Ulrich Schaal Das strategische Management von Contentrechten
The Business of Entertainment. Medien, Märkte, Managemen...
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Ulrich Schaal Das strategische Management von Contentrechten
The Business of Entertainment. Medien, Märkte, Management Herausgegeben von Klaus-Dieter Altmeppen Katja Lantzsch Andreas Will
Die Unterhaltungsindustrie wird ökonomisch und kulturell immer bedeutender. Dies belegen steigende Umsätze im Unterhaltungssektor und die wachsende Zahl entsprechender Angebote, wie zum Beispiel der hohe Anteil unterhaltender Programme im Fernsehen. Die Erforschung der Unterhaltungsindustrie avanciert somit zu einem bedeutsamen und anspruchsvollen, wissenschaftlich bislang jedoch wenig beachteten Aufgabenfeld der Medien- und Kommunikationswissenschaft. Ausgeblendet blieben bisher vor allem die relevanten Akteure, ihre Strategien und die Strukturen eines milliardenschweren Marktes, dessen Marktergebnisse darüber entscheiden, welche Medienangebote die Gesellschaft rezipiert. In der Reihe „The Business of Entertainment. Medien, Märkte, Management“ werden Beiträge publiziert, die dieses Forschungsdesiderat beheben und die verschiedenen Perspektiven des Unterhaltungsgeschäfts beleuchten. Mit der Reihe werden sowohl die Rolle der Medienunternehmen als auch die Merkmale von Märkten und die Aufgaben des Medienmanagements thematisiert. Behandelt werden Fragen der Organisation des Unterhaltungsgeschäfts und die strategischen Antworten des Managements auf Marktveränderungen ebenso wie die Bedingungen der Unterhaltungsindustrie oder die Folgen von weltweiten Verflechtungen für die Medienvielfalt.
Ulrich Schaal
Das strategische Management von Contentrechten Schlüsselherausforderung für audiovisuelle Medienunternehmen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der TU Ilmenau
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17285-9
Danksagung
Mein Dank gilt in allererster Linie Herrn Prof. Dr. Andreas Will, der mich in meinem Promotionsvorhaben von Anfang an gefördert und in der Präzisierung der Aufgabenstellung unterstützt sowie bei der Ausarbeitung der Dissertation eng begleitet hat. In Seminaren, Lehrveranstaltungen und bei Gastvorlesungen konnte ich immer wieder an der TU Ilmenau präsent sein und erfuhr in vielen Gesprächen und Diskussionen wertvolle Unterstützung. Dafür danke ich auch den Mitgliedern des Doktorandenkolloqiums, die mich jederzeit offen und mit großer Hilfsbereitschaft aufgenommen haben, insbesondere Dr. Katja Lantzsch, Jens Köster und Daniel Schultheiss. In vielen gerade für einen extern Promovierenden essentiellen Fragen haben sie mir jederzeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Dank geht auch an Dennis Brüntje, der in der Schlussphase meiner Arbeit viele administrative Fragen vor Ort für mich klären konnte und an Manuela Dienemann, die mit Geduld und Geschick viele organisatorische Fragen beantwortete. Für die Übernahme des Zweitgutachtens bin ich Herrn Prof. Dr. Sven Jöckel von der Universität Erfurt sehr dankbar, den ich bereits im Doktorandenkolloquium kennenlernen durfte und von dessen wichtigen Ratschlägen und Anregungen ich stark profitierte. Herzlicher Dank geht auch an Prof. Dr. Frank Lobigs, der freundlicherweise das Drittgutachten übernahm. Ulrich Schaal
Inhaltsverzeichnis
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
1
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
1.1 1.2 1.3
Gegenstand und Problemstellung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Ziele und Relevanz der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2
Contentrechte-Management als Kernkompetenz . . . . . . . . . . . . . .
23
2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.5.6 2.6 2.6.1 2.6.2 2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.8 2.9
Der Begriff der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufiger Arbeitsbegriff „SMCR“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Contentrechte im Fernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urheberrechte als Basis der Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung von Contentrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rechtesituation der TV- und Produktionsbranche . . . . . . . . . . . . . Positionierung der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sendeunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Produktionsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . US-Filmstudios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die prä-digitale Ära . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die digitale Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Bezugsrahmen des Strategischen Managements . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen des strategischen Managements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationstheoretische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Refokussierung von Managementansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renaissance der „Resource-based view“ (RBV) . . . . . . . . . . . . . . . . . Capability-based view . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Knowledge-based view . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kernkompetenzen, Wissen, Schlüsselerfolgsfaktoren . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 24 25 28 28 32 39 44 44 46 48 50 50 51 53 54 57 59 59 62 63 67 73
8
Inhaltsverzeichnis
3
Bedeutung der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3
Medientheoretische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Postmoderne und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dekonstruktion von Wertschöpfungslogiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interaktion und Diversifiziertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Angriff auf die Massenmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ökonomie der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskontinuitäten in der Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lock-In: Sicherungsstrategien der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . „Business Web“: Kooperationen und Allianzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 75 82 85 86 90 90 98 102
4
Disruptionen in der Fernsehindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
4.1 4.2 4.3 4.4
Innovationen und Innovationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die disruptive Innovation nach Christensen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Case: Disruption in der Musikindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innovation, Wandel und Unternehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Zwischenfazit: Erfolgsfaktor Contentrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
6
Modelle strategischen Rechtemanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.4.1 6.2.4.2 6.2.5 6.2.6 6.2.7
Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prototypisierung integrierter Rechteprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Notwendigkeit eines neuen Rechtemanagement-Ansatzes . . . . . . Der tradierte, protektive Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DRM, DRMS und Content Protection . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue, kooperativ-kreativ-innovative Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Reframing positions“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Second-level production“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisatorische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normstrategien des SMCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung und Verhandlungsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Empirie: Methodik und Studiendesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
7.1 7.2 7.2.1 7.2.2
Konkretisierung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Szenarioanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursprung der Szenariomethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109 113 119 123
131 134 134 136 137 138 139 141 146 150 151
153 154 154 158
Inhaltsverzeichnis
7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.3.1
9
7.3.3.2 7.3.3.3 7.3.3.4 7.3.3.5 7.3.3.6 7.3.3.7 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3
Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methode: Qualitative Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablaufmodell der Inhaltsanalyse in sieben Schritten . . . . . . . . . . . . . . Detaillierung der einzelnen Arbeitsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition des zu analysierenden Materialkanons: Beschreibung des Kommunikationsmodells, Variablen der Textproduktion, Hintergründe der Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Entstehungssituation – allgemeiner Produktionskontext . Formale Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltliche Charakteristika und Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richtung der Analyse – Differenzierung der Fragestellungen . . . . . . . Durchführung mithilfe definierter Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchung der Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundäranalytisches Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PEST-Kriterien als Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl der Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163 163 166 168
8
Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
8.1 8.1.1 8.1.1.1 8.1.1.2 8.1.2 8.1.2.1 8.1.2.2 8.1.3 8.1.3.1 8.1.3.2 8.1.4 8.1.4.1 8.1.4.2 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.2.1 8.2.2.2 8.2.2.3 8.2.2.4
Die Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische Determinante: Der rechtliche Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionierung der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftliche Determinante: Markt und Konjunktur . . . . . . . . . . . . Darstellung der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionierung der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziologische Determinante: Änderungen der Mediennutzung . . . . . . Darstellung der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionierung der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technologische Determinante: Status digitaler Innovation . . . . . . . . . Darstellung der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionierung der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die kommentierende Branchenpublizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen der Phasenmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase der Verdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär? . . . . . . . . . . . . . . . . . „Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse . . . . . . . . . . . . . Das SMCR und die Rolle der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung des TV-Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168 171 175 177 179 182 185 186 186 189 189
193 193 193 201 202 202 207 208 208 214 215 215 218 218 219 222 222 223 225 227
10
Inhaltsverzeichnis
8.2.2.5 8.2.3 8.2.3.1 8.2.3.2 8.2.3.3 8.2.3.4 8.2.3.5 8.2.4 8.2.4.1 8.2.4.2 8.2.4.3 8.2.4.4 8.2.4.5 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.4
Dimensionierung der „Phase der Verdrängung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase der Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär? . . . . . . . . . . . . . . . . . „Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse . . . . . . . . . . . . . Das SMCR und die Rolle der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung des TV-Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionierung der „Phase der Akzeptanz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase der Aktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär? . . . . . . . . . . . . . . . . . „Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse . . . . . . . . . . . . . Das SMCR und die Rolle der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung des TV-Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionierung der „Phase der Aktion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Akteurs-Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär? . . . . . . . . . . . . . . . . . „Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse . . . . . . . . . . . . . Das SMCR und die Rolle der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung des TV-Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionierung der Interview-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synopse und Dimensionierung der Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . .
229 229 230 231 233 234 238 239 239 239 241 243 244 244 244 247 249 256 262 263
9
Szenario-Writing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
Das privatfinanzierte Fernsehen: Trendszenario 2015 . . . . . . . . . . . . . Die deutsche TV-Produktionsbranche: Trendszenario 2015 . . . . . . . . . Das öffentlich-rechtliche TV: Trendszenario 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . Die Printbranche: Trendszenario 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintrittswahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Fazit, Schlussfolgerungen und Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
267 270 272 275 276
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25:
Produktionsländer der Fiction-Angebote 2007 . . . . . . . . . . . . . Rekonfiguration des „Windowing“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissensgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kernkompetenz-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moore’sches Gesetz am Beispiel von Intel-Prozessoren . . . . . . Unterschiedliche Kooperationsrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . Beschleunigungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zerstörung der Musik-Wertschöpfungskette . . . . . . . . . . . . . . . Visualisierung der Erfolgsfaktoren eines integrierten SMCR . Grobmodell einer organisatorischen Implementierung von SMCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisatorische Schnittstellen des strategischen Rechtemanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensinterne Verankerung des Rechtemanagements . . Normstrategien zum Aufbau von SMCR . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiedliche Szenariomethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Szenariotrichter nach Geschka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablaufmodell nach Mayring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstitution von Argumentationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der Kulturwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderung Anteile Werbung pro Mediengattung . . . . . . . . . . Erfolg von Videowerbung im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nutzungstrends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Substitutionspotential neuer Medien an der TV-Nutzung . . . . . Disintermediationstendenzen durch die Digitalisierung in der TV-Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerätebesitz bei Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phasenanalogie zu Veränderungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . .
49 53 65 68 94 106 112 120 134 146 147 149 150 160 162 167 180 203 205 206 210 210 211 213 220
1
Einführung
1.1
Gegenstand und Problemstellung der Arbeit
Keine andere technologische oder wirtschaftliche Entwicklung hat die Medienbranche so dramatisch umgewälzt und umgestaltet wie die Digitalisierung – und tut es noch. Geschäftsmodelle und Prozesse, die Organisation der Wertschöpfung und die basalen wirtschaftlichen Strategien stehen in einem fortwährenden Veränderungsprozess, dessen Ende auch heute, im Jahr 2010, noch nicht absehbar ist. Gemäß ihrer universellen binären Logik hat die digitale Revolution als „Zergliederungs-“ und „Vereinfachungs“-Technologie nicht nur Medienprodukte und ihre Herstellung verändert, sie hat auch ebenso fragmentierend und rekombinierend in das Verhältnis aller Branchenbeteiligten zueinander eingegriffen und die Beziehungen grundlegend umgestaltet. Dieser Entwicklung muss sich auch die TV-Branche stellten: Als bislang dominanter Anbieter von audiovisuellem Content, insbesondere von Information und Entertainment-Inhalten, wird das Medium Fernsehen unter den Vorzeichen der Digitalisierung Zielobjekt der medienintegrierenden Kraft des Internets, das, bedingt durch immer höhere Prozessorleistungen und den beschleunigten Datentransfer zunehmend zu einem – nicht nur aus Sicht der Mediennutzer – Konkurrenzmedium für das analoge Fernsehen wird. Bewegtbildbasierte Anwendungen und Inhalte im Internet wenden sich hinsichtlich ihrer Nutzung ebenso wie hinsichtlich ihrer Vermarktbarkeit unmittelbar gegen tradierte Strukturen des Fernsehmarktes. Das verändert diesen Markt und seine Wertschöpfungsstrukturen. Diese Transformation betrifft alle Ebenen und Stufen der Wertschöpfung, von der Beschaffung bis zum Vertrieb. Rechte als Rohstoffe der televisionären Wertschöpfung gewinnen dabei an Relevanz. Die Veränderung ist kein betriebswirtschaftliches Einzelphänomen, sondern ein alles erfassender kultureller Vorzeichenwechsel, der auch und gerade die eigentlichen Subjekte des Medienkonsums durchdringt und durchläuft: Zuschauer, User, Hörer, Leser. Medienperzeption, Medienwirkung und Medienproduktion werden ausnahmslos und vollständig von neuen, von der Digitalisierung ausgehenden Gesetzmäßigkeiten erfasst und damit einer neuen technologischen wie wirtschaftlichen Logik unterworfen. Die teilweise bis vollständige Fragmentierung der medialen Produkte und Inhalte „traditioneller“ Mediengüter in neue Bausteine und Module schafft die Voraussetzung für eine bislang unbekannte Rekombinationsfähigkeit nicht nur dieser Endprodukte, sondern auch aller für ihre Herstellung notwendigen
14
1 Einführung
davor und danach gelagerten Prozesse. Die Entwicklung wird begleitet von einer „Babylonisierung“ der Kommunikation an den sich fortgesetzt vervielfältigenden hochdiversifizierten Interfaces zwischen „alter“ analoger und „neuer“ digitaler Welt sowie an deren Schnittstellen hin zu den menschlichen Konsumsubjekten. Die Wucht der digitalen Veränderung trifft die einzelnen Branchen in den Medien unterschiedlich hart und zu verschiedenen Zeitpunkten. Bedingt durch den – für Digitalisierungstendenzen besonders anfälligen – hohen Grad an technologischer Komplexität wie durch Nutzungsanalogien z. B. beim bewegten Bild ist die Fernsehbranche offenkundig stark vom Wandel betroffen. Die Anzeichen verdichten sich, dass die Umwälzungen durch die Digitalisierung möglicherweise zu neuen Strukturen und Machtverhältnissen in der bisherigen traditionellen TV-Industrieorganisation führen werden. Spiegel (2006) spricht von einem „unmittelbaren Betroffensein“ der traditionellen Medien durch die Veränderungen und verweist auf die Gefahr der „Inflation der Werthaltigkeit ihres Contents.“1 Spiegel verweist vor dem Hintergrund der Veränderung auf die Bedeutung der „Wachstumskomponenten“. Nach seiner Ansicht wird langfristiger wirtschaftlicher Erfolg in der Medienbranche nur zu erreichen sein, wenn – anders als in der Vergangenheit – Produktivitätssteigerungen mit Umsatzsteigerungen einhergehen. Spiegel fokussiert daher auf die Suche nach internen „Erfolgsfaktoren für Wachstum in der Medienbranche“. In der TV-Industrie befinden sich die Branchenbeteiligten mitten in einem umfassenden, sich bereits über Jahre ziehenden Veränderungsprozess. So wenig dies von den Branchenbeteiligten heute noch (grundsätzlich) bestritten wird, so unterschiedlich sind immer noch die einzelnen Strategien. Tabscotts Plädoyer (1996), die Massivität der Auswirkungen als Prämisse für ein Verständnis des Wandels zu akzeptieren, ist in vielen öffentlichen Selbsteinschätzungen der Branche noch nicht angekommen: „Ein derart drastischer Wandel der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen hat auf unserem Planeten zuvor nur einige wenige Male stattgefunden. Er bringt jedes Unternehmen dazu, weit über Umstrukturierungsmaßnahmen hinauszudenken, wenn es darum geht, die eigenen Strukturen zu verändern.“2 Aus managementtheoretischer Sicht führt die Digitalisierung zu großen Herausforderungen. Bedingt durch das Tempo der Veränderung und den Anpassungsdruck auf Organisationen wie Einzelne rückt 1
Vgl. Spiegel, Andreas (2006): Wachstumsstrategien in der Medienbranche, 1. Auflage, Wiesbaden, S. 6ff. 2 Vgl. Tapscott, Don (1996): Die digitale Revolution, Wiesbaden. Tapscott referenziert in seinem Standardardwerk vor allem auf die Bedeutung der „vernetzten Intelligenz“ als einem der Schlüsselerfolgsfaktoren für die digitale Zeit. Dem Wissenserwerb, -erhalt und -management kommt dabei nach seiner Ansicht große Bedeutung bei. Für die vorliegende Untersuchung ist vor allem jener Ansatz von Relevanz, Wettbewerbsfähigkeit in der digitalen Welt als Folge einer ressourcenbasierten Strategie zu interpretieren.
1.1 Gegenstand und Problemstellung der Arbeit
15
das „Management des Wandels“ in den Vordergrund. Die Nutzbarmachung von Wissen und Kompetenz wird dabei, wie zu zeigen sein wird, eine Schlüsselrolle für die Fähigkeit zur Steuerung der Prozesse spielen, die geprägt sind von der Atemlosigkeit des Wandels und den sich weiter beschleunigenden Anforderungen, die exponentieller technischer Fortschritt mit sich bringt. Produktdiversifikation und die Erschließung neuer Märkte in oft sich überschlagender Kurzfristigkeit zwingen die Medienbranche, die Wirksamkeit und Wucht des Internets als das zentrale, alle anderen Medien integrierenden „Meta-Medium“ zu überdenken. Im Zuge dieser Bewusstseinswerdung verändert sich der Blick auf die Bedeutung der unterschiedlichen Stufen „traditioneller“ Wertschöpfung. Folgt man der Definition von Spiegel (2006) wonach „Medienunternehmen (…) ökonomische Institutionen (sind), welche sich mit der Produktion, Aggregation, Vervielfältigung und dem Vertrieb von auf bestimmte Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Informations- und Unterhaltungsgütern befassen“, dann wird rasch deutlich, dass die Digitalisierung auf allen von Spiegel genannten Ebenen der Wertschöpfung bereits in die tradierten Abläufe eingreift. Die Dekonstruktion dieser tradierten Abläufe der klassischen Wertschöpfung in der Medienbranche legt es in vielen Fällen nahe, über eine – hypothetische oder bereits vollzogene – Rückwärtsintegration in der Wertschöpfung Marktmachtaspekte zu berücksichtigen.3 Im Zuge von solchen, extern erworbenen und/oder internprozessualen Rückwärtsintegrationen, rücken „Rohstoffe“ der Medienindustrie mehr und mehr in den Mittelpunkt der Betrachtung: Content und Rechte. Rechte spielen innerhalb der medialen Wertschöpfung eine zentrale Rolle. Über die systematische Erfassung von Rechten können die Endkundenprodukte juristisch, wirtschaftlich und strategisch beschrieben werden. In der Fernsehbranche wird zum Beispiel in Verträgen über eigen- bzw. fremdproduzierte oder eingekaufte TVFormate definiert, welche Lizenzeinräumungen und Nutzungsrechte vorliegen. Daraus ergibt sich unmittelbar, was mit dem (ursprünglichen) Produkt und/oder den Rechten am Produkt in welchen Märkten und auf welchen Vertriebswegen gemacht werden kann. Die Wahrnehmung von Rechten als Rohstoff blieb – noch bis vor wenigen Jahren – aber einseitig fokussiert auf das jeweilige „Kerngeschäft“, mit einer „Kernnutzung“ – bezogen auf die Fernsehindustrie im Wesentlichen der Free-TVVerbreitung. Dies änderte sich in der jüngsten Vergangenheit. Siegert/von Rimscha 3
Die Literatur definiert eine Rückwärtsintegration als das Hinzufügen einer den bisher bereits vorhandenen Produktionsprozessen vorgelagerten Wertschöpfungsstufe. Dieses Hinzufügen kann durch Akquisition erfolgen, aber auch durch Netzwerk-Kooperationen oder Verträge. Als Hauptvorteile einer Rückwärtsintegration gelten sinkende Gesamtkosten, Diversifikationsspielräume, erhöhte Wettbewerbsfähigkeit, Minderung der Marktmacht von Lieferanten und/oder Kunden sowie eine höhere Kontrolle über den gesamten Wertschöpfungsprozess.
16
1 Einführung
(2008) verweisen auf die gestiegene Bedeutung von Rechten u. a. in der Unterhaltungsindustrie: „Wenn Unterhaltungsinhalte von TV-Sendern nicht selbst produziert werden, dann müssen sie über den Markt beschafft werden, und im Handel spielen ebenso wie in der Produktion Rechte eine elementare Rolle.“4 Zwar gab es seitens der Rechteeinkäufer immer das Bestreben, möglichst viele Rechte zu erwerben, insbesondere was die Zahl möglicher Ausstrahlungen, das Lizenzgebiet sowie die Lizenzzeit anbetraf, die meisten Überlegungen auf dieser Wertschöpfungsstufe waren jedoch eindimensional verkürzt auf die alles bestimmende Relevanz der Verwertung im Free-TV. Mit der Digitalisierung hat sich in der Fernsehindustrie die bisherige Eindimensionalität in der Rechtefrage zur immer differenzierteren Multidimensionalität unabhängiger oder aufeinander bezogener Rechte für immer neue (digitale) Produkte und Plattformen erweitert. Das ursprüngliche aus wenigen wirklich notwendigen Rechten bestehende Fernsehprodukt muss unter den Vorzeichen der Digitalisierung heute aus einem komplizierten Katalog von Rechten zusammengesetzt sein, die sowohl einen Multiplattformeinsatz erlauben, wie auch – durch Fragmentierung und Rekomposition – die Schaffung neuer aus den Bestandteilen der ursprünglichen Produkte. Fernsehformate als Mediengut müssen seither als Integrationsprodukt modularer Contentrechte verstanden werden, deren Dekomposition oder Rekonfiguration die Herstellung zahlenmäßig unbegrenzter neuer Produkte für prinzipiell unbegrenzte digitale Vertriebswege erlaubt. Diese Anforderung erfasst unternehmensorganisatorisch unterschiedliche Ebenen, Einheiten und Abteilungen. Contentrechte können nicht länger als rein juristisches oder rein inhaltliches oder rein wirtschaftliches Phänomen verstanden werden. Vielmehr ist zum strategischen Management dieser medialen Rohstoffe ein neuer, ganzheitlicher, Unternehmensbereiche übergreifender Ansatz notwendig, der auf den ersten Blick neue Kompetenzen und Organisationsformen zu erfordern scheint. Der Umgang mit Rechten und der Umgang mit über Rechte definierten und beschreibbaren Inhalten rückt damit auch theoretisch in den Mittelpunkt der Wertschöpfungsanalyse: Aus einer vorgelagerten Stufe in der der TV-Wertschöpfung, die bislang keine besondere Aufmerksamkeit verlangte, hat sich ein zentraler Schlüsselerfolgsfaktor für die digitale Welt entwickelt. Dabei verändert sich die wirtschaftliche Bedeutung der Rechte dramatisch: Die digitalen Medien, deren unterschiedliche Plattformen und Vertriebswege unterschiedliche Geschäftsmodelle aufweisen (die gemessen zum Beispiel an der milliardenschweren Werbefinanzierung des privaten Fernsehens zunächst vergleichsweise geringe Erlöse erwirtschaften) warten mit in der Regel hohem Wachstum auf. Diese 4
Siegert, Gabriele und von Rimscha, Bjørn (2008): Zur Ökonomie der Unterhaltungsproduktion. Halem-Verlag, Köln, S. 19.
1.1 Gegenstand und Problemstellung der Arbeit
17
Wachstumsmärkte sind hungrig auf neue mediale Produkte. Deren rechtliche und kreative Definition, ihre Ausgestaltung und ihre intelligente Nutzung werden zu entscheidenden Parametern für das Potential bislang nur im Fernsehen verwerteter Produkte und für damit mögliche Wachstumsfantasien. Die strategische „Bewirtschaftung“ von Rechten und Inhalten vor dem Hintergrund der Digitalisierung wird damit zu einer der zentralen Herausforderungen an das Management, die in der geforderten neuen Ganzheitlichkeit in der Literatur noch keine Entsprechnung findet. Picot (2003) umreißt die Aufgabe aus einer vorwiegend technisch geprägten Sicht: „Mit der Veränderung dieser Rechte, der technisch-organisatorischen Rahmenbedingungen und der anhaltenden Entwicklung von Technologie, Märkten und individuellen Verhaltensweisen treten veschiedene Fragestellungen auf, die durchaus fundamental sind: etwa das Verhältnis zwischen Urheberrecht und Informationsrecht der Öffentlichkeit, aber auch die Frage, in welcher Weise überhaupt noch ein Urheberrecht in Zukunft durchsetzbar ist und die Frage, welche technisch-organisatorischen Lösungen die Zukunft uns über das, was wir jetzt erkennen können, hinaus anbietet, ohne die Anreizwirkung zu verlieren. Und schließlich die Frage, was bedeuten solche und ähnliche Entwicklungen für die Entwicklung der Informations- und Medienmärkte der Gegenwart und der Zukunft? Wie werden diese Märkte aussehen können vor dem Hintergrund des skizzierten Problemaufrisses?“5
Hofmann (2001) verweist darauf, dass „in dieser Situation (…) zur nachhaltigen Erfolgssicherung ein strategisches Management notwendig (ist). Noch weniger als bei anderen Strukturbrüchen kann das sich auf die Extrapolation von Vergangenheitswerten beziehen. Jede Orientierung von Entscheidungen an bereits erkennbaren Erfolgswirkungen ist im Umfeld der derzeitigen Netzwerk-Technologien viel zu spät. Daraus folgt, dass in dieser Situation ein strategisches Management als geistiger Prozess, der sich in einer vorausschauenden Grundhaltung im Rahmen hochaggregierter Kategorien widerspiegelt, verstanden werden muss. Im Vordergrund steht daher das Erkennen von Risiken, Trends, Entwicklungen etc. Die (…) heute erkennbaren Entwicklungspotenziale müssen also so gut wie möglich ergründet und sichtbar gemacht werden. Durch Reduzierung der Komplexität und Überführung in beherrschbare Kategorien sollten Maßnahmen im Sinne einer Vorsteuerung entwickelt werden.“6
Die Verfügbarkeit von auswertbaren Content-Rechten wird vor diesem Hintergrund zu einer Frage der unternehmenseigenen Kompetenzen. Je mehr Auswertungsrechte ein Mediengut begleiten, desto größer ist seine potentielle Verwertbarkeit in unter5 6
Picot, Arnold (2003): Digital Rights Management, Springer-Verlag, Berlin, S. 2. Vgl. Hofmann, Ulrich: Netzwerk-Ökonomie, Heidelberg, 2001, S. 3. Der von Hofmann verwendete Begriff „Netzwerk-Technologien“ ist nicht rein technisch zu deuten. Vielmehr sind darunter auch virtuelle immaterielle Netzwerke zu verstehen als neue Form der Organisation von Wertschöpfungssystemen.
18
1 Einführung
schiedlichen Märkten und auf unterschiedlichen Distributionswegen. Rechte als Rohstoff für Inhalte stehen damit am Anfang jeder Verwertung, eine Tatsache, die von vielen Marktteilnehmern mittlerweile erkannt worden ist7, deren managementtheoretische und betriebliche Organisation aber bislang nicht ausreichend untersucht scheint. Die Untersuchung des Themas in dieser Arbeit erfolgt also vor einem Hintergrund einer kritisch betrachteten – aber offenkundig noch nicht behobenen – Vernachlässigung dieser speziellen Managementherausforderung in der Medienindustrie. Dies hatte Sambeth (2003) bereits konstatiert: „Inhalte stellen für die meisten Medienunternehmen eine kritische Ressource dar, trotzdem werden ihr Wert, ihre weiteren Nutzenpotentiale, aber auch ihre Gefährdung in Zeiten der Digitalisierung und der Verfügbarkeit leistungsfähiger elektronischer Netzwerke oftmals noch nicht ausreichend berücksichtigt.“8 Sambeth bezieht sich u. a. auf Rosenblatt, der bereits 1998 festgehalten hatte, dass „content owners are realizing that they have a fiduciary responsibility to maintain digital content and treat it as assets. (…) Considering how mission-critical content is, most media companies have done terrible jobs in managing it properly“ (zitiert nach Sambeth).
1.2
Ziele und Relevanz der Arbeit
In der vorliegenden Arbeit sollen der oben beschriebene Gegenstand und die Problemstellung vor dem Hintergrund eines managementtheoretischen Ansatzes untersucht werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die im Umbruch befindliche Fernsehbranche in Deutschland den Wandel in Bezug auf Inhalte und Rechte gestalten kann. Die Untersuchung des Themas geschieht vor einem schwierigen analytischen Hintergrund. Die Dramatik und das Tempo der Veränderung haben es weder in der wissenschaftlichen Literatur noch in aktuellen Studien und (ohnehin seltenen) Selbstäußerungen von Unternehmen zugelassen, eine Art von (auch nur vorläufiger) Erkenntnisbilanz zu formulieren. Vielmehr geschieht die Betrachtung der Vorgänge 7
In einem Interview mit Blickpunkt Film hat zum Beispiel Uli Aselmann (Stellvertretender Gesamtvorstand und Sektionsvorstandsvorsitzender Kino in der Allianz Deutscher Produzenten) die gewandelte Sicht von Produzentenseite skizziert: „In einer digitalen Welt stellen Produzenten in erster Linie Rechte her. Ein Gut, das heute immer mehr wert wird, und deshalb müssen wir unsere Wertschöpfungskette neu gestalten.“ In: Blickpunkt Film, 7. 7. 2008, S. 9. 8 Sambeth, Frank (2003): Das Corporate Center in der Medien- und Kommunikationsindustrie. Eine wertorientierte Analyse. Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 237.
1.2 Ziele und Relevant der Arbeit
19
in einem Zustand großer Unsichtigkeit. So gibt es weder umfassende Untersuchungen zur Theoriebildung im Rahmen der Veränderung, noch kann – aus vielerlei Gründen (u. a. jenen der Geheimhaltung, der eigenen Unsicherheit und der Befangenheit) – auf die das Thema ganzheitlich reflektierenden (Eigen-) Darstellungen von Unternehmen zurückgegriffen werden. Der Analyseprozess ist vielmehr darauf angewiesen, zunächst selbst Theoriebildung und vor allem Verortung innerhalb bestehender theoretischer Konstrukte zu leisten. Außerdem muss ein Ansatz der Zusammenschau und der Verdichtung jener das Thema berührenden Studien, Kommentierungen und Äußerungen gefunden werden, die allgemein und jedermann zugänglich sind. Dieser Ansatz muss in der Lage sein, die bislang disparat vorliegenden Teilaspekte in ein ganzheitliches Bild zu integrieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die betrachteten Marktteilnehmer mitten im Prozess der Veränderung stecken und selbst Teilbilanzen des Prozesses einen Anteil von Zufälligkeit und Willkürlichkeit aufweisen. Selbst die großen Medienhäuser Deutschlands befinden sich inmitten eines Prozesses des Change Managements mit dem Ziel, neue und dem Tempo und der umwälzenden Kraft der Digitalisierung adäquate Routinen und Standardprozesse zu entwickeln. Als neue, notwendig gewordene Ressource und Kompetenz befindet sich daher auch das Management von Content und Rechten, also die unternehmerisch gesteuerte, systematische Verwertung von Inhalten und Rechten im digitalen Zeitalter inlusive der Verankerung neuer Geschäftsmodelle und Verbreitungsformen in Verträgen und Prozessen – so scheint es – mitten in einer Experimental- und Implementierungsphase. Nach dem Gesagten kann festgestellt werden, dass auch der Fernsehmarkt – auch in Bezug auf Inhalte und Rechte – mitten in der Bewältigung der Herausforderung durch die digitalen Innovationen steht. Die Auseinandersetzung darüber, wie künftig Content und Rechte genutzt werden können, steht dabei an zentraler Stelle. Es geht um nicht weniger als eine Neubestimmung der Rollen aller Beteiligten an einer sich verändernden Wertschöpfung. Das strategische Management von Rechten kann einer der Schlüsselerfolgsfaktoren dabei werden. Das strategische Management der beteiligten Unternehmen muss auf diese Herausforderung reagieren. Die vorliegende Arbeit setzt sich das Ziel, die beim Thema diagnostizierbare Lücke in der wissenschaftlichen Forschung zu bearbeiten und den Versuch zu unternehmen, das Thema des Managements von Contentrechten als Teil einer allgemeinen Theorie des strategischen Managements im Rahmen der Medienökonomie zu bestimmen. Es bietet sich dabei an, nicht nur mittels einer Ist-Analyse den Status quo zu beschreiben, sondern im weiteren Verlauf auch Szenarien für eine mögliche Entwicklung in den nächsten Jahren abzuleiten. Diese Szenarien sollen in einem empirischen Teil mit einer qualitativen Analyse der Branchenberichterstattung und von Branchenakteursinterviews kontrastiert und damit validiert werden.
20
1 Einführung
Zusammengefasst setzt sich die vorliegende Arbeit also – mindestens – folgende Ziele: 1. Zunächst einmal soll die ökonomische und managementpraktische Bedeutung des Themas des „strategischen Managements von Contentrechten“ untersucht und, wenn möglich, als erfolgskritischer Faktor insbesondere für die Aufgaben der Bewältigung der digitalen Revolution herausgearbeitet und der Versuch unternommen werden, prima facie erkennbare Forschungslücken zu schließen. Diese Herausforderung gilt insbesondere auch für die Aufgabe, in umfassender Form das Thema des strategischen Managements von Contentrechten ganzheitlich zu beschreiben und Vorschläge für eine belastbare Neudefinition der Begrifflichkeiten zu erarbeiten. 2. Dazu muss das Thema in der ökonomischen Theorie verankert werden. Die vorliegende Arbeit will diesbezüglich Vorschläge machen, die insbesondere dazu in der Lage sein sollen, die Besonderheiten der Umbruchsituation durch die digitale Revolution mitabzubilden. 3. Im empirischen Teil soll die TV- und Produktionbranche in Deutschland auf die Realitäten des Umgangs mit dem strategischen Management von Contentrechten untersucht werden mit dem Ziel, nicht nur einen Bewußtseinsstand abzubilden, sondern auch Argumentations- und Handlungsmuster erkennbar zu machen, die die konkrete Managementtätigkeit und mithin das gesamte wirtschaftliche Handeln prägen. 4. Auf Basis dieser Erkenntnisse soll eine spezifische Szenarioanalyse für einen bestimmten Prognosezeitpunkt mögliche „Zukünfte“ beschreiben, in die sich die wichtigsten untersuchten Teilbranchen hinentwickeln könnten und zwar unter Fokussierung auf die analysierten und definierten Mittel und Methoden eines strategischen Managements von Contentrechten.
1.3
Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
Wie angedeutet, lassen sich für das Gebiet des strategischen Managements von Content-Rechten in der Medienbranche Forschungsdefizite aufzeigen. Eine Analyse des Forschungsstands in diesem Bereich zeigt, dass es weder genaue Beschreibungen dieser frühen Wertschöpfungsstufe gibt, noch dass sich im Bereich der Medienökonomie detaillierte Untersuchungen finden, die generische Strategieansätze mit einer beschreibenden informationsorientierten Analyse verbinden. Dafür scheinen verschiedene Gründe ursächlich zu sein. Wie Popp/Parke/Kaumanns (2008) deutlich machen, wurde das strategische Management von Contentrechten in Medienunternehmen lange Zeit als „Verwaltungsaufgabe“ gesehen und der durch die Digitalisie-
1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
21
rung ausgelöste Wandel hin zum geschäftskritischen Charakter der damit verbundenen Prozesse unterschätzt. Dementsprechend schwach ausgeprägt war auch das Interesse der Forschung und der Managementtheorie, diese Entwicklungen abzubilden.9 Herausforderung für die vorliegende Untersuchung ist es daher, das Thema des strategischen Managements von Contentrechten sowohl innerhalb der wirtschaftswissenschaftlichen Managementtheorie zu verankern, wie erstmalig zu verbinden mit einer umfassenden Beschreibung der Thematik vor dem Hintergrund der digitalen Revolution. Der Mangel an systematisierten Untersuchungen zum Thema hängt neben einem sich erst in den letzten Jahren herausgebildeten Relevanzzuwachses auch mit dem bereits erwähnten hohen Tempo der Entwicklung und der Veränderung der Märkte zusammen, deren wissenschaftliche Aufarbeitung zwangläufige eine gewisse zeitliche Verzögerung erfährt. Allerdings existieren medientheoretische und medienwirtschaftliche Arbeiten, die einzelne Aspekte der Rechteverwertung und insbesondere der Veränderung der Wertschöpfungsprozesse analytisch darstellen. Insbesondere zu spezifischen Diversifikationsprozessen innerhalb einzelner Medienbranchen gibt es relevante Studien. Nur vereinzelt aber gibt es Erkenntnisse und abgeleitete Verfahrensbeschreibungen, die den Prozess in seiner jetzigen Realität für das TV-Geschäft und die deutsche Fernsehproduktionsbranche abbilden. Ebenso fehlt eine analytische Verbindung von empirischer Status quo-Darstellung mit Theorie und mit abstrahierenden Typisierungen von Rechteverwertungsprozessen (und zwar sowohl hinsichtlich der Beschreibung von medialen Produkten, von Rechtebeschreibungen und -Definitionen). Anzuknüpfen wäre dabei auch die Verbindung zwischen dem TV-Produktionsprozess und der Auswertungslogik in neuen digitalen Märkten. Die vorliegende Arbeit soll dies ändern. Sie wird versuchen, aus dem Bestand der öffentlich zugänglichen Informationen zum Thema konkretes unternehmerisches Handeln zu beschreiben und mit einem theoretischen Rahmen zu verbinden, der ein neues und erweitertes Verständnis der Prozesse hinsichtlich ihres geschäftskritischen Charakters ermöglicht. Über die Verortung in einem theoretischen Rahmen soll daher zunächst einmal die wirtschaftliche aber auch inhaltliche Bedeutung von Rechten als dem „Rohstoff“ der gesamten Medienwirtschaft verdeutlicht werden. Dabei sollen die klassischen Wertschöpfungsketten ebenso analysiert werden, wie die Spezifika der neuen tech9
Vgl. dazu im Folgenden Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 453ff.
22
1 Einführung
nologischen Grundlagen. Dabei wird das Management von Contentrechten als integraler Bestandteil eines ressourcenbasierten Managementansatzes verstanden. Strategisches Rechtemanagement und Rechteverwertung können in der Folge als Schlüsselerfolgsfaktoren innerhalb des Anpassungsprozesses an die digitale Revolution beschrieben werden. Die Arbeit möchte aber einen Schritt über die theoretische Verortung und beschreibende Analyse hinausgehen. So soll die Frage gestellt und beantwortet werden, ob sich und wenn ja, in welchem Umfang, Szenarien für die Geschäftsprozesse der unterschiedlichen Marktteilnehmer entwickeln lassen, die eine begründete Aussage hinsichtlich ihrer Zukunftsfähigkeit im Bereich des Managements von Contentrechten ermöglichen. Für die Bestimmung der Szenariodeterminanten wird dabei zunächst eine PEST-Analyse der bestimmenden Umweltfaktoren erarbeitet. Dazu werden die jeweils aktuellsten vorliegenden Studien ausgewertet, gewichtet und dimensioniert. Dieses Verfahren wird ergänzt durch eine qualitative Inhaltsanalyse von rund 300 spezifischen Dokumenten der Fachpublizistik zum Thema, die sich aus Fachkommentaren und öffentlichen Interviews von Branchenprotagonisten zusammensetzt. Die Ergebnisse sollen zunächst als eigenständiges Forschungsresultat zur Darstellung der Selbstwahrnehmung einer ganzen Branche beschrieben werden. In einem zweiten Schritt sollen sie den Ergebnissen der Determinanten-Dimensionierung gegenübergestellt werden, um dadurch die Qualität der zu erstellenden Szenarien zu verbessern.
2
Contentrechte-Management als Kernkompetenz
2.1
Der Begriff der Digitalisierung
Digitalisierung ist ein schillernder Begriff. Er wird in zahlreichen Definitionszusammenhängen und Varianten in wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen Umgebungen benutzt. Zur Nutzbarmachung im Rahmen dieser Untersuchung ist es an dieser Stelle jetzt schon notwendig, eine für die Entwicklungen und Veränderungen in der TV-Branche des vergangenen Jahrzehnts adäquate vorläufige Begriffsbestimmung vorzunehmen. Dabei ist es geboten, den ursprünglichen (technisch geprägten) Begriffskern auf eine Gegenstandsbeschreibung zu weiten, die auch die wirtschaftlichen und soziokulturellen Implikationen der digitalen Veränderung einschließt. Nach Heinrich (2001) bedeutet Digitalisierung in einem technisch-basalen Sinne, „Informationen in eine Folge von binären Zeichen (0 und 1) zu verwandeln“.10 Bezogen auf das Medium Fernsehen werden dabei Bild- und Tonsignale „auf elektronischem Weg zerlegt“ und auf ihren Weg als binäre Strom- und Lichtimpulse geschickt. Erst im Endgerät des Empfängers werden die Signale dann wieder rekomponiert und gegebenenfalls gespeichert. Digitalisierung kann vor diesem (technischen) Hintergrund also im Wesentlichen als ein Prozess der Zergliederung und Desintegration von Information und ihrer späteren Rekonfiguration, Speicherung und Verwertung beschrieben werden. Puppis (2007) betont, dass dabei die Digitalisierung zu einer „Konvergenz der hinter Rundfunk und Telekommunikation stehenden Technologien (führt)“, was „die Übertragung jeden Inhaltes über jeden Verbreitungskanal ermöglicht.“11 Neben dieser technischen Eigenschaftsbeschreibung der Digitalisierung treten mittelbare und nicht in erster Linie technische, sondern vor allem organisatorische und organisatorisch-soziale Folgen. Sie lassen sich nach Pagel (2003) insbesondere an einem veränderten Umgang mit den Inhalten festmachen. Direkte Auswirkungen der Digitalisierung sind dabei nach seinen Worten „eine Differenzierung des Medienangebots, die ohne Qualitätsverluste mögliche Bearbeitung, der leichtere Marktzugang für Kommunikatoren und insbesondere die erleichterte Mehrfachverwertung des Contents.“12 Wirtz (2003) betont die ökonomischen 10
Heinrich, Jürgen (2001): Medienökonomie. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2. Auflage, S. 196f. 11 Puppis, Manuel (2007): Einführung in die Medienpolitik, Konstanz, S. 233. 12 Pagel, Sven (2003): Integriertes Contentmanagement in Fernsehunternehmen, Wiesbaden, S. 32.
24
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Implikationen und spricht von einer nachhaltigen Beeinflussung des Medienmarktes durch die Digitalisierung. Er konstatiert, dass „bei den alten Medien ein kreatives Umdenken“ notwendig wird.13 Beispielhaft weist Wirtz darauf hin, dass es durch die digitale Angebotsvielfalt in den Märkten zu Überangebotsituationen kommen kann. Karmasin/Winter (2002) fokussieren mehr auf eine Industrieperspektive und jene in dieser Industrie Handelnden. Ihrer Ansicht nach ist die „Pointe der Digitalisierung (…), dass (der) Strukturwandel nicht innerhalb der Medienbranchen stattfindet, sondern von außen, von der Telekommunikations- und der Computerbranche evoziert ist.“14 Zerdick et al. weiten schließlich den Begriff der Digitalisierung in jene Richtung, die in dieser Arbeit weiterverfolgt werden soll, indem sie darauf verweisen, wie sehr die Digitalisierung die „Arbeitsteilung und rechtlichen Hierarchien zwischen den klassischen Autoren- und Urhebergruppen“ verändert hat und neue Berufe und Prozesse geschaffen werden.15 Durch die Digitalisierung werde insbesondere die Kontrolle über die Werkintegrität, die Vervielfältigung und die Verbreitung „ungemein“ erschwert. Digitalisierung kann und soll also in dieser Arbeit explizit nicht als reine technische Begrifflichkeit aus dem Bereich von Datenverarbeitung und Datenspeicherung verstanden werden, sondern als ein komplexes wirtschaftliches und gesellschaftliches Phänomen, das gravierende – und in letzter Konsequenz noch nicht abschätzbare – Folgen für die gesamte Wertschöpfung der Branche hat: Sie reichen von veränderten Mediennutzungsgewohnheiten bis hin zu desintegrierten traditionellen Wertschöpfungsmechanismen.
2.2
Vorläufiger Arbeitsbegriff „SMCR“
In der einschlägigen Literatur gibt es keine konsistente und den Anforderungen dieser Untersuchung entsprechende Definition für das Management von Contentrechten. Ein wichtiges Ziel der vorliegenden Arbeit ist es also, eine solche Definition zu entwickeln. Dies geschieht – nach entsprechender Herleitung – im Kapitel 6. An dieser Stelle ist es jedoch jetzt schon sinnvoll, einen Arbeitsbegriff zu entwickeln und zu umschreiben, der den Gegenstand grob umreißt und ihn – auch in Form einer Abkürzung – lesefreundlich verwendbar macht. Das „strategische Management von 13
Wirtz, Bernd W. (2003): Handbuch Medien- und Multimediamanagement, Wiesbaden, S. 252. Karmasin, Matthias & Winter, Carsten (2002): Grundlagen des Medienmanagements, München, 2. Auflage, S. 27. 15 Zerdick, Axel & Picot, Arnold et al.(2004): E-Merging Media: Kommunikation und Medienwirtschaft der Zukunft, Heidelberg, S. 331. 14
2.3 Contentrechte im Fernsehen
25
Contentrechten“ soll daher in einem ersten Schritt als eine Form unternehmerischen Denkens und Handelns verstanden werden, die innerhalb der Medienindustrie (im Speziellen der TV-Branche) darauf abzielt, Rechte (z. B. Urheber- und Nutzungsrechte) als wichtige betriebswirtschaftliche Größe zu begreifen, die am Anfang der Wertschöpfung stehend auschlaggebend für zahlreiche weitere nachgelagerte Prozesse ist. Das „strategische Management von Contentrechten“ kann dabei mit den Initialen der Begriffsworte als „SMCR“ abgekürzt und im Folgenden hinsichtlich der weiteren notwendigen Definitionspräzisierungen als innerhalb der Argumentation fortwährend zu schärfender Arbeitsbegriff verwendet werden.
2.3
Contentrechte im Fernsehen
Wie in der Einführung skizziert, erfahren Contentrechte im Fernsehen und ihr Management in der TV-Industrie vor dem Hintergrund der Veränderungssituation in den Medien einen signifikanten Relevanzzuwachs. Im Prozess der Digitalisierung der Inhalte muss dabei zunächst ein definitorisches Unschärfeproblem thematisiert werden: Welche Inhalte sind denn unter dem multimedial integrierenden Einfluss der Digitalisierung wirklich originäre Fernsehinhalte, wie unterscheiden sie sich grundsätzlich von anderen Inhalten? Fernsehinhalte lassen sich auf unterschiedlichste Art und Weise beschreiben. Inhalte können zum Beispiel als narrative Elemente bestimmter in zeitlicher Linearität ablaufender Entertainment- und/oder Informationsformate verstanden werden oder als kreative Produkte, hinter denen singuläre Ideen stehen oder als betriebswirtschaftliche Größen, die sich in Länge, Produktionskosten, Kapitalisierbarkeit oder Programmierbarkeit fassen lassen. Fernsehen wird in der Literatur mehrdimensional beschrieben. Die vielen unterschiedlichen Facetten von Fernsehen werden in der Regel über einen multiperspektivischen Ansatz abgebildet. Kerninhalt des Fernsehens, so lässt sich näherungsweise definieren (aber nicht nur des Fernsehens) ist der Film, also das bewegte Bild. Es lässt sich nur theoretisch abgrenzen vom unbewegten Bild (Still), da Fernsehen technisch eine 24-Frames/Minute-Versendung von seriell aneinandergereihten Standbildern darstellt. Abgrenzen lässt sich dieses als Film perzipierte „bewegte Bild“ aber von anderen Medienproduktkategorien, wie dem im Zusammenhang mit dem bewegten Bild verwendeten aus gesprochenen oder geschriebenen Wörterns bestehenden Text, der Musik, oder von dramaturgischen, publizistischen oder bildkompositorischen Elementen. Erst die Komposition dieser aus unterschiedlichen kreativen Elementen und inhaltlichen Kategorien zusammengesetzten Produkte ergibt den Inhalt des gesendeten Fernsehsignals. Definitionen von Fernsehen integrieren oft primär technische Ansätze, die Fernsehen zum Beispiel
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2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
definieren als „drahtlose oder kabelgebundene Übertragung von Bildern bewegter und unbewegter Objekte mit zugehörigem Begleitton für einen großen, mit entsprechenden Empfangsgeräten ausgestatteten Teilnehmerkreis. Mittels Bildaufnehmern in der Fernsehkamera werden bei zeilenweiser Abtastung die Bilder in elektrische Signale umgewandelt, verstärkt und durch die ebenfall elektrischen Ton- und Synchronsignale ergänzt.“16 Wegner (2007) versteht unter Fernsehen „audiovisuelle Unterhaltungs- und Informationsprogramme (…). Es handelt sich dabei in der Regel um Massenmedien zur Übermittlung und Wiedergabe von Bild- und Tonsignalen.“17 Die rezeptionstheoretische Sicht ergänzt die Fernseh-Definition um einen funktionalen Ansatz, der das Wechselspiel zwischen Sender und Empfängern von Botschaften thematisiert. Hickethier (1999) rückt in seiner Rezeptionsgeschichte das „spezifische Dispositiv“ in den Vordergrund, mit dem beim Fernsehen die Wahrnehmung beeinflusst wird. Nach seinen Worten ist (analoges) Fernsehen die Folge eines sich gegenseitig bedingenden und beeinflussenden Geflechts, das bestimmt, „was wir als Zuschauer wahrnehmen.“ Teil dieses Geflechts sind gesetzliche Grundlagen, Darstellungsmittel, Technik „und nicht zuletzt auch die Apparat-MenschRelation.“18 Zusammenfassen lassen sich die multiperspektivischen Ansätze in einer für diese Arbeit zunächst sinnvollen Verkürzung. Bewegtes Fernsehbild soll dabei verstanden werden (und zwar vor der Digitalisierung) als eine audiovisuelle Signalintegration in ein informierendes oder unterhaltendes Gesamt(„kunst“)werk, aus dem die einzelnen Inhaltsbestandteile in der analogen Medienwelt nicht zu lösen sind. Das ändert sich unter den Vorzeichen der Digitalisierung. Bewegtes Bild im Fernsehen in Form eines bestimmten Bundlings digitaler Signale ist nun nichts anderes mehr als eine hochspezifische Auswahl und definitorische Festlegung aus einer theoretisch unbegrenzten Menge an Rekombinationsmöglichkeiten von Daten, deren vielfältige neue Gesamtheiten eine Vielzahl von neuen Fernsehinhalten ermöglicht. Nach der Überführung bestimmter kodierter Inhalte in ein einheitliches digitales Grundformat ist es nach Knappe (2003) möglich, „unterschiedliche Medien zu mischen (sog. Multimedia). Spricht man von digitalen Gütern (…) so wird damit eine Digitalisierung im Bereich der Printmedien, und der elektronischen Me16
Meyers Lexikon (2008): Fernsehen. Zitiert nach URL: http://lexikon.meyers.de/meyers/ Fernsehen, abgerufen am 2. 9. 2008. 17 Wegner, Christian: Das Geschäftsmodell Free TV. In: Werner, Christian (Hrsg.) (2007): Handbuch Medienmanagement. Handbuchreihe des internationalen Hochschulverbunds, Utz-Verlag, München, S. 12. 18 Vgl. dazu Hickethier, Knut: Rezeptionsgeschichte des Fernsehens – ein Überblick. In: Klinger, Walter/Rothers, Gunnar/Gerhards, Maria (Hrsg.): Medienrezeption seit 1945. Forschungsbilanz und Forschungsperspektiven, Baden-Baden, S. 191ff.
