Bioprozesstechnik
Horst Chmiel (Hrsg.)
Bioprozesstechnik 3., neu bearbeitete Auflage
Herausgeber Prof. Dr.-Ing. habil. Horst Chmiel Haslangstraße 28 80689 München E-Mail:
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Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de 3. Auflage 2011 © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011 Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint von Springer 11 12 13 14 15
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Planung und Lektorat: Dr. Ulrich G. Moltmann, Sabine Bartels Redaktion: Annette Heß Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm Titelfotografie: © iStockphoto/seraficus Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg ISBN 978-3-8274-2476-1
Vorwort zur 3. Auflage „Bioprozesstechnik“ Die sog. „Weiße Biotechnologie“ (biotechnologische Massenproduktion von Bulk- und Feinchemikalien, Lebensmitteln, Biotreibstoffen) hat mittlerweile in der Industrie in zahlreichen Prozessen Anwendung gefunden. Für 2012 wird weltweit ein Umsatz von 90 Milliarden € vorhergesagt. Aber auch die „Rote Biotechnologie“ (Produktion komplexer Wirkstoffe mittels tierischer Zellkulturen) erlangt mit 45 Milliarden € für die Pharmaindustrie eine enorme wirtschaftliche Bedeutung offensichtlich als Folge erster auslaufender Patente. Selbst die moderne biologische Abwasserreinigung („Graue Biotechnologie“) verbucht große Erfolge. In der überarbeiteten und aktualisierten 3. Auflage wird allen drei genannten Gebieten entsprechend Raum gegeben. Außerdem konnten Autoren für neue Kapitel gewonnen werden. Zusätzlich haben Wissenschaftler aus Hochschule und Industrie Kurzbeiträge als Unterkapitel geliefert, die die Aktualität des Buches erhöhen. Das Werk beginnt mit einer Einführung in die Zellbiologie und Biochemie. Es folgen Beiträge zur Kinetik von Enzymen und Mikroorganismen. Kapitel 5 beschäftigt sich ausführlich mit der Rheologie von Biosuspensionen (Scher- und Dehnviskosität, Viskoelastizität). Den Einfluss dieser Fließeigenschaften auf Transportvorgänge (Impuls-, Wärme- und Stoffaustausch) im Bioreaktor behandelt Kapitel 6. Dieses beginnt wegen der besonderen Bedeutung für die Maßstabsübertragung mit einer Einführung in dimensionslose Kennzahlen. Mit diesem Rüstzeug folgen in Kapitel 7 Betrachtungen zu Bioreaktoren i. A. und den Besonderheiten für spezifische Applikationen (z.B. Membran-, Photo-, Gewebe- und Einmalbioreaktoren). Dem Wunsch zahlreicher Leser, das Teilkapitel 7.4 „Parallelbetrieb von Bioreaktoren“ zu vertiefen, wurde dabei Rechnung getragen. Die Bedeutung der Sterilisation für die
Bioproduktion wird häufig unterschätzt (Kap. 8 „Sterilisation und Sterildesign“). Das komplexe Mehrphasensystem in einem Bioprozess stellt höchste Anforderungen an die Mess- und Regeltechnik (Kap. 9 „Bioprozessanalytik und -steuerung“). Mehr als die Hälfte der Kosten eines Bioproduktes entfallen auf die Aufarbeitung. Den Einzelschritten Zellernte, Zellaufschluss, Produktisolation und Produktreinigung werden in Kap. 10 deshalb besondere Beachtung geschenkt. Das Kapitel 11 „Kultivierung von Säugertierzellen“ wurde wegen der eingangs erwähnten gestiegenen wirtschaftlichen Bedeutung wesentlich erweitert. Enzymatische Prozesse haben einige verfahrenstechnische Besonderheiten (Kap. 12 „Enzymatische Prozesse“). Der Übergang von der „Grauen“ zur „Weißen Biotechnologie“ ist fließend; das demonstriert das in der 3.Auflage wieder aufgenommene Kapitel 13 „Mikrobielle Prozesse“. Ein typisches Beispiel dafür ist die Produktion von Milchsäure aus dem Abfallsubtrat Molke. Durch einen mikrobiellen Prozess wird aus einem Abwasser ein Wertstoff. Die Frage der Wirtschaftlichkeit wird von den Kosten für die Produktaufarbeitung bestimmt. Deren Integration in den Bioprozess muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Selbst bei der mikrobiellen Abwasserreinigung (Kap. 13.9) bestimmt die mögliche Verwertung einzelner Produkte das zu wählende Verfahren (z. B. Biogas, Dünger oder Weiterverwendung des gereinigten Wassers). Das Buch schließt mit einem neu aufgenommenen Kapitel 14 „Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik“. Darunter wird die quantitative Systembeschreibung durch Daten-getriebene Modellierung der metabolischen und regulatorischen Vorgänge in den Zellen verstanden. Ich bedanke mich bei allen Autoren, die durch sorgfältige Überarbeitung oder Neuschreiben ihrer Kapitel zur Aktualität dieses Lehrbuches
VI
beigetragen haben. Ich danke Prof. Dr. Jürgen Hubbuch für seine wertvollen Anregungen zum Thema „Wässrige Zweiphasenextraktion“. Danken möchte ich auch Frau Yilei Fu für das Zeichnen zahlreicher Abbildungen. Mein ganz besonderer Dank gilt Frau Sabine Bartels vom Spektrum-Verlag für Ihren unermüdlichen Ein-
Vorwort zur 3. Aufl flage „Bioprozesstechnik“
satz. Last but not least danke ich meiner Frau für die Assistenz bei allen Aufgaben des Autors und Herausgebers.
Horst Chmiel, München Februar 2011
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . XI
1 1.1 1.2 1.3
Einführung in die Zellbiologie . . . . . .1 Lutz Fischer, Horst Chmiel Die Zelle als kleinste lebende Einheit . . . . 1 Verschiedene Zelltypen, Viren und Phagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Fortpflanzung und Evolution . . . . . . . . . . 16
2
Einführung in die Biochemie . . . . . .23
2.1 2.2 2.3 2.4
Karl-Heinz Klempnauer, Lutz Fischer, Manfred Karl Otto Bausteine der Zelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Stoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Regulation zellulärer Vorgänge . . . . . . . . 49 Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
4.2
Grundlegende Bioprozessmodelle: Bilanzen und Kinetik . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.3 Das Monod-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.4 Lösung des Prozessmodells für den Satzbetrieb (batch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb . . . . . . . . . . . . . 114 4.6 Lösung des Prozessmodells für Zulaufverfahren (fed-batch ( ) . . . . . . . . . . 129 4.7 Verfahren mit Zellrückhaltung . . . . . . . 131 4.8 Erweiterungen und Modifikationen des Monod-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.9 Methoden der Medienentwicklung . . . . 142 4.10 Populationsdynamik in Konkurrenzsituationen . . . . . . . . . . . . . . 145 4.11 Umsatz in autokatalytischen Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
5 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9
4
4.1
Enzymkinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . .67 Andreas Liese, Lutz Hilterhaus, Michael Howaldt, Horst Chmiel Aktivität und Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . 68 Reaktionsmechanismen enzymatischer Ein-Substrat-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . 69 Einfluss der Umgebungsbedingungen . . . 73 Bestimmung der kinetischen Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Lineare und nicht-lineare Regression . . . 81 Effektorkinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Reversible Enzymreaktionen . . . . . . . . . . 89 Allosterie und Kooperativität . . . . . . . . . 91 Enzymreaktionen mit zwei Substraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8
6
Wachstum: Kinetik und Prozessführung. . . . . . . . . . . . . . . . .99
6.1 6.2
Bernhard Sonnleitner, Horst Chmiel Ideale Prozesse zur Messung der Kinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
6.3 6.4
Rheologie von Biosuspensionen . .151 Horst Chmiel, Eckehard Walitza Die parallele Schichtenströmung . . . . . . 151 Viskosimeterströmungen inkompressibler visko-elastischer Flüssigkeiten . . . 153 Mathematische Modellierung der stationär ermittelten Fließkurve. . . . . . . 158 Repräsentative Viskosität . . . . . . . . . . . . 159 Das Rührer-Rheometer . . . . . . . . . . . . . . 161 Die instationäre Scherströmung viskoelastischer Fluide . . . . . . . . . . . . . . . 162 Dehnströmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Das Fließverhalten von Fermentationsbrühen . . . . . . . . . . . . . . . 167
Transportvorgänge in Biosuspensionen. . . . . . . . . . . . . . .175 Horst Chmiel, Eckehard Walitza Maßstabsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . 175 Leistungseintrag beim Rühren von Flüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Stofftransport in Biosuspensionen. . . . . 183 Wärmeübergang im Bioreaktor . . . . . . . 191
VIII
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9
Inhalt
Bioreaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . .197 Horst Chmiel Definition eines Bioreaktors . . . . . . . . . . 197 Mischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Reaktortypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Hochdurchsatzverfahren für die Bioprozessentwicklung . . . . . . . . . . . . . . 227 Schaumprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Sterilisation und Sterildesign . . . .237 Jörg Hinrichs, Heinrich Buck, Gerhard Hauser Thermische Stabilität von Mikroorganismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Kinetik der thermisch induzierten Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Vergleich und Optimierung des Behandlungseffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Sicherheitsniveau für Sterilisationsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Kontinuierliche Verfahren zur thermischen Mediumsterilisation . . . . . 244 Sterilfiltration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Funktion von Dampfsterilisatoren (Autoklaven) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Sterilisierbare Bioreaktoren . . . . . . . . . . 246 Sterildesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
11
11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7
12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7
9
9.1 9.2 9.3 9.4
Bioprozessanalytik und -steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .263 Bernd Hitzmann, Thomas Scheper Charakteristische Parameter des Bioprozessmonitorings . . . . . . . . . . . . . . 263 Messtechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Softwaresensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Automatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5
10
10.1 10.2 10.3 10.4
Aufarbeitung (Downstream Processing) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .295 Horst Chmiel Zellernte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Zellaufschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Entwicklung von DownstreamProzessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
13.6 13.7 13.8 13.9 13.10
Kultivierung von Säugetierzellen . . . . . . . . . . . . . . .373 Michael Howaldt, Franz Walz, Ralph Kempken Eigenschaften von Tierzellen . . . . . . . . 373 Zellcharakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . 381 Die Umgebung von Zellen in Kultur . . 388 Zellkultivierungsmethoden . . . . . . . . . . 392 Prozessführung bei Säugerzellkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Prozessentwicklung und Scale-up . . . . 401 Großtechnische biopharmazeutische Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
Enzymatische Prozesse . . . . . . . . .427 Sebastian Briechle, Michael Howaldt, Thomas Röthig, Andreas Liese Mathematische Beschreibung idealer Reaktortypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 Technischer Einsatz von freien und immobilisierten Enzymen . . . . . . . . . . 439 Prozessvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Stofftransportlimitierung bei trägerimmobilisierten Enzymen . . . . . . 442 Enzym-Membranreaktoren . . . . . . . . . . 447 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Prozessbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
Mikrobielle Prozesse . . . . . . . . . . .477 Christoph Syldatk, Horst Chmiel Mikrobielle Stoffproduktion . . . . . . . . . 477 Produktion rekombinanter Proteine . . 481 Mikrobielle Aminosäureproduktion . . 482 Mikrobielle Produktion von Biotensiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Biokatalytische Epoxidierung von Styrol zu enantiomerenreinem (S -) Styroloxid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 Biotechnische Herstellung organischer Säuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Mikrobielle Produktion von Aromastoffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Bioethanolproduktion . . . . . . . . . . . . . . 495 Biotechnische Herstellung von Biomasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 Mikrobielle Abwasserreinigung unter Einsatz von Membranen . . . . . . . . . . . . 498
Inhalt
14
Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik . . . . . . . . . . .507
Ralf Takors 14.1 Einführung in die Systembiologie . . . . . 507 14.2 Aufgaben der Systembiologie für die Bioprozessentwicklung . . . . . . . . . . . . . . 510 14.3 Stöchiometrische Stoffflussanalysen (metabolic flux analysiss, MFA) . . . . . . . 511 14.4 Stoffflussanalysen auf der Basis von Markierungsinformation . . . . . . . . . . . . . 513
IX
14.5 Metabolische Kontrollanalyse (metabolic control analysiss, MCA) . . . . 516 14.6 Signaltransduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
Symbolverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . .527 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .531
Verzeichnis der Autoren
Verzeichnis der Kapitelautoren Dipl.-Ing. Sebastian Briechle Chemical Engineering Industrial Biotechnology BASF SE, GCP/PH-A015 67056 Ludwigshafen Dipl.- Ing. Heinrich Buck Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG Birkendorfer Straße 65 88397 Biberach
Prof. Dr.-Ing. habil. Horst Chmiel audita Unternehmensberatung GmbH Haslangstr. 28 80689 München Prof. Dr. rer. nat. Lutz Fischer Universität Hohenheim Institut für Lebensmittelwissenschaft ft und Biotechnologie Garbenstrasse 25 70599 Stuttgart Dr.-Ing. Gerhard Hauser Goethestrasse 43 85386 Eching Dr. rer. nat. Lutz Hilterhaus Technische Universität Hamburg-Harburg Institut für Technische Biokatalyse Denickestraße 15 21073 Hamburg
Prof. Dr.-Ing. habil. Jörg Hinrichs Universität Hohenheim Lehrstuhl für Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie Garbenstrasse 21 70599 Stuttgart
Prof. Dr. rer. nat. Bernd Hitzmann Leibniz Universität Hannover Institut für Technische Chemie Callinstrasse 5 30167 Hannover Dr.-Ing. Michael Howaldt Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG Birkendorfer Straße 65 88397 Biberach Dr. Ralph Kempken Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG Birkendorfer Straße 65 88397 Biberach
Prof. Dr. Karl-Heinz Klempnauer Westfälische Wilhelms-Universität Institut für Biochemie Wilhelm-Klemm-Straße 2 48149 Münster Prof. Dr. Andreas Liese Technische Universität Hamburg-Harburg Institut für Technische Biokatalyse Denickestraße 15 21073 Hamburg Dr. Manfred Karl Otto Biegenmühle 4 72119 Ammerbuch Dr.-Ing. Thomas Röthig Schützenstr. 17 58332 Schwelm
XII
Verzeichnis der Autoren
Prof. Dr. rer. nat. Th Thomas Scheper Leibniz Universität Hannover Institut für Technische Chemie Callinstrasse 5 30167 Hannover
Prof. Dr.-Ing. Ralf Takors Technische Universität Stuttgart Institut für Bioverfahrenstechnik Allmandring 31 70569 Stuttgart
Prof. Dr. Dipl.-Ing. Bernhard Sonnleitner Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ft zhaw Institut für Chemie und Biologische Chemie icbc Campus Reidbach, Einsiedlerstrasse 29 CH 8820 Waedenswil
Dr.-Ing. Eckehard Walitza Ludwigstraße 32 73430 Aalen
Prof. Dr. Christoph Syldatk Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik Bereich II: Technische Biologie Kaiserstrasse 12 76131 Karlsruhe
Dr. Franz Walz B oehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG Birkendorfer Straße 65 88397 Biberach
Verzeichnis der Beitragsautoren 13.5 Dr.-Ing. Christoph Brandenbusch Technische Universität Dortmund Lehrstuhl für Thermodynamik Th Emil-Figge-Straße 70 44227 Dortmund
10.3.1.9 Prof. Dr. Ruth Freitag Universität Bayreuth Lehrstuhl für Bioprozesstechnik Universitätsstraße 30 95440 Bayreuth
13.10 Prof. Dr. Dieter Bryniok n und Fraunhofer-Institut für Grenzfläche fl Bioverfahrenstechnik Nobelstrasse 12 70569 Stuttgart
10.3.6.11 Dr. Jürgen Friedle Atoll GmbH Ettishofer Straße 10 88250 Weingarten
7.4 Prof. Dr.-Ing. Jochen Büchs RWTH Aachen AVT - Aachener Verfahrenstechnik Biochemical Engineering Worringerweg 1 52074 Aachen 13.5 Dr. Bruno Bühler Technische Universität Dortmund Lehrstuhl für Biotechnik Emil-Figge-Straße 66 44227 Dortmund
7.3.8 Prof. Dr. Martijn van Griensven Ludwig Boltzmann Institut für experimentelle und klinische Traumatologie Donaueschingenstraße 13 A-1200 Wien 7.3.1.5 Dr.-Ing. Rudolf Hausmann Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik Technische Biologie Engler-Bunte-Ring 1 Geb. 40.19 76131 Karlsruhe
XIII
Verzeichnis der Autoren
7.4 Dr.-Ing. Ralf Hortsch Corporate Research and Development Süd-Chemie AG Staffe ff lseestraße 6 81477 München
13.5 Prof. Dr. Andreas S chmid Technische Universität Dortmund Lehrstuhl für Biotechnik Emil-Figge-Straße 66 44227 Dortmund
7.3.8 PD Dr. Cornelia Kasper Leibniz Universität Hannover Institut für Technische Chemie Callinstraße 5 30167 Hannover
13.6.3 PD. Dr. Jens Schrader DECHEMA e.V. Karl-Winnacker-Institut Biochemical Engineering Theodor-Heuss-Allee 25 Th 60486 Frankfurt am Main
13.6.3 Dr. Marco Antonio Mirata DECHEMA e.V. Karl-Winnacker-Institut Biochemical Engineering Theodor-Heuss-Allee 25 Th 60486 Frankfurt am Main 7.3.6 Prof. Dr.-Ing. Clemens Posten Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik Bereich III: Bioverfahrenstechnik Fritz-Haber-Weg 2, Geb. 30.44 76131 Karlsruhe 13.5 Prof. Dr. Gabriele Sadowski Technische Universität Dortmund Lehrstuhl für Thermodynamik Th Emil-Figge-Straße 70 44227 Dortmund 10.4 Prof. Dr.-Ing. Gerhard Schembecker Technische Universität Dortmund Lehrstuhl für Anlagen- und Prozesstechnik Emil-Figge-Straße 70 44227 Dortmund
10.3.6.11 Dipl.-Ing. Tim S chroeder Atoll GmbH Ettishofer Straße 10 88250 Weingarten 10.4 Dipl.-Ing. Stefanie Schuldt Technische Universität Dortmund Lehrstuhl für Anlagen- und Prozesstechnik Emil-Figge-Straße 70 44227 Dortmund 7.4 Prof. Dr.-Ing. Dirk Weuster-Botz Technische Universität München Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik Boltzmannstraße 15 85748 Garching 10.4 Dr.-Ing. Torsten Winkelnkemper Winkelnkemper GmbH Krummer Weg 31 59329 Wadersloh
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Einführung in die Zellbiologie*
Alle Lebewesen auf unserer Erde haben ungeachtet ihrer immensen Vielfalt von Zigmillionen verschiedener Arten grundlegende strukturelle Gemeinsamkeiten. So ist die kleinste selbst organisierte Einheit, aus der ein komplexes Lebewesen wie der Mensch, eine Kuh oder ein Baum aufgebaut ist oder aus dem die einfachsten Lebewesen wie die Mikroorganismen bestehen, die Zelle. In jeder Zelle laufen chemische Reaktionen ab, die Materie aus der Umgebung aufnehmen und die diese „Rohstoffe“ zur Selbsterhaltung und Vermehrung nutzen. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist die einzelne Zelle eine (bio-)chemische Fabrik, die den Prinzipien der Thermodynamik sowie allen anderen naturwissenschaftlichen Grundgesetzen unterliegt. Wenn wir uns daher die enorme stoffliche und energetische Leistungsfähigkeit von Zellen zur Herstellung von Produkten oder dem Abbau von Abfallstoffen zunutze machen wollen – und dies ist das Ziel der Bioprozesstechnik – dann müssen wir die grundlegenden molekularen Abläufe in einer Zelle verstehen. Dominiert werden diese Abläufe durch das Zusammenspiel von in jeder Zelle vorkommenden Biopolymeren: der DNA (engl. desoxyribonucleic acid), der RNA (engl. ribonucleic acid) und den Proteinen. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem molekularen Aufbau, der Organisation, dem Informationsfluss in der Zelle und der Zellvermehrung.
1.1 Die Zelle als kleinste lebende Einheit Naturwissenschaftlich betrachtet ist „Leben“ durch definierte Mindesteigenschaften charakterisiert. Diese sind ein eigener Stoffwechsel (Metabolismus), die Fähigkeiten zur Vermehrung H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
(Replikation) und die Möglichkeit der Anpassung an die Umwelt durch Veränderung der individuellen Erbanlagen (Mutation). Dabei spielt sich alles auf der Ebene der Moleküle ab. „Leben“ ist folglich an eine Abgrenzung (Kompartimentierung) von der Umgebung gebunden, da nur dadurch die für das Leben notwendige molekulare Ordnung aufrechterhalten werden kann. Die kleinste Einheit, die in der Lage ist, die molekulare Ordnung für Metabolismus, Replikation und Mutation zu gewährleisten, ist die Zelle. Sie stellt energetisch ein „offenes System“ dar, das in einem ständigen Stoff- und Energieaustausch mit seiner Umgebung steht (Abb. 1.1). Die Aufgabe der selektiven Kompartimentierung von Molekülen wird bei jeder Zelle von einer flexiblen Membran – der Plasmamembran – mit einer 6–10 nm dicken LipiddoppelschichtStruktur übernommen, die zu einem großen Teil aus amphipatischen Phospholipiden besteht. Die Fähigkeit einer Zelle, den ständigen Stoff- und Energieaustausch mit der Umgebung durch die Regulation der molekularen Vorgänge in einem inneren Fließgleichgewicht zu halten, wird als Homöostase bezeichnet. Die meisten Lebewesen sind Einzeller und werden aufgrund ihrer Abmessungen in der Größenordnung von ca. 1–10 μm als Mikroorganismen bezeichnet. Höhere Lebewesen des Tierund Pflanzenreichs sind hingegen grundsätzlich vielzellig und bestehen aus verschiedenen Zellgruppen, die auf bestimmte Funktionen spezialisiert sind und oft unterschiedlich aussehen. Die Erbsubstanz der unterschiedlichen Zellgruppen eines Organismus ist jedoch identisch. Die Zelldifferenzierungg der höheren Lebewesen vollzieht sich während ihres Wachstums über ein komplexes molekulares Kommunikationssystem zwischen den Zellen und beruht letztlich auf dem * Autoren: Lutz Fischer, Horst Chmiel
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1 Einführung in die Zellbiologie
Abb. 1.1 Stark vereinfachte, schematische Darstellung des „offenen Systems“ Zelle
dauerhaften An- bzw. Abschalten funktioneller Teilbereiche der Erbsubstanz, also dem gezielten Ablesen bzw. Blockieren von Genen. Die genauen molekularen Zusammenhänge, die zur Zelldifferenzierung eines Organismus führen, sind Thema der Entwicklungsbiologie. Es sei an dieser Stelle bereits erwähnt, dass nicht nur Mikroorganismen zur Stoffproduktion in einem Bioreaktor kultiviert werden können, sondern auch speziell präparierte Zellen von Pflanzen oder Tieren. Man spricht dann von Zellkulturen bzw. Zellkulturtechnik. Trotz der enormen Unterschiede in Form, Größe und Komplexität folgen alle Zellen von Lebewesen den gleichen molekularen Grundprinzipien und bestehen aus den gleichen Grundbausteinen. Dies wollen wir im Folgenden näher betrachten.
1.1.1 Erbinformation wird in Desoxyribonucleinsäure (DNA) gespeichert Die Desoxyribonucleinsäure (DNA) ist ein helikales, doppelsträngiges Biopolymer und bildet die Erbsubstanz – das Genom – eines Organismus (Abb. 1.2). Die Monomereinheit der DNA heißt
Desoxyribonucleotid und besteht aus zwei Teilen: einem Zucker (Desoxyribose) mit gebundener Phosphatgruppe und einer Base, die entweder eine Purinbase, Adenin (A), Guanin (G), oder eine Pyrimidinbase, Cytosin (C), Thymin (T), sein kann. Die Desoxyribonucleotide der DNA sind über ihre Zuckerphosphatgruppen (Phosphodiesterbindungen) kovalent zu linearen Polydesoxyribonucleotidsträngen kondensiert. Die beiden Polydesoxyribonucleotidstränge der DNA lagern sich komplementär über spezifische Wasserstoffbrückenbindungen ihrer einzelnen Basen aneinander. Dabei bildet A mit T zwei und C mit G drei spezifische Wasserstoffbrückenbindungen aus. Obwohl diese Bindungen einzeln betrachtet relativ schwach und labil sind, ergibt sich durch die Gesamtsumme aller Bindungen zwischen zwei komplementären DNA-Strängen eine genügend hohe Stabilität. Bei dem kleinsten heute bekannten Genom eines Lebewesens, dem parasitären Bakterium Mycoplasma genitalium, beträgt die Anzahl der Basenpaare (engl. base pairs; bp) in seinem DNA-Doppelstrang beispielsweise 580 070 bp. Dementsprechend ergeben sich theoretisch je nach Gehalt an A/T bzw. C/G in der DNA zwischen mindestens 1 160 140 (bei 100 % A/T) und höchstens 1 740 210 (bei 100 % C/G) Wasserstoffbrückenbindungen.
1.1 Die Zelle als kleinste lebende Einheit
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Abb. 1.2 (a) Die Desoxyribonucleinsäure (DNA) als Doppelhelix, (b) ihre monomeren Bausteine, die Desoxyribonucleotide Adenosinphosphat [A], Guanosinphosphat [G], Cytidinphosphat [C] und Thymidinphosphat [T] und (c) die Komplementarität der Basenpaare (schematisch)
Die Informationen zum Bauplan, Stoffwechsel und der Vermehrung von Zellen sind bei allen Lebewesen einheitlich aus den vier verschiedenen „chemischen Buchstaben“ der Basen A, T, C und G der DNA geschrieben. Diese vier „chemischen Buchstaben“ werden wiederum von allen Lebewesen bei der Proteinbiosynthese in einen „Drei-Buchstaben-Code“ (Triplett) verschlüsselt. Es ergeben sich 43 = 64 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten für ein Triplett an Nucleotiden, das als Codon bezeichnet wird. Die meisten Codons codieren bei einer späteren Proteinbiosynthese für eine bestimmte Aminosäure des zu bauenden Proteins, das chemisch ein großes Polypeptid aus meist mehr als 100 Aminosäure-Einheiten darstellt. Dabei ist zu beachten, dass es für einige Aminosäuren mehrere Codons gibt, für andere hingegen nur eins. Beispielsweise codieren für die Aminosäure Serin (Ser) die vier DNA-Codons AGT, AGA, AGG und AGC, für Tryptophan indessen nur
ein einziges Codon ACC. Ein besonderes Codon ist das Startcodon (Initiationscodon; ATG). Es zeigt den Beginn eines Gens, das für ein Protein codiert, an. Drei andere Codons b estimmen das Ende eines Gens (Terminationscodons; TAA, TAG, TGA). Auf diese Weise ist die DNA in viele funktionelle Informationseinheiten, die man als Gene bezeichnet, gegliedert. Gene sind definierte Abschnitte auf der DNA. Sie codieren für eine einzelne Polypeptidkette, wenn die Gensequenz für die Proteinbiosynthese bestimmt ist. Einige Gene codieren hingegen für spezielle Ribonucleinsäuren (RNA) oder für die Regulation von anderen Genen. Wenn ein Gen für eine Polypeptidkette oder eine RNA codiert, nennt man es Strukturgen. Bei der Zellteilung – der Vermehrung (Replikation) von Zellen – ist der erwähnte komplementäre Aufbau der DNA von entscheidender B edeutung. Der Doppelstrang der Polydesoxyribonucleotidketten wird von Enzymen (Prote-
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1 Einführung in die Zellbiologie
Abb. 1.3 Enzymatische Replikation von DNA (vereinfachte Version, schematisch). Weitere wichtige Enzyme sind in dem Schema nicht berücksichtigt (Details siehe Voet und Voet 2002)
Abb. 1.4 (a) Das Ribonucleotid Uridinphosphat mit Uracil (U) als Base und Ribose als Zuckerbaustein der RNA. (b) Die Komplementarität von RNA zur DNA bei der RNA-Synthese (schematisch)
in; s. u.) aufgebrochen, und beide Einzelstränge dienen anderen Enzymen als Matrize für die Synthese eines neuen komplementären Polydesoxyribonucleotidstrangs, der mit dem „alten“ Strang identisch ist (Abb. 1.3). Auf diese Weise ist die DNA einer fiktiven Mutterzelle verdoppelt (repliziert) und kann auf die beiden neu entstehenden Tochterzellen verteilt werden. Die Weitergabe aller Erbinformationen an die Nachkommen ist gesichert. Die Möglichkeiten und Folgen von Kopierfehlern bei diesem Vorgang werden unter Abschnitt 1.3.3 behandelt.
Organismen unserer Erde vor und sind jeweil s aus den gleichen Bausteinen aufgebaut. Polysaccharide und Lipide sind weitere Makromoleküle in der Zelle, die durch den Stoffwechsel entstehen; für die folgenden Betrachtungen sind sie jedoch nicht maßgeblich. Auf die Bedeutung der Lipide als Hauptb estandteil einer notwendigen Plasmamembran ist b ereits hingewiesen worden. Die RNA ist wie die DNA aus kondensierten Nucleotiden zusammengesetzt. Es gibt jedoch einige entscheidende Unterschiede (Abb. 1.4). Das Zucker-Phosphat-Gerüst der RNA enthält Ribose anstelle von Desoxyribose, statt der Pyrimidinbase Thymin (T) wie in der DNA ist immer die Pyrimidinbase Uracil (U) eingebaut, und die RNA liegt nicht in komplementären Doppelsträngen, sondern als individueller Einzelstrang vor, der viel kürzer als ein kompletter DNA-Einzelstrang ist. Im Gegensatz zur DNA unterliegt die RNA einem ständigen Auf- und Abbau in der Zelle. Die wichtigsten Aufgaben der RNA werden unter Abschnitt 1.1.3 erläutert. Die Proteine sind die eigentlichen „Macher“ einer Zelle. Sie übernehmen die für das Leb en
1.1.2 Die makromolekulare Mindestausstattung einer Zelle Neben der DNA mit den Erbinformationen, den Genen, benötigt eine lebende Zelle weitere Biopolymere: die Ribonucleinsäuren (RNA) und die Proteine. Erst durch das Zusammenspiel dieser drei Polymerklassen kann „Leben“ stattfinden. Genau wie bei der DNA kommen RNA und Proteine ubiquitär in den Zellen aller
1.1 Die Zelle als kleinste lebende Einheit
einer Zelle so bedeutenden Funktionen wie beispielsweise die Katalyse von chemischen Reaktionen (Enzyme), den selektiven Transport von Molekülen durch die Membranen (Transportproteine), die Fortbewegung (kontraktile Proteine), die Signalweitergabe zur Zellkommunikation (Rezeptorproteine) oder die Formgebung (Strukturproteine). Proteine sind allgemein aus 20 unterschiedlichen, monomeren Bausteinen, den Aminosäuren, aufgebaut (Kapitel 2). Die Aminosäuren sind untereinander über eine Amidbindung (Peptidbindung) kovalent verknüpft und geben einem Protein aufgrund ihrer chemischen sowie sterischen Eigenschaften eine individuelle dreidimensionale Struktur und eine spezifische biologische Funktion. Eine herausragende Stellung innerhalb der Proteine nehmen die biokatalytisch aktiven Enzyme ein. Sie ermöglichen den gesamten Stoffwechsel einer Zelle (Metabolismus), der aus abbauenden, oftmals Energie freisetzenden Stoffwechselwegen und -reaktionen (Katabolismus) und aus aufbauenden, syntheseorientierten Stoffwechselwegen und -reaktionen (Anabolismus) besteht. So werden ebenso die Replikation von DNA bei der Zellteilung sowie die ständig notwendigen RNA- und Proteinsynthesen einer Zelle – bis auf eine Ausnahme (Ribosom, s. u.) – durch selektive Kondensationsreaktionen von speziellen Enzymen realisiert.
1.1.3 Der Informationsfluss in der Zelle (Proteinbiosynthese) Der vielseitige Einsatz der Bioprozesstechnik zur Herstellung von Produkten wie – um nur einige exemplarisch aufzuführen – technische Enzyme für die Waschmittel-, Pharma- oder Lebensmittelindustrie, Pharmaproteine (Faktor VIII u. a.), Insulin, Interferone, Antikörper oder Stoffwechselprodukte wie Ethanol, Citronensäure, Xanthan, Antibiotika u. v. m. ist immer, direkt oder indirekt, abhängig von einem effektiven und optimalen Ablauf der Proteinbiosynthese in den kultivierten Zellen. Die dabei zellulär erzeugten Enzyme katalysieren aus einfachen Nährstoffen, wie beispielsweise Glucose und Ammoniumsalz, komplexe Wertstoffe unseres Alltags. Es ist daher
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eminent wichtig, die für alle Zellen gültigen, grundlegenden Zusammenhänge der Proteinbiosynthese zu verstehen. Die DNA stellt sinnbildlich eine Art stabile, organismusspezifische molekulare „Gebrauchsanweisung“ für die Form, Struktur und Lebensaktivitäten einer Zelle dar. Ihre funktionellen Informationseinheiten – die Gene – müssen aber zuerst in RNA abgeschrieben (transkribiert) bzw. in Proteine übersetzt (translatiert) werden, bevor sie der Zelle aktiv nutzen. Diese Vorgänge sind stark energieabhängig, und deshalb werden durch molekulare Regulationsmechanismen nur Gene transkribiert, die für die aktuelle Umgebungssituation für die Zelle vorteilhaf t sind. Stark vereinfacht und zusammenfassend ausgedrückt sind die genetischen Informationen auf der DNA in Gene unterteilt, die in einem ersten Schritt durch enzymatische Aktivitäten in komplementäre RNA-Fragmente transkribiert werden (Abb. 1.5). Für die Informationsweitergabe zur Synthese eines Proteins nach Bauplan eines Strukturgens ist die mRNA zuständig. Sie wird in einem komplexen Translationsvorgang, an dem tRNA, rRNA und Proteine b eteiligt sind, als Matrize zur Proteinbiosynthese verwendet. Für jedes Protein existiert somit eine eigene mRNA, die mehrmals als Matrize benutzt werden kann, bis sie enzymatisch wieder abgebaut wird. Die Transkription eines Gens in RNA erfolgt durch das gleiche Prinzip der Basenkomplementarität wie bei der Replikation (s. o.). Nur ist hier ein anderes Enzym (RNA-Polymerase) beteiligt, welches anstelle der Desoxyribonucleotide die Ribonucleotide komplementär anordnet und über Phosphodiesterbindungen kondensiert. Da bei der RNA die Base Thymin (T) durch die Base Uracil (U) ersetzt ist, entstünde folglich aus einem Genfragment mit der Sequenz ATGCCATGGTCAACA die komplementäre RNA mit der Sequenz UACGGUACCAGUUGU. Die RNA nimmt je nach Sequenz – also der genauen Reihenfolge ihrer Ribonucleotidmonomere – verschiedene Aufgaben in der Zelle wahr (Abb. 1.5). Sie ist oftmals für die Übertragung der genetischen Informationen von der DNA an die Orte der Biosynthese, dies sind die Ribosomen (s. u.), verantwortlich. Diese RNA wird aufgrund ihrer „Kuriertätigkeit“ als Boten-RNA bezeichnet (engl. messenger RNA; mRNA).
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1 Einführung in die Zellbiologie
Abb. 1.5 Schematischer Informationsfluss in der Zelle (Details siehe Text)
Des Weiteren ist RNA entscheidend bei der Translation des genetischen Codes in die dazugehörige Proteinsequenz am Ribosom beteiligt. Die hierfür zuständige RNA heißt allgemein Transfer-RNA (tRNA), besitzt an exponierter Stelle im Molekül mit einer typischen Kleeblattstruktur je eine spezifische Codon-Erkennungsstelle (AntiCodon) und ist mit der dazugehörigen Aminosäure beladen (Abb. 1.6). So wird beispielsweise die für die Aminosäure Threonin verantwortliche tRNA als tRNA AThr bezeichnet und ist mit dem Anti-Codon UGG, das zu dem Codon ACC der mRNA komplementär ist, ausgestattet. Eine weitere Aufgabe übernimmt RNA in der Zelle durch die Beteiligung an der Bildung von sehr großen dimeren RNA-Protein-Komplexen, die die Orte der Proteinbiosynthese sind und als Ribosomen bezeichnet werden. Dementsprechend wird diejenige RNA, die aufgrund ihrer Sequenz für ein Ribosom bestimmt ist, ribosomale RNA genannt (engl. ribosomal RNA; rRNA). Im Jahr 1982 entdeckte man auch katalytisch aktive RNA-Moleküle, sogenannte Ribozyme, die einfache, aber wichtige Spaltungs- und Ligationsreaktionen an RNA- und DNA-Molekülen durchführen. Eine rRNA katalysiert – wahrscheinlich als rudimentärer Teil einer „RNA-Welt“ der frü-
Abb. 1.6 Schematische Struktur der tRNA am Beispiel der tRNA AThr und komplementäre Bindung an das Codon der mRNA (Vorgang am Ribosom)
hen Erdgeschichte – sogar die Peptidbindungen bei der Proteinbiosynthese am Ribosom. Proteinkatalysatoren, die Enzyme, besitzen somit kein Monopol bei der Biokatalyse, sind aber aufgrund ihres wesentlich komplexeren (bio-)chemischen Aufbaus aus 20 unterschiedlichen Aminosäuren viel besser für die vielseitigen Aufgaben im Stoffwechsel geeignet.
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1.2 Verschiedene Zelltypen, Viren und Phagen
1.2 Verschiedene Zelltypen, Viren und Phagen In dem vorangegangenen Abschnitt haben wir uns mit den für alle lebenden Zellen geltenden Grundprinzipien beschäftigt. Jetzt soll auf die wichtigsten Besonderheiten der heute existierenden Zelltypen eingegangen werden, die prokar yotische und die eukaryotische Zelle. Neben diesen selbst organisierten, lebensfähigen Zellen, die zur Homöostase befähigt sind, gibt es noch andere DNA oder RNA enthaltende Vesikel in der Natur: Viren und Phagen. Sie können sich nicht selbstständig vermehren, besitzen auch keinen Stoffwechsel und sind durch eine Proteinhülle und manchmal eine zusätzliche Membran geschützt. Sie werden folglich wissenschaftlich nicht als Lebewesen betrachtet. Dennoch sind Viren und Phagen manchmal hilfreiche Werkzeuge in der Gentechnik. Durch ihre Fähigkeit, DNA oder RNA in Organismen einzuschleusen, den Organismus zu „infizieren“, zwingen sie den „Wirtsorganismus“ seine Stoffwechselleistung nach dem Fahrplan des Viren- bzw. Phagen-Erbguts umzustellen. Dieses Viren-/Phagen-Prinzip lässt sich gentechnisch gezielt zum Einschleusen von gewünschten
Genen in einen Wirtsorganismus nutzen. Auf der anderen Seite muss man die Viren-/PhagenThematik ebenfalls kennen, wenn man sich mit der Kultivierung von Zellen beschäf tigt, da eine Infektion von Zellen in einem Bioprozess unter allen Umständen vermieden werden muss.
1.2.1 Prokaryoten Die prokaryotische Zelle (Prokaryot) stellt die ursprünglichste Form der heutzutage lebenden Organismen dar. Zu den Prokaryoten gehören alle Bakterien, die in zwei große Gruppen, die Bacteriaa (frühere Bezeichnung Eubacteria) und die Archaeaa (oder Archaebacteria), unterteilt werden (Abb. 1.7). Sie leben meist als unabhängige Einzelzellen. Prokaryoten sind im Vergleich zu Eukaryoten wesentlich einfacher aufgebaut. Die große ringförmige DNA der Prokaryoten – das Bakteriengenom – liegt frei im Cytoplasma der Zelle, die wenig kompartimentiert ist und keine distinkten membranumschlossenen Zellorganellen b esitzt (Abb. 1.8). Neb en dem Bakteriengenom besitzen viele Bakterien ein oder mehrere Plasmide, das sind sehr kleine ringförmige DNA-Moleküle, die
Abb. 1.7 Einteilung der Prokaryoten nach phylogenetischen Kriterien (Sequenzvergleich der 16S-rRNA; modifiziert nach Madigan und Martinko 2006)
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sich unabhängig vom Genom vermehren und zwischen den Bakterien übertragen werden können (bei der Konjugation). Sie tragen nur wenige Gene, beispielsweise für Fertilitätsfaktoren (FFaktoren) oder Resistenzfaktoren (R-Faktoren) und sind für die prinzipielle Lebensfähigkeit des Prokaryoten entbehrlich. In der Gentechnik spielen Plasmide als Transportvehikel für rekombinante DNA eine wichtige Rolle. Die chemische Energiegewinnung in Form der Biosynthese von Adenosintriphosphat (ATP), das eine in allen Lebewesen vorkommende universelle „Energiewährung“ darstellt, findet an der Zellmembran (Cytoplasmamembran) statt. Die Zellmembran besteht aus einer bimolekularen Schicht von amphipatischen Phospholipiden, deren hydrophobe Molekülteile nach innen und hydrophile (polare) Molekülteile nach außen gerichtet sind. In die Lipiddoppelschicht sind Proteine integriert, die für den selektiven Transport von Substanzen in und aus der Zelle verantwortlich sind (Transportproteine). Eingeschlossen von der Zellmembran ist das Cytoplasma. Es enthält den gesamten Inhalt einer Zelle, außer den nur bei Eukaryoten vorkommenden Zellkern. Zum Cytoplasma gehören das wässrige Cytosol mit den gelösten Proteinen, RNA, verschiedene Salze und Metabolite (Stoffwechselprodukte), die Ribosomen, Plasmide und die Speicherstoffe einer Zelle.
1 Einführung in die Zellbiologie
Die Ribosomen der Prokaryoten sind vom 70S-Typ und aus zwei unterschiedlich großen Untereinheiten aufgebaut, die zusammen aus 55 Proteinen und rRNA (5S-, 16S- und 23S-rRNA) bestehen. Das S ist eine Svedberg-Einheit und gibt an, mit welcher Sedimentationsgeschwindigkeit ein Teilchen in einer Ultrazentrifuge wandert. Die mRNA wird bei der Biosynthese eines Proteins an der Schnittstelle beider Untereinheiten des Ribosoms gebunden. Jede Zelle von Escherichia coli, ein Gram-negatives Bakterium, enthält beispielsweise ca. 15 000 oder mehr Ribosomen. Die Bakterienzelle ist meist von einer stabilen Zellwand aus Peptidoglykan (Murein) umgeben, das bei den Archaeen und Eukaryoten nicht vorkommt. Man unterscheidet je nach Aufbau der Zellwand, die durch die sogenannte Gram-Färbung – eine seit 1884 von dem dänischen Bakteriologen H. C. J. Gram eingeführte Färbemethode für Bakterien – einfach untersucht werden kann, zwischen Gram-positiven und Gram-negativen Bakterien. Gram-positive Bakterien besitzen eine dickere Zellwand mit mehrschichtigem Mureinnetz. Die Gram-negative Zellwand besteht hingegen aus einem einschichtigen Mureinnetz, das jedoch nochmals von einer zweiten äußeren Membran aus Lipopolysacchariden, Lipoproteinen und Phospholipiden umgeben ist. Diese zweite Membran ist von großen Poren durch-
Abb. 1.8 Schematisches Längsschnittbild einer prokaryotischen Zelle (Bakterienzelle)
1.2 Verschiedene Zelltypen, Viren und Phagen
setzt, die Moleküle von ca. Mr < 6 000 frei passieren lassen. Die Zellwand ist das mechanische Schutzskelett der Bakterien und verhindert das Platzen bei osmotischem Stress. Viele Bakterien bilden unter bestimmten Stressbedingungen hitzetolerante Endosp oren (Überdauerungsformen) aus. Bei einer Endospore ist die Zellwand zusätzlich von einer „Rinde“ aus vernetzten Glykopeptid-Polymeren und einer dicken, stark proteinhaltigen Sporenhülle umgeben. Das „aufkonzentrierte“ Cytoplasma nimmt nur noch ein geringes Gesamtvolumen ein, und es werden keine nennenswerten Stoffwechselaktivitäten festgestellt. Dieser mögliche Zustand einer Bakterienzelle sollte insbesondere bei der Sterilisation von Fermentern, Rohrleitungen, Ventilen, Messsonden etc. besonders beachtet werden. Eine Sonderstellung innerhalb der Prokaryoten nehmen die Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt, ein. Sie sind zur Photosynthese fähig und somit in der Lage, CO2 mithilfe von Lichtenergie und einem Elektronendonator zu reduzieren und organische Verbindungen für das Wachstum aufzubauen. Cyanobakterien verwenden – wie grüne Pflanzen und Algen – Wasser als Elektronendonator, im Gegensatz zu photosynthetisierenden Bakterien, die stärker reduzierende Verbindungen wie H2S benötigen. Unter den Cyanobakterien findet man die genügsamsten Organismen, die zurzeit leben. Da sie CO2 und auch N2 „fixieren“ können, sind sie praktisch in der Lage, von Wasser, Licht und Luft zu leben. Für das Anwendungspotenzial der Gentechnik (engl. genetic engineering) g ist die „direkte“ und im Vergleich zu den Eukaryoten (Abschnitt 1.2.2) einfachere Art und Weise der Genexpression bei Prokaryoten von großem Vorteil. Genexpression bedeutet die Erzeugung eines zu beobachtenden Phänotyps durch ein Gen, also die Realisierung der genetischen Information durch Transkription, Translation und ggf. nachgeschaltete Modifikationen der Proteine. Am ausführlichsten ist die Genexpression bei E. coli untersucht, welches neben anderen Mikroorganismen im menschlichen Darm vorkommt und der erste „klassische“ Modellorganismus der Molekularbiologen war. Bei der Genexpression der Prokaryoten können die RNA- und Proteinbiosynthese gleichzeitig ablaufen, da sich die DNA frei als Doppelstrang im Cytosol befindet und sich die Ribo-
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somen an die an der DNA entstehende mRNA anlagern (Abb. 1.9). Außerdem befinden sich oftmals die Gene eines gesamten Stoffwechselweges unmittelbar hintereinander auf der DNA, und die Genexpression wird von einer gemeinsamen Regeleinheit kontrolliert. Die in solch einem Fall transkribierte mRNA codiert gleich für mehrere Proteine – sie ist polycistronisch –, und am Ribosom werden folglich mehrere Proteine gleichzeitig translatiert. Diese „direkte“, schnelle Genexpression verleiht den Prokaryoten eine enorme Produktivität (Stoffumsatz pro Zeit) und eine schnelle Adaptation an sich verändernde Umgebungsbedingungen. Beides sind wichtige Kriterien für die Bioprozesstechnik. Die Fähigkeit zur Nutzung jeder ökologischen Nische und praktisch jedes organischen Moleküls als Nahrung sowie die verschiedenen Formen der Energiegewinnung haben im Laufe der Evolution eine ungeheure Vielfalt an Prokaryoten hervorgebracht. Eine kleine exemplarische Auswahl von ihnen ist in Tab elle 1.1 dargestellt. Prokaryoten besitzen im Vergleich zu den Eukaryoten eine weit größere biochemische Diversität und Anpassungsfähigkeit. Die Gruppe der Archaeen wurde zuerst als Bewohner extremer Standorte, wie heiße Quellen, Salzseen, Tiefseegeysire oder Kläranlagen entdeckt. Archaeen kommen aber auch in Böden, Seen und dem Wiederkäuermagen vor. Sie werden von den Bacteria aufgrund eines etwas anderen Ribosomen- sowie Zellwandaufbaus, besonderer Stoff wechselwege (u. a. Methanbildung) und besonderer Coenzyme unterschieden.
Abb. 1.9 Genexpression bei einem Prokary oten (schematischer Ausschnitt des Cytosols einer Zelle)
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1 Einführung in die Zellbiologie
Tabelle 1.1 Kleine Auswahl an technisch interessanten Prokaryoten und deren Produkte Bakterienname
Charakteristische Eigenschaften
Technische Nutzung/Produkte
Methanosarcina barkeri
Gram-positiv oder Gram-negativ, Stäbchen, Kokken, obligat anaerob
zweite Stufe der anaeroben Abwasserreinigung: Methan
Acetobacter aceti
Gram-negativ, Stäbchen, begeißelt, säuretolerant, Schleimbildner, aerob
Essigsäure
Lactobacillus spec.
Gram-positiv, Stäbchen, homo- u. heterofermentativ
Milchsäure
Propionibacterium
Gram-positiv, Stäbchen, anaerob
Propionsäure
Clostridium acetobutylicum
Gram-positiv, Stäbchen, sporenbildend, anaerob
Butanol, Aceton, Buttersäure
Zymomonas mobilis
Gram-negativ, Stäbchen, fakultativ anaerob
Ethanol
Pseudomonas aeruginosa
Gram-negativ, Stäbchen, polar begeißelt, aerob
Rhamnolipide
Xanthomonas campestris
Gram-negativ, Stäbchen, polar begeißelt, aerob
Xanthan
Corynebacterium glutamicum
Gram-positiv, Stäbchen, aerob
Aminosäuren
Bacillus amyloliquefacienss
Gram-positiv, Stäbchen
Exoenzyme, Amylase
Streptomyces tendae
Mycelbildner, Lufthyphen mit exogenen Sporen, aerob, Gram-positiv
Nikkomycin
Escherichia colii
Gram-negativ, Stäbchen, fakultativ anaerob
„Arbeitstier“ des Biotechnikers (Genetik), Herstellung gentechnisch gewonnener Produkte (z. B. Insulin)
Die Archaebakterien sind mit hochinteressanten Enzymen ausgestattet, die unter extremen Bedingungen (pH, Ionenstärke, Temperatur) stabil und aktiv sind. Beispielsweise ist dem Archaebakterium Thermus aquaticus der Durchbruch und die enorme Verbreitung der Polymerasekettenreaktion (PCR; engl. polymerase chain reaction) in der Molekularbiologie zuzuschreiben, da es eine hitzestabile DNA-Polymerase (TaqPolymerase) besitzt, die heute von vielen Wissenschaftlern zur in vitro-Vermehrung (Amplifikation) von DNA im Labor eingesetzt wird.
1.2.2 Eukaryoten Im Vergleich zu den prokaryotischen Zellen sind eukaryotische Zellen wesentlich komplexer in ihrem zellulären Aufbau und bei der Genexpression. Viele Eukaryoten bilden vielzellige Organis-
men, die einen von Prokaryoten unerreichbaren Komplexitätsgrad besitzen. Zu den Eukaryoten gehören alle Pilze (inklusive der einzelligen Hefen) sowie alle Organismen des Tier- und Pflanzenreichs (Abb. 1.10). Es gibt gute wissenschaftliche Belege, dass die Ur-Eukaryoten (von griech. eu = richtig; karyon = Kern) bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Evolution aus den Ur-Prokaryoten hervorgegangen sind und einige Ur-Eukaryoten „räuberisch“ lebten (Abschnitt 1.3.3). Die partiell eigenständigen Zellorganellen der heutigen Eukaryoten – die Mitochondrien (Bestandteil aller Eukaryoten) und die Chloroplasten (nur Pflanzenreich) – waren vermutlich einmal aerobe bzw. photosynthetisch aktive Bakterien, die, nachdem sie von einer räuberischen Ur-Eukaryotenzelle eingefangen wurden, eine dauerhafte Endosymbiose mit ihrem Räuber eingegangen sind (Endosymbionten-Hypothese). Eine typische Eukaryotenzelle (Abb. 1.11) ist mit einem mittleren Durchmesser von ca.
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1.2 Verschiedene Zelltypen, Viren und Phagen Tabelle 1.2 Wichtige Unterschiede zwischen Eukaryoten und Prokaryoten Merkmal
Prokaryoten
Eukaryoten
Zellaufbau
einfach
komplex
DNA
kovalent geschlossener DNA-Ring, frei im Cytosol (Plasmide vorhanden)
Chromosomen im membranumschlossenen Zellkern (Plasmide selten)
Zellorganellen
nein
ja
Ort der Energiegewinnung
Cytoplasmamembran
Mitochondrien
Zellwand aus Peptidoglycan
ja (nicht Archaea)
nein
Ribosomen
70S-Typ
80S-Typ
Introns in den meisten Genen
nein
ja
Abb. 1.10 Einteilung der Eukaryoten in einen universellen phylogenetischen Stammbaum (Basis ist ein Sequenzvergleich der rRNA; modifiziert nach Madigan und Martinko 2006)
10–30 μm viel größer als die meisten Prokaryotenzellen (ca. 1–3 μm) und besitzt ein 1 000- bis 10 000-mal größeres Volumen. Dadurch kommt es im Vergleich zur Prokaryotenzelle, die ein wesentlich größeres Oberfläche/Volumen-Verhältnis aufweist, zu einem Nachteil, wenn es um die Stofftransportgeschwindigkeit von Nährstoffen aus der Umgebung bzw. der Abgabe von Stoffwechselprodukten an die Umgebung geht. Dies ist mit ein wesentlicher Grund, weshalb Prokaryoten eine höhere Wachstums- und Stoffwechselgeschwindigkeit als die komplexeren Eukaryoten zeigen. Tabelle 1.2 stellt weitere Unterschiede zwischen beiden Zelltypen dar. Das charakteristische Merkmal der Eukaryotenzelle ist der von einer Kernhülle aus zwei Membranen umgebene Zellkern (Nucleus), der
das Genom enthält (Abb. 1.11). Die beiden Membranen der Kernhülle sind durch einen engen Zwischenraum getrennt, an einigen Öffnungen – den Kernporen – jedoch vereint und mit dem endoplasmatischen Reticulum (ER), einem sp eziellen Membranlabyrinth der Eukaryotenzelle, verbunden. Die DNA bildet im Zellkern zusammen mit speziellen Proteinen, insbesondere basischen Histonen, ein spiralförmiges Grundgerüst, das Chromatin. Bei der Zellteilung verdichtet sich das Chromatin so stark, dass es zu kompakten Stäbchenstrukturen – den Chromosomen – kondensiert, die unter dem Lichtmikroskop sichtbar sind. Geringe Mengen an DNA befinden sich auch in Mitochondrien und Chloroplasten. Im Zellkern befindet sich außerdem der Nucleolus, ein speziell für die rRNA-Synthese verant-
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wortlicher Bereich. Der Nucleolus stellt eine Art „Ribosomen-Fabrik“ dar. Die Mitochondrien zählen ebenso wie der Zellkern zu den Zellorganellen eines Eukaryoten. Sie haben etwa die Größe und Form eines
Abb. 1.11 Schematische Darstellung eines Eukaryoten (Kleinig et al. 1999). N = Zellkern mit Nucleolus; Cy = Cytoplasma mit einigen freien Polysomen; Ch = Chloroplast mit Thylakoiden, Stärkekorn und Lipidglobuli; M = Mitochondrium; sER = glattes ER (endoplasmatisches Reticulum); rER = raues ER, mit Polysomenbesatz; G = Golgi-Apparat (Dictyosom); V = Vakuole; Ly = Lysosomen; CV = coated vesicles; P = Peroxisomen mit Proteinkristallen; L = Lipidkörper (Oleosomen); C = Cilie oder Geißel; B = Basalkörper; MV = Mikrovilli. a, b, c = Endocytoseformen: a = Endocytose von Partikeln (Phagocytose); b = rezeptorvermittelte Endocytose über coated pits und coated vesicles; c = Endocytose gelösten Materials (Pinocytose); d = Exocytose. Miteinander mischbare Plasmen (Cytoplasma und Karyoplasma) sind grau, die mit anderen Plasmen nicht mischbaren Plasmen (Mitoplasma und Plastoplasma) sind farbig dargestellt; nicht-plasmatische Phasen sind weiß und Lipidphasen schwarz. Kern- und Cytoskelett sind nicht berücksichtigt, außer Actinfilamenten der Mikrovilli, die in einem Terminalgeflecht verankert sind, und einigen Mikrotubuli in Nähe der Geißelbasis
1 Einführung in die Zellbiologie
Prokaryoten, besitzen eine eigene ringförmige DNA, 70S-Ribosomen und eine Dopp elmembran, vermehren sich durch Zweiteilung und sind speziell für die oxidative Phosphorylierung – also die Energiegewinnung – verantwortlich. All diese Befunde stützen die oben erwähnte Endosymbionten-Hypothese. Analoges gilt für die nur b ei zur Photosynthese fähigen Eukaryoten vorkommenden Chloroplasten. Sie betreiben Photosynthese auf nahezu die gleiche Weise wie Cyanobakterien, nämlich durch Absorption des Sonnenlichts im membrangebundenen Chlorophyll. Es spricht einiges dafür, dass Algen und Pflanzen aus der Symbiose mit Cyanobakterien hervorgegangen sind. Das bereits oben erwähnte endoplasmatische Reticulum (ER) gehört wie der Golg i-Apparat, die Kernhülle und die kleinen Vesikel wie Lysosomen und Peroxisomen zu einem dynamischen, Labyrinth-artigen Membransystem der Zelle. Dieses Membransystem unterliegt einem ständigen Wandel, und es schnüren sich permanent Membranvesikel der einen Struktur ab, um sich zu einer anderen zu bewegen und mit ihr zu verschmelzen. Das ER wird in glattes und raues ER unterschieden, b eide stehen in Verbindung. Das glatte ER ist der Ort der Lipidsynthese und einer Reihe anderer wichtiger Stoffwechselvorgänge. Das raue ER verdankt seinen Namen und sein Aussehen den Ribosomen, die an ihm haften. Am rauen ER werden die Proteine synthetisiert, die anschließend aus der Zelle exportiert werden sollen. Die anderen Proteine, die in der Zelle verbleiben, synthetisieren die cytosolischen Ribosomen. Der Golgi-Apparat wird aus verbundenen Dictyosomen (charakteristisch angeordnete Membranvesikel) gebildet. Man erkennt ihn meist als Stapel abgeflachter Membranzisternen mit kleinen kugelförmigen Vesikeln an den Enden. Der Golgi-Apparat ist asymmetrisch aufgebaut und hauptsächlich für die Verteilung und Sortierung von Proteinen und Enzymen innerhalb der Zelle und nach draußen verantwortlich. In den Lysosomen b efinden sich hydrolytische Enzyme, die wie eine Art „Zell-Recycling-System“ den katalytischen Abbau von komplexen Molekülen (Proteine, Lipide, Polysaccharide, RNA) in ihre Monomere realisieren. In den Peroxisomen fin-
1.2 Verschiedene Zelltypen, Viren und Phagen
den stattdessen „geschützt“ Oxidationsreaktionen zum Abbau von Aminosäuren und Fetten statt, bei denen freie Radikale und Wasserstoffperoxid (H2O2) entstehen. Das hochreaktive, „schädliche“ Wasserstoffperoxid wird sofort von dem Enzym Katalase, das in großen Mengen in den Peroxisomen vorkommt, zu Wasser und Sauerstoff gespalten. Eine weitere Besonderheit der Eukaryotenzelle ist das aus einem Proteinfilament-System (Mikrotubuli, Actin- und Intermediärfilamente) bestehende Cytoskelett. Es stabilisiert die Zellform, strukturiert das Cytoplasma und sorgt für die Bewegung von Zellorganellen und Cytosol. Das Cytoskelett ist nicht etwa starr, sondern es kann sich drastisch umordnen. Der externe Bewegungsapparat, die Cilien und Flagellen, ist über das Cytoskelett mit der Zelle befestigt und ermöglicht die gerichtete Fortbewegung der Zelle. Pflanzen- und Pilzzellen besitzen meist zusätzlich flüssigkeitsgefüllte Vesikel, die Vakuolen. Sie machen typischerweise mehr als ein Drittel, manchmal bis zu 90 %, des Zellvolumens aus und sind sehr vielseitige Zellorganellen. Sie enthalten hydrolytische Enzyme und dienen je nach Organismus als Speicherorganell (Nähr-, Abfall-, Giftstoffe) und als Regulator des pflanzlichen Turgordrucks (osmotischer Druck, der die Zellform stabilisiert). Die Vakuolenmembran wird als Tonoplast bezeichnet. Die Ribosomen der Eukaryoten (außer den bakterienähnlichen Ribosomen der Mitochondrien und der Chloroplasten) sind vom größeren und komplexeren 80S-Typ und ebenfalls aus zwei Untereinheiten aufgebaut. Das 80S-Ribosom besteht insgesamt aus über 80 verschiedenen Proteinen und verschiedenen rRNAs (5S-, 5,8S-, 18Sund 28S-rRNA). Die Genexpression des Eukaryotengenoms verläuft wesentlich komplexer als bei den Prokaryoten (Abb. 1.12). Es gibt bei der Transkription der Gene und der Translation der mRNA, die immer getrennt stattfinden, zusätzliche Schritte, die letztlich die Variations-, Regulations- und Reparaturmöglichkeiten der Synthese eines Merkmals wesentlich erhöhen. Die Strukturgene der Eukaryoten enthalten im Allgemeinen codierende und nicht-codierende Desoxynucleotidsequenzen. Der codierende Teilbereich eines Gens wird als Exon, der nicht-
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codierende als Intron bezeichnet. Bei der Transkription eines Strukturgens im Zellkern wird enzymatisch zuerst eine prä-mRNA („unreife“ RNA) synthetisiert, die sowohl Exons als auch Introns enthält. Die Introns werden anschließend aus der prä-mRNA herausgeschnitten, und die Exons werden zu einer „reifen“ mRNA verknüpft. Man spricht vom Spleißen der prämRNA. Bei den Eukaryoten wird die mRNA an ihren Enden noch zusätzlich prozessiert (5´-Cap = Methylguanosin-Rest; 3´-PolyadenylatSchwanz). Im Unterschied zu den Prokaryoten ist die mRNA monocistronisch, das bedeutet, von einer prä-mRNA leitet sich immer nur ein Typ mRNA und daraus dann ein Polypeptid ab. Nach der Translation der mRNA an den Ribosomen in ein Polypeptid bzw. Protein finden bei den Eukaryoten oft noch weitere (bio-)chemische Modifikationen der Proteine statt. Zu den bei Eukaryoten typischen posttranslationalen Modifikationen gehören insbesondere die Glykosylierungen von Proteinen. Aus diesem Grund ist die korrekte rekombinante Herstellung von eukaryotischen Glykoproteinen wie beispielsweise den Immunglobulinen (Antikörpern) in einem prokaryotischen Wirtsorganismus nicht möglich. Antikörper werden daher mit eukaryotischen Zellkulturen produziert.
Abb. 1.12 Wichtige Schritte der Genexpression bei den Eukaryoten (schematisch)
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1 Einführung in die Zellbiologie
1.2.3 Viren und Phagen Fast alle Viren bestehen aus zwei Komponenten, einem Kern (Core) mit der Nucleinsäure (doppel- oder einzelsträngige DNA oder RNA) und einer Hülle aus gleichartigen Proteinuntereinheiten, die das Core umgibt und schützt. In manchen Fällen ist die Hülle von einer weiteren Hülle aus Lipiden umschlossen. Phagen (griech. phagein = essen), oder auch Bakteriophagen genannt, sind Viren, die sich auf Bakterien spezialisiert haben. Die chemische Zusammensetzung, Symmetrie und Struktur der Viren sind die Grundlage für die Einteilung in verschiedene Gruppen (Tabelle 1.3). Viren sind zwischen 30 und 200 nm groß. Außerhalb einer Zelle handelt es sich bei Viren, wie unter Abschnitt 1.2 bereits erwähnt, einfach um unbelebte Partikel, die als Virionen bezeichnet werden. Trifft solch ein Virion jedoch auf seine spezifische Wirtszelle, so kann es sich an der Oberfläche anheften und durch Verschmelzen seiner Hülle mit der Zellmembran seine Nucleinsäure in die Zelle entlassen. Die Zelle ist „infiziert“, und der Zellstoffwechsel folgt jetzt den genetischen Informationen des Virengenoms, das um Größenordnungen kleiner ist als das Wirtsgenom. Viren sind Zellparasiten. Sie nutzen die Enzyme und Ribosomen
der Zelle so, dass sie nicht mehr ihre eigentlichen Aufgaben erfüllen, sondern viele neue Virionen herstellen. Die Virionen werden dann üblicherweise üb er Knospen an der Zellmembran freigesetzt. Die Virusproduktion geht dabei stundenlang weiter. Manche Bakteriophagen b esitzen lytische Proteine, die aktiv die Lysis (Auflösung) der Wirtszelle (Bakterienzelle) bewirken. Für den Phagen ist es entscheidend, dass er die Synthese oder Funktion dieser lytischen Proteine so lange blockiert, bis er ein sehr spätes Stadium seines Vermehrungszyklus erreicht hat und die korrekte Zusammensetzung des Viruspartikels gewährleistet ist. Ein b esonders interessanter Fall liegt bei dem Phagen Lambda vor. Lambda ist ein lysogener Phage des Bakteriums E. coli, der über ein halbes Jahrhundert eingehend untersucht wurde. Er hat gelernt, in und mit seinem Wirt zu leben. Seine doppelsträngige DNA besteht aus ca. 45 000 bp und codiert für ca. 45 Proteine. Dagegen besitzt E. coli etwa 3 Millionen bp und ca. 5 000 verschiedene Proteine. Wenn sich Lambda an die E. coli-Wirtszelle anheftet und seine DNA einschleust, kann das Virus zwei verschiedenen Fortpflanzungswegen folgen (Abb. 1.13): Entweder lässt es von E. coli die frühen Virusproteine synthetisieren, die eigene DNA replizieren, lässt beides zusammensetzen und lysiert die Zelle nach ca. 20 Minuten
Tabelle 1.3 Einteilung von Viren nach Nucleinsäure und Symmetrie (modifiziert nach Levine 1991) Name des Virus (Zuordnung)
Nucleinsäure
Symmetriestruktur des Capsids
T7 (Bakteriophage)
doppelsträngige DNA
Kopf: kugeliger Ikosaeder Schwanz: spiralig, mit „Spikes“
M13 (Bakteriophage)
einzelsträngige, ringförmige DNA
spiraliger Stab
Lambda (λ) (Bakteriophage)
doppelsträngige, lineare DNA (48 502 bp)
Kopf: ikosaedrisch (64 nm) Schwanz: helikal (150 nm)
Tabakmosaikvirus (Pflanzenvirus)
einzelsträngige, gestreckte DNA (+)
spiraliger Proteinstab
Epstein-Barr-Virus (Tier: Herpesvirus)
doppelsträngige, gestreckte DNA (120 000–200 000 bp)
Ikosaeder; Proteinmantel und Lipidhülle (150–200 nm)
Affenvirus 40 (SV40) (Tier: Papovavirus)
doppelsträngige, ringförmige DNA (5 000–8 000 bp)
Ikosaeder; Proteinmantel (45–55 nm)
Poliovirus (Tier: Picornavirus)
RNA-(+)-Stränge, 7 000 Nucleotide
Ikosaeder; Proteinmantel (28 nm)
1.2 Verschiedene Zelltypen, Viren und Phagen
(das ist der lytische Vermehrungsweg); oder es exprimiert nur ein einziges Gen, dessen Protein das gesamte Virusgenom ruhig stellt, und die infizierende DNA wird in das Bakteriumgenom eingebaut (lysogener Vermehrungszyklus). Das Virusgenom wird dann normal mit dem Bakteriumgenom vermehrt. Welcher dieser beiden Wege eingeschlagen wird, hängt von den physiologischen Bedingungen in der Zelle und einem Wettlauf zwischen der Expression zweier Virusgene ab. Analoge Wege findet man auch bei der Virusvermehrung in Eukaryoten. So ist bei den Affen bereits in den 50er-Jahren ein Poliomavirus („SV40“) entdeckt worden, das sich ebenfalls über einen lytischen Zyklus in infizierten Affenzellen vermehren kann. Ein weiteres Beispiel ist das Epstein-Barr-Virus, das den Menschen infi-
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ziert. Von diesem Virus werden bei seinem lysogenen Vermehrungsweg einige Gene exprimiert, und die dabei entstehenden Proteine induzieren in der Wirtszelle ein abnormales Zellwachstum, das als Krebstumor erkennbar wird. Das Epstein-Barr-Virus gehört somit zu der Gruppe der DNA-Tumorviren. Die Viren und Phagen sind von den Bioverfahrenstechnikern besonders gef ürchtet, da sie zu klein sind, um bei der Sterilfiltration von Medien zurückgehalten zu werden. Deshalb kann es zu einer unerfreulichen Infektion von insbesondere tierischen oder pflanzlichen Zellkulturen kommen, die zu einem Abbruch der Kultivierung und einem Ausfall der Produktion führt. Die allgemein übliche Hitzesterilisation von Medien für die Kultivierung von Mikroorganismen inaktiviert hingegen Viren und Phagen.
Abb. 1.13 Die Vermehrung des Phagen Lambda: Nach der Injektion der Phagen-DNA in das Wirtsbakterium setzt entweder die Vermehrung der Phagen-DNA ein (lytischer Zyklus), oder es entsteht durch Einbau der Phagen-DNA in die Bakterien-DNA ein lysogenes Bakterium, das sich vermehren kann; so entstehen viele lysogene Bakterien
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1.3 Fortpflanzung und Evolution Der Inbegriff des Lebens ist die Fähigkeit eines Organismus, sich selbst präzise replizieren und energieökonomisch organisieren zu können. Die Replikation besteht aus der Verdopplung der Erbanlagen, der annähernden Verdopplung der Zellbestandteile durch Genexpression und Stoffwechsel und aus der sich daran anschließenden Zellteilung. Die molekularen Grundlagen, wie in jeder Zelle DNA repliziert wird, sind bereits unter Abschnitt 1.1.1 (Abb. 1.3) erläutert worden. Bei diesem Replikationsschritt gibt es jedoch naturbedingte Fehlermöglichkeiten, die Veränderungen bzw. Weiterentwicklungen der Organismen (Evolution) erst ermöglicht haben und die für die heute auf der Erde anzutreffende Artenvielfalt verantwortlich sind.
1.3.1 Vermehrung von Zellen durch Zellteilung (asexuelle Fortpflanzung) In der Bioprozesstechnik kommen oft Einzelzellen, pelletartige Zellverbände oder Mycelien von Pro- und Eukaryoten zum Einsatz, die sich asexuell durch direkte Zellteilung fortpflanzen. Die Vermehrungsrate der Zellen hängt von artspezifischen inneren und durch die Umgebung (Medium) bestimmten äußeren Faktoren wie Nährstoffangebot, Temperatur, pH-Wert und Sauerstoffkonzentration ab. Unter optimalen Bedingungen verdoppeln sich viele Bakterienzellen alle 20 bis 30 Minuten durch einfache Zellteilungg (Abb. 1.14), nachdem die Replikation des ringförmigen Bakteriengenoms durch die DNAPolymerase abgeschlossen ist. Bei eukaryotischen Einzellern beträgt die Verdopplungszeit hingegen zwischen zwei und 50 Stunden. Die Ursachen liegen zum einen in ihrem größenbedingten ungünstigeren Oberfläche/Volumen-Verhältnis sowie in der wesentlich komplexeren Genexpression (s. o.). Zum anderen ist aber auch die Replikation des Genoms im Zellkern viel aufwendiger und durchläuft mehrere Phasen, die als Zellzyklus angesprochen werden (Abb. 1.15).
1 Einführung in die Zellbiologie
Der Zellzyklus dauert von einer Mitose (Kernteilung) bis zur nächsten Mitose und umfasst alle dabei notwendigen Zwischenschritte, durch die eine Zelle ihren Inhalt verdoppelt und sich zweiteilt. Die Periode zwischen zwei Mitosen und somit die längste Periode eines Zellzyklus nimmt die Interphase ein, die die G1-Phase, S-Phase und G2-Phase umfasst. Die M-Phase besteht aus der Teilung des Zellkerns, der Mitose, und der anschließenden Teilung des Cytoplasmas, der Cytokinese. In der Interphase muss eine Zelle ihren gesamten Zellinhalt verdoppeln, jedoch ist die S(Synthese)-Phase, in der die DNA in Form von Chromosomen im Zellkern repliziert wird, klar von den anderen Vorgängen abgrenzbar. Die G1Phase (G von engl. gap = Lücke) dient zur Vorbereitung der DNA-Synthese und die G2-Phase als Vorbereitung für die Mitose und Cytokinese. In der M-Phase erfolgt die Verteilung der seit der S-Phase doppelt vorhandenen Chromosomen auf zwei Zellkerne (Mitose) und die Verteilung des Cytoplasmas mit seinen Organellen auf zwei Zellen (Cytokinese). Das sind auf wendige mechanische Vorgänge, deren fehlerf reie Umsetzung einen komplizierten Zellapparat voraussetzt. Die Mitose umfasst einzelne Abschnitte, die als Prophase, Prometaphase, Metaphase, Anaphase und Telophase angesprochen werden. Hierzu wird auf die einschlägige Literatur verwiesen, insbesondere auf Alberts et al. (2004). Ein weiterer Aspekt bei der Zellteilung ist die Kopplung von Zellgröße und Vermehrung. Bei der Hefe Saccharomyces cerevisiaee besitzen Mutter- und Tochterzelle unterschiedliche Größen. Die kleinere Tochterzelle, die als „Knospe“ aus der Mutterzelle hervorgeht, benötigt eine längere Zeit (G1-Phase) als die Mutterzelle, um das „Abschnürungsereignis“ zu bewältigen und um selbst zu einer Knospung in der Lage zu sein. Man vermutet als Ursache eine konzentrationsabhängige Regulation des Zellzyklus durch zelleigene Substanzen. Alle Zellen können in einen stationären Zustand übergehen. Die Dauer dieses Zustands ist bei einzelligen Organismen hauptsächlich von den Umgebungsbedingungen abhängig, beispielsweise bei der Limitierung eines Nährstoffes. Bei vielzelligen Organismen wie den höheren Pflanzen und Tieren kommen weitere organismusabhängige Faktoren hinzu. Man unterscheidet hier zwischen endogenen und exogenen
1.3 Fortpfl flanzung und Evolution
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Abb. 1.14 Vorgang der Zellteilung bei einem Bakterium (schematisch)
Abb. 1.15 Vorgang der Zellteilung bei einem Eukaryoten (schematisch, nach Alberts et al. 2004). (a) Der Zellzyklus (Interphase und Mitose) reicht von einer Zellteilung bis zur nächsten (bei Säugerzellen etwa 24 h). Die Cytokinese beendet die Mitosephase und markiert den Beginn der Interphase. Die Interphase besteht zunächst aus einer Zeit ohne DNASynthese (G1-Phase, von gap = Pause), dann die Phase der DNA-Synthese (S-Phase) und schließlich vor der nächsten Teilung eine weitere Phase ohne DNA-Bildung (G2-Phase). (b) Auch die Mitosephase (Kernteilung) besteht aus verschiedenen unterscheidbaren Einzelphasen, an deren Ende die Cytokinese (Cytoplasmateilung) steht
Faktoren, je nachdem ob die Faktoren der zelleigenen Genexpression entstammen oder von außerhalb der Zelle, z. B. Hormone oder Wachstumsfaktoren, aufgenommen wurden. Ein spezieller endogener Kontrollmechanismus liegt bei dem programmierten Zelltod von differenzierten Säugerzellen vor (Apoptose), der nach ca. 60 bis 70 Zellteilungen einsetzt und nicht zu vermeiden ist. Apoptose ist ein normaler Vorgang, der in vielzelligen Organismen häufig vorkommt und bei der Zellkulturtechnik eine Rolle spielt.
1.3.2 Die sexuelle Vermehrung Neben der asexuellen Zellteilung vermehren sich viele Eukaryoten und einige Prokaryoten auf sexuellem Wege, d. h. die Genome zweier Individuen werden vermischt. Die Nachkommen der asexuellen Vermehrung besitzen das gleiche Genom wie ihr Elter (s. o.), die der sexuellen Vermehrung sind sowohl untereinander als auch von beiden Eltern genetisch verschieden. Der
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1 Einführung in die Zellbiologie
evolutive Vorteil der Sexualität ist die Neukombination von Genen, wodurch bei sich ändernden Umweltbedingungen ein Wettbewerbsvorteil entsteht bzw. die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Organismus erhöht wird. Die sexuelle Vermehrung eines Eukaryoten basiert grundsätzlich auf einem Wechsel in der Anzahl seiner Chromosomen. Durch Zelldifferenzierung können aus einer eukaryotischen Zelle mit einem doppelten Genom (diploide Zelle; doppelter Chromosomensatz) Zellen mit einem einfachen Genom (haploide Zellen; einfacher Chromosomensatz) entstehen. Wenn anschließend zwei haploide Eukaryotenzellen miteinander verschmelzen (fusionieren), ergibt sich wieder eine diploide Zelle (Abb. 1.16). Durch
Zyklen der Haploidie, Zellfusion, Diploidie und Meiose werden somit neue Genkombinationen geschaffen. Den Vorgang, bei dem aus einer diploiden Eukar yotenzelle in der Regel vier haploide Tochterzellen entstehen, nennt man Meiose. Diese spezielle Form der Zellteilung einer diploiden Zelle fängt mit einem DNA-Replikationsschritt an, der die DNA verdoppelt. Dann folgen nacheinander zwei Zellteilungen, und es entstehen vier haploide Tochterzellen (Keimzellen). Die haploiden Keimzellen heißen Gameten. Es werden üblicherweise zwei S orten von Gameten gebildet: Die einen sind weiblich (Oocyten), die anderen männlich (Spermien) und auf das Auffinden des anderen weiblichen Gameten spezia-
Lebenszyklus diploide Organismen (2n Chromosomen)
MEIOSE
haploides Ei
haploides Spermium
haploide Organismen (n Chromosomen)
Paarung
diploide Z ygote MEIOSE
BEFRUCHTUNG haploide Zellen diploide Zygote
MITOSE MITOSE
haploide Organismen
diploider Organismus
Abb. 1.16 Lebenszyklen von haploiden und diploiden eukaryotischen Zellen (modifiziert nach Alberts et al. 2004)
HÖHERE EUKARYOTEN (z.B. Maus, Mais)
EINIGE NIEDERE EUKARYOTEN (z.B. die Spalthefe Schizosaccharomyces und die Alge Chlamydomonas)
1.3 Fortpfl flanzung und Evolution
lisiert. Je eine Oocyte (Eizelle) vereinigt sich mit einem Spermium zu einer befruchteten Eizelle, der Zygote. Die diploide Zygote vermehrt sich bei den höheren Eukaryoten (den meisten Pflanzen und vielzelligen Tieren) durch normale mitotische Teilungen, und die entstehenden diploiden Zellen differenzieren sich und bilden verschiedene Gewebe bzw. Organe aus. Lediglich bei der Differenzierung in die haploiden Geschlechtszellen (Keimzellen) findet Meiose statt. Diese Organismen leben in einer komplexen, langen diploiden Phase. Andersherum ist es bei einigen primitiven Organismen, wie den Spalthefen. Sie leben überwiegend als haploide Zellen, da sich bei ihnen die diploiden Zellen sofort nach ihrer Entstehung durch Meiose wieder in haploide Zellen teilen. Die haploiden Spaltpilze vermehren sich dann mitotisch. Die Neukombination der Gene erfolgt bei der sexuellen Vermehrung aber nicht nur durch die Verschmelzung der zwei haploiden Elternzellen, obwohl allein dabei bereits 2n verschiedene Gameten erzeugt werden, wenn n die Zahl der Chromosomen pro haploider Zelle ist. Tatsächlich ist die genetische Variabilität jedoch noch wesentlich größer, weil es während der Teilung 1 der meiotischen Zellteilung zu einem sogenannten Überkreuzen (engl. crossing over) der homologen, eng aneinander liegenden Chromosomen im Zellkern kommen kann. Dieser als homologe Rekombination bezeichnete Vorgang wird von Proteinen (u. a. RecA-Protein) und Enzymen (u. a. Endonucleasen, Helikasen, DNA-Ligasen) realisiert. Er beginnt mit einem Einzelstrangbruch in einem der homologen, doppelsträngigen DNA-Moleküle (DNA-Duplexe). Der Einzelstrang dieses Donor-DNA-Duplexes wird an eine komplementäre Sequenz des angrenzenden DNA-Duplexes (Akzeptor-DNA-Duplex) geführt, und es bildet sich ein Komplex, der den enzymatischen Einbau (Stranginvasion) in den benachbarten DNA-Doppelstrang ermöglicht. Parallel dazu wird der vorhandene, komplementäre DNA-Strang des Akzeptor-DNA-Duplexes in den jetzt freien Bereich des Donor-DNA-Duplexes integriert. Dadurch entsteht ein Überkreuzpunkt mit einer Hetero-Duplexregion, der enzymatisch aufgelöst wird und zwei rekombinante DNA-Duplexe entstehen lässt.
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B ei Bakterien, die selbstverständlich keine Meiose durchlaufen, findet homologe Rekombination bei der Übertragung von Fragmenten homologer, aber genetisch verschiedener DNA von einem Donorchromosom zu einer Empfängerzelle statt. Es gibt hierzu prinzipiell drei unterschiedliche Möglichkeiten: die Konjugation, die Transduktion und die Transformation. Als Konjugation wird ein Vorgang zwischen zwei Bakterienzellen beschrieben, die zeitweise über eine Cytoplasmabrücke (Sex-Pili) miteinander verbunden sind und genomische DNA bzw. Plasmide austauschen. Die Transduktion beschreibt den Transfer von Donor-DNA in ein Bakterium durch einen Virus. Bei der Transformation wird hingegen freie DNA (DNA-Teilstücke), die beispielsweise von einer lysierten Bakterienzelle freigesetzt wurde, von einer anderen Zelle (kompetente Zelle) aufgenommen. Zu einer natürlichen Transformation sind nur bestimmte Bakterienstämme oder Spezies befähigt (z. B. Bacillus subtilis), die kompetenzspezifische Proteine besitzen.
1.3.3 Prinzipien der Evolution Im Jahr 1858 publizierten Charles Darwin und Alfred Russel Wallace erstmals die Hypothese, dass die natürliche Selektion für die Entstehung von neuen phänotypischen Organismusvarianten und letztlich neuen Arten verantwortlich ist. Ein Jahr später lieferte Darwin in The Origin of Species eine lange Liste an Befunden, die diese Hypothese eindrucksvoll untermauerten. Darwin trug damit bahnbrechend zur heutigen, wissenschaftlich unbestrittenen Akzeptanz der Abstammungslehre (Evolutionstheorie) in den Biowissenschaften bei. Die Evolutionstheorie besagt, dass alle heutigen Lebewesen auf der Erde im Verlauf der erdgeschichtlichen Entwicklung aus primitiv organisierten Vorfahren entstanden sind, die sich entsprechend den Umweltbedingungen angepasst und unabhängig weiterentwickelt haben. Über die Entstehung des Lebens sagt sie nichts. Hierfür gibt es wiederum andere wissenschaftliche Hypothesen, die von einer „chemischen Evolution“, die der biologischen vorausge-
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gangen ist, ausgehen (Geibel 1987). Bei der chemischen Evolutionstheorie sind auf der Erde vor ca. 4,5 Milliarden Jahren unter den Bedingungen der Ur-Atmosphäre (partiell hohe Temperaturen und hoher Druck, UV-Licht, CO2, N2 und H2) biologisch bedeutsame Substanzen wie Aminosäuren, Carbonsäuren, Zucker und Fettsäuren entstanden. Die Entstehung dieser Moleküle unter imitierten Ur-Atmosphäre-Bedingungen konnte vielfach experimentell bestätigt werden. Aufgrund der mittlerweile diversen Fossilienfunde von Mikroorganismen, die durch moderne Isotopenstudien erdgeschichtlich eingeordnet werden konnten, lässt sich nachweisen, dass es Ur-Prokaryoten bereits vor 3,5 Milliarden Jahren auf der Erde gab (Kutschera und Niklas 2004). Weitere Fossilienfunde belegen die Existenz von Ur-Cyanobakterien vor 2,7 Milliarden und ersten einzelligen Ur-Eukaryoten vor 1,9 Milliarden Jahren. Die ersten fossilen, sich sexuell vermehrenden, mehrzelligen Ur-Eukaryoten (Rotalgen) existierten bereits vor 1,2 Milliarden Jahren. Durch die unglaublich hohen genetischen Rekombinationsmöglichkeiten bei der sexuellen Vermehrungsform von Zellen scheint dann in der Evolution ein Durchbruch stattgefunden zu haben, der die Entstehung der höheren Pilze, Tiere und Pflanzen vor ca. 0,5–0,6 Milliarden Jahren ermöglichte. Die Prinzipien der biologischen Evolution basieren auf dem Wechselspiel zwischen Vermehrung eines Organismus, natürlicher Veränderung seines Erbguts durch Fehler bei der Replikation (Mutationen) oder genetischer Rekombination (s. o.) und der Selektion zufällig vorteilhafter genetischer Veränderungen durch die Umwelt (Abb. 1.17). Die Umwelt ist dabei der Sammelbegriff für die verschiedenartigsten Einflüsse auf den Makro- und Mikrokosmos des Organismus wie Klima, Atmosphäre, Sonnenenergie, Nährstoffangebot, Konkurrenten, Feinde, pH-Wert, Temperatur, Druck und vieles mehr. Evolution bewirkt eine Anpassung von Lebewesen an die aktuell gegebenen, realen Bedingungen. Die „besten und stärksten“ Organismen überleben (engl. survival of the fittest) und sind an eine bestimmte ökologische Nische angepasst. Dabei sollte man beachten, dass erfahrungsgemäß die meisten zufälligen Mutationen nachteilig, oft sogar letal sind und die wenigsten Mutationen einen Vorteil für den Organismus bedeuten.
1 Einführung in die Zellbiologie
Vermehrung
survival of the fittest
Natürliche Mutationen (Fehler bei der Rep likation)
Natürliche Selektion
(Einflüsse von Umwelt, Klima, Konkurrenz u.v.m.)
Abb. 1.17 Prinzip der Evolution
In diesem Zusammenhang sollten wir einige Ursachen für die natürlichen, unvermeidbaren Mutationen bei der Replikation von DNA diskutieren, die in der frühen Entwicklungsgeschichte des Lebens der Motor für die Evolution gewesen sein müssen und die auch heute und in der Zukunft eine ständige Fortführung der Evolution garantieren. Die durch sexuelle Vermehrung gewährleistete Veränderung des Erbguts, die selbstverständlich keine Mutationen darstellen, wurde bereits im Abschnitt 1.3.2 angesprochen. Die DNA und die Nucleotide werden zeit- und umgebungsabhängig aufgrund spontaner chemischer Reaktionen wie Tautomerien, Desaminierungen, Oxidationen oder Methylierungen an den Basen geschädigt. Bei der komplementären Anlagerung der Basen während der Replikation von DNA kommt es dann zu Fehlpaarungen. Damit ist in der Tochterzelle die DNA-Sequenz verändert, man spricht von Mutation. Dies kann, wenn das „veränderte“ Codon später für den Einbau einer anderen Aminosäure in ein Protein verantwortlich ist, zu einer Eigenschaftsveränderung des Proteins führen. Mehrere solcher Mutationsereignisse in einer Generation und/oder in den Folgegenerationen ergeben eine zunehmende Abweichung der DNA-Sequenzen innerhalb einer Verwandtschaftslinie. Es resultieren abweichende Eigenschaftsmerkmale, die nachteilig, neutral oder vorteilhaft für den Organismus sein können. Die vorteilhaften Mutationen werden von der Umwelt positiv selektioniert. Eine weitere, wenn auch viel geringere, Fehlermöglichkeit bei der Replikation der DNA liegt in der enzymatischen Reaktion, die von DNAPolymerasen katalysiert wird. Dieser Vorgang ist sehr komplex und läuft dennoch mit einem
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1.3 Fortpfl flanzung und Evolution
hohen Grad an Zuverlässigkeit ab, da es mehrere Typen von enzymatischen DNA-Reparaturmechanismen in der Zelle gibt, die im Übrigen auch die bereits oben genannten chemischen DNA-Schäden oftmals reparieren können. Bei der DNA-Polymerase des Bakteriums E. coli tritt beispielsweise bei nur einem von 109 bis 1010 eingebauten Nucleotiden ein Fehler auf. Dennoch kommt es zu Fehlern, die eine natürliche Mutationsquelle darstellen. Insgesamt schätzt man die Wahrscheinlichkeit eines unbeabsichtigten natürlichen Mutationsereignisses in Abhängigkeit vom Organismus auf 10–5 bis 10–9 pro Zellteilung. Mutationen können auch „vorprogrammiert“ sein. Sowohl bei Eukaryoten (z. B. Mais, Hefe) als auch bei Prokaryoten (Bakterien) sind transponierbare genetische Elemente (Transposons) in der genomischen DNA und den Plasmiden gefunden worden, die an verschiedenen Stellen im Genom enzymatisch zufällig ein- und ausgebaut werden. Diese „springenden“ Elemente können sehr kurze, einfache Sequenzen besitzen, die beim Einbau in ein Gen eine Mutation auslösen. Bestimmte Umweltfaktoren, wie diverse chemische Agenzien (u. a. Alkaloide, Ethylmethansulfonat), UV-, Röntgen- oder Ionenstrahlung, lösen ebenfalls durch Schädigung der DNA verstärkt Mutationen aus, die für den Organismus gesundheitsschädlich oder tödlich sind. Nichtsdestotrotz hat sich der gezielte Einsatz von mutagenen Agenzien oder UV-Strahlung in Züchtungsverfahren bei Pflanzen und Mikroorganismen seit über einem halben Jahrhundert bewährt (klassische Mutagenese). Längst bevor die modernen Methoden der Gentechnik zur Verfügung standen, wurden Antibiotika- oder Citronensäure-Produktionsstämme wie die Pilze Penicillium chrysogenum bzw. Aspergillus niger durch vielfach wiederholte klassische Mutage-
nese und Selektion im Labor in den technisch gewünschten Biosyntheseleistungen um Größenordnungen verbessert. Aufgrund der heutigen Möglichkeiten der Gentechnik und der Bioanalytik werden die Prinzipien der Evolution auf molekularer Ebene immer besser verstanden und gezielt und erfolgreich für die Züchtung von Mikroorganismen zur Steigerung der selektiven Stoffproduktion eingesetzt. In dieser Einführung in die Zellbiologie wurden die Unterschiede zwischen Prokaryoten und Eukaryoten als Ergebnis verschiedenartiger Evolutionsstrategien dargestellt. Sie beschränkt sich bewusst auf die Sachverhalte, die Voraussetzung für die Behandlung der späteren Kapitel sind. Sie muss insbesondere im Zusammenhang mit dem folgenden Kapitel gesehen werden, wo auf die Bausteine und den Stoff wechsel der Zelle sowie die Regulation zellulärer Vorgänge eingegangen wird.
Literatur Alberts, B., Johnson, A., Lewis, J., Raff, M., Roberts, K., Walter, P. (2004): Molekularbiologie der Zelle. Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Fuchs, G., Schlegel, H. G. (2007): Allgemeine Mikrobiologie. Thieme Verlag, Stuttgart Geibel, K. (1987): Chemische Evolution. In Siewing, R. (Hrsg.) Evolution. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Kleinig, H., Sitte, P., Maier, U. (1999) Zellbiologie. 4. Aufl. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Kutschera, U., Niklas, K. J. (2004): The modern theory of biological evolution: an expanded synthesis. Naturwissenschaften 91, 255–276 Levine, A. J. (1991): Viren. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Madigan, M. T., Martinko, J. M. (2006): Brock Mikrobiologie, Pearson Studium, München Nelson, D., Cox, M. (2008): Lehninger Biochemie, Springer Verlag, Berlin Voet, D., Voet, J. G. (2002): Lehrbuch der Biochemie. WileyVCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
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Einführung in die Biochemie*
Von außen betrachtet gleicht unsere Erde annähernd einer Kugel, die auf ihrer Oberfläche in einer sehr dünnen Schicht Leben hervorbringt. Ermöglicht wird das Leben erst durch eine permanente Energieversorgung, die ursächlich von den Kernreaktionen der Sonne ausgeht. Der Erfolg einer bestimmten Lebensform in diesem Lebensraum Erde ist maßgeblich von der Fähigkeit der Organismen abhängig, die zur Verfügung stehende Energie bestmöglich zu nutzen. Im ersten Kapitel ist die Formenvielfalt der Lebewesen, die immer aus Zellen mit gleichen makromolekularen Bausteinen bestehen (DNA, RNA, Proteine, Membranen) und gleiche Informationsübertragungsmechanismen und Stoffwechselwege besitzen, angesprochen worden. Die Anzahl und Art der im Stoffwechsel umgesetzten Substanzen ist mannigfach und dennoch auf die gleichen Ausgangsverbindungen wie Glucose oder Aminosäuren zurückführbar. In diesem Kapitel werden die wesentlichen Bausteine und die Verknüpfungsregeln, z. B. zum Aufbau eines Proteinmoleküls aus den Aminosäuren, vorgestellt. Wie die dabei entstehenden Proteinstrukturen am Beispiel der biokatalytisch aktiven Enzyme zu selektiven Katalysatoreigenschaften führen, wird ebenfalls beschrieben. Das Zusammenspiel verschiedener Enzyme in Stoffwechsel-Reaktionsketten, z. B. bei Reaktionen, die für die chemische Energiegewinnung der Zelle verantwortlich sind, zeigt, in welch vielfältigem Ausmaß jede Zelle zu Stoffwechselvorgängen fähig ist. Diese Vielfalt möglicher Enzymreaktionen wird in der Zelle auf mehreren Ebenen geregelt und gesteuert, um das optimale Überleben unter verschiedensten Umgebungsbedingungen zu gewährleisten. Die wichtigsten dabei beobachteten Regelmechanismen werden im vorliegenden Kapitel angesprochen.
* Autoren: Karl-Heinz Klempnauer, Lutz Fischer, Manfred Karl Otto
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
Die modernen Methoden der Gentechnik benutzen in der Natur entdeckte molekulare Werkzeuge (Restriktionsenzyme, Plasmide, Ligasen u. a. m.), mit denen wir heutzutage biochemische Mechanismen und Stoff wechselvorgänge im Detail untersuchen und gezielt verändern können. Dies eröffnet eine Vielzahl neuer Anwendungsmöglichkeiten von Biokatalysatoren in technischen Prozessen. Die Grundprinzipien der Gentechnologie (engl. genetic engineering) g werden abschließend behandelt.
2.1 Bausteine der Zelle 2.1.1 Größenverhältnisse Die Dimensionen, die beim Aufbau einer Zelle aus ihren Bausteinen relevant sind, zeigt Abbildung 2.1. Die wohl kleinste biologisch relevante Dimension ist die Länge von Atombindungen, z. B. die Länge einer einfachen C-C-Bindung von 1,54 Å (Å = Ångström, Längeneinheit 1 Å = 10–10 m = 0,1 nm). Moleküle, in denen mehrere Atome verknüpft sind, z. B. monomere Zuckermoleküle oder Aminosäuren, sind mehrere Ångström groß. Proteine oder Polysaccharide, polymere Strukturen aus diesen Bausteinen, sind eine Größenordnung größer, wie z. B. Hämoglobin, ein Protein, welches beim Menschen den Sauerstofftransport im Blut bewirkt. Die im vorigen Kapitel vorgestellten Ribosomen (Protein-/ RNA-Aggregate) besitzen eine Größe von ca. 300 Å (30 nm) und die Zellorganellen, z. B. Mitochondrien oder Membrankompartimente sind ca. 0,3–5 μm groß. Letztere werden bereits im Lichtmikroskop gut erkannt. Die Größe von prokaryotischen Bakterienzellen liegt im Bereich von Mikrometern (ca. 1–3 μm); rote Blutkörperchen
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2 Einführung in die Biochemie
Abb. 2.1 Charakteristische Größen von Zellbausteinen und Zellen (nach Berg et al. 2007)
sind etwa 3–7 μm und eukaryotische pflanzliche oder tierische Zellen ca. 5–100 μm groß. Aus diesen Dimensionsbetrachtungen lassen sich bereits Diffusionsstrecken der bei der Synthese von Zellstrukturen umgesetzten Substanzen und ungefähre Zeitkonstanten für diffusionskontrollierte Reaktionen abschätzen. Die quantitative Beschreibung erfolgt in späteren Kapiteln.
2.1.2 Die Bedeutung des Wassers Eine Beschreibung der biochemischen Vorgänge in lebenden Zellen muss auch eine Betrachtung der besonderen Eigenschaften des Wassers einschließen. Organismen bestehen zum größten Teil aus Wasser (ca. 70 % im Falle des menschlichen Körpers und ebenso bei dem Bakterium E. coli); Wasser ist daher das häufigste Molekül in lebenden Systemen und spielt aus verschiedenen Gründen eine zentrale Rolle. Die dreidimensionale (räumliche) Struktur von Biomolekülen, und damit auch ihre Funktion, ergibt sich im Zusammenspiel mit den physikalischen und chemischen Eigenschaften des sie umgebenden Wassers. Die herausragende Eigenschaft der Wassermoleküle ist ihr Dipolcharakter und damit einhergehend die Fähigkeit, Wasserstoffbrückenbindungen untereinander oder mit anderen Molekülen einzugehen (Abb. 2.2). Einzelne Wasserstoffbrückenbindungen sind relativ schwach (ca. 23 kJ/ mol) und daher wenig stabil beispielsweise im
Abb. 2.2 (a) Struktur und Ladungsverteilung des Wassermoleküls. ( b) Über Wasserstoffbrückenbindungen (punktierte Linien) interagierende Wassermoleküle
Vergleich zu einer kovalenten O–H-Bindung im Wassermolekül (ca. 470 kJ/mol). Dennoch reicht die darauf basierende Oberflächenspannung des Wassers aus, um beispielsweise ein Insekt wie den Wasserläufer (Gerris lacustris) zu tragen. Man kann sich Wasser als ein schnell fluktuierendes, dreidimensionales Netzwerk untereinander über Wasserstoffbrückenbindungen interagierender Moleküle vorstellen. Die Löslichkeit von Substanzen im Wasser hängt von ihrer Fähigkeit zur Interaktion mit den Wassermolekülen ab. Moleküle mit polaren Gruppen oder ionischem Charakter sind sehr gut in Wasser löslich (diese Moleküle werden als hydrophil bezeichnet), im Gegensatz dazu sind apolare Substanzen wasserunlöslich und werden als hydrophob bezeichnet. Löslichkeitsunterschiede zwischen polaren und apolaren Bereichen spielen eine fundamentale
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2.1 Bausteine der Zelle
Rolle bei der räumlichen Strukturierung und Stabilität von Biomolekülen wie z. B. Proteinen oder bei der Zusammenlagerung von Molekülen zu größeren Aggregaten (wie z. B. Lipidmembranen). Die Bildung dieser für die Funktionen lebender Systeme essenziellen Strukturen ist nur im Zusammenspiel mit dem Wasser erklärbar. Von seinen Eigenschaften als Lösungsmittel abgesehen, spielen Wassermoleküle bzw. ihre Dissoziation in Wasserstoff-Ionen (H+, Protonen) und Hydroxid-Ionen (OH–) als Reaktionsteilnehmer bei vielen biochemischen Reaktionen eine wichtige Rolle. Das Ionenprodukt des Wassers ist die Grundlage der pH-Skala, die einen Bereich von pH 0 bis pH 14 für eine wässrige Lösung umfasst. Dabei beschreibt der Begriff pH (lat. potentia hydrogenii) definitionsgemäß den negativen dekadischen Logarithmus der Wasserstoff-Ionenkonzentration (–log[H+]) einer wässrigen Lösung. Ein pHWert von 0 bzw. 14 besagt beispielsweise, dass die H+-Ionenkonzentration 100 = 1 mol l–1 bzw. 10–14 mol l–1 beträgt. Bei einem pH-Wert von 7,0 sind die H+-Ionen und die OH–-Ionen in jeweils gleicher Konzentration von 10–7 mol l–1 vorhanden, die wässrige Lösung ist „neutral“. Eine Lösung mit pH < 7,0 ist sauer (H+-Ionenüberschuss), mit pH > 7,0 basisch (OH–-Ionenüberschuss). Schließlich stellt die oxidative Spaltung des Wassers zu O2 und die Bindung des Wasserstoffs an Kohlendioxid bei der oxygenen Photosynthese von Pflanzen und Grünalgen ein Grundprinzip der Umwandlung der Energie der Sonnenstrahlung in chemisch nutzbare Energieformen wie Zucker (Kohlenhydrate) dar. Die Nutzung dieser chemisch gebundenen Energie in dem katabolen Stoffwechsel von aerob lebenden Zellen führt letztlich wieder zur Reduktion von Sauerstoff zu Wasser (Kapitel 2.2).
2.1.3 Vom Grundbaustein zur Zellstruktur Die in den Zellen auftretenden molekularen Strukturen werden von verschiedenen Typen von Makromolekülen gebildet, die ihrerseits aus charakteristischen Bausteinen zusammengesetzt sind. Eine Auswahl der wichtigsten zellulären Makromoleküle und ihre molekularen Bausteine ist in Tabelle 2.1 aufgeführt. Die einzelnen Makromoleküle haben ganz unterschiedliche Aufgaben in der Zelle; entsprechend ist ihr molekularer Aufbau sehr unterschiedlich. Nucleinsäuren fungieren als Speicher genetischer Informationen und wurden bereits in Kapitel 1 genauer beschrieben. Die aus einzelnen Zuckermolekülen aufgebauten Polysaccharide dienen als Energiespeicher, wie das in Abbildung 2.3 schematisch dargestellte Glykogen, oder als Strukturelemente beispielsweise in pflanzlichen (Cellulose) oder bakteriellen (Murein = Peptidoglykan) Zellwänden. Wichtige Funktionen als kompakte Energiespeicher haben ebenfalls die in Abbildung 2.3 gezeigten, durch Verknüpfung von Glycerin mit drei Fettsäuren gebildeten Fette. Die einzelnen Fettsäurereste können unterschiedliche Länge haben und sich durch das Fehlen (gesättigte Fettsäuren) oder Vorhandensein (ungesättigte Fettsäuren) von Doppelbindungen unterscheiden. Im Gegensatz zu den Speicherfetten sind die nur zwei Fettsäureketten und eine hydrophile „Kopfgruppe“ tragenden Phospholipide Hauptbestandteile zellulärer Biomembranen. Aufgrund ihres amphipatischen Charakters bilden sie in wässriger Umgebung spontan sogenannte Lipiddoppelschichten (Abb. 2.3), die die Grundstrukturen von Biomembranen darstellen. Die anschließend genauer besprochenen Proteine schließlich bil-
Tabelle 2.1 Beispiele zellulärer Makromoleküle und deren Bausteine Molekulare Komponente
Beispiel
Bausteine
Protein
Enzyme
Aminosäuren
Polysaccharid
Stärke
Zuckermonomere
Nucleinsäuren
mRNA
Zucker, Phosphat, Purin- und Pyrimidinbasen
Fette
Speicherfette
Glycerin, Fettsäuren
Membranen
Plasmamembranen
Lipide, Phosphat, Cholesterin, Proteine, Polysaccharide
2
2
26
2 Einführung in die Biochemie
den eine enorm wichtige Klasse von Makromolekülen, die Stoffwechselreaktionen katalysieren (Enzyme), maßgeblich den Stofftransport durch Biomembranen realisieren (Transportproteine), eine Vielzahl von regulatorischen Funktionen wahrnehmen (Regulatorproteine) oder als Strukturelemente fungieren (Strukturproteine).
a) Zucker (bedeutende Monosaccharide) OH
H
2.1.4 Aufbau der Proteine Wie in Tabelle 2.1 gezeigt, sind Proteine aus Aminosäure-Bausteinen zusammengesetzt. Natürlich vorkommende Proteine enthalten in der Regel 20 verschiedene Aminosäuren (Abb. 2.4).
b) Fettsäuren (ausgewählte Beispiel e)
D -Glucose H
COO
O
Pal mitat (C16) (gesättigt)
HO HO
H
OH
H
H
OH OH
COO
Stearat (C18) (gesättigt)
D -Galactose H
H HO
OH
O
H
COO
OH
OH
H
Oleat (cis, D9, C18) (einfach ungesättigt)
H D -Fructose
HO O
COO
OH
O
H
Linoleat (cis / cis, D9,12, C18)
OH O H
(zweifach ung esättigt)
H
OH
H
OH
c) Strukturausschnitt von Glykogen (Polysaccharid) (a-D-1,4-verknüpfte 14 k ü f und d üb über a-D-1,6 verzweigte Glucosebausteine) HO
HO O
O
OH
4
OH
O
HO
OH
O HO
H
O
O
OH
e) Phospholipid (ausgewähltes Beispiel)
O
H
H
H
N
C
C
H
H
H
H
C
O
H
C
O
O
C
H
O O
P O
O
O
H 2C
O
O
1
OH
O OH
H
O
O
OH
O
O
C
HO
6
O OH
OH
H 2C 1
OH
O 4 OH
H
d) Fett (ausgewähltes Beispiel)
O
O
Glycerin-Rest
Fettsäu re-R este
OH
f ) Lip iddoppelschicht (schematisch)
O
H
Abb. 2.3 Kohlenhydrate und Lipide. (a) Beispiele von monomeren Zuckern sowie (b) von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren. (c) Ausschnitt aus der Struktur des Glykogens, einem in tierischen Zellen vorkommenden Polymer der Glucose. (d) Struktur eines durch Veresterung von drei Fettsäuremolekülen mit Gly cerin gebildeten Neutralfettes. (e) Struktur eines Phospholipids. Der Phosphatrest mit dem damit veresterten Alkohol bildet die hydrophile „Kopfgruppe“ des Phospholipids, die beiden Fettsäurereste stellen den hydrophoben Teil des Moleküls dar. (f) Zusammenlagerung von Phospholipiden zu einer Membran (Lipiddoppelschicht). Die hydrophilen Kopfgruppen weisen nach außen (zum wässrigen Medium), die hydrophoben Fettsäurereste bilden das Innere der Membran
2.1 Bausteine der Zelle
27
a)
b)
c)
Abb. 2.4 Aminosäuren, die bei der Biosynthese von Proteinen am Ribosom kondensiert werden. (a) Unpolare (hydrophobe), (b) ungeladene, polare (hydrophile) und (c) geladene, polare (saure, basische) Aminosäuren. Es ist jeweils der Name und der international übliche Drei- bzw. Einbuchstaben-Code angegeben
2
2
28
Mit Ausnahme von Glycin sind alle Aminosäuren optisch aktiv (chiral), wobei die in Proteine eingebauten Aminosäuren ausschließlich die LKonfiguration besitzen. Die gemeinsamen Strukturelemente sind die namengebende Amino- und Carbonsäure-Funktion am Cα-Atom (Abb. 2.4). Die in Rot markierten Reste der Aminosäuren sind chemisch verschieden. Es gibt unpolare (hydrophobe), ungeladene polare (hydrophile) und geladene polare (saure, basische) Seitenketten. Prolin stellt eine Besonderheit dar, da es die Aminofunktion in einer Ringstruktur als Iminogruppe (sekundäres Amin) enthält und – eingefügt in eine Peptidkette – die strukturelle Flexibilität der Peptidkette und damit die von Proteinen einschränkt. Neben den beschriebenen 20 Standardaminosäuren können Proteine weitere „ungewöhnliche“ Aminosäuren enthalten, die durch eine nachträgliche (posttranslationale) enzymatische Modifikation der Polypeptidkette entstehen. Solch ungewöhnliche Aminosäuren in Proteinen sind beispielsweise das 4-Hydroxyprolin (in Pflanzenzellwänden oder im Collagen des Bindegewebes) oder 5-Hydroxylysin (im Collagen). Die kettenförmige Verknüpfung der Aminosäuren erfolgt in Form sogenannter Peptidbindungen, bei der die Carbonsäuregruppe (Carboxylgruppe) der einen Aminosäure mit der Aminogruppe der anderen Aminosäure formal unter Wasserabspaltung reagiert (Abb. 2.5a). Die Peptidbindungen sind aufgrund des Resonanzeffekts (Doppelbindungscharakter, in Abb. 2.5a nicht dargestellt) starr und planar und können sich nicht frei drehen, was für die spätere räumliche Anordnung der Polypeptidketten bedeutsam ist. In Abbildung 2.5b ist exemplarisch der Nterminale Bereich der Aminosäuresequenz – die Abfolge der einzelnen Aminosäuren in einer Polypeptidkette – eines fiktiven Proteins dargestellt. Die Zählung und Darstellung beginnt per Konven-
Abb. 2.5 (a) Verknüpfung von Aminosäuren über eine Peptidbindung; (b) Sequenzausschnitt eines Proteins
2 Einführung in die Biochemie
tion jeweils bei der Aminosäure mit freier Aminogruppe (Peptidsequenz; Aminoende wird links, Carboxylende rechts geschrieben). Das entspricht ebenfalls der Syntheserichtung eines Proteins am Ribosom. Die untereinander kovalent verknüpfte Aminosäuresequenz wird als Primärstruktur des Proteins bezeichnet. Die dreidimensionale Anordnung (Konformation) der drehbaren Bindungen der C-Atome in einer Aminosäuresequenz führt zu Bereichen mit Sekundärstrukturen. Dies sind üblicherweise helikale Bereiche, sogenannte α-Helices, oder β-Faltblattstrukturen innerhalb einer Proteinkette, die durch β-Schleifen (engl. beta-turns) oder zufällige Knäuel (engl. random coils) verbunden sind. Die übergeordnete und vollständige Anordnung der aufgezählten Sekundärstrukturen einer kovalent gebundenen Polypeptidkette zu einem dreidimensionalen Makromolekül wird als Tertiärstruktur bezeichnet und stellt den möglichen „Endzustand“ eines Proteins dar (monomeres Protein, das aus nur einer Polypeptidkette besteht). Da die spontane „korrekte“ Faltung eines Proteins – und nur die ist biologisch aktiv – thermodynamisch höchst anspruchsvoll ist, gibt es für viele Proteine „Helferproteine“ (Chaperone), die bei ihrer Entstehung am Ribosom die korrekte Faltung unterstützen. Besteht ein Protein aus zwei oder mehreren völlig gefalteten Polypeptidketten, so wird die korrekte dreidimensionale Anordnung der einzelnen Polypeptidketten zu biologisch aktiven dimeren oder multimeren Aggregaten als Quartärstruktur eines Proteins bezeichnet (multimeres Protein, das aus mehreren einzelnen Polypeptidketten besteht). Ein tetrameres Protein wie beispielsweise das menschliche Hämoglobin besitzt dementsprechend eine Quartärstruktur und ist aus vier Untereinheiten (vier Polypeptidketten) zusammengesetzt, von denen jeweils
2.1 Bausteine der Zelle
zwei identisch sind (zwei α-Ketten und zwei β-Ketten). Das intakte Hämoglobin stellt somit einen α2β2-Proteinkomplex dar. Durch Röntgenstrukturanalyse von Proteinkristallen oder Untersuchungen löslicher Proteine mittels NMR-Spektroskopie sind inzwischen von vielen Proteinen die relativen Raumkoordinaten sämtlicher Atome und damit ihre Tertiär- (bei monomeren Proteinen) bzw. Quartärstruktur (bei multimeren Proteinen) bestimmt worden. Die spezifische dreidimensionale Proteinstruktur wird durch eine Reihe von Wechselwirkungen herbeigeführt und stabilisiert. Einen bedeutenden Beitrag leistet hierbei der sogenannte „hydrophobe Effekt“. Bei der Assoziation hydrophober Aminosäureseitengruppen im Protein werden die polaren Wassermoleküle aus der Grenzschicht verdrängt. Als Konsequenz sind bei gelösten Proteinen die hydrophoben Seitenketten meist nach innen zueinander ausgerichtet, die hydrophilen Seitenketten dagegen nach außen zum umgebenden Wasser hin. Im Inneren der Proteinstruktur sind nur wenige Wassermoleküle vorhanden. Des Weiteren spielen unterschiedliche Typen elektrostatischer Interaktionen eine Rolle. Die nur über sehr kurze Distanzen wirkenden Van-der-WaalsWechselwirkungen sind zwar sehr schwach, sie spielen jedoch im dicht gepackten Inneren von
29
Proteinen oder bei der Interaktion eines Proteins mit einem Liganden (Abschnitt 2.1.5) nach dem „Schlüssel-Schloss“-Prinzip (z. B. Antikörper – Antigen) eine wichtige Rolle. Wasserstoffbrückenbindungen verknüpfen benachbarte Aminosäuren über die freien Elektronenpaare von Sauerstoff- bzw. Stickstoff-Atomen und einem Wasserstoffatom. Für den Sauerstoff ergeben sich beispielsweise die Wasserstoffbrückenbindungsmöglichkeiten von R=O • • • H–N–R oder R=O • • • H–O–R-Ketten. Eine einzelne Wasserstoffbrückenbindung führt zu einer im Vergleich zur kovalenten Verknüpfung geringfügigen Stabilisierung. Da aber enorm zahlreiche solcher Bindungen in einem Proteinmolekül auftreten, kann die Stabilisierung beträchtlich sein (vgl. Aufbau der DNA, Kapitel 1). So gibt es repetitive Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den starren Peptidbindungen des Proteinrückgrats, die zu stabilen geordneten Strukturen, den α-Helices und β-Faltblattstrukturen, führen (s. o.). Ferner treten ionische Bindungen zwischen entgegengesetzt geladenen Aminosäureresten (Salzbrücken) oder zwischen Metall-Ionen (anorganische Cofaktoren, s. u.) und negativ geladenen Aminosäureresten (Asp, Glu) in Proteinen auf und bestimmen die Struktur mit. Neben hydrophoben und elektrostatischen Interaktionen spielen bei
Abb. 2.6 Beispiele von Wechselwirkungskräften innerhalb einer Proteinkette. (a) Disulfidbrücken; (b) ionische Wechselwirkungen; (c) Wasserstoffbrücken
2
2
30
diversen Proteinen außerdem spezielle chemische Quervernetzungen eine bedeutende Rolle. Dies sind Disulfidbrücken, also kovalente SchwefelSchwefel-Verknüpfungen zwischen zwei Cysteinresten (zwei oxidierte Cysteinreste = dimeres Cystin) der Proteinsequenz. Zusätzlich können auch noch Metallchelatkomplexe durch Histidin- und Cysteinreste mit Metall-Ionen stabile, für die Struktur des Proteins essenzielle Quervernetzungen bilden. Abbildung 2.6 zeigt schematisch einige der erwähnten Interaktionen.
2.1.5 Zusammenhang zwischen Proteinstruktur und -funktion Jedes Protein ist ein dynamisches Makromolekül und besitzt eine ihm eigene dreidimensionale Struktur (Konformation, s. o.), die für seine Funktion maßgeblich ist. Proteine sind bewegliche Moleküle. Die Funktionsweise eines Proteins basiert fast ausschließlich auf Wechselwirkungen (Interaktionen) mit bestimmten anderen Molekülen, den Liganden, die einen gezielten Einfluss auf die dreidimensionale Struktur und damit auf die Proteinfunktion ausüben. Liganden sind beliebige Moleküle – es können auch andere Proteine sein –, die reversibel an das Protein binden. Entscheidend für die Interaktion von einem Liganden und einem Protein ist ihre strukturelle Komplementarität. Liganden verursachen eine Konformationsänderung am Protein, die induced fit (engl.) oder induzierte Anpassung genannt wird. Im Folgenden werden zwei Beispiele von Liganden-Protein-Wechselwirkungen besprochen, die intensiv erforscht und verstanden sind und an denen sich viele Aspekte der Funktionsweise von Proteinen zeigen lassen. Die biokatalytisch aktiven Enzyme sind ein Spezialfall der Proteinfunktion, technologisch äußerst bedeutend und werden anschließend ab Abschnitt 2.1.6 näher behandelt. Myoglobin und Hämoglobin sind Proteine, die den Sauerstoff im Gewebe höherer Tiere transportieren. Myoglobin kommt besonders reichlich in den Muskeln von tauchenden Säugetieren (Robben, Walen) und sogar in einigen einzelligen Organismen vor. Es ist ein monomeres Protein aus einer Polypeptidkette (153 Aminosäuren) und besitzt einen Cofaktor (s. u.), eine Hämgruppe (Porphy-
2 Einführung in die Biochemie
rinringsystem) mit einem Fe2+-Atom im Zentrum. Die reversible Bindung des Sauerstoffs (Ligand, L) an das Myoglobin (Protein, P) erfolgt über die Hämgruppe, die in einer inneren „Proteintasche“ aus α-Helices im Inneren des Proteins liegt. Die biologische Aufgabe des Myoglobins besteht nun in der Bindung des O2 in sauerstoffreicher Umgebung und Abgabe des O2 in sauerstoffarmer Umgebung. Es wird durch die einfache Gleichgewichtsbeziehung P + L I PL L ausgedrückt. Diese Reaktion ist durch eine charakteristische Gleichgewichtskonstante Kd = [P][L]/[PL] beschrieben, die die Einheit einer molaren Konzentration (M = mol l–1) trägt und die genau die Konzentration des Liganden angibt, bei der 50 % des Liganden am Protein binden. Oder anders ausgedrückt: Kd ist die Konzentration eines Liganden, bei der die Hälfte aller verfügbaren Ligandenbindungsstellen am Protein besetzt sind. Je kleiner also Kd, umso höher ist die Affinität des Liganden zum Protein. Durch die spezielle dreidimensionale Struktur von Myoglobin ist Kd von O2 so niedrig, dass erst bei geringen O2-Konzentrationen in der Umgebung die O2-Moleküle abgegeben werden und dadurch das Gewebe ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Mit dem Hämoglobin, das für den Sauerstofftransport im Blut verantwortlich ist und in den roten Blutzellen (Erythrocyten) vorkommt, verhält es sich ähnlich. Allerdings handelt es sich um ein tetrameres Protein aus vier Untereinheiten (zwei α- und zwei β-Untereinheiten; quartäre Struktur), besitzt also vier Hämgruppen. Das B esondere ist jetzt, dass sich die Untereinheiten in ihrer Bindung zum O2 gegenseitig beeinflussen. Hat eine Untereinheit ein O2-Molekül gebunden, so ändert sich seine Konformation, und dies beeinflusst direkt die Konformation der benachbarten Untereinheiten, die dann weitere O2Moleküle leichter aufnehmen können und somit Kd wird eine höhere Affinität zu O2 besitzen (K kleiner). Beim Hämoglobin ist die Dissoziationskonstante (K Kd) für Sauerstoff der einzelnen Untereinheit also abhängig davon, ob die anderen Untereinheiten bereits O2 gebunden haben oder nicht. Die Beeinflussung einer Ligandenbindung auf die Bindung anderer Liganden an einer anderen Stelle eines Proteins wird Allosterie genannt. Im Fall von Hämoglobin ist dieser allosterische Effekt unter den Untereinheiten positiv koopera-
2.1 Bausteine der Zelle
tiv, d. h. weitere Bindungen der Liganden werden erleichtert. Die Ursache für den allosterischen Effekt liegt also in den durch eine Ligandenbindung verursachten Konformationsänderungen bei einem multimeren Protein. Allosterische Effekte spielen bei einigen Enzymen im Stoffwechsel eine besondere Rolle, da im Fall der Enzyme nicht nur die Bindungseigenschaften von Liganden, sondern auch die Katalysegeschwindigkeit (Reaktionsgeschwindigkeit) positiv oder negativ beeinflusst werden kann (Kapitel 3). Sehr niedrige Dissoziationskonstanten (Kd) zwischen Proteinen und ihren Liganden sind für Antikörper (Y-förmige Immunglobuline der Wirbeltiere) und ihre Antigene bekannt. Die Werte für Kd liegen zwischen 10–8 und 10–12 mol l–1. Die biologische Funktion der Antikörper besteht gerade in der spezifischen, „festen“ Bindung von für den Körper fremden Molekülen, den Antigenen. Hier ist das bereits erwähnte Schlüssel(Antigen)Schloss(Antikörper)-Prinzip gut zutreffend, man sollte dabei nur bedenken, dass die Antikörper (Schloss) die Antigene (Schlüssel) aktiv binden, um sie für den Organismus unschädlich zu machen. Eine der stärksten nicht-kovalenten Wechselwirkungen in der Biochemie ist für das Protein Avidin (Bestandteil im Eiweiß) mit dem Coenzym Biotin (Ligand) mit Kd = 10–15 mol l–1 beschrieben. Biotin ist ein für enzymatische Carboxylierungen essenzielles Coenzym, und das Avidin im Eiklar scheint als eine Art molekularer Abwehrmechanismus gegen bakterielles Wachstum zu wirken. Eine andere, in der Zelle vorkommende Möglichkeit der reversiblen Strukturveränderung von Proteinen ist die kovalente Modifikation von bestimmten Aminosäureseitenketten, beispielsweise die Phosphorylierung von Serin-, Threonin- oder Tyrosinresten. Diese reversible Reaktion wird von speziellen Enzymen, den Proteinkinasen, durchgeführt. Durch die Phosphorylierung (d. h. Einfügen zusätzlicher negativ geladener Gruppen) an den Aminosäureresten werden zusätzliche elektrostatische Interaktionen ermöglicht, die einen gezielten Einfluss auf die Struktur und die Eigenschaften der Proteinfunktionen ausüben. Die Reversibilität der Modifikation wird durch weitere Enzyme (Phosphatasen) erreicht, die die Phosphatreste wieder entfernen. Neben Phosphorylierungen existieren noch andere Modifikationen (z. B. Acetylierungen, Me-
31
thylierungen), die jeweils durch spezifische Enzyme eingeführt bzw. wieder entfernt werden. Manchmal werden Proteinstrukturen auch durch hydrolytische Abspaltung (Proteolyse) einer oder mehrerer Polypeptidstücke gezielt irreversibel verändert, damit das dann erzeugte verkürzte Protein sich umfaltet und überhaupt erst biologisch aktiv wird. So werden beispielsweise die proteolytischen Verdauungsenzyme Pepsin und Chymotrypsin als inaktive Vorstufen (Zymogene) Pepsinogen und Chymotrypsinogen in den sekretorischen Zellen des Magens bzw. des Pankreas gebildet. Nach Transport dieser Zymogene an ihren Wirkort (Magen, Dünndarm), der unter anderem einen niedrigeren pH-Wert aufweist, erfolgt die enzymatische bzw. autokatalytische Abspaltung definierter Aminosäuresequenzen. Es ordnen sich wesentliche Bereiche der Proteinstruktur um, und die Proteine werden biologisch aktiv. Durch diese Art „Regulationsprinzip“ wird ein Selbstverdau der Gewebe, die die proteolytischen Enzyme herstellen, vermieden. Es gibt aufgrund der oben dargestellten Aspekte einen unbestrittenen, klaren Zusammenhang zwischen Proteinstruktur und -funktion. Wird allgemein die natürliche dreidimensionale Struktur von Proteinen zerstört, beispielsweise durch Erhitzen, stärkere Änderungen des pH-Wertes oder die Anwesenheit von chemisch reaktiven Agenzien, gehen die biologischen Funktionen dauerhaft verloren, und man spricht von Denaturierung. Aus diesem Grund wählt man bei der technologischen Aufreinigung und Isolierung von Proteinen nach Möglichkeit Bedingungen, die ihre Struktur und damit ihre biologische Aktivität erhalten. Dazu gehört allgemein das Arbeiten bei niedrigen Temperaturen (+4 °C bis +10 °C) und das Einstellen eines pH-Wertes in der Proteinlösung in der Nähe des pH-Optimums des Proteins (pH-Wert, an dem die maximale biologische Aktivität vorliegt).
2.1.5.1 pH-Abhängigkeit der Proteinfunktion Der pH-Wert einer wässrigen Flüssigkeit bestimmt die Ladungseigenschaften der sauren bzw. basischen Seitenketten der Proteine. Dieses hat einen direkten Einfluss auf die Struktur und damit die Funktion eines Proteins. Abbildung 2.7a zeigt die Ladungsänderung einiger Aminosäureseitenketten
2
2
32
Abb. 2.7 (a) Abhängigkeit der Ladung von bestimmten Aminosäureseitenketten vom pH-Wert des Milieus und (b) dabei stattfindende Reaktionen der Seitenketten. Die basischen Formen stehen auf der rechten Seite
Abb. 2.8 Nettoladung eines Proteins in Abhängigkeit vom pH-Wert des Milieus. Der isoelektrische Punkt (IP) dieses Proteins liegt bei pH 9,21
in Abhängigkeit vom pH-Wert der umgebenden Lösung. Bei einem niedrigen, sauren pH-Wert sind die freien Carbonsäure- und Aminogruppen protoniert, d. h. neutral bzw. positiv geladen (z. B.
2 Einführung in die Biochemie
R-COOH und R-NH3+). Mit steigendem pH-Wert werden von den Carbon- und Aminosäuregruppen H+-Ionen abgespalten, dabei nimmt der Anteil der basischen Formen, d. h. die Anzahl negativ bzw. neutral geladener Aminosäureseitenketten, zu (z. B. R-COO– und R-NH2). Die Teilreaktionen, die bei steigendem pH-Wert stattfinden, sind in Abbildung 2.7b angegeben. Ist der pH-Wert gleich dem angegebenen pKs-Wert der dargestellten Aminosäureseitenketten, so liegen gleich viel protonierte und deprotonierte Moleküle vor. Diese pH-abhängige Änderung der Ladung von Seitenketten in einem Protein und die damit einhergehende Änderung der Proteinstruktur ist der Grund für die pH-Abhängigkeit der Proteinaktivität. Deshalb ist eine optimale Proteinaktivität oftmals nur in einem relativ engen pHB ereich gegeben. Je nach Gesamtanzahl an ionisierbaren Aminosäureseitenketten in einem Protein und in Abhängigkeit des pH-Wertes der umgebenden Lösung ergibt sich die Gesamtnettoladung eines Proteins. Der pH-Wert, bei dem ein Proteinmolekül gleich viel negative und positive Ladungen trägt, insgesamt also keine Nettoladung trägt, wird als isoelektrischer Punkt (IP) bezeichnet (Nettoladung = 0). Bei diesem charakteristischen pH-Wert für ein Protein findet folglich keine Wanderung in einem elektrischen Feld einer Gelelektrophorese, einer häufig verwendeten analytischen Methode zur Proteincharakterisierung, statt. Ist die Sequenz eines Proteins bekannt, so kann der isoelektrische Punkt aus den Daten der einzelnen Aminosäureseitenketten berechnet werden. Abbildung 2.8 zeigt die Berechnung der Nettoladung eines basischen Proteins mit einem isoelektrischen Punkt von pI = 9,21. In der Regel ist die Löslichkeit eines Proteins an seinem isoelektrischen Punkt am geringsten. Diese Eigenschaft kann bei der Aufreinigung von Proteinen durch eine fraktionierte Fällung genutzt werden.
2.1.5.2 Temperaturabhängigkeit der Proteinfunktion Neben der eben angesprochenen pH-Abhängigkeit ist die Proteinstruktur und damit die Funktion des Proteins temperaturabhängig. Dies lässt sich am eindrucksvollsten bei den für die Katalyse verantwortlichen Proteinen, den Enzymen, zeigen
2.1 Bausteine der Zelle
33
Abb. 2.9 (a) Temperaturabhängigkeit der katalytischen Aktivität eines Enzyms; (b) Darstellung der Temperaturabhängigkeit von β-Galactosidase (alternativer Name Lactase) nach Arrhenius (nach Hartmeier 1986)
(Abb. 2.9). Mit zunehmender Temperatur nimmt die enzymatische Reaktionsgeschwindigkeit zunächst, wie erwartet, zu. Mit steigender Temperatur tritt jedoch ebenfalls eine verstärkte Rotationsund Schwingungsanregung der Molekülketten im Protein auf, die die geordnete Proteinstruktur beeinflusst und ab einem gewissen Punkt zerstört. Wie bereits erwähnt, spricht man im Fall der Zerstörung der Struktur von einer Denaturierung des Proteins, die einen irreversiblen Verlust der biologischen Aktivität zur Folge hat. Die aktivierende Wirkungg der Temperatur auf die enzymkatalysierte Reaktion lässt sich analog zu den durch chemische Katalysatoren katalysierten Reaktionen in einer Darstellung nach Arrhenius analysieren (Abb. 2.9b). Die Aktivität der Enzyme, logarithmisch über der reziproken absoluten Temperatur aufgetragen, ergibt bei niedrigen Temperaturen eine Gerade, aus deren Steigung die Aktivierungsenergie für die Reaktion berechnet werden kann. Diese liegt bei den meisten technisch eingesetzten hydrolytischen Enzymen im Bereich von 10 bis 100 kJ/ mol. Aus der Steigung der durch den abfallenden Kurvenzweig bei hohen Temperaturen gelegten Geraden lässt sich entsprechend eine „Inaktivierungsenergie“ des Proteins berechnen, die typischerweise bei 200 bis 400 kJ/mol liegt. Am Scheitelpunkt der Kurve, dem Temperaturoptimum, findet oftmals bereits eine merkliche
Inaktivierung des Enzyms statt, d. h. die für ein enzymatisches Verfahren optimale Temperatur ist meist niedriger und richtet sich nach der Temperaturstabilität des Proteins und der erforderlichen Einsatzdauer. Die Stabilität von Enzymen kann entscheidend durch eine Immobilisierung an einen Träger erhöht werden, da die Proteinstruktur stabilisiert wird. Abbildung 2.10 zeigt beispielhaft die Inaktivierungskinetik eines auf einem Träger immobilisierten Enzyms bei 40 °C bzw. 50 °C. Der Stoffumsatz im Reaktor ist durch die Fläche unter der Kurve gegeben. Bei kurzer Dauer der Reaktion (< 10 h) ist die höhere Temperatur günstiger, bei längerer Versuchsdauer sind 40 °C günstiger. Mithilfe des bei verschiedenen Temperaturen gewonnenen Inaktivierungskoeffizienten kann der optimale Umsatz und damit die für den Prozess optimale Temperatur abgeschätzt werden. Die irreversible Denaturierungg der Proteine von Zellen bei hohen Temperaturen führt zu deren Abtötung und wird bei der Hitzesterilisation von Kulturmedien verwendet. Dabei ist zu beachten, welche Organismen in einem bestimmten Medium zu erwarten sind. Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt, können thermotolerante Bakterien bzw. Archaeen aus heißen Tiefseequellen noch bei Temperaturen bis 115 °C leben, sie besitzen somit sehr thermostabile Proteine. Ferner sind die Sporen einiger Bakterien ebenfalls hitzeresistent und werden erst bei über 120 °C völlig abgetötet.
2
2
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2 Einführung in die Biochemie
Abb. 2.10 Aktivitätsverlauf einer immobilisierten Glucoamylase über die Anwendungsdauer (nach Hartmeier 1986)
2.1.6 Proteine als Biokatalysatoren (Enzyme) Die meisten in der lebenden Zelle vorkommenden Proteine fungieren als makromolekulare Biokatalysatoren und sind von essenzieller Bedeutung für alle Stoffwechselvorgänge. Katalytisch aktive Proteine werden, wie bereits zuvor mehrfach erwähnt, als Enzyme bezeichnet und sind an fast allen chemischen Reaktionen in den Zellen beteiligt (intrazelluläre Enzyme). Dies bedeutet, dass Tausende von enzymkatalysierten Reaktionen gleichzeitig und nebeneinander in jeder Zelle ablaufen. Zusätzlich können Enzyme – häufig die für Abbaureaktionen verantwortlichen Enzyme wie die „Hydrolasen“ – mittels spezieller Transportproteine aus der Zelle ausgeschleust werden, um in der Umgebung der Zelle Reaktionen zu katalysieren (extrazelluläre Enzyme). So werden beispielsweise von diversen Mikroorganismen Cellulasen oder Proteasen ausgeschieden, um Cellulose oder Proteinaggregate in der Zellumgebung in ihre monomeren Bausteine Glucose bzw. Aminosäuren zu zerlegen. Diese Bausteine werden dann wiederum über andere Transportproteine in die Zelle aufgenommen
und dienen der Zelle als wertvolle Energie- und Nährstoffe für die Lebenserhaltung, das Wachstum und die Vermehrung. Enzyme sind, wie die anderen Proteine auch, an die Bedingungen des Lebens angepasst. Das bedeutet, dass sie je nach Lebensraum der einzelnen Organismen bei –20 °C bis zu +100 °C, bei pH-Wert 1 bis 12 in wässriger Lösung und bei Atmosphärendruck kataly tisch aktiv sein können. Da die meisten Organismen mesoph il zwischen +10 °C und +50 °C und b ei einem pH-Wert von 5 bis 8 leb en, sind auch die meisten Enzyme an diese Bedingungen angepasst. Die Archaebakterien besiedeln jedoch auch extreme Standorte (Kapitel 1) und besitzen deshalb an diese Bedingungen speziell angepasste Enzyme. Eine zuckerspaltende β -Glykosidase des thermophilen Archaeb akteriums Py rococcus furiosus ist b eispielsweise b ei 70 °C bis 100 °C hochaktiv und üb er mehrere Tage stabil, da dies der „natürliche“ Lebenstemperaturbereich dieses Organismus ist, der unter anderem im Schlamm von Geysiren anzutreffen ist. Die Enzyme des Menschen sind hingegen an konstante ca. 37 °C angepasst, zwischen etwa 25 °C und 42 °C aktiv und sehr labil b ei Temp eraturen oberhalb von 40 °C.
35
2.1 Bausteine der Zelle
Die Bezeichnung eines Enzyms richtet sich nach der von ihm katalysierten Reaktion und den beteiligten Substraten. Ein Enzym, das Glucose oxidiert, wird mit dem Trivialnamen Glucose-Oxidase bezeichnet; ein Enzym, das Phosphat abspalten kann, mit dem Trivialnamen Phosphatase usw. Die Trivialnamen von Enzymen sind jedoch zu unpräzise. Die wissenschaftlich korrekte Nomenklatur für Enzyme ist durch die Enzymkommission international festgelegt (International Union of Biochemistry and Molecular Biology; IUBMB). In Tabelle 2.2 sind die sechs Hauptklassen der Enzyme aufgeführt. Jedem Enzym ist eine EC-Nummer zur eindeutigen Kennzeichnung zugeordnet. Die erste Ziffer gibt eine der sechs Hauptklassen an, d. h. den übergeordneten Reaktionstyp. Unterschieden werden Oxidoreduktasen, Transferasen, Hydrolasen, Lyasen, Isomerasen und Ligasen. Die zweite und dritte Zahl definieren die katalysierte Reaktion genauer, und die letzte Zahl ist die laufende Nummer des Enzyms innerhalb der Unterklasse. So wird die oben genannte Glucose-Oxidase (Oxidoreduktase) unter EC 1.1.3.4 geführt und mit dem systematischen Namen „β-D-Glucose:Oxygen 1-Oxidoreduktase“ bezeichnet. Man sollte daher in wissenschaftlichen Berichten unter anderem immer zu Beginn die korrekte EC-Nummer des Enzyms nennen. Dieselbe EC-Nummer wird für die gleichen Enzyme aus verschiedenen Organismen und mit verschiedenen Eigenschaften (Aminosäuresequenz, Substratspektrum, pH-Optimum, Temperaturoptimum etc.) vergeben, z. B. für die Glucose-Oxidase aus Aspergillus niger oder Saccharomyces cerevisiae. Entscheidend ist, dass die Enzyme die gleiche Reaktion katalysieren. Es ist deshalb unbedingt notwendig, die „Herkunft“ (Quelle) des Enzyms mit anzugeben, d. h. den Organismus zu nennen, aus dem das Enzym stammt, isoliert und untersucht wurde. Neben den Proteinen können prinzipiell auch andere Biomoleküle katalytische Eigenschaften zeigen, wie die in Kapitel 1 angesprochenen Ribozyme, die aus RNA-Molekülen bestehen (Abschnitt 1.1.3). Der Begriff „Biokatalysator“ bezeichnet in der Technologie nicht immer nur ein „Enzym“. Es können auch biokatalytisch eingesetzte ganze Zellen, Zellfragmente oder immobilisierte Zellen bzw. Enzyme damit gemeint sein.
Tabelle 2.2 Auszug aus dem System zur Klassifizierung der Enzyme, festgelegt durch die internationale Enzymkommission (IUBMB) (modifiziert nach Kula, in Präve et al. 1987). Es gibt sechs Hauptklassen, die weiteren Unterklassen sind nicht vollständig aufgeführt (s. Text). Die aktuell vollständige Klassifizierung ist im Internet frei zugänglich einzusehen (http://www.expasy.ch/enzyme/) 1.
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 2.
2.1 2.2 2.3 2.4 2.7 2.8 3. 3.1 3.2 3.4 3.5 3.6 4.
4.1 4.2 4.3 5. 5.1
Oxidoreduktasen – katalysieren Oxidations-Reduktionsreaktionen durch Übertragung von Wasserstoff und/oder Elektronen für -CH-OH-Gruppen für -C=O-Gruppen für -CH=CH-Gruppen für -CH-NH2-Gruppen für -CH-NH-Gruppen
für NADH; NADPH Transferasen – katalysieren die Übertragung von funktionellen Gruppen Gruppen mit einem C-Atom Aldehyd- oder Keton-Gruppen Acylgruppen Glykosylgruppen Phosphatgruppen Schwefel enthaltende Gruppen Hydrolasen – katalysieren hydrolytische Reaktionen Ester Glykosidische Bindungen Peptidbindungen andere C-N-Bindungen Säureanhydride Lyasen – katalysieren Abspaltungsreaktionen auf nicht-hydrolytischem Wege unter Zurücklassung einer Doppelbindung bzw. die Anlagerung von Gruppen an Doppelbindungen -C=C-C=O -C=NIsomerasen – katalysieren reversibl e Umwandlungen isomerer Verbindungen Racemasen
6.
Ligasen (Synthetasen) – katalysieren die kovalente Verknüpfung zweier Moleküle unter Spaltung einer energiereichen Verbindung (ATP)
6.1
C-O
6.2
C-S
6.3
C-N
6.4
C-C
2
2
36
2.1.7 Enzymkatalyse Enzyme sind „echte“ Katalysatoren. Sie gehen aus der von ihnen katalysierten Reaktion unverändert hervor und stellen in extrem kurzer Zeit das thermodynamische Gleichgewicht einer Reaktion her (s. u.). Enzyme beschleunigen die Geschwindigkeit einer von ihnen katalysierten Reaktion um einen Faktor von 108 bis 1020 und dies unter moderaten pH- und Temperaturbedingungen. Die Moleküle, die mit den Enzymen interagieren (wechselwirken) und dabei chemisch verändert werden, bezeichnet man als Substrate und nicht, wie ansonsten allgemein bei Proteinen üblich, als Liganden. Besonders bemerkenswerte und herausragende Eigenschaften der Enzyme sind ihre Selektivitäten. Jedes Enzym katalysiert in der Regel nur einen Reaktionstyp (reaktionsselektiv) an einer bestimmten Stelle des Substratmoleküls (regioselektiv), auch wenn mehrere gleich reaktive Gruppen im Substratmolekül vorkommen. Enzyme sind weiterhin stereoselektiv, d. h. sie unterscheiden zwischen der enantiomeren D- und L-Form der Aminosäuren und Zucker bzw. der R- und S-Form anderer chiraler Substanzen (R,S ist die allgemeine Nomenklatur für Enantiomere nach der Cahn-IngoldPrelog-Regel). Zudem muss ein Substratmolekül eine partielle, strukturelle Komplementarität zum aktiven Zentrum des Enzyms – das ist die Stelle am Protein, an der das Substrat bindet und die Reaktion abläuft – aufweisen, da es ansonsten nicht als Substrat akzeptiert wird (substratselektiv). Die strukturelle Toleranz, die ein Enzym für seine Substrate besitzt, kann je nach Herkunft und Aufgabe des Enzyms variieren. Man spricht demgemäß von einem breiten oder engen Substratspektrum. So setzt beispielsweise die Hexokinase (EC 2.7.1.1; ATP:D-Hexose 6-Phosphotransferase; erstes Enzym in der Glykolyse, s. Abb. 2.20) von E. coli strukturell ähnliche Substrate wie D-Glucose, D-Fructose und D-Mannose mit ATP zu den entsprechenden D-Hexose-6phosphaten um. Die Aspartase (EC 4.3.1.1; LAspartat:Ammonium-Lyase) von E. coli akzeptiert hingegen nur L-Aspartat als Substrat, sie ist somit spezifisch für ein einziges Substratmolekül. Die enorme Selektivität von Enzymen ermöglicht in wässriger Lösung gezielte Reaktionen in komplexen Reaktionsgemischen und ohne die
2 Einführung in die Biochemie
Bildung unerwünschter Nebenprodukte. Enzyme sind aufgrund all dieser Eigenschaften für biotechnologische Anwendungen in Bioreaktoren von größtem Interesse. Im Folgenden soll das allgemeine Prinzip der Enzymkatalyse erläutert werden. Bei jeder chemischen Reaktion muss zuerst eine Energiebarriere überwunden werden, damit bestehende Bindungen an einem Molekül aufgebrochen und neu verknüpft werden können und die Reaktion abläuft. Die dafür notwendige Energie wird als Aktivierungsenergie (ΔG#) bezeichnet (Abb. 2.11a). Der Punkt mit dem höchsten Energiewert kennzeichnet den labilen Übergangszustand [S#] des reagierenden Moleküls bei der entsprechenden Reaktion (S → P), der erreicht werden muss, damit sich aus einem Edukt S ein Produkt P bilden kann. Bei der hydrolytischen Spaltung einer Peptidbindung (Amidbindung), die wir als Beispiel betrachten wollen, ist der Übergangszustand der Reaktion beispielsweise durch ein tetraedrisches C-Atom gekennzeichnet (Abb. 2.12). Es müssen drastische Reaktionsbedingungen gewählt werden, damit die Peptidbindungen in Proteinen chemisch hydrolysiert werden (6 M HCl, 100 °C, mehrere Stunden). Beachtet werden muss zudem, dass aus thermodynamischen Gründen eine Reaktion nur dann spontan ablaufen kann, wenn das Energieniveau des entstehenden Produktes (P) niedriger ist, als das des Eduktes (S). Bei solch einer Reaktion wird Energie freigesetzt, es resultiert ein negatives ΔG (–ΔG) und die Reaktion ist exergon. Wäre hingegen das Energieniveau des Produktes höher als das des Eduktes, würde man für die Reaktion Energie benötigen. Es resultierte ein positives ΔG (+ΔG) für die Reaktion, die endergon wäre und ohne Energiezufuhr nicht spontan ablaufen würde. Das ΔG einer Reaktion hängt von den Bedingungen (Temperatur, Druck, Konzentrationen) ab und wird durch die Ableitung der Gibbs-Funktion beschrieben. $G $G 0 / RT ln
[Produkte] [Edukte]
(Ableitung der Gibbs-Funktion) Dabei beschreibt ΔG0/ die biologisch verfügbare Energie der Reaktion unter Standardbedingungen (25 °C; 1 bar Druck; pH 7,0; 1 M der Stoffe), R die Gaskonstante, T die Temperatur und [Pro-
2.1 Bausteine der Zelle
dukte] bzw. [Edukte] die Konzentrationen der Stoffe zu Beginn der Reaktion. Befindet sich die Reaktion im Gleichgewicht, ist ΔG = 0. Der Wert für ΔG einer Reaktion erlaubt somit eine Aussage darüber, ob diese Reaktion thermodynamisch möglich ist, sagt jedoch nichts über ihre Geschwindigkeit aus. Ein negativer ΔG-Wert zeigt an, dass eine Reaktion spontan ablaufen könnte, aber nicht, ob sie tatsächlich mit einer wahrnehmbaren Geschwindigkeit vonstattengeht. Die Verbrennung des Papiers dieses Buches zu CO2 und H2O ist beispielsweise eine stark exergone Reaktion, offensichtlich findet sie jedoch spontan nicht statt, sondern dazu bedarf es einer Aktivierung (z. B. durch ein brennendes Streichholz). Die tatsächliche Geschwindigkeit einer Reaktion hängt von der bereits erwähnten freien Aktivierungsenergie ΔG# ab, die der Differenz der freien Energie zwischen dem Substrat und dem Übergangszustand (S#) entspricht (Abb. 2.11a). Reaktionen mit einer hohen Aktivierungsenergie laufen spontan nicht oder nur sehr langsam ab. Enzyme beeinflussen nicht den Wert für ΔG einer chemischen Reaktion, d. h. sie sind nicht
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in der Lage, eine thermodynamisch unmögliche Reaktion zu ermöglichen. Enzyme beschleunigen jedoch thermodynamisch mögliche Reaktionen, indem sie die Aktivierungsenergie ΔG# der betreffenden Reaktion herabsetzen und die Einstellung des Gleichgewichts der Reaktion enorm beschleunigen (Faktor zwischen 108 und 1020). Die entscheidende Herabsetzung der Aktivierungsenergie einer Reaktion durch ein Enzym (ΔGE# <<< ΔG#) resultiert aus der Stabilisierung des Übergangszustands am Substratmolekül (ES#) (Abb. 2.11b). Enzyme sind im aktiven Zentrum deshalb nicht präzise komplementär zu ihren Substraten – dann wären es „Antikörper“ und würden die bestehende Substratstruktur thermodynamisch zusätzlich stabilisieren –, sondern sie sind optimal komplementär zur instabilen Übergangszustandsgeometrie ihrer Substrate bei der Reaktion (Kirby 1996). Zuerst wird das Substrat über statische Bindungen im aktiven Zentrum des Enzyms gebunden [ES]. Nach der Substratbindung kommen aufgrund der Enzymstruktur weitere dy namische Bindungen im aktiven Zentrum ins Spiel,
Abb. 2.11 Übergangszustandsdiagramm einer (a) chemischen und (b) enzymatischen Reaktion (G = freie Enthalpie; E = Enzym; S = Substrat; S# = Substrat im Übergangszustand; P = Produkt; ΔG# = freie Aktivierungsenthalpie/energie, nicht katalysiert; ΔGE# = freie Aktivierungsenthalpie/-energie, enzymkatalysiert)
Abb. 2.12 Hydrolytische Spaltung einer Peptidbindung (Amidspaltung) und instabiler Übergangszustand der Reaktion
2
2
38
die mit dem Substrat wechselwirken und es in seinen Übergangszustand überführen [ES#]. Das Substrat im Übergangszustand kann jetzt in das energieärmere Produkt abreagieren [EP] und das Produkt wird freigesetzt. Die bereits in Abbildung 2.12 angesprochene hydrolytische Peptidspaltung (exergon; ΔG0/ je nach Seitengruppen der Aminosäuren zwischen ca. –10 und –15 kJ/mol) wird enzymatisch beispielsweise von Verdauungsenzymen wie Chymotrypsin katalysiert, für das der Reaktionsmechanismus detailliert aufgeklärt ist. Chymotrypsin hat eine hydrophobe Bindungstasche im aktiven Zentrum, die selektiv hydrophobe aromatische Reste von bestimmten Aminosäuren
Abb. 2.13 Schematische Darstellung des aktiven Zentrums von Chymotrypsin mit dem „OxianionenLoch“ (Details s. Text)
Abb. 2.14 Zweistufiger Reaktionsmechanismus von Chymotrypsin (schematisch); AAn = weitere Aminosäuren des Proteins
2 Einführung in die Biochemie
(L-Trp, L-Phe, L-Tyr) in Peptiden bzw. Proteinen als Substrate erkennt, bindet und in die richtige Position bringt. Hier spielen die statischen Bindungen zwischen Enzym und Substrat die entscheidende Rolle. Es folgt über das Wechselspiel mehrerer dynamischer Bindungen ein nucleophiler Angriff des Serinrestes vom Chymotrypsin (Serin-Protease) im aktiven Zentrum auf das CAtom der zu spaltenden Peptidbindung unter Bildung des kurzlebigen tetraedrischen Übergangszustandes [ES#]. Dieser nucleophile Angriff wird durch das Zusammenspiel einer katalytischen Triade (Ser Ù His ÙAsp) ermöglicht und der tetraedrische Übergangszustand wird durch ein „Oxianionen-Loch“ im aktiven Zentrum stabilisiert (Abb. 2.13). Es folgen Umlagerungen am tetraedrischen C-Atom, die zur Spaltung der Peptidbindung, Freisetzung des Aminorestes und Bildung eines Acyl-Enzym-Zwischenproduktes führen (Abb. 2.14). Dann lagert sich anstelle des freigesetzten Aminorestes ein Wassermolekül im aktiven Zentrum an, das aktiviert durch einen Histidinrest erneut nucleophil das C-Atom des Acyl-Enzym-Zwischenproduktes angreift, wiederum in einen tetraedrischen Übergangszustand überführt [E-Acyl#], der nach erneuten Umlagerungen den Carboxylrest der Peptidbindung freisetzt. Chymotrypsin ist in seinen ursprünglichen Zustand versetzt, und die Peptidbindung wurde in mehreren Teilschritten hydrolysiert. Als ein weiteres Beispiel wird – ohne nochmals auf die Bildung von Übergangszuständen näher einzugehen – die Umsetzung von 3-Phosphoglycerinaldehyd am aktiven Zentrum der Gl ycerinald ehyd –3-ph osph at-Dehyd rogenase
2.1 Bausteine der Zelle
(GAP-DH), einem wichtigen Enzym der Glykolyse, dargestellt (Abb. 2.15). Hierbei handelt es sich um eine Oxidation unter Mitwirkung des Coenzyms Nikotinamid-Adenin-Dinucleotid (NAD+), das dabei reduziert wird. Zuerst bindet das Substrat, 3-Phosphoglycerinaldehyd, im aktiven Zentrum der GAP-DH, in dem bereits auch NAD+ gebunden vorliegt. Die erste Teilreaktion ist eine kovalente Thiohalbacetalbindung des Substrates an die SH-Gruppe eines Cysteins. Im zweiten Schritt wird das Substrat durch NAD+ oxidiert, d. h. eine OH-Gruppe wird unter gleichzeitiger Reduktion des Coenzyms zu einer Carbonylfunktion umgewandelt. Es entsteht ein reaktiver Thioester. Im dritten Schritt wird das reduzierte NADH gegen oxidiertes NAD+ aus der Lösung ausgetauscht. Im
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letzten Schritt wird das kovalent gebundene oxidierte Substrat durch Phosphat phosphorolytisch gespalten (Angriff durch Pi). Das nunmehr vorliegende Produkt, 1,3-Diphosphoglycerat, wird aus dem Enzym-Produkt-Komplex entlassen, sodass neues Substrat am aktiven Zentrum binden kann; die Reaktion kann von Neuem beginnen. Die Aldehydoxidation im zweiten Schritt der Reaktionssequenz, eine exergone Reaktion, treibt die Synthese des energiereichen 1,3-Diphosphoglycerats an. Die durch die Oxidation gebildete energiereiche Thioesterverbindung kann chemisch außer durch Phosphat auch durch andere nucleophile Verbindungen (z. B. Wasser, Amine) gespalten werden. Dies wären im Sinne der Enzymreaktion unerwünschte Nebenreaktionen. Durch die Proteinstruktur des aktiven Zentrums
Abb. 2.15 Teilreaktionen der Glycerinaldehy d-3phosphat-Dehydrogenase (nach Berg et al. 2007); R = Molekülrest
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wird aber selektiv nur einem Phosphatmolekül der Zugang ermöglicht. Anhand dieser beiden Beispiele wird das Prinzip der Enzymkatalyse sichtbar. Eine Reaktion verläuft schrittweise, in mehreren Teilreaktionen. Erst werden die Reaktanden im aktiven Zentrum zusammengebracht, dann folgen durch aktivierte Seitenketten des Enzyms (nucleophile bzw. acide oder basische Seitenketten) Angriffe auf spezielle Bereiche der Reaktanden, die die jeweiligen Übergangszustände der Reaktion stabilisieren. Die energiereicheren, reaktionsfähigen Zwischenprodukte werden dabei durch die Proteinstruktur im aktiven Zentrum so abgeschirmt, dass keine Nebenreaktionen stattfinden können.
2.1.8 Coenzyme und Cofaktoren Bei der Umsetzung von 3-Phosphoglycerinaldehyd durch die NAD+-abhängige Oxidoreduktase GAP-DH (Abb. 2.15) und beim Speichern bzw. Transport von O2 durch Myoglobin bzw. Hämoglobin (Abschnitt 2.1.5) haben wir bereits zwei wichtige Beispiele kennengelernt, wie Proteine ihr chemisches Potenzial zur Ausübung ihrer Funktion weiter steigern können, nämlich durch die Beteiligung von Coenzymen bzw. Cofaktoren. Sind die Coenzyme bzw. Cofaktoren an das Protein assoziiert, liegt ein Holoprotein vor; sind diese Moleküle dissoziiert, wird das Protein als Apoprotein bezeichnet (aktives Holoprotein I inaktives Apoprotein + Cofaktor). Als Coenzyme werden organische Moleküle wie Nikotinamid-Adenin-Dinucleotid (NAD+)
Abb. 2.16 Zwei häufig auftretende Cofaktoren (Coenzyme) für die Enzymkatalyse von Redoxreaktionen; (a) Flavinanteil von FAD bzw. FMN; (b) Nikotinamidanteil von NAD+ bzw. NADP+; R = Molekülrest
2 Einführung in die Biochemie
bzw. das phosphorylierte Derivat (NADP+), Flavin-Adenin-Dinucleotid (FAD), Flavinmononucleotid (FMN) oder auch Adenosintriphosphat (ATP) bezeichnet, die am Enzym binden und stöchiometrisch bei der Reaktion umgesetzt werden. Sie müssten aus diesem Grund eigentlich – wie manchmal auch praktiziert – präziser als C osubstrate angesprochen werden, da sie nicht unverändert aus einem Reaktionszyklus hervorgehen, sondern erst in einer weiteren Reaktion, meist von anderen Enzymen im Stoffwechsel, wieder regeneriert werden müssen. Die Coenzyme leiten sich in der Regel von Vitaminen ab, aus denen sie in der Zelle biosynthetisch erzeugt werden. Die erstgenannten Coenzyme NAD+, NADP+, FAD und FMN sind besonders bei diversen Oxidoreduktase-katalysierten Reaktionen notwendig, da sie als Redoxkomponenten leicht reduziert bzw. oxidiert werden können. Die reduzierte Form dieser Coenzyme stellt zudem einen „chemischen Energiespeicher“ für die Zelle dar (Abschnitt 2.2.1). Die für die Oxidoreduktionsreaktionen relevanten Molekülreste von FAD bzw. FMN sowie NAD+ bzw. NADP+ sind in Abbildung 2.16a, b dargestellt. Das ATP oder andere Nucleotidtriphosphate sind energiereiche Coenzyme, die direkt für das Übertragen von Phosphatgruppen genutzt werden und die durch Spaltung der Phosphoestergruppe(n) frei werdende Energie (exergone Reaktion) für gekoppelte endergone Reaktionen zur Verfügung stellen. Wenn organische Cofaktoren, wie beispielsweise die Hämgruppe (Porphyrinringsystem) von Myoglobin bzw. Hämoglobin, entweder kovalent am Protein gebunden sind oder aufgrund sehr hoher nicht-kovalenter Bindungskräfte nicht ohne De-
41
2.2 Stoffwechsel
Tabelle 2.3 Beispiele von Enzymen, die MetallIonen als Cofaktoren besitzen. Ca2+
α-Amylase, Kollagenase, Triacylglycerid-Lipase, Mikrokokken-Nuclease
Co2+
Glucose-Isomerase (Bacillus coagulans)
Cu2+ (Cu+)
Galactose-Oxidase, Tyrosinase
Fe2+ oder Fe3+
Katalase, Cytochrome, Peroxidasen
Mg2+
Desoxyribonuclease (Schweinepankreas), DNA-Polymerasen
Mn2+
Arginase
Na+
Plasmamembran-ATPase (benötigt noch K+ und Mg2+)
Zn2+
Alkoholdehydrogenase (Homo sapiens), Alkalische Phosphatase (Escherichia coli), i Carboxypeptidase B (Homo sapiens)
naturierung vom Protein getrennt werden können, bezeichnet man sie als prosthetische Gruppe. Anorganische Cofaktoren wie die in Tabelle 2.3 dargestellten Metall-Ionen, können bei diversen Proteinen ebenfalls die Funktion von Cofaktoren ausüben. Metall-Ionen nehmen beispielsweise als Redoxpartner an manchen Enzymreaktionen teil, oder sie sind speziell zur besseren Stabilisierung der Proteinstruktur erforderlich.
2.2 Stoffwechsel Wie im ersten Kapitel gezeigt wurde, sind lebende Zellen in der Lage, aus einfachen Substanzen komplizierte, fortpflanzungsfähige, lebendige Systeme aufzubauen. Eine solch komplexe Zellstruktur enthält in der Zelle zwischen verschiedenen Membrankompartimenten Konzentrationsgradienten, pH-Differenzen und andere, damit verbundene Ungleichgewichte. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der eine Entropievermehrung bei jedem Vorgang fordert, muss
ein so hochorganisiertes System die Ordnung – oder was gleichbedeutend ist, einen Zustand konstanter, geringer Entropie (Unordnung) – durch Energiezufuhr von außen erkaufen, d. h. einer konstanten Entropie im Bereich der metabolisch aktiven Zelle entspricht eine Entropiezunahme des Systems Zelle plus Umwelt. Mit der Umwelt werden dabei Stoffe und Energie ausgetauscht. Ein solches offenes System befindet sich in einem sogenannten Fließgleichgewicht, gekennzeichnet durch Stoffdurchsatz bei konstanter Entropie. Während ein geschlossenes System bei konstanter Entropie keine Arbeit zu leisten vermag, kann ein offenes System auch im Fließgleichgewicht Arbeit leisten und über vielfältige metabolische Reaktionen komplexe Zellstrukturen erhalten oder bei der Zellvermehrung neu aufbauen. Als Stoffwechsel wird also der Stoffaustausch zwischen Zelle und Umgebung und die Stoffumsetzung in der Zelle bezeichnet. Dabei werden der Abbau von komplexen Biomolekülen in die Grundbausteine (Katabolismus) und die Synthese von in der Zelle benötigten Biomolekülen aus einfachen Vorläufern (Anabolismus) unterschieden.
2.2.1 Grundmechanismen des Stoffwechsels und der Energiegewinnung Wie im vorstehenden Abschnitt beschrieben, können Enzyme nur thermodynamisch mögliche Reaktionen beschleunigen, also Reaktionen, die durch eine Verringerung der freien Energie der Endprodukte im Vergleich zu den Ausgangsprodukten charakterisiert sind (d. h. der ΔG-Wert ist negativ). Die Erhaltung der Ordnung in der Zelle und der Aufbau von zelleigenen Substanzen, die für Wachstum und Zellerneuerung gebraucht werden, sind Reaktionen, die endergon verlaufen (d. h. der ΔG-Wert ist positiv). Dies bedeutet, dass diese Reaktionen trotz der Beteiligung von Enzymen nur unter Energiezufuhr stattfinden können. Die zum Ablauf dieser Reaktionen nötige freie Energie stammt meist aus einer gekoppelten exergonen Reaktion wie der Spaltung einer Phosphoestergruppe im ATP (s. u., Abb. 2.17b) oder einer Oxidation von reduzierten Coenzymen (s. o.). Diese chemisch gebundene Energie
2
2
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können Organismen aus unterschiedlichen Quellen gewinnen. Autotrophe Organismen (griech. autos = selbst; trophos = Nahrung) können freie Energie durch den Prozess der Photosynthese aus dem Sonnenlicht oder durch Oxidation anorganischer Substanzen, wie z. B. NH3, H2S oder Fe2+ gewinnen – man bezeichnet diese Organismen als „photoautotroph“ bzw. „chemolithotroph“. Im Gegensatz dazu beziehen heterotrophe Organismen (griech. heteros = der andere von beiden) die chemisch gebundene Energie aus der Oxidation organischer Verbindungen wie Kohlenhydraten, Lipiden und Proteinen; sie sind daher letztlich von autotrophen Organismen abhängig. Wasserstoff spielt im Stoffwechsel eine zentrale Rolle. Autotrophe Organismen nutzen die ihnen zur Verfügung stehende Energie (z. B. Strahlungsenergie), um Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zu spalten und Letzteren durch Bindung an Kohlenstoff in einen „aktivierten“ Zustand zu überführen und in Form von Kohlenhydraten und anderen organischen Verbindungen zu speichern. Umgekehrt nutzen heterotrophe Organismen die Potenzialdifferenz zwischen Wasserstoff und Sauerstoff als Energiequelle, indem sie den Wasserstoff aus der Kohlenstoffbindung lösen und ihn mit Sauerstoff unter Energiegewinnung freisetzen. Die Oxidation des Wasserstoffs erfolgt dabei stufenweise, wobei die jeweils frei werdende Energie in biochemische Energie umgewandelt und benutzt wird, die Funktionen des Organismus aufrechtzuerhalten. Wie kann die freie Energie einer exergonen Reaktion benutzt werden, um eine endergone Reaktion zu ermöglichen? Ein wichtiges Prinzip hierzu ist die Kopplung von chemischen Reaktionen in Reaktionsketten, d. h. die Produkte einer ersten Reaktion werden als Substrate der nachfolgenden Reaktion umgesetzt, dabei entstehende Produkte in einer Folgereaktion wiederum umgesetzt usw. Sehr oft werden endergone und exergone Reaktionen auf diese Weise stofflich miteinander gekoppelt. Da sich die freie Energie gekoppelter Reaktionen additiv aus den freien Energien der Einzelreaktionen zusammensetzt, kann eine exergone Reaktion eine mit ihr gekoppelte endergone Reaktion antreiben, sofern die Gesamtreaktion exergon ist. Ein zweites wichtiges Prinzip des Stoffwechsels ist die Möglichkeit, die freie Energie exergonischer Reaktionen in energiereichen Ver-
2 Einführung in die Biochemie
bindungen zwischenzuspeichern und an anderer Stelle in der Zelle zu nutzen. Die meisten katabolen Stoffwechselwege verlaufen exergonisch, wie z. B. die Oxidation von Kohlenhydraten zu Wasser und Kohlendioxid bei der Zellatmung. Die Bruttogleichung für diese Reaktion lautet: C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O ΔG0 /= – 2871 kJ/mol (–686 kcal/mol) Die in energiereichen „Carriermolekülen“ gespeicherte freie Energie dieser Reaktion kann dann benutzt werden, um den in der Regel endergonisch verlaufenden anabolen Stoffwechsel zu ermöglichen. Die wichtigste Substanz, mit der chemische Energie in der Zelle übertragen wird, ist das bereits mehrfach erwähnte „Coenzym“ Adenosintriphosphat (ATP), die „Energiewährung der Zelle“ (Abb. 2.17a). Unter Bedingungen des Zellmilieus tragen die Phosphatreste des ATPs negative Ladungen. Durch die Ladungsabstoßung von drei benachbarten Phosphatgruppen verhält sich das Molekül wie eine gespannte Feder. Bei der Abspaltung der ersten oder zweiten Phosphatgruppe wird Energie frei, die auf andere Reaktionspartner übertragen werden kann. Die Abspaltung eines Phosphatrestes führt zu Adenosindiphosphat (ADP) und liefert unter Standardbedingungen ΔG0/ = –30,5 kJ/ mol (–7,3 kcal/mol). Legt man entsprechend der Ableitung der Gibbs-Funktion (Abschnitt 2.1.7) typische zelluläre Bedingungen zugrunde, so liegt der tatsächliche Wert für ΔG bei etwa –50 kJ/mol (–12 kcal/mol). Abbildung 2.17b zeigt schematisch, wie die exergone Spaltung von ATP in ADP und einen Phosphatrest mit der endergon verlaufenden Verknüpfung zweier Moleküle gekoppelt werden kann. Durch die verschiedenen katabolen Stoffwechselwege entsteht energiereicher, coenzymgebundener Wasserstoff (Abb. 2.19), der bei der Zellatmung für den Aufbau eines Protonen-/ Ionen-Gradienten sorgt und im Zusammenspiel mit einer membranständigen ATP-Synthase das ADP wieder zu ATP phosphoryliert. Aus der biochemischen Aufgabe von ATP wird verständlich, dass es fortlaufend gebildet und zu ADP und Phosphat abgebaut wird. Der Umsatz an ATP im menschlichen Körper ist beträchtlich und beträgt pro Tag ca. 40 kg. Bei körperlicher Höchstleistung wird der Umsatz bis zu 20-fach ge-
2.2 Stoffwechsel
steigert. Dabei müssen die ATP-liefernden Reaktionen sehr schnell ansprechen, da die ATP-Menge, die in einer Zelle vorhanden ist, nur für wenige Sekunden zur Versorgung der Zelle ausreicht. Neben ATP existieren noch andere wichtige als Zwischenspeicher freier Energie bzw. Carrier energiereicher Gruppen genutzte Moleküle. Beispiele sind die bereits erwähnten Cofaktoren NAD+ und NADP+. Diese Verbindungen können zu NADH und NADPH reduziert werden und fungieren in diesem Zustand als Speicher für „energiereiche“ Hydrid-Ionen (zwei Elektronen plus ein Proton), die sie auf andere Moleküle übertragen können. Dies spielt bei reduktiven Biosyntheseschritten des Anabolismus bzw. bei der Atmungskettenphosphorylierung eine große Rolle (s. u.). Eine Energieskala für verschiedene biologisch relevante Energien ist in Abbildung 2.18 dargestellt. Für die Umrechnung von geläufi-
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gen Kilokalorien(kcal)-Werten in Kilojoule(kJ)Werte wird 1 kcal = 4,185 kJ zugrunde gelegt. Um thermische Schwingungen in einem Molekül anregen zu können, sind ca. 2,5 kJ/mol (0,6 kcal/ mol) erforderlich. Dazu reicht z. B. die Raumtemperatur aus. Um schwache Bindungen, wie sie bei der Stabilisierung eines Proteins auftreten, zu spalten, sind etwa 15 kJ/mol (ca. 3,5 kcal/mol) erforderlich. Die Spaltung einer Phosphatgruppe aus ATP liefert ca. 50 kJ/mol (12 kcal/mol). Sichtbares Licht kann diese Energie bereitstellen, wie dies bei der Photosynthese geschieht. Grünes Licht hat einen Energiegehalt von ca. 239 kJ/ mol (57 kcal/mol). Zur Spaltung stabilerer C–CBindungen sind 347,5 kJ/mol oder 78 kcal/mol, d. h. energiereicheres UV-Licht, erforderlich. Der Energiegehalt eines ganzen Moleküls, etwa von Glucose, entspricht mehr als 1 500 kJ/mol.
2.2.2 Kataboler Stoffwechsel
Abb. 2.17 (a) Adenosintriphosphat, die molekulare Energieüberträgersubstanz in der Zelle. (b) Kopplung der Spaltung von ATP mit der Kondensation der Moleküle A und B
Die Nutzung der chemischen Energie von Nahrungssubstanzen, z. B. von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen, erfolgt in Reaktionen des katabolen Stoff wechsels. Hierbei wird, wie bereits angedeutet, der in diesen organischen Molekülen durch Bindung an Kohlenstoff in einem „aktivierten“ Zustand gespeicherte Wasserstoff schrittweise freigesetzt und auf Sauerstoff übertragen. Die wichtigsten Reaktionsketten, die beim Abbau dieser Substanzen b eteiligt sind, sollen kurz dargestellt werden. Zunächst werden die polymeren Substanzen, die beispielsweise als Energiespeicher in der Zelle oder aus der Nahrung zur Verfügung stehen, enzymatisch in ihre Grundbausteine (z. B. Zucker, Fettsäuren [Abb. 2.3], Aminosäuren [Abb. 2.4]) zerlegt. Liegen diese Bausteine bereits separat in
Abb. 2.18 Energiebeträge biologisch wichtiger Energieträger (nach Berg et al. 2007)
2
2
44
der Nahrung vor, so erfolgt die direkte Umsetzung. Diese Grundbausteine werden in charakteristischen Stoffwechselwegen in C3- oder C2Verbindungen umgesetzt, die dann in den nachfolgenden Stoffwechselreaktionen weiter oxidiert werden (Abb. 2.19).
2 Einführung in die Biochemie
Der Abbau von Glucose in der Zelle erfolgt über die Glykolyse zu Pyruvat (Synonyme: Brenztraubensäure, α-Ketopropionsäure) und zum AcetylCoA (Synonyme: S-Acetyl-Coenzym A; „aktivierte Essigsäure“). Der Acetylrest von Acetyl-CoA wird im Citronensäurezyklus (Synonym: Citratzyklus)
Abb. 2.19 Übersicht über die wichtigsten Abbauwege (katabole Stoffwechselwege)
2.2 Stoffwechsel
zu Kohlendioxid oxidiert, welches als Endprodukt der Kohlenstoffoxidation aus den Zellen entweicht. Der von der Glucose stammende Wasserstoff liegt nun an Coenzymmoleküle (NADH, FADH2) gebunden vor. In der Atmungskette erfolgt dann allgemein betrachtet die schrittweise Oxidation mithilfe von Sauerstoff unter Bildung von Wasser und Adenosintriphosphat (ATP). Der katabole Stoffwechsel ist eng an den anabolen (aufbauenden) Stoffwechsel gekoppelt. Anabole Reaktionsketten gehen von Bausteinen aus, die als Zwischenprodukte der abbauenden Reaktionswege zur Verfügung stehen. Die Substanzen, die in der Glykolyse und im Citronensäurezyklus vorliegen, werden in vielfältiger Weise für den Aufbau zelleigener Bausteine genutzt. Beispielsweise wird aus Oxalacetat, einem Zwischenprodukt des Citronensäurezyklus, Asparaginsäure gebildet, die wiederum Ausgangspunkt für die Biosynthese von Lysin, Methionin, Threonin und Isoleucin ist. Einige dieser anabolen Reaktionen führen zu Substanzen, die auch im technischen Maßstab biotechnologisch hergestellt werden. Zum genaueren Studium dieser Stoffwechselwege wird auf die weiterführenden Lehrbücher der Biochemie verwiesen.
2.2.3 Glykolyse Im biologischen Kohlenstoffkreislauf ist ein großer Anteil des Kohlenstoffs in Form polymerer Zucker, z. B. als Cellulose oder Stärke, gebunden. Der biologische Umsatz dieser Verbindungen übertrifft die Menge aller technisch produzierten Substanzen um mehrere Größenordnungen. Die Biosynthese dieser Verbindungen – z. B. mithilfe der Photosynthese – und der biologische Abbau verlaufen über Glucosederivate. Deshalb sind Stoffwechselwege, die Glucosederivate umsetzen können, wie die Glykolyse, in fast allen Zellen vorhanden. Weitere Möglichkeiten, Glucose für die Zelle metabolisch zu nutzen sind der Pentosephosphatweg, der Glucose über C5- bzw. C4-Verbindungen metabolisiert, oder ein bei Prokaryoten gefundener Abbauweg, der Glucose vor der Spaltung in C3-Einheiten in C1-Stellung oxidiert. Die Glykolyse soll stellvertretend für zahlreiche solcher metabolischen Reaktionsketten näher betrachtet werden (Abb. 2.20).
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Beim Eintritt in die Zelle wird Glucose von Hexokinase mithilfe von ATP zu Glucose-6-phosphat phosphoryliert und damit aktiviert. Glucose6-phosphat wird dann zu Fructose-6-phosphat isomerisiert, einem Zucker, der ebenfalls sechs Kohlenstoffatome enthält, aber keine Aldose, sondern eine Ketose ist. Fructose-6-phosphat wird im nächsten Schritt von Phosphofructokinase, einem regulatorischen, allosterischen Enzym, zu Fructose-1,6-diphosphat phosphoryliert. Für die Übertragung des Phosphatrestes wird wie beim ersten Phosphorylierungsschritt der Glykolyse ATP benötigt und hydrolysiert, um das Gleichgewicht der Reaktionen auf die Seite der Produkte zu verschieben. Im nächsten Schritt wird Fructose-1,6-diphosphat in zwei C3-Verbindungen aufgespalten, die über Triosephosphat-Isomerase miteinander im Gleichgewicht stehen. Das 3-Phosphoglycerinaldehyd wird durch 3-PhosphoglycerinaldehydDehydrogenase ständig abgezogen, und über die angegebenen Schritte wird Pyruvat gebildet. Die ATP-Bilanz dieser Reaktionskette sieht folgendermaßen aus: Für die Phosphorylierung der Glucose und des Fructose-6-phosphats wird jeweils ein Molekül ATP benötigt. Bei den Umsetzungen einer von zwei C3-Verbindungen werden zwei Moleküle ATP gebildet. Als Gesamtbilanz werden also im Verlauf der Glykolyse eines C6-Moleküls zwei ATP-Moleküle freigesetzt. Die Glykolyse ist insgesamt exergon, Teilreaktionen dieser Sequenz sind zwar unter Standardbedingungen (ΔG0/) endergonisch, z. B. die Umwandlung von Dihydroxyacetonphosphat in 3-Phosphoglycerinaldehyd, laufen jedoch unter den tatsächlichen, dynamischen Konzentrationsbedingungen der Zelle ab (–ΔG; Abschnitt 2.1.7, Ableitung der Gibbs-Funktion). Der Reaktionsmechanismus der Phosphorylierung von 3-Phosphoglycerinaldehyd zu 1,3Diphosphoglycerat wurde bei der Einführung der Enzyme bereits genauer vorgestellt (Abb. 2.15). Diese Phosphorylierung erfolgt im Unterschied zu den anderen Phosphorylierungen, die ATP benötigen, mit freiem Phosphat. Dazu wird die Redoxreaktion von NAD+ zu NADH + H+ benötigt. Als Zwischenprodukt bildet sich eine energiereiche, am Enzym kovalent gebundene Zwischenstufe, die durch Phosphat gespalten wird. Die Energie, die in 1,3-Diphosphoglycerat gespeichert ist, wird in den nachfolgenden Schritten
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2 Einführung in die Biochemie
Abb. 2.20 Glykolyse
auf ADP unter ATP-Bildung übertragen. Diese Art der Phosphorylierung, ausgehend von freiem Phosphat unter Nutzung von Redoxenergie, wird Substratkettenphosphorylierung genannt.
2.2.4 Zellatmung Biochemiker und Zellbiologen benutzen oftmals den Begriff „Zellatmung“ und beziehen dies im engeren Sinne auf die molekularen Prozesse, durch die aerobe Zellen O2 verbrauchen und CO2 produzieren. Diese Prozesse sind in drei wichtige Abschnitte untergliedert:
1. Organische Moleküle wie Zucker (z. B. Glucose, Glykolyse), Aminosäuren und Fettsäuren werden zu C2-Molekülen in Form von AcetylCoA oxidiert. 2. Die Acetyl-CoA-Moleküle werden in den Citronensäurezyklus eingeschleust und enzymatisch weiter zu CO2 oxidiert. Die durch die Oxidation freigesetzte Energie wird in Form von reduzierten Energiecarriern, den Coenzymen NADH und FADH2, konserviert. 3. Die in diesen Energiecarriern gespeicherte Energie wird durch Re-Oxidation freigesetzt, indem diese Protonen (H+) und Elektronen an membrangebundene Proteinkomplexe abgeben. Die membrangebundenen Proteinkom-
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2.2 Stoffwechsel
plexe (Enzyme), die sogenannte Atmungskette, geben die Elektronen an den endgültigen Akzeptor O2 weiter, und es entsteht unter Einbeziehung freier Protonen (H+) Wasser (H2O). Der durch die Atmungskette über eine Membran erzeugte Protonen- und Ionengradient (s. u.) wird zur Bildung von ATP durch die ebenfalls membranständige ATP-Synthase genutzt. Der Quotient von bei der Zellatmung produziertem Kohlendioxid und verbrauchtem Sauerstoff in einem Kultivierungsprozess wird als respiratorischer Quotient (RQ) bezeichnet. Er kann z. B. als Stoffverhältnis von gebildetem CO2 zu verbrauchtem O2 bestimmt werden. Bei der Umsetzung der Zucker werden aus sechs O2-Molekülen sechs CO2-Moleküle gebildet, d. h. der Quotient ist 1. Bei Fetten und Proteinen beträgt der Quotient 0,71 bzw. 0,8. Bei der Veratmung sauerstoffreicher Säuren, die häufig in Pflanzen auftreten (z. B. Weinsäure, Apfelsäure), ist der respiratorische Quotient größer als 1. Wird Schimmelpilzen gleichzeitig Kohlenhydrat und Fett im Wachstumsmedium angeboten, dann bleibt der Quotient zunächst 1, bis das Kohlenhydrat verbraucht ist, und sinkt dann auf den Wert für die Fettsäure ab. Vom respiratorischen Quotienten kann also näherungsweise auf die Art der Substratverwertung geschlossen werden. In der eukaryotischen Zelle erfolgen die sich an die Glykolyse anschließenden Oxidationsschritte des Citronensäurezyklus (Citratzyklus) und der Atmungskette in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle. Hierzu wird das bei der Glykolyse gebildete Pyruvat in die Mitochondrien transportiert und über das intermediär gebildete Acetyl-CoA in den Citratzyklus eingeschleust und dort zu CO2 oxidiert. Der bei diesen Schritten anfallende, an Coenzyme (NADH, FADH2) gebundene Wasserstoff wird dann, wie bereits eingangs erläutert, über verschiedene Redoxreaktionen der membrangebundenen Enzyme der Atmungskette auf Sauerstoff übertragen. Weiterhin wird der im Cytoplasma bei der Glykolyse gebildete, an NADH gebundene Wasserstoff an den Mitochondrien von Trägersubstanzen übernommen und ins Innere der Mitochondrien transportiert und dort ebenfalls in die Atmungskette eingespeist; dies führt zur Regenerierung des für die Substratkettenphos-
phorylierung essenziellen NAD+ im Cytoplasma. Die Redoxreaktionen, d. h. die Übertragung des Wasserstoffs auf den Sauerstoff, führen zum Aufbau eines Protonengradienten über der inneren Membran der Mitochondrien. Dieser Gradient treibt ATP-synthetisierende Enzyme an (ATPSynthasen), die sich ebenfalls in der inneren Membran der Mitochondrien befinden. Diese Art der Phosphorylierung von ADP wird oxidative Phosphorylierung genannt und liefert 32 ATP-Moleküle pro Glucosemolekül. Durch den Citratzyklus in den Mitochondrien kommen noch zwei Moleküle Guanosintriphosphat (GTP) dazu, die energetisch als ATP-Äquivalent angesehen werden können. Zusammen mit den aus der Glykolyse gebildeten zwei Molekülen ATP werden also insgesamt 36 Moleküle ATP pro Glucosemolekül erzeugt. Der Wirkungsgrad der Energieübertragung beträgt bei Standardbedingungen 38 %, liegt aber bei den realen Konzentrationsverhältnissen der Zelle höher. In prokaryotischen Zellen finden die membrangebundenen Reaktionen der Atmungskette und der ATP-Synthese an der Zellmembran statt. Bei reichlichem Nahrungsangebot werden neben ATP makromolekulare Energiespeichermoleküle in den Zellen synthetisiert. Für die Langzeitspeicherung werden meist Zuckerpolymere, z. B. Stärke oder Glykogen, als unlösliche Speichergranula angesammelt. Bei Bedarf werden diese Substanzen wieder in die monomeren Bausteine gespalten und im Stoffwechsel umgesetzt.
2.2.5 Gärungen Unter anaeroben Bedingungen, die eine vollständige Oxidation von Kohlenhydraten zu CO2 und Wasser nicht erlauben, erfolgt in vielen Organismen ein teilweiser Abbau. Man bezeichnet diese Prozesse als Gärungen. Im Vergleich zur oben beschriebenen vollständigen Oxidation von Glucose ist die ATP-Ausbeute der Glykolyse mit zwei Molekülen ATP gering. Diese Möglichkeit der ATPBildung durch Substratkettenphosphorylierung ist für Organismen, die keine Atmungskette besitzen, wie etwa die obligaten Anaerobier, die einzige Möglichkeit zur ATP-Synthese. Sie dient auch bei manchen ansonsten aerob lebenden Organismen
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bei Sauerstoffmangel zur Aufrechterhaltung von Zellprozessen. Das in der Glykolyse gebildete Pyruvat wird dabei über Folgereaktionen, z. B. bei der alkoholischen Gärung über die in Abbildung 2.21 aufgezeigte Ethanolbildung, umgesetzt. Für die Bruttogleichung der Alkoholgärung durch Hefen ergibt sich: Glucose → 2 Ethanol + 2 CO2 ΔG0/ = –234,3 kJ/mol (–56 kcal/mol) Unter Berücksichtigung der ATP-Synthese ergibt sich als Nettoreaktion der alkoholischen Gärung: Glucose + 2 Pi (Phosphat) + 2 ADP → 2 Ethanol + 2 CO2 + 2 ATP + 2 H2O
Abb. 2.21 Enzymkatalysierte Reaktionen in Hefen bei der Umwandlung von Pyruvat zu Ethanol (Gärung)
Abb. 2.22 Produkte aus der Vergärung von Glucose durch die wichtigsten Gruppen der Gärorganismen (nach Wartenberg 1989)
2 Einführung in die Biochemie
B ei der Gärung entsteht ein verhältnismäßig energiereiches Produkt wie Ethanol, das in der Regel ausgeschieden wird. Weitere Beispiele für Produkte, die bei Gärprozessen gebildet werden, sind Milchsäure (Lactat), Propionsäure (Propionat), Ameisensäure (Formiat), Buttersäure (Butyrat) und Essigsäure (Acetat). Abbildung 2.22 zeigt bekannte Stoff wechselwege, die b ei Gärungsreaktionen beobachtet werden. Allen Folgereaktionen ist gemein, dass sie zur Re-Oxidation des NADH zu NAD+ führen – in Abbildung 2.22 als Aufnahme von [2H] dargestellt –, welches für den Ablauf der Glykolyse zur Substratkettenphosphorylierung benötigt wird (Abb. 2.20). Ohne diese Regenerierung von NAD+ durch die Folgereaktionen würde die Glykolyse und
2.3 Regulation zellulärer Vorgänge
damit die ATP-Produktion schnell zum Erliegen kommen. Wie bereits erwähnt, können anaerobe Organismen Sauerstoff als Elektronenakzeptor nicht nutzen, da sie über keine der Atmungskette vergleichbaren Enzymsysteme verfügen. Stattdessen werden die Reduktionsäquivalente, wie [2H] auch genannt werden, von organischen Molekülen aufgenommen. Entsprechend der geringeren ATPAusbeute sind das Wachstum und die Zellausbeute, bezogen auf das Nährsubstrat, gegenüber aeroben Mikroorganismen drastisch geringer. Ähnlich den beschriebenen Gärungsreaktionen bilden Anaerobier dabei für die biotechnologische Nutzung interessante Substanzen, z. B. Ethanol oder Methan (Biogas), die aus der Zelle ausgeschieden werden. Diese Eigenschaften der Anaerobier werden bei der anaeroben Reinigung belasteter Abwasserströme genutzt. Im Vergleich zu aeroben Organismen entstehen nutzbares Biogas und wesentlich geringere Mengen an Klärschlamm.
2.3 Regulation zellulärer Vorgänge Eine grundlegende Eigenschaft aller Lebewesen ist die Fähigkeit, ihren Stoffwechsel sowie ihre sonstigen Aktivitäten den äußeren Bedingungen anzupassen. Diese Fähigkeit zur Anpassungg beruht auf einer äußerst komplexen sensorischen und regulatorischen Maschinerie, deren Grundbausteine bereits vorgestellt wurden und deren Zusammenspiel in diesem Kapitel näher betrachtet werden soll. Die molekularen Mechanismen der Stoffwechsel-Steuerung sind auch für die Bioprozesstechnik sehr wichtig. Im Verlauf einer Kultivierung von Zellen im Rührkessel wird die eingesetzte Kohlenstoff- und Energie-Quelle (z. B. Glucose) verbraucht, und die Zellzahl nimmt während einer Kultivierung um mehrere Größenordnungen zu. Jede Zelle ist also einer Konzentrationsabnahme der Nährstoffe und zunehmender Konkurrenz um gelösten Sauerstoff im Medium ausgesetzt. Selbst bei kontinuierlichen Verfahren sind lokale Änderungen der Reaktionsbedingungen im Bereich der Zudosierung von Medium
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nicht auszuschließen. Bei Produktions-Bioreaktoren (ca. > 1 m3) treten, z. B. aufgrund von Geschwindigkeitsgradienten zwischen Rührelement und Reaktorgehäuse, Reaktionskompartimente mit verschiedenen Reaktionsb edingungen auf (Kapitel 7), denen die Zellen ausgesetzt sind. Je nach den dabei auftretenden Konzentrationsgradienten und Zeitkonstanten wird eine Zelle auf solche Änderungen reagieren. Das Verständnis der dabei zugrunde liegenden Regulationsmechanismen ist für die Optimierung und Modellierung biotechnologischer Verfahren essenziell.
2.3.1 Biologische Zeitkonstanten Der Zeitbedarf für biologische Reaktionen ist aus Abbildung 2.23 ersichtlich. Die schnellsten Vorgänge in biologischen Systemen laufen im Bereich von Picosekunden ab, z. B. der Primärvorgang beim Sehen. Die gezielte Bewegung von Molekülen hängt von deren Größe ab, beispielsweise verlaufen Knickbewegungen von Proteinen in mehreren Nanosekunden. Die Entspiralisierung doppelsträngiger Desoxyribonucleinsäure (DNA), einem sehr großen Molekül, erfordert Mikrosekunden. Richtwert für den Zeitbedarf einer enzymatischen Reaktion sind Millisekunden. Er hängt stark von der Anzahl der Reaktionsschritte ab. Die schnellsten enzymatischen Umsetzungen verlaufen im Bereich von Mikrosekunden. Carboanhydrase, ein Enzym, das die Hydratisierung von CO2 und damit den Austausch zwischen wässriger und gasförmiger Phase, z. B. in den Gefäßen der Lunge, katalysiert, setzt in einer Sekunde 1 000 000 Moleküle um (kcat = 1,0 × 106). Dies ist zehnmillionenfach schneller als die unkatalysierte Reaktion und entspricht der theoretisch möglichen Umsatzgeschwindigkeit, die sich aus den Diffusionsstrecken am Enzym ergeben. Mehrstufige Reaktionen, mit mehreren Reaktionspartnern, z. B. Redoxreaktionen, können bis zu einer halben Sekunde für den Umsatz eines Moleküls benötigen. Die Synthese eines Proteins, welches die Kondensation von vielen Aminosäuren erfordert, braucht einige Sekunden. Dies sind auch Zeitkonstanten, die für Regelprozesse, die molekulare Änderungen erfordern, mindestens zu veranschlagen sind. Die Verdopplungszeit ei-
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2 Einführung in die Biochemie
Abb. 2.23 Typische Zeitkonstanten biologischer Reaktionen (nach Berg et al. 2007)
nes Bakteriums, z. B. von dem bereits mehrfach erwähnten Escherichia coli, einem „Arbeitspferd“ der Biotechnologen, beträgt unter günstigen Wachstumsbedingungen etwa 20 Minuten. Die Zellen der Eukaryoten, die einen komplexeren Stoffwechsel aufweisen, benötigen zur Verdopplung der Zellzahl in der Regel wesentlich länger, z. B. mehrere Stunden bis zu Tagen.
2.3.2 Grundmechanismen der Regulation Als Reaktion eines lebenden Systems auf Veränderungen der Umwelt werden Stoffwechselvorgänge an- und abgeschaltet, d. h. die Aktivitäten von Enzymen gezielt verändert. Dies ist durch Änderung der Aktivität der bereits synthetisierten Enyzme oder durch Änderung der Expression (de novo) von Enzymmolekülen möglich. Die Regulation dieser Prozesse erfolgt durch eine Vielzahl von Mechanismen, von denen einige in Abbildung 2.24 schematisch dargestellt sind.
2.3.2.1 Regulation auf der Ebene der Nucleinsäuren Wie bereits in Kapitel 1 beschrieben, ist die genetische Information einer Zelle als Abfolge von Basen auf der Desoxyribonucleinsäure (DNA) festgelegt. Dieser Zentralspeicher der Information, das Genom des Organismus, ist in jeder Zelle vorhanden und einer großen Bibliothek vergleichbar. Die in der DNA enthaltene Information ist in funktionellen Einheiten (den Genen) or-
ganisiert, die in den meisten Fällen die Informationen für die Synthese von Proteinen beinhalten, aber auch die für tRNAs und rRNAs (s. u.). Die Zahl der Gene eines Organismus hängt von seiner Komplexität ab. Prokaryoten besitzen in der Regel einige Tausend Gene, während die Genome hoch entwickelter Eukaryoten einige Zehntausend Gene umfassen. Zur Realisierung der Information eines Gens (man bezeichnet dies als Genexpression) wird der Bereich der DNA, der die Information zur Synthese eines Proteins trägt, in sogenannte messenger-RNA (mRNA) überschrieb en (weitere Details s. auch Abschnitt 1.1.3 und Abb. 1.5). Diesen Vorgang bezeichnet man als Transkription. Die Bildung der mRNA wird durch die RNAPolymerase katalysiert, die sich an den Beginn eines Gens (den Promotor) anheftet, das dem Gen entsprechende DNA-Stück abfährt und dabei die zum DNA-Strang komplementäre RNA-Sequenz synthetisiert. Diese messenger-RNA gelangt bei Prokaryoten (s. auch Abschnitt 1.2.1) direkt oder bei Eukaryoten nach Prozessierung (Introns werden entfernt; s. auch Abschnitt 1.2.2) und spezifischem Transportprozess aus dem Zellkern heraus zu den Ribosomen, die gemäß dem genetischen Code die Nucleinsäuresequenz in eine Aminosäuresequenz übersetzen (Translation) und so ein Protein synthetisieren. Die in einer Zelle insgesamt vorhandenen mRNA-Moleküle bilden ein Maß für die Proteinausstattung und damit letztlich für die metabolische Aktivität der Zelle. Bildlich gesprochen wird aus der Zentralbibliothek ein Satz von Bauplänen für ganz bestimmte, gerade benötigte Proteine kopiert und per Bote zur Proteinfabrik gebracht. Dort wird
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2.3 Regulation zellulärer Vorgänge
Wachstumsfaktoren Hormone
a ttracta nts repellents
R4
R5
R3
R6
second messenger E
E1 E2
E ZM
E
Reizreaktion
EK E3
E4 E5
KH DNA
TS
mRNA
TL
E6
Protein
A B C
FeedbackHemmung R2
D
Rp
P antisense-RNA
A R1
Zell-Zellkommunika tio n
P
R
T A
Abb. 2.24 Beispiele für biologische Regelkreise einer Zelle. E, E1, E2, E3,… = Enzyme; R, R1, R2, R3,… = Rezeptoren; Rp = RNA-Polymerase; T = Transportprotein; P = als Hormon wirkendes Peptid; EK = Enzy mkaskade; KH = Kernhülle (bei Eukaryoten); ZM = Zellmembran; TS = Transkription; TL = Translation; A, B, C, D = Substanzen des Stoffwechsels
anhand der Baupläne nach genau festgelegten Regeln die Synthese der entsprechenden Proteine durchgeführt. Mit modernen molekularbiologischen Methoden ist es heute möglich, in einem Schritt Informationen über die Expression einer Vielzahl von Genen in einer Zelle zu erhalten. Man verwendet hierzu sogenannte DNA-Chips, die auf kleinstem Raum molekulare Sonden für sehr viele Gene des betreffenden Organismus tragen. Durch Auswertung der Reaktion der verschiedenen Sonden mit der Gesamtpopulation zellulärer mRNA kann auf das Vorhandensein der mRNA der jeweiligen Gene geschlossen und ein umfassendes Expressionsprofil der Zelle abgeleitet werden. Vergleiche der Expressionsprofile von Zellen unter unterschiedlichen metabolischen Bedingungen bzw. von normalen und krankhaft veränderten Zellen sind ein wichtiges Hilfsmittel, um die an den
jeweiligen Veränderungen b eteiligten Gene zu identifizieren. B ei Prokaryoten erfolgt die Regulation der Genexpression hauptsächlich durch Kontrolle der Transkription. Oftmals wird hierbei der Promotor eines Gens durch die Bindung eines Repressorproteins blockiert, sodass die nachfolgende DNA-Sequenz durch RNA-Polymerase nicht mehr abgelesen werden kann. Gene, die die Enzyme für die verschiedenen Schritte eines Biosynthese- oder Abbauweges codieren, sind oftmals in einer funktionellen Einheit, einem Operon, zusammengefasst. Die Gene des gesamten Operons werden dann von der RNAPolymerase in einem Stück abgelesen und die resultierende mRNA anschließend in die verschiedenen Proteine translatiert. Dies ermöglicht auf relativ einfache Weise die koordinierte Regulation der betreffenden Gene. Diese Art der
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Regulation wird in Abschnitt 2.3.3.2 am Beispiel des Lactose-Operons genauer beschrieben. Bei Eukaryoten sind die Mechanismen der Regulation der Genexpression sehr komplex und vielschichtig. Eukar yotische DNA ist in der Zelle mit Histonproteinen assoziiert, wodurch das Ablesen der DNA-Sequenzen erschwert wird. Zur Expression eines Gens sind in der Regel Transkriptionsfaktoren notwendig, Proteine, die an den Promotor bzw. an weitere Kontrollbereiche des Gens binden, dort gezielte Veränderungen der Histonmoleküle induzieren und das Ablesen des Gens erlauben. Bei Eukaryoten wird die Kontrolle der Genexpression auf der Ebene der Transkription durch weitere Regulationsmechanismen ergänzt. Eukaryotische mRNA wird nach ihrer Transkription durch zusätzliche Reifungsschritte verändert und muss aus dem Zellkern in das Cytoplasma transportiert werden – diese Schritte können ebenfalls durch Regulationsmechanismen beeinflusst werden. Schließlich kann die Effizienz der Translation von mRNA-Molekülen durch Bindung regulatorischer Proteine an die RNA moduliert werden. In der Summe tragen all diese Mechanismen zur Regulation der Expression des betreffenden Gens bei.
2.3.2.2 Regulation auf der Ebene der Proteine Veränderungen des Stoffwechsels einer Zelle erfolgen nicht nur durch Regulation der Genexpression und damit der Menge bestimmter Enzyme; in vielen Fällen wird auch die katalytische Aktivität der vorhandenen Enzyme beeinflusst. Dies geschieht durch eine Reihe unterschiedlicher Mechanismen. 1. Allosterische Konformationsänderungen können durch reversible Bindung kleiner Moleküle (Liganden) an das Protein oder durch Interaktion mit anderen Proteinen induziert werden und führen oftmals zu Veränderungen der Aktivität eines Proteins (Abschnitt 2.1.5). Allosterische Effekte werden beispielsweise zur Koordination vieler Stoffwechselwege durch Feedback-Hemmung ausgenutzt (Abb. 2.25). In dem hier gezeigten schematischen Beispiel wird aus der Ausgangssubstanz A über mehrere enzymatische Reaktionsschritte das Endprodukt E gebildet. Liegt genügend E vor, sodass
2 Einführung in die Biochemie
Abb. 2.25 Schematische Darstellung der FeedbackRegulation (Endprodukt-Hemmung). A bis E = Substrate eines Stoffwechselweges; E1 bis E4 = Enzyme des Stoffwechselweges, E1 = allosterisches Enzym (Schrittmacher-Enzym)
eine weitere Synthese unerwünscht ist, so wird nicht nur der letzte Schritt der Synthese, sondern die ganze Synthesekette abgeschaltet. Dies erfolgt z. B über eine allosterische Hemmung des ersten Enzyms (E1) durch die Substanz E, dem Endprodukt der Synthesekette. Auf diese Weise kann die Aktivität der gesamten Synthesekette graduell den Bedürfnissen der Zelle angepasst werden. Allosterische Effekte führen oftmals, ähnlich wie bei der Signalverarbeitung eines Computers, zu zwei „Schaltzuständen“ eines Proteins, wobei das betreffende Protein dann als molekularer Schalter fungiert. Beispiele für allosterische Schaltmoleküle sind membrangebundene „7-Helix“-Hormonrezeptoren, die die Bindung eines Hormonmoleküls über die Zellmembran hinweg ins Innere der Zelle melden (Abb. 2.26). An der Signalübertragung sind mehrere Proteine beteiligt, die allosterisch miteinander wechselwirken. Die Bindung des Hormons verändert die Konformation des Rezeptorproteins R und eines GTP/GDP-bindenden Proteins G (G-Protein), sodass G für GTP eine erhöhte Affinität erhält. Bindet GTP an G, so wird die Adenylatcyclase, ein Enzym, welches die Umsetzung von ATP zu zyklischem AMP (cAMP) katalysiert, aktiviert. Freigesetztes cAMP aktiviert eine Proteinkinase, wodurch die Phosphorylierung von Proteinen ausgelöst wird und letztlich deren Aktivität reguliert wird. Der Rezeptorkomplex kann das Hormonsignal auch abschalten. Dies erfolgt über das G-Protein, welches in einer langsamen Reaktion gebundenes GTP zu GDP spaltet. Sobald GDP an G gebunden vorliegt, wird die Adenylatcyclase in Umkehrung der Aktivierungsreaktion abgeschaltet. Das als Folge der Hormonbindung in der Zelle gebildete cAMP wird als second mes-
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2.3 Regulation zellulärer Vorgänge
Abb. 2.26 Hormonrezeptoren als Beispiel allosterischer molekularer Schalter. (a) Das Rezeptorprotein (R) ist frei; und das GTP/GDP-bindende Protein (G-Protein, G) besitzt eine schlechte Affinität zu GTP; A = Adenylatcyclase; Zm = Zellmembran. (b) Der Ligand (Hormon) bindet an den Rezeptor und beeinflusst die Konformation von G (hohe Affinität zu GTP), die Adenylatcyclase (A) ist jetzt aktiviert und synthetisiert cAMP (second ( messengerr)
senger, als zweite, zellinterne Signalsubstanz des Hormonsignals, bezeichnet. Außer cAMP fungieren noch weitere Moleküle als second messengerr in Zellen, z. B. cGMP, CalciumIonen und Abbauprodukte von bestimmten Membranlipiden wie Diacylglycerol und Inositolphosphate. 2. Neben allosterischen Effekten stellen reversible kovalente Modifikationen von Proteinen einen grundlegenden Mechanismus zur Regulation ihrer Aktivität dar. Eine der häufigsten Modifikationen dieser Art ist die Phosphorylierung spezifischer Aminosäurereste eines Proteins. Zum Beispiel wird die Glykogenphosphorylase, die Zuckereinheiten aus dem Energiespeicher Glykogen freisetzt, durch Phosphorylierung eines spezifischen Serinrestes aktiviert (s. auch Abschnitt 2.1.5). Die Phosphorylierung von Proteinen wird durch spezifische Proteinkinasen katalysiert, wobei ATP als Donor der Phosphorylgruppe dient. Proteinphosphorylierungen sind reversibel, da die Phosphatreste hydrolytisch durch Proteinphosphatasen entfernt werden können. Phosphorylierungen von Proteinen spielen ebenfalls bei Signalweiterleitungsprozessen in der Zelle eine extrem wichtige Rolle. Die betreffenden Proteine verhalten sich dabei wie molekulare Schalter, die zwischen dem phosphorylierten und dephosphorylierten Zustand wechseln können.
3. Ein weiterer Mechanismus der Regulation der Aktivität eines Enzyms ist die proteolytische Aktivierung. Hierbei wird durch Hydrolyse einer oder weniger Peptidbindungen ein inaktives, als Proenzym oder Zy mogen bezeichnetes Enzym aktiviert. Im Gegensatz zu den vorher beschriebenen Regulationsmechanismen ist diese Aktivierung irreversibel. B eispiele für diesen Regulationsmechanismus sind die Aktivierung von Verdauungsenzymen wie Trypsin oder Chymotrypsin oder der Enzyme der Blutgerinnungskaskade. Diese Prozesse können, anders als die Proteinphosphorylierungen, auch außerhalb der Zelle stattfinden, da hierzu keine Energiequelle (ATP) benötigt wird.
2.3.3 Komplexe zelluläre Regelkreise Bei der Anpassung von Organismen an veränderte Umweltbedingungen spielen oft komplexe Regelkreise eine Rolle, wobei die beschriebenen Regulationsmechanismen variieren und in unterschiedlicher Weise kombiniert sein können. Die Anpassung von Organismen an veränderte Umweltbedingungen setzt die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen bzw. Signalen aus der Umwelt voraus. Hierbei spielen zumeist selektive
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Rezeptoren auf der Zelloberfläche eine Rolle, die mit spezifischen Substanzen in der Umwelt wechselwirken und – als Folge dieser Wechselwirkung – ein entsprechendes Signal in der Zelle auslösen. Man findet solche Signalerkennungs- und -verarbeitungsmechanismen sowohl bei Bakterien als auch bei Zellen höherer Organismen. Bakterienzellen können beispielsweise Konzentrationsgradienten verschiedener chemischer Substanzen wahrnehmen und ihre Schwimmrichtung zu diesen Substanzen hin (positive Chemotaxis) oder von ihnen weg (negative Chemotaxis) ändern. Zellen höherer Organismen besitzen extrem diversifizierte Signaltransduktionsmechanismen, die sowohl der Wahrnehmung von Reizen aus der Umwelt als auch der Kommunikation zwischen den Zellen eines Organismus dienen. Im Folgenden soll auf einige Beispiele komplexer Regelkreise eingegangen werden.
2.3.3.1 Anpassungen im Wachstumsverhalten Ein Mikroorganismus kann alternativ auf einer Vielzahl verschiedener Kohlenstoff- und Energiequellen wachsen. E. coli verwertet z. B. Glucose, Fructose, Mannose, Galactose, Arabinose, Xylose, Rhamnose, Maltose, Lactose, Acetat, Succinat, Glycerol, Mannitol, Dulcitol, Sorbitol u. a. m. Diese Substanzen können nicht einfach durch die Zellmembran hindurch ins Innere der Zelle gelangen. Die Zelle verfügt für diese Substanzen über genetische Informationen zur Synthese spezifischer Transportproteine bzw. -systeme sowie für geeignete Enzyme zur Substratverwertung, welche bei Bedarf, d. h. Anwesenheit der betreffenden Substanz im Wachstumsmedium, in der Zelle synthetisiert werden. Eine E. coli-Zelle nimmt bei schnellem Wachstum beispielsweise pro Sekunde bis zu 200 000 Moleküle Glucose auf, die zu Zellbausteinen und ca. 106 Molekülen ATP pro Sekunde umgesetzt werden. Die Proteinbiosynthese wird an etwa 20 000 Ribosomen pro Zelle durchgeführt. Dies entspricht etwa 40 % der Trockenmasse des Bakteriums. Pro Sekunde werden etwa 15 Aminosäuren am Ribosom zur Proteinsynthese umgesetzt und dabei drei energiereiche Moleküle (ein ATP, zwei GTP) pro Aminosäurekopplung benötigt. Dies entspricht ebenfalls einem Umsatz von ca.
2 Einführung in die Biochemie
106 Molekülen ATP pro Sekunde und Zelle, d. h. die meiste Energie wird bei schnellem Wachstum zur Proteinsynthese – insbesondere auch zur Vervielfältigung der Ribosomen – gebraucht. Beim Übergang von einem nährstoffreichen in ein -armes Medium wird die Proteinsynthese in E. coli abrupt angehalten. Das in der Zelle vorhandene ATP wäre innerhalb von Sekunden aufgebraucht, wenn die Proteinsynthese unvermindert weiterlaufen würde. Hierbei spielen Alarmsubstanzen („Alarmone“), wie das ungewöhnliche Nucleotid Guanosin-3’-diphosphat5’-diphosphat (Guanosintetraphosphat; ppGpp), eine wichtige Rolle. ppGpp wirkt als intrazellulärer Botenstoff und inhibiert in koordinierter Weise die Synthese neuer Ribosomen-Komponenten und die Synthese von Enzymen für die DNA-Replikation. Gleichzeitig werden die Gene für die Aminosäurebiosynthese aktiviert. Als Folge des Mangels an Nährstoffen nimmt die Verdopplungszeit der Zellen dabei von 20 Minuten bis auf zehn Stunden und mehr zu.
2.3.3.2 Das Lactose-Operon Die Regulation des Lactose-Operons von E. coli ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die Anpassung an eine neue Kohlenstoff- und Energiequelle (Lactose) im Medium durch eine veränderte Genexpression erfolgt. Das Lactose-Operon ist in Abbildung 2.27 schematisch dargestellt. Zwei der insgesamt drei Strukturgene des Operons codieren für Proteine, die für die Aufnahme (LactosePermease) und die Hydrolyse (β-Galactosidase) von Lactose notwendig sind. Das dem Operon unmittelbar benachbarte Regulatorgen codiert für ein Repressorprotein, welches die Ablesung der genetischen Information des Lactose-Operons durch Bindung an den Operator – dies ist eine funktionelle DNA-Sequenz – kontrolliert. In Abwesenheit von Lactose im Medium bindet das permanent synthetisierte Repressorprotein an den Operator und blockiert dadurch fast vollständig die Transkription der Strukturgene durch die RNA-Polymerase. Diese Blockade wird aufgehoben, wenn das Bakterium im Medium L actose vorfindet. Die wenigen Lactose-Permease- (Transportprotein für Lactose in der Zellmembran) und β-Galactosidase-Moleküle, die trotz Repressor-
2.3 Regulation zellulärer Vorgänge
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Abb. 2.27 Das Lactose-Operon in E. coli. Schema der negativen Regulation des Lactose-Operons (lac-Operon). Das Auftreten von Allolactose (Nebenprodukt bei der Lactosespaltung durch β-Galactosidase) in der Zelle hebt die negative Kontrolle auf. Allolactose induziert die Aktivierung der Gene für die Enzyme E1, E2 und E3 , die für die Verwertung von Lactose benötigt werden. (a) Ohne Lactose im Medium: Vom Regulatorgen ausgehend werden durch Proteinbiosynthese (nicht dargestellt) Repressorproteine gebildet. Ein Repressorprotein verschließt den Operator. Die RNA-Polymerase kann an den Promotor binden, jedoch nicht die Strukturgene transkribieren. (b) Mit Lactose im Medium: Das enzymatische Nebenprodukt Allolactose (Induktor) bindet an das Repressorprotein, dieses dissoziiert aufgrund einer Konformationsänderung vom Operator, und die RNAPolymerase kann über den nunmehr offenen Operator die Strukturgene transkribieren
protein gebildet werden können, sorgen für das Einschleusen der Lactose in die Zelle und für ihre Spaltung in Galactose und Glucose. Bei der enzymatischen Spaltung entsteht durch zufällige Transglykosylierung in geringen Mengen 1,6Allolactose, ein Lactose-Isomer, das der physiologische Induktor für das Lactose-Operon ist. Die Allolactose bindet mit hoher Affinität an das Repressorprotein und verursacht eine allosterische Konformationsänderung des Repressors, der infolgedessen nicht mehr an die DNA, den Operator, binden kann. Die Folge ist, dass die RNA-Polymerase den dahinter liegenden Bereich der DNA, die Strukturgene, nun ständig ablesen kann, die entsprechende mRNA bildet und die Synthese von Lactose-Permease, β-Galactosidase und Thiogalactosid-Transacetylase am Ribosom erfolgt. Lactose wird jetzt effektiv metabolisiert, und die Zellen können sich bei ausreichender Konzentration anderer essenzieller Nährstoffe im Medium optimal vermehren.
Ist Lactose im Medium verbraucht, wird keine Allolactose mehr gebildet. Das Repressorprotein nimmt in Abwesenheit des Induktors seine ursprüngliche Konformation wieder an, bindet jetzt wieder an den Operator und blockiert dadurch die RNA-Polymerase fast vollständig. Durch dieses Prinzip der negativen Regulation wird verhindert, dass die Enzyme, die zur Verwertung von Lactose benötigt werden, unnötigerweise synthetisiert werden. Oft wird bei in vitro-Untersuchungen zum Lactose-Operon (lac-Operon) ein künstlicher Induktor, das Isopropylthiogalactosid (IPTG), verwendet, der strukturell der Allolactose ähnelt und deshalb ebenfalls effektiv an das Repressorprotein bindet, aber nicht enzymatisch von der β-Galactosidase abgebaut werden kann. Neben dieser negativen Kontrolle durch das Repressorprotein wird die Expression des lacOperons durch einen weiteren Mechanismus reguliert. Bei näherer Untersuchung zeigte sich
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nämlich, dass beim Vorhandensein mehrerer Kohlenstoffquellen im Medium, z. B. Glucose neben Lactose, die erwartete Induktion der Lactoseverwertung so lange unterblieb, bis Glucose vollständig verbraucht war, d. h. Glucose kann die Lactose-Induktion aktiv unterdrücken. Im Wachstumsverhalten der Zellen tritt bei der Umstellung von der einen Energiequelle (Glucose) auf die andere (Lactose) ein zeitweiliger Wachstumsstillstand auf, sodass die Zunahme der Zellzahl in zwei Phasen erfolgt. Dieses Phänomen wird als Diauxie bezeichnet und spiegelt die Optimierung des Stoffwechsels der Zellen im Hinblick auf größtmögliche Effizienz wider. Da Glucose direkt in der Glykolyse abgebaut werden kann, ohne dass die Proteine des lac-Operons synthetisiert werden müssen, ist es ökonomisch sinnvoll, Lactose nur dann zu verwerten, wenn Glucose verbraucht ist. Verantwortlich für die Inhibition des lac-Operons durch Glucose, der sogenannten KatabolitRepression, ist das CAP-Protein (engl. catabolite activator protein). Das CAP-Protein muss an den Lactose-Promotor binden, damit das lac-Operon effektiv von der RNA-Polymerase abgelesen werden kann. Das CAP-Protein wird durch einen Liganden, zyklisches AMP (cAMP), allosterisch reguliert. In Abwesenheit von Glucose ist die cAMP-Konzentration in der Zelle hoch, cAMP bindet an das CAP-Protein, welches als cAMPCAP-Protein jetzt an den Lactose-Promotor bindet, und im Gegensatz zum Lactose-Repressor die Transkription des Operons durch die RNAPolymerase stimuliert (positive Kontrolle). Ist gleichzeitig Lactose und damit der Induktor Allolactose vorhanden, gibt der Lactose-Repressor den Operator frei, was dann zur Expression der Strukturgene führt. In Gegenwart von Glucose ist die cAMP-Konzentration jedoch niedrig. CAP kann dann nicht an den Promotor binden; folglich unterbleibt die Stimulation der RNA-Polymerase. Das heißt, selbst wenn Lactose vorhanden ist und der Repressor den Operator freigegeben hat, unterbleibt die Expression der Strukturgene durch das Fehlen des CAP-Proteins nahezu vollständig. Durch ähnliche Mechanismen, wie die hier am Beispiel des lac-Operons beschriebenen, wird auch die Expression der Enzyme für andere Stoffwechselwege kontrolliert.
2 Einführung in die Biochemie
2.3.3.3 Hormone und Wachstumsfaktoren B ei höheren Zellen sind Signalsubstanzen, z. B. Hormone oder Wachstumsfaktoren, für die Steuerung komplexer Reaktionsabläufe, wie beispielsweise bei der Differenzierung von Zellen im Körper oder in Zellkultur, von Bedeutung. B ei diesen Vorgängen sind an mehreren Stellen molekulare Schalter beteiligt. Als Beispiel wird die Umschaltung von Glykogen-Synthese auf Glykogen-Abbau bei einer Stresssituation durch das Hormon Adrenalin in Muskelzellen näher betrachtet. In der Zelle liegen die Enzyme für Abbau und Aufbau nebeneinander vor, durch die Regulation der Aktivität beider Enzymsysteme wird ein verhängnisvoller Kurzschluss vermieden. Bei einer plötzlich auftretenden Gefahr wird der Stoffwechsel durch einen Adrenalinstoß sehr schnell auf Energieerzeugung für eine bevorstehende Flucht umgestellt. Durch den Adrenalinstimulus wird Glykogen, ein Speicherpolysaccharid, in der Zelle zu Glucose-1-phosphat-Bausteinen abgebaut, die über Glykolyse und oxidative Phosphorylierung zur ATP-Synthese umgesetzt werden. Adrenalin bindet dabei an Zellrezeptoren und aktiviert als Folge der damit verbundenen allosterischen Konformationsänderung an der Innenseite der Zellmembran ein Enzym, das die Bildung zellinterner Signalsubstanzen, sogenannter second messengerr (Abb. 2.24), veranlasst. In diesem Fall ist dies die Adenylat-Cyclase, die die Bildung von zyklischem AMP (cAMP) als second messenger aus ATP katalysiert. cAMP aktiviert allosterisch eine Proteinkinase, die sowohl die Glykogen-abbauenden Enzyme als auch die Enzyme, die für die Glykogen-Synthese zuständig sind, phosphoryliert. Durch die Phosphorylierung werden die abbauenden Enzyme in die aktive Form umgeschaltet. Im Gegensatz dazu werden die Glykogen-Syntheseenzyme durch die Phosphorylierung inaktiviert. Bei einer Umkehrung der Situation werden beide Enzymsysteme durch Proteinphosphatasen dephosphoryliert. Die Glykogen-spaltenden Enzyme werden dadurch inaktiviert und die synthetisierenden Enzyme aktiviert, d. h. der Organismus wird auf mögliche Neusynthese von Speichermolekülen umgestellt. Ein Grundprinzip bei diesem und vielen anderen Signaltransduktionswegen ist die Ver-
2.3 Regulation zellulärer Vorgänge
stärkung des Signals. Im Falle der Glykogen-Mobilisierung wird dies durch eine Enzymkaskade erreicht, durch die eine um mehrere Größenordnungen verstärkte Reaktion durch wenige Signalmoleküle ausgelöst wird.
2.3.3.4 Regulation der Glykolyse Ein Beispiel für die Steuerung komplexer Enzymnetzwerke durch allosterische Feedback-Regulation ist die Glykolyse, deren Einzelreaktionen bereits betrachtet wurden. Die Grundaufgaben der Glykolyse sind der Abbau von Glucose zur ATP-Gewinnung und die Bereitstellung von C2und C3-Bausteinen für Aufbaureaktionen, z. B. für die Biosynthese einiger Aminosäuren. Meist sind die Kontrollpunkte einer Reaktionskette diejenigen Reaktionen, die ATP verbrauchen und daher thermodynamisch meist irreversibel sind und am Anfang einer Reaktionskette stehen. In der Glykolyse sind dies die Reaktionen, die durch Hexokinase und Phosphofructokinase katalysiert werden. Der Hauptkontrollpunkt für die Regulierung der Glykolyse ist die tetramere Phosphofructokinase (PFK). Bei hohem ATP-Gehalt der Zelle, gleichbedeutend mit ausreichend „chemischer Energie“ in der Zelle, wird Phosphofructokinase gehemmt, indem ATP als Ligand an das Enzym bindet und dabei allosterisch die Konformation des Enzyms verändert. Dies setzt die Katalysegeschwindigkeit der PFK herab. Wird die Energie aus ATP in Zellvorgängen verbraucht und dabei vermehrt Adenosindiphosphat (ADP) bzw. Adenosinmonophosphat (AMP) gebildet, so können ADP bzw. AMP die ATP-Hemmung aufheben, sie wirken als Aktivatoren. Werden wenige C2- oder C3-Bausteine aus der Glykolyse für Biosynthesen abgezogen, so kommt es zu einer Anreicherung von Pyruvat und Citrat in der Zelle. Erhöhte Citratkonzentrationen führen ebenfalls zur Hemmung der Glykolyse, indem die ATP-Hemmung der Phosphofructokinase in Gegenwart von Citrat allosterisch verstärkt wird. Die Grobregelung der Glykolyse durch Phosphofructokinase lässt sich also folgendermaßen zusammenfassen: Ist in der Zelle Bedarf für ATP und Synthesebausteine, so ist die Aktivität der Phosphofructokinase maximal, ist beides im
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Überfluss vorhanden, so geht die Enzymaktivität durch allosterische Hemmung von ATP und Citrat fast gegen null zurück. Steht genügend Energie zur Verfügung, so wird durch die Hemmung der Phosphofructokinase Fructose-6-phosphat und das im Gleichgewicht befindliche Glucose-6-phosphat angehäuft. Wenn keine Verwertung der Zuckerphosphate möglich ist, wird durch allosterische Produkthemmung der Hexokinase die Glucoseverwertung gehemmt. Wird daher Zellen, die unter Sauerstoffmangel kultiviert werden, plötzlich Sauerstoff angeboten, so geht die Glucoseverwertung schlagartig zurück. Diese als Pasteur-Effekt bezeichnete Umstellung des Stoff wechsels ist aus den genannten Gründen sofort verständlich. Unter anaeroben Bedingungen wird die Glykolyse zur ATP-Synthese benutzt, d. h. der Glucosedurchsatz ist wegen der geringen Effektivität der ATP-Bildung hoch. Wenn Sauerstoff zugegen ist, steigt aufgrund der sehr viel effektiveren ATPSynthese durch oxidative Phosphorylierung der ATP-Spiegel rapide an, was zur Hemmung der PFK und damit der Glykolyse bzw. des Glucosedurchsatzes führt. Manche Zellen können eine günstige Versorgungslage mit Energie (ATP) durch Synthese von Speichermolekülen, z. B. Stärke oder Glykogen, nutzen, indem das akkumulierte Glucose6-phosphat für deren Synthese abgezogen wird. Signal für die Umstellung von Energieerzeugung auf Energiespeicherung ist das ATP/AMP-Verhältnis in der Zelle und relativ hohe Konzentrationen an phosphorylierter Glucose. B ei der späteren Nutzung der „Glucosespeicher“ aufgrund von Energiemangel werden phosphorylierte Glucosemoleküle gebildet, die in die Glykolyse eingespeist werden können. Die Speicherung ist sehr effizient; die Energieverluste bei einem Speicherzyklus, ausgehend von Glucose-6-phosphat über die Polysaccharidform und zurück zum Glucose-6-phosphat, betragen nur ca. 3 %, d. h. fast 97 % der gespeicherten Energie stehen wieder zur Verfügung. Die an diesem Beispiel dargestellten Mechanismen verdeutlichen die Bedeutung von z entralen Kontrollpunkten für die Regulation komplexer Enzymnetzwerke. Die Phosphofructokinase-Reaktion stellt eine zentrale S chalt-
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stelle im Stoffwechsel dar, durch die der Umsatz der Glykolyse und die Umstellung von Energieerzeugung und -speicherung in weiten Grenzen reguliert werden. Die Kenntnis solch zentraler Kontrollpunkte und ihrer regulatorischen Parameter ist für die Modellierung und Optimierung biotechnologischer Prozesse von großer Bedeutung.
2.4 Gentechnik Die in der DNA eines Organismus gespeicherte genetische Information ist letztlich für sämtliche Aspekte der Struktur und Funktion des Organismus verantwortlich. Dabei umfasst die genetische Information sowohl die Bauanleitungen sämtlicher Proteine und RNA-Moleküle des Organismus als auch Informationen über deren zeitliche und räumliche Expression. Ausgehend von der Aufklärung der Doppelhelix-Struktur der DNA durch Watson und Crick im Jahr 1953 wurden die Vorgänge der Informationsweitergabe und -umsetzung detailliert untersucht. Das Verständnis dieser Vorgänge bildet die Basis der modernen Methoden der Gentechnik, die in diesem Abschnitt erläutert werden sollen. Durch gentechnische Verfahren ist es möglich, zellfremde DNA in eine Zelle einzuführen und dort zu exprimieren. Diese zusätzliche genetische Information wird in der Zelle wie die eigene DNA behandelt, d. h. die Zelle benutzt die zellfremde DNA zur Synthese der von ihr codierten Proteine. Hierdurch ergeben sich ernorme Möglichkeiten für die Synthese und Gewinnung von Enzymen oder anderen Proteinen, die mit herkömmlichen Methoden nur mit großem Aufwand in größeren Mengen zu gewinnen sind. Ein klassisches Beispiel ist die genetische Modifizierung von Bakterien zur Synthese des Peptidhormons Insulin. Eine mit enormem Potenzial für die Gentechnik verbundene Entwicklung der letzten Jahre stellen die Genomprojekte dar, deren Ziel die Aufklärung der vollständigen Nucleotidsequenzen der Genome verschiedener Organismen ist. Eine anschauliche Vorstellung der dabei anfallenden Informationsmengen ergibt folgender
2 Einführung in die Biochemie
Vergleich: Würde man die gesamte Sequenz des menschlichen Genoms (ca. 3 × 109 Basenpaare) als kontinuierlichen Text niederschreiben, so würde dies in der Schriftgröße dieses Buches eine Strecke von ca. 5 000 km ergeben (was in etwa der Entfernung London – New York entspricht). Die Gewinnung dieser gewaltigen Informationsmengen ist eng mit der Entwicklung effizienter und weitgehend automatisierter Verfahren der Nucleotidsequenzanalyse gekoppelt. Mittlerweile wurden die vollständigen Genome von vielen verschiedenen Bakterienspezies und einer Reihe von Eukaryoten, unter anderem des Menschen, ermittelt. Die Bedeutung dieser Genomprojekte liegt darin, dass durch die Verfügbarkeit der kompletten Sequenz des Organismus im Prinzip jedes seiner Gene zugänglich ist und mit gentechnischen Methoden weiter untersucht werden kann. Hierin steckt ein enormes Potenzial, das zum Verständnis komplexer Prozesse, wie z. B. der Zelldifferenzierung oder der Entstehung von Krankheiten, der Entwicklung von Medikamenten oder der biotechnologischen Produktion spezifischer Proteine und Enzyme, genutzt werden kann. Die Analyse kompletter Genomsequenzen erlaubt auch wichtige Rückschlüsse über den Aufbau von Genomen. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass Genome der Prokaryoten und relativ „einfacher“ Eukaryoten, wie z. B. das der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, sehr ökonomisch aufgebaut sind; der größte Teil der DNA dieser Organismen wird von den Genen des Organismus eingenommen. Im Gegensatz dazu b esteht die DNA höherer Eukaryoten, wie z. B. die des Menschen, zum größten Teil aus nicht-codierenden und oftmals repetitiven Sequenzen, während die eigentlichen Gene hier nur einen verhältnismäßig kleinen Teil (ca. 5 %) des gesamten Genoms darstellen. Die Bedeutung dieser oftmals als junk-DNA bezeichneten, anscheinend nutzlosen Anteile des Genoms ist noch nicht geklärt; vermutlich spielen sie eine wichtige Rolle in der Evolution der Organismen. Erst kürzlich wurden molekulare Hinweise entdeckt, die den nichtcodierenden Sequenzen eine Bedeutung für die Regulation der Genexpression bescheinigten. Hier wird es durch die aktuelle Forschung in den nächsten Jahren wohl noch zu weiteren erstaunlichen Erkenntnissen kommen.
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2.4 Gentechnik
2.4.1 Enzyme als Werkzeuge in der Gentechnik
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GAATTC CTTAAG
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EcoRI
In der Gentechnik spielt eine Vielzahl von Enzymen eine Rolle, mit deren Hilfe DNA-Moleküle gezielt verändert werden können. Die wichtigsten dieser Enzyme, die gewissermaßen die „Werkzeuge“ des Gentechnikers darstellen, werden nachfolgend beschrieben.
2.4.1.1 Restriktionsenzyme Restriktionsenzyme, genauer gesagt Restriktionsendonucleasen, werden von vielen Bakterienarten und -stämmen gebildet und stellen in diesen Organismen einen Abwehrmechanismus gegen das Eindringen fremder DNA (z. B. der DNA eines Bakteriophagen) dar. Diese Enzyme erkennen eine kurze Nucleotidsequenz auf der DNA (meistens vier bis acht Basenpaare) und durchtrennen (hydrolysieren) die DNA an dieser Stelle. Hierdurch wird die Fremd-DNA in biologisch unwirksame Fragmente gespalten. Die zelleigene DNA wird durch spezifische Methylasen an diesen Erkennungssequenzen methyliert, sodass keine Spaltung der zelleigenen DNA durch das eigene Restriktionsenzym erfolgt. Zurzeit sind mehrere Hundert Restriktionsenzyme bekannt, die jeweils spezifische Sequenzmotive erkennen und die DNA in definierter Weise schneiden. Die Häufigkeit der Schnittstellen für ein bestimmtes Restriktionsenzym hängt von der Basenzahl der Erkennungssequenz ab. Bei vier möglichen, statistisch gleich verteilten Basen und vier Basenpaaren als Erkennungssequenz kommt diese Sequenz jeweils alle 256 (44), bei sechs Basenpaaren alle 4 096 (46) Positionen vor. Charakteristisch für viele Restriktionsenzyme ist eine palindromartige Anordnung der Basen in der Erkennungssequenz, d. h. in Richtung der Pfeile gelesen ergibt sich für beide Stränge dieselbe Basenfolge (Abb. 2.28). Die entstehenden Spaltstücke haben Einzelstrang-Endstücke (überlappende Enden), die sich aufgrund der Basenpaarung mit den komplementären Enden anderer Spaltstücke spontan zusammenlagern können (sticky ends), ohne dass die Doppelstränge dabei kovalent verknüpft sein müssen. Im Prinzip kann jedes nach „Verdau“
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GAATTC CTTAAG
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Restriktionsendonuclease
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AATTC G CTTAA G
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Abb. 2.28 Fragmentierung (Hydrolyse) von DNA durch eine Restriktionsendonuclease aus E. coli. Die Bezeichnung „EcoRI“ richtet sich nach dem Organismus aus dem die Restriktionsendonuclease isoliert wurde
(Spaltung) mit einem bestimmten Restriktionsenzym entstehende Fragment mit beliebigen anderen, mit dem gleichen Enzym gebildeten Fragmenten üb er die komplementären Enden verknüpft werden.
2.4.1.2 DNA-Ligasen DNA-Ligasen sind Enzyme, die nicht kovalent assoziierte DNA-Sequenzen in kovalent verknüpfte Doppelstränge überführen können – z. B. die in Abbildung 2.28 gezeigten, sich aufgrund der komplementären Basen spontan zusammenlagernden Enden von Restriktionsfragmenten. Diese Enzyme gehören zum natürlichen enzymatischen DNA-Reparatursystem der meisten Zellen. Das durch die Restriktionsenzyme ermöglichte Schneiden von DNA-Molekülen an spezifischen Stellen und die durch DNA-Ligasen ermöglichte Verknüpfung von Restriktionsfragmenten sind die wesentlichen Grundlagen bei der Erstellung rekombinanter (d. h. neu kombinierter) DNA.
2.4.1.3 Polymerasen Polymerasen synthetisieren den zu einem einzelsträngigen Matrizenstrang komplementären Gegenstrang (Abb. 2.29). Je nach Art der dabei synthetisierten Nucleinsäure unterscheidet man DNA-Polymerasen und RNA-Polymerasen. Poly-
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Abb. 2.29 Wirkungsweise der DNA-Polymerase (Details s. Text)
2 Einführung in die Biochemie
merasen spielen in einer Vielzahl gentechnischer Anwendungen wichtige Rollen, beispielsweise bei der Bestimmung der Nucleotidsequenz von DNA-Molekülen oder bei der Polymerasekettenreaktion (Abschnitt 2.4.3). Für die praktische Anwendung von DNA-Polymerasen ist zu beachten, dass sie einen Primer benötigen, d. h. ein kurzes Stück einzelsträngiger DNA (oder RNA) mit einer zu dem zu kopierenden Matrizenstrang komplementären Basenfolge. Der Primer bindet an die entsprechende Stelle des Matrizenstrangs und stellt dadurch einen Ansatzpunkt – eine Art „Startsubstrat“ – für die Kettenverlängerung durch die DNA-Polymerase dar. Durch die Wahl eines geeigneten Primers kann daher vorherbestimmt werden, welcher Bereich eines DNA-Strangs kopiert wird. Dies ist beispielsweise bei der im Abschnitt 2.4.3 beschriebenen Polymerasekettenreaktion von Bedeutung.
