die nicht im selben Haushalt wohnen. Welche Herkunft haben Ihre Freunde? Wie viele Ihrer Freunde sind Deutsche? [Alle/ die meisten/ etwa die Hälfte/ weniger/ gar keine]
Es wurde ein binärer Indikator gebildet, der die Ausprägung 1 annimmt, wenn die Hälfte oder mehr der Freunde deutscher Herkunft sind und die Ausprägung 0, wenn der Befragte angegeben hat, weniger oder gar keine deutschen Freunde zu haben.
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Birgit Becker Ergebnisse
Tabelle 1 zeigt die durchschnittliche ethnische Zusammensetzung in den Kindergärten, die von den deutschen und türkischen Kindern besucht werden. Die 550 deutschen Kinder verteilen sich auf 369 verschiedene Kindergärten. In diesen Einrichtungen beträgt der durchschnittliche Migrantenanteil ungefähr 23 Prozent. Die 534 türkischen Kinder verteilen sich auf 314 Kindergärten, in denen der durchschnittliche Migrantenanteil bei ca. 42 Prozent liegt. Deutsche und türkische Kinder besuchen also in Bezug auf die ethnische Segregation sehr unterschiedliche Kindergärten: Die türkischen Kinder gehen in Kindergärten, die im Durchschnitt einen um fast 20 Prozentpunkte höheren Migrantenanteil aufweisen als die Kindergärten, die von den deutschen Kindern besucht werden. Tabelle 1: Anteil Migrantenkinder in den Kindergärten, die von deutschen und türkischen Kindern besucht werden
Kindergärten, die von deutschen Kindern besucht werden Kindergärten, die von türkischen Kindern besucht werden Gesamt
Anteil in Prozent
Mittelwert
Median
Std.
Anzahl Kitas
Anzahl Kinder
23,3%
2,83
2
2,02
369
550
42,0%
4,70
5
2,58
314
534
32,6%
3,76
3
2,49
530
1084
Quelle: DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, eigene Berechnungen Anmerkungen: Dargestellt ist der durchschnittliche Migrantenanteil in den jeweiligen Kindergärten in Prozent (vgl. Fußnote 2) sowie der Mittelwert, Median und die Standardabweichung auf Basis der 10er-Skala (1: 0-10% bis 10: 91-100%). Lesebeispiel: Die 550 deutschen Kinder verteilen sich auf 369 Kindergärten, in denen der durchschnittliche Migrantenanteil ca. 23 Prozent beträgt (Mittelwert auf der 10er-Skala: 2,8).
Die Verteilung der deutschen und türkischen Kinder über Kindergärten mit unterschiedlich hohen Migrantenanteilen ist in Abbildung 2 präsentiert. In der linken Grafik ist die Verteilung für die deutschen Kinder zu sehen: Ein Drittel der deutschen Kinder besucht Kindergärten mit einem Migrantenanteil von 0-10 Prozent. Ein weiteres Viertel geht in Kindergärten mit einem Migrantenanteil von 11-20 Prozent. Nur wenige deutsche Kinder besuchen Kindergärten mit einer sehr hohen Konzentration an Migrantenkindern: Nur 14 Prozent der deutschen Kinder besuchen einen Kindergarten, in dem die Hälfte oder mehr der Kinder einen Migrationshintergrund hat. Die Verteilung bei den türkischen Kindern (rechte Grafik) weist ein komplett anderes Muster auf. Die Verteilung über
Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion
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die unterschiedlich stark segregierten Kindergärten ist hier viel gleichmäßiger. Nur 13 Prozent der türkischen Kinder besuchen einen Kindergarten mit einem Migrantenanteil von 0-10 Prozent. Dagegen besuchen 38 Prozent einen Kindergarten mit einem Migrantenanteil von über 50 Prozent. Abbildung 2:
Verteilung der Kinder über Kindergärten mit unterschiedlich hohen Migrantenanteilen türkische Kinder
.25 .2 .15 .1 0
.05
Anteil der Kinder
.3
.35
deutsche Kinder
0-10 21-30 41-50 61-70 81-90 11-20 31-40 51-60 71-80 91-100
0-10 21-30 41-50 61-70 81-90 11-20 31-40 51-60 71-80 91-100
Anteil Migrantenkinder im Kindergarten Quelle: DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, eigene Berechnungen Lesebeispiel: 34 Prozent der deutschen und 13 Prozent der türkischen Kinder besuchen Kindergärten mit einem Migrantenanteil von 0-10 Prozent.
Die Verteilung der unabhängigen Variablen ist in Tabelle 2 dargestellt. Deutsche und türkische Familien unterscheiden sich bezüglich zahlreicher Merkmale. Erwartungsgemäß leben die türkischen Familien wesentlich häufiger in einer Nachbarschaft mit einem hohen Ausländeranteil und haben im Durchschnitt einen niedrigeren Bildungsabschluss als die deutschen Eltern. Darüber hinaus zeigt sich, dass die deutschen Eltern im Durchschnitt besser über den Kindergarten informiert sind als die türkischen Eltern. Sie berichten in stärkerem Ausmaß über Restriktionen bei der Kindergartenwahl und sie haben auch häufiger Vor-
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Birgit Becker
bilder zum Kindergartenbesuch in ihrem Freundeskreis als die türkischen Eltern. Etwa ein Viertel der türkischen Befragten hat angegeben, einen hohen Anteil deutscher Freunde im Freundeskreis zu haben. Tabelle 2: Merkmale der Familien (Mittel-/Anteilswerte)
Ausländeranteil im PLZ-Gebiet Ausländer in der Nachbarschaft (mind. die Hälfte)
Deutsche Familien
Türkische Familien
Sig.
25,82 0,15
30,79 0,62
* *
0,10
0,32
Höchste Bildung Eltern: Kein Abschluss/Hauptschule
*
Realschule/Abitur
0,39
0,56
FH/Universität
0,51
0,12
Wissen über Kindergärten
0,90
0,71
*
Restriktionen zum Kindergartenbesuch
0,59
0,50
*
Vorbilder im Freundeskreis zum Kindergartenbesuch
0,81
0,63
*
Anteil deutscher Freunde Befragter (mind. die Hälfte)
--
0,26
--
N
550
534
Quelle: DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, eigene Berechnungen Anmerkungen: * Unterschiede zwischen deutschen und türkischen Familien sind signifikant mit p0,05.
Im Folgenden werden die Ergebnisse von Regressionsanalysen vorgestellt. Weil die Beobachtungen im gleichen Postleitzahlgebiet wahrscheinlich nicht unabhängig voneinander sind (z.B. wegen der generellen Verfügbarkeit von Kindergartenplätzen oder der Art der Anmeldung innerhalb eines bestimmten Gebietes), werden geclusterte Sandwich-Schätzer verwendet, die eine Korrelation der Standardfehler innerhalb der Postleitzahlgebiete erlauben.4 Im Modell 1 in Tabelle 3 sind die Effekte des türkischen Migrationshintergrundes und der residentiellen Segregation dargestellt. Wie erwartet steigt die Tendenz für die Wahl eines Kindergartens mit einem hohen Anteil an Migrantenkindern, je mehr ausländische Kinder in der Wohnumgebung leben. Auch bei Berücksichtigung der residentiellen Segregation wählen türkische Eltern Kindergärten mit einem signifikant höheren Migrantenanteil: Die durchschnittliche Differenz im Migrantenanteil in den Kindergärten, die von den deut-
4 Mehrebenenanalysen mit den Postleitzahlgebieten als Einheiten der zweiten Ebene erbrachten vergleichbare Ergebnisse.
Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion
37
schen und türkischen Familien gewählt werden, beträgt immer noch 12 Prozentpunkte. Tabelle 3: Der Einfluss der residentiellen Segregation und der Bildung der Eltern auf die Kindergartenwahl (Anteil Migrantenkinder im Kindergarten) Modell 1 b (SE) 1,22 (0,18) * 0,70 (0,08) *
Modell 2 b (SE) 1,14 (0,19) * 0,51 (0,09) *
Modell 3 b (SE) 1,01 (0,18) * 0,50 (0,10) *
Modell 4 b (SE) 0,35 (0,34) 0,48 (0,10) *
Türkische Familie (Ref. Deutsch) Anteil ausländischer Kinder im PLZ-Gebiet / 10 (zentriert) Ausländer in der Nachbarschaft 0,64 (0,16) * 0,44 (0,25) + 0,40 (0,25) 0,35 (0,24) Bildung Eltern (Ref. kein/HS) Realschule/Abitur -0,09 (0,17) -0,67 (0,31) * FH/Universität -0,42 (0,23) + -0,93 (0,32) * Interaktionen: Türkisch * Anteil ausl. Kinder PLZ 0,32 (0,12) * 0,33 (0,12) * 0,35 (0,12) * Türkisch * Ausl. Nachbarschaft 0,30 (0,28) 0,30 (0,27) 0,38 (0,27) Türkisch * Eltern Realschule/Abitur 0,80 (0,36) * Türkisch * Eltern FH/Universität 0,76 (0,42) + Konstante 2,91 (0,12) * 2,90 (0,12) * 3,14 (0,20) * 3,64 (0,28) * R2 0,3278 0,3372 0,3409 0,3439 N 1084 1084 1084 1084 Quelle: DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, eigene Berechnungen Anmerkungen: Dargestellt sind die unstandardisierten Regressionskoeffizienten aus OLSRegressionen mit robusten Standardfehlern (korrigiert für Postleitzahl-Cluster) in Klammern. * p0,05, + p0,10
Im Modell 2 sind Interaktionen zwischen dem türkischen Migrationshintergrund und der residentiellen Segregation hinzugefügt. Der Interaktionseffekt zwischen dem türkischen Migrationshintergrund und dem Anteil ausländischer Kinder im Postleitzahlgebiet erweist sich als signifikant positiv, d.h. dass der Effekt der residentiellen Segregation bei den türkischen Familien stärker ist als bei den deutschen. Die türkischen Eltern scheinen den im Wohngebiet vorgefundenen Möglichkeiten also stärker zu folgen als die deutschen Eltern. Dieser Interaktionseffekt ist grafisch in Abbildung 3 veranschaulicht. Nur in Gegenden mit geringem Migrantenanteil gibt es nahezu keine ethnischen Unterschiede bei der Kindergartenwahl. Je höher der Anteil ausländischer Kinder im Postleitzahlgebiet ist, desto größer wird der Unterschied zwischen deutschen und türkischen Familien. Im Modell 3 ist die Bildung der Eltern hinzugefügt worden. Das Vorzeichen ist negativ, d.h. höher gebildete Eltern wählen tendenziell Kindergärten mit einem
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geringeren Migrantenanteil, dieser Effekt ist jedoch nicht signifikant. Modell 4 enthält zusätzlich eine Interaktion des türkischen Migrationshintergrundes mit der Bildung. Dabei zeigt sich, dass nun die Haupteffekte der Bildung signifikant negativ sind (diese beziehen sich auf die Referenzkategorie der deutschen Familien): Höher gebildete deutsche Eltern schicken ihre Kinder also in Kindergärten, die einen signifikant geringeren Migrantenanteil aufweisen als die Kindergärten, die niedrig gebildete deutsche Eltern für ihre Kinder auswählen. Deutsche Eltern mit FH- oder Universitätsabschluss etwa wählen Kindergärten aus, deren Migrantenanteil im Durchschnitt 9 Prozentpunkte niedriger ist als der Migrantenanteil in den Kindergärten, die von deutschen Eltern mit Hauptschulabschluss gewählt werden. Bei den türkischen Familien spielt der Bildungsstand der Eltern dagegen keine Rolle für ihre Kindergartenwahl. Wahl von Kindergärten mit unterschiedlichem Migrantenanteil nach dem Anteil ausländischer Kinder im Postleitzahlbereich
10
20
30
40
50
60
70
80
Deutsche Kinder Türkische Kinder
0
Anteil Migrantenkinder im Kindergarten
Abbildung 3:
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Anteil ausländischer Kinder im PLZ-Gebiet Quelle: DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, eigene Berechnungen Anmerkungen: Dargestellt sind die vorhergesagten Werte aus dem Modell 2 in Tabelle 3. Alle anderen Variablen wurden auf den Mittelwert bzw. die Referenzkategorie fixiert.
Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion
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In den Modellen in Tabelle 4 wird der Einfluss der Informiertheit, der Restriktionen und der Vorbilder im Freundeskreis untersucht. Im Modell 5 sind die Haupteffekte dieser Variablen präsentiert. Die Informiertheit über Kindergärten hat einen signifikanten Einfluss auf die Kindergartenwahl: Besser informierte Eltern wählen für ihre Kinder Einrichtungen mit einem geringeren Migrantenanteil. Damit kann die erste Hypothese dieses Beitrags bestätigt werden. Je stärker den Eltern Restriktionen bei der Wahl in Bezug auf Öffnungszeiten und der räumlichen Nähe auferlegt sind, desto eher wählen sie stärker segregierte Kindergärten. Damit kann auch Hypothese 2a bestätigt werden. Das Vorhandensein von Vorbildern im Freundeskreis zur Kindergartenwahl hat hingegen keinen Einfluss auf die Kindergartenwahl. Tabelle 4: Der Einfluss von Informiertheit, Restriktionen und Vorbildern auf die Kindergartenwahl (Anteil Migrantenkinder im Kindergarten) Modell 5 b (SE) 0,28 (0,37) 0,48 (0,10) * 0,30 (0,25)
Modell 6 b (SE) 0,31 (0,37) 0,46 (0,10) * 0,32 (0,25)
Modell 7 b (SE) -0,10 (0,42) 0,45 (0,10) * 0,31 (0,25)
Türkische Familie (Ref. deutsch) Anteil ausl. Kinder im PLZ-Gebiet / 10 (z) Ausländer in der Nachbarschaft Bildung Eltern (Ref. kein/HS) Realschule/Abitur -0,60 (0,30) * -0,59 (0,30) * -0,55 (0,30) + FH/Universität -0,81 (0,32) * -0,80 (0,32) * -0,72 (0,31) * Wissen über Kindergärten (z) -0,88 (0,41) * -0,86 (0,40) * -0,87 (0,40) * Restriktionen zum Kindergartenbesuch (z) 0,39 (0,18) * 0,39 (0,18) * 0,38 (0,17) * Vorbilder im Freundeskreis -0,05 (0,13) -0,06 (0,13) -0,42 (0,22) * Interaktionen: Türkisch * Anteil ausl. Kinder PLZ-Gebiet 0,36 (0,11) * 0,39 (0,11) * 0,40 (0,11) * Türkisch * Ausländer in der Nachbarschaft 0,40 (0,27) 0,39 (0,27) 0,41 (0,28) Türkisch * Eltern Realschule/Abitur 0,76 (0,36) * 0,75 (0,35) * 0,72 (0,35) * Türkisch * Eltern FH/Universität 0,71 (0,42) + 0,69 (0,42) + 0,62 (0,42) Türkisch * Vorbilder Freundeskreis 0,60 (0,28) * Restriktionen * Anteil ausl. Kinder PLZ-Gebiet 0,20 (0,10) * 0,20 (0,10) * Konstante 3,66 (0,30) * 3,65 (0,30) * 3,89 (0,34) * R2 0,3503 0,3521 0,3548 N 1084 1084 1084 Quelle: DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, eigene Berechnungen Anmerkungen: Dargestellt sind die unstandardisierten Regressionskoeffizienten aus OLSRegressionen mit robusten Standardfehlern (korrigiert für Postleitzahl-Cluster) in Klammern. (z) Am jeweiligen Mittelwert zentrierte Variablen. * p0,05, + p0,10
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In Modell 6 ist eine Interaktion zwischen der Stärke der Restriktionen und dem Anteil ausländischer Kinder im Postleitzahlgebiet hinzugefügt worden, um die Hypothese 2b zu testen. Dieser Interaktionseffekt erweist sich als signifikant positiv: Wenn die Eltern bei der Kindergartenwahl Einschränkungen haben, weil ihnen bestimmte Öffnungszeiten oder die räumliche Nähe sehr wichtig sind, dann wählen sie tendenziell stärker segregierte Kindergärten. Dieser Zusammenhang ist umso stärker, je höher der Migrantenanteil in der Wohnumgebung ist. Etwas überraschend mag das Ergebnis erscheinen, dass das Vorhandensein von Vorbildern zum Kindergartenbesuch im Freundeskreis keinen Einfluss auf die Kindergartenwahl hat. Hier ist jedoch im Abschnitt 3.3 die Möglichkeit diskutiert worden, dass es darauf ankommen könnte, welche Freunde man hat und dass insbesondere für Migrantenfamilien die ethnische Zusammensetzung des sozialen Netzwerks hier relevant sein dürfte. Daher wird in einem nächsten Schritt getestet, ob das Vorhandensein von Vorbildern im Freundeskreis für deutsche und türkische Familien unterschiedlich wirkt. Dazu ist in Modell 7 eine Interaktion zwischen dem türkischen Migrationshintergrund und dem Vorhandensein von Vorbildern eingefügt worden. Der Haupteffekt der Vorbilder im Freundeskreis ist nun signifikant (dies ist der Effekt für die deutsche Referenzkategorie): Deutsche Eltern, die über Vorbilder zum Kindergartenbesuch im Freundeskreis verfügen, wählen Kindergärten mit einem signifikant geringeren Migrantenanteil als deutsche Eltern ohne solche Vorbilder (Bestätigung der Hypothese 3). Bei türkischen Eltern kann dieser Effekt dagegen nicht gefunden werden. Tendenziell (jedoch nicht statistisch signifikant) wirken bei ihnen Vorbilder sogar dahingehend, dass Kindergärten mit einem höheren Migrantenanteil gewählt werden.5 Dieser letzte Befund, dass Vorbilder zum Kindergartenbesuch bei den türkischen Familien keinen Effekt haben, könnte mit der ethnischen Zusammensetzung ihres Freundeskreises zusammenhängen. Um dies zu prüfen, werden zusätzliche Analysen mit der türkischen Stichprobe durchgeführt, die auch den Anteil deutscher Freunde des befragten Elternteils berücksichtigen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 5 dargestellt. Modell 8 zeigt den Effekt eines hohen Anteils deutscher Freunde im sozialen Netzwerk bei den türkischen Familien: Wenn die Eltern – bei Berücksichtigung aller anderen Variablen – viele deutsche Freunde haben, so wählen sie im Durchschnitt Kindergärten mit einem um 6,4 Prozentpunkte geringeren Migrantenanteil aus als Eltern mit wenigen oder gar keinen deutschen Freunden. Damit kann die vierte Hypothese dieses Beitrags bestätigt werden. Wie Modell 9 zeigt, ist dieser Effekt umso stärker, je höher der Migrantenanteil im Wohngebiet ist. 5 Interaktionen des türkischen Migrationshintergrundes mit den Restriktionen und der Informiertheit haben sich als nicht signifikant herausgestellt (Ergebnisse hier nicht berichtet).
Ethnische Unterschiede bei der Kindergartenselektion
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Tabelle 5: Der Einfluss der ethnischen Zusammensetzung des sozialen Netzwerks auf die Kindergartenwahl von türkischen Eltern (Anteil Migrantenkinder im Kindergarten) Modell 8 b (SE) 0,84 (0,10) * 0,69 (0,19) *
Modell 9 b (SE) 0,90 (0,10) * 0,70 (0,19) *
Anteil ausländischer Kinder im PLZ-Gebiet / 10 (z) Ausländer in der Nachbarschaft Bildung Eltern (Ref. kein/HS) Realschule/Abitur 0,21 (0,20) 0,23 (0,19) FH/Universität 0,04 (0,35) 0,06 (0,35) Wissen über Kindergärten (z) -0,67 (0,54) -0,66 (0,54) Restriktionen zum Kindergartenbesuch (z) 0,35 (0,25) 0,33 (0,25) Anteil deutscher Freunde Befragter -0,64 (0,24) * -0,63 (0,23) * Interaktionen: Restriktionen * Anteil ausl. Kinder im PLZ-Gebiet 0,25 (0,11) * 0,24 (0,11) * Anteil dt. Freunde * Anteil ausl. Kinder im PLZ-Gebiet -0,28 (0,13) * Konstante 4,08 (0,28) * 4,04 (0,28) * R2 0,3184 0,3228 N 534 534 Quelle: DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, eigene Berechnungen Anmerkungen: Dargestellt sind die unstandardisierten Regressionskoeffizienten aus OLS-Regressionen mit robusten Standardfehlern (korrigiert für Postleitzahl-Cluster) in Klammern. (z) Am jeweiligen Mittelwert zentrierte Variablen. * p0,05, + p0,10
Die Ergebnisse aus Modell 9 sind auch in Abbildung 4 präsentiert. Dabei sind die Effekte des Anteils deutscher Freunde und der Stärke der Restriktionen simultan dargestellt. In Gebieten mit geringer residentieller Segregation wirken sich diese Variablen kaum aus. Mit zunehmender ethnischer Konzentration im Wohngebiet sind jedoch deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen türkischer Familien festzustellen: Am stärksten lassen sich diejenigen türkischen Eltern von der residentiellen Segregation beeinflussen, die starke Restriktionen und keine oder nur wenige deutsche Freunde haben (gestrichelte schwarze Linie). Am wenigsten durch den Ausländeranteil im Wohngebiet werden diejenigen türkischen Eltern beeinflusst, denen Entfernung und Öffnungszeiten nicht besonders wichtig sind und die in ihrem sozialen Netzwerk viele deutsche Freunde haben (durchgezogene graue Linie). Diese Eltern verhalten sich bei der Kindergartenwahl recht ähnlich wie die deutschen Eltern (vgl. Abbildung 3). Die anderen beiden Gruppen nehmen jeweils eine mittlere Stellung ein.
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Birgit Becker Kindergartenwahl türkischer Eltern nach dem Vorhandensein von Restriktionen und dem Anteil deutscher Freunde im sozialen Netzwerk
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wenige dt. Freunde, keine Restriktionen viele dt. Freunde, keine Restriktionen wenige dt. Freunde, starke Restriktionen viele dt. Freunde, starke Restriktionen
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Anteil Migrantenkinder im Kindergarten
Abbildung 4:
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Anteil ausländischer Kinder im PLZ-Gebiet Quelle: DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“, eigene Berechnungen Anmerkungen: Dargestellt sind die vorhergesagten Werte aus Modell 9 in Tabelle 5. Alle anderen Variablen wurden auf den Mittelwert bzw. die Referenzkategorie fixiert.
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Zusammenfassung und Diskussion
In diesem Beitrag ist die Kindergartenwahl von deutschen und türkischen Familien untersucht worden. In welchen Kindergarten mit welchen Merkmalen ein Kind geht, kann die Lernmöglichkeiten des Kindes durchaus beeinflussen. Dabei spielt natürlich vor allem die Qualität der besuchten vorschulischen Einrichtung eine Rolle (vgl. NICHD 2002; NICHD/Duncan 2003), jedoch wirkt sich auch die Zusammensetzung der Kinder in der Einrichtung auf die Möglichkeiten zur Entwicklung verschiedener Kompetenzen aus (vgl. Biedinger et al. 2008). Gerade für den Erwerb der deutschen Sprache bei Migrantenkindern ist die ethnische Segregation im Kindergarten wichtig (vgl. Becker 2006). Da die Beherrschung
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der deutschen Sprache auf einem adäquaten Niveau eine Schlüsselkompetenz für den Bildungserfolg von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem darstellt, kann es durchaus relevant sein, ob Migrantenkinder niedrig oder hoch segregierte Kindergärten mit den entsprechend unterschiedlichen Möglichkeiten für den Erwerb der deutschen Sprache besuchen. Im empirischen Teil dieses Beitrags ist die Wahl von unterschiedlich stark segregierten Kindergärten von deutschen und türkischen Familien untersucht worden. Als Datenbasis dafür diente die Eltern- und Kindergartenbefragung aus dem DFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“. Es hat sich gezeigt, dass türkische Eltern Kindergärten für ihre Kinder auswählen, die einen wesentlich höheren Migrantenanteil aufweisen, als die Kindergärten, die von deutschen Eltern für ihre Kinder ausgewählt werden. Bei türkischen Familien ist auch der Zusammenhang zwischen der ethnischen Segregation in ihrer Wohnumgebung und dem Migrantenanteil im gewählten Kindergarten viel stärker als dies bei deutschen Familien der Fall ist. Türkische Familien scheinen damit den vorstrukturierten Möglichkeiten der Wohnumgebung stärker zu folgen als deutsche Familien. Die Informiertheit der Eltern über Kindergärten hat sich als wichtiger Faktor für ihre Kindergartenwahl herausgestellt. Besser informierte Eltern wählen im Durchschnitt Kindergärten mit einem geringeren Migrantenanteil als Eltern mit einem geringeren Wissensstand zu diesem Thema. Auch konkrete Restriktionen spielen eine Rolle bei der Kindergartenwahl. Wenn den Eltern bestimmte Öffnungszeiten oder die räumliche Nähe zur Wohnung wichtig sind, so sind ihre Wahlmöglichkeiten eingeschränkter und sie wählen im Durchschnitt stärker segregierte Kindergärten. Dies trifft umso stärker zu, je höher der Migrantenanteil im Wohngebiet ist. Einen Einfluss des Vorhandenseins von Freunden mit Kindern im Alter des Zielkindes, die mehrheitlich den Kindergarten besuchen, konnte nur für die deutschen Familien festgestellt werden: Wenn die deutschen Eltern über solche Vorbilder im Freundeskreis verfügen, wählen sie Kindergärten mit einem geringeren Migrantenanteil als diejenigen Eltern ohne solche Vorbilder. Für die türkischen Familien konnte dieser Effekte hingegen nicht gefunden werden. Jedoch hat sich bei ihnen die ethnische Zusammensetzung ihres sozialen Netzwerks als bedeutsam erwiesen: Türkische Eltern mit nur wenigen oder gar keinen deutschen Freunden wählen stärker segregierte Kindergärten aus als Eltern, die einen höheren Anteil an deutschen Freunden haben. Dieser Effekt ist umso stärker, je höher der Migrantenanteil im Wohngebiet ist. Ob die türkischen Eltern deutsche Freunde haben oder nicht hängt übrigens nur mäßig mit der ethnischen Segregation in ihrer Wohnumgebung zusammen.
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Als Fazit ist festzuhalten, dass die Wahl eines Kindergartens mit einem bestimmten Migrantenanteil nicht einfach nur von der residentiellen Segregation des Wohngebietes abhängt, sondern dass sich Eltern bei der Kindergartenwahl systematisch unterscheiden. Türkische Eltern folgen den Gegebenheiten tendenziell stärker und sind generell auch schlechter über das Thema Kindergarten informiert als deutsche Eltern, was dazu führt, dass sie im Durchschnitt häufiger stärker segregierte Kindergärten auswählen. Das Vorhandensein von deutschen Freunden im sozialen Netzwerk kann dieser Tendenz zwar entgegenwirken, jedoch haben die meisten türkischen Familien nur wenige oder gar keine deutschen Freunde. Durch diese Selbstselektion der türkischen Familien lassen sich negative Effekte auf den Erwerb der deutschen Sprache vermuten, was in Zukunft mit Paneldaten jedoch erst genauer untersucht werden muss.
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Frühe ethnische Bildungsungleichheit: Der Einfluss des Kindergartenbesuchs auf die deutsche Sprachfähigkeit und die allgemeine Entwicklung Nicole Biedinger und Birgit Becker
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Einleitung
Seit der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse hat in Politik und Medien vor allem das schlechte Abschneiden von Kindern mit Migrationshintergrund zu großer Besorgnis beigetragen. Dabei gilt in der Bildungsforschung der Befund, dass Kinder mit Migrationshintergrund die nachteiligsten Positionen im deutschen Bildungssystem einnehmen, schon längst als gesichert (z.B. Alba et al. 1994; Diefenbach 2002; Nauck 1994). Diese ethnischen Unterschiede in der Bildungsbeteiligung führen zu einer schlechteren Positionierung von Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt, womit bereits vorhandene Ungleichheiten fortgeschrieben und weiter verfestigt werden (Bender/Seifert 1996; Kalter/Granato 2002; Kogan 2003). Die festgestellten Defizite tragen damit maßgeblich zur dauerhaften Etablierung ethnischer Schichtung bei (vgl. Esser 2001). Ethnische Bildungsungleichheit lässt sich auf verschiedenen Stufen im Bildungssystem nachweisen (Diefenbach 2004). Dabei wurde in der Bildungsforschung bisher der Fokus vor allem auf den Übergang von der Grundschule zu weiterführenden Schulen oder auf die tatsächlich erreichten Abschlüsse am Ende der Schulzeit gerichtet (z.B. Alba et al. 1994; Kristen 2002; Marks 2005). Allerdings finden sich ethnische Schulleistungsunterschiede schon während der Grundschulzeit (Bos et al. 2003) und es existieren deutliche Hinweise darauf, dass der Grundstein für die ethnische Bildungsungleichheit bereits vor der Schulzeit gelegt wird (Becker/Biedinger 2006; Mengering 2005; Schöler et al. 2004). Bei den Migrantenkindern werden vor allem Probleme bei den Deutschkenntnissen diagnostiziert (Becker 2006; Stadt Köln 2005), aber auch in den
Dieses Beitrag basiert auf bereits veröffentlichten Analysen (Becker/Biedinger 2006; Becker 2006; Biedinger et al. 2008). Für die Bereitstellung der Daten danken wird dem Gesundheitsdienst für Landkreis und Stadt Osnabrück und insbesondere Frau Rohling für die intensive Unterstützung bei der Datenaufbereitung und Rekodierung und dass sie jederzeit als Ansprechpartnerin zur Verfügung stand.
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Birgit Becker und Nicole Biedinger
Bereichen allgemeine Sprachfähigkeit, Kognition und Wahrnehmung werden im Vergleich zu deutschen Kindern häufiger Defizite festgestellt (Rohling 2002: 83; Schöler et al. 2004: 35). Solche ethnischen „Startnachteile“ sind alarmierend, denn durch die Neigung von Kapital (auch Humankapital) zur Anhäufung können selbst relativ geringe Nachteile mit der Zeit zu gravierenden Unterschieden heranwachsen (Kalter 2003). Es stellt sich somit die Frage, wie es bereits zu Beginn der Schulzeit zu Nachteilen für Kinder mit Migrationshintergrund kommt. Der folgende Beitrag untersucht ethnische Unterschiede bei den deutschen Sprachfähigkeiten und der allgemeinen Entwicklung, wobei vor allem auf die Rolle des Kindergartenbesuchs fokussiert wird. Es wird angenommen, dass der Start der Schulkarriere der Kinder stark durch die in der Vorschulzeit erworbenen sprachlichen und allgemeinen (kognitiven) Kompetenzen der Kinder geprägt wird. Der Erwerb dieser Kompetenzen wird wiederum vor allem durch die Familie und das familiäre Umfeld beeinflusst. Weiterhin wird auch dem Besuch einer vorschulischen Einrichtung – in Deutschland ist dies vor allem der Kindergarten – für den Kompetenzerwerb eine entscheidende Bedeutung beigemessen. Bisher konnte international nachgewiesen werden, dass sich ein frühzeitiger und langer Vorschulbesuch positiv auf die Entwicklung und den langfristigen Bildungserfolg der Kinder auswirkt (vgl. Barnett 1995). Ein Hauptergebnis dieser Analysen ist jedoch auch, dass es nicht nur darauf ankommt, überhaupt einen Kindergarten zu besuchen, sondern auch auf die Merkmale der besuchten Einrichtung. Dabei hat vor allem die Qualität des Kindergartens einen vermittelnden Einfluss (Love et al. 2003). Es ist aber auch zu vermuten, dass nicht nur die Qualität der Einrichtung, sondern auch zum Beispiel die ethnische oder soziale Komposition einen Einfluss auf die Kompetenzentwicklung des Kindes hat. Daher werden in den folgenden Analysen nicht nur die individuelle Dauer des Kindergartenbesuchs, sondern auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Kindergärten berücksichtigt. Die empirischen Analysen werden mit den Daten der Osnabrücker Schuleingangsuntersuchung der Jahrgänge 2000 bis 2005 durchgeführt. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die theoretische Erklärung von ethnischer Bildungsungleichheit und der Forschungsstand des Einflusses des Kindergartens auf die Entwicklung des Kindes vorgestellt (Abschnitt 2). Daran schließt ein methodischer Abschnitt an, der die Daten und Operationalisierung beschreibt und auf das methodische Verfahren der Mehrebenenanalyse näher eingeht. In Abschnitt 4 werden die empirischen Ergebnisse präsentiert und danach folgt die Zusammenfassung und Diskussion (Abschnitt 5).
Frühe ethnische Bildungsungleichheit 2
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Erklärung von ethnischer Bildungsungleichheit zu Beginn der Schulzeit
2.1 Allgemeines Modell zur Erklärung von ethnischer Bildungsungleichheit zu Schulbeginn Zur Erklärung früher ethnischer Bildungsungleichheit gehen wir von einem mehrstufigen Modell aus (vgl. Becker/Biedinger 2006). Nachdem sich das vorherige Kapitel dieses Buches mit den Determinanten des Kindergartenbesuchs beschäftigt hat, konzentriert sich dieser Beitrag auf den Einfluss des Kindergartenbesuchs auf die sprachliche und allgemeine Entwicklung des Kindes. Die Relevanz von allgemeinen kognitiven Kompetenzen für den Schulerfolg der Kinder dürfte außer Frage stehen (Gamsjäger/Sauer 1996; Ramseier/Brühwiler 2003; Sauer/Gattringer 1985). Speziell für Migrantenkinder hat sich herausgestellt, dass die adäquate Beherrschung der Sprache des Aufnahmelandes für ihren Bildungserfolg entscheidend ist (Baumert/Schümer 2001). Abbildung 1 zeigt schematisch die Zusammenhänge, die im folgenden Beitrag im Mittelpunkt stehen werden. Im nächsten Abschnitt werden die Zusammenhänge, die in diesem Beitrag diskutiert werden, näher erörtert. Abbildung 1:
Einfluss des Kindergartens auf die Entwicklung
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Birgit Becker und Nicole Biedinger
2.2 Der Einfluss des Kindergartens auf die Sprachfähigkeit und die allgemeine Entwicklung Wir werden uns im Folgenden auf die Erklärung von deutschen Sprachfähigkeiten und der allgemeinen Entwicklung konzentrieren. Im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung, die uns als Datengrundlage dient, haben Schulärzte eine Bewertung dieser Kompetenzbereiche abgegeben. Wir nehmen an, dass der Familienhintergrund und (zusätzlich) der Kindergarten eine Wirkung auf diese Kompetenzen ausüben (siehe Hervorhebungen in Abbildung 1). Dem Kindergarten als Lernkontext kommt somit in unserem Modell eine zentrale Rolle zu. Neben der positiven Wirkung einer langen Kindergartenbesuchsdauer wurde empirisch bisher vor allem auch die Wirkung der Qualität der Einrichtung auf das Kind untersucht. Außerdem konnte aber gerade bei der Schulforschung gezeigt werden, dass nicht nur die Qualität, sondern auch die Zusammensetzung der Schüler eine eigenständige Rolle spielen kann. Da uns keine Informationen über die Qualität innerhalb der Kindergärten vorliegen, liegt unser Schwerpunkt auf dem Einfluss der Dauer des Kindergartenbesuchs und der Komposition der Kinder im Kindergarten. Bisherige Befunde zur Wirkung des Besuchs vorschulischer Einrichtungen stammen größtenteils aus der US-amerikanischen Forschung (für einen Überblick siehe Barnett 1995; Biedinger/Becker 2006). Ein zentraler Befund dieser Studien ist, dass die Kinder, die eine Vorschulgruppe besuchten, zu Beginn ihrer Schulzeit durchschnittlich einen höheren IQ verzeichnen konnten als die Kontrollgruppe (ohne Vorschulbesuch), jedoch ging dieser Vorsprung relativ schnell wieder verloren (vgl. Gramlich 1986). Auch im Bereich der Schulleistung fanden sich beachtliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, die auch langfristig erhalten blieben. Positive Effekte der Teilnahme an öffentlich finanzierten Interventionsprogramme werden in den Vereinigten Staaten ebenfalls berichtet, sowohl auf die kognitive und soziale Entwicklung des Kindes als auch auf die Schulleistung (vgl. Currie 2001; Currie/Thomas 1995; Garces et al. 2002). Jedoch zeigt sich, dass diese positiven Effekte bei schwarzen Kindern schnell wieder verloren gehen. In jüngster Zeit werden die Wirkungen vorschulischer institutioneller Betreuung vor allem in größeren Längsschnittstudien untersucht. Die positive Wirkung des Besuchs vorschulischer Einrichtungen auf den Kompetenzerwerb der Kinder sowie auf ihre Schulleistung kann dabei ebenfalls bestätigt werden (Burchinal et al. 2000; Magnuson et al. 2004; NICHD/Duncan 2003). Die internationalen Ergebnisse lassen sich allerdings nur bedingt auf den deutschen Kontext übertragen, da sich das Vorschulsystem in den USA stark vom deutschen unterscheidet. Die amerikanischen Befunde sind zudem nicht ganz einheitlich, lassen aber vermuten, dass die vorschulische institutionelle
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Betreuung einen entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung der Kinder hat (vgl. Aughinbaugh 2001; Garces et al. 2002; Haskins 1989; Magnuson et al. 2004). Insgesamt wird in den Studien die positive Wirkung von qualitativ hochwertigen Betreuungseinrichtungen auf die Entwicklung der Kinder bestätigt, auch wenn es zum Teil Zweifel an der Langfristigkeit der Wirkungen gibt (vgl. Barnett 1995).1 Bisher wurde der Kindergarten weitgehend als eine „black box“ betrachtet. Damit stellt sich die Frage, wie genau und unter welchen Bedingungen der Kindergarten die o.g. positiven Wirkungen entfalten kann. Dazu existiert relativ wenig Forschung. Die Dauer des Kindergartenbesuchs hat einen entscheidenden Einfluss auf die Kompetenzentwicklung der Kinder, d.h. die Kinder profitieren umso stärker vom Besuch einer vorschulischen Einrichtung, je länger sie diese besuchen (vgl. Sammons et al. 2004). Diese Wirkung ist zu erwarten, da eine längere Besuchsdauer auch längeren Aufenthalt in einer anregenden Lernumgebung bedeutet. Speziell für den Erwerb von deutschen Sprachfertigkeiten ist die Dauer des Kontakts mit der Sprache des Aufnahmelandes eine wichtige Dimension von „exposure“. Daneben gibt es auch Unterschiede zwischen den Kindergärten. Die Einrichtungen unterscheiden sich in Bezug auf ihre Qualität und die Zusammensetzung der Kinder, was jeweils einen Einfluss auf die Lernmöglichkeiten hat. Die Effekte des Kindergartenbesuchs für Migrantenkinder sind vor allem in dem verbesserten Zugang zur deutschen Sprache und Kultur zu sehen. Die Wichtigkeit eines solchen Zugangs wird in verschiedenen theoretischen Spracherwerbsmodellen betont (vgl. Spolsky 1989; Klein/Dimroth 2003; Chiswick/Miller 1995; für einen Überblick vgl. Esser 2006). Zentral in diesen Ansätzen ist die Annahme, dass der Lernende Zugang zur Sprache haben muss („exposure“), wobei sowohl die Dauer als auch die Qualität des Kontaktes eine Rolle spielen. Neben diesem „exposure“-Effekt fördert der Kindergarten durch seinen Anregungsgehalt auch die allgemeine Entwicklung der Kinder (vgl. DippelhoferStiem 2002; Schenk-Danzinger 1980; Simon-Hohm 2001; Textor 2005). Speziell für den Spracherwerb besteht die Möglichkeit, dass die förderliche Wirkung des Kindergartenbesuchs in Abhängigkeit von der ethnischen Segregation in den Kindergärten unterschiedlich hoch ausfällt. Dabei ist es plausibel anzunehmen, dass der Zugang zur deutschen Sprache im Kindergarten für Migrantenkinder umso leichter ist, je mehr andere Kinder die Sprache des Aufnahmelandes beherrschen und benutzen. Neben dem Anteil der ethnischen Konzentration generell könnte insbesondere auch der Anteil der eigenen ethnischen 1
Die Frage, ob benachteiligte Kinder von Vorschulprogrammen in besonderem Maße profitieren können, ist noch nicht abschließend geklärt (zu unterschiedlichen Beurteilungen kommen z.B. Garces et al. 2002; Sammons et al. 2004).
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Gruppe bedeutsam für den Spracherwerb sein. Eine hohe Konzentration von Kindern der eigenen ethnischen Gruppe könnte bei diesen dazu führen, bevorzugt mit den Kindern, die dieselbe Muttersprache sprechen, zu interagieren, dies mit dem Nebeneffekt, den Kontakt zur deutschen Sprache weitgehend zu vermeiden und damit segregative Strukturen innerhalb der Kindergärten zu fördern. An Studien, die die Wirkung der ethnischen Konzentration in vorschulischen Einrichtungen auf den Spracherwerb von Migrantenkindern untersuchen, fehlt es bisher. Bekannt ist jedoch der Effekt, dass eine hohe ethnische Konzentration im Wohngebiet den Spracherwerb von Migranten negativ beeinflusst (Chiswick/ Miller 2002; Dustmann/Fabbri 2003; Jirjahn/Tsertsvadze 2004). In der Schulforschung hat sich gezeigt, dass bei steigendem Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund in den Schulen, die Schülerleistungen tendenziell niedriger ausfallen (vgl. Kristen 2002; Stanat 2006). Schüler, die im Hinblick auf sozialen Hintergrund, kognitive Grundfähigkeit, familiäre Unterstützung und Migrationshintergrund vergleichbar sind, erzielen tendenziell in Schulen derselben Schulform geringere Leistungen, die von einem höheren Anteil von Jugendlichen besucht werden, deren Umgangssprache in der Familie nicht Deutsch ist. In der Schweiz ging Rüsch (1998) einer ähnliche Frage nach, nämlich inwieweit die Zusammensetzung der Schülerschaft in Schulklassen die Leseleistungen von Kindern der 3. Jahrgangsstufe beeinflusst. Auch hier zeigt sich, dass in Schulen mit höherem Anteil von Schülern, die Schweizerdeutsch nicht als Erstsprache gelernt haben, das Leistungsniveau insgesamt geringer und der Leistungsnachteil von Kindern mit Migrationshintergrund größer ist. Bei Kontrolle der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft, die durch den mittleren sozioökonomischen Hintergrund der Schüler operationalisiert wurde, verschwand der Effekt des Migrantenanteils jedoch vollständig. Demnach scheinen die geringeren Leistungen in Schulen mit relativ vielen Kindern aus zugewanderten Familien durch die soziale Benachteiligung von ausländischen Kindern bedingt zu sein. Neben der ethnischen Komposition, kann sich auch die soziale Zusammensetzung im Kindergarten auf die allgemeine Entwicklung der Kinder auswirken. Ramseier und Brühwiler (2003) kommen mit Analysen der PISA-Daten zu dem Ergebnis, dass sowohl die soziale als auch die ethnische Zusammensetzung signifikante Auswirkungen auf die Leistungen der Schüler haben. Die Autoren verweisen allerdings darauf, dass die soziale und ethnische Zusammensetzung teilweise konfundiert sind. Insgesamt zeigt sich konsistent, dass sich die Zusammensetzung der Schülerschaft auf die individuelle Leistung auswirkt (vgl. auch Ditton 1992; Fekjaer/Birkelund 2007; Willms 1986). Eine der wenigen Vorschulstudien, die die soziale Komposition berücksichtigt, konnte in Großbritannien feststellen, dass sich eine positive soziale Komposition in der Vorschule
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besonders für benachteiligte Kinder positiv auf deren Entwicklung auswirkt (Sylva et al. 2006). Es ist also zu vermuten, dass sich eine positive soziale Komposition im Kindergarten als positives Lernumfeld zur Stimulation der Entwicklung beiträgt. Zu diesen Vermutungen liegen bislang nur sehr wenige empirische Analysen im Vorschulsektor vor. Jedoch lassen Ergebnisse zu den Auswirkungen von Schülerzusammensetzungen auf die Schulleistung von Kindern in Schulklassen ähnliche Einflüsse auch im Kindergarten annehmen. Im Folgenden möchten wir daher die nachstehenden Fragen beantworten:
Wie wirkt sich die Dauer des Kindergartenbesuchs auf die deutsche Sprachfähigkeit und die allgemeine Entwicklung aus? Wie wirkt sich die soziale Komposition im Kindergarten auf die deutsche Sprachfähigkeit und die allgemeine Entwicklung aus? Wie wirkt sich die ethnische Komposition im Kindergarten auf die deutsche Sprachfähigkeit und die allgemeine Entwicklung aus?
Unter Berücksichtigung der bisherigen theoretischen und empirischen Betrachtung ist zu vermuten, dass sich die Sprachfähigkeiten vor allem durch die Kindergartenbesuchsdauer und die ethnische Komposition erklären lässt, wohingegen die allgemeinen Entwicklung eher von der Kindergartenbesuchsdauer und der sozialen Komposition beeinflusst sein sollte.
3
Methodisches Vorgehen
3.1 Datenlage und Operationalisierung Die empirischen Analysen dieses Beitrags basieren auf den Daten der Osnabrücker Schuleingangsuntersuchung der Jahrgänge 2000 bis 2005. Die Schuleingangsuntersuchung findet in allen Bundesländern in Deutschland vor Schulbeginn durch die Kinder- und Jugendgesundheitsdienste des Öffentlichen Gesundheitswesens statt. Da diese Untersuchung in den meisten Bundesländern für alle Kinder verpflichtend ist, werden annähernd alle Kinder eines Jahrgangs erreicht. Während der Schuleingangsuntersuchung werden eine Reihe von medizinischen Untersuchungen durchgeführt sowie der Entwicklungsstand der Kinder in verschiedenen Bereichen erfasst. Die Stadt Osnabrück hat für die Schuleingangsuntersuchung ein eigenes stark standardisiertes Verfahren entwickelt, das so genannte „Osnabrücker Modell“, das ab dem Jahr 2000 eingesetzt wurde (zu Details und dem genauem Ablauf der Schuleingangsuntersuchung in Osnabrück siehe Rohling 2002). Die Untersuchungsdauer für ein altersgemäß entwickeltes
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Kind beträgt etwa 40-60 Minuten. Zusätzlich wird von den meisten Eltern im Vorfeld der Untersuchung ein kurzer Fragebogen ausgefüllt und zum Untersuchungstermin mitgebracht. In diesem sind unter anderem auch Angaben zum Kindergartenbesuch des Kindes sowie demografische und soziale Hintergrundinformationen enthalten. Insgesamt sind in den Jahren 2000 bis 2005 in der Stadt Osnabrück 8601 Schuleingangsuntersuchungen durchgeführt worden. Die folgenden Analysen werden jedoch ohne die 485 im Datensatz enthaltenen Nachuntersuchungen ausgewertet, da diese bereits einmal vom Schulbesuch zurückgestellten Kinder eine selektive Spezialpopulation bilden und schon im Vorjahr bei der Untersuchung erfasst wurden. Außerdem werden 752 durchgeführte Untersuchungen von so genannten „Kann-Kindern“ nicht berücksichtig, da diese jünger sind als die anderen Kinder. Es fließen somit nur die Ergebnisse aus den Regeluntersuchungen mit ein. Die Analysen werden getrennt nach Migrationshintergrund durchgeführt. Fallzahlbedingt können nur drei Gruppen unterschieden werden: Deutsche Kinder, Kinder mit türkischem Migrationshintergrund und Kinder, deren Eltern aus der ehemaligen UdSSR stammen. Nach Ausschluss von Fällen mit fehlenden Werten auf den Modellvariablen und allen Kindern mit anderem Migrationshintergrund (N=844) verbleiben für die Analysen 6114 Fälle.2 Die Modellvariablen sind dabei wie folgt operationalisiert worden: Deutsche Sprachfähigkeit: Die Kenntnisse in der deutschen Sprache werden im Rahmen der Osnabrücker Schuleingangsuntersuchung nicht durch einen Test erhoben. Allerdings wird von der Schulärztin anhand der Kommunikation mit dem Kind während der Untersuchung festgehalten, ob das Kind eine Förderung in der deutschen Sprache benötigt. Damit können zumindest diejenigen Kinder identifiziert werden, die größere Defizite bei den deutschen Sprachfähigkeiten aufweisen. 0: Kein Förderbedarf in der deutschen Sprache. 1: Förderbedarf in der deutschen Sprache. Allgemeine Entwicklung: Im Laufe der schulärztlichen Untersuchung werden standardisierte Verfahren angewandt, um ein Urteil über verschiedene Entwicklungsdimensionen des Kindes zu bilden. Die Schulärzte bewerten im Anschluss daran, ob der Entwicklungsstand als auffällig, grenzwertig oder unauffällig zu bewerten ist. Dabei werden folgende Dimensionen bewertet: 2 Die Gruppe der Kinder mit anderem Migrationshintergrund ist sehr heterogen und kann daher nicht in einer Kategorie zusammengefasst werden.
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Wahrnehmung, Grobmotorik, Feinmotorik, Arbeitsverhalten, Sprache (nicht die deutsche Sprache, sondern Aussprache bzw. Sprachauffälligkeiten wie z.B. stottern), Kognition.
Eine Faktorenanalyse (principal component) ergibt, dass diese Dimensionen auf einen gemeinsamen Faktor laden (Eigenvalue 2.42), den wir im Folgenden als allgemeine Entwicklung bezeichnen werden. Kindergarten
Dauer des Kindergartenbesuchs: Es werden die Kategorien „bis zu einem Jahr“, „bis zu zwei Jahren“, „bis zu drei Jahren“ und „länger als drei Jahre“ unterschieden.3 Anteil Migrantenkinder im Kindergarten: Da es sich bei den Daten um eine Vollerhebung handelt, kann der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund im jeweiligen Kindergarten ermittelt werden (Wertebereich: 0 bis 81 Prozent). Anteil Türken im Kindergarten: Anteil der Kinder mit türkischem Migrationshintergrund im Kindergarten (Wertebereich: 0 bis 43 Prozent). Anteil Aussiedler im Kindergarten: Anteil der Kinder im Kindergarten, deren Eltern aus der ehemaligen UdSSR stammen (Wertebereich 0 bis 50 Prozent). Soziale Komposition: Als Indikator für die soziale Komposition in den Kindergärten haben wir einen Index gebildet, der folgende Kompositionsvariablen innerhalb der Kindergärten umfasst: o Anteil an Familien mit wenigstens einem Elternteil mit Universitätsabschluss. o Anteil an Familien, bei denen beide Elternteile arbeitslos sind (negativ). o Anteil an Familien, bei denen beide Elternteile im Haushalt leben.
Eine Faktorenanalyse (principal component) ergibt, dass diese Kompositionsvariablen auf einen gemeinsamen Faktor laden (Eigenvalue 1.95). Daraus wird 3
Die Kinder, die gar keinen Kindergarten besucht haben, können in den folgenden Analysen aus methodischen Gründen nicht berücksichtigt werden, da für diese keine Kindergarteninformation vorliegt (N=221).
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für jeden Kindergarten ein Faktorscore gebildet, den wir im Folgenden als soziale Komposition des Kindergartens bezeichnen werden.4 Demografische Merkmale und Familienhintergrund
Ethnische Herkunft: Als Kriterium für einen Migrationshintergrund wird das Herkunftsland der Eltern herangezogen. Ein Migrationshintergrund liegt vor, wenn beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Bei gemischtethnischen Familien wurde der Migrationshintergrund der Mutter berücksichtigt. Aufgrund der Fallzahlen können neben Deutschland nur die Herkunftsländer Türkei und die ehemalige UdSSR5 unterschieden werden. Alter: Alter des Kindes zum Untersuchungszeitpunkt in Monaten. Geschlecht: 1: Mädchen, 0: Junge. Geschwisteranzahl: Anzahl der Geschwister des untersuchten Kindes. Familiensituation: 1: Familien mit zwei Elternteilen im Haushalt, 0: andere Familiensituation (z.B. Alleinerziehende, Erziehung durch andere Verwandte, Heim etc.). Erwerbstätigkeit der Eltern: 1: Mutter/Vater ist derzeit erwerbstätig, 0: Mutter/Vater ist derzeit nicht erwerbstätig. Berufsausbildung der Eltern: Es werden die Kategorien „kein Ausbildungsabschluss“, „Lehre, Fachschul- oder Handelsschulabschluss“ sowie ein „(Fach-)Hochschulabschluss“ unterschieden. Vorsorge: 1: Das Vorsorgeheft für die gängigen Untersuchungen von Kindern wurde ausgefüllt mitgebracht; 0: es liegt kein Vorsorgeheft vor.
3.2 Mehrebenendesign Zur Untersuchung der Effekte des Kindergartenbesuchs auf die deutschen Sprachkenntnisse und die allgemeine Entwicklung bei Migrantenkindern werden Verfahren der Mehrebenenanalyse verwendet. Dabei werden die Kinder als Einheiten der ersten Ebene (Level 1) aufgefasst, die Kindergärten bilden die zweite Ebene (Level 2). Es wird vermutet, dass die Entwicklung und Sprachfähigkeit am Ende der Vorschulzeit nicht nur von individuellen Hintergrundmerkmalen (demografische Variablen und Familienhintergrund), sondern auch vom besuch4 Zur sprachlichen Vereinfachung wird in den folgenden Analysen zum Teil von einer positiven oder negativen sozialen Komposition gesprochen, dies bedeutet, dass die Komposition zwei Standardabweichungen über bzw. unter dem Mittelwert liegt. 5 Kinder mit Herkunft aus der ehemaligen UdSSR werden im Folgenden auch als Aussiedlerkinder bezeichnet.
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ten Kindergarten abhängig sind. Dazu wird zunächst untersucht, ob sich die Kindergärten im durchschnittlichen Niveau der Sprachfähigkeit und Entwicklung ihrer Kinder unterscheiden (Varianz beim Intercept vorhanden). D.h. es wird analysiert, ob es Kindergärten gibt, in denen die Kinder im Durchschnitt signifikant bessere Werte in diesen Kompetenzen haben als die Kinder in anderen Kindergärten. Wenn dies der Fall ist, so wird weiterhin überprüft, ob bestimmte Merkmale der Kindergärten einen Einfluss auf die individuellen Kompetenzwerte haben und ob sich dadurch die Unterschiede zwischen den Kindergärten erklären lassen. Es ist zu beachten, dass der Kindergarten sowohl auf der individuellen Ebene einen Einfluss ausübt (Kindergartenbesuchsdauer als Level 1Variable) als auch auf der Ebene der Kindergärten (ethnischen und soziale Kompositionsvariablen). Für die Analysen der allgemeinen Entwicklung wird ein linear random intercept model verwendet. Die allgemeine Entwicklung des Kindes i in Kindergarten j wird modelliert als Summe eines generellen Mittelwertes J0 und einer linearen Funktion der erklärenden Variablen x sowie eines gruppen-spezifischen Residuums Uoj und eines Level 1-Residuums Rij (vgl. Snijders/Bosker 1999: 79): r
Yij
J 0 ¦ J h x hij U 0 j Rij h 1
Für die Varianzen der Residuen werden die folgenden Notationen verwendet:
var(Rij ) V 2 var(U 0 j )
r02
Die Varianz r02 drückt aus, wie stark die Niveauunterschiede zwischen den Kindergärten ausgeprägt sind. Für die Analysen des Sprachförderbedarfs wird in analoger Weise ein logistic random intercept model verwendet, das das logarithmierte Chancenverhältnis Pij für deutsche Sprachfähigkeit (log-Odds) des Kindes i in Kindergarten j ausdrückt (vgl. Snijders/Bosker 1999: 215f): r
logit ( Pij )
J 0 ¦ J h x hij U 0 j h 1
Bei den Ergebnissen im nächsten Abschnitt wird zudem immer angegeben, wie hoch der Anteil der Varianz der Entwicklung bzw. des Deutschförderbedarfs ist,
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der – unter Berücksichtigung der jeweiligen erklärenden Variablen – auf die Gruppenebene zurückgeführt werden kann (residual intraclass correlation coefficient, vgl. Snijders/Bosker 1999: 48, 224):
U I (Y | X )
r02 V 2 r02
Bzw. im logistischen Modell:
UI
r02 r02 S 2 / 3
Die Analysen werden mit der Statistiksoftware STATA 10.0 durchgeführt.
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Empirische Ergebnisse
In Tabelle 1 sind deskriptive Statistiken der Modellvariablen getrennt nach ethnischer Herkunft dargestellt. Es bestätigt sich, dass schon zu Beginn der Schulzeit ein erhebliches Maß an ethnischer Bildungsungleichheit vorhanden ist. Sowohl bei der allgemeinen Entwicklung als auch auf der Ebene der deutschen Sprachfähigkeiten existieren klare Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen. Gerade bezogen auf die Sprachfähigkeiten waren zwar signifikante Unterschiede zu erwarten, in dem gefundenen Ausmaß aber doch überraschend: Fast 50 Prozent der Kinder mit türkischem Migrationshintergrund und 23 Prozent der Aussiedlerkinder weisen Förderbedarf in der deutschen Sprache auf. Auch bei anderen Merkmalen gibt es klare ethnische Unterschiede. Türkische Kinder haben im Durchschnitt mehr Geschwister als deutsche Kinder, Aussiedlerkinder dagegen haben signifikant weniger Geschwister. Die Familiensituation unterscheidet sich nur bei den türkischen Kindern signifikant von den deutschen: Türkische Kinder werden häufiger von zwei Elternteilen erzogen als deutsche. Deutsche Eltern verfügen durchschnittlich über höhere Ausbildungsabschlüsse als die Migranteneltern.
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Tabelle 1: Deskriptive Statistiken Allgemeine Entwicklung Deutschförderbedarf Alter in Monaten Geschlecht (weiblich) Geschwisteranzahl Familiensituation Ausbildung der Muttera,b - Keine Ausbildung - Beruf. Ausbildung - Universitätsabschluss Ausbildung des Vatersa,b - Keine Ausbildung - Beruf. Ausbildung - Universitätsabschluss Erwerbstätigkeit Muttera Erwerbstätigkeit Vatera Vorsorge Kindergartenbesuchsdauer - bis zu 1 Jahr - 1-2 Jahre - 2-3 Jahre - 3-4 Jahre Anteil Migranten im Kiga Anteil Türken im Kiga Anteil Aussiedler im Kiga Soziale Komposition N
Deutsche Türken Aussiedler 0,08 -0,43 * -0,05 * 0,01 0,49 * 0,23 * 74,52 74,91 74,49 0,48 0,48 0,54 1,19 1,83 * 0,91 * 0,86 0,94 * 0,85 (143) * (813) (240) * 0,21 0,07 0,65 0,28 0,55 0,68 0,07 0,23 0,25 (1208) (236) * (191) * 0,04 0,43 0,16 0,59 0,40 0,59 0,36 0,17 0,24 (647) (126) (70) 0,35 0,11 * 0,34 (1148) (174) (133) 0,94 0,73 * 0,81 * 0,95 0,83 * 0,76 * * * 0,03 0,09 0,15 0,14 0,35 0,23 0,64 0,48 0,45 0,19 0,07 0,16 0,21 0,41 * 0,36 * 0,07 0,18 * 0,11 * 0,06 0,09 * 0,13 * 0,19 5017
-0,70 * 598
-0,42 * 499
Quelle: Schuleingangsuntersuchung der Stadt Osnabrück 2000-2005, eigene Berechnungen. Anmerkungen: Dargestellt sind die Mittelwerte bzw. Anteilswerte der Variablen a) Bei der Erwerbstätigkeit und Ausbildung der Eltern gibt es relative viele fehlende Werte. Die jeweilige Anzahl fehlender Werte ist in Klammern angegeben. Um die Fallzahl nicht zu sehr zu reduzieren, wird in den späteren Analysen eine Missing-Variable eingefügt. b) Differenzen der Summe zu 1 ergeben sich aus der Rundung der Zahlen. * Differenz zur deutschen Gruppen ist signifikant mit pd 0,01.
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Auffallend sind vor allem die zum Teil sehr hohen Anteile von Personen ohne einen Ausbildungsabschluss bei den Familien mit Migrationshintergrund. Hier zeigt sich erneut, dass sich vor allem die türkischen und deutschen Eltern voneinander unterscheiden, wohingegen die Aussiedlereltern stärkere Ähnlichkeiten zur deutschen Population aufweisen. Auch die Erwerbsbeteiligung ist bei deutschen Eltern im Durchschnitt höher als bei den Migranteneltern, eine Ausnahme bilden hier lediglich die Mütter aus der ehemaligen UdSSR, die eine ebenso hohe Erwerbsbeteiligung aufweisen wie deutsche Mütter. Die Kindergartenbesuchsdauer ist bei deutschen Kindern im Durchschnitt länger als bei Migrantenkindern. Nur 17 Prozent der deutschen Kinder besuchen den Kindergarten bis zu zwei Jahren, während das bei 44 Prozent der türkischen und bei 38 Prozent der Aussiedlerkinder der Fall ist. Und auch bei besonders langer Kindergartenbesuchsdauer (über 3 Jahre) zeigt sich, dass dies vor allem auf deutsche Kinder zutrifft. Schließlich unterscheiden sich die ethnischen Gruppen auch danach, in welche Kindergärten die Kinder gehen. Deutsche Kinder besuchen im Durchschnitt einen Kindergarten mit einem Migrantenanteil von 21 Prozent, wohingegen Kinder mit türkischem Migrationshintergrund im Durchschnitt einen Kindergarten besuchen, der von 41 Prozent Kindern mit Migrationshintergrund besucht wird und Aussiedlerkinder in Kindergärten mit 36 Prozent Migrantenanteil gehen. Tendenziell zeigt sich auch, dass Kinder vor allem Einrichtungen besuchen, in denen der eigenethnische Anteil relativ hoch ist: Türkische Kinder besuchen im Durchschnitt Kindergärten mit einem Türkenanteil von 18 Prozent und Aussiedlerkinder besuchen im Durchschnitt Kindergärten mit einem 13prozentigen Aussiedleranteil, wohingegen deutsche Kinder nur einen 6- bis 7prozentigen Aussiedler- oder Türkenanteil in ihrem Kindergarten haben. Ingesamt fallen die Migrantenanteile bei den Türken und Aussiedlern relativ hoch aus, wenn man bedenkt, dass in allen Osnabrücker Kindergärten der Migrantenanteil im Durchschnitt bei 25 Prozent, der Türkenanteil bei 9 Prozent und der Aussiedleranteil bei 7 Prozent liegt. Auch bezüglich der sozialen Komposition besuchen Kinder mit Migrationshintergrund signifikant häufiger Kindergärten mit einer nachteiligeren sozialen Komposition als deutsche Kinder. Da uns im Folgenden vor allem der Einfluss des Kindergartens interessiert, wurde in Abbildung 2 der bivariate Zusammenhang zwischen der Kindergartenbesuchsdauer und der allgemeinen Entwicklung grafisch dargestellt. Es zeigt sich, dass sich die Kindergartendauer positiv auf die Entwicklung auswirkt. Vor allem für die türkischen Kinder scheint der Einfluss der Kindergartenbesuchsdauer nahezu linear positiv zu sein, wohingegen die Aussiedlerkinder vor allem von einem über 2-jährigen Besuch profitieren. Außerdem erlangen deutsche Kinder und Aussiedlerkinder im Durchschnitt höhere Entwicklungswerte als Kinder mit türkischem Migrationshintergrund.
Frühe ethnische Bildungsungleichheit Abbildung 2:
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Mittlere Entwicklung nach Kindergartenbesuchsdauer
0,8 0,6 0,4 Entwicklung
0,2 0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1 bis zu 1
1 bis 2
2 bis 3
über 3
Kindergartenbesuchsdauer Deutsche
Türken
Aussiedler
Quelle: Schuleingangsuntersuchung der Stadt Osnabrück 2000-2005, eigene Berechnungen.
Als nächstes werden in multivariaten Mehrebenenmodellen die Auswirkungen des Kindergartens auf die deutsche Sprachfähigkeit und die allgemeine Entwicklung untersucht. Insbesondere wird analysiert, ob die Kindergartenbesuchsdauer und die Kontextmerkmale der Kindergärten einen eigenständigen Erklärungsbeitrag leisten können.
4.1 Deutsche Sprachfähigkeit In Tabelle 2 sind die Ergebnisse logistischer Regressionsanalysen zur Vorhersage des deutschen Sprachförderbedarfs für Kinder mit türkischem Migrationshintergrund und Aussiedlerkinder dargestellt. Diese Tabelle enthält ausschließlich Kinder mit Migrationshintergrund, da bei deutschen Kindern fast keine Kinder erhebliche Mängel in der deutschen Sprache aufweisen und daher nicht ausreichend Varianz vorhanden ist (vgl. Tabelle 1).
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Tabelle 2: Einfluss von individuellen Merkmalen und der Kindergartenbesuchsdauer auf die deutsche Sprachfähigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund
Kontrollvar. Kiga-dauer (Ref. < 1Jahr) 1-2 Jahre 2-3 Jahre 3-4 Jahre Konstante Level 2: r0 U1 Anzahl Kinder Anzahl Kiga
Aussiedler Modell 1a Modell 2a x
Türken Modell 1t Modell 2t x
-0,56 (0,35) 0,17 (0,12) -1,23 (0,34) * -0,52 (0,35) -1,89 (0,47) * -1,77 (0,53) * -1,18 (0,11) * 2,07 (2,72) -0,15 (0,12) -0,90 (2,14) * 0,13 (0,33) 0,00 (0,03) 0,48 (0,13) * 0,49 (0,14) * 0,01 0,00 0,07 0,06 499 598 58 59
Quelle: Schuleingangsuntersuchung der Stadt Osnabrück 2000-2005, eigene Berechnungen. Anmerkung: Dargestellt sind die Koeffizienten logistischer Regressionen mit Standardfehlern in Klammern, U1 bezeichnet den Intraklassen-Korrelations-Koeffizienten und r0 die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums. Kontrollvariablen: x bedeutet, dass das Modell nach Alter, Geschlecht, Erhebungsjahr, Geschwister, Familiensituation, Vorsorge, Ausbildung Mutter und Vater, Erwerbstätigkeit Mutter und Vater kontrolliert. * p d 0,05.
Im ersten Schritt (Modell 1a) wird ein „leeres Modell“ ohne erklärende Variablen für die Aussiedlerkinder berechnet. Damit wird untersucht, ob es generell Unterschiede zwischen den Kindergärten im Niveau des Deutschförderbedarfs gibt. Für die Aussiedlerkinder ist es für ihre deutschen Sprachfähigkeiten nicht relevant, welchen Kindergarten sie besuchen – die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums beträgt 0,13 und ist nicht signifikant. Insgesamt kann auch nur ein Prozent der Varianz beim diagnostizierten Deutschförderbedarf auf Unterschiede zwischen den Kindergärten zurückgeführt werden. Auch unter Kontrolle des familiären Hintergrunds können keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kindergärten festgestellt werden (Modell 2a).6 Neben den Kontrollvariablen wird auch die Kindergartenbesuchsdauer in Modell 2a berücksichtigt. Erwartungsgemäß wirkt sich die Dauer des Kindergartenbesuchs positiv auf die Deutschkompetenzen der Aussiedlerkinder aus. Je länger die Kinder den 6 Die gesamten Modelle mit den Koeffizienten zu allen Kontrollvariablen können bei Bedarf bei den Autorinnen angefordert werden.
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Kindergarten besuchen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie am Ende der Vorschulzeit Förderung in Deutsch benötigen. Im Gegensatz dazu wird in einem „leeren Modell“ mit den türkischen Kindern ein Unterschied zwischen den Kindergärten im Niveau des Deutschförderbedarfs festgestellt (Modell 1t). Die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums beträgt 0,48 und ist signifikant. Insgesamt können ca. sieben Prozent der Variation beim Deutschförderbedarf auf Unterschiede zwischen den Kindergärten zurückgeführt werden, d.h. Merkmale oder Prozesse in den Kindergärten verursachen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Einrichtungen. Dies bleibt auch unter Kontrolle diverser Kontrollvariablen auf der Individualebene bestehen (Modell 2t). Auch bei den türkischen Kindern wirkt sich die Kindergartenbesuchsdauer positiv auf die Deutschkompetenzen aus. Je länger die Kinder den Kindergarten besuchen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Förderung in Deutsch benötigen. Vor allem ein Kindergartenbesuch über drei Jahre wirkt sich positiv auf die deutschen Sprachfähigkeiten der türkischen Kinder aus. Vergleicht man jedoch die Standardabweichungen des gruppenspezifischen Residuums zwischen den Modellen 1t und 2t, dann sieht man, dass nur ein geringer Teil der Variation auf Gruppenebene durch die Verteilung der Individualmerkmale erklärt werden kann. Tabelle 3 berücksichtigt daher nur noch die Kinder mit türkischem Migrationshintergrund, da nur bei ihnen signifikante Unterschiede zwischen den Kindergärten festgestellt wurden. Im Folgenden wird nun untersucht, ob bestimmte Merkmale der Kindergärten für die festgestellte Variation zwischen den Kindergärten verantwortlich sind. Dabei werden schrittweise drei Kompositionseffekte verglichen: der Effekt der sozialen Komposition (Modell 3t), des Migrantenkinderanteils (Modell 4t) und der Effekt des Anteils türkischer Kinder im Kindergarten (Modell 5t). In Modell 3t ist zu sehen, dass die Wahrscheinlichkeit für Förderbedarf in der deutschen Sprache tendenziell abnimmt, wenn die soziale Komposition in den Kindergärten vorteilhafter wird. Dieser Effekt ist jedoch nicht signifikant und führt zu keiner Reduktion der Variation auf Gruppenebene. In Modell 4t wird der Anteil an Migrantenkindern im Kindergarten kontrolliert: Ein höherer Anteil erhöht die Wahrscheinlichkeit des Deutschförderbedarfs signifikant. In diesem Modell verbleiben nur noch 4 Prozent der Varianz beim Deutschförderbedarf, die auf weitere Unterschiede zwischen den Kindergärten zurückzuführen sind. In Modell 5t wird schließlich der Anteil an türkischen Kindern im Kindergarten kontrolliert. Auch dieser Effekt ist signifikant und erklärt vollständig die Varianz zwischen den Kindergärten.7 7 Leider ist es aus methodischen Gründen nicht möglich, alle Kompositionsvariablen in einem Modell gemeinsam zu kontrollieren, da diese zu hoch untereinander korrelieren.
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Zusammenfassend wirkt sich eine längere Kindergartenbesuchsdauer positiv auf die Deutschfähigkeiten aus. Dies konnte sowohl bei Aussiedlerkindern als auch bei Kindern mit türkischem Migrationshintergrund gezeigt werden. Für türkische Kinder konnte ergänzend dazu gezeigt werden, dass auch die Komposition des Kindergartens einen Einfluss auf die Sprachfähigkeiten hat. Ein geringer Migrantenanteil wirkt sich förderlich auf die Sprachfähigkeiten aus. Die Berücksichtigung des Anteils an türkischen Kindern führte dazu, dass es keine signifikante Varianz bezüglich des Deutschförderbedarfs türkischer Kinder zwischen den Kindergärten mehr gibt. Tabelle 3: Einfluss von individuellen und kontextuellen Merkmalen auf die deutsche Sprachfähigkeit von Kindern mit türkischem Migrationshintergrund Kontrollvar. Kigadauer (Ref. < 1Jahr) 1-2 Jahre 2-3 Jahre 3-4 Jahre Soziale Komposition Anteil Migranten im Kiga Anteil Türken im Kiga Konstante Level 2: r0
UI
Anzahl Kinder Anzahl Kiga
Modell 3t x
Modell 4t x
Modell 5t x
0,18 (0,35) 0,18 (0,35) 0,18 (0,35) -0,51 (0,35) -0,47 (0,34) -0,45 (0,34) -1,76 (0,53) * -1,73 (0,53) * -1,64 (0,52) * -0,05 (0,13) 1,30 (0,61) * 3,73 (0,84) * * -0,92 (2,14) 0,73 (2,14) 1,08 (2,09) * 0,45 (0,15) * 0,37 (0,16) * 0,00 (0,02) 0,06 0,04 0,00 598 59
Quelle: Schuleingangsuntersuchung der Stadt Osnabrück 2000-2005, eigene Berechnungen. Anmerkung: Dargestellt sind die Koeffizienten logistischer Regressionen mit Standardfehlern in Klammern, U1 bezeichnet den Intraklassen-Korrelations-Koeffizienten und r0 die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums. Kontrollvariablen: x bedeutet, dass das Modell nach Alter, Geschlecht, Erhebungsjahr, Geschwister, Familiensituation, Vorsorge, Ausbildung Mutter und Vater, Erwerbstätigkeit Mutter und Vater kontrolliert. * p d 0,05.
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4.2 Allgemeine Entwicklung Im Folgenden soll nun überprüft werden, ob sich die Dauer des Kindergartenbesuchs und die soziale und ethnische Komposition auf die allgemeine Entwicklung der Kinder auswirkt. Dabei wird analog zu Tabelle 3 ein schrittweises Vorgehen gewählt. Die folgenden Modelle werden getrennt für deutsche, türkische und Aussiedlerkinder durchgeführt.
4.2.1 Deutsche Kinder Im ersten Schritt wird in Tabelle 4 ein „leeres Modell“ ohne erklärende Variablen berechnet (Modell 1d). Es zeigt, dass es für deutsche Kinder durchaus relevant ist, welchen Kindergarten sie besuchen – die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums beträgt 0,75. Es können 44 Prozent der Varianz in der allgemeinen Entwicklung auf die Unterschiede zwischen den Kindergärten zurückgeführt werden. Im Modell 2d werden die erklärenden Variablen auf Individualebene und die Kindergartenbesuchsdauer ergänzt. Dies führt zu einer leichten Verringerung des Effekts und es werden weiterhin 40 Prozent der Varianz auf die Unterschiede zwischen den Kindergärten zurückgeführt. Der Kindergartenbesuch selbst wirkt sich signifikant positiv auf die Entwicklung des Kindes aus. Im nächsten Schritt werden die Kompositionsvariablen in den Modellen ergänzt. Modell 3d kontrolliert für die soziale Komposition im Kindergarten. Es zeigt sich, dass eine vorteilhaftere Komposition sich positiv auf die Entwicklung auswirkt. Der Effekt der Individualmerkmale bleibt davon fast völlig unberührt. Die Berücksichtigung der sozialen Zusammensetzung im Kindergarten führt zu einer starken Verringerung der Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums. Ein Teil der Variation zwischen den Kindergärten ist damit auf die unterschiedliche soziale Komposition in diesen Kindergärten zurückzuführen. Es stellt sich nun die Frage, ob auch die ethnische Zusammensetzung auf die Entwicklung der Kinder beeinflusst. Daher wird in Modell 4d der Anteil an Migranten im Kindergarten kontrolliert. Diese Kontextvariable hat keinen signifikanten Effekt auf die allgemeine Entwicklung der Kinder und leistet auch keinen Erklärungsbeitrag zur Variation zwischen den Kindergärten. Zusammenfassend stellt auch für deutsche Kinder der Kindergarten ein sehr wichtiges Lernumfeld dar. Es hat sich gezeigt, dass vor allem eine lange Kindergartenbesuchsdauer förderlich ist. Die soziale Komposition in den Kindergärten kann Teile der Variation in der Entwicklung zwischen den Kindergärten erklä-
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ren. Dennoch bleibt ein signifikanter Unterschied zwischen den Kindergärten bestehen, der nicht durch die vorgestellten Variablen erklärt werden kann.
Tabelle 4: Einfluss von individuellen und kontextuellen Merkmalen auf die allgemeine Entwicklung bei deutschen Kindern Modell 1d
Modell 2d x
Modell 3d x
Kontrollvar. Kigadauer (Ref. < 1Jahr) 1-2 Jahre 0,39 (0,07)* 0,39 (0,07)* 2-3 Jahre 0,47 (0,07)* 0,47 (0,07)* 3-4 Jahre 0,49 (0,07)* 0,48 (0,07)* Soziale Komposition 0,27 (0,05)* Anteil Migranten im Kiga Konstante -0,08 (0,09) -4,47 (0,31)* -4,44 (0,31)* Level 1: V 0,85 (0,01) * 0,80 (0,01)* 0,80 (0,01)* Level 2: r0 0,75 (0,07) * 0,65 (0,06)* 0,53 (0,05)* U1 0,44 0,40 0,31 Anzahl Kinder 5017 Anzahl Kiga 73
Modell 4d x
0,39 (0,07)* 0,47 (0,07)* 0,49 (0,07)* -0,26 (0,44) -4,41 (0,33)* 0,80 (0,01)* 0,65 (0,06)* 0,40
Quelle: Schuleingangsuntersuchung der Stadt Osnabrück 2000-2005, eigene Berechnungen. Anmerkung: Dargestellt sind die Koeffizienten linearer Regressionen mit Standardfehlern in Klammern, U1 bezeichnet den Intraklassen-Korrelations-Koeffizienten, r0 die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums und V den Fehler auf Level 1 Ebene. Kontrollvariablen: x bedeutet, dass das Modell nach Alter, Geschlecht, Erhebungsjahr, Geschwister, Familiensituation, Vorsorge, Ausbildung Mutter und Vater, Erwerbstätigkeit Mutter und Vater kontrolliert. * p d 0,05.
4.2.2 Kinder mit türkischem Migrationshintergrund Tabelle 5 präsentiert die Ergebnisse für Kinder mit türkischem Migrationshintergrund. Im ersten Schritt wird wieder ein „leeres Modell“ ohne erklärende Variablen berechnet (Modell 1t). Es zeigt, dass es für türkische Kinder ebenfalls relevant ist, welchen Kindergarten sie besuchen – die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums beträgt 0,70 und es werden ca. 33 Prozent der
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Variation in der Entwicklung von Kindern mit türkischem Migrationshintergrund alleine durch die Unterschiede zwischen den Kindergärten erklärt.
Tabelle 5: Einfluss von individuellen und kontextuellen Merkmalen auf die allgemeine Entwicklung bei türkischen Kindern Modell 1t Kontrollvariablen Kigadauer (Ref. < 1Jahr) 1-2 Jahre 2-3 Jahre 3-4 Jahre Soziale Komposition Anteil Migranten im Kiga Anteil Türken im Kiga Konstante Level 1: V Level 2: r0 U1 Anzahl Kinder Anzahl Kiga
Modell 2t x
0,37 (0,15)* 0,40 (0,15)* 0,71 (0,21)*
Modell 3t x
0,35 (0,15)* 0,37 (0,15)* 0,69 (0,21)*
Modell 4t
Modell 5t
x
x
0,37 (0,15)* 0,37 (0,15)* 0,40 (0,15)* 0,39 (0,15)* 0,71 (0,21)* 0,71 (0,21)*
0,20 (0,10)* 0,19 (0,59) -0,56 (1,12) -0,52(0,11)* -3,80 (0,94)* -3,74 (0,93)* -3,84 (0,95)* -3,74 (0,94)* 0,99 (0,03)* 0,94 (0,03)* 0,70 (0,11)* 0,70 (0,11)* 0,33
0,36
0,94 (0,03)* 0,69 (0,11)* 0,35
0,94 (0,03)* 0,94 (0,03)* 0,70 (0,11)* 0,70 (0,11)* 0,36
0,36
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Quelle: Schuleingangsuntersuchung der Stadt Osnabrück 2000-2005, eigene Berechnungen. Anmerkung: Dargestellt sind die Koeffizienten linearer Regressionen mit Standardfehlern in Klammern, U1 bezeichnet den Intraklassen-Korrelations-Koeffizienten, r0 die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums und V den Fehler auf Level 1 Ebene. Kontrollvariablen: x bedeutet, dass das Modell nach Alter, Geschlecht, Erhebungsjahr, Geschwister, Familiensituation, Vorsorge, Ausbildung Mutter und Vater, Erwerbstätigkeit Mutter und Vater kontrolliert. * p d 0,05.
Im Modell 2t werden die erklärenden Variablen auf Individualebene und die Kindergartenbesuchsdauer ergänzt. Dies verändert die Koeffizienten nur geringfügig. Die Kindergartenbesuchsdauer wirkt sich auch bei türkischen Kindern signifikant positiv auf die Entwicklung der Kinder aus: Kinder, die ein bis drei Jahre einen Kindergarten besuchen unterscheiden sich signifikant von Kindern,
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die den Kindergarten nur bis zu einem Jahr besuchen. Diese zwei Jahre Unterschied machen sich nahezu nicht bemerkbar, ein weiterer Entwicklungssprung ist aber zu verzeichnen, wenn das Kind über drei Jahre einen Kindergarten besucht. Vergleicht man jedoch die Intraklassen-Korrelations-Koeffizienten zwischen den Modellen 1t und 2t, dann sieht man, dass auch hier nahezu keine Variation auf Gruppenebene durch die Verteilung der Individualmerkmale erklärt wird. Eher das Gegenteil trifft zu, da ein höherer Anteil der Varianz in der Entwicklung auf die Unterschiede zwischen den Kindergärten zurückgeführt werden kann. Im Modell 3t wird daher auch zunächst die soziale Komposition im Kindergarten mit aufgenommen. Es zeigt sich, dass eine positivere Komposition sich positiv auf die Entwicklung auswirkt. Aber auch diese Kontextvariable führt zu keiner weiteren Erklärung der Variation zwischen den Kindergärten, U1 liegt immer noch bei 0,36. In Modell 4t wird der Anteil an Migranten im Kindergarten kontrolliert. Diese Kontextvariable hat keinen signifikanten Effekt auf die allgemeine Entwicklung der Kinder und leistet auch keinen Erklärungsbeitrag zur Variation zwischen den Kindergärten. Analog zu den Analysen zur Erklärung der Sprachfähigkeit könnte auch die Entwicklung vor allem durch den eigenethnischen Anteil beeinflusst werden, daher kontrolliert Modell 5t den „Anteil türkischer Kinder im Kindergarten“. Doch auch diese Kompositionsvariable bringt keinen weiteren Erklärungsgewinn. Zusammenfassend stellt zwar auch für türkische Kinder der Kindergarten ein sehr wichtiges Lernumfeld dar, und vor allem eine lange Besuchsdauer und eine gute soziale Komposition wirken sich signifikant positiv auf das Kind aus. Die vorgestellten Variablen erklären aber nahezu gar nicht die Variation, die zwischen den Kindergärten existiert.