2.3 Contentrechte im Fernsehen
27
dien, wiederum unterteilt in audiovisuelle und auditive Güter, beschrieben.“19 In den digitalen Playout-Centern, wie sie bei den großen TV-Sendern bereits implementiert sind oder implementiert werden, ergibt sich Fernsehen somit als modulares Produkt unterschiedlicher medialer Quellen: Bestimmte sich bewegende Bildinhalte („Film“) werden auf der Zeitachse mit sich nicht bewegenden Inhalten („Stills“, Grafiken), Ton- und/oder Musikspuren gemäß einer an der gelernten Fernsehästhetik orientierten „Partitur“ harmonisiert und zur Ausstrahlung gebracht.20 Das Hinzufügen von Inhalten oder ihr Entfernen stellt in der digitalen Welt nichts weiter dar als einen Knopfdruck oder einen Klick mit der Maus. Fernsehinhalte werden damit digitale audiovisuelle Integrationsprodukte, deren Integration aber i. d. R. nicht mehr zu analogen physischen Trägerprodukten führt, sondern neue virtuelle Produkte ausformt im Rahmen von Datenparallelisierungen, deren sichtbares Ergebnis dann als das ausgespielt wird, was aus der analogen Welt vertraut ist: Fernsehen. Dieses Fernsehen lässt sich vor dem Hintergrund des Gesagten und unter Verweis auf Brösel (2002) in Bezug auf Contentrechte nun als modulares Medium verstehen: „Das Fernsehprogramm ist sowohl das Produkt privater als auch öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmungen und ergibt sich als Kombination einzelner audiovisueller Medienrechte sowie anderer Produktionsfaktoren. 19
Knappe, Carolyn (2003): Die deutsche Fernsehindustrie: Eine Analyse der Wettbewerbsstrategien vor dem Hintergrund zunehmender Digitalisierung von Medien. Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln, Heft 179, S. 33f. Technisch gesehen, so Knappe, bedeutet „der Prozess der Digitalisierung von Medien (…) im Wesentlichen eine technische Veränderung, nämlich den Wandel von analogen in digitale Signale. Die elektrischen Spannungen werden in Zahlenwerte umgewandelt, denen der binäre Code mit den Ziffern 0 und 1 zugrunde liegt.“ 20 Jüngstes Beispiel dafür ist die On-Air-Schaltung des neuen digitalen Playout-Centers der ProSiebenSat1 Media AG am 24. 4. 2009, das in der Fachpresse intensiv besprochen wurde: „Das sei ein wichtiger Schritt zur umsetzung der unternehmenseigenen „TV 3.0“-Strategie, sagte Fernseh-Vorstand Andreas Bartl. Darunter versteht der Konzern die umfassende Verbreitung und Vermarktung seiner Inhalte auf allen Medienplattformen wie klassischem Fernsehen, Internet und Handy. Die ProSiebenSat.1 Produktion als technischer Dienstleister der Gruppe stellt mit dem Playout Center alle internen Abläufe vom Eintreffen des Materials bis zur Ausstrahlung um. Künftig müssen Mitarbeiter nicht mehr ein Sendeband von einer Abteilung zur nächsten von Hand weiter reichen und schrittweise an Schnittplätzen bearbeiten. Auch das zeitaufwändige mehrfache Einspielen und Ausspielen von Bändern entfällt. Stattdessen spielt ein Mitarbeiter angeliefertes Material nur einmal in ein digitales Archiv, den sogenannten Material Pool, ein. Dabei wird es in ein standardisiertes Datei-Format umgewandelt. Noch während des Einspielens können Mitarbeiter verschiedener Abteilungen zeitgleich auf die Datei zugreifen und die Bilder bequem von ihrem Arbeitsplatz aus sichten und bearbeiten.“ Zitiert nach URL: http://satundkabel.magnus.de/medien/artikel/prosiebensat-1-eroeffnet-neues-playout-center-voll-digitale-sendeabwicklung.html. Abgerufen am 29. 4. 2009.
28
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Die audiovisuellen Medienrechte sind dabei die Bausteine des Fernsehprogramms (Hervorhebung durch den Autor, U.S.)“21
2.4
Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
2.4.1
Urheberrechte als Basis der Wertschöpfung
Medienprodukte sind das Ergebnis eines langen und komplexen Prozesses der Wertschöpfung. Betrachtet man deren erste Stufen und vergleicht die dort notwendigen Prozesse mit den Endprodukten, wird deutlich, dass Medienprodukte aus rechtlicher Sicht bereits auf einer frühen Stufe der Wertschöpfung als Summe verschiedener Urheber-, Leistungsschutz- und Nutzungsrechte beschrieben werden können. Drehbuchautoren, Journalisten, Moderatoren, Regisseure, Kameramänner und -frauen, Komponisten und viele unmittelbar Beteiligte mehr – alle tragen durch ihre schöpferische Arbeit zum Entstehen des TV-Medienprodukts bei und die von ihnen überlassenen Nutzungseinräumungen an ihren Urheberrechten ermöglichen es Sendeunternehmen, die erstellten Produkte in aus eigener Kraft definierten neuen inhaltlichen Sende-Umgebungen, einem eigenem Bundling und Packaging als Fernsehen unter eigenem Namen auszustrahlen. Kreation und physische Herstellung von Fernsehen werden so zu Beginn der eigentlichen Wertschöpfung von Schaffenden und Produzenten (im weitesten Sinne) getragen, die durch ihre kreative Leistung auch im rechtlichen Sinne als Urheber der Produkte angesehen werden können. Da Urheberrechte gesetzlich prinzipiell nicht übertragen werden können, sichert sich „das Fernsehen“ die Verwendbarkeit der urheberrechtlichen Leistung durch die Einräumung von Nutzungsrechten, ein Schritt der als wesentlicher wertschaffender ökonomischer Faktor verstanden werden muss. Urheberrechtsinhaber besitzen durch die Gesetze eine prinzipiell starke Stellung. Im deutschen „persönlichkeitszentrierten Urheberrechtsdenken“ (Schweikart, 2004)22 liegt dabei anders als in der anglo-ame21
Brösel, Gerrit (2002): Medienrechtsbewertung. Der Wert audiovisueller Medienrechte im dualen Rundfunksystem. DUV-Verlag, Wiesbaden, S. 46. 22 Vgl. dazu Schweikart, Philipp (2004): Die Interessenlage im Urheberrecht, Dissertation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, S. 21ff. „Das Urheberrechtsgesetz vom 9. 9. 1965 bildet den vorläufigen Abschluß einer Gesetzgebungsgeschichte, die von einer immensen Aufwertung der Urheber und ihrer Werke gekennzeichnet ist. Besonders deutlich läßt sich dies anhand der Entwicklung der Schutzdauer ablesen, die sich seit dem Urheberrechtsgesetz von 1870 mehr als verdoppelt hat. Doch auch die inzwischen ausnahmslose Durchführung des Schöpferprinzips gemäß § 7 UrhG sowie die Leitbildfunktion, die das Urheberpersönlichkeitsrecht erhalten hat, bestätigen die tendenzielle Erhöhung des Urheberstatus.“
2.4 Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
29
rikanischen Tradition der Schwerpunkt nicht auf dem Investitionsschutz des Werkes selbst, sondern auf dem Schutz der persönlichen Rechte der Urheber. Das macht die Urheber zu prinzipiell starken Akteuren innerhalb der Wertschöpfung der von ihnen entwickelten Produkte. Medienprodukte sind Mediengüter, die sich von realwirtschaftlichen Gütern in wesentlichen Punkten unterscheiden. Fernsehen als Mediengut kann zunächst einmal verstanden werden, als „Kuppelprodukt aus Unterhaltung/Information und Werbeinhalten, (das) damit gleichzeitig zwei Märkte adressier(t): den Zuschauer- und den Werbemarkt. Mediengüter (sind) vollständig digitalisierbar, werden bei mehrfacher Nutzung nicht verbraucht (Prinzip der Nichtrivalität des Konsums) und zeichnen sich bei steigender Ausbringungsmenge durch sinkende Durchschnittskosten aus.“23 Brack (2003) sieht in Mediengütern Güter, „deren primärer Nutzen aus einer immateriellen Komponente mit unterhaltender und/oder instrumentell-informierender Funktion entsteht. Das vollständige Mediengut entsteht also erst durch die massenhafte Vervielfältigung dieser einzigartigen immateriellen Komponente, des Medieninhalts.“24 Dieser immaterielle Medienhalt ist Folge und Produkt eines schaffenden geistigen und/oder kreativen Prozesses und fällt damit unter den Schutz unter anderem des Urheberrechts. Das Urhebergesetz (UrhG) hat das grundsätzliche Ziel, geistiges Eigentum zu schützen und zielt prinzipiell ab auf Werke der Literatur, der Wissenschaft und der Kunst. Der urheberrechtliche Schutz stellt nach Lobigs (2005) innerhalb der Theorie der Intellectual Property Rights (IPR) einen Strang dar, der dem „Schutz (…) von Werken“ dient, „in denen Informationen sowie geistige und künstlerische Ideen und Konzepte einen originellen Ausdruck gefunden haben.“25 Allerdings genießen originäre publizistische Konzepte „keinen rechtlichen Exklusivitätsschutz durch das Urheberrecht oder andere Formen von IPR.“26 Dies hat konkrete inhaltliche Gründe, die im operativen Geschäft der TV-Industrie von hoher Relevanz sind. Wichtigste Voraussetzung für die Anwendung von Urheberrechtsschutz stellt die sogenannte „Schöpfungshöhe“ des Werkes dar, ein in der juristischen Diskussion immer wieder neu kritisch kommentierter Begriff, der mittels bestimmter Kriterien 23
Wegner, Christian: Das Geschäftsmodell Free TV. In: Werner, Christian (Hrsg.) (2007): Handbuch Medienmanagement. Handbuchreihe des internationalen Hochschulverbunds, Utz-Verlag, München, S. 12. 24 Brack, Anke (2003): Das strategische Management von Medieninhalten. Gestaltungsoptionen für die langfristige Erfolgssicherung in Medienmärkten. Gabler-Verlag, S. 12. 25 Lobigs, Frank (2005): Medienmarkt und Medienmeritorik – Beiträge zur ökonomischen Theorie der Medien. Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, S. 160. 26 Ebenda, S. 164.
30
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
versucht, den Gedanken- und Gefühlsinhalt eines Werks zu bewerten und abzustecken, inwieweit das Werk tatsächlich vom individuellen Geist des Urhebers geprägt ist. Nach Schweikart (2004)27 setzt sich die Schöpfungshöhe aus drei Komponenten zusammen: der persönlichen Schöpfung, der geistigen Schöpfung und der Individualität. Loewenheim (1999) führt ein weiteres Kriterium an: Die wahrnehmbare Formgestaltung.28 Sind diese Grundvoraussetzungen gegeben, dann „gewährt das UrhG dem Urheber zum Schutze seiner ideellen und materiellen Interessen hieran absolute subjektive Ausschließlichkeitsrechte und verschafft ihm dadurch gegenüber Dritten eine Monopolstellung.“29 Diese Monopolstellung verleiht dem Urheberrechtsinhaber die Berechtigung, anderen zu untersagen, das Werk – in welcher Form auch immer – zu nutzen, um sich und seine eigenen Interessen dadurch zu schützen. Bis auf einige Ausnahmen gilt das Urheberrecht bis siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers. Urheberrechte sind zudem nicht übertragbar, das heißt, sie können als eigentliches Recht selbst nicht veräußert werden. Allerdings, und dieser Fall ist bei den Medienprodukten der wichtigste, können Nutzungsrechte an den Urheberrechten eingeräumt werden, auch vollständige Nutzungsrechte, ein Fall, der dann als quasi-vollständige (faktische) Rechtsabtretung verstanden werden kann und der auch in der Literatur vor allem für die potentiell negativen Folgen für Urheberrechtsinhaber kritisiert wird, zum Beispiel von Schweikart (2004), da es „in vielen Bereichen gängige Praxis (ist), die Einräumung aller bestehenden und bekannten Nutzungsrechte am Werk durch eine Einmalzahlung abzugelten. Bei Werken, die umfassend und über einen langen Zeitraum verwertet werden, können sich derartige „Buy-Out-Honorare“ für den Urheber als nachteilig erweisen, da dann keine prozentuale Beteiligung am unter Umständen sehr hohen Verwertungserlös stattfindet.“30 Die Anwendung des Urheberrechts auf Medienprodukte fördert vor allem in Hinblick auf die Schutzfähigkeit von Intellectual Property Rights verschiedene inhärente Probleme zutage. Da mediale Produkte letztlich auf Ideen beruhen, sind sie oft schwer zu schützen, so Lobigs/Spacek/Siegert/Weber (2005): „(Es) findet sich auf Märkten aktueller Medien (…) oftmals nur ein geringer bis kein rechtlicher Schutz 27
Schweikart, Philipp (2004): Die Interessenlage im Urheberrecht. Dissertation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, S. 63ff. URL: http://www.dissertationen. unizh.ch/ 2005/schweikart/diss.pdf. Abgerufen am 2. 1. 2008. 28 Loewenheim, Ulrich in Schricker, Gerhard (1999): Urheberrecht, Beck Juristischer Verlag, München, 2. Auflage, S. 54ff. 29 Ebenda, S. 67. 30 Vgl. dazu Schweikart, Philipp (2004): Die Interessenlage im Urheberrecht, Dissertation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, S. 28.
2.4 Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
31
publizistischer Leistungen“.31 Lobigs (2005) spricht sogar davon, „dass ein parasitärer Imitationswettbewerb einen dynamischen Innovationswettbewerb be- und teilweise auch verhindert.“32 Grundsätzlich – so sieht es der Gesetzgeber vor – ist die Idee selbst nicht schützbar, im Interesse der Allgemeinheit sollen abstrakte Gedanken und Ideen frei bleiben. Da zum Beispiel TV-Formate hinsichtlich ihrer Schöpfungshöhe eher schwach ausgeprägt sind und auf oft einfachen Ideen und nichtkomplexen Dramaturgien beruhen, sind sie in der Praxis sehr schwer schützbar. Sie unterliegen der Schutzwirkung nur dann, wenn die TV-Formate in nachweisbaren Dokumenten detailliert ausgearbeitet sind, und zwar so deutlich, dass die Fabel33 sich erkennbar vom Alltäglichen und Banalen abhebt. Ein auf ein älteres Format direkt oder indirekt referenzierendes neues Format ist nur dann schutzfähig, wenn wesentliche einzelne Elemente des alten Formats nicht mehr erkennbar sind. Bezogen auf Filme als Genrekategorie des Fernsehens ist die Schutzfähigkeit noch schwerer zu erlangen, wie Schmelz (2005) darstellt. Filmideen, so Schmelz, lassen sich gesetzlich nicht schützen. Als Grund weist er auf die fehlende „Einmaligkeit“ der Idee hin, also das „Faktum, dass die konkrete Ausprägung nur schwerlich zwei verschiedenen Personen gleichzeitig hätte einfallen können“.34 Einfach geschützt werden können aber die konkreten Ausgestaltungen von Formaten, Sendungen, Medienprodukten, wie zum Beispiel Logos, Titel, Jingles, Gestaltungselemente. Schmelz betont, dass bei Filmen nie die Grundidee geschützt werden kann, sondern bestenfalls die individuelle und konkrete Abfassung von Konzepten, wie sie sich in Exposés oder Treatments darlegt. „Das Treatment, das inhaltlich die Geschichte in Szenen, Dialoge und deren Schauplätze gliedert und strukturiert, ist durch die weiteren Ergänzungen und inhaltlichen Präzisierungen und Vertiefungen urheberrechtlich geschützt.“ Das Drehbuch wird sogar explizit in § 89 UrhG als vorbestehendes Werk zum Film urheberrechtlich geschützt. In ihrem Schwerpunkt geht es der vorliegenden Untersuchung aber nicht um den Schutz von Rechten oder Intellectual Property Rights. Im Mittelpunkt soll vielmehr 31
Lobigs, Frank/Spacek, Dirk/Siegert, Gabriele/Weber, Rolf (2005): Mehr Rechtsschutz für Formate? Eine medienökonomische und medienrechtliche Untersuchung. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 1/2005, S. 98. 32 Lobigs, Frank (2005): Medienmarkt und Medienmeritorik – Beiträge zur ökonomischen Theorie der Medien. Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, S. 158. 33 Analog zum Begriff der Fabel kann auch das Wort „Plot“ verwendet werden. Beide Begriffe umreißen Handlung und Struktur eines epischen oder dramatischen Werks. In der Fabel oder dem Plot werden die wichtigsten Figuren sowie die wichtigsten Motive dargestellt. 34 Schmelz, Christoph (2005): Fallsammlung zum Urheberrecht, Gewerblichen Rechtsschutz und Kartellrecht, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg, S. 5.
32
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
das Management von Rechten stehen, deren urheber- oder patentrechtliche Komponente als unstrittig angenommen oder vernachlässigt werden kann. Fokussieren will sich die Betrachtung also auf die Art und Weise, wie die Branche mit urheberrechtlich geklärten Rechten strategisch und ökonomisch verfährt und wie über die Verteilung der Rechte Interessens- und Machtausgleiche organisiert werden. 2.4.2
Beschreibung von Contentrechten
Medienprodukte beruhen, bedingt durch ihre große Unterschiedlichkeit, auf einer Vielzahl von Rechten, deren Kombination jeweils spezifische Ausprägungen und Verwendungsmöglichkeiten definiert. Um die Bedeutung von Rechten zu evaluieren und dimensionieren, müssen diese Rechte zunächst einmal differenziert dargestellt werden. Die Beschreibung von Rechten erfasst nach Lobigs/Spacek/Siegert/Weber (2005) die unterschiedlichen Gestaltungsobjekte der Medien, also „einzelne Teile bzw. Sendungen, die, da sie bereits fertig produziert und damit auf materiellen Trägern gespeichert sind, den Charakter von Werken haben, sie werden (…) als gestaltete Medieninhalte bezeichnet; die – hinsichtlich des Journalismus – in den gestalteten Medieninhalten ausgedrückten aktuellen, objektiven und relevanten Informationen, die Bausteine; (und) die den gestalteten Medieninhalten zu Grunde liegende Bauanleitung, die publizistischen Konzepte, welche die inhaltliche und gestalterische Grundstruktur von Medieninhalten beschreiben, TV-Formate sind ein Prototyp solcher publizistischen Konzepte.“35
Fernsehinhalte werden vor diesem Hintergrund im Folgenden als Bündel von Contentrechten verstanden werden, also als Medienprodukte, die sich über die mit ihnen verbundenen Rechte definieren lassen. Recht und Inhalt lassen sich dabei nicht voneinander trennen. Zur Erstellung bestimmter Produkte sind immer bestimmte Rechte notwendig. In der Regel ist ein ganzer Katalog von Rechten notwendig, um ein Medienprodukt vollständig zu beschreiben und seine Verwendbarkeit in unterschiedlichen Vertriebskanälen zu bestimmen. Die Ausgestaltung und Formulierung von Rechten wird in der Fernsehbranche unterschiedlich gehandhabt. Über das zugrundeliegende Verständnis bestimmter Contentrechte herrscht jedoch weitgehend Konsens. Vom Grundsatz her können Sender, um Rechte zu erwerben, unterschiedliche Vertragskonstruktionen eingehen: Der Erwerb von Sendelizenzen, der Rechteerwerb über eine Auftragsproduktion oder die verschiedenen Formen von Koproduktionen und Kofinanzierungen. Die Abgrenzung der unterschiedlichen Vertragskonstruktio35
Lobigs, Frank/Spacek, Dirk/Siegert, Gabriele/Weber, Rolf (2005): Mehr Rechtsschutz für Formate? Eine medienökonomische und medienrechtliche Untersuchung. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 1/2005, S. 97f.
2.4 Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
33
nen unterliegt branchenüblichen Usancen, die zudem von Unternehmen zu Unternehmen im Detail unterschiedlich ausgestaltet sein können. Grundsätzlich finden in die Wahl der rechtlichen Konstruktion Überlegungen Eingang, die berücksichtigen, wer von den Vertragspartnern das höhere Risiko trägt („rights follow risk“), insbesondere das Herstellungs- und Überschreitungsrisiko sowie das Verwertungsrisiko, also das Risiko, ob mit der finanzierten Produktion die Investition wieder refinanziert werden kann. Außerdem werden in den Vertragsformen die unterschiedlichen Leistungen der Partner eingerechnet, unter anderem die Produktionsorganisation, das Package von Regie/Darsteller/Drehbuch/Finanzierung. Ergebnis zahlreicher Vereinbarungen in der Branche ist der sogenannte und bereits erwähnte „Total-Buyout“ (TBO) insbesondere an den Auftragsproduktionen, also der vollständige Erwerb der Nutzungsrechte sämtlicher an den Inhalten entstandener Urheberrechte – soweit gesetzlich zulässig. Der gesetzliche Rahmen ist dabei kein immergültiges Maß, sondern unterliegt den politischen Maßgaben. So wurde zum Beispiel in der jüngsten Reform des Urheberrechts eine Klausel eingefügt, die – anders als in der Vergangenheit – zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch unbekannte Nutzungsarten implizit mit einschließt. Dies macht den Erwerb bzw. die Veräußerung dieser unbekannten Nutzungsarten ohne eine Explizierung erstmals möglich.36 Die im Gesetz Verwertungsrechte genannten Rechte werden in der Fernsehindustrie im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit den Produzenten und Künstlern gesammelt und möglichst frei von Restriktionen eingeräumt oder erworben. Dazu lassen sich – nun und im Folgenden aus der Sicht der TV-Sender formuliert – die Erwerber der Rechte sämtliche entstandenen, entstehenden und/oder im Zusammenhang mit der Produktion erworbenen oder zu erwerbenden urheberrechtlichen Nutzungs-, Leistungsschutz und sonstigen Rechte einräumen, und zwar in der Regel zur ausschließlichen, frei übertragbaren, räumlich, zeitlich und inhaltlich uneingeschränkten und beliebig häufigen Nutzung.37 Aufbauend auf diesem allgemeinen Rahmen folgen dann die Einräumungen der verschiedenen Verwertungsrechte. In der Vergangenheit hatte sich ein Verständnis eingebürgert, wonach es „Kernrechte“ und sogenannte „Nebenrechte“ (auch „secondary rights“ genannt) gab, eine Unterscheidung, die keine juristische Relevanz hatte, 36
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz – UrhG) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273) zuletzt geändert durch das „Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ vom 26. Oktober 2007 (BGBl S. 2513), gültig ab dem 1. Januar 2008, § 31a. 37 Vgl. dazu: Was tun gegen Total Buyout? – Mediafon – Informationsratgeber der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, zitiert nach URL: http://www.mediafon.net/ratgeber_detailtext. php3?&id=40e96e6fb93d5, abgerufen am 9. September 2008.
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2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
sondern die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Rechte und mithin ihre kommerzielle Verwertbarkeit zum Ausdruck brachte. Während das „Kernrecht“ den jeweiligen medialen und wirtschaftlichen Hauptkanal absicherte, bezogen sich die Nebenrechte auf Nebennutzungen: „Als Nebenrechte sollen die dem Fernsehveranstalter im Zusammenhang mit dem Erwerb der Fernseh- und Übertragungsrechte zugewachsenen Befugnisse bezeichnet werden, die es ihm ermöglichen, bestimmte Elemente einer Sendung außerhalb der Sendung und der Werbung für diese Sendung beispielsweise im Verlags-, Video- oder Tonträgergeschäft zu vermarkten. Die Rechte zur Verwertung der Elemente, worunter auch die in das Filmwerk eingehenden vorbestehenden Leistungen fallen können, müssen hierzu gesondert vom entsprechenden Urheber oder Rechteinhaber erworben werden.“38 Aus Sicht des Fernsehens war (und ist bis heute) das Senderecht das zentrale zu erwerbende Recht. Das Senderecht ist „das Recht, das Werk durch Funk, wie Ton- und Fernsehrundfunk, Satellitenrundfunk, Kabelfunk oder ähnliche technische Mittel der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“39 Das Senderecht gilt dabei i. d. R. völlig unabhängig von der verwendeten Übertragungstechnik, technischen Standards, Verschlüsselungen oder einer Festlegung auf Frequenzbereiche oder Übertragungsstandards. Das Senderecht wird zudem als unabhängig von allen möglichen Dienstformen verstanden, also unabhängig davon, ob der Zuschauer die Sendung selbst auslöst („Video-on-demand“) oder nicht, unabhängig von der wirtschaftlichen Verfasstheit des Sendeunternehmens sowie unabhängig von der Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Sender und Empfänger (Pay-TV oder Free-TV). In einem aktuellen Vertrag der öffentlich-rechtlichen Anstalt ZDF werden diese Ansprüche so formuliert, dass durch den Vertrag abgedeckt sind „… alle Arten und Formen der Verwertung für Fernsehzwecke jeder Art und unabhängig von der Art der verwendeten Übertragungstechnik und Übertragungswege, wie z. B. terres-
38
Brösel, Gerrit (2002): Medienrechtsbewertung. Der Wert audiovisueller Medienrechte im dualen Rundfunksystem. DUV-Verlag, Wiesbaden, S. 45. Wie Gerrit betont, sollen „mit der Verwertung der Nebenrechte (…) einerseits zusätzliche Gewinnpotentiale erschlossen werden, andererseits erhoffen sich die Rundfunkanbieter eine Absatzunterstützung hinsichtlich der Ausstrahlung des korrespondierenden Filmwerks oder Sportereignisses.“ 39 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz – UrhG) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273) zuletzt geändert durch das „Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ vom 26. Oktober 2007 (BGBl S. 2513), gültig ab dem 1. Januar 2008, § 20. Die Gesetzesbegründung will unter Funk jede Übertragung von Zeichen, Tönen oder Bildern durch elektromagnetische Wellen verstanden wissen, die von einer Sendestelle ausgesandt werden und an anderen Orten von einer beliebigen Anzahl von Empfangsanlagen aufgefangen und wieder in Zeichen, Töne oder Bilder zurückverwandelt werden können.
2.4 Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
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trisch, Kabel (Glasfaser, Kupfer etc.), Satellit, Telefonleitung und -netze (auch drahtlos), Breitband-, Internet-und IP-basierte Übertragungstechniken, DSL, DVB-T, DMB, DVB H, Video-Live-Streaming, Verteildienste in Form von Fernsehtext und vergleichbaren Textdiensten und/oder entsprechend Nachfolgetechnologien, der Art des zu verwendenden Empfangs- und/oder Anzeigegerätes, wie z. B. Fernsehgeräte, PCs, Computerbildschirme, mobile Endgeräte, wie Notebooks, Mobiltelefone etc., einem unentgeltlichen Bezug der Fernsehsendung oder einem entgeltlichen Bezug der Fernsehsendung in Pay-Diensten (wie beispielsweise im Pay-TV einschließlich Pay-per-Channel, Pay-per-View, Near-Video-onDemand) und/oder sonstigen Verbreitungsarten und/oder Medien.“40
Um das Senderecht auch auf alle On-Demand-Vertriebswege auszudehnen, ist allerdings ein weiteres Recht notwendig: Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung. Maßgebliches Kriterium, um die beiden Rechte voneinander zu scheiden ist dabei die Frage, ob der Nutzer tatsächlich dazu in der Lage ist, Anfang und Ende der Sendung selbst zu bestimmen, also Herr über den Zeitpunkt der Nutzung ist. Ist dies der Fall, so liegt eine Abrufnutzung vor, für die das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung benötigt wird; wenn nicht, ist das Senderecht berührt: „Mit umfasst ist insbesondere auch die Einspeicherung in Datenbanken und die öffentliche Zugänglichmachung auf Abruf (Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, wie z. B. Video-on-Demand-Nutzungen, in Abrufdiensten, in Online-Diensten), bei denen Text-, Ton- oder Bilddarbietungen auf Anforderung aus elektronischen Speichern zur Nutzung übermittelt werden, wobei die öffentliche Zugänglichmachung des Werkes in der Weise erfolgen kann, dass Angehörige der Öffentlichkeit an einem von diesen individuell gewählten Ort oder zu einer von diesen individuell gewählten Zeit Zugang zu diesen Werken haben. Die Rechteeinräumung erfolgt unabhängig davon, ob es sich um eine rundfunkmässige oder außerrundfunkmässige Verwertung handelt.“41
Die für Fernsehprodukte notwendigen Rechte leiten sich aus den entsprechenden Bestimmungen des Urheberrechts her. In Paragraf 15 werden die wesentlichen Rechte benannt: § 15 Allgemeines (1) Der Urheber hat das ausschließliche Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten; das Recht umfasst insbesondere 1. das Vervielfältigungsrecht (§ 16), 2. das Verbreitungsrecht (§ 17), 3. das Ausstellungsrecht (§ 18).
40
Vgl. dazu Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, Rechtsanwälte Ludewig/Füllgraf: Ein kurzer Überblick über die sogenannten „Online-Rechte“, München, Hamburg, 2007, zitiert nach URL: www.dokumentarfilminitiative.de/archiv/dvd_07/onlinerechte.pdf. Abgerufen am 9. 9. 2008. 41 Ebenda.
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2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
(2) Der Urheber hat ferner das ausschließliche Recht, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe) Das Recht der öffentlichen Wiedergabe umfasst insbesondere 1. das Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht (§ 19), 2. das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a), 3. das Senderecht (§ 20), 4. das Recht der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger (§ 21), 5. das Recht der Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung (§ 22). (3) Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.
Aus diesen Rahmenverwertungsbeschreibungen leiten TV-, aber auch TV-Produzenten-Verträge über Lizenzen und Produktionen nun die im Detail notwendigen weiteren Rechte ab.42 Diese sind im Zusammenhang mit Fernsehproduktionen unter anderem das Bearbeitungsrecht, das es ermöglicht, das ursprüngliche Produkt zu kürzen, zu teilen oder umzugestalten. Ein Sonderfall stellt das oft explizierte Recht zur Klammerteilauswertung dar, das es ermöglicht, eine Produktion auch in ihren Teilen auszuwerten. Eine weitere Ausformung stellt das Recht zur Werbung dar, das es ermöglicht, für das Programm, aber auch innerhalb des Programms Werbung zu machen. Ein bedeutendes „Neben“-Recht ist das Tonträgerrecht und insbesondere das Bildtonträgerrecht. Während das Tonträgerrecht zunächst nur die Rechte an der Tonspur der Produktion bezeichnet und deren Verwendung als Ganzes oder in Teilen auf Tondatenträgern aller Art, bezeichnet das Bildtonträgerrecht Verwendungen des gesamten filmischen Produkts. Jenseits einer für die Öffentlichkeit bestimmten Ausstrahlung/Sendung des eigentlichen medialen Produkts ermöglicht dieses Recht bei 42
Das Produktionsunternehmen Endemol formuliert zum Beispiel in einer entsprechenden Rechteeinräumung (die allerdings bestimmte Rechte einschränkt): „Der Kunde überträgt exklusiv auf Endemol bzw. im Falle von Veranstaltungen Dritter auf den jeweiligen Veranstalter sämtliche ihm zustehenden bzw. bei ihm entstehenden Rechte an den hergestellten Ton- und/oder Bildaufnahmen für alle Rundfunk-, Film- und/oder sonstige Wiedergabezwecke, insbesondere auch für den Online-, Mobile- und/oder Internetbereich. Dies umfasst insbesondere aber nicht abschließend das Senderecht, das Recht zur öffentlichen Aufführung, das Videogrammrecht, das Abruf- und Onlinerecht, das Recht zur Klammerteilauswertung, das Werberecht, das Festival- und Messerecht, das Archivierungs- und Datenbankrecht, das Bearbeitungsrecht, das Synchronisationsrecht, das Drucknebenrecht, das Merchandisingrecht, das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht und das Recht zur Kabelweitersendung. Diese Rechteübertragung erfolgt zeitlich, inhaltlich und räumlich unbeschränkt.“ (Zitiert nach URL: https://www.endemol.de/nc/downloads.html?tx_abdownloads_pi1%5Baction% 5D=getviewclickeddownload&tx_abd..).
2.4 Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
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Verwendung desselben Inhalts die Vermarktung auf analogen und/oder digitalen Bildtonträgern, wie zum Beispiel der CD oder der DVD. An dieser Stelle sollen und können nicht alle rechtlichen Kategorien ausführlich dargestellt werden – sie sind in der Literatur umfassend beschrieben und finden sich in zahlreichen – insbesondere über das Internet – öffentlich zugänglichen Dokumenten u. a. den von Produktionsfirmen formulierten Rechtekatalogen, was sich zum Beispiel am „Merchandisingrecht“ zeigen lässt.43 Wie dargestellt, setzen sich mediale Folgeprodukte des eigentlichen Fernsehinhalts je nach ihrer geplanten Verwendung und Verwertung (Contenteigenschaften, Vertriebsweg, Sublizensierung etc.) aus in der Regel mehreren notwendigen Rechten zusammen. Neben den bereits genannten und erläuterten besonders wichtigen „Neben“-Rechten sind dies auch Rechte, die von „logistischer“ Bedeutung für Auswertungen sind: Das Titelverwendungsrecht (eine Verwertung des Bildtonträgerrechts macht meist keinen Sinn, wenn dafür ein anderer Titel gewählt werden muss), das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht (ohne das Recht auf physische Kopien des Format im Ganzen oder in Teilen sind praktisch alle Nebenrechtsverwertungen unmöglich), das Synchronisationsrecht (in multinational aufgestellten Medienunternehmen oder beim internationalen Vertrieb ist zur Auswertung der Inhalte Schrankenfreiheit hinsichtlich der jeweils verwendeten Sprache notwendig) oder das Archivierungsrecht (fast alle „Neben“-Rechtsauswertungen machen in der Verwertung 43
In der entsprechenden Rechteabtretung der Brainpool TV GmbH räumen die Unterzeichnenden (Darsteller, Gäste) unter anderem folgendes Recht ein: „Das Merchandisingrecht, d. h. das Recht zur kommerziellen Auswertung der hergestellten Produktion (inkl. Vorkommnissen, Namen, Titeln, Figuren, Abbildungen (auch beteiligter Personen) oder sonstigen Zusammenhängen, die in einer Beziehung zu der hergestellten Produktion stehen) durch die Herstellung und Verbreitung von Waren aller Art (z. B. Spielzeug, Kleidungsstücke, Ton-/ Bildtonträger, Druckschriften inkl. Comics, Sportartikel, Haushalts-, Bad- und Küchenwaren, Kopfbedeckungen, interaktive und multimediale Produkte, z. B. Computerspiele, etc.) und/oder die Vermarktung von Dienstleistungen aller Art (einschließlich Veranstaltungen aller Art und Parties) unter Verwendung von Vorkommnissen, Namen, Titeln, Figuren, Abbildungen (auch beteiligter Personen) oder sonstigen Zusammenhängen, die in einer Beziehung zu der hergestellten Produktion stehen sowie das Recht, unter Verwendung derartiger Elemente und/oder durch bearbeitete oder unbearbeitete Ausschnitte aus der hergestellten Produktion für Waren/Dienstleistungen jeder Art zu werben. Mit umfasst ist auch das sog. Themen-Park-Recht, d. h. das Recht zur kommerziellen Auswertung der hergestellten Produktion unter Verwendung von Vorkommnissen, Namen, Titeln, Figuren, Abbildungen oder sonstigen Zusammenhängen, die in einer Beziehung zu der hergestellten Produktion stehen und/oder durch Verwendung bearbeiteter Ausschnitte aus der hergestellten Produktion im Zusammenhang mit Freizeitparks jeder Art, unabhängig davon, ob die Nutzer ein Eintrittsgeld (pauschal oder gesondert pro Veranstaltungsteil) entrichten“. Zitiert nach URL: tvtotal.prosieben.de/media/pdf/einverstaendniserklaerung-tv_box.pdf, abgerufen am 10. 9. 2008.
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2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
ökonomisch nur über einen längeren Zeitraum hinweg Sinn, weswegen das Recht zur Archivierung gegeben sein muss). Die Einräumung von rechtlichen Möglichkeiten stellt eine erste Stufe des Managements von Contentrechten dar. Ohne vertraglich eingeräumte Rechte können bestimmte Medienprodukte, die aus einem TV-Basisprodukt entstehen sollen, nicht hergestellt werden. Management von Contentrechten vor dem Hintergrund der Digitalisierung mit ihren neuen digitalen Produkten und neuen digitalen Vertriebswegen ist daher immer auch ein juristisches Management. Vertragsgestaltung jedoch ist nur eine zu betrachtende Kategorie. Elementare Vorbedingung für die Verwertung von Contentrechten ist daneben ein Verständnis davon, wie Contentkreation und rechtliche Verankerung ineinandergreifen. In diesem Verständnis ist es entscheidend, (neue) mediale Produkte als nicht nur kreative Neukompositionen oder als Waren für neue kommerzielle Multichannelvertriebswege zu begreifen, sondern als modular zusammengesetzte medial-rechtliche Einheiten, zu deren Wesen nur Zugang gefunden werden kann durch eine neue integrierte Sicht auf das Spannungsfeld KreationInhalte-Rechte-Vertrieb-Vermarktung. Jedes neue, insbesondere digitale Produkt, kann auf jeder gedachten Achse der genannten Dimensionen abgebildet werden. Kreation, Contentproduktion und Kooperation mit Dritten können also erst dann wirtschaftlich sinnvoll betrieben werden, wenn auch die entsprechenden Rechte proaktiv und in vollem Verständnis potentieller wirtschaftlicher wie technischer Vertriebsmöglichkeiten erworben wurden. Im Umkehrschluss heißt das, dass Charakter und Marktchancen potentieller „Nebenrechts“-Produkte bekannt sein oder zumindest eingeschätzt werden müssen, um den Wert der in Frage stehenden ZusatzRechte ermessen und verhandeln zu können. Im Urheberrecht werden die bislang beschriebenen und exemplifizierten urheberrechtlichen Bestimmungen im Teil 1 des Gesetzes erfasst. Im Teil 2 werden die verwandten Schutzrechte definiert und ausführende Bestimmungen zu unter anderem Sendeunternehmen und filmischen Produkten gemacht, die jeweils dem Schutz von Sendeunternehmen und Filmherstellern dienen. Für die Sendeunternehmen ist dabei die Exklusivität des Weitersendungsrechts von zentraler Bedeutung, für den Film ist eine genaue Trennung der Befugnisse von Urhebern verfilmter Werke und der Urheberbeteiligten an der Entstehung des Filmwerks elementar. Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle die kaum zu überschätzende Bedeutung des Urheberrechts in seiner unterschiedlichsten detailrechtlichen Ausgestaltung für die Kreation und Auswertung von medialen Produkten konstatieren. Die Einräumung von Nutzungsrechten an den Urheberrechten bei gleichzeitiger Beachtung von deren spezifischen Grenzen und Eigenheiten bildet den Rahmen für jede Entwicklung von zusätzlichen Inhalten, wie sie die durch die Digitalisierung geschaffenen neuen Kanäle und Produktformen erfordern.
2.4 Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
39
Darauf hinzuweisen ist vor dem Hintergrund weiterhin großer Produktpiraterie in der Branche und illegalen Verbreitungsmethoden, dass das Urheberrecht ein robust bewehrtes Eigentumsrecht darstellt. In § 106 UrhG wird das Recht durch eine strafrechtliche Sanktionsdrohung deutlich als Schutzrecht für die Inhaber der jeweiligen Rechte definiert. Hinsichtlich der unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke wird in Absatz (1) definiert, dass „wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.“44 2.4.3
Die Rechtesituation der TV- und Produktionsbranche
Wie dargestellt, sind Urheberrechte zwar nicht übertragbar, werden aber im Mediengeschäft permanent von Dritten genutzt und vermarktet. Dies geschieht über die Einräumung von Nutzungsrechten, der sogenannten Lizensierung. Ein Urheber kann einem Lizenznehmer alle oder spezifisch eingeschränkte Nutzungsrechte an seiner Schöpfung einräumen – bei Einschränkungen z. B. zeitlich, örtlich, sachlich eingeschränkt sowie exklusiv/einfach (Erwerber darf nutzen, andere aber auch) oder exklusiv/ausschließlich (Erwerber darf als Einziger nutzen). Diese Einräumung von Nutzungsrechten ist der gebräuchlichste Fall in den Medien. Wenn alle Nutzungsrechte an den Urheberrechten und an den Leistungsschutzrechten45 ohne Einschränkungen eingeräumt werden, dann spricht man branchenintern von dem bereits erwähnten „Total-Buyout“ (TBO)46. Der TBO sichert dem Lizenzerwerber in der Regel für eine unbestimmte Zeit weltweite Verwertungsrechte in allen Medien und auf allen Plattformen. Der TBO ist der umfänglichste denkbare Fall einer Einräumung von Nutzungsrechten und stellt faktisch die Abgabe aller praktischen Verwer44
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz – UrhG) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273) zuletzt geändert durch das „Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ vom 26. Oktober 2007 (BGBl S. 2513), gültig ab dem 1. Januar 2008, § 106. 45 Das Leistungsschutzrecht kann als eine Vorstufe zum Urheberrecht betrachtet werden. Es schützt bestimmte Leistungen, die eine für den Urheberschutz nicht ausreichende Schöpfungshöhe haben. Es handelt sich dabei oft um die Ergebnisse der Arbeit von Produzenten, Sendeunternehmen, Darstellern oder Standfotografen. Diese Rechte sind, anders als Urheberrechte, frei übertragbar. Sie sind regelmäßig für fünfzig Jahre geschützt. 46 Der „Total-Buyout“ erstreckt sich nach der jüngsten Novelle des Urhebergesetzes auch auf unbekannte Nutzungsarten, dies war zuvor nicht möglich. Nicht umfasst werden jedoch bestimmte persönlichkeitsrechtliche Einwilligungen, die im Einzelfall gesondert erworben werden müssen.
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2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
tungsrechte durch den Urheber dar – vorausgesetzt der Rechteerwerber bezahlt eine „angemessene Lizenzgebühr“.47 Das populäre und weite Teile des Auftragsproduktionsmarktes erfassende Modell des Total-Buyout war in der (analog-geprägten) Vergangenheit vor allem dem Kontroll- und weniger dem Auswertungsbedürfnis der Sender bzw. Rechteerwerber geschuldet. Das Modell entstand in den sechziger Jahren als eine Vertrags- und Interessensausgleichsform, die die Kräfteverhältnisse und die wirtschaftlichen Absichten in der von wenigen Machtpolen dominierten TV- und Fernsehbranche am besten abbildete. Auf der einen Seite standen – bis zur Einführung des Privatfernsehens – quasi-monopolartige Auftraggeberstrukturen durch die Konzentration der Sendemacht in den Händen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender (später ergänzt durch die privaten Sender) sowie bei deren (wenigen) Entscheidungsträgern und anfangs kaum entwickelten und oft intransparenten Vergabestrukturen. Im Modell der Vollfinanzierung mit einem die Monopolstruktur spiegelnden abgeschotteten und hinsichtlich zum Beispiel der Kalkulationspolitik ebenso intransparenten Produktionsmarkt standen der vollumfänglichen Rechteabtretung die hohen und kaum kritisch hinterfragten Kostenkalkulationen auf Produzentenseite gegenüber, die erhebliche Gewinnchancen bei geringen Risiken versprachen. Die Vollkosten-Finanzierung48 als Kompensation des Total-Buyouts wurde bis in die jüngste Vergangenheit 47
Ein Beispiel dafür ist z. B. ein Drehbuch-Vertrag der Produktionsfirma Action concept. Darin heißt es: „Hauptvertragsbestandteile sind – soweit notwendig – die Erstellung weiterer Drehbuchfassungen inkl. Polishing in angemessenem Umfang sowie die Einräumung der ausschließlichen, zeitlich und örtlich unbeschränkten Nutzungsrechte zur ein- oder mehrmaligen Verfilmung des Drehbuchs sowie vollumfänglichen Auswertung der auf der/den Verfilmung(en) basierenden Produktion(en) (total buy-out) gegen Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr.“ 48 Das Vergütungsmodell für den Produzenten richtet sich nach den Netto-Fertigungskosten, erhöht um einen Handlungsunkostenaufschlag und einen festen Gewinnsatz. Handlungsunkosten und Gewinn zusammengenommen ergeben einen Aufschlag von rund 14% auf die Basisgröße (laut Götz Hamann bei den Marler Tagen der Medienkultur 2007 6,5% HU und 7,5% Standardgewinn. Hamann verweist in seiner Analyse jedoch auch auf ein branchenweit bekanntes Phänomen: Das der „versteckten Kosten“. Hierunter sind von beiden Seiten in der Regel bewusst tolerierte Marktpreisüberschreitungen zu verstehen, durch die bestimmte Kalkulationspositionen massiv überteuert in Rechnung gestellt werden. Bei einem Gesamtproduktionspreis von beispielsweise 1,3 Millionen Euro kommen laut Hamann bis zu 50 000 Euro an verstecktem Gewinn für die Produzenten heraus, zusätzlich zu den 14% HU und Standardgewinn). Der Aufschlag kommt aber nur bei wirklich produzierten Programmen zustande. Entwicklungstätigkeit wird in der Regel nicht gesondert vergütet. Der Gewinn muss ausreichen, um den gesamten Beschäftsbetrieb zu finanzieren (Personal, Bürokosten, Finanzierungen, Rechtsberatung etc.) Über die durchschnittliche Rentabilität der Fersehproduzenten gibt es naturgemäß kaum konkrete Angaben, Schätzungen liegen zwischen 5–10% für den Durchschnitt der Produktionen.