2.4.2 Die Klonierung eines Gens
Abb. 2.30 Klonierung eines DNA-Fragments in einen Plasmidvektor. (a, b) Durch Verdau mit einer Restriktionsendonuclease (E) wird das Plasmid an einer definierten Stelle geöffnet und das zu klonierende DNA-Fragment freigesetzt. (c) Anschließend wird das DNA-Fragment mit dem Plasmid mittels DNA-Ligase kovalent verknüpft. (d) Nach Transformation der ligierten DNA (Plasmid) in Bakterien und Kultivieren auf einem Antibiotika-haltigen Nährboden bilden nur diejenigen Bakterien Kolonien, die aufgrund des in dem Plasmid vorhandenen Resistenzgens (Res) gegenüber dem Antibiotikum resistent sind. (e) Nach Vermehren der Bakterien einer Kolonie in Flüssigkultur kann (f) das rekombinante Plasmid aus den Bakterien isoliert werden
Durch die Klonierung eines Gens ist es möglich, den zugrunde liegenden DNA-Abschnitt beliebig zu vermehren und mit molekularbiologischen Methoden in allen Einzelheiten zu untersuchen. Das klonierte Gen kann ferner in einen geeigneten Wirtsorganismus eingebracht werden, etwa um das von ihm codierte Protein gentechnisch zu erzeugen. Die Nucleotidsequenz des klonierten Gens – und damit auch die Aminosäuresequenz des betreffenden Proteins – kann durch Mutagenese gezielt verändert werden; dies ermöglicht die gentechnische Produktion von Biokatalysatoren (Enzymen) mit maßgeschneiderten Eigenschaften. Grundlage dieser Verfahren ist der Einbau der Gensequenz in einen Klonierungsvektor. Der Vektor fungiert dabei als „Vehikel“, welches es erlaubt, die eingebaute DNA-Sequenz in einem Organismus (z. B. in Bakterien) zu vermehren. Organismen, deren Genom durch die Methoden der Gentechnik verändert wurde, bezeichnet man als GVOs (gentechnisch veränderte Organismen). Der Umgang mit diesen Organismen zu Forschungs- oder kommerziellen Zwecken ist an strenge gesetzliche Auflagen geknüpft. Je nach der Art des verwendeten Empfängerorga-
2.4 Gentechnik
nismus und der Herkunft der in ihn eingeführten Fremd-DNA unterscheidet man verschiedene gentechnische Risiko- bzw. Sicherheitsstufen und damit einhergehende Anforderungen an die Ausstattung des Gentechniklabors oder einer Produktionsanlage. Die meisten Vektoren leiten sich von bakteriellen Plasmiden ab, ringförmigen DNA-Molekülen, die in Bakterien neben der zelleigenen DNA koexistieren können und meist spezifisch zwischen Zellen einer Art übertragen werden. Neben den Plasmiden spielen von Bakteriophagen abgeleitete Vektorsysteme eine Rolle, deren Bedeutung unter anderem darin liegt, dass man mit ihnen relativ große DNA-Fragmente klonieren kann. Die meisten Klonierungsvektoren sind so beschaffen, dass sie nur in einem bestimmten Wirtsorganismus (z. B. dem Bakterium E. coli) benutzt werden können; mittels genetischer Methoden wurden jedoch auch Plasmide konstruiert, die in mehreren Zelltypen verwendet werden können, beispielsweise in E. coli und in Hefezellen. Solche shuttle-Vektoren werden oft benutzt, wenn das einklonierte Gen in vitro verändert werden soll. Dies wird in der Regel in dem einfacher zu handhabenden E. coli-System gemacht, bevor der Vektor nach Fertigstellung und Vermehrung in den eigentlichen Zielorganismus eingeführt wird. Die Schritte bei der Klonierung eines Gens in einen Plasmidvektor sind in Abbildung 2.30 dargestellt. Um einen DNA-Abschnitt zu klonieren, werden die Vektor-DNA und der betreffende DNA-Abschnitt mit dem gleichen Restriktionsenzym geschnitten, sodass lineare DNA-Stücke mit den gleichen überstehenden Endstücken entstehen. Diese Segmente assoziieren statistisch und bilden lineare oder zyklische Assoziate, die mit Ligasen kovalent verknüpft werden. Mit diesem DNA-Gemisch werden die Wirtszellen „transformiert“. Die Zellen werden vermehrt und anschließend auf den Gehalt an gewünschter DNA untersucht. Allerdings ist es normalerweise so, dass nur ein kleiner Anteil der Zellen überhaupt DNA aufnimmt. Diese Zellen müssen aus dem Zellgemisch mit verschiedenen Methoden selektioniert werden. Hierzu bedient man sich eines Selektionsmarkers. Das Ausgangsplasmid enthält beispielsweise die Information für ein Enzym, welches ein Antibiotikum spalten
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kann und der Zelle damit Resistenz gegen dieses Antibiotikum vermittelt. In Gegenwart des Antibiotikums können daher nur Zellen wachsen, die dieses Enzym und somit auch das Plasmid enthalten. Die Selektion der Bakterien findet auf einem festen Nährmedium statt, sodass sich einzelne Kolonien bilden. Die Bakterien einer Kolonie stellen einen Klon dar und enthalten das gleiche Plasmid, da sie alle von einer Zelle abstammen. Um dieses Plasmid zu gewinnen, legt man eine Kultur an, die man mit Bakterien aus der betreffenden Kolonie animpft. Durch Verdau der aus dieser Kultur isolierten Plasmid-DNA mit dem bei der Klonierung verwendeten Restriktionsenzym kann dann überprüft werden, ob der Vektor das angebotene DNA-Fragment tatsächlich aufgenommen hat. Als Ergebnis stehen nun Zellen zur Verfügung, die das gewünschte Gen auf einem Vektor enthalten. Aus biotechnologischer Sicht von sehr großer Bedeutung sind die sogenannten Expressionsvektoren, die die Bildung eines von dem klonierten Gen codierten Proteins, beispielsweise eines Enzyms, in dem Wirtsorganismus gestatten. Mithilfe solcher Vektoren ist es möglich, nahezu beliebige Proteine in großen Mengen herzustellen und z. B. als Biokatalysatoren für technische Synthesen zu verwenden. Expressionsvektoren besitzen zusätzliche Signale (Promotoren, Translationsstartstellen), die die Transkription und Translation des klonierten DNA-Abschnitts und damit die Expression des betreffenden Proteins ermöglichen. Als Wirtsorganismen für Expressionsvektoren kommen nicht nur Bakterien (prokaryotische Expressionsvektoren), sondern auch eukaryotische Zellen, wie z. B. Hefe- oder Gewebekulturzellen, infrage (eukaryotische Expressionsvektoren). Expressionsvektoren sind oftmals so aufgebaut, dass sie die Synthese des gewünschten Proteins als „Fusionsprotein“ erlauben, d. h. das betreffende Protein trägt am Amino- oder Carboxylende eine zusätzliche Aminosäuresequenz. In der Regel verwendet man hier Aminosäuresequenzen, die eine Affinität zu einem bestimmten Liganden (z. B. einem Antikörper oder durch einen Polyhistidin-Schwanz [ein sogenannter His-Tag] zu einer Metallchelat-Matrix) aufweisen. Dies ermöglicht die schnelle und effiziente Reinigung des exprimierten Proteins durch eine entsprechende Affinitätschromatographie. Außerdem kann eine
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Sequenz angefügt werden, die die Proteine als „extrazelluläre Proteine“ kennzeichnet und für ein Sezernieren aus der Zelle sorgt. Diese zusätzlichen Sequenzen sind oftmals so konzipiert, dass sie eine Erkennungsstelle für eine spezifische Protease aufweisen und bei Bedarf nach der Affinitätsreinigung des Proteins durch die Protease abgespalten werden können.
2.4.3 Polymerasekettenreaktion Die Herstellung ausreichender Mengen eines bestimmten DNA-Fragments für die oben beschriebene Klonierung in einen Vektor ermöglicht effektiv die Polymerasekettenreaktion (PCR, engl. polymerase chain reaction). Mit dieser Methode kann ein spezifischer DNA-Abschnitt aus einem DNA-Gemisch selektiv und effektiv im Reagenzglas vermehrt (amplifiziert) werden. Das Grundprinzip der Polymerasekettenreaktion ist in Abbildung 2.31 dargestellt. Ausgehend von wenigen DNA-Molekülen werden diese durch Erhitzen in Einzelstränge aufgetrennt. Anschließend kann jeder Einzelstrang
Abb. 2.31 Ein Reaktionszyklus bei der Polymerasekettenreaktion (PCR)
2 Einführung in die Biochemie
dann mit den zugesetzten komplementären Oligonucleotiden (Primern) assoziieren. Durch spezielle Verfahren ist es möglich, Oligonucleotide mit beliebiger Basensequenz synthetisch herzustellen – man wählt die Sequenz der zugesetzten Oligonucleotide so, dass sie den Bereich, den man vermehren möchte, flankieren. Anschließend werden die Oligonucleotide durch DNA-Polymerase zum Doppelstrang vervollständigt, d. h. die Oligonucleotide fungieren als Primer für die Polymerase (Abschnitt 2.4.1.3). Dem Ansatz müssen selbstverständlich alle f ür die Reaktion notwendigen Komponenten, wie beispielsweise die aktivierten DNA-Monomere (Desoxyribonucleotidtriphosphate), Mg2+ und Pufferlösung zugegeben werden. Die drei Schritte – Denaturierung der Doppelstränge, das Anlagern der Primer und die Synthese der komplementären Stränge – werden bei verschiedenen Temperaturen durchgeführt und bilden einen Reaktionszyklus. Pro Zyklus (Dauer ca. fünf bis zehn Minuten) wird die Zahl der DoppelstrangDNA dabei jeweils verdoppelt, d. h. durch eine Abfolge mehrerer Zyklen (in der Regel beträgt die Zykluszahl n = 30–40) wird die gewünschte DNA exponentiell vervielfältigt (2n).
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2.4 Gentechnik
Die PCR-Technologie hat heute eine sehr weite Verbreitung erfahren. Ermöglicht wurde dies unter anderem durch die Verfügbarkeit von speziellen, hitzestabilen DNA-Polymerasen, die trotz der zum Teil hohen Reaktionstemperaturen ihre Aktivität über viele Reaktionszyklen behalten – eine solche hitzestabile DNA-Polymerase wurde beispielsweise aus dem in heißen Quellen vorkommenden Archaebakterium Thermus aquaticus isoliert („Taq-Polymerase“). Durch Verwendung von PCR-Geräten, d. h. von programmierbaren Thermostaten, die die erforderlichen Erhitzungs- und Abkühlungsschritte durchführen, können die Reaktionen weitgehend automatisiert werden. Hierdurch können DNASequenzen schnell und nahezu beliebig vermehrt werden. Eine gewisse Einschränkung bei der Anwendung der PCR besteht darin, dass zumindest die flankierenden Basensequenzen der zu amplifizierenden DNA bekannt sein müssen, damit spezifische Oligonucleotid-Primer synthetisiert werden können. Diese Informationen sind jedoch häufig aus Datenbanken zugänglich – durch die Fortschritte im Bereich der Genomik (s. o.) ist es heute beispielsweise möglich, nahezu jeden beliebigen Abschnitt des menschlichen Genoms in kürzester Zeit zu vervielfältigen. Ein wesentliches Merkmal der Polymerasekettenreaktion ist ihre hohe Empfindlichkeit: Da die Vermehrung des von den Oligonucleotiden flankierten DNA-Bereichs exponentiell erfolgt, ist es möglich, die gewünschte Ziel-DNA zu amplifizieren, auch wenn nur extrem geringe Ausgangs-DNA-Mengen zur Verfügung stehen; es muss dann nur die Zahl der Reaktionszyklen erhöht werden. Hierdurch erschließt die PCRTechnologie neue Anwendungsgebiete, die mit herkömmlichen Klonierungsverfahren nicht oder nur mit großem Aufwand zugänglich sind. Als Beispiel sei der in der Kriminalistik eingesetzte „genetische Fingerabdruck“ einer Person genannt, der aus äußerst geringen DNA-Spuren erstellt werden kann. Ebenso kann aus den Überresten verstorbener Personen oder aus Museumsmaterial ausgestorbener Tiere DNA isoliert und durch PCR amplifiziert werden. Auf diese Weise konnten z. B. die genetischen Verwandtschaften von Pharaonen nachträglich festgestellt oder das Mammut in den Stammbaum der Elefanten eingeordnet werden.
2.4.5 Proteindesign (protein engineering g) Für die Biotechnologie sind Verfahren von großer Bedeutung, durch die die Aminosäuresequenz (und damit einhergehend die Eigenschaften) von Proteinen gezielt verändert werden können. Durch Proteindesign (engl. protein engineering) g ist es beispielsweise möglich, die Substratspezifität eines Enzyms zu verändern und dadurch neue biokatalytische Anwendungen zu erschließen. Will man einen gezielten Aminosäureaustausch (z. B. Phenylalanin gegen Tyrosin) an einer vorherbestimmten Stelle eines Proteins erreichen, so verwendet man in der Regel synthetische Oligonucleotide, in denen die Basensequenz in der gewünschten Weise verändert ist (in dem obigen Beispiel wird die für Phenylalanin codierende Basensequenz „TTC“ durch die für Tyrosin codierende Sequenz „TAC“ ersetzt). Setzt man diese Oligonucleotide in einer PCR-Reaktion ein, so entstehen überwiegend DNA-Produkte mit der veränderten („mutierten“) Sequenz (Abb. 2.32). Durch Einklonieren in einen Expressionsvektor kann dann das Enzym mit der mutierten Aminosäuresequenz gewonnen werden. Strategien, bei denen das Protein in gezielter Weise verändert wird, setzen normalerweise voraus, dass bereits detaillierte Informationen über das Protein, beispielsweise über seine räumliche Struktur oder sein aktives Zentrum, vorliegen. Eine interessante und erfolgreiche Alternative zu dieser gezielten Vorgehensweise stellt das Prinzip der Zufallsmutagenese dar (evolutives Proteindesign). Hierbei wird das Gen für das betreffende Enzym zunächst ungerichtet an unterschiedlichen Stellen mutiert. Dies kann z. B. dadurch erreicht werden, dass man den für das Enzym codierenden DNA-Bereich in einer PCR-Reaktion unter suboptimalen Bedingungen amplifiziert und anschließend in einen Expressionsvektor kloniert. Die Fehlerhäufigkeit der hitzestabilen DNA-Polymerase wird dadurch erhöht, und es werden falsche Basen eingebaut. Da diese Fehler mehr oder weniger zufällig verteilt sind, erhält man nach Klonierung der erzeugten „Gen-Bank“ in Bakterienzellen auf diese Weise eine Sammlung von Zufallsvarianten des Enzyms, von denen viele einen oder mehrere
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Aminosäureaustausche haben. Die einzelnen Varianten werden nun unter den gewünschten Eigenschaftsbedingungen auf ihre enzymatischen Fähigkeiten (z. B. erhöhte Temperaturstabilität, verändertes Substratspektrum, höhere Enantioselektivität etc.) untersucht, um die Kandidaten mit den „verbesserten“ technologischen Eigenschaften zu finden. In der Regel haben die meisten Mutationen negative Auswirkungen auf die Aktivität eines Enzyms, es ist daher notwendig, eine entsprechend große Zahl (meist Tausende) von Varianten zu testen. Mit entsprechend konzipierten automatisierten Hochdurchsatzverfahren ist dies jedoch ohne Weiteres möglich. Diese Hochdurchsatzverfahren werden im Englischen als high throughput screeningg (HTS) bezeichnet. Durch mehrere aufeinanderfolgende Zyklen von Zufallsmutagenese und Aktivitäts-Screening der erhaltenen Mutanten ist es möglich, die Eigenschaften eines Enzyms sukzessive in der gewünschten Richtung zu optimieren. Eine verwandte Strategie ist das als exon shufflingg bekannte Verfahren. Dieses Verfahren ist ebenfalls den natürlichen Evolutionsmechanismen nachempfunden. Bei den meisten Genen
Abb. 2.32 Oligonucleotidgesteuerte Mutagenese mittels Polymerasekettenreaktion (PCR). Primer 3 und 4 sind so konzipiert, dass sie die gewünschte Nucleotidsequenz (roter Bereich) enthalten
2 Einführung in die Biochemie
der Eukaryoten liegen die Protein-codierenden DNA-Bereiche nicht in einem zusammenhängenden Stück vor, sondern sie sind in einzelne Teilbereiche aufgeteilt (Exons), die erst auf RNAEbene durch Entfernen (splicing) g der Zwischenbereiche (Introns) zu einer funktionellen Einheit zusammengefügt werden. Die einzelnen Exons codieren oftmals für funktionelle Teilbereiche (Domänen) des betreffenden Proteins. Die Zahl der Exons kann je nach Gen sehr unterschiedlich sein und bis zu mehrere Dutzend betragen. Man nimmt an, dass die Organisation der Gene in getrennten Stücken einen Vorteil in der Evolution darstellt. Durch Rekombinationsprozesse ist es relativ leicht möglich, Exons verschiedener Gene neu miteinander zu kombinieren und dadurch neue Gene mit neuen Proteinfunktionen zu erzeugen. Bei der Methode des exon shufflingg versucht man diesen evolutionären Prozess im Reagenzglas nachzuvollziehen – man spricht daher hierb ei auch von protein evolution. In Abbildung 2.33 ist dies schematisch dargestellt. Ausgehend von mehreren Proteinen mit unterschiedlichen funktionellen Domänen werden durch PCR mittels geeigneter Oligonucleo-
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2.4 Gentechnik
tid-Primer die den einzelnen Proteindomänen entsprechenden DNA-Bereiche amplifiziert. Die hierbei benutzten Oligonucleotide sind so konzipiert, dass die jeweiligen Enden der resultierenden Domänen komplementär sind – mischt man nun die verschiedenen Domänen zusammen und führt weitere PCR-Reaktionen durch, so ergeben sich zufällige Neukombinationen der eingesetzten Domänen. Kloniert man das resultierende PCR-Gemisch in einen Expressionsvektor, erhält man letztlich eine Sammlung neuartiger Proteine, die wiederum durch Screeningverfahren auf das Vorhandensein gewünschter Eigenschaften untersucht werden können. Das hier geschilderte
Grundprinzip kann in vielfacher Weise abgewandelt werden. Beispielsweise können die Domänen einander entsprechender Proteine verschiedener Organismen durch shufflingg neu gemischt werden. Alternativ können Domänen verwandter Proteine eines Organismus oder vollkommen unterschiedlicher Proteine neu kombiniert werden. Durch den Einsatz der PCR-Technologie bei den einzelnen Schritten erfolgt gleichzeitig eine Zufallsmutagenese, sodass zusätzlich auch die Aminosäuresequenz der einzelnen Domänen variiert wird. Anhand verschiedener Beispiele wurde erläutert, dass durch directed protein evolution beispielsweise die Stabilität, die Substrat- oder die Enantioselektivität von Enzymen verändert werden kann. Für Enzyme, die in biotechnologischen Prozessen eingesetzt werden, sind solche Verbesserungen der Eigenschaften von extrem großem Interesse, da hierdurch bestehende Herstellungsverfahren optimiert bzw. neue Anwendungsgebiete erschlossen werden können.
Literatur
Abb. 2.33 Text)
Exon shuffling (weitere Erklärungen s.
Alberts, B., Bray, D., Hopk in, K., Johnson, A., Lewis, J., Raff, M., Roberts, K., Walter, P. (2005): Lehrbuch der Molekularen Zellbiologie. Verlag Wiley-VCH, Weinheim B erg, J. M., Tymoczko, J. L., Stryer, L. (2007): Biochemie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Brown, T. A. (2007): Gentechnologie für Einsteiger. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Brown, T. A. (2007): Genome und Gene. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Clark, D. P., Pazdernik, N. J. (2009): Molekulare Biotechnologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Hartmeier, W. (1986): Immobilisierte Biokatalysatoren. Springer Verlag, Heidelberg Kirby, A. J. (1996): Enzyme – Mechanismus, Modellreaktion und Mimetika. Angew. Chem. 108: 770–790 Müller-Esterl, W. (2009): Biochemie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Nelson, D., Cox, M. (2008): Lehninger Biochemie. Springer Verlag, Heidelberg Knippers, R. (2006): Molekulare Genetik. Georg Thieme Verlag, Stuttgart Präve, P., Faust, U., Sittig, W., Sukatsch, D. A. (Hrsg.) (1987): Handbuch der Biotechnologie. Oldenbourg Verlag, München Renneberg, R. (2009): Biotechnologie für Einsteiger. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Wartenberg, A. (1989): Einführung in die Biotechnologie. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart
2
3
Enzymkinetik*
In Kapitel 2 wurde bereits die besondere Rolle der Enzyme hervorgehoben, die nicht nur katalytische, sondern auch regulatorische Aufgaben wahrnehmen. Vor allem die katalytische Aktivität von Enzymen ist für den Biotechnologen von Bedeutung (Liese 2006, Tao 2009), wobei die Kenntnis der Enzymkinetik es ermöglicht, mithilfe der linearen und nicht-linearen Regression aus einzelnen Messwerten ein kinetisches Modell zu erstellen. Diese Modellvorstellungen gestatten es, innerhalb enzymtechnologischer Prozesse eine Voraussage über den zu erwartenden Umsatz und beispielsweise optimale Enzymkonzentrationen zu treffen (Abb. 3.1). Auch beim Einsatz von ganzen Zellen zur Katalyse beeinflusst * Autoren: Andreas Liese, Lutz Hilterhaus, Michael Howaldt, Horst Chmiel
das Wechselspiel der Enzyme in der Zelle die metabolische Aktivität und damit das Verhalten der Zellpopulation. Für die Auslegung und Analyse eines solchen Reaktionssystems wird eine mathematische Funktion benötigt, welche das Verhalten der Enzyme in Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen beschreibt (Vasic-Racki 2003). Auch ein Bioreaktor ist ein solches Reaktionssystem, dessen mathematische Beschreibung eine Optimierung ermöglicht, die eine erhöhte Produktivität zum Ziel hat. In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Geschwindigkeitsgleichungen abgeleitet und der Einfluss von Zusammensetzung, Druck, Temperatur, Ionenstärke und pH-Wert der Reaktionsmischung auf die Enzymkinetik beschrieb en. Die Grundvoraussetzung, dass üb erhaupt irgendeine chemische Reaktion ablaufen kann, liegt jedoch in den
Abb. 3.1 Schematische Darstellung der Bestimmung kinetischer Parameter
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
3
68
3 Enzymkinetik
thermodynamischen Parametern der Reaktion begründet, was vor allem bei reversiblen Reaktionen von besonderem Interesse ist. Auf diese speziellen thermodynamischen Parameter kann innerhalb dieses Kapitels nicht weiter eingegangen werden.
3.1 Aktivität und Stabilität Lösungen von Ionen erfüllen das Massenwirkungsgesetz nicht exakt. Aufgrund ihrer Ladungen beeinflussen die Ionen sich gegenseitig, und zwar umso stärker, je höher die Gesamtionenkonzentration in der Lösung ist. Die zwischen entgegengesetzt geladenen Ionen wirkenden Anziehungskräfte führen zu einer vermeintlich geringeren Zahl an dissoziierten Ionenpaaren innerhalb der Lösung. Das Massenwirkungsgesetz kann nichtsdestotrotz auch bei größeren Konzentrationen angewendet werden, wenn die Konzentration c eines Stoffes j jeweils mit einem Korrekturfaktor f, dem Aktivitätskoeffizienten, multipliziert wird: a j = fj ⋅cj
(3.1)
Anstatt der Konzentration c wird jeweils die Aktivität a in das Massenwirkungsgesetz eingesetzt. Der Aktivitätskoeffizient f hat Zahlenwerte zwischen 0 und 1. Er ist umso kleiner, je größer die Gesamtkonzentration der Ionen, einschließlich der an der Reaktion unbeteiligten Ionen, ist. Eine größere Ionenladung der Teilchen führt ebenfalls zu kleineren Werten des Aktivitätskoeffizienten f. Je verdünnter eine Lösung ist, umso näher liegen die Aktivitätskoeffizienten bei 1, d. h. das Massenwirkungsgesetz ist in einem solchen Fall bei Verwendung von Konzentrationswerten erfüllt. Bei schwachen Elektrolyten kann das Massenwirkungsgesetz ohne Berücksichtigung von Aktivitätskoeffizienten bis zu Konzentrationen von 0,1 M verwendet werden. Die Enzymmenge wird normalerweise über ihre katalytische Aktivität ausgedrückt. Die Einheit der katalytischen Aktivität ist nach Empfehlung der IUB (International Union of Biochemistry) das Katal. 1 Katal (Abkürzung kat) ist diejenige Enzymmenge, die unter den für dieses
Enzym gewählten Bedingungen bei 30 °C die Umsetzung von 1 mol Substrat pro Sekunde katalysiert. Eine andere häufig verwendete Einheit ist die unit of activityy (d. h. Aktivitätseinheit oder auch nur unit, Abkürzung U), die aus dem Englischen übernommen worden ist. 1 U entspricht der Enzymmenge, die unter definierten Reaktionsbedingungen 1 μmol Substrat pro Minute umzusetzen vermag (d. h. 1 kat = 6 · 107 U). Diese Reaktionsbedingungen sind in der Regel für verschiedene Enzyme unterschiedlich definiert. Bei der Angabe der Enzymaktivität in Units muss daher genau geprüft werden, welche Reaktionsbedingungen eingesetzt wurden. Die Aktivität eines Enzyms entspricht der Anfangsgeschwindigkeit der katalysierten Reaktion, d. h. dem initialen Substratumsatz pro Zeiteinheit. Man misst entweder die Abnahme der Konzentration eines Substrates (–d[S]/dt) oder die Zunahme der Konzentration eines Produktes (d[P]/dt) unter genau definierten Reaktionsb edingungen wie pH, Temperatur, Ionenkonzentration usw. Die Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion ist von der Konzentration des Substrates abhängig. Erhöhung der Substratkonzentration steigert die Reaktionsgeschwindigkeit bis zu einem Maximalwert (vmax). Die Aktivität eines Enzyms wird in der Regel bei maximaler Geschwindigkeit, d. h. im Bereich der Substratsättigung, bei optimalen Cosubstrat- und Effektorkonzentrationen, bei optimalem pH und bei einer willkürlich festgesetzten Temperatur bestimmt. Die Wechselzahl (engl. turnover frequency) gibt die Frequenz – also die Anzahl der Umsetzungen pro Zeiteinheit – an, mit der das Enzym einen Reaktionsschritt katalysiert. umgesetzte usgangssubstanz [mol] –1 A turnover = [s ] (3.2) . frequency Zeit [s] Stoffmenge Enzym [mol]
Im Vergleich zur Wechselzahl gibt die dimensionslose maximale Zykluszahl (engl. total turnover number) das Verhältnis zwischen der Menge Produkt bezogen auf die Menge des eingesetzten Enzyms wieder. Die Wechselzahl ist ein Maß für die Effizienz des Enzyms. Kinasen, Dehydrogenasen und Aminotransferasen haben Wechselzahlen in der Größenordnung von 103. Enzyme
69
3.2 Reaktionsmechanismen enzymatischer Ein-Substrat-Reaktionen
wie z. B. die Superoxiddismutase haben Wechselzahlen von bis zu 106. Weiterhin kann die maximale Zykluszahl auch auf die eingesetzte Menge an Cofaktor bezogen werden: Stoffmenge total Produkt [mol] [–] turnoverr = Stoffmenge Enzym oder number Cofaktor [mol]
(3.3)
Die maximale Zykluszahl ist somit ein Maß für die Stabilität von Enzymen und erlaubt damit Vergleiche verschiedener Enzyme bezüglich ihrer Stabilität und Anwendbarkeit. Zu beachten ist, dass die unit of activityy die Einheit [μmol/ min] besitzt, wohingegen die Einheit der Wechselzahl [s–1] beträgt:
;
U μ
=
;
mol turnover frequency s mol
= ; =
x
(3.4)
Für industrielle Biotransformationen muss die Wechselzahl hoch sein, besonders dann, wenn teure Katalysatoren eingesetzt werden, um die finalen Produktionskosten zu senken. Anstelle der Wechselzahl kann alternativ auch die Desaktivierungsrate und der Enzymverbrauch angegeben werden.
Wobei die vi die stöchiometrischen Faktoren sind. Für einen differenziellen Umsatz gilt dann
ν A −1dn A = ν B −1 dn B = ν C −1 dnC = ν D −1 dn D = dξ (3.6) Da die stöchiometrischen Faktoren der Edukte negativ, die der Produkte positiv sind, ergeben sich automatisch die richtigen Vorzeichen. Durch die Beschreibung des Fortgangs der Reaktion mithilfe der Stoffmengen von A, B, C oder D, also mit dnA, dnB, dnC oder dnD werden, entsprechend den stöchiometrischen Faktoren, zahlenmäßig unterschiedliche Ergebnisse erhalten. Die Definition der Reaktionslaufzahl ξ erlaubt eine eindeutige Beschreibung des Reaktionsfortgangs. Unter der Reaktionsgeschwindigkeit wird die Geschwindigkeit dξ/dt der Zunahme der Reaktionslaufzahl verstanden, die über dnn dξ = ν −j 1 j dt dt
(3.7)
mit der Geschwindigkeit der Änderung der Stoffmenge nj der Komponente j verknüpft ist. Die Definition der Reaktionsgeschwindigkeit dξ/ dt ist unabhängig von der Wahl der Substanz und der Reaktionsbedingungen.
3.2.1 Mathematische Herleitung der Michaelis-Menten-Gleichung
3.2 Reaktionsmechanismen enzymatischer Ein-SubstratReaktionen Enzyme können sowohl Ein-Substrat- wie auch Mehr-Substrat-Reaktionen katalysieren. In den folgenden Abschnitten werden am Beispiel einer Ein-Substrat-Reaktion die grundlegenden Prinzipien der Reaktionsmechanismen und die Herleitung der Geschwindigkeitsgleichungen erläutert. Abschnitt 3.9 behandelt den komplexeren Fall der Mehr-Substrat-Reaktionen. Allgemein kann jede chemische Reaktion und damit auch jede enzymkatalysierte Reaktion durch folgende Gleichung dargestellt werden:
ν A A + νB B → νC C + νD D
(3.5)
Die Geschwindigkeit einer einfachen enzymatischen Umsetzung eines Substrates S in ein Produkt P kann durch die Michaelis-MentenKinetik beschrieben werden. Zur Herleitung der Reaktionsgeschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion wird von der folgenden, einfachen Reaktionssequenz ausgeg angen, b ei der das Substrat S in das Produkt P umgewandelt wird:
E+S
k1
ES
k2
E+P
(3.8)
k–1 wobei E das Enzym, S das Substrat, P das Produkt und ES den Enzym-Substrat-Komplexx darstellt. Zunächst bindet das Substrat an das Enzym und bildet den Enzym-Substrat-Komplex, und dieser Komplex zerfällt dann in das Produkt und freies
3
3
70
3 Enzymkinetik
Enzym. Die zentrale Bedeutung, die der Enzym-Substrat-Komplex für die Selektivität und die katalytische Wirkung der Enzyme besitzt, wurde bereits ausführlich in Kapitel 2 erläutert (Abb. 2.14 und 2.15). Gleichung (3.8) beschreibt eine irreversible Reaktion, d. h. aus dem freien Enzym E und dem Produkt P soll kein Substrat entstehen können. Die zu Gleichung (3.8) gehörigen Massenbilanzen lauten: d[S ] = −k1 ⋅ [ E ] ⋅ [ S ] + k −1 ⋅ [ ES ] dt
(3.9a)
d [ P] = k2 ⋅ [ ES ] dt
(3.9b)
d[E ] = − k1 ⋅ [ S ] ⋅ [ E ] + ( dt
1
)⋅ [ ES ]
(3.9c)
d [ ES ] = k1 ⋅ [ S ] ⋅ [ E ] − ( dt
1
)⋅ [ ES ]
(3.9d)
Die Geschwindigkeitskonstanten ki der Einzelreaktionen in Gleichung (3.9) besitzen positive Indizes im Falle von Hinreaktionen und negative Indizes bei Rückreaktionen. Da das Enzym entweder in freier Form oder als Komplex vorliegt, gilt nach dem Gesetz der Massenerhaltung:
[E]0 = [E] + [ES]
(3.9e)
[S] + [P] + [ES] = [S]0
(3.9f )
wobei [E]0 die Enzymkonzentration zur Zeit t = 0 und [S]0 die anfängliche Substratkonzentration ist. Dieses Gleichungssystem kann nicht analytisch gelöst werden. Um zu einer geschlossenen Lösung zu gelangen, wird sich der sogenannten Steady-State-Annahme bedient, die häufig in der chemischen Reaktionstechnik verwendet wird und erstmals 1914 von Max Bodenstein formuliert wurde. Diese Annahme besagt, dass sich nach einer im Vergleich zur gesamten Reaktionsdauer kurzen Anlaufzeit die Konzentration der Reaktions-Zwischenprodukte nicht mehr wesentlich ändert. Angewendet auf die Reaktionsgleichung (3.8) ergibt sich für die Konzentration des Enzym-Substrat-Komplexes: d[ dt
]=0
(3.10a)
Mit Gleichung (3.9e) folgt für die Konzentration des freien Enzyms: d[ ] =0 dt
(3.10b)
Es muss hervorgehob en werden, dass durch die Steady-State-Annahme ein sogenanntes Fließgleichgewicht beschrieben wird, das nicht mit dem Gleichgewicht der Reaktion A + B s C gleichzusetzen ist. Der Unterschied zwischen diesen beiden Gleichgewichten ist in Abbildung 3.2 dargestellt. Das thermodynamische Gleichgewicht einer Reaktion – in Abbildung 3.2 ist die Reaktion A + B s C dargestellt – stellt sich in einem geschlossenen System ein, wenn die Zeit t → ∞ geht und die Reaktion unter den gewählten Bedingungen ablaufen kann. Ein geschlossenes System ist dadurch charakterisiert, dass es mit seiner Umgebung keine Materie austauscht, während ein offenes System Materie mit seiner Umgebung austauschen kann. In einem offenen System stellen sich zeitlich konstante Substrat- und Produktkonzentrationen ein. Dieses Fließgleichgewicht wird von der Reaktionskinetik, der Durchströmung des Systems und dem chemischen Gleichgewicht bestimmt. [ES] und [E] aus Gleichung (3.9c) bzw. (3.9d) lassen sich mit Gleichung (3.9e) und Gleichung (3.10a) bzw. (3.10b) als Funktion von [S] und [E]0 ausdrücken. [ ES ] = [E] =
k1[ S ][ E ]0 k1[ S ] + k −1 + k 2
( 1 2 )[E ]0 k1[ S ] + k −1 + k 2
(3.11a) (3.11b)
Abb. 3.2 Darstellung (a) eines geschlossenen und (b) eines offenen Systems
3.2 Reaktionsmechanismen enzymatischer Ein-Substrat-Reaktionen
Die zeitliche Änderung der Konzentration von ES ist gegeben durch: d[ dt
] = k ([ ] [ ]) ⋅ [ ] 1
1
[ ]
2
[ ]
(3.12)
Im quasi-stationären Zustand ist d[ES]/dt = 0, es gilt also: k1 ([
] [ ] )[ ]
1
[ ]st
[ ]([ ] [ ] ) = k −1 + k 2 [ ]st k1
2
= Km
[ ]st
(3.13a)
(3.13b)
Die zusammenfassende Konstante Km heißt Michaelis-Konstante. Mit ihr lässt sich die Konzentration an Zwischenverbindungen im quasistationären Zustand als Funktion der Substratkonzentration ausdrücken:
[ ]st = [ ]0 [ ] Km + [ ]
Mit Gleichung (3.11a) und (3.11b) können [E] und [ES] aus Gleichung (3.9b) eliminiert werden. Es entsteht eine Gleichung, die außer den Geschwindigkeitskonstanten nur die eingesetzte Enzymkonzentration [E]0 sowie die Substratkonzentration [S] enthält. Für die Reaktionsgeschwindigkeit v gilt dann: v=
k k [ S ][ E ]0 d [ P] d[S ] =− = 1 2 dt dt k 1 [ S ] + k1 + k 2
(3.15)
v [S ] d [P ] d [S ] =− = max dt dt K m + [S ]
(3.16a)
mit Km =
k −1 + k 2 ; vmax = k 2 ⋅ [E ] 0 k1
Km =
k−1 k1
(3.16b)
vmaxx ist die Maximalgeschwindigkeit der Hinreaktion, und Km wird allgemein als MichaelisKonstante bezeichnet. Dies ist nicht ganz korrekt, denn in der ursprünglichen Herleitung von
(3.17a) (3.17b)
In dieser Form stellt Km die wahre Dissoziationskonstante des Enzym-Substrat-Komplexes dar. Gleichung (3.16a) wird dennoch (aus historischen Gründen) als Michaelis-Menten- und nicht als Briggs-Haldane-Gleichung b ezeichnet. Unabhängig davon, ob die Steady-State-Annahme oder die Rapid-Equilibrium-Annahme getroffen wird, ergibt sich Gleichung (3.16a). In Gleichung (3.18) ist eine weitere häufig verwendete Größe eingeführt: kcatt entspricht k2 in der hier verwendeten Nomenklatur. vmaxx = k2 [E]o = kcatt [E]o
Dies ist die von Briggs und Haldane im Jahre 1925 hergeleitete Beziehung. Durch Zusammenfassen der Konstanten wird die übliche Form der Briggs-Haldane-Gleichungg erhalten, die auch als Michaelis-Menten-Gleichung bezeichnet wird: v=
Michaelis und Menten im Jahre 1913 wurde die Geschwindigkeitskonstante k2 in der Definition von Km nicht berücksichtigt. Michaelis und Menten hatten nicht die Steady-State-Annahme verwendet, sondern die sogenannte RapidE quilibrium-Annahme. Auf diese Annahme wird ausführlicher im Abschnitt über allosterische Enzyme eingegangen. Sie besagt, dass die Geschwindigkeitskonstanten k1 und k–1, die für die Ausbildung des Enzym-Substrat-Komplexes verantwortlich sind, wesentlich größer sind als die Geschwindigkeitskonstante k2, die für die Produktbildung verantwortlich ist. Dadurch vereinfacht sich die Beziehung für Km zu:
k1 >> k2 ; k–1 >> k2 (3.14)
71
(3.18)
kcatt ist die Geschwindigkeitskonstante für die Umwandlung des Enzym-Substrat-Komplexes in das Produkt. Je höher der Wert von kcat , umso größer ist der Umsatz der Reaktion. Die Michaelis-Menten-Konstante Km erlaubt hingegen nur eine Aussage über die Bindungsaffinität des Substrats zum Enzym. Beide Werte f ür sich haben einen nicht allzu großen Informationsgehalt. Ein hoher Wert für kcatt bedeutet eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit des Enzyms, aber über die notwendige feste Bindung zur Umsetzung des Substrats wird keine Aussage gemacht. Ein hoher Wert für Km steht für diese feste Bindung des Substrats an das Enzym, doch die Quantität der Umsetzung bleibt außen vor. Nur eine Kombination beider Werte gibt nützliche Informationen über die Reaktion.
3
3
72
3 Enzymkinetik
Abb. 3.3 Grafische Darstellung der Michaelis-MentenGleichung (3.16a) und der Parameter vmaxx und Km
In Abbildung 3.3 ist die Michaelis-MentenGleichung (3.16a) grafisch wiedergegeben. Die Funktion ist hyperbolisch und strebt mit zunehmender Substratkonzentration der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit vmaxx zu. Km hat die Einheit einer Konzentration und gibt diejenige Substratkonzentration an, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit der halben Maximalgeschwindigkeit vmaxx entspricht. Mathematisch lässt sich dies leicht nachvollziehen, indem in Gleichung (3.16a) [S] = Km gesetzt wird. Die zeitliche Änderung der Konzentration einer Komponente sei gegeben durch die Beziehung: dx = k ⋅[ dt
] [ ]b ...
(3.19)
Wobei es sich bei k um die Geschwindigkeitskonstante handelt. Die Exponenten a, b, … werden die Ordnung der Reaktion in Bezug auf die Komponenten A, B, … genannt. Die Summe:
n = a + b + ...
(3.20)
bezeichnet die Ordnung der gesamten Reaktion. Bei hohen Substratkonzentrationen ([S] >> Km) ist die Reaktion 0ter Ordnung, d. h. eine Erhöhung der Substratkonzentration bewirkt keine weitere Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit, da alle aktiven Zentren (engl. active sites) der
Enzyme besetzt sind. Bei niedrigen Substratkonzentrationen ([S] << Km) hingegen ist die Reaktionsgeschwindigkeit direkt proportional zur Substratkonzentration, es liegt also eine Reaktion 1ter Ordnung vor. In mathematischer Form lauten diese beiden Feststellungen: lim v = vmax
(3.21a)
[ S ]→ ∞
lim v = [ S ]→0
v max ⋅ [S ] Km
(3.21b)
Als weitere Folgerung aus Gleichung (3.16a) ergibt sich, dass eine Verdopplung der Enzymkonzentration zu einer Verdopplung der Reaktionsgeschwindigkeit führt, da ja die maximale Reaktionsgeschwindigkeit vmaxx das Produkt aus der Geschwindigkeitskonstante k2 und der Enzymkonzentration [E]0 ist (Abb. 3.4). Gleichung (3.16a) wurde unter der Annahme hergeleitet, dass der Enzym-Substrat-Komplex direkt in Produkt und freies Enzym zerfällt. In vielen Fällen stellt diese Annahme eine Vereinfachung der realen Situation dar, in der verschiedene Umlagerungen des Enzym-Substrat-Komplexes auftreten, bevor das Produkt entlassen wird (Abb. 2.15): E+S ES ... EXi ...
EX1 E+P
EX2
(3.22)
3.3 Einfluss fl der Umgebungsbedingungen
Abb. 3.4 Rot: Bei hohen Substratkonzentrationen ([S] >> Km) ist die Reaktion 0ter Ordnung: ([S] = –k0t + [S]0). Schwarz: Bei niedrigen Substratkonzentrationen ([S] << Km) hingegen ist die Reaktionsgeschwindigkeit direkt proportional zur Substratkonzentration, es liegt also eine Reaktion 1ter Ordnung vor: ([S] = [S]0·exp(–k1t))
Diese Zwischenkomplexe machen sich jedoch in der Regel in der Geschwindigkeitsgleichung nicht bemerkbar, da sie nicht geschwindigkeitsbestimmend sind.
3.3 Einfluss der Umgebungsbedingungen Enzyme erhalten ihre Spezifität aufgrund ihrer räumlichen Struktur, wobei diese Anordnung im Wesentlichen auf Wechselwirkungen wie kovalente, ionische, Van-der-Waals-, hydrophobe und hydrophile Bindungen innerhalb des Moleküls beruht. Diese erzeugen die Sekundär- und Tertiärstruktur, wohingegen Interaktionen zwischen den Molekülen die Quartärstruktur ausbilden. Viele der einzelnen Wechselwirkungen sind schwach, und erst durch die Vielzahl der schwachen Bindungen erhält das Molekül seine Stabilität. Eine Veränderung der Umgebungsbedingungen, beispielsweise die Veränderung der Temperatur, der Ionenstärke, des pH-Wertes oder des Drucks, kann dieses Gleichgewicht stören und damit die räumliche Struktur und die Aktivität des Enzyms beeinflussen. Außerdem ist
73
eine Veränderung der Konformation des Enzyms durch Aktivatoren und Inhibitoren zu beobachten, die die Enzymaktivität mittels Veränderung der Struktur des Enzyms beeinflussen. In der Regel haben Enzyme ihre größte Stabilität unter den Bedingungen, die denen ihrer natürlichen Umgebung entsprechen. Heutzutage werden verstärkt Enzymreaktionen unter extremen Bedingungen untersucht und genutzt. Dies können hohe Temperaturen und hohe Drücke sein, aber auch Reaktionen in wasserarmen Umgebungen bzw. in organischen Lösungsmitteln. Die PCR ((polymerase chain reaction) ist ein solches Verfahren, bei dem als thermophiles Enzym eine DNA-Polymerase zum Einsatz kommt. Reaktionen unter wasserarmen Bedingungen sind hingegen von großem Interesse, wenn wasserunlösliche Substrate umgesetzt werden sollen oder Substrate, die unter Reaktionsbedingungen instabil sind. Weiterhin können Reaktionen, die aus thermodynamischen Gründen nur unvollständig in Wasser ablaufen, wie beispielsweise Kondensationsreaktionen mit dem Produkt Wasser, in organischen Lösungsmitteln durchgeführt werden. Diese andersartige Umgebung führt bei vielen Enzymen zu neuartigen katalytischen Eigenschaften: Neue Substrate werden akzeptiert, und die Geschwindigkeitskonstanten ändern sich. Für einen Überblick s. Kapitel 12, für eine detailliertere Beschreibung wird auf die Fachliteratur verwiesen (Carrea und Riva 2008; Bisswanger 2008). Bei der Verwendung von Enzymen in organischen Lösungsmitteln ist es von großer Bedeutung, für einen optimalen Wassergehalt in der organischen Phase zu sorgen. Im Allgemeinen gilt, dass bei zu geringem Wassergehalt die Reaktionsrate der Enzyme geringer ist oder die Aktivität sogar ganz erlischt. Ist hingegen zuviel Wasser im organischen Medium vorhanden, so kann ein Absinken der Reaktionsrate aufgrund der Bildung von Hydrolyseprodukten beobachtet werden. Die Wasseraktivität aw ist in Relation zu reinem Wasser definiert; bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ist sie also in Wasser gleich 1 gesetzt. In der Gasphase ist die Wasseraktivität annähernd gleichbedeutend mit der relativen Feuchtigkeit. Diese spiegelt das Verhältnis des Partialdrucks des Wasserdampfes über dem organischen Medium zum Partialdruck über reinem Wasser bei konstantem Druck und
3
3
74
3 Enzymkinetik
konstanter Temperatur wider. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine thermodynamische Aktivität handelt, ist sie in allen Phasen nach Einstellung des Gleichgewichts per definitionem gleich, was eine einfache Bestimmung der vorhandenen Wassermenge ermöglicht (Bommarius und Riebel 2004; Vulfson et al. 2001).
3.3.1 Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit In Abschnitt 2.1.5.2 wurde bereits qualitativ die Veränderung der Enzymaktivität als Funktion der Temperatur beschrieben (Abb. 2.9). Um die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit zu bestimmen, wird die Geschwindigkeitskonstante k einer Reaktion mit der Temperatur über die Arrhenius-Gleichung in Beziehung gebracht: ª− E º k = b ⋅ exp « a » ¬ RT ¼
(3.23a)
wobei Ea die Aktivierungsenergie, R die ideale Gaskonstante, T die absolute Temperatur und b einen Häufigkeitsfaktor darstellt. Durch Logarithmieren ergibt sich: ln k = ln b −
Ea 1 ⋅ R T
(3.23b)
Zur Bestimmung der Aktivierungsenergie wird ln k gegen 1/T aufgetragen und aus der Steigung der resultierenden Geraden dieses sogenannten Arrhenius-Diagramms die Aktivierungsenergie
a
b
ermittelt. In der Praxis wird nicht k, sondern vmax verwendet. Die Arrhenius-Gleichung hat einen weiten Geltungsbereich. Sinnvoll ist ihre Anwendung jedoch nur bei einfachen Reaktionsschritten, zumal wenn weitergehende Schlüsse gezogen werden sollen. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen eine völlig andere Temperaturabhängigkeit beobachtet wird, als sie aus der Arrhenius-Gleichung folgt (Abb. 3.5a). Diese wird bei Enzymreaktionen (Abb. 3.5b) und bei heterogenen katalytischen Reaktionen sowie bei Anwesenheit vorgelagerter Gleichgewichte (Abb. 3.5c) b eobachtet.
3.3.2 pH-Wert und Ionenstärke Enzyme bestehen aus Aminosäuren, von denen einige neben den zur Ausbildung der Peptidbindung benötigten Amino- und Carboxylgruppen weitere geladene Gruppen besitzen (vgl. Abb. 2.7 und 2.8), d. h. Enzyme sind Polyelektrolyte. Die geladenen Gruppen können im aktiven Zentrum lokalisiert und direkt an der Katalyse beteiligt sein, sie können aber auch an anderen Stellen des Enzyms auftreten und durch ionische Wechselwirkungen zur Ausbildung der Tertiärstruktur beitragen. Veränderungen des pH-Wertes oder der Ionenstärke können deshalb gravierende Auswirkungen auf die Aktivität und Stabilität eines Enzyms haben. Diese Veränderungen können reversibel oder irreversibel sein. Im Allgemeinen gilt, dass kleine Abweichungen vom Optimum des pH-Wertes bzw. der Ionenstärke reversibel sind, während große Änderungen zu irreversiblen Denaturierungen führen können.
c
Abb. 3.5 Verschiedene Typen der Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten. (a) ArrheniusGleichung; (b) enzymatische Reaktion; (c) heterogen katalysierte Reaktion
75
3.3 Einfluss fl der Umgebungsbedingungen
Abb. 3.6 Die Enzymaktivität als Funktion des pH-Wertes für verschiedene Enzyme (nach Fruton und Simmonds 1953)
Wenn nur eine ionische Gruppe die Enzymaktivität bestimmt, dann gleicht die Aktivitätskurve als Funktion des pH-Wertes einer Titrationskurve (vgl. Abb. 2.7). Für viele Enzyme ergeben sich jedoch glockenförmige Aktivitätskurven (Abb. 3.6), was auf mehrere ionische Gruppen schließen lässt. Im allgemeinen Fall zweier geladener Gruppen lässt sich das Verhalten durch das folgende einfache Schema beschreiben: -H + E
+H
+
E-
K1
-H + +H +
2 E -
(3.24a)
[ H + ][ E − ] [ H + ][ E 2 − ] ; K2 = [E] [E − ]
(3.24b)
[E]0 = [E] + [E -] + [E 2-]
(3.25)
+
(3.26)
wobei [E–]/[E]o der aktive Anteil der gesamten Enzymmenge ist. Ausgehend davon, dass nur die enzymatisch aktive Form [E–] Substrat binden kann, ergibt sich der Einfluss des pH-Wertes auf vmaxx dadurch, dass k2 nicht mit der gesamten Enzymkonzentration [E]o, sondern mit [E–] multipliziert wird: v max = k 2 ⋅ [ E − ] =
k 2 [ E ]0 [H + ] K 2 1+ + K1 [H + ]
(3.27)
Wenn der pH-Wert nicht nur vmax, sondern auch Km beeinflusst, dann muss Schema 3.24 erweitert werden. Eine Veränderung des Km-Wertes tritt im Allgemeinen jedoch nur dann auf, wenn das Substrat und/oder das Produkt geladen sind. Die Ionenstärke I gibt die effektive Konzentration der elektrischen Ladungen in der Lösung an und hängt also von der Elektrolytkonzentration ab. Die Ionenstärke ergibt sich zu: I=
Zusammen mit der Massenerhaltung
ergibt sich damit:
1 [H ] K 1+ + 2+ K1 [H ]
K2
Hier wurde davon ausgegangen, dass nur die einfach geladene Form E– enzymatisch aktiv ist und dass die drei unterschiedlich geladenen Enzymformen miteinander im Gleichgewicht stehen. Für die Gleichgewichtskonstanten K1 und K2 gilt: K1 =
[E – ] = [E]0
1 ¦ M i zi2 2 i
(3.28)
wobei Mi die Molarität der Ionen und zi deren absolute Wertigkeit ist.
3
3
76
3 Enzymkinetik
Abb. 3.7 Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Ionenstärke. Die Aktivität beider Enzyme wurde in Phosphatpuffer gemessen. MDH = Mannitol-Dehydrogenase, GDH = Glucose-Dehydrogenase (nach Howaldt 1988)
Abb. 3.8 Abnahme der Enzymaktivität als Folge unterschiedlicher Scherbeanspruchung (nach Charm und Wong 1970 sowie Tirrell und Middleman 1975).
In Abbildung 3.7 ist der Einfluss der Ionenstärke am Beispiel zweier Dehydrogenasen dargestellt. Für beide Enzyme steigt die Aktivität mit zunehmender Ionenstärke zunächst an, um nach dem Durchlaufen eines Maximums bei weiterer Erhöhung der Ionenstärke wieder abzunehmen. Die optimale Ionenstärke kann für unterschiedliche Enzyme stark variieren und muss in der Regel experimentell bestimmt werden.
ner Proteindenaturierung führen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht die genannten Einzelfaktoren, sondern deren Kombination die Geschwindigkeit der Enzyminaktivierung bestimmen. Mechanische Kräfte können die chemische Struktur des Enzymmoleküls in einem solchen Ausmaß ändern, dass das Enzym inaktiviert wird. Derartige Kräfte können beispielsweise durch strömende Flüssigkeiten erzeugt werden. Der Einfluss von Schereffekten auf die Enzymaktivität wurde in Kapillar- und Couette-Viskosimetern untersucht. Abbildung 3.8 zeigt, dass die Kombination von Scherintensität und Einwirkungsdauer das Maß der Inaktivierung bestimmen. Weitere Experimente deuten darauf hin, dass nicht die Schergeschwindigkeit, sondern die Schubspannung die Inaktivierung bestimmt. Diese Empfindlichkeit der Enzyme gegenüber mechanischer Beanspruchung ist bei der Auslegung von Bioreaktoren (s. Kap. 7) und den nachfolgenden Produktaufarbeitungsschritten zu berücksichtigen. Rühr-, Wirbelbett- und Membranreaktoren besitzen z. B. Orte besonders hoher Schubspannung (Propellerspitzen, Wirbelkörper, Membranporen), wie z. B. in Abb. 7.7 gezeigt, bei denen die zulässigen Werte nicht überschritten werden dürfen. Eine andere mechanische Kraft, die häufig Proteindenaturierung und damit Enzyminaktivierung
3.3.3 Stabilität der Enzyme Für die technische Anwendung von Enzymen ist deren Stabilität von Bedeutung. Dies ist besonders wichtig beim Langzeiteinsatz wie z. B. in kontinuierlichen Reaktoren mit Enzymrückhaltung. In einem solchen Fall kann die Wirtschaftlichkeit eines Prozesses von der Lebensdauer des Enzyms abhängen. In den vorhergehenden Abschnitten sind bereits verschiedene Parameter diskutiert worden, die die Enzymaktivität beeinflussen. Neben den bereits erwähnten Einflussgrößen können auch mechanische Kräfte (Schub-, Normalund Grenzflächenspannungen), chemische Substanzen und Bestrahlung (Licht, Schall, ionisierte Strahlen) die Enzymstabilität beeinflussen. In Tabelle 3.1 sind eine Reihe physikalischer und chemischer Parameter aufgelistet, die zu ei-
77
3.3 Einfluss fl der Umgebungsbedingungen
Tabelle 3.1 Auflistung von Parametern, die zur Proteindenaturierung führen können (nach Schmid 1979)
Physikalische Einwirkung Hitze
Wasserstoffbrücken
Zunahme denaturierter Konformationen aufgrund erhöhter thermischer Bewegung und verringerter Lösungsmittelstruktur. Irreversible kovalente Modifikation (z. B. von Disulfidgruppen)
HU Aggregate
Kälte
hydrophobe Bindungen solvatisierte Gruppen
geänderte Lösungsmittelstruktur Dehydratisierung
Aggregate, inaktive Monomere
mechan. Kräfte
solvatisierte Gruppen eingeschlossene Volumina
Änderung der Solvatisierung und des Einschlussvolumens; Scherkräfte
HU, inaktive Monomere
Strahlung
funktionelle Gruppen (z. B. cySH, Peptidbindungen)
Abnahme der strukturbildenden Wechselwirkungen nach Fotooxidation oder Angriff durch Radikale
Aggregate
Säuren
verborgene ungeladene Gruppen (z. B. his, Peptidbindungen)
Abnahme der strukturbildenden ionischen Wechselwirkungen
RC
Alkali
verborgene ungeladene Gruppen (z. B. tyr, cySH, cySH2)
Abnahme der strukturbildenden ionischen Wechselwirkungen
RC
organ. wasserstoffbrückenbildende Substanzen
Wasserstoffbrücken
Abnahme der strukturbildenden Wasserstoffbrücken zwischen Wasser und nativer Konformation
RC
Salze
polare und nicht-polare Gruppen
Veränderung des Einsalz- und Aussalzverhaltens von polaren und nicht-polaren Gruppen in Lösungsmitteln mit erhöhter Dielektrizitätskonstante
HU
Lösungsmittel
unpolare Gruppen
Solvatisierung nicht-polarer Gruppen
hochgeordnete Peptidketten mit großen helikalen Bereichen
Detergenzien
hydrophobe Bereiche (alle Detergenzien) und geladene Gruppen (ionische Detergenzien)
Bildung partiell aufgefalteter Unterstrukturen einschließlich micellärer Bereiche
UU; große helikale Bereiche
Oxidantien
funktionelle Gruppen (z. B. cySH, met, try u. a.)
Verringerung der strukturbildenden und/oder der funktionalen Wechselwirkungen
inaktiviertes Enzym: manchmal ungeordnete Struktur
Schwermetalle
funktionelle Gruppen (z. B. cySH, his u. a.)
Maskierung von Gruppen, die für Struktur und Funktion erforderlich sind
inaktiviertes Enzym
Chelatbildner
Kationen, die für Struktur und Funktion wichtig sind
Ligandensubstitution oder Kationenabspaltung
inaktiviertes Enzym
Peptidbindung
Hydrolyse endständiger oder anderer Peptidbindungen
Oligopeptide, Aminosäuren
Chemische Einwirkung
Biologische Einwirkung Proteasen
HU = Konformation hochgradig ungeordnet; UU = unvollständig ungeordnete Konformation; RC = random coil (vollständig denaturiert)
3
3
78
verursacht, ist die Oberflächenspannung. An der Grenzfläche zwischen Luft und Wasser treten Grenzflächenspannungen bis 8 N/m auf. Bei der Schaumfraktionierung (Abschn. 10.3.2) – einer der möglichen Produktaufarbeitungstechniken – sind die Grenzflächenspannungen allerdings wegen der hohen Proteinkonzentration erheblich niedriger. Weitere Faktoren, die zur Denaturierung führen können, sind Adsorption an festen Oberflächen, Dehnströmungen und Kavitation. Als allgemeine Regel kann gelten, dass ein Enzym dann in vitro am wenigsten an Aktivität verliert, wenn die umgebenden Bedingungen denen in vivo am nächsten kommen. In den vorhergehenden Abschnitten ist bereits der Einfluss der Temperatur, der Ionenstärke und des pH-Wertes auf die Enzymaktivität diskutiert worden. Eine starke Abweichung von den idealen Bedingungen kann zu reversiblen oder irreversiblen Inaktivierungen führen, da die Struktur der Enzyme verändert wird. Dies kann sowohl die Quartär- als auch die Tertiärstruktur, seltener die Primär- oder Sekundärstruktur betreffen. Beispielsweise hängt die Sensitivität eines Proteins für Denaturierung durch erhöhte Temperaturen stark vom pH-Wert ab und umgekehrt (Abb. 3.9).
Abb. 3.9 Temperatur- und pH-Abhängigkeit der Inaktivierung von Ricin (nach Levy und Benaglia 1950)
3 Enzymkinetik
3.4 Bestimmung der kinetischen Konstanten Nach dem heutigen Stand der Kenntnis ist es nicht möglich, die kinetischen Konstanten eines Enzyms aus seinem molekularen Aufbau vorherzusagen. Die Konstanten müssen daher experimentell über kinetische Messungen bestimmt werden. Um die Km- und vmax-Werte zu ermitteln, bieten sich zwei unterschiedliche Verfahren an: die direkte Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten k, aus denen die Km-Werte analog zu Gleichung (3.16b) berechnet werden, oder die Bestimmung der Km- und vmax-Werte unter Verwendung der Steady-State-Annahme. Im Folgenden werden die Verfahren zur Ermittlung der Geschwindigkeitskonstanten schematisch erläutert und der Schwerpunkt der Herleitung auf die direkte Bestimmung der Km- und vmax-Werte aus den Messwerten gelegt.
3.4.1 Die Geschwindigkeitskonstanten der Elementarreaktionen Um die Differenzialgleichungen (3.9) numerisch lösen zu können, müssen die Geschwindigkeitskonstanten k der Elementarreaktionen bekannt sein. Zur Ermittlung dieser Konstanten werden am häufigsten Relaxationsverfahren eingesetzt, die maßgeblich von dem Nobelpreisträger Manfred Eigen und seinen Mitarbeitern entwickelt wurden. Dieses Verfahren beruht darauf, dass ein im Gleichgewicht befindliches System durch eine plötzliche Änderung der Reaktionsbedingungen aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Die daraus resultierende Antwort des Systems wird aufgezeichnet, um daraus Rückschlüsse auf die Geschwindigkeitskonstanten zu ziehen. Am gebräuchlichsten sind Änderungen der Temperatur, des Drucks oder der Feldstärke. Die beste Zeitauflösung von 1 ns wird bei Änderungen der Feldstärke erzielt, darauf folgen die Temperaturmethode mit 1 μs und die Drucksprungmethode mit 20 μs. Bei biologischen Systemen werden die stärksten Effekte mit der Temperatursprungmethode erzielt. Die erfor-
79
3.4 Bestimmung der kinetischen Konstanten
derlichen kurzen Aufheizzeiten werden durch die Entladung eines Hochvoltkondensators über eine Funkenstrecke erreicht. Für eine ausführliche Darstellung des Verfahrens wird auf die Fachliteratur verwiesen (Bisswanger 2008).
3.4.2 Experimentelle Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit Häufig wird die Reaktionsgeschwindigkeit über die Messung der Anfangsreaktionsgeschwindigkeit bestimmt. Dazu werden Enzym und Substrat(e) intensiv und schnell miteinander gemischt und dann die Veränderung der Substratoder Produktkonzentration verfolgt. Die Reaktionsgeschwindigkeit wird als Differenzenquotient v = Δ [S]/Δ t ermittelt und sollte idealerweise über die Dauer der Messung konstant sein. Im Bereich hoher Substratkonzentrationen ([S] >> Km) ist diese Forderung leicht zu erfüllen, da die Reaktionsgeschwindigkeit nur unwesentlich von der Substratkonzentration beeinflusst wird. Wenn die Substratkonzentrationen im Bereich des KmWertes und darunter liegen, kann eine konstante Reaktionsgeschwindigkeit nur dadurch erreicht werden, dass sich die Substratkonzentration während der Messung nur geringfügig ändert, d. h. Δ [S]/ [S] ≈ 0 (Abb. 3.3). Falls diese Bedingung nicht erfüllt ist – d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit ändert sich über die Dauer der kinetischen Messung – dann wird die Geschwindigkeit auf die Zeit t = 0 extrapoliert, indem die Tangente an die Kurve gelegt wird. Zur Bestimmung der Anfangsreaktionsgeschwindigkeit wird idealerweise die Zunahme der entstehenden Produktkonzentration oder die Abnahme der Substratkonzentration direkt gemessen. Falls die Substratkonzentration gemessen wird, ist insbesondere bei höheren Konzentrationen die Auflösung schlecht, da kleine Änderungen vor einem hohen Hintergrundwert gemessen werden müssen. Deshalb ist die Messung der Produktkonzentration vorzuziehen, da hier die Änderung von der Konzentration null auf einen endlichen Wert beobachtet wird. In der Praxis werden bevorzugt optische Methoden, wie die Messung der Extinktion im Spektralphotometer, der Fluoreszenz im Fluoreszenzphoto-
meter oder der Veränderung des Drehwinkels im Polarimeter eingesetzt, da diese Verfahren kurze Ansprechzeiten aufweisen und der Messwert der Konzentration direkt proportional ist. Eine häufig verwendete direkt messbare Substanz ist das Coenzym NADH, das spezifisch bei 334 nm Licht absorbiert, während die oxidierte Form NAD+ bei dieser Wellenlänge keine Absorption aufweist. Damit können alle durch Dehydrogenasen katalysierten Reaktionen direkt im Photometer verfolgt werden, da Dehydrogenasen NAD(H) als Cosubstrat benötigen und es in stöchiometrischen Mengen mit dem Substrat umsetzen. Wenn das Produkt nicht on-line messbar ist, kann die Reaktion mit einer zweiten Reaktion gekoppelt werden, bei der die Konzentration des zweiten Produkts direkt verfolgt werden kann: S
E1
> P 1
E2
> P 2
(3.29)
Die zweite Reaktion muss so schnell ablaufen, dass nahezu alles Produkt P1 ohne Zeitverzögerung in Produkt P2 umgesetzt wird. In der Praxis wird dies dadurch erreicht, dass das Enzym E2 im Überschuss zugegeben wird und dass die zweite Reaktion so gewählt wird, dass das Gleichgewicht weit auf der Produktseite P2 liegt. Falls weder die on-line-Messung der Reaktanden noch die Kopplung mit einer zweiten Reaktion möglich ist, dann kann die Reaktionsgeschwindigkeit auch aus einer Umsatzkurve als Funktion der Zeit ermittelt werden (Abb. 3.10). Dazu werden nach dem Start der Reaktion zu definierten Zeitintervallen Proben genommen, die anschließend in einem separaten Test analysiert werden. Aus der Umsatzkurve wird die Reaktionsgeschwindigkeit dadurch bestimmt, dass die Steigung der Kurve zu verschiedenen Zeiten ermittelt wird. Wenn genügend Messpunkte vorhanden sind, geschieht dies am besten durch numerische Differenziation. Bei der Verwendung der Umsatzkurve zur Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit ist eine isolierte Betrachtung des Einflusses der Substrate und Produkte nur mit Einschränkungen möglich, da mit fortschreitender Reaktion immer mehr Produkt entsteht und entsprechend immer weniger Substrat vorliegt. Die Umsatzkurve kann auch direkt zur Ermittlung der kinetischen Konstanten herangezogen werden, indem die integrierte Form der
3
3
80
3 Enzymkinetik
Die Ausbeute des Produkts [P] bezogen auf das Substrat [S] ist dementsprechend definiert durch den Ausdruck:
ηP =
[ P] − [ P]0 ν S ⋅ [S ]0 νP
(3.34)
In Gleichung (3.30) wird die Substratkonzentration als Funktion der Zeit angegeben. Es werden also genau die Messgrößen verwendet, die bei der Ermittlung der Umsatzkurve vorliegen.
Abb. 3.10 Abnahme der Substratkonzentration in einer enzymatisch katalysierten Reaktion als Funktion der Zeit
Geschwindigkeitsgleichung eingesetzt und die Konstanten über eine nicht-lineare Regression ermittelt werden. Für die einfache Michaelis-Menten-Gleichung (3.16a) ergibt die Integration: vmmax t = K m ln −K K m ln (
[ S ]0 + ([S ] 0 − [S ]) = [S ]
) + [S ] 0 χ
(3.30)
wobei der Umsatz als
χS =
[S ]0 − [S ] [S ]0
(3.31)
definiert ist. Der Umsatz allein ist aber nicht entscheidend für die Beurteilung einer Reaktion. Viel wichtiger ist die Ausbeute eines Produktes [P], welche das Produkt aus Selektivität und Umsatz ist: η P = χ A ⋅ σ SP (3.32) Die Selektivität σSP einer Reaktion mit dem Produkt [P] bezogen auf das Substrat [S] wird durch folgende Gleichung beschrieben:
σ SP
[ P] − [ P] 0 ν S = ⋅ [S ]0 − [S ] ν P
(3.33)
Wobei νS,P die stöchiometrischen Faktoren der Edukte bzw. Produkte darstellen.
3.4.3 Grafische Ermittlung der Km- und vmaxx-Werte Bei der in diesem Abschnitt beschriebenen Auswertung wird davon ausgegangen, dass die experimentellen Daten als Wertepaare Reaktionsgeschwindigkeit-Substratkonzentration vorliegen. Die Michaelis-Menten-Gleichung in ihrer ursprünglichen Form (Gleichung (3.16a)) eignet sich nur schlecht, um aus experimentellen Werten die Kinetikparameter vmax und Km über eine grafische Auswertung zu bestimmen. Wie Abbildung 3.3 zeigt, können vmaxx und Km nicht akkurat aus dem Diagramm v gegen [S] bestimmt werden. Durch eine einfache Umformung der Gleichung (3.16a) entstehen Ausdrücke, die sich besser für die grafische Auswertung eignen. Durch Auftragung des Kehrwertes von Gleichung (3.16a) ergibt sich die Darstellung nach Lineweaver-Burk: K 1 1 1 = + m ⋅ v vmax vmax [S ]
(3.35)
Aus der Auftragung von 1/v gegen 1/[S] (Abb. 3.11) resultiert eine Gerade mit der Steigung Km/vmax und dem Ordinatenabschnitt 1/vmax . Die Multiplikation der Gleichung (3.35) mit [S] ergibt eine weitere lineare Beziehung: [S ] K m 1 + = ⋅[S ] v vmax v max
(3.36)
Der Auftrag von [S]/v gegen [S] wird als HanesWoolff-Darstellung bezeichnet (Abb. 3.12). Hier ist die Steigung durch 1/vmaxx und der Ordinatenabschnitt durch Km/vmaxx gegeben.
81
3.5 Lineare und nicht-lineare Regression
Durch Multiplikation von Gleichung (3.35) mit vmaxx ·v und Auflösen nach v ergibt sich: v = vmax − K m ⋅
v [S ]
(3.37)
Der Auftrag von v gegen v/[S] wird als EadieHofstee-Darstellung bezeichnet (Abb. 3.13) und ergibt ebenfalls eine Gerade, deren Ordinatenabschnitt vmaxx und deren Steigung Km entspricht.
Abb. 3.11 Lineweaver-Burk-Darstellung der Michaelis-Menten-Gleichung
Abb. 3.12 Hanes-Woolf-Darstellung der MichaelisMenten-Gleichung
Jede der Gleichungen (3.35) bis (3.37) beschreibt einen linearen Zusammenhang, sodass die Parameter über eine lineare Regression bestimmt werden können. Bei der Benutzung derartiger grafischer Darstellungen zur Bestimmung der kinetischen Parameter des Modells müssen jedoch eine Reihe von Punkten b eachtet werden. Bei der Lineweaver-Burk-Darstellung sind abhängige und unabhängige Variablen getrennt. Allerdings fallen die genauesten Messpunkte – große v- und [S]-Werte – alle in die Nähe des Ursprungs, während die ungenauesten Messpaare – kleine v- und [S]-Werte – den größten Einfluss auf die Steigung der Geraden haben. Bei der Hanes-Woolf-Gleichung kann zwar die Steigung 1/vmaxx genau bestimmt werden, jedoch fällt der Schnittpunkt mit der y-Achse meist in die Nähe des Ursprungs, sodass die Ermittlung von Km mit großen Ungenauigkeiten behaftet ist. Beim Eadie-Hofstee-Plot werden ebenso wie beim Hanes-Woolf-Plot abhängige und unabhängige Variablen vermischt. Wenn grafische Methoden zur Ermittlung der kinetischen Konstanten Km und vmaxx angewendet werden, so sollten die Konstanten zumindest nicht nur aus einem Plot bestimmt werden. Eine mögliche Alternative ist die Bestimmung von vmaxx über einen Hanes-Woolf-Plot und die Bestimmung des Km-Wertes über den normalen Michaelis-Menten-Auftrag v über [S]. B esser als die Ermittlung der kinetischen Konstanten über diese linearisierten Auftragungen ist die Bestimmung über nicht-lineare Regressionsverfahren, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird.
3.5 Lineare und nicht-lineare Regression
Abb. 3.13 Eadie-Hofstee-Darstellung der MichaelisMenten-Gleichung
Seit den Anfängen der Enzymkinetik werden die im vorigen Abschnitt dargestellten Verfahren angewendet, um aus Messwerten die kinetischen Konstanten entweder durch grafische Auswertung oder durch lineare Regression zu bestimmen. Diese Verfahren haben den Vorteil, dass sie Rückschlüsse auf den Reaktionsmechanismus und die Art der Inhibierung erlaub en. Aller-
3
3
82
3 Enzymkinetik
dings entstehen Ungenauigkeiten beispielsweise durch eine ungleichmäßige Wichtung der Messwerte oder durch eine Aufhebung der Trennung von unabhängigen und abhängigen Variablen. Bei den linearen Verfahren werden die Konstanten sukzessive bestimmt, sodass sich die Fehler fortpflanzen und keine optimalen Parameter ermittelt werden, was ein weiterer gravierender Nachteil der Linearisierung ist. Bei Zuhilfenahme von Computern bietet sich die Bestimmung der kinetischen Parameter mit der Methode der nicht-linearen Regression an. Hier kann die ursprüngliche Reaktionsgleichung verwendet werden, d. h. es ist keine Transformation der Messwerte erforderlich. Die Bestimmung unbekannter Konstanten oder Parameter A, B, C, … in einer als bekannt vorausgesetzten Funktion, die zwei oder mehrere gemessene und damit fehlerbehaftete Größen miteinander verknüpft, soll hier aufgezeigt werden. Aus einer Theorie oder einer zu prüfenden Hypothese ist ein funktionaler Zusammenhang f bekannt. Es wird nun angenommen, dass n Sätze der Messgrößen: L, x, y, z, … bestimmt worden sind (3.38). Die Zahl der Unbekannten sei u. L = f (A, B, C, ..., x, y, z, ...)
(3.38)
Für den Fall, dass gerade n = u Sätze von Messungen ausgeführt worden sind, ist es möglich, die Funktion f n-mal zu formulieren. Da die Unbekannten nun eindeutig bestimmbar sind, lässt sich das Gleichungssystem lösen, wobei sich die Messfehler der gemessenen Größen gemäß dem Fortpflanzungsgesetz auf die Unbekannten übertragen. Diese Messfehler können aber mangels Daten nicht ausgeglichen werden. Bei der Analyse einer kinetischen Messung tritt jedoch der nicht triviale Fall ein, dass mehr Sätze von Messgrößen als Unbekannte (n > u) bestimmt worden sind. Folglich wird ein überbestimmtes Gleichungssystem erhalten, das aufgrund der Messfehler widersprüchlich ist. Das Prinzip der kleinsten Fehlerquadrate ((partial least square) ermöglicht es, statistische Bestwerte der Unbekannten zu berechnen und aus der Widersprüchlichkeit der Gleichungen die mittleren Fehler (Standardabweichung) der durch Ausgleichung erhaltenen Unbekannten zu bestimmen. Die zugrunde liegende Beziehung kann oft derart umgeformt werden, dass eine lineare Auf-
tragung resultiert. Die dafür notwendige Transformation einer oder beider Messgrößen führt in den meisten Fällen zu einer einfach- oder doppeltlogarithmischen Auftragung: y = A + B . x oder A + B . x – y = 0
(3.39)
Der i-te Satz der Messgrößen x und y wird mit xi und yi bezeichnet, wob ei der Index i über alle n Sätze von Messungen läuft. Ziel der Regressionsrechnung ist die Bestimmung der ausgeglichenen Werte der beiden Unbekannten A und B. Diese Ausgleichung kann nur dann stattfinden, wenn das Gleichungssystem überbestimmt ist (n > u; hier: n > 2). Weiterhin wird von einer Normalverteilung der Zufallsfehler von x und y ausgegangen. Gleichung (3.39) wird aufgrund der Messfehler der Messgrößen im Allgemeinen nicht exakt erfüllt, wobei die Abweichungen vom Wert Null mit ε bezeichnet werden und in der Ausgleichsrechnung Fehler genannt werden. Die n gemessenen Wertepaare xi, yi führen somit auf n Fehlergleichungen: A + B . xi – yi = εi mit i = 1, 2, ... n
(3.40)
Um mit kleineren Zahlen rechnen zu können, kann es sich lohnen Näherungswerte A0 und B0 für die Unbekannte einzuführen, die beispielsweise mithilfe grafischer Verfahren erhalten wurden (Abschnitt 3.3.3). Aus den Definitionen: A – A0 = ξ; B – B0 = η ; yi – (A0 + B0 . xi) = li
(3.41)
folgen n reduzierte Fehlergleichungen: ξ + η . xi – l i = ε i
(3.42)
Das Prinzip der kleinsten Quadrate verlangt nun, dass n
¦ε i =1
2 i
=[
]
(3.43)
ein Minimum ist. Diese Bedingung wird dadurch erfüllt, dass Gleichung (3.43) nach jeder Unbekannten partiell differenziert wird und im einfachsten Fall die beiden (u = 2) Gleichungen gleich null gesetzt werden. Mit der Gauß’schen Schreibweise für Summen über i = 1 bis n erhält man die folgenden Gleichungen, welche Normalverteilungen genannt werden:
83
3.5 Lineare und nicht-lineare Regression
[ε] = η ξ + [x] η – [l] = 0
(3.44a)
[ε x] = [x] ξ + [xx] η – [xl] = 0
(3.44b)
Durch Auflösen dieser Normalgleichungen nach den gesuchten Ausgleichswerten der beiden Unbekannten werden folgende Gleichungen erhalten:
[l ][[ ] [x][[ ] = l[ ] − x[ ] = A − A 0 2 n[ ] [ ] [( ) ] ) = B− B n[ ] [ ][[ ] n(( ) η= = 0 2 2 n[ ] [ ] [( ) ] ξ=
(3.45a) (3.45b)
Mithilfe der Korrelationsrechnung ist es nun möglich zu prüfen, ob die normalverteilten stochastischen Größen li und xi gesetzmäßig miteinander in Beziehung stehen. Es wird so eine Wahrscheinlichkeitsaussage erhalten, ob zwischen den Messwerten eine Korrelation besteht. Im einfachen Fall einigermaßen genau gemessener xi-Werte ist eine grafische Darstellung in der Lage, eine Gesetzmäßigkeit nachzuweisen. Die Korrelationsrechnung erweist sich jedoch gerade dann als nützlich, wenn die Streuung der li wegen zufälliger Fehler groß ist. In derartigen Fällen wird der systematische Gang l(x) durch die Streuung der Messwerte verschleiert. Um die Frage zu klären, ob zwischen den Größen li und xi eine lineare Beziehung besteht, ob sich also eine Regressionsgerade ermitteln lässt, wird von i = n gemessenen Wertepaaren (li, xi) ausgegangen. Um vertikale Abweichungen, also Abweichungen in l, der Messpunkte zu minimalisieren, wird eine Ausgleichsgerade l = η · x + ξ gesucht, wobei die x-Werte als genau angenommen werden. Falls zwischen x und l keine Korrelation besteht, d. h. falls l unabhängig von x ist, minimalisiert eine horizontale Gerade die vertikale Abweichung am besten. Also ist dann η = 0. Alternativ wird, um horizontale Abweichungen, also Abweichungen in x, zu minimieren, eine Ausgleichsgerade x = η' · x + ξ' gesucht, wobei jetzt die l-Werte als genau angenommen werden. Bei fehlender Korrelation, also wenn x unabhängig von l ist, minimalisiert eine vertikale Gerade die horizontalen Abweichungen am besten. Es gilt in diesem Fall η' = 0.
η=
n ⋅[ n⋅[
η'=
n ⋅[ ] n ⋅[ ]
r≡
] [ ] [] ] [ ]2 [ ] [] [ ]2
n⋅[
] [ ] [] 2 2 n ⋅[ ] [ ] ⋅ n⋅[ ] [ ]
(3.46)
(3.47)
(3.48)
Für den Fall einer vollkommenen linearen Korrelation, d. h. die Messpunkte liegen exakt auf einer Geraden, fallen die beiden zuvor bestimmten Ausgleichsgeraden zusammen, und es gilt η = 1/η', d. h.: r 2 = η ⋅η ' = 1
(3.49)
Der Korrelationskoeffizient r ≡ η ⋅ η' nimmt also im Fall der linearen Korrelation die Werte 1 oder –1 an und beim völligen Fehlen von Korrelation den Wert 0. Das Vorzeichen von r ist unbestimmt, da die Zuordnung von x und l willkürlich ist. Infolge der unvermeidlichen Messfehler ist in der Realität r auch bei völliger Korrelation etwas von 1 und bei völlig fehlender Korrelation etwas von 0 verschieden. Falls zwischen x und l ein f unktionaler, aber nicht linearer Zusammenhang besteht bzw. überprüft werden soll, ist der lineare Korrelationskoeffizient r kein brauchbares Instrument (r ≈ 0). Derartige nicht lineare Zusammenhänge können jedoch in analoger Weise mit der Methode der kleinsten Quadrate behandelt werden. Es werden dann die Konstanten komplizierterer Funktionen in gleicher Weise b erechnet und ein Korrelationskoeffizient gebildet, der sich vom bisherigen linearen Korrelationskoeffizienten r unterscheidet. Idealerweise sollten lineare und nicht-lineare Verfahren gemeinsam eingesetzt werden. So sollten die linearen Verfahren verwendet werden, um zwischen unterschiedlichen Reaktionsmechanismen b ei Zwei-Substrat-Reaktionen oder unterschiedlichen Inhibierungsmechanismen bei Ein-Substrat-Reaktionen zu unterscheiden. Sobald der Mechanismus gefunden ist, sollten die Parameter über eine nicht-lineare Regression bestimmt werden. Daraufhin wird eine der transformierten linearen Gleichungen herangezogen und der angenommene Mechanismus durch ei-
3
3
84
nen Auftrag der Messwerte und der durch die Gleichung berechneten Werte überprüft (Marangoni 2003; Gränicher 1996).
3.6 Effektorkinetik Enzyme treten häufig mit Substanzen in Wechselwirkung, die die Reaktionsgeschwindigkeit beeinflussen. Diese Substanzen – Effektoren genannt – sind meist niedermolekulare Verbindungen. Aktivatoren erhöhen die Reaktionsgeschwindigkeit, während Inhibitoren sie erniedrigen.
3.6.1 Inhibitoren Irreversible Inhibitoren bilden im Allgemeinen eine kovalente Bindung mit dem Enzym. Es wird zwischen unspezifischen Inhibierungen, bei denen die Wechselwirkung außerhalb des katalytischen Zentrums stattfindet, und spezifischen Inhibierungen, bei denen der Inhibitor eine Affinität zum aktiven Zentrum besitzt und demzufolge die kovalente Bindung im katalytischen Zentrum stattfindet, unterschieden. Im Folgenden werden nur reversible Inhibierungen dargestellt. Bei den durch Inhibitoren hervorgerufenen reversiblen Aktivitätsänderungen werden im Wesentlichen vier Typen unterschieden: die kompetitive, die nicht-kompetitive, die unkompetitive und die partiell-kompetitive oder gemischte Inhibierung. Die folgenden Gleichungen sind für die einfache Briggs-Haldane- bzw. Michaelis-
3 Enzymkinetik
Menten-Gleichung (3.16a) abgeleitet, die nur für Anfangsgeschwindigkeitsbedingungen gültig ist und die Rückreaktion vernachlässigt. Kompetitive Hemmungen treten auf, wenn Substrat (S) und Inhibitor (I) miteinander um das aktive Zentrum konkurrieren. Sie werden meist bei Substanzen ähnlicher Struktur beobachtet. In Abbildung 3.14 sind verschiedene Möglichkeiten, wie eine kompetitive Hemmung entstehen kann, bildlich dargestellt. 1. Möglichkeit: S und I konkurrieren um die gleiche Bindungsstelle. 2. Möglichkeit: Nur S oder I können binden, da sie sich gegenseitig sterisch behindern. 3. Möglichkeit: S und I haben eine zusätzliche, gemeinsame Bindungsstelle.
All diese Möglichkeiten lassen sich durch folgende Reaktionsgleichung beschreiben: k1 k2 E+S ES E+P k–1 I
I (3.50a)
k–3
k3 EI
Durch Aufstellen der Massenbilanzen und Anwenden der Steady-State-Annahme wird folgende Gleichung erhalten: v=
v max [ S ] § [I ] · K m ¨¨1 + ¸¸ + [ S ] © K3 ¹
(3.50b)
Abb. 3.14 Bildliche Darstellung unterschiedlicher Möglichkeiten der kompetitiven Inhibierung
85
3.6 Effektorkinetik
Km ist wie in Gleichung (3.16b) definiert und K3 ist die Dissoziationskonstante des Enzym-Inhibitor-Komplexes EI. Die Definition für K3 ergibt sich aus der Massenbilanz für EI: d [ EI ] = k3 ⋅ [ E ] ⋅ [ I ] − k− 3 ⋅ [ EI ] dt
(3.50c)
Die Steady-State-Annahme liefert d[EI]/dt = 0, sodass sich die folgenden, gleichwertigen Definitionen für K3 ergeben: k− 3 [ E ][ I ] = = K3 k3 [ EI ]
nützlich, um zwischen unterschiedlichen Inhibierungsmechanismen zu unterscheiden. In Abbildung 3.16 ist eine Lineweaver-Burk-Darstellung von Gleichung (3.50b) wiedergegeben. Die korrespondierende Gleichung lautet:
(3.50d)
Eine kompetitive Hemmung bewirkt formal eine Vergrößerung des Km-Wertes. Abbildung 3.15 veranschaulicht diesen Effekt. Für S → ∞ ergibt sich jedoch der gleiche vmax-Wert wie bei der Michaelis-Menten-Kinetik ohne Hemmung. Eine zwangsläufige Konsequenz aus der Reversibilität einer Reaktion ist die Hemmung jeder enzymkatalysierten Reaktion durch ihr Produkt: Das noch am Enzym haftende Produkt sowie die einsetzende Rückreaktion schließen eine simultane Bindung bzw. einen weiteren Umsatz des Substrates aus. Für eine vernachlässigbar geringe Geschwindigkeit der Rückreaktion sind die Gleichungen (3.50b) und (3.58a) identisch (Abschnitt 3.7). Die Inhibitorkonstante K3 entspricht in diesem Fall dem Quotienten KP/K Km aus den Michaelis-Konstanten der Rückund der Hinreaktion. Obwohl die grafischen Methoden nicht sonderlich gut geeignet sind, um die kinetischen Konstanten zu bestimmen, sind sie doch sehr
Abb. 3.15 Scheinbare Vergrößerung des Km-Wertes bei der kompetitiven Hemmung. Schwarz: Michaelis-Menten-Gleichung. Rot: kompetitive Hemmung mit K3 /K Km = 2; [I]/K3 = 2
1 Km = v vmax
§ [I ] · 1 1 ¨¨1 + ¸¸ + © K 3 ¹ [ S ] v max
(3.50e)
Aus der Steigung der Geraden kann also K3 bestimmt werden, wenn Km und vmax bekannt sind.
Abb. 3 .16 Lineweaver-Burk-Auftragung bei der kompetitiven Hemmung. Schwarz: Michaelis-Menten-Gleichung . Rot: kompetitive Hemmung mit K3/Km = 2; [ I] /K3 = 2
Nicht-kompetitive Hemmungen treten auf, wenn der Hemmstoff sowohl an das freie Enzym als auch an den Enzym-Substrat-Komplex bindet. Abbildung 3.17 zeigt bildlich eine solche Hemmung.
Abb. 3.17 Schematische Darstellung der nicht-kompetitiven Inhibierung
3
3
86
3 Enzymkinetik
Diese Hemmung lässt sich durch folgende Reaktionsgleichung beschreiben: k1
E+S
k2
ES
E+P
k–1 I
I
k–3
I
I k–5
k3
k5
k4 EI + S
EIS
(3.51a)
k–4 Der Inhibitor konkurriert nicht direkt um die Bindungsstelle des Substrates, verhindert durch seine Bindung aber den Umsatz (Dead-EndKomplex). Formelmäßig lässt sich dieser Hemmtyp durch die Einführung zweier Inhibitorkonstanten beschreiben, die sowohl den Km-Wert als auch den Substratterm vergrößern: v=
v max [ S ] § [I ] · § [I ] · ¸¸ + [ S ] ¨¨1 + ¸¸ K m ¨¨1 + © K3 ¹ © K5 ¹
(3.51b)
wobei Km gemäß Gleichung (3.7b) definiert ist und weiterhin gilt: K3 =
k− 3 k ; K5 = −5 k3 k5
§ [I ] · 1 1 § [I ] · ¨¨1 + ¸¸ ¨¨1 + ¸ + K [ S ] K 5 ¸¹ v max © 3 ¹ ©
Abb. 3.19 Lineweaver-Burk-Auftragung bei der nicht-kompetitiven Hemmung. Schwarz: MichaelisMenten-Gleichung. Rot: nicht-kompetitive Hemmung mit K3/Km = 2; [I]/K K3 = 2; K3/K5 = 0,5
(3.51c)
Die dritte Dissoziationskonstante K4 = k–4/k4 ist abhängig von den anderen drei Konstanten Km, K3 und K5 und taucht deshalb nicht in Gleichung (3.51b) auf. Abbildung 3.18 veranschaulicht die Veränderung des Km- und des vmax-Wertes bei der nicht-kompetitiven Hemmung. In der Lineweaver-Burk-Form lautet Gleichung (3.51b): 1 Km = v v max
Abb. 3.18 Scheinbare Vergrößerung des Km-Wertes und Verringerung des vmax-Wertes bei der nichtkompetitiven Hemmung. Schwarz: Michaelis-Menten-Gleichung. Rot: nicht-kompetitive Hemmung mit K3 /K Km = 2; [I]/K3 = 2; K3 /K K5 = 0,5
(3.51d)
Aus der entsprechenden Lineweaver-Burk-Auftragung ergibt sich die Steigung der Geraden, die bei unterschiedlichen Inhibitorkonzentrationen resultieren, zu Km / vmaxx (1 + [I] / K3) und der Ordinatenabschnitt zu 1 / vmaxx (1 + [I] / K5) (Abb. 3.19). Bei partiell-kompetitiven Hemmungen bindet der Hemmstoff ebenfalls an das freie Enzym und an den Enzym-Substrat-Komplex. Im
Unterschied zur nicht-kompetitiven Hemmung beeinflusst der Hemmstoff die Katalyse nicht (Abb. 3.20), d. h. auch der Enzym-Substrat-Inhibitor-Komplex ist katalytisch aktiv und spaltet Produkt ab: k1
E+S
k2
ES
E+P
k–1 I
I k–3
I
I k–5
k3
k5
k2
k4 EI + S
EIS k–4
E+P (3.52a)
Formelmäßig wird die partiell-kompetitive Hemmung durch Gleichung (3.52b) beschrieben, wo-
87
3.6 Effektorkinetik
bei die Dissoziationskonstanten die gleichen sind wie bei der nicht-kompetitiven Hemmung: § [I ] · ¸¸ ¨ vmax m [ S ] ¨1 + © K5 ¹ v= § [I ] · § [I ] · ¸¸ + [ S ] ¨¨1 + ¸¸ K m ¨¨1 + K © 3 ¹ © K5 ¹
(3.52b)
In der Lineweaver-Burk-Form lautet Gleichung (3.52b): 1 Km = v vmax
§ [I ] · ¨¨1 + ¸ K 3 ¸¹ 1 1 © ⋅ ⋅ + § [ I ] · [ S ] vmax m ¨¨1 + ¸¸ K 5 © ¹
(3.52c)
Eine Besonderheit dieses Hemmtyps liegt darin, dass nur für K3 < K5 eine Hemmung auftritt. Wenn gilt K3 = K5, dann kürzen sich die Inhibierungsterme, und es resultiert die einfache Michaelis-Menten-Kinetik. Für den Fall K3 > K5 tritt mit steigender Inhibitorkonzentration jedoch eine Aktivierung auf, die sich in einer scheinbaren Verringerung des Km-Wertes äußert. Im Lineweaver-Burk-Diagramm (Abb. 3.21) können kompetitive und partiell-kompetitive Hemmungen nicht voneinander unterschieden werden. Hier bietet sich das Dixon-Diagramm an, bei dem der Kehrwert der Reaktionsgeschwindigkeit gegen die Inhibitorkonzentration aufgetragen wird. In Abbildung 3.22 ist diese Auftragung für die kompetitive und die partiellkompetitive Hemmung dargestellt.
Abb. 3.20 Scheinbare Veränderung des Km-Wertes bei der partiell-kompetitiven Hemmung. Schwarz: Michaelis-Menten-Gleichung. Rot: partiell-kompetitive Hemmung mit K3/Km = 2; [I]/K K3 = 2; K3/K5 = 0,5
Lineweaver-Burk-Auftragung bei der Abb. 3.21 partiell-kompetitiven Hemmung. Schwarz: MichaelisMenten-Gleichung. Rot: partiell-kompetitive HemKm = 2; [I]/K3 = 1; K3 /K K5 = 0,5. Rot, gestrimung mit K3 /K chelt: partiell-kompetitive Hemmung mit K3 /K Km = 2; K5 = 0,5 [I]/K3 = 2; K3 /K
Abb. 3.22 Dixon-Auftragung bei der kompetitiven (a) und bei der partiell-kompetitiven Hemmung (b). K3 /K Km = 2; K3 /K K5 = 0,5. [S]/Km = 0,1–0,2–0,5–1,0
Bei unkompetitiven Hemmungen inaktiviert der Hemmstoff den Enzym-Substrat-Komplex, indem er an eine zweite Bindungsstelle am Enzym angreift. Abbildung 3.23 zeigt bildlich diese Hemmung.
Abb. 3.23 Schematische Darstellung der unkompetitiven Inhibierung
3
3
88
3 Enzymkinetik
Diese Hemmung wird durch folgendes Schema beschrieben:
E+S
k1
k2
ES
E+P
k–1 I
I
k–5
v=
k5 EIS
(3.53a)
Gleichung (3.53b) gibt die mathematische Abhängigkeit wieder, wobei K5 durch Gleichung (3.51c) definiert ist. Die Verringerung der Reaktionsgeschwindig keit wird in Abbildung 3.24 deutlich. v=
vmmax [ S ] § [I ] · ¸¸ K m + [ S ] ¨¨1 + © K5 ¹
v max [ S ] § [S ] · ¸¸ K m + [ S ] ¨¨1 + © K5 ¹
K5 =
k− 5 k5
(3.53d)
(3.53e)
wobei K5 in diesem Fall eine Substratinhibierungskonstante ist.
(3.53b)
In der Lineweaver-Burk-Auftragung (Gleichung (3.53c) bzw. Abb. 3.25) ergibt sich für unterschiedliche Inhibitorkonzentrationen eine parallele Geradenschar, bei der die Steigung durch Km/vmax und der Ordinatenabschnitt durch K5) gegeben ist. 1/vmax (1 + [I]/K 1 Km 1 1 § [I ] · ¨1 + ¸ = ⋅ + v vmax [ S ] vmax ¨© K 5 ¸¹
Hohe Substratkonzentrationen können zu diesem Hemmtyp führen, sodass die Aktivität mit steigender Konzentration ein Maximum durchläuft und dann wieder abfällt (Abb. 3.26). Wenn das Substrat ein unkompetitiver Inhibitor ist, verändert sich Gleichung (3.53c) zu:
(3.53c)
Abb. 3.24 Scheinbare Verringerung des vmax-Wertes bei der unkompetitiven Hemmung. Schwarz: Michaelis-Menten-Gleichung. Rot: unkompetitive Hemmung Km = 2; [I]/K K5 = 2 mit K5 /K
Abb. 3.25 Lineweaver-Burk-Auftragung bei der unkompetitiven Hemmung. Schwarz: MichaelisMenten-Gleichung. Rot, kurz gestrichelt: unkompetitive Hemmung mit K5 /K Km = 2; [I]/K5 = 2. Rot, lang gestrichelt: unkompetitive Hemmung mit K5 /Km = 2; [I]/K5 = 4
Abb. 3.26 Scheinbare Verringerung des Km-Wertes und des vmax-Wertes bei der unkompetitiven Hemmung durch das Substrat. Schwarz: Michaelis-Menten-Gleichung. Rot: Substrathemmung mit K5 /K Km = 2
89
3.7 Reversible Enzymreaktionen
terschiedlichen Geschwindigkeiten der Produktbildung aus dem ES- und aus dem EAS-Komplex sind in Schema (3.54a) durch zwei unterschiedliche Geschwindigkeitskonstanten k2 und k´2 dargestellt: k1
E+S
k2
ES
E+P
k–1 Abb. 3.27 Lineweaver-Burk-Auftragung bei der unkompetitiven Hemmung durch das Substrat. Schwarz: Michaelis-Menten-Gleichung. Rot: Substrathemmung Km = 2 mit K5 /K
A
A
A
k–3
A
k–5
k3 k4
k'2
EA + S
EAS k–4
1 Km 1 1 § [S ] · ¨1 + ¸ = ⋅ + v vmmax [ S ] vmax ¨© K 5 ¸¹
(3.53f )
3.6.2 Aktivatoren Die meisten Aktivatoren verändern die Konformation des Enzyms und erhöhen dadurch die Aktivität. Die Konformationsänderung kann durch kovalente Bindungen, beispielsweise Aktivierung von Thiol-haltigen Enzymen zur Ausbildung von Disulfidbrücken oder durch nichtkovalente Wechselwirkungen, beispielsweise Metall-Ionen, stattfinden. Metall-Ionen können entweder fester Bestandteil der Proteinstruktur, als sogenannte Chelat-Komplexe in den Metalloenzymen, sein oder als Teil eines Komplexes gemeinsam mit dem Substrat und dem Enzym wirken. In einigen Fällen findet auch eine Aktivierung ohne Konformationsänderung statt, beispielsweise wenn Substrat und Aktivator komplexieren und der entstehende Komplex besser als das freie Substrat vom Enzym gebunden wird. Im allgemeinen Fall kann die Aktivierung durch die Substanz A die Substratbindung und den katalytischen Schritt beeinflussen. Die un-
E+P (3.54a)
Daraus ergibt sich die folgende Gleichung für die Reaktionsgeschwindigkeit: § ¨¨ ©
Auch der Lineweaver-Burk-Plot unterscheidet sich von Abbildung 3.25, wenn der Inhibitor das Substrat ist (Abb. 3.27).
k5
§ [ A] ¨¨ k 2 + k´2 [ S ][ E ]0 K5 v= © § [ A] · § [ A] · ¸¸ + [ S ] ¨¨1 + ¸¸ K 1 ¨¨1 + K 3 ¹ © K5 ¹ ©
(3.54b)
mit K1 =
k −1 ; K3 k1
k− 3 k ; K5 = −5 k3 k5
(3.54c)
Eine Aktivierung ergibt sich, wenn die Bedingungen K3 < K5 und k´2 > k2 erfüllt sind.
3.7 Reversible Enzymreaktionen Enzymatisch katalysierte Reaktionen können reversibel oder irreversibel sein. Die irreversible Reaktion, die im vorhergehenden Abschnitt hergeleitet wurde, ist dabei ein Grenzfall der reversiblen Reaktion, d. h. die Geschwindigkeit der Rückreaktion ist vernachlässigbar gering gegenüber der Geschwindigkeit der Hinreaktion. Für reversible Reaktionen lässt sich Gleichung (3.8) in leicht veränderter Form schreiben:
3
3
90
3 Enzymkinetik
k1
E+S
k2
ES
k–1
E+P
k–2
(3.55)
Im Unterschied zu Gleichung (3.8) kann jetzt Produkt P in Substrat S umgewandelt werden. Die dazugehörigen Massenbilanzen lauten analog zu Gleichung (3.9): d[S ] = −k1 ⋅ [ E ] ⋅ [ S ] + k−1 ⋅ [ ES ] dt
(3.56a)
d [ P] = k2 ⋅ [ ES ] − k− 2 ⋅ [ E ] ⋅ [ P] dt
(3.56b)
d[ E ] = −( dt
1
2
)
(
1
2
) ⋅ [ ES ]
(3.56c)
d [ ES ] =( dt
1
2
)
(
1
2
) ⋅ [ ES ]
(3.56d)
Unter Berücksichtigung der Massenerhaltung und unter Anwendung der Steady-State-Annahme (3.10a) ergibt sich für die Reaktionsgeschwindigkeit einer reversiblen enzymatischen Reaktion durch Lösen des Gleichungssystems (3.56): v=
)[E ]0 d [P ] ( 1 2 1 2 = dt k1 [ S ] + k −2 [ P] + k −1 + k 2
hin durch Gleichung (3.16b) definiert. Reversible Reaktionen verlaufen bis zum Gleichgewichtsumsatz, bei dem die Reaktionsgeschwindigkeit gleich null ist. Die Gleichgewichtskonstante Keq ergibt sich damit zu: K eq =
[ P ]eq [ S ]eq
=
vmax ⋅ K P vmmax,r ⋅ K m
(3.59)
wobei [P]eqq und [S]eqq die Produkt- und Substratkonzentrationen im Gleichgewicht sind. Bei irreversiblen Reaktionen geht k–2 → 0 bzw. Keq → ∞. Bezogen auf Km und KP bedeutet dies, dass Keq sehr groß im Vergleich zu Km ist. Hin- und Rückreaktion sind also miteinander gekoppelt, und die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt ab, wenn der Umsatz sich der Gleichgewichtslage annähert. Keq beschreibt die chemische Gleichgewichtslage; es handelt sich nicht um ein Fließgleichgewicht. Abschließend soll noch auf die Geltungsbereiche der Gleichungen (3.16a) und (3.58a) eingegangen werden. Bei der Herleitung dieser Gleichungen wurde die Steady-State-Annahme (3.10a) getroffen; damit sind die Gleichungen nur in dem Bereich gültig, in dem die Konzentration des Enzyms und des Enzym-SubstratKomplexes annähernd zeitlich konstant sind. In Abbildung 3.28 ist die numerische Lösung des Gleichungssystems (3.9) wiedergegeben. Die
(3.57)
Wie bei der irreversiblen Reaktion lassen sich die Geschwindigkeitskonstanten zu kinetischen Konstanten zusammenfassen: Km vmmax,r [ P] KP K K m + [ S ] + m [ P] KP
(3.58a)
k −1 + k 2 ; vmmax, r = k−1 ⋅ [ E ]0 k −2
(3.58b)
v max [ S ] − v=
mit KP =
wobei KP die Michaelis-Konstante für die Rückreaktion und vmax,rr die maximale Reaktionsgeschwindigkeit der Rückreaktion ist. Km ist weiter-
Abb. 3.28 Beispiel für die numerische Lösung des Gleichungssystems (3.9)
91
3.8 Allosterie und Kooperativität
Reaktion lässt sich in drei Bereiche einteilen: den Pre-Steady-State-Bereich, den Steady-State-Bereich und den Bereich in der Nähe des vollständigen Umsatzes. Im Pre-Steady-State-Bereich baut sich der Enzym-Substrat-Komplex auf, im SteadyState-Bereich ändern sich die Konzentrationen des Enzym-Substrat-Komplexes [ES] und die Konzentration des freien Enzyms [E] nur unwesentlich mit der Zeit, und im Bereich des vollständigen Umsatzes baut sich der Enzym-Substrat-Komplex wieder ab, wobei freies Enzym entsteht. Damit gilt die Steady-State-Annahme weder in der PreSteady-State-Phase noch in der Nähe des vollständigen Umsatzes. Entsprechend können die Michaelis-Gleichungen für irreversible Reaktionen (3.16a) und für reversible Reaktionen (3.58a) nur im Steady-State-Bereich angewendet werden.
3.8 Allosterie und Kooperativität Im Abschnitt 3.4 wurden die Regulationsmechanismen für hyperbolische Enzyme erläutert. Hyperbolische Enzyme sind Enzyme, deren kinetisches Verhalten durch eine hyperbolische Gleichung wie die Michaelis-Menten-Gleichung beschrieben werden kann. Die Aktivität wird zum einen durch die Substratkonzentration, zum anderen durch die Konzentration von Aktivatoren und Inhibitoren beeinflusst. Im Unterschied zu hyperbolischen Enzymen weisen regulatorische Enzyme in der Regel eine sigmoide [S]-v-Kurve auf. Regulatorische Enzyme existieren meist als Oligomere, d. h. sie besitzen mehrere Untereinheiten. Sie treten im Allgemeinen an kritischen Stellen der Stoffwechselwege auf und katalysieren häufig irreversible Reaktionen. Das sigmoide Verhalten ist von großer Bedeutung für das Regelverhalten der Enzyme in der Zelle, da kleine Konzentrationsänderungen große Änderungen der Enzymaktivität hervorrufen. Ein sigmoides Verhalten kann auf Kooperativität oder auf Allosterie zurückzuführen sein. Als Kooperativität wird das Verhalten bezeichnet, dass die Bindung des Substrates an eine Untereinheit die Konformation und damit die Aktivität einer bzw. mehrerer anderer Unterein-
heiten beeinflusst. Positive Kooperativität äußert sich in einer Erhöhung der Affinität für das Substrat, während bei negativer Kooperativität die Affinität vermindert ist. Die Veränderung der Affinität kann sich sowohl in der Veränderung des Km-Wertes wie auch in der Veränderung des vmax-Wertes äußern. Im ersten Fall wird von K-Systemen gesprochen, im zweiten Fall von VSystemen. Nur die positive Kooperativität führt zur Kennliniensigmoidität. B ei allosterischen Enzymen bewirkt die Bindung eines Effektors an einer Stelle des Enzyms, die nicht dem katalytischen Zentrum entspricht, eine Konformationsänderung des katalytischen Zentrums. Die Effektorbindungsstelle kann sogar auf einer anderen Untereinheit liegen, die keinerlei katalytische Aktivität besitzt. Wie b ei den kooperativen Enzymen wird zwischen Kund V-Systemen unterschieden. Das Phänomen der Kooperativität führte dazu, dass die Hypothese vom Schlüssel-SchlossPrinzip (vgl. Kapitel 2) insofern erweitert wurde, dass das Bindungszentrum nicht mehr als starres Gebilde betrachtet wurde. Durch die Wechselwirkung zwischen Substrat und Bindungsstelle ändert sich die Konformation des Enzyms, und es resultiert daraus ein induced fit, also ein induziertes Zusammenpassen.
3.8.1 Die Hill-Gleichung Im Jahr 1910 entwickelte A.V. Hill ein Modell, das den sigmoiden Bindungscharakter des Hämoglobins für Sauerstoff beschreiben sollte. Monod hat diesen Ansatz, der zunächst nur zur Beschreibung von Bindungsgleichgewichten gedacht war, auf enzymatische Reaktionen übertragen. Das folgende Reaktionsschema beschreibt den Ansatz: E + hS
k1 k-1
ESh
k2
E+P
(3.60)
Dieses Reaktionsschema nimmt an, dass nur vollständig unbesetzte oder vollständig besetzte Enzymmoleküle existieren. Dies lässt sich so veranschaulichen, dass die Bindung des ersten Substrates die Affinität der anderen, noch nicht besetzten Untereinheiten so stark erhöht, dass
3
3
92
3 Enzymkinetik
diese Untereinheiten praktisch sofort ebenfalls Substratmoleküle binden. Der Hill-Koeffizient h gibt das Ausmaß der Kooperativität wieder, er ist nicht zwingend identisch mit der Anzahl der Bindungsstellen am Molekül. Mit der Steady-State-Annahme ergibt sich: [ E ][ S ]h k−1 + k2 = = Km k1 [ESh]
(3.61)
Das gesamte Enzym liegt entweder in freier [E] oder komplexierter Form [ES] vor: [E]0 = [E] + [ESh]
(3.62)
Daraus ergibt sich für den Enzym-SubstratKomplex: [ S ]h Km [ESh] = [ E ]0 (3.63) [ S ]h 1+ Km
und schließlich für die Reaktionsgeschwindigkeit v : k [ E ] [S ]h v [ S ]h v = k 2 [ESh] = 2 0 h = max (3.64) K m + [S ] K m + [ S ]h Zur Veranschaulichung der kooperativen Wirkung ist die Hill-Gleichung in Abbildung 3.29 für verschiedene Hill-Koeffizienten h wiedergegeben. Für h = 1 lässt sich die Kinetik durch einen Michaelis-Menten-Ansatz beschreiben.
Abb. 3.29 Positive und negative Kooperativität am Beispiel der Hill-Gleichung
Für h > 1 ergibt sich ein sigmoider Verlauf der vS-Kurve. Im Fall negativer Kooperativität (h < 1) wird die Affinität der anderen Untereinheiten für das Substrat vermindert, und die Steigung der v-S-Kurve nimmt ab.
3.8.2 Ein einfaches allosterisches Modell Im vorigen Abschnitt wurde mit der Hill-Gleichung das einfachste Modell hergeleitet, das kooperative Phänomene beschreibt. Als Erweiterung des Hill-Modells sind eine Vielzahl detaillierterer Modelle entwickelt worden, von denen einige im Folgenden erläutert werden. Abbildung 3.30 zeigt ein einfaches Modell für ein dimeres Enzym, das zwei unterschiedliche Enzymzustände berücksichtigt. Hier ist angenommen, dass das Enzym E in einer aktiven Form A und in einer inaktiven Form U auftritt, wobei das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Formen durch die Konstante L = [U]0 / [A]0 beschrieben wird. Der Index bei der aktiven Form A gibt an, wie viele Substratmoleküle an das Enzym gebunden sind. U0 und A0 sind im Gleichgewicht und U0 kann kein Substrat binden. In Abschnitt 3.2.1 wurde die Steady-State-Annahme verwendet, um die Differenzialgleichungen analytisch lösen zu können. Für die Herleitung der Gleichungen, die allosterische Enzyme beschreiben, wird eine andere häuf ig eingesetzte Vereinfachung angewendet, die bereits im Abschnitt 3.2.1 erwähnt wurde: die Rapid-Equili-
Abb. 3.30 Reaktionsfolge für ein allosterisches Enzym mit zwei Untereinheiten
93
3.8 Allosterie und Kooperativität
brium-Annahme. Wie der Name impliziert, wird eine sehr schnelle Gleichgewichtseinstellung bei der Komplexbildung und für die Übergänge zwischen Komplexen angenommen und die eigentliche Reaktion – die Dissoziation des Produktes vom Enzym-Substrat-Komplex – verläuft langsam im Vergleich zur Einstellung des Fließgleichgewichts zwischen Enzym und Substrat. Die Massenbilanzen für das in Abbildung 3.30 dargestellte System lauten: d [ A]0 = −k L [ A]0 + k − L [U ]0 − 2k1[ A]0 [ S ] + k −1[ A]1 (3.65a) dt
[U ]0 =
L[U ]0 N
(3.66d)
mit N=
[ E ]0 [S ] ; αj = Kj 1 + L + 2α1 + α1α 2
(3.66e)
Daraus folgt für die Reaktionsgeschwindigkeit: v=
2α1 (
4
2
2
)[E ]0
N
(3.67)
d [ A]1 = 2k1[ A]0 [ S ] − k−1[ A]1 − k3[ A]1[ S ] + k− 3[ A]2 (3.65b) dt
Für identische Geschwindigkeitskonstanten k2j der Produktbildung (j = 1, 2, 3, ...) und identische Dissoziationskonstanten Kj (j = 1, 2, 3, ...) vereinfacht sich Gleichung (3.67) zu:
d [ A]2 = k3[ A]1[ S ] − 2k− 3[A]2 dt
(3.65c)
v=
d [U ]0 = k L [ A]0 − k− L [U ]0 dt
(3.65d)
[ ]0 [ ]0 [ ]1 [ ]2 [ ]0
(3.65e)
Durch Erweitern der Abbildung 3.30 auf n identische Untereinheiten ergibt sich:
(3.65f)
v=
d [ P] = k2 [ A]1 + k4 [ A]2 dt k k k L = L ; K1 = −1 ; K 3 = − 3 k− L k1 k3
[ A]0 =
[ E ]0 N
(3.66a)
[ A]1 =
2α1[ E ]0 N
(3.66b)
α1α 2 [ E ]0 N
L+(
nkkα (
)[E ]0 )2
)n−1[ E ]0 L+( )n
(3.68)
(3.69)
(3.65g)
Hierbei ist zu beachten, dass ein Enzym mit zwei freien Bindungsstellen eine doppelt so hohe Reaktionswahrscheinlichkeit besitzt; deshalb der Faktor 2 in Abbildung 3.30 und in den Gleichungen (3.65a und b). Gleiches gilt für den Enzymkomplex A2, der zwei Substrat- bzw. Produktmoleküle gebunden hat (vgl. Gleichung (3.65c)). Da die Rapid-Equilibrium-Annahme verwendet wird, sind die Produktbildungsschritte in den Gleichungen (3.65a) bis (3.65d) vernachlässigt worden. Im Gleichgewicht sind die Ableitungen der Enzymterme gleich null, und die Gleichgewichtskonzentrationen ergeben sich zu:
[ A]2 =
2kα (
(3.66c)
3.8.3 Die MWC- und KNF-Modelle Die heute gebräuchlichsten allosterischen Modelle sind das Monod-Wyman-Changeux-Modell (MWC) und das Koshland-Nemethy-FilmerModell (KNF). In Abbildung 3.31 ist das MWCModell für ein tetrameres Enzym dargestellt. Tetramere Enzyme mit allosterischem Verhalten sind beispielsweise Phosphofructokinase aus E. coli und Glycerinaldehyd-3-phosphatDehydrogenase (Abb. 2.15) aus Hefe. Diesem Mechanismus wurden die folgenden Annahmen zugrunde gelegt: 1) Das Enzym b esteht aus n identischen Untereinheiten. 2) Das Enzym kann in zwei unterschiedlichen Konformationen vorliegen, einer entspannten R-Form (relaxed) und einer angespannten TForm (tense). 3) Der Übergang zwischen R- und T-Form ist nur möglich, wenn kein Substrat an das En-
3
3
94
3 Enzymkinetik
zym gebunden hat. Die beiden Formen befinden sich im Fließgleichgewicht. 4) Sowohl die R-Form wie auch die T-Form kann Produkt bilden, allerdings mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Analog zur Herleitung der Gleichung (3.69) sind in dem Schema die Geschwindigkeitskonstanten mit der Anzahl der potenziellen Reaktionsstellen multipliziert. Unter Zuhilfenahme der RapidEquilibrium-Annahme ergibt sich folgende Geschwindigkeitsgleichung: v=
k4 β (
L(
)(
)
+ k 5 Lcβ (
) (
)
)( n
)
[ E ]0
(3.70a)
mit L=
k1 K [ S] ; β= ; c= R k −1 KR KT
KR =
K −2 K ; K T = −3 K2 K3
(3.70b) (3.70c)
Verschiedene Erweiterungen des MWC-Modells erlauben beispielsweise nicht nur den Übergang zwischen R0 und T0, sondern auch zwischen teilweise besetzten Zuständen. Das zweite häufig verwendete allosterische Modell ist das KNF-Modell, das in Abbildung 3.32 dargestellt ist.
Abb. 3.31 Das MWC-Modell für ein tetrameres Enzym. Alle Untereinheiten besitzen unabhängig von der Anzahl der gebundenen Substrate die gleichen katalytischen Eigenschaften. Freies Substrat wird aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt
Abb. 3.32 Das Koshland-Nemethy-Filmer-Modell für ein dimeres Enzym
Die grundlegenden Annahmen dieses Modells lauten: 1) Jede Untereinheit kann in zwei unterschiedlichen Konformationen vorliegen. 2) Nur diejenige Untereinheit kann ihre Konformation ändern, die zuvor ein Substratmolekül gebunden hat. 3) Die Konformationsänderung einer Untereinheit beeinflusst ihre Wechselwirkung mit anderen Untereinheiten, indem die SubstratDissoziationskonstanten anderer Untereinheiten verändert wird. Mit diesem Modell können sowohl positive wie auch negative Kooperativität beschrieben wer-
95
3.9 Enzymreaktionen mit zwei Substraten
den. Für ein dimeres Enzym ergibt sich folgende Geschwindigkeitsgleichung: § [S ] · ¸¸ [ S ] ¨¨1 + © K SS ¹ v= § [S ] K S + [ S ] ¨¨1 + © K SS
§ [S ] · ¸¸ [ S ] ¨¨1 + © K SS ¹ 2k3 [ E ]0 = § [S ] · ¸¸ K S + [ S ] ¨¨1 + ¹ © K SS
· ¸¸ ¹
v max
(3.71a) wobei KS =
k −1 k ; K SS = − 2 k1 k2
(3.71b)
Der Fall Ks/K Kss > 1 entspricht positiver und der Kss < 1 negativer Kooperativität. Fall Ks/K
3.9 Enzymreaktionen mit zwei Substraten Ein-Substrat-Reaktionen sind verhältnismäßig selten; es handelt sich meist um Isomerisierungen. An den meisten enzymkatalysierten Reaktionen sind zumindest zwei Substrate beteiligt, wobei häufig Wasser das zweite Substrat ist. In einer typischen Zellumgebung liegen die Substratkonzentrationen im Bereich von μmol/l bis mmol/l, d. h. die Wasserkonzentration ist während der Reaktion näherungsweise konstant. Damit kann die Reaktion als Ein-Substrat-Reaktion beschrie-
ben werden. Beim Einsatz von isolierten Enzymen in technischen Prozessen werden wesentlich höhere Konzentrationen eingesetzt, und es muss im Einzelfall geprüft werden, ob die vereinfachende Annahme einer konstanten Wasserkonzentration gerechtfertigt ist. In diesem Abschnitt werden Reaktionen behandelt, in denen zwei Substrate miteinander reagieren. Wichtige Beispiele hierfür sind Phosphotransferasen, Aminotransferasen und Oxidoreduktasen (vgl. Tabelle 2.2). Für das Verständnis der Mechanismen und die kinetische Beschreibung der Reaktionen wird die weit verbreitete Terminologie von Cleland verwendet. Mit den Anfangsbuchstaben des Alphabetes A, B, C, ... werden die Substrate in der Reihenfolge ihrer Anlagerung an das Enzym bezeichnet, während die Endbuchstaben – beginnend mit P, Q, R, ... – die Produkte symbolisieren. Die Buchstaben I, J, ... stehen für Inhibitoren, und mit E, F, ... werden die unterschiedlichen Enzymformen bezeichnet. In Abbildung 3.33 sind verschiedene häufig auftretende Reaktionsmechanismen dargestellt. Als Ping-Pong-Mechanismus wird die Reaktionsfolge bezeichnet, in der zunächst das eine Substrat bindet, in sein Produkt umgewandelt wird und abdissoziiert. Danach lagert sich das zweite Substrat an und reagiert. Nach der ersten Teilreaktion liegt das Enzym in einer anderen Form F vor und wird erst durch die zweite Teilreaktion in seine ursprüngliche Form E überführt. Beim Random-Bi-Bi-Mechanismus binden beide Substrate in beliebiger Reihenfolge, danach
Abb. 3.33 Schematische Darstellung häufig auftretender Reaktionsmechanismen bei Zwei-Substrat-Reaktionen
3
3
96
verlassen beide Produkte ebenfalls in beliebiger Reihenfolge den Enzym-Substrat-Komplex. Die mathematische Beschreibung der Reaktionskinetik wird wesentlich vereinfacht, wenn die Umwandlung des Enzym-Substrat-Komplexes EAB in den Enzym-Produkt-Komplex EPQ als der geschwindigkeitsbestimmende Schritt angenommen wird, was für viele Reaktionen zutrifft und mit dem Begriff Rapid-Equilibrium-RandomBi-Bi-Mechanismus bezeichnet wird. Ein Ordered-Bi-Bi-Mechanismus liegt vor, wenn zunächst das eine Substrat binden muss, damit sich das zweite Substrat anlagern kann. Entsprechendes gilt für die Dissoziation. Dieser Reaktionsmechanismus ist häufig bei Dehydrogenasen anzutreffen, bei denen das Coenzym vor dem anderen Substrat bindet. Ein Sonderfall des Ordered-Bi-Bi-Mechanismus liegt vor, wenn die Dissoziation des ersten Produkts sehr rasch erfolgt, sodass der Enzymkomplex EAB/ EPQ nur in vernachlässigbar geringer Konzentration vorhanden ist. Nach diesem TheorellChance-Mechanismus laufen beispielsweise die durch Alkohol-Dehydrogenase katalysierten Reaktionen ab. Zur Herleitung der Steady-State-Geschwindigkeitsgleichungen werden analog zu den Ein-Substrat-Reaktionen die Differenzialgleichungen für die einzelnen Substanzen aufgestellt und gleich null gesetzt. Das resultierende Gleichungssystem kann beispielsweise mithilfe von Computerprogrammen gelöst werden, da durch die große Anzahl der Gleichungen die Lösung per Hand zeitaufwendig ist. Alternativ zu der Herleitung der Geschwindigkeitsgleichung über die Differenzialgleichungen kann das Verfahren von King und Altman verwendet werden. Hiermit kann die Geschwindigkeitsgleichung geschrieben werden, ohne dass ein System simultaner Gleichungen gelöst werden muss. Dazu wird das Reaktionsschema in einzelne Netzwerke unterteilt und die darin auftauchenden Geschwindigkeitskonstanten nach bestimmten Regeln zusammengefasst. Für eine genaue Erläuterung der King-AltmanMethode wird auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen (Segel 1993; Taylor 2002). Für den Ordered-Bi-Bi-Mechanismus ergibt die King-Altman-Methode unter Berücksichtigung der Reversibilität:
3 Enzymkinetik
k1 k 2 k 3 k 4 [ A][ B] − k −1 k − 2 k −3 k − 4 [ P][Q] v = [ E ]0 k −1 k 4 ( 2 3 ) 1 4 ( 2 3 )[A] + k 2 k 3 k 4 [ B] + k −1 k −2 k −3 [ P] + k−1k− 4 (
k1 k− 2 k− 3[ A][ P] + k− 3 k− 4 (
)
2
3
1
1 2
(
3
)[ A][ B] +
4
) [ P][ Q] + k 2 k 3 k− 4[ B][Q] +
2
k1k 2 k− 3[ A][ B][ P] + k 2 k −3 k −4 [ B ][P ][Q ]
(3.72)
Ähnlich wie beim Übergang von Gleichung (3.16) zu (3.17a) lassen sich die Geschwindigkeitskonstanten zu kinetischen Konstanten zusammenfassen: § [ P][Q] ·¸ v max ¨ [ A][ B] − ¨ K eq ¸¹ © v= [ A][B][ P ] [ B ][Q]K a K ia K b + [ A]K b + [ B] K a + [ A][ B ] + + + K ip K iq
+
[ A][ P]K q [ B ][P][Q] · v max § ¨ [ P]K q + [Q]K p + [ P ][Q] + ¸ + K ia K ib ¸¹ vmax,r K eq ¨©
(3.73) Wenn kein Produkt vorliegt, vereinfacht sich Gleichung (3.73) zu: v=
v max [ A][ B ] K ia K b + [ A]K b + [ B ] K a + [ A][ B ]
(3.74)
Die Konstanten Ka und Kb entsprechen den KmWerten für die beiden Substrate, und Kp und Kq sind die entsprechenden Konstanten der Rückreaktion. Die Ki-Konstanten beschreiben die Inhibierung durch die mit dem zweiten Buchstaben bezeichnete Substanz, und Keq ist die Gleichgewichtskonstante der Reaktion. Für die genaue Definition der einzelnen kinetischen Konstanten sowie für die Geschwindigkeitsgleichungen für andere Mehr-Substrat-Mechanismen wird auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen (Segel 1993, Fromm 1975). Wird eines der beiden Substrate in konstanter Konzentration vorgelegt, dann ergibt sich mit Gleichung (3.74) für das andere Substrat eine Michaelis-Kinetik:
97
3.9 Enzymreaktionen mit zwei Substraten
v' max [ B] K ' m + [ B] v' max =
[A]
k
t t
K ( vmax [ A] ; K ' m = b ia K a + [ A] K a + [ A]
(3.75a)
)
(3.75b)
Der vʹmax- und Kʹm-Wert in dieser Gleichung sind nicht konstant, sondern sie hängen von der Konzentration des nicht variierten Substrates ab.
3.9.1 Bestimmung der kinetischen Konstanten bei Mehr-SubstratReaktionen Zur grafischen Auswertung der Daten von EinSubstrat-Reaktionen werden die experimentellen Werte in linearisierter Form aufgetragen und aus den Ordinatenabschnitten und Steigungen die Km-, Ki- und vmax-Werte ermittelt (Abschnitte 3.2.3 und 3.6). Zur Analyse von Reaktionen mit mehreren konkurrierenden Substraten wird von einer Mehr-Substrat-Kinetik ausgegangen. Dab ei wird mittels HPLC oder vergleichbarer Methoden die relative Konzentration aller Substrate innerhalb der Mischung beobachtet. Konstanten wie z. B. kcatt oder Km können dann mithilfe der nicht-linearen Regression für alle Substrate berechnet werden (Abschnitt 3.5.2). Eine ausführliche Diskussion von Mehr-SubstratReaktionen ist in Cornish-Bowden (2004) zu finden.
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Wachstum: Kinetik und Prozessführung*
Wenn lebensfähige Zellen in einer Lösung suspendiert werden, die zumindest alle essenziellen Nährstoffe enthält, die richtige Temperatur und den richtigen pH besitzt, dann wachsen oder produzieren die Zellen. Das Wachstum verläuft bei verschiedenen Zelltypen unterschiedlich: • Einzelzellig wachsende Organismen: Die Zunahme der Biomasse geht normalerweise mit einer Erhöhung der Zellzahl einher. • In Aggregaten, sozusagen im „Zellverbund“ wachsende Organismen: Beim Wachstum z. B. von Pilzen nehmen Größe und Dichte des Mycels zu, aber nicht unbedingt die Zellzahl. Ursächlich mit dem Zellwachstum (= Wirkung) verbunden ist die Aufnahme (= Ursache) von Stoffen aus der Umgebung der Zelle. Eine Folge des Stoffwechsels ist die Abgabe von metabolischen Zwischen- oder Endprodukten an die Umgebung. Das Wachstum der Zellpopulation soll zunächst in seiner allgemeinsten und damit auch kompliziertesten Form betrachtet werden. Im Anschluss daran sollen sinnvolle Vereinfachungen eingeführt werden. In Abbildung 4.1 sind einige Parameter, Phänomene und Interaktionen zusammengefasst, welche das physiologische Verhalten von Zellpopulationen beeinflussen. Generell müssen zwei miteinander wechselwirkende Systeme unterschieden werden, die biologische Phase – sie besteht aus der Zellpopulation – und die umgebende (abiotische) Phase – das (Wachstums-)Medium. Die Zellen konsumieren Nährstoffe und setzen Substrat aus der Umgebung in Produkt(e) um. Als Substrat im weiteren Sinne wird jede Komponente des Nährmediums verstanden; im engeren Sinne wird meist die Kohlenstoff-
*Autoren: Bernhard Sonnleitner, Horst Chmiel
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
und Energiequelle (z. B. Glucose) als Substrat bezeichnet. Die Zellen erzeugen während des Wachstums und/oder der Produktbildung Wärme und werden umgekehrt von der Temperatur des Mediums beeinflusst. Mechanische Kräfte aus hydrostatischem Druck und Scherströmung wirken über das Medium auf die Zellen. Diese Effekte beeinflussen vor allem zellwandlose Organismen, z. B. animale Zellen, die bereits durch die Turbulenzen einer an der Oberfläche zerplatzenden Gasblase irreversibel geschädigt werden können. Konzentration und Morphologie von Zellen und die Konzentrationen von Substraten und Produkten wirken auf die Rheologie der Biosuspension, die wiederum für die Höhe der Scherkräfte verantwortlich ist. Häufig produziert oder konsumiert eine Population Komponenten, die den pH-Wert des Mediums verschieben, was wiederum die Zellaktivität beeinflusst. Während des Verlaufs einer spontanen, unkontrollierten Bioreaktion ändern sich Konzentrationen, Temperatur, pH, Ionenstärke und die rheologischen Eigenschaften mit der Zeit. Durch Messung und Regelung (im geschlossenen Regelkreis) können einige dieser Variablen zu sogenannten Kulturparametern gemacht werden. Selbst die Einzelzelle ist ein kompliziertes Multikomponentensystem. Viele (bio-)chemische Reaktionen finden in einer Zelle simultan statt, von einem komplizierten internen Regelsystem kontrolliert. Während der Kultivierung einer Zellpopulation können sich spontane Mutationen ereignen (die mittlere Wahrscheinlichkeit liegt vermutlich in der Größenordnung von 1:106). Von diesen Mutanten zeichnen sich wiederum nur wenige durch verbesserte Eigenschaften aus. Jedes Reaktorsystem übt aufgrund seiner Komponenten und/oder Betriebsweise einen Selektionsdruck auf die gesamte Population aus und kann somit einzelne Mutanten bevorzugen.
4
100
Diese würden in der Folge die ursprüngliche Population überwachsen (Abschnitt 4.10). Neben der genetischen Inhomogenität besteht in einer wachsenden Zellpopulation auch eine signifikante Heterogenität von Zelle zu Zelle. Zu einem gegebenen Zeitpunkt und in einem Volumenelement unterscheiden sich die Zellen hinsichtlich ihres individuellen Alters und/oder ihrer (bio-)chemischen Aktivität. Diese Unterschiede sind bei prokaryotischen Kulturen meist unwesentlich, bei Eukaryoten hängen aber viele Stoffwechselleistungen von der aktuellen Position im Zellzyklus ab. Unter diesen Umständen ist es praktisch sehr aufwendig, ein umfassendes und exaktes mathematisches Populationsmodell zu formulieren, das alle in Abbildung 4.2 aufgeführten Details berücksichtigt: Man müsste jede einzelne Zelle separat „agieren“ lassen und die Population als Summe bzw. Mittelwert der Individuen berechnen. Im Folgenden sollen daher Approximationen geprüft werden, die ein vereinfachtes und doch für die industrielle Praxis brauchbares Modell der Zellpopulationskinetik liefern. Dabei sind erheblich einschränkende Randbedingungen zu beachten.
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
In einem Wachstumsmedium für industrierelevante Prozesse liegen meist alle Komponenten bis auf eine in so hoher Konzentration vor, dass deren Änderung die Gesamtgeschwindigkeit des Prozesses nicht beeinflusst, d. h. nur eine einzelne Komponente wird (im Satzbetrieb gegen Ende) geschwindigkeitsbestimmend. Genau diese Komponente ist eine relevante Zustandsvariable im Modell, die anderen Komponenten dagegen werden üblicherweise vernachlässigt. Nur in wenigen Fällen ist es notwendig, eine Multikomponentenbeschreibung in das Modell mit einzubeziehen, um den gewünschten Bereich des kinetischen Verhaltens zu repräsentieren. Abbildung 4.2 gibt einen konzeptionellen Überblick über die verschiedenen Perspektiven für populationskinetische Darstellungen. Sie klassifiziert die mikrobiellen Systeme nach der Zahl der Komponenten, die zur zellulären Darstellung gebraucht werden, und danach, ob die Zellen als heterogene Kollektion diskreter Einheiten angesehen werden (was sie in Wirklichkeit sind) oder ob eine Art „mittlere Zelle“ gewählt wird, was dem Konzept der „Komponente in einer Lösung“ entspricht. Zelluläre Systeme, die
Abb. 4.1 Wichtige Einflussgrößen, Phänomene und Interaktionen, die die Zellpopulationskinetik bestimmen
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
aus mehreren unterscheidbaren Komponenten bestehen, werden strukturiert genannt; erfolgt die Darstellung als eine Komponente, wird sie unstrukturiert genannt. Die Betrachtung diskreter, heterogener Zellen oder zumindest Subpopulationen ist segregiert, während eine unsegregierte Betrachtungsweise bedeutet, dass die Zelleigenschaften als Mittelwert gesehen werden und nicht zwischen einzelnen Individuen unterschieden werden kann. Wie in Abbildung 4.2 gezeigt, ist die tatsächliche Situation die strukturierte bzw. segregierte. Die biotische Phase muss durch eine Matrix beschrieben werden, die die Dimensionen Strukturelemente × Zellklassen hat. Wenn die Heterogenität von Zelle zu Zelle den kinetischen Prozess nicht wesentlich beeinflusst, dann kann man auf die segregierte Betrachtungsweise verzichten und die unsegregierte benutzen. In einem Wachstumsstadium, das „ ausgewogenes“ Wachstum (engl. balanced growth) genannt wird, sind alle Aktivitäten der Zellsynthese so koordiniert, dass die mittlere Zellzusammensetzung nicht von der Entwicklung der Population beeinflusst wird. In diesem Fall sind Modelle adäquat, die die Viel-
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komponentennatur von Populationen unberücksichtigt lassen. Die Zellmasse wird durch eine skalare Größe beschrieben. Am häufigsten wird zur Beschreibung des Wachstums von Zellpopulationen das am stärksten idealisierte Modell, das unsegregierte und unstrukturierte benutzt. Bei Wachstum und Produktbildung in transienten Systemen, wie beispielsweise bei der konventionellen Satzkultur (engl. batch), bei der sich Zellzusammensetzung und Reaktionstypen während des Verlaufs des Prozesses erheblich ändern können, empfiehlt sich ein detailliertes Modell. Außerdem kann man bei der Anwendung eines strukturierten Modells bekannte Merkmale der biochemischen Reaktionen der Zelle (z. B. metabolische Regulation) in die kinetische Darstellung mit einbringen (Abbildung 4.3 zeigt ein einfaches Beispiel für die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae; es gibt nur zwei Strukturen: oxidativer und fermentativer Stoffwechsel). Ähnliches gilt für segregierte Modelle, wo bekannte Besonderheiten des Zellzyklus mit eingeschlossen werden können und auf diese Weise die Gültigkeit und der Anwendungsbereich eines kinetischen Modells erweitert werden kann. In einem
Abb. 4.2 Die verschiedenen Perspektiven für zellpopulationskinetische Darstellungen. In horizontaler Richtung ändert sich die „Einsicht“ in die einzelnen Zellen, in vertikaler Richtung der Individualcharakter der Zellen innerhalb der Population
4
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102
segregiert-strukturierten Modell sind Kinetik der Zellkompartimente und regulatorische Besonderheiten essenziell. In der Folge beschränken wir uns auf eine skalare Betrachtung der Zellen; interessierte Leser seien auf weiterführende Literatur verwiesen, z. B. Henson 2004, Lapin et al. 2006, Pinto et al. 2007 und Wiechert 2002.
Abb. 4.3 Mechanistisches Modellkonzept für Hefen vom Typ Saccharomyces (nach Sonnleitner und Käppeli 1986) als stark schematisierte Skizze über die Möglichkeiten, C-Quellen in Biomasse umzusetzen. Da der Sauerstoff für die aerobe Energiegewinnung essenziell ist, muss er ebenfalls als Substrat betrachtet werden. Es gibt daher drei wesentliche abiotische Reaktionspartner: (1) Glucose, welche über einen oxidativen oder einen reduktiven oder über beide Wege gleichzeitig umgesetzt werden kann; (2) Sauerstoff, der eine energetisch optimale Glucosenutzung erlaubt; und (3) Ethanol, das im Laufe des reduktiven Wachstums auf Glucose zwangsweise entsteht und ausschließlich unter Nutzung von Sauerstoff ebenfalls als Substrat verwertet werden kann, sofern Glucose nicht den „respiratorischen Flaschenhals“ besetzt. Innerhalb der Zelle werden drei grobe, aber kinetisch definierbare Strukturelemente unterschieden: (1) die begrenzte respiratorische Kapazität (respiratory bottleneck); (2) die Kohlenhydratspeicherstoffe gesamthaft; und (3) die „restliche“ Biomasse (alle nicht schon genannten Zellbausteine summarisch). Nur zwei Schlüsselenzyme sind lokalisiert: Pyruvatdehydrogenase (PDH) und Pyruvatdecarboxylase (PDC)
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
4.1 Ideale Prozesse zur Messung der Kinetik Es ist schwierig, kinetische Informationen über eine mikrobielle Population von einem Reaktor zu erhalten, in dem die Bedingungen ortsabhängig sind. Es ist daher notwendig, die Untersuchungen in ideal durchmischten („idealen“) Reaktoren durchzuführen. In der Biotechnologie finden verschiedene Arten der Reaktionsführung von Bioprozessen mehr oder weniger breiten Einsatz. Sie sollen im Folgenden grundsätzlich, also unabhängig von den zur Realisierung verwendeten Reaktortypen, besprochen werden (Abb. 4.4). Des Weiteren bleibt zu bedenken, dass wir eigentlich an den Parametern interessiert sind, wenn wir die Kinetik von Wachstum und Produktbildung ermitteln müssen. Parameter sind diejenigen Größen, die die Entwicklung eines (Bio-)Systems eindeutig bestimmen und festlegen. Die unabhängige Variable ist meistens die Zeit, es kann aber auch eine operative Größe wie die Verdünnungsrate oder das Rezirkulationsverhältnis sein. Der Verlauf der Zustandsgrößen oder abhängigen Variablen, z. B. der Konzentrationen von Zellen, Substraten und Produkten, wird also durch die Parameter determiniert. Doch die Parameter können wir nicht direkt messen; was wir messen können, sind die Variablen, und aus deren Entwicklung müssen wir auf die Parameter zurückschließen (reversed problem solution; Kell und Sonnleitner 1995).
4.1.1 Geschlossene Systeme Solche Systeme sind technisch am einfachsten realisierbar, weil man lediglich ein geschlossenes B ehältnis braucht, in dem ein spontaner Wachstums- oder Produktbildungsprozess abläuft. Es werden die notwendigen Substrate vorgelegt, bei axenischen (= „ohne Fremdorganismen“) Prozessen wird sterilisiert, dann das Inokulum (Impfgut) eingebracht, und damit ist der Prozess gestartet. Nach Ablauf des Prozesses werden die Produkte gewonnen. Tatsächlich können jedoch die meisten dieser Spontanprozesse (man sagt auch „ im Satzbetrieb“ oder batch-Ansatz) nicht in einem vollkommen abgeschlossenen System
4.1 Ideale Prozesse zur Messung der Kinetik
103
Abb. 4.4 Prinzipdarstellung verschiedener Möglichkeiten der Reaktionsführung. Im linken Teil ist jeweils der zeitliche Volumenverlauf (VR) für geschlossene, teiloffene und offene Systeme dargestellt. Im rechten Teil sind die dazu notwendigen Flüssigströme (F) aufgetragen: Solche in das System hinein sind positiv, solche aus dem System heraus negativ dargestellt
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4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Abb. 4.5 Löslichkeiten biologisch relevanter Gase in reinem Wasser in Abhängigkeit von der Temperatur. Die beiden linken Skalen geben Sauerstoff an, wenn mit Luft (entspricht 0,21 bar, Skala links innen) bzw. wenn mit Reinsauerstoff bei 1 bar (Skala links außen) begast wird. Die beiden rechten Skalen beziehen sich auf Begasung je mit Reingas bei 1 bar Partialdruck (nach Sonnleitner 1983)
durchgeführt werden, da gasförmige Substrate aufgrund ihrer geringen Löslichkeit in Wasser (Abb. 4.5) nicht in genügender Menge vorgelegt bzw. die bei den Stoffwechselvorgängen entstehenden Gase nicht abgeführt werden können. Daher ist man gezwungen, auch ein in Bezug auf die Flüssigphase (und die darin als gelöst betrachtete Festphase) während der gesamten Prozesszeit scheinbar geschlossenes System in Bezug auf die Gasphase offen zu halten. Scheinbar deshalb, weil normalerweise geringe Mengen an pH-Korrekturmittel oder chemischem Entschäumer dosiert werden und Aliquote für analytische Zwecke sporadisch oder in regelmäßigen Abständen entnommen werden.
4.1.2 Offene Systeme Im Gegensatz zu den oben besprochenen geschlossenen Systemen sind diese Systeme auch
für die Flüssigphase ständig offen, d. h. es tritt laufend flüssiges Medium in das System ein, und es wird laufend durchwachsene Biosuspension aus dem System abgezogen, sodass das arbeitende Flüssigvolumen konstant bleibt. Bezüglich der Gasphase werden offene Systeme natürlich ebenfalls offen gehalten. Je nach dem Regelprinzip, nach dem der Durchtritt der Flüssigphase durch das System erfolgt, unterscheidet man Spezialfälle. Generell bezeichnet man sie mit dem Begriff kontinuierliche Kultur. Wenn man die Verdünnungsrate (D; von engl. dilution rate) steuert oder regelt, so nennt man diese Anordnung Chemostat.
4.1.3 Teiloffene Systeme Vor allem in industriellen Prozessen wird eine partiell kontinuierliche Betriebsf ührung (semikontinuierlich, fed-batch, Zulaufverfahren, ...)
4.2 Grundlegende Bioprozessmodelle: Bilanzen und Kinetik
immer dann eingesetzt, wenn entweder aufgrund metabolischer Regulation oder Inhibition oder gar Toxizität ein Satzbetrieb mit hohen Anfangskonzentrationen unerwünscht oder unmöglich ist, oder wenn die Nachteile der Totzeiten im Satzbetrieb ökonomisch nicht tragbar sind, also bei Massenprodukten. Teiloffene Systeme können auf verschiedene Weise realisiert werden (Abb. 4.4): Variante 1: Ein erster batch-Ansatz wird „normal“ angefahren. Zur Erntezeit wird jedoch nicht der gesamte Reaktor entleert, sondern ein (sehr) kleiner Teil der Kulturflüssigkeit als Inokulum im Reaktor belassen. Der Abzug der Kulturflüssigkeit muss zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die Zellen physiologisch aktiv, also „noch brauchbar“ sind, und die abgezogene Menge wird umgehend entsprechend durch frisches Medium ersetzt. Dieses System wird rep etitiv betrieben, d. h. kurzzeitig, aber regelmäßig für die Flüssigphase geöffnet. Das Reaktorvolumen verändert sich während der Züchtung – wie auch im batch-Betrieb – praktisch nicht. Zu beachten ist die logistische Herausforderung, geschlossene Regelkreise entsprechend einzufrieren, wenn die zugehörigen Sensoren vorübergehend nicht repräsentative Werte liefern, z. B. eine nicht mehr in die Flüssigkeit eintauchende pH-Elektrode. Variante 2: Ein batch-Ansatz wird mit nur teilweiser Reaktorfüllung angefahren, wobei das Anfangsvolumen vielleicht nur 20 % des nutzbaren Arbeitsvolumens sein kann. Mit einer bestimmten Rate wird dann anschließend an den zu Ende geführten batch frisches, eventuell extrem hoch konzentriertes Medium zugeführt, bis der Reaktor auf sein Nennvolumen gefüllt und zu dieser Zeit oder später die Züchtung abgeschlossen ist. Der Sinn dieser Prozessführung besteht im Niedrighalten der Konzentration(en) eines oder mehrerer Substrate, wenn diese auf Wachstum oder Produktbildung wesentlichen Einfluss haben. Kritisch ist dabei vor allem die Rate der Mediumszufuhr, weshalb diese geregelt und nicht nur gesteuert werden sollte. Der Name „Zulaufverfahren“ (fed ( batch) hat sich eingebürgert. Ein wichtiges Beispiel ist die Herstellung von Biomasse oder heterolog exprimierten Produkten mit Hefen oder Bakterien, die dem sogenannten Glucose-Effekt unterlie-
105
gen. Glucose-Effekt bedeutet, dass bei erhöhten Glucosekonzentrationen, wie sie in jeder produktionsorientierten Satzkultur vorliegen, neben dem erwünschten Produkt (z. B. Biomasse oder ein Protein) auch noch ein unerwünschtes Nebenprodukt (Ethanol, Essig- oder Milchsäure) auftritt. Die Nebenproduktbildung bleibt aber bei limitierenden, d. h. jederzeit tiefen aktuellen Glucosekonzentrationen aus; diese lassen sich durch gezielte Mediendosierung (Zulauf) realisieren. Variante 3: Eine Kombination der beiden oben beschriebenen Möglichkeiten, indem die Variante 2 repetitiv nach Abzug eines Großteils der Kultur wiederholt wird, würde man als repetitives Zulaufverfahren bezeichnen. Das Reaktorvolumen beschreibt dann annähernd eine zeitliche Sägezahnfunktion.
4.2 Grundlegende Bioprozessmodelle: Bilanzen und Kinetik Bioprozesse lassen sich durch mathematische Modelle beschreiben. Dabei handelt es sich immer um kombinierte Modelle, deren einer Teil die Aspekte des Reaktors und deren anderer Teil die Aspekte der Kinetik beinhaltet. Diese Modelle basieren prinzipiell auf Massenbilanzen, insbesondere auf KomponentenMassenbilanzen. Die allgemeine Form in Gleichung (4.1) nimmt auf örtliche und zeitliche Konzentrationsgradienten Rücksicht. In der Folge sollen die Reaktoraspekte nichtt diskutiert, also Idealreaktoren angenommen werden. Zur Formulierung eines praktisch brauchbaren Modells müssen die relevanten Zustandsgrößen oder abhängigen Variablen, die das betrachtete System kennzeichnen können oder sollen (z. B. Biomasse- und Substratkonzentration, Volumen etc.), festgelegt werden. Je nach Betriebsmodus lassen sich die Massenbilanzgleichungen mehr oder weniger vereinfachen. Zur expliziten Lösung fehlen dann „nur noch“ die kinetischen Terme, die im Folgenden am Wachstumsmodell nach Monod vorgestellt werden.
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4
106
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Änderung dem System dem System im System der Masse mit der Zeit mit der Zeit t r Z t mi de ei einer --- entnommene + umgesetzte = u eführte z g Komponente Masse einer im System Masse einer Masse einer Komponente mit der Zeit Komponente Komponente
oder mathematisch formuliert: dm d [ c V ] = = Fein cein Faus caus + r V Reaktion (4.1b) dt dt Konvektion
mit m = Stoffmenge oder Stoffmasse einer Komponente im System; c = (molare oder Massen-) Konzentration einer Komponente im System oder im Zulauf (Index „ein“) oder im Ablauf (Index „aus“). Konzentrationen (oder Massen) im System sind die abhängigen Variablen; F = Volumenstrom des Zu- oder Ablaufs (ebenfalls indiziert, wenn ungleich). Das sind operative Parameter (nicht notwendigerweise konstant); r = Reaktionsgeschwindigkeit (positiv für Produkte, negativ für Substrate); V = Reaktionsvolumen (d. h. Arbeits-, nicht Gesamtvolumen); t = Zeit; die unabhängige Variable.
4.3 Das Monod-Modell Die ersten Überlegungen zum Verständnis der Kinetik des Zellwachstums sollen an diesem einfachen, unstrukturierten und unsegregierten Modell erfolgen, wo lediglich die Masse (X) oder die Konzentration (x) der Zellen die Biophase charakterisiert. Dieses Modell simplifiziert substanziell: Die einzige Eigenschaft, die der Biophase zugestanden wird, ist „Masse haben zu dürfen“. Während des spontanen Wachstums auf einem Medium, das alle notwendigen Komponenten zunächst im Überfluss, jedoch in nicht inhibierender Menge enthält, wird eine direkte Proportionalität zwischen Wachstumsgeschwindigkeit (rrX) und der Biomassekonzentration (x) beobachtet, mit anderen Worten: Das Wachstum ist eine autokatalytische Reaktion. Der Proportionalitätsfaktor
(4.1a)
(μ) heißt spezifische Wachstumsgeschwindigkeit oder, synonym, spezifische Wachstumsrate: r rX = x oder = X (4.2) x B evor Details der Wachstumsgeschwindigkeit als Funktion der Nährstoff versorgung diskutiert werden, soll ein kurzer Überblick über die Zusammensetzung von Nährlösungen (Medien) gegeben werden. Man unterscheidet zwei Arten von Medien. Beim synthetischen oder (chemisch) definierten Medium ist die chemische Zusammensetzung sowohl qualitativ als auch quantitativ exakt definiert. In Tabelle 4.1 ist die Zusammensetzung zweier synthetischer Medien beispielhaft dargestellt. Beide besitzen die nötigen Kohlenstoff- und Energiequellen, Nährsalze und Spurenelemente. Dazu kommen in vielen Fällen noch Wuchsstoffe (Vitamine, Aminosäuren oder Hormone); bei Medien für pflanzliche oder animale Zellen können das sehr viele sein (z. B. über 50). Organismen, die ohne Wuchsstoffe auskommen, heißen „prototroph“, solche, die auf Wuchsstoffe angewiesen sind, „auxotroph“. Komplexe Medien (Tabelle 4.1) enthalten (zusätzlich oder ausschließlich) Extrakte – etwa aus Hefen, pflanzlichem oder tierischem Material –, Peptone – das sind chemisch oder enzymatisch hydrolysierte Proteinquellen – oder Abfallstoffe aus anderen Industriezweigen – etwa Melasse – und sind daher qualitativ undefiniert. Die Zusammensetzung solcher Komponenten variiert üblicherweise von Lieferant zu Lieferant, kann aber auch von Charge zu Charge oder von Saison zu Saison erheblichen Schwankungen unterliegen. Das allgemeine Ziel muss sein, die Zusammensetzung des Mediums so zu wählen, dass maximales Wachstum oder maximale Produktivität erzielt werden kann. Entgegen der Erwartung ist es aber nicht so, dass das Medium dann ideal zusammengesetzt ist, wenn die wesentlichen Nährstoffe nur im Überschuss vorhanden sind. Zum einen kann
107
4.3 Das Monod-Modell
Tabelle 4.1 Beispiele für definierte (synthetische) und komplexe Medien. Wenn die Medien durch Autoklavieren sterilisiert werden, sollte die Glucose separat sterilisiert und aseptisch zugegeben werden. Wenn Zucker in Gegenwart anderer Inhaltsstoffe, speziell N-haltiger Substanzen bei nicht-saurem pH erhitzt werden, entstehen dunkel gefärbte Nebenprodukte (Melanoidine), die das Wachstum empfindlich stören können oder regulatorisch wirken Substanz
definiertes M di m Mediu für Hefe
definiertes Mediu M di m für Bacillus
komplexes Mediu M di m für viele Mikroben
Glucose [g l–1]
30
2
20
Saccharose [g l–1]
30
komplexe Nährstoffe [g l–1]
Hefeextrakt (10) Pepton (10)
(NH4)2SO4 [g l–1]
6
(NH4)2HPO4 [g l–1]
1,9
KH2PO4 [g l–1] MgSO4 . 7 H2O [g l–1] CaCl . 2 H O [g l–1]
2,5
0,3 0,45
0,05 0,001
Spurenelemente [mg l–1]
CuSO4 aq (2,3) FeCl3 aq (14,6) ZnSO4 aq (9) MnSO4 aq (10,5)
FeSO4 . aq (0,4) MnCl2 . aq (5) ZnSO4 . aq (0,1) H3BO3 (0,8) CuSO4 . aq (0,04) Na2MoO4 . aq (0,04) Co(NO3)2 aq . (0,08)
Vitamine [mg l–1]
Ca-Pantothenat (30) m-Inosit (60) B1 (6), B6 (1,6) Biotin (0,03)
Biotin (0,01)
2
CaCO3 [g l–1]
8
Aminosäuren [g l–1] Antischaummittel
Baumwollsamenmehl (6) 4
0,28
2
komplexes, tech hnisches i h Medium
ZnSO4 . aq (30)
Methionin (0,15) PPG–2000 (0,05)
die exzessive Konzentration eines Nährstoffes regulatorisch, inhibierend oder sogar toxisch wirken; zum anderen ist die Überladung eines Mediums mit erheblichen ökonomischen und ökologischen Nachteilen verbunden (Mehrkosten für die Substanzen, Mehraufwand bei der Produktreinigung, unnötige Abfälle). Es ist daher die übliche Praxis, das Gesamtwachstum dadurch zu limitieren, dass man die Menge einer einzigen Komponente im Medium limitierend vorgibt (oft die Kohlenstoffquelle) und die restlichen Medienbestandteile in geringem Überschuss vorlegt. In der Kinetik heißt diese eine, als erste limitierend werdende Komponente das limitierende Substrat. Ein formaler Zusammenhang zwischen der spezifischen Wachstumsgeschwindigkeit μ und der Konzentration des limitierenden Substrats
– das ist diejenige Komponente des Mediums, die im Satzbetrieb als erste aufgebraucht wird – wurde vor über 70 Jahren von Monod vorgeschlagen. Dieser Ansatz hat die gleiche Form (Gleichung (4.3)) wie die Adsorptionsisotherme nach Langmuir oder die Standardgleichung für enzymkatalysierte Reaktionen mit einem einzelnen Substrat nach Michaelis und Menten und sollte rein als Formalismus und Analogie verstanden werden. Einer kausalanalytischen Prüfung kann dieser Ansatz allerdings nicht standhalten: Vielmehr müsste die spezifische Substrataufnahmegeschwindigkeit als Funktion der verfügbaren Substratkonzentration formuliert werden und erst danach das Wachstum als Folgereaktion der Substrataufnahme. Es soll zunächst aber aus verschiedenen Gründen bei der historisch etablierten Formulierung bleiben
4
4
108
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
und erst später die „saubere“ Formulierung der Ursache-Wirkungskette realisiert werden. s = max (4.3) s + Ks
μmax = maximale spezifische Wachstumsgeschwindigkeit [h−1] s Ks
= Substratkonzentration [g l−1] = Sättigungs- oder Affinitätskonstante des Substrats [g l−1]
μmaxx ist ein Parameter des Monod-Modells: die maximal erreichbare spezifische Wachstumsgeschwindigkeit, wenn s sehr viel größer als Ks ist, keine Mediumkomponente inhibiert und die Konzentrationen aller übrigen essenziellen Nährstoffe (sehr) groß, also sicher nicht limitierend sind. Ks – der zweite Modellparameter – hat den Wert derjenigen Konzentration des limitierenden Substrats, bei welchem die spezifische Wachstumsgeschwindigkeit die Hälfte ihres Maximalwertes erreicht. Für das Wachstum von E. coli kann man für Glucose als limitierendes Substrat z. B. 0,22 . 10−4 M und für Tryptophan 1,1 μg l−1 in der Literatur finden. Je kleiner der Wert für Ks, desto größer ist die Affinität des Organismus zu diesem Substrat. Die Zahlenwerte sind allerdings kritisch zu beurteilen, denn die experimentelle Bestimmung ist nicht trivial: Im Satzbetrieb ist sie praktisch unmöglich und selbst im kontinuierlichen Betrieb können Probenahme und Probenaufbereitungsartefakte zu substanziellen Fehleinschätzungen führen. Dieser Übergang von erster zu nullter Reaktionsordnung – nur bezüglich Substrat, aber nicht bezüglich Biomasse! – mit steigender Substratkonzentration ist in Abbildung 4.6 dargestellt. Das Monod-Modell ist sicherlich zu stark vereinfachend, um experimentelle Daten immer zufriedenstellend zu beschreiben. So ist Gleichung (4.3) mit entsprechender Vorsicht zu benutzen. Ks ist oft sehr klein, sodass die Bedingung s sehr viel größer als Ks in der Regel erfüllt ist und der Term s s + Ks
im Satzbetrieb fast über die gesamte Kultivationszeit praktisch gleich 1 ist, d. h. nullte Reaktionsordnung bezüglich der Substratkonzentration. Das bedeutet auch, dass das Modell bezüglich dieses Modellparameters kaum „sensitiv“ ist.
Abb. 4.6 Funktion der Abhängigkeit einer spezifischen Geschwindigkeit, hier z. B. der spezifischen Wachstumsgeschwindigkeit μ, von der Konzentration der limitierenden Komponente nach dem Monod-Modell. Bei hohen Konzentrationen (oberes Teilbild) wird asymptotisch nullte Reaktionsordnung bezüglich des Substrats erreicht (dünne Horizontale). Bei tiefen Konzentrationen (unteres Teilbild) gilt mit guter Näherung erste Reaktionsordnung (dünne steile Gerade mit Anstieg Ks−1). Die exakte Formulierung zeigt Gleichung (4.3)
Die aktuelle Substratkonzentration (s) ist die zweite Zustandsvariable im Monod-Modell. Sie muss noch mit der ersten – x – verknüpft werden. Dazu dient der dritte Modellparameter, nämlich der Ausbeutekoeffizient Y (von engl. yield, oft auch als YX/S ausgeschrieben; er gibt an, wie viel Gramm Zellen (X) aus einem Gramm Substrat (S) entstehen; Chemiker würden dies auch „differenzielle Selektivität“ nennen). Y stellt das Verhältnis von Biomassewachstums- zu Substrataufnahmegeschwindigkeit dar und wird zunächst als konstant angenommen: YX/S =
rX rS
(4.4)
4.4 Lösung des Prozessmodells für den Satzbetrieb (batch)
oder in vereinfachter Form: YX/S =
Zuwachs an Zellen X (x V ) x = = = Verbrauch von Substrat S (s V ) s
(4.5) Der Ausbeutekoeffizient ist traditionellerweise nicht Vorzeichen-behaftet. Gemäß Gleichung (4.1) muss aber rS ein negatives Vorzeichen tragen: Das Substrat wird ja verbraucht, es verschwindet aus dem System, ist eine Senke; daher steht der Absolutbetrag in Gleichung (4.4). Bei der Verwendung von Differenzen (Massen oder Konzentrationen; Gleichung (4.5)) setzt man intuitiv nur positive Werte ein. Die korrekte Einheit ist {Masse Zellen} pro {Masse limitierenden Substrats}, also z. B. g g−1; vielfach wird hier formal, aber nicht ganz sauber gekürzt und YX/S wird eine scheinbar dimensionslose Größe. Bei der Auswertung experimenteller Daten ermittelt man natürlich den Quotienten von Konzentrationen, da diese viel einfacher zu analysieren sind als Gesamtmassen; da es sich um Konzentrationen im selben Volumen handelt, ist die Kürzung des Volumens „sauber“.
4.4 Lösung des Prozessmodells für den Satzbetrieb (batch h) In vielen biotechnologischen Prozessen läuft das Zellwachstum als Spontanprozess ab. Nachdem die Flüssigkeit, das Medium, mit einer Mindestmenge lebender Zellen, dem Inokulum, beimpft wurde, wird dieser wachsenden Kultur – mit Ausnahme von Gasen und kleinen Flüssigströmen zur pH-Korrektur, eventuell zur chemischen Schaumbekämpfung – nichts mehr zu- oder abgeführt. Typisch für einen solchen Prozess ist, dass sich mit fortschreitendem Wachstum die Konzentrationen aller benötigten Nährstoffe und von Zellen und Produkt(en) mit der Zeit ändern. Eine (molare) Stoffbilanz für die Komponente i zeigt, dass die zeitliche Änderung der Gesamtmenge der Komponente i im Reaktor (dem Reaktionsgefäß) gleich der Nettorate der durch die chemische Reaktion transformierten Kom-
109
ponente i sein muss, weil ja die Transportterme aus der Massenbilanzgleichung im Satzbetrieb wegfallen. dmi d (V ci ) = = V ri dt dt
(4.6)
wobei V das Flüssigvolumen, ci die (molare oder Massen-) Konzentration der Komponente i und ri die Reaktionsgeschwindigkeit sind: ri =
Masse der umgesetzten Komponente Reaktionsvolumen Zeit
(4.7)
Da Flüssigkeit weder zu- noch abgeführt wird und die Reaktionen praktisch Dichte- und Volumenneutral verlaufen, ist V konstant und darf aus dem Differenzial herausgestellt (und gekürzt) werden, wodurch die in der Literatur übliche Konzentrationsbilanz aus der Massenbilanz entsteht: dci dt
= ri
(4.8)
Aus Gleichung (4.8) ist ersichtlich, dass die Messung der Konzentration einer jeden Komponente i als Funktion der Zeit es erlaubt, die Geschwindigkeit der Reaktion einer im Reaktor umgesetzten Komponente i zu bestimmen. Im Allgemeinen hängt diese Produktbildungs- oder Substratverbrauchsgeschwindigkeit (ri) vom Zustand der Zellpopulation (Zusammensetzung, Morphologie, Altersverteilung etc.) und allen Eigenschaften der Umgebung, die Zellen und Medium beeinflussen, ab. Um aber den aktuellen Zahlenwert der Konzentration einer jeden Komponente zu berechnen, ist die Lösung des Differenzialgleichungssystems für alle (im Modell als relevant erachteten) Zustandsgrößen erforderlich. Im einfachsten Fall des Monod-Modells sind dies nur zwei, nämlich die Konzentration der Zellen (x) und die des limitierenden Substrats (s). Die Gleichungen sind gekoppelt und im Normalfall auch gemeinsam zu lösen. Nach Einsetzen der kinetischen Ausdrücke ergibt sich explizit: dx = rX dt
(4.9a)
und wegen rX = μ · x und Gleichung (4.3) weiter: dx s = max x dt s + Ks
(4.9b)
4
4
110
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
sowie analog für die Substratbilanz ds =r dt S
(4.10a)
μ und weiter wegen rS = qS · x bzw. qS = – : YX/S ds s = max x (4.10b) dt YX/S s + K s
In der täglichen industriellen Praxis ist die Lage aber so, dass eine Satzkultur mit einer relativ hohen Anfangskonzentration an Substrat gestartet wird – man möchte schließlich auch viel Biomasse erzielen. Das bedeutet aber, dass s für sehr lange Zeit wesentlich größer ist als Ks, und somit wird der Faktor s ≈ 1; s + Ks das Substrat limitiert also (noch) gar nicht! Solange diese Annahme gültig ist, lässt sich die Differenzialgleichung für die Biomasse isoliert (d. h. entkoppelt) lösen, denn sie reduziert sich zu dx ≈ μmax ⋅ 1 ⋅ x . dt
Nach Variablenseparation ist die Integration trivial und ergibt für den Zeitbereich von t0 bis t und den zugehörigen Biomassebereich von x0 bis x: x ln = ln(x) ln(x0 ) = max ( t t 0 ) x0
(4.11)
oder gleichbedeutend: x = x0 e
(
max t t0
)
(4.12)
Hieraus wird klar, dass das Wachstum von Zellen unter den bestmöglichen Bedingungen – keinerlei Limitation (und natürlich auch keine Inhibition) – exponentiell verläuft. Weiterhin folgt, dass der Substratve t rbrauch ebenfalls exponentiell verlaufen muss, nämlich direkt proportional mit dem Faktor –
1 : YX/S
rS = −
1 YX/S
⋅ rX
(4.13)
Für die praktische Auswertung experimenteller Daten empfiehlt es sich deshalb, die Wertepaare xt und st für jede Probenahme in einem sogenannten Phasendiagramm gegeneinander aufzu-
tragen und aus der Steigung der Punkteschar den Ausbeutekoeffizienten zu ermitteln. Hierbei kann man wiederum linear regressieren (weil ja YX/S als konstant angenommen wird; siehe auch Gleichung (4.5)). Man muss aber dabei darauf achten, dass beide Größen fehlerbehaftet sind: Es ist also nicht die Summe der Abweichungsquadrate zwischen Datenpunkten in y-Dimension und Regressionsgerade, sondern die Summe der orthogonalen Abstände zwischen den Datenpunkten zur Regressionsgerade zu minimieren! Da die Anfangssubstratkonzentration s0 natürlich endlich groß sein muss, wird schnell klar, dass das Substrat limitierend werden wird, dessen Konzentration also mit der Zeit gegen null läuft. Spätestens dann ist die oben getroffene Annahme – Ks sei gegenüber s vernachlässigbar klein – nicht mehr erfüllt. Die (spezifische) Wachstumsgeschwindigkeit nimmt gegenüber dem Anfangswert dramatisch ab und läuft mit s → 0 ebenfalls gegen null, das Wachstum kommt also zum Stillstand; natürlich ebenso auch der Substratverbrauch. Weil die Zahlenwerte von Ks üblicherweise sehr klein sind und beim „Limitierend-Werden“ des Substrats zumindest in technischen Prozessen die Biomassekonzentration recht hoch ist, wird diese Phase, in der das Wachstum von exponentiellem Verlauf bis zum Stillstand kommt – auch Übergangsphase genannt – in sehr kurzer Zeit durchlaufen. Mit den üblichen Labormessmethoden ist es deshalb unmöglich, jene Phase so genau zu vermessen, dass man Ks (auch nur annähernd genau) ermitteln könnte. Anders gesagt, der Parameter Ks ist im Satzbetrieb „nicht sensitiv“. Das Monod-Modell beschreibt also das Wachstum von Zellen folgendermaßen: Werden (lebensund teilungsfähige) Zellen in eine Umgebung gebracht, in der alle essenziellen Mediumkomponenten „zur Genüge“ vorhanden sind, dann wachsen sie zunächst exponentielll (und nicht, wie leider allzu oft behauptet, logarithmisch!). Nach dieser Phase durchlaufen sie eine kurze Übergangsphase, an deren Ende das Wachstum schließlich zum Stillstand kommt. Rein formal beschreibt das Monod-Modell auch die darauf folgende stationäre Phase (in der zwar die Zellkonzentration „stationär“ bleibt, aber natürlich das Wachstum gleich null ist), aber hier sind die Grenzen der Brauchbarkeit dieses Modells endgültig erreicht: Das Modell sagt nämlich (implizit)
111
4.4 Lösung des Prozessmodells für den Satzbetrieb (batch)
voraus, dass nach erneuter (und ausreichender) Zugabe des vor beliebig langer Zeit verbrauchten limitierenden Substrats die Zellen unverzüglich wieder exponentiell weiterwachsen würden. Und das ist schon nach (fast beliebig) kurzer Zeit in der Realität einfach nicht der Fall: Manche Zellen sterben ab und lysieren vielleicht, andere sporulieren (und können nach Auskeimung tatsächlich wieder wachsen), andere wiederum halten sich so recht und schlecht noch einige Zeit am Leben, indem sie früher eingelagerte Speicherstoffe verbrauchen und ihren Erhaltungsstoffwechsel decken. Es ist sehr wichtig, sich jederzeit der Grenzen des Modells bewusst zu sein, denn Modelle sind immer nur begrenzte und vereinfachende Abbilder der Realität. Einige wichtige Grenzen des Monod-Modells sind in der Folge zusammengefasst: • Alle Zellen haben eine einzige „Eigenschaft“: Sie haben reaktionsfähige Masse. • Alle Zellen sind unsterblich und immer absolut teilungsfähig. • Alle Zellen können zu jeder Zeit mit maximaler Kapazität zu wachsen beginnen. • Alle Zellen sind völlig identisch und von konstanter Zusammensetzung. • Die betrachtete Population ist sehr groß und ideal asynchron. • Keine Zelle verbraucht Rohstoff für den Erhaltungsstoffwechsel. • Keine Zelle wird durch irgendwelche Stoffe inhibiert. x0 ist die Massekonzentration lebender und teilungsfähiger Zellen zu Beginn der exponentiellen Wachstumsphase. Daraus lässt sich die Zeit ableiten, die zur Verdopplung der Zellkonzentration notwendig ist, die Verdopplungszeit td. Man
erhält sie, indem man in Gleichung (4.12) für xt = 2 x0 einsetzt: (ln2) (ln2) bzw. td, minimal = td = (4.14) μ μ max Unter optimalen Bedingungen ist μmax eine für jeden Organismus spezifische Größe, welche letztendlich genetisch bedingt ist und sich daher von Spezies zu Spezies stark unterscheiden kann. Tabelle 4.2 gibt einige Beispiele f ür μmaxx und td. Neben der Zellmassekonzentration als quantitatives Maß für die Biophase hat sich auch die N, etabliert; man erhält Zellzahlkonzentration, N sie z. B. durch mikroskopisches oder bildanalytisches Auszählen von Zellen in einem bestimmten Volumen. Die äquivalenten Größen sind dann die spezifische Teilungsrate, ν, und die Generationszeit tg. Nach n Generationen beträgt die Zellzahlkonzentration das 2n-fache: N t = N 0 2n
(4.15)
Die Zeit, die für eine Verdoppelung der Zellzahl gebraucht wird, heißt Generationszeit, tg. Wenn nur die Zellzahl sehr groß ist und die Zellen sich (ideal) asynchron teilen, dann kann ein Kontinuummodell die zeitliche Entwicklung der Zellzahlkonzentration ebenso beschreiben wie oben die der Zellmassekonzentration; anders gesagt, n muss keine ganze Zahl sein: n
Nt N0 2 N0 2
t tg
(4.16)
wobei
2
l og
Nt N0
ln
Nt N0
ln(2 )
t tg
(4.17)
Tabelle 4.2 Beispiele für maximale spezifische Wachstumsgeschwindigkeit μmax und Verdopplungszeit td unter optimalen Bedingungen (Glucose als Kohlenstoff- und Energiequelle) Organismus
optimale Temperatur [ºC]
td [h]
μmax [h–1]
Bacillus stearothermophilus
> 60
< 0,2
>3
Escherichia colii
40
0,35
2
Bacillus subtilis
37
0,5
1,5
Saccharomyces cerevisiae
30
1,5
0,47
Chaetomium cellulolyticum
37
2,4
0,29
menschliche Melanoma-Zelllinie
37
22
0,03
4
4
112
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Daraus ergibt sich für den Zusammenhang zwischen der spezifischen Teilungsrate und der Generationszeit: tg
ln(2)
bzw.
tg , minimal
ln(2 )
(4.18)
max
sowie
Nt N0 e
t
(4.19)
Die spezifische Teilungsrate – ν, basierend auf der Zellzahl(-konzentration) – und die spezifische Wachstumsrate – μ, basierend auf der Zellmasse (-konzentration) – sind für sogenannte Standardzellen identisch. Standardzellen sind über die Zeit
hinweg morphologisch, physiologisch und hinsichtlich ihrer Zusammensetzung konstant. Die numerische Auswertung der beiden (möglicherweise identischen) Geschwindig keiten erfolgt sinnvollerweise über die logarithmierten Versionen der Wachstumsgleichungen: Der Praktiker erstellt eine „halblogarithmische Wachstumskurve“, zeichnet also den Logarithmus der Zellmasse(-konzentration) oder den Logarithmus der Zellzahl(-konzentration) gegen die Zeit (linear) auf: Der Anstieg der Geraden ist dann die (maximale) spezifische Wachstums- oder eben Teilungsrate, μmaxx bzw. νmax. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Zellmassekonzentration
Abb. 4.7 „Wachstumskurve“ in einer Satzkultur: Experimentelle Daten (Konzentrationen von Biomasse, x, x und Substrat, s, gegen die Zeit, tt) sind als Einzelsymbole gezeichnet. Das obere Teilbild ist in allen Dimensionen linear, das untere Teilbild ist hingegen eine halblogarithmische Darstellung der Biomassekonzentration: Auf den beiden linken Ordinaten sind der natürliche und der dekadische Logarithmus von x angegeben, die rechte Ordinate hat eine logarithmische Teilung (Skala); die Daten passen zu jeder dieser drei Ordinaten, und alle drei Versionen sind daher gleichwertig. Im unteren Teilbild ist zusätzlich eine Gerade eingezeichnet, die viele – aber nicht alle! – der Messpunkte gut beschreibt. Ihre Steigung entspricht gemäß den Gleichungen (4.11) und (4.12) der maximalen spezifischen Wachstumsgeschwindigkeit, μmax. Die Phase, in der diese Regression „gut passt“ (mit II bezeichnet), ist die Phase exponentiellen Wachstums mit μ = μmax. Ihr folgt eine sehr kurze Übergangsphase (III), in der μ vom Maximalwert nach null abfällt. Nur diese beiden Phasen werden vom Monod-Modell beschrieben. Zuvor wachsen die Zellen langsam oder gar nicht (Phase I), danach stagniert das Wachstum (Phase IV) oder die Zellen lysieren oder sporulieren sogar (Phase V).
aus Trocken- oder Nassgewicht oder gar „nur“ als Trübung (auch OD für Optische Dichte) bestimmt worden ist; die Hauptsache ist lediglich, dass diese Größen proportional zueinander sind. Der Proportionalitätsfaktor hat nämlich nur auf den Ordinatenabschnitt Einfluss, nicht aber auf die Steigung der Geraden: Wenn das Modell – OD = k ∙ x – gültig ist, dann kürzt sich k in: OD kx x ln = ln = ln = t OD0 k x0 x0
(4.20)
Man hat weiterhin den Vorteil, zufällige analytische Fehler durch Regression zu gewichten und den Zeitraum, in dem die Zellen tatsächlich exponentiell wachsen, (optisch) zu ermitteln. In der Praxis durchläuft das Wachstum nämlich mehrere charakteristische Phasen, die nicht alle vom Monod-Modell beschrieben werden (Abb. 4.7). Nach einer Adaptions- oder „lag“Phase (I), in welcher kaum oder sogar „negatives“ Wachstum zu verzeichnen ist, folgt eine Phase sehr raschen Wachstums (II), in der die Zellzahl oder die Zellmasse exponentiell zunimmt. Sie heißt somit auch exponentielle Wachstumsphase. In einem geschlossenen System können sich die Zellen jedoch nicht beliebig vermehren; es folgt daher – nach einer kurzen Übergangsphase, in der eine essenzielle Medienkomponente limitierend wird (III) – die stationäre Phase (IV). Zu dieser Zeit hat die Kultur ihre maximale Zellkonzentration erreicht. Daran kann sich eine Absterbephase (V) anschließen, in der die lebende Zellmasse wieder abnimmt, aber diese Phase ist für Produktionszwecke ohnehin uninteressant. Wenn obligat aerobe Zellen in einem konzentrierten Medium angezogen werden, dann tritt meistens im Anschluss an die exponentielle Wachstumsphase eine Phase linearen Wachstums ein; sie ist leicht als Gerade in der doppelt-linear gezeichneten Wachstumskurve zu erkennen, wird aber vom einfachen Monod-Modell (wie bislang behandelt) nicht vorhergesagt. Der Grund dafür ist, dass zunächst einmal eine Stofftransferlimitation eintritt: Sauerstoff kann nicht mehr genügend aus der Gas- in die Flüssigphase transportiert werden, wenn die Zellkonzentration hoch genug ist. Damit wird vorübergehend die Stofftransferleistung des Reaktors limitierend! Sauerstoff ist eben auch ein Substrat (für Aerobier) und kann nur in
4
113
4.4 Lösung des Prozessmodells für den Satzbetrieb (batch)
gelöster Form von den Zellen aufgenommen werden. Und wie für ein besser lösliches Substrat gibt es auch einen Ausbeutekoeffizienten für {Masse Zellen} pro {Masse limitierenden Sauerstoffes} YX/O = 2
rX rO
2
=
Zuwachs an Zellen Verbrauch von Sauerstoff
(4.21)
Die korrekte Einheit ist wieder g g−1. Vielfach wird die Gelöstsauerstoffkonzentration aber in mg l−1 angegeben, Biologen „messen“ ihn oft auch in mmol l−1; Achtung: Hier liegt viel Potenzial zum Missverständnis! In der Massenbilanz für den gelösten Sauerstoff in einer Satzkultur lässt sich der Verbrauchsterm mithilfe des Ausbeutekoeffizienten YX/O 2 auch als Funktion der Wachstumsgeschwindigkeit umschreiben: r do = k a o* o + rO = k L a o* o X dt L YX/O 2
(
)
Sauerstofftransfer
(
)
O2-Verbrauch
2
(4.22) Umformen und Auflösen der Gleichung nach rX enthüllt schnell, warum das Wachstum bei Sauerstofflimitation, sprich Transferlimitation, bestenfalls konstant oder linear sein kann, denn die beiden Abzugsterme sind vernachlässigbar klein: rX = YX / O ⋅ kLa ⋅ o* − YX/O kLa ⋅ o − YX /O ⋅ O ⋅k 2
2
≈ YX/O ⋅ kL a ⋅ o* = konstant 2
2
do dt (4.23)
Jede Phase hat für die Auslegung des Bioprozesses ihre besondere Bedeutung. Zu beachten ist jedenfalls, dass durch das Monod-Modell lediglich die Phasen II (exponentielles Wachstum) und III (Übergang zum Wachstumsstillstand), nicht aber die lag-Phase (I), noch die stationäre (IV) oder gar die Absterbephase (V), aber auch keine Stofftransfer-limitierte Phase beschrieben werden. Wachsende Zellen, die als Impfgut in eine neue Umgebung transferiert werden, müssen sich daran eventuell adaptieren. Die Dauer der Adaptionsphase hängt vom Ausmaß der Verschiedenheit zwischen neuer und alter Umgebung ab sowie vom Alter und der Anzahl der lebens- und teilungsfähigen Zellen im Impfgut. Die Adaptionsphase kann unter anderem auf den Mechanismen der Enzyminduktion b eruh en.
4
114
Werden die Zellen beispielsweise in ein Medium transferiert, welches eine neue Kohlenstoffquelle enthält, so kann es sein, dass die Enzyme, welche deren Abbau ermöglichen, zunächst synthetisiert werden müssen (z. B. erfordert das Umsetzen der Hefe Pichia pastoris von Glycerin auf Methanol, wie es oft beim Start einer Zulaufkultivation gehandhabt wird, solch eine Adaptation). Bei der bisherigen modellhaften Betrachtung wurde die Population vorwiegend als Ganzes betrachtet; man darf dabei aber die einzelne Zelle nicht vergessen. Eine Zellpopulation ist ja nie homogen. Die Verschiedenheit der individuellen Zellen wird besonders in der stationären und der Absterbephase deutlich. Schon in der stationären Phase teilen sich einige Zellen noch, während andere bereits absterben. Oft lysieren die toten Zellen (sie brechen auf ) und geben ihre Inhaltsstoffe (Kohlenhydrate, Aminosäuren usw.) frei. Diese dienen anderen Zellen unter Umständen wiederum als Nährstoffe („kryptisches Wachstum“). Derartige „kannibalische“ Vorgänge können in der stationären Phase über eine gewisse Zeit zur Aufrechterhaltung einer konstanten Zelldichte dienen. Diese Phase ist jedoch nur ein Übergang zur Absterbephase. Zu Letzterer liegen nur wenige Untersuchungen vor, da sie in den meisten industriellen Prozessen nicht von Interesse ist. Wie früher erwähnt, benötigen viele Enzyme zur Entfaltung ihrer Aktivität kleine Moleküle (Vitamine, Cofaktoren, Aktivatoren), welche die Zellhülle im Allgemeinen gut passieren. Wird nun eine kleine Impfmenge (Inokulum) in ein großes Volumen an Medium gebracht, so können diese Moleküle durch die Zellmembran ins Medium diffundieren und stehen dem Zellmetabolismus vorerst nicht mehr zur Verfügung. Das Resultat ist wiederum eine lag-Phase. Sie dauert so lange, bis die Zellen die entsprechenden Moleküle wieder synthetisiert haben. Das Alter der Vorkultur hat ebenfalls einen großen Einfluss auf die Dauer der lag-Phase. Stammt das Impfgut aus einer alten Vorkultur, in welcher die Organismen bereits in der stationären Phase sind, so müssen sich die Zellen zunächst durch Enzymsynthesen auf die neuen Wachstumsbedingungen einstellen. Maßgebend ist dabei die Zahl der teilungsfähigen Zellen. In einem sehr guten Impfgut sind immerhin 99 % der Zellen oder mehr teilungsfähig.
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Bailey und Ollis (1986) schlagen daher folgende Kriterien für eine optimale Beimpfung vor: • Das Impfgut sollte so aktiv wie möglich sein und vorzugsweise aus der exponentiellen Wachstumsphase stammen. • Das Kulturmedium der Vorkultur sollte der zu beimpfenden Nährlösung möglichst ähnlich sein. • Die Impfmenge sollte so groß sein – bewährt haben sich 5 % vom zu beimpfenden Volumen –, dass größere Diffusionsverluste vermieden werden können (üblich: 1–10 %). Allerdings sind einige Firmen, die auf ihre Steriltechnik stolz sein können, mit auch nur 1 ‰ Inokulum erfolgreich. Wenn die Konzentration des limitierenden Substrats bei Beginn des exponentiellen Wachstums gleich s0 und die Inokulumsmenge x0 vernachlässigbar klein ist, kann damit die minimale Prozessdauer einfach abgeschätzt werden, weil Δx = s0 ∙ YX/S :
t =
ln(s0 ⋅ YX/S ) − ln( x 0 ) ln(x 0 + Δx) − ln(x 0 ) ≈ μmax μmax (4.24)
4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb In Abbildung 4.8 ist das verfahrenstechnische Ersatzschaubild für einen kontinuierlich durchströmten Rührkesselreaktor (kRK) – auch continuous-flow stirred-tank reactorr (CSTR) genannt – abgebildet. Für die folgenden Betrachtungen wird wiederum vorausgesetzt, dass der Mischvorgang so gut ist, dass jedes Flüssigkeitselement im Reaktor die gleiche Zusammensetzung hat. Diese „ideale Durchmischung“ bedeutet auch, dass die Zusammensetzung der den Reaktor verlassenden Flüssigkeit identisch mit derjenigen im Reaktor ist (cc = caus). Auch die Konzentration an gelöstem Sauerstoff ist in der flüssigen Phase des Reaktors an jeder Stelle gleich groß.
115
4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb
oder, mathematisch formuliert:
d c V
dt
Faus caus p r V
(4.25b)
In Gleichung (4.25b) ist das ± durch ein einfaches + zu ersetzen, sofern man die früher schon verwendete Konvention akzeptiert, die Reaktionsgeschwindigkeiten für Produkte seien positiv, die für Substrate aber negativ. Wenn das Arbeitsvolumen konstant ist, dann müssen die Ströme der Flüssigphase ins System hinein und aus dem System heraus gleich groß sein, also Fein = Faus = F. Der spezifische Strom, also der auf das arbeitende Volumen bezogene Strom heißt Verdünnungsrate (Abkürzung D, von engl. dilution rate): D=
F V
(4.26)
und hat die Einheit einer reziproken Zeit, z. B. h−1. Der Zahlenwert gibt an, wie oft das Volumen im Mittel pro Zeiteinheit durch frisches Medium ausgetauscht wird. Der Kehrwert entspricht im ¥ ¦ ¦ §
Eine charakteristische Eigenschaft – und auch ein großer Vorzug – eines kontinuierlich geführten Prozesses ist, dass er in ein sogenanntes Fließgleichgewicht gebracht werden kann. Das Bezeichnende daran ist, dass makroskopisch keine Zustandsänderungen beobachtbar sind: Alle Konzentrationen bleiben konstant, alle Flüsse bleiben gleich etc. Fließgleichgewicht wird daher auch „pseudostationärer“ oder „quasistationärer Zustand“ oder – englisch – steady state genannt. Man sagt auch, das System sei dann zeitinvariant. Dieser Zustand hat aber überhaupt nichts mit der „stationären Phase“ des Wachstums im Satzbetrieb zu tun. Im Fließgleichgewicht reduziert sich für jede Komponente des Systems die Massenbilanz folgendermaßen: Die Akkumulationsterme oder Differenziale verschwinden (engl. the differentials vanish):
0 Fein cein
¥ ¦ ¦ §
¥ ¦ ¦ §
¥A ¥d ¥ dem System ¥iim System dem System Akkumulation n ¦ ¦ ¦ ¦ iner y u eführt ntzogen e 0 z g e
e e p umgesetzte ¦ ¦ ¦ ¦u onente p Masse Masse Kom § § § § Masse
¥ ¦ ¦ §
4.5.1 Lösung für das Fließgleichgewicht
(4.25a)
idealen Rührkesselreaktor der mittleren hydraulischen Verweilzeit: 1 τ= (4.27) D Mit diesen Abkürzungen liest sich die Massenbilanz im steady state recht einfach:
r D c aus
Abb. 4.8 Verfahrenstechnisches Ersatzschaubild für einen kontinuierlichen Rührreaktor. Bei konstantem V, sind die Ströme Fein und Faus gleich Volumen, V groß. Der Reaktor ist als ideal angenommen, weil innerhalb des Reaktors keine Konzentrationsgradienten existieren und deshalb auch die einzelnen Konzentrationen (irgendwo) im Reaktor gleich denen unmittelbar am Ausgang sind
c ein
oder e
r caus cein
(4.28)
Die volumenb ezogenen Reaktionsgeschwindigkeiten, r, (positiv für Produkte, negativ f ür Substrate oder andere Ausgangsmaterialien) können also durch Messung der zeitinvarianten Ein- und Austrittskonzentratione n bestimmt werden. Für die Biomassebilanz vereinfacht sich die Bilanzgleichung unter der in den meisten technischen Prozessen gültigen Annahme, das Medium sei steril (d. h. xein = 0), und unter der weiteren
4
4
116
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
(
)
Annahme, das Wachstum sei eine strikt autokatalytische Reaktion (rrX = μ · x), weiter zu:
rS = D s sein ;
μ ⋅ x = D⋅ x
wenn Reaktionsgeschwindigkeiten ausnahmslos durch positive Zahlenwerte gekennzeichnet sind, muss in der Bilanzgleichung das „Minuszeichen“ explizit geschrieben werden.
(4.29)
Diese Gleichung hat zwei stabile Lösungen, die zwei stabilen Zustandsdomänen entsprechen: 1. x = 0 und μ ist undefiniert, D beliebig. 2. μ = D und x nimmt einen eindeutigen, endlich positiven Wert an. Die erste Lösung ist für die Bioprozesstechnik trivial, denn Bioprozesse ohne Biokatalysator (Zellen) sind unsinnig; diese Lösung ist daher zu vermeiden, aber sie ist real und kann nur allzu stabil sein! Die zweite Lösung besticht dadurch, dass die physiologische Größe μ durch eine operative Größe D – innerhalb bestimmter Grenzen beliebig – eingestellt werden kann. Dies ist ein entscheidender Vorzug gegenüber dem Satzbetrieb! Die Ausrüstung für kontinuierlich geführte Experimente ist zwar wesentlich teurer und aufwendiger als die für reine Satzexperimente, und es dauert Stunden oder sogar Tage, bis ein Fließgleichgewicht erreicht ist. Auch Kontamination oder Mutation können zum Misserfolg führen. Dennoch ist die Beeinflussbarkeit der Physiologie nach der Gleichung μ = D in vielen Fällen die einzige Chance zum Erfolg: • Untersuchungen der metabolischen Regulation (Physiologie); • Produktion bei tiefen aktuellen Substratkonzentrationen (z. B. Züchtung auf inhibitorischen oder regulatorisch wirksamen Substraten; dies kann – allerdings unter erheblich höherem logistischen Aufwand – auch in Zulaufkulturen erreicht werden, jedoch nicht zeitinvariant, sondern nur für begrenzt kurze Zeit). Die Massenbilanz für das Substrat lautet für das Fließgleichgewicht (steady state): ds dt Akkumulation
0 = D sein D s ± rS Konvektion
(4.30a)
Reaktion
oder, wenn die Konvention gilt, die Zahlenwerte einer Reaktionsgeschwindigkeit seien für Substrate (allgemein: für Senken) negativ :
(4.30b)
Über die Definition YX / S =
rX rS
sowie rX = μ . x und μ = D erg ibt sich weiter ein einfacher Ausdruck für die Biomassekonzentration im Fließgleichgewicht:
(
x = YX/S sein s
)
(4.31)
Die aktuelle Biomassekonzentration hängt also vom „biologischen Parameter“ YX/S sowie vom B etriebsparameter sein – der vom Experimentator vorgegeben und eingestellt wird –, aber auch von der Zustandsvariablen s ab. Diese ist jedoch durch die zugrunde liegende Kinetik bestimmt, da ja im Fließgleichgewicht μ = D gilt; sofern das Monod-Modell verwendet wird, ist die Abhängigkeit eineindeutig: s = Ks
D max D
oder s = K s
(
D
)
YX/S qS ,max D
(4.32) Die aktuelle Substratkonzentration hängt also von den Organismenkenngrößen μmaxx und Ks und vom Betriebsparameter D ab. Die grafische Darstellung der Zustandsvariablen x und s in Abhängigkeit von der Verdünnungsrate (also die Menge aller möglichen nicht-trivialen Lösungen von Gleichungen (4.31) und (4.32)) wird x-DDiagramm genannt (Abb. 4.9); allerdings gilt dieser Ausdruck im Laborjargon auch für die Darstellung weiterer Größen wie der Produktivität oder verschiedener spezifischer Geschwindigkeiten in Anhängigkeit von D (das „x“ ist dann nicht bloß als Biomassekonzentration, sondern als „x-beliebige Größe“ zu interpretieren). Man beachte zweierlei: (1) dass der Substratverlauf im x-D-Diagramm wirklich exakt eine Spiegelung der Abbildung 4.6 (um die erste Mediane) ist, und (2) dass wegen der Zeitinvarianz der Fließgleichgewichte anstelle der Zeit hier die operative Größe D als unabhängige Variable auf tritt. Im x-D-Diagramm steigt die Substratkonzentration stetig mit steigender Verdünnungsrate. Das kann aber maximal bis zum Wert der Betriebs-
117
4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb
Diese Sensitivität muss man berücksichtigen, wenn Biomasseproduktion Ziel eines kontinuierlichen Prozesses ist. Die Produktionsrate an Zellen pro Volumeneinheit des Reaktors ist das Produkt aus D . x. Deren Verlauf – der ebenfalls in Abbildung 4.9 eingetragen ist – zeigt ein ausgeprägtes Maximum. Die Verdünnungsrate, bei der die maximale Produktivität erreicht wird, Dm, lässt sich berechnen aus der Bedingung
d D x
dD
0
(4.34)
und liegt bei
Abb. 4.9 x-D-Diagramm: Zellkonzentration (x (x), Substratkonzentration (s) und Zell-Produktivität (D·xx) als Funktion der Verdünnungsrate D (d. h. die „neue“ unabhängige Variable; allerdings normiert auf den Wert von μmax, sodass das Nutzintervall nur zwischen 0 und 1 liegen kann) gemäß dem Monod-Modell. Dargestellt sind ausschließlich die nicht-trivialen Lösungen. Die Biomassekonzentration wird null bei der „kritischen Verdünnungsrate“, Dc, und bleibt natürlich null bei allen höheren Werten (triviale Lösungen werden üblicherweise nicht dargestellt). Das Maximum der Produktivität liegt bei der „optimalen Verdünnungsrate“, Dm
größe sein realistisch sein, da ja Substrat definitionsgemäß nur verbraucht und nicht gebildet wird. Genau ab diesem Punkt muss die Zellkonzentration null sein, weil ja kein Substrat mehr umgesetzt wird: Bei allen Verdünnungsraten, die größer oder gleich diesem Wert sind, gilt die stabile, aber triviale Bedingung x = 0. Daher wird dieser kritische Wert auch als kritische Verdünnungsrate, Dc, bezeichnet; sie hat den Wert: s ein s ein K s
Dc M max Dc YX/S
qS , max
oder s ein
(4.33)
s ein K s
Wie man in Abbildung 4.9 erkennt, ist der Prozess in der Nähe des Auswaschens sehr sensitiv für Änderungen von D. Schon eine geringe Änderung von D bedeutet beträchtliche Änderungen in x und s.
Dm = max 1
K s + sein
Ks
(4.35)
Wenn die Zulaufsubstratkonzentration sehr hoch liegt, also viel größer als Ks ist, dann nähert sich Dm „gefährlich“ dem Wert von Dc. Dieser Tatbestand – in Abbildung 4.9 demonstriert – sollte daran hindern, eine Anlage zur Biomasseproduktion ohne zusätzlichen Regelungsaufwand beim Maximalwert zu betreiben. Für den Betrieb der kontinuierlichen Kultur im linken oder flachen Teil des x-D-Diagramms hat sich das Kunstwort Chemostat eingebürgert. Es bedeutet, dass rein durch die Einstellung der Fluss- oder Verdünnungsrate, also durch das Dosieren einer Chemikalie (des limitierenden Substrats im Medium), ein pseudostationärer Zustand auch in der experimentellen Praxis eingestellt werden kann. Im rechten, steil abfallenden Teil des x-D-Diagramms ist dagegen ein anderes Konzept zur Einstellung eines robusten Fließgleichgewichts nötig, da bereits kleine Schwankungen der Verdünnungsrate zu massiven Variationen in den Zustandsgrößen führen. Es ist zweckmäßig, eine dieser Zustandsgrößen on-line zu messen und einen einfachen Regler auf die Fluss- oder Verdünnungsrate als manipulierte Variable wirken zu lassen. So kann etwa ein Sollwert für die Zellkonzentration vorgegeben werden; diese ist allerdings auch zu messen, damit der Regler den Soll-/Ist-Wert-Vergleich machen kann. Eine Option ist die Bestimmung der Trübung, oder Turbidität, denn dafür existieren (nicht sehr viele) kommerzielle Elektroden. Wenn die Regelung der Turbidität zum Erhalt
4
4
118
eines pseudostationären Zustands verwendet wird, spricht man vom Turbidostaten. Wenn die permittivity gemessen, ein alternatives Konzept, und geregelt wird, spricht man vom Permittistaten. Manchmal hat man auch die Option, den limitierenden Nährstoff (engl. limiting nutrient) on-line zu messen (chromatographisch, mit Massenspektrometer oder Fließinjektionsanalyse) und damit zu regeln; dann heißt das entsprechende Kunstwort Nutristat. Ein Spezialfall ist der sogenannte pH-Auxostat. Das Konzept geht von der Annahme aus, dass pro verbrauchter Substratmenge ein konstanter Teil z. B. zur Versäuerung der Biosuspension beiträgt. Dem wirkt man üblicherweise mittels pH-Regler durch Titration mit einer Lauge entgegen. Sterilisierbare und zuverlässige pHElektroden gibt es schon seit Jahren, und die pHRegelung gehört seit langer Zeit zur akzeptierten und etablierten Ausrüstung eines Bioprozesses. Der Laugeverbrauch muss dann logischerweise dem Substratverbrauch proportional sein, und man kann durch strenge (physikalische) Koppelung von Lauge- und Substratdosierung erreichen, dass immer genügend, aber nicht zu viel Substrat zugeführt wird, also immer ein konstanter, aber kleiner Überschuss. Dieser Überschuss ermöglicht den Zellen mit hoher, fast maximaler Geschwindigkeit zu wachsen. Auch dieses Konzept ist geeignet, eine kontinuierliche Kultur stabil nahe μmax, also mit hoher volumenbezogener Produktivität zu betreiben. Allerdings ist sicherzustellen, dass das Verhältnis zwischen Substratdosierung und Laugedosierung zeitlich gleich bleibt, was in der experimentellen Praxis nicht von vornherein gegeben ist. Sollte die Substratpumpe mit der Zeit immer weniger fördern, dann würde die Versäuerung abnehmen und ebenso die Titrationsleistung des pH-Reglers. Das führt in der Folge, wegen der strengen Koppelung, auch zu einer weiter verminderten Substratdosierung usw., bis die gesamte Dosierung zum Stillstand kommt (stopped flow regime). Im anderen Fall kommt es zu einer Überdosierung von Substrat, das System läuft sicher weiter, aber unverbrauchtes Substrat akkumuliert im Überstand und wird verschwendet. Daher müssen auch hier separate Regler eingesetzt werden, damit die Koppelung wirklich strikt konstant bleibt.
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Die Betriebsbedingungen ergeben sich aus einer Protonenbilanz: dcH dt
=
FM V
F F + FL x FL L cH + L cHL M cH + c V V YX / H V OH Ablauff
Zulauf
Reaktionen
(4.36) Darin bedeuten: cH die Konzentration der Protonen im frischen Medium wie in der wachsenden Kultur; sie sind nicht bloß der Einfachheit halber identisch und werden deshalb nicht unterschieden: Es ist wichtig, dass der pH-Regler nur biogene Protonen „entsorgen“ muss und nicht ständig saures Frischmedium titriert cHL die Konzentration der Protonen in der Lauge; sie ist vernachlässigbar klein gegenüber cH, und der entsprechende Zulauf-Term wird nicht mehr weiter berücksichtigt cOL H die Konzentration der OH−-Ionen in der Lauge; sie ist natürlich nicht vernachlässigbar FM die Zulaufrate des Mediums und FL die der Lauge YX/H ist ein Ausbeutekoeffizient, der das Verhältnis, wie viele Zellen pro zu titrierender Säure entstehen, angibt; für Hefe beträgt der Zahlenwert etwa 130 g mol−1 Durch Umstellen der Gleichung erhält man eine vereinfachte Form, in der das Differenzial wieder wegfallen muss, wenn der Regler seinen Zweck erfüllt, nämlich den pH konstant zu halten:
dc H dt
FL V
c
H
c OLH
M x ! 0 YX/H
(4.37)
Weiter gilt natürlich F = FM + FL, wobei beide Flüsse in einem konstanten Verhältnis (R, von engl. ratio) zueinander stehen: FM R (4.38) FL
Folglich gilt
1 R FL F M FL (4.39) V V Mit dieser Substitution ergibt sich aus der nach x aufgelösten Protonenbilanz im Fließgleichgewicht: D
4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb
x
L D YX/H c H cOH
M 1 R
119
(4.40)
Darin lassen sich μ gegen D wegkürzen, sowie cH vernachlässigen, weil cH << cOLH, und man erhält L YX / H c OH (4.41) 1 R Aus der Substratbilanz erhält man in analoger Weise für das Fließgleichgewicht: F M FL M x FM s s (4.42) YX / S V ein V
x
und weiter R s s 1 R ein
x YX/S
(4.43)
Hieraus kann man das kritische Verhältnis der beiden Ströme, Rc, ableiten. Es ergibt sich für den Grenzfall, dass s gegen null strebt: YX/H c OLH Rc (4.44) Y s X/S
ein
Solange nur R > Rc ist, wird also immer Restsubstrat im Reaktor vorliegen, und das System wird weiterhin „Lauge brauchen“, also selbst stabilisierend weiterlaufen (Abb. 4.10). Im gegenteiligen Fall stellt sich das Systems von selbst ab: Die Flüsse stoppen.
4.5.2 Lösung für transientes Verhalten Fließgleichgewichte bestehen nicht einfach „von Anfang an“, sie müssen eingestellt werden, und das braucht Zeit. Sie können gestört werden – absichtlich oder unerwünscht – und es braucht wieder Zeit, damit sich ein neues Fließgleichgewicht einstellen kann. Die Störungen können einmalig oder bleibend oder irregulär sein. Letztere sind im Betrieb sicher unerwünscht, und man wird alles versuchen, sie durch Regler aller möglicher Größen minimal zu halten. Die beiden anderen Störungstypen lassen sich aber zum Guten ausnutzen. Zum einen kann man eine Zustandsgröße einmalig stören, d. h. ändern; in der Praxis ist wohl nur die Erhöhung einer Konzentration re-
Abb. 4.10 x-R-Diagramm für einen pH-Auxostat. Hier ist das Verhältnis der Flüsse von Medium zu Lauge, R, die unabhängige Variable. Beim „kritischen Verhältnis“ (rote vertikale Linie) ist zwar die Biomassekonzentration maximal, aber die Substratkonzentration wird null, sodass das Wachstum (und die Produktbildung) zum Stillstand kommen und keine Lauge mehr benötigt wird. Der pH-Regler steuert die Laugenpumpe nicht mehr an und damit auch nicht mehr die Substratpumpe: Das System kommt zum Stillstand. Auch bei kleineren R-Werten funktioniert der pH-Auxostat nicht
levant, denn das Herausnehmen ist praktisch nicht realisierbar. Das Zusetzen hingegen ist in relativ kurzer Zeit möglich, sodass ein DeltaDirac-Stoß1 gut angenähert werden kann: Man muss nicht unbedingt „Würfelzucker in den Bioreaktor werfen“, eine konzentrierte Lösung der einen oder anderen Komponente lässt sich üb er einen Sterilfilter in wenigen Sekunden applizieren, ohne die Sterilbarriere zu kompromittieren. Man spricht dann von einem Puls. Zum anderen kann eine Betriebsgröße bleibend gestört, d. h. geändert werden; in der Praxis kann das eine Erhöhung oder eine Erniedrigung des Wertes bedeuten. So kann die Pumpleistung für das Medium verstellt werden: Damit wird die Verdünnungsrate bleibend – bis zur nächsten Störung – geändert. Oder es muss das frische Medium aus einem anderen Vorratsgefäß bezogen werden, 1
Der Delta-Dirac-Stoß entspricht einer idealisierten „Funktion“, die genau zum Stoß-Zeitpunkt, und nur dann, den Wert unendlich annimmt, ansonsten aber immer null ist.
4
4
120
weil der Vorrat eines jeden solchen Gefäßes endlich ist: Damit wird eventuell (in der Praxis meist auch ohne diese erklärte Absicht, weil eine thermische Sterilisation üblicherweise Konzentrationen zumindest leicht verändert) die Zulaufkonzentration der limitierenden Komponente umgestellt. Ebenso können der pH-Wert, die Temperatur oder die Qualität des Mediums (bleibend bis zur nächsten Störung) verändert werden. Man spricht in diesem Fall von shift (alternativ Sprung oder engl. step). In jedem Fall reagiert das System auf die Störung und wird sich im Laufe der Zeit, sofern nicht eine neue Störung eintritt, so schnell wie möglich selbst stabilisieren, also wieder in ein Fließgleichgewicht zurückkehren. Damit ist aber nicht gesagt, dass es dasselbe sein muss wie vor der Störung. Es ist auch nicht zwingend, dass das neue Fließgleichgewicht nicht-trivial sein muss. In der experimentellen Praxis mögen solche „Störungen“ zwar notwendig, aber doch störend sein, etwa in der Produktion; dann wird man versuchen, die Einstellzeit des neuen Fließgleichgewichts zu minimieren. Die „Störungen“ können aber auch gezielt gesetzt werden, weil die Auswertung und Interpretation des transienten Verhaltens unmittelbar nach der Störung – der „Antwort“ (engl. response) des Systems – Aufschluss über bislang unbekannte Eigenschaften des Systems zu geben verspricht. Die Pulsmethode kann beispielsweise zu einer positiven Identifikation der aktuell limitierenden Substanz oder einer Substanzgruppe führen. Sie kann auch qualitativ eindeutig über den inhibitorischen oder toxischen Charakter einer Substanz Auskunft geben. Beim Ausbleiben einer Antwort des biologischen Systems ist die Folgerung schlüssig, dass eben diese Substanz nicht limitierend wirkt (doch sie könnte bei einem hoch dotierten Puls in hohem Überschuss vorliegen, ist aber dann weder toxisch noch inhibitorisch). Die shiftt Methode ist unter anderem ein notwendiges Übel beim Anfahren einer kontinuierlichen Kultur (nach dem initialen batch). Als Methode zur Einstellung neuer Fließgleichgewichte erlaubt sie die hochpräzise Bestimmung von Ausbeutekoeffizienten einerseits und die Veränderung oder Anpassung des Mediums an erwünschte, aber nicht direkt erreichbare Konzentrationen andererseits. Die quantitative Modifikation ist im Zuge einer Medienentwicklung meist mehrmals
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
notwendig, damit verdeckte Limitationen durch die Pulsmethodik identifiziert werden können. Nach positiver Identifikation eines essenziellen Bestandteils von Komplexzusätzen erlaubt die shift-Methode die Reduktion oder gar Elimination des entsprechenden Komplexzusatzes aus dem Medium, wenn gleichzeitig die vorgängig positiv identifizierte Substanz dem Medium (meist als Reinsubstanz) bewusst zugefügt wurde.
4.5.3 Transientexperimente und praxisrelevante Aussagen In der Folge werden wichtige Aspekte der Transienten eher qualitativ und anhand von Beispielsimulationen diskutiert. Jede kontinuierliche Kultur muss angefahren werden. Minimalvoraussetzung ist die Vereinigung der Reaktanden – aller essenziellen Medienkomponenten mit mindestens einem vermehrungsfähigen Keim. Diese Extremsituation in einem technischen Prozess einzusetzen, wäre reine Zeitverschwendung, in der Natur hingegen kommen auf diese Weise viele funktionierende Systeme spontan zustande. Im technischen Umfeld geht es jedoch klar um die Minimierung der benötigten Zeit, einen geplanten Arbeitspunkt stabil und robust zu erreichen. Die optimale Lösung hierfür wäre, eine Satzkultur gerade so lange laufen zu lassen, bis die Restsubstratkonzentration den für die kontinuierliche Kultur errechneten Gleichgewichtswert hat und zu diesem Zeitpunkt den Mediumzu- und Kulturablauf anzustellen. In der Praxis wird man aus verschiedenen Gründen weniger puristisch vorgehen und damit in jedem Fall Zeit verschenken. Bei zu früher Umstellung auf kontinuierlichen Betrieb wird Substrat verschwendet, bei zu später Umstellung läuft man Gefahr, dass die Zellen gestresst oder ausgehungert werden, im schlimmsten Fall sterben sie ab. Bei Sporenbildnern sollte die Umstellung keinesfalls zu spät erfolgen, da die Sporulation, sofern sie einmal eingeleitet wurde, irreversibel weiterläuft; erst nach vollständiger Sporulation können die Sporen wieder auskeimen, bevor die vegetativen Zellen wachsen können, aber auch dieser Vorgang braucht Zeit, sodass ein erheblicher Anteil an Biomasse durch Auswaschen (vorübergehend) verloren ginge.
4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb
Abb. 4.11 Simulation eines Pulsexperimentes. Zu einer im Gleichgewicht befindlichen, kontinuierlich geführten Kultur wird bei t = 0 h das aktuell limitierende Substrat gepulst: Die Substratkonzentration s wird durch einen „Delta-Dirac“-Stoß auf 10 g l−1 erhöht. x = Biomassekonzentration, s = aktuelle Substratkonzentration. Simulationsgrundlagen: Monod´sches Wachstumsmodell mit folgenden Parametern: μmax = 1 h−1, Ks = 0,5 g l−1, YX/S = 0,5 g g−1, D = μmaxx/2 = 0,5 h−1, sein = 10 g l−1
Ein Puls des aktuell limitierenden Substrats – der Ausdruck wird hier in seiner allgemeinen Bedeutung verwendet, es kann also irgendein Medienbestandteil sein – hebt die Limitation des Wachstums vorübergehend auf. Wenn durch den Puls die Konzentration des limitierenden Substrats genügend erhöht wird, dann reagiert das biologische System mit der in Abbildung 4.11 dargestellten Antwort. Die Pulsmenge darf dabei aber nicht übermäßig sein, damit in der Folge kein anderer Medienbestandteil soweit (mehr-) verbraucht wird, dass er selbst limitierend wirkt. In der Phase direkt nach dem Puls ist jegliche extrazelluläre Limitation aufgehoben, da die aktuelle Substratkonzentration sehr viel größer als der entsprechende Sättigungsparameter ist. Das Monod-Modell nimmt nun an, dass daher die Zellen sofort mit ihrer maximalen Kapazität wachsen können – Vorsicht: In der Praxis kann eine
121
„Gewöhnung“ der Zellen an die vorgängige Periode limitierten Wachstums zu einer intrazellulären Limitation führen, etwa ein „Ausverdünnen“ von Enzymen; ein Überschuss würde den Zellen bei limitiertem Substratangebot ohnehin nichts nützen. Doch möge es bei der Modellannahme bleiben. Das plötzliche Überangebot an Substrat führt zu einem Mehrverbrauch an (gepulstem) Substrat gegenüber den Gleichgewichtsbedingungen und natürlich zu zusätzlichem Wachstum: μ wird größer als (das unveränderte) D, und daher dominiert der Wachstumsterm in der Biomassebilanz über den Auswaschterm. Die aktuelle Substratkonzentration sinkt ab, aber bei Erreichen der Gleichgewichtskonzentration liegt die Biomassekonzentration deutlich über deren Gleichgewichtskonzentration, sodass der Mehrverbrauch an Substrat zu einem weiteren Absinken der aktuellen Substratkonzentration führen muss. Das reduziert seinerseits die Wachstumsgeschwindigkeit drastisch, und zwar unter den Wert der Verdünnungsrate: μ wird kleiner als D, und nun dominiert der Auswaschterm in der Biomassebilanz über den Wachstumsterm. Die Limitation ist nun stärker ausgeprägt als im Gleichgewicht, daher müssen Zellen ausgewaschen werden. Damit mindert sich der Substratmehrverbrauch, und die Substratkonzentration steigt langsam wieder an. Als Folge davon kann auch die spezifische Wachstumsgeschwindigkeit wieder langsam steigen und die Dominanz des Auswaschens der Zellen nimmt ab. Das System strebt schließlich auf den Gleichgewichtswert zu, der auch vor dem Experiment bestanden hatte. Wird jedoch ein „übermäßig“ konzentrierter Puls zugesetzt, fällt die Antwort verändert aus. Was übermäßig bedeutet, muss der Experimentator am Ergebnis erkennen. Einerseits kann das Medium so zusammengesetzt sein, dass (eine) weitere essenzielle Komponente(n) in nur geringem Überschuss dosiert (ist) sind. Dies ist ökonomisch wünschenswert und daher vielfach ein Ziel einer Medienentwicklung. In diesem Fall führt ein Puls der limitierenden Komponente unmittelbar ebenfalls zur Relaxation der Wachstumslimitation und zu einem Anstieg der Biomassekonzentration. Was aber nun weiter passiert (Abb. 4.12), kann das einfache Monod-Modell nicht mehr beschreiben, denn es sieht ja lediglich ein limitierendes Substrat vor. Dazu braucht es eine Modellerwei-
4
122
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
terung um eine zweite, potenziell limitierende Komponente, S2. Die spezifische Wachstumsgeschwindigkeit möge nun von beiden Substratkonzentrationen, s1 und s2, folgendermaßen abhängen: s1 s2 M Mmax (4.45) s1 K s ,1 s2 K s, 2 oder
M M max MIN
¥ ¦ § s1
s1 s2 , K s ,1 s 2 K s , 2
¥ ¦ §
4
(4.46)
In Gleichung 4.46 bedeutet „MIN“, dass jeweils der kleinste Wert aus der (in Klammern folgenden) Auswahlliste maßgebend ist. Die Verkoppelung sieht so aus: Das stringenter limitierende Substrat bestimmt, welche Biomassekonzentration erreichbar ist, und diese Menge an Zellen nimmt sich so viel vom anderen Substrat, wie sie eben für diese Zellkonzentration gerade benötigt, und bestimmt somit die Restsubstratkonzentration der anderen Komponente. Im konkreten Beispiel möge S1 das Wachstum zunächst limitieren, also die erzielbare Biomasse-
konzentration diktieren, denn x = YX/S1 · (s1,ein – s1), und S2 in (geringem) Überschuss vorliegen. Damit ist auch der Term s1 ¥ §s1 K s ,1 deutlich kleiner als der Term s2 , s 2 K s , 2 welcher nahe bei 1 liegt. Wird nun durch einen Puls von S1 die Konzentration s1 plötzlich stark erhöht, dann wird der Term s1 ¥ §s1 K s ,1
nahezu gleich 1, aber jedenfalls größer als s2 , s2 K s,2 da ja an s2 keine Änderung vorgenommen wurde. Somit wird μ ebenfalls sprunghaft ansteigen und der Wachstumsterm in der Biomassebilanz den Auswaschterm übersteigen: Es kommt zu einem Zuwachs der Biomassekonzentration. Da Wachstum und Substratkonsum aber verkopp elt sind, werden beide Substrate vermehrt verbraucht. Im Fall von S1 führt das zunächst zu einer nicht relevanten Reduktion von s1, nicht aber im Fall von S2: s2 war ja schon vor dem Puls nicht sehr groß und wird eben noch kleiner. In der Folge wird μ durch den Term s2 s 2 + Ks , 2 dominiert. Es stellt sich vorübergehend ein Fließgleichgewicht ein, in dem die Biomassekonzentration vom restlichen verfügbaren S2 diktiert wird: x = YX/S2 · (s2,ein – s2). Mittlerweile reduziert sich jedoch auch s1 durch Mehrverbrauch und Auswaschen so weit, dass es wieder limitierend wird, also s1 s 1 + Ks ,1
Abb. 4.12 Simulation eines Pulsexperimentes wie in Abbildung 4.11, jedoch mit dem Unterschied, dass eine weitere essenzielle Medienkomponente, S2, kurz nach dem Puls der im Gleichgewicht limitierenden Komponente S1 ihrerseits limitierend wird
relevant abnimmt und μ zu reduzieren beginnt, denn weder s1,ein noch s2,ein wurden je verändert. Nun üb ersteigt der Auswaschterm in der Biomassebilanz den Wachstumsterm: Es kommt zu einer Abnahme der Biomassekonzentration. Und das Experiment endet gleich wie der Puls mit nur einem einzigen limitierenden Substrat (vgl. Abb. 4.11) und läuft auf das ursprüng liche Fließgleichgewicht zu. Je nach der zufälligen
4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb
experimentellen Situation kann der theoretisch beobachtbare Anstieg der Biomassekonzentration auf das durch x = YX/S2 · (s2,ein – s2) gegebene „Plateau“ so gering ausfallen, dass er in der Praxis nicht signifikant erkennbar ist. Andererseits kann das Übermaß auch mit inhibitorischen oder gar toxischen Eigenschaften der gepulsten Komponente zusammenhängen. Solche Experimente sind aber in der Medienentwicklung manchmal unumgänglich, da viele unbekannte Limitationen auf Spurenelemente zurückgehen. Diese sind aber bekannt für den oligodynamischen Effekt (in kleinsten Mengen essenziell notwendig, in größeren Dosen aber hemmend oder gar toxisch). Die Reaktion auf Pulse mit steigender Menge, ausgehend vom stabilen Gleichgewicht, ist beispielhaft in Abbildung 4.13 dargestellt. Bis zu einer bestimmten Pulskonzentration enden alle Experimente beim ursprünglichen, durch den Puls gestörten Fließgleichgewicht. Ab dieser Pulskonzentration werden die Zellen jedoch so weit ausgewaschen, dass die Kulturen nicht mehr in der Lage sind, das mit dem Medium zufließende – aber inhibitorische! – Substrat „wegzuschaffen“ (zu verbrauchen): Diese Experimente enden fatal. Um die einzelnen Trajektorien zu verstehen, braucht man eine andere Erweiterung des Monod-Modells: Neben dem Limitationsterm ist für das (einzige limitierende) Substrat auch ein Inhibitionsterm zu formulieren, wobei Ki ein Inhibitionsparameter ist; je kleiner der Zahlenwert von Ki, desto ausgeprägter ist die Inhibition:
M Mmax
Ki s s Ks s Ki
(4.47)
Diese Funktion steigt nicht mehr monoton an, sondern sie hat ein klares Maximum. Allerdings ist zu beachten, dass der Funktionswert an diesem Maximum kleiner ist als μmax! In diesem Modell ist μmaxx also nicht die experimentell beobachtbare maximale Geschwindigkeit! Aus der grafischen Darstellung (Abb. 4.13, oben) sieht man auch sofort, dass s keine eindeutige Funktion von μ ist: Bis auf den Maximalwert gibt es immer zwei verschiedene Substratkonzentrationen, die denselben Wert von μ ergeben. Diese Tatsache ist bedeutsam, weil ein Fließgleichgewicht ja durch μ = D charakterisiert ist: Welche Substratkonzentration wird sich wohl einstellen? Bei welcher Substrat-
123
konzentration ist das Fließgleichgewicht stabil, bei welcher labil? Rund um das „linke“ Gleichgewicht, also das bei der kleineren Substratkonzentration, nimmt μ mit s monoton zu, oder ∂μ > 0. ∂s
Um das „rechte“ Gleichgewicht bei der höheren Substratkonzentration gilt hingegen ∂μ < 0. ∂s
In der Substratbilanz (Gleichung (4.30a)), vereinfacht formuliert: „Akkumulation = Konvektion + Reaktion“, “ ist der Konvektionsterm immer größer oder gleich null, der Reaktionsterm jedoch negativ, nämlich −
μ⋅ x YX/S
(oder, im Extremfall, null). Im Gleichgewicht halten sich Konvektion und Reaktion die Waage. Wenn irgendein Gleichgewicht gestört wird, muss die Substratkonzentration entweder steigen oder fallen. Steigt die Substratkonzentration vom Gleichgewicht bei der kleineren Substratkonzentration aus irgendeinem Grund an, verkleinert sich der Akkumulationsterm sofort – er wird sogar sicher negativ –, weil: 1. der positive Konvektionsterm kleiner wird – (sein − s) kann ja nur sinken – und 2. der negative Reaktionsterm betragsmäßig zunimmt, denn ∂μ > 0. ∂s
Genau umgekehrt verhält es sich, wenn die Substratkonzentration sinkt. In jedem Fall hat der Akkumulationsterm das umgekehrte Vorzeichen wie die Störung, d. h. das System stabilisiert sich selbst. Steigt die Substratkonzentration ab er vom Gleichgewicht b ei der größeren Substratkonzentration aus irgendeinem Grund an, vergrößert sich auch der Akkumulationsterm, weil der negative Reaktionsterm wegen ∂μ < 0. ∂s
betragsmäßig abnimmt, also der Substratverbrauch und das Wachstum ebenfalls zurückge-
4
4
124
Abb. 4.13 Simulation einer Serie von Pulsexperimenten mit steigender Konzentration des Delta-Dirac-Stoßes wie in Abbildung 4.11, jedoch mit dem Unterschied, dass das Substrat in höheren Konzentrationen das Wachstum inhibiert. Im unteren Teilbild sind die Trajektorien von x und s im Zeitbereich dargestellt. Der Übersicht halber wird oft die zeitliche Information weggelassen und die Trajektorien nur im Phasendiagramm (mittleres Teilbild) dargestellt. Das obere Teilbild zeigt den zugehörigen Verlauf der Funktion μ(s). Die Beispiele wurden bei D = 0,413 h−1 gerechnet; dieser Wert ist durch die Horizontale markiert. Die Schnittpunkte mit μ(s) ergeben zwei mögliche Arbeitspunkte: Der stabile ist mit dem vollen Kreis und der labile mit einem offenen Kreis in allen Teilbildern gekennzeichnet. In den unteren Teilbildern ist auch der triviale, aber ebenfalls stabile „Arbeits“punkt (bei x = 0) eingetragen. Zusätzlicher Simulationsparameter: Ki = 5 g l−1
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
125
4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb
hen. Die Zellen werden auswaschen, und das System strebt zum trivialen Gleichgewicht x = 0. Fällt aber die Substratkonzentration vom Gleichgewicht bei der größeren Substratkonzentration, dann verstärkt sich aus denselben Gründen der Substratverbrauch, und der negative Akkumulationsterm wird betragsmäßig noch größer, was (zunächst) zur sogar beschleunigten Substratabnahme führt. Das System strebt auf das stabile Gleichgewicht bei der kleineren Substratkonzentration zu. Das Gleichgewicht bei der größeren Substratkonzentration ist also labil (oder instabil). Die Konsequenz für die Praxis ist daher, potenziell inhibitorische Substrate sehr vorsichtig zu pulsen, weil sonst die laufende Kultur aufs Spiel gesetzt wird; eine sehr zeitaufwendige Panne. Eine praktische Lösung, die sich gut bewährt hat, ist die Abschätzung von Organismenkenngrößen (wie die in der Legende von Abbildung 4.13 angegebenen, etwa aus der Literatur) und die Prüfung der Erfolgschancen des Experimentes vorab in einer Modellsimulation; erfahrungsgemäß genügt eine grobe Abschätzung, d. h. „nur“ auf Größenordnungen genau. Für das Verständnis von shift-Experimenten gelten die analogen Argumente, nur dass sich anstelle der Zustandsvariablen operative Größen oder Parameter ändern.
Auf eine permissive Erhöhung der Verdünnungsrate (Abb. 4.14) reagiert eine Kultur wie folgt: Der Akkumulationsterm in der Biomassebilanz wird zunächst (geringfügig) negativ, weil sich der Konvektionsterm, −D ∙ x, sofort ändert, der Reaktionsterm, +μ ∙ x, jedoch erst verzögert. Das ist dadurch bedingt, dass das Substrat erst einmal akkumulieren muss, damit μ „ nachziehen“ kann. Das passiert auch, weil der Akkumulationsterm in der Substratbilanz durch den sofortigen Anstieg des Konvektionsterms, +D ∙ sein, und den verzögerten Anstieg des Substratverbrauchs zunächst sicher positiv wird. Das neue Fließgleichgewicht stellt sich bei leicht höherer Substratkonzentration und proportional tieferer Biomassekonzentration ein, wie es auch aus dem x-D-Diagramm (Abb. 4.9) abzulesen ist. Auf eine nicht-permissive Erhöhung der Verdünnungsrate, also das Einstellen von D größer als Dc, reagiert eine Kultur anders: Der Akkumulationsterm in der Biomassebilanz kann nie positiv werden, weil μ den Wert von D nie erreichen kann und somit (μ − D) immer kleiner oder gleich null sein muss. Das bedeutet Auswaschen der Kultur. Wenn man allerdings ein solches Experiment zeitlich begrenzt durchführt und dann sofort wieder eine permissive Verdünnungsrate einstellt, kann die kritische Verdünnungsrate (also annähernd μmax) ermittelt werden. Die isolierte Lösung der Differenzialgleichung für die Biomassekonzentration wird unter der Annahme, die Substratkonzentration werde in kurzer Zeit so hoch, dass auch μ maximal wird, sehr einfach:
(
)
d ln(x) = max D dt
Abb. 4.14 Simulation zweier permissiver (d. h. D bleibt immer kleiner als μmax) D-shifts: Bei t = 0 wird D erhöht, bei t = 25 abgesenkt (unterstes Teilbild). Simulationsparameter wie in Abbildung 4.13
(4.48)
Eine halblogarithmische Darstellung der Biomassekonzentration gegen die Zeit (Abb. 4.15) ergibt eine abfallende Gerade mit der Steigung (μmaxx − D). Da die eingestellte Verdünnungsrate dem Experimentator b ekannt sein sollte, kann μmaxx leicht errechnet werden. Wenn der experimentelle Wert von D „vernünftig“ gewählt wird, dann hat man in kurzer Zeit eine unabhängige Bestätigung des μmax-Wertes aus der Satzkultur und kann die kontinuierliche Kultur durch Rücksetzen auf eine permissive Verdünnungsrate problemlos „retten“, denn: Sinngemäß gilt für eine Erniedrigung der Verdünnungsrate jeweils das Umgekehrte.
4
4
126
Die Aneinanderreihung mehrerer oder vieler solcher D-shift-Experimente mit der Einstellung des jeweiligen Fließgleichgewichts dient der experimentellen Ermittlung von x-D-Diagrammen. Die Planung von shifts der Substratzulaufkonzentration ist ähnlich einfach. Wird von einem Medium mit niedriger Konzentration des limitierenden Substrats auf eines mit „mäßig“ höhe-
Abb. 4.15 Simulation eines nicht-permissiven und eines permissiven D-shifts: Bei t = 0 wird D über μmax erhöht, bei t = 10 wieder in den permissiven Bereich abgesenkt (zweites Teilbild von unten). Simulationsparameter wie in Abbildung 4.13. Der nicht-permissive D-shiftt führt zum Auswaschen (wash-outt) der Kultur, was durch den zweiten shiftt unterbunden wird. Die unterste Teilgrafik (halblogarithmische Darstellung) legt nahe, dass die Zellen weitgehend mit konstantem μ wachsen. Die Simulationsparameter Ks und sein sind aber so gewählt, dass μkritisch kleiner als (nämlich ca. 95 % von) μmax ist. Eine Auswertung der beiden exponentiellen Phasen durch Bestimmung der Steigungen würde also ((μkritisch − D) und nicht (μ ( max − D) ergeben
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
rer umgestellt, dann ist ein (fast) proportionaler Anstieg der Biomassekonzentration zu erwarten, denn x = YX/S · (sein – s). Zunächst steigt der Akkumulationsterm in der Substratbilanz, weil der Zulaufterm, D ∙ sein, hochschnellt. Das führt zu einer Steigerung von μ über D, weshalb auch der Akkumulationsterm in der Biomassebilanz ansteigen muss. Dies wiederum resultiert in einem Mehrverbrauch von Substrat, da sowohl x als auch zunächst μ steigen, doch sinkt μ bald wieder wegen der aufgrund des Mehrverbrauchs wieder sinkenden Substratkonzentration. Schließlich stellt sich ein neues Fließgleichgewicht ein, das durch höhere Biomassekonzentration, jedoch identische Substratkonzentration charakterisiert ist. Für ein Absenken der Substratzulaufkonzentration gilt sinngemäß das Umgekehrte (Abb. 4.16).
Abb. 4.16 Simulation zweier permissiver shifts der Substratzulaufkonzentration bei einer Verdünnungsrate D = 60 % von μmax. Da die Verdünnungsrate ja nicht geändert wird, muss der Gleichgewichtswert der Substratkonzentration ebenfalls konstant bleiben, obwohl sich die transienten Werte natürlich ändern
127
4.5 Lösung des Prozessmodelles für kontinuierlichen Betrieb
Sollte die Steigerung der Substratzulaufkonzentration jedoch nicht „mäßig“ sein, sodass eine andere Medienkomponente limitierend wird, ist natürlich die erreichbare Biomassekonzentration durch deren Konzentration im Medium (und den entsprechenden Ausbeutekoeffizienten) festgelegt. Auch wird die Restkonzentrati-
on des übermäßig erhöhten Substrats auf einem entsprechend hohen Niveau zu liegen kommen. Die Aneinanderreihung vieler solcher shiftExperimente mit der Einstellung des jeweiligen Fließgleichgewichts erlaubt die Konstruktion von Δx-Δs-Diagrammen, wie in Abbildung 4.17 gezeigt. Aus diesen Darstellungen lässt sich der
Abb. 4.17 Der Bedarf verschiedener Elementquellen wird durch Bestimmung der Ausbeute ermittelt. Die einzelnen Datenpunkte entsprechen jeweils einem Fließgleichgewicht, (experimentell zeitlich) dazwischen liegen shiftss der entsprechenden Substratkonzentration im sterilen Medium. Aus der Krümmung des Übergangs zu einer anderen Limitation (vom ansteigenden Ast der Kurven [rot] in den horizontalen Verlauf [schwarz]; hier nicht durchgezeichnet) lässt sich der erforderliche Überschuss abschätzen, um eine Doppellimitation auszuschließen. Nach Cometta et al. (1982). Folgende Ausbeutekoeffizienten wurden aus den Steigungen der linearen Regressionen bestimmt, wobei die Genauigkeit von zwei signifi-
kanten Stellen statistisch durch die hohe Anzahl unabhängiger Einzelexperimente gerechtfertigt ist:
Limitierende Komponente
Ausbeutekoeffizient [g g–1]
Glucose . H2O
0,33
NH4Cl
1,7
KH2PO4
12
MgCl2 . 6 H2O
45
Na2SO4
34
4
4
128
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Abb. 4.18 Simulation verschiedener shiftss der Zulaufkonzentration eines inhibierenden Substrats bei einer Verdünnungsrate D = 25 % von μmax; μmax ist hier reiner Modellparameter und nicht die maximale beobachtbare Wachstumsgeschwindigkeit (vgl. auch Abb. 4.22). Dieses Beispiel zeigt in der linken Hälfte, dass die Möglichkeiten, eine Kultur in einem Experiment von tiefer (sein = 10) auf hohe (sein = 64, 65, 66, 67, 68 und 69 g l−1) Substratzulaufkonzentration umzustellen, beschränkt sind; ab dem Sprung auf knapp 67 überfordert die Zulaufsteigerung die Konsumkapazität der Zellpopulation und es kommt zum Auswaschen. Die rechte Hälfte zeigt aber, dass man durch geschickte Prozessführung zu wesentlich höheren Zulaufkonzentrationen und damit schlussendlich Zelldichten kommen kann: Man muss die Steigerung nur auf zwei (oder mehr) Schritte verteilen; in diesem Beispiel wird bei sein = 140 g l−1 eine Zelldichte von 70 g l−1 (fast immer) erreicht, indem zunächst auf ein „ungefährliches“ Niveau (30 g l−1: ist aber für den späteren großen Schritt dann doch „gefährlich“; 40, 50 und 60 g l−1: permissiv) hochgestellt und erst im zweiten Experiment das endgültige Ziel erreicht wird. Einige Kurven sind mit den jeweiligen Werten von sein markiert. Simulationsparameter: Inhibitionsparameter nach Gleichung (4.47), Ki = 10 g l−1, Ks = 0,1 g l−1, Y = 0,5 g g−1 und sein im ursprünglichen Fließgleichgewicht (t < 0) 10 g l−1
jeweilige Ausbeutekoeffizient mit hoher Genauigkeit und Zuverlässigkeit ermitteln. Trickreicher kann die Angelegenheit werden, wenn ein inhibitorisches Substrat in höherer Konzentration eingesetzt werden soll. Methanol ist durchaus ein industriell relevanter Kandidat
für so einen Fall von kontinuierlicher HochZelldichte-Kultivation. Wie im Fall der PulsExperimente auch kann beim shiftt die Substratkonzentration so hoch ansteigen, dass die Zellen das Medium nicht mehr genügend schnell „entgiften“ können. In diesem Fall kommt es
129
4.6 Lösung des Prozessmodells für Zulaufverfahren (fed-batch)
zum Auswaschen der Zellen. Um dies zu vermeiden, dient ein einfacher Trick: Man führt die Steigerung der Substratzulaufkonzentration zum erwünschten Wert nicht in einem, sondern in mehreren Schritten durch; dabei verliert man kaum Zeit, bleibt aber dafür immer auf „der sicheren Seite“. Abbildung 4.18 zeigt beispielhaft einen solchen Vergleich.