4.2.3 Aussiedlerkinder Tabelle 6 enthält die Ergebnisse der Analysen für die Gruppe der Aussiedlerkinder. Hier werden die analogen Schritte durchgeführt. Die Ergebnisse sind vergleichbar zu den bisherigen: Aussiedlerkinder profitieren von einem längeren Kindergartenbesuch, wobei sich ein 1-2-jähriger Besuch im Vergleich zu einem unter 1-jährigen Besuch nicht signifikant auf die Entwicklung auswirkt. Auch bei den Kompositionsvariablen zeigt sich, dass vor allem die soziale Komposition im Kindergarten einen signifikant positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder ausübt. Bei den Kindern mit Eltern aus der ehemaligen UdSSR erklärt dieses Kontextmerkmal auch etwas mehr der Variation zwischen den Kindergärten als bei den Kindern mit türkischem Migrationshintergrund. Alle anderen Variablen deuten in die gleiche Richtung wie in den vorherigen Modellen.
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Tabelle 6: Einfluss von individuellen und kontextuellen Merkmalen auf die allgemeine Entwicklung bei Aussiedlerkindern Modell 1a Modell 2a Modell 3a Modell 4a Modell 5a Kontrollx x x x variablen Kigadauer (Ref. < 1Jahr) 1-2 Jahre 0,07 (0,13) 0,05 (0,13) 0,07 (0,13) 0,06 (0,13) 2-3 Jahre 0,29 (0,12)* 0,27 (0,13)* 0,29 (0,12)* 0,29 (0,12)* 3-4 Jahre 0,50 (0,15)* 0,48 (0,15)* 0,50 (0,15)* 0,50 (0,15)* Soziale Kompo0,24 (0,10)* sition Anteil Migran0,36 (0,66) ten im Kiga Anteil Aussied-0,46 (1,54) ler im Kiga -0,18 (0,13) -4,20 (0,87)* -4,06 (0,87)* -4,31 (0,89)* -4,15 (0,88)* Konstante 0,87 (0,03)* 0,79 (0,03)* 0,79 (0,03)* 0,79 (0,03)* 0,79 (0,03)* Level 1: V 0,86 (0,11)* 0,84 (0,11)* 0,79 (0,10)* 0,83 (0,10)* 0,84 (0,10)* Level 2: r0 U1 Anzahl Kinder Anzahl Kiga
0,50
0,53
0,50
0,53
0,53
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Quelle: Schuleingangsuntersuchung der Stadt Osnabrück 2000-2005, eigene Berechnungen. Anmerkung: Dargestellt sind die Koeffizienten linearer Regressionen mit Standardfehlern in Klammern, U1 bezeichnet den Intraklassen-Korrelations-Koeffizienten, r0 die Standardabweichung des gruppenspezifischen Residuums und V den Fehler auf Level 1 Ebene. Kontrollvariablen: x bedeutet, dass das Modell nach Alter, Geschlecht, Erhebungsjahr, Geschwister, Familiensituation, Vorsorge, Ausbildung Mutter und Vater, Erwerbstätigkeit Mutter und Vater kontrolliert. * p d 0,05.
Zusammenfassend hat sich für alle Gruppen gezeigt, dass sich eine vorteilhafte soziale Komposition signifikant positiv auf die Entwicklung auswirkt. Außerdem hat sich gezeigt, dass der Einfluss sowohl bei deutschen Kindern, als auch bei Kindern mit türkischem Migrationshintergrund und auch bei Aussiedlerkindern ähnlich stark ausgeprägt ist. Abbildung 3 veranschaulicht, wie sich die Kindergartenbesuchsdauer und die sozialen Komposition in den Kindergärten auf die Entwicklung der Kinder auswirken. Hierzu werden die vorhergesagten Werte aus den Modellen 3d, 3t und 3a verwendet.
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Entwicklung
Abbildung 3:
Entwicklung nach Kindergartenbesuchsdauer in Abhängigkeit von der sozialen Komposition im Kindergarten
1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1
positive soziale Komposition (Mittelwert + 2 SD)
Entwicklung
<1
2 bis 3
3 bis 4
1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1
mittlere soziale Komposition (Mittelwert)
<1
Entwicklung
1 bis 2
1 bis 2
2 bis 3
3 bis 4
1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1
negative soziale Komposition (Mittelwert - 2 SD)
<1
1 bis 2
2 bis 3
3 bis 4
Kindergartenbesuchsdauer Deutsche
Türken
Aussiedler
Quelle: Schuleingangsuntersuchung der Stadt Osnabrück 2000-2005, eigene Berechnungen. Anmerkung: Vorgesagte Werte aus den Modellen 3d, 3t und 3a (alle anderen Werte auf den Mittelwert bzw. die Referenzkategorie gesetzt).
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Für alle Kinder zeigt sich, dass sich eine längere Kindergartenbesuchsdauer unter Kontrolle aller anderen Variablen positiv auf die Entwicklung auswirkt. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen den drei Gruppen jedoch als relativ gering einzustufen. Bei kurzer Kindergartenbesuchsdauer erzielen Aussiedlerkinder tendenziell geringfügig bessere Werte, wohingegen bei langer Kindergartenbesuchsdauer kaum Unterschiede zwischen den Gruppen existieren. Ein zentraler Befund ist, dass sich eine förderliche soziale Komposition positiv auf die Entwicklung auswirkt, und zwar für alle Gruppen. Vergleicht man die durchschnittliche Entwicklung der Kinder in Kindergärten mit unterschiedlicher sozialer Komposition, dann zeigt sich, dass in förderlichen Einrichtungen deutsche Kinder im Schnitt einem um 1,1, türkische Kinder einem um 0,82 und Aussiedlerkinder einem um 1,02 Standardabweichungen besseren Entwicklungsscore erzielen als in weniger förderlichen Einrichtungen.
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Zusammenfassung und Diskussion
Ethnische Bildungsungleichheit ist nicht erst am Ende der Grundschulzeit, sondern schon zu Beginn der Schulzeit sichtbar. Bereits bei der sprachlichen und der allgemeinen Entwicklung der Kinder kurz vor Beginn der Schulzeit finden sich klare ethnische Unterschiede. Dies zeigt, dass Migrantenkinder ihre Bildungskarriere bereits mit einem „Startnachteil“ beginnen, der analog zum primären Herkunftseffekt bei Boudon (1974) interpretiert werden kann. In diesem Kapitel ist die Relevanz des Besuchs einer vorschulischen Einrichtung für den Erwerb wichtiger Kompetenzen analysiert worden. Neben dem Familienhintergrund, der jeweils einen starken Einflussfaktor darstellt, hat der Kindergartenbesuch eine eigenständige Wirkung auf die vorschulischen Kompetenzen der Kinder. Für Migrantenkinder ist der Kindergartenbesuch besonders für den Erwerb deutscher Sprachfähigkeiten von nicht zu unterschätzender Bedeutung. So wird bei 61 Prozent der türkischen Kinder mit bis zu einem Jahr Kindergartenerfahrung ein Förderbedarf in Deutsch diagnostiziert (Aussiedler: 48 Prozent), bei türkischen Kindern mit mehr als drei Jahren Kindergartenerfahrung hingegen „nur“ bei 19 Prozent (Aussiedler: 11 Prozent). Der Kindergarten stellt somit für Migrantenkinder einen Kontext für den Erwerb der deutschen Sprache dar, der zusätzlich zum familiären Kontext wirksam wird. Dieser Befund steht in Einklang mit den linguistischen und ökonomischen Modellen, wonach besonders „exposure“ einen wesentlichen Faktor für den Spracherwerb bei Migranten darstellt. Bei der Beurteilung der allgemeinen Entwicklung hat die Kindergartenbesuchsdauer ebenfalls einen signifikant positiven Einfluss. Je länger ein Kind
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durch das stimulierende Umfeld des Kindergartens gefördert wird, desto unauffälliger wird die Entwicklung durch den Schularzt eingeschätzt. Dies bestätigen auch internationale Ergebnisse, die sogar davon ausgehen, dass Kinder mit Migrationshintergrund noch stärker stimuliert werden müssen, um den Unterschied zu den einheimischen Kindern kompensieren zu können (vgl. Lee et al. 1990). Dies würde demnach bedeuten, dass es besonders für Kinder mit Migrationshintergrund wichtig ist, sehr förderliche Einrichtungen zu besuchen. Natürlich ist zu beachten, dass bei der Kindergartenwahl auch Selektionseffekte wahrscheinlich sind. So stellen diejenigen Migranteneltern, die sich frühzeitig um einen Kindergartenplatz für ihr Kind kümmern und auf bestimmte Kindergartenmerkmale achten, sicher eine gewisse Spezialpopulation dar, die sich auch in anderen wesentlichen Aspekten von anderen Eltern unterscheiden (siehe Kapitel 1 in diesem Band). Zur genaueren Analyse solcher Selektionseffekte wären allerdings mehr Informationen vor Kindergarteneintritt und auch Leistungsmessungen zu einem frühen Zeitpunkt sinnvoll. Dies könnte nur mit Längsschnittdaten gewährleistet werden. Die vorgestellten Analysen berücksichtigen jedoch nicht nur die Dauer des Kindergartenbesuchs, sondern ganz besonders auch die Zusammensetzungen innerhalb der Kindergärten. Bezüglich der Sprachfähigkeiten der türkischen Kinder bestätigen sich die theoretischen Annahmen: Mit steigendem Migrantenanteil erhöht sich zwar die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschförderbedarf besteht, jedoch werden die Unterschiede zwischen den Kindergärten dadurch nicht vollständig erklärt. Diese Unterschiede können erklärt werden, wenn man nicht den allgemeinen Migrantenanteil, sondern den Anteil an türkischsprachigen Kindern in den Einrichtungen kontrolliert. Diese Variable hat zudem einen stark signifikanten Einfluss auf die individuelle Sprachfähigkeit des Kindes. Die soziale Komposition im Kindergarten spielt zur Erklärung der Unterschiede zwischen den Kindergärten hingegen keine Rolle. Bezogen auf die allgemeine Entwicklung der Kinder ist der Einfluss des Kindergartenkontextes nicht in der Lage, die Unterschiede zwischen den Kindergärten zu erklären. Die Kontrolle der sozialen Komposition führt jedoch vor allem bei deutschen Kindern zu einer Reduktion der Unterschiede zwischen den Kindergärten. Insgesamt zeigt sich, dass die soziale Komposition im Kindergarten einen signifikant positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder ausübt. Damit können die Ergebnisse aus der Schulforschung auch im Kindergarten bestätigt werden. Jedoch zeigt sich konsistent bei allen Kindern, dass weder der Migrantenanteil noch der eigenethnische Anteil im Kindergarten einen signifikanten Einfluss auf die individuelle Entwicklung des Kindes ausübt. Bei der allgemeinen Entwicklung des Kindes kommt es vor allem auf das soziale Lernumfeld und weniger auf die interkulturelle Lernumgebung an.
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Leider ist es in unseren Modellen nicht möglich zu prüfen, ob die Kompositionsvariablen auch bei gleichzeitiger Kontrolle noch einen Einfluss auf die Entwicklung oder die Sprachfähigkeiten ausüben. Jedoch lassen die Ergebnisse vermuten, dass die Entwicklung eher durch die soziale und die Sprachfähigkeit eher durch die ethnische Zusammensetzung im Kindergarten beeinflusst wird. Aus den berichteten Ergebnissen lassen sich weitere Implikationen für die Erforschung ethnischer Ungleichheit ableiten. Die ethnische Ungleichheitsforschung hat sich bisher vor allem auf die Erklärung ethnischer Nachteile auf dem Arbeitsmarkt sowie ethnischer Bildungsungleichheit (und dabei in erster Linie auf ethnische Unterschiede in Bildungsabschlüssen bzw. die Verteilung auf verschiedene Schularten) konzentriert. Wenig beachtet ist dabei bisher die Tatsache, dass entscheidende Weichenstellungen für die Bildungskarriere von Migrantenkindern und damit auch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt schon vor Schulbeginn gestellt werden. Dabei ist zu vermuten, dass Migrantenkinder ihre Schullaufbahn bereits mit gewissen Startnachteilen beginnen, die sich dann später weiter kumulieren und verfestigen und somit auch langfristig indirekt zum Erhalt ethnischer Schichtung beitragen. Deshalb ist gerade im Bereich der Erklärung dieser frühen ethnischen Bildungsungleichheit weitere Forschung notwendig. Die Komposition innerhalb der Kindergärten wird vermutlich maßgeblich durch die residentielle Segregation innerhalb der Wohnumgebung verursacht. Gerade Familien mit Migrationshintergrund leben häufiger in benachteiligten Regionen. Hinzu kommen die im ersten Kapitel vorgestellten Determinanten der Kindergartenwahl, die ebenfalls zu einer unterschiedlichen Zusammensetzung innerhalb der Kindergärten führen. Da die meisten Familien den Kindergarten auswählen, der räumlich am nächsten liegt, haben Migrantenfamilien eine größere Wahrscheinlichkeit einen Kindergarten mit bestimmten Merkmalen zu besuchen. Daher würden städteplanerische Maßnahmen zur Vermeidung von residentiellen Segregation auch mit Blick auf die langfristige Entwicklung und Leistungsfähigkeit der Kinder Sinn machen. Da dies allerdings schwer zu verwirklichen ist, sollte ein Fokus auf die Verbesserung der Qualität der einzelnen Einrichtungen gelegt werden. Eine hohe Qualität könnte die negativen Einflüsse, die aufgrund der Zusammensetzung entstehen können, kompensieren. Wichtige Qualitätsmerkmale könnten die Qualifikation der Betreuer, die zur Verfügung stehenden Materialien, spezielle Förderprogramme etc. sein. Das wird natürlich sowohl in der pädagogischen Forschung diskutiert und auch schon in vielen Regionen aktiv in der Praxis umgesetzt. Die Ergebnisse solcher speziellen Programme sind jedoch noch sehr heterogen und es besteht noch weiterer Forschungsbedarf, um den konkreten Nutzen von spezifischen Programmen abschließend zu klären.
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Birgit Becker und Nicole Biedinger
Literatur
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Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder: Kompetenzvorsprung oder statistische Diskriminierung durch Lehrkräfte? Volker Stocké
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Einleitung
*
Die Zensuren der Schüler am Ende der Grundschulzeit sind von großer Bedeutung für die folgende Schullaufbahn und die letztendlich realisierten Bildungszertifikate. Einerseits ziehen Familien die durch Lehrkräfte bewerteten Schulleistungen der Kinder als wichtige Informationsquelle über die Erfolgschancen der Kinder in unterschiedlich anspruchsvollen weiterführenden Schulformen heran. Andererseits bilden die Fachzensuren die Grundlage für die von der Grundschule ausgesprochene Bildungsempfehlung (Bos et al. 2004). Selbst wenn diese Empfehlung in der Mehrheit der Bundesländer in Deutschland keine Bindewirkung entfaltet, dient sie aber dennoch als besonders saliente Information über die für die Kinder angemessene Schulkarriere. Die Zensuren der Lehrkräfte beeinflussen somit direkt oder vermittelt über ihre Prägekraft für die Bildungsempfehlung die Bildungsentscheidungen von Familien und damit die Bildungschancen der Schüler. Die vorliegende Studie untersucht daher die Determinanten der Zensurenvergabe durch Lehrkräfte am Ende der Grundschulzeit. Bei der Erklärung von Schulleistungen und anderen Formen des Schulerfolgs von Kindern wird in der Bildungssoziologie häufig auf das Sozialkapitalkonzept zurückgegriffen. Trotz der einheitlichen Terminologie werden unter diesem Begriff inhaltlich sehr heterogene Faktoren zusammengefasst. So wird erstens in einer umfangreichen Anzahl an Untersuchungen der Effekt der Beziehungsintensität zwischen Eltern und Kindern im Familienkontext untersucht: Es wird beispielsweise gezeigt, ob sich die elterliche Aufmerksamkeit für ihre Kinder (Astone/McLanahan 1991), die Intensität der Hausaufgabenkontrolle * Hartmut Esser sei für stimulierende Diskussionen und wertvolle Hinweise gedankt. Diana Braunwarth und Kerstin Hoenig waren bei der Erstellung des Manuskripts eine große Unterstützung. Diese Forschungsarbeit wurde durch finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft an den Sonderforschungsbereich 504 der Universität Mannheim ermöglicht.
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(Croll 2004) und die Häufigkeit der Diskussion schulischer Angelegenheiten (Israel et al. 2001) auf den Schulerfolg von Lernenden auswirken. Ohne Verwendung des Sozialkapitalkonzepts werden in der sehr umfänglichen psychologischen Involviertheitsforschung sehr ähnliche Faktoren thematisiert. Die hier untersuchten Faktoren umfassen die Intensität der Hausaufgabenunterstützung (Bryan/Nelson 1994), die Überwachung der Freizeitaktivitäten der Kinder (Keith et al. 1986), die Interaktionsintensität zwischen Eltern und Kindern (Catsambis 2001) sowie die Häufigkeit der Kommunikation über schulische Angelegenheiten (Driessen et al. 2005). Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit einem zweiten Aspekt des familiären Sozialkapitals, der ebenfalls große Aufmerksamkeit in der Bildungssoziologie gefunden hat. Es handelt sich hierbei um die Intensität des Kontakts zwischen Elternhaus und Schule. Eine große Anzahl an Studien untersucht, ob sich der Besuch der Eltern in der Sprechstunde von Lehrkräften (Anderson 2008), die elterliche Unterstützung von Lehrkräften im Unterricht (Ream/Palardy 2008), das Sammeln von Spenden zugunsten der Schule (Parcel/Dufur 2001) oder die Teilnahme sowie Mitorganisation von Schulaktivitäten (McNeal 1999) positiv auf unterschiedliche Aspekte des Schulerfolgs von Kindern auswirken. Ähnliche Faktoren sind auch Gegenstand der psychologischen Involviertheitsforschung (Domina 2005; Fan 2001; Grolnick/Slowiaczek 1994). Die Sozialkapitaltheorie beansprucht nicht nur die Vorhersage der für den Schulerfolg günstigen Bedingungen sondern auch die Erklärung von sozialer Ungleichheit in dieser Hinsicht. Dahingehend wird angenommen, dass Familien mit weniger privilegiertem Sozialstatus über weniger schulbezogenes Sozialkapital verfügen, was als Ursache für schwache Schulleistungen und einen unvorteilhaften Verlauf der Bildungskarrieren angesehen wird. Obwohl einige Belege für die sozial differentielle Intensität elterlicher Beziehungen zur Schule vorliegen (Anderson 2008; Ho Sui-Chu/Willms 1996; Ream/Palardy 2008), wurde bisher kaum geprüft, ob diese Differenzierung die Herkunftsunterschiede im Schulerfolg von Kindern erklärt. Für den Effekt des schulbezogenen Sozialkapitals auf den Schulerfolg von Kindern lassen sich vier mögliche theoretische Mechanismen identifizieren. Die theoretischen Grundlagen dieser Erklärungen sind die Sozialkapitaltheorie von Coleman (1988) und der kontrolltheoretische Ansatz von Domina (2005). Eine dritte Erklärung geht dagegen von einer Scheinkorrelation zwischen der Intensität des elterlichen Schulkontakts und dem Schulerfolg der Kinder aus. Der vierte Mechanismus in der Tradition der Theorie statistischer Diskriminierung (Phelps 1972) betont die Verwendung von Urteilheuristiken durch die Lehrkräfte als Ursache für die beobachteten Zusammenhänge. Aus den vier theoretischen Perspektiven ergeben sich jeweils spezifische Hypothesen darüber, bei Kontrolle
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welcher Mediatorvariablen die direkten Effekte des elterlichen Sozialkapitals verschwinden sollten. Im Folgenden werden diese Faktoren zuerst theoretisch abgeleitet und deren Bedeutsamkeit dann empirisch untersucht.
2
Theoretischer Rahmen
In der Sozialkapitaltheorie von Coleman steht die Annahme im Vordergrund, dass ein intensiver elterlicher Kontakt zur Schule ihrer Kinder Kontaktopportunitäten innerhalb der Elternschaft eröffnet und somit zu einem engen Beziehungsnetzwerk innerhalb der Elternschaft führt (Coleman 1988). Die resultierende hohe Netzwerkdichte und Interaktionshäufigkeit bewirkt eine starke intergenerationale Schließung um die Schulen herum. Soziale Kontrolle und Kohäsion führen zur Entstehung effektiver Bildungsnormen. Auch wenn negative Effekte der Netzwerkeinbettung prinzipiell möglich sind (Hallinan/ Kubitschek 1999), wird von der Entstehung einer positiven Werthaltung zu Bildung sowie anspruchsvollen Bildungsaspirationen und der Dominanz starker Normen zugunsten einer intensiven schulischen Betreuung der Kinder ausgegangen. Das elterliche Sozialkapital wirkt sich somit auf das normative Bildungsklima und die Intensität des Förderverhaltens in den Familien aus. Zusätzlich wird angenommen, dass Eltern mit anspruchsvollen Bildungsaspirationen zur Förderung der Leistungsmotivation und somit zur Erhöhung der Anstrengungsbereitschaft der Kinder in der Schule in der Lage sind. Das schulbezogene Sozialkapital der Familien wirkt sich somit vermittelt über eine intensivere Lernunterstützung zuhause und eine höhere Leistungsmotivation der Kinder positiv auf deren Kompetenzerwerb aus. Ein bestehender Zusammenhang zwischen elterlichem Sozialkapital und dem Schulerfolg der Kinder sollte somit vollständig durch die elterlichen Bildungsaspirationen sowie das leistungs-bezogene Verhalten, die Leistungsmotivation und die schulischen Kompetenzen der Schüler vermittelt sein. Eine zweite, kontrolltheoretische Erklärung für Effekte der Intensität des elterlichen Schulkontakts stellt die Informiertheit über den schulischen Leistungsstand der Kinder in den Mittelpunkt (Domina 2005). Demnach sind Eltern mit häufigem Kontakt mit den Lehrkräften ihrer Kinder immer perfekt über deren aktuellen Leistungsstand und deren Leistungsentwicklung informiert. Dadurch besteht die Möglichkeit zur frühzeitigen Intervention und Unterstützung, so dass Leistungskrisen effektiv entgegengewirkt werden kann. Wenn dies der Mechanismus ist, der der Wirksamkeit elterlichen Sozialkapitals zugrunde liegt, sollten Kinder mit überdurchschnittlich mit Sozialkapital ausgestatteten Eltern ein vorteilhafteres Kompetenzniveau aufweisen.
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Während bei den ersten beiden Ansätzen von einem kausalen, wenn auch durch unterschiedliche Mechanismen vermittelten Effekt des elterlichen Sozialkapitals auf die Schulleistungen der Kinder ausgegangen wird, nimmt eine dritte Erklärung hierbei das Vorliegen einer Scheinkorrelation an. Entsprechend sind hohe Bildungsaspirationen die Ursache für ein intensives Schulengagement und bewirken gleichzeitig ein ausgeprägtes elterliches Förderverhalten. Während in dieser Perspektive unterschiedliche Formen elterlicher Unterstützung, beispielsweise in der Form von Hausaufgabenbetreuung (Croll 2004), durch die Organisation von bezahltem Zusatzunterricht (Schneider 2006) oder die Bereitstellung einer lernförderlichen Ausstattung, einen positiven Effekt auf den Kompetenzerwerb der Kinder ausüben, hat das elterliche Schulengagement keinen darüber hinausgehenden Einfluss auf den Schulerfolg. Aus dieser Perspektive handelt es sich bei den elterlichen Bildungsaspirationen um jenen Faktor, durch dessen Kontrolle die Korrelation zwischen der Intensität des elterlichen Schulkontakts und dem Schulerfolg der Kinder erklärt werden sollte. Alle bisher dargestellten Mechanismen nehmen an, dass der Zusammenhang zwischen schulbezogenem Sozialkapital und Schulerfolg durch die Bildungsaspirationen sowie das Förderverhalten der Eltern, die Leistungsmotivation der Kinder und letztendlich durch deren Kompetenzentwicklung vermittelt ist. In einer vierten Erklärung steht dagegen die Rolle der Lehrkräfte im Mittelpunkt. Demnach verwenden Lehrer bei der Leistungsbewertung von Schülern eine einfache Urteilsheuristik, die wie folgt formuliert werden kann: Kinder, deren Eltern in schulische Angelegenheiten involviert sind, weisen einen hohen Leistungsstand auf, was bei weniger engagierten Eltern in geringerem Maße der Fall ist. Wenden Lehrkräfte diese Heuristik bei der Leistungsbewertung an, so wirkt sich das schulbezogene Sozialkapital auf die Zensuren von Kindern mit gleichem Kompetenzniveau, gleicher Leistungsmotivation und identischem Leistungsverhalten aus. Dieser Mechanismus ähnelt stark den in der Theorie statistischer Diskriminierung vorhergesagten Ursachen für Ungleichbehandlung (Aigner/Cain 1977; Phelps 1972). Demnach verwenden an korrekten Urteilen interessierte Akteure bei der Beurteilung von Einzelpersonen einer bestimmten Gruppe die durchschnittlichen bei den Gruppenmitgliedern beobachtbaren Merkmalsausprägungen als Urteilsgrundlage. Je weniger Individualinformationen verfügbar sind und je schwerer die Urteilsaufgabe ist, desto eher neigen Akteure zur Verwendung dieser Urteilsheuristik. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat gezeigt, dass die Beurteilung der Schulleistungen von Lernenden Anforderungen an Lehrkräfte stellt, die deren diagnostische Kompetenz übersteigen (als Überblick vgl. Ingenkamp 1995; Ingenkamp/Lissmann 2008). Da Lehrkräfte in Lehr-, Lernund Prüfungssituationen vielfältige Gelegenheit zum Sammeln von Informationen über die Kompetenzen ihrer Schüler haben, kann nicht von einem Mangel an
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urteilsrelevanten Informationen ausgegangen werden. Bei der Zensurenvergabe handelt es sich allerdings um eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, da hierbei eine große Menge mehrdimensionaler und wenig eindeutiger Indizien integriert werden muss. Aus der Perspektive der Theorie statistischer Diskriminierung lässt sich in Kontrast zu den anderen Erklärungsansätzen die Vorhersage ableiten, dass sich das schulbezogene elterliche Sozialkapital über die Kompetenzen, die Leistungsmotivation und das leistungsbezogene Verhalten der Schüler hinaus auf das Urteilsverhalten der Lehrkräfte auswirkt. Dies sollte umso stärker der Fall sein, je schwieriger die konkrete Urteilsaufgabe ist.
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Forschungsstand
Für den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Formen des schulbezogenen Sozialkapitals von Familien und verschiedenen Dimensionen des Schulerfolgs von Kindern liegen sehr inkonsistente Ergebnisse vor. Es wurde der Effekt der auf der freiwilligen Mitarbeit in den Schulen beruhenden Häufigkeit von elterlichen Schulkontakten auf den Schulabbruch nach der High-School untersucht (Perna/Titus 2005). Dieser konnte auch bei statistischer Kontrolle der Lernmotivation der Schüler bestätigt werden. Eine andere Studie hat den Effekt der Kontaktintensität mit den Schulen, etwa im Rahmen einer freiwilligen Mitarbeit im Unterricht, des Sammelns von Spenden für die Schule oder der Teilnahme an Treffen mit dem Lehrkörper, auf die Wahrscheinlichkeit eines Schulabbruchs überprüft (Teachman et al. 1997). Unter Kontrolle einer Reihe familiärer Strukturmerkmale und der Intensität der Eltern-Kind-Beziehung konnte ein solcher Effekt nicht festgestellt werden. In einer Reihe von Untersuchungen wurde der Zusammenhang zwischen schulbezogenem Sozialkapital und den durch Leistungstests erhobenen Kompetenzen der Kinder analysiert. Eine Studie mit Schülern der vierten Klassenstufe in Lateinamerika hat den Effekt unterschiedlich häufiger Telefongespräche zwischen Lehrkräften und Eltern auf die Testergebnisse der Kinder in Mathematik und der jeweiligen Landessprache geprüft (Anderson 2008). Nach den Ergebnissen liegen signifikant positive Zusammenhänge zwischen der Kontaktintensität und den Sprachkompetenzen der Kinder vor. Eine Korrelation mit den Mathematikfähigkeiten findet sich dagegen nicht. Eine weitere Untersuchung hat den Effekt der Intensität elterlichen Schulkontakts auf die Testergebnisse der Kinder in Mathematik und Lesen beleuchtet (Pong 1998). Elterlicher Schulkontakt wurde durch einen Index bestehend aus der freiwilligen Unterstützung der Lehrkräfte im Unterricht sowie dem elterlichen Engagement in Eltern-Lehrer-Vereinigungen operationalisiert. Das schulbezogene Sozialkapital wirkt sich weder auf
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die Testergebnisse in Mathematik noch auf die im Lesen aus. Ähnliche Ergebnisse finden sich in einer Studie, in der die Bedeutung des Besuchs der Sprechstunde von Lehrkräften, die freiwillige Mitarbeit in der Schule der Kinder sowie die Teilnahme an Treffen von Lehrer-Eltern-Vereinigungen betrachtet wurde (Domina 2005). Keiner der Indikatoren wirkt sich bei Kontrolle der Ausgangskompetenzen der Grundschüler auf deren Testergebnisse aus. Es wurde auch der Effekt der Häufigkeit, mit der Eltern aus unterschiedlichen Gründen die Schule ihrer Kinder aufsuchen, und deren Abschneiden auf einem Index aus Testergebnissen in Mathematik, Lesen, Naturwissenschaften sowie Geschichte analysiert (Ream/Palardy 2008). Es zeigt sich ein negativer Zusammenhang zwischen der elterlichen Kontaktintensität und den Testergebnissen der Kinder. Auch die Testergebnisse von Schülern in der achten Klassenstufe in Naturwissenschaften sind negativ mit der Mitgliedschaft in Eltern-Lehrer-Vereinigungen korreliert (McNeal 1999). Eine Untersuchung mit Schülern der achten Klassenstufe in den USA ergibt ebenfalls, dass sich die Häufigkeit der elterlichen Kommunikation mit den Lehrkräften der Kinder negativ auf die Testwerte in Mathematik und Lesen auswirkt (Ho Sui-Chu/Willms 1996). Allerdings findet sich ein positiver Zusammenhang zwischen der freiwilligen Mitarbeit der Eltern in der Schule sowie deren Mitgliedschaft in Lehrer-Eltern-Vereinigungen einerseits und beiden Arten von Testergebnissen andererseits. Die Leistungsurteile der Lehrkräfte müssen als besonders wichtiger Indikator für den Schulerfolg von Lernenden angesehen werden. Es liegen jedoch kaum Befunde über den Einfluss des schulbezogenen Sozialkapitals auf die Lehrerurteile vor. Eine Untersuchung mit einer Gruppe von Schülern im Alter zwischen 5 und 17 Jahren hat überprüft, ob sich ein unterschiedlich ausgeprägter Kontakt der Eltern mit den Schulen ihrer Kinder auf die Leistungsurteile der Lehrkräfte auswirkt (Stevenson/Baker 1987). Die Lehrer gaben an, wie häufig die Eltern an Elternabenden oder Treffen von Lehrer-Eltern-Vereinigungen teilgenommen haben. Die betreffenden Einschätzungen waren signifikant positiv mit den Lehrerurteilen über die kognitiven Leistungen der Kinder korreliert. Eine weitere Studie hat den Effekt des schulbezogenen Sozialkapitals auf die Durchschnittszensuren von Schülern der neunten Klassenstufe in fünf Kernfächern untersucht (Paulson 1994). Grundlage des Sozialkapitalindikators waren hier die Angaben der Schüler über die Teilnahme ihrer Väter und Mütter an Elternabenden, Treffen von Lehrer-Eltern-Vereinigungen sowie anderen Aktivitäten der Schule. Beide Elternteile haben die gleichen Informationen ebenfalls berichtet. Es hat sich gezeigt, dass die Angaben der Jugendlichen über die Kontaktintensität ihrer Eltern mit der Schule signifikant mit ihren Schulleistungen in Beziehung standen. Bei den Elternangaben war dies nur beim schulbezogenen Sozialkapital der Mütter für die Zensuren von Töchtern der Fall. Eine weitere Untersuchung ist
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dem Effekt des elterlichen Schulkontakts auf die Leistungsbewertungen von Schülern in der dritten bis zur fünften Klassenstufe nachgegangen (Lee/Bowen 2006). Der elterliche Schulkontakt wurde durch sechs Fragen darüber operationalisiert, wie häufig die Eltern bei verschiedenen Gelegenheiten die Schule der Kinder besucht haben. Das schulbezogene Sozialkapital wirkte sich signifikant auf den Schulerfolg aus. Es liegen jedoch keine Arbeiten vor, die den Effekt von Sozialkapital unter Kontrolle von unabhängig von den Lehrkräften gemessenen Kompetenzen und der schulbezogenen Leistungsmotivation der Kinder überprüfen. In einer ganzen Reihe von Studien wurde die Zuverlässigkeit der Leistungsurteile von Lehrkräften untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass diese Leistungsbewertungen durch die im Rahmen standardisierter Leistungstests erfassten Kompetenzen von Schüler beeinflusst werden (Ditton/Krüsken 2006). Allerdings hat sich die Reliabilität von Lehrerurteilen als beschränkt und die Bewertungen als durch eine Reihe leistungsferner Faktoren beeinflusst erwiesen (als Überblick vgl. Ingenkamp 1995; Ingenkamp/Lissmann 2008). So haben insgesamt 65 Lehrkräfte jeweils vier identische Geschichts- und Geografiearbeiten von Gymnasiasten benotet (Eells 1995). Nach elf Wochen bekamen die Lehrkräfte die gleichen Arbeiten wieder vorgelegt und haben diese nochmals bewertet. Die Ergebnisse des Experiments zeigen für die verschiedenen Arbeiten, dass die Korrelationen zwischen dem ersten und zweiten Urteil nur zwischen 0,25 und 0,51 lagen. In einer anderen Untersuchung mit 230 Kindern der Klassenstufen drei bis fünf aus Australien wurden die Lehrerbewertungen in fünf Kompetenzbereichen mit den Testergebnissen der Kinder in diesen Bereichen in Beziehung gesetzt (Sharpley/Edgar 1986). Es resultierte, dass die Testergebnisse nur zwischen 31,4 (Sprachverständnis von Mädchen) und 8 (sprachliche Intelligenz von Mädchen) Prozent der Varianz in den Lehrerurteilen erklären. 56 Prozent der von Lehrern vorhergesagten Leseleistung von Schülern lässt sich durch die bei den Schülern mittels standardisierter Testverfahren ermittelte Leseleistung erklären. In Mathematik konnten nur 46 Prozent der Lehrerurteile durch Testwerte erklärt werden (Doherty/Hier 1988). Auch liegen Hinweise darauf vor, dass sich für die Leistungsbeurteilung irrelevante Merkmale der Schüler in den vom Lehrpersonal vergebenen Zensuren niederschlagen. So wirkt sich die von Lehrkräften beurteilte Attraktivität von Schülern auf die Beurteilung derer kognitiven Kompetenzen aus (Ritts et al. 1992). Andere Untersuchungen belegen Einflüsse des Geschlechts (Bonesrønning 2008) und der ethnischen Herkunft (Farkas 2003; für inkonsistente Ergebnisse vgl. Kristen 2006) auf die Leistungseinschätzungen durch Lehrkräfte. Es lassen sich auch substanzielle Unterschiede in den Schülerbeurteilungen im kognitiven Bereich nach dem Geschlecht der Lehrkräfte feststellen (Klein 2004).
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Es liegen einige Hinweise für besondere Schwierigkeiten von Lehrkräften bei der Leistungsbewertung im Bereich der sprachlich/literarischen Fächer vor. So hat sich eine mangelnde Übereinstimmung zwischen standardisierten Testergebnissen und Lehrerurteilen über die Leseleistung von Schülern gezeigt: Lehrer und Lehrerinnen unterschätzen die Leseleistung von starken und überschätzen die von schwachen Schülern (Bates/Nettelbeck 2001). Auch lassen sich besonders starke Diskrepanzen in der Bewertung identischer Aufsätze durch unterschiedliche Lehrkräfte feststellen. Zu diesem Resultat kam eine Untersuchung, in der drei unterschiedliche Aufsätze von 200 Lehrkräften benotet wurden (Baurmann 1995). Als erstes Ergebnis ist eine extrem breite Streuung der vergebenen Zensuren trotz gleicher Aufsätze evident, die bei einem der Aufsätze sogar zwischen „sehr gut“ und „ungenügend“ variieren. Außerdem haben die Lehrkräfte die drei Aufsätze im Rahmen eines randomisierten experimentellen Designs in unterschiedlicher Reihenfolge bewertet. Dabei zeigt sich ein signifikanter Effekt der Benotungsfolge, wobei Aufsätze am Anfang signifikant strenger und damit negativer bewertet werden. Diese Befunde wurden in einer neueren Studie repliziert (Birkel/Birkel 2002). Auch haben sich Lehrkräfte als nicht zur Identifikation solcher Schüler in der Lage erwiesen, die zwar fließend lesen können, nicht aber den Inhalt des Gelesenen verstehen (Hamilton/Shinn 2003). Des Weiteren überschätzen Lehrkräfte den Lernfortschritt von schwachen Schülern und unterschätzen den von starken Lesern, jeweils im Vergleich zu Expertenurteilen und Testergebnissen (Graney 2008). In einer Untersuchung mit 65 Berliner Grundschulklassen wurden die Rangplätze der Klassen nach den Lehrerzensuren und Testergebnissen in Deutsch, Englisch, Mathematik, Erdkunde und Naturkunde verglichen (Brombach et al. 1995). Dabei ergibt sich in Deutsch eine Korrelation von 0,031 zwischen den beiden Rangreihen, wohingegen die Übereinstimmung in den anderen Fächern zwischen 0,120 und 0,296 variiert. Obwohl sich die Zusammenhänge in keinem Fach als statistisch signifikant erwiesen haben, waren diese im Fach Deutsch am geringsten. Zudem wurden in einer Untersuchung mit Kindern aus der dritten und vierten Klassenstufe die Determinanten der von den Lehrkräften vorhergesagten Testleistung der Schüler in den Bereichen Mathematik, Sprach- und Lesekompetenz analysiert (Doherty/Conolly 1985). Bei Kontrolle der von den Schülern tatsächlich gezeigten Leistungen in den verschiedenen Testbereichen wurde offenkundig, dass die von den Schülern berichtete Beziehungsqualität zu den Lehrern einen zusätzlichen signifikanten Effekt auf die Lehrerurteile über die Sprach- und Lesefähigkeiten der Schüler hat. Dieser Effekt fand sich bei den vorhergesagten Mathematiktestergebnissen jedoch nicht. Die vorliegenden Befunde legen nahe, dass Lehrkräfte größere Probleme bei der Benotung von Leistungen im Fach Deutsch als in anderen Fächern haben (für widersprechende Ergebnisse vgl. Demaray/Elliott 1998). Allerdings sind
Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder
89
auch empirische Evidenzen für eine beschränkte Fähigkeit von Lehrkräften zur Einschätzung von Mathematikleistungen verfügbar (Eckert et al. 2006; Starch/Elliot 1995).
4
Daten und Methoden
4.1 Stichprobe und Untersuchungsdesign In der vorliegenden Untersuchung verwenden wir Daten des Mannheimer Bildungspanels mit teilnehmenden Familien, deren Kinder 2003 die 3. Klassenstufe einer der 48, in vier Landkreisen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz zufällig ausgewählten Grundschulen besucht haben. Von der Grundgesamtheit der insgesamt 2.402 Familien, in denen die Eltern nicht Einwanderer der ersten Generation sind, haben 996 und damit 41,5 Prozent einer Teilnahme an der ersten Erhebungswelle zugestimmt. Nach dieser ersten Erhebungswelle am Ende der dritten Klassenstufe wurden Folgeinterviews in der Mitte der vierten Klassenstufe, kurz nach der Ausgabe der Halbjahreszeugnisse und vor der Anmeldung der Kinder an einer der weiterführenden Schulformen, durchgeführt. In der folgenden Untersuchung werden Elternangaben aus beiden Erhebungswellen herangezogen, die von jenem Elternteil stammen, der sich hauptsächlich mit den schulischen Angelegenheiten des Zielkinds befasst. Dies ist in 93,7 Prozent der Fälle die Mutter, in 6,0 Prozent der Vater und in 0,3 Prozent eine andere Person. Zeitlich parallel zu der zweiten Elternbefragung nahmen die Kinder im Klassenverband an standardisierten Leistungstests und deren Lehrkräfte an einer Befragung teil. Aufgrund fehlender Werte bei einzelnen Fragen und Panelausfällen liegen für die folgenden Analysen 631 vollständige Fälle vor.
4.2 Operationalisierung Die theoretischen Konstrukte werden in der vorliegenden Studie durch die folgenden Operationalisierungen umgesetzt: Schulbezogenes Sozialkapital der Eltern: Als Indikator für das schulbezogene Sozialkapital der Familien wird die Häufigkeit der Besuche von Elternabenden in der Grundschule des Kindes verwendet. Hierbei handelt es sich um einen für die Lehrkräfte sehr sichtbaren Indikator für die elterliche Involviertheit in die schulischen Angelegenheiten der Kinder. Außerdem lässt sich anhand dieser Form des Schulkontakts, anders als bei dem oft
90
Volker Stocké
durch konkrete Schulprobleme bedingten Sprechstundenbesuch, klar auf das elterliche Interesse an schulischen Belangen schließen. Als Datenbasis werden sowohl die Angaben der Eltern als auch die der Lehrkräfte herangezogen. Die Lehrkräfte haben die Häufigkeit des Besuchs von Elternabenden durch zumindest einen der beiden Elternteile auf einer siebenstufigen Likert-Skala zwischen eins („die Eltern besuchen Elternabende nie“) und sieben („die Eltern besuchen Elternabende immer“) eingestuft. Die befragten Eltern haben die gleiche Frage auf einer vierstufigen Antwortskala mit den Ausprägungen „nie“, „selten“, „häufig“ und „immer“ beantwortet. Die Einschätzungen der Lehrkräfte und die der Eltern wurden in einem ersten Schritt auf einen Wertebereich zwischen null („nie“) und eins („immer“) normalisiert. Im Anschluss wurden beide Angaben durch Mittelwertbildung kombiniert und als Indikator für das schulbezogene Sozial-kapital der Familien herangezogen. Ein Mittelwert von 0,89 dieser Variable zeigt einen durchschnittlich häufigen Besuch von Elternabenden durch die Eltern an (vgl. Tabelle 1). Diagnostische Urteile der Lehrkräfte: Als Indikator für die Leistungsbewertung durch die Lehrkräfte werden die Fachzensuren der Kinder im Halbjahreszeugnis der vierten Klassenstufe verwendet. Dabei werden die Zensuren im Fach Deutsch als Ergebnis einer schwereren und die Mathematiknoten als das Resultat einer leichteren Urteilsaufgabe aufgefasst. Die durchschnittlichen Zensuren liegen im Fach Deutsch bei 2,35 und in Mathematik bei 2,45 auf der Notenskala von eins („sehr gut“) bis sechs („ungenügend“) (vgl. Tabelle 1). Schulbezogene Kompetenzen der Kinder: Es werden standardisierte Leistungstestergebnisse als vom diagnostischen Handeln der Lehrkräfte unabhängiger Indikator der schulbezogenen kognitiven Kompetenz der Kinder herangezogen. Als Testinstrument wird der „BildungsBeratungs-Test für 3. und 4. Klassen” verwendet. Diesem Test kommt ein hohes Ausmaß an Reliabilität und Validität bei der Prognose der Schulleistungen von Kindern zu (Ingenkamp 1996; Borchert et al. 1991: 175). Der Test besteht aus drei Teilen: (a) Verständnis von Wortbedeutungen, (b) Umgang mit Zahlen und (c) Lösen von Denkaufgaben. Da sich sowohl das absolute Niveau wie auch die Stärke und Richtung der Kompetenzentwicklung auf die Leistungsbewertung der Lehrkräfte auswirken sollte, wurde der Test einmal am Ende der dritten Klassenstufe (t1) in der Testversion A und als Testversion B am Ende des ersten Halbjahres der vierten Klassenstufe (t2) durchgeführt. In den folgenden Analysen werden die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Lösung der insgesamt 60 Aufga_
0,68 0,14 0,80 -0,03 0,73 0,67 0,71 0,86 -0,05
Testergebnisse - Klassenstufe 3 (t1) c) - Entwicklung (t2-t1) d)
Motivation der Schüler - Klassenstufe 3 (t1) e) - Entwicklung (t2-t1) f)
Leistungsverhalten der Schüler g) - Hausaufgabensorgfalt (t2) - Unterrichtskonzentration (t2) - Anstrengung für gute Noten (t2)
Elterliche Aspirationen - Klassenstufe 3 (t1) h) - Entwicklung (t2-t1) i)
0,23 0,26
0,28 0,27 0,27
0,15 0,18
0,18 0,12
0,81 0,89
Std. 0,18
0/1 -1 / +1
0/1 0/1 0/1
0/1 -1 / +1
0/1 -1 / +1
1/6 1/6
Wertebereich 0/1
N=631. a) Besuch Elternabende: 0 “nie“ bis 1 “immer”; b) Notenskala: 1 “sehr gut“ bis 6 “ungenügend”; c) Erfolgreich gelöste Testaufgaben: 0 “keine“ bis 1 “alle”; d) -1 „starke Verschlechterung der Testleistung“ bis +1 „starke Verbesserung der Testleistung“; e) Leistungsmotivation: 0 “sehr geringe Motivation“ bis 1 “sehr hohe Motivation”; f) -1 „starke Motivationsreduktion“ bis +1 „starke Motivationszunahme“; g) Leistungsverhalten: 0 “sehr schwaches Leistungsverhalten“ bis 1 “sehr starkes Leistungsverhalten”; h) Bildungsaspirationen: 0 „Abitur entspricht Idealvorstellung überhaupt nicht“ bis 1 „Abitur entspricht Idealvorstellung vollständig“; í) -1 „starke Aspirationsreduktion“ bis +1 „starke Aspirationsanhebung“
2,35 2,45
Lehrernoten b) - Deutsch (t2) - Mathematik (t2)
Mittelwert 0,89
Ausprägung der Fachzensuren in Deutsch und Mathematik sowie deren Bestimmungsfaktoren
Häufigkeit Besuch Elternabende (t2) a)
Tabelle 1:
92
Volker Stocké
ben zu t1 sowie die Entwicklung der Leistungsfähigkeit nach t2 als erklärende Variablen herangezogen. Die Kinder haben zum ersten Messzeitpunkt im Durchschnitt 68,3 Prozent der Testaufgaben korrekt gelöst. Die im Rahmen des Schulleistungstests diagnostizierte Kompetenz der Kinder steigt im Verlauf des ersten Halbjahres der vierten Klassenstufe deutlich an, sodass zum zweiten Messzeitpunkt 13,9 Prozentpunkte mehr Testaufgaben erfolgreich gelöst werden können (vgl. Tabelle 1). Auf der Individualebene lässt sich ein deutliches Ausmaß an Heterogenität in der Leistungsentwicklung feststellen: So zeigt sich bei 88,8 Prozent der Kinder eine Leistungsverbesserung um durchschnittlich 16,4 Prozentpunkte (Std.: 0,11), wohingegen bei 8,7 Prozent eine Leistungsverschlechterung um 0,07 Prozentpunkte zu beobachten ist (Std.: 0,07). Bei 2,5 Prozent der Schüler ist der Testwert exakt gleich geblieben. Leistungsmotivation der Schüler: Die befragten Eltern haben die schulbezogene Motivation der Kinder am Ende der dritten (t1) und nach dem ersten Halbjahr der vierten Klassenstufe (t2) auf der Grundlage von fünf Items eingeschätzt. Die Einschätzungen beziehen sich beispielsweise auf das Bestreben der Kinder den Lernstoff in der Schule immer voll zu verstehen oder darauf, gute Leistungsbewertungen von den Lehrkräften zu erhalten.1 Die Angaben wurden auf einer siebenstufigen, an den Endpunkten bei eins („trifft überhaupt nicht zu“) und sieben („trifft voll und ganz zu“) verankerten Antwortskala erfasst. Nach den Ergebnissen einer Faktorenanalyse erfassen die Antworten zum Messzeitpunkt t1 und t2 eine einheitliche latente Dimension. Die Reliabilität der Skala liegt zum ersten Messzeitpunkt (Alpha = 0,67) niedriger als zum zweiten Messzeitpunkt (Alpha = 0,81). Die Werte rechtfertigen aber, dass die Angaben durch Mittelwertbildung zu einem Motivationsindex kombiniert und dann auf einen Wertebereich von null („geringe Leistungsmotivation“) und eins („hohe Leistungsmotivation“) normalisiert werden können. Es zeigt sich zum ersten Messzeitpunkt ein moderat hohes Motivationsniveau von 0,80, das im Zeitverlauf um -0,03 Skalenpunkte leicht abnimmt (vgl. Tabelle 1). Eine genauere Betrachtung offenbart, dass bei 37,7 Prozent der Kinder eine Motivationsverbesserung um durchschnittlich 0,13 Punkte (Std.: 0,13) eintritt, aber bei 50,9 Prozent eine Motivationsreduktion um durchschnittlich 0,15 Skalenpunkte (Std.: 0,14) vorliegt. Bei 11,4 Prozent bleibt die Leistungsmotivation zeitlich stabil. 1 Itemformulierungen: (a) „Mein Kind legt großen Wert darauf, im Unterricht intensiv mitzumachen“, (b) „Mein Kind legt großen Wert darauf, den Lernstoff immer voll zu verstehen“, (c) „Mein Kind legt großen Wert auf eine gute Bewertung durch die Lehrer“; (d) „Unser Kind geht insgesamt wirklich gerne in die Schule“; (e) „Unser Kind spricht positiv über die Lehrer“.
Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder
93
Leistungsverhalten im Schulkontext: Die Lehrkräfte haben am zweiten Messzeitpunkt das leistungsbezogene Verhalten der Kinder im Klassenkontext auf drei Dimensionen eingeschätzt. Dabei handelt es sich darum wie (a) sorgfältig die Schüler Hausaufgaben machen, (b) wie konzentriert sie am Unterricht teilnehmen und (c) wie sehr sie sich für gute Noten anstrengen. Die Angaben beziehen sich auf das leistungsbezogene Verhalten zwischen t1 und t2. Die Angaben wurden auf einer an den Endpunkten mit Labels versehenen Likert-Skala erfasst und dann auf einen Wertebereich zwischen null („das war nie der Fall“) und eins („das war immer der Fall“) normalisiert. Die deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass die Lehrkräfte die Sorgfalt der Hausaufgabenerledigung mit 0,73 Skalenpunkten am positivsten bewerten, dicht gefolgt von der Anstrengungsbereitschaft für gute Noten (0,71) und der Unterrichtskonzentration mit einem Wert von 0,67 noch am kritischsten gegenüberstehen (vgl. Tabelle 1).
4.3 Auswertungsverfahren Die Datenbasis für die vorliegende Studie sind Schülerinnen und Schüler, die innerhalb von Klassen geschachtelt sind. Die hierarchische Struktur der Daten erfordert daher die Verwendung mehrebenenanalytischer Verfahren (Snijders/ Bosker 1999). Dabei werden die Familien als Mikroebene und die Schulklassen als Makrokontexte einbezogen. Durch die Verwendung von mehrebenenanalytischen Verfahren wird bei der Berechnung von Teststatistiken der fehlenden Unabhängigkeit der Beobachtung innerhalb der Schulklassen Rechnung getragen. Ein Ziel der vorliegenden Analysen besteht im Vergleich der Nettoeffekte unterschiedlicher Dimensionen des elterlichen Sozialstatus sowie verschiedener Determinanten der Lehrerbewertungen auf die Zensuren in Deutsch und Mathematik. Zu diesem Zweck werden inkrementelle Werte des Bayesian-Information Criterions (BIC) herangezogen (Burnham/Anderson 2004). Die BIC-Statistik ist für den Vergleich von Effektstärken zwischen nicht-genesteten Regressionsmodellen geeignet. Bei der Interpretation absoluter und inkrementeller BICWerte muss beachtet werden, dass kleinere und insbesondere negative Werte eine höhere Effektstärke der in dem betreffenden Modell einbezogenen bzw. jeweils überprüften Erklärungsfaktoren anzeigen.
94 5
Volker Stocké Ergebnisse
5.1 Herkunftsunterschiede in den Determinanten von Lehrerzensuren Im ersten Analyseschritt wird die Differenziertheit der unterschiedlichen Determinanten der Lehrerbewertung nach der sozialen Herkunft der Kinder überprüft. Dabei stellt sich insbesondere die Frage nach der relativen Bedeutung des Bildungs- und Berufsstatus der Väter und Mütter. Als Kontrollvariablen werden das Alter sowie das Geschlecht der Kinder in die Analysen einbezogen. Die Neigung zur Teilnahme an Elternabenden unterscheidet sich erstens nach der Bildung der Mütter und der Klassenlage der Väter (vgl. Tabelle 2, Modell 1.1): Eltern mit höherer Bildung und vorteilhafterer Klassenlage nehmen häufiger diese Art von Gelegenheit zur Kontaktaufnahme mit der Schule wahr. Dabei verläuft die Differenzierung nach der Bildung der Mütter hauptsächlich zwischen solchen mit höchstens einem Hauptschulabschluss und einem höheren Bildungsniveau. Das schulbezogene Sozialkapital der Familien unterscheidet sich hinsichtlich der väterlichen Klassenlage primär zwischen ungelernten Arbeitern, Mitgliedern der Dienstklasse und den dazwischen angesiedelten Klassenlagen. Die Analyse der Testergebnisse der Kinder am Ende der dritten Klassenstufe zeigt zweitens, dass sich diese nach der Bildung der Väter und besonders nach der der Mütter unterscheiden (vgl. Tabelle 2, Modell 1.2). Nach den Regressionsparametern fallen die Testergebnisse der Kinder mit jeder Bildungsstufe der Eltern vorteilhafter aus. Bei Kontrolle der elterlichen Bildung lassen sich kaum zusätzliche Einflüsse der Klassenlage auf die Testergebnisse feststellen. Drittens unterscheidet sich die Stärke und Richtung der Kompetenzentwicklung weder nach der Bildung noch der Klassenposition der Eltern (vgl. Tabelle 2, Modell 1.3). Viertens finden sich substantielle Effekte der Klassenlage der Mütter auf das Niveau der Leistungsmotivation der Kinder am Ende der dritten Klassenstufe (vgl. Tabelle 2, Modell 1.4). Es offenbart sich eine nicht-lineare, umgekehrt u-förmige Entwicklung der schulischen Leistungsmotivation der Kinder mit zunehmend vorteilhafter Klassenlage der Mütter: Während Kinder mit Müttern aus der oberen Dienstklasse und der unqualifizierten Arbeiterklasse eine ähnlich geringe schulische Leistungsmotivation aufweisen, herrscht bei einer mittleren Klassenlage und besonders in der qualifizierten Arbeiterklasse ein deutlich höheres Motivationsniveau vor. Fünftens lassen sich kaum signifikante Effekte der sozialen Herkunft auf die Entwicklung der Leistungsmotivation der Kinder feststellen (vgl. Tabelle 2, Modell 1.5).
Fortsetzung auf der nächsten Seite.
( 0,56) ( 1,77) ( 2,44) ( 2,18) ( 2,17) ( 2,09) ( 1,64) ( 0,33) ( 1,27) (-0,94) (-0,21) ( 0,15) (-0,56) ( 0,52)
0,05* 0,04* 0,06* 0,05* 0,05 0,01 0,03 -0,04 -0,01 0,01 -0,02 0,02
(z-Wert)
0,01 0,03+
b
Modell 1.1 Elternabende (z-Wert)
( 1,57) ( 0,50) ( 0,52) ( 0,52) ( 0,91) ( 1,70) ( 1,82) ( 0,87) ( 0,48) ( 1,15)
0,05 0,01 0,02 0,02 0,03 0,08+ 0,07+ 0,03 0,02 0,08
0,09** ( 3,71) 0,05* ( 2,26)
0,05* ( 2,14) 0,03+ ( 1,77)
b
Modell 1.2 Testergebnisse (t1)
-0,02 -0,00 -0,00 0,01 -0,04
0,02 0,02 0,03 0,02 0,02
-0,01 0,00
-0,01 -0,01
b
(-0,63) (-0,06) ( 0,05) ( 0,33) (-0,93)
( 0,85) ( 1,10) ( 1,20) ( 0,66) ( 1,15)
(-0,53) ( 0,11)
( -0,70) ( -0,75)
(z-Wert)
Modell 1.3 Testergebnisse (t2-t1) (z-Wert)
0,01 0,07* 0,07* 0,01 0,10*
0,01 0,01 0,03 0,01 0,00
( 0,35) ( 2,00) ( 2,24) ( 0,28) ( 2,18)
( 0,49) ( 0,37) ( 1,00) ( 0,21) ( 0,04)
0,02 ( 0,88) 0,00 (-0,20)
-0,02 (-0,94) -0,00 (-0,27)
b
Modell 1.4 Motivation (t1)
(z-Wert)
0,01 -0,02 -0,04 -0,02 -0,09
0,05 0,06+ 0,04 -0,01 0,00
( 0,10) (-0,53) (-0,89) (-0,45) (-1,62)
( 1,51) ( 1,92) ( 0,97) (-0,29) ( 0,14)
-0,02 (-0,78) -0,00 (-0,07)
-0,01 (-0,25) -0,03 (-1,52)
b
Modell 1.5 Motivation (t2-t1)
Soziale Differenzierung der Determinanten der Notengebung durch die Lehrkräfte – Teil 1 (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene)
Bildung/Vater a) - Abitur - Mittlere Reife Bildung/Mutter a) - Abitur - Mittlere Reife EGP-Klasse/Vater b) - Obere Dienstklasse - Untere Dienstklasse - Routinedienstleister - Selbstständige - Facharbeiter EGP-Klasse/Mutter b) - Obere Dienstklasse - Untere Dienstklasse - Routinedienstleister - Selbstständige - Facharbeiter
Tabelle 2:
e)
0,522
0,131 (0,011) 0,125 (0,004)
/ 9,5 / 6,5 / 24,3 / 27,6 / 63,3 ** / -485,2
0,105
0,055 (0,010) 0,160 (0,005)
/ 7,9 / -0,9 / 28,2 / 22,6 / 17,5 /-317,3
0,067
0,032 (0,007) 0,118 (0,004)
/ 12,2 / 12,2 / 30,4 / 29,1 / 82,2 / -726,0
0,7 0,7 1,9 0,7 6,9 21,8
(z-Wert)
5,0+ 13,9** 4,1 9,7+ 76,9** 86,3**
b
3,5 6,4* 8,0 4,6 27,5* 63,1
(z-Wert) -0,01 (-1,19) -0,02+ (-1,88) 0,14** ( 4,53)
b
Modell 1.3 Testergebnisse (t2-t1)
-0,01 (-0,83) -0,00 (-0,33) 0,53** (12,42)
(z-Wert)
Modell 1.2 Testergebnisse (t1)
-0,01 (-0,95) -0,01 (-0,75) 0,82** (21,83)
b
Modell 1.1 Elternabende (z-Wert)
0,077
0,039 (0,010) 0,137 (0,004)
1,0 / 11,9 2,1 / 10,8 1,5 / 30,7 16,1** / 16,3 19,9 / 70,6 84,4** / -531,5
0,01 ( 1,17) 0,09** ( 8,13) 0,68** (18,99)
b
Modell 1.4 Motivation (t1) +
(z-Wert)
/ 10,0 / 11,9 / 22,6 / 27,3 / 69,5 / -243,6
0,036
0,034 (0,014) 0,174 (0,005)
2,9 1,0 9,8+ 5,0 21,0 29,7+
-0,01 (-1,80) -0,03+ (-1,82) 0,00 ( 0,03)
b
Modell 1.5 Motivation (t2-t1)
Soziale Differenzierung der Determinanten der Notengebung durch die Lehrkräfte – Teil 1 (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene)
N=631. Signifikanz: + p d .10; * p d .05; ** p d .01; Referenzkategorie: a) Hauptschulabschluss; b) un- und angelernte Arbeiter, c) Varianz auf Schulklassenebene, d) Varianz auf Individualebene, e) Intra-Klassenkorrelation.
U
Var(u0j) c) Var(eoij) d)
Alter Kind (Monate) Geschlecht (Mädchen) Konstante Inkrementelle Effekte LR-²/BIC Bildung / Vater Bildung / Mutter EGP-Klasse / Vater EGP-Klasse / Mutter Statuseffekt gesamt LR-² / BIC
Tabelle 2 (Fortsetzung):
Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder
97
Hinsichtlich der unterschiedlichen Dimensionen des leistungsbezogenen Verhaltens der Kinder zeigen sich sechstens, mit Ausnahme der väterlichen Bildung bei der Hausaufgabendisziplin und der väterlichen Klasse bei der Unterrichtskonzentration, für alle Statusdimensionen statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen (vgl. Tabelle 3, Modelle 1.6 – 1.8). Alle Effekte belegen, dass Kinder mit vorteilhafterer Klassen- und Bildungsherkunft ein intensiveres Leistungsverhalten im Schulkontext an den Tag legen. Die Ausnahme bildet der schwache Effekt der väterlichen Bildung: Bei Vätern mit mittlerer Reife, im Vergleich zu solchen mit nur Hauptschulabschluss oder Abitur, zeigen die Kinder hinsichtlich aller Dimensionen konsistent ein ausgeprägteres Leistungsverhalten. Es fällt außerdem auf, dass sich das Leistungsverhalten von Kindern mit Müttern aus der unqualifizierten Arbeiterklasse besonders deutlich negativ von dem von Lernenden aus allen anderen sozialen Klassen abhebt. Hinsichtlich der Bildungsaspirationen der Eltern zeigt sich siebtens eine klare Differenzierung nach der Bildung beider Elternteile: Die Aspirationen zugunsten eines Abiturs in der dritten Klassenstufe nehmen mit dem Bildungsstatus substanziell zu (vgl. Tabelle 3, Modell 1.9). Die Aspirationsentwicklung über die Zeit erweist sich als nach der Klassenlage der Mütter differenziert (vgl. Tabelle 3, Modell 1.10): Während sich im Durchschnitt das Anspruchsniveau der Eltern abschwächt, fällt diese Reduktion in Familien mit Müttern mit vorteilhafter Klassenlage in starkem Maße unterdurchschnittlich aus. Ein Vergleich der inkrementellen BIC-Werte für den kumulativen Effekt aller Dimensionen des elterlichen Sozialstatus zeigt, ob und wie stark die untersuchten Bestimmungsfaktoren der Lehrerurteile nach der sozialen Herkunft der Kinder differenziert sind und daher das größte Erklärungspotential für die beobachteten Diskrepanzen im Schulerfolg haben. Die Ausgangstestleistungen der Kinder in der dritten Klassenstufe (BIC = +17,5) und das Leistungsverhalten der Kinder im Schulkontext (Streben nach guten Zensuren: BIC = +32,9; Unterrichtskonzentration: BIC = +35,7; Hausaufgabensorgfalt: BIC = +49,1) sowie das Ausgangsniveau der Bildungsaspirationen (BIC = +34,3) unterscheiden sich am stärksten nach der Bildungs- und Klassenherkunft. Weniger durch die soziale Herkunft geprägt ist die Neigung zum Besuch von Elternabenden (BIC = +63,3), die zeitliche Entwicklung (BIC = +69,5) sowie das Ausgangsniveau (BIC = +70,6) der Leistungsmotivation der Kinder und die Entwicklung der Ergebnisse der Kompetenztests (BIC = +82,2) sowie die des Aspirationsniveaus (BIC = +56,9).
0,11+ ( 1,88) 0,03 ( 0,42) 0,15* ( 2,01)
0,12* ( 2,25) 0,11 ( 1,64) 0,14+ ( 1,96)
- Routinedienstleister - Selbstständige - Facharbeiter
Fortsetzung auf der nächsten Seite.
0,14* ( 2,03) 0,11+ ( 1,95)
0,17* ( 2,57) 0,10+ ( 1,76)
0,08 0,04 0,03 0,03 0,04
0,10* 0,09* 0,12* 0,06 0,07+ ( 1,63) ( 0,90) ( 0,68) ( 0,64) ( 0,97)
0,09** ( 2,87) 0,03 ( 1,09)
0,08** ( 2,70) 0,06* ( 2,32) ( 2,25) ( 2,18) ( 2,47) ( 1,20) ( 1,71)
0,06* ( 1,97) 0,07** ( 2,61)
( 0,72) ( 1,35)
0,02 0,04
b
b (z-Wert)
(z-Wert)
Modell 1.7 Konzentration (t1)
Modell 1.6 Hausaufgaben (t1)
( 2,28) ( 1,94) ( 1,87) ( 0,12) ( 1,00)
0,14** ( 2,61) 0,11+ ( 1,68) 0,16* ( 2,28)
0,19** ( 2,97) 0,16** ( 2,96)
0,10* 0,08+ 0,09+ 0,01 0,04
0,08* ( 2,49) 0,05+ ( 1,85)
0,03 ( 0,94) 0,06* ( 2,14)
b (z-Wert)
Modell 1.8 Anstrengung (t1) (z-Wert)
( 0,53) ( 1,21)
( 0,42) (-0,27) (-0,12) (-1,25) ( 0,02)
0,01 ( 0,29) 0,06 ( 0,90) 0,12+ ( 1,72)
0,03 0,06
0,02 -0,01 -0,01 -0,06 0,00
0,08** ( 2,62) 0,04 ( 1,42)
0,08** ( 2,76) 0,03 ( 1,13)
b
Modell 1.9 Aspirationen (t1)
( 0,12) ( 0,28) (-0,99) (-0,36) (-0,26)
( 1,20) (-0,36)
( 0,02) (-0,60)
(z-Wert)
0,13* ( 2,30) 0,09 ( 1,28) -0,08 (-0,95)
0,16* ( 2,22) 0,12* ( 2,05)
0,01 0,01 -0,05 -0,02 -0,01
0,04 -0,01
0,00 -0,02
b
Modell 1.10 Aspirationen (t2-t1)
Soziale Differenzierung der Determinanten des Bewertungsverhaltens der Lehrkräfte – Teil 2 (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene)
Bildung/Vater a) - Abitur - Mittlere Reife Bildung/Mutter a) - Abitur - Mittlere Reife EGP-Klasse/Vater b) - Obere Dienstklasse - Untere Dienstklasse - Routinedienstleister - Selbstständige - Facharbeiter EGP-Klasse/Mutter b) - Obere Dienstklasse - Untere Dienstklasse
Tabelle 3:
e)
+
*
/ 11,1 / 5,3 / 25,0 / 23,5 / 49,1
0,411
0,209 (0,006)
0,174 (0,016)
74,1** / 125,5
1,8 7,7* 7,3 8,8 42,6** /142,1
/ 5,8 / 3,1 / 29,0 / 23,9 / 35,7
0,245 a)
0,221 (0,007)
0,126 (0,014)
7,2* 9,8** 3,3 8,3 57,0** 81,2**
0,38** ( 6,26)
0,41** ( 6,82)
(z-Wert)
-0,00 (-0,33) 0,09** ( 4,54)
b
Modell 1.7 Konzentration (t1)
-0,01 (-1,03) 0,08** ( 4,50)
b (z-Wert)
Modell 1.6 Hausaufgaben (t1) (z-Wert)
/ 96,7
/ 8,2 / 6,7 / 22,7 / 21,4 / 32,9
( 6,40)
0,355
0,207 0,006
**
b)
0,154 (0,015)
87,4
**
4,7+ 6,2* 9,6+ 10,9* 60,1**
0,38
**
-0,01 (-1,13) 0,08** ( 4,46)
b
Modell 1.8 Anstrengung (t1) (-1,32) ( 0,57)
(z-Wert)
**
/ 22,7
/ 5,0 / 5,7 / 28,1 / 23,0 / 34,3
(-0,67) (-0,90)
/ 191,1
/ 12,3 / 8,7 / 29,2 / 14,6 / 56,9
c)
Varianz auf
0,000
0,250 (0,007)
0,000 (0,042)
**
37,6
0,6 4,2 3,1 17,9** 34,2**
-0,17** (-2,68)
-0,01 -0,02
b (z-Wert)
Modell 1.10 Aspirationen (t2-t1)
un- und angelernte Arbeiter,
0,000
0,219 (0,006)
0,000 (0,023)
66,6
7,9* 7,2* 4,2 9,2+ 58,5**
0,74** (13,41)
-0,01 0,01
b
Modell 1.9 Aspirationen (t1)
Soziale Differenzierung der Determinanten des Bewertungsverhaltens der Lehrkräfte – Teil 2 (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene)
N=631. Signifikanz: p d .10; p d .05; p d .01; Referenzkategorie: Hauptschulabschluss; Schulklassenebene, d) Varianz auf Individualebene, e) Intra-Klassenkorrelation.
U
Var(eoij) d)
Var(u0j)
c)
LR-² / BIC
Statuseffekt gesamt
Inkrementelle Effekte LR-²/BIC Bildung / Vater Bildung / Mutter EGP-Klasse / Vater EGP-Klasse / Mutter
Alter Kind (Monate) Geschlecht (Mädchen) Konstante
Tabelle 3 (Fortsetzung):
100
Volker Stocké
5.2 Determinanten des Bewertungsverhaltens der Lehrkräfte Im folgenden Abschnitt wird, getrennt für die Fächer Deutsch und Mathematik, die Bedeutung unterschiedlicher Bewertungsgrundlagen der Lehrkräfte bei der Zensurenvergabe analysiert. Im ersten Schritt wird untersucht, wie stark sich die Bildung und Klassenlage der Eltern auf die Lehrerurteile auswirken. Bei den Deutsch- und Mathematikzensuren zeigen sich gleichermaßen starke und signifikante Differenzierungen nach beiden Statusdimensionen der Mütter (vgl. Tabelle 4, Modelle 2.1 und 2.2). Zusätzlich erweist sich die väterliche Bildung hinsichtlich einzelner Kontraste bei beiden Fachzensuren als bedeutsam, wohingegen deren Klassenlage keinerlei eigenständige Erklärungsleistung zukommt. Generell bewerten Lehrkräfte die Leistungen von Schülern in beiden Fächern dann positiver, wenn deren Eltern über mehr Bildung oder eine vorteilhaftere Klassenposition verfügen. Eine Ausnahme stellt die Differenzierung nach der mütterlichen Klassenlage dar: Im Vergleich zu Kindern unqualifizierter Arbeiterinnen erhalten alle Schüler bessere Zensuren, wobei die von Kindern qualifizierter Arbeiterinnen und besonders die von Sprösslingen der unteren Dienstklasse positiv hervorstechen. Gemessen an den inkrementellen BIC-Werten wirken sich die mütterlichen verglichen mit den väterlichen Herkunftsmerkmalen deutlich stärker auf die Deutsch- und Mathematikzensuren aus. Außerdem erweist sich der Bildungsstatus beider Eltern im Vergleich zu deren Klassenlage als deutlich relevanter für die Lehrerurteile. In Übereinstimmung mit unseren Vorhersagen ist der kumulative Effekt der sozialen Herkunft auf die Lehrerurteile im Fach Deutsch sehr viel stärker als in Mathematik (BIC-Deutsch = -13,1; BIC Mathematik = +17,4). Es wird zweitens geprüft, ob sich das durch die Häufigkeit der Teilnahme an Elternabenden operationalisierte Sozialkapital der Familien auf die Leistungsbewertung der Lehrkräfte in den Fächern Deutsch und Mathematik auswirkt. Dies lässt sich ohne statistische Kontrolle leistungsbezogener Merkmale der Schüler für beide Fachnoten bestätigen: Eine um eine Standardabweichung häufigere Teilnahme an Elternabenden bewirkt im Fach Deutsch eine um 0,15 und im Fach Mathematik eine um 0,11 Notenstufen vorteilhaftere Leistungsbewertung (vgl. Tabelle 4, Modelle 3.1 und 3.2). Gemessen an den inkrementellen BIC-Werten für den Gesamteffekt der elterlichen Statusmerkmale zwischen den Modellen 2.1/2.2 einerseits und 3.1/3.2 andererseits zeigt sich, dass ein relevanter Teil des Herkunftseffekts auf die Wirkung des ungleich verteilten Sozialkapitals zurückzuführen ist: Der direkte Effekt des elterlichen Sozialstatus auf die Deutschzensuren geht bei Berücksichtigung des Schulkontakts von -13,1 auf -3,1 und der auf die Mathematikzensuren von +17,4 auf +22,9 zurück.
a)
Fortsetzung auf der nächsten Seite.
-0,22 -0,11 -0,16 0,03 -0,23
(-1,96) (-1,20) (-0,39) (-0,63) (-0,13) (-2,02) (-3,47) (-2,67) (-0,91) (-2,05)
-0,28* -0,15 -0,06 -0,09 -0,02 -0,41* -0,60** -0,45** -0,19 -0,47*
-0,58* -0,62** -0,54** -0,43+ -0,44+
-0,47** (-4,06) -0,21* (-2,07)
-0,39** (-3,95) -0,24** (-2,76)
(-2,49) (-3,10) (-2,78) (-1,75) (-1,68)
(-1,32) (-0,74) (-0,95) ( 0,16) (-1,60)
-0,22* (-1,98) -0,08 (-0,85)
-0,24* (-2,51) -0,12 (-1,43)
(z-Wert)
b
b
(z-Wert)
Modell 2.2 Mathematik
Modell 2.1 Deutsch (z-Wert)
-0,43* -0,60** -0,44** -0,21 -0,43+
-0,23 -0,11 -0,01 -0,07 0,00
(-2,14) (-3,53) (-2,66) (-1,00) (-1,90)
(-1,63) (-0,89) (-0,08) (-0,45) ( 0,04)
-0,34** (-3,48) -0,20* (-2,36)
-0,23* (-2,50) -0,10 (-1,25)
b
Modell 3.1 Deutsch
(z-Wert)
-0,60** -0,62** -0,53** -0,44+ -0,41
-0,18 -0,08 -0,13 0,05 -0,22
(-2,56) (-3,11) (-2,76) (-1,79) (-1,58)
(-1,11) (-0,53) (-0,75) ( 0,30) (-1,52)
-0,43** (-3,77) -0,19+ (-1,85)
-0,22* (-1,99) -0,08 (-0,77)
b
Modell 3.2 Mathematik
Soziale Differenzierung der Fachzensuren in Deutsch und Mathematik in der vierten Klassenstufe (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene)
Bildung/Vater - Abitur - Mittlere Reife Bildung/Mutter a) - Abitur - Mittlere Reife EGP-Klasse/Vater b) - Obere Dienstklasse - Untere Dienstklasse - Routinedienstleister - Selbstständige - Facharbeiter EGP-Klasse/Mutter b) - Obere Dienstklasse - Untere Dienstklasse - Routinedienstleister - Selbstständige - Facharbeiter
Tabelle 4:
e)
+
*
**
a)
0,021
4,1 / 8,8 17,6** / -4,5 5,8 / 26,5 10,4+ / 21,9 77,1** / 17,4 84,8** / 1706,3 0,121 (0,080) 0,823 (0,025)
6,3* / 6,6 15,6** / -2,5 6,8 / 25,5 19,2** / 13,3 112,1 **/ -13,1 146,4** / 1521,0 0,169 (0,051) 0,701 (0,022) 0,055
0,06+ ( 1,80) 0,09 ( 1,29) -3,49** (16,66)
0,08** ( 2,75) -0,25** (-4,32) -3,44** (18,96)
(z-Wert)
b
b
(z-Wert)
Modell 2.2 Mathematik
Modell 2.1 Deutsch
( 2,76) (-4,57) (-4,76) (18,85)
(z-Wert)
b)
( 1,78) ( 1,16) (-3,01) (16,48)
(z-Wert)
c)
Varianz auf
0,029
4,2 / 8,8 15,4** / -2,3 5,6 / 26,7 10,6+ / 21,8 71,0 **/ 22,9 94,0** / 1703,5 0,140 (0,072) 0,815 (0,025)
0,06+ 0,08 -0,11** 3,44**
b
Modell 3.2 Mathematik
un- und angelernte Arbeiter,
0,048
6,3* / 6,6 12,1** / 0,9 5,6 / 26,7 19,3** / 13,2 100,4 **/ -3,1 168,8** / 1505,0 0,156 (0,053) 0,690 (0,021)
0,08** -0,26** -0,15** 3,37**
b
Modell 3.1 Deutsch
Soziale Differenzierung der Fachzensuren in Deutsch und Mathematik in der vierten Klassenstufe (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene)
N=631. Signifikanz: p d .10; p d .05; p d .01; Referenzkategorie: Hauptschulabschluss; Schulklassenebene, d) Varianz auf Individualebene, e) Intra-Klassenkorrelation.