2.4 Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
41
als „angemessene Lizenzgebühr“ für die Nutzung der Produktion verstanden – und bildete damit die juristische, aber auch praktisch-moralische Grundlage und Legitimierung des vollumfänglichen Nutzungsrechteerwerbs durch die großen TV-Sender. Der Total-Buyout ist allerdings keine wirklich vollständig unbegrenzte Rechteeinräumung, wie dies oft angenommen und bisweilen falsch dargestellt wird. Denn es bleibt weiterhin bei der grundsätzlichen Nicht-Übertragbarkeit des Urheberrechts. Dieses Faktum wirkt sich auch auf die Einräumung von Nutzungsrechten aus. Hier bleibt ein Restbestand an Mitspracherecht durch den Urheber unberührt. Darunter fallen insbesondere die legitimen künstlerischen und persönlichen Interessen des Urhebers. Sie sehen vor, dass die urheberrechtlich geschützten Werke von den Nutzungsrechteerwerbern nicht einfach entstellt oder massiv umgestaltet werden dürfen, etwa hinsichtlich des Gesamtwerks oder des Werktitels. Darunter fallen aber auch „Blockadeverhinderungsrechte“, die es dem Urheber möglich machen, das Werk zurückzurufen, wenn es durch den Lizenznehmer nicht genutzt wird. Bis zum 1. Januar 2008 war der pauschale Erwerb von „unbekannten Nutzungsarten“ untersagt, weil dies bis dahin als sittenwidrig eingestuft wurde. Dies wurde mit dem „Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ zum Jahreswechsel 2008 abgeschafft. Das neue Recht gibt dem Urheber das Recht, „über seine Rechte auch für die Zukunft vertraglich verfügen zu können“, was bedeutet, dass es dem Urheber auch erstmals erlaubt ist, auch auf diese neuen, unbekannten Rechte vertraglich zu verzichten beziehungsweise diese neuen Nutzungen ebenfalls an den Lizenznehmer zu übertragen.49 Das von Hamann beschriebene Vergütungsmodell, so lässt sich rückblickend vermuten, ließ die Produzenten den TBO bei den Rechten lange Zeit als akzeptabel hinnehmen: „TV-Produzenten (sowie die meisten anderen an TV-Produktionen urheberrechtlich Beteiligten, A.d.V.) sind reine Auftragsproduzenten, die im Regelfall über keinerlei Rechte an ihren Produkten verfügen, jedenfalls keine Rechte, die wirtschaftlich von Bedeutung wären.“50 Durch eine unaufhaltsame Aufbrechung und Mobilisierung von Markt und Konkurrenz zunächst durch das duale System und die privaten Fernsehsender und – bis heute – durch die revolutionären Umwälzungen durch die Digitalisierung, wurde dieses Modell – zumindest bei den und durch die Produzenten – immer wieder auch 49
Vgl. dazu: Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 2007. Veröffentlich im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2007 Teil I Nr. 54, ausgegeben zu Bonn am 31. Oktober 2007, § 137I. 50 Pintzke, Thomas (2005): Situation und Perspektiven der Film- und TV-Produzenten. Endbericht an den Medienrat der Landesanstalt für Medien (LfM) Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, S. 160.
42
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
kritisiert. In der Folge kam es zu ersten Versuchen, andere vertragliche Rahmenbedingungen zu verhandeln – mit bislang überschaubaren Ergebnissen.51 Vielen Akteuren ist mittlerweile deutlich geworden, welche Rolle Rechte im Verlauf der Wertschöpfung innerhalb der TV-Industrie spielen und wie sehr ihr systematisches strategisches Bewirtschaften und Managen wegen der globalen medialen Veränderungen durch die Digitalisierung notwendig wurde: „The global broadcast television industry is undergoing fundamental unstoppable change that is steadily rendering the traditional network business model obsolete. The age of a few dominant channels, funded by advertising has long been disappearing, and may soon be turned off for good“, prognostizierte das US-Marktforschungsunternehmen Deloitte bereits im Jahr 200552. Kaumanns/Siegenheim und Sjurts (2008) stellen fest, dass sich auch in Deutschland im Zuge „der Konvergenz von Fernsehen und Internet Marktstrukturen, Strategien und Geschäftsmodelle signifikant und nachhaltig“ ändern.53 Die Autoren kommen zum Schluss, den Blick auf die frühen Stufen der Wertschöpfung richten zu müssen, um das Ausmaß der digitalen Veränderungen zu verstehen. „Auf der Produzentenseite ist eine wesentliche Auswirkung des Erfolgs digitaler Technologien ein dramatisches Sinken der Kosten für Medienproduktion und -distribution. (…) Heute sind die finanziellen Hürden für einen Nutzer, auch als Medienproduzent aufzutreten, praktisch nicht existent. Für die Medienunternehmen erwachsen aus dieser Nutzerpartizipation neue Herausforderungen.“54 Das Umdenken der Produzentenbranche zeigte sich zunächst in einem Prozess zunehmender Thematisierung von Rechte-Fragen. Bis spätestens 2005/2006 hatten sich wichtige Vertreter der Branche des Themas der Rechte angenommen und begannen, klare Positionen und eine Haltung zu formulieren, wie zu reagieren sei auf den „digitalen Tsunami“55, der über die Produktionswirtschaft sowie die Kino- und 51
Ein Erfolg gelang den Produzenten in Gesprächen mit der ARD, die Anfang Dezember 2009 zu Ende gingen. Sie konnten in den „Eckpunkten der Zusammenarbeit bei Auftragsproduktionen im Fernsehen“ erstmals in einem Rahmenvertrag gegenüber den öffentlich-rechtlichen Anstalten der ARD durchsetzen, dass verstärkt teilfinanzierte Produktionen hergestellt werden sollen, bei denen große Rechtepakete (gegen eine nicht näher definierte „finanzielle Beteiligung“) bei den Produzenten verbleiben sollen. 52 Deloitte-Studie (2005): Television networks in the 21st century. Growing critical mass in a fragmenting world. Deloitte Touche Tohmatsu Global Technology, Media & Telecommunications Industry Group Report, New York, 2005, S. 10. 53 Vgl. dazu Kaumanns, Ralf/Siegenheim, Veit/Sjurts, Insa (2008): Auslaufmodell Fernsehen? Perspektiven des TV in der digitalen Medienwelt, Wiesbaden, S. 6ff. 54 Ebenda, S. 6. 55 Helmut Reitze, stellvertretender Vorsitzender der ARD/ZDF-Medienkommission und Intendant des Hessischen Rundfunks, Pressekonferenz, Frankfurt am Main, 17. 5. 2006.
2.4 Rechte als Rohstoffe der Wertschöpfung
43
TV-Branche hereingebrochen sei. Wolf Bauer, Vorsitzender der Geschäftsführung der UFA Film & TV Produktion sowie Vorstand des damals noch nicht in der Allianz Deutscher Produzenten aufgegangenen Verbandes film20, sagte auf den Münchner Medientagen 2006: „Weil die Sender an einem Geschäftsmodell aus den sechziger Jahren festhalten (gemeint war der „Total-Buyout“; Anm. d. Autors), haben wir eine ständige Auseinandersetzung um die Rechte.“56 Er plädierte für eine „Entbündelung der Rechte“, so dass Produzenten die Möglichkeit erhalten würden, ihre Produktionen besser zu verwerten. Der Vorstandsvorsitzende der MME Moviement AG, der mit 88 Millionen Euro Jahresumsatz größte unabhängige TV-Produzent, Martin Hoffmann, ergänzte in einem Interview: „Die Strategie der Sender mit ihrem TotalBuyout-Modell mit allen Nebenrechtsverwertungen trifft die Interessen der Produzenten ins Mark. Das verhindert eine Teilnahme an der Wertschöpfungskette, die für die Zukunft der Produzenten und letztlich auch für das Wachstum der deutschen Medienwirtschaft unerlässlich ist.“57 Auch die Produktionsfirma Constantin meldete sich ähnlich zu Wort. Der Finanzvorstand des bereits erwähnten Filmproduzenten MME Moviement, Christian Franckenstein, sprach auf einer Tagung des GrimmeInstituts in Marl von einem „längst überfälligen Paradigmenwechsel in der tradierten Konstellation zwischen Fernsehsender und Produzent“.58 In einer kurzen Rückschau arbeitete Franckenstein die Historie des TBO-Modells heraus, und gestand freimütig ein, dass das bei seiner Einführung im stabilen öffentlich-rechtlich geprägten Beauftragungssystem der 60er- und 70er Jahre den Produzenten durchaus willkommen, weil entsprechend gewinnträchtig war. Als nach Einführung des dualen Systems und des privaten Fernsehens das Modell auf die marktwirktschaftlich orientierte TV-Industrie übertragen wurde, profitierten zunächst ebenfalls die Produzenten von den Möglichkeiten des neuen Marktes. „Fette Jahre“, wie Franckenstein sagte, brachen an, die erst im Jahr 2001 endeten, ausgelöst durch das Platzen der New-Economy-Fantasien und der damit verbundenen Krise der Werbewirtschaft. Götz Hamann verwies darauf, dass heute viele Produzenten bereit seien, mehr Risiko einzugehen, sich also vom TBO und der Vollfinanzierung zu verabschieden, um dafür mehr Rechte zu erhalten.59 56
Wolf Bauer, Panel „Der Zweitverwertungsmarkt für Kino und Fernsehen“, Medientage München, 19. 10. 2006. 57 Martin Hoffmann, Interview mit Pro Media, 1. 9. 2006, Seite 30ff. 58 Frankenstein, Christian: Ausgeschlossen, eingeschlossen – der Kampf um Rechte, Plattformen und Verwertungsketten. Vortrag auf den Marler Tagen der Medienkultur, 6. + 7. Dezember 2007, Marl. 59 Hamann, Götz: Scharf gestellt – Das neue Bild des Produzenten. Referat auf den Marler Tagen der Medienkultur, 6./7. Dezember 2007, Marl.
44
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Mit dieser bewussten – neuen – Haltung und ihrer klar formulierten Position in Bezug auf die Rechteverwertung begaben sich die Produzenten auf direkten Konfrontationskurs zu ihren Hauptauftraggebern, den TV-Sendern, deren Diversifikationsstrategien auf eine noch umfänglichere Verwertung von Zweit- und Nebenrechten abzuzielen begannen und die dies auch unverhohlen so formulierten: „Wir wollen auf allen Bildschirmen stattfinden, also nicht nur im Wohnzimmer. Deshalb sind wir im Internet, über DSL und über Handy-TV bereits jetzt zu empfangen, deshalb können die RTL-Nachrichten heute bereits auf den iPod heruntergeladen werden“, sagte zum Beispiel RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt in Bezug auf eine Multiplattform-Verwertung von Inhalten.60
2.5
Positionierung der Marktteilnehmer
An dieser Stelle kann und soll nur kursorisch und skizzenhaft auf die Rolle der Marktteilnehmer eingegangen werden – im Wesentlichen mit einer Zusammenfassung ihrer Haltung gegenüber dem strategischen Management von Contentrechten (SMCR). Zur Positionierung der Marktteilnehmer und die Struktur des deutschen TV-Marktes liegen detaillierte und aktuelle Untersuchungen vor, unter anderem von Lantzsch (2008), Zabel (2009), aber auch in medienwissenschaftlichen Standardwerken wie z. B. Wirtz (2008). An dieser Stelle dient die Kurzanalyse der Positionierung der Marktteilnehmer als Skizze einer komplexen und dynamischen Wettbewerbslandschaft und der Herausmodellierung von Grundkonstellationen.
2.5.1
Sendeunternehmen
Die Sendeunternehmen des deutschen Fernsehens sind im Oligopol des dualen Systems verankert: Auf der einen Seite stehen eine Vielzahl über Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Sender, auf der anderen Seite eine im europäischen Vergleich sehr hohe Anzahl von werbefinanzierten Vollprogrammen oder Nischenprogrammen sowie zahlreiche Bezahlangebote. Zabel (2008) bilanziert in seiner Untersuchung zum Wettbewerb im deutschen TV-Produktionssektor, dass die Branche „durch eine kleine Gruppe vertikal integrierter Medienfamilien dominiert“ wird.61 60
Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin RTL Television GmbH, Werben & Verkaufen, 24. 8. 2006, S. 55. 61 Vgl. dazu Zabel, Christian (2008): Wettbewerb im deutschen TV-Produktionssektor. Produktionsprozesse, Innovationsmanagement und Timing-Strategien. VS-Verlag, Wiesbaden, S. 239ff.
2.5 Positionierung der Marktteilnehmer
45
Dabei stehen die privatfinanzierten Gruppen von ProSiebenSat1 Media AG und der RTL Group dem gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Komplex gegenüber. Hinsichtlich des Content-Rechtemanagements liegen auf den beiden Seiten des dualen Systems bedingt durch die Entwicklungen in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche Voraussetzungen vor. Die Quasi-Vollfinanzierung der öffentlichrechtlichen Sender durch Gebühren hat hinsichtlich des Erwerbs vollumfänglicher Rechtepakete die Folge, dass Rechte-Einschränkungen aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen seltener und mit weniger Konsequenzen anzutreffen sind, als bei den den Bedingungen des Marktes unterworfenen privaten Sendern. Ein Beispiel dafür sind Sportrechte, die nach Friedrichsen (2006) „strategischen Wert“ für Sendeunternehmen haben, bei deren explodierenden Kosten private Sender aber zugunsten von öffentlich-rechtlichen Sendern häufig auf den Erwerb verzichten müssen.62 „Der Wert der Fernsehrechte für die Fussball-Bundesliga“ stieg nach Schrag (2006) „von etwa drei Millionen Euro 1984/85 auf 328 Millionen Euro im Jahr 2001.“63 Während die privaten Sender vor 2001 diese Fußball-Rechte als für die eigene Positionierung erfolgskritisch ansahen und damit auch nichtrefinanzierbare Kosten als strategische Investitionen in Kauf nahmen, führte der Zusammenbruch der Kirchgruppe auf der einen Seite und das Ende der New-Economy-Euphorie auf der anderen Seite dazu, dass die Preise für die Fußballrechte zwar wieder sanken, aber immer noch auf einem Niveau ihre neue Basis fanden, das privaten und marktwirtschaftlich denkenden Unternehmen lange Zeit als extrem schwierig erscheinen musste. Anders die öffentlich-rechtlichen Sender: Weitgehend abgekoppelt von Marktmechanismen konnten und können die Anstalten auch weiterhin großflächig Sportrechte erwerben. Ähnlich verhält es sich mit vielen prestigeträchtigen und positionierungsrelevaten Rechten z. B. aus Musik und anderen Unterhaltungsbereichen. Als Grundkonstellation ergibt sich somit, dass im Bieterwettstreit um ausgeschriebene Rechte wie auch im grundsätzlichen Erwerb von Rechten zum Beispiel an US-Lizenzproduktionen oder deutschen Großproduktionen, die öffentlich-rechtlichen Sender über ihre Gebührenfinanzierung und die dadurch bedingte Teilabkopplung von Marktmechanismen eine prinzipiell stärkere und sorglosere Rolle haben, als die privatfinanzierten Sender. Diese Sorglosigkeit führt auf der einen Seite zu größerer Verhandlungsmacht, auf der anderen Seite jedoch möglicherweise auch zu einer Vernachlässigung von internen Kernkompetenzen zum Management von 62
Vgl. dazu Friedrichsen, Mike: Fußball und Fernsehwerbung. In: Holtz-Bacha, Christina (Hrsg.): Fußball – Fernsehen – Politik, VS-Verlag Wiesbaden, S. 149ff. 63 Vgl. dazu Schrag, Wolfram: Umbrüche in der ersten Reihe. In: Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte, 03/2006.
46
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Contentrechten, da hier der wirtschaftliche Druck zu Effizienz und Effektivität deutlich schwächer vorhanden ist.
2.5.2
Deutsche Produktionsunternehmen
Die deutsche Produktionsbranche und Filmindustrie ist im Hinblick auf die gesamte Kreativwirtschaft von großer Bedeutung. Die Bundesregierung stellt im jüngst veröffentlichten Bericht dazu fest, dass „die Filmwirtschaft 2008 nach vorläufigen Angaben insgesamt 56.200 oder 5,0% der Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft (beschäftigt). Darin sind die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten enthalten, die mit einer Zahl von 37.200 Personen einen erheblichen Anteil in der Filmwirtschaft ausmachen. Der wichtigste Wirtschaftszweig ist die Film-/TV/Videoherstellung, die mehr als der Hälfte aller Erwerbstätigen einen Arbeitspatz bieten kann. Im Jahr 2008 erwirtschaftete die Filmwirtschaft ein Umsatzvolumen von schätzungsweise rund 7,6 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 5,1% des gesamten in der Kultur- und Kreativwirtschaft erwirtschafteten Umsatzes. Der wichtigste Wirtschaftszweig ist wiederum die Film-/TV-Videoherstellung, die mit 3,6 Milliarden Euro knapp die Hälfte des gesamten Umsatzes erzielt. Die Filmverleiher und Kinos belegen mit 20% bis 23% Marktanteilen die weiteren Rangplätze. Die Zahl der Selbstständigen und steuerpflichtigen Unternehmen liegt zusammen bei knapp 19.000 oder 6,9% der Unternehmen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Rund 9.800 (Anteil 51%) darunter zählen zu den selbstständigen Künstler-/Kulturberufen, die mit Abstand die größte Gruppe in der Filmwirtschaft bilden. Bei den übrigen 9.200 Unternehmen handelt es sich um Filmfirmen, die zum überwiegenden Teil in der Film-/TV-Videoherstellung (Anteil 38% an der Filmwirtschaft insgesamt) aktiv sind.“64 Insgesamt spricht der zitierte Endbericht Kultur- und Kreativwirtschaft von einer „stetigen Wachstumslinie der Unternehmen“ im Bereich der Filmwirtschaft. Für das Teilsegment von Fernsehsendern und Produzenten muss dies allerdings differenzierter betrachtet werden – auch und vor allem, weil die Studie vor den Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise entstand. Der deutsche Markt für TV-Produktionsunternehmen ist insgesamt betrachtet ein hochfragmentierter Markt. Anders als in den USA, wo sich die Marktmacht in sechs großen Major-Studios in Hollywood konzentriert, verfügt Deutschland über eine 64
Söndermann, Michael/Backes, Christoph et al. (2009): Endbericht Kultur- und Kreativwirtschaft: Ermittlung der gemeinsamen charakteristischen Definitionselemente der heterogenen Teilbereiche der Kulturwirtschaft zur Bestimmung ihrer Perspektiven aus vorlkwirtschaftlicher Sicht. Auftraggeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Köln/Bremen/ Berlin, S. 88.
2.5 Positionierung der Marktteilnehmer
47
hochdiverse Produktionsbranche, die in den letzten Jahren stark in Bewegung gekommen ist. Lantzsch (2008) schätzt die Zahl der mittelständisch organisierten Produzenten in Deutschland auf 1600 bis 1800. Dominiert wird die Branche jedoch von relativ wenigen großen Produktionsgruppen, die fast die Hälfte des Produktionsoutputs herstellen.65 Bezogen auf die Marktmacht beim Thema der Rechte bleibt diese Dominanz jedoch unauffällig. Lantzsch (2008) verweist trotz der OutputKonzentration auf einen hohen Wettbewerbsdruck innerhalb der Branche und eine dadurch bedingte geringe Verhandlungsmacht der Produzenten.66 Sjurts (2005) spricht in diesem Zusammenhang von „Hyperwettbewerb“ und führt diesen unter anderem darauf zurück, dass TV-Formate urheberrechtlich nicht geschützt werden können.67 Keusen (2000) konstatiert eine starke vertikale und horizontale Integration und prognostiziert eine Konzentrationsbewegung, die mit gleichzeitigem Output-Wachstum verbunden ist.68 Vor dem Hintergrund der konjunkturellen Folgen der Finanzkrise, von denen unmittelbar die Werbewirtschaft und damit mittelbar die werbefinanzierten Medienangebote betroffen sind, erwarten Medienexperten weitere Konzentrationstendenzen und eine „Marktbereinigung“.69 Bereits 2007 hat das Formatt-Institut entsprechende Schlussfolgerungen gezogen. Dort ist von hohen Konzentrationswerten die Rede, wenngleich in 2005 und 2006 keine spektakulären Aufkäufe zu verzeichnen waren.70 Als Grundkonstellation zeigt sich bezogen auf die Produzentenindustrie, dass die Verhandlungsmacht nach Zabel (2009) einer „erheblichen Asymmetrie“ unter65
Vgl. Lantzsch, Katja (2008): Der internationale Fernsehformathandel. Akteure, Strategien, Strukturen, Organisationsformen. VS-Verlag, Wiesbaden, S. 92ff. 66 Ebenda. 67 Sjurts, Insa (2005): Strategien in der Medienbranche. Grundlagen und Fallbeispiele, 3. Aufl., Wiesbaden, S. 309. Der Hyperwettbewerb in der Produktionsbranche ist dabei die Folge eines entsprechend harten Wettbewerbs unter den privaten TV-Sendern. Sjurts konstatiert in diesem Zusammenhang das Fehlen echter Innovationen, die an Kernkompetenzen der Fernsehsender anknüpfen und von der Konkurrenz nicht rasch imitiert oder durch andere Produkte substituiert werden können. 68 Keusen, Kai-Peter (2000): TV-Fiction-Produktion in Deutschland, S. 5f. Zitiert nach URL: www.moving-life.de/htm_assets/sides/science/tv-fiction-produktion_deutschland.pdf, abgerufen am 14. 1. 2009. 69 Vgl. dazu Siebenhaar, Hans-Peter: Fernsehproduzenten unter Druck. In: Handelsblatt, 20. 11. 2008. Siebenhaar bezieht sich auf verschiedene Aussagen von TV-Produzenten und kommt zum Schluss, dass die Produzenten selbst ebenfalls von einer Konsolidierung der Branche ausgehen. Siebenhaar rechnet mit Firmenverkäufen und neuen Billig-Produktion, die vor allem die großen Produzenten den Sendern anbieten wollen. 70 Formatt-Institut (2007): Aufwind in der Fernsehproduktion in Deutschland 2005 und 2006, S. 6f.
48
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
liegt. Die Masse der kleineren Unternehmen verhandelt demnach aus einer schwachen Marktposition und auch größere Produktionsfirmen folgen dem „dominierenden Vertragsregime des Total-Buyout“.71 Insgesamt spricht Zabel von „begrenzten Machtressourcen.“ 2.5.3
US-Filmstudios
Die amerikanischen Film- und TV-Studios haben nicht nur in den USA, sondern weltweit und damit auch in Deutschland eine sehr große Bedeutung. Marktbeherrschend sind die sechs großen US-Majors72, deren Produktionen auf deutschen Sendern hohe Marktanteile erreichen. Im deutschen Kino machen US-Produktionen rund zwei Drittel aller gezeigten Filme aus. Je nach Sender schwankt der Anteil an US-Produktionen massiv und liegt zwischen 21 und 77%.73 Die Verhandlungskonstellation mit den US-Studios zeigt entsprechend dieser wirtschaftlichen Marktmacht ein dramatisches Kräfteungleichgewicht. Die amerikanischen Produzenten sind in fast allen Fällen dazu in der Lage, die Bedingungen des Rechtehandels und die Konditionen von Lizensierungen zu bestimmen. Als Grundkonstellation lässt sich herausarbeiten, dass die wirtschaftliche Notwendigkeit für privatfinanzierte TV-Unternehmen, aber auch die Marketingbedeutung von amerikanischen Filmen/Serien für das öffentlich-rechtliche Programm zu einer Situation führen, in der die nationalen Abnehmer gezwungen sind, sowohl programmliche Paketierungen (dabei werden „Blockbuster“-Movies mit weniger erfolgreichen Filmen, US-Top-Serien mit dem besten Reichweiten-Rating mit weniger erfolgreichen Serien zusammengefasst in sogenannte „Output-Deals“74) wie die 71
Vgl. dazu Zabel, Christian (2008): Wettbewerb im deutschen TV-Produktionssektor. Produktionsprozesse, Innovationsmanagement und Timing-Strategien. VS-Verlag, Wiesbaden, S. 243f. Zabel erwähnt als Beispiel die Brainpool TV GmbH, die nach eigenen Angaben von diesem kontraktuellen Modell abweichen konnte und Rechte bei sich behalten konnte. Zabel formuliert die Vermutung, dass insgesamt durch die „Etablierung inhaberorientierter Produktionsfirmen und diversifizierter Produktionshäuser im Zuge der Börsen- und Werbemarktkrise ab 2001 die Zahl der abweichenden Vertragsregelungen zugenommen hat, auch wenn das Total-Buy-Out-Regime nach wie vor die Märkte dominiert.“ 72 Die „Big Six“ der US-Film- und Fernsehindustrie sind Paramount, Warner Brothers, Disney Entertainment/Miramax, Universal, Columbia/MGM und Twentieth Century Fox. 73 Krüger, Udo-Michael & Zapf-Schramm, Thomas (2008): Sparten, Sendungsformen und Inhalte im deutschen Fernsehangebot 2007. In: Media Perspektiven 4/2008, S. 182. 74 Output-Deals stellen in der Wirklichkeit wesentlich komplexere Konstruktionen dar, als die Bezeichnung zunächst intuitiv nahelegt. So ist zwar die Überlegung die Grundlage, dass die Sender durch langfristige Vertragsabschlüsse Erstzugriffsrechte oder gar Abnahmeverpflich(Fortsetzung auf S. 49)
49
2.5 Positionierung der Marktteilnehmer
2 21
6
3
3
8
21 47
11
41
15 2
77
1
65 58 49
54
2 13
Abbildung 1: Produktionsländer der Fiction-Angebote 2007 Quelle: Krüger, Udo-Michael & Zapf-Schramm, Thomas (2008)75
Zwangsbündelung von Rechten (z. B. Free-TV-Rechte nur in Verbindung mit PayTV-Rechten) zu akzeptieren. Einzelne Zusatzrechte müssen in der Regel einzeln nachverhandelt werden mit oft eigenständigen Sub-Unternehmen der Majors, die diese Nebenrechte gezielt vermarkten. 74
(Fortsetzung von S. 48) tungen des gesamten Outputs eines Studios bekommen (Serien, Spielfilme, Dokumentationen, etc.). In der Praxis wird davon aber selten der gesamte Output umfasst, sondern geregelt durch bestimmte Leistungswerte (US-Marktanteile z. B.) oder Termine können einzelne Serien/Filme nicht Bestandteil des Deals werden oder können zu Konditionen beschafft werden, die eine Weiterlizensierung der Inhalte innerhalb bestimmter Territorien und Zeiträume ermöglicht. 74 Krüger, Udo-Michael & Zapf-Schramm, Thomas (2008): Sparten, Sendungsformen und Inhalte im deutschen Fernsehangebot 2007. In: Media Perspektiven 4/2008, S. 182.
50 2.5.4
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Neue Marktteilnehmer
Die Digitalisierung hat das Wettbewerbsfeld hinsichtlich der Konkurrenz um Rechte erheblich erweitert und wird dies in den kommenden Jahren noch weiter tun. Bereits jetzt bieten Telekommunikationsunternehmen wie die Telekom oder Vodafone um relevante Bewegtbildrechte zum Beispiel von Sportereignissen oder von USInhalten mit und erwerben in einzelnen Fällen auch relevante Rechtepakete. So hat die Telekom ab der Saison 2009/2010 für vier Jahre die IPTV-Rechte an der FußballBundesliga gekauft und wird zusammen mit einem redaktionellen/technischen Partner die Spiele der Liga ihren Kunden anbieten. Unterhalb dieser Top-Rechte-Ebene gibt es aber immer mehr Anbieter, die bislang klassisch im Fernsehen verwertete Rechte zu vermarkten suchen. Die Video-Community „MyVideo“ hat so zum Beispiel im Jahr 2009 tausende „offizielle“, also rechtlich mit den Eigentümern verhandelte Musikvideos gratis online gestellt. Die Kooperation mit der Musikindustrie wird rein werbefinanziert und stellt eine unmittelbare Konkurrenz zu den tradierten Musiksendern im Fernsehen dar. Zahllose weitere Plattformen bieten zudem bewegte Bilder an und haben entsprechende Rechte erworben. Das sind nicht nur die großen Community-Seiten wie MySpace.com oder studiVZ, sondern zunehmend auch die mit reinen Wort- und Standbild-Inhalten gefüllten Seiten wie Focus.de oder Spiegel Online. Auch zeit.de zeigt seit einiger Zeit Nachrichtenvideos des ZDF in einer Zusammenfassung. Die Beispiele illustrieren die allgemeine Grundkonstellation: Der Kampf um die Rechte an bewegten Bildern ist auf allen Vertriebsplattformen mit einer Vielzahl neuer Wettbewerber entbrannt, deren Verhandlungsmacht in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird. 2.5.5
Die prä-digitale Ära
Die prä-digitale Ära war geprägt von einem stark operativen und oft eindimensionalen Verständnis des Themas Rechtemanagement. In vielen Medienunternehmen wurde darunter oft schlicht die Dokumentation von Verträgen und Inhalten verstanden. Beim Rechteerwerb und den Vertragsverhandlungen standen die „Hauptrechte“ für den jeweiligen medialen Kernkanal mit Abstand an erster Stelle. „Nebenrechte“ wurden zwar miterworben, ohne dass jedoch bereits zum Zeitpunkt des Erwerbs eine strategische Planungssicht auf diese Rechte existierte. Von einem SMCR im oben definierten Sinne konnte in der vordigitalen Zeit nicht die Rede sein. Die oligopolistische Struktur insbesondere der TV-Branche, die Dominanz zahlungsstarker Auftraggeber aus beiden Teil des dualen Systems und eine Total-Buyout-Vertragspolitik, die oft mehr der Einfachheit halber, denn aus strategischem Plan heraus gewählt schien, führten zu einer wenig komplexen Situation mit schwach ausgeprägten
2.5 Positionierung der Marktteilnehmer
51
Marktkräften. Popp/Parke/Kaumanns sprechen von „überschaubaren administrativen Aufgaben des Rechtemanagements“.76 Von einer geschäftsrelevanten Bedeutung wurden Rechte nur im Fall krasser, aber auf jeden Fall singulärer und systematisch nicht beabsichtigter Verstöße gegen das Urheberrecht, die am Einzelfall plötzlich deutlich machten, dass Rechte doch eine wichtige Rolle in den Medien spielen. Nach Karstens (2006) konnte ein „klassisches Rechtemanagement“ von der späteren digitalisierten Zeit klar unterschieden werden.77 2.5.6
Die digitale Herausforderung
Die Bedeutung des SMCR hat sich in der digitalen Welt exponentiell gesteigert. Picot (2003) spricht von „fundamentalen Fragen“ infolge der Veränderung der Rechte, „der technisch-organisatorischen Rahmenbedingungen und der anhaltenden Entwicklung von Technologie, Märkten und individuellen Verhaltensweisen“.78 Dies wurde in den Unternehmen aber zunächst im Wesentlichen rein technologisch oder administrativ verankert. Grisebach (2005) fokussierte in seiner Betrachtung der Printbranche zwar noch auf ein klassisches, primär technisch verstandenes Digitales Rechtemanagement (DRM), betont aber auch, dass DRM „kein isoliertes System“ darstellt. Er verwies auf „eine Schnittstelle zum klassischen Lizenzsystem, also zur Abrechnung, zum Autor, Handling und eine Schnittstelle zum Content Management System.“79 Popp/Parke/Kaumanns sprechen von der „strategischen Position“, die das Rechtemanagement in der digitalen Welt einnimmt und die über den Erfolg eines 76
Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 457. 77 Karstens, Eric (2006): Fernsehen digital: Eine Einführung. VS-Verlag, Berlin, S. 53f. 78 Picot, Arnold (2003): Begrüßung und Einführung zur Mitgliederkonferenz des Münchner Kreises zum Thema „Digital Rights Management“. In: derselbe (Hrsg.): Digital Rights Management, Springer-Verlag, Berlin, S. 2. Picot verweist in seinem Begrüßungswort zudem auf ein auffälliges Missverhältnis der Machtverteilung zwischen potentiell von Verletzungen bedrohten Urhebern und jenen, die genau diese Urheberrechtsverletzungen begehen. Durch (bedingt durch die Digitalisierung) massiv gesunkene Kosten beim Kopieren von Inhalten oder beim Zugriff, der Verteilung und der Speicherung digitaler Inhalte klafft die Lücke zu den Aufwänden jener, die Urheberrechtsverstöße verfolgen und ahnden lassen wollen, immer weiter auseinander, da die Kosten der Auffindung „noch nicht so stark gesunken, z.T. sogar gestiegen sind.“ 79 Grisebach, Rolf (2005): Findet die digitale Revolution in der Verlagsbranche statt? In: Picot, Arnold & Thielmann, Heinz (Hrsg.): Distribution und Schutz digitaler Medien durch Digital Rights Management, S. 51. Grisebach fordert in seiner Begriffsbestimmung immerhin, dass sich die Wertschöpfungsketten bei Verlagen oder generell Medienanbietern werden anpassen müssen.
52
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Medienunternehmens mitentscheidet und sich scharf abgrenzt von der operativverwaltenden Tätigkeit, die ein Rechtemanagement in der alten analogen Welt umschrieb.80 Sambeth (2003) betont die grundsätzliche Erkenntnis, dass die horizontale Aufgabe des Content Managements und des digitalen Rechtemanagements „einzelgeschäftsübergreifend Wert schaffen kann“.81 Nach seiner Auffassung liegt dies vor allem in der zunehmenden Übereinstimmung der entsprechenden Wertschöpfungsaktivitäten in den einzelnen Geschäftseinheiten, die sich durch die Digitalisierung prinzipiell immer ähnlicher würden. Bezogen auf Musikrechte sprechen Kaiser und Ringlstetter (2008) hinsichtlich der Wertschöpfungsstufe des Rechtehandels und des professionellen Rechtemanagements bereits von einem „Kerngeschäft“82, eine Erkenntnis, die insbesondere in der Musikindustrie mit einiger Bitternis konstatiert werden muss. Wie in dieser Arbeit gezeigt werden wird, führen die disruptive Zergliederung von tradierten Medien-Wertschöpfungsketten (wie zum Beispiel in der Musikindustrie) zu gänzlich veränderten Wettbewerbsbedingungen, in denen neue Marktteilnehmer die niedrigen Markteintrittsbarrieren durch die Digitalisierung ausnutzen und auch im Markt um Rechte und Mediengüter als neue Konkurrenten auftreten können. Die grundsätzliche Tendenz hinsichtlich der Wertschöpfung zeigt nicht nur disruptive Einflüsse auf allen Ebenen der Wertkette. Auch hinsichtlich des sogenannten „Windowing“, also der Strategie zeitlich vor- oder hintereinander gestaffelter Verwertungsfenster, hat die Digitalisierung massive Verschiebungen gebracht. Die grundsätzliche Tendenz ist eine Verlängerung der Auswertung auf den unterschiedlichen Distributionswegen mit der Konsequenz eines dramatisch gesteigerten Konkurrenzdrucks durch neue bzw. Kannibalisierungsdrucks durch traditionelle Anbieter. Dabei kann die Abbildung die Entwicklung nur als eine Momentaufnahme darstellen, alle US-Studios z. B. testen derzeit neue Veröffentlichungsstrategien. So ging das US-Major-Studio Warner im April 2008 erstmals so weit, Kinofilme bei deren DVD80
Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 457. 81 Sambeth, Frank (2003): Das Corporate Center in der Medien- und Kommunikationsindustrie. DUV-Verlag, St. Gallen, S. 238ff. Sambeth spricht von neuen, medienneutralen und damit geschäftsübergreifenden Kompetenzen des Content Managements mit neuen Möglichkeiten der Wertschaffung. Ursächlich dafür sind nach seiner Ansicht die technischen Charakteristika digitaler Medienprodukte, die durch ihre binäre Struktur nichts weiter als Bits darstellten, die beliebig oft gespeichert und rekombiniert werden können. 82 Kaiser, Stephan & Ringlstetter, Max (2008): Die Krise der Musikindustrie. Diskussion bisheriger und potentieller Handlungsoptionen. In: Weihnacht, Stefan & Scherer, Helmut (2008): Wissenschaftliche Perspektiven auf Musik und Medien. In der Reihe Musik und Medien, VS-Verlag, Wiesbaden, S. 50.
53
2.6 Der Bezugrahmen des Strategischen Managements
Verwertungsfenster
0–6
6–12
12–18
18–24
24–30
30–36
36–42
42–48
Kino DVD/VHS Pay-per-View Video-on-Demand Pay-TV Free-TV Nachverwertung Traditionelle Verwertungsfenster
Neu entstehende Verwertungsfenster
Abbildung 2: Rekonfiguration des „Windowing“. Quelle: Accenture in: Media Perspektiven83
Premiere parallel auch als kostenpflichtigen Download anzubieten und im Pay-TV zu zeigen. „Der Kunde soll entscheiden können, ob er einen Film als DVD kaufen, leihen oder die Download-Möglichkeit nutzen möchte – und dies nicht erst nach einem Zeitfenster von drei Monaten“, kommentierte das der für Deutschland und Österreich zuständige Manager bei Warner.84 Für die Zukunft sind Strategien denkbar, die zugangsfreie, nichtrestringierte und teilweise sogar für den Enduser kostenlose Veröffentlichungen gleichzeitig und parallel auf allen Kanälen und Plattformen umfassen.
2.6
Der Bezugsrahmen des Strategischen Managements
Die Veränderungen in den Wertschöpfungsprozessen der TV-Branche erhöhen die Bedeutung des Managements von Contentrechten. Wie dargestellt, sind diese Rechte Grundvoraussetzungen für die Verwertung medialer Inhalte auf anderen als der zunächst primär im Vordergrund betrachteten Free-TV-Plattform. Es ist daher 83
Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 459. 84 Vgl. dazu: „Warner schafft Schonfrist für DVDs ab“, Artikel in Spiegel Online, veröffentlicht am 14. 4. 2008, abgerufen unter URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,547304,00.html, am 13. 1. 2009.
54
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
im Folgenden notwendig, dem Management von Contentrechten mithilfe eines erweiterten theoretischen Ansatzes seinen Ort innerhalb einer allgemeinen Managementtheorie zuzuweisen. Dazu sollen zunächst die Grundlagen des strategischen Managements skizziert werden, um anschließend den Versuch zu unternehmen, das Management von Contentrechten als eine kernkompetenzbasierte Sonderform des ressourcenbasierten Managements zu bestimmen. 2.6.1
Grundlagen des strategischen Managements
Kern jeden strategischen Managements ist ein Begriff von „Strategie“. In den Wirtschaftswissenschaften war die Definition des Strategiebegriffes in den ersten Jahrzehnten systematischer Forschung umstritten. Insbesondere bedurfte und bedarf es bis heute der Klärung, auf was genau sich eine Strategiedefinition bezieht. Offenkundige Ausrichtungs- und Verständnisunterschiede offenbarten sich bereits in den frühen sechziger Jahren in einer ersten groben Unterscheidung zwischen marktorientierten und unternehmensorientierten Ansätzen. Im einem ersten Standardwerk zur Materie fokussierte Penrose (1959) zunächst auf eine unternehmensinterne Sicht, wenn sie davon spricht, „(that) it is the heterogenity, and not the homogenity of the productive services available or potentially available from its resource that gives each firm ist unique character.“85 Chandler (1962) folgt dem ressourcenfokussierten Ansatz in seiner Untersuchung über den Wachstumsprozess von Unternehmen und spricht davon, dass „strategy can be defined as the determination of the long-term goals and objectives of an enterprise, and the adoption of courses of action and allocation of resources necessary for carrying out these goals“86. Als Schlüsselerfolgsfaktor isoliert er die Fähigkeit eines Unternehmens, sein Wachstum in einem Planungsprozess strategisch auszuführen und dafür eine entsprechende organisatorische Struktur zu schaffen. Gälweiler (1987) verweist darauf, dass Strategie teilweise zu einem modischen Schlagwort geworden ist, dass oft dazu dient, ganz allgemein zielgerichtetes (politisches) Handeln durch die Wucht des Strategie-Begriffs aufzuwerten.87 Um den Strategiebegriff pragmatisch zu fassen, scheint es daher nicht sinnvoll, eine umfassende Definition anzustreben, sondern Strategie als ein mehr oder weni85
Penrose, Edith: Theory of the growth of the firm, Oxford, 1959, S. 75f Chandler, Alfred: Strategy and structure, Cambridge, Massachusetts, 1962, S. 13. 87 Gälweiler, Aloys (1987): Strategische Unternehmensführung, Frankfurt am Main, S. 55ff. In seiner eigenen Definition fasst Gälweiler den Strategiebegriff auch eher weit, wenn er davon spricht, dass das Wesen der Strategie darin besteht, sein „Denken, Entscheiden und Handeln an den übergeordneten und obersten Zielen oder Zielvoraussetzung zu orientieren“, und sich dabei nicht von kurzfristigen Dringlichkeiten und Augenblicksvorteilen vom Kurs abbringen zu lassen (S. 66). 86
2.6 Der Bezugrahmen des Strategischen Managements
55
ger konsistentes Bündel von Planungen, Maßnahmen und Handlungen anzusehen, das aber definierten Kriterien genügen muss, um als Teil einer Strategie verstanden werden zu können. Nach Mintzberg (1994)88 kann ein pragmatischer Strategiebegriff gefunden werden, der mindestens vier Kriterien entsprechen muss: • Strategien müssen Handlungsorientierung mit dem Charakter von Prinzipien bieten. • Strategien implizieren eine prinzipielle Zukunftsoffenheit, eine Strategie stellt immer nur einen denkbaren Weg unter vielen dar, jenen aber, der das Unternehmen in die gewünschte Zukunft führen soll. • Strategie ist nicht unmittelbar an einen leitenden Willen gebunden, sondern kann auch als implizites, formiertes Handlungsmuster beobachtet werden, in Form sogenannter „emergent strategies“. • Zentraler Betrachtungsgegenstand von Strategien ist das wechselvolle Zusammenspiel von Produkten und Märkten. Das strategische Management als Begriff und Teildisziplin hat sich seit etwa Anfang der siebziger Jahre innerhalb der Managementtheorie der Betriebswirtschaftslehre etabliert. Hungenberg (2004) verweist darauf, dass das strategische Management zwar ein inhaltlich wie methodisch weitgefasstes Fachgebiet darstellt, er betont jedoch auch, dass keinesfalls davon ausgegangen werden kann, dass „strategisches Management ein Sammelbegriff für völlig unzusammenhängende Themengebiete und Ansätze wäre“.89 Vielmehr kann nach seiner Ansicht von einem gemeinsamen Grundverständnis des Begriffs ausgegangen werden. Teil dieses Grundverständnisses sind nach Hungenberg die Fokussierung auf Managemententscheidungen, die die grundsätzliche Ausrichtung eines Unternehmens betreffen, die damit den langfristigen Erfolg eines Unternehmens sichern, die prägend sind für die interne wie externe Ausrichtung des Unternehmens, die Erfolgspotenziale erkennt und hebt sowie alle Entscheidungen an einer übergreifenden Perspektive misst. Welge/Al-Laham (2003) verkürzen die Definition strategischen Managements auf die Frage, „warum einige Unternehmen in einer Branche erfolgreich sind und andere nicht.“90 88
Mintzberg, Henry (1997): The rise and fall of strategic planning: Reconceiving roles for planning, plans, planners, New York, S. 23ff. 89 Vgl. Hungenberg, Harald (2004): Strategisches Management in Unternehmen. Ziele – Prozesse – Verfahren. Wiesbaden, 3. Auflage, S. 4ff. Hungenberg verweist u. a. auch auf Mintzberg und dessen Konzept der 5 „Ps“: Plan, pattern, position, perspective, ploy. Bis auf den im letzten P ausgedrückten spielerischen oder spieltheoretischen Ansatz sind die anderen von Mintzberg gewählten Charakteristika auch bei Hungenberg abgebildet. 90 Vgl. Welge, Martin & Al-Laham, Andreas: Strategisches Management: Grundlagen – Prozess – Implementierung, Wiesbaden, 3. Aufl., S. 3. Die Autoren rücken vor allem den Aspekt der Dauerhaftigkeit der unternehmerischen Entscheidungen in den Vordergrund, die ihrer Ansicht nach die Voraussetzung ist, tatsächlich von einer strategischen Ebene zu sprechen.
56
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Innerhalb der betriebswirtschaftlichen Forschung ist das strategische Management eine vergleichsweise junge Gattung. Nach Müller-Stewens/Lechner (2003)91 entwickelte sich das Strategische Management erst in den 60er Jahren zur wissenschaftlichen Disziplin. Lehrstühle wurden eingerichtet, regelmäßige Fachpublikationen etabliert (Harvard Business Review, Journal of Business Strategy). „Strategisches Management“ spiegelt als dichotomer Begriff zwei Hauptaspekte betriebswirtschaftlicher Betrachtung wider – als auf der einen Seite (praktische) Tätigkeit der Unternehmenssteuerung ebenso wie auf der anderen Seite als eine wichtige (theoretische) Teildisziplin innerhalb der Managementlehre, die sich nach zu Knyphausen-Aufseß (2003) vor allem der Entwicklung und empirischen Überprüfung von Theorien widmet.92 Entscheidend für die Fortentwicklung der Disziplin war unter anderem der Ansatz von Ansoff (1976)93, die strategische Planung von Unternehmensprozessen durch eine formalisierte Konstruktion des strategischen Managements zu erweitern. Ansoff fokussierte auf zwei Hauptnotwendigkeiten für einen aus seiner Sicht notwendigen neuen Ansatz: der stetige Anstieg der Komplexität im Umfeld des unternehmerischen Handelns ausgelöst insbesondere durch eine sich beschleunigende Innovations- und Veränderungsdynamik, sowie die Erkennbarkeit der Ablösung von produktionsorientierten zu dienstleistungsorientierten Strukturen. Stichworte für diesen bis heute diagnostizierbaren Wandel sind Globalisierung, kürzere Produktlebenszyklen, veränderte Konsumgewohnheiten sowie die wachsende Bedeutung von Information und Wissen als Produktionsfaktor und Ressource. Bedingt durch die Veränderungen durch die Digitalisierung rücken Planungsund Strategieprozesse in Medienunternehmen besonders in den Fokus der Betrachtung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der digitale Veränderungsprozess keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden kann oder sein Ende auch nur in Ansätzen erkennbar wäre. Das Handeln unter diesen Bedingungen der Unsicherheit94 erlangt dadurch entscheidende Bedeutung. Folgt man der Kategorisierung von Forschungsansätzen in der Medienwirtschaft durch Hass (2002) nimmt die vorlie91
Müller-Stewens, Günter und Lechner, Christoph: Strategisches Management. Wie strategische Initiativen zum Wandel führen, Stuttgart, 2003, 2. Auflage, S. 9. 92 Vgl. dazu zu Knyphausen-Aufseß, Dodo (2003): Strategisches Management. In: Schreyögg, Georg und von Werder, Axel (Hrsg.): Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4. Auflage, Stuttgart, S. 1383ff. 93 Ansoff, H. Igor: Managing surprise and discontinuity. Strategic response to weak signals. Zitiert nach: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 28, S. 128ff. 94 Vgl dazu: Kratzheller, Johannes: Risiko und Risk Management aus organisationswissenschaftlicher Perspektive, Wiesbaden, 1997, S. 86f.: Kratzheller grenzt die klassische betriebwirtschaftliche Entscheidungstheorie vom organisationstheoretischen Handeln ab und verweist darauf, dass es bei erster vor allem darauf ankommt, Entscheidungsregeln für Entscheidungen bei bereits eingetretener Unsicherheit zu formulieren.
2.6 Der Bezugrahmen des Strategischen Managements
57
gende Arbeit zur Untersuchung der Branchenstrategien eine industrieökonomische Perspektive ein, mittels derer die Möglichkeiten von Branchenteilnehmern und -Segmenten zur Steuerung des Wandels betrachtet werden sollen. Vor dem Hintergrund der „Internetökonomie“ gewinnt die ressourcenorientierte Perspektive an Bedeutung, weil sie in der Lage scheint, die komplexen neuen Interaktionsformen zwischen den Branchen ebenso zu erfassen, wie die veränderten Anforderungen an die Rolle von Medienunternehmen als Inhaltsproduzenten und – distributoren. Als angewandte Wissenschaft ist das strategische Management eine Disziplin, die – geprägt durch angloamerikanische Vordenker – dem induktiven Erkenntnisgewinn große Bedeutung zumisst und damit einem Vorgehen, das kommend aus der Praxis die Deskription von Fällen der Hypothesen- und Theoriebildung voranstellt (vgl. Litzcke/Nolte, 2008).95 So kritisch ein solches Vorgehen in vielen Fällen aus erkenntnistheoretischer Sicht diskutiert werden kann, so sehr ist Forschung in aktuellen, in vielen Fällen sogar tagesaktuellen Fragestellungen darauf angewiesen, sein Erkenntnisfeld aus der Praxis heraus zu generieren und zu versuchen, qualitative oder quantitative Befunde im Rahmen der vorhandenen Theorie zu verorten und zu verankern. Die vorliegende Arbeit sieht sich auch aus diesen Gründen im Theoriefeld des „strategischen Managements“ angesiedelt, weil die medialen Veränderungen durch die Digitalisierung in einem Tempo voranschreiten, dem die bloße Theorie kaum folgen kann. Dabei will sich der gewählte Ansatz an Überlegungen von Schreyögg (1999) anlehnen, der einen Trend im strategischen Management darin sieht, das es „eine Verschiebung des Schwerpunktes weg von der Managementfunktion Planung hin zur Managementfunktion Organisation (gibt). Die Planung verliert ihr Primat, die Organisation tritt als eigenständiges Problemlösungspotential gleichberechtigt neben sie. Es geht auch nicht mehr bloß um die Frage, ob ,Strategie folgt Struktur‘ oder ,Struktur folgt Strategie‘ gilt, im Zentrum steht vielmehr jetzt, dass (in hochturbulenten Märkten) Organisation an die Stelle strategischer Planung tritt.“96 2.6.2
Organisationstheoretische Verortung
Folgt man Schreyögg (1999), dann kann strategische Planung und strategisches Management unter den Bedingungen radikaler Veränderung in eins gesetzt werden mit dem Begriff der Organisation. Schreyögg verbindet dabei den Begriff der Unsicherheit mit jenem der Organisation, die als herausforderungskonforme Funktion einer 95
Litzcke, Sven Max & Nolte, Rüdiger (2008): Change Management. Theorie und Praxis. Schriftenreihe der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Band 51, Brühl, S. 22f. 96 Vgl. dazu Schreyögg, Georg (1999): Strategisches Management – Entwicklungstendenzen und Zukunftsperspektiven. In: Die Unternehmung, Band 53, Jahrgang 1999, Heft 6, S. 393f.