4.6 Lösung des Prozessmodells für Zulaufverfahren (fed-batch h) Da bei diesem Betriebsmodus das Volumen nicht konstant gehalten, sondern variiert wird, kann nicht einfach von der Massen- zur Konzentrationsbilanz (wie bisher durch rigoroses Kürzen durch V V, z. B. von Gleichung (4.6) zu (4.8)) übergegangen werden. Das Volumen kommt als neue Zustandsvariable hinzu. Im Zulaufverfahren (nur Zu-, aber kein Ab-Lauf ) fällt auch der (konvektive) Ablaufterm wegen Faus = 0 weg: dm d ( c V ) dV dc = = c + V = Fein cein + r V dt dt dt dt (4.49) wobei
dV = Fein dt
(4.50)
Das Zulaufverfahren hat deshalb so große Bedeutung, weil es erlaubt, die spezifische Substrataufnahmegeschwindigkeit unter einem kritischen Wert zu halten, respektive die spezifische Wachstumsgeschwindigkeit auf einen physiologisch optimalen Wert einzustellen (die beiden sind ja über den Ausbeutekoeffizienten verknüpft). Im Satzbetrieb ist dies grundsätzlich nicht möglich. In vielen industriellen Kultivationen ist man jedoch darauf angewiesen, beispielsweise um bei der Herstellung von Bäckerhefe den Kohlenstoff aus dem Substrat tatsächlich in Zellmasse umzuwandeln und nicht als Alkohol zu vergeuden, also die Überlaufreaktion zu vermeiden, welche die Zellen bei einem Überangebot an Substrat „anstellen“ würden.
In diesen Fällen wird versucht, die spezifische Wachstumsgeschwindigkeit an einem optimalen Wert zu halten, oder, wenn dies nicht möglich ist, nach einem vorgegebenen Muster (einer Trajektorie) zu steuern oder zu regeln. Die optimalen Werte sind oft nicht exakt bekannt oder sind nicht konstant. Sie sind nämlich keine Naturkonstanten, sondern müssen experimentell und für jeden Stamm individuell ermittelt werden. Leider ist selbst in Forschungslaboren die analytische Methodik und Ausrüstung oft ungenügend, um klare und verlässliche Daten dazu zu erheben. Allerdings ist das Messen und Monitoring im Produktionsumfeld noch problematischer, sodass ein geschlossener Regelkreis für das zu limitierende Substrat nicht inf rage kommt. Daher legt man normalerweise die Sollwerte intuitiv oder aufgrund plausibler Schätzungen (educated guess) fest. Die entscheidende Zustandsvariable, in diesem Fall die Substratkonzentration, hängt zumindest von zwei wichtigen Größen ab: der (volumetrischen) Substratverbrauchsgeschwindigkeit und der Zulauf rate. Diese Größen stehen in der Massenbilanz: d(s V ) = sein F + rS V dt
(4.51)
worin s die Substratkonzentration im Reaktor ist – d. h. die Größe, die nicht routinemäßig in Echtzeit gemessen werden kann –, V ist das Volumen der Biosuspension (und eben nicht konstant im Zulaufprozess), sein ist die normalerweise gut bekannte Substratkonzentration im Zulauf (d. h. im sterilen Medium, das gef üttert wird), F ist die volumetrische Zulaufgeschwindigkeit und rS die volumetrische Substratverbrauchsgeschwindigkeit (negativer Zahlenwert). Die Substratkonzentration an einem festen, vorgegebenen Sollwert zu halten, bedeutet, dass ds das Differenzial __ dtt null wird. Für ein Zulaufverfahren gibt das folgende Bedingung: d(s V ) dV ds = s + V = sein F + rS V dt dt dt
(4.52)
_ Darin ist _dV dtt bekannt, nämlich = F. Umformen __ ds und dtt gleich null Setzen ergibt dann weiters mit _F_ der Verdünnungsrate, D, die gleich V ist:
ds dt
0 sein
F r V S
s
F D sein s rS V
(4.53)
4
4
130
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
In anderen Worten: Der Zufluss muss den Verbrauch exakt kompensieren. Nach einem denkbar einfachen kinetischen Modell hängt die volumetrische Substratverbrauchsgeschwindigkeit von der aktuellen Substratkonzentration, s – welche sich ja gemäß oben getroffener Annahme nicht ändert –, der Biomassekonzentration, x – das ist die zweite Zustandsvariable, die sich durchaus ändern kann –, und der maximalen spezifischen Substratverbrauchsgeschwindigkeit, qS,max, ab, welche in erster Näherung als (hier ebenfalls negativer und konstanter) Parameter angesehen werden kann:
rS = qS , max
s x s + Ks
(4.54)
Wenn man nun die spezifische Wachstumsgeschwindigkeit, μ, als strikt proportional zur spezifischen Substratverbrauchsgeschwindigkeit annimmt – wie im Monod-Modell: μ = −qS . YX/S –, dann lässt sich die notwendige Trajektorie für den erforderlichen Zulauf ableiten: qS t F t = x V V e( ) (4.55) sein s 0 0
()
Darin bedeuten x0 die Biomassekonzentration und V0 das Volumen der Biosuspension zu Beginn des Zulaufes – und das ist am Ende der vorgängigen Satzkultur –, wobei s im Vergleich zu sein vernachlässigbar wird. Solche Überlegungen werden angestellt, um das praktisch schwierige Problem, die Zustandsvariable s zu regeln, auf das viel einfacher zu realisierende Problem herunterzubrechen, die operative Größe F zu regeln. Dies ist relativ einfach im geschlossenen Regelkreis möglich, sofern das Vorratsgefäß gravimetrisch überwacht wird. Allerdings darf man dabei nie vergessen, dass der hier skizzierte Umweg auf vielen Annahmen beruht, die für die Ableitung der F-Trajektorie verwendet wurden. Des Weiteren müssen die Initialwerte, x0 und V0, möglichst genau bekannt sein, was für V0 wesentlich einfacher als für x0 ist. Dieses Risiko kann nur verringert werden, wenn die Annahmen experimentell verifiziert sind oder bessere Modelle zur Verfügung stehen. Eine Ursache zwingt den Praktiker sehr schnell, von der oben abgeleiteten Trajektorie für den Zulauf Abstand zu nehmen: Mit steigender Zellmasse (oder Zelldichte) wird schnell einmal die Sauerstofftransferkapazität des Reak-
tors ausgeschöpft. Wenn es nicht gelingt, durch geeignete Maßnahmen die Transferleistung zu steigern, etwa durch Umstellung auf Begasung mit Reinsauerstoff, Erhöhung des Drucks unter B erücksichtigung der Sicherheit oder allenfalls Zudosieren von H2O2, dann ist die Trajektorie auf konstante Verdünnung umzustellen. Der Grund hierfür ist einsichtig, wenn man folgende Analyse macht: Sauerstoff ist ebenfalls ein „Substrat“, das bei gleichbleibender Physiologie stöchiometrisch zum Kohlenstoffsubstrat verbraucht wird: rO YO /S = 2 (4.56) 2 rS Dieser Wert lässt sich sogar theoretisch abschätzen, wenn man die Natur des Substrats und die Zusammensetzung der Zellen kennt. Angenommen, das Substrat wird in einer aeroben Bioreaktion mit Ammoniak als N-Quelle nur in Zellen, CO2 und Wasser, aber kein weiteres Produkt umgewandelt, dann muss gelten:
S + O2 + NH H 3 X + CO O2 + H 2O (4.57) wobei die griechischen Buchstaben übliche (molare) stöchiometrische Koeffizienten sind. In diesem einfachen Ansatz wird weiterhin angenommen, dass alle Komponenten nur aus vier chemischen Elementen zusammengesetzt sind, nämlich C, H, O und N. Die Massen der einzelnen Elemente müssen natürlich erhalten bleiben, da eine Bioreaktion keine Nuklearreaktion ist. Diese Information kann weiter genutzt werden. Hierfür werden die Zusammensetzungen der Reaktanden näher spezifiziert:
α ⋅ C1HSHOSO +β ⋅ O 2 + XN ⋅ NH H3 → C1HXH OXO N XN + δ ⋅ CO 2 + ε H2O
(4.58)
C1HSHOSO bedeutet die chemische Formel für das Substrat, allerdings in der sogenannten C-1-molaren Form geschrieben, und C1HXHOXONXNN ist die „chemische Formel“ für die Zellen, ebenfalls in der C-1-molaren Form. Die Subskripte bedeuten die molaren Anteile der einzelnen Elemente und sind entweder bekannt oder lassen sich aus der Elementaranalyse leicht bestimmen. Wenn man nun die einzelnen Elementarbilanzen analysiert, die keinen Akkumulationsterm und keinen
131
4.7 Verfahren mit Zellrückhaltung
Reaktionsterm enthalten dürfen, dann ergibt sich ein einfaches lineares Gleichungssystem: =1 α +δ +2 ⋅ ε α ⋅ SH +3 ⋅ XN X = XH X α ⋅ SO +2 ⋅ β = XO X +2 ⋅ δ + ε X XN = XN X
≡ C − Bilanz ≡ H − Bilanz ≡ O − Bilanz ≡ N − Bilanz
(4.59) Dieses hat wegen der Trivialität der N-Bilanz keine eindeutige Lösung, aber immerhin eine allgemeine:
(4 + SH
2
)
SO
4
= 1 (4 + X H 2
XO
3 XN) (4.60)
Die Klammerterme werden in der Literatur häufig als typische Kenngröße für eine Komponente als „genereller Reduktionsgrad“, γ, bezeichnet. Damit ist die Anzahl an Elektronen gemeint, die bei einer vollständigen Oxidation eines C-1-Mol einer Komponente transferiert werden müsste (gerichtet: + für die „Abgabe eines Elektrons“, z. B. 4 für den einen Kohlenstoff, − für die „Annahme“). Somit ergibt sich ein einfacher Zusammenhang, nämlich:
α ⋅ γ − 4 ⋅β = γX S
(4.61)
Der Zahlenwert von α ist direkt erhältlich, denn er ergibt sich aus dem experimentell relativ einfach zu bestimmenden Ausbeutekoeffizienten YX/S, wenn nur die „Molekulargewichte“ von Substrat und Zellen bekannt sind, aber die ergeben sich direkt aus den „chemischen Formeln“:
α=
1 MW MWX ⋅ YX/S M MW WS
(4.62)
Einheit von α ist [mol/mol] „Substrat für Zellen“, von YX/S [g/g] „Zellen pro Substrat“. Daraus ergibt sich der (molare) Sauerstoffbedarf für die Produktion eines „Mol“ Zellen zu:
β=
α ⋅ γ S −γ X 4
(4.63)
und analog der oben gebrauchte Ausdruck für YO2/S aus α und β. Sauerstoffverbrauch (rO2, negativer Zahlenwert, weil Senke) setzt aber vorgängigen Sauerstofftransfer aus der Gas- in die Flüssigphase voraus. Die Flüssigphasenbilanz für den Gelöstsauerstoff besagt, dass
(
do = OTR + rO + Fein oein Faus o 2 dt
)
(4.64)
Dabei sind OTR = kLa . (o* − o) und rO2 = qO2 . x = rS . YO2 /S; nach Substitution dieser Größen, Vernachlässigung des konvektiven Sauerstofftransfers – gelöst im flüssigen Medium – und Umformen der Gleichung sieht man, dass
(
)
do = k L a o* o + rS Y YO /S oder 2 dt rrS =
k L a o* k L a o YO
do dt
(4.65)
(4.66)
2 /S
Dabei sind folgende Größen vernachlässigbar klein, wenn die Sauerstofftransferleistung des Reaktors ausgeschöpft und somit die aktuelle Gelöstsauerstoffkonzentration nahe null liegt: g o selbst do und seine Änderung mit der Zeit, d__ t ; daraus folgt, dass die Substrataufnahmegeschwindigkeit praktisch nur vom Term kLa . o* bestimmt wird und konstant bleib en muss, sofern sich der kLa und die Sättigungskonzentration o* nicht ändern (das ist aber insbesondere für kLa unwahrscheinlich, da das Volumen ja zuwächst und je nach Flutung der einzelnen Rührerblätter verschieden viel spezifischer Leistungseintrag herrscht; man beachte die Analogie zu Gleichung (4.23)). Des Weiteren folgt, dass die Verdünnungsrate diesen Wert nicht übersteigen darf und somit (bestenfalls) konstant sein kann; andernfalls käme es zu einer Überlaufreaktion, aber nun aufgrund einer Sauerstofftransferlimitation. Für die Zulaufrate gilt somit folgende Einschränkung: F
rrS V sein s
* V kLa o sein YO /S
(4.67)
2
4.7 Verfahren mit Zellrückhaltung Die volumetrische Produktivität eines Prozesses ist nicht nur von der Leistungsfähigkeit des gewählten (Mikro-)Organismus, gekennzeichnet durch seine spezifische Produktbildungsgeschwindigkeit, sondern auch von der im System
4
4
132
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
verfügbaren Biomassekonzentration abhängig. In vielen Fällen bleibt aber x in freien Kultursystemen klein (z. B. bei Anaerobiern oder Zellkulturen). Man möchte die Zellen nicht verlieren und versucht sie durch Immobilisierung oder Zellrückhaltesysteme länger zu nutzen, als sie im freien System verfügbar wären. Vorteile und Limitierungen der verschiedenen Techniken zur Immobilisierung bzw. Zellrückhaltung, wie z. B. das Aufwachsen der Zellen an rückhaltbaren Trägermaterialien, Flotation, Sedimentation oder Membranen, werden in späteren Kapiteln (insbesondere Kapitel 7, 10 und 11, Mikrofiltration und Perfusion) behandelt. Anhand der letztgenannten Methode sei die Wirkung einer solchen kurz angedeutet. Die Bilanzen für Biomasse und Substrat(e und Produkt) werden unterschiedlich, weil die Ausgangsströme der Biosuspension FB,aus und des Permeats FP,aus das Restsubstrat oder lösliche Produkt zwar gleichermaßen, die Biomasse jedoch unterschiedlich austragen (Abb. 4.19). Diese Ungleichheit wird am besten durch das Rücklauf- oder Rezirkulationsverhältnis R (engl. recycle ratio) widergespiegelt: FM ,ein = FB ,aus + FP , aus und D =
FM ,ein
(4.68a, b)
V
wobei definitionsgemäß gilt: F R = P , aus FM ,ein
(4.69)
und folglich:
(
)
FP ,aus = R FM ,ein und FB , aus = 1 R FM ,ein (4.70a, b)
R = 1 bedeutet somit totale Zellrückhaltung, und R = 0 entspricht dem normalen Chemostatbetrieb. Damit ergibt sich aus der Biomassebilanz für das Fließgleichgewicht: rX = x =
FB ,aus V
x =
(1 R) F
M ,ein
V
(
)
x = 1 R D x
(4.71)
oder, nebst der trivialen Lösung, x = 0, die prozesstechnisch interessante: μ = (1 – R) . D
(4.72)
Daraus wird klar, dass bei totaler Zellrückhaltung das Wachstum gegen null gehen müsste,
Abb. 4.19 Schematische Darstellung der Flüsse, Volumina und Konzentrationen in einem Chemostaten mit Zellseparator. VR bezeichnet das arbeitende Flüssigvolumen des homogenen Bioreaktors, VS das des inhomogenen Separators. x, x s und pl stehen für die Konzentrationen von Biomasse, Substrat und löslichem/n Produkt(en); in der Rückführleitung ist die Biomassekonzentration angereichert (x ( R), im Permeat (x = 0) oder Sedimenterüberlauf (xSed < xx) hingegen (x abgereichert und liegt im Ausgangsstrom der Biosuspension, FB,aus, dazwischen. Bei konstanten Volumina, dem Normalfall, ergibt die Bilanzierung über das Gesamtsystem: FM,ein = FP,aus + FB,aus, die Bilanzierung nur über den Reaktor: FM,ein + FR = FS + FB,aus und die Bilanzierung nur über den Separator: FS = FR + FP,aus
was unrealistisch ist. Totale Zellrückhaltung ist also keine stabile prozessrelevante Option! Wie gesagt, die Substratbilanz bleibt unverändert, wenn durch den gewählten Mikrofilter das Substrat nicht selektiv behandelt wird. Durch Zellrückführung wird die spezif ische Wachstumsrate von der Verdünnungsrate entkoppelt, und zwar so, dass im Vergleich zum freien System mit wesentlich höheren Verdünnungsraten gefahren werden kann. Dafür ist die erhöhte Biomassekonzentration ausschlaggebend: x = YX/S
sein s 1 R
(4.73)
Im gezeigten Fall der Zellrückführung mittels Mikrofilter wurde angenommen, die Reaktion spiele sich nur im Bioreaktor, nicht aber im Separator (hier = Filter) ab. Bei Verwendung von Querstromfiltration ist diese Simplifikation gerechtfertigt, da wegen der hohen Strömungsgeschwindigkeiten, die dort benötigt werden, die Aufenthaltszeiten im Separator meist vernachlässigbar kurz sind. Durch eine überlegte Wahl des Betriebsparameters R lässt sich die Produktivität eines löslichen
133
4.8 Erweiterungen und Modifi fikationen des Monod-Modells
Produktes entscheidend – d. h. um ein bis zwei Zehnerpotenzen – steigern. Dieses System kann aber auch angewandt werden, wenn das Produkt zellassoziiert ist und ein obligates, aber inhibitorisches und lösliches Nebenprodukt (z. B. Lactat) durch Auswaschen ausverdünnt werden soll.
4.8 Erweiterungen und Modifikationen des Monod-Modells 4.8.1 Produktbildung Eine gravierende Schwäche des Monod-Modells ist, dass es nur das Wachstum, nicht aber die Produktbildung beschreibt. Da die dominierende Mehrheit biotechnologischer Prozesse aber nicht die Produktion von Zellen, sondern die von Wertstoffen zum Ziel hat, müssen Erweiterungen des Monod-Modells diesen Bereich abdecken. Die Bildung von Produkten in biotechnologischen Herstellungsverfahren kann verschieden mit dem Wachstum der Biokatalysatoren, d. h. der Zellen, assoziiert sein. • Eine Gruppe von Produkten ist ganz streng mit allen primären Stoffwechselaktivitäten gekoppelt, etwa die Endprodukte des primären Energiestoffwechsels wie CO2, Wasser, Ethanol, Methan, Milchsäure, Essigsäure, Aceton, Butanol usw. • Eine weitere Gruppe besteht aus Komponenten des primären Anabolismus, dazu gehören organische Säuren und Aminosäuren etc. Auch bei diesen wird eine weitgehende Wachstumsassoziation festgestellt. • Denen gegenüber stehen die sogenannten Sekundärmetaboliten, wie Antibiotika oder Toxine, die von den Zellen üblicherweise nicht gebildet werden, wenn die Umgebungsbedingungen Wachstum erlauben, sondern erst, wenn es (am natürlichen Standort) ums Überleben geht. • Eine weitere wichtige Gruppe von Produkten sind die Enzyme, deren Bildung normalerweise einer sorgsamen Regulation unterliegt und je nach physiologischem Bedarf der Zellen
selbst an- oder abgestellt wird. Generell lässt sich nicht a priori sagen, wie die Wachstumsassoziation der Enzymbildung sein wird, es kommt auf deren spezifische Funktionen im Stoffwechsel der Zellen an. • Eine letzte Gruppe stellen die reinen Transformationsprodukte dar, insbesondere sind Produkte aus Hydrolyse-, Synthese-, Redox-, Additions- und Isomerisationsreaktionen technisch bedeutsam. Sehr oft „funktionieren“ solche Reaktionen einfach auch mit (völlig) unnatürlichen Ausgangsmaterialien (sogenannte „Substratpromiskuität“). Dabei sind vor allem drei verschiedene Selektivitäten attraktiv: Chemo-, Regio- und Enantioselektivität. Neben GanzZell-Systemen werden für die Herstellung dieser Gruppe von Produkten oft auch mehr oder weniger reine Enzymsysteme eingesetzt. Die Kinetik der Produktbildung hängt daher massiv von der Bedeutung des einzelnen Produktes für den Stoffwechsel der entsprechenden Zellen ab. Stark generalisierend ergeben sich drei Typen, je nach dem Zahlenwert der Parameter A und B: qP = A + B bzw. rP = A x + B rX (4.74a, b)
Darin bedeutet qP die spezifische Produktbildungsgeschwindigkeit und rP die volumenbezogene. Für vollständig mit dem Wachstum assoziierte Produkte ist A = 0 und B hat einen endlich großen Wert. Bei Produkten, die nur von nicht wachsenden Zellen hergestellt werden, ist es genau umgekehrt. Für die Mehrzahl technisch relevanter Produkte wurde allerdings eine partielle Wachstumsassoziation festgestellt; dann haben beide Parameter, A und B, einen endlich großen Wert (Abb. 4.20). Analog zu YX/S müssen weitere Ausbeutekoeffizienten eingeführt werden, so etwa YP/S oder YP/X: YP/S =
rP rS
oder YP/X =
rP rX
(4.75a, b)
Die Modelle müssen durch mindestens eine weitere Bilanzgleichung, nämlich für das Produkt, erweitert werden:
(
d p V dt
)=F
ein
pein Faus paus + rP V
(4.76)
4
134
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Gleichung (4.75) beschreibt hingegen, wie viel Produkt aus dem gesamthaft konsumierten Substrat entsteht; dieser Wert ist analytisch einfach aus Konzentrationsmessungen von Produkt und Substrat zu bestimmen, nämlich als YP/S = Abb. 4.20 Stark idealisiertes Schema der Varianten für Produktbildungskinetik. Die spezifische Produktbildungsgeschwindigkeit qP ist entweder der spezifischen Wachstumsgeschwindigkeit μ direkt proportional (links) oder teilweise (Mitte, wobei der Anstieg B auch negativ sein kann) oder hat im Extremfall nur bei Nullwachstum einen endlich großen Wert (rechts). Natürlich können in der Praxis diese Funktionen auch nicht-linear sein; das erfordert dann kompliziertere Funktionen für die Ausbeutekoeffizienten (d. h. nicht mehr bloß Konstanten!) und würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen
Darin steht p für die Produktkonzentration im Reaktor. Wenn der Reaktor ein idealer Rührkesselreaktor ist, dann gilt natürlich wieder p = paus. Und üblicherweise wird dem Reaktor wohl kaum Produkt mit dem Zulauf zugeführt, sodass meistens gilt: pein = 0. Je nach Prozessführungsmodus vereinfacht sich diese Gleichung weiter. Des Weiteren muss die Bilanzgleichung für das Substrat modifiziert werden, wenn ein und dasselbe Substrat das Ausgangsmaterial für sowohl Zellwachstum als auch Produktbildung darstellt; sollte das Produkt aus einer anderen Komponente entstehen als die Zellen, so ist für eben diese Komponente eine zusätzliche Bilanzgleichung (analog) zu erstellen.
( )
d (s ⋅ V ) dt
r r X P * Y X/S YP/S
(
d VL cCOO
2
CO2
)= {
}
F⋅cein F⋅caus + YP/X ⋅μ ⋅ x ⋅VL − Transfer in die Gasphase
für [Wachstum + Produktbildung]
B ei nicht streng wachstumsassoziierter Produktbildung verkomplizieren sich die Gleichungen sehr schnell, was den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde. Dennoch sollen zwei wichtige B eispiele kurz behandelt werden, nämlich einerseits das von heterotrophen Organismen meist „zwangsweise“ produzierte CO2, das mittels Abgasanalyse relativ einfach und zuverlässig gemessen werden kann, und andererseits die Produkte aus sogenannten „Überlaufreaktionen“, wie z. B. Ethanol oder Essigsäure. Nehmen wir zunächst an, dass die CO2Bildung strikt wachstumsassoziiert ist. Dann muss gelten: qCO2 = YP/X . μ; wobei das Produkt eben CO2 ist. Bei tiefem pH-Wert, etwa in einer Hefe- oder Pilzkultivation, löst sich das CO2 im Wesentlichen nur physikalisch im Wasser, und wir brauchen die Nebenreaktion, Chemisorption zu Hydrogencarbonat (oder gar Carbonat), nicht berücksichtigen. Für eine kontinuierlich Volumen(V VL)-konstant betriebene und begaste Bioreaktoranlage hat weiterhin die Massenbilanzgleichung für gelöstes CO2 (aber ohne weitere chemische Reaktion!) folgende besondere Form:
dt
= Fein ⋅ sein − Faus ⋅ saus + r, S ⋅V
Δp Δ . Δs
−F
4
(4.77)
V
* Zu beachten ist hier, dass YP/S in diesem Ansatz (Gleichung (4.77)) exakt den Anteil an Substrat beschreibt, der ausschließlich in Produkt überführt wird. Experimentell ist dieser Wert kaum direkt zugänglich, weil dazu das Substrat markiert und diese Markierung im Produkt wieder zu finden sein müsste. Die Definition gemäß
CO2
Konvektion über Flüssigphase
biologische Reaktion
physikalische R eakti on
(4.78)
Für eine Satzkultur fällt natürlich der Konvektionsterm weg, aber der Transferterm in die Gasphase (Ausgasen von CO2) bleibt. Dieser Term ist für die Flüssigphase als Senke – Minus-Vorzeichen – formuliert und muss in der Gasphasenbilanz natürlich als identische Größe, aber mit positivem Vorzeichen – als Quelle – auftauchen, denn CO2 wird beim Entgasen nicht umgewandelt. Diese Bilanz lautet:
135
4.8 Erweiterungen und Modifikat fi ionen des Monod-Modells
(
d VG yCOO
2
dt
)= {
}
MAFRein ⋅ y ein MAFRaus ⋅ y aus + Transfer in die Gasphase −M
CO2
CO2
Konvektion über Gasphase
physikalische Reaktion
(4.79) Darin bedeutet VG das Volumen der dispergierten Gasphase und yCO2 den Molenbruch (Anteil, Gehalt) des Gases an CO2. Abgas und dispergiertes Gas mögen in ihrer Zusammensetzung auch wieder identisch sein (ideal gemischte Gasphase). MAFR steht für Massenfluss f rate des Gases (z. B. in Mol pro Zeit oder Norm-Liter pro Zeit). Diese Einheit muss natürlich auch der Transferterm haben; dann müssen die Gelöstkonzentration an CO2 in der Flüssigphasenbilanz in mol l−1 gerechnet und der Ausbeutekoeffizient YP/XX ebenfalls in mol g−1 eingesetzt werden. Wenn man nun weiter annimmt, dass für einen relativ kurzen Beobachtungszeitraum die Differenziale vernachlässigbar klein sind, also wegfallen, lässt sich die eine resultierende algebraische Gleichung in die andere substituieren, und man erhält ein einfaches Verfahren, die CO2-Produktionsrate der Zellpopulation aus der Abgasanalyse zu bestimmen: ++ ++M
aus aus YP/X⋅μ ⋅x⋅VL = − −MAFRein ⋅y ein +MAFR + ⋅y CO2 CO2
biologische Reaktion
Konvektion über Gasphase
(4.80)
Aus diesem Term „biologische Reaktion“ lässt sich bei Kenntnis des Flüssig volumens leicht die Transferrate und bei weiterer Kenntnis der aktuellen Biomassekonzentration auch die spezifische CO2-Produktionsrate, YP/X . μ = qCO , ermit2 teln. In vielen Fällen sind MAFRein und MAFRaus gleich groß, nämlich dann und nur dann, wenn gleich viele Mol CO2 an die Abluft abgegeben werden wie O2 aus der Frischluft konsumiert. Dann ist auch der sogenannte Respiratorische Quotient, RQ, genau gleich 1,00. Er ist definiert als: RQ =
qCO2 qO2
(4.81)
und trägt definitionsgemäß die Einheit [mol mol−1].
Für die Ermittlung des qO -Wertes gelten na2 türlich die analogen Überlegungen. Sollte aber der RQ einmal nicht gleich 1 sein, dann müssen trotzdem nicht beide Gasströme unabhängig gemessen werden. Es genügt anzunehmen, alle Komponenten des Gasgemisches außer O2 und CO2 seien inert, was für den Spezialfall jeweils zu verifizieren ist. Wenn wir nun O2- und CO2-Gehalte in Frisch- und Abluft kennen, dann ist der jeweilige Inertgasanteil damit eindeutig bestimmt: yinertt = 1 – yO2 – yCO2. Wenn der Reaktor volumenkonstant und druckkonstant betrieben wird, was sehr häufig der Fall ist, dann müssen Inertgasstrom am Eingang und am Ausgang identisch sein, und man kann den Frischluftstrom durch den Abluf tstrom, oder umgekehrt, ausdrücken, z. B.: MAFRaus = MAFRein ⋅
1 − y ein − y ein O2
CO2
1 − y aus − y aus O2
(4.82)
CO2
Die Ermittlung des RQ aus experimentellen Daten ist also eine sehr einfache Rechenübung, die auf jedem Prozessleitsystem integriert sein sollte. Man braucht dafür lediglich die Werte der Abgasanalyse für die O2- und CO2-Gehalte sowie die Kenntnis der Zusammensetzung des Frischgases. In Gleichung (4.83) ist die Inertgasbilanz eingearbeitet; man beachte aber, dass y als Molenbruch (und nicht in Prozent umgerechnet) eingesetzt werden muss. In der Praxis ist sehr peinlich darauf zu achten, dass die Kalibration der Analysatoren sorgfältig und genau erfolgt, weil ansonsten die gemischten Terme in dieser Gleichung zu einer massiven Fehlerfortpflanzung beitragen, insbesondere bei kleinen Gasumsätzen. In solchen Fällen ist man besser beraten, nur eine Abschätzung des RQ-Wertes aus dem Phasendiagramm zu machen. RQ =
aus ein aus ein yCO yCO yOein yCO + yOaus yCO O O O O 2
2
2
2
2
2
a us ein + yOaus yCO yOein yOaus yOein yCO O O 2
2
2
2
2
(4.83)
2
Der aus den Messdaten berechnete RQ wird daher auch als Soft(ware)-Sensor bezeichnet und gibt unmittelbar Aufschluss über den physiologischen Zustand einer Population – und das in Echtzeit und nicht-invasiv! Am Beispiel einer Bäckerhefekultivation sei dies anhand des Phasendiagramms illustriert (Abb. 4.21).
4
4
136
Wie unten näher erläutert, setzt Saccharomyces cerevisiae Glucose bei einem Überangebot von Glucose nicht nur zu Zellmasse, CO2 und H2O um, sondern produziert – trotz reichlich vorhandenem Sauerstoff – auch Ethanol (= „Überlaufprodukt“). Ethanol hat einen deutlich höheren Reduktionsgrad (γ = 6) als Glucose (γ = 4), also muss aufgrund der Redoxbilanz oxidierter Kohlenstoff (in Form von CO2) zum Ausgleich ausgeschleust werden. Folglich muss mehr CO2 produziert als O2 konsumiert werden, der RQ ist somit deutlich größer als 1. Diese Phase des unlimitierten Wachstums auf Glucose ist im Phasendiagramm, das keine zeitliche Information darstellt, als „steil (von rechts unten nach links oben) ansteigende Gerade“ deutlich sichtbar. Wenn dann die Glucosekonzentration limitierend wird, durchläuft die Kultivation eine kurze Übergangsphase, in der die Ethanolproduktion zum Erliegen kommt. Damit reduzieren sich (1) die Stoffwechselaktivität allgemein, was durch sinkende Gasumsätze angezeigt wird, und (2) der Überschuss an CO2-Produktion gegenüber dem O2-Konsum, was durch sinkenden RQ angezeigt wird: Die Messpunkte im Phasendiagramm nähern sich der zweiten Mediane an. Nach dem Totalkonsum der Glucose liegt als Kohlenstoffquelle dann reichlich Ethanol vor. Der hochreduzierte Alkohol kann nun in Gegenwart von Sauerstoff zu Zellmasse, CO2 und H2O umgesetzt werden, wobei weniger CO2 produziert als O2 konsumiert wird; der RQ ist deutlich kleiner als 1. Da dabei die Zellmasse ebenfalls zunimmt steigen die Gasumsätze wieder, und diese Phase ist im Phasendiagramm als „flach ansteigende Gerade“ (mit einigen „Buckeln“, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann) erkennbar. Nach dem Totalkonsum des Alkohols stehen den Zellen als Substrat nur noch intrazellulär abgelegte Kohlenhydratspeicherstoffe zur Verfügung, die aber schnell zur Neige gehen. Im Phasendiagramm sind das die Punkte, die in Form einer Schlaufe zum Ausgangspunkt (kein Gasumsatz) zurückführen. Nun erst macht es Sinn, die Zulaufkultivation zu starten, also Glucosemedium mit einer Flussrate zu dosieren, die gerade keine Überlaufreaktion hervorruft. Diese letzte Phase ist im Phasendiagramm durch eine der zweiten Medi-
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
0, 3. fed-batch-
0,
1. batch-
0, 0, 0, 2. batch-
0, 0,
0,
0,
0,
0,
0,
0,
0,
0,
Abb. 4.21 Darstellung der Gasanteile von O2 und CO2 während einer batch- und anschließenden fedbatch-Kultivation von S. cerevisiae als Phasendiagramm. Durch diese Art der Darstellung geht zwar Zeitinformation verloren, aber die Koppelung (Korrelation) der CO2-Produktion mit dem O2-Konsum wird klar ersichtlich: Die (negative) Steigung der einzelnen Bereiche (die Messdaten sind als Punkte im zeitlichen Abstand von 15 Sekunden dargestellt) entspricht dem RQ-Wert, also einem physiologischen Charakteristikum der Population. Die Wachstumsphase auf Glucose mit gleichzeitiger Ethanolproduktion (1) ist am steilsten, die Wachstumsphase auf Ethanol (2) ist am flachsten und die fed-batch-Phase (3) liegt an der Mediane. Zwei rückläufige Schlaufen stehen für kurze Übergangsphasen und die Pfeile deuten zur leichteren Orientierung die zeitliche Entwicklung an
ane folgende Punkteschar sichtbar: Der RQ ist nahezu 1 (allerdings ist im gezeigten Beispiel die Dosierung bei hoher Zelldichte, und damit bei hohen Gasumsätzen, nicht ganz perfekt). Die (negative) Steigung der die einzelnen Phasen charakterisierenden Geraden entspricht wegen Gleichung (4.83) dem RQ-Wert: Bei 1 ist der Wert sogar genau abgebildet, bei Abweichungen von 1 wird der Fehler wegen der Vernachlässigung der Inertgasbilanz (Gleichung (4.82) und gemischte Terme in Gleichung (4.83)) immer größer, aber die Größenordnung stimmt sehr gut. Produkte eines sogenannten Überlaufmetabolismus sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bei kleinen spezifischen Substrataufnahmeraten gar nicht und bei überkritischen Werten dafür vermehrt gebildet werden. Die Paradebeispiele sind Ethanolproduktion durch eine Glucose-
137
4.8 Erweiterungen und Modifikat fi ionen des Monod-Modells
sensitive Hefe wie Saccharomyces cerevisiae oder die Acetatproduktion von Escherichia coli bei hohem Glucoseangebot und folglich bei hoher Glucosekonsumrate. Modelltechnisch kann man die Kinetik der Überlaufproduktbildung so formulieren: Bei niedrigem (unterkritischem) Glucoseangebot verstoffwechseln die Zellen die Glucose nach einem rein respirativen Schema, das wegen der hohen Energieausbeute der oxidativen Phosphorylierung effizient und für die Zellen „attraktiv“ ist: a Glucose b O2 c NH H3
X d CO2 e H2 O
(4.84) Wird nun aber so viel Glucose angeboten, dass die intrazelluläre Kapazität für diesen Stoffwechsel ausgeschöpft wird, dann schalten die Hefezellen einen weniger effizienten Stoffwechsel zu, um das „Überangebot“ an Glucose bewältigen zu können: g Glucose f NH H3
X g CO2 h H2 O i C2 H5 OH
(4.85) Dieser Stoffwechsel ist rein reduktiver Natur, und die darin verfügbare Substratkettenphosphorylierung ist weit weniger energieeffizient – Reduktionsäquivalente, die nicht mit O2 „verbrannt“ werden können, müssen auf einen organischen Akzeptor überwälzt werden. Daher, und weil Kohlenstoff nicht neu geschaffen werden kann, muss auch der Biomasseausbeutekoeffizient deutlich kleiner sein; dafür hat der Produktausbeutekoeffizient jetzt einen endlich positiven Wert. Für beide „reine“ Stoffwechsel sind auch all diese Koeffizienten konstant, aber für den Misch-Stoffwechsel – beide sind zugleich operativ – müssen die beobachtbaren Ausbeutekoeffizienten variabel sein und, je nach Anteil oder Verhältnis der einzelnen reinen Stoffwechsel am Gesamtstoffwechsel, zwischen den durch die reinen Stoffwechsel charakterisierten Grenzwerten liegen: j Glucose k O2 l NH H3 n H2 O o C2 H5 OH
X m CO2
(4.86)
Das Schema hierfür ist schon in Abbildung 4.3 gezeigt, für weitere Details wird der interessierte Leser auf Originalliteratur verwiesen (Sonnleitner und Käppeli 1986).
4.8.2 Erhaltungsstoffwechsel Experimentell wurden in kontinuierlichen und in Zulaufkulturen für verschiedenste Zelltypen Verhalten beobachtet, die mit dem bisher gebrauchten Modell von Monod nicht erklärbar sind. Beispielsweise nimmt der beobachtbare Biomasseausbeutekoeffizient mit sinkender spezifischer Wachstumsgeschwindigkeit ebenfalls ab. Dieser Trend, der in Satzkulturen nicht beobachtet werden kann, weil die Zellen ja fast immer maximal schnell wachsen, lässt sich durch die Konzepte des „endogenen Metabolismus“ oder des „Erhaltungsstoffwechsels“ beschreiben. Leider war in der Vergangenheit deren Formulierung oft unsauber und inkonsistent. Dies wird am Beispiel des Erhaltungsstoffwechsels deutlich sichtbar: Das Konzept geht davon aus, dass Zellen die zur Verfügung stehenden Rohstoffe und Energie nicht nur für Wachstum einsetzen, sondern einen – in erster Näherung – konstanten Teil davon auch für andere „Tätigkeiten“ aufwenden. Das kann die (Eigen-)Bewegung der Zellen oder die Aufrechterhaltung eines Konzentrationsgradienten, die Reparatur von geschädigter DNA oder falsch gefalteten Proteinen umfassen. Dann bleibt entsprechend weniger Substrat fürs Wachsen übrig. Damit kommt man mit der bisher verfolgten Praxis, die spezifische Wachstumsgeschwindigkeit als Funktion der Substratkonzentration zu formulieren, in folgenden Teufelskreis: Nur wenn die Substratkonzentration gegen null strebt, kommt auch das Wachstum zum Stillstand, aber dann müsste immer noch der wachstumsunabhängige Erhaltungsstoffwechsel gedeckt werden, und zwar mit Substrat, das gar nicht vorhanden ist – ein perpetuum mobile? Wenn man aber den Ursache-Wirkungs-Mechanismus „sauber“ formuliert s qS = qS ,max (4.87) s + Ks (Gleichung (4.87) beschreibt nun die „Ursache“ des Stoffwechsels), einen Teil von diesem Substratstrom, nämlich mS, für den wachstumsunabhängigen Erhaltungsstoffwechsel „reserviert“ und den Rest fürs Wachsen zur Verfügung stellt:
(
)
* = qS mS YX/S ,
(4.88)
4
4
138
so erhält man die plausible und physikalisch vertretbare Vorhersage, dass der Erhaltungsstoffwechsel bei äußerst geringen Substratkonzentrationen nur zu Lasten der Zellmasse gedeckt werden kann. Wenn nun wegen s → 0 auch * , und das qS → 0 geht, dann strebt μ → mS ⋅ YX/S ist negativ, weil in dieser „sauberen“ Schreibweise sowohl qS als auch mS als Senken negative Zahlenwerte tragen. Dieses „negative Wachstum“ wird auch als „endogener Metabolismus“ * wird als „wahrer Ausbeutebezeichnet. YX/S koeffizient“ bezeichnet und kann nicht direkt gemessen werden. Er wird üblicherweise durch lineare Regression und Extrapolation ermittelt: Die Auftragung von qS im x-D-Diagramm ergibt nach dieser Modellerweiterung eine Gerade mit * und dem Achsenabschnitt dem Anstieg − YX/S mS (Abb. 4.22). Der beobachtbare, d. h. direkt messbare Ausbeutekoeffizient Δx YX/S = Δ s entspricht hingegen dem reziproken Anstieg des Nullpunktvektors zum aktuellen qS im x-D-Diagramm.
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
4.8.3 Alternative Formulierungen Es wurden weitere mathematische Formulierungen für die Beschreibung spezifischer Geschwindigkeiten, in der Folge nur als q bezeichnet und nach Belieben entweder „ klassisch unsauber“ als μ oder „sauber“ als qS zu interpretieren, von der Substrat- oder Biomassekonzentration vorgeschlagen, z. B. B s; s A q = nach Blackman: (4.89) qmax 1; s A
nach Moser:
q qmax
nach Contois:
nach Teissier:
=
q qmax
q qmax
sn s +K
(4.90)
n
=
s s+ K x
= 1 e
(4.91)
s K
(4.92)
nach Kargi & Shuler: q d m n q qmax q qmax = K ds qmax qmax
nach der logistischen Formel:
Abb. 4.22 x-D-Diagramm unter Berücksichtigung von signifikantem Erhaltungsstoffwechsel (maintenance). Neben x, x s und Produktivität ist auch die spezifische Substratverbrauchsrate, qS (ist negativ, weil Senke), eingetragen. Ihr Wert ist bei D = 0 selbst endlich groß, nämlich mS (Ordinatenabschnitt, durch Extrapolation zu ermitteln, da D = 0 experimentell nicht realisierbar ist). Das verbrauchte Substrat wird nicht in Wachstum, d. h. Zellmasse, umgesetzt, daher bricht die Kurve x(D) bei kleinen D-Werten ein. Für dieses Beispiel wurden folgende Parameter verwendet: Ks = 0,1 g l−1, Y = 0,5 g g−1, qS,max = −2,0 g l−1 h−1, mS = −0,5 g l−1 h−1, sein = 10 g l−1
(4.93)
q x = 1 qmax xmax (4.94)
Die letzte Gleichung geht davon aus, dass (irgendwelche) Ressourcen so b eschränkt sind, dass im besten Fall eine maximale Biomassekonzentration xmaxx erreicht werden kann. Alle diese Varianten bringen nichts Substanzielles, außer allenfalls die Vermehrung der Anzahl an Modellparametern und dadurch eine vielleicht bessere Anpassung. Bessere Anpassung an experimentelle Daten sagt jedoch nichts üb er die mechanistische Gültigkeit des Modells aus! Einzig das Blackman-Modell besticht durch seine Linearität (d. h. es ist einfacher zu rechnen). Sind mehrere Substrate simultan wachstumslimitierend, so kann einer dieser Ansätze verwendet werden: s1 s2 s3 q = qmax s1 + K1 s2 + K 2 s3 + K 3
(4.95)
4.8 Erweiterungen und Modifikat fi ionen des Monod-Modells
oder q qmax
q s s2 s3 1 = MIN , , , ... (4.96) s1 + K1 s2 + K 2 s3 + K3
Da dies aber die spezifische Geschwindigkeit übermäßig reduzieren könnte, was vor allem in sehr verdünnten Medien nicht den Erfahrungen entspricht, wurde von Mankad und Bungay (1988) eine möglicherweise praxisnähere, gewichtete Formulierung präsentiert: s1 q = qmax s 1+ K1
s1 K1
+
sj
K j
s2 s 2+ K 2
s2 K2
K j
j
+ ... (4.97)
sj j
4.8.4 Inhibition Wird das Wachstum oder die Produktbildung durch Akkumulation eines giftigen Produktes, z. B. eines Toxins, verlangsamt, dann ist die spezifische Geschwindigkeit – unter anderen – durch folgenden Ansatz beschreibbar: q (4.98) = f (s) 1 b ct qmax
(
)
Hier ist die Annahme getroffen, die Konzentration der toxischen Komponente, ct, verringere die spezifische Geschwindigkeit linear. b ist ein empirisch zu bestimmender Modellparameter, wobei das Wachstum (oder die Produktbildung) zum Stillstand kommt, wenn b = 1/ct = 1/ct,max ist. Bei höheren Toxinkonzentrationen wäre allerdings nach dieser Formulierung sogar „negatives Wachstum“, also Absterben die Folge – ein allenfalls durchaus plausibler Ansatz. Will man die Formulierung des Absterbens vermeiden, so ist folgender Ansatz mit der einschränkenden Maximum-Funktion (MAX) dienlich: q q max
c = f (s) MAX 0,1 t ct,max
(4.99a)
Zusätzlich kann eine Schwellenkonzentration, cS, eingeführt werden, unterhalb derer der Inhibitionseinfluss vernachlässigbar ist:
q max
139
c c S = f (s) MAX 0,1 MAX 0, t ct,max
(4.99b) Nicht alle Substanzen sind aber toxisch; somit ist die Formulierung eines negativen oder Nullwachstums nicht immer sinnvoll. Geeignet sind dann Ansätze, die das Nullwachstum hyperbolisch annähern. Für den Fall der Substratinhibierung schlug z. B. Andrews bereits 1968 vor: q s = (4.100) qmax s2 Ks + s + Ki Ki ist ein Parameter, der die Inhibitionsstärke ausdrückt. Diese Formulierung entspricht formal einer „kompetitiven“ Hemmung, denn der KsWert wurde „variabel gemacht“. Liegt Produktinhibierung vor, wie im Beispiel der AlkoholProduktion, dann kann nach Aiba et al. (1968) auch folgende Formulierung hilfreich sein: Ki q s = qmax s + K s p + Ki
(4.101)
Diese Formulierung entspricht formal einer „nicht-kompetitiven“ Hemmung. Abbildung 4.23 vergleicht einige der besprochenen Inhibitionsansätze. All diese Ansätze sind seit Langem bekannte Formalismen und plausible Analogien, die jedoch einer kausalanalytischen Prüfung nicht standhalten würden. Dazu braucht es systembiologische Ansätze, die alle relevanten (intrazellulären) metabolischen Reaktionen im regulatorischen Kontext einzeln beschreiben; siehe z. B. Villadsen und Reuss (2003).
4.8.5 Effekte von Temperatur und pH Für das ausgewogene Wachstum ist vor allem ein Parameter, nämlich die maximale spezifische Wachstumsgeschwindigkeit, μmax, zur Charakterisierung der Wachstumskinetik einer Population meist sehr aussagekräftig. Deswegen wird μmax auch häufig dazu benutzt, den Einfluss der Umgebung der Zelle auf deren Leistung zu beschreiben.
4
4
140
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
• Einfluss der Temperatur: Der Temperaturbereich, in dem Leben möglich ist, wird allgemein mit −5 °C bis zum Siedepunkt des Lösungsmittels (Wasser) angegeben. Heute sind Archaeen bekannt, die noch bei 115 °C (natürlich unter erhöhtem Druck) wachsen. Prokaryoten werden gemäß dem Temperaturbereich, in dem sie wachsen, klassifiziert (Tabelle 4.3). Unterhalb des Minimums und oberhalb des Maximums kann die jeweilige Population nicht wachsen. Abbildung 4.24 demonstriert den starken Einfluss der Temperatur auf die Verdopplungszeit (links oben) und die Wachstumsgeschwindigkeit (rechts oben und unten „Arrhenius-Darstellung“; das Arrhenius-Modell taugt aber nur im Bereich suboptimaler Temperaturen). Die Ähnlichkeit in der Temperaturabhängigkeit zwischen Wachstumsgeschwindigkeit und Enzymaktivität ist nicht zu übersehen. Wird die Temperatur überschritten, bei der ein essenzielles Protein denaturiert, kann eine Zelle nicht mehr lebensfähig sein (außer sie hat vorher rechtzeitig sporuliert; dann ist die Maximaltemperatur durch die Denaturierung z. B. der in der Spore durch geringe Wasseraktivität geschützten Makromoleküle festgelegt). Dies konnte tatsächlich gezeigt werden, indem etwa durch Mutation eines einzelnen Gens die Temperaturtoleranz eines Mikroorganismus (beträchtlich) erweitert wurde.
Abb. 4.23 Vergleich von Ansätzen zur Beschreibung der Inhibition: Produktinhibition nach Gleichung (4.101) im oberen Teilbild und nach Gleichung (4.99b) im mittleren Teilbild, mit einem Schwellenwert bei cS = 5 g l−1 (keinerlei Inhibition bis cS); in der zweiten Dimension ist jeweils die Substratlimitation dargestellt; zwecks besserer Deutlichkeit sind die Isolinien in der s-Achse zwischen 0 und 2 g l−1 zehnmal dichter gezeichnet. Unten ist Substratinhibition gezeigt: Die Versionen nach den Gleichungen (4.47) (schwarz) und (4.100) (rot) unterscheiden sich nur unwesentlich. Eine experimentelle Diskriminierbarkeit ist aus Genauigkeits- und Reproduzierbarkeitsüberlegungen somit nicht zu erwarten
• Einfluss des pH: Proteine sind geladene Makromoleküle. Daher müssen Konf iguration und folglich Aktivität von Proteinen pH-abhängig sein, daher auch die zellulären Transportvorgänge und biochemischen Reaktionen innerhalb von Zellen. Entsprechend ist eine ausgeprägte pH-Abhängigkeit der Wachstumsgeschwindigkeit zu erwarten. Die Wachstumsgeschwindigkeit hat bei vielen Mikroben ihr Maximum bei einem pH von 6,5 bis 7,5 (Abb. 4.25). Eine Ausnahme bilden die acidophilen Bakterien, die bei einem pH von 2 oder noch tiefer wachsen. Hefen und fadenförmige Pilze haben einen (sehr) breiten Wachstumsbereich mit einem pH von < 3 bis > 7, wobei die Optima für viele Hefen bei pH 4 bis 5 und für fadenförmige Pilze bei pH 5 bis 7 liegen. Animale Zellen hingegen tolerieren lediglich einen sehr engen (neutralen) pH-Bereich. Al-
141
4.8 Erweiterungen und Modifikat fi ionen des Monod-Modells
Tabelle 4.3 Stark schematisierte Klassifizierung von Prokaryoten nach dem Temperaturbereich, in dem sie wachsen Gruppe
Temperatur [°C] Minimum
Optimum
Maximum
Hyperthermophile
> 60
> 80
bis 115
Thermophile
40 bis 55
55 bis 75
60 bis 85
Mesophile
0 bis 20
30 bis 45
30 bis 50
Psychrophile
–5 bis 5
5 bis 18
< 22
Abb. 4.24 Links oben: Generationszeit als Funktion der Temperatur für E. col i; die spezifische Wachstumsgeschwindigkeit nimmt mit der Temperatur zu. Oberhalb einer kritischen, der „maximalen“ Temperatur können die Zellen nicht mehr proliferieren. Rechts oben und unten: Arrhenius-Darstellung für E. coli (nach Stanier et al. 1970). Bei supraoptimalen Temperaturen gilt die Abhängigkeit nach Arrhenius nicht mehr, wie das Beispiel von Thermoanaerobium brockii zeigt (unten nach Sonnleitner et al. 1984)
kalophile Bakterien, die bis pH 10,5 zu wachsen vermögen, sind bekannt.
4.8.6 Wachstum filamentöser Organismen Bei fadenförmigen Pilzen oder anderen filamentösen Organismen, bei denen die Morphologie sich mit fortschreitendem Wachstum ändert, ist
die detaillierte Beschreibung der Wachstumskinetik sehr komplex (z. B. Park et al. 2002; Wojnowska-Boudier 2005). Allerdings wurde stark vereinfachend und daher auch sehr summarisch beobachtet, dass die Biomassezunahme dort nicht exponentiell, sondern etwa proportional t3 erfolgt. Derartige Wachstumsmuster können sich auf zweierlei Weise äußern. Zum einen kann die Längenwachstumsgeschwindig keit konstant sein, im anderen Fall wächst der Radius der sogenannten Pellets (kugelförmige Zusammen-
4
4
142
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Die Integration von Gleichung (4.105) unter Benutzung einer initialen Biomasse M0 erg ibt (1 3) t M = M0 + 3
Abb. 4.25 Oben: Spezifische Wachstumsgeschwindigkeit eines Streptococcus-Stamms in Abhängigkeit vom pH (nach Rehor 1999). Unten: Generationszeit als Funktion des pH-Wertes für E. coli. Parameter ist die Temperatur (27 °C (rot) und 37 °C (schwarz); nach Norris und Ribbons 1970)
ballung der filamentösen Organismen) mit konstanter Geschwindigkeit. Dann kann man mit guter Näherung auf ein sphärisches Pellet extrapolieren, das submers wächst (nicht auf Trägern) und nimmt an, dass dR = k = konstant dt
4 R3 3
(4.103)
ergibt sich daraus weiter dM dR = 4 R 2 = k 4 R 2 dt dt
(4.104)
Darin lässt sich R eliminieren, und man erhält dM (2 3 = M ) dt
(4.105)
mit
(
= k 36
)(
13)
(4.107)
Da M0 im Vergleich zu M gewöhnlich relativ klein ist, lässt sich aus Gleichung (4.107) unmittelbar ableiten, dass M proportional zu t3 ist. Eine vollständige Analyse des Wachstums f ilamentöser Organismen sollte auch die Kinetik d er Pelletbildung b erücksichtigen. Bisherige Untersuchungen zeigten, dass viele Eigenschaf ten der Organismen und ihrer Wachstumsumgebung miteinander interagieren und dadurch die Pelletformation beeinflussen. Da die Mechanismen kompliziert sind (Pons und Vivier 1999), wurde bis heute kein generell gültiges kinetisches Modell für die Pelletbildung entwickelt. Wenn man das Wachstum b ereits existierender Pellets b etrachtet, muss das ob en aufgezeigte Modell als eine grob e Näherung der Realität angesehen werden. Größe, Morphol ogie und innere Struktur des Pellets – von denen angenommen wird, dass alle drei die Pelletkinetik beeinflussen – werden durch Größen wie Rührintensität, Pelletkonzentration oder Zusammensetzung des Mediums bestimmt. Weitere Überlegungen zur Wachstumskinetik von Pellets und mikrobiellen Fil men f inde n sich z. B. bei Atkinson und Fowl er (1974) und Atkinson und Daoud (1976).
(4.102)
wobei R der Pelletradius ist. Da für die Biomasse M gilt M=
3
(4.106)
4.9 Methoden der Medienentwicklung In diesem Zusammenhang wird das Schlag wort Optimieren oft leichtfertig verwendet. Jede Optimierung verlangt, dass ein Optimierungsk riterium, die Zielfunktion, exakt definiert ist, und zwar qualitativ wie quantitativ. Diese Bedingung ist oft nicht erfüllt, oder sie kann wegen Kenntnislücken nicht erfüllt werden. In jedem Fall sind wir auf effiziente Methoden angewiesen, um das Ziel zu approximieren. Es gibt daf ür strategische und mehr oder weniger empirische Wege, die alle ihre Berechtigung haben. Einige werden in der Folge einander gegenübergestellt.
143
4.9 Methoden der Medienentwicklung
4.9.1 Medienentwicklung – ein Analogieschluss
4.9.2 Medienentwicklung im Satzbetrieb (Integralmethodik)
Organismen müssen zumindest die Elemente im Medium vorfinden, die sie zum Aufbau ihrer Biomasse und ihrer Produkte benötigen; entsprechend sind auch die Mengen der einzelnen Bestandteile vorgegeben (Tabelle 4.4). Diese Folgerung ist schlüssig und führt bei prototrophen Organismen auch meistens geradlinig zum Ziel. Als Grundlage für die Berechnung genügen die Elementarzusammensetzungen der Biomasse, der Produkte, der qualitativ ausgewählten Medienbestandteile und die einzelnen Ausbeutekoeffizienten. Entsprechende Daten finden sich in der Literatur (z. B. Atkinson und Mavituna 1983). Bei Verwendung von Leitungswasser können die Spurenelemente normalerweise vernachlässigt werden; nur die Gehalte an Mg2+, Ca2+ und Zn2+ variieren meist (örtlich) so stark, dass eine Wasseranalyse vorgenommen werden sollte. Mit dieser Analogieschlussmethode werden brauchbare Medien sehr schnell entworfen, wenn die Ansprüche des Organismus nicht hoch sind. Die Methodik hat den Nachteil, dass sie keinerlei Hinweise auf Art und Menge von Wuchsstoffen geben kann, da diese in kleinen Mengen benötigt und daher mit den üblichen Bilanzierungstechniken nicht erfasst werden. Wenn technische Kohlenstoff- und Stickstoffquellen verwendet werden sollen, stört dieser Nachteil nicht, denn Wuchsstoffe finden sich darin meistens ohnehin ausreichend.
Eine Alternative, die ein gezieltes Vorgehen erlaubt, basiert auf dem Vergleich vieler Einzelexperimente. Verschiedene Satzkulturen auf qualitativ und quantitativ unterschiedlichen Medien werden dabei auf die erreichbare Endausbeute untersucht. Übergangszustände und Geschwindigkeiten werden nicht erfasst (daher auch: „integrale“ Methode). Die Experimente können eindimensional (pro Serie wird die Konzentration einer einzigen Substanz verändert) oder nach einem Faktoriellenplan (mehrere Substanzen werden als Variable festgelegt und ihre Konzentrationen gegenüber einem Bezugswert nach oben und unten variiert) ausgelegt werden. Alternativ können reine Suchalgorithmen (z. B. Simplex) oder genetische Algorithmen verwendet werden. Bei geschickter Abstufung der Konzentrationen einzelner Substanzen in einer Serie lassen sich die limitierende Konzentration und der Ausbeutekoeffizient leicht ermitteln. Üblicherweise sind bei dieser Methodik sehr viele Experimente erforderlich, was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss. Wenn die nötige Infrastruktur vorhanden ist, führt diese Methode sicher zum Ziel; sie wird daher auch in der Industrie häuf ig eingesetzt. Viele Industrieprozesse sind ohnehin Spontanprozesse, folglich sind keine grundsätzlich unterschiedlichen Medieneffekte während der Maßstabsvergrößerung zu erwarten (außer
Tabelle 4.4 Teilübersicht über die elementare Zusammensetzung von Mikroorganismen Komponente
% (w/w) der Trockensubstanz Bakterien
Hefen
Pilze
Kohlenstoff
46–52
46–52
45–55
Stickstoff
10–14
6–9
4–7
Phosphor
2–4
0,8–2,6
0,4–4,5
Schwefel
0,2–1,0
0,01–0,25
0,1–0,5
Magnesium
0,1–0,5
0,1–0,5
0,1–0,3
Natrium
0,5–1,0
0,01–0,1
0,02–0,5
Calcium
0,01–1,1
0,1–0,3
0,1–1,4
Eisen
0,02–0,2
0,01–0,5
0,1–0,2
Mangan
0,001–0,01
0,0005–0,007
–
Molybdän
–
0,0001–0,0005
–
4
4
144
der Sprung ist zu groß, weil die Experimente in Mikrotiter- oder deep-well-Platten durchgeführt werden).
4.9.3 Medienentwicklung im Chemostat (Differenzial- und Integralmethodik) Die Zielfunktion einer Optimierung kann auch differenzielle Größen enthalten, wie die Geschwindigkeiten von Wachstum, Produktbildung oder regulatorischen Übergängen. Daher muss
Abb. 4.26 Modularisiertes Schema für die Verkoppelung von Puls- und shiftTechnik zur Medienentwicklung im Chemostaten
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
die Entwicklungsmethode zulassen, die zeitlichen Änderungen von Konzentrationen oder (Enzym-) Aktivitäten zu bestimmen und daraus Geschwindigkeiten zu ermitteln. Der klassische Ansatz wäre die Satzkultur, aus der in diskreten Zeitabständen Proben entnommen und analysiert werden. Nach numerischer Differenziation erhält man die differenziellen Größen. Eine leistungsfähige Variante besteht im Gegensatz zum Spontanprozess in der gezielten Störungg einer im Fließgleichgewicht befindlichen kontinuierlich geführten Kultur. Die transienten experimentellen Methoden (Abschnitt 4.5.2) ermöglichen eine sehr effiziente und obendrein präzise Art, Medien maßzuschneidern.
145
4.10 Populationsdynamik in Konkurrenzsituationen
Erst die Verkoppelung der Puls- und shiftMethoden, wie sie in Abbildung 4.26 skizziert ist, führt zum Erfolg der Medienentwicklung. Prinzipiell lässt sich diese Vorgehensweise auch automatisieren. Allerdings gibt es bis heute erst Prototypen (Komenda 2002); die Gründe sind offensichtlich, aber keineswegs prohibitiv: Das Personal muss die Chemostattechnik einwandfrei beherrschen, die Ausrüstung muss verfügbar sein und einem mehr als nur minimalem Qualitätsstandard entsprechen. Die relevanten Zustandsvariablen müssen on-line – direkt oder indirekt – mit genügend großem Signal/RauschVerhältnis messbar sein und in einem Prozessrechner on-line und fast in Echtzeit ausgewertet werden. Der Bedarf an Zeit und Verbrauchsmaterial kann somit minimiert werden. Trotz der enormen Kapazität und Effizienz, die diese Methode verspricht, darf nicht übersehen werden, dass biologische Kenntnisse und Erfahrung nicht ersetzt werden können. Die geschickte Auswahl der zu pulsenden Substanzen kann ein Roboter (heute noch) nicht treffen. Darin liegt zurzeit noch die Kunst des Experimentators und die Gunst des Zufalls. Wenn das limitierende Substrat unter einfachen Substanzen zu suchen ist, wie unter den Salzen, Spurenelementen, Aminosäuren oder Vitaminen, dann ist die Anzahl der verschiedenen Substanzen eng begrenzt (50 bis 70); durch orientierendes Pulsen von Gemischen von Substanzgruppen kann die Prozedur effizient abgekürzt werden. Zeitraubender wird die Methode dann, wenn nur indifferente oder sehr schwach positive Antworten des biologischen Systems gemessen werden. Eine reine Integralmethode, die auf paralleles Arbeiten abgestimmt ist, kann in diesen Fällen zeitgünstiger sein. Die Entscheidung zu ungunsten der Puls-shift-Methode ist rein subjektiv und nicht vorher abzusehen.
4.10 Populationsdynamik in Konkurrenzsituationen
meverhalten der konkurrierenden Organismen bekannt ist – in der Praxis oft aber die Ausnahme. Am Beispiel einer einfachen Monod-Kinetik werden die grundsätzlichen Möglichkeiten deutlich; die Indizes 1 und 2 bezeichnen die zwei verschiedenen Organismen: 1. μmax,1 ≤ μmax,2 UND Ks,1 ≥ Ks,2 In jedem Fall hat der Organismus „2“ Vorteile, wenn wenigstens eine Ungleichheit besteht: Er kann entweder schneller wachsen als „1“ oder hat höhere Affinität zum Substrat als „1“. Daher wird Typ „2“ den Typ „1“ immer überwachsen. Wie schnell, das sagen die Gleichungen unten (4.108 bis 4.110). 2. μmax,1 ≤ μmax,2 ABER Ks,1 ≤ Ks,2 Wenn zumindest eine Ungleichheit besteht, hat der Organismus „2“ bei hohen Substratkonzentrationen zweifelsohne Vorteile gegenüber „1“, weil er viel schneller wachsen kann als „1“. Bei niedrigen Substratkonzentrationen wächst aber „1“ schneller als „2“, weil er die höhere Affinität zum Substrat zeigt als „2“ (kleineres Ks). Dann bezeichnet man Typ „2“ auch als „r-Stratege“, weil er sich nur aufgrund seines höheren Wachstumspotenzials (r von engl. rate) durchzusetzen vermag, und Typ „1“ auch als „K-Stratege“ (K vom KsWert), weil er sich aufgrund seiner Schnelligkeit bei wenig Substrat durchsetzt. Im Schnittpunkt beider Funktionen μ(s) ist der (nur theoretisch) stabile Zustand gegeben, in dem beide Typen koexistieren können (Abb. 4.27). In der Praxis sind aber solche Zustände regeltechnisch kaum zu realisieren und daher als labil zu bezeichnen: Bei einer differenziell kleinen Abweichung vom Koexistenzpunkt wird immer einer der Organismen überlegen sein und beginnt, den jeweils anderen zu verdrängen. Wie schnell das Überwachsen eines Organismus durch den anderen abläuft (z. B. Abb. 4.28), bestimmen die kombinierten Bilanzgleichungen, die nun für zwei Organismen und ein Substrat aufzustellen sind:
(
d V x1 dt
Die Antwort auf die Frage der Dominanz des einen oder anderen Organismus lässt sich immer dann leicht geben, wenn das Substrataufnah-
(
d V x2
dt
)=F
ein
)=F
ein
x1,ein Faus x1 + V rX ,1
(4.108)
x2,ein Faus x2 + V rX ,2 (4.109)
4
4
146
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
idealen kontinuierlich betriebenen Rührkesselreaktor: U kRK = sein (4.112) rrS Im Rohrreaktor, der zwar selten gezielt für Bioprozesse zum Einsatz kommt – aber ein schmales und langes Klärbecken kommt dem schon recht nahe –, ist die Lösung wegen der örtlichen Konzentrationsgradienten und der resultierenden Ortsabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit hingegen eine integrale Größe: Abb. 4.27 Abhängigkeit der spezifischen Wachstumsraten, μ, zweier verschiedener Organismen von der Substratkonzentration s. Die Unterschiede sind: μmax,1 < μmax,2 UND Ks,1 < Ks,2 Daher müssen sich beide Kurven schneiden. Der Schnittpunkt entspricht der Koexistenzbedingung und ist nur von theoretischer Relevanz. Organismus „2“ wird auch als „r-Stratege“ (r) bezeichnet, Organismus „1“ als „KStratege“ (K). Für dieses Beispiel gilt: μmax,2 K = 1,2; S,2 = 5 μmax,1 KS,1
(
d V s dt
)=F
ein
sein Faus s + V rS
(4.110)
wobei rS negativ und auf den Verbrauch durch „1“ UND „2“ zurückzuführen ist, also: rS = rS,1 + rS,2.
4.11 Umsatz in autokatalytischen Reaktionen Der vollständige Umsatz eines Ausgangsmaterials ist im kontinuierlichen Prozess unrealistisch, etwa die vollständige Klärung eines Abwassers, weil für das Erreichen von s = 0 die Verdünnungsrate D = 0 oder die mittlere Verweilzeit unendlich lange sein müsste. Mit der Definition U=
sein s sein
(4.111)
für den Substratumsatz (U) U ergibt sich aus der Substratbilanz im Fließgleichgewicht folgender Zusammenhang zwischen gewünschtem Umsatz und dazu b enötigter Verweilzeit, τkRK, im
z= L
kRR = sein
dU rrS z =0
(4.113)
Die Ortskoordinate, z, läuft dabei vom Eingang, z = 0, bis zum Ausgang, z = L. Formal die identische Lösung ergibt sich für die nötige Reaktionszeit tR ( anstelle von τkRR) im idealen batch-Rührkesselreaktor; sein ist durch die anfängliche Substratkonzentration s0 zu ersetzen und integriert wird von Anfang s- bis Endzeit. Mit einem entsprechenden kinetischen Modell lässt sich diese Gleichung explizit ausschreiben und macht die Einflüsse von betrieblichen und Organismen-typischen Größen auf die benötigte Verweilzeit in Abhängigkeit vom gewünschten Umsatz deutlich; hier für die Verwendung des „sauber formulierten“ Monod-Modells: K sein 1 U + s sein sein = rS qS , max 1 U xein + U sein Y YX/S
(
)(
)
(4.114)
Aus der grafischen Darstellung dieses Terms gegen das Umsatzziel geht klar hervor (Abb. 4.29), dass schon einstufig betriebene Rührkesselreaktoren sehr hohe Umsätze bei kleiner Verweilzeit (entsprechend kleinem Volumen) erlaub en, sofern der Organismus richtig gewählt ist. Bei kleineren Umsätzen sind vor allem die Kenngrößen maximale Umsatzgeschwindigkeit und Ausbeute maßgeblich; diese Parameter können recht einfach bestimmt werden. Bei sehr hohen Umsätzen wird die Affinität des Organismus zum limitierenden Substrat ausschlaggebend; zu diesem Organismen-typischen Parameter gibt es wenig präzise Daten (Owens und Le-
4.11 Umsatz in autokatalytischen Reaktionen
147
Abb. 4.28 Entwicklung einer Mischpopulation bestehend aus je einem r- und K-Strategen. Bei anfänglich sehr unparitätischer Zusammensetzung (z. B. bei einer Kontamination zu Anfang der Satzkultur) wird bei kleinen Werten der Verdünnungsrate der K-Stratege angereichert, nach Anheben der Verdünnungsrate über den entsprechenden Wert des Koexistenzpunktes (hier D = 0,45 h−1) wird hingegen der r-Stratege angereichert. Im untersten Teilbild ist nur die anfängliche Satzkultur vergrößert dargestellt: Die Kontamination beträgt zwar nur gerade 10−5 von der Zielpopulation, würde aber selbst im batch dominieren, falls er länger dauern würde, denn diese Kontamination ist ein r-Stratege. Danach wird eine Verdünnungsrate (oberstes Teilbild) eingestellt, die klar den K-Strategen bevorzugt, und die Kontamination nimmt tatsächlich ab – nicht zu erkennen in der linearen Darstellung, aber deutlich in der halblogarithmischen (mittleres Teilbild). Erst nach Anhebung der Verdünnungsrate über den Koexistenzpunkt kann sich die Kontamination durchsetzen etc. Dieses Beispiel zeigt auch, dass über Hunderte von mittleren Verweilzeiten ein kontaminiertes System nicht axenisch werden kann/muss. Parameter der Simulation: K-Stratege: Ks = 0,02 g l−1, μmax = 0,5 h−1, Y = 0,5 g g−1, x(t=0) = 0,1 g l−1; rStratege: Ks = 0,1 g l−1, μmax = 0,7 h−1, Y = 0,5 g g−1, x(t=0) = 10−6 g l−1
4
4
148
4 Wachstum: Kinetik und Prozessführung
Literatur
Abb. 4.29 Einfluss des gewünschten Umsatzes (U, Abszissen) einer Bioreaktion auf die benötigte mittlere Verweilzeit (Flächeninhalte je nach Reaktortyp: Für den kontinuierlichen Rührkesselreaktor (kRK) ist es die Rechteckfläche vom Koordinatenursprung zum Zielpunkt auf der Kurve. Für den kontinuierlichen Rohrreaktor (kRR) ist es die Fläche unter der gesamten Kurve zwischen U = 0 und dem gewünschten Umsatz; das gilt formal auch für die nötige Reaktionszeit im batch-Reaktor). In den Teilbildern wird die Abhängigkeit von einzelnen kinetischen Leistungsmerkmalen gezeigt. Allgemeine Simulationsparameter: qS,max = −1,0 g g−1 h−1, YX/S = 0,5 g g−1, Ks = 0,1 g l−1, xein = 0 g l−1, sein = 50 g l−1. In den Teilbildern (A–D) wurden folgende Parameter variiert: (A) maximale spezifische Substrataufnahmegeschwindigkeit (qS,max): a: −0,5 g g−1 h−1; b: −1,0 g g−1 h−1; c: −2,0 g g−1 h−1 (B) Sättigungsparameter (K Ks steigt mit sinkender Affinität zum Substrat): a: 0,5 g l−1; b: 0,3 g l−1; c: 0,1 g l−1 (C) Ausbeutekoeffizient (Y YX/S): a: 0,3 g g−1; b: 0,5 g g−1; c: 0,7 g g−1 (D) Eingangszellkonzentration (x (xein): a: 0 g l−1; b: 1 g l−1; c: 5 g l−1
gan 1987). Je nach Prozessziel (entweder hohe Produktivität oder bestmögliche Substratumsetzung) sind also bei der Wahl oder der Verbesserung des biologischen Systems verschiedene kinetische Leistungsmerkmale entscheidend. Dagegen sind die Einflussmöglichkeiten über die betrieblichen Parameter gering. Selbst eine massive Zellrückführung bringt nur eine bescheidene Steigerung des Umsatzes, sehr wohl aber eine beträchtliche Steigerung der Produktivität.
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4
5
Rheologie von Biosuspensionen*
Unter Biosuspensionen seien im Folgenden suspendierte biogene Materialien verstanden. Sie bestehen aus Mikroorganismen und deren extrazellulären Stoffwechselprodukten suspendiert in einem wässrigen Nährmedium. Wegen ihres häufig komplexen Fließverhaltens – das wiederum starken Einfluss auf das Impuls-, Stoff- und Wärmeaustauschverhalten ausübt – müssen sie möglichst vollständig rheologisch charakterisiert werden. Den Grundlagen hierzu widmet sich dieses Kapitel.
Abb. 5.1 Scherbeanspruchung einer Flüssigkeit zwischen zwei planparallelen Platten
5.1 Die parallele Schichtenströmung Werden zwei planparallele Platten, zwischen denen sich eine Flüssigkeit befindet, mit konstanter Geschwindigkeit v0 gegeneinander bewegt, so stellt sich unter der Voraussetzung, dass die Flüssigkeit an den Wänden haftet und Randeffekte vernachlässigbar sind, im stationären Zustand aufgrund innerer Kräfte in der Flüssigkeitsschicht ein lineares Geschwindigkeitsprofil analog Abbildung 5.1 ein. Newton fand 1723, dass die zur Verschiebung der beiden Platten notwendige Kraft pro Flächeneinheit, τ, proportional ist der Geschwindigkeitsänderung senkrecht zur Verschiebungsrichtung, dv/dy, d. h.
Abb. 5.2 Deformation eines Flüssigkeitselementes in paralleler Schichtenströmung
η ist ein Proportionalitätsfaktor, die dynamische Zähigkeit oder auch Viskosität. Das Flüssigkeitselement wird aufgrund der angreifenden Schubspannung τ wie in Abbildung 5.2 dargestellt deformiert.
Wie man sieht, ist im vorliegenden Fall der Geschwindigkeitsgradient dv/dy identisch mit der zeitlichen Änderung des Deformationswinkels γ, also dγ/dt. Letztere wird als Scherrate b e. zeichnet und mit γ abgekürzt. In komplizierten Strömungsformen, z. B. in der später noch zu behandelnden Zylinder-Couette-Strömung, ist die Scherrate nicht mehr mit dem Geschwindigkeitsgradienten dv/dy identisch, ist aber für das Newton’sche Gesetz die maßgebende Größe. Die Gleichung lautet daher
* Autoren: Horst Chmiel, Eckehard Walitza
τ = ηγ
τ=η
dv dy
(5.1)
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
(5.2)
5
152
Misst man die Schubspannung als Funktion der Scherrate, die sogenannte Fließkurve, dann ergibt sich bei Gültigkeit von Gleichung (5.2) eine Gerade, die durch den Koordinatenursprung geht. Derartige Fluide bezeichnet man als Newtonsch. Eine große Zahl von Flüssigkeiten zeigt jedoch eine gekrümmte Fließkurve. Es sind dies vor allem Polymerschmelzen, Lösungen von Hochpolymeren, Suspensionen elastischer Partikel und die hier besonders interessanten Biosuspensionen. Abbildung 5.3 zeigt eine solche gekrümmte Fließkurve am Beispiel einer wässrigen Carboxymethylcellulose(CMC)-Lösung. Das Molekulargewicht des gelösten Polymers ist größer als 10 Millionen Dalton. Flüssigkeiten, die eine derartige nicht-lineare Fließkurve besitzen, bezeichnet man als nicht-Newtonsch. Ihre sogenannte „variable Viskosität“, definiert durch η=
τ γ
Abb. 5.3 Fließkurve einer CMC-Lösung, 0,6 %, 19,7 °C
Abb. 5.4 Viskosität als Funktion der Scherrate für eine CMC-Lösung, 0,5 %, 19,7 °C
5 Rheologie von Biosuspensionen
ist keine Stoffkonstante mehr, sondern von der B eanspruchung abhängig. Abbildung 5.4 zeigt für die gleiche Polymerlösung die variable Viskosität als Funktion der Scherrate. Der Kurvenverlauf ist typisch f ür derartige verdünnte Flüssigkeiten. Der bei verschwindender Beanspruchung vorhandene Anfangswert der Viskosität – er wird auch Nullviskosität genannt – bleibt zunächst im Rahmen der Messgenauigkeit in einem gewissen Scherratenbereich konstant. Mit zunehmender Beanspruchung nimmt die Viskosität stark ab. Die Kurve durchläuft – das ist nicht mehr in Abbildung 5.4 dargestellt – einen Wendepunkt und nähert sich bei sehr hohen Scherraten einem unteren Grenzwert. Neben der gekrümmten Fließkurve unterscheiden sich die oben genannten Flüssigkeiten von den Newton’schen Flüssigkeiten rheologisch durch das Auftreten von elastischen Effekten.
5.2 Viskosimeterströmungen inkompressibler viskoelastischer Flüssigkeiten
Deshalb werden sie häufig auch viskoelastisch genannt. In Abbildung 5.5 ist das bereits diskutierte Flüssigkeitselement der parallelen Schichtenströmung räumlich dargestellt. Neben der mit x bezeichneten Strömungsrichtung und der mit y bezeichneten Scherrichtung wird eine zusätzliche – in die indifferente Richtung weisende – Koordinate notwendig, die z genannt werden soll. Bei einer Newton’schen Flüssigkeit sind die in den drei Richtungen auftretenden Normalspannungen gleich, d. h.
σx = σy = σz = – p+ Bei viskoelastischen Flüssigkeiten sind erfahrungsgemäß die drei Normalspannungen nicht gleich. Nimmt man an, die Spannung in z-Richtung sei –p+, dann lässt sich das rheologische Verhalten viskoelastischer Flüssigkeiten im hier vorliegenden Sonderfall der parallelen Schichtenströmung durch folgende Stofffunktionen beschreiben: ) τ = F(( γ)
σx = − p+ + F1 (γ 2 ) σ y = − p + + F2 ( γ 2 )
(5.3)
σz = − p+
153
Es ist noch zu begründen, warum –p+ auch in σy und σx auftritt und weshalb diese beiden Normalspannungen – abgesehen von –p+ – Funktionen des Quadrats der Scherrate sind: Das Erstere erscheint sinnvoll, wenn man bedenkt, dass die Normalspannungen den hydrostatischen Anteil mit enthalten, d. h., erhöht man den Druck bei gleichbleibender Scherrate, so erhöhen sich die drei Normalspannungen gleichermaßen. Dies wird durch den isotropen Anteil –p+ berücksichtigt, der im Allgemeinen . . noch von γ abhängt, für γ = 0 jedoch mit dem hydrostatischen Druck identisch ist. Der zweite Punkt ist einzusehen, wenn man beachtet, dass die Normalspannungen σy und σx von dem Vorzeichen der Scherrate unabhängig sein müssen, was formal nur dann erfüllt ist, wenn die Funktionen F1 und F2 von der Scherrate mit geradem Exponenten abhängen. Die Normalspannungs. . funktionen F1(γ 2) und F2(γ 2) sind durch Differenzbildung aus den Normalspannungen zu ermitteln.
σ x − σ z = F1 (γ 2 ) σ y − σ z = F2 ( γ 2 )
(5.4)
Eine Ursache für das Auftreten elastischer Effekte ist die reversible Deformation der Partikel. Ein zweiter elastischer Anteil entsteht aus der Wechselwirkung zwischen Agglomeraten aus Einzelpartikeln und Trägerflüssigkeit der Art, dass die Agglomerate im Scherfeld eine reversible Strukturveränderung erfahren.
5.2 Viskosimeterströmungen inkompressibler viskoelastischer Flüssigkeiten
Abb. 5.5 Spannungen an einem Volumenelement in einer parallelen Schichtenströmung
In den hier vorzustellenden Viskosimetern (Rohr-, Couette- und Kegel-Platte-Viskosimeter) geht man von der Voraussetzung aus, dass die Flüssigkeiten einer reinen Scherbeanspruchung ausgesetzt sind. Dies ist nicht die einzig mögliche Beanspruchungsform, was an den Beispielen Rohrkrümmer, konvergenter und divergenter Kanal gezeigt werden kann. Eine theoretische
5
5
154
5 Rheologie von Biosuspensionen
Lösung dieser Strömungsprobleme ist allerdings im Fall der viskoelastischen Flüssigkeiten nur mit erheblichem mathematischen Aufwand möglich und soll hier ausgeklammert werden. Lediglich die reine Dehnströmung wird noch besonders angesprochen.
5.2.1 Die stationäre Rohrströmung Zur rheologischen Beschreibung der stationären Schichtenströmung in einem Rohr bedient man sich eines Zylinderkoordinatensystems. Die Fließrichtung sei mit x, die Scherrichtung mit r und die indifferente Richtung mit ϕ bezeichnet. Die Stofffunktionen lauten dann: τ = F ( γ )
σ x − σ ϕ = F1 ( γ 2 )
(5.5)
σ r − σ ϕ = F2 (γ 2 )
Da weder σϕ noch σx messtechnisch zu erfassen sind, muss man sich auf die Ermittlung der . Fließkurve [τ = F (γ)] beschränken. In einer stationären Rohrströmung können folgende . Größen gemessen werden: der Volumenstrom V und der Druckverlust pro Längeneinheit Δp/Δx. Über eine Gleichgewichtsbetrachtung lässt sich die Schubspannungsverteilung über den Rohrquerschnitt ermitteln. Der Einfachheit halber soll die Ableitung hier für eine Newton’sche Flüssigkeit erfolgen; das Resultat ist jedoch ebenso für nicht-
Abb. 5.6 Kräftegleichgewicht an einem zylindrischen Flüssigkeitselement (a) und daraus resultierende Schubspannungsverteilung (b) in einer stationären Rohrströmung
Newton’sche Flüssigkeiten gültig. In Abbildung 5.6 ist ein zylindrisches Flüssigkeitselement mit den daran angreifenden Kräften dargestellt. An der Stelle x = x0 wirkt die Kraft pπr2, an der Stelle x = x0 + Δx die Kraft −(p − Δp)πr2. Daraus ergibt sich eine Resultierende in positiver x-Richtung der Größe Δpπr2, die der an der zylindrischen Mantelfläche angreifenden Schubspannung das Gleichgewicht halten muss, derart, dass τ 2π rΔx = Δpπ r2. Führt man noch Δp/Δx = p’ ein, so erhält man die Schubspannung als Funktion des Radius r τ = p′
r 2
(5.6)
und für die Schubspannung an der Wand τw = p′
R 2
d. h. die Schubspannung hängt linear vom Rohrradius ab, wie in Abbildung 5.6 dargestellt. Es ist zu beachten, dass für Gleichung (5.6) keine Annahmen über das Fließverhalten getroffen werden müssen, es wird lediglich stationäre parallele Schichtenströmung verlangt. Der Volumenstrom einer laminaren Rohrströmung lässt sich bei Wandhaftung folgendermaßen berechnen: R
= 2π v(r) r dr V ³ 0
Durch partielle Integration ergibt sich R R = 𠪫| r² v (r ) | − r²dv(r)º» V ³0 0 ¬ ¼
(5.7)
155
5.2 Viskosimeterströmungen inkompressibler viskoelastischer Flüssigkeiten
und mit der Randbedingung v(R) = 0 und der Beschränktheit von v(r), d. h. v(0) ≠ ∞ R
= - π r ² dv(r ) dr V ³0 dr
dv (r ) = F(τ) ein, dann erhält man dr unter Benutzung der Gleichungen (5.6) mit
Führt man −
/
r = Rτ τw = πR V τ 3w
3
τw
³ τ² F(τ)dτ
(5.8)
0
V = φ und Differenzieren Mit der Abkürzung π R³ nach τw geht Gleichung (5.8) über in dφ (5.9) γ w = F(τ w ) = 3φ + τ w dτ w
Gleichung (5.9) ist unter dem Namen Rabinowitsch-Mooney-Beziehungg bekannt. Mit ihrer Hilfe können Rohrrheometermessungen ausgewertet werden, da nun sowohl die Schubspannung als auch.die Scherrate an der Wand aus den Messgrößen V und p' ermittelt werden können. Die Methode hat den Nac . hteil, dass der gemessene Zusammenhang V = f(Δp) differenziert werden muss. Im Sonderfall der Newton’schen Flüssigkeit wird der Term τw (dφ / dτw) gleich φ, was eingesetzt in Gleichung (5.9) zu dem HagenPoiseuille’schen Gesetz führt. τw 4 V = η π R³
(5.10)
Für die Ermittlung der Fließkurve wurde parallele, stationäre Schichtenströmung vorausgesetzt. Bis sich diese Verhältnisse ausgebildet haben, bedarf es einer Anlaufstrecke. Bei viskoelastischen Flüssigkeiten kann erst nach etwa einer Länge von 150 d mit Sicherheit damit gerechnet werden, dass obige Bedingung ausreichend erfüllt ist. Daneben ergeben sich am Rohraustritt Endeffekte, die die Messergebnisse verfälschen. Diese Endeffekte können aber experimentell eliminiert werden. Ermittelt man nämlich für zwei Rohre gleichen Durchmessers, jedoch unterschiedlicher . Rohrlänge, den Zusammenhang für V und Δp, so ergibt sich ein Verlauf, wie er in Abbildung 5.7a schematisch dargestellt ist. . Für einen bestimmten Durchsatz V1 ist der Unterschied in den Druckdifferenzen, Δp1, abzulesen und durch die Längendifferenz der beiden Rohre ΔL zu dividieren, p'1 = Δp1/ΔL. Mithilfe der Gleichungen (5.8) und (5.9) erhält man ein Wertepaar . τ1 und γ1 der Fließkurve (Abb. 5.7b). Analog verfährt man mit den anderen Messpunkten.
5.2.2 Die Zylinder-CouetteStrömung Als Zylinder-Couette-Strömung bezeichnet man eine Flüssigkeitsbewegung, die sich zwischen zwei konzentrischen Zylindern einstellt, wenn diese sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeitsdifferenz Ω gegeneinander drehen.
.
γ .
γ1
Abb. 5.7 Volumenstrom in Abhängigkeit der Druckdifferenz an Rohren verschiedener Länge einschließlich der Endeffekte (a) und daraus resultierende Fließkurve (b)
5
5
156
5 Rheologie von Biosuspensionen
Die Beziehung dvϕ d[ ω( )] dω = = ω( ) + r dr dr dr
enthält mit ω(r) die Rotation der Teilchen. Da die Scherrate ab er definitionsgemäß ausschließlich die Deformation des Flüssigkeitselementes beschreiben soll, muss von dvvϕ/dr die örtliche Winkelgeschwindigkeit ω(r) abgezogen werden. Es gilt daher im vorliegenden Fall γ = −r Abb. 5.8 Die Zylinder-Couette-Strömung
dω dr .
wegen γ = τ/η η folgt dω = −
In Abbildung 5.8 wird der äußere Zylinder angetrieben, während am inneren Zylinder das Drehmoment gemessen werden kann, das sich aufgrund der Flüssigkeitsreibung einstellt. Abgesehen von Störungen am Boden und an der Flüssigkeitsoberfläche verläuft die Strömung stationär in konzentrischen parallelen Schichten. In einem Couette-Rheometer können die Winkelgeschwindigkeit Ω und das Drehmoment M gemessen werden. Für eine gegebene Geometrie (ra = Radius des äußeren Zylinders, ri = Radius des inneren Zylinders und h = Höhe des mit Flüssigkeit gefüllten Ringspaltes) ist bei konstantem Ω das gemessene Drehmoment M ein Maß für die Viskosität der Flüssigkeit. Die radiale Schubspannungsverteilung ergibt sich hier aus einer Gleichgewichtsbetrachtung der Drehmomente. Im Fall der stationären Strömung ist das Drehmoment konstant, d. h. vom Radius unabhängig. Gleichgültig welcher Zylinder angetrieben wird, gilt der Zusammenhang: M = 2 π hr2 τ = konstant
τ1 dr ηr
Die Differenziation von Gleichung (5.12) liefert dr/r = -dτ/2τ und damit dω =
1 dτ 2η
(5.14)
Für den Newton’schen Fall ergibt die Integration von (5.14) ω=
τ + c1 2η
Wird der äußere Zylinder angetrieben und ruht der innere Zylinder, so erlaubt die Randbedingung am inneren Zylinder, r = ri; ω = 0; τ = τ(ri), die Konstante c1 zu bestimmen, c1 = −
τ( ) 2η
und aus der Randbedingung am äußeren Zylinder, r = ra: ω = Ω; τ = τ(ra) folgt Ω=
(5.11)
τ( a ) 2η
( i ) = τ( i ) §¨ τ( a ) − 1·¸ . 2η ¨© τ( i ) ¸¹
Mit
oder M τ= 2πhr 2
(5.13)
(5.12)
τ( a ) ri2 = =β τ( i ) ra2
wird schließlich Die örtliche Scherrate im Couette-Spalt darf nicht – analog der ebenen Scherströmung – mit γ =
dvϕ berechnet werden. dr
Ω=
τ( i ) ( 2η
)
(5.15)
B erechnet man beispielsweise Scherrate und Schubspannung am Innenzylinder, so liefern die
5.2 Viskosimeterströmungen inkompressibler viskoelastischer Flüssigkeiten
Gleichungen (5.12) und (5.15) ein korrespondierendes Wertepaar M τ( ) = (5.16) 2πhhhri2
und γ ( i ) =
(
2Ω
(5.17)
)
Abgesehen vom Vorzeichen erhält man das gleiche Ergebnis, wenn der Innenzylinder rotiert und der Außenzylinder ruht, und solange parallele Schichtenströmung vorliegt.
5.2.3 Die Kegel-Platte-Strömung Zwischen einer horizontalen Platte und einem Kegel befindet sich eine Flüssigkeit. Damit die Kegelspitze die Platte nicht berührt, ist sie um etwa 50 μm abgeschnitten (Abb. 5.9). Dreht sich der Kegel gegenüber der Platte mit konstanter Winkelgeschwindigkeit Ω, so stellt sich im Spalt näherungsweise eine stationäre parallele Schichtenströmung ein, wenn der Winkel α klein genug ist (α ≈ 1°). Mit den Koordinaten ϕ als Fließrichtung, ϑ als Scherrichtung und r als indifferente Richtung lauten die rheologischen Stofffunktionen: τ = F( ) σ ϕ − σ r = F1
σϑ − σ r
( ) =F ( )
(5.18)
d. h. τ =
3 M 2 πR ³
h
=
2
Ωr cos α r sin α
Das bedeutet, dass sie im gesamten Scherspalt konstant ist und aus der Winkelgeschwindigkeit Ω wie folgt berechnet werden kann: Ω . γ= (5.19) tan α Die zugehörige Schubspannung τ lässt sich aus dem gemessenen Moment ermitteln. Es gilt: R
M = ³ τ2πr 2 dr ; M = 0
2π R ³τ 3
(5.20)
Beim Kegel-Platte-Rheometer kann demnach aus gemessenem Drehmoment und zugehöriger Drehzahl mit Gleichungen (5.19) und (5.20) auf einfache Weise ein Wertepaar der Fließkurve berechnet werden. Darüber hinaus ist auch die Er. mittlung der Normalspannungsfunktionen F1(γ2) .2 und F2(γ ) möglich (sie werden im weiteren Verlauf mit F1 und F2 abgekürzt). Auf die Theorie dazu soll hier nicht näher eingegangen werden; dafür wird das Lehrbuch von Bird et al. (1977) empfohlen. Es sei jedoch angeführt, dass die Summe der Normalspannungsfunktionen F1 und F2 sich durch die Messung des Bodendrucks pw an radial verschiedenen Stellen der Platte (Abb. 5.9) über die folgende Gleichung bestimmen lässt: p w = −( ϑ )w ( )ln r − σϑ ( ) (5.21) R Aus Gleichung (5.21) geht hervor, dass eine grafische Darstellung der Messergebnisse in der Form pw über ln(r/R) Geraden liefert, deren Steigung gleich (F1 + F2) ist. Die Differenz der Normalspannungsfunktion (F1 – F2) lässt sich aus der Axialkraft K b erechnen, die auf den Kegel ausgeübt wird. Da für r = R die Normalspannung am Boden in indifferenter, also in radialer Richtung, abgesehen vom Vorzeichen gleich dem Außendruck p0 ist [σr(R) = –p0 für ϑ = π/2], folgt – unter der Annahme, dass an dieser Stelle tatsächlich
Unter der bereits oben genannten Voraussetzung eines sehr kleinen Winkels ergibt sich für die Scherrate vϕ
157
Abb. 5.9
Die Kegel-Platte-Strömung
5
5
158
5 Rheologie von Biosuspensionen
noch parallele Schichtenströmung herrscht – aus den Gleichungen (5.18) und (5.21) p w = −(
)ln r
R
τ = kkγ n
− F2 + p 0
R cos α
πR ² K = 2π ³ p w rdr = πR ² p 0 − πR ² F2 + ( 2 0
K = πR ² p 0 +
πR ² ( 2
)
schen Auftragung durch eine Gerade annähern, so führt ein Ansatz der Form
1
2
)
(5.22)
Wird die Axialkraft K und der Bodendruck an zwei radialen Positionen gemessen, dann lassen sich beide Normalspannungsdifferenzen bestimmen. Hat die zweite Normalspannungsdifferenz keine große Bedeutung, wie das häufig der Fall ist, so genügt eine der genannten Messungen, um die erste Normalspannungsdifferenz zu ermitteln. Auf weitere Rheometerströmungen soll hier nicht näher eingegangen werden. Vielmehr soll etwas später noch eine mehr praxisbezogene Methode, das Rührer-Rheometer, angesprochen werden.
5.3 Mathematische Modellierung der stationär ermittelten Fließkurve Durch Aneinanderreihen von Messungen mit den verschiedenen im vorigen Abschnitt behandelten Rheometertypen ist man in der Lage, die . Fließkurve τ(γ) einer Flüssigkeit in einem außerordentlich weiten Beanspruchungsbereich experimentell zu ermitteln. Der nächste Schritt ist der Versuch, die gefundenen Messwerte durch eine mathematische Funktion zu beschreiben. Dadurch wäre es möglich, andere Strömungsformen – beispielsweise die parallele Schichtenströmung in einem breiten Spalt – zu berechnen. Folgende Ansätze bieten sich dazu an: (1) Potenzansätze, (2) Polynome, (3) der Ansatz nach Casson.
5.3.1 Potenzansatz . Lassen sich die Wertepaare τ und γ einer gemessenen Fließkurve in einer doppeltlogarithmi-
(5.23)
zum Ziel. Der Vorteil der Gleichung (5.23) liegt vor allem in dem sehr einfachen mathematischen Aufbau, der es gestattet, eine beliebige parallele Schichtenströmung analytisch zu behandeln. k wird der Konsistenz-, n der Fließindex genannt. Betrachtet man jedoch die Abbildung 5.3, so erkennt man, dass ein Potenzansatz nur kleine B ereiche der abgebildeten Fließkurve mathematisch beschreiben kann. Beispielsweise lässt sich . . der Bereich von γ = 5 .102 s–1 bis γ = 104 s–1 in der vorliegenden doppeltlogarithmischen Auftragung ausreichend genau durch eine Gerade und damit mittels Gleichung (5.23) darstellen. Der entscheidende Nachteil des Potenzansatzes wird jedoch in einer etwas anderen Schreibweise von Gleichung (5.23) ersichtlich τ η = = kγ n −1 γ . Für n ≠ 1 und γ → 0 geht η → 0, d. h. bei verschwindender Beanspruchung wird die mit Gleichung (5.23) berechnete Viskosität null. Ein weiterer Mangel ist, dass die Dimension von k vom Exponenten n abhängt. Trotz dieser formalen Nachteile gibt es genügend Beispiele für eine sinnvolle Anwendung des Potenzansatzes. Beispielsweise lässt sich damit für nicht zu niedrige Scherraten die Geschwindigkeitsverteilung in einem Couette-Spalt für nichtNewton’sche Flüssigkeiten vorausberechnen.
5.3.2 Polynomansätze Die Erfahrung lehrt, dass der Anfangsbereich der Fließkurve jeder nicht-Newton’schen Flüssigkeit ausreichend genau durch die folgende Gleichung erfüllt ist: γ τ § τ · = +¨ ¸ C A ©A¹
3
(5.24)
A und C sind Konstanten. Abbildung 5.10 zeigt dies am Beispiel einer 0,8%igen wässrigen Polyacrylamid-Lösung (Molekulargewicht: ca. 107 Dalton).
159
5.4 Repräsentative Viskosität
angegeben. b ist eine Konstante, die sich aus . dem asymptotischen Verhalten für große γ als η∞ ergibt. Gleichung (5.26a) ist – wie später noch gezeigt wird – in einer modifizierten Form in der Lage, das stationäre Fließverhalten einer Reihe von Biosuspensionen in einem weiten Beanspruchungsbereich zu beschreiben. Herschel und Bulkley schlagen folgende Beziehung vor:
= HB + C p
(5.26b)
mit τHB, der Fließgrenze nach Herschel/Bulkley ; C, dem Fließkoeffizient; und p, dem HerschelBulkley-Exponenten.
Abb. 5.10 Fließkurve einer 0,8%igen wässrigen Polyacrylamid-Lösung. Die eingezeichnete Kurve stellt ein Polynom dritten Grades dar, die unterschiedlichen Symbole deuten die Verwendung verschiedener Rheometertypen an
Für höhere Scherraten ist jedoch, wie man sieht, ein Polynom dritten Grades nicht mehr flexibel genug. Aus Abbildung 5.3 ist zu ersehen, dass ein Polynom siebten Grades der Form 5 7 ª τ § τ ·3 §τ· §τ· º γ = c « + ¨ ¸ + d ¨ ¸ + e¨ ¸ » ©a¹ © a ¹ »¼ «¬ a © a ¹
(5.25)
(durchgezogene Kurve) einen außerordentlich weiten Bereich der gemessenen Fließkurve mathematisch annähert (a, c, d und e sind Konstanten).
5.3.3 Modellfunktionen für Fließkurven mit Fließgrenze Für viele Suspensionen wird die Existenz einer Fließgrenze postuliert; d. h. erst oberhalb einer Mindestschubspannung τ0 beginnt die Suspension zu fließen. Casson hat zur Beschreibung eines derartigen Fließverhaltens eine Beziehung der Form τ1/ 2 = (
)1/ 2 + τ10/ 2
(5.26)
5.4 Repräsentative Viskosität Bei der experimentellen Bestimmung der Fließeigenschaften von Flüssigkeiten sind die Zusammenhänge zwischen den Messgrößen und den Fließeigenschaften nur im Falle Newton’scher Flüssigkeiten auf einfache Weise aufzulösen. Im Fall nicht-Newton’scher Flüssigkeiten kommt zusätzlich zur Messaufgabe die Aufgabe, die wahre Fließkurve zu ermitteln. Dafür sind verschiedene Methoden erarbeitet worden. Im Abschnitt 5.2.1 wurde am Beispiel des Rohrrheometers ein Weg gezeigt, bei welchem eine Diff. erenziation des ge. messenen Zusammenhangs V = V (Δp) zur wahren Fließkurve führt. Da diese und andere exakte Methoden aufwendig sind, b estand der Bedarf an einer einfach durchzuführenden Auswertung. Als solche ist die Methode der repräsentativen Viskosität zu sehen. Dieser liegt der folgende Gedanke zugrunde: Man werte die Messergebnisse zunächst so aus, als ob es sich um ein Newton’sches Fluid handle. Die so gewonnene Viskosität kann als wahre Viskosität bei einer, der jeweiligen Geometrie entsprechenden, repräsentativen Scherrate interpretiert werden. Letztere bleibt dann zu bestimmen. Für mehrere Stoffklassen konnte gezeigt wer. den, dass die repräsentative Scherrate γrep sich nur um einen nahezu konstanten Faktor von der für Newton’sche Fluide verwendeten Scher. rate γNeww unterscheidet. So ist z. B. im CouetteRheometer
5
5
160
γ rep = ξΩ = ξ∗ γ New = ξ∗
5 Rheologie von Biosuspensionen
(
2Ω
)
(5.27)
. . Je nachdem, ob man γrep auf γNeww oder auf Ω bezieht, erhält man unterschiedliche Proportionalitätskonstanten ξ oder ξ*. Das zunächst empirisch eingeführte Verfahren kann auch theoretisch begründet werden (Giese. kus und Langer 1977). In Abbildung 5.11 ist γrep, welches für den Polynomansatz (5.24) exakt errechnet wurde, über dem Radienverhältnis ri/ra bei konstanter Winkelgeschwindigkeit Ω = 1 s−1 . aufgetragen. Man erkennt, dass sich γrep für gro-
Abb. 5.11 Repräsentative . Scherrate γrep in Abhängigkeit vom Radienverhältnis ri/ra des Couette-Systems, berechnet für den Polynomansatz dritter Ordnung, bei konstanter Winkelgeschwindigkeit Ω = 1 s−1
Abb. 5.12 Auf ri bezogener rrep in Abhängigkeit vom Quadrat β des Radienverhältnisses ri/ra des Couette-Systems, berechnet für den Polynomansatz dritter Ordnung
ße Couette-Spalte, (ri/ra) → 0, einem konstanten Wert annähert, d. h. es ist dann unabhängig von der Spaltweite. Schon für Radienverhältnisse von . ri/ra = 0,3 liegt der Wert von γrep nur noch 10 % über dem konstanten Wert. Weiterhin soll der repräsentative Radius rrep angegeben werden. Er kennzeichnet die Stelle im Couette-Spalt, an der die repräsentative Scherrate mit der Scherrate eines Newton’schen Fluids übereinstimmt. 2 rrep 2 i
r
=
γ New 2 = γ rep ξ(
)
161
5.5 Das Rührer-Rheometer
oder rrep 2 = ri ξ(
)
(5.28)
Abbildung 5.12 zeigt den repräsentativen Radius in Abhängigkeit vom Quadrat des Radienverhältnisses für den Polynomansatz. Für große Spaltweiten befindet sich der repräsentative Ort in konstanter Entfernung vom Innenzylinder. Für enge Spalte nähert er sich dem inneren Rand. Analog dem Vorgehen für das Couette-Rheometer kann man für das Rohr oder andere Strömungsgeometrien verfahren. Man erhält für das Rohr die repräsentative Scherrate V π (5.29) γ rep = 3 = γ New R 4 Die mit rrep aus der wahren Fließkurve gewonnene repräsentative Viskosität ηrep hat den Vorteil – wenn man mit ihr die in der Strömungstechnik für die Rohrströmung gebräuchliche Reynoldszahl vdρ (5.30) Re = ηrep 4V bildet (mit v = 2 der mittleren Strömungsgeπd
schwindigkeit, d dem Rohrdurchmesser und ρ der Dichte der Flüssigkeit) und den Widerstandsbeiwert f f=
p′d 2v 2
16 Re
P = 2π n M
(5.32)
auch für nicht-Newton’sche Flüssigkeiten seine Gültigkeit behält.
P=
C ρ n 3d 5 Re
Die in den vorausgegangenen Abschnitten beschriebenen Rheometeranordnungen sind für die Verwendung von Fermentationsbrühen unter Umständen nicht geeignet. Dies liegt daran, dass
(5.34)
C ist eine Konstante, die von der Geometrie des Rührers bestimmt wird. Re, die Reynoldszahl des Rührers für Newton’sche Flüssigkeiten, ist als Re =
ρ n d2 η
(5.35)
definiert (siehe auch Kapitel 6). d ist der Rührerdurchmesser, ρ die Dichte und η die Viskosität der Flüssigkeit. Die Konstante C wird unter Verwendung eines Newton’schen Fluids mit bekannter Viskosität (z. B. ein Eichöl) für den jeweiligen Rührer bestimmt. Mit den Gleichungen (5.34) und (5.35) kann man den Zusammenhang zwischen den Messgrößen M und n und der Viskosität herstellen: M=
5.5 Das Rührer-Rheometer
(5.33)
Andererseits hängt die Leistung im laminaren Bereich (Re < 10) bei Newton’schen Flüssigkeiten von den Rührerdimensionen und der Drehzahl ab, wie es in Gleichung (5.34) angegeben ist.
(5.31)
mit ihr korreliert –, dass der für die laminare Rohrströmung Newton’scher Flüssigkeiten gefundene Zusammenhang f=
die suspendierte Biomasse oft schnell sedimentiert und außerdem für die Spaltgeometrien zu große Teilchen enthält. Um diese Schwierig keiten zu umgehen, kann man den inneren Zylinder eines Zylinder-Couette-Rheometers durch einen Rührer ersetzen (Bongenaar et al. 1973). Durch die Mischwirkung des Rührers kann die Sedimentation weitgehend vermieden werden; auch das Problem des engen Spaltes tritt nicht mehr auf. Für den laminaren Bereich wurde die folgende empirische Auswertemethode entwickelt, die nur solange gilt, wie elastische Effekte zu vernachlässigen sind. Die Leistung P eines Rührers ergibt sich aus dem am Rührerschaft auftretenden Drehmoment M und der Drehzahl n zu
C η n d3 2π
(5.36)
Verwendet man nicht-Newton’sche Flüssigkeiten im Rührer-Rheometer, dann befindet man sich in derselben Situation wie bei den im Vorausgegangenen behandelten Rheometerströmungen. Wegen der komplizierten Verhältnisse im RührerRheometer lässt sich allerdings nicht einmal für ein Newton’sches Fluid das Geschwindigkeitsfeld
5
5
162
5 Rheologie von Biosuspensionen
berechnen, aus welchem man eine Scherrate ermitteln könnte. Im Falle der nicht-Newton’schen Flüssigkeit ersetzt man wieder η durch ηrep und hat dann mit Gleichung (5.36) eine Möglichkeit, eine Fließkurve anzugeben. Betrachtet man den aus Gleichung (5.36) ermittelten repräsentativen Wert als einen Wert der wahren Fließkurve – die in diesem Fall als bekannt angenommen werden muss –, so lässt sich der Drehzahl eine repräsentative Scherrate zuordnen. Bei Untersuchungen mit verschiedenen nichtNewton’schen Flüssigkeiten ergab sich, dass die repräsentative Scherrate proportional zur Drehzahl ist, wobei die Proportionalitätskonstante c von der Geometrie des Rührers abhängt.
γ rep = c n
(5.37)
Für einen Propellerrührer wurde z. B. c = 10, für einen Turbinenrührer c = 15 und für einen Wendelrührer c = 30 gefunden. Wird das Rührer-Rheometer wie ein Rührkessel betrieben, kann man unter Verwendung von Gleichung (5.36), der wahren Fließkurve und der repräsentativen Scherrate die notwendige Leistung vorausberechnen. Es sei nochmals betont, Gleichung (5.36) gilt nur für laminare Strömung und inelastische Fluide. Der turbulente Bereich kann leicht an einem plötzlichen Anstieg der Leistungsaufnahme erkannt werden.
5.6 Die instationäre Scherströmung viskoelastischer Fluide
untereinander, die mit Desagglomeration/Agglomeration, elastischer Deformation und/oder Orientierung in der Scherströmung verbunden sind. Je nach der Größenordnung der zu erwartenden charakteristischen Zeiten bieten sich verschiedene Messverfahren an, wie z. B. das Aufbringen einer sprunghaften Änderung der Scherrate (Spannungsrelaxationsversuch), einer kontinuierlich mit der Zeit zu- und anschließend wieder abnehmenden Scherrate für große charakteristische Zeiten, oder das oszillierende Scherexperiment, auf das hier näher eingegangen werden soll. Die im Folgenden beschriebenen Oszillations-Messverfahren sind stets auf den linearen Bereich begrenzt, d. h. dass man sich bei realen Fluiden im Allgemeinen auf kleine Deformationen bzw. Deformationsgeschwindigkeiten beschränken muss.
5.6.1 Das sinusförmig oszillierende Scherexperiment Zur Bestimmung der sogenannten Materialfunktionen der linearen Viskoelastizität wird am häufigsten das sinusförmig oszillierende Scherexperiment mit kleiner Amplitude durchgeführt. Was in diesem Experiment bei einer viskoelastischen Flüssigkeit zu erwarten ist, erkennt man am besten, wenn man zunächst die idealen Fälle des Newton’schen Fluids und des Hooke’schen Körpers betrachtet (Abb. 5.13). Für das Newton’sche Fluid mit der konstanten Viskosität η gilt, dass die Schubspannung τ proportional zur Scherrate (Abb. 5.13a) ist. Das „Ersatzschaltbild“ ist der Dämpfer (rechts). Für eine sinusförmig oszillierende Scherrate folgt
τ = τ0 sin ωtt = ηγ 0 sin ωtt Wird eine viskoelastische Flüssigkeit – eine Flüssigkeit, die sowohl viskose als auch elastische Eigenschaften hat – einer plötzlichen Deformation unterworfen, dann stellt sich der neue Spannungszustand, selbst wenn Trägheitseffekte vernachlässigt werden können, erst mit einer gewissen zeitlichen, für die Flüssigkeit charakteristischen Verzögerung ein. Verantwortlich dafür sind die bereits unter Abschnitt 5.1 aufgeführten Wechselwirkungen der im Fluid befindlichen Teilchen mit der sie umgebenden Flüssigkeit oder
(5.38)
B eim Hooke’schen Körper mit dem konstanten elastischen Modul G ist die Schubspannung proportional der Scherung γ. Im Fall sinusförmig oszillierender Scherung gilt also
τ = Gγ 0 sin ωtt
(5.39)
Da die Scherrate um π/2 gegen die Scherung verschoben ist, bedeutet Gleichung (5.39) auch, dass beim Hooke’schen Körper die Spannung um π/2 gegen die Scherrate verschoben ist (Abb. 5.13b). Das „Ersatzschaltbild“ ist die Feder (rechts).
163
5.6 Die instationäre Scherströmung viskoelastischer Fluide
a
b
Abb. 5.13 Das sinusförmig oszillierende Scherexperiment: (a) Newton’sches Fluid, (b) Hooke’scher Körper und (c) viskoelastische Flüssigkeit (rechts jeweils das dazugehörige mechanische Modell)
c
Ein Fluid, welches sowohl viskose als auch elastische Eigenschaften besitzt und sich linear verhält, wird also auf eine sinusförmig oszillierende Scherrate mit einer ebensolchen Schubspannung antworten, wobei sich ein Phasenwinkel ϕ zwischen Schubspannung und Scherrate einstellt, der irgendwo (je nach Fluid) zwischen 0 und π/2 liegt (Abb. 5.13c). Das „Ersatzschaltbild“, Dämpfer und Feder in Reihe geschaltet (rechts), wird auch Maxwell-Modell genannt.
τ = τ0 sin(
)
0
(
) (5.40)
Nachdem die Scherrate, die ja die zeitliche Ableitung des Scherwinkels γ ist, als
γ = γ 0 sin ωtt angesetzt war, gilt für die Scherung
η∗ =
γ γ = − 0 cos ωt = γ 0 cos ωt ω
Für Gleichung (5.40) kann man deshalb auch schreiben τ=
τ0 cos ϕ τ sin ϕ γ + 0 γ = η′γ + G′γ γ 0 γ0
Kennt man also die Phasenverschiebung ϕ zwischen Schubspannung und Scherrate sowie die Amplituden der beiden Letzteren, dann lässt sich die Schubspannung nach Gleichung (5.41) in einen der Scherrate und einen der Scherung proportionalen Anteil zerlegen. Die Proportionalitätskonstanten sind jeweils eine Viskosität ηʹ und ein elastischer Modul Gʹ, die in Gleichung (5.41) definiert sind. Beide zusammen bestimmen die Materialfunktion der linearen Viskoelastizität. Eine andere Vorgehensweise, die Materialfunktion der linearen Viskoelastizität einzuführen, ist die folgende: In Analogie zum stationären Fließen wird durch den Quotienten der sinusför. mig oszillierenden Größen τ und γ, ausgedrückt . in komplexer Schreibweise durch τ* und γ*, eine ∗ komplexe Viskosität η def iniert:
(5.41)
τ ∗ τ 0 e i ( ) τ 0 e − iϕ τ 0 ( = = = γ 0 γ ∗ γ 0 eiωt
= η∗ e −iϕ = η′ − iη′′′′ =
γ 0
τ0 τ cos ϕ − i 0 sin ϕ γ 0 γ 0
) (5.42)
Der Realteil ηʹ wird viskose, der Imaginärteil ηʹʹ wird elastische Komponente der komplexen Viskosität genannt (Abb. 5.14).
5
5
164
5 Rheologie von Biosuspensionen
5.6.2 Oszillierendes Scherexperiment in Rotationsviskosimetern
Abb. 5.14 Darstellung der komplexen Viskosität η∗ im Vektordiagramm
Diese Bezeichnungen leuchten durch Vergleich mit Gleichung (5.41) ein. Der Phasenwinkel ϕ wird auch viskoelastischer Phasenwinkel genannt. Er stimmt mit dem Phasenwinkel ϕ in Abbildung 5.13c überein. Bezieht man τ* auf γ*, so kann ein komplexer, elastischer Modul G* definiert werden: τ∗ G = ∗ = G ∗ e iφ = G ′ + iG ′′′ γ ∗
(5.43)
. Wegen des Zusammenhangs γ * = iωγ*, lässt sich G* in η* umrechnen. Es ist nämlich τ∗ τ∗ G∗ η∗ = ∗ = = − i γ iωγ ∗ ω woraus folgt G ′ = ωη′′′ ;
G ′′′ = ωη′
(5.44)
Je nachdem, ob man sich mit mehr flüssigen oder mehr festen Stoffen beschäftigt, ist die Verwendung von η* oder G* angezeigt. Sie enthalten jedoch dieselbe Information. Gʹ nennt man auch den Speichermodul und Gʹʹ den Verlustmodul. Die experimentelle Ermittlung von η* und G* kann in den üblichen Messgeometrien durchgeführt werden, wobei je nach Fluid die eine oder andere besser geeignet ist. Die Schubspannung und die Scherrate sind dabei, wie schon bei den stationären Methoden gezeigt wurde, nicht direkt zugänglich, sondern sie müssen aus den messbaren Größen abgeleitet werden. Wie dies zu geschehen hat, soll am Beispiel der KegelPlatte-, der Zylinder-Couette- und der Rohrgeometrie gezeigt werden.
Das oszillierende Scherexperiment kleiner Amplitude im Kegel-Platte- oder im Zylinder-Couette-System wird im Allgemeinen so durchgeführt, dass eine der Flächen, die den Messspalt begrenzen, in sinusförmige Oszillationen versetzt wird. Durch das im Spalt befindliche Fluid wird ein Drehmoment auf die gegenüberliegende, starre Seite übertragen und kann dort leicht gemessen werden. Θ sei der Winkel, der die Position des bewegten Teils des Messsystems von einem B ezugspunkt aus beschreibt, und es gelte für die Schubspannung τ und die Scherung γ in komplexer Schreibweise der jeweils lineare Zusammenhang
τ∗ = eM∗ ; γ ∗ = dΘ∗
(5.45)
Mit τ* = G*γ* folgt dann d M ∗ = G ∗Θ∗ e
d/e = b ist eine Konstante, die von der Geometrie des Messspalts abhängt. Sie lautet im Falle des Kegel-Platte-Systems b=
2 πR 3 3α
(5.46)
worin R den Kegelradius und α den Winkel der Kegelmantelfläche gegen die Platte bedeuten. Für das Zylinder-Couette-System gilt b=
4πri2 ra2 h
(
)
(5.47)
mit ri, dem inneren Radius; ra, dem äußeren Radius; und h, der Höhe des Messspalts. p Die Messung von ⏐Θ∗⏐ und ⏐M*⏐ sowie des Phasenwinkels φ zwischen Θ* und M*, erlaubt G* bzw. η* (siehe Gleichung (5.44)) zu b estimmen. Für die Komponenten des elastischen Moduls G* ergibt sich G′ =
1 M* cos φ b Θ*
(5.48)
G ′′′ =
1 M* sin φ b Θ*
(5.49)
165
5.6 Die instationäre Scherströmung viskoelastischer Fluide
5.6.3 Die oszillierende Rohrströmung
k² = −
Bei der oszillierenden Rohrströmung als Rheometerströmung werden bei bekanntem Rohrradius R und bekannter Rohrlänge L. der Druckverlust Δp und der Volumenstrom V in Betrag und . Phase gemessen, woraus die Größen Δp* und V* bestimmt werden können. Diese gilt es, wie von Thurston (1960) gezeigt, mit den Materialfunktionen der linearen Viskoelastizität in Verbindung zu bringen. Es wird in linearer Näherung vorausgesetzt, dass bei sinusförmigem Druckunterschied Δp*, durch welchen die Strömung angetrieben wird, die Geschwindigkeit v*(r,t) ebenfalls sinusförmig mit derselben Kreisfrequenz ω wie der Druck oszilliert. Die Bewegungsgleichung für das Fluid im Rohr lautet dann ª ∂v ∗ ½ º ¾» « ∂ ®r ∂r ¿ » 1 ∂v ∗ ∂p − + ∗ « ¯ = «r » ∂x ∂r ∂t « » ¬« ¼» ∗
(5.50)
In dieser Gleichung bedeuten η* die (hier konstante) komplexe Viskosität, η* = ⏐η*⏐e-iϕ , r die radiale, x die axiale Koordinate, ρ die Dichte des Fluids, v* die bei voll entwickelter Strömung nur noch von r und t abhängige Geschwindigkeit. Der Druckgradient sei durch ∂p∗ = − p e i ω t ∂x
gegeben. Den genauen Lösungsweg kann man bei Frederickson (1964) im Detail nachlesen; hier soll er nur grob skizziert werden. Ein Separationsansatz für v*(r,t) = g*(r)f*(t) eingesetzt in Gleichung (5.50) führt auf die Bessel’sche Differenzialgleichung für g*(r) und somit auf die Lösung für v*(r,t). Durch Integration von v*(r,t) über den Rohrquerschnitt . erhält man den komplexen Volumenstrom .V*. Im Argument der Besselfunktion, die in V* enthalten ist, erscheint kR, eine komplexe Größe, die durch Gleichung (5.51) definiert ist.
iωρ iωρ = − ∗ −i ϕ η∗ η e
(5.51)
kR lässt sich nach Amplitude und Phase aufspalten kR = Yeiϑ
(5.52)
mit dem Betrag Y = R(ωρ/⏐η*⏐)1/2 und der Phase ϑ = ϕ/2 − π/4, wie man unter Verwendung von Gleichung (5.51) findet. Y ist eine dimensionslose Kennzahl, die auch Womersley-Parameter genannt wird. Y lässt sich wie folgt darstellen, wenn man –v , die mittlere Geschwindigkeit (Mittelwert aus der Wurzel des Quadrats der Geschwindigkeit), und t0, die Schwingungsdauer (2π/ω), einführt. Y=
1 2Rvρ 4Rπ 1 = 2π Re + Str 2 η∗ vtt 0 2
(5.53)
Durch entsprechende Zusammenfassung der beteiligten Größen treten somit Re+, eine Reynoldszahl gebildet mit ⏐η*⏐; und die Strouhalzahl, Str, gebildet aus dem Verhältnis der zwei Systemzeiten y 2R / v und t0 auf. Interpretiert man ⏐η*⏐ mithilfe eines Maxwell-Modells (Bird et al. 1977), für welches der Zusammenhang λ mω 1 und η′′′′ = η0 η′ = η0 2 2 1 + λmω 1 + λ2m ω2 gilt, mit λm, der Spannungsrelaxationszeit, dann kann in Y noch die Deborahzahl, λm/t0 (siehe Kapitel 6), eingeführt werden, sodass schließlich die Reynoldszahl Re, jetzt gebildet mit der Nullviskosität η0, die Strouhalzahl Str und die Deborahzahl im Womersley-Parameter auftauchen. Y=
1 2π Re 1 + 4π 2 De 2 Str 2
(5.54)
Durch Definition einer Größe Z* als Quotient aus dem komplexen Druckverlust über der Ro . hrlänge L und dem komplexen Volumenstrom V* kann die Zeitabhängigkeit eliminiert werden, und man erhält Z* =
Δpp L iρωL = ∗ V πR ² 0
1 2J 1 ( 1− kRJ 0 (
)
(5.55)
)
J0 und J1 sind die Besselfunktionen erster Art, nullter und erster Ordnung. Z* wird Impedanz
5
5
166
5 Rheologie von Biosuspensionen
genannt. Gleichung (5.55) ist der gewünschte Zusammenhang zwischen den Messgrößen und der gesuchten Größe η*. Leider lässt sich daraus η* nicht auf elementare Weise bestimmen. Führt man Gleichung (5.52) in (5.55) ein und entwickelt die Besselfunktionen nur bis zum zweiten Glied – das ist ausreichend genau, solange Y < 1 –, dann erhält man eine Näherung Z*0, aus der η* auf einfache Weise berechnet werden kann. Z∗0 =
ρωL 8 cos( ® πR ² ¯ Y ²
) + i§ 4 − 8 sin( ) ·½ ¨ ©3
¸¾ Y ² ¹¿
(5.56)
Aus Gleichung (5.56) ergibt sich nach weiterer Umformung πR 4 η′ = η∗ cos ( ) = Re ( ) (5.57) 8L und η′′′ = − η sin ( ∗
) = − Im(
)
πR 4 ρωR 2 + 8L 6
(5.58)
– der direkte Zusammenhang zwischen der messbaren Größe Z* und den Materialfunktionen der linearen Viskoelastizität ηʹ und ηʹʹ. Re(Z*0) und Im(Z*0) sind der Real- und der Imaginärteil von Z*0. Der elastische Anteil η″ enthält einen reinen Trägheitsterm, ρωR2 / 6, der die durch Trägheit entstehende Phasenver. schiebung zwischen Δp* und V* komp ensiert. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Gleichungen (5.57) und (5.58) nur gültig sind, solange Y < 1, d. h. solange der Einfluss der Trägheit gering ist.
5.7 Dehnströmungen Bisher wurden nur reine Scherströmungen betrachtet. In einem Bioreaktor aber ist die Strömung, welche die Sedimentation verhindern und den Stofftransport verbessern soll, keine reine Scherströmung, sondern es sind auch Dehnanteile vertreten. Der Dehnviskosität kommt damit derselbe Stellenwert wie der Scherviskosität zu. Bei kompliziertem Fließverhalten gibt es keine Möglichkeit, aus dem Scherverhalten auf das Dehnverhalten zu schließen. Für eine vollständige rheologische Charakterisierung müssen also beide Größen bestimmt werden.
Während bei Festkörpern die Bestimmung der mechanischen Eigenschaften unter Dehnverformung weit entwickelt wurde, ist das bei Flüssigkeiten nicht der Fall. Ursache dafür ist, dass reine Dehnströmung als Rheometerströmung bei Flüssigkeiten nicht so leicht zu erzeugen ist. Reine Dehnströmungen zeigen nur Veränderungen der Geschwindigkeitskomponenten in der jeweiligen Koordinatenrichtung. In kartesischen Koordinaten treten also nur die Deformationsgeschwindigkeitskomponenten ∂vvx/∂x, ∂vvy/∂y und ∂vvz/∂z auf. Wegen der Inkompressibilität der hier verwendeten Flüssigkeiten gilt auch div(v) = 0. Unter Berücksichtigung von div(v) = 0 kann man unterscheiden nach eb ener oder planarer Dehnung
∂v x / ∂x = −∂v y / ∂y ;
∂v z / ∂z = 0
(5.59)
einfacher monoaxialer Dehnung
∂v x / ∂x ≠ 0 ; ∂v y / ∂y = ∂v z / ∂z = −1/ 2∂v x / ∂x und zweifacher oder biaxialer Dehnung ∂v x / ∂x ≠ 0 ; ∂v x / ∂x = ∂v y / ∂y ; ∂v z / ∂z = −2∂v x / ∂x
Wegen der Inkompressibilität können nur Differenzen von Normalspannungen gemessen werden, und es treten somit höchstens zwei Normalspannungsdifferenzen auf. Mithilfe der einfachen monoaxialen Dehnung definiert man die Dehnviskosität ηd ηd =
2(
y
∂v x / ∂x
)
(5.60)
ηd nennt man auch die Trouton-Viskosität. Sie ist beim Newton’schen Fluid das Dreifache der Scherviskosität. In der Literatur sind nur wenige Dehnrheometer für Flüssigkeiten bekannt geworden. Zu nennen sind der 4-Rollen-Apparat nach Tay lor (Bird et al. 1977) und weitere diverse Apparate, in denen Staupunktströmungen erzeugt werden. B ei Flüssigkeiten, aus welchen ein Faden gezogen werden kann, lässt sich über das Messen der Fadendicke und der Fadenspannung ebenfalls die Dehnviskosität in monoaxialer Beanspruchung bestimmen. Dehnung kann genauso wie die Scherung oszillierend betrieben werden, und man erhält die entsprechenden viskoelastischen Materialfunktionen wie bei der Scherung.
5.8 Das Fließverhalten von Fermentationsbrühen
Besondere Bedeutung hat die Dehnviskosität für die Begasung von Bioreaktoren, da die Prozesse der Blasenentstehung, des Dispergierens von Blasen und die Blasenkoaleszenz mit Dehnströmung verbunden sind, und zwar solange die Blasen groß sind gegenüber den Bestandteilen, die der Biosuspension die viskoelastischen Eigenschaften verleihen. Nur dann kann die extreme Zunahme der Dehnviskosität mit der Dehngeschwindigkeit, wie man sie bei viskoelastischen Stoffen findet, wirksam werden.
5.8 Das Fließverhalten von Fermentationsbrühen Die meisten Literaturdaten zu rheologischen Untersuchungen an Fermentationsbrühen beschränken sich auf stationäre Messungen. Goudar et al. (1999) fanden bei der batchFermentation von Pencillium chrysogenum mit
167
dem Couette-Rheometer für Scherraten oberhalb 1 s−1 eine Fließkurve, die sich gut durch ein Potenzgesetz beschreiben lässt (Abb. 5.15). Parameter ist die Biomassekonzentration. Für den gleichen Mikroorganismus untersuchten Riley et al. (2000) den Einfluss der Morph ologie. Sie fanden, dass sich die rheologisch en Eigenschaften der Biosuspension während der Fermentation nicht nur in Abhängigkeit von Biomassekonzentration, sondern auch mit der Morphologie des Penicillium chrysogenum ändern. Systematische rheologische Untersuchungen an Fermentationsbrühen, welche sowohl das stationäre als auch das instationäre Fließen zum Gegenstand haben, sind in der Literatur bisher nur spärlich bekannt geworden (z. B. Moheseni et al. 1997). Im Folgenden sollen aus eigenen Untersuchungen an einem speziellen Beispiel eines mycelbildenden Bakteriums aus der Gruppe der Actinomyceten, Streptomyces tendae, die variable Viskosität und die Viskoelastizität dargestellt werden.
Abb. 5.15 Scheinbare Viskosität einer Biosuspension von Penicillium chrysogenum für verschiedene Biomassekonzentrationen nach Goudar et al. (1999)
5
5
168
5.8.1 Rheologisch relevante Parameter Als die wichtigsten Parameter des Fließ verhaltens von Fermentationsbrühen sind zu nennen: die Viskosität der flüssigen Phase, die volumetrische Zellkonzentration, die Morphologie und die physikalischen Eigenschaften des Mycels. B ei einer Messung mit einer der herkömmlichen, makrorheologischen Messmethoden, bei denen ein homogenes Kontinuum vorausgesetzt wird, b ekommt man ein globales Bild des Fließverhaltens und der oben angeführten Parameter. Um die Ergebnisse richtig interpretieren zu können, muss für die jeweilige Probe jeder der genannten Parameter bekannt sein. Die Viskosität der flüssigen Phase und die volumetrische Zellkonzentration sind relativ einfach zu bestimmen. Als Maß für Letztere kann die Biotrockenmasse verwendet werden. Schwieriger ist es bei der Morphologie. Hierbei handelt es sich nicht um eine einzige physikalische Größe,
Abb. 5.16 Pelletgrößenverteilung von Streptomyces tendae aus einer Fermentation im Schüttelkolben. Aufgetragen ist die Anzahl der Pellets aus 1 ml Brühe, die in das Pelletdurchmesserintervall zwischen d und d + Δd fallen, pro Intervallbreite Δd
5 Rheologie von Biosuspensionen
sondern um ein Phänomen, welches nur mithilfe mehrerer Größen beschrieben werden kann. Neben Form und Größenverteilungen – Abbildung 5.16 zeigt eine typische Pelletg röß enverteilung einer im Schüttelkolben durchgef üh rten Fermentation von Streptomyces tendae –, die ein „äußeres Bild“ des Mycels abgeben, ist es auch wichtig, die Struktur im Kleinen zu kennen. Ein geeignetes Maß dafür könnte eine Permeabilität und eine Porosität sein, wie man sie dem Mycel über eine hydraulische Permeation, z. B. realisiert in einer Kuchenfiltration, zuordnen kann. Zur Bestimmung der physikalischen Eigenschaften des Mycels sind die sogenannten mikrorheologischen Methoden, wie sie z. B. in der Blutrheologie schon lange angewandt werden, angezeigt. Mit diesen Methoden versucht man, Elastizitätsmoduln von Mycel direkt an einer Mycelflocke oder im noch kleineren Maßstab direkt an einer Hyphe zu bestimmen. Die elastische Deformierbarkeit und die Permeabilität einer Mycelflocke sind von entsch eidender Bedeutung für den intra-myceliären Stofftransport, da eine Flocke auf ihrem Weg durch den Reaktor lokal sehr unterschiedlichen Spannungen ausgesetzt wird, was entsprechend der jeweils daraus resultierenden Deformation zu Volumenverschiebungen aus dem Mycel in den umgebenden Raum und umgekehrt führen kann, wob ei die jeweil igen Deformationsänderungen sich nur gemäß dem Rel axationsverhalten einstellen können. Im Falle reiner Diff usion werd en die intra-myceliären Diff usionskoeff izienten durch die Poros ität beeinf lusst. Bei einer vollständigen Bestimmung der oben angeführten Parameter müsste sich eine Stoffgleichung erstellen lassen, die allein daraus das Fließverhalten einer Fermentationsbrühe beschreiben könnte. Wegen der Komplexität der Morphologie und der physikalischen Eigenschaften wird man jedoch b ei vertretbarem Auf wand immer auf die „Kontinuums-Rheologie“ angewiesen sein, sodass Mikro- und Makrorheologie sich ergänzen müssen. Alle rheologischen Messungen, die im Folgenden gezeigt sind, wurden im konventionellen Zylinder-Couette-System mit 3 mm weitem Spalt durchgeführt.
5.8 Das Fließverhalten von Fermentationsbrühen
5.8.2 Stationäres Fließen In Abbildung 5.17 ist die variable Viskosität in Abhängigkeit der Scherrate für verschiedene Zellmassekonzentrationen (in Gramm Trockenmasse pro Liter Fermentationsbrühe) dargestellt. Die unterschiedlichen Konzentrationen sind durch Abziehen bzw. Zugabe von flüssiger Phase hergestellt, wodurch dieselbe Partikel-Größenverteilung erhalten bleibt. Für die Kurven mit den höheren Konzentrationen ist bei den kleinsten gemessenen Scherraten eine starke Abhängigkeit von der Scherrate vorhanden. Dies und weitere Untersuchungen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, deuten auf das Vorhandensein einer Fließgrenze hin – darunter versteht man eine mit verschwindender Scherrate über alle Grenzen wachsende . Viskosität bzw. die Möglichkeit, trotz γ = 0 eine Schubspannung aufrechterhalten zu können. Bei der relativ kleinen Zellkonzentration von 1 g/l, erhält man bei kleinen Scherraten eine konstante Viskosität. In diesem Fall ist die Zellmassekonzentration so klein, dass es zu einer Überbrückung des Messspalts durch Mycelagglomerate und damit zur Ausbildung der Fließgrenze nicht kommen kann. Für einen Reaktor hat eine Fließgrenze insofern Bedeutung, als durch sie in
169
Zonen mit entsprechend niedriger Schubspannung jede Bewegung unterbunden wird. Bei den höchsten Scherraten wird im Allgemeinen eine weitere Grenzviskosität η∞ asymptotisch erreicht. Diese deutet sich in Abbildung 5.17 allerdings nur bei den Proben mit den kleinen Konzentrationen an. Die Ursache für die Scherverdünnung, d. h. die Abnahme der Scherviskosität mit zunehmender Scherrate, liegt vermutlich im Abbau von Mycelagglomeraten und anschließender Deformation und Ausrichtung der einzelnen Mycelgebilde in der Rheometerströmung. Hinweise hierauf ergeben sich aus der Beobachtung der gescherten Suspension – der äußere Zylinder des Rheometers war aus Plexiglas gefertigt – und aus Analogien zu anderen biologischen Suspensionen, z. B. Blut, wo ein qualitativ ähnliches Fließverhalten gefunden wird. Die Kurven mit großen Biomassekonzentra. tionen zeigen bei etwa γ = 3 s–1 deutliche Steigungsänderungen. Diese Tatsache lässt auf Veränderungen der Vorgänge im Messspalt schließen, welche durch die folgenden Beobachtungen bei zunehmender Scherrate bestätigt werden. B ei niedrigen Scherraten bilden filamentöse Mycelgebilde bzw. Pellets ein Netzwerk, das den Messspalt überbrückt. Mit wachsender Scherrate tritt an der Wand Schlupf auf, und zwar zuerst
Abb. 5.17 „Scheinbare Viskosität“ einer Suspension aus Pellets von Streptomyces tendae in Abhängigkeit der Scherrate für verschiedene Zellkonzentrationen (Trockenmasse in Gramm pro Liter Fermentationsbrühe)
5
5
170
5 Rheologie von Biosuspensionen
Abb. 5.18 Modellierung der „scheinbaren Viskosität“ einer Streptomyces-tendaeSuspension durch eine modifizierte Casson-Gleichung. Ausgefüllte Zeichen stellen Messwerte, leere Zeichen gerechnete Werte dar. φ = Volumenanteil der Zellen
innen, wo die höhere Spannung auftritt. Ober. halb γ = 3 s–1 löst sich der Verband in Einzelgebilde bzw. -pellets auf. In diesem Scherratenbereich kommt die Strömungsform derjenigen der parallelen Schichtenströmung am nächsten. Die stationären Fließkurven der Abbildung 5.17 lassen sich, wenigstens für die Volumenanteile φ, bei denen eine Fließgrenze zu erwarten ist, qualitativ gut mit einer Casson-Gleichung, wie sie in Abbildung 5.18 gegeben ist, darstellen. η0 ist dort die Viskosität der flüssigen Phase. Da der Volumenanteil der Biomasse (hier bestimmt aus dem Sedimentvolumen bei der Zentrifugation) die rheologisch relevante Größe ist, muss dieser in eine empirische Gleichung für die Viskosität eingehen.
5.8.3 Lineare Viskoelastizität Wie schon beschrieben, wird die lineare Viskoelastizität am besten im sinusförmig oszillierenden Scherexperiment bestimmt. Es zeigt sich, dass Suspensionen von Streptomyces tendae stark viskoelastisches Verhalten haben. Anhand der Parameter der linearen Viskoelastizität ηʹ und ηʹʹ ist dies in den Abbildungen 5.19 und 5.20 im Vergleich zu wässrigen Polyacrylamid-Lösungen dargestellt. Man erkennt wieder die starke Konzentrationsabhängigkeit der rheologischen Größen.
Abb. 5.19 Viskose Komponente der „komplexen Viskosität“ von Streptomyces-tendae-Suspensionen (S.t.), in Abhängigkeit der Kreisfrequenz. Vergleich zu wässrigen Polyacrylamid-Lösungen (PAA)
Die Frequenzabhängigkeit von ηʹ ist ähnlich der Scherratenabhängigkeit der scheinbaren Viskosität. Ursachen für den elastischen, also energiespeichernden Anteil bei der oszillierenden B eanspruchung der Suspension sind reversible Strukturveränderungen (Auf- und Abbau von Agglomeraten) und elastische Verformungen einzelner Mycelgebilde.
171
5.8 Das Fließverhalten von Fermentationsbrühen
a
Abb. 5.20 Elastische Komponente der „komplexen Viskosität“ von Streptomyces-tendae-Suspensionen (S.t.) in Abhängigkeit der Kreisfrequenz. Vergleich zu wässrigen Polyacrylamid-Lösungen (PAA) b
Am Spannungsrelaxations- oder am Retardationsverhalten kann man sich die Bedeutung der viskoelastischen Parameter klar machen. Hierzu müssen allerdings einfache rheologische Modelle (z. B. das phänomenologische Feder-Dämpfer-System) herangezogen werden (Abb. 5.21). Für diese kann ein Zusammenhang zwischen den viskoelastischen Parametern und den Relaxationszeiten hergestellt werden. Beim Maxwell-Modell (Serienschaltung eines Dämpfers und einer Feder, Abb. 5.13c) ergibt sich die Spannungsrelaxationszeit (auch Maxwell-Relaxationszeit genannt) aus dem Quotienten von ηʹʹ und Gೀ. Aus dem Voigt-Modell (Parallelschaltung von Feder und Dämpfer, Abb. 5.21a), berechnet man aus dem Quotienten von ηʹ und Gಿ die Retardationszeit (auch Voigt-Relaxationszeit genannt). Wenn eine Scherbelastung plötzlich aufgehoben wird, ist die Spannungsrelaxationszeit ein Maß für das Abklingen der Spannung, hingegen ist die Retardationszeit ein Maß für das Abklingen einer Deformation, wenn eine Spannung plötzlich aufgehoben wird. Ist die Ursache für das viskoelastische Verhalten eine Strukturveränderung im Fluid, so sind die Relaxationszeiten ein Maß für das Zeitverhalten der Strukturumbauvorgänge. Es leuchtet ein, dass bei komplexen mikrobiellen
Abb. 5.21 (a) Voigt-Modell und (b) verallgemeinertes Maxwell-Modell
Suspensionen, wie z. B. von Streptomyces tendae, eine ganze Reihe von Spannungsrelaxationszeiten (Relaxationszeitspektrum) wirksam ist, die sich näherungsweise durch die Parallelschaltung von Dämpfer-/Federelementen, ein sogenanntes verallgemeinertes Maxwell-Modell (Abb. 5.21b), beschreiben lassen.
5.8.4 Fließverhalten im Verlauf einer Fermentation Fermentationen werden überwiegend nichtkontinuierlich betrieben. Dabei bleibt weder die Zusammensetzung der flüssigen noch die der festen Phase der Fermentationsbrühe erhalten. Das Fließverhalten der flüssigen Phase variiert nur leicht, wenn keine weitere Änderung als die der Substratkonzentration auftritt, jedoch stark, wenn extrazelluläre Biopolymere entstehen, wie es z. B. bei der Produktion von Xanthan durch Xanthomonas campestris der Fall ist.
5
5
172
5 Rheologie von Biosuspensionen
a
Abb. 5.22 (a) Scheinbare Viskosität η (Parameter ist die Scherrate) sowie (b) viskoser und elastischer Anteil der „komplexen Viskosität“ und jeweils das Trockengewicht (TG) während einer Fermentation von Streptomyces tendae im 110-Liter-Schlaufenreaktor
b
Das Wachstum der Mikroorganismen während der Fermentation hat speziell bei mycelbildenden Organismen einen großen Einfluss auf das Fließverhalten. Es ändert sich dabei nicht nur der Volumenanteil der Organismen am Gesamtvolumen der Suspension, ausgedrückt durch das Trockengewicht, sondern auch die Morphologie der Biomasse. Um das zu demonstrieren, seien begleitende Viskositätsmessungen zu einer Fermentation von Streptomyces tendae in einem 110-Liter-Schlaufenreaktor angeführt. In Abbildung 5.22a ist die scheinbare Viskosität, wie sie mit einem Couette-System mit einer Spaltweite von 3 mm gemessen wurde, für drei Scherraten über der Zeit aufgetragen. Zum Ver-
gleich enthält das Diagramm auch den Verlauf des Trockengewichts (TG) während der Fermentation. Die Viskosität steigt zu Beginn der Fermentation, in der exponentiellen Wachstumsphase, so wie man es vom Verlauf des Trockengewichts erwarten würde, erreicht jedoch das Plateau der stationären Phase früher als das Trockengewicht. Hier verändert sich trotz Zunahme des Trockengewichts um ca. 30 % die Viskosität nicht. Offensichtlich findet gleichzeitig eine Veränderung der Morphologie oder der mechanischen Eigenschaften des Mycels statt. In der stationären Phase verändert sich die Viskosität kaum, fällt jedoch im Verlauf der Absterb ephase um eine
5.8 Das Fließverhalten von Fermentationsbrühen
173
Abb. 5.23 Einfluss von pH und Osmolarität auf den Konsistenzindex von Glarea lozoyensis einer Fermentationsprobe aus einem 19-m³Bioreaktor (nach Pollard et al. 2002)
Zehnerpotenz. Vergleicht man die drei Viskositätskurven, fällt auf, dass die Scherverdünnung zum Ende der Fermentation kaum abnimmt. Neben den stationären Viskositätsmessungen wurden während der oben erwähnten Fermentation im Schlaufenreaktor ebenfalls instationäre Messungen durchgeführt. Beispielhaft zeigt Abbildung 5.22b den viskosen Anteil ηʹ und den elastischen Anteil ηʹʹ der komplexen Viskosität einer oszillierenden Anregung mit der Scherra. tenamplitude γ = 1 s–1 und einer Kreisfrequenz von ω = 0,22 s−1, wieder zusammen mit dem Trockengewicht. Die Periodendauer der ausgewählten Kreisfrequenz entspricht etwa der Umlaufzeit im Schlaufenreaktor.
Die Kurven ηʹ und ηʹʹ ähneln den Kurven der stationären Viskosität in Abbildung 5.22a. Sie steigen zu Beginn mit dem Trockengewicht an und fallen zum Ende der Fermentationszeit wieder ab. Auffallend ist der relativ hohe elastische Anteil während der stationären Phase. Dies deutet auf ein stark verhaktes Mycel hin. Der deutliche Rückgang der Viskoelastizität nach der 50. Fermentationsstunde, ohne dass die Biotrockenmasse abnimmt, ist auf eine zu lange Wartezeit zwischen Probeentnahme und Messung zurückzuführen. Durch die fehlende Sauerstoffzufuhr werden die Hyphen offensichtlich weicher und weniger elastisch. Ansonsten liegt der elastische Anteil ηʹʹ während der gesamten Fermentations-
5
5
174
dauer niedriger als der viskose, er fällt jedoch insgesamt weniger ab. Dies trifft nur für sehr kleine Winkelgeschwindigkeiten ω zu, die zum stationären Fall tendieren. Bei größeren ω findet man umgekehrte Verhältnisse. Insgesamt verlaufen ηʹ und ηʹʹ ähnlich wie die Biotrockenmasse. Rheologische Untersuchungen für die fedbatch-Fermentation von Glarea lozoyensis, einem filamentös wachsenden Pilz im technischen Maßstab (19-m3-Reaktor) – wenn auch nur für stationäres Fließen – führten Pollard et al. (2002) durch. Die rheologischen Messungen erfolgten parallel mit Couette-, Kegel-Platte- und RührRheometer. Während die Ergebnisse der Messungen mit den beiden erstgenannten Rheometern gute Übereinstimmung ergaben, streuten diejenigen des letztgenannten stark, offensichtlich als Folge von Entmischungseffekten. Die Fließkurven zeigten den typischen Verlauf der abnehmenden Scherviskosität mit zunehmender Scherrate. Sie ließen sich nach Angaben der Autoren am besten durch ein Potenzgesetz beschreiben (Gleichung (5.23)). Eine starke Abhängigkeit der rheologischen Eigenschaften vom pH-Wert – mit einem Maximum bei pH 5,5 (Abb. 5.23) – wurde als rein physikalischer (d. h. nicht biologischer) Effekt gedeutet, eventuell eine Folge veränderter ionischer Ladungen an den Enden der Hyphen. Als Fachliteratur wird empfohlen: für die Rheologie Barnes (1989), für die Rheometrie Mezger (2010) und für die Zusammenhänge zwischen Rheologie und Mikrostruktur Proceedings of the 5th International Symposium on Food Rheology and Structure (2009) Zürich, hier insbesondere Brader et al. (2009)
5 Rheologie von Biosuspensionen
Literatur Barnes, H. A. (1989): An Introduction to Rheology. Elsevier Verlag, Amsterdam Bird, R. B., Armstrong, R. C., Hassager, O. (1977): Dynamics of polymeric liquids. John Wiley & Sons, New York Bongenaar, J. J. T. M., Kossen, W. W. F., Metz, B., Meijboom, F. W. (1973): A method for characterizing the rheological properties of viscous fermentation broths. Biotechnol. Bioeng. 15: 201 Brader, J. M., Fuchs, M., Voigtmann, T., Weyßer, F., Cates, M. E., Henrich, O., Ballauff, M., Siebenbürger, M. (2009): Rheology of colloidal dispersions close to gl ass or gel transitions. Proceedings of the 5th International Symposium on Food Rheology and Structure, Zürich Fredrickson, A. G. (1964): Principles and applications of rheology. Prentice-Hall Inc., Englewood Cliffs Giesekus, H., Langer, G. (1977): Die Bestimmung der wahren Fließkurven nicht-Newtonscher Flüssigkeiten und plastischer Stoffe mit der Methode der repräsentativen Viskosität. Rheologica Acta 16: 1–22 Goudar, C. T., Strevett, K. A., Shah, S. N. (1999): Influence of microbial concentration on the rheology of non-Newtonian fermentation broths, Appl. Microbiol. Biotechnol. 51: 310–315 Mezger, T. G.(2010): Das Rheologie Handbuch. Vincentz Verlag, Hannover Moheseni, M., Kautola, H., Grant, A. D. (1997): The viscoelastic nature of filamentous fermentation brot hs and its influence on the directly measured yield stress. J. Ferment. Bioeng. 83: 281–286 Pollard, D. J., Hunt, G., Kirschner, T. K., Salmon, P. M. (2002): Rheological characterization of a fungal fermentation for the production of pneumocandins. Bioprocess Biosyst. Eng. 24: 373–383 Riley, G. L., Tucker, K. G., Paul, G. C., Thomas, C. R. (2000): Effect of biomass concentration and mycelial morphology on fermentation broth rheology. Biotechnol. Bioeng. 68: 160–172 Thurston, G. B. (1960): Theory of oscillation of a viscoelastic f luid in a circular tube. J. Acoustical Soc. Amer. 32: 210– 213
6
Transportvorgänge in Biosuspensionen*
6.1 Maßstabsübertragung Bei der Übertragung von Bioprozessen in den technischen Maßstab treten im Bioreaktor häufig Transportprobleme auf, die im Labormaßstab nicht beobachtet bzw. vernachlässigt werden konnten, nun aber prozesslimitierend sind. Ursache dafür ist eine nicht korrekte Maßstabsübertragung. Für eine richtige Vorgehensweise leistet die Ähnlichkeitstheorie gute Dienste. Dort werden dimensionslose Kennzahlen zur Beschreibung eines physikalisch-technischen Sachverhalts verwendet, welche beim Übergang auf einen anderen Maßstab im Zahlenwert beizubehalten sind, damit die physikalische Ähnlichkeit erhalten bleibt. Eine Möglichkeit zur Herleitung der dimensionslosen Kenngrößen bieten die systembeschreibenden Differenzialgleichungen. Unter Verwendung charakteristischer Größen des Systems werden zunächst die dimensionsbehafteten abhängigen und unabhängigen Variablen der Gleichungen in eine dimensionslose Form gebracht. Sodann kann man die sonst noch auftretenden Faktoren bzw. Faktorengruppen durch geeignete Multiplikationen ebenfalls dimensionslos machen, wodurch sich die entsprechenden dimensionslosen Kennzahlen ergeben. Am Beispiel der Navier-Stokes-Gleichung für die instationäre Rohrströmung soll diese Vorgehensweise demonstriert werden. Die systembeschreibende Differenzialgleichung lautet: § ∂v · r∂ ¨r ¸ ∂v ∂p 1 © ∂r ¹ =− + (6.1) ∂t
∂x
r
∂r
Hier sind die Geschwindigkeit v, der Druck p, die Ortskoordinaten x und r und die Zeit t di-
* Autoren: Horst Chmiel, Eckehard Walitza
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
mensionslos zu machen. Als systemspezifische Bezugsgrößen eignen sich dafür die mittlere Ge_ schwindigkeit v, der mittlere Staudruck 0,5ρv 2, der Rohrdurchmesser d und t0, eine Systemzeit (z. B. die Periodendauer, wenn eine oszillierende Anregung vorliegt, oder eine systemspezifische Länge des Systems dividiert durch die systemspezifische Geschwindigkeit). Führt man nun die Größen v ∗= v/ v; p∗= p/(0,5ρv 2 ); x ∗= x / d; r ∗= r / d; t ∗= t / t 0
ein, nachdem man Gleichung (6.1) durch die systemspezifischen Größen an den entsprechenden Stellen erweitert hat, dann wird daraus §
∗
∗
∂¨¨ r∗
∂v ∗ · ¸ ∂r∗ ¸¹
ρ v ∂v 0,5ρ v ∂p ηv 1 © =− + t 0 ∂t ∗ d ∂x ∗ d 2 r∗ ∂r∗ 2
(6.2)
Da die hervorgehobenen Terme schon dimensionslos sind, genügt es, einen von seiner Faktorengruppe zu befreien, wodurch die beiden anderen dadurch entstehenden Gruppen dimensionslos werden. Wird Gleichung (6.2) also durch η–/d2 dividiert, so erhält man ηv § ∗ ∂v ∗ · ¨r ¸ ∗ 0,5vd ∂p ∗ 1 ¨© ∂r ¸¹ d 2 ∂v ∗ = − + t 0 ∂t ∗ ∂x ∗ r ∗ ∂r ∗
(6.3)
Der dimensionslosen Faktorengruppe beim dimensionslosen Druckgradienten in Gleichung (6.3), die das Verhältnis der Trägheits- zur Zähigkeitskraft angibt, hat man den Namen Reynoldszahl, Re, gegeben. Re =
v d Trägheitskrrraft = Zähigkeitskraft
(6.4)
Die andere Gruppe entspricht dem im Kapitel 5 eingeführten Womersley-Parameter. Sind die systembeschreibenden Gleichungen in ihrer Gesamtheit explizit nicht bekannt, so wie es bei Problemstellungen aus der Biotechnik
6
176
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
oft der Fall ist, dann bedient man sich der Dimensionsanalyse nach dem Buckingham’schen π-Theorem. Letzteres beinhaltet die grundsätzliche Darstellbarkeit von physikalischen Gesetzmäßigkeiten durch sogenannte dimensionslose π-Größen. Seine Bedeutung liegt nicht nur in der rationellen Darstellung – die Zahl der Einflussgrößen reduziert sich –, sondern auch darin, dass jedem Zustandspunkt des π-Raumes unendlich viele physikalische Realisierungsmöglichkeiten entsprechen, was die Grundlage der Maßstabsübertragung bildet. Es soll nun ein Schema vorgeführt werden, mit dessen Hilfe man unter Benutzung des π-Theorems den relevanten Kennzahlensatz für einen physikalischen Sachverhalt ermitteln kann.
6.1.1 Stationäre Rohrströmung Dies soll am Beispiel der – hier stationären – Rohrströmung erläutert werden. Für den Fall einer Newton’schen Flüssigkeit ergeben sich sechs Einflussgrößen, deren Dimensionen mit den drei Grundeinheiten Länge (L), Zeit (T) und Masse (M) gebildet werden: mittlere Geschwindigkeit dynamische Viskosität Rohrdurchmesser Rohrlänge Dichte des Fluids Druckverlust
_ v η d l ρ Δp
[L/T] [M/LT] [L] [L] [M/L3] [MT2/L]
Unter Verwendung des sogenannten Relationenpostulats kann man annehmen, dass zwischen den m dimensionsbehafteten Einflussgrößen ein Zusammenhang _ (6.5) f (v, η, d, ρ, Δp, l) = 0
existiert, welcher nach dem π-Theorem gleichbedeutend ist mit g(π1, π2, …, πm−n) = 0. Die Anzahl der π-Größen, gegeben durch m − n, mit n, der Anzahl der Grundeinheiten, hat im Fall des gewählten Beispiels den Wert drei. Die Argumentenliste von f wird auch die Relevanzliste des betrachteten Problems genannt. Aus den m Größen der Relevanzliste und den n Grundeinheiten wird eine (n, m)-Matrix gebil-
det, deren Element i, j angibt, mit welcher Potenz die i-te Grundeinheit in der j-ten dimensionsbehafteten Größe vorkommt.
L M T
v d Δp l 1 −1 1 − 3 −1 1
1 0
0 1 0 −1 −1 0
1 0 −2 0
(6.5a)
Die Anordnung innerhalb der Relevanzliste ist zwar unerheblich, man kann dabei aber auch zielstrebig vorgehen, wie man am dargestellten Formalismus, der zu den dimensionsfreien π-Größen führt, erkennen wird. Dieser sieht so aus, dass mithilfe von erlaubten Zeile/Zeile-Operationen für Matrizen, wie sie aus der linearen Algebra bekannt sind, die Matrix (6.5a) so transformiert wird, dass links eine (n, n)-Einheitsmatrix und rechts die (n, n−m)-Koeffizientenmatrix Pij entsteht. Δpp
v d
l
1 0 0 −1
1 0
0 1 0
1 0
1
Pij
(6.5b)
0 0 1 −1 −1 1
Man wird also die Reihenfolge der Größen in der Relevanzliste so wählen, dass links in der Matrix (6.5a) auf jeden Fall die linear unabhängigen Spaltenvektoren stehen und diese so, dass man schon vor den Umwandlungen möglichst nahe an die Einheitsmatrix kommt. Die linear unabhängigen π-Größen lassen sich nun aus folgender Beziehung gewinnen − p ij
πj = xj ⋅∏ yi
j = 1,...,m-n; i = 1,...,n
(6.6)
i
die wegen der Produktbildung den dimensionslosen Größen auch den Namen π-Größen gegeben hat. Da _ b ei ist unter y der Vektor mit den Elementen (v, η, d) und unter x der mit den Elementen (ρ, Δp, l) zu verstehen. Angewandt auf obige Matrix erhält man (6.7) π3 = l d−1 = l/d _ π2 = Δp d η−1 v −1 (6.8) _ π1 = ρ v d η−1 (6.9) Daraus lassen sich unmittelbar bzw. durch Kombination drei dimensionslose Kennzahlen gewinnen:
177
6.1 Maßstabsübertragung
P3
l d
dimensionslose Länge (6.10)
P2 d Δp 2 Widerstandsbeiwert ξ = P1 ⋅ P2 l ⋅ ⋅ v2 P1
vd
Reynoldszahl Re
(6.11) (6.12)
Im Angelsächsischen wird statt dem Widerstandsbeiwert f = ξ/4 verwendet. In Abbildung 6.1 ist der Zusammenhang zwischen Widerstandsbeiwert f und Reynoldszahl Re – er wird allgemein als Widerstandscharakteristik bezeichnet – für Newton’sche Flüssigkeiten und einige Polymerlösungen dargestellt. Für Newton’sche Flüssigkeiten findet man für den laminaren Bereich den Zusammenhang f = 16/Re und die sprunghafte Erhöhung beim Übergang in die Turbulenz bei Re = 2 300. Für die Polymerlösungen wurde Re mit der repräsentativen Viskosität gemäß Gleichungen (5.29) und (5.30) gebildet, wodurch die oben abgeleiteten dimensionslosen Kennzahlen auch für nicht-Newton’sche Flüssigkeiten anwendbar sind. Man erkennt in Abbildung 6.1, dass die Messpunkte für die Polymerlösungen im laminaren Bereich mit guter Genauigkeit auf der Kurve f = 16/Re liegen. Wichtiger aber ist, dass diese Flüssigkeiten ein deutlich viskoelastisches Verhalten zeigen, was sich in einem stark veränderten Turbulenzverhalten gegenüber Newton’schen
Flüssigkeiten bemerkbar macht. Der Übergang von der laminaren zur turbulenten Strömung ist verzögert und der Widerstandsbeiwert f deutlich vermindert. Die turbulente Widerstandscharakteristik liefert also ein außerordentlich empfindliches Maß für die Ermittlung viskoelastischer Effekte. Andererseits geht daraus hervor, dass Einflussgrößen, die das viskoelastische Verhalten beschreiben, zu berücksichtigen wären, was zu weiteren Kennzahlen führt (siehe Abschnitt 6.2.1).
6.1.2 Stoffübergang an einer Gasblase Als zweites Beispiel wird der Stoffübergang an frei in einer Flüssigkeit aufsteigenden Gasblasen des Durchmessers d gewählt, der für den Sauerstoffeintrag in Fermentationsbrühen (Abschnitt 6.3.1) wichtig ist. Aus Abbildung 6.7, die schematisch die Widerstände b eim Transp ort von Sauerstoff von einer Gasblase in eine Zelle wiedergibt, wird neb en dem Diffusionskoeff izienten DAB üb er Gleichung (6.57) (Ab schnitt 6.3.6) der Stofftransportkoeffizient kl als wichtige Einflussgröße für den Stoffübergang abgeleitet. Für den Fall einer Newton’schen Flüssig keit lassen sich damit acht Einflussg rößen nennen, deren Dimensionen von den drei Grundeinheiten Länge (L), Zeit (T) und Masse (M) abhängen: Stofftransportkoeffizient Diffusionskoeffizient dynamische Viskosität Dichte Dichtedifferenz Erdbeschleunigung charakteristische Länge Oberflächenspannung
k1 DAB η1 ρ1 Δρ = (ρ1-ρg) g d σ
[L/T] [L2/T] [M/TL] [M/L3] [M/L3] [L/T2] [L] [M/T2]
wobei die Indizes 1 und g für Flüssigkeit und Gas stehen. Unter Verwendung des oben genannten Relationenpostulats kann man annehmen, dass zwischen den m dimensionsbehafteten Einflussgrößen ein Zusammenhang Abb. 6.1 Widerstandscharakteristik verschiedener wässriger Polyacrylamid-Lösungen (Parameter ist die PAA-Konzentration) im Vergleich zu Newton’schen Flüssigkeiten (Chmiel 1971)
f (k1, DAB, η1, ρ1, Δρ, g, d, σ) = 0
(6.13)
existiert, welcher nach dem π-Theorem gleichbedeutend ist mit g(π1, π2, …, πm−n) = 0.
6
6
178
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
Die Anzahl der π-Größen hat im Falle dieses Beispiels den Wert fünf. Aus den m Größen der Relevanzliste und den n Grundeinheiten wird wieder eine (n, m)Matrix (6.13a) gebildet: k1
D AB
L T
1 −1
2 −1
η1 ρ1 Δρ g d σ −1 − 3 − 3 1 1 0 −1 0 0 −2 0 −2
M
0
0
1
1
1
0
0
(6.13a)
1
und mithilfe der erlaubten Zeile/Zeile-Operationen in die Matrix (6.13b) transformiert. k1 1 0 0
D AB 0 1 0
η1 0 0 1
ρ1 Δρ g d 0 0 3 −1 −1 −1 −1 1 1 1 0 0
σ 1 0 1
R1 k 0j D AB1 H11
R1
1 P 2 $ R k10 D AB H1 1
P 3 g k1 3 D AB1 H10
P 4 d k11 ( D AB ) 1H10
Pij
π 5 = σk 1−1 D 0AB η1−1
=
D AB
H1
$ R D AB
H1
(6.13b)
(6.14) (6.15)
g D AB k13
(6.16)
d k1 D AB
(6.17)
σ k 1 η1
(6.18)
Daraus lassen sich direkt, bzw. durch Kombination, die vier Kennzahlen Grashofzahl Gr (für Stoffübertragung), Sherwoodzahl Sh, Schmidtzahl Sc und die Weberzahl We definieren. P43P1P 2P 3
gd 31 (1 g ) H12
Grashofzahl
(6.19)
Auftrieb Gr Zähigkeit
P4 =
H1 R1DAB
Schmidtzahl Sc =
Zähigkeit Diffusion
(6.21)
g 2 d 5 R13
SH12
(6.22)
Trägheitskraft Weberzahl We = Grenzflächeeenkraft
Führt man über das Gleichgewicht von Stokes’scher Reibungskraft und Auftrieb die Blasenaufstiegsgeschwindigkeit v ein und vernachlässigt ρg gegenüber ρ1, so ergibt sich die gebräuchlichere Form der Weberzahl v 2 dρ1 σ
(6.23)
Um zur Grashof- und zur Weberzahl zu gelangen, sind im vorgeführten Beispiel umständliche Umrechnungen aller hier gewonnenen π-Größen notwendig geworden. Bei einer jeweils anderen Reihenfolge in der Relevanzliste hätten sich beide Kennzahlen leichter erzeugen lassen. Häufig findet man Beschreibungen des Stoffübergangs in Abhängigkeit der Reynoldszahl, die im Falle des obigen Beispiels die Blasenaufstiegsgeschwindigkeit v enthält. Da diese Geschwindigkeit von Δρ abhängt, könnte sie in der Relevanzliste dagegen ausgetauscht werden. Das hat zur Folge, dass man bei der Berechnung der π-Größen die Reynoldszahl statt der Grashofzahl erhält. Weitere Kennzahlen lassen sich durch Kombinationen aus den bisher abgeleiteten erzeugen, wie z. B. die später noch zu verwendende Froudezahl Fr, die entsprechend Gleichung (6.24) definiert ist. Fr =
v 2 Trägheitskraft = gd Schwerkraftt
(6.24)
Wenn wieder die Dichte des Gases gegenüber der Dichte der Flüssigkeit vernachlässigt wird, lässt sich Fr aus der Reynoldszahl und der Grashofzahl berechnen. Fr =
k1d Stoffübergang Sherwoodzahhhl Sh = (6.20) DAB Diffusion
1 / P1 =
Gr 2 /(P5P 4P2 ) =
We =
Gleichung (6.6) angewandt auf obige Matrix (6.13b) ergibt P1
Vernachlässigt man die Gasdichte gegenüber der Flüssigkeitsdichte, dann erhält man weiterhin
Re 2 Gr
(6.25)
Die Herleitung des obigen Formalismus ist bei Pawlowski (1971) sehr ausführlich beschrieben. Ihre Darstellung überschreitet aber den hier gesteckten Rahmen, denn sie verlangt Kenntnisse aus der Funktionalanalysis.
179
6.2 Leistungseintrag beim Rühren von Flüssigkeiten
6.2 Leistungseintrag beim Rühren von Flüssigkeiten Als Beispiel für Impulstransport sei das Rühren von Flüssigkeiten betrachtet. Die zum Rühren im stationären Fall erforderliche Leistung setzt sich zusammen aus der zum Dispergieren aufzubringenden Arbeit und der durch Reibung in Wärme umgewandelten kinetischen Energie des Mediums.
6.2.1 Leistungseintrag beim Rühren Newton’scher und nichtNewton’scher Flüssigkeiten Das in Abschnitt 6.1 vorgestellte Verfahren soll zunächst auf das Rühren einer Newton’schen Flüssigkeit angewandt werden, wobei eine weitere für die Biotechnik interessante Kennzahl, die L eistungskennzahl Ne, auch Newtonzahl genannt, eingeführt wird. Die Relevanzliste lautet, mit P, dem Leistungseintrag, ν1, der kinematischen Viskosität, ρ1, der Dichte, n, der Rührerdrehzahl, und d, dem Rührerdurchmesser:
f (P, ν1, ρ1, n, d) = 0
(6.26)
Die Dimensionsmatrix ergibt sich zu d
n
1
1
P
L
1
0
−3
2
2
T
0 −1
M 0
0
0
−1 − 3
1
0
(6.27)
1
und führt nach den erlaubten Zeilenoperationen zu d
n
1
1
P
1
0
0
2
5
0
1
0
1
3
0
0
1
0
1
π1−1 = Re =
nd 2 ν1
(6.31)
π 2 = Ne =
P d 5 n 3 ρ1
(6.32)
Im Kapitel 5 wurde bereits ausführlich auf die viskoelastischen Fließeigenschaften von Biosuspensionen hingewiesen. Dies ist ggf. bei den entsprechenden Stoffwerten in den jeweiligen Kennzahlen zu berücksichtigen. Dazu muss noch einmal auf die Viskoelastizität zurückgekommen werden. Die typischen Erscheinungen beim Fließen viskoelastischer Flüssigkeiten sind eine starke Abhängigkeit der Scherviskosität von der Scherrate, das Auftreten von Normalspannungsdifferenzen und eine Spannungsrelaxation im instationären Fall. Spannungsrelaxation bedeutet, dass die Spannungen auf plötzliche Veränderungen relevanter kinematischer Größen nur verzögert folgen, entsprechend der Spannungsrelaxationszeit. Letztere ist diejenige Zeit, nach der die Spannungsänderung zu (1 − 1/e) 100 % abgelaufen ist, wobei ein exponentieller Verlauf unterstellt wird. Dasselbe gilt im umgekehrten Fall für die kinematischen Größen, wenn die Spannung plötzlich verändert wird (Retardation). Normalspannungsdifferenzen machen sich in solchen Strömungsfeldern bemerkbar, wo die Strömung mehrere Geschwindigkeitskomponenten hat, wenn man von Wirkungen auf die Strömungsberandung absieht. Für Transportvorgänge in strömenden viskoelastischen Flüssigkeiten ergeben sich deshalb neben den oben genannten drei Kennzahlen noch zwei weitere, die die soeb en geschilderten Erscheinungen berücksichtigen. Es handelt sich um die Deborahzahl De De =
m t0
Deborahzahll
De =
charakt. Materialzeiiit charakt. Systemzeit
(6.33)
(6.28)
woraus sich zwei π-Zahlen ableiten
welche eine charakteristische Materialzeit λm (z. B. Spannungsrelaxationszeit) mit einer charakteristischen Systemzeit t0 (z. B. Verweilzeit, Dauer eines periodischen Vorgangs usw.) vergleicht, und um die Weissenbergzahl Wn
π1 = ν 1 ⋅ d − 2 ⋅ n −1 ⋅ ρ10 =
ν1 d2n
(6.29)
π 2 = P ⋅ d −5 ⋅ n −3 ⋅ ρ1−1 =
P d 5 n 3 ρ1
(6.30)
Wn =
1 − 2
Damit werden die Rührer-Reynoldszahl Re und die Leistungskennzahl Ne definiert
Wn =
1. Normalspannnnungsdifferenz Schubspannung
Weissenbergzahl
(6.34)
6
6
180
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
welche die erste Normalspannungsdifferenz mit der Schubspannung vergleicht. Im Falle einiger einfacher viskoelastischer Modellgleichungen wird Wn zu Wn =
λmv d
(6.35)
d ist dabei eine charakteristische Länge und v die mittlere Strömungsgeschwindigkeit. Die Bestimmung der charakteristischen Materialzeit λm betreffend, sei ein kleiner rheologischer Exkurs eingeschoben. λm kann aus verschiedenen rheologischen Materialfunktionen bestimmt werden. Eine Möglichkeit besteht darin, den Schubspannungsverlauf nach einem Sprung in der Scherrate zu messen und daraus, wie oben beschrieben, λm zu bestimmen. Das impliziert einen exponentiellen Verlauf der Schubspannungsänderung, wie das beim phänomenologischen Modell eines Dämpfers (für die Materialeigenschaft Viskosität) in Serie mit einer Feder (für den elastischen Schubmodul), dem sogenannten Maxwell-Modell, der einfachsten viskoelastischen Modellgleichung, der Fall ist (s. Kap. 5). Bei der Verwendung anderer rheologischer Materialfunktionen für die Bestimmung von λm muss man ebenfalls viskoelastische Modelle voraussetzen, um eine Relaxationszeit zuordnen zu können. Am einfachsten ist es wiederum, das Maxwell-Modell oder das Voigt-Kelvin-Modell (eine Feder parallel zu einem Dämpfer) zu ver-
Abb. 6.2 Retardationszeit λv als Funktion der Frequenz für eine Streptomyces tendae-Suspension, ermittelt aus der komplexen Viskosität, für zwei verschiedene Amplituden im oszillierenden Scherexperiment
wenden. Letzteres ist bei Stoffen, die dem Festkörper näher stehen als der Flüssigkeit, angebracht. Auf diese Weise kann man anhand der viskoelastischen Materialfunktionen η′ und η′′ (bzw. G΄ und G˝) Materialzeiten wie die Spannungsrelaxationszeit λm oder die Retardationszeit λv bestimmen λm =
η′′′ η′′′ = G ′′′ η′ω
(Maxwell)
(6.36)
λv =
η′ η′ = G ′ η′′′ω
(Voigt-Kelvin)
(6.37)
In Abbildung 6.2 ist die Retardationszeit, mit der das Abklingen der Deformation bei der abrupten Veränderung der Spannung beschrieb en wird, bestimmt aus η′ und G′, als Funktion der Frequenz bei zwei verschiedenen Amplituden der Scherung (Kapitel 5) für eine Suspension von Streptomyces tendae dargestellt. Offenbar hat man es nicht mit einer einzigen Retardationszeit zu tun, denn λv erweist sich als stark abhängig von der Frequenz und ist somit keine reine Materialeigenschaft mehr. Ursache dafür ist, dass ein so einfaches Modell wie das Voigt-Kelvin-Modell nicht in der Lage ist, so komplizierte Flüssigkeiten wie Biosuspensionen zu beschreiben. Denkt man sich das Fließverhalten durch eine Superposition einer Vielzahl von in Serie geschalteten Voigt-Kelvin-Modellen zustande
181
6.2 Leistungseintrag beim Rühren von Flüssigkeiten
gekommen, so kann man dem Verlauf η*(ω) ein Spektrum von Retardationszeiten zuordnen (Bird et al. 1977) und man erhält mit dem gesamten Spektrum wieder eine reine Materialeigenschaft. Bei einem breiten Spektrum kann das viskoelastische Verhalten in einem großen Bereich von Systemzeiten für Transportvorgänge im Bioreaktor eine Rolle spielen. Zur Verwendung in der Deborahzahl bietet sich die Retardationszeit an, die mit der höchsten Intensität im Spektrum auftritt. Prinzipiell möglich, jedoch messtechnisch schwieriger zu realisieren, ist die Bestimmung von Wn, entsprechend Gleichung (6.34), über Normalspannungsmessungen. Die Weissenbergund die Deborahzahl lassen sich über die Dimensionsanalyse einführen, wenn man die Relevanzliste (6.26) um σ1 − σ2 und λm erweitert.
6.2.2 Leistungseintrag beim Rühren begaster Newton’scher Flüssigkeiten Für die Leistungskennzahl Ne des Rührers gilt allgemein Ne = f (Re, Fr, Q, We)
(6.38)
Hier wird eine weitere dimensionslose Kennzahl, die Gasdurchsatzkennzahl Q
Q=
qG nd 3
(6.39)
verwendet. qG ist dabei der Gasvolumenstrom. Im unbegasten System, wenn Q = 0, und bei entsprechenden Einbauten, kann die Froudezahl vernachlässigt werden, sodass die Leistungskennzahl nur noch von der Reynoldszahl abhängt. In Abbildung 6.3 ist für diesen Fall und eine Reihe verschiedener Rührertypen die Leistungskennzahl Ne = f(Re) qualitativ dargestellt. Man erkennt, dass im vollturbulenten Bereich die Leistungskennzahl von der Reynoldszahl unabhängig ist, während im laminaren Bereich f ür die Rührleistung P P ~ n 2d 3
oder
Ne ~
1 Re
(6.40)
gilt. Ein ähnliches Verhalten kennt man vom Druckverlust in der Rohrströmung. Die konstante Leistungskennzahl im Turbulenten und der Proportionalitätsfaktor im Laminaren hängen von der Art des Rührers ab. In begasten Systemen ist im turbulenten Bereich mit zunehmender Gasbelastung eine Abnahme der eingetragenen Rührleistung zu beobachten (Abb. 6.4). Diese Abnahme wird – so lautet eine mögliche Erklärung – durch Gaspolster verursacht, die sich hinter den Rührerblättern ausbilden und den Strömungswiderstand reduzieren.
Abb. 6.3 Leistungskennzahl Ne als Funktion der Reynoldszahl für drei verschiedene Rührertypen (Bailey und Ollis 1991)
6
6
182
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
Abb. 6.4 Normierte Leistungskennzahl in Abhängigkeit von der Gasdurchsatzkennzahl Q für Newton’sche Fluide im turbulenten Bereich. Ne0 ist die Leistungskennzahl für Q = 0 (Bailey und Ollis 1991)
6.2.3 Leistungseintrag beim Rühren begaster viskoelastischer Flüssigkeiten Es ist zunächst daran zu erinnern, dass das viskoelastische Verhalten einer Biosuspension sowohl von der flüssigen Phase (Beispiel: Xanthan in wässriger Lösung) als auch von den Zellen, der dispersen Phase (Beispiel: Streptomyces tendae), herrühren kann. Aus den Abbildungen 5.19 und 5.20 geht hervor, dass sich wässrige Polyacrylamid-Lösungen und eine Fermentationsbrühe von Streptomyces tendae rheologisch qualitativ ähnlich sind; beide sind stark scherentzähend und verhalten sich viskoelastisch. Wässrige Polyacrylamid-Lösungen sind daher in Untersuchungen, in denen das Fließverhalten relevant ist, als Modellfluide für Biosuspensionen geeignet. Beispielsweise ist für die Widerstandscharakteristik von Biosuspensionen ein ähnlicher Verlauf zu erwarten, wie es in Abbildung 6.1 für wässrige Polyacrylamid-Lösungen gezeigt wurde: eine drastische Widerstandsverminderung im turbulenten Bereich einer Rohrströmung als Folge einer gedämpften Turbulenz. Analoge Verhältnisse, die Turbulenz betreffend, wurden im Rührreaktor gefunden. Im Laminaren findet man aber im Rührreaktor auch schon Unterschiede, da wegen der Normalspannungsdifferenzen bei den viskoelastischen Flüssigkeiten andere Strö-
mungsbilder entstehen als bei den Newton’schen oder rein viskosen. In Abbildung 6.5 ist die Leistungskennzahl Ne als Funktion der Galileizahl für verschiedene wässrige Lösungen aufgetragen. Die Galileizahl ist definiert als Ga =
Re 2 gd 3 = 2 Fr ν
(6.41)
und entspricht damit, wenn ρ1 >> ρg, der schon definierten Grashofzahl. Im vorliegenden Fall ist Fr = 1 und damit wird G a = Re2 . Die Reynoldszahl wird dab ei, wie in Kapitel 5 b eschrieben, mit einer nach Metzner und Otto (1957) bestimmten repräsentativen Viskosität gebildet. Der Parameter in Abbildung 6.5 ist die Gasdurchsatzkennzahl Q. Alle untersuchten Fluide sollten bei gleicher Galileizahl in den turbulenten Bereich übergehen, verbunden mit einem sprunghaften Anstieg von Ne. Tatsächlich erfolgt der Übergang in die Turbulenz bei der Polyacrylamid -Lösung (PAA) nahezu zwei Zehnerpotenzen später als b ei der Glycerin/ Wasser- und der Carb oxymethylcellulose-Lösung (CMC). Außerdem macht sich die mit wachsendem Q zunehmende Widerstandsverminderung beim PAA erst bei höheren Ga bemerkbar, kommt dann aber schneller zur vollen Wirkung. Für das vergleichbare Verhalten von Glycerin und CMC ist die Verwendung der repräsentativen Viskosität verantwortl ich . Der B efund bei der PAA-Lösung ist Folge einer
6.3 Stofftransport in Biosuspensionen
Abb. 6.5 Leistungskennzahl Ne als Funktion der Reynoldszahl beim Scheibenrührer für Newton’sche (Glycerin), schwach viskoelastische (CMC) und stark viskoelastische Fluide (PAA). Parameter ist die Gasdurchsatzkennzahl (Höcker und Langer 1977)
stark gedämpften Turbulenz und kann durch die repräsentative Viskosität offenbar nicht erfasst werden.
6.3 Stofftransport in Biosuspensionen Beim Stofftransport können die folgenden vier Systeme unterschieden werden. Gas/Flüssigkeit: Wegen der geringen Löslichkeit von Sauerstoff in wässrigen Lösungen muss bei allen aeroben Prozessen der Versorgung der Mikroorganismen mit Sauerstoff besondere Beachtung geschenkt werden. Auch als Substrat
183
finden gering lösliche Gase, wie Methan und andere leichte Kohlenwasserstoffe, in Bioprozessen – z. B. bei der Produktion von single-cellProteinen – Anwendung. Flüssigkeit/Flüssigkeit: Ist die Nahrungsquelle der Mikroorganismen ein flüssiger Kohlenwasserstoff, oder wird als Produktaufarbeitungsverfahren die Flüssig/flüssig-Extraktion angewandt, so verlaufen die entscheidenden Stoffübertragungsvorgänge an flüssigen Grenzflächen. Flüssigkeit/Feststoff: In modernen Bioreaktoren wird der Biokatalysator häufig an festen Oberflächen fixiert (Kapitel 7). Weiterhin gibt es eine ganze Reihe chromatographischer Produktaufarbeitungsverfahren (Adsorption, Gelchromatographie, Affinitätschromatographie). In allen genannten Fällen erfolgt der Stoffaustausch zwischen einer flüssigen und einer festen Grenzfläche. Gas/Feststoff: Der Einsatz von Wirbelschichten ist aus vielen Anwendungen der Lebensmittelverfahrenstechnik, z. B. beim Trocknen und Instantisieren, b ekannt. Ein ganz neuer Anwendungsbereich liegt in der Verwendung der Gas/ Feststoff-Fluidisation für die Fermentation unter wasserreduzierten Bedingungen. Ein Beispiel ist die Erzeugung von Ethanol im Wirbelschichtfermenter mit der Hefe Saccharomyces cerevisiae. Oft ist ausreichende Sauerstoffversorgung der Mikroorganismen im Bioreaktor nur durch zusätzlichen Leistungseintrag durch Rühren möglich. Der erhöhte Stofftransport durch starkes Rühren im Vergleich zur Konvektion als Folge der frei aufsteigenden Blasen hat folgende Ursachen: 1. Die hohe dynamische Beanspruchung an der Rührerspitze erzeugt örtlich sehr feine Blasen. Nimmt die Koaleszenzneigung nicht im gleichen Maße zu, so erhöht sich dadurch die mittlere spezifische Austauschfläche a′. 2. Im Fermentationsfluid befindliche Komp onenten unterschiedlicher Dichte (z. B. Gasblasen, flüssige Kohlenwasserstoffe, Zellagglomerate etc.) werden durch den Rührvorgang dispergiert und bleiben auf diese Weise über das gesamte Reaktorvolumen gleichmäßig verteilt. 3. Die durch starkes Rühren erzeugte Turbulenz verringert den Blasendurchmesser und erhöht damit a′.
6
6
184
4. Die maximale Größe der Zellaggregate (Mycelien, Pellets etc.) wird durch Rühren vermindert. Andererseits beobachtet man häufig bei zu starker Scherung eine Verminderung der Produktivität, die ihre Ursache offensichtlich in einer mechanischen Schädigung von Zellen oder Enzymen hat. 5. Gelegentlich ist die Biosuspension so hochviskos, dass erst durch intensives Rühren eine Homogenisierung des Reaktorinhalts erzielt wird. Die relevanten Kennzahlen sind Re, Fr, Sh, We, Wn, De und Sc. In ausreichend großen Reaktoren, bei denen durch entsprechende Einbauten die kontinuierliche Phase gut gemischt ist, ist der Einfluss der freien Oberfläche auf die Stoffübertragung (Fr) vernachlässigbar. Die Sherwoodzahl ist dann nur noch eine Funktion von Re, Sc, We, Wn und De.
6.3.1 Sauerstoffeintrag in Fermentationsbrühen Das am häufigsten auftretende Problem bei der Auslegung von Bioreaktoren ist die Versorgung der Mikroorganismen mit Sauerstoff. Unter Gleichgewichtsbedingungen gilt an einer Pha-
Abb. 6.6 Temperaturabhängigkeit der Löslichkeit von Sauerstoff in Wasser. Bunsenkoeffizient α als Funktion der Temperatur (Schumpe und Quicker 1982)
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
sengrenzfläche Gas/Flüssigkeit das Henry’sche Gesetz Hc1i = c gi
(6.42)
mit c1i und cgi als Grenzflächen-Konzentrationen der Komponente in der Flüssigkeit bzw. im Gas und H als Henry’schem Verteilungskoeffizient. H ist erheblich von der Temperatur und den Medienbestandteilen abhängig. In Abbildung 6.6 ist die Temperaturabhängigkeit der Löslichkeit von Sauerstoff in Form des Bunsenkoeffizienten α dargestellt. Der Bunsenkoeffizient entspricht dem auf 0 °C und 1 bar reduzierten Gasvolumen, welches von der Volumeneinheit des Lösungsmittels bei einem Gaspartialdruck von 1 bar gelöst wird. Die Sauerstofflöslichkeit in Wasser bei 1 bar nimmt mit zunehmender Temperatur von 2,18 mmol/l bei 0 °C auf 1,03 mmol/l bei 40 °C ab. Elektrolyte bewirken ebenfalls eine Verringerung der Sauerstofflöslichkeit. Beispielsweise reduziert eine Konzentration an NaCl von 2 mol/l in Wasser die O2-Löslichkeit bei 25 °C auf 60 % des Ausgangswertes. Andererseits b enötigt eine aktive Hefe bei einer Populationsdichte von 109 Zellen/ml pro Stunde bei Raumtemperatur ca. 750-mal so viel O2 wie in Sättigung gelöst ist. B ei Bakterien kann der Sauerstoffbedarf sogar bis zu 3 000 ml/gh betragen. Die Versorgung der Mikroorganismen mit derart großen Mengen
6.3 Stofftransport in Biosuspensionen
Sauerstoff ist nicht trivial, da wegen der geringen O2-Löslichkeit und der damit verbundenen niedrigen Konzentrationsgradienten die treibenden Kräfte klein sind. Abbildung 6.7 zeigt schematisch den Stofftransport zwischen einer Gasblase (z. B. Sauerstoff enthaltende Luft) und einem Zellverband. Für einen Transport Flüssigkeit/Flüssigkeit gilt Analoges. Der Sauerstoff muss eine Reihe von Transportwiderständen überwinden, und zwar: 1. vom Kern der Gasblase zur Grenzschicht Gas/ Flüssigkeit; 2. die Grenzschicht Gas/Flüssigkeit; 3. das die Blase umgebende, nicht gemischte Flüssigkeitsgebiet; 4. das gut gemischte Flüssigkeitsgebiet; 5. das den Zellverband umgebende, nicht gemischte Flüssigkeitsgebiet; 6. den Zellverband, das Mycel oder ein Feststoffpartikel; 7. die Zellmembran und intrazellulär zu den Reaktionsplätzen.
In Sonderfällen kann der eine oder andere Widerstand verschwinden. Mikroorganismen lagern sich gerne an Grenzflächen an, z. B. an der Gasblase, sodass der Widerstand 4 nicht vorhanden ist. Existiert die Zelle nicht im Verband, dann entfällt der Widerstand 6. Drei Modellvorstellungen über den Stofftransfer sind weit verbreitet – die Zweifilmtheorie, das Penetrationsmodell und die Theorie der Oberflächenerneuerung. Der Zweifilmtheorie liegen folgende Annahmen zugrunde: Auf jeder Seite der Grenzfläche
185
gibt es einen Film, durch den der Stofftransport per Diffusion erfolgt. An der Phasengrenze soll sich die übergehende Komponente im Gleichgewicht mit der jeweiligen Phase befinden. An der Phasengrenze bleibt also die den Gleichgewichtskonzentrationen entsprechende Konzentrationsdifferenz erhalten. In den Phasenkernen sollen durch ständige Vermischung die Konzentrationen konstant bleiben. Beim Penetrationsmodell findet der Stoffübergang zwischen laminar bewegten Phasen durch zeitlich begrenzte und instationäre Diffusion in eine räumlich unbegrenzte Phase statt. Ein Beispiel für diese Modellvorstellung liefert der Stoffübergang im Rieselfilm. Die Theorie d er Ob erflächenerneuerung geht von einer ständigen Erneuerung der Volumenelemente an der Grenzfl äche aufgrund turbulenter Bewegung aus. Die Austauschzeit wird durch eine Wahrscheinlichkeitsfunktion erfasst. Die genannten Modelle berücksichtigen die realen hydrodynamischen Gegebenheiten nur unzureichend. Das Penetrationsmodell setzt ein falsches Geschwindigkeitsprofil voraus. Die Theorie der Oberflächenerneuerung arbeitet mit der Oberflächenerneuerungshäufigkeit, die zahlenmäßig nicht bekannt ist. Das Zweifilmmodell postuliert laminar strömende Filme, die experimentell nicht nachzuweisen sind. Dennoch soll das letztgenannte Modell wegen seiner einfachen Berechenbarkeit und seiner Anschaulichkeit im Folgenden angewandt werden. Mit c1 und cg als Konzentrationen im Kern von Flüssigkeit bzw. Gas müssen im stationären
Abb. 6.7 Schematische Darstellung der Widerstände beim Transport von Sauerstoff von einer Gasblase in eine Zelle. Zu den Zahlen (1 bis 7) siehe Text (Bailey und Ollis 1991)
6
6
186
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
Abb. 6.8 Schematische Darstellung der Sauerstoffkonzentration als Funktion des Ortes vom Inneren einer Gasblase zum Flüssigkeitskern (Bailey und Ollis 1991)
Zustand folgende Beziehungen für die Sauerstoffstromdichte gelten q ′O = k g (c g − c gi ) (Gasfilm) (6.43) (6.44) (Flüssigkeitsfilm) q ′O = k 1 (c 1i − c1 ) 2
2
Da die Grenzflächenkonzentration gewöhnlich nicht gemessen werden kann, wird der Gesamtstofftransportkoeffizient K1 eingeführt und als „treibende Kraft“ die Konzentrationsdifferenz c1* − c1; c1* ist die Konzentration in der Flüssigphase, die im Gleichgewicht steht mit derjenigen im Kern der Gasphase (Abb. 6.8) Hcl* = cg
(6.44a)
Die Sauerstoffstromdichte ist dann q ′O 2 = K 1 (c1* − c 1 )
(6.45)
Die Kombination der Gleichungen (6.43) bis (6.45) führt zu der Beziehung zwischen dem Gesamtstoffaustauschkoeffizienten K1 und den physikalischen Parametern des vorliegenden Zweifilm-Problems, kg, k1 und H: 1 1 1 = + K 1 k 1 Hk g
(6.46)
Für gering lösliche Gase ist H viel größer als 1; außerdem ist kg beträchtlich größer als k1. Unter diesen Umständen gilt näherungsweise K1 = k1, d. h. der gesamte Stofftransportwiderstand liegt auf der Seite des Flüssigkeitsfilms. Der Sauerstoffstrom pro Reaktorvolumen q O 2 sei definiert als q O2 = k 1
A (c1* − c 1 ) V
oder q O 2 = k 1 a ′ (c1* − c 1 )
(6.47)
wobei A die Oberfläche der Gasblasen, V das Flüssigkeitsvolumen und a′ = A/V dementsprechend die Gas/Flüssigkeitsgrenzfläche pro Volumeneinheit Flüssigkeit sind. Statt K1 wurde der Näherungswert k1 als Stofftransportkoeffizient gewählt. Das häufig in der Literatur zu findende a bezieht sich im Gegensatz zu a′ auf das Gesamtvolumen im Bioreaktor (also Flüssigkeitsplus Gasvolumen). Es muss b eachtet werden, dass q O 2 der örtliche Sauerstoffstrom ist, entsprechend dem Ort, an welchem die Konzentrationsdifferenz (c1* − c1) vorliegt. Ein Mittelwert für den Sauerstoffstrom pro Reaktorvolumen q O 2 ergibt sich aus einer Mittelung über den gesamten Reaktor 1V q O 2 = OTR = ³ q O2 dV (6.48) Vo Man nennt diesen Wert auch die Oxygentransferrate (OTR) in Anlehnung an den angelsächsischen Sprachgebrauch. Er hängt ab von einer Vielzahl von Parametern, wie z. B. Leistungseintrag pro Volumeneinheit, Fließeigenschaften, Grenzflächeneigenschaften (Koaleszenzverhalten), Charakteristik des Sauerstoffeintrags und den Strömungsbildern im Reaktor. Auf die Messung lokaler Sauerstoffkonzentrationen wird in Kapitel 9 eingegangen. Zum Kohlendioxid, welches aus Fermentationsbrühen im Allgemeinen zu entfernen ist, sei angemerkt, dass es in der Flüssigkeit in vier Formen gelöst vorliegt: als CO2, H2CO3, HCO– 3 und CO32–. Unterhalb pH 5 ist nahezu ausschließlich CO2 gelöst, während bei einem pH zwischen 7 und 9 Bicarbonat und oberhalb von pH 11 Carbonat dominieren. Daher ist, je nach den Umständen, der geschwindigkeitsbestimmende
187
6.3 Stofftransport in Biosuspensionen
Schritt der CO2-Entfernung ein chemischer oder physikalischer.
6.3.2 Sauerstoffeintrag in viskoelastische Biosuspensionen Unter Benutzung der repräsentativen Viskosität lässt sich die OTR in einem begasten Rührreaktor auch für nicht-Newton’sche, aber quasi unelastische Flüssigkeiten vorausberechnen, wenn man die für Newton’sche Fluide gefundenen Zusammenhänge verwendet. Bei viskoelastischen Flüssigkeiten dagegen versagt dieses Konzept. Im letzten Abschnitt war darauf hingewiesen worden, dass durch das viskoelastische Verhalten die Turbulenz gedämpft und damit der Leistungseintrag vermindert wird. Entsprechend muss sich auch der Stofftransport verschlechtern. Dies konnten Ranade und Ulbrecht (1978) bei der k1a-Bestimmung in einem mit CO2 begasten Rührkessel anhand verschiedener wässriger Modell-Lösungen zeigen. Wenn nur die Sherwoodzahl (hier modifiziert als k1ad2/DCO2 (η/ηw)–139, mit d, dem Kesseldurchmesser, und ηw, der Viskosität des Wassers) gegen die Reynoldszahl aufgetragen wird (Abb. 6.9a), so zeigt die weniger elastische CMC-Lösung nicht dieselbe Abhängigkeit wie die stark viskoelastische PAA-Lösung. Zwar ist dabei in der Reynoldszahl schon eine für den Rührreaktor repräsentative Viskosität verwendet worden, aber offenbar liegt hier noch der Einfluss einer weiteren Größe vor. Wird die Deborahzahl in die empirische Korrelation mit aufgenommen, dann können alle Messwerte durch denselben Zusammenhang beschrieben werden (Abb. 6.9b). Schon ab Deborahzahlen größer als 0,01 ist hier ein Effekt festzustellen. Ein weiterer Nachweis für die Relevanz der Viskoelastizität ergibt sich, wenn man den Stoffübergang von der Oberfläche einer sich bewegenden Blase mit mobiler Oberfläche an die flüssige Phase betrachtet. Dieser kann mittels der folgenden Korrelation für die Sherwoodzahl, die von Baird und Hemielec (1962) abgeleitet wurde, berechnet werden, Sh =
k 1d = D AB
0,5
2 §π · 0, 5 2 ¨ ³ U 0 (θ) sin θ dθ ¸ Pe π©0 ¹
(6.49)
Abb. 6.9 Empirischer Zusammenhang zwischen Stoffübergang und Reynoldszahl im CO2-begasten Rührkessel für verschiedene Modellf lüssigkeiten, (a) ohne und (b) mit Berücksichtigung der Deborahzahl. ႑ : CMC-Lösung; ႑: PAA-Lösung (Ranade und Ulbrecht 1978)
wobei U0(θ) die Geschwindigkeitsverteilung der Flüssigkeit an der Blasenoberfläche ist, die für die jeweilige viskoelastische Flüssigkeit noch zu bestimmen wäre und ganz anders aussieht als bei Newton’schen Flüssigkeiten; θ ist der entsprechende Winkel in einem Kugelkoordinatensystem und Pe die Pécletzahl (Pe = vd/DAB). Die Tatsache, dass U0(θ) auf jeden Fall vom Fließver-
6
6
188
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
halten, und zwar nicht nur von einer repräsentativen Viskosität allein, sondern auch von den Normalspannungsdifferenzen abhängt, macht auch hier deutlich, dass Kennzahlen wie Wn und De für den Stofftransport Bedeutung haben. Bisherige Untersuchungen zum Einfluss des viskoelastischen Fließverhaltens auf den Stofftransport beschränken sich auf viskoelastische Modell-Lösungen. Bei Fermentationsbrühen ist sowohl über das rheologische Verhalten als auch über den Stofftransport berichtet worden, eine Korrelation von Viskoelastizität und Stofftransport für dieses Stoffsystem steht allerdings noch aus.
6.3.3 Einfluss des metabolischen Sauerstoffverbrauchs auf den Sauerstofftransport Für den Stofftransport in Fermentationsbrühen ist zu beachten, dass durch die Existenz lebender Organismen lokale Quellen und Senken für Stoffe auftreten, die die Diffusions- und Konvektionsbeiträge erheblich beeinflussen können. Der durch die Zelle aufgenommene Sauerstoff wird allgemein für die Energiegewinnung, für Synthesereaktionen, für den Zellmassenaufbau und den Erhaltungsstoffwechsel verbraucht. Beschränkt man sich bei der Betrachtung des Sauerstoffbedarfs einer Zelle zunächst auf den Anteil zum Aufbau von Zellmasse, ergibt sich nach Kapitel 4 der maximale Sauerstoffverbrauch zu xμ max / YO 2 , wobei x die Zellkonzentration und YO 2 die gebildete Biomasse pro verbrauchtem Sauerstoff darstellen. Für k 1a ′ (c1* − c1 ) k xμ max / YO 2 liegt der Hauptwiderstand beim mikrobiellen Metabolismus. Im umgekehrten Fall kann c1 ≈ 0 gesetzt werden; der Reaktor arbeitet dann transportlimitiert. Die reale Situation ist komplizierter. Im stationären Zustand muss der absorbierte gleich dem konsumierten Sauerstoff sein: k 1a ′ (c1* − c1 ) =
xμ YO 2
(6.50)
Jeder Mikroorganismus benötigt eine bestimmte O2-Mindestkonzentration cO2, kr . Für die meisten Mikroorganismen liegt cO2, kr zwischen
3 · 10−3 mmol/l und 50 · 10−3 mmol/l, das bedeutet ca. 0,1 bis 1 % der O2-Löslichkeit in Wasser. Ist c1 > cO2, kr, dann liegt keine O2-Limitation vor. Die Art der Kohlenstoffquelle beeinflusst den Sauerstoffb edarf besonders stark. Beispielsweise bewirken Paraffine oder Methan eine höhere Sauerstoffaufnahme durch die Zellen als Glucose. Gleichung (6.50) ist die in der Biotechnik übliche Beschreibung des Stofftransports und setzt voraus, dass der O2-Verbrauch der Mikroorganismen den eindiffundierenden O2-Strom nicht beeinflusst (1. Fick’sches Gesetz). Wie eingangs erwähnt, ist bei vielen Fermentationen diese vereinfachte Betrachtungsweise auch ausreichend. Bei mycelbildenden Mikroorganismen jedoch muss der O2-Transport durch zusätzliche Analyse der Transportwiderstände im Inneren des Mycels unter Umständen aber auch durch den Transport an das Mycel ergänzt werden. Im Folgenden sei der Sauerstofftransport innerhalb eines Mycelteilchens, idealisiert als Diffusionsproblem mit Senken, näher betrachtet. Unter Annahme einer kugeligen Gestalt des Mycels (Pellet) und einer in dieser Kugel gleichmäßig verteilten Biomasse, lautet die Bilanzgleichung des Sauerstoffs unter Berücksichtigung von Diffusion, Reaktion, aber keiner Konvektion § ∂ 2 c 2 ∂c · ∂c ¸ − q O+ 2 x ′ = D eff ¨¨ 2 + ∂t r ∂r ¸¹ © ∂r
(6.51)
mit Defff, dem effektiven Diffusionskoeffizienten des Sauerstoffs im Mycel; c, der örtlichen Konzentration des Sauerstoffs; q O+ 2 x ′ dem volumenbezogenen Reaktionsstrom des Sauerstoffs (Senke); q O+ 2 , der spezifischen Sauerstoffaufnahmerate der Zellen; und x′, der Konzentration der Biomasse im Pellet. Gleichung (6.51) vereinfacht sich für den stationären Zustand zu § d 2 c 2 dc · ¸ = q O+ 2 x ′ D eff ¨¨ 2 + r dr ¸¹ © dr
(6.52)
Unter der Bedingung, dass der Widerstand für den Transport des Sauerstoffs aus dem Kern der Flüssigkeit an die Pelletoberfläche zu vernachlässigen ist, folgt als Randbedingung für die Oberfläche r = R, c = c0 = const. Wegen der Symmetrie des Problems verschwindet der Konzentrationsgradient im Zentrum der Kugel, d. h. es wird dort dc/dr = 0.
189
6.3 Stofftransport in Biosuspensionen
_ Mit der dimensionslosen Konzentration c _ c = c / c0 _ und der dimensionslosen Ortkoordinate r _ r =r/R lautet Gleichung (6.52) in dimensionsloser Form 2 + d 2 c 2 dc R q O2 + = x′ dr 2 r dr c 0 D eff
(6.53)
Führt man für den spezifischen Sauerstoffverbrauch eine Michaelis-Menten-Kinetik in der Form q O+ 2 = q O+ 2 max
c KM + c
(6.54)
ein, dann wird Gleichung (6.53) zu d 2 c 2 dc c + = φ2 1 + cc 0 / K M dr 2 r dr
(6.55)
mit φ=R
q O+ 2 , max x ′
(6.56)
D eff K M
φ ist eine dimensionslose Kennzahl und wird als Thielemodul bezeichnet. Das Quadrat dieser Kennzahl entspricht dem Verhältnis eines Stoffstroms (Senke), hier resultierend aus einer Reaktion erster Ordnung, zu einem reinen Diffusionsstrom. Bei einem kleinen spezifischen Verbrauch und einem großen Diffusionskoeffizienten ist φ klein. Es stellt sich dann kein nennenswerter Gradient der Sauerstoffkonzentration im Pellet ein, und die Biomasse kann überall bei der maximal möglichen Konzentration atmen. Im Extremfall sehr hohen spezifischen Verbrauchs und eines kleinen Diffusionskoeffizienten, das entspricht einem großen φ, wird der im Pellet vorhandene Sauerstoff sehr schnell verbraucht sein und die Diffusion kann nicht mehr genügend nachliefern. Im stationären Fall wird dann nur noch eine dünne Randschicht, innerhalb der die Sauerstoffkonzentration auf null absinkt, am Gesamtverbrauch beteiligt sein. Bei kleinen φ ist offenbar das Pellet besser versorgt als bei großen. Nun ist der gesamte Sauerstoffverbrauch aus Kontinuitätsgründen durch folgende Größen bestimmt: die Pelletoberfläche, das Pelletvolumen, den Diffusionskoeffizienten und den Konzent-
rationsgradienten an der Oberfläche, also durch den von der Oberfläche ins Pelletinnere gerichteten Diffusionsstrom. Bezieht man diesen auf den Verbrauch bei φ = 0, d. h. auf den Verbrauch bei dem die gesamte Biomasse bei maximaler Sauerstoffkonzentration c0 atmet, dann erhält man ein Maß für die Versorgung des Pellets mit Sauerstoff, den sogenannten Effektivitätskoeffizienten. Um für den allgemeinen Fall Angaben über den Effektivitätskoeffizienten machen zu können, muss Gleichung (6.53) numerisch gelöst werden (Bailey und Ollis 1991).
6.3.4 Die Bestimmung des Sauerstoff-Transportkoeffizienten k1a′ Wie oben dargelegt, ist die Größe k1a′ für die Versorgung einer Biosuspension mit Sauerstoff von großer Bedeutung. Sie eignet sich sowohl für den Vergleich verschiedener Belüftungssysteme bei sonst gleichen Parametern, wie Rührer- und Reaktorgeometrie, Grenzflächen- und rheologischen Eigenschaften der Biosuspension usw., als auch zum Vergleich unterschiedlicher Reaktorkonstruktionen bei gleichem Stoffsystem. Ihre experimentelle Bestimmung ist besonders unter realen Fermentationsbedingungen sinnvoll, aber mit erheblichem Aufwand – z. B. bei der Reaktoroptimierung – verbunden. In Abbildung 6.10 ist der Verlauf der Sauerstoffkonzentration während der Durchführung der sogenannten „dynamischen Methode“ zur Bestimmung von k1a′ dargestellt.
Abb. 6.10 Konzentration des gelösten Sauerstoffs als Funktion der Zeit bei der Bestimmung von k1a′ + und qO x nach der dynamischen Methode 2
6
6
190
In Phase I befindet sich der Reaktor im stationären Zustand. Dann wird die Sauerstoffzufuhr sprungartig ausgeschaltet, und die Sauerstoffkonzentration fällt entsprechend dem Verbrauch durch die Biomasse. Zu Beginn von Phase III wird die Belüftung wieder eingeschaltet und die Sauerstoffkonzentration steigt auf den ursprünglichen Wert an. Eine ausführliche Beschreibung zur Bestimmung von k1a′ nach dieser Methode findet man z. B. bei Moser (1981).
6.3.5 Bestimmung von k1a′ mittels der Sulfit-Methode Weil die Ermittlung von k1a′ in Biosystemen mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden ist (sterile Technik, Kosten für Inokulum und Medium, Probleme der Mess- und Regeltechnik), weicht man auf Modellsysteme aus. Als Modellsysteme kommen vor allem chemische Systeme zur Anwendung, wie bei der HydrazinMethode oder der Sulfit-Methode. Bei Letzterer wird eine Natriumsulfit-Lösung (oft 0,8-molar) belüftet. Durch den Luftsauerstoff wird Natriumsulfit unter katalytischer Wirkung von MetallIonen (meist Co2+ oder Cu2+) zu Natriumsulfat oxidiert. Dieser chemische Sauerstoffverbrauch soll also den bei der biologischen Fermentation vorliegenden ersetzen. Von Nachteil dabei ist, dass die so gefundenen k1a′-Werte nicht übereinstimmen können mit denen, die sich in der realen Fermentation ergeben, da die Phasengrenzfläche von Grenzflächeneigenschaften des Systems stark beeinflusst ist. Trotzdem erlauben chemische Modellsysteme, wegen ihrer relativ einfachen Handhabung, eine schnellere Grundoptimierung als biologische Systeme.
6.3.6 Stoffübergang an einzelnen Blasen und Blasenschwärmen
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
wobei die z-Koordinate senkrecht zur Grenzfläche in die Flüssigkeit weisen möge. Der Stofftransportkoeffizient ist dann k1 = −
1
(c1* − c1 )
§ ∂c · D AB ¨ ¸ © ∂z ¹ ( z =0 )
(6.57)
oder dimensionslos Sh =
k1d 1 § ∂c · =− ¨ ¸ 1 − c1 © ∂z ¹ ( z = 0) D AB
(6.58)
wenn d einen charakteristischen Blasendurchmesser und DAB den Diffusionskoeffizienten des Gases in der Flüssigkeit bedeuten. An der Grenzfläche erhält man die dimensionslose Konzentration c über eine Lösung der Transportgleichung, die wie folgt aussieht
c = f(z, Sh, Sc, Gr)
(6.59)
B enutzt man diesen Ausdruck zur Berechnung der Ableitung § ∂c · ¨ ¸ © ∂z ¹ ( z =0)
in Gleichung (6.58), so ergibt sich für die Sherwoodzahl Sh ein Zusammenhang Sh = F (Sc, Gr)
(6.60)
d. h. der dimensionslose Stofftransportkoeffizient Sh ist nur eine Funktion von Sc und Gr. In der Literatur findet man stattdessen gelegentlich dimensionslose Gruppen wie Reynoldszahl Re und Pécletzahl Pe. Substituiert man aber die charakteristische Geschwindigkeit über die Dichtedifferenz Δρ = (ρ1 – ρg), so erhält man wieder die Beziehung (6.60). Der Stofftransport an einzelnen kugelförmigen Blasen mit starrer Oberfläche kann für den Fall Re K 1 und Pe k 1 (d. h. ρ1dv/η1 K 1 K vd/DAB, was impliziert, dass η1/ρ1DAB = Sc k 1) theoretisch berechnet werden. In wässrigen Fluiden ist die kinematische Zähigkeit ν1 = η1/ρ1 ungefähr 10−2 cm2/s, und DAB liegt für Sauerstoff bei 10−5 cm2/s. Daraus ergibt sich eine Schmidtzahl von ca. 103. Für Reynoldszahlen von 10−1 bis 10−2 gilt
Die örtliche Stoffstromdichte an der Grenzfläche Gas/Flüssigkeit einer Blase ist gegeben durch
Sh = 1,01 Pe1/3 = 1,01 (vd/DAB)1/3
§ ∂c · − D AB ¨ ¸ © ∂z ¹ ( z =0 ) ,
Bei derart kleinen Reynoldszahlen ist die Geschwindigkeit einer in der Flüssigkeit aufsteigenden kugelförmigen Blase im stationären Zustand
(6.61)
191
6.4 Wärmeübergang im Bioreaktor
ν=
d 2 Δρg 18η1
(6.62)
Setzt man Gleichung (6.62) in (6.61) ein, ergibt sich (6.63) § d 3 Δρg · ¸¸ Sh = 1,01¨¨ © 18η1 D AB ¹
1/ 3
§ d 3 ρ1 Δρg · ¸ = 1,01¨ ¨ 18η 2 ¸ © 1 ¹
1/ 3
Sh = 0,39 Gr1/3Sc1/3
§ η1 · ¨¨ ¸¸ © ρ1 D AB ¹
1/ 3
(6.63)
also, wie erwartet, eine Beziehung Sh = F (Gr, Sc). Für etwas größere Reynoldszahlen und einzelne kugelförmige Blasen mit starrer Oberfläche in laminarer Strömung gilt Sh = 2,0 + 0,6 Re1/2Sc1/3
(6.64)
In vielen industriellen luftbegasten Reaktoren steigen die Gasblasen als Schwärme auf, sodass sich Hydrodynamik und Stofftransport deutlich von denen der Einzelblase unterscheiden. Calderbank und Moo-Young (1961) fanden in ihren Versuchen mit schwer löslichen Gasen in Flüssigkeiten bei chemischer Absorption zwei Bereiche. Für Blasen mit einem Durchmesser d ≤ 2,5 mm gilt Sh = 0,31 Gr1/3Sc1/3
(6.65)
und für d > 2,5 mm Sh = 0,42 Gr1/3Sc1/2
(6.66)
Daraus folgt, dass der Stofftransportkoeffizient k1 (oder Sh), bei denselben Gr und Sc, bei Blasenschwärmen rund 20 % niedriger ist als bei Einzelblasen mit starrer Oberfläche. Ist mit einer der obigen Gleichungen k1 berechnet worden, so ist noch die Austauschfläche pro Volumeneinheit a′ zu bestimmen, um k1a′ zu erhalten. Falls der mittlere Blasendurchmesser d (eventuell fotografisch) und die Blasenverweilzeit im Reaktor tb ermittelt werden können, ist a′ (Koaleszenz vernachlässigt) gegeben durch a ′ = n d q G ,0 t b
πd 2 1 n d q G ,0 t b 6 ⋅ ⋅ = π 3 V V d d 6
selwirkungen zwischen örtlichen Fluidkräften und den Grenzflächenspannungen, denn Scherund Normalspannungen brechen Blasen in kleinere auf, andererseits stabilisieren die Grenzflächenkräfte die Blasen in kugeliger Form (Minimierung der Grenzflächenenergie). Der größte stabile Durchmesser, der sich dabei ergeben kann, wird auch kritischer Blasendurchmesser genannt. Das Verhältnis zwischen den fluiddynamischen Eigenschaften und der Grenzflächenspannung beschreibt die Weberzahl We (Gleichung (6.23)), die mit dem kritischen Blasendurchmesser gebildet, die kritische Weberzahl Wekr ergibt. Für ein reines Luft/Wasser-System hat Wekr ungefähr die Größe 1.
(6.67)
V ist dabei das Flüssigkeitsvolumen, qG,0 der Gasstrom pro Düse und nd die Anzahl der Düsen. Tatsächlich ändert sich aber der Blasendurchmesser im Bioreaktor häufig als Folge der Wech-
6.4 Wärmeübergang im Bioreaktor Verglichen mit dem Transport von Stoff und Impuls ist dem von Wärme in Bioprozessen bisher nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt worden. Ein Grund dafür mag die Annahme sein, es könnten die bei Newton’schen Fluiden bekannten Analogien zwischen den Transportvorgängen für Impuls, Stoff und Wärme auch bei Fermentationsbrühen angewandt werden. Diese Annahme ist allerdings nur solange richtig, als die Fermentationsbrühen sich wie Newton’sche Fluide verhalten. Somit besteht noch ein Defizit an grundsätzlichen Untersuchungen zum Wärmeübergang, was insbesondere die stark viskoelastischen Fermentationsbrühen in begasten Bioreaktoren betrifft. Im Folgenden muss deshalb mehr als bisher auf andere Geometrien und auf Ergebnisse der chemischen Verfahrenstechnik zurückgegriffen werden. Es gibt viele Gründe, warum einem Bioreaktor Wärme zu- oder abgeführt werden muss. Einige Beispiele sind die Hitzesterilisation, das Einstellen optimaler Arbeitstemperaturen (z. B. 55–66 °C bei thermophilen Bakterien), Wärmeabfuhr bei zu starker Wärmeproduktion beim Rühren oder durch exotherme Umsetzungsreaktionen oder das Trocknen von Zellsuspensionen durch Wasserabdampfen. Die Wärmeübertragungg kann auf verschiedene Weise realisiert werden, z. B. mithilfe eines
6
6
192
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
Heiz- oder Kühlmantels, einer in den Reaktor getauchten Heiz- oder Kühlschlange, durch Abdampfen von Wasser etc. Wie bei der Stoffübertragung liegt auch bei der Wärmeübertragung der Haupttransportwiderstand in der Flüssigkeitsgrenzschicht unmittelbar an der Übertragungsfläche. Die den Wärmetransport bestimmende Flüssigkeitsgrenzschicht ist aber im Bioreaktor im Allgemeinen nicht identisch mit der den Stofftransport bestimmenden Grenzschicht. Schon deshalb können aus globalen Transportkoeffizienten, die am Reaktor gewonnen wurden, keine Analogieschlüsse gezogen werden. , Für die Bestimmung des Wärmestroms Q W der in einer vorgegebenen Konfiguration auftritt, geht man von der folgenden Gleichung aus: = k AΔT Q (6.68)
Die Prandtlzahl, die in diesen Beziehungen auftaucht, ist eine weitere dimensionslose Einflussgröße; sie wird nur aus Stoffgrößen gebildet
Darin ist kW der Wärmetransportkoeffizient, A die Austauschfläche und ΔT die treibende Temperaturdifferenz. Der Gesamtwärmewiderstand 1/kkW ist im Allgemeinen die Summe von Einzelwiderständen. Im Falle des Wärmedurchtritts durch eine ebene Schicht der Dicke d lautet er
Für Newton’sche Flüssigkeiten gilt beispielsweise für die turbulente Rohrströmung
1 / k W = 1 / α1 + d / λ + 1 / α 2
Für den laminaren Bereich der Rohrströmung und rein viskose Flüssigkeiten gilt
W
W
(6.69)
wobei α1 und α2 die Wärmeübergangszahlen vor und hinter der Schicht und λ die Wärmeleitfähigkeit der Schicht bedeuten. Wird die Wärmeübergangszahl jeweils durch λ und d dimensionslos gemacht, so erhält man mit Bi =
αd externer Wärmetransport = interner Wärmetransport λ
(6.70)
die Biotzahl. Handelt es sich bei dem Medium vor der Schicht um eine Flüssigkeit und macht man α durch λ1, die Wärmeleitfähigkeit der Flüssigkeit, und d1, die Dicke der Flüssigkeitsschicht, dimensionslos, so ergibt sich die Nusseltzahl Nu =
αd 1 gesamter Wärmetransport = (6.71) λ1 Wärmetransppport durch Leitung
In der angelsächsischen Literatur wird für die Darstellung der Wärmeübergangscharakteristik im Allgemeinen die Stantonzahl St oder die Colburnzahl j verwendet: St = Nu Re −1 Pr −1
(6.72)
j = St Pr 2 / 3
(6.73)
Pr =
c p η1
(6.74)
λ1
cp ist dabei die spezifische Wärme bei konstantem Druck. Nimmt man noch die Reynoldszahl und im Falle der Rohrströmung zusätzlich das Verhältnis der Rohrlänge zum Rohrdurchmesser (L/d) hinzu, dann hat man einen Satz von Kenngrößen, der für viele Fälle ausreicht, den Wärmetransport anhand von Nu dimensionslos zu beschreiben:
Nu = f (Pr, Re)
(6.75)
bzw.
Nu = g (Pr, Re, L/d)
Nu = 0,012 (Re 0 ,8 − 280) Pr 0, 4
(10
4
(6.76)
[
)
≤ Re ≤ 1,2 10 6 ; 1,5 ≤ Pr ≤ 500; L/d ≥ 1
Nu =
[
]
1/ 3
] (6.77)
(6.78)
Im Rührkessel kann der Wärmeübergang mit einem der Gleichung (6.77) ähnlichen Typ beschrieben werden: §η Nu = a Re b Pr c ¨¨ 1 © ηw
·d ¸¸ ¹
(6.79)
Unterschiede in den Koeffizienten a, b, c, d ergeben sich bei unterschiedlicher Strömungsart (laminar, turbulent), bei verschiedenem Rührertyp (Propeller-, Scheiben-, Ankerrührer) und bei unterschiedlicher Austauschfläche (Kühlschlange innen, Kühlschlange außen, Reaktorinnenwand usw.). Gleichung (6.78) gilt auch für nichtNewton’sche, aber inelastische Fluide, wenn man anstelle der Viskosität eine für den Rührer repräsentative Viskosität verwendet. In den Standardlehrbüchern (Grigul 1963, Bird et al. 1976) und Handbüchern (z. B. VDIWärmeatlas 2002) zur Wärmeübertragung können die Zusammenhänge für die verschiedensten Wärmeübertragungssituationen, auch für Rührkessel, nachgesehen werden, solange mit
193
6.4 Wärmeübergang im Bioreaktor
Newton’schen oder rein viskosen Fluiden gearbeitet wird. Hier wird deshalb auf weitere Angaben dazu verzichtet. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass wegen des Temperatur- und des Geschwindigkeitsgradienten variable Stoffwerte auftreten. Je nach dem zu behandelnden Problem sind dementsprechende, effektive Stoffwerte zu verwenden. Wie die Letzteren aussehen, soweit es den Geschwindigkeitsgradienten betrifft, wird an einem Beispiel in Abschnitt 6.4.2 gezeigt. Den Temperaturgradienten betreffend, behilft man sich meistens mit einer mittleren Temperatur des jeweiligen Stoffes. Im Folgenden wird noch auf zwei für Bioprozesse typische Besonderheiten eingegangen, die Beeinflussung des Wärmeübergangs durch Begasung und durch das viskoelastische Fließverhalten der Fermentationsbrühen.
6.4.1 Einfluss der Begasung auf den Wärmeübergang Häufig ist die Stoffübertragung von einem Gas in eine Flüssigkeit, insbesondere die Sauerstoffübertragung in die Fermentationsbrühen, ein wichtiger Bestandteil eines Bioprozesses. In diesem Kapitel ist es deshalb interessant zu wissen, wie sich die Begasung auf den Wärmeübergang z. B. im Rührkessel auswirkt. In der Literatur sind dazu etwas voneinander abweichende Ergebnisse angegeben worden. Eine Gruppe von Autoren fand eine Erhöhung des Wärmeübergangskoeffizienten bis zu einer bestimmten Rührerdrehzahl, ab welcher kein Einfluss des Gases mehr feststellbar ist. Die Wirkung des Gases, so wird argumentiert, besteht in einer zusätzlichen Zirkulationsströmung, die mit zunehmender primärer Turbulenz immer weniger wirksam wird. Andere Autoren fanden unterhalb einer kritischen Rührerdrehzahl ebenfalls eine Erhöhung der Wärmeübertragung mit zunehmender Begasung. Oberhalb der kritischen Drehzahl, wenn bei fester Rührerdrehzahl die Begasung verändert wurde, ergab sich bei abnehmendem Gasvolumenstrom eine Abnahme der Wärmeübertragung. Für Gasvolumenströme größer als ein kritischer Wert zeigte sich kein Einfluss. Ursache dafür könnte die Reduktion der Zirkulationsgeschwindigkeit sein,
die sich aufgrund des reduzierten Leistungseintrags bei Begasung einstellt (Abb. 6.5). Um hier Klarheit zu erlangen, sind weitere grundsätzliche Untersuchungen notwendig. Soweit bisher bekannt, ist der Einfluss der Begasung auf die Wärmeübertragung mit 20 bis 30 % bei Newton’schen Flüssigkeiten aber gering und hat vermutlich auch deshalb nur wenig Beachtung gefunden. Bei viskoelastischen Flüssigkeiten ist bisher nichts bekannt geworden. Hier könnte der Einfluss anders sein, und er verdient durchaus Beachtung.
6.4.2 Viskoelastizität und Wärmeübergang Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass viele Biosuspensionen sich rheologisch nicht-Newton’sch, vor allem viskoelastisch verhalten. Das macht sich natürlich auch beim Wärmetransport bemerkbar. Die Vorgänge, die hierbei wirksam werden, sind wie beim Impuls- und beim Stofftransport wieder fluiddynamischer Natur. Im Laminaren sind es im Allgemeinen die Sekundärströmungen, die zusätzlich zur Hauptströmung durch die bei viskoelastischen Fluiden auftretenden Normalspannungsdifferenzen erzeugt werden (Bird et al. 1977) Im Turbulenten ist es pauschal gesprochen der Einfluss der Elastizität auf die turbulenten Austauschmechanismen. Für den Wärmeübergang ist die Grenzschichtdicke von besonderer Bedeutung. Sie ist bei viskoelastischen Fluiden erheblich dicker als bei nicht-Newton’schen, aber inelastischen, und entsprechend ist der Wärmeübergang verschlechtert. Beispielsweise ist die Stantonzahl in einer turbulenten Rohrströmung für eine 1%ige wässrige PAALösung je nach Rohrdurchmesser bis zu einem Faktor 3 kleiner als für eine Newton’sche Flüssigkeit gleicher effektiver Prandtlzahl. Ähnliches wurde im Rührreaktor für sogenannte BinghamFlüssigkeiten – das sind Flüssigkeiten mit einer Fließgrenze – beobachtet. Als Ursachen dieses Verhaltens werden der Einfluss der Elastizität auf die Charakteristika der Grenzschichten zwischen turbulentem Kern und der Wand und die Qualität der Turbulenzballen genannt. Die beteiligten physikalischen Mechanismen sind jedoch noch unklar.
6
6
194
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
Im Fall der voll entwickelten laminaren Rohrströmung verhalten sich viskoelastische Flüssigkeiten – die Wärmeübertragung betreffend – so, wie rein viskose oder auch Newton’sche Flüssigkeiten; in dieser Geometrie können nämlich keine von den Normalspannungsdifferenzen induzierten Sekundärströme auftreten. Anders ist es in Bioreaktoren, bei denen wegen ihrer im Allgemeinen komplizierten Geometrie das Auftreten von Sekundärströmen eher die Regel als die Ausnahme ist. Im Gegensatz zur turbulenten Strömung, wo eine Erniedrigung des Wärmeübergangskoeffizienten auftritt, ergibt sich im Laminaren mit Sekundärströmungen gemeinhin eine Erhöhung. Da für Bioreaktoren, soweit es den Autoren bekannt ist, keine systematischen Untersuchungen mit viskoelastischen Fluiden im Zusammenhang mit der Übertragung von Wärme durchgeführt wurden, sei zum Zweck der Demonstration die Strömung in Röhren mit rechteckigem Querschnitt angeführt. Diese Geometrie, mit einem Seitenverhältnis von 2:1, wurde von Hartnett und Xie (1989) unter Verwendung wässriger Carbopol-Lösungen (Carboxypolyethylen) untersucht. Wenn die obere und die untere Fläche beheizt wurden und die schmaleren Seitenflächen isoliert waren, ergab sich ein Zusammenhang zwischen der Nusseltund der Reynoldszahl
Nu = C Re0,2
(6.80)
Die Konstante C zeigte sich von der Konzentration der Lösung abhängig und war bei 1 000 ppm Gewichtsanteilen 6,0. Bei einer Reynoldszahl von 629 (die weiteren Parameter dazu sind: Pr = 126, L = 640 cm und dh = 1,2 cm) erhält man damit eine Nusseltzahl von 21,8. Re wird mit dem hydraulischen Durchmesser dh und der repräsentativen Viskosität gebildet. Verwendet man statt (6.80) Gleichung (6.77), den für rein viskose Flüssigkeiten bekannten Zusammenhang, so findet man eine Nusseltzahl von 8,7, wodurch die starke Zunahme der Wärmeübertragung durch die Sekundärströmung verdeutlicht wird. Beim turbulenten Wärmeübergang viskoelastischer Fluide kann man sich ebenfalls bisher nur auf die Ergebnisse der Rohrströmung stützen. Untersuchungen an Rührkesseln oder Bioreaktoren sind nur in sehr geringer Zahl erschienen. Eine viel beachtete Arbeit zum Wärmeübergang in turbulenter Rohrströmung mit Newton’schen
Fluiden stammt von Reichardt (1951). Sie muss als Grundlage nahezu aller neueren Untersuchungen auf diesem Gebiet gewertet werden. Reichardt fand den folgenden Zusammenhang zwischen dem Wärmeübergang, welcher durch die Stantonzahl St beschrieben wird, und dem durch den Reibungsbeiwert f beschriebenen Druckverlust St =
α f /2 = ν ρc p 1,2 + U +z (Pr − 1) Pr −1 / 3 f / 2
(6.81)
Darin ist U +z eine für das turbulente Geschwindigkeitsprofil charakteristische Größe, nämlich die dimensionslose Geschwindigkeit ( U + = u / τ w / ρ ) an der Grenze des turbulenten Kerns und v die mittlere Strömungsgeschwindigkeit. Die Voraussetzungen, die für die Herleitung der Beziehung (6.81) gemacht werden mussten, sind folgende: • Wärme- und Impulsaustausch finden nur senkrecht zur Strömungsrichtung statt; • thermisch und hydrodynamisch vollausgebildete Strömung; • die turbulenten Austauschgrößen für Impuls und Wärme, sogenannte turbulente, kinematische Viskosität und turbulente Wärmeleitzahl (engl. eddy diffusivities) sind gleich. Gleichung (6.81) wurde von verschiedenen Autoren für viskoelastische Fluide erweitert. Unter Beibehaltung des Zusammenhangs (6.81) passte Chmiel (1971) die Größen f, U +z und Pr an viskoelastische Flüssigkeiten an, und zwar verwendete er für die in f vorkommende Reynoldszahl die in Kapitel 5 für die Rohrströmung def inierte repräsentative Viskosität, für Pr eine für die Grenzschicht effektive Viskosität ηe ηe c p Pr = (6.82) λ
und für den dimensionslosen Geschwindigkeitsverlauf U+ im Bereich der Übergangsschicht den üblicherweise für viskoelastische Flüssigkeiten verwendeten und experimentell verifizierten logarithmischen Verlauf U+ = a lnY+ + b
(6.83)
a und b in Gleichung (6.83) sind Konstanten, Y+ ist der dimensionslose Abstand von der Wand Y
y Tw /R N
.