U
Alter Kind (Monate) Geschlecht (Mädchen) Elternabende Konstante Inkrementelle Effekte LR-²/BIC Bildung / Vater Bildung / Mutter EGP-Klasse / Vater EGP-Klasse / Mutter Statuseffekt gesamt LR-² / BIC Var(u0j) c) Var(eoij) d)
Tabelle 4 (Fortsetzung):
Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder
103
Es stellt sich nun die Frage, ob dieser Effekt der Intensität des elterlichen Kontakts mit der Grundschule auf den leistungsbezogenen Merkmalen der Schüler gründet. Daher werden drittens das Ausgangsniveau und die zeitliche Entwicklung der durch standardisierte Leistungstests ermittelten Kompetenzen der Schüler in die Analyse aufgenommen (vgl. Tabelle 5, Modelle 4.1 und 4.2). Es lässt sich feststellen, dass die Lehrkräfte die schulbezogenen Kompetenzen der Kinder bei ihren Leistungsurteilen in beiden Fächern einfließen lassen. Entsprechend verbessern sich die Zensuren in Deutsch um 0,52 und die in Mathematik um 0,73 Notenstufen, wenn die Schüler am Ende der dritten Klassenstufe um eine Standardabweichung positivere Leistungstestergebnisse erzielt haben. Unter Kontrolle dieses Effekts der Ausgangskompetenzen werden die Lehrerurteile gleichzeitig statistisch signifikant durch die Stärke und Richtung der Kompetenzentwicklung beeinflusst: Die Schüler erzielen um 0,22 bzw. 0,32 Notenpunkte bessere Zensuren in Deutsch und Mathematik, wenn sich die Leistungstestergebnisse zwischen der dritten und vierten Klassenstufe um eine Standardabweichung verbessert haben. Durch die statistische Kontrolle der Leistungstestergebnisse wird zwar ein Teil des direkten Effekts des schulbezogenen Sozialkapitals erklärt, dieser bleibt aber weiterhin in beiden Fächern statistisch signifikant. Die Lehrkräfte berücksichtigen bei ihrer Notenvergabe viertens das Niveau und die zeitliche Entwicklung der Leistungsmotivation der Kinder (vgl. Tabelle 6, Modelle 5.1 und 5.2). Wenn die schulbezogene Motivation der Kinder in der dritten Klassenstufe um eine Standardabweichung höher ausfällt, bewirkt dies in Deutsch ein um 0,23 Notenstufen und in Mathematik ein um 0,19 Notenstufen besseres Lehrerurteil. Zusätzlich und ebenfalls statistisch signifikant wirkt sich die Entwicklung der Leistungsmotivation der Schüler aus: Eine um eine Standardabweichung positivere Motivationsentwicklung führt zu einer Verbesserung der Deutschnote um 0,15 und der Mathematiknote um 0,13 Punkte. Durch die Berücksichtigung der Leistungsmotivation wird der direkte Effekt des elterlichen Kontakts mit der Schule kaum weiter geschwächt. Fünftens wird der Frage nachgegangen, ob die Lehrerurteile zusätzlich durch Unterschiede in den leistungsbezogenen Verhaltensweisen der Kinder im Schulkontext beeinflusst werden (vgl. Tabelle 7, Modelle 6.1 und 6.2). Dies ist am stärksten durch die Unterrichtskonzentration der Schüler der Fall: Eine Standardabweichung höhere Konzentration bewirkt in Deutsch 0,19 und in Mathematik 0,18 Notenpunkte bessere Zensuren. Zusätzlich orientiert sich die Notengebung auch daran, wie stark sich die Schüler für gute Noten anstrengen: Nimmt dieses Streben um eine Standardabweichung zu, so vergeben die Lehrer um 0,08 bessere Noten in Deutsch und um 0,11 Stufen bessere Zensuren in Mathematik. Dabei erweist sich der Effekt auf die Deutschnote als nur marginal signifikant (p d 0,10). Bei statistischer Kontrolle aller anderen Faktoren lassen sich die Lehr-
104
Volker Stocké
Tabelle 5: Erklärungskraft der getesteten Schülerkompetenzen sowie leistungsbezogener Schülermerkmale für die Zensuren in Deutsch und Mathematik in der vierten Klassenstufe – Teil 1 (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene) Modell 4.1 Deutsch b
(z-Wert) **
b
(z-Wert) *
Elternabende
-0,11
Leistungstestergebnisse - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1)
-0,52** (-15,88) -0,22** ( -7,39)
-0,73** (-21,18) -0,32** (-10,14)
Leistungsmotivation - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1)
---
---
Leistungsbezogenes Schülerverhalten - Hausaufgabensorgfalt (t2) - Anstrengung für gute Noten (t2) - Unterrichtskonzentration (t2)
----
----
Konstante
2,98** ( 19,36)
2,86** ( 17,42)
Inkrementelle Effekte LR-²/BIC Bildung / Vater Bildung / Mutter EGP-Klasse / Vater EGP-Klasse / Mutter Statuseffekt gesamt
3,2 3,2 6,3 12,7* 42,3**
1,4 4,1 3,4 8,7 19,5
LR-² / BIC
/ 9,7 / 9,7 / 26,0 / 19,7 / 49,5
-0,07
( -2,40)
/ 11,5 / 8,8 / 28,8 / 23,6 / 71,0
381,6** /1305,1
426,9** / 1383,5
0,263 (0,036) 0,557 (0,017)
0,323 (0,037) 0,584 (0,018)
0,182
0,234
a)
Var(u0j) Var(eoij) b)
U
( -4,06)
Modell 4.2 Mathematik
c)
N=631. Signifikanz: p d .10; p d .05; p d .01, Varianz auf Schulklassenebene, b) Varianz auf Individualebene, c) Intra-Klassenkorrelation. Elterliche Klassenlage und Bildung sowie das Alter und das Geschlecht der Kinder in allen Analysen kontrolliert. Parameter werden aus Platzgründen nicht berichtet. +
*
**
a)
Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder Tabelle 6:
105
Erklärungskraft der getesteten Schülerkompetenzen sowie leistungsbezogener Schülermerkmale für die Zensuren in Deutsch und Mathematik in der vierten Klassenstufe – Teil 2 (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene) Modell 5.1 Deutsch b
(z-Wert) **
b
-0,10
Leistungstestergebnisse - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1)
-0,44** (-13,67) -0,18** ( -6,32)
-0,67** (-18,63) -0,29** ( -9,13)
Leistungsmotivation - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1)
-0,23** ( -7,92) -0,15** ( -5,68)
-0,19** ( -5,94) -0,13** ( -4,64)
----
----
Konstante
2,90** ( 19,74)
2,79** ( 17,49)
Inkrementelle Effekte LR-²/BIC Bildung / Vater Bildung / Mutter EGP-Klasse / Vater EGP-Klasse / Mutter Statuseffekt gesamt
6,1* 4,8+ 5,9 9,2 46,1**
2,3 5,0+ 4,6 6,9 20,7
LR-² / BIC
( -2,00)
/ 10,6 / 7,9 / 27,7 / 25,4 / 69,9
445,7** / 1253,9
465,3** / 1358,1
0,237(0,035) 0,532 (0,017)
0,281 (0,035) 0,573 (0,018)
a)
Var(u0j) Var(eoij) b)
U
/ 6,8 / 8,1 / 26,4 / 23,1 / 46,0
-0,06
(z-Wert) *
Elternabende
Leistungsbezogenes Schülerverhalten - Hausaufgabensorgfalt (t2) - Anstrengung für gute Noten (t2) - Unterrichtskonzentration (t2)
( -3,70)
Modell 5.2 Mathematik
c)
0,165
0,194
N=631. Signifikanz: p d .10; p d .05; p d .01, Varianz auf Schulklassenebene, b) Varianz auf Individualebene, c) Intra-Klassenkorrelation. Elterliche Klassenlage und Bildung sowie das Alter und das Geschlecht der Kinder in allen Analysen kontrolliert. Parameter werden aus Platzgründen nicht berichtet. +
*
**
a)
106
Volker Stocké
Tabelle 7:
Erklärungskraft der getesteten Schülerkompetenzen sowie leistungsbezogener Schülermerkmale für die Zensuren in Deutsch und Mathematik in der vierten Klassenstufe – Teil 3 (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene) Modell 6.1 Deutsch b
(z-Wert) *
b
-0,06
Leistungstestergebnisse - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1)
-0,34** (-10,52)) -0,12** ( -4,38)
-0,57** (-15,64) -0,23** ( -7,55)
Leistungsmotivation - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1)
-0,14** ( -4,96) -0,09** ( -3,48)
-0,12** ( -3,77) -0,09** ( -3,08)
Leistungsbezog. Schülerverhalten - Hausaufgabensorgfalt (t2) - Anstrengung für gute Noten (t2) - Unterrichtskonzentration (t2)
-0,02 ( -0,64) -0,08+ ( -1,77) -0,19** ( -4,79)
0,04 ( 1,12) -0,11* ( -2,13) -0,18** ( -3,89)
Konstante
2,74** ( 19,71)
2,65** ( 17,19)
Inkrementelle Effekte LR-²/BIC Bildung / Vater Bildung / Mutter EGP-Klasse / Vater EGP-Klasse / Mutter Statuseffekt gesamt
5,3+ 5,0+ 6,8 8,6 41,9**
2,3 4,1 5,2 5,7 17,9
( -0,99)
/ 10,6 / 8,8 / 27,1 / 26,6 / 72,6
533,9** / 1185,0
524,0** / 1318,7
0,274 (0,034) 0,485 (0,015)
0,259 (0,035) 0,549 (0,017)
a)
Var(u0j) Var(eoij) b)
U
/ 7,6 / 8,0 / 25,5 / 23,7 / 50,0
-0,03
(z-Wert)
Elternabende
LR-² / BIC
( -2,38)
Modell 6.2 Mathematik
c)
0,242
0,182
N=631. Signifikanz: p d .10; p d .05; p d .01, Varianz auf Schulklassenebene, b) Varianz auf Individualebene, c) Intra-Klassenkorrelation. Elterliche Klassenlage und Bildung sowie das Alter und das Geschlecht der Kinder in allen Analysen kontrolliert. Parameter werden aus Platzgründen nicht berichtet. +
*
**
a)
Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder
107
kräfte nicht zusätzlich durch die Hausaufgabensorgfalt der Kinder beeindrucken: Der Effekt dieses Merkmals ist bei beiden Fachnoten nicht signifikant. Durch Berücksichtigung der Unterschiede im Leistungsverhalten der Kinder lässt sich ein relevanter Teil des direkten Effekts des elterlichen Schulkontakts auf die Fachnoten erklären. Diese Erklärungskraft ist für die Fachnoten in Mathematik stärker als für die in Deutsch. Der verbleibende Residualeffekt des Sozialkapitals auf die Deutschnote ist weiterhin substanziell, während sich der auf die Mathematiknote nicht mehr als statistisch signifikant erweist. Ein weiteres interessantes Ergebnis ist, dass sich die soziale Differenzierung der Lehrerurteile nach der Klassen- und Bildungsherkunft der Kinder im Fach Mathematik vollständig auf die entsprechende Differenzierung leistungsbezogener Merkmale der Schüler zurückführen lässt. Nach Kontrolle dieser Faktoren schwächt sich der direkte kumulative Herkunftseffekt, gemessen an einem Anstieg des BIC-Wertes von 17,4 auf 72,6, ab und ist nicht mehr statistisch signifikant. Auch die Herkunftseffekte auf die Deutschnote lassen sich in bedeutsamem Umfang durch die schulischen Leistungen der Kinder erklären: Hier wird der direkte Effekt von -13,1 auf 50,0 reduziert, bleibt aber weiterhin statistisch signifikant. Trotz umfangreicher Kontrolle unterschiedlicher Aspekte der Leistungsrealität der Schüler wirkt sich die Intensität des elterlichen Schulkontakts weiterhin auf die Leistungsbewertung der Lehrkräfte in Deutsch aus. Eine bisher nicht direkt getestete Erklärung hierfür könnte in Unterschieden in den elterlichen Bildungsaspirationen bestehen, die gleichzeitig das schulbezogene Engagement der Eltern und den Schulerfolg der Kinder beeinflussen. Diese Möglichkeit wurde durch den Einbezug des Ausgangsniveaus und der zeitlichen Entwicklung der elterlichen Bildungsansprüche überprüft (vgl. Tabelle 8, Modelle 7.1 und 7.2). Es ist erkennbar, dass die Leistungsurteile der Lehrkräfte in beiden Fächern in signifikantem Ausmaß durch das Aspirationsniveau der Eltern beeinflusst werden: Eine Zunahme der elterlichen Bildungsaspirationen in der dritten Klassenstufe führt zu einer Zensurenverbesserung um 0,10 Punkte in Deutsch und um 0,08 Punkte in Mathematik. Auch die Entwicklung des Anspruchsniveaus über die Zeit hat einen zusätzlichen Effekt auf die Lehrerurteile: Eine Erhöhung der Bildungsansprüche um eine Standardabweichung führt zu 0,09 besseren Deutschnoten und zu um 0,04 vorteilhafteren Bewertungen in Mathematik. Bei Kontrolle der elterlichen Aspirationen bleiben alle anderen Determinanten weiterhin statistisch signifikant, wobei der Effekt der Leistungstestergebnisse deutlich geschwächt wird. Demnach lässt sich ein Teil der Kompetenzunterschiede zwischen den Schülern auf die Bildungsansprüche der Eltern zurückführen. Das wichtigste Ergebnis jedoch ist, dass die Effekte des elterlichen Sozialkapitals auf das Bewertungsverhalten der Lehrkräfte im Fach Deutsch nicht auf die Wirk-
Fortsetzung auf der nächsten Seite.
Leistungstestergebnisse - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1) Leistungsmotivation - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1) Leistungsbezogenes Schülerverhalten - Hausaufgaben - Leistung - Konzentration Elterliche Aspirationen - Dritte Klassenstufe (t1) - Veränderung (t2-t1) Konstante
-0,11** ( -3,43) -0,08** ( -2,67) 0,04 ( 1,06) -0,10* ( -2,05) -0,17** ( -3,79) -0,08** ( -3,00) -0,04+ ( -1,65) 2,62** ( 17,07)
-0,03 (-0,73) -0,07+ (-1,65) -0,18** (-4,58) -0,10** (-3,96) -0,09** (-3,79) 2,96** (19,63)
( -1,11)
-0,12** (-4,50) -0,07** (-2,87)
-0,03
-0,54** (-14,46) -0,22** ( -7,15)
(-2,60)
-0,30** (-9,13) -0,10** (-3,79)
-0,07
(t-Wert)
b
(t-Wert)
b **
Modell 7.2 Mathematik
Modell 7.1 Deutsch
Effekt der Häufigkeit des Besuchs von Elternabenden auf die Zensuren der Lehrer in Deutsch und Mathematik in der vierten Klassenstufe (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene)
Häufigkeit Besuch Elternabende
Tabelle 8:
**
/ 1322,5
/ 11,3 / 9,9 / 27,4 / 26,8 / 75,5
(t-Wert)
0,179
0,546 0,017
0,255 0,034
533,1
1,6 3,0 4,8 5,5 15,0
b
Modell 7.2 Mathematik
N=631. Signifikanz: + p d .10; * p d .05; ** p d .01, a) Varianz auf Schulklassenebene, b) Varianz auf Individualebene, c) Intra-Klassenkorrelation. Elterliche Klassenlage und Bildung sowie das Alter und das Geschlecht der Kinder in allen Analysen kontrolliert. Parameter werden aus Platzgründen nicht berichtet.
0,238
0,478 0,015
Var(eoij) b)
U
0,267 0,034
Var(u0j) a)
c)
554,2** / 1177,6
/ 9,2 / 8,1 / 26,0 / 24,6 / 58,3
(t-Wert)
LR-² / BIC
3,7 4,8+ 6,3 7,7 33,1**
b
Modell 7.1 Deutsch
Effekt der Häufigkeit des Besuchs von Elternabenden auf die Zensuren der Lehrer in Deutsch und Mathematik in der vierten Klassenstufe (Mehrebenenregression mit Schulklassen als zweite Ebene)
Inkrementelle Effekte LR-²/BIC Bildung / Vater Bildung / Mutter EGP-Klasse / Vater EGP-Klasse / Mutter Statuseffekt gesamt
Tabelle 8 (Fortsetzung):
Volker Stocké
110
samkeit differenzierter Bildungsansprüche der Eltern zurückgeführt werden können: Der signifikante direkte Effekt des Besuchs von Elternabenden auf die Deutschzensuren erweist sich praktisch als unverändert.
6
Zusammenfassung und Diskussion
Der vorliegende Beitrag analysiert die Bestimmungsfaktoren der Leistungsbewertung von Lehrkräften in der vierten Grundschulklasse. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, ob und durch welche Prozesse vermittelt die Intensität elterlicher Beziehungen zur Schule des Kindes einen Einfluss auf die Zensurenvergabe in den Fächern Deutsch und Mathematik ausübt. In dieser Hinsicht prognostiziert die Sozialkapitaltheorie, dass sich das Engagement der Eltern ausschließlich vermittelt über deren Bildungsaspirationen, die Leistungsmotivation sowie das Leistungsverhalten der Kinder und über tatsächliche Unterschiede in den schulbezogenen Kompetenzen auf die Zensurenvergabe von Lehrkräften auswirkt. In dieser Hinsicht werden keine Unterschiede zwischen den Schulfächern erwartet. Dagegen geht die Theorie statistischer Diskriminierung von einer Überforderung der diagnostischen Kompetenz von Lehrkräften bei der Notengebung aus. Diese verwenden das leicht sichtbare schulbezogene Engagement von Eltern als Heuristik bei der Leistungsbewertung von Schülern, so dass sich die Intensität elterlicher Schulkontakte auch bei umfangreicher Kontrolle der leistungsbezogenen Merkmale der Schüler auf deren Zensuren auswirken sollte. Dies sollte umso stärker der Fall sein, je größere Anforderungen die Bewertung von Fachleistungen an die Lehrer stellen. Daher sollten im Vergleich zu den Mathematiknoten die Bewertungen im Fach Deutsch substanziell stärker durch das elterliche Engagement beeinflusst sein. Unsere Ergebnisse haben erstens gezeigt, dass die Zensurenvergabe der Lehrkräfte in den Fächern Deutsch und Mathematik in starkem Ausmaß durch die soziale Herkunft der Kinder geprägt ist. Dabei wirkt sich die Bildung der Eltern stärker als ihre Klassenlage und beide Statuscharakteristiken der Mütter stärker als die der Väter auf die Zensuren der Lehrkräfte in beiden Fächern aus. Insgesamt unterscheiden sich die Zensuren im Fach Deutsch deutlich stärker nach dem familiären Sozialstatus. Das zweite Ergebnis belegt, dass die Grundschullehrkräfte in starkem Ausmaß für die leistungsbezogenen Merkmale der Schüler empfänglich sind. So wirken sich das Ausgangsniveau und die zeitliche Entwicklung der durch standardisierte Leistungstests ermittelten schulischen Kompetenzen gleichzeitig auf die Notenvergabe der Lehrkräfte aus. Dies trifft ebenso für die Stärke und Entwicklungsrichtung der schulischen Leistungsmotivation der Schüler zu: Die
Schulbezogenes Sozialkapital und Schulerfolg der Kinder
111
Lehrkräfte belohnen eine hohe Anstrengungsbereitschaft sowie positive Entwicklungen der Schüler in dieser Hinsicht mit vorteilhafteren Zensuren. Weiterhin richten sich die Leistungsurteile der Pädagogen nach der Unterrichtskonzentration und in geringerem Maße nach dem Streben der Schüler nach guten Zensuren. Die Sorgfalt, mit der Hausaufgaben erledigt werden, bleibt dagegen bei der Notenvergabe unberücksichtigt. Weiterhin lassen sich zusätzlich signifikante Effekte des Niveaus und der zeitlichen Entwicklung der elterlichen Bildungsaspirationen auf die Zensuren in Deutsch und Mathematik beobachten. Da sich alle Faktoren gleichzeitig und statistisch signifikant auf die Lehrerurteile auswirken, legen diese ihren Leistungsbewertungen multiple und leistungsbezogene Kriterien zugrunde. Diese Befunde sind sowohl mit der Sozialkapitaltheorie als auch der Theorie statistischer Diskriminierung vereinbar. Das dritte und wichtigste Ergebnis unserer Untersuchung aber ist, dass Kinder, deren Eltern häufiger Elternabende besuchen, signifikant vorteilhaftere Zensuren im Fach Deutsch erhalten. Dieser Effekt zeigt sich auch bei statistischer Kontrolle aller leistungsbezogenen Faktoren und deren zeitlicher Entwicklung. Im Gegensatz hierzu lassen sich die Lehrkräfte bei ihrer Notenvergabe im Fach Mathematik nicht durch die Intensität des elterlichen Schulkontakts beeinflussen: Der Effekt des Elternabendbesuchs ist hier sehr schwach und statistisch nicht signifikant. Dieses Ergebnis entspricht den Vorhersagen der Theorie statistischer Diskriminierung, lässt sich jedoch nicht im Rahmen der Sozialkapitaltheorie erklären. Nach Letzterer sollten Effekte der Differenzierung in der elterlichen Kontaktintensität zu den Schulen in beiden Fächern gleichermaßen durch entsprechende Unterschiede in der schulischen Kompetenz, Leistungsmotivation und dem im Schulkontext gezeigten Leistungsverhalten der Schüler erklärt werden. Als viertes Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Unterschiede in der Ausstattung der Familien mit schulbezogenem Sozialkapital und Diskrepanzen in dessen Wirkung nicht als Hauptursache für die sozialen Disparitäten im Schulerfolg der Kinder angesehen werden können. So hat sich der Elternabendbesuch als nur schwach nach den Statusmerkmalen der Familien differenziert erwiesen und erklärt nur einen geringen Teil der vorliegenden direkten Effekte der sozialen Herkunft auf die Schulzensuren der Kinder. Dagegen unterscheiden sich das Ausgangsniveau der Testleistungen, das schulbezogene Leistungsverhalten der Kinder und die elterlichen Bildungsaspirationen deutlich nach dem Sozialstatus der Familien. Die Herkunftsunterschiede in den Mathematikzensuren lassen sich vollständig und die hinsichtlich der Deutschnoten in starkem Umfang auf entsprechende Ungleichheiten in den Antezedenzbedingungen zurückführen. In der vorliegenden Untersuchung wurde gezeigt, dass Lehrer die Schulleistungen von Kindern schlechter bewerten, wenn deren Eltern weniger häufig
Volker Stocké
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Elternabende besuchen. Dieses Ergebnis wurde trotz statistischer Kontrolle des Niveaus der Leistungstestergebnisse und der Leistungsmotivation der Kinder sowie der Bildungsaspirationen der Eltern, der zeitlichen Entwicklung dieser drei Faktoren und dem leistungsbezogenen Verhalten im Klassenkontext festgestellt. Der Nachweis einer Ungleichbehandlung in der Form eines Residualeffekts unterliegt immer dem Risiko, dass unberücksichtigte und mit der untersuchten Dimension der Ungleichbehandlung korrelierte Merkmale der Lernenden die Ursache für die beobachteten Unterschiede im Schulerfolg sind (Holzer/Ludwig 2003). Dieser Einwand kann auch in der vorliegenden Studie trotz der umfangreichen Berücksichtigung leistungsbezogener Determinanten der Lehrerurteile nicht vollständig entkräftet werden. Da sich aber die Intensität des elterlichen Schulkontakts ausschließlich auf die Zensurenvergabe der Lehrkräfte im Fach Deutsch, nicht aber auf die in Mathematik ausgewirkt hat, kann eine Alternativerklärung durch die Wirksamkeit unbeobachteter, fachunspezifischer Leistungsmerkmale der Kinder als unwahrscheinlich angesehen werden. Dies ist insbesondere deshalb der Fall, da in der Regel die Deutsch- und Mathematikzensuren von den gleichen Lehrkräften stammen.
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Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft: Kinder aus türkischen Familien am ersten Bildungsübergang Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
1
Einleitung*
Zu den inzwischen vorliegenden quantitativen Arbeiten zur Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland zählen einerseits Beiträge zur Entstehung von Leistungsdisparitäten. Sie basieren vor allem auf Daten der internationalen Schulleistungsstudien (z.B. Kristen 2008; Müller/Stanat 2006; Stanat 2006; Walter/Stanat 2008; Walter/Taskinen 2007). Andererseits handelt es sich um Arbeiten, welche Unterschiede in der Bildungsbeteiligung ins Blickfeld rücken und dabei eher auf groß angelegte Bevölkerungsumfragen wie den Mikrozensus (Alba et al. 1994; Kristen/Granato 2007) oder das Sozio-oekonomische Panel (Büchel/Wagner 1996; Haisken DeNew et al. 1997; Nauck et al. 1998) zurückgreifen. Ethnische Disparitäten in den Bildungsentscheidungen, welche an den zentralen Verzweigungspunkten im Bildungsverlauf zu beobachten sind, können mit diesen Datensätzen allerdings kaum untersucht werden, da sie in der Regel keine Informationen zu den Entscheidungsprozessen enthalten. Wie Boudon (1974) eindrücklich herausgearbeitet hat, müssen in einer Erklärung der ungleichen Bildungsresultate die Übergangsentscheidungen jedoch genauso in Betracht gezogen werden wie die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Dies ist notwendig, weil es an den einzelnen Bildungsübergängen prinzipiell zu einer Abschwächung oder Verstärkung von Disparitäten kommen kann, die zunächst aufgrund von Leistungsunterschieden bestehen. Ethnische und soziale Ungleichheiten können sich demzufolge an zentralen Schnittstellen im Bildungsverlauf verändern, wenn es darum geht langfristige Entscheidungen über die weitere Bildungskarriere zu treffen.
*
Der Beitrag erschien ursprünglich in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (Baumert, Jürgen/ Maaz, Kai/Trautwein, Ulrich (Hrsg.), 2009: Bildungsentscheidungen in differenzierten Schulsystemen. Sonderband 12-2009. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften). Für wertvolle Hinweise danken wir den anonymen Gutachtern sowie Birgit Becker, Andreas Horr, David Reimer und Nicole Tieben.
118
Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
Ausgehend von Boudons Unterscheidung stellt sich die Frage, ob die zu beobachtenden Bildungsungleichheiten zwischen Kindern mit und ohne Zuwanderungshintergrund eher mit den vielfach nachgewiesenen Disparitäten in den schulischen Leistungen in Verbindung stehen oder ob sie darüber hinaus durch das Entscheidungsverhalten der Akteure an den unterschiedlichen Weichenstellungen in der schulischen Laufbahn beeinflusst werden. Die in den letzten Jahren in Deutschland etablierten Übergangsstudien zum Wechsel von der Grundschule in die verschiedenen Bildungszweige der Sekundarstufe spiegeln das verstärkte Interesse an Bildungsentscheidungen und den Prozessen ihrer Entstehung wider. Allerdings richtet sich das Augenmerk in diesen Erhebungen vor allem auf Entscheidungsprozesse, die mit der sozialen Herkunft verknüpft sind. Für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund lässt sich das Übergangsverhalten dagegen kaum betrachten. Dies liegt unter anderem daran, dass die in den Datensätzen verfügbaren Fallzahlen zumeist zu gering sind, um gesonderte Analysen zu einzelnen Zuwanderergruppen durchführen zu können. Außerdem werden Aspekte, die speziell für Migrantenfamilien bedeutsam sind, vielfach nicht erfasst, und nicht zuletzt liegen die Instrumente oftmals nicht in den Herkunftssprachen vor. Vor diesem Hintergrund bieten die hier verwendete Primärdaten zu türkischstämmigen Grundschulkindern in Deutschland (DFG-Projekt: „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“) eine wichtige Datenbasis, die es ermöglicht, der Frage nach der Bedeutung von Bildungsentscheidungen im Prozess der Reproduktion ethnischer Ungleichheiten am Beispiel einer im deutschen Schulsystem besonders nachteilig abschneidenden Gruppe nachzugehen.
2
Primäre und sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
Bildungsungleichheiten lassen sich als Folge primärer und sekundärer Effekte auffassen. Die Unterscheidung wurde ursprünglich von Boudon (1974: 29 f.) im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit den schichtspezifischen Erfolgsraten im Schulsystem eingeführt. Die primären Effekte beruhen auf Einflüssen der sozialen Herkunft, die auf das Lernen wirken. Sie umfassen unter anderem die Lernvoraussetzungen in den Familien, die sich je nach Ausstattung mit lernrelevanten Ressourcen (z.B. dem verfügbaren ökonomischen und kulturellen Kapital) unterscheiden. Dagegen gehen die sekundären Effekte auf Einflüsse der sozialen Herkunft zurück, welche auf die Bildungsentscheidungen wirken. Boudon führt in diesem Zusammenhang beispielhaft die Gefahr des Statusverlustes an, den die privilegierten Schichten zu fürchten haben, wenn sie nicht den höchsten Bildungsweg einschlagen. Während ihnen der Abstieg droht, ist dies bei den
Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
119
niedrigeren Statusgruppen nicht zu erwarten, da sie ihre Position zumeist auch ohne höheren Bildungsabschluss halten können. Kinder aus den mittleren und höheren sozialen Schichten befinden sich somit gegenüber den aus weniger privilegierten Schichten stammenden Schülerinnen und Schülern in zweierlei Hinsicht in einer vorteilhaften Lage: Sie profitieren nicht nur von den besseren Lernbedingungen in ihren Familien, sondern es gelingt ihnen darüber hinaus bei gleichen Leistungen häufiger auf eine der höheren Schulformen zu wechseln. Boudons analytische Unterscheidung wird gegenwärtig erneut verstärkt diskutiert (z.B. Breen/Goldthorpe 1997; Erikson 2007; Erikson et al. 2005; Jackson et al. 2007). Seine Differenzierung zwischen Bedingungen, welche mit der Kompetenzentwicklung in Verbindung stehen und Bedingungen, welche zu differentiellen Bildungsentscheidungen führen, ist für die Erklärung von Unterschieden im Bildungserfolg von außerordentlicher Bedeutung. Sie hilft zunächst zu verdeutlichen, dass die Ungleichheitsmuster in den Leistungen von den Ungleichheitsmustern in den Übergangsentscheidungen abweichen können. Darüber hinaus unterstreicht sie, dass zur Aufklärung von Disparitäten in Kompetenzen und Bildungsentscheidungen zumindest teilweise unterschiedliche Mechanismen zu berücksichtigen sind. Die Beschäftigung mit den jeweils zugrunde liegenden Prozessen ist nicht zuletzt deshalb bedeutsam, weil sich hieraus unterschiedliche Implikationen für Maßnahmen zur Reduzierung der Ungleichheiten ableiten lassen. So könnte die Aussicht auf finanzielle Hilfe eine besondere Rolle bei der Abschätzung der zusätzlichen Kostenbelastung durch den Besuch eines längeren Bildungswegs spielen – mit der möglichen Folge einer Verminderung der sekundären Effekte der sozialen Herkunft (Van de Werfhorst/Van Tubergen 2007: 426). Dagegen dürften Maßnahmen, die auf die Unterstützung der Leistungsentwicklung in den ersten Lebensjahren abzielen, eher zu einer Verringerung der primären Effekte beitragen (Erikson/Jonsson 1996). Die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Effekten der sozialen Herkunft lässt sich auf den Migrationshintergrund erweitern (Heath/Brinbaum 2007; Heath et al. 2008; Van de Werfhorst/Van Tubergen 2007). Hierüber können die jeweils spezifischen Einflüsse der ethnischen und der sozialen Herkunft auf Leistungen und Übergänge weiter aufgeschlüsselt werden. Bei den primären ethnischen Effekten handelt es sich um mit der ethnischen Herkunft verknüpfte Bedingungen, die auf das Lernen wirken. Es geht um Kompetenzunterschiede, welche auch nach Kontrolle der primären sozialen Herkunftseffekte fortbestehen. Zu den primären ethnischen Einflüssen lassen sich beispielsweise die für Zuwanderer spezifischen Opportunitäten des Spracherwerbs innerhalb der Familie und des unmittelbaren Umfelds zählen (vgl. Esser 2006). Als sekundäre ethnische Effekte können dagegen mit der ethnischen Herkunft verbundene Bedingungen beschrieben werden, die auf die Bildungsentscheidungen wirken. An
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Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
dieser Stelle geht es um spezifische Einflüsse der ethnischen Zugehörigkeit auf den Übergang, die auch nach Berücksichtigung der Leistungen (primäre Effekte) und der sekundären sozialen Herkunftseffekte fortbestehen. In diesem Zusammenhang kann auf die in Migrantenfamilien oftmals ausgeprägte Bildungsmotivation verwiesen werden (Kao/Tienda 1995; Vallet 2005), die sich gerade an den Bildungsübergängen in vorteilhaften Übergangsraten niederschlagen könnte. Ihre besondere Bildungsneigung könnte auf eines der zentralen Wanderungsmotive zurückzuführen sein: auf das Streben nach einem besseren Leben und nach Aufwärtsmobilität (Vallet 2005). Dieser Aufstieg bleibt der ersten Generation von Migranten, die häufig niedrigere Positionen auf dem Arbeitsmarkt einnehmen, innerhalb des eigenen Lebenslaufs zumeist verwehrt. In einer solchen Situation könnte die Bildung der Kinder als ein zentraler, wenn nicht gar als einziger Weg des Aufstiegs wahrgenommen werden (Kao/Tienda 1995; Vallet 2005). Auch türkische Familien in Deutschland äußern sehr hohe Bildungsziele (Nauck 1994: 119). Es könnte deshalb vermutet werden, dass sich für sie an der Schnittstelle zwischen Primar- und Sekundarstufe positive sekundäre ethnische Effekte zeigen. Eine Unterscheidung zwischen primären und sekundären Effekten der ethnischen Herkunft wurde bislang nur in Ausnahmefällen vorgenommen. Dennoch lassen sich die Befunde ausgewählter Studien, in denen die Leistungen von Zuwanderern und ihren Nachkommen einerseits und ihre Bildungsübergänge unter Kontrolle der Kompetenzen und der sekundären sozialen Herkunftseffekte andererseits untersucht werden, in dieser Weise interpretieren. Sekundäre ethnische Effekte sind diesen Arbeiten zufolge an unterschiedlichen Schnittstellen im Bildungsverlauf für verschiedene Migrantengruppen zu finden, wobei vor allem positive Effekte zutage treten. In den Niederlanden zeigen sich diese für Kinder aus marokkanischen, türkischen, surinamischen und antillischen Familien am Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe 1 (Hustinx 2002; Van de Werfhorst/Van Tubergen 2007), in Frankreich für Kinder aus nordafrikanischen, portugiesischen und südostasiatischen Familien beim Übertritt in die Sekundarstufe 2 (Brinbaum/Cebolla Boado 2007; Cebolla Boado 2008; Vallet/Caille 1999). Am Hochschulübergang lassen sich positive sekundäre Effekte unter anderem für türkische Abiturienten in Deutschland (Kristen et al. 2008) und für die zweite Generation in Norwegen (Fekjær/Birkelund 2007) beobachten. Dennoch erscheint es voreilig, in Anbetracht der wenigen verfügbaren Arbeiten in diesem Bereich, die sich zudem auf unterschiedliche Länder, verschiedene Migrantengruppen und unterschiedliche Übergänge richten, von einem klaren Muster positiver sekundärer ethnischer Effekte auszugehen. In der nachfolgenden empirischen Untersuchung wird zunächst der Frage nachgegangen, ob sich am ersten Verzweigungspunkt im deutschen Schulsystem
Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
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sekundäre Effekte der ethnischen Zugehörigkeit nachweisen lassen. Anschließend wird untersucht, ob diese Effekte mit der ausgeprägten Bildungsmotivation türkischer Familien in Verbindung stehen.
3
Methode
3.1 Untersuchungsanlage Die Analysen beruhen auf einer Primärdatenerhebung aus dem DFG-Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“, die in der Stadt Köln durchgeführt wurde. Die Studie untersucht das Übergangsverhalten von Kindern türkischer Herkunft im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund. Zu ihren zentralen Bestandteilen gehören Leistungsmessungen in den Fähigkeitsbereichen Deutsch und Mathematik, die am Ende der dritten Klassenstufe und damit im Vorfeld der Übergangsentscheidung durchgeführt wurden. Die Leistungstests fanden überwiegend im Klassenkontext, teilweise auch bei den Familien zu Hause statt. Sie nahmen insgesamt zwei Unterrichtsstunden (90 Minuten) in Anspruch. Parallel zu den Leistungsmessungen wurde die erste Elternbefragung realisiert. Weitere Befragungen der Eltern folgten Mitte des vierten Grundschuljahres zum Zeitpunkt der Bildungsentscheidung und schließlich nach Anmeldung auf einer Sekundarschule und damit nach der Festlegung auf einen bestimmten Übergang. Somit liegen Längsschnittdaten zu drei Erhebungszeitpunkten vor. Alle Erhebungen wurden in Eigenregie durchgeführt. Die Untersuchung bezieht sich auf zwei aufeinander folgende Übergangskohorten. Die erste Stichprobe von Kölner Drittklässlern und ihren Eltern konnte im Schuljahr 2004/2005 getestet und befragt werden. Ein Jahr später wurde eine weitere Stichprobe gezogen (Schuljahr 2005/2006). Zwischen diesen Schuljahren wurde in Nordrhein-Westfalen das Übergangsverfahren neu geregelt. Während das Entscheidungsrecht zunächst bei den Eltern lag, wurde die schulische Bildungsempfehlung für die nachfolgende Kohorte für verbindlich erklärt. Diese Besonderheit wird in den Analysen kontrolliert.
3.2 Stichprobe Zur Grundgesamtheit gehören alle Drittklässler türkischer Herkunft sowie alle Drittklässler ohne Migrationshintergrund, die in den Schuljahren 2004/2005 und 2005/2006 eine der 146 öffentlichen Kölner Grundschulen besuchten. Während türkischstämmige Kinder vergleichsweise selten in Schulen mit niedrigen
122
Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
Migrantenanteilen vertreten sind, besuchen Kinder ohne Zuwanderungshintergrund in geringerem Ausmaß Schulen mit hohen Migrantenanteilen. Um auch diese Gruppen in ausreichender Zahl zu berücksichtigen, wurde ein geschichtetes disproportionales Ziehungsverfahren verwendet. Hierzu wurden zunächst Schulen mit niedrigen, mittleren und hohen Migrantenanteilen ausgewählt. Aus diesen Schichten wurden anschließend die Schülerinnen und Schüler gezogen. Tabelle 1 veranschaulicht die verschiedenen Schritte der Ziehung und die jeweiligen Ausschöpfungsquoten. Tabelle 1: Grundgesamtheit, Stichprobengröße und Realisierungsquoten <25%
Migrantenanteil Schule1 25-50%
1. Schulen Grundgesamtheit 148 Schulen Brutto-Stichprobe 79 Netto-Stichprobe 47 Realisierungsquote 59,5 (in %) 2. Schülerschaft: EinverständnisDt. Türk. erklärung Grundgesamtheit 1026 296 Schüler/innen nach Einverständnis946 242 erklärung Realisierungsquote 92,2 81,8 (in %) 89,9 3. Schülerschaft: Interviews Brutto-Stichprobe 429 242 Welle 1 bereinigt* 2 401 222 realisierte 313 183 Inteviews Realisierungs78,1 82,4 quote (in %) Fortsetzung auf der nächsten Seite.
>50%
Insgesamt
92
52
292
43 30
33 21
155 98
69,8
63,6
63,2
Dt.
Türk.
Dt.
Türk.
Dt.
Türk.
746
460
276
522
2048
1278
705
407
254
463
1905
1112
88,5
92,0
94,5 92,2
88,7 89,8
93,0 87,0 90,7
509
343
254
373
1192
958
462
333
216
357
1079
912
318
278
154
305
785
766
68,8
83,5
71,3
85,4
72,8
84,0
Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
123
Tabelle 1: Grundgesamtheit, Stichprobengröße und Realisierungsquoten (Fortsetzung) Migrantenanteil Schule1 <25% 25-50% >50% Dt. Türk. Dt. Türk. Dt. Türk. 309 182 315 272 148 299
Insgesamt Welle 2 Dt. Türk. bereinigt* 772 753 realisierte Inter297 165 298 255 134 280 729 700 views Realisierungsquote 96,1 90,7 94,6 93,8 90,5 93,6 94,4 93,0 (in %) Welle 3 bereinigt* 297 161 291 252 132 270 720 683 realisierte 293 157 288 244 127 267 708 668 Interviews Realisierungsquote 98,7 97,5 99,0 96,8 96,2 98,9 98,3 97,8 (in %) Realisierungsquote 74,0 72,9 64,4 75,8 62,1 79,1 67,6 76,4 insgesamt (in %, berechnet als Produkt 73,6 69,2 72,7 71,6 der Teilrealisierungsquoten, Welle 1–3) Quelle: DFG-Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ Anmerkungen:*=bereinigt um stichprobenneutrale Ausfälle; 1 Migrantenanteil wurde über Anteil der Schüler(innen) mit ausländischer Staatsbürgerschaft operationalisiert. Die Daten stellte das Landesamt für Datenverarbeitung u. Statistik NRW zur Verfügung. 2 Stichprobenneutrale Ausfälle (vgl. Porst 1991: 61; Schnell 1997: 23 ff.) liegen u.a. vor, wenn die Person nicht zur Grundgesamtheit gehört oder die Adresse nicht auffindbar ist (relevant für Welle 1). In den Wellen 2 u. 3 handelt es sich v.a. um Fälle mit ungültigen Telefonnummern.
Im Schuljahr 2004/2005 erklärten sich 57 der ausgewählten 79 Grundschulen zur Unterstützung der Studie bereit, im Schuljahr 2005/2006 belief sich die Zustimmung auf 41 der 76 ausgewählten Grundschulen. Die Realisierungsquote der Schulstichprobe liegt damit bei 63 Prozent (Schritt 1). Von den Familien stimmten 91 Prozent der Teilnahme an der Untersuchung zu, wobei die Einverständniserklärung in der jeweiligen Herkunftssprache vorgelegt wurde (Schritt 2). Aus Schulen mit niedrigen Migrantenanteilen wurden alle Kinder türkischer Herkunft einbezogen, während aus Schulen mit hohen Migrantenanteilen alle Kinder ohne Migrationshintergrund berücksichtigt wurden. Ansonsten wurden Zufallsstichproben gezogen (Schritt 3). Insgesamt liegen für 72 Prozent der Stichprobe Angaben zu drei Erhebungszeitpunkten vor (n=1376). Die Ausschöpfungsquote fällt dabei in türkischen Familien mit 76 Prozent höher aus als in der deutschen Vergleichsgruppe (68 Prozent). In der Stichprobe gibt es verschiedene fehlende Werte, die einerseits auf Ausfälle in den Wellen 2 und 3 zurückzuführen sind (Panelmortalität, vgl. Tabelle 1), andererseits aus fehlenden Angaben bei einzelnen Fragen resultieren („item
124
Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
nonresponse“). Mit Hilfe des Stata add-on „ice“ wurden die fehlenden Werte nach dem Verfahren der Multiplen Imputation geschätzt (Royston 2005a, 2005b). Hierbei werden fünf Datensätze mit vollständigen Informationen generiert, die anschließend nach dem von Rubin (1987) vorgeschlagenen Verfahren kombiniert werden. Für die Analysen stehen nach der Imputation n=1514 Fälle zur Verfügung.
3.3 Erhebungsinstrumente Der Übergang wurde in der dritten Welle der Elternbefragung unmittelbar vor Ende des vierten Schuljahres erfasst. Zu diesem Zeitpunkt war der Übergangsprozess abgeschlossen. Die Anmeldungen an der jeweiligen Sekundarschule lagen vor. In Köln kann zwischen einem Wechsel auf die Hauptschule, die Realschule, das Gymnasium und die Integrierte Gesamtschule unterschieden werden. Schülerinnen und Schüler, die am Ende der vierten Klasse nicht versetzt wurden oder auf eine Förderschule wechselten, werden aus den Analysen ausgeschlossen (n=24). Die ethnische Herkunft lässt sich bei den türkisch-stämmigen Drittklässlern über Angaben zum Geburtsland von Kind, Eltern und Großeltern sowie dem Alter von Eltern und Kind zum Zeitpunkt des Zuzugs nach Deutschland bilden. Dabei ist zu beachten, dass Eltern, die in der Türkei geboren und vor dem sechsten Lebensjahr nach Deutschland zugewandert sind und damit ihre gesamte Bildungskarriere im deutschen Schulsystem durchlaufen haben, der Gruppe der in Deutschland geborenen zugerechnet werden. Ebenso verfahren wird bei Kindern, die in der Türkei geboren und vor dem Alter von zwei Jahren in die Bundesrepublik gekommen sind. Zunächst wird anhand des Geburtslandes von Eltern und Großeltern bestimmt, ob die Eltern einen türkischen Migrationshintergrund aufweisen. Dies ist der Fall, wenn das jeweilige Elternteil selbst in der Türkei geboren ist oder, falls es in Deutschland geboren ist, wenn mindestens ein Großelternteil in der Türkei geboren ist. Ist eines der Elternteile nicht türkischer Herkunft, so wird das Kind aus den Analysen ausgeschlossen (n=25, „Sonst.“). Für die Kinder der auf diese Weise identifizierten türkischstämmigen Eltern lässt sich in einem nächsten Schritt der Generationenstatus bestimmen. Dabei kann danach unterschieden werden, ob beide Eltern und das Kind in Deutschland geboren sind („3. Gen.“), ob ein Elternteil und das Kind in Deutschland geboren sind, während das andere Elternteil außerhalb der Bundesrepublik geboren ist („2,5. Gen.“) oder ob beide Elternteile außerhalb Deutschlands geboren sind, während das Kind in Deutschland geboren ist („2. Gen.“). Zur ersten Generation gehören Kinder, die selbst und deren Eltern außerhalb Deutschlands geboren
Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
125
sind. Diese Gruppe kann allerdings in Anbetracht der Fallzahlen nicht betrachtet werden (n=19, „Sonst.“). Auch die dritte Generation ist vergleichsweise gering besetzt (n=39). Sie soll dennoch in den multivariaten Analysen gesondert berücksichtigt werden, um die Muster in der Generationenfolge beschreiben zu können. Zur deutschen Vergleichsgruppe lassen sich alle Drittklässler rechnen, deren Eltern von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und die nicht als Aussiedler nach Deutschland gekommen sind („Deutsch“). Die primären Effekte lassen sich über die schulischen Leistungen der Kinder abbilden. Sie werden über Ergebnisse aus fachbezogenen Leistungsmessungen sowie über die Schulnoten in den übergangsrelevanten Fächern Deutsch und Mathematik operationalisiert. Bei der Kompetenzmessung im Bereich Deutsch wurden mit den Lese- und Rechtschreibfähigkeiten zwei der vier zentralen Anforderungsbereiche in der Primarstufe herausgegriffen (KMK 2004a: 7 ff.). Während die Würzburger Leise Leseprobe (WLLP) die Leseleistung der Kinder bzw. ihre Lesegeschwindigkeit erfasst (Range: 0-140; Küspert/Schneider 1998), steht beim Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test (WRT3+) die Fähigkeit im Vordergrund, ausgewählte Wörter eines für die entsprechende Altersstufe angemessenen Grundwortschatzes richtig zu schreiben (Range: 0-16; Birkel 1994). Zur Erfassung der mathematischen Fähigkeiten wurde mit dem Deutschen Mathematiktest für dritte Klassen (DEMAT3+) ein lehrplangültiges Testverfahren eingesetzt, das mit Arithmetik, Sachrechnen und Geometrie drei zentrale Inhaltskomplexe der Grundschulmathematik berücksichtigt (Roick et al. 2004; KMK 2004b: 8 ff.). Beim DEMAT kann kein Gesamtscore berechnet werden, da die verschiedenen Testbereiche zum Zeitpunkt der Erhebung nicht immer vollständig im Unterricht behandelt worden waren. Aus diesem Grund wird für die bearbeiteten Testteile der Anteil richtiger Lösungen in Prozent herangezogen (Range: 0-100). In den Analysen wird zusätzlich kontrolliert, ob die Leistungstests zu Hause oder in der Schule durchgeführt wurden. Als weitere Leistungsindikatoren werden die Noten in den Fächern Deutsch und Mathematik berücksichtigt. Es handelt sich dabei um Zensuren aus dem Halbjahreszeugnis der vierten Klasse, die unmittelbar vor der Übergangsentscheidung vergeben wurden. Fehlende Werte bei den Noten werden durch Zensuren aus dem vorangegangenen Halbjahreszeugnis ersetzt. Die soziale Herkunft wird über die Bildung der Eltern und ihre berufliche Stellung erfasst. Hierzu wird der höchste in Deutschland erreichte Schulabschluss herangezogen („kein Abschluss/Hauptschulabschluss“, „Realschulabschluss“, „Abitur/Fachhochschulreife“). Die höchste sozioökonomische Positionierung in der Familie wird über Angaben zur Stellung im Beruf anhand der fünfstufigen Skala zur „Autonomie des Handelns“ abgebildet (HoffmeyerZlotnik 1993, 2003). Für die Analysen werden die beiden niedrigsten und die
126
Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
beiden höchsten Ausprägungen zusammengefasst, so dass zwischen den Kategorien „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ unterschieden werden kann. Die Aspirationen der Familien werden auf zweierlei Weise abgebildet. Zum einen lassen sich Angaben zu dem von den Eltern gewünschten Schulabschluss berücksichtigen („Hauptschul-/Realschulabschluss“, „Abitur/FHR“). Zum anderen wurden die Eltern in der ersten Welle im Vorfeld der Übergangsentscheidung danach gefragt, wie sie einen möglichen Wechsel ihres Kindes auf die verschiedenen Schularten bewerten. Die Einschätzungen liegen für jeden Sekundarschultyp in Form einer fünfstufigen Likertskala vor (1 „überhaupt nicht gut“ bis 5 „sehr gut“).1 Als Kontrollvariablen werden zusätzlich Informationen zum Geschlecht und Alter des Kindes in Monaten sowie die Zugehörigkeit zur jeweiligen Übergangskohorte berücksichtigt. In Tabelle 2 sind die Randverteilungen der verschiedenen Modellgrößen für die einzelnen Herkunftsgruppen dargestellt.
1 Die Frage zum gewünschten Schulabschluss lautet: „Und wenn Sie sich allgemein über die Schulausbildung Ihres Kindes Gedanken machen, welches Ziel sollte es nach Ihren Wünschen einmal erreichen? Den Hauptschulabschluss, den Realschulabschluss/Mittlere Reife oder das Abitur/die Fachhochschulreife?“. Die Frage zur Bewertungen der verschiedenen Schularten lautet: „Wenn [Name des Kindes] zum Ende der vierten Klasse auf [die Hauptschule/die Realschule/das Gymnasium/die Gesamtschule] wechseln würde, wie bewerten Sie das? Sehr gut, gut, es geht, weniger gut oder überhaupt nicht gut?“.
WLLP WRT3+ DEMAT3+ Noten Deutsch Mathematik Soziale Herkunft Höchster Bildungsabschluss kein Abschluss Hauptschulabschluss Realschulabschluss Abitur/FHR Fortsetzung auf der nächsten Seite.
Übergang Hauptschule Realschule Gymnasium Gesamtschule Sonstige Leistungen Test Schule Familie 8,9 21,1 52,4 16,9 0,7
100 0 sd 21,7 4,5 21,0 0,9 0,9 % 0,9 15,3 32,0 51,8
773 0 M 87,5 8,8 62,4 2,4 2,4 N 11 147 246 368
69,1
91 154 377 142 9
773
Deutsch N %
Tabelle 2: Verteilung der Modellvariablen
N 0 16 13 10
3,0 2,8
32 7 M 74,2 8,2 56,3
5 17 11 5 1
39
% 0 41,1 34,2 24,8
0,9 1,0
86,1 13,9 sd 17,6 3,9 19,5
12,1 45,5 25,0 14,7 2,7
1,5
3. Gen. N %
N 26 102 65 23
2,9 2,9
195 21 M 71,4 7,4 55,5
44 85 53 26 8
216
% 12,4 46,8 29,6 11,3
0,8 0,9
92,4 7,6 sd 18,7 4,2 20,7
20,0 38,7 25,0 12,3 3,9
8,9
2,5. Gen. N %
N 177 183 50 32
3,0 2,9
406 36 M 73,6 7,3 52,5
111 153 89 85 4
442
% 40,1 42,0 10,9 7,0
0,8 0,9
92,4 7,6 sd 18,5 4,1 21,4
24,6 34,4 21,0 19,2 0,9
18,5
2. Gen. N %
N 15 9 8 12
2,7 2,9
41 3 M 80,6 7,2 58,1
9 14 12 7 2
44
% 32,8 20,4 18,5 28,2
1,0 1,0
90,6 9,4 sd 24,8 4,4 21,0
20,9 33,8 25,7 15,3 4,3
2,0
Sonst. N %
N 229 457 382 445
2,6 2,5
1447 67 M 83,1 8,4 59,8
260 423 542 265 24
1514
% 9,8 23,5 27,6 39,1
0,9 1,0
97,5 2,5 sd 21,9 4,4 21,4
13,1 25,8 43,2 16,9 1,1
100
insgesamt N %
Deutsch 3. Gen. 2,5. Gen. 2. Gen. Sonst. insgesamt Höchste sozioök. Stellung niedrig 150 15,1 20 51,4 137 63,8 315 71,4 21 45,4 643 31,0 mittel 307 39,7 14 36,4 46 20,7 82 18,3 13 31,9 462 33,9 hoch 316 45,2 5 12,2 33 15,5 45 10,2 10 22,7 409 35,1 Aspirationen N % N % N % N % N % N % Gewünschter Schulabschluss Haupt-/Realschulabschluss 207 25,4 7 20,2 42 19,7 68 15,6 9 20,6 333 22,9 Abitur/FHR 566 74,6 32 79,8 174 80,3 374 84,4 35 79,4 1181 77,1 Bewertung Schularten M sd M sd M sd M sd M sd M sd 0,9 2,2 2,0 0,9 1,8 0,9 0,9 2,0 0,8 Hauptschule 1,6 0,9 2,0 3,8 0,6 3,8 0,9 3,7 0,8 0,8 0,6 Realschule 3,6 4,0 3,8 0,9 4,8 0,5 4,7 0,7 4,7 0,7 0,4 0,4 Gymnasium 4,6 4,9 4,9 0,8 3,5 1,1 0,8 3,7 0,9 3,3 Gesamtschule 3,2 1,0 3,4 0,8 3,3 1,2 Kontrollvariablen Alter (in Monaten) 112,3 5,5 113,6 5,9 113,7 6,0 114,4 6,2 115,7 8,2 112,9 5,8 Geschlecht N % N % N % N % N % N % weiblich 387 47,2 23 58,4 109 51,7 207 47,1 24 54,6 750 47,9 männlich 386 52,9 16 41,6 107 48,3 235 52,9 20 45,4 764 52,1 Kohorte Schuljahr 2004/2005 359 47,2 21 49,7 107 46,7 212 47,3 16 36,8 715 47,0 Schuljahr 2005/2006 414 52,8 18 50,3 109 53,3 230 52,8 28 63,2 799 53,0 Quelle: DFG-Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ Anmerkungen: Die Werte sind gewichtet. Durch Rundungen ergeben sich beim Aufaddieren der Prozentwerte geringfügige Abweichungen von 100Prozent. Die Fallzahlen werden ungewichtet berichtet. Die Angaben beziehen sich auf den ersten der insgesamt fünf imputierten Datensätze.
Tabelle 2: Verteilung der Modellvariablen (Fortsetzung)
Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
129
3.4 Analyseverfahren Anhand von multinomialen logistischen Regressionsanalysen und „mixed models“ (Long 1997: 180-182; Long/Freese 2006: 307) wird untersucht, ob sich am ersten Bildungsübergang sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft nachweisen lassen und ob diese gegebenenfalls mit der besonderen Bildungsmotivation türkischer Familien in Verbindung stehen. Das hier verwendete „mixed model“ kombiniert das multinomiale logistische Regressionsmodell mit dem konditionalen Logitmodell. Es wird an dieser Stelle benötigt, weil zwei Arten von Variablen in die Analysen einbezogen werden. Einerseits handelt es sich um Größen, welche unabhängig von den verschiedenen Ausprägungen der abhängigen Variablen einen bestimmten Wert annehmen. Hierzu gehören individuen-spezifische Aspekte wie das Alter des Kindes oder die höchste berufliche Stellung in der Familie. Der Einfluss dieser Größen auf den Sekundarschulübergang kann mithilfe eines multinomialen Regressionsmodells geschätzt werden. Andererseits werden mit den Bildungsaspirationen der Eltern Bewertungen der einzelnen Übergangsoptionen abgebildet. Für jede Ausprägung der Übergangsvariable (Hauptschule, Gesamtschule, Realschule und Gymnasium) ergibt sich somit ein bestimmter Wert. Mit dem konditionalen Logitmodell lässt sich dies berücksichtigen. Im resultierenden „mixed model“ wird das Übergangsverhalten somit in Abhängigkeit von Eigenschaften des Kindes bzw. seiner Familie und in Abhängigkeit von Eigenschaften, die den einzelnen Sekundar-schulalternativen zugeschrieben werden, untersucht. Für jede unabhängige Variable werden mehrere Koeffizienten gleichzeitig geschätzt, welche die (logarithmierten) Chancenverhältnisse für einen Wechsel auf die verschiedenen Kontrastierungen der vier Schultypen illustrieren. Um alle Sekundarschulpaare zu beschreiben, müssen für jede Einflussgröße sechs Koeffizienten berichtet werden (Hauptschule versus Realschule; Hauptschule versus Gymnasium; Hauptschule versus Integrierte Gesamtschule; Realschule versus Gymnasium; Realschule versus Integrierte Gesamtschule; Gymnasium versus Integrierte Gesamtschule). Aus Gründen der Übersichtlichkeit und vor allem weil sich das Interesse auf die sekundären ethnischen Effekte richtet, werden nachfolgend die Koeffizienten zur ethnischen Herkunft herausgegriffen. Die ausführlichen Ergebnistabellen finden sich im Anhang (Tabellen 3-6). In den Analysen werden die mit der disproportional geschichteten Klumpenstichprobe verbundenen Besonderheiten ebenso wie die mit der Mehrebenenstruktur der Daten einhergehenden Erfordernisse über geeignete Designgewichtungen und die Schätzung robuster Standardfehler berücksichtigt. Zusätzlich wurden Mehrebenenmodelle berechnet. Die Befunde der Mehrebenenanalysen
130
Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
decken sich mit den hier berichteten Ergebnissen und werden deshalb nicht gesondert ausgewiesen. Sie sind auf Anfrage erhältlich.
4
Ergebnisse der multivariaten Analysen
Die jeweiligen Chancenverhältnisse des Übergangs lassen sich anschaulich anhand von „odds ratio plots“ illustrieren (vgl. Abbildung 1; Long 1997: 170-177; Long/Freese 2006: 260-272). Die Befunde werden zeilenweise für die verschiedenen türkischstämmigen Herkunftsgruppen („3. Gen.“, „2,5. Gen.“, „2. Gen.“) jeweils im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund („Deutsch“) ausgewiesen. Auf der oberen Skala sind die Chancenverhältnisse, auf der unteren Skala die Logit-Koeffizienten abgetragen. Als Referenzkategorie bei den Sekundarschulübergängen wird die Hauptschule gewählt (odds ratio=1), die, wie die übrigen Schularten, mit einem Buchstaben abgekürzt wird. Die Abstände zwischen den verschiedenen Buchstaben illustrieren die Effektstärke und damit das Ausmaß der ethnischen Unterschiede in den Übergangsneigungen. Anhand der Darstellung lassen sich die Abstände aller Übergangskategorien miteinander vergleichen. Die Plots bieten somit die Möglichkeit, eine Vielzahl von Koeffizienten gleichzeitig darzustellen. Steht ein bestimmter Buchstabe X rechts von einem Buchstaben Y, so spiegelt sich hierin eine erhöhte Übergangsneigung türkischstämmiger im Vergleich zu deutschen Kindern auf die Schulart X wieder. Befindet sich X dagegen links von Y, so verweist dies auf vergleichsweise geringere Chancen für einen Übergang auf X. Die durchgezogenen Linien zwischen zwei Buchstaben zeigen an, dass der Unterschied nicht statistisch signifikant ist (p<0,05). Der vertikale Abstand erleichtert die Darstellung der Ergebnisse, hat aber inhaltlich keine weitere Bedeutung. Bei horizontal verlaufenden Linien könnten die Unterschiede zwischen signifikanten und nicht signifikanten Zusammenhängen nicht immer eindeutig illustriert werden. Abbildung 1 weist die Befunde der verschiedenen Schätzungen in Form solcher odds ratio plots aus, wobei schrittweise verschiedene Aspekte kontrolliert werden. Während Modell 1 die Ausgangsunterschiede im Übergangsverhalten von Kindern aus türkischen im Vergleich zu deutschen Familien beschreibt, werden in Modell 2 zusätzlich die Leistungen zur Abbildung der primären Effekte berücksichtigt. In Modell 3 können mit der sozialen Positionierung außerdem die sekundären sozialen Herkunftseffekte einbezogen werden. Die in diesem Modell verbleibenden ethnischen Unterschiede lassen sich als sekundäre Effekte der ethnischen Zugehörigkeit interpretieren. Zu ihrer Aufklärung wird schließlich in Modell 4 die Bildungsmotivation der Familien in Betracht gezogen.
Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft Abbildung 1:
131
Chancenverhältnisse des Übergangs nach ethnischer Herkunft (Referenzkategorie: „Deutsch“)
Quelle: DFG-Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ Anmerkungen: H: Hauptschule; R: Realschule; G: Gymnasium; I: Integrierte Gesamtschule.
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Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
Modell 1 verdeutlicht zunächst, dass Kinder türkischer Herkunft deutlich geringere Übergangschancen auf das Gymnasium im Vergleich zur Realschule aufweisen. Dies gilt, wenn auch weniger ausgeprägt, in ähnlicher Weise für einen Übertritt auf die Integrierte Gesamtschule verglichen zur Hauptschule. Insgesamt verweist das erste Modell auf ausgeprägte ethnische Nachteile am ersten Bildungsübergang. Diese Ausgangsunterschiede lassen sich über die Kontrolle der schulischen Leistungen und damit der primären Herkunftseffekte in Modell 2 fast vollständig aufklären. Die hier noch verbleibenden, allerdings deutlich reduzierten Nachteile beim Übergang auf das Gymnasium im Vergleich zur Realschule erweisen sich nur noch für die zweite Generation als statistisch signifikant. Außerdem deuten sich erste Vorteile an. Die dritte Generation weist bei gleichen Leistungen eine gegenüber Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund deutlich erhöhte Chance auf, die Realschule anstelle der Hauptschule zu besuchen. In Modell 3 werden mit dem Bildungshintergrund der Eltern sowie mit deren sozioökonomischer Positionierung die sekundären sozialen Herkunftseffekte berücksichtigt. Bei gleichen Leistungen und einer ähnlichen sozialen Stellung weisen Kinder aus türkischen Familien im Vergleich zu Kindern ohne Zuwanderungshintergrund nun signifikant höhere Chancen auf, die Realschule anstelle der Hauptschule zu besuchen. Vorteile zeichnen sich ebenfalls hinsichtlich des Gymnasialübertritts im Vergleich zum Realschulwechsel für die „2,5. Gen.“ und „2. Gen.“ ab. Allerdings sind diese Effekte nicht statistisch signifikant. Vergleicht man die Position der Buchstaben G und R in Modell 3 mit ihrer Position im Ausgangsmodell 1, so wird deutlich, dass das nachteilige Abschneiden der Kinder türkischer Herkunft am ersten Bildungsübergang mit den bis zur vierten Klassenstufe erbrachten schulischen Leistungen und ihrer sozioökonomischen Lage in Verbindung steht, nicht aber mit einer zusätzlichen Benachteiligung bei den Bildungsentscheidungen. Modell 3 verweist statt dessen auf positive sekundäre Effekte der ethnischen Zugehörigkeit. Für die Interpretation der Gesamtschulergebnisse bietet es sich an, die durchschnittlichen Leistungen der Grundschulkinder je nach erfolgtem Übergang zu berechnen. Dies vermittelt einen groben Eindruck über die Leistungszusammensetzung an den verschiedenen Schulformen. Erwartungsgemäß zeigt sich das höchste Kompetenzniveau am Gymnasium, gefolgt von der Realschule, der Integrierten Gesamtschule und schließlich der Hauptschule. Die Leistungsdisparitäten zwischen Realschule und Integrierter Gesamtschule fallen allerdings geringer aus als zwischen Gesamtschule und Hauptschule. Ausgehend von dieser Abstufung zeichnen sich in Modell 3 weitere positive sekundäre ethnische Herkunftseffekte ab: Türkischstämmige Kinder wechseln in allen Gruppen signifi-
Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
133
kant häufiger als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund auf die Realschule und das Gymnasium als auf die Integrierte Gesamtschule. In Modell 4 wird abschließend der Frage nachgegangen, ob die positiven sekundären ethnischen Herkunftseffekte mit der besonderen Bildungsorientierung türkischer Familien in Verbindung stehen. Dies scheint in der Tat der Fall zu sein. Unter Berücksichtigung der Bildungsmotivation der Familien reduzieren sich die türkischen Vorteile beträchtlich und die noch bestehenden positiven Effekte sind – mit Blick auf die Alternativen des dreigliedrigen Schulsystems (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) – nicht länger statistisch signifikant. Die sich für den Übergang auf Gymnasium und Realschule im Vergleich zur Integrierten Gesamtschule abzeichnenden Vorteile für die 2. Generation und die 2,5. Generation bleiben dagegen weiterhin bestehen. Bei der Interpretation der Befunde bleiben nicht zuletzt die Abstufungen der Chancenverhältnisse zwischen den Generationen zu beachten. Hier scheint sich ein Muster der strukturellen Assimilation in der Generationenfolge (Esser 2004) abzuzeichnen. In allen Modellen weist die dritte Generation im Vergleich zu den übrigen Generationen eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für einen Übergang auf die Realschule versus die Hauptschule auf. Im ersten Modell ist dieser Unterschied für den Vergleich zwischen der dritten und zweiten Generation statistisch signifikant, im zweiten Modell zusätzlich für den Vergleich zwischen dritter und 2,5. Generation (p<0,1). Bei der Einschätzung der Befunde in der Generationenfolge, insbesondere mit Blick auf die Signifikanzen, bleibt die Fallzahl in der dritten Generation (n=39) zu berücksichtigen. Für die übrigen Modellgrößen zeigen sich die erwarteten Effekte: Mit steigenden schulischen Leistungen erhöhen sich die Chancen, auf eine anspruchsvollere Schulart zu wechseln (vgl. Tabellen 4-6 im Anhang). Dies trifft sowohl für die Noten als auch für die Ergebnisse der Leistungsmessungen zu, wobei den Noten ein größeres Gewicht bei der Übergangsentscheidung zukommt. Typische Muster ergeben sich auch für die soziale Herkunft: Die mit einem höheren Bildungsniveau verbundenen vorteilhaften Bedingungen werden am Bildungsübergang ebenso wirksam wie die mit einer höheren beruflichen Stellung verknüpften Vorteile. Den Übertritt auf eine höhere Schulform vollziehen nicht zuletzt vermehrt diejenigen Schülerinnen und Schüler, deren Eltern besonders bildungsorientiert sind.
5
Diskussion
Am ersten Bildungsübergang lassen sich zunächst deutliche Nachteile für Kinder aus türkischen Familien ausmachen. Ihnen gelingt vergleichsweise seltener der
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Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
Wechsel auf eine Realschule oder ein Gymnasium. Diese im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund bestehenden Unterschiede lassen sich vollständig auf Disparitäten in den schulischen Leistungen und auf die mit der sozialen Herkunft verbundenen unterschiedlichen Übergangsbedingungen zurückführen. Anstelle einer zusätzlichen Benachteiligung an der Weichenstellung zur Sekundarstufe weisen Kinder aus türkischen Zuwandererfamilien aufgrund ihrer ausgeprägten Bildungsmotivation nun sogar höhere Chancen auf, im Anschluss an die Grundschulzeit einen der anspruchsvolleren Bildungszweige zu besuchen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass der Kompetenzentwicklung der Kinder über die ersten Lebensjahre hinweg eine Schlüsselrolle bei der Erklärung der nachteiligen Bildungssituation türkischstämmiger Kinder zukommt. Die bis zur vierten Klassenstufe erbrachten schulischen Leistungen beeinflussen maßgeblich den Bildungsübergang und übersetzen sich in entsprechend divergierende Übertrittsraten. Hinzu kommen soziale Benachteiligungen, mit denen Schülerinnen und Schüler aus türkischen Familien vergleichsweise häufiger konfrontiert sind (vgl. Tabelle 1). Es sind damit einerseits die primären Effekte in Form der schulischen Leistungen und andererseits die sekundären Effekte der sozialen Herkunft, die sich in den ethnisch ungleichen Übergangsmustern manifestieren. Das bildungsorientierte Entscheidungsverhalten der türkischen Familien am ersten Bildungsübergang vermag diese ungleichen Ausgangsbedingungen nicht zu kompensieren. Die Befunde sollten deshalb auch als Plädoyer für eine dringend erforderliche vertiefte Auseinandersetzung mit der Entstehung ethnischer und sozialer Disparitäten in der Leistungsentwicklung über die ersten Lebensjahre hinweg verstanden werden. Dem Nachweis der positiven sekundären ethnischen Herkunftseffekte schließt sich die Frage ihrer Nachhaltigkeit an. Erst im Längsschnitt ließe sich prüfen, ob sich türkischstämmige Kinder, die am ersten Übergang auf die Realschule und das Gymnasium wechseln, dort auch behaupten können und den angestrebten Bildungsabschluss tatsächlich erreichen. Einerseits könnte die vergleichsweise schwächere Leistungsausgangslage auf geringere Erfolgsaussichten verweisen. Andererseits könnte die besondere Bildungsmotivation diesen Einflüssen entgegenwirken. Die Befunde lassen sich angesichts der verwendeten Daten zu Kölner Grundschulkindern nur bedingt generalisieren. Insbesondere ein Vergleich mit den Übergangsmustern in anderen Bundesländern dürfte sich als schwierig erweisen, da in Nordrhein-Westfalen anders als in Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg vier Übergangsalternativen zur Verfügung stehen und die Entscheidungssituation sich aus diesem Grund anders darstellt.
Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
135
Ebenfalls zu diskutieren bleibt, ob die gefundenen positiven sekundären ethnischen Herkunftseffekte korrekt spezifiziert sind. Sie könnten aus verschiedenen Gründen sowohl über- als auch unterschätzt worden sein. Sie fielen beispielsweise dann geringer aus, wenn zwischen der ethnischen und der sozialen Herkunft ein kausaler Zusammenhang besteht. Beispielhaft sei hier auf die niedrigere Positionierung türkischer Familien auf dem deutschen Arbeitsmarkt verwiesen, die zu einem geringen Teil auf Diskriminierungen zurückzuführen sein könnte. In diesem Fall würde ein Teil des nachteiligen direkten ethnischen Effekts auf den Übergang als indirekter ethnischer Effekt über die soziale Herkunft vermittelt, mit der Folge einer Reduzierung der beobachteten positiven sekundären Effekte der ethnischen Zugehörigkeit (vgl. Van de Werfhorst/Van Tubergen 2007: 434). Die positiven ethnischen Herkunftseinflüsse könnten aber auch aus einem anderen Grund überschätzt worden sein. Die in dieser Studie verwendeten Variablen zur sozialen Herkunft beziehen sich auf die in Deutschland erworbenen Bildungsqualifikationen sowie auf die berufliche Stellung in der Bundesrepublik. Falls die aus der Türkei mitgebrachten Bildungsabschlüsse durch die Migration entwertet wurden und damit die soziale Positionierung in der Bundesrepublik entsprechend geringer ausfällt, schlüge sich diese Entwertung, ebenso wie im vorangegangenen Beispiel zur Diskriminierung, nicht in den Koeffizienten zur ethnischen Zugehörigkeit, sondern in den sozialen Herkunftseffekten nieder. Der positive Effekt der ethnischen Herkunft auf den Übergang würde in diesem Fall überschätzt. Ähnliches gilt, wenn man berücksichtigt, dass die in der Türkei erworbenen Bildungsqualifikationen in Anbetracht des vergleichsweise geringeren durchschnittlichen Bildungsniveaus nicht unmittelbar mit deutschen Abschlüssen vergleichbar sind. Ein bestimmtes Sekundarschulzertifikat in der Türkei könnte eine höhere relative Positionierung signalisieren als ein ansonsten gleichwertiger deutscher Abschluss (vgl. Heath/Brinbaum 2007; Heath et al. 2008; Van de Werfhorst/Van Tubergen 2007). In diesem Fall würde wiederum ein Teil des direkten ethnischen Effekts auf den Übergang über die Variablen zur Bildungsqualifikation der Eltern vermittelt. Allerdings besitzen diese Argumente nur dann Gültigkeit, wenn die Eltern ihren Bildungsabschluss in der Türkei erworben haben. Es trifft jedoch nicht auf die Kinder der in Deutschland geborenen türkischstämmigen Eltern zu („3. Gen.“), für die sich die Vorteile am deutlichsten zeigen (vgl. Modell 3). Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die hier gefundenen positiven Effekte vollständig auf die Messung der Bildungsqualifikationen zurückführen lassen. Stattdessen könnte vermutet werden, dass die berichteten positiven sekundären Effekte der ethnischen Zugehörigkeit unterschätzt wurden. Dies könnte der
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Cornelia Kristen und Jörg Dollmann
Fall sein, weil türkischstämmige Kinder hinsichtlich der Ressourcenausstattung ihrer Familien vermutlich noch stärker benachteiligt sind als dies mit den herangezogenen Indikatoren zur sozialen Herkunft abgebildet werden konnte (vgl. Van de Werfhorst/Van Tubergen 2007: 434). Vertiefende Analysen, in denen zusätzlich das in den Familien vorhandene ökonomische Kapital berücksichtigt wird (Anzahl der Kinder, Einkommen), bestätigen diese Vermutung. Unter Kontrolle dieser Aspekte vergrößern sich die positiven sekundären ethnischen Herkunftseffekte.
6
Literatur
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Sekundäre Effekte der ethnischen Herkunft
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Anhang
-0,79 (0,64) -1,45* (0,29) -1,77* (0,25) -0,17*(0,02) -0,07 (0,18)
-0,33 (0,28) 20,68*(2,24)
-0,10*(0,02) -0,02 (0,19)
-0,19 (0,25) 12,39*(2,51)
G vs. H
0,72 (0,62) -0,19 (0,27) -0,40 (0,21)
R vs. H
-0,06 (0,20)
-0,10* (0,02)
-0,16 (0,78) -1,11† (0,38) -0,82† (0,28)
I vs. H
-0,14 (0,23) -0,26 (0,32) 8,47*(1,50) 11,83* (2,68) 0,07 -1719,67 1448
-0,05 (0,18)
-0,07*(0,01)
-1,51* (0,39) -1,26* (0,25) -1,37* (0,19)
G vs. R
Quelle: DFG-Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ Anmerkungen: * p < 0,001; † p < 0,01; + p < 0,05. Robuste Standardfehler in Klammern.
ethnische Herkunft (Ref. Deutsch) 3. Generation 2,5. Generation 2. Generation Kontrollvariablen Alter (in Monaten) Geschlecht (Ref. weiblich) männlich Kohorte (Ref. Schuljahr 2004/2005) Schuljahr 2005/2006 Konstante Pseudo-R2 Log-likelihood N -0,07 (0,28) -0,56 (1,95)
-0,04 (0,16)
0,00 (0,02)
-0,88 (0,54) -0,92† (0,28) -0,42 (0,23)
I vs. R
Tabelle 3: Logit-Koeffizienten aus Modell 1 (nur ethnische Herkunft inkl. Kontrollvariablen)
7
0,07 (0,23) -9,03*(1,91)
0,01 (0,19)
0,07*(0,02)
0,64 (0,61) 0,34 (0,31) 0,95* (0,22)
I vs. G
R vs. H G vs. H G vs. R I vs. H ethnische Herkunft (Ref. Deutsch) 0,66 (1,03) -0,63 (0,48) 1,07 (0,92) 1,69+ (0,83) 3. Generation -0,72 (0,45) -0,40 (0,30) -0,05 (0,41) 0,35 (0,35) 2,5. Generation -0,38 (0,30) -0,56+ (0,28) -0,36 (0,37) 0,20 (0,25) 2. Generation Schulische Leistungen Test Ort des Tests (Ref. Schu-0,81 (0,68) -1,11 (0,81) -0,30 (0,69) -0,86 (0,72) le) WLLP 0,04* (0,01) 0,05* (0,01) 0,01 (0,01) 0,03† (0,01) WRT3+ 0,08+ (0,04) 0,14† (0,05) 0,06+ (0,03) 0,02 (0,04) DEMAT3+ 1,84+ (0,75) 3,08† (1,05) 1,24 (0,69) 1,12 (0,84) Noten Deutsch -1,46* (0,21) -3,14* (0,30) -1,68* (0,25) -1,25* (0,21) Mathematik -0,94* (0,19) -2,44* (0,27) -1,50* (0,23) -0,84* (0,21) Kontrollvariablen Alter (in Monaten) -0,07† (0,02) -0,11* (0,03) -0,05+ (0,02) -0,07† (0,02) Geschlecht (Ref.: weiblich) männlich -0,01 (0,25) -0,05 (0,34) -0,04 (0,25) -0,09 (0,28) Kohorte (Ref.: Schuljahr 2004/2005) Schuljahr 2005/2006 -0,51 (0,30) -0,44 (0,40) 0,06 (0,29) -0,55 (0,36) Konstante 12,71* (2,63) 23,66* (3,61) 10,96* (2,55) 13,29* (2,60) 0,40 Pseudo-R2 Log-likelihood -1116,12 N 1448 Quelle: DFG-Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ Anmerkungen: * p < 0,001; † p < 0,01; + p < 0,05. Robuste Standardfehler in Klammern.
Tabelle 4: Logit-Koeffizienten aus Modell 2 (+ Leistungen)
0,25 -0,02+ -0,12* -1,96+
(0,39) (0,01) (0,03) (0,66) (0,17) (0,20) (0,02) (0,19)
(0,30) (1,80)
-0,05 -0,01 -0,05 -0,72 0,21 0,10 -0,00 -0,08
-0,04 0,58
(0,78) (0,01) (0,03) (0,85)
(0,65) (0,39) (0,30)
(0,28)
(0,02)
-0,10 (0,34) -10,37* (2,82)
-0,05
0,04
1,89* (0,29) 1,60* (0,26)
-0,41 -0,67 -0,02
I vs. G
-1,03 (0,55) -1,07* (0,30) -0,58+ (0,23)
I vs. R
(0,62) (0,01) (0,03) (0,67) (0,26) (0,25)
(0,30) (0,37) (0,36) (0,42) (0,02) (0,27) (0,28) (2,89)
-0,32 0,01 0,06+ 1,03 -1,66* -1,54*
0,31 1,49* 0,44 0,40 -0,03 -0,15 0,09 8,31†
0,43 -1072,61 1448
(0,51) (0,40) (0,36)
-0,26 0,39 0,33
G vs. R
Quelle: DFG-Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ Anmerkungen: * p < 0,001; † p < 0,01; + p < 0,05. Robuste Standardfehler in Klammern.
R vs. H G vs. H ethnische Herkunft (Ref. Deutsch) 3. Generation 1,83+ (0,85) 1,58 (0,95) 2,5. Generation 0,88+ (0,40) 1,28+ (0,52) 2. Generation 0,92† (0,35) 1,25† (0,48) Schulische Leistungen Test Ort des Tests (Ref. Schule) -0,90 (0,71) -1,22 (0,83) 0,05* (0,01) 0,04* (0,01) WLLP 0,13† (0,05) 0,07+ (0,04) WRT3+ 2,53† (1,00) 1,50+ (0,71) DEMAT3+ Noten Deutsch -1,39* (0,21) -3,05* (0,32) Mathematik -0,94* (0,20) -2,48* (0,29) Soziale Herkunft Höchster Bildungsabschluss (Ref.: kein Absch./Hauptschulabsch.) Realschulabschluss 0,97+ (0,39) 1,28† (0,48) Abitur/FHR 1,77† (0,54) 3,26* (0,61) Höchste sozioök. Stellung (Ref.: niedrig) mittel 0,33 (0,27) 0,77 (0,44) hoch 0,34 (0,39) 0,74 (0,58) Kontrollvariablen Alter (in Monaten) -0,06† (0,02) -0,09† (0,03) Geschlecht (Ref.: weiblich) -0,07 (0,25) -0,22 (0,36) Kohorte (Ref.: Schuljahr 2004/2005) Schuljahr 2005/2006 -0,60 (0,32) -0,51 (0,40) Konstante 10,77* (2,61) 19,09* (3,69) Pseudo-R2 Log-likelihood N
Tabelle 5: Logit-Koeffizienten aus Modell 3 (+ soziale Herkunft)
-0,64 11,89*
-0,07† -0,15
0,10 0,03
0,75 1,81†
-1,18* -0,84*
-0,93 0,03* 0,02 0,87
0,69 -0,35 0,14
(0,37) (2,51)
(0,02) (0,27)
(0,31) (0,43)
(0,41) (0,58)
(0,21) (0,21)
(0,73) (0,01) (0,04) (0,80)
(1,02) (0,48) (0,38)
I vs. H
-0,04 1,11
-0,00 -0,08
-0,23 -0,31
-0,22 0,04
0,20 0,10
-0,03 -0,01 -0,05 -0,63
(0,30) (1,89)
(0,02) (0,19)
(0,26) (0,27)
(0,35) (0,32)
(0,17) (0,20)
(0,40) (0,01) (0,03) (0,64)
-1,15+ (0,55) -1,23* (0,34) -0,78+ (0,32)
I vs. R (0,67) (0,49) (0,39)
(0,02) (0,29)
(0,39) (0,42)
(0,39) (0,40)
(0,30) (0,28)
-0,13 (0,35) -7,20+ (3,02)
0,03 0,07
-0,67 -0,71
-0,53 -1,45*
1,86* 1,64*
0,29 (0,73) -0,02+ (0,01) -0,11* (0,03) -1,66+ (0,82)
-0,89 -1,62* -1,11†
I vs. G
R vs. H ethnische Herkunft (Ref. Deutsch) 1,43 (0,85) 3. Generation 0,67 (0,42) 2,5. Generation 0,70 (0,40) 2. Generation Schulische Leistungen Test Ort des Tests (Ref. Schule) -0,89 (0,75) WLLP 0,04* (0,01) WRT3+ 0,07 (0,04) DEMAT3+ 1,63+ (0,76) Noten Deutsch -1,46* (0,22) Mathematik -0,93* (0,22) Soziale Herkunft Höchster Bildungsabschluss (Ref.: kein Absch./Hauptschulabsch.) 0,82+ (0,41) Realschulabschluss Abitur/FHR 1,62† (0,55) Höchste sozioök. Stellung (Ref.: niedrig) mittel 0,13 (0,29) hoch 0,19 (0,40) Fortsetzung auf der nächsten Seite. (0,35) (0,40)
-0,14 -0,16
(0,32) (0,44)
0,16 0,11
0,29 0,30
(0,44) (0,57)
0,66 (0,43) 1,51+ (0,59)
(0,74) (0,01) (0,05) (0,83)
0,33 (0,32) 1,22† (0,37)
-0,89 0,03* 0,02 0,84
(1,02) (0,55) (0,48)
1,14+ (0,53) 2,84* (0,64)
(0,59) (0,01) (0,03) (0,68)
0,46 -0,54 -0,07
-1,24* (0,22) -0,83* (0,22)
-0,21 0,01 0,05 0,90
(0,47) (0,38) (0,36)
I vs. H
-1,62* (0,25) -1,47* (0,24)
(0,85) (0,01) (0,05) (1,02)
-1,09 0,05* 0,11+ 2,53+
-0,46 0,01 -0,04
G vs. R
-3,08* (0,31) -2,40* (0,29)
(0,94) (0,52) (0,50)
0,97 0,69 0,67
G vs. H
Tabelle 6: Logit-Koeffizienten aus Modell 4 (+ Aspirationen)
-0,27 -0,35
-0,16 -0,11
0,22 0,09
(0,26) (0,27)
(0,36) (0,32)
(0,17) (0,20)
(0,42) (0,01) (0,03) (0,63)
(0,70) (0,01) (0,03) (0,80)
-0,43 -0,46
(0,37) (0,41)
-0,48 (0,40) -1,34† (0,40)
1,84* (0,29) 1,57* (0,27)
0,20 -0,02+ -0,10† -1,69+
-0,51 (0,66) -1,23+ (0,51) -0,73 (0,42)
-0,97 (0,56) -1,22† (0,38) -0,77+ (0,35)
-0,01 -0,01 -0,05 -0,79
I vs. G
I vs. R
R vs. H G vs. H G vs. R I vs. H I vs. R I vs. G Aspirationen Gewünschter Schulabschluss (Ref.: Haupt-/Realschulabschluss) Abitur/FHR 0,74+ (0,38) 1,07+ (0,52) 0,32 (0,44) 0,53 (0,38) -0,21 (0,27) -0,53 (0,40) 0,56* (0,08) Bewertung Schularten1 Kontrollvariablen Alter (in Monaten) -0,05† (0,02) -0,09† (0,03) -0,03 (0,03) -0,06† (0,02) -0,01 (0,02) 0,02 (0,02) Geschlecht (Ref.: weiblich) männlich -0,16 (0,26) -0,34 (0,38) -0,18 (0,27) -0,23 (0,26) -0,07 (0,18) 0,11 (0,29) Kohorte (Ref.: Schuljahr 2004/2005) Schuljahr 2005/2006 -0,69+ (0,34) -0,65 (0,41) 0,05 (0,28) -0,69 (0,38) 0,01 (0,31) -0,04 (0,35) Konstante 8,93† (2,61) 16,96* (3,89) 8,03+ (3,13) 11,18* (2,44) 2,25 (1,96) -5,78 (3,13) 0,45 Pseudo-R2 Log-likelihood -1043,50 5792 N2 Quelle: DFG-Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ Anmerkungen: * p < 0,001; † p < 0,01; + p < 0,05. Robuste Standardfehler in Klammern. 1 Für die alternativenspezifischen Bewertungen der einzelnen Übergangsmöglichkeiten wird ein generischer Koeffizient (Ben-Akiva/Lerman 1985: 75) berichtet, der für alle Alternativen einen konstanten Wert annimmt. Der positive Koeffizient gibt an, dass der Übergang auf eine Schulart wahrscheinlicher ist, je höher der entsprechende Übergang bewertet wird. 2 Bei den Modellen 1-3 handelt es sich um multinomiale Regressionsanalysen. In Modell 4 wird ein „mixed model“ geschätzt, in dem sich der Fokus auf die Wahl zwischen unterschiedlich bewerteten Alternativen aus einem Alternativenset richtet (vgl. Abschnitt 3.3). Dies schlägt sich in der Datenstruktur nieder. Aus den vier möglichen Übergängen ergeben sich für die 1448 Befragten insgesamt 5792 Datenzeilen (vgl. Long/Freese 2006: 294 ff.).