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2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
organisierten Unternehmung eben jener Unsicherheit begegnen kann. Miebach (2007) geht soweit, Unsicherheit als „Kernbegriff der Organisationstheorien seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts“ zu bezeichnen und auf den Ansatz der begrenzten Rationalität zu verweisen. Ihm und seinem Schöpfer Simon (1997) zufolge ist bei der unternehmerischen Entscheidungsfindung immer die Postulierung von befriedigenden Strategien einer klassischen Nutzenmaximierung vorzuziehen, da, systematisch bedingt, die Eintrittswahrscheinlichkeiten von Handlungsalternativen niemals final bewertet werden können, der maximale Nutzen daher immer nur ex post bestimmbar ist. Miebach zufolge lässt sich der Gegenstand von Organisationstheorie daher beschreiben „als koordinierte Handlungen von Organisationsmitgliedern unter den Bedingungen der Unsicherheit trotz vorgegebener Ziele und Strukturen durch die Organisation. Eine zentrale Problemstellung für die Modelle des organisationalen Handelns bildet das Spannungsverhältnis zwischen individuellen Interessen und Motiven der Organisationsmitglieder und den Strukturen und Prozessen auf der Organisationsebene.“97 Organisation ist dabei ein sehr vielschichtiger Begriff, der in zahlreichen wissenschaftlichen Teildisziplinen verwendet und eigenen Zielen folgend spezifisch definiert wird. Neben betriebswirtschaftlichen Ansätzen finden sich auch Ansätze in der Psychologie oder der Soziologie. Umfassend definieren Kieser und Kubicek (1992) Organisationen als „soziale Gebilde, die dauerhaft ein Ziel verfolgen und eine formale Struktur aufweisen, mit deren Hilfe Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel ausgerichtet werden sollen“.98 Nach Reichwald/Möslein (1997) dienen Organisationen bzw. Organisationsstrukturen „der Koordination arbeitsteiliger Aufgabenerfüllung. Organisation – als Wechselspiel von Aufgabenteilung und Koordination – zielt auf eine ökonomische Gestaltung arbeitsteiliger Leistungssysteme.“99 Ökonomische Organisationen sieht Jost (2000) als „ein Gebilde, in dem verschiedene Personen miteinander interagieren, um individuelle und 97
Miebach, Bernhard (2007): Organisationstheorie. Problemstellung – Modelle – Entwicklung. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 13ff. 98 Vgl. dazu Kieser, Alfred & Kubicek; Herbert (1992): Organisation, Berlin, New York. Zur Operationalisierung der Beschreibung formaler Organisationsstrukturen unter Zurhilfenahme der Konzepte des situativen Ansatzes schlagen Kieser/Kubicek vor, fünf Strukturdimensionen näher zu betrachten: Arbeitsteilung (Spezialisierung), Koordination, Konfiguration (Leitungssystem), Entscheidungsdelegation (Kompetenzverteilung) und Formalisierung (vgl. dazu S. 75ff. und 175ff.). 99 Reichwald, Ralf & Möslein, Kathrin (1997): Organisation: Strukturen und Gestaltung. Arbeitsbericht N4. 14 des Lehrstuhls für Allgemeine und Industrielle Betriebswirtschaftslehre der Technischen Universität München, München, S. 3. Organisationen verfolgen dem Ansatz zufolge das wesentliche Ziel, knappe Ressourcen sinnvoll einzusetzen, um das angestrebte Ziel zu erreichen (Effektivität) und dabei möglichst geringe Ressourcen zu verbrauchen (Effizienz).
2.7 Refokussierung von Managementansätzen
59
kollektive ökonomische Ziele zu erreichen.“100 Frese (1992) umreißt weitergehend Unternehmungen als „Handlungssysteme“, in denen „Informationen gesammelt, Entscheidungen gefällt, Realisationshandlungen vorgenommen und Kontrollen durchgeführt“ werden. Organisationsstrukturen versteht Frese als „Ergebnis organisatorischer Gestaltung“, die dann darstellen „Systeme von Regelungen – ,Infrastrukturen‘ –, die das Verhalten der Mitglieder auf eine übergeordnetes Gesamtziel, das Unternehmensziel, ausrichten sollen.“101
2.7
Refokussierung von Managementansätzen
2.7.1
Renaissance der „Resource-based view“ (RBV)
Die durch die Globalisierung, aber – in Bezug auf die Medien – vor allem auch durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungen lassen in der wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtung des vergangenen Jahrzehnts eine (Rück-)Besinnung auf eine unternehmensorientierte Sicht erkennen. Nach Seifert (2002) ist die „Resource-based View (…) in der Lage, gerade die Kompetenzen einer Unternehmung zu identifizieren, die es ihr erlauben, mit einem raschen Wandel umzugehen.“102 Schubert/Selz/Haertsch betonen mit Blick auf die Digitalisierung, dass insbesondere die RBV dem Management es ermöglicht, „auch in Phasen von raschem Umweltund Technologiewandel strategisch zu planen und Investitionen langfristig zu planen.“103 Habann (2001) postuliert, dass die „Evolution der globalen Ökonomie hin zu einer „digitalen“ Ökonomie mit einem Bedeutungszuwachs immaterieller Ressourcen für Unternehmen einher (geht)“.104 Seit den frühen 80er Jahren ist neben dem industrieökonomischen Ansatz und die im wesentlichen auf Porter (1980) aufbauende Schule des strategischen Managements der sogenannte „Resource-based-view“-Ansatz getreten (RBV), der den Blick gleichsam weg von der Analyse der Wettbewerbssituation in einer bestimmten 100
Jost, Peter-J. (2000): Ökonomische Organisationstheorie. Eine Einführung in die Grundlagen. Wiesbaden, S. 12. 101 Vgl. dazu Frese, Erich (1992): Organisationstheorie. Historische Entwicklung – Ansätze – Perspektiven, 2. Auflage, Wiesbaden, S. 2ff. 102 Seifert, Frank (2002): Die Wettbewerbspotentiale von Bankmergern. Eine geschäftsfeldspezifische Untersuchung anhand des Resource-based View. Springer-Verlag, Berlin, S. 315. 103 Schubert, Petra/Selz, Dorian/Haertsch, Patrick: Digital erfolgreich. Fallstudien zu strategischen E-Business-Konzepten. Springer-Verlag, 2. Aufl., Berlin, S. 54. 104 Vgl. Habann, Frank (2005): Resource-based-view der Unternehmung: Aussagegehalt für das Management von Medienunternehmen. In: Karmasin, Matthias/Knoche, Manfred/ Winter, Carsten (Hrsg.): Medienwirtschaft und Gesellschaft 1, Lit-Verlag, Münster/Hamburg, S. 107f.
60
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Industrie hingewandt hat zu einem Blick auf Stärken und Schwächen auf Unternehmens-/Akteursebene. Grundlegende Arbeiten von Penrose (1957) und Wernerfelt (1984) leiteten diesen Perspektivenwechsel ein. Wernerfelt umreisst eine Ressource als „anything that could be termed a strength oder weakness of a given firm“.105 Der Ansatz erweist sich vor allem für die Bewertung der Bedeutung von Wettbewerbsvorteilen sowie zur Beurteilung von Diversifikationsaktivitäten als wichtig. Für die vorliegende Untersuchung lassen sich die Ansätze des RBV besonders nutzbar machen. Nach Müller-Stewens/Lechner (2003) besteht die zentrale These der RBV darin, Erfolgsunterschiede zwischen Firmen durch Unterschiede zwischen ihren jeweiligen Ressourcen zu erklären, oder, wie die Autoren formulieren: „Es kommt auf die Effizienzunterschiede zwischen Ressourcen an. Verfügt eine Firma über Ressourcen, die ihr einen Effizienzvorteil sichern, so wird sich dieser in Form eines höheren Erfolgs auszahlen.“106 Als Erfolg wird eine langfristig erzielbare Rente angesehen, „Erträge, die die Opportunitätskosten des Ressourceneinsatzes in einem Industriezweig überschreiten, ohne neue Wettbewerber anzuziehen.“ Dieser Aspekt ist insofern von Bedeutung, als deutlich wird, dass die genannten Effizienzunterschiede zwischen einzelnen Ressourcen eine gewisse Dauerhaftigkeit haben, Wernerfelt (1984) spricht hier von „semi-permanently“. Vor dem Hintergrund der hier untersuchten Fragestellung kann dieser Aspekt von großer Wichtigkeit sein, indem nämlich in einer stark dem Wandel unterworfenen Industrie diese begrenzte Dauerhaftigkeit des Wettbewerbsvorteil möglicherweise die Basis für die Fähigkeit ist, den Wandel im klassischen Sinne zu „managen“. Die Refokussierung auf die Unternehmung und ihre internen Vorgänge steht in enger Verbindung zu einem prozessorientierten Strategie- und Managementverständnis. Bogaschewsky und Rollberg (1998) sehen „aufgrund der wachsenden Komplexität und Vernetztheit betrieblicher Fragestellungen bei einer gleichzeitig hohen Veränderungsdynamik (dass sich) ganzheitliches Denken und Handeln zu Schlüsselqualifikationen von Führungskräften (entwickeln)“ und so „automatisch die Betrachtung von Geschäftsprozessen in den Vordergrund (rückt)“.107 Schreyögg (1999) fordert in seiner Konzeption des prozessorientierten Strategiemanagements eine Ergänzung der klassischen Strategiemodelle. Deren Kern sieht Schreyögg als Teil normativer Entschei105
Wernerfelt, Birger (1984): A resource based view of the firm. In: Strategic Management Journal, Volume 5, Nr. 2, S. 171ff., Hoboken, New Jersey. Wernerfelt betont in seinem Aufsatz die Trennung in „tangible“ und „intangible assets“ und lenkt damit den Blick auch auf die sogenannten „weichen“ Ressourcenfaktoren innerhalb einer Firma, die nicht-physisch sich zum Beispiel in Wissen und Workflows abbilden. 106 Vgl. dazu Müller-Stewens, Günter & Lechner, Christoph: Strategisches Management: Wie strategische Initiativen zum Wandel führen, 2. Auflage, Stuttgart, S. 357. 107 Bogaschewsky, Ronald und Rollberg, Roland (1998): Prozeßorientiertes Management, Springer-Verlag, Berlin, S. 2.
2.7 Refokussierung von Managementansätzen
61
dungstheorie als Wahlrationalität gefasst, innerhalb derer sich strategisches Handeln als Auswahlmechanismus von Unternehmen oder Einzelakteuren unter verschiedenen Strategiealternativen erweist, der eingebunden ist in einen Prozess der ZielfindungAlternativenerstellung-Umsetzungsprognose-Strategiefestlegung.108 Demgegenüber postuliert das prozessorientierte Strategiemanagement eine Fokusverlagerung auf interne Prozesse, deren Untersuchung es ermöglichen kann, die offenkundigen Inkonsistenzen der rationalen Unternehmenssteuerung zu beheben, insbesondere das Handeln nicht als singuläre akteursbezogene Individualentscheidung zu begründen, sondern einen systemischen Blick auf das Handeln in komplexen Organisationen und Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Dabei rückt die Organisation als Untersuchungskategorie in den Mittelpunkt. Nach Schreyögg (1999) lassen sich strategische Prozessanalysen nur schwer kategorisieren, in der Praxis überschneiden sich die denkbaren Perspektiven in vielfacher Weise. Analytisch macht es aus seiner Sicht jedoch Sinn, eine strukturalistische, eine politische und eine kognitive Ebene zu beschreiben, wobei insbesondere der strukturalistische Ansatz besonders hervorgehoben wird. In dieser Perspektive richtet sich der Fokus auf die organisatorischen Strukturen. Organisatorische Differenzierungen hin zu teilweise unabhängigen Subsystemen innerhalb von Unternehmen haben dabei eine vereinfachende Sicht auf die Unternehmensspitze als strategisches Zentrum abgelöst. Besondere Aufmerksamkeit bekommt dabei das Schnittstellen-Management zwischen den einzelnen an strategischen Prozessen beteiligten Einheiten und insbesondere das Managen der dabei entstehenden Konflikte. Burgelman (1994) betont den Vorteil, diese organisationsorientierte Sicht in unmittelbare Verbindung mit den Anforderungen des Marktes zu bringen: „Focusing on the intraorganizational processes associated with strategic business exit offers the opportunity to examine from the inside out how the dynamics of firm-level distinctive competence match, or fail to match, the dynamics of the basis of competition in the industry.“109 Kirsch (1997) 108
Schreyögg, Georg (1999): Strategisches Management – Entwicklungstendenzen und Zukunftsperspektiven. In: Die Unternehmung, 53. Jg., Heft 6, S. 395ff. 109 Vgl. Burgelman, Robert: Fading memories: A process theory of strategic business exit in dynamic environments. In: Administrative Science Quarterly, Volume 39, Cornell University Ithaca, New York. S. 24ff. Interessant in diesem Zusammenhang die von Burgelman hergestellte Verbindung zu „disruptiven“ Veränderungsprozessen, die nicht nur Geschäftsmodelle angreifen und zerstören können, sondern ebenso interne Kompetenzen: „The issue of dynamically matching firm-level distinctive competence and industry-level sources of competitive advantage is particularly salient for firms facing technological change that is competence destroying (Tushman and Anderson, 1986) or that affects the relative importance of different technical competencies within the firm (Henderson and Clark, 1990). More generally, the issue is important for all firms facing structural industry change that causes shifts in the basis of competition.“
62
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
geht in seiner Analyse des „Basisprozess der Strategieformierung“ noch weiter und fokussiert nahezu ausschließlich auf Prozesse und nicht auf Entscheidungsträgerhandeln.110 Kirsch differenziert zwischen „Strategien eines Individuum“ und „Strategien des Unternehmens“. Unternehmensstrategien versteht Kirsch grundsätzlich als formiert und emergent, damit als Ergebnis eines Gesamtorganisationshandelns, auf das zwar Managementsysteme und Führungsentscheidungen einwirken, deren Hauptantriebskraft jedoch in den Strukturen und Prozessen und deren Dynamik inkorporiert ist. Die Kongruenz von „lebensweltlichen Regeln“ und die Reflexion über unternehmerische Prinzipien bilden eine Art von „philosophischem Mantel“ innerhalb dessen die strategischen Prozesse eingebettet sind. Das Auftauchen von strategischen Themen auf der unternehmerischen Agenda kann in dieser Sicht das gesamte Unternehmen durchziehen.
2.7.2
Capability-based view
Die RBV hat als Theorie zahlreiche Modellierungen, Interpretationen und Neugewichtungen erfahren. Aus Sicht der vorliegenden Untersuchung erscheint der Teilaspekt der unternehmensbezogenen Fähigkeiten besonders fruchtbar. Amit und Schoemakers (1993) rücken in ihrer Definition von „Strategic Assets“ die Fähigkeiten unmittelbar neben die Ressourcen (resources and capabilities, kurz: R & C), die in einem Unternehmen gebündelt sind. Der strategische Wert dieser R & C wächst, je schwieriger sie auf Märkten „gekauft“ oder „verkauft“ werden können und je schwerer sie zu imitieren oder zu ersetzen sind.111 „Capabilities“, so der Ansatz, „refer to a firm’s capacity to deploy Resources, usually in combination, using organizational processes, to effect a desired end. They are information based (…) and developed over time through complex interactions among the firm’s Resources.“112 Eine Fähigkeit ist allerdings nur solange rentenertragend, so lange sie effizient eingesetzt wird. Fähigkeiten sind diesem Ansatz zufolge daher nie nur singulär als quasi gegebene Fakten zu betrachten, sondern als eine Art „Rohstoff“, dessen Werthaltigkeit erst in dem Moment evident wird, in dem entsprechende unternehmensinterne Koordination und Workflow-Management unterschiedliche Fähigkeiten miteinander vernetzen und entlang der Wertschöpfungslogik ausrichten. Auf diese Notwendigkeiten richtet Grant (2002) seine Analyse. Grant postuliert, dass für das Managen der Veränderung 110
Vgl. Kirsch, Werner (1997): Wegweiser zur Konstruktion einer evolutionären Theorie der strategischen Führung, München. 111 Vgl. Amit, Raphael & Schoemaker, Paul (1993): Strategic assets and organizational rent. In: Strategic Management Journal, Vol. 14, S. 33ff. Hoboken, New Jersey. 112 Ebenda, S. 35.
2.7 Refokussierung von Managementansätzen
63
grundsätzlich andere Fähigkeiten und eine veränderte Koordination notwendig sind. „Firms develop distinctive capabilities by perfecting organizational routines through repetition. As a result, core capabilities tend also to be core rigidities.“113 Grant begründet seinen Ansatz unmittelbar aus dem Wandel heraus: „As business environments become more complex and more competitive, so a business enterprise’s survival requires it to perform at a higher level with a broader repertoire of capabilities. Achivieving this kind of performance requires managing dilemmas that cannot be resolved as simple trade-offs: a company must be efficient today, while also adapting for tomorrow, it must produce at low cost, while also innovating (…).“ Aus Grants Sicht müssen sich massiven Veränderungen ausgesetzte Unternehmen zwei Hauptherausforderungen stellen: Dem „Design“ oder „Re-Design“ der Organisation, um neue Fähigkeiten zu entwickeln und diese dann auch wirksam zu machen verbunden mit einer höchstmöglichen Anpassungsfähigkeit. Die von Grant betonten „Kernkompetenzen“ werden von Prahalad und Hamel (1990) als das „kollektive Lernen und Wissen“ in einer Organisation definiert, insbesondere als Fähigkeit, unterschiedliche „production skills“ zu koordinieren und verschiedene technologische Strömungen zu bündeln und integrieren. Kurzfristig betrachtet, so Prahalad und Hamel, kommt Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen immer aus einem Preis-Leistungs-Verhältnis der gegenwärtig am Markt befindlichen Produkte – allerdings auch immer nur so lange, bis sich Qualität und Standards der Produkte angenähert haben. Dann bleibt zwar die Wettbewerbsintensität hoch, Preis/Leistung sinkt aber insgesamt in seiner Bedeutung als Wettbewerbsfaktor. Prahalad und Hamel kreieren in diesem Zusammenhang den Begriff der „Kernkompetenzen“ (auf den im Folgenden detailliert eingegangen wird) und betonen deren Bedeutung als Generatoren nachhaltiger Wettbewerbsvorteile: „Competitiveness derives from an ability to build, at lower cost and more speedily than competitors, the core competencies that spawn unanticipated products. The real sources of advantage are to be found in management’s ability to consolidate corporatewide technologies and production skills into competencies that empower individual business to adapt quickly to changing opportunities.“114 2.7.3
Knowledge-based view
Nach Müller-Stewens und Lechner (2003) stellt der wissensorientierte Ansatz oder die „Knowledge-based view“ (KBV) eine Fortentwicklung des ressourcenorientier113
Grant, Robert (2002): Contemporary Strategy Analysis – Concepts, techniques, applications, Oxford, 4. Auflage, S. 519f. 114 Vgl. dazu Prahalad, C.K. & Hamel, Gary (1990): The core competence of the corporation. In: Harvard Business Review, Harvard Business School Publishing corporation, May-June 1990, S. 4ff.
64
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
ten Ansatzes in eine eigenständige Richtung dar. Wissen wird im KBV zum entscheidenden Merkmal im Kompetenz- und Ressourcen-Set von Unternehmen. Firmen selbst wiederum werden als soziale Entitäten von Wissen betrachtet. Wissenschaftstheoretisch fußt die KBV in vielen Fällen auf dem Positivismus Karl Poppers als erkenntnistheoretischem Grund: Wissen wird demzufolge als objektives, übertragbares Gut beschrieben. Nach Spender (1996) stellt aber die gedankliche Loslösung des Wissens von Prozessen ein der Analyse hinderliches Erbe des Positivismus dar. „Our discipline’s rising interest in organizational knowledge, learning and memory presages a paradigm shift away from positivist epistemologies to those which focus directly on the social nature of meaning and practice, with institutional dimensions that give these practices meaning, rather than as a system of tradable resources unter the explicit control of senior managers. The resulting model ist of a firm which is a dynamic, self-reffering system only partially responsive to managerial influence.“115 Probst/Wiedemann & Armbruster (2001) machen deutlich, dass „Instrumente des Wissensmanagements in generischer Form nicht existieren. Sie sind vielmehr ein Konglomerat aus unterschiedlichen bereits existierenden Managementinstrumenten.“116 Neu sei allerdings, dass jedes Instrument so ausgerichtet ist, dass es spezifische Wissensaspekte in einer Organisation aufgreift. Drei Instrumente werden von den Forschern als besonders geeignet herausgearbeitet, um die theoretischen Vorzüge des Wissensmanagements in unternehmerische Praxis zu übertragen. „Wissensgemeinschaften“, „Wissensmanagementsysteme (IT)“ und „Lessons Learned“. „Wissensgemeinschaften“ (auch: „Communitites of practice“) spielen in den Unternehmen eine zunehmend bedeutende Rolle. Die Bildung und Steuerung von Wissensgemeinschaften stellt theoretisch eine komplexe Aufgabe des Managens differenzierter Interaktion dar. Entscheidend bei der Implementierung von Wissensgemeinschaften ist ihr unmittelbarer Nutzen für die unternehmerische Wertschöpfung. Es muss sichergestellt sein, so Probst/Wiedemann & Armbruster (2001), dass Wissensgemeinschaften „keine übermässige Eigendynamik entwickeln und losgelöst von der Gesamtorganisation einen Selbstzweck verfolgen. Wissensgemeinschaften sind aus unternehmerischer Sicht nur dann legitimiert, falls das in der Wissensgemeinschaft aufgebaute 115
Spender, J.C. (1996): Organizational knowledge, learning and memory: three concepts in search of a theory. In: Journal of Organizsational Change Management, Volume 9, MCB University Press, Bradford, S. 75. Spender setzt sich insbesondere um Wahrheitsanspruch der Positivisten ab: „These days knowledge ist less about truth and reason and more about the practice of intervening knowledgeably and purposefully in the world.“ 116 Probst, Gilbert J.B./Wiedemann, Christian/Armbruster/Heidi (2001): Wissensmanagement umsetzen: drei Instrumente in der Praxis. In: new management, Nr. 10/2001, Handelszeitung Fachverlag, Zürich, S. 37ff.
65
2.7 Refokussierung von Managementansätzen
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Abbildung 3: Wissensgemeinschaften Quelle: Probst, Gilbert J.B./Wiedemann, Christian/Armbruster/Heidi (2001)117
und geteilte Wissen eine strategisch bedeutende Funktion im Rahmen der unternehmensweiten Wertschöpfung erfüllen kann.118 Wissensmanagementsysteme (IT) sind dagegen reine Instrumente der Wissenskommunikation. Zwar entstehen durch systematisch vernetzte und abrufbare Informationen neue „Verknüpfungsnetze“ von 117
Entnommen aus: Probst, Gilbert J.B./Wiedemann, Christian/Armbruster/Heidi (2001): Wissensmanagement umsetzen: drei Instrumente in der Praxis. In: new management, Nr. 10/2001, Handelszeitung Fachverlag, Zürich, S. 39. 118 Etienne Wenger beschreibt die „Communities of practice“ in seinem gleichlautenden Buch von 1998 als „a community of practice defines itself along three dimensions: ist joints enterprise as understood and continually renegotiated by ist members together into a social entity, the shared repertoire of communal resources (routines, sensibilities, artefacts, vocabulary, styles, etc.) that members have developed over time.“ Vgl. dazu: Wenger, Etienne (1998): Communities of practice: Learning, meaning and identity, Cambridge.
66
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Wissen, das System selbst jedoch ist als reiner Informationsspeicher und Abrufstation relevanter Daten zu verstehen. Die Wissensmanagement-Intelligenz hinter derartigen Systemen liegt in der Umfänglichkeit der Erfassung wertschöpfungsrelevanter Information und deren selektiver Zugänglichmachung, die einen „information overload“ verhindern und stattdessen sicherstellen soll, dass die hinterlegten Wissensbestandteile wirklich nur von jenen genutzt werden können, die dieses Wissen auch brauchen. Die in Systemarchitektur gegossenene Intelligenz bei der „Verwaltung“ von Information ist somit sowohl eine reine Vorstufe von Wissensnutzung (im Sinne einer umfassenden, sinnhaft komponierten Datenhaltung, die raschestmöglichen Zugriff auf das Wissen erlaubt), aber ebenso Ergebnis und Endpunkt einer Wissensmanagement-Landschaft, in der die Entscheidungsträger und Mitglieder zum Beispiel von Wissensgemeinschaften ihre Erfahrungen, die gefundenen Workflows, die gewonnenen standardisierten Prozesse dokumentieren und somit transparent und multilateral zugänglich ablegen können. Bei diesen Systemen geht es darum, „Informationen zu bewirtschaften“ (nach Probst, Gilbert J.B./Wiedemann, Christian/Armbruster/Heidi (2001). „Lessons learned“ kann ein Zusatztool zu den genannten Instrumenten des Wissensmanagements sein, das sich insbesondere bei der gezielten Generierung von Wissen in Projekten bewährt hat. Im Sinne eines systematisierten „After Action Review“ werden dabei die Erkenntnisse aus Projekten in einem eigenen Evaluationsschritt untersucht, bewertet und schriftlich hinterlegt mit dem Ziel, nichts von den gewonnenen Ergebnissen zu verlieren und Erkenntnisse, die Geltungskraft über das konkrete Einzelprojekt hinaus beanspruchen können, transparent und abrufbar für die Zukunft vorhalten zu können. Unstrittig in der Forschung zum Wissensmanagement scheint vor dem Hintergrund der (digitalen) Herausforderungen auch die Bewirtschaftung des Faktors „Kreativität“ zu sein. „Die Organisation des neuen Jahrtausends wird deswegen überleben, weil sie über kreative Beziehungen verfügt, bei denen Wissenserarbeitung und Innovationsfähigkeit genutzt werden“, betont Hall (2002).119 Die lernende Organisation hat ihm zufolge vor allem sicherzustellen, dass eine „Wertegemeinschaft“ zwischen den unterschiedlichen Einheiten des Unternehmens und den verschiedenen Hierachieebenen herrscht.
119
Hall, Brian P. (2002): Werte und Wissen bei der Schaffung lernender Organisationen. In: Bellmann, Matthias/Krcmar, Helmut/Sommerlatte, Tom (Hrsg.): Praxishandbuch Wissensmanagement, Symposion Publishing, 1. Auflage 2002, S. 726ff. Hall betont in seinem Beitrag die Bedeutung von „Werten“ für das Wissensmanagement und bezieht sich damit auf die Kultur der bewusst lernenden Organisation. Voraussetzung für Wissensaufbau und – Verwertung ist eine Unternehmenskultur, die dem Managen von Wissen einen entsprechenden Raum gibt.
2.8 Kernkompetenzen, Wissen, Schlüsselerfolgsfaktoren
2.8
67
Kernkompetenzen, Wissen, Schlüsselerfolgsfaktoren
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Produktion und den Vertrieb von Bewegtbildinhalten führen in der TV-Branche zu einem Paradigmenwandel. Das strategische Management von Rechten erfährt eine Bedeutungsaufwertung und rückt auf eine Stufe mit anderen Schlüsselerfolgsfaktoren. Damit geraten die dafür notwendigen Ressourcen und Kompetenzen in den Focus der Betrachtung. Wirtz (2008) betont, dass das „Kernkompetenzkonzept eine wertvolle Grundlage für den Strategiebildungsprozess in Medienunternehmen (bildet).“120 Wirtz umreißt im Folgenden am Rande den in dieser Arbeit gewählten Untersuchungsansatz und verweist dabei bereits auf den sinnvollen Einsatz von Szenarien bei der Nutzbarmachung von Kernkompetenzen. Nach Wirtz stellt die „Analyse der aktuellen Asset- und Kompetenzbasis eines Unternehmens eine wichtige Voraussetzung für die Formulierung von Handlungsempfehlungen zur Sicherung des zukünftigen Unternehmenserfolges (dar). Auf Basis einer externen Marktanalyse sind zunächst die in der Zukunft strategisch bedeutenden Assets und Kernkompetenzen zu prognostizieren. Hierbei können Entwicklungsszenarien für den zukünftigen Beschaffungs-, Werbe, Wettbewerber- und Rezipientenmarkt herangezogen werden, aus denen zukunftsträchtige Core Assets und Kernkompetenzen abgeleitet werden können.“ Beispielsweise, so unterstreicht Wirtz, sei davon auszugehen, dass „es in Zukunft für Medienunternehmen immer wichtiger sein wird, Inhalte multimedial über verschiedene Kanäle vermarkten zu können.“ Im ursprünglichen Ansatz von den Kernkompetenzen von Prahalad & Hamel (1990) finden sich Anker und Anknüpfungspunkte für ein theoretisches Bezugssystem, in dem die Relevanz eines strategischen Managements von Contentrechten abgebildet werden kann. Kernkompetenz wird in diesem Zusammenhang als ein „wertschöpfender Mechanismus“ verstanden, „der kontinuierlich einen überlegenen, langfristig verteidigbaren und wahrgenommenen Kundennutzen schafft“.121 Nach Cwyk (1998) muss eine „echte“ Kernkompetenz mindestens drei Bedingungen erfüllen: • Sie ermöglicht es wenigstens, potentiell neue Märkte zu entwickeln. • Sie trägt wesentlich zum Kundennutzen eines Produkts bei. • Sie ist von Wettbewerbern schwer zu imitieren und nachzuahmen.122 120
Wirtz, Bernd (2006): Medien- und Internetmanagement. 5. Auflage, Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 66ff. 121 Rose, Peter/Zerres, Christopher/Zerres, Michael: Kernkompetenz-Management. Verlag studentensupport.de, URL: http://studentensupport.de/store/product_135.aspx, abgerufen am 7. 10. 2008, S. 2ff. 122 Vgl. Cwyk, Peter (1998): Strategie der Fokussierung auf Kernkompetenzen. In: Brodbeck, Karl-Heinz (Hrsg.) Praxis Perspektiven, Band 3, Würzburg, 1998.
68
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Duschek (2001) betont, dass Kernkompetenzen „auschließlich prozessual-dynamische, immaterielle ,soft facts‘ (verkörpern).“ Er schlägt zudem vor, Kernkompetenzen auch in ihrer Funktion als „Medium“ zu begreifen. „Bestehende Kernkompetenzen stellen also, wenn man sie als Medium begreift, quasi einen (Ressourcenentwicklungs-)Korridor dar, innerhalb dessen ein auf die Ausdehnung vorhandener Kernkompetenzen orientiertes strategisches Management die zukünftige Kombination von Ressourcen vornimmt.“123
Abbildung 4: Kernkompetenz-Management Quelle: Bauer (2002) in Anlehnung an Krüger/Homp124
Krüger (2000) verknüpft die Theorie von den Kernkompetenzen mit dem Gebiet des Wissensmanagements. Nach seinen Überlegungen kommt der „Ressource Wissen“ die entscheidende Bedeutung zu, „wenn sich ein Unternehmen auf Kernkompetenzen ausrichtet bzw. neue Kernkompetenzen aufzubauen sucht. „In Kernkompetenzen drücken sich daher immer auch Wissensvorsprünge aus, umgesetzt
123
Duschek, Stephan (2001): Kooperative Kernkompetenzen – Zum Management einzigartiger Netzwerkressourcen. In: Ortmann, G./Sydow, J (Hrsg.): Strategie und Strukturation. Strategisches Management von Unternehmen, Netzwerken und Konzernen, Wiesbaden, S. 180ff. 124 Bauer, Michael (2002): Angewandtes Kernkompetenz-Management. Anleitung für die Bestimmung zukünftiger Kernkompetenzen in Unternehmensbereichen. URL: www.compe tencesite.de/strategmanagement.nsf/95A293853A87E219C1256C290047F440/$File/kern komp, abgerufen am 7. 10. 2008.
2.8 Kernkompetenzen, Wissen, Schlüsselerfolgsfaktoren
69
und sichtbar gemacht in Form von Wettbewerbsvorteilen und Kundennutzen.“125 Wissensmanagement kann in einem theoretischen Modell des KernkompetenzManagements somit als Querschnittsaufgabe verstanden werden. Wissen kann aus dieser Perspektive als Rohstoff im Zyklus des Kernkompetenz-Managements verstanden werden, das permanent erneuert und ins System eingespeist werden muss. Krüger/Homp (1997) fassen Wissensmanagement dabei als „spezifischen Prozess des Unternehmenswandels“ auf. „Inhaltlich geht es (…) darum, individuelles und kollektives Wissen zu identifizieren, zu verbessern und zu perfektionieren.“126 In den Wirtschaftswissenschaften ist das Wissensmanagement immer wieder auch kontrovers diskutiert worden, vor allem hinsichtlich seiner Bedeutung für die wirtschaftliche Wertschöpfung. Begriff und Bedeutung allerdings haben in den vergangenen zehn Jahren an Einfluss gewonnen, das Wissensmanagement erlebt nach Romhardt (1998) sogar einen regelrechten Boom. „Wissensmanagement“ oder „Knowledge Management“ scheint sich laut Romhardt als begriffliches Dach für eine Vielzahl wissensbezogener Thematiken und Probleme herauszubilden.127 Als Treiber der Entwicklung betont Rombach insbesondere die Bedeutung der „Revolution im Kommunikationsbereich“.128 Er verweist aber auch auf die seiner Ansicht nach immer noch vorhandene Unschärfe in der Bestimmung, was Wissensmanagement eigentlich darstellt. „In der Management- und Organisationstheorie ist die Verwendung unscharfer Begriffe weit verbreitet. Unscharfe und variable Grenzen von Begriffen halten das Verständigungspotential in interdisziplinären und jungen Forschungsfelder länger aufrecht als präzise Definitionen.“129 Eine konsensfähige Bestimmung des Begriffs kann sich an die Definition des Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 125
Krüger, Wilfried (2000): Auf der Wissensleiter zur Kernkompetenz. In: Steinle, C. et al (Hrsg.): Vitalisierung. Das Management der neuen Lebendigkeit, Frankfurt a. M., S. 237. Krüger betont die herausgehobene Rolle des Wissensmanagements. Nach seiner Einschätzung tritt das Knowledge Management heute gleichberechtigt neben traditionelle Felder des Managements. Krüger versteht Wissen als einen speziellen Rohstoff, „den es wie andere Rohstoffe zu suchen und zu erschließen, zu verteilen und zu verarbeiten, zu speichern und zu pflegen gilt.“ 126 Vgl. Krüger, Wilfried & Homp, Christian (1997): Kernkompetenz-Management – Steigerung on Flexibilität und Schlagkraft im Wettbewerb, Wiesbaden, S. 21f. Krüger/Homp betonen die Notwendigkeit für ein unternehmensweites Wissensmanagement, „das mit Hilfe geeigneter Instrumente Lern- und Entwicklungsprozesse in Gang setzt und in Gang hält.“ 127 Romhardt, Kai (1998): Die Organisation aus der Wissensperspektive – Möglichkeiten und Grenzen der Intervention. Dissertation an der Université de Genève. Im (vergriffenen) Original erschienen im Gabler-Verlag, Wiesbaden, 1998, wiederveröffentlicht im Internet, URL: www.romhardt.com/downloads/Diss_KRomhardt.pdf, abgerufen am 14. 1. 2008. 128 Ebenda, S. 25. 129 Ebenda, S. 46.
70
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
(2008) anlehnen, wonach „Wissensmanagement (…) die Gesamtheit der personalen, organisatorischen, kulturellen und technischen Praktiken (ist), die in einer Organisation bzw. einem Netzwerk auf eine effiziente Nutzung der Ressource ,Wissen‘ zielen. Es umfasst die Gestaltung und Abstimmung aller Wissensprozesse in einem Unternehmen“.130 Deking (2003) summiert verschiedene Definitionen der Literatur und isoliert insgesamt sechs Dimensionen, die Wissen in einem Unternehmen annehmen kann: Fachwissen als explizites Wissen. Es liegt oft in kodierter, kommunizierbarer Form vor. Das Wissen dient in unmittelbarer Weise dazu, die Produktion und Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens aufrechtzuerhalten. Fachwissen liegt bei Personen, aber auch bei Kunden und Partnern. Es ist abrufbar und bezieht sich meist auf die Lösung konkreter Fragestellungen. Fachwissen kann vermittelt und leicht weitergegeben werden. Ein Teilbereich davon ist das Expertenwissen, das sich durch einen höheren Spezialisierungsgrad vom „normalen“ Fachwissen abgrenzen lässt. Abgrenzbar davon wiederum ist Eventwissen: Sein Hauptkennzeichen ist seine Zeitbezogenheit. Eventwissen lässt sich immer nur bestimmten Situationen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens zuordnen, die auch nur für eine bestimmte Zeitspanne als zu bearbeitende Situationen auftreten, zum Beispiel bei aktuell auftretenden Veränderungen in Unternehmen, die dann, nach Bewältigung, routiniert werden und in kanonisiertes Workflow-Fachwissen übergeht. Weniger offenkundig erschließt sich das Prozesswissen. Während die zuvor beschriebenen Wissensformen fast durchgängig in expliziter, also offenkundiger und weitergebbarer Form vorliegen, tritt mit dem Prozesswissen eine Wissensform auf, von der manche Bestandteile auch in taciter Form, also in nicht offenkundiger und nicht interpersonal transformierbarer Form vorliegen. Dazu gehören wesentliche Teile des Wissens über Abläufe und Prozesse in einem Unternehmen, die nur in seltenen Fällen durchgängig erfasst und vollständig nachvollziehbar beschrieben sind. Prozesswissen ist daher nur teilweise kodifiziert und verschriftlicht, in vielen Fällen jedoch nur tradiert und in den Köpfen der Handelnden verankert. Diese Charakteristik tritt noch deutlicher zutage im Führungs- und Steuerungswissen. Diese Wissensform liegt kaum noch in expliziter, sondern fast ausschließlich in impliziter, taciter Form vor. Dabei geht es darum, jenseits von formalisierten Hierarchien und Prozessen zu wissen, wie die Macht- und Ablaufverhältnisse real sind. Es ist ein Metawissen, das sich fast vollständig personalisiert und praktisch nie in kodifizierter Form weitergegeben wird. Autorität, Disziplin und Motivation werden über Führungs- und Steuerungswissen geleitet. Die reinste Form von Meta-Wissen stellt das konzeptionelle Wissen dar. 130
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, URL: http://wissenmanagen.net/Wissen managen/Navigation/Werkzeugkasten/Einsteiger/einfuehrung,did=73296.html, abgerufen am 14. 1. 2008.
2.8 Kernkompetenzen, Wissen, Schlüsselerfolgsfaktoren
71
Jenseits jeder Form von Kodifizierung und Kanonisierung ist es eine Ressource, die Zugang zu übergeordneten, „freien“ Beurteilungen von Situationen und wirtschaftlichen Lagen erschließt. Mit diesem Wissen können übergeordnete Zusammenhänge, wie Strömungen, Trends, strategische Gesamtlagen gedeutet und nutzbar gemacht werden. Es beinhaltet hohe Abstraktionsfähigkeiten, bewusste sowie intuitive Bewertungsprozesse und ist eng verwandt mit der sechsten Wissensform nach Dekin, dem Milieu- und gesellschaftlichen Wissen. Dieses auch „embedded knowledge“ genannte Wissen ist ebenfalls rein implizit vorhanden und bildet die Summe an Normen, ungeschriebenen Gesetzen, Erwartungshaltungen an Verhalten, Benehmen, Ausdruck, und Aktion. Es wirkt hinein ins konkrete Management: Ein Wissen, wie zum Beispiel Loyalität, Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit, in Vertragsverhandlungen, Zusagen, Absagen bewertet werden. Dieses Wissen bildet die permanente Rahmenbedingung für das gemeinsame Arbeiten und Wirtschaften, nach innen und nach außen.131 Die genannten Dimensionen des Wissensmanagements sind nach Neef/Siesfeld et al. (1998) von ausschlaggebender Bedeutung – vor allem für Branchen im Umbruch. Dabei fordern sie vom strategischen Management, die Unternehmensorganisation den Anforderungen an das Wissensmanagement anzupassen, und nicht umgekehrt. Dem Schnittstellenmanagement kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. „The fundamental principal of organizational design (…) is redundancy – the conscious overlapping of company information, business activity, and managerial responsibilities.“132 Die Autoren sind sich der Wahrnehmungs-, Priorisierungsund Messbarkeitsproblematik bewusst, die eine entsprechende Unternehmensorganisation mit sich bringen kann: „(…) the term „redundancy“ with its connotations of unnecessary duplication and waste, may sound unappealing. And yet, building a redundant organization is the first step in managing the knowledge-creating company.“133
131
Vgl. dazu: Deking, Ingo (2003): Management des Intellectual Capital. Deutscher Universitätsverlag, S. 35 und 36. Deking betont in seiner Arbeit die kaum zu überschätzende Bedeutung des intellectual capital. Nach seiner (nicht nach Branchen differenzierten) Schätzung machen die intangible Assets rund 85 Prozent des Marktwertes von Unternehmen aus. 132 Neef, Dale/Siesfeld, Tony/Cefola, Jacqueline et.al (1998): The economic impact of knowledge, Butterworth-Heinemann, Oxford, 1998, S. 183. 133 Ebenda. Die Autoren betonen verschiedene Bedeutungsaspekte der Redundanz. So arbeiten sie heraus, wie nur durch eine gewisse Redundanz die Kommunikation und der notwendige Austausch zwischen über gemeinsame Businessziele nicht verbundene Unternehmenseinheiten die Klüfte zwischen ihnen überwunden werden kann. Das „stille“ („tacit“) Wissen im Verborgenen kann nur gehoben und kapitalisiert werden, wenn ein „common cognitive ground“ zwischen den Unternehmensteilen und seinen Beschäftigten geschaffen wird.
72 2.9
2 Contentrechte-Management als Kernkompetenz
Zusammenfassung Strategisches Management von Contentrechten als Kernkompetenz audiovisueller Medienunternehmen
Im vorangegangenen Kapitel wurde das „strategische Management von Contentrechten“ (SMCR)134 in den theoretischen Rahmen des strategischen Managements eingebunden. Es kann nun begründet dargestellt werden, dass das SMCR bereits auf einer frühen Stufe der Wertschöpfungskette audiovisueller Medienunternehmen ansetzt. Darauf aufbauend konnte belegt werden, dass sich das Management von Contentrechten als Teil eines systematisierten Kernkompetenz-Managements in Medienunternehmen beschreiben lässt. Kernkompetenz-Management in Medien, insbesondere im Prozess der Digitalisierung, lässt sich spezifisch als Management von Wissen verstehen. Diese Form des Managements haben Prahalad und Hamel (1990) als überlebensnotwendig für Unternehmen bezeichnet und formuliert, worauf sich erfolgsorientierte Steuerung fokussieren muss: „Core competence is communication, involvement and a deep commitment to working across organizational boundaries. It involves many levels of people and all functions. (…) The skills that together constitute core competence must coalesce around individuals whose efforts are not so narrowly focused that they cannot recognize the opportunities for blending their functional expertise with those of others in new and interesting ways.“135 Die Theorie der Kernkompetenzen kann damit als Matrix für die Analyse und die Beschreibung von SMCR-Prozessen verstanden und auf die aktuelle Situation in der TV-Branche (sowie ggf. andere im Prozess der Digitalisierung involvierte Branchen) angewandt werden. Popp, Parke und Kaumanns (2008) weisen dieser Fragestellung und ihrer Analyse dem auch in dieser Untersuchung postulierten Anspruch zu, für künftige Geschäftsprozesse in den Medien erfolgskritisch zu sein: „Die Digitalisierung verändert Marktstrukturen und Spielregeln. Neue Nutzungsformen und Gewinnoptionen treten hervor, neue Marktteilnehmer betreten das Feld. Der Wettbewerb um attraktive Inhalte wird immer intensiver. Angesichts dieser veränderten Rahmenbedingungen nimmt die ökonomische Sicherung, Nutzung und Verwertung von mit dem Inhalt verbundenen Nutzungsrechten an Bedeutung zu. Rechtemanagement besitzt dadurch einen geschäftskritischen Rang und erhält eine stark strategische 134
Die Abkürzung SMCR (= strategisches Management von Contentrechten) wird hier zunächst der Vereinfachung halber benutzt. In Kapitel 6 dieser Dissertation wird der Versuch unternommen, den Begriff des SMCR wissenschaftlich neu zu definieren und somit hinsichtlich seiner konkreten Merkmale präzise zu definieren. 135 Prahalad, C.K. & Hamel, Gary (1990): The core competence of the corporation. In: Harvard Business Review, May-June 1990, S. 82
2.9 Zusammenfassung
73
Perspektive.“136 Teil dieser theoretischen Verankerung des strategischen Managements von Contentrechten sind auch die Ansätze des Wissens- und des Veränderungsmanagements. Das SMCR berührt damit auch organisationstheoretische Ansätze und verweist darauf, dass sich die bereits analysierten Schnittstellencharakteristika im SMCR auch auf organisatorischer, auf kreativer und prozessualer Ebene finden lassen. Das strategische Management von Contentrechten kann an dieser Stelle daher als eine Herausforderung an ein ganzheitliches Managementverständnis ausgelesen werden. Seine besondere Relevanz gewinnt diese theoretische Verankerung mit Blick auf die Digitalisierung – vor allem in audiovisuellen Medienunternehmen. Es wird zu zeigen sein, wie gerade die desintegrierenden Wirkungen der Digitalisierung auf Produkte, Wertschöpfungsstrukturen und Prozesse nur durch ein re-integrierendes ganzheitliches Managementverständnis wieder vereinheitlicht und in (neuen) Prozessen operationalisierbar gemacht werden können.
136
Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 465.
3
Bedeutung der Digitalisierung
3.1
Medientheoretische Vorüberlegungen
3.1.1
Die Postmoderne und ihre Folgen
Das strategische Management von Contentrechten hat erst durch die Digitalisierung erfolgskritische Brisanz bekommen. Erst durch die grundsätzlich bedrohlichen Folgen der digitalen Revolution für tradierte Geschäftsmodelle sieht sich die Medienbranche der Herausforderung ausgesetzt, eigene Ressourcen, Kompetenzen und Managementansätze in Frage zu stellen und gegebenenfalls zu verändern. In diesem Prozess erweist sich das brancheneigene Verständnis vom Wesen der Digitalisierung als weitgehend unsystematisiert, definitionsarm und fragmentarisch. Für die neue, hochbrisante Rolle des SMCR ist daher eine Beschreibung und Klärung der wesentlichen Einflüsse der Digitalisierung notwendig. Wenn der Chefredakteur der Online-Newsplattform „sueddeutsche.de“, HansJürgen Jakobs, in einem Interview mit dem Branchenblog turi2 noch im Juli 2008 vor Web TV warnt und davon spricht, „mit Fernsehen kann man sehr schnell sehr viel Geld verlieren“ und erläutert, sein Haus setze derzeit auf „Fingerübungen“137, wenn für öffentlich-rechtliche Podcast-Angebote unter dem Slogan geworben wird, dies sei „Radio zum Nachhören“138 und wenn der Chefredakteur des Stern, HansUlrich Jörges im Jahr 2007 Blogger und User-generated Content insgesamt als „looser generated content“ diffamiert139, dann sollen diese zugegebenermaßen eklektizistisch anmutenden und schlaglichtartig zusammengestellten Äußerungen auch nur als Hinweis auf zwei sich im digitalen Umbruch immer wieder anzutreffende argumentative Grundkonstanten gewertet werden: Die auf der einen Seite offenkundig in seiner Bedeutung wichtiger werdende und von Entscheidungsträgern immerhin thematisierte Frage der Digitalisierung und auf der anderen eine in vielen Äußerungen zu vermutende Verständnislosigkeit gegenüber dem medial-philosophischen Wesenskern der Digitalisierung.
137
Hans-Jürgen Jakobs in: turi2.de, Interview vom 14. 7. 2008, abgerufen unter: http://turi2.blog.de/2008/07/14/interview2-hans-j-jakobs-sueddeutsche-de-4445099, 21. 7. 2008. 138 Bayern 5 am Sonntag, BR-Trailerkampagne zur Bewerbung des Podcast-Angebotes, abgehört am 20. 7. 2008. 139 Vgl. dazu Der Tagesspiegel, 30. 6. 2007: „Loser generated content“ erregt die Blogosphäre.