195
6.4 Wärmeübergang im Bioreaktor
Die effektive Viskosität ηe ist aus der Fließkurve für das jeweilige Fluid mithilfe der Schubspannung τe, die zwischen dem Übergangsbereich in den voll turbulenten Kern und der laminaren Unterschicht auftritt, zu bilden. τe wiederum wurde empirisch als das 1,08-fache der Wandschubspannung τw ermittelt. Im Reibungsbeiwert f steckt implizit der Einfluss der Elastizität. Bei viskoelastischen Fluiden kann f durch den folgenden Zusammenhang beschrieben werden 1
f
2 d E2 E · E § = ¨ 4 + 1 ¸ log(Re f ) − 0,394 − 1 log νv 2¹ 2 ©
(6.84) E1 und E2 sind dabei von der Elastizität der Flüssigkeit bestimmte Parameter der Druckverlustcharakteristik, d ist der Rohrdurchmesser. Auf diese Weise kann man sich offenbar auf die Bestimmung der scheinbaren Viskosität beschränken, denn das viskoelastische Verhalten wird über den Druckverlust in die Gleichung (6.81) eingebracht. Bei der soeben beschriebenen und mehreren anderen Erweiterungen von Gleichung (6.81) wurde angenommen, dass die turbulente, kinematische Viskosität εm und die turbulente Wärmeleitzahl εH einander gleich sind. Die Gültigkeit dieser Annahme ist auch Voraussetzung für die Gültigkeit einer Analogie zwischen der Impulsund der Wärmeübertragung. εm und εH – das sei hier nur sehr kurz angemerkt, denn für Weitergehendes muss auf die Lehrbücher der Fluiddynamik verwiesen werden – sind Koeffizienten zu Beiträgen, die in den Transportgleichungen zusätzlich auftauchen (turbulente Spannungen und turbulente Wärmeströme), wenn man mit den zeitlich schwankenden Größen der turbulenten Strömung in die sonst für laminare Strömungen geltenden Gleichungen eingeht und dann eine zeitliche Mittelung vornimmt. Wann εm = εH anzunehmen nicht mehr gerechtfertigt ist, wurde von Kwack und Hartnett (1984) gezeigt. Grundlage ihrer Untersuchungen waren Messungen des Reibungsbeiwertes, des Geschwindigkeitsprofils und des Wärmeübergangskoeffizienten in der turbulenten Rohrströmung viskoelastischer Flüssigkeiten. Das Verhältnis εm/εH in der Nähe der Wand zeigte sich stark abhängig von der Weissenbergzahl Wn. Bei kleinen Wn ist εm/εH ungefähr 1. Bei großen
Wn – größer als eine kritische Weissenbergzahl Wnkr – ist εm/εH wieder konstant und ungefähr 10. Dazwischen steigt es monoton an. Weiterhin zeigte sich eine schwache Abhängigkeit von der Reynoldszahl. In dem Ergebnis der Untersuchungen von Kwack und Hartnett schlägt sich die Erfahrung nieder, dass sich mit zunehmender Elastizität einer Flüssigkeit der Wärmeübergang stärker verschlechtert als es der Abnahme des Druckverlustes entspricht, wenn man von einem analogen Verhalten ausgeht. Weiterhin dokumentiert sich eine maximale Weissenbergzahl oberhalb der es zu keiner weiteren Erniedrigung der Transportkoeffizienten kommt, was als die Asymptoten der maximalen Absenkung des Druckverlustes bzw. der Wärmeübertragung bekannt ist. Bei Polymerlösungen entspricht dies einer maximalen Konzentration, ab der keine weiteren Absenkungseffekte mehr feststellbar sind. In Abbildung 6.11 sind Messungen der Colburnzahl j angegeb en, die das eben Gesagte belegen. Es wurde bei zwei verschiedenen Rohrdurchmessern (1,11 und 1,88 cm) gemessen, die verwendeten Flüssigkeiten sind wässrige Polyethylenoxid-Lösungen. Die Reynoldszahl wurde bei diesen Untersuchungen mit der Viskosität an der Wand gebildet. Zu kleinen Weissenbergzahlen hin bestimmt ein der Gleichung (6.76) sehr ähnlicher Zusammenhang die Asymptote der maximalen Wärmeübertragung, die unter Verwendung der Prandtlzahl von Wasser bei 20 °C in Abbildung 6.11 eingetragen ist. Eine Weiterentwicklung (6.85) von Reichardts Gleichung, ohne die einschränkende Voraussetzung gleicher turbulenter Austauschgrößen, wurde von Ghajar und Yoon (1989) gegeben. St =
f / 2(1 − FR ) 0, 6
1,2 + (Pr − 1) f / 2 (9,2 Pr −0, 258 + 1,2 Wn 0,565 Pr −0, 236 )
(6.85) Hier ist FR = (ffp − fs)/ffs das Verhältnis des Unterschieds (ffp − fs), z. B. zwischen den Widerstandsbeiwerten einer Polymerlösung und ihrem reinen Lösungsmittel, zum Widerstandsbeiwert des reinen Lösungsmittels fs. Die Weissenbergzahl Wn ist aus der charakteristischen Materialzeit t0 und einer Systemzeit gebildet. Letztere, als d / v , wiederum aus dem Rohrdurchmesser d und der mittleren Geschwindigkeit v . t0 wurde ermittelt durch Anpassung der Fließkurve an
6
6
196
6 Transportvorgänge in Biosuspensionen
Abb. 6.11 Colburnzahl j für die Wärmeübertragung in Abhängigkeit der Reynoldszahl für wässrige Polyethylenoxid-Lösungen, gemessen in Rohren mit inneren Durchmessern von 1,11 und 1,88 cm (Ghajar und Yoon 1989)
das Powell-Eyring-Modell, welches durch den Zusammenhang ) /( t 0 γ) ) η = η ∞ + η 0 − η ∞ sinh −1 ( t 0 γ)
(6.86)
gegeben ist. Da hier ausschließlich die stationäre Fließkurve eingeht, kann die so ermittelte charakteristische Materialzeit nur als grobe Näherung betrachtet werden. Sowohl die Reynoldszahl (implizit in f auftretend) als auch die Prandtlzahl wurden mit der Viskosität an der Rohrwand gebildet. Man sieht, dass sehr unterschiedliche repräsentative Stoffwerte Verwendung finden. Für Fr = 0 und Wn = 0 sollte Gleichung (6.85) in die Gleichung (6.81) für den Newton’schen Fall übergehen, was nur näherungsweise der Fall ist. Die in Abbildung 6.11 gezeigten experimentellen Übergangskoeffizienten werden nach Angabe der Autoren jedoch gut durch die Gleichung (6.85) beschrieben. Eine sehr gute Übersicht über dimensionslose Kennzahlen findet man in Zlokarnik (2001).
Literatur Bailey, J. E., Ollis, D. F. (1991): Biochemical engineering fundamentals. McGraw-Hill, New York Baird, M. H. I., Hemielec, A. E. (1962): Forced convection transfer around sheres at intermediate Reynolds numbers. Can. J. Chem. Eng. 40: 119 Bird, R. B., Stewart, W. E., Lightfoot, E. N. (1976): Transport phenomena. John Wiley & Sons, New York Bird, R. B., Armstrong, R. C., Hassager, O. (1977): Dynamics of polymeric liquids. John Wiley & Sons, New York
Calderbank, P. H., Moo-Young, M. (1961): The continuous phase heat and mass transfer properties of dispersions. Chem. Eng. Sci. 16: 39 Chmiel, H. (1971): Wärmeüb ertragung in der turbulenten Rohrströmung viskoelastischer Flüssigkeiten. Dissertation, Aachen Ghajar, A. J., Yoon, H. K. (1989): A heat transfer correlation for viscoelastic turbulent pipe flows. Chem. Eng. Comm. 78: 167–177 Grigul, U. (1963): Die Gesetze der Wärmeüb ertragung. Springer Verlag, Berlin Höcker, H., Langer, G. (1977): Power behaviour of gased stirrers in Newtonian and non-Newtonian fluids. Rheol. Acta 16: 400–412 Kwack, E. Y., Hartnett, J. P. (1984): Estimated eddy diffusivities of momentum and heat of viscoelastic fluids. Int. J. Heat Mass Transfer 27: 1525–1532 Hartnett, J. P., Xie, C. (1989): Influence of polymer concentration on laminar heat transfer to aqueous Carb opol polymer solutions in a 2:1 rectangular duct. AIChE Sy mp. Series, Heat Transfer Philadelphia, 454–459 Metzner, A. B., Otto, R. E. (1957): Agitation of non-Newtonian fluids. AIChE J. 3: 3 Moser, A. (1981): Bioprozeßtechnik. Springer Verlag, Wien, New York Pawlowski, J. (1971): Die Ähnlichkeitstheorie in der physikalisch-technischen Forschung (Grundlagen und Anwendung). Springer Verlag, Berlin R anade, V. R., Ulbrecht, J. J. (1978): Influence of polymer additives on the gasliquid mass transfer in stirred tanks. AIChE J. 24: 796 Reichardt, H. (1951): Die Grundlagen des turbulenten Wärmeüberganges. Arch. Ges. Wärmetechn. 6/7: 127 Schumpe, A., Quicker, G. (1982): Gas solubilities in microbial culture media. In: Advances in biochemical Engeneering, Bd. 24 VDI-Wärme-Atlas (2002). VDI-Verlag GmbH, Düsseldorf Zlokarnik, M. (2001): Scale-up, Modellüb ertragung in der Verfahrenstechnik. Wiley-VCH, Weinheim
7
Bioreaktoren*
Die industrielle Verwertung Erfolg versprechender Bioreaktionen scheitert oft an der Übertragung der Ergebnisse vom Schüttelkolben in den m3-Maßstab. Der technischen Auslegung des hierfür notwendigen Reaktors sowie der Produktisolation und -reinigung sind deshalb die folgenden Kapitel gewidmet (7 bis 12).
7.1 Definition eines Bioreaktors Unter einem Bioreaktor soll im Folgenden ein abgegrenzter Raum bzw. Apparat verstanden werden, in dem in Anwesenheit und unter Mitwirkung eines Biokatalysators eine Stoffumwandlung stattfindet. In diesem Sinne ist der kleinste Bioreaktor eine Zelle, wie sie beispielsweise in Abbildung 1.8 schematisch dargestellt ist. Die Abgrenzung ist in diesem Fall die Zellwand bzw. -membran. „Abgegrenzt“ bedeutet nicht „abgeschlossen“; vielmehr findet in der Regel ein reger Stoffund Wärmeaustausch mit der Umgebung statt. Substrat tritt durch die Membran in die Zelle, Metabolite werden ausgeschleust. Handelt es sich um einen aeroben Mikroorganismus, so nimmt die Zelle außerdem O2 auf und gibt CO2 ab. Wegen der kurzen Diffusionswege existieren innerhalb der Zelle keine Stofftransportlimitierungen. Anders ist dies in einem Bioreaktor im technischen Maßstab. Würde man den Reaktionsraum sich selbst überlassen, so würden sich als Folge lokaler Quellen und Senken (z. B. Ein-
* Autor: Horst Chmiel
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
trag von Nährmedium und Sauerstoff, Austrag von Metaboliten und CO2, lokale Wärmequellen etc.) sowie Schichtungen durch Dichteunterschiede (z. B. Sedimentation der Mikroorganismen) b ei mangelnder Durchmischung Zonen mit Konzentrationsüberhöhungen und solche mit Unterversorgung ergeben. Eine gute Durchmischung (Homogenisierung) des gesamten Reaktionsraumes ist Voraussetzung für eine hohe Umsatzrate. Die hierfür notwendigen Rührorgane (Mischer) müssen in der Regel noch weitere Aufgab en üb ernehmen wie z. B. Suspendieren eines Feststoffes, Emulg ieren zweier ineinander nicht löslicher Flüssigkeiten oder Dispergieren eines Gases (z. B. O2) in der Flüssigkeit.
7.2 Mischer Unter Mischen versteht man das möglichst gleichmäßige Verteilen verschiedener Komponenten in einem abgegrenzten Volumen, wobei sich die Komponenten in wenigstens einer der folgenden Eigenschaften voneinander unterscheiden: • chemische Zusammensetzung (einschließlich Polymerisationsgrad) • physikalische Eigenschaften (Aggregationszustand, Temperatur, Dichte, Farbe, Viskosität) • Morphologie (Blasen-, Tropfen- und Partikelgröße bzw. -form)
Ziel der Vergleichmäßigung (Homogenisierung) im Bioreaktor ist die Erhöhung des biologischen Umsatzes unter Wahrung der Produktqualität. In der Regel bedeutet dies eine Beschleunigung des Stoff- und Wärmeüb ergangs.
7
198
Die Vergleichmäßigung kann durch reine Molekularbewegung (Diffusion) und Konvektion erfolgen. Bei den hier betrachteten technischen Mischern treten stets beide Mechanismen auf, wobei natürlich die Letztgenannte bei Weitem überwiegt. Die Vorausberechnung der Mischvorgänge gelingt nur über zuvor gemessene Systemkennwerte, die man in Modelle überführt. Hierzu wird auf Kapitel 6 verwiesen. Die wichtigsten Systemkennwerte sind: • Homogenisierungsgrad • Mischzeitcharakteristik • Leistungscharakteristik • Strömungs- bzw. Spannungsfeld • Scale-up-Regeln • Wärme- und Stoffaustauschverhalten • Schaumbildung • Reinigung und Sterilisation Mit Ausnahme des Letztgenannten, das in Kapitel 8 behandelt wird, soll auf diese Charakteristiken in Abschnitt 7.3 kurz eingegangen werden. Eine ausführliche Behandlung hierzu findet man bei Kraume (2002). Je nach Art des Leistungseintrags können Mischer in folgende Kategorien unterteilt werden: • Mischer mit rotierender Welle: Das an der Welle befestigte Rührorgan (Blatt, Anker, Propeller, Impeller etc.) erzeugt im Reaktorraum eine Umlaufströmung (Abb. 7.1a). • Vibrationsmischer: Die Mischung erfolgt aufgrund einer translatorisch oszillierenden Bewegung der Welle, an der eine Siebplatte mit konischen Bohrungen befestigt ist (Abb. 7.1b). • Hydraulische Mischer: Eine in einem externen Kreislauf integrierte Pumpe erzeugt im Reaktorraum einen Freistrahl (Abb. 7.1c). • Pneumatische Mischer: Der Reaktorraum wird durch Eintrag von Gas (in der Regel Luft) zur Blasensäule (Abb. 7.1d). • Statische Mischer: Die Mischung erfolgt durch fest stehende Einbauten, die angeströmt werden. Diese können etwa integrierte, fest stehende Einbauten (z. B. Wendel gemäß Abb. 7.1e) oder Partikel mit auf Trägern fixierten Mikroorganismen (Abb. 7.1f) sein.
Aus dem oben Genannten wird klar, dass der Mischer das Herz eines Bioreaktors darstellt.
7 Bioreaktoren
a
b
c
d
f
e Abb. 7.1 Einteilung der Mischer nach Energieeintrag und Strömungsführung: (a) rotierende Welle, (b) Siebplatte, (c) Freistrahl, (d) Gaseintrag, (e) statisch, (f) Festbett
7.3 Reaktortypen Im Folgenden sollen die verschiedenen Bioreaktoren und deren Auslegungskriterien vorgestellt werden. In Kapitel 4 waren sie nach ihrer Betriebsweise in batch-Reaktoren (abgeschlossenes System) und kontinuierliche bzw. fed-batch-Reaktoren (offenes System) unterschieden worden. Im Sinne des oben genannten Ziels einer optimalen Mischung unterscheidet man zwischen dem idealen Rührkesselreaktor (engl. stirred tank reactor, STR) und dem idealen Rohrreaktor. Bei
199
7.3 Reaktortypen
Letzterem fließt die Reaktionslösung als Pfropfen durch das Rohr (engl. plug flow reactor, PFR). Man kann ihn sich in der Wirkung wie in Reihe geschaltete kleine STR vorstellen, die durch das Rohr strömen. Im Mittelpunkt dieses Kapitels wird der Rührkesselreaktor stehen, da dessen Anteil an allen heute eingesetzten Bioreaktoren mehr als 95 % beträgt. Außerdem beschränken sich die folgenden Betrachtungen vorzugsweise auf die Biokatalysatoren Bakterien und Pilze, da den tierischen Zellen (Kapitel 11) und Enzymen (Kapitel 12) eigene Beiträge gewidmet sind.
7.3.1 Rührkesselreaktoren Der Reaktor mit rotierender Welle (Abb. 7.1a), der sogenannte Rührkesselreaktor (STR) hat in der chemischen Industrie eine lange Tradition. Die daraus resultierenden umfangreichen Erfahrungen und das Vorhandensein von Auslegungsunterlagen für eine Vielzahl von Applikationen sind sicherlich Ursache für seine weite Verbreitung in der Biotechnologie.
Anders als in der Chemie, wo der sogenannte Schlankheitsgrad s, das ist das Verhältnis Höhe H zu Durchmesser D des Reaktors, also s=
H D
(7.1)
in etwa 1 ist, wird s in der Biotechnologie zwischen 2 und 3 gewählt. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe: • Der am Boden oder in der Nähe des Rührorgans eingetragene Sauerstoff hat eine längere Verweilzeit und kann dadurch besser genutzt werden. • Wegen des größeren Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen kann der Reaktorinhalt besser thermostatiert werden. Wenn man von einer mittleren spezifischen Rührleistung von 5 KW/m3 Reaktorinhalt ausgeht, so wird klar, dass vor allem Wärmeabfuhrprobleme zu lösen sind. Die Wärmeübertragung erfolgt in der Regel über einen Kühl-/Heizmantel. Dieser und die weiteren wesentlichen Komponenten eines Rührkessel-Bioreaktors sind schematisch in Abbildung 7.2 dargestellt. Das Rührorgan besteht in diesem
Abb. 7.2 Schema eines Rührkesselreaktors (nach Sternad 1991)
7
7
200
7 Bioreaktoren
Abb. 7.3 In der Verfahrenstechnik gebräuchliche Rührertypen (nach Zlokarnik 1999)
Abb. 7.4 Flüssigkeitsströmung im Rührkesselreaktor mit Strombrechern für axial fördernden Propellerrührer (links) und radial fördernden Scheibenrührer (rechts) (nach Zlokarnik 1999)
201
7.3 Reaktortypen
Fall aus drei Scheibenrührern. Dieser und andere gebräuchliche Rührertypen wurden von Zlokarnik (1999) untersucht und in Bezug auf Wirkung (induzierte Strömungsrichtung) und Einsatzbereich (Viskosität) eingeordnet (Abb. 7.3). Wie der Vergleich in Abbildung 7.4 zeigt, induziert beispielsweise der Scheibenrührer eine radiale Strömung, während der Propellerrührer eine axiale Strömungsrichtung erzeugt. Dass letztlich die Mischvorgänge ein ähnliches Muster haben, bewirken die Strömungsbrecher.
7.3.1.1 Mischgüte und Mischzeit Für die Beurteilung eines Mischvorgangs werden unter anderem die Mischgüte M und die Mischzeit Θ herangezogen. Mischzeitangaben sind nur in Verbindung mit der Mischgüte sinnvoll. Hiby (1979) hat in diesem Zusammenhang auf die Problematik der Mischgüte- und MischΘ zeitbestimmung hingewiesen. Manna (1997) hat Θ verschiedenen Messmethoden, wie z. B. Sondie den-Methode, Schlieren-Methode, chemische MethΘoden mit Farbumschlag oder Entfärbung miteinander verglichen. Nach Kraume (2002) ist die Mischgüte wie folgt definiert: M = 1−
Δc Δc O
(7.2)
Hierbei ist Δc O die Anfangskonzentrationsdifferenz, während Δc die zum Zeitpunkt tc auf-
a
tretende Konzentrationsdifferenz darstellt. Der Abbau der Konzentrationsschwankungen ist mit hinreichender Genauigkeit durch eine Exponentialfunktion mathematisch zu beschreiben: § Θ· Δc = k o ⋅ exp¨¨ − ¸¸ Δc O © tc ¹
(7.3)
Dies ist in Abbildung 7.5a dargestellt. Parameter der beiden Geraden ist die Rührerdrehzahl n, von der die Zirkulationszeit tc abhängt. Diese ist im turbulenten Bereich der Drehfrequenz n umgekehrt proportional, sodass sich bei Auftragung über n ∙ Θ gemäß Abbildung 7.5b ein analoges Bild zu Abbildung 7.5a ergibt. In Abschnitt 7.2 war b ereits darauf hingewiesen worden, dass die Homogenisierung in einem Mischer durch zwei überlagerte Mechanismen erfolgt, die erzwungene Konvektion und die molekulare Diffusion. Zlokarnik (1999) unterscheidet deshalb im Rührreaktor die Mikromischung von der Makromischung, von der nur die Letztgenannte durch den Rührer beeinflusst werden kann und damit maßstabsabhängig ist. Geht man von vernachlässigbaren Dichte- und Zähigkeitsunterschieden aus, so hängt die Mischzeit Θ eines Rührers von der Drehzahl n, dem Rührerdurchmesser d und der kinematischen Viskosität ν ab. Das Produkt, d. h. Θ ∙ n = NM nennt man die Mischzeitkennzahl. Die dimensionslose Größe gibt die Zahl der Rührerumdrehungen zur Erreichung einer vorgegebenen Mischgüte an. Trägt man NM über der b ereits
b
Abb. 7.5 Abhängigkeit der dimensionslosen Konzentrationsdifferenz Δc/Δ / cO (a) von der Mischzeit Θ, (b) von der Anzahl der Umdrehungen n · Θ (nach Kraume 2002)
7
7
202
7 Bioreaktoren
Abb. 7.6 Mischzeitcharakteristiken der in Abbildung 7.3 dargestellten Rührertypen (nach Zlokarnik 2000a). Blattrührer, c, cs; Ankerrührer, d; Wendelrührer, e; Propellerrührer, hs; Impellerrührer, i, is; MIG-Rührer, f, fs; Scheibenrührer, gs; Kreuzbalkenrührer, a = 1,8 c, as = 1,8 cs; Gitterrührer, b = 1,25 c, bs = 1,25 cs; s = mit Strombrecher
in Kapitel 6, Gleichung (6.31) definierten Reynoldszahl Re = nd2/ν auf, so erhält man für jeden der in Abbildung 7.3 aufgeführten Rührertypen eine Mischzeitcharakteristik. Wie aus Abbildung 7.6 hervorgeht, zeigen – mit Ausnahme des Wendelrührers – alle Rührer im laminaren Bereich mit zunehmender Reynoldszahl einen Abfall von NM. Oberhalb Re = 104 ist NM näherungsweise konstant, d. h. keine Funktion der Reynoldszahl. Dies gilt allerdings nur für mit Strombrechern ausgerüstete Rührreaktoren. Beim Fehlen von Strombrechern bzw. bei falscher Dimensionierung bildet sich – wie Henzler (1982) zeigen konnte – ein schlecht durchmischtes Kerngebiet aus, mit der Folge, dass die Mischzeitkennzahl – nach Durchlaufen eines Minimums – mit zunehmender Reynoldszahl wieder ansteigt. Daraus leitet sich die Bedeutung richtig dimensionierter Strombrecher ab.
7.3.1.2 Lokaler Leistungseintrag beim Rühren In Kapitel 6 wurde bereits der Leistungseintrag für das Rühren von Flüssigkeiten behandelt und festgestellt, dass im turbulenten Bereich die Leis-
tungszahl Ne nicht von der Reynoldszahl abhängt und im laminaren Bereich 1 (6.40) P ~ n 2 d 3 und Ne ~ Re sind. Im Folgenden soll nun die lokale Wirkung der eingetragenen Leistung b etrachtet werden. Die auf die Masse im Rührreaktor bezogene mittlere Leistung, also die mittlere Energiedissipation berechnet sich zu Ne n 3 d 5 P (7.4) ε= ε= V V⋅ρ Dabei ist V das im Reaktor befindliche Flüssigkeitsvolumen und ρ deren Dichte. Für eine Beurteilung der Beanspruchung des Biokatalysators im Bioreaktor ist ab er die lokale Energiedissipation maßgebend. Entsprechende Untersuchungen hierzu wurden von Geisler (1991) und Kresta und Wood (1993) durchgeführt. Durch Messung der lokalen isotropen Turbulenzfelder lässt sich die lokale Energiedissi _ pation ε berechnen. Das Verhältnis ε/ε gestattet die dimensionslose Darstellung gleich großer Energiedissipationsraten, sogenannte isoenergetische Linien. Abbildung 7.7 zeigt dies für den
203
7.3 Reaktortypen
Abb. 7.7 _ Isoenergetische Linien ε / ε für verschiedene (für Re > 104; Rührertypen _ mit ε = P/ρV) (nach Geisler 1991)
Abb. 7.8 Methoden zum Sauerstoffeintrag in Rührkesselreaktoren. (a) Oberflächenbegasung, (b) Hohlrührer, (c) Druckbegasung, (d) blasenfreier Sauerstoffeintrag (modifiziert nach Kraume 2002)
Scheibenrührer (links) und den Propellerrührer (rechts). Man erkennt, dass an den Spitzen des Scheibenrührers eine wesentlich höhere lokale Energiedissipation auftritt als beim Propellerrührer und dass dies durchaus zur Schädigung empfindlicher Mikroorganismen (insbesondere Mycel) führen kann. Die Konsequenz daraus ist, dass ein Rührer nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Mischzeitcharakteristik ausgewählt werden kann.
7.3.1.3 Sauerstoffeintrag in Rührkesselreaktoren In Kapitel 6 wurde bereits der Sauerstofftransport in Bioreaktoren – insbesondere unter dem Aspekt der Sauerstoffversorgung der Mikroorganismen – behandelt. In diesem Abschnitt sollen technische Aspekte des Sauerstoffeintrags in gerührte Bioreaktoren im Vordergrund stehen. Abbildung 7.8 zeigt
7
7
204
7 Bioreaktoren
schematisch vier verschiedene Möglichkeiten des Sauerstoffeintrags in Rührreaktoren. In Abbildung 7.8a wird durch die beim Rühren sich bildende Trombe aus dem Raum oberhalb der Flüssigkeitsoberfläche Gas eingetragen (Oberflächenbegasung). Die auf diese Weise einbringbare Sauerstoffmenge ist allerdings begrenzt. Für den in Abbildung 7.8b dargestellten Fall des Sauerstoffeintrags über die Hohlwelle des Rührers hat Zlokarnik (2000b) experimentelle Untersuchungen und eine Dimensionsanalyse durchgeführt. Er erhielt über die Relevanzliste die gleichen Kennzahlen, wie in Kapitel 6 generell für den Leistungseintrag beim Rühren begaster Newton’scher Flüssigkeiten, nämlich Ne = f (Re, Fr, Q, We)
(6.38)
Aus der grafischen Darstellung seiner Ergebnisse in der Form NeFr/Q über Fr (zur Erinnerung: Ne ≡ P/d3n3 ρL; Fr ≡ n2d/g und Q = qG/ nd3) schließt er, dass Hohlrührer im technischen Maßstab zum Ansaugen großer Gasdurchsätze nicht geeignet sind. Die blasenfreie Begasungg (Abb. 7.8d) in einem externen Kreislauf über Membranen (diffuser Sauerstoffeintrag über Löslichkeits- oder feinporöse Membranen; siehe Kapitel 10) ist zwar sehr schonend, der maximal mögliche Sauerstoffeintrag ist jedoch sehr begrenzt. Aus den genannten Gründen empfiehlt sich bei hohem Sauerstoffbedarf die Variante Druckbegasung (Abb. 7.8c). Die einzubringende Sauerstoffmenge kann hier durch die Parameter Druck, Sauerstoffpartialdruck und erzeugte Blasengröße beeinflusst werden. So bieten sich beispielsweise keramische Membranen mit Poren von wenigen Mikrometern für die Erzeugung sehr feiner Blasen an. Allerdings ist die Neigung zur Blasenkoaleszenz – darunter versteht man den Vorgang, dass kleine Blasen sich zu größeren zusammenschließen – immer vorhanden. Da diese Tendenz mit der Grenzflächenspannung abnimmt, empfiehlt Zlokarnik (1999) die Zugabe von die Grenzflächenspannung senkenden Substanzen. So vermindern Elektrolyte, aliphatische Alkohole und andere organische Tenside bereits in geringsten Konzentrationen die Blasenkoaleszenz. Gleichzeitig steigt allerdings die Neigung zur Schaumbildung, ein Problem, auf das in Abschnitt 7.5 näher eingegangen wird.
7.3.1.4 Maximaler Gaseintrag in Rührkesselreaktoren Jeder Rührer kann b ei der j eweiligen Drehzahl nur einen maximalen Gasdurchsatz qmax in de r Flüssigkeit verteilen. Zuvor b eobachtet man mit zunehmendem Gasdurchsatz eine Abnahme der benötigten Rührerleistung. Als Ursache hierfür wird in der Literatur (z. B. Kipke 1985b) die Ausbildung von Gaspolstern auf der Rückseite der Rührerblätter und damit einhergehend eine Reduzierung des Strömungswiderstands genannt. Daraus lässt sich ab er auch ableiten, dass der Gaseintrag nicht b el iebig gesteigert werden kann. Wird mehr Gas eingetragen al s der Rührer dispergieren kann, so wächst das Gaspolster am Rührerblatt so lange, bis es das nächste Rührerblatt erreicht; der Rührer wird vom Gas überflutet. Das Strömungsbild ändert sich; die Strömungsrichtung kann sich sog ar umkehren. Der krit ische Wert der Du rchsatzkennzahl Qmax Q max =
q max nd 3
(7.5)
darf nicht überschritten werden. Judat (1976, 1982) hat Qmaxx als Funktion der Froudzahl Fr für verschiedene Rührer exp erimentell bestimmt (Abb. 7.9). Dazu wurde bei jeweils konstant gehaltener Drehzahl der Gasdurchsatz langsam bis zur Überflutung gesteigert. Anschließend wurde der Gasdurchsatz so lange gedrosselt, bis die Dispergierwirkung des Rührers wieder eingesetzt hat ( q max ). Aus Abbildung 7.9 geht hervor, dass über einen großen Fr-Bereich eine direkte Proportionalität zwischen Qmaxx und Fr besteht. Darüber hinaus erkennt man, dass Scheibenrührer im Vergleich zu anderen Rührern am besten zum Dispergieren großer Gasmengen geeignet sind. Allerdings muss hierfür auch die höchste Rührleistung aufgebracht werden. Definiert man aber eine Effizienz (Zlokarnik 1999) NeFr P ≡ Q max (D / d ) q max ρ ⋅ g ⋅ D
(7.6)
so stellt man fest, dass der Scheibenrührer auch bezüglich der Effizienz am b esten abschneidet, und zwar der 12-schauflige besser als der 6-schauflige Scheibenrührer.
7.3 Reaktortypen
205
Abb. 7.9 Überflutungscharakteristik (nach Judat 1976) Qmax = f(Fr) für fünf Rührertypen; Stoffsystem Luft/Wasser; D/d = 5; H/D = 1; i = Blattzahl des ScheibenRührers
Weitere wichtige Hinweise zur Auslegung und dem Scale-up von STR findet man bei Kipke (1985a, b), Storhas (1994), Kraume (2002) und Krahe (2000).
7.3.1.5 Scale-down großer Reaktoren* In großen Reaktoren liegt vor allem das Problem der Inhomogenität vor (Abb. 7.10). Mikroorganismen reagieren meist sensibel auf geringe Schwankungen der Temperatur oder von Sauerstoff- und Substratkonzentrationen. Die Folgen des Mischproblems in großen Reaktoren sind schlechte Mischgüten und größere Konzentrations- und Temperaturgradienten als im Labormaßstab. Außerdem stellen sich durch den Feed von oben und die Belüftung von unten ein Glucoseüberschuss und ein Gebiet mit stark reduziertem Sauerstoffgehalt im oberen Reak* bearbeitet von Rudolf Hausmann (KIT)
torbereich sowie Glucosemangel und ein Gebiet mit relativ hohem Sauerstoffgehalt im unteren Reaktorbereich ein. Weiterhin kann es bei ungünstigen Mischverhältnissen zur Anhäufung unerwünschter Nebenprodukte kommen, die sich negativ auf den Wachstumsprozess auswirken können. B eispielsweise gehört zu den wichtigsten unerwünschten Nebenprodukten bei der Kultivierung von E. coli mit Glucose die Essigsäure, sie hemmt sowohl das Wachstum als auch die Produktbildung. Ursache sind zwei Stoff wechselwege, der Überschussmetabolismus (overflow metabolism) und der anaerobe Metabolismus oder mixed acid fermentation. Beim Überschussmetabolismus übersteigt die Glucoseaufnahmerate die maximale Kapazität des Citronensäurezyklus, es wird Acetat gebildet. Beim anaeroben Metabolismus werden unter vollkommen anaerob en Bedingungen neben Essigsäure auch weitere Metabolite, wie z. B. Ameisensäure, gebildet.
7
7
206
7 Bioreaktoren
20 m3
9,6 m
feed
Glucose-Konz.
Sauersto-Konz.
Tabelle 7.1 Vergleich der Prozessparameter zum Beispiel der Hochzelldichtefermentation von E. coli in einem 30-Liter- und einem 450-Liter-Reaktor (Riesenberg et al. 1990) Nominalvolumen
30 l
450 l
V0 (Füllvolumen)
15 l
250 l
n0
500 U/min
300 U/min
nmax
1 000 U/min
600 U/min
DR
105 mm
196 mm
Pmax
2,5 kW
8 kW
maximale Biomasse
60 g/l
40g/l
maximale IFN
55 · 107 U/g TM
20 · 107 U/g TM
Belüung
Abb. 7.10 Mischproblem im Prozessmaßstab
Die oben genannten Probleme in großen Reaktoren können zu Stresssituationen für die Mikroorganismen führen. Zusammengefasst wirken folgende Stressfaktoren auf die Mirkoorganismen: Glucoseüberschuss, Glucosemangel, Sauerstoffmangel, Temperaturschwankungen, pHWert-Schwankungen, hohe Carbonatkonzentrationen (gelöstes CO2) und osmotischer Druck. Durch diese Stressfaktoren werden Stressgene aktiviert, es findet eine Veränderung im Stoffwechsel statt, der sogenannte metabolic shift. Dadurch kommt es zu reduziertem Wachstum, verringerter Produktivität und erhöhter Nebenproduktbildung. A priori ist der Fluktuationseinfluss wahrscheinlich negativ. Möglichkeiten zur experimentellen Untersuchung im Prozessmaßstab bietet die Probenahme an unterschiedlichen Orten. Hier stellt sich die Frage, wie das Scale-down durchgeführt werden muss, um die Betriebsbedingungen im Produktionsmaßstab zu simulieren. Im Labormaßstab können der sprunghafte Konzentrationsanstieg im STR (dynamische Effekte), die Verknüpfung zweier STR (mit unterschiedlichen Bedingungen) und die Verknüpfung eines STR mit einem PFR untersucht werden. Im Folgenden soll eine Hochzelldichtefermentation von E. coli als Beispiel dienen. Diese wurde jeweils in einem 30-Liter-Reaktor und einem 450-Liter-Reaktor durchgeführt und mit-
einander verglichen (Tabelle 7.1). Dabei fällt auf, dass die maximale Biomassekonzentration im 30-Liter-Reaktor 50 % höher und die maximale Produktion des Produktes – Human-Interferonalpha 1 – fast um den Faktor 3 höher ist als im 450-Liter-Reaktor, und obwohl das 16-fache Volumen eingesetzt wurde, konnte im 450-LiterReaktor nur die vierfache Produktmenge erreicht werden. Dieses Beispiel zeigt, wie drastisch sich Scale-up-Probleme bei Fermentationen auswirken können. Sandoval-Basurto et al. (2005) haben den Einfluss von pO2-Gradienten auf die rekombinante Produktion von Prä-Proinsulin mit E. coli untersucht. Hierzu wurde ein Fermenter im Produktionsmaßstab durch zwei 1,5-Liter-STR simuliert, wobei das Medium zwischen dem anaeroben und aeroben STR zirkuliert (Abb. 7.11). Zunächst muss der verwendete Stamm unter konstanten Bedingungen charakterisiert werden. In einer aeroben batch-Kultivierung wird die Produktion von Prä-Proinsulin durch Tryptophanmangel induziert. In allen anschließenden Oszillationsversuchen wurden Temperatur, pH-Wert und Glucosekonzentration konstant gehalten. Um zu testen, wie E. coli auf eine Zirkulation der Sauerstoffsättigung reagiert, wurde eine Zirkulationszeit zwischen aerobem und anaerobem B ereich von 0 bis 180 Sekunden eingestellt, wo-
207
7.3 Reaktortypen
bei immer ein Verhältnis von 2:1 für den Aufenthalt im anaeroben zu aeroben Bereich gewählt wurde. Eine spezifische Wachstumsrate von μ = 0,35 h−1 stellte sich bei dauerndem Aufenthalt im aeroben Bereich ein und ist Ausgangswert für den Test unter Zirkulationsbedingungen. Dabei sinken die spezifische Wachstumsrate und die Glucoseausbeute mit steigendem Aufenthalt im anaeroben Bereich (Abb. 7.12).
persistalsche Pumpe mit zwei Köpfen
anaerob N2 700 ml
aerob O2 + N2 mit 1,5 vvm 350 ml
Abb. 7.11 Simulation einer X-m³-Fermentation in zwei 1,5-Liter-STR; links: anaerob/N2/700 ml, rech ts: aerob/O2 + N2 mit 1,5 vvm/350 ml (nach SandovalBasurto et al. 2005)
B ei der Produktkonzentration in Abhängigkeit von der Zirkulationszeit (Abb. 7.13) ist ein deutlicher Rückgang der Ausbeute an rekombinantem Protein zu sehen. Bereits bei kurzen Zirkulationszeiten (tZ < 10 s) zeigt sich ein deutlich negativer Einfluss. Bei maximaler Zirkulationszeit (180 s) sinkt die Produktionskonzentration sogar um 94 %! Die Produktausbeute ist im Vergleich zum Biomassewachstum wesentlich empfindlicher gegen pO2-Schwankungen. Durch Konzentrationsschwankungen werden Stressgene aktiviert, die die Produktherstellung regulieren. Schon 15 Sekunden Schockdauer sind ausreichend, um Schock-sensitive Gene zu induzieren. Die experimentelle Simul ation d er Kultivierungsbedingungen im Multi-m3-Maßstab – schlechte Mischgüten, größere Konzentrationsund Temperaturschwankungen – gelingt also durch den Scale-down-Ansatz. Allgemein zeigen Fermenter unter diesen Umständen eine geringere Biomasseausbeute, verstärkte Zelllyse sowie erhöhte Nebenproduktbildung. Dabei sind die jeweiligen Auswirkungen von Konzentrationsschwankungen (noch) nicht voraussagbar und müssen daher für jeden Organismus und jedes Wirt/Vektor-System spezifisch untersucht wer-
Abb. 7.12 Spezifische Wachstumsrate (oben) und Biomasseausbeute (unten) als Funktion der Zirkulationszeit (nach Sandoval-Basurto et al. 2005). BTM = Biotrockenmasse
7
7
208
7 Bioreaktoren
Abb. 7.13 Proteinkonzentration (oben) und Proteinausbeute (unten) in Abhängigkeit der Zirkulationszeit (nach Sandoval-Basurto et al. 2005). BTM = Biotrockenmasse
Tabelle 7.2 Maßstabsabhängige Faktoren Biologische Faktoren
Chemische Faktoren
Physikalische Faktoren
• • • • • •
• Typ und Konzentration von pH-Regel-Lösungen • Qualität der Medienbestandteile • Wasserqualität
• • • • •
Anzahl der Generationen Anzahl der Überimpfungsschritte Selektionsdruck Mutationswahrscheinlichkeit Kontaminationsanfälligkeit Pelletbildung
den. Auch E. coli-Wildtypen und rekombinante E. coli unterscheiden sich bei der Empfindlichkeit gegen Konzentrationsschwankungen. Beim Scale-up (von 3,5 l auf 9–20 m3) von E. coli-Fermentationen sind Ausbeuterückgänge von 15 bis 35 % dokumentiert. Um Fluktuationsprobleme zu vermindern, sollte eine Mehrpunkt-Substrat-Zuführung vorgesehen werden, außerdem ist der zusätzliche Einbau von axialen Rührern, die Erniedrigung der Stoffwechselsensitivität (geringere FeedRate) und Metabolic Engineering von großer Bedeutung. Durch Letzteres kann z. B. der Überschussmetabolismus blockiert oder ein molekularer Sauerstoffspeicher eingeführt werden.
geometrische Verhältnisse Mischzeiten Scherkräfte Belüftungsraten hydrostatischer Druck (Löslichkeit von Gasen, z. B. CO2) • Wärmeaustausch • Schaumbildung
In Tabelle 7.2 sind die Faktoren, die von einer Maßstabsvergrößerung beeinflusst werden, nochmals zusammengefasst.
7.3.2 Membranbioreaktoren (MBR) Obwohl Membranen ausführlich erst in Kapitel 10 behandelt werden, soll hier im Vorgriff die Membran – als flächiges Gebilde, das die einzelnen Komponenten einer Suspension oder eines Flüssigkeitsgemisches selektiv permeieren lässt – als im Bioreaktor integriert berücksichtigt werden.
7.3 Reaktortypen
209
Abb. 7.14 Ersatzschaltbilder für einen ideal gerührten Reaktor (oben) und Rohrreaktor (unten), mit intern integrierter Membran (links) und externer Membran (rechts). B = Biokatalysator
Grundsätzlich ist die Integration von Membranen zur Rückhaltung von Biokatalysatoren (B) bzw. zum Produktaustrag in jeder Art von Bioreaktoren möglich. Bezogen auf die beiden Idealtypen STR und PFR sind in Abbildung 7.14 die „Ersatzschaltbilder“ für den STR (oben) und den PFR (unten) einmal mit interner (links) und einmal mit externer (rechts) Membran-Integration dargestellt. Ursprünglich hat sich die Definition des Membranbioreaktors (MBR) ausschließlich auf die interne Integration beschränkt. Märkl et al. (1990) empfehlen für die Produktion extrazellulärer Enzyme in hoher Konzentration den sogenannten Dialysefermenter. Wie in Abbildung 7.15 gezeigt, wird der Bioreaktor durch eine Dialysemembran in zwei gerührte Kammern unterteilt. In Kammer 2 befinden sich die das extrazelluläre Enzym produzierenden Mikroorganismen (E. coli). Sie werden aus Kammer 1 durch Diffusion mit niedermolekularen Nährstoffen versorgt. Die entstehenden – ebenfalls niedermolekularen – Metabolite diffundieren ihrerseits von Kammer 2 in Kammer 1. Da das gewünschte Produkt sich in Kammer 2 anreichert, muss das entstehende Produkt über einen externen Kreislauf ausgetragen oder bei Erreichen einer Produktinhibition der Prozess abgebrochen werden. In Abbildung 7.16 sind deshalb im Bioreaktor keramische Mikrofiltrations-Flachmembranen in-
Abb. 7.15 Schema eines Dialysemembran-Reaktors (nach Märkel et al. 1990)
7
7
210
7 Bioreaktoren
tegriert, die den kontinuierlichen oder zyklischen Produktaustrag ermöglichen. Diese Anordnung wurde erfolgreich für die Produktion von rekombinanten Lipasen mittels Pichia pastoris verwendet (Dhariwal 2007). In der biologischen Abwasserreinigung ist der Bioreaktor mit intern integrierten Membranen weit verbreitet (Kapitel 13). Variantenreicher ist aber die externe Membranintegration. Sie reicht von der einfachen Biomasserückhaltung mittels Mikrofiltrationsmembran, wie in Abbildung 7.17 gezeigt, über Ultrafiltration, Pervaporation, Pertraktion (Kapitel 10 bis 13) bis zum Gasaustausch (Abb. 7.8d).
7.3.3 Schlaufenreaktoren (SR)
Abb. 7.16 Bioreaktor mit integrierten keramischen Mikrofiltrations-Flachmembranen
Der Schlaufenreaktor (SR) kommt dem idealen Rohrreaktor sehr nahe. Wie aus dem Namen bereits hervorgeht, wird beim Schlaufenreaktor der Reaktorinhalt schlaufenförmig geführt. Dabei unterscheidet man zwischen internem und externem Umlauf (Abb. 7.18). Für die Erzeugung der Umlaufströmung kommen im Prinzip alle in Abb. 7.1a–d angegebenen Energieeintragsmöglichkeiten infrage, also rotierende Welle (Propellerschlaufenreaktor, PSR), asymetrische Siebplatte (Vibrationsschlaufenreaktor, VSR), Freistrahl (Strahlschlaufenreaktor) und Gaseintrag (AirliftReaktor, ALR). Generell muss festgestellt werden, dass die SR die in sie in den 1980er- und 90er-Jahren gesetzten Erwartungen bei Weitem nicht erfüllt haben. In der einschlägigen Literatur gibt es praktisch keine Hinweise auf heute für die Bioproduktbildung im industriellen Maßstab betriebenen S chlaufenreaktoren, mit Ausnahme des PSR.
7.3.3.1 Propellerschlaufenreaktor (PSR)
Abb. 7.17 Bioreaktor mit externer Membranintegration. WT = Wärmetauscher, MF = Mikrofiltration
Trick et al. (1991) haben für die Produktion von Glutaminsäure mittels des aeroben Stamms Corynebacterium glutamicum den Propellerschlaufenreaktor (PSR; Abb. 7.19) mit dem STR (Abb. 7.2) verglichen. Abgesehen von der Größe (PSR 50 l, Bioengineering, Schweiz; STR 20 l, Fa. Biolafitte, Frankreich) unterschied sich der PSR
211
7.3 Reaktortypen
Abb. 7.20 Vergleich der Ergebnisse der Produktion von Glutaminsäure in einem STR gegenüber einem PSR in Bezug auf spezifische Wachstumsrate dμ/dt, spezifische Produktionsrate π , spezifischer Glucoseverbrauch σ sowie Ausbeutekoeffizienten YP/S und YX/S
Abb. 7.18 Prinzipien von Schlaufenreaktoren, (a) mit innerem Umlauf, (b) mit äußerem Umlauf (nach Blenke 1985)
vom STR nur durch das Strömungsrohr zur Ausbildung des internen Umlaufs. In Abbildung 7.20 sind spezifische Wachstumsrate dμ/dt, spezifische Produktivität π, spezifischer Glucoseverbrauch σ sowie Ausbeutekoeffizienten YP/S und YX/S des STR mit denen des PSR (gleich 1 gesetzt) verglichen. Man erkennt, dass in allen Belangen der STR dem PSR unterlegen ist. Hinzu kommt, dass das Schaumproblem beim PSR – als Folge des Zwangsumlaufs – geringer ist als beim STR, bei dem während der Wachstumsphase durch Schaumflotation in erheblichem Umfang Biomasse ausgetragen wird. Nun ist aber der PSR nicht der typische Vertreter eines Schlaufenreaktors. Er besitzt – wie der STR – Zonen hoher lokaler Energiedissipation und solche vergleichsweise geringer Durchmischung.
7.3.3.2 Airlift-Reaktor (ALR)
Abb. 7.19 Schema eines kompakten Propellerschlaufenreaktors (nach Trick et al. 1991)
Für die aerobe Fermentation scherempf indlicher Mikroorganismen empfiehlt Weiland (1984) den Airlift-Reaktor (ALR) mit externer Schlaufe, da unter anderem • Zonen sehr hoher Energiedissipation, aber auch unkontrollierter bzw. stagnierender Strömung vermieden werden, • eine gute Gasabtrennung im Kopfbereich der Schlaufe möglich ist,
7
7
212
7 Bioreaktoren
• die Möglichkeit der Regelung der Flüssigkeitszirkulation durch Drosselorgane im äußeren Kreislauf gegeben ist, • günstige Bedingungen für den Wärmeübergang vorliegen (großes Verhältnis Oberfläche/ Volumen), • bedingt durch die Rohrströmung wie Aufund Abstrom eine sichere Maßstabsübertragung möglich ist. Allerdings wurde die überwiegende Zahl der veröffentlichten experimentellen Arbeiten am ALR mit interner Schlaufe und an sehr kleinen Reaktoren mit Modellflüssigkeit und daher mit geringer Praxisrelevanz durchgeführt. Lediglich Kolla (1984) verwendete Bakterien und Hefen. Meusel (1989) diskutierte insbesondere die Frage, inwieweit ein Scale-up für ALR mit externer Schlaufe auf der Basis von Modellversuchen möglich ist. Er untersuchte die Hydrodynamik und den lokalen Gasgehalt des ALR. Die Hydrodynamik von ALR wird vor allem durch den sich – in Abhängigkeit von der Begasungsintensität, den rheologischen Eigenschaften sowie der Reaktorgeometrie – einstellenden relativen Gasgehalt bestimmt, da dieser den für die Flüssigkeitszirkulation verantwortlichen Dichteunterschied zwischen Auf- und Abströmsäule bewirkt. Dabei ist der relative Gasgehalt ϕG V ϕG = AAuf (7.7) A ⋅ v GS : Volumenstrom in Aufströmsäule V Auf A A: Querschnittstelle der Schlaufe vGS: Schwarmgeschwindigkeit der Blasen bzw. ϕG =
vG v + vL ∗ GS G S
(7.8)
v G: Gasleerrohrgeschwindigkeit v ∗GS: Schwarmaufstiegsgeschwindigkeit in ruhender Flüssigkeit vL: Geschwindigkeit der Flüssigkeit
Damit wird deutlich, dass mit steigender Flüssigkeitsgeschwindigkeit der Gasgehalt im ALR abnimmt sowie bei vL = 0 – der sogenannten Blasensäule – einen Maximalwert erreicht. Die Flüssigkeitsgeschwindigkeit ergibt sich dabei im
stationären Zustand als Folge der Druckdifferenz Δp zwischen Auf- und Abströmsäule mit Δp = ρ L ⋅ g ⋅ h o ⋅ ϕG
(7.9)
(hier müsste korrekterweise Δρ = ρ L − ρG eingesetzt werden, jedoch ist die Dichte des Gases ρG gegenüber der Dichte der Flüssigkeit ρL zu vernachlässigen) und des Gesamtdruckverlustes Δpges. Abbildung 7.21 zeigt den Gasgehalt φG als Funktion der Leerrohrgeschwindigkeit v G für unterschiedliche Verhältnisse der Querschnittsflächen FA = AAb/AAuff, wobei AAb der Querschnitt Abströmsäule ist und AAuff der Querschnitt Aufströmsäule. Der Einfluss der Flüssigkeitsgeschwindigkeit auf φG bei konstanter Reaktorgeometrie ist in Abbildung 7.22 gezeigt. Mit zunehmender Flüssigkeitshöhe ho im Reaktor nimmt φG insgesamt ab, da infolge des zunehmenden hydrostatischen Druckes das Gas stärker komprimiert wird und mit zunehmendem Aufstiegsweg die Koaleszenz und damit die Blasengröße zunimmt. Meusel (1989) stellt außerdem fest, dass in der Schlaufe keine ideale Vermischung bezüglich der Gelöstsauerstoffverteilung vorliegt. Zur Beschreibung dieser Vorgänge ist daher die Ortsabhängigkeit zu berücksichtigen. Er kommt zu dem Schluss, dass eine Maßstabsübertragung auf der Grundlage der Lösung der Erhaltungsgleichungen für Impuls, Stoff und Energie nur für einfache Fälle möglich ist. Eine neuere Literaturrecherche ergab, dass ALR derzeit vor allem für Pflanzzellkulturen empfohlen werden (Yuan et al. 2001, Kintzios et al. 2004). Dabei ist aber zu beachten, dass diese Empfehlungen auf der Basis von Experimenten mit Laborfermentern (ALR mit 2,5 l) beruhen.
7.3.3.3 Strahlschlaufenreaktor (SSR) Sternad und Blenke (1986) und Sternad (1988) haben umfangreiche Untersuchungen an Strahlschlaufenreaktoren (SSR) durchgeführt. Hier wird die interne Schlaufe wegen der besseren Abtrennbarkeit des an O2 verarmten Gases bevorzugt (Abb. 7.18a). Den Vorteil des SSR gegenüb er dem ALR b ei aeroben Prozessen sehen Sternad und Bl enke in der Möglichkeit, durch den eingetragenen
213
7.3 Reaktortypen
Abb. 7.21 Gasgehalt ϕG als Funktion der Leerrohr ge_ schwindigkeit vG für unterschiedliche Verhältnisse der Querschnittsflächen FA = AAb/ AAuf (nach Meusel 1989)
Abb. 7.22 Einfluss der Flüssigkeitsgeschwindigkeit vL auf den relativen Gasgehalt ϕG in ALR mit äußerer Rückführung. Parameter ist die Gasleerrohrgeschwindigkeit _ vG (nach Weiland 1984)
und die damit neben dem Flüssigkeitsstrahl V Li L Gasstrom zusätzlich eingetragene Leistung PL die Umlaufgeschwindigkeit und die Dispergierwirkung (und damit den Gasgehalt) zu erhöhen.
PL =
3 8ρ L ⋅ V Li L 4 2 π Di
: Volumenstrom durch die Düse V Li L Di: Durchmesser der Düse
(7.10)
7
7
214
Sie weisen in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass bei niedrig viskosen und Koaleszenz-gehemmten Flüssigkeiten wegen der sehr kleinen Blasen der Gehalt an Inertgas im Außenraum (also in der Abtriebssäule) zu hoch wird und daher Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Je kleiner die Gasblasen, umso schneller geben diese ihren Sauerstoff in der Auftriebssäule an die Flüssigkeit ab und können dann im oberen Teil der Säule keinen Beitrag mehr zum Sauerstofftransfer leisten. Es gibt also in diesem Fall – der mit Luft begasten Säule – einen optimalen Blasendurchmesser. Eine aktuelle Literaturrecherche gab keinen Hinweis auf neuere Anwendungen des SSR für die Bioproduktbildung im industriellen Maßstab.
7 Bioreaktoren
zentration; denn die Dicke der Biomasseschicht auf dem Träger, die noch durch Nährstoffe und Sauerstoff versorgt wird, ist sehr begrenzt. Um unter diesen Umständen über die Höhe des Reaktors Nährstofflimitierung und Produktinhibierung zu vermeiden, sind hohe Anströmgeschwindigkeiten erforderlich. Die Strömungsgeschwindigkeit kann aber nur so weit gesteigert werden, dass keine Auswaschung der Partikel erfolgt. Die Anströmgeschwindigkeit vL (sie entspricht der Leerrohrgeschwindigkeit) muss also zwischen der maximal zulässigen Anströmgeschwindigkeit vLm und der sogenannten Lockerungsgeschwin-
7.3.4 Wirbelschichtreaktoren Eine Reihe von Mikroorganismen neigen dazu, sich auf Oberflächen anzusiedeln. Für die technische Anwendung fixiert man derartige Mikroorganismen auf (bevorzugt kugelförmigen) Partikeln, die ein hohes Verhältnis von Oberfläche zu Volumen besitzen. Beispiele für hierfür verwendete Materialien sind poröse Gläser, keramische Materialien, Polydextrane, Agarose, Cellulose und eine Vielzahl von Polymeren. Eine der beiden Möglichkeiten, derartige trägerfixierte Mikroorganismen biotechnisch einzusetzen, ist der Wirbelschichtreaktor, der im Englischen fluidized bed reactor genannt wird. Als besonderer Vorteil dieses Reaktors wird die Entkoppelung der Biomasseverweilzeit von der Flüssigkeitsverweilzeit gesehen. In Abbildung 7.23 ist ein Wirbelschichtreaktor schematisch dargestellt. Der Reaktor besteht aus einem zylindrischen Rohr, das partiell mit den Partikeln gefüllt ist. Um ein Wirbelbett im Reaktor zu erreichen, müssen die Partikel durch eine Aufwärtsströmung von Flüssigkeit und/oder Gas ihren Wirbelpunkt überwinden; sie schweben dann also im Reaktor. Verteilerböden oder eine Stahlkugelschüttung am Boden des Reaktors sorgen für eine über den Reaktorquerschnitt gleichmäßige Anströmung. Eine hohe Produktivität erfordert eine hohe Trägerkon-
Abb. 7.23 Schema eines Wirbelschichtreaktors (nach Trick et al. 1989)
215
7.3 Reaktortypen
digkeit vLo – das ist die Anströmgeschwindigkeit, bei der das Wirbelbett entsteht – gewählt werden. In Abbildung 7.24 sind schematisch verschiedene Zustände einer Zwei-Phasen-Wirbelschicht dargestellt. Abbildung 7.24a zeigt in einem Ausschnitt die Partikelbewegungen in einem voll entwickelten Wirbelbett. Abbildung 7.24b gibt die Situation am Lockerungspunkt wieder (vL = vLo; gesamte Schüttung ist als Paket in Schwebe). In Abbildung 7.24c heben sich einzelne Partikel und Verbände aus der Schüttung heraus, und Abbildung 7.24d zeigt die Situation unmittelbar vor dem Auswaschen (vL = vLm). Diese nicht zu überschreitende Maximalgeschwindigkeit soll im Folgenden aus der sogenannten Stokes’schen Sinkgeschwindigkeit eines kugelförmigen Partikels abgeleitet werden. Für die Masse des Partikels gilt π m = d 3P ⋅ ρ P 6 und für die Auftriebskraft nach Archimedes Fa =
π 3 ⋅ d P ρL ⋅ g 6
π 3 dP ( 6
P
PW =
L
)g
(7.11)
FW ⋅ 4 πd 2
(7.12)
Der Widerstandsbeiwert ζ des sich in der Flüssigkeit mit der Relativgeschwindigkeit vo be wegenden Partikels ist definiert als das Verhältnis von Widerstandsdruck pW zur kinetischen Energie des Flüssigkeitselementes ρ L ⋅ v o2 / 2 , d. h. ζ=
4d ( P L) g 3 v o2 ⋅ ρ L
(7.13)
Die experimentelle Bestimmung des Widerstandsbeiwerts einer Kugel als Funktion der Reynoldszahl v ⋅d Re = o P (7.14) νL
ergab einen Zusammenhang wie in Abbildung 7.25 dargestellt. Danach gilt für den laminaren Bereich für Re < 1 ζ=
Daraus ergibt sich als Widerstandskraft Fw = m ∙ g − Fa FW =
und als Widerstandsdruck Pw = Fw/AP
24 Re
(7.15)
Daraus lässt sich die Stokes’sche Sinkgeschwindigkeit berechnen: vo =
d P2 (
P
18 η
L
)g
(7.16)
Da es sich hierbei um eine Relativgeschwindigkeit vo zwischen Partikel und Flüssigkeit im
Abb. 7.24 Schematische Darstellung verschiedener Phasen eines Wirbelbetts (nach Storhas 1994). (a) Ausschnitt: Partikelbewegung in einem voll entwickelten Wirbelbett. (b) Wirbelbett am Lockerungspunkt. (c) Einzelne Partikel und Verbände heben sich aus der Schüttung heraus. (d) Situation unmittelbar vor dem Auswaschen
Abb. 7.25 Widersta ndsbeiwert ζ einer Kugel als Funktion der Reynold szahl in doppel tl ogarithmischer Darstellung
7
7
216
7 Bioreaktoren
stationären Zustand handelt, ist es gleichgültig, ob die Kugel mit konstanter Geschwindigkeit sedimentiert oder mit konstanter Anströmgeschwindigkeit in Schweb e gehalten wird. Theoretisch würde also für die maximal zulässige Anströmgeschwindigkeit im Wirbelb ett gelten: vLm = vo
(7.17)
Tatsächlich ist aber die Abweichung der Form des Partikels von der Kugel durch einen Faktor f < 1 zu berücksichtigen, sodass für die maximale Anströmgeschwindigkeit im laminaren Bereich gilt: v Lm = f 2
d 2P (
P
L
18 η
)g
(7.18)
Berücksichtigt man noch den Wandeinfluss dP/D mit dem Reaktordurchmesser D und die Tatsache, dass das Partikel sich im Schwarm bewegt (εL = Flüssigkeitsvolumen/Gesamtvolumen), so wird in der Literatur (Richardson und Zaki 1954, Richardson und Mirza 1979) für v ∗Lm = f 2 ⋅ ε Ln ⋅ v o ⋅ 10 − d P / D
(7.19)
angegeben. Für den turbulenten Bereich geben die gleichen Autoren für n Re-abhängige Beziehungen an, z. B. d § n = ¨ 4,45 + 18 P D ©
· −0,1 ¸ Re für 1< Re ≤ 200 (7.20) ¹
n = 4,45 Re −0,1 für 200 < Re ≤ 500
(7.21)
n = 2,39 für 500 < R ≤ 7000
(7.22)
Für die Lockerungsgeschwindigkeit vLo schlägt Storhas (1994) folgende Beziehung vor: v Lo =
1 f 2 ε 3L d 2P ( P 150 (1 − ε L ) ηL
die kontinuierlich biotechnische Produktion von Pharmaka (Behie et al. 1987) und die kontinuierliche L-Glutaminsäureproduktion mit Corynebacterium glutamicum (Henkel 1992). Der letztgenannte Autor weist auf die besondere Bedeutung einer ausreichenden Sauerstoff versorgung hin, da die Glutamatproduktion nur unter strikt aeroben Bedingungen erfolgt. Die experimentellen Untersuchungen zeigten aber eine im Vergleich zum Rührkesselreaktor begrenzte Sauerstoffeintragsleistung, was an der geringen einbringbaren Energ ied ichte im Wirbelbett begründet liegt. Hinzu kommt, dass die Koaleszenzneigung aufgrund der mit zunehmendem Feststoffanteil steigenden scheinb aren Viskosität des Wirb elb etts eb enfalls steigt. Dadurch entstehende Großblasen hab en eine hohe Aufstiegsgeschwindigkeit und können die Homogenität des Wirbelbetts empfindlich stören. Eine Übersicht über die Anwendung der Wirbelschichttechnik findet man bei Schügerl (1989).
L
)g
(7.23)
Die bisherigen Betrachtungen beschränkten sich auf den Zwei-Phasen-Wirbelschichtreaktor (Partikel/Flüssigkeit). Dies trifft für anaerobe Prozesse zu. Hierfür erfolgten auch die ersten Anwendungen des Wirbelschichtreaktors in der Biotechnologie. Für aerobe Prozesse hat man es jedoch mit einem Drei-Phasen-Wirbelbettreaktor (Partikel/ Flüssigkeit/Luft) zu tun. Beispiele hierfür sind
7.3.5 Festbettreaktoren Wie der Name bereits vermuten lässt, unterscheidet sich der Festbettreaktor vom Wirbelschichtreaktor dadurch, dass die Partikel bzw. Träger, auf denen der Biokatalysator fixiert ist, so eng gepackt sind, dass sie ein festes Bett bilden. Dabei kann die Packung zufällig oder geschichtet sein. Während Wirbelschichtreaktoren immer von unten angeströmt werden müssen, können Festbettreaktoren sowohl von unten als auch von oben durchströmt werden. Da mit steigender Anströmgeschwindigkeit auch der Druckg radient p′ = Δp/h ansteigt, geht d as von unten durchströmte Festb ett ob erhalb des sogenannten Lockerungspunktes in eine Wirbelschicht über. Vorteile des Festbetts gegenüber dem Wirbelbett sind höhere Packungsdichte und damit Steigerung der Raum-Zeit-Ausbeute sowie Vermeidung von Abriebsverlusten bei den Trägermaterialien. Außerdem sind keine besonderen Maßnahmen für den Produktaustrag erforder-
217
7.3 Reaktortypen
7.3.6 Photobioreaktoren*
Abb. 7.26 Schema eines Bioreaktors mit zylindrischem Festbett (nach Pörtner et al. 1999)
lich. Dem stehen als Nachteile inhomogene Durchströmung des Reaktors (Kanalbildung) und Verblocken der Hohlräume durch Schwebstoffe bzw. stark wachsende Biomasse gegenüber. Ein weiteres Risiko stellt das Ablösen und Auswaschen des trägerfixierten Biokatalysators dar. Wegen der starken Konzentrationsgradienten in Strömungsrichtung (Sauerstoff, Substrat und Produkt) und der Verblockungsgefahr wird der Festbettreaktor vornehmlich für anaerobe Bioprozesse bei schwebstofffreien Substraten verwendet (Beispiel: Produktion von Milchsäure aus Molke). Bei optimal eingestellten Betriebsbedingungen arbeitet der Festbettreaktor problemlos und kostengünstig. Eine Sonderform stellt die radiale Durchströmung eines zylindrischen Festbetts dar (Abb. 7.26). Pörtner et al. (1999) sieht den Vorteil unter anderem in dem problemlosen Scale-up durch Erhöhung des Festbettzylinders, wobei die durchströmte Festbettlänge wegen der ringförmigen Anordnung unverändert bleibt.
Von den bisher behandelten Bioreaktoren unterscheidet sich der Photobioreaktor dadurch, dass für die Versorgung des Biokatalysators zusätzlich Licht benötigt wird. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Kultivierung von Mikroalgen, obwohl unter dem Sammelbegriff „Algen“ allgemein verschiedene Gruppen photosynthetischer Organismen verstanden werden, deren Größe von wenigen Mikrometern bis zu mehreren Metern variiert. Von den zurzeit ca. 60 000 identifizierten Algenarten ist bisher nur ein sehr kleiner Teil biologisch soweit charakterisiert, dass eine vorläufige Abschätzung der Produktivitäten von Wertstoffen in technischen Anlagen möglich wird. Daher wird noch ein erhebliches Potenzial an interessanten Wert- und Wirkstoffen in den unbekannten Spezies vermutet. Produkte aus Mikroalgen sind einerseits die Biomasse selbst und andererseits die in ihr enthaltenen Wertstoffe. Hochwertprodukte aus Algen sind beispielsweise Carotinoide, mehrfach ungesättigte Fettsäuren und Antioxidantien. Neben hochpreisigen Feinchemikalien wird auch die Nutzung von Algen zur Energiegewinnung diskutiert und erforscht. Hier stehen die Nutzung der Biomasse in der Vergasung zu Methan, von Ölen zur Produktion von Biodiesel, Ethanol für Biokraftstoffe und Wasserstoff aus Algen in Rede. Die Produktion von Bioenergie mit positiver Energiebilanz wird bislang jedoch kontrovers diskutiert und hängt stark vom Gesamtsystem ab (z. B. Nutzung industrieller Abwärme, CO2-Abgasen oder von Abwasserströmen für die Nährstoffversorgung). Weiterhin sollte berücksichtigt werden, dass hochpreisige Feinchemikalien in Algen im Bereich von einigen Prozent der Masse liegen, die überwiegende Restbiomasse kann selbstverständlich energetisch verwertet werden, da die Wertschöpfung bereits durch die Feinchemikalien gegeben ist. Zum Wachstum benötigen Algen Licht, Kohlendioxid und Nährsalze in wässrigem Medium. Sie nehmen anorganisch gelöstes CO2 aus dem Medium auf. Die genaue CO2-Spezies (CO2, HCO3−, CO32−) differiert je nach Algengruppe * bearbeitet von Clemens Posten (KIT)
7
7
218
oder ist nicht genau geklärt. Für die Prozessführung ist die einzutragende Gesamtmenge an Kohlenstoff zu klären sowie die aufrechtzuerhaltende Konzentration im Medium, um der Algenzelle eine kinetisch nicht limitierte Aufnahme zu ermöglichen (Vermeidung von Stofftransportlimitierungen). Der Kohlenstoffgehalt von Algen beträgt etwa 50 Gewichtsprozente. Bei höheren Anteilen von Kohlenhydraten oder Ölen ergibt sich ein Wert von 1,5 kg/kg bzw. bis zu 2 kg/kg. Genaue Aufnahmekinetiken sind nicht bekannt, jedoch liegt die Sättigungskonzentration im Bereich von 0,1 kPa CO2-Partialdruck. Hierfür werden mindestens 5 % CO2 im Zugas benötigt. Wie alle Organismen brauchen Mikroalgen Mineralstoffe einerseits zum Aufbau der Biomasse und andererseits zur Aufrechterhaltung des extrazellulären Milieus. Der Bedarf ergibt sich aus der Elementenbilanz (hypothetische Summenformel CO0,48H1,83N0,11P0,01). Soll der Preis für die Mikroalgenproduktion stark sinken, sind die Nährsalze auch als Kostenfaktor nicht mehr zu vernachlässigen. Das Licht ist jedoch der wichtigste Wachstumsfaktor für phototrophe Organismen. Etwa 43 % der Energie des Sonnenlichtes sind photosynthetisch nutzbare Wellenlängen (PAR, engl. photosynthetically active radiation, 350 bis 720 nm). Der auf das Sonnenlicht bezogene Wirkungsgrad errechnet sich zu 10 %. Diese Größe wird als photon conversion efficiencyy (PCE) bezeichnet. Die Stoffwechselvorgänge in der Algenzelle, wie die chemischen Synthesen, Transportund Reparaturvorgänge, Photorespiration und
Abb. 7.27 Spezifische Wachstumsrate in Abhängigkeit von der Lichtintensität; die Messdaten stammen von der Alge Porphyridium purpureum in kontinuierlicher Kultivierung (Parameter ist die Frequenz der Hell/Dunkel-Phasen, rot)
7 Bioreaktoren
Atmung, ermöglichen einen Wirkungsgrad von ca. 50 % für die Umwandlung der Energie aus der Photosynthese in Zellmasse. Daher weist die Algenzelle als Ganzes eine praktisch realisierbare PCE von 5 % auf. Für Mitteleuropa heißt das, dass von den etwa 115 W/m2 Sonneneinstrahlung im Jahresmittel maximal 5 W/m2 chemisch gebundene Energie als Biomasse gewonnen werden kann (kalorischer Wert ca. 20 MJ/kg). Klassische Energiepflanzen bringen es nur auf 1 %. Trägt man den Zusammenhang zwischen spezifischer Wachstumsrate und Lichtintensität gegeneinander auf, so erkennt man, dass nur bei geringen Lichtstärken die Algen mit optimalem Wirkungsgrad wachsen (Abb. 7.27). Bei höheren Lichtstärken wird ein Teil der Lichtenergie als Wärme oder Fluoreszenzlicht wieder abgestrahlt. In einem technischen Produktionssystem muss deshalb das Licht „verdünnt“ werden. Die negativen Folgen einer zu starken Belichtung können durch eine schnelle Folge von hellen und dunklen Phasen abgemildert werden (Flashing-Light-Effekt). Die Frequenz muss allerdings deutlich höher als 10 Hz sein. Die in Abbildung 7.27 rot eingezeichneten Symbole zeigen Hell/Dunkel-Phasen von 20 ms, 10 ms und 5 ms (jeweils gleiche Zeit für Hell- und Dunkelphase). Wie man sieht, lässt sich dadurch die maximale spezifische Wachstumsphase drastisch erhöhen. Es bietet sich daher an, z. B. durch eine geeignete Mischvorrichtung Volumenanteile aus der schlecht belichteten in die gut belichtete Zone zu bringen und umgekehrt (Abb. 7.28). Allerdings ist dies mit erhöhtem Energieauf wand verbunden.
7.3 Reaktortypen
Aus Sicht der Prozesstechnik sind Photobioreaktoren Drei-Phasen-Systeme mit transparenten Außenflächen zum Lichteintrag, wobei die Blasen die Gasphase bilden, das Medium die Flüssigphase darstellt, während die Zellen als Partikel aufgefasst werden können. Zusätzlich bildet das Licht ein Strahlungsfeld, welches den drei Phasen überlagert ist. Größen zur Bewertung von Photobioreaktoren sind: • das Reaktorvolumen VR; • die Apertur AG – das ist die Bodenfläche des Reaktors, von dieser Fläche wird das Licht gesammelt;
219
• die Reaktoroberfläche AR, die deutlich größer als die Apertur sein sollte, jedoch einen wichtigen Kostenfaktor darstellt; • die Intensität I des einfallenden Lichtes als Jahresmittel, gemessen senkrecht zum Boden in W/m2 oder μE/(m2s); • die Flächenproduktivität in Masse Produkt pro Bodenfläche und Zeit und • die volumetrische Produktivität in Masse Produkt pro Reaktorvolumen und Zeit. Das wichtigste Maß für das maximal sammelb are Sonnenlicht ist die Bodenfläche, auf der der Reaktor aufgestellt wird. Die beleuchtete Reaktor-
Abb. 7.28 Erzeugung des Flashing-Light-Effekts
Abb. 7.29 Verfahrenstechnisch zu berücksichtigende Aspekte bei der Auslegung von Photobioreaktoren
7
7
220
oberfläche AR geht entscheidend in die Kosten ein, während das Volumen den Bedarf an Hilfsenergie zum Mischen und Begasen definiert. In Abbildung 7.29 sind einige kritische Aspekte dargestellt, die beim Design von Photobioreaktoren zu berücksichtigen sind. Das Sonnenlicht darf nicht direkt auf die Oberfläche fallen, um Lichtsättigung zu vermeiden. Deshalb wird die beleuchtete Oberfläche gegenüber der Grundfläche vergrößert. So werden Reaktoren bis über drei Meter Höhe aufgestellt, um über den Einstrahlungswinkel in Bezug auf die schräg zum Einfallswinkel der Sonne angeordnete Oberfläche eine Lichtverdünnung zu erreichen. Demselben Zweck dient die Aufstellung größerer Anlagen in sogenannten „Zäunen“ in Nord/Süd-Richtung (siehe Abb. 7.31). Ein weiterer Aspekt ist die Lichteindringtiefe in die Algensuspension. Diese hängt von der Biomassekonzentration ab, da sich die Algenzellen gegenseitig verschatten. Die Schichtdicke der Suspension bestimmt die Länge des Lichtweges. Die Algen wachsen so lange nahezu exponentiell, bis kein Licht mehr die gegenüberliegende Seite erreicht. Jetzt ist der eingetragene Lichtstrom wachstumsbestimmend, und es kommt zu linearem Wachstum. Je dünner die Schicht ist, desto höhere Algenkonzentrationen können erreicht werden. Diese werden im Reaktordesign zur Forderung nach einem hohen Oberflächen/ Volumen-Verhältnis (surface to volume ratio, SVR) zusammengefasst. In offenen Reaktoren (open ponds) wird ein SVR von 3 bis 4 m2/m3 erreicht, in geschlossen Reaktoren 70 bis 100 m2/ m3. Der volumetrische Gaseintrag beträgt wegen der geringen Biomassedichten und spezifischen Wachstumsraten nur wenige Prozent der Werte in Rührkesselreaktoren. Dennoch kann der Gaseintrag durch die spezielle Geometrie und die Forderung nach geringem Aufwand an Hilfsenergie problematisch sein. Insbesondere kommt es zu Gradienten der Konzentrationen an gelösten Gasen zwischen der Be- und Entgasungsstelle. Der pO2 steigt über 100 % Luftsättigung und kann dann wachstumsinhibierend sein. Typische Bauformen zeigt Abbildung 7.30. Die einfachste Form ist der Plattenreaktor (Abb. 7.30a). Dabei wird eine dünne Wasserschicht zwischen zwei transparente Flächen eingeschlossen. Die Durchmischung erfolgt durch
7 Bioreaktoren
a
b
Abb. 7.30 Typische Bauformen: (a) Plattenreaktor; (b) Rohrreaktor
die Begasung. Dieser Reaktortyp ist einfach zu bauen bei gleichzeitig hohem Oberflächen/ Standflächen-Verhältnis. Die so erreichte Lichtverdünnung weist Werte von 1:5 bis 1:10 auf. Während für die Dicke ca. 3 cm oder mehr üblich sind, weisen aktuelle Konzepte nur noch etwa 1 cm Dicke auf. So können Biomassekonzentrationen von mehr als 10 g/l erreicht werden. Hohe Werte sind wichtig, um die auf die Biomasse bezogene Mischenergie klein zu halten und die nachfolgenden Aufarbeitungsschritte zu vereinfachen. Typische Begasungsraten sind 0,15 vvm mit volumetrischen Energieeinträgen von 30 W/m3. Um den Energieeintrag weiter zu minimieren, werden neueste Pilotanlagen wesentlich niedriger gebaut (ca. 40 cm) und näher aneinander. Das senkt nicht nur den volumenspezifischen Energieeintrag (geringerer hydrodynamischer Gegendruck), sondern ermöglicht auch den Verzicht auf teure Stellagen. Der Einbau in ein Wasserbecken (water bed reactor) dämpft tageszeitliche Temperaturschwankungen und macht die Anlage allgemein weniger witterungsanfällig. Rohrreaktoren (Abb. 7.30b) bestehen aus mäandrisch geformten, parallel betriebenen Glasoder Kunststoffrohren von weniger als 5 cm Durchmesser und bis über 100 m Länge. Diese werden als Strömungsrohr mit etwa 0,2 bis 1 m/s Strömungsgeschwindigkeit betrieben. Durch die photosynthetische Aktivität der Zellen kommt es längs des Rohres zu ausgebildeten Gradienten von pO2, pCO2 und pH, die problematisch sein können und das Scale-up in axialer Richtung limitieren. Rohrreaktoren können auch mit reinem CO2 begast werden, allerdings liegt der volumetrische Leistungseintrag im Bereich von über 500 W/m3. Die hohe Lichtverteilung
7.3 Reaktortypen
221
Abb. 7.31 Beispiel für realisierte Photobioreaktoren: Green Wall Panel, Universität Almeria
von SVR > 100 und der Fokussierungseffekt der Strahlen in das Innere der Rohre ergibt einen sehr guten Lichteintrag, der die Produktion hochwertiger Stoffe erlaubt. Die Abbildungen 7.31 und 7.32 zeigen zwei Beispiele realisierter Photobioreaktoren. Die sogenannten „Green Wall Panels“ der Universität Almeria in Spanien (Abb. 7.31) realisieren Lichtverteilung über eine senkrechte Oberfläche. Sierra et al. berichten folgende Daten: VR = 5,0 m3 pro Einheit, PG = 0,6 g/l d, Kosten: 3 000 €/m3. Die Rohrreaktoren der Bioprodukte Prof. Steinberg GmbH in Klötze (Abb. 7.32) sind mit 500 km Gesamtrohrlänge und 700 m3 Reaktorvolumen auf 1,2 ha Grundfläche bei einer Produktion von 100 t/a Algen (mixotroph) die weltweit größte geschlossene Photobioreaktoranlage. Die größte Menge an Mikroalgen wird jedoch heutzutage noch in open ponds gewonnen. Das gebräuchlichste Verfahren ist der raceway pond, bei dem das Medium mit einem Paddel im Kreis bewegt wird. Open ponds sind vergleichsweise preiswert, da keine transparenten Medien zum Einsatz kommen. Sie sind jedoch stärker Kontaminationen ausgesetzt und zeigen auch eine höhere Wasserverdunstung. Die genannten Vorteile, wie hohe Flächenproduktivität und die Produktion von Mikroalgen in trockenen Gegenden, lassen sich aber nur mit geschlossenen Photobioreaktoren erzielen. Die Entwicklungsreife von Photobioreaktoren steckt momentan noch in den Kinderschuhen. Fortschritte sind in mehreren Bereichen nötig.
Abb. 7.32 Beispiel für realisierte Photobioreaktoren: Rohrreaktoren der Bioprodukte Prof. Steinberg GmbH, Klötze
Die bislang in geschlossenen Reaktoren produzierte Biomasse bewegt sich in einem Preisniveau von mehr als 20 €/kg. Das ist für höherwertige Produkte im Health- und Body-Care-Bereich angemessen, für eine energetische Nutzung ab er viel zu hoch. Ein Grund dafür sind zunächst die hohen Reaktorkosten. Diese liegen bei 200 €/m2 (Rohrreaktor), aber mindestens bei 50 €/m2 bei Plastik-Plattenreaktoren. Ein weiteres Problem ist der hohe Bedarf an Hilfsenergie für die Wasser- und Gasführung sowie die Produktaufbereitung. Eine übliche Begasung benötigt beispielsweise mehr als 5 W/m2, sollte aber nicht mehr als 1 W/m2 erfordern. Unter dem Preisdruck werden zukünftige Reaktoren von niedrigerer Bauform sein, mit verbesserter Lichtverdünnung und mit dünneren Schichten. Insgesamt muss die Wassermenge pro bebauter Fläche sinken, um den Energieverbrauch zu senken. Eine Begasung zur Vermeidung von Blasen üb er Membranen wird zurzeit diskutiert. Die Frage nach den Materialien ist des Weiteren offen, wob ei lichtbeständige
7
7
222
Kunststoffe bereits in der Entwicklung sind. Effektive Mechanismen zur Dämpfung von Temperaturschwankungen wie die Ummantelung durch Polymere mit hohen Phasenumwandlungsenergien sind weitere Optionen der Zukunft. Gleichwohl wird die Kultivierung von Mikroalgen von internationalen Experten und Politikern zunehmend als Schlüsseltechnologie zur Erreichung einer umweltverträglichen und nachhaltigen Versorgung mit Rohstoffen gesehen. Die hohen flächenbezogenen Produktivitäten und die Nutzung arider Landflächen werden daher als bedeutende Argumente genannt. In der Tat sind Algenkultvierungen die mit Abstand produktivsten Systeme zur Erzeugung von Biomasse. Weitere Steigerungen sind durch Fortschritte in der Stammentwicklung und im Reaktordesign in Sicht.
7.3.7 Einweg-Bioreaktoren für Säugetierzellen* In jüngster Vergangenheit hat die Entwicklung und der Einsatz von Einweg-Bioreaktoren (disposible/single use bag bioreactors) stark zugenommen (Eibl und Eibl 2009). Diese Kultivierungssysteme werden aus verschiedenen, für diesen Verwendungszweck zugelassenen Kunststoffen, wie z. B. Polyethylen (ULD-PE), Polypropylen (PP) oder Polytetrafluorethylen (PTFE), hergestellt, die hinsichtlich der sich aus den Kunststoffen herauslösenden Stoffe (leachables and extractables) gut charakterisiert sind. Sie werden in sehr unterschiedlichen Formen wie T- oder Rollerflaschen, Schüttelkolben oder einfacher bzw. zylindrischer Beutel (bags) in Größen von 2 l bis über 1 000 l ready-to-use kommerziell angeboten. Sie können sowohl statisch z. B. für adhärent wachsende Kulturen (siehe Abschnitt 7.3.8 und 11.4) oder bewegt in Form von Schüttelkolben, wave bags oder Rührreaktoren eingesetzt werden. Sie haben den Vorteil, dass sie flexibel und schnell einsatzfähig sind, da sie gamma-sterilisiert zu beziehen sind und bei den bag-Systemen mittels spezieller Kupplungssysteme einfach sterile *bearbeitet von Franz Walz (Boehringer Ingelheim Deutschland GmbH)
7 Bioreaktoren
Abb. 7.33 Wave Bioreaktor® (Pierce und Shabram 2004; mit freundlicher Genehmigung der Fa. Sartorius Stedim Biotech)
Verbindungen hergestellt werden können. Die bewegt betriebenen Systeme können mit disposiblen optischen pH- und pO2-Sensoren ausgerüstet werden und bieten damit alle wesentlichen Elemente der konventionellen Bioreaktoren. Da diese Reaktoren nur einmal verwendet werden, entfällt die Reinigung, was für den kommerziellen Gebrauch unter GMP (Good Manufacturing Practice) das Risiko für Kreuzkontaminationen von vornherein ausschließt. Aufgrund ihrer Eigenschaften sind EinwegBioreaktoren vielseitig einsetzbar. Dies reicht von der Züchtung individueller Stamm- und Blutzellen über die Züchtung von Gewebe für medizinische Anwendungen im kleinen Maßstab bis hin zur Herstellung therapeutischer Proteine und antiviraler Impfstoffe im Maßstab bis zu 1 000 l. Eine breite Verwendung hat inzwischen der Wave Bioreactor® (Pierce und Shabram 2004) gefunden, bei dem die Zellen in einem EinwegPlastikbeutel in einer langsam schwingenden Wanne kultiviert werden (Abb. 7.33). Bei den Rührreaktoren gibt es mittlerweile ebenfalls Einweg-Systeme, die in verschiedenen Größen bis zu mehreren Hundert Litern und mit der entsprechenden Technik und Steuerung ausgestattet erhältlich sind (Abb. 7.34). Für die Kultivierung von vorwiegend adhärenten Zellen können disponible Hohlfaser-Membranmodule verwendet werden. Hier wachsen die Zellen auf der Außenseite und sind durch die semipermeable Membran vom mit Sauerstoff angereicherten Nährmedium getrennt (Abb. 7.35). Solche Einweg-Hohlfasermodule werden für die schnelle und flexible Herstellung kleinerer Men-
223
7.3 Reaktortypen
b
a
Abb. 7.34 Einweg-Rührreaktor BIOSTAT CultiBag® STR (a) in leerem Zustand und (b) in Betrieb (mit freundlicher Genehmigung der Fa. Sartorius Stedim Biotech)
Abb. 7.35 Hohlfaser-Membranmodul
gen an Proteinen (Chu und Robinson 2001) oder für den Einsatz als künstliches Organ (Siclaff et al. 1995) eingesetzt.
7.3.8 Bioreaktoren für das Tissue Engineering* Tissue Engineering ist ein vergleichsweise „junges“, dynamisch wachsendes, stark inter- und transdisziplinäres Forschungsgebiet. Der Begriff „Tissue Engineering“ wurde auf einer Konferenz der National Science Foundation 1988 wie folgt definiert: „[...] die Anwendung der Prinzipien und Methoden der Ingenieur- und Lebenswissenschaften * bearbeitet von Cornelia Kasper, Martijn van Griensven
mit dem Ziel des grundlegenden Verständnisses der Beziehung zwischen Struktur und Funktion in normalen und erkrankten Säugergeweben und die Entwicklung von biologischem Ersatz zur Wiederherstellung, Erhaltung oder Verbesserung der Gewebefunktion.“ Anders als im Abschnitt 7.3.7, in dem die Zellkultivierung der Produktion von Pharmaka diente, hat das Tissue Engineering also das Ziel, künstliche Gewebe unter der Verwendung von geeigneten Biomatrices, Zellen und Bioreaktoren zu züchten. Das Prinzip des Tissue Engineering beruht darauf, dem Patienten Körperzellen zu entnehmen, diese außerhalb des Körpers (extracorporal) zu züchten und nach erfolgter Vermehrung auf einer formgebenden Matrix diese dem Patienten zu reimplantieren. Im Idealfall sollten die Zellen vom Patienten selbst stammen (autologe Zellen), denn so wird eine Abstoßungsreaktion des Körpers nach Reimplantation vermieden. Gewebedefekte können mittels des Tissue Engineering repariert bzw. gef üllt werden. Außerdem ist ein wesentlicher Vorteil, dass der Gewebe- bzw. Organersatz zu jedem Zeitpunkt möglich und die notwendigen Operationen dadurch planbar werden. Die „Zutaten“ für das Tissue Engineering sind in Abbildung 7.36 gezeigt. Zur Herstellung der verschiedenen Zielgewebe steht heute eine Viel-
7
7
224
7 Bioreaktoren
Zellen
Physikalische Stimulation
Zell-Zell-Kontakte
Matrix
Wachstumsfaktoren
Bioreaktor
Abb. 7.36 „Zutaten“ für das Tissue Engineering
zahl an Biomaterialien zur Verfügung. Zur Vermeidung von Abstoßungsreaktionen bei der Reimplantation des künstlichen Gewebes kommen vor allem autologe Zellen (zunehmend häufig Stammzellen) zum Einsatz. Die Zellen müssen in einem speziellen Bioreaktor unter optimierten Kultivierungsbedingungen vermehrt und organspezifisch ausdifferenziert werden. Hierzu kommen komplexe Medien zum Einsatz, die Serum und Wachstumsfaktoren enthalten. Für die Konstruktion funktionellen Gewebes ist es oft notwendig, während der Kultivierung der Zellen auch mechanische Reize (z. B. physikalische Stimulation durch Dehnung oder Druck) zu applizieren. Die Kultivierung der Zell/Matrix-Konstrukte (scaffolds) für das Tissue Engineering erfolgte zunächst überwiegend unter statischen Bedingungen, d. h. in Gewebekulturschalen (Abb. 7.37, oben). Problematisch dabei ist, dass unter statischen Bedingungen die Versorgung der Zellen mit Nährstoffen auf bzw. innerhalb einer dreidimensionalen Matrix inhomogen ist. Dies kann zu einem verlangsamten Wachstum bis hin zum Absterben des Gewebes auf der Matrix führen. Für den Einsatz im Patienten sollte das Gewebekonstrukt möglichst schnell und funktionsfähig herzustellen sein. Dieser Anspruch führte in den letzten Jahren dazu, dass speziell angepasste Bioreaktoren für die kontrollierte Herstellung künstlicher Gewebe eingesetzt werden. Durch die Verwendung von Bioreaktoren ist eine bessere Versorgung der Zellen gewährleistet, sodass schneller ein biologisch aktives Gewebe unter kontrollierten und reproduzierbaren Bedingungen entsteht.
Für die Kultivierung adhärent wachsender Zellen kommen zwei grundlegende Strategien zum Einsatz. Die statische oder batch-Kultur bezeichnet die Kultur von Zellen in geschlossenen Systemen wie Zellkulturflaschen, -schalen oder -platten. Die Zellen wachsen dabei in einem festgelegten Volumen des Kulturmediums. Die dynamische Zellkultivierung wird in speziellen Bioreaktoren durchgeführt (Abschnitte 7.3.1 bis 7.3.3). Das Kulturmedium wird in den Reaktoren permanent durchmischt, sodass der Nährstofftransport nicht mehr nur diffusionskontrolliert stattfindet und die Versorgung gegenüber der statischen Kultur verbessert ist. Weiterhin kann in einigen Bioreaktoren frisches Kulturmedium zu- sowie verbrauchtes Medium abgeführt werden, wobei das Volumen konstant bleibt. Man spricht dann von einer Kultivierung im Perfusionsmodus. Durch Regelung der Flussrate kann die Nährstoffzufuhr dem Zellmetabolismus entsprechend angepasst werden. Weiterhin werden toxisch wirkende Stoffwechselprodukte abtransportiert. Es können drei Grundtypen aller weiterentwickelten Bioreaktoren unterschieden werden (Abb. 7.37). Spinnerflaschen (Abb. 7.37, unten links) wurden für die Kultivierung von Suspensionszellen entwickelt. Die Zellen werden in eine Flasche mit Kulturmedium gegeben, das durch einen magnetgetriebenen Rührer am Boden der Flasche in Bewegung gehalten wird. Aber auch adhärent wachsende Zellen können in Spinnerflaschen kultiviert werden. Hierzu werden poröse dreidimensionale Matrices mit den Zellen besiedelt. Die besiedelten Konstrukte können dann an Nadeln befestigt werden, die vom Deckel der Flasche herabhängen. Durch die Durchmischung des Kulturmediums ist eine gute Nährstoffversorgung gewährleistet. Außerdem können als Matrices Mikrocarrier verwendet werden (vgl. Abschnitt 11.4). Spinnerflaschen werden unter anderem für die Kultivierung von Zell/PolymerKonstrukten für die Regeneration von Knorpelund Knochengewebe verwendet. Der rotating wall vessel reactor (RWVR) (Abb. 7.37, unten Mitte) wurde im Jahr 1992 von der NASA entwickelt, um Zellen in einer Umgebung simulierter Mikrogravitation zu kultivieren. Auch dieser Bioreaktor ist zunächst für die Kultivierung von Suspensionszellen entwickelt wor-
225
7.3 Reaktortypen
scaffolds Statische Kultivierung
Mediumfluss
scaffolds
scaffolds sca ffo ld
Spinnerflasche
rotating wall vessel reactor
den, kann aber ebenso mit zellbesiedelten Mikrocarriern bestückt und betrieben werden. Der Reaktor besteht aus einem rotierenden Zylinder, in dem sich wiederum horizontal ein rotierendes Kulturgefäß befindet. Der RWVR zeichnet sich dadurch aus, dass die im Reaktor herrschende Strömung laminarer Natur ist. Durch die Bewegungen der Zylinder wird das Medium außerdem durchmischt, sodass keine zusätzlichen Rührvorrichtungen erforderlich sind. Der RWVR hat unter anderem für die Differenzierung von Zellen zu Knorpel- und Nervengewebe Anwendung gefunden. Perfusionsreaktoren (Abb. 7.37, unten rechts) zeichnen sich dadurch aus, dass poröse dreidimensionale Gerüstmaterialien mit Kulturmedium durchströmt werden. Die Zellaussaat kann innerhalb der Reaktoren durchgeführt werden, indem die Zellsuspension dem Perfusionskreislauf zugeführt wird. Durch den Fluss des Mediums durch die poröse Matrix ist die Nährstoffversorgung der Zellen auch im Inneren des dreidimensionalen Konstruktes gewährleistet. Des Weiteren werden Systeme als Perfusionsreaktoren bezeichnet, in denen zwei- oder dreidimensionale Konstrukte von Kulturmedium überströmt werden. Wird ein Perfusionsreaktor im kontinuierlichen Modus betrieben, so wird permanent Medium zu- und abgeführt. Toxisch wirkende Stoffwechselprodukte werden auf diese Weise aus dem Reaktor abtransportiert, durch Regulation der Flussrate lässt sich die Nährstoffkonzentration dem Zellmetabolismus anpassen. Durch Regulation der Fließgeschwindigkeit kann
Perfusionskammer
Abb. 7.37 Grundtypen von Bioreaktoren für die Kultivierung von Gewebezellen
weiterhin der auf die Zellen wirkende Scherstress variiert werden. Perfusionsreaktoren werden unter anderem für Applikationen im Bereich des Tissue Engineering von Knochen- und Knorpelkonstrukten entwickelt. Außerdem wurden in den letzten Jahren zahlreiche Bioreaktorsysteme entwickelt, in denen durch die Anwendung verschiedener mechanischer Reize z. B. mittels Druck oder Zug auf die Zellen gezielt eine Stimulation ausgeübt werden kann. Dabei wird versucht, diese physikalischen Reize so anzupassen, dass sie den physiologischen Bedingungen ähneln, die im Körper auf das Gewebe wirken. Vor allem zur Herstellung von Geweben des muskuloskeletalen Systems (z. B. Knochen-, Knorpel-, Sehnengewebe) sind verschiedene Reaktorsysteme beschrieben, in denen Druck- und/ oder Zugbelastung ausgeübt wird. Aber auch für die Konstruktion von cardiovaskulären Konstrukten finden sich in der Literatur zahlreiche Beispiele, in denen vor allem durch pulsatile Strömung im/durch das Gewebekonstrukt physiologische Kräfte nachgeahmt werden. Im menschlichen Körper sind Knochen und Knorpelgewebe Druckbelastungen ausgesetzt. Außerdem findet in den Knochenkanälchen ein ständiger Flüssigkeitstransport statt. In Bioreaktoren wird versucht, diese physiologischen Belastungen nachzuahmen, um eine schnellere und gezielte Differenzierung zu erreichen. In einer einfachen Monolayer-Kultur in Silikonschalen unter Zugbelastung konnte die Differenzierung von Stammzellen aus dem Knochenmark sowie
7
7
226
dem Fettgewebe induziert werden. Das Ziehen der Silikonschalen führt zu einer Druckbelastung in transversaler Richtung sowie zu Scherstress durch die sich bewegende Flüssigkeit, ähnlich wie in dem Knochen im Körper. Dies zeigt, dass diese Art der Belastung imstande ist, eine Mechanotransduktion auszulösen, welches letztendlich die Differenzierung initiiert. Diese Art von Bioreaktor ist jedoch nicht geeignet für einen klinischen Einsatz, da das System offen ist und keine Matrix vorhanden ist. In Anlehnung an den rotating wall vessel reactorr gibt es auch die Möglichkeit, statt dem Gehäuse die Matrices zu drehen. Dies erzeugt wiederum eine Scherbelastung. Außerdem werden die Zellen alternierend einer Gas- und Flüssigkeitsphase ausgesetzt, was ebenfalls für die Differenzierung förderlich zu sein scheint. Auf diese Weise kultivierte Stammzellen zeigten eine erhebliche Mineralisierung und exprimierte Gene, die für die Knochenbildung wichtig sind und eine vorangeschrittene Differenzierung bezeugen. Dementsprechend kann man Knochenkonstrukte herstellen. Für Knorpelkonstrukte gibt es einen Bioreaktor, der die Belastung im Gelenk nachahmt. Hierbei wird eine runde Kugel mit Druck über ein Zellkonstrukt gerollt, wobei das Zellkonstrukt von oben nach unten bewegt wird, wodurch der Druck unterschiedlich stark ist. Dies erzeugt eine Belastung wie sie beim Beugen des Knieoder Ellenbogengelenks auftritt. Die Kräfte bestehen aus Rotation, Druck und Scherkräften der Kulturflüssigkeit. Häufig jedoch werden in der Klinik osteochondrale (Knochen-Knorpel-) Konstrukte benötigt, wenn Probleme in Gelenken auftreten. Direkt unter dem Knorpel befindet sich Knochen, der häufig zusätzlich verletzt oder in einem entzündlichen Prozess mit betroffen ist. Es ist in diesem Fall wichtig, ein Knochen-KnorpelKonstrukt herzustellen, wobei beide Gewebearten miteinander verbunden sind. Hierzu werden zwei unterschiedliche Matrices verbunden und in einen Bioreaktor gebracht, welcher in der Mitte eine Trennung mittels einer Membran aufweist. So können für Knochen und Knorpel spezifische Medien voneinander getrennt werden. Das Kulturmedium wird ständig gerührt und befindet sich in einem Kreislauf. Auf diese Weise
7 Bioreaktoren
können auch die Kulturbedingungen überwacht und gesteuert werden. Als Innovation im Bereich der Bioreaktoren für Konstrukte aus Knochen und Knorpel kann man den sogenannten T-CUP (Tissue Culture Under Perfusion) ansehen, wobei eine mechanische Belastung ausgeübt wird. Die porösen Gerüste (scaffolds) werden in einen beweglichen Stempel eingebracht. Dieser Stempel bewegt sich von oben nach unten und zurück. Somit findet eine Durchströmung des Konstruktes statt, da das Kulturmedium keinen anderen Weg hat. Für die Aussaat der Zellen wird eine höhere Geschwindigkeit (1 mm/s) als für die Kultivierung angewandt. Dies führt zu einer homogenen Verteilung der Zellen in der Matrix. Die ständige B ewegung im Anschluss mit einer Geschwindigkeit von 0,4 mm/s induziert dann die Differenzierung in Knochen- oder Knorpelgewebe. Auch hier zeigen sich eine deutliche Mineralisierung bei der Knochendifferenzierung und ein erhöhter Anteil an Glykosaminoglykanen bei der Knorpeldifferenzierung. Wichtig wäre in diesem Modell, zur Generierung von osteochondralen Konstrukten die beiden Gewebe miteinander zu verknüpfen. Im Bereich des cardiovaskulären Engineering ist mechanische Stimulierung ebenfalls von großer Bedeutung. Hierbei ist jedoch eine pulsatile B elastung physiologisch, wie sie normalerweise in den Blutgefäßen durch die Herzaktion hervorgerufen wird. Somit unterscheiden sich Bioreaktoren für das cardiovaskuläre Engineering von denen für Knochen-Knorpel-Konstrukte. Die Konstrukte im cardiovaskulären Bereich bestehen aus einem Schlauchsystem eines dehnbaren Biomaterials. Dieses Biomaterial wird an der Innenseite mit Endothelzellen besiedelt. Um eine physiologische Umgebung zu gewährleisten, werden Wachstumsfaktoren in unterschiedlichen Konzentrationen hinzugefügt. Die Außenseite des Konstruktes wird anschließend mit glatten Muskelzellen besiedelt, um die natürliche Wand eines Blutgefäßes aufzubauen. Diese Zellen brauchen ein anderes Medium, welches an der Außenseite des Konstruktes in einer separaten Kammer zur Verfügung gestellt wird. Um nun das gesamte Konstrukt sich entwickeln zu lassen, wird dessen Lumen (die Innenseite) pulsatil mit Medium durchströmt. Dies führt zu einer Belastung, wie
7.4 Hochdurchsatzverfahren für die Bioprozessentwicklung
sie im Körper vorhanden ist: Scherkräfte des durchströmenden Blutes sowie radiale Dehnung der Wand, wie sie beim Herzschlag erzeugt wird. Die Arterien im Körper funktionieren nämlich wie ein „Windkessel“. Bei der Herzkontraktion (Systole) dehnen sich die Gefäße, und in der Füllungsphase des Herzens (Diastole) „pumpen“ die Gefäße das Blut weiter. Der Bioreaktor für das cardiovaskuläre Engineering imitiert diese Funktion genau. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass Bioreaktoren diversen Anforderungen entsprechen müssen und abhängig von der Physiologie konzipiert werden müssen, um eine möglichst gute Annäherung an die Situation im Körper zu erreichen.
7.4 Hochdurchsatzverfahren für die Bioprozessentwicklung* Für die Entwicklung eines biotechnologischen Produktionsprozesses sind in der Regel drei miteinander verknüpfte Aufgaben zu lösen: • Biokatalysator-Design (Screening, Charakterisierung, Modifizierung) • Optimierung der Reaktionsbedingungen im Labormaßstab (Medium-Design, Temperatur etc.) • Bioprozessentwicklung im technischen Maßstab Die Selektion aussichtsreicher Biokatalysatoren erfordert eine enorme Zahl von Parallelversuchen, die bisher überwiegend in Schüttelkolben und Mikrotiterplatten durchgeführt werden. Eine vielversprechende Entwicklung stellt die RAMOS-Technologie dar (Anderlei und Büchs 2001, Anderlei et al. 2004). Es handelt sich dabei um eine sehr robuste Messtechnik, welche die Sauerstoff-, die Kohlendioxidtransferrate und den Respirationsquotienten in acht parallelen Schüttelkolben bereitstellt und damit Informationen liefert, die sonst nur durch eine aufwendige Abgasanalytik verfügbar gemacht werden * bearbeitet von Jochen Büchs, Ralf Hortsch, Dirk WeusterBotz
227
Abb. 7.38 Das Respiration Activity Monitoring System (RAMOS) zur Messung der Sauerstoff- und Kohlendioxidtransferrate und des Respirationskoeffizienten (OTR, CTR, RQ) in Schüttelkolben
kann (Abb. 7.38). Diese Messtechnik erlaubt durch eine spezielle Kalibrier- und Messprozedur eine Anpassung der Empf indlichkeit an die Atmungsaktivität der untersuchten Mikroorganismen bzw. Zellen. Sie ist daher auch f ür tierische Zellen anwendbar, welche etwa eine um den Faktor 100 geringere Atmungsaktivität besitzen als z. B. Bakterien. Die RAMOS-Technik ist primär dafür konzipiert, die Vorgänge im Screening zu erfassen und sichtbar zu machen. Da die Möglichkeit besteht, parallel verschiedene Kulturparameter detailliert z. B. auch durch Berechnung von Bilanzen und Stöchiometrien untersuchen zu können (Stöckmann et al. 2003, Jeude et al. 2006, Seletzky et al. 2007), lassen sich mit dieser Technik auch Teilaufgaben, die traditionell der Prozessentwicklung zugerechnet worden sind, abarbeiten. Das bisherige Problem der fehlenden on-lineAnalytik ist auch für Mikrotiterplatten ein großes Handicap. Es ist nicht sinnvoll, nur den Durchsatz an Versuchen zu erhöhen, ohne dafür Sorge zu tragen, dass diese auch bei geeigneten Kulturbedingungen ablaufen, und ohne dass Informationen über das Verhalten der kultivierten Mikroorganismen erhalten werden. Deswegen wurde die sogenannte BioLector-Technologie entwickelt (Samorksi et al. 2005, Kensy et al. 2009b). Es handelt sich dabei um ein faseroptisches Verfahren, bei dem die verschiedenen Wells unter fortgesetztem Schütteln der Reihe nach abgefahren werden. Es werden das Streulicht und
7
7
228
7 Bioreaktoren
Abb. 7.39 Konzept der frei suspendierten polymerbasierten Freisetzungssysteme
die Fluoreszenzen von NADH und Riboflavin ausgewertet. Wenn die kultivierten Mikroorganismen oder Zellen Zielproteine exprimieren, die mit einem Fluoreszenzprotein fusioniert sind, kann sogar on-line die Produktbildung mitverfolgt werden. Zusätzlich kann der pH-Wert und der Gelöstsauerstoffpartialdruck (pO2) gemessen werden, wenn eine Mikrotiterplatte mit entsprechenden Optoden verwendet wird. Neueste Arbeiten (Huber et al. 2009) zeigen, dass diese Technologie auch mit einem Pipettierroboter (Kapitel 10) kombiniert werden kann. Daraus resultieren ganz neue Versuchsmöglichkeiten. So kann z. B. bei induzierbaren Protein-exprimierenden Stämmen in einem einzigen Versuch die Induktorkonzentration und der Induktionszeitpunkt in 96 parallelen Versuchen detailliert optimiert werden (Huber et al. 2009). Mit der RAMOS- und BioLector-Technik wurde zwar das Problem der bisher fehlenden on-line-Analytik in Schüttelkolben und Mikrotiterplatten behoben, es fehlte jedoch noch die Möglichkeit, Nährstoffe oder pH-Stellmittel in die Kultur nachgeben zu können. Gerade für das Screening hat es sich als kritisch erwiesen, dass dieses bisher ausschließlich im batch-Betrieb erfolgt, die spätere Produktion allerdings in fed-batch-Fahrweise. Daraus ergeben sich große, teils entscheidende Unterschiede, was die Umgebungsbedingungen für die kultivierten Mikroorganismen anbelangt. Im batch-Betrieb kann es zu einer Inhibierung durch Substratüberschuss oder durch einen zu hohen osmotischen Druck kommen. Viele Mikroorganismen neigen außerdem zu einem overflow-Metabolismus. Wenn die Produktbildung Katabolit-reprimiert erfolgt,
so produzieren die Mikroorganismen im batch so gut wie kein Produkt und lassen sich nicht screenen. Aus all diesen Gründen wird in der Produktion der fed-batch-Betrieb bevorzugt. Es ist daher sehr sinnvoll, das Screening auch unter fed-batch-Bedingungen durchzuführen. Ein Ansatz dazu können die polymerbasierten Freisetzungssysteme darstellen (Jeude et al. 2006). Es handelt sich dabei um eine Silikonmatrix, in die Kristalle des zuzuführenden Nährstoffs bzw. eines pH-Stellmittels eingebettet sind (Abb. 7.39). Die Silikonmatrix ist so gestaltet, dass die zuzuführenden Stoffe freigesetzt werden und ins Kulturmedium gelangen. Dieses Konzept sieht frei im Kulturmedium suspendierte Freisetzungssysteme vor, während in Mikrotiterplatten die Polymermatrix fest am Boden immobilisiert ist. Es konnte in Vergleichsversuchen mit zwei verschiedenen Stammsammlungen gezeigt werden, dass im batch nicht die „optimalen“ Stämme für den fed-batch-Betrieb identifiziert werden können (Stöckmann et al. 2009; Scheidle et al. 2010). Neueste Arbeiten zeigen bereits die Machbarkeit von Mikrotiterplatten zum einmaligen Gebrauch mit mikrofluidischen Vorrichtungen zur Zuführung von Nährlösungen und pH-Stellmitteln von Volumina im Bereich von Nanolitern (Buchenauer et al. 2009). Mit diesen Systemen sind pH-geregelte Fermentationen und fed-batchFermentationen mit beliebigen Zufütterprofilen im Maßstab von 500 μl realisierbar (Funke et al. 2010). Es konnte außerdem für Escherichia coli und Hansenula poly morpha gezeigt werden, dass sich Kultivierungen aus Mikrotiterplatten (200-μl-Maßstab) gut im Laborfermenter (1,4-
229
7.4 Hochdurchsatzverfahren für die Bioprozessentwicklung
Sterilgas
a
b
Abgaskühlung
Rührkesselreaktor (V = 12 ml)
Sterilgas
Magnetspule mit Temperierung
Abb. 7.40 Gerührtes Parallelreaktorsystem im Milliliter-Maßstab. (a) Parallelreaktorsystem mit 48 Rührkesselreaktoren. (b) Schematischer Aufbau der Milliliter-Reaktoren
l-Maßstab) reproduzieren lassen (Kensy et al. 2009a). Die Grenzen zwischen Screening und Prozessentwicklung verschwimmen daher immer mehr. In Zukunft werden wahrscheinlich Screeningversuche bereits unter Bedingungen durchgeführt, die dem Produktionsmaßstab qualitativ sehr nahe kommen. Es werden eine ganze Reihe von Daten bereits im Screening erfasst, die das Scale-up auf Basis von verlässlichen Daten ermöglicht. Die bisher geübte rein empirische Vorgehensweise beim Schritt vom Screening in Schüttelreaktoren hin zu gerührten Fermentern wird dann der Vergangenheit angehören. Für die Entwicklung einer optimalen Prozessführung sind dennoch zusätzlich aufwendige Versuchsreihen unter kontrollierten technischen Bedingungen im Labormaßstab durchzuführen. Dabei kann meist entweder nur eine begrenzte Anzahl an Einflussgrößen untersucht werden, oder die Versuche sind zeitlich sehr aufwendig und verlangsamen damit die Entwicklung des gesamten Produktionsprozesses. Geeignete miniaturisierte Parallelreaktoren können die Entwicklungszeiten erheblich verkürzen. Das zusammen mit Kooperationspartnern am Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik an der Technischen Universität München entwickelte Parallelreaktorsystem (Puskeiler et al. 2005; Weuster-Botz et al. 2005) ermöglicht den gleichzeitigen Betrieb von 48 Rührreaktoren unter kontrollierten Bedingungen in einem Reaktionsblock (Abb. 7.40a). Die Einweg-Reaktoren aus Polystyrol haben ein Arbeitsvolumen von 8 bis 15 ml (Durchmesser: 20 mm, Höhe: 86 mm) und enthalten vier Strömungsbrecher zur Unterstüt-
zung der vollständigen Durchmischung. Jeder Reaktor besitzt einen eigenen Rührer aus PEEK (Polyetheretherketon), der von einem magnetisch-induktiven Antriebssystem in Rotation versetzt und über einen Wärmetauscher temperiert wird (Abb. 7.40b). Die sterile Sauerstoff versorgung erfolgt durch diese Gas-induzierenden Rührorgane, die über Hohlachsen Gas aus dem Kopfraum jedes Reaktors ansaugen und durch Querbohrungen ins Medium dispergieren (Abb. 7.40b). Durch die vorliegende zweigeteilte Ringströmung wird eine gleichmäßige Verteilung der angesaugten Gasphase im Reaktionsmedium ermöglicht. Der Sauerstoffeintrag steigt mit der Drehzahl und erreicht im Drehzahlbereich zwischen 2 000 und 2 800 min−1 einen kLa von 0,1 bis 0,4 s−1. Zur Prozessüberwachung und -kontrolle ist jeder Reaktor mit zwei immobilisierten chemischen Sensoren für pH und pO2 am Reaktorboden ausgerüstet, die berührungslos on-line von unter den Reaktoren platzierten optischen Ausleseeinheiten ausgelesen werden (Weuster-Botz et al. 2005). Durch Kombination des Bioreaktorsystems mit einem Laborroboter (Kapitel 10) können automatisiert Zulaufverfahren sowie die Titration von Base oder Säure zur pH-Regelung für jeden Reaktor individuell realisiert werden. Weiterhin können Probenahmen sowie eine atline-Analyse der Proben auf beispielsweise Biomassekonzentration, fluoreszierende Produkte oder Enzymaktivität automatisiert erfolgen (Knorr et al. 2007; Kusterer et al. 2008). Neben der Möglichkeit einer kontrollierten Prozessführung ist vor allem die Ähnlichkeit der
7
230
7 Bioreaktoren
10
8
Ne [-]
7
6
Ne
P R n3 d 5
Re
R n d 2 H
n
d 4
2 Abb. 7.41 Leistungskennzahl Ne als Funktion der Reynoldszahl für das Gasinduzierende Rührorgan des Milliliter-Bioreaktorsystems
0
laminar 0
gerührten Milliliter-Bioreaktoren zu gerührten Standardbioreaktoren ein entscheidender Vorteil des beschriebenen Systems. So werden in den Milliliter-Reaktoren vergleichbare Leistungseinträge und Energiedissipationen wie in Reaktoren des Labor- und Pilotmaßstabs erreicht (Hortsch und Weuster-Botz 2010). Die Leistungscharakteristik der Gas-induzierenden Rührorgane ist dabei dem aus Standardrührreaktoren bekannten Verhalten sehr ähnlich (Abb. 7.41, vgl. auch Abschnitt 6.2). Es lässt sich klar ein laminarer Bereich und die Ausbildung vollturbulenter Strömung (Leistungskennzahl Ne ist unabhängig von der Reynoldszahl) nachweisen, wobei bei Re > 3 000 die Leistungskennzahl Ne ≈ 3,3 ist und damit in einer vergleichbaren Größenordnung zu Standardrührreaktoren (Ne ≈ 4–5 für 6-BlattScheibenrührer) liegt. Die Nutzbarkeit des Milliliter-Parallelbioreaktorsystems für die Durchführung von 48 parallelen Reaktionen wurde von Kusterer et al. (2008) für die Kultivierung von Escherichia coli nachgewiesen (Abb. 7.42). Dabei zeigt sich eine hohe parallele Reproduzierbarkeit der Prozessdaten. Das Sauerstoffsignal aller 48 Bioreaktoren sinkt zu Prozessbeginn durch das Wachstum und den damit zunehmenden Sauerstoffverbrauch der Mikroorganismen. Durch die verfügbare online-Erfassung des pO2 kann bei ca. 2,6 Stunden Kultivierungsdauer eine Sauerstofflimitierung
turbulent
2000
4000
6000
8000
10000
Re [-]
erkannt und durch die Erhöhung der Rührerdrehzahl effektiv behoben werden (Abb. 7.42a). Dies zeigt den Vorteil kontrollierter technischer Reaktionen im Vergleich zu unkontrollierten Satzversuchen, bei denen solche Informationen nicht erfasst werden können. Nach Ende der Wachstumsphase steigt das Sauerstoffsignal wieder an. Über die gesamte Kultivierungsdauer ist eine konstante Standardabweichung in den 48 Reaktoren von wenigen Prozent des pO2 zu verzeichnen. Mithilfe der at-line-Analytik kann die optische Dichte der Kulturlösung automatisiert bestimmt und damit die aktuelle Biotrockenmassekonzentration geschätzt werden. Durch die hohe Sauerstoffeintragsrate des Gas-induzierenden Rührorgans sind hohe Zellkonzentrationen erreichbar. Das Wachstum zeigt eine sehr gute Übereinstimmung zu Kultivierungen im 23Liter-Standardrührreaktor, in dem die gleiche Wachstumskinetik und Biomassekonzentration gemessen wird (Abb. 7.42b). Die Nutzbarkeit des Milliliter-Bioreaktorsystems zur Optimierung industrieller Zulaufprozesse wurde von Knorr et al. (2007) und Vester et al. (2009) anhand der Riboflavinproduktion mit Bacillus subtilis belegt. Sie bestimmten den Riboflavinertrag von vier Produktionsstämmen nach 48 Stunden während eines Reaktorlaufs im Vergleich zu Resultaten im 3-Liter-Rührreaktor. Das B eispiel zeigt, dass mit nur einem Reaktorlauf
231
7.4 Hochdurchsatzverfahren für die Bioprozessentwicklung
100
a
pO2 [%]
80 60 – 2900 min–1
40 20 0
Biotrockenmasse [g l–1]
15
b
12 9 6 3 0 0
1
2 3 Kultivierungszeit [h]
eine Bewertung mehrerer Produktionsstämme unter Prozessbedingungen möglich ist. Durch den hohen Parallelisierungsgrad (im vorliegenden Fall n = 12 Versuche pro Stamm) ist zudem eine statistische Auswertung der Versuchsergebnisse möglich, welches die Qualität der erfassten Daten signifikant erhöht. In zahlreichen industriell relevanten biotechnologischen Prozessen finden mycel- und pelletbildende Mikroorganismen Anwendung. Durch die komplexe Morphologie dieser Mikroorganismen ergeben sich neue Anforderungen an die Mikro-Bioverfahrenstechnik. Zum einen ist die Morphologie der Mikroorganismen von den im Bioreaktor auftretenden Kräften abhängig, die wiederum einen starken Einfluss auf die Produktivität der Zellen haben kann. Zum anderen ändert das Kulturmedium, vor allem bei Mycelwuchsform, seine Eigenschaften von einem nied-
4
5
Abb. 7.42 48-fache parallele Kultivierung von Escherichia colii im Milliliter-Bioreaktorsystem (V = 10 ml, T = 37 °C, n = 2 800–2 900 min−1. Dargestellt sind die zeitlichen Verläufe von (a) pO2 und (b) der gemessenen Biotrockenmassekonzentration in den Milliliter-Bioreaktoren (႑) im Vergleich zu einer Referenzkultivierung im Standardrührreaktor (႒) (V = 23 l, T = 37 °C)
rig viskosen Newton’schen Verhalten hin zu stark strukturviskosem nicht-Newton’schen Fließverhalten (vgl. Abschnitt 5.8). Dadurch kommt es vor allem zu Problemen bezüglich des Gas-Flüssig-Stoffaustausches, die das in Abbildung 7.40b gezeigte Gas-induzierende Rührorgan nicht lösen kann. Weiterhin neigen filamentöse Mikroorganismen stark zu einem Bewachsen der Reaktorwände, was vor allen Dingen in MilliliterBioreaktoren problematisch ist. Um die Kultivierung mycel- und pelletbildender Mikroorganismen im Milliliter-Maßstab zu ermöglich, wurde ein neuartiges Rührorgan entwickelt, das schematisch in Abbildung 7.43a aufgezeigt ist (Hortsch et al. 2010; Hortsch 2011). Ein magnetisch-induktiv angetriebenes Rührorgan rotiert in einem unbewehrten Reaktor und erzeugt eine sich entlang der Reaktorwand ausbreitende Flüssigkeitslamelle. Dadurch entsteht
7
232
25
neuartiges Rührorgan Biotrockenmasse [g l–1]
a
7 Bioreaktoren
unbewehrter Rührkesselreaktor
Flüssigphase
Oberflächenbegasung
1000
b
20
800
15
600
10
400
5
200
0
Nikkomycin Z [mg l–1]
7
0 0
20
40
60
80
100
120
Kultivierungszeit [h]
Abb. 7.43 (a) Schematischer Aufbau eines gerührten Parallelreaktorsystems zur Kultivierung mycel- und pelletbildender Mikroorganismen. (b) Gemessene Biotrockenmasse (႑; ႒) und gebildete Menge des Fungizids Nikkomycin Z ( ; ˂) bei der parallelen Kultivierung von Streptomyces tendae W42-0 in zwölf gerührten Milliliter-Reaktoren (geschlossene Symbole; n = 1 200 min−1; V = 10 ml; T = 29 °C) im Vergleich zu einer Referenzkultivierung im Standardrührreaktor (offene Symbole; n = 800 min−1; V = 2 000 ml; T = 29 °C)
Ⴃ
ein stark erhöhtes Oberflächen/Volumen-Verhältnis, sodass ein hoher Sauerstoffeintrag über die Oberfläche erfolgen kann (kLa > 0,15 s−1). Durch die schnell rotierende Flüssigkeitslamelle werden Wandwachstum und Schaumbildung effektiv verhindert. Anhand der Kultivierung des Actinomyceten Streptomyces tendae konnte beispielhaft gezeigt werden, dass das neue Rührorgan für Kultivierungen von Mycelbildnern geeignet ist. Wachstum und Produktbildung des pharmazeutisch wirksamen Fungizids Nikkomycin Z zeigen im Milliliter-Bioreaktor (V = 10 ml) und Laborbioreaktor (V = 2 000 ml) über mehr als 120 Stunden Kultivierungszeit einen nahezu gleichen Verlauf, wobei in beiden Maßstäben hohe Biomassekonzentrationen und Viskositäten vorliegen (Abb. 7.43b, rechts). Das entwickelte gerührte Milliliter-Bioreaktorsystem ermöglicht Hochdurchsatz-Bioprozessentwicklungen unter vergleichbaren Bedingungen, wie sie in Rührreaktoren des Labor- und Pilotmaßstabs vorliegen. Durch die Möglichkeit, die Rührorgane und Einweg-Bioreaktoren einfach auszutauschen, ist das Parallelreaktorsystem für eine Vielzahl unterschiedlicher Kultivierungen nutzbar. Damit kann die Entwicklung bio-
technologischer Prozesse wesentlich effizienter stattfinden, da bereits zu einem f rüheren Zeitpunkt in der Produktentwicklung viele parallele Kultivierungen unter kontrollierten technischen Bedingungen durchgeführt werden können. Weiterhin ist durch die verfahrenstechnische Auslegung des Milliliter-Bioreaktorsystems eine zuverlässige Maßstabsübertragung gewährleistet.
7.5 Schaumprobleme B ei vielen (bio-)chemischen Reaktionen bildet sich, je nach Gehalt an grenzflächenaktiven Substanzen, an freien Oberflächen beim Gasaustritt Schaum. Das wird verfahrenstechnisch genutzt, z. B. bei der Flotation und der Schaumfraktionierung (Abschnitt 10.3.2). Meist ist die Schaumbildung jedoch nachteilig, denn im Schaum stellen sich andere Reaktionsbedingungen ein als die im Reaktionssystem gewünschten. Hinzu kommt, dass solcher S chaum einen beachtlichen Teil des Reaktorvolumens dem eigentlichen Nutzungszweck – der Bioreaktion – entzieht, in die Abgasl eitung
7.5 Schaumprobleme
233
Abb. 7.44 Kopf eines Bioreaktors mit integriertem mechanischem Schaumzerstörer (Zentrifuge) (nach Zlokarnik 1984)
gelangt und schließlich den Abluftfilter verschmutzt. Lohmann und Pahl (1993) fanden, dass Feststoffteilchen den Schaum stabilisieren. Das wird durch die Beobachtung bestätigt, dass Mikroorganismen sich in Zwickeln der Schaumlamellen ansammeln und so die Drainage der Flüssigkeit behindern. Der entstehende Schaum muss daher zerstört werden. Schaum lässt sich auf chemische, thermische und mechanische Weise bekämpfen. Chemische Entschäumer (in der Regel Öle mit begrenzter Löslichkeit) lassen sich im Bioreaktor dort einsetzen, wo sie weder den Biokatalysator noch das Produkt beeinträchtigen, bzw. es muss erhöhter Aufwand bei der Produktreinigung getrieben werden; sie werden auf den Schaum aufgesprüht. Die thermische Schaumzerstörung z. B. durch Dampf auf die Schaumlamellen ist im Bioreaktor wegen des damit verbundenen Energieeintrags nur in Ausnahmefällen möglich. Die mechanische Schaumzerstörung basiert im Wesentlichen auf der Scherbeanspruchung der Schaumlamellen und der Druckwechselwirkung innerhalb des Schaumzerstörers. Zlokarnik (1984) hat sich mit den Mechanismen der
Schaumzerstörung beschäftigt und Auslegungskriterien erarbeitet. In Abbildung 7.44 ist der Kopf eines Bioreaktors mit einem mechanischen Schaumzerstörer dargestellt. Die Liquidphase wird von der Gasphase getrennt und in den Reaktorraum zurückgeführt. Die Wellendurchführung kann jedoch Sterilitätsprobleme aufwerfen (Kapitel 8). Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass die installierten Leistungen für die mechanische Schaumzerstörung meist in der Größenordnung liegen, die beim STR für das Rührwerk zum Durchmischen und zur Gasdispergierung notwendig ist. Eine vergleichende Untersuchung verschiedener mechanischer Schaumzerstörer findet man bei Furchner (1988). Eine Vermeidung von Schaum bei aeroben Bioprozessen als Folge der Umwandlung von O2 in CO2 wird von Gruber (1993) beschrieben. Der mit CO2 beladene Reaktorinhalt wird in einem externen Kreislauf über einen CO2-selektiven Membranmodul geführt (Kapitel 13, Abb. 13.5). Die im Membranaußenraum als Spülgas verwendete Luft entfernt nicht nur nahezu das gesamte CO2, sondern versorgt gleichzeitig partiell die Biosuspension mit Sauerstoff (ca. 25 % des
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Gesamtbedarfs). Wichtig ist, dass die Membran gegenüber allen Komponenten des Reaktorinhalts (z. B. Öl als Medium!) stabil und der Modul sterilisierbar ist.
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8
Sterilisation und Sterildesign*
Eine wesentliche Voraussetzung für die Produktionssicherheit biotechnologischer Prozesse ist, dass der Fermentationsprozess nicht durch Fremdorganismen gestört wird. Bevor der Bioprozess gestartet wird, müssen daher Bakterien, Sporen und Viruspartikel (ggf. auch Prionen) möglichst vollständig abgetötet bzw. ausreichend inaktiviert werden (= Sterilität). Zudem muss die Anlagentechnik so ausgeführt sein (= Sterildesign), dass während des Betriebs keine prozessfremden Organismen in die Anlage gelangen und den Bioprozess stören (= aseptische Betriebsweise, steriler Zustand). Wird mit pathogenen oder gentechnisch modifizierten Organismen gearbeitet, so ist durch technische Maßnahmen sicherzustellen, dass keine Organismen und Stoffe in die Umgebung gelangen. Steril bzw. frei von störenden Organismen müssen damit die folgenden Systeme sein: • das Substrat, alle dem Prozess zugeführten sonstigen Stoffe, wie Nährstoffe, Pufferlösungen etc. und auch Gase; • der Bioreaktor und die dazugehörige Peripherie, wie Medienzu- und Ableitungssysteme, Belüftungssysteme, Messstutzen, Probenahmeventile, Filter; • Stoffe bzw. Stoffströme, die den Bioreaktoranlagenbereich verlassen. Das am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Inaktivierung von Mikroorganismen ist die Sterilisation mittels Hitze. Weitere Möglichkeiten sind die Bestrahlung mit γ- oder Elektronenstrahlen, die Plasmasterilisation, die Sterilfiltration und die chemische Sterilisation (Desinfektion), die je nach Beschaffenheit des zu sterilisierenden Systems, z. B. Flüssigkeit, Gas, Metalloberfläche etc., Anwendung finden. Bioreaktoranlagen müssen so konstruiert und die Oberflächen so beschaffen sein, dass sie leicht * Autoren: Jörg Hinrichs, Heinrich Buck, Gerhard Hauser
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
gereinigt und vor der Inbetriebnahme sterilisiert werden können (= Hygenic Design). Übliche Reinigungsschritte für einen Bioreaktor sind: Vorspülen mit Wasser mit einer Temperatur von 40 bis 60 °C für mindestens fünf Minuten; alkalische (1–2,5 %) Reinigung bei 65 bis 75 °C für mindestens zehn Minuten; Zwischenspülen mit Wasser mit einer Temperatur von 65 bis 75 °C für mindestens fünf Minuten, saure (1 %) Reinigung bei 65 bis 75 °C für mindestens zehn Minuten; Ausspülen mit Wasser (65–75 °C). Die nachfolgende Sterilisation des Bioreaktorsystems erfolgt mit gesättigtem Wasserdampf bei 121 bis 150 °C für 20 bis 30 Minuten. Das Substrat und dem Prozess zugeführte flüssige Medien werden batch-weise bei 110 bis 120 °C für 20 bis 40 Minuten oder kontinuierlich im Durchfluss mit Temperaturen von 135 bis 150 °C für eine bis zehn Sekunden sterilisiert. Bei Anwesenheit von Prionen ist eine Temperatur von 134 °C für mindestens 18 Minuten sicherzustellen. Vergleichbare Erhitzungsbedingungen werden für flüssige Stoffströme genutzt, die den Bioreaktoranlagenbereich verlassen. Die Sterilfiltration wird für Gase genutzt. Ebenso können flüssige hitzelabile Substrate oder Medien, die keine prozessstörenden Teilchen wie z. B. Enzyme, Prionen oder Viruspartikel enthalten und in denen der Anteil an suspendierten Teilchen, die den Filter verstopfen können, gering ist, sterilfiltriert werden.
8.1 Thermische Stabilität von Mikroorganismen Je nach Gattung, Art und zum Teil Stamm besitzen Bakterien, Hefen, Schimmelpilze und auch Viruspartikel eine unterschiedliche thermische Stabilität. Im Temperaturbereich der Pasteurisation (65 °C für 30 min bis 100 °C für einige Sekunden) werden diese jedoch im Allgemeinen inaktiviert
8
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8 Sterilisation und Sterildesign
Abb. 8.1 Übliche Temperaturbereiche für die Fermentation, Pasteurisation und Sterilisation von Substraten
(Abb. 8.1). Die thermische Sterilisation zielt insbesondere auf die Inaktivierung bakterieller Sporen ab, die eine deutliche höhere thermische Stabilität als Pilzsporen besitzen. Manche Bakterien, z. B. Bacillus und Clostridium bilden bei ungünstigen Lebensbedingungen Sporen, die sich durch einen geringen Wassergehalt und eine besondere Sporenhülle auszeichnen. Diese bakteriellen Überlebensformen besitzen eine hohe Temperatur- (> 100 °C) und Druckresistenz (> 1 000 MPa), sie überstehen Austrocknen, und man benötigt intensive γ-Bestrahlung zur Inaktivierung. Sobald die Milieubedingungen günstig sind, keimen die Sporen aus und die Bakterien vermehren sich. Die thermische Stabilität von Sporen wird durch das Umgebungsmilieu beeinflusst: Tendenziell ist die Stabilität im Sauren etwas geringer, und sie steigt mit zunehmendem osmotischen Druck (bzw. abnehmender Wasseraktivität, awWert) oder abnehmender relativer Luftfeuchte. So werden für die Sterilisation von Oberflächen in trockener Luft Temperaturen von 180 °C eingesetzt, und mit Sattdampf sind Temperaturen von 121 °C (20 MPa) üblich. Der traditionelle Weg für die Berechnung der Effektivität des Erhitzungsprozesses basiert auf der Annahme, dass die Abtötung der Mikroorganismen linear, d. h. nach einer Reaktion erster Ordnung, verläuft. Jedoch ist die Abtötungskurve der Mikroorganismen oft (in vielen Fällen) nicht linear. Die in Abbildung 8.2 dargestellten Grundtypen geben einen Überblick über häufig beschriebene Kurvenverläufe für Abtötungsreaktionen. Die Kurve A zeigt über den gesamten Zeitbereich der Temperatureinwirkung einen streng log-linearen Verlauf entsprechend einer
Abb. 8.2 Häufig beobachtete Grundtypen von Inaktivierungskurven als Abnahme der Konzentration der Konzentration an Mikroorganismen oder Sporen, C in Abhängigkeit von der Zeit t mit log-linearem (A), biphasigem (B), log-linearem Verlauf mit Tailing (C), Schulter mit log-linearem Verlauf (D)
Reaktionsordnung n = 1. Der Kurventyp B wird typischerweise gefunden, wenn die erhitzte Sporensuspension aus zwei Stämmen besteht. Dabei wird zuerst vor allem das Absterbeverhalten der empfindlicheren, dann das der stabileren Sporenart erfasst. Eine heterogen aus verschiedenartig hitzeresistenten Sporen zusammengesetzte Mischflora führt zu Kurven vom Typ C. Dieser Kurvenverlauf wird ebenfalls beobachtet, wenn nicht alle Sporen der erhitzten Suspension einzeln vorliegen, sondern geringe Mengen in
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8.2 Kinetik der thermisch induzierten Veränderungen
Klumpen von mehreren Sporen. Aber auch ein winziger Anteil Sporen mit extremer Hitzeresistenz kann zum so genannten „Tailing“ führen. Kurven vom Typ D zeigen eine scheinbar verzögerte Abtötung, was als „Schulter“ bezeichnet wird. Diese ausschließlich bei kurzen Erhitzungszeiten auftretende Nichtlinearität ist häufig darauf zurückzuführen, dass bei der Bestimmung der Ausgangssporenzahl nicht alle Einzelsporen erfasst werden und zu Beginn der Erhitzung neben der Sporenabtötung eine Hitzeaktivierung ruhender Sporen stattfindet.
8.2 Kinetik der thermisch induzierten Veränderungen Charakteristisch für thermische Sterilisationsprozesse sind definierte Temperatur-Haltezeit-Kombinationen, mit denen vegetative Mikroorganismen und bakterielle Sporen inaktiviert werden. Wird ein komplexes Substrat thermisch behandelt, laufen nicht nur die gewünschten Reaktionen ab, sondern auch unerwünschte chemische Reaktionen, wie z. B. Verlust an Vitaminen. Die auf molekularer Ebene ablaufenden Reaktionen, wie z. B. bei der Sporeninaktivierung, und deren Kinetik (Geschwindigkeit) sind häufig nicht vollständig bekannt, denn sie werden durch die komplexe Zusammensetzung des Substrats und die Milieubedingungen beeinflusst. Entsprechend arbeitet man vereinfacht mit der sogenannten Formalkinetik, bei der die thermische Behandlung als black boxx betrachtet wird. Messbare Veränderungen wie z. B. Konzentration an Sporen oder eines Vitamins infolge einer Temperatur-Zeit-Einwirkung werden quantifiziert und modelliert. Die Abnahme der Konzentration dC C an Mikroorganismen oder Sporen, der Abbau eines Inhaltsstoffes oder die Aktivitätsabnahme eines Enzyms innerhalb der Reaktionszeit dtt kann bei konstanter Temperatur T über einen allgemeinen Ansatz mit n-ter Reaktionsordnung beschrieben werden. dC = − kT ⋅ C n dt
Abb. 8.3 Vorgehensweise zur Bestimmung der temperaturabhängigen Geschwindigkeitsk onstante kT bzw. des Dϑ-Wertes für n = 1 (siehe Gleichung (8.6))
ordnung n wird empirisch bestimmt und kann beliebige Zahlenwerte oder auch Null annehmen. Für eine Reaktionsordnung von n = 1 lässt sich Gleichung (8.1) einfach integrieren, und es folgt: Ct = C0 exp( p(
T
(8.2)
)
Für eine Reaktionsordnung n ≠ 1 ergibt sich: C0 ª¬1 (n 1) k
1) 1/(1
)
º¼ (8.3) Die Geschwindigkeitskonstante kT ist temperaturabhängig (Abb. 8.3) und wird allgemein über den Arrhenius-Ansatz beschrieben: Ct
ª kT = krref ⋅ exp « − «¬
t C0(
§ 1 1 ·º ⋅¨ − ¸¸ » ¨ © ¹ »¼
(8.4)
kreff repräsentiert die Geschwindigkeitskonstante bei Referenztemperatur1 Treff [K], EA die Aktivierungsenergie [J mol−1] und R = 8,314 J (mol K)−1 die Allgemeine Gaskonstante. Experimentell können kreff, EA (und auch n) grafisch über zwei Schritte bestimmt werden, im ersten Schritt können aus den Graphen Ct = f(t) für jeweils T = const. die Geschwindigkeitskonstanten kT aus der Steigung
(8.1)
Der Proportionalitätsfaktor ist die Geschwindigkeitskonstante der Reaktion kT. Die Reaktions-
1
Die Referenztemperatur kann beliebig gewählt werden. Für Experimente ist es günstig, diese in die Mitte des betrachteten Temperaturbereichs zu legen.
8
8
240
8 Sterilisation und Sterildesign
bestimmt werden. Im zweiten Schritt werden über die Arrhenius-Auftragung log kT = f(1/T T) die Parameter kreff und EA ermittelt. Möglich ist es auch, alle Messdaten (Ct, t, T) in einem Schritt mittels nicht-linearer Regression auszuwerten und die Parameter kreff und EA in einem Durchgang zu bestimmen. Die Modellgleichung ergibt sich durch Einsetzen von Gleichung (8.4) in (8.2) zu § ª E §1 1 Ct = C0 ⋅ exp¨ − k ref ⋅ exp «− A ⋅ ¨ − ¨ ¨ «¬ R © T Tref © für n = 1
·º ·¸ ¸» ⋅ t ¸» ¸ ¹¼ ¹ (8.5)
Für n ≠ 1 können die Parameter k, n und EA über Gleichung (8.3) mit Gleichung (8.4) bestimmt werden. Eine Diskussion verschiedener Modelle zur Auswertung experimenteller Inaktivierungsdaten, beispielsweise der Kurven in Abbildung 8.2, findet sich bei Geeraerd et al. (2000, 2005). Zu empfehlen ist in jedem Fall, die Eignung des Modells grafisch zu überprüfen, indem die Messdaten Ct(gemessen) den berechneten Modelldaten Ct(berechnet) gegenübergestellt werden. Nach wie vor wird das klassische Konzept von Bigelow, Ball und Stumbo mit Dϑ-, FF und zϑ-Werten zur Beschreibung der Inaktivierung von Mikroorganismen, Sporen, Viren oder auch Enzymen genutzt (Stumbo 1973). Das Konzept setzt allerdings einen log-linearen-Verlauf der Inaktivierung voraus (Abb. 8.2, Kurve A), bzw. der Ansatz ist nur gültig für n = 1. Der Dϑ-Wert ist definiert als die Zeit, die bei einer bestimmten Temperatur notwendig ist, um die Konzentration auf ein Zehntel des Ausgangswertes zu reduzieren (Abb. 8.3). Der Dϑ-Wert ist aus der temperaturabhängigen Geschwindigkeitskonstante kT für Reaktionen mit n = 1 zu berechnen: Dϑ =
2,303 kT
mit T [ K ] = 273 K + ϑ [°C ]
(8.6)
Der F-Wert bezeichnet das Vielfache i des DϑWertes: F = i ⋅ Dϑ
(8.7)
und wird dazu genutzt, verschiedene Sterilisationsprozesse bezüglich ihres Inaktivierungseffekts (F-Wertes) zu vergleichen. Als Referenzwert für die Sterilisation von Lebensmitteln wird häufig
ein F0-Wert von 2,5 Minuten bei 121 °C genannt. Dieser ergibt sich nach Gleichung (8.7) aus einer angenommenen Reduktion der Sporenanzahl von Clostridium botulinum (D121°C = 0,21 min) um i = 12 Zehnerpotenzen. In einem engen Temperaturbereich und ebenfalls nur gültig für eine Reaktionsordnung von n = 1 gilt folgender Zusammenhang zwischen zϑWert und Aktivierungsenergie EA: zϑ ≅
2, 303 ⋅ R T 2 mit T [ K ] = 273 K + ϑ [°C ] (8.8) EA
Der zϑ-Wert stellt diejenige Temperaturerhöhung dar, die notwendig ist, um den gleichen Inaktivierungseffekt in einem Zehntel der Zeit zu erreichen. In Tabelle 8.1 sind beispielhaft kinetische Daten zur Inaktivierung von Mikroorganismen, Sporen, Bakteriophagen und Enzymen in flüssigen Medien zusammengestellt. Durch bestimmte Inhaltsstoffe, z. B. Zucker, oder den Matrixeffekt kann die thermische Resistenz von Sporen zusätzlich erhöht werden. Die thermische Inaktivierung von Sporen auf Oberflächen mittels Luft hängt von der relativen Luftfeuchte ϕ ab, wie in Tabelle 8.2 gezeigt. Danach verlängert sich für den gleichen Inaktivierungseffekt (D122°C) die Erhitzungszeit in trockener Luft (ϕ = 0,2) 108-mal im Vergleich zu mit Wasserdampf gesättigter Luft. Daher erfolgt die thermische Sterilisation von Oberflächen entweder über heißes Wasser oder durch gesättigten Wasserdampf bei mindestens 121 °C für 20 bis 30 Minuten. Für die Sterilisation von Oberflächen mit Luft sind Bedingungen von 180 °C für mindestens 30 Minuten erforderlich. Üblicherweise werden kinetische Inaktivierungsdaten in Laborexperimenten mit geringen Volumina gewonnen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Aufheizzeit und die Abkühlphase einen geringen Einfluss haben (Abb. 8.5a). Nachdem aber erst Temperaturen über 100 °C zur Sporeninaktivierung beitragen, andererseits über 130 °C die Inaktivierung relativ rasch abläuft, ist bei hohen Temperaturen ein Beitrag der Aufheiz- und Abkühlphase nicht auszuschließen. Mit einem integralen Ansatz gelingt es, die Aufheiz- und Abkühlphase neben der Heißhaltephase in die Bestimmung der kinetischen Daten einzubeziehen (Dogan et al. 2009). Die experimentell ermittelten Ausgangskonzentrationen
241
8.2 Kinetik der thermisch induzierten Veränderungen
Tabelle 8.1 Größenordnung von Inaktivierungsdaten von hitzeresistenten Sporenbildnern, Bakteriophagen, Vitaminen und Enzymen in flüssigen Medien (neutral, Wasser oder Pufferlösungen) Gruppe
Bezeichnung
ϑref [°C]
n [–]
kref [s−1] kref [C0(1−n)s−1]*
EA [kJ mol−1]
Dϑ,ref [min]
zϑ,ref [K]
Sporen
Bacillus cereus
103
1
0,32
335
0,12
8,5
Clostridium botulinum
121
1
0,18
297
0,21
10
Geobacillus stearothermophilus**
135
1
0,55
377
0,07
8,1
Phage P008 (Lactococcus lactis)
70
1,3
1,1 · 10−4
470
–
–
Phage P680 (L. lactis)
70
1,1
4,6 · 10−5
212
–
–
Phage T4 (Escherichia coli)
70
1
4,0 · 10−3
269
10
8,4
Lipase (Pseudomonas fluorescens)
130
1
2,5 · 10−2
81,7
1,52
36
Protease (P. fluorescens)
130
1
3,6 · 10−3
100
10,5
31
Thiamin (Vitamin B1)
130
2
9,3 · 10−4
100
–
–
Bakteriophagen
Enzyme
Vitamin
*für n # 1 **Prüfkeim für Sterilisation; Daten aus Pollard und Solosko (1971), Vercet et al. (2002), Van Asselt (2008), Atamer et al. (2009), Dogan et al. (2009)
Tabelle 8.2 Einfluss der relativen Luftfeuchte ϕ auf die Geschwindigkeit kT und den Dϑ-Wert der Inaktivierung von Sporen von Bacillus subtilis var. niger bei 122 °C (nach Pfeifer 1992) ϕ [–]
k395K [s−1] 2
D122°C [min] 3,84 · 10−4
1,0
10
0,6
10−1
3,84 · 10−1
0,2
10−6
3,84 · 10+4
C0 und Endkonzentrationen Cm werden für jede einzelne Behandlung mit dem Temperaturprofil (z. B. Abb. 8.5b) über Gleichung (8.5) direkt verknüpft. Für ein Experiment mit C0 und Cm ergeben verschiedene Parameterkombinationen aus kreff und EA eine Lösung von Gleichung (8.5). Die verschiedenen Parameterkombinationen stellen eine Lösungskurve dar (Abb. 8.4). Jedes Experiment ist durch eine Lösungskurve abgebildet, und der Bereich, in dem sich alle Lösungskurven schneiden, repräsentiert die Lösung kreff und EA für alle Experimente.
Abb. 8.4 Vorgehensweise zur Bestimmung der temperaturabhängigen Geschwindigkeitskonstante kref und der Aktivierungsenergie EA aus experimentellen Inaktivierungsdaten und dem Temperaturprofil für n = 1 (Lösungskurven T1, T2 und T3 für Gleichung (8.5) für C0, Cm für verschiedene experimentelle Temperaturprofile, z. B. Abb. 8.5)
8
8
242
8 Sterilisation und Sterildesign
8.3 Vergleich und Optimierung des Behandlungseffekts Zur Abschätzung, zum Vergleich oder zur Optimierung von Erhitzungsprofilen (Abb. 8.5) nutzt man den Behandlungseffekt (log C0/Ct), z. B. die Reduktion der Sporenkonzentration von C0 = 105 ml−1 auf eine Konzentration von einer Spore pro Milliliter. Für den mikrobiologischen Behandlungseffekt B** ergibt sich nach Umstellen von Gleichung (8.2) (Achtung: Wechsel von ln auf log!): B* = log
C0 kT = const. = ⋅t 2,303 Ct
für n = 1
(8.9)
Analog kann die Gleichung für den chemischen Behandlungseffekt C*, der beispielsweise den Verlust an Vitaminen oder die Inaktivierung von Enzymen beschreibt, formuliert werden. Für eine Reaktionsordnung n ≠ 1 wird Gleichung (8.3) umgestellt und genutzt. Die Gleichung (8.9) ist geeignet, um den Effekt eines T-t-Profils für kleine Volumina mit vernachlässigbarer Aufheiz- und Abkühlphase
(Abb. 8.5a) zu berechnen. Das reale T-t-Profil der Sterilisation eines Bioreaktors weist allerdings eine längere Aufheizphase, eine Haltezeit mit konstanter Temperatur und eine Abkühlphase auf (Abb. 8.5b). Ein weiteres Beispiel zeigt Abbildung 8.5c, bei dem das Medium ab einer bestimmten Temperatur mittels Dampfinjektion (z. B. kontinuierliche Sterilisation) erhitzt wird. Zur Berechnung und zum Vergleich so unterschiedlicher T-t-Profile ist die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstante kT zu berücksichtigen: t C 1 (8.10) B* = log 0 = ⋅ ³ kT t dt Ct 2,303 0 Da in den meisten Fällen eine analytische Lösung der Gleichung nicht einfach zugänglich ist, zerlegt man das T-t-Profil in m kleine Zeitintervalle Δtti (Abb. 8.5b), in denen die Temperatur Ti als konstant angenommen wird. Die numerische Integration und Berechnung des B*-Wertes ist dann über das T-t-Profil möglich: B* = log
m C0 1 = ⋅ ¦ kTi Δti C m 2,303 i =1
(8.11)
Nach Einsetzen von Gleichung (8.4) in Gleichung (8.11) ergibt sich:
Abb. 8.5 (a) Ideales Temperatur-Zeit-Profil zur experimentellen Bestimmung von Inaktivierungskurven (vgl. Abb. 8.2 und 8.3) und zum Ermitteln von Inaktivierungsdaten. (b) Beispiel eines TT t-Profils einer Mediensterilisation in einem Bioreaktor. (c) Beispiel einer kontinuierlichen Hochtemperatur-Kurzzeit-Sterilisation mit Sattdampfinjektion
243
8.4 Sicherheitsniveau für Sterilisationsprozesse
B* = log
m § E §1 k ref C0 1 = ⋅ ¦ exp¨ − A ⋅ ¨ − ¨ R ¨ Ti Trref C m 2,303 i =1 © ©
·· ¸ ¸ ⋅ Δt i ¸¸ ¹¹
B*
t=
ª E § 1 1 ·º ¸» exp«− A ⋅ ¨ − ¨ ¸ 2,303 «¬ R © T Trref ¹»¼ k ref
(8.12) (Mittels Excel-Tabelle können die Daten aus Tabelle 8.1 über Gleichung (8.12) mit einem gemessenen T-t-Profil verknüpft werden, und der B*-Wert kann für reale Prozesse rechnerisch abgeschätzt und verglichen werden.) Mittels dieser Vorgehensweise können die Sterilisationsbedingungen des Substrats so optimiert werden, dass ein vorgegebener B*-Wert, z. B. Inaktivierung von Geobacillus stearothermophilus um 9 log (B* = 9), erreicht wird und gleichzeitig chemische Veränderungen, z. B. Verlust an Thiamin unter 3 % (C** = 1,5), bleiben. Durch Umstellen von Gleichung (8.5) werden für den vorgegebenen B*-Wert auf Basis der Daten in Tabelle 8.1 Temperatur-Zeit-Kombinationen für Linien gleichen Effekts berechnet.
=
C0 Cm ª E § 1 1 ·º k ref ¸» für n = 1 exp «− A ⋅ ¨ − ¨ ¸ 2,303 «¬ R © T Trref ¹»¼ log
(8.13)
Für eine Reaktionsordnung n ≠ 1 werden analog die Gleichungen (8.3) und (8.4) verknüpft. Die Abbildung 8.6 zeigt verschiedene Linien gleichen Effekts. Das übliche Erhitzungsgebiet für die batch-Sterilisation (rot) liegt oberhalb der Linie für die Inaktivierung von G. stearothermophilus um 9 log. Dies führt allerdings zu einem hohen Verlust an Thiamin. Nachdem alle TemperaturZeit-Kombinationen auf der Linie B** = 9 zur Sterilisation geeignet wären, lassen sich die Erhitzungsbedingungen so optimieren, dass der Thiaminverlust unter 3 % liegt. Geeignet sind nach Abbildung 8.6 Temperaturen zwischen 135 und 150 °C für wenige Sekunden, die in der kontinuierlichen Sterilisation (Ultrahochtemperatur(UHT)Behandlung) angewandt werden. Die Linien für die Phageninaktivierung verdeutlichen, dass mit den Sterilisationsbedingungen auch hitzeresistente Phagen sicher inaktiviert werden.
8.4 Sicherheitsniveau für Sterilisationsprozesse Der notwendige Behandlungseffekt der thermischen Sterilisation B** ergibt sich aus der Konzentration an Sporen C0 im zu sterilisierenden Medium und dem geforderten Endwert Cm. Der Endwert ist abhängig vom Volumen V des Bioreaktors und dem akzeptierten Infektionsrisiko p. Wird ein unsteriler Prozess pro 10 000 Sterilisationen akzeptiert, bedeutet dies mit Abb. 8.6 Beispiel mit Linien gleichen Effekts für die Inaktivierung von Sporen, einem weit verbreiteten Referenzphagen P008 einem hitzeresistenten Phagen P680 sowie 3 % Thiaminverlust. Gebiete der Sterilisation liegen oberhalb von B* = 9 (9-log-Inaktivierung von Geobacillus stearothermophilus)
p=
akzept. unsteril steril
(8.14)
ein p = 1/10 000 = 10−4. Da unabhängig vom Volumen V (z. B. Labormaßstab mit 10 ml, Lebensmittel in Ein-Liter-Dose = 103 ml, Bioreaktor mit
8
8
244
8 Sterilisation und Sterildesign
1 000 l = 106 ml) bereits eine die Erhitzung überlebende Spore zum Schaden führt, folgt: Cm = 1 Spore pro Gesamtvolumen V V. Daraus ergibt sich ausgehend von Gleichung (8.9) für das anzustrebende Sicherheitsniveau in Bezug auf B*:
B* = log
C0 C ⋅V = log 0 1/V V⋅ p p
(8.15)
Geht man von einer Sporenzahl von C0 = 102 Sporen pro Milliliter im Medium aus, so ergeben sich für ein Sicherheitsniveau von p = 10−4 die folgenden B*-Werte: B*(V = 10 ml) = 7; B*(V = 103 ml) = 9; B*(V = 106 ml) = 12. Dies bedeutet, dass der notwendige Behandlungseffekt für ein Fermentationsmedium bei gleichem Sicherheitsniveau p mit steigendem Bioreaktorvolumen erhöht werden muss.
8.5 Kontinuierliche Verfahren zur thermischen Mediumsterilisation In den kontinuierlichen Verfahren wird das Medium direkt mit Dampf oder indirekt mit Dampf oder Heißwasser auf die Sterilisationstemperatur erhitzt und in einer Heißhaltestrecke für eine definierte Zeit gehalten (Abschnitt 8.3), um anschließend auf Fermentationstemperatur gekühlt zu werden. Um den Dampf- und Kühlwasserverbrauch und damit die Betriebskosten zu senken, können regenerative Wärmerückgewinnungssysteme eingesetzt werden.
8.5.1 Direkte Dampfsterilisation Bei der direkten Dampfsterilisation wird gesättigter Wasserdampf kontinuierlich durch einen Injektor in den unter Überdruck stehenden Mediumstrom eingedüst. Mit speziell entwickelten Dampfinjektoren können Medium und Dampf intensiv für eine schnelle und geräuscharme Kondensation vermischt werden. Dabei wird das Medium sehr schnell auf Sterilisationstemperatur aufgeheizt (typisches T-t-Profil siehe Abb. 8.5c). Nach der Haltestrecke wird der Mediumstrom
in einem Vakuumbehälter entspannt, sodass das Medium wiederum sehr schnell abgekühlt wird. Das Verfahren kann nur angewandt werden, wenn das Medium durch die Dampfblasenbildung beim Entspannen nicht aufschäumt oder eine Verdünnung des Mediums durch das anfallende Kondensat keinen negativen Einfluss auf die Medienqualität hat.
8.5.2 Indirekte Sterilisation über Wärmetauscher Bei der indirekten Sterilisation kommt der Dampf, das Heiß- oder Kühlwasser nicht in direkten Kontakt mit dem Medium. Das Medium wird indirekt in Röhren- oder Plattenwärmetauschern aufgeheizt und abgekühlt. Kriterien für die Auswahl und Auslegung des Wärmetauschers sind die Produkteigenschaften und die Prozessparameter, aber auch die Reinigbarkeit, Inspektions- und Wartungsfreundlichkeit. Abbildung 8.7 zeigt das vereinfachte Schema einer Anlage mit Röhrenwärmetauschern zur regenerativen Wärmerückgewinnung. Das Medium wird in zwei Stufen über die Wärmetauscher mit regelbaren Heißwasserkreisläufen erhitzt und danach bei Sterilisationstemperatur heiß gehalten. Das Medium durchläuft anschließend zwei Wärmetauscher zur Kühlung und wird in den Steriltank/Bioreaktor gefördert. Vor der eigentlichen Sterilisation des Mediums muss die gesamte Anlage vorsterilisiert und wieder auf Betriebsbedingungen gekühlt werden.
8.6 Sterilfiltration Mit zunehmender Anzahl hitzelabiler Medien ist die Bedeutung der Sterilfiltration in der pharmazeutischen Biotechnik gestiegen. Oft ist es das einzige zuverlässige Verfahren, die Medien zu sterilisieren. Als Sterilfilter wird ein Filter definiert, der reproduzierbar alle Mikroorganismen aus dem zu filtrierenden Produkt entfernt und so ein steriles Filtrat produziert. Die Wirksamkeit wird bei einer Filtervalidierung mit Bakterienbeaufschlagungstests nachgewiesen.
8.7 Funktion von Dampfsterilisatoren (Autoklaven)
245
Abb. 8.7 Kontinuierliche indirekte Sterilisation mit Wärmerückgewinnung (WRG). T: Temperaturmessung
Als Sterilfilter werden in der Regel Filterkerzen mit ein- oder mehrlagigen Membranen eingesetzt, in denen Partikel oder Mikroorganismen, die größer als der Porendurchmesser sind an der Membranoberfläche zurückgehalten werden (s. Abb. 10.10). Kleinere Partikel permeieren die Membran oder werden durch andere Mechanismen wie Adsorption in der Membran zurückgehalten. Die Membranen (cutt offf < 0,22 μm) bestehen aus Polytetrafluorethylen (PTFE), Polyvinylidenfluorid (PVDF), Polyethersulfon (PES), Polyamid PA66 (Nylon) oder Celluloseester. Für die Auswahl des Filtermaterials und des Filteraufbaus sind der Reinheitsgrad des Mediums und die für den Prozess erforderliche Durchflussrate zu berücksichtigen. Häufig wird das Medium mit vorgeschalteten groben Filtern vorfiltriert, damit Feststoffe den Sterilfilter nicht zu schnell verblocken. Mit einem zerstörungsfreien Filterintegritätstest muss der Sterilfilter sowohl vor dem Einsatz, aber auch nach der Filtration überprüft werden, um Undichtigkeiten oder Filterdefekte festzustellen. Die Prüfungen erfordern eine vollständige Benetzung der Filtermembranen mit Flüssigkeit. Für hydrophile Filterelemente wird Wasser und für hydrophobe Filterelemente werden organische Lösungsmittelgemische wie z. B. Isopropanol/Wasser genutzt. Die Integrität wird durch einen Diffusionstest (Forward-Flow-Test), einen Druckhaltetest oder einen Bubble-Point-Test
geprüft. Im Diffusions- und Druckhaltetest wird bei einem vorgegebenen Luftdruck das Gasvolumen gemessen, das durch die Poren der benetzten Membran diffundiert. Im Bubble-Point-Test wird der Druck des Luftdurchbruchs durch die benetzte Membran bestimmt. Für die Durchführung stehen Integritätstestgeräte zur Verfügung, die nach Anschluss an eine Druckgasversorgung die Testphasen automatisch steuern und den Testverlauf protokollieren.
8.7 Funktion von Dampfsterilisatoren (Autoklaven) Dampfsterilisatoren zur sicheren Sterilisation von Flüssigkeiten, z. B. Nährmedien, und Festkörpern, z. B. Filterträger, Verbrauchsmaterialien, Geräte und Ausrüstungsteile, gehören zur Standardausrüstung in Laboren, Technikums- und Produktionsanlagen der Bioprozesstechnik. Sie bestehen im Wesentlichen aus einem Druckbehälter als Sterilisationskammer von wenigen Litern bis zu mehreren Kubikmetern Kammervolumen, einer Vakuumpumpe, Mess- und Regeleinrichtungen sowie einer programmierbaren Steuerung. Als Versorgungsmedien werden Dampf, Kühlwasser und Druckluft benötigt. Der Dampf wird ex-
8
8
246
tern zugeführt oder im Autoklav direkt aus einer Wasservorlage generiert. Die Sterilisation erfolgt nach verschiedenen vorprogrammierten Verfahren. Beim Gravitationsverfahren werden der Innenraum und das Gut mit Sattdampf überlagert. Der unten eintretende Sattdampf verdrängt dabei die Luft über ein oben angeordnetes Ventil nach außen. Beim Vakuumverfahren wird als Erstes mittels Vakuumpumpe die störende Luft entfernt und danach mit Dampf beaufschlagt. Der Vorgang kann mehrfach wiederholt werden (= fraktioniertes Vakuumverfahren). Nach Entlüftung werden die Temperatur und der Druck auf die vorgegebenen Werte geregelt. Das zu sterilisierende Gut muss beständig gegenüber den Sterilisationsbedingungen sein. Die Kammer wird manuell mit dem Sterilisationsgut beladen und gasdicht verschlossen. Je nach Beladegut wird ein dafür validiertes Verfahren ausgewählt und die Sterilisation gestartet. Entlüftungs-/Aufheizzyklus: Die Kammer mit dem enthaltenen Gut wird mit Sattdampf aufgeheizt und über ein Ventil entlüftet. Nach dem Entlüften steigt nach Schließen des Ventils der Druck in der Kammer bis auf den Sattdampfdruck an. Zwischen Erreichen der Solltemperatur in der Kammer und im Gut kann eine erhebliche Verzögerungszeit liegen. Sterilisationszyklus: Nach Erreichen der Sterilisationstemperatur im Gut wird der Zustand unter Sattdampfbedingungen eine vorgegebene Zeit gehalten. Abdampf-/Abkühlzyklus: Die Kammer wird über ein Ventil langsam entspannt, um einen Siedeverzug zu vermeiden. Das Sterilgut im Autoklav kann über Kühlwasser beschleunigt bis auf die Entnahmetemperatur abgekühlt werden. Trocknungszyklus: Bei Bedarf kann durch Anlegen von Vakuum das Sterilgut getrocknet werden. Nach Freigabe durch die Steuerung wird das sterilisierte Gut entnommen. Dokumentation: Die Prozessparameter jeder Sterilisation werden in einem Protokoll, mit dem der Prozess überprüft und beurteilt wird, dokumentiert. Werden die Anforderungen nicht erreicht, muss die Sterilisation wiederholt werden. Mit einer Validierung muss nachgewiesen werden, dass das jeweilige Verfahren für das Sterilgut geeignet ist, die Sterilisationsbedingungen erfüllt werden und das Ergebnis dokumentiert
8 Sterilisation und Sterildesign
wird. In der dabei enthaltenen Qualifizierung wird die Funktionstüchtigkeit des Autoklaven überprüft. Die Validierung sollte mindestens jährlich durchgeführt werden.
8.8 Sterilisierbare Bioreaktoren Hauptkomponente für die Kultivierung von Zellen und Mikroorganismen ist der Bioreaktor, in dem die optimalen Bedingungen für den jeweiligen Fermentationsprozess eingestellt werden. Eine Grundvoraussetzung ist die Herstellung und die Aufrechterhaltung der Sterilität im Bioreaktor während der gesamten Fermentationszeit, um Kontaminationen auszuschließen. Der eigentlichen Fermentation ist eine thermische Dampfsterilisation des gesamten Systems (mobile Kleinfermenter) in einem Autoklav oder die Sterilisation des Fermenters durch die sogenannte Sterilisation-in-Place (SIP) vorgeschaltet. Standardwerte der Sterilisation sind nach dem europäischen Arzneibuch eine Temperatur von 121 °C für 15 Minuten. In der Praxis werden die Werte für eine erhöhte Sicherheit und zur Kompensation von Messtoleranzen z. B. auf 121,5 °C für 30 Minuten erhöht. Die Effektivität der Verfahren wird sowohl über die physikalischen Parameter Temperatur, Druck und Zeit als auch über Bioindikatoren im Rahmen einer Qualifizierung festgestellt. Die Sterilisation kann prozess- und medienabhängig sowohl mit den b ereits im Bioreaktor befindlichen Medien als auch mit dem leeren Bioreaktor erfolgen. Medien mit hitzeempfindlichen Bestandteilen, wie z. B. Vitamine und Antibiotika werden dem Bioreaktor sterilfiltriert zugeführt (Abschnitt 8.6).
8.8.1 Aufbau autoklavierbarer Bioreaktoren Bioreaktoren im Laborbereich bestehen bei einem Arbeitsvolumen von einem bis 20 Liter aus B orosilikatglas mit Kopf- und Bodenplatten aus Edelstahl. Ab einem Arbeitsvolumen größer als
8.8 Sterilisierbare Bioreaktoren
20 Liter sind sie komplett aus rostfreiem Stahl (Abschnitt 8.9). In der Kopfplatte sind Stutzen für Messwertgeber und für die Zugabe der Nährmedien, der Zellkulturflüssigkeit und der Abluft sowie das Begasungsrohr eingeschweißt. Die Durchmischung erfolgt in der Regel über Magnetrührwerke, die in der Bodenplatte eingeschweißt sind. Über Temperaturfühler und den beheizbaren Doppelmantel wird die Temperatur im Bioreaktor geregelt. Die Kontrolle, Steuerung und Aufzeichnung der Prozessparameter erfolgt über entsprechende Steuereinheiten. Für die Sterilisation des Laborbioreaktors im Autoklav werden die nicht temperaturbeständigen Teile wie Rührwerksmotor und Sondenkabel abgebaut. An die Zugabestutzen werden Silikonschläuche mit Kunststoffkupplungen und in-lineSterilfilter angeschlossen. Im Autoklav wird über diese Einmalfilter die Luft im Bioreaktor ausgetauscht. Der Bioreaktor wird je nach Verfahren mit oder ohne Medien in den Autoklav eingebracht und dort nach einer festgelegten Temperatur-Zeit-Prozedur dampfsterilisiert (Abschnitt 8.7). Die Zugabe der Nährmedien, der Zellkulturflüssigkeit und anderer flüssiger Stoffe in den sterilisierten Bioreaktor erfolgt durch Abnahme der Sterilfilter und die sterile Ankopplung der ebenfalls dampfsterilisierten Gefäße mit Silikonschläuchen unter einer Sicherheitswerkbank in steriler Umgebung oder mit speziellen Sterilkupplungen in unsteriler Umgebung.
8.8.2 Aufbau SIP-fähiger Bioreaktoren Die Bioreaktoren im Pilot- und Produktionsmaßstab sind im Wesentlichen Druckbehälter aus Edelstahl mit 10 bis 20 000 Liter Arbeitsvolumen und einem Verhältnis von Höhe H zu Durchmesser D von 2:1 bis 3:1. Durch ein funktionelles Sterildesign (Abschnitt 8.9) im Bioreaktor und der Peripherie muss sichergestellt sein, dass die Reinigung und Sterilisation erfolgreich durchgeführt werden können. Kritische Stellen mit besonders hohem Kontaminationsrisiko bei einem SIP-fähigen Bioreaktor (Abb. 8.8) sind statische oder dynamische Abdichtungen zur Atmosphäre und Abdichtungen innerhalb der Prozessanlage
247
zwischen sterilen und nicht sterilen Bereichen, den sogenannten Sterilgrenzen. Kritisch sind auch Stellen, wo sich z. B. Luftblasen, Kondensatansammlungen oder Kältebrücken bilden können, da dort die Sterilisationstemperatur nicht respektive zeitverzögert erreicht wird. Die Aufheizung bzw. Kühlung des Bioreaktors erfolgt über Doppelmantel oder aufgeschweißte Halbrohrschlangen. Im Behälterdeckel bzw. oberen Klöpperboden verteilt befinden sich die eingeschweißten Anschlüsse für die diversen Zuführungsleitungen. Im unteren Boden ist ein Bodenmagnetrührwerk oder falls von der Leistung her erforderlich ein konventionelles Bodenrührwerk mit doppelter Gleitringdichtung eingebaut (Abschnitt 8.9.5). Je nach Rühraufgabe kommen unterschiedliche Rührertypen zum Einsatz. Des Weiteren sind im unteren Boden Einschweißhülsen für Temperaturmessungen und ein Bodenablassventil, das sogenannte Ernteventil, eingeschweißt. Im unteren zylindrischen Teil sind seitlich Anschlüsse für Messsonden (Abschnitt 8.9.2) und Prob enahme (Abschnitt 8.9.3) angeordnet. Zur Vorbereitung der Leersterilisation werden die direkt am Bioreaktor liegenden Filtergehäuse mit Sterilfilterkerzen bestückt und die Ventile auf der Seite zum Bioreaktor geöffnet, um die Sterilisierung über den Abdichtungssteg im Ventil zu ermöglichen. Gesättigter Wasserdampf wird von oben eingeleitet und der Bioreaktor in dampfgesättigter Atmosphäre unter Druck auf Sterilisationstemperatur aufgeheizt. Das Aufheizen wird durch die Mantelbeheizung unterstützt. Über die auf der Sterilseite geöffneten Ventile wird die Luft verdrängt und anfallendes Kondensat über thermische Kondensatableiter abgeführt. Der Kondensatableiter führt das Kondensat knapp unter der jeweiligen Sattdampftemperatur verzögerungsfrei ab und entlüftet automatisch. Ist die Sterilisationstemperatur an allen Schnittstellen erreicht, beginnt die Haltezeit. Die Temperatur wird an ausgesuchten kritischen Stellen während der Sterilisation gemessen und überwacht, um eine ausreichend lange Sterilisationszeit an jeder Stelle des Fermenters sicherzustellen. In der Abkühlphase kondensiert der Wasserdampf, und das System wird über einen Sterilfilter belüftet und ein leichter Überdruck aufgebaut, um Kontaminationen auszuschließen. Mit einem Druck-
8
8
248
8 Sterilisation und Sterildesign
Abb. 8.8 SIP-fähiger Bioreaktor. SIP: Sterilisation-in-Place, CIP: Cleaning-in-Place, T: Temperaturmessung, K: kritische Stellen
haltetest wird die Dichtigkeit des Systems überprüft. Danach ist der Bioreaktor bereit für die Zugabe von Medien über Sterilfilter (Abschnitt 8.6). Die Zellkulturflüssigkeit wird über eine sterile Ankopplung zugeführt.
8.9 Sterildesign Für Sterilprozesse müssen die verwendeten Apparaturen und Geräte neben funktionellen Anforderungen selbst auch Sterilbedingungen erfüllen, um Kontamination der sterilen Medien auszuschließen. Nach DIN EN 12297 bedeutet dies die „Eignung von Bauteilen, Geräten und Ausrüstungen, Apparateeinheiten oder Anlagen, steril gemacht zu werden“, was mit Sterilisierbarkeit bezeichnet wird. In DIN EN ISO 14159, die als grundlegende Norm für Hygieneanfor-
derungen an die Gestaltung von Maschinen gilt und die Biotechnologie einschließt, wird unter Sterilisation ein Prozess definiert, bei dem alle Mikroorganismen und relevanten mikrobiellen Sporen inaktiviert werden (Abschnitt 8.4). Untersuchungen und praktische Erfahrungen haben gezeigt, dass bei hygienegerecht gestalteten Apparaten bereits bei der Reinigung ein Großteil an Mikroorganismen entfernt und damit das Ausgangsniveau wesentlich gesenkt wird. Eine sichere Sterilisation kann deshalb nur garantiert werden, wenn alle produktberührten Oberflächen leicht reinigbar gestaltet werden, um einwandfreie Sauberkeit nach der Reinigung zu garantieren. Schmutzschichten und Biof ilme können Mikroorganismen vor der Einwirkung der Sterilisationsbedingungen schützen. Der Begriff „ leichte Reinigbarkeit“ wurde durch eine Vielzahl grundlegender Leitlinien durch die unabhängige europäische Gruppe EHEDG (European Hygienic Engineering and
8.9 Sterildesign
Design Group) zu einer Standardanforderung im Bereich Hygiene. Für produkt- oder medienberührte Bereiche umfasst leichte Reinigbarkeit im Prinzip folgende Maßnahmen (Hauser 2008a): • Auswahl und Einsatz geeigneter und gut reinigbarer Werkstoffe; • Herstellung ausreichend glatter, leicht zu reinigender Oberflächenstrukturen; • Vermeidung von Poren, Rissen, Spalten und Fehlern jeder Art in nicht sichtbarer (mikroskopischer) und sichtbarer Größe an Oberflächen, festen und beweglichen Fügestellen sowie Lagerungen; • Vermeidung von Toträumen sowie Vor- und Rücksprüngen; • Vermeidung von inneren horizontalen Flächen; • strömungsgünstige Gestaltung von in-line zu reinigenden Bereichen; • vollständig entleerbare Ausführung aller Elemente und Bereiche; • wartungsfreundliche Gestaltung kombiniert mit vorausschauender Wartung, um durch rechtzeitigen Austausch von Verschleißteilen mikrobiologische Probleme auszuschließen. Um sterile Verhältnisse zu garantieren, muss das gewählte Sterilisationsmedium die sauberen Oberflächen an allen Stellen erreichen und dort unter den geforderten Bedingungen lange genug einwirken können. Für die Dampfsterilisation von Bioreaktorsystemen ist zu beachten, dass bei der konstruktiven Gestaltung Totbereiche und Stellen zu vermeiden sind, in denen Flüssigkeitsreste zurückbleiben oder Kondensatbildung auftreten kann, sodass dort die Temperatur nicht ausreichend hoch wird. Die in-line-Sterilisierbarkeit von kleineren Komponenten und Geräten kann mit einer Testmethode überprüft und verifiziert werden (EHEDG-Guideline, Doc. 5). In der EHEDG-Guideline, Doc. 39 wird eine weitere Voraussetzung für das Sterildesign festgelegt. Danach muss durch das Design gewährleistet werden, dass während der Produktion der sterile Zustand in den Apparaten und Anlagen aufrechterhalten bleibt. So wird verhindert, dass Mikroorganismen aus der Umgebung in den Bioprozess eindringen bzw. umgekehrt z. B. pathogene oder genmodifizierte Mikroorganismen in die Umgebung gelangen (DIN EN 12296).
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Zusammenfassend sind für sterile Apparate folgende Anforderungen zu erfüllen: • hygienegerechte Gestaltung aller produktberührten Oberflächen, um eine „leichte“ Reinigung on-line oder nach Zerlegen zu garantieren; • sterilisierbare Gestaltung aller produktberührten Oberflächen, um nach erfolgreicher Reinigung den Kontakt in diesen Bereichen mit dem Sterilisationsmedium zu erreichen und dadurch alle relevanten Mikroorganismen und Sporen abtöten zu können; • penetrationsfreie bzw. hermetische Abdichtung der produkt- und medienberührten Bereiche, um nach Erreichen des sterilen Zustands einen sterilen Produktionsablauf zu garantieren, indem ein Eindringen von Mikroorganismen aus einem kontaminierten Außenbereich verhindert wird. In Normen über Ausrüstungen in der Biotechnik sind Anforderungen an Reinigbarkeit (DIN EN 12296), Sterilisierbarkeit (DIN EN 12297) und Leckagesicherheit (DIN EN 12298) festgelegt.
8.9.1 Material- und Oberflächenqualitäten für Bioreaktoren Werkstoffe für Bioreaktoren müssen den einschlägigen Richtlinien entsprechen und im produktberührten Bereich physiologisch unbedenklich sein. Außerdem darf von ihnen keine Migration unzulässiger Bestandteile in die herzustellenden Produkte und Medien erfolgen. Die Oberflächen müssen mit der erforderlichen Qualität fehlerfrei herstellbar sein, die sich während der Lebensdauer der Apparate z. B. durch Korrosion oder Abrasion nicht soweit verschlechtern darf, dass Reinigbarkeit und Sterilisierbarkeit nicht mehr gewährleistet sind. Werkstoffe für dampfsterilisierbare Apparate und Komponenten müssen gegen kontinuierliche Dampfbeaufschlagung bei der entsprechenden Temperatur für eine definierte Zeitspanne beständig sein. Alle produktberührten Oberflächen müssen die geforderte Temperatur über die notwendige Zeitdauer der Sterilisation erreichen können. Diese Anforderungen sind bei austenitischen rostfreien Edelstählen gewährleistet, die als Stan-
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dardwerkstoffe für Bioreaktoren zu betrachten sind. Gute Verform- und Schweißbarkeit bei gleichzeitiger hoher chemischer Beständigkeit kennzeichnen die Haupteigenschaften dieser Werkstoffgruppe. Der Korrosionswiderstand wird aufgrund einer dünnen Chromoxid-Deckschicht (Passivschicht) erzielt, die wie ein Halbleiter Elektronen passieren lässt, aber Ionen blockiert. Während sauerstoffspendende Medien den Schichtaufbau unterstützen, verursachen reduzierende Medien (z. B. alkalische Reinigungsmedien) eine schwächende Wirkung bzw. Aktivierung der Oberfläche. An Poren oder Fehlstellen der Passivschicht, die bevorzugt an mikroskopisch kleinen Inhomogenitäten vorhanden sind, kann ein Angriff in Form von Korrosion (Lochfraß, Spannungsrisskorrosion) als Folge elektrochemischer Vorgänge stattfinden. Ursache dafür sind in erster Linie Chlor- und Chlorid-Ionen in Reinigungs- und Desinfektionsmitteln, die in Poren adsorbiert werden und kleine anodische Bezirke bilden, während die passive Umgebung als Kathode wirkt. Bei Säure-Angriff kann es zur Zerstörung der Passivschicht kommen, wobei aus dem Werkstoff Eisen und Chrom in Lösung geht. Bioreaktoren werden heute weitgehend aus molybdänlegierten, austenitischen, rostfreien Edelstählen gefertigt (DIN EN 10088-1). Für dünnwandige geschweißte Konstruktionen ohne Spezialanforderungen wird am häufigsten 1.4401 (AISI 316) mit der chemischen Kennzeichnung X5CrNiMo17-12-2 und normalem Kohlenstoffgehalt von 0,05 % eingesetzt. Zunehmend ist jedoch die Tendenz zu 1.4404 oder X2CrNiMo17-12-2 (≈ AISI 316L) mit niedrigerem Kohlenstoffgehalt festzustellen, was durch die AISI-Bezeichnung L (low carbon) verdeutlicht wird. Ein niedriger Kohlenstoffgehalt verhindert vor allem eine zu starke Chromverarmung durch Chrom-Carbid-Bildung in der Schweißnaht und der unmittelbar benachbarten Zone beim Schweißen dickerer Bleche. Für noch höhere Anforderungen werden vollaustenitische Edelstähle mit niedrigem C-Gehalt wie 1.4435 oder X2CrNiMo18-14-3 (≈ AISI 316L) und 1.4539 oder X1NiCrMoCu25-20-5 (AISI 904L) eingesetzt, da durch Gehalte an Martensit und Delta-Ferrit die Korrosionsbeständigkeit beeinträchtigt wird. Unter Ferrit werden alle magnetinduktiv erfassbaren Phasen im austenitischen Gefüge bei einer
8 Sterilisation und Sterildesign
Messtiefe von 3 mm verstanden. Mindestanforderungen bezüglich Delta-Ferrit, die besonders auch für Schweißnähte gelten, wurden in der Basler Norm BN 2 festgelegt. Die Oberflächenqualität von Edelstahl-Oberflächen wird durch Rauheit und Struktur beeinflusst. Für leichte Reinigbarkeit wird für die Oberflächenqualität zurzeit der Mittenrauwert Ra < 0,8 μm gefordert (EHEDG-Guideline, Doc. 8). Untersuchungen zeigten jedoch, dass zwischen Ra = 0,5 μm und Ra = 1,5 μm keine signifikanten Unterschiede in der Reinigbarkeit feststellbar sind. Für nicht bearbeitete hygienegerecht hergestellte Schweißnähte wird ein Ra < 4 μm akzeptiert. Zusätzlich ist für leichte Reinigbarkeit die Oberflächenstruktur maßgebend, die bei gleichem Rauheitswert je nach der Art der Behandlung wie z. B. Schleifen oder Elektropolieren unterschiedliche Reinigungs- und Desinfektionsergebnisse liefert. In vielen Fällen ist aufgrund von OberflächenBeschädigungen bei der Herstellung von Bioreaktoren ein Schleifen der medienberührten Oberfläche notwendig. Für den Fertigschliff werden meist die Kornabstufungen 80 – 120 – 180 – 240 gewählt, wobei unterschiedliche Schleif verfahren wie Trocken- oder Nassschliff angewendet werden können. Die Strukturen sind im Endzustand durch feinste, scharfkantige, gerichtete Riefen (Erhöhungen und Vertiefungen), eventuell mit Graten, gekennzeichnet. Während die offenen Strukturen leicht reinigbar und sterilisierbar sind, kann es sich für die Reinigung und Sterilisation als problematisch erweisen, dass Grate „umgebogen“ und Mikrorisse sowie Riefen beim Schleifen durch zu hohen Andruck und Schleifmittelreste „zugeschmiert“ werden können und damit latent vorhanden sind. Für die Bearbeitung großflächiger Teile werden Schleifautomaten mit schwingungsfreien Vorrichtungen verwendet. Beim mechanischen Polieren wird im Gegensatz zum Schleifen kaum Material abgetragen. In Abhängigkeit des verwendeten Verfahrens können unterschiedlich glatte Rauheitsstrukturen erzielt werden. Die Oberfläche muss dabei ausreichend fein vorbearbeitet und f rei von Kratzern und Beschädigungen sein. Ansonsten besteht ebenfalls die Gefahr, dass Vertiefungen „zugeschmiert“ werden und später Hygieneprobleme bereiten. Hochglanzpolierte spiegelnde Oberflächen sind aus Sicht der Reinigbarkeit
8.9 Sterildesign
und Sterilisierbarkeit nicht notwendig, werden zum Teil jedoch gefordert, um Verschmutzungen optisch besser zu erkennen. Die chemische Behandlung durch Beizen ist oft notwendig, um die bei einer Wärmebehandlung entstehenden Zunderschichten oder die sich beim Schweißen bildenden Anlauffarben zu beseitigen. Erzeugt wird eine metallisch blanke Oberfläche mit der notwendigen Passivschicht, deren Oberflächenstruktur sich durch nicht gerichtete abgerundete Erhöhungen und Vertiefungen auszeichnet. In vielen Fällen werden für Bioreaktoren elektropolierte Oberflächen verlangt. Im Gegensatz zur mechanischen Bearbeitung werden dadurch bevorzugt Profilspitzen im Mikrobereich geglättet, sodass eine wellige Oberflächenstruktur mit geringerer Rauheit als das Ausgangsprofil entsteht. Im Vergleich zum Schleifen wird eine riss- und porenfreie Oberfläche erzeugt. Diese ist durch das ungestörte austenitische Kristallgefüge ohne höhere Fremd- und Ferritanteile gekennzeichnet, die eine optimale Passivschicht aus Chromoxid aufweist. In DIN EN 12347 wird bei den Leistungskriterien für Dampfsterilisatoren und Autoklaven angemerkt: „Im Vergleich zu einer mechanischen Oberflächenbehandlung ist eine elektrochemische Oberflächenbehandlung des metallischen Werkstoffes vorzuziehen, weil diese eine glattere Oberfläche ergibt, sogar wenn die Ra-Werte gleich sind.“ Titan- und niobstabilisierte Stähle sind nur bedingt für das Elektropolieren geeignet, da die Kristallstrukturen dieser Legierungsbestandteile wesentlich härter sind und aus der Grundmatrix des Werkstoffes herausragen. Für Bauelemente von Bioreaktoren wie Dichtungen oder Membranen, die aus Polymeren oder Elastomeren hergestellt werden, ist auf die Temperaturbeständigkeit zu achten. Diese Anforderungen erfüllen bei den Polymeren z. B. PEEK (Polyetheretherketon) sowie PTFE (Polytetrafluorethen) und dessen Modifikationen wie PFA (Perfluoralkoxy) und FEP Tetrafluorethylen-Hexafluorpropylen). Bei den Elastomeren können VQM (Silikongummi), EPDM (EthylenPropylen-Dien-Monomer-Kautschuk) und FKM (Fluorkarbon-Kautschuk) unter Beachtung der Spezifikationen eingesetzt werden. Aufgrund der geringeren Wärmeleitfähigkeit gegenüber Edel-
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stahl kann durch Kunststoffe die Sterilisationswirkung an ungünstig gestalteten Stellen behindert sein. Weitere wichtige Anforderungen sind: chemische Inertheit und Beständigkeit gegen die eingesetzten Medien, Reinigungs- und Desinfektionsmittel- sowie mechanische Festigkeit, Steifigkeit und Elastizität im genutzten Temperatur-, Über- und Unterdruckbereich. Die Oberflächenbeschaffenheit von Kunststoffbauteilen muss glatt, sowie poren- und rissfrei sein. Reinigbarkeitstests zeigten, dass die beim Spritzguss oder Extrudieren entstehende „Haut“ als Struktur den Abdruck der Form auf weist, die im Allgemeinen porenfrei und dicht ist. Die bei spanabhebender Bearbeitung erzeugte Oberfläche kann hingegen riefenartig bis stark zerklüftet sein, wenn nicht mit den richtigen Werkzeugen, Schnittgeschwindigkeiten und Temperaturen gearbeitet wird. Außerdem werden tief gehende Poren offen gelegt, wenn das Material nicht ausreichend gefüllt ist. Diese können weder sicher gereinigt noch sterilisiert werden. Um die Sterilität aufrechterhalten zu können, wird Dichtheit der Kunststoffe gegen Wasserdampf, Gase und Licht sowohl von innen als auch von außen gefordert.
8.9.2 Stutzen für Messwertgeber Einbauten in Bioreaktoren sollten durch eine sorgfältige Qualifizierung vor der Herstellung der Behälter nach Anzahl und Art der G estaltung festgelegt werden. Vielfach werden Reaktoren angeboten und verwendet, die aufgrund von Kleinserien mit einer Vielzahl von meist zu langen, nicht reinigbaren Stutzen versehen sind. Während in die benötigten Stutzen die Messwertgeber eingebaut werden, ohne hygienegerechte Lösungen einsetzen zu können, werden die anderen mit Blinddeckeln verschlossen. Dadurch ergeben sich im Bioreaktor nicht reinigbare und sterilisierbare Spalte oder Toträume. Viele Hersteller von Sensoren verfügen über hygienegerecht gestaltete und aufgrund von Reinigbarkeitstests zertifizierte Messwertgeber und Adapter für den Einbau in Reaktoren und Rohrleitungen. Zu berücksichtigen ist aber auch die Einbausituation in Stutzen und die Gestaltung der Abdichtung der Messwertgeber. Lösungen
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Abb. 8.9 Beispiel eines in die Reaktorwand eingeschweißten Temperatursensors bzw. Schutzrohrs
für deren Einbau müssen im Vorhinein bei der Behälterplanung und -fertigung einfließen. Am einfachsten sind die Verhältnisse, wenn ein Messwertgeber oder eine entsprechende Hülse (Abb. 8.9) ohne medienberührte Dichtstellen mit einer Schweißverbindung in eine glatte produktberührte Behälteroberfläche eingeschweißt werden kann, wie es z. B. bei Temperatursensoren möglich ist. Für die hygienegerechte Ausführungg sind die Oberflächenqualität der Schweißnaht sowie die strömungsgünstige Anordnung des Sensors ohne Strömungsschatten wichtig. Wenn bei kleineren dünnwandigen Behältern nur von außen geschweißt werden kann, stellt die innen liegende Nahtwurzel eine hygienisch relevante Oberfläche dar. Für den festen Einbau von Messwertgebern in Flansche und Behälterstutzen sollten die zur Verfügung stehenden, dem Sensor angepassten sterilisierbaren Lösungen verwendet werden. Die Dichtstellen müssen auf der Medienseite frontbündig und spaltfrei sowie dicht gegen Mikroorganismen abdichten. Medienberührte Dichtungen sind aus konstruktiver Sicht meist die hygienisch sensibelsten Elemente. Eine Rekontamination von Produktchargen durch falsch konstruierte Dichtstellen kann auftreten, selbst wenn eine Validierung der Reinigung und Sterilisation vorgenommen wurde. Das Risiko wird mit zunehmender Betriebszeit aufgrund von Beanspruchungen der Dichtungen größer.
8 Sterilisation und Sterildesign
Penetration oder Leckage sind bei richtig ausgeführten und funktionsfähigen statischen Dichtungen nicht zu befürchten. Wesentliche Anforderungen an die Dichtstelle sind, dass der Messwertgeber in der Bohrung des Stutzens zentriert wird und ein axialer Anschlag für die richtige Pressung der Dichtung sorgt, um enge Spalte und Toträume zu vermeiden. Ausdehnung und Kontraktion müssen bei der Gestaltung durch Dehnungsräume an der nicht produktberührten Seite der Dichtung berücksichtigt werden. Im Folgenden sollen anhand von Beispielen sowohl Problembereiche als auch günstige Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Eine einwandfreie Lösung für die Dichtstelle an einem Behälterstutzen lässt sich erreichen, wenn axial dichtende Ausführungen wie z. B. Aseptik-Verbindungen nach DIN 11864 verwendet werden. Abbildung 8.10 zeigt den Einbau eines Drucksensors mit Frontmembran und Druckmittler, der mittels Flansch nach DIN 11864-2 an einen Behälterflansch mit kurzer konischer Bohrung angeschlossen ist. Eine Klemmverbindung nach DIN 11864-3 ist ebenfalls möglich. Die Anordnung kann auch in schräger Lage am Deckel oder horizontal an der Behälterwand eingesetzt werden. Auch der Einbau von Sensoren, die wie beispielsweise pH-Sonden zur Behälterwand geneigt werden müssen, ist grundsätzlich möglich. Wichtig ist, dass der bündig in den Behälter eingeschweißte Stutzenflansch konisch ausgeführt wird, um den entstehenden möglichst kurzen Rücksprung gut erreichbar für die Reinigung und Sterilisation zu machen. Der Stutzen muss die erforderliche Nut für den O-Ring erhalten. Trotz der hygienegerechten Gestaltung der Dichtstelle liegt sie in der am weitesten von der Behälteroberfläche entfernten Ecke des Rücksprungs und stellt damit nach wie vor eine kritische Stelle für die Reinigung und Sterilisation dar. Die Abdichtung nach DIN 11851 (Milchrohrverschraubung), DIN 32676 oder ISO 2852 kann im Medienbereich für Sterilanwendungen nur verwendet werden, wenn sie zur Reinigung jedes Mal vollständig zerlegt wird (Hauser 2008b). Der Sensorflansch sollte Bestandteil der Konstruktion des Messwertgebers sein, sodass eine zusätzliche Abdichtung vermieden wird. Die metallische Wellmembran ist in diesem Fall in das Sensorgehäuse eingeschweißt. Hygienegerecht
8.9 Sterildesign
Abb. 8.10 Behälterstutzen mit axial dichtendem Drucksensor; Druckmittler mit geschweißter Frontmembran
Abb. 8.11 Behälterstutzen mit nicht sterilisierbarer radialer Abdichtung eines Messwertgebers
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gestaltete und getestete Adapter, in die Sensoren montiert werden, sind ebenfalls verfügbar, enthalten aber eine zusätzliche Dichtstelle. Zum Teil werden radiale Abdichtungen von Messwertgebern in Stutzenbohrungen verwendet, wobei die Abdichtung durch einen O-Ring mit Rechtecknut an der zylindrischen Stutzenbohrung erfolgt (Abb. 8.11). Der Sensor wird dabei mit dem Stutzen verschraubt. Da das Gewinde nicht zentrierend wirkt, ergibt sich aufgrund der Toleranzen zwischen Sensor und Stutzen bis hin zur Abdichtung ein nicht definierter enger Spalt. Untersuchungen haben gezeigt, dass stets Medium in die Rechtecknut der O-Ringdichtung eindringt und bei in-place-Reinigung nicht entfernt werden kann. Daher stellt eine O-Ringabdichtung mit Rechtecknut generell keine reinigbare und sterilisierbare Lösung dar (Hauser 2008a). Solche Probleme vermeidet eine frontbündige Abdichtung (Abb. 8.12) mit Dichtungsnut z. B. in Anlehnung an DIN 11864. Dies bedeutet zum einen, dass die Verbindung zwischen Sensor und Stutzen eine Zentrierung sowie einen axialen Anschlag zur richtigen Pressung der Dichtung erhalten muss. Zum anderen ist eine Nut in der Stutzenbohrung erforderlich. Problematisch ist, dass der O-Ring, der weitgehend von der rund ausgeführten Nut im Messwertgeber umschlossen wird, verletzungsfrei in die Stutzenbohrung eingeführt werden muss. Die rechte Detailansicht in Abbildung 8.12 zeigt, dass bei abgewandelten frontbündigen Konstruktionen der O-Ring im Stutzen durch
Abb. 8.12 Prinzip einer hygienegerechten und sterilisierbaren frontbündigen Abdichtung in Behälterstutzen
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eine angepasste konische oder ausgerundete Fläche zum Produktraum hin axial gehalten wird, während über den Messwertgeber mit ausgerundeter Nut die Anpressung erfolgt. Die Montage ist in diesem Fall problemlos möglich. Das Konzept kann für eine beliebige Lage der Stutzen und Messwertgeber eingesetzt werden. Neben Elastomer-O-Ringen werden auch hygienegerecht gestaltete PEEK-Formringe als Dichtungen verwendet.
8.9.3 Sterile Probenahmeventile Armaturen zur Probenahme zweigen gemäß Abbildung 8.13 aus einem strömenden oder ruhenden Medium einen Teilstrom oder ein definiertes Volumen ab. Die on-line-Probenahme aus dem laufenden Prozess kann kontinuierlich oder diskontinuierlich erfolgen. In beiden Fällen stellen Probenahmeventile die Schnittstelle zur Bioreaktoranlage dar. Aufgrund der Tatsache, dass sie z. B. abwechselnd mit dem Prozess und der Umgebung in Verbindung stehen und unabhängig von der Anlage gereinigt werden müssen, sind an sterile Probenahmeventile besondere Anforderungen zu stellen. Probenahmeventile können wie andere Ventile in Behälter bzw. Rohrleitungen direkt eingeschweißt oder in Stutzen eingebaut werden. Für
Abb. 8.13 Prinzip der Probenahme aus einem Bioreaktor
8 Sterilisation und Sterildesign
lösbare Verbindungen zum Behälterstutzen ist eine hygienegerechte sterilisierbare statische Abdichtung wie z. B. nach DIN 11864 erforderlich, wie sie bereits in Abschnitt 8.9.2 für Messwertgeber erläutert wurde. Die Verbindung an den Stutzen für Probenahme und Reinigungs- bzw. Dampfanschluss sollten mit dem Ventilgehäuse orbital verschweißt werden. Voraussetzung ist, dass ein in-line zerlegbares Ventil verwendet wird, sodass Verschleißteile wie z. B. Kolbendichtungen, Faltenbalg bzw. Membran ausgetauscht werden können. Bei entfernbaren Leitungen müssen zwangsläufig lösbare Verbindungen eingesetzt werden. Da die Probenahmeöffnung zum medienberührten Bereich während der Probenahme geöffnet und danach wieder geschlossen wird, müssen zusätzlich zu statischen auch bewegte Ventilelemente hygienegerecht und sterilisierbar abgedichtet werden. Bei Abdichtung mit üblichen Dichtelementen wie O-Ringen oder Lippendichtungen ist ein Transport von mikroskopischen Schmutzschichten und Mikroorganismen durch die Dichtstelle nicht zu vermeiden. Sie genügen daher nicht den Anforderungen an Sterilisierbarkeit. Gelöst werden kann dieses Problem, indem der Medienraum des Ventils vom Außenbereich durch einen Faltenbalg (Abb. 8.14) oder eine porenfreie dichte Membran (Abb. 8.15) hermetisch abgetrennt wird. Außerdem ist für die Reinigung und Sterilisation des medienberührten Bereichs ein zusätzlicher Anschluss erforderlich. Das Ventilgehäuse mit Kolben und Betätigungsmechanismus (Abb. 8.14) wird mithilfe einer Klemmverbindung nach DIN 11864-3 mit dem bündig in den Behälter eingeschweißten Stutzen verbunden. Der abdichtende Kolbenbereich oder der gesamte Kolben können aus einem Polymer wie z. B. PEEK hergestellt werden, das gute elastische Dichteigenschaften besitzt. Die frontbündige Abdichtung erfolgt in diesem Fall mit einem Kegelsitz zwischen hartem Polymer und Edelstahl. Muss aus Gründen des Mediums ein Edelstahlkolben verwendet werden, ist eine Elastomerdichtung in einer Nut des Kolbens erforderlich, die hygienegerecht zu gestalten ist (z. B. Hauser 2008b). Für die Reinigbarkeit und Sterilisierbarkeit des Faltenbalgs aus Kunststoff oder Edelstahl sind vor allem Abstand und Tiefe der Falten entscheidend. Der Faltenbalg wird
8.9 Sterildesign
jeweils mit einer nach außen führenden Leckageanzeige ausgerüstet, um Undichtwerden des Balgs und damit verbundene Risiken unverzüglich erkennen zu können. Durch die gegenüberliegenden Stutzen wirkt bei der Reinigung mit geschlossenem Ventil der lange Gehäuseraum um den Kolben als Totraum. Zudem muss bei der Reinigung in geschlossenem Zustand der Behälter frei von Medium sein, da eine Gefährdung durch die einfach wirkende Kolbenabdichtung nicht auszuschließen ist, die gegen ihre Dichtrichtung gereinigt wird. Dies
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könnte durch eine doppelte Abdichtung an dieser Stelle verhindert werden. Der b ei geschlossenem Ventil abgedeckte Bereich der Dichtstelle muss zusätzlich bei offenem Ventil gereinigt werden, indem das Ventil für kurze Intervalle geöffnet wird. Gleiches ist bei der Sterilisation zu beachten. Abbildung 8.15 zeigt ein sterilisierbares Probenahmeventil, dessen Gehäuse in den Behälter eingeschweißt ist. Die hermetische Abdichtung erfolgt durch eine Elastomermembran, die gleichzeitig den Betätigungskolben umhüllt und zum Medienraum des Behälters abdichtet. Das Membranende ist im Gehäuse eingespannt und wirkt dort als statische Dichtstelle. Der medienberührte Innenbereich des Gehäuses ist hygienegerecht und ablaufend gestaltet. Eine hermetische Abdichtung des bewegten Ventilkolbens wird dadurch erreicht, dass die Membran einerseits an der Kolbenstange und andererseits im Ventilgehäuse b efestigt ist.
8.9.4 Gestaltung der Zuluftstrecke
Abb. 8.14 Beispiel eines Probenahmeventils mit Faltenbalg
Abb. 8.15 Darstellung eines Probenahmeventils mit Membran (Prinzip nach Südmo)
Zuluftleitungen für Bioreaktoren dienen zum einen zur Overlay-Belüftung des Kopfraums, wo keine direkte Produktberührung, sondern der sogenannte Spritzbereich vorliegt (DIN EN ISO 14159). Zum anderen werden sie für die Submers-Begasung verwendet, b ei der sie direkt an eine medienberührte Leitung angeschlossen sind. Nach DIN EN 1672-2 werden für den Spritzbereich dieselben Hygieneanforderungen wie für produktberührte Bereiche gestellt. Üblicherweise werden die Leitungen, die während des Prozesses mit Sterilluft beaufschlagt sind, nur mit Dampf sterilisiert (SIP) und nicht in den CIPKreislauf einbezogen. Da in den Zuluftleitungen Kondensat auftritt und eine Kontamination nicht auszuschließen ist, sollten diese auch regelmäßig gereinigt werden. Generell sollten CIP- und SIPProzesse zuerst für Zuluftleitung sowie andere externe Leitungen durchgeführt werden und erst danach die Reinigung und Sterilisation des Bioreaktors erfolgen. Die Luft wird bei einer fest verrohrten OverlayBelüftung über einen Sterilfilter direkt dem Behälter zugeführt (Abb. 8.16). Meist wird ein Vorfilter
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zur Entlastung der Endfilterstufe eingesetzt. Falls Integritätstests der Filter nach der Sterilisation durchgeführt werden sollen, sind am Filter sterile Abzweigungen mit Ventilen erforderlich. Am Behältereinlass sollte ein Ventil, das frontbündig zum Innenraum montiert wird, das Abgrenzen der Leitung zum Bioreaktor ermöglichen. Im Beispiel in Abbildung 8.16 kann der Filter mithilfe der Ventilgruppe A1, A2, D1 und
Abb. 8.16 Fließbild der Overlay-Belüftung eines Bioreaktors. A1, A2, B, C1, C2, D1, D2: Ventile
Abb. 8.17 Beispiel eines Fließbildes für die Kombination von Overlay- und Submers-Belüftung eines Bioreaktors
8 Sterilisation und Sterildesign
C1 während des Prozesses ausgetauscht werden, sofern eine kurzzeitige Unterbrechung der Luftzufuhr zulässig ist. Während der Sterilisation sind die Ventile A1, A2, B, D1, D2, C1 und C2 geschlossen. Durch Öffnen der Ventile D1 und C1 erfolgt ein Vorheizen des Systems. Danach wird das Ventil D1 geschlossen, während nach Öffnen der Ventile D2, A2 und C2 der Filter in Richtung des Luftdurchflusses sterilisiert wird und Kondensat in die Sammelleitung abfließen kann. Nach entsprechender Sterilisationszeit werden nacheinander C2, C1, A2 und D1 geschlossen. Die Sterilisation von Filter und Sterilleitung ist danach bei geschlossenem Ventil A1 unabhängig vom Reaktor erfolgt. Die Sterilisation des Filters könnte auch im Gegenstrom durchgeführt werden, wenn die Dampfzufuhr über Ventil D1 erfolgt. Die automatische Betätigung und Verschaltung der Ventile ermöglicht die Überwachung und Dokumentation. Die Abluftleitung aus dem Bioreaktor ist analog zu gestalten. Die Submers-Belüftung kann im Prinzip in gleicher Weise erfolgen, sie kann aber auch vorteilhaft mit der Overlay-Belüftung kombiniert werden (Abb. 8.17). Zusätzlich zu Abbildung 8.16 enthält das Belüftungssystem vor dem Behältereinlass eine Verzweigung für die Versorgung von Gasraum und Submers-Leitung. Die Regulierung des Gasstroms erfolgt durch ein Drosselventil. Die mit Block 1 und Block 2 gekennzeichne-
8.9 Sterildesign
ten Ventilgruppen können durch totraumarme Ventilblöcke z. B. von Membranventilen (Hauser 2008b) realisiert werden. Die fest verrohrten Leitungen und Ventilanschlüsse sollten orbital geschweißt und entleerbar angeordnet werden. Integriert in das CIP-System kann der Sterilteil der Leitung über Ventil D1 bei geschlossenem Ventil A2 jeweils vor der Reinigung des Reaktors gereinigt werden, wobei der Ablauf in den Reaktor erfolgt. Der Kondensatablauf kann ebenfalls in die Reinigung einbezogen werden. Als sterilisierbare Ventile und Ventilkombinationen sind hermetisch dichtende klassische Membranventile nach Abbildung 8.18 geeignet, deren medienberührte Gehäuse in Edelstahl oder Kunststoff verfügbar sind. Vorteilhaft ist, dass die Anschlussstutzen in einer Linie liegen. Nachteilig ist dagegen die Doppelfunktion der Membran einerseits als statische Abdichtung zum Gehäuse und andererseits als Schließmechanismus. Für die Membran werden Elastomere oder Kombinationen aus PTFE und Elastomer eingesetzt. In den meisten Fällen werden Gehäuse- und Gegenflansch quadratisch mit vier Schrauben ausgeführt. Wenn ein Anschlag fehlt, kann die Membran durch unterschiedliches Anziehen der Schrauben unterschiedlich gepresst werden. Um trotzdem eine gute Dichtwirkung an der statischen Dichtstelle zu erreichen, ist entweder auf Seiten des Gehäuseflansches oder der Membran ein Wulst als „Dichtlippe“ vorhanden. Beim Öffnen und Schließen des Ventils kann an
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der Einspannstelle der Membran ein Spalt entstehen, der ein Risiko darstellt und regelmäßig kontrolliert werden sollte. Konstruktionen mit rund ausgeführter Einspannstelle minimieren das Problem. Bei horizontalem Einbau muss das Ventil geneigt werden, um ein völliges Entleeren des Ventils in eine Richtung zu gewährleisten. Ventilkombinationen wie die kreuzungsartige Anordnung der Ventile in Abbildung 8.17 sind für Membranventile auch als Ventilblock mit nur einem massiven Gehäuse verfügbar. Vorteilhaft sind der geringe Totraum sowie die platzsparende Anordnung, allerdings ist beim Sterilisieren bezüglich des Aufheizverhaltens die größere Masse des Ventilblocks zu beachten. Ebenso sind Faltenbalgventile für den sterilen Einsatz in Zuluftleitungen geeignet (Abb. 8.19a). Als sogenannte Sitzventile dichten sie zwischen Ventilteller und Gehäuse ab, wie bereits für die Probenahmeventile erläutert (Abb. 8.15). Faltenbalg ventile sind meist mit senkrecht zueinander liegenden Anschlussstutzen ausgeführt und mit Kunststoffbalg z. B. mit integrierter Ummantelung des Ventiltellers oder mit Edelstahlbalg und getrennter Tellerdichtung erhältlich. Die Bewegung der Ventilstange wird durch den Faltenbalg hermetisch abgedichtet, der im Ventilgehäuse und am Ventilkörper statisch befestigt ist. Beim Öffnen und Schließen verändern die Falten ihren Abstand; zu enge Falten in Reinigungsposition können die Reinigbarkeit verschlechtern. In Abbildung 8.19a ist als Beispiel ein sterilisier-
Abb. 8.18 Prinzip des medienberührten Bereichs eines Membranventils. Links: geöffnetes Ventil; rechts: Detail mit geöffnetem und geschlossenem Ventil
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8 Sterilisation und Sterildesign
Abb. 8.19 Beispiele hermetisch dichtender Sitzventile. (a) Faltenbalgventil mit Stutzen für Behälteranschluss und integriertem Sterilisationsanschluss (nach Fa. GEA Tuchenhagen). (b) Membranventil mit getrennter Tellerdichtung
bares Faltenbalgventil für den Anschluss an Behälter dargestellt, und Abbildung 8.19b zeigt ein sterilisierbares Eckventil mit einer hermetischen Abdichtung durch eine elastische Membran und eine Elastomerdichtung zwischen Ventilteller und -gehäuse. Kugelventile sind für Sterilanwendungen zu vermeiden. Sie verbinden beim Absperren den Innenraum des Gehäuses mit der Medienleitung, sodass Medium dort zurückbleibt. Außerdem sind relativ große nicht reinig- und sterilisierbare Dichtstellen zwischen Kugel und Gehäuse vorhanden, auch wenn der Gehäuseinnenraum bei einigen Konstruktionen in die Reinigung einbezogen werden kann.
8.9.5 Abdichtung von Rührerwellen Rührerwellen können vom Deckel oder vom Boden her montiert sein, sodass die Dichtstelle entweder im Spritzbereich oder im Produkt liegt. In beiden Fällen stellt die Abdichtung der Drehbewegung den Problembereich dar. Einfach wirkende dynamische Dichtungen sind gegenüber Mikroorganismen nicht dicht. Allerdings wird bei der Abdichtung rotierender Bauteile das Kontaminationsrisiko durch Transport ge-
ringer eingeschätzt als bei hin- und hergehend bewegten Konstruktionen wie z. B. Ventilen. Außerdem steht der abzudichtende, hygienisch sensible Bereich im Allgemeinen unter Überdruck, sodass ein Druckgefälle von der „reinen“ zur „unreinen“ Seite vorhanden ist, wodurch das Kontaminationsrisiko vermindert, aber nicht ausgeschlossen ist. Übliche dynamische Dichtungen wie z. B. Wellendichtringe aus Kunststoff oder Stopfbuchsen sind wegen zu starkem Verschleiß und damit zunehmender Leckage für Sterilanwendungen von Rührern nicht geeignet. Ebenso bergen einfach wirkende Gleitringdichtungen ein Kontaminationsrisiko. Eingesetzt werden Gleitringdichtungs-Paare, die durch eine dazwischenliegende Spülkammer mit sterilem Sperrmedium geschützt werden. Eine der Dichtungen übernimmt die Abdichtung zur Produktseite, während die andere zur nicht sterilen S eite abdichtet. In kritischen Fällen ist auch eine dreifache Anordnung möglich. Das Spülmedium muss mit dem Produkt im Reaktor kompatibel sein, da geringste Mengen die Dichtstelle durchdringen können. Außerdem muss die Spülkammer reinigbar und sterilisierbar gestaltet werden. Nach Abbildung 8.20 erfolgt die dynamische Abdichtung bei einer einfach wirkenden Gleitringdichtung zwischen Gehäuse und Rührerwelle an der radialen Berührfläche eines mit
8.9 Sterildesign
der Welle umlaufenden Gleitrings und einem feststehenden mit dem Gehäuse verbundenen Gegenring. Durch elastische statische Dichtungen erfolgt die Abdichtung und elastische Lagerung der Gleitringe gegenüber den zugeordneten Bauteilen, wodurch zudem Temperatureinflüsse kompensiert werden. Die medienberührten Bauelemente müssen glatt und frei von Spalten sein. Ecken sind abzurunden und Totbereiche zu vermeiden. Offen liegende Federn stellen ein Hygienerisiko dar, wenn sie medienberührt sind, d. h. innerhalb des Reaktors oder im Spülraum zwischen den Gleitringdichtungen liegen. Abgedichtete Schutzhül-
Abb. 8.20 Prinzip einer Gleitringdichtung
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sen oder hermetischer Schutz durch einen Faltenbalg beseitigen dieses Problem. Gleichzeitig ist auf eine hygienegerechte Ausführung der statischen Dichtungen zu achten. Die Gleitwerkstoffe sollten bei geschmierten Gleitringen ausreichende Notlaufeigenschaften besitzen, nicht zu ungleichmäßigem Verschleiß und zu Riefenbildung neigen, wodurch die Leckagerate steigt. Abbildung 8.21 zeigt eine doppelte Anordnung von Gleitringdichtungen mit sterilem, flüssigem Trennmedium zur Abdichtung einer am Behälterdeckel gelagerten Rührerwelle. Die Konstruktion ist als Cartridge einbaufertig gestaltet, sodass sie zusammen mit der Lagerung in den Behälterstutzen eingesetzt und angeflanscht werden kann. Die umlaufenden Gleitringe sind auf einer Wellenbuchse befestigt. Die Anpressung durch Federn erfolgt bei der produktseitigen Gleitringdichtung über den im Gehäuse gelagerten Gegenring, auf der nach außen wirkenden über den Gleitring. Hygienegerecht gestaltete statische Dichtungen dichten an der produktberührten Seite zum Gleitring sowie zum Behälterstutzen ab. Auf der Produktseite tritt die sterile Leckageflüssigkeit direkt in den Kopfraum aus. Im Außenbereich liegen die Anschlüsse für das Sperrmedium sowie für die Leckageflüssigkeit, die an der äußeren Gleitpaarung auf der Seite des Gegenrings austritt. Wie bereits erwähnt, sollten Dichtungseinheiten mit Sperrflüssigkeit nicht nur sterilisiert,
Abb. 8.21 Beispiel einer doppelten Gleitringabdichtung mit sterilem Sperrmedium für eine Rührerwelle (Fa. EagleBurgmann)
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8
260
8 Sterilisation und Sterildesign
Abb. 8.22 Prinzip der Versorgungseinrichtung einer Gleitringdichtung mit sterilem Sperrmedium durch Schwerkraftumlauf
sondern zumindest nach festgelegten Zeitintervallen auch gereinigt werden. Für die Versorgung von Gleitringdichtungen mit sterilem Sperrmedium werden häufig Sperrdrucksysteme mit Schwerkraftumlauf, sogenannte ThermosiphonSysteme, eingesetzt. Gemäß Abbildung 8.22 wird Dampfkondensat als Sperrdruckmedium verwendet, das aus einem mit Luft beaufschlagten Behälter über den Vorlauf der Gleitringdichtung zugeführt wird und über den Rücklauf in den Behälter zurückfließt. Die Anordnung in Abbildung 8.22 erlaubt zudem Gleitringdichtungen für erhöhte Bioreaktordrücke mit Stützgas zu betreiben. Die Ventilgruppen A1, A2, C1 und E1, E2, C2 können jeweils in Blockform realisiert werden. Ventil D ist als Druckregelventil in Kombination mit einem Absperrventil auszuführen. Insgesamt ergeben sich für die Sterilisation bis zu vier Bereiche, die je nach Anordnung zusammen oder einzeln sterilisiert werden können. In Abbildung 8.23 ist eine gasgeschmierte sterilisierbare Gleitringdichtung für den Einbau in den Deckel eines Bioreaktors dargestellt. Mit dieser Konstruktion kann eine flüssige Leckage in den Produktraum an der produktseitigen
Gleitfläche vermieden werden. Die beiden Gleitringe werden durch ein Gaspolster voneinander getrennt, das durch Sterilluft oder -gas erzeugt wird. Durch speziell geformte Gleitflächen wird es bereits bei geringen Drehzahlen wirksam und sorgt für eine hohe Gasfilmsteifigkeit sowie Betriebssicherheit bei minimaler Gasleckage. Da sich die Gleitringe nicht berühren, gibt es keinen Verschleiß und Abrieb. Damit ist eine Verunreinigung des Bioreaktormediums ausgeschlossen. Die Befestigung und Abdichtung der beiden Gleitringe erfolgt im dargestellten Beispiel auf der Wellenbuchse. Die produktseitigen statischen Dichtungen am Gleitring sowie am Stutzenende sind hygienegerecht gestaltet. Die Dichtung ist CIP- und SIP-fähig und kann in allen steriltechnischen Prozessen eingesetzt werden. Zu beachten ist, dass die Bohrung für Kondensataustritt direkt in den Kopfraum des Reaktors führt. Rührerwellen können auch hermetisch abgedichtet werden. Der Antrieb erfolgt in diesem Fall magnetisch durch einen sogenannten Spalttopf hindurch über eine Permanentmag netkupplung zur getrennten Rührerwelle. Da die Kupplungen verschleißfrei arbeiten, ist eine hohe Lebensdauer sichergestellt. Die übertragbare Rührerleistung
261
Literatur
Abb. 8.23 Konstruktive Ausführung einer gasgeschmierten sterilen Gleitringdichtung zur Abdichtung einer Rührerwelle (Fa. EagleBurgmann)
ist allerdings begrenzt. Unter hygienischen Aspekten ist die Lagerung des angetriebenen Rührelementes zu lösen, die zwangsläufig im Bioreaktor liegt. Eingesetzt werden sowohl Gleit- als auch Wälzlager aus Keramik. Bei Gleitlagern für den Antrieb vom Boden aus werden die Gleitflächen an der axialen Lagerstelle mit Radialnuten und an der radialen mit axialen Nuten versehen. Unterstützt durch die Drehbewegung wird das Fermentations- bzw. Reinigungsmedium durch den Lagerspalt sowie die Nuten transportiert. Bei schnell laufenden Wellen reicht im Allgemeinen der hydrodynamische Durchströmungseffekt aus, ohne dass Nuten benötigt werden. Keramische Wälzlager zeichnen sich durch eine hohe Temperaturbeständigkeit aus und sind für nahezu alle Medien geeignet. Sie sind jedoch sehr stoß- und schlagempfindlich. Sie werden vom Produkt durchströmt und geschmiert. Wie bei Gleitlagern können sie CIP-gereinigt werden. Öl- bzw. fettgeschmierte Lagerungen sind kritisch zu betrachten, da sie den Vorteil der hermetischen Trennung durch eine problematische Dichtstelle zunichtemachen. In diesem Fall muss eine sichere doppelte Abdichtung mit Sperrme-
dium verwendet werden, deren produktseitige Abdichtung hygienegerecht zu gestalten ist. Allerdings können hier hohe Axial- und Radialkräfte durch handelsübliche Stahl-Wälzlager aufgenommen werden.
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8 Sterilisation und Sterildesign
Biotechnik – Geräte und Ausrüstungen – Leitfaden für Verfahren zur Prüfung der Reinigbarkeit; Deutsche Fassung EN 12296: 1998 DIN EN 12297, Norm, 1998-05, Biotechnik – Geräte und Ausrüstungen – Leitfaden für Verfahren zur Prüfung der Sterilisierbarkeit; Deutsche Fassung EN 12297: 1998 DIN EN 12298, Norm, 1998-05, Biotechnik – Geräte und Ausrüstungen – Leitfaden für Verfahren zur Prüfung der Leckagesicherheit; Deutsche Fassung EN 12298: 1998 DIN EN 12347, Norm, 1998-06, Biotechnik – Leistungskriterien für Dampf-Sterilisatoren und Autoklaven; Deutsche Fassung EN 12347: 1998 DIN EN 13312-3, Norm, 2001-07, Biotechnik – Leistungskriterien für Leitungssysteme und Instrumentierung – Teil 3: Probenahme- und Beimpfungsvorrichtungen; Deutsche Fassung EN 13312-3: 2001 DIN EN 1672-2, Norm, 2009-07, Nahrungsmittelmaschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Teil 2: Hygieneanforderungen; Deutsche Fassung EN 1672-2: 2005 + A1: 2009 DIN EN ISO 14159, Norm, 2008-07, Sicherheit von Maschinen – Hygieneanforderungen an die Gestaltung von Maschinen (ISO 14159: 2002); Deutsche Fassung EN ISO 14159: 2008 EHEDG, List of Certified Equipment, www.ehedg.org EHEDG-Guideline, Doc. 5: A method for the assessment of in-line sterilisability of food processing equipment, www. ehedg.org EHEDG-Guideline, Doc. 8: Hygienic Design Criteria (2. Aufl.), Februar 2004, www.ehedg.org EHEDG-Guideline, Doc. 39: Design principles for equipment and process areas for aseptic food manufacturing, www.ehedg.org FDA, Code of federal Regulations, USA, Titel 21: Food and Drugs, Part 113, Title 3
9
Bioprozessanalytik und -steuerung*
9.1 Charakteristische Parameter des Bioprozessmonitorings Das komplexe Mehrphasensystem in einem Bioprozess stellt höchste Anforderungen an die Mess- und Regelungstechnik. Um die optimalen Bedingungen für den gesamten Prozess aufrechtzuerhalten, muss die Zusammensetzung der Flüssigphase (Medium), der darin suspendierten Gasphase und der dispergierten Festphase (Zellen, Zellverbände) kontinuierlich erfasst werden. Die Interaktion dieser drei Phasen ist komplex und verschiedenste Zeitkonstanten machen eine Steuerung des Prozesses ohne ausreichendes Prozess-Wissen schwierig. So wirkt sich die Induktion eines Gens durch einen Temperaturshift oder die Zugabe eines chemischen Induktors erst nach mehreren Minuten durch die Expression des gewünschten Proteins aus. Das Protein wird erst mit der Zeitverzögerung gebildet und kann erst dann metabolisch aktiv sein. Dieses Wissen muss für eine erfolgreiche Bioprozesssteuerung auf der Basis einer detaillierten Prozessanalytik eingebracht werden. Bisher sind Bioreaktoren hauptsächlich mit Temperaturfühlern, pH-Elektroden und Elektroden zur Gelöstsauerstoffmessung ausgerüstet. Verglichen mit den Prozesskontrollstrategien in der Petrochemieindustrie und der Pharmaindustrie ist der Nachholbedarf in der Bioprozessindustrie groß. Heute fehlen immer noch verlässliche Sensoren und Analysemethoden für die on-line-Prozessbeobachtung, aber auch verlässliche quantitative und dynamisch korrekte Modelle.
* Autoren: Bernd Hitzmann, Thomas Scheper
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
9.1.1 Prozessgrößen Das Dreiphasensystem eines Bioprozesses kann über physikalische, chemische und biologische Zustandsgrößen erfasst werden (Tabelle 9.1). Prinzipiell muss darauf geachtet werden, dass selbst in ideal durchmischten Systemen lokale Unterschiede in den Zustandsgrößen existieren (Beispiel: Sauerstoffpartialdruck über die Höhe in einem Blasensäulenreaktor). Dies erfordert eigentlich eine Messung an verschiedenen Reaktorpunkten. B ei der Analyse des Zellzustands wird häufig über integrale oder segregierte Messwerte gesprochen. Während der integrale Messwert über alle Zellzustände mittelt, kann mit anderen Analysetechniken die Verteilung der Zelleigenschaften erfasst werden (Altersverteilung der Zellen). Unter globalen Größen zur Beschreibung eines Bioprozesses werden solche verstanden, mit denen man das gesamte System nur unter exakt reproduzierbaren Kultivierungsbedingungen beschreiben kann. Die Wärmeentwicklung in einem Bioprozess ist ein Beispiel hierfür. Diese Größe umfasst die metabolische Aktivität (Zelleigenschaft), die Verfügbarkeit eines Substrates (Glucose in der Flüssigphase) und eines gasförmigen Cosubstrates (Sauerstoff in der Gasphase). Die Wärmeentwicklung kann über Kalorimeter erfasst werden, sie ist jedoch nur aussagekräftig, wenn der Prozess jeweils unter gleichen Bedingungen abläuft bzw. durch entsprechende Modelle gestützt wird.
9.1.2 Sensoren Die Begriffe Sensor, Sensorsystem und Analysensystem werden häufig gleich verwendet, auch wenn dies aus der Sicht der analytischen Chemie nicht korrekt ist. Der Einfachheit wegen wird hier
9
264
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
Tabelle 9.1 Messprinzipien zur Erfassung verschiedener Messgrößen in der Bioprozesstechnik Messgröße
Physikalische Zustandsgrößen Drehzahl Energieeintrag Druck Schaumerkennung Temperatur Fluidzufuhr Strömungsgeschwindigkeit des Fluids Viskoseanteil des Fluids Leitfähigkeit Gaszufuhr Strömungsgeschwindigkeit des Fluids Chemische Zustandsgrößen pH-Wert pO2-Wert pCO2-Wert volatile Substanzen gelöste Komponenten
Biomassekonzentration Redoxpotenzial Biologische Größen Zellzustand
Messeinrichtung/Messprinzip (beispielhaft)
Drehzahlmesser Drehmoment Membransensoren Widerstandsmessung Thermometer, Thermoelement, Thermistor Tropfenzähler, Waage, Massflowmeter Wärmepulsmethode Viskometer elektrochemische Sensoren Massflowmeter Ultraschall-Doppler-Verfahren
pH-Glaselektrode Clark-Elektrode, Chemosensor pH-Glaselektrode nach Severinghaus Massenspektrometer via Biosensoren, HPLC, GC/MS-Kopplung (at-line) via spektroskopischer Sensoren (in-line) optische Sensoren, Filtrationssonde, Impedanz elektrochemische Sensoren
Fluoreszenssensoren, Impedanzmessung NMR, (in-line) Zellaufschluss, HPLC (at-line) in-situ-Mikroskopie Durchflusszytometer, Mikroskopie (at-line)
Zellmorphologie, Vitalität
der Sensor als ein Messsystem bezeichnet, das die Erfassung einer Messgröße, die Verstärkung und die Umwandlung in ein elektrisches Signal kombiniert. Solche Sensoren können als in situSensoren direkt in den Prozess eingebracht werden und müssen für biotechnologische Prozesse sterilisierbar bzw. autoklavierbar sein. Sie liefern kontinuierlich Messwerte aus dem Bioreaktor, haben jedoch sensortypische Ansprechzeiten. Gerade bei biotechnologischen Prozessen ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten mit in situSensoren, da sogenannte Fouling-Effekte die Ansprechzeiten und die Sensitivitäten beeinflussen oder die Sensoren nicht sterilisierbar sind (Biosensoren, ionenselektive Elektroden). In diesem Fall bietet es sich an, die Sensoren außerhalb des Reaktors in einen Probenstrom, der kontinuierlich dem Reaktor entnommen wird, einzusetzen. Dies sind ex situ-Sensoren. Die Probeentnahme
aus dem Bioreaktor erfolgt über entsprechende Filtrationsmodule (Abschnitt 9.2.13), die eine repräsentative Probe zum Sensor befördern. Der Probentransport führt zu einer weiteren Verzögerung in der Analyse. Die dem ex situSensor zugeführte Probe muss genau der Zusammensetzung des Bioprozesses entsprechen. Hier ergeben sich die üblichen Probleme wie bei Membrantrennverfahren (z. B. bei hochmolekularen Substanzen) und der Verstoff wechselung einzelner Komponenten während der Zuführung zum Sensor. Der Vorteil der ex situ-Analyse liegt darin, dass der Sensor jederzeit kalibriert oder ausgetauscht werden kann, ohne den Bioprozess zu stören (Kontaminationsrisiko). Werden die Sensoren kontinuierlich an einem Bioprozess eingesetzt, spricht man von on-lineAnalytik; werden bei der ex situ-Analyse Fließinjektionsanalysesysteme (Abschnitt 9.2.12) oder
265
9.2 Messtechnik
in situ-Analytik
at-line-Analytik
Abb. 9.1 Mögliche Sensorankopplungen an Bioreaktoren
komplexe Analysensysteme wie HPLC, GC/MS und die Durchflusszytometrie eingesetzt, spricht man von at-line-Analyse (Abb. 9.1). Die Messdaten fallen hier nicht kontinuierlich, sondern in bestimmten analysebedingten Zeitabschnitten an. Die Zahl der in situ-Sensoren für die Bioprozesstechnik ist gering und konzentriert sich hauptsächlich auf die Messgrößen Temperatur, pH-Wert und pO2-Wert. Im ex situ-Verfahren können prinzipiell alle Sensoren oder hoch komplexe Analysensysteme verwendet werden. Hier stellt die adäquate Probenahme den „Flaschenhals“ dar. Um die Gefahr von Kontaminationen durch die Bioprozessanalytik zu beschreiben, wird häufig auch der Begriff nicht-invasiver Sensor bzw. invasiver Sensor verwendet. Bei einem nicht-invasiven Sensor ist es nicht nötig, eine Probe aus dem Bioprozess zu entnehmen oder im Prozess zu analysieren, die Gefahr einer Kontamination wird ausgeschlossen. Bei invasiven Sensoren wird dem Bioprozess ein Aliquot entnommen und im Sensor (oder im ex situ-System) analysiert.
Anforderungen an in situ-Sensoren für die Bioprozesstechnik sind deshalb groß. Die ex situ-Sensoren können mit den durch die Probenahme bedingten Verzögerungen kontinuierlich oder in bestimmten Intervallen Analysendaten liefern. Häufig werden, wie b eispielsweise bei der Verwendung von HPLC-Systemen, die Messdaten mit großen Zeitabständen bereitgestellt. Handelt es sich um Bioprozesse mit einer hohen Dynamik (Aufarbeitungsprozesse, Kultivierung von Organismen mit hohen Wachstumsraten), so ergeben sich Probleme, die nur durch die Verwendung geeigneter Modelle überwunden werden können. Bei Prozessen mit niedrigen Wachstumsraten (Kultivierung tierischer Zellen) ergeben sich keine Probleme, wenn die Messwerte auch mit einer Zeitverzögerung von ein bis zwei Stunden für die Prozesskontrolle zur Verfügung stehen. Generell sollten Sensoren verwendet werden, deren Ansprechverhalten bekannt, kurz und konstant ist. Gerade optische und spektroskopische Sensoren bieten den Vorteil, Messwerte instantan zu liefern.
9.2 Messtechnik Für die Erfassung von Zustandsgrößen, die auch für die Beobachtung chemischer Prozesse wichtig sind (speziell die Erfassung physikalischer Zustandsgrößen) wie Drehzahl, Viskosität, Druck und Temperatur, sei auf die allgemeine Messtechnik-Literatur verwiesen. In diesem Kapitel werden speziell nur die für die Bioprozesstechnik relevanten Messtechniken kurz beschrieben.
9.1.3 Analysenfrequenz Für in situ-Sensoren, die kontinuierlich Messwerte liefern, ist die Ansprechzeit des Sensors wichtig, um auf den Ist-Zustand des Reaktors rückschließen zu können. Problematisch sind Änderungen des Ansprechverhaltens durch Fouling-Prozesse, denn die Ansprechzeit ändert sich dann während des Prozesses unkontrolliert. Dieses Problem ist besonders kritisch, da eine Kalibrierung von in situ-Sensoren nach dem Sterilisationsprozess nicht mehr möglich ist. Die
9.2.1 Messung der Zustandsgrößen in der Gasphase Für aerobe Prozesse ist die schnelle und sichere Erfassung der Gasphasenzusammensetzung wichtig. Die Messung des Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalts in der Gasphase liefern wichtige Informationen über die Zellaktivität. Bei anaeroben Prozessen (z. B. Biogasbildung) ist die Analyse der komplexen Gasphase, beispiels-
9
9
266
weise mithilfe von Massenspektrometern (CH4, H2 etc.) nötig. Prinzipiell lassen sich die Gaszusammensetzungen im Abgasstrom mithilfe von Massenspektrometern sehr detailliert erfassen. Gerade die Entwicklung kleiner kostengünstiger Massenspektrometer wird hier in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
9.2.1.1 Sauerstoffmessung in der Gasphase Da Sauerstoff das einzige für die Biotechnologie relevante paramagnetische Gas ist, kann diese Eigenschaft für die spezifische Erfassung von Sauerstoff in der Gasphase genutzt werden. Der Paramagnetismus des Sauerstoffs ist auf die ungepaarten Elektronen in der äußeren Elektronenschale zurückzuführen. Die Suszeptibilität ist ein Maß für den Paramagnetismus. Sie ist proportional zu der Kraft, mit der die Gasmoleküle in einem magnetischen Feld angezogen werden, und nimmt mit zunehmender Temperatur stark ab. Es existieren verschiedene Geräte zur Konzentrationsbestimmung über den paramagnetischen Effekt. Die Ringkammeranordnung ist in Abbildung 9.2 gezeigt. Das Messgas fließt durch einen Hohlring, in dessen Mittelverbindung ein Dauermagnet eingebracht ist. Der Sauerstoff im Abgas wird infolge des Paramagnetismus zum Ort der größten Kraftflussdichte fließen. Ein Heizdraht, der im Bereich der größten Kraftflussdichte angebracht ist, heizt das Gas auf, der Paramagnetis-
Abb. 9.2 Prinzip der paramagnetischen Sauerstoffmessung
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
mus nimmt stark ab, und das erwärmte Gas wird von nachströmendem kälterem Gas verdrängt. Dadurch entsteht eine Strömung in der inneren Verbindung des Hohlrings. Sie f ührt zu einer Abkühlung, die proportional zum Sauerstoffgehalt ist. Der Strom, der benötigt wird, um den Draht aufzuheizen, wird als Messsignal genutzt. Der entstehende Gasstrom wird als magnetischer „Wind“ bezeichnet. Es gibt verschiedenste Messanordnungen, um den Sauerstoffgehalt über das Prinzip der magnetischen Waage zu erfassen. Eine Miniaturisierung dieser Geräte ist schwierig, und zukünftig werden sicherlich eher Massenspektrometer verbreitet einen Einsatz zur Gasanalyse finden. Darüber hinaus werden auch Zirkondioxidsensoren (Prinzip λ-Sonden) oder optische Sensoren (Abschnitt 9.2.2.1) wichtiger werden. Im Allgemeinen wird das Abgas der Bioreaktoren vor der Messung getrocknet, um Störungen durch den Wasserdampfpartialdruck und mögliche Kondensatbildung zu vermeiden.
9.2.1.2 Kohlendioxidmessung in der Gasphase Da zur genauen Bestimmung der Stoffwechselaktivität in aeroben Bioprozessen auch der Kohlendioxidgehalt in der Gasphase b ekannt sein muss, soll auch die Kohlendioxidmessung in der Abluft kurz beschrieben werden. Kohlendioxid ist ein infrarot-aktives Gas, das Licht im Wellenlängenbereich von 3 bis 4 μm absorbiert. Die Absorption ist proportional zur Kohlendioxidkonzentration. Es existieren unterschiedliche InfrarotAnalysatoren. Das Messgas wird zur Messung durch eine Messküvette geführt. Die Geräte sind im Allgemeinen thermostatisiert und mit einer Kompensation für schwankenden Luftdruck ausgerüstet. Das Abgas wird im Vergleich zu einer Referenzmesskammer vermessen, die Länge der Messküvette kann auf den Empfindlichkeitsbereich angepasst werden. Dies kann mechanisch oder durch verschiedene Reflexionen geschehen. Auch hier werden getrocknete Abgase analysiert, um Fehler durch die Infrarot-Absorption des Wasserdampfs zu vermeiden. Die Analyse wird generell von allen infrarot-aktiven Komponenten (z. B. Methan) beeinträchtigt. Grundsätzlich können mithilfe der Massenspektrometrie über geeignete Probenahmesyste-
267
9.2 Messtechnik
me alle gasförmigen oder volatilen Substanzen bestimmt werden. Über die Partialdruckzusammenhänge lassen sich damit auch die Konzentrationen in den flüssigen Medien prinzipiell erfassen. Verschiedene massenspektrometrische Systeme und Kombinationen (z. B. MS/MS, GC/ MS etc.) können hierfür verwendet werden.