Tabelle 6: Logit- Koeffizienten aus Modell 4 (+ Aspirationen) (Fortsetzung)
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen? Soziale Selektivität bei Schulformwechseln und nachgeholten Schulabschlüssen Marita Jacob und Nicole Tieben
1
Einleitung
In Deutschland werden Kinder bereits im Alter von 10 bis 12 Jahren nach Beendigung der Grundschule in unterschiedliche Schultypen zugewiesen, in der Regel in eine der drei dominierenden Schulformen Hauptschule, Realschule oder Gymnasium.1 Die Zuweisung zu diesen Schultypen erfolgt vor allem auf Basis der vorherigen schulischen Leistung, aber dennoch steht in den aktuellen Debatten gerade diese frühe Selektion im deutschen Schulsystem im Verdacht, soziale Ungleichheiten zu produzieren oder sogar zu verstärken, da die Eltern erheblichen Einfluss auf die Entscheidung nehmen können. Im Unterschied zu späteren Entscheidungen sind hier die Bildungsabsichten der Eltern besonders bedeutsam, da weder den Kindern selbst die nötige Entscheidungskompetenz zugesprochen wird noch das zukünftige kognitive Entwicklungspotenzial bereits gänzlich abzusehen ist. Da es um eine weitreichende Entscheidung mit langjährigen Folgen geht, spielen die eigenen Erfahrungen der Eltern mit dem Bildungssystem, ihre Bildungsaspirationen aber auch ihre Einschätzung über mögliche Kosten und dem zukünftigen Nutzen der gewählten Bildungslaufbahn neben den tatsächlichen schulischen Leistungen ihrer Kinder eine große Rolle. Empirisch hat sich in vielen Studien gezeigt, dass Kinder aus höheren sozialen Schichten weit größere Chancen haben, in die höheren Schulformen einzutreten als Kinder aus sozial benachteiligten Familien (Henz/Maas 1995; Müller/Haun 1995; Müller/Pollak 1 Auch wenn seit dem Ende der 1960er Jahre mit der Einführung von Orientierungsstufen oder (integrierten) Gesamtschulen sowie durch die ostdeutschen Bundesländer so genannte Sekundar-, Regel- oder Mittelschulen hinzugekommen sind, und einige weitere Schultypen wie die Sonder- und Förderschulen oder Freie Waldorfschulen ausgebaut wurden, sind die Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien noch immer die am weitesten verbreiteten Schulformen. So besuchten im Schuljahr 2006/07 über drei Viertel (77%) aller Schüler der Sekundarstufe I (inkl. schulartunabhängige Orientierungsstufe) eine Hauptschule, eine Realschule oder ein Gymnasium (Statistisches Bundesamt 2008).
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2004; Schimpl-Neimanns 2000). Mit dem Abschluss der im Alter von 10 bis 12 Jahren gewählten Schulform werden zudem weitere Bildungs- und Qualifikationsmöglichkeiten bestimmt: Zum Beispiel ist beim Zugang in eine betriebliche berufliche Ausbildung ein höherer Schulabschluss oftmals von Vorteil oder die Aufnahme eines Studiums an einer Universität ist nur mit einem Abitur möglich. Schließlich hat Bildung noch zahlreiche weitere soziale Folgen wie die Allokation und Platzierung auf dem Arbeitsmarkt, damit verbundenes Einkommen oder Beschäftigungssicherheit, oder auf die Chancen auf dem Heiratsmarkt. Geht man davon aus, dass der Grundstein für die späteren Lebenschancen bei der Wahl der Schulform nach der Grundschule gelegt wird, profitieren Kinder aus privilegierten Herkunftsfamilien nicht nur von Vorteilen in der frühkindlichen Sozialisation, sondern durch die frühe Selektion akkumulieren sich diese Vorteile zusätzlich im Laufe der Bildungskarriere. Die Wahl der Schulform nach der Grundschule ist aber nicht notwendigerweise tatsächlich deckungsgleich mit dem letztlich erreichten Bildungsabschluss am Ende der Schullaufbahn. Gerade in neueren Studien setzt sich die Erkenntnis durch, dass einzelne Übergänge nicht isoliert betrachtet werden können, sondern dass diese in einen bestimmten Kontext einer individuellen Schullaufbahn eingebunden sind und die Bildungskarrieren vieler Schüler keineswegs so geradlinig verlaufen, wie es die institutionalisierten Pfade im Bildungssystem nahe legen. Das deutsche Schulsystem erlaubt beispielsweise grundsätzlich eine gewisse Durchlässigkeit zwischen den Schulformen, um einzelnen Schülern bei einer unerwarteten Leistungsentwicklung einen Wechsel zu einer höheren oder niedrigeren Schulform zu ermöglichen. Zudem ist es auch nach dem Erreichen eines bestimmten Schulabschlusses möglich, einen weiteren, höheren allgemeinbildenden Abschluss nachzuholen, zum Beispiel im Rahmen einer beruflichen Ausbildung oder in Einrichtungen des so genannten Zweiten Bildungswegs. Im vorliegenden Beitrag beschäftigen wir uns mit dieser Art der Mobilität im Bildungsverlauf, also mit Korrekturen der nach der Grundschule gewählten Schulform während der Sekundarstufe I, die wir mit Schulformwechsel bezeichnen, und dem späteren Erwerb von Schulabschlüssen nach der „regulären“ Schulzeit, so genannte nachgeholte Schulabschlüsse. Beide Phänomene zusammen bezeichnen wir als „intra-sekundäre Übergänge“. Im Zuge der Bildungsreformen der späten sechziger Jahren, die unter anderem eine Öffnung der höheren Bildungsgänge durch eine Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen bewirken sollten, hat die Zahl derartiger „Umwege“ zu den endgültigen Bildungsabschlüssen erheblich zugenommen (Henz 1997a, 1997b). Diese Umwege wurden vor allem in Form von nachgeholten Schulabschlüssen nach dem ersten Sekundarabschluss genutzt, zu einem geringeren Teil aber auch durch Übergänge in den ersten Jahren der Sekun-
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darstufe. Relevant für die Ungleichheitsforschung sind diese Übergänge während der Sekundarstufe dann, wenn die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulen und Schulzweigen oder nach einem ersten Schulabschluss sozial selektiv genutzt wird. Ein zentrales Argument für die Einführung von mehr Durchlässigkeit in den sechziger Jahren war der Abbau von Ungleichheiten, die beim Übergang nach der Grundschule entstehen. Es sollten, so die Argumentation, vor allem solche Kinder an höhere Schulformen wechseln, die trotz guter schulischer Leistungen zunächst an Schulen gehen, die ihrem Leistungspotential nicht gerecht werden. Da davon in erster Linie Kinder aus ressourcenarmen Haushalten betroffen sind, sollten diese besonders von der größeren Durchlässigkeit profitieren. Möglicherweise ist aber auch genau das Gegenteil der Fall, wenn durch die Korrekturen die Vorteile privilegierter Gruppen erhalten oder sogar noch vergrößert werden. Kinder aus höheren Schichten, die anfangs einer niedrigen Schulformen zugewiesen wurden, können eher die vorhandenen Ressourcen der Familie nutzen, um einen nachträglichen Übergang in eine höhere Schulform zu erreichen. In diesem Fall wären herkunftsbedingte Ungleichheiten in den letztlich erreichten Bildungsabschlüssen sogar größer als beim ersten Übergang nach der Grundschule. Neben diesen grundlegenden Überlegungen zur sozialen Selektivität der intra-sekundären Übergänge werden wir im vorliegenden Beitrag darüber hinaus diskutieren, inwiefern das Motiv des elterlichen Statuserhalts eine entscheidende Rolle für Schulformwechsel und nachgeholte Schulabschlüsse spielt. So kann man annehmen, dass in den Fällen, in denen der Erhalt des elterlichen Status durch den Besuch einer niedrigeren Schulform bedroht ist, die Wahrscheinlichkeit eines Schulformwechsels in eine höhere Schulform besonders hoch ist und ein Wechsel in eine niedrigere Schulform dann besonders unwahrscheinlich ist, solange er sich irgendwie vermeiden lässt. Angesichts dieser Tatsache sollte also die absolute soziale Position der Eltern und die damit verbundene Ressourcenausstattung weniger relevant sein für die Wahrscheinlichkeit eines Schulformwechsels bzw. Nachholen eines Schulabschlusses als der aktuell angestrebte bzw. erreichte Schulabschluss des Kindes relativ zum elterlichen Bildungsniveau. Zusammenfassend ergeben sich also drei Fragestellungen, die wir in unserem Beitrag analysieren werden: Werden Schulformwechsel und das Nachholen von Schulabschlüssen sozial selektiv genutzt? Welche Rolle spielt hierbei der Bildungsabschluss der Eltern? Welche Veränderungen in Bezug auf die soziale Selektivität bei intra-sekundären Übergängen lassen sich im Kohortenvergleich beobachten? Unser Beitrag strukturiert sich wie folgt: In den theoretischen Überlegungen stellen wir zunächst die grundsätzlichen Mechanismen der Zuweisung von Schü-
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lern auf bestimmte Schulformen dar und in welchen Fällen ein Korrekturbedarf der ursprünglichen Schulwahl nach der Grundschule durch einen Schulformwechsel bzw. das Nachholen eines Abschlusses auftreten kann. Wir bauen hier vor allem auf Theorien zur Erklärung von Bildungsentscheidungen auf. Besonderes Augenmerk werden wir auf die Unterscheidung von absolutem und relativem Bildungsniveau der Eltern legen, also zum einen die Bedeutung des Einflusses des von den Eltern erreichten Bildungsniveaus diskutieren, zum anderem den relativen Abstand des elterlichen Abschlusses zu dem an der gewählten Schulform erreichbaren bzw. bereits erreichten Abschluss des Kindes für (oder gegen) einen intra-sekundären Übergang. Daraus leiten wir verschiedene Hypothesen zur sozialen Selektivität ab. Anschließend stellen wir im Überblick wichtige Reformen des Bildungssystems in den sechziger und siebziger Jahren dar, die möglicherweise sowohl die Quantität als auch die soziale Selektivität intrasekundärer Transitionen im Zeitverlauf verändert haben. In unseren empirischen Analysen verwenden wir Daten der Westdeutschen Lebensverlaufsstudie, die ausgewählte Geburtsjahrgänge zwischen 1930 bis 1971 umfasst. Wir beenden unseren Beitrag mit einer Diskussion der Ergebnisse und verschiedenen Schlussfolgerungen, die sich daraus ziehen lassen.
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Theoretische Überlegungen
2.1 Grundlegende Überlegungen zu herkunftsspezifischen Bildungsentscheidungen Nicht nur die öffentliche Wahrnehmung, sondern auch die Bildungsforschung konzentrierte sich vor allem in den letzten Jahren auf die Analyse zentraler Entscheidungspunkte im Bildungssystem, wie beispielsweise den Übergang in eine der weiterführenden Schulformen nach der Grundschule. Dies erfolgte unter der Prämisse, dass Unterschiede in den Bildungsergebnissen nur durch eine Analyse der vorgängigen Entscheidungen erklärt werden können (Mare 1980). Theoretische Vorarbeit für eine solche entscheidungstheoretische Perspektive hat bereits Boudon (1974) geleistet, der für die beiden Quellen sozialer Bildungsungleichheit an Entscheidungspunkten die Begriffe primärer Herkunftseffekt für herkunftsbedingte Unterschiede in den schulischen Leistungen und sekundärer Herkunftseinfluss zur Beschreibung der Unterschiede im Entscheidungsverhalten geprägt hat. Soziale Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung entstehen demnach sowohl aufgrund von primären als auch von sekundären Effekten, wobei vor allem die sekundären Effekte – also die unterschiedlichen Entscheidungen in
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Abhängigkeit von sozialen Merkmalen der Herkunftsfamilie – von Relevanz für die soziologische Ungleichheitsforschung sind.
2.1.1 Primäre Herkunftseffekte In Bezug auf die primären Effekte sind bereits die Unterschiede in den schulischen Leistungen und in der Einschätzung und Bewertung der Leistungen durch die Lehrer nicht unabhängig von der sozialen Herkunft: Kinder aus statushohen Familien profitieren schon in der vorschulischen Sozialisation von einer Reihe elterlicher Ressourcen und von der Unterstützung, die ihre meist hoch gebildeten Eltern zu geben in der Lage sind, während ihre Klassenkameraden aus weniger privilegierten Familien diesen Vorsprung kaum aufholen können. Bourdieu (1966, 1973) erklärt diese Unterschiede unter anderem mit der unterschiedlichen Verteilung von kulturellen Ressourcen in den Herkunftsfamilien. Eltern mit einem hohen sozio-ökonomischen Status übertragen Wissen und Präferenzen auf ihre Kinder, um den sozialen Status der Familie zu sichern und zu reproduzieren. Bourdieu schreibt dabei den legitimierten „high-status-signals“ einen distinktiven und exklusiven Charakter zu, der so genannte Habitus in Bourdieus’ Terminologie, der in der Schule positiv sanktioniert wird und damit eine kulturelle Kluft zwischen sozialen Klassen erzeugt (Lamont/Lareau 1988).2 De Graaf (1989) betont zwar, dass diese kulturellen Ressourcen einen direkten positiven Effekt auf die kognitive Kompetenz und dadurch auf das Leistungsniveau haben, kritisiert aber Bourdieus Konzept des Habitus und damit die „neo-marxistische“ Auffassung, dass das elterliche kulturelle Kapital über den Effekt hinaus, den es auf die kognitive Kompetenz des Kindes hat, noch weitere positive Auswirkungen auf den Schulerfolg haben kann. Neuere Arbeiten weisen zudem darauf hin, dass die Konzentration auf das kulturelle Kapital als alleiniger Erklärungsfaktor für Ungleichheit nicht ausreichend ist. Empirische Untersuchungen zeigen, dass auch bei Kontrolle der schulischen Leistungen ein Teil der Herkunftseffekte nachweisbar bleibt (Ditton/Krüsken 2006).
2 Dies beinhaltet auch, dass auch die Lehrerempfehlung nicht ‚objektiv’ und ausschließlich an der schulischen Performanz orientiert ist, sondern auch außerschulische Merkmale und Eigenschaften sowie das familiäre Umfeld der Schülers berücksichtigt, die für die spätere Schullaufbahn relevant sein können.
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2.1.2 Sekundäre Herkunftseffekte Zusätzliche Unterschiede in der Wahl der Schulform über Leistungsunterschiede hinaus entstehen durch den direkten Einfluss der Eltern bei der Bildungsentscheidung. Diese Unterschiede im Entscheidungsverhalten werden von Boudon (1974) als sekundäre Herkunftseffekte bezeichnet. Er schreibt diesen Faktoren, die neben der Leistung den Schulerfolg erklären, eine ebenso bedeutende Rolle zu wie der schulischen Leistung selbst. Herkunftsbedingte Unterschiede in den Leistungen können durch Bildungsentscheidungen verstärkt werden, insbesondere dann, wenn trotz gleicher schulischer Leistungen ein unterschiedliches Entscheidungsergebnis zugunsten von Kindern aus sozial privilegierten Herkunftsfamilien auftritt. Grundsätzlich können hier zwei unterschiedliche Mechanismen wirksam werden, die unterschiedliche herkunfts-spezifische Entscheidungen verursachen: Zum einen kann sich eine sozial vorteilhafte Position in den zur Verfügung stehenden Ressourcen niederschlagen, die von den Eltern bereit gestellt werden können, um den Schulerfolg ihrer Kinder zu sichern. Höher gebildete Eltern sind demnach eher in der Lage, ihren Kindern bei schulischen Schwierigkeiten zu helfen und sie sind vertrauter mit höheren Bildungsgängen und deren Anforderungen. Darüber hinaus können Eltern in statushohen Positionen nicht zuletzt zusätzliche außerschulische und außerhäusliche Unterstützung beschaffen und ggf. finanzieren. Aus Sicht dieses Ressourcenarguments spielt also die „absolute“ Position der Eltern eine Rolle in der Bildungsentscheidung. Zum anderen ist aber möglicherweise auch der relative Abstand der sozialen Position der Eltern zu der mit dem Abschluss der gewählten Schulform möglichen Position von Bedeutung. So definieren bereits Keller und Zavalloni (1964) das Konzept der „relativen Distanz“ zur Erklärung der schichtspezifischen Ungleichheit. Bildungsaspirationen stehen hierbei im direkten Zusammenhang mit der jeweiligen Statusposition der Herkunftsfamilie und das Bildungsergebnis ist kein Resultat einer schichtspezifischen „absoluten“ Aspiration, sondern das Ergebnis einer „relativen Aspiration“ und der damit verbundenen Distanz zum Bildungsziel. Zusätzlich dürften laut Keller und Zavalloni nicht nur die Reaktion auf Erfolg, sondern auch die Reaktion auf Misserfolge zwischen sozialen Klassen variieren, da nach derselben Logik auch die Deprivation (oder das Nichterreichen von Zielen) aus der Perspektive der „relativen Distanz“ bewertet wird. Am konkreten Beispiel wird deutlich, dass bei einem Kind aus der Mittelschicht, in der ein höherer Bildungsabschluss als Selbstverständlichkeit gewertet wird, das Nichterreichen dieses Abschlusses als persönliche Fehlleistung interpretiert wird, während ein Kind aus weniger privilegierten Verhältnissen sich im Falle eines Misserfolgs eher mit den widrigen Verhältnissen seiner Herkunft rechtfertigen kann.
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2.1.3 Rational Choice Ansätze zur Erklärung von Bildungsungleichheit Auf diesen Überlegungen zu primären und sekundären Herkunftseffekten basieren zahlreiche neuere Arbeiten, die unter Anwendung und Weiterentwicklung der klassischen Rational Choice Theorie schichtspezifischen Bildungsentscheidungen zu begründen versuchen (z.B. Erikson/Jonsson 1996; Breen/Goldthorpe 1997; Esser 1999; Hillmert/Jacob 2003). Diese Theorien systematisieren die obigen Argumente dahingehend, dass sie davon ausgehen, dass Bildungsentscheidungen nach einer Abwägung von den Kosten und dem Nutzen des potenziellen Bildungswegs und der Wahrscheinlichkeit, den gewählten Bildungsgang tatsächlich erfolgreich abzuschließen, getroffen werden. Mit anderen Worten: Innerhalb der Optionen, die auf Basis der schulischen Leistung realistisch und möglich sind, werden konkrete Übergangsentscheidungen unter einer schichtspezifischen Bewertung des erwarteten Nutzen, der Kosten und der zukünftigen Erfolgswahrscheinlichkeit vorgenommen. Grundsätzlich wird dabei von einem Modell ausgegangen, in dem sich Schüler (und ihre Eltern) an bestimmten Übergangspunkten für eine der im Bildungssystem gegebenen Alternativen entscheiden müssen, wobei die verschiedenen Bildungswege mit unterschiedlichen Kosten, Nutzen und Risiken verbunden sind. Sozial unterschiedliche Bildungsentscheidungen kommen aufgrund schichtspezifischer Einschätzungen und Größenordnungen der Modellparameter zustande. Wie oben als primäre Effekte beschrieben, haben Kinder aus bildungsnahen Haushalten aus dieser Sicht sozialisationsbedingte Startvorteile, die sie direkt in bessere Leistungen und damit in eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit umsetzen können. Zusätzlich bewerten Eltern die Erfolgswahrscheinlichkeit ihrer Kinder anhand eigener Bildungserfahrungen. Eltern, die selbst Abitur oder einen Hochschulabschluss haben, werden die Anforderungen in diesen Bildungsgängen realistischer einschätzen und sich weniger von mittelmäßigen Leistungen ihrer Kinder abschrecken lassen. Zudem profitieren diese Kinder meist von materiellen Ressourcen ihrer Familie, die damit besser in der Lage sind, die direkten und indirekten Bildungskosten zu tragen, die sich beispielsweise aus der unterschiedlichen Dauer verschiedener Bildungsgänge und den damit verbundenen Opportunitätskosten ergeben. Der Nutzen in Form von Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen und der damit möglichen zukünftigen Klassenposition wird ebenfalls ausgehend von der elterlichen Klassenposition beurteilt. Während Boudon (1974) und weitere auf diesen Rational Choice Überlegungen basierte Arbeiten (Gambetta 1987; Erikson/Jonsson 1996) das Prinzip der relativen Distanz als einen Faktor unter vielen anderen Einflussgrößen der Bildungsentscheidung betrachten, betonen neuere Modelle die zentrale Bedeutung der „relativen Risiko-Aversion“
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(Breen/Goldthorpe 1997; Need/Jong 2001; van de Werfhorst/Andersen 2005; Breen/ Yaish 2006; Davies et al. 2002; Stocké 2007) und schließen damit an die oben skizzierten Überlegungen von Keller und Zavalloni (1964) an. Diese Arbeiten gehen davon aus, dass der Nutzen einer Bildungsentscheidung vor allem im intergenerationalen Statuserhalt liegt, und über diesen Mechanismus im Wesentlichen die schichtspezifischen Entscheidungsmuster produziert werden. Grundannahme dieses Ansatzes ist, dass Eltern ihre Kinder in einer Schulform unterbringen möchten, von der aus diese mindestens dasselbe Bildungsniveau erreichen können wie sie selbst. Während Kinder aus niedrigen Schichten dies meist bereits an einer Haupt- oder Realschule erreichen können, müssen Kinder von höher gebildeten Eltern das Gymnasium besuchen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Nach Breen und Goldthorpe (1997) und Goldthorpe (1996) wird zwar nicht der Nutzen einer hohen Statusposition an sich klassenspezifisch bewertet, aber die Aversion gegen den sozialen Abstieg verleiht der Bildung der Kinder relativ zu der Bildung der Eltern ein klassenspezifisches Gewicht. Eltern werden daher für ihre Kinder mindestens dasselbe Bildungsniveau anstreben, wie das eigene, die unterschiedlichen Aspirationen ergeben sich dabei aus den unterschiedlichen Startpositionen.3
2.1.4 (Fehl-) Entscheidungen nach der Grundschule In Deutschland erfolgt die Zuweisung zu einem Schultyp der Sekundarstufe I vor allem auf Basis der schulischen Leistungen während der Grundschulzeit. Dies erfüllt den Zweck, dass Schüler in den daran anschließenden Schultypen in homogene Lerngruppen aufgeteilt sind, so dass die Schüler in ihrem Klassenverband weder über- noch unterfordert werden. Neben der Lehrerempfehlung, die auf Basis der in der Grundschule erzielten Noten ausgesprochen wird, spielt aber auch der Wille der Eltern für die Entscheidung eine Rolle.4 Aus Sicht der Rational Choice Theorie rationaler Bildungsentscheidungen lässt sich für Kinder aus höheren Schichten eine Platzierung in den höheren Schulformen nach Beendigung der Grundschule vorhersagen. Diese Kinder zeigen bessere Leistungen bereits in der Grundschule und sind somit besser in der Lage, die Anforderungen für eine Zuweisung zu einer höheren Schule zu erfüllen. Da die Entscheidung zu 3 Breen und Goldthorpe argumentieren, dass eine vergleichbare Statusposition für die Kinder angestrebt wird. Da die Reproduktion der Statusposition mit der Reproduktion des elterlichen Bildungsstatus am wahrscheinlichsten ist, kann daraus geschlossen werden, dass die Eltern einen vergleichbaren Bildungsabschluss anstreben. 4 Die Bundesländer unterscheiden sich dahingehend, inwiefern die Lehrerempfehlung verpflichtend ist oder nicht.
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einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt erfolgt, besteht häufig noch erhebliche Unsicherheit über die weitere Entwicklung der zukünftigen Leistungen. Bei Kindern aus bildungsnahen Familien ist jedoch davon auszugehen, dass ihre Eltern (und möglicherweise auch die Lehrer) ihre zukünftigen Erfolgsaussichten höher einschätzen als bei Kindern bildungsferner Herkunft. Schichtspezifische Unterschiede in der Bewertung des Nutzens und der Kosten führen wiederum dazu, dass Kinder aus privilegierten Elternhäusern selbst bei gleicher aktueller (und zukünftig erwarteter) Leistung eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, sich tatsächlich für die ambitionierteren der möglichen Optionen zu entscheiden. Die Wahl beim Übergang in die Sekundarstufe kann sich aber auch als fehlerhaft entpuppen, weil sich die Einschätzung der Eltern oder des Grundschullehrers über das Leistungs- und Entwicklungspotenzial als nicht zutreffend erwiesen haben. Beide Fälle sind möglich: Eltern können sich über eine Lehrerempfehlung hinweg gesetzt haben und beispielsweise ihr Kind trotz schlechter oder mittelmäßiger Leistungen in der Grundschule an einem Gymnasium angemeldet oder trotz guter Leistungen „nur“ eine mittlere oder niedrige Schulform gewählt haben. Im Ergebnis kann also die gewählte weiterführende Schule nach der Grundschule trotz der prinzipiell meritokratischen Zuweisung ungeeignet sein, entweder durch eine fehlerhafte Beurteilung der bisherigen Leistung des Schülers durch Lehrer oder Eltern oder durch eine fehlerhafte Prognose über die zu erwartende Entwicklung des Kindes. Auf der anderen Seite kann aber auch die gewählte Schulform optimal sein in Bezug auf das Leistungsvermögen des Kindes, aber ungeeignet, um den Erhalt des familiären Status zu sichern bzw. zumindest das gleiche Bildungsniveau wie die Eltern zu erreichen. In diesen Fällen haben Schüler die Möglichkeit, die Wahl beim ersten Übergang im späteren Verlauf der Sekundarstufe noch nach oben oder nach unten zu korrigieren. Da eine Korrektur der eingeschlagenen Schullaufbahn aber wiederum eine Entscheidungssituation für die Familie bedeutet, steht eine erneute Abwägung der Kosten, des Nutzens und der Erfolgswahrscheinlichkeit an.
2.2 Herkunftsbedingte Unterschiede bei intra-sekundären Übergängen Die in Abschnitt 2.1 dargestellten Theorien zur Bildungsungleichheit wurden bisher in der Regel zur Erklärung von Bildungsentscheidungen an den institutionalisierten Zeitpunkten im Bildungssystem verwendet. Sie können aber ohne weiteres auch auf Bildungsentscheidungen im weiteren Verlauf der Bildungskarriere übertragen werden. Die Wechsel innerhalb der Sekundarstufe sind zwar selten und geschehen nur unter bestimmten Bedingungen, allerdings ist davon auszugehen, dass auch bei diesen intra-sekundären Übergängen ähnliche Ent-
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scheidungsprozesse auftreten, die eine Abwägung von Kosten und Nutzen und Erfolgswahrscheinlichkeit beinhalten. Unter der Annahme, dass sich die Schultypen hinsichtlich der Wertigkeit ihrer Abschlüsse hierarchisch ordnen lassen, unterscheiden wir drei Typen von intra-sekundären Übergängen: Aufstiege und Abstiege vor dem ersten Bildungsabschluss und Höherqualifikationen als Erwerb eines höheren allgemeinbildenden Bildungsniveaus als der bis dahin bereits erreichte Abschluss. Während im ersten Fall des Abstiegs in eine niedrigere Schulform als die bisher besuchte gewechselt wird, handelt es sich bei den Aufstiegen und Höherqualifikationen jeweils um einen Wechsel in eine Schulform, die zu einem höherwertigen Abschluss führt. Diese Unterscheidung ist notwendig, da alle drei Situationen unterschiedliche Randbedingungen mit sich bringen, so dass der Entscheidungsprozess und die Modellparameter jeweils leicht variieren.
2.2.1 Abstiege in eine niedrigere Schulform Auslöser für einen Abstieg sind unzureichende Leistungen, wenn die gewählte Schulform zu anspruchsvoll ist. Eine Alternative zu einem Abstieg in einen niedrigeren Schultyp besteht im Wiederholen einer Jahrgangsstufe („Sitzenbleiben“). Vergleicht man den Abstieg mit Sitzenbleiben, so ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen hinsichtlich der Erfolgswahrscheinlichkeit, des jeweiligen Nutzens und der Kosten. Der Vorteil eines Abstiegs liegt vor allem in einer stärkeren Entlastung des Schülers. Aufgrund der geringeren Anforderungen in einer niedrigeren als der ursprünglich gewählten Schulform steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit, diese erfolgreich abzuschließen bzw. sinkt das Risiko, am Ende der Schulzeit den anfangs angestrebten Abschluss nicht zu erreichen und statt eines regulären Abschlusszeugnisses nur ein Abgangszeugnis zu erhalten. Vor dem Hintergrund der inzwischen weiter fortgeschrittenen Bildungskarriere haben sich möglicherweise auch anfängliche Unsicherheiten über das Leistungspotenzial verringert, so dass unrealistisches „Wunschdenken“ der Eltern seltener auftritt. In Bezug auf den Nutzen muss bei einem Abstieg natürlich ein niedrigerer Abschluss in Kauf genommen werden als der ursprünglich geplante, was sich wiederum sowohl nachteilig auf die zukünftigen Bildungsoptionen auswirkt als auch auf die Chancen im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. In der Bewertung derartiger Folgen eines Abstiegs spielt wiederum das relative Bildungsniveau der Eltern eine Rolle. Ist der Erhalt der sozialen Position der Eltern durch einen niedrigeren Abschluss bedroht, wird theoriegemäß der Nutzen einer Klassenwiederholung höher eingeschätzt. Ist dagegen der Statuserhalt auch mit einer niedrigeren Schulform gewährt, besteht in diesem Sinn kein Vorteil des Sitzenbleibens ge-
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genüber einem Abstieg. Der Wechsel in eine niedrigere und somit weniger anspruchsvolle Schulform hat je nach Schultyp sogar zur Folge, dass die Schulzeit insgesamt verkürzt wird und sich damit die Bildungskosten verringern. Im Gegensatz dazu wird bei einer Klassenwiederholung der Verbleib im Bildungssystem verlängert und damit entstehen in jedem Fall höhere Opportunitätskosten. Allerdings erfolgt bereits beim ersten Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe eine Selektion sowohl nach Leistung als auch nach sozialer Herkunft. Ausgehend von bisherigen Theorien und Befunden zur sozialen Ungleichheit bei der Wahl der weiterführenden Schulen nehmen wir an, dass Kinder aus privilegierten Familien eher eine zu anspruchsvolle Schulform wählen und Kinder aus bildungsfernen Schichten sich nur dann für eine höhere Schulform entscheiden, wenn die bisherigen Leistungen auf eine sehr hohe Erfolgswahrscheinlichkeit schließen lassen. Das Problem unzureichender Leistungen sollte daher grundsätzlich eher bei Kindern aus höheren Schichten auftreten. Diese aber werden den Abstieg in eine niedrigere Schulform mit allen verfügbaren Mitteln vermeiden, da ein Abstieg auch einen möglichen Statusverlust mit sich bringen würde. Das Abstiegsrisiko sollte also ohne Berücksichtigung der zunächst gewählten Schulform nur geringfügig oder gar nicht vom sozio-ökonomischen Status der Eltern abhängen. Zieht man allerdings die gewählte Schulform in Betracht, werden Kinder von höher gebildeten Eltern im Falle unzureichender Leistungen wahrscheinlich die elterlichen Ressourcen nutzen um einen drohenden Abstieg zu vermeiden, und zwar insbesondere dann, wenn mit dem Abstieg der Statusverlust droht. Da in diesen Familien zum Beispiel die Opportunitätskosten eines wiederholten Schuljahres oder auch Investitionen in Nachhilfe weniger ins Gewicht fallen als der Statusverlust, leiten wir die folgende Hypothese ab: Hypothese 1: Kinder von höher gebildeten Eltern vermeiden einen Abstieg in eine niedrigere Schulform. Der Abstieg wird insbesondere dann vermieden, wenn er zusätzlich mit einem drohenden Statusverlust verbunden ist.
2.2.2 Aufwärtswechsel: Aufstieg in eine höhere Schulform und Höherqualifikationen nach der regulären Schulzeit Neben den Abstiegen unterscheiden wir zwei Typen von Aufwärtswechseln, nämlich die Aufstiege und die Höherqualifikation. Diese liegen dann nahe, wenn die Leistungen des Schülers über den Anforderungen der bisher besuchten Schulform liegen. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass Aufstiege vor dem ersten Abschluss erfolgen und Höherqualifikation danach. Der Nutzen
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eines höheren Abschlusses liegt auf der Hand: Damit können Zugangsberechtigungen zu post-sekundären und tertiären Bildungseinrichtungen erworben und auch die zukünftigen Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verbessert werden. Im Vergleich zum Aufstieg während der Sekundarstufe I ist allerdings die Höherqualifizierung die „sichere“ Option, da hier bereits ein Abschluss erreicht wurde und der Schüler kein Risiko mehr hat, nicht mit einem vollwertigen Abschluss die Schule verlassen zu müssen. Allerdings sind auch das Anforderungsniveau und das Risiko eines Nichtbestehens bei den höheren Schulformen größer, so dass erneut eine Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit notwendig ist. Abzuwägen ist im Fall eines Aufstiegs in eine jahrgangsentsprechende Klasse, dass der Lernfortschritt in der höheren Schulform häufig größer ist als in der bisher besuchten Schule und möglicherweise mit länger andauernder Schulzeit bereits ein erheblicher Rückstand entstanden ist, der unter Umständen nur mit großer Mühe aufgeholt werden kann. Eine sorgfältige, positive und sichere Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit ist daher geboten. Schließlich verlängern sich die Bildungszeiten zum Teil erheblich, was die (Opportunitäts-)Kosten erhöht. So müssen zum Beispiel bei einem Wechsel von der Realschule zu einem Gymnasium drei zusätzliche Jahre im Bildungssystem in Kauf genommen werden. Angesichts der Tatsache, dass Kinder aus höheren Schichten von den elterlichen Ressourcen auch nach dem Übergang in die Sekundarstufe profitieren, haben diese nach der Logik der kulturellen Ressourcen auch bessere Chancen, einen Aufstieg zu erreichen. Zudem schätzen ihre bildungsnahen Eltern (weiterhin) die Erfolgswahrscheinlichkeit ihrer Kinder höher ein, dies gilt insbesondere dann, wenn die Eltern einen höheren Abschluss als den an der bisher besuchten Schule erreicht haben. Der Nutzen eines Aufstiegs bzw. einer Höherqualifikation ist ebenfalls dann besonders groß, wenn die bisher besuchte Schule noch nicht zum elterlichen Statuserhalt ausreicht, ein Aufwärtswechsel jedoch das Erreichen des gleichen Bildungsniveaus wie das der Eltern in Aussicht stellt. Allerdings muss auch hier wieder beachtet werden, dass bereits beim Übergang in die Sekundarstufe eine Selektion nach der schulischen Leistung sowie der Schichtzugehörigkeit stattgefunden hat, dass also ein Anreiz zum Aufwärtswechsel am ehesten dann gegeben ist, wenn die zunächst gewählte Schulform für den Statuserhalt nicht ausreicht. Hypothese 2: In den Fällen, in denen der Statuserhalt durch den Verbleib in der nach der Grundschule gewählten Schulform bedroht ist, findet wahrscheinlicher ein Aufwärtswechsel (Aufstieg in eine höhere Schulform oder späterer Erwerb eines weiteren Schulabschlusses) statt als in den Fällen, in denen das Niveau der Eltern bereits erreicht ist.
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2.3 Veränderungen der sozialen Selektivität im Zeitverlauf durch die Bildungsreformen Das Schulsystem Deutschlands ist das Ergebnis eines ständigen Reform- und Veränderungsprozesses. Durch die Tatsache, dass die Bildungshoheit zwar in den Händen der einzelnen Bundesländer liegt, diese aber wiederum an länderübergreifende Abkommen gebunden sind, ist eine umfassende Darstellung der Struktur des deutschen Bildungswesens kaum möglich. Allerdings lassen sich einige zentrale länderübergreifenden Merkmale der Schullandschaft feststellen, die unter anderem auf das Düsseldorfer Abkommen aus dem Jahr 1955 zurückgehen, in dem umfassende länderübergreifende Vereinbarungen in Bezug auf das Schulsystems getroffen wurden. Mit diesem Abkommen wurde eine gewisse Vereinheitlichung des Schulsystems erreicht und vor allem die Dreigliedrigkeit für alle Bundesländer verbindlich verankert. Damit wurde die Struktur des Bildungssystems aus der Weimarer Zeit wiederhergestellt und die Bestrebungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, die gegliederte Struktur dem anglo-amerikanischen Bildungssystem anzupassen, zurückgedrängt. Erst durch das Hamburger Abkommen, das das Düsseldorfer Abkommen 1964 ablöste, wurden wiederum alternative Schulformen, wie zum Beispiel die Gesamtschule, möglich (Cortina 2003: Kap. 2). Ziel dieser Reform in der Mitte der sechziger Jahre war es unter anderem, das Schulsystem insbesondere in der Sekundarstufe zu flexibilisieren und die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen zu erhöhen. Zuvor wurden bereits unmittelbar nach der Grundschule bei der Wahl der Schulform die Weichen für die spätere Bildungslaufbahn gestellt. Ein Wechsel in eine andere Schulform war zwar theoretisch möglich, aber wegen administrativer Barrieren und vor allem wegen der großen Unterschiede in den Curricula der einzelnen Schulformen nahezu unmöglich. Eine Angleichung der Lehrpläne und vor allem die Einführung zusätzlicher Fremdsprachen in den Haupt- und Realschulen sollten nun den Übergang in eine höhere Schulform erleichtern. Eine Evaluation dieser Reformen und ihrer Zielsetzungen hat sich allerdings als schwierig erwiesen (Mauthe/Rösner 1998; Rösner 1997). Gemeinhin wird die Quote der Schulformwechsler als Indikator für die „Offenheit“ eines Schulsystems herangezogen. Im Zeitverlauf und vor dem Hintergrund der massiven Bildungsexpansion allerdings ist diese wenig aussagekräftig. Zum einen erhöht sich durch eine Zunahme der Beteiligung an höheren Schulformen die Abstiegswahrscheinlichkeit, während die Aufstiegswahrscheinlichkeit sinkt, zum anderen ist auch kaum kontrollierbar, inwieweit sich eventuelle Leistungsschwellen durch die Bildungsexpansion verschoben haben. Es lässt sich also beispielsweise nicht empirisch valide rekonstruieren, ob sich die Verteilung der kognitiven Kompetenzen innerhalb und zwischen den unterschiedlichen Schulformen verändert
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hatte und sich somit auch auf die Notwendigkeit von intra-sekundärer Mobilität im Fall kognitiv über- oder unterforderter Schüler auswirkt. Zudem fand in den letzten Jahrzehnten auch eine zunehmende „Entkopplung“ von der besuchten Schulart und dem erreichten Abschluss statt (Schuchart 2006). Die Möglichkeit, beispielsweise einen Realschulabschluss an einer Hauptschule oder an einer berufsbildenden Schule zu erwerben, setzte sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr durch, so dass inzwischen rund 40 Prozent aller Realschulabschlüsse nicht an einer Realschule erworben werden (Cortina 2003). Aus diesen Gründen ist eine Abschätzung der Häufigkeit von intra-sekundären Übergängen anhand einer einfachen Gegenüberstellung der Verteilung von Schülern auf die Schulform nach der Grundschule und der Verteilung der letztlich erreichten Bildungsabschluss möglicherweise irreführend. Sehr wohl allerdings lassen sich aus den veränderten Kosten-NutzenStrukturen Aussagen über eine Veränderung der Herkunftseffekte ableiten. Insbesondere die verbesserte Durchlässigkeit zwischen den Schultypen könnte sich positiv auf die Wahrscheinlichkeit für Kinder aus statusniedrigen Familien auswirken, einen Aufwärtswechsel zu vollziehen. Das Motiv des Statuserhalts dagegen ist universell. Zwar kann sich durch Bildungsreformen und Bildungsexpansion im Laufe der Zeit die Passung zwischen der gewählten Schulform und der individuellen Leistung verschieben, was eine Änderung der allgemeinen Übergangswahrscheinlichkeit zur Folge hat, aber das Prinzip der RisikoAversion sollte davon unberührt bleiben. Die Effekte der relativen Elternbildung sollten daher im Zeitverlauf stabil bleiben. Hypothese 3a: Im Zuge der „Öffnung“ des Bildungssystems und der Beseitigung administrativer und curricularer Barrieren nimmt die soziale Selektivität von intra-sekundären Übergängen im Lauf der Zeit ab. Hypothese 3b: Die Bildungsreformen der sechziger Jahre haben keinen Einfluss auf die relativen Herkunftseffekte bei intra-sekundären Übergängen.
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Daten und Operationalisierung
Eine Analyse von Schulformwechsel und Höherqualifikationen nach einem ersten Schulabschluss ist nicht mit Querschnittsdaten möglich, die in der Regel nur den höchsten Schulabschluss erfassen. Die Rekonstruktion von Schulformwechseln und Höherqualifikationen nach einem ersten Schulabschluss erfordert daher eine Datenquelle, die Auskunft über den individuellen Bildungsverlauf gibt. Für unsere Fragestellung nach historischen Veränderungen ist zudem eine
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einmalige Beobachtung beispielsweise eines einzelnen Geburts- oder Einschulungsjahrgangs unzureichend. Für eine Analyse von Bildungsverläufen verschiedener Geburtskohorten eignen sich die retrospektiven Längsschnittdaten der (West-)Deutschen Lebensverlaufsstudie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (Berlin). Die Daten enthalten nicht nur detaillierte Angaben zu allen besuchten Schulen sowie zu allen erworbenen Schulabschlüssen der Befragten, sondern auch mehrere Geburtskohorten. Die Datenerhebung der einzelnen Teilstudien fand zwischen 1983 und 1999 statt und liefert Daten für die Geburtskohorten 1939-41, 1949-51, 1954-55, 1959-61, 1964 und 1971. Insgesamt verwenden wir für die Analysen der Bildungsverläufe Angaben von 8499 Personen. Für die Analyse der Schulformwechsel betrachten wir Übergänge zwischen den drei wichtigsten Sekundarzweigen Hauptschule, Realschule und Gymnasium, die vor dem Erwerb eines Schulabschlusses stattgefunden haben. Dabei ist die Hauptschule die Schulart mit den geringsten Anforderungen, die zu einem „niedrigen“ Schulabschluss führt, die Realschule entspricht einem mittleren Bildungsweg, während das Gymnasium die anspruchsvollste Schulform darstellt, die den höchsten allgemeinen Bildungsabschluss ermöglicht. Die Orientierungsstufe wird keinem Zweig zugeordnet, sondern als Verlängerung der undifferenzierten Grundschule angesehen.5 Wenn von einem „Aufstieg“ die Rede ist, ist der Wechsel in eine in diesem Sinn anspruchsvollere Schulform gemeint; ein „Abstieg“ ist dagegen durch einen Wechsel in eine Schulform gekennzeichnet, die zu einem geringeren als dem zuvor möglichen Schulabschluss führt. Für die Analyse der Höherqualifikationen vergleichen wir den ersten Schulabschluss mit dem höchsten erreichten allgemeinbildenden Abschluss. Ein weiterer allgemeinbildender Schulabschluss kann auch im Rahmen einer beruflichen Ausbildung erworben worden sein. Rein berufliche Abschlüsse werden dagegen von uns nicht als Höherqualifikation gerechnet. In Bezug auf die soziale Herkunft konzentrieren wir uns auf die Formalbildung der Herkunftsfamilie, um die „Bildungsvererbung“ und die Reproduktion sozialer Bildungsungleichheit herauszuarbeiten. Ausschlaggebend ist hier jeweils der höchst gebildete Elternteil. Das Motiv des Statuserhalts kann über das absolute Bildungsniveau der Eltern nur unzureichend operationalisiert werden, wir verwenden daher zusätzlich das „relative“ Bildungsniveau: Das heißt, dass wir das erreichte Bildungsniveau der Eltern mit dem an der aktuellen Schulform möglichen Abschluss bzw. dem ersten Schulabschluss des Kindes vergleichen. Die dichotome Variable hat den Wert 1, wenn das Bildungsniveau der Eltern höher ist als der mögliche bzw. erreichte Abschluss des Kindes und die Ausprä5
Da in den älteren Lebensverlaufsstudien der Wechsel von einer Grund- auf eine weiterführende Schule nicht eindeutig identifiziert werden kann, nehmen wir eine weitere Einschränkung vor und betrachten wir nur Schulformwechsel, die 6,5 Jahre nach der Einschulung erfolgen.
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Marita Jacob und Nicole Tieben
gung 0, wenn das Bildungsniveau der Eltern dem der Kinder entspricht bzw. geringer ist. Entwicklungen im historischen Zeitverlauf werden mithilfe von Kohortendummies und Interaktionen mit der sozialen Herkunft überprüft.
4
Ergebnisse der empirischen Analysen
4.1 Deskriptive Ergebnisse 4.1.1 Ausgangsverteilung Schulformwechsel und Höherqualifikationen während der Sekundarstufe I werden durch die Ausgangsverteilung nach dem Verlassen der Grundschule bzw. durch die am Ende erreichten Schulabschlüsse vorstrukturiert, dies gilt sowohl für das Ausmaß von Schulformwechseln und Höherqualifikationen wie auch für die soziale Selektivität. Im Vergleich der Kohorten zeigt sich, dass die Übergangsquoten in die höherqualifizierenden Schulformen Realschule und Gymnasium seit den in den vierziger Jahren geborenen Kohorten kontinuierlich gestiegen sind (Abbildung 1). Übergänge in das Gymnasium wurden in der Kohorte 1940 nur für 12,7 Prozent der Befragten beobachtet, in der Kohorte 1971 dagegen für über 30 Prozent der Grundschüler. Der Anstieg der Übergänge in die Realschule ist weniger dramatisch, aber auch hier ist eine knappe Verdopplung der Übergangsquote von 12 Prozent in der Kohorte 1940 auf 21 Prozent in der Kohorte 1971 zu sehen. Bei der Realschule ist allerdings bereits für die seit Mitte der fünfziger Jahre Geborenen die Beteiligungsquote konstant bei rund 20 Prozent. Möglicherweise ist die in den sechziger Jahren eingeführte Gesamtschule besonders für Realschulkandidaten eine attraktive Alternative und schwächt so das Wachstumspotenzial der Realschule. Die Beteiligung in der Hauptschule nimmt dagegen kontinuierlich ab. Als Konsequenz daraus ergibt sich eine Verschiebung der Risikogruppen für intra-sekundäre Übergänge zugunsten der Abstiege. Die Einführung von neuen Schultypen wie die Gesamtschulen gegen Ende der sechziger Jahre betrifft nur rund 11 Prozent der beiden jüngeren Kohorten, die eine solche Schule nach der Grundschule besuchen.
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen? Abbildung 1:
161
Verteilung auf Schulformen beim ersten Übergang nach Kohorte, in Prozent
100% 12,7 80%
17,8
25,0
28,3
27,1
20,1
17,4
20,7
11,9
34,0
25,8
17,3
Gymnasium
60%
18,7 Realschule
20,8
Hauptschule
40%
75,2 64,5
53,8
50,3
41,6
34,0
49,8
Andere Schultypen
20% 4,0
0% 1940
1950
1955
1960
10,6
11,1
1964
1971
5,8 Total
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971.
Tabelle 1 weist die Verteilung der Schüler auf die verschiedenen Schulformen unter Berücksichtigung des höchsten Bildungsabschlusses der Eltern und des relativen Bildungsniveaus aus. Es zeigt sich eine deutliche Ungleichverteilung der Schüler auf die unterschiedlichen Schultypen. Während weit mehr als die Hälfte der Kinder aus höher gebildeten Haushalten sich nach der Grundschule für ein Gymnasium entscheiden (64 Prozent), trifft dies für lediglich 15 Prozent der Kinder aus niedrig gebildeten Familien zu. Fast exakt umgekehrt sind die Verhältnisse bei der Entscheidung für die Hauptschule: Nur 14 Prozent der Kinder von hoch gebildeten Eltern entscheiden sich für diese Schulform im Vergleich zu 63 Prozent der Kinder aus niedriger gebildeten Haushalten. Die untere Tabelle zeigt, jeweils nach Schultyp, das relative Bildungsniveau der Eltern. An den Hauptschulen sind trotz der starken Tendenz zur schichtspezifischen Zuweisung noch etwa 14 Prozent Schüler, deren Eltern ein höheres Bildungsniveau, also mindestens den Realschulabschluss erreicht haben. An den Realschulen beträgt der Anteil der Schüler, deren Eltern mindestens das Abitur haben, etwa 7 Prozent. Insgesamt sind also 563 Schüler von Statusverlust bedroht, wenn sie an der zunächst gewählten Schule verbleiben.
162
Marita Jacob und Nicole Tieben
Tabelle 1: Verteilung auf Schulformen beim ersten Übergang nach Bildungsniveau der Eltern Bildungsniveau (absolut) der Eltern (Spaltenprozent) gewählte Schulform Haupt- / Volksschule Realschule Gymnasium andere Schultypen Gesamt N
Kein/Haupt-/ Volksschule 62,6 18,4 15,0 4,1 100 4041
Mittlere Reife 27,0 24,2 40,4 8,4 100 1187
(Fach-) Abitur 13,7 12,3 64,1 10,0 100 782
gesamt 49,2 18,8 26,4 5,7 100 6010
Bildungsniveau (relativ) der Eltern (Zeilenprozent) a gewählte Schulform Haupt- / Volksschule Realschule Gymnasium
gleich oder niedriger 85,7 93,1 100
höher 14,3 6,9 0,0
gesamt 100 100 100
N 2956 1125 1628
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971. Bemerkung: a Für die nicht eindeutig identifizierbaren Schultypen kann keine relative Elternbildung bestimmt werden.
4.1.2 Ausmaß von Schulformwechseln und nachgeholten Schulabschlüssen Von den 6319 Befragten der westdeutschen Lebensverlaufsstudie haben 804 (=13 Prozent) Personen mindestens einmal die Schulform während der Sekundarstufe I gewechselt; bei 110 Personen können wir zwei Übergänge während der Sekundarstufe beobachten, bei 10 sogar drei und mehr, so dass wir insgesamt 924 Schulformwechsel analysieren können. Tabelle 2 zeigt, von welcher Schulform in eine andere gewechselt wurde. Vor allem aus der Hauptschule finden Aufstiegswechsel statt: Bei fast einem Viertel aller Wechsel wird von einer Hauptschule in eine Realschule gewechselt, in 6 Prozent von einer Hauptschule in ein Gymnasium. Weitere 16 Prozent aller Wechsel erfolgen von einer Realschule in ein Gymnasium. 32 Prozent aller Schulformwechsel sind Abstiege in eine Schulform, die zu einem niedrigeren als
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen?
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dem ursprünglich angestrebten Schulabschluss führt. Abstiegswechsel aus dem Gymnasium in eine Haupt- oder Realschule betragen rund 22 Prozent aller Schulformwechsel. Daneben gibt es einige Wechsel von, in und zwischen nichttraditionellen Schultypen, bei denen nicht ersichtlich ist, ob es sich um Auf- oder Abstiege handelt. Einzelne Schüler haben auch zwischen gleichen Schultypen gewechselt. Diese unklaren und lateralen Schulformwechsel betragen insgesamt 22 Prozent aller Wechsel. Nimmt man die unklaren und lateralen Wechsel aus der Prozentuierung heraus, so beobachten wir in 59 Prozent aller „echten“ Schulformwechsel einen Aufstieg und in 41 Prozent einen Abstieg. Tabelle 2: Art der Schulformwechsel von Schultyp in Schultyp Aufstiege Hauptschule Realschule Hauptschule Gymnasium Realschule Gymnasium Aufstiege gesamt Abstiege Realschule Hauptschule Gymnasium Hauptschule Gymnasium Realschule Abstiege gesamt unklare Wechsel laterale Wechsel unklare und laterale Wechsel gesamt Gesamt
Anzahl
Prozent
218 55 150 423
23,6 5,9 16,2 45,8
97 45 155 297
10,5 4,9 16,8 32,1
178 26 204 924
19,3 2,8 22,1 100
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971.
Rund 12 Prozent der Befragten haben einen weiteren, höherqualifizierenden Schulabschluss nachgeholt (Tabelle 3). Rund die Hälfte aller nachgeholten Schulabschlüsse geht auf Höherqualifizierungen von Hauptschulabsolventen zurück, wobei diese vor allem den nächsthöheren Abschluss, die Mittlere Reife, erwerben. Die insgesamt häufigste Kombination ist aber die aus Mittlerer Reife mit anschließendem Abitur, die 41 Prozent aller nachgeholten Schulabschlüsse darstellt. Betrachtet man die Verteilung der zusätzlich erworbenen Abschlüsse,
164
Marita Jacob und Nicole Tieben
so gilt, dass in mehr als die Hälfte der Fälle (55 Prozent) das Abitur nachträglich erworben wird. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass vor allem diejenigen mit einem mittleren Bildungsabschluss die Möglichkeit zur Höherqualifizierung nutzen und insbesondere der spätere Erwerb der Zugangsberechtigung zum tertiären Bildungswesen häufig auftritt. Tabelle 3: Erster Schulabschluss und Bildungsniveau nachgeholter Schulabschluss (Spaltenprozent) Abschluss am Ende der regulären Schulzeit kein Abschluss kein Abschluss kein Abschluss Hauptschule Hauptschule Mittlere Reife andere Kombinationen Gesamt
Weiterer Abschluss Hauptschulabschluss Mittlere Reife (Fach-)Abitur Mittlere Reife (Fach-)Abitur (Fach-)Abitur
Anzahl 11 17 8 264 99 306 44 748
Prozent 1,5 2,3 1,1 35,3 13,2 40,9 5,9 100
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971.
In Abbildung 2 sind Schulformwechsel und nachgeholte Schulabschlüsse im Kohortenvergleich abgetragen. Gezeigt sind in der grafischen Darstellung nur die tatsächlichen Wechsel, während die Prozentuierungsbasis alle Schüler der Kohorte sind. Wir beobachten in den beiden ältesten Kohorten nur sehr wenige Schulformwechsel, lediglich 8 bzw. 12 Prozent aller Schüler dieser Jahrgänge nehmen überhaupt eine Korrektur der Schulform vor. In der Kohorte 1955 ist der Anteil der Schulwechsler pro Jahrgang auf rund 30 Prozent angestiegen und hält sich in den folgenden Kohorten auf diesem Niveau. Der weitaus größte Teil aller Schulformwechsel in allen Kohorten sind Aufwärtswechsel, also entweder Aufstiege oder Höherqualifikationen, wobei die Aufstiege besonders für die ab den sechziger Jahren Geborenen zunehmen. In den jüngeren Kohorten nehmen unter anderem aufgrund der Ausdifferenzierung der Schulformen im Zuge der Bildungsexpansion und der Zunahme von Gesamtschulen und anderen Schultypen vor allem solche Wechsel zu, die anhand der vorliegenden Daten nicht eindeutig als Auf- oder Abstiege identifiziert werden. Der Anteil der Höherqualifikationen hingegen ist seit der Kohorte 1964 wieder rückläufig. Abstiege sind vor allem in den ältesten Kohorten sehr selten, dies ist allerdings durch den hohen Hauptbzw. Volksschüleranteil in diesen Kohorten nicht weiter überraschend, denn die Risikomenge derjenigen, die aus einer höheren Schulform überhaupt hätten ab-
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen?
165
steigen können, ist in diesen Kohorten noch relativ gering. Analog ist auch die Zunahme der Abstiege mit der wachsenden Risikogruppe zu erklären. Abbildung 2:
Ausmaß von Schulformwechseln und Höherqualifikationen im Kohortenvergleich
% (gesamt e St ichprobe) 35 30 25
Höherqu. unklar Aufst ieg Abst ieg 15,8
20
17,9
8,6
4,4
10,5
4,9
15 10
9,2 8,6
5
5,2
0
1,6
1,6
1940
1950
9,8
8,8
5,3 4,8
5,1
1955 1960 Kohort e
6,2
5,4
1964
1971
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971.
Schulformwechsel kommen bei Kindern von niedrig gebildeten Eltern insgesamt seltener vor als bei Kindern aus höher gebildeten Elternhäusern (Tabelle 4). Zwischen Kindern von Eltern mit (Fach-) Abitur und Mittlerer Reife sind die Unterschiede in der Häufigkeit der Schulformwechsel aber insgesamt gering. Deutliche Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen ergeben sich allerdings beim Vergleich der verschiedenen Typen der Schulformwechsel. Aufstiege beobachten wir vor allem bei den Kindern von niedrig und mittel gebildeten Eltern, während Abstiege häufiger bei den Kindern von hoch gebildeten Eltern vorkommen. Die Auf- bzw. Abstiegswahrscheinlichkeit ergibt sich auch hier aus der Ausgangsverteilung auf die verschiedenen Schultypen. Die Zuweisung zu den einzelnen Schultypen nach der Grundschule ist durch das Bildungsniveau der Eltern stark determiniert. Die Kinder niedrig gebildeter Eltern sind mit größerer
166
Marita Jacob und Nicole Tieben
Wahrscheinlichkeit der Hauptschule zugewiesen, das heißt, dass aus dieser Schicht eine verhältnismäßig große Gruppe gar kein Abstiegsrisiko besitzt. Die Kinder aus bildungsnahen Haushalten wiederum werden mit größerer Wahrscheinlichkeit einem Gymnasium zugewiesen und haben entsprechend kein Aufstiegsrisiko. Tabelle 4: Schulformwechsel nach Bildungsniveau der Eltern (Spaltenprozent) relative Bildung der Eltern Bildungsniveau der Eltern kein/HauptschulMittlere (Fach-) gleich oder abschluss Reife Abitur geringer höher Gesamt kein Wechsel der Schulform mind. ein Schulformwechsel
89,1
83,0
84,0
88,0
80,3
87,2
10,9
17,0
16,0
12,0
19,7
12,8
davon* Aufstieg Abstieg lateral/unklar Wechsler gesamt N
5,9 3,5 1,5
7,5 5,2 4,3
4,6 5,3 6,0
5,1 4,5 2,4
14,7 0,6 4,4
6,1 4,1 2,6
441
202
125
647
121
768
Gesamt (%)
100
100
100
100
100
100
Gesamt N
4041
1187
782
5397
613
6010
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971. Bemerkung: *Hier wird nur der erste Schulformwechsel betrachtet.
Wesentlich stärker als durch die absolute Elternbildung allerdings wird das Wechselrisiko durch die relative Elternbildung beeinflusst. Ebenfalls in Tabelle 4 sind die Anteile der Schulwechsler nach dem Bildungsgefälle zwischen Eltern und Kindern dokumentiert. Zwar kommen Aufstiege durchaus auch dann vor, wenn gar kein Statusverlust droht, aber die Aufstiege kommen bei denjenigen Kindern, die an ihrer Schule den Bildungsabschluss ihrer Eltern nicht erreichen können, ungleich häufiger vor. Entsprechend gering sind auch die Abstiegsraten in diesen Familien. Auch bei dieser Übersicht ist wiederum zu betonen, dass die relative Bildung natürlich mit der Schulform konfundiert und etwa 70 Prozent
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen?
167
der Kinder, kein Abstiegsrisiko haben, da sie an einer Hauptschule sind (vgl. Tabelle 1). Betrachtet man das Nachholen von Schulabschlüssen, sind nur wenige Unterschiede zwischen Schülern aus unterschiedlich hoch gebildeten Elternhäusern erkennbar (Tabelle 5). Vor allem Kinder mit Eltern, die ein mittleres Bildungsniveau besitzen, erwerben relativ zu den anderen Bildungsgruppen häufiger einen weiteren Schulabschluss (13 Prozent). Erneut ist jedoch das relative Bildungsniveau der Eltern in Relation zum zuvor erreichten Schulabschluss von Bedeutung: Fast ein Viertel aller Schüler, die nach dem Ende der regulären Schulzeit einen niedrigeren Schulabschluss als den höchsten ihrer Eltern erhalten haben, unternehmen weitere Bildungsanstrengungen, um einen höheren Abschluss zu erwerben. Ist dagegen das Bildungsniveau der Eltern bereits mit dem ersten Abschluss erreicht, ist der Anteil mit 11 Prozent deutlich geringer. Hier ist allerdings hervorzuheben, dass in diesen Fällen nicht nur das Bildungsniveau reproduziert wird, sondern darüber hinaus mit dem zusätzlichen Bildungsabschluss sogar ein intergenerationaler Aufstieg realisiert wird. Tabelle 5: Nachgeholte Schulabschlüsse nach Bildungsniveau der Eltern (Spaltenprozent) absolutes Bildungsniveau der relatives Bildungsniveau Eltern der Eltern kein/Haupt- Mittlere (Fach-) gleich oder schulabschluss Reife Abitur geringer höher Gesamt kein weiterer Schulabschluss mind. ein weiterer Schulabschluss Gesamt (%) Gesamt N
88,2
86,5
89,4
89,5
75,7
88,0
11,8 100 4041
13,4 100 1187
10,6 100 782
10,5 100 5397
24,3 100 613
11,9 100 6010
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971.
Anhand der bivariaten Befunde können wir Folgendes zusammenfassen: Durch die Bildungsexpansion hat sich die Risikostruktur für Auf- und Abstiege grundsätzlich zugunsten der Abstiege verschoben, eine entsprechende Zunahme der Abstiege konnten wir nicht beobachten. Im Gegenteil: Trotz der Tatsache, dass sich mehr Schüler nach der Grundschule ohnehin für die höheren Schulformen entscheiden und ein deutlicher Anstieg der Partizipation im Gymnasium stattgefunden hat, beobachten wir seit der Geburtskohorte 1960 ein konstant hohes
168
Marita Jacob und Nicole Tieben
Niveau der Aufwärtswechsel. Insgesamt scheint also die Öffnung der Schulformen und die Strukturreform zumindest in der Hinsicht erfolgreich gewesen zu sein, dass Wechsel, wenn sie nötig erscheinen, auch vollzogen werden können. In der Regel werden Schulwechsel eher zum nächsthöheren oder niedrigeren Schultyp vollzogen, größere Sprünge treten eher selten auf. Bezüglich der Elternbildung können wir feststellen dass das (brutto) Wechselrisiko von Kindern aus niedrig gebildeten Elternhäusern geringer ist als bei Kindern von höher gebildeten Eltern. Allerdings scheinen Kinder von Eltern mit Mittlerer Reife noch stärker von der Wechselmöglichkeit Gebrauch zu machen. Bezüglicher der relativen Elternbildung werden zumindest bivariat unsere Hypothesen bestätigt, dass es vor allem das Motiv des Statuserhalts ist, das den Anreiz zum Schulformwechsel bzw. zur Vermeidung eines Abstiegs gibt. Um gesicherte Rückschlüsse auf die Effekte der absoluten und relativen Elternbildung machen zu können, ist allerdings eine Kontrolle der Schulform erforderlich. Nur auf diese Weise werden die Effekte der Elternbildung isoliert von den konfundierten Effekten, die durch eine schichtspezifische Schulwahl nach der Grundschule bedingt sind.
4.2 Multivariate Analysen Um unsere Hypothesen zum Einfluss des absoluten und vor allem des relativen Bildungsniveaus der Eltern und der historischen Veränderungen dieses Einflusses auf Schulformwechsel und den späteren Erwerb eines weiteren Schulabschlusses zu überprüfen, schätzen wir im Folgenden logistische Regressionsmodelle. Unsere Analyseeinheit sind 6223 Schulepisoden, bei denen entweder ein Schulformwechsel bzw. eine Höherqualifizierung stattfindet oder nicht. Wir beobachten insgesamt 1575 intra-sekundäre Transitionen von 6010 Personen. Unser Modellierungsstrategie ist die folgende: Wir schätzen nacheinander drei zunehmend komplexere binäre logistische Regressionsmodelle, jeweils in drei Varianten für die Kontraste „Aufstieg versus kein Wechsel“, „Abstieg versus kein Wechsel“ und „Höherqualifikation versus kein Wechsel“. Im ersten Modell werden das Geschlecht, die absolute Bildung der Eltern und die Geburtskohorte in die Schätzgleichung aufgenommen, um damit zu überprüfen, ob die Bildung der Eltern Aufstiege und Höherqualifizierungen begünstigt bzw. Abstiege eher verhindert. In einem zweiten Modell berücksichtigen wir zusätzlich den derzeitigen Schultyp. Diese Variable verändert sich jeweils durch vorangegangene Transitionen und wird bei mehrfachen Schulwechseln oder bei einem bereits vorhandenen Schulabschluss entsprechend angepasst. Dadurch sind wir in der Lage, das schichtspezifische Auf- und Abstiegsrisiko, das allein durch die Zuweisung zu höheren bzw. niedrigeren Schultypen entsteht, in den Modellen zu
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen?
169
kontrollieren. Im dritten Modell fügen wir die relative Bildung der Eltern hinzu. Indem wir sowohl den Einfluss des (absoluten) Bildungsniveaus als auch die relative Bildung der Eltern zur Schulform bzw. zum Abschluss der Kinder simultan schätzen, können wir den „Netto“-Effekt des Statuserhaltsmotivs herausarbeiten. Um die Veränderungen des Elterneinflusses vor und nach den Bildungsreformen zu analysieren, haben wir einen Interaktionsterm gebildet, der den Einfluss der relativen Elternbildung bei den Nach-Reformkohorten 1964 und 1971 von den anderen Kohorten unterscheidet.6 Tabellen 6, 7 und 8 weisen die Ergebnisse der drei Modelle aus. Die drei Varianten des Modells A zeigen, dass Jungen bei den Aufstiegen keinen Vorteil gegenüber den Mädchen haben, dass sie aber signifikant häufiger absteigen und sich für Höherqualifikationen nach dem ersten Abschluss entscheiden. Kinder von Eltern mit Realschulabschluss haben ein gegenüber Kindern von niedriger gebildeten Eltern erhöhtes Risiko abzusteigen, aber auch eine Höherqualifikation zu erwerben. Bei den Aufstiegen bietet der Realschulabschluss der Eltern keinerlei Vorteil. Auch wenn die Eltern das Abitur erworben haben, wirkt sich dies nicht auf das Schulwechselrisiko im Vergleich zu Kindern aus bildungs-fernen Familien aus. Hinsichtlich der Kohortenzugehörigkeit lässt sich für alle Arten der Schulformwechsel ein Anstieg im Vergleich zur Referenzkohorte nachweisen, dieser läuft für die Aufstiege in zwei Schüben, zwischen der Referenzkohorte und der Kohorte 1955 sowie in der darauf folgenden Kohorte. Das Abstiegsrisiko erhöht sich für die Kohorte 1955 ebenfalls, bleibt aber danach stabil während die Höherqualifikationen nach dem Anstieg in der Kohorte 1955 wieder deutlich abnehmen. In Modell B wird jeweils ein Dummy für die besuchte Schulform eingefügt. Da Gymnasiasten weder aufsteigen noch eine Höherqualifikation erwerben und Hauptschüler entsprechend nicht absteigen können, entfallen die Effekte für diese Kombinationen. Relevant sind hier vor allem die Veränderungen der Effekte der absoluten Elternbildung. Wie bereits in den bivariaten Analysen aufgezeigt, sind vor allem Aufstiegswechsel aus der Hauptschule zu beobachten, Abstiegswechsel treten dagegen mit größter Chance aus dem Gymnasium in einer niedrigere Schulform auf, während Realschüler im Vergleich mit Hauptschülern größere Chancen haben, eine Höherqualifikation zu erwerben. Dies weist darauf hin, dass Wechsel aus der Realschule in die prestigeärmere Hauptschule deutlich länger oder ganz hinausgezögert werden als von einem Gymnasium in die Realschule. Das Nachholen eines Schulabschlusses ist dagegen ein besonders attrak6 Die Reformen sind zwischen 1969 und 1971 in Kraft getreten, man kann daher annehmen, dass prinzipiell bereits die Geburtskohorte 1960 teilweise von den Reformen profitieren konnte, allerdings ist die erste Kohorte, die erst nach der vollen Umsetzung der Reform in die Sekundarstufe eingetreten ist, die der 1964 Geborenen.
170
Marita Jacob und Nicole Tieben
tiver Weg für die Absolventen mit Mittlerer Reife, die damit auf dem „sicheren“ Weg eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben. Möglicherweise ist für Absolventen mit Hauptschulabschluss – zumindest in den hier analysierten Kohorten – ein weiterer mittlerer Abschluss (noch) nicht notwendig um eine berufliche Ausbildungsstelle zu erlangen. Bei Kontrolle der besuchten Schulform zeigt sich, dass sich eine höhere Bildung der Eltern grundsätzlich positiv auf Aufstiege und Höherqualifikationen auswirken, während der Abstieg mit steigender Bildung der Eltern unwahrscheinlicher wird. Dies entspricht der Argumentation der Theorien rationaler Bildungsentscheidungen sowie unseren Erwartungen. Allerdings haben wir eingangs argumentiert, dass die Schulformwechsel, insbesondere die Wechsel an eine höhere Schulform vor allem durch das Statuserhaltsmotiv erklärt werden können. Aus diesem Grund fügen wir den Varianten des letzten Modells (Modell C) die relative Elternbildung hinzu. Bei den Aufstiegen zeigt sich erwartungsgemäß, dass die relative Bildung der Eltern einen positiven Effekt auf die Aufstiegswahrscheinlichkeit hat. Gleichzeitig reduzieren sich die Effekte der absoluten Bildung der Eltern auf ein statistisch nicht signifikantes Niveau. Dies deutet darauf hin, dass Aufstiege unabhängig von der Bildung der Eltern vor allem dann attraktiv sind, wenn der Statuserhalt durch eine Platzierung in einem niedrigeren Schultyp gefährdet ist. Bei den Abstiegen ist es interessanterweise die absolute Bildung der Eltern, die einen Abstieg verhindert, möglicherweise sind die Wirkmechanismen hier eher in den kognitiven Ressourcen zu suchen, die ein höherer Abschluss der Eltern mit sich bringt, als im Statuserhaltsmotiv. Zwar ist der Effekt der relativen Elternbildung negativ, wie erwartet, aber nicht signifikant. Die Höherqualifikation scheint in ähnlicher Weise durch den Statuserhalt motiviert zu sein wie die Aufstiege, allerdings bleiben hier zumindest für die Kinder von Eltern mit mittlerer Reife die Effekte der absoluten Elternbildung noch erhalten. Im Kohortenvergleich finden wir eine Zunahme aller intra-sekundären Übergänge im Vergleich zu den Referenzkohorten 1939-41 und 1949-51. Vor allem die Chancen für Aufstiege sind in jüngeren Kohorten deutlich größer als bei den älteren, wobei in den beiden älteren Kohorten Schulformwechsel aber ohnehin relativ selten vorkommen. Das Abstiegsrisiko ist ebenfalls bei den jüngeren Kohorten angestiegen, aber sichtlich weniger bedeutsam. Am höchsten ist die Chance in der Kohorte 1964, die relative Chance eines Abstiegs im Vergleich zu einer geradlinigen Schullaufbahn der jüngsten Kohorte 1971 liegt sogar noch unter der der beiden mittleren Kohorten. Im Vergleich zur Referenzkategorie der beiden ältesten Kohorten beträgt die Chance für das Nachholen eines Schulabschlusses das 4-fache in den beiden mittleren Kohorten 1955 und 1960 und sinkt bei den beiden jüngsten Kohorten etwas ab. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Bildungsreformen der späten sechziger Jahren keine grundsätzliche
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen?
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Veränderung der Durchlässigkeit und dem Ausmaß von Schulformwechseln bzw. nachgeholten Schulabschlüssen nach sich zogen, sondern möglicherweise wie oben dargestellt angesichts der verschiedenen Verbesserung für die Platzierung nach der Grundschule ausgeglichen wurde. Um Veränderungen der Effekte von absoluter und relativer Elternbildung über die Zeit zu überprüfen, fügen wir den Modellen drei Interaktionsterme der Variablen mit einem Dummy der beiden jüngsten Kohorten zu, die voll von den Reformen der frühen siebziger Jahre profitieren konnten. Die Ergebnisse sind in Tabelle 9 ausgewiesen. Die Effekte der absoluten Elternbildung gehen in den Post-Reform Kohorten stark zurück, während der Interaktionseffekt der relativen Elternbildung positiv ist. Dies weist darauf hin, dass das Statuserhaltsmotiv in späteren Kohorten an Bedeutung gewinnt, während die Bildung der Eltern als solche ihren Einfluss verloren hat. Für Abstiege lassen sich keine Trends nachweisen. Bei den Höherqualifikationen finden wir lediglich für die Eltern mit Abitur einen negativen Trend.
172
Marita Jacob und Nicole Tieben
Tabelle 6: Intra-sekundäre Übergänge (Aufstieg, Abstieg und Höherqualifikation), binäre logit Regression, robuste Standardfehler
Konstante männlich
Aufstieg -4,42 *** 0,00
Bildung Eltern Eltern Haupt-/Volksschule (ref.) Eltern mittl. Reife Eltern Abitur
0,17 -0,17
Modell A Abstieg -4,32 *** 0,39 **
0,42 ** 0,3
Höherq. -2,87 *** 0,48 ***
0,28 ** -0,1
relatives Bildungsniveau Eltern gleich oder niedriger (ref.) Eltern höher besuchter Schultyp, bzw, erreichter Abschluss Hauptschule Realschule (ref.) Gymnasium Geburtskohorte 1939-41&1949-51 (ref.) 1955 1960 1964 1971 N (Episoden) chi2 BIC
1,84 *** 2,47 *** 2,41 *** 2,23 *** 5057 177,67 2736,53
1,31 *** 1,36 *** 1,54 *** 1,29 *** 4925 83,70 2122,52
1,26 *** 1,12 *** 0,48 *** 0,63 *** 5364 164,24 4123,8
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971. Bemerkungen: 1. Referenzkategorie in allen Modellen: kein oder lateraler intra-sekundärer Wechsel (n=4647). 2. Aufgrund der geringen Fallzahl wurden die Kohorten 1939-41 und 1949-51 zusammengefasst. 3. Signifikanzniveau: p: *<0,05; **<0,01; ***<0,001. 4. e.=entfällt (hier handelt es sich um Übergänge, die nicht möglich sind, zum Beispiel ein Aufstieg aus dem Gymnasium oder ein Abstieg aus der Hauptschule).
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen?
173
Tabelle 7: Intra-sekundäre Übergänge (Aufstieg, Abstieg und Höherqualifikation), binäre logit Regression, robuste Standardfehler
Konstante männlich Bildung Eltern Eltern Haupt-/Volksschule (ref.) Eltern mittl. Reife Eltern Abitur
Aufstieg -4,63 *** -0,03
Modell B Abstieg -3,15 *** 0,45 ***
Höherq. -2,52 *** 0,50 ***
0,71 *** 1,05 ***
-0,35 * -0,73 ***
0,66 *** 0,94 ***
0,27 *
e.
-0,41 ***
e.
0,69 ***
e.
relatives Bildungsniveau Eltern gleich oder niedriger (ref.) Eltern höher besuchter Schultyp, bzw, erreichter Abschluss Hauptschule Realschule (ref.) Gymnasium Geburtskohorte 1939-41&1949-51 (ref.) 1955 1960 1964 1971 N (Episoden) chi2 BIC
2,06 *** 2,76 *** 2,6 *** 2,51 *** 3744 270,85 2390,21
0,73 ** 0,65 * 0,83 *** 0,49 * 2604 63,12 1776,74
1,42 *** 1,34 *** 0,51 *** 0,72 *** 4051 292,97 3563,83
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971. Bemerkungen: 1. Referenzkategorie in allen Modellen: kein oder lateraler intra-sekundärer Wechsel (n=4647). 2. Aufgrund der geringen Fallzahl wurden die Kohorten 1939-41 und 1949-51 zusammengefasst. 3. Signifikanzniveau: p: *<0,05; **<0,01; ***<0,001. 4. e.=entfällt (hier handelt es sich um Übergänge, die nicht möglich sind, zum Beispiel ein Aufstieg aus dem Gymnasium oder ein Abstieg aus der Hauptschule).
174
Marita Jacob und Nicole Tieben
Tabelle 8: Intra-sekundäre Übergänge (Aufstieg, Abstieg und Höherqualifikation), binäre logit Regression, robuste Standardfehler
Konstante männlich
Aufstieg -4,48 *** -0,03
Modell C Abstieg -3,14 *** 0,45 ***
Höherq. -2,44 *** 0,50 ***
Bildung Eltern Eltern Haupt-/Volksschule (ref.) Eltern mittl. Reife Eltern Abitur
0,27 0,22
-0,35 * -0,68 ***
0,43 ** 0,43
relatives Bildungsniveau Eltern gleich oder niedriger (ref.) Eltern höher
0,77 **
-0,33
0,49 *
besuchter Schultyp, bzw, erreichter Abschluss Hauptschule Realschule (ref.) Gymnasium Geburtskohorte 1939-41&1949-51 (ref.) 1955 1960 1964 1971 N (Episoden) chi2 BIC
0,08 e.
e.
-0,52 ***
0,66 ***
e.
2,06 *** 0,73 ** 2,75 *** 0,65 * 2,59 *** 0,83 *** 2,50 *** 0,49 * 3744 2604 278,97 63,50 2390,31 1784,23
1,42 *** 1,33 *** 0,51 *** 0,72 *** 4051 298,28 3566,83
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971. Bemerkungen: 1. Referenzkategorie in allen Modellen: kein oder lateraler intra-sekundärer Wechsel (n=4647). 2. Aufgrund der geringen Fallzahl wurden die Kohorten 1939-41 und 1949-51 zusammengefasst. 3. Signifikanzniveau: p: *<0,05; **<0,01; ***<0,001. 4. e.=entfällt (hier handelt es sich um Übergänge, die nicht möglich sind, zum Beispiel ein Aufstieg aus dem Gymnasium oder ein Abstieg aus der Hauptschule).
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen?
175
Tabelle 9: Intra-sekundäre Übergänge (Aufstieg, Abstieg und Höherqualifikation), binäre logit Regression, robuste Standardfehler Konstante männlich Bildung Eltern Eltern Haupt-/Volksschule (ref.) Eltern mittl, Reife Eltern Abitur relatives Bildungsniveau Eltern gleich oder niedriger (ref.) Eltern höher Interaktion mit Post-Reform Kohorte 1964/1971*Eltern mittl, Reife 1964/1971*Eltern Abitur 1964/1971*relative Elternbildung besuchter Schultyp, bzw, erreichter Abschluss Hauptschule Realschule (ref.) Gymnasium Geburtskohorte 1939-1960 (ref.) 1964/1971 N (Episoden) chi2 BIC
Aufstieg -2,77 *** -0,05
Abstieg -2,63 *** 0,43 ***
Höherq. -1,53 *** 0,5 ***
0,92 ** 1,58 **
-0,29 -0,82 **
0,38 0,77 *
0,09 -1,04 ** -2,19 *** 1,00 *
-0,01 e.
0,22
0,54
-0,19 0,19 -0,96
-0,14 -1,00 * -0,03
e.
-0,65 ***
0,68 ***
e.
2,15 *** 0,73 ** 3744 2604 140,11 51,62 2529,17 1796,11
-1,53 *** 4051 166,37 3698,74
Quelle: Westdeutsche Lebensverlaufsstudie, Kohorten 1940-1971. Bemerkungen: 1. Referenzkategorie in allen Modellen: kein oder lateraler intra-sekundärer Wechsel (n=4647). 2. Signifikanzniveau: p: *<0,05; **<0,01; ***<0,001. 3. e.=entfällt (hier handelt es sich um Übergänge, die nicht möglich sind, zum Beispiel ein Aufstieg aus dem Gymnasium oder ein Abstieg aus der Hauptschule).
176 5
Marita Jacob und Nicole Tieben Zusammenfassung und Schluss
Ziel dieser Arbeit war es, Effekte der sozialen Herkunft auf Schulformwechsel innerhalb der Sekundarstufe zu prüfen. Wir unterscheiden dabei die Effekte der absoluten Elternbildung von denen der relativen Elternbildung. Die absolute Elternbildung operationalisiert die zur Verfügung stehenden Ressourcen der Eltern, die sich positiv auf den Schulerfolg der Schüler auswirken können oder auch einen ausreichenden finanziellen Spielraum bieten, um riskante und kostspieligere Schulformen finanzieren zu können. Die relative Elternbildung hingegen isoliert das Motiv des Statuserhalts, nämlich das Streben von Eltern nach einem zumindest gleichwertigen Schulabschluss ihrer Kinder. Zentrales theoretisches Argument war, dass Aufwärtswechsel oder das Vermeiden eines Abstiegs eher durch den Statuserhalt motiviert sind als durch die elterlichen Ressourcen. Vor allem in Verbindung mit der bereits früher erfolgten schicht- und leistungsspezifischen Selektion in verschiedene sekundäre Schulformen zeigt sich, dass Aufstiege deutlich häufiger dann vollzogen werden, wenn durch die ursprüngliche Platzierung ein Statusverlust droht. Bei den Abstiegen hingegen weist der negative Effekt der relativen Elternbildung zwar darauf hin, dass Abstiege tendenziell vermieden werden, wenn dadurch ein Statusverlust in Kauf genommen werden müsste, dennoch werden die elterlichen Ressourcen auch dann noch wirksam gegen den Abstieg in eine niedrigere Schulform eingesetzt, wenn kein unmittelbarer Statusverlust droht. Bezüglich der Höherqualifikationen ergibt sich für die relative Elternbildung ein ähnliches Bild wie für die Aufstiege: Auch diese werden durch den drohenden Statusverlust motiviert, allerdings scheint die Höherqualifikation auch für Kinder von Eltern mit mittlerer Reife attraktiv zu sein, auch wenn diese an der Realschule bereits das Bildungsniveau ihrer Eltern erreicht haben. Wir sind ebenfalls der Frage nachgegangen, ob sich durch die verbesserte Durchlässigkeit die soziale Selektivität der Schulformwechsel verändert hat. Wir haben argumentiert, dass durch die Anpassung der Curricula die Aufstiege weniger riskant werden und somit die Effekte der absoluten Elternbildung abnehmen. Diese Hypothese konnten wir bestätigen, allerdings kann hier nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass es sich dabei um eine unmittelbare Folge der Reformen handelt. Anders als erwartet hat der Effekt der relativen Elternbildung zugenommen. Möglicherweise hängt dies mit der Tatsache zusammen, dass in jüngeren Kohorten der Statuserhaltsdruck durch die zunehmenden Qualifikationsanforderungen auf dem Ausbildungsmarkt ansteigt. Insgesamt konnten wir mit unserer Arbeit zeigen, dass die Argumentation der Theorie rationaler Bildungsentscheidungen nicht nur an den üblichen institutionalisierten Bildungsübergängen greift, sondern auch bei den intra-sekundären
Wer nutzt die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulformen?
177
Transitionen. Grundsätzlich tragen auch diese Übergänge zu einer weiteren Verschärfung der sozialen Ungleichheit im Bildungswesen bei, allerdings lässt sich vor allem in den jüngeren Kohorten beobachten, dass inzwischen die Aufstiege und Höherqualifikationen auch von Schülern aus benachteiligten Schichten genutzt werden, um ungünstige Bildungsentscheidungen beim ersten Übergang während der schulischen Laufbahn auszugleichen.