76
3 Bedeutung der Digitalisierung
Der digitale Umbruch – dies ist möglicherweise in weiten Teilen der tradierten Medienproduktion immer noch nicht angekommen – ist weitaus mehr als eine technologische Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Bezogen auf die oben angeführten drei exemplarischen Aussagen von Protagonisten, die durch ihre Aura der „Digital-Skepsis“ einer analogen Ära zuzurechnen sind, besteht die „Blindheit“ gegenüber dem Wesenskern der Digitalisierung zum Beispiel im NichtErkennen einer exponentiell sich beschleunigenden Datenintegration digitaler Medien, die audiovisuelle Angebote in den Mittelpunkt des Umbruchs rückt (Jakobs) und hinsichtlich dessen, was „Print“ in Onlinemedien künftig sein wird, oder im Unverständnis gegenüber dem nutzungstheoretischen Paradigmenwechsel von einer ehemals linearen „Haupt“-Nutzung hin zur neuen, delinearen Hauptnutzung (BR-Trailer) – bis zur „Blindheit“ gegenüber einer sich in Quantensprüngen entwickelnden publizistischen Vielfalt und Qualität, die nicht dem traditionellen Sender-Empfänger-Schema verbunden ist, sondern einem interaktiven Netzwerkprinzip folgt (Jörges). Das „Übersehen“ oder „Nicht-Verstehen“ dieser allen digitalen Angeboten innewohnenden Prinzipien ist dabei mehr als lässliche Unaufmerksamkeit oder die Arroganz der Etablierten: Es ist Kennzeichen einer Diskussion, die hinsichtlich der medientheoretischen Grundlagen der Digitalisierung bislang nicht tief genug geschürft und theoretische Ansatzpunkte verschiedener Disziplinen nicht konsequent genug verknüpft hat. Das jedoch ist auch für ein neues Verständnis von strategischem Rechtemanagement erforderlich. Die Multilateralität und Anschlussfähigkeit unterschiedlicher theoretischer Ansätze soll daher im Folgenden dargestellt, diskutiert und dem weiteren Verlauf der Untersuchung nutzbar gemacht werden. In der Fernsehbranche geht der gestiegene Analysedruck hinsichtlich der Auswirkungen der Digitalisierung unmittelbar von den sich dramatisch verändernden Wertschöpfungsprozessen aus. Die Digitalisierung zeigt sich darin als weit mehr als nur ein veränderter technischer oder produktiver Prozess. Die Digitalisierung evolviert vielmehr ein grundsätzlich umwälzendes Prinzip, das alle Medien, die ihr unterworfen werden, in ihrem Kern verändert und dabei eine Vielzahl von Ausprägungen – wirtschaftliche, produktionstechnische, kreative, persönliche, strukturelle usw. – miterfasst. Die Digitalisierung kann in dieser Sicht als ein universaler Prozess verstanden werden. Eine solche postulierte „Universalität“ jedoch bedingt ein universales Verständnis: Die Digitalisierung und ihre Folgen sind analytisch und kognitiv – anders als fast alle anderen Veränderungsprozesse, die die Medien jemals betroffen haben – nicht eindimensional oder mit einem linearen Verständnis zu erfassen. Vielmehr erzwingt die Universalität der Veränderung eine multilaterale, vieldimensionale Sicht quasi als Antwort auf die inhärente Multi-Optionalität der
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Digitalisierung140. Nach Banse (2005)141 stecken sieben Begriffe die Welt der digitalen Revolution ab: die Allgegenwärtigkeit („ubiquituos computing“), die Vernetzung (offene und geschlossene, lokale und globale Netzwerke), die Konvergenz (Verschmelzungstendenzen der Übertragung und der Endgeräte), die Miniaturisierung, die Desintegration (von Daten, aber auch Bauteilen), die Interaktivität und die Kompression (Verstärkung der Dichte). Was auf den ersten Blick zunächst technisch klingt, erweist sich bei genauerer Untersuchung als von grundsätzlicher und die technische Dimension transzendierender (medienphilosophischer) Bedeutung. Die Desintegration (von Daten und digitalen Gütern) zeigt exemplarisch nicht nur die Mobilisierung von Daten und Gütern durch die Abtrennung von realen physischen und haptischen Trägermedien, sie weist weit darüber hinaus auf eine verbundene neue Sicht auf die Welt, in der jene desintegrierten Güter und ihr Wert (Verfall von Zahlungsbereitschaft und Geringschätzung des nicht-stofflichen Gutes) grundsätzlich revolutioniert werden, die technische Disintegration somit in einer „theoretischen“ Desintegration ihre Entsprechung findet, die dann zum Beispiel in der Zergliederung tradierter Wertschöpfunglogiken manifest wird. Dies vorausgeschickt müssen daher Grundmuster und Elemente einer Deutung des „Wesens“ der Digitalisierung herausgearbeitet werden, die für das Verständnis ihrer Wirkungsmächtigkeit für die im weiteren zu beschreibenden wirtschaftlichen Prozesse von ausschlaggebender Wichtigkeit sein werden. Die von der Digitalisierung ausgelösten Umwälzungen in den Medien und die damit einhergehende Veränderung des Medienkonsums haben – mit zeitlicher Verzögerung – auch die Verwissenschaftlichung der Diskussion vorangetrieben. Die wachsende Bedeutung der Medien für eine entwickelte (Wissens-)Gesellschaft und Volkswirtschaft hat dabei – so scheint es – in der wissenschaftlichen Sphäre stärker zur geforderten multilateralen Sicht und damit zu einer Vielzahl unterschiedlichster Erklärungsansätze geführt, als dies beim wirtschaftlichen Beobachtungsobjekt der Fall ist. Die theoretischen Erklärungsansätze sind – nachvollziehbar wegen der Unmittelbarkeit des analysierten Geschehens – oft divers, kontrovers, und weitgehend auf noch nicht-kanonisierten Annahmen fußend. Wissenschaftliche Profundheit und 140
Vgl. dazu Tully, Claus (2003): Aufwachsen in technischen Welten. Wie moderne Techniken den Jugendalltag prägen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bundeszentrale für politische Bildung, Band 15, S. 32ff. Nach Tully begründet Multioptionalität, „verbunden mit der Kolonisierung des Alltags durch technische Apparate, (…) eine neue Stufe der Artifizierung der sozialen Verhältnisse.“ 141 Banse, Gerhard: Internet, Kultur, Demokratie. In: Fleissner, Peter und Romano, Vicente: Digitale Medien – neue Möglichkeiten für Demokratie und Partizipation, Schriftenreihe Network Cultural Diversity and New Media, Madrid, Wien, 2005, S. 43ff.
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aktuelle Relevanz stehen dabei ebenso oft im Gegensatz zueinander wie Veränderungstempo und Gültigkeitsanspruch vermeintlichen Erkenntnisgewinns. Der Hauptgrund liegt darin, dass die wichtigsten und relevantesten Entwicklungen aufgrund des hohen Veränderungstempos oft nur mit (teilweise großer) Verspätung erfasst und untersucht werden (können). Immerhin ergreift das Thema immer umfänglicher die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, wenngleich es bislang nur wenig Verbindlichkeit im Diskurs gibt. Mit wesentlichen Anregungen und Leitfragen zum tieferen Verständnis der Entwicklung tragen die unterschiedlichen Fachbereiche ihre Methoden und Ergebnisse zu einem allerdings noch unvollständig erscheinenden Bild der Wirkungen der Digitalisierung bei. Komplexität, hohes Veränderungstempo, „Universalität“ der digitalen Transformation haben in der Wissenschaft die Notwendigkeit verankert, den Vorgang ganzheitlich, ja „philosophisch“ zu fassen. Umstritten in der medienphilosophischen Diskussion ist bis heute deren umfassende Erklärfähigkeit für die durch die Digitalisierung angestoßenen Veränderungen. Becker (2005) spricht in diesem Zusammenhang von einem „schillernden Feld voller Unklarheiten“ und stellt die Frage, ob die Medienphilosophie ein Diskurs ist, der sich noch im „Stadium seiner Regelbildung“ befindet142: „Die Aussagenproduktion der zugehörigen Texte scheint – paradox genug – diskursspezifisch regelfrei entwickelt zu sein oder besser: stark von anderen, für die Aussagen zentraleren Diskursen bestimmt“. Für die medienwissenschaftliche/medienwirtschaftliche Fragestellung der hier vorliegenden Untersuchung – und um die Auswirkungen der Digitalisierung auch auf abstrakter Ebene zu verstehen und darstellen zu können – soll an dieser Stelle zunächst der Rahmen umrissen werden, innerhalb dessen das Wesen dieser Veränderung, ihre inhärenten, teilweise schwer zugänglichen Muster und Logiken, sowie potentiell sich daraus ergebende Strategien erfasst werden können. Dabei sollen medienphilosophische und medientheoretische Ansätze zu einem Verständnisrahmen verknüpft werden, innerhalb dessen Digitalisierung eine wirtschaftliche Aspekte überschreitende Verankerung finden kann. Die genannten Wissenschaftsdisziplinen treten der Digitalisierung ungeachtet von Kritik am System des Vorgehens durchaus selbstbewusst entgegen. So geht Sandbothe (2004) nicht nur davon aus, dass die Medienphilosophie durch Erklären 142
Becker, Rainer (2005): Medienphilosophie. Dirskurs? Begriff? Neues Paradigma? – Vom Scheitern eines diskursanalytischen Versuchs. In: Sic et non – Zeitschrift für Philosophie und Kultur im Netz. URL: http://www.sicetnon.org/modules.php?op=modload&name= PagEd&file=index&topic_id=45&page_id=259. Abgerufen am 29. 1. 2008. Becker kommt in seiner Abhandlung letztlich zum Ergebnis, dass es für die Medienphilosophie noch ein weiter Weg ist, eine wissenschaftliche Eigenständigkeit vor dem Hintergrund eines kanonisierten Forschungsmodells zu entwickeln.
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das Verständnis insbesondere für die „neuen“ Medien schärfen kann, er reklamiert auch praktische Handlungsrelevanz: „Neue Konzepte, wie die Mediologie, die Medienökologie oder die Medienphilosophie, entwickeln intellektuelle Werkzeuge, mit deren Hilfe sich die aktuellen Digitalisierungs- und Globalisierungsprozesse nicht nur passiv analysieren, sondern auch aktiv mit gestalten lassen“.143 Der Systemtheoretiker Stefan Weber sieht die Aufgabe und potentielle Leistung von medientheoretischer Kritik dagegen deutlich weniger praxisrelevant. Für ihn ist Medientheorie mehr „eine intellektuelle Gegenbewegung als eine Renaissance des reflektierenden Denkens im Kontext einer Medienwissenschaft, die sich immer mehr der Tyrannei der Praxis unterwirft.“144 Unbestritten darf mittlerweile gelten, dass simplifizierende, eindimensionale und verengende Definitionen medientheoretischer Begrifflichkeiten der Diversität und dem Veränderungstempo in der digitalen Medienwelt nicht gerecht werden. Medientheorien (ein Begriff, den es aus gutem Grund – noch – nicht im Singular geben kann), „liefern unterschiedlichste Impulse für die Entwicklung und Diskussion der Annahme, dass Medien sich nicht als neutrale Transportkanäle für vorher abgepackte Botschaften verstehen lassen, sondern vielmehr durch ihre Strukturierungs- und Formatisierungsleistungen an der Konstitution unserer Kommunikationsinhalte und -praktiken, unserer Wahrnehmungs- und Denkformen sowie letztlich unseres Verständnisses unser selbst und der Welt konstitutiv beteiligt sind. Kurz, es geht um Medien als konstitutive Faktoren von Selbst, Gesellschaft und Kultur überhaupt.“145 Dass dabei Gegenstand und Methode in (derzeit und möglicherweise auch auf absehbare Zeit) unauflösbarer wechselseitiger Dependenz stehen und daher wiederum Erkenntnisqualität und -umfang vom Stand der jeweiligen Entwicklungen und deren Zuständen abhängen (wirtschaftlicher Erfolg, Nachhaltigkeit, technologische Ausdifferenziertheit), ist nicht der einzige Grund, warum die meisten Medienphilosophen dem Phänomen „Digitalisierung“ mit postmodernen Erklärungsrastern begegnen wollen. Die Applizierbarkeit postmoderner Philosophiemuster trifft demnach in dem Ausmaß zu, wie genau diese Philosophiemuster durch die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft mit- und neugeprägt werden – und dadurch wiederum als Prägung für den schimmernden Begriff der Postmoderne selbst fungieren können, wie dies die Definition von Aylesworth (2005) nahelegt: „That post143
Vgl. Mike Sandbothe. Zitiert nach: Lovink, Geert: Die Medienphilosophiedebatte. In: Lettre International, Februar 2004. 144 Zitiert nach Lovink, Geert: Die Medienphilosophiedebatte. In: Lettre International, Februar 2004. 145 Vgl. Lagaay, Alice u. Lauer, David (Hg.): Medientheorien, Campus-Verlag, Frankfurt am Main, 2004, S. 12.
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modernism is indefinable a truism. However, it can be described as a set of critical, strategic and rhetorical practices employing concepts such as difference, repetition, the trace, the simulacrum, and hyperreality to destabilize other concepts such as presence, identity, historical progress, epistemic certainty, and the univocity of meaning“.146 Sandbothe (1997) weist darauf hin, dass unter den Voraussetzungen einer vereinfachten Postmodernismus-Definition („… eine Kultur, die sich selbst nicht als naturwüchsig begreift, sondern als Effekt medientechnologischer Praktiken…“), die postmoderne Kultur in der Digitalisierung und im Internet geradezu zu sich findet: „Denn im Internet werden die medialen Konstruktionsprozesse, die sich in den Sendeanstalten von Rundfunk und Fernsehen gewissermaßen hinter dem Rücken der Rezipienten vollziehen, zur praktischen Erfahrung für jede aktive Nutzerin und jeden aktiven Nutzer des Medium.“147 Damit deutet sich an, dass der in der wissenschaftlichen Literatur bis heute als „unscharf“ diskutierte Begriff der „Postmoderne“ sich für die vorliegende Arbeit nutzen lässt, indem wesentliche Paradigmen aus den Theorien von Jean-Francois Lyotard, Gianni Vattimo und Ihab Hassan destilliert werden können, die Anknüpfungspunkte für medientheoretische Erklärungen zum Beispiel der digitalen Zergliederungsphänomene anbieten. Die „Unbestimmtheiten“, die „Fragmentarisierung“ und die „Auflösung von Kanons“ (Hassan) umreißen im postmodernen Denken genau jene Muster, die später für Nutzung und Wertschöpfung neuer digitaler Mediengüter prägend sein werden. “The time has come, however, to explain a little that neologism: “indetermanence”. I have used that term to designate two central, constitutive tendencies in postmodernism: one of indeterminacy, the other of immanence. (…) Their interplay suggests the action of a “polylectic”, pervading postmodernism. (…) By indeterminacy, or better still, indeterminacies, I mean a complex referent that these diverse concepts help to delineate: ambiguity, discontinuity, heterodoxy, pluralism, randomness, revolt, perversion, deformation. The latter alone subsumes a dozen current terms unmaking: decreation, disintegration, deconstruction, decenterment, displacement, difference, discontinuity [sic], disjunction, disap146
Aylesworth, Gary: Postmodernism, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2005 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = . Dekonstruktion, Sampling, Mixing von Codes werden innerhalb des postmodernen Denkrahmens als neue Kulturtechniken begriffen, die als Techniken eine ähnliche Abkehr von linearen Mustern darstellen, wie die Absage der Postmoderne an die großen kohärenten „Meta-Erzählungen“ der Moderne. Fragmentarisierung und das „anything goes“ können sowohl als Folge wie Ursache postmodernen Denkens gelten. 147 Sandbothe, Mike (1997): Über Ambivalenzen viertueller Gemeinschaften im Netz, Beitrag für die Hessische Gesellschaft für Demokratie und Ökologie (HGDÖ), 04/1997 (vgl. dazu auch www.sandbothe.net) .Sandbothe spricht im Zusammenhang mit dem Internet von einem „Transmedium“, das als digitales Geflecht bisher distinkt voneinander geschiedene Mediensorten kombiniert und unter Hypertextbedingungen in eine neue mediale Hybridform übergehen lässt.
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pearance, decomposition, de-definition, demystification, detotalization, delegitimization – let alone more technical terms referring to the rhetoric of irony, rupture, silence. Through all these signs moves a vast will to unmaking, affecting the body politic, the body cognitive, the erotic body, the individual psyche – the entire realm of discourse in the West.”148
Postmoderne und Digitalisierung finden in solchen Beschreibungen ihre Entsprechung. Vor allem die Zergliederungsprozesse, die Desintegration von Inhalten, aber auch von Daten, Konzepten, Geschäftsmodellen der digitalisierten Welt spiegeln sich in der postmodernen gesellschaftlichen Realität – und umgekehrt. Es ist für das Verständnis der Wertschöpfung digitaler Güter eine notwendige Voraussetzung, diese sich ergänzenden Strukturen zu verstehen. Auch und gerade die Medien werden von ihnen geprägt. Sandbothe betont in diesem Zusammenhang nicht nur die (durch postmodernes Denken ermöglichten) neuen medialen Konstruktionsprozesse (die im Umkehrschluss nichts anderes bedeuten als De-Konstruktionsprozesse für die bestehenden Medien), sondern er rückt auch den Begriff der Aktivität bzw. der Interaktivität in den Mittelpunkt. Interaktivität wurde in den traditionellen analogen Medien lange Zeit technisch verstanden, oder – wissenschaftlich – wegen der Unschärfe des Begriffs kritisiert. Beide Positionen lassen sich angesichts der sich weiter ändernden Nutzungsgewohnheiten nicht mehr halten: „Sicher war Medienrezeption niemals bloß unbeteiligte Aufnahme von Information, gerade das intensive Lesen eines Buches kann höchste Anteilnahme erzeugen und im Lesezirkel oder Literaturkränzchen auch zur sozialen Praxis werden. Doch es ist keine leere Phrase, dass sich in der Netzkommunikation die Hierarchie zwischen Sender und Empfänger (respektive Produzenten und Rezipienten von Information) abflacht und zu einer symmetrischen Wechselwirkung tendiert, die „Nutzer“ also erheblich mehr Wahl- und Kontrollmöglichkeiten besitzen als in herkömmlichen Medienumgebungen. Hierbei kommen drei miteinander verbundene Faktoren in Betracht: Die technische Apparatur, das Setting der Kommunikation und die psychische Struktur der Beteiligten. Die Technik bestimmt Geschwindigkeit, Reichweite, Flexibilität und sensorische Komplexität der Kommunikation. Das Setting ist bestimmt durch soziale Präsenz bzw. Abwesenheit und wechselseitige Bezugnahme von ausgetauschten Informationen oder Botschaften (…). Der Wahrnehmungsaspekt betrifft die subjektiven Wahrnehmungen von Technik und Setting, die Telepräsenz und die Simulation von Nähe zunehmend bewusst machen und inkorporieren.“149
Die Autoren grenzen sich aber bei der Definition von „Interaktivität“ von sogenannter bloßer „Pseudo-Interaktivität“ ab, wie sie sich nach ihrer Ansicht zum Beispiel beim „interaktiven Fernsehen“ findet. Hier, so die Autoren, läge kein offenes und autonomes Mitgestalten einer Netzwerkarchitektur vor, sondern nur minimale Ein148 149
Hassan, Ihab: The Postmodern Turn, Ohio, 1987, S. 93. Bieber, Christoph u. Leggewie, Claus: Interaktivität, Campus-Verlag, Frankfurt am Main, 2004, S. 9ff.
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griffe in ein im Übrigen vordefiniertes Programm (etwa durch begrenzte Auswahl aus einem starren Menü). Sandbothe transformiert in seiner Deutung damit die Medientheorie und -Philosophie in eine konkret gelebte mediale Praxis. In deren Mittelpunkt stehen – verkürzt betrachtet – zwei Hauptelemente einander gegenüber: Die Technik und das Individuum. Die Aufwertung der Technik stellt dabei das eigentlich Revolutionäre im Denken dar. Ihre Verfasstheit, ihre innere Logik, ihr „angreifender“, möglicherweise zerstörender, Charakter, ihre permanent sich erneuernde Innovationskraft verweisen bereits auf elementare Wirkungen digitaler Veränderung.150 3.1.2
Dekonstruktion von Wertschöpfungslogiken
Dekonstruktive und desintegrative Tendenzen und Mechanismen der philosophischen Postmoderne finden in der Realität der digitalisierten Welt nicht nur einen Widerhall, sondern oft sogar eine Steigerung. Ihre Verkopplung mit der Technik und die als Kunden und Enduser befreiten lndividuen verwandeln die philosophische Verwandtschaft der Entwicklungen in unmittelbare ökonomische Realität. Mit dem Begriff der „Direct Economy“ hat Comtesse (1995) versucht, das Ergebnis der tektonischen Umbrüche in der Welt der digitalisierten medialen Wertschöpfung zu fassen. Sein Ansatz verbindet die beiden wesentlichen durch die Digitalisierung ausgelösten Kernprozesse: Die Mobilisierung bislang ungekannter Aktionspotentiale auf Endkundenseite, wie auf der anderen Seite die Zergliederung von Waren und Dienstleistungen in eine theoretisch unbegrenzt große Zahl an Einzelprodukten: „On peut identifier ces innovateurs d’un type particulier parce que, contrairement au cas de Línnovation classique (qui procède par introduction successive de produits ou de services nouveaux auprès du consommateur), ils interviennent pour l’essentiel dans la transformation du modèle économique: en associant le consommateur au processus de création, ils le rendent, en quelque sorte, partie prenante du processus d’innovation. Ces acteur nouveaux du changement sont donc avant tout des „transformateur“. Ils transforment les métiers de base au profit d’une chaîne interactive de la production de valeur“.151
Comtesse spricht im Zusammenhang mit den neuen interaktiven Tendenzen des sogenannten Web 2.0 von „Knowledge Communities“, in denen sich „Wissensarbeiter“ durch direkte Interaktion am Wissenserwerb beteiligen. Nutzer solcher Netze 150
Medienphilosophisch vorbereitet und schlüssig zu verorten scheint hier bereits die Theorie der „disruptiven Innovationen“ von Clayton Christensen durch die theoretische Analyse hindurch. Dieser im Folgenden für diese Untersuchung bedeutsame Ansatz setzt an der Schnittstelle von Technik und Marktwirkung an und ist einer der wichtigsten Treiber der digitalen Veränderungen in der Medienwertschöpfung. 151 Comtesse, Xavier (1995): L’émergence des transformateur. Januar 1995. URL: http://www.largeur.com/ expArt.asp?artID=1757. Stand: 20. 06. 2007.
3.1 Medientheoretische Vorüberlegungen
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sind nach seinem Verständnis integrale Bestandteile der dortigen Wertschöpfung. Diese Wertschöpfungsformen verdeutlicht Comtesse in Form einer Matrix, bei der fünf kategorische Ebenen des Wissenstransfers komplementär zu fünf Ebenen der Interaktivität liegen. Interaktivität wird bei einer solchen Betrachtung zur entscheidenden Produktivkraft. Nach Comtesse handelt es sich hierbei um eine „echte“ Transformation der Wertschöpfung mit unmittelbaren faktischen wirtschaftlichen Auswirkungen. Reichwald/Piller (2006) gehen soweit, von einer „interaktiven Wertschöpfung“ zu sprechen, die sich grundlegend absetzt von den tradierten linearen Wertschöpfungsprozessen und deren Denkmustern. Ihrer Ansicht nach ersetzt die „interaktive Wertschöpfung (…) die (…) klassischen Koordinationsformen (Hierarchie und Markt) durch einen dritten Weg: das Organisationsprinzip einer „commonsbased-peer-production.“152 Diese Neuorganisation des Wertschöpfungsprozesses verlangt ihrer Ansicht nach originäre und innovative Organisationsprinzipien und Kompetenzen der Akteure. Als Beispiele nennen Reichwald/Piller die „Selbstselektion und Selbstorganisation von Aufgaben durch (hoch) spezialisierte Akteure, deren Motivation vor allem die (eigene) Nutzung der kooperativ geschaffenen Leistungen ist.“153 Aus passiven Kunden werden interaktive Teilnehmer an der Wertschöpfung. Bislang traditionelle intern betriebene Wertschöpfungsprozesse werden ausgelagert an diese neuen Transformatoren, die gewohnte Linearität medialer Wertschöpfung zerbirst zugunsten netzartiger Beteiligungsstrukturen innerhalb derer Netzwerkeffekte als Katalysatoren der Entwicklung auftreten. Der der Physik entlehnte Begriff der „Netzwerkeffekte“ bezeichnet ein auf die Wirkung der Digitalisierung übertragbares Phänomen, bei dem der Nutzen eines Netzwerks mit der Zahl seiner vernetzten Nutzer wächst, und zwar nicht linear, sondern exponentiell. Netzwerkeffekte können direkter oder indirekter Art sein. Direkte Wirkung über positive Rückkopplung tritt dann ein, wenn neue, physische Verbindungen zwischen Nutzern geschaffen werden hinter deren Wachstum exponentielle Effekte sichtbar werden: Hinter jedem Kontakt liegen mit wachsender Zahl mehr und mehr weitere Kon152
Reichwald, Ralf und Piller, Frank (2006): Interaktive Wertschöpfung – Open Innovation, Individualisierung und neue Formen der Arbeitsteilung, Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 317ff. 153 Ebenda. Reichwald/Piller betonen zugleich das Vorhandensein weiterer handlungswirksamer Motivationen, bei denen sie zum ersten Mal den Begriff der „Wertschöpfungspartnerschaft“ zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden in den Mittelpunkt rücken: „Kunden werden selbst aktiv und konkretisieren ihr implizites Wissen über neue Produktideen und Konzepte, unter Verwendung bestimmter Hilfswerkzeuge des Unternehmens.“ Neben dem Begriff der „Wertschöpfungspartnerschaft“, der in dieser Arbeit noch mehrfach aufgegriffen wird, rücken die Autoren auch den Begriff des „impliziten Wissens“ in den Vordergrund und weisen an dieser Stelle ebenfalls voraus auf den Rahmen des „knowledge managements“, in dessen Struktur sich eine Vielzahl der neuen Prozesse begrifflich und systematisch verankern lassen können.
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takte.154 Indirekte Netzwerkeffekte finden sich vielfach bei dekomponierten, fragmentiert vorliegenden medialen Inhalten. Nutzen entsteht für die User dort nicht nur durch unmittelbare Verbindungen, sondern auch durch komplementäre Anbindungen nichtzugehöriger Prozesse.155 Dies ist zum Beispiel bei „recommendation engines“ der Fall, wenn aufgrund von einem bestimmten Nutzungsverhalten intuitiv nicht zugehörige, statistisch aber als naheliegend berechnete Zusatzangebote für bestimmte Zielgruppen gemacht werden können.156 Dieser Zusatznutzen ist inhärent: Allein durch die Tatsache, dass der Zugang auf Fragmente eine größere Unmittelbarkeit, Treffsicherheit und Geschwindigkeit ermöglicht, macht die Dekomposition von Inhalten für die Nutzer interessant. Detering (2001) betont, dass „die Dokumente in den Neuen Medien, den Zwang zur Linearität“ verlieren, „welcher in den traditionellen Medien die Möglichkeiten zur Darstellung komplexer Zusammenhänge stark einschränkt. Mit Delinearisierung und Vernetzung der Inhalte bieten die Neuen Medien entscheidende Möglichkeiten zur Steigerung des aus den Inhalten erzielten Nutzens.“157 Voraussetzung für einen unmittelbaren Nutzen ist allerdings ein kultu-
154
Die „Social Network“-Plattformen des sogenannten „Web 2.0“ arbeiten auf dieser Basis der Vernetzung. Berufsnetzwerke wie Xing nutzen den Effekt, um professionelles Networking auf der Basis der exponentiellen Vervielfachung der Kontakte zu ermöglichen. Bestimmte Rechentools bieten die die Möglichkeit, den virtuellen „Wert“ des Netzwerks in Geldwährung zu bestimmen. Schon bei einer niedrigen finanziellen Bewertung eines Einzelkontakts kommen größere Netzwerke rasch zu erheblichen, oft siebenstelligen Summen, in denen der potentielle Wert des Netzwerks angegeben wird. 155 Vgl. dazu u. a.: Shapiro, Carl u. Varian, Hal R.: Information Rules. A Strategic Guide to the Network Economy. Harvard Business School Press. 1998 156 Dies nutzen zum Beispiel große Online-Handelsplattformen wie Amazon oder Ebay. Über ihre Empfehlungssysteme werden den Kunden automatisch generierte Produktvorschläge unterbreitet, die auf statistischen Auffälligkeiten beruhen. Dies ist zum Beispiel beim „Data-Mining“ der Fall. Über statistische Methoden, neuronale Netze, Fuzzy-ClusteringVerfahren oder genetische Algorithmen wird versucht, innerhalb großer Datenmengen Regelmäßigkeiten zu erkennen und nutzbar zu machen. Dies geschieht durch die gezielte Suche nach Mustern, Regeln und sonstigen Auffälligkeiten, die allerdings nicht offenkundig zu Tage liegen, sondern sich erst durch die Zusammenschau auf zum Teil weit auseinander liegende Verbindungen erschließt. 157 Detering, Dietmar. 2001. Ökonomie der Medieninhalte. Allokative Effizienz und soziale Chancengleichheit in den Neuen Medien. Herausgegeben von Klaus Backhaus, HeinzLothar Grob, Bernd Holznagel, Wolfram-Manfred Lippe und Gerhard W. Wittkämper. Telekommunikation und Multimedia. Band 6. Münster: LIT. Zugleich: Münster (Westf.), Univ., Diss., 1999, S. 98. Detering differenziert im Folgenden zwischen einer „reaktiven“ Interaktivität und einer „vollen“ Interaktivität. Erstere zeichnet sich dadurch aus, dass die Inhalte gegeben sind und nur auf Aktionen der Nutzer reagieren, die vollumfängliche Interaktivität trifft zu etwa auf Phänomene des „Web 2.0“, bei denen die Nutzer Inhalte selbst schaffen und anbieten sowie Verknüpfungen herstellen können.
3.1 Medientheoretische Vorüberlegungen
85
rell (sowie medial und wirtschaftlich) kaum zu überschätzender und an dieser Stelle betrachtenswerter Vorgang: Jener der Dekomposition und Fragmentierung als Basis von Interaktion und Diversifiziertheit. 3.1.3
Interaktion und Diversifiziertheit
Nach Bucher (2004) radikalisiert die oben skizzierte Form der neuen Interaktivität die Rezeption von Medien.158 Seiner Ansicht nach wird die Trennung von Autor und Publikum endgültig aufgehoben, ebenso wie „Zeit-, Raum-, (Medien)Gattungs- und Speichergrenzen“. Bucher verweist in diesem Zusammenhang auf den Begriff der „Entbettung“ von Anthony Giddens als Charakteristikum postmoderner Gesellschaften, der sich in Bezug auf die Digitalisierung „als wirksames analytisches Werkzeug auch für die Beschreibung der sozialen Besonderheit der InternetKommunikation“ nutzen lässt. Giddens (1991) hatte postuliert, dass „disembbeding mechanisms separate interaction from the particularities of locales (…). Symbolic tokens are media of exchange which have standard value, and thus are interchangeable across a plurality of contexts“.159 Folgt man diesem Gedanken, dann hängt die Interaktion als wesentliches Muster der Postmoderne untrennbar verbunden an der Desintegration von Prozessen und (medialen) Produkten. Einer der Kernprozesse der Digitalisierung, nämlich die Zerlegung von Medien (= kulturellen Gütern) in ihre Einzelteile, setzt in dieser Sicht einen Mechanismus in Gang, den man – auf der Suche nach einer passenden Analogie – zum Beispiel in Medizin und Biologie höchstens mit den revolutionären Erkenntnissen hinsichtlich des modularen Aufbaus genetischer Strukturen vergleichen kann. Durch die Dekomposition wird ein „Spiel“ der Struktur freigesetzt, „das über Permutation und Variation der Einzelelemente ein kombinatorisch geschlossenes System aller möglichen existierenden Maschinen erzeugt“, schreibt der Wiener Kunsttheoretiker Thomas Feuerstein.160 Er spricht von einer neuen „Grammatik“ der industriellen Fertigung als Basis einer neuen „Samplingkultur“, also einer Kultur, in der „Analyse und Zerlegung (…) die Wirklichkeit in ein Ersatzteillager (verwandeln), aus dem distinkte Teile und Elemente zu modu158
Bucher, Hans-Jürgen: Online-Interaktivität – Ein hybrider Begriff für eine hybride Kommunikationsform. In: Bieber, Christoph und Leggewie, Claus (Hrsg.): Interaktivität – Ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff, Campus-Verlag, Frankfurt am Main, S. 134ff. 159 Giddens, Anthony (1991): Modernity and Self-Identity: Self and Society in the Late Modern Age. Stanford University Press, S. 20. 160 Feuerstein, Thomas: Sample Minds – Sampling und Assembling. Text veröffentlich unter URL: http://feuerstein.myzel.net/texte/sample_minds_de.html. Stand: 22. 6. 2007. „Sampling“, also die neuen Formen der Rekombination, so der Autor, sei „der universelle Metacode einer postindustriellen Gesellschaft und Ökonomie.“
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laren Strukturen beliebig rekombiniert und synthetisiert werden können.“ Und an anderer Stelle betont er das revolutionäre wirtschaftliche Signal dieses Vorgangs: „Damit wird jedes Zwischenprodukt zum Handelsgut und eine vergleichsweise kleine Zahl von Ausgangsprodukten bedingt eine unübersehbare Vielfalt der Enderzeugnisse durch neue Zusammensetzungen (…).“ Vergleichbar einer binären Waffe kommt so zur wie oben gezeigten prinzipiellen Interaktionsfähigkeit in der digitalen Welt die Dekonstruktion der Inhalte mit dem (explosiven) Ergebnis einer neuen Diversifiziertheit: Eine potentiell unbegrenzte Menge denkbarer (medialer) Produkte (zusammengesetzt – in anderer Sicht – aus einer Vielzahl untereinander koppelbarer Rechte-Module) entsteht unter den Vorzeichen der Digitalisierung, und durch die Entkopplung von linearem Zeit/Raum-Denken wird eine potentiell unbegrenzte Menge an neuen interaktiven Vernetzungen möglich. Das ist ein Wesenskern der Digitalisierung, der eine Art Postulat an alle Teilnehmer digitaler Märkte zu formulieren scheint: nämlich die beschriebenen Gesetzmäßigkeiten (der Digitalisierung) als Grundlage jeder Form der Analyse, jeder Form von Geschäftsmodellen bis hin zu jeder Form der Kreation von marktfähigen Produkten zu begreifen sowie einen Managementansatz zu formulieren und zu forcieren, der einen nachhaltigen Umgang mit diesen Kernmechanismen ermöglicht – auch und gerade bezogen auf das strategische Management von Contentrechten. 3.1.4
Der Angriff auf die Massenmedien
Ihre wirtschaftliche Sprengkraft entfalten die gezeigten Gesetzmäßigkeiten der Digitalisierung in dem Moment, in dem sie auf reife, marktbeherrschende massenmediale Produkte, Formate und Vertriebswege treffen. Postmoderne Unschärfe in der Nachfrage, ein Fragmentierungsimpetus bei neuen medialen Gattungen und delinearisierte, interaktiv-vernetzte Nutzungsverlangen stellen mächtige Kräfte dar, die unmittelbar und tief hineinwirken in Technologie, Produktgestaltung, Geschäftsmodell, „Philosophie“ der Medien. Sie sind aber nicht nur stark genug, traditionelle Wertschöpfungsmuster von (Medien-)Industrien zu attackieren, sie bauen sich auch durch das Nachwachsen immer technikaffinerer und nutzungserfahrener Generationen auf zu einem exponentiell sich selbstverstärkenden Kraftfeld, dessen medienphilosophische und gleichzeitig alltagspraktische Energien stark genug zu sein scheinen, die großen, bislang uneingeschränkt in der eigenen Machtgewissheit ruhenden Massenmedien existenziell zu erschüttern. Dieser – hier zunächst einmal theoretisch als möglich konstatierte – Angriff erfolgt jedoch nicht als singuläre Attacke auf ein bestehendes spezielles Geschäftsmodell. Die zerstörerischen Auswirkungen der Digitalisierung vollziehen sich in Form eines Langzeitprozesses, währenddessen die angegriffenen Akteure der tradi-
3.1 Medientheoretische Vorüberlegungen
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tionellen Industrien Gefahr laufen, sich an der trügerischen theoretischen Sicherheit unter anderem des Massenmedien-Begriffs gemäß Luhmann (2004) zu orientieren. Nach dessen Verständnis stehen die tradierten Massenmedien nicht im Zentrum des Veränderungsprozesses. Luhmann hatte systemtheoretisch argumentiert und gleichsam versichert, dass zum Beispiel das Internet per definitionem kein Massenmedium, sondern schlichte „Verbreitungstechnologie“ sei, weil das Internet das grundlegende Prinzip der Massenmedien durchbreche, nämlich die prinzipielle Interaktionslosigkeit zwischen Sender und Empfänger: „Verbreitungstechnologie (…) konstituiert selber nur ein Medium, das Formenbildung ermöglicht, die dann, anders als das Medium selbst, die kommunikativen Operationen bilden, die die Ausdifferenzierung und die operative Schließung des Systems ermöglichen. Entscheidend ist (…): dass keine Interaktion unter Anwesenden zwischen Sender und Empfängern stattfinden kann. Interaktion wird durch Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen, und das hat weitreichende Konsequenzen, die uns den Begriff der Massenmedien definieren. Ausnahmen sind möglich (doch nie: mit allen Teilnehmern), wirken aber als inszeniert und werden in den Senderäumen auch so gehandhabt. Sie ändern nichts an der technisch bedingten Kontaktunterbrechung. Durch die Unterbrechung des unmittelbaren Kontaktes sind einerseits hohe Freiheitsgrade der Kommunikation gesichert. (…) Andererseits sind zwei Selektoren am Werk: die Sendebereitschaft und das Einschaltinteresse, die zentral nicht koordiniert werden können.“161
Luhmann platziert definitorisch drei zentrale Argumentationen: der Verlust zentraler Koordination in der digitalen Welt, der „Medienbruch“ als Sollbruchstelle für das Ansetzen „disruptiver“ digitaler Innovationen (vgl. Christensen, 1997) und die Bedeutung von Interaktion in Form ihres Nicht-Vorhandenseins als Definitionsmerkmal für Massenmedien. Gemessen an der massenhaften Nutzung interaktiver Medien, kann diese Facette der Definiton vor dem Hintergrund der Digitalisierung refokussiert werden: Interaktion als Lebenswelt-Element ist vor allem für jüngere Mediennutzer konstitutiv geworden ist. Kluba (2002) spricht von „Desideraten“, die er in Luhmanns Systematik der Massenmedien erkennt. Er teilt nicht Luhmanns Einstellung der Grundvoraussetzungen für Massenmedien. Vielmehr sieht Kluba in der Digitalisierung und insbesondere im Internet eindeutige Analogien zum System der 161
Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, 3. Auflage, Wiesbaden, 2004, S. 13. Nach Luhmanns Darstellung der Massenmedien wird insbesondere ihr Charakter als letztlich „blinde“ Sender deutlich, die ihren Adressatenkreis letztlich nicht exakt bestimmen können. Luhmann spricht hier unter Verweis auf Kant von „transzendentalen Illusionen“ die sich die Massenmedien über ihr Publikum machen müssen. Diese bis tief in die Kapitalisierung durch Werbung hineinreichenden Unschärfen werden durch die Digitalisierung ebenfalls massiv angegriffen. Online-Direktmarketing ist digital nachvollziehbar, Trackingfähig. Der unmittelbare Kontakt zum Rezipienten lässt sich über Logfiles systematisch und in 1:1-Zuordnung zweifelsfrei belegen. Mit anderen Worten: Die digitalen Medien „kennen“ ihre User/Kunden.
88
3 Bedeutung der Digitalisierung
Massenmedien.162 Exemplarisch können zwei Studien zum Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen diese Thesen beleuchten. Die Studie „Onlinequalitäten“ des Bauer-Verlages zeigt163, wie tief sich die philosophisch-systemischen Veränderungen der Digitalisierung nicht nur in Technik und Medienangebot, sondern auch und vor allem in Nutzungserwartung und Lebensentwurf junger Menschen inkorporiert haben. Die zusammenfassenden Ergebnisse der Befragung führen den in dieser theoretischen Einleitung gewählten postmodernen Erklärungsansatz in frappierender Deutlichkeit zusammen mit den gezeigten praktischen Haupttendenzen der Digitalisierung: „Das Internet prägt das Denken und die Welterfahrung. Alles ist verfügbar, alles steht offen, alles ist verknüpfbar. Aber: alles ist beliebig, große Zusammenhänge gehen verloren, es entsteht eine Tendenz zur Fragmentierung. (…) Leben wird zukünftig gleichzeitig real und virtuell ablaufen, stärker noch: Virtuelles wir so real, dass sich die Trennung der beiden Begriffe mehr und mehr auflösen wird. (…) Morgen, – spätestens übermorgen – wird die Wirklichkeit für alle Altersgruppen ein sich ständig veränderndes vielfarbiges Kaleidoskop sein, das einen ganzheitlichen Blick mehr und mehr erschwert.“164
In einer Studie der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien zur Nutzung auditiver Medien von Jugendlichen kristallisieren sich weitere zentrale, mediennutzungsbezogen radikal neue Formen von Nutzungsmotivationen heraus. Zunächst scheinen bei Jugendlichen – eng verbunden mit der Nutzung der neuen Medien – neue Formen des sozialen Zusammenseins zu entstehen, bei denen „sich diese Heranwachsenden neue Gesellungsformen in der konvergenten Medienwelt (schaffen), sie stehen z. B. in regem Austausch mit anderen, erwarten deren Feedback auf das eigene Medienhandeln und gehen so sehr selbstbewusst ihre eigenen Wege durch die 162
Kluba, Markus (2002): Massenmedien und Internet – eine systemtheoretische Perspektive. In: Networx Nr. 26. ISSN1619-1021. Zitierte nach URL: http://www.mediensprache.net/ networx/networx-26.pdf. Abgerufen am 4. 2. 2008, S. 114. Nach Ansicht von Kluba hat die Digitalisierung zur Folge, dass der Begriff der „Massenmedien“ weiter gefasst und ergänzt werden muss durch ein neues Verständnis von ,Aufmerksamkeit‘ als Bindeglied zwischen Sender und Empfänger. Die systemtheoretische Arbeit von Kluba macht vor allem deutlich, dass der Begriff des Massenmediums in den Zeiten der Digitalisierung neu definiert werden muss mit neuen Kriterien. 163 Als Methode wurden morphologische Tiefeninterviews eingesetzt. Die Probanden stammten aus der sehr jungen Zielgruppe der 14–24-Jährigen. 164 Spaete, Stephan u. Weser, Adrian: Onlinequalitäten – Eine qualitativ-psychologische Studie zum Medienverhalten Jugendlicher, Bauer Media KG, Hamburg, September 2006. Die Studie elaboriert zunächst acht unterschiedliche Lebenswelten, die kategorisch vergleichbare Stil- und Eigenvorstellungen typisieren. Mit unterschiedlicher Präferenz aber grundsätzlich einheitlich bei allen Teilnehmern zeigte sich, wie die digitale Medienwelt massive Funktionen der eigentlichen Lebenswelt übernimmt, wie zum Beispiel Knowledge Base, ThemenMarktplatz, soziale Cliquen-Vernetzung.
3.1 Medientheoretische Vorüberlegungen
89
konvergente Medienwelt.“165 Dominant ist die Nutzung der neuen Medien bei einem wesentlichen Aspekt des Heranwachsens und des Herausbildens von Persönlichkeit. So „ziehen diese Heranwachsenden die Angebotsformen und -strukturen der konvergenten Medienwelt verstärkt und in vielfältiger Form zur Identitätsarbeit heran. Medien dienen ihnen als produktive Vorlage für die Arbeit an ihrer Identität. Sie verstehen diese Vorlagen aber nicht nur als Angebot, sondern als zu verändernde Materialien, die sie zu kreativem und eigenständigem Handeln in virtuellen Welten gebrauchen.“ Kritische Diskussion der medientheoretischen Positionen sowie die Verbindung mit qualitativen aber auch – proportional zur Aktualität radikaler formulierenden – quantitativen Studien machen deutlich, dass die Indizien für einen bereits laufenden „Angriff auf die Massenmedien“ durch die multifunktionalen digitalen Angebote nicht mehr ignoriert werden können und dass auch der Begriff des „Massenmediums“ bzw. das Selbstverständnis einer diesbezüglichen Zugehörigkeit traditioneller Medienangebote grundsätzlich hinterfragt werden muss. Nach Gerhards und Klingler (2007) ist der Angriff auf die Massenmedien kein Frontalangriff, sondern ein verbreiterter Wettbewerb um das Zeitbudget der klassischen Medien – im Rahmen der Konkurrenz um „die Aufmerksamkeit der Rezipienten“. „Marken“, so schreiben die Autoren, „(werden) bi-/tri-medial“ und treten also solche auf und konkurrieren.166 Kolo/Meyer-Lucht (2007) sprechen hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses von Print zu Online von einer „schleichenden Erosion der Intensivleserschaft“, die „als Nettoeffekt zu einer heute schon dokumentierbaren Substitution von Print- durch Onlineangebote“167 führt. Die Diversifizierung der Mediennutzung hat weitreichende gesellschaftspolitische Folgen. Welches Medium „Leitmedium“ sein wird, ist eine offene Frage. Das traditionelle Verständnis des 165
Lauber, Achim/Wagner, Ulrike/Theunert, Helga (2007): Internetradio und Podcasts – neue Medien zwischen Radio und Internet. Eine explorative Studie zur Aneignung neuer Audioangebote im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), München, Juni 2007, S.7. In der Studie wird explizit von einer diagnostizierten Verdrängungswirkung der neuen Medien gesprochen. „Multifunktionale Medien haben bei (den Jugendlichen) die anderen Medien in ihrem Stellenwert verdrängt und sind die Schaltstellen ihrer konvergenzbezogenen Medienaneignung.“ Grundsätzlich scheint sich hier eine Tendenz zu zeigen, die sich auch in einer Längsschnittbetrachtung quantitativer Studien zeigt: Je aktueller die Studien, desto radikaler das Eingeständnis, wie sehr die Mediennutzung durch die Digitalisierung verändert wird. 166 Vgl. Gerhards, Maria und Klinger,Walter: Mediennutzung in der Zukunft – eine Trendanalyse auf der Basis heutiger Datenquellen. SWR-Medienforschung/Programmstrategie. In: Media Perspektiven 6/2007, S. 295ff. 167 Kolo, Castulus & Meyer-Lucht, Robin (2007): Erosion der Intensivleserschaft. Eine Zeitreihenanalyse zum Konkurrenzverhältnis von Tageszeitungen und Nachrichtensites. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, Schriftenreihe des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg, M & K 4/2007, S. 513ff.
90
3 Bedeutung der Digitalisierung
Mediums Fernsehen als Leitmedium begründet in seiner dominanten Nutzung und seinen Reichweiten sowie der Tageszeitungen mit ihrem Anspruch einer qualitativinhaltlichen Führerschaft („Qualitätsjournalismus“) als „Leitmedien“ tritt in einen ergebnisoffenen und von Unsicherheit geprägten Diskurs über die eigene Rolle ein. Nach einer Studie der Universität Hohenheim erodiert selbst die sprichwörtliche Selbstgewissheit der Printmedien dramatisch, weniger als die Hälfte von 87 befragten Chefredakteuren von Tageszeitungen war sich noch sicher, dass die Zeitung tatsächlich das journalistische „Leitmedium“ ist.168
3.2
Die Ökonomie der Digitalisierung
3.2.1
Diskontinuitäten in der Wertschöpfung “A bit has no color, size or weight, and it can travel at speed of light. It ist the smallest atomic element in the DNA of information. It is a state of being: on or off, true or false, up or down, in or out, black or white.”169
Negropontes Apriori aus dem Jahr 1995 klingt in seiner durchscheinenden Faszination zwar heute (noch) nicht eigentlich altmodisch und überholt, transportiert aber dennoch jenen Klang ehrfurchtsvoller Begeisterung über das digitale Neue, das im Jahr 1995 noch weit davon entfernt war, massenrelevant zu sein. Mehr als ein Jahrzehnt später ist zwar bei weitem nicht alles eingetreten, was Negroponte voraussagte, aber die Einsicht, vor einer grundlegend revolutionären Situation zu stehen, hat sich breiten Raum in der öffentlichen Rezeption verschafft. Während sich die im vorigen Kapitel beschriebenen Effekte der Digitalisierung theoretisch durch Begrifflichkeiten der Medientheorie und der Medienphilosophie zumindest näherungsweise skizzieren lassen, rückt nun die faktische Wirksamkeit der digitalen Veränderung in wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen in den Vordergrund. Diese Ansätze sind bestimmend für die Geschäftsfelder (fast) aller heutigen Medienunternehmen und stellen Rahmenbedingungen für unternehmensinterne Organisationsformen und Prozesse dar und damit auch für die Umstände des Managements von Contentrechten. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen die wichtigsten Determinanten (mit 168
Vgl. dazu: Mast, Claudia (2007): Zeitungsjournalismus im Internet-Zeitalter – Umfrage bei den Chefredakteuren deutscher Tageszeitungen, durchgeführt vom Fachgebiet Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim, Stuttgart. Die Erhebung wurde im November und Dezember in Form einer schriftlichen Befragung der Chefredakteure deutscher Tageszeitungen mit Vollredaktion durchgeführt, die Ergebnisse am 15. 1. 2007 publiziert. 169 Negroponte, Nicolas: Being Digital, New York, 1995, S. 14.