9.2.2 Messung der Zustandsgrößen in der Flüssigphase 9.2.2.1 Gelöstsauerstoffgehalt Die Erfassung des Gelöstsauerstoffgehalts ist in der Biotechnologie aerober Prozesse besonders wichtig. Die Sauerstofflöslichkeit hängt stark von der Medienzusammensetzung und der Temperatur ab (Tabelle 9.2). Da der Sauerstoffübergang aus der Gas- in die Flüssigphase einer der kritischen Transportschritte in biotechnologischen Prozessen ist, muss für die Auslegung und Regelung dieser Prozesse der Gelöstsauerstoffgehalt genau erfasst werden. Unterschiedliche Verfahren stehen zur Verfügung, wobei die Clark-Elektrode am weitesten verbreitet ist. Es gibt verschiedene Bauprinzipien, sodass nur das Messprinzip kurz erläutert werden soll. Gemessen wird im Allgemeinen der Sauerstoffpartialdruck (pO2). Dieser
Tabelle 9.2 Sauerstofflöslichkeit in Abhängigkeit der Temperatur und der Ionenstärke T [°C]
O2 [mmol/l]
Ionenstärke [M]
O2 [mmol/l]
0
2,18
0,0
1,26
10
1,70
0,5 HCl
1,21
15
1,54
0,5 H2SO4
1,21
20
1,38
0,5 NaCl
1,07
25
1,26
1,0 HCl
1,16
30
1,16
1,0 H2SO4
1,12
35
1,09
1,0 NaCl
0,89
40
1,03
2,0 HCl
1,12
2,0 H2SO4
1,02
2,0 NaCl
0,71
korreliert mit der Löslichkeit des Sauerstoffs in den Medien. Die Löslichkeit selbst ist stark von der Temperatur und der Medienzusammensetzung abhängig. Somit werden auch der Sauerstoffgehalt und seine Bestimmung von der Temperatur und der Medienzusammensetzung stark beeinflusst. Der prinzipielle Aufbau einer Clark-Elektrode ist in Abbildung 9.3a zu sehen, während Abbildung 9.3b den Aufbau einer kommerziell erhältlichen Sauerstoffelektrode zeigt. Bei einer amperometrischen Messung ist der Stromfluss allein von der Konzentration (bzw. Aktivität) der zu bestimmenden Substanz abhängig, wenn die Polarisationsspannung konstant ist und die Reaktion diffusionskontrolliert ist. Dies gilt auch für den gelösten Sauerstoff, der an der Kathode reduziert wird: O2 + 2 H2O + 4 e− → 4 OH−
An der Gegenelektrode läuft im Allgemeinen die folgende Reaktion ab: Ag + Cl− → AgCl + e− Die Gegenelektrode dient als Referenz. Die Polarisationsspannung wird so gewählt, dass die Reaktion an der Arbeitselektrode diffusionskontrolliert abläuft. Zu niedrige Spannungen führen dazu, dass keine Diffusionskontrolle gewährleistet ist oder die Umsetzung der Reaktanten nicht vollständig ist. Bei zu hohen Polarisationsspannungen können unerwünschte Nebenreaktionen den Stromfluss verstärken. Wie aus Abbildung 9.4 hervorgeht, generieren unterschiedliche Sauerstoffgehalte unterschiedliche Stromflüsse. Aus dem Stromfluss in einer unbekannten Lösung kann somit auf den Sauerstoffgehalt zurückgeschlossen werden. Die galvanische Messung des Sauerstoffgehalts ist in der Biotechnologie weniger verbreitet und soll hier nicht näher beschrieben werden. Bei beiden Messungen ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt die Diffusion des Sauerstoffs zur Elektrodenoberfläche. Er ist proportional zur Sauerstoffkonzentration. Die Dicke der diffusionskontrollierenden S chicht zwischen Elektrodenoberfläche und Kernströmung des Mediums ist dabei wichtig. Wird diese durch Änderung der Anströmgeschwindigkeit oder der Viskosität des Mediums beeinflusst, ändert sich das Messsig-
9
9
268
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
nal. Die Sauerstoffmessung wäre damit beispielsweise extrem anfällig bezüglich der Rührergeschwindigkeit im Bioreaktor. Aus diesem Grund werden selektive, gaspermeable Membranen vor die Kathode gesetzt, um die Diffusionsstrecken
Abb. 9.3 Aufbau einer amperometrischen Sauerstoffelektrode. (a) Prinzip der Clark-Elektrode (links); (b) typische kommerziell erhältliche Sauerstoffelektrode (rechts)
a
konstant zu halten. Bei einer pO2-Elektrode ist der Elektrolytraum an der Anode und Kathode somit von dem Kultivierungsmedium getrennt. Der Sauerstoff permeiert durch die Membran in den Elektrolytraum und wird an der Kathode
b
Abb. 9.4 4 Zusammenhang zwischen Stromstärke und Sauerstoffgehalt der amperometrischen Sauerstoffmessung
269
9.2 Messtechnik
(meist Platin), die im Allgemeinen ein Potenzial von ca. −700 mV gegenüber der Silberanode hat, reduziert. Teflonmembranen dienen häufig als Sauerstoffdiffusionsmembranen. Da der Sauerstoff aus der flüssigen Phase gasförmig durch die Membran permeiert, wird mit dieser Anordnung der Sauerstoffpartialdruck gemessen.
Außerdem muss der innere Carbonatpuffer an die äußeren Bedingungen angepasst werden, d. h. er muss entweder für niedrige oder hohe CO2Konzentrationen ausgelegt sein. Eine Kalibration kann durch die Injektion entsprechender Carbonatpuffer erfolgen. Alle „sauren“ gasförmigen Substanzen, die durch die Membran diffundieren können (H2S, Essigsäure), stören die Messung.
9.2.2.2 Gelöstkohlendioxidmessungen Auf der Basis einer pH-Elektrode kann auch der pCO2-Wert nach dem Severinghaus-Prinzip in Medien erfasst werden. Dazu wird der pH-Sensor in einen Carbonatpuffer getaucht, der vom Medium durch eine CO2-permeable Membran (z. B. Silikon) getrennt ist (Prinzip, Abb. 9.5). Der pH-Sensor misst im Innenraum des Sensors den pH-Wert des Carbonatpuffers, der über die Silikonmembran mit dem CO2-Gehalt im Medium im Gleichgewicht steht. Erhöht sich die Kohlendioxidkonzentration im Medium, diffundiert CO2 durch die Membran und das innere Hydrogencarbonatgleichgewicht wird entsprechend geändert. Der Sensor erfasst also den Partialdruck des Kohlendioxids (pCO2). Die Henderson-Hasselbalch-Gleichung beschreibt die Änderung des Puffer-pH-Wertes. Die Ansprechzeit dieser Sensoren ist relativ langsam, da die Gleichgewichtseinstellung der Carbonatpuffer sehr träge ist.
Abb. 9.5 Aufbau einer Gelöstkohlendioxidelektrode nach dem Severinghaus-Prinzip
9.2.3 pH-Wert-Messung Eine andere wichtige Messgröße in der Biotechnologie ist der pH-Wert. Über pH-Elektroden und die pH-Wert-Messungen gibt es ausreichend detaillierte Literatur, sodass hier nur kurz das Prinzip erklärt wird. Für die Messung des pHWertes werden meist sogenannte pH-Einstabmessketten verwendet (Abb. 9.6b). In ihnen ist die pH-Elektrode mit einer Referenzelektrode kombiniert. Der Temperatureffekt wird kompensiert. In der pH-Elektrode selbst werden der Bezugselektrolyt und die Ableitelektroden durch eine Glasmembran von der Probelösung getrennt (Abb. 9.6a). Das Potenzial der Ableitelektrode muss gegen eine in die Probelösung eintauchende Bezugselektrode gemessen werden. In der pH-Elektrode selbst misst die Ableitelektrode die an der Glasmembran entstehende elektrische Spannung, die vom pH-Wert in der Lösung abhängt. Diese elektrische Spannung entspricht bei optimierten pH-Gläsern über einen großen pH-Bereich dem Nernst-Gesetz. Die an der Ableitelektrode gemessene Spannung wird dann gegen die Referenzelektrode (meistens eine Ag/AgCl-Elektrode) gemessen. In der Einstabmesskette ist die Referenzelektrode über ein Diaphragma mit der Messlösung verbunden. Bei diesen Flüssigelektroden muss darauf geachtet werden, dass nicht durch Überdrücke im Reaktor Flüssigkeit durch das Diaphragma gepresst wird und der Elektrolyt in der Referenzelektrode „überläuft“. Hierzu wurden für die Biotechnologie spezielle Elektroden entwickelt, die während der Sterilisation mit Druck beaufschlagt werden. Bei den heute verwendeten Gel- oder Polymerelektroden tritt dieses Problem nicht auf. Neben den Glaselektroden werden auch andere Systeme zur pH-Wert-Messung verwendet, die
9
9
270
Abb. 9.6 Prinzip von pH-Elektroden. (a) pH-Elektrode ohne Referenzelektrode (links); (b) pH-Elektrode in Kombination mit Referenzelektrode
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
a
bisher jedoch noch keinen breiten Einzug in die Bioprozessüberwachung gefunden haben. Aussichtsreich sind die sogenannten pH-sensitiven Feldeffekttransistoren. Bei konventionellen Feldeffekttransistoren (FETs) wird durch das Anlegen einer Gatespannung ein leitender Kanal zwischen Quelle und Senke erzeugt (Abb. 9.7). Die Spannung steuert also den elektrischen Strom in einem entsprechenden Ausgangsstromkreis. Anstelle eines metallischen Gates wird bei pHsensitiven FETs (als Spezialfall eines ionenselektiven FETs, ISFET) ein Gate aus bestimmten Metallnitriden und -oxiden (SeO2, Al2O3, Si3N4, Ta2O5) verwendet. Dieses Gate ändert in Abhängigkeit vom pH-Wert sein elektrisches Potenzial an der Grenzfläche Gateoxid/Flüssigkeit. Ähnlich wie bei einer pH-Elektrode wird so ein Potenzialbezug zum pH-Wert in der Messlösung hergestellt. Eine Referenzelektrode ist nötig. Das
b
vom pH-Wert eingestellte Potenzial steuert den elektrischen Stromfluss (Abb. 9.8). Der Vorteil dieser Systeme ist die Miniaturisierbarkeit und die Unterbringung von vielen pH-sensitiven Messflächen auf kleinstem Raum. Probleme liefern die Referenzelektroden, die im Vergleich zum pH-FET groß oder nicht langzeitstabil sind. Hier wird es sicherlich in der nächsten Zeit weitere Entwicklungen geben. Verschiedene andere Sensoren, die in der Biotechnologie verwendet werden, sind Leitfähigkeitssensoren (Änderung der Osmolarität des Mediums, Auflösung von Festmedien) und Redoxelektroden. Hier sei auf die relevante Literatur verwiesen. Speziell bei den Redoxelektroden ist die Interpretation der Signale äußerst schwierig, da alle redoxaktiven Substanzen je nach Sensorbetrieb detektiert werden und bisher kaum verlässliche Anwendungen bekannt sind.
9.2 Messtechnik
271
Abb. 9.7 Prinzip eines Feldeffekttransistors (FET), UGS: Spannung zwischen Gate und Source, UDS: Spannung zwischen Drain und Source, UBS: Spannung zwischen Substrat und Source, I: Stromstärke, n+: starke n-Dotierung
Abb. 9.8 Prinzip eines pHFETs. (a) MOSFET, MetallOxid-Halbleiter-FET; (b) ISFET, ionensensitiver FET, in Anwendung zur pH-Messung; (c) Schaltplan eines pH-FETs; Vgate: Spannung am Gate, n+: starke n-Dotierung, p-Si: p-dotiertes Silicium, G: Gate, D: Drain, S: Source, Vgs: Spannung zwischen Gate und Source, Vds: Spannung zwischen Drain und Source, Id: Drainstromstärke
9.2.4 Biomassebestimmung Die Biomassekonzentrationsbestimmung ist für alle Bioprozesse wichtig, um die für den Bioprozess aktive Zellmasse zu beschreiben. Wünschenswert wäre es, in der gesamten Biomasse die Verteilung der Zellaktivität über die Zellen zu kennen oder mindestens die Anzahl der lebenden und toten Zellen genau unterscheiden zu können. Zwei Arten der Biomassebestimmung
existieren: die Messung der Zellzahl (Zellen/ Volumen, speziell in der Tierzellkultivierung) und die Biotrockenmassekonzentration (Masse/ Volumen). Im Allgemeinen werden mikroskopische Techniken verwendet, um die Zellzahl zu erfassen. Bei den klassischen Verfahren wird die Zählung in einer Thomakammer oder durch Ausplattieren durchgeführt. Bei den manuellen Verfahren ist sehr viel Übung nötig, um verlässliche Daten zu gewinnen. Es existieren automa-
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272
tische Analysegeräte, die sowohl das Zählen als auch das Ausplattieren durchführen. Das Coulter-Countersystem ist eines der automatischen Zählgeräte, das nicht auf einem mikroskopischen Verfahren beruht. Es wird im off-line-Betrieb verwendet, d. h. Aliquote aus dem Fermentationsmedium werden damit analysiert. Das Messprinzip (Abb. 9.9) beruht auf
Abb. 9.9 Prinzip eines Coulter-Counters
Abb. 9.10 Aufbau eines Durchflusszytometers
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
einer Impedanzmessung zwischen zwei Elektroden, wobei die Elektroden durch eine Messzelle mit einer definierten Durchlassöffnung getrennt sind. Der Durchmesser der Messblende muss auf die Zellgröße abgestimmt sein. Während die Zellen durch einen Unterdruck in die innere Messkammer gesaugt werden, kommt es beim Durchtritt der Organismen zu einer kurzf ristigen Impedanzänderung. Ist der Volumenfluss durch die Öffnung bekannt, entspricht jede Impedanzänderung einer Zelle. Mit dem CoulterCounter können bis zu 5 000 Zellen pro Sekunde gemessen werden. Mit entsprechenden Messblenden können auch Bakterien (1‒2 μm Durchmesser) erfasst werden. Für tierische Zellen werden Messblenden mit größeren Öffnungen verwendet. Die Durchflusszytometrie stellt ein weiteres Verfahren zur Biomassebestimmung dar (Abb. 9.10), mit dem Zellpopulationen vermessen werden können. Messungen bis zu 10 000 Ereignissen pro Sekunde sind möglich. Bei einem Durchflusszytometer wird eine Zellsuspension durch einen Unterdruck in einen lamina-
273
9.2 Messtechnik
ren Mantelstrom gesaugt, der die Zellsuspension umhüllt. Die laminare Strömung führt dazu, dass die Zellen vereinzelt in den Mantelstrom fließen und die Zellen, wie an einer Perlenkette aufgereiht, im Strom fließen. Dieser gerichtete Zellstrom passiert einen Laser im rechten Winkel. Jede Zelle wird von dem Laserlicht getroffen. Über Streulichtmessungen (Vorwärts-, Seitwärts-, Nahwinkel- und Rückstreuung) können Zelloberflächeneigenschaften und Größen erfasst werden. Nach geeigneter Färbung können auch Zelleigenschaften wie Protein-, DNA- und Lipidgehalt in einzelnen Zellen erfasst werden. Diese Färbungen basieren auf Fluoreszenzverfahren, d. h. ein Fluoreszenzfarbstoff wird verwendet, um einzelne Zellinhaltsstoffe selektiv zu färben. Das Laserlicht regt die Farbstoffe in den Zellen zur Fluoreszenz an. Diese wird pro Zelle von geeigneten optischen Systemen erfasst. Mit geeigneten Sortiersystemen können die Zellen einzeln aussortiert werden. Dazu wird der laminare Strom nach Passieren des Lasers in kleine Tröpfchen zerlegt, aufgeladen und dann in einem elektrischen Feld abgelenkt und in einzelnen Gefäßen abgelegt. So ist es möglich, einzelne Zellen mit bestimmten Eigenschaften aus einer Zellpopulation heraus zu sortieren. Die Durchflusszytometrie liefert Informationen über die Zellpopulation. Bei der genauen Aufgabe von Volumina in das Durchflusszytometer können dann Zellzahl und Zelleigenschaften pro Volumen bestimmt werden. Die Methode ist normalerweise sehr zeitauf wendig und bedarf geübten Personals. Inzwischen sind auch Verfahren bekannt, um Durchflusszytometer an einen Bioprozess kontinuierlich als at-line-Sensorsysteme anzukoppeln. Mithilfe von turbidimetrischen Sensoren kann die Zelldichte in situ erfasst werden. Hier bieten sich Durchlichtmessungen (Turbidimetrie) oder Reflexionsmessungen (Nephelometrie) an. Verschiedene kommerziell erhältliche Sensoren sind auf dem Markt verfügbar. Ein Streulichtsensor ist in Abbildung 9.11 dargestellt. Einfallendes Licht (meist im roten Wellenlängenbereich) wird in das Messmedium geführt, und das rückgestreute Licht wird erfasst. Je höher die Intensität des rückgestreuten Lichtes, desto höher die Zahl der suspendierten Teilchen. Diese Sensoren erfassen alle Komponenten, die eine Trübung
Abb. 9.11 Prinzip einer Streulichtsonde
oder Streuung des Lichtes hervorrufen. Damit werden neben den suspendierten Zellen auch Feststoffpartikel und Gasblasen erfasst. Eine Bestimmung der biologisch aktiven Biomasse ist nicht möglich. Da jedes biologische Zellsystem ein anderes Streulichtverhalten aufweist, müssen die Sensoren meist auf jedes biologische Zellsystem kalibriert werden. Ansonsten gelten die für spektroskopische Sensoren (Abschnitt 9.2.6) üblichen Eigenschaften. Verschiedene Impedanzmesssysteme zur Biomassebearbeitung sind als in situ-Sensoren erhältlich. Hier wird ein sinusförmiges elektrisches Wechselfeld erzeugt und die Impedanz (Wechselstromwiderstand) der Probe bestimmt. Meist werden in Abhängigkeit der Frequenz zwei Größen bestimmt: die Kapazität und der Wirkleitwert. Beide Messgrößen werden von der Biomasse beeinflusst. Prinzipiell sollten mit diesen Methoden nur lebende Zellen erfasst werden, doch ergeben sich Probleme, beispielsweise bei hohen Leitfähigkeiten des Mediums und unterschiedlichen Begasungsraten, also bei allen Änderungen, die die Impedanzmessung beeinflussen. Rückschlüsse auf Zellkonzentrationen und Zelleigenschaften werden durch Korrelation mit Kalibrierkultivierungen ermöglicht.
9.2.5 Bildgebende Verfahren Immer mehr setzen sich bei den optischen Verfahren Systeme durch, die nicht nur die Trübung im Bioreaktor erfassen, sondern die
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274
suspendierten Partikel genauer analysieren. Mit diesen Methoden wird versucht, das biologische System näher zu charakterisieren und in seiner Morphologie besser zu erfassen. Besonders die Durchflusszytometrie (Abschnitt 9.2.4) bietet besondere Vorteile, da sie eine Vielzahl von Zellcharakteristika und Eigenschaften erfasst. Diese Messtechnik kann aber nur at-line betrieben werden. In situ-Sensoren hätten den Vorteil, direkt im Prozessgeschehen Messungen möglich zu machen und somit nicht-invasiv zu arbeiten. Zur in situ-Erfassung streuender Partikel sind Laserstreulichtsensoren kommerziell erhältlich, bei denen der Strahl einer Laserdiode auf eine rotierende, exzentrisch gelagerte Linse trifft. Diese fokussiert den Laserstrahl ins Medium auf eine kreisende Fokusebene. Die Linse rotiert mit einer konstanten Frequenz und „scannt“ die Fokusebene ab. Sobald Streulicht durch Partikel wieder in die Sonde gelangt, wird es erfasst und ausgewertet. Die Geschwindigkeit des bewegten Laserstrahls ist größer als die der Partikel. Bei starker Streuung werden scharfe Bilder erhalten. Da der Brechungsindex von Zellen meist nur unwesentlich größer ist als der des Mediums, werden Zellen nur schlecht erfasst. Ähnliches gilt für Instrumente, die wie ein Auflichtmikroskop mit mehreren Lasern arbeiten. Auch hier ist der Einsatz bisher hauptsächlich auf die Messung
Abb. 9.12 Aufbau eines in situ-Mikroskops
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
von Kristallsuspensionen oder Öl-in-WasserTröpfchen beschränkt. Die in situ-Mikroskopie ist eines der Verfahren, das sicherlich in der Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Verschiedene Arbeitsgruppen haben Messsysteme entwickelt, in denen ein Mikroskopobjektiv im Inneren des Bioreaktors angebracht wird (Abb. 9.12). Die Zellsuspension kann im Inneren des Reaktors durch einen Spalt zwischen Beleuchtungseinheit und Objektiv fließen. Wird das Anregungslicht „blitzlichtartig“ gepulst, können Durchlichtaufnahmen auch bei stark strömenden Medien generiert werden. Eine CCD-Kamera erfasst die Bilder, die von einem Bildverarbeitungssystem ausgewertet werden. Bedingt durch die Lichtmikroskopie können suspendierte Partikel oberhalb von einem Mikrometer gut analysiert werden. Optimal ist der Einsatz bei Tierzellkultivierungen. Hier kann neben der Zellzahl und der Zellgröße auch die Zellkomplexität bzw. -morphologie interessante Hinweise auf das Prozessgeschehen liefern. Probleme ergeben sich, da oftmals nur wenige Zellen pro Bild (bedingt durch das mikroskopische Messfeld) erfasst werden können. Hier kann durch eine hohe Aufnahmefrequenz (ca. fünf Bilder pro Sekunde) eine statistische Verbesserung erreicht werden. Bei hohen Zellkonzentrationen erschwert sich die Auswertung der Einzelaufnahmen. Die Bildverarbeitungsal-
9.2 Messtechnik
gorithmen stellen oftmals einen Engpass für die Auswertung und den breiteren Einsatz dieser Messtechnik dar. Neuere Entwicklungen sind auf die Variation der Mikroskopietechnik ausgelegt. So sind in der Literatur Verfahren über die Dunkelfeldmikroskopie, die Fluoreszenzmikroskopie und die Polarisationsmikroskopie beschrieben. Mit ihnen scheint auch eine Unterscheidung in Lebend- und Totzellzahl möglich.
9.2.6 Spektroskopische Sensoren Unter spektroskopischen Sensoren versteht man geeignete Lichtleitsysteme zur Ankopplung spektroskopischer Analysensysteme (UV/Vis [Ultraviolett/sichtbares Licht, von engl. visible], NIR [Nahinfrarot], MIR [mittlere Infrarot] und Fluoreszenz). Sie bieten die Möglichkeit, Informationen über Zusammensetzungen der Medien oder der Zellen selbst durch bekannte spektroskopische Verfahren zu gewinnen. Die Methoden sind nicht-invasiv und liefern ohne Zeitverzögerungen Informationen aus dem Bioprozessgeschehen, eine Störung durch elektromagnetische
Abb. 9.13 Prinzip eines ATR(attenuated total reflection)-Kristalls
275
Felder (schaltende Magnetventile o. Ä.) ist ausgeschlossen. Standardspektroskopiegeräte können verwendet werden. Die Ankopplung an den Bioprozess erfolgt meist über Glasfaserkabel. Schwierigkeiten bestehen in dem Aus- und Einkoppeln des Anregungs- und Empfängerlichtes an den Faserenden im Bioreaktor. Dies kann über einfache Durchflusssysteme geschehen oder Reflexionssysteme, bei denen das reflektierte Licht aus dem Bioreaktor über die Glasfaser aufgenommen wird oder über spezielle Einund Auskopplungssysteme, wie ATR(attenuated total ref lection)-Kristalle oder ATR-Sonden. Diese bieten die Möglichkeit, Anregungslicht über definierte Wegstrecken in das Prozessmedium einzuführen und das Licht nach Passieren einer definierten Wegstrecke wieder in die Faser aufzunehmen (Abb. 9.13). Die Wegstrecke, die das Licht über ATR-Kristalle zurücklegt, liegt im Bereich von 0,5 bis 5 μm. Durch mehrfache Reflexion kann die Empfindlichkeit der Messung erhöht werden. Das Licht durchläuft dann eine längere Wegstrecke. Die Kosten f ür ATRKristalle sind relativ hoch, da die Systeme für die einzelnen Wellenlängen optimiert werden müssen. Inzwischen sind auch Halogenid-ATRFasern bekannt, die sicherlich in der Zukunft den Einsatz ‒ speziell in der NIR- und MIRSpektroskopie ‒ vereinfachen und kostengünstiger gestalten werden. Über Multiplexer können mehrere faseroptische Sensoren als Array an ein Messgerät gekoppelt werden. Ein Reaktor kann dann an mehreren Stellen oder viele Reaktoren können parallel beobachtet werden. Abbildung 9.14 zeigt den Wellenlängenb ereich, in dem spektroskopische Sensoren verwendet werden.
Abb. 9.14 Wellenlängenbereiche für spektroskopische Sensoren
9
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276
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
9.2.7 Fluoreszenzspektroskopie Die Fluoreszenzspektroskopie erfolgt meist im Reflexionsbetrieb, d. h. das rückwärtige Fluoreszenzlicht wird über die Fasern aufgenommen. Die Veränderungen der verschiedenen fluoreszierenden Komponenten im Medium ermöglichen es, eine Vielzahl von Komponenten, selbst in niedrigen Konzentrationsbereichen, sicher zu detektieren. Werden beim Messen das Anregungslicht (Exzitation) und das Fluoreszenzlicht (Emission) durchgescannt, werden alle fluoreszierenden Komponenten im Medium erfasst (3D-Fluoreszenzen; Abb. 9.15). Die Änderungen dieser Konzentrationen geben einen direkten Einblick ins Prozessgeschehen. Chemometrische Modelle sind nötig, um aus den Spektren valide Prozessdaten zu generieren. Die Fluoreszenzmessung erlaubt es, auch intrazelluläre Komponenten zu erfassen. Damit ergibt sich die Möglichkeit, den metabolischen Zustand der Zellen in der Kultivierung ohne Probenahme zu bestimmen. Dabei wird beispielsweise der NADH-Pool in den Zellen fluoreszenzspektroskopisch erfasst. Änderungen im NADH-Pool spiegeln z. B. den Übergang von aerob zu anaerob oder eine Verschiebung im Redoxzustand der Zelle wider (Abb. 9.16a). Auch beim Einsatz lumineszierender Organismen oder bei der Herstellung fluoreszierender Proteine (GFP-Fusionsproteine; Abb. 9.16b) ergeben sich
2,43E3–2,6 E3 2,25E3–2,443 E3 2,08E3–2,22 5E3 1,9 E3 –2 ,088 E3 1,72E3–1,99 E3 1,55E3–1,772 E3 1,37E3–1,55 5E3 1,2 E3 –1 ,377 E3 1,02E3–1,22 E3 850–1, 02E 3 675–850 500–675 32 5–500 150–325 -2 5,0 –150 -200–-25,00 -3 75 –-200 -550 –-375 -725 –-550 -900 –-72 5
Abb. 9.16 Beisp iele für 3-D-Fluoreszenzapp likationen. (a) Differenz der Spektren zwischen einer aeroben und anaeroben Kultur. Die deutliche Zuna hme de r Fluo resze nz im Bereic h des NADH ist zu erkennen. (b) Korrelation der GFP(grün fluoreszierendes Protein) -Fluoreszenz und des GFPProteingehalts
Abb. 9.15 Aufbau eines 3-D-Spektralfluorometers mit Filterrädern für die Exzitations- und Emissionsmessung
277
9.2 Messtechnik
mit dieser Methode Möglichkeiten, direkt und nicht-invasiv Informationen über den Prozessverlauf und die Dynamik der Proteinsynthese zu gewinnen. Mit dieser Methode werden die aktiven, also lebenden Zellen erfasst.
9.2.8 Infrarotspektroskopie Gerätetechnisch ist besonders der Einsatz der Infrarotspektroskopie interessant. Durch den Einsatz dieses spektroskopischen Verfahrens in verschiedensten Bereichen der chemischen Industrie ist das Angebot von Infrarot(IR)- und Mittelinfrarot(MIR)-Spektroskopiesystemen beachtlich. Die Infrarotspektroskopie beruht darauf, dass die Molekülschwingungen fast aller organischen Verbindungen im IR-Bereich typische spektrale Signaturen aufweisen. Diese werden in den Nahinfrarotbereich (NIR, Wellenbereich 4 000–13 000 cm−1), den Mittelinfrarotspektroskopiebereich (MIR, Wellenbereich 200–4 000 cm−1) und den Ferninfrarotbereich (FIR, 10–200 cm−1)
aufgeteilt. Probleme ergeben sich, wie schon oben erwähnt, durch die Lichtführung. Das InfrarotAnregungslicht muss gezielt in den Reaktor eingebracht werden und definierte Strecken durchlaufen, bevor es ausgewertet wird. Das Ein- und Auskoppeln erfolgt im Allgemeinen bei Bioprozessen durch ATR-Systeme und geeignete Lichtleitertechnik. Da die Biotechnologie hauptsächlich wässrige Medien verwendet, ergeben sich Probleme mit der Infrarotabsorption von Wasser unterhalb von 4 000 cm−1. Die Summe aller Absorptionsspektren der im Medium enthaltenen Komponenten wird erfasst. Chemometrische Modelle sind nötig, um die Signale zu entfalten und auszuwerten. Der Einfluss der Medien wird wie oftmals bei spektroskopischen Sensorsystemen durch Kalibrationsmessungen ausgeschlossen. In der Literatur sind Einsatzmöglichkeiten unter verschiedensten Kultivierungszwecken beschrieben. Hauptsächlich werden die IR-Messtechniken zur Erfassung von Glucose, Lactat, Glutamin und Ammoniak verwendet. Die höchsten Genauigkeiten werden in Konzentrationsbereichen oberhalb von einem Gramm pro Liter erhalten. Abbildung 9.17 zeigt
Wellenzahl [cm−1]
Abb. 9.17 Infrarotspektren biotechnologisch relevanter Medienkomponenten im Kaliumphosphatpuffer
9
9
278
ein typisches MIR-Spektrum von vier relevanten Medienbestandteilen in Kaliumphosphatpuffer.
9.2.9 Optische Chemosensoren Neben den spektroskopischen Sensoren sind die optischen Chemosensoren in der Bioprozessbeobachtung von besonderem Interesse. Auch sie ermöglichen einen nicht-invasiven Einblick in das Prozessgeschehen und bieten eine robuste Informationsübertragung über Lichtleiterkabel. Bei diesen Sensoren werden Indikatoren verwendet, deren optische Eigenschaften (Photolumineszenz, Absorption, Reflexion etc.) sich mit der Analytkonzentration ändern. Die Indikatoren können entweder am Ende einer Glasfaser aufgebracht werden oder als sogenannter patch innerhalb eines Bioreaktors auf der Seite eines optischen Beobachtungsfensters. Über die Glasfaser wird das Licht zum fixierten Indikator geführt. Die Indikatoreigenschaften in Abhängigkeit von der Analytkonzentration werden dann über eine andere Lichtleiterfaser oder dieselbe Glasfaser erfasst. In Abbildung 9.18 wird das Prinzip einer pH- und pO2-Optode gezeigt. Hier ist der jeweilige Indikator in einer Polyvinylalkohol- oder Silikonmatrix am Faserende aufgebracht. Die Messung erfolgt über Fluoreszenzänderungen
Abb. 9.18 Prinzip optischer Chemosensoren (pH- und pO2-Optode)
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
(Intensität oder Phasenverschiebung). Das Anregungslicht wird von der Lichtquelle zum Faserende geführt. Das veränderte Fluoreszenzlicht wird über die gleiche Faser geleitet (Abb. 9.19). Bei den Sauerstoffoptoden werden häufig Farbstoffe des Phenanthrolintyps verwendet. Die Fluoreszenzintensität ist bei Abwesenheit von Sauerstoff besonders hoch und nimmt mit zunehmendem Sauerstoffgehalt ab. Die Signale werden intern linearisiert. Die Empfindlichkeit dieser Sensoren ist gerade im Bereich von kleinen Gelöstsauerstoffkonzentrationen sehr hoch. B ei der Messung wird kein Sauerstoff verbraucht, sodass auch in diffusionskontrollierten Bereichen genau gemessen werden kann. Probleme ergeben
Abb. 9.19 Aufbau eines Messsystems für faseroptische Chemosensoren
core und cladding
279
9.2 Messtechnik
sich durch das Ausbleichen der Farbstoffe und Veränderungen in der Lichtführung, z. B. durch starkes Biegen der Glasfaser. Verschiedene Systeme sind inzwischen kommerziell erhältlich, die diese Probleme überwinden. Zu den Vorteilen der optischen Chemosensoren gehören Miniaturisierbarkeit, Parallelisierbarkeit und die Messung an schwer zugänglichen Stellen. Bei den optischen pH-Sensoren werden Fluorescein oder beispielsweise 8-Hydroxy-1,3,6pyrentrisulfonsäure (HPTS) als Indikatoren verwendet. Die Fluoreszenzeigenschaften des pHIndikators, der in protonendurchlässigen Matrizes fixiert wird, ändern sich mit dem pH-Wert im Medium. Hohe Steilheiten im Vergleich zur konventionellen pH-Elektrode können in einem kleinen pH-Bereich erreicht werden (Umschlagpunkt des Indikators). Jedoch ist es schwierig, einen optischen pH-Sensor über einen breiten pH-Bereich zu erstellen. Darüber hinaus ist das Autoklavieren dieser Farbstoffe schwierig, und sie werden leicht ausgewaschen. Eine kovalente Bindung verändert die Fluoreszenzeigenschaften stark. Diese Messtechnik bietet sich auch zur Überwachung von Schüttelkolbenexperimenten an (Abb. 9.20). Auch optische pCO2-Sensoren sind bekannt. Sie basieren auf dem Prinzip der SeveringhausElektrode (Abschnitt 9.2.2.2). Auch hier muss der optische pH-Sensor in Kontakt mit einem Carbonatpuffer gebracht werden, der vom Me-
Farbstoff-patch
Abb. 9.20 Aufbau zur chemosensorischen Messung in Schüttelkolben
dium durch eine CO2-permeable Membran getrennt ist. Die Ansprechzeiten dieser Sensoren sind ähnlich anfällig wie bei den konventionellen pCO2-Elektroden, und das Quellen der CO2-permeablen Membranen führt dazu, dass nur eine geringe Lagerzeit erreicht wird. Dieser Nachteil kann bei den optischen pCO2-Elektroden durch folgenden Ansatz überwunden werden. Die pH-sensitiven Fluoreszenzfarbstoffe werden kompositartig mit langkettigen quarternären Alkylaminen ionisch eingebracht. Diese Kombination ist in Silikon löslich und kann direkt zur pCO2-Messung eingesetzt werden, da das pH-Gleichgewicht in dem Hydratmantel um den Farbstoff eingestellt wird. Dieses Hydratwasser ist fest gebunden, sodass der Sensor b ei der Lagerung nicht dehydriert oder stark aufquillt.
9.2.10 Biosensoren Biosensoren bieten die Möglichkeit, hoch spezifisch einzelne Komponenten in komplexen Probenmatrizes zu erfassen. Dazu werden biologische Erkennungs- und Umsetzungssysteme genutzt. Prinzipiell sind Biosensoren, wie in Abbildung 9.21 gezeigt, so aufgebaut, dass eine biologische Komponente den zu detektierenden Analyten hoch spezifisch umsetzt. Die biologische Komponente befindet sich auf einem entsprechenden Transducer, der die bei der sp ezifischen Reaktion auftretenden Änderungen in der Mikroumgebung (pH-Wert, Gewicht, Wärmeentwicklung, Sauerstoff verbrauch etc.) erfasst. Im Transducer wird diese Änderung in ein elektrisches Signal umgewandelt, anschließend verstärkt und verarbeitet. Hauptsächlich werden als biologische Komponenten Enzyme, Organellen, Lectine, Antikörper oder Oligonucleotide eingesetzt (Abb. 9.21). Prinzipiell können auch Zellverbände oder ganze Organe eingesetzt werden, wenn sie mit der zu analysierenden Substanz eine sensorisch schnell und selekt iv erfassbare Reaktion eingehen. Die biologische Komponente und der Transducer müssen je nach der detektierenden Reaktionsänderung kombiniert werden (Tabelle 9.3). Prinzipiell gibt es Einmal- und Mehrfachsensoren. Bei den Einmalsensoren ist die Detekti-
9
9
280
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
biol. Komponente
Abb. 9.21 Prinzip eines Biosensors
Änderung einer Messgröße
Tabelle 9.3 Biologische Komponenten und Transducer, die zu Biosensoren kombiniert werden können Biologische Komponente
Transducer
Enzyme
konduktometrische Elektroden
Organellen
amperometrische Elektroden
Lectine
potenziometrische Elektroden
Rezeptoren
Thermistoren
Mikroorganismen
optische Sensoren (Lumineszenz, Absorption, Ellipsometrie, Glasfasertechniken)
Zellverbände aus Pflanzen und Tieren
Feldeffekttransistoren
Organe bzw. Organteile
Piezokristalle
immunologische Systeme Polynucleotide, Oligonucleotide
onsreaktion irreversibel, das biologische System wird bei der Reaktion verbraucht. Hierzu sind z. B. DNA-Mikroarrays oder komplex aufgebaute Antikörper-Detektionsreaktionen zu zählen. Für die Bioprozessanalytik sind Mehrfachsensoren sinnvoll. Auf diese wird im Folgenden näher eingegangen. Beim Biosensor muss die biologische Komponente direkt und effektiv an den Transducer gebunden sein. Hierzu stehen die aus der Enzymimmobilisierung bekannten Techniken der kovalenten Bindung, des entrapmentt (Einschluss-Technik) und des crosslinkingg (Vernetzungs-Technik) zur Verfügung. Die biologisch aktive Schicht muss dünn sein, damit die Ansprechzeiten kurz sind. Im Allgemeinen sind Biosensoren nicht sterilisierbar, weshalb der Einsatz als in situ-Sensoren wegfällt. Verschiedenste Aufbauten sind in der Literatur beschrieben, die ein Aufbringen der biologischen Komponenten nach dem Sterilisationsprozess beschreiben. Der apparative Aufwand hierfür ist jedoch sehr
groß, sodass sie sich nicht durchgesetzt haben. Im Allgemeinen werden diese Sensoren deshalb außerhalb des Reaktors in Fließinjektionsanalysesysteme (Abschnitt 9.2.12) eingesetzt. Fließinjektionsanalysen (FIA) bieten den Vorteil, Einflussmöglichkeiten auf biochemische Analysereaktionen zu vermindern. Zwei Beispiele sollen dies erläutern: Wird bei einem Biosensor eine enzymatische Reaktion genutzt, bei der entsprechend dem Analytumsatz eine pH-Wert-Änderung auftritt, so ist das Sensorsignal abhängig von der Pufferart, aber besonders von der Pufferkapazität in der Reaktionslösung. Je höher die Pufferkapazität, desto kleiner ist das Messsignal b ei gleichem Umsatz. Da der pH-Wert eine logarithmische Größe ist, ist die umgesetzte Analytmenge nicht gleich der pH-Wert-Änderung und die Kalibrierkurven können nicht linear verlaufen. Darüber hinaus nimmt mit größer werdender pH-WertÄnderung die Aktivität des Enzyms ab, und die Reaktion kann ab einem b estimmten Umsatz
9.2 Messtechnik
zum Erliegen kommen. Höhere Konzentrationen können dann nicht erfasst werden. Bei all diesen Problemen kann durch die Fließinjektionsanalyse eine definierte Reaktionsumgebung für eine optimale Analyse geschaffen werden. Wird eine sauerstoffverbrauchende enzymatische Reaktion verwendet, ist der Umsatz abhängig von der Gelöstsauerstoffkonzentration im Medium. Sie limitiert den maximalen Umsatz des Sensors. Auch hier muss durch die Fließinjektionsanalyse eine definierte Sauerstoffkonzentration im Messvolumen ermöglicht werden. Im FIA-Betrieb werden Biosensoren verschiedenster Art eingesetzt. Kommerziell erhältlich sind Sensoren für die Analyse von Glucose, Lactat, Ethanol, Glutamin und Glutamat. Die Sensoren können ohne Probleme ausgetauscht werden, wenn sie erschöpft sind. Eine Kalibrierung des Sensors ist jederzeit, auf den jeweiligen Konzentrationsbereich im Bioprozess angepasst, möglich.
9.2.11 Single-use -Sensoren Mit dem Erfolg und verstärkten Einsatz von single-use-Bioreaktoren wächst auch der Bedarf an Sensoren, die nur einmal in der Bioprozesstechnik eingesetzt werden können. Hier bieten sich besonders die Sensoren an, die einen kostengünstig herstellbaren Transducer nutzen. Besonders günstig erscheinen optische Chemosensoren (Verwendung von patches im single-use-Reaktor) oder elektronische Bauteile (z. B. pH-ISFETs, Leitfähigkeitssensoren, Dickschichtsensoren etc.). Der Transducer ist dann im Inneren des Kunststoffreaktors angebracht. Die Signale werden nach außen geführt, oder es wird, wie bei optischen Sensoren üblich, das Licht zu den patches durch ein Beobachtungsfenster ein- und herausgeleitet. Außerhalb des Reaktors befinden sich Datenerfassung und -umwandlung, die für jeden neuen Gebrauch wieder verwendet werden können. Die singleuse-Sensoren haben oft ein schlechteres Driftverhalten und eine geringere Langzeitstabilität als konventionelle Bioprozesssensoren, müssen aber nur einmal verwendet werden. Besonders gefragt sind Sensoren, die von außen angebracht
281
werden und ohne direkten Kontakt oder Datenabgleich über Beobachtungsfenster arbeiten (optische Sensoren, Impedanzspektroskopie). Oftmals werden bei größeren single-use-Reaktoren (Volumen: 200–1 000-Liter-Bereich) eher konventionelle Sensoren über spezielle Ports in den Reaktor eingebracht, obwohl sich dadurch die Vorteile der single-use-Bioreaktoren verringern. In der Zukunft werden verschiedenste neue Lösungsmöglichkeiten angeboten werden.
9.2.12 Fließinjektionsanalyse Mithilfe der Fließinjektionsanalyse (FIA) können Substrat-, Zwischenprodukt- und auch Produktkonzentrationen von biotechnischen Prozessen on-line gemessen werden. Diese große Vielfalt möglicher Analyten resultiert aus der sehr flexiblen Kombination von nasschemischen Analyseverfahren, die in FIA-Systemen automatisiert genutzt werden können. In diesen Systemen wird der Analyt zumeist in ein einfach nachzuweisendes Reaktionsprodukt umgesetzt und somit indirekt quantifiziert. FIA-Systeme b estehen im Wesentlichen aus vier Komponenten: Pumpe, Injektionsventil, Manifold (Reaktionsstrecke) und Detektor. Eine schematische Abbildung eines FIA-Systems ist in Abbildung 9.22 dargestellt. Wird das FIA-System zum Bioprozessmonitoring verwendet, so wird über ein Probenahmemodul (Abschnitt 9.2.13) ein kontinuierlicher Probenstrom aus dem Fermenter gezogen und dem FIA-System zugeführt. In den kontinuierlich fließenden Trägerstrom wird ein Probesegment aus einer Probenschleife mithilfe eines Injektionsventils eingeschert. Sollte der Trägerstrom nicht alle Reagenzien enthalten, werden diese separat beigemischt. Probe und Reagenzien durchströmen die Reaktionsstrecke, in der auch weitere für die Analyse notwendige Reagenzien zugegeben werden oder immobilisiert sein können. So werden insbesondere für das Monitoring von Bioprozessen in der Reaktionsstrecke Enzyme immobilisiert (Abschnitt 9.2.10). Der Analyt wird hier zu einem einfach nachzuweisenden Reaktionsprodukt umgesetzt und dieses mit einem Detektor registriert. Als Detektor kommen häufig elektrochemische oder optische Detektoren
9
9
282
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
FIA-System Reagenzien
Reaktionsstrecke
Trägerstrom
D
Probenstrom
Pumpe Injektionsventil
Detektor
Abb. 9.22 Schema eines Fließinjektionsanalyse(FIA)Systems
Peakhöhe
6 5 4 3 2 1 0
Peakfläche Höhe zu fester Zeit Peakbreite
0
zum Einsatz. Das durch die Injektion zunächst pfropfenförmig vorliegende Konzentrationsprofil der Probe wird aufgrund der Dispersion in der Fließstrecke unsymmetrisch und peakförmig mit einem ausgeprägten Tailing. Die Dispersion wird dabei sowohl vom Probenvolumen, der Transportgeschwindigkeit als auch von der Geometrie (Länge, Durchmesser, Anordnung) der Reaktionsschleife wesentlich beeinflusst. Charakteristisch für die FIA ist, dass am Detektorort die Nachweisreaktion weder im stationären Zustand noch die Vermischung von Probenlösung und Trägerstromlösung vollständig ist. Deshalb hat die reproduzierbare Arbeitsweise von FIA-Systemen eine hohe Bedeutung. Dies bedeutet, dass das Einbringen der Probenzone, ihre Verweilzeit sowie alle weiteren Prozesse, die die Probenzone und die chemische Reaktion betreffen, während der Kalibration und der eigentlichen Messung konstant gehalten werden müssen. Um die Analytkonzentration aus dem peakförmigen Rohmesssignal zu quantifizieren, gibt es unterschiedliche Verfahren. Sie basieren auf dem Peakmaximum, der Peakfläche oder -breite, die zumeist in einem logarithmischen Verhältnis zur Analytkonzentration stehen. Aber auch die Peakhöhe zu einem festen Zeitpunkt nach Injektion kann zur Berechnung der Analytkonzentration verwendet werden. In Abbildung 9.23 sind ein typisches FIA-Messsignal und die charakteristischen Größen zur Quantifizierung der Analytkonzentration dargestellt. Weniger häufig findet man eine Auswertung, die auf der Hauptkomponentenanalyse und/oder neuronalen Netzwerken beruhen. FIA-Systeme zeichnen sich durch kleine Probenvolumina, geringen Reagenzienverbrauch, kurze Analysezeiten, einfache Probenkonditionierung und hohen Automationsgrad aus. Dabei
20
40
60 80 Zeit [sec]
100
120
Abb. 9.23 FIA-Messsignal mit Auswertegrößen
sind sie einfach auf andere Analyten (z. B. durch Wechsel des immobilisierten Enzyms) umzurüsten. Zur Überwachung wesentlicher Prozessgrößen von biotechnischen Prozessen (wie z. B. Glucose, Lactat, Glutamin und Glutamat) sind derzeit eine Reihe von kommerziellen FIA-Systemen verfügbar.
9.2.13 Probenahmesysteme Für die Fließinjektionsanalyse muss eine repräsentative Prob e aus dem Bioprozess zur Verfügung gestellt werden. Das bedeutet, die Probe muss zeitnah analysiert werden und in ihrer Probenzusammensetzung genau dem Prozessgeschehen entsprechen. Für diese Probenahme ist es wichtig, dass die Sterilität des Gesamtprozesses unbedingt gewährleistet ist. Prinzipiell könnte ein Tauchrohr verwendet werden, das kontinuierlich eine zellhaltige Probe aus dem Bioreaktor entnimmt. Bei geringem Durchmesser können hohe Fließgeschwindigkeiten ein Rückwachsen von Keimen verhindern. Verschiedene Systeme sind erhältlich, bei denen in einer Doppelkanüle zusätzlich eine Stopplösung mit in den Probenstrom einfließt. Dies gewährt die Unterbrechung jeglicher metabolischer Aktivitäten, sodass extra- und intrazelluläre Messgrößen genau den Werten bei der Entnahme aus dem Bioreaktor entsprechen. Während des Flusses zum Analysenort treten dadurch keine weiteren Veränderungen auf. Diese sogenannten offenen Systeme bergen jedoch die Gefahr eines unkontrollierten
283
9.2 Messtechnik
Diffusionsmembran
Abb. 9.24 Aufbau einer Dialyse-Filtrations-Probenahmesonde
Ausströmens der Stopplösung in den Bioreaktor. Die auf diese Weise erhaltene zellhaltige Lösung kann direkt analysiert werden, oder eine Trennung für die Analyse intrazellulärer und extrazellulärer Größen ist prinzipiell möglich. Häufig werden zur Probenahme geschlossene Systeme verwendet, bei denen eine Membran die Barriere zwischen dem Bioreaktor und dem Inneren des Probenahmesystems darstellt. Bei den sogenannten Dialysesystemen (Abb. 9.24) wird ein Trägerstrom in der Probenahmesonde an einer Dialysemembran vorbeigeführt. Niedermolekulare Substanzen können vom Bioreaktor in den Pufferstrom diffundieren und anschließend analysiert werden. Mit dieser Methode tritt zwar eine erhebliche Verdünnung der Analyten auf und die Dialysemembran kann sich durch Fouling-Effekte in ihrer Durchlässigkeit verändern, doch ändert sich das Probenvolumen im Reaktor nicht. Bei druckbeladenen Reaktoren muss darauf geachtet werden, dass keine Druckdifferenz zwischen dem Reaktor und dem Dialysesystem besteht. Das Beispiel einer Filtrationssonde ist in Abbildung 9.25 zu sehen. Hier wird eine tubuläre Mikrofiltrationsmembran verwendet (prinzipiell sind auch andere Membrantypen denkbar), die eine Sterilbarriere darstellt. Über die Filtrationsmembran kann zellfreies Medium aus dem Reaktor entnommen werden. In der Literatur sind für solche Systeme Antwortzeiten von wenigen Minuten (fünf Minuten für 90%iges Antwortsignal), bei Filtrationsleistungen zwischen ein und zwei Milliliter pro Minute beschrieben. Probleme ergeben sich bei langen Prozesszeiten in kleinen Reaktoren, da größere Mengen Medium kontinuierlich abgeführt werden.
Abb. 9.25 Aufbau einer in situ-Filtrations-Probenahmesonde
9
9
284
9.3 Softwaresensoren Als Alternative für gar nicht oder nur sehr aufwendig zu messende wesentliche Prozessgrößen können Softsensoren dienen, die auch Softwaresensoren genannt werden. Sie nutzen ein oder mehrere Rohmesswerte sowie ein empirisches oder theoretisches manchmal auch dynamisches Modell, um für einen Prozess aussagekräftige Information bereitzustellen. Softsensoren gehören zur Klasse der indirekten Messmethoden. Sie können in zwei Gruppen eingeteilt werden: Softsensoren, die ein theoretisches Prozessmodell nutzen, und solche, die ein empirisches Modell zur Berechnung der Prozessgrößen anwenden. Die erste Gruppe von Softsensoren werden auch Beobachter genannt. Sie verwenden Zustandsdifferenzialgleichungen, mit denen das dynamische Verhalten eines Prozesses meist mit einem mechanistischen Modell beschrieben wird, in dem z. B. Transportprozesse und Reaktionskinetiken abgebildet werden. In der zweiten Gruppe von Softsensoren kommen datengetriebene Modelle (black box-Modelle) zur Anwendung. Dabei dienen Regressionsmodelle häufig in Kombination mit Verfahren der Hauptkomponentenanalyse oder insbesondere für nicht-lineare Zusammenhänge neuronale Netzwerke, um den Zusammenhang zu den Prozessgrößen zu beschreiben.
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
Am Beispiel des diskreten Kalman-Filters soll das Vorgehen erläutert werden. Das diskrete Kalman-Filter geht von einem diskreten dynamischen Prozessmodell des Bioprozesses und statischen Ausgangsgleichungen aus. Letztere beschreiben die Messung. Ein solches System kann mit den folgenden Gleichungen beschrieben werden: dynamische (lineare) Zustandsgleichung: x(tn+1) = D x(tn) + v(tn) statische Ausgangsgleichung: y(tn) = M x(tn) + w(tn)
x(tn) ist der wahre Wert der Zustandsgröße zum Zeitpunkt tn; D beschreibt das dynamische Prozessverhalten; y(tn) ist der Wert der Messgröße zum Zeitpunkt tn, der mit M aus x(tn) berechnet werden kann; v(tn) gibt den Anteil des Prozessrauschens an (Unsicherheit des Prozessmodells) und w(tn) den Anteil des Messrauschens. Liegen mehrere Zustandsgrößen vor, so sind x(tn) und v(tn) Vektoren und D ist eine Matrix. Für die Ausgangsgleichung gilt Entsprechendes. Die beiden Größen v(tn) und w(tn) sind Zufallsgrößen. Für die weitere Berechnung ist der Erwartungswert einer Zufallsgröße von Bedeutung; er ist für die Zufallsgröße z und ihre Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion pdf(z) wie folgt definiert: d
E
=
°
z * pdf(z)dz
d
9.3.1 Kalman-Filter Das Kalman-Filter ist ein sogenannter Beobachter und dient zur Schätzung von Zustandsgrößen. In der Systemtheorie versteht man darunter die Größen, die den Zustand eines Prozesses eindeutig festlegen. Für einen Kultivierungsprozess könnten dies beispielsweise die Biomasse-, die Substrat- und/oder die Produktkonzentration sein. Das Kalman-Filter kann verwendet werden, um Messrauschen zu reduzieren oder um nicht messbare Größen zu schätzen. Die Schätzung basiert auf Messungen, deren Messfehler als normalverteilt angenommen werden, sowie entsprechende Zustands- und Messgleichungen. Die Grundidee der Filterung ist, dass durch sie die Schätzfehler(ko)varianz der Zustandsgrößen möglichst klein wird.
v(tn) und w(tn) sind mittelwertf rei, d. h . ihre Erwartungswerte sind null E = E<w> = 0; die Erwartungswerte der Varianzen sind E = Q, E<w2> = R. Für die Berechnung des Kalman-Filters müssen D und M sowie Q und R bekannt sein. Darüber hinaus müssen zum Zeitpunkt t0 auch S chätzwerte für x(t0) – bezeichnet mit x^ (t0) – und für die Schätzfehler(ko)varianz – bezeichnet mit P(t0) = E<[x(t0) − x^ (t0)]2> – vorliegen. Ist der Messwert y(ti) bekannt, so kann mit folgender Gleichung aus dem Schätzwert der Zustandsgröße x der gefilterte Schätzwert x^ F(ti) berechnet werden. Filtergleichung: x^ F(ti) = x^ (ti) + K [y(ti) − y^ (ti)]
In dieser Gleichung ist K die sogenannte Kalman-Verstärkung. K wird so b erechnet, dass die
285
9.3 Softwaresensoren
Schätzfehler(ko)varianz des gefilterten Wertes der Zustandsgröße E<[x(ti) − x^ F(ti)]2> minimal wird. y^ (ti) ist der Schätzwert der Messgröße y^ (ti) = M x^ (ti). Bei Anwendung der Filterg leichung wird zum Schätzwert der Zustandsgröße x ein Term addiert, der proportional zur Differenz von dem Messwert y(ti) und dem geschätzten Messwert y^ (ti) ist. Sollten beide Werte identisch sein, so ist der gefilterte Wert der Zustandsgröße identisch mit seinem berechneten Schätzwert. Für den Zeitpunkt t1 folgt: x^ (t1) = D x^ (t0)
Für die Schätzfehler(ko)varianz ergibt sich dann P(t1) = E<[x(t1) − x^ (t1)]2> = E<[D x(t0) + v(t0) − D x^ (t0)]2> = E<[D (x(t0) − x^ (t0)) + v(t0)]2> = E<[D (x(t0) − x^ (t0))]2 + 2 D [x(t0) − x^ (t0)] v(t0) + [v(t0)]2> Da E<2 D [x(t0) − x^ (t0)] v(t0)> = 0, ergibt sich für die Schätzfehler(ko)varianz
P(t1) = D2 P(t0) + Q Sollte kein Messwert vorliegen, wird die Berechnung der Schätzwerte von x und P wiederholt, bis ein Messwert vorhanden ist. Liegt ein neuer Messwert vor, dann kommt die Filtergleichung zur Anwendung, und die Schätzfehler(ko)varianz nach der Filterung kann berechnet werden: PF(t1) = E<[x(t1) − x^ F(t1)]2> = E<[x(t1) − x^ (t1) − K [y(t1) − y^ (t1)]]2> = E<[x(t1) − x^ (t1) − K [M x(t1) + w(t1) − y^ (t1)]]2> = E<[x(t1) − x^ (t1) − K [M x(t1) + w(t1) − M x^ (t1)]]2> = E<[x(t1) − x^ (t1) − K M x(t1) + K w(t1) − K M x^ (t1)]2> = E<[{x(t1) − x^ (t1)}{1 − K M} + K w(t1)]2> = P(t1) {1 − K M}2 + K2 E<w(t1)2> = P(t1) {1 − K M}2 + K2 R Die Filterung soll dazu führen, dass die Schätzfehler(ko)varianz möglichst klein wird. Sie muss also minimiert werden. Da bislang K noch nicht festgelegt wurde, kann der Wert von K so gewählt werden, dass die Schätzfehler(ko)varianz minimal wird.
d PF/d K = 0 = 2 P (1 − K M) (−M) + 2 K R = 0 = −2 P M + 2 P K M2 + 2 K R = 0 => K (2 P M2 + 2 R) = 2 P M => K = 2 P M/(2 P M2 + 2 R) = P M/ (P M2 + R) Es folgt also: Kalman-Verstärkung:
K = P M/(P M2 + R)
Wird also K entsprechend berechnet, so führt die Filterung zur Minimierung der Schätzfehler(ko)varianz. Dies ist ja das Ziel der Kalman-Filterung. Neben dem diskreten Kalman-Filter findet das kontinuierlich-diskrete Kalman-Filter Anwendung beim Monitoring von Bioprozessen. Das kontinuierlich-diskrete Kalman-Filter nutzt neben einem kontinuierlichen Prozessmodell, mit dem das dynamische Verhalten der Zustandsvariablen beschrieben werden kann, diskrete Messgleichungen, die das statische Verhalten der Messsysteme beschreiben. Die folgenden Gleichungen stellen ein allgemeines Prozessmodell sowie ein Messmodell dar:
d x(t ) = f ( x(t ), u (t ), t ) + z(t ) dt
y(ti ) h( x(t i )) + s (ti ) In diesen Gleichungen steht x(t) für die Zustandsvariablen, deren zeitliche Änderung mit der Funktion f() beschrieben wird, u(t) die Eingangsgrößen, t die Zeit und z(t) das Prozessrauschen. y(ti) beschreibt die diskreten Messwerte zum Zeitpunkt ti, mit dem Messrauschen s(ti). Die Abhängigkeit der Messgröße von den Zustandsvariablen wird mit der Funktion h() beschrieben. Die Arbeitsweise des Kalman-Filters ist in Abbildung 9.26 dargestellt. Solange keine Messwerte vorliegen, wird mit dem Prozessmodell der Verlauf der Zustandsvariablen geschätzt sowie der Verlauf der Schätzfehler(ko)varianzen, die mit folgender Gleichung b erechnet wird: d P (t ) = F t P t + P t F T t) + Q dt
P(t) steht für die Schätzfehler(ko)varianzen, F(t) für die Jacobi-Matrix von f(), FT(t) für die transponierte Matrix von F(t) und Q für die Prozessrauschleistungsmatrix. Ist ein Messwert vorhanden, werden die Zustandsvariablen sowie
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9
286
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
Vorhersage
Filterung
wenn kein Messwert vorhanden
wenn neuer Messwert vorhanden
kontinuierlich
diskret
Zustandsvariablen
Schätzwerte
gefilterte Werte
&
Schätzfehlerkovarianz
Abb. 9.26 Arbeitsweise eines kontinuierlich-diskreten Kalman-Filters
die Schätzfehler(ko)varianzen gefiltert. Hierfür muss die Kalman-Verstärkung K(t) bestimmt werden, die sich aufgrund der Minimierung der Schätzfehler(ko)varianz des gefilterten Wertes der Zustandsgröße berechnen lässt.
K (t i ) = (t i )
T
[
(ti )
]
−1
i
i
i
H(t) ist die Jacobi-Matrix von h() und R die Messrauschkovarianzmatrix. Die gefilterten Werte werden mit den folgenden Gleichungen berechnet: x^ f (ti) = x^ (ti) + K (ti)[y(ti) – h(x^ (ti), ti)] Pf (ti) = [I – K (ti)H(ti)]P(ti) x^ f (ti) sind die gefilterten Schätzwerte der Zustandsvariablen, Pf (ti) die gefilterten Schätzfehler(ko)varianzen und I ist die Einheitsmatrix. Die Gleichung zur Berechnung der gefilterten Schätzwerte ergibt sich aus dem Schätzwert vor Filterung plus einem Term, der proportional zur Differenz von Messwert und geschätztem Messwert ist. Sind beide Werte identisch, so ist der gefilterte Wert der Zustandsgröße identisch mit seinem Wert vor der Filterung. Für die Anwendung des Kalman-Filters wird Folgendes benötigt: • Prozessmodell (Zustandsgleichungen), Messmodell • Modellparameter • Anfangswerte der Zustandsvariablen • Anfangswerte der Schätzfehler(ko)varianz • Prozessmodellrauschleistungsmatrix Q • Messrausch(ko)varianzmatrix R Das Kalman-Filter gehört zu den am weitesten verbreiteten Methoden zur Zustandsschätzung.
B ei der Anwendung des Kalman-Filters zum Monitoring von Bioprozessen kommen zumeist theoretische Modelle zum Einsatz, die auf Bilanzgleichungen der Zellmasse und des Substrates sowie der Wachstumskinetik der Zellen basieren. So kann beispielsweise mit einem Kalman-Filter nur aufgrund der Messung der Glucosekonzentration mit einem FIA-System die Biomasse sowie die spezifische Wachstumsrate geschätzt werden. Jedoch wird dieses Verfahren bislang nur sehr selten zur Beobachtung von industriellen Kultivierungsprozessen eingesetzt.
9.3.2 Hauptkomponentenanalyse Eine Alternative zu den auf theoretischen Modellen beruhenden Softsensoren sind solche, die auf datengetriebenen Modellen basieren. Bei diesen Softsensoren ist kein Prozesswissen Voraussetzung. Für diese Methoden müssen jedoch eine Vielzahl an Messwerten bereitgestellt werden, aus denen der Zusammenhang von den Messwerten zu den aussagekräftigen Prozessgrößen berechnet werden kann. Ein einfaches Beispiel stellen hier multilineare Regressionsmodelle dar. Mit einem solchen Modell können z. B. aus ausgewählten Intensitätswerten eines Spektrums Biomasse-, Substrat- oder Produktkonzentrationen berechnet werden. Will man das gesamte Spektrum zur Berechnung von Prozessgrößen nutzen, so muss man auf Verfahren der Hauptkomponentenanalyse zurückgreifen, die aus der Faktorenanalyse hervorgegangen sind. Der Grund hierfür liegt in der typischerweise linearen Abhängigkeit der Intensitätswerte von Spektren. Wird ein Spektrometer als Prozessanalysator verwendet, so zeigen Intensitätswerte, deren Frequenzen dicht beieinander liegen, meist einen sehr ähnlichen Verlauf während einer Kultivierung. Somit können die Intensitätswerte, die bei einer Frequenz aufgenommen werden, aus den Werten bei einer anderen Frequenz mit einem linearen Modell berechnet werden; sie sind linear voneinander abhängig. Dies führt dazu, dass sie nicht gemeinsam in einem multilinearen Regressionsmodell als unabhängige Variable genutzt werden können. Da sie aber Information tragen, ist es sinnvoll, sie zur Berechnung der Prozessgrößen mit heranzuziehen. Hierfür bietet die Haupt-
287
9.3 Softwaresensoren
Abb. 9.27 Daten vor (links) und nach (rechts) der Mittelwertzentrierung
komponentenanalyse (PCA, principal component analysis) eine Möglichkeit. Um das Vorgehen zu erläutern, ist die Betrachtung von nur zwei Sensoren sinnvoll, deren linear abhängige Messsignale während eines Prozesslaufs aufgenommen wurden. Um diese Abhängigkeit der Messwerte zu kompensieren, wird eine Transformation durchgeführt. Hierfür werden die Daten zunächst mittelwertzentriert, d. h. für jeden Sensor wird von jedem Datenpunkt der zugehörige Mittelwert abgezogen. In Abbildung 9.27 sind die Werte vor und nach der Mittelwertzentrierung dargestellt. Nun wird eine sukzessive, Varianz maximierende, orthogonale Rotationstransformation des Koordinatensystems durchgeführt. Sukzessive bedeutet dabei, dass die Achsen des neuen Koordinatensystems eine nach der anderen berechnet wird, und zwar so, dass jeweils die Varianz der Daten maximal ist. Zunächst wird die erste Achse des neuen Koordinatensystems so bestimmt, dass der Ursprung des alten Koordinatensystems erhalten bleibt und die Messdaten maximale Varianz besitzen. Dann wird die nächste Achse so berechnet, dass sie senkrecht (orthogonal) auf der ersten Achse steht und wiederum maximale Varianz der Daten beschreibt. Dieses Vorgehen (senkrecht auf allen schon bestimmten Achsen und maximale Varianz) wird so lange wiederholt, bis die maximale Dimension der Messdaten (z. B. Anzahl der unterschiedlichen Sensoren oder Anzahl der unterschiedlichen Messpunkte eines
Abb. 9.28 Messpunkte von zwei linear abhängigen Messsonden im alten (x1 und x2) und neuen (t1 und t2) Koordinatensystem, d. h. vor und nach der Rotationstransformation
Spektrums) erreicht ist. In Abbildung 9.28 sind Messpunkte von zwei linear abhängigen Messsonden im alten Koordinatensystem und neuen Koordinatensystem dargestellt. Typischerweise enthalten die ersten so berechneten Achsen die Prozessinformation, hingegen die zuletzt berechneten Messrauschen. In Abbildung 9.28 ist die Information in den Werten der Achse t1 konzentriert, hingegen beinhalten die Werte der Achse t2 das Messrauschen. Die Achsen, die Prozessinformation enthalten, werden
9
9
288
als Hauptkomponenten (oder Scores) bezeichnet. Mathematisch kann die Hauptkomponententransformation als eine Näherung der Datenmatrix X durch ein Produkt von zwei in der Dimension kleineren Matrices T und P dargestellt werden: X = TPT + E Dabei wird T als Score-Matrix, P als Ladungsmatrix (loading-Matrix) und E als Residuenmatrix bezeichnet. Im Idealfall ist in E nur das Messrauschen von X enthalten, aber auch Beiträge von nicht-linearen Effekten können dort verborgen sein. Die Werte der Hauptkomponenten, die in der Score-Matrix T stehen, können zur Analyse von Prozessen genutzt werden, indem die Werte in einem sogenannten Score-Plot (Auftragung der Werte der Hauptkomponenten gegeneinander) dargestellt werden, oder sie können als unabhängige Variable in einem multilinearen Regressionsmodell genutzt werden, um Prozessgrößen zu berechnen. Dies wird in zwei Schritten durchgeführt. Zunächst werden bei einem Prozesslauf die Messwerte von unspezifischen Sensoren (z. B. 2D-Fluoreszenzspektren) aufgenommen. Parallel hierzu werden off-line Proben zur Bestimmung der interessierenden Prozessgrößen gezogen und durch geeignete Messverfahren die gewünschten Größen bestimmt. Diese Kalibrationsdaten werden genutzt, um das Kalibrationsmodell zu berechnen. Mit den unspezifischen Daten wird eine Hauptkomponentenanalyse durchgeführt. Hier kommt häufig der NIPALS-Algorithmus (nonlinear iterative partial least squares-Algorithmus) zur Anwendung. Die berechneten Hauptkomponenten, deren Anzahl z. B. darüber festgelegt wird, ob sie noch einen signifikanten Beitrag zur Gesamtvarianz der Daten liefern, dienen dann als unabhängige Variable und die Werte der offline bestimmten Prozessgrößen als abhängige Variable für die multilineare Regression. Danach können in einem zweiten Schritt die so bestimmten chemometrischen Modelle genutzt werden, um bei einem neuen Prozesslauf on-line die Prozessgrößen vorherzusagen (zu schätzen). Besteht ein nicht-linearer Zusammenhang zwischen den Werten der Hauptkomponentenanalyse und den Prozessgrößen, so haben sich zur mathematischen Beschreibung dieses Zusammenhangs neuronale Netzwerke bewährt. Aber auch die Quadrate der Scores können in
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
Ergänzung zu dem multilinearen Regressionsmodell hinzugefügt werden. Die Kombination aus Hauptkomponentenanalyse und multilinearer Regression wird auch als Hauptkomponentenregression (PCR, principal component regression) bezeichnet. Eine Alternative hierzu ist die PLS-Regression ((partial least squares-Regression). Hierb ei wird bei der Transformation der Daten nicht nur ihre Varianz, sondern auch noch die Varianz der zu berechnenden Prozessgrößen herangezogen. Das heißt, bei dieser Transformation wird die innere Beziehung der unabhängigen und der abhängigen Variablen mit berücksichtigt. Dies soll zu einfacheren und stabileren Modellvorhersagen führen.
9.4 Automatisierung Aufgrund des Strebens nach hoher Produktqualität, -ausbeute und Prozesssicherheit sowie geringen Prozesskosten (geringer Energie- und Substrateintrag und geringe Personalkosten) gewinnt eine umfassende Automatisierung biotechnischer Prozesse ständig an Bedeutung. Der Betrieb eines Produktionsfermenters ist gekennzeichnet durch nacheinander ablaufende Betriebsphasen: • Upstreaming (Befüllen, Sterilisieren, Mischen) • Kultivieren (Züchtung und Produktion) und • Downstreaming (Ernten und Aufarbeiten) In jeder Phase ist ein hohes Maß an Automatisierung gefordert. Dabei stellt das Kultivieren aus Sicht der Regelung und Steuerung im Allgemeinen die höchsten Ansprüche, da hier ein dynamisches Optimierungsproblem vorliegt. Jedoch werden Verfahren der Regelungstechnik bislang nur selten in dieser Phase eingesetzt. Dies beruht auf mehreren Ursachen: Da Kultivierungsprozesse sowohl eine Vielzahl von dynamischen biochemischen Reaktionen als auch vielschichtige Transportprozesse beinhalten, sind sie sehr komplex, nicht-linear und zeitvariant. Selten liegen im Detail umfassende Kenntnisse über sie vor. Die zur Produktion verwendeten Mikroorganismen besitzen ein ihnen innewohnendes Regulationssystem, das nur indirekt über die Umgebungsgrößen (physikalische und chemi-
289
9.4 Automatisierung
sche Größen) beeinflusst werden kann. Wesentliche Prozessgrößen können nur – wenn überhaupt – mit großem Aufwand gemessen werden. Sie liegen mit großer Zeitverzögerung sowie diskontinuierlich vor. Da im Allgemeinen kein stationärer Betriebszustand bei Bioprozessen angestrebt, sondern entweder ein Satzbetrieb (batch-Betrieb) -Betrieb) oder ein Zulaufsatzbetrieb (fed-batch ( gewählt wird, besteht die eigentliche Regelungsaufgabe fast ausschließlich darin, den Mikroorganismen optimale Umgebungsbedingungen bereitzustellen. Nur selten steht die Maximierung der Biomasse oder der Produktkonzentration bei einer Regelung direkt im Vordergrund, da die hierfür notwendige Messtechnik fehlt. Ziel der Regelung und Steuerung von Kultivierungsprozessen ist es: • Störungen jeglicher Art auszugleichen, • den Energie- und Substrateintrag zu minimieren, • die Ausbeute und Produktqualität zu maximieren, • die sichere Durchführung des Prozesses zu gewährleisten, • der Substrat-, Katabolit- und Produktinhibierung vorzubeugen, • die gezielte Induktion und Repression der Enzymbildung zu gewährleisten, • große Scherkräfte zu vermeiden und • den Organismen insgesamt ein optimales Milieu (für Wachstum und oder Produktbildung) zur Verfügung zu stellen. Mithilfe von Standardverfahren der Regelungstechnik lassen sich einige dieser Ziele schon seit Längerem erreichen. So gehört die Bereitstellung von Modulen zur Regelung des Volumens, der
Stellglied
der auszugebende Stellwert u(t) der Stellgröße
Regelstrecke (Prozess)
Temperatur, des pH-Wertes, der Gelöstsauerstoffkonzentration und der Zugabe von Antischaummittel im Allgemeinen zu der Grundausstattung eines Fermenters.
9.4.1 Regelung Die Aufgabe der Regelung bei einem Prozess besteht entweder darin, eine vorgegebene Größe, die sich aufgrund von Störeinflüssen ändern kann, auf einen gewünschten Wert zu bringen und diesen Wert zu halten oder die vorgegebene Größe ständig an eine sich ändernde Größe anzupassen. Die erstgenannte Art einer Regelung nennt man Störgrößenregelung, die zweite Nachlaufregelung. Bei der Regelung eines Prozesses wird die zu regelnde Ausgangsgröße eines Prozesses (Regelgröße; z. B. Temperatur, pH-Wert) ständig gemessen und mit einem vorgegebenen Sollwert (Führungsgröße) verglichen. Der Prozess wird durch die Regelung dahingehend beeinflusst, dass möglichst die Differenz von gewünschtem Sollwert zum Wert der Regelgröße null wird. Diese Differenz wird als Regeldifferenz oder Sollwertabweichung, der Wert der Regelgröße als Istwert bezeichnet. Die Größe, mit der der Prozess über eine Stelleinrichtung (Stellglied) beeinflusst wird, heißt Stellgröße. Weicht die Regeldifferenz von null ab, d. h. sind der Istwert und der S ollwert unterschiedlich aufgrund von Störungen oder der gezielten Änderung des Sollwertes, so wird der Regler über das Stellglied so auf die Regelstrecke (den Prozess) einwirken, dass der Istwert der Regelgröße sich dem Sollwert der Führungsgröße nähert. In Abbildung 9.29 sind das Schema sowie die
der mit einem Sensor ermittelte Istwert i(t) der Regelgröße
Regler der vorgegebene Sollwert w(t) der Führungsgröße
Abb. 9.29 Schema eines Regelkreises
9
9
290
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
verschiedenen Größen eines Regelkreises dargestellt. Die Bestimmung eines aktuellen Stellwertes und seine Einstellung am Stellglied kann von einem Menschen (Handregelung) oder mit einem entsprechenden Gerät durchgeführt werden. Werden die mit einem Sensor ermittelten Istwerte der Regelgröße mit einem Computer erfasst, in dem auch der Regelalgorithmus implementiert und ausgeführt wird, so nennt man diesen Regler auch Abtastregler bzw. digitalen Regler. Bei der Abtastung der Messwerte wird ein Analog-Digital-Wandler (A/D-Wandler) verwendet, der ein analoges Eingangssignal in ein digitales Ausgangssignal umsetzt und dies dem Computer zur Verfügung stellt. Bei dieser Messdatenaufnahme muss darauf geachtet werden, dass die Information des analogen Messsignals nur dann vollständig erhalten bleibt, wenn die Abtastrate größer als das Doppelte der höchsten Frequenzkomponente des analogen Signals ist (Shannon-Abtasttheorem).
schied zum Regelkreis. Das Schema einer Steuerung ist in Abbildung 9.30 dargestellt. Nur wenn alle Einflussgrößen eines Prozesses sowie ihre Wirkung auf die Ausgangsgröße hinreichend bekannt sind, erhält man bei einer Steuerung den gewünschten Verlauf der Ausgangsgröße. Eine spezielle Art der Steuerung ist die Ablaufsteuerung. Hierbei liegen Weiterschaltbedingungen vor, die einen schrittweisen Ablauf der Steuerbefehle bewirken. Bei der zeitgeführten Ablaufsteuerung hängen die Weiterschaltbedingungen nur von der Zeit ab. Ein B eispiel hierfür ist die Steuerung von Fließinjektionsanalysesystemen, bei denen Ventile bzw. Pumpen nach einem fest vorgegebenen Zeitplan geschaltet werden. Sind die Weiterschaltbedingungen jedoch von Signalen des zu steuernden Prozesses abhängig, z. B. von einem Signal eines Schwimmerschalters, so wird diese Steuerungsart als prozessabhängige Ablaufsteuerung bezeichnet. Mithilfe einer Ablaufsteuerung wird in der Bioprozesstechnik z. B. das Mischen von Mediumbestandteilen, das Befüllen eines Fermenters sowie das Sterilisieren automatisiert.
9.4.2 Steuerung In der englischen Literatur wird zwischen den Worten Regelung und Steuerung nicht unterschieden. Beides wird mit controll übersetzt. Im Gegensatz zur Regelung, bei der ein geschlossener Wirkungsablauf charakteristisch ist, findet bei der Steuerung kein Vergleich der Ausgangsgröße mit der Eingangsgröße statt. Somit liegt ein offener Wirkungsablauf vor, bei dem keine Rückkopplung vorhanden ist; deshalb spricht man hier auch von einer Steuerkette im Unter-
9.4.3 Zweipunktregler Der einfachste Typ eines Reglers stellt der Zweipunktregler dar. Er wird z. B. bei Bioprozessen zum Regeln des pH-Wertes oder der Temperatur eingesetzt. Wird beispielsweise bei einer Kultivierung eine vorgegebene Temperatur (Grenzwert) überschritten, so hat dies zur Folge, dass Kühlwasser durch den Mantel des Reaktors geführt wird. Ist die Temperatur niedriger als der Grenz-
Stellglied
Steuerstrecke (Prozess)
Ausgangsgröße
der auszugebende Stellwert u(t) der Stellgröße Abb. 9.30 Schema einer Steuerung; im Gegensatz zur Regelung ist kein geschlossener Wirkungsablauf vorhanden
Steuerungseinrichtung
Eingangsgröße
291
9.4 Automatisierung
e( t ) b 0 e( t ) > 0
e(t) wird die Regeldifferenz oder -abweichung genannt und ist die Differenz von Sollwert w(t) und Istwert i(t). umin und umaxx sind die beiden möglichen Stellwerte dieses Reglers, d. h. die beiden möglichen Werte von u(t). Im obigen Beispiel wäre die Pumprate des Kühlwassers null, wenn e(t) ≤ 0 ist, hingegen hätte die Pumprate einen konstanten Wert größer null für den Fall, dass e(t) > 0 ist. Dieser Reglertyp ist zwar einfach zu implementieren, wird jedoch in der Industrie selten verwendet, da er aufgrund seiner unstetigen Arbeitsweise leicht zu Oszillationen der Regelgröße führen kann. Die wohl größte Verbreitung in der Industrie finden die PID-Regler.
9.4.4 PID-Regler Der PID-Regler (proportional ( integral derivative) wurde ursprünglich für die analoge Technik entwickelt und basiert auf folgender Gleichung: u( t )
¨ K ©e( t) ª
1 TI
t
)dTτ ° e( τ )d 0
TD
de(t ) · ¸ dt ¹
u(t) ist der Stellwert, e(t) die Regeldifferenz. Die Regelparameter dieser Gleichung werden wie folgt bezeichnet: K = Verstärkungsfaktor TI = Nachstellzeit TD = Vorhaltezeit Der Stellwert u(t) ist dabei proportional zu der Regeldifferenz selbst sowie zu dem Integral und der Ableitung der Regeldifferenz. Durch die Wahl der Regelparameter wird der Charakter der Regelung festgelegt, d. h. ob er proportionales, integrales und/oder differenzielles Verhalten zeigt. Ist z. B. TD = 0, so besitzt der Regler nur noch einen proportionalen und einen integralen Anteil und wird PI-Regler genannt. Ein PI-Regler wird insbesondere dann verwendet, wenn der Istwert der Regelgröße stark schwankt. Da sich die Steigung
Regeldifferenz e(t)
« u min , u( t ) = ¬ u max ,
der Istwerte in einem solchen Fall entsprechend stark verändern, würde ein D-Anteil eine starke Änderung der Stellwerte bewirken, was zu einer instabilen Regelung führt. Das Verhalten eines Reglers kann durch seine Sprungantwort charakterisiert werden. Hierbei wird das Verhalten der Stellgröße bei einer sprungartigen Änderung der Regeldifferenz untersucht. Diese Änderung kann z. B. durch Verstellen des Sollwertes hervorgerufen werden. In Abbildung 9.31 ist die Sprungantwort eines PReglers (d. h. TI = ∞, TD = 0) für unterschiedliche Regeldifferenzen (e1 < e2 < e3) dargestellt. Wie in Abbildung 9.31 zu erkennen ist, besteht beim P-Regler zwischen einem Wert der Regeldifferenz und dem entsprechenden Stellwert ein proportionaler Zusammenhang. Jedem Wert der Regeldifferenz kann somit ein bestimmter Stellwert zugeordnet werden, der sich nicht ändert. Dies ist bei einem PI- oder einem I-Regler nicht möglich. Diese Regler zeigen eine Stellgrößenänderung bei einem festen von null abweichenden Wert der Regeldifferenz, d. h. diese Regler bewirken solange eine Änderung des Stellwertes, bis der Istwert mit dem Sollwert übereinstimmt. Dieser Zusammen-
e3 e2 e1 e0 t0
Zeit
u3
Stellgröße u(t)
wert, so wird der Reaktor nicht gekühlt. Somit zeigt der Zweipunktregler ein unstetes Verhalten. Formelmäßig lässt sich dieser Regler wie folgt beschreiben:
u2 u1 u0 t0
Zeit
Abb. 9.31 Sprungantwort von P-Reglern bei unterschiedlichen Regeldifferenzen (e1 < e2 < e3)
9
Regeldifferenz e(t)
292
9 Bioprozessanalytik und -steuerung
e3 e2 e1 e0
¨ K ©e( k ) ª
Zeit
u3 u2
u3
u1
u2
)· ¸ ¹
Δu = u(k) − u(k − 1)=q0e(k) + qe(k − 1)+q2e(k − 2)
Hierbei wurden die folgenden neuen Parameter eingeführt:
u1 t0
TA k 1 e( k ) e ( k e(i ) TD ¤ TI i 0 TA
Hierbei sind u(k) und e(k) die zum Zeitpunkt t = k TA diskretisierten Werte von u(t) und e(t). B ei der Verarbeitung mit einem Computer ist ein rekursiver Algorithmus einfacher zu implementieren. Um diesen zu erhalten, wird die Differenz aufeinanderfolgender Stellwerte berechnet:
T1
u0
Reglers durch Diskretisierung direkt in eine Differenzengleichung umgewandelt werden. Das Integral wird durch eine Summe (von Rechtecken), der Differenzialquotient durch eine Differenz angenähert. Der Regelalgorithmus lautet dann: u(k )
t0
Stellgröße u(t)
9
Zeit
Abb. 9.32 Sprungantwort des PI-Reglers (durchgezogene Kurven) und des reinen I-Reglers (punktierte Kurven) bei unterschiedlichen Regeldifferenzen (e1 < e2 < e3)
hang ist für die Sprungantwort dieser Regler in Abbildung 9.32 dargestellt; die Nachstellzeit (TI) des I-Reglers ist ebenfalls eingezeichnet. Wie in der Abbildung zu erkennen ist, müsste der reine I-Regler um die Nachstellzeit früher eingreifen als der PI-Regler, wenn er die gleiche Wirkung erzielen soll. Der Einfluss der Nachstellzeit auf einen I-Regler ist aus der Gleichung des PID-Reglers leicht abzuleiten: Je kleiner die Nachstellzeit ist, desto größer wird die Steigung der Stellgröße und damit der I-Anteil eines PI-Reglers.
9.4.5 Digitale PID-Regler Aufgrund der weiten Verbreitung von PID-Reglern wurde sehr viel Know-how über sie gesammelt. Derzeit werden nur noch digitale PIDRegler implementiert. Hierbei kann für kleine Abtastzeiten TA die Gleichung des analogen PID-
q0
q1
q2
¥ T ´ K 1+ D µ § TA ¶ ¥ T T ´ K 1+2 D − Aµ TA TI ¶ §
K
TD TA
B ei der Einstellung eines Reglers auf ein spezielles Regelungsproblem müssen die Regelparameter in geeigneter Weise festgelegt werden. Aufgrund der weiten Verbreitung des analogen PID-Reglers sind hierfür verschiedene heuristische Verfahren entwickelt worden. Wenn die Abtastzeiten der Messgrößen des digitalen PID-Reglers klein sind, ist sein Verhalten dem des analogen PIDReglers sehr ähnlich. Somit können die heuristischen Verfahren zur Parametereinstellung auch für digitale PID-Regler übernommen werden. Mithilfe der oben aufgeführten Umrechnung können dann die entsprechenden Parameter des digitalen Reglers berechnet werden. Die Güte eines Reglers kann nicht generell, sondern muss immer für die jeweiligen individuellen Gegebenheiten eines Prozesses beurteilt werden. In jedem Fall muss aber als Mindestanforderung die Stabilität eines jeden Regelkreises gesichert sein. Für die Stabilität gibt es unterschiedliche Kriterien. Das BIBO-Stabilitätskriterium (BIBO: Bounded Inputt – Bounded Output) besagt, dass dann ein sta-
293
Literatur
Dabei können häufig nicht mehrere Kriterien gleichzeitig erfüllt werden, sodass meist ein Kompromiss notwendig ist. Will man z. B. einen Regler, der dafür sorgt, dass ein Sollwert nach seiner Änderung möglichst schnell erreicht wird, so muss wahrscheinlich ein Überschwingen in Kauf genommen werden. Um die Güte eines Reglers auf eine Stellgrößenänderung beurteilen zu können, sind folgende charakteristische Kenngrößen im Antwortsignal definiert worden: • Die Verzugszeit wird festgelegt durch den Schnittpunkt der ersten Wendetangente des Antwortsignals mit der Parallelen zur Abszisse (Zeitachse), die durch den Anfangswert der Regelgröße bestimmt ist. • Die Anstiegszeit ergibt sich aus der Differenz zweier Schnittpunkte der Wendetangente mit zwei Parallelen zur Abszisse, die durch den Anfangswert und Endwert der Regelgröße bestimmt sind. • Die Anregelzeit ist definiert als der Zeitpunkt, bei dem der Istwert der Regelgröße das erste Mal mit dem Sollwert identisch ist. • Die Ausregelzeit ist festgelegt durch ein dauerhaftes Erreichen eines Intervalls um den Sollwert. • Die maximale Überschwingweite gibt den maximalen Wert der Regelabweichung an, der nach erstmaligem Erreichen des Sollwertes auftritt.
maximale Überschwingweite
Antwort
biler Prozess vorliegt, wenn jedes beschränkte Eingangssignal eines Prozesses zu einem beschränkten Antwortsignal der Ausgangsgröße führt. Neben der allgemeinen Forderung, dass ein Regelkreis stabil sein soll, gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Gütekriterien. Beispiele hierfür sind: Der Regler soll so ausgelegt werden, • dass ein sich zeitlich ändernder Sollwert der Führungsgröße möglichst schnell vom Istwert der Regelgröße erreicht wird. • dass Störgrößen einen möglichst geringen Einfluss auf die Regelgröße ausüben. • dass die maximale Regeldifferenz so klein wie möglich wird. • dass die bleibende Regeldifferenz minimal wird. • dass ein möglichst geringes Überschwingen auftritt. • dass das Integral der absoluten Regeldifferenz oder seines Quadrates minimal wird.
Sollwert
Anregelzeit
Ausregelzeit
Zeit
Abb. 9.33 Charakteristische Kenngrößen zur Beurteilung von Reglern aufgrund ihres Antwortverhaltens
In Abbildung 9.33 sind einige dieser Kenngrößen in das Antwortsignal eines geschlossenen Regelkreises eingezeichnet, das nach einer Sollwertänderung registriert wurde. Je nach Anforderungen des jeweiligen Prozesses, kann es notwendig sein, f ür eine dieser charakteristischen Kenngrößen ein Minimum zu gewährleisten oder aber für mehrere Kenngrößen gleichzeitig einen akzeptablen Kompromiss zu finden. Je nachdem, ob ein gutes Führungsverhalten oder ein gutes Störverhalten des Reglers bei einem Prozess gefordert ist, sind unterschiedliche Werte der Regelparameter einzustellen. So ist es für ein gutes Führungsverhalten notwendig, dass der Regler nach einer Änderung des Sollwertes den Stellwert so anpasst, dass der Wert der Regelgröße dem des Sollwertes möglichst schnell entspricht.
Literatur Glindkamp, A., Riechers, D., Rehb ock, C., Hitzmann, B., Scheper, T., Reardon, K. F. (2009): Sensors in disposable bioreactors status and trends. Adv. Biochem. Engin./Biotechnol. 115: 145‒169 Haake, C., Landgrebe, D., Scheper, T., Rhiel, M. (2009): Online-Infrarotspektroskopie in der Bioprozessanalytik. Chemie Ingenieur Technik 81(9): 1385‒1396 Junker, B. H., Wang, H. Y. (2006): Bioprocess monitoring and computer control: Key roots of the current PAT initiative. Biotechnol. Bioeng., DOI: 10.1002/bit 21087 Klockow, C., Hüll, D., Hitzmann, B. (2008): Model based substrate set point control of yeast cultivation processes based on FIA measurements. Analytica Chimica Acta 623: 30‒37
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10
Aufarbeitung (Downstream Processing)*
Biokatalysatoren – gleichgültig, ob in Form von Enzymen, Prokaryoten oder Eukaryoten – haben sich als wesentlich spezifischer und damit wirkungsvoller als irgendein anorganischer Katalysator erwiesen. Wegen ihres begrenzten Temperatureinsatzbereiches – für die meisten von ihnen wirken Temperaturen über 50 °C bereits deaktivierend – und weil sie in der Regel nur in verdünnten wässrigen Systemen agieren, büßen sie aber einen großen Teil dieses Vorteils wieder ein. Hohe Kosten (für Enzyme) bzw. geringe Wachstumsgeschwindigkeiten (bei Prokaryoten und insbesondere Eukaryoten) tun ein Übriges. Ein wesentlicher Nachteil biotechnischer Prozesse ist schließlich, dass das Produkt in verdünnter wässriger Lösung anfällt und dass es häufig bereits in relativ geringer Konzentration inhibierend wirkt. Soll unter diesen Umständen der biotechnische Prozess mit dem chemischen konkurrenzfähig sein, so müssen diese Randbedingungen berücksichtigt werden. In der Regel wird daher wenn möglich eine repeated fed-batch oder kontinuierliche Verfahrensweise angestrebt, und die Betrachtung darf sich keinesfalls auf den Bioprozess beschränken. Vielmehr muss die Optimierung sich über den Gesamtprozess erstrecken, dazu gehören unter anderem die Medienvorbereitung, die Sterilfiltration, das Abwasser- und Abfallproblem und insbesondere die Produktaufarbeitung (siehe schematische Darstellung in Abb. 10.1). Im Englischen haben sich hierfür die Termini upstream und downstream processingg eingebürgert. Die Produktaufarbeitung mit den Schritten • Zellabtrennung, • Zellaufschluss (wenn Produkt intrazellulär vorliegt), • Produktgewinnung und Produktkonzentrierung, * Autor: Horst Chmiel
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
• Produktreinigung und • Konfektionierung hat in der Regel einen Anteil, der mehr als die Hälfte der Gesamtproduktkosten beträgt. Das trifft besonders für Proteinwirkstoffe zu. Ziel muss also die Reduktion der Kosten für die Produktaufarbeitung sein. Das Auslaufen von Patenten biotechnisch gewonnener Pharmaprodukte lässt eine Flut von G enerika erwarten. Der Druck, schnell auf den
Abb. 10.1 Verfahrensschema eines Bioprozesses. W T = Wärmetauscher, MF = Mikrofiltration, UF = Ultrafiltratio n
10
296
Markt zu kommen (time-to-market pressure), zwingt zur parallelen Entwicklung von Produktions- und Aufarbeitungsprozessen. Dabei muss eine riesige Zahl von Parametern optimiert werden. Hilfe erwartet man sich bei der Optimierung der Produktaufarbeitungsprozesse von der modellbasierten Hybridprozessentwicklung unter Nutzung von Hochdurchsatzexperimenten (Beckley et al. 2009), wie sie bereits in Abschnitt 7.4 für die Bioprozessentwicklung vorgestellt wurden. Die Wahl der geeigneten Aufarbeitungsverfahren richtet sich nach der Art und Weise, in der das Produkt anfällt. Handelt es sich um einen enzymatischen Prozess oder um ein extrazelluläres Produkt, so sollte der Biokatalysator im Reaktor verbleiben, d. h. das entstehende Produkt kontinuierlich möglichst selektiv entfernt werden. Liegt das Produkt dagegen intrazellulär vor, erfolgt zunächst die Zellernte. Das intrazelluläre Produkt (in der Regel ein Protein) muss durch Zellaufschluss freigelegt und die Zelltrümmer müssen abgetrennt werden, bevor die Aufarbeitung analog der der extrazellulären Produkte erfolgen kann (Abb. 10.2).
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
10.1 Zellernte Grundsätzlich kann die Abtrennung der Zellen aus der Fermentationsbrühe auf verschiedene Weise erfolgen, nämlich durch • Sedimentation, • Zentrifugation, • Filtration. Die beiden erstgenannten haben als Trennprinzip den Dichteunterschied zwischen fester und flüssiger Phase, wobei man die Sedimentation als Sonderfall der Zentrifugation ansehen kann. Sie sollen daher gemeinsam behandelt werden.
10.1.1 Sedimentation/ Zentrifugation Zur Beschreibung von Sedimentationsvorgängen wird das Stokes’sche Gesetz herangezogen. Danach errechnet sich die Sinkgeschwindigkeit vs von kugeligen Partikeln im Bereich niedriger Reynoldszahlen (< 0,25) zu vs =
d 2p ⋅ Δρ ⋅ g 18 η
(10.1)
und unter Einfluss einer Zentrifugalbeschleunigung rω2 ist vz =
d 2p ⋅ Δρ 18 η
⋅ rω2
(10.2)
= Partikeldurchmesser; = Dichtedifferenz; = Erdbeschleunigung; = dynamische Viskosität der Trägerflüssigkeit; = Abstand des beschleunigten Teilchens von der Drehachse; ω = Winkelgeschwindigkeit der Zentrif ugentrommel. dp Δρ g η r
Abb. 10.2 Schema für die Bioproduktaufarbeitung
Man erkennt daraus die Bedeutung der b eiden Parameter Dichtedifferenz zwischen Trägerflüssigkeit und abzuscheidender Partikel sowie Partikeldurchmesser. Je kleiner die Dichtedifferenz bzw. der Partikeldurchmesser, umso geringer wird die Sedimentationsgeschwindigkeit und umso schwieriger wird die Abscheidung.
297
10.1 Zellernte
Insbesondere für die Abscheidung von Mikroorganismen im Bereich biotechnologischer Aufarbeitungsverfahren scheidet die Sedimentation im Erdschwerefeld in der Regel aus. Statt Sedimentationsgeschwindigkeiten in der Größenordnung von 1–10 mm in 24 Stunden nutzt man das Zentrifugalfeld zur Beschleunigung des Absetzvorgangs um das 103- bis 104-fache analog dem Verhältnis Z=
r ω2 g
(10.3)
für eine effektive Zellabscheidung. Brunner (1979) hat den Absetzvorgang von Partikeln im Spalt von Tellerseparatoren untersucht. Unter einer Reihe von vereinfachenden Annahmen zur Hydrodynamik im Spalt, der Form der Partikel und eines schlupffreien Transports in der Strömung sowie der Überlegung, dass Partikel dann sicher abgeschieden sind, wenn ihre Aufenthaltszeit im Tellerspalt größer/gleich ihrer Sedimentationszeit (h = Tellerabstand) ist, lässt sich für einen bestimmten P. artikeldurchmesser dp der maximale Durchsatz Q bei vollständiger Abscheidung folgendermaßen berechnen. Ist das Gesamtvolumen aller Tellerspalte VT = AT · h · NT mit der Mantelfläche AT =
Hierin ist AT ∙ Z die sogenannte äquivalente Klärfläche, die alle apparatespezifischen Parameter enthält; im Gegensatz zu der Sedimentationsgeschwindigkeit vs, die alle produktbezogenen Parameter einschließt. Aus Gleichung (10.5) lässt sich errechnen, dass z. B. im Vergleich zu einer E. coli-Suspension (dp, min = 0,8 μm) eine Hefesuspension (dp, min = 2,4 μm) in der gleichen Zentrifuge mit neunfachem Durchfluss gefahren werden kann (Brunner 1979). Die äquivalente Klärfläche dient zur Maßstabsübertragung bei der Zentrifugenauslegung bei konstanten Produkteigenschaften. In Abbildung 10.3 sind einige Grundformen von Zentrifugentrommeln dargestellt. Dabei besitzt die Röhrentrommel (Abb. 10.3a) die geringste Klärfläche, während die Tellertrommel (Abb. 10.3c) durch die Vielzahl der im Abstand von 0,3–2 mm angeordneten Teller nicht nur große Klärflächen ermöglicht, sondern durch die konische Gestaltung die Voraussetzung für den kontinuierlichen Feststoffaustrag schafft.
2P ( ) 3ra tan 1
wobei ra = äußerer Tellerradius, ri = innerer Tellerradius, Θ = halber Öffnungswinkel des Tellerkonus, NT = Zahl der Tellerspalte, dann ergibt sich für die Verweilzeit V τ= T Q
b a
und bei einer Betrachtung des Einzelspaltes für die Sedimentation h t= (10.4) vz Gleichsetzen von t und τ und Übertragung auf das Tellerpaket mit Nt Tellern liefert die Beziehung:
(
)
NT 2P Q= 3 ra tan 1 AT
ra W 2 g
d p2 $R g
Z
vs
18H
d
c
(10.5) Abb. 10.3 Separatoren: (a) Röhrentrommel; (b) Kammertrommel; (c) Tellerseparator; (d) Dekanter
10
10
298
Der Tellerseparator ist heute in der Biotechnologie die für die Zellernte am häufigsten verwendete Zentrifuge, mit wirksamen Klärflächen bis zu 300 000 m2 und einem Durchfluss für E. coli bis zu 8 m3/h (Brunner 1988). Der Dekanter, eine horizontal gelagerte Schneckenzentrifuge mit zylindrisch-konischer Vollmanteltrommel (Abb. 10.3d), erreicht den kontinuierlichen Austrag der abzentrifugierten Zellen durch eine Differenzdrehzahl der Förderschnecke gegenüber der der Trommel. Wegen seines vergleichsweise geringen Beschleunigungsverhältnisses Z wird er nur zur Aufkonzentrierung von geflockten Zellsuspensionen eingesetzt (hier wurden die Zellen durch mehrwertige Ionen wie Ba2+ oder durch Polymere wie Polyacrylamid miteinander vernetzt und bilden so Flocken = Flockulation). Beispiele für den Einsatz von Zentrifugen in der Produktaufarbeitung finden sich in den Kapiteln 11 und 13.
10.1.2 Filtration Die Abtrennung von Partikeln aus einer fluiden Phase (Gas und Flüssigkeit) mittels poröser Gebilde bezeichnet man bekanntlich als Filtration. Die vielfältigen Filtrationsverfahren versucht Scheuermann (1989) nach verschiedenen Unterscheidungskriterien zu ordnen, wie z. B. nach • trennender Kraft (Über- und Unterdruck); • Teilchengröße (Fein- oder Grobfiltration); • Abscheidungsmechanismus (Sieb-, Oberflächen- oder Tiefenfiltration); • Verfahren (statische oder dynamische Filtration); • Aufgabe (Vor- oder Sterilfiltration).
In der Tat begegnen einem in der biotechnischen Fachliteratur all diese Begriffe; es sei nur auf die verschiedenen Sterilfilter up- und downstream des Bioprozesses (Abb. 10.1) hingewiesen. Für die Abtrennung von Zellen aus der flüssigen Phase mit dem Ziel der Produktgewinnung (Zellernte) muss eine hohe Zelldichte erreicht werden (weitgehende Entfernung der wässrigen Phase). Hierfür ist die Filtration dann der Zentrifuge überlegen, wenn der Dichteunterschied zwischen
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
abzutrennenden Schwebstoffen und flüssiger Phase gering (Energiekosten) oder der zu behandelnde Flüssigkeitsstrom klein ist (Investitionskosten). Es wird in der Regel orthogonal oder quasi orthogonal zum Stützmaterial, d. h. dead-endfiltriert. Gemäß Abbildung 10.4 unterscheidet man die folgenden Abscheidungsmechanismen: Bei der Siebfiltration (Abb. 10.4a) übernimmt ein Sieb, Vlies oder Gewebe, mit Poren kleiner oder gleich dem Durchmesser der Partikel, die Aufgabe der Rückhaltung. Sie kommt hauptsächlich für die Abscheidung geringer Partikelmengen und insbesondere faseriger Stoffe, also beispielsweise zur Vorfiltration, zum Einsatz. Adsorption gelöster Stoffe am Filtermaterial ist nicht erwünscht. Bei der Oberflächenfiltration (Abb. 10.4b) hat das Stützmaterial (Gewebe, Filz etc.) vor allem die Aufgabe, das Filterhilfsmittel (z. B. Kieselgur oder Cellulosefasern) so zurückzuhalten, dass dieses, nach einer möglichst kurzen Anfahrphase, die eigentliche Filterfunktion übernehmen kann. Der sogenannte Trüblauf während dieser Anfahrphase wird verworfen oder zum Unfiltrat zurückgeführt. Adsorption gelöster Stoffe am Filterhilfsmittel (z. B. Proteine bei der Bierfiltration) ist erwünscht. Das Verfahren arbeitet in der Regel im batchBetrieb. Da die Konzentration an abzutrennenden Partikeln in der Suspension relativ hoch ist, nimmt bei konstantem Fluss der Filtrationsdruck zu. Wird ein vorgegebener Druck überschritten, wird die Filtration unterbrochen und der Filter zurückgespült. Eine kontinuierliche Arbeitsweise kann durch eine rotierende Filtertrommel erzielt werden, auf der der sich bildende Filterkuchen über ein Schälmesser abgetragen und dadurch auf konstanter Dicke gehalten werden kann. Die Tiefenfiltration (Abb. 10.4c) eignet sich zur Abtrennung kleiner bis mittlerer Partikel (Bakterien, Hefen) und bei geringen Partikelkonzentrationen. Auf dem Stützmaterial werden möglichst kugelförmige Partikel gleichen Durchmessers als Filtermittel angeschwemmt. In den Hohlräumen dieses Anschwemmfilters lagern sich die wesentlich kleineren, abzutrennenden Partikel ab (Abb. 10.4d). Der Tiefenfilter muss dann zurückgespült werden, wenn es zum Durchbruch der Partikel durch den Filter kommt, d. h. wenn im Wesentlichen
10.1 Zellernte
299
Abb. 10.4 Abscheidungsmechanismen bei der dead-endFiltration: (a) Siebfiltration; (b) Oberflächenfiltration; (c) Tiefenfiltration; (d) Vergrößerung (nach Sartor 2006)
alle Hohlräume im Anschwemmfilter belegt sind (Abb. 10.4c). Adsorption von Partikeln und gelösten Stoffen (insbesondere Proteine) ist zwar nicht erwünscht, aber leider bei dieser konventionellen Filtertechnik kaum zu vermeiden. Diese teilweise irreversible Adsorption führt zu einem starken Rückgang der Permeabilität. Sartor et al. (2008) haben Untersuchungen zur elektrokinetischen Wechselwirkung zwischen Filtermittel und Mikroorganismen durchgeführt. Während die konventionellen Filterverfahren in der Regel den mechanischen Sperreffekt mit den erwähnten Adsorptionseffekten nutzen, zeigten sie, dass durch Nutzung der elektrokinetischen Effekte die Adsorption verhindert und ein kontrolliertes Eindringen der Mikroorganismen in das Filterbett erzielt werden kann. Zur Ermittlung des Einflusses der elektrokinetischen Wechselwirkungen auf die Abtrennung von Mikroorganismen in partikulären Schüttbetten wurden die Zetapotenziale von Filtermittel und abzutrennenden Mikroorganismen gemessen. Für Einzelheiten zur Zetapotenzialmessung wird auf Hunter (1981) verwiesen. In Abbildung 10.5 wird das Prinzip kurz erläutert. Bei der Durchströmung von porösen Schichten in einer flüssigen Phase entsteht ein Strömungspotenzial. Ursache ist die Verschiebung der diffusen Schicht. Die Messung erfolgte mit dem Strömungspotenzialmessgerät EKA
Abb. 10.5 Prinzip des Zetapotenzials (nach Kaden 1999)
von Anton Paar, Graz, mit einer Fasermesszelle sowie der Auswertesoftware EKS 100. Das Strömungspotenzial lässt sich unmittelbar in das Zetapotenzial umrechnen. In Filtrationsversuchen wurde das Zetapotenzial für zwei verschiedene Filtermittel (Aluminiumoxid und Feldspat) und einen Mikroorganismus (Saccharomyces carlsbergensis) als Funktion des pH-Wertes ermittelt (Abb. 10.6). Für den Mikroorganismus wurde über den pH-Bereich von 4 bis 10 ein konstantes Zetapotenzial von −5 mV gemessen.
10
10
300
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Mit den gleichen Filtermitteln folgten Filtrationsuntersuchungen bei pH 6. In Abbildung 10.7 sind sowohl der Verlauf der Trübung (als Trübungsverhältnis) als auch die Druckdifferenz über das Bettvolumen dargestellt. Beim Aluminiumoxid (Filtermittel mit positivem Zetapotenzial) wird die Trübung um mehr als 98 % reduziert, allerdings steigt die Druckdifferenz innerhalb weniger Bettvolumina auf fast 2 bar an. Der Feldspat (Filtermittel mit negativem
Zetapotenzial [mV]
60
40 20 0 -20 -40 -60
0
2
4
6
8
10
12
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pH-Wert [ ] Aluminiumoxid
Feldspat
Hefe S. carlsbergensis
Abb. 10.6 Zetapotenziale als Funktion des pH-Wertes für Aluminiumoxid, Feldspat und Hefe S. carlsbergensis (nach Sartor et al. 2008)
a
Abb. 10.7 Trübung (schwarz) und Druckverlust (rot) bei der Filtration verschiedener Filtermittel bei pH 6: (a) Aluminiumoxid; (b) Feldspat (nach Sartor et al. 2008)
b
Zetapotenzial) zeigt eine nur unwesentlich geringere Reinigungsleistung, jedoch bei einer Druckdifferenz von lediglich Δp = 0,2 bar. Erst nach einer Filtrationsdauer von 25 Bettvolumen tritt bei diesem Filtermittel eine deutliche Trübung des Filtrats auf (Rückhalt < 94 %). Als Ergebnis dieser Untersuchungen kann festgehalten werden, dass durch die Wahl eines gleichnamigen Filtermittels, wie das der zu entfernenden Partikel, eine optimale Tiefenfiltration erzielt werden kann. Es entsteht keine Deckschicht an der Oberfläche des Schüttbetts, sondern die abzutrennenden Partikel lagern sich gleichmäßig in den Hohlräumen des Filtermittels ab. Ergebnis ist eine Tiefenfiltration bei niedrigen Differenzdrücken. Ein weiterer Vorteil ist die sehr gute Rückspülbarkeit dieses Filters (Sartor et al. 2008). Daraus leitet sich für die Praxis ab, dass als Filterhilfsmittel Partikel mit einer – unter Betriebsbedingungen – negativen elektrischen Ladung gewählt werden sollten (Mavrov et al. 2003). B ei der Filtration lagern sich dann die ebenfalls negativ geladenen Zellen locker in den Hohlräumen zwischen den Partikeln ein (Abb. 10.4d), sodass ein kurzer Rückspülimpuls genügt, um sie in hoher Konzentration wieder f reizusetzen. Dies bedeutet zwar eine gewisse Konzentrations-
10.1 Zellernte
verdünnung, kann aber – durch geeignete Wahl des Rückspülmediums – als Schritt zur Zellwäsche genutzt werden. Ebenfalls elektrische Kräfte zur Unterstützung der Filtration nutzt die sogenannte Elektrofiltration (Abb. 10.8, Hofmann und Posten 2003). Durch Anlegen einer elektrischen Gleichspannung baut sich ein elektrisches Feld in der Filterkammer auf. Dadurch wandern die negativ geladenen Zellen von der Filtrationsmembran weg und erlauben damit den Durchtritt der
Abb. 10.8 Elektrofilter (Hofmann und Posten 2003). FW = hydraulische Widerstandskraft, FE = elektrostatische Zugkraft
301
wässrigen Phase durch die Membran. Besonders geeignet ist das Verfahren für schwierig filtrierbare Biopolymere, wie Proteine und Polysacharide. Durch die separate Spülkammer kommt das Produkt nicht mit den Elektroden in direkten Kontakt, was Schädigungen vermeidet (Gözke und Posten 2010). B ei allen bisher genannten Filtrationsverfahren – übrigens auch bei den Zentrifugationsverfahren – ist die Biomassekonzentration im Retentat für die nachfolgende Zelllyse oft noch zu niedrig, sodass sich eine weitere Aufkonzentrierung in einer sogenannten Rahmenfilterpresse (Abb. 10.9) empfiehlt. In die Hohlräume, die ein Filtertuch bildet, das über Platten und Rahmen gespannt ist, wird die Biosuspension unter hohem Druck eingepresst. Am Ende des Filtrationsvorgangs können die Platten auseinandergefahren und die – ggf. mehrfach gewaschene und entwässerte – Biomasse entnommen werden. Nicht zum Thema „Aufkonzentrierung der Biomasse“, wohl aber zur Filtration gehörend, soll abschließend noch die Sterilfiltration erwähnt werden. Hierfür wird nochmals Abbildung 10.1 zitiert: Neben den diversen Zu- und Abluftfiltern am Bioreaktor, dem Nährlösungstank und dem Impfkulturbehälter gibt es eine große Zahl von Sterilfiltrationsschritten in der wässrigen Phase, z. B. bei der Produktgewinnung, Produktreinigung und Konfektionierung (Kalyanpur 2002). Insbesondere b ei der Bioproduktion parenteraler Pharmaka reichen die Bedingungen der Good Manufacturing Practice (GMP 1989) nicht aus.
Abb. 10.9 Schematische Darstellung einer Rahmenfilterpresse
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302
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Wegen ihrer thermischen Labilität können diese Produkte nicht hitzesterilisiert werden. Gemäß den Vorschriften der U.S. Food and Drug Administration (1987) ist jedoch eine Sterilisation mittels 0,2-μm-Filter, wie er in Abbildung 10.10a schematisch dargestellt ist, zulässig. Abbildung 10.10b zeigt einige Ausführungen derartiger Sterilfilter.
10.2 Zellaufschluss a
b Abb. 10.10 Filterkerzen: (a) schematisch; (b) einige Beispiele, auch für industrielle Anwendungen (mit freundlicher Genehmigung der Fa. Pall GmbH)
Die Zerstörung der Zellwand – der Zellaufschluss – ist ein wichtiger Verf ahrenssch ritt b ei der Gewinnung intrazellul ärer Produkte. Bei der Wahl geeigneter Verfahren ist – neb en dem allgemeinen Aspekt der Wirtschaftlichkeit – zu berücksichtigen, dass es sich um biologisch aktive Moleküle handelt. Der Aktivitätsverlust sollte so gering wie möglich gehalten werden. Tabelle 10.1 gibt einen Überblick über Verfahren, die für den Zellaufschluss Verwendung finden. Bei den mechanischen Verfahren haben sich Ultraschall und Gefrierdispersion vor allem im L abormaßstab bewährt. Für den Aufschluss von Hefen im Produktionsmaßstab werden aber nach wie vor fast ausschließlich Rührwerkskugelmühlen und Hochdruckhomogenisatoren verwendet. In dem Maße, in dem Bakterien (z. B. Escherichia coli) als „Gastzellen“ für die Produktion von z. B. Penicillin-Acylase, Plasmid-DNA oder sogenannten Einschlusskörperchen (inclusion bodies; das sind Proteinansammlungen in hoher Konzentration) genutzt werden, wächst aber die B edeutung von physiko-chemischen und enzymatischen Lyseverfahren. Einzelheiten hierzu sind unter Abschnitt 10.2.3 nachzulesen.
Tabelle 10.1 Verfahren zum Zellaufschluss Mechanische Verfahren
Physiko-chemische Verfahren
Biologische Verfahren
Ultraschall Nassmahlen in Kugelmühlen Hochdruckhomogenisation
Osmotischer Druck Gefrieren und Auftauen Gefriertrocknung Lösungsmittel, Säuren, Basen Detergenzien
Einwirkung von • Viren • Phagen • Antibiotika • lytischen Enzymen
10.2 Zellaufschluss
10.2.1 Rührwerkskugelmühlen Kugelmühlen sind in der Verfahrenstechnik zur Zerkleinerung von Feststoffen seit vielen Jahrzehnten bekannt. Im Inneren eines horizontal gelagerten, rotierenden Hohlzylinders werden die Mahlkörper (Kugeln) durch Reibungs- und Trägheitseffekte auf eine gewisse Höhe mitgenommen und prallen dann auf das zu zerkleinernde Gut. Die Drehzahl und damit die Fallhöhe kann aber verständlicherweise nicht beliebig erhöht werden, da dann die Zentrifugalkraft die Mahlwirkung aufhebt. Bereits im Jahre 1928 schlug daher Szegvari vor, die Mahlkörper – statt durch Rotation des Hohlzylinders – durch ein Rührwerk zu bewegen. 1948 setzte du Pont diesen Gedanken mit der sogenannten sand mill, einer vertikal angeordneten Rührwerksmühle, um. Das Mahlgut wurde unten zugeführt und oben aus der offenen Mühle über ein Sieb ausgetragen. Über den Einsatz von Rührwerkskugelmühlen zum Aufschluss von Mikroorganismen berichteten erstmals Rehacek et al. (1969). Heute werden schnell laufende Rührwerke geschlossener Bauart – sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Anordnung – in den unterschiedlichsten Industriebereichen zur Nasszerkleinerung eingesetzt. Dabei wird eine Fülle verschiedenartiger Rührwerke angeboten. So können die Antriebswellen mit Stiften oder Scheiben bestückt sein. Letztere können zentrisch oder exzentrisch angeordnet
303
und mit Bohrungen oder Schlitzen versehen sein (Abb. 10.11). Durch die radiale Beschleunigung der Mahlkörper und deren Relativbewegung gegeneinander und gegenüber dem fest stehenden Zylinder wirken auf das Mahlgut – in diesem Fall die Zellen – sowohl Scher- als auch Normalkräfte. Dies ist der Grund, warum die spezifische Leistung, das ist die auf das Mahlraumvolumen bezogene installierte Leistung, bei Rührwerkskugelmühlen um den Faktor 100 größer ist als bei konventionellen Kugelmühlen. Als Mahlkörper werden für den Zellaufschluss meist bleifreie Hartglasperlen (zur Vermeidung von Aktivitätsverlusten beim Produkt) mit einem Durchmesser von etwa 0,1–1 mm eingesetzt. Für hochviskose Medien werden zwar auch Kugeln höherer Dichte, z. B. aus Zirkonoxid oder Stahl, eingesetzt, doch wiegt ein eventuell besseres Mahlergebnis nur in seltenen Fällen den wesentlich höheren Preis und die schlechtere Verfügbarkeit auf. Dies macht deutlich, welche konstruktiven Anforderungen an die Mahlgut-Mahlkörper-Separation gestellt werden, die in Form von Siebpatrone, rotierendem Spaltsieb oder im Lagergehäuse integriertem Ringspalt realisiert wird. Im Folgenden sollen einige Parameter bezüglich ihres Einflusses auf den Zellaufschluss untersucht werden. Die Drehzahl des Rührwerks ist zwar keine unmittelbare Kenngröße, bestimmt aber – bei bekannter Geometrie – die mittlere Umfangsgeschwindigkeit. Mit steigender Umfangsgeschwindigkeit nehmen Kollisionshäufigkeit der
Abb. 10.11 Rührwerke
10
10
304
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Mahlkörper und Schergeschwindigkeit zu. In gleichem Maße erhöhen sich aber die Temperatur im Mahlgut, die notwendige Antriebsleistung sowie der Verschleiß der Mahlkörper. Eine Optimierung im Hinblick auf die Effektivität der Produktfreisetzung ist daher empfehlenswert. Beispielsweise zeigen die Ergebnisse von Zellaufschlussuntersuchungen von Schütte et al. (1983) ein optimales Aufschlussergebnis für Bäckerhefe bei einer Drehzahl von 1 500 min−1 und für Bakterien bei 1 900 min−1 für die gleiche Rührwerkskugelmühle. Höhere Drehzahlen werden im Wesentlichen in Erwärmung des Mahlgutes umgesetzt. Der optimale Mahlkörperfüllungsgrad, das Verhältnis von tatsächlichem zu maximal möglichem Mahlkörperschüttvolumen des Mahlraumes, ist vom Kugeldurchmesser abhängig, liegt aber bei 80 % für 0,5 mm bzw. 85 % bei 1 mm Kugeldurchmesser. Bei einem Füllungsgrad unter dem Optimum nimmt die Aufschlusseffektivität deutlich ab, über dem Optimum steigen Erwärmung und Verschleiß der Glaskugeln. Der Einfluss der Suspensionskonzentration auf die Effektivität wird in der Literatur allgemein als gering angegeben (Mogren et al. 1974; Schütte et al. 1983). Die Mahlguttemperatur sollte so niedrig wie möglich gehalten werden. Einerseits wird während des Zerkleinerungsvorgangs erhebliche Energie in Wärme umgesetzt, andererseits beginnt die Denaturierung der aus der Zelle freigesetzten Proteine oft schon sehr früh. Die Beobachtungen von Curie et al. (1972), dass die Aufschlussgeschwindigkeitskonstante K K = lg
Rm / (
) t
(10.6)
Rm = maximal freisetzbarer Proteingehalt R = Proteingehalt zur Zeit t von Bäckerhefe bei 5 °C um 20 % höher ist als bei 40 °C, legen daher nahe, das Mahlgut auf 5 °C herunterzukühlen, bevor man es der Rührwerkskugelmühle zuführt. Dies vermindert auch das Kühlproblem innerhalb der Mühle. Es ist zu erwarten, dass der größte Einfluss auf das Mahlergebnis von der Rührwerksgeometrie ausgeht. Vergleichende Untersuchungen verschiedener Rührwerke findet man in der Li-
teratur nur wenige (Limon-Lason et al. 1983; Mölls et al. 1971; Kula et al. 1990). Von Stehr und Schwedes (1983) durchgeführte verfahrenstechnische Untersuchungen an Rührwerkskugelmühlen haben ergeben, dass • man es in der Regel mit einem voll turbulenten Strömungszustand zu tun hat; • die mittlere Verweilzeit des Mahlgutes näherungsweise mit der sogenannten idealen Füllzeit tf =
VM Mahlraum − VM Mahlkörper Q
(10.7)
Mahlgut
.
gleichgesetzt werden kann (Q Mahlgut = Volumenstrom des Mahlgutes durch die Mühle) und • die Verweilzeitverteilung so eng wie möglich gehalten werden müsste, um ein gutes Mahlergebnis zu erzielen. Das heißt die Rückvermischung, die eine erhöhte Aufenthaltsdauer eines Teils des Mahlgutes mit entsprechender Erwärmung und der damit verbundenen Gefahr der Produktinaktivierung bedeutet, sollte möglichst vermieden werden.
10.2.2 Hochdruckhomogenisatoren Das Arbeitsprinzip des Hochdruckhomogenisators besteht im Aufbau eines hohen Flüssigkeitsdruckes von z. B. 500 bar mittels Kolbenpumpen, der durch Öffnen eines Ventils für einige Millisekunden durch geeignete Strömungsführung auf kurzer Strecke abgebaut wird. Beispielsweise wird die Flüssigkeit in Abbildung 10.12 am Ventilkörper um 90° umgelenkt, gegen einen Prallring geschleudert und verlässt anschließend – mit einer mittleren Strömungsgeschwindigkeit von etwa 300 m/s (Brookman 1974) – über einen Ringspalt das Ventil. Dieses ursprünglich zur Homogenisierung von Flüssigkeiten (insbesondere Emulsionen) entwickelte Verfahren wird zunehmend auch zum Zellaufschluss verwandt. Die Beanspruchung der Zelle während der Passage des Ventils ist komplex. Scher-, Normalund Dehnbeanspruchungen lösen sich ab bzw. überlagern sich; örtlich hohe Energiedichten
10.2 Zellaufschluss
305
Abb. 10.13 Freisetzung von Enzymen in einem Kreislaufexperiment in Abhängigkeit vom verwendeten Homogenisierventil (Schütte et al. 1986)
Abb. 10.12 Hochdruckhomogenisierventile
durch Turbulenz und eventuell auch Kavitation leisten ein Übriges. So ist es nicht verwunderlich, dass exakte Angaben über die Schädigungsmechanismen nicht bekannt sind und eine Optimierung des Aufschlussergebnisses dem Experiment überlassen bleibt. Zwar ist die Zahl der variierbaren Parameter für vorgegebene Geometrie mit den Größen Homogenisierdruck, Konzentration der Zellsuspension und deren Temperatur kleiner als bei der Rührwerkskugelmühle, aber bereits geringfügige konstruktive Änderungen am Ventil zeigen eine große Wirkung auf das Aufschlussergebnis, wie Abbildung 10.13 beweist. Neben dem Design des Homogenisierventils hat ohne Zweifel der Homogenisierdruck k den größten Einfluss auf die mechanische Zelllyse. Analog der Nassvermahlung entspricht auch der Aufschluss mittels Hochdruckhomogenisator einer Kinetik erster Ordnung und lässt sich durch einen Ansatz der Form Rm (10.8) lg = K ⋅ N ⋅ pa
(
)
beschreiben, mit N = Zahl der Passagen durch das Hochdruckhomogenisierventil, p = Homogenisierdruck; der Exponent a ist abhängig von der Art der aufzuschließenden Mikroorganismen und liegt zwischen 1 und 3 (Hetherington et al.
(1971) bestimmten z. B. für Bäckerhefe einen Exponenten von 2,9). Schütte und Kula (1986) finden für Bäckerhefe bei 550 bar dreimal mehr Enzym im Überstand als bei 300 bar und empfehlen, zu noch höheren Drucken zu gehen, da eine einmalige Passage des Homogenisierventils selbst bei 550 bar nur 45 % der prinzipiell möglichen Enzymmenge freisetzt. Dem steht allerdings die steigende mechanische Beanspruchung und damit verbundene Abnutzung des Ventils gegenüber. Selbst Ventile aus Wolframcarbid zeigen nach kurzer Zeit einen Verschleiß an den Flächen, an denen die Zellsuspension auftrifft. Auch die Erwärmung, die in der Literatur allgemein mit ca. 8,5 °C pro 100 bar angegeb en wird, setzt für temperaturempfindliche Enzyme Grenzen. Deshalb ist auch die Tatsache, dass die Aufschlussgeschwindigkeitskonstante mit steigender Temperatur zunimmt und dadurch nach Hetherington et al. (1971) das Aufschlussergebnis für Bäckerhefe bei 30 °C 40 % besser ist als bei 5 °C, nur eingeschränkt zu nutzen. Dagegen spielt die Konzentration der Zellsuspension nach Brookman (1974) zwischen 10 % und 80 % für das Aufschlussergebnis keine Rolle. Eine Verfahrensvariante des Hochdruckhomogenisators in Form einer Staustrahlströmung wird von Krämer und Bomberg (1990) diskutiert. Die Suspension der aufzuschließenden Mikroorganismen strömt unter hohem Druck ge-
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10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Abb. 10.14 Schematische Darstellung der Hochdruckhomogenisation nach dem Prinzip der Staustrahlströmung, Aufschlussergebnisse als Funktion des Drucks (rechts) (Krämer und Bomberg 1990).
mäß Abbildung 10.14 über zwei Düsen direkt koaxial gegeneinander. Bei einem Abstand der Düsen, der dem zwei- bis vierfachen des Düsendurchmessers entspricht, exakter Zentrierung der gegeneinander strömenden Fluidstrahlen und Relativgeschwindigkeiten von 300 m/s – dies entspricht einer mittleren Strömungsgeschwindigkeit von 150 m/s in jeder Düse – wurden bessere Aufschlussergebnisse erzielt, als sie beispielsweise von Engler und Robinson (1981) für das sogenannte Impingement-Verfahren (Flüssigkeitsstrahl senkrecht auf ebene Platte) beschrieben wurden. Vergleiche mit der üblichen Hochdruckhomogenisation fehlen jedoch. Zusammenfassend lässt sich bemerken, dass – mit Ausnahme solcher Mikroorganismen, die wegen besonders kleinem Zelldurchmesser und stark ausgebildeten Zellwänden, wie z. B. Brevibacterium, Micrococcus und Nocardia, vom Hochdruckhomogenisator weniger gut aufgeschlossen werden – sowohl Rührwerkskugelmühlen als auch Hochdruckhomogenisatoren für den Aufschluss von Zellen im industriellen Maßstab geeignet sind. Dabei kann bei einem Aufschlussgrad von 85 % mit Energiekosten von 0,02 bis 0,1 €/kg Mikroorganismenfeuchtmasse gerechnet werden. Middleberg (2000) gibt einen guten Überblick über Hochdruckhomogenisatoren.
10.2.3 Physiko-chemische und enzymatische Zelllyse Über einen verbesserten mechanischen Aufschluss von Mikroorganismen nach Vorbehandlung mit lytischen Enzymen berichten mehrere
Autoren (Vogels und Kula 1992; Baldwin und Robinson 1994). Auch die Vorbehandlung mit einer Mischung von EDTA und Lysozym erleichtert den mechanischen Aufschluss (Lutzer et al. 1994). Man muss sich aber dessen bewusst sein, dass jede zugesetzte Komponente die anschließende Produktreinigung kompliziert. Andererseits kann ein Bioprodukt, das empfindlich für thermische oder mechanische Beanspruchung ist, durch physiko-chemische oder enzymatische Lyse mit geringerem Aktivitätsverlust f reigesetzt werden. Fonseca und Cabral (2002) haben die Gewinnung von Penicillin-Acylase aus Escherichia coli mittels Hochdruckhomogenisation und osmotischem Schock miteinander verglichen. Die Zelllyse durch osmotischen Schock erfolgt in drei Schritten: • Zentrifugation und Waschen in 0,1 mol/l TrisHCl-Puffer bei pH 8,0 und 0,05 mol/l NaCl für 15 Minuten. • Equilibrierung in hypertoner Lösung (0,25 mol/l Tris-HCl-Puffer, pH 8,0; 0,0125 mol/l EDTA und 20 g/l Sucrose) für 20 Minuten. • Osmotischer Schock; die Zellsuspension wird für 15 Minuten bei 5 °C mit 11 300 g zentrifugiert. Das Zellkonzentrat wird anschließend für 10 Minuten in destilliertem Wasser resuspendiert. Die so gewonnene Penicillin-Acylase hatte eine um ein Vielfaches höhere spezif ische Aktivität, verglichen mit derjenigen mittels Hochdruckhomogenisation. Ähnlich erfolgreich waren Wahlund et al. (2004) bei der Gewinnung von Plasmid-DNA und Chae et al. (2002) bei der Freisetzung sogenannter inclusion bodies (große Proteinaggregate) jeweils aus Escherichia coli mit
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
einer leicht abgewandelten Methode des osmotischen Schocks.
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung Die bisher beschriebenen Schritte der Aufarbeitung beschränkten sich auf solche Produkte, die intrazellulär anfallen (der Sonderfall, bei dem die Zelle selbst das Produkt darstellt, soll nicht verfolgt werden). Nach dem Freisetzen des Produktes und der Abtrennung der Zelltrümmer laufen die weiteren Aufarbeitungsschritte für intra- und extrazelluläre Produkte analog.
10.3.1 Präzipitation/Kristallisation In Abschnitt 10.1.1 wurde die Sedimentation als einfachste Art der Abtrennung von Zellen aus der Fermentationsbrühe beschrieben. Nach dem Stokes’schen Gesetz (Gleichung (10.1)) wächst die Sinkgeschwindigkeit proportional mit dem Dichteunterschied zwischen Partikel und fluider Phase, aber mit dem Quadrat des Partikeldurchmessers. Die Präzipitation nutzt diese Gesetzmäßigkeit. Sie ist im Folgenden so definiert, dass durch geeignete Maßnahmen Makromoleküle (z. B. Proteine) aus der Lösung in Partikel (oder Aggregate, Flocken etc.) überführt werden und dadurch sedimentieren. Nach dieser Definition unterscheidet sich die Präzipitation von der Kristallisation, bei der sich aus einer ionischen Lösung (Salz-)Kristalle bilden. Einige Autoren wie z. B. Harrison et al. (2003) sprechen auch bei Proteinausfällung von „Kristallisation“, wenn es sich um „reine“ Aggregate handelt. Die Grenze ist aber unscharf, weshalb in diesem Kapitel auf eine Unterscheidung verzichtet wird. Für den ersten Schritt der Reinigung von Proteinen im großtechnischen Maßstab bietet sich die Präzipitation an. Sie wird bereits seit vielen
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Jahren zur Proteinfraktionierung von Blutplasma verwendet. Die Präzipitation stellt das älteste Verfahren zur Reinigung und Aufkonzentrierung von Proteinen dar. Auch heute noch wird sie fast regelmäßig zur Vorreinigung, vor chromatographischen Schritten und zur Konzentrierung sowohl im Labor- als auch im industriellen Maßstab eingesetzt. Hochgereinigte Proteine lassen sich, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nur durch mehrstufige Prozesse erreichen, die eine Kombination von Fällungsschritten mit chromatographischen Verfahren darstellen. Die Präzipitation von Proteinen erfolgt durch Zusatz von Salzen, organischen Lösungsmitteln oder wasserlöslichen Polymeren, durch Veränderung des pH-Wertes oder der Temperatur. Dabei wird die Löslichkeit für Proteine vermindert. In der übersättigten Lösung aggregieren Proteine und fungieren als Kristallisationskeime für das Ausfällen weiterer Proteine. Die Präzipitation kann nur in den wenigsten Fällen so spezifisch gestaltet werden, dass selektiv nur ein bestimmtes Protein ausfällt. Vielmehr liegen durch die Zugabe von Fällungsmitteln in der Lösung Bereiche mit hoher Übersättigung vor, in denen unterschiedliche Proteine sehr schnell und unspezifisch aggregieren. Verunreinigungen der Proteinpräparationen mit Nucleinsäuren, also DNA und RNA, können insbesondere bei Rohextrakten aus Bakterien Probleme durch hohe Viskositäten verursachen. Diese Verunreinigungen werden ausgefällt oder durch Zusatz von Nukleasen enzymatisch abgebaut. Zur Präzipitation werden das Antibiotikum Streptomycinsulfat, wasserlösliche Polymere wie Polyethylenimin oder Protaminsulfat (ein Gemisch natürlicher Polypeptide mit terminalen Argininresten, d. h. positiv geladene Polyelektrolyte, die mit der negativ geladenen Nucleinsäure unlösliche Salze bilden), aber auch Mangansalze eingesetzt. Beliebt ist auch das „Aussalzen“ mit Ammoniumsulfat. Das Präzipitat stellt in der Regel keine reine Phase dar, es handelt sich vielmehr um Aggregate verschiedener Proteine, die in „frühen“ Reinigungsstufen häufig noch Nucleinsäuren, Zellwandbruchstücke und andere Partikel einschließen. Nur noch von historischem Interesse
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ist die Tatsache, dass Proteine ursprünglich aufgrund ihrer Löslichkeit charakterisiert wurden. So sind Globuline beispielsweise definiert als „unlöslich in schwach ionischen Lösungen“ (bei niedriger Ionenstärke), Albumine als „löslich in stark verdünnten Lösungen“. Die Verteilung hydrophiler (polarer) und hydrophober (unpolarer) Seitengruppen der Polypeptidstruktur, die Größe und die Nettoladung bestimmen die Löslichkeit der Proteine. Glykoproteine, die kovalent gebundene Kohlenhydrate enthalten, sind in wässrigen Lösungen gut löslich, während bei Lipoproteinen – das sind nicht kovalente Proteinkonjugate mit Lipiden – die Löslichkeit durch die hydrophoben Anteile beeinträchtigt wird. Native Proteine sind besser wasserlöslich als denaturierte, bei denen oft hydrophobe Aminosäurereste aus dem Proteininneren an die Oberfläche und in Kontakt mit dem Wasser kommen. Negative Ladungen werden in die Polypeptidstruktur durch die Carboxylgruppen der sauren Aminosäuren Asparagin- und Glutaminsäure, positive durch die basischen Aminosäuren Lysin, Arginin und Histidin eingeführt, während die unpolaren Aminosäuren Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin, Prolin, Phenylalanin, Tryptophan und Methionin dem Protein hydrophobe Eigenschaften verleihen. Von Bedeutung für die Löslichkeit der Proteine ist die Faltung und Assoziation der Proteinmoleküle in der wässrigen Lösung, also die Sekundär- und Tertiärstruktur. Die Polypeptidkette wasserlöslicher Proteine faltet sich so, dass die Seitenketten hydrophiler Aminosäuren vorwiegend nach außen, hydrophobe nach innen orientiert sind. Die Oberfläche eines typischen globulären Proteins ist mit etwa 45 % hydrophoben Aminosäureresten belegt. Für die Assoziation und Fällung von Proteinen ist zudem die Hydrathülle (fest gebundenes Wasser) von Bedeutung. Die Wechselwirkungen der Proteine untereinander und mit anderen gelösten Stoffen werden also durch viele Faktoren bestimmt. Vereinfacht dargestellt, kann man die Wechselwirkungen zweier voneinander entfernter, gleichsinnig geladener Proteinmoleküle auf elektrostatische (abstoßende) und Van-der-WaalsKräfte (anziehende) reduzieren. In Abbildung 10.15 sind die Energien für niedrige (1) und hohe (2) Salzkonzentrationen qualitativ darge-
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Abb. 10.15 Interaktionsenergien zwischen geladenen Teilchen als Funktion des Abstands für niedrige (1) und hohe (2) Salzkonzentrationen (Bell et al. 1983)
stellt. Man erkennt deutlich, dass bei hoher Ionenstärke die Reichweite der elektrostatischen Abstoßung und dadurch die Aktivierungsenergie der Assoziation vermindert sind. Das bei der Kurve 2 zusätzlich vorhandene Minimum führt zur Bildung lockerer Aggregate. Auch bei der Präzipitation stellt sich wieder die Aufgabe für ein vorgegebenes Protein aus den im Folgenden erläuterten Verfahren das beste auszuwählen und hierfür die optimalen Parameter zu finden. Es läuft also zwangsläufig wieder auf Hochdurchsatzexperimente (engl. high throughput experiments oder high throughput screening, g HTS) hinaus, hier im Hinblick auf Proteinlöslichkeit bzw. Präzipitation. Wiendahl et al. (2008) berichten über Messungen der Löslichkeit verschiedener Insulin-Varianten zur Bestimmung der Einflussparameter, wie Konzentration, Puffer, pH, Verhalten am isoelektrischen Punkt und Ionenstärke sowie die Bedeutung des Einsalzeffekts (Abschnitt 10.3.1.2). Die HTS-Experimente wurden mit einem Titrierroboter mit 96-Well-Mikrotiterplatten und acht parallelen Nadeln sowie einem Photometer (Streulichtmessungen und UV-Absorptionsmessungen) durchgeführt. Auf diese Weise konnte
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10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
für eine große Zahl von Proteinen die Löslichkeit bei variierenden Salztypen, Salzkonzentrationen und pH-Werten bestimmt werden. Diese Technik ist im Prinzip auf alle nachfolgend vorgestellten Präzipitationsverfahren anwendbar und wird in Abschnitt 10.3.4 über die Solventextraktion im Detail vorgestellt werden.
Ein weiterer Parameter ist die Ionenstärke (Abb. 10.16b). Sie ist definiert als:
10.3.1.1 Methoden der Proteinfällung
Bei niedriger Ionenstärke beobachtet man häufig, wie auch in Abbildung 10.16b gezeigt, einen sogenannten Einsalzeffekt (salting in), bei hoher Ionenstärke einen Aussalzeffekt (salting out). Als Fällungsmittel für Proteine wird bevorzugt Ammoniumsulfat (NH4)2SO4 eingesetzt, da es billig ist und mit hoher Reinheit als Nebenprodukt organischer Synthesen anfällt. Zudem hat es einen stabilisierenden Einfluss auf die Proteinkonformation. Die Präzipitation mit Ammoniumsulfat kann besonders vorteilhaft mit der in Abschnitt 10.3.6.5 beschriebenen Hydrophobic-InteractionChromatographie kombiniert werden. Bei der Fällung mit Ammoniumsulfat ist zu beachten, dass bei hohen pH-Werten Ammoniak freigesetzt wird und dass es in Lebensmitteln und pharmazeutischen Zubereitungen nicht enthalten sein darf. Zudem ist es korrosiv und schwierig zu entsorgen. Natriumsulfat und Phosphate sind dagegen bei Temperaturen unter 40 °C schlecht löslich. Abbildung 10.16b zeigt aber auch, dass in manchen Fällen Salze (hier NaCl) selbst bei hoher Ionenstärke keinen Aussalzeffekt bewirken. Für die Löslichkeit eines Proteins gilt, wie Abbildung 10.16b zeigt, für höhere Ionenstärken in erster Näherung folgende empirische Beziehung (Cohn 1932):
Die verschiedenen Methoden der Präzipitation können in drei Gruppen unterteilt werden: 1. Änderung der Eigenschaften des Solvents durch Zugabe organischer Lösungsmittel oder Salze. Verminderung der Wasseraktivität durch hohe Konzentrationen. 2. Änderung der Proteineigenschaften etwa durch Neutralisation der effektiven Oberflächenladung der Proteine und damit Verminderung der Löslichkeit durch Zugabe geringer Mengen Säure oder Basen. 3. Affinitätspräzipitation, wobei das Protein zunächst in Lösung einen spezifischen Affinitätskomplex mit einem geeigneten Liganden bildet, der dann durch Quervernetzung (bifunktioneller Ligand, Affinitätspräzipitation erster Ordnung) oder durch Aufgabe eines geeigneten Stimulus (stimuli-responsive materials, Affinitätspräzipitation zweiter Ordnung) zur Präzipitation gebracht wird. Im Gegensatz zu allen anderen Präzipitationsverfahren ist die Affinitätspräzipitation daher hochspezifisch.
10.3.1.2 Aussalzen Dies ist die bis heute am häufigsten benutzte Methode der Enzymreinigung. Man geht davon aus, dass die Wirkung in hohem Maße von der Hydrophobie des Proteinmoleküls abhängt. Beim Aussalzen wird das Kräftegleichgewicht in Richtung der hydrophoben Wechselwirkungen verschoben. Die Löslichkeit eines Proteins wird stark durch die Nettoladung, das ist die Summe der positiven und negativen Ladungen, beeinflusst. In der Regel ist die Löslichkeit am isoelektrischen Punkt (IP) minimal (Abb. 10.16a), das ist der pH-Wert, bei dem das Proteinmolekül eine Nettoladung von null hat.
I=
1 ¦ c i Z i2 2
(10.9)
ci = Konzentration des Ions i; Zi = Ladung des Ions i
log S = β − K I
(10.10)
mit S = Löslichkeit des Proteins; β = Konstante (aber abhängig von Temperatur und pH-Wert, Logarithmus der hypothetischen Löslichkeit bei einer Ionenstärke von 0); K = Aussalzkonstante; I = Ionenstärke. In der Regel präzipitieren Proteine mit hoher Molmasse leichter als solche mit niedriger Molmasse. Bei der Art und Menge der zugesetzten Salze ist darauf zu achten, dass • das Salz anschließend wieder entfernt werden muss; • zu viel Salz nicht nur unerwünschte Nebenprodukte mit präzipitiert, sondern auch zu
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10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Abb. 10.16 Einfluss (a) des pH-Wertes (IP = isoelektrischer Punkt) und (b) der Ionenstärke auf die Löslichkeit von Proteinen
Konformationsänderungen und damit zu einem Aktivitätsverlust des betreffenden Proteins führen kann; • Salze nicht nur die Löslichkeit eines Proteins reduzieren, d. h. eine vollständige Fällung eines Proteins aus einem Proteingemisch (Fraktionierung) ist nicht möglich, was besonders bei verdünnten Lösungen dazu führen kann, dass kein Protein gefällt wird; • Salzpräzipitate über lange Zeit stabil sind, d. h. vor proteolytischer Wirkung und Bakterienwachstum geschützt sind (konservierende Wirkung). Für den großtechnischen Maßstab ist die Salzpräzipitation allerdings nur noch geeignet, wenn das Salz in möglichst reiner Form wiedergewonnen und wiederverwendet werden kann.
10.3.1.3 Präzipitation mittels organischer Lösungsmittel Es gibt eine Reihe von Beispielen für die großtechnische Präzipitation von Proteinen mittels Zugabe wasserlöslicher organischer Lösungsmittel. Hierzu gehören z. B. die Fraktionierung von Blutplasmaproteinen durch Ethanol und einige industriell produzierte Enzyme wie Invertase durch Aceton. Die Anwesenheit eines organischen Lösungsmittels hat eine Verminderung der Löslichkeit zur Folge. Die zur Fällung benötigte Lösungsmittelmenge ist am isoelektrischen Punkt am geringsten. Analog zum Aussalzen gilt auch bei der Präzipitation durch Reduktion der Lösungsmittel-Dielektrizitätskonstante, dass je größer das Proteinmolekül, umso geringer ist die benötigte Menge an Lösungsmittel. Die wich-
tigste Wirkung dürfte in der Erniedrigung der Aktivität des Wassers liegen. Die sogenannte Lösungsmittel-Präzipitation sollte bei niedrigen Arbeitstemperaturen erfolgen (unter 10 °C bis –10 °C), um die Proteindenaturierung möglichst gering zu halten. Aus Gründen des Arbeitsschutzes und wegen Explosionsgefahr müssen geschlossene Anlagen verwendet werden, was die Anlagekosten erhöht. Die Auswahl an geeigneten Lösungsmitteln ist gering. Benutzt werden bevorzugt Ethanol, Polyethylenglykol (PEG), Isopropanol und Aceton, weil sie die Kriterien „unbegrenzte Löslichkeit in Wasser“ und „reagieren nicht mit dem Protein“ erfüllen. Sie sind darüber hinaus gut verfügbar und können – mit Ausnahme von PEG – für eine Wiederverwendung redestilliert werden. Höhere aliphatische Alkohole sind weniger gut geeignet (Siedelage über 100 °C) und wirken stärker denaturierend auf Proteine. Während der Zugabe organischer Lösungsmittel zu wässrigen Lösungen können beträchtliche (Lösungs-)Wärmemengen freigesetzt werden. Batch-Präzipitationen erfordern daher sorgfältiges Rühren und Kühlen, da mit einer Temperaturerhöhung nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Proteindenaturierung zunimmt, sondern – wegen der Temperaturabhängigkeit der Dielektrizitätskonstante auf die Löslichkeit – auch die benötigte Menge an Lösungsmittel. Wenn die Effekte von Lösungsmittelzugabe und Änderung von pH, Temperatur und Ionenstärke gut aufeinander abgestimmt sind, ist eine fraktionierte Präzipitation aus einer Mischung gelöster Proteine möglich. Schließlich haben Alkohole in den Konzentrationen, in denen sie für die Präzipitation benötigt werden (> 10 %) bakterizide
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
Wirkung. Dies ist einer der Gründe, warum für die Proteinfraktionierung von Blutplasma stark gekühltes Ethanol verwendet wird; man erhofft sich davon die Zerstörung eventuell vorhandener Hepatitis-Viren. Copräzipitation von Partikeln wie Ribosomen, Membranfragmenten und Lipiden führt darüber hinaus zu klaren Lösungen – eine Voraussetzung für nachfolgende chromatographische Reinigungsschritte.
10.3.1.4 Ausfällen am isoelektrischen Punkt Dies ist eine der einfachsten und billigsten Methoden der Präzipitation. Der isoelektrische Punkt ist, wie bereits erwähnt, der pH-Wert, bei dem das Protein keine Nettoladung mehr besitzt. Die repulsiven Kräfte verschwinden und die attraktiven Kräfte überwiegen mit der Folge erhöhter Aggregatbildung und verminderter Löslichkeit der Proteine. Ein Vorteil der isoelektrischen Präzipitation ist, dass zur pHEinstellung Mineralsäuren, wie z. B. Phosphorsäure, verwendet werden können. Sie sind billig, werden in geringen Konzentrationen verwendet und sind für die Verwendung in pharmazeutischen und Lebensmittelprozessen zugelassen. Falls notwendig, kann das Verfahren durch Zugabe von organischen Lösungsmitteln bzw. Salzen unterstützt werden. Die Säurezugabe muss kontrolliert und unter starkem Rühren erfolgen, um Proteindenaturierung zu vermindern. Außerdem tritt Lösungswärme auf, die abgeführt werden muss.
10.3.1.5 Kryopräzipitation und Hitzebehandlung Für die Reinigung hitzestabiler Proteine lassen sich durch eine Hitzebehandlungg des Rohextrakts hitzelabilere Fremdproteine denaturieren und ausfällen. Die Methode beruht auf den hohen Temperaturkoeffizienten der thermischen Denaturierung und definierten Denaturierungstemperaturen der Proteine. Zusätze von Substrat und/oder Coenzym steigern häufig spezifisch die Hitzestabilität und erlauben dadurch höhere Temperaturen und damit höhere Anreicherungsfaktoren. Zu beachten ist die Tatsache, dass durch die erhöhten Temperaturen vermehrte
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Proteolyse durch Proteasen beobachtet wird. Aus diesem Grund wird häufig vor dem Hitzeschritt Ammoniumsulfat zugesetzt, das Proteasen unspezifisch (Ionenstärke) hemmt. Die Kryopräzipitation, das ist ein Ausfällen von Proteinen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, wird heute praktisch nur noch bei der Fraktionierung von Blutproteinen eingesetzt. Sie wird z. B. als erste Stufe bei der Produktion des AntihaemophilieFaktors VIII angewandt.
10.3.1.6 Präzipitation durch nichtionogene Polymere Die Entdeckung, d ass nicht-ionogene Poly mere die Löslichkeit von Mak romolekülen reduzieren können, wurde Ende der 1960er-Jah re gemacht, was die noch seltene großtechnische Anwendung dieses Verfahrens erklärt. Es wird vermutet, dass die Wirkung ähnlich derjenigen organischer Lösungsmittel ist. Große Moleküle vermindern die Löslichkeit der Proteine, indem sie deren solvatisiertes Wasser redu zie ren. Die Beobachtung, dass geringe Konzentrationen an Polyethylenglykol (5–10 % Gew. PEG) benötigt werden, um hochmolekulare Proteine (z. B. Viruspartikel) auszufällen, während h öhere Konzentrationen (bis zu 20 %) notwendig sind, um niedrigmolekulare Proteine zu präzipitieren, stützen den zur Erklärung benutzten Mechanismus. Ein Nachteil ist die hohe Viskosität des als 40–50%ige Lösung benutzten PEG und die damit verbundenen Schwierigkeiten beim Rühren. PEG-Fällung wird häufig als konkurrenzfähiges Verfahren bei der Blutfraktionierung und der industriellen Gewinnung der Asparaginase eingesetzt. Obwohl in einigen Ländern für die Anwendung bei Humanproteinen zugelassen, ist bekannt, dass Spuren von PEG in der Proteinfraktion verbleiben und nachfolgende Prozessschritte beeinflussen. Diese Methode kann mit der wässrigen Zweiphasenextraktion und mit der Verteilungschromatographie kombiniert werden. Ein Vorteil gegenüber dem Aussalzen ist die Möglichkeit, Präzipitat und Überstand direkt – ohne Entsalzen – an Ionenaustauschern zu fraktionieren. Damit kann das nicht geladene PEG von den geladenen Proteinen abgetrennt werden.
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10.3.1.7 Präzipitation mittels Polyelektrolyten Die Präzipitation auf der Basis unlöslicher Polyelektrolytkomplexe wird in der Literatur als sehr effektiv bezeichnet. So berichten Wahlund et al. (2004) über den Einsatz des Polykations Poly(N,N’-dimethyl-diallyl-ammoniumchlorid) (PDMDAAC) als erstem Schritt zur Entfernung von Verunreinigungen von durch Zelllyse gewonnener Plasmid-DNA (Abschnitt 10.2.3). Unter optimalen Bedingungen bleiben RNA und Proteine im Überstand und können entfernt werden. Eine quasi umgekehrte Reinigung einer Pflanzenperoxidase durch Präzipitation mittels Carboxymethylcellulose + CaCl2 + PEG beschreiben Aruna und Lali (2001). Die verunreinigenden Proteine werden gefällt, während die Peroxidase in Lösung bleibt. Polyacrylsäure wurde erfolgreich zur Reinigung einer Reihe von Enzymen, wie z. B. Amyloglucosidase, verwendet. Der Mechanismus der Polyelektrolytpräzipitation wird teilweise analog dem des Aussalzens, teilweise dem nicht-ionogener Polymere erklärt.
10.3.1.8 Präzipitation mittels Tensiden Den Einsatz von grenzflächenaktiven Stoffen zur selektiven Präzipitation schlagen Shin et al. (2004) vor. Mittels Natriumdi(2-ethylhexyl)sulfosuccinat (AOT) wird Xylanase selektiv aus einem Gemisch mit verschiedenen Cellulasen gefällt. Xylanase kann im großtechnischen Maßstab in der Papierproduktion zum Bleichen (Delignifizierung) verwendet werden, wobei die Cellulasen – wegen ihrer schädigenden Wirkung auf die Cellulosefasern – stören. Die gefällten, d. h. mittels Zentrifuge abgetrennten, Xylanaseagglomerate werden durch Ethanol (in einem Natriumacetatpuffer) vom AOT befreit.
10.3.1.9 Affinitätspräzipitation* Bei den bisher beschriebenen Verfahren zur Präzipitation von Proteinen erfolgte diese recht unspezifisch, ohne die speziellen biologischen Funktionen wie etwa Substrat- und Coenzym* von Ruth Freitag überarbeitet
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
spezifität bei Enzymen oder andere biospezif ische Wechselwirkungen wie Antikörper – Antigen, Zucker – Lectin, Hormon – Rezeptor zu nutzen. In jüngster Zeit konnten zudem durch chemische (kombinatorische Chemie) oder biologische (Phagen-Display-Technologie) Verfahren spezifische Liganden für viele Proteine gezielt produziert und so die Palette möglicher Affinitätsliganden erweitert werden. Derartige spezifische Wechselwirkungen können, ähnlich wie bei den später behandelten Trennverfahren Affinitätschromatographie und Affinitätsverteilung, auch bei der Präzipitation genutzt werden. Man unterscheidet bei der Affinitätspräzipitation zwei Prinzipien. Die sogenannte Affinitätspräzipitation erster Ordnung stellt einen Spezialfall dar, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass das Zielprotein mindestens zwei spezifische Bindungsstellen haben muss. Das Zielprotein wird dann in Kontakt mit einem ebenfalls bifunktionellen Affinitätsliganden gebracht, und es kommt zur Bildung eines quervernetzten Affinitätskomplexes, der ab Erreichen einer gewissen Größe präzipitiert. Hilbrig und Freitag (2003) beschreiben beispielsweise in einem Übersichtsartikel zum Thema „ Affinitätspräzipitation“ die präparative Isolation von Lactatdehydrogenase aus einer Rohlösung mittels bifunktionaler N2,N2’-adipodihydrazido-bis(N6carbonylmethyl-NAD) (Bis-NAD). Ein Beispiel für eine Primäreffektpräzipitation ist auch die Immunpräzipitation, bei der Proteine durch ihre Antikörper präzipitiert werden. Das sich bildende Gel wird mittels Zentrifugation, Filtration oder Flotation (Abschnitt 10.3.2) abgetrennt. Nachteile der Affinitätspräzipitation erster Ordnung ist der eingeschränkte Anwendungsbereich (die Zielproteine müssen bifunktionell sein, Zielprotein und Affinitätsligand müssen in etwa gleichem Molverhältnis eingesetzt werden) sowie die Schwierigkeit, das Präzipitat wieder aufzulösen, etwa um das Zielprotein freizusetzen. Der Einschluss von Verunreinigungen in das makromolekulare Netzwerk ist offensichtlich unvermeidbar und erfordert einen aufwendigen, nachgeschalteten Waschprozess, wodurch ein Großteil des Vorteils einer derart selektiven Fällung wieder verloren geht. Bei der Affinitätspräzipitation zweiter Ordnung werden dagegen sogenannte Affinitätsmakroliganden (AML) eingesetzt. Das sind Biokonjugate, die aus dem eigentlichen Affinitätsligan-
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10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
den und einem stimulierbaren Polymer bestehen. Stimulierbare Polymere zeichnen sich dadurch aus, dass sie infolge einer relativ geringfügigen Änderung eines Umgebungsparameters ihr Löslichkeitsverhalten in Wasser grundlegend ändern. Auslösende Stimuli können z. B. die Temperatur, der pH-Wert, elektrische Felder oder Licht sein. Entsprechende Polymere sind z. B. bei einer bestimmten Temperatur gut wasserlöslich, während sie bei einer um wenige Grade höheren Temperatur quantitativ präzipitieren. Der Vorgang kann durch anschließende Erniedrigung der Temperatur wieder umgekehrt werden. Auf stimulierbaren Polymeren beruhende AML binden in Lösung spezifisch an das Zielprotein (bei beiden Reaktionspartnern ist in diesem Fall eine einzige Interaktionsfunktion ausreichend). Der Affinitätskomplex wird anschließend präzipitiert und das Zielprotein so abgetrennt. Der Komplex kann durch wiederholtes Auflösen/Wiederpräzipitieren (Temperaturzyklus) unter bindenden Bedingungen leicht gewaschen und von mitgerissenen Verunreinigungen befreit werden. Das Zielprotein kann anschließend direkt aus dem Präzipitat oder nach Wiederauflösen in Elutionspuffer und Abtrennen des AML freigesetzt werden. Neben der Aufreinigung von Proteinen wurde die Affinitätspräzipitation zweiter Ordnung auch erfolgreich für die Isolierung von PlasmidDNA aus bakteriellen Lysaten eingesetzt. Gegenüber den konkurrierenden Verfahren der Affinitätschromatographie (Abschnitt 10.3.6.7) ist die Affinitätspräzipitation leichter in einen größeren Maßstab zu übertragen. Die Affinitätspräzipitation wurde zudem mit der Affinitätsextraktion in wässrigen Zweiphasensystemen kombiniert.
10.3.1.10 Auswahl des Fällungsmittels Die Auswahl des geeigneten Fällungsmittels hängt beim kommerziellen Prozess von einer Reihe von Faktoren ab: • Kosten; • Möglichkeiten des Recyclings: Rückgewinnung und Wiederverwendung des Präzipitanten ist im industriellen Maßstab eine zwingende Notwendigkeit; • leichte Handhabbarkeit: Organische Lösungsmittel erfordern „flammensichere Arbeitsweise“ und niedrige Arbeitstemperaturen;
• Zulassung für das Produkt: Ammoniumsulfat ist beispielsweise für die Anwendung in der Lebensmittelindustrie zugelassen; • Produktstabilität: Manche Präzipitanten denaturieren Proteine bereits bei geringem Überschuss; • Eignung für einen kontinuierlichen Prozess: Tendenz geht in Richtung kontinuierlicher Prozess; • Eignung für die Kombination mit anderen Aufarbeitungsprozessen: Bei der Auswahl der Fällungsmittel muss berücksichtigt werden, dass Fällungsmittelrückstände nachfolgende Reinigungsschritte beeinflussen. So können Salzrückstände in der Proteinpräparation das Elutionsverhalten bei der Ionenaustauscher- und der Affinitätschromatographie nachhaltig verändern. Obwohl die Präzipitation im großtechnischen Maßstab hauptsächlich mit dem Ziel der Produktkonzentration (Volumenreduzierung) angewendet wird, besteht die Tendenz, die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens dadurch zu erhöhen, dass Reinigungswirkung bzw. Selektivität verbessert werden; denn diese bestimmen den Aufwand, der für die nachfolgenden Reinigungsschritte betrieben werden muss. Es gibt aber eine Reihe von Gründen, warum bei der Präzipitation im industriellen Maßstab schlechtere Ergebnisse erzielt werden als im Labormaßstab: • Schlechteres Mischen und damit verbundene längere Mischzeiten führen zu einer Überpräzipitation, d. h. Copräzipitation unerwünschter Proteine. • Höherer Wärmeeintrag beim Mischen und schlechtere Wärmeabfuhr führen zu thermischer Denaturierung. • Stärkere Schwankungen beim aufzuarbeitenden Rohstoff führen zu nicht optimalen Bedingungen bei der Präzipitation und damit schlechter Reproduzierbarkeit.
10.3.2 Flotation und Schaumseparation In Kapitel 7 war bereits über den Störfaktor „Schaum“ während der Fermentation und des-
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sen Eliminierung berichtet worden. Bewegt sich eine Gasblase durch eine grenzflächenaktive Substanzen enthaltende wässrige Lösung (also z. B. die Fermentationslösung), so wandern diese Substanzen an die Phasengrenzfläche Gas/Flüssigkeit und reichern sich dort an (adsorbieren). Dabei orientieren sich die Moleküle so, dass die hydrophile Gruppe mit dem Wasser in Kontakt bleibt, die hydrophobe Gruppe hingegen aus der wässrigen Umgebung herausragt. Verlässt die Gasblase dann die Flüssigkeitsoberfläche, so umgibt sie sich mit einer zweiten Adsorptionsschicht; es bildet sich eine Lamellenblase. Unter realen Bedingungen wandern viele Gasblasen durch die Flüssigkeit (Begasen) und bilden beim Durchtritt durch die Flüssigkeitsoberfläche einen Schaum. Dieser ist zunächst, wie Abbildung 10.17a zeigt, kugelförmig. Das in den Schaumlamellen befindliche Wasser fließt aber – anfangs überwiegend als Folge der Schwerkraft, später zusätzlich durch die sogenannte „Saugwirkung der Plateau-Borders“ (Lemmlich 1972) – nach unten ab. Diese Drainage führt zu einer Formänderung des Schaums (Abb. 10.17a). Der Kugelschaum geht über Wabenschaum in Polyederschaum über. In der Vergrößerung des Polyederzwickels (Abb. 10.17b) lässt sich auch die durch Grenzflächenspannungen bedingte und von dem belgischen Forscher Plateau beschriebene Drainage als Folge der Saugwirkung der PlateauBorders zumindest erahnen. Jedenfalls ist in der auf diese Weise entwässerten Schaumlamelle die Konzentration an grenz-
Abb. 10.17 Die verschiedenen Phasen des Schaums. (a) Schaumsäule mit den verschiedenen Phasen: Kugelschaum, Wabenschaum, Polyederschaum; (b) Plateau-Border (Manegold 1953)
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
flächenaktiver Substanz erheblich größer als bei der Entstehung. Es liegt daher nahe, diesen Konzentrationseffekt zur Produktgewinnung bzw. -anreicherung zu nutzen. Das so ausgetragene Produkt kann entweder selbst eine grenzflächenaktive Substanz sein (man nennt dies Schaumfraktionierung) oder als partikulärer Stoff so an diese Substanz angelagert sein, dass er mitgerissen wird (Flotation). Beide Fälle sind f ür die Bioproduktaufarbeitung interessant. Im ersten Fall können dies z. B. Proteine oder sogenannte Biotenside sein, im zweiten Fall sind es Zellen. Um Schaumfraktionierung bzw. Flotation für die Aufarbeitung zu nutzen, müssen allerdings die den Schaum b eeinflussenden Parameter b ekannt sein. Dabei ist zwischen fundamentalen Faktoren und abhängigen Faktoren zu unterscheiden (Schultze 1989). Zu den fundamentalen Faktoren gehören beispielsweise Art und Konzentration der Materialien (Lösungsmittel, gelöster Stoff, Gas), Temperatur, pH-Wert, Druck und Anlagedesign. Abhängige Faktoren sind: • Löslichkeit • Oberflächenspannung und -viskoelastizität • Viskosität und Viskoelastizität der Flüssigkeit • Gleichgewichtsverteilung • Kinetik der Adsorption • Bildung und Struktur des Schaums • Schaumstabilität • Schaumdrainage • Schaumdichte (bzw. Schaumgehalt) • Größe, Größenverteilung und Gestalt der Blasen • Verdampfungsenthalpie von Gelöstem und Lösungsmittel • Fließverhalten des Schaums B ei den genannten abhängigen Faktoren Viskoelastizität (der Flüssigkeit) und Oberflächenviskoelastizität ist zu bedenken, dass es sich bei der Blasen- und Schaumbildung um dynamische Vorgänge handelt. Im Folgenden soll der Einfluss einiger Parameter auf den Anreicherungsfaktorr E = csch/cvorr am Beispiel der Produktion eines Biotensids aufgezeigt werden. Dabei ist cvor die Konzentration (in g/l) des Tensids in der Vorlageflüssigkeit (also z. B. in der Fermentationsbrühe oder, wie in diesem Beispiel, in der reinen Tensidlösung); csch ist die entsprechende Tensidkonzentration in der
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
315
a
b
c
Schaumlamelle (bzw. der Flüssigkeit, die beim Zerstören des Schaums gewonnen wird). Abbildung 10.18a zeigt den großen Einfluss der Tensidkonzentration der Vorlage auf den
Abb. 10.18 (a) Anreicherungsfaktor als Funktion der Vorlagenkonzentration für verschiedene Gasdurchsätze (Probennahmehöhe: 145 cm). (b) Anreicherungsfaktor für Tensid und Protein in Abhängigkeit vom Gasdurchsatz. (c) Tensidaustrag aus der Säule als Funktion des Gasdurchsatzes für die Konzentrationen der Vorlage 0,2 und 0,7 g/l. (Nach Schultze 1989)
Anreicherungsfaktor. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bei jeder Tensidlösung eine Mindestkonzentration cvor erforderlich ist, um überhaupt einen stabilen Schaum zu erzeugen
10
10
316
(im Beispiel etwa bei cvor = 0,05 g/l) liegt der interessante Anwendungsbereich der Schaumfraktionierung hier bei cvor = 0,05 g/l bis 0,25 g/l. Parameter in Abbildung 10.18a ist der Gasdurchsatz, eine weitere wichtige Einflussgröße, die offensichtlich Blasengröße und Drainagezeit beeinflusst. Der Gasdurchsatz muss niedrig sein für einen hohen Anreicherungsfaktor; er muss hoch sein, wenn möglichst viel Tensid pro Zeiteinheit ausgetragen werden soll (Abb. 10.18c). Die Tensidkonzentration wächst überproportional mit der Temperatur; offensichtlich ein Ergebnis der sinkenden Viskosität der zu drainierenden Flüssigkeit. Die Schaumbildung ist bekanntlich in der Nähe des isoelektrischen Punktes stark pH-abhängig und hat dort ihr Minimum. Die Daten in Abbildung 10.18a waren mit reinen wässrigen Tensidlösungen gefunden worden. Sie wurden aber analog Abbildung 10.18b durch Messungen an realen, d. h. Proteine enthaltenden Fermentationslösungen qualitativ bestätigt (Schultze 1989). In vielen Punkten analoge Ergebnisse findet man bei der Flotation von Mikroorganismen aus dem Fermenter.
10.3.3 Membranseparation Die beste Definition einer Membran liefert uns die Natur, wo biologische Membranen ubiquitär sind. Sie ermöglichen den selektiven Transport von Wasser und Gelöstem in die Zelle (Nährstoffe) und aus der Zelle heraus (Endprodukte). In diesem Kontext ist eine Membran eine dünnwandige Struktur, die die einzelnen Komponenten einer Flüssigkeitsmischung (Lösung oder Suspension) selektiv passieren lässt. Eine weitere wichtige Forderung ist, dass dieser Transport – im Gegensatz zur Filtration – kontinuierlich oder quasi kontinuierlich erfolgt. Bedenkt man, dass in der Natur – angefangen von Mikroorganismen, über Pflanzen, Tiere, bis zum Menschen – bei nahezu jedem Stofftrennprozess Membranen involviert sind, so fragt man sich, warum in der Biotechnologie und insbesondere beim Downstream Processing der Einsatz synthetischer Membranen vergleichsweise be-
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
grenzt ist. Die Antwort könnte trivial lauten: weil synthetische Membranen in ihrer Leistungsfähigkeit noch zu weit von derjenigen biologischer Membranen entfernt sind und weil sie darüber hinaus zu teuer sind. Beides mag richtig sein; die Entwicklung ist ab er so rasant (Steigerung der Leistungsfähigkeit und Senkung der Membrankosten), dass es sich lohnt, Neuentwicklungen auf ihre Tauglichkeit für Bioseparationsprozesse zu untersuchen.
10.3.3.1 Membranmaterialien und -strukturen Material und Struktur einer synthetischen Membran bestimmen ganz wesentlich deren Trennverhalten. Sie sollen daher kurz vorgestellt werden. Membranen können heute aus nahezu jedem organischen oder anorganischen Werkstoff hergestellt werden. Die häufigsten organischen Ausgangsmaterialien sind Cellulose und CelluloseDerivate, Polyamid, Polysulfon, Polyethersulfon, Polyetherketon, Polyetherimid, Polyacrylnitril, Polypropylen, Polytetrafluorethylen (PTFE), Polyvinylidenfluorid (PVDF), Polycarbonate und Polysiloxane. Bei den anorganischen Materialien werden zur Membranherstellung vor allem Aluminumoxid, Siliciumoxid, Zirkonoxid, Siliciumcarbid, Glas und Zeolithe, aber auch Metalle, wie Aluminium, Palladium und deren Legierungen verwendet. Die eingangs genannte Definition für eine Membran würde vermuten lassen, dass sie porös sein muss. Dies ist aber nicht richtig, wie die in Abbildung 10.32a dargestellte Pervaporationsmembran (z. B. auf Basis von PDMS) oder Membranen zur Gastrennung (Palladium und dessen Legierungen) beweisen. Dennoch ist die weit überwiegende Zahl der in der Biotechnologie verwendeten Membranen mikroporös, weshalb sich die Vorstellung von Membranstrukturen darauf beschränken. Abbildung 10.19a zeigt eine durch Phaseninversion hergestellte asymetrische Hohlfasermembran aus Polyethersulfon. Die Entstehung der fingerartigen Struktur lässt sich anhand eines in Abbildung 10.19b dargestellten ternären Mischungsdiagramms erläutern. Es besteht grob aus zwei Bereichen. Im Einphasengebiet (weiß)
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
a
b
c
d
e
Abb. 10.19 Membranstrukturen und deren Herstellung. (a) Phaseninversionsmembran; (b) ternäres Mischungsdiagramm; (c) REM-Aufnahme einer anorganischen, keramischen Flachmembran; (d) schematische Darstellung der anorganischen Flachmembran; NF: Nanofiltration, UF: Ultrafiltration, MF: Mikrofiltration; (e) gereckte Polypropylenmembran
317
sind alle drei Komponenten, also Polymer (hier Polyethersulfon), Lösungsmittel (hier DMF) und Fällungsmittel (Wasser). Der zweite Bereich (rot) stellt eine Mischungslücke dar. Auf dem Weg von A nach D gibt die Polymerlösung Lösungsmittel an das Fällungsmittel ab. Sie überschreitet bei B die Binodalkurve und tritt von B nach C in eine unstabile Phase (hellrot), in der sich ein Gel bildet. Bei Überschreiten der Spinodalkurve bei C wandelt sie sich in eine feste, glasartige Phase (dunkelrot) um, die das Membrangerüst darstellt. In der Praxis geht man bei der Herstellung der gezeigten Membran so vor, dass die Polymerlösung über Düsen als Hohlfäden in ein Wasserbad „gesponnen“ werden. Die Festphasenbildung findet von außen nach innen statt, was die Asymmetrie der Poren erklärt. Eine andere Struktur zeigt die anorganische Flachmembran in Abbildung 10.19c. Sie besteht aus mehreren Schichten von nach oben hin abnehmendem Partikeldurchmesser (siehe schematische Darstellung, Abb. 10.19d). Der Support besteht aus vergleichsweise groben Partikeln (Porengröße: 1–10 μm) aus z. B. Al2O3, TiO2, SiC die durch Extrudieren oder Schlemmen erzeugt, getrocknet (Grünkörper) und bei Temperaturen oberhalb 1 000 °C kalziniert wird. Die selektiven Schichten werden als Sol/Gel durch Tauchen oder Sprühen aufgebracht und nach dem gleichen Verfahren getrocknet und kalziniert. Die dritte Membran in Abbildung 10.19e besteht aus einem kristallinen Polymer wie z. B. Polypropylen und entsteht durch Recken. Dabei bilden sich feine Risse, die diese Membran charakterisieren. Es leuchtet ein, dass das Separationsverhalten dieser Membranen völlig unterschiedlich ist. Wegen des stark asymmetrischen Verhaltens der Phaseninversionsmembran ist deren Druckverlust sehr gering. Dies trifft auch für die keramische Membran zu, jedoch ist wegen der riesigen Oberfläche, die die Partikel bilden, mit starken Adsorptionsvorgängen zu rechnen. Bei der gereckten Membran kann man im eigentlichen Sinne nicht von einer Pore sprechen, die man sich üblicherweise rund vorstellt. Der Vergleich der mittels Stickstoffadsorption gemessenen Porenverteilung der keramischen Membran mit der Polymermembran ist in Abbildung 10.20 dargestellt.
10
10
318
Spezifische Oberfläche [ m2/g] 103
Abb. 10.20 Mittels Stickstoffadsorptionsmessung bestimmte Porengrößenverteilung für eine Polymermembran (rot) und eine keramische Membran (schwarz)
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
2,5 2 1,5 1
0,5 0 0
,
10.3.3.2 Membrancharakterisierung Es ist zu erwarten, dass die unterschiedlichen Porenverteilungen sich im Separationsverhalten der Membranen niederschlagen. Im Folgenden werden die Parameter zur Membrancharakterisierung vorgestellt. In Abbildung 10.21 ist ein Membrantrennprozess schematisch dargestellt. Daraus lassen sich unmitte lbar folgende Parameter ableiten: . VF = Feedvolumenstrom (der Membran zugeführter Volumenstrom) . VR = Retentatvolumenstrom (von Membran zurückgehaltener Volumenstrom) . VP = Permeatvolumenstrom (die Membran permeierender Volumenstrom) JP = Membranfluss/Flux (auf Membranfläche AM bezogener Volumenstrom)
JP =
VP AM
,
2
Porengröße [nm]
(10.11)
S = Selektivität (Verhältnis der Konzentrationen in Permeat und Feed) c /c Si, j = Pi Pj (10.12) c Fi /c Fj R = Rückhalt (Trennschärfe einer Membran bzgl. einer Komponente i) cFi, cFj = Feedkonzentration der Komponenten i und j cPi, cPj = Permeatkonzentration der Komponenten i und j
Ri =
c Fi − c Pi ⋅100 % c Fi
(10.13)
Das Rückhaltevermögen einer Membran kann experimentell auf folgende Weise bestimmt werden: Man mischt ein Lösungsmittel (in der Regel Wasser) mit Partikeln bzw. Molekülen unterschiedlicher, jedoch bekannter Größe. In Filtrationsversuchen bestimmt man dann den Anteil der jeweiligen Partikel – bzw. die Molekülgröße –, der die Membran passiert hat. Abbildung 10.22 zeigt schematisch das Ergebnis für zwei verschiedene Membranen. Bei einem Rückhalt von 90 % – Trenngrenze bzw. cut-offf genannt – sind beide nahezu gleich. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich in der Neigung der Kurven, die unmittelbar von der Porenverteilung abhängen. Eine enge Porenverteilung bedeutet eine steile Rückhaltekurve und damit eine (erwünscht) hohe Selektivität. Die flache Rückhaltekurve ist – wegen ihrer geringen Selektivität – für die Produktkonzentrierung nicht geeignet. Wenn man die Highlights der Membranentwicklung der letzten zehn Jahre auf einen Nenner bringt, so sind dies die Verbesserung der thermischen und chemischen Stabilität, die Erhöhung der Selektivität durch engere Porenverteilung der Membranen und schließlich die drastische Reduktion der Membranpreise. Weitere wichtige Faktoren für die biotechnologische Anwendung von Membranen sind Ausbeute und Aufkonzentrierungsfaktor. Die Ausbeute ist das Verhältnis von Permeatvolumenstrom zu
319
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
Abb. 10.21 Schematische Darstellung eines Membranprozesses
Abb. 10.22 Vergleich des Trennverhaltens von zwei unterschiedlichen Membranen (links: breite Porenverteilung, rechts: enge Porenverteilung)
Feedvolumenstrom in Prozent und ist von Bedeutung, wenn das Permeat das Produkt ist. Der Aufkonzentrierungsfaktor ist das Verhältnis der Konzentration der interessierenden Komponente in Retentat und Feed. Abbildung 10.23 stellt den Zusammenhang dieser beiden Größen dar.
10.3.3.3 Treibende Kräfte für den Stofftransport durch Membranen Im vorigen Abschnitt wurden Begriffe wie Fluss, Selektivität und Rückhaltevermögen definiert. Es stellt sich nun die Frage, wie sie zum Nutzen der Produktreinigung beeinflusst werden können. Es gilt zunächst der pauschale Zusammenhang: Fluss = Σ treibende Kräfte / Σ Widerstände Betrachtet man nochmals die Keramikmembran in Abbildung 10.19c, so bedeutet jede Schicht einen zusätzlichen Widerstand. Eine gewisse Membrandicke ist aber notwendig, um einem oben angelegten Druck – in diesem Fall die trei-
bende Kraft – mechanisch standzuhalten. Die Selektivität für unterschiedlich große Partikel ergibt sich aus dem – möglichst einheitlichen – Porendurchmesser der aktiven (obersten) Schicht. Aber der Druck ist nur eine der möglichen treibenden Kräfte. Die Summe aller treibenden Kräfte ist das chemische Potenzial. Bezeichnet man die Strömungsrichtung durch die Membran mit x, so gilt für den Fluss der Komponente i die – etwas vereinfacht formulierte – Nernst-PlanckGleichung:
J i = −c i b ki Ji ci bki p Di zi ui ϕ
dc dp dϕ − Di i − ci zi u i dx dx dx
= Fluss der Komponente i = Konzentration der Komponente i = konvektive Beweglichkeit von i = Druck = Diffusionskoeffizient von i = Ladung eines Ions = Beweglichkeit eines Ions = elektrisches Potenzial
(10.14)
10
10
320
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
100% Ausbeute Aufkonzentrierungsfaktor
90%
Ausbeute
70% 15
60% 50%
10
40%
30%
Aufkonzentrierungsfaktor
20
80%
5
20% 10% 0% 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
0 100
Restvolumen in % Abb. 10.23 Zusammenhang zwischen Restvolumen und Ausbeute bzw. Aufkonzentrierungsfaktor
Demnach setzt sich die treibende Kraft aus den Thermen Konvektion mit dem Druckgradienten dp/dx, der Diffusion mit den Konzentrationsgradienten dci/dx und dem Gradienten des elektrischen Potenzials dϕ/dx zusammen. In Tabelle 10.2 sind die wichtigsten in der Biotechnologie verwendeten Membrantrennverfahren aufgeführt. Interessant ist, dass jedes von einerr treibenden Kraft dominiert wird. In der Tabelle sind noch der Membrantyp und die biotechnologische Applikation angegeben. Danach unterscheidet man Druck-, Lösungsdiffusions- und elektrisch getriebene Membrantrennverfahren. Bevor diese im Einzelnen vorgestellt werden, soll noch auf ein Phänomen eingegangen werden, dass bei allen technischen Membrantrennverfahren auftritt und diese in der Vergangenheit in Misskredit gebracht hat. Unter realen Bedingungen verändern sie ihre Trenneigenschaften mit der Betriebszeit. Dieser – unter dem Begriff Membranfouling – subsumierte Effekt gilt für alle Membrantrennverfahren und soll daher im Folgenden näher untersucht werden.
10.3.3.4 Adsorption, Konzentrationspolarisation und Fouling In Abbildung 10.24 sind die zu filtrierende Rohlösung mit (1), die Membran mit (2) und das Filtrat mit (3) b ezeichnet. Bereits zum Zeitpunkt 0, d. h. dem Augenblick, in dem die Rohlösung mit der Membran in Kontakt gebracht wird, aber noch keine Filtration stattfindet (Abb. 10.24a), beginnt aufgrund adsorptiver Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen der Rohlösung und der Membran ein Stofftransport JA. Diese Wechselwirkungen sind von den Komponenten und der Konzentration abhäng ig. Grenzflächenaktive Stoffe, wie z. B. Proteine, adsorbieren besonders heftig und bilden innerhalb kürzester Zeit auf der Membran einen Belag. B eginnt nun der eigentliche Filtrationsvorgang, so wandern mit dem diffusiven und konvektiven Stofftransport (JD + JK = J) sowohl Komponenten, die die Membran permeieren, als auch solche, die von ihr zurückgehalten werden in Richtung Membran. Ist J groß genug , so können die zurückgehaltenen Komponenten nicht schnell
321
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung Tabelle 10.2 In der Biotechnologie verwendete Membrantrennverfahren Membrantrennverfahren
Treibende Kraft für den Stofftransport
Trennprinzip (alternative Angabe)
Biotechnische Applikation
Mikrofiltration
Druckdifferenz < 2 bar
Poren > 50 nm
Biomasse-Rückhalt, Entfernung makromolekularer Produkte aus dem Bioreaktor
Ultrafiltration
Druckdifferenz 2–10 bar
Poren 50–5 nm
Entfernung niedermolekularer Stoffe aus dem Bioreaktor, Konzentrierung von makromolekularen Lösungen
(200–2)
Druckdifferenz 5–20 bar
Poren 5–0,5 nm
Umkehrosmose
Druckdifferenz 10–200 bar
Lösungsdiffusion
Entfernung von niedermolekularen Stoffen (Salze, Organik)
Pervaporation
Partialdruckdifferenz
Lösungsdiffusion
Entfernung leicht flüchtiger Komponenten
Gastrennung
Partialdruckdifferenz
Lösungsdiffusion
Trennung von Dampfgemischen, Abreicherung von CO2, Anreicherung von O2
Flüssigmembrantrennung
Konzentrationsdifferenz
gekoppelter Transport
Trennung racemischer Gemische
Dialyse
Konzentrationsdifferenz
Porendiffusion, beidseits wässrige Phase
Abtrennung von inhibierenden Stoffen mit niedrigem Molekulargewicht
Elektrodialyse
elektrische Potenzialdifferenz
Co-Ionenausschluss durch Festladungen in der Membran
Konzentrierung organischer Säuren, Racemattrennung (Aminosäuren)
Nanofiltration
(2–0,2)
genug zurückdiffundieren (JB). Es kommt an der Membran zu einer Konzentrationsüberhöhung der zurückgehaltenen Komponenten der sogenannten Konzentrationspolarisation. Die erhöhte Konzentration in Membrannähe bedeutet verstärkte Adsorption. Der Membranbelag wächst – übrigens bis in die Pore hinein. Gleichzeitig verändert sich das Rückhaltevermögen der Membran hin zu kleineren Teilchen bzw. Molekülen. Komponenten, die ursprünglich die Membran passierten, werden nun ebenfalls zurückgehalten. Dieser circulus viciosus kann so weit gehen, dass die Löslichkeitsgrenzen einzelner Komponenten überschritten werden. Es bildet sich dann auf der Membran eine Gelschicht. Dieser als Fouling bezeichnete Effekt ist bei Anwesenheit von Mikroorganismen besonders dramatisch,
Abtrennung organischer Komponenten und mehrwertiger von einwertigen Salzen
weil sie dann auf der Membran auf wachsen (Biofouling). Die Konsequenz ist ein monotoner Abfall des transmembranen Flusses (TMF) mit der Filtrationszeit analog Abbildung 10.25. Folgende Maßnahmen sind zu ergreifen: • Die Anströmung der Membran erfolgt tangential (sogenannter cross-flow) statt orthogonal (dead end). • Die Durchströmung der Membran wird zyklisch umgekehrt (Rückspülung eventuell auch mit reinem Wasser und Reinigungsmitteln gemäß Abbildung 10.25). • Der transmembrane Fluss wird niedriger gewählt, um die Konzentrationspolarisation zu reduzieren. • Es wird ein Membranmaterial gewählt, das mit den Komponenten der Rohlösung möglichst wenig interagiert.
10
10
322
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
10.3.3.5 Druckgetriebene Membrantrennverfahren
Abb. 10.24 Ausbildung der Konzentrationspolarisation an einer Membran (a) vor Beginn der Filtration; (b) im stationären Fitrationszustand
Abb. 10.25 Transmembranfluss (TMF) über der Zeit für eine 5%ige Hefesuspension mit einer Ultrafiltrations- (schwarze Kurve) und einer Mikrofiltrationsmembran (rote Kurve) (Chmiel et al. 1988)
Neben diesen, für alle Membranverfahren geltenden Maßnahmen, gibt es spezielle Strategien, die im Einzelnen später erläutert werden. Abbildung 10.25 zeigt für zwei im Folgenden erläuterte, druckgetriebene Membranprozesse die Wirkung von Fouling und zyklischem Rückspülen.
In der Biotechnologie sind Membrantrennprozesse, bei denen der Transport durch die Membran aufgrund einer Druckdifferenz erfolgt, am meisten verbreitet. Neben den bereits in Abschnitt 10.3.3.2 vorgestellten Kenngrößen wie Selektivität, Rückhaltevermögen, Trenngrenze und Flux – häufig auch transmembraner Fluss (TMF) genannt – ist ein weiterer wichtiger Parameter, der vor allem die Wirtschaftlichkeit von druckgetriebenen Membranprozessen wesentlich beeinflusst, die Permeabilität, das ist der TMF, auf ein bar transmembrane Druckdifferenz bezogen, hat also die Dimension l/m2h bar. In Tabelle 10.2 sind die heute verwendeten druckgetriebenen Membrantrennverfahren mit ihren Trenngrenzen und ihren biotechnischen Applikationen zusammengestellt. Mit Ausnahme der Umkehrosmose stehen für alle druckgetriebenen Verfahren neben organischen Polymermembranen auch solche auf anorganischer Basis insbesondere Aluminium-, Titan- und Zirkonoxid sowie Siliciumcarbid kommerziell zur Verfügung. Neben den b ereits erwähnten Vorteilen der chemischen (z. B. Säure, Lauge und organische Lösungsmittel) und thermischen (Sterilisation) Stabilität zeichnen sich anorganische Membranen durch enge Porenverteilung und damit scharfe Trenngrenzen aus. Die Mikrofiltration (MF) – mit Membranporendurchmessern > 50 nm und transmembranen Druckdifferenzen < 2 bar – ist das im Bioreaktor zum Austrag von sekretierten Produkten bzw. toxischen oder inhibierenden Substanzen bei gleichzeitigem Zellrückhalt am häufigsten verwendete Verfahren (Kapitel 7). Abbildung 7.17 zeigt dies schematisch am Beispiel eines externen Kreislaufs. Die Mikrofiltrationsmembran kann auch unmittelbar im Bioreaktor integriert sein, wie in Abbildung 7.14 (oben links) gezeigt. Allerdings ist dann die verfügbare transmembrane Druckdifferenz (TMP) in der Regel < 1 bar. In der aeroben biologischen Abwasserreinigung ist diese Technik unter dem Begriff submerser Membran-Bioreaktor (SMBR, submerged membrane bioreactor) weit verbreitet (Kapitel 13). Für Produktionszwecke muss die integrierte Membran allerdings sterili-
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
Abb. 10.26 Hohlfasermembran-Modul (links) und keramische Flachmembranen (rechts) für die Integration in den Membran-Bioreaktor (SMBR) (Blöcher 2004)
sierbar sein. Neue keramische Membranen, wie z. B. die in Abbildung 10.26 rechts gezeigten, machen dies möglich. Aber nicht nur die Integration in den Bioprozess, sondern auch Reinigungsschritte wie z. B. das Abfiltrieren des Überstands nach Zelllyse und Präzipitation und die nachfolgende Elimination der Zell-Debris mittels keramischer MF-Membran (Lee et al. 2004), die Aufkonzentrierung bei der Schaumseparation (Matis et al. 2003) oder die Gewinnung von Exopolysacchariden mittels der in Abbildung 10.26 rechts gezeigten keramischen Flachmembran mit Rückführung der retentierten Zellen in den Bioreaktor (Dharival 2007) sind Beispiele für den sinnvollen Einsatz der Mikrofiltration in der Biotechnologie. Die in den Bioreaktor integrierten Membranen werden allerdings dead-end d oder quasi dead-end d betrieben. Um das Membranfouling zu beherrschen, muss die Membran zyklisch rückgespült werden (Abb. 10.25). Dies geschieht hier in der Regel mit Permeat. Die Effektivität dieses Rückspülvorgangs (möglichst geringer Rückspüldruck und geringes Rückspülvolumen) wird ganz erheblich von der Porenverteilung beeinflusst. Dies soll im Folgenden gezeigt werden. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Tatsache, dass für die Entfernung von Ablagerungen an der Porenwand eine Mindestwandschubspannung τw erforderlich ist. Diese ist gemäß
323
Gleichung (5.6) proportional der Druckdifferenz Δp. Umgekehrt proportional zur notwendigen Druckdifferenz ist dagegen der Porenradius (Abb. 10.27, oben). Ist z. B. der Radius der kleinsten noch freizuspülenden Pore halb so groß wie der mittlere Porendurchmesser, so ist hierfür die doppelte transmembrane Druckdifferenz notwendig. Daraus resultiert eine mögliche Erklärung für Abbildung 10.25. Ist die Porenverteilung der MF-Membran deutlich breiter als die der Ultrafiltration(UF)-Membran und sind die Rückspüldrucke in beiden Fällen nur knapp über demjenigen für den mittleren Porendurchmesser eingestellt, so nimmt die freie Porenfläche der MF-Membran mit der Betriebsdauer schneller ab als diejenige der UF-Membran. Andererseits wächst gemäß Abbildung 10.27 (unten) für vorgegebenen Rückspüldruck das notwendige Rückspülvolumen überproportional mit der größten Pore. Eine enge Porenverteilung ist also nicht nur Voraussetzung für eine scharfe Trenngrenze (Abb. 10.20 und 10.22), sondern auch essenziell für einen wirtschaftlichen Betrieb rückzuspülender Membranen. Keramische Membranen schneiden hier wegen ihrer in der Regel engeren Porenverteilung besser ab als Polymermembranen. Die transmembrane Druckdifferenz bei der Ultrafiltration (UF) liegt bei 2–10 bar. Die asymmetrischen Membranporen haben Durchmesser von 5–50 nm. Damit ist die Ultrafiltration vor allem für die Aufkonzentrierung makromolekularer Lösungen wie z. B. Polysaccharidlösungen – hier auch in Verbindung mit der bereits in Abschnitt 10.1.2 beschriebenen Elektrofiltration (Hofmann et al. 2003) – oder Proteinlösungen geeignet. Aber auch zur Abtrennung von Antibiotika und anderen niedermolekularen Komponenten aus dem Bioreaktor und zur Rückhaltung der Enzyme im Membranreaktor wird die UF eingesetzt. Die Nanofiltration (NF) hat eine Besonderheit. NF-Membranen tragen an ihrer Oberfläche elektrische Ladungen (Festionen). Dadurch und durch ihre sehr kleinen Poren von etwa 1 nm sind sie in der Lage, verschiedene niedermolekulare Stoffe, ab er auch mehrwertige von einwertigen Ionen zu trennen. Voraussetzung dafür ist jedoch eine scharfe Trenngrenze. In Abbildung 10.28 haben die Membranen Toray-SU 600 und Film Tec-NF40 die geforderte Trenncharakteris-
10
10
324
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Abb. 10.27 Relativer Porendruck (oben) und relative Porenverteilung als Funktion des Porendurchmessers dp für zwei verschiedene Mikrofiltrationsmembranen (unten)
tik. Beide sind in der Lage, Glucose aus einer wässrigen Lösung fast vollständig (> 85 %) zurückzuhalten. Negativ geladene NF-Membranen lassen Aminosäuren unterhalb ihres isoelektrischen Punktes fast vollständig permeieren, oberhalb des isoelektrischen Punktes werden sie mehr oder weniger zurückgehalten (bei pH 12: L-Asparaginsäure ca. 80 %; L-Isoleucin ca. 50 %). Da die meisten Proteine in der Nähe von pH 7 negativ geladen sind, eignen sich negativ gela-
dene NF-Membranen und insbesondere keramische NF-Membranen gut zu deren Aufkonzentrierung. Abbildung 10.19 zeigt das Schema (d) und eine REM-Aufnahme (c) einer keramischen NF-Membran mit asymmetrischem Schichtenaufbau. Dadurch kann die (oberste) selektive Schicht extrem dünn sein, eine Voraussetzung für eine hohe Permeabilität. Näheres hierzu und die Modellierung der Transportvorgänge durch derartige Membranen
325
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
Abb. 10.28 Rückhaltevermögen einer Umkehrosmose(RO)-Membran (rot) im Vergleich zu verschiedenen kommerziell verfügbaren NF-Membranen für verschiedene organische Komponenten (Rautenbach et al. 1990)
können bei Chmiel et al. (2006) nachgelesen werden. Membranen mit molekularen Trenngrenzen unter 200 Dalton werden der Umkehrosmose (RO) zugerechnet. Sie halten Salze fast vollständig zurück. Methanol und Ethanol permeieren aber diese Membranen weitgehend – wie aus Abbildung 10.28 (rote Kurve) hervorgeht. RO-Membranen können mit transmembranen Druckdifferenzen von mehr als 200 bar betrieben werden.
10.3.3.6 Membran- und Modulgeometrien für druckgetriebene Membrantrennprozesse Die technische Anordnung von Membranen wird als Modul bezeichnet. Im Modul sollen für die jeweilige Anwendung optimierte Bedingungen für den Membrantrennprozess realisiert werden. Die Optimierung bei der Entwicklung von Modulen stellt zumeist einen Kompromiss dar, da einige der im Folgenden angeführten Anforderungen im Widerspruch zueinander stehen, wie z. B.: • gute, gleichmäßige Überströmung der Membran; • geringe Druckverluste; • große Packungsdichte; • mechanische, chemische und thermische Stabilität;
• kostengünstige Fertigung und • gute Reinigungsmöglichkeit. Im Wesentlichen sind die zurzeit erhältlichen Module entweder mit S chlauchmembranen oder mit Flachmembranen bestückt. Abbildung 10.29 zeigt Beispiele für Module mit Schlauchmembranen, und zwar einen Hohlfasermodul (Abb. 10.29a) und zwei Rohrmodule (Abb. 10.29b). Abbildung 10.30 gibt Beispiele für Module mit Flachmembranen, und zwar einen Plattenmodul (Abb. 10.30a) und einen Wickelmodul (Abb. 10.30b, schematisch). Vor- und Nachteile der verschiedenen Module und typische Applikationen in der Biotechnologie sind in Tabelle 10.3 zusammengestellt.
10.3.3.7 Membranen zur Gastrennung und Pervaporation Gastrennungg und Pervaporation sind zwei Membranprozesse mit einigen Gemeinsamkeiten: • Die treibende Kraft für den Stofftransport ist eine Partialdruckdifferenz. • Das Produkt wird in gasförmiger Phase erhalten. • Die selektive Schicht der Membran besteht aus einem porenfreien Polymerfilm. • Die die Membran permeierenden Komponenten werden im gasförmigen Zustand im Polymerfilm gelöst und verlassen diesen auch im gasförmigen Zustand.
10
10
326
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Abb. 10.29 (a) Oben: REMAufnahme einer asymmetrischen Hohlfaser-Ultrafiltrationsmembran; unten: Hohlfasermodule. (b) Rohrmodule
Permeat-Sammellöcher
Stütze (gegen Verschieben der aufgewickelten Lagen) Konzentrat Permeat Konzentrat
Feed
Feed Feed-Strömung
Membran Permeatkanal Membran b
a
Permeatfluss (im Permeatkanal)
Gehäuse
Abstandshalter im Feedkanal
c
Abb. 10.30 Module mit Flachmembranen. (a) Plattenmodul; (b) Wickelmodul; (c) UF-Flachmembran aus Polysulfon (OmegaTM, mit freundlicher Genehmigung der Fa. Pall GmbH)
327
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
Tabelle 10.3 Modulübersicht für druckgetriebene Membrantrennprozesse Beschreibung
Vorteile
Nachteile
Einsatzgebiete
Module mit Schlauchmembranen Rohrmodule
• druckfestes Stützrohr, • geringer DruckMembran innen aufverlust gebracht • unempfindlich gegen • d = 6–24 mm Verstopfung • innen durchströmt, • einfache Reinigung Permeatfluss von innen nach außen • Packungsdichte: < 80 m²/m³
• geringe Packungsdichte • großer Feedvolumenstrom pro Membranfläche
Mikro-, Ultrafiltration
Kapillarmodule
• selbsttragend, aktive • kostengünstige Membranfläche innen Fertigung • d = 0,5–6 mm • hohe Packungsdichte • innen durchströmt, Permeatfluss von innen nach außen • Packungsdichte: < 10 000 m²/m³
• geringe Druckfestigkeit • meist nur laminare Strömung (schlechter Stoffaustausch)
Ultrafiltration
Hohlfasermodule
• selbsttragend, aktive Membranfläche innen oder außen • d = 40–500 μm • innen oder außen durchströmt • Packungsdichte: < 10 000 m²/m³
• hohe Druckstabilität • sehr hohe Packungsdichte • relativ niedrige Membrankosten
• empfindlich gegen Verstopfung • hoher Druckverlust in den Fasern
Mikro-, Ultrafiltration
Module mit Flachmembranen Plattenmodule
• Flachmembranen mit innenliegender Platte zur Stabilisierung • Membranfläche außen • Permeatfluss von außen nach innen • Packungsdichte: < 400 m²/m³
• wenig verschmutzungsanfällig • einfach zu reinigen • geringer Druckverlust
• relativ geringe Packungsdichte
Mikro-, Ultrafiltration
Kissenmodule
• Flachmembranen mit innenliegendem Permeatspacer • Membranfläche außen • Permeatfluss von außen nach innen • Packungsdichte: < 400 m²/m³
• wenig verschmutzungsanfällig • geringer Druckverlust
• relativ geringe Packungsdichte • Membran muss verschweiß- oder klebbar sein
Mikro-, Ultra-, Nanofiltration, Umkehrosmose
Wickelmodule
• Flachmembranen mit innenliegendem Permeatspacer • aufgerollt mit zusätzlichem Feedspacer • Feedabführung durch innenliegendes Stützrohr • Packungsdichte: < 1000 m²/m³
• hohe Packungsdichte • guter Stoffaustausch durch Feedspacer
• schlechte Reinigungsfähigkeit • Membran muss verschweiß- oder klebbar sein
Nanofiltration, Umkehrosmose
10
328
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Aus der letztgenannten Gemeinsamkeit lässt sich aber auch der Unterschied der beiden Prozesse ableiten: Während bei der Gastrennung die permeierenden Komponenten ihren Aggregatszustand nicht ändern, müssen sie bei der Pervaporation zunächst vom flüssigen in den dampfförmigen Zustand überführt werden. Dieser Unterschied ist vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt her äußerst bedeutsam. Das Polymer der selektiven Schicht ist so zu wählen, dass die voneinander zu trennenden Komponenten sich in ihrer Löslichkeit und ihrem Diffusionskoeffizienten möglichst stark voneinander unterscheiden. Die Wunschvorstellung, dass die daraus resultierende Selektivität für die durch die Membran hindurchtretende
Komponente und deren Permeabilität beide möglichst groß sind, lässt sich leider nur sehr unvollkommen realisieren. Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass mit wachsender Selektivität die Permeabilität immer geringer wird. In Abbildung 10.31a ist das Konzentrationsprof il der abzutrennenden Komponente von der Ausgangslösung (1) üb er Eintritt in die Löslichkeitsmembran (2), den Eintritt in die poröse Stützschicht (3), den Übergang in die Gasphase (4) und die Permeatkammer bei (5) stark vereinfacht dargestellt. Man erkennt den Konzentrationssprung von der Feedseite zur aktiven Schicht der Membran, der eine Folge der hohen Löslichkeit der Komponente i in der aktiven Membran ist. Die gestrichelten Linien zeigen die Konzent-
a
Abb. 10.31 (a) Konzentrationsprofil in einer KompositPervaporationsmembran und (b) relative, auf Pentan bezogene Permeabilität der homologen Reihe von n-Alkanen in PDMS (nach Blume et al. 1991)
Relative Permeabilität [-]
10
1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 0
b
40
80 Molmasse [g/mol]
120
160
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
rationen im stationären Zustand für den Fall, dass auf der Permeatseite nichts abtransportiert wird. Neben der Löslichkeit ist aber eben auch die Diffusionsgeschwindigkeit maßgebend für die Permeabilität und damit auch die Leistungsfähigkeit der Membran. In Abb. 10.31b ist die relative Permeabilität von n-Alkanen in einer Polydimethylsiloxan(PDMS)-Membran dargestellt. Nach Blume et al. (1991) nimmt die Löslichkeit von Alkanen mit zunehmender Molmasse in der Membran zu, der Diffusionskoeffizient jedoch ab. Weil die beiden Trends jedoch unterschiedlich ausgeprägt sind, ergibt sich ein Maximum der Permeabilität für Pentan. Wie in Abbildung 10.32 gezeigt, sind Pervaporationsmembranen als Komposit aufgebaut. Auf die Innenseite einer mikroporösen Hohlfasermembran wird ein organoselektiver, wenige Mikrometer dicker Polysiloxan-Film, aufgetragen (Abb. 10.32a). Ebenfalls organoselektiv ist die Zeolithmembran des Fraunhofer Instituts für Keramische Technologien und Systeme in Hermsdorf (Abb. 10.32b). Die Stützstruktur besteht aus mehreren Titanoxidschichten, die zur obersten, selektiven Schicht aus Zeolith hin im Porendurchmesser abnehmen. Nach Weyd et al. (2008) würde die aus Silicium/Aluminium (im Verhältnis 300) bestehende Zeolithmembran an Hydrophobizität verlieren, wenn die Stützstruk-
a
329
tur aus Aluminiumoxid bestehen würde. Beide Membranen gestatten die Entfernung von Ethanol aus Fermentationsbrühen (Abschnitt 13.7). Alternativ gibt es sowohl Polymer- als auch Zeolithschichten, die hydrophil und damit wasserselektiv sind. Die für den Stofftransport erforderliche Partialdruckdifferenz kann auf drei verschiedene Arten realisiert werden (Abb. 10.33): 1. durch Anlegen eines Vakuums; 2. durch Spülen der Permeatseite mit einem Gas; 3. durch den Aufbau einer Temperaturdifferenz.
Zur Auslegung von Pervaporationsprozessen wird auf Baker (2004) sowie Melin und Rautenbach (2007) verwiesen.
Abb. 10.33 Modi der Pervaporation. (a) VakuumPervaporation; ( b) Spülgas-Pervaporation; (c) Thermo-Pervaporation
b
Abb. 10.32 Als Komposit aufgebaute Pervaporationsmembranen. (a) PDMS auf Polymerhohlfaser; (b) hydrophobe Zeolithmembran auf Titanoxidschichten (FhIKTS, Hermsdorf)
10
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330
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Lipnizki et al. (2000) geben eine Übersicht über den Einsatz der Pervaporation bei der Bioproduktion von Lösungsmitteln. Zur Vermeidung einer Inhibierung ist für die kontinuierliche Fermentation die integrierte Produktentfernung Voraussetzung. Schügerl (2000) sieht den Vorteil der integrierten Produktentfernung bei der Fermentation von Lösungsmitteln wie Ethanol und Aceton-Butanol mittels Pervaporation im Vergleich zu anderen – später vorzustellenden – Verfahren, wie Extraktion und Adsorption, hauptsächlich in der Energieeinsparung.
10.3.3.8 Trägergestützte Flüssigmembrantrennung Abbildung 10.34 zeigt das Prinzip der trägergestützten Flüssigmembrantrennung. Eine hydrophobe poröse Membran ist mit einer ebenfalls hydrophoben flüssigen Phase gefüllt. Diese enthält den eigentlichen Koppler. Auf der einen Seite der Membran strömt die Rohlösung (das Feed), auf der anderen Seite die Aufnehmungsphase. Die beiden wässrigen Phasen unterscheiden sich deutlich in pH-Wert und Ionenstärke. Bei geeigneter Wahl des Kopplers gelingt in einem mehrstufigen Verfahren die sehr reine Trennung (> 99,9 %) racemischer Gemische (Maximini 2004). Allerdings müssen die Strömungsbedingungen sehr sorgfältig gewählt werden. Zu hohe Strömungsgeschwindigkeiten (gleiche Strömungsrichtung) oder Druckdifferenzen führen zum Auswaschen der organischen Phase. Da dies nie vollständig vermieden werden kann, darf die organische Phase nicht toxisch sein.
10.3.3.9 Dialyse Die Dialyse war der erste Membrantrennprozess im technischen Maßstab. Die Produktion von Membranen für die Dialyse in der Medizin überschreitet immer noch die sämtlicher sonstiger industriell eingesetzter Membranen. Daraus resultiert ein äußerst günstiger Preis für einen sterilen Dialysemodul. Berücksichtigt man, dass beidseits der Membran eine wässrige Phase strömt und dadurch das Membranfouling vergleichsweise gering ist (Chmiel et al. 1983), so wird dieses Verfahren als erster Schritt zur Entfernung niedermolekula-
Abb. 10.34 Transportmechanismen in einer trägergestützten Flüssigmembran zur Trennung eines R/SEnantiomerengemisches. Untere Pore: unselektiver Transport auf Grund der Löslichkeit; obere Pore: selektiver Transport von R mit Hilfe eines Kopplers (Carrier); nach Maximini (2004)
rer Verunreinigungen aus Proteinlösungen sehr attraktiv. Wie in Abbildung 10.35 gezeigt, wird hierfür ein Membranmodul mit vier Anschlüssen (Feed-Zufuhr, Retentat-Abfuhr, Dialyseflüssigkeit-Zufuhr und Dialysat-Abfluss) verwendet. Der dem Modul zugeführten Proteinlösung VF mit der Proteinkonzentration cFP und der Konzentration an Verunreinigungen cFV strömt auf der anderen Seite der Membran eine Dialyseflüssigkeit VD entgegen, die alle diejenigen niedermolekularen Komponenten enthält, die nicht g entfernt werden sollen. aus der Proteinlösun . Über die Wahl von VD kann der Konzentrationsgradient für die Verunreinigung so hoch gehalten werden, dass eine sehr effektive Reinigung der Proteinlösung stattfindet (cFV >> cRV). Gleichzeitig ergibt sich die Möglichkeit, durch Druckerhöhung auf der Feedseite die Proteinkonzentration im Retentat zu erhöhen (cRP > cFP).
10.3.3.10 Elektrisch getriebene Membrantrennprozesse Legt man an eine NaCl-Lösung ein elektrisches Gleichspannungsfeld an, so wandern bekanntlich die Na+-Ionen (Kationen) zur Kathode und die Cl−-Ionen (Anionen) zur Anode. Bringt man zwischen diesen Transport gemäß Abbildung 10.36a eine Membran mit negativen Festladungen, z. B. COO−, so hält diese Membran (Kationenaustauschermembran, abgekürzt KM) die Cl−-Ionen zu-
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
331
Abb. 10.35 Schema eines Dialysemoduls
a
b
rück, während die Na+-Ionen permeieren können. Das Ergebnis ist eine Anreicherung von Ionen zwischen Membran und Kathode. Analoges gilt für eine Membran mit positiven Festladungen, z. B. NH+3. Diese Membran (Anionenaustauschermembran, abgekürzt AM) hält Na+-Ionen zurück, während die Cl−-Ionen permeieren können. Setzt man alternierend Kationen- und Anionenaustauschermembranen zusammen, so bilden sich unter
Abb. 10.36 (a) Wirkung einer Kationenaustauschermembran im elektrischen Gleichspannungsfeld einer NaCl-Lösung. (b) Alternierende Anordnung von Kationenaustauscher- (KM) und Anionenaustauschermembranen (AM)
sonst gleichen Bedingungen Kammern (Zellen) mit erhöhter und solche mit erniedrigter Salzkonzentration (Abb. 10.36b). Dieses unter dem Begriff Elektrodialyse bekannte Verfahren hat man bereits in den späten 1950er-Jahren genutzt, um Meerwasser oder Brackwasser zu entsalzen. Die Elektrodialyse (ED) ist also ein Prozess, bei dem ionogene Bestandteile einer wässrigen Lösung von nicht geladenen Komponenten mit-
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10
332
hilfe elektrisch geladener Membranen und einer elektrischen Potenzialdifferenz als treibender Kraft getrennt werden (Strathmann 2009). In Abbildung 10.37 ist eine Elektrodialyse-Anlage schematisch dargestellt. Sie besteht aus einer Vielzahl von Zellen (bis zu 500), die alternierend ionenreiches Konzentrat bzw. ionenarmes Diluat enthalten. An den Elektroden findet der Übergang vom Stromtransport durch Elektronenfluss auf ionischen Transport statt. Diese Elektronenübertragung ist mit einer chemischen Reaktion verbunden, was zur Bildung von Sauerstoff an der Anode und Wasserstoff an der Kathode führt und die Spülung der Elektrodenkammern notwendig macht. Wie bei allen Membrantrennverfahren tritt auch bei der Elektrodialyse das Phänomen der Konzentrationspolarisation als störender Faktor auf. Um die benötigte Membranfläche gering zu halten, wird mit hohen Stromdichten gearbeitet. Dadurch kommt es jedoch in der Diluatkammer an der KM zu einem starken Absinken der Ionenkonzentration (Abb. 10.38). Dies kann nur begrenzt durch Erhöhung der Turbulenz ausgeglichen werden. Eine laminare Grenzschicht von 200 bis 500 nm ist nach Baker (2004) nicht zu vermeiden. Als Folge davon kann die Ionenkonzentration soweit absinken, dass es zur Was-
Abb. 10.37 Schematische Darstellung einer Elektrodialyseanlage
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
serzersetzung kommt. Die zugehörige Stromdichte bezeichnet man als Grenzstromdichte. Während die Konzentrationspolarisation auf der Diluatseite der KM zur Verarmung an Ionen bis hin zur Wasserzersetzung führt, erzeugt sie auf der Konzentratseite eine Konzentrationsüberhöhung, die zum Ausfällen von anorganischen (Scaling) oder organischen (Fouling) Komponenten führen kann. Insbesondere das Letztgenannte begrenzt den Einsatz der Elektrodialyse in der Biotechnologie. War das Haupteinsatzgebiet der Elektrodialyse bisher die Brackwasserentsalzung, so findet sie heute zunehmend in der Biotechnologie, der Lebensmittel- und der Pharmaindustrie Verwendung (Strathmann 2010). Ein Beispiel in der Biotechnologie ist die Gewinnung schwacher organischer Säuren (Kapitel 13). Eine in der Bioprozesstechnik besonders vielseitig einsetzbare Variante der Elektrodialyse ist die Verwendung bipolarer Membranen. Deren Grundprinzip – die elektrodialytische Wasserspaltung – geht aus Abbildung 10.39 hervor (Bauer et al. 1988). Bringt man eine Elektrolytlösung zwischen eine Anionen- und eine Kationenaustauschermembran, so wird unter der treib enden Kraft des elektrischen Feldes eine Überführung der
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
333
Abb. 10.38 Konzentrationspolarisation bei der Elektrodialyse an einer Kationenaustauschermembran (nach Baker 2004), M = Membran, Bulk = Bedingungen außerhalb der Grenzschicht
Abb. 10.39 Grundprinzip der elektrodialytischen Wasserspaltung (Bauer et al. 1988)
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334
geladenen Teilchen aus dem Zwischenraum erzwungen. Sinkt dabei deren Konzentration auf den Bereich des Ionenproduktes von Wasser ab, d. h. auf ca. 10−6 bis 10−7 mol/l, so erfolgt der Ladungstransport unter Dissoziation von Wasser aufgrund der höheren Beweglichkeit ausschließlich unter Wanderung von Protonen und Hydroxid-Ionen. Daraus resultiert – unter Diffusion von Wasser in den Zwischenraum – die Bildung einer Säure auf der kationenselektiven Seite und einer alkalischen Lösung auf der anionenselektiven Seite der bipolaren Membran. Auf diese Weise lässt sich – ohne Zudosierung einer Säure oder Lauge – in einer Kammer eines Elektrodialysemoduls gezielt ein bestimmter pH-Wert einstellen. Am Beispiel der Produktaufarbeitung einer enzymatischen Racematspaltungg soll der Vorteil dieser Trenntechnik demonstriert werden (Koberstein und Lehmann 1986). Ein Produktgemisch aus L(−)-Methionin, D(+)-N-Acetylmethionin und Natriumacetat wird als Feed-Lösung einem mit bipolaren Membranen ausgerüsteten Elektrodialysemodul zugeführt. Der pH-Wert dieser Lösung wird auf den isoelektrischen Punkt des L-Methionins eingestellt. Unter der treibenden Kraft der an-
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
gelegten elektrischen Gleichspannung wandern nun D(+)-N-Acetylmethionin und die AcetatIonen in das saure Konzentrat und die Na+Ionen unter Bildung von Natronlauge in das basische Konzentrat, während das reine (nicht geladene) L-Methionin zunächst in der Kammer verbleibt (Abb. 10.40). Das Verfahren bietet damit die Möglichkeit, neben einer Isolierung des reinen L-Methionins eine Rückführung von D(+)-N-Acetylmethionin, Essigsäure und Natronlauge zu realisieren. Ein weiteres Beispiel für die Verwendung derartiger Hybridverfahren in der Produktaufarbeitung, stellt die Pyruvatproduktion im repeated fed-batch-Verfahren mittels rekombinanter Escherichia coli dar. Zelić et al. (2004) berichten über die Kombination von UF und ED zur integrierten Produktaufarbeitung. Eine gute Übersicht über elektrisch getriebene Membranprozesse gibt Strathmann (2004).
10.3.3.11 Auslegung und Betrieb von Membrananlagen Wenn man in Labor- und Technikumsversuchen bezüglich Rückhaltevermögen, Permeabilität, Stabilität, Adsorptionsverhalten und Preis die
Abb. 10.40 Verfahren zur Isolierung von L-Methionin aus einem Gemisch mittels bipolarer Membranen (BM) (Bauer et al. 1991)
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
günstigste Membran und für die zu filtrierende Rohlösung den geeigneten Modul ausgewählt hat, so ist die Anlage auszulegen. Die notwendige
Abb. 10.41 Betriebsweisen von Membrananlagen. (a) Kontinuierlicher Betrieb; (b) batch-Betrieb; (c) kontinuierlicher Betrieb mit Rückführung
335
Membranfläche ergibt sich letztlich aus der Betriebsweise. Analog zum Reaktorbetrieb (Kapitel 4 und 7) unterscheidet man zwischen kontinuierlichem, batch- und halbkontinuierlichem Betrieb (Abb. 10.41). Beim kontinuierlichen Betrieb (Abb. 10.41a) durchströmt die Rohlösung den Membranmodul nur einmal. Die zur Vermeidung von Konzentrationspolarisation und Membranfouling notwendige Anströmgeschwindigkeit ist, wegen der geforderten Aufkonzentrierung bzw. Ausbeute nur begrenzt einstellbar. Beim batch-Betrieb (Abb. 10.41b) wird das den Modul verlassende Retentat so lange in den Vorratsbehälter zurückgeführt, bis die gewünschte Konzentration erreicht ist. Das Restvolumen wird aus der Anlage entfernt, die Anlage gereinigt und der Vorratsbehälter neu gefüllt. Der kontinuierliche Betrieb mit Rückführung (Abb. 10.41c) hat wegen der zusätzlichen Umwälzpumpe die größte Flexibilität. Aufkonzentrierung bzw. Ausbeute und Überströmgeschwindigkeit lassen sich unabhängig voneinander einstellen. Hat man sich für die Betriebsweise entschieden, liegt die Membranfläche aufgrund der Technikumsversuche fest. Da die Membranmodule mit Standardflächen angeboten werden, stellt sich die Frage, ob man die notwendige Zahl der Module parallel, in Reihe oder in sogenannter Tannenbaumstruktur ausbildet (Abb. 10.42).
Abb. 10.42 Grundschaltungen für Membranmodule. (a) Reihenschaltung; (b) Parallelschaltung; (c) sogenannte Tannenbaumstruktur (nach Melin und Rautenbach 2007)
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336
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Werden bei der Reihenschaltung alle Module vom gesamten Feedstrom durchströmt, bewirkt eine parallele Anordnung eine Aufteilung des Ausgangsstroms. Die Entscheidung geben Konzentrationspolarisation und vom Hersteller vorgegebene zulässige Drucke bzw. Druckverluste. Näheres zur Auslegung von Membrananlagen siehe Melin und Rautenbach (2007).
10.3.4 Solventextraktion Als Solventextraktion bezeichnet man den Übergang eines Stoffes (des Extraktstoffes) von einer flüssigen Phase (Abgeber genannt) in eine zweite fluide Phase (dem Aufnehmer, auch Extraktionsmittel, Lösungsmittel oder Solvent genannt), die mit der ersten nicht oder nur gering mischbar ist. Nach Einstellung eines Gleichgewichts – unter der Voraussetzung niedriger Konzentrationen sowie für konstanten Druck, Temperatur und pH – gilt für die Verteilung des Extraktstoffes in Abgeber (nun Raffinat genannt) und Aufnehmer (dem Extrakt) der Nernst’sche Verteilungssatz cE / cR = KE = konst.
(10.15a)
d. h. die Konzentrationen des Extraktstoffes im Extrakt cE und Raffinat cR stehen in einem festen Verhältnis, dem Verteilungskoeffizienten KE. Sind Abgeber und Aufnehmer merklich ineinander löslich, so empfiehlt sich die Darstellung des Löslichkeitsverhaltens im Dreiecksdiagramm (Abb. 10.43a). Daneben wird häufig
Abb. 10.43 (a) Dreiecksdiagramm und (b) Gleichgewichtsdiagramm eines Dreistoffsystems mit Mischungslücke; K = kritischer Punkt
auch das Gleichgewichtsdiagramm mit rechtwinkligen Koordinaten verwendet (Abb. 10.43b). Dreiecksdiagramme geben das Verhalten von Dreistoffsystemen bei konstantem p, T und pH wieder. Die reinen Komponenten P (Extraktstoff ), A (Abgeber) und S (Extraktionsmittel oder Solvent) stellen die Ecken, Zweistoffgemische Punkte auf den Dreiecksseiten dar. Ternäre Gemische werden durch Punkte innerhalb der Dreiecksflächen repräsentiert. Das homogene Einphasengebiet, in dem Abgeber, Extraktstoff und Aufnehmer ineinander löslich sind, wird durch die Binodale (Löslichkeitskurve) vom heterogenen Zweiphasengebiet getrennt. Liegt der Zustandspunkt also im Zweiphasengebiet, zerfällt die Mischung in die Gleichgewichtsphasen R (Raffinat) und E (Extrakt), die im Zustandsdiagramm durch eine Konode verbunden sind. Der kritische Punkt K, der auf der Binodale liegt und bei dem die Länge der Konoden gegen null geht, unterteilt die Binodale in zwei Äste, die in unserer Darstellung links die Zusammensetzung des Raffinats und rechts des Extrakts charakterisieren. Für weitere Erläuterungen wird auf die Fachliteratur verwiesen (z. B. Schlünder und Thurner 1986).
10.3.4.1 Extraktionsmittel B ei der Wahl des Extraktionsmittels ist eine Reihe von generellen Forderungen zu beachten, die sich zum Teil widersprechen: • möglichst geringe Mischbarkeit von Abgeber und Aufnehmer;
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
• möglichst hohe Selektivität, d. h. es soll möglichst nur der Extraktstoff im Extraktionsmittel gelöst werden; • große Kapazität für den aufzunehmenden Extraktstoff; • große Dichtedifferenz zwischen Aufnehmer und Abgeber erleichtert die Phasentrennung; • hohe Grenzflächenspannungen zwischen Aufnehmer und Abgeber verhindern die Bildung stabiler Emulsionen, erschweren aber auch das Dispergieren der Phasen (Erzeugung großer Austauschflächen); • geringe Viskosität, um die Druckverluste klein zu halten und guten Wärme- und Stoffübergang zu erzielen; • niedrige Siedetemperaturen und Verdampfungsenthalpien sowie chemische und thermische Beständigkeit des Extraktionsmittels erleichtert die Rückgewinnung; • schlechte Brennbarkeit erhöht die Betriebssicherheit; • niedriger Preis des Extraktionsmittels vermindert die Kosten für die Substitution des verloren gegangenen Extraktionsmittels; • niedriger Dampfdruck bei Arbeitstemperatur vermindert andererseits die Verluste durch Verdunstung; • geringe Korrosionswirkung des Extraktionsmittels hält die Anlagekosten gering; • geringe Toxizität für Mensch und Umwelt. Neben diesen generellen Auswahlkriterien gibt es noch für die Bioproduktaufarbeitung spezifische Forderungen: • Geschieht die Extraktion aus dem zellfreien Abstrom, so muss das Extraktionsmittel so gewählt werden, dass es das Produkt nicht schädigt (z. B. deaktiviert). • Erfolgt die Extraktion unmittelbar im Bioreaktor, so darf das Extraktionsmittel zusätzlich nicht toxisch für den Biokatalysator sein. Die meisten organischen Lösungsmittel sind jedoch toxisch. Schügerl (2000) sieht deren Einsatz – nach Abtrennung der Mirkoorganismen – vorteilhaft für die Gewinnung von Antibiotika. Als Alternative empfiehlt Weuster-Botz (2007) ionische Flüssigkeiten. Ionische – also Festladungen tragende – Polymere wurden bereits als Kationen- und Anionenaustauschermembranen
337
bei der Elektrodialyse vorgestellt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um bei Raumtemperatur flüssig vorliegende Ionenaustauscher. Trotz ihrer hohen Polarität sind viele ionische Flüssigkeiten hydrophob und bilden daher mit Wasser zweiphasige Systeme. Chemische und physikalische Eigenschaften, wie Polarität, Hydrophobizität, Viskosität etc. können durch Modifikation der Kationen, Anionen und anhängende Substituenten beeinflusst werden. Das hat den ionischen Flüssigkeiten auch den Namen „Designer-Solvents“ eingebracht. Ihre geringe Volatilität und Entflammbarkeit, thermische und chemische Stabilität lassen sie als attraktive Alternative zu organischen Lösungsmitteln erscheinen. So berichten Bräutigam et al. (2009) über die integrierte Produktentfernung mittels ionischer Flüssigkeiten zur Gewinnung prochiraler Ketone. Hohe Kosten und die vergleichsweise hohe Viskosität ionischer Flüssigkeiten stellen bisher aber immer noch Nachteile dar. Deswegen werden für die in situ-Anwendung wässrige Zweiphasensysteme empfohlen (Rito-Palomaris und Lyddiatt 2002).
10.3.4.2 Die wässrige Zweiphasenextraktion (ATPS) Werden zwei Polymere wie z. B. Polyethylenglykol (PEG) und Dextran in Wasser gelöst, so bilden sie nach Überschreiten gewisser Grenzkonzentrationen zwei Phasen. Diese Phasenbildung basiert auf der sogenannten Unverträglichkeit von Polymeren: Die Wechselwirkung der jeweiligen Polymerspecies unter sich ist günstiger als die Wechselwirkung zwischen den beiden Polymeren. Der hohe Wasseranteil in beiden Phasen erlaubt eine schonende Extraktion mit Erhalt der biologischen Aktivität der Proteine. Dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber der Extraktion mit organischen Lösungsmitteln, deren Anwendung in der Biotechnik, wie oben gezeigt, auf Sonderfälle beschränkt bleibt. Abbildung 10.44 zeigt das Dreiecksdiagramm eines PEG/Dextran/Wasser-Systems. Die unterste Kurve – die sogenannte Binodale – trennt das darunter liegende Gebiet der einphasigen, homogenen Lösung von dem darüber liegenden Zweiphasensystem. Beim Vergleich mit Abbildung 10.43a ist aber zu beachten, dass in Ab-
10
10
338
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Bei Verwendung eines PEG-Salz-Systems bringt die Entsorgung des Salzes, insbesondere des Phosphats, allerdings erhebliche Umweltprobleme. S chon aus diesem Grund sind anschließende Schritte zur Rückgewinnung des Salzes notwendig (Greve und Kula 1991). Das Verteilungsverhalten der Moleküle wird durch den schon definierten Verteilungskoeffizienten KE angegeb en. Der Verteilungskoeffizient kann auch durch die Brönstedt-Gleichung beschrieben werden: ln K E = Abb. 10.44 Dreiecksdiagramm eines PEG/Dextran/ Wasser-Systems; K = kritischer Punkt (modifiziert nach Hustedt et al. 1987)
bildung 10.43b bereits Abgeber und Aufnehmer ein Dreiecksdiagramm benötigen. Die Verteilung des Produkts in den beiden Phasen hätte eine räumliche Darstellung erforderlich gemacht. Überlässt man dieses System der Schwer- oder Zentrifugalkraft, so bildet sich eine PEG-reiche Oberphase und eine Dextran-reiche Unterphase. PEG wird aus Ethylenoxid in unterschiedlicher Kettenlänge hergestellt, wobei Molmassen zwischen 1 000 und 20 000 eingesetzt werden. Dextran ist ein biotechnologisch hergestelltes Polysaccharid aus Glucoseeinheiten. Aufgrund des relativ hohen Preises für Dextran wurde schon früh nach alternativen Polymeren gesucht. Ein Beispiel hierfür ist derivatisierte Stärke. Durchgesetzt haben sich diese alternativen Polymere aber noch nicht. Breitere Anwendung in der Proteinreinigung hat das PEG/Salz-System gefunden, da dieses System billiger ist und zudem häufig auch bessere Reinigungen erzielt. Als Salze werden vor allem solche mit hoher Aussalzkapazität verwendet, wie Phosphat oder Sulfat. Bei der Phasentrennung verteilt sich PEG überwiegend in die Oberphase, Kaliumphosphat überwiegend in die Unterphase. Zellen, Zellbruchstücke, Proteine und Nucleinsäuren verteilen sich aufgrund spezifischer Wechselwirkungen mit den Systemkomponenten zwischen den zwei Phasen. Diese Wechselwirkungen sind vor allem ionischer und hydrophober Natur und Van-der-Waals-Wechselwirkungen.
λA kT
(10.15b)
mit KE = Verteilungskoeffizient A = Oberfläche des Moleküls k = Boltzmann-Konstante T = absolute Temperatur λ = Summe der Molmasse-unabhängigen Wechselwirkungen
Aus der exponentiellen Abhängigkeit des Verteilungskoeffizienten von der Oberfläche und damit indirekt auch von der Molmasse ergibt sich für Partikel mit hoher Molmasse, wie z. B. Zellen und Zellbruchstücke, eine einseitige Verteilung, d. h. Verteilungskoeffizienten von nahezu null oder unendlich. Aus diesem Grund ist das Zweiphasensystem zur Zelltrümmerabtrennungg besonders gut geeignet, da sich diese leicht quantitativ in die Unterphase verteilen lassen. Für Proteine liegen die Verteilungskoeffizienten zwischen 0,01 und 100, für niedermolekulare Stoffe wie Aminosäuren oder Salze um 1. Das Ziel der wässrigen Zweiphasenextraktion ist es, das gewünschte Produkt in eine Phase, die Fremdproteine und Zellbruchstücke in die andere Phase zu verteilen. Ein allgemeines Verfahrensschema für die Aufarbeitung von Enzymen mit dem wässrigen Zweiphasensystem – mit PEG und Phosphat als phasenbildende Komponenten – ist in Abbildung 10.45 gezeigt. Das Zellhomogenat (20–25 % Endkonzentration an Biofeuchtmasse) wird im ersten Extraktionsschritt mit Phosphat und PEG versetzt und nach kurzer Mischzeit (eine Minute) in Ober- und Unterphase bzw. PEG- und Salzphase getrennt. Die Bedingungen werden so gewählt, dass Zellbruchstücke und der über-
339
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
Abb. 10.45 Verfahrensschema zur extraktive n Enzymaufarbeitung mit dem wässrigen Zweiphasensystem. Phasenbildende Komponenten sind PEG und Kaliumphosphat (modifiziert nach Hustedt et al. 1985)
wiegende Teil der kontaminierenden Proteine in die Salzphase verteilt werden, das Produkt jedoch in die PEG-Phase. In dem zweiten Extraktionsschritt wird dann das Produkt in die Unterphase verteilt und so vom PEG getrennt. Ein Teil der Fremdproteine und Farbstoffe verbleib en in der Ob erphase. Nach diesem Verfahrensschema wurde eine Reihe von Enzymen gereinigt und ohne weitere Aufarbeitungsschritte für technische Zwecke eingesetzt (Tabelle 10.4). In allen Fällen b etrug die Ausbeute um die 80 %, die Anreicherungsfaktoren lagen zwischen 1,9 und 33. Über praktische Erfahrungen mit der zweistufigen ATPS berichten Kula und Selber (1999) und Rito-Palomares (2004). Erfolgreich wurde die ATPS unter anderem zur Reinigung von Antibiotika (Bora et al. 2005), Cutinase (Kepka et al. 2005) und Plasmid-DNA (Frerix et al. 2005) eingesetzt, um nur einige Beispiele zu nennen. Dass dieses robuste und preisgünstige Reinigungsverfahren nicht weiter verbreitet ist, hängt mit der großen Zahl von Parametern zusammen, die für ein neues Produkt, das mittels ATPS gereinigt werden soll, bestimmt bzw. optimiert werden müssen.
Tabelle 10.4 Proteine, die durch mehrere Extraktionsschritte gereinigt wurden (nach Hustedt et al. 1985) Protein
Organismus
Anzahl der Extraktions schritte
Gesamtreiniigungsfaktor
L–2-Hydroxyisocaproat-Dehydrogenase
Lactobacillus confususs
2
24
80
D–2-Hydroxyisocaproat-Dehydrogenase
Lactobacillus caseii
2
7
85
Fumarase
Brevibacterium ammoniagenes
2
22
75
Aspartase
Escherichia colii
3
18
82
Leucin-Dehydrogenase
Bacillus sphaericuss
2
3,1
87
Formiat-Dehydrogenase
Candida boidiniii
3
4,2
78
D-Lactat-Dehydrogenase
Lactobacillus confususs
2
1,9
91
Penicillin-Acylase
Escherichia colii
2
Pullulanase
Klebsiella pneumoniae
4
Glucose-Dehydrogenase
Bacillus spec.
3
10
6,3
Gesamtausbeute (%)
78
70
33
83
Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase
Leuconostoc spec.
2
5
80
Fumarase
Saccharomyces cerevisiae
2
13
77
β-Interferon
Human-Fibroblasten
1
350
–
10
340
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Das Verteilungsverhalten von Biopolymeren lässt sich generell durch folgende Bedingungen beeinflussen: • Art der phasenbildenden Polymere bzw. Kombination Polymer/Salz; • Molmasse und Molmasseverteilung der Polymere; • Entfernung vom kritischen Punkt, d. h. Konodenlänge; • Gegenwart von Ionen; • pH-Wert; • Temperatur; • Einführung spezifischer Liganden: siehe Affinitätsextraktion.
Es ist bis heute noch nicht möglich, die Verteilung von Proteinen genau vorherzusagen, um optimale Verteilungskoeffizienten zu erzielen. Es lassen sich lediglich einige Tendenzen aufzeigen: • Mit steigender Molmasse eines Polymers werden die Proteine in die andere Phase gedrängt, wenn dort die Molmasse des Polymers konstant gehalten oder erniedrigt wird.
• Mit steigendem pH-Wert steigt auch der Verteilungskoeffizient für das Gesamtprotein. • Bei hohen Salzkonzentrationen werden die Proteine in die Oberphase verteilt. Selbst für ein gewähltes Polymer/Salz-System müssen zunächst Binodale, Konoden und Phasenverhältnisse sowie Proteinverteilungskoeffizienten bestimmt werden. Variiert man dann noch Salz- und Polymerkonzentration, ist die Zahl der Experimente auf manuellem Weg nicht mehr zu bewältigen. Bensch et al. (2007) haben in einer Machbarkeitsstudie (engl. feasibility study) die experimentelle Strategie für den Einsatz von HTS zur Lösung dieses Problems entwickelt. Benutzt wird hierzu wieder die Plattform eines Pipetierroboters mit einer sogenannten 96-deep-wellplate (Mikrotiterplatte mit geeichten Kunststoffröhrchen, hier mit einem Volumen von je 1,2 ml) mit Greifarm und integrierter Zentrifuge, einem Magnetschüttler und einem Spektrophotometer. Das Versuchsprogramm ist in Abbildung 10.46 schematisch dargestellt.