6
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Marita Jacob und Nicole Tieben
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Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an! Soziale Ressourcen und die Bildungsaspirationen der Mütter von Haupt-, Real- und Gesamtschülern in Deutschland Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
1
Einleitung
Bildungsabschlüsse sind in modernen Gesellschaften zu einem wesentlichen Bestimmungsfaktor für die Lebenschancen von Individuen geworden. Verschiedene Bildungswege schaffen ganz unterschiedliche Voraussetzungen für zukünftige Statuspositionen und die damit verknüpften Privilegien wie beispielsweise höheres Einkommen, Prestige oder entsprechende Lebensqualität. Für einen erfolgreichen Übergang in den Arbeitsmarkt stellen Schul- bzw. Ausbildungsabschlüsse entscheidende biographische Weichenstellungen dar. Geringe bzw. fehlende Qualifikationen wirken sich dahingehend aus, dass der Zugang zu einem Großteil der Berufe und die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Positionen verwehrt bleiben. Ein wichtiger Punkt bei der Erklärung der Unterschiede beim tatsächlichen Erwerb der schulischen und beruflichen Qualifikationen ist das Aspirationsniveau der Jugendlichen bzw. ihrer Familien bezüglich der schulischen und beruflichen Ziele. Der Begriff der Aspiration wird nach Lewin et al. (1944) als Anspruchsniveau, das ein Individuum für sich selbst oder für andere setzen kann, verwendet. Dabei sind Aspirationen keine statischen, sondern dynamischen Konstrukte, die aufgrund von erlebten Erfolgen und Misserfolgen adaptiert werden können. In Abhängigkeit davon, ob Aspirationen auf Hoffnungen und Zukunftswünschen aufbauen oder sich auf Gedanken und Überlegungen stützen, was im Rahmen des Realisierbaren liegt, spricht man von idealistischen bzw. realistischen Aspirationen. Realistische Aspirationen ergeben sich aus der Berücksichtigung von Restriktionen, die das Erreichen der idealistischen Aspirationen beschränken, womit (fast) immer gilt, dass die idealistischen Aspirationen höher als die realistischen sind (Haller 1968). Bezogen auf Migranten wird berichtet, dass die Bildungsaspirationen in den Migrantenfamilien häufig höher sind als bei den Einheimischen (Brinbaum/
180
Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
Cebolla-Boado 2007; Kao/Tienda 1998; Van de Werfhorst/Van Tubergen 2007). Als eine mögliche Erklärung wird der überdurchschnittliche Optimismus der Migranten vorgeschlagen (Kao/Tienda 1995). Schließlich ist die Hoffnung auf ein besseres Leben oft das, was diese Personen dazu führt, ihr Heimatland zu verlassen und das Glück in anderen Ländern zu suchen (Vallet 2005). Die Tatsache, dass es der Elterngeneration oftmals nicht gelingt, ihre Träume zu verwirklichen, führt dazu, dass die hohen Aspirationen der Migranten auf ihre Kinder übertragen werden. Alternativ wird argumentiert, dass Migranten häufig nicht ausreichend über das Bildungssystem und dessen Anforderungen in dem neuen Land informiert sind und daher dazu tendieren, die Leistungen und den Fortschritt ihrer Kinder zu überschätzen (Relikowski et al. 2008). In der vorliegenden Arbeit werden Determinanten der realistischen Bildungsaspiration von Müttern der Jugendlichen, die sich gerade am Ende der 9. Klasse der Gesamt- und Hauptschule und der 10. Klasse der Gesamt- und Realschule befinden, hinsichtlich der erfolgreichen Beendigung eines Studiums untersucht. Dabei orientieren wir uns am Ansatz von Sewell et al. (1969), wonach Aspirationen Einstellungen sind, deren Höhe in erster Linie durch die Werthaltung von „signifikanten Anderen“ bestimmt wird. Daraus abgeleitet sollte insbesondere das soziale Umfeld die Höhe der Bildungsaspiration suggerieren. Das Ziel dieses Beitrags ist zu untersuchen, inwiefern die mütterlichen Aspirationen bezüglich des langfristigen Bildungserfolges ihrer Kinder mit der Ausstattung an grundlegenden Ressourcen zusammenhängen. Neben dem Humankapital, den ökonomischen und kulturellen Ressourcen wird ein besonderes Augenmerk auf die Rolle des Sozialkapitals gelegt. Der Einfluss dieser Kapitalien sollte sich eher in den realistischen als in den idealistischen Aspirationen widerspiegeln, da sie einen ausschlaggebenden Faktor für die Höhe der oben genannten Restriktionen darstellen. In den meisten Untersuchungen, die sich mit den Themen Bildungsaspirationen bzw. Bildungserfolg auseinandersetzen, wird das Sozialkapital als Art und Intensität der Eltern-Kind-Beziehungen oder aber als Kontakt der Eltern mit der Schule erfasst (vgl. z.B. Schauenberg 2007; Marjoribanks 1991; Coleman 1988; Meulemann 1979). Die Wirkung von außerfamiliärem Sozialkapital im Sinne von Netzwerkstrukturen auf den Bildungserfolg und speziell auf die Bildungsaspirationen wird deutlich seltener untersucht. In diesem Kapitel wird deshalb gerade der Frage nachgegangen, in welchem Ausmaß die NetzwerkRessourcen von Müttern einen Einfluss auf ihre realistische Bildungsaspiration haben. Zusätzlich sollen Unterschiede zwischen den beiden ethnischen Gruppen türkischer und russischer Herkunft untereinander und im Vergleich zu Einheimischen herausgearbeitet werden. Daher wird im nächsten Abschnitt intensiv auf das außerfamiliäre Sozialkapital eingegangen, wobei theoretische Hintergründe
Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an!
181
und zentrale empirische Beiträge vorgestellt werden. Darauf aufbauend erfolgen die Ableitung der Annahmen und Hypothesen, die mit Hilfe von deskriptiven und multivariaten Analysen überprüft werden sollen. Zum Schluss erfolgt eine Zusammenfassung und kritische Diskussion dieser Ergebnisse.
2
Die Rolle sozialer Ressourcen: Der theoretische Rahmen
2.1 Sozialkapital und soziale Ressourcen Das Sozialkapital wird von Bourdieu als „das Produkt individueller oder kollektiver Investitionsstrategien, die bewusst oder unbewusst auf die Schaffung und Erhaltung von Sozialbeziehungen gerichtet sind, die früher oder später einen unmittelbaren Nutzen versprechen“ definiert (Bourdieu 1992: 63). Der Begriff umfasst zum einen die Beziehungen zu anderen Individuen und zum anderen die potenziell vorhandenen Ressourcen, deren Verfügbarkeit sich aus der Zugehörigkeit zu einem sozialen Netzwerk wie z.B. der Familie oder einer sozialen Klasse ergibt. Die Austauschbeziehungen innerhalb dieser Netzwerke sind sowohl für die Definition der Gruppe und der Anerkennung ihrer Gruppenmitglieder nötig als auch für die Reproduktion des Sozialkapitals (Bourdieu 1992: 63-68). Lin (2001) betont insbesondere zwei Komponenten dieser Definition bei der Untersuchung des Nutzens von Sozialkapital für instrumentelle Handlungen. Der erste wichtige Faktor ist der allgemeine Zugang zu den Ressourcen, die in das Netzwerk eingebettet sind, der zweite die Mobilisierungsmöglichkeit dieser Ressourcen bei Bedarf (Lin 2001: 58). Dabei entwickelte er die Theorie der sozialen Ressourcen, die sich im Unterschied zur Theorie des Sozialkapitals auf diejenigen sozialen Ressourcen beschränkt, die sich aus dem Zugang zu Netzwerken ergeben. Das Konzept des Sozialkapitals hingegen ist allgemeiner gefasst und beinhaltet auch andere Eigenschaften der Sozialstruktur wie z.B. Normen, Gruppensolidarität und ähnliches. Beide Ansätze schließen sich nicht gegenseitig aus; die Theorie der sozialen Ressourcen ist vielmehr eine ausführliche Betrachtung einer bestimmten Facette des sozialen Kapitals (Lin 1999a: 471). Zur bildlichen Darstellung der hierarchischen Sozialstruktur in Gesellschaften verwendet Lin (1999a) die Metapher einer Pyramide, die die vertikale Verteilung von Individuen auf Positionen abbildet. An der Spitze dieser Pyramide befinden sich diejenigen, die eine hohe soziale Position einnehmen, wobei die Höhe der Positionen abnimmt, je weiter unten man sich in der Pyramide befindet. Die Position wird durch den Wohlstand, den sozialen Status und die Macht determiniert. Zur Spitze hin nimmt die Anzahl der Individuen ab, die die jeweilige Position innehaben, wohingegen der Zugang und die Kontrolle über soziale
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Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
Ressourcen zunehmen. Lin formuliert drei generelle Annahmen zur Theorie der sozialen Ressourcen: 1.
2.
3.
Prämisse der sozialen Ressourcen: Soziale Ressourcen haben einen Einfluss auf das Ergebnis einer instrumentellen Handlung. Je mehr und/oder je bessere Ressourcen zur Verfügung stehen, desto bessere Handlungsresultate können erzielt werden. Prämisse der Positionsstärke: Die Ausgangsposition eines Individuums beeinflusst die zur Verfügung stehenden sozialen Ressourcen. Je höher die ursprüngliche eigene Position ist, worunter auch die Position der Eltern fällt, desto höher ist der Zugang zu Ressourcen. Prämisse der Beziehungsstärke: Das Nutzen von starken (strong ties) und schwachen (weak ties) Beziehungen übt einen Effekt auf die sozialen Ressourcen aus. Mit abnehmender Beziehungsintensität nimmt der Zugang zu besseren sozialen Ressourcen zu (Lin 1999a: 470).
Prinzipiell können vier Gründe aufgezählt werden, weshalb die Nutzung dieser Ressourcen zur Verbesserung von Handlungsergebnissen beitragen kann. Erstens wird der Austausch von Informationen in dem sozialem Netzwerk erleichtert, wodurch Transaktionskosten für den Suchprozess nach relevanten Informationen reduziert werden. Zweitens können manche der Beziehungspersonen im Netzwerk einen Einfluss auf die entscheidenden Faktoren ausüben, z.B. bei Bewerbungen „ein gutes Wort“ bei entsprechenden Personen einlegen. Drittens kann die Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Netzwerk als eine Art „soziales Zeugnis“ fungieren, welches den Zugang zu bestimmten Ressourcen symbolisiert. Viertens stärkt das Netzwerk die Identität und die Anerkennung der Individuen, wobei die Verfestigung dieser beiden Elemente eklatant wichtig für das (mentale) Wohlbefinden und den Anspruch auf die Nutzung der sozialen Ressourcen ist (Lin 1999b: 31). Der Vorteil eines großen Netzwerkes, das sich aus Personen verschiedener sozialer Positionen zusammensetzt, besteht unter anderem darin, dass die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein der Ressourcen, die man für verschiedene Handlungen benötigt, mit zunehmender Anzahl an variierenden Netzwerkmitgliedern steigt. Außerdem können mit einem heterogenen Netzwerk Kontakte zu Personen aus verschiedenen Kreisen geknüpft werden, wodurch der kulturelle Input steigt und der Umgang mit verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Situationen eingeübt wird (Erickson 2004: 27).
Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an!
183
2.2 Soziale Netzwerke und Bildungsaspirationen Obgleich Aspirationen keine instrumentellen Handlungen sind, kann man aufgrund von mindestens zwei möglichen Erklärungsansätzen annehmen, dass sich die sozialen Netzwerke der Mütter auf deren Bildungsaspiration für ihre Kinder auswirken können. Erstens können Netzwerkmitglieder einen Bezugsrahmen dafür bilden, welchen Ausbildungsabschluss Mütter für ihre Kinder als adäquat ansehen. Wird im Netzwerk zum Beispiel die Einstellung geteilt, dass ein Studium eine wichtige Grundlage für ein erfolgreiches und glückliches Leben ist, dürfte dies durchaus einen Einfluss auf die Wertvorstellung der Mutter haben und damit auch auf die Bereitschaft das eigene Kind so zu unterstützen und zu beeinflussen, dass es tatsächlich ein Studium erfolgreich abschließen wird. Dies wiederum sollte die realistische Aspiration der Mutter beeinflussen. Darüber hinaus ist es denkbar, dass eine hohe Anzahl von sich im Netzwerk befindlichen Personen mit Universitätsabschluss von der Mutter als Beleg dafür gesehen werden, dass es durchaus möglich ist ein Studium erfolgreich abzuschließen (Esser 2000: 218ff.). Des Weiteren kann man das Konstrukt der Aspiration als Teil der Identität auffassen, wodurch das soziale Netzwerk zur Erhöhung der Aspirationen durch die Stärkung der Identität, wie sie von Lin angenommen wird, führen kann. Zweitens kann sich das Wissen der Mütter über die im Netzwerk eingebetteten Ressourcen auf die Einschätzung der Erreichbarkeit eines gewissen Abschlusses auswirken. So kann das Netz an sozialen Beziehungen Zugang zu wichtigen Informationen gewährleisten (Hofferth et al. 1998: 249) wie z.B. über das Bildungssystem als Ganzes, die verschiedenen Zugangsmöglichkeiten zu einem Studium oder aber über einzelne Studiengänge. Darüber hinaus können Mütter mit hohem außerfamiliärem Sozialkapital damit rechnen, im Bedarfsfall notwendige Ressourcen zu erhalten. Hierbei kann es sich zum Beispiel um Ratschläge bei schulischen oder studienbedingten Problemen des Kindes handeln, aber auch um kostenlose Nachhilfe oder gar finanzielle Unterstützung. Die Verfügbarkeit der in das Netzwerk eingebundenen Ressourcen hängt teils von strukturellen Gegebenheiten und teils von persönlichen Charakteristiken der Individuen ab. Wie oben schon erwähnt entscheidet die Zuordnung an eine Stelle der gesellschaftlichen Hierarchie über den Zugang zu Ressourcen. Nach dem Like-Me Prinzip von Homans (1950) setzt sich das Netzwerk einer Person vor allem aus Individuen zusammen, die die gleiche oder eine ähnliche soziale Position innehaben. D.h. je höher der eigene Status oder der Status der Eltern ist, desto höher ist die Chance, dass das Netzwerk aus Personen besteht, die hohe soziale Positionen innehaben. Für Personen mit niedrigerem Status können „weak ties“ eine Möglichkeit darstellen, dieses aus strukturellen Grün-
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Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
den heraus entstandene Defizit auszugleichen. Wenngleich die Mobilisierung von Ressourcen bei hoher Beziehungsintensität einfacher ist, umspannen schwache Beziehungen ein viel weiteres Netzwerk als die Familie, die Freunde oder die Verwandten (Lin/Dumin 1986: 366ff.).
2.3 Positionsgenerator Zur Messung des im Netzwerk der Mütter befindlichen Sozialkapitals wird in der vorliegenden Arbeit der sogenannte Positionsgenerator verwendet. Es handelt sich dabei um ein von Lin und Dumin (1986) entwickeltes Messinstrument. Obwohl dieses seither in einer Reihe von Untersuchungen überzeugende Ergebnisse geliefert hat (vgl. z.B. Erickson 1996, 2004; Völker/Flap 1999) und seine Reliabilität und Validität bestätigt wurden (Lin/Erickson 2008: 10f.), scheint dieses Messinstrument in den Reihen der Bildungsforscher weitestgehend unbeachtet geblieben zu sein. Positionsgeneratoren bestehen aus einer Liste von Berufen, die sich hinsichtlich der theoretisch angenommenen Stellung in einer hierarchisch angeordneten Sozialstruktur unterscheiden. Die befragten Personen sollen für jeden der aufgelisteten Berufe angeben, ob sie jemanden kennen, der diesen Beruf ausübt. In der Regel wird außerdem noch die Beziehung des Befragten zu dieser Person abgefragt, wobei zumeist zwischen Verwandten, Freunden und Bekannten unterschieden wird. Da in der vorliegenden Studie Personen aus drei unterschiedlichen ethnischen Gruppen befragt wurden, wurde außerdem noch das Herkunftsland, aus dem die genannte Person stammt, erfasst. Ziel ist es, anhand dieser Informationen den Netzwerkaufbau und das Ausmaß der sich im Netzwerk einer Person befindlichen potenziellen Ressourcen zu ermitteln. Der Positionsgenerator beschränkt sich auf den Zugang zu Sozialkapital und misst nicht dessen tatsächlichen Gebrauch (van der Gaag et al. 2008: 29). Dies hat den Vorteil, dass es im Gegensatz zur Messung des tatsächlichen Gebrauchs von sozialen Ressourcen nicht mit dem individuellen Bedarf zusammenhängt und darüber hinaus prädiktiv gebraucht werden kann (Campbell et al. 1986: 100). Anhand der mit dem Positionsgenerator gesammelten Informationen können eine Reihe von Maßzahlen hinsichtlich der im Netzwerk des Befragten vorhandenen sozialen Ressourcen gebildet werden. Die wohl gängigsten Maßzahlen sind die Anzahl an genannten Berufen, die Distanz hinsichtlich des Prestiges zwischen dem höchsten und niedrigsten genannten Beruf und der Prestigewert des höchsten genannten Berufes (Lin et al. 2001: 63). Die letztgenannte Messgröße basiert auf der Annahme, dass Beziehungen zu Personen mit hohem Berufsprestige den Zugang zu sehr wertvollen Ressourcen ermöglichen. Die ersten beiden Maßzahlen sind Indikatoren für die Diversität bzw. Extensität des Netz-
Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an!
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werkes. Ihnen liegt die Vermutung zugrunde, dass es für den Zugang einer Person zu sozialen Ressourcen zuträglich ist, wenn sich in ihrem Netzwerk Personen befinden, die sich hinsichtlich ihrer sozialen Position und damit auch in denen von ihnen kontrollierten Ressourcen unterscheiden (Lin 2001: 60ff.). Zwei weniger verbreitete Möglichkeiten das Sozialkapital zu messen sind die Berechnung der Summe der Prestigewerte der einzelnen genannten Berufe und der durchschnittliche Prestigewert der genannten Berufe. Die Summe der Prestigewerte ist der Anzahl an genannten Berufen ähnlich, berücksichtigt aber neben der Menge an sozialen Beziehungen auch noch deren Wert im Sinne der potenziellen Ressourcen, zu denen eine Person durch diese Beziehungen Zugang erlangt (van der Gaag 2005: 106f.). Der durchschnittliche Prestigewert gibt Auskunft über die Zusammensetzung des Netzwerkes (Campbell et al. 1986: 100).
3
Forschungsstand
3.1 Bringen soziale Ressourcen Vorteile? Der Einfluss von sozialen Ressourcen auf Handlungsergebnisse kann auf zwei unterschiedliche Weisen analysiert werden. Einerseits kann man den Zusammenhang und die Wirkung des allgemeinen Zugangs zu sozialen Ressourcen auf Handlungsergebnisse untersuchen, andererseits können nur die Ressourcen berücksichtigt werden, die tatsächlich zur Erreichung eines Handlungsziels verwendet wurden. Konzentriert sich eine Untersuchung eher auf Letzteres, d.h. die tatsächliche Nutzung der sozialen Ressourcen, dann beschränkt sie sich auf die so genannten Kontakt-Ressourcen. Liegt der Schwerpunkt hingegen auf den Zugang zu potenziell nutzbaren Ressourcen, spricht man von NetzwerkRessourcen (Lai et al. 1998: 161f.). Studien, die sich mit den KontaktRessourcen auseinandersetzen, untersuchen beispielsweise, welche Eigenschaften der kontaktierten Personen ausschlaggebend zur Verbesserung von Handlungsergebnissen sind. Nach dem Kontakt-Ressourcen Ansatz spiegeln Handlungsergebnisse den direkten Einfluss von Kontakten, deren Ressourcen zur Erreichung des Handlungszieles mobilisiert wurden, wider. Dabei konnte in verschiedenen Studien folgender Zusammenhang festgestellt werden: Je höher der sozioökonomische Status der Kontakte ist, desto mehr Informationen können abgerufen werden und desto bessere Handlungsergebnisse können erreicht werden (vgl. Lin et al. 1981; Wegener 1991; de Graaf/Flap 1988). Hinsichtlich der Netzwerk-Ressourcen konnten Campbell et al. (1986) in einer Untersuchung zeigen, dass der sozioökonomische Status von Individuen mit den Eigenschaften ihres Netzwerkes wie dessen Größe oder Aufbau, zusammenhängen. Lin und
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Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
Dumin (1986) bauen auf diesem Ansatz ihre 1986 durchgeführte Studie auf, die den Einfluss des Sozialkapitals in Form von Netzwerk-Ressourcen auf den Zugang zu Berufen mit unterschiedlich hohem Prestige, gemessen mit dem Positionsgenerator, untersucht. Dabei wurde herausgefunden, dass der sozioökonomische Hintergrund der Familie die Zusammensetzung des sozialen Netzwerkes der Individuen beeinflusst. Je höher der Berufsstatus des Vaters ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Personen mit hohem Berufsprestige im Netzwerk vertreten sind (Lin/Dumin 1986: 375). Gemäß den Erwartungen konnte gezeigt werden, dass Unterschiede zwischen strong und weak ties existieren. Während der Zugang zu unterschiedlichen Berufen durch Verwandte nur sehr beschränkt ist, kann der Zugang durch Bekannte verbessert werden. Allerdings stellt sich entgegen der theoretischen Argumentation heraus, dass Freunde die höchste Spannbreite an unterschiedlichen Berufen liefern (Lin/ Dumin 1986: 377). Berücksichtigt man hierbei auch den Ausgangsstatus der Person, dann muss dieses Verhältnis modifiziert werden. Für Personen mit einem hohen sozialen Hintergrund haben strong und weak ties dieselbe Wirkung, wohingegen Individuen aus einer Familie mit schwächerem sozialem Hintergrund insbesondere durch weak ties Kontakte zu Personen mit hohem beruflichem Status knüpfen können (Lin/Dumin 1986: 383). Bei der Analyse des Einflusses der sozialen Ressourcen auf den Berufsstatus in Ostdeutschland weisen Völker und Flap nicht nur einen Effekt auf den Berufsstatus nach, sondern auch einen schwachen positiven Effekt auf das Einkommen (Völker/ Flap 1999). Während die bisher dargestellten Studien die Annahme zur Positionsstärke verifizieren, können Angelusz und Tardos (1991) in ihrer Untersuchung diesen Effekt nicht finden. Einen Schritt weiter gehen Lai et al. (1998), indem sie die beiden Ansätze der Netzwerk- und Kontakt-Ressourcen miteinander kombinieren und annehmen, dass die Netzwerk-Ressourcen einen kausalen Einfluss auf die KontaktRessourcen ausüben. Mit ihrer Untersuchung versuchen sie herauszufinden, inwieweit der Status des ersten Jobs durch Netzwerk-Ressourcen und KontaktRessourcen erklärt werden kann. Als Indikator für die Netzwerk-Ressourcen wird der Positionsgenerator verwendet. Falls persönliche Kontakte bei der Jobsuche eine Rolle gespielt haben, werden diese Kontakt-Ressourcen durch Information zu den Personen, die geholfen haben, erfasst. Die Ergebnisse ihrer Studie zeigen, dass insbesondere weak ties den Kontakt zu Personen mit hohem Status ermöglichen. Des Weiteren weisen die Autoren nach, dass Individuen, die Zugang zu einem ressourcenreichen Netzwerk haben, bei ihrer Jobsuche eher ressourcenreiche Kontakte nutzen können und dass die Kontakt-Ressourcen wiederum einen direkten und positiven Effekt auf den sozialen Status des ersten Jobs haben. Der eigene sozioökonomische Status und der familiäre Hintergrund
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beeinflussen sowohl den Zugang als auch die tatsächliche Mobilisierung von sozialen Ressourcen (Lai et al. 1998: 170f.). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Ergebnisse der Studien, die von Lin aufgestellte Vorhersage zum Einfluss der sozialen Ressourcen unabhängig davon bestätigen, ob der tatsächliche Gebrauch oder der Zugang zu sozialen Ressourcen als erklärender Faktor verwendet wird. Jedoch ergeben die Resultate zur Prämisse der Positionsstärke und der Prämisse zur Beziehungsstärke ein inkonsistentes Bild.
3.2 Die Rolle sozialer Ressourcen für die Bildungsaspirationen und den Bildungserfolg Dem Sozialkapital wird neben dem sozioökonomischen Hintergrund und den Fähigkeiten eine wichtige Funktion in der Erklärung des Bildungserfolgs und der Bildungsaspirationen zugeschrieben (Schneider/Stevenson 1999). In verschiedenen empirischen Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass sich außerfamiliäres Sozialkapital positiv auf den Bildungserfolg von Jugendlichen auswirken kann. So zeigt sich bei Furstenberg und Hughes (1995), dass Jugendliche, deren Mütter angaben, über ein unterstützendes Netzwerk zu verfügen, eher auf ein College gehen, während jedoch kein Zusammenhang mit dem erfolgreichen Beenden der Highschool besteht. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Hofferth et al. (1998), die noch zusätzlich zwischen dem Zugang zu und dem tatsächlichen Gebrauch von Netzwerk-Ressourcen unterscheiden. Ihre Ergebnisse deuten bei Familien mit hohem Einkommen auf einen positiven Einfluss des Zugangs der Eltern zu Unterstützungsleistungen von Freunden und Bekannten auf den Schulerfolg der Kinder hin, wohingegen dies bei Familien mit niedrigem Einkommen nicht der Fall ist. Mögliche Unterstützungen durch Verwandte sowie tatsächlich erhaltene Hilfeleistungen haben hingegen keinen Effekt. Eine Reihe von Studien untersucht auch direkt den Zusammenhang zwischen Netzwerk-Ressourcen und Bildungsaspirationen, wobei in der Regel nicht wie in der vorliegenden Arbeit die Aspiration der Mütter, sondern die der Jugendlichen als abhängige Variable fungiert. Dabei zeigt sich bei mehreren empirischen Untersuchungen ein signifikanter Einfluss der Peergroup auf die Bildungsaspirationen von Jugendlichen (Picou/Carter 1976; Chenoweth/Galliher 2004; Zhou 2004). Singh und Dika (2003) untersuchen den Effekt sozialer Beziehungen von Jugendlichen zu Erwachsenen, die sie als wichtig erachten, wobei sie eine ganze Reihe von Maßzahlen verwenden, um unter anderem die Qualität, Größe und Heterogenität der Netzwerke zu messen. Regressionsanalysen deuten auf einen positiven Einfluss der Qualität der Netzwerke, der Interaktionshäufig-
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keit sowie der akademischen Unterstützung durch die Netzwerkmitglieder hin. Einschränkend ist jedoch zu erwähnen, dass in den Analysen nicht für den Einfluss wichtiger unabhängiger Variablen, wie zum Beispiel dem sozioökonomischen Status, kontrolliert wird. Hao und Bonstead-Bruns (1998) untersuchen den Einfluss von innerfamiliärem und außerfamiliärem Sozialkapital sowohl auf die Bildungserwartungen der Jugendlichen als auch auf die der Eltern. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass für Migranten unter anderem unterstützende Netzwerke sowie in der ethnischen Gemeinschaft herrschende Normen und Werte wichtige Einflussfaktoren auf die Erwartungen der Eltern und der Jugendlichen sowie die schulischen Leistungen sind. Allerdings wird das außerfamiliäre Sozialkapital nicht direkt gemessen, sondern die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen ethnischen Gruppen wird als Proxy hierfür verwendet, was einen deutlichen Nachteil der Studie darstellt.1 Zusammenfassend sprechen die hier angeführten empirischen Studien dafür, dass soziale Netzwerke einen Einfluss auf Bildungsaspirationen und den Bildungserfolg haben, es aber noch durchaus Bedarf an weiteren Studien gibt, die explizite Indikatoren für die Netzwerk-Ressourcen verwenden.
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Hypothesen
Bezogen auf den vorangegangenen theoretischen Teil und unter Berücksichtigung vorhandener empirischer Ergebnisse werden in diesem Abschnitt die Annahmen und Hypothesen vorgestellt, die mit Hilfe von deskriptiven und multivariaten Analysen überprüft werden sollen. Die drei Annahmen der sozialen Ressourcentheorie sollen zwar alle überprüft werden, allerdings steht die Prämisse der sozialen Ressourcen stärker im Vordergrund, da der Fokus hier auf dem Einfluss von sozialen Ressourcen auf die mütterliche Aspiration liegt und nicht auf die Erklärung der erreichten Werte auf dem Positionsgenerator abzielt. Laut dieser ersten Annahme soll folgende Hypothese überprüft werden: Je mehr und/oder je bessere soziale Ressourcen im Netzwerk vorhanden sind, desto höher ist die realistische Bildungsaspiration der Mutter. Die vorhandenen Ressourcen an sich sollten von der Beziehungsstärke und der Ausgangsposition der Mutter beeinflusst werden. Es wird angenommen, dass die Höhe der Bildung der Mutter oder ihres Partners ein ausschlaggebender Faktor für die Zusammensetzung des Netzwerkes ist. Personen mit hoher Bildung sollten im Vergleich zu Personen mit niedriger Bildung allgemein mehr Personen mit unterschiedlichen Berufen kennen, wobei der Unterschied bei den Berufen mit hohem Berufsprestige am größten sein sollte. Ebenfalls werden Unter1 Der Effekt von Bezugsgruppen auf die Bildungsaspiration und den Bildungserfolg wird im Rahmen des Wisconsin-Modells ausführlich diskutiert (z.B. Sewell et al. 1969, 1970).
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schiede hinsichtlich der Beziehungsstärke insofern erwartet, dass schwache Beziehungen (Bekannte oder andere Personen, mit denen sie nicht verwandt oder befreundet sind) tendenziell eher einen Zugang zu hohen Positionen ermöglichen als starke Beziehungen (Familie, Freunde und Verwandte). Zusätzlich zu der allgemeinen Überprüfung der zweiten und dritten Prämisse werden beide Annahmen in Bezug auf die ethnische Herkunft neu formuliert. Nach dem Like-Me Prinzip sollte eine Präferenz bei Migrantinnen für Personen ihrer eigenen Ethnie vorhanden sein. Geht man einen Schritt weiter und bezieht systematische Unterschiede in der strukturellen Verteilung von Migrantinnen im Vergleich zu Einheimischen mit ein, dann sollten Migrantinnen einerseits weniger Personen mit hohem Berufsprestige kennen und andererseits sollten diejenigen mit hohem Prestige, die sie nennen, eher aus Deutschland stammen.
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Daten und Operationalisierung
Zur Durchführung der Analysen wird ein Teil der Daten aus der Panelstudie „Kinder und Jugendliche im deutschen und israelischen Bildungssystem“ ausgewertet. Die Datenerhebung wurde in drei Bundesländern durchgeführt: Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Der Datensatz beinhaltet bislang die vollständige Befragung zur ersten Welle von Kindern und Jugendlichen der Klassenstufen 4, 9 und 10 sowie deren Mütter. Für die vorliegende Untersuchung werden nur Jugendliche, die zum Befragungszeitpunkt die 9. Klasse der Hauptoder Gesamtschule und die 10. Klasse der Real- oder Gesamtschule besuchten, verwendet. Diese Jugendlichen stehen nach ihrem Abschluss vor der Entscheidung, ob sie die allgemeinbildende Schulausbildung fortführen oder ob sie den beruflichen Pfad wählen und eine Ausbildungs- oder Lehrstelle annehmen sollen. Während die erste Befragung vor dem Übergang stattfindet, soll die zweite Welle den Übergang an sich und die Umstände, die dazu geführt haben, erfassen. Momentan liegt nur die komplette erste Welle vor, da die Befragung der zweiten Welle noch nicht für alle Befragten stattgefunden hat. Der Datensatz beinhaltet insgesamt 1559 Fälle, bei denen sowohl eine Befragung von Jugendlichen und Müttern stattgefunden hat. Werden dabei nur diejenigen berücksichtigt, bei denen keine fehlenden Werte auf den relevanten Variablen vorhanden sind, umfasst die Stichprobe 1122 Fälle. Als abhängige Variable wird die realistische Aspiration der Mutter bezüglich eines Hochschulabschlusses ihres Kindes verwendet. Die Mütter wurden gebeten auf einer fünfstufigen Skala anzugeben, wie sicher sie sind, dass ihr Kind einmal ein Studium abschließen wird, wobei 1 für „ausgeschlossen“ und 5 für „sehr sicher“ steht. Kontrolliert wird in allen Modellen für die Ethnie, das
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Geschlecht, die Klassenstufe und die Schulform. Aus den letzten beiden Kontrollvariablen wurde ein zusammenfassendes Maß mit vier Ausprägungen gebildet, 9. Klasse Hauptschule, 9. Klasse Gesamtschule, 10. Klasse Realschule und 10. Klasse Gesamtschule. In den Analysen werden drei ethnische Gruppen unterschieden. Familien, in denen die Mütter und – falls vorhanden – ihre Partner in der Türkei, in der ehemaligen Sowjetunion bzw. in Deutschland geboren sind. Die seltenen Fälle, bei denen sich das Geburtsland der Mutter von dem ihres Partners unterscheidet, wurden aus den Analysen ausgeschlossen (insgesamt 42 Fälle). Da die realistische Aspiration erklärt werden soll, wird die Leistung der Jugendlichen in einem Sprachtest2 und in einem non-verbalen kognitiven Test3 als unabhängige Variable aufgenommen. Durch die Addition der erreichten Punkte bei beiden Tests entsteht eine Skala mit einem Wertebereich von 0 bis 45 Punkten. Zwar steht die Erklärung des Einflusses von sozialen Ressourcen auf die Aspiration im Vordergrund, dennoch werden auch Indikatoren für andere Kapitalien berücksichtigt. Das Humankapital der Eltern wird mit dem höchsten erreichten Bildungs- und Berufsabschluss der Eltern abgebildet. Die Einteilung erfolgte anhand der ISCED-97 Kodierung, wobei diese teilweise zusammengefasst wurden. Die ersten beiden ISCED-Kategorien werden in den Analysen als „niedrige Bildung“, die Kategorien 3, 4 und 5B als „mittlere Bildung“ und schließlich die Universitätsabschlüsse (ISCED 5A) als „hohe Bildung“ eingeteilt. Dabei wurden sowohl Abschlüsse in Deutschland als auch im Herkunftsland erworbene Abschlüsse berücksichtigt. Die Informationen zum Bildungsabschluss liegen für beide Elternteile vor, allerdings wurde für die Analysen der jeweils höhere von beiden ausgewählt. Das ökonomische Kapital wird mit Hilfe des Pro-Kopf-Einkommens erfasst, wobei das erste Haushaltsmitglied mit 1 und alle weiteren mit 0,5 gewichtet werden. Um das kulturelle Kapital abzubilden, wurde die Bücheranzahl im Haushalt verwendet. Die Anzahl der Geschwister und das Vorhandensein eines Partners bzw. Ehemanns der Mutter, welcher im selben Haushalt lebt, werden als Indikatoren des innerfamiliären Sozialkapitals in die Analysen mit eingeschlossen.4 Das sich im Netzwerk der Mutter befindliche Sozialkapital wird durch verschiedene Maßzahlen des Positionsgenerators gemessen, wobei der hier verwendete 12 Berufe umfasst. Es wurde darauf geachtet, dass diese Berufe hinsichtlich des damit verbundenen Berufsprestiges ein breites Spektrum abdecken, so dass jeweils vier Berufe niedrige, mittlere bzw. hohe Werte auf der Magnitude2 Verkürzter SL HAM 8/9 Hamburger Schulleistungstest für achte und neunte Klassen. Untertest zu Leseverständnis (Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung, Amt für Schule Hamburg 2000). 3 Kognitiver Fähigkeitstest für 4. bis 12. Klassen, Revision von Heller und Perleth (2000). 4 Für einen Überblick über die Verteilung der Variablen siehe Anhang A.1.
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Prestigeskala5 aufweisen. Bei der Auswahl wurde der Bekanntheitsgrad der einzelnen Berufe berücksichtigt, damit ein ausreichend großer Teil der Befragten eine Person mit dem entsprechenden Beruf kennt. Um sicherzugehen, dass die Befragten nur solche Personen nennen, mit denen sie zumindest eine schwache soziale Beziehung haben, wurden sie angewiesen nur diejenigen zu berücksichtigen, von denen sie zumindest den Namen kennen und mit denen sie ein kurzes Gespräch anfangen könnten. Dadurch ist es wahrscheinlich, dass den Befragten, wenn sie mehrere Personen mit dem entsprechenden Beruf kennen, als erstes die Person einfällt, mit der sie in einer engeren sozialen Beziehung stehen, während ihnen z.B. flüchtige Bekannte tendenziell erst später einfallen. Dies ist auch theoretisch sinnvoll, da sich Personen, falls sie einmal Hilfe benötigen, vor allem an solche Personen wenden, die ihnen schnell einfallen und zu denen eine starke Beziehungsintensität besteht. Wie schon erwähnt wurden zwei zusätzliche Informationen zu diesen Personen eingeholt: Erstens das Herkunftsland, aus dem diese Person stammt und zweitens die Beziehung, in welcher die Befragte zu der Person steht. Im Unterschied zu bisherigen Studien ist die Frage nach dem Herkunftsland der Netzwerkmitglieder eine Erweiterung, die Aufschluss darüber geben soll, inwieweit bei der Zusammenstellung des Netzwerkes gewisse Präferenzen für Personen der eigenen Ethnie vorhanden sind.6 Anhand des Positionsgenerators werden in der Literatur folgende Maßzahlen dargestellt und interpretiert: die Anzahl der genannten Berufe, die Distanz hinsichtlich des Prestiges zwischen dem höchsten und niedrigsten genannten Beruf, der Prestigewert des höchsten genannten Berufes, sowie die Summe der Prestigewerte und der durchschnittliche Prestigewert der genannten Berufe. Bevor im nächsten Abschnitt eine weitere Maßzahl zu den schon Vorgestellten hinzugefügt wird, soll an dieser Stelle zunächst die Tauglichkeit der bisher Erläuterten für die vorliegende Fragestellung evaluiert werden. Aus theoretischen Überlegungen heraus stellen die schiere Anzahl an genannten Berufen sowie die Distanz zwischen höchstem und niedrigstem Prestigewert der genannten Berufe für diese Studie keine geeigneten Maßzahlen dar. Für die Aspiration der Mütter sollten nämlich nicht die allgemeine Diversität bzw. Extensität ihrer Netzwerke zentral sein, sondern vielmehr ihre Zusammensetzung. So erscheint es, wie an anderer Stelle schon dargestellt, durchaus plausibel anzunehmen, dass gerade Personen mit hohem Berufsprestige oder Personen, die selbst studiert haben, in der Lage sind, hilfreiche Informationen zu geben und im Bedarfsfall für das 5 Die hier verwendete Magnitude-Prestigeskala wurde auf Basis der deutschen „Klassifizierung der Berufe“ rekonstruiert. Für ausführliche Informationen dazu, wie die Magnitude-Prestigeskala auf die „Klassifizierung der Berufe“ übertragen wurde, wird auf die Arbeit von Frietsch und Wirth (2001) verwiesen. 6 Für die genaue Fragestellung siehe Anhang A.2.
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erfolgreiche Abschließen des Studiums notwendige Ressourcen bereitzustellen. Des Weiteren sollten Personen, die selbst ein Studium absolviert haben, dieses als wichtig und wertvoll einschätzen und als positive Beispiele für die Mütter dienen. Personen mit niedrigem Berufsprestige, die nicht studiert haben, sollten hingegen nur wenige brauchbare Informationen und weitere Ressourcen bereitstellen können und sich daher nur leicht positiv oder aber gar nicht auf die Aspiration der Mütter auswirken. Darüber hinaus ist es aber auch plausibel anzunehmen, dass Personen mit niedriger Bildung einem Studium weniger Wichtigkeit zumessen und sich daher wie weiter oben begründet eine hohe Anzahl von gekannten Personen mit relativ niedrigem Status und vermutlich niedriger Bildung tendenziell sogar negativ auf die Aspirationen der Mütter auswirken. Aufgrund dieser theoretischen Argumentation sollten die beiden Indikatoren „Prestigewert des höchsten genannten Berufes“ und „durchschnittlicher Prestigewert“ für die vorliegende Fragestellung passender sein, da sie ihren Fokus stärker auf die Zusammensetzung und die Qualität der Netzwerke richten. Ein Nachteil dieser beiden Indikatoren besteht jedoch darin, dass sie nur einen geringen Teil der im Positionsgenerator enthaltenen Informationen nutzen, wodurch – nicht zuletzt durch das vollständige Ausblenden der Anzahl der genannten Berufe – die Gefahr besteht, dass das Sozialkapital der Mütter falsch eingeschätzt wird. So erhält eine Person, die angibt nur einen Juristen zu kennen bei beiden Maßzahlen einen höheren Wert als eine Person, die einen Informatiker, einen Übersetzer, einen Ingenieur, einen Lehrer und einen Steuerberater kennt. Eine naheliegende Möglichkeit sowohl die Zusammensetzung als auch die Extensität zu berücksichtigen wäre, nun die „Summe der Prestigewerte“ heranzuziehen. Allerdings weist dieser Indikator den verschiedenen Berufen zwar ein unterschiedliches Gewicht zu, aber es wird dabei indirekt angenommen, dass alle genannten Berufe eine positive Wirkung ausüben, was aber nicht notwendigerweise der Fall sein muss. Außerdem zeigt die fast perfekte Korrelation mit dem Indikator „Anzahl an genannten Berufen“ (r=0.98), dass für diese Maßzahl in erster Linie auch die Anzahl an genannten Berufen von Bedeutung ist. Daher soll zusätzlich zu den bisher diskutierten Messgrößen in den folgenden Analysen noch eine weitere, etwas differenziertere Möglichkeit der Messung des Sozialkapitals verwendet werden. Wie Lin und Erikson (2008: 15) hervorheben, kann es je nach Fragestellung durchaus sinnvoll sein, die im Positionsgenerator verwendeten Berufe nachträglich zu gruppieren und Maßzahlen für einzelne Untergruppen zu berechnen. Wie erwähnt scheint es hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Netzwerk und Aspiration der Mutter, dass sich vor allem das Vorhandensein von Personen mit prestigeträchtigen Berufen, für die in aller Regel ein Studienabschluss vorausgesetzt wird, positiv auf die Aspiration auswirken. Daher werden die Berufe des Positionsgenerators in solche unterteilt, die
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ein Studium voraussetzen und solche, für die kein Studium notwendig sind. Es werden dann zwei Maßzahlen gebildet, welche die Anzahl der genannten Berufe getrennt nach den beiden Berufskategorien ausgeben. Diese beiden Indikatoren berücksichtigen einen großen Teil der vorhandenen Informationen zum Netzwerk, basieren gleichzeitig auf klaren theoretischen Annahmen und bieten darüber hinaus die Möglichkeit einer detaillierten Betrachtung, welche Teile des Netzwerkes einen Effekt auf die Bildungsaspiration ausüben. Es werden demnach drei Maßzahlen zur Erfassung der zugänglichen sozialen Ressourcen verwendet: der durchschnittliche Prestigewert, der Prestigewert des höchsten genannten Berufs und der selbst erstellte Indikator, der aus zwei additiven Indizes besteht und die Anzahl von Berufen bezüglich des erforderten Abschlusses getrennt zusammenzählt.7 Ergänzend zu den obigen Hypothesen wird für die ersten beiden Maßzahlen angenommen, dass sie mit steigendem Wert die Aspiration der Mutter positiv beeinflussen. Bei den additiven Indizes sollte sich ein positiver Effekt für den Index herauskristallisieren, der die Berufe beinhaltet, für die ein Hochschulabschluss vorausgesetzt wird. Ob der Index für Berufe ohne Studium einen Einfluss auf die Aspiration hat und falls ja in welche Richtung dieser geht, bleibt aufgrund der oben gemachten Ausführungen unklar. Ein positiver Effekt würde dafür sprechen, dass sich vor allem die im Netzwerk befindlichen Ressourcen auf die realistischen Aspirationen der Mütter auswirken, während ein negativer Effekt auf eine größere Bedeutung der im Netzwerk herrschenden Wertvorstellungen hindeuten würde.
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Empirische Ergebnisse
6.1 Positionsgenerator und soziale Ressourcen Im ersten Analyseschritt wird ein Überblick über die prozentuale Verteilung der Antworten der Befragten auf die verschiedenen Antwortkategorien über die 12 Berufe des Positionsgenerators gegeben (siehe Tabelle 1). Die Berufe sind hier nicht in der Reihenfolge des Fragebogens angeordnet, sondern nach dem Wert auf der Magnitude-Prestigeskala aufsteigend sortiert. Im Durchschnitt kannten etwa 50 Prozent aller Befragten mindestens eine Person, die den jeweiligen Beruf ausübt. Es gibt keinen Beruf, den fast niemand oder fast alle genannt haben. Verkäufer wurden mit ca. 78 Prozent mit Abstand am häufigsten, Berufsschullehrer mit 30,2 Prozent am seltensten gekannt. Der Großteil der Berufe weist einen Bekanntheitsgrad zwischen 40 Prozent und 62 7
Für einen Überblick über die Verteilung der Maßzahlen des Positionsgenerators siehe Anhang A.3.
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Prozent auf. Betrachtet man die Durchschnittswerte für die einzelnen Gruppen, fällt auf, dass die Berufe mit niedrigem Prestige am häufigsten und Berufe mit hohem Prestige am seltensten genannt wurden. Dies spiegelt die von Lin (1999a) angenommene pyramidale Anordnung der Sozialstruktur in den Daten wider. Hinsichtlich der Beziehungsintensität zwischen den Befragten und den genannten Personen zeigt sich, dass der Zugang zu mehr als der Hälfte der genannten Berufe durch weak ties (Bekannte bzw. jemand anderes) ermöglicht wird, was aufgrund der vermuteten Verzerrung bei der Nennung der Beziehungsstärke durch ungleiche Abrufgeschwindigkeiten in der Befragungssituation einen ziemlich hohen Wert darstellt. Anhand eines Vergleichs der Gruppenmittelwerte zeigt sich außerdem, dass der Anteil von weak ties vor allem bei den prestigeträchtigsten Berufen sehr hoch ist, während das Gegenteil für Familienmitglieder bzw. Verwandte gilt. Freunde umfassen etwa 22 Prozent und sind recht gleichmäßig über die einzelnen Berufe und Berufsgruppen verteilt. Demnach kann festgehalten werden, dass schwächere soziale Beziehungen im Vergleich zu stärkeren Beziehungen den Zugang zu besseren sozialen Ressourcen im Sinne von Ausmaß und Heterogenität des Netzwerkes ermöglichen. Im letzten Abschnitt der Tabelle finden sich die Häufigkeiten der Berufsnennungen in Abhängigkeit von der Bildung der Eltern des Jugendlichen. Unabhängig von der Bildung gilt, dass Berufe mit niedrigem Berufsprestige am häufigsten und Berufe mit hohem Prestige am seltensten gekannt werden. Es zeigt sich außerdem, dass Mütter, die selbst oder deren Partner hoch gebildet sind, am häufigsten Personen mit einem der aufgelisteten Berufe kennen, während bei niedriger Bildung am wenigsten Berufe genannt werden. Es ist hierbei bemerkenswert, dass dies im Schnitt selbst für Berufe mit niedrigem Prestige zutrifft. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen für die Berufe mit niedrigem Prestige deutlich geringer als bei Berufen mit mittlerem und hohem Berufsprestige. Dies liegt daran, dass die Differenz zwischen dem Durchschnitt an gekannten Berufen mit hohem bzw. niedrigem Prestige bei hoher Bildung deutlich niedriger ist als bei niedriger oder mittlerer Bildung. Auf Basis der in diesem Abschnitt dargestellten Ergebnisse kann festgehalten werden, dass einerseits mit höherer Bildung gemäß der Prämisse der Positionsstärke ein besserer Zugang zu sozialen Ressourcen einhergeht und andererseits die in der Tabelle
31 46 52 51 45 74 80 81 88 80,8 105 106 132 146 122,3 82,7
61,6 66,6 60,8 78,1 66,8 49,7 43,8 36,5 47,9 44,5 30,2 53,4 30,8 42,5 39,2 50,2
% genannt Verwandte bzw. Partner 32,9 32,8 25,3 25,3 29,1 23,6 30,3 13,3 37,6 26,2 13,9 13,3 16,4 16,7 15,1 23,5 16,7 18,4 26,2 24,7 21,5 25,8 25,8 21,9 23,9 24,4 22,5 19,0 19,9 22,5 21,0 22,3
Freunde
Bekannte bzw. jmd. anderes 50,4 48,9 48,5 50,0 49,5 50,6 44,0 64,9 38,5 49,5 63,6 67,7 63,6 60,8 63,9 54,3
Beziehung falls genannt (%)
Quelle: Studie „Kinder und Jugendliche im deutschen und israelischen Bildungssystem“; Anmerkung: N=1122.
Hilfsarbeiter Kraftfahrzeugmechaniker Krankenpfleger Verkäufer Durchschnitt niedrig Bankfachmann/frau Informatiker Übersetzer Ingenieur Durchschnitt mittel Berufsschullehrer Steuerberater Gymnasiallehrer Jurist Durchschnitt hoch Durchschnitt Gesamt
Beruf
Berufsprestige MPS 62,6 54,2 44,1 71,5 58,1 35,2 27,4 29,6 27,9 30,0 15,1 34,6 15,6 33,5 24,7 37,6
niedrig 60,7 69,1 62,3 79,6 67,9 50,1 41,1 34,6 46,9 43,2 29,0 53,9 29,4 40,1 38,1 49,7
mittel
64,3 68,1 70,9 78,0 70,3 62,6 70,9 51,1 71,4 64,0 50,0 69,8 51,6 61,5 58,2 64,2
hoch
Bildung Eltern
Tabelle 1: Berufe des Positionsgenerators nach der Häufigkeit der Nennungen, der Stärke der Beziehungen und der Bildung der Eltern
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widergespiegelten Beziehungsstrukturen im Einklang mit der Prämisse der Beziehungsstärke stehen. Im nächsten Schritt wird in Tabelle 2 die Häufigkeit der Nennung der verschiedenen Berufe getrennt für die drei ethnischen Gruppen dargestellt. Vergleicht man die Gesamtdurchschnittswerte der drei ethnischen Gruppen so zeigt sich, dass die deutschen Befragten im Schnitt deutlich häufiger Personen mit den aufgelisteten Berufen kennen (59,9 Prozent) als die Befragten mit Migrationshintergrund (44,4 Prozent bzw. 43,5 Prozent). In allen drei ethnischen Gruppen werden Berufe mit niedrigem Prestige am häufigsten genannt und die Durchschnittswerte unterscheiden sich kaum. Bezüglich der einzelnen Berufe zeigen sich jedoch gewisse Unterschiede. So kennen zum Beispiel Deutsche Mütter deutlich seltener Hilfsarbeiter als Migrantinnen, dafür aber am häufigsten Krankenpfleger. Bei einem Vergleich der Durchschnittswerte der Prestigegruppen für die deutschen Befragten zeigt sich, dass sich die Nennhäufigkeit von Berufen mit mittlerem und hohem Prestige kaum unterscheiden, diese aber um etwa 13 Prozentpunkte seltener genannt werden als Berufe mit niedrigem Prestige. Für türkische Befragte sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Prestigegruppen noch stärker und bei den Befragten aus der ehemaligen Sowjetunion sind sie am deutlichsten ausgeprägt. Personen mit prestigeträchtigen Berufen werden von Migrantinnen am seltensten gekannt, gefolgt von Berufen mit mittlerem Prestige. Dies hat zur Folge, dass sich die ethnischen Gruppen bei den Durchschnittswerten der Berufe mit mittleren und hohen Prestigewerten deutlich unterscheiden. Deutsche Befragte kennen in diesen beiden Gruppen am häufigsten Personen, Befragte aus der ehemaligen Sowjetunion am seltensten. Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Deutsche Mütter verfügen verglichen mit den Müttern mit Migrationshintergrund über mehr Zugang zu sozialen Ressourcen, da ihre Netzwerke hinsichtlich des Ausmaßes und der Struktur deutlich vorteilhafter sind. Die beiden Migrantengruppen unterscheiden sich in Bezug auf die Extensität ihrer Netzwerke kaum, allerdings kennen türkische Mütter häufiger Personen in Berufen mit höherem Prestige. Mit Blick auf das Herkunftsland der gekannten Personen zeigt sich erwartungsgemäß, dass deutsche Befragte fast ausschließlich Personen nennen, die aus Deutschland stammen. Bei den Migrantinnen stammt der Großteil aus dem Ausland und weitere, hier nicht abgebildete, Analysen zeigen außerdem, dass es sich bei den sozialen Beziehungen zwischen Migranten fast ausschließlich um innerethnische Beziehungen handelt. Darüber hinaus ist bei allen drei ethnischen Gruppen der Anteil der genannten deutschstämmigen Personen bei den Berufen mit hohem Prestige im Vergleich zu Berufen mit mittlerem und niedrigem Deutsche durchschnittlich über mehr soziale Ressourcen verfügen. Es scheint für Migrantinnen nur schwer möglich zu sein, innerethnische, soziale Beziehungen
49,4 72,4 71,0 80,7 68,4 73,0 56,1 33,1 60,7 55,7 49,0 66,0 49,9 57,5 55,6 59,9
Hilfsarbeiter Kraftfahrzeugmechaniker Krankenpfleger Verkäufer Durchschnitt niedrig Bankfachmann/frau Informatiker Übersetzer Ingenieur Durchschnitt mittel Berufsschullehrer Steuerberater Gymnasiallehrer Jurist Durchschnitt hoch Durchschnitt Gesamt
Deutsche Herkunftsland der Person falls genannt BRD Ausl. 75,1 24,9 90,1 9,9 94,8 5,2 91,7 8,3 87,9 12,1 97,5 2,5 93,0 7,0 62,2 37,8 97,0 3,0 87,4 12,6 97,6 2,4 97,6 2,4 97,7 2,3 97,2 2,8 97,5 2,5 91,0 9,0 73,8 65,0 47,1 68,2 63,5 39,7 35,6 37,1 41,5 38,5 17,1 41,8 21,2 45,0 31,3 44,4
% genannt
Türkinnen Herkunftsland der Person falls genannt BRD Ausl. 8,5 91,5 7,8 92,2 13,8 86,2 13,1 86,9 10,8 89,2 26,3 73,7 10,8 89,2 4,8 95,2 13,6 86,4 13,9 86,1 27,6 72,4 28,6 71,4 33,8 66,2 23,8 76,2 28,5 71,6 17,7 82,3
Quelle: Studie „Kinder und Jugendliche im deutschen und israelischen Bildungssystem“ Anmerkung: N=1122.
% genannt
Beruf
Ehem. Sowjetunion % geHerkunftsland der nannt Person falls genannt BRD Ausl. 64,8 9,9 90,1 60,1 10,1 89,9 61,4 9,0 91,0 84,4 11,3 88,7 67,7 10,1 89,9 30,3 34,3 65,7 36,6 13,6 86,4 40,1 5,1 94,9 38,0 17,6 82,4 36,3 17,7 82,4 19,6 40,3 59,7 49,0 25,0 75,0 16,4 55,4 44,6 21,3 41,9 58,1 26,6 40,7 59,4 43,5 22,8 77,2
Tabelle 2: Berufe des Positionsgenerators nach dem Herkunftsland der genannten Person und Ethnie der Mütter
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zu Personen mit hohem Berufsprestige aufzubauen, da diese Berufe nur relativ selten von Personen ihrer eigenen Ethnie ausgeübt werden. Aufgrund der fehlenden Kontakte zu deutschen Personen können sie diesen Nachteil nicht durch soziale Beziehungen zu Deutschen mit hohem Berufsstatus ausgleichen. Abschließend soll hier noch ein letzter Punkt erwähnt werden. Es fällt auf, dass Befragte die aus der ehemaligen Sowjetunion stammen anteilig deutlich häufiger deutsche Kontakte nennen als türkische Befragte, was vor allem auf den recht hohen Anteil von 40,7 Prozent bei Berufen mit hohem Prestige zurückzuführen ist. Dies ist vor allem bemerkenswert, da die türkischen Befragten im Schnitt schon deutlich länger in Deutschland leben als die Befragten aus der ehemaligen Sowjetunion (24 Jahre vs. 13 Jahre). Diese Befunde deuten darauf hin, dass es Migrantinnen aus der ehemaligen Sowjetunion deutlich besser gelingt, soziale Beziehungen zu Deutschen aufzubauen und sie außerdem auch erfolgreicher dabei sind, fehlende innerethnische Beziehungen zu Personen mit hohem Berufsprestige durch Beziehungen zu Deutschen zu kompensieren. Da der Anteil an genannten Personen in dieser Prestigegruppe jedoch trotzdem niedriger ist als bei den Türkinnen, kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass es sich dabei lediglich um eine Reaktion darauf handelt, dass es den Migrantinnen aus der ehemaligen Sowjetunion aufgrund von mangelndem Angebot noch schwerer als Türkinnen fällt, innerethnische Beziehungen zu Personen mit hohem Berufsprestige aufzubauen.
6.2 Determinanten der realistischen Aspirationen der Mütter: Ergebnisse multivariater Analysen In Tabelle 3 sind die Ergebnisse mehrerer OLS-Regressionen mit der realistischen Aspiration der Mutter als abhängige Variablen dargestellt, in die schrittweise unabhängige Variablen eingeführt werden. Methodisch gesehen handelt es sich bei der Aspiration nicht um eine metrische, sondern um eine ordinal skalierte Variable, weshalb eigentlich ordinale Logit-Modelle zum Einsatz kommen müssten. Diese haben aber den Nachteil, dass die Ergebnisse unanschaulicher interpretierbar sind als die einer OLS-Regression. Da die abhängige Variable fünf Ausprägungen hat und darüber hinaus eine Berechnung der Modelle anhand des Proportional-Odds-Modells zu grundlegend gleichen Ergebnissen wie die OLS-Regressionen führte, werden hier aufgrund der besseren Interpretierbarkeit die Ergebnisse der OLS-Regressionen präsentiert. Aufgrund der vorliegenden Datenstruktur werden hier robuste Standardfehler mit den einzelnen Schulen als Cluster verwendet, wodurch korrelierte Fehlerterme innerhalb der Schulen be-
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rücksichtigt werden, so dass Unabhängigkeit nur zwischen den Schulen gewährleistet sein muss. Für das erste Modell wurden die Nationalität, die Klassenstufe und Schulform des Kindes, dessen Geschlecht und sein Abschneiden bei den Leistungstests als unabhängige Variablen aufgenommen. In Modell 2 gehen außerdem noch gängige Indikatoren für die Ausstattung an Humankapital, sowie ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen ein. Die Modelle 3a, 3b und 3c berücksichtigen zusätzlich zu allen anderen unabhängigen Variablen jeweils noch aus dem Positionsgenerator abgeleitete Maßzahlen für die Netzwerk-Ressourcen der Mutter.
Tabelle 3: Ergebnisse der multivariaten OLS-Regressionen zur Bildungsaspiration Modell 1
Modell 2
Modell 3a Modell 3b Modell 3c
Ethnische Herkunft (RK: deutsch) Türkisch
0,440**
0,656**
0,670**
0,661**
0,679**
Russisch
0,021
0,182*
0,223**
0,239**
0,252**
Klasse & Schule (RK: 9. Hauptschule) 9. Klasse Gesamtschule
0,240**
0,162+
0,149+
0,151+
0,155+
10. Klasse Realschule
0,359**
0,269**
0,235*
0,234*
0,226*
10. Klasse Gesamtschule
0,461**
0,369**
0,357**
0,351**
0,344**
Geschlecht (RK: weiblich)
-0,188**
-0,191**
-0,186**
-0,190**
-0,194**
0,040**
0,037**
0,037**
0,037**
0,036**
Leistung
Fortsetzung auf der nächsten Seite.
200
Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
Tabelle 3: Fortsetzung – Ergebnisse der multivariaten OLS-Regressionen zur Bildungsaspiration Modell 1
Modell 2
Modell 3a Modell 3b Modell 3c
Mittel
-0,333**
-0,316**
-0,312**
-0,263**
Niedrig
-0,412**
-0,378**
-0,354**
-0,292*
Bildung Eltern (RK: hoch)
Pro-Kopf Einkommen (in 1000 Euro) Bücher in Haushalt Partner in Haushalt vorhanden Anzahl Geschwister
0,093
0,067
0,073
0,043
0,108**
0,081**
0,072**
0,057*
-0,108
-0,094
-0,089
-0,093
-0,018
-0,018
-0,017
-0,023
Prestigewert Durchschnitt
0,005**
Prestigewert Maximal Anzahl Berufe mit Uni Abschluss Anzahl Berufe ohne Uni Abschluss Konstante
1,513
1,558
1,217
1,196
1,382
R²
0,134
0,169
0,175
0,182
0,191
0,004** 0,082**
0,020
Quelle: Studie „Kinder und Jugendliche im deutschen und israelischen Bildungssystem“ Anmerkung: ** p=0,01 * p=0,05 + p=0,1; N=1122.
Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an!
201
Anhand vom Modell 1 erkennt man, dass sich unter Kontrolle der anderen in das Modell aufgenommenen unabhängigen Variablen die Aspirationen zwischen deutschen Müttern und Müttern aus der ehemaligen Sowjetunion nicht unterscheiden, während türkische Mütter die Wahrscheinlichkeit eines Studienabschlusses ihres Kindes signifikant höher einschätzen. Erwartungsgemäß beeinflusst ein gutes Abschneiden der Jugendlichen bei den Leistungstests die realistische Aspiration der Mütter signifikant positiv. Hält man sich vor Augen, dass die bei dem Leistungstest erzielbare Punktzahl von 0 bis 45 reicht, ist dieser Effekt trotz des auf den ersten Blick vergleichsweise kleinen Regressionskoeffizienten als stark zu bezeichnen. Hinsichtlich der Schulart und der Klassenstufe zeigen sich selbst unter Kontrolle der Leistungstests signifikante Effekte. Sowohl Mütter von Neuntklässlern der Gesamtschule als auch von Zehntklässlern der Realschule beziehungsweise Gesamtschule haben deutlich höhere Aspirationen als Mütter von Hauptschülern, wobei der Unterschied zu Müttern von Gesamtschülern der 9. Klasse am geringsten und von Gesamtschülern der 10. Klasse am höchsten ausfällt. Mütter trauen ihrem Kind außerdem dann eher einen erfolgreichen Studienabschluss zu, wenn es sich dabei um eine Tochter handelt. Mit dem ersten Modell können etwa 13 Prozent der Varianz mütterlicher Aspirationen erklärt werden. Die Ergebnisse hinsichtlich der Wirkung der Leistung, des Geschlechts sowie der Klassenstufe und Schulform bleiben auch nach Aufnahme weiterer unabhängiger Variablen in Modell 2 grundsätzlich gleich, auch wenn sich die einzelnen Koeffizienten leicht verändern. Die einzige inhaltlich relevante Veränderung ist, dass der Unterschied zwischen Müttern von Neuntklässlern in der Hauptschule und von Neuntklässlern in der Gesamtschule nun lediglich auf dem 10-Prozentniveau signifikant ist. Der Einfluss der ethnischen Herkunft verändert sich hingegen deutlich zwischen den beiden Modellen. So werden die Unterschiede zwischen den beiden Migrantengruppen und den Deutschen im Modell größer, wodurch auch eine signifikante Differenz zwischen Müttern, die aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, und deutschen Müttern erkennbar wird. Die Bildung, die als Indikator für das Humankapital verwendet wird, hat einen klaren Einfluss auf die Aspiration der Mutter. Die Mütter, die selbst beziehungsweise deren Partner eine hohe Bildung haben, schätzen es als sicherer ein, dass ihr Kind einmal ein Studium abschließen wird, als dies bei mittlerer oder niedriger Bildung der Fall ist. Auch das kulturelle Kapital, erfasst durch die Anzahl der sich im Haushalt befindlichen Büchern, führt zur Erhöhung der Aspiration. Die Effekte der beiden häufig verwendeten Indikatoren für das vorhandene innerfamiliäre Sozialkapital, nämlich die Anzahl der Geschwister und das Vorhandensein eines Partners, scheinen dagegen keine Rolle bei der Formierung der realistischen Aspiration zu spielen. Für das Pro-Kopf-Einkommen als Indikator
202
Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
der ökonomischen Ressourcen deutet sich zwar ein positiver Effekt an, der aber nicht signifikant ist. Es kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass in Modell 2 zwar die Indikatoren für das Humankapital und für die kulturellen Ressourcen signifikante Effekte aufweisen, die Indikatoren für ökonomische und soziale Ressourcen innerhalb der Familie hingegen nicht. Die Wirkung von außerfamiliärem Sozialkapital, das bislang nicht berücksichtigt wurde, wird durch die Verwendung verschiedener Maßzahlen des Positionsgenerators in den Modellen 3a, 3b und 3c untersucht. Es zeigt sich in den Modellen 3a und 3b, dass die verwendeten Indikatoren der Netzwerk-Ressourcen signifikante und hypothesenkonforme Effekte auf die Aspiration der Mütter haben. So hat die Höhe des Prestigewertes des prestigeträchtigsten genannten Berufs einen positiven Einfluss auf die Aspiration, wobei Selbiges auch für den durchschnittlichen Prestigewert aller genannten Berufe gilt. Trotz der kleinen Koeffizienten sind diese Effekte durchaus beachtlich, da die möglichen Prestigewerte von 0 bis 146 variieren. Der Anteil der erklärten Varianz der abhängigen Variablen erhöht sich um 0,6 beziehungsweise 1,3 Prozentpunkte. Die signifikanten Koeffizienten und die Erhöhung der erklärten Varianz bestätigen die Hypothese, dass eine Steigerung der im Netzwerk befindlichen Ressourcen zu höheren Bildungsaspirationen führen. Wenngleich diese beiden Maßzahlen gewisse Rückschlüsse über die Zusammensetzung der Netzwerke der Mütter zulassen, nutzen sie doch nur einen Teil der im Positionsgenerator enthaltenen Informationen. Die Schwäche beider Indikatoren besteht darin, dass die Anzahl der genannten Berufe völlig ausgeblendet wird, weshalb die Gefahr einer Fehleinschätzung der Netzwerk-Ressourcen der Mütter besteht. Des Weiteren ermöglichen die beiden Indikatoren zwar den Einfluss von Personen mit prestigeträchtigen Berufen zu bestimmen, sie erlauben aber keine differenzierte Betrachtung der Auswirkung von Personen mit niedrigem Berufsprestige im Netzwerk der Mütter. Aufgrund dessen wurden die in das Modell 3c aufgenommenen Maßzahlen „Anzahl Berufe mit Uni Abschluss“ und „Anzahl Berufe ohne Uni Abschluss“ konstruiert, welche die beiden genannten Probleme lösen sollen. So erlaubt die gleichzeitige Verwendung von diesen Maßzahlen, von denen die eine die Anzahl der genannten prestigeträchtigen Berufe, für die in der Regel ein Studium vorausgesetzt wird, und die andere die Anzahl der genannten Berufe mit geringem Prestige, für die kein Universitätsabschluss notwendig ist, auch den Effekt von sich im Netzwerk befindlichen Personen mit niedrigem Berufsprestige zu untersuchen. Zusätzlich wird auch die Anzahl der genannten Berufe berücksichtigt. In Modell 3c zeigt sich annahmegemäß, dass die Anzahl der genannten prestigeträchtigen Berufe, die ein Studium voraussetzen, einen signifikant positiven Effekt auf die Aspiration hat. Je mehr dieser Berufe von der Mutter genannt
Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an!
203
wurden, desto höher ist ihre Aspiration. Dies spricht noch einmal für die Richtigkeit der anhand der Modelle 3a und 3b gemachten Schlussfolgerungen. Der Einfluss der Berufe mit niedrigem Prestige ist zwar auch positiv, aber der Koeffizient ist deutlich kleiner und der Effekt verpasst klar das 10-ProzentSignifikanzniveau. Vergleicht man die R2-Werte der Modelle erkennt man, dass in Modell 3c der Anteil der erklärten Varianz am größten ist. Weitere Tests, bei denen Modell 3c mit den anderen multivariaten Modellen hinsichtlich ihrer Modellgüte verglichen wurden, bestätigen, dass es sich dabei um das Modell mit der größten Erklärungskraft handelt.8 Abschließend kann also festgehalten werden, dass sich lediglich das Vorhandensein von Personen mit hohem Berufsprestige auf die Aspiration der Mütter hinsichtlich eines Studienabschlusses auswirkt, während die anderen sich im Netzwerk befindlichen Personen weder einen positiven noch einen negativen Effekt haben. Aufgrund der fehlenden Signifikanz des Effektes für die Anzahl der genannten Berufe ohne Universitätsabschluss können aus den gemachten Analysen keine Hinweise abgeleitet werden, ob eher das Wissen der Mütter über die im Netzwerk eingebetteten Ressourcen oder die durch das Netzwerk vermittelten Wertvorstellungen den Einfluss der Netzwerkzusammensetzung auf die Aspiration begründen. Ein positiver Effekt hätte dafür gesprochen, dass vor allem die im Netzwerk befindlichen Ressourcen wichtig sind, während ein negativer Effekt auf eine größere Bedeutung der im Netzwerk herrschenden Wertvorstellungen hingedeutet hätte.
7
Zusammenfassung und Diskussion
Der vorliegende Beitrag analysiert die Determinanten der realistischen Bildungsaspiration von Müttern, deren Kinder die 9. Klasse der Haupt- oder Gesamtschule bzw. die 10. Klasse der Real- oder Gesamtschule besuchen. Die Aspiration wird dabei anhand der angegebenen Sicherheit der Mutter gemessen, dass ihr Kind einmal erfolgreich ein Studium abschließen wird. Im Mittelpunkt steht 8 Zum Vergleich von hierarchisch geschichteten Modellen können Likelihood-Ratio-Tests verwendet werden, während sich für nicht hierarchisch geschichtete Modelle das sogenannte Bayesian Information Criterion (BIC) anbietet (Kohler/Kreuter: 291 f.). Bei einem Vergleich der Modelle 1 und 2 mit Modell 3c zeigen die auf Likelihood-Ratio-Tests basierenden Prob > Chi2–Werte von jeweils 0,00, dass sich die Güte durch die Aufnahme der zusätzlichen unabhängigen Variablen verbessert. Beim Vergleich der nicht hierarchisch geschichteten Modelle 3a und 3b mit Modell 3c werden die Unterschiede in den BIC-Werten herangezogen. Hierbei gilt allgemein: Je kleiner der BIC-Wert ist, desto besser ist der Fit und desto eher gibt das Modell die tatsächlich beobachteten Daten wieder (Long/Freese: 94). Die Differenz der BIC-Werte von etwa 15 bzw. 6 (Wert von Modell 3c ist jeweils negativer) deuten auf einen besseren Fit von Modell 3c hin.
204
Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
dabei die Frage, in welchem Ausmaß das soziale Netzwerk einen Einfluss auf die realistische Bildungsaspiration hat. Darüber hinaus wird die Zusammensetzung der sozialen Netzwerke bezüglich unterschiedlicher Aspekte diskutiert. Zusätzlich werden Unterschiede in der Netzwerkausstattung von Müttern, die aus der ehemaligen Sowjetunion, der Türkei bzw. Deutschland stammen, betrachtet. Wie vermutet werden die vorhandenen Ressourcen von der Beziehungsstärke und der Ausgangsposition der Mutter beeinflusst. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Höhe der Bildung der Mutter bzw. ihres Partners ein ausschlaggebender Faktor für die Zusammensetzung des Netzwerkes darstellt. Bei hoher Bildung kennen Mütter mehr Personen mit unterschiedlichen Berufen und geben gleichzeitig deutlich mehr Personen an, die Berufe mit hohem Prestige ausüben. Offensichtlich korreliert die Bildung der Eltern positiv mit der Diversität, Extensität und Qualität der sozialen Netzwerke. Daneben bestätigen unsere deskriptiven Ergebnisse die Annahme hinsichtlich der Beziehungsstärke zu den genannten Kontaktpersonen. Weak ties ermöglichen eher einen Zugang zu hohen Positionen als strong ties, was klar für die Prämisse der Beziehungsstärke von Lin (1999a: 470) spricht. Bezüglich der ethnischen Herkunft kann festgehalten werden, dass Migrantinnen viel häufiger Kontakt zu Personen mit Migrationshintergrund als zu Deutschen haben. Sie kennen auch viel weniger Personen aus höheren sozialen Schichten als Deutsche, während jedoch keine Unterschiede zwischen den Gruppen besteht, was die Quantität des Netzwerkes im unteren Bereich der beruflichen Pyramide angeht. Die von Migrantinnen genannten Netzwerkpersonen, die Berufe mit hohem Prestige ausüben, stammen häufiger aus Deutschland als diejenigen mit niedrigem Prestige, wobei Aussiedlerfamilien besser mit den vorteilhaften Kontakten zu Deutschen ausgestattet sind als türkische Familien. Ferner zeigen die Ergebnisse der multivariaten Analysen, wie vermutet, dass die Aspiration der Mutter umso höher ist, je mehr und je bessere soziale Ressourcen in ihrem Netzwerk vorhanden sind. Sowohl der durchschnittliche als auch der maximale Prestigewert und die Anzahl der Berufe, die in der Regel ein Studium voraussetzen, haben signifikante Effekte, während dies für die Anzahl der Berufe mit niedrigem Prestige nicht zutrifft. Dies wird von uns als Hinweis dafür gesehen, dass es vor allem die Qualität der Netzwerke ist, welche die Aspiration hinsichtlich eines erfolgreichen Studienabschlusses beeinflusst. Die im Abschnitt zu den sozialen Netzwerken und Bildungsaspirationen schon skizzierten theoretischen Möglichkeiten, wieso soziale Ressourcen auf Aspirationen wirken, sollen hier noch einmal aufgegriffen werden. Die realistischen Aspirationen sind, wie in der Einleitung definiert, das Ergebnis der Subtraktion der Restriktionen von den idealistischen Aspirationen. Das Ausmaß dieser Einschränkungen ergibt sich aus der Kalkulation von potenziell nutzbaren
Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an!
205
Ressourcen im Bedarfsfall. Für die realistischen Bildungsaspirationen ginge es hierbei um die Abwägung der Personen im Netzwerk, die Informationen zum Bildungssystem liefern oder Hilfestellung bei konkreten Schulaufgaben leisten können und ähnliches. Vor allem Mütter mit hohem außerfamiliärem Sozialkapital sollten tendenziell ihr vorhandenes Repertoire an Unterstützungsmöglichkeiten als hoch und die Restriktionen daher als gering einschätzen. Nach einem anderen Ansatzpunkt können soziale Ressourcen auch über die Wahrnehmung der Mütter auf die realistischen Aspirationen wirken. Sind im Umfeld und in den Kreisen, in denen die Familie verkehrt, viele Personen vorhanden, die ein Studium absolviert haben, sollte die Zuversicht der Eltern, dass auch das eigene Kind die Hochschule schaffen kann sowie der zugeschriebene Wert eines solchen Abschlusses, zunehmen. Als Konsequenz dieser Wahrnehmungsbeeinflussung könnte sogar eine Veränderung im Verhalten der Eltern bezogen auf schulische Angelegenheiten ausgelöst werden. So sollten eher Verhaltensweisen auftreten, die für das Erreichen einer hohen Bildung förderlich sind, wie z.B. die emotionale und materielle Unterstützung des Kindes oder aber die Einbindung der Eltern in schulische Angelegenheiten. Ein direkter Test, welche Wirkungsmechanismen tatsächlich zugrunde liegen, ist mit den vorliegenden Daten nicht möglich und auch ein indirekter Test anhand der Anzahl der genannten Berufe, die kein Studium voraussetzen, konnte aufgrund des nichtsignifikanten Effekts keinen Aufschluss bringen. Die endgültige Klärung der Frage, weshalb das soziale Netzwerk die Aspirationen beeinflußt, muss daher auf künftige Untersuchungen verschoben werden. Weiterhin ist zu erwähnen, dass – wie auch in anderen Studien – türkische Eltern höhere Bildungsaspirationen für ihre Nachkommen aufweisen als deutsche. Erst durch die Kontrolle für den sozioökonomischen Hintergrund der Familien ist die Annahme der höheren Aspiration bei Migrantinnen auch für Personen aus der ehemaligen Sowjetunion haltbar. Weshalb sich die beiden Migrantengruppen in ihrer Ausgangsposition unterscheiden und warum trotz Kontrolle wichtiger Kapitalien dennoch für beide Gruppen ausgeprägte Differenzen untereinander und zu deutschen Müttern bestehen, wurde in diesem Kapitel nicht aufgegriffen, da dies nicht zur zentralen Fragestellung und Zielsetzung gehört. Die Resultate plädieren in jedem Falle für eine gesonderte Untersuchung, die sich dem Themenkomplex der Aspiration unter dem Gesichtspunkt der Ethnie zur Klärung dieser nachgewiesenen Unterschiede auseinandersetzt. Die Verfügbarkeit von kulturellem und Humankapital wirkt wie erwartet positiv, wobei kein eigenständiger Effekt der ökonomischen Ressourcen und des innerfamiliären Sozialkapitals festzustellen ist. Wie oben geschildert können Netzwerk-Ressourcen über die restlichen Kapitalien hinaus einen weiteren wichtigen Beitrag zur Klärung der Bildungsaspirationen leisten. Sicherlich ist der hier
206
Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
verwendete Positionsgenerator nicht unproblematisch, da von vornherein eine Auswahl an Berufen getroffen werden muss. Diese Auswahl kann einer gewissen Selektivität unterliegen, die ein möglicherweise verzerrtes Bild der NetzwerkRessourcen wiedergibt, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass es Berufe gibt, mit denen eher Migranten in Kontakt kommen als Deutsche und umgekehrt. Trotz dieser eventuellen Problematik sprechen die Ergebnisse eindeutig für den Positionsgenerator als Indikator für die Netzwerk-Ressourcen. Eine wichtige offene Frage ist natürlich, ob der Einfluss der Verfügbarkeit von zentralen Ressourcen und vor allem von Sozialkapital auf die tatsächlichen Bildungsentscheidungen und den Bildungserfolg in ähnlicher Weise ausfällt wie dies bei der Aspiration der Fall ist. Der kritische Test für die oben genannten Funktionen des sozialen Netzwerkes wird nach Lin (1999b) schließlich durch das instrumentelle Handeln geliefert, was in unserem Fall einerseits die Entscheidung für oder gegen ein Studium ist und andererseits die erfolgreiche Beendigung dieses aufgenommenen Studiums. Bei dieser Fragestellung kommt auch zusätzlich die Diskussion zur Unterscheidung zwischen dem Zugang zu Ressourcen und dem tatsächlichen Gebrauch dieser auf. Die Untersuchung der ungeklärten Fragen ist erst mit weiteren Daten und Analysen möglich, weshalb diese Punkte offen für zukünftige Forschungen bleiben.
8
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210 9
Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan Anhang
A.1: Überblick über die in den Analysen verwendeten Variablen
Variable
Ausprägungen bzw. Min - Max
Ordinale / Nominale Variablen: Verteilung
Bildungsaspiration*
Min 1 – Max 5
Ethnische Herkunft
Deutsch Türkisch Ehem. Sowj.
38,9% 30,0% 31,1%
9. Klasse Hauptschule 9. Klasse Gesamtschule 10. Klasse Realschule 10. Klasse Gesamtschule
18,2% 30,6% 27,0% 24,1%
Weiblich Männlich
47,5% 52,5%
Klasse & Schule
Geschlecht Leistung
Bildung Eltern
2,90 (1,05)
Min 7 – Max 41 Niedrig Mittel Hoch
(Quasi)-Metrische Variablen: Mittelwert (Standardabweichung)
26,4 (6,80) 15,7% 68,0% 16,3%
Pro-Kopf Einkommen (in 1000 €)
Min 0,14 – Max 2,25
0,85 (0,38)
Bücher im Haushalt **
Min 1– Max 6
3,45 (1,26)
Partner im Haushalt vorhanden
Ja Nein
Anzahl Geschwister
Min 0 – Max 9
83,7% 16,3% 1,85 (1,40)
Quelle: Studie „Kinder und Jugendliche im deutschen und israelischen Bildungssystem“ Anmerkungen: N= 1122 ; * Skala: 1 „ausgeschlossen“, 2 „unwahrscheinlich“, 3 „möglich“, 4 „sicher“ und 5 „sehr sicher“ ; ** Skala: 1 „0-10 Bücher“, 2 „11-25“, 3 „26-100“, 4 „101-200“, 5 „201500“ und 6 „mehr als 500 Bücher“.
Auf die „richtigen“ Kontakte kommt es an!
211
A.2: Exakte Frageformulierungen im Positionsgenerator: a) Kennen Sie jemanden in Deutschland, der [Beruf 1-12]* ist? Bitte nennen Sie nur die Person, deren Namen Sie kennen und mit der Sie ein kurzes Gespräch anfangen könnten. Wenn Sie mehrere Personen mit dem Beruf kennen, nennen Sie die Person, die Ihnen als erstes in den Sinn gekommen ist. Antwortkategorien:
Ja Nein
b) Aus welchem Herkunftsland ist diese Person?** Antwortkategorien:
Deutschland Ehemalige Sowjetunion Türkei Anderes Ausland
c) Ist diese Person ein…** Antwortkategorien:
...Ehemann/ Partner/Kind ...Verwandter/ eine Verwandte ...Freund/ eine Freundin ...Bekannter/ eine Bekannte Jemand anderes
* Berufe: 1. Krankenpfleger/In; 2. Ingenieur/In; 3. Übersetzer/In; 4. Berufsschullehrer/In; 5. Hilfsarbeiter/in; 6. Steuerberater/In; 7. Informatiker/In; 8. Bankfachmann/Frau; 9. Kraftfahrzeugmechaniker/In; 10. Jurist/In; 11. Gymnasiallehrer/In; 12. Verkäufer/In ** Die Fragen b und c werden nur gestellt, wenn Frage a mit ja beantwortet wurde.
212
Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan
A.3: Überblick über die Maßzahlen des Positionsgenerators nach Ethnie
Deutsche MW(SD)
Türkinnen MW(SD)
Ehemalige Sowjetunion MW(SD)
Prestigewert Maximal (0-146)
127,21 (29,16)
111,08 (40,92)
102,06 (36,90)
Prestigewert Durchschnitt (0-132)
77,27 (13,81)
67,54 (19,17)
64,67 (18,21)
Anzahl Berufe mit Uni Abschluss (0-7)
3,73 (2,09)
2,39 (1,93)
2,20 (1,72)
Anzahl Berufe ohne Uni Abschluss (0-5)
3,47 (1,27)
2,93 (1,44)
3,01 (1,40)
Maßzahlen (Min-Max)
Quelle: Studie „Kinder und Jugendliche im deutschen und israelischen Bildungssystem“ Anmerkungen: N= 1122.