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
91
Rücksicht auf die Tatsache ihrer ausreichenden Erforschtheit allerdings nur knapp) umrissen, aber mit Blickrichtung auf die Aufgabenstellung gewichtet und somit als analytische Basiskategorien den weiteren Betrachtungen hinterlegt werden. Die Besonderheiten der Ökonomie digitaler Güter sind in den vergangenen fünfzehn Jahren sehr gut untersucht und aufgearbeitet worden. In den zahlreichen Studien wurde deutlich, dass die Digitalisierung gerade in wirtschaftlicher Hinsicht eine Revolution darstellt, die Produkte mit bislang (jedenfalls in vielen neuen Kombinationen) unbekannten Eigenschaften hervorbringt. Unabhängig davon, dass sich durch das Tempo der digitalen Umwälzung auch die Geschäftsprozesse rasch weiter verändern und die Forschung (bis heute) immer nur einen Zwischenstand abbilden kann, konnten in der wissenschaftlichen Literatur allgemein akzeptierte Begriffe und Kategorien entwickelt werden, mit denen sich die Spezifika insbesondere in der Internet-Wirtschaft präzise beschreiben lassen.170 Die Auswirkungen digitaler Ökonomie haben dabei massiv an Relevanz gewonnen. Zerdick et al (2004) verweisen darauf, dass es „(…) internetgetriebene Entwicklungen (gibt), die deutlich unterschätzt wurden. Hierzu zählt zum einen die sehr weit reichende, manche sagen übertriebene Ausweitung der Rechte auf geistiges Eigentum, zum anderen der Erfolg kommerzieller Monopole, die ihre marktbeherrschende Stellung mithilfe von langfristigen Kundenbindungs- und Preisstrategien ausbauen.“171 Die immateriellen Zergliederungstendenzen der digitalen Umwälzung erzeugten nicht nur, aber insbesondere in den Medien einen massiven Zwang, die bisherige (analog-lineare) Logik zu überdenken. Ein Kernvorgang der Digitalisierung – der Prozess der Entkopplung der Inhalte von ihren Trägermedien – forcierte die Abkehr vom rein linearen Denken in der Medienproduktion –, was sich aber unmittelbar auch im Konsum der entstandenen Produkte zeigte, die immer öfter vom Kunden selbst mitkonfektioniert werden können. Das tradierte Pre-Bundling durch die Industrie (in der Musikindustrie zum Beispiel in der Form der Zusammenstellung von CD’s oder in der TV-Industrie als Programmierung im linearen Fernsehen) wird als Folge der Digitalisierung zunehmend ersetzt durch eigene programmliche Gestal170
Standardisierende Analysen u. a. in: Shapiro, C.; Varian, H.R.: Information rules: A strategic guide to the Network Economy, Boston, 1999; Zerdick A. et al: Die Internet-Ökonomie – Strategien für die digitale Wirtschaft, Berlin-Heidelberg-New York, 1999; Kelly, K.: New Rules for the New Economy. 10 Radical strategies for a connected world, New York, 1998, S. 12ff. 171 Zerdick, Axel (et al.): E-Merging Media – Digitalisierung der Medienwirtschaft, Berlin, Heidelberg, 2004, S. 331. Die Autoren des Sammelbandes kommen zum Schluß, dass es in der Medienwirtschaft deutliche Hinweise auf einen Paradigmenwechsel gibt, der vor allem die ökonomischen Grundlagen des Geschäfts im Internet betrifft. Im Wesentlichen sind dies Netzwerk-Effekte und neue Strategien der Kundenbindung („Retention“).
92
3 Bedeutung der Digitalisierung
tung (Self-Bundling) durch die Konsumenten. Dies wird durch die „Web 2.0“Video-Communities wie youtube.com oder myvideo.de ebenso deutlich, wie durch Podcasts und legale bzw. illegale Downloads in der Musikbranche.172 Auch die Integration von User- bzw. Leserkritik als mehrwertschaffendem Vorteil für die Kunden (zum Beispiel beim Onlinehändler Amazon) macht deutlich: Der Konsument ist in diesem Prozess Teil der Wertschöpfungskette. Doch die E-Commerce- und Musikindustrie waren nur die Vorreiter einer alle anderen medialen Gattungen erfassenden Entwicklung. Die Gleichgewichte unter den Branchen- und Industriebeteiligten verschoben sich, überall kamen neue Akteure und Faktoren hinzu. Produktentwicklung, Wertschöpfung, Prozesse, aber auch der Vertrieb der Endprodukte folgen seither nicht mehr nur der analog-linearen Zeitlogik, sondern unterliegen aufgrund der ubiquitären Verfügbarkeit und universellen Rekombinierbarkeit des digitalen „Rohstoffes“ zahlreichen Netzwerk- und Skaleneffekten. Dies führt unter anderem dazu, dass Medienprodukte bezüglich ihrer ursprünglichen Form auf einer kaum überschaubaren und auch zukünftig nicht begrenzbaren Zahl von Wegen beschafft, über eine bislang unbekannt hohe Zahl von Endgeräten konsumiert und über immer mehr unterschiedliche Kanäle weiter vertrieben werden können. Kopierschutz, illegale Verbreitung, Datenkompression und Endgerätekompatibilität als digitale Kerntechnologiebegriffe werden so zu neuen wirtschaftlich kritischen Erfolgsfaktoren. Die Hauptentwicklungen – Produktinnovation wie Technikinnovation – referenzieren dabei unablässig aufeinander und heizen die Veränderungsgeschwindigkeiten in beiden Bereichen weiter an. Neue technologische Entwicklungen ermöglichen neue inhaltliche Produkte, deren Markterfolg wiederum erst durch die Nutzer bestätigt oder verworfen wird. In Folge der Entscheidung der Kunden, welchen Produkten auf welchen Geräten sie ihre knappe Aufmerksamkeit schenken, bilden sich im Hardware-Endgerätebereich „Favoriten“, die eine beschleunigte und fokussiertere Produktweiterentwicklung erhalten. Dies wiederum führt zur nächsten, avancierteren Gerätegeneration, die wieder neue, erweiterte Produktmöglichkeiten mit sich bringt. Der traditionelle Wertschöpfungsprozess hat sich damit nicht nur auf bislang unbekanntes Niveau beschleunigt, sondern grundlegend geändert. Das Ende der Linearität führt zu ganz neuen Formen von „Hit & Miss“ von „Trial & Error“, also von nahezu „spielerischem“ Austesten von neuen Produkten und Ideen. Dabei scheint es nur so, als ob durch die Fragmentierung der bisherigen medialen Welt das kreative 172
Vgl dazu auch: Renner, Tim: Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm. Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie, Frankfurt am Main, 2004 und Gangnus, Oliver: Veränderung der Wertschöpfung in der Musikindustrie durch Digitalisierung, Seminararbeit am Lehrstuhl für Betriebswirtschaft, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2004, S. 9ff.
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
93
Chaos, die Anarchie des Zufalls oder gar eine Unschärfelogik173 Einzug gehalten haben. Vielmehr wird durch die Anwendung solcher Denkkategorien deutlich, wie wenig die Netzwerkeffekte und die neuen Regeln der digitalen Welt theoretisch fundiert Eingang gefunden haben in die wirtschaftlichen und produktiven Routinen der Marktteilnehmer, von denen die meisten aus einem traditionellen analog-linearen Mediengeschäft stammen. Die Inhalte – bisher zum Beispiel gebunden an materielle Grundlagen wie Papier, Vinyl, Zelluloid oder Magnetband – wurden durch die Digitalisierung beweglich: Sie können unendlich reproduziert und auf unterschiedlichsten materiellen Trägern gespeichert und in den unterschiedlichsten Lebens- und Nutzungssituationen konsumiert werden. Der digitale Prozess ist dabei noch nicht annähernd abgeschlossen, die dafür verantwortlichen technischen Möglichkeiten wachsen immer noch exponentiell. Nach dem so genannten „Mooreschen Gesetz“174 verdoppelt sich die Leistungsfähigkeit von Computerchips alle zwei Jahre – im Wesentlichen ungebrochen bis heute. Der exponentiellen Entwicklung der Technologie können die produktbezogenen Anwendungen und vermarktbaren Innovationen oft nicht folgen. Die Explosion der
173
Der Begriff verweist auf die „fuzzy logic“ von Lotfi A. Zadeh, Professor an der University of California in Berkeley. 1965 bereits postulierte Zadeh eine den Naturwissenschaften entnommene Annäherungstheorie, die durch die Vernetzung und Integration einer Vielzahl von „scharfen“ Begriffen oder Angaben, die die Wirklichkeit nie ganz erfassen können, eine Näherung an ein angenommenes „unscharfes“ Ziel möglich macht, das die Realtität aber besser abbildet, als die Summe der präzisen Angaben: „Basically, Fuzzy Logic is a multivalued logic, that allows intermediate values to be defined between conventional evaluations like true/false, yes/no, high/low, etc. Notions like rather tall or very fast can bei formulated mathematically and processed by computers, in order to apply a more human-like way of thinking in the programming of computers“ (Zadeh, Lotfi A.: Making computers think like people. Spectrum, 1984). Vor dem Hintergrund der vorliegenden Untersuchung ist wichtig, dass es sich bei möglichen Erklärungen der digitalen „Beliebigkeit“ eben nicht um ein Phänomen von „fuzzy logic“ handeln kann, sondern um zwar disparate, dennoch aber konkret analysierbare Effekte. 174 Moore, Gordon: Cramming more components onto integrated circuits, Electronics, Volume 38, No. 8, 19. April 1965: „The complexity for minimum component costs has increased at a rate of roughly a factor of two per year. Certainly over the short term this rate can bei expected to continue, if not increase. Over the long term, the rate of increase is a bit more uncertain, although there is no reason to believe to believe it will not remain nearly constant for at last 10 years.“ Das sogenannte „Mooresche Gesetz“ ist eine Bezeichnung, die die Presse erfand. Den Kern des Bezeichneten beschrieb Gordon Moore, Wissenschaftler an der Universität von Kalifornien und Mitbegründer der Firma US-Computerfirma INTEL. Es handelt sich um kein „Gesetz“ im naturwissenschaftlich-mathematischen Sinne, sondern um eine Faustregel, deren Basis empirische Beobachtungen sind. Insbesondere aber die Halbleiterindustrie orientiert sich in ihren Szenarien und Entwicklungsplänen an der fortgesetzten Gültigkeit der Faustregel.
94
3 Bedeutung der Digitalisierung
Moore’s Law
10,000,000,000 – Number of transistors doubling every 28 months.
Number of transistors on an integrated circult
1,000,000,000 –
100,000,000 –
Itanium 2 (9 MB cache) Itanium 2
Number of transistors doubling every 24 months. Pentium 4 Itanium
10,000,000 –
Pentium III Pentium II Pentium
1,000,000 –
486
386
100,000 –
286
8,086
10,000 – 2,300 –
8,080 4,004 8,008
1971
1980
1990
2000
2004
Year
Abbildung 5: Moore’sches Gesetz am Beispiel von Intel-Prozessoren Quelle: Wikipedia175
Rechnerleistungen hat in den Medien nicht nur den Abschied vom analogen Signal oder dem analogen Zeichen zugunsten der Digitalisierung vorangetrieben (immer mehr digitaler Speicherplatz für ehemals analoge Produkte), sondern auch zu weiteren prozessorleistungsgestützten Anwendungen geführt. Einer der massivsten Effekte wurde durch Softwareentwicklungen verursacht, die durch neue Kompressionsverfahren zu einer erheblichen Datenreduktion führten. Die Reduktionsverfahren (die „disruptive“ Innovationen176 geradezu befördern) haben digitale Güter hervorgebracht, deren Größe (Dateigröße) den Vertrieb auf die Vielzahl der verfügbaren 175
Bildquelle: Wikipedia, abgerufen unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Moores_law.svg# filelinks, am 23. 7. 2008. 176 Vgl. dazu Kapitel 4 dieser Arbeit, in dem das Wesen dieser „zerstörerischen“ Innovationen dargestellt und diskutiert wird.
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
95
Abspiel- und Speichergeräte erst ermöglichte. Stelzer (2007) definiert digitale Güter als „(…) immaterielle Mittel zur Bedürfnisbefriedigung, die sich mit Hilfe von Informationssystemen entwickeln, vertreiben oder anwenden lassen. Es sind Produkte oder Dienstleistungen, die in Form von Binärdaten dargestellt, übertragen und verarbeitet werden können.“177 Kotkamp178 (2000) erweitert den postulierten Definitionsbestandteil der Immaterialität, indem er digitale Güter als prinzipiell unzerstörbar, rekombinierbar und perfekt reproduzierbar bezeichnet. Die Anwendung dieser Begrifflichkeiten auf „Mediengüter“ zeigt die Radikalität des Veränderungspotentials der Digitalisierung. „Mediengüter“ werden nach Mayer (2000) geprägt durch grundsätzliche Unterschiede in der Konsumption im Vergleich zu materiellen Gütern. Medienprodukte gewinnen ihren Wert grundsätzlich erst im Moment der Konsumption. Dies macht aus Medienprodukten „Erfahrungsgüter“. Seinen Wert kann der Konsument dem Produkt erst dann zusprechen, wenn er es konsumiert hat.179 Digitale Medienprodukte weisen daneben die Besonderheit auf, dass durch den Konsum Einzelner keine physische Wertminderung des Produkts entsteht: Unabhängig von der Anzahl der Konsumakte bleibt das Ausgangsprodukt immer dasselbe.180 Unzerstörbarkeit, Rekombinierbarkeit, perfekte Reproduzierbarkeit und keine Wertminderung durch Konsum: Diese Eigenschaften zeigen das ganze – wirtschaftlich betrachtet – inhärent aggressive Potential digitaler Güter. Wie unmittelbar die Veränderung der Wertschöpfungspotenziale in den Medien wirkt, zeigt Picot (2005). Er führt die massiven Auswirkungen der Digitalisierung 177
Stelzer, Dirk: Digitale Güter und ihre Bedeutung in der Internet-Ökonomie, 2000. URL: www.systementwicklung.uni-koeln.de/forschung/artikel/dokumente/diggut.pdf. Stand: 25. 6. 2007. 178 Kotkamp, Stefan (2000): Informationswirtschaft: Das Neue in der New Economy. In: Karlsruher Transfer, Heft 24, 2000, S. 8ff. 179 „Erfahrungsgüter“ lassen sich definieren als „Produkte, deren Kaufsituation dadurch gekennzeichnet ist, dass alle Informationen unmittelbar beim Kauf gesammelt werden, weil dem Käufer Vorabinformationen fehlen und Erfahrungen anderer Personen nicht verfügbar sind.“ (Marketicon) 180 Vgl. dazu Maier, Matthias (2000): Internet-Ökonomie, Vorlesung an der Universität Weimar, 2000. Maier spricht hier von einer „perfekten Nichtrivalität im Konsum“. Eine grundsätzlich konkurrierende Nutzung ist also möglich, ohne dass Verknappungseffekte auftreten. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit und/oder Gefahr der Weiterverbreitung von Informationsprodukten in Sekundärmärkten. Erst durch beispielsweise digitales Rechtemanagement DRM, also technischen Kopierschutz oder durch juristische Mittel, wird eine Auschließlichkeit der Nutzung hergestellt und führt zu einer Verknappung. Dieser Effekt nimmt massiven Einfluss auf die Wertschöpfung. Signifikant für die Medienproduktion sind die hohen Aufwände bei der eigentlichen Produktion verglichen mit relative geringen Auwänden beim späteren Vertrieb: Das Produkt bleibt dasselbe, egal wie vielen Vertriebs- und Konsumakten es unterliegt.
96
3 Bedeutung der Digitalisierung
auf die Wertschöpfung in der Medienwirtschaft vor allem auf die Entkopplung von Medium und Inhalt zurück.181 Während der Inhalt durch die Digitalisierung in einem „kontinuierlichen Modus“ verbleibt, also nach einer ersten Kopie nicht weiter verändert wird („1:1-Produkt“), verändert sich die Charakteristik der Trägermedien dramatisch. Durch beliebige Reproduzierbarkeit, Kompressionsfähigkeit182 und Rekombinierbarkeit entsteht ein „diskontinuierlicher“ Modus, der es ermöglicht, dass der Träger der Inhalte auf dem Weg zum Konsumenten beliebig wechseln kann. Diesem diskontinuierlichen Modus entsprechen die linearen Wertschöpfungsmuster der analogen Welt nicht mehr. Vielmehr führen die digitalisierten Fragmentierungsprozesse dazu, dass sich die Wertschöpfungssysteme neu konfigurieren müssen. Der European Communication Council Report183 betont, dass die Konsequenzen dieser Mechanik radikal sind, sich aber nur schleichend bemerkbar machen: „Bits kann man verkaufen und gleichzeitig behalten. Original und Kopie sind nicht voneinander zu unterscheiden. Zudem tendieren die Grenzkosten für die Produktion weiterer Kopien gegen null. Man benötigt keine Lagerhallen: Bits haben kein Gewicht und bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit, Bits halten sich nicht an Grenzen. Ihre Bewegungen lassen sich in einer vernetzten Wirtschaft praktisch nicht kontrollieren oder behindern.“184 Medienprodukte unterliegen selten einer rein industriellen Produktion, auch wenn bei bestimmten seriellen Formaten (zum Beispiel im Fernsehen) industrielle Produktionsmuster in Anwendung kommen. Produktion und Verwertung sind aber weiterhin stark von kaum standardisierbaren kreativen Umfeldern abhängig, die sich nur schwer industriell-seriell systematisiert steuern lassen. Dementsprechend schwer sind auch die Erfolgsaussichten am Markt prognostizierbar. Diese allen medialen Gütern inhärente Eigenschaft wirkt als Geschäftsrisiko in „alten“ und 181
Picot, Arnold et al:, Wandel der Wertschöpfungsketten in der Medienindustrie durch neue Technologien, Vortrag auf den Medientagen München, 27. 10. 2005. Die dargestellten Thesen wurden im Rahmen des Projekts „INTERMEDIA“ der Ludwigs-Maximilians-Universität München erarbeitet. Fokussiert wurde u. a. auf die Entwicklung des mobilen Fernsehens in Deutschland sowie des digitalen Fernsehens und IPTV. Picot führt das Entstehen neuer erfolgreicher Wertschöpfungsmuster auf den „zunehmenden Systemgutcharakter“ von Medienprodukten zurück. 182 Kompressionsfähigkeit bezeichnet die Möglichkeit, digitale Mediengüter nach ihrer Wandlung von der analogen in die digitale Welt durch komplexe Reduktionsverfahren zu komprimieren und sie dadurch noch flexibler handhabbar zu machen. Der faktisch entstehende Qualitätsverlust durch Datenreduktion wird entweder auf Basis psycho-technischer Ansätze vom Kunden nicht oder kaum wahrgenommen oder aber zugunsten einer verbesserten Usability akzeptiert. 183 Zitiert nach: Zerdick, Axel, Picot, Arnold, Schrape, Klaus, et al: Die Internet-Ökonomie, Berlin, Heidelberg, 2001. 184 Negroponte, Nicholas, zitiert nach: Zerdick, Axel, Picot, Arnold, Schrape, Klaus, et al.: Die Internet-Ökonomie, Berlin, Heidelberg, 2001, S. 16.
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
97
„neuen“ Märkten unterschiedlich schwer: In der analogen Welt stehen auf der Aufwandsseite vielfach proportional skalierende variable Kosten, die insbesondere bei einem wirtschaftlichen Misserfolg kaum kompensiert werden können. Dies ist in der digitalen Welt anders. Ihre Nachfrage-Eigenschaften machen es möglich, vor allem erfolgreiche Produkte überproportional rentabel zu kapitalisieren und somit Kompensationseffekte für wirtschaftliche Rückschläge zu ermöglichen. So sind zum Beispiel die Kosten für die Erstellung der „ersten Kopie“185 digitaler Güter in der Regel ebenso hoch wie in der analogen Welt, alle weiteren Kopien aber kosten wenig oder gar nichts – was zu einer dramatisch veränderten Kostensituation führt. Bei „klassischen“, analogen, materiellen Gütern wachsen die stückunabhängigen Fixkosten kontinuierlich, die Grenzkosten sinken moderat und liegen unter den Durchschnittskosten. Digitale Güter dagegen können nach einer ersten Erstellung bei gleichbleibenden Kosten nahezu ohne weitere Aufwände reproduziert werden. Diese Kostenstruktur erbringt für die Gesamtwertschöpfung massive Skaleneffekte, die nach Stelzer (2000) zu spezifischen Charakteristika bei der Stückkostendegression führen. „Je höher die Fixkosten im Verhältnis zu den variablen Kosten sind“, so Stelzer, „desto stärker sinken die Stückkosten bei steigender Absatzmenge. Dadurch ergeben sich für den Wettbewerb in Märkten mit vollständig digitalen Gütern folgende Konsequenzen: Die Stückkosten eines Anbieters, der einen dominierenden Marktanteil erreicht hat, sinken bei steigenden Absatzzahlen schneller als die Stückkosten der Wettbewerber. Das eröffnet dem dominierenden Anbieter die Möglichkeit, entweder höhere Gewinne zu realisieren oder seine Absatzpreise schneller zu senken, als es den Wettbewerbern möglich ist. Wählt er die Option, seine Absatzpreise deutlich zu senken, so wird sich sein Marktanteil – bei sonst gleichen Bedingungen – noch stärker erhöhen. Dies führt dazu, dass die Stückkosten weiter überproportional sinken. In der Internet-Ökonomie werden diese Zusammenhänge als positive Feedback-Effekte oder „Increasing Returns“ bezeichnet.“186
Wenn nun neben diese Kosten- und Angebotseffekte auch die bereits skizzierten Nachfrageeffekte treten (Nutzer werden über Feedbackmechanismen Teil der Wert185
Shapiro, a. a. O. Unter einer „ersten Kopie“ sind in der Regel die analogen Bedingungen der realen Produktionswelt zu verstehen. Jeder Film muss zunächst einmal mit wirklichen Schauspielern, „echten“ Kameramännern, Regisseuren, Requisiten etc. produziert werden, analog verhält es sich mit Musik. Die erste Kopie ist somit die teuerste. In der digitalen Welt allerdings (und unter der Voraussetzung entsprechend hoher Nachfrage) sinken die Gesamtkosten durch die spezifischen Gesetze digitaler Güter rasch ab. 186 Stelzer, Dirk (2000): Digitale Güter und ihre Bedeutung in der Internet-Ökonomie, 2000. URL: www.systementwicklung.uni-koeln.de/forschung/artikel/dokumente/diggut.pdf. Stand: 25. 6. 2007. Das „vollständig digitale Gut“ bezeichnet ein Gut, das hinsichtlich seines „Digitalisierungsgrades“ keinen materiellen Anteil mehr besitzt. Das bedeutet, dass das Gut weder einen physischen Dienstleistungsanteil noch ein physikalisches Medium benötigt, um hinsichtlich seines Produktversprechens und seiner Nutzung vollständig zu sein.
98
3 Bedeutung der Digitalisierung
schöpfungskette) entsteht innerhalb des Gesamtmarktes als Netzwerkeffekt ein positives Feedback: Die starken Marktteilnehmer werden stärker, die schwachen verlieren überproportional. Dies unterstreicht die bereits in der Kostenstruktur angelegte Tendenz zur Bildung von Oligopolen oder gar Monopolen. Grundsätzlich kann – insbesondere auch für Medienindustrie – festgehalten werden, dass bei digitalen Gütern relevante und auf allen Ebenen der Wertschöpfung wirksame Diskontinuitäten auftreten, die sich massiv von der „nicht-digitalen“ Ökonomie unterscheiden und damit andere Gesetzmäßigkeiten hervorbringen und ein anderes Management-Handeln erfordern. Dies ist vor dem Hintergrund der Themenstellung dieser Arbeit von großer Bedeutung, da sich in der im Umbruch befindlichen Medienbranche „klassisch-analoge“ Geschäftsmodelle mit neuen, digitalen Business-Logiken verbinden und verschmelzen lassen müssen, während sie sich gleichzeitig oft einem völlig neuen Wettbewerb mir rein digitalen Konkurrenten zu stellen haben. Versteht man wie in dieser Arbeit Medienprodukte im Wesentlichen als Funktionseinheiten, die aus modularen Rechten zusammengesetzt sind, wird unschwer erkennbar, welche Auswirkungen die veränderten Rahmenbedingungen der digitalen Ökonomie auch auf das Management dieser Rechte haben werden. 3.2.2
Lock-In: Sicherungsstrategien der Marktteilnehmer
Die wirtschaftlichen Charakteristika digitaler Güter verschärfen den Wettbewerb unter den Marktteilnehmern in den Medienmärkten, insbesondere auf der Risikoseite. So steigt für viele traditionell-analoge Wettbewerber die Gefahr, durch signifikante diskontinuierliche Effekte, die zu Quantensprüngen hinsichtlich von temporären und/oder nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen ihrer Konkurrenten führen können, rasch und möglicherweise nachhaltig an Marktanteilen, Wachstum und Profit zu verlieren. Bei einer aktiven Integration neuer digitaler Geschäftsmodelle bieten sich gleichzeitig jedoch auch deutlich attraktivere Chancen für das eigene bisherige Kerngeschäftsmodell. Clemons/Gu/Lang (2002) sprechen von einem Phänomen der „newly vulnerable markets“ – neue, hochgefährdete Märkte, wie sie die Digitalisierung insbesondere in den Medienmärkten schafft.187 Drei Hauptdeterminanten bestimmen ihrer Ansicht nach die neuen Märkte: Die „plötzlich“ deutlich herabge187
Clemons, Eric/Gu, Bin/Lang, Karl: Newly vulnerable markets in an Age of pure Information products. An analysis for online music and online news. In: Journal of Management Informations Systems, August 2002, S. 17–41. Die Autoren arbeiten in ihrer Studie insbesondere die hohe Verletztlichkeit der Musikmärkte heraus. Die Hauptbedrohung sehen sie – für den Zeitpunkt der Publikation sehr vorausschauend – im Wesentlichen in der steigenden Macht von Künstlern und Musikern, denen die Digitalisierung eigene, neue Vertriebswege eröffnet.
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
99
setzten Markteintrittsschranken: oft ausgelöst durch technische Innovation. Daneben zeigen die Märkte eine hohe Attraktivität für einen Angriff: weil ein hoher Gradient der Profitabilität lockt plus eine mögliche Produktlinien-Verschlankung. Und schließlich: Derart bedrohte Märkte sind kaum zu verteidigen – weil Strategien rasch kopiert werden können. Diese Charakteristika betreffen alle digitalen Medienmärkte. Clemons/Gu/Lang betonen die Bedeutung der „resource-based value retention“. Ihrer Ansicht nach ist der Schlüsselerfolgsfaktor in den neuen verletzlichen Märkten die Fähigkeit, von den eigenen Ressourcen den richtigen Gebrauch machen zu können. Um den vollen Erfolg in einem neuen Markt ernten zu können, „significant advantage must be a result of something else and that something else is usually a strong ownership position in critical resources needed to exploit the innovation fully“188. Solche Forderungen stellen insbesondere an der Schnittstelle von analoger zu digitaler Welt (zum Beispiel klassisches Fernsehgeschäft versus Digitalisierung) eine bedeutende Managementherausforderung dar, bei der es notwendig wird, „hybride“ Geschäfts- und Denkmodelle zu schaffen, um beide Welten optimal in den Wertschöpfungsprozess zu integrieren. Diese Integration läuft in vielen Fällen zunächst nicht über Angriffs-, sondern über Sicherungsstrategien ab. Zu den wichtigsten Sicherungsstrategien in digitalen Medienmärkten gehört die Ausnutzung von Netzwerkeffekten. Diese Strategie geht davon aus, dass eine große Zahl der neuen digitalen Güter „Netzeffektgüter“ mit besonderen Eigenschaften sind. Urban (2003) beschreibt als wichtigstes ökonomisches Charakteristikum, dass „der Nutzer nicht mehr nur das physische Produkt, sondern vielmehr den Zugang zu diesem Netzwerk, den er durch das Produkt erhält, kauft.“189 Die Größe des Netzwerks (der „derivate Nutzen“) überlagert bei digitalen Netzwerken nach Urban als entscheidendes Kaufkriterium den generischen Produktnutzen.190 „Die funktionalen Eigenschaften eines Produkts sind somit notwendige, aber nicht mehr hinreichende Bedingung für den Kauf eines Netzwerkgutes.“191 Untrennbar verbunden mit diesen offenkundigen 188
Ebenda. Der Ansatz stützt die in dieser Arbeit vertretene These, dass „core competences“ im Sinne von Prahalad/Hamel die Schlüsselerfolgsfaktoren für die Bewältigung der Digitalisierung sein können und damit ein erweitertes „resource-based“-Verständnis für den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen. 189 Urban, Thomas (2003): Der Einfluss der Netzwerkökonomie auf die traditionellen Gesetze im Wirtschaftsgeschehen; In: Tagungsband 19th Dresden Conference of Traffic ans Transport Sciences, Dresden, 2003. 190 Beispiele dafür sind zum Beispiel der iPod-Player von Apple. Durch den exklusiv mit diesem Produkt verbunden Zugang zur Downloadplattform itunes und damit zu einem Netzwerk an Musikinhalten übersteigt der „Wert“ des Netzwerks den Wert des physischen Abspielgeräts. 191 Urban (2003).
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3 Bedeutung der Digitalisierung
Netzwerkeffekten sind – die möglicherweise wirtschaftlich noch bedeutsameren – indirekten Netzwerkeffekte. Sie firmieren in der Literatur unter den Schlagworten der „Switching costs“ und der „Lock-In-Strategie“. Nach Farell/Klemperer (2007) sind die mit den Begriffen umschriebenen Effekte „central to the ,new economy‘ information technology industries“.192 Beide Begriffe zielen auf dasselbe Phänomen: Da für die Endkunden digitaler Produkte (verglichen mit der analogen Welt) aufgrund der digitalen Eigenschaften das Wechseln zu Konkurrenten überproportional leicht möglich ist (im Internet ist die Konkurrenz nur „one-click-away“), müssen im Vergleich zu traditionellen Produkten (wo es Lock-In ebenso gibt) weitaus komplexere Strategien zur Bindung der Kunden entwickelt werden. Doch selbst über ausgefeilte Bindungs-Strategien sind die Erfolge schwerer berechenbar als in der analogen Welt. Erschwert werden die Prognosen durch das in den Medien hohe Maß an Substituierbarkeit von Produkten. Oft entscheidet nicht die eigentliche Produktqualität über Erfolg oder Misserfolg, sondern vor allem das Timing („time-to-market“). „Switching costs“ und „Lock-in-Strategien“, also Sicherungsstrategien allgemein, werden damit zu zentralen Hebeln für unternehmerischen Erfolg. Shapiro (1998) definiert Switching costs „as costs that deter customers from switching to a competitor’s product or service. These costs include elements such as the customers time, effort, and knowledge that they invest in products, services, or relationships.“193 Shapiro beschreibt mit diesen Begriffen die Bedeutung einer Strategie, die nicht nur versucht, die Konsumption der Produkte durch die Kunden zu erreichen, sondern vielmehr gerade wegen der leichten Substituierbarkeit der Produkte Mechanismen zu implementieren, die die Kunden ans eigene Produktportfolio fesseln. „Switching costs are significant (…). Lock-in to historical, legacy systems is commonplace in the network economy. Such lock-in is not absolute – new technologies do displace
192
Farell, Joseph und Klemperer, Paul: Coordination and Lock-In: Competition with Switching Costs and Network Effects. In: Handbook of Industrial Organization, Volume 3, hrsg. von Armstrong, M. und Porter, R., Elsevier, S. 1971. „Switching costs“ und „Lock-In“ definieren die Autoren als „a product has classic switching costs if a buyer will purchase it repeatedly and will find it costly to switch from one seller to another. Switching costs also arise if a buyer will purchase follow-on products such as service and repair, and will find it costly to switch from the supplier of th original product. Large switching costs lock in a buyer once he makes an initial purchase, so he is effectively buying a serios of goods, just as (more generally) with strong enough relationship-specific economies of scope, sellers compete on bundles of goods rather than single goods. Sometimes sellers offer complete (‘life-cycle’) contracts that specify all prices.“ Ebenda, S. 1972ff. 193 Hess, Mike und Ricart, Joan Enric: Managing customer switching costs: A framework for competing in the networked environment, Research Paper 472, University of Navarra, Barcelona, 2002, S. 4.
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
101
old ones – but switching costs is itself a strategic choice made by the producer of the system.“194 Deutlich wird dabei: Ein hoher Marktanteil bietet in der digitalen Welt keine Sicherheit. Nur hohe „Umstellungskosten“ für die Konsumenten helfen, den Wettbewerbsvorteil der relativen Größe abzusichern.195 Für Porter (1985) entwickeln sich „Switching costs“ zu einem dritten, Wettbewerbsvorteil definierenden Faktor (neben Kostenführerschaft/Niedrigstkostenstrategie und der Differenzierungsstrategie).196 Porter schreibt den „Swiching costs“ dabei zu, die Bedeutung des Differenzierungsansatzes erweitern zu können, insbesondere dann, wenn beide Elemente der Wettbewerbsstrategie gleichzeitig entwickelt werden können: Diffenzierungs- und Sicherungsstrategie. Die tiefe Begründung der Bedeutung der „Switching Costs“ liegt an der geänderten Rolle des Konsumenten: Als Teil der Netzwerkökonomie ist er in digitalen Verwertungsprozessen wie dargestellt Teil der Wertschöpfungslogik. Entsprechend wächst seine Bedeutung: „The blow-up of the tradeoff between richness an reach leads to several important changes – reductions in search costs, reductions in transaction costs, reductions in interaction costs, reductions in asymmetries of information, an an increase in choice. Each of these changes causes bargaining power to shift from sellers to buyers.“197 Die Konsequenz aus diesem Phänomen sammelt sich unter dem Begriff der Lock-In-Strategien. Kurz gefasst versuchen Lock-In-Strategien die „Switching costs“ zu verteuern. Das heißt: über ausgefeilte technologische, psychologische aber auch nutzungspraktische Spezifika sollen die Endkunden an das nicht-materielle Gut so stark gebunden werden, dass ein Wechsel zu einem besseren oder günstigeren Konkurrenzprodukt möglichst schwer fällt.
194
Vgl. dazu Shapiro, Carl u. Varian, Hal: Information rules, USA, 1998, S. 12. Die Autoren nennen als Beispiele Betriebssysteme von Computern oder Mobilfunkgeräten. Wenn an mediale Produkte bestimmte technologische (Hardware-) Komponenten gekoppelt sind, steigen die „Switching-costs“, also die Aufwände, irgendwann einmal zu einem konkurrierenden System zu wechseln massiv. Insbesondere der Computerhersteller Apple arbeitet mit diesen systematisierten Lock-in-Strategien, die zum Beispiel bei einer eigenen Kompressionstechnologie für Musikformate sichtbar wird. Die von Apple vertriebenen Endgeräte (iPods) und Medienprodukte (iTunes) erzwingen dieses Format. Der Konsument bindet sich damit durch Medienprodukte an den Hersteller. 195 „Umstellungskosten“ können auch in einer uniquen Produktqualität bestehen. Dies weitergedacht, kann insbesondere in der TV- und Produktionsbranche inhaltliche Qualität als „Lock-In“-Effekt verstanden werden, insbesondere dann, wenn mit dieser Qualität nicht nur das alte, analoge Kernmedium Fernsehen verstanden wird, sondern die Stärke des „Lock-In“ als Formattreue und Grad der „user retention“ ausgelesen werden kann. 196 Vgl. dazu: Porter, Michael: Competitive advantage: Creating and Sustaining Superior Performance, New York, 1985, S. 286ff. 197 Hess, Mike und Ricart, Joan Enric a. a. O., S. 6.
102
3 Bedeutung der Digitalisierung
Shapiro und Varian (1999) haben dies in ihrem Lock-In-Zyklus als einen vierphasigen Prozess beschrieben. Über „Brand-selection“, „Sampling“, „Entrenchment“ und schließlich „Lock-In“ formulieren sie es zur entscheidenden Managementaufgabe, diese vier Stadien jeweils zu antizipieren und in permanenten iterativen Verfahren zu prüfen, wie der Prozess auf die Kundenbasis wirkt. Den Unternehmen raten sie, „to focus on three principles: 1) Invest – build up the installed base. 2) entrench – increase customer switching costs and 3) leverage – maximize the value of the installed base.“198 Vor dem Hintergrund dieser Untersuchung sind die beschriebenen Ansätze vor allem als Teil von „Sicherungsstrategien“ von zentraler Bedeutung. Erkennbar wird, dass Sicherungsstrategien unter den Bedingungen der Digitalisierung eine wesentliche Erweiterung der notwendigen Managementansätze einfordern. Sie benötigen sowohl die bereits postulierte ganzheitliche Sicht auf die am Prozess beteiligten unternehmerischen Einheiten und Aktivitäten, wie vor allem auch die Einbeziehung in die frühzeitige strategische Planung. Die in den TV-Medien in einer frühen Phase der Wertschöpfung beheimatete Sicherung und Planung des Erwerbs und der Verwertung von Contentrechten muss künftig also hinsichtlich der notwendigen Ressourcen und Kompetenzen in einem viel größeren organisatorischen Feld abgebildet werden als bisher, einem Feld, das inbesondere die Prozesse der klassisch-analogen Vergangenheit fusioniert mit neuen Prozessen, die auf den Gesetzmäßigkeiten der digitalen Ökonomie beruhen. 3.2.3
„Business Web“: Kooperationen und Allianzen
Vor dem Hintergrund des gewählten Forschungsansatzes stellt sich die Frage: Wie können in der TV- und Produktionsbranche die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der analogen und digitalen Welt in einem sinnvollen integrierten Ansatz zusammengeführt werden und welche unveränderlichen Basisparameter gilt es in den Wertschöpfungsstrategien der Fernsehindustrie zu beachten? An diesen Schnittstellen treffen differierende Wertschöpfungslogiken ebenso aufeinander wie Wissensdefizite und fehlende Strukturen. Neue Marktnotwendigkeiten kollidieren in derartigen Veränderungssituationen mit tradierten Managementmethoden. Unter den Bedingungen der Digitalisierung mit ihrem Zergliederungsimpetus rückt ein Management in den Vordergund, das die potentiellen Vernetzungsboni in am Markt tragfähige geschäftliche Verbindungen übersetzen muss. Kooperative Ansätze auf allen Ebenen gewinnen dabei an Bedeutung. Picot (2001) beschreibt die neuen kooperativen 198
Vgl. Hess, Mike/ Ricart, Joan (2002): Managing Customer Switching Costs: A framework for competing in the networked enviroment. IESE Business School, Navarra, S. 16ff. URL: www.iese.edu/research/pdfs/DI-0472-E.pdf, abgerufen am 12. 2. 2008.
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
103
Formen, referenzierend auf Tapscott, mit dem Begriff der „Business Webs“.199 „Die Wettbewerbsstrategie der Business Webs fordert einen strategischen Perspektivwechsel für Medien- und Kommunikations-Unternehmen. Der strategische Fokus wird zugleich enger und breiter als bisher: Enger, da man sich im Wettbewerb auf seine Kernkompetenzen beschränkt, und breiter, da man die Bildung von Allianzen mit als strategisches Element begreift.“200 Für Teilhaber am Wertschöpfungsprozess gibt es nach Picot in diesem System zwei Rollen: Die der „Shaper“, also jener Industrieteilnehmer, die dazu in der Lage sind, (gemeinsame) Standards zu kontrollieren, oder jene des „Adapters“, also jener, die sich auf die Erstellung von Komplementärprodukten spezialisieren. Diese Rollentheorie stellt eine Vereinfachung der Asset-Theorie von Tapscott (2000) dar, die drei kritische Erfolgsfaktoren für das digitale Geschäft beschrieben hat: “Simply put, digital capital results from the internetworking of three types of knowledge assets: human capital (what people know), customer capital (who you know, and who knows and values you), and structural capital (how what you know is built into your business systems). With internetworking, you can gain human capital without owning it; customer capital from complex mutual relationships; and structural capital that builds wealth through new business models.”201
Aus kooperativen Ansätzen heraus rücken, quasi als Vorbedingung, die Fähigkeiten eines Unternehmens – verstanden als Ressourcen oder Kompetenzen – zunehmend in den Vordergrund der Betrachtung. Das dazu notwendige „Knowledge“, also Wissen in jeder Form, erscheint, wie bereits ausgeführt, als wichtiger Erfolgsfaktor stra199
Basierend auf dem „Gesetz von Reed“ gibt es in miteinander verflochtenen Netzwerken exponentielle Effekte, die den Nutzen dieser Netzwerke dramatisch wachsen lassen (2N). Je mehr Beteiligte an einem Netzwerk, desto größer der Nutzen für die Unternehmen. Der Effekt führt dazu, dass sich in der digitalen Welt formale Vertragsbeziehungen mit informellen Kooperationen mischen und sich koordinieren über den wirtschaftlichen Erfolg der Zusammenarbeit. Dabei können je nach Interessenlagen Wettbewerbskonkurrenz mit Kooperation abwechseln („Coopetition“). Der Erfolg des Einzelnen hängt unmittelbar am Gesamterfolg des Systems. 200 Zerdick, Axel, Picot, Arnold, Schrape, Klaus, et al: Die Internet-Ökonomie, Berlin, Heidelberg, 2001, S. 18. Als Beispiel nennen die Autoren die Allianz zwischen dem SoftwareGiganten Microsoft und dem Chiphersteller Intel („Wintel-Allianz“). Die Unternehmen stimmten ihre Produkte insbesondere hinsichtlich einer komplementären Systemarchitektur vollständig aufeinander ab, multiplizierten ihren Einfluss durch zunehmende Vernetzung bis hin zu einem eigenen Produktstandard und waren so dazu in der Lage, das basierende Wertschöpfungsnetz zu dominieren und die Profitmargen zu maximieren. 201 Tapscott, Don: Digital Capital: Harnessing the Power of Business Webs, Harvard Business School Press, 2000. Tapscott fokussiert in seinem Buch (S. 119ff.) auf Allianzen und Vertriebspartnerschaften als zentralen Konstrukten eines Business Webs. Auf allen drei genannten Ebenen sind nach seiner Ansicht strategische Steuerungen und ggf. Restrukturierungen notwendig.
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3 Bedeutung der Digitalisierung
tegischen Denkens.202 Dies erlaubt die These, dass das Management an der Schnittstelle von analoger zu digitaler Welt, das Management einer neuen, „hybriden“ Form von Wertschöpfung, ein Wissens-Management sein wird. Ein Wissensmanagement, das an einer theoretischen Schnittstelle zwischen einem ressourcenbasierten Ansatz und einer marktorientierten Sicht ansetzt, und zwei weitere Faktoren im Verständnis nachhaltig integrieren muss: Die Inhalte und die Konsumenten. „(Das Internet ermöglicht) einen vereinfachten Dialog mit den Kunden bis hin zu einer Integration des Kunden in den neuen Produktentwicklungsprozess. Durch Einsatz so genannter Toolkits wird, wenn die Vision führender Forschungsinstitute Realität wird, bald eine personalisierte Produktion möglich“203 – eine Prognose, die bei den Communities der „Web 2.0.-Welt“204 bereits Realität geworden ist. Diese letztlich auf einer so202
Entscheidend ist die unmittelbare Nutzbarkeit dieses Wissens: des eigenen Wissens, des Wissens der Endkunden und des in der eigenen Unternehmensstruktur kristallisierte Wissen. 203 Backhaus, Klaus: Im Web 2.0 wird alles besser… In: Akzente März 2006, S. 36. 204 Vgl. dazu: O’Reilly, Tim (2005): What is Web 2.0: Design Pattern and Business Models for the next generation of software. Abgerufen unter URL; http://oreilly.com/web2/archive/ what-is-web-20/html, am 17. 1. 2009. O’Reilly fasst wesentliche Parameter für das Web 2.0 zusammen, die sich lohnen, hier zitiert zu werden: “The Long Tail: Small sites make up the bulk of the internet’s content; narrow niches make up the bulk of internet’s the possible applications. Therefore: Leverage customer-self service and algorithmic data management to reach out to the entire web, to the edges and not just the center, to the long tail and not just the head. Data is the Next Intel Inside: Applications are increasingly data-driven. Therefore: For competitive advantage, seek to own a unique, hard-to-recreate source of data. Users Add Value The key to competitive advantage in internet applications is the extent to which users add their own data to that which you provide. Therefore: Don’t restrict your „architecture of participation“ to software development. Involve your users both implicitly and explicitly in adding value to your application. Network Effects by Default: Only a small percentage of users will go to the trouble of adding value to your application. Therefore: Set inclusive defaults for aggregating user data as a side-effect of their use of the application. Some Rights Reserved: ntellectual property protection limits re-use and prevents experimentation. Therefore: When benefits come from collective adoption, not private restriction, make sure that barriers to adoption are low. Follow existing standards, and use licenses with as few restrictions as possible. Design for “hackability” and “remixability.” The Perpetual Beta: When devices and programs are connected to the internet, applications are no longer software artifacts, they are ongoing services. Therefore: Don’t package up new features into monolithic releases, but instead add them on a regular basis as part of the normal user experience. Engage your users as real-time testers, and instrument the service so that you know how people use the new features. Cooperate, Don’t Control: Web 2.0 applications are built of a network of cooperating data services. Therefore: Offer web services interfaces and content syndication, and re-use the data services of others. Support lightweight programming models that allow for loosely-coupled systems. Software Above the Level of a Single Device: The PC is no longer the only access device for internet applications, and applications that are limited to a single device are less valuable than those that are connected. Therefore: Design your application from the get-go to integrate services across handheld devices, PCs, and internet servers.”
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
105
ziologisch-psychologischen Transformation der Gesellschaft beruhenden verstärkt interaktiven Nutzungswünsche (insbesondere der jüngeren Generation) verlangen nach Beteiligung, Vernetzung und „Socialising“: Es handelt sich um zu erstmaliger strategischer Bedeutung gelangte mediale Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse verlangen, wie oben gezeigt, neue und/oder andere Inhalte. Dekonstruktion und Dekomposition ursprünglich analoger Ausgangsprodukte führt in diesen neuen Contentwelten zu Neu-Komposition, Neu-Aggregation und zu Neu-Distribution. „Die Net-Generation kann Informationen anders und schneller verarbeiten. Und sie lässt sich nicht mit Ware von der Stange abspeisen. Diese kritischen Konsumenten nehmen Produkte kritisch unter die Lupe, recherchieren online, tauschen sich aus. Sie erwarten, dass sich fast alles, was sie kaufen, beliebig verändern und dem individuellen Geschmack anpassen lässt.“205 Folgt man der Annahme von Zerdick et al. (2001) dann haben viele Mechanismen der digitalen Ökonomie auf die traditionellen Wertschöpfungsketten nicht nur eine verändernde, sondern sogar eine zerstörende Wirkung. Die Veränderung setzt dabei vor allem am Verhältnis zwischen Kunden und Anbieter an. „Der Grund für die Verlagerung auf multimediale Wertschöpfungsprozesse ist neben geringen Transaktionskosten eine größere Leistungsvielfalt und ein attraktiveres Angebot (media richness). Traditionelle Wertschöpfungsketten werden kontinuierlich ausgehöhlt: Bestehen wird nur derjenige, der frühzeitig Zugang zu den wachsenden Zahlungsströmen der Multimedia-Wertschöpfungsketten des Internet gewinnt. Voraussetzung für den Erfolg bleibt dabei der Mehrwert in den Augen der Kunden.“206
Diese Fokussierung auf eine neue Verbindung „Kunde plus Produkt“ erhöht die Notwendigkeit, neue partnerschaftliche Wertschöpfungsprozesse zu schaffen. Kooperationsfähigkeit und Kooperationen spielen eine relevantere Rolle. Sie können nach Klamt (2002) definiert werden als „Zusammenarbeit zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Unternehmen“, die entweder über bloße wechselseitige Abstimmung (Koordination) oder über gemeinsame „Erfüllung von (Teil-)Aufgaben“ gemeinsame Ziele oder doch zumindest kompatible Ziele miteinander verfolgen mit dem Zweck „einer im Vergleich zum alleinigen Vorgehen höheren Zielerreichung“.207 Die Organisationtiefe von Kooperationen in den von der Digitalisierung beeinflussten Branchen ist dabei sehr unterschiedlich: Von bloßen koordinierten Absprachen reichen die Verfasstheiten über strategische Allianzen, Joint Ventures bis hin zu Akquisitionen und Fusionen. Entscheidend, so Klamt, ist vor allem bei den 205
Tapscott, Don, Interview mit „brand eins“: Nackt und fit – Unternehmen müssen ihr Wissen teilen, um Erfolg zu haben, Ausgabe Februar 2007, S. 70ff. 206 Zerdick, Axel, Picot, Arnold, Schrape, Klaus, et al: Die Internet-Ökonomie, Berlin, Heidelberg, 2001, S. 17. 207 Klamt: Doreen: Theoretische Grundlagen für Kooperationsstrategien und Unternehmensnetzwerke, Studie Forschungsprojekt Globalisierung, Universität Weimar, 2002, S. 3.