1) Probennahme 2) Verdünnung 3) Transfer
UV 280 nm
80μl 720 μl 300 μl
Salz Wasser Farbstoff Protein PEG
x-y μl x-y μl 10/100 μl 100 μl x-y μl
Bestimmung der Binodale und Konoden
2 x PS/ 50-80 μl
Bestimmung der Proteinkonzentration
4 x PS/ 1000 μl
Herstellung eines ATP-Systems
2 x PS/ 100 μl
10
UV 450/562 nm
Abb. 10.46 Schema zur Bestimmung der Binodale und Konoden (rechts) und der Proteinlöslichkeit (links) für die wässrige Zweiphasenextraktion PEG/Salz (nach Bensch et al. 2007)
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
Zur Ermittlung der Binodalkurve (Abb. 10.46, rechts) werden im Labor zunächst wässrige Lösungen von Polyethylenglykol (PEG 200, PEG 1 000, PEG 1 540 und PEG 4 000) und Phosphatpuffer (K2HPO4 + KH2PO4) hergestellt. In die 96 Wells werden unterschiedliche Mengen Salzlösung und 10 μl Methylorange gegeben und mit der PEG-Lösung auf 1 ml aufgefüllt. Das Mischen der Proben erfolgte auf zwei verschiedene Weisen, und zwar durch Schütteln oder wiederholtes Ansaugen und Ausblasen mit der Pipettierspitze, wobei Letzteres zu einem homogeneren Mischergebnis führte. Beim anschließenden Zentrifugieren bilden sich ggf. zwei Phasen. Da Methylorange sich im Einphasen-System gleichmäßig verteilt, im Zweiphasen-System aber vollständig in die Oberphase wandert, können durch Probenahme am Boden der Wells und Absorptionsmessung bei 450 nm Punkte der Binodale und durch deren Verbindung die Binodalkurve ermittelt werden. Die Bestimmung der Konoden basiert auf einer Probenahme in der Oberphase und darauffolgender Konzentrationsbestimmung des verwendeten Farbstoffs Methylviolett bei 562 nm. Die Farbstoffkonzentration ist eine Funktion des Oberphasenvolumens und erlaubt dadurch über das durch den Mischungspunkt festgelegte Volumenverhältnis von Ober- und Unterphase auf die Schnittpunkte der jeweiligen Konode mit der Binodale zurück zu schließen. Analog ging man bei der Bestimmung des Proteinverteilungskoeffizienten vor, jedoch erfolgt hier die Bestimmung der Proteinkonzentration mittels UV-Vis-Spektrophotometer bei 280 nm. Der Proteinverteilungskoeffizient ergibt sich dann aus dem Verhältnis der Proteinkonzentration in Ober- und Unterphase. Obwohl mit diesem Verfahren bis zu 600 Phasensysteme pro Tag untersucht werden konnten, ist der Zeitaufwand sehr hoch. Im Hinblick auf eine große Zahl neuer Produkte (z. B. biopharmazeutisch gewonnener Generika) und dem Druck möglichst schnell damit auf den Markt zu kommen, schlagen Nfor et al. (2009) vor, neben Hochdurchsatz-Experimenten, die Biothermodynamik und Simulationsinstrumente zu Hilfe zu nehmen. In diesem Kontext ist auf die Arbeiten von Winkelnkemper und Schembecker (2010a, b) und auf Abschnitt 10.4 hinzuweisen.
341
10.3.4.3 Affinitätsextraktion Der in Tabelle 10.4 für β-Interferon erreichte Anreicherungsfaktor von 350 gelang durch Modifikation des PEG im Sinne der Affinitätsextraktion. Durch Einführung eines Liganden, der spezifisch nur das Zielsystem oder eine Enzymgruppe erkennt, kann die Selektivität und damit der Verteilungskoeffizient drastisch erhöht werden. Die Affinitätsextraktion oder -verteilung ist in der Wirkung zu vergleichen mit der Affinitätschromatographie (Abschnitt 10.3.6.7) und der Affinitätspräzipitation (Abschnitt 10.3.1.9). In der Regel kann die Affinitätsextraktion nur in einem Polymer-Polymer-System durchgeführt werden, da hohe Salzkonzentrationen die Interaktion zwischen Ligand und Protein herabsetzen. Bei Verwendung von PEG und Dextran wird der Ligand meistens an die terminale Hydroxylgruppe des PEG gekoppelt, es gibt jedoch auch Beispiele der Kopplung an Dextran. Als Liganden können unter anderem Substrate, Inhibitoren oder Cofaktoren eingesetzt werden. In Abbildung 10.47 sind die Verteilungskoeffizienten von verschiedenen Dehydrogenasen in Abhängigkeit des Anteils an PEG-NADH in einem PEG 4 000/ Dextran-T-500-System gezeigt. Mit steigender Konzentration des Liganden tragenden PEG ergeben sich typische Sättigungskurven. Je nach Enzym wird der Verteilungskoeffizient bis zu 20-fach gesteigert. Da NADH als Ligand zu teuer ist, wurden schon früh alternative Liganden gesucht und in den Triazinfarbstoffen gefunden, die hohe Affinitäten zu Dehydrogenasen zeigen. Für die Phosphofructokinase aus Saccharomyces cerevisiae konnte der Δlog K-Wert um den Faktor 3 gesteigert werden (Johansson et al. 1983). Diese hohen Verteilungskoeffizienten tragen jedoch nur zur Reinigung bei, wenn der Verteilungskoeffizient der kontaminierenden Proteine nahezu unverändert bleibt. In den meisten Veröffentlichungen, so auch in dem obigen Beispiel, werden vorgereinigte oder homogene Enzymsysteme eingesetzt. Schustolla et al. (1989) zeigten, dass die Steigerung des Δlog K-Wertes bei Einsatz von Zellhomogenat, also direkt aus der aufgeschlossenen Zellbrühe, weit geringer ausfällt. Andere Verbesserungen der Selektivität sind z. B. die Einführung von geladenen Grup-
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342
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
kann, ohne dass dadurch die spezifische Aktivität oder die Ausbeute nennenswert absinkt.
10.3.4.4 Superkritische Fluidextraktion (SFE)
Abb. 10.47 Verteilungskoeffizient KE von verschiedenen Dehydrogenasen als Funktion der PEG6000NADH-Konzentration in einem PEG4000/Dextran-T500-System. Systembedingungen: 7 % (w/w) PEG4000; 6 % (w/w) Dextran T-500; 0,05 M Kaliumphosphat, pH 7,5 und 0,1 mM β-Mercaptoethanol (20 °C) (nach Kula et al. 1982). ႒: Lactat-Dehydrogenase (Kaninchenmuskel); ෙ: Alkohol-Dehydrogenase (Hefe: Saccharomyces cervisae); ×: Formiat-Dehydrogenase (Candida boidinii); i Ⴜ: Formaldehyd-Dehydrogenase (Candida boidinii) i
pen wie quartäres Amin oder eine Sulfonsäuregruppe, Phosphatester oder polymergebundene Fettsäuren. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das wässrige Zweiphasensystem sich durch folgende Punkte auszeichnet: • verfahrenstechnische Einfachheit in jedem Maßstab; • einfaches und präzises Scale-up; • hohes Potenzial für eine kontinuierliche Prozessführung; • niedrige Investitionskosten; • hohe Produktausbeuten. Von Nachteil sind jedoch die relativ hohen Chemikalienkosten, weswegen ein Recycling der Systemkomponenten besonders interessant ist. Hustedt und Mitarbeiter (1986) konnten anhand der Fumarase aus der Bäckerhefe zeigen, dass das PEG bis zu viermal wiederverwendet werden
Seit Langem ist bekannt, dass verflüssigte und überkritische Gase als Extraktionsmittel im Sinne einer Solventextraktion benutzt werden können (supercritical f luid extraction, kurz SFE). Die Diffusionskoeffizienten liegen für überkritische Gase um ca. zwei Zehnerpotenzen unter denen der Gasphase und ca. 1,5 Zehnerpotenzen über denen der flüssigen Phase. Ebenso liegt die Viskosität überkritischer Gase zwischen dem flüssigen und dem gasförmigen Zustand. Daraus resultieren im Vergleich zur Flüssig-FlüssigExtraktion sehr günstige Transporteigenschaften im überkritischen Zustand. Die Löslichkeit ist in der Regel in überkritischen Gasen im Vergleich zu organischen Lösungsmitteln wesentlich niedriger. Überkritische Gase verhalten sich wie unpolare Lösungsmittel und eignen sich aus diesem Grunde bevorzugt für unpolare Substanzen. Ionisierte Stoffe lösen sich ebenso wenig wie Polysaccharide und einfache Zucker. Die Löslichkeit polarer Stoffe, das sind solche, die polare Substituenten wie Hydroxyl-, Amino- oder Carboxylgruppen enthalten, ist wesentlich geringer als die der vergleichbaren Grundkörper. Leicht löslich, und damit für die Extraktion geeignet, sind die völlig unpolaren Kohlenwasserstoffe, viele Ether, Ester, Lactone und Triglyceride (Fette). Eine der wichtigsten technischen Anwendungen ist die Entasphaltierung von Erdöl. Aber auch in der Lebensmitteltechnik wird die SFE z. B. zur Gewinnung von Aromastoffen oder zur Entkoffeinierung von grünem Kaffee eingesetzt. Über den Einsatz in der Biotechnik berichtet Willson (1985). Als Lösungsmittel wird überwiegend CO2 verwendet. Dieses besitzt zahlreiche Vorteile: • Sein kritischer Punkt liegt – wie aus dem Zustandsdiagramm in Abbildung 10.48 hervorgeht – mit 31°C und 73 bar in einem technisch gut beherrschbaren Bereich. Aufgrund der niedrigen kritischen Temperatur lassen sich auch empfindliche Stoffe extrahieren oder voneinander trennen, die in anderen Verfahren, wie z. B. der Destillation, thermisch
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
343
Abb. 10.49 Schematische Darstellung der überkritischen Fluidextraktion (SFE) (Details siehe Text)
Abb. 10.48 Zustandsdiagramm für CO2, die dünnen Linien sind Isochoren (Dichten von 0,1–1,2 g/ml)
geschädigt würden. Wegen der niedrigen Prozesstemperaturen können die Heizkosten niedrig gehalten werden. • Es ist nicht brennbar, im Allgemeinen nicht korrosiv sowie billig auch in großen Mengen und großer Reinheit zu beziehen. • Es ist physiologisch völlig unbedenklich; aufgrund seines hohen Dampfdruckes verflüchtigt es sich aus den Extrakten vollkommen rückstandsfrei. Diese Eigenschaften machen es insbesondere für die Nahrungs- und Genussmittelverarbeitung interessant.
Anhand von Abbildung 10.49 soll am Beispiel der superkritischen CO2-Extraktion eines Fischölesters zur Gewinnung von Ω-3-Fettsäurenester der Prozess erläutert werden. Das Einsatzgut (1) wird mittels Hochdruckpumpe (2) bei ca. 100 bar in den oberen Teil der Extraktionssäule eingespritzt. Das mittels Hochdruckpumpe (5) und Wärmetauscher (6) auf überkritische Bedingungen gebrachte Extraktionsmittel (4) wird im unteren Teil der Extraktionssäule (3) eingebracht und im Gegenstrom zum Einsatzgut geführt. Nicht extrahierte Substanzen wie Wasser, Proteine und Verunreinigungen gelangen in den Rückstandsbehälter (7) und werden dort ausgetragen. Die
im überkritischen CO2 gelösten Fettsäureester passieren die Drossel bei (8). Hier wird das Extraktionsmittel auf einen unterkritischen Druck entspannt, verliert seine Lösungseigenschaften nahezu vollständig, und die gelösten Stoffe fallen aus. Die Fettsäureester werden im Separator (9) freigesetzt und verlassen die Anlage bei (10) als Extrakt. Auf diese Weise können mit einer Anlage bis zu 500 Tonnen pro Jahr Extrakt mit einem Ω-3-Fettsäureestergehalt von 60 % erzeugt werden (s. Abb. 10.50). Man erkennt, dass es sich durchaus um einen interessanten Produktionsmaßstab handelt, der bei anderen Produkten (Hopfenextraktgewinnung, Entkoffeinierung etc.) sogar noch größere Maßstäbe erreichen kann. Das Trägergas wird über einen Wärmetauscher (11) gekühlt und als flüssiges CO2 wieder dem Extraktionsmittelbehälter (4) zugeführt. Durch eine Drosselung oder Temperaturänderung in mehreren Stufen lassen sich die Extraktstoffe unter Umständen auch fraktionieren. Durch Zugabe von geringen Mengen eines sogenannten Schleppmittels könnte die Löslichkeit der Extraktsubstanzen im Trägergas für bestimmte Substanzen um mehrere Zehnerpotenzen gesteigert werden; als Schleppmittel eignen sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand vor allem leichtflüchtige Flüssigkeiten wie Alkohole, Aceton oder kurzkettige Alkane, teilweise auch Wasser. Um beurteilen zu können, welche der zahlreichen möglichen, hier nur kurz angeschnittenen Pro-
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10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Abb. 10.50 Anlage zur überkritischen CO2-Extraktion (mit freundlicher Genehmigung der KD-Pharma, Bexbach)
zessvarianten für ein gegebenes Trennproblem am besten geeignet ist, sind detaillierte Kenntnisse über das Verhalten der beteiligten Gemische nötig. Diese sind beim derzeitigen Stand der Technik nur durch Experimente zu gewinnen. Die Vorteile, die diese Trennmethode gegenüber den herkömmlichen Verfahren der Destillation und Extraktion mit organischen Lösungsmitteln aufzuweisen hat, sind: große Variabilität im Lösungsbereich des Extraktionsmittels durch Regelung von Temperaturen und Druck, Trennung auch schwerflüchtiger Stoffe bei relativ niedrigen Temperaturen, lösungsmittelfreie Produkte, nicht toxisch, nicht entflammbar, hoher Reinheitsgrad, einfache Regenerierung des Lösungsmittels, keine Umweltschutzprobleme, chemisch reaktionsträge. Dem stehen als Nachteile hohe Investitionskosten durch teure Hochdruckapparatur und relativ niedrige Beladung des Lösungsmittels gegenüber. Dennoch hat sich die überkritische CO2-Extraktion für die Isolation und Reinigung hochwertiger Produkte im großtechnischen Maßstab durchgesetzt (Abb. 10.50).
10.3.4.5 Solventextraktion im technischen Maßstab Die Extraktion beginnt mit dem Dispergieren des Extraktionsmittels in die abgebende Phase. Dabei sollte eine möglichst große Austauschfläche erzeugt werden, um den Stoffaustausch
zu verbessern. Anschließend müssen die beiden Phasen wieder voneinander getrennt werden. Diese beiden Stufen (Abb. 10.51a) sind daher in jedem Extraktionsprozess in irgendeiner Form vorhanden. Da die Phasentrennung häufig der limitierende Schritt ist, wird sie, wie in Abbildung 10.51b dargestellt, durch den bereits f rüher beschriebenen, kontinuierlich arbeitenden Tellerseparator beschleunigt. Durch diesen Tellerseparator findet auch die Trennung des wässrigen Zweiphasensystems statt, insbesondere wenn die Unterphase mit Zellbruchstücken beladen ist. Die in Abbildung 10.51c im Ausschnitt schematisch dargestellte Siebbodenkolonne bedeutet im Grunde genommen die Aneinanderreihung mehrerer Mischer/Abscheider, allerdings im Gegenstrom betrieb en. In Abbildung 10.51d wird die große Austauschfläche durch Füllkörper erreicht. Siebboden und Füllkörperkolonne werden häufig auch pulsierend betrieben. In kontinuierlichen Prozessen wird das Produkt ständig aus der Extraktphase entfernt und das Extraktionsmittel wiederverwendet. Neben den gezeigten Beispielen hat sich in der industriellen Anwendung eine Fülle von Varianten etabliert. Cunha und AiresBarros (2002) haben diese Varianten an Anwendungsbeispielen und mit einer großen Zahl von Literaturzitaten diskutiert. Eine dieser Varianten ist die von Wyss et al. (2004) beschriebene Enkapsulierung des Extraktionsmittels in einen Polymerfilm. Im oben genannten Beispiel wird eine
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
345
Abb. 10.51 Schematische Darstellung einiger Extraktionsapparate
hydrophobe Flüssigkeit (das Extraktionsmittel) so in einen Film aus vernetztem Acrylamid/Alginat eingeschlossen, dass sich nahezu monodisperse, mit dem Extraktionsmittel gefüllte Kugeln von ca. 1 mm Durchmesser bilden. Diese können dann zur in situ-Extraktion des Produktes (z. B. Penicillin G) eingesetzt werden.
10.3.5 Elektrokinetische Trennverfahren Bekanntlich wandern elektrisch geladene Teilchen, wenn sie in einem Elektrolyten suspendiert sind, beim Anlegen eines elektrischen Feldes zur entgegengesetzt geladenen Elektrode. Dieser Vorgang wird Elektrophorese genannt (Abb. 10.52).
Abb. 10.52 Schema der Elektrophorese; punktierte Fläche = Grundelektrolyt; S = Wanderungsstrecke eines Kations in der Zeit t; l = Abstand der Elektroden
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10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Die im stationären Zustand sich einstellende Geschwindigkeit w± des Teilchens wird im Wesentlichen von zwei Kräften bestimmt: • der treibenden Kraft, als Produkt aus effektiver Ladung des Teilchens eeff und elektrischer Feldstärke E = U/l (Länge auf der der Spannungsabfall U stattfindet) und • der der Bewegung entgegengesetzt gerichteten Reibungskraft, die sich aus der Relativbewegung des Teilchens zur umgebenden Flüssigkeit ergibt und für kugelförmige Teilchen näherungsweise dem Stokes’schen Gesetz gehorcht, d. h. w± =
e eff ⋅ E 6 ⋅ πηr
(10.16)
mit r = Teilchenradius, η = dynamische Viskosität der Flüssigkeit. Statt der Geschwindigkeit des Teilchens wird häufig auch dessen Beweglichkeit u± = w±/E verwendet. Aus Gleichung (10.16) lassen sich bereits unmittelbar wichtige, die Wanderungsgeschwindigkeit beeinflussende Parameter ableiten. Sie nimmt mit zunehmender Ladung des Teilchens und mit der Feldstärke zu und verringert sich mit zunehmender Viskosität und mit der Teilchengröße. Der Einfluss anderer Parameter, wie z. B. der Ionenstärke oder des pH-Wertes auf die Teilchenbeweglichkeit ist komplexer (DebyeHückel-Theorie). Hier wird auf die einschlägige Literatur verwiesen (z. B. Wagner und Blasius 1989). Mithilfe der Elektrophorese können Komponenten aus fast allen Stoffklassen, die in Lösung mindestens teilweise geladen vorliegen, aufgetrennt werden. Die Hauptanwendungsgebiete sind in der klinischen Chemie und der Biochemie zu finden, um Makromoleküle (Polypeptide, Proteine, Hormone, Nucleinsäuren, Antikörper, Organellen, Viren oder Zellen usw.) zu trennen und aufzureinigen. Diagnostische Bedeutung für die Medizin hat die Elektrophorese zur Aufreinigung von Serumproteinen erlangt. Die Elektrophorese wird hauptsächlich im analytischen Maßstab eingesetzt. Ein präparatives, kontinuierliches Verfahren stellt die sogenannte Free-Flow-Elektrophorese dar, wobei in der Grundbauart auf jegliche Einbauten innerhalb der Trennkammer verzichtet wird.
Bei den kontinuierlich arbeitenden präparativen Elektrophoreseprozessen besteht in der Regel die Elektrophoresekammer aus einem flachen, rechtwinkligen Kanal. Die Trennkammer wird vom zu trennenden Flüssigkeitsgemisch (Probe) in Längsachse laminar durchströmt. Das senkrecht zur Strömungsrichtung angelegte elektrische Feld (siehe auch Abb. 10.53) sorgt für eine unterschiedliche Ablenkung der geladenen Teilchen und damit für die Bildung von Fraktionen, die am Ende der Kammer in einem Fraktionssammler aufgefangen werden. Über die rückwärtige Platte der Trennkammer erfolgt, von einem Temperaturfühler kontrolliert, der Abtransport der durch den elektrischen Strom erzeugten Wärme. Zur Dosierung der Elektrolyte, zur Fraktionierung der Prob en und zur Umwälzung der Elektrodenraumelektrolyte dienen Schlauchpumpen. Spannungen bis 3 000 V sind möglich.
10.3.5.1 Störfaktoren Das theoretisch mögliche Trennergebnis wird b ei der Free-Flow-Elektrophorese durch eine Reihe von Faktoren beeinträchtigt, die von Hannig et al. (1975) analysiert wurden. So bildet sich an der Grenzfläche des Trennspaltes zwischen Kammerwand und der wässrigen Elektrolytlösung eine bewegliche diffuse Doppelschicht, die gemäß Abbildung 10.53a in Richtung Kathode driftet. Sie führt im Trennspalt zwangsläufig zu einer störenden Umlaufströmung. Dieser als Elektroosmose bezeichnete Effekt führt zu einer sichelförmigen Bandenverbreiterung (Abb. 10.53b und c). Eine analoge Wirkung erzeugt das parabolische Geschwindigkeitsprofil (Abb. 10.53d). Ein Flüssigkeitselement in Wandnähe hat eine wesentlich größere Verweilzeit im Trennspalt und legt daher im elektrischen Feld eine größere Strecke zurück als ein entsprechendes Flüssigkeitselement in der Strömungsmitte. Bei anionischer Wanderung der Probe wirken die beiden Effekte gegenläufig, sodass sie sich gegenseitig im Idealfall aufheben; bei kathodischer Wanderung addieren sie sich und führen zu einer verstärkten Bandenverbreiterung. Schließlich ist zu beachten, dass die in den Trennspalt eingebrachte elektrische Energie im
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
347
Abb. 10.53 Störfaktoren bei der Free-Flow-Elektrophorese (nach Wagner und Blasius 1989). (a) Bewegliche diffuse Doppelschicht; (b) Umlaufströmung durch Elektroosmose und (c) deren Wirkung als sichelförmige Bandenverbreiterung; (d) sichelförmige Bandenverbreiterung durch parabolisches Geschwindigkeitsprofil, W. P. = wanderndes Profil der Probe
Wesentlichen in Wärme umgewandelt wird. Dies bedeutet eine ausgeprägte Thermokonvektion, d. h. eine Störung der gewünschten ebenen Schichtenströmung. Bei der Nutzung der Free-Flow-Elektrophorese zur präparativen Abtrennung und Aufreinigung von Bioprodukten differenziert man im Wesentlichen zwischen vier Trennprinzipien (Abb. 10.54), die jedoch auch im analytischen Maßstab Gültigkeit haben: • Zonenelektrophorese (ZE) • Isotachophorese (ITP) • Isoelektrische Fokussierung (IEF) • Feldsprungelektrophorese (FSE)
10.3.5.2 Zonenelektrophorese (ZE) Eine Pufferlösung, der sogenannte Grundelektrolyt, durchströmt gleichmäßig die Trennkammer und dient hier in der Regel auch als Elektrodenlösung. An einer eng begrenzten Stelle wird die zu fraktionierende Probe ebenfalls kontinuierlich zudosiert (Abb. 10.54a). Die Probenkomponenten (im Beispiel der Abbildung 10.54a sind es zwei) werden im elektrischen Feld aufgrund ihrer unterschiedlichen Beweglichkeit um unterschiedliche Winkel abgelenkt. Es entstehen
Abb. 10.54 Verschiedene Free-Flow-Elektrophoreseverfahren. (a) Zonenelektrophorese; (b) Isotachophorese; (c) Isoelektrische Fokussierung; (d) Feldsprungelektrophorese
einzelne Zonen, die sich infolge Diffusion mit zunehmender Weglänge verbreitern. Dies bedeutet eine starke Verdünnung der Probe und eine – verglichen mit anderen Free-Flow-Elektrophoresetechniken – schlechte Auflösung. Die ZE ist daher in erster Linie geeignet für die Reinigung und Isolierung von Zellen und Zellorganellen, weniger für die Proteinreinigung.
10.3.5.3 Isotachophorese (ITP) Am Kopf der Trennkammer werden gemäß Abbildung 10.54b drei Lösungen aufgegeben: ein L eitelektrolyt (leading electrolyte), die zu trennende Probe und ein Folgeelektrolyt (terminating electroly te). Das Leition muss die größte,
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348
das Folgeion die kleinste Ionenbeweglichkeit besitzen. Die Beweglichkeiten der zu trennenden Ionen müssen dazwischen liegen. Die unterschiedlichen Ionenbeweglichkeiten haben einen stufenförmigen Verlauf der Leitfähigkeit und damit der Feldstärken zur Folge. Dadurch werden die Komponenten derart getrennt, dass sie diskrete Zonen homogener Konzentration bilden. Das System erreicht einen stationären Zustand, in welchem die Zonen sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegen (daher der Name Isotachophorese). Wegen ihrer hohen Auflösung ist die ITP als letzter Schritt der Proteinreinigung geeignet. Sie wird insbesondere zur Isolierung monoklonaler Antikörper eingesetzt.
10.3.5.4 Isoelektrische Fokussierung (IEF) Bei der isoelektrischen Fokussierung in pHGradienten wandern Ampholyte an diejenige geometrische Stelle, an der ihre Nettoladung verschwindet. Der pH-Wert an dieser Stelle muss demzufolge identisch mit dem isoelektrischen Punkt (IP) der Probenkomponente sein (pIWert). Es gibt zwei Arten der IEF. Bei der IEF im linearen pH-Gradienten (Abb. 10.54c) werden als Trägerampholyte Gemische synthetischer Polyamino-polycarbonsäuren bzw. -polysulfonsäuren verwendet, deren pIWert den interessierenden pH-Bereich abdeckt. Unter Miteinbeziehung der Elektrolyseprodukte an den Elektroden entsteht bei Stromfluss ein mehr oder weniger stabiler, monotoner pH-Verlauf. Die andere Möglichkeit ist die Erzeugung eines stufenförmigen pH-Verlaufes. Die IEF eignet sich vor allem für die Trennung von Aminosäuren, Peptiden und Proteinen.
10.3.5.5 Feldsprungelektrophorese (FSE) Bei der FSE wird die Probe als breite Zone zwischen zwei Randlösungen auf die Trennkammer aufgegeben (Abb. 10.54d). Die Randlösungen müssen im Vergleich zur Probelösung eine etwa 20-fach höhere Leitfähigkeit besitzen (Hoffstetter-Kuhn 1989). Bei angelegter Spannung stellt sich ein Feldstärkesprungg ein, mit sehr nied-
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riger Feldstärke im Anoden- und Kathodenbereich und hoher Feldstärke im Probenbereich. Daher wandern die Probeionen mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Kathode bzw. Anode. An der Grenzfläche werden sie wegen des Feldstärkesprungs erheblich abgebremst, sodass sie dort aufkonzentriert werden. Mit zunehmender Verweilzeit wandern allerdings die konzentrierten Komponenten in die Randlösung hinein. Wegen der Möglichkeit hoher Prob endurchsätze eignet sich die FSE für die Vorreinigung biotechnischer Produkte (Aminosäuren, Peptide, Proteine, Viren, Zellen etc.). Einschlägige Übersichtsartikel (z. B. Issaq et al. 2002, Chartogne et al. 2002) zeigen, dass die Fortentwicklung elektrokinetischer Trennverfahren hauptsächlich im analytischen Bereich geschieht. Für die präparativen elektrokinetischen Verfahren muss festgestellt werden, dass sie – nicht zuletzt wegen der oben genannten Störfaktoren – keine besseren Trennleistungen bieten als die im Folgenden beschriebenen chromatographischen Trennverfahren und sich wegen der vergleichsweise hohen Kosten und der begrenzten Scaleup-Möglichkeiten nicht durchgesetzt haben.
10.3.6 Adsorptive/Chromatographische Trennverfahren B ei der Reinigung von Substanzen mittels Adsorption/Chromatographie nutzt man den Effekt, dass verschiedene Komponenten einer Lösung, wenn sie ein Festbett durchströmen, mit der Oberfläche der Feststoffpartikel verschieden stark interagieren. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Verweilzeiten führen zu einer Komponententrennung, d. h. die einzelnen Komponenten verlassen mit einer zeitlichen Verschiebung gegeneinander das Festbett analog Abbildung 10.55. In der Regel sind die Feststoffpartikel in eine Säule gefüllt. Das Bioproduktmolekül, im Folgenden R-Molekül genannt, kann verschiedenartige aktive Gruppen besitzen, die unterschiedliche Interaktionen mit den entsprechenden aktiven Gruppen der Feststoffoberfläche eingehen können. Bei geeigneter Wahl von stationärer und mobiler Phase zeichnen sich die
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10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
chromatographischen Verfahren nicht nur durch ihre schonende Trennung (niedrige Scherkräfte, Raumtemperatur, gepufferte Lösungen), sondern auch durch ihre hohe Selektivität aus. Damit sind sie besonders interessant für die Reinigung von Bioprodukten. Die chemischen Oberflächeneigenschaften der Feststoffpartikel – stationäre Phase genannt – bestimmen, zusammen mit dem durchströmenden Flüssigkeitsgemisch – mobile Phase genannt – das spezifische chromatographische Trennverfahren. Während niedermolekulare Substanzen sich unter solchen Bedingungen oft genügend stark in ihrem Wechselwirkungsverhalten unterscheiden und so „isokratisch“, d. h. ohne Wechsel der mobilen Phase aufgetrennt werden können, ist dies bei Biomakromolekülen wie Proteinen oft nicht der Fall. Proteine zeichnen sich für eine bestimmte Kombination von stationärer und mobiler Phase oft durch ein „Alles-oder-nichts“Bindungsverhalten aus. In solchen Fällen ist es üblich, die Stärke der mobilen Phase während der chromatographischen Trennung graduell zu erhöhen, um so zunächst die schwach bindenden und dann die stärker bindenden Moleküle zu eluieren (Gradientenelution). Neben den linearen sind in der präparativen Chromatographie vor allem Stufengradienten üblich. Die unten
aufgeführten theoretischen Grundlagen beziehen sich auf den isokratischen Fall.
10.3.6.1 Theoretische Grundlagen der Chromatographie Um den chromatographischen Trennprozess zu beschreiben, werden im Folgenden einige grundlegende Definitionen eingeführt. In einem idealisierten Chromatogramm (Abb. 10.55) wird der zeit- bzw. volumenabhängige Austritt der Substanzen aus der Säule gezeigt. Dabei ist als y-Achse ein substanzabhängiges (hier konzentrationsabhängiges) Signal (Peak) wie etwa die UV-Absorption, als x-Achse die Zeit (Elutionszeiten) oder das Volumen der mobilen Phase (Elutionsvolumen) aufgetragen. Daraus wird als reduzierte, von der Säulendimension unabhängige Größe der Kapazitätsfaktor K΄ berechnet: V − Vo V (10.17) K ′ = R′ = R Vo Vo
Zwei Komponenten einer Mischung werden nur dann getrennt, wenn sie unterschiedliche Elutionsvolumina und damit unterschiedliche Kapazitätsfaktoren haben. Ein Maß dafür ist die relative Retention α, die auch Trennfaktor oder Selektivität genannt wird, wodurch die Trennfähigkeit einer Chromatographiesäule beschrieben wird α=
K ′2 VR 2 − Vo = K 1′ VR1 − Vo
(10.18)
Um eine gute Trennung der Stoffe zu gewährleisten, müssen sich aber nicht nur die Kapazitätsfaktoren unterscheiden. Wesentlich ist auch, in welchem Volumen die Substanzen eluieren, d. h. die Breite der Elutionspeaks, die sich mög lichst nicht überlappen sollen. Aus der Breite der Peaks und dem Elutionsvolumen wird die dimensionslose Trennstufen- oder Bodenzahl (von einigen Autoren auch Leistung genannt) nach folgender Gleichung berechnet: Abb. 10.55 Das Chromatogramm und seine Kenngrößen. V0 = Totvolumen (definiert als Volumen der mobilen Phase in der Säule); w = Basisbreite eines Peaks (in diesem Fall Volumen des durch seine Wendetangenten begrenzten Peaks); VRi = Retentionsvolumen der Substanz i; VRi‘ = Nettoretentionsvolumen der Substanz i, VRi‘ = VRi − V0
§V · N = 16¨ R ¸ © w ¹
2
(10.19)
Häufig wird zur Berechnung nicht die Basisbreite, sondern die Peakbreite w auf halber Höhe (w1/2) zur Berechnung herangezogen.
10
10
350
§ V · N = 5,54¨¨ R ¸¸ © w1/ 2 ¹
10 Aufarbeitung (Downstream Processing) 2
(10.20)
Werden Leistung und Selektivität miteinander verknüpft, so erhält man die Auflösungg (Rs) einer Chromatographiesäule. Diese drei Begriffe sind in der nächsten Gleichung miteinander verknüpft. § α − 1 ·§ K ′2 · ¸¸ R s = N¨ ¸¨¨ © α ¹© 1 + K 1′ ¹
(10.21)
Zu beachten ist die Konsequenz, dass die Auflösung proportional zur Wurzel der Bodenzahl und damit proportional zur Wurzel aus der Säulenlänge ist. Die Anzahl an theoretischen Böden (N) ist gleich dem Quotienten aus Säulenlänge und der Höhenäquivalenz eines theoretischen Bodens H oder Trennstufenhöhe und damit proportional zur Säulenlänge. Damit berechnet sich H als H = L/N
(10.22)
Die Höhenäquivalenz eines theoretischen Bodens wird von drei Parametern bestimmt, die in der van-Deemter-Gleichung zusammengefasst sind:
H = A + B/v + C v
(10.23)
Die van-Deemter-Gleichung wird in der Regel in der reduzierten Form dargestellt,
H/dp wobei dp der Partikeldurchmesser ist.
A = Säulenqualitätsfaktor (Eddy-Diffusion); unabhängig von der Flussrate. Hier kommen Faktoren hinein wie Säulenpackung, Partikelgröße und -form. Bei einer gut gepackten Säule sollte A nicht viel größer als das Dreifache des Partikeldurchmessers dp betragen. B = Axialdiffusion. Da die Diffusion der Substanz der Trennung entgegenwirkt, d. h. zur Bandenverbreiterung führt, ist eine genügend schnelle Trennung wichtig, um diese Diffusion so klein wie möglich zu halten. Wegen der geringen Diffusionsgeschwindigkeit von Proteinen spielt der B-Term bei der Proteinchromatographie normalerweise keine Rolle.
C = Non-Equilibrium-Term (Massentransfer zur stationären Phase). Dieser Term steigt mit zunehmender Flussrate, da die Zeit zur Gleichgewichtseinstellung kürzer wird. Um C gering zu halten, muss eine langsame Flussrate gewählt werden. v = Flussrate.
In Abbildung 10.56 ist die van-Deemter-Gleichung grafisch für kleine (Abb. 10.56a) und für große Moleküle (Abb. 10.56b) dargestellt, und zwar die Abhängigkeit der Höhenäquivalenz eines theoretischen Bodens (H) in Millimeter von der Flussrate und der Anteil der drei oben genannten Parameter. Die Axialdiffusion trägt vor allem b ei kleinen Molekülen (Abb. 10.56a) zur Bandenverbreiterung bei, deshalb sind f ür die Trennung kleinerer Moleküle schnelle Flussraten zu empfehlen. Bei großen Molekülen ist diese Diffusion dagegen fast vernachlässigbar. Hier spielt der C-Term die wichtigste Rolle, da aufgrund der langsamen Diffusion das Erreichen des Gleichgewichts zum entscheidenden Parameter wird. Aus der Abbildung ist zu erkennen, dass es für jedes Molekül eine optimale Flussrate gibt. Wegen der Dominanz des C-Terms bei typischen chromatographischen Trennungen von Proteinen und anderen Biomakromolekülen spricht man in diesem Zusammenhang auch vom Dilemma der Biochromatographie, d. h. der Schwierigkeit bei solchen Trennungen Kapazität, Geschwindigkeit und Auflösung zu vereinen. Eine hohe Kapazität setzt eine poröse stationäre Phase voraus. In diese Poren müssen die Proteine durch Diffusion gelangen, eine schnelle Trennung bedingt dann einen hohen C-Term und damit eine geringe Säuleneffizienz bzw. schlechte Auflösung. Eine Lösung stellen sogenannte monolithische stationäre Phasen dar. Derartige Säulen bestehen nicht aus Partikeln, sondern aus einem hochporösen Polymerblock, der von der mobilen Phase durchströmt wird. In solchen Säulen erfolgt der Massentransport bis auf die Grenzschichtdiffusion rein konvektiv, der CTerm, d. h. der Anstieg der Bodenhöhe zu hohen Flussraten hin, ist auch bei großen Flussraten gering. Leider lassen sich solche Monolithe derzeit noch nicht im Maßstab typischer präparativer Säulen in der Biochromatographie herstellen.
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
a
Durchfl flussrate v
b
10.3.6.2 Chromatographische Trenntechniken An die Feststoffpartikel, das Trägermaterial oder stationäre Phase genannt, sind folgende Anforderungen zu stellen: • Das Grundgerüst der Matrix sollte möglichst wenig unspezifische Interaktionen mit dem zurückzuhaltenden Molekül R eingehen. Diese Interaktionen und damit die Spezifität des Adsorbens soll durch eingebaute Gruppen gegeben sein. • Gute mechanische und chemische Eigenschaften, in der Biochromatographie sind auch die Eignung für Reinigungsprozeduren (CIP/SIP, clean/sanitize in place) wichtig. • Kleine Partikelgröße (mit enger Größenverteilung), was einen kleinen A-Term in der van-Deemter-Gleichung zur Folge hat. Diese kleine Partikelgröße und große, definierte Porosität erlauben einen schnellen Massentransfer. • Bei zu kleinen Partikeln kann allerdings der notwendige Druck zum Problem in der Produktion werden (Hochdruckanlagen sind dort z. B. nur schwierig einzusetzen). Für die einzelnen Chromatographie-Verfahren werden darüber hinaus noch spezifische Anforderungen an das Trägermaterial gestellt.
10.3.6.3 Normalphasenchromatographie (ADC) Adsorbentien können aus organischen Materialien bestehen, wie z. B. Aktivkohle, Polymere,
Durchfl hfl flussrate v
351
Abb. 10.56 Abhängigkeit der Höhe H eines theoretischen Bodens (als Summe von A, B und C) von der Durchflussrate (a) für kleinere Moleküle; (b) für große Moleküle
oder es sind anorganische Substanzen, wie z. B. Kieselgel (Silicagel), Aluminium- oder Magnesiumoxid. Ihre adsorptive Wirkung beruht auf aktiven Stellen. Diese sind z. B. im Falle des Kieselgels die Silanolgruppen (SiOH), beim Aluminiumoxid die Al3+-Zentren, aber auch die verbindenden O2−-Atome. Sie gehen mit in der Nähe befindlichen Molekülen schwache Wechselwirkungen ein. Das „Knüpfen“ der schwachen Bindung nennt man Adsorption, das Lösen derselben Desorption. Daraus lassen sich folgende Schlüsse ziehen: • Das Lösungsmittel (die mobile Phase) besetzt alle aktiven Stellen mehr oder weniger stark. Das Molekül, welches zurückgehalten werden soll (R-Molekül), kann nur dann adsorbiert werden, wenn seine Wechselwirkung mit dem Adsorbens stärker ist als diejenige des Lösungsmittels. • Die Stärke der Wechselwirkung hängt nicht nur von den funktionellen Gruppen der RMoleküle, sondern auch von räumlichen Gegebenheiten ab. Moleküle, die sich in ihrer sterischen Struktur unterscheiden, d. h. Isomere, lassen sich gut mit Adsorptions-Chromatographie trennen. In der Regel verwendet man in der ADC als stationäre Phase polare Materialien mit möglichst großer Oberfläche. Die mobile Phase ist unpolar. Eluieren, d. h. von der Adsorbensoberfläche verdrängen, lässt sich dann das R-Molekül durch polare Elutionsmittel, wie z. B. Wasser. Die ADC ist hauptsächlich für niedermolekulare Produkte geeignet, da höhermolekulare Substanzen, wie z. B. Proteine, häufig irreversibel binden.
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352
10.3.6.4 Reversed-PhaseChromatographie (RPC, Umkehrphasenchromatographie) Von RPC spricht man immer dann, wenn die stationäre Phase weniger polar ist als die mobile. Dabei werden die hydrophoben Wechselwirkungen zwischen dem R-Molekül und der stationären Phase genutzt. Das Grundgerüst für die RPC ist vorwiegend Kieselgel, eine stark hydrophile Matrix. Die OH-Gruppen werden durch Alkylgruppen ausgetauscht (Si-R). Durch diese Derivatisierung erhält die zuvor stark polare Matrix einen stark hydrophoben Charakter. Proteine binden meistens sehr fest an diese stationäre Phase und können nur durch hohe Konzentrationen an organischen Lösungsmitteln (z. B. Acetonitril oder Methanol) eluiert werden. Diese Elutionsbedingungen führen oft zur Denaturierung der Proteine. Das Einsatzgebiet für die RPC ist deshalb auf folgende Anwendungen beschränkt: • analytische Qualitätskontrolle • Fraktionierung von synthetischen oder physiologischen Peptiden oder Hormonen • Trennung von Aminosäuren und Nukleotiden Bei Biomolekülen, insbesondere solchen mit höheren Molmassen, sind isokratische Trennsysteme (konstante Laufmittelzusammensetzung) in der RPC unpraktikabel, da die Unterschiede in der Hydrophobizität der Moleküle zu ausgeprägt sind. In diesen Fällen wird die Zusammensetzung des Laufmittels verändert (Gradientenelution), um die Retentionszeiten für sehr hydrophobe Substanzen herabzusetzen.
10.3.6.5 Hydrophobic-InteractionChromatographie (HIC) Im Gegensatz zur RPC stellt die Hydrophobe Interaktionschromatographie (HIC) eine beliebte Methode zur präparativen Aufreinigung von Proteinen dar. Die Methode beruht ebenfalls auf hydrophoben Wechselwirkungen. Im Gegensatz zur RPC sind diese jedoch nicht stark genug, um eine Denaturierung der Proteine zu bewirken. Die Matrix des Adsorbens besteht bei dieser Methode aus einem hydrophilen Material, in das lediglich schwach hydrophob interagierende
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Liganden eingebaut werden. Die hydrophoben Wechselwirkungen werden durch eine hohe Salzkonzentration in der mobilen Phase erzwungen, die Elution erfolgt in der HIC daher in einem Gradienten abnehmender Salzkonzentration. Aus diesem Grund ist die HIC auch eine gern eingesetzte (orthogonale) Trennoperation nach einer Salzpräzipitation oder einer auf elektrostatischen Wechselwirkungen beruhenden Ionenaustauschchromatographie (Elution im Gradienten steigender Salzkonzentration, Abschnitt 10.3.6.6). Neben der Salzkonzentration sind aber auch die Salzart (Stellung in der Hofmeister-Serie), der pH-Wert der mobilen Phase sowie die Kettenlänge und die Dichte der Liganden der stationären Phase von Einfluss auf die Selektivität.
10.3.6.6 Ionenaustauschchromatographie (IEC) B ei den bisher behandelten (Adsorptions-) chromatographischen Verfahren wechselwirken die verschiedenen „ aktiven Stellen“ mit den in der Nähe befindlichen Molekülen. Dabei konkurrieren R-Moleküle und Lösungsmittelmoleküle untereinander um die Adsorption. Bei der IEC trägt dagegen die stationäre Phase elektrische Ladungen an der Oberfläche. In das Harz oder Gel sind ionische Gruppen eingebaut. Die Ladungen sind durch bewegliche Gegenionen neutralisiert. Ionen dieser mobilen Phase und ionische R-Moleküle konkurrieren miteinander um einen Platz auf der stationären Phase. Man unterscheidet zwischen Kationen (sauren) und Anionen (basischen) Austauschern. Beide kommen in schwacher und starker Form vor. Schwache Ionenaustauscher haben eine pHabhängige Ladungsdichte, starke Ionenaustauscher sind praktisch pH-unabhängig. Abbildung 10.57 zeigt einen Kationenaustauscher, wie er mit Kationen eine elektrostatische Bindung eingeht. Ein Harz mit SO–3 -Grupp en ist ein stark saurer Kationenaustauscher, ein COO−Harz dagegen ein schwach saurer. Ein Anionenaustauscher trägt beispielsweise NR+3- (stark basisch) oder NH+3-Gruppen (schwach basisch). Er geht mit den negativ geladenen Anionen elektrostatische Wechselwirkungen ein. Die Ionenaustauschreaktion, bei der das p ositiv geladene Gegenion A+ gegen das eb enfalls
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
353
Abb. 10.57 Funktion eines Kationenaustauschers Abb. 10.58 Hochspezifische Reinigung von Proteinen mittels Affinitätschromatographie
positiv geladene Proteinmolekül P+ ausgetauscht wird, läuft nach folgendem Schema ab: M– A+
+
P+
ҙ
(Ionenaus- (Protein in Lösung) tauscher)
M– P+
+ A+
(Protein (Ion in adsorbiert) Lösung)
Bei diesem Schema muss allerdings berücksichtigt werden, dass Proteine wegen ihrer Größe neben einem stöchiometrischen Austausch mit einer ihrer Ladung entsprechenden Zahl niedermolekularer Gegenionen (charakteristische Ladung) auch eine gewisse Zahl von Ladungen auf der Oberfläche der stationären Phase überdecken (sterischer Faktor), die dann nicht mehr für den Austausch zur Verfügung stehen. Sowohl die charakteristische Ladung als auch der sterische Faktor sind charakteristische Größen eines Proteinmoleküls. Brooks und Cramer (1992) haben mit dem steric mass-action model einen Formalismus zur Beschreibung der Protein-Ionenaustauschchromatographie entwickelt, der diese Phänomene berücksichtigt. Der Unterschied in den Ladungseigenschaften verschiedener Proteine und anderer biologischer Substanzen in gleicher physiko-chemischer Umgebung (gleicher pH, gleiche Ionenstärke etc.) bestimmt, welches Protein und wie stark es am Ionenaustauscher adsorbiert wird. Die Elution
erfolgt anschließend durch kontinuierliche Erhöhung von A+ im Eluenten, also Erhöhung der Salzkonzentration (unspezifische Verdrängung), kann aber auch durch Änderung des pH-Wertes (Änderung der Nettoladung des Proteins) erfolgen. Die IEC ist die am häufigsten eingesetzte Chromatographie-Art zur Reinigung von Proteinen und findet sich fast in jedem Reinigungsschema wieder.
10.3.6.7 Affinitätschromatographie (AFC) Die AFC ist die Trennmethode mit der größten Spezifität. Die Wechselwirkung ist spezifischer Art, z. B. Antigen ↔ Antikörper; Enzym ↔ Inhibitor/Cofaktor/Substrat oder Substratanaloges; Nucleinsäure ↔ komplementäres Oligonucleotid. Die hohe Spezifität dieser Wechselwirkung kommt dadurch zustande, dass die beiden beteiligten Stoffe räumlich genau zueinander passen. Die eine Komponente (Ligand) ist dabei an den Träger gebunden, die andere (das R-Molekül) wird aus der Lösung reversibel adsorbiert (Abb. 10.58). Vom Träger (Matrix oder Grundmaterial) muss dabei gefordert werden:
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• keine Wechselwirkungen mit dem R-Molekül (Proteinmolekül), d. h. unspezifische Adsorption muss verhindert werden; • ausreichende Zahl aktiver Gruppen, damit eine nennenswerte Kapazität zustande kommt; • alle übrigen Eigenschaften chromatographischer Träger, wie gute mechanische und chemische Eigenschaften, hohe Porosität, kleine Partikelgröße etc. Als Trägermaterial für die AFC werden derivatisierte Kieselgele, Cellulose, Agarose, Dextrane und Polyacrylamide verwendet. Gelegentlich werden poröse Glaskugeln eingesetzt. Sie besitzen neben der großen Porosität eine hohe Festigkeit, sind aber im alkalischen Medium chemisch nicht stabil, haben eine geringere Bindungskapazität als beispielsweise Agarose und erzeugen unspezifische Proteinadsorption. Neben den allgemein gültigen Kriterien für ein gutes Trägermaterial ist auch an den Liganden eine Reihe von Forderungen zu stellen: • Dissoziationskonstante < 10−3 M bzw. Bindungskonstante > 103 M−1 • Bifunktionalität, d. h. er muss sowohl an das Trägermaterial als auch an den Liganden binden. • Er sollte über einen Spacer-Arm (auch Koppler genannt) an den Träger gebunden sein. Dies erhöht die Flexibilität und Mobilität des Liganden, der dadurch weiter in die mobile Phase hineinreichen kann und den ungehinderten Zugang zum R-Molekül ermöglicht. • Mehr und mehr werden auch „biospezifische“ niedermolekulare Liganden chemisch (kombinatorische Chemie) oder biologisch (PhagenDisplay) erzeugt. • Ein Problem bei der Affinitätschromatographie stellt die Elution dar. Da die starke Wechselwirkung auf dem räumlichen Zusammenpassen von Ligand und Zielmolekül beruht, ist für die Elution fast immer eine (leichte) Denaturierung eines oder beider Partner erforderlich, was zu Verlusten an biologischer Aktivität von Ligand und/oder Zielmolekül führen kann. • Die Regeneration von biologischen Affinitätsliganden ist ebenfalls problematisch (CIP/ SIP).
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Es werden auch sogenannte „generelle Liganden“ verwendet, die für eine funktionelle Klasse von z. B. Enzymmolekülen wirksam sind, wie etwa die Triazinfarbstoffe oder Protein A (für Antikörper). Besondere Beachtung muss bei der AFC der Elution geschenkt werden. Wegen der starken Bindungskräfte sind oft drastische Desorptionsbedingungen erforderlich. Dabei kann das zu gewinnende biologische Material leicht deaktiviert werden. Nach der Ionenaustauschchromatographie ist die AFC die am häufigsten angewendete Chromatographie-Art.
10.3.6.8 Metall-Chelat-Chromatographie (MCC); immobilised metal affinity chromatography (IMAC) In der MCC (auch Ligand-exchange-Chromatographie genannt) werden di- oder trivalente Metall-Ionen (Zn2+, B3+, Al3+, Ga3+, In3+ oder Ti3+), die an einen Kationenaustauscher (oft auch chelatisierende Gruppen) gebunden wurden, benutzt, um wiederum Liganden, wie z. B. Amine, Aminosäuren, Proteine, Nucleoside, Nucleotide oder Phenolverbindungen, zu binden. Diese bilden mit dem Metall Komplexe. Bei einem pH von 7 und darüber zeigen sie einen hohen Grad an Selektivität, jedoch mit variierendem Affinitätsprofil. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Interaktion mit immobilisierten Nickel-Ionen. Die Aminosäure Histidin (His) zeigt eine besonders hohe Affinität zu solchen stationären Phasen. Ein weit verbreiteter gentechnischer Ansatz zur Erleichterung der Aufreinigung rekombinanter (gentechnisch produzierter) Proteine besteht darin, das Protein gleich mit einem Histidinschwanz zu produzieren (häufig ein (His)6-Tag, also sechs Histidinreste in Folge). Ein solches Protein hat eine höhere Affinität zu einer Nickelsäule als die meisten natürlichen Proteine und kann daher leicht abgetrennt und angereichert werden. Die Elution erfolgt z. B. in einem Imidazolgradienten. Falls gewünscht, kann der His-Tag über eine spezifische Protease (Schnittstelle wird ebenfalls in das rekombinante Protein eingebaut) anschließend wieder vom Produkt abgespalten werden.
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
355
10.3.6.9 Verteilungschromatographie (liquid-liquid partition chromatography, LLPC) Bei der LLPC ist die stationäre Phase ein dünner Flüssigkeitsfilm auf einem porösen Träger. Dieser Flüssigkeitsfilm besteht aus der einen Phase eines flüssigen Zweiphasensystems. Die mobile Phase besteht aus der zweiten Phase des gleichen Systems. Die Trennwirkung, die beim Durchwandern einer Probe durch eine solche Säulenpackung erzielt wird, hängt in erster Linie von den Unterschieden in den Verteilungskoeffizienten der einzelnen Komponenten in der Probe sowie von der Menge an stationärer Phase in der Säule ab. Im Wesentlichen gelten bei dieser chromatographischen Methode die Gesetzmäßigkeiten der Gegenstromverteilung. Sollen Biopolymere durch LLPC getrennt werden, so lassen sich nur wässrige Zweiphasen-Polymersysteme als Phasenpaare verwenden. Die große Ähnlichkeit der beiden Phasen hinsichtlich der Polarität erfordert besondere Trägermaterialien, deren Oberfläche durch gezielte Modifikation inkompatibel zu einem der beiden Phasenpolymeren gemacht wurde. Der Träger wird dann nur von der zweiten Phase benetzt und hält diese Phase stets als Abschirmung gegen erstere fest. Die besten Auflösungen erhält man beim Verhältnis von stationärer zu mobiler Phase um 1 bei einem Verteilungskoeffizienten der Zielkomponente um 3 zugunsten der stationären Phase. Die Löslichkeit der Komponenten soll in beiden Phasen ausreichend hoch sein (> 3 mg/ml), damit keine Störeffekte durch Aggregationen (Tailing oder multiple Banden) auftreten. Die meist beträchtliche Viskosität der Phasen erfordert meist kleine Flussraten, erhöhte Temperaturen (zur Viskositätssenkung und Erhöhung des Massentransfers) sowie kleine Partikeldurchmesser des Trägermaterials. Letzteres sollte so frei wie möglich von unspezifischen Adsorptionseigenschaften sein.
10.3.6.10 Gelchromatographie (sizeexclusion chromatography, SEC) Die size-exclusion chromatographyy (SEC; auch Größenausschlusschromatographie, Molekularsiebchromatographie oder Gelfiltration genannt) unterscheidet sich grundsätzlich von allen übrigen chromatographischen Verfahren darin, dass die
Abb. 10.59
Schema der Gelchromatographie
Trennung nicht durch Wechselwirkungen zwischen der stationären Phase und dem R-Molekül bzw. der mobilen Phase erfolgt, sondern einfach durch Klassierung nach der Molekülgröße. Die stationäre Phase besteht aus mikroporösen Partikeln (Gelen), deren Porendurchmesser bestimmt, welche Moleküle per Diffusion in die Poren „eindringen“ können und damit gegenüber den „ausgeschlossenen“ Molekülen eine verlängerte Verweilzeit im durchströmten Festbett haben (Abb. 10.59). Eine wesentliche Bedingung für das Trennverfahren ist eine Gelstruktur der stationären Phase. Daraus resultierte in der Vergangenheit eine starke Kompressibilität des Festbetts und damit eine limitierte Anwendung für technische Prozesse. Moderne Polymerträger für die SEC zeigen diesen Nachteil nicht mehr. Es wird heute eine Fülle von Gelen aus verschiedenen organischen Materialien angeboten, wie z. B. Polyacrylamid, Agarose, Dextrane, Vinylpolymere etc., mit denen auch Proteine bis zu einem Molekulargewicht von ca. 500 000 und größer getrennt werden können. Als weiterer Nachteil ist die geringe Selektivität zu nennen; denn die Poren haben herstellungsbedingt eine Porenverteilung, die die Trennschärfe reduziert. Die SEC wird wegen der geringen Durchsätze [30 ml/(h ∙ cm2)] derzeit überwiegend im Labormaßstab und vorzugsweise für die letzte Reinigungsstufe eingesetzt, aber auch zum Entsalzen von Proteinlösungen, z. B. nach Ionenaustausch.
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356
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Ein Beispiel für den technischen Einsatz ist die Produktion von Insulin, wo die Gelfiltration als letzter Reinigungsschritt eingesetzt wird.
10.3.6.11 Hochdurchsatzexperimente (HTS) zur Auslegung und Optimierung von Chromatographie-Verfahren* Für jedes neue Bioprodukt ist neben der Wahl eines der oben vorgestellten ChromatographieVerfahren eine Vielzahl von Parametern festzulegen. Dazu zählen insbesondere Art und Größe der Partikel, Liganden, mobile Phase, Eluent etc. Daraus folgen Betriebsparameter, wie Produktkapazität, Bindungskinetik, Wechselwirkungen Produkt/Oberfläche, Auflösung, volumetrischer Durchsatz und nicht zuletzt Produkt-recovery und -reinheit. Es ist naheliegend, dass man bei der Lösung des Problems – wie bei Präzipitation und Extraktion – auf die Plattformtechnologie der Pipettierroboter stößt (Bensch et al. 2005). Hier kommt aber erschwerend hinzu, dass durch die vorgeschalteten Reinigungsschritte das Produktvolumen eingeengt und die Verluste zu minimieren sind. Es kommt daher darauf an, miniaturisierte Chromatographiesäulen höchster Präzision zu haben, die bei Parallelbetrieb minimale Abweichungen garantieren. Friedle (2008) und Britsch et al. (2008) haben solche Säulen mit Atoll GmbH entwickelt und kommerzialisiert. Wiendahl et al. (2008) stellen eine solche HTS(high throughput screening) g -Station vor. Abbildung 10.60a zeigt die Mikrosäule im Schnitt. Sie hat eine Betthöhe von 1,0 cm, einen Bettdurchmesser von 0,5 cm und ein daraus resultierendes Bettvolumen von 0,2 ml, das zwischen zwei Fritten durch einen eingeschobenen Hohlzylinder für die Zentrifugenanwendung oder einen Stempel mit Kapillare für die Roboternadel fixiert ist. Um eine dichte Verbindung der Pipettiernadel mit der Säule und damit einen konstanten Druck bzw. Volumenstrom beim Einspritzen der Probe zu garantieren, besitzt der Stempel oben einen konischen Einlass und eine O-Ring-Dichtung. Die dichte Verbindung von Säule und Nadel ist nicht trivial, weil Letztere unmittelbar nach dem Einspritzvorgang die Nadel wieder freigeben muss, um weitere Flüssigkeit * Jürgen Friedle, Tim Schroeder
a
b
Abb. 10.60 (a) Schematische Zeichnung einer Pipettierroboter-kompatiblen Mikrosäule und der Pipettiernadel. (b) Aufbau für die automatische ParallelChromatographie mit einem Pipettierroboter: (1) Pipettenspitzen des Roboters; (2) 96er-Säulenformat von Atoll (Weingarten, Deutschland); (3) Säulenplattenhalterung; (4) Te-Link-Modul (TECAN Crailsheim, Deutschland); (5) Mikrotiterplatte zum Auffangen der Fraktionen, seitlich verschiebbar
(Probe, Waschflüssigkeit oder Elutionspuffer) aus einem Reservoir zu holen und auf die Säule zu dosieren. Dies gilt für die acht der 96 Säulen, in die die acht Nadeln gleichzeitig eintauchen. Unterhalb der mit den 96 Säulen bestückten Platte befindet sich auf einem fahrbaren Tisch eine Mikrotiterplatte, die die Proben für die UV-Analyse sammelt (Abb. 10.60b). Je nach Programm können alle 96 Säulen mit unterschiedlichem ChromatographieMaterial bestückt sein, oder identisches Säulenmaterial wird mit unterschiedlichen Durchflussraten und/oder Elutionsbedingungen beaufschlagt. In Abbildung 10.61 werden nach dem Equilibrierungsschritt zwei verschiedene Programme durchgeführt. Oben werden Beladungsversuche einschließlich Bestimmung der Durchbruchskurven und unten Elutionsversuche durchgeführt.
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
357
Abb. 10.61 Schematische Darstellung von Chromatographie-Experimenten mit einem Pipettierroboter (nach Wiendahl et al. 2008)
Trotz der hohen Zahl von möglichen Versuchen pro Zeiteinheit könnte eine komplette Optimierung der Chromatographie für ein neues Bioprodukt zu zeitaufwendig sein. Deshalb schlagen Susanto et al. (2008) die Nutzung von Modellparametern bzw. eine automatisierte Optimierung vor (Susanto et al. 2009). Winkelnkemper und Schembecker (2010) verwenden eine Kombination davon (Abschnitt 10.4).
10.3.6.12 Präparative Chromatographie im technischen Maßstab Schon aus Kostengründen ist die Festbettchromatographie normalerweise der letzte Reinigungsschritt für Bioprodukte.
Für ein Scale-up sind die mittels Lab or- und Pilotversuchen ermittelten Prozessparameter so wenig wie möglich zu ändern. Entscheidende Faktoren wie Chromatographie-Material, Partikelgröße, lineare Flussrate, Betthöhe und Pufferzusammensetzung sollten g leich bleiben. Konstant gehalten werden sollten ferner b ei den adsorptiven Chromatographie-Techniken das Verhältnis von Produktmasse zu Adsorbe rmasse und bei d er Gelf iltration die Zonenbreite (des Produktes b eim Auftrag) zur Säul enl änge. Dies bedeutet, dass ein Scale-up bevorzugt durch eine Verbreiterung des Säulendurchmessers erreicht wird. Diese Säulenverbreiterung ist gerade mit nicht druckstabilen Materialien jedoch nicht unproblematisch, da die mech a-
10
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358
nische Stütze durch die „Säulenwand“ mit zunehmendem Durchmesser vernachlässigbar ist. Durch Bettinstabilitäten kann es zu Inhomogenitäten kommen. Ab einer gewissen Größe werden die meisten präparativen chromatographischen Säulen daher radial oder axial und so zusätzlich stabilisiert. Ein weiterer Unterschied ist, dass in technischem Maßstab vorwiegend Stufengradienten zur Elution der Substanzen eingesetzt werden, da dies technisch viel einfacher durchführbar ist. Die Auflösung ist jedoch geringer als bei der in analytischem Maßstab eingesetzten linearen Gradientenelution. Die übliche Chromatographie im technischen Maßstab erfolgt batch-weise und setzt eine gründliche Vorreinigung (insbesondere die Entfernung von Schwebstoffen) voraus. Es gibt aber Neuentwicklungen, die von diesem Standardverfahren abweichen. Sie sollen im Folgenden vorgestellt werden. Die superkritische Fluidchromatographie (SFC) ist ein Hybridprozess bestehend aus einer superkritischen Fluidextraktion (SFE, Abschnitt 10.3.4.4; Abb. 10.62a, linker Teil ist identisch mit Abb. 10.49) und einer Chromatographie. Es handelt sich dabei um einen batch-Prozess. Das Einsatzgut ist in der Regel ein bereits durch SFE vorgereinigtes Produkt, also der Extrakt aus dem Extraktionsprozess gemäß Abbildung 10.49. Dies ist ein Gemisch, in dem alle Komponenten, die in die Säule eingespritzt werden, vom Extraktionsmittel – hier überkritisches CO2 – gelöst werden. Im vorliegenden Beispiel handelt es sich bei dem Einsatzgut um den Extrakt aus der SFE, ein Fischölethylester mit einer Ω-3-Konzentration von 60 %. Das Gemisch samt Lösemittel wird über einen Wärmetauscher (12) auf die für die Chromatographie optimale Temperatur gebracht und auf die Säule (13) aufgegeben. Dort wird es aufgrund der unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Komponenten in Fraktionen zerlegt, über eine Drossel (8) im Separator (9) vom Lösemittel freigesetzt und über ein Steuerventil in die zugehörigen Kompartimente des Fraktionskollektors (10) geleitet. Die reinste Fraktion nach der Chromatographie im Kollektor hat eine Konzentration von 99 % Ω-3-Fettsäureester, sodass eine Produktpalette verschiedener Konzentrationen (z. B. 90 %) konfektioniert werden kann. Abbildung
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
a
b Abb. 10.62 (a) Schematische Darstellung der superkritischen Fluidchromatographie (Zahlen siehe Abb. 10.49 und Text). (b) Foto einer technischen SFC-Anlage (mit freundlicher Genehmigung der KDPharma, Bexbach)
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
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a
b
10.62b zeigt eine Anlage, die jährlich 200 Tonnen Ω-3-Fettsäureester mit einer Reinheit von über 90 % erzeugen kann. Bei der Fließbettadsorption (expanded bed adsorption) ist die Strömungsrichtung der Schwerkraft der Adsorberpartikel entgegengerichtet und die Geschwindigkeit so gewählt, dass diese schweben. Dies ermöglicht die Applikation für Rohlösungen, also z. B. die Produktisolation aus der Zellsuspension oder dem Zellhomogenat. Wichtig dabei ist, dass nur das Bioprodukt (Zielprotein), nicht aber die Zellen oder Zell-Debris vom Adsorbermaterial zurückgehalten werden; d. h. die Interaktionen zwischen Adsorberpartikeln und Zellen bzw. Zell-Debris sollten so gering wie möglich sein. Lin et al. (2003) weisen darauf hin, dass wegen der Dominanz elektrostatischer
Abb. 10.63 Prinzip der SMB-Chromatographie. (a) Trennwirkung einer sich bewegenden stationären Phase; (b) realer Vorgang durch Ventilschaltung in Richtung der mobilen Phase (mit freundlicher Genehmigung der Bayer Technology Services GmbH)
Interaktionen und der Tatsache, dass die überwiegende Zahl der Biomoleküle, intakter Zellen und Zell-Debris bei einem neutralen pH eine negative Ladung tragen, sowohl das Zielprotein als auch Zellen bzw. Zell-Debris mit einem negativ geladenen Adsorbermaterial stark interagieren. Anhand von detaillierten Zetapotenzialmessungen konnten sie zeigen, dass für den Rückhalt von Biomasse in einem negativ geladenen Fließbettadsorber drei Parameter von Bedeutung sind: Zetapotenzialadsorber, Zetapotenzialbiomasse und Partikeldurchmesser der Biomasse (siehe auch Abschnitt 10.1.2, Abb. 10.4 bis 10.7). Hier gibt es einen Grenzwert, unterhalb dessen die Fließbettadsorption für die Produktisolation Biomasse enthaltender Rohlösung angewendet werden kann. Zur technischen Auslegung (Zusammenhang zwischen Betthöhe
10
10
360
und Fließgeschwindigkeit und der daraus resultierenden Limitierung) wird auf Abschnitt 7.6 (flui( dized bed reactor, Abb. 7.23) verwiesen. Aus den Bemühungen, die Chromatographie kontinuierlich zu betreiben, resultiert die simulated moving bed chromatographyy (SMB). Zugrunde liegt das Konzept, die stationäre Phase einer Chromatographiesäule im Gegenstrom zur Flüssigphase zu führen. Dies soll zunächst in einem Gedankenexperiment erklärt werden. Getrennt werden soll ein Zwei-KomponentenGemisch AB (z. B. Stereoisomere), bei dem die Komponente A eine höhere Affinität zur stationären Phase hat als die Komponente B. In einem Festbett würde also die Komponente B schneller wandern als die Komponente A und demgemäß früher am Ausgang der Säule erscheinen. Unterteilt man die Säule gemäß Abbildung 10.63a in vier Zonen, führt das Gemisch (Feed) zwischen Zone 2 und 3 zu, lässt den Eluenten von links nach rechts und die stationäre Phase (das ChromatographieMaterial) von rechts nach links wandern, so stellen sich in der Säule die in Abbildung 10. 63a eingezeichneten Konzentrationsprofile der Komponenten A (rot) und B (grau) ein. Ein Austrag der reinen Komponenten A (Extrakt, rot) zwischen Zone 1 und 2 und B (Raffinat, grau) zwischen Zone 3 und 4 wäre dadurch gewährleistet. Da die Bewegung der stationären Phase aber aus technischen Gründen nicht praktikabel ist, wird dieser Vorgang simuliert. Eine große Zahl von Chromatographiesäulen (4–24) sind in einer Kreisschaltung gemäß Abbildung 10.63b angeordnet. Das Feed wird zunächst zwischen Zone 2 und 3 eingegeben und wandert gemeinsam mit der mobilen Phase in Zone 3. Die schwächer adsorbierende Komponente B (grau) verlässt am Ende der Zone 3 als Raffinat den Kreislauf, die stärker adsorbierende Komponente A (rot) reichert sich in Richtung des Extraktabzugs an. Durch die periodischen Schaltvorgänge in Richtung des Gesamtträgerstroms wird der Austritt von Raffinat im nächsten Schaltzyklus um eine Position im Uhrzeigersinn weiterwandern. Zum Zeitpunkt der Zugabe des Eluenten ist kein Raffinat mehr vorhanden und das bisher noch adsorbierte Extrakt (rot) wird zunehmend eluiert. Das Schalten der Ventile in Richtung der Flüssigkeitsbewegung hat also die gleiche Wirkung, wie die ge-
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
genläufige Bewegung der stationären Phase im obigen Gedankenexperiment. Imamoglu (2002) gibt einen guten Überblick über die Anwendung dieses Verfahrens, das bereits seit 30 Jahren in sehr großem Maßstab in der petrochemischen Industrie angewandt wird, erläutert den theoretischen Hintergrund und gibt B eispiele für die biotechnologische Anwendung. Wekenborg et al. (2004) wenden die SMB als Ionenaustauschchromatographie für die Trennung der beiden β-Lactoglobuline A und B an. Statt mit konstanter Zusammensetzung der fluiden Trägerphase (d. h. isokratisch) schlagen sie die Solvent-Gradienten-SMB-Technologie vor, d. h. das Lösungsmittel wird mit unterschiedlicher Elutionsstärke (nicht-isokratisch) zugeführt. Die SMB-Chromatographie hat gegenüber der batch-Chromatographie die folgenden Vorteile: geringerer Eluentenverbrauch, maximale Produktivität der Chromatographie und Vereinfachung des Equipments. Dem steht der Nachteil der strikten Prozesskontrolle bei verminderter Prozessflexibilität gegenüber. Wirklich kontinuierlich trennt die präparative annulare Chromatographie (P-CAC). In Abbildung 10.64 sind der Aufbau und das Trennprinzip schematisch dargestellt (Schmidt et al. 2003; Hilbrig und Freitag 2003). Das Chromatographie-Material ist nicht – wie sonst üblich – in eine Zylinderform, sondern in einen konzentrischen Ringspalt gepackt. Selbst bei relativ großen Säulenvolumina ist so die Bettstabilität durch den Wandeffekt gesichert. Das Säulenbett im Ringspalt wird ständig von mobiler Phase durchströmt. Gleichzeitig rotiert es langsam (< 1 h−1) an verschiedenen fest stehenden Einlässen vorbei, über die die Säule mit Feed und weiteren Elementen (Stufengradienten, Verdränger, Regenerierungs- und Reinigungslösungen) beaufschlagt werden. Die Trennung der Substanzmischung erfolgt wie bei der konventionellen Chromatographie entlang der Flussrichtung der mobilen Phase und damit orthogonal zur Bewegungsrichtung der festen Phase (Kreuzstromchromatographie). Je nach Retentionszeit benötigen die Substanzen unterschiedlich lang, um das untere Ende des Säulenbetts zu erreichen. Die zeitliche Auflösung der Satzchromatographie wird in der kontinuierlichen annularen Chromatographie somit zu einer räumlichen Auflösung entlang des
10.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung
Abb. 10.64 Auftrennung eines Stoffgemisches im annularen Ringspalt
Ringspaltes. Am unteren Ende ist der rotierende Ringspalt – über eine Gleitringdichtung – mit einer Vielzahl stationärer Auslässe verbunden, die die austretende Flüssigkeit in einen Fraktionssammler leiten. Sobald der stationäre Zustand erreicht ist – in der Regel nach einer Umdrehung – kann das Produkt kontinuierlich an einem fixen Auslass gewonnen werden. Mit Ausnahme der Elutionschromatographie im linearen Gradienten wurden fast alle Modi der präparativen Chromatographie auf die annulare Chromatographie übertragen, so die Gelfiltration, die Affinitätschromatographie, die Elutionschromatographie im Stufengradienten und die Verdrängungschromatographie (siehe unten). In jedem Fall war die direkte Übertragung einer auf einer kleinen Milliliter-Säule entwickelten Trennung auf eine um Größenordnungen größere annulare Säule (Liter-Volumen) möglich. Bei g Faktor(LF)der Übertragung hat sich das LoadingKonzept bewährt, wobei gilt: Satzsäule: LF; =
. QT ; H;
= S;
= tI; =
=
(10.24)
und annulare Säule: LF;
=
. QT ; H; = S ;
= 360; = = ; =
(10.25)
. QT = Volumenstrom des zu trennenden Flüssigkeitsgemisches. Schmidt et al. (2003) haben eine erste Pilotanlage (144 l/d) für die Aufkonzentrierung von kontinuierlich produziertem rekombinanten Faktor VIII getestet. Als Chromatographie-Material dien-
361
te Fractogel, das hinsichtlich Packtechnik und Quellung vergleichsweise gute Eigenschaften hat. Als Eluent wurde eine konzentrierte Salzlösung verwendet. Neben technischen Problemen, wie – im Vergleich zur üblichen Säule – ungleichmäßiger Packungsdichte, Undichtigkeit an der Schleifringdichtung und fehlende Sterilisierbarkeit, stellten sie fest, dass die interessierende Komponente über sechs Ausläufe verteilt austrat, wobei gewisse Schwankungen im Austrittsbereich zu beobachten waren (peak ( wobblingg). Diese Technik ist also noch verbesserungsfähig, aber durchaus vielversprechend. Im Gegensatz zu den bislang aufgeführten Methoden stellt die Verdrängungschromatographie ein rein präparatives und in hohem Maße nicht-lineares Verfahren dar (Abb. 10.65). Bei diesem Verfahren wird die Säule zunächst unter guten Bindungsbedingungen bis fast zum Erreichen der Kapazität mit der zu trennenden Substanzmischung beladen. Anschließend wird die Säule mit der Verdrängerlösung beaufschlagt. Ein geeigneter Verdränger ist dabei eine Substanz, die besser als die Feedkomponenten an die stationäre Phase bindet. Dieser Verdränger reduziert daher die für die Adsorption zur Verfügung stehenden Bindungsplätze; das Resultat ist eine Konkurrenz der Feedkomponenten um die verbleibenden Plätze, wobei die stärker bindenden Komponenten die schwächer bindenden zunehmend verdrängen. Das Resultat ist eine Auftrennung der Komponenten in aufeinanderfolgende Zonen der reinen Substanzen, den sogenannten displacement train. Die Konzentration in den einzelnen Substanzzonen wird dabei von der Verdrängerkonzentration und der Verdrängerisothermen bestimmt. Für die Geschwindigkeit einer durch eine chromatographische Säule wandernden Front – hier die des Verdrängers V – gilt: uo uV = (10.26) 1 + φ( V V)
mit uo = Fließgeschwindigkeit der mobilen Phase; φ = Phasenverhältnis; q = adsorbierte Menge; c = Konzentration in Lösung. Da die Geschwindigkeit der Verdrängerfront die Geschwindigkeit des displacement train bestimmt, gilt uD = uS1 = uS2 = ...
10
10
362
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
Abb. 10.65 Schematische Darstellung einer Verdrängungschromatographie
Abb. 10.66 (a) Adsorptionsisothermen für vier verschiedene Substanzen (A–D) eines Gemisches und derjenigen des Verdrängers; (b) displacement train
Damit lässt sich die Konzentration der Einzelsubstanzen aus dem Schnittpunkt der Einzelsubstanzisothermen mit einer durch den Nullpunkt und den durch die Verdrängerkonzentration bestimmten Schnittpunkt mit der Verdrängerisothermen gegebenen Operationslinie bestimmen (Abb. 10.66a). Substanzen, deren Isothermen von der Operationslinie nicht geschnitten werden, eluieren vor dem displacement train (Abb. 10.66b) In Abschnitt 10.3.3.4 wurde auf die negativen Folgen der Proteinadsorption bei der Membranfiltration eingegangen. Es ist daher nicht naheliegend, diesen Effekt für die Proteinreinigung zu nutzen. Der Membranadsorber hat aber genau dieses Ziel. Allerdings ist bereits im Zusammenhang mit den Anforderungen an das Chromatographie-Material auf den Unterschied zwischen unspezifischer und spezifischer Adsorption hingewiesen worden. Der Membranadsorber (MA) stellt eine Kombination von Chromatographie bzw. besser Ad-
sorption und Membranfiltration dar. Zu diesem Zweck sollen spezifische Wechselwirkungen an der Porenoberfläche der Membran induziert und unspezifische vermieden werden. Daher sind an die Porenoberflächen die gleichen Forderungen, wie an die Oberfläche des Chromatographie-Materials zu stellen. Der MA bietet aber auch nahezu die gleichen Möglichkeiten. Es handelt sich überwiegend um Flachmembranen aus regenerierter Cellulose, Polyethersulfon (PES) und PVDF. An die Porenoberfläche können prinzipiell alle Arten von Austauschergruppen fixiert werden. Fraud et al. (2009) schlagen beispielsweise den Membranadsorber zur Trennung von Proteingemischen mittels Hydrophober Interaktionschromatographie (HIC) vor. Eine hydrophile, regenerierte Cellulosemembran wird in ihren Poren durch kovalente Bindung hydrophober Phenylgruppen hydrophobisiert. Sie kann auf diese Weise zur Trennung von Proteinen unterschiedlicher Hy-
363
10.4 Entwicklung von Downstream-Prozessen
a c
b
d
drophobizität nach dem Prinzip der Chromatographie (beladen und anschließend eluieren) genutzt werden. Reis und Zydney (2007) schätzen allerdings die vorhandene Kapazität hierfür als zu gering ein. Giovannoni et al. (2009) sehen die Anwendung des HIC-Membranadsorbers eher in der Reinigung, z. B. zur Entfernung von Viren, HCP (Wirtszellproteinen, host cell proteins), rekombinanter DNA, Endotoxinen und anderen Verunreinigungen bei der Gewinnung von monoklonalen Antikörpern (mAb). Zhou et al. (2008) schlagen für den gleichen Anwendungsfall vor, den IEC-Membranadsorber einzusetzen. In diesem Fall werden die Poren mit positiven Ladungen versehen (Abb. 10.67a). Monoklonale Antiköper sind bei neutralem pH positiv geladen. Die negativ geladenen Verunreinigungen lagern sich an der Membranpore an. Sind alle aktiven Gruppen besetzt, kommt es zum Durchbruch. Um die Kapazität zu vergrößern, werden gemäß Abbildung 10.67b mehrere Membranschichten übereinandergestapelt, gefaltet (Abb. 10.67d) oder als gewickelter Membranmodul (Abb. 10.67c schematisch) eingesetzt. Auch die Kombination verschiedener Membranadsorber (z. B. IEC plus HIC) wird empfohlen. Generell sind die Poren der Membranen größer als die von Mikrofiltrationsmembranen (0,8–3 μm). Wichtige Parameter für die Leistungs-
Abb. 10.67 Membranadsorber schematisch. (a) Ausschnitt einer IEC-Adsorbermembran, (b) gestapelte Membranschichten, (c) gewickelter Modul, (d) Mustang-XT-Membran (mit freundlicher Genehmigung der Pall GmbH)
fähigkeit des Membranadsorbers sind unter anderem Porenverteilung, Porenoberfläche, Dichte der elektrischen Ladungen, pH, Ionenstärke, Zahl der Membranschichten und Art des Moduls.
10.4 Entwicklung von Downstream-Prozessen* Wie bereits zu Beginn in Kapitel 10 erläutert, ist der Anteil der Kosten für die Aufarbeitung biotechnologisch erzeugter Produkte in der Regel sehr hoch. Insbesondere bei der Reinigung von pharmazeutischen Proteinen entfallen bis zu 90 % der Herstellkosten auf den Downstream-Prozess. Deshalb ist die Entwicklung eines kosteneffizienten Aufarbeitungsprozesses von großer Bedeutung für einen ökonomischen Gesamtprozess. Leistung und Wirtschaftlichkeit eines Produktionsprozesses hängen maßgeblich von den Entscheidungen ab, die in frühen Phasen der Prozessentwicklung getroffen werden (Cziner et al. 2005). Spätere Änderungen am Prozess sind meistens mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden (Schembecker 2006) (Abb. 10.68). *Stefanie Schuldt, Torsten Winkelnkemp er, Gerhard Schembecker
10
10
364
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
vo EntEinfluss s von wurfsänderungen nder auf die Wirtschaftlichkeit sch eines Prozesses
Abb. 10.68 Kosten für Prozessänderungen und deren Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit eines Prozesses in Abhängigkeit des Entwicklungsstadiums
Laborversuche
Das Erfolgsrisiko und der Zeitdruck zur Einführung neuer Produkte erfordern aber eine Prozessentwicklung mit begrenztem Zeit-, Arbeits- und Materialaufwand. Prozesskonzepte basieren deshalb oft auf bereits etablierten Verfahren. Mit nur wenigen trial-and-error-Experimenten werden dann Prozessstufen schrittweise zu einem Laborprozess zusammengefügt, dessen Scale-up zu einem verfahrenstechnisch und ökonomisch suboptimalen Herstellverfahren führt.
10.4.1 Strategien Strategien zur systematischen Prozessentwicklung sind erforderlich, um das Potenzial möglichst aller einsetzbaren Aufarbeitungsverfahren zu ermitteln, ökonomisch zu bewerten und für eine produktspezifische Aufreinigung optimal nutzen zu können (Harjo et al. 2004). Nfor et al. (2008) unterteilen die Strategien in • heuristische bzw. wissensbasierte Ansätze: Aus Erfahrung und Expertenwissen werden Erfahrungsregeln (Heuristiken) abgeleitet, wie Unterschiede der Stoffeigenschaften von Zielsubstanz und Verunreinigungen möglichst effizient genutzt werden können. Beispielsweise bietet sich für Stoffe mit unterschiedlichen Löslichkeiten und Polaritäten die Trennung mittels Solventextraktion an. Für Proteine sind solche Regeln bereits in rechnergestützten Expertensystemen realisiert (Asenjo and Andrews 2004). • experimentelle Ansätze: Im Vergleich zu den genannten einfachen trial-and-error-Experi-
Entwurf Prozesskonzept
Kosten für Änderungen am Prozess
Basic Detail Engineering Engineering
Bau
menten gibt es wesentlich leistungsfähigere Möglichkeiten. Beispielsweise kann durch statistische Versuchsplanung (Design of Experiments, DoE) die Anzahl der Experimente verringert und gleichzeitig die Aussagekraft erhöht werden. Zusätzlich kann durch Miniaturisierung und Parallelisierung mit Hochdurchsatztechniken (Abschnitte 7.4, 10.3.4.2 und 10.3.6.11) bei verringertem Zeit- und Materialaufwand der experimentelle Umfang wesentlich gesteigert werden. Die erfolgreiche Kombination dieser Techniken demonstrierten beispielsweise Susanto et al. (2009) anhand der Optimierung chromatographischer Trennprozesse. • modellbasierte Ansätze: Mithilfe der Biothermodynamik können Aufarbeitungsverfahren modelliert und das Verhalten von Biomolekülen darin simuliert werden, sofern deren Stoffeigenschaften charakterisiert sind. Für Standard-Produktionssysteme wie E. coli und CHO(Chinese hamster ovary)-Zellen wäre ein in-silico-Prozessentwurf möglich, sobald Datenbanken mit Modellparametern für alle wesentliche Inhaltsstoffe verfügbar sind (Nfor et al. 2009).
Bei der Vielfältigkeit und Komplexität der aufzuarbeitenden Fermentationsbrühen sind Heuristiken nur begrenzt aussagekräftig und umfassende Datensätze mit Modellparametern zurzeit noch nicht verfügbar. Daher ist eine weitgehend experimentell gestützte Prozessentwicklung unumgänglich. Besonders vielversprechend sind hybride Methoden, die die Vorteile aller Ansätze vereinen (Nfor et al. 2008; Nfor et al. 2009). Deshalb wird im Folgenden dieser Ansatz näher betrachtet.
365
10.4 Entwicklung von Downstream-Prozessen
10.4.2 Experimentell gestützter systematischer Prozessentwurf Mit der Auswahl und Kombination der vorgestellten Aufarbeitungsverfahren und der einsetzbaren Hilfsmittel (Adsorbentien, Lösungsmittel etc.) sowie der Wahl von Betriebsparametern (Konzentrationen, pH-Wert, Phasenverhältnisse, Temperatur etc.) ist die Anzahl der theoretisch möglichen Prozessvarianten nahezu unbegrenzt. In Abschnitt 10.3.4.2 sind z. B. die wesentlichen Einfluss- und somit zu untersuchenden Betriebsparameter für die wässrige Zweiphasenextraktion aufgeführt. Abschnitt 10.3.6 verdeutlicht, dass die optimale Auswahl und Auslegung chromatographischer Trennprozesse eine umfangreiche Kenntnis der verschiedenen Verfahren und des zu trennenden Gemisches voraussetzt. Soweit möglich, können Stoff- und Gemischeigenschaften der Literatur entnommen oder durch geeignete Modelle zur Vorhersage thermodynamischer Eigenschaften (z. B. COSMO-RS) und Zustandsgleichungen (z. B. PC-SAFT) angenähert werden. Durch deren Auswertung können zunächst anhand von
Erfahrungsregeln mögliche Verfahrensalternativen erzeugt und die Experimente gelenkt werden (Bauer und Schembecker 2008). Die Messungen umfassen die Feststellung der Machbarkeit, die Bestimmung von Gleichgewichten (z. B. Verteilungsgleichgewichte bei der Solventextraktion, siehe Gleichung (10.15)) und Kinetiken. Dabei werden zunehmend Alternativen eliminiert und Betriebsfenster für die vielversprechendsten Prozessschritte definiert. Bei der praktischen Ausführung der Experimente haben Hochdurchsatzverfahren auf Roboter-Plattformen aufgrund des geringeren Zeit- und Materialaufwands in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen (Nfor et al. 2009). In Abschnitt 7.4 werden Hochdurchsatzexperimente mit Parallelbioreaktoren für das Screening und die Prozessentwicklung eingesetzt. Im Bereich der Auswahl von Biokatalysatoren und der Optimierung von Fermentationsprozessen ist diese Technik bereits etabliert. Der Einsatz von Hochdurchsatzmethoden zur Entwicklung von Aufarbeitungsprozessen biotechnologischer Produkte stellt noch ein vergleichsweise neues Forschungsgebiet dar. In den Abschnitten 10.3.4.2 und 10.3.6.11 wird bei-
Experimente (Roboter-Plattform)
Planung neuer Versuche
Analytik
Produkt Upstream Prozess
Auswahl
Bewertung
Abb. 10.69 Schema einer iterativen Methode der systematischen Entwicklung eines optimalen DownstreamProzesses bei Einsatz einer Roboter-Plattform
10
10
366
spielhaft dargestellt, wie die experimentelle Untersuchung wässriger Zweiphasenextraktionen (Abb. 10.46) und chromatographischer Trennverfahren (Abb. 10.60 und 10.61) praktisch auf einem Laborroboter umgesetzt werden kann. Neben hohem Durchsatz bieten diese Systeme den Vorteil einer guten Reproduzierbarkeit der Experimente und der Automatisierung der Prozesssynthese. Abbildung 10.69 zeigt den schematischen Ablauf der Entwicklung von Downstream-Prozessen unter Einbeziehung einer Roboter-Plattform. Die Proben werden im Anschluss z. B. mittels HPLC analysiert und die Daten bewertet. Um diesen Ablauf zu automatisieren, werden die Roboter-Software und die Datenanalyse-Software durch eine Schnittstelle miteinander verbunden. Auf Basis der Ergebnisse der Datenanalyse werden dann neue Versuchspläne erstellt und die dafür notwendigen Experimente wiederum auf der Roboter-Plattform durchgeführt.
10.4.3 Analytik In allen Arbeiten stellten sich die Analytik und die Verarbeitung der großen Datenmengen als potenzielle Schwachstelle dieser Technik heraus. Um Proben im Mikromaßstab adäquat auswerten zu können, sind hoch sensible und schnelle analytische Methoden erforderlich. Eine gängige Methode zur Analyse von komplexen Substanzgemischen ist die Hochleistungs-Flüssigchromatographie (HPLC, high-performance liquid chro-
Abb. 10.70 Vergleich der Analysezeiten mit konventioneller HPLC und UHPLC
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
matography) (Abschnitt 10.3.6). Die Substanzen werden hierbei nach dem chromatographischen Trennprinzip aufgrund unterschiedlich starker Wechselwirkungen mit der stationären Phase getrennt und z. B. mittels UV- oder MS-Messung detektiert (Abschnitt 10.3.6.1). Analog zur Bioprozessentwicklung (Abschnitt 7.4) entsteht auch bei der Downstream-Prozessentwicklung durch den Einsatz von Hochdurchsatzverfahren der Bedarf nach schnelleren Analysemethoden zur Bewältigung der hohen Anzahl an Proben. Aufgrund dessen wurde die HPLC zur UltraHochleistungs-Flüssigchromatographie (UHPLC) weiterentwickelt. Ein entscheidender technischer Unterschied ist der höhere maximale Arbeitsdruck des UHPLC-Systems und der damit mögliche Einsatz von Säulen mit Partikelgrößen unter 2 μm im Vergleich zur herkömmlichen HPLC mit 5 μm. Der Vorteil des Einsatzes kleinerer Partikelgrößen kann anhand der van-Deemter-Gleichung verdeutlicht werden (Abschnitt 10.3.6.1, Gleichung (10.23)). Sowohl der Säulenqualitätsfaktor A als auch die Axialdiffusion B hängen von der Partikelgröße der stationären Phase ab. Je kleiner die eingesetzten Partikel sind, desto kleiner ist auch die Trennstufenhöhe. Die Verringerung der Trennstufenhöhe führt zu einer Erhöhung der Anzahl theoretischer Böden und damit zur Steigerung der Trenneffizienz. Dies bedeutet in der Praxis eine hohe Peakkapazität, d. h. eine große Anzahl an auflösbaren Peaks pro Zeiteinheit (Abb. 10.70). Dadurch werden die Analysezeiten deutlich verringert.
367
10.4 Entwicklung von Downstream-Prozessen
10.4.4 Bewertung
(Winkelnkemper und Schembecker 2010b). Dies geschieht durch Verwendung des PPI (Purification Performance Index):
Experimente im Labor-Maßstab Bewertung im Bewertung Produktions-Maßstab
(10.28)
Der PPI basiert dabei nicht direkt auf den Reinheiten x, sondern gewichtet sie mit der Funktion f(x) gemäß Gleichung (10.29) derart, dass anspruchsvolle Reinheitssteigerungen im Bereich sehr geringer und sehr hoher Reinheiten besonders stark bewertet werden. 1 ln ¥¦ x ´µ f (10.29) 2 §1 x ¶
Analog dazu kann mit dem CPPI (Contaminantspecific Purification Performance Index) auch die Verminderung einzelner Verunreinigungen normiert und gewichtet werden (Winkelnkemper und Schembecker 2010a): CPPI
g
g
,
g
,
c
ln ¥¦ c V,i §
, mit ,
Z
(10.30)
,
;
g
,
x ln ¥¦1nx §
f
f
(10.31)
Für alle n Verunreinigungen ergibt sich aus der Verwendung des CPPI ein purification fingerprint,
Aufarbeitung
Fermentation Fermentation AusgangsAusgangsgemisch gemisch
0
¥ ¦ §
i
Betrachtet man die Reinheiten vor einem Aufreinigungsschritt (xin) und danach (xout), wird die erzielte Reinheitssteigerung häufig durch die Differenz (xout – xin) oder den Aufreinigungsfaktor (xout/xin) angegeben. Aussagekräftiger ist es aber, diesen Reinheitsgewinn auf die Prozessgrenzen zu beziehen, die durch die Reinheit des Ausgangsgemisches (x0) und die angestrebte Zielreinheit des Produktes (xf ) festgelegt sind
f out f
PPI
¥ ¦ §
Für die Auswahl aus Verfahrensalternativen und die Festlegung von Betriebsfenstern einzelner Aufreinigungsschritte ist eine Bewertung der experimentellen Ergebnisse erforderlich. Diese Bewertung muss letztlich auf Basis der Kosten für deren Umsetzung im Produktionsmaßstab (Abb. 10.71) beruhen. Mithilfe der Analytik (Abschnitt 10.4.3) werden zunächst die Konzentrationen der Zielsubstanz (cZ) und möglichst aller wesentlichen Verunreinigungen (cV,i) in dem aufzuarbeitenden Gemisch bestimmt, woraus sich zunächst die Reinheit x berechnen lässt: cZ (10.27) x c Z ¤ c V ,i
Zielsub stanz Zielsubstanz
einzelner Aufreinigungsschritt
Ziel Zielrei nheit reinheit
Analyse
Analyse
Analyse
Analyse
ci,0, x0
ci,in, xin
ci,out, xout
ci,f, xf
Ausbeuteverluste, Reinheitssteigerung
Kosten Kosten
Machbarkeit, Kosten
Upstream-Prozess Upstream-Prozess
Downstream-Prozess
Produkt Produkt
Abb. 10.71 Gegenüberstellung der experimentellen Labordaten und ihrer Bewertung für die DownstreamProzessentwicklung
10
368
Ro
Anfangsreinheit
Abb. 10.72 Schema zur Ermittlung des SCI
der einen Aufreinigungsschritt bezüglich seiner Selektivität charakterisiert und die gezielte Kombination von verschiedenen Schritten zur effizienten Entfernung von Verunreinigungen ermöglicht (Winkelnkemper und Schembecker 2010b). Mit jedem Aufreinigungsschritt ist aber normalerweise nicht nur eine Reinheitssteigerung verbunden, sondern auch ein Verlust an Zielsubstanz, der sich gemäß Gleichung (10.32) in der Ausbeute Y widerspiegelt: c Z,out Voout Y (10.32) c Z,in Viin
Entsprechend der Ausbeuteverluste eines Schrittes müssen bei einer vorgegebenen Produktionskapazität alle vorangehenden Schritte einschließlich der Fermentation entsprechend größer dimensioniert werden. Daher müssen die Kosten (κ) für den Fermentations- und Aufreinigungsschritt dem Reinheitsgewinn gegenübergestellt werden. Sobald ein vollständiges Prozesskonzept erarbeitet wurde, können die Herstellkosten anhand der Massen- und Energiebilanzen des Gesamtprozesses und die Investitionskosten anhand des entsprechenden Equipments abgeschätzt werden. Mithilfe des Separation Cost Indicatorr (SCI) kann aber auch in früheren Phasen der Prozessentwicklung bereits die Kosteneffizienz abgeschätzt werden (Winkelnkemper und Schembecker 2010b):
1
SCI Y PPI
xout
Y Fermentation
1
¥ 1 Y PPI ¦K Fermentation K Aufreinigungsschritt § 1 Y (10.33)
Downstream-Prozess
PPI
duk
t
SCI
Pro
hm
xin
Aufreinigung
es
ate
rial
Fernte menter me
rein
ie n
10 Aufarbeitung (Downstream Processing)
¥ ¦ §
10
Zielreinheit
Der SCI bewertet die Kosteneffizienz eines Aufreinigungsschrittes anhand der extrapolierten Kosten, die ein hypothetischer, vollständiger Prozess bestehend nur aus gleich effizienten Schritten verursachen würde (Abb. 10.72). Mit dem PPI wird dabei die Anzahl benötigter Schritte geschätzt. In Abbildung 10.72 beträgt der PPI beispielsweise 50 %, d. h. es werden zwei Aufreinigungsschritte gleicher Effizienz benötigt, um die gewünschte Zielreinheit zu erreichen. Aus der Annahme gleicher Ausbeuteverluste (Y) wird dann vom Produkt ausgehend rückwärts die benötigte Größe aller theoretischen Prozessstufen (hier gestrichelt dargestellt) abgeschätzt. Der SCI (Gleichung (10.33)) entspricht schließlich den Gesamtkosten dieses hypothetischen Prozesses. Mit dieser Abschätzung können wichtige Entscheidungen zur Prozessstruktur auch ohne ein vollständiges Prozesskonzept auf der Basis von Kosten getroffen werden – und damit wesentlich früher als bei herkömmlichen Herangehensweisen (Winkelnkemper et al. 2011). Ab einem gewissen Stadium der Prozessentwicklung sind eine detaillierte Konzeptionierung sowie der Vergleich und die Bewertung verschiedener Verfahren nur noch durch eine Modellierung und Simulation mit vertretbarem Aufwand möglich.
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Kultivierung von Säugetierzellen*
Die Kultivierung von Säugetierzellen hat in Verbindung mit der industriellen Anwendung der Gen- und Biotechnik eine große medizinische und wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Viele Hundert Gene für Proteine wurden kloniert und in tierischen Zellen exprimiert. Eine stetig steigende Zahl von Proteinen ist bereits für die Anwendung am Menschen zugelassen bzw. wird für ihre Eignung als Arzneimittel geprüft. Im Jahr 1987 wurde Actilyse® für die Therapie des Herzinfarktes in den Markt eingeführt, als eines der ersten Medikamente dieser Art, das aus Säugetierzellkulturen gewonnen wurde. Seitdem wurden viele weitere Proteine als Medikamente zur Therapie von Krankheiten in hochreiner Form und in großen Mengen aus Zellkulturen hergestellt (Tabelle 11.1). Auch die Diagnose-Möglichkeiten konnten durch gentechnische Verfahren erheblich erweitert werden. Viele Substanzen, die zuvor aufwendig und meist unwirtschaftlich Tabelle 11.1 Biopharma-Produkte (Lawrence 2007a, b) Top 10 Produkte (Handelsnamen)
Firmen
Umsatz im Jahr 2006 (in Mrd. US $)
Enbrel
Amgen, Wyeth, Takeda
4,47
Aranesp
Amgen
4,12
Rituxan, MabThera
Biogen Idec, Genentech, Roche
3,86
Remicade
Johnson & Johnson, 3,77 Schering-Plough, Tanabe
Procrit, Eprex
Johnson & Johnson
Herceptin
Genentech, Roche
3,18 3,13
Epogen
Amgen, Kirin
2,85
Neulasta
Amgen
2,71
Avastin
Genentech, Roche
2,36
Lantus
Sanofi fi-Aventis
2,20
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
aus tierischen und menschlichen Geweben extrahiert werden mussten, können inzwischen gezielt und sicher aus Säugetierzellkulturen hergestellt werden. Gentechnisch erzeugte Impfstoffe ermöglichen die maßgeschneiderte Herstellung ausschließlich der für die Immunisierung erforderlichen Substanzen (Antigene), sodass Nebenwirkungen der Impfung verringert werden. Für zahlreiche Krankheiten, bei denen es noch keine kausale Therapiemöglichkeiten gibt, können mithilfe der Tierzellkultur die Schlüsselmoleküle, die Krankheiten auslösen oder steuern, isoliert und auf ihre Wirksamkeit getestet werden. In diesem Kapitel wird im Besonderen auf die Herstellung therapeutischer Wirkstoffe aus Säugetierzellkulturen eingegangen. Der Fokus liegt dabei auf einer qualitativen Darstellung. Zur Vertiefung einzelner Themen wird auf andere Kapitel dieses Buches bzw. auf Fachliteratur verwiesen.
11.1 Eigenschaften von Tierzellen Die meisten Bakterien und Pilze, die in der Biotechnologie verwendet werden, kommen in vitro, d. h. im Reagenzglas bzw. im Bioreaktor, als Einzelzellen vor und durchlaufen keine Differenzierung. Im Gegensatz hierzu haben die Keimzellen von Tieren und Pflanzen die Fähigkeit, aus einer einzigen Zelle einen differenzierten Organismus zu bilden. Im leb enden System (in vivo) kommen Tierzellen bzw. Pflanzenzellen in Gemeinschaft vor und bilden Gewebe, d. h. größere abgegrenzte Verbände von gleichartig differenzierten Zellen mit gleicher Funktion. Tierzellen sind meistens hoch spezialisiert: Nervenzel* Autoren: Michael Howaldt, Franz Walz, Ralph Kempken
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374
len übertragen elektrische Impulse, Leberzellen können Proteine, Fette und Zucker umbauen, Muskelzellen können sich zusammenziehen und ausdehnen, Knochenzellen scheiden eine Knochensubstanz aus Collagen und Calciumsalzen aus. Tierzellen der Haut, des Herzmuskels, der Leber, des Rückenmarks unterscheiden sich stark in ihrem Aufbau und ihrer Funktion. Werden ausdifferenzierte Gewebezellen aus Pflanzen entnommen und auf geeigneten Nährböden kultiviert, können sie sich wieder zu embryonalen (totipotenten) Zellen entdifferenzieren. Dagegen behalten ausdifferenzierte tierische Zellen auch in der Zellkultur ihren Differenzierungsstatus bei. Tierzellkulturen entstehen also in den meisten Fällen aus Einzelzellen von bestimmten Geweben.
11.1.1 Kultur von Primärzellen Primärzellkulturen sind in vitro-Züchtungen von Organen, Geweben oder Zellen, die direkt aus einem Organismus entnommen wurden. Bei der Organkultur sollen die Struktur und Organisation der einzelnen Zellen und Gewebe des Organs möglichst gut beibehalten werden. Organkulturen in vitro können zur Prüfung pharmakologischer, physiologischer oder toxikologischer Fragestellungen angewendet werden. Sie werden hauptsächlich für Kurzzeit-Experimente eingesetzt und bilden meistens einen Kompromiss zwischen der hohen Komplexität eines Organismus und der vergleichsweise geringen Komplexität einer Zellkultur. Besonders schwierig ist jedoch die Aufrechterhaltung von geeigneten Umgebungsbedingungen. Der Zustand des kultivierten Organs kann fast nur mit indirekten Methoden nachverfolgt werden. Je nach Organ bzw. Tierspezies können die Verbrauchs- und Bildungsraten von Nährstoffen bzw. Stoffwechselprodukten im Medium gemessen und zur Abschätzung des Organzustands verwendet werden. Beispiele für Stoffwechselprodukte sind Glucose, Lactat, Ammonium, Harnstoff, Lactat-Dehydrogenase (LDH). Für eine erfolgreiche Kultivierung von Organen ist es in der Regel notwendig, von Zeit zu Zeit einen Mediumwechsel vorzunehmen oder eine Perfusion durchzuführen, d. h.
11 Kultivierung von Säugetierzellen
eine kontinuierliche Entnahme von verbrauchtem Medium und Ersatz des entnommenen Volumens durch frisches Nährmedium (Abschnitt 11.5.3). Dadurch werden auch Stoffwechselprodukte entfernt, ehe sie im Medium stark angereichert und somit zu S chadstoffen werden. Solche Wechsel des Mediums sollten aber nicht zu häufig erfolgen, weil aus dem Organ oder dem Gewebe oder den Zellen auch Substanzen mit fördernden Eigenschaften für Zellwachstum und Überlebensfähigkeit in das umgebende Medium ausgeschieden werden können (konditioniertes Medium). Bei der Gewebekultur wird ein Teil oder eine Probe eines Organs entnommen (Biopsie) und kleine Stücke der Gewebeprobe in sterilen Kulturmedien gezüchtet. Bei Primärzellkulturen wird die entnommene Gewebeprobe durch mechanische oder enzymatische Einwirkung in Einzelzellen dissoziiert. Folgende Enzyme sind gebräuchlich: Trypsin, Collagenase, Dispase, Pronase, Elastase, Hyaluronidase und DNAse (Lindl 2002). Zum Ende der enzymatischen Dissoziierung sollten die Primärzellen gewaschen, d. h. Zentrifugieren der Zellen und Aufnahme der sedimentierten Zellen in frisches Medium, und die Kultivierung bei wesentlich höherer Einsaatdichte begonnen werden, als dies bei normaler Subkultur von etablierten Zelllinien üblich ist. Primärzellkulturen, die nicht aus Tumorgewebe oder aus Blutzellen stammen, b enötigen geeignete feste Substrate für ihre Anhef tung (adhärente Kultivierung). Diese vermehren sich in der Regel nur nach ihrer Spreitung auf Oberflächen (Abschnitt 11.4). Die Kultivierung von Hautgewebe in vitro wurde für medizinische Anwendungen, vor allem zur Transplantation nach großflächigen Verbrennungen und zur Beschleunigung der Wundheilung, aus Primärgewebe erfolgreich durchgeführt. Je nach Herkunft bezeichnet man das transplantierte Hautgeweb e als homolog (= vom gleichen Organismus), als allogen (= von einem anderen Individuum der gleichen Spezies) oder als heterolog (= von einer anderen Spezies). Die Kultivierung von Bindegewebszellen (Fibroblasten) in vitro ist aufgrund ihres geringen Differenzierungsgrades relativ einfach möglich. Menschliche Fibroblasten können als Primär-
11.1 Eigenschaften von Tierzellen
zellkulturen in vitro etwa bis zu 50 Zellteilungen vollziehen, bevor sie danach absterben. Die Kultivierung von Leberzellen (Hepatocyten) in vitro ist aufgrund ihres komplexen bipolaren Aufbaus dagegen schwierig. In Suspensionskultur verlieren Hepatocyten ihre natürliche Funktion innerhalb weniger Stunden (Gerlach et al. 1989). Bei Oberflächenkulturen, z. B. in Hohlfaser-Ultrafiltrationsmodulen bzw. Dialyse-Modulen, wird die natürliche metabolische Funktion der Hepatocyten erheblich verlängert und die Zellen leben länger. Noch geeigneter ist die Kultivierung der Leberzellen in sogenannten Kapillarmembranreaktoren (Gerlach 1997). Hier bilden die Hepatocyten kleine Zellaggregate (Spheroide) und werden zum Teil an den Kapillarmembranen immobilisiert. Infolgedessen reorganisieren sie sich zu dreidimensionalen Strukturen, die in Struktur und Funktion den Hepatocyten in vivo ähneln. Elektronenmikroskopische Untersuchungen haben gezeigt, dass Monolayer-Kulturen von Leberzellen ihre Polarität verlieren und dass Leberzellen in MultilayerKulturen eine Selbstaggregation vollziehen, die zu einer dreidimensionalen Zellstruktur, einer Rekonstitution der Gallenkanäle und der Polarität der Zellen sowie zu einer Reorientierung der Zellorganellen führt (Kleinig und Maier 1999).
11.1.1.1 Differenzierung von Zellen Ein Beispiel für die vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten und das Verhalten normaler Säugetierzellen ist die Differenzierung der Zellen des Immunsystems. Diese Zellen sind darauf spezialisiert, körperfremde Antigene und Mikroorganismen zu erkennen und zu eliminieren. Alle Zellen des tierischen und des menschlichen Immunsystems stammen von pluripotenten haematopoetischen Stammzellen aus dem Knochenmark ab. Das bedeutet, dass sich diese Stammzellen zu vielen verschiedenen Blutzellen entwickeln können, wenn sie geeigneten Bedingungen ausgesetzt werden (Roitt et al. 2001). Die Differenzierung erfolgt zunächst in die myelotischen und die lymphoiden Vorläuferzellen. Aus den myelotischen Zellen entwickeln sich Zellen, die körperfremde Zellen oder Teile davon einschließen, verdauen oder anderweitig eliminieren können (Monocyten, Thrombocyten, Ma-
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krophagen, Mastzellen, Neutrophile, Basophile, Eosinophile). Aus den lymphoiden Zellen entwickeln sich die T-Zellen (im Thymus) und die B-Zellen (in der Leber bzw. bei Säugetieren im reifen Knochenmark). In diesen Organen erwerben die T- und B-Zellen ihre Fähigkeit zur Erkennung von Antigenen, und infolgedessen vermögen sie eine enorme Vielfalt spezifischer Antikörper gegen diese Antigene auszubilden. Die Antikörper erkennen körperfremde Zellen und Antigene, binden an die spezifischen Rezeptoren an der Oberfläche dieser fremden Strukturen und sorgen, ggf. mit Unterstützung anderer Zellen des Immunsystems, für deren Eliminierung. Die genetische Unterschiedlichkeit der lymphoiden Zellen wird durch ein hohes Maß an somatischer Genrekombination und Mutation während der Differenzierung der Zellen und ihrer Antigen-erkennenden Moleküle erreicht (Schwartz 2003). Die Transplantation von Knochenmarkzellen wird bereits erfolgreich für die Therapie von Leukämie-Patienten angewendet. Hierbei wird dem Patienten Knochenmark-Substanz entnommen und von leukämischen Zellen gereinigt. Durch eine Ganzkörperbestrahlung, teilweise in Kombination mit einer Chemotherapie, werden dann alle leukämischen Zellen im Körper des Patienten zerstört. Weil außer den Krebszellen auch die Stammzellen und Zellen des Blutsystems empfindlich auf radioaktive Strahlung reagieren, ist eine Transfusion der entnommenen Knochenmarkzellen in den Patienten notwendig, damit die Entwicklung von Blutzellen (Hämatopoese) weiterhin stattfinden kann. Für Forschungszwecke zur Krebstherapie und für mögliche Anwendungen zur Gentherapie wird die Kultivierbarkeit von pluripotenten Stammzellen und die Erforschung und Steuerung der Differenzierungsvorgänge dieser Zellen untersucht (Koller und Palson 1993; Takahashi et al. 2007; Löser et al. 2010). Im Gegensatz zu Primärzellkulturen aus anderen Geweb en können Blutzellen in Suspension, d. h. ohne ein festes Substrat zur Anhef tung der Zellen, kultiviert werden. Prinzipiell sterben Blutzellen in Kultur relativ schnell ab. Um diese in vitro normalerweise nicht proliferierenden Zellen zur Teilung anzuregen, werden die Blutzellen mit sogenannten Mitogenen, z. B. Lectine
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oder Lipopolysaccharide, stimuliert. Nach Zugabe der Mitogene teilen sich Blutzellen einige Male und sterben danach meist ab. Die erfolgreiche Kurzzeit-Kultivierung primärer tierischer Zellen ist fast nur in serumhaltigen Vollmedien möglich (Abschnitt 11.3).
11.1.2 Etablierung von Zelllinien Normale Zellen in Kultur haben eine begrenzte Lebensdauer (Hayflick 1997). Manchmal erhalten Zellen in Kultur die Fähigkeit zu permanenter Zellproliferation, insbesondere wenn sie aus Tumorzellen stammen. Daraus können Zelllinien mit relativ homogener Zellpopulation entstehen, die sich permanent vermehren und bei geeigneten Umgebungsbedingungen potenziell unbegrenzt lange in vitro subkultiviert werden können. Etablierte Zelllinien mit homogener Zellpopulation, möglichst ausgehend von einem Zellklon, sind für die industrielle Anwendung der Zellkulturtechnik von essenzieller Bedeutung.
11.1.2.1 Transformation von Säugetierzellen Zellen, die der homöostatischen Kontrolle (Feedback-Regulation) dauerhaft nicht mehr folgen, werden als „abnorme“ Zellen (Tumor- oder Krebszellen) bezeichnet. Den Übergang von einer normalen Zelle in eine abnorme Zelle nennt man Transformation. Die Zelle verliert ihr zellkooperatives Verhalten im Zellverband, unterliegt nicht mehr der Kontaktinhibition und den FeedbackRegulationsmechanismen, sondern sie wächst in vivo über die Gewebegrenzen und in vitro über die Monolayer-Anordnung der statischen Kultur hinaus. Die Transformation einer Zelle ist kein einstufiger Prozess. Sie ist eine Abfolge zellulärer Veränderungen, die den Phänotyp und auch den Genotyp betreffen können. Verschiedene Phasen der Transformation ähneln Reaktionen, die auch normale Zellen bei der Differenzierung und Reifung durchlaufen. Die Zelldifferenzierungg ist ein Vorgang, bei dem Veränderungen von Zellstrukturen und -funktionen durch das An- und
11 Kultivierung von Säugetierzellen
Abschalten von Genen entstehen. Unter Zellreifung versteht man Veränderungen des Phänotyps der Zelle im Laufe ihrer ohne Zellteilung erfolgenden Alterung. Die Transformation wird mit einer „Entdifferenzierung“ der Zelle verglichen: Die tierische Zelle wird pluripotent, d. h. sie erlangt die Fähigkeit, vielfältige Funktionen auszuüben, und sie entwickelt bioaktive Strukturen, die denen normaler embryonaler Zellen gleichen oder ähnlich sind.
11.1.2.2 Zellfusion und Hybridomazellen Abnorme Zellen sind für die Zellkulturtechnik wegen ihrer potenziellen Immortalität, ihrer relativ problemlosen Handhabbarkeit und ihrer vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten von großer Bedeutung. Ein klassisches Beispiel ist die Herstellung von Hybridzellen zur Produktion von Antikörpern. Hybridoma-Technik Dies ist ein Zellfusionsverfahren zur Gewinnung von Hybridzellen, die Eigenschaften beider Elternzellen aufweisen (Abb. 11.1). Dabei wird eine normale Zelle von begrenzter Lebensdauer und Teilungsfähigkeit, aber mit der besonderen Eigenschaft der Expression z. B. eines Antikörpers, mit einer Tumorzelle fusioniert, z. B. durch Zugabe von Polyethylenglykol, PEG 1 500. Die Tumorzelle besitzt als potenziell immortale Zelle eine ständige Proliferationsaktivität. Durch die Fusion entsteht zunächst eine Zelle mit zwei Zellkernen (Heterokaryon), die dann in eine einkernige Zelle mit zwei verschiedenen Chromosomensätzen üb ergeht (Synkaryon). Bei den folgenden Zellteilungen verlieren die Hybridzellen einzelne Chromosomen, bis sie nur noch ein Chromosom einer der elterlichen Zellen enthalten. Es entsteht eine Population verschiedener Hybridzellen, die sich dadurch unterscheiden, welche Chromosomen von welcher Elternzelle in der Zelle verblieben sind. Diejenigen Zellen, die die gewünschten Eigenschaften der normalen Produktionszelle, nämlich die Expression eines Antikörpers mit der dauerhaften Proliferation der Tumorzelle, in sich vereinigen, werden vereinzelt heraussortiert (selektioniert). Sie werden dann als Zellklon, d. h. als genetisch identische Zellen, weiter gezüchtet und können als Zellbank
11.1 Eigenschaften von Tierzellen
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Abb. 11.1 HybridomaTechnik und HAT-Selektion
eingefroren werden (Abschnitt 11.2). Diese Zellen werden als Hybridomazellen (hybridoma) bezeichnet, mit deren Hilfe monoklonale Antikörper (monoclonal antibodies) erzeugt werden. HAT-Selektion Eine bewährte Vorgehensweise für die Selektion von Zellhybriden bzw. Hybridoma-Zelllinien ist die HAT-Selektion (Ruddle und Kucherplati 1974). Man verwendet ein Selektionsmedium, das Hypoxanthin, Aminopterin und Thymidin enthält (HAT-Medium). Wenn bei der einen Elternzelle 1 für die Hybridzelle die Fähigkeit zur
Bildung von Thymidinkinase fehlt (TK−) und bei der anderen Elternzelle 2 die Fähigkeit zur Bildung des Enzyms Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT) fehlt (HGPRT−), dann können im HAT-Medium die fusionierten Zellen vom gleichen Typ sowie die nichtfusionierten Zellen nicht überleben. Es überleben jedoch diejenigen fusionierten Zellen, die aus den zwei verschiedenen Chromosomensätzen das HGPRT-Gen der Elternzelle 1 und das TK-Gen K der Elternzelle 2 übernommen haben. Das Enzym HGPRT ermöglicht tierischen Zellen die Nutzung der Purinbase Hypoxanthin für
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den Nucleinsäure-Stoffwechsel. Bei Zellen ohne HGPRT ist daher im HAT-Medium keine ausreichende Bildung von Nucleinsäuren zur DNASynthese möglich, wodurch die Zellteilung dieser Zellen selektiv gehemmt wird. Infolgedessen sterben diese Zellen ab.
11.1.2.3 Rekombinante DNA-Technologie Die Grundlage für viele gentechnische Verfahren ist der Einbau eines fremden Gens in einen Expressionsvektor sowie die stabile Integration dieser Expressionsvektoren in die tierischen Zellen (Wirtszelllinie) und die Optimierung der Kulturbedingungen dieser Zellen zur Herstellung des Produktes, für das das „fremde“ (heterologe) Gen codiert. Dieses Produkt kann z. B. ein therapeutisch wirksames Protein sein. Auf diese Weise können wertvolle biologische Substanzen relativ kostengünstig und bis zu viele Hundert Kilogramm pro Jahr produziert werden. Die DNA-Sequenz für das gewünschte Produkt wird zuerst in eine dazu passende, komplementäre mRNA (messenger RNA) umgeschrieben (Abb. 11.2). Diese mRNA wird extrahiert und in vitro wieder zurück in komplementäre cDNAStücke (complementary DNA) geschrieben. Die cDNA wird dann in Vektoren eingebaut, die sich in Bakterienzellen vermehren können. Eine cDNA lässt sich so beliebig vervielfältigen (klonieren). Diese klonierten Kopien der cDNA werden dann in vitro in einen Expressionsvektor eingebaut. Vektoren sind Nucleinsäuren, die als Träger von Fremd-DNA dienen. Mit dem Vektor wird diese Fremd-DNA in das Genom der Wirtszellen eingebracht, wo sie dann exprimiert wird. Ein solcher Vektor enthält vor allem die folgenden genetischen Elemente: Replikations-Origin, Enhancer, Promotor, Restriktionsschnittstellen zum Einbau der Fremd-DNA durch Rekombination, Terminator sowie ein oder mehrere Selektionsmarkergene. Der Vektor ermöglicht die Rekombination fremder DNA an einer Restriktionsschnittstelle, die den Vektor so schneidet, dass seine Replikation nicht beeinflusst wird. Anschließend wird der Expressionsvektor in den Wirtsorganismus eingeführt (Transformation). Die Übertragung (Transfer) von Expressi-
11 Kultivierung von Säugetierzellen
onsvektoren in die aufnehmende Wirtszelllinie kann ausgelöst werden durch: • chemische Hilfssubstanzen, wie z. B. Calciumphosphatpräzipitation, DEAE-Dextrane, Polyethylenglykol-Schock; • Mikrokapseln (vesicles), z. B. rekonstituierte Virushüllen (envelopes), Liposomen; • Zellfusion; • virale oder bakterielle Vektoren (Retroviren, Ti-Plasmid von Agrobacterium); • physikalische Kräfte (Elektroporation, direkte Mikroinjektion). Auf diese Weise können DNA-Abschnitte, ein Expressionsvektor oder auch andere Makromoleküle in Tierzellen eingeschleust und ihre Wirkungen auf definierte Bereiche der inneren Zellstrukturen untersucht werden. Schließlich muss der aufgenommene Expressionsvektor in das Genom der Wirtszelllinie stabil eingebaut werden, vorzugsweise an Stellen, die eine hohe Transkriptionsaktivität aufweisen. Dies bewirkt eine intensive Ablesung der genetischen Information zu mRNA, die dann nach den Regeln des genetischen Codes in die Aminosäuresequenz des Proteins umgesetzt wird. Die Stabilität des Vektors, die Anzahl der Kopien der rekombinanten DNA pro Zelle und die Transkriptionsaktivität sind entscheidend für die Expression des gewünschten Proteins. Ein gezielter Einbau des Vektors in vordefinierte Stellen in bestimmten Chromosomen der Wirtszellen (targeted integration, Abschnitt 11.2.3.3) ist noch nicht verlässlich möglich, sodass in der Regel eine Population von transfizierten Zellen entsteht, die stark variierende Eigenschaften aufweisen. Durch Selektion müssen aus der großen Zahl der transfizierten Zellen diejenigen herausgesucht werden, die eine hohe Transkriptionsaktivität aufweisen, eine große Anzahl an Kopien der rekombinanten DNA im Genom der Wirtszellen integriert haben, an Orten, an denen dieser Eingriff keine negativen Folgen für die WirtszellFunktionen hat, und die diese Kopien stabil integriert besitzen. Für die Isolierung der bestgeeigneten Zellen und zur Aufrechterhaltung des S elektionsdruckes bei Langzeit-Kultivierungen können geeignete Selektionsmechanismen eingesetzt werden (Abb. 11.2). Zwei bekannte Mechanismen zur Selektion und Amplifikation, d. h.
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11.1 Eigenschaften von Tierzellen
mRNA (mit Zielgen)
Isolierung des Zielgens
Plasmid (Klonierungsvektor) mit eingebauter FremdDNA (rekombinante DNA mit dem Zielgen)
Einbau (Transformation) des Plasmids in Bakterien zur Vervielfältigung des Zielgens
Vermehrung des Plasmids in Bakterien, d ann Isolierung des Zielgens und Einbau in einen eukaryotischen Expressionsvektor
wachsenden Zellen. Anlage einer Master-Zellbank.
Abb. 11.2 Rekombinante DNA-Technologie
Vervielfachung der Kopienzahl der rekombinanten DNA, werden im Folgenden vorgestellt. Selektion mithilfe von DHFR und Methotrexat Dies ist die am häufigsten angewendete Methode zur Selektion und Genamplifikation bei CHOZelllinien (Abschnitt 11.2.3.1). Das Enzym Dihydrofolatreduktase (DHFR) katalysiert die Umwandlung von Folat zu Tetrahydrofolat, einem Katalysator für die Synthese von Glycin, Thymidinmonophosphat und Purinen. Wenn CHOZellen durch chemische Mutagenese die Fähigkeit zur Expression von DHFR verlieren (Urlaub und
Chasin 1980), dann können sie nicht mehr in Zellkulturmedien wachsen, die keine Nucleoside enthalten. Wenn sie ein funktionelles DHFR-Gen durch Transfektion erwerben, erlangen sie diese Fähigkeit wieder. In dieser Weise transfizierte Zellen können weiter selektioniert werden auf Amplifikation (Vervielfältigung) des DHFR-Gens durch schrittweise Erhöhung der Konzentration von Methotrexat (MTX) im Medium. MTX ist ein Folsäure-Analogon. Es bindet an das Enzym DHFR und inhibiert es dadurch stöchiometrisch. Deswegen zwingt MTX die transfizierten Zellen zu Gen-Rearrangements und
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Amplifikation, damit diese in Gegenwart von MTX überleben können. Durch mehrere Stufen der Selektion mit steigender MTX-Konzentration kann man Zellpopulationen erhalten, die bis zu mehrere Hundert Kopien des DHFR-Gens besitzen. Eine gemeinsame Transfektion und Integration von Plasmiden, die den DHFR-Marker bzw. das Gen für das gewünschte Produkt (Zielgen, gene of interest) tragen, an der gleichen Stelle im Genom führt zur Co-Amplifikation beider Gene. Dies führt in der Regel zur Produktion einer großen Menge des andersartigen (heterologen) Proteins in der co-transfizierten Zelllinie (Kaufman et al. 1985). Ob der hohe Expressionsgrad dann auch ohne MTX, d. h. in Abwesenheit des Selektionsdruckes, beibehalten werden kann, ist durchaus unterschiedlich für jede transfizierte Zelle und ist vor allem abhängig von der Klonalität der Zellpopulation und vom Integrationsort der amplifizierten heterologen Gensequenzen (Pallavicini et al. 1990; Kim et al. 1998). Daher ist eine sorgfältige Auswahl, Prüfung und Charakterisierung der Produktionszelle aus den Pools der transfizierten und amplifizierten Zellen sehr wichtig, um eine stabile und hochproduzierende Zelllinie zu etablieren. Die Häufigkeit und die Konsistenz der Expression kann gesteigert werden, indem das DHFR-Gen gemeinsam mit dem Zielgen in die gleiche Expressions-Kassette ‒ d. h. in dasselbe Genfragment ‒ eingebaut wird, anstatt zwei einzelne Plasmide zu co-transfizieren. Wenn nach erfolgreicher Integration ein solcher Expressionsvektor abgelesen wird (Transkription), wird eine bicistronische mRNA erzeugt und daher die Produktion des gewünschten Proteinproduktes eng an die MTX-Resistenz gekoppelt (Kaufman und Sharp 1982). Eine hoch exprimierende Zelllinie wird von transfizierten und anschließend amplifizierten Zellpools erhalten. Wenn die maximale Stufe der Amplifikation erreicht ist, d. h. wenn der Produkttiter durch weitere Erhöhung der MTXKonzentration nicht mehr gesteigert werden kann, werden die Zellen rekloniert. Bei der Reklonierung werden aus der Mischung der genetisch nicht identischen Zellpopulation einzelne Zellen isoliert. Methoden für diese Isolation sind:
11 Kultivierung von Säugetierzellen
• Picken von Klonen mit einer fein ausgezogenen Pipette; • starke Verdünnung der Zellen und Verteilung auf 96-Loch-Mikrotiterplatten, sodass sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in jeder Vertiefung der Platte maximal eine Zelle befindet (limiting dilution); • maschinelle Sortierung über Durchflusszytometrie (FACS, f luorescence activated cell sorting). g Die isolierten Einzelzellen werden dann separat von den anderen Zellen und meistens unter geringem Selektionsdruck, z. B. ein Zehntel der beim Amplifizieren verwendeten MTX-Konzentration, vermehrt. So entsteht ein Zellklon (cell clone), eine Zellpopulation mit genetisch identischen Zellen. Die vermehrten klonalen Zellen werden dann als Master-Zellbank (MCB) angelegt (Abschnitt 11.2.1) und dienen so als reproduzierbarer Startpunkt für Forschungs- und Produktionszwecke mit diesen Zellen.
Selektion mithilfe von Glutamin-Sy nthetase Dies ist eine elegante und häuf ig angewendete Methode zur Selektion und Genamplif ikation bei NS0-Zelllinien (Abschnitt 11.2.3.1). Das Enzym Glutamin-Synthetase (GS) katalysiert die Bildung von Glutamin aus Glutaminsäure und Ammonium. Dies ist für tierische Zellen der einzige Stoffwechselweg für die Synthese von Glutamin. Wenn also Glutamin im Zellkulturmedium fehlt, dann ist GS ein essenzielles Enzym für das Überleben der Zelle. Einige tierische Zelllinien, z. B. Maus-MyelomZelllinien wie NS0, exprimieren nicht genügend GS, um ohne Glutamin im Zellkulturmedium überleben zu können. Für diese Zelllinien kann ein transfiziertes GS-Gen als ein selektiver Marker verwendet werden, weil damit ein Wachstum in glutaminfreien Medien ermöglicht wird (Bebbington et al. 1992). Andere tierische Zelllinien, wie z. B. CHOZelllinien, besitzen genügend aktive GS, um in glutaminfreien Zellkulturmedien überleben zu können. Für diese Zellen muss ein spezifischer GS-Inhibitor ‒ Methionin-Sulphoximin (MSX) ‒ dem Zellkulturmedium zugegeben werden. MSX inhibiert die zelleigene GS-Aktivität, sodass nur die transfizierten Zellen mit zusätzlicher GS-
11.2 Zellcharakterisierung
Aktivität in glutaminfreien Medien überleben können (Bebbington und Hentschel 1987). Dieses System hat seine Effizienz und Eignung bereits im industriellen Maßstab bewiesen. Bei einem gemeinsamen Einbau des GS-Gens mit dem Zielgen in die gleiche Expressions-Kassette sind bereits wenige erfolgreich integrierte Kopien des GS-Expressionsvektors im Genom der Wirtszelllinie ausreichend für eine hohe Expression des heterologen Produktes. Das bedeutet auch, dass wenig Aufwand für die Amplifizierung erforderlich ist, um hohe Produkttiter zu erreichen.
11.2 Zellcharakterisierung Im Folgenden wird auf die Herstellung von Zellbanken und auf deren Charakterisierung eingegangen. In Forschung und Entwicklung ist es vorteilhaft, dass ein reproduzierbarer Startpunkt für die verwendete tierische Zelllinie in Form einer Zellbank etabliert wird. Für die Produktion von Biopharmazeutika mit Zellkulturen ist dies ausdrücklich vorgeschrieben. Die anschließende Charakterisierung der Zellbanken dient dem Nachweis von Sicherheitsmerkmalen, z. B. Identität und Abwesenheit von infektiösen Organismen, sowie der phänotypischen und genetischen Stabilität der Zellen.
11.2.1 Herstellung von Zellbanken Zellbanken für tierische Zellen werden meist aus selektionierten und reklonierten Zelllinien angelegt, d. h. ausgehend von einem Zellklon. Man unterscheidet verschiedene Arten von Zellbanken: SCBs (Safety Cell Banks), MCBs (Master Cell Banks), WCBs (Working Cell Banks) und PPCBs (Post-Production Cell Banks). Zellklone mit guten Wachstums- und Produktbildungseigenschaften können als SCBs angelegt werden. Wenn einer der besten Zellklone als Kandidat für die MCB ausgewählt wird, dann wird aus dessen SCB eine Kultivierung begonnen, um die Zellen zu vermehren, und meist schon nach wenigen
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Passagen eine MCB mit etwa 100 bis 300 Vials oder Ampullen angelegt. Aus einem oder wenigen Vial(s) der MCB wird jeweils eine WCB mit wiederum mehreren Hundert Vials angelegt. Die Produktion von biopharmazeutischen Wirkstoffen startet jeweils von einer WCB ausgehend. Zum Einfrieren werden die herangewachsenen Zellen meist gepoolt, durch Zentrifugation vom Kulturmedium getrennt und die sedimentierten Zellen in einem Einfriermedium resuspendiert, sodass die Zelldichte meist bei etwa zehn bis 40 Millionen Zellen pro Milliliter liegt. Diesem Einfriermedium wird etwa 10 % DMSO (Dimethylsulfoxid) als cryoprotektives Agens zugegeben. DMSO erniedrigt den Gefrierpunkt, bewirkt eine langsamere Abkühlung der Zellsuspension, schützt die Zellen vor Schäden durch Eiskristalle, Dehydrierung, zu hoher Konzentration von Elektrolyten, pH-Änderungen und Denaturierung der Proteine. Früher wurde zusätzlich Serum oder BSA (bovine serum albumin, Rinderserumalbumin) zugegeben. Inzwischen ist es bei vielen Zelllinien möglich, nicht-b ovine Substanzen wie Glycerin, Methylcellulose oder auch konditioniertes Medium als Ersatz für Serum oder BSA zu verwenden. Die Zellen werden dann in spezielle sterile Einfriergefäße (cryo-vials) oder Ampullen pipettiert, meist etwa 1‒2 ml Zellsuspension je Gefäß, und eingefroren. DMSO ist toxisch für tierische Zellen, daher müssen die Arbeitsschritte von der DMSO-Zugabe bis zum Einfriervorgang relativ rasch ablaufen. Zum Einfrieren können die Einfriergefäße in einem Styroporbehälter b ei −70 °C eingefroren und nach etwa einem Tag in einen Zellbank-Lagerbehälter überführt werden. Alternativ werden die Einfriergefäße mit einem Einfriergerät eingefroren, wobei die Cryo-Vials bzw. Ampullen um etwa 1 °C je Minute abgekühlt werden. Wenn die Gefäße auf etwa −40 °C abgekühlt sind, werden sie in einen Zellbank-Lagerbehälter überführt. Hier können die Zellen praktisch unbegrenzt in der Gasphase über flüssigem Stickstoff, d. h. bei ca. −130 °C bis −196 °C, aufbewahrt werden. Weiterentwicklungen zu der hier beschriebenen Herstellung von Zellbanken zielen auf eine Verkürzung der Zellanzucht-Zeit vom Auftauen einer Bank bis zur Einsaat großer Bioreaktoren. Hierbei wird mehr Zellmasse in die Einf riergefäße verpackt, sodass nach dem Auftauen der
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11 Kultivierung von Säugetierzellen
Zellbank die erste Passage der Zellkultivierung in größeren Volumina erfolgen kann. Im Erfolgsfall werden dann mehrere Passagen der Zellanzucht, mit etwa zwei bis vier Tagen Kulturdauer pro Passage, übersprungen. Zur Umsetzung der größeren Zellmasse pro Einfriergefäß wird entweder die einzufrierende Zellsuspension noch höher konzentriert als oben beschrieben, oder man verwendet größere Einfriergefäße mit mehr Volumen.
11.2.2 Freigabe und Charakterisierung von Zellbanken Master- (MCB) und Working Cell Banks (WCB) werden umfangreich geprüft und charakterisiert. Hierzu gehören Prüfungen zur Identität der Zelllinie, zur Abwesenheit von Kontaminanten, wie z. B. Mikroorganismen oder Viren, zur Kultivierbarkeit, sogenannte „Auftaukontrollen“ und zur Langzeit-Stabilität (phenotypic ( stability) z. B. für vier oder 16 Wochen, je nachdem wie lange man die Zellen nach dem Auftauen eines Zellbank-Gefäßes stabil in vitro kultivieren möchte. Die Tests und die erwarteten Resultate für eine Freigabe der Zellbank sind in Tabelle 11.2 aufgeführt. Wenn eine Zellbank als Ausgangspunkt zur Herstellung biopharmazeutischer Produkte ver-
wendet werden soll, dann wird im Rahmen der Zulassungsdokumentation (Abschnitt 11.7.3.1) eine genetische Charakterisierung (genetic ( stability) der Zellbank gefordert. Hierbei wird mit molekularbiologischen Methoden nachgewiesen, ob der Expressionsvektor korrekt in das Wirtszell-Genom integriert wurde (mittels Nucleotidsequenzanalyse), ob das RNA-Transkript die erwartete Größe besitzt (mit Northern-BlotAnalyse), welche ungefähre Kopienanzahl der rekombinanten Gene pro Wirtszelle auftreten (mit S outhern-Blot-Analyse) und ob die Anzahl der Genkopien sowie die Integrationsorte bei unterschiedlichem Zellalter stabil bleiben (ebenfalls mit Southern-Blot-Analyse). Für die genetische Charakterisierung von MCBs, die für biopharmazeutische Produktionsprozesse eingesetzt werden, müssen in der Regel sogenannte PPCBs angelegt werden. Hierfür wird am Ende der Produktionsstufe eine kleine Menge Zellsuspension entnommen, die ggf. noch einige Male weiter passagiert werden muss, bis eine ausreichend hohe Zellvitalität erreicht ist, um erfolgreich eine Zellbank anlegen zu können und um schließlich als PPCB eingefroren zu werden. Die Einfriermethode ist die gleiche wie für MCBs und WCBs (Abschnitt 11.2.1). Mithilfe der PPCB lässt sich nachweisen, ob die genetische Information und die Kopienzahl des heterologen Gens sowie die Integrationsorte im Genom
Tabelle 11.2 Tests für Zellbanken (am Beispiel für MCBs) Parameter
Testergebnisse
Identität
Isoenzym-Muster entspricht der Referenz-Zelle (z. B. Hamster oder Maus)
Sicherheitsprüfung
Sterilität (Test gemäß Arzneibuch), – keine Mycoplasmen nachweisbar, – keine Viren gemäß Adventitious Virus Testt (AVA) in vitro
erweiterte Sicherheitsprüfung
HAP = Hamster-Antikörper-Test oder MAP = Maus-Antikörper-Test – keine Viren gemäß Adventitious Virus Test (AVA) in vivo – keine infektiösen Viren gemäß S+L-Test sowie XC-Plaque-Test – keine RT(Reverse Transcriptase)-Aktivität – keine Kontaminanten (außer VLP = virus-like particles) sichtbar gemäß Elektronenmikroskopie
Stabilität (phenotypic stability)
Zellwachstum, Zellvitalität, Produktbildung
zusätzliche Untersuchungen für die Zulassung von Produktionsverfahren
Langzeit-Stabilität: phänotypische Stabilität über längere Zeit, genetische Stabilität (siehe Abschnitt 11.2.2)
11.2 Zellcharakterisierung
der Wirtszelle am Ende der Produktionsphase noch die gleichen sind wie in der MCB.
11.2.3 Wirtszelllinien Als Wirtsorganismen für rekombinante Produkte sollten Säugetierzellen folgende Eigenschaften haben: schnelles Zellwachstum, Wachstum in preiswerten und möglichst chemisch definierten Kulturmedien, effiziente Aufnahme von Expressionsvektoren und deren Beibehaltung in Kultur sowie keine schädlichen oder pathogenen Eigenschaften. Ein Vorteil der eukaryotischen Zellen besteht darin, dass sie schon die komplexen RNA- und posttranslationalen Prozessierungssysteme besitzen, die an der Synthese von Genprodukten in höheren Organismen beteiligt sind. Beispiele hierfür sind die Glykosylierung, das ist der Kohlenhydratanteil an der Aminosäurekette des Proteins, der vor allem für die Wirksamkeit und Verweilzeit vieler Proteinwirkstoffe in vivo wichtig ist, und die Phosphorylierung. Für die industrielle Herstellung biopharmazeutischer Wirkstoffe haben sich vor allem die Zelllinien CHO, NS0, SP2/0 sowie BHK bewährt.
11.2.3.1 Säugetier-Zelllinien Alle nachstehend beschriebenen Zelllinien sind transformierte Zelllinien, die sich permanent teilen und vermehren. CHO-Zellen (Chinese hamster ovary). Diese Zelllinie ist im Jahr 1957 durch Biopsie (Gewebeentnahme) aus dem Ovar eines Chinesischen Hamsters entstanden. Sie wurde als CHO-K1Zelllinie etabliert. Aus der CHO-K1-Zelllinie entstand die CHO-dhfr–-Zelllinie, die von den Wissenschaftlern Urlaub und Chasin (1980) durch Mutagenese etabliert wurde. Bei dieser Zelllinie sind beide Allele des Gens für das Enzym Dihydrofolatreduktase (DHFR) inaktiviert. Die CHOdhfr–-Zelllinie ist bis heute die wichtigste und am häufigsten verwendete Wirtszelllinie für die Produktion rekombinanter Proteine. Mit einem Expressionsplasmid, das ein funktionelles DHFRGen enthält, und einem Selektionsmedium, das Guanidin, Hypoxanthin und Thymidin (GHT)
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enthält, steht ein effizientes Selektionssystem zur Verfügung (Abschnitt 11.1.2.3). Für viele rekombinante Proteine aus CHO-Zellen wurde gezeigt, dass ihre Glykosylierung derjenigen des humanen Proteins entspricht bzw. sehr nahekommt. CHO-Zellen haben deshalb eine hohe Akzeptanz für die Produktion rekombinanter Glykoproteine zur Anwendung am Menschen. NS0-Zellen und SP2/0-Zellen sind Myelomzellen der Maus. Myelome sind Krebszellen, die aus B-Lymphocyten entstanden sind. B-Lymphocyten vermögen Antikörper in großen Mengen ins Kulturmedium auszuscheiden. Maus-MyelomZelllinien sind daher als „professionelle“ sekretorische Zellen für die Expression von monoklonalen Antikörpern und auch von Glykoproteinen gut geeignet. Die Glykosylierung von Produkten aus Maus-Zelllinien unterscheidet sich allerdings meist wesentlich von der Glykosylierung von Produkten aus Hamster-Zelllinien. BHK-Zellen (baby hamster kidney) sind aus den Nieren eintägiger Goldhamster abgeleitet. Es wurde ein Zellklon mit kontinuierlicher Proliferationsaktivität isoliert und als Zelllinie BHK-21 C13 angelegt. Mit BHK-Zellen begann die Kultivierung von Säuger-Zelllinien im industriellen Maßstab. Seit 1967 wird sie vor allem für die Herstellung von Impfstoffen gegen Maul- und Klauenseuche (MKS) verwendet. Die BHK-21Zelllinie ist auch eine wichtige Wirtszelle für die Produktion rekombinanter Proteine, denn sie ist effizient transfizierbar und gestattet eine hohe Expression. HEK-293-Zellen (human embryonic kidney). Die HEK-293-Zelllinie wurde aus transformierten embryonalen menschlichen Nierenzellen gewonnen und als Zellklon etabliert (Graham et al. 1977; Harrison et al. 1977). HEK-293-Zelllinien werden häufig für die transiente Expression von Glykoproteinen verwendet, d. h. der Expressionsvektor wird nicht stabil in die Wirtszelllinie eingebaut, sondern der Vorgang der Transfektion bzw. Aufnahme des Expressionsvektors in die Wirtszelle erfolgt bei jeder Fermentation von Neuem. Auf diese Weise können sehr schnell und mit geringem Aufwand kleine bis mittlere Mengen von Proteinen für Forschungs- und
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Entwicklungszwecke erzeugt werden. Diese Vorgehensweise wurde in Bioreaktoren bis zum 100Liter-Maßstab erfolgreich eingesetzt (Girard et al. 2002). COS-Zellen (CV1 Origin SV40). Die COS-Zelllinie ist aus der Affennieren-Zelllinie CV1 hervorgegangen. Sie besitzt einen SV40-Provirus mit defektem Replikationsursprung (Origin). SV40 (Simian Virus 40) ist ein DNA-Tumorvirus, das in Hamstern Tumoren induziert. Modifizierte SV40-Viren werden häufig als Vektoren in der Gentechnik eingesetzt. COS-Zellen sind empfindlich für Infektionen mit SV40 und ermöglichen Vermehrungszyklen für SV40-Viren mit früher Genexpression und anschließender Lyse der Zellen. COS-Zellen sind daher Wirtszellen für SV40-Vektoren, deren frühe Region ‒ d. h. die Genabschnitte, die nach der Virusinfektion zuerst abgelesen und exprimiert werden ‒ durch heterologe DNA ersetzt ist (Edwards und Aruffo 1993; Blasey et al. 1996). Es handelt sich also um eine transiente Expression (siehe oben). HeLa-Zellen. Die HeLa-Zelllinie ist eine menschliche Tumorzelle, die aus einem Cervix-Karzinom, d. h. aus Gebärmutterhals-Krebszellen, isoliert und als Zelllinie etabliert wurde. Sie wurde für viele Arbeiten in der Tumorforschung verwendet, wofür eine Vielzahl von Zellstämmen mit speziellen Eigenschaften erzeugt wurde. Für die Herstellung rekombinanter Proteine hat diese Zelllinie allerdings keine Bedeutung.
11.2.3.2 Insekten-Zelllinien Die Insekten-Zelllinien können ebenso wie Säuger-Zelllinien in vitro kultiviert werden. Die Kultivierungsbedingungen sind allerdings aufgrund ihrer Herkunft anders als bei den Säugetier-Zelllinien. Die optimale Kultivierungstemperatur für Insekten-Zelllinien liegt bei etwa 28 °C und das pH-Optimum bei ca. 6,2. Die Kulturmedien sind der Insektenhämolymphe nachempfunden. Sie enthalten eine etwa zehnfach höhere Konzentration der Aminosäuren gegenüber Medien für Säugerzellkulturen, das Verhältnis der Natrium- und Kalium-Ionen ist nahezu ausgeglichen, und für die Pufferung der Medien wird Phosphatpuffer anstelle des Kohlendioxid/Bicarbo-
11 Kultivierung von Säugetierzellen
natpuffers verwendet. Ein weit verbreitetes Medium für Insektenzellen ist das Grace-Medium (Abschnitt 11.3). Häufig verwendete Insekten-Zelllinien sind die Sf9-Zellen und die Sf21-Zellen. Beide Zelllinien wurden aus Ovarien des Puppenstadiums des Insektes Spodoptera frugiperda gewonnen und als Zellklon etabliert. Insekten-Zelllinien werden am häufigsten in Verbindung mit dem Baculovirus-Expressionssystem zur Gewinnung von rekombinanten Proteinen verwendet. Dabei werden zunächst die Insektenzellen als Suspensionskulturen in Bioreaktoren vermehrt. Die Produktion des rekombinanten Proteins wird erst dadurch begonnen, dass der Insektenzellkultur noch während der logarithmischen Wachstumsphase der Zellen ein rekombinanter Baculovirus zugegeben wird in einer Konzentration von etwa 1‒5 mg Virus pro Liter Insektenzellsuspension. Im Virus-Genom wurde das Gen für das gewünschte Protein integriert. Die Viren befallen die Insektenzellen und lassen diese eine große Menge des rekombinanten Proteins produzieren. Es handelt sich also um eine transiente Expression. Viele der posttranslationalen Modifizierungsmechanismen für Glykoproteine aus Säugetierzellen gibt es auch bei den Insektenzellen, sodass die Produkte aus Insektenzellen den nativen humanen Proteinen ähnlich sind (Schlaeger 1996), im Detail aber durchaus Unterschiede aufweisen (Jarvis 2003). Die immer wiederkehrende, ebenfalls transiente Erzeugung der rekombinanten Viren und deren L agerung bedeuten einen erheblichen Auf wand für industrielle Anwendungen. Beides kann zu einer höheren Heterogenität der Herstellverfahren mit Insektenzellen führen. Die rekombinanten Viren entstehen durch Einbau eines Vektors, der das Zielgen enthält, in die lineare DNA des Baculovirus-Genoms, die anschließende Transfektion von Insektenzellen (Sf9, Sf21 u. Ä.) mit diesem Genkonstrukt und die Ernte der rekombinanten Baculoviren aus den Zellen.
11.2.3.3 Design neuer Wirtszelllinien Es gibt nach wie vor eine starke Tendenz, auf den bisher etablierten Wirtszelllinien zu beharren, denn aus den letzten Jahrzehnten liegen vie-
11.2 Zellcharakterisierung
le Kenntnisse und Erfahrungen vor, dass diese Zelllinien keine besonderen Risiken für Mensch, Umwelt oder Produkte bergen. Dennoch wird daran gearbeitet, neue Wirtszelllinien und modifizierte Expressionssysteme zu entwickeln. Diese reichen von ganz neuen, nicht aus Tumorgewebe stammenden Zelllinien bis zu verbesserten Möglichkeiten der Transformation und Integration von Expressionsvektoren in tierischen Zelllinien. Neue permanente Zelllinien wurden aus anderen Tierspezies als Hamster oder Maus gewonnen und für die Entwicklung biopharmazeutischer Wirkstoffe, z. B. für Impfstoffe und für therapeutische Proteine einschließlich Antikörper und Gentherapie-Produkte, eingesetzt. Ein erfolgreiches Beispiel hierfür ist die sogenannte PER.C6®-Zelllinie. Sie wurde von einer einzelnen menschlichen Retinazelle abgeleitet und mithilfe der rekombinanten DNA-Technologie immortalisiert (Jones et al. 2003). Der gesamte Weg der Entstehung dieser Zelllinie wurde vom Hersteller umfassend dokumentiert, sodass eine Nachvollziehbarkeit der Herkunft, Entstehung, Identität und Sicherheitsmerkmale dieser Zelllinie gegeben ist. PER.C6® kann, wie die oben genannten permanenten Zelllinien aus Hamster und Maus, als Einzelzellen in Suspension unter serumfreien Bedingungen kultiviert und für industrielle Zwecke verwendet werden. Auch für die Herstellung human- und tiermedizinischer Impfstoffe werden zunehmend neue tierische Zelllinien eingesetzt. Diese sollen die traditionelle Herstellweise mithilfe befruchteter Hühnereier möglichst ablösen. Bisher werden viele Millionen von Hühnereiern, die von hygienisch streng überwachten Tieren gelegt werden, einzeln mit dem Erreger, z. B. einem Grippevirus, beimpft. Für viele Anwendungen liefert jedes Ei am Ende nur eine einzige Impfdosis. Die Herstellung mithilfe tierischer Zellkulturen verkürzt die Herstelldauer um bis zu 50 % und ermöglicht kürzere Reaktionszeiten auf neue Varianten von Krankheitserregern (Bigalke 2009; Genzel und Reichl 2009; Osterholm 2005). Bei der Verwendung der tierischen Zelllinien als Hersteller-Organismus für Biopharmazeutika wird ein optimales Zusammenwirken von Wirtszellen und Expressionsvektoren angestrebt. Ein vorrangiges Ziel hierbei ist der gezielte, ortsspezifische Einbau der rekombinanten DNA im Ge-
385
nom der Wirtszelle (targeted integration). Hierbei wird der Expressionsvektor an definierten Stellen im Genom eingebaut (Abschnitt 11.1.2.3). Diese Stellen sollen sich für eine stabile Integration fremder DNA als geeignet erwiesen haben und außerdem leicht und häufig abgelesen werden können. Gegenüber dem zufälligen Einbau (random integration) der DNA verspricht ein ortsspezifischer Einbau höhere und verlässlichere Produktausbeuten sowie stabilere und einheitlichere Produktqualitäten (Amoils 2006; Carr und Church 2009; Nehlsen et al. 2009). Anstelle der gezielten Integration rekombinanter DNA in natürliche Chromosomen der Wirtszellen ist auch die Verwendung künstlicher Chromosomen vorstellbar. Diese Chromosomen könnten ohne S elektion stabil in den Wirtszellen repliziert und die dort eingebauten Gene regulierbar transkribiert werden. Die künstlichen Chromosomen müssen Centromere besitzen, sodass sie bei jeder Zellteilung stabil mitotisch an die Tochterzellen weitergegeben werden und damit autonom in den Zellen existieren. Ihre Enden sollten mit Telomeren versehen sein, damit sie von den Wirtszellen nicht als DNA-Bruchstücke angesehen und infolgedessen abgebaut oder an irgendeiner Stelle im eigenen Genom eingebaut werden. Ein großer Vorteil der künstlichen Chromosomen ist ihre enorme Kapazität. Es können vollständige Gene oder Gendomänen in das künstliche Chromosom integriert werden, d. h. die codierenden Bereiche des Gens (Exons) sowie die ggf. regulatorisch wirksamen Bereiche dazwischen (Introns). Dies ermöglicht eine kontrollierte Genexpression. Prinzipielle Herausforderungen bei der Entwicklung künstlicher Chromosomen sind die schwierige Handhabung der sehr langen DNA, die repetitiven Sequenzen der Centromere und der Telomere und die Einschleusung der Chromosomen in die tierischen Zellen (Lipps et al. 2003).
11.2.3.4 Alternative Wirtszellen und Organismen In Ergänzung, teilweise auch als Konkurrenz, zur klassischen Produktion aus der Kultur von Säugetierzellen können Wirkstoffe auch aus alternativen Quellen bzw. durch alternative Technologien erzeugt werden, wie z. B. aus Prokaryoten
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11
386
(Bakterien), aus Hefen, aus transgenen Pflanzen oder aus transgenen Tieren. Mithilfe von Bakterien können rekombinante Wirkstoffe gewonnen werden, falls die Wirkstoffe relativ klein und einfach aufgebaut sind und keine posttranslationalen Prozessierungen, wie z. B. Glykosylierung, erforderlich sind. Beispielsweise wird rekombinantes Insulin mit einem Molekulargewicht von 11,5 kDa als Zink-Komplex, bestehend aus zwei Peptidketten mit 30 bzw. 20 Aminosäuren, drei Disulfidbrücken, aber ohne Glykosylierung aus Bakterien und aus Hefen gewonnen. Interferon-α, Interferon-β, Interferon-γ und der humane Wachstumsfaktor sind weitere bekannte rekombinante Wirkstoffe aus Bakterien, wobei meist Escherichia coli (kurz E. coli) als Produktionsorganismus eingesetzt wird. Hefen als Produktionsorganismen bieten eine weitere Alternative zu tierischen Zellen und Bakterien. Hefen stellen, ähnlich wie Bakterien, relativ geringe Ansprüche an die Kultivierung und die Nährstoffe. Sie sind aber als eukaryotische Organismen prinzipiell befähigt, Proteine zu glykosylieren. Die Hefeart Pichia pastoris wird bevorzugt als Wirtszelle für die Herstellung rekombinanter Proteine eingesetzt aufgrund ihrer Befähigung, die erzeugten rekombinanten Proteine zu sezernieren, d. h. in das Kulturmedium auszuscheiden. Für Pichia, Hansenula, Saccharomyces und andere Hefegattungen muss jedoch noch ein entscheidender Nachteil überwunden werden: Hefen glykosylieren Proteine mit extrem vielen mannosereichen Glykanen (Hyperglykosylierung). Diese Produkte entsprechen daher nicht den „nativen“ menschlichen Proteinen und würden beim Menschen möglicherweise eine Immunantwort hervorrufen. Erhebliche Änderungen des Glykosylierungsstoffwechsels sind auf genetischer Ebene erforderlich, um Glykoproteine aus Hefen mit vergleichbarer Glykanstruktur wie beim Menschen herzustellen. Transgene Pflanzen bieten prinzipiell eine kostengünstige und leicht skalierbare Quelle zur Herstellung rekombinanter Produkte (Twyman et al. 2003). Bisher werden folgende Quellen betrachtet: die Blätter von Tabakpflanze, Sojabohne und Salat; die Samen von Reis, Weizen, Mais, Erbse und Sojabohne; die Früchte von Tomaten, Bananen und Raps. Es gibt allerdings noch erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, bis
11 Kultivierung von Säugetierzellen
Produkte aus transgenen Pflanzen als Alternative zu entsprechenden Produkten aus Zellkulturen konkurrenzfähig sind. Dies sind unter anderem Unterschiede bei den posttranslationalen Modifikationen von Glykoproteinen, z. B. in den Glykanstrukturen, gegenüb er den Glykoproteinen aus tierischer Quelle, die unzureichende oder unvollständige Sekretion in die Speicherorgane, der Abbau oder Teilverdau der gebildeten Produkte noch in den Pflanzen und die Variabilitäten aufgrund schwankender Umwelteinflüsse, insbesondere Bodenbeschaffenheit, Feuchtigkeit, Klima, Jahreszeiten, Einfluss von Pflanzenkrankheiten und -schädlingen. Transgene Tiere sind Tiere, deren Genom in der frühen Embryonalentwicklung verändert wurde, indem entweder ein heterologes Gen hinzugefügt (additiver Gentransfer) oder ausgeschaltet wurde, z. B. bei Knock-out-Mäusen. Transgene Tiere mit additivem Gentransfer sind prinzipiell eine effiziente Quelle zur Herstellung rekombinanter Produkte (Young et al. 1997). Das gewünschte Produkt, z. B. ein monoklonaler Antikörper für therapeutische oder diagnostische Zwecke, wird in der Milch der transgenen Tiere ausgeschieden. Diese Technik wurde bei den Labortierarten Maus, Ratte, Kaninchen und b ei den landwirtschaftlichen Nutztieren Schaf, Ziege und Rind erfolgreich angewendet. Transgene Tiere, die ein heterologes Protein in ihrer Milch herstellen, werden erzeugt durch Mikroinjektion des rekombinanten Genkonstrukts (Transgen) in befruchtete, reife Oocyten. Das Transgen ist ein Genabschnitt mit der genetischen Information für das gewünschte Protein, gekoppelt mit einem Milch-Promotor-Gen, welches die Bildung und Ausschleusung des Proteins in die Milchdrüsen vermittelt. Der einzellige transgene Embryo wird dann in ein weibliches Empfänger-Tier (recipient female) implantiert und von dieser „Leihmutter“ bis zur Geburt ausgetragen. Wenn das Transgen in das Genom des Embryos integriert wurde, was bei etwa 5‒10 % der mikroinjizierten Oocyten geschieht, dann wird es zu einem dominant vererbten Gen, das von dem ursprünglichen transgenen Tier an seine Nachkommenschaft weitergegeben wird. Infolgedessen produzieren das herangewachsene transgene Tier und seine weibliche Nachkommenschaft, welche das Transgen besitzen, das
11.2 Zellcharakterisierung
rekombinante Protein in Mengen von mehreren Gramm pro Liter Milch. Ziegen und Kühe sind aus folgenden Gründen besonders effiziente transgene „Produktionssysteme“: • hoher Proteingehalt ihrer Milch; • große und konstante Milchproduktion; • gut etablierte Techniken zur Milchgewinnung; • einfache Tierhaltung in Herden.
Nachteile der transgenen Tiere sind: • die lange „Entwicklungszeit“ von mehreren Jahren von der Mikroinjektion bis zur fertigen Etablierung einer gesunden Herde reifer, d. h. Muttermilch mit Produkt produzierender, transgener Tiere; • regulatorische Herausforderungen zum gesamten Konzept, wenn cGMP-Anforderungen (Abschnitt 11.7.3) aus der Zellkultivierung in Bioreaktoren in analoger Weise für transgene Tiere gelten und angewendet werden sollen. Das Potenzial transgener Pflanzen und Tiere zur Senkung der Herstellkosten rekombinanter Produkte sollte nicht überschätzt werden. Nach Erzeugung des Proteins bleiben die Schritte für die weitere Prozessierung des Rohproduktes, nämlich die proteinchemische Reinigung, Formulierung, Abfüllung, Verpackung und die hiermit verbundenen Aufwendungen und Kosten bestehen. Sehr komplexe Wirkstoffe können ex vivo nur mithilfe tierischer Zellkulturen hergestellt werden. Bekannte Beispiele sind das Glykoprotein Faktor VIII der Blutgerinnung mit 2 332 Aminosäuren und einer relativ instabilen Konsistenz (Verhar et al. 1984) sowie rekombinantes t-PA (tissue Plasminogen Activator) mit 527 Aminosäuren, 17 Disulfidbrücken und drei Bindungsstellen für Oligosaccharidketten (Werner und Hoffmann 1989). Eine nicht glykosylierte Variante des human-identischen t-PA wird in E. coli hergestellt (Sarmientos et al. 1989). Bei Antikörpern besteht die Möglichkeit, Antikörper-Fragmente mit den variablen Bereichen der schweren Kette VH und der leichten Kette VL, also den kleinsten Antigen-bindenden Einheiten der Antikörper, in Bakterien zu exprimieren. Dies ist interessant für Anwendungen, für
387
die nur die Antigen-bindende Aktivität benötigt wird. Dann kann nämlich auf den Fc(fragment ( crystallizable)-Teil des Antikörpers verzichtet werden. Durch proteolytischen Verdau von Antikörpern mit dem Enzym Papain sind Fab-Fragmente herstellbar (Fab steht für fragment antigen binding). g Ein Fab-Fragment besteht aus einer vollständigen leichten Kette (VL und CL) sowie einer VH- und einer CH1-Domäne der schweren Kette des Antikörpers. Noch kleinere Fragmente mit Antigen-bindenden Eigenschaften können mithilfe der Gentechnik rekombinant erzeugt werden, z. B. das scFv-Fragment (single chain fragment variable) mit einem Molekulargewicht von etwa 30‒40 kDa. Beim scFv-Fragment sind eine VH-Domäne und eine VL-Domäne mittels Peptid-Linker miteinander kovalent verbunden (Holt et al. 2003; Holliger und Hudson 2005). Die kleinstmöglichen Einheiten mit vollständiger variabler Domäne sind die sogenannten Nanobodies, auch single domain antibodies oder VHH antibodies genannt. VHH steht für variable domaine of the heavy-chains of heavy-chain-only antibodies. Die variable Domäne der schweren Kette wird also als Antigen-bindende Einheit verwendet. Mit einem Molekulargewicht von etwa 12‒15 kDa haben Nanobodies nur ungefähr ein Zehntel der Größe vollständiger IgG-Antikörper (150‒160 kDa). Nanobodies eröffnen die Chance, Vorteile vollständiger Antikörper, wie die hohe Spezif ität und Affinität für das Ziel-Antigen mit wesentlichen Eigenschaften kleiner Pharmawirkstoffe zu kombinieren. Im Einzelnen sind das die größere strukturelle Flexibilität, das Potenzial, durch die geringere Größe weiter in Gewebe vordringen zu können, die relativ hohe Stabilität, die einfachere Administration in Patienten sowie die weniger komplexe Herstellweise (Harmsen und De Haard 2007). Es gibt jedoch zahlreiche Anwendungen, die vollständige Antikörper benötigen, vor allem wenn infolge der Antigenbindung an der Domäne VH und VL eine durch den Fc-Teil des Antikörpers vermittelte Effektorfunktion ausgelöst wird. Prominentes Beispiel ist die Antikörperabhängige zelluläre Cytotoxizität (antibody-dependent cellular cy totoxicity, ADCC), die eine wichtige Rolle b ei der Vernichtung von zellulären
11
11
388
Infektionserregern, Virus-infizierten Zellen und Tumorzellen einnimmt (Sedlacek et al. 1992).
11.3 Die Umgebung von Zellen in Kultur Tierzellen in Kultur sind von vielen äußeren Faktoren abhängig, die wichtig sind für die Erhaltung ihrer Lebensfunktionen, ihrer spezifischen genetischen, morphologischen und physiologischen Eigenschaften sowie für die Expression von eigenen und ggf. transgenen Substanzen. Die wichtigsten dieser Faktoren sind: Temperatur, osmotischer Druck, pH-Wert, Nähr- und Puffersalze, essenzielle Nährstoffe und Stoffwechsel-Zwischenprodukte, wie z. B. Kohlenhydrate, Aminosäuren, Peptide, Proteine, Fette, Fettsäuren, Coenzyme, Nucleoside, Nucleotide, gelöste Gase, Hormone, Wachstumsfaktoren, sowie ggf. eine Matrix, auf der die Zellen wachsen. Die meisten dieser Faktoren werden in den Eigenschaften des Zellkulturmediums festgelegt. Das Zellkulturmedium hat daher eine entscheidende Bedeutung für den Zellkulturprozess.
11.3.1 Zellkulturmedien Ein gutes Kulturmedium (Nährmedium, Züchtungsmedium) soll die wesentlichen Rohstoffe und die Umgebungsbedingungen für die kultivierten Zellen in einer Art zur Verfügung stellen, die den natürlichen Zellen im Körperverband möglichst ähnlich sind. Die Verhältnisse in vivo können von Zelle zu Zelle sehr verschieden sein und sich auch zeitabhängig verändern, z. B. beim pH-Wert oder beim Hormonspiegel in der Zellumgebung. Verständlicherweise gibt es daher kein universelles oder „generisches“ Kulturmedium für Säugetierzellen, sondern eine Vielfalt von Kulturmedien. Das Medium muss, in Verbindung mit Zugaben ((feeds) während der Kultivierung, trotz seiner konstanten und möglichst definierten Zusammensetzung eine ausreichende Anpassungsbzw. Pufferungsfähigkeit haben gegenüber Än-
11 Kultivierung von Säugetierzellen
derungen infolge der andauernden Kultivierung der Zellen, z. B. infolge von Vermehrung, Induktion, Alterung und Differenzierung der Zellen sowie Expression und Sezernierung von Metaboliten und Produkten. Bei der Herstellung rekombinanter Produkte kann es nützlich sein, für die Anzuchtstufen ein gutes Wachstumsmedium zu wählen, ab er in der Produktionsstufe ein Medium mit anderen Eigenschaften einzusetzen, das die Zellen z. B. durch osmotischen Stress, Temperatur- oder pHWechsel oder durch die Zugabe bestimmter Substanzen zu vermehrter Produktbildung anregt. Dabei kann durchaus akzeptiert werden, dass die Zellen unter diesen Bedingungen an Vitalität verlieren und nicht lange kultivierbar oder subkultivierbar sind.
11.3.1.1 Serumhaltige Zellkulturmedien Die ersten Kulturmedien ähnelten noch weitgehend dem Blutserum. Ab Ende der 1950er-Jahre gab es etliche Basalmedien; die bekanntesten davon sind: • MEM = Minimum Essential Medium (Eagle 1959), • DMEM = Dulbeccos modif iziertes Eagle-Medium (Dulbecco und Freeman 1959), • Glasgow-MEM (Macpherson und Stoker 1962), • Grace-Medium (Grace 1962), • NCTC-135 (Evans et al. 1964), • BME = Basal Medium Eagle (Eagle 1965), • Ham’s F-12 Nutrient Mixture (Ham 1965), • RPMI 1640 (Moore et al. 1967), • IMDM = Iscoves modifiziertes Dulbecco-Medium (Iscove und Melchers 1978).
In Tabelle 11.3 ist die Zusammensetzung des Basalmediums DMEM/Ham’s F12 (1:1) wiedergegeben, das für die Kultivierung einer ganzen Reihe von Tierzellen erfolgreich eingesetzt wurde. Diese verschiedenen Basalmedien enthalten bereits etwa 30 bis 80 Komponenten, vor allem anorganische Salze, Aminosäuren, Peptide, Vitamine, Coenzyme, Fettsäuren, eine Zucker- und Eisenquelle, Spurenelemente, Puffersubstanzen und ggf. weitere Komponenten. Die unterschiedlichen Basalmedien benötigten allerdings noch einen hohen Anteil von ca.
389
11.3 Die Umgebung von Zellen in Kultur Tabelle 11.3 Zusammensetzung des Mediums DMEM/F12 (1:1) Bestandteil
Konzentration [mg/l]
Bestandteil
KCl
311,8
4,45
MgCl2
28,64
L-Arginin y HCl
147,5
MgSO4
48,84
L-Asparagin y H2O
7,5
NaCl
6995,5
L-Asparaginsäure
6,65
NaH2PO4 y H2O
62,5
L-Cystein y HCl y H2O
17,56
Na2HPO4
71,02
L-Cystin y 2HCl
31,29
ZnSO4 y 7H2O
0,432
L-Glutaminsäure
7,35
Vitamine
L-Glutamin
365,0
Biotin
Glycin
18,75
D-Ca-Pantothenat
2,24
L-Histidin y HCl y H2O
31,48
Cholinchlorid
8,98
L-Isoleucin
54,47
Folsäure
2,65
L-Leucin
59,05
i-Inositol
12,6
L-Lysin y HCl
91,25
Niacinamid
2,02
L-Methionin
17,24
Pyridoxal HCl
2,031
L-Phenylalanin
35,48
Riboflavin
0,219
L-Prolin
17,25
Thiamin HCl
2,17
L-Serin
26,25
Thymidin
0,365
L-Threonin
53,45
Vitamin B12
0,68
Aminosäuren
L-Alanin
Konzentration [mg/l]
0,0035
L-Tryptophan
9,02
Weitere Bestandteile
L-Tyrosin y 2Na y 2H2O
55,79
D-Glucose
3 151,0
L-Valin
52,85
Na-Hypoxanthin
2,39
Linolsäure
0,042
116,6
DL-68-Thiocitinsäure
0,105
CuSO4 y 5H2O
0,0013
Phenolrot
8,1
Fe(NO3)3 y 9H2O
0,05
Na-Putrescin y H2O
0,081
FeSO4 y 7H2O
0,417
Natriumpyruvat
55,0
Salze CaCl2
▼
10 bis 20 % an Blutserum, um eine gute Zellkultivierung in vitro zu ermöglichen. Hierfür können folgende Arten von Seren eingesetzt werden: fötales Kälberserum ((fetal calf serum = FCS), Serum aus neugeborenen Kälbern (newborn calf serum = NCS, stammt von Tieren bis zu einem Alter von wenigen Wochen), Rinderserum, Pferdeserum und Serum von anderen Tierarten (Ziegen, Hühner, Schweine, Lämmer, Kaninchen).
Alle enthalten wertvolle Wachstumsfaktoren für Zellen in Kultur. Aufgrund der biologischen Variabilität der Spendertiere, ihrer Ursprungs- und Ernährungsbedingungen, ihrer Gesundheitsund Umwelteinflüsse ist es nahezu unmöglich, eine standardisierte Qualität und Zusammensetzung von Seren zu erhalten. Daher werden Seren für Zellkulturmedien meist von ausgewählten Herden gesunder Spendertiere und aus weni-
11
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390
gen geographischen Regionen gewonnen. Dies ist sowohl für eine gleich bleibende Qualität der Serum-Chargen als auch als Vorsichtsmaßnahme gegenüber potenziell in tierischen Komponenten enthaltenen Krankheitserregern wie z. B. BSE (bovine spongiforme encephalopathie) und anderen vorteilhaft. Anwender, die auf eine sehr gute Vergleichbarkeit der Zellkultur-Ergebnisse mit serumhaltiger Kultivierung angewiesen sind, können sich große Mengen von Serum aus einer Charge reservieren lassen. Es ist auch möglich, sich vor einem Chargen-Wechsel vorab Muster von neuen Serum-Chargen für vergleichende Prüfungen mit Zellkulturen liefern zu lassen. Für viele Anwendungen ist es üblich, jede SerumCharge vor Einsatz auf ihre Eignung zu testen. Auf Verlangen der biopharmazeutischen Industrie und der Gesundheitsbehörden führen die Serum-Hersteller eine lückenlose Dokumentation über den Ursprung des Serums (serum audit trail), mit veterinärärztlichem Zertifikat über die Tiergesundheit und den Ursprung des Rohserums, mit den Schritten der Prozessierung des Rohserums bis zum Endprodukt, der Vergabe der Chargennummer und der Freigabe der Chargen. Die Gewinnung von FCS beginnt mit der Entnahme des Blutes durch Herzpunktion. Man lässt das Blut gerinnen und trennt dann durch Zentrifugation das Blutplasma vom Blutserum. Die Blutserum-Portionen werden zu einer Charge vereinigt, sterilfiltriert und in kleinen Portionen, z. B. 500-ml-Gebinden, abgefüllt und tiefgefroren. Für besondere Anforderungen kann das Serum weiterbehandelt werden. Beispielsweise kann Serum mithilfe von Membranen mit Ausschlussgrößen von ca. 10‒50 kDa gegen Salzlösungen dialysiert werden, um niedermolekulare Substanzen aus dem Serum zu entfernen. Wenn Serum von jungen oder erwachsenen Tieren für die Produktion von Antikörpern eingesetzt wird, kann die Anwesenheit von Immunglobulinen, vor allem IgG, im Serum Probleme bei der Aufarbeitung hervorrufen. Mithilfe chromatographischer Verfahren können Immunglobuline aus dem Serum entfernt werden. Zur Inaktivierung von möglichen Krankheitserregern, die als Verunreinigungen (Kontaminanten) im Serum enthalten sein könnten, werden
11 Kultivierung von Säugetierzellen
viele Seren zusätzlich zur Sterilfiltration mit Hitze oder Bestrahlung behandelt. Eine Hitze-Inaktivierung wird meist für ca. 30 Minuten bei über 50 °C durchgeführt. Zur Inaktivierung potenziell vorhandener Viren ist vor allem die Gammabestrahlung des Serums geeignet. Mit Virus-Spike-Experimenten wurde nachgewiesen, dass eine Dosis von etwa 25 bis 35 kGy für eine verlässliche Inaktivierung einer großen Vielfalt von Viren um bis zu sechs Log-Stufen ausreicht (Purtle et al. 2003). Die komplexe und variable Zusammensetzung, das Restrisiko von Krankheitserregern, die begrenzte Verfügbarkeit und der hohe Preis führten zu Anstrengungen, Serum zu ersetzen. Eine einfache, aber zeitraubende und nicht immer ausreichend reproduzierbare Möglichkeit war die Adaptation der kultivierten Zelltypen an serumreduzierte Medien. Hierdurch konnten viele Zellen durch schrittweise Ausdünnung von Serum in Medien mit 2 % bis zu 0,1 % Serumgehalt stabil kultiviert werden.
11.3.1.2 Serumfreie Zellkulturmedien Eine wesentliche Weiterentwicklung wurde aber erst möglich durch die Verwendung von Serum-Ersatzstoffen wie Rinder-Transferrin, Rinderserumalbumin (bovine serum albumin, BSA), Rinder-Insulin und Rinder-Lipoproteinen. Transferrin dient als Transportprotein für Eisen (Aisen und Listowsky 1980). Serumalbumin ist ein Transportprotein für Fettsäuren, Lipide, Peptide, Steroide, Hormone und Spurenelemente (Yamane 1978). Zusätzlich wirkt es auf die Zellen durch Bindung von Detergenzien und Endotoxinen. Insulin stimuliert die Glucoseaufnahme, die Fettsäure-und DNA-Synthese. Insulin und IGF-1 (insulin-like growth factor 1) binden an IGF-1Rezeptoren auf der Zelloberfläche und stimulieren die DNA-Synthese (Rinderknecht und Humbel 1978). Lipoproteine dienen als Transportproteine für Phospholipide und Cholesterin (Smith et al. 1978) und erfüllen eine Vielzahl von regulatorischen Funktionen (Owen et al. 1984). Durch die Substitution des Serumanteils im Zellkulturmedium durch definierte Substanzen konnte der Proteinanteil von etwa 20 g/l auf etwa 0,5 g/l reduziert werden (Tabelle 11.4). Die Entwicklung der serumfreien Medien in den 1980er-Jahren wurde dann in den 1990er-Jahren
391
11.3 Die Umgebung von Zellen in Kultur Tabelle 11.4 Entwicklung von Zellkulturmedien für Suspensionskulturen Zeitraum
Produkt-Konzentration
Typische Bestandteile dieser Zellkulturmedien
Proteingehalt der Medien
1985 bis 1990
20 bis 200 mg/L
serumhaltige Medien
20 g/l
1990 bis 1995
50 bis 500 mg/L
Proteine aus tierischer Quelle
0,5 g/l
1995 bis 2000
300 bis 1 000 mg/L
Proteinhydrolysate
0,01 g/l
2000 bis 2005
1 000 bis 5 000 mg/L
chemisch definierte Substanzen
< 0,01 g/l
nach 2005
1 000 bis > 10 000 mg/l
keine oder gut charakterisierte Proteinhydrolysate
< 0,01 g/l
erfolgreich in Forschung und Industrie für die Kultivierung von Säugetierzellen angewendet. Es gelang sogar, das gebrauchte Medium von Säugerzellkulturen nach Analyse und Supplementierung der verbrauchten Nährstoffe zu rezyklieren, d. h. für dieselbe Bioreaktor-Kultivierung wiederzuverwenden (Kempken et al. 1992). Dies wurde zum Recycling wertvoller Serum-Substitute und Medienkomponenten und damit zur Reduktion der Kosten für das Medium angestrebt. Aufgrund der im Folgenden beschriebenen Weiterentwicklung der Medien sind solche Maßnahmen nicht mehr nötig. Das Mediumrecycling-Konzept bietet jedoch eine gute Möglichkeit, die Effekte von Zellwachstumsfaktoren, Zellreifungsfaktoren und Stoffwechselprodukten, die von den Zellen selbst gebildet und in das Kulturmedium abgegeben werden, zu untersuchen (Büntemeyer et al. 1997).
11.3.1.3 Chemisch definierte Zellkulturmedien Der entscheidende Schritt auf dem Weg zu Medien, die chemisch definiert sind und keine direkt aus tierischer Quelle enthaltenen Substanzen mehr aufweisen, wurde durch folgende Weiterentwicklungen erreicht: • Substitution von Transferrin durch Eisensalze oder Eisenkomplexe; • Substitution von Insulin durch rekombinanthumanes Insulin oder IGF-1; • Substitution der Lipoproteine durch chemisch definierte Lipidkonzentrate; • gezielte Zugabe von Vorstufen ((precursors) oder stimulierenden Substanzen wie Fettsäuren, Biotin, Cholin, Glycerin, Ethanolamin, Thiole, Hormone, Vitamine.
Für viele Zelllinien ist der Zusatz von Substanzmischungen aus definierter und nicht-tierischer Quelle hilfreich, z. B. Peptonhydrolysate oder Hefeextrakte. Deren Zusammensetzung ist jedoch komplex und kann je nach Herkunft der Rohstoffe und ihrer Verarbeitung von Charge zu Charge variieren. Durch sorgfältige Auswahl der Rohstoffe und Standardisierung der Herstellweise gelang es, ein engeres Spektrum der Inhaltsstoffe dieser Hydrolysate und Extrakte zu erzielen. Eine zusätzliche Veredelung dieser Substanzen erreichte man mit der Abtrennung von Inhaltsstoffen durch Ultrafiltration oder Erhitzen. Diese relativ unspezifischen Methoden führten zur Abreicherung hochmolekularer Rohstoffanteile und Verunreinigungen ‒ z. B. Endotoxine ‒ bzw. zur thermischen Denaturierung von Verunreinigungen ‒ z. B. Enzyme. Inzwischen wurden Inhaltsstoffe von Hydrolysaten und Extrakten identifiziert und bestimmte Fraktionen in Zellkulturtests auf ihre förderlichen Eigenschaften für Zellwachstum und Produktbildung geprüft. Die nächste Stufe der Weiterentwicklung könnte von den „charakterisierten“ Hydrolysaten und Extrakten zur Reinigung von bevorzugten Fraktionen oder zur de novo-Synthese der wichtigsten Komponenten, z. B. Oligopeptide, führen (Franek et al. 2000; Dick und Lawrence 2009). Am Ende dieser Entwicklung stehen aktuell die chemisch definierten Zellkulturmedien. Sie enthalten gar keine oder nur sehr geringe Proteinanteile (≤ 0,01 g/l). Anstelle der nur teilweise bekannten und in ihrer Konzentration chargenabhängigen Serumbestandteile werden definierte, hochreine, in ihrer Art und Qualität reproduzierbare, seitens Ursprung und Stoffklasse unproblematische Rohstoffe als Einzelsubstanzen eingesetzt.
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Inzwischen ist eine Vielzahl von käuflichen Standardmedien und von individuell auf spezifische Forschungs- oder Produktionszelllinien optimierten Kulturmedien für Säugetierzellen etabliert, welche aus den Katalogen der Medienhersteller bezogen werden können (Fletcher 2005). Die meisten Medien sind in Pulverform erhältlich und werden in hochreinem, entionisiertem Wasser gelöst. Eine Weiterentwicklung der klassischen Pulvermedien sind Granulate (Fike et al. 2001; Radominski et al. 2001). Für Laboratorien, die nicht über eigene Ressourcen zur Medien-Einwaage, -Herstellung und -Sterilfiltration verfügen, sind auch Flüssigmedien in Medienbeuteln (bags) in Größen von ca. 5 bis 1 000 l lieferbar. Tabelle 11.4 zeigt die Entwicklung von Zellkulturmedien für Suspensionskulturen von serumhaltigen bis zu chemisch definierten bzw. charakterisierten Medien. Für die Kultivierung von Primärzellen, für Grundlagenforschung mit Zellkulturen und für die Herstellung von Impfstoffen sind noch immer relativ komplexe Kulturmedien üblich bzw. bisher nicht ersetzbar. Für die Kultivierung von Zelllinien und für die biopharmazeutische Produktion mit Zellkulturen hat sich jedoch der Trend zu serumfreien, bovinfreien und chemisch definierten Kulturmedien eindeutig durchgesetzt.
11.4 Zellkultivierungsmethoden Die Auswahl der geeigneten Methode für die Kultivierung von Säugerzellen richtet sich nach der Art der Zelle und dem Zweck der Kultivierung. Grundsätzlich werden die Zellarten unterschieden in adhärent oder in Suspension wachsende Zellen. Entsprechend ihres Verwendungszwecks werden sie in ganz unterschiedlichen Maßstäben gezüchtet, von der Mikrotiterplatte für biologische Tests bis zu 20 000-Liter-Reaktoren zur Herstellung von therapeutischen Proteinen für die Humananwendung. Adhärent wachsende Kulturen (anchoragedependent cells) haften und vermehren sich nur auf geeigneten Oberflächen (Oberflächenkultu-
11 Kultivierung von Säugetierzellen
ren), die den natürlichen Oberflächen im Zellgewebe (in vivo) möglichst ähnlich sein sollten. Dabei werden die Zellen von dem jeweils spezifischen flüssigen Nährmedium umspült. Die Zellen aller Wirbeltiere tragen auf ihrer Ob erfläche ungleichmäßig verteilte negative Ladungen. Geeignete Oberflächen sind b eispielsweise Dextrane, Glas, Kunststoffe und Metall, die häufig noch spezifisch modifiziert sind. Sie dürfen keine toxischen Gruppen wie z. B. Schwermetalle enthalten, müssen eine verteilte, aber nicht zu dichte elektrische Ladung aufweisen und hydrophil sein. Um eine effiziente Anhaftung zu gewährleisten, können die Oberflächen mit Anhaftungsfaktoren (adhesion factors) wie z. B. Kollagen, Fibronectin, Globulinen, Glykoproteinen oder Serum vorbehandelt werden. Die Anhaftung adhärenter Zellen ist ein komplexer Prozess und erfolgt über die Stufen Adsorption, Kontakt, g Unter geAnhaftung und Spreitung (spreading). eigneten Kultivierungsbedingungen vermehren sich die Zellen je nach Zelltyp als Monolayer (bei Kontaktinhibition) oder als Polylayer. Zur Kultivierung adhärenter Zellkulturen werden je nach Zweck und Zelltyp verschiedene Kultivierungssysteme verwendet. Werden die Zellen z. B. für die Herstellung von Proteinen oder Viren eingesetzt, kommen im kleinen Maßstab häufig T-Flaschen (t-flasks) oder Rollerflaschen (roller bottles) zum Einsatz. Die normalerweise hydrophobe Oberfläche wird durch Vorbehandlung polar und hydrophiler. Gebräuchlich sind Plastikgefäße aus Polystyrol, Polycarbonat, Polyethylen, Polypropylen, Polytetrafluorethylen und Polyacrylamid als Einmal-Artikel. Im größeren Maßstab erfolgt die Zellzüchtung auf Mikrocarriern (dies sind massive oder poröse Kugeln von etwa 50 bis 300 μm Durchmesser) in Suspension bzw. als fluidized bed d oder in Festbettreaktoren in kontinuierlicher Kultur (Abb. 11.3a). Auf der Oberfläche der Mikrocarrier, bei porösen Mikrocarriern auch in den Poren, können die adhärenten Zellen zu beinahe gewebeähnlichen Zelldichten heranwachsen. Für Festbettreaktoren kommen je nach Maßstab vor allem Hohlfaser- oder auch Keramikmodule infrage. Ist die Zelle das Produkt, wie z. B. bei der Züchtung von Hautzellen zur Behandlung von Brandverletzungen, werden diese auf speziellen Trägern in geeigneten Kunststoffschalen vermehrt.
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11.4 Zellkultivierungsmethoden
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telkolben vor allem Rührkesselreaktoren (stirred tank reactor, STR) zum Einsatz. Im Maßstab über 1 000 l werden fast ausschließlich STR eingesetzt, weil sie die vielfältigen Anforderungen, die sich aus den verschiedenen industriellen Anwendungen ergeben hinsichtlich Flexibilität, Anforderungen ans Sterildesign, Maßstabsvergrößerung (upscaling), g variable Prozessführung und schnelle Entwicklungszeiten, immer noch am besten erfüllen.
11.4.1 Rührkesselreaktoren (stirred tank reactorr, STR)
b Abb. 11.3 Zellen, die auf (a) Mikrocarriern bzw. (b) in Suspension wachsen
Meistens muss vor der Subkultivierung der Zellverband durch die Zugabe von Trypsin aufgelöst werden. Die Züchtung adhärenter Zellen ist daher prozesstechnisch aufwendig und vom Scale-up her begrenzt. Dieser Zelltyp wird daher im Allgemeinen nur für spezifische Anwendungen eingesetzt. Industriell von derzeit größerer Bedeutung sind die Suspensionskulturen, die als Einzelzellen oder in kleinen Aggregaten direkt im Nährmedium gezüchtet werden (Abb. 11.3b). Für die Herstellung von Glykoproteinen werden fast ausschließlich Suspensionszellen eingesetzt, es sei denn das Produkt ist wie z. B. bei Faktor VIII sehr empfindlich gegenüber einem proteolytischen Abbau. In den meisten Fällen kommen rekombinante Zellen wie die CHO- oder NS0Zellen zum Einsatz, die „unsterblich“ sind und unbegrenzt vermehrt werden können, soweit es deren genetische Stabilität zulässt. Für die Vermehrung von Volumen unter 10 l kommen neben Spinnerflaschen und zunehmend Schüt-
Obwohl die Zellkultivierung in STR im Wesentlichen mit der Fermentation von Mikroorganismen vergleichbar ist, gibt es doch spezifische Anforderungen für den Einsatz bei Säugerzellen. Sie unterscheiden sich von Mikroorganismen vor allem durch ihr vergleichsweise langsames Wachstum (12 bis 24 Stunden Verdopplungszeiten) bei normalerweise geringen maximal erreichbaren Zelldichten, durch die hohen Ansprüche an das Nährmedium (Abschnitt 11.3.1) und die Empfindlichkeit gegenüb er äußeren Einflüssen. Details zu Bioreaktoren sind in Kapitel 7 beschrieben.
11.4.1.1 Begasung und Rührung Obwohl der Sauerstoffbedarf der Säugerzellkulturen mindestens um den Faktor 10 geringer ist als beispielsweise der einer Hefekultur, werden besondere Anforderungen an die Rührung und Begasung gestellt. Dabei müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden (Marks 2003): • Faktoren, die eine physikalische Schädigung der Zellen verursachen können; • Konzentrationsgefälle aufgrund ungenügender Durchmischung; • Probleme im Zusammenhang mit einem unzureichenden Gas-Flüssig-Stoffübergang. Da Säugerzellen keine feste Zellwand besitzen, sind sie relativ scherempfindlich gegenüber der hydrodynamischen Scherung und Schädigungen durch Luftblasen. Dieser Eigenschaft lässt sich durch eine für jede Zelllinie spezifische Medien-
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zusammensetzung und Prozessführung in den verschiedenen Maßstäben begegnen. Das Ausmaß einer potenziellen Zellschädigung hängt ab vom Reaktordesign, der Begasungsart und auch vom physiologischen Status der Zellen. Durch die Zugabe eines nicht-ionischen, oberflächenaktiven Copolymers, wie z. B. Pluronic F68, lassen sich Zellschädigungen durch Blasen minimieren, was besonders unter serumfreien Bedingungen von Bedeutung ist. Durch Zugabe von Serum lässt sich eine ähnliche Schutzwirkung erzielen. Obwohl die Zellrespiration von Säugerzellen gering ist und sie deshalb im STR mit im Vergleich zu Mikroorganismen geringen Luftmengen begast werden, ist trotzdem eine ausreichende Begasung unter anderem zum Austreiben des von den Zellen gebildeten Kohlendioxids erforderlich (CO2 stripping). g In kleinen Reaktoren kann unter Umständen der Gasstrom durch die Luftbegasung zu gering sein, um genügend CO2 auszutreiben, sodass eine zusätzliche Begasung mit Stickstoff erforderlich wird. Durch die Zuführung von reinem Sauerstoff zur Luftbegasung wird die Versorgung bei großen Reaktoren oder bei Hochdichte-Zellkulturen wesentlich verbessert bei noch tolerierbaren Begasungsraten. In den industriell eingesetzten STR werden für die Gasverteilung meist Begasungsrohre oder open tube sparger) oder Begasungs( (point-
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11 Kultivierung von Säugetierzellen
ringe eingesetzt, vereinzelt auch Fritten aus gesintertem Edelstahl. Der Stoffübergang mittels Frittenbegasung ist durch die sehr kleinen Blasen zwar hervorragend, und das Optimum zwischen Sauerstofftransfer und CO2 strippingg kann über die Porengröße im Bereich von 2‒5 μm eingestellt werden. Sie wird jedoch wegen der schwierigeren Reinigbarkeit unter GMP-Bedingungen (Abschnitt 11.7.2.2) und des Risikos einer stärkeren Schaumbildung weniger eingesetzt. Am weitesten verbreitet ist das Begasungsrohr, weil es am besten zu reinigen und zu sterilisieren ist, obwohl die Blasengröße kaum zu steuern und der Sauerstoffeintrag relativ ineffizient ist. Durch die Begasung mittels Begasungsring wird zwar die für den Gasaustausch nötige Oberfläche vergrößert, der Wirkungsgrad ist allerdings häuf ig nicht um so viel höher, dass dies die höheren Risiken kompensiert, die bei der Reinigung bzw. Sterilisation entstehen. Die Rührung in Bioreaktoren ist von erheblicher Bedeutung und mit zunehmender Reaktorgröße schwieriger optimal zu bewerkstelligen. Es werden im Allgemeinen schonende Rührorgane verwendet, um die Scherbeanspruchung und den Energieeintrag möglichst klein zu halten. Dazu eignen sich Marine- und Rushtonimpeller sowie spezielle Schrägblattrührer („Elefantenohr“) die je nach Reaktortyp und -größe einzeln oder in Kombination eingesetzt werden (Abb. 11.4). In
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Abb. 11.4 Beispiel für (a) einen typischen Schrägblattrührer („Elefantenohr“) und (b) einen Rushton-Marineimpeller
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11.4 Zellkultivierungsmethoden
der Regel beträgt der Rührerdurchmesser ein Drittel bis die Hälfte des Reaktordurchmessers. Mit diesen Rührern können lokale turbulente Strömungen und Mikrowirbel, die bevorzugt an den Rührblättern entstehen und potenziell zellschädigend sind, minimiert werden (Kapitel 7, Abb. 7.7). Allerdings muss die Durchmischung effektiv genug sein, um möglichst keine Nährstoff-, pH- und Sauerstoffgradienten entstehen zu lassen. Dies ist zwar mit zunehmendem Reaktorvolumen und hohen Zelldichten immer schwieriger zu erreichen; Studien mit industriell verwendeten Zelllinien haben jedoch gezeigt, dass die Zellen doch nicht so empfindlich gegenüber Scherstress sind wie ursprünglich angenommen (Christi 1993). Die Durchmischung kann verbessert werden durch • die Erhöhung der Rührerdrehzahl, • die Verwendung von zusätzlichen Rührorganen, • die Vergrößerung des Rührerdurchmessers und • den Einbau von Strömungsbrechern.
gen uptake rate, OUR) bei maximaler Zellmasse abzudecken. Die OTR ist direkt proportional zum Stoffübergangskoeffizient kLa und abhängig von der Reaktorgeometrie, Gasverteilung, Rührung, dem Reaktordruck und der Nährmedienzusammensetzung. Die physikalischen Grundlagen sind ausführlich in Kapitel 6 b eschrieben. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften und Anforderungen von Säugerzellen haben sich beim industriell eingesetzten STR die erwähnten Marineimpeller und/oder Schrägblattrührer sowie Rushtonimpeller als Rührorgane durchgesetzt. Gleichzeitig wird die Begasungsrate relativ gering gehalten und bei Bedarf mit Sauerstoff angereichert. Damit lässt sich auch die Schaumbildung in Grenzen halten, die bei Bedarf noch mit geringen Mengen an Antischaummittel, meist auf Silikon-Basis, beseitigt werden kann.
11.4.1.2 Stoffübergang
In jüngster Vergangenheit hat die Entwicklung und der Einsatz von Einweg-Bioreaktoren (disposible/single use bag bioreactors) für die Kultivierung von tierischen Zellkulturen stark zugenommen (Eibl und Eibl 2009). Details hierzu sind in Abschnitt 7.3.7 beschrieben. Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Reaktortypen, die aber meist nur für spezifische Anwendungen eingesetzt werden. Hier sind Airlift-Fermenter, Membranreaktoren, Wirb elschichtreaktoren ((fluidized bed reactor) oder verschiedene Varianten von Festbettreaktoren zu nennen. B eim Wirbelschichtreaktor werden die Zellen, die entweder in Form von Aggregaten wachsen oder an Oberflächen bzw. in porösen Partikeln haften, durch die Anströmung mit der Nährlösung in Schwebe gehalten (Abschnitt 7.3.4). Bei Einsatz poröser Träger muss das Trägermaterial eine hohe Porosität mit genügend großen Poren aufweisen, um die innen wachsenden Zellen ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen und die Stoffwechselendprodukte zu entfernen. Hierfür eignen sich Materialien aus Kollagen, Keramik, offenporigem Glas oder verschiedenen Polymeren. Sie müssen eine möglichst große Oberfläche bieten und eine
Außer der beschriebenen Submersbegasung kann der Stoffübergang in STR auch durch Oberflächenbegasung oder die Verwendung von gaspermeablen Membranen zur blasenfreien Begasung erreicht werden, wodurch blasenbedingte Zellschädigungen vermieden werden. Die Oberflächenbegasung beruht auf der Diffusion an der Grenzfläche zwischen der Luft im Kopfraum des Reaktors und der Flüssigkeit. Der Stoffübergang ist proportional zur Grenzfläche Luft-Flüssigkeit und wird mit zunehmendem Reaktorvolumen ineffizienter. Daher ist die Oberflächenbegasung nur in kleinen Kultivierungssystemen wie T-Flaschen, Rollerflaschen, Spinnerflaschen (< 1 l) oder Schüttelkolben ausreichend. Obwohl die Membranbegasung bis zu einem Maßstab von 150 l nachweislich möglich ist (Vorlop und Lehmann 1989), konnte sie sich wegen der Schwierigkeiten einer weiteren Maßstabsvergrößerung und des hohen technischen Aufwands für die industrielle Anwendung nicht durchsetzen. Rührkesselreaktoren müssen so ausgelegt sein, dass sie mindestens die Sauerstofftransferrate (oxygen transfer rate, OTR) erreichen, die erforderlich ist, um die Sauerstoffaufnahmerate (oxy-
11.4.2 Weitere Reaktoren
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solche spezifische Dichte besitzen, dass sie leicht in Schwebe zu halten sind. Kommerzialisiert wurde das Verax®-System, bei dem die Zellen in sogenannten Microspheres aus Rinder-Kollagen gezüchtet werden (Runstadler et al. 1990). Zellen, die in Festbettreaktoren kultiviert werden, sind auf einem Trägermaterial fixiert und werden durch das vorbeiströmende Nährmedium versorgt. Damit können zwar hohe Zelldichten pro Volumen erreicht werden, allerdings ist die Versorgung der innenliegenden Zellen aufgrund von Konzentrationsgradienten und Inhomogenitäten stark limitiert. Neben keramischen Matrices (Berg und Bödecker 1988) und Edelstahlspiralen (Werner et al. 1988) kommen vor allem Hohlfasermodule aus Membranfasern mit einem cut-offf von 10‒100 kDa zum Einsatz (Abb. 7.35). Während bei Oberflächenreaktoren die Zellen direkt mit Medium überströmt werden, wachsen die Zellen bei Hohlfasermodulen auf der Außenseite und sind durch die semipermeable Membran vom mit Sauerstoff angereicherten Nährmedium getrennt. Sowohl Wirbelschicht- als auch Festbettreaktoren werden meist im kontinuierlichen Betrieb gefahren. Beiden Reaktortypen ist gemeinsam, dass ein upscalingg nur in einem begrenzten Umfang möglich ist und die Prozessführung aufgrund der Gradienten, der Inhomogenitäten und der nur eingeschränkt möglichen Prozesskontrolle schwierig ist.
11.4.3 Systeme zur Zellrückhaltung Um die Zelldichten von Suspensionskulturen auf mehr als zehn Millionen Zellen pro Milliliter zu erhöhen, können verschiedene Systeme zur Zellrückhaltung eingesetzt werden. Hierbei werden die Zellen permanent mit frischem Nährmedium versorgt und im Gegenzug die gleiche Menge an Zellkulturüberstand abgenommen (Perfusionskultur, perfusion culture). Dieser enthält neben dem Produkt zum Teil toxische Metabolite und ist verarmt an Nährstoffen. Hierbei werden ausschließlich Technologien verwendet, die nach Größe bzw. Dichte trennen, wobei das geeignete Verfahren in Abhängigkeit vom Maßstab und
11 Kultivierung von Säugetierzellen
der spezifischen Anwendung ausgewählt werden muss (Voisard et al. 2003). Verbreitet eingesetzt werden externe, an den Reaktor angeschlossene Membranmodule (Hohlfaser- oder Flachbettmembranen), die als crossflow- oder Tangential-Fluss-Filtration (TFF) betrieben werden. Dabei wird die Zellkultur mittels Pumpe permanent rezirkuliert und die Zellkulturflüssigkeit im Membransystem abgetrennt. Vereinzelt werden auch Spinnfilter eingesetzt. Neuere Entwicklungen basieren auf der Zellretention mittels Dichte. Hierfür eignen sich prinzipiell statische bzw. Ultraschall-Settler, aber auch Zentrifugen und Hydrozyklone. Das derzeit auf dem Markt befindliche BioSep®-System nutzt z. B. Ultraschallwellen im Megahertz-Bereich zur S edimentation („akustischer Filter“) und hat je nach Modell eine Leistung von 1‒150 l pro Tag (Zhang et al. 1998).
11.5 Prozessführung bei Säugerzellkulturen Um Säugerzellen optimal kultivieren zu können, müssen bestimmte Rahmenbedingungen hinsichtlich des Reaktors und der Prozessführung eingehalten werden. Dies gilt im besonderen Maße für die großtechnische Herstellung von Proteinen oder Impfstoffen unter cGMP-Bedingungen (Abschnitt 11.7.3) für die Anwendung am Menschen.
11.5.1 Sterilisation Da Säugerzellen langsam wachsen und nährstoffreiche Medien benötigen, besteht immer das Risiko der Kontamination mit Mikroorganismen. Daher kommt der sterilen Prozessführung eine große Bedeutung zu. Bei der Zellzüchtung im Labormaßstab sind vor allem das sterile Arbeiten unter der Sterilwerkbank sowie die Verwendung steriler oder autoklavierter Materialien essenziell. Im Großmaßstab (large scale) sind das aseptische Design der Bioreaktoren einschließlich der gesamten Peripherie sowie die ange-
11.5 Prozessführung bei Säugerzellkulturen
wandten Verfahren zur Reinigung, Sterilisation und Prozessführung entscheidend. In Kapitel 8 sind die Grundlagen der Sterilisation und Steriltechnik ausführlich beschrieben.
11.5.2 Medienfiltration Die üblichen Zellkulturnährlösungen müssen sterilfiltriert werden, da einige Komponenten wie Vitamine, bestimmte Aminosäuren oder Proteine thermolabil sind und nicht mit Hitze sterilisiert oder autoklaviert werden können. Hierzu werden sterilisierte Membranfilter mit einer Porenweite von maximal 0,2 μm verwendet, die in verschiedenen Filtergrößen, Membrantypen und -materialien wie Polyethersulfon (PES), Nylon, Polyvinyldifluorid (PVDF) und Celluloseacetat erhältlich sind. Mittlerweile werden zunehmend 0,1-μm-Sterilfilter eingesetzt, um auch das Risiko einer Mycoplasmenkontamination zu minimieren. Die Filterkonfiguration muss für die jeweilige Filtration angepasst sein, um sicherzustellen, dass die Filter nicht verblocken, keine Nährstoffe adsorbiert werden und die Filtration auch von Medienvolumina bis zu 20 000 l innerhalb weniger Stunden durchzuführen ist.
11.5.3 Zellkultivierungsverfahren Säugerzellen werden sowohl im batch-, fed-batchals auch im kontinuierlichen Betrieb gezüchtet. Im batch-Verfahren werden zu Beginn Nährmedium und Zellen in ein Kultivierungssystem gegeben und unter geeigneten Bedingungen ohne weitere Manipulationen bis zum Ende der Kultivierung inkubiert. Diese Verfahrensweise ist relativ einfach und risikoarm und wird deswegen in vielen Fällen als Standardverfahren bei der großtechnischen Vermehrung von Suspensionszellen eingesetzt. Dabei durchlaufen die Zellen die typischen Wachstumsphasen: lag-, log-, stationäre- und Absterbephase. Die Kultivierungszeit beträgt bei batch-Verfahren mit den industriell verwendeten Zelllinien in der Regel zwei bis vier Tage. Wegen der systembedingten Beschränkungen aufgrund von Nährstofflimitierungen und/
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oder Anreicherung von toxischen Stoffwechselprodukten sind die zu erreichenden Zelldichten und Produktkonzentrationen (Titer) beschränkt. Sie liegen im Bereich von etwa ein bis fünf Millionen Zellen pro Milliliter und erreichen in der Regel einen Titer unter 200 mg/l. Eine bessere Kontrolle der Kulturführung erreicht man über fed-batch-Verfahren, b ei denen während der Kultivierung zusätzlich Nährstoffe, Wachstumsfaktoren oder die Produktbildung steigernde Substanzen aseptisch zugegeben werden. Damit lassen sich z. B. die Bildung von wachstumshemmenden Metaboliten wie Lactat oder Ammonium minimieren, indem z. B. die Anfangskonzentration von Glucose bzw. Glutamin verringert und diese Substanzen im Laufe der Kultivierung nach Bedarf zugegeben werden. Außerdem kann die Nährstofflimitierung durch Zugabe von Glucose und Aminosäuren vermieden werden und damit besseres Wachstum, höhere Zelldichten und eine Verlängerung der Kultivierungszeit erreicht werden. Durch Zugabe von Buttersäure kann die spezifische Produktivität der Zellen (Menge an Produkt pro Zelle und Tag) signifikant gesteigert werden. Mit optimierten fed-batch-Verfahren für die Herstellung monoklonaler Antikörper lassen sich Zelldichten von über zehn Millionen Zellen pro Milliliter und in Einzelfällen Titer von über 10 g/l erreichen bei Kultivierungszeiten von bis zu drei Wochen. Fed-batch-Verfahren sind dementsprechend weit verbreitet bei der Produktion von Proteinen. Im Gegensatz zur fed-batch-Kultivierung wird bei den kontinuierlichen Verfahren permanent oder periodisch in dem Maße Zellkulturlösung entnommen, wie frische Nährlösung zugegeben wird, wobei das Reaktorvolumen konstant bleibt und die Zellen im Reaktor verbleiben. Diese als Perfusion bezeichnete Betriebsweise ermöglicht optimale und weitgehend konstante Kultivierungsbedingungen über die gesamte Laufzeit, die bis zu mehrere Monate betragen kann. Mit Perfusionskulturen können die höchsten Zelldichten (bis über 100 Millionen Zellen pro Milliliter) und Produktmengen pro Volumen und Zeit erreicht werden. Sie sind die Regel bei Produktionsverfahren mit adhärenten Zellen (Abschnitt 11.4). Suspensionskulturen können nur mithilfe von geeigneten Verfahren der Zellzurückhaltung im
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Perfusionsmodus betrieben werden (Abschnitt 11.4.3). Aufgrund der hohen Zelldichten können die Reaktoren kleiner dimensioniert werden. Perfusionskulturen kommen zum Einsatz bei der Produktion von labilen Proteinen (z. B. Faktor VIII) oder wenn hohe Zelldichten benötigt werden. Bei den meisten Verfahren, die heute in der Herstellung von rekombinanten Proteinen Anwendung finden, hat sich das fed-batch-Verfahren durchgesetzt. Die Vorteile sind: • Es ist schnell zu entwickeln (time to markett ist ökonomisch bedeutend); • eine flexible Produktion ist möglich, vor allem in einer Mehrproduktanlage; • eine hohe Produktkonzentration ist erreichbar (teure Medien werden genutzt, und die initiale Aufarbeitung ist effizient); • die Prozessvalidierung ist vergleichsweise einfach und schnell; • die Verfahren sind auch im großtechnischen Maßstab robust genug. Die Grundlagen der Kultivierung und Prozessführung sind ausführlich in Kapitel 4 beschrieben.
11.5.4 Prozessparameter und Prozessmonitoring Säugerzellen sind ein äußerst komplexes biologisches System und werden dementsprechend von vielen Faktoren beeinflusst. Die Grundvoraussetzung für die Vermehrung von Säugerzellen sind geeignete Nährmedien (Abschnitt 11.3.1) und biophysikalische Umgebungsbedingungen, deren Einhaltung besonders wichtig ist, wenn serum- oder gar proteinfreie Nährmedien eingesetzt werden.
11.5.4.1 Prozessparameter Zu Beginn einer Kultur muss im Gegensatz zu Mikroorganismen mit einer relativ hohen Einsaatdichte ‒ in der Regel mindestens 105 Zellen pro Milliliter ‒ inokuliert werden, um vor allem unter serumfreien Bedingungen ein sicheres Anwachsen der Kultur zu gewährleisten. Es wird angenommen, dass hier die von den Zellen selbst
11 Kultivierung von Säugetierzellen
gebildeten Wachstumsfaktoren eine Rolle spielen und deshalb eine Mindestmenge an konditioniertem Medium mitgeführt werden muss. Da Säugerzellen keine stabile Zellwand, sondern nur eine empfindliche Zellmembran b esitzen, ist der osmotische Druck k des Mediums ein wichtiger Parameter. Ohne spezielle osmoprotektive Substanzen liegt die Osmolalität meist im Bereich von 250 bis 400 mOsm. Eine Erhöhung der Osmolalität vermindert häufig das Wachstum, kann aber bei bestimmten Zellen die Produktivität steigern. Zellen wachsen in der Regel bei einer Temperatur von 37 °C am besten. In manchen Produktionsverfahren wird die Temperatur zu Beginn oder im Verlauf um mehrere Grad Celsius gesenkt (Temperaturshift). Damit wird das Wachstum verlangsamt bzw. gestoppt und der Metabolismus in Richtung Produktbildung verlagert. Schon geringfügige Abweichungen von weniger als 1 °C von der Solltemperatur können einen nachweislichen Effekt auf das Wachstum und die Produktivität haben. Der pH-Wert muss sich ebenfalls in einem relativ engen Band von ca. 6,7 bis 7,4 bewegen, um ein Zellwachstum zu ermöglichen. Das von den Zellen während der Kultivierung in unterschiedlichen Phasen und Konzentrationen gebildete Kohlendioxid, Lactat und Ammonium beeinflussen den pH-Wert entsprechend. Bei Kulturen, die nicht pH-kontrolliert werden, muss die Pufferkapazität des Mediums ausreichend sein oder aber die Inkubation b ei einem Luft/CO2Gemisch von 90:10 bzw. 95:5 erfolgen. Dies ist in der Regel im small scale bei T-Flaschen, Schüttelund Spinnerkulturen der Fall. In geregelten Bioreaktoren wird der pH-Wert durch die Zugabe von meist Kohlendioxid und Carbonat in den vorgegebenen Grenzen gehalten. Ohne eine ausreichende Versorgung mit Sauerstofff können die Zellen nicht wachsen. Obwohl sie nur eine relativ niedrige Sauerstoffaufnahmerate (OUR) haben, ist die ausreichende Versorgung mit Sauerstoff wegen der Scherempfindlichkeit vor allem bei large scale-Bioreaktoren nicht trivial. Der Sauerstoffgehalt in den Kulturen kann variieren und wird je nach Maßstab und Reaktor mittels Oberflächen- oder Submersbegasung mit Luft oder zusätzlichem Sauerstoff sichergestellt (Abschnitt 11.4.1.1). Wie beim pH
11.5 Prozessführung bei Säugerzellkulturen
wird auch die Sauerstoffkonzentration normalerweise in geregelten Systemen konstant gehalten. Alle hier aufgeführten Parameter beeinflussen sich gegenseitig und müssen bei der Prozessentwicklung möglichst optimal austariert werden.
11.5.4.2 Prozessmonitoring Um die Kultivierung von Säugerzellen konsistent bewerkstelligen zu können, kommt der Prozessüberwachung (Monitoring) und Prozesskontrolle eine entscheidende Bedeutung zu. Dabei gilt es, die in Abschnitt 11.5.4.1 beschriebenen Parameter zuverlässig zu messen und in definierten Grenzen ((process operating ranges) zu halten. Am besten gelingt dies mit on-line zu messenden Parametern wie Temperatur, pH und pO2. Während die Temperaturmessung über Pt100 ausreichend präzise und zuverlässig unter den erforderlichen Sterilbedingungen ist, haben die pH- und pO2-Sonden ein gewisses Ausfallsrisiko bzw. können im Verlauf der Fermentation driften und falsche Messwerte anzeigen. Deshalb werden diese Sonden vor allem in large scale-Reaktoren entweder redundant oder mit Wechselarmaturen eingesetzt. Inzwischen sind auch ausgereifte Sonden für die Messung des pCO2 verfügbar. Für die on-line-Messung der Parameter pH und pO2 gibt es inzwischen auch optische Sensoren, die vor allem für Screening-Assays interessant sind (John et al. 2003; Deshpande und Heinzle 2004). Spezifische Fluorophore werden am Boden von transparenten Kulturgefäßen fixiert, die in Abhängigkeit vom jeweils zu bestimmenden Parameter ihre Fluoreszenz ändern und damit on-line bestimmt werden können. Der Einsatz von Trübungs- und Kapazitätssonden zur indirekten Bestimmung der Zellmasse bzw. des Zellvolumens hat den Eingang in die Routine bisher nur vereinzelt gefunden, weil die Korrelation zur Zellzählung oft nicht gegeben ist und die Messung von Partikeln oder Luftblasen gestört wird. Da die verfügbare on-line-Messtechnik nach wie vor ungenügend ist, um einen Zellkulturprozess ausreichend genau und zeitnah zu analysieren, wird an der Entwicklung neuer Biosensoren gearbeitet (Ulber et al. 2003). Vor allem im Bereich der UV-, Fluoreszenz- und NIRSpektroskopie gibt es vielversprechende Ansätze.
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Besonders interessant ist die NIR-Spektroskopie (Abschnitt 9.2.6), da mit dieser Technologie gleichzeitig Metabolite wie Glucose, Lactat, Ammonium und Glutamin sowie die Zelldichte und Produktbildung b estimmt werden können. Voraussetzung ist allerdings eine auf wendige mathematische Modellierung der spezif ischen Spektren zur Kalibrierung der zu messenden Parameter (Scarff et al. 2006). Ein gewisses Potenzial wird auch der Terahertz-Spektroskopie für die Identifizierung und Quantifizierung von Biomolekülen zugeschrieben (Zhang 2002). Der Einsatz der Massenspektrometrie ist für die Bestimmung der Sauerstoffaufnahmerate (OUR) und Kohlendioxidproduktionsrate (carbon dioxide production rate – CPR), sowie für metabolische Flux-Analysen beschrieben (Oezemre und Heinzle 2001; Bonarius et al. 2001), hat sich aber noch nicht für das Routine-Monitoring etabliert. Das sich in der Entwicklung befindliche in situ-Mikroskop kann in einen Reaktorstutzen eingebaut werden und soll es ermöglichen, on-line die Zellzahl, Zellgröße und den Aggregationsgrad der Zellkultur zu bestimmen (Joeris et al. 2002). Beim Einsatz von Sonden zur on-line-Messung muss allerdings der Nutzen für die Prozesskontrolle gegen das damit verbundene höhere Kontaminationsrisiko und den Aufwand abgewogen werden. Andere Parameter können derzeit nur off-line sicher gemessen werden. Die Bestimmung der Zelldichte und Vitalität erfolgt mittels mikroskopischer Zählung in einer Zählkammer bei entsprechender Verdünnung, wobei die Zugabe eines Farbstoffes (z. B. Trypanblau) die Unterscheidung zwischen lebenden und toten Zellen ermöglicht. Diese Messung ist entsprechend ungenau und kann im Einzelfall bis zu ± 20 % variieren. Inzwischen stehen automatisierte bildgestützte Zellzählsysteme wie z. B. CEDEX zur Verfügung. Um Informationen zum Grad der Apoptose oder der Zellzyklusverteilung zu erhalten, kann die Durchflusszytometrie (flow ( cytometry) eingesetzt werden (Elmore 2007; Hang und Fox 2004). Durch entsprechende Probenaufbereitung kann mit dieser vielseitigen Methode unter anderem auch der intrazelluläre pHWert, die Proteinsekretion, der Ionenfluss und
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die Chromosomenzahl bestimmt werden. Diese Messtechnik ist jedoch relativ aufwendig und damit für ein Routine-Monitoring nur bedingt geeignet. Die für das Prozessmonitoring bzw. die Kulturführung relevanten Nährstoffe und Stoffwechselprodukte können ausreichend genau und zuverlässig off-line mittels enzymatischer und photometrischer Methoden bestimmt werden. Dazu können Analysenautomaten eingesetzt werden, die für klinisch-chemische Routinetests entwickelt wurden, wie z. B. Blutgasanalysatoren für CO2, O2 und Analysengeräte für Glucose, Lactat, Glutamin, Ammonium und andere Metabolite. Die Bestimmung der Produktkonzentration (Titer) erfolgt mit spezifischen immunologischen Methoden wie ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) und chromatographischen Methoden wie HPLC. Auf die Mess- und Regeltechnik wird in Kapitel 9 vertieft eingegangen.
11 Kultivierung von Säugetierzellen
Abb. 11.5 Large scale-Mikrofiltrationsanlage zur Zellabtrennung
11.5.5 Methoden der Zellabtrennung Für die Abtrennung der Zellen von der produkthaltigen Zellkulturflüssigkeit werden bei Suspensionskulturen hauptsächlich die Filtration und zunehmend die Zentrifugation eingesetzt. Je nach Kultivierungsmaßstab werden einmal verwendbare Membran- oder Tiefenfilter (bis ca. 1 000 l) oder mehrfach verwendbare Querstrom-Mikrofiltrationssysteme eingesetzt. Dabei kommen verschiedene Membrantypen aus Polymeren, wie z. B. Propylen, PVDF, oder aus Keramik (Kapitel 10) zum Einsatz. Die Produktausbeuten sollten bei allen Verfahren bei über 90 % liegen. Die Tiefenfilter werden im dead-end-Filtrationsmodus betrieben, wobei die Filtertypen hinsichtlich Abscheiderate und Filterfläche prozessspezifisch ausgewählt werden müssen. Bei den Mikrofiltersystemen werden sowohl Hohlfasermodule als auch Flachbettkassetten im Tangential-Fluss-Modus mit Porenweiten zwischen 0,2 und 0,65 μm eingesetzt (Abb. 11.5). Die Filterfläche richtet sich nach dem Erntevolumen und
Abb. 11.6 Großtechnischer Zellseparator (mit freundlicher Genehmigung der Fa. Westfalia)
liegt im Bereich von ca. 10‒15 m2 pro m3 Kulturvolumen. Meist folgt noch eine Klärfiltration mit Tiefen- und Membranfiltern, um die Partikellast für den initialen Aufarbeitungsschritt weiter zu minimieren. Die Zellabtrennung bei Hochzelldichtekulturen oder bei Kulturen mit geringer Vitalität stößt zunehmend an die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Mikrofiltration und kann zu Ausbeuteverlusten führen. Deshalb wird inzwischen weitgehend die Zentrifugation eingesetzt. Dies wurde möglich durch die Entwicklung von speziellen und besonders zellschonenden Zentrifugen, die inzwischen für alle relevanten Maßstäbe erhältlich sind (Abb. 11.6). Neben der größeren
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11.6 Prozessentwicklung und Scale-up
Leistungsfähigkeit bietet die Zentrifuge den Vorteil, dass sie besser zu reinigen ist, sterilisiert werden kann und die Zellen im once-throughModus nur einmal die Zentrifuge durchlaufen und damit das Risiko der Zellschädigung und Verkeimung geringer ist. Bevor das produkthaltige Zentrifugat aufgereinigt werden kann, muss auch hier die Partikelfracht mittels Klärfilter reduziert werden. Aufgrund des Feststoffgehalts von Säugerzellkulturen, der etwa 1‒10 % beträgt, verwendet man vorzugsweise Tellerseparatoren für die Zentrifugation. Das Scale-up dieser Zentrifugen erfolgt vorzugsweise über die Kennzahl Q/∑, die konstant gehalten werden sollte. Dies ist das Verhältnis von Durchflussrate Q [Liter pro Stunde] zur äquivalenten Klärfläche ∑ [m2]. Die äquivalente Klärfläche ∑ wird erhalten, wenn man die Trennleistung der Zentrifuge, bei der die Sedimentation tierischer Zellen und Partikel durch die Zentrifugalbeschleunigung massiv gesteigert wird, in analoger Weise durch eine reine Sedimentation in großen Klärbecken erzeugen würde. ∑ wird nach folgender Formel berechnet: 3=
2 P 2 W N cot A 3 g
(
)
Hierbei ist g die Erdbeschleunigung, ω die Winkelgeschwindigkeit der Zentrifugentrommel, N die Anzahl der Tellerspalten des Tellerseparators, α der halbe Öffnungswinkel des Tellerkonus, r2 der äußere Tellerradius und r1 der innere Tellerradius. Die Zellernte und ebenfalls die Herleitung der Formel sind ausführlich in Abschnitt 10.1 beschrieben. Eine spezielle Technologie ist die EBA-Chromatographie (expanded bed adsorption chromatography; Abschnitt 10.3.6.12). Sie vereinigt die Zellabtrennung und initiale Proteinreinigung in einem einzigen Prozessschritt. Dabei wird die Zellkultur von unten durch eine mit einem spezifischen Adsorber gefüllte Chromatographiesäule im fluidized bed-Modus geleitet. Während das Produkt an den Adsorber bindet, werden die Zellen ausgewaschen. Anschließend wird der Adsorber sedimentiert und das Produkt eluiert (Birger Anspach et al. 1999). Diese Methode hat sich derzeit noch nicht im Großmaßstab durchgesetzt.
11.6 Prozessentwicklung und Scale-up Für eine erfolgreiche großtechnische Produktion von Biopharmazeutika mit Säugetierzellkulturen (Abschnitt 11.7) ist die Entwicklung eines geeigneten Herstellverfahrens erforderlich. Diese Entwicklung verläuft in der Regel in folgenden Schritten: • Entwicklung eines Basis-Verfahrens im Labormaßstab; • B estätigung (consolidation) des Verfahrens in kleinem technischen Maßstab (z. B. 80 l); • Maßstabsvergrößerung (Scale-up) des Verfahrens und Herstellung von Produkt für klinische Studien im technischen Maßstab (z. B. 2 000 l); • bei Bedarf Optimierung des Verfahrens im Labormaßstab, im Hinblick auf die kommerzielle Produktion; • Übertragung (transfer) des optimierten Verfahrens in eine Produktionsanlage (z. B. 10 000 l) sowie Charakterisierung des Verfahrens (hauptsächlich im Labormaßstab); • Festlegung der Betriebsbedingungen f ür das kommerzielle Verfahren. Weitere Arbeiten und Anforderungen für die kommerzielle Nutzung von Herstellverfahren mit Säugetierzellkulturen sind in Abschnitt 11.7.2 beschrieben. Im Folgenden wird auf die einzelnen Elemente der Entwicklung eingegangen: Aufgaben und Konzepte der Prozessentwicklung, Charakterisierung der Zellkulturverfahren, Klassifizierung von Prozessparametern und Festlegung der Betriebsbedingungen sowie Prozesstransfer und Maßstabsvergrößerung. Außerdem werden verschiedene Methoden für die Prozessentwicklung vorgestellt.
11.6.1 Aufgaben der Prozessentwicklung Die Entwicklung von Herstellprozessen für tierische Zellkulturen ist eine komplexe Aufgabe, die nur im Zusammenwirken vieler Fachdisziplinen gelingen kann. Im Folgenden werden die Herstell-
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schritte mit Beteiligung tierischer Zellkulturen betrachtet, die häufig mit dem Begriff „Upstream“ bezeichnet werden (Abschnitt 11.7.1). Für die Prozessentwicklung im upstream müssen die Elemente Expressionssystem, Wirtszelllinie, Medienoptimierung, Zellkultivierungsmethode, Betriebsbedingungen der Fermentation und Prozessführung (z. B. Zugabe von Nährstoffen, pH-Änderungen) gut aufeinander abgestimmt werden. Das entwickelte Zellkulturverfahren bildet wiederum die Basis für die Entwicklung der Ernte-, Aufarbeitungs-, Formulierungs- und Abfüllverfahren sowie der benötigten analytischen Methoden zur Charakterisierung, Freigabe- und Stabilitätsprüfung des Produktes. Je nach Anforderungen an Zeit, Kosten und Qualität werden die arbeitsintensiven Teile der Entwicklung entweder in frühen oder späten Stadien des Lebenszyklus eines Produktes durchgeführt. Grundlegende Prozessänderungen im upstream sollten in späten Entwicklungsphasen mit Sorgfalt und Augenmaß umgesetzt werden, denn die nachfolgenden Einheiten Wirkstoffaufarbeitung, Endproduktherstellung und Qualitätskontrolle benötigen für die Entwicklung und Charakterisierung ihrer eigenen Herstellschritte bzw. der Analytik sowie Produktcharakterisierung ein repräsentatives und reproduzierbares Material aus dem upstream.
11.6.2 Quality by design -Konzept bei der Prozessentwicklung Die Prozessentwicklung wird aktuell bevorzugt nach dem Prinzip QbD (quality by design) geplant, durchgeführt und dokumentiert. Quality by design entstand aus dem Verständnis, dass die Qualität eines Produktes in das Verfahren hinein entwickelt werden muss. Schon in frühen Phasen der Entwicklung neuer Arzneimittel wird ein umfassendes Verständnis der Herstell- und Kontrollprozesse gefordert (Trommer 2009). Ein Herstellverfahren basiert demnach auf einem tiefgehenden Prozessverständnis ((process understanding) g und auf einem risikobasierten Ansatz (risk-based approach; Abschnitt 11.6.5.4). Mit diesen beiden Komponenten sollen die Untersuchungen auf die Einflussgrößen ausgerichtet werden, die relevant für die Produktqualität und
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Prozessleistung sind, und dadurch eine solide Grundlage für einen gut kontrollierbaren und robusten Prozess gelegt werden. QbD wird von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA (U.S. Food and Drug Administration) nachhaltig gefördert und in ihrem Bericht „Pharmaceutical cGMPs for the 21st Century : A Risk-Based Approach“ beschrieben (FDA 2004). Das Prozessverständnis wird im Laufe der Prozessentwicklung und -charakterisierung ständig durch neue Ergebnisse und Erkenntnisse aufgebaut und ergänzt. Am Ende der Entwicklung und Charakterisierung des Herstellverfahrens wird ein multidimensionaler Versuchsraum oder Rahmen (design space) definiert. Solange der Prozess in diesem design space betrieben wird, sollen Produkt- und Prozessqualität den festgelegten Anforderungen entsprechen. Das aus der Entwicklung des Herstellverfahrens gewonnene Prozessverständnis bildet die Grundlage für die spätere Prozessoptimierung und kommerzielle Produktion. Innerhalb des untersuchten Versuchsraumes werden am Ende der Entwicklung die Prozessparameter und Betriebsbedingungen für das Herstellverfahren festgelegt. Die Untersuchungen dienen der Prüfung (screening) g von Varianten und der Auswahl der bestmöglichen Bedingungen (optimization). Allerdings werden auch Wechselwirkungen (interactions) zwischen Parametern getestet, um den Versuchsraum hinreichend gut abzudecken und die Effekte von Veränderungen auf die Produktqualität und auf die Prozessleistung kennenzulernen und zu bewerten. Während der kommerziellen Nutzung des Prozesses wird das Prozessverständnis kontinuierlich erweitert und kann gleichzeitig bereits zur Überprüfung (monitoring) g der Prozessrobustheit ((process robustness) dienen. Damit ist eine wertvolle Wissensbasis für den gesamten Lebenszyklus (life cycle) eines Produktes (Abschnitt 11.7.2) entstanden.
11.6.3 Entwicklung und Optimierung von Zellkulturverfahren Die Prozessentwicklung umfasst alle Bereiche, die einen Einfluss auf die Erzeugung des Produk-
11.6 Prozessentwicklung und Scale-up
tes, z. B. eines therapeutischen Wirkstoffes, haben. Dies beginnt bei den Expressionssystemen und Nährmedien und reicht bis zum Abschluss der Zellkultivierungen einschließlich Zellernte.
11.6.3.1 Expressionssysteme Die Eigenschaften und Leistungen der Expressionssysteme und Wirtszelllinien wurden bereits in den Abschnitten 11.1 und 11.2 beschrieben und verglichen. Beiträge der Molekularbiologie und der Zellbiologie für die Prozessentwicklung sind unter anderem: • Entwicklung leistungsfähiger Vektoren zur Expression des Produktes; • Modifizierung genetischer Elemente, z. B. zur Verbesserung der Transkription; • Optimierung von Methoden zur Transfektion (Abschnitt 11.1.2.3); • Targeted integration (Abschnitt 11.1.2.3); • Optimierung der molekularen Stoffwechselwege zur Regulierung von Wachstum, Transportvorgängen und Zelltod; • Screening-Methoden zur schnellen Auswahl von gut produzierenden Zellklonen; • Auswahl von Zellklonen mit guter phänound genotypischer Stabilität; • Auswahl von Zellklonen, die Produkt mit akzeptabler Qualität erzeugen; • Optimierung der Ausschleusung des Produktes in das umgebende Kulturmedium.
11.6.3.2 Zellkulturmedien Für verschiedene Zelllinien können die Ansprüche an Zusammensetzung und Verfügbarkeit von Medien und Zugaben sehr unterschiedlich sein (z. B. Feed-Zugaben bei fed-batch-Verfahren; Abschnitt 11.5.3). Eine Medienentwicklung, die spezifische Ansprüche der Produktionszelllinie erfüllt und die Limitierung wesentlicher Nährstoffe und Cofaktoren vermeidet, bietet einen wertvollen Beitrag zur Prozessoptimierung und zur weitgehenden Ausschöpfung des Potenzials von Zelle und Herstellverfahren (Abschnitt 11.3.1).
11.6.3.3 Zellkulturverfahren Ein leistungsfähiges, reproduzierbares und robustes Zellkulturverfahren stellt ein weiteres
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Element für die erfolgreiche Entwicklung eines Herstellverfahrens dar. Die anwendbaren Zellkultivierungsmethoden und dafür geeignete Bioreaktoren wurden bereits in Abschnitt 11.4 beschrieben. Für Hochzelldichte-Kultivierungen mit hoher Produktivität haben sich vor allem die fed-batch-Verfahren und die Perfusionsverfahren (Abschnitt 11.5.3) durchgesetzt. Neben der Hardware, also Bioreaktoren und ihre Peripherie, werden ihre Betriebsbedingungen (z. B. pH-Wert, Regler-Eigenschaften der Prozesssteuerung) und die Prozessführung (z. B. Temperaturprofile, Zugaben) entwickelt und optimiert. Die Möglichkeiten der Prozessführung, -steuerung und -überwachung sind in Abschnitt 11.5. beschrieben. Die Entwicklungsarbeiten für Herstellverfahren mit tierischen Zellkulturen werden hauptsächlich im Labormaßstab durchgeführt. Für viele Screening-Arbeiten sind einfache Kultursysteme ausreichend, z. B. statische Zellkulturflaschen (T-f lasks), Schüttelkolben (shake f lasks), gerührte Kulturflaschen (spinner flasks) oder wave bags (Abschnitte 7.3.7 und 11.4.2). Zur Entwicklung und Optimierung des Fermentationsverfahrens werden Bioreaktoren im Lab ormaßstab eingesetzt, die analog zu den Bioreaktoren zur großtechnischen Produktion über die Regelung und das Monitoring wichtiger Führungsgrößen und Prozessparameter verfügen. B ei der Prozessentwicklung und -optimierung wird unter anderem der Einfluss folgender Parameter untersucht: • Zellparameter (z. B. Zelldichte); • physikalische Parameter (z. B. pH-Wert); • biochemische Parameter (z. B. Gehalt an Nährstoffen und Stoffwechselprodukten); • prozesstechnische Parameter (z. B. Rührerdrehzahl); • Zusammensetzungen, Mengen und Zeitpunkte von Zugaben (z. B. Nährstoffkonzentrate, Puffersubstanzen); • Maßnahmen zur Stimulierung und Steigerung der gewünschten Leistung der tierischen Zelle (z. B. Produktbildung). Einzelheiten zur Maßstabsvergrößerung (Scaleup) und zur Übertragung von Herstellverfahren aus der Entwicklung in die kommerzielle Produktion werden in Abschnitt 11.6.5 angegeben.
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11.6.4 Charakterisierung von Zellkulturverfahren Eine Charakterisierung von Zellkulturverfahren für die biopharmazeutische Wirkstoffherstellung sollte als Bestandteil der Prozessvalidierung (Abschnitt 11.7.2) vor Markteinführung des Produktes bzw. Herstellverfahrens durchgeführt werden. Sie dient der Prozessrobustheit und sichert die Grenzen ab, in denen der künftige Produktionsprozess verlaufen soll. Die Prozesscharakterisierung wird im Labormaßstab mithilfe eines geeigneten Scale-down-Modells durchgeführt.
11.6.4.1 Scale-down-Modell Vor Beginn der eigentlichen Charakterisierungsexperimente wird das Scale-down-Modell verifiziert (Rathore et al. 2005). Hierfür wird geprüft, ob das im Großmaßstab definierte Verfahren in den wesentlichen die Prozessleistung und die Produktqualität maßgeblich beeinflussenden Parametern im Labormaßstab abgebildet werden kann (Abschnitt 7.3.1.5). Das Scale-downModell sollte auch auf wesentliche Änderungen der „normalen“ (erwarteten) Prozessparameter ähnlich reagieren wie der Prozess im kommerziellen Maßstab. Einflüsse von vorangehenden und unterstützenden Prozessschritten, wie z. B. Rohstoffe und Medien, Vorkulturführung und Prozesstechnik, auf die zu untersuchende Produktionsstufe sollten minimiert werden.