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung und Erwerb von Ausbildungsabschlüssen Christian Hunkler
1
Einleitung*
Nicht nur die erste Einwandergeneration, sondern auch ihre überwiegend in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Nachfahren der „zweiten Generation“ und hierbei insbesondere die türkischen Jugendlichen sind mit deutlichen Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert (Bender/Seifert 1998; Granato/Kalter 2001; Kalter/Granato 2007). Der Beitrag sucht nach Erklärungen für diese strukturellen Assimilationsschwierigkeiten der Nachfahren der klassischen Gastarbeiter, die ab 1955 vor allem aus Italien, Spanien, Griechenland und der Türkei angeworben wurden, um den Bedarf an Arbeitskräften im einsetzenden „Wirtschaftswunder“ zu decken (vgl. Münz/Ulrich 2000: 21). Dabei beschränkt sich die theoretische und empirische Analyse auf Nicht-Hochschulabsolventen und damit auf einen der zwei1 Standardübergänge in den deutschen Arbeitsmarkt, nämlich den über das duale Berufsbildungssystem. Migranten erreichen sehr häufig nur einen mittleren oder nur einen Hauptschulabschluss (Alba et al. 1994; Geißler 2005; Wagner et al. 1998). Damit ist der direkte Zugang zum Hochschulsystem, dem zweiten Standardübergang, schon formal für einen Großteil der Migranten nicht möglich. Üblicherweise wird der Übergang von Schule/Ausbildungssystem direkt in den Arbeitsmarkt untersucht. Vor dem Hintergrund des deutschen von dualer Ausbildung dominierten Berufsbildungssystems ist es allerdings realistischer, den Zugang zum Ausbildungssystem in zwei Übergange zu zerlegen: Erstens der Übergang in duale Ausbildung und zweitens der * Frank Kalters Studie war der Impuls für diese Analysen und die Einblicke in seine Extraktion der GSOEP Daten war extrem hilfreich. Bedanken möchte ich mich außerdem bei Josef Brüderl für seine Hinweise zur statistischen Modellierung, bei den Herausgebern und bei Stephanie Steinmetz für viele sehr hilfreiche Anregungen. Tobias C. Hannemann, Sebastian Weingartner und Meike Thüsing waren eine große Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Manuskriptes. 1 Normalerweise werden drei Übergangsmuster unterschieden, (1) über betriebliche (duale) Ausbildung, (2) über schulische Berufsausbildung und (3) über höhere tertiäre Bildungsgänge in Fachhochschulen und Universitäten. Allerdings ist (2) zumindest in den hier verwendeten Daten des GSOEP vernachlässigbar.
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Christian Hunkler
Übergang in den regulären Arbeitsmarkt, je nach Ergebnis des ersten Übergangs mit oder ohne Ausbildungszertifikat (vgl. Dietrich/Abraham 2005: 74; Witte/Kalleberg 1992: 3). Da Unternehmen selbst über den Zugang zu (ihren) Ausbildungsplätzen entscheiden, ist die Analyse des Zugangs zu beruflicher Ausbildung zentral. Dieses Kapitel geht daher der Frage nach, inwiefern sich im Zugang zu Ausbildungsplätzen im dualen System und schließlich im Erwerb von Ausbildungszertifikaten ethnische Unterschiede zeigen und auf welche Ursachen diese zurückzuführen sind. Nur wenn sich keine „ethnischen“ Zugangsbarrieren zu Ausbildungsplätzen im dualen System zeigen, ist eine Erklärung der späteren Arbeitsmarktnachteile durch schlechtere oder nicht vorhandene berufliche Bildungsabschlüsse sinnvoll (vgl. hierzu auch Pager/Shepherd 2008: 188). Ein weiterer Grund für die Analyse der ersten Platzierung in Ausbildung ist die zentrale Bedeutung der Phase des Arbeitsmarkteinstiegs für die spätere Karriereentwicklung (vgl. Blossfeld 1987; Dietrich/Abraham 2005; Müller/ Gangl 2003). Die Analysen erfolgen mit Daten des Sozioökonomischen Panels (GSOEP), die neben Informationen zu Humankapital der Jugendlichen sowie dem Bildungs- und sozioökonomischem Kapital der Eltern auch detaillierte Messungen über relevante Aufnahmeland-spezifische kulturelle Ressourcen enthalten. Der Einfluss des sozialen Hintergrundes und speziell die Bedeutung Aufnahmelandspezifischer Ressourcen wurde für diesen Übergang bisher wenig untersucht. Der nächste Abschnitt beschreibt die Besonderheiten des beruflichen Bildungssystems in Deutschland. Dabei wird die Wichtigkeit einer beruflichen Ausbildung für die Arbeitsmarktpositionierung insbesondere der zweiten Migranten-Generation hervorgehoben und argumentiert, dass beim Zugang zu Ausbildungsplätzen im dualen System mit stärkeren Diskriminierungseffekten gerechnet werden muss, als beim späteren Übergang in reguläre Beschäftigung. Im Anschluss werden die verschiedenen Erklärungsansätze für die schlechtere Platzierung von Migranten diskutiert und die zu testenden Hypothesen abgeleitet. Der empirische Teil gliedert sich in die Beschreibung des aus dem GSOEP extrahierten Panel-Datensatzes, der verwendeten Messungen und Schätzmethoden und der Darstellung der Resultate anhand deskriptiver Tabellen sowie diskreter Ereignisdatenanalysen.
2
Berufliche Bildung in Deutschland
In Deutschland, ebenso wie etwa in Österreich oder der Schweiz, spielen Unternehmen eine zentrale Rolle in der beruflichen Ausbildung. Daher ist schon im Zugang zu Ausbildung der eigentliche Übergang in den Arbeitsmarkt zu sehen.
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung
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Etwa 60 Prozent aller Schulabgänger starten ihre berufliche Ausbildung im sogenannten dualen System, wobei der Anteil an Abiturienten, die einen beruflichen Ausbildungsabschluss anstreben, deutlich zugenommen hat (Lohmar/Eckhardt 2008: 103; Witte/Kalleberg 1995). Hier kooperieren staatliche Berufsschulen mit Unternehmen, wobei letztere hauptsächlich die praktischen Inhalte der Ausbildung vermitteln. Die Ausbildungsinhalte, die arbeitsrechtliche Beziehung zwischen Unternehmen und Auszubildenden, sowie ihre Rechte und Pflichten sind weitgehend reguliert, etwa durch das Berufsbildungsgesetz, das Gesetz zur Ordnung des Handwerks oder der Ausbildungsordnungen. Die Unternehmen sind aber vollkommen frei in der Auswahl ihrer Auszubildenden, soweit diese die formalen Vorraussetzungen erfüllen (für einige Ausbildungen müssen bestimmte Schulabschlüsse bzw. Notendurchschnitte vorliegen). Damit sind – zwar unter etwas anderen Randbedingungen – die auch für den „normalen“ Arbeitsmarkt verwendeten Allokationstheorien des „Matchings“ von Kandidaten zu Arbeitgebern prinzipiell anwendbar. Hierzu zählen auch die Erweiterungen im Hinblick auf Suchstrategien und -ressourcen der Schulabgänger und den Screeningstrategien der Arbeitgeber, die unter Umständen auch diskriminierende Präferenzen oder Auswahlroutinen anwenden könnten. Es kann nun argumentiert werden, dass die Allokation von Schulabgängern zu Ausbildungsplätzen unter spezifischen Randbedingungen abläuft, die Arbeitgeberdiskriminierung beim Zugang zu dualen Ausbildungsprogrammen wahrscheinlicher macht als auf den anderen Stufen des Schul-ArbeitsmarktÜberganges und dass insbesondere die Arbeitsmarktchancen von Migranten der zweiten Generation überdurchschnittlich davon betroffen sind. Petersen und Saporta (2004) argumentieren, dass generell bei Einstellungen im Vergleich z.B. zu Beförderungen, Kündigungen, Lohnfestlegungen oder Leistungseinschätzungen Diskriminierung aufgrund der spezifischen Opportunitätsstrukturen am wahrscheinlichsten ist. Aus Beckers Arbeiten zur Präferenzdiskriminierung folgt, dass bei einem im Hinblick auf die Wettbewerbstrukturen un-vollkommeneren Arbeitsmarkt mit mehr Diskriminierung zu rechnen ist (Becker 1971: 44f.; siehe auch Kalter 2003: 83, 110f.). Zwei Gründe sprechen dafür, dass Einstellungen von Auszubildenden im Vergleich zu anderen Einstellungen in einem weniger wettbewerbsintensiven Kontext stattfinden. Einerseits ist die Produktivität von Schulabgängern schwerer einzuschätzen, ihre Auswahl kann also nicht in gleichem Ausmaß nach puren Leistungskriterien erfolgen (Müller/Gangl 2003). Das liegt daran, dass generelle Bildungszertifikate nicht unbedingt arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten anzeigen (Bills 2003). Andererseits ist auch ihr Beitrag zum Unternehmenserfolg deutlich geringer einzuschätzen, zumindest während der Ausbildungsphase. Außerdem werden nur etwa 50 Prozent der Auszubildenden später in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis übernommen (Kon-
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Christian Hunkler
sortium Bildungsberichterstattung 2006: 95) bzw. es scheiden rund die Hälfte der Ausbildungsabsolventen innerhalb von zwei Jahren aus ihrem Lehrbetrieb aus (Franz/Zimmermann 1999). Diel und Kollegen (2009) kommen zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: Da Auszubildende gering bezahlt werden und (noch) über wenige berufliche Fähigkeiten verfügen, sind Produktivitätsunterschiede zwischen Bewerbern weniger bedeutsam und damit das Argument, dass Diskriminierung unter Wettbewerbsbedingungen ineffizient sei, weniger anwendbar. Damit ist es beim Prozess der Einstellung von Auszubildenden vergleichsweise günstiger, auch nicht-ökonomische Präferenzen oder einen ineffizienten Auswahlprozess beizubehalten, weil dies den Unternehmenserfolg nicht stark beeinträchtigt. Wenn Diskriminierung durch Arbeitgeber also eine Erklärung für Arbeitsmarktnachteile darstellt, dann wahrscheinlicher beim Zugang zur beruflichen Ausbildung als beim späteren Eintritt in den „richtigen“ Arbeitsmarkt. Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung formal nachgewiesener Qualifikationen auf dem deutschen Arbeitsmarkt (Pollak et al. 2007: 17; Winkelmann 1993: 13), sowie einem generellen Trend zur Höherqualifizierung im Zuge des Strukturwandels (Möller 1999) ist eine mögliche Diskriminierung beim Zugang zu Qualifikationsmöglichkeiten generell nachteilig, aber insbesondere die Chancen der zweiten Generation der Migranten werden reduziert. Sie erwerben häufiger nur einen mittleren oder nur einen Hauptschulabschluss (Alba et al. 1994; Geißler 2005; Wagner et al. 1998). Damit ist die Möglichkeit, bei möglicher Diskriminierung alternativ über ein Studium die formalen Qualifikationen für einen erfolgreichen Arbeitsmarkteintritt zu erwerben, für die meisten Migranten ausgeschlossen. Für den Großteil der beruflichen Ausbildungen reicht aber ein Real- oder Hauptschulabschluss aus (etwa 70 Prozent der Auszubildenden insgesamt in 2005 verfügten ebenfalls über diese Schulabschlüsse; Lohmar/Eckhardt 2008: 103).2 Ein weiteres Argument für die Wichtigkeit eines beruflichen Ausbildungsabschlusses ist, dass sich Arbeitgeber bei Vorhandensein spezifischer Ausbildungszertifikate eher an diesen Ausbildungszeugnissen orientieren als in ein teureres Screening der tatsächlichen (potenziellen) Produktivität für eine bestimmte Position zu investieren (Müller/Gangl 2003; Müller/Shavit 1998; Szydlik 2002).
2
Allerdings finden Schulabgänger vor allem mit niedrigeren Schulabschlüssen immer seltener direkt eine Ausbildungsstelle. Stattdessen werden Alternativen wie etwa ein erneuter Schulbesuch oder berufsvorbereitende Maßnahmen eingeschlagen (BMBF 2006: 80ff.).
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung 3
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Erklärungen für ethnische Unterschiede beim Übergang in Ausbildung
Die Besetzung von Ausbildungsplätzen im dualen System und die Besetzung von „richtigen“ Positionen im Arbeitsmarkt unterscheiden sich wie oben beschrieben nur im Hinblick auf die Randbedingungen. Daher wird im Folgenden auf allgemeine Erklärungen der Arbeitsmarktnachteile von Migranten zurückgegriffen. Hypothesen werden dann spezifisch aus den Erklärungen abgeleitet, die für die zweite Migranten-Generation beim Übergang in duale Ausbildung relevant sind. Auf den ersten Blick erscheint die Erklärung der Arbeitsmarktnachteile von Migranten simpel. Die Nachteile der ersten Generation erklären sich weitgehend direkt aus der Migrationsbiographie: etwa aus Sprachschwierigkeiten oder durch selektive Migration aus vergleichsweise niedrigeren Bildungsschichten (vgl. Heath/Cheung 2007; Kalter 2006). Da diese Mechanismen direkt an der Migrationsbiographie bzw. an der Sozialisation und dem Erwerb von Bildungsqualifikationen der ersten Generation im Herkunftsland ansetzen, können sie nur eingeschränkt als Erklärung der Nachteile der zweiten Generation herangezogen werden (ebd.). Für die zweite Generation werden hauptsächlich zwei Erklärungen diskutiert. Einerseits könnten die Nachteile auf eine durch die soziale Herkunft und die Migrationsbiographie der Eltern beeinflusste Unterinvestition in arbeitsmarktrelevantes Humankapital und unvorteilhaftere Ausstattung mit Aufnahmeland-spezifischen Ressourcen zurückzuführen sein. Andererseits kann Diskriminierung durch Arbeitgeber eine erfolgreiche Positionierung im Arbeitsmarkt verhindern. Diese könnten wiederum über intergenerationale Feedbackschleifen zu reduzierten Investitionen in Bildungszertifikate bei der Folgegeneration führen (etwa England/Lewin 1989). Die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt allgemein und auch in Ausbildungsplätzen des dualen Systems kann theoretisch als Matching, also als zweiseitige Allokationsentscheidung aufgefasst werden, die aus dem Zusammenspiel von Opportunitätsstrukturen und Akteurspräferenzen resultiert (vgl. Logan 1996; Müller/Gangl 2003; Sorensen/Kalleberg 1981). Arbeitgeber stellen Arbeits- oder Ausbildungsplätze zur Verfügung. Sie machen dann für diese Positionen bestimmten Kandidaten ein Angebot, wenn deren angenommene Eignung für die Positionen mehr Nutzen verspricht als eine Nichtbesetzung der Stelle. Die Kandidaten suchen und bewerben sich für diese Positionen und wählen schließlich das Angebot aus, das am ehesten ihren Präferenzen bezüglich Arbeitsbedingungen, monetären und nichtmonetären Kompensationen und Arbeitsinhalt entspricht, oder entscheiden sich für eine weitere Suche, Arbeitslosigkeit oder weitere Bildungsaktivitäten (etwa dem Nachholen eines höheren sekundären Schulabschlusses). Beiden Akteursgruppen wird eine rationale Maximierungsstrategie
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unterstellt. Schulabgänger versuchen die Kompensation ihrer Arbeitskraft zu maximieren, hauptsächlich in Form von Gehalt oder Arbeitsinhalten. Aber auch Arbeitsqualität oder die Sprungbrettfunktion für die weitere Karriere kann ausschlaggebend sein (etwa Übernahmechancen nach der Ausbildung). Die Arbeitgeber versuchen, die Auszubildenden mit der potenziell höchsten Produktivität zu rekrutieren.3 Aus diesem allgemeinen theoretischen Modell können Ansatzpunkte für die Erklärung der spezifischen Nachteile für Migranten der zweiten Generation beim Zugang zu Ausbildungsplätzen abgeleitet werden. Erstens könnten Unterschiede in der Ausstattung mit Humankapital vorliegen, die direkte Einflüsse auf die Eignung oder die produktiven Ressourcen für eine Ausbildung und die spätere Übernahme in reguläre Beschäftigung haben können (vgl. Abschnitt 0). Zweitens könnten Migranten der zweiten Generation aufgrund der Migrationsbiografie ihrer Eltern immer noch schlechter mit sogenannten Aufnahmeland-spezifischen Kapitalien ausgestattet sein. Diese Ressourcen, etwa Aufnahmeland-spezifische Sprachfähigkeiten oder Zugang zu Aufnahmeland-spezifischen Netzwerken, können direkt die produktiven Kapazitäten beeinflussen und zusätzlich auch die Effizienz der Suche nach attraktiven Ausbildungsstellen beeinflussen (vgl. Abschnitt 3.2). Die Ausstattung auf diesen Dimensionen ist mit von der sozialen Herkunft bedingt. Da die Suche nach Ausbildungsplätzen normalerweise schon am Ende des allgemeinen Schulbesuchs beginnt, also etwa im Alter ab 15 Jahren, kann davon ausgegangen werden, dass die soziale Herkunft auch direkte Auswirkungen auf die Platzierung im Ausbildungssystem hat. Etwa in Form von Suchressourcen der Eltern oder deren Einfluss auf Präferenzen für bestimmte tertiäre Ausbildungen in bestimmten Bereichen (vgl. Abschnitt 3.3). Schließlich könnten auf der Nachfrageseite Diskriminierung oder ethnienspezifische Leistungsannahmen vorliegen, die systematisch die Chancen von Migranten auf berufliche Ausbildung verringern (vgl. Abschnitt 3.4). Die gerade skizzierten Prozesse finden im strukturellen Kontext von Opportunitätsstrukturen statt, etwa der Verfügbarkeit von Positionen in Relation zu in Frage kommenden Kandidaten. Wenn Migranten räumlich konzentriert in spezifischen Ausbildungsmärkten in Erscheinung treten, könnte allein dies ihre unterschiedliche Platzierung erklären (vgl. Abschnitt 3.5).
3
Eigentlich müsste hier angefügt werden „zu den niedrigsten Lohnkosten“; allerdings ist die Ausbildungskompensation in den meisten Fällen tariflich geregelt, so dass Arbeitgebern in der Regel kaum Spielraum bleibt und diese Komponente vernachlässigt werden kann.
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung
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3.1 „Klassisches“ Humankapital Die neoklassische Humankapitaltheorie diskutiert vor allem positionsrelevante Fähigkeiten und Fertigkeiten als Determinanten der Produktivität der Bewerber, aber auch deren Motivation oder Einsatz bei der Arbeit werden als Einflussfaktor gesehen. Arbeitgeber ziehen Signale über die Humankapitalausstattung, etwa in Form von Zeugnissen oder Zertifikaten, als Hinweise über Eignung für die zu vergebenden Positionen heran. Humankapital wird als „Akkumulation von vorausgegangenen Investitionen in Bildung, berufliches Training, aber auch Gesundheit und anderen Faktoren definiert, welche die Produktivität erhöhen“ (McConnell et al. 1999: 86, Übersetzung CH). Bei Bewerbern für Positionen im dualen Ausbildungssystem handelt es sich überwiegend um Schulabgänger. Für diese haben Arbeitgeber (und Forscher) praktisch nur die Informationen über Schulabschlüsse und -leistungen als Indikatoren für Humankapital oder Produktivität zur Verfügung (vgl. Müller/Gangl 2003). Dies gilt zumindest bis zur Vorauswahl möglicher Kandidaten (bzw. für die der Forschung zugänglichen Informationen). Arbeitgeber laden dann üblicherweise eine Auswahl an Kandidaten zu Bewerbungsgesprächen und eventuell weiteren Eignungstests ein. In Bewerbungsgesprächen können Arbeitgeber zusätzlich Eindrücke über „soft skills“ erlangen; Einstellungstests erlauben zusätzlich eine spezifischere Abschätzung des für den jeweiligen Beruf relevanten Humankapitals. Hypothese 1: Schulabschlüsse (und Schulnoten4) stellen für Arbeitgeber Signale für die Eignung von Bewerbern für angebotene Ausbildungspositionen dar, daher sollten bessere Abschlüsse/Noten die Chance auf den Übergang in duale Ausbildungen erhöhen.
Es ist bekannt, dass Migranten der zweiten Generation häufiger nur einen mittleren oder nur einen Hauptschulabschluss erwerben (Alba et al. 1994; Geißler 2005; Wagner et al. 1998). Für den Eintritt in reguläre Beschäftigung erklärt die unterschiedliche Ausstattung mit Bildungsabschlüssen einen Großteil der gefundenen Nachteile von Migranten. Je vollständiger die Spezifikation der arbeitsmarktrelevanten (Human-)Kapitalien und sonstigen Ressourcen ist, desto eher verschwinden Residualeffekte für Migranten der zweiten Generation (Kalter 2006; Seibert/Solga 2005); für die erste Generation verringern sie sich deutlich (Granato/Kalter 2001). Für den Übergang in Ausbildung wurden insbesondere starke Effekte von höheren Schulabschlüssen und Schulnoten gezeigt (Diel et al. 2009; Ulrich/Krewerth 2006 für Deutschland; Hupka et al. 2006; Imdorf 2005 4 Schulnoten stehen im GSOEP erst in Panelerstbefragungen ab 2001 zur Verfügung und werden daher hier nicht verwendet.
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für die Schweiz). Allerdings gibt es Anzeichen, dass weniger der formale Bildungsabschluss sondern eher der Notendurchschnitt und/oder vor allem die Mathenote relevant ist (etwa Imdorf 2005).
3.2 Aufnahmeland-spezifische kulturelle Ressourcen Unter Aufnahmeland-spezifischen Ressourcen werden Fertigkeiten und Kenntnisse verstanden, die spezifisch für die Aufnahmegesellschaft sind (Heath/ Cheung 2007; Kalter 2006). Jugendliche mit Migrationshintergrund können über ihre Eltern Nachteile in kulturellen Fähigkeiten, Sprachkenntnissen oder auch in Bezug auf soziales Kapital in Aufnahmeland-spezifischen Netzwerken ererbt haben, die wiederum relevant für den Zugang zu Ausbildungsstellen sind. Sprachfähigkeiten können einen direkten und indirekten Einfluss auf den Wert einer spezifischen Humankapitalausstattung haben (Chiswick 1991; Esser 2006: 403), zusätzlich können sie einen Einfluss auf die Effizienz der Suche nach attraktiven Ausbildungsstellen haben (Kalter 2006). Sprache ist einerseits ein direkter Teil des Humankapitals eines Bewerbers, wenn in der jeweiligen Position unmittelbar kommunikative Leistungen erwartet werden. Für Ausbildungspositionen kann dies immer angenommen werden, da ein Hauptziel solcher Positionen die Vermittlung von spezifischen arbeitsplatzrelevanten Fähigkeiten ist, die natürlich über Sprache – gesprochen oder geschrieben – abläuft. Ein weiterer indirekter Einfluss von Sprachfähigkeiten auf den Wert des Humankapitals ist die Nutzung anderer Humankapitalbestandteile, die erst über Sprache möglich wird. In Ausbildung oder Berufserfahrung erworbene Kenntnisse über die Ursachen eines Problems sind dann wertlos, wenn sie beispielsweise den zuständigen Kollegen nicht verständlich mitgeteilt werden können. Einerseits sind Kenntnisse in der Sprache des Aufnahmelands eine unmittelbar produktive Ressource und andererseits indirekt als Komplementärfaktor für die Nutzung anderer Humankapitalbestandteile notwendig (Esser 2006: 404).5 Lang (1986) geht sogar soweit erhöhte Transaktionskosten zwischen Sprechweisen anzunehmen, die verwandte aber leicht unterschiedliche verbale und nonverbale Sprachzeichen verwenden. Die theoretische Analyse ergibt, dass ethnische Minderheiten diese Transaktionskosten tragen müssen, oder solche Transaktionskosten zu segregierten Arbeitsmärkten führten. Neben diesen direkt die Produktivität betreffenden Einflüs5 Mögliche Effekte der Kenntnisse in der Herkunfts-Sprache für die Arbeitsmarktplatzierung in Deutschland werden kontrovers diskutiert. Effekte der Herkunftssprachen zumindest der in Deutschland zahlenmäßig stark vertretenen Migrantengruppen auf verschiedene Dimensionen des Arbeitsmarkterfolges zeigen sich empirisch allerdings nicht (Esser 2006, 2009) und werden deshalb hier nicht weiter behandelt.
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sen von Sprachfähigkeiten kann auch angenommen werden, dass die Suche nach Ausbildungsstellen erleichtert wird, wenn alle möglichen Informationskanäle effizient genutzt werden können. Dabei sind neben direkten Informationen über offene Positionen in Form von Anzeigen etwa in Zeitungen möglicherweise auch Informationen über die generelle Lage von Branchen, Informationen über neue Ausbildungsgänge mit guten Zukunftsaussichten oder den Mangel an Bewerbern in bestimmten Bereichen relevant. Hypothese 2a: Aufnahmeland-spezifische Sprachfähigkeiten, als direkter Bestandteil der produktiven Ressourcen, als Komplementärfaktor zur Nutzung anderer produktiver Ressourcen und als Suchressource erhöhen die Chancen des Übergangs in das duale Ausbildungssystem.
Die Ausstattung mit Aufnahmeland-spezifischem sozialem Kapital kann ähnlich wie Sprachfähigkeiten eine Suchressource darstellen. Derartige Netzwerkressourcen sind relevant zur Übermittlung von Informationen über attraktive Arbeitsmarktpositionen. Gleichzeitig können Referenzen für Arbeitgeber glaubwürdige Signale über produktive Ressourcen darstellen (Granovetter 1973; Lin 1999). Wenn solche Netzwerkstrukturen ethnisch eher homogen sind, in ethnischen Netzwerken aber weniger relevante Information über vielversprechende Ausbildungsmöglichkeiten vorhanden ist (Kalter/Kogan 2006), könnte dies ein weiterer Grund für die niedrigeren Übergangsraten in Ausbildung von Migranten sein. Eine schlechtere Ausstattung mit Aufnahmeland-spezifischem Kapital insgesamt führt eventuell zu ineffizienteren Suchprozessen. Hypothese 2b: Aufnahmeland-spezifische Netzwerkressourcen als Suchressource und glaubwürdiges Produktivitätssignal erhöhen die Chancen des Übergangs in das duale Ausbildungssystem.
3.3 Soziale Herkunft und Präferenzen für Ausbildung Die allgemeine soziale Ungleichheitsforschung untersucht den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Ausstattung mit Humankapital sowie kulturellen Ressourcen. Der sozio-ökonomische Status der Eltern wirkt sich auf den Bildungserfolg aus, also auf „klassisches“ Humankapital. Eine schlechtere Ausstattung mit kulturellen Ressourcen des Aufnahmelandes kann ebenfalls aus der Migrationsbiographie der Eltern erklärt werden. Diese indirekten Effekte der sozialen Herkunft wurden in den letzten Abschnitten diskutiert und können empirisch direkt über Humankapital- sowie Sprach- und Netzwerkindikatoren für die Jugendlichen selbst abgebildet werden. Zwei Gründe sprechen dafür, zusätzlich direkte
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Effekte der elterliche Ressourcen und des Einflusses der sozialen Herkunft auf Ausbildungspräferenzen zu vermuten. Erstens können die in der Familie vorhanden ökonomischen Ressourcen insbesondere Suchverhalten und Suchdauer beeinflussen; zweitens können Einflüsse auf die Formierung von Präferenzen für oder gegen bestimmte berufliche Ausbildungen erwartet werden. Letzteres vor allem, da die Entscheidung für oder gegen berufliche Ausbildung und für bestimmte Ausbildungsfelder normalerweise schon in den letzten Jahren der schulischen Bildung getroffen wird. Je nach Schulart sind die Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt zwischen 15 und 20 Jahren alt und leben üblicherweise noch bei ihren Eltern. Die ökonomischen Ressourcen der Familie können die Suche nach beruflichen Bildungsmöglichkeiten erleichtern und gleichzeitig auch das Alternativenset erweitern. Ausreichend vorhandene ökonomische Ressourcen erlauben, überhaupt die Opportunitätskosten einer weiteren, meist mehrere Jahre dauernden und unsicheren Investition in berufliche Ausbildung in Erwägung zu ziehen (die Alternative wäre ja ein direkter Einstieg in etwas besser bezahlte Tätigkeiten, für die keine spezielle Ausbildung notwendig ist). Weiterhin ermöglicht ein größerer finanzieller Spielraum längere Suchdauern nach geeigneten Ausbildungsstellen, erlaubt auch Ausbildungsstellen in Firmen in Erwägung zu ziehen, die nicht von der elterlichen Wohnung aus erreichbar sind und schließlich auch solche Berufsausbildungen anzustreben, bei denen die Auszubildenden einen Großteil der Ausbildungskosten selbst aufwenden müssen. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation kann abgeleitet werden: Hypothese 3a: Eine bessere berufliche Platzierung der Eltern führt wegen der damit zur Verfügung stehenden ökonomische Ressourcen zu höheren Übergangsraten in berufliche Ausbildung.
Ein größerer finanzieller Spielraum impliziert normalerweise eine statushöhere berufliche Platzierung der Eltern, üblicherweise einhergehend mit einem höheren Bildungslevel. Überträgt man die Forschung zu Bildungsentscheidungen auf die Entscheidung über Eintritt in berufliche Ausbildung, können negative Effekte der sozialen Herkunft in Form von Präferenzen gegen den Übergang in Ausbildung erwartet werden. Im Kontext von Schulwahlentscheidungen werden sogenannte sekundäre Effekte diskutiert, damit ist der Einfluss der sozialen Herkunft auf Bildungsentscheidungen unabhängig von der akademischen Leistungsfähigkeit der Kinder gemeint (vgl. auch Jacob/Tieben in diesem Band). Als Ursache für sekundäre Effekte werden drei Mechanismen diskutiert. Die klassenspezifisch unterschiedliche Wahrnehmung (1) der Kosten für weitere Ausbildung, (2) der Wahrscheinlichkeit, einen Bildungsgang erfolgreich abzuschließen, sowie (3) des von Kindern und Eltern beigemessenen Wertes oder Nutzens eines Bil-
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dungsabschlusses (vgl. Breen/Goldthorpe 1997; Erikson/ Jonsson 1996: 16; Stocké 2007a). Vor allem der dritte Aspekt, der Wert oder Nutzen einer Ausbildung, wird für Klassenunterschiede in Bildungsentscheidungen verantwortlich gemacht. Dabei wird angenommen, dass Familien Bildungsentscheidungen so treffen, dass Kinder mindestens die Statusposition der Eltern erreichen können (Stocké 2007a). Je nach Statusposition der Eltern kann dies dann aber bedeuten, dass der zu erhaltende berufliche Status gar nicht über einen Ausbildungsberuf erreichbar ist. Aus dem ebenfalls aus der Bildungsforschung stammenden Wisconsin Modell können ähnliche Vorhersagen abgeleitet werden. Hier wird der zentrale Einfluss signifikanter Bezugsgruppen auf Bildungsaspirationen und Einstellungen hingewiesen (Sewell et al. 1969). Etwa, wenn ein statusähnlicher Beruf üblicherweise nur über höhere tertiäre Bildungsabschlüsse zugänglich ist. Hypothese 3b: Eine bessere berufliche Platzierung der Eltern führt bei ausgeprägten Statuserhaltsmotiven und/oder einer Orientierung an Erwartungen der Eltern zu niedrigeren Übergangsraten in berufliche Ausbildung.
Neben diesen möglichen Effekten der sozialen Herkunft über ökonomische Ressourcen und über die Effekte von Statuserhaltsmotiven könnten auch Effekte über die Vorstrukturierung der überhaupt wahrgenommenen Alternativen möglich sein (Esser 2000: 1). Wie auch bei Bildungsentscheidungen bezüglich der sekundären Schulform nach der Grundschule ist das Wissen über die Struktur des tertiären Bildungssystems und speziell für den Übergang in Ausbildung das Wissen über das duale Ausbildungssystem und seine vielen Variationen relevant. Über dieses spezifische Wissen könnten Migrantenfamilien eventuell deutlich seltener verfügen, da ein Großteil der Elterngeneration normalerweise erst nach Abschluss ihrer beruflichen Ausbildung noch im Herkunftsland gewandert ist. Bei vergleichbarem beruflichen Status haben die Eltern der deutschen Vergleichpopulation dagegen mit höherer Wahrscheinlichkeit eine berufliche Ausbildung durchlaufen und dabei eventuell relevante Erfahrungen über Zugangswege und ähnliches gemacht, welche die Chancen ihrer Kinder positiv beeinflussen können. Ähnliche Effekte können natürlich auch bei Erfahrungen von älteren Geschwistern oder anderen Personen aus dem Familien- oder Freundeskreis mit dualer Ausbildung erwartet werden. Hypothese 3c: Erfahrungen mit dualer Ausbildung im Familien- oder Freundeskreis erleichtern den Übergang in berufliche Ausbildung und erhöhen daher die Übergangsraten.
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3.4 Diskriminierung Diskriminierung durch Arbeitgeber wird immer wieder als Erklärung für verbleibende ethnische Unterschiede herangezogen. Dabei ist es sehr schwierig, mit gängigen sozialwissenschaftlichen Datensätzen eindeutig auf Arbeitgeberdiskriminierung zu schließen (vgl. etwa Hunkler 2008: Kap. 2.4; Seibert/Solga 2005 und vor allem die Replik von Kalter 2006 darauf). Das Messwertmodell statistischer Diskriminierung erlaubt es allerdings, direkt empirisch testbare Hypothesen abzuleiten (Aigner/Cain 1977; Phelps 1972). Die Modelle statischer Diskriminierung gehen von unvollständig informierten Arbeitgebern aus, die durch vergangene Erfahrungen ein Wissen über die statistische Verteilung von Produktivitäten besitzen. Das Testwertmodell nimmt nun an, dass Information bezüglich der interessierenden Produktivität über Kombinationen von Leistungstest-Signalen übertragen wird, wobei diese Signale für eine Gruppe weniger aussagekräftig sind als für eine andere (für ausführlichere formale Darstellungen siehe Cain 1986: 724; Kalter 2003). Als Signal kann prinzipiell jede Gruppenzugehörigkeit aber auch ein Einstellungstest oder formaler Bildungsabschluss aufgefasst werden. Die direkt sichtbaren Signale sind für Arbeitgeber nur insofern interessant, als sie einen Testwert für die wahre Produktivität von Bewerbern darstellen. Dieser Testwert ist aber für eine Gruppe weniger reliabel. Gründe für die schwächere Aussagekraft gleichwertiger Signale von Migranten könnte ihr Minderheitenstatus sein: Arbeitgeber haben weniger Erfahrung mit dieser Bewerbergruppe. Rationale Arbeitgeber sollten ihre Entscheidung stärker vom Signal abhängig machen, je höher die Aussagekraft des Signals für die tatsächlich interessierende Produktivität ist. Damit haben Bewerber aus der Gruppe, der die höhere Reliabilität ihrer Testwerte zugeschrieben wird, bessere Chancen für eine Position ausgewählt zu werden. Hypothese 4: Wenn Arbeitgeber statistisch diskriminieren und sich Bewerber mit Migrationshintergrund systematisch bezüglich der Aussagekraft ihrer Signale von Einheimischen unterscheiden, führt das zu signifikant von Null unterschiedlichen Interaktionseffekten zwischen Schulabschluss (Signal) und ethnischer Herkunft (Reliabilität).
Das gleiche Signal sollte sich also ethnienspezifisch unterschiedlich auswirken. Statistische Diskriminierung nach diesem Modell ist keine Diskriminierung im Sinne eines nicht objektiv begründbaren Verhaltens gegenüber einer Gruppe (Becker 1971: 13); sondern im Gegenteil eine rationale Reaktion auf die Unsicherheit über die Produktivitäten. Daneben kann es auch Diskriminierung nach der Definition von Becker oder anderen geben. Diese „echte“ Diskriminierung von nicht gemessenen, aber relevanten Unterschieden zwischen Bewerbern ab-
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zugrenzen, ist zumindest mit den hier verwendeten Daten nicht möglich. Allerdings gibt es theoretische Gründe davon auszugehen, dass gerade bei der Besetzung von Ausbildungsstellen diskriminierende Einstellungspraktiken sogar wahrscheinlicher sind (vgl. Abschnitt 2).
3.5 Strukturelle Einflüsse Opportunitäten und Erwartungen der Akteure sind immer von Opportunitätsstrukturen beeinflusst, etwa der Verfügbarkeit von Positionen in Relation zu in Frage kommenden Kandidaten. Für den Übergang in Ausbildung wäre dies die Anzahl offener Ausbildungsstellen in bestimmten Berufen, Industrien oder Regionen bzw. lokalen Arbeitsmärkten (Müller/Gangl 2003). Mit steigender Anzahl an zu besetzenden Ausbildungsplätzen haben die Bewerber einen größeren Alternativenraum; umgekehrt haben bei steigenden Bewerberzahlen auf eine konstante Anzahl an Ausbildungsplätzen Arbeitgeber mehr potenzielle Alternativen. Diese strukturellen Kontexteinflüsse, die hauptsächlich durch unterschiedliche ökonomische Bedingungen im regionalen Arbeitsmarkt beeinflusst werden, können durch die Arbeitslosigkeitsrate abgebildet werden (vgl. Breen 2005). Daneben ist natürlich die Anzahl der Bewerber und Veränderungen in ihren Präferenzen relevant. Sie beeinflussen einerseits die Konkurrenz um Ausbildungsplätze, anderseits sollte es Einflüsse auf die Ansprüche der Arbeitgeber bezüglich der Bildungsqualifikationen geben. Ab den 1970ern drängten die relativ großen Baby Boom Generationen in das duale Ausbildungssystem und erhöhten die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen deutlich (Witte/Kalleberg 1992). Danach nahmen die Kohortengrößen wieder ab und als Effekt der Bildungsexpansion stieg der Anteil an Schulabgängern mit Eingangsqualifikationen für Universitäten und der demographische Druck hätte eigentlich abnehmen sollen (Müller/Gangl 2003). Allerdings veränderten sich die Präferenzen der Hochschulzugangsberechtigten: Während 1980 nur etwa 10 Prozent der Abiturienten in das berufliche Ausbildungssystem drängten, sind es 1989 schon etwa 40 Prozent (Witte/Kalleberg 1992). Neben diesen Gesamtnachfrageeffekten auf berufliche Ausbildung ist davon auszugehen, dass sich auch die Präferenzen für einzelne Fächer möglicherweise geschlechtsspezifisch im Zeitverlauf geändert haben und noch ändern.
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Christian Hunkler Daten und Methoden
4.1 Datengrundlage Datengrundlage der Analyse ist das Sozioökonomische Panel (GSOEP) von 1984 bis 2007. Da Arbeitsmigranten durch verschiedene Ergänzungsstichproben überrepräsentiert sind, ist es möglich auch einzelne Gruppen zu analysieren.6 Die grundsätzliche Konstruktion des Analysesamples orientiert sich in weiten Teilen an der sehr sinnvollen Vorgehensweise bei Kalter (2006). Ziel der Analyse ist der Übergang in berufliche Ausbildung für Jugendliche mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Schulabgängern, deren Eltern aus Deutschland stammen. Daher werden im ersten Schritt der Konstruktion des Analysesamples Jugendliche ausgewählt, die im Alter von 17 Jahren in Westdeutschland leben und für die Informationen über beide Eltern zur Konstruktion der ethnischen Herkunft vorliegen. Jugendliche deren Eltern beide aus der Türkei oder beide aus dem gleichen anderen typischen Einwanderungsland – Italien, Spanien, Griechenland, Portugal oder Ex-Jugoslawien – stammen, werden in die Analyse eingeschlossen, wenn sie im Alter von maximal 14 Jahren nach Deutschland eingereist sind. Mit dieser Abgrenzung der zweiten Generation wird sichergestellt, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die sekundäre Schulausbildung in Deutschland beendet wurde und damit ein für ausbildende Unternehmen interpretierbarer deutscher Schulabschluss vorliegt. Um die Phase des Übergangs in berufliche Ausbildung detailliert abbilden zu können, werden außerdem nur Jugendliche analysiert, die im Alter von 17 Jahren das erste Mal befragt wurden. Die beschriebenen Abgrenzungen führen zu einem Ausgangssample von 2.795 deutschen Jugendlichen, 468 mit türkischem Migrationshintergrund, sowie 576 Jugendlichen, deren Eltern aus einem anderen typischen Gastarbeiterland stammen. Mit diesen insgesamt 3.839 Befragten wird ein Panel-Datensatz konstruiert, der die Jahre nach Abschluss der allgemeinbildenden Schule bis 2007 oder dem Austritt aus dem Panel umfasst. Für die Analysen interessieren nur die Personenjahre, die auch für die berufliche Weiterbildung und/oder den direkten Eintritt in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und für die valide Informationen über die zentralen Variablen vorliegen. Daher werden alle Personenjahre entfernt, in denen noch der Besuch einer sekundären Schule vorliegt oder in denen der Besuch oder der Abschluss von höherer tertiärer Bildung berichtet wird. Nach Be6 Haisken-DeNew und Frick (2005: 153ff.) beschreiben die Stichprobenziehung des GSOEP, sowie die Konstruktion der verschiedenen Gewichtungsvariablen. Da es hier um die Identifikation der Mechanismen des Zugangs zu Ausbildung und dem Erwerb von Ausbildungsabschlüssen geht, werden alle Analysen mit ungewichteten Daten durchgeführt.
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung
227
ginn oder Beendigung eines Hochschulstudiums dürfte die Alternative berufliche Ausbildung nur noch in Ausnahmefällen relevant sein. Mögliche Zeiträume nach Beendigung der Schule und vor Beginn eines Studiums gehen als rechtszensierte Fälle in die Analysen ein. Personenjahre, in denen die Aufnahme einer Ausbildung durch Militär- oder Zivildienst oder eine Schwangerschaft nicht (bzw. bei letzterem nur eingeschränkt) möglich ist, werden ebenfalls von der Analyse ausgeschlossen. Im letzten Schritt werden Personenjahre ausgeschlossen, in denen kein sekundärer Schulabschluss oder keine valide Information über den Schulabschluss vorliegt, obwohl kein Besuch einer sekundären Schule (mehr) berichtet wird und diese Jugendlichen damit eigentlich zur „Risikogruppe“ der für den Übergang in Ausbildung oder Arbeit relevanten Personen gehören. Einerseits handelt es sich bei dieser spezifischen Subpopulation um zu wenige Fälle, um in einigen der multivariaten Modelle sichere Koeffizienten für eine Bildungsvariable mit 4 Kategorien schätzen zu können (keine Antwort/kein Abschluss vs. Hauptschule, Realschule, Fachabitur/ Abitur); andererseits ist für viele Ausbildungsberufe ein Hauptschulabschluss die Minimalvorrausetzung und eine Zusammenfassung zu einer Kategorie „Hauptschulabschluss/kein Abschluss/keine Angabe“ ergäbe keine klare Interpretation der Effekte. Darüber hinaus kann angenommen werden, dass ein substantieller Teil der Jugendlichen ohne Schulabschluss versucht diesen erst nachzuholen, bevor ernsthaft der Eintritt in eine Ausbildung oder in reguläre Arbeit angestrebt wird. Nach diesen Eingrenzungen stehen 1.783 (7.710) deutsche Jugendliche, 282 (1.816) türkische und 394 (2.060) aus anderen Anwerbeländern für die Analysen zur Verfügung (in Klammern: relevante Personenjahre für die Analyse des Abschlusses dualer Ausbildungen, das heißt zwischen Ende der sekundären Schulausbildung bis Abschluss einer dualen Ausbildung bzw. Rechtszensierung). Der deutliche Rückgang der Personenzahlen, vor allem bezüglich der deutschen Jugendlichen, spiegelt die Auswahl der für den Übergang in berufliche Ausbildung relevanten Risikopopulation wider.
4.2 Abhängige Variablen: Übergang und Abschluss beruflicher Ausbildung Das ideale abhängige Ereignis wäre der erste Eintritt in eine duale berufliche Ausbildung. Leider ist dies mit den Daten des GSOEP so nicht möglich. Es wird zwar der Eintritt in berufliche Ausbildung erfasst, allerdings wird nicht zwischen Ausbildungen im dualen System und Ausbildungen, die an Berufsfachschulen und ähnlichen Institutionen angeboten werden, unterschieden. Außerdem beschreibt der gleiche Code offensichtlich auch Fort- und Weiterbildungen sowie Umschulungen. Bei Ausbildungen an Berufsfachschulen sind keine Firmen in-
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Christian Hunkler
volviert, folglich sollten die Mechanismen des Zugangs zu diesen Ausbildungen auch andere, hier weniger interessierende sein. Allerdings sind die meisten berichteten beruflichen Bildungsabschlüsse solche aus dualen Ausbildungen. Um möglichst nahe an das oben beschriebene ideale Ereignis zu kommen, wird im Folgenden jeweils das Ereignis „(erster) Eintritt in die berufliche Ausbildung“ und „(erster) Abschluss einer dualen Berufsausbildung“ analysiert. Das erste Ereignis ist somit in einigen Fällen mit Eintritten in nicht-duale Berufsausbildungen oder Fort- und Weiterbildungsprogramme konfundiert, das zweite Ereignis enthält nur diejenigen Schulabgänger, die ihre duale Berufsausbildung auch erfolgreich abgeschlossen haben. Die Risikoperiode sind die Personenjahre, in denen die Befragten die allgemeinbildende Schule abgeschlossen haben aber nicht in tertiärer Bildung sind oder diese abgeschlossen haben, vgl. hierzu auch Abschnitt 4.1 oben.
4.3 Unabhängige Variablen Die Konstruktion der unabhängigen Variablen orientiert sich an der Vorgehensweise von Kalter (2006). Der ethnische Hintergrund wird entsprechend des Geburtslandes beider Eltern kodiert. Es wird zwischen deutschen Eltern, Eltern aus der Türkei und Eltern aus anderen klassischen Anwerbeländern unterschieden (Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und (Ex-) Jugoslawien; im Folgenden als „andere Arbeitsmigranten“ bezeichnet). Für den sekundären Bildungsabschluss wird zunächst die Casmin Bildungsvariable des GSOEPs verwendet. Abitur und Fachabitur werden wegen der geringen Besetzung der Kategorie Fachabitur zusammengefasst. Weiterhin wird bei allen Befragten, die einmal einen sekundären Bildungsabschluss angegeben haben, dieser für folgende Wellen dann ersetzt, wenn dort keine Information zur Verfügung steht. Einige Befragte geben an, einen Teil ihrer Schulausbildung nicht in Deutschland absolviert zu haben. Da dies unter Umständen aus Zeugnissen oder Lebensläufen ersichtlich ist und Arbeitgeber daraus eventuell Schlüsse ziehen könnten, wird zusätzlich zum sekundären Bildungsabschluss ein binärer Indikator erstellt, der den Wert eins annimmt, wenn der Schulbesuch teilweise im Ausland stattgefunden hat. Die Soziale Herkunft, d.h. der sozioökonomische Status und erreichte Bildungsabschluss der Eltern, wird aus den wellenspezifischen jährlichen Datensätzen des GSOEP für das Jahr, in welchem die Befragten 17 Jahre alt waren, entnommen. Es wird der durchschnittliche ISEI-Status des Vaters, der die soziökonomische Dimension abbilden soll, sowie die durchschnittliche Anzahl der Bildungsjahre des Vaters extrahiert. Darüber hinaus wurde ein binärer Indikator gebildet, der den Wert eins annimmt, wenn mindestens ein Elternteil über eine
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung
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duale Ausbildung verfügt.7 Sind die Informationen über die Eltern nicht für das gesuchte Jahr vorhanden, werden ihre Angaben aus den vorherigen oder nächsten Panelwellen verwendet. Für den ISEI-Index stehen auch nach dieser Prozedur für einen substantiellen Teil des Analysesamples keine Informationen zur Verfügung. Um eine selektive Analyse zu vermeiden, wird eine binäre Variable in das Modell aufgenommen, die für die fehlenden Informationen kontrolliert; auf der Eltern ISEI Variable werden diese Fälle mit dem Mittelwert ersetzt. Die Beherrschung der deutschen Sprache und Zusammensetzung des Netzwerks werden in mehreren Jahren abgefragt. Damit die Personjahre, in denen keine Werte im GSOEP zur Verfügung stehen, nicht aus der Analyse ausgeschlossen werden müssen, werden fehlende Werte durch Angaben aus der jeweils vorherigen Welle ersetzt. Ist dies nicht möglich, werden die Daten aus der jeweils nächsten Welle übernommen. Deutsche werden im GSOEP üblicherweise nicht nach der Selbsteinschätzung ihrer Sprachfähigkeiten gefragt; daher wird angenommen, dass sie maximale Sprachfähigkeiten besitzen. Die Nationalität der engsten drei Freunde wird sowohl für Migranten als auch für Deutsche erhoben. Um möglichst wenige Fälle zu verlieren, wird angenommen, dass der Freundeskreis von Deutschen, die keine Angaben zu ihren Freunden berichten, nur aus Deutschen besteht. Die Zusammensetzung des Netzwerkes ist auf das Intervall [0; 1] standardisiert, wobei „1“ ein Netzwerk mit ausschließlich deutschen Freunden kodiert. Die Sprachfähigkeiten wurden in eine Skala von -4 für „sehr schlecht“ bis 0 für „sehr gute“ Deutschkenntnisse rekodiert. Damit sind ethnische Effekte unter Kontrolle der Sprachvariable als verbleibende Nachteile bei sehr guten Deutschkenntnissen zu interpretieren (vgl. Kalter 2006: 150). Um die diskutierten strukturellen Einflüsse zu modellieren (vgl. Abschnitt 3.1) werden den GSOEP Daten regionale Arbeitslosigkeitsraten zugespielt. Auf Ebene der Raumordnungsregionen wird die vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung zur Verfügung gestellte Arbeitslosenquote für den jeweiligen Wohnort der Befragten und das jeweilige Jahr den GSOEP Daten zugeordnet (INKAR 2007). Für die Jahre 1984 und 2007 liegen noch keine vergleichbaren Arbeitslosenquoten vor, deswegen werden die entsprechenden Werte aus 1985 bzw. 2006 zurück- bzw. fortgeschrieben. Außerdem werden die Modelle getrennt für junge Frauen und Männer berechnet. Mittels eines Sets an binären Indikatoren für jeweils 3-Jahreszeiträume wird zusätzlich auf mögliche Perioden-Effekte (etwa Veränderungen in Kohortenstärke, Bildungsbeteiligung oder Effekte der Bildungsexpansion) kontrolliert. Diese Schätzer werden nicht berichtet. Für mögliche Präferenzänderungen bezüglich einzelner Ausbildungsberufe kann 7
Es zeigen sich kaum Unterschiede, wenn zwischen dualen Ausbildungen und sonstigen nichtbetrieblichen Ausbildungen unterschieden wird. Daher gehen in den Indikator alle Berufsausbildungen ein.
230
Christian Hunkler
wegen geringer Fallzahlen pro Jahr nicht kontrolliert werden; die Periodenkontrollen und die geschlechtsspezifische Modellierung dürften aber einen Großteil solcher möglichen Einflüsse auffangen.
4.4 Schätzstrategie Der „(erste) Eintritt in berufliche Ausbildung“ und der „(erste) Abschluss einer dualen Berufsausbildung“ sind einmalige absorbierende Übergänge zwischen diskreten Zuständen, daher werden Ereignisdatenanalyse Modelle angewendet. Da die Daten in vergleichsweise großen Spells (Jahre)8 vorliegen wird auf eine diskrete Modellierung mit so genannten „piecewise-constant discrete-time Eventhistory Models“ zurückgegriffen (Allison 1984: 14ff.; Yamaguchi 1991: 15ff.). Für mögliche Periodeneffekte wird durch ein Set an binären Jahresvariablen kontrolliert, die jeweils 3-Jahres Zeiträume umfassen. Technisch werden die Modelle als logistische Regressionen umgesetzt, vgl. Formel (1):
§ P(T ) · ¸¸ D (T ) E1 xi E 2 xit E 3 xt log¨¨ © 1 P(T ) ¹
(1)
P(T) beschreibt dabei die Wahrscheinlichkeit, dass Befragte einen Übergang zum Zeitpunkt T berichten, gegeben dass sie zum Zeitpunkt T noch in der jeweiligen Risikopopulation sind (also noch keinen Übergang berichtet haben). Die Prozesszeit (T) wird diskret modelliert; d.h. mit einem Set an Dummy-Variablen. Die Basis-Hazardrate kann somit jede Form annehmen, also zwischen den einzelnen Prozessjahren variieren, ist aber innerhalb eines Jahres als konstant definiert. 1 bezieht sich auf die zeitkonstanten Schätzer (etwa ethnische Herkunft), 2 auf die zeitabhängigen Schätzer (etwa Sprachfähigkeiten) und 3 auf das Set an Periodenkontrollen.9 Berichtet werden Odds-Ratio Koeffizienten, die als proportionaler Anstieg der konditionalen Übergangswahrscheinlichkeit interpretiert werden können. 8 Das GSOEP würde auch die Extraktion von Monats-spezifischen Spells zulassen, welche besser für kontinuierliche Ereignisdatenanalyse Modelle geeignet wären. Da berufliche Ausbildungen allerdings meistens zu einheitlichen Startterminen beginnen, würden sich zu viele Bindungen („Ties“) ergeben (für mehr als zwei Schulabgänger wird der Übergang in berufliche Ausbildung im gleichen Monat beobachtet). In kontinuierlichen Ereignisdatenanalysen können diese Bindungen zu verzerrten Schätzern führen, während dies kein Problem für diskrete Ereignisdatenanalysen ist (vgl. Yamaguchi 1991) Zusätzlich kommen diskrete Modelle fast immer auf die gleichen substantiellen Resultate wie kontinuierliche (vgl. Allison 1984: 22). 9 Ein großes T steht für Prozesszeit, das kleine t für die Panelwellen.
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung 5
231
Ergebnisse
5.1 Unterschiede in der Ausstattung mit arbeitsmarktrelevanten Kapitalien Tabelle 1 zeigt die zentralen abhängigen und unabhängigen Variablen über den gesamten Beobachtungszeitraum, also ohne Einschränkung auf die für die beiden abhängigen Variablen unterschiedlichen Risikoperioden. Im oberen Teil werden jeweils die Maximalwerte berichtet (vgl. Teil A in Tabelle 1). Grundlage für den unteren Teil sind alle zur Verfügung stehenden Personenjahre; dies ist vor allem für die zeitvariablen Messungen relevant (vgl. Teil B). Die Sonderrolle der türkischen Jugendlichen wird sowohl bei Zugang und Abschluss von beruflichen Ausbildungen als auch bei der Ausstattung mit arbeitsmarktrelevanten Ressourcen sowie den Herkunftsindikatoren deutlich. Deutsche und aus anderen Anwerbeländern stammende Jugendliche haben in dieser Analysestichprobe mit etwa 46 bzw. 51 Prozent deutlich häufiger eine abgeschlossene Berufsausbildung erworben; während bei türkischen Jugendlichen nur 42 Prozent eine Ausbildung vorweisen können. Dies ist besonders überraschend, da türkischstämmige Jugendliche im Schnitt fast 2 Jahre länger beobachtet wurden. Größtenteils handelt es sich dabei um duale Berufsausbildungen. Andere ausschließlich schulbasierte berufliche Ausbildungen machen nur einen vergleichsweise geringen Prozentanteil aus. Im Zugang zu beruflichen Ausbildungen spiegelt sich der systematische Unterschied deutlicher wider: Nur etwa 71 Prozent der türkischen Jugendlichen geben an, im Beobachtungszeitraum eine Ausbildung begonnen zu haben, für die anderen Gruppen liegt der Anteil bei über 80 Prozent. Der deutliche Unterschied zwischen Zugang und Abschluss beruflicher Ausbildungen ist nicht nur auf rechtszensierte Beobachtungen (in denen der Zugang, aber nicht mehr der Abschluss der Ausbildung im Beobachtungs8zeitraum liegt) oder Abbrüche von Ausbildungen zurückzuführen. Die zugrunde liegende GSOEP Variable kodiert (leider) sowohl für berufliche Ausbildung als auch für Fortbildungen und Umschulungen. Dies ist der Grund, die Analysen parallel für diese Variable als auch für den Abschluss dualer Berufsausbildung durchzuführen. Letztere kann wie oben beschrieben natürlich auch durch unterschiedliche Abbruchraten verursachte Unterschiede zwischen den Gruppen enthalten.
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Tabelle 1: Deskriptive Statistiken bezogen auf die Risikopopulation des Abschlusses dualer Berufsausbildung10 deutsch A. Prozent „jemals“ … Berufliche Ausbildung Berufl. Ausbildung (dual) Berufl. Ausbildung (andere) Berufl. Ausbildung begonnen Schulabschlüsse Hauptschule Realschule (Fach-)Abitur Schulb. tw. im Ausland Geschlecht [weiblich = 1] B. Mittelwerte Soziale Herkunft Bildungsjahre Vater ISEI Score Vater Berufliche Ausbildung (%)11 Sprachkenntnis Deutsch Anteil deutsche Freunde [0;1] Alter Personenjahre im GSOEP
45,93 36,57 11,27 81,44 33,54 40,27 26,19 0,22 48,12
11,74 44,65 0,93 < -0,01 0,98 20,32 12,55
a1
** **
**
** ** ** ** ** ** **
türkisch
b1
andere
c1
42,20 31,91 13,48 70,57
* *
50,51 41,12 11,93 80,96
+ +
**
** 58,87 28,37 12,77 23,05 43,26
9,26 30,25 0,48 -0,57 0,36 22,03 14,62
**
** ** ** ** **
51,27 31,98 16,75 13,45 49,24
9,12 32,71 0,48 -0,35 0,51 20,77 11,95
**
** ** ** ** ** ** **
Anmerkungen: 1 a: Differenz zwischen deutscher Vergleichgruppe und türkischen Migranten signifikant; b: Differenz zwischen türkischen und anderen Arbeitsmigranten signifikant; c: Differenz zwischen anderen Arbeitsmigranten und Deutschen signifikant; + p < 0,10, * p < 0,05, ** p < 0,01 (zweiseitige T-Tests; für Schulbildung 2-Tests).
Bei der Ausstattung mit arbeitsmarktrelevanten Ressourcen finden sich bekannte Muster: Türkischstämmige Jugendliche unterscheiden sich auf fast allen Dimensionen von der deutschstämmigen Vergleichspopulation und auch den Jugendli10 Diese Population schließt die kleinere Risikopopulation für den Übergang in „Ausbildungsplatz“ mit ein. 11 Abweichend von den anderen Herkunftsindikatoren werden für „berufliche Ausbildung“ beide Eltern herangezogen. Die Mittelwerte des [0;1] kodierten Indikators sind als Prozentanteil der Hintergründe interpretierbar, in denen mindestens ein Elternteil eine beruflichen Ausbildungsabschluss vorweist.
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung
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chen aus anderen Anwerbeländern. Während 66 Prozent der deutschen Jugendlichen mindestens über einen Realschulabschluss verfügen haben 50-60 Prozent der anderen Jugendlichen nur einen Hauptschulabschluss; hier unterscheiden sich türkischstämmige Jugendliche nicht signifikant von denen aus anderen Anwerbeländern. Allerdings haben türkische Jugendliche mit 23 Prozent deutlich häufiger (mindestens) einen Teil ihrer Schulbildung nicht in Deutschland absolviert. Bezüglich Sprachkenntnissen und der Netzwerkzusammensetzung nehmen türkische Jugendliche ebenfalls eine Sonderrolle ein. Ihre selbst berichteten Sprachfähigkeiten liegen signifikant unter denen der anderen Jugendlichen.12 Bezüglich Aufnahmeland-spezifischer Netzwerke ist der Unterschied noch deutlicher. Während etwa 50 Prozent der engen Freunde der Jugendlichen aus anderen Anwerbeländern Deutsche sind, ist das im Durchschnitt nur für ein Drittel der engen Freunde der türkischstämmigen Jugendlichen der Fall.13 Im Hinblick auf die Indikatoren der sozialen Herkunft fällt auf, dass trotz der Beschränkung auf Jugendliche, die nicht in tertiäre Bildung übergegangen sind, der sozioökonomische und auch der Bildungshintergrund der deutschen Jugendlichen deutlich höher ist. Mit durchschnittlich über 11 Bildungsjahren im Vergleich zu 9 und durchschnittlich 45 Punkten auf dem ISEI Index im Vergleich zu etwa 30 haben deutsche Jugendliche signifikant bessere Herkunftsbedingungen als die Nachfahren der Gastarbeiter, die sich hier auch kaum unterschieden. Der dritte Herkunftsindikator der angibt, ob mindestens ein Elternteil eine berufliche Ausbildung absolviert hat, ist noch extremer verteilt. Während 90 Prozent der Eltern der deutschen Jugendlichen einen Ausbildungsabschluss vorweisen können, verfügt die erste Generation der Gastarbeiter nur zu etwa 50 Prozent über Erfahrungen mit diesem Übergangsweg. Dies ist natürlich wenig überraschend, bei den Eltern handelt es sich ja um die erste Generation Einwanderer, die normalerweise Schul- und (wenig) Berufsbildung im Herkunftsland erworben haben.
5.2 Residualeffekte nach Bildungskontrolle Viele Studien setzen Ungleichheit und/oder Diskriminierung mit kontrollierten Lohnlücken oder Residualeffekten gleich. Nach Kontrolle des Humankapitals nicht erklärbare und damit verbleibende Lohnlücken zwischen Männern und 12
Der Vergleich mit den perfekten Sprachkenntnissen deutscher Jugendlicher ist nur eingeschränkt möglich, da diese Frage nicht auf Selbstberichten sondern auf der Annahme perfekter Sprachkenntnisse bei dieser Gruppe basiert. 13 Auch hier ist der Vergleich mit deutschen Jugendlichen nur eingeschränkt möglich. Die „3Freunde“ Frage wird zwar allen Befragten gestellt, um eine möglichst nichtselektive Analysestichprobe zu erreichen, wurden fehlende Werte bei Deutschen Jugendlichen allerdings mit komplett deutschen Netzwerken ersetzt.
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Frauen oder Resteffekte von ethnischer Herkunft werden je nach Autor als Hinweis oder sogar als Beweis auf Ungleichheit oder auf Arbeitgeberdiskriminierung gewertet. Solche Interpretationen sind sehr fragwürdig, weil erstens mit gängigen Datensätzen eigentlich nie davon ausgegangen werden kann, dass alle arbeitsmarktrelevanten Charakteristiken adäquat und vollständig kontrolliert werden. Zweitens wird dabei vernachlässigt, dass möglicherweise Gruppenunterschiede in Präferenzen oder der Wahrnehmung von Opportunitäten diese Resteffekte verursachen. Trotz dessen können Residualeffekte sinnvoll interpretiert werden und zwar als die nach offensichtlichen Humankapitalunterschieden verbleibenden, zu erklärenden Unterschiede. Dieser Logik folgend werden in Tabelle 2 Ergebnisse geschlechtsspezifischer diskreter Ereignisdatenmodelle für die beiden beschriebenen Übergänge berichtet. Neben den offensichtlichen Unterschieden in sekundärer Schulbildung werden vorerst nur strukturelle Randbedingungen, gemessen über die lokale Arbeitslosigkeitsrate, kontrolliert. Weiterhin werden binäre Indikatorensets für Periodeneffekte und Verweildauer in der Prozesszeit kontrolliert, die hier aus Platzgründen nicht berichtet werden. Wie zu erwarten ist, schränkt ein durch höhere Arbeitslosigkeit gekennzeichneter „flauer“ Arbeitsmarkt die Chancen auf den Übergang in Ausbildung bzw. das Erreichen eines Ausbildungsabschluss ein. Über den Analysezeitraum von 1985 bis 2006 schwankt die Arbeitslosigkeit in den Raumordnungsregionen zwischen 2,6 und 22,6 Prozent. Mit jedem Anstieg der Arbeitslosigkeitsrate um 1 Prozent ist eine etwa 5 Prozent niedrigere Übergangsrate verbunden, außer für den Übergang von Frauen in Ausbildung. Es verbleiben vor allem für die türkischen Jugendlichen substantielle Residualeffekte nach Bildungskontrolle. Die Übergangsrate von türkischen Männern in „Ausbildungsplätze“ (und eben leider auch Fortbildungen und andere Maßnahmen, daher die Anführungszeichen) liegen über 60 Prozent unter denen der deutschen Vergleichspopulation. Für türkische Frauen werden fast ebenso starke Residuen beobachtet; hier ist die Übergangsrate 51 Prozent niedriger. Für das Erreichen eines dualen Berufsbildungsabschlusses sind ebenfalls deutliche Residualeffekte für türkische Jugendliche zu beobachten. Bei Männern ist die Übergangsrate 46 Prozent niedriger, für Frauen 37 Prozent. Bei den Jugendlichen mit Ursprung aus den anderen Anwerbeländern zeigen sich deutlich geringere Resteffekte der Herkunft. Die Übergangsraten sind beim Übergang in Ausbildung signifikant niedriger als bei deutschen; für den Abschluss von dualen Ausbildungen zeigt sich kein statistisch signifikanter Unterschied.
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Tabelle 2: Residualeffekte nach Bildungskontrolle AV
Türkisch1 And. Arbeitsmigranten1 Realschulabschluss2 (Fach-)Abitur2 Schulb. tw. im Ausland Arbeitslosenquote N Personenjahre N Personen McFadden R2 Chi2
„Ausbildungsplatz“ Männer
Frauen
Abschluss dualer Berufsausbildung Männer Frauen
0,36** (-5,44) 0,60** (-3,08) 0,46** (-5,65) 0,29** (-7,60) 1,12 (0,41) 0,96* (-2,08) 1740 1165 0,22 517,64
0,49** (-3,80) 0,75+ (-1,69) 1,04 (0,28) 0,89 (-0,68) 0,31** (-4,63) 1,00 (0,16) 1725 1073 0,27 635,2
0,54** (-3,77) 0,82 (-1,46) 1,19 (1,55) 0,46** (-4,45) 0,95 (-0,24) 0,95** (-2,67) 5847 1285 0,17 587,68
0,63* (-2,17) 0,97 (-0,20) 1,21 (1,53) 0,72+ (-1,87) 0,35** (-3,12) 0,96+ (-1,90) 5739 1174 0,18 518,35
Anmerkungen: Odds-Ratios; z-Tests; + p< 0,10, * p < 0,05, ** p < 0,01 (zweiseitige Tests); Referenzkategorien: 1 Deutsche, 2 Hauptschulabschluss. In allen Modellen binäre Kontrollvariablen für Periodeneffekte und Verweildauer.
Die Effekte von sekundärer Schulbildung erscheinen auf den ersten Blick kontraintuitiv. Zentral ist, dass Residualeffekte der ethnischen Herkunft trotz Kontrolle der bekannten Unterschiede in der Ausstattung mit Schulabschlüssen vorliegen. Im Vergleich zur Referenzkategorie Hauptschule sind die Übergangsraten von Abiturienten für beide Übergänge deutlich niedriger; für den Abschluss einer dualen Berufsausbildung haben Realschüler tendenziell eher höhere Übergangsraten. Vier Erklärungen für diese Effekte sind denkbar. Erstens sind höhere Bildungsabschlüsse für den Zugang zu tertiärer Hochschulbildung notwendig und für den direkten Übergang in den Arbeitsmarkt ein Produktivitätssignal. Für berufliche Ausbildung könnten dagegen Haupt- und Realschüler wegen der stärkeren Fokussierung auf praktische Fähigkeiten sogar Vorteile im Vergleich zu Abiturienten haben. Bei letzteren könnte aus Sicht der Arbeitgeber auch immer die Gefahr bestehen, dass sie nach erfolgreicher Ausbildung doch noch ein Hochschulstudium anfangen könnten und sich die Investition in die Ausbildung
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dann nicht rentiert. Zweitens kann die Definition der Risikopopulation einen zentralen Einfluss auf die Bildungseffekte haben. Für Jugendliche mit höheren Schulabschlüssen existieren alternative Übergangswege in den Arbeitsmarkt. Statt einen Ausbildungsplatz oder eine andere berufliche Qualifikationsmaßnahme anzustreben, könnten Schulabgänger mit Abitur ein Hochschulstudium anstreben und ihre Personenjahre nur deshalb in der Risikopopulation sein, weil sie noch nicht damit begonnen haben. Etwa weil sie auf einen Studienplatz für ein bestimmtes Fach warten müssen. Einen Hinweis darauf ergibt die Tabulation der Prozesszeit, also dem Verweilen in der Risikopopulation für den Zugang zu Ausbildung mit den Schulabschlüssen. Während 82 Prozent der Hauptschüler im ersten Jahr einen Übergang in eine berufliche Ausbildungsmaßnahme angeben, sind es nur 42 Prozent der Abiturienten. Drittens sind Abiturienten bezogen auf die Risikopopulation im Schnitt annähernd drei Jahre älter als Haupt- oder Realschulabgänger. Eventuell haben ausbildende Betriebe in dieser Hinsicht Präferenzen. Solche Alterseffekte zusätzlich zu kontrollieren ist mit der gewählten Modellierungsstrategie schwierig, da mit den Prozesszeitkontrollen sowie den Periodeneffekten bereits zwei Zeitkonstrukte modelliert werden. Viertens könnten Noten vor allem in Mathematik ein zentraleres Kriterium für Arbeitgeber sein als der Schulabschluss an sich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die hier untersuchten Abiturienten vergleichsweise schlechtere Schulnoten vorweisen und auch deshalb kein Hochschulstudium anstreben. Die Interpretation des Indikators für teilweise im Ausland absolvierte sekundäre Schulbildung ist von den Effekten her eindeutig. Vor allem Frauen haben in beiden Übergängen 69 bzw. 65 Prozent niedrigere Übergangsraten, wenn sie Teile der Schulbildung nicht im deutschen Bildungssystem absolviert haben. Für Männer hat dieser Indikator keine Erklärungskraft. Die gängige Interpretation dieses Effektes hebt auf die möglicherweise für Arbeitgeber mangelnde Aussagekraft von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen ab. Interessant daran ist, dass dies im Grunde kein Humankapital oder ein dem Ressourcen-Ansatz zuordenbares Argument ist. Es wird nicht über die Wertigkeit des ausländischen Abschlusses argumentiert (für die in dieser Analyse ja auch über die Einordnung in den äquivalenten deutschen Abschlusstyp kontrolliert wird), sondern über die größere Unsicherheit in der Aussagekraft solcher Abschlüsse. Dieses Argument ist eigentlich eher statistischer Diskriminierung zuzuordnen. Eine weitere Interpretation dieses Effektes könnte der Rückschluss auf mögliche Rückkehrabsichten durch die Arbeitgeber sein, wenn schon während der Schulzeit längere Aufenthalte im Herkunftsland vorliegen (vgl. Waldorf 1997). Dass der Effekt nur für Frauen relevant ist, könnte in der Annahme traditioneller Rollenbilder bei noch stark mit dem Herkunftsland verbundenen Migranten liegen.
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In den Modellen wurde die unterschiedlichen Ausstattung mit sekundären Schulabschlüssen und möglichen Effekte von im Ausland erworbenen Bildungszertifikaten kontrolliert. Insgesamt findet sich der in Hypothese 1 formulierte Zusammenhang zwischen Schulabschlüssen und Übergangsraten nicht. Zwar haben Schulabschlüsse starke Effekte auf die Übergangsraten, aber eindeutig nicht in der erwarteten positiven Richtung. Es verbleiben substantielle ethnische Residuen vor allem für türkische Jugendliche, deren Ursache in den nächsten Abschnitten weiter geklärt werden soll.
5.3 Effekte Aufnahmeland-spezifischer Kapitalien und der sozialen Herkunft Die Ungleichheitsforschung generell und vor allem die zu sozialer Mobilität betont die Effekte elterlicher Ressourcen oder allgemeiner sozialer Herkunft auf den Bildungserfolg und die Platzierung im Arbeitsmarkt. Auch die Rolle Aufnahmeland-spezifischer Ressourcen, die unabhängig von den gängigen Humankapitalressourcen wie Schulbildung einen Effekt auf den Bildungserfolg und die Positionierung im Arbeitsmarkt haben können, wurde in Abschnitt 3 diskutiert. In diesem Analyseschritt werden Indikatoren für beide Mechanismen in die Modelle aufgenommen (vgl. Tabelle 3). Die verwendeten Indikatoren der sozialen Herkunft alleine erklären die im letzten Abschnitt verbliebenen Residuen nicht. Im Gegenteil verstärkt die Kontrolle von elterlichen Ressourcen diese sogar.14 Der Rückgang der Residuen geht also hauptsächlich auf die Kontrolle der Unterschiede in den Aufnahmeland-spezifischen Kapitalien zurück. Dennoch verbleibt ein signifikantes Residuum für türkische Männer beim Übergang in Ausbildung, sowie ein substantieller Resteffekt ebenfalls für türkische Männer bezüglich dualer Berufsausbildung (was bei einem eigentlich angemessenen einseitigen Signifikanztest immerhin auf 10 Prozent Niveau signifikant wäre). Die Effekte höherer Bildung des Vaters sind in allen Modellen negativ und größtenteils signifikant. Je höher die durchschnittliche Bildung ist, desto weniger wahrscheinlich wird ein Übergang der Kinder in Ausbildung oder das Erreichen einer dualen Berufsausbildung. Der sozioökonomische Status des Vaters, gemessen über den ISEI Index, hat praktisch keinen Einfluss auf beide Übergänge. Ähnliche Effekte der klassischen Herkunftsindikatoren Bildung und sozioökonomischer Status finden sich bei Kalter (2006), der den Zugang zu Erwerbstätigkeit und zu qualifizierter Erwerbstätigkeit mit ähnlichen Modellen analysiert 14
Die Modelle ohne Kontrolle der Aufnahmeland-spezifischen Kapitalien werden aus Platzgründen nicht berichtet. Die Stärke und Richtung der Effekte der sozialen Herkunft unterscheiden sich nur unwesentlich von denen in Tabelle 3 berichteten (unter zusätzlicher Kontrolle der spezifischen Ressourcen).
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hat. Die untersuchten Subpopulationen sind ebenfalls sehr ähnlich, da sich die Abgrenzung dieses Analysesamples an der Studie von Kalter orientiert. In den dort berichteten Modellen zeigt sich, dass elterliche Ressourcen dann den erwarteten positiven (nicht-signifikanten) Einfluss auf die Platzierung haben, wenn erwerbstätig mit arbeitslos kontrastiert wird (vgl. Fußnote 5 in Kalter 2006). Vor allem die nicht genauer spezifizierten nichterwerbstätigen, aber nicht arbeitslosen Personen verursachen die negativen Effekte. Es liegt nahe, dass ein ähnliches Phänomen, wie oben bei den Effekten der höheren Schulabschlüsse, Ursache dieser negativen Effekte sein könnte. Der höhere Status der Eltern führt zu einem Statuserhaltsmotiv, dass nicht über berufliche Ausbildung oder den direkten Übergang in den Arbeitsmarkt erreichbar wäre. Gleichzeitig scheinen diese Jugendlichen mit den vorteilhafteren Elternressourcen aber aus hier nicht bestimmbaren Gründen noch nicht in höhere tertiäre Bildung übergangen zu sein. Der einzige Elternindikator, der erwartete und signifikante Effekte zeigt, ist, wenn mindestens ein Elternteil eine berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Haben Eltern Erfahrung mit beruflicher Ausbildung, erhöht dies die Übergangsraten ihrer Töchter deutlich für beide Übergänge. Dies kann einerseits ein Hinweis auf spezifische vorhandene Ressourcen für die Suche und erfolgreiche Bewerbung für Ausbildungsplätze sein, andererseits ist es auch möglich, dass ebenfalls niedrigere Statuserhaltsmotive der Hintergrund dieses Effektes sind. Eine Erklärung für die nur bei Frauen auftretenden Effekte könnte sein, dass üblicherweise Frauen aus der Elterngeneration die niedrigeren Ausbildungsabschlüsse haben. Nimmt man ein geschlechtsrollenspezifischen Statuserhaltsmotiv an (vgl. Stocké 2007b), also dass Mütter den Referenzpunkt für den zu erhaltenden Status der Töchter definieren und Väter die Referenz für Söhne sind, würden sich die Effekte nur auf Töchter darüber erklären lassen. Allerdings zeigen sich in einem derartig spezifizierten Modell keine substantiell stärkeren Effekte der Erfahrung mit Ausbildung der Väter auf die Übergangsraten der Söhne. Insgesamt hat die soziale Herkunft also nur teilweise positive Einflüsse auf die Übergangsraten. Hypothese 3a, die den positiven Einfluss elterlicher Ressourcen auf die Übergangswahrscheinlichkeit vermutet, muss also abgelehnt werden. Die Ergebnisse entsprechen tendenziell eher Hypothese 3b. Statuserhaltsmotive, die nicht über berufliche Ausbildung befriedigt werden können, verursachen negative Effekte des sozialen Hintergrundes auf die Übergangsraten. Hypothese 3c über den positiven Effekt der Erfahrung mit Ausbildung auf die Übergangsrate kann dagegen für Frauen nicht verworfen werden. Die ethnischen Residuen werden durch soziale Herkunftseffekte alleine nicht reduziert (Modelle werden aus Platzgründen nicht gezeigt). Für den Rückgang der Residuen für fast alle Gruppen in Tabelle 3 im Vergleich zu Tabelle 2 sind vielmehr die Kontrollen für Aufnahmeland-spezifische
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Kapitalien verantwortlich. Tendenziell zeigen sich stärkere Netzwerkeinflüsse auf den Zugang zu Ausbildungsplätzen vor allem bei Männern. Für das Erreichen eines dualen Ausbildungsabschlusses sind stärkere Effekte der Sprachkenntnisse zu beobachten. Diese Effekte sind konsistent zu den oben diskutierten theoretisch relevanten Mechanismen. Der Zugang zu Netzwerken sollte für das Finden von Positionen relevant sein (Hypothese 2b). Insbesondere für den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung sind eher Effekte sprachlicher Fähigkeiten zu erwarten (Hypothese 2a). Vor allem türkische Jugendliche sind mit beiden Ressourcen am unvorteilhaftesten ausgestattet, was den generellen Rückgang der ethnischen Residuen vor allem für Frauen erklärt – unerklärt bleiben die eher noch stärkeren Residuen für Männer beim Zugang zu Ausbildung. Sprachkenntnisse beeinflussen sowohl den Prozess des Findens einer Ausbildungsstelle und können auch ein wichtiges Signal für potentielle Arbeitgeber darstellen. Daher ist es nicht überraschend, dass auch Effekte auf den Zugang zu Ausbildungsplätzen gefunden werden. Die Effekte werden deutlich stärker, wenn der zweite Übergang, das erfolgreiche Abschließen einer Ausbildung, betrachtet wird. Das deutet auf die „produktive Kapazität“ von Sprache hin, die vor allem beim Lernen in Ausbildungen unabdingbar sein sollte. Daneben gibt es auch eine noch deutlichere geschlechtsspezifische Systematik. Für Frauen ist bei beiden abhängigen Variablen der Effekt der Sprachkenntnisse stärker. Für Männer ist eher das Aufnahmeland-spezifisches Netzwerk relevant. Man könnte dieses Muster als Hinweis auf unterschiedliche Berufsfelder deuten. In Dienstleistungsberufen sollten Sprachkenntnisse wichtiger sein als etwa im produzierenden Sektor. Wenn sich Frauen und Männer unterschiedlich auf diese Sektoren verteilen, kann dies das Effektmuster erklären.
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Tabelle 3: Soziale Herkunft und Aufnahmeland-spezifisches Kapital AV
„Ausbildungsplatz“ Männer Frauen
Abschluss d. BA Männer Frauen
Türkisch1
0,30** (-4,36) 0,49** (-3,21) 0,51** (-4,62) 0,40** (-5,28) 1,09 (0,30)
0,75 (-1,06) 1,04 (0,15) 1,03 (0,21) 0,95 (-0,30) 0,41** (-3,38)
0,68+ (-1,75) 1,00 (0,02) 1,18 (1,43) 0,49** (-3,96) 1,05 (0,22)
0,90 (-0,38) 1,25 (1,03) 1,15 (1,11) 0,68* (-2,06) 0,44* (-2,40)
0,87** (-4,56) 0,99* (-2,21) 0,88 (-0,73)
0,89** (-3,73) 1,01 (1,25) 1,83** (3,54)
0,93* (-2,23) 1,00 (0,18) 1,09 (0,57)
0,98 (-0,52) 1,00 (-0,45) 1,58* (2,42)
1,86* (2,36) 1,01
1,40 (1,22) 1,43*
1,39 (1,45) 1,36+
0,97 (-0,10) 1,93**
(0,08) 1740 1165 0,24 582,30
(2,18) 1725 1073 0,28 668,93
(1,95) 5847 1285 0,18 605,11
(2,73) 5739 1174 0,18 536,17
And. Arbeitsmigranten1 Realschulabschluss2 (Fach-)Abitur2 Schulb. tw. im Ausland Soziale Herkunft (Eltern) Bildungsjahre ISEI Ausbildungsabschluss Spezifisches Kapital Deutsche Freunde Deutschkenntnisse N Personenjahre N Personen McFadden R2 Chi2
Anmerkungen: Odds-Ratios; z-Tests in Klammern; + p< 0,10, * p < 0,05, ** p < 0,01 (zweiseitige Tests); Referenzkategorien: 1 Deutsche, 2 Hauptschulabschluss. In allen Modellen Kontrollen für Periodeneffekte, Verweildauer und Arbeitslosenrate.
Ethnische Unterschiede beim Zugang zu Ausbildung
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5.4 Ethnische Unterschiede in den Effekten von Schulabschlüssen Im letzten Teil der Analyse wird zusätzlich zu den bisher diskutierten Einflussfaktoren überprüft, ob dieselben sekundären Bildungsabschlüsse für die drei analysierten Gruppen die gleichen Übergangschancen implizieren. Ein klassischer Humankapital- oder Ressourcen-Ansatz würde dies vorhersagen. Wie in Abschnitt 2 diskutiert, ermöglichen die Kontextbedingungen beim Zugang zu Ausbildungsplätzen aber diskriminierende Einstellungsroutinen. Hier wird die in Abschnitt 3.4 abgeleitete Hypothese überprüft, dass die gleichen Bildungssignale je nach Gruppenzugehörigkeit unterschiedlich von Arbeitnehmern wahrgenommen werden. Alternativ könnten signifikante Interaktionseffekte aber auch auf ethnisch spezifische Unterschiede in den Übergangsstrategien hinweisen. Eventuell nehmen Migrantenfamilien die Opportunitätskosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten der verschiedenen tertiären Ausbildungsgänge unterschiedlich war. Dies könnte dazu führen, dass auch Migranten mit Hochschulzugangsberechtigung (Abitur) trotz der Alternative eines Studiums eher berufliche Ausbildungen anstreben. Die Interaktionseffekte für den Zugang zu beruflicher Ausbildung sind mit wenigen Ausnahmen positiv und für türkische Männer signifikant (vgl. Tabelle 4). Da der niedrigste Schulabschluss – Hauptschule – als Referenzeffekt verwendet wird, haben alle Migranten der zweiten Generation höhere Übergangsraten, wenn sie bessere Schulabschlüsse aufweisen. Beispielsweise steigt die Übergangswahrscheinlichkeit für Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund von 23 Prozent auf 31 Prozent an, wenn sie statt einem Hauptschul- einen Realschulabschluss vorweisen können. Ein Abitur erhöht die Übergangswahrscheinlichkeit auf 34 Prozent.15 Die Effekte der Schulabschlüsse für die deutsche Referenzpopulation sind dagegen negativ. Mit einem Hauptschulabschluss ist die Übergangswahrscheinlichkeit in Ausbildung mit 66 Prozent am höchsten, für Realschulabsolventen wird eine Wahrscheinlichkeit von nur noch 42 Prozent geschätzt und für Gymnasiasten sinkt sie auf 35 Prozent.