106
3 Bedeutung der Digitalisierung
gesellschaftsrechtlich nicht bindenden Formen der Zusammenarbeit ein „weicher“ Faktor: „Eine stabile Kooperation setzt die Bildung von Vertrauen voraus, so dass die Identität der Beteiligten von zentraler Bedeutung ist“.208 Diese Bindung an Identität und Vertrauen wird in dem Maße immer wichtiger, je strategischer die Kooperation angelegt wird („strategische Allianz“).
Lieferant
Produzent
Abnehmer
Horizontale Kooperation
Lieferant
Abnehmer
Komplementäre Kooperation
Produzent
Abnehmer
Produzent
Ziel: Bündelung der Wettbewerbskraft und Teilung von Risiken
Ziel: Ausnutzung/ Befriedigung komplementärer Kundenbedürfnisse
Lieferant
Ziel: Optimierung der Schnittstellen zweier Wertschöpfungsstufen
Produzent
Vertikale Kooperation
Produzent
Abbildung 6: Unterschiedliche Kooperationsrichtungen Quelle: Hungenberg, 1998, entnommen Keller, Michael (2004)209
Die Unterschiedlichkeit möglicher Kooperationsformen korrespondiert mit Modellen aus dem Portfolio-Ansatz der strategischen Unternehmensführung. Vertikalen, horizontalen oder komplementären Kooperationsformen entsprechen dabei jeweils unterschiedliche Ansätze von Diversifikationsstrategien. Diese Strategien waren in den vergangenen zehn Jahren die wesentliche Antwort der Branche auf den 208 209
Klamt, a. a. O, S. 11. Grafik entnommen Keller, Michael (2004): Management und Gestaltung von Strategischen Allianzen unter besonder Berücksichtigung der Funktionen und der Architektur von Anreizund Management-Development-Systemen. Dissertation am Fachbereich Betriebswirtschaftslehre an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, 2004, S. 26 unter Referenz auf Hungenberg, H.: Strategische Allianzen in der Telekommunikation, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 1998 (50), S. 479–498.
3.2 Die Ökonomie der Digitalisierung
107
digitalen Strukturwandel, insbesondere in der TV-Industrie. Bezweifelt werden kann aber nach den bisherigen Voruntersuchungen, ob sie als im Wesentlichen marktorientierte Strategien ausreichen, das notwendige Wissenspotential in der TV- und Produktionsbranche zu mobilisieren. Vielmehr verweisen die hier skizzierten Ansätze eher darauf, Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft als noch nicht ausreichend genutzte Potentiale des Managements zu verstehen, insbesondere auch beim SMCR, wie dies in der Neubestimmung des Begriffs gezeigt werden soll.
4
Disruptionen durch Digitalisierung
4.1
Innovationen und Innovationsmanagement
Die dramatischen Veränderungen der Medienbranche durch die digitale Revolution lassen sich vor dem umrissenen Hintergrund des strategischen Managements und eines ressourcen-fokussierten Organisationsverständnisses beschreiben als eine Serie von Innovationsentwicklungen. Die Unternehmen stehen vor der Situation, sich in ihrem strategischen Management auf diese Serie von Ereignissen auszurichten. Damit rücken die Begriffe von „Innovation“ und insbesondere des „Innovationsmanagements“ in den Vordergrund. Es erscheint daher sinnvoll, den theoretischen Ansatz zur Beschreibung des Phänomens des strategischen Managements von Contentrechten in Richtung der Innovationstheorie zu erweitern.210 In der Fachliteratur erscheint „Innovationsmanagement“ als schillernder Begriff, der von den Autoren unterschiedlich definiert wird. Im weitesten Sinne fokussiert der Ansatz des Innovationsmanagements auf zentrale Begriffe der „Neuerung“, der „Idee“ und der „Kreativität“. Allen Definitionen zugrunde liegt ein Verständnis dafür, dass es beim Innovationsmanagement primär um die (wirtschaftliche) Verwertung des Neuen geht. Je dynamischer eine Branche, desto größer die Bedeutung des Innovationsmanagements. Der beständige Strom von wirtschaftlich potentiell relevanten Erfindungen und Entdeckungen gehört nach Schumpeter (1950) zur Grundvoraussetzung für das Funktionieren von Wirtschaft. Die Wirtschaftsstruktur, so Schumpeter, wird „unaufhörlich … von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue (geschaffen).“ Vorausweisend auf den Begriff „disruptiver“ Innovationen von Christensen (1997) beschreibt Schumpeter den Prozess „der ‚schöpferischen Zerstörung‘ als das für den Kapitalismus wesentliche Faktum.“211 Nach Schumpeter gibt es in solchen Situationen „Pioniere“, die er als die fähigsten Unternehmer einschätzt, jene, die Innovationen auch verwirklichen. Diese Ver210
Dies wird insbesondere von großer Wichtigkeit sein für den später dargestellten Begriff der „disruptiven Innovationen“ (Christensen, 1997), dessen Verständnis wiederum die Voraussetzung für die Einordung des Contentrechte-Management in ein System der Kernkompetenzen ist. 211 Schumpeter, Joseph A. (1950): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, (A. Francke Verlag) Bern, S. 137.
110
4 Disruptionen durch Digitalisierung
wirklichung vollzieht sich nach Schumpeter über „lange Wellen“ der Konjunktur. Erst nach langer Zeit diffundieren Innovationen in den Massenmarkt und verlieren schließlich ihre Kraft.212 Bessau (2000) will den Begriff der „Innovation“ enger fassen. Er definiert Innovation als „die Einführung einer neuen Problemlösung“.213 Kommerzielle Nutzbarkeit ist nach seiner Bewertung ein „entscheidendes Bestimmungskriterium“ für das Vorliegen einer Innovation. Die Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit steht auch nach Spielkamp und Rammer (2006) im Mittelpunkt des Innovationsbegriffs.214 Ausmaß und Bestand einer punktuellen Überlegenheit im Wettbewerb, so der Ansatz, hängen von den jeweils konkreten Ausprägungen der Merkmale der Innovation ab. Diese Merkmale können sehr unterschiedlich sein. Spielkamp und Rammer erweitern daher den Innovationsbegriff: „Jede Innovation ist auf ihre Art neu, komplex, unsicher und konfliktreich.“ Spielkamp und Rammer warnen vor einer allzu beliebigen Verwendung des Begriffs der Innovation. Ihrer Ansicht nach ist es notwendig zu erkennen, dass jede Innovation im Grunde genommen einzigartig ist, also auf sehr speziellen Umständen technologischer, wirtschaftlicher, organisatorischer oder sozialer Problemlösung beruht. Aufgabe der Innovationsforschung sei es, das jeweils Verallgemeinerungsfähige an den unterschiedlichen Innovationen herauszuarbeiten. In der Diskussion um die Unschärfe des Innovationsbegriffs hat Hauschildt (2004) einen weiteren Fokus gefaßt: Innovationen sind ihm zufolge „im Ergebnis qualitativ neuartige Produkte oder Verfahren, die sich gegenüber dem vorhergehenden Zustand merklich – wie auch immer das zu bestimmen ist – unterscheiden.“215 Um die Unschärfe dieser Definition zu überwinden, postuliert er gemeinsam mit Salomo (2007) fünf Dimensionen, um den Innovationsbegriff enger zu fassen. In der inhaltlichen Dimension geht es ihnen zufolge um die Frage, was wirklich neu ist. Bei der Intensitätsdimension wird gemessen, wie neu etwas ist. Der Frage, für wen das Neue neu ist, geht die Subjektdimension auf den Grund. 212
Vgl. dazu u. a.: Bass, Hans-Heinrich (1999): J.A.Schumpeter – Gedanken für das 21. Jahrhundert. In: Das Wirtschaftsstudium (WISU), 28. Jg., Heft 4, April 1999, S. 486–492. 213 Bessau, Dirk (2000): Innovation. In: Lenk, Thomas & Zelewski, Stephan (Hrsg.): Enhancing Competitiveness in Small and Medium Enterprises via Innovation. Handbuch zum Innovationsmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen. ECOVIN-Arbeitsbericht 2000, Universität Leipzig, ISBN: 3-922602-71-1, S. 23. Bessau verweist auf eine Begriffsbestimmung, die insbesondere die Erfindung und die Invention von der Innovation abgrenzt. Erst die kommerzielle Umsetzung definiert nach seinen Worten die Innovation im engeren Sinne. 214 Spielkamp, Alfred und Rammer, Christian (2006): Balanceakt Innovation. Erfolgsfaktoren im Innovationsmanagement kleiner und mittlerer Unternehmen. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Dokumentation Nr. 06-04, Mannheim, S. 6ff. 215 Hauschildt, Jürgen (2004): Innovationsmanagement, 3. Auflage, München, S. 7ff.
4.1 Innovationen und Innovationsmanagement
111
Prozessual betrachtet in einer eigenen Dimension wird untersucht, wo eine Innovation beginnt, und wo die Neuerung endet. Und in einer normativen Diskussion muss schließlich bedacht werden, inwieweit neu mit erfolgreich gleichgesetzt werden kann.216 Mittels dieses Kategoriensystems eines multidimensionalen Ansatzes können Innovationen erfasst und beschrieben werden. Wie wichtig ein formalisiertes und strukturiertes Verständnis von Innovation ist, betonen auch Spielkamp und Rammer (2006) unter Verweis auf die oft unterschätzte wirtschaftliche Bedeutung von Innovationen. Sie bezeichnen Innovationsmanagement als „eine der wesentlichen unternehmerischen Aufgaben, die als innerbetriebliche Querschnittsfunktion sowohl strategische Komponenten wie auch operative Elemente der Unternehmensführung beinhaltet.“ Müller-Oerlinghaus und Köhler (2003) postulieren fünf „Hebel“, um die Erfolgsrate von Innovationen zu verbessern217: Die konsequente und stetige Produktverbesserung sowie erfolgreiche Relaunches; die systematische Generierung einer größeren Zahl innovativer Ideen; die Fokussierung auf die besten Ideen, das konsequente Design-to-Cost neuer Ideen und – die Etablierung eines gelebten Innovationsprozesses. Peter Drucker (1985) arbeitet die Bedeutung des „Unternehmerischen“ beim Umgang mit Innovationen heraus und bezeichnet Innovation als „specific tool of entrepreneurs, the means by which they exploit change as an opportunity for a different business or a different service. It is capable of being presented as a discipline, capable of being learned, capable of being practiced. Entrepreneurs need to search purposefully for the sources of innovation, the changes and their symptoms that indicate opportunities for successful innovation.“218 Die Fokussierung auf Entrepreneurship verweist auf eine Verortung des Innovationsmanagements innerhalb des ressourcenbasierten Managementansatzes. Stern und Jaberg (2007) weisen auf die gewachsene Bedeutung dieser Sicht und auf besondere Beschleunigungseffekte hin (s. Abb. 7 auf S. 112). 216
Vgl dazu: Hauschildt, Jürgen und Salomo, Sören (2007): Innovationsmanagement, 4. Auflage, München, S. 8ff. 217 Mueller-Oerlinghaus, Jens und Köhler, Lutz (2003): Kreativität – Alles oder Nichts? Erfolgsfaktoren innovativer Produktentwicklung. In: Habann, Frank (Hrsg.): Innovationsmanagement in Medienunternehmen, Gabler Verlag, Wiesbaden, 2003, S. 36. 218 Vgl. Drucker, Peter F. (1985): Innovation and Entrepreneurship, Harper & Row, New York, S. 17. Drucker betont die Bedeutung des Entrepreneurs als entscheidenden Faktor für die Wirksammachung von Innovation. Dem unternehmerischen Denken spricht Drucker die entscheidende Bedeutung zu. Drucker ordnet den Begriff des Innovationsmanagement explizit dem „Change Management“ zu, in dem Veränderung als Chance und Voraussetzung für Innovation begriffen wird. Hinsichtlich des Designs dieser Arbeit ist dies insofern von Bedeutung, weil damit prognostische Verfahren, etwa die Szenariotechnik, als Möglichkeit der Steuerung von Innovation bereits angedeutet sind.
112
4 Disruptionen durch Digitalisierung
Beschleunigungseffekte erzwingen Innovationen Globalisierung
Verfügbares Wissen
Technische Möglichkeiten
Ansprüche und Wünsche der Kunden
WISSENSWETTBEWERB
ZEITWETTBEWERB
Zwang zu permanenter Innovation!
Abbildung 7: Beschleunigungseffekte Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Vahs/Burmester, 1999219
Märkte und Wettbewerbsbedingungen wandeln sich nach ihren Worten „in einem bis dato nicht gekannten Tempo.“220 Die Autoren sehen eine der Hauptursachen in der Globalisierung (Ideen- und Innovationskonkurrenz herrscht nun weltweit), eine andere in der Digitalisierung, insbesondere im Internet. Dieses wirke als „Katalysator“ mit einer nie gekannten Markttransparenz und Multiplikatoreneffekten durch ihre Wirkung als vernetztes System. Stern und Jaberg verweisen auf besondere Effekte der Digitalisierung und darauf, dass diese Situation viele Unternehmen unvorbereitet trifft und erst in den letzten Jahren deutlich werden wird, dass erhebliche Anpassungen innerhalb der Unternehmen notwendig sein werden.
219
Vahs, Dietmar & Burmester, Ralf (1999) Innovationsmanagement, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 1999. 220 Stern, Thomas und Jaberg, Helmut (2007): Erfolgreiches Innovationsmanagement – Erfolgsfaktoren – Grundmuster – Fallbeispiele. Gabler-Verlag, Wiesbaden, 3. Auflage, S. 3ff. Die Autoren bezeichnen Innovationen als „lebenswichtig“, als eine Frage von schicksalhafter Bedeutung und verweisen auf das Konzept von Schumpeter vom „schöpferischen Zerstörer“, der in guten Zeiten sein Geschäftsmodell in Frage stellt und sich so für die Zukunft rüstet.
4.2 Die disruptive Innovation nach Christensen
4.2
113
Die disruptive Innovation nach Christensen
Um die Bedeutung des strategischen Managements von Contentrechten in der TVIndustrie verstehen zu können, ist es notwendig, den Charakter der Veränderungen zu durchdringen, die die digitale Revolution in der Branche auslösen. Diese durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungen lassen sich beschreiben als eine durch besondere Rahmenbedingungen gekennzeichnete Phase im industriellen Innovationsprozess. Auf solche (revolutionären) Veränderungen gehen unter anderem auch die beiden bereits zitierten Hamel und Prahalad (1996) ein, indem sie in ihrer Redefinition von Produkten und Dienstleistungen die Verbindung zur Theorie der Kernkompetenzen ermöglichen: Revolutionäre Veränderungen einer Branche können dabei eine Konzentration auf die interne Innovativkraft und die Eigenkraft zur adaptiven Restrukturierung von Unternehmen darstellen.221 Der Prozess der Digitalisierung mit seinen wie im vorangegangenen Kapitel dargestellten Umwälzungen auf allen Ebenen muss daher an dieser Stelle durch eine Verortung in der Innovationsforschung und dem Innovationsmanagement präzisiert werden und gleichzeitig mit einem Innovationsansatz beschrieben werden, der dem revolutionären Charakter gerecht wird. Dazu wird auf die Theorie der „disruptiven“ Innovationen zurückgegriffen, die in der Literatur nur vereinzelt auch auf Teilmedienbranchen und deren Produkte bezogen wurde, die sich aber im Rahmen der Innovationstheorie als sehr nützlich erweist, um die Veränderungen durch die Digitalisierung zu erfassen. Kohärent wurden die für ganze Wertschöpfungsketten bedrohlichen Charakteristika bislang noch nicht dargestellt, insbesondere noch nicht für die TV-Industrie. Den radikalen Charakter von Innovationen hat bereits Schumpeter (1942) in seiner vielzitierten Feststellung beschrieben: „Hence dynamic theory need not take, and as a matter of fact, has not taken, any special cognizance of the process of creative destruction which we have taken to be the essence of capitalism.“222 Die Idee der „Zerstörung“ greift nun Clayton Christensen in seiner Theorie der „disruptiven Innovationen“ auf, die wie kein anderer Ansatz geeignet scheint, die Bedrohungen traditioneller Medienwertschöpfung durch digitale Produkte und Geschäftsmodelle zu beschreiben. Christensen verwendete den Begriff zum ersten Mal in seiner Dissertation an der University of Harvard.223 In dieser Arbeit untersucht Christensen 221
Hamel, Gary & Prahalad, C.K. (1996): Competing for the future, Harvard Business School Press, S. 4: „It takes substantial and sustained intellectual energy to develop high quality, robust answers to questions such as what new core competencies will we need to build, what new product concepts should we pioneer, what new alliances will we need to form (…).“ 222 Schumpeter, Joseph A.: Capitalism, Socialism & Democracy. Routledge, Chapman & Hall, New York, 2006, überarbeitete Ausgabe, S. 104. 223 Vgl. Christensen, Clayton (1997): The Innovator’s Dilemma, 1. Auflage, HarperCollins, New York.
114
4 Disruptionen durch Digitalisierung
die bisherige theoretische Bipolarität von radikaler und inkrementaler Innovation. Seinem neuem Ansatz zufolge224 (2001) kennzeichnet eine disruptive Technologie (oder Innovation), dass sie der dominierenden Technologie zunächst unterlegen ist. Christensen schlug ein neues begriffliches Gegensatzdreieck vor: die radikale, die nachhaltige und die disruptive Innovation. Während die nachhaltige Innovation im Wesentlichen dem Gedankenansatz der inkrementalen Innovation folgt (Innovation verbessert bestehende Produkte und Technologien durch Hinzufügung einer neuen Qualität), zeigen sich bei den konkurrierenden Begriffen der radikalen und der disruptiven Innovation deutliche Unterschiede. Disruptive Innovationen, so Christensen, sind zwar ebenso „wertezerstörend“ wie radikale Innovationen, aber sie setzen sich im Markt langsamer und wesentlich methodischer durch: „Products based on disruptive technologies are typically cheaper, simpler, smaller, and, frequently, more convenient to use.“225 Anders als die radikale Innovation, die auf unmittelbare Ersetzung bestehender Produkte und Technologien durch überlegene Nachfolgeobjekte abzielt, zeichnen sich die disruptiven Innovationen durch teilweise auf den ersten Blick irrelevant wirkende technologische oder prozessuale Detailfortschritte aus. So verbessern disruptive Innovationen in der Regel zunächst weder bestehende Produkte und Technologien im Ganzen, sondern bieten zunächst die Basis für – betrachtet am Gesamtleistungsspektrum – schlechtere Produktlösungen innerhalb einer bestehenden Technologieklasse. Argumentativ verkürzt laufen disruptive Innovationen nach einem bestimmten Muster ab: In einem bislang als stabil geltenden Markt wird durch die innovative disruptive Detailveränderung eine meist zunächst kleine Gruppe von Konsumenten angesprochen, die sich genau von jenem singulären, für diese Zielgruppe aber besonders wichtigen Leistungsmerkmal überzeugen läßt. Wegen dieses singulären Vorteils ziehen diese Kunden das – insgesamt betrachtet – weniger werthaltige Produkt der konkurrierenden bestehenden Technologie vor. Die disruptive Innovation ist also in einen kleinen Teil des Markts eingedrungen, der bislang von den beherrschenden Produkten/Technologien entweder nicht gezielt mit einem hochspezifischen Produktversprechen angesprochen oder aber mit seinen speziellen Bedürfnissen unterschätzt wurde. Durch die disruptive Innovation ist nun in einer extremen Nische dem Mainstream-Produkt ein Konkurrent entstanden, der zwar aufs Ganze gesehen (zunächst) irrelevant erscheint, im Segment jedoch spezielle Konsumentenbedürfnisse erfüllt und von der Zielgruppe aufgrund dieser Spezialisierung bevorzugt wird. Wichtig ist, dass die disruptive Innovation immer auf ein bestehendes
224 225
Vgl. dazu grundlegend Clayton M. Christensen, Clayton M. (1997): „The Innovators Dilemma“. Christensen, Clayton (2006): The Innovator’s Dilemma, 4. Auflage, HarperCollins, New York, S. 18.
4.2 Die disruptive Innovation nach Christensen
115
Produkt oder Segment aufsetzt, nie also eine Innovation aus sich selbst heraus entstehen lässt. Marktführer achten darauf, den Anspruch an hohe Produktqualität mit dem Anspruch auf Preisführerschaft zu verschmelzen, was zu systematischen Einschränkungen hinsichtlich der technologischen Produktausgestaltung führt. Das traditionelle Marktführerprodukt verbindet in der Regel eine mittlere bis hohe Produktqualität mit einem mittleren bis hohen Preis. Diese Marktansprache führt dazu, dass sich Nebensegmente mit beträchtlichen Implikationen abfinden müssen: Höchste Produktqualität führt zu den höchsten Preisen, Niedrigstpreis-Strategien verzichten technologisch auf große Teile möglicher Produktqualität.226 Weil beide Nebensegmente – verglichen mit dem „Massenmarkt“ – niedrigere Gewinnspannen bringen, werden sie von den Marktführern mit vergleichsweise geringerer Aufmerksamkeit betrachtet. Im Niedrigpreis- und Niedriganspruch-Marktsegment, also am „unteren“ Ende der Wertschöpfung bieten sich systematisch die erfolgversprechendsten Potentiale disruptiver Innovationen. Theoretisch können disruptive Innovationen jede technologisch sich verändernde Branche betreffen. Besonders augenfällig und wirkungsmächtig jedoch sind diese Innovationen in Marktsegmenten mit ohnehin hohem technologischem Entwicklungstempo. Das enorme Entwicklungspotential computerbasierter Technologie in der medialen Digitalisierung ermöglichte in der jüngeren Vergangenheit erkennbar aggressive Formen des technischen Wandels. Gemäß des immer noch – zumindest näherungsweise – gültigen „Moore’schen Gesetzes“ vom exponentiellen Wachstum digitaler Technologie bieten sich im Bereich der Digitalisierung also permanente Chancen auf technologische Innovationen. Mit anderen Worten: Technologie entwickelt sich grundsätzlich schneller als die Bedürfnisse der Konsumenten. Weil die Marktführer auf die breite Mitte der Konsumenten orientiert sind, können sie nur einen sehr geringen Teil des Potentials der Technologie-Entwicklung in ihre Produkte integrieren – der Massenmarkt verlangt nur diese wenigen, „inkrementalen“ Innovationen. Große Teile des Potentials bleiben ungenutzt oder werden unter hohen Kosten im „oberen“ Teil der Wertschöpfung bei den „High-End-Produkten“ integriert für eine extrem kleine Gruppe der „First mover“, jener Teil technologieaffiner Konsumenten, der bereit ist, für den letzten Stand der Technik viel zu bezahlen. Das vorhandene Technologiepotential, das die Nutzungsfantasien oft dramatisch überschreitet, hat aber auch jederzeit die Chance, hochspezifische Produktverbesserungen am unteren Ende der Wertschöpfung zu realisieren. „Billiganbieter“ sind plötzlich in der Lage, singuläre und daher kostengünstig verfügbare technologische Fortschritte so in ihre Produkte zu integrieren, dass mindestens eines jener Bedürfnisse befriedigt werden kann, das bislang ausschließlich 226
Vgl. Smith, Roger: The disruptive potential of game technologie, Research Technology Management (www.modelbenders.com/papers/DisruptivePotential_RTM.pdf).
116
4 Disruptionen durch Digitalisierung
durch „High-End-Produkte“ erfüllt wurde. In einem solchen Fall wird ein hochspezifischer Marktvorteil geschaffen. Dieser hochspezifische Marktvorteil beginnt nun auch jene Konsumenten zu locken, die als „Massenzielgruppe“ gelernt hatte, hochspezifische Bedürfnisse nicht zu äußern, weil sie sie nicht bezahlen kann oder will. Trifft das neue Niedrigpreisprodukt mit dem Technologie-basierten neuen USP227 genau das Hauptbedürfnis dieser bisherigen Mainstream-Kunden, dann gibt es für diese Zielgruppe keinen Grund mehr, Kompromisse zu machen. Ist das Hauptbedürfnis getroffen und wird es kundengerecht befriedigt (und das noch billiger), gibt es keinen Grund mehr, das mittelteure Kompromissprodukt zu kaufen. Die Erosion hat begonnen: “When disruptive technologies enter a market, they offer a value proposition that is impossible to dismiss. Customers move to the new solutions and change the balance of the industry. Market forces do not operate to maintain the dominance of existing players; rather they move to meet the needs of the maximum number of customers. Disruptive changes are afoot in our industry and will continue.”228
Diese Systematik der disruptiven (technologischen) Entwicklung machen sich vor allem Neueinsteiger in die Märkte zunutze. Startup-Unternehmen sehen bedingt durch – von der Digitalisierung zur Verfügung gestellte – technologische Vorsprünge eine Chance, die margenschwachen Segmente des „Billig“-Marktes mit ihren Produkten zu adressieren. In vielen Fällen treffen sie dabei auf eine Art „Marktnische“. Denn obwohl der Gesamtmarkt erschlossen scheint, bilden sich in den unteren Bereichen der Wertschöpfung Zonen heraus, die von den Marktführern aufgrund der dort vorherrschenden Margenschwäche und aufgrund ihres geringen Volumens nicht mehr angesprochen werden. Wenn junge Unternehmen also diese Lücke erkennen, ergibt sich für sie für einen bestimmten Zeitraum im besten Fall eine Phase der Konkurrenzlosigkeit – in einem zugegebenermaßen kleinen, margenschwachen Segment. Kennzeichnend für diesen Prozess ist, dass eine solche disruptive, „zerstörende“ Innovation nicht im Zentrum des Marktes entsteht. Vielmehr sind diese Innovationen in der Regel Entwicklungen, die in der Peripherie des Marktes wachsen. Dies macht im Umkehrschluss nun vor allem jene Unternehmen anfällig, die den Markt dominieren. Ihre üblichen Frühwarnsysteme (Marktbeobachtung, die Kundenkommunikation und die Konzentration auf Kundenbedürfnisse) versagen, lenken sogar den Blick systematisch weg von den Rändern der Entwicklung hin zur Mitte und ignorieren so die (disruptive) Innovations-„Infektion“ an der Peripherie. 227
USP: Unique Selling Proposition: Der letztlich ausschlaggebende Produktvorteil gegenüber den Konkurrenzprodukten. 228 Smith, Roger: The disruptive potential of game technologie, Research Technology Management (www.modelbenders.com/papers/DisruptivePotential_RTM.pdf).
4.2 Die disruptive Innovation nach Christensen
117
Startup-Unternehmen nehmen in dieser Phase bewusst Wettbewerbsnachteile (z. B. aufgrund fehlender umfassender Produktreife) in Kauf. Ihr Ziel ist es zunächst, ein möglichst dramatisches Marktwachstums zu erzielen, um die Marktführer durch schieres Wachstum anzugreifen und über zusätzliche Bekanntheit neue Kundengruppen anzusprechen. Gelingt dies, dann zeigt sich ein exponentiell gefährlicher werdender Effekt auf dem Massenmarkt: Durch erste Erfolge, das hohe Wachstum und zum Teil auch durch dadurch angelocktes Investitionskapital, können die früheren Markt-„Underdogs“ massiv in Produktverbesserung und Marketing investieren. Durch eine „Innovation von unten“ (Müller-Stewens/Lechner, 2003)229 und das stetige, oft exponentielle Wachstum der Kundengruppe können sich die das disruptiv wirkende Konkurrenzprodukt anbietenden Unternehmen also besser kapitalisieren und dadurch mehr reinvestieren, so dass deutliche Produktverbesserungen auch in den bislang vergleichsweise minderwertigen Produktteilleistungsbereichen möglich sind. Aufwände und Ressourcenverbrauch steigen, aber die ursprünglich am unteren Ende der Wertschöpfung nagende disruptive Innovation frisst sich durch den Erfolg hinein ins Massensegment. Die Annäherung an die traditionellen Käufersegmente der bisherigen Marktführer ist gelungen, die zunehmend im neuen Produkt die Leistungsversprechen ihres bisherigen Konsums wiedererkennen, zusätzlich aber auch die neuartige „Sprungmutation“ kennen- und schätzen lernen. Ein „überlegenes“ Produkt ist entstanden.230 Die beschriebenen „Disruptionen“ können keinesfalls als negative Entwicklung verstanden werden, auch wenn die sprachliche Ausgestaltung dies nahezulegen scheint. „Negativ“ ist diese Entwicklung nur für die bislang marktbeherrschenden Akteure. Insgesamt zeigt sich die Tendenz, dass das Aufkommen disruptiver Innovationen den Gesamtmarkt voranbringt: “Disruptive technologies create major new growth in the industries they penetrate – even when they cause traditionally entrenched firms to fail – by allowing less-skilled (…) people to do things previously done only by expensive specialists in centralized, inconvenient locations. In effect, they offer consumers products and services that are cheaper, better, and more convenient than ever before. Disruption, a core microeconomic driver of macroeconomic growth (…).”231
229
Vgl. dazu: Müller-Stewens, Günter & Lechner, Christoph (2003): Strategisches Management: Wie strategische Initiativen zum Wandel führen, 2. Auflage, Stuttgart, S. 407. 230 Exemplarisch zeigten sich disruptive Veränderungen in der Medienindustrie in der Vergangenheit unübersehbar an der Markteinführung des iPods von Apple oder – grundsätzlicher gesehen – an der MP3-Technologie, die in gemeinsamer Wirkung den traditionellen Markt für Audio-CDs inklusive derer vorgelagerten Wertschöpfungsketten nahezu vollständig zerstört haben (siehe dazu das folgende Beispielkapitel). 231 Clayton Christensen, Thomas Craig, Stuart Hart: The Great Disruption, FOREIGN AFFAIRS, März/April 2001.
118
4 Disruptionen durch Digitalisierung
Weil also „zerstörende“ Innovationen nicht im Zentrum des Marktes entstehen, ist das Gefährdungspotential für disruptive Veränderungen gerade für jene Unternehmen am größten, die dort, im Mittelpunkt des Marktes stehen, ihn dominieren. Schon während ihrer Entstehungsphase wirken disruptive Innovationen zerstörerisch für die „traditionellen“ Wettbewerber. Dies gibt dem Thema der Marktbeobachtung („Scouting“) und der Ressourcensteuerung eine strategische Bedeutung. Die disruptive Innovation verlangt nach signifikanten Änderungen im Verhalten und der Marktausrichtung der traditionellen Mitbewerber. Die neue Situation erfordert die Bereitschaft zu radikalem Umdenken. Das in vielen Unternehmen vorherrschende „Effizienz-Paradigma“ lässt dies allerdings oft nicht zu. Gemäß der in diesen Unternehmen gültigen Unternehmenssteuerungskriterien, entwickeln sich disruptive Technologien jenseits der „Radarschirme“, weil die gesamte Außen- und Selbstwahrnehmung darauf gerichtet ist, das gut und immer besser zu machen, was man immer getan hat. Selbst wenn drohende Innovationen einer oft noch unbekannten Konkurrenz von den Aufklärungsscannern der Konkurrenz erfasst würden, verhindert in vielen Fällen die verbreitete Unfähigkeit zu radikalem Wandel und Anpassung eine nachhaltige Reaktion. Eine solche Reaktion würde einen Prozess des Change Managements (und zwar, einmal angestoßen, eines permanenten Prozesses) in den betroffenen Unternehmen bedingen, der zu einer gezielten Bewirtschaftung und Organisation neuer Kompetenzen führt. Dies würde voraussetzen, dass die Unternehmen und nicht zuletzt die Mitarbeiter lernen, auch mit bislang ungewohnten Rahmenbedingungen umzugehen: Nicht-Linearitäten, „Durcheinander“ („Messiness“) und neue Formen der Selbstorganisation. In der Literatur findet sich bei einigen Autoren die Empfehlung an Firmen, sogenannte „Innovation Cells“232 innerhalb des eigenen Unternehmens zu gründen, um in einer Art Laborsituation disruptives Potential zu verstehen und einschätzen zu können. Andere Autoren und Unternehmensberatungen empfehlen, sich intern eine eigene „Start-Up-Struktur“ zu geben, kleine Teams, die intern eine quasi-externe Haltung einnehmen dürfen und die, inkorporierten Inkubatoren gleich, die Dynamik der disruptiven „Market New Entrants“ zu kopieren versuchen, um damit die gewachsenen Strukturen, denen genau das nicht möglich ist, zu „infizieren“.233 Aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive kommen damit erneut Ansätze aus dem Ressourcenmanagement zum Tragen. Fehlperzeptionen der wichtigsten Akteure auf Basis mangelnder Planung, Information oder sonstiger Kernkompetenzen weisen eine hohe Gefahr für negative Beschleunigungseffekte auf. Nach Barney (1991) erklären sich Leistungsuneinheitlichkeiten unter Unternehmen durch die Verschiedenheit der immateriellen Ressour232
Vgl. Wördenweber, Burkhard und Weissflog, Uwe: Innovation Cell, Agile Teams to master Innovation. Springer Verlag, 2005. 233 Vgl. Richter, Hans-Jürgen (2006): Die integrale Innovationsstrategie, Berlin.
4.3 Case: Disruption in der Musikindustrie
119
cen, die durch das gezielte Identifizieren, Entwickeln und Einsetzen von Schlüsselressourcen die entscheidenden Wettbewerbsvorteile erlangen.234 Bezogen auf „disruptive“ Innovationen rücken dabei kreative Ressourcen, aber auch das Management von Wissen in den Vordergrund. „Knowledge Management“ umfasst dabei unter anderem die bereits identifizierten Aufgaben der Marktbeobachtung („Scouting“) und der Ressourcensteuerung im Rahmen des Innovationsmanagements.
4.3
Case: Disruption in der Musikindustrie
Die theoretischen Befunde von Christensen finden ihre Bestätigung in einer Vielzahl von Fällen in der Medienindustrie, auf deren Entwicklung sich seine Kategorien und Begriffe anwenden lassen. Die Untersuchung von disruptiven Innovationen von Einzelfällen bringt für die Betrachtung einzelner Branchen jedoch kaum generalisierbare Ergebnisse. Disruptive Wirkungen lassen sich ex post zwar gut diagnostizieren, jedoch nur unscharf prognostizieren. Dies liegt im Wesentlichen an ihrer dargestellten Prozesshaftigkeit, die das disruptive Wirken dauerhaften Veränderungen unterwirft. Um mit der Theorie der disruptiven Innovationen dennoch erkenntnisbringend arbeiten zu können, müssen Diagnose und Prognose von disruptiven Prozessen mittels bestimmter Kriterien geprüft werden. Daneels (2004) schlägt dazu die Untersuchung folgender Fragen vor: • Are there different types of technological change? (A235) • What would be the dimensions of a typology? (B) • Is disruptive technology a distinct type of technological change, and if so, how is it different? (C) • Is a technology inherently disruptive, or does disruptiveness depend on the perspective of the firms confronted with the technological change? (D) • At what point can disruption be said to have occurred? (E) • Do different types of technological change have different sorts of impact on firms and industries? (F) • What are the mechanisms by which technological change impacts firms and industries? Does the impact of technological disruption depend on the structure (i.e., size, heterogeneity, evolution) of the market segments? (G)236 234
Vgl. Barney, Jay B. (1991): „Firm Resources and Sustained Competitive Advantage“, In: Journal of Management 17, S. 99–120. 235 Kategorien angefügt durch den Autor. 236 Vgl. Daneels, Erwin (2004): Disruptive technology reconsidered: A critique and research agenda. In: The journal of product innovation management, Vol. 21, S. 248ff.
120
4 Disruptionen durch Digitalisierung
Die Untersuchung dieser Fragen kann nicht zu einem quantitativen Ergebnis führen, da keine Einordnung in einem Ja/Nein-Schema sinnvoll erscheint. Aber die Analyse der Kriterien kann zu einem qualitativ-beschreibenden Untersuchungsergebnis nicht nur für einzelne Fallbeispiele führen, sondern auch für bestimmte Unternehmen/ Branchen. In einem Exkurs soll der in der Medienbranche der vergangenen zehn bis fünfzehn Jahre plakativste Fall – die Disruption der traditionellen Musikindustrie – kurz exemplarisch und unter Anwendung der Kategorien beschrieben werden.
Concert management
Concert marketing
Venues
Concert infrastructure
Cillecting societies, e.g. GEMA Concert creation: Composers Performers
Recording
Manufacturing
WholeMarketing Sale & Distribution
Digital assets
Direct billing
Commercial frontend
ISP
Device
Customers
Encoding technology Traditional value chain
Hosting Metadata
New parts of value chain Disruptive impact
DRM Jukebox software
Abbildung 8: Zerstörung der Musik-Wertschöpfungskette Quelle: Eigene Darstellung
Die langsame Zerstörung der tradierten Geschäftsmodelle der Musikindustrie entsprang einer zunächst unscheinbaren technologischen Innovation (A, C): Der Einführung der Kompressionstechnologie des MP3-Formats.237 Wegen ihrer Unscheinbarkeit und ihrer zunächst offenkundigen produktbezogenen Nachteile wurde ihre Bedeutung und ihre in die eigene technische Sphäre übergreifende Wirkung über einen langen Zeitraum (der Schock und die „Lähmungen“ im Management erstrecken sich in manchen Unternehmen der Musikbranche bis heute) von den Marktführern, den traditionellen Musikkonzernen, falsch eingeschätzt (G). Das 1982 von Forschern um Karlheinz Brandenburg am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen entwickelte MP3-Dateiformat238 schien zunächst keine Gefahr 237
Der Einfachheit halber wird bei diesem Beispiel ausschließlich auf MP3 als wohl bekannteste Audiodatenreduktions- und Kompressions-Technologie referenziert. Die später entstandenen aber hier als grundsätzlich ähnlich zu bewertenden Formate AAC und Ogg-Vorbis sind gedanklich miteingeschlossen. 238 In Zusammenarbeit mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlagnen-Nürnberg & AT & T Bell Labs & Thomson.
4.3 Case: Disruption in der Musikindustrie
121
für den traditionell hochmargigen Markt des Musikgeschäfts darzustellen, ja schien geradezu irrelevant. Das neue MP3-Format hatte das Ziel, Audiodaten so stark zu komprimieren, dass die damals verfügbaren Speichermedien deutlich mehr Daten vorhalten würden können, als dies bisher der Fall war: mehr Musik pro Tonträger. Die MP3-Technologie machte sich dabei Erkenntnisse der Psychoakustik zunutze, der zufolge der Mensch beim Hören, zum Beispiel von Musik, nicht das gesamte Spektrum des Frequenzumfangs wahrnehmen kann – jedenfalls nicht bewusst. Ursache dafür sind auf der einen Seite bestimmte anatomische Gegebenheiten des menschlichen Hörapparates wie auf der anderen Seite feststehende Mechanismen der Verarbeitung und Prozessierung wahrgenommener Geräuschsignale im menschlichen Gehirn. In ihrer Summe wirken diese humanbiologischen Konstanten zum Beispiel so, dass das menschliche Gehör unterschiedliche Töne erst ab einem gewissen Mindestabstand der Tonhöhe voneinander unterscheiden kann. Liegen die Töne zu nahe, klingen sie wie ein und derselbe Ton. Dasselbe Phänomen zeigt sich bei Dynamikunterschieden: Unmittelbar folgend auf sehr laute Töne/Geräusche sind leise Töne/Geräusche schlecht oder kaum wahrnehmbar, die lauten Tönen folgenden leisen Töne werden also nicht wahrgenommen. Die revolutionäre Idee der MP3-Audiodatenreduktion bestand in der Annahme, diese fürs durchschnittliche Hören „überflüssigen“ Frequenzbestandteile bei einer Wandlung analoger Audiosignale in digitale Daten nicht mehr zu verwenden, sondern die Signale während der Digitalisierung so aufzubereiten, dass das zunächst digitalisierte und dann reduzierte, komprimierte Signal für die (meisten) Menschen so klingt, wie das analoge Original. Audiophile Liebhaber analoger Trägermedien von Musik bestritten zwar die „Unhörbarkeit“ des Unterschieds massiv und bezeichneten die MP3Technologie als eine Verrohung der musikalischen Empfindsamkeit und als eine Verarmung der musikalischen Kultur. Für die „Gebrauchsmusik“ des Massenmarktes schien diese Argumentation jedoch vollständig irrelevant zu sein. Im Diskurs um die „Qualität“ des Produktes zeigte sich prototypisch das wesentliche Kennzeichen disruptiver Technologie: Die scheinbare „Verschlechterung“ des neuen Produkts durch eine neue Technologie, die dennoch einen marginalen Produktvorteil schafft, der den Produktnachteil übertrifft. MP3-Audiodateien sind unbestritten ein „Verlustformat“, dem faktisch Signalanteile des analogen Originals „fehlen“. Ein „schlechteres“ Produkt. Die Musikindustrie sah hauptsächlich aus diesem Grund zunächst keine Bedrohung (A, D). Ihr tradiertes Geschäftsmodell funktionierte seit Jahrzehnten, warf Milliardengewinne ab und konzentrierte fast die gesamte Marktmacht in den eigenen Händen. Künstler, die aus eigener Kraft niemals erfolgreich werden konnten, wurden von den A & R-Managern der Schallplattenfirmen nach Stil- und Zielgruppenkriterien selektiert und dann mittels hoher Marketingaufwände bekannt gemacht.
122
4 Disruptionen durch Digitalisierung
Der produktive musikalische Input durch die Künstler wurde gesichtet und sorgsam nach Marktkriterien gebündelt und verpackt: LP’s oder CD’s waren Zusammenstellungen von einigen wenigen guten Liedern mit vielen durchschnittlichen (und schlechten) Songs. Als Single-Auskopplungen erlösten die wenigen guten Tracks zusätzliche Erlöse. Dieses Geschäftsmodell richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Massenmarkt und deren Akteure: Die auf gleicher Augenhöhe tätigen unmittelbaren Konkurrenten, die Hardware-Hersteller, die Marketingpartner in den den Medien und am Point-of-Sale. So wurde die „Infektion“ der Branche durch ein Ansetzen unmittelbar disruptiver Technologie nicht wahrgenommen (F, G). Disruptive Wirkungen entstanden bei der MP3-Technik auf mehreren Ebenen (G). Die originäre erhöhte Kompressionsfähigkeit wurde in ihrer Marktwirkung in jenem Moment „disruptiv“, in dem es zur Entwicklung von neuartigen Endgeräten („MP3-Playern“) kam, auf denen plötzlich eine große Anzahl von in MP3-Dateien komprimierte CD’s Platz fanden (oder gar ganze CD-Bestände) (E). Diese Entkopplung der Dateien von ihren physischen Trägern in komfortabler Datenmenge machte Musik nicht nur in ungeahnter Weise portabel und dadurch mobil, sie führte in einem disruptiven Nebeneffekt auch dazu, dass das Tauschen und Kopieren von Musik erleichtert wurde. Tauschen und Kopieren vollzog sich dabei aber nicht nur wie üblich im Freundeskreis, sondern erweiterte sich über das Internet zu einer Aktivität weltumspannender Netzwerke und Tauschbörsen, auf denen illegal die handlichen Musikdateien verschoben werden konnten. Die exponentiell wachsende Verfügbarkeit der technisch auf Peer-to-peer-Prinzipien beruhenden Tauschbörsen führte in der verblüfften Musikindustrie zu einem dramatischen Umsatzeinbruch. Die rückläufige Tendenz, so zeigte sich, war kein singuläres Phänomen, sondern eine dauerhafte Nachfrage- Erscheinung. Die Industrie reagierte langsam und zunächst mit bloßer Empörung über die Illegalität der verbreiteten Download-Angebote. Die um Jahre verspätete Etablierung eigener, legaler Download-Angebote konnte die Verlustdynamik bei den Umsätzen nur unwesentlich verlangsamen. Die disruptive Wirkung der MP3-Technologie in Verbindung mit neuen, smarten Endgeräten setzte aber nicht nur bei der Kannibalisierung von Umsatz durch Piraterie an, auch wenn dies der quantitativ bedeutendste Verlust für die Branche war. Die Disruption zerstörte auch Kernkompetenzprozesse der Industrie: die Kreation, das Bundling und das Produktpackaging (G). Waren diese Kompetenzen bislang allein in der Hand der Industrie, so entstand durch die Entbündelung des Musikmaterials (wie sie bereits nach der Digitalisierung z. B. auf CD im Prinzip möglich war) ein mächtiger Mitakteur in bislang als unternehmensintern angesehenen Prozessen: Der Konsument. Die Konsumenten lernten durch den immer selbstverständlicheren Umgang mit frei verschiebbaren Musikdateien, wie sich Marktmacht anfühlt: Sie entschieden von nun an selbst, welche Songs es wert waren, dass für sie bezahlt wurde.
4.4 Innovation, Wandel und Unternehmung
123
Selbst bei legalen Angeboten blieb und bleibt die disruptive Wirkung dieses Effekts als sinkende Wertschöpfung wirksam. Durch den prinzipiell möglichen Wegfall des Prebundlings durch die Musikindustrie sinkt die durchschnittliche Kapitalisierbarkeit pro Song, da die „schlechten“ oder „durchschnittlichen“ Lieder nun nicht mehr im Zwangs-Package mit den „guten“ verkauft werden können. Der „Konsument als Programmdirektor“: Diese teilweise immer noch spaßhaft gebrauchte Formulierung ist in der Musikindustrie mit verheerender wirtschaftlicher Wirkung bereits Realität geworden – in anderen Bereichen der Medienindustrie steht diese Entwicklung unmittelbar bevor. Zusammengefasst steht der Fall der Musikindustrie somit prototypisch für das Wirken einer disruptiven Innovation im Medienbereich: Eine inferiore, neue Technologie greift die marktbeherrschende Technologie an (MP3-Encoding attackiert die CD). Der gestiftete Nutzen spricht zunächst nur eine kleine Gruppe der potentiellen User an (ihnen sind große Datenmengen und die leichte Transportierbarkeit dieser Daten wichtiger als die Qualität der Musikaufnahme). Durch die Technik werden nun Folgeprozesse angestoßen, die den disruptiven Prozess beschleunigen. Auf Basis der Innovation entstehen z. B. neue Hardware/Endgeräte (MP3-Player). Diese neuen Endgeräte sprechen durch Chicness und einer „Verstofflichung“ des praktischen Nutzens der disruptiven Technologie größere Kundensegmente an, als die bloße Ursprungs-Innovation (Einbruch in den Massenmarkt). Während die Marktführer die Bedrohung zu spät erkennen, und zunächst keine Gegenstrategie entwerfen können, entwickeln sich durch die unmittelbare Wirkung der neuen Technologie neue Mediennutzungsformen („User als Programmdirektor/Musikmanager“), eine Entwicklung, die wiederum den disruptiven Prozess unmittelbar beschleunigt und somit als „second-level-disruption“ bezeichnet werden könnte. Auf einem „thirdlevel“ treten dann noch die für die Digitalisierung typischen unorthodoxen bis illegalen Formen der Mediennutzung hinzu (Peer-to-peer-Tauschbörsen), die jetzt den traditionellen Massenmarkt von einer weiteren Seite angreifen (Verlust des Eigentums-Begriff bei digitalen Produkten). In der Gesamtsumme ist nun ein Prozess im Gange, in dessen Verlauf das Massenpublikum sein Konsumverhalten ändert und die traditionellen Geschäftsmodelle massive Einbrüche zu verzeichnen haben: Der Modellfall einer „disruptiven“ Innovation.
4.4
Innovation, Wandel und Unternehmung
Wie bislang dargestellt werden konnte, ergibt sich vor dem Hintergrund der Veränderungen in den Medienmärkten die Herausforderung, bislang in der Theorie als weitgehend autonom betrachtete Themen miteinander zu verbinden. Innovationen
124
4 Disruptionen durch Digitalisierung
und Innovationsmanagement können aus dieser Sicht nicht unabhängig von Theorien der Veränderung betrachtet werden. Tushman und Smith (2004) sprechen von unterschiedlichen „streams of innovation“, die das Management von Unternehmen in die Lage versetzen, sich nicht nur permanent den Standards ihrer Märkte anzupassen, sondern darüber hinaus neue Märkte mit bestehenden oder neuen Technologien zu entwickeln und neue Regeln des Wettbewerbs zu setzen. Dabei sind nach Tushman und Smith die Prozesse des Innovationsmanagements systematisch mit jenen des Change Managements zu verknüpfen.239 „To win over time“, so Tushman (2001), „managers must not simply manage innovation, but manage streams of innovation.“240 Die durch die Digitalisierung ausgelösten Umwälzungsprozesse werfen die Frage auf, welche Konzepte und Methoden den betroffenen Unternehmen zur Verfügung stehen, um sich selbst an die (erzwungene) Veränderung anzupassen und den Wandel zu managen. Vahs (2003) konzidiert, dass es angesichts der steigenden Komplexität und wachsender Dynamik der Veränderung für Führungskräfte wie Unternehmen immer schwieriger wird, „zeitnah zielgerichtete Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. (…) Während die verfügbare Reaktionszeit auf die dynamischen Umweltveränderungen eher abnimmt, steigt der Zeitbedarf für eine angemessene Problembewältigung aufgrund der zunehmenden internen und externen Komplexität eher an.“241 Mueller-Oerlinghausen und Sauder (2003) betonen als Medienspezifikum die Herausforderung, den zufallsgetriebenen „Talentsucheansatz“ der Kreativitätsindustrie zu ersetzen durch eine „funktions-, bereichs- und hierarchieübergreifende Organisation“.242 Die Autoren rücken das Managen von Innovation in den Mittelpunkt der Managementaufgabe: „Innovation ist nicht das Abfallprodukt einiger kreativer Genies, sondern ein gemeinschaftliches Unterfangen des gesamten Unternehmens und vor allem auch des Managements.“ Die wissenschaftstheoretische Fundierung des Begriffs „Change Management“ (CM) erweist sich als sehr heterogen, zur Nutzbarmachung der CM-Ansätze erscheint eine multiperspektivische Wahrnehmung notwendig. „Change Management“ kann nach Inversini (2005) verstanden werden als die aktive Steuerung und Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen – in Abgrenzung zu allen ungeplanten 239
Tushman, Michael L. & Smith, Wendy K. (2004): Innovations streams, Organization Designs, and Organizational Evolution. In: Tushmann, Michael L. & Andeson, Philip (Hrsg.): Managing Strategic Innovation and Change. Oxford University Press, S. 6ff. 240 Tushman, Michael L. & O’Reilly, Charles (2001): Winning trough innovation. A Practical Guide to Leading Organizational Change and Renewal. Harvard Business Press, S. 26. 241 Vahs, Dietmar: Organisation (2003), Schäfer-Poeschel-Vlg., Stuttgart, S. 249. 242 Mueller-Oerlinghausen, Jens und Sauder, Axel (2003): Kreativität: Alles oder Nichts? Erfolgsfaktoren innovativer Produktentwicklung. In: Habann, Frank (2003): Innovationsmanagement in Medienunternehmen. Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 36.