11.6.4.2 Experimente zur Prozesscharakterisierung Auf Basis einer Risikoanalyse (Abschnitt 11.6.5.4) werden im Scale-down-System die Studien zur Prozesscharakterisierung und Prozessrobustheit durchgeführt. Sie finden als einzelne Experimente oder als DoE-Ansätze statt (Abschnitt 11.6.5.2). Die Prozessparameter (input parameter) werden mit Absicht unterhalb und oberhalb der normalen Betriebsbedingungen eingestellt. Als Kontrollen dienen Läufe unter normalen Betriebsbedingungen (Li et al. 2006). Nach Auswertung der Ergebnisse können die getesteten Betriebsbedingungen jeweils von der
11 Kultivierung von Säugetierzellen
Untergrenze (lower limit) über den Sollwert (set point) bis zur Obergrenze (upper limit) als PAR ((proven acceptable ranges) bezeichnet werden, sofern bei den zugehörigen Experimenten die Prozessleistung und vor allem die Produktqualität in einem akzeptablen Bereich lagen. Bei Ergebnissen mit nicht akzeptabler Prozessleistung und/oder Produktqualität war die Akzeptanzgrenze (edge of failure) überschritten (Abb. 11.7). In diesem Fall müssen die betroffenen Experimente mit engeren Betriebsbedingungen (Untergrenze, Obergrenze) wiederholt werden, um Prozessgrenzen zu finden, die zu einer akzeptablen Prozessleistung und Produktqualität führen. Innerhalb der PAR liegen die NOR (normal operating ranges). Das kommerzielle Herstellverfahren sollte unter normalen Bedingungen innerhalb der NOR durchgeführt werden können. Im Falle von Abweichungen, d. h. Unterschreitung einer Untergrenze, Überschreitung einer Obergrenze) können die Studien zur Prozesscharakterisierung und Prozessrobustheit eine wertvolle Hilfe zur Beurteilung der Konsequenzen solcher Abweichungen sein.
11.6.4.3 Klassifizierung der Prozessparameter Nach Auswertung der Studien zur Prozesscharakterisierung werden die Input-Parameter eingeteilt in kritische Parameter (critical operating parameter, COP) und nicht-kritische Parameter (non-critical operating parameter, non-COP). COP bedeutet hierbei, dass b ei Nichteinh altung des PAR für diesen Input-Parameter die Produktqualität gefährdet sein kann. Die nonCOP-Parameter können wiederum eingeteilt werden in wesentliche Parameter (key operating parameter, KOP) und nicht-wesentliche Parameter (non-key operating parameter, non-KOP). KOP bedeutet hierb ei, dass bei Nichteinhaltung des PAR für diesen Input-Parameter zwar kein Einfluss auf die Produktqualität gegeben, aber ein negativer Einfluss auf die Prozessleistung möglich ist. Die non-KOP-Parameter hab en innerhalb der getesteten PAR weder negativen Einfluss auf die Produktqualität noch auf die Prozessleistung. Die Klassen COP, non-COP, KOP, non-KOP beziehen sich auf Input-Parameter, d. h. auf Vari-
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11.6 Prozessentwicklung und Scale-up
proven acceptable range (PAR)
normal operating range (NOR)
edge of failure (EoF)
LL
LL
set point (für Inputs) Target (für Outputs)
UL
able oder Betriebsbedingungen des Herstellverfahrens, die direkt eingestellt bzw. gesteuert und kontrolliert werden können. Output-Parameter sind Variable oder Ausgabewerte des Herstellverfahrens, die nicht direkt eingestellt, gesteuert oder kontrolliert werden können, sondern aus der gewählten Prozessführung resultieren. Sie zeigen an, dass der Prozess wie gewünscht abgelaufen ist. Entsprechend gibt es auch für die Output-Parameter eine Einteilung in kritische Parameter (critical performance parameter, CPP) und nicht-kritische Parameter (non-critical performance parameter, non-CPP) sowie wesentliche Parameter (key performance parameter, KPP) und nicht-wesentliche Parameter (nonkey performance parameter, non-KPP). Für gut charakterisierbare Produkte, z. B. therapeutische Antikörper, kann die Produktqualität mit analytischen Methoden, einschließlich Bioassays, beurteilt werden.
11.6.4.4 Festlegung der Betriebsbedingungen Wenn die Studien zur Prozesscharakterisierung ausgewertet sind und die Einteilung der Parameter betreffend Auswirkung auf Produktqualität und Prozessleistung erfolgt ist, werden das Prozessformat und die Betriebsbedingungen für das kommerzielle Herstellverfahren endgültig definiert. Die hierbei festgelegten Sollwerte (set points), NOR und PAR für die jeweiligen InputParameter bilden eine wichtige Grundlage zur Prozessvalidierung des Zellkulturverfahrens für die Produktion von Marktware (Parenteral Drug Association 2005).
UL
edge of failure (EoF)
Abb. 11.7 Klassifizierung der Prozessparameter: Sollwert (set point, t target), t Bereiche (ranges) und Grenzen (limits). LL = Untergrenze (lower limitt); UL = Obergrenze (upper limit) t
11.6.4.5 Überprüfung der Produktqualität Die upstream-Arb eiten zur Entwicklung und Charakterisierung von Herstellverfahren sind durch aussagekräftige Untersuchungen der Produktqualität zu begleiten. Hierfür wird eine Vielzahl analytischer Methoden entwickelt und angewendet. Die Charakterisierung des Produktes beinhaltet auch die Analyse und Quantif izierung von Varianten, Aggregaten und Fragmenten des Produktes sowie das Verhältnis zwischen seiner Struktur und seiner biologischen Wirkung. Letztere wird sowohl mit analytischen Methoden als auch mithilfe nicht-klinischer und klinischer Studien untersucht. Zusätzlich ist die Stabilität des Produktes in der entwickelten Formulierung unter den vorgesehenen Lagerb edingungen analytisch zu bestätigen. Für die Routineproduktion und die Freigabe von Produktchargen wird ein Methodenspektrum verwendet, das einem Ausschnitt aus dem Spektrum für die Produktcharakterisierung entspricht (Dübel 2007). Tabelle 11.5 zeigt beispielhaft das umfangreiche Methodenspektrum zur Qualitätskontrolle und Charakterisierung eines mithilfe tierischer Zellkulturen hergestellten Produktes.
11.6.5 Methoden zur Prozessentwicklung Dieses Kapitel erläutert Methoden, die für eine effektive Prozessentwicklung angewendet werden.
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11 Kultivierung von Säugetierzellen
Tabelle 11.5 Analytische Methoden zur Qualitätskontrolle und Charakterisierung von Glykoproteinen, die mithilfe tierischer Zellkulturen hergestellt wurden Art der Prüfung
Methode
Gehalt/ Konzentration
UV-Absorption Proteinbestimmung Immuno-Quantifizierung quantitative Aminosäurenanalyse
Aktivität
Bioassay in vivo, in vitro spezifischer Bindungstest Enzymaktivitätsmessung
Reinheit
RP-HPLC Gelpermeationschromatographie SDS-Gelelektrophorese Wirtszellprotein-ELISA Immunoblot-Verfahren DNA-Bestimmung Endotoxin-Bestimmung
pharmazeutische Qualität
Aussehen Klarheit Partikelzählung Rekonstitution pH, Osmolarität Kalorimetrie mikrobiologische Prüfungen Virus-Prüfungen
Größe/Form
Elektrophorese Gelpermeationschromatographie Laser-Lichtstreuung Massenspektrometrie
Form
zirkularer Dichroismus Epitop-Kartierung Fluoreszenzspektroskopie
Oberflächenladung
isoelektrische Fokussierung Kapillargelelektrophorese Ionenaustauschchromatographie
Struktur/ Identität
N- und C-terminale Sequenzanalyse Aminosäurenanalyse Peptidkartierung Oligosaccharidkartierung Massenspektrometrie
11.6.5.1 Konventionelle Versuchsplanung Bei der konventionellen Versuchsplanung für Zellkultur-Entwicklungsarbeiten wird eine konservative Strategie verfolgt und hierfür eine Vielzahl von Experimenten angesetzt. Oft werden
jeweils nur ein bzw. wenige Parameter gleichzeitig geändert, sodass eine eindeutige Wirkung dieser Änderung(en) auf die Zellkultur erkannt werden kann. Bei tierischen Zellen bewegen wir uns allerdings in einem komplexen Netzwerk vieler einander beeinflussender Faktoren. Dies zeigt schon ein Blick in die Zusammenhänge des Zellstoffwechsels (Michal 1999). Infolgedessen führt diese empirische Vorgehensweise zu sehr vielen Experimenten, die jedoch nur einen beschränkten Informationsgewinn bringen und vor allem keine Quantifizierung der Wechselwirkungen verschiedener Parameter untereinander gestatten.
11.6.5.2 Design of Experiments (DoE) Eine wesentliche Verbesserung gegenüber der konventionellen Prozessentwicklung wurde mit dem Prinzip DoE (design of experiments) erzielt, das weit verbreitet in vielen Industrien genutzt wird und auf Entwicklungsarbeiten mit Säugetierzellen übertragen wurde. Während bei der konventionellen Versuchsplanung jeweils nur ein Faktor variiert und damit eine direkte Korrelation zwischen Veränderung der Input-Variablen und dem Einfluss auf die Output-Variable(n) nachgewiesen wurde, nutzt der DoE-Ansatz die statistische Versuchsplanung, indem mehr als eine Input-Variable gleichzeitig verändert wird. Dadurch wird zum einen die Anzahl der erforderlichen Versuche signifikant reduziert, zum anderen können multivariate Analysen durchgeführt und damit auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Input-Parametern erkannt werden. Bei der praktischen Durchführung von DoEStudien wird eine Sammlung (set) von Experimenten in wohlgeordneten Abständen um die Ausgangssituation, d. h. Standard-Bedingung bzw. Kontrolle, gruppiert und dieses Set gemeinsam mit den Kontrollen durchgeführt. Diese strukturierte und systematische Vorgehensweise hilft, Wechselwirkungen der untersuchten Faktoren zu erkennen und zu bewerten (Kirdar et al. 2007). Je nach Anzahl und Art der Faktoren können die DoE-Ansätze in die drei Kategorien „Screening“, „Optimierung“ und „Robustheitsprüfung“ eingeteilt werden. Nach Auswertung des ersten
11.6 Prozessentwicklung und Scale-up
experimentellen Sets kann um das beste erhaltene Ergebnis herum ein neues Set festgelegt und experimentell geprüft werden. In dieser Weise gelangt man relativ zügig zu einem Optimum für den jeweils aufgespannten Versuchsraum (Eriksson et al. 2000). Bei großer Anzahl von Faktoren kann es erforderlich werden, eine unvollständige Matrix von Faktoren zu untersuchen (fractional ( factorial design), um die Anzahl der Experimente gering zu halten. Diese elegante Variante hat allerdings den Nachteil, dass die Ergebnisse der Experimente nicht mehr einzelnen Ursachen ((factors) eindeutig zugeordnet werden können. Es gibt dann eine Vergesellschaftung mehrerer Faktoren (confounding) g für die meisten der experimentellen Ergebnisse (effects). Um dieses „confounding of effects““ aufzulösen, sind weitere Experimente nötig. Dennoch ist diese Vorgehensweise für die Prüfung vieler Faktoren effektiver als eine experimentelle Untersuchung der vollständigen Matrix ((full factorial design). Um die Erkenntnisse aus der Prozessoptimierung abzusichern, ist eine Überprüfung der optimierten Parameter im Labormaßstab wichtig. Diese Maßnahme wird oft als Prozessfixierung oder Konsolidierung bezeichnet.
11.6.5.3 Proteomanalyse Für einige Arbeiten zur Prozessentwicklung ist die Proteomanalyse (Proteomik, proteomics) anwendbar. Dabei geht es um eine möglichst vollständige und systematische Erfassung von Genprodukten, d. h. Proteinen und Peptiden, mit der Absicht, ihre Eigenschaften, ihre Funktion und ihre Regulierung in komplexen biologischen Systemen zu erfassen und zu verstehen (Patterson und Aebersold 2003). Diese Systeme können Zellen, Organe oder ganze Organismen sein. Durch geeignete analytische Techniken, z. B. eine Kapillarelektrophorese zur Trennung der Substanzen der Probe mit nachfolgender Massenspektroskopie zur Identifizierung der Molekülgröße, können die Konzentration und die Masse von mehr als 1 000 Peptiden und Proteinen gleichzeitig in einer einzigen Analyse bestimmt werden (Haubitz et al. 2004). Durch Vergleiche mit MarkerSubstanzen oder durch Interpretation der Molekulargewichte sind manche Substanzen sogar
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eindeutig identifizierbar. Für die Interpretation der Proteomanalyse-Daten ist eine umfangreiche statistische Auswertung nötig. Die Proteomanalyse wird beispielsweise zur Diagnose von Erkrankungen oder von Krankheitsverläufen verwendet (Haubitz et al. 2004). Sie kann ebenfalls für Prozessoptimierungen mit tierischen Zellkulturen eingesetzt werden. Auch bei noch komplexeren Aufgaben wie der Systembiologie (Kapitel 14), die sich um das vollständige und quantitative Verständnis ganzer biologischer Systeme bemüht, findet sie Anwendung. Hierfür werden Ergebnisse der Proteomanalyse und ergänzender Techniken wie Genomik (genomics; Analyse der DNA-Struktur, DNA-Funktion und Genaktivität), Transkriptomik (transcriptomics; Analyse der Genexpression), Metabolomik (metabolomics; Analyse der Stoff wechselaktivität) in Verbindung mit aufwendigen statistischen Auswerteverfahren und Simulationen angewendet (Patterson und Aebersold 2003). Für die Prozessentwicklungen sind zeitabhängige Verläufe und Änderungen sowie induzierbare und regulierbare Vorgänge b esonders interessant. Wenn also Proben im zeitlichen Verlauf einer Kultivierung gemessen werden, können Änderungen der Genexpression (upregulation, downregulation) oder die Bildung und der Verbrauch von Genprodukten (Proteine, Peptide, Zwischenprodukte) verfolgt werden. Üblicherweise werden Ergebnisse der Proteomanalyse als zweidimensionale Polypeptidkarten dargestellt. Beim oben genannten Beispiel der Kombination von Kapillarelektrophorese (CE) und Massenspektroskopie (MS) wird auf der x-Achse die Laufzeit der CE-Analyse und auf der y-Achse das Molekulargewicht der MS-Analyse aufgetragen. Durch diese Art der Darstellung werden Muster (screens) von Genprodukten in Feldern (Arrays) erzeugt. Im Idealfall wird jedes einzelne Genprodukt durch einen spezifischen Punkt (dot) in der Matrix, definiert durch seine Position im Array, gekennzeichnet und identifizierbar. Durch den Vergleich verschiedener Messungen mit Proben aus verschiedenen Stadien der Zellkultivierung, Proben bei verschiedenen Kulturbedingungen sowie Proben aus unterschiedlichen Kampagnen lassen sich Änderungen bei den Genprodukten erkennen, quantifizieren und manchmal sogar einem phänotypisch sichtbaren Effekt zuordnen.
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Die Verstärkung oder Verminderung der Intensität von dots und das Auftreten neuer bzw. Verschwinden bisher vorhandener dots gibt Auskunft über Änderungen (profiling ( g) auf molekularer bzw. zellbiologischer Ebene infolge der absichtlichen Änderung von Prozessbedingungen oder infolge unbeabsichtigter Auslöser durch prozesstechnische Veränderungen. Diese Veränderungen geben wertvolle Hinweise auf Effekte bei Versuchen zu Screening und Optimierung von Zellkulturprozessen.
11.6.5.4 Risk-based Approach, Risikoanalyse Der risikobasierte Ansatz ist ein wesentliches Element des QbD-Prinzips (Abschnitt 11.6.2). Die Risiken für den vorgesehenen Prozess werden identifiziert und bewertet. Zunächst sollen alle Parameter erkannt werden, die kritisch für die Produktqualität sind (Abschnitt 11.6.4.3). Für die kritischen Parameter ist dann sicherzustellen, dass ihre Variabilität im Prozess beherrscht werden kann. Schließlich wird die erforderliche Produktqualität im design space zuverlässig eingestellt. Die Risikoanalyse ist im folgenden Abschnitt erklärt. Sie kann sich sowohl auf den anzuwendenden Prozess als auch auf die Gegebenheiten der Herstellanlage beziehen, in der der Prozess durchgeführt werden soll. Mithilfe der Risikoanalyse können die Bemühungen zur Entwicklung und Charakterisierung von Herstellverfahren auf diejenigen Themen und Bereiche gelenkt und konzentriert werden, die am ehesten Einfluss auf die Produkt- und Prozessqualität haben. Risikoanalyse (FMEA, HACCP, HAZOP) Vor Beginn der eigentlichen Charakterisierungsexperimente sollte vorab eine Risikoanalyse bzw. Fehleranalyse für das Verfahren durchgeführt werden. Es gibt verschiedene Methodiken, z. B. FMEA (failure ( mode and effects analysis), HACCP (hazard analysis and critical control points), HAZOP (hazard and operability study). Alle diese Methoden dienen dem Ziel, die Auswirkung der Veränderung von Parametern auf das Verhalten des Prozesses und letztlich auf die Produktqualität zu bewerten. Für Zellkulturprozesse wird häufig die FMEA angewendet und
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für eine Risikoabschätzung (risk assessment) der Robustheit des Herstellverfahrens genutzt. Die FMEA soll offenlegen, welche Prozessparameter (Input-Parameter) bei erheblicher Abweichung vom Sollwert ein Risiko für die Prozess- und/ oder Produktqualität darstellen. Sie bildet außerdem einen systematischen und dokumentierten Nachweis, welche Input-Parameter in Studien zur Prozesscharakterisierung untersucht werden sollen. Bei der FMEA wird bewertet, wie schwerwiegend sich die Abweichung vom Sollwert voraussichtlich auf die Produkt- oder Prozessqualität auswirkt (severity, S), wie häufig diese Abweichung voraussichtlich auftreten kann (occurence, O) und wie gut und zuverlässig diese Abweichung vorab erkannt werden kann (detection, D). Das Produkt S ∙ O ∙ D wird als RPN (risk priority number) bezeichnet und dient zur Gewichtung der betrachteten Input-Parameter. Wenn jeweils ein großes Arbeitspaket der Prozessentwicklung bzw. -optimierung abgeschlossen und das Prozessverständnis erweitert wurde, empfiehlt es sich, die Risikoanalyse zu wiederholen. Damit wird die weitere Arbeit zur Prozessverbesserung auf diejenigen Aspekte gelenkt, die für Produktqualität und Prozessqualität besonders wichtig sind. Durch mehrere Phasen von Untersuchungen und Risikoanalysen kann die Prozessentwicklung und -charakterisierung effizient und im Sinne von QbD gestaltet werden.
11.6.5.5 Plattform-Technologien Für die frühen Phasen der Prozessentwicklung ist es vorteilhaft, bei den Technologien und Methoden auf Plattformen aufzubauen (Butler 2005; Chu 2001). Idealerweise werden viele verschiedene Produktkandidaten mit der gleichen Wirtszelllinie und dem gleichen Expressionsvektor als Plattform entwickelt. Beispiele sind das GS-Expressionssystem (Barnes et al. 2000) und das BI-HEX-Expressionssystem (Kaufmann et al. 2005). Für die jeweilige Expressions-Plattform kann eine passende Medium-Plattform entwickelt werden. Sie kann auf kommerziellen Medien aufbauen oder maßgeschneidert für die betreffende Zelllinie und den Zellkulturprozess abgestimmt sein. Letzterer ist ebenfalls als Plattform-Prozess entwickelbar.
11.6 Prozessentwicklung und Scale-up
Die Nutzung dieser Plattform-Elemente ermöglicht ein gutes Zusammenwirken der einzelnen Komponenten, etwa in der Art, wie Stücke eines Puzzles sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. In vielen Fällen funktioniert die Anwendung der Plattformen zufriedenstellend bis gut. Dies verkürzt die Arbeiten für frühe Entwicklungsstufen und reduziert die Kosten. Wenn anhand präklinischer und erster klinischer Studien die Verträglichkeit und Wirksamkeit des Wirkstoffmoleküls ((proof of concept) absehbar ist, erfolgt in der Regel eine Prozessoptimierung des Basisverfahrens mit dem Ziel, ein leistungsfähiges und robustes kommerzielles Herstellverfahren zu entwickeln (Dübel 2007).
11.6.6 Prozesstransfer und Maßstabsvergrößerung Mit Prozesstransfer wird die Übertragung eines Prozesses von einer Anlage in eine andere Anlage bezeichnet. In vielen Fällen ist damit auch eine Veränderung des Maßstabs verbunden, teilweise auch eine Änderung der Technologie, wie z. B. der Wechsel von flexiblen wave-Fermentern auf Edelstahlfermenter oder von Filtration als Erntetechnologie auf die Zentrifugen-Technologie. Während des Lebenszyklus eines Prozesses (Abschnitt 11.7.2) finden diverse Prozesstransfers statt: • Transfer vom Kleinmaßstab, in dem die ersten Versuche stattfinden (z. B. Kleinfermenter im Maßstab bis zu ca. 5 l), in den 80-Liter-Maßstab; • der Transfer vom 80-Liter-Maßstab in den Pilotmaßstab (hier der 2 000-Liter-Maßstab); • der Transfer in den Produktionsmaßstab (hier der 10 000-Liter-Maßstab).
Insbesondere Prozesstransfers, die mit einer Maßstabsvergrößerung (Scale-up) einhergehen oder bei denen sich die Anlagen unterscheiden, sind potenziell kritisch und mit entsprechender Sorgfalt zu planen. Die Kapitel 6 und 7 beschreiben die grundlegende physikalische Problematik der Maßstabsveränderung sowie die Lösungsansätze. Bei der Kultivierung von Säugetierzellen kommt als zusätzliche Komplexität das Verhalten
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der Zellen hinzu, die auf die in unterschiedlichen Maßstäben vorherrschenden Bedingungen unterschiedlich reagieren können. Ein Beispiel ist die Durchmischung: Mit zunehmender Größe des Fermenters erhöht sich bei gleich bleibendem Leistungseintrag auch die Mischzeit; dies ergibt sich aus den in Kapitel 7 (Abschnitte 7.3.1.1 und 7.3.1.2) gezeigten Korrelationen (siehe auch Abb. 7.6). Wenn Reynoldszahl Re bzw. Leistungseintrag P in den verschiedenen Maßstäben gleich gehalten werden, so ist doch der Rührerdurchmesser d in den größeren Reaktoren größer und damit die Drehzahlen n kleiner. Bei gleich bleibender Mischzeitkennzahl NM bedeutet dies, dass sich wegen Θ ∙ n = NM die Mischzeit Θ erhöht. Damit halten sich die Zellen in großen Fermentern längere Zeit in schlechter durchmischten Zonen auf als in kleinen Fermentern (Abschnitt 7.3.1.5). In diesen schlechter durchmischten Zonen treten eher Sauerstoffverarmungen bzw. CO2-Anreicherungen auf als in den gut durchmischten Zonen, und diese unterschiedlichen Umgebungsbedingungen können auch die Funktion des Minireaktors „Zelle“ beeinflussen. In Kapitel 6 sind diese Transportvorgänge ausführlich dargestellt. Für jeden Prozesstransfer sind die Prozessbedingungen in der neuen Anlage im Detail zu fixieren. Prozessspezifische Parameter werden nach Möglichkeit konstant gehalten, während reaktorspezifische Parameter in der Regel angepasst werden müssen. Wenn Parameter verändert werden, muss hierfür eine Rationale vorliegen. Beim oben angeführten Beispiel der Rührung werden unter anderem der Leistungseintrag oder die Rührerspitzengeschwindigkeit als Scale-upKriterien verwendet. Für den Fall, dass der spezifische Leistungseintrag konstant gehalten wird, muss in Abhängigkeit vom Rührerdurchmesser und der Begasungsrate die Drehzahl angepasst werden. Neben der physikalischen Bewertung ist ebenfalls eine Bewertung des biologischen Systems erforderlich. Es wird geprüft, ob bereits Transfererfahrungen mit der verwendeten Zelle bzw. dem verwendeten Vektor vorliegen oder ob dies der erste Fall ist, in dem ein solcher Transfer erfolgt; des Weiteren, ob die Zelle empfindlich auf Veränderungen ihres Umfelds reagiert, was sich in einem veränderten Prozessverhalten oder ver-
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11 Kultivierung von Säugetierzellen
änderter Produktqualität niederschlagen kann. Abhängig von der Bewertung all dieser Parameter kann ein Transfer mit wenig Absicherung erfolgen, während bei Änderungen mit höherem Risiko unter Umständen erst Transfer-Läufe ‒ auch engineering runs genannt ‒ zur Absicherung durchgeführt werden, bevor das Verfahren im neuen Maßstab endgültig fixiert wird. Diese Absicherung wird umso wichtiger, je weiter man sich auf dem Weg von der Entwicklung eines Prozesses hin zur Zulassung eines Produktes bewegt.
11.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion Der großtechnische Einsatz der Säugerzelltechnik konzentriert sich auf die pharmazeutischen Anwendungen, im Wesentlichen die Herstellung von Arzneimitteln und Impfstoffen. In Abbildung 11.8 ist die Prozesskette zur Produktion eines Arzneimittels dargestellt, die aus den zwei großen Blöcken Herstellung des Wirkstoffes und Herstellung des pharmazeutischen Endproduktes besteht. Dieses Unterkapitel beschreibt Aufbau und Betrieb einer großtechnischen Wirkstoffanlage zur Produktion von Proteinen für den therapeutischen Einsatz und adressiert dabei die relevanten technischen und regulatorischen Aspekte.
Jede großtechnische Produktion muss im Hinblick auf Umweltverträglichkeit und Risiken bewertet werden. Die Herstellung von Wirkstoffen in vitro mithilfe tierischer Zellkulturen ist eine umweltfreundliche Technologie. Die Zellen können aufgrund ihrer natürlichen Eigenschaften nur in saub erer, schadstoffarmer und physiologisch verträglicher Umgebung kultiviert werden. Daher sind in der Regel sowohl die Rohstoffe als auch die Erzeugnisse und Reststoffe (Abgas, Abwasser, Zellmasse) der Zellkultivierung nicht umweltbelastend. Durch Verwendung von Wirtszellen und Vektorsystemen ohne Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt, z. B. entsprechend der Sicherheitsstufe 1 gemäß dem deutschen Gentechnikrecht, trifft dies auch für die gentechnisch veränderten Zellen selbst zu.
11.7.1 Aufbau und Organisation einer großtechnischen biotechnischen Produktionsanlage In Abbildung 11.9 ist schematisch der Ablauf einer konventionellen fed-batch-Produktion mit tierischen Zellen in Suspensionskultur dargestellt. Der Produktionsbereich ist aufgeteilt in verschiedene, räumlich voneinander getrennte B ereiche, von denen jeder im Wesentlichen einer Hauptfunktion dient. Das Upstream Processingg besteht aus den Kernbereichen Zellbank, Inoculum und Fer-
Biopharmazeutische Prozesskette Biotechnische Wirkstoffherstellung
Fermentation
Abb. 11.8 Prozesskette zur Herstellung eines biotechnischen Wirkstoffes und Weiterverarbeitung zum pharmazeutischen Endprodukt
ProteinChemische Aufarbeitung
Biopharmazeutische Produktherstellung
Formulierung
Direkte Abhängigkeit bei Prozessabläufen Funktional getrennte Einheiten
Sterilabfüllung/ Lyophilisation
Verpackung
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11.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion
11.7.1.1 Fermentation
mentation. Periphere Produktionsbereiche sind Medieneinwaage (media weighing/dispensing) g, Medienherstellung (media preparation, media batching) g und IPC-Fermentation (IPC fermentation; IPC = in process control). Die Zellernte (cell harvest) kann sowohl als Teil der Fermentation, da noch mit Zellen umgegangen wird, als auch als erster Schritt der Aufreinigung betrachtet werden. Das Downstream Processingg besteht aus den Kernbereichen proteinchemische Aufarbeitung und Formulierung. Periphere Produktionsbereiche sind Puffereinwaage (buffer weighing/dispensingg), Pufferherstellung (buffer preparation, buffer batching) g und IPC-Proteinchemie (IPC protein chemistry). Des Weiteren existieren Bereiche für die Gebäudetechnik (Klima, Strom), Lager sowie die sogenannten Prozess-Utilities, in denen Reinstwasser (WfI, water for injection), Reinstdampf (clean steam), gereinigtes Wasser (GW; engl. purified water, PW), CIP-Anlagen (cleaning in place) untergebracht sind und die die verschiedenen Produktionsbereiche über komplexe Rohrleitungssysteme versorgen.
Sämtliche Medien werden zunächst in der Medieneinwaage gemäß den vorgegebenen Rezepturen für die verschiedenen Prozessschritte abgewogen. In der Medienherstellungg werden die abgewogenen Medien in die Medienansatzbehälter eingebracht, in WfI oder GW gelöst und ggf. physikalische Parameter wie pH-Wert, Ionenstärke, Osmolarität etc. justiert. Im Inoculum werden die Zellen zu Beginn in einfachen Kultivierungsgefäßen wie Kunststoffoder Glasbehältern kultiviert. Zunächst wird ein Aliquot aus der Arbeits-Zellbank WCB (Abschnitt 11.2.1), die in der Gasphase über flüssigem Stickstoff gelagert wird, entnommen, aufgetaut und in eine T-Flasche, einen Schüttelkolben oder einem Spinner im Brutraum kultiviert. In der Regel nach zwei bis fünf Tagen werden die Zellen dann in das nächstgrößere Kultivierungsgefäß, sei es ein Spinner, wave- oder Edelstahlbioreaktor transferiert, bis etwa zu einer Größenordnung von 10‒20 l. Diese Kultivierungsgefäße werden als Vorstufen der Zellvermehrung im Edelstahlfermenter
Klimatechnik
Upstream Processing
Downstream Processing
IPC-Fermentation
Pr Zellbank
Pr
Fermentation
Zellen zur Inaktivierung
IPC-Proteinchemie
Pr
Pr Formuli erung
Proteinchemische Aufarbeitung
Ernte
Z
C
Inoculum
ZS S
ZS
M
PL UF
80 L 400 L 2 000 L 10 000 L M
Reinstdampf
UF
M
WfI
C
PL
P
Medieneinwaage/-herstellung
GW
C
Hitze pH
FB
UF P
Puffereinwaage/-herstellung
CIP
Prozesskälte
Druckluft
Gase
FB = formulierter Bulk; M = Medium; GW = gereinigtes Wasser; P = Puffer; PL = Produktlösung; Pr = Probe; Wfi = water for injection; Z = Zellen; ZS = Zellsuspension; UF = Ultrafiltration; C = Chromatographie; IPC = in process control
Abb. 11.9 Hauptbereiche einer großtechnischen Anlage zur biotechnischen Wirkstoffherstellung im 10 000Liter-Maßstab
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verwendet. Die in Abbildung 11.9 dargestellte Anlage besteht aus den Anzuchtfermentern mit 80 l, 400 l und 2 000 l Nennvolumen sowie Produktionsfermentern mit 10 000 l Nennvolumen, d. h. es liegt ein Scale-Faktor von ca. 5 vor. Die mögliche Verdünnung wird maßgeblich durch die Einsaatdichte bestimmt, wobei bei vielen Zelllinien eine Dichte von weniger als 105 Zellen pro Milliliter als kritisch betrachtet wird. Bei vielen Anlagen für Säugerzellen variiert der Verdünnungsfaktor zwischen 3 und 10. Die Anzuchtfermenter dienen allein dem Zweck, möglichst schnell hohe Zellzahlen zu erzeugen, damit der Produktionsfermenter nach möglichst kurzer Zeit mit einer hohen Einsaatdichte inokuliert werden kann. Im Produktionsfermenter steht hingegen die Produktgewinnung im Vordergrund, und die Zellzahl ist nur insofern von Bedeutung, dass bei gleich bleibender spezifischer Produktivität höhere Zellzahlen zu höheren Titern führen. In einigen Prozessen wird die letzte Stufe vor dem Produktionsfermenter als Perfusionsprozess gefahren, um die Zellzahlen über das Maß hinaus zu erhöhen, das mit einem reinen fed-batch-Betrieb möglich ist. Teilweise erfolgt direkt vor dem Transfer in den Produktionsfermenter ein Medientausch, falls Bestandteile des Wachstumsmediums oder Stoffwechselprodukte der Zellen nicht in die Produktionsstufe transferiert werden sollen. In der Zellernte werden die Zellen vom Medium abgetrennt. Hier kommen Membranverfahren (Tangential-Fluss-Filtration und teilweise auch dead-end-Filtration) sowie Zentrifugation zum Einsatz (Abschnitt 11.5.5). Wichtig ist eine schonende Abtrennung der Zellen, damit der Zellüberstand nicht zusätzlich mit intrazellulären Proteinen verunreinigt wird, denn all diese Verunreinigungen müssen im nach geschalteten Downstream Processing wieder entfernt werden.
11.7.1.2 Proteinchemische Aufarbeitung und Formulierung In der proteinchemischen Aufarbeitung erfolgt der überwiegende Teil der Reinigung bis hin zu Reinheitsgraden von über 99 %. In Abbildung 11.9 ist schematisch ein Aufarbeitungsprozess
11 Kultivierung von Säugetierzellen
mit den unterschiedlichen Verfahrensschritten dargestellt, im wesentlichen Chromatographieund Filtrationsschritte (Kapitel 10). Des Weiteren enthält jeder Aufarbeitungsprozess eines biopharmazeutischen Produktes Virus-abreichernde bzw. Virus-inaktivierende Schritte, damit potenziell im Zellüb erstand enthaltene Viren sicher abgereichert bzw. inaktiviert werden und damit die Sicherheit des Produktes gewährleistet ist. Trotz dieser wirkungsvollen Maßnahme zur Arzneimittelsicherheit ist es nicht zulässig, Fermentationsläufe für die Wirkstoffproduktion zu verwenden, bei denen tatsächlich Virus nachgewiesen wurde. S ollte daher der Zellüberstand vor Ernte im sogenannten Adventitious Virus Test einen positiven Befund zeigen, so kann der gesamte Lauf nicht verwendet werden, unabhängig davon, wie hoch die Viruskonzentration und wie stark die Virusabreicherung in der Aufarbeitung ist. Aufarbeitungsverfahren für Proteine aus Säugerzellen enthalten in der Regel als initialen Aufarbeitungsschritt eine Konzentrierung, um die relativ geringe Produktkonzentration zu erhöhen und die Volumina zu reduzieren. Bei Verwendung von Chromatographie-Gelen, die hohe Flussraten erlauben, kann der Zellkulturüberstand auch ohne vorgeschalteten Konzentrierungsschritt weiter prozessiert werden. Da Säugerzellen-Proteine in vollem Umfang und in der korrekt gefalteten Form aktiv ins Medium sezernieren, entfällt der bei Bakterien üblicherweise notwendige Schritt des Zellaufschlusses. Die Hauptreinigungsschritte sind säulenchromatographische Verfahren; die gängigsten sind Ionenaustausch-, Affinitäts-, Hydrophobe Interaktions- (HIC) und Gelfiltrationschromatographie (Abschnitt 10.3.6). Als Filtrationsverfahren kommt einmal die Ultrafiltration zum Einsatz, die als Tangential-Fluss-Filtration mit unterschiedlichem cut-offf der Membranen zwischen 10 und 300 kDa betrieben wird. Sie wird meist zur Konzentrierung und Umpufferung eingesetzt. Außerdem kommen spezielle EinwegMembranfilterkerzen mit Poreng rößen bis hinunter zu 20 kDa zur Abreicherung von potenziell vorhandenen Viren zur Anwendung (Kalyanpur 2002). Die Formulierungg ist ein von der Aufarbeitung abgetrennter Bereich, in dem das Protein
11.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion
in die endgültige Konzentration bzw. den endgültigen Puffer gebracht wird. Meist wird eine Ultra-Diafiltration eingesetzt, teilweise auch ein Chromatographieschritt. Alle Virus-abreichernden Schritte sollten bereits vor der Formulierung erfolgt sein.
11.7.1.3 Aufteilung in Bereiche Jedem Raum ist eine Reinheitsklasse zugewiesen, die sich aus den prozesstechnischen Anforderungen ableitet und deren Einhaltung messtechnisch überprüft wird. So stellen beispielsweise die Edelstahlfermenter geschlossene Systeme dar, die in situ gereinigt (cleaning in place, CIP) und sterilisiert (sterilisation in place, SIP) werden können. Im Inoculum hingegen werden Arbeiten am offenen System durchgeführt. Als Konsequenz aus dem Unterschied offenes – geschlossenes System folgt, dass im Inoculum höhere Reinheitsanforderungen an die Umgebung allgemein und insbesondere an die Arbeiten am offenen System ‒ nämlich unter einer Sterilwerkbank (laminar flow hood) ‒ gestellt werden. Unter einer Sterilwerkbank herrscht die höchste in der Biopharmazie übliche Reinheitsklasse vor: Klasse A gemäß EU-Einteilung; Klasse 100 gemäß FDAEinteilung. Neben den prozesstechnischen Gründen spielen aber auch gesetzliche und regulatorische Vorgaben eine große Rolle für die Auftrennung in Bereiche, insbesondere: • Pharmazeutische Sicherheit (AMG, PharmBetrV), • Biologische Sicherheit (GenTG), • Arbeitssicherheit (ArbSchG, BetrSichV), • Umweltsicherheit (BImSchG). B eispielsweise fordert das Gentechnikgesetz eine Kennzeichnung und Meldung der Bereiche, in denen mit gentechnisch veränderten Organismen gearbeitet wird. Dies sind in der Regel die Zellbank, das Inoculum, die Fermenter-Bereiche, die Zellernte und die Zellinaktivierungsanlage. Alle anderen Bereiche, auch die zum Fermentationsbereich gehörende Medieneinwaage und Medienherstellung, fallen nicht unter das GenTG. Eine klare räumliche Trennung erleichtert die Kennzeichnung und Registrierung.
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11.7.1.4 Einsatz von Flüssigmedien in Einweg-Behältnissen Die in diesem Abschnitt 11.7.1 beschriebene fedbatch-Produktion besitzt ein konventionelles Design in dem Sinne, dass ein hohes Maß an vertikaler Integration vorliegt, also weitgehende Eigenfertigung von Medien und Puffern und wenig Zukauf von fertigen flüssigen Einsatzstoffen. In letzter Zeit gibt es einen Trend, insbesondere bei kleineren Anlagen, dass fertige Medien und Puffer von darauf spezialisierten Herstellern in EinwegBehältnissen wie Beuteln (bags) hinzugekauft und zeitnah zum Einsatz geliefert werden. Bei konsequenter Umsetzung dieses Prinzips können nicht nur Einwaage-, Puffer- und Medienherstellungsbereiche signifikant verkleinert werden, sondern es entfallen viele Rohrleitungen, da die Beutel direkt an den Ort ihres Einsatzes gebracht werden und die Flüssigkeit über an den Beuteln befestigte Einweg-Schläuche transferiert wird. Damit verringert sich der Aufwand für CIP- und SIP-Operationen signifikant und die Automatisierung wird wesentlich einfacher, sodass solche Anlagen in der Regel kostengünstiger erstellt werden können als Anlagen im traditionellen Design. Dem entgegenzurechnen sind die in der Regel höheren Kosten für die hinzugekauften Medien und Puffer sowie die starke Abhängigkeit von einem externen Lieferanten. Außerdem sind die gängigen bags derzeit auf wenige Kubikmeter begrenzt, sodass bei Bedarf größerer Mengen viele bags gehandhabt werden müssen, was neben dem erhöhten Aufwand auch ein erhöhtes Risiko birgt. Hinzu kommt, dass die Haltbarkeit je nach Art des Flüssigmediums selbst unter gekühlten Lagerbedingungen meist nur wenige Wochen bis Monate beträgt, was den Logistikaufwand signifikant erhöhen kann. Die Entwicklung hin zu Hochtiter(high-titer)Prozessen mit Titern von mehr als 5 g/l bringt die derzeitig verfügbare Aufarbeitungstechnologie an ihre Grenzen. Die begrenzte Löslichkeit der Proteine führt zwangsläufig zu entsprechend großen Prozessvolumina und Säulendimensionen von bis zu 2 m im Durchmesser. Der erforderliche Pufferbedarf ist beträchtlich und kann für eine Fermentationscharge bis zu 100 000 l betragen. Die daraus resultierenden längeren Prozesszeiten können einen signifikanten Einfluss auf die Anlagenkapazität haben (Abschnitt 11.7.4).
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11.7.2 Prozessvalidierung und Lebenszyklus biopharmazeutischer Prozesse und Produkte Pharmazeutische Produktionsprozesse sind in detaillierten Vorschriften beschrieben, und die Einhaltung dieser Vorgaben wird von den Überwachungsbehörden streng kontrolliert, um ein möglichst hohes Maß an Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Ein weiteres Kernelement pharmazeutischer Prozesse stellt die Validierung dar. Zur Erläuterung seien zunächst zwei Definitionen zur Prozessvalidierung vorangestellt: „Establishing documented evidence which provides a high degree of assurance that a specific process will consistently produce a product meeting its pre-determined specifications and quality attributes““ (FDA 1987). „Process validation is the documented evidence that the process, operated within established parameters, can perform effectively and reproducibly to produce an intermediate or API (active pharmaceutical ingredient) meeting its pre-determined specifications and quality attributes““ (ICH Q7A 2000). Das Prinzip der Validierung wird seit den 1980erJahren konsequent in pharmazeutischen Prozessen angewendet, und eine erfolgreiche Validierung ist Voraussetzung für die Erteilung einer Zulassung und damit für die Vermarktung eines Produktes. Das Validierungskonzept blieb in diesem Zeitraum nicht statisch, sondern wurde weiterentwickelt. Eine neue Phase begann im Jahr 2008, als die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) eine „Guidance for Industry – Process Validation: General Principles and Practices“ (FDA 2008) publiziert hat, die sich zwar noch im Entwurfsstadium befindet, aber in ihren wesentlichen Aspekten umgesetzt werden dürfte. Diese Richtlinie schlägt den Bogen von den frühen Entwicklungsarbeiten über die Auslegung eines Prozesses, seine Qualifizierung bis hin zur kontinuierlichen Verifikation für die gesamte Lebenszeit eines Produktionsprozesses und fordert damit einen integrierten, durchgängigen Ansatz über den Lebenszyklus eines Produktes bzw. Prozesses. Primäres Ziel dieses Vorgehens ist
11 Kultivierung von Säugetierzellen
die Sicherstellung, dass alle produzierten Chargen die Akzeptanzkriterien bezüglich Identität, Wirkstoffgehalt, Reinheit und Wirksamkeit treffen und damit der Patient reproduzierbar immer genau die Medikamentenqualität erhält, die er bekommen soll. Dabei geht die Behörde davon aus, dass Qualität nicht in ein Produkt „hinein geprüft“ werden kann, sondern dass sie „hinein entwickelt“ wird. Der Validierung eines Prozesses kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Anders als in der Vergangenheit, als die Validierung eines Prozesses im Wesentlichen durch die erfolgreiche Produktion mehrerer aufeinander folgender Chargen im endgültigen Produktionsmaßstab gezeigt wurde, bezeichnet die FDA jetzt die Prozessvalidierung als die „Erfassung und Bewertung von Daten, beginnend bei der Prozessdesign-Stufe über die gesamte Dauer der Produktion, die wissenschaftliche Evidenz schaffen, dass ein Prozess in der Lage ist, konsistent Produkt der definierten Qualität zu produzieren“ (FDA 2008). Die einzelnen Stufen der Prozessvalidierung werden wie folgt definiert: • Prozessdesign ((process design): Der kommerzielle Prozess wird in dieser Phase auf Basis des Wissens festgelegt, das während der Prozessentwicklung und der Scale-up-Aktivitäten gewonnen wurde. • Prozessqualifizierungg (process qualification): Während dieser Phase wird bestätigt, dass das Prozessdesign geeignet ist für eine reproduzierbare kommerzielle Herstellung. • Kontinuierliche Prozessverifikation (continued process verification): Durch diese Überwachung während der Routineproduktion wird sichergestellt, dass keine Veränderungen im Produktionsprozess bzw. in den Eigenschaften des hergestellten Produktes auftreten respektive dass diese zeitnah entdeckt werden. Nachdem im Abschnitt 11.6 bereits die Entwicklungs- und Scale-up- bzw. Prozesstransfer-Aktivitäten beschrieben sind, werden hier die Aspekte Prozessdesign, Prozessqualif izierung und kontinuierliche Prozessverifikation behandelt.
11.7.2.1 Prozessdesign Unter Prozessdesign wird die Definition bzw. Festlegung des kommerziellen Herstellpro-
11.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion
zesses verstanden. Diese Vorgaben werden in den sogenannten Herstellvorschriften und Prozesskontrollvorschriften festgeschrieben. Sie beschreiben im Detail, welche Schritte in welchem Anlagenteil wie durchzuführen sind. Des Weiteren wird festgelegt, welche Proben zu ziehen und zu analysieren sind. Neben den durchzuführenden Aktivitäten werden auch die Zielwerte für einzelne Messgrößen sowie das erlaubte Schwankungsintervall fixiert. Beispiele hierfür sind die Festlegung des pH-Wertes einer Fermentation auf 6,95 + 0,1 bei 36,0 + 1 °C, die Dauer der Fermentation in einem Vorfermenter auf 3 + 0,5 Tage oder die Einsaatdichte auf 0,3 + 0,15 x 106 Zellen pro Milliliter. Solche Messparameter werden als IPC (in process control)-Werte bezeichnet, denn sie dienen der Prozesssteuerung bzw. -regelung. Dieses Vorgehen basiert auf der Annahme, dass ein Prozess reproduzierbar Produkt gleich bleibend guter Qualität liefert, sofern er sich in den „erlaubten“ Prozessgrenzen bewegt. Der Festlegung, welche Parameter sich in welchem Bereich bewegen dürfen, kommt damit große Bedeutung zu. In der Prozessentwicklung (Abschnitt 11.6) wird der Ablauf des Prozesses fixiert. In der nachfolgenden Prozesscharakterisierung wird der Zusammenhang zwischen Variation der InputGrößen und den resultierenden Output-Größen untersucht. Nach Abschluss der Prozesscharakterisierung werden die Zielwerte aller Messgrößen einschließlich der erlaubten Schwankungsbreite unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse angepasst. All diese Versuchs- und Studienergebnisse sind zu dokumentieren, und mit diesen Erkenntnissen aus der Prozessentwicklung und der Prozesscharakterisierung wird dann das Prozessformat für den kommerziellen Prozess festgeschrieben, und die Stufe des Prozessdesigns ist abgeschlossen.
11.7.2.2 Prozessqualifizierung In der Qualifizierungsphase der Prozessvalidierung wird nachgewiesen, dass der kommerzielle Prozess in der Lage ist, reproduzierbar Produkt in der geforderten Qualität herzustellen. Diese Bestätigung wird in zwei Gruppen unterteilt:
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• Design und Qualifizierung der Anlage bzw. der Anlagenbestandteile (equipment) sowie der Prozess-Nebenanlagen (utilities), • Verfahrensqualifizierung (Performance Qualification, PQ). In dieser Phase steigen die Anforderungen an die korrekte Dokumentation. Es werden für definier) und ein Bericht te Aktivitäten ein Plan (protocol ( (report) gefordert. Im Qualifizierungsplan wird detailliert festgelegt, was untersucht werden soll und wie die Akzeptanzkriterien für jeden Test definiert sind. Im Report werden die Ergebnisse der durchgeführten Aktivitäten dokumentiert und bewertet; nach Möglichkeit sollen hierbei statistische Methoden eingesetzt werden. Design und Qualifizierung der Anlage und des Equipments sowie der Prozess-Nebenanlagen Folgende Stufen werden normalerweise durchlaufen: • Design der Prozessanlage bzw. der Anlagenbestandteile (equipment) sowie der ProzessNebenanlagen (WfI, GW, CIP, Reinstdampf ) inklusive der Spezifikation der Materialien, der Leistungsmerkmale und der Betriebsweise; • Verifikation, dass Prozessanlage und ProzessNebenanlagen in Übereinstimmung mit den Design-Spezifikationen gebaut, installiert, verbunden und kalibriert wurden; • Verifikation, dass Prozessanlage und ProzessNebenanlagen in den für den späteren Betrieb erwarteten Betriebszuständen korrekt funktionieren. Dies beinhaltet den Betrieb unter Last sowie das Stoppen und Wiederanfahren entsprechend dem späteren Betrieb. Die Qualifizierung der Anlage umfasst neben den mechanischen Aspekten auch die Automatisierung, da die bestimmungsgerechte Funktion komplexer Anlagen sich in der Regel nur aus dem korrekten Zusammenspiel aller installierten Anlagenbestandteile ergibt. Performance Qualification (PQ) Die Verfahrensqualifizierung kombiniert die qualifizierte Anlage (Prozess-Equipment und Nebenanlagen) mit dem kommerziellen Herstellprozess (Herstellvorschriften und Prozesskontrollvorschriften), um kommerziell verwendbares
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Produkt herzustellen. Eine erfolgreiche PQ bestätigt damit das Prozessdesign und zeigt, dass der kommerzielle Herstellprozess sich wie erwartet verhält. In der Vergangenheit wurden diese Forderungen dahingehend interpretiert, dass ein Prozess dreimal in Folge bestimmungsgemäß durchzuführen ist; dann galt die Validierung als erfolgreich. Aus dieser Interpretation entstand die Kurzform „n = 3“. Es gibt derzeit weder eine Bestätigung noch eine Aufhebung dieser Interpretation. Pragmatisch gesprochen ist deshalb bis auf Weiteres davon auszugehen, dass die PQ weiterhin über die erfolgreiche Durchführung von drei konsekutiven Produktionsläufen gezeigt wird. Da die PQ eines biotechnologischen Prozesses ein sehr aufwendiges und langwieriges Verfahren ist, in dem eine hohe Anzahl von Werten erfasst wird, treten gelegentlich Abweichungen vom Plan auf, die zu bewerten sind. Der Bericht schließt mit einer expliziten Aussage dazu, ob der Prozess die im Plan definierten Akzeptanzkriterien erfüllt und sich unter Kontrolle befindet (sufficient state of control). Wenn dies der Fall ist, so ist die PQ erfolgreich und die PQ-Chargen können kommerziell verwendet werden. Der Prozess wird dann als validiert bezeichnet. Eine Validierung muss auch für die verwendeten analytischen Methoden, die Standzeiten von Gelen und Filtern, kritische Rohstoffe und die Abreicherung von Kontaminanten durchgeführt werden, um nur einige der wesentlichen weiteren Prozesse und Systeme zu nennen. Der Großteil der Prozessvalidierung wird normalerweise im Produktionsmaßstab während der PQ durchgeführt. Einige Validierungsaktivitäten können aus technischen Gründen nicht im Produktionsmaßstab durchgeführt werden. Beispiele hierfür sind die Validierung der Virus- oder DNA-Abreicherung. In diesen Fällen finden die Validierungen im Labor- oder Pilotmaßstab statt. Neben der Prozessvalidierung kommt der Reinigungsvalidierung hohe Bedeutung zu. Sie soll sicherstellen, dass die Anlagen nach Benutzung reproduzierbar gereinigt werden und somit kein Risiko einer Verschmutzung oder Kontamination vor Beginn der nachfolgenden Produktion besteht. In Multi-Produktanlagen ist dieser Aspekt noch wichtiger, da hier eine Kreuzkonta-
11 Kultivierung von Säugetierzellen
mination, d. h. Verunreinigung eines Produktes oder Ausgangsstoffes mit einem anderen Material oder Produkt, vermieden werden muss (ICH Q7A 2000).
11.7.2.3 Kontinuierliche Prozessverifikation und Prozessmonitoring Diese Aktivität soll sicherstellen, dass der Prozess sich nicht von seinem validierten Zustand entfernt bzw. dass jede Veränderung der Prozesslage ((process drift) zeitnah entdeckt wird und bei Bedarf adäquate Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Hierzu muss ein System etabliert sein, das festlegt, welche Daten wie häuf ig erfasst werden und nach welchen Prinzipien und Prozeduren die Auswertung erfolgt, um eine Veränderung der Prozesslage feststellen zu können. Dies ist kein trivialer Prozess, denn biologische Prozesse weisen eine inhärente Variabilität auf, die sich aus der biologischen Natur der Prozesse, der teilweise variierenden Qualität der eingesetzten Rohstoffe sowie der Schwankung der Analytik ergibt. Die Statistik bietet Methoden, die es erlauben, eine Veränderung der Prozesslage bzw. einen Trend zu erkennen und von der normalen Schwankung des Prozesses abzugrenzen, wie z. B. Nelson-Regeln (Nelson 1984, 1985) bzw. die Prozessfähigkeit (Capability of the process, Cp; Pearn und Kotz 2006). Diese kontinuierliche Überwachung des Prozesses mit statistischen Methoden wird als Prozessmonitoringg bezeichnet (siehe auch Abschnitt 11.5.4.2 zur Beschreibung der Technologie). Eine Veränderung der Prozesslage kann nicht ausgeschlossen werden, denn trotz des hohen Aufwands, der in die Entwicklung und Charakterisierung eines biopharmazeutischen Prozesses investiert wird, können nicht alle mög lichen Kombinationen getestet werden. Des Weiteren gibt es das inhärente Maßstabsproblem, das die Gültigkeit der im Kleinmaßstab gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf die Übertragbarkeit für den Großmaßstab einschränken kann. Damit die Validierung erfolgreich ist, muss bereits während der Prozessentwicklung entsprechendes Augenmerk auf die Robustheit der Prozesse gerichtet werden. Die Forderung nach Robustheit betrifft sowohl die Durchführung des
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11.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion
eigentlichen Prozesses als auch die analytische Qualität des mit diesem Prozess erzeugten Produktes. Robustheit ist ein weiter und nicht genau definierter Begriff; er umfasst Faktoren wie: • Medien und Puffer, die sich leicht in reproduzierbarer Qualität herstellen lassen; • stabile WCBs, die sich leicht und reproduzierbar auftauen und kultivieren lassen; • Unempfindlichkeit des Prozessverlaufs gegenüber geringfügigen Schwankungen bei der Prozessführung innerhalb eines definierten Bereichs; • konstante Produktqualität auch bei leicht variablen Prozessverläufen; • konstante Ausbeuten; • definierte Nährmedien mit konstanter, kontrollierter Qualität; • Gele und Filter, die langzeitstabil sind, unempfindlich gegenüber Reinigungen und mechanischen Beanspruchungen; • Prozessformate, die wenig Möglichkeiten für Fehler sowohl menschlicher als auch technischer Art bieten; • Einsatz bewährter Technologien bzw. Einsatz neuer Technologien nur dann, wenn der resultierende Vorteil das Risiko rechtfertigt, das mit dem Einsatz einer nicht erprobten Technologie einhergeht. Validierte Prozesse sind grundsätzlich fixiert und dürfen nicht verändert werden. Aus dem Prozessmonitoring können sich jedoch Ansätze ergeben, wie der Prozess robuster gestaltet bzw. eine Veränderung der Prozesslage rückgängig gemacht werden kann. Je nach Umfang der Änderung bzw. nach dem erwarteten Einfluss auf das Prozessverhalten oder die Produktqualität können zusätzliche Prozessdesign- und PQAktivitäten erforderlich sein, bevor solch eine Änderung dauerhaft im Produktionsmaßstab eingeführt werden kann. Neben dem kontinuierlich durchgeführten Prozessmonitoring muss regelmäßig ein Jahresbericht erstellt werden, der die Produktion des zurückliegenden Berichtzeitraums zusammenfassend darstellt und bewertet im Hinblick auf Prozess-Performance, Produktqualität, Abweichungen und Änderungen der Prozesslage. Für den Gültigkeitsbereich der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA ist dies der APR (Annual
Product Review), für den europäischen Raum der PQR (Product Quality Review).
11.7.3 Good Manufacturing Practice bei biopharmazeutischen Prozessen In Abschnitt 11.7.2 wurde bereits aufgeführt, dass pharmazeutische Produktionsprozesse detailliert beschrieben sind und die Einhaltung der Vorgaben streng kontrolliert wird. Im Folgenden wird auf die produktionsrelevanten Aspekte eingegangen, die sich unter dem Schlag wort cGMP (current Good Manufacturing Practice) zusammenfassen lassen. Sowohl die FDA als auch die EU haben ihre Version der cGMP-Richtlinien herausgegeben (FDA: CFR Code of Federal Regulations, EU: Guide to Good Manufacturing Practice).
11.7.3.1 Registrierung Um die Vertriebserlaubnis für ein Produkt zu erhalten, muss ein Behördendossier (Marketing Authorization Application, MAA, in Europa bzw. Biologics License Application, BLA, in den USA) erstellt und bei den Behörden eingereicht werden. Darin sind unter anderem das Produkt, der Herstellprozess, die Produktcharakterisierung inklusive analytischer Methoden, die Validierung sämtlicher Systeme, Methoden und Prozesse und die Ergebnisse der klinischen Prüfungen in einem hohen Detaillierungsgrad darzustellen. Der Aufwand hierfür ist sehr hoch. Nach erteilter Genehmigung kann das Produkt in den Verkehr gebracht werden.
11.7.3.2 Spezifikationen und Prozessgrenzen In dem Behördendossier sind die Produktspezifikationen, IPC-Spezifikationen und Prozessgrenzen angegeben. Diese Werte werden wesentlich durch die Ergebnisse der Prozessentwicklung und Prozesscharakterisierung (Abschnitte 11.6 und 11.7.2) bestimmt. Die relevanten analytischen Produktspezifikationen finden sich im Analysenzertifikat (Certificate of Analysis,
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CoA); Prozessgrenzen können z. B. die Dauer des Fermentationsprozesses (z. B. 9‒11 Tage) oder die maximale Beladungsdichte eines Chromatographie-Gels (z. B. max. 15 mg Produkt/ ml Gel) sein. Wenn eine Produktionscharge die Spezifikationen nicht trifft, kann das Produkt in der Regel nicht freigegeben werden. Wenn Prozessgrenzen überschritten werden, generiert dies zunächst eine Abweichung. Abhängig von der Auswirkung auf die Produktqualität muss entschieden werden, ob diese Charge für die Verwendung freigegeben werden kann oder gesperrt wird.
11.7.3.3 Vorschriften und Dokumentation Analog zu den strengen Regelungen bei der Zulassung eines (bio)pharmazeutischen Produktes unterliegt auch die Herstellung des Wirkstoffes und des Endproduktes strengen Auflagen. Alle Produktionsschritte und relevanten Handhabungen sind in Vorschriften (Standard Operating Procedures, SOPs) festgeschrieben. Für jede Produktionscharge wird der Herstellbericht (batch record) produktionsbegleitend ausgefüllt, sodass alle relevanten Produktionsschritte korrekt und aussagekräftig dokumentiert sind. Die korrekte Dokumentation hat einen hohen Stellenwert.
11.7.3.4 Abweichungen Im Abschnitt Prozessspezifikationen und Prozessgrenzen ist bereits kurz auf Abweichungen eingegangen worden. Vor dem Hintergrund des Leitgedankens der Validierung muss jede Abweichung vom definierten Verfahren bewertet werden. Beispiel Abweichung im upstream Der Produktionsfermenter wird im fed-batchModus betrieben; an den Tagen 2, 5 und 8 wird die Feedlösung A dazugegeben, die Fermentation endet am Tag 10 mit der Zellernte. Augrund eines Mitarbeiterfehlers ist am Tag 5 nur ca. 30 % der Feedlösung zugegeben worden. Die Zellen erreichen im weiteren Verlauf der Fermentation eine ca. 20 % niedrigere Zellzahl, und die Vitalität beträgt am Erntetag nur 30 % statt der sonst üblichen 50 %.
11 Kultivierung von Säugetierzellen
Beispiel Abweichung im downstream Das Eluat der Protein-A-Säule eines Prozesses zur Herstellung eines monoklonalen Antikörpers wird für 90 Minuten einer Säurebehandlung bei pH 3,5 zur Virusinaktivierung unterzogen. Nach den 90 Minuten wird die Produktlösung wieder auf einen neutralen pH-Wert eingestellt. Aufgrund eines technischen Problems wird die maximal zulässige Einwirkzeit bei pH 3,5 um 60 Minuten überschritten. Die Bewertung einer Abweichung muss jeden möglichen Einfluss auf den Prozessverlauf und damit letztlich auf die Produktqualität abdecken. In den beiden beschriebenen Abweichungen wird der Fokus auf der Produktqualität liegen. Voraussichtlich sind weitere analytische Untersuchungen nötig. Eventuell müssen analytische Untersuchungen durchgef ührt werden, um auszuschließen, dass die Abweichung einen negativen Einfluss auf die Stabilität der Chargen und damit auf das Verfallsdatum hat.
11.7.4 Betrieb einer großtechnischen Produktionsanlage – Wechselwirkungen zwischen Prozessformat und Anlagendesign Die Abschnitte 11.7.1, 11.7.2 und 11.7.3 geben einen Eindruck von der Komplexität großtechnischer Anlagen zur Herstellung eines pharmazeutischen Wirkstoffes. Solche Anlagen sind in der Regel automatisiert, d. h. die Prozessführung erfolgt über ein Prozessleitsystem (PLS) (distributed control system, DCS). Komplexität und Grad der Automatisierung variieren stark, da hier unterschiedliche Philosophien möglich sind: Von „alles automatisiert und daher bestmöglich kontrolliert und reproduzierbar“ bis zu „KISS (keep it safe and simple)“, d. h. so wenig Automatisierung wie möglich, damit die Komplexität reduziert wird und gleichzeitig die Anlage flexibel bleibt. Auch das Prozessleitsystem muss qualifiziert bzw. der Gesamtprozess mit PLS muss validiert werden, und der Validierungsaufwand steigt mit zunehmender Komplexität des Automatisierungskonzeptes. Wie in Abschnitt 11.5.4 erläutert, sind neben den on-line gemessenen Größen auch off-line erzeugte Daten nötig zur Kontrolle und Bewer-
11.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion
tung eines Produktionsprozesses. Bei den offline-Daten wird zwischen zeitkritischen Daten unterschieden, die zur Steuerung des Prozesses benötigt werden ‒ Beispiele sind die Zellzahlen, die z. B. für das Einleiten eines Transfers von Zellsuspension in den nächstgrößeren Fermenter benötigt werden, oder Titerbestimmungen, die für die Berechnung des Beladungsvolumens auf Chromatographiesäulen erforderlich sind ‒, und den Daten, die zwar zur Bewertung eines Produktionslaufs benötigt werden, die aber nicht prozesssteuernd sind. Beispiele hierfür sind die Titer an den verschiedenen Tagen im Produktionsfermenter oder die SDS-Gele auf ProzessZwischenstufen im downstream. Die Labors für die prozesssteuernde off-line-Analytik befinden sich deshalb in der Regel in der Nähe der Produktion, um lange Transportwege zu vermeiden.
11.7.4.1 Anlagenauslastung, Prozessformat und Anlagendesign Voraussetzung für eine wirtschaftliche Produktion ist eine hohe Anlagenauslastung, d. h. die Produktionskapazitäten der verschiedenen Produktionsbereiche müssen aufeinander abgestimmt sein: Dies gilt innerhalb der Wirkstoffherstellung für die drei Bereiche Fermentation – Aufarbeitung – Formulierung, aber auch für die beiden großen Bereiche Wirkstoffherstellung und Endproduktherstellung. Prozessformat und Anlagendesign müssen zueinander passen. Folgendes Beispiel soll die Abhängigkeiten verdeutlichen: Die Anlage enthält zwei Produktionsfermenter, die zwei Wochen turn-around-Zeit haben, d. h. alle zwei Wochen wird ein neuer Produktionsfermenter gestartet. Die turn-around-Zeit umfasst sowohl die Zeit für die Vorbereitung der Fermentation, die eigentliche Fermentationszeit als auch die Zeit für die Nachbereitung. Die beiden Fermenter werden mit einer Woche Zeitversatz betrieben, sodass pro Woche eine Ernte stattfindet. Um den Wirkstoff aus dem Fermenterüberstand aufzureinigen, steht somit ebenfalls eine Woche zur Verfügung. Wenn die turn-around-Zeit des Produktionsfermenters nur eine Woche beträgt, dann stehen für die Aufarbeitung nur 3,5 Tage zur Verfügung, oder es muss ein zweiter, unabhängiger Aufarbeitungsbereich etabliert werden. Für die Betrachtung der Anla-
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genkapazität ist die Formulierung in der Regel unkritisch, da sie meist kürzer als die Aufarbeitung dauert und deshalb nicht limitierend ist. Die Zahlen in diesem Beispiel lassen sich vielfältig variieren, und je nach Kombination befindet sich der zeitbestimmende Engpass (bottleneck) entweder im upstream oder im downstream. Durch Anpassung der Schichtmodelle der Produktionsmitarbeiter können die Auswirkungen von Engpässen verringert werden. So kann die effektive Kapazität der Aufarbeitung verdreifacht werden, wenn vom Ein-Schicht-Modell auf das Drei-Schicht-Modell gewechselt wird. Aufgrund dieser Betrachtung ergeben sich interessante Konsequenzen auf die Prozessentwicklung. In der Literatur wird teilweise von Titern von 10 g/l und mehr gesprochen, für Säugerzellen hohe Werte. Die Angabe des erzielten Titers ist jedoch in Bezug auf Anlagenproduktivität und niedrige Herstellkosten nur die halbe Wahrheit: Die zur Erreichung des Titers erforderliche Prozesszeit ist ebenso wichtig wie das Design der Produktionsanlage, in der der Prozess realisiert werden soll. Letztendlich lässt sich die Güte einer Prozessentwicklung nicht am Titer, sondern an der sogenannten Raum-Zeit-Ausbeute der Produktionsanlage bzw. letztendlich anhand der Herstellkosten bewerten. Die Raum-Zeit-Ausbeute beschreibt, wie viel Kilogramm Produkt pro Zeiteinheit in dem verfügbaren Produktionsvolumen (Fermentervolumen) hergestellt werden. In der Fermentation stellt die Produktbildungskinetik einen wichtigen Parameter zur Optimierung der Raum-Zeit-Ausbeute dar: Wenn diese über die gesamte Fermentationsdauer linear ist, dann sind lange Fermentationszeiten sinnvoll. Wenn jedoch zum Ende der Fermentation die Produktbildungsrate abnimmt, weil z. B. die Vitalität der Zellkultur abnimmt, dann kann eine kürzere Fermentationsdauer zu einer höheren Raum-Zeit-Ausbeute führen, weil im gleichen Zeitraum mehr Fermentationen gestartet werden können. In Abbildung 11.10 sind diese beiden Fälle veranschaulicht: Bei der nicht-linearen Produktbildungskinetik ist es günstiger, den Prozess nach 14 Tagen mit 4 g/l zu beenden, als ihn 21 Tage laufen zu lassen, um 5 g/l zu erreichen. In Bezug auf sechs Wochen Produktionszeit ergäbe dies bei einem 1 000-Liter-Produktionsfermenter 12 kg Produkt im Fermenter beim 14-Tage-Pro-
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Abb. 11.10 Einfluss der Produktbildungskinetik auf die Raum-Zeit-Ausbeute
zess versus 10 kg Produkt beim 21-Tage-Prozess. Diese Betrachtung ist vereinfacht, da die Zeiten für Vor- und Nachbereitung des Fermenters vernachlässigt wurden; das Grundprinzip gilt nach wie vor. Je nach Effektivität der entsprechenden Produktionsanlage kann der Zeitraum für Vor- und Nachbereitung jeweils zwischen einem, zwei, drei oder noch mehr Tagen betragen. Je länger der Zeitraum für Vor- und Nachbereitung ist, desto günstiger werden Prozesse mit langer Fermentationszeit in Bezug auf die Optimierung der Raum-Zeit-Ausbeute. Wenn eine existente Produktionsanlage genutzt werden soll, dann ist die Verfahrensentwicklung gefordert, Prozesse so zu entwickeln, dass die vorhandenen Kapazitäten optimal genutzt werden. Wenn hingegen eine neue Anlage gebaut werden soll, dann muss im Vorfeld das Prozessformat der Prozesse festgelegt werden, die in dieser Anlage hergestellt werden sollen, und dann das Anlagendesign entsprechend erfolgen.
11.7.4.2 Kampagnen-Produktion mit Rüstwechseln Bei Säugerzell-Prozessen beansprucht die Aufarbeitung meist wesentlich weniger Zeit als die Fermentation, sodass in vielen Anlagen, spezi-
11 Kultivierung von Säugetierzellen
ell den größeren Anlagen, mehrere Produktionsfermenter einem Aufarbeitungsbereich zugeordnet sind. Während die Fermentation von Produkt zu Produkt im Wesentlichen in den gleichen Fermentern durchgeführt wird, gilt für die Aufarbeitung nahezu das Gegenteil: Nicht nur können sich die Aufarbeitungsprozesse für unterschiedliche Produkte signifikant voneinander unterscheiden, sondern aus GMP-Gründen dürfen Chromatographie-Gele und Filterkerzen/ Filterkassetten nicht für verschiedene Produkte verwendet werden. Man spricht von dedicated matrices, da sie einem bestimmten Produkt gewidmet sind. Jeder Produktwechsel bedingt also eine größere Rüstaktion, bei der Chromatographiesäulen aus der Aufarbeitung entfernt, neu gepackt und dann wieder neu aufgestellt werden. Gleiches gilt für die Filter in der Aufarbeitung und Formulierung, aber auch für die Filter, die in der Ernte mit Tangential-Fluss-(cross-flow) Filtrationstechnik eingesetzt werden. Zusätzlich erfolgt üblicherweise bei jedem Produktwechsel durch Probenahme und entsprechende Analytik der Nachweis, dass die Anlage sauber ist und kein Kreuzkontaminationsrisiko des Folgeproduktes durch das Vorgängerprodukt besteht. Filter und Gele dürfen nicht unbegrenzt eingesetzt werden. Zum einen gibt es die Haltbarkeitsvorgaben des Herstellers, zum anderen muss der Anwender den Einsatz für jeden einzelnen Prozess validieren. Das heißt, er muss in dem realen Prozess nachweisen, dass z. B. ein Chromatographie-Gel 20-, 50-, 100- oder 200-mal eingesetzt werden kann, ohne dass die Qualität des Produktes negativ beeinflusst wird. Bei Erreichen der Einsatzgrenze wird das Gel bzw. der Filter verworfen. Aus all diesen Gründen wird eine Multi-Produktanlage sinnvollerweise in Kampagnen gefahren, d. h. auf zehn Produktionsläufe mit Produkt A folgen 30 Läufe mit Produkt B, dann drei Läufe mit Produkt C, darauf wieder zehn Läufe mit Produkt A usw. Um die optimale Betriebsweise einer Multi-Produktanlage festzulegen, müssen alle in diesem Kapitel erwähnten Effekte berücksichtigt werden. Zur Optimierung der RaumZeit-Ausbeute sind deshalb möglichst wenige, lang andauernde Kampagnen mit der optimalen Prozesszeit (Fermentation und Aufarbeitung) sinnvoll, da so Effektivitätsverluste durch Rüst-
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11.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion
wechsel vermieden werden. Wenn hingegen auch die Minimierung der Lagerbestände ein Ziel ist, dann sind viele kurze Kampagnen sinnvoller als wenige lange Kampagnen. Letztendlich muss für jede Anlage und jeden Produkt-Mix die optimale Produktionsstrategie ermittelt werden.
11.7.5 Entwicklung eines Folgeprozesses und daraus resultierender Änderungsaufwand In Abschnitt 11.6 sind die wesentlichen Anforderungen an eine Prozessentwicklung aufgeführt. Idealerweise ist bereits der Originalprozess so ausgereift, dass es keinerlei Änderungsbedarf gibt. In der Realität hingegen gibt es eine Vielzahl von Gründen, die zu einer Prozessänderung führen können (Tabelle 11.6). Aus Sicht der Behörden sind solche Änderungen zu bevorzugen, die die Produktqualität z. B. im Sinne von Konstanz bzw. Verringerung von Kontaminanten bzw. die Robustheit des Prozesses verbessern. Die pharmazeutische Firma hat neben diesen regulatorischen Aspekten ebenfalls die Wirtschaftlichkeit
im Fokus, also die Verbesserung der Ausbeute bzw. Senkung der Herstellkosten. Wenn ein Folgeprozess (second generation process) entwickelt wird, steht zusätzlich zu den in Abschnitt 11.6 genannten Anforderungen an oberster Stelle die Forderung nach vergleichbarer Produktqualität. Alle Änderungen in der Produktqualität b ergen das Risiko, dass klinische Prüfungen wiederholt werden müssen. Im besten Fall ist dies eine sogenannte bridging study, bei der in einer Studie mit einer geringen Patientenzahl nachgewiesen wird, dass die Eigenschaften im Patienten vergleichbar sind. Im anderen Extrem bedeutet dies eine Wiederholung der gesamten klinischen Entwicklung, die mit entsprechend hohen Kosten und Zeitverlusten verbunden ist. Anhand dieser Punkte wird deutlich, dass jede Änderung eines registrierten Prozesses mit erheblichem Auf wand, Risiko und Kosten verbunden ist. Je besser das Verständnis der eingesetzten Zellen, Vektoren, Medien, Reaktoren, Reinigungstechnologien und der Produkteigenschaften, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Prozessänderungen erfolgreich sind. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass trotz
Tabelle 11.6 Beispiele für Gründe, die zu Änderungen des zugelassenen Prozesses bzw. der Methoden führen Regulatorische Gründe
Auflagen der Behörden, wie z. B. der Ersatz von Serum oder anderen bovinen Rohstoffen zur Minimierung des BSE-Risikos. Da die Qualität des Produktes durch die Art und Qualität der eingesetzten Rohstoffe signifikant beeinflusst werden kann, kann dies eine wesentliche Änderung sein.
Post-Approval Commitments; das sind Auflagen, die im Rahmen der Erteilung der Zulassung der produzierenden Firma auferlegt werden. Beispiele hierfür sind die Einführung verbesserter analytischer Methoden oder die Durchführung produktionsbegleitender Validierungsstudien, z. B. zur Standzeit von Gelen. Signifikante Änderungen an der genehmigten Anlage, z. B. Veränderungen des WFI-Systems Veränderungen der Prozesslage Verlagerung der Produktion von einer Anlage in eine andere Anlage Verbesserung der Produktqualität, z. B. durch Einführen eines weiteren Chromatographieschritts Wirtschaftliche Gründe
Erhöhung der Ausbeute (höherer Titer in gleicher Zeit oder gleicher Titer in kürzerer Zeit), die durch außerhalb der Zulassung liegende Änderungen der Prozessbedingungen erreicht werden
Technologische Gründe
Veränderung der Technologie, z. B. Zellernte mit Zentrifuge statt mit Querstromfiltration Wechsel eines Chromatographie-Gels
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der erheblichen Fortschritte der letzten Jahre im Bereich Zellkulturtechnik viele Aspekte des komplexen Wechselspiels Zelle – Zellumgebung noch nicht vollständig verstanden sind. Hier weitere Fortschritte zu erzielen, ist eine der großen Herausforderungen, die gleichzeitig die Faszination der Säugerzelltechnologie ausmacht.
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Werner, R. G., Hoffmann, H. (1989): Biotechnische Produktion einer neuen Generation von Arzneimitteln: Therapie mit körpereigenen Wirkstoffen. Praxis der Naturwissenschaften/Chemie 38: 3–12 Werner, R. G., Merk, W., Walz, F. (1988): Fermentation with immobilized cell cultures. Arzneimittelforschung 38(2): 320–325 Yamane, I. (1978): Role of bovine serum albumin in a serumfree culture medium and its application. Natl. Cancer Inst. Monogr. 48: 131–133 Young, M. W., Okita, W. B., Brown, E. M., Curling, J. M. (1997): Production of biopharmaceutical proteins in the milk of transgenic dairy animals. BioPharm. 10: 34–38 Zhang, W. J., Collins, A., Knyazev, I., Gentz, R. (1998): Highdensity perfusion culture of insect cells with a BioSep ultrasonic filter. Biotechnol. Bioeng. 59: 351–359 Zhang, X. C. (2002): Terahertz wave imaging: Horizons and hurdles. Phys. Med. Biol. 47(21): 3667–3677
11
12
Enzymatische Prozesse*
Nachdem in Kapitel 3 bereits die Grundlagen der Enzymkinetik erläutert wurden, beschäftigt sich dieses Kapitel mit der technischen Nutzung von Enzymen. Die Geschichte enzymatischer Prozesse beginnt schon vor mehreren Tausend Jahren. Seit ca. 7 000 Jahren wird z. B. das Enzym Chymosin zur Käseherstellung genutzt. Die wissenschaftliche Behandlung dieses Themas geht allerdings nur etwa zwei Jahrhunderte zurück. 1858 führte Pasteur die erste mikrobielle Racematspaltung von Weinsäuren mithilfe des Schimmelpilzes Penicillium glaucum durch (Pasteur 1858). In den folgenden 70 Jahren wurde vereinzelt über neue enzymatische Prozesse berichtet, so gelang es 1880 in den USA, das wohl erste chirale Produkt, Milchsäure, durch Fermentation zu produzieren (Sheldon 1993). Ab 1926, als Sumner das erste Enzym kristallisierte und den endgültigen Beweis führte, dass Enzyme rein chemische Substanzen sind, wurde das Potenzial der Enzyme für die technische Verwendung erkennbar (Summer 1926). So setzte der Chemiker Otto Röhm kurze Zeit später Enzyme aus der Bauchspeicheldrüse als Beize für die Gerberei in der Lederindustrie ein und löste damit das unhygienische Verfahren mit Hundekot oder Taubenmist ab (Buchholz und Kasche 1997). Aber erst durch die Entwicklungen der „Rekombinanten DNA-Technologie“ in den 1950erJahren war es möglich, die quantitative Verfügbarkeit von Enzymen wesentlich auszudehnen. Neben der Möglichkeit, nun unterschiedliche Enzyme kostengünstig in Bakterien und Pflanzen in großen Mengen herzustellen, wurden Methoden entwickelt, die die Erforschung der Reaktionsmechanismen und die direkte Manipulation der Enzymeigenschaften erlauben. * Autoren: Sebastian Briechle, Michael Howaldt, Thomas Röthig, Andreas Liese
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
Das Potenzial der Enzyme in industriellen Prozessen besteht darin, dass Enzyme eine einzige definierte Reaktion bzw. eine Klasse von Reaktionen katalysieren. Im Vergleich zu anorganischen Katalysatoren laufen enzymatisch katalysierte Reaktionen unter milden Reaktionsbedingungen in Bezug auf pH, Temperatur und Druck ab (Kapitel 3). Enzyme katalysieren genau eine definierte Einzelreaktion, bei der meistens keine Verunreinigungen der Produkte durch Nebenreaktionen auftreten. Die Reaktionsmedien, bestehend aus einigen wenigen Komponenten, haben meist eine genau definierte Zusammensetzung, sodass die Aufreinigung verhältnismäßig geringe Kosten verursacht. Durch Kopplung mehrerer enzymatischer Reaktionen lassen sich Reaktionssequenzen aufbauen, um so auch komplexe Verbindungen synthetisieren zu können, doch steigen in der Praxis mit der Anzahl der Stufen einer solchen Reaktionssequenz die Probleme bei der technischen Realisierung überproportional. Ein besonderer Vorteil von Enzymen ist ihre Stereo- und Regiospezifität, da sie meistens nur ein Enantiomer chiraler Substrate transformieren bzw. nur ein Enantiomer chiraler Produkte erzeugen, was gerade in der Produktion von Feinchemikalien und Vorprodukten für die Pharmazeutische Industrie von großer Bedeutung ist. Daher gewinnen Enzyme aufgrund ihrer hohen Selektivität, Spezifität und katalytischen Eff izienz zunehmende Bedeutung. Enzyme werden in industriellen Prozessen in unterschiedlicher Form eingesetzt. In modernen Prozessen werden meistens isolierte Enzyme verwendet, die in bakteriellen, pflanzlichen oder tierischen Zellen produziert und aus diesen in oftmals aufwendigen Prozessen isoliert werden. Diese Zellen können allerdings auch direkt im enzymatischen Prozess genutzt werden. Optisch aktive Cyanhydrine lassen sich z. B. mithilfe von
12
428
gemahlenen Bittermandeln durch das mandeleigene Enzym Hydroxynitrilase synthetisieren. Ein Überblick über die Enzyme, die in industriellen Prozessen eingesetzt werden, gibt Abbildung 12.1. Die Hauptanwendungsgebiete für industrielle Enzyme sind die Lebensmittelindustrie und die Verwendung als Detergenzien. Als potenzielle Wachstumsgebiete erscheinen besonders die Pharmaindustrie sowie der Bereich des Umweltschutzes und in diesen Bereichen vor allem der Einsatz von speziellen Biokatalysatoren, da diese ein breites Anwendungsspektrum aufweisen. In diesem Kapitel werden die Grundlagen zu Auslegung, Berechnung und Betrieb von enzymatischen Prozessen diskutiert. Im Vordergrund steht die technische Nutzung von Enzymen. Um enzymatische Transformationsprozesse beurteilen zu können, werden neben der mathematischen Beschreibung idealer Reaktortypen die Vor- und Nachteile freier und chemisch/physikalisch modifizierter (immobilisierter) Enzyme diskutiert. Unterschiedliche Prozessführungen werden beschrieben sowie auf unterschiedliche Reaktionsmedien, wässrige oder nicht-konventionelle, wie organische Lösungsmittel, überkritische Fluide und ionische Flüssigkeiten, eingegangen. Für eine ausführlichere Darstellung wird auf die Fachliteratur über Enzymtechnik, Biotransformation und Reaktionstechnik verwiesen. Zur Vereinfachung der Darstellung wird nur auf Enzyme mit einer
Abb. 12.1 Industrielle Enzyme in der Chemie- und Nahrungsmittelindustrie (Frost und Sullivan 2003)
12 Enzymatische Prozesse
hyperbolischen Kinetik eingegangen – also Enzyme, die sich durch eine Geschwindigkeitsgleichung vom Typ der Michaelis-Menten-Gleichung beschreiben lassen –, während allosterische Enzyme (Kapitel 3) nicht berücksichtigt werden.
12.1 Mathematische Beschreibung idealer Reaktortypen In diesem Abschnitt werden die Grundlagen zur B erechnung von idealen Reaktortypen diskutiert. Betrachtet wird hier nur die Änderung der Masse bzw. Stoffmenge der an einer Reaktion teilnehmenden Substanzen. Die Berechnung der Änderungen der Energie wird nicht diskutiert. In Kapitel 4 und in Kapitel 11 sind Prozesse zur Fermentation von Zellen beschrieben. Die mathematischen Grundlagen sind identisch zu den Grundlagen zur Berechnung enzymatischer und chemischer Prozesse. Zum besseren Verständnis sind die Herleitungen der Berechnungsgleichungen hier allgemein gehalten und die Gleichungen sind sowohl für enzymatisch als auch für chemisch katalysierte Reaktionen gültig. Man kann drei ideale Reaktortypen unterscheiden:
• Rührkessel mit völliger Durchmischung (idealer Rührkessel), diskontinuierlich betrieben (Satz- bzw. batch-Reaktor) • Rührkessel mit völliger Durchmischung (idealer Rührkessel), kontinuierlich betrieben (continuously operated stirred tank reactor, CSTR) • Strömungsrohr mit Propfenströmung (idealer Rohrreaktor), kontinuierlich betrieben ((plug flow reactor, PFR) Der batch-Reaktor zeichnet sich dadurch aus, dass während des Betriebs des Reaktors keine Massenströme in den Reaktor ein- oder austreten; es ist also ein abgeschlossenes System bzw. ein diskontinuierlicher Prozess. Im Gegensatz dazu sind die kontinuierlich betriebenen Reaktoren – CSTR und PFR – offene Systeme (Kapitel 4), da hier während des Betriebs Massenströme ein- und austreten. Das wesentliche Merkmal der idealen Rührkessel ist die homogene Durchmischung des Kesselinhalts zu jedem Zeitpunkt, was bedeutet, dass keine Temperatur-, Druck- oder Konzentrationsunterschiede im Reaktionsvolumen vorliegen (Kapitel 7). Das Hauptmerkmal des idealen Rohrreaktors ist das pfropfenförmige Geschwindigkeitsprofil im Strömungsrohr ((plugg = Pfropfen). Alle Fluidelemente passieren das Reaktionsvolumen mit der gleichen Geschwindigkeit. Eine Mischung in Bewegungsrichtung, d. h. entlang der Rohrachse, ist daher auszuschließen. Die Grundlage zur Berechnung sind die Massenbilanzgleichungen, wie sie schon im Kapitel 4 eingeführt worden sind. Zur Berechnung werden die Gesamtmassenbilanz des Systems, die Bilanzen der unterschiedlichen Stoffe (Substrate und/oder Produkte) und die (enzym-)kinetischen Gleichungen (Kapitel 3) herangezogen. Zum Aufstellen der Bilanzgleichungen zieht man eine gedachte Bilanzgrenze um ein definiertes Volumen; dies kann das gesamte Volumen des Reaktors, aber auch ein beliebig kleines Volumen sein, und betrachtet die über die Bilanzgrenze ein- und austretenden Massenströme sowie die im Bilanzvolumen stattfindenden Reaktionen der bilanzierten Größe. Die Summe der Ströme und der Reaktionen beschreibt dann die zeitliche Änderung der bilanzierten Größe. Formel 12.1 stellt eine Bilanzgleichung in Worten dar.
12
429
12.1 Mathematische Beschreibung idealer Reaktortypen
⎛ zeitliche Änderung g⎞ ⎜ ⎟= der Bilanzgröße ⎝ ⎠
⎛ eintretende Ströme ⎞ ⎟ der Bilanzgröße ⎠ –
∑ ⎜⎝
⎛ austretende Ströme ⎞ ⎟+ der Bilanzgröße ⎠
∑ ⎜⎝
⎛
Reaktionen
⎞
∑ ⎜⎝ der Bilanzgröße ⎟⎠ (12.1)
Mathematisch folgt daraus die Gesamtmassenbilanz (12.2a); bei der Betrachtung der gesamten Masse wird der Reaktionsterm gleich null, da keine Masse produziert bzw. vernichtet werden kann: dm R = ¦ m i,ein − ¦ m i,aus dt i i
(12.2a)
mR: Gesamtmasse des bilanzierten Volumens [kg] m i, ein bzw. aus : Summe aller ein- bzw. austretenden Massenströme [kg s–1] i: Indizes für die ein- und austretenden Massenströme
und die Bilanz für eine Komponente j: dm j = ¦ m j,i,ein − ¦ m j,i,aus + rjVR dt i i
(12.2b)
mj: Masse des bilanzierten Stoffes [kg] m i, ein, bzw. aus: ein- bzw. austretende Massenströme des bilanzierten Stoffes [kg s–1] VR: Bilanzvolumen [m3] rj: massenbezogene Reaktionsgeschwindigkeit des bilanzierten Stoffes [kg s–1 m–3] j,i: Indizes für den bilanzierten Stoff bzw. für die ein- und austretenden Massenströme Mit mj = Mj . nj und rj = Mj . Rj lässt sich die Massenbilanz für eine Komponente j in die Stoffbilanzgleichung überführen: dn j dt
= ¦ n j,i,ein − ¦ n j,i,aus + R j ⋅ V R i
(12.2c)
i
nj : Stoffmenge des bilanzierten Stoffes [mol] . nj,i ein bzw. aus: ein- bzw. austretende Molströme [mol s–1] Mj: molare Masse des bilanzierten Stoffes [kg mol–1] Rj: molbezogene Reaktionsgeschwindigkeit [mol s–1 m–3]
12
430
Als weitere Vereinfachung zur Berechnung wird angenommen, dass die Dichte des Systems konstant ist, wie es bei Reaktionen in flüssiger Phase in der Regel der Fall ist.
12.1.1 Der batch h -Reaktor Der batch-Reaktor ist in Abbildung 12.2 dargestellt. Er besitzt weder Zu- noch Abfluss. Zu Beginn der Reaktion wird der Reaktor mit allen nötigen Reaktanden befüllt, und die Reaktion wird durch Zugabe des Katalysators (Enzyms) oder eines Substrates gestartet. Sobald der gewünschte Umsatz erreicht worden ist, wird die Reaktion abgebrochen. Der Abbruch kann z. B. durch Inaktivieren des Katalysators (Enzym) herbeigeführt werden, indem der pH-Wert oder die Temperatur verändert werden. Alternativ kann der Katalysator (Enzym) von dem Produkt-Substrat-Gemisch durch Filtration abgetrennt werden. Die Veränderungen der Reaktionsbedingungen mit der Zeit und dem Ort sind in Abbildung 12.2 dargestellt: Die Reaktion beginnt mit hohen Substrat- und niedrigen Produktkonzentrationen, während gegen Ende der Reaktion der umgekehrte Fall vorliegt. Im batch-Reaktor stellt sich also kein stationärer Zustand ein. Die Funktionen, die die Kurvenverläufe beschreiben, sind im Folgenden hergeleitet: Da es sich um ein geschlossenes System handelt, ohne Zu- oder Abflüsse, ist die Masse des Systems konstant und die Bilanzen vereinfachen sich zu
12 Enzymatische Prozesse
dm R = 0: dt
Gesamtmasse
(12.3)
dn j
= R j ⋅ V R : bilanzierte Komponente (12.4a) dt Aufgrund der konstanten Dichte ist auch das Reaktionsvolumen VR konstant. Durch Teilen der Gleichung (12.4a) durch VR lässt sich die Bilanzgröße als Konzentration angeben: dc j dt
= Rj
(12.4b)
R j ist die spezifische Reaktionsgeschwindigkeit bezüglich der Komponente j. Die Reaktionsgeschwindigkeiten bezüglich der einzelnen Komponenten sind über die stöchiometrischen Faktoren miteinander verknüpft (Abschnitt 3.2): dn j R j dξ (12.5) = R = νv −j 1 = dt dt νv j
In Kapitel 3 wurde die Berechnung der Reaktionsgeschwindigkeit basierend auf der Enzymkinetik beschrieben. Die Reaktionsgeschwindigkeit einer enzymatischen Reaktion wird in der Regel mit v bezeichnet. Für eine einfache, irreversible, enzymkatalysierte Reaktion S –> P, beschreibbar mit der Michaelis-Menten-Kinetik ohne Inhibierung folgt: dc dc v ⋅c dξ = R = P = R P = − S = − RS = v = max s dt dt dt K m + cs
(12.6) Km and vmaxx sind die Michaelis-Konstante bzw. die maximale Reaktionsgeschwindigkeit. Zu be-
Abb. 12.2 Symbolische Darstellung eines batch-Reaktors und schematische Darstellung der Konzentrationsprofile als Funktion der Zeit und des Ortes. Die Bilanzgrenze zur Aufstellung der Bilanzgleichungen ist rot eingezeichnet
431
12.1 Mathematische Beschreibung idealer Reaktortypen
achten ist der Vorzeichenwechsel, der durch die stöchiometrischen Faktoren, je nachdem ob man die Bilanzgleichung für das Produkt (+) oder Substrat (–) aufstellt, eingeführt wird. Durch Integration der Gleichung (12.6) kann der zeitliche Verlauf der Substrat- bzw. Produktkonzentration bzw. der zeitliche Verlauf hiervon abgeleiteter Größen wie Umsatz, Selektivität oder Ausbeute berechnet werden. c S, t1 c S, t1 dc S K m+c S − − = – dt t = t t = ³ 1 0 c ³ v c ³ vmax ⋅ c S ⋅ dc S S, tt S, tt t0 0 0 (12.7) t1
§ c S,tt vmax ⋅ Δ t = K m ⋅ ln¨ 0 ¨ c S, t © 1 ) + c S,t = − K m ⋅ ln(
0
· ¸+ c − c S,t1 S,t0 ¸ ¹ ⋅χ
(
)
c S,t − c S,t 0
1
c S,t
0 = ¦ m i,ein − ¦ m i,aus i
(12.10a)
i
und die Bilanzgleichung der einzelnen Komponente 0 = ¦ n j,i,ein − ¦ n j,i,aus + R j,c i
i
j,aus
⋅ VR
(12.10b)
(12.8)
Rj,c j,aus: Reaktionsgeschwindigkeit der Komponente j bei der am Reaktoraustritt vorliegenden Konzentration cj,aus
(12.9)
Unter der Annahme der konstanten Dichte folgt aus Gleichung (12.10a), dass die Summe der Volumenströme am Eingang gleich der des Ausgangs ist. Q = Q = Q (12.11)
wobei der Umsatz χ als
χ=
enten und die Existenz eines Fließgleichgewichts bedeuten, dass ein CSTR unter Auslaufbedingungen arbeitet. Mit Auslaufbedingungen sind die Bedingungen gemeint, die im Austritt bzw. Ausfluss des Reaktors vorliegen. Die Konzentrationen aller Komponenten fallen mit dem Eintritt in den Reaktor augenblicklich von den Werten im Zustrom auf die Werte im Austritt ab (Abb. 12.3). Durch die Annahme eines Fließgleichgewichts vereinfacht sich die Gesamtmassenbilanz zu:
0
definiert ist.
12.1.2 Kontinuierliche Reaktoren In einem idealen kontinuierlich betriebenen Rührkesselreaktor (Abb. 12.3) sind analog zum ideal durchmischten batch-Reaktor keinerlei Gradienten innerhalb des Reaktors vorhanden. In einem solchen CSTR stellt sich ein Fließgleichgewicht (Abschnitt 3.2) ein. Das Fehlen von Gradi-
F
¦ i
ein, j
¦
aus, j
i
Q : Volumenstrom [m3 s–1] Q F : Summe der Volumenströme des Feeds [m3 s–1]
Durch die Einführung der Volumenströme lassen sich die Molströme in Gleichung (12.10b) auch als Konzentrationen ausdrücken:
Abb. 12.3 Symbolische Darstellung eines CSTR und schematische Darstellung der sprunghaften Konzentrationsänderung am Eintritt in den Reaktor (Überschreitung der gestrichelten senkrechten Linie). Die Bilanzgrenze zur Aufstellung der Bilanzgleichungen ist rot eingezeichnet
12
432
12 Enzymatische Prozesse
0 = ¦ Q ein, j ⋅ c j,i,ein − ¦ Q aus, j ⋅ c j,i,aus + R j,c i
i
j,aus
⋅ VR
(12.12)
In einem Reaktor mit nur einem Zulauf und einem Ablauf sowie der Einführung der mittleren Verweilzeit (Gleichung (12.14)) vereinfacht sich Gleichung (12.12) zu:
(c τ=
j, aus
− c j, ein )
R j,c
(12.13)
j, aus
wobei die mittlere Verweilzeit τ definiert ist als: (12.14) τ = VR : mittlere Verweilzeit [s] QF Die mittlere Verweilzeit beschreibt die Zeit wie lange ein kleines Flüssigkeitsvolumen im Mittel im Reaktor verweilt. Die spezifische Reaktionsgeschwindigkeit R j,cj , aus lässt sich analog zum batch-Reaktor mit der in Kapitel 3 beschriebenen Enzymkinetik beschreiben. Mit der Definition des Umsatzes χ lässt sich so für eine enzymkatalysierte Reaktion die erforderliche Verweilzeit τ für einen gewünschten Umsatz χ bestimmen (Gleichung (12.15)). χ τ = c S, ein ⋅ (12.15) v c=c |
12
S,aus
In einem idealen Rohrreaktor fließt die Reaktionslösung als Pfropfen durch das Rohr. In einem PFR R bilden sich weder laminare noch turbulente Strömungsprofile aus, noch tritt eine Rückvermischung auf; d. h. jedes Flüssigkeitselement verbringt die gleiche Zeit im Reaktor und bewegt
sich mit der mittleren Geschwindigkeit vx durch den Reaktor. Bildlich kann man sich den PFR so vorstellen, dass unendlich viele kleine, ideale batch-Reaktoren mit der Geschwindigkeit v x = Q ⋅
LR VR
und dem Volumen dVR durch das Rohr „wandern“ (Abb. 12.4). Alle diese kleinen batch-Reaktoren verbringen genau gleich viel Zeit im Rohrreaktor. Diese Reaktionszeit entspricht der Verweilzeit τ im Rohrreaktor. Deshalb sind auch die mathematische Beschreibung des batch-Reaktors und des PFRs identisch, nur dass die Reaktionszeit t durch die Verweilzeit τ ersetzt werden muss, d. h. die Dimensionen sind vertauscht. Im Vergleich zum batch-Reaktor ändert sich also die Konzentration nicht über die Zeit, sondern entlang der Länge des Reaktors, während an einem festen Ort xn die Konzentration über die Zeit konstant ist. Für einen stationären Betrieb resultiert daher aus der Massenbilanz: c S, aus χ ∗ τ d cS dχ ∗ d τ = τ = − = c ⋅ (12.16) S,ein ³0 ³ ³ v v cS,ein 0 Um die für einen gewünschten Umsatz χ erforderliche Verweilzeit τ zu bestimmen, muss beim PFR also die Gleichung (12.16) analog zum batch-Reaktor integriert werden, nachdem die Gleichung für die Reaktionsgeschwindigkeit eingesetzt worden ist. In Tabelle 12.1 sind die Auslegungsgleichungen für den PFR und den CSTR für verschiedene Enzymkinetiken dargestellt. Die Ergebnisse für
Abb. 12.4 Symbolische Darstellung eines PFR und schematische Darstellung der Konzentrationsprofile als Funktion der Zeit und des Ortes. Das Volumen dVR kennzeichnet einen kleinen batch-Reaktor, der mit der Geschwindigkeit vx durch den Rohrreaktor „wandert“
12
433
12.1 Mathematische Beschreibung idealer Reaktortypen
Bauarten beschreiben. Der Festbettreaktor kann bei niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten und keiner Stofftransportlimitierung als idealer Rohrreaktor betrachtet werden. Beim Festbettreaktor sind die Träger dicht gepackt und werden vom Reaktionsmedium umspült (Abb. 12.5a). Bei einem Wirbelschichtreaktor hingegen werden die Träger durch den Flüssigkeitsstrom aufgewirbelt (Abb. 12.5b). Es kommt zu einer Rückvermischung entlang der Längsachse des Reaktors. Die Charakteristik des Wirbelschichtreaktors liegt je nach Grad der Rückvermischung zwischen der des PFR und der des CSTR. Daher lässt sich das Verhalten durch eine Kombinationsschaltung von PFRs und CSTRs beschreiben.
den PFR gelten ebenfalls für den batch-Reaktor, wobei statt der Verweilzeit τ die Reaktionszeit t zu setzen ist. Mithilfe dieses vorgestellten mathematischen Modells lassen sich unterschiedliche Bauarten von Reaktoren beschreiben. Die Idealisierung der Reaktoren ist allerdings eine Modellvorstellung, die in der Realität niemals erreicht werden kann. Häufig sind aber – insbesondere im kleinen Maßstab – die Abweichungen vom idealen Zustand so klein, dass der reale Reaktor als ideal durchmischt bzw. mit Propfenströmung betrachtet werden kann. Durch Kombinationsschaltungen der idealen Einzelreaktoren lassen sich auch komplexere
Tabelle 12.1 Vergleich der Reaktionsgeschwindigkeit im CSTR und im PFR als Funktion der Verweilzeit. Im Fall des batch-Reaktors ist τ durch die Reaktionszeit t und cS,ein und cS,aus durch die Substratkonzentration am Anfang bzw. Ende der Reaktion zu ersetzen PFR, bzw. batch-Reaktor Einfache MichaelisMenten-Kinetik (MMK) v=
vmmax ⋅ cS K m + cS
§c · vmmax ⋅τ = K m ⋅ ln¨¨ S,ein ¸¸ + ( © cS,aus ¹ = − K m ⋅ ln ( )+ cS,ein ⋅ χ
,
CSTR
,
)
=Km ⋅
MMK mit Substratüberschussinhibierung vmmax ⋅ cS v= c K m + cS ⋅ (1 + S ) K iS
§c · vmmax ⋅τ = K m ⋅ ln¨¨ S,ein ¸¸ + ( © c S,aus ¹ cS2,ein − cS2,aus + 2 ⋅ K iS = − K m ⋅ ln( +
cS2,ein 2 ⋅ K iS
,
,
(c
vmmax ⋅ τ =
χ 1− χ
)
S ,ein
− cS,aus )⋅ (K m + cS ,aus ) cS,aus
+ cS ,ein ⋅ χ
§
(
) ⋅ ¨¨ K
,
,
©
vmmax ⋅ τ =
)+ cS,ein ⋅ χ
=Km ⋅
χ 1− χ
m
+ cS , aus +
cS2 , aus · ¸ K iS ¸¹
cS,aus + cS ,ein ⋅ χ + χ ⋅ (1 − χ ) ⋅
cS2 ,ein K iS
⋅ χ ⋅ (2 − χ )
MMK mit kompetitiver Produktinhibierung v=
vmmax ⋅ cS K m ⋅ (1 +
cP ) + cS K iP
· § c · §c vmmax ⋅τ = K m ⋅ ¨¨1 + S,ein ¸¸ ⋅ ln¨¨ S,ein ¸¸ K iP ¹ © cS , aus ¹ © § K · + ¨¨1 − m ¸¸ ⋅ ( © K iP ¹
,
,
§ c , · = − K m ⋅ ¨¨1 − S ein ¸¸ ⋅ ln( K iP ¹ © § Km · ¸¸ ⋅ c S,ein ⋅ χ + ¨¨1 − © K iP ¹
) )
(
§
,
,
vmmax ⋅τ =
=Km ⋅
χ 1− χ
+ cS ,ein ⋅
)⋅ ¨¨ c
+ cS ,ein ⋅ χ
Km χ2 ⋅ K iP (1 − χ )
©
S , aus
−c § c + K m ⋅ ¨¨1 + S , ein S , aus K iP © c S,aus
·· ¸¸ ¸ ¸ ¹¹
12
434
Abb. 12.5 Schematische Darstellung des Festbettreaktors (a) und des Wirbelschichtreaktors (b). Die Katalysatorpartikel sind rot dagestellt.
12.1.3 Reaktorwahl Die Enzymkinetik beeinflusst die in den verschiedenen Reaktoren erzielbaren Umsätze in unterschiedlicher Weise. Wie die Herleitung zeigt, können der batch-Reaktor und der PFR mit den gleichen Auslegungsgleichungen beschrieben werden, daher verhalten sich diese beiden Reaktoren unter Einbezug der Enzymkinetik gleich. Die Leistung eines batch-Reaktors hängt somit vor allem von den Rüstzeiten ab, je größer der Anteil der Rüstzeiten am Gesamtprozess ist, desto geringer ist die Leistung des batch-Reaktors. Bei vernachlässigbaren Rüstzeiten sind die Leistungen des batch- und plugflow-Reaktors gleich. Aus der Reaktionstechnik kann abgeleitet werden, dass bei gleichem Umsatz substratüberschuss-inhibierte Reaktionen vorteilhafter im CSTR und produktinhibierte Reaktionen vorteilhafter im batch-Reaktor bzw. PFR ablaufen. Dies hängt damit zusammen, dass überall im CSTR Auslaufbedingungen vorliegen, somit in Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen niedrige Substrat- und hohe Produktkonzentrationen
12 Enzymatische Prozesse
vorliegen. Im batch-Reaktor hingegen baut sich die Produktkonzentration erst im Verlauf der Reaktion auf. Entsprechend herrschen beim Eintritt in den PFR hohe Substratkonzentrationen vor, und erst mit der Passage durch den Reaktor wird Substrat in Produkt umgewandelt, sodass in Abhängigkeit von der axialen Koordinate unterschiedliche Substrat- und Produktkonzentrationen vorliegen. Weiterhin ist aus der Reaktionskinetik bekannt, dass alle Reaktionen mit Reaktionsordnungen größer null schneller im PFR als im CSTR ablaufen. Enzyme katalysieren im Bereich hoher Substratkonzentrationen eine Reaktion nullter Ordnung, während im Bereich niedriger Substratkonzentrationen eine Reaktionskinetik erster Ordnung vorliegt (Abb. 3.4). Der Übergangsbereich wird durch die Michaelis-MentenGleichung beschrieben. Ein wesentlicher Parameter bei der Beurteilung der Reaktorwahl ist somit rS0Km, das Verhältnis der anfänglichen Substratkonzentration c S,t=t 0 zum Km-Wert des Enzyms, c S, t (12.17) rS K = 0 0 m K m
Wenn die Bedingung rS0Km >> 1 (d. h. S >> Km) über den gesamten Reaktionsbereich erfüllt ist, befindet sich im Fall einer einfachen MichaelisMenten-Kinetik die Reaktion stets im Bereich nullter Ordnung, und es werden identische Umsätze im CSTR und im PFR erzielt. Diese Situation liegt vor, wenn z. B. die Km-Werte klein sind bzw. kein hoher Umsatz angestrebt wird. Falls diese Bedingung nicht erfüllt ist, dann ist bei gleicher Verweilzeit der Umsatz im CSTR kleiner als der im PFR. In den Abbildungen 12.6 bis 12.8 wird der Enzymbedarf im PFR und CSTR verg lichen. Hierbei ist eCSTR die absolute Enzymmenge bzw. Enzymaktivität, die in einem CSTR erforderlich ist, um den gewünschten Umsatz zu erreichen. Der Enzymbedarf in verschiedenen Reaktoren lässt sich vergleichen, indem das Verhältnis eCSTR / ePFR gegen den gewünschten Umsatz aufgetragen wird. Aus den in Tabelle 12.1 dargestellten Gleichungen ist ersichtlich, dass eine Verdopplung der Enzymaktivität vmaxx den gleichen Effekt hat wie eine Verdopplung der Verweil zeit τ. Damit gilt also eCSTR /ePFR = τCSTR /τPFR.
12.1 Mathematische Beschreibung idealer Reaktortypen
In Abbildung 12.6 ist eCSTR /ePFR für eine einfache Michaelis-Menten-Kinetik und unterschiedliche rS0Km-Werte aufgetragen. Bei einem rS0Km-Wert von 100 ist die Reaktion über weite Umsatzbereiche nullter Ordnung. Erst in der Nähe des vollständigen Umsatzes ist die Substratkonzentration so gering geworden, dass die Kinetik zunächst in den Übergangsbereich und dann in den Bereich erster Ordnung gelangt. Dementsprechend treten Unterschiede zwischen CSTR und PFR erst bei sehr hohen Umsätzen auf. Je niedriger der rS0Km-Wert ist, bei desto geringeren Umsätzen weicht das Verhältnis eCSTR / ePFR vom Wert 1 ab. Bei dem kleinen Wert rS0Km = 0,1 befindet sich die Reaktion von Anfang an im Bereich erster Ordnung, sodass der CSTR bereits bei geringen Umsätzen mehr Enzym als der PFR benötigt, um den gleichen Umsatz zu erreichen. In Abbildung 12.7 ist eCSTR /ePFR für ein Enzym mit Substratüberschussinhibierung wiedergegeben. Hier ist ein konstanter rS0Km-Wert von 10 gewählt, und der Parameter der Kurven ist rKiS, das Verhältnis des KiS- und des Km-Wertes: rK = iS
K iS Km
iP
K iP Km
Allgemein gilt, dass nur bei Werten rKiP >1 die Reaktion effizient durchgeführt werden kann. Bei Werten rKiP <1 ist die Reaktion zu sehr gehemmt, um hohe Umsätze zu erreichen (Lee und
Abb. 12.6 Vergleich des Enzymbedarfs im CSTR und im PFR für ein Enzym mit einfacher Michaelis-Menten-Kinetik
(12.18)
Bei starker Substratüberschussinhibierung – d. h. kleinem rKiS – ist der CSTR bis zu hohen Umsätzen dem PFR überlegen. Wenn die Reaktion nur geringfügig substratüberschussinhibiert ist, dann ist bei niedrigen Umsätzen der CSTR, bei hohen Umsätzen der PFR vorteilhafter. Abbildung 12.8 gibt die Verhältnisse für eine Enzymkinetik mit kompetitiver Produktinhibierung wieder, wobei wie in Abbildung 12.6 rS0Km = 10 gewählt wurde und rKiPP der Parameter ist: rK =
435
Abb. 12.7 Vergleich des Enzymbedarfs im CSTR und im PFR für ein Enzym mit Substratüberschussinhibierung
(12.19)
Im Fall der Produkthemmung ist der PFR dem CSTR in allen Fällen überlegen: Bei großen rKiPWerten – also kleiner Hemmung durch das Produkt – überwiegt der Einfluss der MichaelisMenten-Kinetik bzw. der Reaktion erster Ordnung, während bei kleinen KiP /K Km-Werten der Einfluss der Produktinhibierung den PFR bei allen Umsätzen begünstigt.
Abb. 12.8 Vergleich des Enzymbedarfs im CSTR und im PFR für ein Enzym mit kompetitiver Produktinhibierung
12
12
436
12 Enzymatische Prozesse
Whitesides 1985). Da die kinetischen Parameter einer Reaktion nicht verändert werden können, ist es nur möglich, hohe Umsätze zu erreichen, wenn durch ein entsprechendes Prozessdesign die Produktkonzentration niedrig gehalten werden kann. Dieses kann z. B. durch selektiven Austrag des Produktes geschehen (Liese et al. 1996). Bei industriellen Prozessen interessiert im Wesentlichen der Bereich von Umsätzen χ > 0,8 bis in die Nähe des vollständigen Umsatzes. Aus den Abbildungen 12.6 bis 12.8 ist ersichtlich, dass gerade in diesem Bereich die größten Änderungen im Verhältnis eCSTR /ePFR auftreten. Die Wahl des geeigneten Reaktors kann damit die Effektivität des Prozesses entscheidend beeinflussen. Falls das Reaktionsgleichgewicht auf Seite des Substrates liegt oder das Produkt hemmend auf die Enzymaktivität wirkt, dann kann ein selektiver Produktaustrag die Produktivität des Reaktionssystems vergrößern. Dies ist z. B. möglich, indem eine selektive Membran eingesetzt wird, die nur Produkt, nicht aber Enzym oder Substrat passieren lässt. In solchen Situationen bieten sich kontinuierlich betriebene Reaktoren an. Die Steigerung des Umsatzes durch kontinuierlichen Produktaustrag soll an einem einfachen Enzymprozess demonstriert werden, der in einem CSTR (Abb. 12.3) abläuft. Die Reaktion ist eine irreversible Ein-Substrat-Reaktion mit kompetitiver Produkthemmung S → P (Gleichung (3.50b)): vmmax ⋅ c s v= § c · (12.20) K m ¨¨1 + P ¸¸ + c S © K iP ¹
und die Selektivitäten der Produktabtrennstufe für Substrat und Produkt werden durch βs und βP beschrieben:
βS =
c S,aus
βP =
c P,aus
c S,R c P,R
(12.21a) (12.21b)
wobei cS,aus, cP,aus, cS,R und cP,R die Substrat- bzw. Produktkonzentration am Prozessausgang bzw. im Rührkesselreaktor sind. Für βs = βP = 1 verhält sich der Reaktor wie ein klassischer Rührkessel-
reaktor, in dem Substrat und Produkt in gleichem Maße abgetrennt werden. Im stationären Zustand lauten die Massenbilanzen für Substrat und Produkt: Q ein = Q aus = Q F
(12.22a)
0 = Q F ⋅ c S, ein − Q F ⋅ c S, aus + v |c=c 0 = −Q F ⋅ c P, aus + v |c=c
S,R
⋅VR
S,R
⋅V R
(12.22b) (12.22c)
wobei VR für das Reaktorvolumen und cS,ein für die Substratkonzentration im Zulauf steht. Durch Gleichsetzen der Gleichungen (12.22b) und (12.22c) ergibt sich: c P, aus = c S, ein − c S, aus
(12.23)
Durch Einsetzen der Gleichungen (12.21) in (12.23) und durch Einsetzen von (12.20) in (12.22c) kann cP,R eliminiert werden. Nach einigen Umformungen erhält man die Reaktorkonzentration cS,R als Funktion der kinetischen Konstanten, der Selektivitäten und der Verweilzeit im Reaktor: c S, R =
b b2 c ± − 2⋅a 4 ⋅ a2 a
(12.24)
mit: a=
K m ⋅ β S2 − βS K iP ⋅ β P
(12.25a)
Da a sowohl positiv als auch negativ sein kann, muss der Vorzeichenwechsel in Gleichung (12.24) beachtet werden. K β b = 2 ⋅ m ⋅ S ⋅ c S,ein + K m ⋅ β S + vmax ⋅ τ − c S,ein K iP β P (12 2 (12.25b) c § c = K m ⋅ c S,ein ⋅ ¨¨1+ S,ein © K iP ⋅ β P
· ¸¸ ¹
(12.25c)
Abbildung 12.9 gibt die Steigerung des Umsatzes in einem Rührkesselreaktor bei konstanter Verweilzeit τ, verschieden stark ausgeprägten Produktinhibierungen rKiPP und variierender Selektivität des Produktaustrags βP an. Aus Abbildung 12.9 ist ersichtlich, dass die Produktivität des Reaktors durch selektiven Produktaustrag erheblich gesteigert werden kann. Die Erhöhung des Umsatzes fällt umso gewichtiger aus,
437
12.1 Mathematische Beschreibung idealer Reaktortypen
je stärker das Ausmaß der Produktinhibierung ist. Neben den Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen Reaktoren bei unterschiedlichen Enzymkinetiken ist die Kontrolle z. B. des pHWertes aufgrund der besseren Durchmischung bei Rührkesseln einfacher. Gleiches gilt für die
Sauerstoffversorgung bei Einsatz von Oxidasen, die Sauerstoff als ein Substrat benötigen. Weitere Aspekte sind die Investitions- und Lohnkosten beim Betrieb. Die niedrigen Investitionskosten und hohe Flexibilität des batch-Reaktors werden erkauft durch hohe Lohnkosten, da ein diskontinuierlicher Prozess schlechter automatisiert werden kann im Vergleich zu kontinuierlich betriebenen Prozessen. Der hohe Regelaufwand und der hohe Automatisierungsgrad von kontinuierlichen Prozessen treiben die Investitionskosten nach oben, allerdings kann eine gleichbleibende Produktqualität b ei gleichzeitig hohen Raum-Zeit-Ausbeuten e rre icht werde n. Die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Reaktoren sind in Tab elle 12.2 zusammengefasst.
12.1.3.1 Reaktorwahl anhand eines Beispiels Abb. 12.9 Steigerung des Umsatzes eines Enzymreaktors durch selektiven Produktaustrag. Die Parameter für die Simulation wurden auf folgende Werte gesetzt: rS0Km = 10; vmax τ = 15 ; βs = 0,5
Abschließend zur theoretischen Betrachtung der idealen Reaktoren soll die Reaktorwahl anhand der enzymkatalysierten Synthese von chiralen
Tabelle 12.2 Vergleich der idealen Reaktoren Vorteile
Nachteile
batch-Reaktor
• hohe Flexibilität • hoher Umsatz • niedrige Investitionskosten wegen meist geringerem Regelaufwand • einfache pH-Kontrolle und Sauerstoffversorgung (Oxidasen)
• diskontinuierlich • schlechteste Raum-Zeit-Ausbeute aufgrund von Stand- und Rüstzeiten • hohe Lohnkosten durch höheren Personalaufwand • hohe Substratkonzentrationen – Substratüberschussinhibierung
PFR
• • • • •
• geringe Flexibilität • Kontrolle der Reaktionsbedingungen wie pH oder pO2 schwierig bzw. unmöglich • hohe Investitionskosten • hoher Regelaufwand • hohe Substratkonzentrationen – wenig geeignet bei Substratüberschussinhibierung
CSTR
• einfache pH-Kontrolle und Sauerstoffversorgung (Oxidasen) aufgrund der idealen Durchmischung • Kontrolle der Reaktionsgeschwindigkeit • weitgehende Automatisierung • geringe Lohnkosten • kleine Reaktorvolumina • gleichbleibende Produktqualität
höchste Raum-Zeit-Ausbeute weitgehende Automatisierung geringe Lohnkosten kleine Reaktorvolumina gleichbleibende Produktqualität
• • • •
geringe Flexibilität hohe Investitionskosten hoher Regelaufwand hohe Produktkonzentration – wenig geeignet bei Produktinhibierung • niedrigerer Umsatz für Reaktionen erster und höherer Ordnung
12
12
438
Cyanhydrinen diskutiert werden. (R)-Hydroxynitrillyase ((R)-HNL), (R)-Oxynitrilase) katalysiert die enantioselektive Addition von Blausäure (HCN) an Benzaldehyd und andere Aldehyde (Gregory 1999). Allerdings vermindert eine konkurrierende nicht-enzymatische Parallelreaktion den Enantiomerüberschuss des Produktes (Kragl et al. 1990; Abb. 12.10).
12 Enzymatische Prozesse
B etrachtet man nun die Reaktionsgeschwindigkeiten der beiden Reaktionen in Abhängigkeit von der Benzaldehydkonzentration, ergibt sich folgendes Bild: Die enzymatische Reaktion verhält sich gemäß der Michael is-Menten-Kinetik, und die maximale Reaktionsgeschwindigkeit ist erreicht b ei einer Substratkonzentration von ca. 5 mmol l–1 (HCN-Konzentration
Abb. 12.10 Enzymkatalysierte Addition von Blausäure an Benzaldehyd und Parallelreaktion
Abb. 12.11 Kinetik der enzymkatalysierten Addition von Blausäure an Benzaldehyd und der Parallelreaktion als Funktion der Benzaldehydkonzentration
12.2 Technischer Einsatz von freien und immobilisierten Enzymen
1,0 mol l–1). Die Reaktionsrate der chemischen Reaktion steigt linear mit der Substratkonzentration (erste Ordnung). Als Konsequenz ist die enzymatische Reaktion dominierender bei geringen Benzaldehydkonzentrationen (Abb. 12.11). Für das zweite Substrat HCN gilt die analoge Überlegung. Aus der Betrachtung der Verläufe der enzymkatalysierten Hauptreaktion und der stöchiometrischen Nebenreaktion kann festgestellt werden, dass die Selektivität bezüglich des gewünschten Enantiomers bei niedrigen Substratkonzentrationen am größten ist. Da in einem CSTR am stationären Betriebspunkt Konzentrationen konstant gehalten werden können und die gewünschte Konzentration über die Verweilzeit bzw. Katalysatormenge eingestellt werden kann, wird in diesem Beispiel ein solcher Reaktor favorisiert. Der Km-Wert bezüglich HCN ist allerdings mit 711 mmol l–1 im Vergleich zum Km-Wert für Km Benzaldehyd mehr als 1 500-fach erhöht (K Benzaldehyd = 0,46 mmol l–1). Stellt man den stationären Betriebspunkt im CSTR bei einem hohen Umsatz ein, resultiert aufgrund der Auslaufbedingungen eine niedrige Substratkonzentation; d. h. für die enzymkatalysierte Reaktion resultiert eine Reaktionsordnung > 0 und somit eine niedrige Reaktionsgeschwindigkeit. Man betreibt den Reaktor also bei Konditionen, bei denen rS0Km,HCN <<1 ist. Bei kleinen rS0Km-Werten ist der CSTR dem PFR jedoch deutlich unterlegen (Abb. 12.6). Um hohe Umsätze im CSTR zu erreichen, müsste daher die Katalysatormenge oder das Reaktorvolumen erhöht werden, was zu erhöhten Prozesskosten führen würde. Hier könnte also ein PFR von Vorteil sein. Dieses Beispiel ist ein typisches Optimierungsproblem, welches häufig bei industriellen Prozessen auftritt. Es muss abgewogen werden zwischen der gewünschten Reinheit des Produktstroms nach der Reaktion und den dadurch entstehenden Mehrkosten. Die Wahl des besten Reaktortyps und der optimalen Reaktionsbedingungen ist in diesem Fall nicht nur auf Basis der Reaktionskinetik zu treffen, sondern bedarf eines Simulationsmodells basierend auf den Massenbilanzen, mit dem sich Faktoren wie Produktionsvolumen, Katalysatorkosten, Stabilität des Katalysators und Kosten für die Aufarbeitung
439
des Produktes abschätzen und optimieren lassen. Alle diese Aspekte beeinflussen die Reaktorwahl und müssen für jeden Prozess neu betrachtet werden.
12.2 Technischer Einsatz von freien und immobilisierten Enzymen Nachdem in den vorgehenden Kapiteln die Reaktoren und deren Vor- und Nachteile theoretisch diskutiert wurden, stellt sich nun die Frage des technischen Einsatzes von Enzymen. Hierbei gilt es zu klären, ob freie unmodifizierte Enzy me oder chemisch/physikalisch modifizierte Enzyme eingesetzt werden. Die chemische/physikalische Modifikation von Enzymen kann auf unterschiedliche Art erfolgen (Abb. 12.12): • Einschließen des Enzyms in (Gel-)Kapseln oder Fasern; • kovalente, ionogene oder adsorptive Bindung des Enzyms an Trägermaterialien; • Quervernetzung der einzelnen Enzyme (crosslinking) g bzw. der einzelnen Enzyme und Trägerpartikel (Co-crosslinking) g zur Bildung eines stabilen Enzymaggregates. Die Entscheidung, ob nicht-modifizierte oder modifizierte Enzyme verwendet werden sollen, wird von vielen Faktoren beeinflusst und muss für jeden Anwendungsfall gesondert getroffen werden. In Tabelle 12.3 sind Vor- und Nachteile dieser beiden Verfahren zusammengefasst. Während freie Enzyme nur in Lösung eingesetzt werden können und meist mit aufwendigen Ultrafiltrationen vollständig von dem Reaktionsmedium abgetrennt werden müssen (Abschnitt 12.5), erweitert sich das Anwendungsspektrum durch die Modifikation von Enzymen. So lassen sich einfacher kontinuierliche Prozesse realisieren, wie z. B. Festbett- oder Wirbelschichtreaktoren, wofür die Fixierung (Immobilisierung) des Enzyms an einen Träger notwendig ist. Da kleine Träger und Kapseln in Lösungen suspendiert werden können, kann auch eine quasi „homogene“ Katalyse realisiert werden. Dieses gilt
12
12
440
12 Enzymatische Prozesse
Tabelle 12.3 Vergleich der Vor- und Nachteile nicht-modifizierter und modifizierter Enzyme Nicht-modifizierte Enzyme
Modifizierte Enzyme
• • • • • •
• hohe Kosten • geringe Aktivitätsausbeute durch die Modifizierung • heterogene Katalyse bei trägergebundenen Enzymen, d. h. unter Umständen Stofftransportlimitierung • erhöhte Stabilität • veränderte kinetische Konstanten • einfache Separation vom Reaktionsmedium und Katalysator • einfache Wiederverwendung • nur lösliche Substrate
geringe Kosten homogene Katalyse häufig eingeschränkte Stabilität unveränderte Aktivität unveränderte kinetische Konstanten erschwerte Separation vom Reaktionsmedium und Katalysator • erschwerte Wiederverwendung • feste Substrate möglich
Einschluss Matrixeinschluss
Kapseln
Enzym Enzym Enzym
Abb. 12.12 Arten der chemisch/physikalischen Modifikation von Enzymen
Enzym
Fasern
Enzym
Bindung rägerfixiert tträgerfixiert
ionisch/ adsorptiv
Enzym
nativ
kovalent
c rosslinking
Enzym
Enzym
Enzym
Enzym Enzym
aber nur, wenn die Diffusionslimitierung aufgrund des kleinen Partikeldurchmessers in der Größenordnung des Km-Wertes liegt. Durch die Vergrößerung des mittleren Partikeldurchmessers gegenüber dem freien Enzyms reduziert sich allerdings der Aufwand bei der Abtrennung von Feststoff und Reaktionsmedium. Ein wesentlicher Faktor, der die Entscheidung zum Einsatz von modifizierten Enzymen beeinflusst, sind die Kosten für das Enzym. Bei preiswerten Enzymen lohnt sich der Aufwand für die Modifikation nicht; solche Enzyme werden nur einmal eingesetzt und am Ende des Prozesses verworfen. Werden die Produktionskosten jedoch wesentlich von den Enzymkosten bestimmt, so kann durch Modifikation, Rezirkulierung und
Enzym
Enzym Enzym
Enzym
Enzym
Enzym
Enzym
co-crosslinking
Enzym Enzym
Enzym
Rückhalt des Enzyms im Reaktor die TurnoverZahl für das Enzym (Mol erzeugtes Produkt je Mol verbrauchtes Enzym) erhöht und damit der relative Anteil der Enzymkosten an den Gesamtkosten gesenkt werden. Falls durch Modifikation die Stabilität des Enzyms wesentlich erhöht werden kann, resultieren längere Standzeiten des kontinuierlichen Prozesses.
12.3 Prozessvarianten Der einfachste Prozess ist der Einsatz von f reien Enzymen. Die unmodifizierten Enzyme werden
12.3 Prozessvarianten
am Anfang des Prozesses zugesetzt und nach Ablauf der Reaktion verworfen. Solch ein Prozess kann ein batch-Prozess sein, es kommen aber auch CSTR oder PFR zum Einsatz. In allen Fällen handelt es sich um eine homogene Katalyse, bei der das Enzym in der Regel am Ende des Prozesses inaktiviert wird. Je nach Anwendungsfall verbleibt das (inaktivierte) Enzym in der Produktlösung oder wird im Zuge der Produktaufarbeitung entfernt. Solch eine Prozessführung ohne Rückhaltung, Wiederverwendung bzw. Rezirkulierung des Katalysators ist nicht nur auf unmodifizierte Enzyme beschränkt; suspendierbare immobilisierte Enzyme sowie quervernetzte Enzyme könnten ebenfalls eingesetzt werden, allerdings sind die Kosten der chemisch/physikalischen Modifikation meist zu hoch und die Vorteile zu gering, als dass sich solch ein Aufwand lohnt. Werden daher teure oder modifizierte Enzyme eingesetzt, müssen diese vielfach rezykliert werden, um den resultierenden Prozess ökonomisch zu gestalten. Zwei grundlegende Prozessvarianten sind hier denkbar: • Immobilisieren des Enzyms in Kapseln, Fasern oder auf makroskopischen Trägern, die dann in Festbett- bzw. Wirbelschichtreaktoren eingesetzt werden können (Abb. 12.5). Es handelt sich um eine heterogene Katalyse. Das Enzym verbleibt ortsfest im Reaktor und wird vom Reaktionsmedium umspült, ohne dass es vom Produktstrom aus dem Reaktor getragen wird. Oft wird dem Enzym durch die Bindung an feste Träger zusätzlich Stabilität verliehen, wobei häufig ein wesentlicher Nachteil die auftretenden Stofftransportlimitierungen sind (Abschnitt 12.4). • Lösliche, freie bzw. suspendierbare, modifizierte Enzyme werden mit kontinuierlich betriebenen Separationsmodulen – vorwiegend Membranfiltern – am Verlassen des Prozesses gehindert. Durch diese Art der Prozessführung lassen sich die Vorteile der heterogenen Katalyse in einem kontinuierlichen Prozess realisieren. Membranreaktoren sind die bekannteste technische Lösung und werden im Abschnitt 12.5 diskutiert. Der Produktstrom aus einem Reaktor mit immobilisierten Enzymen bzw. mit Rückhaltung
441
des Enzyms ist weitgehend frei von Enzymverunreinigungen, sodass die Immobilisier ung als erster Schritt der Produktaufarbeitung (Downstream Processing, Kapitel 10) b etrachtet werden kann. Dies ist insbesondere dann vorteilh af t, wenn reine Produkte g ewünscht sind. B ei den vorher genannten Prozessvarianten handelt es sich in der Regel um einphasige, vorwiegend wässrige Systeme. Lange Zeit wurde angenommen, dass die Biokatalyse auf rein wässrige Medien und daher auch auf wasserlösliche Substrate und Produkte b eschränkt sei. Tatsächlich arb eiten viele Enzyme jedoch natürlicherweise in nicht wässrigen Umgebungen, z. B. in Zellmembranen. Bereits 1936 f üh rte Sym Estersynthesen, katalysiert durch Lipasen in einem organischen Lösungsmittel, Benzol, durch. Die Entdeckung, dass Biokatalysatoren auch in nicht rein wässriger Umgebung arbeiten, hat der Biotechnologie eine neue Reaktionsführung erschlossen. Viele organische Produkte, die heute in der chemischen, pharmazeutisch en oder Lebensmittelindustrie hergestellt bzw. als Grundsubstanzen b enötigt werden, sind nicht oder nur gering wasserlöslich, oder sie sind instabil im wässrigen Milieu. Diese Produktklasse und viele neuartige Produkte können mit biotechnologischen Methoden durch die Nutzung von nicht-konventionellen Reaktionsmedien hergestellt werden. Als nicht-konventionelle Reaktionsmedien werden Systeme b ezeichnet, die entweder hauptsächlich aus organischen Verbindungen (Lösungsmittel , Substrat, Produkt), üb erkritischen oder ionischen Flüssigkeiten bestehen. Auch gasförmige Reaktionssysteme werden zu den nicht-konventionellen Reaktionsmedien gezählt. Gemeinsam ist diesen Systemen ein im Vergleich zu konventionellen Reaktionsmedien reduzierter Wasseranteil . Ein weiterer wichtiger Vorteil viel er nichtkonventioneller Reaktionsmedien ist ein g utes L ösungsvermögen für hydrophob e, in Wasser schwerlösliche Verbindungen. Ein Vergleich der Vor- und Nachteile nicht-konventioneller Reaktionssysteme ist in Tabelle 12.4 gegeben. Die unterschiedlichen nicht-konventionellen Reaktionsmedien werden in Abschnitt 12.6 diskutiert.
12
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442
12 Enzymatische Prozesse
Tabelle 12.4 Vergleich der Vor- und Nachteile nicht-konventioneller Reaktionsmedien Vorteile
Nachteile
• erhöhte Konzentration von gering wasserlöslichen Substraten/Produkten • erleichterte Produktaufarbeitung durch Phasentrennung (Trennung Produkt/Katalysator, Rückhaltung des Katalysators) • Verschiebung des Reaktionsgleichgewichtes zu höheren Umsätzen durch Produktextraktion • Reversion einer hydrolytischen Reaktion durch Verringerung der Wasseraktivität
• Proteindenaturierung in unnatürlichen Medien und an der Phasengrenzfläche durch Grenzflächeneffekte • Diffusionslimitierung (Stofftransport über die Phasengrenzfläche) • aufwendige Prozessführung • hohe Prozessdrücke beim Einsatz von überkritischen Lösungsmitteln • Toxizität und Brennbarkeit von organischen Lösungsmitteln • weniger erforscht
12.4 Stofftransportlimitierung bei trägerimmobilisierten Enzymen Wie bereits erwähnt kann es bei trägerimmobilisierten Enzymen zu Stofftransportlimitierungen kommen. Zur Beurteilung immobilisierter Enzyme wird der Wirkungsgrad η verwendet, der in der Gleichung (12.26) definiert ist.
η=
spezifische Reaktionsgeschwindigkeit des immobilisierten Enzyms
spezifische Reaktionsgeschwindigkeit des freien Enzyms
Die Michaelis-Menten-Gleichung eines immobilisierten Enzyms lautet damit: vaapp =
viimm. vffrei
(12.26)
Der Wirkungsgrad η ist eine Funktion verschiedener Parameter. Wenn die durch die Immobilisierung hervorgerufenen Änderungen der Enzymeigenschaften vernachlässigt werden, dann wird die Reaktionsgeschwindigkeit im Wesentlichen durch die Konzentration der Substanzen bestimmt, die sich in unmittelbarer Nähe des Enzyms befinden. Diese Konzentrationen werden von externen und internen Stofftransp orteffekten beeinflusst, wobei die externen Effekte durch die Umströmung des Trägers (Konvektion) und die internen Effekte durch die in den Poren eines porösen Trägers (Diffusion) auftretenden Transportphänomene bewirkt werden (vgl. auch Abschnitt 6.3.3). In Abbildung 12.13 sind schematisch die Verhältnisse dargestellt, die beim Einsatz immobilisierter Enzyme auftreten.
(12.27)
bzw. in der Lineweaver-Burk-Form: Km 1 1 1 = ⋅ + = v ⋅ vmmax c S,Bulk ⋅ vmmax
K m,app =
⋅ vmax ⋅ cS,Bulk K m + cS,Bulk
vmmax
⋅
1 c S,Bulk
+
1
(12.28)
vmmax,app
Die Konzentration cS,Bulk ist hierbei die im Kern der Lösung (engl. bulk) vorliegende Konzentration. In Abbildung 12.14 wird am Beispiel der einfachen Michaelis-Menten-Kinetik unter Verwendung des Lineweaver-Burk-Diagramms gezeigt, wie η die beobachtete Enzymkinetik beeinflussen und zu Fehlschlüssen bezüglich der Enzymkinetik führen kann. B ei hohen Substratkonzentrationen wird der Einfluss des Stofftransports vernachlässigbar, und die Lineweaver-Burk-Auf tragung ergibt die korrekten Werte für Km und vmax. Bei niedrigen Substratkonzentrationen hingegen wird die Kinetik immer stärker vom Stofftransport beeinflusst, und der aus der Lineweaver-BurkAuftragung ermittelte Wert für Km,app ist ein Scheinwert (app. = engl. apparent, scheinbar), der nicht dem wahren Wert Km entspricht. Der Wirkungsgrad η nimmt bei cS,Bulk = 0 seinen geringsten Wert an.
443
12.4 Stofftransportlimitierung bei trägerimmobilisierten Enzymen
Abb. 12.13 (a) Konzentrationsprofil an einem nicht-porösen Träger, der mit Enzym beladen ist und von Substratlösung umströmt wird; (b) Konzentrationsprofil an einem porösen Träger, der in den Poren mit Enzym beladen und von Substratlösung umgeben ist
Abb. 12.14 Einfluss des Stofftransports auf die Kinetik immobilisierter Enzyme (nach Prenosil et al. 1987)
12.4.1 Externe Stofftransportlimitierung Zur Erläuterung der externen Stofftransportlimitierung wird ein nicht-poröses Partikel betrachtet, bei dem alles Enzym auf der Oberfläche
immobilisiert ist (Abb. 12.13a). In der Lösung liegt Substrat S der Konzentration cS,Bulk vor, das aus dem Kern der Strömung durch Konvektion an die Grenzschicht gebracht wird. In der Grenzschicht stellt der Konzentrationsg radient die einzige treibende Kraft dar, und das Substrat bewegt sich durch Diffusion bis zum Enzym. Im stationären Zustand muss das pro Zeiteinheit zum Enzym transportierte Substrat gleich dem dort pro Zeiteinheit verbrauchten Substrat sein. Für eine einfache Michaelis-Menten-Kinetik ist damit die apparente Reaktionsgeschwindigkeit vapp durch Gleichung (12.29) gegeben: v app = k ls ⋅ (
,
) = vmmax ⋅ c S
K m + cS
(12.29)
wobei kls der Stoffübergangskoeffizient von der flüssigen zur festen Phase und cS die am Enzym vorliegende Substratkonzentration sind. Man beachte die Analogie zwischen dieser Gleichung und Gleichung (6.50), die für den Sauerstoffübergang von der gasförmigen in die flüssige Phase und den anschließenden Sauerstoffverbrauch durch Mikroorganismen hergeleitet wurde.
12
12
444
12 Enzymatische Prozesse
In Kapitel 6 ist die Ähnlichkeitstheorie eingeführt worden, die zur Maßstabsübertragung dimensionslose Größen verwendet. Auf dieses Konzept wird hier zurückgegriffen. Die hier verwendeten dimensionslosen Größen sind im Kapitel 6 beschrieben. Unter Verwendung der dimensionslosen Größen, c (12.30a) = S c S,Bulk Km
(12.30b) c S,Bulk und der Damköhlerzahl Da lässt sich Gleichung (12.29) vereinfachen: =
1− = + Da
(12.31)
Dabei ist die physikalische Bedeutung der Damköhlerzahl von Bedeutung:
Da =
vmax kls . cS,Bulk
=
maximale Reaktionsgeschwindigkeit
c c² ± + 2 4
(12.33)
mit c = Da + − 1
(12.34)
Die externe Stofftransportlimitierung wird durch die Strömungsbedingungen beeinflusst und ist durch die dimensionslose Sherwoodzahl Sh gekennzeichnet: k ⋅d Sh = ls D
Sh = b . Re
(12.35)
wobei d den Partikeldurchmesser und D den Diffusionskoeffizienten darstellen. Für Festbett-
n1
. Sc n2
(12.36)
Re ist die Reynoldszahl, Sc die Schmidtzahl und b eine Konstante; und die Exponenten n1 und n2 werden von den Strömungsbedingungen bestimmt. Die Analogie zwischen Stoff- und Wärmeübergang wird deutlich, wenn man die Gleichungen (12.36) und (6.73) vergleicht. Im Rührkesselreaktor wird die Vorhersage des Stoffübergangs dadurch erschwert, dass die Geschwindigkeit der Flüssigkeit ortsabhängig ist und dass nicht die absolute Geschwindigkeit, sondern die relative Geschwindigkeit zwischen Flüssigkeit und Partikeln den Stoffübergang bestimmt. In verschiedenen Korrelationen wird kls als Funktion des Leistungseintrags oder der Reynoldszahl des Rührers angegeben. Weitere Korrelationen nehmen die Form von Gleichung (6.64) an.
maximale Stoffübergangsgeschwindigkeit (12.32)
Falls Da << 1 gilt, dann wird vapp durch die Reaktionsgeschwindigkeit bestimmt. Umgekehrt wird für Da >> 1 die apparente Reaktionsgeschwindigkeit durch den Stoffübergangswiderstand bestimmt. Diese beiden Grenzfälle werden als reaktionslimitierter Bereich bzw. diffusionslimitierter Bereich bezeichnet. χ erhält man durch Auflösen von Gleichung (12.31): =
und Wirbelschichtreaktoren gilt die folgende Korrelation:
12.4.2 Interne Stofftransportlimitierung Um die pro Träger immobilisierte Menge an Enzym zu maximieren, werden meist poröse Träger verwendet, bei denen sich das Enzym auch auf den inneren Oberflächen befindet. Die innere Oberfläche eines solchen Partikels kann das Vielfache der äußeren Fläche betragen. Das Konzentrationsprofil des Substrates im Inneren des Trägers wird von der Diffusion und der Reaktion im Partikel bestimmt. Für einen kugelförmigen Träger gilt im stationären Zustand folgende Massenbilanz, wobei eine einfache Michaelis-Menten-Kinetik angenommen wurde: 2 dc · v ⋅ c § d²c Deff ⋅ ¨ S + ⋅ S ¸ = mmax S r² d r dr ¹ K m + c S ©
(12.37)
mit den Randbedingungen: d
cS | r=0 = 0; cS dr
r=R
= cS
(12.38)
0
Dieses Problem wurde bereits im Abschnitt 6.3.3 am Beispiel der Diffusion des Sauerstoffs in ein kugelförmiges Agglomerat aus Biomasse behan-
12.4 Stofftransportlimitierung bei trägerimmobilisierten Enzymen
delt (Gleichungen (6.51 und 6.52)). Der effektive Diffusionskoeffizient Defff wird unter anderem von der Porosität des Trägers, der Tortuosität („Verwickeltheit“) der Porengänge und der Größe der Poren im Vergleich zur Größe des diffundierenden Partikels beeinflusst. Defff ist deshalb schwierig zu berechnen und wird häufig unter Verwendung eines mathematischen Modells aus den experimentellen Daten ermittelt. Analog zu Abschnitt 6.3.3 kann auch hier ein Thielemodul φ definiert werden (siehe Gleichung (6.56)), der ein Maß für das Verhältnis des Stoffstroms mit Substratverbrauch zum Stoffstrom des Substrats durch reine Diffusion ist. In der Herleitung von Gleichung (12.37) wurde angenommen, dass die Enzymbeladung entlang der Poren einheitlich ist. Da aber auch die Beladung des Trägers mit Enzym ein kinetischer Prozess ist, bei dem das Enzym in die Poren diffundieren und dort mit der Matrix reagieren muss, tritt häufig eine uneinheitliche Enzymverteilung auf, sodass vmaxx in Gleichung (12.37) eine Funktion des Radius’ ist. Zusätzlich zu der externen Stofftransportlimitierung tritt also eine interne Stofftransportlimitierung auf, die den Wirkungsgrad η des immobilisierten Katalysators herabsetzt. Das Verhältnis von externem zu internem Stoffstrom wird durch die Biotzahl Bi charakterisiert, die in Gleichung (6.70) bereits für den Wärmetransport beschrieben wurde: Bi =
externer Stoffstrom k ls ⋅ d = interner Stoffstrom Deff
445
Trägers von dem Verhältnis in freier Lösung unterscheidet, wodurch sich der pH in der Mikroumgebung des Proteins ändert. Ebenso kann sich Km,app verändern, wenn ein geladenes Substrat durch ein auf einer geladenen Matrix immobilisiertes Enzym umgesetzt wird. Analoges gilt für hydrophobe Wechselwirkungen. Ein weiterer möglicher Grund für veränderte kinetische Eigenschaften kann darin liegen, dass das Enzym durch eine kovalente Bindung an einen Träger immobilisiert wurde und dass dadurch geladene Gruppen des Enzyms neutralisiert und damit die Struktur des Enzyms geändert wird. Die Einflüsse der Mikroumgebung auf die Enzymkinetik sind der Grund, warum immobilisierte Enzyme häufig andere kinetische Eigenschaften auf weisen als die freien Enzyme.
12.4.3 Experimentelle Bestimmung der Stofftransportlimitierung Zur Untersuchung, ob ein System diffusionslimitiert ist, wird der Integralreaktor genutzt. Beim Integralreaktor handelt es sich um einen Festbettreaktor. Man verwendet Festbettreaktoren mit unterschiedlichen Reaktorvolumina bzw. Katalysatormassen. Zwei unterschiedliche Experimentaltechniken werden genutzt (Abb. 12.15):
(12.39)
Aus der Biotzahl kann entnommen werden, ob Diffusionslimitierungen überwiegend durch externe oder durch interne Limitierungen verursacht werden. Die Beschreibung der kinetischen Eigenschaften von Enzymen, die auf bzw. in Trägern immobilisiert sind, wird durch eine Reihe anderer Faktoren erschwert, die unter dem Überbegriff Mikroumgebung zusammengefasst werden können. Mit Mikroumgebung ist die direkte Umgebung des immobilisierten Enzyms gemeint. Die Bedingungen in der Mikroumgebung können sich von den Bedingungen im Kern der Lösung unterscheiden. So kann eine Nettoladung des Trägers dazu führen, dass sich die Verteilung von H+- und OH–-Ionen an der Oberfläche des
Abb. 12.15 Integralreaktor zur Untersuchung von Stofftransportlimitierung
12
12
446
12 Enzymatische Prozesse
a) Im ersten Fall wird das Katalysatorvolumen variiert, allerdings die Verweilzeit konstant gehalten. b) Im zweiten Fall wird sowohl das Katalysatorvolumen als auch die Verweilzeit variiert. Da im Fall (a) die Verweilzeit beim Durchgang durch die unterschiedlichen Rohrreaktoren konstant gehalten wird, gilt: V
V
τ = R1 = R2 Q Q 1
(12.40)
2
Man misst nun in den unterschiedlichen Reaktoren den Umsatz χ und trägt diesen als Funktion des Volumenstroms Q 2 auf. Damit erhält man schematisch das folgende Bild (Abb. 12.16): Nimmt der Umsatz trotz konstanter Verweilzeit mit zunehmender Strömungsgeschwindigkeit zu, so liegt zumindest bei hohen Strömungs-
Abb. 12.16 Vergleich des Umsatzes in zwei PFR bei unterschiedlichen Katalysatormengen und gleicher Verweilzeit. Liegt keine Stofflimitierung vor, ist der Umsatz in beiden Reaktoren gleich (obere Kurve)
Abb. 12.17 Vergleich des Umsatzes als Funktion der Verweilzeit in zwei PFR mit unterschiedlichen Katalysatormengen. Ist das System nicht stofftransportlimitiert, liegen die Umsätze in beiden Reaktoren auf einem Kurvenzug.
geschwindigkeiten Diffusionslimitierung vor. Bleibt dagegen der Umsatz unabhängig von der Strömungsgeschwindigkeit so liegt ein Fall von Reaktionslimitierung vor. Der Einfluss der Strömungsgeschwindigkeit bei konstanter Verweilzeit kann auch aus der Damköhlerzahl abgelesen werden. vmax (12.41) Da = k ls ⋅ c S,Bulk da gilt vmmax ≠ f c S,Bulk
( ) und k
ls
( )
= f Q
B ei unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten bleibt vmax / cS,Bulk unverändert, kls steigt allerdings mit der Strömungsgeschwindigkeit, wodurch Da erniedrigt wird. Liegt allerdings Da selbst bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten oberhalb von eins, ist die Reaktionsgeschwindigkeit durch den Stoffübergangswiderstand bestimmt. Im zweiten Fall wird das Reaktorverhalten bei unterschiedlichen Verweilzeiten charakterisiert und die Funktion des Umsatzes von der Verweilzeit χ = f ( ) für die beiden unterschiedlichen Bettvolumina untersucht. Trägt man nun den Umsatz als Funktion der Verweilzeit auf, lassen sich prinzipiell zwei Fälle unterscheiden (Abb. 12.17). Im reaktionsbestimmten Fall lassen sich die Messwerte aus b eiden Reaktoren al s Funktion der Verweilzeit in einem Kurvenzug interpol ieren. Im diff usionsb estimmten Fall ist b ei gegebener Verweilzeit der Umsatz in dem Reaktor mit der höheren Strömungsgeschwindigkeit jeweils größer.
12.5 Enzym-Membranreaktoren
12.5 Enzym-Membranreaktoren Bei diesem Verfahren werden die Katalysatoren durch eine Membran am Verlassen des Reaktorraumes gehindert. Membranen können diffusiv oder konvektiv betrieben werden. Im Diffusionsreaktor wird das Substrat an der Membran vorbeigeführt, diffundiert durch die Membran zur Enzymlösung, wird dort umgesetzt und diffundiert als Produkt zurück in den Zulauf (Abb. 12.18). Die Diffusion bietet Vorteile, wenn scherempfindliche Katalysatoren, wie z. B. Zellen, eingesetzt werden. Diffusion ist allerdings ein sehr langsamer Prozess, daher lassen sich hohe Produktivitäten nur in konvektiv betriebenen Membranreaktoren erzielen, bei denen das Substrat in den Reaktor, in dem sich das Enzym befindet, geleitet wird, dort reagiert und als Produktlösung abfiltriert wird. Im Folgenden werden daher nur konvektiv betriebene Membranreaktoren diskutiert.
Abb. 12.18 Das Prinzip des Membran-Diffusionsreaktors. S = Substrat, P = Produkt, E = Enzym. Die Membran ist rot dargestellt
447
Um geringe Verweilzeiten und damit hohe Raum-Zeit-Ausbeuten zu erzielen, werden im Allgemeinen konzentrierte Enzymlösungen im Membranreaktor eingesetzt. Da bei der Filtration konzentrierter Proteinlösungen der erzielb are Transmembranfluss weit geringer als der vergleichbare Fluss mit Wasser ist, können nur in Ausnahmefällen (z. B. bei hohen Verweilzeiten und bei Verwendung von Enzymen mit einer hohen spezifischen Aktivität) einfache Filtrationszellen mit integrierter Membran als kontinuierliche Rührkesselreaktoren eingesetzt werden. Meist ist ein separates Membranmodul mit einer größeren Membranfläche erforderlich. In einem konvektiv betriebenen Membranreaktor können unmodifizierte, lösliche Enzyme aber auch auf Trägern fixierte, in Kapseln eingeschlossene oder auch quervernetzte Enzymaggregate eingesetzt werden, sofern diese im Reaktionsmedium suspendiert werden können.
12.5.1 Konvektiv betriebene Membranreaktoren Die Membrantechnik ist ein Teilgebiet der Filtration. Die Grundlagen der Filtration sind in Kapitel 10 näher beschrieben. Membranreaktoren werden vor allem cross-flow w betrieben. Der Aufbau eines cross-flow-Filtermoduls ist in Abbildung 12.19 dargestellt. Bei der cross-flow-Filtration strömt der Zulauf (Feed) über die Membran. Bei ausreichender Strömungsgeschwindigkeit werden Teilchen durch Turbulenzen und Wirbel wieder zurück in die Strömung transportiert. Dadurch wird die
Abb. 12.19 Prinzipieller Aufbau eines cross-flow-bew triebenen Membranmoduls
12
12
448
12 Enzymatische Prozesse
wobei cP bzw. cR die Konzentrationen der zurückgehaltenen Komponente im Permeat bzw. Retentat darstellen. In Abbildung 12.20 ist die spezifische Konzentration der zurückgehaltenen Komponente (Katalysator) über die Zahl der mittleren Verweilzeit N = _τt in einem kontinuierlich betriebenen Membranreaktor dargestellt. Es ist deutlich zu sehen, dass für eine kontinuierliche Prozessführung die Retention einen Wert von deutlich über 99 % annehmen muss, um eine effektive Rückhaltung des
Katalysators zu gewährleisten, da selbst bei einer Retention von R = 99 % nach ca. 70 Verweilzeiten die Hälfte des Katalysators über die Membran ausgetragen wurde. Das Retentionsvermögen einer Membran kann durch zwei Arten der Versuchsdurchführung bestimmt werden (Abb. 12.21). Bei der Gleichgewichtsbestimmungg wird eine bekannte Menge der zu vermessenden Substanz in das geschlossene System gegeben. Das Filtrationsmodul wird nun als diskontinuierlicher Filter betrieben, indem die Retentatseite verschlossen wird. Das Permeat wird so lange rezirkuliert, bis sich ein Gleichgewicht einstellt. Danach wird sowohl auf der Permeat- als auch auf der Retentatseite die Konzentration der zu vermessenden Komponente bestimmt, wodurch direkt auf die Retention geschlossen werden kann. Bei der gravimetrischen Methode wird eine bekannte Menge der zu vermessenden Substanz in das Membranmodul eingepumpt. Auch in diesem Fall wird das Filtrationsmodul als diskontinuierlicher Filter betrieben und die Retentatseite verschlossen. Substratfreie Flüssigkeit wird nun mit einem konstanten Volumenstrom durch das Modul gepumpt und die Konzentration der zu vermessenden Komponente wird am Auslass überwacht. Die über den Versuchszeitraum durch die Membran gelangte Menge der vermessenen Komponente wird bestimmt, wodurch sich der
Abb. 12.20 Verlust an Katalysator über d ie Membran in einem kontinuierlich betriebenen Membranreaktor bei unterschiedlichen Rückha lte ve rmögen R
Abb. 12.21 Bestimmung des Retentionsvermögens einer Membran mit der (a) Gleichgewichtsbestimmung und (b) gravimetrischen Methode. Die zu vermessende Substanz ist in Rot dargestellt
Deckschichtbildung vermieden (Kapitel 10). Die filtrative Stofftrennung erfolgt mit Membranen als Filtermedium. Die treibende Kraft der Membranfiltration ist ausschließlich der Druckgradient. Die Trennwirkung wird im Wesentlichen von der mittleren Porengröße bestimmt. Die Membrantechnik ermöglicht eine Trennung bis hin in den molekularen Bereich und ist daher auch zur Abtrennung von Enzymen geeignet. Am Ende des Filtrationsvorgangs resultieren immer zwei Flüssigkeiten, das Filtrat (Permeat) und das Konzentrat (Retentat). Ein wichtiger Parameter zur Bewertung von Membranprozessen ist das Rückhaltevermögen (Retention) der Membran. Die Retention ist definiert als: c R = 1 − cP
(12.42)
R
12.5 Membranreaktoren
449
Grad des Rückhaltevermögens zu einer bekannten Verweilzeit τ bestimmen lässt. Alternativ wird nach einer definierten Anzahl von Verweilzeiten das Retentatvolumen des Filtrationsmoduls entnommen und gravimetrisch analysiert.
12.5.2 Prozesse mit separater Filtrationseinheit In der folgenden Ableitung, die eine Erweiterung der Herleitung von Flaschel (1983) darstellt, wird das Verhalten eines Enzymreaktors mit externem Filtrationsmodul beschrieben. In Abbildung 12.22 ist schematisch ein in drei Segmente unterteilter Rohrreaktor gezeigt: Das gesamte System besteht aus dem eigentlichen Reaktor (Volumen VR) mit dem Volumenstrom Q R, dem Membranmodul (Volumen VM) mit dem Volumenstrom Q M und dem Rücklauf (Volumen VRL) mit dem Volumenstrom Q RRL. Das Rücklaufverhältnis Q Rv = RL Q F ist ein Maß für die interne Rückvermischung, wobei Q F der Feedstrom ist. Bei vernachlässigbar kleinem Volumen des Rücklaufs und der Membraneinheit lässt sich die bekannte Gleichung für Rohrreaktoren mit Rücklauf anwenden (Hill 1977): F dF τ = ( v ) . cS,ein ³ (12.43) v RV . F 1+ RV
Für Rv → 0 beschreibt die Gleichung (12.43) das Verhalten eines PFRs, und für Rv → ∞ das eines idealen Rührkesselreaktors. In Abbildung 12.23 ist am Beispiel einer substratüberschussinhibierten Michaelis-Menten-Kinetik der Einfluss des Rücklaufverhältnisses auf das Verhältnis eCSTR /ePFR dargestellt, wobei ein rS0Km-Wert von 10 und eine durch das Verhältnis rKiS = 1 gegebene starke Substratüberschussinhibierung vorliegt. Die Kurven für Rv = 0 in Abbildung 12.23 und für rKiS = 1 in Abbildung 12.6 entsprechen einander. Mit zunehmendem Rücklaufverhältnis vermindert sich der Unterschied
Abb. 12.22 Aufteilung des Membranreaktors in drei Segmente. Grau: Reaktor; hellrot: Membranmodul; dunkelrot: Rücklauf
Abb. 12.23 Eignung des Rohreaktors mit Rücklauf und des Rührkesselreaktors für ein Enzym mit Substratüberschussinhibierung. Parameter ist das Rücklaufverhältnis Rv
zwischen dem Rohrreaktor und dem Rührkesselreaktor.
12.5.2.1 Konzentrationsverteilung in den drei Segmenten Reaktor, Membranmodul und Rücklauf In realen Reaktoren ist die Vernachlässigung der Volumina VM und VRL in der Regel nicht zulässig. Da die Enzyme nicht immobilisiert und damit frei beweglich im Reaktor sind, werden sie während der Passage des Membranmoduls konzentriert und als hochkonzentrierte Lösung über den Rücklauf dem Reaktor wieder zugeführt. Damit ergibt sich die Konzentration der Katalysatoren in den drei Segmenten als eine Funktion des Rücklaufverhältnisses Rv und der Volumina VR, VM und VRL.
12
12
450
12 Enzymatische Prozesse
In dieser Ableitung wird von einer ideal semipermeablen Membran ausgegangen, die alles Enzym vollständig zurückhält, während das Reaktionsmedium die Membran ungehindert passieren kann. Die gesamte Enzymmenge Eges im Reaktionssystem verteilt sich auf die drei Einzelvolumina VR, VM und VRL: E ges = VR ⋅ c E,R + VM ⋅ c E,M + V RRL ⋅ c E,RL
(12.44) c E,M =
wobei cE,R, cE,M M und cE,RL die Enzymkonzentrationen im Reaktor, im Membranmodul und im Rücklauf darstellen. An jedem Ort im Reaktor gilt die Kontinuitätsgleichung: Q R ⋅ c E,R = Q M (
)
E,M
( ) = Q RL ⋅ c E,RL
Die Annahme eines konstanten Filtratflusses über die Länge der Membran ist dann gültig, wenn die durch die Aufkonzentrierung hervorgerufene höhere Konzentration der gelösten Substanzen nur vernachlässigbaren Einfluss auf die Membranpermeabilität und den osmotischen Druck hat. Die mittlere Konzentration im Membranmodul ergibt sich damit zu: L 1 Q R ⋅ c E,R ⋅ dx = ³ L 0 Q M ( )
(
v
) ⋅ c E,R
L
L
³ 0
1 1 + Rv −
x L
⋅ dx
(12.47) c E,M = c E,R ⋅ (
v
(12.45)
) ⋅ ln 1+ Rv Rv
(12.48)
Mit den Gleichungen (12.44) und (12.45) folgt für die Konzentrationen im Reaktor und im Rücklauf:
Die Konzentrationen im Reaktor und im Rücklauf sind konstant, während sich die Konzentration im Membranmodul ändert. Unter der Annahme eines über die Länge des Membranmoduls konstanten Filtratstroms ist der Retentatstrom im Modul nur eine Funktion der axialen Koordinate (Abb. 12.24):
c E,RL =
Q x· § Q M ( ) = Q R − F ⋅ x = Q F ⋅ ¨1 + Rv − ¸ (12.46) L¹ L ©
Bei Rührkesselreaktoren kann das Rücklaufverhältnis beliebig verändert werden, ohne dass sich
c E,R =
V R + VM ⋅ (
1 + Rv ⋅ c E,R Rv
E ges 1 + Rv 1 + Rv + V RRL ⋅ v ) ⋅ ln Rv Rv
(12.49)
(12.50)
Abb. 12.24 Schematische Darstellung der Abnahme des Volumenstroms im Membranmodul (a) und der daraus resultierenden Aufkonzentrierung des Enzyms im Reaktor, im Membranmodul und im Rücklauf (b)
12.6 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien
die Charakteristik des Reaktors ändert. Damit kann durch Erhöhung des Rücklaufverhältnisses eine gleichmäßige Enzymverteilung im gesamten Reaktor erreicht werden (cE,R = cE,M M = cE,RL). Da sich der Rohrreaktor mit steigendem Rücklaufverhältnis immer mehr der Charakteristik des Rührkesselreaktors nähert, bei niedrigem Rv aber die im Reaktor vorliegende Enzymkonzentration wesentlich geringer als die auf das gesamte Reaktorvolumen Vges = VR + VM + VRL bezogene Enzymkonzentration ist, muss für jede Geometrie das optimale Rücklaufverhältnis gefunden werden. Abbildung 12.25 stellt das Verhältnis der Enzymkonzentration eRreal in einem Reaktor mit externer Filtereinheit zu der Enzymkonzentration eR∞ in einem Reaktor mit integrierter Membran bzw. in einem Reaktor mit externer Filtrationseinheit und unendlichem Rücklaufverhältnis dar. Parameter sind das Rücklaufverhältnis und die drei Volumina VR, VM und VRL. Man erkennt,
Abb. 12.25 Die Enzymkonzentration in einem Reaktor mit externer Filtrationseinheit im Verhältnis zu der Enzymkonzentration eines Reaktors bei unendlichem Rücklaufverhältnis als Funktion des Rücklaufverhältnisses Rv und der Volumina der Reaktorkomponenten. (a) Parameter der beiden Kurven ist VM / Vg mit VRL/V Vg = 0,02 = konst.; (b) Parameter bei den Kurven ist VRL/V Vg mit VM/V Vg = 0,02 = konst.
451
dass sich bei geringem Rücklaufverhältnis das meiste Enzym im Rücklauf bzw. im Membranmodul aufhält.
12.6 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien Wie bereits erwähnt sind die meisten eingesetzten nicht-konventionellen Reaktionsmedien organische Lösungsmittel. Hierbei muss man unterscheiden zwischen dem Einsatz von reinem Lösungsmittel (Abschnitt 12.6.1) und wässrigen Mehrphasensystemen (Abschnitt 12.6.2). Ein flüssiges Mehrphasensystem ist ein System bestehend aus mindestens zwei nicht miteinander mischbaren Phasen. Man unterscheidet bei den flüssigen Mehrphasensystemen je nach der Zusammensetzung der Phasen wässrig/wässrige Zweiphasensysteme und wässrig/organische Zweiphasensysteme. Wässrig/wässrige Mehrphasensysteme bestehen aus zwei ineinander unlöslichen wässrigen Phasen. Diese treten z. B. bei Polymer/Polymerlösungen oder Polymer/Salzlösungen unter bestimmten Bedingungen auf (vgl. Abschnitt 10.3.4). Für die Biokatalyse spielen die wässrig/wässrigen Zweiphasensysteme allerdings eine untergeordnete Rolle, sie werden jedoch zur Aufarbeitung von Enzymen industriell eingesetzt. Von wachsender Bedeutung für die Biokatalyse sind wässrig/organische Zweiphasensysteme; sie sollen daher hier näher diskutiert werden. Ein solches Reaktionssystem besteht aus einer wässrigen und einer wasserunlöslichen organischen Phase. Die organische Phase besteht in diesen Systemen aus einem organischen Lösungsmittel, das als Trägerphase fungiert und in dem das Substrat bzw. das Produkt gelöst ist, oder im Extremfall aus einer reinen Lösungsmittel-, Substrat- bzw. Produktphase. Eine Einteilung kann aufgrund unterschiedlicher Volumenverhältnisse von organischer und wässriger Phase erfolgen. Für nicht-konventionelle Reaktionsmedien mit organischen Lösungsmitteln können folgende Fälle unterschieden werden (Abb. 12.26): • rein organisch • Emulsionen • Mikroemulsion und revers micellare Systeme
12
12
452
12 Enzymatische Prozesse
Abb. 12.26 Klassifizierung organisch/wässriger Systeme
12.6.1 Rein organische Systeme Bei diesem Reaktionssystem wird das Enzym in der organischen Phase suspendiert (als Lyophilisat oder auf Trägern immobilisiert). Der Wassergehalt ist in diesem Fall auf das „Strukturwasser“ reduziert, das auf der Enzymoberfläche gebunden vorliegt und auch durch Lyophilisation nicht entfernt werden kann (Faber 2000). Obwohl diese Systeme in der Literatur als low water media bzw. anhydrous solventt bezeichnet werden, ist die Wasseraktivität in solchen Systemen von entscheidender Bedeutung für die Enzymaktivität. Enzyme sind nur in ihrer natürlichen Konformation katalytisch aktiv. Diese Konformation wird unter anderem durch elektrostatische und hydrophobe Wechselwirkungen, durch Wasserstoffbrückenbindungen und durch Van-der-Waals-Kräfte erzeugt. Wasser beeinflusst diese Wechselwirkungen, Enzyme ändern daher in Abwesenheit von Wasser ihre Konformation und sind in der Regel nicht aktiv. Die Menge an Wasser, die ein Enzymmolekül benötigt, um seine Tertiär- bzw. Quartärstruktur zu erhalten, kann jedoch erstaunlich gering sein; häufig nur 50–500 Moleküle. Um die katalytische Aktivität von Enzymen in organischen Lösungs-
mitteln zu gewährleisten, muss dem organischen Lösungsmittel deshalb Wasser zugesetzt werden. Manche Enzyme (z. B. Schweine-Pankreas-Lipase) haben jedoch Wasser, auch im lyophilisierten Zustand, so fest gebunden, dass sie in beinahe „trockenen“ organischen Lösungsmitteln aktiv sind. In der Regel liegt das hydratisierte Enzym dabei als feste Phase suspendiert in der organischen Phase vor. Wegen der verschwindend geringen Menge des in diesen Reaktionssystemen vorhandenen Wassers wird häuf ig der Begriff der „reinen“ organischen Lösungsmittel für die Reaktionsphase verwendet, obwohl dies streng genommen nicht korrekt ist, da organische Lösungsmittel teilweise Wasser enthalten. Die Wassermenge, die nötig ist, um die höchste Aktivität des Enzyms zu erreichen, muss für jedes Reaktionssystem neu bestimmt werden. Sie ist für jedes Enzym unterschiedlich und wird stark vom Lösungsmittel beeinflusst. Erschwerend kommt hinzu, dass eine genaue Systematik zur Bestimmung der notwendigen Wassermengen noch nicht besteht. Ein weiterer Nachteil ist, dass das Einstellen der Wasseraktivität im Lösungsmittel (und damit auch am Enzym) nur über Umwege möglich ist, was zu weiteren Additiven im System und zusätzlichem apparativen Auf wand führt.
453
12.6 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien
Viele Enzyme sind nicht ausreichend stabil in reinen organischen Lösungsmitteln. Die Stabilität kann in vielen Fällen jedoch dramatisch erhöht werden, wenn das Enzym auf einem Träger immobilisiert oder quervernetzt wird. Es gibt allerdings auch Beispiele, in denen die Thermo- und Langzeitstabilität in organischen Lösungsmitteln höher ist als in wässrigen Medien. Die geringe Solvatisierung der Enzyme in einem rein organischen Lösungsmittelsystem führt zu einer starren Konformation der Proteinmoleküle. Diese Einschränkung der Proteinbeweglichkeit sowie die Reduzierung der Reaktion der Proteinmoleküle mit Wasser – z. B. OH–- oder H+-katalysierte Hydrolyse von Peptidbindungen und Zerstörung von Disulfidbindungen, die zu einer irreversiblen Desaktivierung des Enzyms führen (Kapitel 3) – können zu einer Steigerung der Stabilität des Enzyms im Vergleich zu wässrigen Medien führen. Aufgrund der Einschränkung der Proteinbeweglichkeit in rein organischen Medien hängt der Zustand des Enzyms von seiner Vorbehandlung ab. Es hat immer die Konformation, in der es zur Zeit der Lyophilisierung vorlag (sogenannter molecular memory effect) (Griebenow und Klibanov 1996; Klibanov 2001). Das Enzym hat in seiner Konformation und seiner Hydrathülle den Zustand aus dem wässrigen Medium (pH etc.) gespeichert und verhält sich in dem organischen Lösungsmittel ähnlich wie in dem wässrigen Medium, aus dem es lyophilisiert wurde. Da es sich bei einem rein organischen System um ein Einphasensystem handelt, können die oben beschriebenen Reaktoren (batch-Reaktor, CSTR, PFR) und Prozessvarianten (Immobilisierung im Festbett und Wirbelschichtreaktor oder Membranreaktoren) eingesetzt werden.
12.6.2 Wässrig/organische Zweiphasensysteme Bei wässrig/organischen Zweiphasensystemen befindet sich der Biokatalysator in der wässrigen Phase. Es wird die natürliche Affinität des Produktes zur organischen Phase ausgenutzt, um das Produkt vom Biokatalysator zu trennen. Zusätzlich wird der Einfluss einer eventuell existierenden Produktinhibierung vermindert, da das
Produkt in die organische Phase extrahiert wird und das Enzym nur eine geringe Produktkonzentration „wahrnimmt“. Zweiphasensysteme bieten sich daher für Reaktionen an, deren Substrate hydrophil und deren Produkte hydrophob sind, da in der das Enzym enthaltenden wässrigen Phase stets eine hohe Substratkonzentration verfügbar ist, jedoch nur wenig Produkt vorliegt. Dies führt zu Reaktionsgeschwindigkeiten, die wesentlich höher als die bei rein wässrigen Systemen erzielbaren Reaktionsgeschwindigkeiten liegen. Reaktionsgleichgewichte können durch die Verschiebung der Gesamtkonzentrationen verlagert werden, Reaktionen können sogar entgegen ihrer im Wasser vorherrschenden Reaktionsrichtung ablaufen (siehe Veresterungen). Die Produktaufarbeitung kann für hydrophobe Produkte vereinfacht werden, da ein Aufarbeitungsschritt – die Extraktion – bereits im Reaktor integriert ist. Außerdem ist die Gefahr mikrobieller Kontaminationen durch den Zusatz einer organischen Phase verringert, da die meisten Mikroorganismen in organischen Lösungsmitteln nicht überleben können.
12.6.2.1 Emulsionen Emulsionen sind Systeme von zwei nicht oder nur begrenzt miteinander mischbaren flüssigen Phasen. Man unterscheidet im Allgemeinen zwischen Wasser-in-Öl-Emulsionen (W/O) oder Öl-inWasser-Emulsionen (O/W), je nachdem, welche die kontinuierliche und welche die dispergierte Phase ist (Abb. 12.26). Um eine gute Verteilung der dispergierten Phase innerhalb der kontinuierlichen Phase zu erhalten, werden die Phasen durch starke Scherkräfte intensiv vermischt. Auf diese Weise entstehen kleine Emulsionströpfchengrößen (Durchmesser ≈ 1 μm), wie z. B. in der Milch. Emulsionen, die eine nur grob dispergierte Phase enthalten, sind aber in der Regel nicht langzeitstabil. Durch die unterschiedliche Dichte der Phasen und durch Grenzflächeneffekte neigen die Tröpfchen zum Zusammenfließen, und die Phasen trennen sich nach einiger Zeit makroskopisch. Um eine Emulsion aufrechtzuerhalten, muss daher permanent Energie durch z. B. Rühren eingetragen oder die Emulsion durch Zugabe von Emulgatoren stabilisiert werden. Emulgatoren vereinfachen außerdem die feine
12
12
454
Verteilung der beiden Phasen ineinander. Emulgatoren sind grenzflächenaktive Stoffe, die z. B. die Grenzflächenspannung herabsetzen. Sie bestehen aus einem hydrophoben „Schwanz“ und einem hydrophilen „Kopf “ und richten sich entsprechend an Phasengrenzflächen aus. Der hydrophobe Schwanz hält sich dabei im organischen Lösungsmittel auf, der hydrophile Kopf in der wässrigen Phase (Abb. 12.26 und 12.27).
12.6.2.2 Mikroemulsionen und reverse Micellen Als besondere Klasse der Emulsionen werden die Mikroemulsionen und die reversen Micellen betrachtet (Abb. 12.27). Zur Erzeugung und Stabilisierung dieser Emulsionen werden dem System in der Regel Tenside zugesetzt. Mikroemulsionen sind Emulsionen mit sehr kleinen Tröpfchendurchmessern. Reverse Micellen bestehen aus Aggregaten von Tensiden mit noch geringeren Durchmessern (15–20 Å). Sie sind in der Lage, hydrophile Substanzen (z. B. Enzyme) in ihrem Inneren einzuschließen und so zu lösen. Die Durchmesser der Tröpfchen sind so gering, dass die Lösungen optisch transparent erscheinen und Phasengrenzflächen von bis zu 100 m2/ml Lösung erhalten werden. Der Übergang von reversen Micellen zu Mikroemulsionen ist nicht eindeutig definiert und wird nach der Micellgröße festgelegt. Je nach dem Grad der Hydrophilität des Enzyms hält sich das Enzym entweder völlig in der Micelle (Abb. 12.27a), in der Zwischenphase (Abb. 12.27b) oder teilweise im organischen Lösungsmittel auf (Abb. 12.27c). Die reversen
Abb. 12.27 Aufbau von Mikroemulsionen bzw. reversen Micellen (nach Khmelnitsky et al. 1988). (a) Hydrophiles Enzym, (b) grenzflächenaktives Enzym, (c) hydrophobes Enzym
12 Enzymatische Prozesse
Micellen geben dem Enzym also die Möglichkeit, sich seine optimalen Umgebungsbedingungen, die häufig dem Zustand in der lebenden Zelle entsprechen, selbst zu schaffen. Mikroemulsionen und reverse Micellen zeichnen sich gegenüber herkömmlichen Zweiphasensystemen besonders durch ihre thermodynamische Stabilität aus; die Tröpfchen neigen nicht zum Zusammenfließen, und die beiden Phasen sind ineinander fein verteilt. Ein Vorteil dieser Systeme gegenüber einfachen Emulsionen liegt daher in der großen Phasengrenzfläche und dem damit verbesserten Stofftransport zwischen den zwei Phasen. Zusätzlich bieten Mikroemulsionen und reverse Micellen den Vorteil, dass ein hydrophiles Enzym durch die Anordnung der Tenside an der Phasengrenzfläche nicht in direkten Kontakt mit der organischen Phase kommt. Da viele Enzyme an der Phasengrenzfläche Wasser/organisches Lösungsmittel durch Grenzflächenkräfte denaturiert werden, tritt in reversen Micellen und Mikroemulsionen häufig eine im Vergleich zu anderen wässrig/organischen Systemen erhöhte Stabilität des Enzyms auf. Mikroemulsionen und reverse Micellen sind also Systeme, die sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammensetzen. Sie sind thermodynamisch stabil, und ihre Zusammensetzung kann im ternären Phasendiagramm (Abb. 12.28) abgelesen werde. Der rote L2-Bereich in Abbildung 12.28 gibt den Bereich an, in dem reverse Micellen auftreten. Die Größe der reversen Micellen hängt von dem Verhältnis der Wasserkonzentration zur Tensidkonzentration (w0) ab.
12.6 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien
Abb. 12.28 Dreiecksdiagramm des Systems AOT (Natrium-bis(2-ethylhexyl)-sulfosuccinat)/Iso-Oktan/ Wasser (Tamamushi und Watanabe 1980). L1: normale Micellen, L2: reverse Micellen, 2L: Oktan/WasserEmulsion, D und F: flüssigkristalline Mesophasen mit lamellarer und reverser hexagonaler Struktur, L+LC: flüssige Phase und flüssigkristalline Mesophase
w0 =
< <
2
> >
(12.51)
Als weitere Einflussgrößen sind Temperatur, Ionenkonzentrationen und Art und Menge weiterer gelöster Stoffe zu berücksichtigen. Bei geringen Verhältnissen von Wasser- zu Tensidkonzentrationen halten sich nur ein Enzymmolekül und einige Dutzend Wassermoleküle pro Micelle auf. Durch Einsatz von z. B. kurzkettigen Alkoholen anstatt von Tensiden können auch stabile Mikroemulsionen ohne Tenside erzeugt werden, was die Produktaufarbeitung unter Umständen wesentlich vereinfacht.
12.6.3 Reaktionsgleichgewichte in Zweiphasensystemen Aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit der beiden Phasen stellen sich in einem Zweiphasensystem nach dem Nernst’schen Verteilungssatz für eine gelöste Substanz unterschiedliche Gleichgewichtskonzentrationen in den Phasen ein (vgl. Abschnitt 10.3.4). Die Bedingung für das thermodynamische Gleichgewicht ist dann
455
Abb. 12.29 Konzentrationsverläuf e an den Phasengrenzflächen einer Emulsion mit hydrophilem Substrat S und hydrophobem Produkt P, bei der die Reaktion in der wässrigen Phase stattfindet
erfüllt, wenn das chemische Potenzial in beiden Phasen identisch ist. Findet in einer der beiden Phasen eine Reaktion statt, so muss für das verbrauchte Substrat und das entstehende Produkt deshalb ein Stofftransport zwischen den Phasen zustande kommen. Dieser Konzentrationsausgleich erfolgt durch Diffusion der Substanzen von der einen in die andere Phase. Dabei entsteht das in Abbildung 12.29 dargestellte Konzentrationsprofil für Substrat S und Produkt P. Die Geschwindigkeit des Stofftransports wird durch physikalische Konstanten, wie z. B. den Diffusionskoeffizienten der transportierten Moleküle in den beiden Phasen, aber auch durch die Dicke der Grenzschichten und Größe der Phasengrenzfläche bestimmt. Läuft eine Reaktion nun vergleichsweise schnell zum Stofftransport ab, so liegt Diffusionslimitierung (Da >> 1; Abschnitt 12.4.1) vor, d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit wird durch den Stofftransport bestimmt. Um diesen Zustand zu vermeiden, wird eine möglichst feine Verteilung der beiden Phasen (d. h. geringe Tröpfchengrößen) angestrebt, damit die Phasengrenze groß ist und der Stofftransport schnell vonstattengeht. Wegen der Scherempfindlichkeit von Enzymen sind dem Erzeugen einer beliebig feinen Dispersion durch Erhöhen der
12
12
456
12 Enzymatische Prozesse
Rührintensität jedoch Grenzen gesetzt, sodass beim Einsatz dieser Systeme die Reaktion in der Regel im diffusionslimitierten Bereich stattfindet. Das Gleichgewicht einer Reaktion eines Substrates S zum Produkt P ist durch eine thermodynamische Gleichgewichtskonstante Keq festgelegt. Sie gibt das Verhältnis der Aktivitäten von Produkt und Substrat im Reaktionsmedium an (γS und γP sind die Aktivitätskoeffizienten von Substrat und Produkt). S
K eq
P
c P,eq P,eq K eq = ⋅ c S,eq S,eq
(12.52) (12.53)
Der Verteilungskoeffizient K*S eines gelösten Substrates S in einem Zweiphasensystem ist ebenfalls eine thermodynamische Gleichgewichtsgröße und hängt im Wesentlichen von der Zusammensetzung der beteiligten Phasen und der Temperatur ab. Er beschreibt die Verteilung des Substrates zwischen zwei nicht mischbaren Phasen und ist gemäß Gleichung (12.54) definiert. xSorg ⋅ Sorg xSw ⋅ Sw
K S* =
(12.54)
xSorg ist der Molanteil des Substrates in der organischen Phase und xSw der Molanteil des Substrates in der wässrigen Phase. Sorg und Sw sind die Aktivitätskoeffizienten des Substrates in der organischen bzw. der wässrigen Phase. Bei sehr großer Verdünnung des Substrates S gilt Sw → 1 und Sorg → 1 und somit (vgl. Abschnitt 10.3.4): K S* =
vmorg x Sorg c Sorg ⋅ vmorg = = ⋅ K S x Sw c Sw ⋅ vmw vmw
(12.55a)
Der Verteilungskoeffizient KP für das Produkt P ist analog zu Gleichung (12.54) bzw. Gleichung (12.55b) definiert.
12.6.3.1 Verschiebung des Reaktionsgleichgewichts durch Produktextraktion B etrachtet man ein Zweiphasensystem als ein homogenes Gesamtsystem, so lässt sich für dieses System analog zu Gleichung (12.56) eine Gleichgewichtskonstante K eqGes definieren: K eqGes =
c P,Geseq
(12.57)
es c SG,eq
Diese Gleichgewichtskonstante des Gesamtsystems wird von der Gleichgewichtskonstanten der Reaktion in der wässrigen Phase K eqW und den Verteilungskoeffizienten des Substrates KS und des Produktes KP bestimmt (Abb. 12.30). Die Gesamt-Produkt- und Gesamt-Substratkonzentration setzt sich aus der in der organischen und der in der wässrigen Phase vorhandenen Produkt- bzw. Substratmenge zusammen. K eqGes =
c WP ⋅ V W + c Porg ⋅ V org c WS ⋅ V W + c Sorg ⋅ V org
(12.58)
Durch Erweitern der Gleichung (12.58) mit c WP ⋅ V W / c WS ⋅ V W und durch Einsetzen der Gleichungen (12.56) und (12.55b) erhält man (Martinek et al. 1981): W ⋅ K eqGes = K eq
1+ K P ⋅ 1+ K S ⋅
(12.59)
mit α als dem Verhältnis des Volumens der organischen Phase V org zu dem Volumen der wässrigen Phase V W.
mit dem in der Biotechnologie häufig benutzten Verteilungskoeffizienten des Substrates auf Konzentrationsbasis KS und dem Molvolumen vmorg der organischen bzw. vmw der wässrigen Phase: KS =
cSorg cSw
(12.55b)
Analog gilt gemäß Gleichung (12.53) für Sw → 1 und Sorg → 1: c K eeq = P,eq (12.56) cS,eq
Abb. 12.30 system
Reaktionsgleichgewicht im Zweiphasen-
457
12.6 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien
Abb. 12.31 Reaktionsgleichgewicht als Funktion der Verteilungskoeffizienten und der Phasenzusammensetzung α
α=
V org VW
(12.60)
Abbildung 12.31 stellt den aus Gleichung (12.59) resultierenden Verlauf der Gleichgewichtskonstante K eqGes für verschiedene α dar. Man erkennt, dass bei großen Verhältnissen von Volumen der organischen zur wässrigen Phase die Gleichgewichtskonstante des Gesamtsystems um einige Zehnerpotenzen gegenüber der Gleichgewichtskonstante im wässrigen System verschoben werden kann, wenn die Verteilungskoeffizienten von Produkt und Substrat sich stark unterscheiden. Analog erhält man für eine Zwei-Substratzwei-Produkt-Reaktion gemäß Abbildung 12.32 die Gleichgewichtskonstante für das Zweiphasensystem. W K eGqes = K eq ⋅
( (
P A
) ⋅ (1 + K Q ⋅ ) )( ) B
(12.61)
mit K eWq =
c Pw ⋅ cQw c Aw ⋅ c Bw
(12.62)
Aus Abbildung 12.33 wird ersichtlich, dass die Gleichgewichtskonstante einer Zwei-Substratzwei-Produkt-Reaktion in einem Zweiphasensystem ebenfalls stark von dem Verhältnis der Volumina von organischer zu wässriger Phase abhängt. Durch geeignete Wahl von α in einem Zweiphasensystem kann man sowohl eine Verringerung als auch eine Erhöhung des Gleichgewichtsumsatzes herbeiführen. Ist der Verteilungskoeffizient
Abb. 12.32 Modellzusammenhänge für eine ZweiSubstrat-zwei-Produkt-Reaktion in einem Zweiphasensystem
für das Substrat A und das Produkt Q identisch, so erhält man den in Abbildung 12.31 dargestellten Verlauf der Gleichgewichtskonstanten. Wird das Produkt mit der organischen Phase zur weiteren Aufarbeitung abgezogen, so ist jedoch nicht die Zusammensetzung des Gesamtsystems von Interesse, sondern der erreichbare Umsatz in der organischen Phase. Für diesen Fall lässt sich in Analogie zu Gleichung (12.62) eine Gleichgewichtskonstante für die organische Phase definieren: c Porg ⋅ cQorg (12.63) K eoqrg = org org c A ⋅ cB Durch Einsetzen der Gleichungen (12.55b) und (12.62) in (12.63) erhält man: K eorg q W K eq
=
K P ⋅ KQ K A ⋅ KB
(12.64)
Das Verhältnis der Gleichgewichtskonstanten ist dann proportional zu dem Verhältnis der Vertei-
12
12
458
12 Enzymatische Prozesse
Abb. 12.33 Reaktionsgleichgewicht als Funktion der Verteilungskoeffizienten und der Phasenzusammensetzung α
lungskoeffizienten und unabhängig vom Verhältnis der Volumina von organischer zu wässriger Phase. In logarithmischer Schreibweise lautet Gleichung (12.64): log
K eoqrg W K eq
= logK P + logK Q − (
A
B)
(12 (12.65)
Durch Kenntnis der Verteilungskoeffizienten von Substrat und Produkt lässt sich mit Gleichung (12.65) das scheinbare Gleichgewicht in der organischen Phase berechnen. Sind keine experimentellen Daten über Verteilungskoeffizienten von Substraten und Produkten vorhanden, so lassen sie sich aus der chemischen Struktur der Substanzen abschätzen. Dabei wird das Molekül in seine Bestandteile (Gruppen) zerlegt und als Summe dieser Bestandteile interpretiert. Spezifische Stoffdaten für diese Bestandteile und Wechselwirkungen zwischen Bestandteilen des Moleküls kann man der Literatur entnehmen (Rekker 1977; Hansch und Leo 1979). Da sich bei der Umwandlung eines Substrates in ein Produkt nur gewisse Gruppen am Molekül ändern, folgt, dass sich die Verteilungskoeffizienten von Substrat und Produkt auch nur in den Beiträgen der Stoffdaten dieser Gruppen unterscheiden können. Da andere Teile des Moleküls durch die Reaktion nicht beeinflusst werden, ändern sich die Beiträge dieser Gruppen zur Berechnung des Verteilungskoeffizienten des Moleküls nicht. Daraus folgt gemäß Gleichung (12.65), dass das Ver-
hältnis der Gleichgewichtskonstanten nur durch die Beiträge der reagierenden Gruppe bestimmt wird, wobei Wechselwirkungsparameter mit anderen Gruppen des Moleküls berücksichtigt werden müssen. log
K eqorg W K eq
=∑
Gruppenparameter für nur in Produkten vertretene Grupp en
− ∑ Gruppenparameter für nur in Substraten vertretene Gruppen
Aus diesem Zusammenhang lässt sich das Verhältnis der Gleichgewichtskonstanten für Reaktionstypen in verschiedenen Mehrphasensystemen nach den Daten von Rekker (1977) vorhersagen (Halling 1990). Dabei sollte allerdings b erücksichtigt werden, dass die Berechnungsmethode nach Rekker oder Hansch nicht alle Wechselwirkungen der Molekülbestandteile berücksichtigt und bei einigen Substanzen daher nur Abschätzungen über die Verschiebung der Gleichgewichtskonstanten in einem Zweiphasensystem zulässt. Tabelle 12.5 gibt eine Übersicht über das Verhältnis der Gleichgewichtskonstanten verschiedener enzymatisch katalysierter Reaktionstypen in Zweiphasensystemen, die sich aus unterschiedlichen organischen Lösungsmitteln zusammensetzen. Dabei wurde angenommen, dass es sich bei der Oxidation von Alkoholen um eine EinSubstrat-Reaktion handelt, obwohl dies streng genommen nicht korrekt ist. Zur Oxidation von Alkoholen muss ein Oxidationsmittel (z. B. NADP+) eingesetzt werden, das als zweites Substrat auftritt
459
12.6 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien
W Tabelle 12.5 Verhältnis der Gleichgewichtskonstanten log ( K org q ) in verschiedenen Zweiphaseneq q / K eq systemen für unterschiedliche Reaktionstypen. Werte für Veresterung aliphatischer Moleküle basieren auf Gruppenparametern nach Rekker (1977), weitere Daten basieren auf experimentell ermittelten Verteilungskoeffizienten (nach Halling 1990)
Gruppenparameter für
Veresterung aliphatischer Alkohole
Lösungsmittel
aliphatischer Alkohol
aliphatischer Ester
aliphatische Carbonsäure
log (Korg/Kw)
n-Octanol
–1,47
–0,938
1,251
1,16
Ether
–1,879
–1,238
–1,553
1,56
Benzol
–3,128
–2,898
–1,51
4,52
CCl4
–3,19
–3,30
–1,44
5,05
Öle
–2,861
–2,253
–1,93
3,18
Lösungsmittel
Propan-2-ol
Aceton
log (Korg/Kw)
log K-Werte für
Oxidation von Propan-2-ol
Oxidation von Benzylalkohol
n-Octanol
0,05
–0,24
–0,29
Ether
–0,26
–0,21
0,05
Benzol
–0,94
–0,05
0,89
CCl4
–1,09
–0,30
0,79
Öle
–1,19
–0,81
0,38
Lösungsmittel
Benzylalkohol
Benzaldehyd
log (Korg/Kw)
n-Octanol
1,10
1,45
0,35
Cyclohexan
–0,62
1,23
1,85
n-Hexan
–0,76
1,11
1,87
und während der Reaktion reduziert wird (zu NADPH). Die Berechnung der Gleichgewichtskonstanten in Tabelle 12.5 impliziert also, dass die Verteilungskoeffizienten für das zweite Substrat und das zweite Produkt (NADP+ und NADPH) identisch sind und daher keinen Einfluss auf die Gleichgewichtskonstante Koeqrg haben. Für NADP+ als Oxidationsmittel ist diese Annahme zulässig, da sowohl NADP+ als auch NADPH sich ausschließlich in der wässrigen Phase aufhalten. Für die Herleitung von Gleichung (12.62) und die Berechnung der in Tabelle 12.5 angegebenen Werte wurde angenommen, dass die Substrate und Produkte in unendlicher Verdünnung vorliegen und die Aktivitätskoeffizienten eins sind. Für höhere Konzentrationen ist diese Annahme nicht zulässig. Durch die UNIFAC-Methode lassen sich durch Gruppenparameter auch Aktivitätskoeffizienten nach der chemischen Strukturformel berechnen.
Das Verhältnis der Gleichgewichtskonstanten einer Zwei-Substrat-zwei-Produkt-Reaktion wird ebenfalls durch Gleichung (12.64) angegeben, wobei berücksichtigt werden muss, dass die Gleichgewichtskonstanten und Verteilungskoeffizienten gemäß den Gleichungen (12.53) und (12.54) Funktionen der Aktivitätskoeffizienten sind. Somit lassen sich auch Vorhersagen über das Verhältnis der Gleichgewichtskonstanten in Zweiphasensystemen treffen, die Substrate und Produkte in höheren Konzentrationen enthalten.
12.6.3.2 Reversionsreaktionen In vielen Reaktionen ist Wasser ein Reaktionspartner. Enzyme, die solche Reaktionen katalysieren, sind die Hydrolasen. Beispiele für diese Enzyme sind die Lipasen oder Esterasen (Abb. 12.34). Lipasen sind grenzflächenaktive Enzyme, die in wässriger Umgebung Ester hydrolytisch spalten
12
12
460
12 Enzymatische Prozesse
Abb. 12.34 Reaktionsschema der Lipase-katalysierten Hydrolyse bzw. Veresterung
und in Emulsionen Veresterungen oder Umesterungen ermöglichen (vgl. Tabelle 12.5). Wegen ihrer günstigen Verfügbarkeit, ihrer hohen Stereo- und Regiospezifität haben Lipasen mehrere industrielle Anwendungen gefunden. Bei der Hydrolyse in wässrigen Systemen wird die Konzentration des Wassers in der Regel als konstant (55,5 mol/l) angenommen und die Wasseraktivität zu eins gesetzt. Ist die Wasseraktivität kleiner als eins, so kann jedoch das Gleichgewicht einer Reaktion z. B. von der Hydrolyse zu einer Kondensation verschoben werden. Neben der Erhöhung des Umsatzes von Veresterungsreaktionen durch Einsatz eines Zweiphasensystems und Produktextraktion kann man den Umsatz durch Verringerung der Wasseraktivität steigern. Ist nur wenig Wasser vorhanden, so wird die Kondensationsreaktion die Hydrolyse überwiegen. Um die Reaktion durch Verringerung der Wasseraktivität zu vollständigem Umsatz zu treiben, muss deshalb das durch die Reaktion entstandene Wasser während der Reaktion stetig entfernt werden. Dies kann z. B. durch Vakuumdestillation, Trocknung der organischen Phase über Molekularsiebe oder auch über Pervaporation mit wasserselektiven Membranen erfolgen.
12.6.4 Prozessführungs- und Aufarbeitungsverfahren von Mehrphasensystemen Technische Enzyme sind in der Regel hydrophil und halten sich dann ausschließlich in der wässrigen Phase bzw. an der Phasengrenzfläche auf. Da Zweiphasensysteme häufig durch die Diffusion der Substrate und Produkte zwischen den beiden Phasen limitiert sind, wird versucht, die Phasengrenzfläche zu maximieren.
Eine feine Dispersion zweier unlöslicher Phasen wird normalerweise durch hohe Rührleistungen erreicht. In biotechnologischen Reaktoren sind dem Leistungseintrag durch Rühren jedoch Grenzen gesetzt, da der Energieauf wand sowie der Investitionsauf wand für den Reaktor stark ansteigen und scherempfindliche Enzyme durch den hohen Energieeintrag zerstört werden könnten. Die Zugabe von stabilisierenden Zusätzen (z. B. Tenside, Emulgatoren) verringert den Aufwand zur Aufrechterhaltung einer Emulsion; allerdings erschweren sie die Aufarbeitung erheblich. Die Entmischung der Emulsion in eine das Enzym enthaltende und eine das Produkt enthaltende Phase erleichtert die Produktaufarbeitung, da die Phasen leicht mechanisch getrennt werden können. Dies geschieht umso schneller, je größer die dispergierten Tröpfchen sind. Hier treten also bei der Auslegung eines Prozesses zwei gegensätzliche Ziele auf: Zum einen muss für einen optimalen Stofftransport im Reaktor ständig gerührt und die dispergierte Phase so fein wie möglich verteilt werden, zum anderen soll für die Aufarbeitung eine möglichst schnelle und einfache Phasentrennung erhalten werden, was durch möglichst grobe Dispersionen erreicht wird. Deshalb müssen bei der Aufarbeitung von Zweiphasensystemen je nach Problemfall verschiedene Verfahrenstechniken angewendet werden. Ist der Dichteunterschied der beiden Phasen ausreichend, so kann die Phasentrennung durch Sedimentation erfolgen. Bei geringeren Dichtedifferenzen wird die Zentrif ugation eingesetzt (vgl. Abschnitt 10.3.4, Abb. 10.51). Ist die Emulsion durch Zusatz von Tensiden stabilisiert, so lassen sich die beiden Phasen nur schwierig makroskopisch trennen. Hier müssen Emulsionsspaltverfahren, wie z. B. die Membranfiltration, die Elektrokoaleszens oder Flotationsverfahren eingesetzt werden, um eine Trennung der Phasen zu erreichen.
12.6 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien
461
Abb. 12.35 Membranreaktor mit Mikroemulsion bzw. reversen Micellen als Reaktionsmedium, Produktabtrennung über Ultrafiltration und nachgeschaltete Destillation. Symbole vgl. Abb. 12.27
Die Aufarbeitung von Mikroemulsionen oder reversen Micellen stellt ein besonderes Problem dar, da die dispergierten Tröpfchen b esonders klein und mechanische Trennverfahren nur begrenzt anwendbar sind. Eine komplette Phasentrennung der beiden Phasen ist hier in der Regel nicht möglich, ohne den Biokatalysator zu schädigen. In einigen Mikroemulsionen und revers-micellaren Systemen kann durch Temperaturänderung eine Entmischung herbeigeführt werden. Man erhält dann eine den Biokatalysator enthaltende Phase und eine das Produkt enthaltende Phase. Dieses Vorgehen hängt jedoch stark von der Zusammensetzung des Mehrkomponentensystems ab und muss im Einzelfall getestet werden. Alternativ kann man durch den Einsatz der Ultra- bzw. der Nanofiltration reverse Micellen bzw. Mikroemulsionströpfchen zu einem Groß-
teil im Reaktor zurückhalten und die das Produkt enthaltende organische Phase abtrennen (Abb. 12.35). Das Tensid wird dabei jedoch nicht vollständig durch die Membran zurückgehalten, da nicht alle Tensidmoleküle in Micellaggregaten gebunden sind. In reversen Micellen oder Mikroemulsionen liegt das Tensid sowohl gebunden in Micellaggregaten als auch als gelöstes Monomer vor, das durch die Membran nicht zurückgehalten wird (Lüthi und Luisi 1984). Deshalb ist der Produktstrom mit Tensid verunreinigt, und dem Reaktor muss ständig neues Tensid zugeführt werden. Da die Phasentrennung bei Mikroemulsionen und reversen Micellen so schwierig erscheint, haben diese Systeme in der präparativen Biotechnologie bisher nur wenig Einsatz gefunden. Die Trennung der organischen und der wässrigen Phase ist jed och in vielen Fäl -
12
12
462
12 Enzymatische Prozesse
Abb. 12.36 Membranreaktor mit Mikroemulsion bzw. reversen Micellen als Reaktionsmedium, Produktabtrennung über Pervaporation (nach Röthig 1992)
len gar nicht notwendig. Häufig ermöglichen die physikalischen Eigenschaften des Produktes auch die Produktentfernung direkt aus dem Zweiphasen-Reaktor. Ist das Produkt z. B. leicht flüchtig, kann es durch Destillation bzw. Pervaporation in gleicher Weise wie aus einem Einphasen-Reaktor abgetrennt werden, ohne dass die Emulsion erst gespalten werden muss. B ei der Pervaporation kann durch den Einsatz von Membranen ein Aufarbeitungsschritt integriert und das Produkt mit erhöhter Selektivität abgetrennt werden, ohne dass Tensid im Produktstrom vorliegt (Abb. 12.36).
12.6.5 Aktivität und Stabilität von Enzymen in Mehrphasensystemen Die bisherigen Ausführungen gingen davon aus, dass das Enzym in Mehrphasensystemen sich genauso verhält wie in rein wässrigen Medi-
en. Diverse Ergebnisse belegen jedoch, dass in Mehrphasensystemen die spezifische Aktivität, die Substrat-, Stereo- und Regiospezifität und die Stabilität des Katalysators verändert sein können. Dies ist auf molekularer Ebene auf Wechselwirkung der Proteine mit gelösten Substanzen und den Einfluss von Grenzflächenkräften auf die tertiäre und quartäre Struktur der Enzyme zurückzuführen. Wie bei trägerimmobilisierten Enzymen kann sich auch die Mikroumgebung verändern; so können sich in feinen Emulsionstropfen die pH-Werte verschieben oder sich Substrat- und Produktkonzentrationen bzw. Ionenstärken verändern. Diese Einflussgrößen sind wegen der geringen Abmessungen der feinen Emulsionstropfen jedoch nur schwer und meist nur indirekt zugänglich. Manche Enzyme zeigen in Mehrphasensystemen erhöhte Aktivitäten, so wurde z. B. für Peroxidase in reversen Micellen eine gegenüber wässrigen Lösungen 20-fach höhere Aktivität festgestellt (Khmelnitsky et al. 1988). Die meisten bisher in Zweiphasensystemen untersuchten
463
12.6 Nicht-konventionelle Reaktionsmedien
Enzyme zeigen jedoch Aktivitäten, die vergleichbar oder unterhalb der in Wasser gemessenen Werte liegen. Die Abweichungen des Enzymverhaltens in Mehrphasensystemen sind erst dann prägnant, wenn die Wasserkonzentration gering wird, wie das z. B. in reversen Micellen der Fall ist. Dieses ist wiederum auf die Änderung der Mikroumgebung zurückzuführen, so verschiebt sich der pH-Wert in den Emulsionstropfen bei Einsatz von ionischen Tensiden (Martinek et al. 1982). Die meisten Enzyme haben in Mehrphasensystemen eine gegenüber rein wässrigen Medien herabgesetzte Stabilität. Dies ist in Emulsionen insbesondere auf die Auffaltung der Enzyme durch Grenzflächenkräfte an der Phasengrenze zurückzuführen. Wie schon bei den rein organischen Lösungsmitteln gezeigt, kann die Stabilität jedoch auch erhöht sein. Dieses hängt von der Menge des freien Wassers in dem Emulsionstropfen ab, je kleiner der Tropfen ist, desto mehr nähern sich die Verhältnisse dem rein organischen Lösungsmittel an. Die erhöhte Stabilität von Enzymen in Mehrphasensystemen kann somit durch verringerte Proteinbeweglichkeit und verringerte Menge an freiem Wasser z. B. in Mikroemulsionstropfen erklärt werden. In Mehrphasensystemen können auch erhöhte Langzeitstabilitäten von Enzymen gefunden werden, wenn weitere Effekte, die zur Desaktivierung des Enzyms führen, unterbunden werden. So können z. B. in reversen Micellen die Grenzflächeneffekte nur noch in verringertem Maße zur Auffaltung des Enzyms führen. Die Proteinaggregation, die zur Desaktivierung führen kann, ist in reversen Micellen auch verringert, da diese aufgrund ihrer geringen Abmessungen nur ein Proteinmolekül aufnehmen können.
12.6.6 Wahl des geeigneten organischen Lösungsmittels Ein wichtiger Faktor bei der Biokatalyse in reinen organischen Lösungsmitteln und organisch/ wässrigen Zweiphasensystemen ist die Wahl des adäquaten Lösungsmittels. Es wurde lange angenommen, dass die Polarität des organischen
Lösungsmittels der entscheidende Faktor für die Wahl des Lösungsmittels ist. Wenn das Enzym in das organische Lösungsmittel gegeben wird, kommt es zu einem „Kampf um Wasser“ zwischen allen Komponenten. Das Wasser ist an das Enzym und mögliche Träger zur Immobilisierung gebunden. Es ist gelöst im organischen Lösungsmittel und in der Gasphase oberhalb des Reaktionsmediums. Die Verteilung des Wassers ist abhängig von dessen Löslichkeit im organischen Lösungsmittel. Bei verringerten Wassergehalten entziehen hydrophile organische Lösungsmittel dem Enzym das Wasser. Die Löslichkeit ist vor allem von der Polarität des Lösungsmittels abhängig. Ein Maß für die Polarität eines Lösungsmittels ist der log P-Wert, der den Logarithmus des Verteilungskoeffizienten einer Substanz in einem Wasser/ Octanol-Zweiphasensystem beschreibt. Laane et al. (1985) stellten fest, dass Lösungsmittel mit einem log P < 2 in der Regel nicht als Reaktionsmedium für Biotransformationen geeignet sind. Allerdings konnte der Zusammenhang zwischen Aktivität und Stabilität nicht f ür alle enzymatischen Reaktionen verallgemeinert werden. Filh o et al. (2003) verglichen die Enzymaktivität von isolierter Alkoholdehydrogenase in organisch/ wässrigem Zweiphasensystem mit unterschiedlichen Lösungsmitteln. So wies das Enzym die höchste Halbwertzeit, Stabilität und Aktivität auf in einem tert-Butylmethylether(MTBE)Zweiphasensystem (log P = 1,0) verglichen mit einem Zweiphasensystem mit sowohl niedrigerem als auch höherem log P-Wert. Sie konnten die Enzymaktivität in den unterschiedlich en organisch/wässrigen Zweiphasensystemen wie folgt beschreiben: At = A0 ⋅ I e − k dea ⋅t '
(12.66)
Wobei At die zeitabhängige Aktivität, A0 die Anfangsaktivität, I die sofortige (instantaneous) Inhibierung und k'dea die Desaktivierung srate für das Enzym ist. I kann bestimmt werden, indem die Enzymaktivität in der wässrigen Phase gemessen wird, bevor das organische Lösungsmittel zugegeben wird, und diese verglichen wird mit der Enzymaktivität, gemessen fünf Minuten, nachdem das Lösungsmittel zugegeben wurde. Der Vorteil dieser Methode gegenüb er dem log P-Wert b esteht darin, dass neb en der
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12
464
12 Enzymatische Prozesse
12.6.7 Überkritische Fluide
Inhibierung des Enzyms durch die Zugabe des Lösungsmittels auch die zeitabhängige Desaktivierung, ausgedrückt durch die Desaktivierungsrate k'dea, erfasst wird (Abb. 12.37). Da eine Korrelation zwischen der Polarität und der Enzymaktivität nicht festgestellt werden konnte, nahmen Filho et al. (2003) an, dass die Klasse der Lösungsmittel eine wichtigere Rolle spielt als die Polarität. Es zeigte sich, dass das Enzym im Zweiphasensystem, bestehend aus kurzkettigen Ethern wie MTBE (Diethylether, Diisopropylether und Di-n-buthylether) als organische Phase, eine vergleichbare Aktivität zum MTBEZweiphasensystem aufweist, trotz unterschiedlicher log P-Werte (Diethylether: log P = 0,8; Diisopropylether: log P = 1,4; Di-n-buthylether: log P = 2,6). Eine allgemeine Systematik ist hier allerdings auch nicht möglich. Auch bei industriellen Biotransformationen haben organische Lösungsmittel mit log P-Werten < 2 inzwischen Eingang gefunden, so z. B. bei der Hydroxynitrillyase-katalysierten Addition von Blausäure an einen Aldehyd zur Synthese eines Pyrethroids (Groger 2001). Der Einfluss des Lösungsmittels hängt von mehreren Faktoren ab und kann mit einem einzelnen Parameter nicht erfasst werden. Da eine systematische Wahl des Lösungsmittels allerdings ein wichtiger Faktor für die Etablierung enzymatischer Prozesse in der Industrie ist, bedarf es auf diesem Gebiet weiterer Untersuchungen.
Neuerdings werden auch überkritische Fluide als Reaktionsmedien für enzymatische Synthesen eingesetzt. Der kritische Punkt einer Substanz ist durch eine kritische Temperatur und einen kritischen Druck charakterisiert (Abb. 12.38). Der überkritische Zustand ist demzufolge erreicht, wenn sowohl Temperatur als auch Druck oberhalb der kritischen Werte dieser Substanz liegen. Beim Übergang vom flüssigen oder gasförmigen Zustand in den überkritischen Zustand wird keine Phasengrenze überschritten, und damit findet keine sprunghafte, sondern eine kontinuierliche Änderung der physikalischen Eigenschaften statt. Die physikalischen Eigenschaften eines überkritischen Fluids liegen zwischen denen von Gasen und Flüssigkeiten. Kleine Variationen der Temperatur oder des Drucks können zu großen Veränderungen der Viskosität, Diffusivität und Löslichkeit von unterschiedlichen Komponenten im überkritischen Fluid führen, was eine gute Anpassung der physikalischen Eigenschaften des Reaktionsmediums ermöglicht; das Reaktionsmedium kann maßgeschneidert werden für bestimmte Reaktionen. Das am meisten genutzte System ist überkritisches Kohlendioxid, kritischer Punkt bei 31 °C und 73 bar. Weitere Fluide sind Fluorkohlenwasserstoffe (CHF3), Hydrocarbonate (Ethan, Ethen, Propan) oder anorganische Substanzen (SF6, N2O). Die
Abb. 12.37 Relative Aktivität eines Enzyms als Funktion der Zeit in einem wässrig/organischen Zweiphasensystem. Sofortige Inhibierung des Enzyms am Anfang nach Zugabe des Enzyms
Abb. 12.38 Phasendiagramm für Kohlendioxid. Im kritischen Punkt verschwinden die Flüssig- und Gasphase und gehen in eine überkritische Phase über
465
12.7 Prozessbeispiele
Eigenschaften bezüglich der Biokatalyse sind ähnlich zu unpolaren Lösungsmitteln wie z. B. Hexan. Der größte Vorteil überkritischer Fluide sind die hohen Diffusionsraten, d. h. geringe Diffusionslimitierungen, was zur Minimierung von Stofftransportlimitierungen führen kann. Überkritische Fluide wie z. B. CO2 sind nicht toxisch und lassen sich am Ende der Reaktion einfach abtrennen. Ein großer Nachteil ist der erhöhte apparative Aufwand, da die Reaktoren für den hohen Druck ausgelegt sein müssen, was zu hohen Investitionskosten führt. Alternativ zu überkritischen Fluiden konnten Ferloni et al. zeigen, dass sogar enantioselektive Reduktionen katalysiert durch Alkoholdehydrogenasen in der Gasphase mit Raum-Zeit-Ausbeuten > 100 g l–1 d–1 ablaufen können (Ferloni et al. 2004).
12.6.8 Ionische Flüssigkeiten Der Einsatz von ionischen Flüssigkeiten in der Biokatalyse wurde in den letzten Jahren verstärkt untersucht (Wasserscheid 2002). Ionische Flüssigkeiten sind niedrigschmelzende Salze, die bei Raumtemperatur flüssig sind. Sie sind ausschließlich aus Ionen aufgebaut und daher hochpolar. Der Dampfdruck solcher ionischen Flüssigkeiten ist vernachlässigbar klein, was bei der Abtrennung von leicht flüchtigen Produkten von großem Vorteil ist, um so das Reaktionsgleichgewicht in Richtung des Produktes zu verschieben. Da eine große mögliche Anzahl von Gegenionen denkbar ist, können die Löslichkeitseigenschaften der ionischen Flüssigkeiten über einen weiten Bereich leicht verändert werden, sodass unterschiedliche Substanzen in ionischen Flüssigkeiten gelöst werden können. Die Erforschung der ionischen Flüssigkeiten als Reaktionsmedium für die Biokatalyse steht noch am Anfang und derzeit ist kein industrieller Prozess realisiert, allerdings konnten in unterschiedlichen Arbeiten die Vorteile des Einsatzes von ionischen Flüssigkeiten gezeigt werden (van Rantwijk et al. 2003; Kragl et al. 2002). So zeigten Lipasen eine verbesserte Reaktionsrate, Selektivität und Stabilität in ionischen Flüssigkeiten für unterschiedliche Reaktionen (Krieger et al. 2004). Die am meisten untersuchten ionischen
Abb. 12.39 Typische ionische Flüssigkeiten in der Biokatalyse
Flüssigkeiten sind Imidazolium-basierende ionische Flüssigkeiten (Abb. 12.39). Der größte Nachteil beim Einsatz von ionischen Flüssigkeiten ist der derzeitig noch bis zu 800-mal höhere Preis im Vergleich zu organischen Lösungsmitteln.
12.7 Prozessbeispiele Im Folgenden werden exemplarisch einige industrielle Biotransformationen – unterteilt nach dem Einsatz von „freien Enzymen“ und „immobilisierten Enzymen“ – vorgestellt. Für eine umfassende Zusammenstellung von industriellen Biotransformationen sei auf folgende Publikationen verwiesen (Liese et al. 2000; Liese 2002; Schmid et al. 2001). Bei den hier angeführten Beispielen wird, soweit möglich, ein Vergleich zu den alternativen chemischen Produktionsverfahren gezogen.
12.7.1 Freie Enzyme 12.7.1.1 Epimerisierung von Glucosamin N-Acetyl-D-mannosamin wird als in situ geneN riertes Substrat für die Synthese von N-AceN tylneuraminsäure (Neu5Ac) verwendet (Abb. N 12.40). Da es sich bei N-Acetyl-D-mannosamin um eine hochpreisige Verbindung handelt, wird es ausgehend von dem preiswerten N-AcetylN D-glucosamin durch Epimerisierung an dem C2-Kohlenstoff katalysiert durch die N-AcylgluN
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cosamin-2-Epimerase aus E. coli (EC 5.1.3.8) (Kragl et al. 1991; Maru et al. 1998; Maru et al. 1996) gewonnen. Diese Biotransformation ist der N erste Schritt der industriellen Produktion von NAcetylneuraminsäure (Neu5Ac). Die Epimerase wird für die in situ-Synthese von N N-Acetyl-D-mannosamin (ManNAc) genutzt. Da das Gleichgewicht des Epimerisierungsschrittes deutlich auf Seiten des Eduktes liegt, wird die Epimerisierung durch die als Folgereaktion ablaufende Biotransformation von ManNAc mit Pyruvat zu Neu5Ac angetrieben. Hierdurch wird gemäß den Gesetzmäßigkeiten von Le Chatelier das Gleichgewicht des ersten Reaktionsschrittes verschoben. Die N N-Acylglucosamin-2-Epimerase wurde aus Schweinenieren kloniert, transformiert und in E. coli überexprimiert. Um die maximale Enzymaktivität zu erzielen, müssen ATP und Mg2+ zugesetzt werden. Da die gesamte Reaktionssequenz reversibel ist, werden hohe GlcNAcKonzentrationen etabliert.
Abb. 12.40 Biokatalytische Epimerisierung von Glucosamin zu Mannosamin (Marukin Shoyu)
12 Enzymatische Prozesse
Alternativ kann die Epimerisierung von GlcNAc auch chemisch durchgeführt werden, wie bei Glaxo etabliert. Das Gleichgewicht der chemischen Epimerisierung liegt auf Seiten des N-Acetyl-D-glucosamin, und es wird ein VerN hältnis von GlcNAc:ManNAc = 4:1 erzielt. Nach Neutralisation und Zusatz von Isopropanol präzipitiert GlcNAc. In der zurückbleibenden Lösung resultiert ein Verhältnis von GlcNAc:ManNAc = 1:1. Nach Trocknung mittels Evaporation und Extraktion mit Methanol wird ein finales Verhältnis von GlcNAc:ManNAc = 1:4 erreicht.
12.7.1.2 Produktion von L -Methionin durch kinetische Racematspaltung Ausgehend von racemischem Acetyl-D,L-Methionin mittels einer kinetischen Racematspaltung katalysiert durch die Aminoacylase aus Aspergillus oryzae (EC 3.5.1.14) wird L–Methionin gewonnen (Bommarius et al. 1992; Leuchtenberger et al. 1984; Wandrey und Flaschel 1979; Wandrey et al. 1981) (Abb. 12.41). Neben der zuvor genannten Verbindung werden von Degussa verschiedene proteinogene und nicht-proteinogene Aminosäuren nach dem gleichen Verfahren produziert. Hierzu zählen z. B. L-Alanin, L-Phenylalanin, α-Aminobuttersäure, L-Valin, L-Norvalin und L-Homophenylalanin. Die entsprechenden acylierten Ausgangsverbindungen, N-Acetyl-D,L-Aminosäuren, sind bequem durch N Acetylierung der D,L-Aminosäuren mit Acetylchlorid oder Essigsäureanhydrid in einer Schot-
Abb. 12.41 Biokatalytische Produktion von L-Methionin (Degussa)
12.7 Prozessbeispiele
ten-Baumann-Reaktion oder über Amidocarbonylierung zugänglich (Beller et al. 1999). Das nicht umgesetzte Acetyl-D-Methionin wird durch den Zusatz von Essigsäureanhydrid in alkalischer Lösung reracemisiert und als Ausgangsverbindung erneut eingesetzt. Alternativ dazu kann die Racemisierung auch durch eine Racemase durchgeführt werden. Um die Betriebsstabilität der Acylase zu erhöhen, wird Co2+ als Effektor dem Reaktionsmedium zugesetzt. Die Produktaufarbeitung wird im Fall von LMethionin mittels Kristallisation durchgeführt. Hierbei wird ausgenutzt, dass L-Methionin eine deutlich geringere Löslichkeit als das acylierte Substrat aufweist. Die Produktion wird in einem kontinuierlich betriebenen Rührkesselreaktor durchgeführt, wobei das Enzym durch eine Ultrafiltrationsmembran aus Polyamid mit einer nominellen Ausschlussgrenze von 10 000 Dalton retentiert wird. Hierdurch werden die Verweilzeiten des Biokatalysators und der Reaktanden entkoppelt, wodurch der Katalysatorverbrauch gesenkt bzw. die Produktivität erhöht wird. L-Methionin wird mit einem Enantiomeren-Überschuss von > 99,5 %, einer Ausbeute von 80 % und mit einer Kapazität von > 300 t a–1 von Degussa produziert.
12.7.1.3 Produktion von Glycidylmethylestern Analog zu L-Methionin wird auch der trans(2R,3S)-(4-Methoxyphenyl)glycidylmethylester, welcher eine Vorstufe für das Pharmazeutikum Diltiazem, einem Calciumkanalblocker, ist, durch kinetische Racematspaltung – katalysiert durch eine Lipase – aus Serratia marcescens (EC 3.1.1.3) gewonnen (Lopez und Matson 1991; Matson 1987; Matsumae et al. 1994). Die weltweite Produktion beträgt 100 t a–1. Im Gegensatz zum Produktionsverfahren von L-Methionin wurde hier ein grundsätzlich anderes Produktionsverfahren etabliert, welches im Folgenden beschrieben wird. Durch die Anwendung des biokatalytischen Schrittes konnte die Gesamtsynthesesequenz um vier Stufen von acht auf vier verkürzt werden (Abb. 12.42). Zudem wurde hierdurch der anfallende Abfall deutlich reduziert, da die Racematspaltung zu einem früheren Zeitpunkt mit einer niedermolekulareren Verbindung durchgeführt
467
wird. Basierend auf der Biotransformation wurde eine neue Syntheseroute entwickelt, welche eine Reduzierung der Herstellkosten auf zwei Drittel im Vergleich zum etablierten Verfahren mit einer Racematspaltung durch Diastereomerenkristallisation zur Folge hatte (Shibatani et al. 2000). Die Lipase aus Serratia marcescens weist eine hohe Enantioselektivität (E = 135) f ür den (2R,3S)-(4-Methoxyphenyl)gl ycidyl methyl ester auf, welcher gleichzeitig einen kompetitiven Inhibitor darstellt. Das gebildete Hydrolyseprodukt, (+)-Methoxyphenylglycidat, ist chemisch instabil und decarb oxyliert in situ zu 4-Methoxyphenylacetaldehyd. Dieses chemische Folgeprodukt der enzymkatalysierten Hydrolyse stellt einen starken Inhibitor der Lipase dar und führt gleichzeitig zur raschen Desaktivierung derselben. Der reaktionstechnische Kniff besteht hier in der on-line-Extraktion des Inhibitors in die wässrige Phase durch Bildung eines wasserlöslichen Addukts mit Natriumhydrogensulf it, welches zuvor der wässrigen Phase zugef ügt wurde. Letzteres wirkt zudem als Puffe rsubstanz. Verfahrenstechnisch realisiert wurde die online-Hydrolyseproduktabtrennung durch Entwicklung eines wässrig-organischen ZweiphasenReaktors (Toluol/Wasser). Hierbei werden die beiden Phasen in einem Hohlfasermembranreaktor in den Poren der hydrophilen Membran (Polyacrylnitril) kontaktiert. Die Lipase ist in den Poren der Membran immobilisiert. Die RaumZeit-Ausbeute an trans-(2R,3S)-(4-Methoxyphenyl)glycidylsäuremethylester beträgt 40 kg m–3 a–1. Dieser Prozess wird seit 1993 b etrieben.
12.7.2 Immobilisierte Enzyme 12.7.2.1 Produktion von high fructose corn syrup (HFCS) Der Prozess der Stärkeverflüssigung ist der Grundschritt der Produktion des high fructose corn syrup (HFCS), welcher als Süßungsmittel unter anderem in Cola-Getränken eingesetzt wird. Die Stärkeverzuckerung stellt einen dreistufigen Prozess dar. Zuerst findet eine partielle Hydrolyse der Stärke zu Dextrin in einem Rührkessel statt. Dieser Schritt wird durch eine α-Amylase
12
12
468
(EC 3.2.1.1) aus Bacillus licheniformis katalysiert (95 °C, Endo-Spaltung von 1,4-Verknüpfungen). Im zweiten Schritt der Verzuckerung wird das Dextrin weiter zu Glucose gespalten, katalysiert durch eine Amyloglucosidase aus Aspergillus nigerr (EC 3.2.1.3) (60 °C, Exo-Spaltung von 1,4- und 1,6-Verknüpfungen) (Holm et al. 1983; Kainuma
12 Enzymatische Prozesse
1998; Labout 1985). Der letzte Schritt der industriellen Verzuckerung ist die Isomerisierung von Glucose zur Fructose, welche in einem Festbettreaktor mit immobilisierter Glucose-Isomerase (EC 5.3.1.5) aus Streptomyces murinus durchgeführt wird (60 °C) (Abb. 12.43). Der systematische Name der Glucose-Isomerase ist D-Xylose-Ketol-
Abb. 12.42 Vergleich der chemischen und biokatalytischen Route zu Diltiazem (Tanabe Seiyaku Co., Ltd.)
469
12.7 Prozessbeispiele
Abb. 12.43 Isomerisierung von Glucose zu Fructose
Isomerase, welches zeigt, dass das natürliche Substrat Xylose ist. Da diese Isomerase zu der Gruppe der Metalloenzyme gehört, werden Co2+ und Mg2+ als Effektoren benötigt. Im Gleichgewicht wird eine finale Produktzusammensetzung von ca. 50 % Glucose und 50 % Fructose erreicht (55 °C). Das genaue Verhältnis ist von den Betriebsbedingungen und dem eingesetzten Enzym abhängig. Bei der Produktion werden verschiedene Festbettreaktoren parallel oder in Se-
Na2CO3 MgSO4 CH2OH O
Wärmeaustauscher
Reinigung
OH OH
OH
Entgasung
mehrere parallele Isomerisationsreaktoren
OH
Analysen
Analysen
Analysen
Analysen
CH2OH
OH
O
Aktivkohle
Ionenaustauscher
Säure
CH2OH HO O OH
Abb. 12.44 Fließbild der Isomerisierung von Glucose zu Fructose
Analysen
12
12
470
rie betrieben, wobei verschiedene Reaktoren Enzyme verschiedenen Alters enthalten. Das Edukt muss eine hohe Reinheit aufweisen (Filtration, Adsorption an Aktivkohle, Ionenaustausch), um eine zu schnelle Deaktivierung und Verblockung des Katalysatorfestbetts zu verhindern. Fabriken, die mehr als 1000 t HFCS pro Tag produzieren, nutzen in der Regel mehr als 20 Reaktoren parallel (Abb. 12.44). Die eingesetzten Glucose-Isomerasen haben in der Regel eine Halbwertszeit von mehr als 100 Tagen. Um eine ausreichend hohe Aktivität sicherzustellen, wird das Enzym nach Deaktivierung zu 12,5 % ersetzt. Die Strömungsrohrreaktoren werden mit einer Verweilzeit von 0,17–0,33 h betrieben. Das Produkt HFCS enthält vor der Produktaufarbeitung 42 % Fructose (53 % Glucose) und nach einem zusätzlichen chromatographischen Schritt 55 % Fructose (41 % Glucose).
12.7.2.2 Enantioselektive Acylierung von racemischen Aminen Die Lipase aus Burkholderia plantarii (EC 3.1.1.3) katalysiert die enantioselektive Acylierung von racemischen Aminen (Balkenhohl et al. 1995; Balkenhohl et al. 1997; Reetz und Schimossek 1996), wie z. B. 1-Phenylethylamin (Abb. 12.45). Die Produkte werden als Intermediate bei der Produktion von Pharmazeutika und Pestiziden eingesetzt. Zudem dienen sie als chirale Synthone in der asymmetrischen Synthese. Als Acylierungsreagenz wird Ethylmethoxyacetat verwendet. Die resultierende Reaktionsgeschwindigkeit ist ca. 100-mal höher als mit dem häufig eingesetzten Butylacetat. Dieses ist wahrscheinlich in der erhöhten Carbonylaktivität begründet, welche durch den aktivierenden Effekt der Methoxygruppe ausgelöst wird. Die Lipase wird auf Polyacrylatträgern immobilisiert und die Biotransformation in einem kontinuierlich betriebenen Strömungsrohr durchgeführt (Abb. 12.46). Die verringerte Aktivität aufgrund des Einsatzes der Lipase in dem organischen Lösungsmittel tertMethylbutylether (MTBE) kann um den Faktor 1 000 erhöht werden, indem die Lipase in Gegenwart von Fettsäuren (z. B. Ölsäure) gefriergetrocknet wird. Der Vorteil des organischen Lösungsmittels als Reaktionsmedium stellt sich in der hohen etablierbaren Ausgangskonzentration des racemischen 1-Phenylethylamin mit 1,65 M dar. Die Enantioselektivität der Lipase bezüglich
12 Enzymatische Prozesse
1-Phenylethylamin ist größer 500. Das gebildete (R)-Phenylethylmethoxyamid wird in einem einfachen Schritt zu (R)-Phenylethylamin hydrolysiert. Das nicht umgesetzte (S)-Enantiomer wird mit einem Palladium-Katalysator reracemisiert.
12.7.2.3 Hydrolyse von Penicillin G 6-Aminopenicillansäure (6-APA) ist die Vorstufe für die Herstellung einer Vielzahl von semisynthetischen Penicillinen und wird durch enzymkatalysierte Hydrolyse von Penicillin G gewonnen (Abb. 12.47). Als Biokatalysator kommt hier die Penicillinamidase aus Escherichia coli (EC 3.5.1.11) zur Anwendung (Verweij und de Vroom 1993; Matsumoto 1993). Dieses Verfahren wird von vielen Firmen weltweit angewendet, so z. B. Unifar, Türkei; Asahi Chemicals, Japan; Fujisawa Pharmaceutical Co., Japan; DSM, Niederlande; Novo-Nordisk, Schweden; Pfizer, USA. Das Enzym wird isoliert und immobilisiert eingesetzt, zumeist auf Eupergit®CTrägern (Degussa-Röhm, Deutschland). Die Produktion wird in einem repetitiven batch-Verfahren ausgeführt, wobei der immobilisierte Biokatalysator mit Sieben retentiert wird. Im Fall der Immobilisierung der Penicillinamidase auf Eupergit®C wird nach 800 wiederholten batch-Zyklen Z immer noch eine Restaktivität von 50 % bezogen auf die eingesetzte Anfangsaktivität erzielt. Dieses hat zur Folge, dass nach 800 Reaktionszyklen die Reaktionszeit einer einzelnen Biotransformation von 60 auf 120 Minuten erhöht ist, um den gleichen Umsatz zu erzielen. Die Raum-Zeit-Ausbeute beträgt 445 g l–1 d–1. Nach Abtrennung des immobilisierten Enzyms wird das Hydrolyseprodukt Phenylessigsäure durch Extraktion abgetrennt und 6-APA aus der zurückbleibenden Lösung kristallisiert. In dem letzten Schritt kann die Ausbeute zusätzlich durch eine Konzentrierung der Mutterlösung der Kristallisation mittels Vakuumevaporation oder reverse Osmose weiter erhöht werden. Die Produktion wird an 300 Tagen im Jahr mit einer durchschnittlichen Produktion von 12,8 batchZyklen pro Tag (Produktionskampagnen mit Z 800 Batchzyklen pro Kampagne) durchgeführt. Asahi Chemical setzt eine Penicillinamidase aus Bacillus megaterium ein, welche auf aminierten porösen Polyacrylnitrilfasern immobilisiert wurde. Die Produktion wird in einem Umlaufreaktor, bestehend aus 18 parallel betriebenen Säu-
471
12.7 Prozessbeispiele
Abb. 12.45 Kinetische Racematspaltung von Phenylethylamin (BASF)
NH2
O NH O NH2 +
O
O O
Abb. 12.47 Synthese von 6-Aminopenicillansäure
Abb. 12.46 Fließbild der kinetischen Racematspaltung von Phenylethylamin
12
12
472
12 Enzymatische Prozesse
Abb. 12.48 Chemischer Prozess für die Synthese von 6-APA
len mit immobilisiertem Enzym betrieben. Jede Säule hat ein Volumen von 30 l. Die Zirkulation der Reaktionslösung wird mit einem Fluss von 6 000 l h–1 durchgeführt. Eine Zykluszeit beträgt drei Stunden. Die Lebenszeit einer einzelnen Säule beträgt ca. 360 Zyklen. Die Aufreinigung des 6-APA wird durch isolelektrische Ausfällung bei einem pH-Wert von 4,2 mit anschließender Filtration und Waschen mit Ethanol durchgeführt. Mit der gleichen Technologie wird auch die 7Aminodesacetoxycephalosporansäure (7-ADCA) produziert. Im Vergleich zu dem klassischen chemischen Verfahren wird die Anzahl der Reaktionsschritte durch Integration der Biotransformation drastisch reduziert (Abb. 12.48). Organische Lösungsmittel, Thermostatisierung auf –40 °C und die Etablierung von absoluten trockenen Synthesebedingungen entfallen. Diese Punkte waren im klassisch chemischen Verfahren notwendig und komplizierten den Prozess. Die Folge waren sehr hohe Produktionskosten.