15 Alle Wahrscheinlichkeiten sind bezogen auf das erste Jahr nach Beendigung der sekundären Schulabschlusses für die Referenzperiode 2005 bis 2007 für Jugendliche, die ihre Schullaufbahn ausschließlich in Deutschland absolviert haben und deren Eltern keine Erfahrung mit dualer Berufsausbildung haben. Die weiteren Variablen werden auf die Stichprobenmittelwerte fixiert (lokale Arbeitslosigkeitsrate, Bildungsjahre und ISEI Score des Vaters, Anteil deutsche Freunde sowie Sprachfähigkeiten).
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Tabelle 4: Interaktion Migrationshintergrund * Schulabschluss AV Türkisch And. Arbeitsmigranten Realschulabschluss (Fach-)Abitur Soziale Herkunft (Eltern) Bildungsjahre ISEI Ausbildungsabschluss Spezifisches Kapital Deutsche Freunde Deutschkenntnisse Interaktionseffekte Türkisch * Realschule Türkisch * (Fach-)Abi. Andere * Realschule Andere * (Fach-)Abi. N Personenjahre N Personen McFadden R2 Chi2
„Ausbildungsplatz“ Männer Frauen 0,16** 0,71 (-5,63) (-1,09) 0,38** 0,88 (-3,27) (-0,42) 0,39** 0,88 (-5,13) (-0,71) 0,28** 1,02 (-6,12) (0,09)
Abschluss d. BA. Männer Frauen 0,59* 0,68 (-1,99) (-1,05) 0,82 0,98 (-0,89) (-0,08) 1,10 1,03 (0,71) (0,21) 0,39** 0,61* (-4,44) (-2,28)
0,88** (-4,21) 0,99* (-2,07) 0,88 (-0,72)
0,88** (-4,03) 1,01 (1,41) 1,84** (3,53)
0,93* (-2,04) 1,00 (0,34) 1,08 (0,47)
0,98 (-0,62) 1,00 (-0,20) 1,54* (2,28)
1,77* (2,15) 0,95 (-0,28)
1,47 (1,39) 1,41* (2,04)
1,35 (1,28) 1,31+ (1,72)
0,99 (-0,03) 1,80* (2,40)
1,95 (1,54) 0,43 (-1,44) 1,79 (1,52) 0,84 (-0,40) 1725 1073 0,28 677,84
1,07 (0,20) 2,17 (1,39) 1,36 (1,04) 2,68* (2,06) 5847 1285 0,18 610,50
1,91 (1,45) 0,85 (-0,19) 1,40 (0,99) 1,66 (1,15) 5739 1174 0,19 539,97
3,94** (3,29) 6,29** (3,24) 1,19 (0,49) 2,05 (1,49) 1740 1165 0,25 600,52
Anmerkungen: Odds-Ratios; z-Tests in Klammern; + p< 0,10, * p < 0,05, ** p < 0,01 (zweiseitige Tests). In allen Modellen zusätzlich Kontrollen für Periodeneffekte, Verweildauer, Arbeitslosenrate und Schulbildung tw. im Ausland.
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Ein Vergleich der Modelle mit Interaktionseffekten in Tabelle 4 mit denen aus Tabelle 3, in denen keine unterschiedliche Wirkung der Bildungsabschlüsse für unterschiedliche Gruppen zugelassen wurde, bestätigt den Eindruck. Für den Zugang zu Ausbildung bei Männern passt ein Modell, das die unterschiedliche Aussagekraft von Schulabschlüssen für die verschiedenen Gruppen zulässt, signifikant besser zu den beobachteten Daten (Likelihood-Ratio Test: 2(4)=18,22, p<0,01). Für Frauen passt das Interaktionsmodell für den Zugang zu Ausbildungsplätzen nur marginal besser (Likelihood-Ratio Test: 2(4)=8,91, p=0,064). Die Interaktionsmodelle für den Abschluss einer dualen Ausbildung passen weder für Frauen noch für Männer signifikant besser zu den Daten (LikelihoodRatio Test für Männer: 2(4)=5,39, p>0.1; für Frauen: 2(4)=3,80, p>0,1). Insgesamt scheinen nichtdeutsche männliche Jugendliche häufiger mit vergleichweise hohen Schulabschlüssen in Ausbildung zu wechseln. Für Frauen ist ein ähnliches Effektmuster zu beobachten, allerdings erklärt das Modell statistisch nur marginal signifikant mehr als das Vergleichsmodell ohne Interaktionen. Für den Abschluss einer beruflichen Ausbildung ist keine unterschiedliche Wirkung der Schulabschlüsse zu beobachten. Das ist theoretisch vollkommen konsistent zu einer Interpretation der Effekte als statistische Diskriminierung. Solche Effekte sollten vor allem bei der Einstellung und weniger bei der Leistungsbeurteilung während der Ausbildung vorliegen. Leider ist es wegen der im GSOEP vorhandenen Datenstruktur nicht möglich, den Zugang zu Ausbildungsplätzen eindeutig vom Abschluss dualer Ausbildungen abzugrenzen, deswegen kann Hypothese 4 nur insofern bestätigt werden, als dass sich Bildungssignale unterschiedlich für Migranten und Deutsche auswirken. Ob es sich um Nachfrageeffekte (statistische Diskriminierung) oder um Angebotseffekte in Form anderer Übergangsstrategien und Alternativenwahrnehmungen handelt, kann auf Basis der verfügbaren Daten nicht endgültig geklärt werden.
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Zusammenfassung und Diskussion
Dieses Kapitel sucht nach Erklärungen für die strukturellen Assimilationsschwierigkeiten der Nachfahren der klassischen Gastarbeiter beim Zugang und Erwerb von beruflichen Ausbildungsabschlüssen. Es ist bekannt, dass diese Gruppe unterdurchschnittlich mit den formal notwendigen Schulabschlüssen für den Zugang in das deutsche Hochschulsystem ausgestattet ist. Damit kommt dem Zugang zu regulärer Beschäftigung über berufliche Ausbildung ein zentraler Stellenwert zu. Im Unterschied zu bisherigen Analysen des Übergangs von Schule in reguläre Beschäftigung wird hier schon der Zugang zu Ausbildungsplätzen als der zentrale Übergang identifiziert. Das deutsche Berufsbildungssystem ist
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durch die Dominanz sogenannter dualer Ausbildungsgänge gekennzeichnet. In diesem System entscheiden alleine Arbeitgeber über den Zugang zu den von ihnen in Zusammenarbeit mit staatlichen Berufsschulen angebotenen Ausbildungen. Der Übergang in den Arbeitsmarkt findet sozusagen schon bei der Unterzeichnung des Ausbildungsvertrages statt. Für die Bewerberseite können ebenfalls spezifische Hypothesen über die Relevanz von Herkunfts- und Aufnahmeland-spezifischer Ressourcen abgeleitet werden, die beispielsweise die Kosten der Suche nach Ausbildungsplätzen beeinflussen. Zur empirischen Überprüfung werden Daten des Deutschen Sozioökonomischen Panels herangezogen. Wie auch in anderen Analysen bzw. Datensätzen zeigt sich, dass Migranten der zweiten Generation das sekundäre Schulbildungssystem mit durchschnittlich schlechteren Abschlüssen verlassen als vergleichbare deutsche Jugendliche. Ebenso geben insbesondere türkische Jugendliche größere Sprachschwierigkeiten in Deutsch an und haben deutlich mehr Herkunftsland zentrierte Netzwerkstrukturen als die anderen Migranten der zweiten Generation. Mit diskreten Ereignisdaten-Modellen werden dann zunächst ethnische Residuen nach Bildungskontrolle geschätzt: Türkische Jugendliche haben sowohl beim Übergang in Ausbildung als auch beim Abschluss einer dualen Berufsausbildung deutlich niedrigere Übergangsraten. Die anderen Migranten, die mit ähnlich unvorteilhaften Schulabschlüssen ausgestattet sind, weisen im Vergleich zur deutschen Vergleichspopulation zwar auch systematisch niedrigere Übergangsraten auf, diese Unterschiede sind allerdings größtenteils nicht signifikant. Die schlechteren Schulabschlüsse alleine können also die strukturellen Nachteile nicht erklären. Im nächsten Schritt werden dann Herkunftsindikatoren sowie die Ausstattung mit Aufnahmeland-spezifischen Kapitalien kontrolliert. Die ethnischen Residuen gehen deutlich zurück, nur für türkische junge Männer finden sich weiterhin signifikant niedrigere Übergangsraten vor allem beim Zugang zu dualer Ausbildung. Der Rückgang geht dabei fast ausschließlich auf die schlechtere Ausstattung mit Aufnahmeland-spezifischen Kapitalien zurück. Sprachfähigkeiten in der Aufnahmelandsprache Deutsch wirken also scheinbar als produktive Ressource und als Komplementärfaktor zur effizienten Nutzung anderer Humankapitalbestandteile. Dies wird auch schon beim Zugang zu Ausbildungsplätzen von Arbeitgebern wahrgenommen. Möglich ist aber auch, dass mangelnde Sprachkenntnisse zu ineffizienteren Suchstrategien bei Migranten führen. Die Effekte Aufnahmeland-spezifischer Netzwerke wirken eher auf den Zugang zu Ausbildung, es kann also davon ausgegangen werden, dass es sich hier größtenteils um die von Granovetter oder Lin postulierten Effekte effizienterer Suche nach attraktiven Positionen handelt (Granovetter 1973; Lin 1999). Allerdings kann mit den vorliegenden Daten auch nicht ausgeschlos-
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sen werden, dass es sich um Referenzgruppeneffekte, die auf die Präferenzen der Schulabgänger wirken, handelt. Die Interpretation der Herkunftseffekte ist weniger eindeutig. Die klassischen Indikatoren, Bildungslevel und sozioökonomischer Status des Vaters, wirken negativ (bzw. sozioökonomischer Status fast gar nicht) auf den Übergang in Ausbildung oder das Erreichen eines dualen Ausbildungsabschlusses. Zusammen mit den ebenfalls größtenteils negativen Effekten höherer Schulabschlüsse auf beide Übergangsraten liegt eine Interpretation in Richtung höherer Statuserhaltsmotive bzw. der Wahrnehmung intervenierender Opportunitäten in höherer tertiärer Bildung nahe. Das heißt, dass die Jugendlichen aus Elternhäusern mit hohem beruflichem Status und/oder höheren sekundären Bildungsabschlüssen eventuell ein (Fach-) Hochschulstudium oder ähnliche Bildungsgänge anstreben und ihre Personenjahre nur deshalb in der hier verwendeten Analysestichprobe enthalten sind, weil diese Bildungspläne noch nicht in die Tat umgesetzt werden konnten. In zukünftigen Analysen könnte mit „Competing Event“ oder „Competing Risk“ Ereignisdatenanalysen dieser Vermutung nachgegangen werden (vgl. Allison 1984: 46f.; Yamaguchi 1991: 169). Neben den klassischen Indikatoren wurde zusätzlich der Effekt von Erfahrungen der Eltern mit beruflicher Ausbildung geschätzt. Zumindest für Frauen erhöht sich die Übergangswahrscheinlichkeit in Ausbildung deutlich, wenn mindestens ein Elternteil Erfahrungen mit beruflicher Ausbildung gemacht hat. Insgesamt sind die gefundenen Effekte sehr ähnlich zu Studien, die den Eintritt in reguläre Beschäftigung analysiert haben (vgl. etwa Kalter 2006). Auch dort werden die Residualeffekte hauptsächlich durch die Kontrolle Aufnahmeland-spezifischer Ressourcen erklärt, während Herkunftsindikatoren, wenn überhaupt, einen gegenläufigen Effekt haben. Allerdings konnten in diesen Analysen die ethnischen Residuen komplett erklärt werden, während hier für männliche Türken signifikante Residualeffekte auch nach Kontrolle der Aufnahmeland-spezifischen Ressourcen verbleiben. Im letzten Teil der Analyse wurde getestet, ob Schulabschlüsse sich unterschiedlich für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund auswirken. Das Testwertmodell statistischer Diskriminierung sowie neuere Matchingtheorien gehen davon aus, dass neben direkten Produktivitätssignalen auch Erfahrungswerte von Arbeitgebern mit verschiedenen Bewerbergruppen deren Allokationsentscheidungen beeinflussen (Phelps 1972; Sorensen/Kalleberg 1981). Aus dem Modell statistischer Diskriminierung kann eine testbare Interaktion abgeleitet werden: Produktivitätssignale könnten als unterschiedlich aussagekräftig wahrgenommen werden, je nachdem, welche Erfahrungen Arbeitgeber mit den jeweiligen Gruppe gemacht haben. Vor allem beim Zugang zu Ausbildungsplätzen passen die so erweiterten Modelle insbesondere für männliche Türken signifikant
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besser zu den berichteten Daten. Während die Vergleichgruppe deutscher junger Männer mit niedrigeren Schulabschlüssen bessere Übergangsraten in das berufliche Ausbildungssystem hat, steigen die Raten für türkische Männer signifikant stärker bei höheren Abschlüssen. Allerdings könnte dieses Muster auch durch unterschiedliche Übergangsstrategien verursacht werden. Eventuell nehmen insbesondere türkischstämmige Jugendliche und deren Familien die Kosten einer Universitätsausbildung als höher bzw. die Erfolgsaussichten als niedriger an und verfolgen trotz dafür ausreichender Schulabschlüsse eher berufliche Ausbildungen. Als Fazit kann festgehalten werden, dass insbesondere männliche türkische Schulabgänger Nachteile beim Zugang zu dualer Ausbildung aufweisen, die sich nicht vollständig über ihre Ausstattung mit Humankapital oder Aufnahmelandspezifischen Ressourcen erklären lassen. Die Interaktionsmodelle deuten eher auf statistische Diskriminierung durch die Arbeitgeber oder deutliche Unterschiede in den Übergangsstrategien hin. Dabei muss beachtet werden, dass es auch mit den sehr detaillierten und umfassenden Messungen, die das Sozioökonomische Panel beinhaltet, nicht möglich ist, alle theoretisch relevanten Einflussfaktoren in den geschätzten Modellen adäquat abzubilden. Da es sich beim ersten Zugang zu Ausbildung oder dem ersten Abschluss dualer Berufsausbildung um absorbierende Ereignisse handelt, die also nur einmal beobachtet werden können, ist es nicht möglich, solche nicht gemessene Heterogenität statistisch zu kontrollieren. Für zukünftige Analysen sollten Datensätze herangezogen werden, die beispielsweise auch direkte Messungen der Präferenzen der Schulabgänger für Ausbildung generell und für bestimmte Ausbildungsberufe enthalten, um simple Angebots-/Nachfrage-Effekte auszuschließen. Solche Effekte könnten sowohl ethnische Residuen „künstlich“ verursachen, aber genauso auch Diskriminierung verdecken. Ebenfalls nicht kontrolliert werden konnte für Unterschiede in Präferenzen und daraus resultierende Selbstselektionen („Simpson’s Paradox“Situation, vgl. Blank et al. 2004: 139); oder für geschlechtsspezifische Präferenzen für bestimmte Ausbildungsberufe (Blossfeld 1987).
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Soziale Ungleichheit und differenzierte Ausbildungsentscheidungen beim Übergang zur Hochschule David Reimer und Steffen Schindler
1
Einleitung
Der Übergang zur Hochschule nimmt im deutschen Bildungssystem eine besondere Bedeutung ein. Im Gegensatz zu anderen Ausbildungssystemen, wie z.B. dem der USA, stellt der Übergang zur Hochschule nicht das „zentrale Selektionsmoment“ im deutschen Ausbildungssystem dar (vgl. Teichler 2005: 44-46). Schülerinnen und Schüler, die eine Studienberechtigung erworben haben, sind bereits eine sehr selektierte Gruppe, welche verschiedene vorangegangene Übergänge im Bildungssystem, insbesondere den von der Grundschule auf weiterführende Schulen, bewältigt haben, so dass aktuell nur ca. 40-45 Prozent eines Altersjahrgangs die Studienberechtigung erwerben (vgl. Statistisches Bundesamt 2006). Wie die vorausgegangen Beiträge in diesem Band gezeigt haben, spielen dabei sowohl primäre als auch sekundäre Effekte der sozialen Herkunft eine wichtige Rolle. Die bis zum Erwerb der Hochschulreife akkumulierte Ungleichheit ist somit Ausgangspunkt für das weitere Bildungsgeschehen und eine Ursache für die ungleiche Beteiligung von verschiedenen soziökonomischen Herkunftsgruppen an Hochschulbildung. Trotzdem tragen auch die sozial selektiven Bildungsentscheidungen von Studienberechtigten dazu bei, Ungleichheiten bei der Wahl von tertiären gegenüber nichttertiären Ausbildungen zu verstärken. Die Wahl zwischen einem Studium und einer Berufsausbildung stellt in diesem Zusammenhang sicherlich die Hauptentscheidung für die meisten Studienberechtigten dar; allerdings gibt es sowohl im tertiären als auch im Bereich der Berufsbildung eine Vielfalt an institutionellen Alternativen, die für verschiedene Herkunftsgruppen unterschiedlich attraktiv sein können. Ein Studium lässt sich neben der Universität auch an einer Fachhochschule oder Berufsakademie absolvieren; eine berufliche Ausbildung kann man im dualen System oder an bestimmten schulischen Einrichtungen durchführen. Ziel dieses Beitrages ist es, die verschiedenen postsekundären Ausbildungsalternativen von Studienberechtigten in Deutschland theoretisch und empirisch differenzierter zu betrachten als das in den meisten vorherigen Forschungs-
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David Reimer und Steffen Schindler
arbeiten bisher geschehen ist. Dabei richten wir besonderes Augenmerk darauf, ob bestimmte Eigenschaften der jeweiligen Ausbildungsoptionen, wie z.B. die Dauer und Kosten oder auch die Praxisnähe der Ausbildung, zu einer sozial selektiven Wahl dieser Alternativen führen und so soziale Ungleichheiten beim Zugang zu Tertiärbildung verstärken oder abmildern.
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Theoretische Überlegungen
In der Literatur werden vor allem zwei Erklärungsansätze herangezogen um soziale Ungleichheit beim Bildungserwerb zu erklären. Vertreter des kulturellen Reproduktionsansatzes (Bourdieu 1977; Bourdieu/Passeron 1971; DiMaggio 1982) argumentieren, dass privilegierte Herkunftsgruppen Bildungspfade einschlagen, die in erster Linie dazu dienen, das kulturelle Kapital der Herkunftsfamilie zu reproduzieren. Demgegenüber stehen (soziologische) RationalChoice-Ansätze, die soziale Ungleichheit beim Bildungserwerb einerseits auf Herkunftsunterschiede in Schulleistungen, die primären Herkunftseffekte, und andererseits auf schichtspezifische Unterschiede in der Bewertung von Kosten, Nutzen und der subjektiven Einschätzung des erfolgreichen Abschließens von verschieden Bildungsoptionen zurückführen (Breen/Goldthorpe 1997; Erikson/ Jonsson 1996; Esser 1999: 265-275; Morgan 2002), so genannte sekundäre Effekte der sozialen Herkunft (Boudon, 1974). Für die Erklärung von schichtspezifischen Unterschieden in der Wahl von differenzierten Ausbildungsalternativen von Studienberechtigten konzentrieren wir uns auf den Rational-Choice-Ansatz, da dieser es am ehesten ermöglicht, konkrete Vorhersagen über die Ursachen der sozial ungleichen Beteiligung an differenzierten postsekundären Bildungsalternativen zu machen (vgl. Becker/Hecken 2008). In Bezug auf schichtspezifische Unterschiede in der Bewertung von Erträgen verschiedener Bildungsoptionen machen Breen und Goldthorpe (1997) und Esser (1999) dabei die Annahme, dass das Statuserhaltsmotiv bzw. die Vermeidung von Abwärtsmobilität bei Bildungsentscheidungen ein zentrales Anliegen von Angehörigen aller Klassen ist. Für Studienberechtigte aus Arbeiterklassen sind dabei weniger prestigeträchtige Bildungsoptionen, wie z.B. eine berufliche Ausbildung, bereits für den familiären Statuserhalt ausreichend, während Angehörige aus statushöheren Herkunftsgruppen jeweils anspruchsvollere Alternativen wählen müssen, um so eine berufliche Position auf dem Niveau der Eltern zu erreichen.
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule 3
253
Postsekundäre Ausbildungsalternativen in Deutschland
Im folgenden Abschnitt beschreiben wir sieben verschiedene postsekundäre Ausbildungsalternativen: Universität, Fachhochschule, Verwaltungsfachhochschule, Berufsakademie, betriebliche und schulische Ausbildung und den direkten Eintritt in den Arbeitsmarkt in Hinblick auf Studiendauer und Kosten, Arbeitsmarkterträge sowie akademisches Anspruchsniveau bzw. der Wahrscheinlichkeit, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Von einer weiteren Differenzierung der Hochschultypen (z.B. die Berücksichtigung der Institutionentypen Pädagogische Hochschule, Kunsthochschule oder private Hochschule) sehen wir ab, da diese anteilig von nur wenig Studienberechtigten gewählt werden und unsere zur Verfügung stehende Datenbasis aufgrund von mangelnden Fallzahlen keine verlässlichen Analysen dieser Hochschultypen erlauben würde. Die am häufigsten gewählte Ausbildungsalternative für Studienberechtigte stellt nach wie vor ein Universitätsstudium dar (siehe auch Tabelle 3). Ein klassisches Universitätsstudium ist in Deutschland, zumindest in der Zeit vor der Implementierung von konsekutiven Bachelor- und Masterstudiengängen im Rahmen der so genannten Bologna-Reformen (vgl. dazu u.a. Witte 2008), mit Regelstudienzeiten von ca. 9-10 Semestern verbunden (mit der Ausnahme der Humanmedizin, mit einer Regelstudienzeit von 12 Semestern). Die durchschnittliche Studiendauer an Universitäten liegt zwischen 5,5 und 6 Jahren und somit deutlich über den vorgesehenen Regelstudienzeiten (vgl. Wissenschaftsrat 2005: 25), auch wenn es beträchtliche Unterschiede zwischen Fächergruppen gibt. Ein Universitätsstudium ist in der Regel kostenfrei, auch wenn verschiedene Bundesländer in jüngster Zeit angefangen haben, Studiengebühren in der Höhe von ca. 500 Euro pro Semester zu erheben. Dennoch ist es insoweit mit Opportunitätskosten verbunden, als für die Studienzeit kein Gehalt verbucht werden kann. Damit fallen Lebenshaltungskosten umso schwerer ins Gewicht, insbesondere wenn mit dem Universitätsbesuch ein Ortswechsel einhergeht und ein eigener Hausstand eingerichtet werden muss. Ein Studium an einer Universität lässt sich nach wie vor als die akademisch anspruchvollste Ausbildungsoption charakterisieren. Nicht zuletzt die hohen Studienabbruchraten (Heublein et al. 2005, 2008) bezeugen, dass viele, die ein Studium beginnen, es häufig nicht abschließen, auch wenn neben dem akademischen Anspruchsniveau eine Vielzahl an anderen Gründen für den Studienabbruch verantwortlich ist (ebd.). Ein Universitätsstudium bietet gegenüber den anderen Hochschultypen die vorteilhaftesten Arbeitsmarkterträge (Müller et al. 2002), auch wenn es notorisch schwierig ist, die auf die Ausbildung zurückgehenden Effekte von Effekten der Selbstselektion zu trennen.
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Im Rahmen der institutionellen Hochschulerweiterung in den 1960er und 1970er Jahren wurde die Fachhochschule als weitere tertiäre Alternative etabliert (siehe z.B. Mayer 2003). Ein Fachhochschulstudium unterscheidet sich von einem Universitätsstudium in Hinblick auf die Ausbildungsinhalte, da die Praxisorientierung im Vordergrund steht. Das Spektrum der zu studierenden Fächer ist auf angewandte Disziplinen wie Ingenieurswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre oder Sozialpädagogik beschränkt, während die meisten geisteswissenschaftlichen Fächer und die Medizinstudiengänge ausschließlich von Universitäten angeboten werden. Die Regelstudienzeit liegt bei nur acht Semestern, von denen eines in der Regel ein Praxissemester ist, und im Durchschnitt brauchen Fachhochschüler tatsächlich weniger als fünf Jahre für ihr Studium (Wissenschaftsrat 2002, 2005). Ähnlich wie ein Universitätsstudium ist ein Fachhochschulstudium, bis auf die in jüngster Zeit erhobenen Studiengebühren, kostenfrei. Jedoch schlagen auch hier wieder entgangenes Gehalt und Lebenshaltung auf der Kostenseite zu Buche. Die höhere Praxisorientierung und auch die niedrigeren Abbruchraten sprechen dafür, dass die Wahrscheinlichkeit ein Fachhochschulstudium erfolgreich zu beenden über der eines Universitätsstudiums liegt. In Hinblick auf Arbeitsmarkterträge liegen, zumindest was das Erreichen einer vorteilhaften Klassenposition angeht, Fachhochschulen hinter Universitäten. Allerdings haben sich die Erträge von Fachhochschul- und Universitätsabsolventen aneinander angenähert (Müller et al. 2002). Schließlich sei darauf verwiesen, dass neben dem Abitur die Fachhochschulreife eine ausreichende Zulassungsvoraussetzung für ein Studium an der Fachhochschule ist. Die Verwaltungsfachhochschulen oder auch Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung sind interne Ausbildungsinstitutionen für die öffentliche Verwaltung des Bundes und der Länder, die für einen Großteil der gehobenen Beamtenausbildung zuständig sind. Beim Studium an der Verwaltungsfachhochschule handelt es sich um eine duale Ausbildung, bei der das Studium durch die praktische Ausbildung in der Behörde ergänzt wird. Studienplätze werden daher direkt über die jeweilige Behörde vergeben. Studierende sind während ihrer dreijährigen Ausbildungszeit an der Verwaltungsfachhochschule Beamte auf Widerruf und werden mit Anwärterbezügen vergütet. Nach Beendigung der Ausbildung erlangen die Absolventen die Befähigung für die Laufbahn des gehobenen Dienstes. Bis vor kurzem wurden die Absolventen der Verwaltungsfachhochschule in der Besoldungsgruppe A9 eingestuft und somit eine Kategorie unter Absolventen von externen Fachhochschulen (vgl. Reichardt 2004: 33). Darüber hinaus zeigt sich zumindest in Baden-Württemberg, dass die über-
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wiegende Mehrheit der Studierenden, die ihr Studium an einer Verwaltungsfachhochschule abschließen, Stellenzusagen erhalten (ebd.: 51).1 Die Berufsakademien bilden in vielen Bundesländern in Deutschland eine weitere Studienalternative, die in der Forschung zum Hochschulzugang bisher nur wenig beachtet wurde (vgl. Trautwein et al. 2006: 394). Abschlüsse von Berufsakademien die nach dem sogenannten „Baden-Württemberger“ Modell strukturiert sind, werden in der Regel äquivalent zu Fachhochschulen dem Hochschulbereich zugeordnet (Naujoks 2006: 27-29).2 Das Ziel der Berufsakademien ist es, wissenschaftsbezogene und zugleich praxisorientierte Ausbildungsinhalte zu vermitteln. Die Regelstudienzeit an Berufsakademien beträgt nur drei Jahre, womit sie zusammen mit der Verwaltungsfachhochschule die deutlich kürzeste tertiäre Studienalternative darstellt. Ähnlich wie bei der Verwaltungsfachhochschule erfolgt der Zugang zu den Berufsakademien über die Auswahl durch Unternehmen, die den an der Berufsakademie Studierenden auch eine Ausbildungsvergütung zahlen. Insofern stellt die Berufakademie tatsächlich eine Mischform zwischen Berufsausbildung und Studium dar. An den Berufsakademien werden insbesondere Studiengänge aus den Bereichen Wirtschaft, Technik und Sozialwesen angeboten. Die Befundlage zu Arbeitsmarkterträgen von Absolventen ist nicht ganz eindeutig. Die meisten Untersuchungen zeigen, dass BA-Absolventen in Hinblick auf Einstiegsgehälter Universitäts- und Fachhochschulabsolventen wenig nachstehen (vgl. IG Metall 2008). Allerdings ist bisher wenig über die Entwicklung der Arbeitsmarkterträge im Karriereverlauf bekannt. Ergebnisse von Hillmert und Kröhnert (2003) deuten aber darauf hin, dass ein Abschluss von einer Berufsakademie in Hinblick auf Aufstiegsperspektiven nicht mit Universitäts- und Fachhochschulabschlüssen gleichgestellt ist. Eine weitere, von vielen Studienberechtigten gewählte Ausbildungsalternative ist das Absolvieren einer Lehre im dualen System. Wie aus Tabelle 3 ersichtlich, entscheiden sich 21 Prozent der Studienberechtigten für eine Lehre als erste Ausbildung nach Erwerb der Hochschulreife. Eine Lehre im dualen 1 Die Autorin führt Ergebnisse einer an der Verwaltungsfachhochschule Kehl 2001 durchgeführten Studie an; Quelle: www.fh-kehl.de/zeitung/Studienjahr_01-02/KW45,02.pdf 2 In Baden-Württemberg, Sachsen, Berlin und Thüringen gilt der Abschluss als gleichwertig mit dem Fachhochschulabschluss. In Schleswig-Holstein gibt es zwei Berufsakademie-Typen (Typ I und Typ II), wobei nur Berufsakademien des Typs II eine wissenschaftsbezogene und praxisorientierte berufliche Bildung anbieten und somit den Fachhochschulen prinzipiell gleichgestellt werden können. Dieser Gleichstellungsprozess ist bis zum Jahr 2004 allerdings noch nicht abgeschlossen (vgl. auch Landtag von Baden-Württemberg 1998: 4). Auch in offizieller Berichterstattung der HochschulInformations-System GmbH wird die Berufsakademie, genauso wie die Verwaltungsfachhochschule bei der Ermittlung von Bruttostudierquoten zum Bereich der Berufsausbildung zugerechnet, auch wenn in neueren Publikationen alternative Definitionen unter Einbezug dieser Hochschulformen ausgewiesen werden (vgl. Heine et al. 2008: 23).
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System zeichnet sich durch die in gleichen Teilen im Ausbildungsbetrieb und in der Berufsschule stattfindende Ausbildung aus. Prinzipiell schließt eine Lehre im dualen System alle Wirtschaftsbereiche ein und ist offen für Schüler ab Hauptschulabschluss. Praktisch sind die angebotenen Berufe hochgradig intern ausdifferenziert. So konzentrieren sich Ausbildungsanfänger mit Hochschulreife auf wenige Berufe, die vorrangig im kaufmännischen, Büro- und Verwaltungsbereich angesiedelt sind (Steinmann 2000: 53). Durch die prinzipielle Offenheit der Berufsbildung für Schüler mit einem Abschluss unterhalb der Hochschulreife, ist diese Ausbildungsalternative als akademisch deutlich weniger anspruchsvoll zu charakterisieren. Auszubildende erhalten vom Ausbildungsbetrieb eine Ausbildungsvergütung. Für Abiturienten beträgt die Ausbildungsdauer zudem in der Regel nur zwei Jahre. Neben einer Ausbildung im dualen System entscheiden sich einige Studienberechtigte für eine schulische Ausbildung. Im Gegensatz zur dualen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule ist die institutionelle Vielfalt an schulischen Berufsausbildungsalternativen wesentlich größer (Steinmann 2000: 61ff). Schulische Ausbildungen können u.a. an Berufsfachschulen, Fachakademien, Fachschulen oder Schulen des Gesundheitswesens absolviert werden, weshalb eine Kurzcharakterisierung bzw. Zusammenfassung dieser postsekundären Ausbildungsalternative notwendigerweise sehr vereinfachend ist. Gemeinsam ist den meisten schulischen Ausbildungen die Tatsache, dass die meisten Auszubildenen/Schüler kein Gehalt erhalten; in bestimmten Schulen wie zum Beispiel einigen des Gesundheitswesens muss sogar beträchtliches Schulgeld bezahlt werden. Je nach Schulform variiert die Dauer zwischen zwei und drei Jahren. Aufgrund der Vielfalt an schulischen Alternativen ist es schwierig, Aussagen über das akademische Anspruchniveau zu treffen. Wir gehen davon aus, dass ähnlich wie bei der beruflichen Ausbildung im dualen System, diese Ausbildungen auch für Schüler, die keine Hochschulreife erreicht haben, bewältigt werden können müssen, so dass der akademische Anspruch dem einer Lehre im dualen System ungefähr entsprechen sollte. Die letzte von uns aufgeführte Ausbildungsalternative, der direkte Arbeitsmarkteintritt, ist keine Ausbildungsoption im engeren Sinne. Es fallen keine Ausbildungskosten an; allerdings sind Aufstiegsoptionen ohne abgeschlossene Berufsausbildung verhältnismäßig begrenzt.
4
Theoretische Erwartungen
Im Folgenden legen wir dar, inwieweit sich die sieben postsekundären Ausbildungsalternativen in Bezug auf die Erfolgswahrscheinlichkeit, die Ausbildung
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erfolgreich abzuschließen, sowie auf Erträge und Kosten jeweils voneinander unterscheiden und formulieren konkrete Erwartungen über die Bedeutung der jeweiligen Parameter in Bezug auf klassenspezifische Unterschiede bei der Wahl der verschiedenen Alternativen. Ausgangspunkt unserer theoretischen Überlegungen ist die Annahme, dass insbesondere ein Universitätsstudium dazu geeignet ist, den Statuserhalt von Studienberechtigten aus hohen Herkunftsgruppen zu sichern, da nach wie vor die vergleichsweise höchsten Arbeitsmarktserträge mit einem Universitätsstudium verbunden sind. Gleichzeitig ist ein Universitätsstudium die Bildungsalternative, welche aufgrund der langen Studienzeiten und fehlendem Gehalt die höchsten Kosten verursacht und auch als akademisch am anspruchvollsten bewertet werden kann. Aufgrund dieser Eigenschaften ist zu erwarten, dass Studienberechtigte aus den Arbeiterklassen systematisch in Ausbildungsgänge mit kürzeren Studienzeiten bzw. geringeren Kosten „abgelenkt“ werden, selbst wenn Sie über die gleichen akademischen Fähigkeiten verfügen wie Dienstklassenkinder (vgl. Becker/Hecken 2008; Hillmert/Jacob 2003; Müller/Pollak 2004). Gegenüber dem Universitätsstudium bewerten wir die Erfolgswahrscheinlichkeit für ein Fachhochschulstudium etwas höher und die Erträge und Kosten etwas niedriger, sodass ein deutlicher Klassenunterschied bei der Wahl von Universität vs. Fachhochschule zu erwarten ist. Vergleicht man nun aber die weiteren nichtuniversitären Studienoptionen, Berufsakademie und Verwaltungsfachhochschule, mit der Fachhochschule, so fallen vor allem die Unterschiede beim Kostenparameter auf. Die Zahlung einer Ausbildungsvergütung macht diese beiden Optionen gegenüber dem Studium an einer Fachhochschule und Universität insbesondere für Studienberechtigte mit weniger finanziellen Ressourcen besonders attraktiv. Bei Berufsakademien und Verwaltungsfachhochschulen fällt zudem die kürzere Ausbildungsdauer von nur drei Jahren ins Gewicht. Wir vermuten, dass die Erträge der Fachhochschule über denen der Berufsakademie liegen, auch wenn dies empirisch nicht abschließend geklärt ist. Betrachtet man in einem weiteren Schritt die berufliche Ausbildung, die in einem Betrieb oder einer schulischen Einrichtung absolviert werden kann, werden deutliche Unterschiede bei allen drei theoretisch relevanten Parametern deutlich. Die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Berufsausbildung, welche im Prinzip auch von Personen mit einem Bildungsabschluss unterhalb des Abiturs bzw. Studienberechtigung bewältigt werden können muss, ist im Vergleich zu allen tertiären Optionen deutlich höher. Zudem sind Erträge und Kosten deutlich niedriger, was auf einen deutlichen klassenspezifischen Gradienten schließen lässt. Allerdings muss man bei den Kosten die betriebliche von einer schulischen Ausbildung unterscheiden, da den Auszubildenden nur bei einer betrieblichen Ausbildung eine Ausbildungsvergütung zukommt, während in den meisten schuli-
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David Reimer und Steffen Schindler
schen Ausbildungen keine Vergütung gezahlt wird, oder diese in manchen Fällen sogar kostenpflichtig sind. Die letzte von uns aufgeführte Ausbildungsoption, der direkte Arbeitsmarkteintritt, ist schließlich mit den geringsten Kosten, geringsten Erträgen und höchsten Erfolgswahrscheinlichkeiten verbunden. Prinzipiell sollte diese Alternative insbesondere für Studienberechtigte aus der Arbeiterschicht attraktiv sein. Da aber der direkte Arbeitsmarkteintritt auch für Arbeiterkinder mitunter nicht für den Statuserhalt als ausreichend gesehen bewertet wird, sind klassenspezifische Unterschiede bei der Wahl dieser Alternative eventuell nicht sehr deutlich. Hinzu kommt, dass sehr heterogene Beweggründe, darunter eventuell auch die Übernahme des elterlichen Betriebs oder andere familiäre Bindungen, für den direkten Eintritt in den Arbeitsmarkt verantwortlich sind, die keine klaren Aussagen über herkunftsspezifische Muster zulassen. In Tabelle 1 ist die Charakterisierung der verschiedenen Ausbildungsalternativen aufgeführt, die zugleich unsere theoretischen Erwartungen für die Bedeutung der verschiedenen Parameter für die Wahl der differenzierten Ausbildungsalternativen zusammenfasst. Tabelle 1: Charakterisierung von sieben postsekundären Ausbildungsoptionen Uni
FH
BA
VerwFH
BetrAusb
SchulAusb
Beruf
Erfolgswahrscheinlichkeit (P) Akademisches Anspruchsniveau (Rang)
1
2
2
3
4
4
5
1
2
3
3
4
4
5
5+
4+
2-3
2-3
2
2
0
ja
ja
nein
(ja)
nein
ja
nein
nein
nein
ja
nein/(ja)
ja
nein
ja
Erträge (B) Arbeitsmarkterträge (Rang) Kosten (C) Ausbildungsdauer in Jahren Studiengebühren Gehalt
Ein Lesebeispiel: Wir gehen davon aus, dass eine betriebliche und eine schulische Ausbildung gleichermaßen anspruchsvoll sind und zu ähnlichen beruflichen Erträgen führen. Auch die Dauer sollte ungefähr gleich lang sein. Einziger Unterschied, der auf klassenspezifische Unterschiede schließen lässt ist der Indikator Studiengebühren/Gehalt. Da in einer dualen beruflichen Ausbildung eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, während dies in den meisten schulischen Ausbildungen nicht der Fall ist, ist ein etwaiger Klassenunterschied bei der Wahl dieser beiden Alternativen eventuell auf den Kostenparameter zurückzuführen. Vergleicht man die Alternative Uni vs. FH, so sind klassenspezifische Unterschiede als Resultat aller drei aufgeführten Parameter zu erwarten, da ein Universitätsstudium schwieriger, ertragreicher und länger als ein FH-Studium ist.
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule 5
259
Bisherige Forschung
Die meisten vorliegenden Forschungsarbeiten, die soziale Ungleichheit beim Hochschulzugang untersuchen, differenzieren in der Regel nicht zwischen verschiedenen Hochschul- oder Ausbildungstypen, sondern betrachten lediglich die Dichotomie zwischen Studium vs. kein Studium oder Studium vs. Berufsausbildung (Becker/Hecken 2007; Blossfeld 1993; Lauer 2002; Schindler/Reimer 2008). Auch in den bundesweiten Untersuchungen über nachschulische Werdegänge von Studienberechtigten der Hochschul-Informations-System GmbH werden in der Regel sozialgruppenspezifische Unterschiede in der allgemeinen Studierquote berichtet (vgl. z.B. Heine et al. 2004; Heine et al. 2008). Diese Arbeiten belegen deutliche soziale Ungleichheiten bei der Wahl eines Studiums. Neuere Arbeiten betrachten allerdings häufig soziale Ungleichheiten bei der Wahl differenzierter postsekundärer Ausbildungsalternativen und unterscheiden zwischen der Wahl einer Universität, Fachhochschule und Berufsausbildung (Müller/Pollak 2004; Reimer/Pollak 2005). Diese Arbeiten zeigen, dass im Vergleich zur Universität der Zugang zur Fachhochschule deutlich weniger sozial selektiv ist. In weiteren Arbeiten wird zusätzlich auch noch die Berufsakademie als weitere postsekundäre Ausbildungsalternative für Studienberechtigte betrachtet (Becker/Hecken 2008; Maaz 2006: Kapitel 11; Trautwein et al. 2006). In Bezug auf die soziale Selektivität der Wahl von Berufsakademien zeigt die Arbeit von Trautwein et al. (2006), die auf einer Längsschnittstudie von Studienberechtigten in Baden-Württemberg basiert, dass Studienberechtigte, welche den Wunsch haben, an einer Berufsakademie zu studieren, in Hinblick auf familiären Hintergrund, Abiturnoten und kognitive Kompetenzen den Fachhochschülern sehr ähneln, aber im Vergleich zu Abiturienten mit Studienwunsch Universität deutlich schlechtere Noten und Testergebnisse haben und aus weniger günstigen Verhältnissen kommen.3 Analysen mit der zweiten Welle der Studie von Trautwein et al. (2006) auf Basis von tatsächlich realisierten Bildungsentscheidungen zeigen allerdings, dass Studierende an Berufsakademien zwar aus weniger günstigen Familienverhältnissen kommen als Studierende an Universitäten oder Fachhochschulen, in Hinblick auf Abiturnoten und kognitive Kompetenzen sich aber nicht deutlich von Universitäts- und Fachhochschulstudierenden unterscheiden.4 Aufgrund der Tatsache, dass der Zugang zu Berufsakademien (sowie zu Verwaltungsfachhochschulen) über die Bewerbung bei einem Unternehmen erfolgt, sind insbesondere bei der Analyse dieser Institutionen Unterschiede bei den Studienintentionen und tatsächlich realisierten Bildungsentscheidungen zu 3
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Maaz (2006, Kapitel 11), der die gleiche Datenbasis analysiert. Die Analysen mit der zweiten Welle basieren allerdings auf einem eingeschränkten Analysesample von Studierenden in wirtschaftswissenschaftlichen Studienfächern. 4
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beachten. Auch die Ergebnisse von Becker und Hecken (2008: 16) auf Basis von sächsischen Schülerbefragungen zu Zugangschancen zur Universität, Fachhochschule, Berufsakademie und beruflicher Lehre zeigen, dass die Ungleichheit bei der Wahl einer Berufsakademie gegenüber einer beruflichen Lehre ungefähr der Ungleichheit bei der Wahl von Fachhochschule vs. Lehre entspricht. Uns ist keine Arbeit bekannt, die sich zusätzlich zu den Unterschieden zwischen Hochschultypen auch interne Differenzierung von verschiedenen Arten der Berufsausbildung betrachtet. Darüber hinaus haben wir keine Arbeit gefunden, welche soziale Ungleichheiten beim Zugang zum Hochschultyp Verwaltungsfachhochschule analysiert.
6
Datenbasis
Für die Analysen von differenzierten Ausbildungsentscheidungen ziehen wir einen kumulierten Datensatz von Studienberechtigten-Erhebungen der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) aus den Jahren 1990, 1994 und 1999 heran. Im Rahmen des von der DFG finanzierten MZES-Forschungsprojekts „Hochschulexpansion und Hochschuldifferenzierung: Folgen für die soziale Ungleichheit bei der Bildungsbeteiligung und auf dem Arbeitsmarkt“ (Leitung: Prof. Walter Müller) besteht eine Kooperation zwischen HIS und dem MZES, durch welche der Datenzugang ermöglicht wurde.5 Im Rahmen der seit den 1970er Jahren bestehenden Untersuchungsreihe werden bundesweit repräsentative Studienberechtigtenjahrgänge in unterschiedlichen Zeitintervallen mehrfach schriftlich befragt (vgl. Hochschul-Informations-System GmbH 2008). Für die vorliegenden Analysen ziehen wir jeweils die zweite Welle der Befragungen heran, die dreieinhalb Jahre nach Erwerb der Zugangsberechtigung erhoben wurde und die wir anhand der Panel-Ausfallwahrscheinlichkeit gewichten. Ein großer Vorteil der HIS Daten im Vergleich zu regional eingeschränkten Stichproben liegt in der bundesweiten Repräsentativität der Daten und den sehr großen Fallzahlen.6 Nachteil sind die für schriftliche Befragungen typischen niedrigen Rücklaufquoten7 sowie die für wiederholte Befragungen typische Panelmortalität. Für unser analytisches Sample ergeben sich in den einzelnen Datensätzen Fallzahlen von 15.000 (1990), 10.883 (1994) und 13.349 (1999). 5 An dieser Stelle möchten wir HIS und insbesondere Dr. Christoph Heine für die Hilfsbereitschaft und die Möglichkeiten zur Datenanalyse ausdrücklich danken. 6 Die Fallzahlen der ersten Wellen betragen 23.848 (1990), 20.466 (1994) und 13.349 (1999). 7 Nach Angaben von HIS (persönliche Korrespondenz) betrug die Rücklaufquote (jeweils für die erste Welle) 1990 31%, 1994 34% und 1999 26%. Diese Zahlen unterschätzen eventuell den Rücklauf, da nicht alle Personen, welche den Fragebogen erhalten haben, Teil der Grundgesamtheit waren.
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule 7
261
Operationalisierung
Im Zentrum unserer Analysen steht als abhängige Variable die erste postsekundäre Ausbildungswahl, die wir innerhalb unseres Beobachtungsfensters von dreieinhalb Jahren beobachten.8 Wir unterscheiden analog zu obiger Differenzierung acht Kategorien: Universität, Fachhochschule, Berufsakademie/ duales Studium, Verwaltungsfachhochschule, betriebliche Ausbildung, schulische Ausbildung, direkter Berufseinstieg, sowie eine Restkategorie für all jene, die weder eine Ausbildung noch einen Beruf begonnen haben. Als zentrale unabhängige Variable betrachten wir die soziale Herkunft. Dazu unterscheiden wir fünf Kategorien, die wir durch eine Kombination des höchsten Bildungsniveaus der Eltern mit einer an das Erikson-Goldthorpe Schema (vgl. Erikson/Goldthorpe 1992) angelehnten Berufsklassenvariable zur Position des Vaters umsetzen.9 Wir unterscheiden Dienstklassen mit und ohne Hochschulabschluss, mittlere Klassen mit und ohne Hochschulabschluss sowie Arbeiterklassen.10 Zur übersichtlicheren Darstellung beschränken wir uns im Analyseteil auf die Darstellung des Gegensatzes zwischen Dienstklassen mit Hochschulabschluss und den Arbeiterklassen. Zur Erklärung der Herkunftseffekte durch die oben beschriebenen Konstrukte Erträge, Erfolgwahrscheinlichkeiten und Kosten ziehen wir folgende Variablen heran: Das individuelle Leistungsniveau messen wir anhand der Gesamtnote des Abiturs. Wir verwenden die Abiturnote in datensatzspezifisch standardisierter Form (mit einem Mittelwert von 0 und einer Standardabweichung von 1), die wir umgepolt haben, damit hohe Werte gute Leistungen und niedrige Werte schlechte Leistungen beschreiben. Ferner benutzen wir eine Itemreihe von Motiven aus der jeweils ersten Welle, welche die Gründe der geplanten Ausbildungswahl abbilden soll und die standardmäßig in allen HIS-Befragungen erhoben wird. Diese Items werden jeweils anhand einer sechsstufigen Skala abgefragt, wurden jedoch für unsere Analysen dichotomisiert, wobei jeweils die obersten zwei Kategorien als Zustimmung gewertet wurden.11 Tabelle 2 gibt eine 8 Weniger als 0,3 Prozent des Samples haben innerhalb des Beobachtungszeitraums weder eine Ausbildung noch einen Beruf aufgenommen. 9 Im Falle fehlender Angaben zur Klasse des Vaters greifen wir auf die Klassenposition der Mutter zurück. 10 Die Arbeiter-Kategorie wird nicht weiter nach dem Bildungsabschluss differenziert, da in dieser Kategorie nur ca. 5 Prozent einen Hochschulabschluss besitzen. 11 Der genaue Wortlaut der Frage variiert minimal zwischen den drei Erhebungen. Für die 1994er Erhebung ist der genaue Wortlaut: „Geben Sie bitte an, welche Bedeutung die unten genannten Ursachen/Motive bei der Entscheidung für die bei Schulabgang gewünschte Tätigkeit (z.B. Studium, Berufsausbildung, Erwerbstätigkeit) hatten“. Aufgrund eines Kodierfehlers in den Originaldatensätzen ist es teilweise nicht möglich die Nullkategorie der Skala von fehlenden Werten zu unterschei-
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David Reimer und Steffen Schindler
Übersicht über die verwendeten Items und das zugeordnete Konstrukt mit untergeordneten Dimensionen. Tabelle 2: Motive der Ausbildungswahl Konstrukt
Dimension
Item (Motive der Ausbildungswahl)
Erträge (B)
Status
um in leitende Position zu gelangen um einen hohen Status zu erreichen
kulturelle Prägung
Interesse an wissenschaftlicher Arbeit aus Neigung zum angestrebten Beruf Verwirklichung eigener Vorstellungen Neigung zu praktischer Tätigkeit
Sicherheit
sichere beruflicher Zukunft
monetäre Aspekte Ausbildungsdauer
baldige finanzielle Unabhängigkeit kurze Ausbildungsdauer
Kosten (C)
Erläuterung: Wir differenzieren zwischen insgesamt neun Motiven, welche Erträge und Kosten der jeweiligen Ausbildungsoption charakterisieren sollen. Die Motive, welche eventuell klassenspezifische Differenzen in den Erträgen der Tertiärbildung messen, haben wir in drei Gruppen eingeteilt. Die ersten beiden Motive sollen messen, inwieweit der mit einer Ausbildungsalternative verbundene Berufsstatus eine Rolle bei der Bildungswahl gespielt hat. Die nächsten vier Motive wiederum, die wir mit unter dem Begriff kulturelle Prägung zusammenfassen, sollen klassenspezifische Neigungen in der Bewertung von Tätigkeitsinhalten, die mit bestimmten typischen Tätigkeitsfeldern von Absolventen der jeweiligen Ausbildungsalternative verbunden sind, repräsentieren. Schließlich ist die mit der Ausbildungsalternative verbundene Sicherheit eine weitere Ertragsdimension, bei der man klassenspezifische Gegensätze erwarten kann. Kosten einer Ausbildungsalternative haben wir mit lediglich zwei Motiven operationalisiert: die Bedeutung, die der finanziellen Unabhängigkeit und der kurzen Ausbildungsdauer zugemessen wird.
Als Kontrollvariablen verwenden wir das Geschlecht, das Alter sowie DummyVariablen für das Jahr der Erhebung. Ferner kontrollieren wir die Art der Hochschulreife (allgemeine Hochschulreife vs. fachspezifische oder Fachhochschulreife) und ob vor oder mit Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung eine Berufsausbildung absolviert wurde.
den. In der Regel sollte dies zu einer Unterschätzung von Zusammenhängen führen. Die Dichotomisierung nahmen wir noch zusätzlich vor, um auf jeden Fall ein möglichst konservatives Maß zu verwenden.
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule 8
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Analysen
Viele Studien zum Übergangsverhalten an die Hochschulen basieren auf prospektiven Angaben zu Ausbildungsabsichten (z.B. Becker/Hecken 2007, 2008) statt auf den tatsächlich realisierten Übergängen. Wir können mit der vorliegenden Datenbasis tatsächlich erfolgte Bildungsentscheidungen analysieren.
8.1 Deskriptive Ergebnisse In Tabelle 3 ist die gewichtete Verteilung der unabhängigen Variablen insgesamt und nach der ersten Ausbildungsentscheidung abgetragen. Wie aus der letzten Zeile ersichtlich wird, beginnt etwa die Hälfte der Studienberechtigten ein Universitätsstudium. Weitere 13 Prozent gehen an die Fachhochschulen. Mit einem Anteil von zusammen 6 Prozent fällt der Besuch der semi-tertiären Einrichtungen BA und Verwaltungsfachhochschule nur in geringem Ausmaß ins Gewicht, ebenso die schulischen Ausbildungen oder der direkte Berufseinstieg. Dahingegen ist eine betriebliche Ausbildung zunächst für gut ein Fünftel der Studienberechtigten die erste Wahl nach dem Abitur. Bereits aus den Verteilungen der Variablen innerhalb der Ausbildungsalternativen lassen sich aufschlussreiche Erkenntnisse gewinnen. Es zeigt sich das bekannte Muster, dass an den Universitäten Kinder aus Dienstklassen mit Hochschulabschluss überrepräsentiert und Arbeiterkinder unterrepräsentiert sind, während dies an den Fachhochschulen umgekehrt ist. Auch bei den nichttertiären Ausbildungen zeigt sich ein Klasseneffekt im Sinne einer Überrepräsentation der unteren Klassen. Erstaunlicherweise ist jedoch die Klassen-Verteilung in der BA-Kategorie recht ähnlich zur Gesamtverteilung. Männer sind stark überrepräsentiert an den Fachhochschulen und Berufsakademien, was oft deren technischer Ausrichtung zugeschrieben wird. Dahingegen sind sie in der schulischen Ausbildung unterrepräsentiert, was vermutlich auf die bekannterweise frauendominierten Ausbildungsgänge an Schulen des Gesundheitswesens zurückzuführen ist. Etwas erhöhte Altersdurchschnitte werden an den FHs und beim direkten Berufseinstieg beobachtet. Es kann vermutet werden, dass dies durch Bildungskarrieren verursacht wird, in denen das Abitur nach Abschluss einer Berufsausbildung erworben wird. Die Mittelwerte der Abiturnoten12 deuten an, dass sowohl durch Universitäten als auch durch die Berufsakademien eine Positivselektion nach Leistung stattfindet, während die nicht-tertiären Optionen 12 Die geringfügige Abweichung des Abiturnotenmittels von der Zentrierung auf Null in der TotalSpalte ist durch die Gewichtung der Daten bedingt.
-0,10 0,38 0,54
0,24 0,97
Abiturnote (std.)
Anteil allg. HZB
Anteil Ausbildung vor HZB 0,10 Fortsetzung auf der nächsten Seite.
0,68 21,02
0,53
0,15 0,19 0,06 0,31 0,28
FH
19,77
Anteil Männer
Alter
0,35 0,17 0,10 0,23 0,14
Soz. Herkunft (Anteile): DK mit Hochschule DK ohne Hochschule Mittl. Kl. mit Hochschule Mittl. Kl. ohne Hochschule Arbeiterklassen
Uni
0,04
0,97
0,23
19,66
0,62
0,23 0,19 0,07 0,31 0,20
BA
Tabelle 3: Verteilung der Variablen (Mittelwerte)
0,21
0,74
0,01
20,14
0,47
0,11 0,20 0,07 0,35 0,26
0,04
0,77
-0,47
19,52
0,43
0,15 0,21 0,06 0,33 0,26
0,08
0,78
-0,43
19,68
0,20
0,20 0,19 0,08 0,31 0,23
Verw. FH Betr.Ausb. Schul.Ausb.
0,89
0,35
-0,24
22,34
0,55
0,11 0,14 0,06 0,36 0,33
Beruf
0,39
0,48
-0,52
21,37
0,52
0,24 0,14 0,03 0,29 0,29
Sonst.
0,20
0,77
-0,05
20,08
0,50
0,24 0,18 0,08 0,28 0,21
Total
0,34 0,24
Anteil Datensatz 1994
Anteil Datensatz 1999 4208 (13)
0,24
0,39
0,37
0,33 0,71 0,60 0,46 0,49 0,36 0,26 0,64 0,07
FH
641 (2)
0,42
0,31
0,27
0,25 0,71 0,52 0,52 0,68 0,43 0,60 0,80 0,52
BA
1139 (4)
0,22
0,38
0,40
0,09 0,52 0,29 0,29 0,49 0,35 0,57 0,85 0,13
6775 (21)
0,25
0,38
0,37
0,11 0,59 0,45 0,43 0,44 0,32 0,47 0,72 0,13
1806 (6)
0,20
0,42
0,38
0,18 0,73 0,45 0,57 0,23 0,17 0,30 0,61 0,12
Verw. FH Betr.Ausb. Schul.Ausb.
Anmerkung: Daten gewichtet nach Stichprobengewicht und Panel-Ausfallwahrscheinlichkeit. Quelle: Kumulierte HIS Studienberechtigtenpanels 1990, 1994 & 1999, eigene Berechnungen.
16459 (51)
0,43
Anteil Datensatz 1990
N Anteil (%)
0,42 0,76 0,55 0,28 0,36 0,31 0,16 0,52 0,03
Motive (Anteile): wissenschaftl. Arbeiten Neigung zum Beruf Vorstellung verwirkl. praktische Tätigkeit leitende Position hoher Status finanz, Unabhängigkeit sicherer Arbeitsplatz kurze Ausbildungsdauer
Uni
Tabelle 3: Verteilung der Variablen (Mittelwert) – Fortsetzung
1376 (4)
0,13
0,33
0,53
0,15 0,58 0,52 0,45 0,33 0,25 0,41 0,59 0,04
Beruf
89 (0)
0,28
0,32
0,40
0,20 0,66 0,64 0,31 0,25 0,17 0,25 0,39 0,04
Sonst.
32493 (100)
0,23
0,36
0,40
0,29 0,69 0,52 0,37 0,40 0,31 0,29 0,61 0,07
Total
266
David Reimer und Steffen Schindler
eher von Schülern am unteren Leistungsspektrum in Anspruch genommen werden. Der Anteil von Personen mit Fachhochschulreife, bzw. auch mit einer vorherigen Berufsausbildung ist besonders hoch an der Fachhochschule sowie beim direkten Berufseinstieg. Im letzteren Fall handelt es sich dabei wahrscheinlich zum Großteil um Rückkehrer in den alten Beruf oder Personen, für die der Erwerb des eingeschränkten Abiturs Teil von Weiterbildungsmaßnahmen war, die jedoch nicht in erster Linie ein Hochschulstudium anstreben. Auf die Motive soll an dieser Stelle nicht allzu detailliert eingegangen werden. Im großen Ganzen entsprechen die Werte den theoretischen Erwartungen. Auffällig ist jedoch, dass insbesondere ein Großteil der BA-Studierenden angibt, eine leitende Position anzustreben, bzw. einen hohen Status erreichen zu wollen. Abbildung 1 zeigt exemplarisch die Beteiligungsquoten an den acht Ausbildungsalternativen getrennt nach Geschlecht. Gegenübergestellt werden jeweils die Werte für die Extremkategorien der Variable zur sozialen Herkunft: Arbeiterklassen und Dienstklassen mit Hochschulabschluss. Weiterhin differenzieren wir innerhalb dieser Klassen jeweils noch nach dem Leistungsniveau. Dabei vergleichen wir die Abiturienten aus dem oberen Leistungsbereich (oberhalb des 75%-Perzentils) mit Abiturienten aus dem unteren Bereich der Notenverteilung (unterhalb des 25%-Perzentils). Es zeigt sich, dass auch innerhalb gleicher Leistungskategorien ein substanzieller Klassenunterschied in der Ausbildungswahl bestehen bleibt. Leistungsschwache männliche Dienstklassenkinder besuchen in fast gleichem Umfang die Universität wie die Gruppe der leistungsstarken Arbeiterkinder. Weiterhin wird ersichtlich, dass das Leistungsniveau innerhalb der Gruppen jeweils einen starken Effekt auf die Ausbildungswahl hat. Gute Abiturnoten erhöhen die Wahrscheinlichkeit, die Universitäten, aber auch die Berufsakademien und Verwaltungsfachhochschulen zu besuchen. Schlechtere Abiturnoten erhöhen hingegen die Wahrscheinlichkeit, eine berufliche Ausbildung zu wählen. Ferner tritt noch ein Geschlechtereffekt zu Tage, dergestalt, dass Frauen – insbesondere innerhalb der Arbeiterklassen – eher auf ein Studium verzichten als Männer und stattdessen eine berufliche Ausbildung bevorzugen.
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule Abbildung 1:
267
Anteile der ersten postsekundären Ausbildungswahl nach sozialer Herkunft, Leistung im Abitur (Quartile) und Geschlecht Männer
Frauen
100%
100%
90%
90%
80%
80% 70%
70% Uni FH BA Verw.FH Betr. Ausb. Schul. Ausb. Beruf Sonstiges
60% 50% 40% 30% 20%
60% 50% 40% 30% 20% 10%
10%
0%
0% <25%
>75%
Arbeiter
<25%
>75%
Dienstklasse/H.
<25%
>75%
Arbeiter
<25%
>75%
Dienstklasse/H.
Anmerkung: Daten gewichtet nach Stichprobengewicht und Panel-Ausfallwahrscheinlichkeit. Quelle: Kumulierte HIS Studienberechtigtenpanels 1990, 1994 & 1999, eigene Berechnungen.
In einem nächsten Schritt untersuchen wir, wie sich die eben dargestellte Ungleichheit bei der Wahl einer postsekundären Ausbildungsalternative durch die eingangs erläuterten theoretischen Parameter erklären lassen. Dazu bilden wir synthetische dichotome Vergleichskontraste, indem wir immer jeweils zwei Ausbildungsalternativen gegenüberstellen. Im nächsten Schritt ordnen wir dann anhand der theoretischen Erwartungen zu jedem Kontrast genau diejenigen Faktoren zu, die wir für entscheidend in der Generierung sozial selektiver Beteiligungsunterschiede halten. Tabelle 4 zeigt eine Übersicht über die Zuweisung der aus Tabelle 2 bekannten Gruppen von Items zu allen möglichen Kombinationen von Ausbildungskontrasten.
268
David Reimer und Steffen Schindler
Tabelle 4: Erwartete Faktoren in der Generierung sozialer Ungleichheiten bei Ausbildungskontrasten Uni Uni
-
FH
L, S, kP, D
FH
VerwFH
Betr Ausb
Schul Ausb
Beruf
-
S, kP, Si, D, Si, D, K K S, kP, Si, D, VerwFH Si, D, K K L, S, kP, Si, L, S, kP, Si, Betr. Ausb. D, K D, K L, S, kP, Si, L, S, kP, Si, Schul. Ausb. D D L, S, kP, Si, L, S, kP, Si, Beruf D, K D, K BA
BA
L, S
L, S
-
L, S, K
L, S
K
-
L, S, D
L, S, D
D
D, K
-
Anmerkung: L=Leistung; S=Status; kP=kulterelle Prägung; Si=Sicherheit; D=Dauer; K=Kosten
Um im Rahmen einer übersichtlichen Darstellung zu bleiben, beschränken wir uns in den nachfolgenden Analysen auf ausgewählte Kontraste, die wir als die interessantesten erachten. Zunächst stellen wir das Universitätsstudium als prestigeträchtigster Ausbildung jeder der sechs anderen Alternativen gegenüber. In allen dieser Kontraste sollten sich hierbei Effekte des Berufsstatus sowie Effekte der kulturellen Prägung und der Ausbildungsdauer zeigen. Das Universitätsstudium bietet sowohl die besten Voraussetzungen zur Erlangung eines hohen Status, verkörpert aber auch wie keine andere Alternative die Werte von Bildung an sich oder der Selbstverwirklichung, die eher in den Dienstklassen oder Akademikerhaushalten zu finden sind. Zudem ist das Studium an der Universität mit den längsten Ausbildungszeiten verbunden, was sowohl durch direkte als auch durch Opportunitätskosten auf sozioökonomisch schwächere Herkunftsgruppen abschreckend wirken kann. Neben der Fachhochschule ist die Universität auch die einzige Institution, deren Ausbildungsgänge kaum spezifische, Arbeitsplatzsicherheit vermittelnde Berufsbilder vorgeben, wodurch im Kontrast zu den anderen Ausbildungskategorien vor allem auch Aspekte der beruflichen Sicherheit zu Tage treten sollten. Auch das Leistungsniveau sollte als Korrelat der eingeschätzten Erfolgswahrscheinlichkeit in den Kontrasten zur Universität eine Rolle spielen, da dort das akademische Anspruchsniveau am höchsten ist. Konterkariert wird dies jedoch durch die an den Abiturnoten orientierten Zugangsbeschränkungen an Berufsakademien und Verwaltungsfachhochschulen, weshalb
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule
269
wir hier keinen großen Einfluss der Leistung auf die soziale Selektivität des Kontrasts zur Universität erwarten. Ferner erwarten wir im Vergleich des Universitätsstudium mit der BA, der Verwaltungs-FH, der betrieblichen Ausbildung und dem direkten Berufseinstieg starke Effekte der monetären Kosten aufgrund des Gehalts oder der Ausbildungsvergütungen, die dort gezahlt werden und einen Anreiz für einkommensschwache Herkunftsgruppen darstellen. Im Kontrast zwischen Fachhochschule und Berufsakademie erwarten wir zunächst Effekte der wahrgenommenen Beschäftigungssicherheit, da das BAStudium mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine feste Beschäftigung überleitet. Dann sollten die etwas kürzere Ausbildungsdauer sowie die an der BA gewährte Ausbildungsvergütung besondere Anreize für einkommensschwache Klassen schaffen. Im Kontrast zwischen Berufsakademie und betrieblicher Ausbildung sind Effekte des Leistungsniveaus und des Berufsstatus zu erwarten. Der Unterschied beider Alternativen besteht im Grunde lediglich im akademischen Anspruchsniveau, d.h. die Berufsakademie ist das Pendant zur betrieblichen Ausbildung innerhalb des tertiären Ausbildungssystems und führt letztendlich aber zur Erlangung eines Hochschulabschlusses. Aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit der Studienplätze ist dies aber auch mit rigiden Auswahlkriterien durch die Unternehmen verbunden, was sich in einem Effekt der Leistungsvariablen bemerkbar machen sollte. Der Kontrast zwischen betrieblicher Ausbildung und schulischer Berufsausbildung bietet die Möglichkeit, einen einzigen Faktor zu isolieren, nämlich die monetären Kosten. Die Ausbildungsvergütung im dualen System sollte für einkommensschwache Klassen attraktiv sein, während die teilweise mit Gebühren verbundene schulische Ausbildung eher abschreckend wirken sollte. In Abbildung 2 zeigen wir zunächst den Zusammenhang der oben dargestellten Motive der Ausbildungswahl mit den beiden Extremkategorien der sozialen Herkunft. Klassenspezifische Unterschiede zeigen sich bei der Bewertung wissenschaftlichen und praktischen Arbeitens, beim Motiv der Neigung zum Beruf, beim Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit sowie bei der Präferenz für eine sichere berufliche Zukunft jeweils in der von uns postulierten Wirkungsrichtung. Keine Unterschiede zeigen sich hingegen bei den beiden statusbezogenen Items (leitende Position und hoher Status). Auch der Wunsch nach kurzer Ausbildungsdauer, der insgesamt nur von etwa 10 Prozent der Abiturienten geäußert wird, unterscheidet sich so gut wie nicht nach sozialer Herkunft.
270
David Reimer und Steffen Schindler Anteile der Nennung von Ausbildungsmotiven nach sozialer Herkunft
Dienstkl./H.
.6 .4 .2
Arbeiter
Dienstkl./H.
.4 .2
Dienstkl./H.
Dienstkl./H.
.8
kurze Ausbildungsdauer
0
.2
.4
.6
.8 .4 .2 0
Dienstkl./H.
Arbeiter
sichere berufliche Zukunft
.6
.8 .6 .4 .2 0
Arbeiter
hoher Status
0
Arbeiter
finanzielle Unabhängigkeit
Dienstkl./H.
.6
.8 .6 .4 .2
Arbeiter
Arbeiter
leitende Position
0
0
.2
.4
.6
.8
praktische Tätigkeit
Dienstkl./H. .8
Arbeiter
Vorstellungen verwirklichen
0
.2
.4
.6
.8
Neigung zum Beruf
0
0
.2
.4
.6
.8
wissenschaftliches Arbeiten
.8
Abbildung 2:
Arbeiter
Dienstkl./H.
Arbeiter
Dienstkl./H.
Anmerkung: Daten gewichtet nach Stichprobengewicht und Panel-Ausfallwahrscheinlichkeit. Quelle: Kumulierte HIS Studienberechtigtenpanels 1990, 1994 & 1999, eigene Berechnungen.
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule Abbildung 3:
271
Prozentsatzdifferenzen der Wahl postsekundärer Ausbildungen zwischen der Nennung und Nicht-Nennung von Motiven
wissenschaftl. Arbeiten Universität
Neigung zum Beruf Universität
Vorstellungen verwirkl. Universität
FH
FH
FH
BA
BA
BA
Verw.-FH
Verw.-FH
Verw.-FH
betr. Ausb.
betr. Ausb.
betr. Ausb.
schul. Ausb.
schul. Ausb.
schul. Ausb.
Beruf
Beruf
Beruf
Sonstiges
Sonstiges
Sonstiges
-.4
-.2
0
.2
.4
-.4
praktische Tätigkeit Universität
-.2
0
.2
.4
-.4
leitende Position
FH
FH
FH
BA
BA
Verw.-FH
Verw.-FH
Verw.-FH
betr. Ausb.
betr. Ausb.
betr. Ausb.
schul. Ausb.
schul. Ausb.
schul. Ausb.
Beruf
Beruf
Beruf
Sonstiges
Sonstiges
Sonstiges
0
.2
.4
finanz. Unabhängigkeit Universität
-.4
-.2
0
.2
.4
-.4
sichere berufl. Zukunft Universität FH
FH
BA
BA
Verw.-FH
Verw.-FH
Verw.-FH
betr. Ausb.
betr. Ausb.
betr. Ausb.
schul. Ausb.
schul. Ausb.
schul. Ausb.
Beruf
Beruf
Beruf
Sonstiges
Sonstiges
Sonstiges
0
.2
.4
-.2
0
.2
.4
kurze Ausbildung
FH
-.2
.4
Universität
BA
-.4
.2
Universität
BA
-.2
0
hoher Status
Universität
-.4
-.2
-.4
-.2
0
.2
.4
-.4
-.2
0
.2
.4
Anmerkung: Daten gewichtet nach Stichprobengewicht und Panel-Ausfallwahrscheinlichkeit. Quelle: Kumulierte HIS Studienberechtigtenpanels 1990, 1994 & 1999, eigene Berechnungen.
Zur Veranschaulichung, inwieweit die Motive der Ausbildungswahl tatsächlich die Wahl verschiedener Ausbildungsalternativen beeinflussen, ist in Abbildung 3 der Effekt der Motive auf die Wahl der Ausbildungsalternativen dargestellt. Verglichen werden hierbei Personen, die das jeweilige Motiv mit einer der bei-
272
David Reimer und Steffen Schindler
den obersten Kategorien bewertet haben, mit Personen, die eine niedrigere Kategorie angegeben haben. Die Balken in der Graphik bezeichnen jeweils die Prozentsatzdifferenz der beiden Vergleichsgruppen in der Beteiligung an den entsprechenden Ausbildungsalternativen. Beispielsweise begünstigt das Interesse an wissenschaftlichem Arbeiten den Zugang zum Studium an Universitäten und Fachhochschulen, während es einen negativen Effekt auf den Besuch betrieblicher und schulischer Ausbildungen sowie der Verwaltungsfachhochschulen und den direkten Berufseinstieg hat. Umgekehrt hält der Hang zu praktischen Tätigkeiten von einem Besuch der Universitäten ab. Die beiden Items zu Aspekten der Selbstverwirklichung (Neigung zum Beruf und Verwirklichung eigener Vorstellungen) haben einen positiven Effekt auf die Aufnahme eines Studiums und negative Effekte auf den Besuch nicht-tertiärer Ausbildungen. Die beiden Items zur Statusdimension (leitende Position und hoher Status) zeigen ambivalente, aber auch sehr geringe Effekte. Klarer fallen hingegen die drei Items in der untersten Reihe aus. Wünsche nach finanzieller Unabhängigkeit, sicherer beruflicher Zukunft und einer kurzen Ausbildungsdauer gehen mit einer Abkehr von der Universität und mit einer Zuwendung zu betrieblichen Ausbildungen einher. Der Wunsch nach kurzer Ausbildungsdauer zeigt zudem einen ausgeprägten positiven Effekt auf den Besuch der Berufsakademie.
8.2 Bestimmung der relativen Bedeutung der Erklärungsvariablen Zur Analyse des Erklärungsbeitrags einzelner Variablens-Sets zu den Klassenunterschieden der Beteiligungsquoten in verschiednen dichotomen Ausbildungskontrasten wenden wir ein nichtlineares Dekompositionsverfahren an, das von Fairlie (2005) vorgeschlagen wird und für gewöhnlich in der Erklärung von Rassenunterschieden oder Geschlechtersegregation angewandt wird (Fairlie 1999; Reimer/Steinmetz 2009), aber auch in neueren Arbeiten zu Effekten der sozialen Herkunft zum Einsatz kam (Schindler/Reimer 2008). Die Idee dahinter ist, einen Unterschied in Beteiligungsraten zwischen zwei Gruppen gewissermaßen als abhängige Variable zu modellieren. Anhand kontrafaktischer Manipulationen der gruppenspezifischen Verteilungen über die erklärenden Variablen wird dann gemessen, welchen relativen Erklärungsbeitrag einzelne Variablen leisten. Dazu wird die Differenz der Beteiligungsraten Y zweier Gruppen A und B zunächst in zwei Komponenten aufgeteilt:
Y A Y B
ª N A F ( X iA Eˆ ) N B F ( X iB Eˆ ) º ª N B F ( X iB Eˆ A ) N B F ( X iB Eˆ B ) º ¦ ¦ «¦ » «¦ » NA NB NB NB i 1 i 1 »¼ «¬ i 1 ¬« i 1 ¼»
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule
273
Die erste Komponente (erste eckige Klammer) beschreibt den Teil des Gruppenunterschieds, der aufgrund von Differenzen in den Verteilungen der einzelnen Variablen Xi über die beiden Gruppen zustande kommt. Die zweite Komponente (zweite eckige Klammer) beschreibt den Teil des Gruppenunterschieds, der auf gruppenspezifisch verschiedenen Wirkungen der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable basiert. Um als nächsten Schritt die Beträge einzelner Variablen zu messen, werden die gruppenspezifischen Verteilungen der Variablen für Gruppe B mit den entsprechenden Verteilungen für Gruppe A ersetzt – mit Ausnahme der Variable, deren Erklärungsbeitrag gemessen werden soll. Als Resultat dieser kontrafaktischen Manipulation erhält man genau den Teil des Gruppenunterschieds, welcher der untersuchten Variable zugeschrieben werden kann.13 Für unsere Analysen wandeln wir die Methode etwas ab, da wir aufgrund der multinomialen Struktur unserer abhängigen Variablen nicht die sozialen Unterschiede in der Beteiligung an einzelnen Ausbildungsgängen erklären möchten, sondern vielmehr die Ungleichverteilung zweier Gruppen über einen dichotomen Kontrast jeweils zweier Ausbildungsalternativen.14 Die Interpretation des Erklärungsbeitrags einzelner Variablen innerhalb der Kontraste folgt dabei jedoch der gleichen Logik wie im ursprünglichen Konzept. Die DekompositionsModelle enthalten die ausgewählten Motive der Ausbildungswahl sowie weitere Kontrollvariablen (siehe Tabelle 3). Als Vergleichsgruppen werden wieder die Arbeiterklassen den Dienstklassen mit Hochschulabschluss gegenübergestellt. In Abbildung 4 ist zuerst das Ausmaß der Ungleichverteilung der beiden Klassen über die jeweiligen Kontraste abgetragen. Die Balken beschreiben dabei die Prozentsatzdifferenz. Beispielsweise bedeutet der erste Balken, dass im Verhältnis Universität zu Fachhochschule der Anteil der Dienstklassenkinder in der Kategorie Universität um etwa 27 Prozentpunkte höher ist als der entsprechende Anteil in der Gruppe der Arbeiterkinder. Besonders hohe Ungleichverteilungen ergeben sich in den Kontrasten der Universität mit der Fachhochschule, der betrieblichen Ausbildung sowie des direkten Berufseinstiegs. Der Kontrast Universität vs. Berufsakademie ist hingegen von einer äußerst geringen Ungleichverteilung gekennzeichnet.
13 An dieser Stelle möchten wir auf eine detaillierte Beschreibung der Methode verzichten. Für eine ausführliche Erläuterung verweisen wir auf den Artikel von Fairlie (2005). Leser, die mit der Methode vertraut sind, möchten wir darauf hinweisen, dass unsere Ergebnisse jeweils auf 500 Replikationen basieren, mit einer zufälligen Anordnung der Variablenreihenfolge und einer gepoolten Schätzung der Koeffizienten unter Kontrolle der Vergleichsgruppenvariable. 14 Dem liegt die aus multinomialen Logit-Modellen bekannte IIA-Annahme (independence of irrelevant alternatives) zugrunde, die besagt, dass die Wahl zwischen den zwei zur Disposition stehenden Alternativen unabhängig ist von den anderen alternativen des Optionen-Sets.
274
David Reimer und Steffen Schindler
Abbildung 4:
Ungleichverteilung der Klassen über Ausbildungskontraste
35% 30% 25% 20% 15% 10% 5%
s. BA ni vs .V U er ni w FH vs .B er tr U Au ni vs sb .S ch ul A us U b ni vs .B er uf BA vs BA .F H vs Sc .B hu et lA rA us us b b vs .B et rA us b U
U
U
ni v
ni v
s. F
H
0%
Abbildung 5:
Relative Erklärungsbeiträge der Variablen-Sets zum Klassenunterschied
100% 90% unerklärter Anteil Kontrollen
80% 70%
HZB-Ausb Abinote Status Kultur Risiken
60% 50% 40% 30%
Dauer Kosten
20% 10%
s. BA ni vs .V er U ni w FH vs .B er tr U Au ni vs sb .S ch ul A us U b ni vs .B er uf BA vs BA .F H vs Sc .B hu et lA rA us us b b vs .B et rA us b
ni v
U
U
U
ni v
s. F
H
0%
Quelle: Abb. 4/5: Kumulierte HIS Studienberechtigtenpanels 1990, 1994 & 1999, eig. Berechnung.
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule
275
In Abbildung 5 werden nun die Erklärungsbeiträge der einzelnen VariablenSets veranschaulicht. Die dort dargestellten Balken beziehen sich auf die Verteilungsunterschiede aus Abbildung 4. Im ersten Kontrast, zwischen Universität und Fachhochschule, zeigt sich die überragende Bedeutung der Art der Hochschulzugangsberechtigung. Dies bedeutet, dass die Beteiligungsunterschiede bei diesem Kontrast vor allem der Tatsache geschuldet sind, dass Arbeiterkinder eher über die Fachhochschulreife verfügen als Dienstklassenkinder und daher oftmals gar nicht die Option haben, an den Universitäten zu studieren. Unter dem starken Effekt der Hochschulzugangsberechtigung sind Erklärungsbeiträge der anderen Faktoren kaum auszumachen. Beschränkt man allerdings die Stichprobe auf Personen mit allgemeiner Hochschulreife (Ergebnisse nicht berichtet), schrumpft die Prozentsatzdifferenz auf etwa drei Prozentpunkte, wobei signifikante Erklärungsbeiträge allenfalls in geringem Ausmaß bei den Dauer- und Kosten-Faktoren auftreten, was im letzteren Fall jedoch nicht den theoretischen Erwartungen entspricht. Im Kontrast Universität vs. Berufsakademie, der jedoch insgesamt von einem sehr niedrigen Ausmaß an Ungleichverteilung geprägt ist (vgl. Abbildung 4), machen die Variablen Ausbildungsdauer und monetäre Kosten den größten Erklärungsbeitrag aus. Beide erklären etwas mehr als 10 Prozent des ohnehin geringen Unterschieds. Auch unser Maß für den angestrebten Berufsstatus leitestet zumindest einen geringen Erklärungsbeitrag. Entgegen unseren Erwartungen zeigen sich kaum Effekte der kulturellen Prägung und nur ein kleiner Einfluss der Risikoaversion. Allerdings bleiben auch etwa 70 Prozent der Ungleichverteilung dieses Kontrastes von unserem Modell unerklärt. Im Vergleich von Universitäten und Verwaltungsfachhochschulen sind es vor allem die Faktoren Kosten, kulturelle Prägung und Art der Zugangsberechtigung, welche den Klassenunterschied beeinflussen. Die hypothetisierten Effekte des Berufsstatus und der Ausbildungsdauer werden jedoch nicht sichtbar. Mit dem Kontrast Universität vs. betriebliche Ausbildung verhält es sich ähnlich, mit dem Unterschied, dass hierbei die erwarteten Effekte des Leistungsniveaus hinzukommen. Wir vermuten, dass die im Schnitt etwas schlechtere Leistung der Arbeiterkinder auf deren Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit zurückwirkt und diese eher in die einfacheren betrieblichen Ausbildungsgänge ablenkt. Interessanterweise scheint auch hier die Ausbildungsdauer keinen Einfluss auszuüben. Das gleiche Muster ergibt sich auch beim Kontrast Universität vs. schulische Ausbildung, wobei hier die monetären Kosten erwartungsgemäß weniger entscheidend sind und allenfalls im Sinne von Opportunitätskosten wirken sollten (was der Formulierung des zugrunde liegenden Items am ehesten entsprechen sollte).