12.7.2.4 Synthese von Esterölen Tenside werden industriell in Kosmetika, Textilien, Pharmazeutika, Lebensmitteln und Reinigungsmitteln sowie in der Papierherstellung als Detergenzien und Emulgatoren eingesetzt. Als Emulgatoren kommen hierzu meist Fettsäureester von Polyolen, wie z. B. Glycerol, Polyglycerol und Zucker, zum Einsatz. Das etablierte chemokatalytische Produktionsverfahren wird bei Temperaturen jenseits 180 °C durchgeführt, wodurch es aufgrund der hohen Temperatur zur Bildung von Nebenprodukten kommt. Dieses zieht eine Reihe von verschiedenen Aufarbeitungsschritten nach sich: Desodorieren, Bleichen, Trocknen und Filtrieren (Thum 2004). Hier eröffnet die Biokatalyse alternative Zugangswege für neue Produkte, wobei die Kosmetikindustrie Rohstoffe aus natürlichen Quellen bevorzugt. Aufgrund der damit einhergehenden milderen Reaktionsbedingungen (niedrige obere Prozesstemperatur < 70 °C) und der Verwendung eines Festbettre-
12.7 Prozessbeispiele
aktors lassen sich die Esteröle in hoher Reinheit in einer lösungsmittelfreien Synthese gewinnen. Hierdurch treten die in der chemischen Synthese anfallenden Nebenprodukte nicht auf, und damit entfallen auch die vier Schritte der Produktaufarbeitung. Die zum Erhalt einer möglichst hohen Produktqualität erwünschte Reduktion der Reaktionstemperatur hat allerdings auch Nachteile für die technische Umsetzung solcher Reaktionen. Bei der Herstellung von Carbonsäureestern aus den entsprechenden Säuren und Alkoholen handelt es sich um Gleichgewichtsreaktionen, bei denen ein Produkt, üblicherweise das entstehende Reaktionswasser, aus dem System abgetrennt werden muss, um hohe Umsätze zu erreichen. Zum Erreichen besonders hoher Umsatzgrade, z. B. von über 99 %, ist eine nahezu vollständige Entfernung des Wassers notwendig. Dies erfolgt üblicherweise destillativ. Um ohne organische Lösungsmittel auszukommen, kann nur von niedrigschmelzenden Rohstoffen ausgegangen werden. Bei diesen niedrigen Temperaturen (< 70 °C) treten oft Inkompatibilitäten zwischen polaren und unpolaren Rohstoffen auf. Im Festbettreaktor können zudem nur niedrigviskose Mischungen eingesetzt werden. Die lösungsmittelfreie Synthese von Tensiden, ausgehend von hochviskosen und hochschmelzenden Reaktanden, wie z. B. Sorbitol, Glucose, Polyglycerol und anderen, ist mit der etablierten Festbett-Technologie aufgrund des hohen Druckabfalls nicht möglich. Zudem ist die Produktion in konventionellen Satzreaktoren aufgrund des hohen mechanischen Stresses, welcher durch den Rührer eingebracht wird und in der Regel den immobilisierten Biokatalysator zerstört, ebenfalls ausgeschlossen. Eine Alternative stellt hier der Einsatz des Blasensäulenreaktors dar (Abb. 12.49). Die Evonik Goldschmitt GmbH hat in Kooperation mit dem Institut für Technische Biokatalyse, Technische Universität Hamburg-Harburg, ein Verfahren zur biokatalytischen Synthese hochviskoser Esteröle am Beispiel des Polyglycerol-3-laurat entwickelt (Abb. 12.50) (Hilterhaus et al. 2008). Während der Synthese nimmt die Viskosität um den Faktor 20 zu. Hierbei handelt es sich um eine vierphasige Reaktion: Die beiden Reaktanden Polyglycerol und Laurinsäure sind zwei nicht mischbare flüssige Phasen; der immobilisierte Biokatalysator
473
Abb. 12.49 Fließbild der biokatalytischen Veresterung zu Myristylmyristat in der Blasensäule
ist die feste Phase, und die Gasphase wird durch Luft oder Stickstoff gebildet. Der Gasphase kommen hier drei Funktionen zu: 1. Energieeintrag: Durchmischung der Reaktionsmischung; 2. Stripping: Abtrennung des gebildeten Reaktionswassers; 3. makroskopische Viskositätserniedrigung.
Als Biokatalysator wird die Lipase Candida antarctica B (Novozym 435) bei 75 °C und einem Reaktandenverhältnis von 1:1 (w/w) eingesetzt. In einer neunfach als repetitive batch betriebenen Blasensäule wird eine Raum-Zeit-Ausbeute von bis zu 3 kg l−1 d−1 erzielt. Die Anwendbarkeit des Blasensäulenreaktors für biokatalytische Veresterungen wurde am Beispiel des niedrigviskosen Myristylmyristats im Pilotmaßstab (118 kg) gezeigt. Bei einer mindestens zehnfachen Rezyklierung des Biokatalysators wurde eine Produktivität von mindestens 2 500 kg Produkt/kg Novozym 435 und eine Raum-Zeit-Ausbeute von mindestens 6 kg l−1 d−1 erreicht. Die Lipase B von C. antarctica (CALB) ist auf einem makroporösen Träger aus Polymethylmethacrylat nicht kovalent durch Adsorption gebunden. Da es sich bei einigen der Reaktanden wie z. B. Polyglycerol-3-Ester um effiziente Tenside handelt, wird durch diese eine Desorption (leaching) g des Enzyms vom Träger hervorgerufen. Eine deutliche Verminderung der Desorption
12
12
474
12 Enzymatische Prozesse
OH
OH O
OH O
E
+
OH
OH
OOC R
OOCR
O
+
O
– H2O OH
OH
O
OH
O
O
n
n
n
OH
OH
OOCR
OH
OH
OH
1
3
2
1 = Polyglycerol-3 2 = Laurinsäure 3 = Polyglycerol-3-laurat E = Lipase Candida antarctica B (Novozym 435)
Abb. 12.50 Veresterung von Polyglycerol mit Laurinsäure
des Enzyms vom Träger sowie eine Stabilisierung gegenüber mechanischem Stress, wie er in Rührwerksreaktoren auftritt, konnte durch die Etablierung einer Silikonbeschichtung erreicht werden (Wiemann et al. 2009).
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13
Mikrobielle Prozesse*
13.1 Mikrobielle Stoffproduktion Mikrobielle Produkte spielen seit langer Zeit in vielen Bereichen des täglichen Lebens eine wesentliche Rolle. Das Anwendungsspektrum mikrobiell hergestellter Produkte reicht dabei von der Verwendung als preiswerte Energieträger und Lösungsmittel (Bioethanol) über Haushaltschemikalien (Essigsäure, Citronensäure), Futtermittel (Riboflavin, L-Aminosäuren), Lebensmittel (Backhefe, L-Glutamat) bis hin zu Pharmaprodukten mit hoher Wertschöpfung (Vitamin B12, Antibiotika, rekombinante Peptide). Die wichtigsten mikrobiell hergestellten Produkte sind in Tabelle 13.1 klassifiziert nach ihrer geschätzten Weltjahresproduktion aufgeführt (Sell 2010). Die Weltmarktpreise für mikrobiell hergestellte Produkte variieren dabei von einigen zehn Cent (Bioethanol, Essigsäure, Citronensäure) bis hin zu mehrstelligen Eurobeträgen pro Kilogramm (Antibiotika, Vitamin B12) (Sell 2010). Der jeweilige Produktpreis hängt dabei stark ab von: • den Kosten für das verwendete Kulturmedium und Substrat; • der maximal erreichbaren Produktausbeute pro Liter Medium; • der Zeit, in der die Produktbildung erfolgt (die sogenannte Raum-Zeit-Ausbeute); • dem Vorliegen des Produktes in extrazellulärer oder intrazellulärer Form und • der Zahl und Art der Verfahrensschritte, die zur Produktaufarbeitung notwendig sind.
Als Medien zur Kultivierung der Mikroorganismen im industriellen Maßstab werden in der
* Autoren: Christoph Syldatk, Horst Chmiel
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
Regel preiswerte Abfallsubstrate wie Zuckerrohr- oder Zuckerrübenmelassen, Maisquellwasser, Proteinhydrolysate oder komplexe Medien verwendet. Als Kohlenstoffquellen werden meist preiswerte Kohlenhydrate wie Glucose, Saccharose und Stärke oder Glycerin eingesetzt. Um Inhibierungen durch zu hohe Substratkonzentrationen zu verhindern und trotzdem hohe Zell- und Produktkonzentrationen im Bioreaktor erreichen zu können, werden die verwendeten Kohlenstoffquellen dabei häufig während der Kultivierung zugefüttert (feed-batch ( - oder fed-batch-Verfahren). Oft ist es notwendig, für ein optimales Wachstum der Mikroorganismen dem Medium noch vitamin- und aminosäurehaltige Komponenten, wie z. B. Hefeextrakt, zuzusetzen. Bei der Herstellung spezieller Produkte, wie z. B. Antibiotika, werden zusätzlich oft gezielt chemisch hergestellte Vorstufen ((precursor) zum Medium dazugegeben. Die klassischen und bereits schon im 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierten Herstellungsverfahren (Backhefe, Bioethanol, Essigsäure, Citronensäure) wurden anfangs noch nicht als Reinkulturen und ohne entsprechende Steriltechnik durchgeführt. Dieses änderte sich erst ab Mitte der 1940er-Jahre mit der Etablierung industrieller Verfahren zur Herstellung von Antibiotika. Für diese Verfahren waren hygienische Bedingungen und der Ausschluss von unerwünschten Fremdkeimen unbedingt erforderlich, womit die Entwicklung der entsprechenden und heute für alle industriellen Verfahren im großen Maßstab bis zu mehreren 100 m3 Volumen üblichen Steriltechnik begann. In den 1960er-Jahren k amen vor allem durch japanische Arbeiten mit der erstmaligen Herstellung von Aminosäuren für den Lebensmittel- (L-Glutaminsäure), Futtermittel- (L-Ly sin) und Pharmabereich (L-Tryptophan) sowie von verschiedenen Vitaminen neue wichtige Stoff-
13
478
13 Mikrobielle Prozesse
Tabelle 13.1 Geschätzte Mengen wichtiger durch Fermentation mikrobiell hergestellter Produkte (nach Sell 2010; Schmid 2006) Weltmarktpreis (in €/kg)
Anwendungsbereich
Produkt
Weltjahresproduktion (geschätzte Menge)
Bier
155 Mio. t
2,50
Genussmittel
Bioethanol
50 Mio. t
0,40
Lösungsmittel, Energieträger
Wein
28 Mio. t
Genussmittel
Futterhefe
3 Mio. t
Futtermittel
Backhefe
2 Mio. t
0,80
Lebensmittel
L-Glutamat
1,5 Mio. t
0,80
Lebensmittel (Geschmacksverstärker)
Citronensäure
1,5 Mio. t
1,00
Lebensmittel, Waschmittel
L-Lysin
700 000 t
1,60
Futtermittel
Milchsäure
250 000 t
1,80
Lebensmittel, Leder- und Textilindustrie
Essigsäure
190 000 t
0,50
Lebensmittel, Reinigungsmittel
Gluconsäure
100 000 t
2,80
Lebensmittel, Textil-, Metallund Bauindustrie
Waschmittelenzyme
100 000 t
Waschmittel
Vitamin C
95 000 t
8
Lebensmittel, Pharma
Xanthan
50 000 t
8
Lebensmittel
Vitamin B2 (Riboflavin)
30 000 t
L-Threonin
55 000 t
4
β-Lactam-Antibiotika (Rohprodukte)
30 000 t
150
Itaconsäure
15 000 t
6,50
Kunststoff- und Klebstoffherstellung, Papierindustrie
L-Phenylalanin
15 000 t
8
Lebensmittel (Aspartam), Pharma
Antibiotika (Spezialitäten)
5 000 t
1 500
Pharma
Antibiotika (Tetracycline)
4 500 t
20
Pharma
L-Tryptophan
1 500 t
16
Futtermittel, Lebensmittel, Pharma
L-Arginin
1 000 t
16
Pharma, Kosmetik
L-Cystein
500 t
20
Pharma
Humaninsulin
8t
1 000
Pharma
Vitamin B12
3t
25 000
Pharma
Futtermittel, Lebensmittel, Pharma Futtermittel Pharma
479
13.1 Mikrobielle Stoffproduktion
klassen dazu (Sahm und Eggeling 2006). Durch gezielte Beeinflussung der hierzu verwendeten Mikroorganismen gelang die Überproduktion und Sekretion von intrazellulär und nur in niedrigen Konzentrationen vorliegenden Primärmetaboliten als Produkte in das Medium, was ein entscheidender Fortschritt für die anschließende Produktaufarbeitung war. Für die Produktisolierung und -aufarbeitung ist es nämlich von großer Bedeutung, ob ein mikrobielles Produkt extra- oder intrazellulär vorliegt: Bei einem extrazellulär vorliegenden Produkt kann dieses nach zuvor erfolgter Abtrennung der Zellen durch Zentrifugations- oder Filtrationsverfahren meist in wenigen Schritten durch Fällung oder Extraktion aus dem zellfreien Kulturüberstand isoliert und weiter aufgereinigt werden, während bei intrazellulär vorliegenden Produkten ein Zellaufschluss und eine meist aufwendige Reinigung zur Entfernung von Zelltrümmern und anderen Zellbestandteilen erforderlich ist (Kapitel 10). Die Entwicklung immer besserer Produktionsund Hochleistungsstämme, die heutzutage gezielt mit gentechnischen Methoden durchgeführt wird, erfolgte bis in die 1980er-Jahre hinein noch mit traditionellen Methoden (Mutation durch UV-Licht oder Chemikalien und anschließende Selektion von Mutanten mit verbesserten Eigenschaften). Die heute mikrobiell hergestellten Produkte lassen sich dabei in mehrere Gruppen einteilen (Tabelle 13.2).
Eine wichtige Produktgruppe ist dabei die mikrobielle Biomasse, wobei damit sowohl lebende Zellen (Backhefe, Starterkulturen für die Milchund Fleischverarbeitung) als auch abgetötete Biomasse (Futterhefe) gemeint sein kann. Die sogenannten klassischen mikrobiellen Produkte wie Bioethanol, Milchsäure und Essigsäure, aber auch Gluconsäure, Aceton und Butanol sind Primärmetabolite und Endprodukte des Energiestoffwechsels der jeweiligen Mikroorganismen. Sie werden von diesen meist zur Entgiftung in das Medium ausgeschieden und liegen also bereits natürlicherweise extrazellulärr vor. Ebenso liegen auch viele technische Enzyme, die z. B. in Waschmitteln verwendet werden, wie Amylasen, Cellulasen, Proteasen und Lipasen, extrazellulär vor, da sie von den jeweiligen Mikroorganismen als sogenannte „Exoenzyme“ ausgeschieden werden, um komplexe und schwer lösliche Substrate zunächst außerhalb der Zelle zu hydrolysieren und vorzuverdauen. Intermediärprodukte sind Zwischenprodukte des Stoffwechsels. Diese liegen in der Regel intrazellulär und nur in niedrigen Konzentrationen vor (Metabolite des Citratzyklus, Aminosäuren, Vitamine). Zu ihrer Überproduktion ist es notwendig, entsprechende Hochleistungsstämme zu verwenden, deren Stoffwechsel gezielt zuvor beeinflusst wurde. Als spezielle Produkte werden solche Verbindungen bezeichnet, die nur bei bestimmten Mikroorganismen vorkommen und häufig auch nur unter speziellen Kultivierungsbedingungen gebildet werden. Dazu gehören z. B. mikrobiell hergestellte Exopolysaccharide, wie z. B. Xanthan, das von den
Tabelle 13.2 Klassifizierung von mikrobiell durch Fermentation hergestellten Produkten (nach Syldatk 2006a) Produktgruppe
Beispiele
rekombinante Peptide und Proteine
Humaninsulin, Interferon
technische Enzyme
Waschmittelenzyme
Primärmetabolite (als Intermediärprodukte des Stoffwechsels)
Vitamin B12, Vitamin B2, Aminosäuren, Citronensäure, Itaconsäure
Primärmetabolite (als Endprodukte des Stoffwechsels)
Bioethanol, Milchsäure, Essigsäure, Gluconsäure
spezielle Produkte
Speicherstoffe (Dextran), Exopolysaccharide (Xanthan), Biotenside (Rhamnolipide), Farbstoffe (Carotinoide), Aromastoffe (2-Phenylethanol), Sekundärmetabolite (β-Lactam-Antibiotika)
mikrobielle Biomasse
Backhefe, Futterhefe, Starterkulturen
13
13
480
produzierenden Mikroorganismen ausgeschieden wird, um sich vor pH-, Salz- oder Temperaturstress zu schützen, oder die mikrobiellen Biotenside, die von bestimmten Mikroorganismen gebildet werden, um wasserunlösliche Substrate zu emulgieren und diese so leichter in die Zelle aufnehmen zu können. Die meisten Antibiotikaa liegen ebenfalls extrazellulär vor, hier ist jedoch unklar, ob der Grund dafür beispielsweise in einer Entgiftung für den jeweiligen Produzentenstamm oder in einer Abwehr von Nahrungskonkurrenten liegt. Ist keine direkte Funktion für den betreffenden Produzentenstamm erkennbar, wie bei den Antibiotika oder Alkaloiden, spricht man häufig von sekundären Stoffwechselprodukten. Als Beispiele für intrazelluläre spezielle Produkte können mikrobielle Speicherstoffe wie die Polyhydroxybuttersäure oder die sogenannten single cell oils genannt werden – intrazellulär gebildete Triglyceride, die bei bestimmten Hefen und Pilzen unter Stickstofflimitierung gebildet werden. Die in Tabelle 13.2 genannten rekombinanten heterologen Produkte liegen in der Regel ebenfalls intrazellulär, häufig sogar in unlöslicher Form als sogenannte inclusion bodiess vor. Auch hier sind zur Isolierung zunächst ein Zellaufschluss und je nach gewünschter Produktreinheit eine Reihe von mehr oder weniger aufwendigen Aufreinigungsschritten erforderlich, die in die späteren Produktkosten eingehen. Angestrebt wird heute daher die Entwicklung von Produktionsstämmen und -verfahren, die eine Sekretion der rekombinanten Produkte in das umgebende Medium erlauben bzw. die Modifizierung der rekombinanten Produkte durch hochspezifische tags am C- oder N-Terminus der betreffenden Peptide und Proteine beinhalten, um diese einfach
Abb. 13.1 Produktbildungstypen bei der mikrobiellen Stoffproduktion. Aufgetragen sind die Wachstums-, Substratverbrauchs- und Produktbildungsrate gegen die Zeit (Details siehe Text; nach Gaden 1959)
13 Mikrobielle Prozesse
aus dem Zellaufschluss abtrennen und hochrein darstellen zu können. Bezüglich der Mechanismen zur Bildung mikrobieller Produkte erkannte Gaden (1959) Gesetzmäßigkeiten und formulierte aus der Beobachtung der klassischen mikrobiellen Produktionsverfahren drei grundsätzliche Fermentationstypen, die heute immer noch weitgehend Geltung haben und für die jeweilige Prozessführung von Bedeutung sind (Abb. 13.1). Man unterscheidet demnach folgende mikrobielle Produktbildungstypen: • Typ I, bei dem sich das Produkt direkt aus dem Primär- und Energiestoffwechsel ableitet. Die Substratverbrauchs-, Wachstums- und Produktbildungsrate verlaufen praktisch parallel zueinander, und es besteht ein direkter stöchiometrischer Zusammenhang zwischen dem Substratverbrauch und der Produktbildung. • Typ II, bei dem sich das Produkt zwar auch aus dem Primärstoffwechsel ableitet, die biochemische Bildung jedoch über Seiten- bzw. Nebenwege des Stoffwechsels erfolgt. Dies führt dazu, dass in verschiedenen Zeitphasen des Prozesses unterschiedliche Maxima für Substratverbrauchs-, Wachstums- und Produktbildungsrate zu beobachten sind. • Bei Typ III sind Wachstum und Primärstoffwechsel zeitlich eindeutig von der Produktbildung entkoppelt. Die folgenden Beispiele sind unter Berücksichtigung der Produktisolation und -reinigung gewählt worden. Die Integration der in Kapitel 10 vorgestellten Aufarbeitungsverfahren in einen Bioproduktionsprozess wird im Englischen integrated
481
13.2 Produktion rekombinanter Proteine
downstream processingg oder in situ product removal (ISPR) genannt. Verallgemeinert versteht man darunter die Integration der Produktentfernung in den Bioprozess oder die zeitnahe Abtrennung des entstehenden Produktes vom Biokatalysator. Als Motivation für die schnelle Entfernung des entstehenden Produktes aus dem Bioreaktionsraum werden in der Literatur (z. B. Takors 2004a) genannt: • Erhöhung der Biokatalysatorenkonzentration (Zelldichte) und dadurch bedingte Steigerung der Produktivität; • Vermeidung der Produktinhibierung; • Elimination toxischer Komponenten; • Vermeidung von Produktabbau; • Verringerung der Aufarbeitungsschritte. Dem stehen folgende Bedenken gegenüber: • hohe Anlagenkomplexität und Investitionskosten; • erhöhte Kontaminationsgefahr; • potenzielle sicherheitstechnische und entsorgungstechnische Probleme; • GMP-Richtlinien. Vor- und Nachteile der ISPR müssen also in jedem Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Im vorliegenden Kapitel wird daher die Produktaufarbeitung des jeweiligen mikrobiellen Prozesses in die Betrachtung mit einbezogen, um zu entscheiden, ob der Rückhalt des Biokatalysators im Reaktor bzw. die zeitnahe Abtrennung
des Produktes Voraussetzung für die Wirtschaftlichkeit ist.
13.2 Produktion rekombinanter Proteine Die Produktion rekombinanter Proteine hat in der Biotechnologie große Bedeutung erlangt. Zwar ist Eschericha coli der häufigste Klonierungs- und Proteinproduktionswirt, doch es werden auch eukaryotische Mikroorganismen und hier vor allem Hefen dafür eingesetzt. Einzelheiten zur Erzeugung der Produzenten und den hierzu nötigen molekularen Werkzeugen sind bei Jahn und Jahn (2006) nachzulesen. Im Folgenden soll über die Produktion rekombinanter Proteine mittels Hefe, insbesondere Pichia pastoris – mit dem Schwerpunkt auf der Produktisolation –, berichtet werden. Dieser Proteinproduktionswirt zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass er zu sehr hohen Zelldichten auf Methanol wächst, sondern auch dadurch, dass das Protein in das Medium sekretiert wird. Es bietet sich daher an, die Produktisolation über eine Mikrofiltrationsmembran extern oder intern in einen Bioreaktor zu integrieren. Cornelissen et al. (2003) beschreiben die Herstellung rekombinanter Proteine mit Pichia pastoris mit integrierter Produktaufarbeitung gemäß dem Fließschema in Abbildung 13.2.
Abb. 13.2 Fließbild einer integrierten Prozessführung zur Herstellung von Pharmaproteinen (Cornelissen et al. 2003)
13
13
482
Zunächst wird mit dem Substrat Glycerol Zellmasse produziert, bevor durch Zugabe von Methanol die Produktion von Alkohol-Oxidase induziert wird. Das aus der Zelle sekretierte Produkt wird mittels Mikrofiltration über einen externen Kreislauf entfernt. Die nachgeschalteten Reinigungsschritte wie Proteinaufkonzentrierung mittels Ultrafiltration und Chromatographie sind durch einen Permeattank nach der ersten Stufe vom eigentlichen Produktionsprozess entkoppelt. Der messtechnische Aufwand (on-line-Messung von Glycerol, Methanol, pH, pO2, Redox, Druck, Temperatur und Trübung) zur automatisierten Prozessführung ist beträchtlich. Dhariwal (2007) ist der Frage nachgegangen, ob sich eine in den Bioreaktor integrierte Mikrofiltrationsmembran für den kontinuierlichen Proteinaustrag bei der Fermentation von Hefen eignet. Dazu verwendete er eine Anordnung, wie sie in Abbildung 7.16 gezeigt ist. Bei den Membranen handelt es sich um keramische Flachmembranen (Al2O3) gemäß Abbildung 10.26 (rechts) mit einer mittleren Porenweite von 0,18 μm. Zetapotenzialmessungen analog denen in Abschnitt 10.1.2 ergaben, dass sowohl der verwendete Mikroorganismus Pichia pastoris als auch die Keramikmembran im interessierenden pH-Bereich (pH 5–6) ein negatives Zetapotenzial von etwa −10 mV haben. Dies spricht für repulsive Kräfte und damit geringes Foulingpotenzial, was sich in Laborfiltrationsversuchen auch bestätigte. Die Flachmembran wurde im Fermenter integriert und das Produkt über eine peristaltische Pumpe bei ca. 600 mbar abgezogen. Die Versuche zum Foulingverhalten wurden zunächst mit einem Wildstamm von Pichia pastoris und Saccharomyces cerevisiae mit Biomassekonzentrationen von 40 g/l bis 255 g/l durchgeführt. Die Ergebnisse waren sehr überzeugend. Der Biomasserückhalt von 99,9 % ist zwar nicht überraschend, wohl aber der mittlere Fluss von ca. 100 l/m2h, der über mehrere Stunden – ohne Rückspülen, lediglich durch kurze Stillstandzeiten (alle 30 Minuten für drei Minuten) – erreicht wurde. Die Versuche wurden mit dem gleichen Membranmaterial, jedoch mit einer Rohrmembran (wegen des kleineren Bioreaktorvolumens) mit dem Stamm Schizosaccharomyces pombe (CAD 65) unter sterilen Bedingungen, und zwar im
13 Mikrobielle Prozesse
semikontinuierlichen Betrieb, wiederholt. Die von diesem Stamm produzierten Proteine (P450CPR und P450-CYP2B6) haben große pharmazeutische Bedeutung (www.pombiotech.de). Es konnte erfolgreich 50 g/l Biomasse in 50 Stunden angezüchtet werden; der Membranfluss wurde bei konstant 20 l/m2h gehalten. Abschließend lässt sich feststellen, dass sich die im Bioreaktor integrierte keramische Membran für den kontinuierlichen Produktabzug bei steriler Produktion rekombinanter Proteine eignet. Einzelheiten sind bei Dhariwal (2007) nachzulesen.
13.3 Mikrobielle Aminosäureproduktion Der Weltmarkt für Aminosäuren liegt heute geschätzt bei ca. 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr und entspricht damit einem Marktwert von ca. 5 Milliarden Euro (Sell 2010). Aminosäuren sind als Bausteine der Proteine von großer Bedeutung für alle Lebewesen. Von den 20 proteinogenen Aminosäuren sind z. B. für den Menschen zehn essenziell und müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Die Hauptanwendungen von Aminosäuren sind daher sowohl im Pharmasektor in Infusionslösungen als auch im Lebens- und Futtermittelbereich zu finden. Daf ür ist es in der Regel notwendig, die enantiomerenreinen L-α-Aminosäuren zu verwenden. Aminosäuren können zwar zum Teil einfach und preiswert auch über chemische Synthesen hergestellt werden, liegen dann jedoch in der Regel als Racemate vor. Alternative Herstellungsverfahren sind daher die Isolierung der natürlich vorkommenden L-α-Aminosäuren aus Proteinhydrolysaten, wobei jedoch gerade die höherwertigen essenziellen L-α-Aminosäuren darin meist nur in geringen Konzentrationen vorliegen; enzymatische Verfahren mit enantioselektiven Enzymen, die der chemischen Synthese zur Racemattrennung nachgeschaltet werden, wie z. B. das LAminoacylase-Verfahren; oder seit 1957 deren Herstellung mit Mikroorganismen (Sahm und Eggeling 2006). Großtechnisch mikrobiell hergestellt werden im Moment fünf L-α-Aminosäuren,
13.3 Mikrobielle Aminosäureproduktion
die in Tabelle 13.1 aufgeführt sind: L-Glutaminsäure, L-Lysin, L-Threonin, L-Phenylalanin und L-Tryptophan. Als Produktionsstämme werden dafür spezielle Stämme bzw. Mutanten von Corynebacterium glutamicum und Escherichia coli verwendet. Die proteinogenen L-α-Aminosäuren sind Intermediärprodukte des Stoffwechsels und liegen daher intrazellulär und in der Regel nur in geringen Konzentrationen vor. Ihre Biosynthese unterliegt meist einer komplexen Regulation. Um diese zu umgehen und außerdem eine Ausscheidung der gewünschten Aminosäuren in den Kulturüberstand zu erreichen, werden spezielle Mutanten als Hochleistungsstämme verwendet, die anfangs über klassische Mutation und Selektion isoliert wurden und heute bereits häufig über gezielten Eingriff in das Genom und den Stoffwechsel der verwendeten Mikroorganismen über Metabolic Engineering optimiert werden können. Werden Aminosäuren in verzweigten Stoffwechselwegen gebildet, wie L-Tryptophan (gemeinsam mit L-Phenylalanin und L-Tyrosin), setzt man beispielsweise auxotrophe Mutanten von Escherichia coli ein, die die beiden anderen Aminosäuren nicht mehr bilden können, und füttert diese dann in Konzentrationen zu, die zwar Wachstum und Bildung von L-Tryptophan zulassen, jedoch zu keiner Hemmung der Enzymaktivität oder Repression der Enzymsynthese führen. Eine weitere Herausforderung ist der Transport bzw. die Ausscheidung der gewünschten Aminosäure in den Kulturüberstand. Hierbei spielt z. B. bei Corynebacterium glutamicum die Biotinkonzentration im Medium eine wichtige Rolle, die so gewählt werden muss, dass sowohl ein Wachstum der Zellen noch möglich ist, aber auch die Ausscheidung der Aminosäure in den Kulturüberstand. So können heute Konzentrationen von Aminosäuren von mehr als 170 g/l erreicht werden (Sahm und Eggeling 2006). Zur mikrobiellen Aminosäureproduktion, die unter aeroben Bedingungen erfolgt, werden Komplexmedien wie Melasse und Maisquellwasser oder Mineralsalzmedien in Kombination mit Kohlenhydraten wie Glucose als Kohlenstoff- und Energiequelle verwendet. Die Bildung und Ausscheidung der Aminosäuren setzt in der Regel zeitversetzt zum Wachstum ein und erfolgt dann weiter bis zur stationären Phase (Produktbildungstyp II). Häufig wird die Kohlenstoffquelle
483
nach Einsetzen der Aminosäurebildung zugefüt-Verfahren), um eine Hemmung tert (fed-batch ( des Wachstums durch zu hohe Substratkonzentrationen zu Beginn der Kultivierung zu vermeiden. Während der Aminosäureproduktion muss außerdem eine ausreichende Versorgung der Mikroorganismen mit Stickstoff gewährleistet sein, der häufig in Form von Ammoniaklösung, Harnstoff oder Ammonium-Ionen zugegeben wird. Da die gebildeten Aminosäuren sich von Metaboliten des Tricarbonsäurezyklus ableiten, der dadurch zum Erliegen kommen würde, verfügen die Produktionsstämme meist über sehr aktive anaplerotische Enzymreaktionen zur Bereitstellung der benötigten Vorstufen (Sahm und Eggeling 2006). Zur Aufarbeitung werden die Mikroorganismen durch Zentrifugation und/oder Filtration abgetrennt und die gebildeten L-α-Aminosäuren häufig nach Einengung und Aufkonzentrierung des Kulturüberstands mittels Ionenaustauscher und Kristallisation aus den Kulturüberständen gewonnen (Tabelle 13.3). Dabei erzielt man durch Kombination von Kationenaustauscher plus Elution mit Lauge die höchste Ausbeute (78 %). Bei der E. coli-basierten Herstellung von LPhenylalanin empfehlen Rüffer et al. (2004) zur Vermeidung einer Produktinhibierung die ISPR-Anwendung. In diesem Fall erfolgt die Produktabtrennung über eine externe zweistufige Ultrafiltration (Abb. 13.3). Das zell- und proteinfreie Permeat dieses mit Glucose als Kohlenstoffquelle fermentativ betriebenen fed-batch-Prozesses wird einer Reaktivextraktion unterzogen. Die organische Phase besteht aus Kerosin und 10 % v/v D2EHPA zur Kationen-selektiven Abtrennung der aromatischen Aminosäure (1. Stufe, Extraktion), während die wässrige Aufnehmerphase 1 M Schwefelsäure als Protonendonator enthält (2. Stufe, Rückextraktion). Für die Phasentrennung der beiden Stufen wird je eine Flüssig/flüssig-Zentrifuge eingesetzt. Der turbulente Stoffaustausch in diesen Zentrifugen hatte sich gegenüber einer Trennung mittels zweier Membrankontaktoren (Abb. 13.4; Takors 2004b), in denen der Stoffaustausch aus der laminaren Strömung heraus erfolgt, als vorteilhaft erwiesen. Das hier beschriebene ISPR-Verfahren zeigte sich im Vergleich zur fermentativen L-Pheny lalaninproduktion ohne ISPR als die wirtschaftlichere Variante (Takors 2004b).
13
13
484
13 Mikrobielle Prozesse
Tabelle 13.3 Vergleich der Ausbeuten bei der Aufarbeitung von L-Glutaminsäure aus Kulturüberständen von Corynebacterium glutamicum für verschiedene Verfahrensvarianten (nach Crueger und Crueger 1989) Verfahren
Direkte Kristallisation
Ausbeute
Anionen-Austauscher (AA)
Ausbeute
Kationen-Austauscher (KA)
Ausbeute
Verfahrensstufen
Kulturlösung
100 %
Kulturlösung
100 %
Kulturlösung
100 %
Filtration pH 7,5–8,0
90 %
Filtration pH 7,5–8,0
90 %
Filtration pH 7,5–8,0
90 %
FiltratEindampfung
98 %
Adsorption an AA
95 %
Adsorption an KA
98 %
Elution mit Säure
98 %
Elution mit Lauge
95 %
kristallines Na-Salz
93 %
pH-Einstellung
Chemikalien
kristalline Säure
73 %
kristalline Säure
90 %
kristallines Na-Salz
83 %
kristallines Na-Salz
93 %
3 Äquivalente Säure
3 Äquivalente Säure
3 Äquivalente Säure
1 Äquivalent NaOH
3 Äquivalente NaOH
2 Äquivalente NaOH
Gesamtausbeute
Abb. 13.3 Entfernung und Aufkonzentrierung von L-Phenylalanin durch einen fermentativ betriebenen fed-batchProzess mit E. colii (Rüffer et al. 2004). UF: Ultrafiltration; WT: Wärmetauscher; M: Motor
Abb. 13.4 Prinzip der reaktiven Extraktion (Takors 2004b)
57 %
70 %
78 %
485
13.4 Mikrobielle Produktion von Biotensiden
13.4 Mikrobielle Produktion von Biotensiden Unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes wächst das Interesse an biologisch abbaubaren Tensiden. Gruber (1991) hatte erstmals im Pilotmaßstab mit Pseudomonas aeruginosa aus einer wässrigen Glucoselösung (20 g/l) und Nitrat als Stickstoffquelle kontinuierlich Rhamnolipide produziert. Wie aus dem Fließbild in Abbildung 13.5 ersichtlich, wurde das Problem des sehr hohen Sauerstoffbedarfs und der damit verbundenen Schaumbildung im Bioreaktor (freigesetztes CO2) durch die Integration einer Gasaustauschmembran in einen externen Kreislauf gelöst. Bei der Membran handelte es sich um eine PolysulfonHohlfasermembran von 1 mm Innendurchmesser, die auf ihrer Innenseite mit einer ca. 2–4 μm dicken Polysiloxanschicht versehen war. Die Selektivität dieser Polysiloxanschicht für CO2 ist so hoch, dass deren Fluss durch die Membran bei gleichem Partialdruck gegenüber Stickstoff ca. 65-mal und gegenüber Sauerstoff ca. 30-mal höher ist. Auf diese Weise konnte die Schaumbildung im Bioreaktor bei Begasung mit reinem Sauerstoff
bzw. Sauerstoff angereicherter Luft vollständig unterdrückt werden. Probleme bereitete dagegen der kontinuierliche Produktaustrag. Die für die Zellrückhaltung (Zelltrockengewicht 13,5 g/l) eingesetzte Mikrofiltrationsmembran hielt den größten Teil des im Bioreaktor produzierten Rhamnolipids zurück. Ursache hierfür ist die Bildung von Tensid/Proteinaggregaten, die nahezu Zellgröße erreichen. Daher war es notwendig, das Produkt und damit unvermeidbar auch einen Teil der Biomasse als Bleed auszutragen. Neben dem Problem der Produktisolation war die erreichbare Produktkonzentration mit 13 g/l vergleichsweise niedrig, offensichtlich eine Folge des nicht optimalen Substrates. Hembach (1994) setzte daher – mit der gleichen Versuchsanlage, jedoch im fed-batch-Betrieb – Maisöl als Substrat ein und konnte damit die Produktkonzentration auf 34 g/l steigern. Allerdings ließ das Öl die selektive Schicht (Polysiloxan) der Gasaustauschmembran so stark quellen, dass sie ihre Funktion verlor. Aus diesem Grund wurde in späteren Arbeiten auf das Konzept des Gasaustauschs mittels Membranen verzichtet, dadurch waren sie jedoch konfrontiert mit dem auftretenden Problem der Schaumbildung. Leitermann (2008) verwendete deshalb erfolgreich einen mechanischen Schaumzerstörer, wie er in Abschnitt 7.5 beschrieben wird. Als
Abb. 13.5 Fließbild für die kontinuierliche Produktion von Rhamnolipiden (Gruber et al. 1993)
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Mikroorganismen setzte er die PseudomonasStämme DSM 7108 und DSM 2874 ein, als Substrat verschiedene Pflanzenöle. Er entwickelte ein zweistufiges Verfahren: In der Anzuchtphase wird das Nährmedium vollständig für das exponentielle Wachstum verbraucht; hier erfolgt bedarfsorientiert auch die Spurenelement-Zudosierung. Die anschließende stationäre Produktionsphase, die bis zu 270 Stunden dauert, ist durch eine intensive Rhamnolipid-Produktion gekennzeichnet. Müller et al. (2010) produzierten in einem 30-Liter-Fermenter Rhamnolipid mit dem Pseudomonas-Stamm PA 01. Als Substrat diente Sonnenblumenöl. Die maximale RhamnolipidKonzentration von 39 g/l wurde nach 90 Stunden erreicht; die volumetrische Produktivität betrug 0,43 g/l h. Probleme bereitet nach wie vor die Produktisolation. Sie gelingt nur durch die wiederholte Kombination von Extraktion mit organischem Lösungsmittel (Hexan), Präzipitation durch Abkühlung und Filtration. Hier besteht also noch dringender Forschungsbedarf zur Verbesserung des Aufarbeitungsverfahrens.
13.5 Biokatalytische Epoxidierung von Styrol zu enantiomerenreinem (S -)Styroloxid* Die biokatalytische Herstellung bestimmter Grundund Feinchemikalien, insbesondere chiraler Intermediate für z. B. pharmazeutische Produkte, ist Gegenstand vieler aktueller Forschungsarbeiten (Bühler und Schmid 2004, 2005; Leak et al. 2009; Liese et al. 2006). Bei komplexen Biotransformationen wie Redox- und/oder Mehrschrittbiokatalyse hat sich vor allem die Anwendung von ganzen mikrobiellen Zellen als industriell anwendbare Variante herauskristallisiert. Dies begründet sich vor allem darin, dass hier die oft notwendige artifizielle Regeneration eines Cofaktors (wie z. B. NADH) meist entfällt, da dieser durch den Zell* Christoph Brandenbusch, Bruno Bühler, Gabriele Sadowski, Andreas Schmid
13 Mikrobielle Prozesse
metabolismus bereitgestellt wird. Um weiterhin toxifizierende Einflüsse der meist apolaren Kohlenwasserstoffe, welche als Edukt eingesetzt werden und später als Produkt vorliegen, zu vermeiden, hat sich der Einsatz von organischen biokompatiblen Lösungsmitteln als zweite Flüssigphase bewährt (Bühler und Schmid 2004; Leon et al. 1998; Lilly 1982; Salter und Kell 1995). Solche zweiphasigen Ganzzell-Biotransformationen wurden hinsichtlich ihres ökonomischen Potenzials positiv evaluiert (Kuhn et al. 2010; Mathys 1997). Die biokatalytische Epoxidierung von Styrol zu enantiomerenreinem (S)-Styroloxid stellt ein gut untersuchtes Beispiel für einen solchen Prozess dar (Kuhn et al. 2010; Panke et al. 2002; Park et al. 2006). Die Erarbeitung von ganzheitlichen Prozesskonzepten, bestehend aus Biotransformation und angeschlossenem Downstream Processing, stand bisher jedoch vor dem großen Problem, dass kein adäquates Aufarbeitungsverfahren für solche komplexen Fermentationsbrühen existierte. Probleme hierbei resultieren vor allem aus der Bildung stabiler Emulsionen während der Biotransformation, da das zweiphasige Reaktionssystem zur Vermeidung von Massentransferlimitationen während der Biotransformation sehr stark emulgiert wird. Die im Reaktionsgemisch enthaltenen Zellen, Zellfragmente (lysierte Zellen) sowie Makromoleküle (Peptide, Polysaccharide, Lipide etc.) verhindern eine spontane Phasentrennung des Gemisches nach der Reaktion, was ein nachgeschaltetes Downstream Processing erschwert (Abb. 13.6, links) (Brandenbusch et al. 2010; Kollmer 1997; Mathys 1997; van Sonsbeek et al. 1993). Zur Lösung dieses Problems wurden verschiedene Methoden wie Zentrifugation, Filtration oder Flokkulation untersucht, wobei keines dieser Verfahren zu einer akzeptablen Phasentrennung führte (Grace 1992). Als Lösung des Problems stellt der Einsatz von überkritischem Kohlendioxid (scCO2) als Lösungsmittel (Abschnitt 10.3.4.4) für die Aufarbeitung eine neuartige und innovative Methode dar (Brandenbusch et al. 2010). Hierbei wird überkritisches Kohlendioxid bei Drücken zwischen 120 und 250 bar, einer Temperatur von 45 °C und einem dreifachen Überschuss an CO2 in die Emulsion einkondensiert. Nach einer Mischzeit von wenigen Minuten stellt sich eine spontane und irreversible Phasentrennung der Emulsion ein, wobei Präzipitate am unteren Ende der jeweiligen
13.5 Biokatalytische Epoxidierung von Styrol zu enantiomerenreinem (S-)Styroloxid
Phasen sedimentieren. Die so erreichte Trennung bleibt auch nach der Abtrennung des Kohlendioxids aus der behandelten Fermentationsbrühe erhalten (Abb. 13.6, rechts), sodass eine weitere Aufarbeitung wahlweise bei erhöhtem Druck oder
Abb. 13.6 Trennverhalten der Emulsion vor (links) und nach (rechts) der Behandlung mit überkritischem Kohlendioxid
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bei Normalbedingungen erfolgen kann. Diese Phasentrennung mit überkritischem Kohlendioxid ist dabei unabhängig davon, ob Zellen noch in der Fermentationsbrühe enthalten sind oder nicht. Somit wird eine vorherige Abtrennung der Zellen, wie sie ansonsten in der industriellen Praxis üblich ist, überflüssig, was die Anzahl der notwendigen Aufarbeitungsschritte minimiert. Die Verschaltung von Phasentrennung und anschließender Produktaufreinigung bleibt dabei prozessabhängig. Es konnte jedoch bereits gezeigt werden, dass das Prinzip der Phasentrennung für Emulsionen aus biokatalytischen Zweiphasenprozessen für unterschiedliche Mikroorganismen und unterschiedliche organische Lösungsmittel anwendbar ist (Brandenbusch et al. 2010; Sadowski et al. 2007). Zur weiteren Produktaufreinigung aus der nach der Phasentrennung rein gewonnenen organischen Phase sind dabei verschiedenste Verfahren denkbar (Rektifikation, Kristallisation, Extraktion etc.) (Abb. 13.7). Für den Fall, dass das Produkt eine erhöhte Löslichkeit in Kohlendioxid aufweist, wie es bei dem Beispiel (S)-Styroloxid der Fall ist, ist eine weitere Aufreinigung gemäß Abbildung 13.8 unter Verwendung von SFE (Abschnitt 10.3.4.4, Abb. 10.49) und SFC (Abschnitt 10.3.6.12, Abb. 10.62) sinnvoll. Das ohnehin nach der Phasentrennung in der Emulsion befindliche scCO2 kann für die weitere Trennung genutzt werden, was den für die Trennung notwendigen Energieauf wand minimiert. Bei der Aufreinigung der organischen Phase aus
im CO2 gelöste Bestandteile
Rückgewinnung des CO2 CO2 CO2
Biotransformation
Emulsion
Produkt
weiterer Aufarbeitungsschritt
Phasentrennung
org. Phase
wässrige Phase + Biomasse
org. Phase
Abb. 13.7 Schematische Darstellung eines möglichen Gesamtprozesses (I). Nach der Biotransformation wird die Emulsion mithilfe von scCO2 getrennt. Anschließend wird die organische Phase bei Atmosphärenbedingungen oder erhöhtem Druck weiteren Aufarbeitungsverfahren, wie z. B. der Rektifikation, zugeführt
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13 Mikrobielle Prozesse
Produkt
Rückgewinnung des CO2
Abb. 13.8 Schematische Darstellung eines möglichen Gesamtprozesses (II). Nach der Biotransformation wird die Emulsion mithilfe von scCO2 getrennt. Anschließend wird die organische Phase einer überkritischen Extraktion mit CO2 zugeführt. Danach kann das Produkt durch Druckabsenkung nahezu rein aus der CO2-reichen Phase auskondensiert werden
CO2 + Produkt
CO2 CO2 Biotransformation
der stereospezifischen Epoxidierung von Styrol zu (S)-Styroloxid kann bereits durch eine einstufige überkritische Extraktion die Produktreinheit von 7 Gew.-% in der organischen Phase auf 82 Gew.-% nach der Extraktion mit überkritischem CO2 gesteigert werden (Brandenbusch et al. 2010). Vorteilhaft ist, dass die Prozessbedingungen, bei denen die überkritische Extraktion durchgeführt werden kann, im gleichen Prozessfenster liegen, welches auch für die Phasentrennung Anwendung findet. Daher ist es in diesem Fall möglich, sowohl die Phasentrennung als auch die überkritische Extraktion in einem kombinierten Schritt durchzuführen. Die beschriebenen Verfahren bedürfen zwar noch weiterer grundlegender Untersuchungen, besitzen jedoch ein hohes ökonomisches und ökologisches Potenzial und können somit einen wichtigen Beitrag zur industriellen Implementierung der beschriebenen Klasse biokatalytischer Funktionalisierungen leisten.
13.6 Biotechnische Herstellung organischer Säuren Im Jahr 2010 werden nach Sell (2010) weit über zwei Millionen Tonnen organische Säuren produziert. Davon haben die im Folgenden vorge-
Emulsion
Phasentrennung
E xtraktion mit scCO2 o rg. Phase
wässrige Phase +Biomasse
o rg. Phase
stellten Beispiele Milch- und Citronensäure einen Anteil von ca. 80 % der Gesamtproduktion.
13.6.1 Mikrobielle Produktion von Milchsäure Die mikrobielle Produktion von Milchsäure auf Basis verschiedener Zucker als ISPR-Prozess ist Gegenstand vieler wissenschaf tlicher Publikationen (Pai et al. 2002; Börgardts 1996; Demirci et al. 2003; Richter und Nottelmann 2004). Hintergrund ist das wachsende Interesse für diesen Rohstoff zur Herstellung biologisch abbaubarer Polymere (Polylactate). Wegen der enormen Mengen Molke, die jährlich weltweit bei der Produktion von Käse anfallen (9 kg Molke je kg Käse), ist das durch Ultrafiltration vom wertvollen Milcheiweiß befreite Molkepermeat ein äußerst günstiges Substrat. Börgardts et al. (1998) haben sich mit den Problemen des Scale-up der kontinuierlichen, mikrobiellen Umwandlung von Lactose in Milchsäure und der dabei erforderlichen Integration der Produktaufarbeitung (Produktinhibierung) bis in den industriellen Maßstab beschäftigt. Abbildung 13.9 zeigt das Fließschema des entwickelten ISPR-Prozesses. Das üblicherweise durch Ultraf iltration der Molke gewonnene Milchprotein wird im vorliegenden Fall hydrolysiert und dem Medium
13.6 Biotechnische Herstellung organischer Säuren
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Abb. 13.9 Gesamtprozess zur kombinierten Produktgewinnung und Abwasserreinigung am Beispiel der Milchsäureproduktion aus Molke (nach Börgardts 1996). WT: Wärmetauscher, HE: Hefeextrakt, IAT: Ionenaustauscher
(45 g/l Lactose) als Stickstoffquelle zugegeben, wodurch Hefeextrakt eingespart wird. Mit einem speziellen Lactobacillus-Stamm (Lc2) wird die Lactose im Rührreaktor unter anaeroben Bedingungen vollständig umgesetzt. Um maximale Produktivität (17 g/lh) zu erzielen, wird die Biomassekonzentration mittels Mikrofiltration im externen Kreislauf auf 30 g/l aufkonzentriert (R = 98 %), wodurch eine Milchsäurekonzentration im Ablauf (Permeat) von 41 g/l erzielt wird. Als Mikrofiltrationsmembran wurde eine Zirkonoxid-Rohrmembran mit einem Innendurchmesser von 3 mm und einer Porenweite von 0,2 μm gewählt. Zur Minimierung des Membranfoulings beim Betriebs-pH von 6,5 wurde dem Molkepermeat durch Fällung Calciumphosphat entzogen und die Membran alle zehn Minuten für zwei Sekunden mit 1,5 bar rückgespült. Dadurch konnte bei 1 bar ein mittlerer Permeatfluss von 60 l/m2 h erreicht werden. Das Permeat wurde über eine Elektrodialyse mit bipolaren Membranen im zyklischen batch-
Betrieb geführt, wodurch ein Konzentratstrom (Produkt) mit 200 g/l freier Milchsäure und ein Diluatstrom (Abwasser) mit weniger als 1 g/l Milchsäure erzielt werden konnte.
13.6.2 Mikrobielle Produktion von Citronensäure Citronensäure ist ein wichtiges primäres Stoffwechselprodukt. Sie wird verwendet als Citronensäure-1-hydrat oder in wasserfreier Form in der Getränke- und Lebensmittelindustrie zur Geschmacksabrundung und Konservierung von Fruchtsäften, Fruchtsaftessenzen, Süßwaren und Marmeladen. In der pharmazeutischen Industrie wird Citronensäure zur Komplexierung von Eisen-Ionen und zur Konservierung von Blutkonserven, Tabletten, Salben und kosmetischen Präparaten eingesetzt. In der chemischen Industrie findet Citronensäure inzwischen weite Anwendung als Zusatz zu Waschmitteln zur Reduk-
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tion der Wasserhärte, als Antischaummittel, als Weichmacher und zur Behandlung von Textilien. Citronensäure tritt bei aeroben Organismen in der Regel nur in sehr geringen Konzentrationen als Intermediärprodukt im Tricarbonsäurezyklus auf. Viele Schimmelpilze und Hefen können jedoch Citronensäure überproduzieren und in das umgebende Medium ausscheiden. Die erste technische Fermentation mit Schimmelpilzen im Oberflächenverfahren wurde 1923 etabliert, bereits 1927 wurden 5 000 Tonnen Citronensäure pro Jahr mikrobiell hergestellt (Crueger und Crueger 1989). Heute werden über 99 % der Weltproduktion von geschätzten 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr mikrobiell mit Hochleistungsstämmen von Aspergillus niger und Aspergillus wentii hergestellt (Schmid 2006). Diese Stämme besitzen eine hohe Produktivität und eine geringe Bildung von unerwünschten Nebenprodukten wie Oxalsäure, Isocitronensäure und Gluconsäure. Die Produktionsverfahren arbeiten in der Regel mit Komplexmedien und kohlenhydrathaltigen Substraten. Man unterscheidet bei der Citronensäureproduktion, die dem Produktbildungstyp II folgt (Abb. 13.1), eine Wachstums- oder Trophophase, in der ein Teil des eingesetzten Substrates zunächst für die Mycelbildung verwendet wird, von einer Produktions- oder Idiophase, in der das verbleibende Substrat in Citronensäure überführt wird. Die Citronensäure wird dabei aus ihrem Bildungsort, den Mitochondrien, zunächst in das Cytoplasma und von dort weiter aus der Zelle ausgeschleust. Voraussetzung dafür sind niedrige pH-Werte. Um zu vermeiden, dass dadurch der Tricarbonsäurezyklus zum Erliegen kommt und die Vorstufe Oxalacetat nicht mehr nachgeliefert wird, müssen in der Produktionsphase in den verwendeten Stämmen ausgeprägte anaplerotische Sequenzen vorliegen, wie z. B. eine Pyruvat-Carboxylase, die Pyruvat und CO2 unter Verbrauch von ATP in Oxalacetat, anorganisches Phosphat und ADP überführt, oder eine Phosphoenolpyruvat(PEP)-Carboxykinase, die PEP und CO2 bei Anwesenheit von ADP in Oxalacetat und ATP überführt (Syldatk 2006b). Als Kohlenstoffquellen zur Citronensäureproduktion mit Aspergillus niger kommen eine Vielzahl von Ausgangsmaterialien infrage, wie z. B. Stärke aus Kartoffeln, Stärkehydrolysate, Glucose-Sirup aus
13 Mikrobielle Prozesse
zuvor enzymatisch abgebauter Stärke, Saccharose in verschiedenen Reinheitsstufen, ZuckerrohrSirup mit bis zu zwei Drittel in Invertzucker überführter Saccharose, Zuckerrohr-Melasse oder Rübenzucker-Melasse. Werden Hydrolysate oder Sirupe eingesetzt, muss jedoch zur Entfernung von inhibierenden Metall-Ionen zunächst eine Vorbehandlung entweder mit Fällungsmitteln wie Kaliumhexacyanoferrat oder mit Kationenaustauschern durchgeführt werden (Crueger und Crueger 1989). Als Fermentationsverfahren kommen sowohl klassische Oberflächenverfahren als auch moderne Submersverfahren inf rage (Syldatk 2006b). Bei den Oberflächenverfahren kann mit festen oder flüssigen Nährböden gearb eitet werden. Für die Submersverfahren können gerührte Fermenter oder Blasensäulenreaktoren eingesetzt werden. Welcher Produktionsart man letztendlich den Vorzug gibt, hängt ab von den Investitionsmöglichkeiten, der Energiebereitstellung, den Personalkosten, dem Personaltraining und der zur Verfügung stehenden Mess- und Regeltechnik. Mit dem Submersverfahren wurden 2004 schätzungsweise 80 % des Weltb edarfs an Citronensäure hergestellt (Schmid 2006). Bei den noch immer gebräuchlichen Oberflächenverfahren beschickt man große Wannen aus säureresistentem Material mit Zuckerlösung und beimpft diese mit Sporen von Aspergillus niger. Nach ca. fünf Tagen hat sich ein dichtes Pilzmycel gebildet, in dem die Säurebildung erfolgt. Nach Abtrennen des Mycels und Waschen mit heißem Wasser reinigt man die Citronensäure durch Umfällung. Der höhere Personalaufwand liegt vor allem in der Reinigung von Leitungen, Kulturwannen und Wänden der Gärräume begründet. Die Submersverfahren werden überwiegend in belüfteten Rühr- oder Turmfermentern aus Edelstahl durchgeführt. Bezüglich der Materialbeschaffenheit müssen die Fermenter dabei durch Verkleidung mit inerten Materialien gegen die Citronensäure geschützt werden, da sonst eine Inhibierung der Citronensäurebildung durch komplexierte Metall-Ionen auftreten könnte. Auch kurze Unterbrechungen in der Sauerstoff versorgung führen zu einer Einstellung der Produktion und müssen daher unbedingt vermieden werden. Der pH-Wert der Kulturen sollte während der Idiophase < pH 3 sein, um eine unerwünschte
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13.6 Biotechnische Herstellung organischer Säuren
Abb. 13.10 Verfahrensschritte bei der Aufarbeitung von Citronensäure aus der Kulturbrühe von Aspergillus niger (nach BIOTOL 1997)
Oxalsäure- und Gluconsäurebildung zu vermeiden. Zunächst erfolgt daher bei pH-Werten über pH 5 ca. 48 Stunden lang die Bildung der Zellmasse. Die Absenkung des pH-Wertes auf pH < 2,5, eine Zugabe von Zucker im Zulaufverfahren und eine Erhöhung der Belüftung führen schließlich zur Einleitung der Idiophase und Bildung der Citronensäure. Ein zusätzlicher positiver Effekt des niedrigen pH-Wertes ist dabei die verringerte Kontaminationsgefahr. Die Aufarbeitung der Citronensäure ist in Abbildung 13.10 dargestellt: Zur Isolierung der im Kulturüberstand extrazellulär gelöst vorliegenden Citronensäure filtriert man zunächst das Mycel ab, fällt in der zellfreien Lösung die Citronensäure mit Ca(OH)2 und bringt anschließend das so gefällte Calciumcitrat mit Schwefelsäure wieder in Lösung. Eine nachfolgende Behandlung des Citronensäure-Rohprodukts mit Aktivkohle und Ionenaustauschern ermöglicht die Entfärbung und die anschließende Kristallisation sehr reiner Citronensäure. Bei diesem Verfahren
fallen jedoch große Mengen an Gips als Abfall an, was erhebliche Entsorgungskosten verursacht. Alternativ kann man die Extraktion des zellfreien Kulturüberstands auch mit einer Mischung aus Alkanen und 1-Octanol nach Komplexierung der Citronensäure mit Trilaurylamin durchführen. Lösungsmittel und Reagenzien können dabei zurückgewonnen werden.
13.6.3 Biotechnische Herstellung von Perillasäure im integrierten Bioprozess* Perillasäure ist ein bioaktiver Naturstoff, der beispielsweise in der Schwarznessel (Perilla frutescens) vorkommt. Die Monoterpensäure besitzt ein breites antimikrobielles Wirkspektrum und könnte in Zukunft, die gesundheitliche Unbe* Marco Antonio Mirata, Jens Schrader
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denklichkeit vorausgesetzt, als alternatives natürliches Konservierungsmittel in unterschiedlichen Produkten eingesetzt werden. Die Konzentrationen des Naturstoffes in den natürlichen Quellen sind jedoch für eine extraktive Gewinnung größerer Mengen zu gering. Mars et al. (2001) haben gezeigt, dass man Perillasäure mithilfe des Bakterienstamms Pseudomonas putida DSM 12264 durch regioselektive Oxidation aus Limonen gewinnen kann. Das Monoterpen Limonen ist Hauptbestandteil des ätherischen Öls von Orangen und fällt weltweit in über 50 000 Tonnen pro Jahr als günstiges Nebenprodukt der zitrusverarbeitenden Industrie an. Aufgrund der Lösungsmitteltoleranz des ausgewählten P. putida-Stamms können trotz der Toxizität des Limonens gegenüber konventionellen Mikroorganismen Produktkonzentrationen von über 8,8 g/l nach zwei Tagen fed-batch-Kultivierung erzielt werden. Die weitere Kultivierung führt jedoch aufgrund von Produktinhibierung nur noch zu einer geringen Steigerung der finalen Produktkonzentration. Mirata et al. (2010) haben sich der Verbesserung der biotechnischen Produktion von Perillasäure aus Limonen durch Entwicklung eines integrierten Bioprozesses im Labormaßstab angenommen. Zunächst wurden die inhibierenden Effekte der Perillasäure quantitativ erfasst. Physiologische Studien zeigten, dass die maximale spezifische Wachstumsrate von P. putida-Zellen bereits in Gegenwart von ca. 3,7 g/l Perillasäure nur noch die Hälfte des Wertes in Abwesenheit von Perillasäure beträgt. Dies verdeutlicht, dass eine effiziente in situ-Produktabtrennung (in situ product removal, ISPR) notwendig ist, um höhere Produktivitäten zu erzielen. Limonen und Perillasäure sind strukturell eng miteinander verwandt. Bei einem für die Biotransformation optimalen pH-Wert von 7 liegt die Perillasäure (pKs K = 4,94) jedoch zu 99 % in dissoziierter Form vor. Deshalb bietet sich die Adsorption an einen Anionenaustauscher als selektive ISPRMethode an. Untersuchungen zeigten, dass die Anwesenheit bestimmter Ionenaustauscherpartikel in den gewählten Konzentrationsgrenzen das Wachstumsverhalten von P. putida DSM 12264 nicht negativ beeinflusst. Aus einem Screening ging Amberlite IRA 410 Cl aufgrund seiner guten Biokompatibilität gegenüber P. putida und
13 Mikrobielle Prozesse
Bindekapazität für Perillat als das am besten geeignete Adsorberharz hervor. Aufgrund seiner hydrophoben Grundstruktur (vernetzte Polystyrolmatrix) bindet der Anionenaustauscher auch Limonen, wodurch jedoch die Bindung des Perillats über die quartären Ammoniumgruppen nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Der integrierte Bioprozess setzt sich aus dem im Zulaufverfahren betriebenen Bioreaktor und einer im Kreislauf geschalteten Fließbettadsorption zusammen (Abb. 13.11). Als Adsorbermaterial werden Anionenaustauscherpartikel eingesetzt, die durch Drahtgeflechte an beiden Enden der Fließbettsäule in dieser zurückgehalten werden. Die Maschenweite der Gitter erlaubt eine kontinuierliche Durchströmung des Fließbetts mit der Fermentationsbrühe ohne vorherige Rückhaltung der Zellen, wodurch der technische Aufwand gering bleibt. Das bei Raumtemperatur flüssige Limonen wird gemeinsam mit der C-Quelle Glycerin kontinuierlich in den Bioreaktor dosiert, und weitere Nährstoffe, wie Ammoniumsulfat, Magnesiumsulfat und Spurenelemente, werden sequenziell zugegeben, um Limitierungen während der fed-batch-Fermentation zu vermeiden. Auf diese Weise stellen sich Limonengehalte von über 4 % (v/v) ein, die weit über der Löslichkeit des Kohlenwasserstoffs in Wasser von unter 0,15 mM bei 25 °C (Sikkema et al. 1995) liegen und zu einer Emulsion führen. Normale Mikroorganismen würden unter diesen Bedingungen aufgrund der Toxizität des Limonens in kurzer Zeit ihre Viabilität einbüßen, nicht so jedoch P. putida DSM 12264. Das Bakterium lässt sich in Gegenwart der organischen Phase, trotz verminderter Wachstumsrate, kultivieren. Durch die in situProduktabtrennung wird die Perillasäurekonzentration im wässrigen Medium niedrig gehalten. Die auf diese Weise vom inhibierenden Produkt weitgehend befreiten Mikroorganismen sind zu einer höheren Produktbildungsrate in der Lage. Erreicht der Anionenaustauscher seine Sättigung, steigt die wässrige Konzentration der Perillasäure an. Durch tägliches Wechseln des beladenen Anionenaustauschers gegen neues Material kann die wässrige Perillasäurekonzentration jedoch in einem Bereich geringer Toxizität gegenüber P. putida gehalten werden (Abb. 13.12, untere Kurve). Auf diese Weise kann während einer Fermen-
13.7 Mikrobielle Produktion von Aromastoffen
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Abb. 13.11 Schema des integrierten Bioprozesses für die Herstellung von Perillasäure mit P. putida DSM 12264 (nach Mirata et al. 2010)
Abb. 13.12 Produktion von Perillasäure mit P. putida DSM 12264 im fed-batch-Bioprozess mit in situProduktabtrennung mittels Anionenaustauscher. (Ⴜ) Perillasäurekonzentration im Medium; (Ⴠ) kumulierte Perillasäurekonzentration. Die Pfeile zeigen die erstmalige Integration der ISPR-Methode sowie den täglichen Austausch des produktgesättigten gegen neuen Anionenaustauscher an
tationsdauer von bis zu fünf Tagen eine signifikante Produktbildung gewährleistet werden, also deutlich länger als beim konventionellen fedbatch-Bioprozess. Das am Anionenaustauscher
gebundene Perillat lässt sich durch Elution mit einem 1 M Salzsäure/Ethanol-Gemisch (40:60, v/v) und anschließendem Abdampfen des Ethanols als kristalline Perillasäure zurückgewinnen (Reinheit: 93 %). Bezieht man die gewonnene Menge an Perillasäure auf das Kulturvolumen, ergibt sich eine kumulative Produktkonzentration, die einen Wert von 31 g/l erreicht und deren zeitlicher Verlauf in Abb. 13.12 (obere Kurve) dargestellt ist. In Tabelle 13.4 sind Kennzahlen des integrierten und konventionellen Bioprozesses gegenübergestellt. Das integrierte Verfahren liefert neben einer 2,8-fach höheren finalen Produktkonzentration auch verbesserte Ausbeuten. Dies gilt insbesondere für die ökonomisch wichtige Raum-Zeit-Ausbeute.
13.7 Mikrobielle Produktion von Aromastoffen Viele Aromen sind Mehrkomponentengemische, die bei Gärung und Reifung durch Stoffwandlungen gebildet werden. Bei mikrobiellen Prozessen liegen in der Mehrzahl der Fälle
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13 Mikrobielle Prozesse
Tabelle 13.4 Vorteile durch Nutzung einer adsorptionsbasierten ISPR zur biotechnologischen Herstellung von Perillasäure Prozessparameter
ohne ISPR −1
Produktkonzentration (gp l ) −1
Raum-Zeit-Ausbeute (gp l Biokatalysatorausbeute
d )
4,4
(gp gb−1)
−1
Substratausbeute (gp gs ) 1)
1)
11
−1
mit ISPR 31
2)
7,0
3)
Verbesserungsfaktor
2,8 1,6
2,3
3,4
1,5
0,28
0,34
1,2
2)
kumulative Konzentrationsangabe; berechnet unter Berücksichtigung der ersten zwei Tage nach Start der Fermentation; 3) berechnet unter Berücksichtigung der ersten vier Tage nach Start der Fermentation; gb: Gramm Biokatalysato o ata ysator; gp: Gramm Produ odukt; t; gs: Gramm Substrat (Limonen)
Abb. 13.13 Fließbild der Technikumsanlage (nach Maltzahn 2005) mit verschiedenen Messstellen (I, C, R) für Fluss (F), Druck (P), Temperatur (T), Feststoffe (S) etc.
Mischpopulationen vor, deren einzelne Gruppen vielfach in wechselseitiger Abhängigkeit hinsichtlich Wachstum und Metabolismus stehen. Obwohl seit mehr als einem Jahrzehnt in der Diskussion (z. B. Böddeker 1994), scheiterte die biotechnische Produktion von Aromastoffen an der Unwirtschaftlichkeit. Hauptursache ist auch hier die frühe – d. h. bei geringer Konzentration einsetzende – Produktinhibierung. Die ISPR – in diesem Fall unter Anwendung der Pervaporation – bietet sich geradezu an. Beispiele hierfür sind diverse Alkohole und Acetate. So berichtet beispielsweise Stefer (2004) gleich über acht verschiedene, vom Schimmelpilz Ceratocystis fimbriata in Submerskultur sekretierte Aro-
men. Die Produktinhibierung wurde durch eine Pervaporation mittels einer am Boden des Bioreaktors integrierten Polydimethylsiloxan(PDMS)Kompositmembran verhindert. Die verschiedenen Einflussparameter auf Permeatfluss und -zusammensetzung wurden untersucht. Die im L abormaßstab durchgeführte Arbeit lieferte wichtige Informationen zur Integration der Pervaporation in die mikrobielle Produktion von Aromastoffen; die Maßstabsübertragung der im Reaktor integrierten Membran dürfte aber aus verschiedenen Gründen schwierig sein. Maltzahn (2005) verfolgte ein ähnliches Ziel, nämlich die mikrobielle Konversion von L-Phenylalanin zu den Aromastoffen 2-Phenylethanol
13.8 Bioethanolproduktion
(2-PE) und 2-Phenylethylacetat (2-PEA) unter Einsatz von zwei Hefen der Gattung Kluyveromyces durch Integration einer Pervaporation zur kontinuierlichen Produktentfernung – hier aber im externen Kreislauf (Abb. 13.13). Als Pervaporationsmembran wurde eine trennaktive Schicht aus Polyoctylmethylsiloxan (POMS) auf einem mikroporösen Träger aus Polyetherimid (PEI) in einem Plattenmodul (analog Abb. 10.30a) verwendet. Der Versuch der Maßstabsübertragung vom 2-Liter- in den 200-Liter-Reaktor war zwar nicht ganz erfolgreich (unter anderem wegen eines zu geringen Verhältnisses von Reaktorhöhe zu Reaktordurchmesser und mangelnder Sterilisierbarkeit des Pervaporationsmoduls), jedoch zeigen die Ergebnisse, z. B. die Optimierung des Verhältnisses von Reaktorvolumen zur Membranfläche, der Temperatur, der Medienzusammensetzung etc., den Weg auf. Es erwies sich beispielsweise als notwendig, neben den Aromastoffen auch das entstehende Ethanol zu entfernen. POMS zeigte dabei Vorteile gegenüber PDMS als selektive Schicht. Für die hier vorliegende Problematik – der Entfernung von flüchtigen organischen Komponenten aus Wasser mittels Pervaporation – wird auf die Arbeit von Baker et al. (1997) verwiesen.
13.8 Bioethanolproduktion Bioethanol schlägt bezüglich der produzierten Menge jedes andere biotechnische Produkt, wenn man einmal vom mikrobiell gereinigten Wasser absieht. Angaben über die Jahresproduktion, wie z. B. 38 Millionen Tonnen pro Jahr (Soetaert und Vandamme 2006) oder 50 Millionen Tonnen pro Jahr (Sell 2010) sind nur Momentaufnahmen. Eine Studie der Internationalen Energie-Agentur (IEA) und der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2030 ein Viertel der Agrar- und Forstabfälle 10 % des gesamten Kraftstoffbedarfs decken könnte. Davon würde ein erheblicher Teil Bioethanol sein. Biokraftstoffe müssen aber seit Mitte 2010 ihre Nachhaltigkeit nachweisen. Vorgeschrieben sind unter anderem das Erzielen von Mindest-Treibhausgaseinsparungen, und
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zwar mindestens 35 % gegenüber fossilen Kraftstoffen. Heute steht zwar noch die Bioethanolproduktion aus Zuckerrohr und Zuckerrüb en mit Abstand an der Spitze, ab er den eingangs genannten Bedarf wird man (schon aus eth ischen Gründen) weder damit noch mit Getreide decken können. Es wird daher der Ruf nach Nutzung von Pflanzenabfällen für diese Zwecke laut. So weisen beispielsweise Unkelbach et al. (2009) darauf hin, dass allein in Deutschland jährlich ca. drei Millionen Kubikmeter Fichtenrinde im nassen Zustand als Abfallprodukt anfallen. Sie untersuchten daher die „Bioraffinerie“ dieses Ausgangsmaterials mit den Hauptkomponenten Cellulose, Hemicellulose und Lignin (Tannin). Die Polyphenole Lignin (Bestandteil der Zellwand von Hölzern) und Tannin (Bestandteil der Rinde) stellen eine natürliche Aromatenquelle dar, die sich wirtschaftlich nutzen ließe. B ei den von Unkelbach et al. (2009) untersuchten Verfahren wird die lignocellulosehaltige Biomasse aus einem Gemisch von Wasser und Ethanol (ca. 50 %) b ei ca. 170 °C und 80 bar in etwa 80 Minuten aufgeschlossen. Dabei werden die Hemicellulosen zu C5- und C6-Zuckern abgebaut. Auch die Cellulose ist für nachgeschaltete enzymatische Hydrolyse besser zugänglich. Tannin und Harze können extrahiert werden und stören die nachgeschaltete biotechnologische Umsetzung nicht mehr. Hier setzt dann der Biotechnologe an. Die Umwandlung der oben genannten oder anderer pflanzlicher Bestandteile mittels Enzymen kann bei Jaeger et al. (2006) und Olsen und Schäfer (2006) nachgelesen werden. Es muss aber bereits an dieser Stelle festgestellt werden, dass bei der Bioethanolproduktion bezüglich der Frage nach der Wirtschaftlichkeit dem Upstream-Prozess mindestens die gleiche Bedeutung zukommt, wie dem Downstream-Prozess. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die eigentliche Ethanol-Fermentation mit Produktisolation und -reinigung. Die Viskosität der Maische beeinflusst den Fermentationsprozess erheblich. Olsen und Schäfer (2006) haben gezeigt, wie diese durch entsprechende Enzyme reduziert werden kann. Im Folgenden wird ein kontinuierlicher Fermentationsprozess mit integrierter Produktiso-
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13 Mikrobielle Prozesse
Abb. 13.14 Fließschema eines kontinuierlichen Fermentationsprozesses zur Ethanolgewinnung (nach Chmiel und Strathmann 1989)
lation beschrieben, wie er bereits von Chmiel et al. (1988) vorgestellt wurde, damals noch unter Einsatz selbst produzierter Ethanol-selektiver Hohlfaser-Pervaporationsmembranen. In der zitierten Publikation wird über eine kontinuierliche Fermentation einer Glucoselösung mit Saccharomyces cerevisiae in einem Laborfermenter (350 ml) über mehrere Wochen berichtet. Das entstehende Produkt (Ethanol), die entstehenden sonstigen Metabolite, die Biosuspension und das noch vorhandene Substrat werden über einen externen Kreislauf durch einen Pervaporationsmodul gepumpt. Der Pervaporationsmodul besteht aus Hohlfasermembranen mit 125 cm2 Fläche. Die poröse Unterstruktur der Hohlfaser ist innen ca. 4 μm dünn mit Polysiloxan beschichtet (Abb. 10.32a). Der Innenraum der Hohlfasern fungiert als Bioreaktor, kann also zum tatsächlichen Bioreaktorvolumen addiert werden. Er wird gemäß Abbildung 13.14 im Vakuummodus betrieben. Tabelle 13.5 zeigt die Analyse des Feeds und des Permeats. Daraus geht hervor, dass das Ethanol (kontinuierlich) mit einem Fluss von ca. 6,4 kg/m2 h mit einem Anreicherungsfaktor von 6,4 ausgetragen wird. Ebenfalls entfernt werden über die Membran Acetaldehyd, Ethylacetat, Methanol, Isobutanol und Methylbutanol, übrigens auch das gesamte CO2. Einzig die entstehende Essigsäure verbleibt
im Fermenter und muss über einen sogenannten Bleedstrom gemeinsam mit einem Teil der Hefe eliminiert werden. Während des gesamten Versuchszeitraums kam es weder zu einer Infektion noch zu einem Membranfouling. Der Mittelwert der Ethanolkonzentration im Fermenter lag bei 5 Gew.-% und auf der Permeatseite bei ca. 32 Gew.-%. Ethanol wird also nicht nur entfernt, sondern im gleichen Schritt um den Faktor 6,4 angereichert. Das Dampfgemisch könnte (optional) gemäß Abbildung 13.14 üb er einen Wärmetauscher einer Rektifikationskolonne gef ührt und das auf ca. 80 % angereicherte und von Wasser und Verunreinigungen (über dem „Sumpf “) befreite Ethanol einer Wasser-selektiven Pervap orationsmembran zur Absolutierung (über den azeotropen Punkt) geführt werden (Chmiel und Strathmann 1989). Für den zuletzt genannten Schritt eignet sich alternativ die in Abbildung 10.32b gezeigte hydrophile Zeolithmembran. Natürlich ist auch für die erste Pervaporationsstufe der Einsatz einer – dann allerdings hydrophoben – Zeolithmembran denkbar, jedoch gibt es hier noch keine Langzeiterfahrungen über Fouling verhalten und Flüsse. Dennoch würde es sich wegen des eingangs erwähnten ungeheuren Marktes lohnen, diesen Weg weiter zu verfolgen.
497
13.9 Biotechnische Herstellung von Biomasse
Tabelle 13.5 Co-Permeation verschiedener organischer Komponenten bei der Pervaporation (nach Chmiel et al. 1988) Komponente
wf
wp
b
Ji kg/m2h
Ethanol
4,80E-02
2,61E-01
5,44
6,39E-02
Acetaldehyd
2,63E-04
2,51E-03
9,52
6,14E-04
Ethylacetat
n. d.
5,69E-04
…
1,39E-04
Methanol
n. d.
2,36E-04
…
5,78E-05
Isobutanol
9,99E-05
1,13E-03
11,31
2,77E-04
Methylbutanol
5,74E-05
5,40E-04
9,42
132E-04
Essigsäure
7,32E05
n. d.
n. d.
n. d.
n. d.: not detected d, f: Feed, p: Permeat, i: jeweilige Komponente
13.9 Biotechnische Herstellung von Biomasse Mikrobielle Biomasse wird für eine Vielzahl von Anwendungen im Pharma-, Lebensmittel- und Futtermittelbereich sowie in der Umwelttechnik und Landwirtschaft produziert. Dies reicht von speziellen Kulturen für die Regenerierung der Darmflora nach einer Antibiotikabehandlung über die Herstellung von Backhefe, Hefen für die Bierund Weinherstellung, Starterkulturen für die Käse-, Joghurt- und Kefirproduktion, für die Fleischverarbeitung bis hin zur Herstellung von Bioinsektiziden (Bacillus thuringiensis) und Starterkulturen für Kompost- und Silageherstellung, um nur einige Beispiele zu nennen. Hauptprodukt ist weltweit mit großem Abstand die Produktion der Backhefe Saccharomyces cerevisiaee in unterschiedlichen Varianten mit geschätzten 1,8 Millionen Tonnen pro Jahr. Während für die genannten Anwendungen lebende und aktive mikrobielle Kulturen erforderlich sind, wird abgetötete bzw. pasteurisierte und ggf. getrocknete Biomasse häufig als vitaminreiches Lebens- und Futtermittel oder nach Aufschluss der Mikroorganismen als komplexe vitamin- und aminosäurereiche Medienkomponente angeboten (Hefeextrakt, Bacto-Pepton). Die Herstellung von mikrobieller Biomasse erfolgt in der Regel in Bioreaktoren bis zu 500 m3 Volumen. Zielsetzung ist grundsätzlich die möglichst schnelle Bereitstellung hoher Biomassekonzentrationen in gleichbleibender Qualität. Als
Stammkulturen werden dafür in der Regel als Lebensmittel und Futtermittel zugelassene „GRAS“Mikroorganismen verwendet (GRAS = generally regarded as safe), von denen keinerlei schädliche Effekte auf Mensch, Tiere und Pflanzen bekannt sind und die keine toxischen oder unerwünschten Nebenprodukte bilden sollten. Sie sollten weiterhin tolerant gegen pH- und Temperaturschwankungen sein, nicht lysieren und während der Kultivierung möglichst nicht zur Schaumbildung neigen, sodass auf die Zugabe von Antischaummitteln weitgehend verzichtet werden kann. Für ihre Kultivierung werden Minimal- oder Komplexmedien mit definierter Zusammensetzung, meist mit Kohlenhydraten wie Glucose oder Saccharose als C-Quelle, verwendet. Diese müssen im Lebensmittelbereich jedoch für die spätere Verwendung der mikrobiellen Kulturen ebenfalls bestimmten Anforderungen genügen und sind daher häufig zertifiziert (z. B. für Starterkulturen zur Milch- und Fleischverarbeitung). Um in kurzer Zeit hohe Zellkonzentrationen erreichen zu können und gleichzeitig Wachstumsinhibierungen durch zu hohe Substratkonzentrationen oder Sauerstofflimitierungen zu vermeiden, wird die C-Quelle während der Kultivierung im fedbatch-Verfahren häufig zugefüttert. Nach Erreichen der maximalen Zellkonzentration werden die Kulturen dann meist in der Übergangsphase des Wachstums beendet und die Zellmassen, ggf. nach Kühlen und Zwischenlagern, entsprechend weiter aufgearbeitet. Je nach den Eigenschaften der verwendeten Mikroorganismen können diese
13
13
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13 Mikrobielle Prozesse
Abb. 13.15 Verfahrensschritte bei der Herstellung mikrobieller Starterkulturen (nach Ward 1994)
unter Erhalt der Lebensfähigkeit und Aktivität durch Zentrifugation oder Filtration abgetrennt und nach Eindickung gekühlt gelagert werden (Backhefe), es kann eine schonende Trocknung erfolgen oder eine Gefriertrocknung durchgeführt werden (bei vielen Milchsäurebakterien). Abbildung 13.15 zeigt den schematischen Ablauf der Produktion von Starterkulturen.
13.10 Mikrobielle Abwasserreinigung unter Einsatz von Membranen* Die bisher in diesem Kapitel beschriebenen Beispiele für mikrobielle Prozesse zeichneten sich durch weitgehend definierte Ausgangssubstrate aus, die durch entsprechende Zusatzstoffe das optimale Medium für ein entsprechendes Zielprodukt darstellten (Beispiel: Molke → Milchsäure). Die überwiegende Zahl der Abwässer der Agrar-, Getränke-, Lebensmittel- und der chemischen Industrie sind jedoch durch eine Mischung verschiedener Verunreinigungen belastet. Kom-
* Dieter Bryniok, Horst Chmiel
munale Abwässer besitzen darüber hinaus einen hohen Anteil an Ammonium- und Phosphorverbindungen.
13.10.1 Aerobe Abwasserreinigung Noch vor etwa drei Jahrzehnten wurde die Turmbiologie bei der aeroben biologischen Reinigung der oben genannten Abwässer als wesentlicher Fortschritt gegenüber den riesigen offenen Flachbecken hervorgehoben (Müller 1983). Das Problem des Auswaschens aktiver Biomasse aus dem Belebtschlammbecken war dadurch aber nicht gelöst. Es gab zwar bereits 1969 Anregungen, die Biomassekonzentration durch Membranrückhalt deutlich über die bisher üblichen 5 g/l TS anzuheben (Smith et al. 1969), doch es dauerte bis Mitte der 1990er-Jahre, bevor der im Belebtschlammbecken getauchte Hohlfasermembran-Modul (Abb. 10.26, links) als sogenannter Membranbioreaktor (MBR) seinen großtechnischen Einzug hielt (Zenon Environmental Inc. 1994). Durch Anlegen eines Unterdrucks strömt dabei das gereinigte Wasser von außen nach innen durch die Hohlfaser, wobei die Biomasse von der Membran zurückgehalten wird. Auf diese Weise können Biomassekonzentratio-
13.10 Mikrobielle Abwasserreinigung unter Einsatz von Membranen
a
499
b
Abb. 13.16 Membranbioreaktor für die aerobe Abwasserbehandlung (a) PURON® PSH 500 MBR Modul (b) getauchte PURON®-Membranen (mit freundlicher Genehmigung der Fa. Koch Membrane Systems, Aachen)
nen bis zu 25 g/l TS erzielt werden, doch haben sich Konzentrationen zwischen 10 g/l und 15 g/l als besonders wirtschaftlich erwiesen. Es ist nicht überraschend, dass das in Kapitel 10 ausführlich behandelte Membranfouling ein Hauptproblem des MBR darstellt. Insbesondere die sogenannten extrazellulären polymeren Substanzen (EPS) adsorbieren auf der Membran und verblocken die Poren. Zyklisches Rückspülen der Membran mit Permeat, wie in Abbildung 10.25 gezeigt, genügt allein nicht. Auch die Erhöhung des transmembranen Drucks (TMP), von z. B. 0,15 bar auf 0,25 bar bewirkt keine Steigerung des transmembranen Flusses (TMF), wie Britz (2004) zeigen konnte. Erst die Überlagerung der für die Mikroorganismen zur Sauerstoffversorgung ohnehin notwendigen feinblasigen Belüftung mit gepulster grobblasiger Belüftung bringt den gewünschten Erfolg. Ein weiteres Problem des getauchten Hohlfasermembranbündels ist die Neigung zur Zopfbildung. Darunter versteht man die Verknüpfung der einzelnen Hohlfasern eines Bündels durch Biomasse und Haare derart, dass sie wie ein Zopf wirken und selbst durch hohe Luftanströmung nicht mehr zu einzelnen Fasern gelöst werden können. Nur die vollständige Rückhaltung von Haaren und sonstigen faserigen Verunreinigungen mittels eines feinmaschigen Siebes (Maschenweite: ca. 1 mm) kann das verhindern.
Heute werden eine Vielzahl verschiedenartiger Membranen und Membranmaterialien im MBR verwendet (Abb. 13.16). Neben der Hohlfaser sind es vor allem Flach- und Rohrmembranen und neben Polymeren vor allem keramische Werkstoffe. Die Wahl des geeigneten Membranmoduls richtet sich nicht nur nach Art und Grad der Verunreinigungen, sondern auch nach der geforderten Qualität des gereinigten Wassers. Motivationen zur Reinigung verschmutzten Wassers mit dem Ziel der Wiederverwendung, können Kostengründe (wie z. B. in Deutschland), politische Gründe (z. B. Singapur, das eine Abhängigkeit seiner Wasserversorgung von Malaysia vermeiden will) oder lokaler Wassermangel (wie z. B. im arabischen oder asiatischen Raum) sein. B eispiele für die Wiederverwendung sind: • Trinkwassergewinnung; • Grundwasserverpressung; • Prozesswasser (Dampferzeugung, Kühlung, Reinigung etc.); • Bewässerung (Landwirtschaft, Parks, Golfplätze etc.); • Sanitärwässer (Toilettenspülung); • Oberflächenwässer (Teiche, Flüsse).
Bevor darauf eingegangen wird, sollen einige weitere Aspekte der biologischen Abwasserreinigung betrachtet werden.
13
13
500
13 Mikrobielle Prozesse
13.10.2 Anaerobe Abwasserreinigung Auch die mittels getauchter Membranen und der damit verbundenen erhöhten aktiven Biomassekonzentration sehr effektive aerobe Abwasserreinigung kann zwei grundsätzliche Nachteile nicht vermeiden: • Die Sauerstoffversorgung der Mikroorganismen bedeutet einen hohen Energieverbrauch. • Aus etwa 50 % des im Abwasser vorhandenen organischen Kohlenstoffs wird Überschussschlamm produziert und verursacht ein zusätzliches Entsorgungsproblem. Im Gegensatz dazu wird beim anaeroben Abbau organischer Verbindungen rund 50 % des darin befindlichen Kohlenstoffs – wie in Abbildung 13.17 veranschaulicht – in den Energieträger Methan (den Hauptbestandteil von Biogas) umgewandelt.
CO2 Aerob
100%
45%
5%
verbleibende Belastung des Abwassers
C-Belastung 5 0% Schlamm
CH4/CO2 Anaerob
100%
80%
10% verbleibende Belastung des Abwassers
C-Belastung 10% Schlamm
Abb. 13.17 Umwandlung von Kohlenstoff in Biomasse und Biogas (Bryniok und Chmiel 1991)
Allerdings leitet sich daraus auch ein Nachteil anaerober Prozesse ab. Da anaerobe Mikroorganismen das ihnen angebotene Substrat in so geringem Maße zur Vermehrung nutzen, ist ihre Wachstumsrate gering. Um ein Auswaschen der aktiven Biomasse zu vermeiden, muss der Prozess daher mit entsprechend langen Verweilzeiten gefahren oder eine technische Lösung zur Biomasserückhaltung gefunden werden. Das geschieht in UASB(upstream anaerobic sludge banket)-Reaktoren durch Immobilisierung der Biomasse (Festbettreaktoren, anaerobe Biof ilter) oder in Membranbioreaktoren.
13.10.3 Elimination von Stickstoffverbindungen B eim Abbau organischer Substanzen oder Verbindungen fällt Stickstoff in Form von Ammoniumsalzen an. Besonders hohe Ammoniumbelastungen treten in verschiedenen Industrieabwässern auf. Stickstoff verbindungen wie Ammoniak oder Nitrat führen zur Eutrophierung von Oberflächengewässern und müssen deshalb aus dem Abwasser entfernt werden. Durch Nitrifikation wird aus Ammonium Nitrat gebildet. Durch Denitrifikation kann molekularer Stickstoff an die Atmosphäre abgegeben werden.
13.10.3.1 Nitrifikation Nitrifizierende Bakterien oxidieren Ammonium und nutzen die dabei gewonnene Energie zur autotrophen CO2-Fixierung. An dem Oxidationsprozess sind zwei Gruppen von Bakterien beteiligt: (1) ammoniumoxidierende Bakterien (z. B. der Gattung Nitrosomonas) oxidieren Ammonium über Hydroxylamin zu Nitrit; (2) nitritoxidierende Bakterien (z. B. Nitrobacter) oxidieren Nitrit zu Nitrat. 2 NH4+ + 3 O2 → 2 NO2− + 4 H+ + 2 H2O DG0’ = −270 kJ Ammoniumoxidierer 2 NO2− + O2 → 2 NO3− DG0’ = −77 kJ Nitritoxidierer Durch das Zusammenwirken b eider Grupp en wird eine Anhäufung des toxischen Nitrits ver-
13.10 Mikrobielle Abwasserreinigung unter Einsatz von Membranen
mieden. Beide Organismengruppen können nur im pH-Bereich zwischen 7 und 8 optimal wachsen und ihren Energiestoffwechsel aufrechterhalten. Da es sich um obligat chemolithoautotrophe Organismen handelt, können nitrifizierende Bakterien nicht in Gegenwart von organischem Kohlenstoff in höheren Konzentrationen wachsen. Die Generationszeit solcher Organismen liegt bei etwa einem Tag. Deshalb ist eine eigene Stufe, die auch entsprechend groß dimensioniert sein muss, für die Nitrifikation im Rahmen der Abwasserbehandlung unerlässlich.
13.10.3.2 Denitrifikation Denitrifizierende Bakterien sind fakultative Anaerobier, die unter anoxischen Bedingungen Nitrat über Nitrit zu molekularem Stickstoff umsetzen können. Nitrat dient dabei anstelle von Sauerstoff als terminaler Elektronenakzeptor beim oxidativen Abbau organischer Kohlenstoffverbindungen. Bei der Denitrifikation handelt es sich also um eine Nitratatmung. Die biologische Eliminierung von Ammonium bedingt also einen zweistufigen Prozess, bei dem zunächst in Gegenwart von molekularem Sauerstoff bei geringen Konzentrationen organischer Kohlenstoffverbindungen Ammoniak zu Nitrat oxidiert wird und dieses anschließend in Abwesenheit von Sauerstoff in Gegenwart einer C-Quelle zu N2 reduziert wird. Eine derartige Anlage zur Nitrifikation und Denitrifikation von Raffinerieabwässern läuft seit einigen Jahren erfolgreich (Pascik 1982). Abbildung 13.18 zeigt das Verfahrensschema hierzu.
H2 Biogas
Zulauf Abwasser
Pressluft
Biogas
Abgas
501
In modernen Kläranlagen wird die Denitrifikation der Belebungsstufe vorangestellt, indem ein Teil des Wassers nach der Nitrifikation zurückgeführt wird. Um einen ausreichenden Wirkungsgrad der Denitrifikation zu gewährleisten, ist es erforderlich, dass in der internen Zirkulation und in der Denitrifikationsstufe anoxische Bedingungen herrschen, also kein Sauerstoff vorhanden ist. Das wird dadurch erreicht, dass die ersten Kammern des Belebungsbeckens nicht (vorgeschaltete Denitrifikation) bzw. intermittierend (simultane Denitrifikation) belüftet werden. Im Zuge steigender Preise f ür Düngemittel und der Verknappung von Nährstoffen, wird Abwasser zunehmend auch als Ressource zur Wiedergewinnung von Nährstoffen wie Ammonium, Phosphor, Magnesium u. a. betrachtet. Aktuelle Forschungsaktivitäten zielen daher auf die Entwicklung von Technologien zur Gewinnung von Nährstoffen aus Abwasser und Klärschlamm, statt sie nur ohne weitere Nutzungsmöglichkeit zu eliminieren. So kann Ammonium durch Ionenaustauscher aufkonzentriert, gestrippt und durch saure Wäsche der Strippluft als Ammoniumsalz ausgefällt werden. Phosphor, Ammonium und Magnesium können in Form von Magnesium-AmmoniumPhosphat (MAP, Struvit) aus Abwasser, Faulwasser oder der Asche aus der Klärschlammverbrennung gewonnen werden. Alle diese Nährstoffrecycling-Verfahren b ef inden sich noch im Stadium der Entwicklung und sind gegenüber der konventionellen Herstellung von Mineraldüngern noch nicht wirtschaftlich wettbewerbsfähig.
M
Abwasser
Abb. 13.18 Anaerobe Abwasserbehandlung mit abschließender Nitrifikation und Denitrifikation (Pascik 1982)
13
13
502
13 Mikrobielle Prozesse
13.10.4 Beispiele für die Aufarbeitung und Wiederverwendung von Abwässern 13.10.4.1 Beispiel für ein Industrieabwasser Als Beispiel seien Brauereien genannt, wo Bestandteile aus Würze-, Filtrations-, Stabilisierungsund Reinigungsprozessen ein im Hinblick auf den biologischen Sauerstoffbedarf (BSB) und den chemischen Sauerstoffbedarf (CSB) hoch belastetes Abwasser bilden (Abb. 13.19). Hermann (2001) hat unter Berücksichtigung der dabei an verschiedenen Stellen anfallenden verschmutzten Natronlauge ein ganzheitliches Konzept zum Abwasser- und Laugenmanagement für eine zweistufige Anaerob-Anlage (1. Stufe: Versäuerung, 2. Stufe: Methanisierung) entwickelt. Dabei ging es zunächst um die wichtige Frage, welchen Einfluss der CSB-Gehalt im Zulauf auf die Reinigungsleistung zweistufiger Anaerob-Anlagen hat. Überraschend wurde festgestellt, dass bei Raumbelastungen im Methanreaktor von 12– 19 kg CSB/(mR3 d) die CSB-Reduktion weitgehend unabhängig vom CSB-Gehalt des Zulaufs war. Selbst bei einem CSB im Zulauf von 800 mg/l wurde eine Raum-Zeit-Ausbeute von 11,8 kg CSBelim./(mR3 d) erzielt. Auch konnten CSB-Stoßbelastungen ohne nachhaltige Leistungseinbußen verkraftet werden, wenn der pH-Wert im Versäuerungsreaktor konstant gehalten wurde. Der
Rohstoffe Wasser Hilfsstoffe
spezifische Laugenverbrauch hierfür ist mit 0,2– 0,3 kg NaOH/kg CSB beträchtlich (pH-Sollwert 6,2). Er kann aber in der Regel aus dem ohnehin für Reinigungszwecke und Regeneration der Adsorber anfallenden Bedarf an NaOH gedeckt werden. Sollte dies im Einzelfall nicht ausreichen, so lässt sich durch eine externe Rezirkulation des Methanreaktorablaufs in die Versäuerungsstufe der spezifische Laugenbedarf reduzieren. König (1997) zeigte, dass für Brauereien mit einem jährlichen Abwasseranfall von 45 000 m3 und mehr die spezifischen Kosten der anaeroben Vorreinigung im Vergleich zur aeroben Behandlung – wegen der bei der aeroben Reinigung anfallenden Mehrkosten für Schlammentsorgung und Belüftung – geringer sind. Die nachgeschaltete aerobe Reinigung bringt das Wasser auf eine Qualität, dass es für die Reinigung im Fuhrpark, für die Außenanlagen (Berieselung), ja selbst für die Vorreinigung zur Kastenwäsche benutzt werden kann. In jedem Fall hat es Direkteinleiter-Qualität.
13.10.4.2 Beispiel für ein kommunales Abwasser Peking hat aufgrund der geographischen Lage und klimatischen Bedingungen ganzjährig mit Wasserknappheit zu kämpfen. Der während der olympischen Spiele 2008 zusätzlich zu erwartende Wasserbedarf sollte über eine aerobe Membranbioreaktor(MBR)-Anlage gedeckt werden. Lindner und Klegraf (2009) berichten in diesem Zusammenhang über Bau und Inbetriebnahme einer MBR-Anlage, die 60 000 m3/d kom-
P rodukt
Gä är- und nd Lage g rkel elle ler
Filterkeller
Abfüllung
Sudhaus BrüdenCIPkondensat Lauge
Spülwasser
CIPLauge
Spülwasser
CIPLauge
SpülKettenwasser gleitmittel
Waschmaschinenl auge
Mischab wasser
Abb. 13.19 Abwasser- und Laugenströme einer Brauerei (nach Kaschek et al. 2001)
503
Literatur
Abb. 13.20 Schematischer Aufbau einer MBR-Anlage für die Reinigung kommunaler Abwässer (nach Lindner und Klegraf 2009)
munales Abwasser reinigt, wobei 50 000 m3/d in das örtliche Bewässerungsnetz eingeleitet werden, während ein Teilstrom von 3 000 m3/d mittels Umkehrosmose so nachbehandelt wird, dass er für die Speisung von Brunnen und künstlichen Teichen Verwendung findet. Abbildung 13.20 zeigt stark vereinfacht den schematischen Aufbau der Anlage. Nach einer Feinsiebung und anaeroben Vorreinigung gelangt das Wasser zur Denitrifikation in die anoxische Stufe. In einer Zwischenstufe (Variostufe) wird der nicht biologisch eliminierbare Phosphor durch Polyaluminiumchlorid (PAC) gefällt. Das Wasser gelangt über die Nitrifikation in den Membranbioreaktor. Dieser ist mit insgesamt 182 886 m2 Membranfläche (UF-Hohlfasern) bestückt. Bei einer vorgegebenen Abwassertemperatur von 18 °C wird bei maximaler hydraulischer Belastung ein Netto-Flux von 19,5 l/(m2 h) erreicht. Abhängig vom Zufluss sind zur Steuerung interne Rezirkulationen zwischen anaerober, anoxischer, nitrifizierender und Membran-Stufe möglich. Die mittlere Biomassekonzentration beträgt 10 g/l. Das den MBR verlassende Wasser wird zunächst über eine UV-Bestrahlung desinfiziert und anschließend einer Chlordioxid-Desinfektion unterzogen.
Der für die RO-Anlage (umgekehrte oder reverse Oosmose-Anlage, vgl. Abschnitt 10.3.3.5) bestimmte Teilstrom wird ebenfalls UV-bestrahlt. Dem Permeat der RO wird wiederum Chlordioxid zur Desinfektion zugeführt. Seit Frühjahr 2008 arbeitet die Anlage nach Angaben der Autoren im kontinuierlichen Betrieb.
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13 Mikrobielle Prozesse
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14
Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik*
14.1 Einführung in die Systembiologie Die Systembiologie ist eine Wissenschaft, die sich äußerst rasant entwickelt (Shimizu 2009). Sie ist derart umfangreich und vielseitig, dass nachfolgend nur ein Teilaspekt vorgestellt werden kann. Im Vordergrund stehen dabei systembiologische Themen, die zur Lösung bioverfahrenstechnischer Probleme beitragen können. Namentlich sind dies Metabolic-Engineering-Ansätze zur Stoffwechselmodellierung und Grundzüge der Signaltransduktion. Einen Überblick über weitere wichtige systembiologische Aspekte, wie beispielsweise transkriptionelle Regulationsnetzwerke inklusive Mechanismen der Genexpression, systembiologische Datenerhebung, Modellierungswerkzeuge und Modellbanken etc., bieten z. B. Klipp et al. (2005), Lee (2009) und Palsson (2006).
14.1.1 Definition der Systembiologie Die Systembiologie ist eine vergleichsweise junge Disziplin. Nach Westerhoff und Palsson (2004) könnte deren Beginn um das Jahr 2000 datiert werden. Zu diesem Zeitpunkt liefen zwei unabhängige, wesentlich länger zurückreichende Strömungen zusammen, die als „Symbiose“ die Systembiologie gründeten. Diese Strömungen sind der datengetriebene, molekular- und messtechnische Zugang zu biologischen Systemen einerseits sowie deren Modellierung andererseits.
* Autor: Ralf Takors
H. Chmiel (ed.), Bioprozesstechnik © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2011
Eine Wurzel der Systembiologie wird daher in der kontinuierlichen Erweiterung der molekularbiologischen Wissensbasis (Identifizierung der DNA-Struktur durch Watson und Crick, 1953), der Entwicklung der rekombinanten Technologien in den 1960er- und 70er-Jahren und der sich explosionsartig perfektionierenden Techniken zur DNASequenzierung gesehen. Einen zwischenzeitlichen Höhepunkt fand Letztere in der Fertigstellung des humanen Genomprojektes (HUGO) im Jahr 2000, doch wurde bereits 1995 Haemophilus influencae erstmals sequenziert. Bis heute sind mehr als 1 200 Genome prokaryotischen und eukaryotischen Ursprungs sequenziert (www.genomesonline.org/) – Tendenz stark steigend. Diese stetig steigende Fülle an Genominformation geht einher mit der gleichermaßen rasant ablaufenden Technologieentwicklung zur Bestimmung von Transkriptom, Proteom und Metabolomdaten – um nur einige, weit verbreitete Datenformate zu nennen. Unter Transkriptomdaten wird die Gesamtheit aller zellulären Transkripte (mRNA, messenger RNA) verstanden, die den genomweiten Genexpressionsstatus der Zelle beschreibt. Das Proteom repräsentiert die Gesamtheit aller (messtechnisch) zugänglichen Proteine, und das Metabolom umfasst die analoge Menge aller intrazellulären Metabolite. Diese umfassenden Datensätze werden zudem durch diverse andere Techniken ergänzt, sodass heute eine noch nie da gewesene Fülle an Messinformation zur Beschreibung des zellulären Zustands erfassbar ist. Die zweite Wurzel der Systembiologie reicht zeitlich noch weiter in das letzte Jahrhundert zurück und wird durch die Basisarbeiten zur Thermodynamik von Nicht-Gleichgewichtszuständen (Onsager 1931) begründet. Grundzüge der NichtGleichgewichtsthermodynamik sind in heute verwendeten Modellierungsansätzen berücksichtigt. Andere Meilensteine sind beispielsweise die Iden-
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tifizierung von Feedback-Regulationsmechanismen (Umbarger und Brown 1957), die Formulierung von Grundzügen der Genregulation am Beispiel des lac-Operons (Beckwith 1967; Griffith 1968a, b) sowie erste Arbeiten zur dynamischen Modellierung der Glykolyse (Chance et al. 1960; Hess und Boiteux 1968). Mitte der 70er-Jahre wurden die Methoden der metabolischen Kontrollanalyse (MCA) entwickelt (Kacser und Burns 1973; Heinrich und Rapoport 1974). Diese sind bis heute ein wichtiges Werkzeug zur quantitativen Untersuchung der metabolischen Kontrolle in Zellen. Mit Beginn der 90er-Jahre traten verstärkt topologische Netzwerkuntersuchungen in den Mittelpunkt des Interesses. Diese zielten unter anderem darauf ab, intrazelluläre Stoffflüsse im Fließgleichgewichtszustand (steady state) zu bestimmen (Vallino und Stephanopoulos 1993). Damit werden intrazelluläre Raten quantitativ bestimmt, die ansonsten nicht zugänglich wären. Um das Jahr 2000 vereinigten sich beide Strömungen, d. h. die genomweite Datenerhebung und die detaillierte Modellierung biologischer Systeme, zu dem neuen Wissenschaftszweig Systembiologie. Diese zielt darauf ab, ein holistisches (d. h. ganzheitliches) quantitatives Systemverständnis von den betrachteten biologischen Systemen zu erhalten. Die Kernaufgabe der Systembiologie besteht demnach darin, die Interaktion aller Komponenten eines biologischen Systems nicht isoliert, sondern in ihrem in vivo-Kontext quantitativ zu verstehen und zu beschreiben. Die biologischen Systeme reichen dabei von „einfachen“ Prokaryoten über höhere Zellen (z. B. Säugerzellen), Organen und sogar Multi-Organ-Systemen. Dementsprechend findet die Systembiologie Anwendung für bioprozesstechnische, medizinische und pharmazeutische Fragestellungen.
14.1.2 Metabolic-EngineeringSystembiologie – Synthetische Biologie Eine wichtige Wurzel der Systembiologie ist das Metabolic Engineering, das sich in den 1990erJahren entwickelte (Bailey 1991; Cameron und Tong 1993) und zum Ziel hat, zelluläre Eigenschaften durch gezielte Anwendung von Rekom-
14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik
binationstechnologien so zu verändern, dass eine im Sinne der Zielvorgabe optimierte Zelle entsteht. Dies berücksichtigt sowohl die Verbesserung existierender wie auch die Etablierung neuer Zelleigenschaften. Neben den dafür notwendigen molekularbiologischen Technologien verwandte das Metabolic Engineering die zu diesem Zeitpunkt zugänglichen quantitativen Analysewerkzeuge für eine quantitative Vorhersage entsprechender Ziele gentechnischer Veränderungen. Zu diesen Werkzeugen zählen die metabolische Kontrollanalyse, die metabolische Stoffflussanalyse sowie auch andere modellierungstechnische Ansätze (Stephanopoulos et al. 1998). Obwohl die ursprüngliche Definition des Metabolic Engineering die gesamte Zelle im Blickpunkt hatte, fokussierte die Mehrzahl der in der Folgezeit durchgeführten Untersuchungen auf die metabolische Zellebene. Entsprechende Zellmodelle berücksichtigten den intrazellulären Stoffwechsel hauptsächlich in Form von Reaktionsstöchiometrien mit geeigneten enzymkinetischen Ansätzen. Einflüsse z. B. der transkriptionellen Kontrolle waren darin häufig nicht beinhaltet. Mit der oben beschriebenen rasanten Entwicklung in den omics-Technologien wurde diese anfängliche Limitierung aufgehoben und – wie oben dargestellt – zu einem neuen Wissenschaftszweig definiert. Systembiologische Modelle zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass eine Kopplung der transkriptionellen Kontrolle mit der metabolischen Aktivität der Zellen vorhanden ist. Ein generelles Problem ist dabei die Wahl des geeigneten Ansatzes. So ist prinzipiell die Entscheidung zu treffen, ob das zu erstellende biologische Modell einem top down- oder einen bottom up-Ansatz folgt (Reuss 2007). Top down-Ansätze zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass ein möglichst umfassendes Bild durch ein möglichst genomskaliges Modell formuliert wird. Die detailliert mechanistische Beschreibung einzelner Zusammenhänge tritt dabei zugunsten der genomskaligen Modellierung üblicherweise in den Hintergrund. Dies versuchen bottom up-Ansätze zu umgehen. Diese Ansätze zielen darauf ab, ein mechanistisch konsistentes Bild des betrachteten biologischen (Teil-)Systems zu erhalten. Dabei fokussieren die bottom up-Ansätze typischerweise nur auf einzelne Stoffbereiche und deren metabolische und transkriptionelle Regulation. Die Topologie, d. h.
Modellierte Zellkomplexität
14.1 Einführung in die Systembiologie
Systembiologie
Synthetische Biologie
Metabolic engineering
Neue Stämme
Abb. 14.1 Zusammenwirken von Metabolic Engineering, Synthetischer Biologie und Systembiologie. Die Disziplinen zeichnen sich durch stark überlappende Bereiche mit fließenden „Grenzen“ aus, weshalb diese Abbildung nur als Tendenzaussage verstanden werden kann. Sowohl die Systembiologie als auch die Synthetische Biologie basieren auf Werkzeugen des Metabolic Engineering. Der massive messtechnische Zugang zu genomweiten Daten hat die holistische Betrachtung der Systembiologie ermöglicht. Die Synthetische Biologie zielt auf die Entwicklung neuartiger biologischer Systeme ab, wobei einzelne Module oder Subsysteme schlussendlich im (neuen) zellulären Kontext etabliert werden müssen
der strukturelle Aufbau eines genomskaligen Modells, ist daher in den bottom up-Ansätzen nur zum Teil berücksichtigt. Aus diesem Grund werden auch verstärkt Hybridmodelle eingesetzt, die synergistisch die Vorzüge des top down-Ansatzes mit dem bottom up-Ansatz zu verknüpfen versuchen (Reuss 2007). Wie auch die Systembiologie so hat auch der sich etwa seit dem Jahr 2000 immer stärker entwickelnde Wissenschaftszweig der Synthetischen Biologie eine seiner Wurzeln im Metabolic Engineering. Ein Kerngedanke der synthetischen Biologie ist es, die in anderen Ingenieurdisziplinen übliche Vorgehensweise der (1) Problemspezifikation, (2) Systemmodularisierung, (3) Simulation, (4) Integration und (5) Systemtestung auf die Optimierung und Entwicklung biologischer Systeme zu übertragen. Dies verlangt nach einer Möglichkeit zum orthogonalen Transfer „biologischer Module“ über die jeweiligen Systemgrenzen
509
hinweg. Aktuelle Arbeitsgebiete der synthetischen Biologie sind z. B. die chemische Synthese von Genen und Genomen, die Entwicklung von Minimalzellen und artifiziellen Systemen, das optimale Design ausgewählter Stoffwechselwege und die Schaffung orthogonaler Biosysteme. Einige dieser Arbeitsfelder decken sich mit originären Tätigkeitsgebieten des Metabolic Engineering. Abbildung 14.1 versucht den Zusammenhang von Metabolic Engineering, Systembiologie und Synthetischer Biologie grafisch zu veranschaulichen.
14.1.3 Bioprozesstechnik im Wandel der Zeit Im Vergleich zu den relativ jungen Disziplinen des Metabolic Engineering, der Systembiologie und der Synthetischen Biologie ist die Bioprozesstechnik (Biochemical Engineering) eine vergleichsweise alte Wissenschaft. Wenngleich ein typischer Startzeitpunkt für das Biochemical Engineering nicht benannt werden kann, sollte beachtet werden, dass bereits 1880 Backhefe nach dem Lufthefeverfahren hergestellt wurde und ein Jahr später bereits erste Ansätze zur Milchsäureherstellung technisch realisiert wurden. Während des Ersten Weltkrieges wurden die ersten Anlagen zur Aceton-Butanol-Ethanol-Herstellung in Betrieb genommen und im Zweiten Weltkrieg begann 1942 die Herstellung von Antibiotika, z. B. Penicillin mit Penicillium chrysogenum im technischen Maßstab. In dieser Zeit war die Bioprozessentwicklung noch stark durch die chemische Reaktionstechnik geprägt. Insofern Modellierungsansätze für die Bioprozesse verwandt wurden, handelte es sich um nicht strukturierte (black box) Ansätze für Bilanzierungszwecke. Eine inhaltlich substanzielle Erweiterung erfuhr die Bioprozesstechnik durch das Metabolic Engineering, das verstärkt in den 1990er-Jahren in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Ähnliches gilt für die Systembiologie, die seit ca. 2000 zu einer inhaltlichen Erweiterung der Bioprozesstechnik (Biochemical Engineering) beitrug. In analoger Weise gilt dies für die Synthetische Biologie. Abbildung 14.2 versucht diesen historischen Ablauf zu veranschaulichen.
14
510
14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik
Metabolic Engineering Bioverfahrenstechnik
Chemische Verfahrenstechnik
14
~1990
Systembiologie ~2000 Synthetische Biologie
Abb. 14.2 Bioverfahrenstechnik im Wandel der Zeit: Während die ersten bioverfahrenstechnischen Prozesse noch wesentlich durch die Herangehensweise der chemischen Verfahrenstechnik geprägt waren, entwickelte sich daraus ein eigenständiger Zweig, der in den 1990er-Jahren durch das Metabolic Engineering und seit ca. 2000 durch die Systembiologie und die Synthetische Biologie inhaltlich erweitert wird
14.2 Aufgaben der Systembiologie für die Bioprozessentwicklung Die Systembiologie zielt auf ein quantitatives, holistisches Verständnis der betrachteten biologischen Systeme ab. Dieses sehr anspruchsvolle Ziel verlangt grundlagenorientierte Forschungsarbeiten zur Realisierung. Da es sich bei der Bioprozesstechnik um eine eher anwendungsorientierte Forschung handelt, stellt sich die Frage, inwieweit die Systembiologie für eine effiziente Bioprozessentwicklung Beiträge liefern kann. Die nachfolgende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll nur einen Eindruck vermitteln, wie wertvoll systembiologische Betrachtungen für die Bioprozesstechnik sein können. 1. Vollständige Realisierung des Produktionspotenzials: Auf der Basis stöchiometrischer Zellmodelle ist es möglich, theoretische Maxima von Produkt/Substrat-Ausbeuten oder Produktbildungsraten abzuschätzen (Abschnitt 14.3). Auch industrielle Produktionssysteme haben diese Optima oftmals noch nicht erreicht. Dies hat unter anderem damit
zu tun, dass zu deren Realisierung eine äquilibrierte, aufeinander abgestimmte Verstärkung bzw. Abschwächung ausgewählter Zielgene notwendig ist. Je näher das theoretische Maximum erreicht werden soll, umso mehr Zielgene müssen gleichzeitig betrachtet werden. Mehrere interagierende Stoffwechselwege müssen typischerweise einander angepasst werden, was in einer systembiologischen Fragestellung mündet. 2. Eingriffe in die globale Regulation: Nicht selten ist es Ziel bei der Entwicklung und Optimierung von Produktionssystemen, z. B. alternative Substrate oder die Verwendung weniger komplexer Substratquellen (und damit die Vermeidung zur Bedürftigkeit spezieller Cosubstrate) anzustreben. Dieser Wechsel der Substratbedürftigkeit greift nicht nur unmittelbar in den Zentralstoffwechsel ein, sondern ist auch oftmals an die anabole bzw. katabole Reduktionskraft der Zellen und an den Energiehaushalt gekoppelt. Aufgrund der globalen Bedeutung ist damit die Notwendigkeit für systembiologische Betrachtungen gegeben. 3. Optimierung multipler Zelleigenschaften: Zur Verbesserung von Produktionsprozessen kann es darüber hinaus interessant sein, die Zellhandhabung im technischen Prozess zu verbessern. Hierzu zählt beispielsweise die Erhöhung der Robustheit eines Prozesses, was z. B. als fehlende S ensitivität der zellulären Produktion gegenüber ungewollten, technisch bedingten Einflüssen auf einen Produktionsprozess verstanden werden kann. Mögliche Ziele einer Stammentwicklung könnten z. B. eine erhöhte Toleranz gegenüber Schwankungen des pH-Wertes, der Temperatur, der Sauerstoffverfügbarkeit, der Substratverfügbarkeit etc. sein. Aufgrund ihres globalen Charakters für den Stoffwechsel sollte eine Realisierung entsprechender Stammeigenschaften mit systembiologischen Methoden erfolgen. 4. Zell-Prozess-Wechselwirkung: Produktionsprozesse im technischen Maßstab werden oftmals in Volumina von 10 m3 bis 500 m3 und größer durchgeführt. Mischzeiten im Minutenbereich sind für diese Ansätze typisch. Zellen, die in den großvolumigen Prozessen kultiviert werden, sind daher Gradienten an Gelöstsauerstoff/-CO2, pH, Temperatur, Subs-
14.3 Stöchiometrische Stoffflussanalysen fl (metabolic flux analysis, MFA)
tratverfügbarkeit etc. ausgesetzt. Aufgrund der in den Reaktoren herrschenden Strömungsverhältnisse erfahren die Zellen wiederkehrende, extrazelluläre Stimuli, die intrazellulär sowohl metabolische als auch transkriptionelle dynamische Veränderungen hervorrufen (Schweder et al. 1999; Lara et al. 2006). Beispielhaft sei die Zuckeraufnahme von E. coli in Abhängigkeit der extrazellulären Glucosekonzentration betrachtet (z. B. Ferenci 2001). Während unter Zuckerüberfluss-Bedingungen (Konzentration: 1 M) der Großteil der Glucose über das verstärkt exprimierte Porin ompC und dann hauptsächlich via PtsG aber auch via Man in die Zelle gelangt, wird das für Glucose spezifische PT-System bei extrazellulären Konzentrationen von 1 μM nur noch geringfügig genutzt, zugunsten des verstärkt exprimierten MglBAC-Importers, der die Glucose nun über LamB und OmpF erhält. Fällt die extrazelluläre Glucose noch weiter auf unter 0,1 μM, geht damit nicht nur eine signifikante Reduktion der Wachstumsrate einher, sondern auch eine veränderte Expression der verwendeten Porine OmpC, OmpF und LamB. Die Zuckeraufnahme ins Cytosol findet nun wiederum via PtsG und MglBAC statt. Dieses Beispiel verdeutlicht die Adaptationsfähigkeit der Zellen (hier E. coli) an sich ändernde, extrazelluläre Bedingungen. Inwieweit derartige Zelladaptationsvorgänge auch in Scale-upProzessen eine Rolle spielen, ist bislang nur geringfügig untersucht. Die Anwendung systembiologischer Werkzeuge kann helfen, die häufig bei Scale-up-Verfahren beobachteten Leistungsverluste des Prozesses (Lara et al. 2006) besser zu verstehen.
14.3 Stöchiometrische Stoffflussanalysen (metabolic flux analysiss, MFA) Bereits Ende der 1970er-Jahre verfolgten Aiba und Matsuoka (1979) den Gedanken, den Kohlenstofffluss im Citronensäurezyklus von Candida lipolytica über die quantitative Analyse der
511
Reaktionsstöchiometrie von insgesamt 18 Reaktionsraten (Stoffflüssen) in Kombination mit sechs experimentell ermittelten Aufnahme- und Produktbildungsraten zu bestimmen. Es gelang z. B. durch Fixierung der Aktivität des GlyoxylatWeges das aufgestellte Reaktionsnetzwerk eindeutig zu bestimmen und damit intrazelluläre Reaktionsraten zu ermitteln, die anders nicht zugänglich gewesen wären. Diese Vorgehensweise charakterisiert im Wesentlichen das Kernstück der metabolischen Stoffflussanalyse (MFA). Sie zielt darauf ab, n intrazelluläre Reaktionsraten, ausgedrückt im Vektor v, durch Stoffbilanzierung der m intrazellulären Metabolite x quantitativ zu erfassen und darüber Rückschlüsse auf intrazelluläre Stoffflussverteilungen zu ermöglichen. Anfang der 1990er-Jahre wurde dieses Konzept durch die stöchiometrische Analyse des Zentralstoffwechsels eines L-Lysin produzierenden Bakteriums – Corynebacterium glutamicum – maßgeblich verfeinert und nachhaltig etabliert (Vallino und Stephanopoulos 1993). Wertvolle Übersichtsbeiträge zur MFA sind bei Bonarius et al. (1997), Stephanopoulos et al. (1998), Wiechert (2001) und Sauer (2006) zu finden. Ausgehend von der allgemeinen Stoffbilanz für die intrazellulären Metabolite dxx = rx − μ ⋅ x dt
(14.1)
in der der Term μ · x deren Verdünnung aufgrund von Wachstum b eschreibt und wegen seines geringen Beitrags gegenüber den Nettoumsatzraten rx oftmals vernachlässigt werden kann, kann Gleichung (14.1) unter Annahme eines Fließgleichgewichts (steady state) vereinfacht werden zu:
dxx = 0 = rx dt
(14.2)
Unter Berücksichtigung der Reaktionsstöchiometrie (ausgedrückt in Matrix S) folgt daraus:
rx = ST v = 0
(14.3)
Dies ist die Grundgleichung der stöchiometrischen Stoffflussanalyse. Zerlegt man Gleichung (14.3) in die Anteile, die gemessen (Index mes) und die berechnet werden (Index calc), so folgt daraus:
14
14
512
14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik
S Tmes v mes + S Tcalc v calc = 0
(14.4)
Gleichung (14.4) kann eindeutig für den gewünschten Flussvektor vcalcc gelöst werden:
v calc = −
( )
−1
STmes v mes
(14.5)
Dieser Vektor beinhaltet alle intrazellulären Flüsse, die zusammen mit den gemessenen Aufnahme- und Produktbildungsraten vmes die gesamte Flusslage des betrachteten biologischen Systems eindeutig definieren. Mathematisch ist Gleichung (14.5) nur lösbar, wenn det(STcalc) ≠ 0, d. h. STcalc nicht singulär und der Rang der Matrix voll ist. Übertragen auf das biochemische Reaktionssystem bedeutet dies, dass keine linear abhängigen Reaktionsgleichungen bei der Formulierung von S berücksichtigt werden sollen. Linear abhängige Reaktionsgleichungen können jedoch bei der Berücksichtigung typischer Cofaktor-Paare, wie z. B. ATP/ ADP, NAD+/NADH oder NADP+/NADPH, dadurch auftreten, dass deren Gesamtgehalt (z. B. NAD+ + NADH) als konstant angenommen wird (conserved moieties) und die Cofaktoren mit unterschiedlichen Vorzeichen an den Reaktionen teilnehmen. Um dies zu vermeiden, kann z. B. immer nur ein entsprechender Reaktionspartner berücksichtigt werden. Der Freiheitsgrad F des Reaktionssystems aus Gleichung (14.3) bezeichnet dessen Bestimmtheitsgrad: F=m–n
(14.6)
Ist F null, existieren genauso viele m linear unabhängige Reaktionsgleichungen, wie n Flüsse (Reaktionsraten) bestimmt werden sollen, d. h. das System ist eindeutig bestimmt. Für F < 0 benötigt das System zusätzliche Flussinformationen für eine eindeutige Bestimmung (siehe Beispiel von Aiba und Matsuoka (1979)); für F > 0 liegt eine Überstimmung vor, d. h. zusätzliche Messinformation kann z. B. in einer Redundanzmatrix zur Überprüfung der gemessenen Flüsse oder zur Bestimmung von vcalcc über eine Fehlerquadratminimierung herangezogen werden (Stephanopoulos et al. 1998). Reaktionsnetzwerke biologischer Systeme sind oftmals so komplex, dass nicht genügend Messinformation für eine eindeutige Bestimmbarkeit
vorhanden ist. Um dennoch eine Lösung für das Gleichungssystem zu erhalten, werden Methoden der linearen Optimierung angewandt, die eine besondere Ausprägung durch die f lux balance analysis erfuhren (Varma und Palsson 1994). Varma et al. (1993) untersuchten beispielsweise ein E. coli-Netzwerk mit 107 Metaboliten, die in 95 reversiblen (d. h. 190) Reaktionen auftraten. Dieses System hat 83 Freiheitsgrade, die nur durch wenige Angaben zur Biomassesynthese und zu ATP-Verbräuchen angereichert wurden. Ein vollständiger Flussvektor vcalcc konnte dennoch dadurch ermittelt werden, dass eine Zielfunktion (objective function) fobj zur optimierten Berechnung aller Flüsse vorgegeben wurde. Während es in dem zitierten Beispiel die Maximierung der Wachstumsrate war, können ebenso andere Funktionen wie beispielsweise die Maximierung einer Produkt/Substrat-Ausbeute für die lineare Optimierung herangezogen werden. Allgemein sollte demnach ein Gewichtungsvektor a definiert werden, der eine Linearkombination aller freien Flüsse darstellt und z. B. Flüsse in die Biomassesynthese oder in die Produktbildung favorisiert. Unter Beachtung von Gleichung (14.3) wird dann ein Lösungsvektor vcalcc ermittelt gemäß:
min/max (a · vcalc) STv=0
(14.7)
Diese Systemanalyse erlaubt es – mit Blick auf das zugrunde gelegte Optimalitätskriterium – optimale Zustände des biologischen Systems zu beschreiben. Die resultierenden Systemlösungen vcalc befinden sich an den Kanten bzw. Eckpunkten eines konvexen Polyhedron-Lösungsraumes (extreme pathways), der durch zuvor definierte (biochemische) Grenzen der reversiblen Flüsse vorgegeben wird (Wiechert 2002). Aus der Literatur sind einige Beispiele bekannt, in denen sich biologische Systeme diesen extremen Stoffflusslagen annähern (Ibarra et al. 2002). Um sicherzustellen, dass die mit vcalcc ermittelten Lösungen auch thermodynamisch möglich sind, kann zudem die Rahmenbedingung für die freie Gibbs’sche Reaktionsenthalpie der Reaktion i (ΔGri < 0) bei der Lösungsfindung berücksichtigt werden (Kümmel et al. 2006; Henry et al. 2007; Feist et al. 2007). Genomskalige Stoffwechselmodelle können ebenfalls verwendet werden, um optimale Dele-
14.4 Stoffflussanalysen fl auf der Basis von Markierungsinformation
tionsstrategien zur Überproduktion von Zielsubstanzen zu identifizieren (OptKnock, Burgard et al. 2003). Segre et al. (2002) stellten eine diesbezügliche Strategie vor, die im Zuge eines Gen-Knock-outs auftretenden metabolischen Änderungen möglichst zu minimieren (minimization of metabolic adjustement, MOMA), was zu einer besseren Prädiktionsqualität der Letalität und Flussanpassung entsprechend veränderter Stämme führte. Eine weitere Möglichkeit, die stöchiometrischen Reaktionsnetzwerke auszuwerten, stellt die Bestimmung von Elementarmoden dar. Aufgrund ihrer Definition als kleinste, nicht mehr zerlegbare Reaktionssysteme repräsentieren sie ebenfalls kleinste funktionale Grundeinheiten des biologischen Systems (Schuster et al. 1999). Reale Stoffflusslagen können somit als Überlagerung einzelner Elementarmoden interpretiert werden, was im Fall der Optimierung eines Produktionsstamms der optimierten Verwendung entsprechender Elementarmoden gleichkommt.
14.4 Stoffflussanalysen auf der Basis von Markierungsinformation Die metabolische Stoffflussanalyse unter ausschließlicher Verwendung stöchiometrischer Netzwerke ist ein wertvolles Werkzeug, um intrazelluläre Reaktionsraten in biologischen Systemen sichtbar zu machen. Allerdings ist dieser Ansatz hinsichtlich seiner Anwendbarkeit (ad d 2–3) einge1) und analytischer Auflösung (ad schränkt: 1. Zur umfassenden Beschreibung der katabolen Stoffwechselregulationen ist auch die Bilanzierung von Energie (ATP) und Reduktionsäquivalenten (NADH, NADPH etc.) notwendig (siehe auch conserved moieties). Die Kopplung an den Energiehaushalt der Zelle geschieht oftmals durch Vorgabe von P/O-Verhältnissen, d. h. durch Vorgabe der ATP-Bildung bei Sauerstoffverbrauch in der Atmungskette. Zu beachten ist, dass die theoretisch erzielbaren Maximalwerte von P/O = 3
513
(Eukaryoten) und P/O = 2 (Prokaryoten; Nielsen et al. 2003) praktisch nicht erreicht werden. Auch unterliegen diese Verhältnisse der Wechselwirkung des biologischen Systems mit den Kultivierungsbedingungen, sodass die Vorgabe adäquater P/O-Verhältnisse sensibel ist und daher sehr sorgfältig erfolgen muss. Darüber hinaus haben Ergebnisse von z. B. Petersen et al. (2000) gezeigt, dass bakterielle Systeme auch unerwartete Energieverbräuche ((futile cycles) aufweisen, die oftmals nicht in den stöchiometrischen Ansätzen berücksichtigt sind. 2. Die stöchiometrische Stoffflussanalyse kann verzweigte Stoff wechselwege dann nicht auflösen, wenn keine Messinformation zu den einzelnen Stoff wechselwegen vorliegt. Ein Beispiel ist die Synthese von L-Lysin in Corynebacterium glutamicum (Sonntag et al. 1993), bei der die Synthese der Aminosäure über zwei parallele Reaktionswege erfolgen kann, die in einer gemeinsamen L-Lysin-Bildungsrate münden. 3. In Analogie dazu können Nettokreislaufflüsse in einem Reaktionszyklus nicht allein über die Bestimmung der Ein- und Austrittsflüsse des Zyklus ermittelt werden. Dies gilt in ähnlicher Weise für bidirektionale Flüsse. Diese können über die stöchiometrische Stoffflussanalyse maximal als Nettofluss identifiziert werden. Eine Auflösung in Hin- und Rückreaktion erlaubt die Technik nicht. Diese Einschränkungen der stöchiometrischen Stoffflussanalyse haben dazu geführt, dass zusätzliche Messinformation verwendet wird, um zumindest einen Teil der unter den oben genannten Punkten 1 bis 3 genannten Einschränkungen aufzuheben. Dazu werden stabile Isotope wie z. B. 13C eingesetzt, wenngleich die Ursprünge der Markierungstechnik zur quantitativen Flussbestimmung auf 14C-Markierung beruhen (Blum und Stein 1982). Ein häufiger Anwendungsfall ist dabei die Verwendung von 13C-markierter Glucose, die an verschiedenen Positionen innerhalb des C-6-Kohlenstoffgerüstes markiert sein kann1. 1
Zu beachten ist, dass 13C mit einer natürlichen Verbreitung von 1,13 % auch in „nicht“-markierten Substraten vorkommt.
14
514
Die generelle Vorgehensweise bei der Stoffflussanalyse auf der Basis von 13C-Markierungsinformation ist: • Metabolisierung eines entsprechend markierten Substrates (z. B. Glucose) durch die Zellen unter geeigneten Kultivierungsbedingungen; • nachfolgende Analyse des Schicksals der einzelnen 13C-Atome durch messtechnische Markierungsanalyse von Stoffwechselintermediaten oder -produkten; • Simulation dieser Markierungsmuster durch geeignete Stoffwechselmodelle. Wird im letzten Schritt eine Stoffflusslage so ermittelt, dass die gemessenen Markierungsmuster ausreichend genau simuliert werden, so ist der gesuchte Vektor vcalcc der intrazellulären Stoffflussraten gefunden. Abbildung 14.3 gibt einen Überblick über die prinzipielle Vorgehensweise bei der 13C-basierten Stoffflussanalyse. Übersichtsartikel zu dieser Thematik sind z. B. von Stephanopoulos et al. (1998), Szyperski (1998), Christensen und Nielsen (1999a), Wiechert (2001), Sauer (2006) und Tang et al. (2009) erschienen. Die Methode geht implizit davon aus, dass die untersuchten Zellen keinen Unterschied in der Metabolisierung des markierten zum unmarkierten Substrat „merken“, d. h. das Ergebnis der Stoffflussberechnung ist auch auf NichtMarkierungszustände übertragbar. Ferner gilt auch für die isotopenbasierte Stoffflussanalyse die Randbedingung der Gleichung (14.3), nach der sich die Zellen zumindest in einem (quasi) Fließgleichgewichtszustand (steady state) befinden sollen. Dieser metabolisch (quasi-)stationäre Zustand (dx d /dtt = 0) wird z. B. in kontinuierlichen Experimenten mit konstanter Wachstumsrate erreicht, phasenweise in einer batch-Fermentation während des exponentiellen Wachstums (μ = μmaxx = konstant) oder auch in speziellen fedbatch-Fermentationen, bei denen die Feedrate zeitlich so variabel eingestellt wird, dass die resultierende Wachstumsrate konstant bleibt. Zur Beschreibung der markierten Stoffwechselmetabolite wurde der Begriff Isotopomer eingeführt (Malloy et al. 1988). Dieser Term ist eine Kombination der Ausdrücke Isotop und Topomer und charakterisiert einen der verschiedenen Markierungszustände, in denen der jeweilige Metabolit auftreten kann (Abb. 14.4).
14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik
b atch
Markierungsaufgabe
fed-batch Chemostat
Probennahme
Intrazelluläre Markierung sbestimmung
Extrazelluäre Fluss/Ratenb estimmung Reaktionsstochiometrie
IsotopomerModel
ab initio Flussverteilung
Simulation M arkierung
Anpassung unzureichend
14
Vergleich Stimulation/Messung
Flussverteilung
Abb. 14.3 Stoffflussbestimmung in Markierungsexperimenten. Unter Beachtung der Rahmenbedingung, dass sich das biologische System metabolisch im Fließgleichgewichtszustand befindet (dx dx/ dtt = 0 = rx), was durch geeignete Kultivierungsbedingungen in batch-, fed-batch- oder kontinuierlichen (z. B. Chemostat) Fermentationen erreicht werden kann, wird die 13C-markierte Kohlenstoffquelle verstoffwechselt und die resultierenden Markierungsmuster (siehe Text) ermittelt. Zusammen mit den zusätzlich gemessenen Aufnahme- und Produktbildungsraten, der Information über die Reaktionsstöchiometrie, der Markierungsweiterleitung und der ab initio-Schätzung von Startflussverteilungen werden intrazelluläre Stoffflüsse nachfolgend so lange optimiert, bis eine gute Übereinstimmung zwischen den sich so ergebenden Markierungsmustern und den Messwerten erhalten wird
Prinzipiell stehen mehrere unterschiedliche Isotopomer-Analysentechniken zur Verfügung, um die Markierungsinformation der Zellen messtechnisch zu erfassen. Ein Ansatz ist der 1 H- oder Proton-NMR-Ansatz, in dem einfach protonierte C-Atome untersucht werden. Die Kernresonanzspektroskopie(NMR)-Signale erlau-
515
14.4 Stoffflussanalysen fl auf der Basis von Markierungsinformation
species 1
alle 2n Isotopomere
species 2
species 3
m+0
Fractional enrichment (1H (Proton) NMR) misst 13C-Markierung unabhängig vom Nachbar-C-Atom
m+1
m+2
m+3
Massen-Isotopomere
Abb. 14.4 Isotopomere. Wird ein Kohlenstoffgerüst aus drei C-Atomen betrachtet, so können theoretisch 23 = 8 verschiedene Markierungszustände erreicht werden. Die NMR-basierte Analysentechnik erlaubt prinzipiell die positionsspezifische Auflösung einzelner Markierungen, während massenspektrometrische Ansätze einzelne Massenfraktionen zusammen betrachten
ben eine positionsspezifische Analyse der Markierung eines Kohlenstoffgerüstes, was erfolgreich erstmals für Stoffflussanalysen durch Marx et al. (1996) eingesetzt wurde. Eine verfeinerte Methode der NMR-Technik wurde durch die 13C-NMRAnalyse für Stoffflussberechnungen eingeführt. In Abhängigkeit von dem Markierungszustand benachbarter C-Atome gibt die 13C-NMR-Technik verschiedene Peaksignale, die eine detailliertere Auflösung der 13C-Markierungsmuster erlauben (Schmidt et al. 1999). Auch die Kombination beider Ansätze in der zweidimensionalen NMRAnalyse ist möglich (Szyperski 1995). Als eine Alternative zu den NMR-Technologien entwickelten sich die heute sehr stark verbreiteten Ansätze zur Massenspektrometrie (MS). Anwendung finden hier Ansätze mit GCMS (Christensen und Nielsen 1999b), LC-MS (de Graaf 2000) und auch MALDI-TOF-MS (Wittmann und Heinzle 2001). Bei Verwendung von GC-MS-Methoden müssen die zu untersuchenden Proben im Vorfeld chemisch derivatisiert werden, um die resultierenden, derivatisierten Fragmente nach GC-Trennung massenspektrometrisch erfassen zu können. Diese Vorbehandlung kann bei LC-MS-Ansätzen entfallen. Generell sollte beachtet werden, dass die Stoffflussanalyse bei MS-Daten auf Massenisotopomeren
basiert, wogegen NMR-Signale positionsspezif ische Informationen liefern (Abb. 14.4). Die Verwendung dieser unterschiedlichen Peaksignale muss im Rahmen der Simulation der Markierungsmuster entsprechend angepasst werden. Die Anfänge der 13C-basierten Stoffflussanalysen fokussierten auf die Auswertung der Markierungsinformation in den proteinogenen Aminosäuren der Biomasse. Das heißt die Zellen mussten so lange in einem metabolisch stationären Zustand gehalten werden (gemäß Gleichung (14.3)), wie es dauerte, um die Zusammensetzung der Biomasse markierungstechnisch in einen stationären Zustand zu versetzen. Dies führt zu verhältnismäßig langen Markierungszeiträumen über mehrere Generationszeiten hinweg. Um diesen Markierungszeitraum zu verkürzen, verwenden heutige Arbeiten meist die Markierungsinformation von Intermediaten des Stoff wechsels. Deren intrazelluläre Pools haben weitaus schnellere Austauschraten (Turnover-Raten), was dazu führt, dass sich eine Markierungsinformation wesentlich schneller im Stoffwechsel äquilibriert verteilt. In bakteriellen Systemen können so stationäre Markierungszustände im Minuten- bis maximal Stundenbereich erzielt werden. Aktuelle Arbeiten von Nöh et al. (2007) und Schaub et al. (2008) gehen noch einen Schritt weiter,
14
14
516
indem zwar die Bedingung der metabolischen Stationarität für die Stoffflussanalyse nach wie vor aufrechterhalten bleibt, jedoch die zeitlich transiente Markierungsanreicherung in den untersuchten Metaboliten des Stoffwechsels genutzt wird, um entsprechende Stoffflussverteilungen für diesen beobachteten Zeitraum zu berechnen. Diese Technologie reduziert die notwendige Markierungszeit in bakteriellen Systemen bis auf wenige Minuten. Wie dargestellt, basiert die 13C-Stoffflussanalyse auf der detaillierten Analyse von Markierungsmustern in Zellproben, die durch geeignete Stoffflussmodelle in einem retrospektiven Analyseschritt analog simuliert werden müssen. Neben der Kenntnis der Reaktionsstöchiometrie ist für die erfolgreiche Simulation der Markierungsanteile die Verfolgung einzelner markierter C-Atome im Reaktionsnetzwerk unumgänglich. Dies geschieht z. B. durch die Einführung von isotopomer mapping Matrizen (IMM; Schmidt et al. 1997), die stöchiometrische Reaktionsgleichungen mit der Weiterleitung des Markierungssignals in Matrizenform verbinden. Die Nachverfolgung des Markierungssignals im stöchiometrischen Netzwerk führt sehr schnell zu komplexen, oftmals nicht linearen Isotopomer-Bilanzgleichungen, die für längerkettige Kohlenstoffgerüste in ihrer Komplexität überproportional ansteigen. Eine analytische Möglichkeit zur effizienten Lösung dieser Matrixgleichungen wurde von Wiechert et al. (1999) vorgeschlagen. Eine alternative Vorgehensweise zur Vereinfachung des Rechenaufwands bei der Auswertung großer Kohlenstoffskelette wurde in Form der EMU(elementary metabolite units)-Netzwerkzerlegung von Antoniewicz et al. (2007a) verfolgt. Festzuhalten ist, dass die 13C-basierte Stoffflussanalyse inhaltlich auf der rein stöchiometrischen Stoffflussanalyse aufbaut, jedoch einige Limitierung (wie z. B. ein festzulegendes P/OVerhältnis) aufhebt. Darüber hinaus kann dieser Ansatz auch die unter den oben genannten Punkten 2 und 3 genannten Flussszenarien teilweise analysieren. Durch die Fokussierung auf die Auswertung metabolisch stationärer, aber markierungstechnisch instationärer Zustände konnte die notwendige Markierungszeit entsprechender Experimente drastisch reduziert werden, was die prinzipielle Anwendbarkeit dieser Methode für
14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik
prozesstechnisch relevante fed-batch-Bedingungen erlaubt (Antoniewicz et al. 2007b). Prinzipiell können die erhaltenen Stoffflusskarten verwendet werden, um beispielsweise den metabolischen Zustand von Zellen unter verschiedenen Prozessbedingungen vergleichend zu bewerten oder um verschiedene Zellen unter ähnlichen Prozessbedingungen zu vergleichen. Dies lässt Rückschlüsse auf z. B. Maßnahmen für eine weitere Stamm- und/oder Prozessverbesserung zu. Darüber hinaus sollte beachtet werden, dass die Stoffflussanalyse prinzipiell eine quantitative Bestimmung der Interaktion von Genen, Proteinen und Metaboliten erlaubt und damit auch für fundamentale systembiologische Fragestellungen eingesetzt werden kann (Sauer 2006). Die Methode eignet sich daher eb enfalls für die Auswertung von high-throughput-Parallelansätzen, auf der Basis relativer Flussänderungen. Beispielsweise verdeutlichten Blank et al. (2005) in einer groß-skaligen 13C-Flussanalyse (741 Reaktionen) die Robustheit von Saccharomyces cerevisiae durch entsprechende Studien an Knock-out-Mutanten.
14.5 Metabolische Kontrollanalyse (metabolic control analysiss, MCA) Die metabolische Kontrollanalyse ist ein wichtiges Werkzeug des Metabolic Engineering. Sie zielt darauf ab, die metabolische Kontrolle in Stoffwechselwegen quantitativ zu erfassen. Dadurch können enzymatische Reaktionsschritte (bzw. codierende Gene) identifiziert werden, die für eine weiterführende Stammverbesserung besonders Erfolg versprechend sind. Ein quantitatives metabolisches Kontrollmodell ermöglicht somit die gezielte Identifizierung von Kandidaten zur Genüberexpression bzw. -abschwächung, um den gewünschten Kohlenstofffluss in ein Stoffwechselprodukt zu erhöhen. Die Wurzeln der heutigen metabolischen Kontrollanalyse gehen auf die unabhäng ig von Kacser und Burns (1973) bzw. Heinrich und Rapop ort (1974) entwickelten Ansätze zurück, die 1985
517
14.5 Metabolische Kontrollanalyse (metabolic control analysis, MCA)
Tabelle 14.1 Übersicht über typische Kontrollgrößen. Zur Definition der Parameterbezeichnung siehe Text
C ijJ 0
C kjx0
´ µ ¶
E ilc 0
cl0 uvi ´ J i0 ucl µ¶
0
Elastizität für cl
0
Metabolit-Kontrollkoeffizient
RilJ 0
0
c 0j uJ i´ u ln J i´ u ln c jµ¶ J i0 uc jµ¶
0
Fluss-Antwortkoeffizient
Rkxl0
´ µ ¶
Elastizität für ej
0
e0j uxk´ u ln xk´ ue j µ¶ xk0 uej µ¶
0
´ µ ¶
e0j uvi ´ J i0 uej µ¶
0
Fluss-Kontrollkoeffizient
0
´ µ ¶
´ µ ¶
E iej 0
u ln J i ´ u lnei µ¶
´ µ ¶
Elastizität für xK
0
e0j uJ i ´ J i0 uej µ¶
´ µ ¶
xk0 uvi ´ J i0 uxk µ¶
´ µ ¶
´ µ ¶
E ikx0
Globale Größen
0
´ µ ¶
Lokale Größen
´ µ ¶
eine Vereinheitlichung fanden (Burns et al. 1985). Die Ansätze zielen darauf ab, die sich ergebenden Veränderungen eines Fließgleichgewichtzustands (= Referenzzustand 0) für intrazelluläre (Kohlenstoff-)Flüsse und Metabolitkonzentrationen als Folge ausgewählter Anregungen (z. B. durch Erhöhung der aktiven Enzymmenge, Veränderung von Reaktionsparametern oder äußerer Stimuli) zu beschreiben. Dabei wurde zunächst der Fall infinitesimal kleiner Perturbationen betrachtet, um die Gültigkeit der nachfolgend durchgeführten Linearisierung der nicht-linearen Systemantwort zu rechtfertigen. Zusätzlich geht die MCA noch von weiteren Annahmen aus, wie beispielsweise der Proportionalität zwischen der Erhöhung der aktiven Enzymmenge und der resultierenden Reaktionsrate und der vollständigen Bilanzierung des betrachteten Reaktionssystems ohne Vernachlässigung z. B. von Substratquellen oder Produktsenken. Fell (1997), Nielsen et al. (2003), Stephanopoulos et al. (1998) sowie Visser und Heijnen (2002) bieten einen Überblick über die Grundzüge der MCA. Im Wesentlichen verwendet die MCA globale und lokale Parameter. Zur ersten Gruppe zählen die Kontroll- (C) und die Antwort-Koeffizienten (R) (control und response coefficients), die die Systemantwort als Folge der oben aufgeführten Perturbationen beschreiben. Die lokal definierten Elastizitäten ε fokussieren auf einzelne Reaktionsschritte. Die Tabelle 14.1 gibt eine Übersicht über die üblicherweise definierten Kontrollgrößen. Hierin bedeuten xk (k = 1, 2, ..., m) die m unabhängigen intrazellulären Metabolite eines Stoffwechsels, cl (l = 1, 2, ..., r) die r unabhängigen extrazellulären Metabolite und ei (i = 1, 2, ..., n) die n (aktiven) Enzyme mit den dazugehörigen Reaktionsraten vi. Ji beschreibt den Stofffluss durch einen linearen Stoffwechselweg, der im Fließgleichgewicht einer individuellen Reaktionsrate eines Enzyms in diesem linearen Weg entspricht. Das Suffix 0 gibt den Bezug zum Referenzzustand an. (Die Nomenklatur lehnt sich an Wu et al. (2004) an.) Die in Tabelle 14.1 aufgeführten Kontrollgrößen sind durch den jeweiligen Bezug zum Referenzzustand 0 dimensionslos. Die Kontrollkoeffizienten beschreiben, wie eine infinitesimal kleine Änderung der Enzymkonzentration eine Veränderung des Stoffflusses J oder der intra-
cl0 uxk ´ u ln xk ´ u ln cl µ¶ xk0 ucl µ¶
0
Metabolit-Antwortkoeffizient
zellulären Metabolitkonzentration x hervorruft. Die Antwortkoeffizienten korrelieren die Veränderung von externen Parametern wie z. B. die extrazelluläre Metabolitkonzentration c mit der Antwort der internen Größen J bzw. x. Grafisch können diese Kontrollgrößen als Tangenten – d. h. Linearisierung – der üblicherweise nicht linearen Funktionen des Kohlenstoffflusses und der Metabolitkonzentration von der Enzymkonzentration e am Referenzzustand 0 interpretiert werden (Abb. 14.5). Zusätzlich zu diesen Kontrollgrößen umfasst die metabolische Kontrollanalyse auch einige wesentliche Theoreme (zur mathematischen Herleitung siehe z. B. Reder (1988)). Kacser und Burns (1973) waren die Ersten, die das Summationstheorem für Fluss-Kontrollkoeffizienten formulierten. Anschaulich lässt sich dieses wie folgt erklären: In einem linearen Stoffwechselweg seien die einzelnen enzymatischen Reaktionsgeschwindigkeiten proportional von der jeweiligen Enzymmenge abhängig. Werden alle Enzyme um den gleichen Faktor α = deej /eej erhöht, dann erhöht sich damit proportional die Rate aller Enzymreaktionen und damit der gesamte Kohlenstofffluss dieses Weges um den gleichen Anteil α = dJ/J. J Die Konzentrationen der Metabolite bleiben dabei konstant. Die gesamte Ände-
14
14
518
14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik
J
J0
ej
0
Ji
¤ttJI ¥ ¦tteej
¤ ¥ ¦
0
J0
Steigung: Cijj =
rimentelle Belege dafür wurden jedoch nicht beobachtet (Fell 1997). Anzumerken ist ebenfalls, dass Fluss-Kontrollkoeffizienten negativ werden können. Dieser Fall tritt beispielsweise bei verzweigten Stoffwechselwegen auf, wenn sich die Aktivitätserhöhung eines Enzyms negativ auf den Fluss durch den abzweigenden Weg auswirkt. In Analogie zum Summationstheorem des Stoffflusses kann ein entsprechendes Theorem für Konzentrations-Kontrollkoeffizienten hergeleitet werden: m
¦C i =1
e0
e
Abb. 14.5 Fluss-Kontrollkoeffizient. Die Definition des Fluss-Kontrollkoeffizienten entspricht einer Linearisierung der üblicherweise nicht linearen Funktion des Flusses J in Abhängigkeit von der Enzymkonzentration e am Referenzpunkt 0
rung des Kohlenstoffflusses dJ ergibt sich aus der individuellen Änderung der Teilreaktionen i n dJ 1 § dJ = ¦ ¨¨ J i =1 J © dei
· ¸¸ d ei ¹ e j j =1,..., n und j ≠ i
(14.8)
Unter Berücksichtigung der in Tabelle 14.1 angegebenen Definition für den Fluss-Kontrollkoeffizienten C folgt daraus n § de dJ = ¦ CiJ ¨¨ i J i =1 © ei
· ¸¸ ¹
(14.9)
was unter Berücksichtigung von α = deej /eej und α = dJ/J zum Summationstheorem führt: n
¦C i =1
J i
=1
(14.10)
Das Theorem besagt, dass die Flusskontrolle eines linearen Stoffwechselweges auf die einzelnen Reaktionsschritte verteilt ist. Es gibt demnach nicht einen einzelnen „reaktionslimitierenden Schritt“, sondern mehrere Reaktionen, die mehr oder weniger stark den Fluss kontrollieren. Nur in dem theoretischen Fall, dass ein Fluss-Kontrollkoeffizient 1 und der Rest 0 wäre, hätte dieser die hundertprozentige Stoffflusskontrolle. Expe-
x i
=0
(14.11)
Diese Formulierung beinhaltet, dass zumindest einer der Metab olite des linearen Stoffwechselweges eine negative Konzentrationskontrolle ausübt. Das heißt, dessen Konzentration verringert sich, wenn die Enzymaktivität erhöht wird. Die Elastizitäten ε beschreiben den Einfluss von Metabolitkonzentrationen oder (aktiven) Enzymmengen auf eine einzelne Nettoreaktionsrate. ε xik0< 0 bedeutet beispielsweise, dass die Erhöhung der Metabolitkonzentration xk aus dem Referenzzustand 0 die Nettoreaktionsrate vi verringert. Dies kann z. B. bei einer reversiblen MichaelisMenten-Reaktion bei Erhöhung der Produktkonzentration der Fall sein. Für den Fall einer einfachen Michaelis-Menten-Kinetik mit v = vmax · xS/(xS + KM) errechnet sich die Elastizität zu x ∂v KM εx = S = (14.12) v ∂xxS ( S M ) Das heißt für Konzentrationen xS < KM ist das System mit dem Grenzwert der Elastizität von 1 relativ sensibel für Änderungen in der Substratkonzentration. Für Werte xS > KM dagegen sind die resultierenden Elastizitäten deutlich kleiner als 1, was die geringe Sensitivität gegenüber Konzentrationsänderungen in diesen Bereichen dokumentiert. Das Konnektivitätstheorem (connectivity theorem) verbindet Elastizitäten mit Fluss-Kontrollkoeffizienten. n
¦C i =1
J i
ε xji = 0
(14.13)
Es beschreibt damit, wie enzymkinetische Eigenschaften (ausgedrückt in den Elastizitäten) den
519
14.5 Metabolische Kontrollanalyse (metabolic control analysis, MCA)
E
E
C1J x1
C2 x2
V
x3 V
Abb. 14.6 Beispiel eines linearen Stoffwechselweges mit den Elastizitäten für den Metaboliten x2 sowie Fluss-Kontrollkoeffizienten der zu- und abführenden Reaktion
Fluss kontrollieren. Durch die Verknüpfung von Elastizitäten mit Fluss-Kontrollkoeffizienten besitzt es eine besondere Bedeutung bei der Identifizierung dieser Größen aus experimentellen Daten. Wird beispielsweise das einfache Reaktionssystem der Abbildung 14.6 betrachtet, so kann das Konnektivitätstheorem wie folgt formuliert werden: CJ ε (14.14) C1J ε 11 + C 2J ε 12 = 0 1J = − 12 ε 11 C2 Das relative Verhältnis zweier aufeinanderfolgender Fluss-Kontrollkoeffizienten wird demnach durch die Elastizitäten des Produktes und des Substrates (und damit durch die kinetischen Eigenschaften der beteiligten enzymatischen Reaktionen) bestimmt. Offensichtlich treten hohe Flusskontrollen zusammen mit geringen Elastizitäten auf. Umgekehrt sind hohe Elastizitäten bei Reaktionen mit geringer Flusskontrolle anzutreffen. Letzteres gilt beispielsweise für enzymatische Reaktionen, die nahe am thermodynamischen Gleichgewicht arbeiten. In der Regel sind die betrachteten Reaktionssysteme so komplex, dass eine Formulierung der oben angegebenen MCA-Theoreme in MatrixNotation notwendig wird. Daher werden die entsprechenden Vektoren x (intrazelluläre Metabolite), c (extrazelluläre Metabolite), v (intrazelluläre Flüsse) und e (aktive Enzymmengen) eingeführt. Die Kontrollkoeffizienten und Elastizitäten werden in Matrizenform C und E angegeben. I bezeichnet die Einheitsmatrix. Deren Verwendung führt zur Formulierung der Theoreme wie folgt: C J0 ⋅ I = 1 Flusskontrolltheorem
(14.15)
C x 0 ⋅ I = 0 Konzentrationskontrolltheorem (14.16)
Wie in Visser und Heijnen (2002) gezeigt, können unter Berücksichtigung der Reaktionsstöchiometrie in Matrix S und der Theoreme (14.15) und (14.16) die Kontrollkoeffizienten wie folgt bestimmt werden: C J0 = E x0 C X0 + I
C
x0
=−
(14.17)
([ ] )
−1
⋅S
[ ]
(14.18)
Die MCA-Anwendung zur Systemanalyse auf experimenteller Datenbasis war Gegenstand vielseitiger Studien (z. B. Fell 1997). Allerdings zeigte sich, dass die Bedingung einer „infinitesimal“ geringen Perturbation experimentell nur schwer umsetzbar ist. So sollten intrazelluläre Änderungen der Metabolit- oder Enzymkonzentration nur moderat sein, um der Theorie-immanenten HomöostaseBedingung Rechnung zu tragen. Unerwünschte Sekundäreffekte wie z. B. unspezifische Enzymreaktionen oder enzyme crowdingg sollen vermieden werden. Darüber hinaus ist es notwendig, das betrachtete biologische System im (angeregten) Fließgleichgewichtszustand zu untersuchen, was oftmals die mehrfache Veränderung von Genexpressionen bzw. Enzymmengen zur erfolgreichen Realisierung eines stabilen steady state-Referenzzustands notwendig macht. Demgegenüber steht die Tatsache, dass gerade die quantitative Analyse einer (starken) dynamischen Systemantwort ein wertvoller Baustein für ein quantitativ-mechanistisches Systemverständnis darstellt. Diese dynamische Systemanalyse widerspricht jedoch offensichtlich dem ursprünglichen MCA-Gedanken, der durch die Gültigkeitsbedingung der oben angegebenen Linearisierung geprägt ist. Eine alternative Vorgehensweise ist daher die Anwendung der MCA-Werkzeuge (Elastizitäten, Kontrollgrößen und Theoreme) auf der Basis nicht-linearer Modelle. Vorausgesetzt, dass deren Parameter durch repräsentative Studien (z. B. in vivo-Analysen) für das betrachtete biologische System ausreichend identifiziert wurden, können die resultierenden Modellaussagen mit den zuvor genannten MCA-Werkzeugen untersucht werden. Eine Möglichkeit der Systembeschreibung sind die in Kapitel 3 aufgeführten mechanistischen Enzymkinetiken. Diese besitzen typischerweise die Form v = vmmax ⋅ f (
)
(14.19)
14
14
520
14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik
Das heißt die enzymkatalysierte Reaktion hängt von intrazellulären Metabolitkonzentrationen x, der Enzymmenge e sowie Effektoren c ab. Alternative Modellierungsansätze sind beispielsweise die S-Systeme (Savageau 1976) oder die convenience-Kinetiken (Liebermeister und Klipp 2006). Die Verwendung mechanistischer Enzymkinetiken zur Beschreibung metabolischer Reaktionen eröffnet prinzipiell die Möglichkeit zur unmittelbaren Interpretation der identifizierten Parameter im Kontext der angenommenen Reaktionsmechanismen. Andererseits lassen die großen Unterschiede zwischen den in vitro-Bedingungen enzymkinetischer Studien und den realen in vivo-Bedingungen in Zellen Zweifel daran aufkommen, inwieweit in vitro-Enzymkinetiken zur in vivo-Modellierung herangezogen werden können (Wright und Kelly 1981; Vaseghi et al. 1999; Magnus et al. 2006). Auch ist die Identifizierbarkeit enzymkinetischer Parameter anhand experimenteller Daten oftmals eingeschränkt. Die von Hatzimanikatis et al. (1996, 1998) und Hatzimanikatis und Bailey (1997) vorgestellten Ansätze wie auch die von Visser und Heijnen (2003) vorgestellten lin-log-Kinetiken repräsentieren eine Alternative zu den zuvor genannten Modellansätzen. Sie zielen darauf ab, mit vergleichsweise wenig Parametern die Dynamik eines metabolischen Reaktionssystems hinreichend genau zu beschreiben. Der Ansatz ist motiviert durch grundlegende Arbeiten zur Nicht-Gleichgewichtsthermodynamik (Onsager 1931), die in der Folgezeit von anderen Autoren aufgegriffen und für biochemische Reaktionen untersucht wurden (Rottenberg 1973; van der Meer et al. 1980; Westerhoff und van Dam 1987; Nielsen 1997). So haben beispielsweise van der Meer et al. (1980) gezeigt, dass durch Einführung der Affinität als Differenz der chemischen Potenziale von Produkt und Substrat einer reversiblen Michaelis-Menten-Funktion, diese innerhalb 75 % der möglichen Reaktionsraten mit einer Abweichung unter 15 % des „originalen“ Verlaufs approximiert werden kann. Eine Reaktion des Typs
2X S ↔ X P
(14.20)
würde demnach unter Verwendung der freien Gibbs’schen Reaktionsenthalpie ΔG GR0 mit der Affinität A zu A = ΔG R0 + 2 ⋅ RT ⋅ ln( x S ) − RT ⋅ ln( x P ) (14.21)
beschrieben werden. Aufgrund der Annahme, dass die resultierende Reaktionsrate v proportional zur (aktiven) Enzymenge e und der Affinität A ist, können somit Reaktionsraten als Funktion dieser Größen formuliert werden. Um einen größeren Freiheitsgrad in der Beschreibung biochemischer Reaktionen zuzulassen, heben Visser und Heijnen (2003) die Restriktion zur Verwendung der stöchiometrischen Koeffizienten zur Formulierung der Affinität auf. Der steady stateFluss J0 für die Reaktion (14.20) wird somit beschrieben als J 0 = e 0 ( a + b ln x S0 + c ln x P0 )
(14.22)
Unter Verwendung der Definition der Elastizitäten (Tabelle 14.1) wird daraus x x v e (14.23) = 0 (1 + ε S0 ln S0 + ε S0 ln P0 ) 0 J e xS xP
oder in allgemeiner Schreibweise:
v e x c = (1 + E 0x ln 0 + E 0C ln 0 ) x c J 0 e0
(14.24)
Darin sind v und J0 Vektoren der Größe n zur B eschreibung der Nettoreaktionsraten bzw. der Referenzflüsse, e/e0 kennzeichnet eine Diagonalmatrix der relativen Enzymgehalte, Ex0 und Ec0 repräsentieren die n × mx,c El astizitätsmatrizen für die mx Metabolitkonzentrationen und mc Effektoren und In _xx_0 bzw. In _cc_0 sind die entsprechenden Vektoren der Metab olite bzw. Effektoren. Unter Verwendung dieses Modellierungsansatzes ist es somit möglich, dynamische experimentelle Daten für die Identifizierung eines entsprechenden Modells zu nutzen, welches implizit wichtige Größen der MCA enthält – namentlich die Elastizitäten. Diese können via Gleichung (14.17) und (14.18) zur Bestimmung von Kontrollkoeffizienten herangezogen werden. Damit lassen sich wichtige Kontrollmechanismen auf der Basis von dynamischen Experimenten bestimmen.
14.6 Signaltransduktion Die Signaltransduktion in pro- und eukaryotischen Zellen beschreibt die Mechanismen, wie
14.6 Signaltransduktion
Informationen aus der zellulären Umgebung von den biologischen Systemen aufgenommen, prozessiert und eine Antwort auf extrazelluläre Veränderungen ausgelöst wird. Der Beginn der diesbezüglichen Forschungsarbeiten reicht bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zurück, als in den 50er-Jahren (und nachfolgend) festgestellt wurde, dass die Phosphorylierung von Enzymen reversibel deren Aktivität verändern kann und dass dafür die Interaktion einer Proteinkinase und einer Proteinphosphatase notwendig ist. Seit dieser Zeit ist das Gebiet der Signaltransduktion Gegenstand intensiver Forschungsarbeiten, auch Dank der sich rasant entwickelnden messtechnischen Möglichkeiten zur Protein-ProteinInteraktionsmessung und der damit einhergehenden modellierungstechnischen Auswertung. Der vorliegende Beitrag stellt nur auszugsweise einige Eigenschaften der Signaltransduktion vor. Weiter gehende Übersichten bieten z. B. Hunter (2000), Kholodenko (2006) und Klipp et al. (2005). Die Weiterleitung von Signalen unterscheidet sich in einigen Punkten wesentlich von den in den Abschnitten 14.3 bis 14.5 vorgestellten Mechanismen der Stoffumwandlung. Einige Unterschiede sind: • Anstelle von Massenströmen (z. B. ausgedrückt durch den Kohlenstofffluss aus Abschnitt 14.3) untersucht die Signaltransduktion die Weitergabe von Informationen aufgrund extrazellulärer Stimuli. • Durch Assemblierung einzelner Komponenten eines Signaltransduktionsnetzwerks kann sich dessen Struktur dynamischer und drastischer ändern, als dies bei einem metabolischen Reaktionsnetzwerk der Fall ist. • Die Konzentration der an der Signalweiterleitung beteiligten Proteine ist im Vergleich zu typischen Enzymkonzentrationen des Metabolismus vergleichsweise gering. Während zu Beginn der Forschungsarbeiten zur Signaltransduktion diese häufig als eine lineare Informationsweiterleitung betrachtet wurde, änderte sich die Sichtweise hin zu einem eng vernetzten Signalweiterleitungssystem, das aus einzelnen modularen Einheiten besteht (Jordan et al. 2000). Dessen Struktur besitzt Ähnlichkeiten zum Aufbau elektrischer Schaltkreise (Tyson
521
et al. 2003; Wolf und Arkin 2003; Sauro und Kholodenko 2004). Signaltransduktionsnetzwerke zeichnen sich generell dadurch aus, dass Signale üb er einen großen Zeitskalenbereich integriert und verstärkt werden können, dass Regelantworten aufgrund der Eigenschaften der Eingangssignale, wie z. B. Signalstärke, Dauer und Frequenz, übersetzt werden und dass die Signalweiterleitung in Kaskaden üb er Rückkopplung smechanismen (Feedback ) verfügen. Sig naltransduktionskaskaden, die mit einer positiven Feedback-Rückkopplung ausgestattet sind, können prinzipiell bistabile Systemzustände erreichen. Eine negative Rückkopplung kann dagegen eine bessere Adaptation der Organismen an sich ändernde Umgebungsbedingungen bewirken (Sauro und Kholodenko 2004). Eine weitere Besond erheit der Signaltransduktion ist die Mög lichkeit zur Ultrasensitivität, d. h. die Mögl ichkeit, dass eine nur geringfügige Änderung des Eingangssignals b eispielsweise eine Umkeh rung der vorherigen Regelantwort b ewirkt. Für Enzymkinetiken wurde dieses Verhalten in Form der Hill-Gleichung bereits von Goldbeter und Koshland (1984) beschrieben. Häufig wiederkehrende Motive in Signaltransduktionsnetzwerken sind in Abbildung 14.7 vorgestellt (Kholodenko 2006). In Eukaryoten findet die in Abbildung 14.7 dargestellte Phosphorylierung über Kinasen spezifisch an Serin-, Threonin- oder Tyrosin-Resten des Proteins statt. In prokaryotischen Systemen existieren analoge Phosphorylierungen, allerdings an Aspartat- und Histidin-Resten. Die beteiligten Kinasen werden als Histidin-Proteinkinasen bezeichnet (West und Stock 2001). Üblicherweise sind Signalnetzwerke in Eukaryoten komplexer als in prokaryotischen Systemen und können 60 und mehr Proteine umfassen. Neben den in Abbildung 14.7 dargestellten Grundmotiven finden in Signaltransduktionsnetzwerken ebenfalls Mechanismen wie Produktion oder Aufbau von Mediatorsubstanzen und Aktivierung bzw. Inhibierung biochemischer Reaktionen typischerweise Verwendung. Nachfolgend sind einige typische, strukturelle Komponenten vorgestellt (siehe auch Klipp et al. 2005).
14
14
522
14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik
Kinase
a
Kinase
c P
Pro
P Pro3
Phosphatase
Pro3
Phosphatase P Pro2
Pro2
Phosphatase
b GEF GDP
GTP Ran
Ran
GAP
P Pro1
Pro1
Phosphatase
Abb. 14.7 Grundmotive der Signaltransduktion nach Kholodenko (2006). (a) Das Protein Pro wird über eine Kinase phosphoryliert und via Phosphatase dephosphoryliert. (b) Ein GTP-abhängiges Ran-Protein wird mittels r von der inaktiven GDP-Form in die aktive GTP-Form überführt; GAP GEF (guanine nucleotide exchange factor) (GTPase-activating protein) katalysiert die reverse Reaktion. (c) Eine Kaskade aus Grundmotiven aus (a), bei der das aktivierte Protein der höheren Ebene die Aktivierung eines Proteins der nächstunteren Ebene übernimmt. Charakteristisch ist das Feedback des aktivierten Pro1, welches im positiven Fall zur erhöhten Sensitivität bezüglich des Ausgangssignals führt, aber auch Bistabilität und Relaxation der Systemantwort hervorrufen kann. Ein negatives Feedback kann zu einer erhöhten Robustheit, aber auch zu Oszillationen führen, wenn die Kaskade ultrasensitiv ist
14.6.1 G-Proteine G-Proteine binden die Guaninnucleotide GDP und GTP und bestehen aus den drei Untereinheiten α, β und γ. Ist GDP an ein G-Protein gebunden, so ist die α-Untereinheit mit den Untereinheiten β und γ assoziiert und das gesamte G-Protein inaktiv. Bindet ein Agonist an den Rezeptor, entlässt die α-Einheit GDP, bindet GTP und löst sich von der βγ-Einheit. Diese sind nun frei, um Zielproteine zu aktivieren. Wird GTP hydrolysiert, können die Komplexe wieder in die inaktive αβγ-Form reassoziiert werden. Der RGS-Regulator kann an dem GTP-haltigen Gα-Komplex binden, die GTP-Hydrolyse verstärken und dadurch die Gα-initiierte Proteinaktivierung unterdrücken. Des Weiteren kann der Gβγ-Komplex den Austausch von GDP zu GTP am Gαβγ-Protein unterdrücken, d. h. eine Sig-
nalweiterleitung über G-Proteine dauert so lange an, bis GTP zu GDP hydrolysiert ist und sich die α-, β- und γ-Untereinheiten wieder vereinigt haben. Die Stärke der Signalweiterleitung hängt von der Rate der Nucleinaustausche, der Rate der spontanen GTP-Hydrolyse, dem Einfluss des RGS-Regulators und der Schnelligkeit der Wiedervereinigung der Untereinheiten ab.
14.6.2 Ras-Proteine Ras-Proteine sind monomere G-Proteine, deren Aktivität von der Bindung an GTP abhängt. Sie wechseln zwischen dem aktiven (GTP-gebundenen) und inaktiven (GDP-gebundenen) Zustand (Abb. 14.7). Das inaktive GDP-Ras wird mittels eines Guaninnucleotidaustauschfaktors (GEF) und GTP in den aktiven Zustand GTP-Ras und
14.6 Signaltransduktion
GDP umgewandelt. Der umgekehrte Prozess zur Bildung von GDP-Ras wird durch das GTPaseaktivierende Protein (GAP) unterstützt. Neben den Ras-Proteinen verläuft der Aktivierungs-/ Deaktivierungsmechanismus bei Ran-, Rab-, Rho- und Arf-Proteinen analog.
14.6.3 MAP-Kinasen Mitogen-aktivierte Proteinkinasen (MAPK) repräsentieren eine hochkonservierte Komponente in der Signaltransduktion und sind der wahrscheinlich am weitesten verbreitete Regulationsmechanismus in eukaryotischen Zellen (Zhang und Karin 2001). Eukaryotische Zellen besitzen in der Regel mehrere MAPK-Stoffwechselwege, die in Säugerzellen z. B. für die zelluläre Antwort auf Stressbedingungen verantwortlich sind. In Hefesystemen regulieren MAP-Kinasen zelluläre Vorgänge wie z. B. Reifung, Sporulation und Zellbildung. In Prokaryoten sind die entsprechenden Histidin-Proteinkinasen z. B. für Chemotaxis, Osmoregulation und Sporulation verantwortlich (West und Stock 2001). Die generelle Aufgabe der MAP-Kinasen besteht darin, Signale von der Zellmembran beispielsweise zum Zellkern zu transportieren. Ein MAP-Kinase-Reaktionsweg setzt sich oftmals aus mehreren (typischerweise drei) verschiedenen Reaktionsebenen zusammen, in denen die aktivierte Kinase einer Ebene, die Phosphorylierung der Kinase der nächstunteren Ebene übernimmt. Die MAP-Kinase (MAPK) repräsentiert dabei die untere Ebene einer Kaskade und kann durch die MAPK-Kinase (MAPKK) in höheren Zellen an den Threonin- und Tyrosin-Resten phosphoryliert werden. Diese MAPKK wird dabei an Serin- und Threonin-Gruppen durch die in der Reaktionsebene darüber befindliche MAPKKKinase (MAPKKK) phosphoryliert. Dieses Reaktionsschema ist in Abbildung 14.7 symbolisch dargestellt und ergibt sich aus Analogie mit den dort verwendeten Bezeichnungen Pro1, Pro2 und Pro 3 für MAPK, MAPKK und MAPKKK. Die Phosphatasen inaktivieren auf jeder Reaktionsebene entsprechend. Das Systemverhalten von MAPK-Kaskaden war und ist Gegenstand zahlreicher intensiver
523
Forschungsarbeiten (Sauro und Kholodenko 2004). Eine Grundeigenschaft ist die mögliche Ausprägung zur Ultrasensitivität bezüglich eines Eingangssignals. Diese ist dadurch begründet, dass die Sensitivität einer Kaskade dem Produkt aus den individuellen Sensitivitäten einzelner Kinase/Phosphatase-Zyklen entspricht. Bei Einzelsensitivitäten > 1 führt dies zu einer überproportionalen Verstärkung des Eingangssignals (Brown et al. 1997; Kholodenko et al. 1997). Häufig sind MAP-Kinase-Kaskaden mit einer Rückkopplung (Abb. 14.7) ausgestattet. Handelt es sich dabei um ein positives Feedback, kann dieses Reaktionssystem Bistabilitäten aufweisen, d. h. zwei unterschiedliche, stabile Zustände einnehmen. Handelt es sich dagegen um ein negatives Feedback, so können Oszillationen hervorgerufen werden (Kholodenko 2000). Weitere Studien von Heinrich et al. (2002) und Hornberg et al. (2005) zeigen, dass Kinasen hauptsächlich die Amplitude der Signalweiterleitung kontrollieren, während Phosphatasen sowohl Amplitude als auch die Dauer der Sig nalweiterleitung beeinflussen. Hornberg et al. (2005) und Westerhoff (2008) stellen außerdem vor, dass die in Abschnitt 14.5 genannten Grundzüge der metabolischen Kontrollanalyse auch zur Charakterisierung von Signaltransduktionsnetzwerken eingesetzt werden können. Darüber hinaus weisen mehrere Autoren darauf hin (Ryan und Shapiro 2003; Kholodenko 2006), dass die Signaltransduktion räumlich und zeitlich auch in Prokaryoten sehr variabel sein kann, was insb esondere für Prozesse wie die bakterielle ChromosomSegregation oder die Sporulation gilt. Das in prokaryotischen Systemen häufig vorkommende Phosphotransferase-System zur Zuckeraufnahme ist kein Signaltransduktionssystem im „klassischen“ Sinne, da neben dem Signaltransport auch ein Stofftransport stattfindet. Die Funktionsweise von PhosphotransferaseSystemen zur Signalweiterleitung unterscheidet sich von den zuvor genannten dadurch, dass die Phosphatgruppe nach einer anfänglichen Phosphorylierung (z. B. unter ATP-Verbrauch) anschließend direkt von Protein zu Protein übertragen wird. Ein Beispiel ist das bakterielle Phosphoenolpyruvat:Kohlenhydrat-Phosphotransferase-System (Postma et al. 1989, 1993; Rohwer et al. 2000).
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14
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14 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik Westerhoff, H. V. (2008): Signalling control strength. J. Theor. Biol. 252: 555–567 Westerhoff, H. V., Palsson, B. O. (2004): The evolution of molecular biology into systems biology. Nature Biotechnol. 22(10): 1249–1252 Westerhoff, H. V., van Dam, K. (1987): Thermodynamics and control of biological free-energy transduction. Elsevier, Amsterdam Wiechert, W. (2001): 13C Metabolic Flux Analysis. Metab. Eng. 3: 195–206 Wiechert, W. (2002): Modeling and simulation: tools for metabolic engineering. J. Biotechnol. 94: 37–63 Wiechert, W., Möllney, M., Isermann, N., Wurzel, M., d e Graaf, A. A. (1999): Bidirectional reaction steps in met abolic networks part III: Explicit solution and analysis of isotopomer labelling systems. Biotechnol. Bioeng. 66: 69–85 Wittmann, C., Heinzle, E. (2001): Application of MALDITOF MS to lysine-producing Corynebacterium clutamicum – a novel approach for metabolic flux analysis. Eur. J. Biochem. 268: 2441–2455 Wolf, D. M., Arkin, A. P. (2003): Motives, modules and games in bacteria. Curr. Opin. Microbiol. 6: 125–134 Wright, B. E., Kelly, P. J. (1981): Kinetic models of metab olism in intact cells, tissues and organisms. Curr. Top. Cell. Regul. 19: 103–158 Wu, L., Wang, W., van Winden, W. A., van Gulik, W. M., Heijnen, J. J. (2004): A new framework for the estimation of control parameters in metabolic pathways using lin-log kinetics. Eur. J. Biochem. 271: 3348–3359 Zhang, L., Karin, M. (2001): Mammalian MAP kinase signaling cascades. Nature 410: 37–40
Symbolverzeichnis
A a
a´
B*
Bi CPPI
c c
cp C C C* D D
D, d Da De D Dϑ dp [E] [EI]
[ES]
E E Ea Es
E e
[m²]
Oberfläche, Austauschfläche, Klärfläche Gewichtungsvektor zur Optimalitätsberechnung spezifische Austausch[m-1] fläche, bezogen auf den Reaktorinhalt Mikrobiologischer Behandlungseffekt Biot-Zahl Contaminant-specific Purification Performance Index [kg/m³]; [mol/m³] Konzentration Konzentration eines extrazellulären Effektors (z. B. Metabolit) spezifische Wärme bei [kJ/(kg K)] konstantem Druck Kontrollkoeffizient [KBE/ml]; [mol/l]; Keimzahl, Konzentration [g/l] chemischer Behandlungseffekt Dilutionssrate [s-1] Matrix zur Beschreibung des dynamischen Prozessverhaltens Durchmesser [m] Damköhlerzahl Deborahzahl Diffusionskoeffizient [m²/s] D-Wert bei der Tempe[s]; [min] ratur ϑ Partikeldurchmesser [m] [kg/m³]; [mol/m³] Enzymkonzentration [kg/m³]; [mol/m³] Konzentration des Enzym-Inhibitor-Komplexes [kg/m³]; [mol/m³] Konzentration des Enzym-Substrat-Komplexes elektrische Feldstärke [V/m] Elastizitätsmatrix Aktivierungsenergie [kJ/mol] scheinbare Aktivierungs[J/mol] energie Erwartungswert der Größe z (aktive) Enzymmenge
eeff
e(t) F F F F Fr F(t) FT(t) f G G Ga Gr G* G‘ G” ΔG# ΔG0/ ΔGri g H H, h H(t) [I] I I IP i i(t) J JP j K K
[C]; [A s]
effektive Ladung eines Teilchens Regelabweichung zum Zeitpunkt t Faradaykonstante [C/mol] Freiheitsgrad des Reaktionssystems F-Wert [s]; [min] Kraft [N] Froudezahl Jacobi-Matrix von f() zum Zeitpunkt t die transponierte Matrix von F(t) Reibungsbeiwert Gibbs-Potenzial (freie [kJ/mol] Enthalpie) elastischer Schermodul [Pa] Galileizahl Grashofzahl komplexer Schermodul1 [Pa] Realteil von G* [Pa] (Speichermodul) Imaginärteil von G* [Pa] (Verlustmodul) Aktivierungsenergie/ [kJ/mol] -enthalpie biologisch verfügbare [kJ/mol] Energie (Standardbedingungen) freie Gibb’sche Reaktionsenthalpie der Reaktion i Erdbeschleunigung [m/s²] Henryscher Verteilungskoeffizient Höhe [m] Jacobi-Matrix zum Zeitpunkt t [kg/m³]; [mol/m³] Inhibitorkonzentration Ionenstärke [mol/m³] Einheitsmatrix Isoelektrischer Punkt Multiplikationsfaktor Istwert zum Zeitpunkt t Stofffluss eines linearen Stoffwechselweges Membranfluss/Flux [m³/m2s] Colburnzahl Aussalzungskonstante Aufschlussgeschwindigkeitskonstante
528 K K KE Keq Ki KiP KiS Kl
[m/s]
Km KS
[mmol/l]; [g/l]
KS K´ k k
[1/s]
kg
[m/s]
kl
[m/s]
kls kw
[kJ/(m² s K)]
L M, m M M M*
[m] [kg] [kg/mol] [Nm] [Nm]
MAFR [mol/s]; [lN/s] Mi m m · m N
[mol/m³]
[kg/s]
Ne Nu n n n n· OD OTR o
[1/s]
[mol/s] [kg/(m³ s)] [kg/m³]
Symbolverzeichnis
Kalman-Verstärkung Verstärkungsfaktor des PID-Reglers Verteilungskoeffizient thermodynamische Gleichgewichtskonstante Gleichgewichtskonstante, Dissoziationskonstante Produktinhibierungskonstante Substratüberschussinhibierungskonstante Gesamtstofftransportkoeffizient Michaelis-Menten-Konstante einer Enzymkinetik Sättigungs- oder Affinitätskonstante des Substrats, Parameter im Monod-Modell Verteilungskoeffizient des Substrates Kapazitätsfaktor Boltzmann-Konstante Geschwindigkeitskonstante Stoffübergangskoeffizient gasseitig Stoffübergangskoeffizient auf der Flüssigseite Stoffübergangskoeffizient von flüssiger zu fester Phase Wärmetransportkoeffizient Länge Masse molare Masse Drehmoment komplexes Drehmoment1 Massenflussrate eines Gases Molarität der Ionen Anzahl der Reaktionsgleichungen gemessener Endwert Massenstrom Trennstufen- / Bodenzahl Leistungskennzahl (Newtonzahl) Nusseltzahl Drehzahl Anzahl Reaktionsordnung Molstrom optische Dichte Oxygen Transfer Rate Gelöstsauerstoffkonzentration
Sauerstoffsättigungskonzentration [P] [kg/m³]; [mol/m³] Produktkonzentration Leistung P [W/s] Permeabilität P [l/(m² h bar)] P Ladungsmatrix Purification Performance PPI Index Pécletzahl Pe Prandtlzahl Pr Schätzfehler(ko)varianz P(t) zum Zeitpunkt t Produktkonzentration p [kg/m³] Druck p [Pa] Infektionsrisiko p Druckdifferenz [Pa] Δp Wahrscheinlichkeitspdf(z) dichtefunktion der Größe z Gasdurchsatzkennzahl Q ProzessrauschleistungsQ matrix · Volumenstrom Q [m³/s] · Wärmestrom QW [kJ/s] adsorbierte Menge q [kg] spezifische CO2-ProduktiqCO [m³/(kg s)] 2 onsrate Klärflächenbelastung qF [m³/(m² h)] Gasstrom qG [m³/s] i. Parameterwert des qi digitalen PID-Reglers spezifischer SauerstoffqO [kg/(m³ s)]; [s-1] 2 verbrauch + spezifische SauerstoffqO [m³/(kg s)] 2 aufnahmerate Sauerstoffstromdichte qO‘2 [kg/(m² s)] spezifische ProduktbilqP [kg/s] dungsgeschwindigkeit spezifische SubstratverqS [s-1] brauchsgeschwindigkeit [kJ/(mol K)] universelle GaskonR stante R Rückhaltevermögen einer Membran R Messrausch(ko)varianz R Antwort-Koeffizient [m] Radius R, r Ra [μm] Rauwert (Oberflächen) Re Reynoldszahl Rm maximal freisetzbarer Proteingehalt Rv Rücklaufverhältnis r [kg/(m³ s)]; Reaktionsgeschwindigkeit [mol/(m³ s)] radiale Ortskoordinate r [m] Vektor aller Nettor umsatzraten Verhältnis des Kis-Wertes rK is zum Km-Wert Verhältnis des Kip-Wertes rKip zum Km-Wert o*
[kg/m³]
529
Symbolverzeichnis
rP rS rs
0km
rX
[S] S S S SCI Sc Sh Str S#
SL s s(ti) T T TD TI t td tg U U u(t) V · V v v v vm – v We Wn w w(t) X x x x x x x
[kg/(m³ s)]
volumenbezogene Produktbildungsgeschwindigkeit Substrataufnahmege[kg/(m³ s)] schwindigkeit Verhältnis der anfänglichen Substratkonzentration zum Km-Wert Wachstumsgeschwindig[kg/(m³ s)] keit [kg/m³]; [mol/m³] Substratkonzentration Löslichkeit eines Proteins Selektivität stöchiometrische Reaktionsmatrix Separation Cost Indi[€/g] cator Schmidtzahl Sherwoodzahl Strouhalzahl Energiewert des [kJ/mol] Substrates im Übergangszustand Sterilitätskriterium Substratkonzentration [kg/m³] Messrauschen zum Zeitpunkt ti absolute Temperatur [K] Score-Matrix Vorhaltezeit Nachstellzeit Zeit [s] Verdopplungszeit [s] Generationszeit [s] Umsatz Enzymaktivität (unit of [μmol/min] activity) Eingangsgröße zum Zeitpunkt t Volumen [m³] Volumenstrom [m³/s] Geschwindigkeit [m/s] Prozessrauschen Reaktionsgeschwindig[mol/(m³ s)] keit Molvolumen mittlere Geschwindigkeit [m/s] Weberzahl Weissenbergzahl Messrauschen Sollwert zum Zeitpunkt t Datenmatrix Ortskoordinate Konzentration der Zell[kg/m³] masse Molanteil einer Komponente Zustandsgröße Reinheit Vektor aller intrazellulären Metabolite
x^F (ti)
Y Y y
[m]
y Zϑ
[K]; [°C]
zi α α
α βP βS γ γ γ . γ . γ* ε εL ε– ζ η η ηd η*
[Grad]
[1/s] [1/s]
[m²/s³]
[Pas] [Pas] [Pas]
η′
[Pas]
η′′
[Pas]
ϑ κ
[C°] [€/kJ] €
λ λm
[kJ/(m² s K)] [s]
λv μ
[s] [s-1]
ν ν ν ξ ρ Δρ σ σSP
[m²/s]
[kg/m³] [kg/m³] [N/m]
gefilterter Schätzwert der Zustandsgröße zum Zeitpunkt ti Womersley Parameter Ausbeute, Ausbeutekoeffizient kartesische Ortskoordinate Messgröße Z-Wert bei der Temperatur ϑ Wertigkeit der Ionen relative Retention (Trennfaktor, Selektivität) Verhältnis vom Volumen der organischen Phase zum Volumen der wässrigen Phase Wärmeübergangszahl Selektivität für Produkt Selektivität für Subst rat Deformationswinkel genereller Reduktionsgrad Deformation Scherrate komplexe Scherrate1 Elastizität Flüssigkeitsanteil mittlere Energiedissipation Widerstandsbeiwert dynamische Viskosität Wirkungsgrad Dehnviskosität komplexe Scherviskosität1 Realteil der komplexen Scherviskosität Imaginärteil der komplexen Scherviskosität1 Temperatur produktspezifische Kosten Wärmeleitfähigkeit Spannungsrelaxationszeit Retardationszeit spezifische Wachstumsgeschwindigkeit kinematische Viskosität spezifische Teilungsrate Reaktionsrate Reaktionslaufzahl Dichte Dichtedifferenz Oberflächenspannung Selektivität einer Reaktion
530 σx
[Pa]
σy
[Pa]
σz
[Pa]
τ τ τ*
[s] [Pa] [Pa]
φ
[V]
χ χ φ φ ϕ ϕ ϕG ω Ω
1
[Grad]
[rad/s] [s-1]
Symbolverzeichnis
= σxx = Normalspannung in x-Richtung = σyy = Normalspannung in y-Richtung = σzz = Normalspannung in z-Richtung Verweilzeit Schubspannung komplexe Schubspannung1 Galvanisierspannung (Standardbedingungen) (einzelne) Metabolitkonzentration Umsatz Thielemodul Phasenverhältnis Winkel relative Luftfeuchte relativer Gasgehalt Kreisfrequenz Winkelgeschwindigkeit
Größen mit * betreffen entweder einen Behandlungseffekt oder stellen komplexe Zahlen dar. Der Realteil einer komplexen Größe wird mit ´, der Imaginärteil mit ´´ gekennzeichnet. Die Angabe der Einheit bezieht sich dabei auf den Betrag.
Indizierung Anfangskonzentration zum Zeitpunkt t0 0 0 Ausgangsmaterial 0 Referenzzustand Auftrieb a apparent, scheinbar app calc berechnete Werte Eintritt E effektiv eff Filtrat, Feed F f Zielwert G,g Gas Gesamt, bezogen auf alle Phasen Ges i, j, k Laufvariablen eintretend in Flüssigkeit L,l Membran M maximal max gemessene Werte mes O2 Sauerstoff organische Phase org austretend out P Produkt, Permeat Reaktor, Retenat R Referenz ref RL Rücklauf Substrat S,s T absolute Temperatur Verunreinigung V Wand W wässrige Phase, Widerstand w X Biomasse Metabolit x Zielsubstanz Z
Sachregister
A abhängige Variable 102 Abtötungsaktion 238 Abwasserreinigung 498 Abweichung 418 Acetyl-CoA 44, 46 N-Acetylneuraminsäure (Neu5Ac) 465 Acylierung 470 Adenin 2-4 Adenosintriphosphat (ATP) 8, 40, 42f adhärent wachsende Kulturen (anchorage dependent cells) 392 Adrenalin 56 Adsorbentien 351 Adsorption 320, 348, 492 Adventitious Virus Test 412 aerobe Abwasserreinigung 498, 500 Affinitätsextraktion 341 Affinitätskonstante 108 Affinitätsmakroligand 312 Affinitätspräzipitation 312 erster Ordnung 312 zweiter Ordnung 312 Airlift-Reaktor (ALR) 211 Aktivator 89 Aktivität 68 Aktivitätskoeffizient 68, 456 Akzeptanzgrenze (edge of failure) 404 Alanin 27 Algen 217 zur Energiegewinnung 217 Alkoholgärung 48 allogen 374 Allolactose, Induktor 55 Allosterie 30, 52, 57, 91 allosterischer Effekt 31 allosterisches Modell 92 Ameisensäure 48 Amidbindung 5 Amidspaltung 37 Amine 470 Aminoacylase 466 6-Aminopenicillansäure 470
Aminosäure 27, 482f Aminosäureproduktion 483 Ammoniak 277 Ampholyte 348 Amplifikation 379 Amyloglucosidase 468 Anabolismus 5, 41 anaerobe Abwasserreinigung 500 anaerober Organismus 49 Analysensystem 263 Analysenzertif ikat 417 Analytik 366 anaplerotische Sequenz 490 anchorange dependent cells 392 Anfangsreaktionsgeschwindigkeit 79 Ångstström 23 Anhaftungsfaktor 392 anhydrous solventt 452 Anionenaustauscher 352 Anionenaustauschmembran 331 Anlagenauslastung 419 Anlagendesign 419 Anlagenqualif izierung 415 Annual Product Review w (APR) 417 anorganische Membranen 316 Anregelzeit 293 Anreicherungsfaktor 314, 339 Ansprechzeit 264 Anstiegszeit 293 antibody-dependent cellular cytotoxicityy (ADCC) 387 Anti-Codon 6 Antikörper 13, 31 -Fragment 387 Anzuchtfermenter 412 Apoprotein 40 Apoptose 17 APR (Annual Product Review) 417 Archaebakterien 7, 10 Archaeen 9, 33 Arginin 27 Aromastoffe 493-495 Arrhenius, S. A. 33 Arrhenius-Ansatz 239 Arrhenius-Gleichung 74 Aseptik-Verbindung 252
asexuelle Fortpflanzung 16 Asparagin 27 Asparaginsäure 27 Aspartase 36 Aspergillus nigerr 490f Aspergillus wentii 490 at-line-Analyse 265 Atmungskette 44f, 47 ATP-Synthase 42 ATP-Synthese 47 ATR-Kristalle 275 ATR-Sonden 275 Aufarbeitung 295f, 411 Aufkonzentrierungsfaktor 318 Auflösung 350 Aufreinigung 487 Ausbeute 80, 318, 357 Ausbeutekoeffizient 108, 128 Ausregelzeit 293 Aussalzeffekt 309 Aussalzen 309 autokatalytisch 106 autologe Zellen 223 Automatisierung 288 autotropher Organismus 42 axenisch 102
B Bacillus subtilis 230 Bacillus thuringiensis 497 Bäckerhefe 101 bags 413 Bakterien 7, 386 Bakterienzelle 8 Bakteriophagen 14 balanced growth 101 Bandenverbreiterung 346 Basalmedium 388 batch 102, 198 record d 418 -Reaktor 429-434 -Sterilisation 243 -Verfahren 397 B egasung 167, 193, 393
532 Druck 204 Hohlwelle 204 Membranen 204 Oberfläche 204 Bestimmung der kinetischen Konstante 78 Betriebsgröße 119 Betriebsweise batch 198 continuous 198 fedbatch 198 BHK-Zelle (baby hamster kidney) 383 BIBO-Stabilitätskriterium 292 Bilanz Biomasse 115 Produkt 133 Substrat 116 Bilanzgleichung 429 Bildverarbeitungsalgorithmen 274 Binodale 336 Binodalkurve 317 Biochemie 23-65 biochemische Energie 42 Bioethanol 495 Bioethanolproduktion 495 Biofouling 321 Biokatalysator, Enzyme 34-40 BioLector-Technologie 227 Biologics License Application (BLA) 417 biologische Reaktion, Zeitkonstanten 50 biologischer Regelkreis 51 biologischer Sauerstoffbedarf (BSB) 502 Biomasse 495, 497 aus Mikroalgen 217-222 Biomassebestimmung 271 Biomassebilanz 115 Biomassekonzentration 167 Biomembran 25 Bioprozess, integrierter 491-494 Bioprozessanalytik 265 Bioprozessentwicklung 227 Bioreaktor Betriebsweise 198 scale down 205 scale up 205 Bioreaktor-Typen 198 plug-flow w 198 stirred tank 198 Biosensor 264, 279 Biotin 31 Biotransformation 486-488 Biotrockenmasse 168 Biotzahl (Bi) 192, 445 bipolare Membranen 332
Sachregister black-box-Modell 284 Blasenkoaleszenz 167 Blasensäule 473 Blutserum 389 bridging studyy 421 Briggs-Haldane-Gleichung 71 Brönstedt-Gleichung 338 Bubble-Point-Test 245 Buttersäure 48 B-Zelle 375
C Cahn-Ingold-Prelog-Regel 36 CAP-Protein 56 Carboanhydrase 49 cDNA 378 Ceratocystis fimbriata 494 Certificate of Analysis (CoA) 417 cGMP (current Good Manufacturing Practice) 417 Chaperone 28 charakteristische Materialzeit 179 charakteristische Zeit 162 chemisch/physikalisch modifizierte Enzyme 439 chemischer Sauerstoffbedarf (CSB) 502 chemisches Potenzial 319, 495 chemometrisches Modell 277 Chemostat 104, 117 Chemotaxis 54 Chloroplasten 10f CHO-Zelle (Chinese hamster ovary) 383 Chromatin 11 Chromatographie 348 Hochdurchsatzexperimente 356 Scale-up 357 Chromosomen 11 Chymotrypsin 31 Reaktionsmechanismus 38 Chymotrypsinogen 31 Cilien 13 Citronensäure 489-491 Citronensäurezyklus 44-46 Clark-Elektrode 267 cleaning in place (CIP) 413 CO2 strippingg 394 Codon 3 Initiation 3 Termination 3 Cofaktor 30 Colburnzahl 192, 195 Contaminant-specific Purification Performance Indexx 367 continued process verification 414
continuously operated stirred tank reactorr (CSTR) 429 Corynebacterium glutamicum 483f COS-Zelle 384 C ouette-Rheometer 156 C ouette-Strömung 151 C oulter-Countersystem 272 critical operating parameterr (COP) 404 critical performance parameterr (CPP) 405 cross-flow w 321, 447 crossing overr 19 CSB (chemischer Sauerstoffbedarf ) 502 -Gehalt 502 -Reduktion 502 -Stoßbelastung 502 CSTR (continuously operated stirred tank reactor) 429, 431-437, 439 cut-offf 318 Cyanobakterien 9 Cystein 27 Cytokinese 16 Cytoplasma 8 Cytosin 2-4 Cytoskelett 13 Cytosol 8
D Damköhlerzahl 444, 446 Darwin, C. 19 dead endd 321 -Komplex 86 Deborahzahl 165, 179, 181, 187 dedicated matrice 420 Dehnviskosität 166 Dekanter 298 Denaturierung 33 Denitrifikation 500f Denitrifizierung 503 Desaktivierungsrate 463 design of experiments (DoE) 406 Desoxyribonucleinsäure (DNA) 2-4, 50 Dialyse 330 Dialysesystem 283 Diauxie 56 Dictyosom 12 Differenzierung 373-376 von Zellen 226 diffuse Doppelschicht 346 Diffusionsreaktor 447 Diffusionstest 245 digitaler PID-Regl er 292 Dihydrofolatreduktase (DHFR) 379
533
Sachregister Diltiazem 467 dilution rate 104 dimensionale Größe 444 Dimensionsanalyse 176, 181 dimensionslose Größe 176 dimensionslose π-Größe 176 dimensionslose Kennzahl 165, 175 Dimethylsulfoxid (DMSO) 381 Diploidie 18 directed protein evolution 65 distributed control system (DCS) 418 DMSO (Dimethylsulfoxid) 381 DNA 2-4, 50 DNA-Ligasen 59 DNA-Polymerase 10, 20f, 60, 73 Downstream Processingg 411f, 363, 481 Dreiecksdiagramm 336 Drei-Phasen-System 219 Druck 204 druckgetriebene Membrantrennverfahren 322 Durchflusszytometer 272 Durchflusszytometrie 265 Durchmischung 409
E Eadie-Hofstee-Darstellung 81 EBA-Chromatographie 401 eddy diffusivityy 194 effektive Viskosität 195 Effektivitätskoeffizient 189 Effektorfunktion 387 Effektorkinetik 84 EHEDG-Guideline 249 Einmalsensor 279 Einsalzeffekt 309 Ein-Substrat-Reaktion 69 Einweg-Behältnis 413 Einweg-Bioreaktor 222 Eizelle 19 elastischer Modul 163 Elektrodialyse 331 elektrodialytische Wasserspaltung 332 Elektrofilter 301 elektrokinetische Trennverfahren 345 Elektroosmose 346 Elektrophorese 345 elektrostatische Kräfte 308 Elementarbilanz 130 Elementarzusammensetzung 143 Emulgator 453 Emulsion 451, 453 stabile 486 endogener Metabolismus 137
Endoplasmatisches Reticulum (ER) 11 Endospore 9 Endosymbionten-Hypothese 10 Endprodukt 479 -Hemmung 52 -Herstellung 410 Energiedissipation 230 lokale 202 mittlere 202 engineering runs 410 Engpass (bottle neck) 419 Entropie 41 Enzymaktivität 76 enzymatische Prozesse 427 Enzyme 5, 12, 31 aktives Zentrum 36 Aktivierungsenergie 36 Biokatalysator 34-40 dynamische Bindung 37 EC-Nummer 35 Gentechnik 59 Klassifizierung 35 Nomenklatur 35 Selektivität 36 Stabilität 33 statische Bindung 37 Substratspektrum 36 Temperaturabhängigkeit 33 Trivialnamen 35 Übergangszustand 36-38 Enzymkatalyse 36-40 Enzym-Substrat-Komplex 69 Epimerisierung 465 Epoxidierung 486-488 stereospezifische 488 Epstein-Barr-Virus 15 Erhaltungsstoffwechsel 137 Erhitzungsprofil 242 Escherichia coli 8, 50, 230, 481, 483f Essigsäure 48 Esteröl 472 Ethanolbildung 48 Eukaryot 10-13 Evolution 9, 16-21 Evolutionstheorie 19 Exon 13, 385 exon shufflingg 64f experimentelle Bestimmung, Stofftransportlimitierung 445 exponentiell 110 exponentielle Wachstumsphase 113 Expression, transiente 383 Expressionsvektor 378 externe Stofftransportlimitierung 443 Extrakt 336
F Fab-Fragment 387 failure mode and effects analysis ((FMEA) 408 Faktor endogener 17 exogener 17 Fällungsmittel 317 Faltenbalgventil 257 β-Faltblattstruktur 28 fed-batch 104f, 129, 198, 477, 485 -Bioprozess 493 -Fermentation 492 -Kultivierung 492 -Produktion 410 -Prozess 483 -Verfahren 397, 477, 483, 497 Feedback-Regulation 52 Feldeffekttransistor (FET) 270 Feldsprungelektrophorese 348 Festbettreaktor 217, 396, 433 Fett 25 Fettsäure 25 FIA-Betrieb 281 Fibroblast 374 f ilamentös 169, 174 f ilamentöser Organismus 141 Filterhilfsmittel 298 Filtervalidierung 244 Filtration 298 Oberflächenf iltration 298 Siebf iltration 298 Sterilfiltration 298 Tiefenfiltration 298 Filtrationsmodul 264 Filtrationssonde 283 Flagellen 13 Flashing-Light-Effekt 218 Flavin-Adenin-Dinucleotid (FAD) 40 Flavinmononucleotid (FMN) 40 Fließbett 492 Fließbettadsorption 358 Fließgleichgewicht 70, 115, 431 Fließinjektionsanalyse 280f Fließinjektionsanalysesystem 264 Fließkurve 152, 158 Flotation 314 fluidized bed reactorr 214 Fluoreszenzspektroskopie 276 Folgeprozess 421 Formalkinetik 239 Formulierung 411f Fortpflanzung 16-21 asexuelle 16 Fouling 321 -Effekte 264 Free-Flow-Elektrophorese 346
534 freie unmodifizierte Enzyme 439 Froudezahl 178, 181 Fusionsprotein 61
G β-Galactosidase 55 Galileizahl 182 Gamet, Keimzellen 18 Ganzzell-Biotransformation 486 Gärung 47-49 Gasdurchsatzkennzahl 181f Gasphasenbilanz 134 Gasphasenzusammensetzung 265 Gastrennung 325 Gelchromatographie 355 Gen 3 Klonierung 60-62 Generationszeit 111 generellerReduktionsgrad 131 genetic engineeringg 23 Genexpression 9, 13, 50 Regulation 51-53 Genom 11 menschliches 58 Gentechnik 23, 58-65 Enzyme 59 Gentechnikgesetz 413 Gentechnikrecht 410 gereckte Membranen 317 Gesamtstofftransportkoeffizient 186 Gewebekultur 374 GFP-Fusionsproteine 276 Gibbs-Funktion 36, 42 Gleichgewicht labiles 125 stabiles 125 Gleichgewichtsbestimmung 448 Gleichgewichtsdiagramm 336 Gleichgewichtsreaktion 473 Gleitringdichtung 258 Glucosamin 465 Glucose 46, 277 Abbau 44 -Isomerase 468 Glutamin 27, 277 -Synthetase (GS) 380 Glutaminsäure 27 Glycerin 25 Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase 38-40 Glycidylmethylester 467 Glycin 27 Glykogen 25, 53, 56 Glykolyse 44-46 Regulation 57 Glykosylierung 383
Sachregister
Golgi-Apparat 12 G-Proteine 522 Gradientenelution 349 Gram, H. C. J. 8 Gram-Färbung 8 Grashofzahl 178, 182 GRAS-Mikroorganismus497 gravimetrische Methode 448 Green Wall Panel 221 grenzflächenaktive Substanzen 314 Grenzflächeneffekt 453 Grenzstromdichte 332 grünfluoreszierendes Protein (GFP) 276 Guanin 2-4 Guanosintetraphosphat 54 Guanosintriphosphat(GTP) 47
H Hagen-Poiseuille’sches Gesetz 155 halblogarithmische Darstellung 112 Hämoglobin 29f Hanes-Woolf-Darstellung 80 Haploidie 18 HAT-Selektion 377 Hauptkomponentenanalyse 286 Hefe 386 HEK-293-Zelle (human embryonic kidney) 383 HeLa-Zelle 384 α-Helium 28 Hell/Dunkel-Phase 218 Henry’scher Verteilungskoeffizient 18 4 Henry’sches Gesetz 184 Hepatocyt 375 Herstellbericht (batch record) 418 Herstellvorschrift 415 heterogene Katalyse 441 heterolog 374 heterotropher Organismus 42 Heuristik 364 Hexokinase 36, 45, 57 high fructose corn syrup (HFCS) 467 Hill-Gleichung 91 Hill-Koeffizient 92 His-Tag 61 Histidin 27 Hitzesterilisation 15 Hochdruckhomogenisator 304 Hochdurchsatzexperiment zur Proteinlöslichkeit 308 Hochdurchsatzverfahren 227, 365 Hochleistungs-Flüssigchromatographie (HPLC) 366
Hochtiter-Prozess 413 hochviskoses Esteröl 473 Hohlfaser-Membranmodul 222 Hohlwelle 204 Holoprotein 40 homogene Katalyse 441 Homogenisierdruck 305 Homogenisierung 197 homolog 374 homologe Rekombination 19 Homöostase 1 Hooke’scher Körper 162 Hormone 56f Hybridoma 376 Hydrolase 35 hydrophobic-interaction-Chromatographie (HIC) 352 Hygenic Design 237 Hyperglykosylation 386 (R)-Hydroxynitrillyase 438
I idealer Rohrreaktor 429, 432 idealer Rührkessel 429 Immobilisierung 33, 439, 453, 463 Immunsystem 375 Impedanzmessung 272 Impfgut 113 in process controll (IPC) 415 in situ-Extraktion 486 in situ-Mikroskopie 274 in situ-product removall (ISPR) 481, 492, 494 in situ-Produktabtrennung 492 in situ-S ensor 264 in vitro 373 in vivo 373 induced fitt 30 Induktor, Allolactose 55 Informationsfluss in der Zelle 1, 5f Infrarot-Absorption 266 Infrarotspektroskopie 277 Inhibition 139 Inhibitor 84, 467 Injektionsventil 281 Inoculum 411 Insekten-Zelllinie 384 integraler Messwert 263 Intermediärprodukt 479, 490 interne Stofftransportlimitierung 444 Interphase 16 intrazelluläres Produkt 296 Intron 13, 50, 385 Ionenaustauschchromatographie 352 Ionenaustauscher 492
535
Sachregister Ionen-Beweglichkeit 346 ionenselektive Elektroden 264 Ionenstärke 74 ionische Flüssigkeit 337, 441, 465 IPC (in process control) 415 ISFET 270 isoelektrische Fokussierung 348 isoelektrische Präzipitation 311 isoelektrischer Punkt 309 isoenergetische Linie 202 Isoleucin 27 Isomerase 35 Isopropylthiogalactosid (IPTG) 55 Isotachophorese 347 ISPR 481, 492, 494 -Methode 493 -Prozess 488 -Verfahren 483
J Jacobi-Matrix 285 Jahresbericht 417
komplexe Medien 106 komplexe Viskosität 163, 172 Komplexmedien 490, 497 Konjugation 19 Konnektivitätstheorem 518 kontinuierliche Kultur 104 kontinuierliche Prozessverifikation (continued process verification) 414 kontinuierliche Verfahren 397 Kontrolle, positive 56 konvektiver Membranreaktor 447 Konzentrationspolarisation 321 Kooperativität 91 Korrelationskoeffizient 83 Korrelationsrechnung 83 Koshland-Nemethy-Filmer-Modell (KNF) 93 Kosten 367 Kristallisation 307 kritische Verdünnungsrate 117 Kryopräzipitation 311 Kugelmühle 303 Kulturmedium 477
L K Kalman-Filter 284 Kampagnen-Produktion 420 Katabolismus 5, 41 Katabolit-Repression 56 Katal 68 Katalase 13 katalytische Aktivität 68, 452 katalytische Triade 37 Kationenaustauscher 352 Kationenaustauschermembran 330 Kegel-Platte 164, 174 -Rheometer 157 -Strömung 157 Keimzelle, Gamet 18 key operating parameterr (KOP) 404 key performance parameterr (KPP) 405 Kinetik 99 kinetische Konstante 440 kinetische Racematspaltung 466 King-Altman-Methode 96 Klon 61 Kluyveromyces 495 Knochen-Knorpel-Konstrukt 226 Knochenmarkzelle 375 Kohlendioxid, überkritisches (scCO2) 486-488 Kohlendioxidgehalt 266 Kohlenhydrat 26 kompetitive Hemmung 84
lac-Operon 56 Lactat 277 Lactobacillus 489 Lactose 54 -Operon 54-56 Ladungsmatrix (loading-Matrix) 288 laminar 154, 177 laminares Strömungsprofil 432 Laserstreulichtsensor 274 Leben, Definition 1 Leistungseintrag 181f, 230, 409 Leistungskennzahl 179, 181f Leucin 27 Licht 217-222 Lichtintensität 218 Lichtleiterkabel 278 Lichtverdünnung 220 Ligand 30 Ligase 35 limitierendes Substrat 107 Limone 492 lineare Regression 81 lineare Viskoelastizität 162f, 165f, 170 lineares Wachstum 113 Lineweaver-Burk-Darstellung 80 Lipase 467, 470, 473 Lipid 26 liquid-liquid partition chromatography (LLPC) 355
log P-Wert 463 lokale Energiedissipation 202 Lösungsmittel-Präzipitation 310 Lösungsmitteltoleranz 492 low water media 452 Lyase 35 Lyse enzymatische 306 physiko-chemische 306 Lysin 27 Lysosom 12
M Mahlguttemperatur 304 Mahlkörperfüllungsgrad 304 Makromischung 201 Manifold 281 MAP-Kinasen Marketing Authorization Application (MAA) 417 Massenbilanz 105, 429 Massenspektrometer 266 Maßstabsübertragung 175f Maßstabsvergrößerung (Scale-up) 401, 409 maximale Zykluszahl 68 Maxwell-Modell 165, 171, 180 Mechanotransduktion 226 Medienentwicklung 142 Medienfiltration 397 Medienherstellung 411 Medium 109 def iniertes 106 komplexes 106 synthetisches 106 Mehrphasensystem 451, 462 Mehr-Substrat-Reaktion 97 Meiose 18 Membran 204, 447 Membranadsorber 362 Membranbioreaktor externe Membran 209 interne Membran 209 Membrancharakterisierung 318 Membranfouling 320, 496 Membranmodul 325 Membranreaktor 441, 447f, 461 Membranseparation 316 Messmodell 286 Messrauschen 288 Messrausch(ko)varianzmatrix 286 Messtechnik 263 Metabolic Engineering 508 metabolische Kontrollanalyse 516 metabolische Stoffflussanalyse (MFA) 511
536 Metabolismus 5 Metall-Chelat-Chromatographie 354 Methionin 27 L-Methionin 466 Methode der Präzipitation 309 Methotrexat (MTX) 379 Methylase 59 MFA, siehe metabolische Stoffflussanalyse Micellen 454, 461 Michaelis-Menten-Gleichung 71 Mikroalgen 217-222 mikrobielle Biomasse 479, 497 mikrobielles Produkt 480 Mikrocarrier 392 Mikroemulsion 451, 454 Mikrofiltration 322 Mikrofiltersystem 400 Mikromischung 201 Mikroumgebung 445 Milchsäure 48, 488f Milliliter-Reaktor 229-232 Minimalmedien 497 MIR 275 Mischer 197 Mischgüte 201 Mischungslücke 317 Mischzeit 201, 409 Mischzeitkennzahl 201, 409 Mitochondrien 10f Mitogen 375 Mitose 16 Mittelinfrarotspektroskopiebereich 277 mittlere Energiedissipation 202 mittlere hydraulische Verweilzeit 115 mittlere Verweilzeit 432 mobile Phase 349 Modell segregiertes 101 strukturiertes 101 unsegregiertes 101 unstrukturiertes 101 Modellierung 364 Modellparameter 108, 286 Modul 325 molecular memory effectt 453 Morphologie 167f, 172 mRNA 5, 50, 378 monocistronische 13 polycistronische 9 Multikomponentensystem 99 Mutagenese, klassische 21 Mutation 20 Myoglobin 30 Myristylmyristat 473
Sachregister
N NAD+ 43 NADH 39, 43 -Pool 276 NADP+ 43 NADPH 43 Nanobodies 387 Nanofiltration 323, 461 Nephelometrie 273 Nernst’scher Verteilungssatz 455 Nernst-Planck-Gleichung 319 neuronale Netzwerke 288 Newtonsch 152 Newton’sche Flüssigkeit 153, 162 Newtonzahl 179 nicht-kompetitive Hemmung 85 nicht-konventionelle Reaktionsmedien 441, 451 nicht-lineare Regression 81 Nicht-Newtonsch 152 Nikotinamid-Adenin-Dinucleotid (NAD+) 39 NIPALS-Algorithmus 288 NIR 275 Nitrifikation 500f, 503 normal operating ranges (NOR) 404 Normalphasenchromatographie 351 Normalspannungsdifferenz 158, 180, 193 NS0-Zelle 383 Nucleolus 11 Nullviskosität 152, 165 Nusseltzahl 192, 194
O Oberflächenfiltration 298 Oberflächenspannung 76 Oberflächenverfahren 490 offener Reaktor 220 off-line 399 Öl-in-Wasser-Emulsion 453 on-line 399 -Analytik 264 -Prozessbeobachtung 263 Oocyte 19 open pondd 221 Operon 51, 54 Optimierung 227 Optimierungskriterium 142 Optimierungsproblem 288 optische Dichte 113 optische pCO2-Sensoren 279 optischer Chemosensor 278 Ordnung 72 organische Säure 488
Organkultur 374 osteochondrale Konstrukte 226 oszillierendes Scherexperiment 164f O verlay-Belüftung 255 oxidative Phosphorylierung 47 Oxidoreduktase 35 Oxygentransferrate 186
P Palindrom 59 Parallelreaktor 229-232 paramagnetisches Gas 266 Paramagnetismus 266 Parameter 102 partiell-kompetitive Hemmung 86 Passivschicht 250 Pasteur, L. 427 Pasteur-Effekt 57 patches 281 PCA ((principal component analysis) 287 Pécletzahl 187 Pellet 141, 168f, 184, 189 Penetrationsmodell 185 Penicillin G 470 Penicillinamidase 470 Pentosephosphatweg 45 Pepsin 31 Pepsinogen 31 Peptidbindung 28, 37 Peptidoglykan 8 PER.C6*-Zelle 385 Performance Qualification (PQ) 415 Perfusion 397 Perfusionskultur 396 Perfusionsreaktor 225 Perillasäure 491-494 Permeabilität 322 Peroxisomen 12 Pervaporation 325, 497 Modi 329 Pervaporationsmembran 329 Pervaporationsmodul 496 Pfropfenströmung 429 pH 99, 139 -Auxostat 118 -Begriff 25 -Einstabmesskette 269 -Elektroden 263, 269 -Optode 278 -Wert 25, 74, 265 Phage Lambda 14 Phagen 7, 14f Phasendiagramm 124, 136 Phaseninversionsmembran 316 Phasentrennung 486-488
537
Sachregister Phasenverschiebung 163 Phenylalanin 27 Phosphofructokinase 45, 57 Phospholipid 8, 25f Phosphorylierung 31, 45 Photobioreaktor 217 Bewertung 219 Plattenreaktor 220 Rohrreaktor 220 photon conversion efficiencyy 218 Photosynthese 9, 25, 43 photosynthetically active radiation 218 Pichia pastoris 481f PID-Regler 291 Pilz 10 pKS-Wert 32 Plasmamembran 1 Plasmid 7, 61 Plasmidvektor 60 Plattform-Technologie 408 PLS-Regression (partial ( least squaresRegression) 288 plug flow w 199 reactor (PFR) 429 pO2-Optode 278 pO2-Wert 265 Polarität 463 Poliomavirus 15 Polyacrylatträger 470 Polyglycerat-3-laurat 473 Polyglycerol 474 Polymer, stimulierbares 313 Polymerase 59 polymerase chain reaction 62 Polymerasekettenreaktion 62f Polymermembran 316 Polynomansatz 158 Populationsdynamik 145 Porengrößenverteilung 318 Porphyridium purpureum 218 Potenzansatz 158 PQR (Product Quality Review) 417 Prandtlzahl 192f, 195f präparative annulare Chromatographie 360 Präzipitation 307 durch nicht-ionogene Polymere 311 mittels organischer Lösungsmittel 310 mittels Polyelektrolyten 312 mittels Tensiden 312 primäres Stoffwechselprodukt 489 Primärmetabolit 479 Primärzellkultur 374 Primer 60, 62 Prinzip der kleinsten Fehlerquadrate 82
Probeentnahme 264 Probenahme 282 Probenahmesonde 283 Probenahmesystem 283 process design 414 process qualification 414 Product Quality Review w (PQR) 417 Produktaufarbeitung 295 Produktbildung 133, 480 Produktbildungstyp 480 Produktinhibierung 435, 492 Produktinhibition 140 Produktionsfermenter 412 Produktisolation 307 Produktkonzentration 307 Produktpreis 477 Produktqualität 402, 405 Produktreinigung 307 Produktspezifikation 417 Proenzym 53 Prokaryot 7-10 Prolin 27f Promotor 50 Propionsäure 48 prosthetische Gruppe 41 Proteinbiosynthese 54 proteinchemische Aufarbeitung 412 Proteindenaturierung 76 Proteindesign 63-65 Proteine 4f, 12 Aufbau 26-31 Coenzyme 40 Cofaktoren 40 Denaturierung 31 Disulfidbrücke 29f ionische Bindung 29 isoelektrischer Punkt 32 lytische 14 Metallchelatkomplex 30 pH-Optimum 31 pH-Wert 31-33 Phosphorylierung 53 posttranslationale Modif ikation 13 Primärstruktur 28 Quartärstruktur 28 Sekundärstruktur 28 Temperaturabhängigkeit 32f Tertiärstruktur 28 protein engineeringg 63 Proteinfunktion 30 Proteinlöslichkeit 307 Proteinstruktur 30 Proteomanalyse 407 Protonengradient 47 proven acceptable ranges (PAR) 404 Prozesscharakterisierung 404, 415 Prozessdesign ((process design) 414 Prozessentwicklung 344-368, 401
systematische 364-368 Prozessgrenze 418 Prozesslage 416 Prozessleitsystem (PLS) 418 Prozessmodell 286 Prozessmodellrauschleistungsmatrix 286 Prozessmonitoring 399, 416 Prozessparameter 398 Prozessqualifizierung (process ( qualification) 414f Prozessqualität 402 Prozesstransfer 409 Prozess-Utilities 411 Prozessvalidierung 414 Prozessverifikation 416 Pseudomonas 486 aeruginosa 485 putida 492f Puls 119 Pulsmethode 120 purification fingerprintt 367 Purification Performance Indexx 367 Purinbase 2-4 P yrimidinbase 2-4 Py rococcus furiosus 34 Pyruvat 44
Q QbD (quality by design) 402 quasi-stationärer Zustand 71 Querstromfiltration 132
R Rabinowitsch-Mooney-Beziehung 155 Raffinat 336 Rahmenfilterpresse 301 RAMOS-Technik 227 Random-Bi-Bi-Mechanismus 95 Rapid-Equilibrium-Annahme 71 Rapid-Equilibrium-Random-Bi-BiMechanismus 96 RAS-Proteine 522 Raum-Zeit-Ausbeute 419, 493 Reaktion endergone 36 exergone 36 gekoppelte 41 Thermodynamik 37 Reaktionsführung 103 Reaktionsgeschwindigkeit 79, 109, 430 Reaktionsgleichgewicht 436, 453, 455
538 Reaktionslaufzahl 69 Reaktortypen 428 Redoxelektrode 270 Redoxreaktion 47 Regelalgorithmus 290 Regelgröße 289 Regelkreis 190, 289 biologischer 51 Regelungstechnik 263, 288 Regressionsmodell 286 Regulation Genexpression 51-53 negative 55 Reibungsbeiwert 194 reine organische Lösungsmittel 452 Reinheit 367 Reinheitsklasse 413 Reinigungsvalidierung 416 Reklonierung 380 rekombinante DNA-Technologie 427 rekombinante Proteine 481 Rekombination 20 Relationenpostulat 176 Relaxationsverfahren 78 Relaxationszeit 171 Replikation 3f repräsentative Scherrate 159–162 repräsentative Viskosität 159, 177, 182f, 187, 192, 194 repräsentativer Radius 160 Residuenmatrix 288 Resistenz 61 respiratorischer Quotient 47, 135 Restriktionsenzyme 59 Retardationszeit 171, 180f Retention 448 revers micellare Systeme 451 reverse Micellen 454 reversed-phase-Chromatographie 352 reversible Enzymreaktion 89 Reversionsreaktion 459 Reynoldszahl 161, 175, 177-179, 181f, 194, 196, 444 Rezeptorprotein 52 Rezirkulationsverhältnis 132 Rhamnolipid 485f Ribonucleinsäure (RNA) 4 Ribosom 5f, 8, 13 Ribozym 6 Risikoanalyse 408 risk priority numberr (RPN) 408 RNA-Polymerase 50f Roboter-Plattform 365 Robustheit 417 Röhm, O. 427 Röhrentrommel 297
Sachregister
Rohrreaktor 146 idealer 429, 432 rotating wall vessel reactorr 224 Rotationsviskosimeter 164 rRNA 5 Rückhalt 318 Rücklaufverhältnis 449 Rührer-Rheometer 161 Rührerspitzengeschwindigkeit 409 Rührkesselreaktor (STR) 146, 199 idealer 429 Rührung 393 Rührwerksgeometrie 304 Rührwerkskugelmühle 303 Rüstwechsel 420
S Saccharomyces cerevisiae 16, 101, 136, 482, 497 Satzbetrieb 102, 289 Sauerstoff 266 Sauerstofflöslichkeit 184, 267 in Wasser 184 Sauerstoffoptode 278 Sauerstoffpartialdruck 263, 267 Sauerstofftransferleistung 131 Sauerstoff-Transp ortkoeffizient 189 Sauerstoffverbrauch 188f Säugetierzelle 373 scaffolds 224 Scale-down-Modell 404 Scale-up 401 -Kriterium 409 scCO2 487 scFv-Fragment 387 Schätzfehler(ko)varianz 284, 286 Schaum 232f Schaumbildung 233 Schaumvermeidung 233 Schaumzerstörung 233 chemische 233 mechanische 233 thermische 233 Schaumfraktionierung 314 Schereffekt 76 Scherrate 151, 163, 169 Scherung 162f, 166, 184 Schizosaccharomyces pombe 482 Schlaufenreaktor 210 Airlift 211 mit äußerem Umlauf 211 mit innerem Umlauf 211 mit Propeller 211 Schlüssel-Schloss-Prinzip 31 Schmidtzahl 178, 190, 444 Schubspannung 151f
S cores 288 second generation process 421 second messengerr 53 S edimentation 296 segregierter Messwert 263 sekundäres Stoff wechselprodukt 480 S elektion 20, 378 S elektionsmarker 61 selektive Membran 436 selektiver Produktaustrag 436 S elektivität 80, 318, 436 semip ermeable Membran 450 S ensor 263 S ensorsystem 263 separate Filtrationseinheit 449 Separation Cost Indicatorr 368 S erin 27 S erum-Ersatzstoff 389 S everinghaus-Prinzip 269 sexuelle Vermehrung 17 Sherwoodzahl 178, 184, 187, 190, 444 shiftt 120 -Methode 120 Sicherheitsstufe 410 Siebfiltration 298 Signaltransduktion 520 Signaltransduktionsweg 56 simulated moving bed chromatographyy (SMB) 358 single-use-Bioreaktor 281 single-use-S ensor 281 sinusförmig oszillierendes Scherexp eriment 162 size-exclusion chromatographyy 355 S oftsensor 284 S olventextraktion 336 S onnenlicht 218 SP2/0-Zelle 383 Spannungsrelaxationszeit 165, 171, 179f spektroskopischer Sensor 265, 275 spezielles Produkt 479 spezifische Reaktionsgeschwindig keit 430, 432 spezif ische Teilungsrate 112 spezifische Wachstumsgeschwindigkeit 106f spezifische Wachstumsrate 106 Spinnerflasche 224 Spinodalkurve 317 Spleißen 13 Sporeninaktivierung 239 16S-rRNA 7 Stammzellen 224, 226 Standard Operating Procedure (SOP) 418 Stantonzahl 192-194
539
Sachregister stationäre Phase 349 stationäre Rohrströmung 154 Staustrahlströmung 305 steady state 115 -Annahme 71 Stellgröße 289 Sterilbedingung 248 Sterildesign 249 Sterilfilter 255, 298 Sterilfiltration 301 Sterilgrenze 247 Sterilisation 396 sterilisation in place (SIP) 248, 413 Steuerung 290 Stimulation von Zellen 225 stirred tank 198 stöchiometrischer Faktor 430 Stofftransferlimitation 113 Stofftransport an Grenzflächen 183 Stofftransportkoeffizient 177, 190f Stofftransportlimitierung 442–446 Stoffübergang 177-191, 395 Stoffwechsel 41-49 Energiegewinnung 41 Stokes’sches Gesetz 296 Störgrößenregelung 289 Strahlschlaufenreaktor (SSR) 212 Strategie zur Prozessentwicklung von Aufarbeitungsverfahren experimentelle Ansätze 364 hybride Methoden 364 modellbasierte Ansätze 364 wissensbasierte Ansätze 364 Streptomyces tendae 232 Strömungspotenzial 299 Strömungsrohr 429 Strouhalzahl 165 Strukturgen 3 submerser Membran-Bioreaktor (SMBR) 322 Submersverfahren 490 Substrat 99 Substratkettenphosphorylierung 46 Substratüberschussinhibierung 435 Substratverbrauchsgeschwindigkeit 109 Summationstheorem 517 supercritical fluid extraction 342 superkritische Fluidchromatographie 358 superkritische Fluidextraktion 342 Support 317 Suspensionskultur 393 Suszeptibilität 266 Svedberg-Einheit 8 synthetische Biologie 509 synthetische Membran 316 Systembiologie 407
T Taq-Polymerase 63 Tellerseparator 297 Temperatur 139 Temperaturfühler 263 Tenside 454, 460 Terminologie von Cleland 95 ternäres Phasendiagramm 454 Theorell-Chance-Mechanismus 96 π-Theorem 176 theoretischer Boden 350 Theorie der Oberflächenerneuerung 185 Thermodynamik 41 thermodynamische Gleichgewichtskonstante 456 thermodynamisches Gleichgewicht 70, 455 Thermokonvektion 347 Thermus aquaticus 10, 63 Thielemodul 189, 445 Thioester 39 Threonin 27 Thymin 2-4 Tiefenfilter 400 Tiefenfiltration 298 Tissue Engineering 223 Perfusionsreaktor 224 rotating wall vessel reactorr 224 Spinnerflasche 224 statische Kultivierung 224 Tonoplast 13 total turnover numberr 68 Toxizität 139, 492 trägerfixierter Mikroorganismus 214 trägergestützte Flüssigmembrantrennung 330 Trajektorie 130 Transducer 279 Transduktion 19 Transferase 35 Transformation 19, 60, 376, 378 transgene Pflanze 386 transgenes Tier 386 Transglykosylierung 55 Transientexperiment 120 Transkription 5f Translation 5f, 50 transmembraner Fluss (TMF) 322 Transportprotein 54 Transposon 21 Trennfaktor 349 Trenngrenze 318 Trennstufenzahl 349 Triosephosphat-Isomerase 45
Triplett Codon 3 „Drei-Buchstaben-Code“ 3 tRNA 5 Trockengewicht 172f Trouton-Viskosität 166 Tryptophan 27 Tumorzelle 376 Turbidimetrie 273 turbidimetrische Sensoren 273 Turbidostat 118 turbulente Austauschgröße 194f turbulente Strömung 194 turbulente Wärmeleitzahl 194 turbulente kinematische Viskosität 194 turbulentes Strömungsprofil 432 Turmbiologie 498 turn-around-Zeit 419 turnover frequencyy 68 Typen plug flow w 198 stirred tank 198 Tyrosin 27 T-Zelle 375
U überkritische Fluide 464 überkritische Flüssig keit 441 überkritische Gase als Extraktionsmittel 342 Überlaufprodukt 136 Überlaufreaktion 134 Überschwing weite 293 Ultrafiltration 323, 439 Umgebungsbedingung 73 Umsatz 80, 146, 148 Umsatzkurve 79 unkompetitive Hemmung 87 UNIFAC-Methode 459 unit of activityy 68 unspezif ische Interaktion 351 Upstream Processingg 410 Uracil, RNA 4f Ur-Eukaryot 20 Ur-Prokaryot 20
V Vakuole 13 Validierung 414 Valin 27 van-Deemter-Gleichung 350 Van-der-Waals-Wechselwirkung 29, 308
540 variable Viskosität 152 Vektor 60-62 Verdopplungszeit 16, 111 Verdrängungschromatographie 361 Verdünnungsrate 104, 115 Veresterung 460 Verfahrensqualifizierung 415 Vermehrung, sexuelle 17 Vermeidung 233 Verteilungschromatographie 355 Verteilungskoeffizient 338, 456 experimentalle Bestimmung 340 Verzugszeit 293 Viren 7, 14f Virionen 14 Virusabreicherung 412 Virusinaktivierung 412 viskoelastisch 153 viskoelastische Flüssigkeit 162 Viskoelastizität 167, 173, 187f, 193 Viskosität 151, 473 Vitamine 40 Voigt-Kelvin-Modell 180 Voigt-Modell 171 volumetrische Produktivität 131 Vorschrift (Standard Operating Procedure) 418
Sachregister wässrig/wässriges Zweiphasensystem 451 wässrige Zweiphasenextraktion 337 wässriges Zweiphasensystem zur Zelltrümmerabtrennung 338 Wave Bioreactor 222 WCB 411 Weberzahl 178, 191 Wechselzahl 68 Weissenbergzahl 179, 181, 195 Wertstoff 217 Widerstandsbeiwert 177, 195 Widerstandsverminderung 182 Wirbelschichtreaktor 214, 395, 433 Wirkstoffanlage 410 Wirkstoffherstellung 410 Wirkungsgrad 442 Wirtszelllinie 378 Womersley-Parameter 165, 175
X x-D-Diagramm 116
Z W Wachstum 99 exponentielles 113 lineares 113 Wachstumsassoziation 133 Wachstumsfaktor 56f Wachstumskurve 112 Wachstumsmodell 105 Wandwachstum 231 Wärmeübergang 191-195 viskoelastischer Fluide 194 Wärmeübertragung 191 Wasser 24f Ionenprodukt 25 Wasseraktivität 73 Wasser-in-Öl-Emulsion 453 Wassermolekül 24 Wasserstoffbrückenbindung 24, 29 Wasserstoffperoxid 13 wässrig/organisches Zweiphasensystem 451, 453
zeitabhängige Desaktivierung 464 Zellabtrennung 400 Zellatmung 46f Zellaufschluss 302 Zellbank Masterr 381 Post-Production 381 Safetyy 381 Workingg 381 Zellbiologie 1-21 Zelldifferenzierung 1 Zellen chemische Energiegewinnung 23 Dimensionen 23f diploide 18 einzelzellige 99 eukaryotische 7 filamentöse 141 haploide 18 kleinste lebende Einheit 1 molekulare Bausteine 25-30 offenes System 2
prokaryotische 7 Regulation 49-58 Zellernte 296, 412 Zellfusion 18, 376 Zellkern 8, 11-13 Zellklon 376 Zellkomplexität 274 Zellkultivierung dynamische 224 statische 224 Zellkultivierungsmethode 392 Zellkulturmedien 388 chemisch definierte 391 serumfreie 389 serumhaltige 388 Zelllinie 376 Zellmembran 8, 185 Zellmorphologie 274 Zellorganellen 12 Zellpopulation 99 Zell-Produktivität 117 Zellreifung 376 Zellrückhaltung 131f, 396 Zellstruktur 25 Zellteilung 16-19 Zelltypen 7 Zellwachstum 99, 106 Zellzustand 263 Zellzyklus 16 Zentrifugation 296, 400 Zetapotenzial 299 Zirkondioxidsensor 266 Zonenelektrophorese 347 Zufallsmutagenese 63 Zufallsrekombination 64 Zulaufgeschwindigkeit 129 Zulaufsatzbetrieb 289 Zulaufverfahren 104f, 129, 492 Zustandsgröße 102, 119, 263, 284 Zustandsvariable 100 Zweif ilmmodell 185 Zweifilmtheorie 185 Zweiphasenprozess 487 Zweiphasensystem 455 zweiphasiges Reaktionssystem 486-488 Zweipunktregler 290 Zygote 19 zyklische AMP (cAMP) 52, 56 Zylinder-Couette-Strömung 155f Zymogen 31, 53