276
David Reimer und Steffen Schindler
Im Kontrast Universität vs. direkter Berufseinstieg ergibt sich wieder ein alles überragender Erklärungsbeitrag des Variablen-Sets aus Art der Hochschulzugangsberechtigung und vorheriger Berufsausbildung. In diesem Fall ist er der letzteren Komponente geschuldet. Die vermehrte Wahl des direkten Berufseinstiegs an Stelle eines Universitätsstudiums wird unseres Erachtens durch vergleichsweise höhere Anteile an Personen unter den Arbeiterkindern verursacht, die im Zuge von Höherqualifizierungsmaßnahmen das Abitur erwerben, jedoch planmäßig wieder in ihre Beschäftigung zurückkehren. Betrachtet man denselben Kontrast nur für die Unterstichprobe von Absolventen mit allgemeiner Hochschulreife, die noch keine Berufsausbildung absolviert haben (Ergebnisse nicht berichtet), dann schrumpft der Klassenunterschied auf eine Prozentsatzdifferenz von ca. 15 Prozentpunkten, wovon das Leistungsniveau etwa ein Drittel erklärt und kulturelle Faktoren sowie monetäre Kosten jeweils ein Zehntel. Insbesondere für die Faktoren Dauer und Berufsstatus ergibt sich, womöglich auch bedingt durch die relativ kleine Stichprobengröße, nicht der erwartete Erklärungsbeitrag. Auch im Kontrast Berufsakademie vs. Fachhochschule offenbart sich wieder ein starker Effekt der Art des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung. Hier zeigt sich zudem ein großer Beitrag der Ausbildungsdauer sowie ein geringer Effekt der Abiturnote. Jedoch spielen Kostenaspekte trotz der Ausbildungsvergütung an der BA keine Rolle. Beim Kontrast Berufsakademie vs. betriebliche Ausbildung tritt erstaunlicherweise ein starker Effekt der Ausbildungsdauer auf. Eine genauere Inspektion der Ergebnisse ergibt, dass innerhalb dieses Kontrasts die Dienstklassenkinder häufiger an einer kurzen Ausbildungsdauer interessiert sind als die Arbeiterkinder. Zudem geht der Wunsch nach kurzer Ausbildung hier mit erhöhten Chancen des BA-Besuchs einher. Dies ist auf den ersten Blick in zweifacher Weise kontraintuitiv. Berücksichtigt man jedoch die Selektivität der Kontrastgruppe, erklärt sich der Befund dadurch, dass gerade die Dienstklassenkinder, die an einer kurzen Ausbildungsdauer interessiert sind, aus Gründen des Statuserhalts an die Berufsakademien gehen und eben nicht in die betrieblichen Ausbildungen. Daher konzentrieren sich die Dienstklassenkinder mit Wunsch nach kurzer Ausbildung in der BA-Kategorie, wodurch sie innerhalb dieses Kontrastes im Vergleich zu Arbeiterkindern auch häufiger eine kurze Ausbildungsdauer bevorzugen.15 Wie erwartet leisten aber auch das Leistungsniveau sowie in geringerem Ausmaß auch der Berufsstatus einen Erklärungsbeitrag. Jedoch ist der Beteiligungsunterschied zwischen beiden Ausbildungen insgesamt recht niedrig (vgl. Abbildung 4). 15
Dies impliziert eine Verletzung der IIA-Annahme für diesen Kontrast.
Soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule
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Schließlich sollte im Kontrast schulische vs. betriebliche Ausbildung unseren Annahmen zufolge ein einziger Faktor für den Klassenunterschied verantwortlich sein, nämlich die monetären Kosten. Es zeigt sich in der Tat ein Erklärungsbeitrag von etwa 15 Prozent für diese Komponente, allerdings bleibt der Großteil des ohnehin geringen Beteiligungsunterschieds durch unser Modell weitestgehend unerklärt. Tabelle 5 fasst die Befunde unserer Analysen nochmals in einer Übersicht zusammen. Tabelle 5: Erwartete Faktoren in der Generierung sozialer Ungleichheiten bei Ausbildungskontrasten Uni FH BA BetrAusb erwartet L, S, kP, D FH Befund D, K S, kP, Si, D, K Si, D, K erwartet BA Befund L, S, (Si), D, K L, D S, kP, Si, D, K erwartet VerwFH Befund kP, (Si), K erwartet L, S, kP, Si, D, K L, S Betr. Ausb. L, kP, (Si), K L, S, D Befund erwartet L, S, kP, Si, D K Schul. Ausb. L, kP, (Si), K kP, K Befund erwartet L, S, kP, Si, D, K Beruf Befund L, kP, K Anmerkung: L=Leistung; S=Status; kP=kulterelle Prägung; Si=Sicherheit; D=Dauer; K=Kosten; die unter „Befund“ aufgeführten Faktoren leisten einen statistisch signifikanten Beitrag zur Erklärung des Klassenunterschieds
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Zusammenfassung
Ziel dieses Beitrags war es, klassenspezifische soziale Ungleichheiten bei der Wahl differenzierter postsekundärer Ausbildungsalternativen aufzuzeigen und zu erklären. Zu diesem Zweck haben wir sieben verschiedene Ausbildungsalternativen in Hinblick auf ihr akademisches Anspruchsniveau, Kosten und Erträge charakterisiert und Erwartungen darüber formuliert, welche Eigenschaften der Ausbildungsalternativen zu klassenspezifischen Wahlmustern führen könnten. Während ein Universitätsstudium aufgrund des vergleichsweise hohen akademischen Anspruchsniveaus, langen Ausbildungszeiten und hohen Erträgen als die Alternative gelten kann, bei deren Wahl die größten sozialen Selektivitäten
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zu erwarten sind, sind die Erwartungen in Bezug auf die übrigen Ausbildungsoptionen teilweise komplexer, da sie sich nur bei bestimmte Parametern, wie z.B. der Ausbildungsdauer, unterscheiden – in Bezug auf andere Parameter aber gleich, oder ungefähr äquivalent sind. Im Einklang mit vorheriger Forschung zeigen unsere ersten Analysen deutliche soziale Ungleichheiten bei der Wahl postsekundärer Ausbildungsalternativen. Arbeitersöhne mit guten Noten haben ungefähr die gleiche Wahrscheinlichkeit für einen Universitätsbesuch wie Dienstklassensöhne, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, mit „schlechten“ Abiturnoten. Bei den anderen tertiären oder semi-tertiären Ausbildungsalternativen sind die Klassengegensätze allerdings deutlich weniger ausgeprägt, während die Wahl einer betrieblichen oder schulischen Berufsausbildung in etwa das Spiegelbild zur Wahl der Universität darstellt. Um die spezifischen Beweggründe für die Wahl der differenzierten Alternativen besser nachvollziehen zu können, haben wir in weiteren Analysen die Bedeutung von postsekundären Ausbildungsmotiven betrachtet und ein neueres sogenanntes kontrafaktisches Dekompositionsverfahren angewandt, das es uns ermöglicht, die relative Bedeutung der verschiedenen von uns aufgeführten Erklärungsfaktoren für die Wahl einer bestimmten Ausbildungsalternative (z.B. Universität) verglichen mit einer anderen (z.B. Berufsakademie) zu beziffern. Konkret stellen wir die Frage, wie sich die Beteiligung am Universitätsstudium verglichen mit jeder anderen Ausbildungsalternative für Studienberechtigte aus Arbeiterklassen verändert, wenn wir ihnen z.B. die gleichen Abiturnoten oder die gleiche Einschätzung von Kosten zuweisen, wie sie in der Gruppe der Studienberechtigten aus der Dienstklasse mit Hochschulabschluss vorkommen. Insgesamt bestätigen sich die meisten Befunde unserer Erwartungen. Klassenunterschiede in den Leistungen erklären, wie von uns erwartet, die Unterschiede in der Wahl der Universität vs. schulischer und beruflicher Ausbildung sowie Universität vs. direktem Berufseinstieg. Entgegen unseren Erwartungen spielen Leistungsunterschiede aber auch eine Rolle, wenn man sich die Wahl von Universität gegenüber Fachhochschule einerseits sowie Berufsakademie und Fachhochschule andererseits betrachtet, während sie für die Wahl von Universität vs. Berufsakademie nicht ins Gewicht fallen. Betrachtet man die drei verschiedenen Ertragsdimensionen, so bestätigen sich hier unserer Erwartungen nur teilweise. Die Ertragsdimension Status trägt empirisch nur zur Erklärung des Klassenunterschieds bei der Wahl von Universität vs. Berufsakademie und bei der Wahl von Berufsakademie vs. betriebliche Ausbildung bei, während sie ansonsten bei keinem der von uns ausgewählten Kontraste ins Gewicht fällt. Die Ertragsdimension kulturelle Prägung hingegen scheint insgesamt bedeutender für die Erklärung von klassenspezifischen Unterschieden, da sie, wie erwartet, bei der Wahl der
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Universität vs. alle anderen Ausbildungsalternativen (mit Ausnahme der FH und BA) einen signifikanten Erklärungsbeitrag leistet. Zusätzlich erklärt sie auch einen Teil des kleinen Klassenunterschieds bei der Wahl von schulischen vs. beruflichen Ausbildungen, auch wenn dies nicht von uns nicht erwartet wurde. Auch die Ertragsdimension Sicherheit, die mit lediglich einem Motiv operationalisiert wurde, erklärt wie erwartet klassenspezifische Unterschiede bei der Wahl differenzierter Ausbildungsalternativen; lediglich bei der Wahl von Universität vs. Beruf sowie Fachhochschule vs. BA ergibt sich kein signifikanter Erklärungsbeitrag. Auch in Hinblick auf die mit einer Ausbildungsalternative verbundenen Kosten bestätigen sich größtenteils die Erwartungen. Eine der beiden Kostendimensionen, d.h. die Dauer oder die direkten Kosten (gemessen über die Bedeutung, die baldiger finanzieller Unabhängigkeit zugemessen wird) leistet immer einen signifikanten Erklärungsbeitrag für die Klassenunterschiede bei der Wahl sämtlicher hier ausgewählter Kontrastpaare.
10 Diskussion Die Ergebnisse der vorliegenden Auswertungen zeigen, dass Arbeiten, die lediglich zwischen Universitäts- und Fachhochschulstudium einerseits und Berufsausbildung andererseits differenzieren, keine allzu großen Fehler machen, da Studienberechtigte in Deutschland in den 1990er Jahren nur zu geringen Anteilen andere postsekundäre Ausbildungsoptionen gewählt haben. Allerdings variiert die quantitative Bedeutung der von uns aufgeführten Ausbildungsangebote wie Berufsakademie und Verwaltungsfachhochschule nach Bundesland. In Sachsen und Baden-Württemberg z.B. nimmt die Berufsakademie auch quantitativ einen höheren Stellenwert ein. Die Frage danach, ob und inwieweit das regionale Angebot an postsekundären Ausbildungsalternativen soziale Ungleichheiten verstärkt oder abmildert, war nicht Thema dieses Beitrags, sollte aber in zukünftiger Forschung sicherlich aufgegriffen werden. Ein weiterer Einwand betrifft das an den verschiedenen Ausbildungsoptionen angebotenen Fächerspektrum. Es ist durchaus denkbar, dass Ungleichheiten in der Wahl von verschiedenen Institutionen nur auf Fächer beschränkt sind, die an allen von uns aufgeführten Institutionentypen wählbar sind (siehe dazu z.B. Ayalon/Yogev 2005). Auch hier können wir nur darauf hinweisen, dass weitere Forschung das Zusammenwirkung von Fächern und differenzierten Institutionen vertiefen sollte. Ein weiterer zentraler Befund basiert auf den durchgeführten kontrafaktischen Analysen. Diese lassen die Schlussfolgerung zu, dass sich klassenspezifische Unterschiede bei der Wahl postsekundärer Ausbildungsangeboten zufriedenstellend mit den von uns aus dem Rational Choice Ansatz abgeleiteten Para-
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metern erklären lassen – auch wenn nicht alle unsere Erwartungen bestätigt wurden und ein nicht zu vernachlässigender Teil des Klassenunterschieds durch die von uns berücksichtigten Variablen nicht erklärt werden konnte. Dies ist sicherlich zu einem großen Teil der Tatsache geschuldet, dass unsere Sekundäranalysen auf Variablen beruhen, die nicht explizit dazu erhoben wurden, unsere theoretischen Konstrukte zu messen. Eine treffendere Operationalisierung dieser Konstrukte, wie sie z.B. im Mannheimer Bildungspanel vorliegt (siehe dazu den Beitrag von Stocké in diesem Band) und wie sie für das Nationale Bildungspanel (NEPS) geplant ist, könnte sicherlich zu größeren Erklärungsbeiträgen führen. Abschließend muss angemerkt werden, dass sich unsere Analysen auf Studienberechtigte beziehen, die in den 1990er Jahren ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Die im Rahmen der Bologna-Reformen eingeführten konsekutiven Studiengangstrukturen haben oder werden in neuerer Zeit dazu führen, dass ein nominal gleicher Abschluss, wie der Bachelor, an allen tertiären oder semi-tertiären Hochschultypen erworben werden kann. Ob diese Entwicklungen zu einer Verstärkung oder Abschwächung der Disparitäten bei der Wahl von postsekundären Ausbildungsoptionen führt, wird sich erst mit neueren Datenquellen abschätzen lassen.
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Soziale Selektivität beim Hochschulzugang – Veränderungen der Zugangssequenzen zur Hochschule im Kohortenvergleich Marita Jacob und Felix Weiss
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Einleitung
In den neunziger Jahren wurde eine erhebliche Verzögerung der Studienaufnahme nach dem Erwerb des Abiturs beobachtet, vor allen Dingen bei jungen Männern: am Höhepunkt dieser Entwicklung im Wintersemester 1998/99 hatten sich 81 Prozent der männlichen Studienanfänger später als ein Jahr nach dem Abitur immatrikuliert (Heine et al. 2008a: 50). Dieser Trend ist allerdings inzwischen wieder rückläufig und eine Verzögerung betrifft „nur“ noch 56 Prozent der Studienanfänger im Jahr 2005/06. Ein weiterer Beleg für eine verzögerte Studienaufnahme ist die Diskrepanz zwischen dem Alter beim Erwerb des Abiturs und der Studienaufnahme: Insgesamt waren die Studienanfänger des Wintersemesters 2006/07 beim Erwerb der Hochschulreife im Mittel 20,1 Jahre alt. Das mittlere Alter bei Studienbeginn betrug dagegen 21,4 Jahre. Das Alter der Fachhochschüler lag dabei rund eineinhalb Jahre über dem der Studienanfänger von Universitäten. Ein Teil der verspäteten Studienaufnahme ist bei den Männern auf das Ableisten von Wehr- und Zivildienst zurückzuführen. Allerdings legen die erheblichen Schwankungen zwischen verschiedenen Jahren, sowie die Spannweite des Anteils von 81 Prozent bis 56 Prozent derjenigen, die ihr Studium verzögern und die durchschnittliche Dauer der Verzögerung von im Mittel 2,7 Jahren im WS 1998/99 bzw. 2,6 im WS 2005/06 auch andere Zwischenstationen und Verzögerungsgründe nahe (ebd., S. 50f.). Zahlreiche neuere Forschungen zeigen Anzeichen für eine Veränderung der Verläufe der Bildungs- und Erwerbskarrieren von jungen Menschen hin zu einem mehrstufigen und komplexen Übergangsprozess (Buchholz/Kurz 2005; Grunow/Mayer 2007; Mayer 2004). Die vorhandene Forschung hat dabei allerdings eher eine Globalbetrachtung aller Schulabgänger vorgenommen oder die Übergangsprozesse von Jugendlichen mit einem mittleren (beruflichen) Bildungsabschluss untersucht. Entsprechende Studien zum Übergangsprozess von Hochschulzugangsberechtigten sind vergleichsweise selten. Aber auch für Studienberechtigte stellen die vorhandenen empirischen Arbeiten Anzeichen für
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eine Ausdifferenzierung der Übergänge zwischen Abitur und Studienbeginn fest (Heine et al. 2008a; Jacob 2004; Jacob/Weiss 2008). Als Indikatoren für die Ausdifferenzierung des Übergangs zwischen Abitur und Hochschulabschluss sind beispielsweise die oben bereits beschriebenen Anteile von Studienanfängern zu nennen, die ihr Abitur einige Zeit vor dem Beginn des Studiums erworben haben (Heine et al. 2008a), die Relevanz von beruflichen Ausbildungen vor Studienbeginn (Jacob 2004) und dass über ein Drittel aller junger Erwachsener mit Hochschulzugangsberechtigung nach einem ersten Eintritt in den Arbeitsmarkt wieder in Bildung zurückkehrt (Jacob/Weiss 2008). Diese Untersuchungen berücksichtigen aber nur je einzelne Aspekte des komplexen und zeitlich möglicherweise über mehrere Jahre gestreckten Übergangs von Abiturienten in den Arbeitsmarkt. Zudem sind sie auf jeweils wenige Abiturienten-, Studienanfänger- bzw. Geburtsjahrgänge begrenzt, so dass Veränderungen des Übergangs über einen längeren Zeitraum nur beschränkt analysiert werden können. Eine übergreifende Quantifizierung des gesamten Prozesses und seiner Veränderung im Zeitverlauf steht also bislang aus, zum Beispiel in Hinblick wie sehr die dreistufige „Standardsequenz“ Grundschule, Gymnasium, Universität (noch immer) verbreitet ist oder wie sich die Übergangsmuster im Zeitverlauf insgesamt verändert und ausdifferenziert haben. Geht man davon aus, dass im Zuge der Bildungsexpansion nicht nur der Anteil der Abiturienten zugenommen hat, sondern damit einhergehend neben der Aufnahme eines Studiums auch zunehmend unterschiedliche Ziele und Motive dem Erwerb des Abiturs zu Grunde liegen, so ist eine Ausdifferenzierung der Bildungswege zu vermuten. Selbst wenn die Studienneigung trotz Zunahme der Anzahl und Heterogenität der Abiturienten gleich geblieben ist, ist eine Realisierung der Studienabsicht nur bei gleichzeitiger Zunahme von Studienplätzen möglich. Da solche strukturellen Abstimmungsprozesse von Angebot und Nachfrage i.d.R. mit gewissen Verzögerungen und vorübergehenden Ungleichgewichten verbunden sind, kann dies ebenfalls zu einer Veränderung von Übergangsmustern im Zeitverlauf führen. Hier ist dann allerdings kein monotoner Trend zu erwarten, sondern vielmehr Variationen der Übergangsmuster im Zeitverlauf. Ob die inter-individuelle Variation beim Hochschulzugang tatsächlich ein „neues“ Phänomen ist oder möglicherweise auch schon in früheren Jahrzehnten sowohl „frühes“ als auch „spätes“ Studium zu beobachten waren, untersucht der vorliegende Beitrag: Lässt sich auch für Hochschulzugangsberechtigte eine Ausdifferenzierung der Bildungskarriere feststellen? Wenn ja, was sind die charakteristischen Merkmale und Veränderungen der Bildungswege dieser Gruppe? Trotz der Bildungsexpansion und dem damit einhergehenden Anstieg der Zahl der Studierenden an deutschen Universitäten und Fachhochschulen (Müller 1998) lässt sich weiter eine ausgeprägte soziale Ungleichheit beim Hochschul-
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zugang feststellen (Mayer et al. 2007). Wir fragen daher des Weiteren nach dem Einfluss der sozialen Herkunft auf die Muster und die Ausdifferenzierung der Bildungskarrieren. Auch hier gibt es unterschiedliche Gründe, die für bzw. gegen eine Veränderung sozialer Ungleichheiten sprechen. Wie bereits angeführt hat die Bildungsexpansion die soziale Heterogenität von Abiturienten erheblich erhöht und die Beteiligung von Kindern aus Arbeiter- und Angestelltenfamilien hat zugenommen (Mayer et al. 2007). Unter der Annahme, dass die Studienneigung dieser Herkunftsgruppen im Mittel geringer ist, ergibt sich eine soziale Ausdifferenzierung der Übergänge, da nicht alle Abiturienten gleichermaßen (sofort) in ein Studium einmünden, sondern bestimmte Gruppen andere Bildungsalternativen vorziehen. Gegen diese Hypothese einer Zunahme sozialer Ungleichheiten beim Hochschulzugang spricht, dass mit der quantitativen Ausweitung der Beteiligung zuvor benachteiligter Herkunftsgruppen deren Bildungspotenzial lediglich besser ausgeschöpft wird und daher keine Veränderung sozialer Ungleichheiten in den Zugangswegen zur Hochschule verbunden ist. In unserem Beitrag fragen wir daher: Gibt es Unterschiede nach sozialer Herkunft beim direkten Hochschulzugang? Wie haben sich soziale Ungleichheiten in den Übergangsmustern über die Geburtskohorten hinweg entwickelt? Wir betrachten dazu Hochschulzugangsberechtigte verschiedener Geburtskohorten zwischen 1955 und 1971 daraufhin, wie stark ihr Bildungsweg von der Standardsequenz „Grundschule – Gymnasium – Studium“ abweicht. Für die empirischen Analysen verwenden wir Daten der (West-)Deutschen Lebensverlaufsstudie, die es ermöglichen, detailliert die Bildungswege von Hochschulzugangsberechtigten ausgewählter Geburtskohorten zwischen 1955 und 1971 – also bis in die späten neunziger Jahre hinein – zu verfolgen. Die Zielsetzung unseres Beitrags liegt vor allem darin, einen deskriptiven Einblick in die Veränderung von Bildungskarrieren zu gewinnen. Damit sehen wir unseren Beitrag als eine Ergänzung bisheriger Untersuchungen, die sich im wesentlichen auf einzelne „Ereignisse“ konzentriert haben, wie beispielsweise die Veränderung sozialer Ungleichheiten beim Hochschulzugang (Mayer et al. 2007) oder das Absolvieren von Doppelausbildungen (Jacob 2004). Stattdessen nehmen wir eine ganzheitliche Perspektive auf Verläufe ein und fragen nach Veränderungen in den Mustern der gesamten Bildungskarriere. Wir finden dabei insgesamt keinen eindeutigen Trend, weder zu einer größeren Ähnlichkeit, noch eine erheblich zunehmende Abweichung von der Standardsequenz Grundschule – Gymnasium – Studium. Es zeigen sich aber deutliche Unterschiede in den Mustern zwischen verschiedenen sozialen Herkunftsgruppen. Auch für die Unterschiede in der Ähnlichkeit nach sozialer Herkunft finden wir keine Veränderungen im Zeitverlauf, sie bleiben bis zur letzten Kohorte hin bestehen. In einzelnen Teilaspekten zeigt sich eine Zunahme der Be-
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deutung der Fachhochschulreife und der Fachhochschule. Hier sind die Unterschiede in der sozialen Herkunft eindeutig geringer als beim klassischen Weg.
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Bildungswege von Hochschulzugangsberechtigen
Im Zuge der Bildungsexpansion ist die Gruppe der Hochschulzugangsberechtigten erheblich gewachsen, von 11,4 Prozent der Schulabgänger im Jahr 1970 auf 33,8 Prozent im Jahr 1990, wobei der stärkste Anstieg zwischen 1980 und 1990 zu verzeichnen war (Statistisches Bundesamt 1994). Damit einhergehend ist die Studierendenquote ebenfalls insgesamt deutlich angestiegen, nicht zuletzt durch den Ausbau der Fachhochschulen. So stieg etwa die Studierendenquote westdeutscher Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren von 1970 auf 1990 von 6,9 Prozent auf 12,5 Prozent, die der Frauen sogar von 3,2 auf 9,3 Prozent. Gleichzeitig mehren sich aber die Anzeichen, dass sich auch strukturell beim Hochschulzugang, den Studienanfängern und im Studienverlauf erhebliche Veränderungen vollzogen haben. Grundsätzlich können Schulabgänger nach Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung unterschiedliche Wege einschlagen, zum Beispiel sofort eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder den Bildungsweg in unterschiedlichen Formen fortsetzen. Der direkte Übergang vom Gymnasium in den Arbeitsmarkt ist – zumindest in Deutschland – sehr ungewöhnlich, in der Regel wird entweder eine berufliche Ausbildung oder ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule absolviert. Formal stehen Hochschulzugangsberechtigten alle weiteren Bildungsinstitutionen und -wege offen, sie werden lediglich durch die Auswahlentscheidungen der ausbildenden Betriebe oder aufgrund von Zulassungsbeschränkungen bestimmter Hochschulen oder Fächer (Numerus Clausus) begrenzt. Für die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung gilt, dass Hochschulzugangsberechtigte hier faktisch sogar eher privilegiert sind, da sie im Vergleich zu Schulabgängern mit mittlerem oder niedrigerem Abschluss bei der Vergabe von Ausbildungsstellen häufig von Betrieben bevorzugt eingestellt werden. Dies gilt insbesondere für die „attraktiven“, zukunftsträchtigen Ausbildungen im öffentlichen Dienst oder die Ausbildungsberufe im kaufmännischen Bereich, im Technologiesektor und für neu entwickelte Berufe der so genannten „Neuen Medien“ (Bildungsbericht 2008: 119ff.). Eine Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) zeigt, dass sich im Jahr 2006 ein halbes Jahr nach Erwerb des Abiturs ein Fünftel der Hochschulzugangsberechtigten in einer betrieblichen oder schulischen Ausbildung befanden (Heine et al. 2008b).1 1 Zusätzlich haben 6 Prozent bereits eine Beamtenausbildung oder ein Studium an einer Berufsakademie aufgenommen.
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Der Beginn eines Studiums an einer Hochschule ist mit dem Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung jederzeit möglich und wird auch von der Mehrheit der Abiturienten angestrebt. In der genannten HIS-Studie wird diesbezüglich berichtet, dass ein halbes Jahr nach dem Erwerb des Abiturs sich bereits 41 Prozent der Befragten an einer Hochschule oder einer Fachhochschule eingeschrieben haben und weitere 27 Prozent die Aufnahme eines Studiums planen (Heine et al. 2008b). Im Vergleich zur Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung ist der Eintritt in ein Hochschulstudium allerdings die „riskantere“ Alternative, die aber zugleich auch im Mittel zu höheren Renditen führt. Riskanter ist ein Studium zum einen, da der Erwerb eines Hochschulabschlusses länger dauert als eine berufliche Ausbildung. Die Ausbildung ermöglicht außerdem oftmals einen schnellen und geregelten Eintritt in den Arbeitsmarkt, was beim Hochschulstudium nicht immer und ähnlich vorhersehbar der Fall ist. Andererseits bietet hohe Bildung weiterhin höhere monetäre Arbeitsmarkterträge, die über die Zeit zwar abgenommen haben, aber immer noch deutlich vorhanden sind (Steiner/Lauer 2000). Für den Zugang zu oberen beruflichen Positionen hat sich die Bedeutung eines Hochschulstudiums im Vergleich zu einer beruflichen Ausbildung nach dem Abitur von 1982 bis 1995 ebenfalls kaum verändert und bleibt hoch (Müller et al. 2002). In verschiedenen Studien werden diese je unterschiedlichen Kosten und Nutzen der beiden Alternativen berufliche Ausbildung vs. Studium verwendet, um im Rahmen eines Entscheidungsmodells soziale Ungleichheiten beim Hochschulzugang zu erklären (z. B. Becker/Hecken 2008; Hillmert/Jacob 2003; vgl. auch Jacob/Tieben in diesem Band): Kinder aus bildungsfernen Schichten entscheiden sich häufiger für eine berufliche Ausbildung, da dies die weniger riskante Alternative darstellt und dabei gleichzeitig für den Erhalt des elterlichen sozialen Status ausreicht. Wenn im Zuge der Bildungsexpansion die soziale Heterogenität von Abiturienten zugenommen hat, und damit eine größere Anzahl von Abiturienten einen statuserhaltenden, nicht tertiären beruflichen Bildungsweg wählt, ist eine im Mittel insgesamt größere Differenzierung der Übergänge von Abiturienten zu erwarten. Berufliche Ausbildung und Studium schließen sich aber nicht aus, denn ein „Einlösen “ der Hochschulzugangsberechtigung ist auch noch nach Beendigung der Ausbildung möglich. So berichten beispielsweise 15 Prozent der Studienanfänger im Wintersemester 2000/2001 dass sie bereits eine berufliche Ausbildung absolviert haben (Heublein/Sommer 2002), dies gilt vor allem für Studienanfänger an Fachhochschulen. Die Kombination aus beruflicher Ausbildung und Studium muss allerdings nicht zwangsläufig ein „Umweg“ nach Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung bedeuten; so weisen Heine et al. (2008a) darauf hin, dass ausgehend vom Alter beim Schulabschluss einige der Studienanfänger
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Marita Jacob und Felix Weiss
vermutlich die Hochschulzugangsberechtigung erst nach einer Ausbildung erworben und dann (direkt) ein Studium begonnen haben. Anhand dieser Vielzahl von Einzelindikatoren lässt sich eine Ausdifferenzierung der Bildungswege in die Hochschule vermuten. Ob sich aber tatsächlich die Wege an die Hochschule vervielfacht und von der typischen Sequenz Grundschule – Gymnasium – Studium weg entwickelt haben, oder ob bereits in der Vergangenheit zu beobachtende Phänomene, wie die Kombination einer beruflichen Ausbildung und einem Studium lediglich quantitativ zugenommen haben, ist eine empirisch offene Frage. Eine solche Betrachtung der Vielfalt von Wegen an die Hochschule setzt eine Analyse von gesamten Bildungsverläufen über mehrere Kohorten voraus, um sowohl die Dynamik individueller Bildungsverläufe als auch deren Veränderung im historischen Zeitverlauf abbilden zu können. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Wir untersuchen die Bildungsverläufe von Hochschulzugangsberechtigten ausgewählter Geburtskohorten von 1955 bis 1971 und beschreiben deren Zugangswege in die Hochschule.
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Daten und Methode
3.1 Die Lebensverlaufsstudie Für eine Beschreibung von Bildungsverläufen und Zugangsmustern benötigen wir Längsschnittdaten. Da wir mit unserer Untersuchung bereits vor dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung ansetzen wollen und einen möglichst langen Zeitraum des Lebensverlaufs danach beobachten wollen, benötigen wir Daten, die einen solch langen Zeithorizont abbilden. Die Daten der (west-)deutschen Lebensverlaufsstudie des Max-Planck Instituts für Bildungsforschung, Berlin (Brückner/Mayer 1995; Hillmert et al. 2004) entsprechen diesen Erfordernissen. Es handelt sich hierbei um Retrospektivbefragungen von Personen ausgewählter Geburtskohorten, in denen unter anderem detailliert alle Stationen des Bildungswegs von der Einschulung bis zum Erwerb des höchsten Bildungsabschlusses erfasst wurden. Für unsere Analysen verwenden wir die Daten aus zwei Teilstichproben der Lebensverlaufsstudie: zum einen die Geburtskohorten 1954 bis 1956 und 1959 bis 1961 (im folgenden 1955 und 1960 genannt), die im Jahr 1989 befragt wurden, zum anderen die Geburtskohorten 1964 und 1971, die im Jahr 1998 erhoben wurden. Beide Studien enthalten genaue Informationen über Bildungs- und Erwerbsepisoden und die Art der absolvierten Ausbildungen und Abschlüsse. Allerdings unterscheiden sich die Erhebungsmethoden zwischen den Studien. In manchen Fällen führt das zu Schwierigkeiten bei der Vergleichbarkeit der Ergebnisse über
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die Kohorten hinweg, auf die wir im Einzelfall hinweisen werden. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Stichprobengrößen, die in den Studien realisiert werden bzw. die von uns genutzt werden. Tabelle 1: Stichprobenumfang und Analysestichproben Gesamtstichprobe
Personen mit HZB
1007 1001 1474 1435
314 321 442 578
Geburtskohorte 1955 Geburtskohorte 1960 Geburtskohorte 1964 Geburtskohorte 1971
Personen mit Eintritt in die Hochschule 230 248 294 406
Anmerkung: HZB: Hochschulzugangsberechtigung.
Tabelle 2: EGP-Klassenschema: Vereinfachte Anwendung als 2-KlassenVersion zur Messung der sozialen Herkunft Klasse
Bezeichnung im Original
2-Klassen Version
I
Obere Dienstklasse
II
Untere Dienstklasse
IIIa
Nichtmanuelle Routinetätigkeiten, höhere Ränge (Büro- und teilweise Dienstleistungsberufe)
IIIb
Nichtmanuelle Routinetätigkeiten, niedrigere Ränge (Verkaufsberufe)
IVabc
Kleine Selbstständige, kleine Arbeitgeber und selbständige Arbeiter (ohne Professionen)
V
Techniker, Aufsichtskräfte im manuellen Bereich, II Andere Klassen Vorarbeiter, Meister
VI
Facharbeiter
VIIa
Un- und angelernte Arbeiter
VIIb
Landarbeiter
I Obere Klassen
292
Marita Jacob und Felix Weiss
Die soziale Herkunft wurde in der Studie ebenfalls erhoben. Wir verwenden als Operationalisierung das EGP-Klassenschema wie es von Hillmert und Kröhnert (2000) für die Lebensverlaufsstudie umgesetzt wurde. Wir reduzieren dieses Klassenschema auf zwei Gruppen, die Dienstklassen inklusive intermediären nichtmanuellen Berufen, die wir im Folgenden „obere Klassen “ nennen werden, und allen anderen Berufsgruppen (siehe Tabelle 2). Zur höheren Herkunftsklasse wurden die Fälle zugewiesen, von denen mindestens ein Elternteil einen solchen Beruf ausübte.
3.2 Sequenzanalysen Während die meisten Analysemethoden für Längsschnittdaten als Erkenntnisgewinn die Erklärung von Ereignissen anstreben, erlauben Sequenzanalysen die Untersuchung gesamter Zustandsabfolgen. Als Zustände werden dabei bestimmte Phasen im Lebensverlauf betrachtet, z.B. die Erwerbstätigkeit in einer bestimmten Klasse oder der Besuch einer bestimmten Schulart. Sequenzen bezeichnen den gesamten Ablauf von Zuständen einer Person, in unserem Fall also die gesamte Bildungskarriere. Die Methode dient der kompakten Beschreibung der Ähnlichkeit dieser Sequenzen, so dass der Verlauf von Abfolgen, z.B. Bildungs- oder Berufskarrieren, übersichtlich über Gruppen und Zeitpunkte hinweg verglichen werden kann. Dabei steht weniger die Frage des Erreichens eines bestimmten Zustandes oder Zieles im Mittelpunkt, sondern rein die Abfolge bzw. das Muster der gesamten Sequenz. Es handelt sich also um eine „ganzheitlichere“ Betrachtung, in unserem Fall von Bildungskarrieren. Sequenzanalysen erlauben dabei nicht nur bestimmte Eigenschaften von Sequenzen zu identifizieren wie etwa deren „Wechselhaftigkeit“ bzw. Turbulenz, sondern ermöglichen auch, die Ähnlichkeit von Sequenzen untereinander oder die Ähnlichkeit in Bezug auf eine bestimmte „Normsequenz“ wie das oben erwähnte Zwei-SchwellenModell zu beurteilen. Da wir eine Beschreibung der Bildungswege jenseits der Standardsequenz Grundschule – Gymnasium – Universität auf einer allgemeinen Ebene anstreben, bietet es sich an, eine solche Methode zu verwenden. Wir vergleichen dabei alle Sequenzen mit dieser Standardsequenz und untersuchen, wie sich Kohorten und soziale Herkunftsgruppen im Hinblick auf ihre Ähnlichkeit mit derselben unterscheiden. Verschiedene Verfahren werden in der Literatur vorschlagen, um die Distanz bzw. Ähnlichkeit zwischen Sequenzen zu bewerten. Am weitesten verbreitet ist wohl die „optimal matching“-Methode (Abbott 1995; Brüderl/ Scherer 2006; Brzinsky-Fay et al. 2006; Erzberger/Prein 1997). Hierbei werden die Sequenzen
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang
293
auf Basis der Anzahl der „indel“-, also „insert“ (Zustand einfügen), und „delete“(Zustand löschen), Operationen verglichen, die notwendig sind, um sie ineinander zu überführen. Wir haben uns hier für eine alternative Vorgehensweise entschieden, die von Elzinga (in Überarbeitung; 2007) vorgeschlagen wird. Wir bewerten die Ähnlichkeit von Sequenzen anhand der Subsequenzen, die ihnen gemeinsam sind. Dabei beachten wir zunächst nicht die Dauer der einzelnen Zustände und konzentrieren uns damit nur auf die Abfolge der Zustände als solche. In einem zweiten Schritt beziehen wir die Dauern der Zustände als Eigenschaften der Zustände mit ein. Damit beachten wir neben der Teilnahme an verschiedenen Bildungszuständen auch deren zeitliche Lagerung und jeweilige Länge. Sechs Zustände unterscheiden wir in unseren Analysen:2 „Schulbesuch – nicht Gymnasium“, „Gymnasium“, „Universitätsstudium“, „Fachhochschulstudium“, „berufliche Ausbildung“ und „Erwerbstätigkeit“.3 Für alle Schulformen in der Sekundarstufe vergeben wir nur einen Zustand, egal ob es sich z.B. um Grund-, Haupt-, Real- oder Gesamtschule handelt. Das hat zwei Gründe: Wir wollen die Ähnlichkeit von Gesamtschulen mit der Referenzsequenz gleich setzen mit der Ähnlichkeit von Grundschulen, und wir wollen vermeiden, dass sich eine Ausdifferenzierung nur durch Veränderungen der Schulformen oder aufgrund von Schulformwechsel im Sekundarbereich zeigt (vgl. Jacob/Tieben in diesem Band). Die Standardsequenz setzt sich aus den Zuständen Grundschule, Gymnasium und Universitätsstudium zusammen, also drei Zuständen. Zunächst wird für jede Sequenz die Anzahl der mit der Standardsequenz gemeinsamen Subsequenzen ermittelt, wobei die kleinste gemeinsame Subsequenz in einem gemeinsamen Zustand besteht. So würden z.B. für die Sequenz Grundschule, Gymnasium, berufliche Ausbildung drei gemeinsame Subsequenzen mit der Standardsequenz ermittelt (s.u.). Andere Zustände werden außer Acht gelassen, so werden z.B. Wehr- oder Zivildienstzeiten komplett aus der Analyse entfernt. Um die Ähnlichkeit zwischen den Sequenzen zu vergleichen, unabhängig von ihrer Gesamtlänge und der Dauer der einzelnen Zustände, wird aus der Anzahl der gemeinsamen Subsequenzen ein auf den Wertebereich [0;1] standardisiertes Similaritätsmaß S berechnet nach:
2 Wie in allen Sequenzanalysen hat die Unterscheidung der Zustände einen zentralen Einfluss auf die Ergebnisse. Daher haben wir unsere Analysen beispielsweise auch ohne eine Unterscheidung von Fachhochschulen und Universität durchgeführt. Die Ergebnisse haben sich kaum verändert, wir werden bei der Interpretation auf einzelne Unterschiede hinweisen. 3 Berufstätigkeit wird nur beachtet, wenn sie vor Eintritt in die Hochschule stattgefunden hat, eine Mindestdauer von sechs Monaten aufweist und über 25 Wochenstunden umfasste.
294
Marita Jacob und Felix Weiss
S s ( x, y )
As ( x, y ) As ( x, x ) As ( y , y )
wobei x die Standardsequenz und y die Vergleichssequenz notieren. A bezeichnet die Summe der jeweiligen gemeinsamen Subsequenzen, wobei A(x,x) und A(y,y) die Summen der Subsequenzen einer einzelnen Sequenz sind. Gemeinsame Subsequenzen sind dabei alle Zustände, die beide Vergleichssequenzen beinhalten, und zusätzlich alle gemeinsamen Abfolgen von Zuständen, die in der gleichen Reihenfolge auftreten. Für die Sequenzen A-B-F und A-B-C hätten wir also gemeinsame Subsequenzen identifiziert: die beiden gemeinsamen Zustände A und B sowie die gemeinsame Abfolge (Subsequenz) A-B. Beispielhaft werden in Abbildung 1 Sequenzen dargestellt, die wir in unseren Daten finden. Abbildung 1:
Beispiele für Bildungssequenzen und ihre Ähnlichkeit zur Standardsequenz
Referenzsequenz: GS, HS, RS, GesS
Gymnasium
Studium (Uni) Ähnlichkeit zur Referenzsequenz
Bsp. für andere Sequenzen: Studium (Uni)
0,71
GS, HS, RS, GesS
Gymnasium
Lehre
GS, HS, RS, GesS
Gymnasium
Studium FH
0,50
GS, HS, RS, GesS
Gymnasium
Studium (Uni)
1,00
Anmerkungen: GS: Grundschule; HS: Hauptschule; RS: Realschule; GesS: Gesamtschule. Sequenzen, die mit der Standardsequenz identisch sind, nehmen den Wert 1 ein, wenn sie komplett nicht identisch sind den Wert 0.
Diese Vorgehensweise hat im Vergleich zum „optimal matching“-Verfahren den Vorteil, dass keine Kostenmatrix für die Überführung einzelner Zustände angegeben werden muss. Insbesondere die Schätzung der Übergangskosten aus den empirischen Übergangswahrscheinlichkeiten erscheint schwierig bei der Betrachtung von Bildungskarrieren. Durch die parallele Stratifizierung im deutschen Bildungssystem bestehen Zustände, zwischen denen nur sehr selten empirische Übergänge stattfinden, die aber in ihrer Qualität im Hinblick auf verschiedene Kriterien ähnlicher sind als Zustände, die oftmals in einer Abfolge stehen.
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang
295
So wäre es wohl kaum zu rechtfertigen, dem „Tausch“ des Zustands Gymnasium in eine berufliche Ausbildung niedrigere Kosten zuzuweisen als dem „Tausch“ zwischen Fachhochschulreife und Gymnasium. In einem zweiten Analyseschritt betrachten wir auch die Dauern der Zustände. Dafür greifen wir auf das Konzept der „minimal geteilten Zeit“ zurück (Elzinga 2007: 21; in Überarbeitung: 29). Damit betrachten wir die Anzahl von Monaten, die zwei Sequenzen im gleichen Zustand bzw. der gleichen Subsequenz verweilen. Teilen zwei Sequenzen z.B. den Zustand Gymnasium, wurden von einer Person aber statt der üblichen 108 Monate nur 36 Monate an einem beruflichen Gymnasium absolviert, so betrachten wir nur diese 36 Monate als gemeinsam verbrachte Zeit. Allgemein ausgedrückt betrachten wir für eine Sequenz u (x,y) und bezeichnen tx(ui) als Zeit, die im Zustand i verbracht wurde wenn u als Teil von x betrachtet werden kann. Die minimal geteilte Zeit t(u) in einer Subsequenz ist dann definiert als
¦ min^t |u |
t (u )
x
(u i ), t y (u i )`
i 1
Damit beziehen wir weitere Unterschiede in den Bildungskarrieren in unsere Analyse mit ein: Wir betrachten nun auch, wie lange Personen in bestimmten Zuständen verweilt haben und unterscheiden damit z.B. zwischen einem frühen Übertritt in ein allgemeinbildendes Gymnasium und dem relativ späten Übertritt in ein berufliches Gymnasium.
4
Empirische Ergebnisse
4.1 Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung und direkter Hochschulzugang Wir werden im Folgenden den „direkten“ Weg an die Universität als Standardsequenz bezeichnen und weiter hinten diesen auch als Referenzsequenz für den Vergleich mit allen anderen Sequenzen heranziehen. In Tabelle 3 werden die Anteile dargestellt, die die Standardsequenz an allen Wegen zur Hochschule in der jeweiligen Gruppe einnimmt. Hierbei zeigt sich kein Trend in der Kohortenabfolge. Während in der ältesten Kohorte der 1955 Geborenen 36 Prozent der Studierenden den direkten Weg auf die Universität genommen haben, sind es in der 1971er-Kohorte 37 Prozent. Berücksichtigt man, dass sich der Anteil der Studienanfänger in den Kohorten von 23 Prozent in Kohorte 1955 auf 28 Prozent in Kohorte 1971 erhöht hat (vgl. Tabelle 1), so ist dieses Ergebnis umso bemer-
296
Marita Jacob und Felix Weiss
kenswerter, da mit diesem – wenngleich mäßigen – quantitativen Anstieg der Studienanfänger offensichtlich keine eindeutige qualitative Veränderung der Wege in die Hochschule stattgefunden hat. Die Differenz zwischen den Klassen folgt ebenfalls keinem klaren Zeittrend. Während der Unterschied zwischen den Klassen 13 Prozentpunkte in der ältesten Geburtskohorte 1955 beträgt (42 Prozent der Dienstklassenkinder gehen den direkten Weg gegenüber 29 Prozent der Kinder anderer Klassen), liegt er bei 11 Prozentpunkten in der Geburtskohorte 1971. Bei den gegebenen eher geringen Fallzahlen sollte das keinesfalls als gesicherter Beleg für einen Rückgang von Klassenunterschieden interpretiert werden. Tabelle 3: Bedeutung der Standardsequenz Grundschule-GymnasiumUniversität in den untersuchten Kohorten nach Klassenzugehörigkeit der Eltern als Anteile an allen jemals Studierenden 1955 Alle Anteil der Sequenz: GrundschuleGymnasium-Universität N Obere Klassen Anteil der Sequenz: GrundschuleGymnasium-Universität N Andere Klassen Anteil der Sequenz: GrundschuleGymnasium-Universität N
Geburtskohorte 1960 1964
1971
0,36
0,36
0,30
0,37
230
248
294
406
0,42
0,41
0,32
0,40
125
157
202
290
0,29
0,31
0,24
0,29
105
91
92
116
Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
Dennoch können sich Bildungskarrieren insgesamt ausdifferenziert haben, wenn die Ähnlichkeit der anderen Bildungskarrieren zur dieser Standardsequenz abgenommen hat. Zunächst betrachten wir die Bedeutung unterschiedlicher Formen der Hochschulzugangsberechtigung. Wir vergleichen hierfür in Abbildung 2 den Anteil der Schulabgänger mit Abitur, das auf „regulärem “ Weg erworben wurde an allen Schulabgängern (obere Abbildung), mit dem der nachgeholten Hochschulzugangsberechtigungen (untere Abbildung) ab der Geburtskohorte 1920. Wir wählen hierbei eine längere zeitliche Dimension, um die Bildungsexpansion
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang
297
vollständig abzubilden, auch wenn das für die übrigen Analysen nicht möglich war, da der Besuch der Hochschule in den älteren Kohorten für unsere Analysezwecke nicht ausreichend differenziert erhoben wurde.4 Die obere Abbildung zeigt, dass Kinder aus beiden Herkunftsgruppen von der Bildungsexpansion profitiert haben, denn der Anteil derjenigen mit Abitur an allen Schulabschlüssen steigt sichtbar. So erreichen bei den 1940 Geborenen von den Kindern der Dienstklasse 18 Prozent und von den Kindern der anderen Klassen 4 Prozent das Abitur. Im Vergleich dazu steigen diese Anteile für die jüngste Kohorte der 1971 Geborenen auf 55 Prozent der Kinder aus den oberen Klassen und 21 Prozent der Kinder aus den anderen Klassen. Absolut betrachtet ist der Zuwachs bei den Kindern aus den oberen Klassen allerdings stärker. Es zeigt sich zudem, dass die Fachhochschulreife im Vergleich zum Abitur eine untergeordnete Rolle spielt. Selbst in der jüngsten Kohorte erreichen nur 4 Prozent der Kinder aus oberen Klassen und 3 Prozent der Kinder anderer Klassen die Fachhochschulreife als Abschluss ihrer regulären Schulzeit. Im Schaubild darunter werden die Anteile nachgeholter Hochschulzugangsberechtigungen an allen Schulabschlüssen nach Herkunftsklasse und Kohorten abgetragen. Zunächst wird deutlich, dass diese Form eine geringere Bedeutung hat als der direkte Erwerb. Für das nachgeholte Abitur zeigen sich ebenfalls deutliche Klassenunterschiede. Kinder aus Familien der oberen Klassen erwerben in allen Kohorten bis auf die 1960 Geborenen häufiger nachträglich das Abitur als Kinder anderer Klassen. Die Unterschiede beim Nachholen der Fachhochschulreife sind dagegen geringer, insbesondere im Vergleich zur Ungleichheit bei den regulären Abschlüssen. Mit den Kohorten zur Mitte der 50er Jahre wurde das Abitur zudem in seiner Bedeutung als nachgeholter Schulabschluss von der Fachhochschulreife überholt, denn es wird häufiger nachträglich die Fachhochschulreife erworben als das Abitur. Insgesamt wird eine gestiegene Bedeutung nachgeholter Schulabschlüsse ersichtlich. Dieser Anstieg fand allerdings bereits zwischen den Geburtskohorten 1950 und 1955 statt (der Anteil der Kinder aus unteren Klassen mit nachgeholter Fachhochschulreife stieg z.B. von 2 Prozent auf 9 Prozent), also vor dem Zeitraum, den wir im Folgenden genauer betrachten werden. Mit den Kohorten 1964 und 1971 fällt der Anteil wieder ab, was allerdings auf methodische Gründe zurückgehen könnte, da sich die Fragebögen der beiden Studien unterscheiden. Es bleibt aber weiterhin ersichtlich, dass die Fachhochschulreife im Vergleich zum Abitur an Bedeutung gewonnen hat und dass die Kinder der unteren Klassen im Erwerb dieser Form der Hochschulzugangsberechtigung nicht hinter den Dienstklassen zurückliegen. Während 4
Zudem unterscheiden sich die beiden letzten Studien in der Abfrage der nachgeholten Bildungsabschlüsse. So wird z.B. in den älteren Studien der Erwerb von nachgeholten Bildungsabschlüssen durch eine andere Frage und weniger differenziert abgefragt.
298
Marita Jacob und Felix Weiss
also bis zur Kohorte der um 1955 Geborenen eine Ausdifferenzierung der Bildungswege bis zum Erwerb des Abiturs stattfindet, von der auch die unteren Klassen profitieren, gibt es danach keine Anzeichen für eine Diversifizierung von Bildungswegen mehr. Insgesamt sind die Ergebnisse aufgrund kleiner Fallzahlen zwar nicht sehr exakt, zeigen aber doch eindeutig die enorme Expansion im sekundären Schulsystem in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Anteile regulär erworbener (oben) und nachgeholter (unten) Hochschulzugangsberechtigungen nach Klassenzugehörigkeit der Eltern und Geburtskohorte
0,0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
Abbildung 2:
193
0
194
0
0
0 194
0 195
5 195
0 195
195
0 196
196
0
196
4
197
1
4
1 197
0,0
0,05
0,10
0,15
0 192
192
0
193
5
196
Geburtskohorte Obere Kl. Abi Andere Kl. Abi
Obere Kl. FHR Andere Kl. FHR
Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
Als zweite Stufe im Bildungsverlauf betrachten wir nun die Aufnahme eines Studiums. Auch hier ist eine Ausdifferenzierung denkbar, sowohl im historischen Vergleich als auch zwischen den Herkunftsklassen. Tabelle 4 zeigt zum
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang
299
einen den Anteil der Hochschulzugangsberechtigten, die direkt nach dem Erwerb des Abiturs ihr Studium begonnen haben (im Unterschied zu den eingangs berichteten HIS-Ergebnissen von Heine et al. (2008a und 2008b) wurden hier allerdings Zeiten in Wehr- und Zivildienst nicht als Verzögerung berücksichtigt) sowie die Anteile derjenigen, die sich (zunächst) für eine alternative Bildungsoptionen entschieden haben: den Studienbeginn an einer Fachhochschule oder die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung. Tabelle 4: Direkte Übergangsraten nach dem Abitur
Alle Studium an einer Universität Studium an einer FH Beginn einer beruflichen Ausbildung Obere Klassen Studium an einer Universität Studium an einer FH Beginn einer beruflichen Ausbildung Andere Klassen Studium an einer Universität Studium an einer FH Beginn einer beruflichen Ausbildung
1955
Kohorte 1960 1964
1971
0,49
0,42
0,34
0,42
0,03 0,30
0,06 0,35
0,07 0,45
0,07 0,38
0,51
0,45
0,37
0,46
0,04 0,32
0,05 0,31
0,06 0,44
0,07 0,37
0,45
0,36
0,28
0,32
0,01 0,28
0,07 0,41
0,08 0,48
0,06 0,42
Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
Wir sehen in der Tendenz eine recht einheitliche Abnahme der direkten Übergangsraten auf die Universität, während gleichzeitig die Übergänge vom Gymnasium in eine Lehrausbildung bei den jüngeren Kohorten zugenommen haben. Wenn wir eine zunehmende Ausdifferenzierung von Bildungswegen in die Hochschule im Allgemeinen beobachten wollen, geht die Fragestellung über die Untersuchung einzelner Übergangswahrscheinlichkeiten hinaus. Hierfür eignen sich die oben beschriebenen Verfahren zur Sequenzanalyse.
300
Marita Jacob und Felix Weiss
4.2 Bildungsverlaufsmuster im Kohortenvergleich Im Folgenden werden wir anstelle einer Betrachtung einzelner Ereignisse die Abfolge von mehreren Bildungsaktivitäten näher untersuchen. Da wir uns insbesondere für die Wege an die Hochschule interessieren, betrachten wir zunächst die Personen, die tatsächlich irgendwann ein Studium begonnen haben (unabhängig davon, ob dieses auch beendet wurde). In Tabelle 5 sind einige Werte dargestellt, die die Verlaufsmuster der Personen beschreiben, die tatsächlich eine Hochschulausbildung aufgenommen haben. Ein erstes Maß für eine solche Ausdifferenzierung hatten wir bereits weiter oben mit dem Anteil der Standardsequenz Grundschule – Gymnasium – Universität gesehen. Nun betrachten wir weitere Eigenschaften der Bildungsverläufe. Die mittlere Anzahl verschiedener Zustände zeigt uns, wie viele verschiedene Zustände eine Sequenz in der entsprechenden Gruppe im Mittel einnimmt. In der „Standardsequenz“ sind das drei Zustände (Grundschule, Gymnasium, Studium), während ein komplexerer Bildungsverlauf wie beispielsweise die Folge aus Grundschule, Gymnasium, berufliche Ausbildung, Fachhochschule, weitere berufliche Ausbildung, Universität aus sechs verschiedenen Zuständen besteht. So haben z.B. die Studienanfänger der Geburtskohorte 1955 im Mittel 3,63 unterschiedliche Zustände in ihrer Bildungsbiographie. Die mittlere Ähnlichkeit zwischen den Sequenzen greift auf das Ähnlichkeitsmaß S aus Abschnitt 3.1 zurück, ohne die Dauer von Zuständen zu beachten. Hier wird für jede Sequenz die mittlere Ähnlichkeit zu allen anderen Sequenzen anhand der Anzahl der gemeinsamen Subsequenzen ermittelt. Dieser Wert wird dann wiederum über alle Sequenzen gemittelt. Dieses Maß informiert uns über die globale Ähnlichkeit aller Sequenzen in einer Gruppe. Es wird dann 1, wenn in der Gruppe alle Sequenzen gleich sind und 0, wenn keine Sequenz in einer Gruppe einen gemeinsamen Zustand mit einer anderen Sequenz hat. In der dritten Zeile berichten wir den Anteil seltener, ausgefallener Sequenzen. Wir definieren alle Sequenzen als selten, die weniger als zwei Prozent der Wege ins Studium der jeweiligen Gruppe ausmachen. So zeigt sich, dass bei den 1955 Geborenen 24 Prozent der Wege zur Hochschule einem Muster folgen, das insofern selten ist, als dass nur maximal zwei Prozent derer, die ein Studium beginnen diesen Weg wählen. Ist dieser Wert groß, so bedeutet das eine erhebliche Ausdifferenzierung der Zugangswege. Umgekehrt kann jedoch von einem kleinen Wert nicht auf eine hohe Standardisierung geschlossen werden, da sogar dann, wenn dieser Anteil auf 0 fällt noch bis zu (allerhöchstens) 50 verschiedene Zugangswege möglich sind. Eine allgemeine Ausdifferenzierung kann also mit diesem Maß nur angedeutet werden. Vielmehr zeigt es die Bedeutung von sehr „individualistischen“ Bildungskarrieren.
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang
301
Tabelle 5: Ausdifferenzierung der Wege zur Hochschule 1955 Alle Mittlere Anzahl verschiedener Zustände per Sequenz Mittlere Ähnlichkeit zwischen allen Sequenzen (Standardabweichung) Anteil an Mustern, die unter 2% aller Wege zur Hochschule in der jeweiligen Stichprobe ausmachen N Obere Klassen Mittlere Anzahl verschiedener Zustände per Sequenz Mittlere Ähnlichkeit zwischen allen Sequenzen (Standardabweichung) N Andere Klassen Mittlere Anzahl verschiedener Zustände per Sequenz Mittlere Ähnlichkeit zwischen allen Sequenzen (Standardabweichung) N
Geburtskohorte 1960 1964
1971
3,63
3,57
3,49
3,45
0,598 (0,12)
0,641 (0,12)
0,656 (0,10)
0,664 (0,11)
0,24
0,23
0,24
0,20
230
248
294
406
3,61
3,06
3,52
3,41
0,654 (0,13) 125
0,668 (0,12) 157
0,675 (0,10) 202
0,684 (0,12) 290
3,68
3,62
3,44
3,61
0,559 (0,09) 105
0,612 (0,11) 91
0,518 (0,09) 92
0,628 (0,09) 116
Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
Im oberen Drittel der Tabelle werden alle Sequenzen ungeachtet der sozialen Herkunft zusammengenommen. Hier zeigt sich über die Kohorten hinweg eine leichte Abnahme der „Zerstückelung“ der Sequenzen. So sinkt die Anzahl der verschiedenen Zustände pro Sequenz von 3,63 bei der Geburtskohorte 1955 auf 3,45 bei der Geburtskohorte 1971. Dagegen nimmt die durchschnittliche Ähnlichkeit von Jahr zu Jahr leicht zu, von einem Wert von 0,60 für die Geburtskohorte 1955 auf einen Wert von 0,66 für die Geburtskohorte 1971. Beide Werte deuten auf eine zunehmende Ähnlichkeit der Bildungsverläufe hin, so dass wir im Gegensatz zur Erwartung einer De-Standardisierung sogar einen abnehmenden Trend für Unterschiede zwischen den Bildungswegen von Kohorte zu Ko-
302
Marita Jacob und Felix Weiss
horte sehen. Für den Anteil der „marginalen“ Sequenzen lässt sich kein schlüssiger Trend feststellen. Hier ist dennoch bemerkenswert, dass das Niveau dieses Anteils insgesamt bei einem Fünftel bis zu einem Viertel der Wege zur Hochschule liegt, gegenüber ca. einem Drittel für die Standardsequenz. Damit haben Bildungskarrieren, die keinem häufigen Muster entsprechen, also durchaus eine beachtliche Bedeutung. Im unteren Teil der Tabelle werden die gleichen Werte getrennt nach sozialer Herkunft berichtet. Im Hinblick auf mittlere Anzahl verschiedener Zustände finden sich nur geringe Klassenunterschiede. Zwar ist in der Tendenz die Zahl an Zuständen bei Bildungsverläufen aus den unteren Klassen etwas höher, diese Unterschiede sind allerdings gering und in Anbetracht der geringen Fallzahlen kaum als klarer Klassenunterschied interpretierbar. Anders verhält es sich bei der mittleren Ähnlichkeit zwischen den Sequenzen. Die Similarität ist unter den Sequenzen der Dienstklassenkinder durchgängig höher. Sie ist zwar mit einem Wert von 0,68 für die Dienstklassenkinder und von 0,63 für die Kinder anderer Klassen in der jüngsten Kohorte am geringsten, aber auch hier gibt es keinen eindeutigen Trend. Es bleiben in allen Kohorten eindeutige Klassenunterschiede vorhanden. Der Anteil der Sequenzen, die weniger als zwei Prozent der Karrieremuster ausmachen, sollte nicht über Gruppen hinweg verglichen werden, die geringe Fallzahlen haben und in ihrer Größe schwanken. Hier fallen teilweise Gruppen von über zwei Fällen bereits über die Grenze von einem Anteil von zwei Prozent, die Aussagen werden dadurch zunehmend unsicher und zufallsanfällig. Daher berichten und interpretieren wir diesen Anteil hier nicht nach Klassenzugehörigkeit. Diese Zahlen geben zwar allgemeine Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede zwischen Sequenzen wieder, sagen aber noch nichts über die Ähnlichkeiten einzelner Sequenzen mit einem direkten Eintritt aus dem Gymnasium in die Universität aus. Auch bei insgesamt sehr ähnlichen Wegen kann es sein, dass sie im Mittel weit von diesem Standardmuster abweichen. Wir betrachten daher im Folgenden statt der Abweichungen zu allen Sequenzen die Abweichung zu einem idealtypischen Übergang von einer anderen Schulform auf das Gymnasium und von dort direkt auf die Hochschule.
4.3 Ähnlichkeit zum „direkten Weg“ zur Hochschule im Kohortenvergleich Die Abweichungen der einzelnen Sequenzen von der Standardsequenz Grundschule – Gymnasium – Universität, die uns als Referenzsequenz dient, ziehen wir im Folgenden als Maß für die Differenzierung von Bildungswegen heran. Um die Abweichung zur Referenzsequenz zu bestimmen, verwenden wir die
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang
303
Anzahl gemeinsamer Subsequenzen, wie in Abschnitt 3.2 beschrieben, die auf den Wertebereich [0,1] standardisiert wird. Hierbei bedeutet 1 die vollkommene Übereinstimmung einer Sequenz mit der Referenzsequenz, und ein Wert von 0 bedeutet, dass die Sequenzen keinen einzigen Zustand mit der Referenzsequenz gemeinsam haben. Dieses Maß bezeichnen wir im Folgenden mit „mittlerer Ähnlichkeitswert“. In Abbildung 3 stellen wir die durchschnittliche Ähnlichkeit aller Bildungskarrieren mit der Referenzsequenz dar. Das linke Schaubild bezieht alle Fälle mit Hochschulzugangsberechtigung ein, im rechten Schaubild weist die Ähnlichkeitswerte nur für diejenigen aus, die ein Studium begonnen haben. Das Muster der beiden Schaubilder zeigt keinen signifikanten oder auch nur systematischen Zeittrend an. Über die vier Kohorten die wir betrachten hinweg verändert sich die Ähnlichkeit der Bildungskarrieremuster zur Referenzsequenz nicht. Abbildung 3:
Mittlere Ähnlichkeitswerte zur Standardsequenz aus der Sequenzanalyse und 95 Prozent-Konfidenzintervalle
0,3
0,3
0,4
0,4
0,5
0,5
0,6
0,6
0,7
0,7
0,8
0,8
Fälle mit Hochschulzugangsberechtigung Fälle mit Eintritt in das Hochschulsystem
1955
1960
1964
1971
1955
1960
1964
1971
Geburtskohorte Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
Um die Unterschiede in den Bildungskarrieremuster zwischen unterschiedlichen Herkunftsklassen und ihre Entwicklung über die Kohorten hinweg zu untersuchen, wird in Abbildung 4 die mittlere Ähnlichkeit zur Standardsequenz für Schulabgänger mit Abitur getrennt nach Herkunftsklassen und Kohorten dargestellt. Abbildung 5 weist die Ähnlichkeit für alle Personen aus, die (irgendwann) in das Hochschulsystem eintreten.
304
Marita Jacob und Felix Weiss
Abbildung 4:
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
Mittlere Ähnlichkeitswerte aus der Sequenzanalyse zur Standardsequenz, beruhend auf der Anzahl gemeinsamer Subsequenzen und 95 Prozent-Konfidenzintervalle, nur Fälle mit Abitur oder Fachhochschulreife
1955
1960
1964
1971
Geburtskohorte Obere Klassen
Andere Klassen
Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
Es lässt sich ein klarer Klassenunterschied feststellen. Wir finden durchgängig eine größere Ähnlichkeit der oberen Klassen zur Standardsequenz.5 Hinsichtlich der zeitlichen Entwicklung beobachten wir eine relativ hohe Stabilität. Zu keinem Zeitpunkt kann von einer signifikant anderen mittleren Ähnlichkeit zur Standardsequenz gesprochen werden als in der Geburtskohorte 1955. Ebenfalls stabil über die Zeit hinweg ist der Unterschiede zwischen den Klassen. Nicht nur bleibt er über alle Kohorten hinweg signifikant, er verringert sich auch kaum in seinem Ausmaß.
5 Setzen wir Fachhochschule und Universität gleich, so verringert sich der Abstand zwischen den Klassen in der Population der Studienanfänger und wird nur noch knapp signifikant.
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang Abbildung 5:
305
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
Mittlere Ähnlichkeitswerte aus der Sequenzanalyse zur Standardsequenz, beruhend auf der Anzahl gemeinsamer Subsequenzen und 95 Prozent-Konfidenzintervalle, nur Fälle mit Hochschulzugang
1955
1960
1964
1971
Geburtskohorte Obere Klassen
Andere Klassen
Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
In den Abbildungen 6, 7 und 8 betrachten wir das gleiche Ähnlichkeitsmaß, aber unter Berücksichtung der Dauern der einzelnen Zustände. Subsequenzen werden hier nur so lange als „gemeinsam“ gewertet, wie die minimale gemeinsame Verweildauer andauert. Damit werden auch Unterschiede in der zeitlichen Struktur von Bildungsverläufen zur Referenzsequenz beachtet. Das bedeutet, dass z.B. die Dauer der Gymnasialzeit oder auch ein früh abgebrochenes Studium als weniger „ähnlich“ zu einem vollendeten Studium angesehen wird als in der Betrachtungsweise ohne Zustandsdauern. Als theoretische Referenzsequenz ziehen wir die Abfolge von 48 Monaten Grundschule, 108 Monate Gymnasium und 60 Monaten Universitätsstudium heran. Das Niveau der Similarität insgesamt nimmt im Vergleich zum ersten, einfacheren Verfahren etwas ab. Das liegt daran, dass dieses Maß strengere Kriterien dafür anlegt, dass zwei Sequenzen als identisch angesehen werden als das vorangehende. Die Schlussfolgerungen in Bezug auf die zeitliche Entwicklung verändern sich dagegen nicht. Erneut zeigt sich kein schlüssiger und statistisch signifikanter Zeittrend.
306 Abbildung 6:
Marita Jacob und Felix Weiss Mittlere Ähnlichkeitswerte zur Standardsequenz aus der Sequenzanalyse – unter Berücksichtigung von Dauern und 95 Prozent-Konfidenzintervalle Fälle mit Eintritt in das Hochschulsystem
0,3
0,3
0,4
0,4
0,5
0,5
0,6
0,6
0,7
0,7
0,8
0,8
Fälle mit Hochschulzugangsberechtigung
1955
1960
1964
1971
1955
1960
1964
1971
Geburtskohorte Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
In Abbildung 7 und 8 werden die gleichen Analysen getrennt nach Herkunftsklassen dargestellt, um zu sehen, ob sich unter Berücksichtigung der Dauer die zuvor beobachteten Unterschiede zwischen den Kindern aus unterschiedlichen Klassen über die Kohorten hinweg verringern. Wieder zeigen wir zunächst alle Hochschulzugangsberechtigten (Abbildung 7) und dann eingeschränkt auf Studierende (Abbildung 8). Für die Gruppe der Hochschulzugangsberechtigten kommen wir auf das gleiche Ergebnis wie mit den einfachen Analysen, die nur die Zustandsfolgen ohne Beachtung der Zeitdauern einbeziehen. Im Zeitverlauf erkennen wir zwar nun größere Schwankungen, die aber nicht als signifikant zu betrachten sind und keinem eindeutigen Trend folgen. Die Klassenunterschiede sind nicht nur stabil, sondern vergrößern sich in der Tendenz sogar noch. Damit zeigt sich, dass die gestiegene Zahl von Hochschulzugangsberechtigten aus unteren Klassen eher mit einer Abweichung von der Standard-Bildungskarriere einhergeht.
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang Mittlere Ähnlichkeitswerte zur Standardsequenz aus der Sequenzanalyse – unter Berücksichtigung von Dauern und 95 Prozent-Konfidenzintervalle, nur Fälle mit Abitur oder Fachhochschulreife
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
Abbildung 7:
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1955
1960
1964
1971
Geburtskohorte Obere Klassen
Andere Klassen
Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
Mittlere Ähnlichkeitswerte aus der Sequenzanalyse zur Standardsequenz – unter Berücksichtigung von Dauern und 95 ProzentKonfidenzintervalle, nur Fälle mit Hochschulzugang
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
Abbildung 8:
1955
1960
1964
Geburtskohorte Obere Klassen
Andere Klassen
Quelle: Deutsche Lebensverlaufsstudie, eigene Berechnungen.
1971
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Marita Jacob und Felix Weiss
Für diejenigen, die tatsächlich ein Studium beginnen (Abbildung 8), zeigt sich zunächst in den mittleren Kohorten eine Reduktion der Klassenunterschiede und dann ein leichter Anstieg in der jüngsten Kohorte. Durchgängig sind auch hier die unteren Klassen weniger ähnlich zur Referenzsequenz als die Dienstklassenkinder, wenngleich dieser Unterschied für die mittleren Kohorten nicht statistisch signifikant ist. Der Wert der Dienstklassen liegt erstaunlich stabil zwischen 0,6 und 0,7, der Wert der anderen Klassen schwankt etwas mehr. Insgesamt können wir mit diesem zweiten Maß die vorhergehenden Analysen bestätigen: Wir finden einen stabilen Klassenunterschied in der Ähnlichkeit der Bildungsverläufe zur Referenzsequenz, der sich über die Kohorten kaum verändert.
5
Zusammenfassung und Diskussion
Wir haben in diesem Kapitel untersucht, wie sich die Struktur der Wege zur Hochschule über vier Geburtskohorten von 1955 bis 1971 verändert. Dazu ziehen wir unter anderem Methoden der Sequenzanalyse heran, die die Ähnlichkeit von Sequenzen auf der Grundlage von gemeinsamen Zuständen und Teilsequenzen bewerten. Als Ausgangspunkt haben wir zuvor die Entwicklung der Beteiligung in höhere Bildung vorangestellt: Wie in zahlreichen vorangegangen Studien finden auch wir einen erheblichen Anstieg der Teilnahme an höherer Bildung, der allerdings vor den hier analysierten Kohorten – also in den Geburtskohorten vor 1955 – noch dramatischer war. Aus der damit verbundenen größeren Heterogenität von Hochschulzugangsberechtigten folgt jedoch überraschenderweise keine zunehmende Heterogenität der Bildungswege nach dem Erreichen des Abiturs – zumindest gibt es keinen eindeutigen Trend, dass immer mehr Hochschulzugangsberechtigte andere Wege an die Hochschule verfolgten. Zwar können wir eine gewisse Zunahme direkter Übergänge von der Hochschulreife in eine betriebliche Ausbildung und zur Fachhochschule beobachten, die These einer Ausdifferenzierung der Bildungswege können wir aber nicht stützen, denn vielmehr wird die Zunahme nicht-traditioneller Studienwege durch eine steigende Anzahl an Standardsequenzen ausgeglichen. Darüber hinaus untersuchen wir Unterschiede in den Bildungsverläufen nach sozialer Herkunft. Wir finden hier markante Unterschiede zwischen den sozialen Klassen, die die Befunde vorangehender Studien zu sozialen Ungleichheit auch im höheren Bildungsbereich unterstreichen. Dabei zeigt sich, dass die Ähnlichkeit zur Standardsequenz bei Kindern der oberen Klassen deutlich größer
Soziale Selektivität beim Hochschulzugang
309
ist als bei Kindern anderer Klassen. Dieses Ergebnis findet sich sowohl für alle Hochschulzugangsberechtigten als auch bei der Betrachtung aller Bildungskarrieren, die in ein Studium münden. Auch die Variation der Definition der Zustände (Fachhochschul- und Universitätsstudium gleichgesetzt) und die Einbeziehung von Zustandsdauern in das Maß zur Bewertung der Ähnlichkeit ändern nichts an diesem Befund. An den Ergebnissen sehen wir, dass sich die Strukturen der Bildungskarriere selbst dann noch zwischen Kindern aus unterschiedlichen Elternhäusern unterscheiden, wenn wir nur Abiturienten oder gar nur Studierende betrachten, also diejenigen, die bereits einige Hürden im Bildungssystem genommen haben. Schließlich betrachten wir die Veränderung der Klassenunterschiede von Kohorte zu Kohorte. Hier finden wir eine hohe Stabilität. Das heißt, die Kinder aus oberen Klassen mit Hochschulzugangsberechtigung bzw. die ein Studium aufnehmen weisen Bildungsverläufe auf, die der dreistufigen Standardsequenz deutlich ähnlicher sind als die Bildungsverläufe der Kinder aus unteren Klassen – und zwar stabil über alle Kohorten hinweg. Auch hier verändert sich das zentrale Ergebnis nicht, wenn wir die Zustandsdauern berücksichtigen, wenngleich der Unterschied dann für einzelne Kohorten schwächer ausfällt. Bestimmte Aspekte der Klassenunterschiede verändern sich über den Zeitverlauf dennoch, wie etwa der Übergang auf die Fachhochschule oder der Erwerb nachgeholter Schulabschlüsse. Dagegen verstärken sich die Abweichungen von direkten Übergängen an die Hochschule sogar noch und die Hochschulzugangsberechtigten der Geburtskohorte 1971 treten häufiger nach dem Gymnasium in eine Lehre über. Da es diese Unterschiede in den älteren Kohorten in geringerem Ausmaß gab, liegt der Schluss nahe, dass gerade die durch die Bildungsexpansion zusätzlich zur Hochschulzugangsberechtigung gebrachten Kinder aus den unteren Klassen sich für eine berufliche Ausbildung entscheiden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es neben den bekannten Klassenunterschieden an einzelnen Übergängen auch Unterschiede in einer umfassenderen Betrachtung des gesamten Musters einer Bildungskarriere nach dem Abitur gibt. Sie haben auch Bestand, wenn man lediglich diejenigen betrachtet, die tatsächlich ein Studium begonnen haben. Über die Kohorten hinweg ändert sich für beide Klassen weder die Ähnlichkeit zur Standardsequenz Grundschule – Gymnasium – Universität, noch die Klassenunterschiede. Inwiefern die Unterschiedlichkeit in den Zugangswegen zur Hochschule als normativ begrüßenswert bewertet werden kann, hängt wohl davon ab, ob man sie als „Verspätung“ des Bildungserwerbs oder als „Nachholen“ von Bildung betrachtet. So schaffen es verhältnismäßig mehr Kinder aus unteren Herkunftsklassen über Wege in ein Studium, die nicht der klassischen Sequenz folgen. Aus dieser Sichtweise kann ein Ausbau dieser Möglichkeiten durchaus zu einer Öff-
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Marita Jacob und Felix Weiss
nung der Gesellschaft beitragen. Allerdings können die Unterschiede auch als nachteilig für die Kinder aus den unteren Klassen betrachtet werden. Wenn wir die Sequenz aus Grundschule, Gymnasium und Universitätsstudium als besonders vorteilhaft betrachten, so müssen wir festhalten, dass dieser Vorteil bei studierenden Kindern aus unteren Klassen seltener wahrgenommen wird oder werden kann. Um diese Frage abschließend beantworten zu können wäre es sinnvoll, den Einfluss von „ungewöhnlichen“ Studienwegen im Vergleich zur Standardbildungsbiographie auf die Bildungsrenditen näher zu untersuchen. Insbesondere interessant wäre hier, ob über den Einfluss des erreichten Abschlusses hinaus ein Unterschied in der Bildungsrendite besteht, die auf den „Erwerbsmodus“ bzw. den Erwerbszeitpunkt des Abschlusses zurückgeht. Um sowohl neuere Entwicklungen wie die Einführung konsekutiver Studiengänge (B.A. und M.A.), die Verstärkung der Berufsakademien und anderer höherer Bildungsgänge einzubeziehen als auch rückwirkend die stärksten Wachstumsraten in der Bildungsbeteiligung während der Bildungsexpansion mit zu erfassen, wäre eine Betrachtung über eine größere Spanne an Geburtskohorten sinnvoll. Zudem ist die hier gewählte sehr allgemeine Betrachtung einer „Ähnlichkeit“ in Sequenzanalysen natürlich mit Einschränkungen verbunden. Es wird zwar eine allgemeine Ähnlichkeit sichtbar, nicht aber die konkreten Schritte im Bildungssystem. Viele Einzelfragestellungen über Abschnitte der Bildungskarriere wurden zwar an anderer Stelle bereits beantwortet, doch angesichts unserer Ergebnisse liegt eine weitergehende Untersuchung solcher Schritte nahe. Gerade durch die Zunahme der Hochschulzugangsberechtigten erscheint uns eine differenzierte Betrachtung ihres Verbleibs zunehmend als bedeutsam. Sowohl in den gewählten Bildungsalternativen als auch in der zeitlichen Lagerung der Bildungskarriere scheinen deutliche Unterschiede zwischen Studierenden zu bestehen, die offensichtlich einen Bezug zum Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserwerb haben.
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Marita Jacob und Felix Weiss
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Vorstellung der Autorinnen und Autoren Dipl.-Soz. Birgit Becker Postdoc Fellow am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung an der Universität Mannheim. Forschungsinteressen: Ethnische Bildungsungleichheit, Bildungsentscheidungen, Migration und Integration. Kontakt: Universität Mannheim, MZES, 68131 Mannheim,
[email protected]. Dipl.-Soz. Nicole Biedinger Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“ am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung an der Universität Mannheim. Forschungsinteressen: Ethnische Unterschiede im frühen Kompetenzerwerb. Kontakt: Universität Mannheim, MZES, 68131 Mannheim,
[email protected]. Dipl.-Soz. Jörg Dollmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien“ am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung an der Universität Mannheim. Forschungsinteressen: Bildungsentscheidungen und Bildungsungleichheit, Ethnische Schichtung, Migration und Integration. Kontakt: Universität Mannheim, MZES, 68131 Mannheim,
[email protected]. Dipl.-Soz. Christian Hunkler Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie der Universität Mannheim sowie am Mannheim Research Institute for the Economics of Aging (MEA). Forschungsinteressen: Ungleichheit, (ethnische) Diskriminierung in Arbeitsmärkten, Befragten-
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Vorstellung der Autorinnen und Autoren
verhalten. Kontakt: Universität Mannheim, Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie, 68131 Mannheim,
[email protected]. Prof. Dr. Marita Jacob Juniorprofessorin für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Mannheim und Projektleiterin am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Forschungsinteressen: Bildungssoziologie, Lebensverlaufsforschung, Soziale Ungleichheit, Methoden der empirischen Sozialforschung. Kontakt: Universität Mannheim, Fakultät für Sozialwissenschaften, 68131 Mannheim,
[email protected]. Prof. Dr. Irena Kogan Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie, Gesellschaftsvergleich an der Universität Mannheim und Projektleiterin am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Forschungsinteressen: Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern in Europa, Übergang zwischen Schule und Beruf, Einwanderung und soziale Ungleichheit in vergleichender Perspektive. Kontakt: Universität Mannheim, Lehrstuhl für Soziologie I, 68131 Mannheim,
[email protected]. Prof. Dr. Cornelia Kristen Professorin für Migration und Bildung („Ethnic Educational Inequality“) und Leiterin einer Free Floating-Nachwuchsgruppe im Rahmen der Exzellenzinitiative der Georg-August-Universität Göttingen. Forschungsinteressen: Bildungssoziologie, Migration und Integration von Zuwanderern, Soziale Ungleichheit. Kontakt: Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Soziologie, Platz der Göttinger Sieben 3, 37073 Göttingen,
[email protected].
Vorstellung der Autorinnen und Autoren
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Dipl.-Soz. David Reimer Postdoc Fellow an der School of Education, Aarhus University. Forschungsinteressen: Soziale Ungleichheit insbesondere beim Zugang zu und Verwertung von Hochschulbildung auf dem Arbeitsmarkt. Kontakt: Aarhus University, School of Education, Center for Research in Compulsory Schooling, Tuborgvej 164, 2400 Copenhagen NV, Denmark,
[email protected]. Dipl.-Soz. Tobias Roth Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Junge Migranten im deutschen und israelischen Bildungssystem “ am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung an der Universität Mannheim. Forschungsinteressen: Soziale und ethnische Bildungsungleichheit, Bildungsentscheidungen. Kontakt: Universität Mannheim, MZES, 68131 Mannheim,
[email protected]. Dipl.-Soz. Zerrin Salikutluk Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Junge Migranten im deutschen und israelischen Bildungssystem “ am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung an der Universität Mannheim. Forschungsinteressen: Ethnische Bildungsungleichheit, Bildungsentscheidungen, Übergang von der Schule ins Ausbildungssystem. Kontakt: Universität Mannheim, MZES, 68131 Mannheim,
[email protected]. Dipl.-Soz. Steffen Schindler Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung in den Projekten „Hochschulexpansion und Hochschuldifferenzierung: Folgen für die soziale Ungleichheit bei der Bildungsbeteiligung und auf dem Arbeitsmarkt“, „Bildungsexpansion und Differenzierung der Studienberechtigung” sowie im EU-Exzellenznetzwerk „Economic Change, Quality of Life and Social Cohesion (EQUALSOC)“. Forschungsinteressen: Soziale Ungleichheit, Bildungs- und Arbeitsmarktsoziologie, dabei insbesondere Aspekte des Zugangs zu und des Ertrags von Hochschulbildung.
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Vorstellung der Autorinnen und Autoren
Kontakt: Universität Mannheim, MZES, 68131 Mannheim,
[email protected]. Prof. Dr. Volker Stocké Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie mit dem Schwerpunkt längsschnittliche Bildungsforschung an der Universität Bamberg. Forschungsinteressen: Bildungsungleichheit, Datenerhebungsmethoden, Kompetenzentwicklung, Sozialstruktur. Kontakt: Lehrstuhl für Soziologie mit Schwerpunkt längsschnittliche Bildungsforschung, Universität Bamberg, 96052 Bamberg,
[email protected]. Nicole Tieben (M.A.) Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Mannheim Forschungsinteressen: Bildungsungleichheit, Lebensstile. Kontakt: Universität Mannheim, Lehrstuhl für Methoden der empirischen Sozialforschung, 68131 Mannheim,
[email protected]. Dipl.-Soz. Felix Weiss Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Diskontinuierliche Bildungskarrieren im Ländervergleich“ am MZES und der Juniorprofessur für Methoden der empirischen Sozialforschung, Prof. Marita Jacob an der Universität Mannheim. Forschungsinteressen: Bildungsungleichheit, Soziale Mobilität, Soziologie des Arbeitsmarktes. Kontakt: Universität Mannheim, MZES, 68131 Mannheim,
[email protected].