4.4 Innovation, Wandel und Unternehmung
125
oder spontanen Änderungsprozessen. Vahs (2003) definiert Change Management als zielgerichtete „Planung, Realisierung und Evaluierung von ganzheitlichen Veränderungsmaßnahmen in Unternehmen“. Ziel dieser gerichteten Veränderungsprozesse ist nach Nippa (1997)243 und Porras/Robertson244 die Optimierung der organisatorischen Muster, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu steigern. Vahs (2003) betont die Vielfacettenhaftigkeit der theoretischen Konzepte zum Change Management, in dem deutlich zu sein scheint, dass „mit der Dynamik des Wandels auch die Anzahl der zu ihrer Bewältigung angebotenen Konzepte zugenommen hat.“ Das bekannteste Modell der Veränderung stammt von Lewin (1963). Es stellt ein Modell sozialer Veränderung dar, dass die Prozesshaftigkeit von Wandel und seinen zyklischen Charakter in den Mittelpunkt stellt. In einem gegebenenfalls mehrfach zu durchlaufenden iterativen Prozess in drei Stufen, muss die Organisation zunächst für den Wandel vorbereitet („aufgetaut“) werden, bevor die Hauptphase der gezielten Veränderung beginnt. In einem dritten bestätigenden Abschnitt geht es dann darum, den gefundenen neuen Zielzustand zu fixieren („wieder einzufrieren“).245 Lewin geht davon aus, dass es in einer Organisation permanent widerstreitende Kräfte hinsichtlich von Veränderung gibt, Kräfte, die Veränderungen vorantreiben wollen und Kräfte, die Veränderungen bremsen oder gar blockieren wollen. Lewin geht davon aus, dass eine Organisation langfristig nur überlebt, wenn die beiden Kräfte in einer Balance zueinander stehen. Die im Zusammenhang mit der in dieser Arbeit angestrebten Entwicklung von Szenarien wichtigste Frage an das Change Management ist, wie frühzeitig die Notwendigkeit zum Wandel von Unternehmen erkannt werden kann. Folgt man den Annahmen von Vahs (2003) wird deutlich, dass im Verlauf eines Veränderungsprozesses die Hälfte der Zeit, die der gesamte Prozess in Anspruch nimmt, damit verbracht wird, die Veränderung wahrzunehmen, zu erkennen und ihre Relevanz und Notwendigkeit schließlich zu akzeptieren. Vahs weist darauf hin, dass viele Unternehmen bereits „Frühwarnsysteme“ eingerichtet haben, mit „deren Hilfe Veränderungen durch permanente Analyse der externen und internen Einflussgrößen 243
Nippa, M. (1997): Erfolgsfaktoren organisatorischer Veränderungsprozesse in Unternehmen. Ergebnisse einer Expertenbefragung, in: Nippa, M./Scharfenberg, H. (Hrsg.) (1997): Implementierungsmanagement. Über die Kunst, Reengineeringkonzepte erfolgreich umzusetzen, Wiesbaden, S. 21–57. 244 Porras, J.I. & Robertson, P.J. (1992). Organizational development: Theory, practice, and research. In M.D. Dunnette & L.M. Hough (Eds.), Handbook of industrial and organizational psychology, (Vol. 3, pp. 719–822). Palo Alto, CA: Consulting Psychologists Press. 245 Vgl. Lewin, Kurt (1963): Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Ausgewählte theoretische Schriften, Bern.
126
4 Disruptionen durch Digitalisierung
möglichst frühzeitig erkannt und bewertet werden sollen.246 Insbesondere aber hinsichtlich von „disruptiven Innovationen“ zeigt sich, dass diese „Frühwarnsysteme“ oft nicht sensitiv genug sind oder aber ihre Ausrichtung falsch ist.
246
Das „Scanning“ (ein ungerichtetes „Abtasten“ des Umfelds nach relevanten Veränderungen, den sogenannten „issues“) und das sich anschließende „Monitoring“ (Analyse und Bewertung der relevanten Veränderungen) des Umfelds ermöglichen es Unternehmen, auch „schwache“ Signale (zum Beispiel Meinungsäußerungen von Experten, Veränderungen im sozio-ökonomischen Umfeld etc.) frühzeitig zu „empfangen“ und zu deuten.
5
Zwischenfazit: Erfolgsfaktor Contentrechte
In den vorangegangenen Kapiteln hat diese Arbeit versucht aufzuzeigen, warum die Bedeutung von Contentrechten in der deutschen TV- und Produktionsbranche im Zuge der Digitalisierung so enorm gewachsen ist. Unter der Wirkung der Gesetzmäßigkeiten der digitalen Ökonomie, durch medientheoretisch beschreibbare Wesenseigenschaften digitaler Güter und durch den „Rohstoff“-Charakter von Contentrechten innerhalb der kreativen Wertschöpfung in der digitalen Welt lässt sich hinsichtlich des strategischen Managements von Contentrechten ein massiver Relevanzzuwachs konstatieren. Das Management von Contentrechten konnte dargestellt werden als einer der kritischen Erfolgsfaktoren für die Bewältigung des digitalen Wandels in der TV-Industrie, aber nicht nur dort. Die vorausgegangenen Kapitel konnten zeigen, dass diese neue Rolle des strategischen Contentrechte-Managements als Teil der Theorie der „competence-based view“, also der Kompetenzbasierten Unternehmensstrategie verstanden werden kann. Innerhalb dieser Lesart war es vor allem das „competence-based management“ im Sinne von Hamel und Prahalad, das die Bedeutung interner organisatorischer Aufstellung in hinreichender Form berücksichtigt. Spielkamp und Rammer (2004) postulieren, dass „die Kompetenzbasis (…) den Handlungsspielraum des Unternehmens (absteckt). Sie macht deutlich, über welche (…) Alternativen der Betrieb verfügt, welches Wissen in der Vergangenheit akkumuliert werden konnte (…) und welche Fähigkeiten in der Organisation vorhanden sind.“247 Dieser Ansatz bringt als eine Theorie des Wettbewerbsvorteils eine Fokussierung des Blicks auf die Ressourcen der Organisation des Einzelunternehmens. Gleichzeitig wird dieser Blick aber wesentlich erweitert, wie dies unter anderen Freiling/Gersch/Goeke (2008) betonen: „Die kompetenzbasierte Theorie der Unternehmung rückt die einzelne Organisation zwar in den Mittelpunkt der Argumentation, betrachtet dabei aber zugleich deren Einbettung in Märkte und deren Beziehungen zu Konkurrenten und anderen Marktteilnehmern im evolutorischen Kontext (,embededness‘).“248 247
Spielkamp, Alfred & Rammer, Christian (2004): Balanceakt Innovation. Erfolgsfaktoren im Innovationsmanagement kleiner und mittlerer Unternehmen. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW, Dokumentation Nr. 06-04, Mannheim, S. 22. 248 Freiling, Jörg/Gersch, Martin/Goeke, Christian (2008): Organisationales Ambiente. In: Eisenkopf, Alexander/Opitz, Christian/Proff, Heike (Hrsg.): Strategisches Kompetenzmanagement in der Betriebswirtschaftlehre. Eine Standortbestimmung, Wiesbaden, S. 6ff. (Fortsetzung auf S. 128)
128
5 Zwischenfazit: Erfolgscharakter Contentrechte
Damit eröffnet sich für den weiteren Verlauf der Arbeit die Möglichkeit, die faktische Bedeutung und den Entwicklungsstand des strategischen Managements von Contentrechten zu untersuchen und hinsichtlich einer Einschätzung für die Zukunft zu dimensionieren. Dabei wird es zunächst notwendig sein, eine neue, umfassende und den bisherigen Stand in der Literatur transzendierende Definition des strategischen Managements von Contentrechten zu erarbeiten. Über die Kombination mit prognostischen Methoden soll sich dann die Chance eröffnen, die wichtigsten Determinanten von Szenarien aus einer Meta-Betrachtung vorliegenden Studien abzuleiten. Mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse der Branchenberichterstattung sowie von Akteursinterviews soll es ergänzend dazu möglich werden, das Selbstverständnis der Branche im Verlauf mehrerer Jahre zu analysieren und darzustellen. Der Status quo eines strategischen Managements von Contentrechten lässt sich dadurch deskriptorisch für einzelne, noch zu bestimmende Teilbranchen abbilden. Für das Verständnis dieser Teilbranchen konnte aus dem Bereich der Innovationstheorie und des Innovationsmanagements insbesondere der Begriff der „disruptiven Innovation“ erschlossen werden. Die Theorie von Christensen erwies sich im Hinblick auf die Veränderungen durch die Digitalisierung als besonders fruchtbar. Von größter Bedeutung dabei war, dass über die Nutzbarmachung des Ansatzes eine Metaebene für das Verständnis von Medienmanagement geschaffen werden kann, in der evolutionäre Prozesse und ihre tradierte Steuerung alleine nicht ausreichen, um dem Veränderungsprozess zu entsprechen. Die Wesenseigenschaften digitaler Technologie und digitaler Produkte führen im Markt der medialen Erfahrungsgüter zu massiven disruptiven Veränderungen, die ausnahmslos die beiden Kerneigenschaften der Theorie zur Wirkung bringen: Der Angriff auf das Niedrigpreissegment der jeweiligen Branche ebenso wie das Auftreten völlig neuer Wettbewerber durch dramatisch gesenkte Markteintrittsbarrieren. Durch neue digitale Produkte und Vertriebskanäle sind die Medien diesen Wirkungen voll ausgesetzt. Aus dieser Perspektive wird das Management disruptiver Innovation zu einer der Schlüsselfragen der Medienbranche und zu einer Schlüsselfrage des Managements von Kernkompetenzen. Christensen (2008) selbst lenkt dabei explizit den Blick auf die wirtschaftlichen Protagonisten im Management der Unternehmen. Aus seiner Sicht ist es erfolgskritisch im Umgang mit disruptiven Innovationen, wie sich Unternehmen mit ihren Ressourcen und Kompetenzen organisieren: „The resource allocation process is at the root of the innovator’s dilemma. Without active management, this implicit, often invisible process will direct money and human resources 248
(Fortsetzung von S. 127) Den Begriff des ,organisationalen Ambientes‘ definieren die Autoren als „ein auf das Handeln einzelner Menschen zurückführbares Netz aus spezifizierten Potenzialen (…), welches für die Ressourcen- und Kompetenzabwicklung einen stabilen, aber nicht statischen Koordinationshintergrund liefert.“
5 Zwischenfazit: Erfolgscharakter Contentrechte
129
toward efforts that bolster a company’s current business. The process will deflect money and human resources away from the disruptive innovations that power future growth. Companies have to wrest hold of the resource allocation process, making sure that dollars and bodies flow toward disruptive innovation. Additionally, they need to make sure that they treat different types of innovation opportunities differently.”249
Das Verständnis von disruptiven Prozessen in Verbindung mit dem Ansatz der Kernkompetenzen lässt sich daher an dieser Stelle als Grundbedingung erfolgreichen Medienmanagements postulieren. Gerade vor dem Hintergrund der Bedeutung von Kernkompetenzen und damit des strategischen Managements von Contentrechten wird die Bejahung oder Verneinung disruptiver Bedrohungen zur entscheidenden Weichenstellung gesamtstrategischer Maßnahmen. Nach der Verankerung des Themas innerhalb des theoretischen Rahmens des strategischen Managements, nach seiner Relevanzbeschreibung als Schlüsselerfolgsfaktor im Management (disruptiver) Innovationen und nach Deskription der wichtigsten Wirkmuster digitaler Ökonomie können nun für den weiteren Verlauf der Analyse konkretere Forschungsfragen abgeleitet werden. So wäre die Frage zu klären, ob die Medienbranche, und insbesondere die TV-Industrie für ein bewusstes Bewirtschaften und Managen von Contentrechten bereit oder zumindest sensibilisiert ist. An welchem Punkt von Bewusstwerdung und/oder Umsetzung befinden sich die verschiedenen Wettbewerber? Wie sind ihre Chancen einzuschätzen, mit gezieltem Kompetenzmanagement die digitalen Herausforderungen zu bewältigen? Wie könnten Szenarien für die nahe und mittlere Zukunft aussehen? Und: Lassen sich aus den Szenarien Handlungsvorschläge ableiten? Das dieser Untersuchung bewusst zu Grunde gelegte, ganzheitliche und interdisziplinäre Denken eröffnet die Möglichkeit, in einer Meta-Untersuchung die wichtigsten Parameter für die Entwicklung der Branche zu analysieren und zu beschreiben und das Ergebnis davon als jeweilige Determinante für die Ausarbeitung von Szenarien zu begreifen. Wie zu zeigen sein wird, darf sich die Analyse dabei nicht allein auf die eigentliche Kernbranche der Arbeit – die private TV-Industrie – verengen. Bedingt gerade durch die andere Medien ins Meta-Medium Internet integrierende Kraft der Digitalisierung müssen vergleichende Betrachtungen anderer in den neuen Märkten unmittelbar mitkonkurrierenden Medien mit herangezogen werden, – unter anderem die öffentlich-rechtliche Konkurrenz oder die Printbranche mit ihren Bewegtbildstrategien. Nach Jonda (2004) soll dabei die Szenariotechnik als integriertes „Problemstrukturierungs-, Analyse- und Prognoseinstrument“ verstanden werden, „das Prozesse definiert, mit deren Hilfe die notwendigen Ressourcen bereit249
Christensen, Clayton (2008): Reflections on Disruption. In: Anthony, Scott/Johnson, Mark et al.: The Innovators Guide to Growth: Putting Disruptive Innovation to work, Harvard Business Press, Boston, Massachussetts, S. 7.
130
5 Zwischenfazit: Erfolgscharakter Contentrechte
gestellt werden sollen, die wiederum die Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit der Unternehmung erweitern.“250 Grundlegend dafür aber ist zunächst einmal eine Neudefinition des Begriffes des SMCR aus dem bislang skizzierten Erkenntnisrahmen heraus im folgenden Kapitel.
250
Vgl. dazu Jonda, Marian (2004): Szenario-Management digitaler Geschäftsmodelle. Dissertation an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, S. 27ff.
6
Modelle strategischen Rechtemanagements
6.1
Definition
Was ist das „strategische Management von Contentrechten (SMCR)“? Die wissenschaftliche Literatur kann zu dieser Frage bislang keine hinreichende und kohärente Antwort anbieten und insofern stellt sich dieser Arbeit die Aufgabe, erstmals eine umfassende Definition des Themas zu entwickeln. Die Hauptursache für das Fehlen einer weitgreifenden Definition, – dies werden auch die inhaltsanalytischen Untersuchungen in den folgenden Kapiteln zeigen – ist darin zu vermuten, dass die strategische Relevanz des Themas erst in den vergangenen Jahren wahrgenommen und zum Gegenstand bislang nur kursorischen Interesses und keinesfalls abschließender Untersuchungen wurde. Fast ein Jahrzehnt fokussierte sich das definitorische Interesse im Wesentlichen auf den rein technischen Bestandteil des Themas. So kommt bezogen auf die Verlagsbranche Grisebach (2005) zu dem Schluss, dass das Thema neu definiert werden muss, um Medienmanager zu begeistern. „Was haben Medienunternehmen gemacht? Sie haben Rechte verwaltet, das aber nicht als einen Rechtemanagementprozess verstanden, sondern es gab viele Teilfunktionen, wie Lektorat, Marketing, Vertrieb, Herstellung.“251 Grisebach verweist auf ein Nischendasein des bisherigen SMCR an den Schnittstellen verschiedener Unternehmensbereiche, von denen im Wesentlichen nur die technischen Gewerke sich ausführlicher mit dem Rechtethema beschäftigt haben. Dies wirkt sich auch auf die unterschiedlichen Definitionen aus. So ist nach Beckmann (2003) die Hauptaufgabe des digitalen Rechtemanagements, die Nutzungsrechte für die Inhalte effektiv zu schützen. Das Rechtemanagement sei demnach dafür verantwortlich, „dass unautorisierte Weiterverbreitung verhindert wird, und unterschiedliche Nutzungsausprägungen möglich werden.“252 Die BITKOM postuliert noch im Jahr 2008 eine Dichotomie von Inhalten und Management: „Die digitalen Inhalte können dabei sowohl aus dem Audiobereich kommen (MP3Dateien), als auch aus verschiedensten anderen Bereichen wie Video, Software, Computerspiele oder Textdokumente. Zur Veranschaulichung lohnt sich ein Blick auf die eigene 251
Grisebach, Rolf (2005): Findet die digitale Revolution in der Verlagsbranche nicht statt? In: Picot, Arnold & Thielmann, Heinz (Hrsg.): Distribution und Schutz digitaler Medien durch Digital Rights Management, Springer-Verlag, Berlin, 2005, S. 43. 252 Vgl. Beckmann, Jürgen (2003): Analyse und Gestaltung von Geschäftsmodellen im digitalen Fernsehen, Grin-Verlag, München, S. 133.
132
6 Modelle strategischen Rechtemanagements
Computer-Festplatte: Letztendlich ist alles, was auf einer Computer-Festplatte gespeichert werden kann, digitaler Inhalt. (…) Management bedeutet, dass die Nutzung der digitalen Inhalte gesteuert werden kann, und zwar von demjenigen, der die Rechte an den Inhalten besitzt. Das kann entweder der Urheber direkt sein oder aber ein „Rechteinhaber“, d. h. jemand, der die Rechte am Vertrieb oder der Bearbeitung des jeweiligen Inhaltes erworben hat.“253
Brack (2003) erweitert den Begriff in Richtung auf die Organisation: „Das Management extern beschaffter Inhalte, aber auch jenes intern generierter, betrifft das Rechtemanagement bzw. die strategisch planbare Verwertungskette eines jeden Inhalts.“254 Nach Popp/Parke/Kaumanns, die das Thema aus Beratersicht zum ersten Mal auch theoretisch zu verorten versuchten, umfasst das Rechtemanagement „die Konzeption, Planung, Durchführung und Kontrolle der strategischen und operativen Aufgaben in unterschiedlichen Phasen der Handhabung von Nutzungsrechten, beginnend mit dem Erwerb über die Dokumentation bis hin zur Nutzung und Auswertung“.255 Eigen ist allen genannten Definitionsversuchen eine binnenorientierte, trotz Orientierung auf die Digitalisierung noch quasi-analoge Sicht auf die Bewahrung von Schutzrechten, die unmittelbar an traditionellen Medieninhalten liegen. Unübersehbar ist auch eine defensive Haltung der bisherigen Definitionsversuche, die sich insbesondere gegen Missbrauch, Piraterie aber auch gegen die steigende Verhandlungs- und Marktmacht von alten und neuen Mitbewerbern zu richten scheint. Deutlich wird auch, dass diese Linie, die man als protektiv-wertschöpfenden Ansatz kennzeichnen könnte, nicht ausreicht, um das SMCR, wie es sich in der Logik der digitalen Ökonomie zeigt, ausreichend auszuleuchten. Denn vor dem Hintergrund der Wesenseigenschaften digitaler Ökonomie und Technologie erscheint besonders notwendig die Miteinbeziehung eines zweiten, bislang in der Literatur nicht erfassten, aber im Verständnis der vorliegenden Arbeit integralen Bestandteils des SMCR’s, den man als kooperativ-innovativen Ansatz bezeichnen könnte. Er umreißt all jene organisatorischen und/oder rechtlichen Schritte, um aus dem digitalisierten, aber ursprünglich analogen Herkunftsmedienprodukt, neue, durch Dekonstruktion, Rekombination und Rekonfiguration entstehende Spin-OffProdukte zu entwickeln, die ergänzt und erweitert werden durch zusätzliche, aber auf der schöpferischen Idee der Ursprungsprodukte basierende „New_Media_only“Produkte. Die Produktion dieser neuen Mediengüter für in der Regel neue Vertriebs253
BITKOM (2008): Digitales Rechtemanagement: Kerntechnologie der digitalen Wirtschaft. Schriftenreihe Politik, Band 2, S. 8. 254 Brack, Anke (2003): Das strategische Management von Medieninhalten. Gestaltungsoptionen für die langfristige Erfolgssicherung in Medienmärkten. DUV-Verlag, Eichstätt, S. 158. 255 Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 453.
6.1 Definition
133
wege unterliegt nur noch teilweise den Wertschöpfungslogiken der ursprünglichen Industrie und muss daher durch kooperative Ansätze und Allianzen verbunden werden mit den Geschäftsmodellen und wichtigsten Akteuren der digitalen Welt. Im SMCR ist dieser Ansatz unauflöslich verbunden mit dem protektiv-wertschöpfenden Ansatz, wird aber bislang in der wissenschaftlichen Betrachtung in dieser Form nicht thematisiert und auch nicht formuliert. Eine Integration in eine tragfähige Gesamtdefinition von SMCR erscheint daher geboten. Vor dem Hintergrund des Gesagten soll daher der Versuch unternommen werden, das SMCR aus einer ganzheitlichen-integrativen Sicht heraus neu und in dieser Form erstmals zu definieren. Unter dem strategischen Management von Contentrechten SMCR soll daher in dieser Arbeit in Erweiterung der bisher verwendeten Arbeitsdefinition künfig folgendes verstanden und als neuer Definitionsvorschlag in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht werden: Das „strategische Management von Contentrechen“ (SMCR) ist als Kernkompetenz von Medienunternehmen ein elementarer Teil des strategischen Unternehmensmanagements und stellt im Wesentlichen die integrierte Kombination eines protektiv-wertschöpfenden Ansatzes mit einem kooperativinnovativen Ansatz dar, um jede Form der Nutzung von Contentrechten für alte analoge und neue digitale Vertriebswege zu beschreiben, zu sichern und wirtschaftlich zu verwerten. SMCR versetzt Medienunternehmen in die Lage, die steuernd- kontrollierende Intermediärsfunktion auf allen Ebenen der Wertschöpfung durch kreative, organisatorische, technische und rechtliche Mittel nachhaltig zu gewährleisten und dabei die produzierten Medienprodukte über ihre juristische und digitale Beschreibbarkeit vollständig zu erfassen. In der Folge davon wirkt das SMCR rückwärtsintegrierend in der medialen Wertschöpfung durch Protektion und vorwärtsintegrierend durch die strategische Erschließung neuer Märkte, Produkte, Geschäftsmodelle und Prozesse. SMCR ist damit ein Schlüsselprozess innerhalb der Digitalisierung und muss als eine der zentralen Kernkompetenzen von Medienunternehmen hoch priorisiert werden. Als integrierender Ansatz mit einem ganzheitlichen Managementverständnis erfasst das SMCR alle an der Rechtewertschöpfung beteiligten Unternehmenseinheiten, im Fernsehen zum Beispiel von der Sende- und Programmplanung, über das Daten-/MediaManagement, bis zum juristischen und finanziellen Management.
Das SMCR ist nach dieser Definition wesentlich tiefer, vernetzter und komplexer in den betrieblichen Abläufen von Medienunternehmen verwurzelt, als dies in der bis-
134
6 Modelle strategischen Rechtemanagements
Uniques trilaterales Skill- und Kompetenzset als SMCR-Schlüsserfolgsfaktor
Protektiver Rechtesicherungs- und Verhandlungsansatz
Integriertes SMCR Basis und Quellenangaben werden in der Arial 10, light, schwarz g
Neue kooperative Verhandlungsansätze
Neue kreative Produktansätze
Abbildung 9: Visualisierung der Erfolgsfaktoren eines integrierten SMCR Quelle: Eigene Darstellung.
herigen wissenschaftlichen Betrachtungsweise thematisiert worden ist. Der neue Ansatz bedingt eine Vielzahl klassischer Schnittstellen-Prozesse, die in vielen (Medien-)Organisationen heute noch keine Entsprechung finden.
6.2
Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
6.2.1
Die Notwendigkeit eines neuen Rechtemanagement-Ansatzes
In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, SMCR als ganzheitlichen Prozess und integrative Managementaufgabe zu begreifen. Dies hatte bereits bei der Erarbeitung einer neuen Definition von SMCR dazu geführt, das Thema als einen multipolaren Ansatz aufzufassen. Dabei muss der in vielen Unternehmen anzutreffende protektive bzw. rückwärtsintegrierende Ansatz, wie er sich zum Beispiel in klassischem, Technologie-getriebenen Digitalem Rechtemanagement (DRM) ausdrückt oder in Rechte-Sicherungs- und Verhandlungsstrategien, mit einem innovativen und bislang noch nicht theoretisch beschriebenen Ansatz innovativer Contentrechte-
6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
135
Generierung und -Verwertung verknüpft werden. Festzuhalten ist, dass die bisherige Betrachtung des Themas SMCR in der Literatur, aber auch in den verfügbaren Äußerungen von Protagonisten und Unternehmen als Marktteilnehmern fast ausschließlich von einem protektiven Rechtesicherungsansatz ausgeht. Dabei sind es nicht nur diejenigen, die als dominierende Marktkräfte über die meisten Rechte verfügen, die eine solche protektive Sicht bestimmen. Auch die Bemühungen zum Beispiel von Produzenten, in Verhandlungen einen höheren Anteil an Verwertungsrechten für die eigene Seite zu reklamieren, basieren letztlich auf diesem Ansatz. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diese Sicht zu hinterfragen und ihr ein neues, mindestens trilaterales Modell des Verständnisses von SMCR entgegenzusetzen. Ziel ist eine ganzheitliche Sicht auf das SMCR mit der klar formulierten Absicht, Wege aus der Frontstellung von Interessensgegnern zu finden, ebenso wie einen neuen, kreativen, zusätzlich wertschöpfenden Ansatz zu formulieren. Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass tradierte Management-Methoden hinsichtlich des SMCR nicht ausreichen, um in den klassischen Medienbranchen die Veränderungen durch die Digitalisierung zu bewältigen. Die dargestellten Szenarien legen nahe, insbesondere den ressourcenorientierten Ansätzen im Management mehr Bedeutung zuzumessen. Die desintegrativen Tendenzen der digitalen Veränderungen führen zu Kostendruck und teilweise aktionistisch anmutenden Anpassungsprozessen, die oft einer externen und nicht internen Logik geschuldet zu sein scheinen. So weisen die Akquisitionen von z. B. Web 2.0-Plattformen insofern in die richtige Richtung, als traditionelle Medien wie Fernsehen oder Print versuchen, dem neuen Mediennutzungsverhalten zu folgen. Die derzeit noch uneingelösten Refinanzierungsversprechen der akquirierten Plattformen belassen aber die Frage nach der strategischen Positionierung dieser Objekte weiter virulent. Aus der vorliegenden Untersuchung heraus deutet sich an, dass die Integration neuer, potentiell disruptiv auf das eigene Kerngeschäft wirkender digitaler Aktivität verbunden werden muss mit einem neuen Ansatz zur Rekonfiguration der bisherigen Wertschöpfung. Da diese Herausforderung auf alle Medienunternehmen zukommt, zeichnen sich bereits heute große Neustrukturierungsaufgaben hinsichtlich der internen Organisation und hinsichtlich der Implementierung neuer Workflows und Prozesse ab, Aufgaben, die aber erst in jüngster Vergangenheit auch in der Theorie so deutlich wahrgenommen werden. Grisebach (2005) postulierte in seiner Untersuchung des Rechtemanagements in der Verlagsbranche noch einen Hauptfokus auf ein „Digital Property Management“, das sich als wesentlicher Bestandteil des protektiven Ansatzes verstehen lässt. Bei diesem Property Management geht es in klassisch-administrativem Sinne zunächst einmal darum, vorhandene oder benötigte Rechte zu erfassen, ein Abrechnungssystem zu implementieren und Schutzsysteme zur Verwertung
136
6 Modelle strategischen Rechtemanagements
der Rechte zu schaffen.256 Dabei lässt sich konstatieren, dass vor der Hintergrund der Komplexität der Aufgabe, keines der traditionellen Medien-Gewerke das SMCR vollständig abbilden oder leisten kann. So fehlen in vielen Unternehmen „vielsprachige“ Intermediäre, die übersetzen könnten zwischen den kreativen Kräften, den Business-Ansätzen, Legal Affairs und den Aufgaben der Technology-Units, die Prozesse und Workflows in einer IT-Landschaft abbilden müssen. 6.2.2
Der tradierte, protektive Ansatz
SMCR lässt sich in der Zeit bis ungefähr zum Jahr 2007 in den meisten Fällen als Teil einer Verteidigungs- und Abschottungsstrategie beschreiben. Die Sicherung von Rechten wurde in dieser Zeit im Wesentlichen als ein Mittel der Protektion eigener Interessen verstanden. Diese protektive Haltung führte bei Verhandlungen um Rechte auf allen Seiten zu einer konfrontativen Haltung, die erst im Verlauf von Gesprächen in Form von klaren Abgrenzungen in Kompromisse oder kompromissartige formale Konstruktionen überführt wurden. Die sogenannten „Total-Buyout“-Verträge, mit denen sich TV-Sender ein Höchstmaß an Nutzungsrechten sicherten, zählen ebenso zu diesem Ansatz wie der sich im Laufe der Jahre versteifende Widerstand auf Produzentenseite, diesem Ansatz zu folgen und die eigene Teilhabe an der Nutzung der unterschiedlichen Rechte aufzugeben. Die exemplarisch konsequentesten Phänomene dieses protektiven Ansatzes stellen die juristischen Verfolgungsstrategien der Musik- und Kinoindustrie gegenüber der digitalen Piraterie dar, die durch den Versuch der massiven Kriminalisierung ganzer Nutzergruppen versuchten, die alten Geschäftsmodelle zu schützen. Quantitative und qualitative Wirksamkeit dieser Strategien können bis heute nicht final eingeschätzt werden, die Kannibalisierung der Geschäftsmodelle durch Piraterie und dadurch unmittelbar oder mittelbar bedingte Umsatzrückgänge weisen jedoch darauf hin, dass der rein protektive oder gar aggressiv-strafverfolgende Ansatz alleine nicht dazu in der Lage ist, in der digitalen Welt ausreichenden Schutz für die alten Geschäfts- und Vertriebsmodelle bereitzustellen. Das zumindest teilweise Scheitern dieser prototypischen Abschottungsstrategie der genannten Medienteilbranchen kann für die anderen Branchen, unter anderem die TV-Industrie zumindest als Beispiel dafür interpretiert werden, dass ein auf ausschließlicher Protektion beruhendes SMCR kein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfolgreiches Modell für die bestmögliche Nutzung von Contentrechten darstellen kann. Der rein protektive Ansatz findet sich daher nur noch in Ausnahmefällen als singuläre Strategie. 256
Vgl. dazu Grisebach, Rolf (2005): Findet die digitale Revolution in der Verlagsbranche statt? In: Picot, Arnold & Thielmann, Heinz (Hrsg.): Distribution und Schutz digitaler Medien durch Digital Rights Management, S. 50ff.
6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
6.2.3
137
DRM, DRMS und Content Protection
„Digital rights management“ DRM, „Digital rights management systems“ DRMS und „Content Protection“ sind Schlagworte für eine in der wissenschaftlichen Betrachtung auf eine Verteidigungsgrundhaltung fokussierte Sicht. Fränkl und Karpf weisen darauf hin, dass es keine allgemeingültige Definition von DRM gibt.257 Sie empfehlen den Vorschlag von Ianella: „Digital Rights Management DRM involves the description, identification trading, protection, monitoring and tracking of all forms of rights usages over both tangible and intangible assets – both in physical and digital form – including management of Rights holders relationship.“258 Grimm (2003) definiert Digital Rights Management als „Verfahren, die helfen, Rechte an digitalen Waren so zu schützen, wie wir das von den an physische Medien gebundenen intellektuellen Erzeugnissen her gewöhnt sind. Kopie und Weitergabe sollen an die Regeln des Rechtsinhabers, also des Warenanbieters (Content Provider) gebunden sein.“259 Unter anderem Ünlü (2004) hat in seiner detaillierten Untersuchung zum Thema herausgearbeitet, dass eine puristische, auf bloße Abwehr zielende DRM-Strategie nicht mehr zeitgemäß ist: „It can be concluded, that the most effective mechanism for deriving value from digital intellectual property involves a combination of technical, legal und structural strategies that are balanced in a DRMS installation. Whether or not a particular DRMS is successful in the marketplace depends not only on its level of proctection but also on the business model it supports and the legal framework (…).”260
Ünlü verweist an anderer Stelle darauf, dass es für Medienunternehmen sogar sinnvoll sein kann, nicht „excessivly high levels of protection“ einzuführen, da dies die Nützlichkeit und Usability für den Endkunden einschränkt. Seiner Ansicht nach ist es vielmehr künftig notwendig, eine Verbindung zu den User-Interessen herzustellen und in dessen Anerkennung auf maximal protektive Haltungen zu verzichten.261 Diese Position deutet bereits an, was im Folgenden fortgesetzt und ausgearbeitet werden soll: Dass nämlich ein rein protektives Verständnis gegenüber digitalen Inhalten den Spezifika und besonderen Charakteristiken digitaler Güter nicht gerecht werden. 257
Fränkl, Gerald & Karpf, Philipp (2004): Digital Rights Management Systeme – Einführung, Technologien, Recht, Ökonomie und Marktanalyse. PG-Verlag, München, S. 25f. 258 Iannella, Renato (2001): Digital Rights Management (DRM) Architectures. Zitiert nach URL: http://www.dlib.org/dlib/june01/iannella/06iannella.html, abgerufen am 11. 2. 2009. 259 Grimm, Rüdiger (2003): Digital Rights Management: Technisch-organisatorische Lösungsansätze. In: Picot, Arnold (2003): Digital Rights Management, Springer-Verlag, Berlin. S. 97. 260 Ünlü, Vural (2004): Content Protection: Economic Analysis an Techno-legal Implementation. Utz-Verlag, München, S. 201. 261 Ünlü, Vural (2005): Profitable piracy an content degradation. Abgerufen unter: http://www. indicare.org/tiki-read_article.php?articleId=148, am 12. 2. 2009.
138 6.2.4
6 Modelle strategischen Rechtemanagements
Neue, kooperativ-kreativ-innovative Ansätze262
Mit den folgenden Kategorien sollen wesentliche Elemente eines neuen, kreativen Umgangs mit Contentrechten skizziert werden, die als zweiter und dritter elementarer Bestandteil eines neuen Verständnisses des SMCRs verstanden werden können. Der (zusammengefasst künftig so genannte) kooperative-kreative Ansatz ergänzt dabei unmittelbar und künftig nicht mehr trennbar den bisherigen, protektiven Ansatz. SMCR soll aus dieser Sicht und an dieser Stelle erstmalig in dieser Form die Ebene der Akteure und ihre Verhandlungen (neue kooperative Formen) sowie die Ebene der Herstellung (neue kreative Produkte) integrieren. Es ist offenkundig, dass dadurch neue Kompetenzen und Anforderungen an das SMCR herangetragen und integriert werden (müssen). SMCR kann aus dieser Perspektive mehr und mehr als Spannungsfeld von Kompetenzen und Interessen interpretiert werden, denn als die eindimensionale Verfolgung linearer Einzelziele. Die kooperativ-kreativen Ansätze wurden in der Literatur bislang nicht oder nur marginal beschrieben und vor allem noch nicht im Zusammenhang mit dem strategischen Rechtemanagement in ein integriertes Bild gebracht. Es ist daher im Folgenden notwendig, Teilbereiche dieses kooperativ-kreativen Ansatzes selbst zu definieren und zu beschreiben. Dies geschieht in keinem Fall in der Absicht, eine abschließende Aufzählung zu formulieren. Schwerpunkt der argumentativen Ausrichtung bleibt die Fernseh- und TV-Produktionsbranche, an einigen Stellen wird jedoch auch auf andere mediale Gattungen referenziert.
262
Im folgenden werden einige dem englischen Sprachraum entlehnte oder an ihn angelehnte Wortwendungen oder Wortverbindungen benutzt, die entweder, allerdings erst seit kurzem, Teil des medienspezifischen Fachjargons sind oder es möglicherweise erst werden. Einige Wortzusammenstellungen sind Eigenkreationen des Autors, die angelehnt sind an bereits gebräuchliche Formulierungen. Der Autor ist sich der zunehmenden Flut von Anglizismen in der deutschen Sprache bewusst, möchte die hier vorgeschlagen Ausdrücke jedoch bewusst benutzen. Der Hauptgrund liegt darin, dass wesentliche Entwicklungen im amerikanisch-englischen Sprach- und Medienraum den Entwicklungen in Kontinentaleuropa und damit in Deutschland zeitlich vorausgehen. Insbesondere bei den sich so rasch ändernden Produkten und Kanälen der digitalen Welt greift die Medienszene oft auf die bereits aus den USA bekannten Ausdrücke zurück, nicht zuletzt, um bei Gesprächen und Verhandlungen mit amerikanischen Partnern die gleichen Dinge gleich zu bezeichnen. Dadurch rücken auch zunächst ungewohnt klingende Formulierungen in den Medienjargon. Ein Beispiel, das im Jahr 2008 seinen Weg in die Medienumgangssprache fand ist die Nutzungsform des „7dayCatchup“, was in typisch anglizistischer Prägnanz eine On-Demand-Abrufnutzung vor allem über das Internet bezeichnet, bei der Fernsehinhalte noch sieben Tage nach ihrer TV-Ausstrahlung auf der Website als Streamingangebot dem User zur Verfügung stehen.
6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
139
6.2.4.1 „Reframing positions“263 „Reframing positions“ bezieht sich auf die Forderung nach neuen kooperativen Verhandlungsansätzen. Darunter soll hier ein übergeordneter Ansatz verstanden werden, der grundsätzlich einen psychologischen wie praktisch-operativen Aspekt beeinhaltet. Unter dem (dem Change Management entlehnten) Begriff soll sowohl eine neue Haltung wie auch konkrete neue Kernkompetenzen verstanden werden. Popp/Parke/Kaumanns (2008) konstatieren, dass die Marktteilnehmer ihr „Aktivitätsniveau über Wertschöpfungsstufen“ hinaus verändern. Erkennbar sei, so die Autoren, „dass die Anzahl und Breite der Faktoren, die bei der ökonomisch erfolgreichen Nutzung und Verwertung von Rechten zu beachten sind, steigt. Einfache Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten entstehen, der Wettbewerbsdruck erhöht sich, die Konkurrenz um Inhalte wächst, die Preise für attraktive Inhalte steigen stetig.“264 Während die Autoren in ihrer Studie zwar insgesamt komplexere Formen des Interessensausgleichs postulieren, geben sie jedoch keine Hinweise darauf, welche konkreten Formen dies sein könnten. Im Folgenden sollen daher Grundmuster und Formen von Zusammenarbeit und Kooperationen kurz skizziert werden, im Wesentlichen mit der Absicht, am Beispiel und keinesweg abschließend diese neuen Elemente eines erweiterten Verständnisses von SMCR zu beschreiben. „Reframing positions“ soll an dieser Stelle also als eine neue Form der Verhandlungsoffenheit zwischen Marktteilnehmern verstanden werden, die vor allem dazu dienen soll, neue Produkte, neue Geschäftsmodelle und neue Wertschöpfungskonstellationen zu entwerfen und umzusetzen. „Reframing positions“ lässt sich auch ex negativo präzise bestimmen, er ist als Ansatz das Gegenteil des protektiven Verständnisses von SMCR: Es geht explizit nicht darum, Rechte auschließlich zu sichern, zu verteidigen oder zu erobern, sondern im Gegenteil darum, aus einem kooperativen Verständnis heraus zum gegenseitigen Nutzen neue Möglichkeiten zu eröffnen. Bei dieser – zunächst 263
Der Ausdruck ist eine Kreation des Autors. Er lehnt sich jedoch an die Formulierung des „Reframings“ an, das zum Beispiel in der Konflikttheorie Verwendung findet. Vgl. dazu u. a. Pfetsch, Frank (2006): Verhandeln in Konflikten. Grundlagen – Theorie. VS-Verlag, Berlin, S. 102. Pfetsch hebt hervor, dass „während Verhandlungstechniken und -strategien sich überwiegend auf die Mittel konzentrieren, die ein Verhandler besitzt, kann eine Lösung auch in einer Neudefinition der Rahmenbedingungen („reframing“) gefunden werden kann. Inhaltlich nennt Pfetsch dabei den „Wechsel der Position durch Reformulierung und unterschiedliche Bedeutungszuschreibung z. B. durch Einführung neuer Ziele, Erweiterung auf zusätzliche Güter, Umformulierung des Problems kann die Perzeption eines Verhandlungsgegenstandes verändert werden.“ 264 Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 456.
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6 Modelle strategischen Rechtemanagements
einmal bloßen – Haltung spielt die Zeit eine wichtige Rolle: „Reframing positions“ kann nämlich nur dann gut gelingen, wenn bereits in einer sehr frühen Phase der Verhandlungen über Inhalte auch Gespräche über Rechte und deren Management geführt werden. Beispiel: „Value networking“265 Der Begriff versucht, Grundmuster und -konstanten der digitalen Ökonomie für neue, kooperative Formen im SMCR nutzbar zu machen. Dabei wird von der Prämisse ausgegangen, dass durch Netzwerkeffekte, die Kostendegression beim Vertrieb digitaler Güter sowie durch z. B. „Lock-In“-Strategien Inhalte im Sinne des SMCR besser genutzt, verwertet und kapitalisiert werden können, als durch protektive, singuläre Abwehrstrategien. „Value networking“ ist somit als eine Forderung an die Marktteilnehmer zu verstehen, (zusätzliche) Inhalte und Ressourcen in kooperative Geschäftsmodelle mit allseitigem Nutzen einzubringen, und sich somit größere Erlöschancen zu eröffnen. Dies kann dazu führen, dass mögliche gegenseitige Blockierungen gelöst werden und zum Beispiel die Schaffung von additiven Inhalten die gemeinsame Erschließung von neuen Vertriebswegen als potentiell erfolgreichen Weg ermöglicht. Beispiel: „Knowledge aggregation“266 Der Begriff soll die Forderung nach neuen, intern aufzubauenden Kernkompetenzen formulieren. „Knowledge aggregation“ meint einen Vorgang, die bislang unvernetzt und meist nur nebeneinander tätige Unternehmensbereiche zielgerichtet zu einer neuen Organisation hinsichtlich des SMCR verbindet. Diese Forderung richtet sich an alle Marktbeteiligten und – letztlich – alle Gewerke der jeweiligen Medienbranchen. Die große Aufgabe besteht darin, inhaltliche und kreative Prozesse bereits am Anfang der Wertschöpfung in Verbindung zu bringen mit ökonomischen und juristischen Schlüsselprozessen. Dieses In-Verbindung-Bringen stellt dabei, und dies macht die Komplexität des Vorgangs aus, keine eindirektionale Linie dar, sondern eine hochpermeable Membran zwischen Unternehmensteilen mit neu zu schaffen265
Der Ausdruck ist eine Kreation des Autors. Er lehnt sich entfernt an an Begrifflichkeiten aus der amerikanischen Betriebswirtschaftslehre, die in verschiedenen Fällen ähnliche Formulierungen verwendet, um damit eine Form des (Mehr-) wertschaffenden Zusammenarbeitens in Netzwerken zu umschreiben. 266 Der Ausdruck ist eine analoge Verwendung und Nutzbarmachung für die Medienwissenschaft eines wirtschaftswissenschaftlichen Ausdrucks durch den Autor. Konzepte der „knowledge aggregation“ finden sich z. B. bei Wayland, Robert & Cole, Paul (1997): Customer connections: New strategies for growth, Harvard Business Publishing, S. 57. Die Autoren beschreiben dabei, wie sich Wissen und Kenntnisse über bestimmte Märkte oder Sachverhalte über verschiedene Ebenen aufbauen und dadurch „aggregieren“.
6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
141
den formalen und informellen Austauschritualen. Das SMCR in Medienunternehmen kann nur und muss künftig als Gemeinschaftsaufgabe aller beteiligten Unternehmensteile verstanden werden, für die es neue, eigene Regeln zu schaffen gilt. Diese Regeln sollten z. B. festlegen, dass für die Akquisition oder das Schaffen von Inhalten bestimmte Prüf- und Abnahmeregularien implementiert werden, die eine Prüfung unter Aspekten des SMCR institutionalisiert. 6.2.4.2 „Second-level production“267 „Second-level production“ soll als eigene Wortschöpfung einen Überbegriff bilden, unter dem sich die folgenden Teilbereiche subsummieren lassen. Der Überbegriff bezieht sich auf eine für Fernsehsender und TV-Produzenten derzeit immer noch gültige Logik: Dass nämlich die „First-level production“ sich auf den traditionellen Markt bezieht, in diesem Fall vor allem auf Film- und Fernsehproduktionen, die im Wesentlichen zur Verwendung im (werbefinanzierten) Free-TV erstellt und wirtschaftlich geplant wurden. Aus dieser „First-level production“ leitet sich zunächst die bereits skizzierte protektive SMCR-Logik ab, diese „Hauptproduktion“ als solche in allen verfügbaren neuen Plattformen und Vertriebswegen zu verwerten. Begleitend zu dieser Logik ist aber zunehmend ein neues Verständnis gefordert: Nämlich ergänzend, weiterentwickelnd, teilweise aber auch nur intuitiv aufgreifend und markenkernverlängernd zusätzliche Produkte für alle neuen, Non-TV-Kanäle zu entwickeln. Die Produkte sollen definitorisch mit dem Begriff der „Second-level production“ erfasst werden. Wichtig ist dabei der Wirkungszusammenhang von Produkten der ersten und zweiten Ebene. Produkte der zweiten Ebene („Second-level production“) sind ohne die erste Ebene weder sinnvoll, noch im Rahmen dieser Arbeit und der geschaffenen Definitionen denkbar. Ziel ist vielmehr ein Verständnis, dass es den traditionellen Medien ermöglicht, aus ihrem Herkunftsmarkt und ihren eigenen Herkunftsprodukten ein erweitertes Verständnis für Contentrechte und deren Management zu entwickeln. Dies bedeutet, dass Produkte der zweiten Ebene nicht (oder zumindest nicht nur) Verlängerungen der Produkte der ersten Ebene darstellen, sondern die Markenkerne, die Botschaften, die Zielgruppen, die Tonalität, das Themenspektrum der Produkte der ersten Ebene aufgreifen, vorantreiben, transformieren, ergänzen und weiterentwickeln. Das kann, wie in den nächsten Punkten 267
Der Ausdruck ist eine analoge Verwendung und Nutzbarmachung für die Medienwissenschaft eines IT-Ausdrucks durch den Autor. In der Internet-Terminologie ist z. B. von First Level und Second Level die Rede, wenn es darum geht, hierarchische Unterschiede bei Domainnamen und den dahinterliegenden Inhalten und Navigationen deutlich zu machen. Dieser Grundgedanke lässt sich hier auf die Betrachtung von „ursprünglichen“, „analogen“, „tradierten“ Inhalten im Verhältnis zu ihren digitalen „Verwandten“ verwenden.
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6 Modelle strategischen Rechtemanagements
gezeigt wird, über faktisch neue Produkte ebenso geschehen, wie über die Wiederverwertung bestehender anderer, bislang unverbundener Produkte. Beispiel: „Made_for_new_Media“268 „Made_for_new_Media“ bezeichnet als Definition tatsächlich faktisch neu zu schaffender Produktlinien, die das bestehende TV-Ausgangsprodukt verlängern, erweitern oder auf einer anderen Ebene fortsetzen. Diese Produkte entwickeln sich derzeit zu vielen Fernsehformaten, die auf diese Weise eine Fortsetzung im Internet finden. Es sind in der Regel Web-only-Produktionen, können aber auch Mobileonly oder Mobile-first-Produkte sein. Allen gemeinsam ist, dass sie sich an den von z. B. TV-Formaten gesetzten Themen orientierten und diese mit Zusatzprodukten, die sich (zunächst jedenfalls) nur in den Nicht-TV-Vertriebswegen wiederfinden. Das international bekannteste und genreprägende Beispiel ist dafür „Heroes“, eine US-amerikanische TV-Serie des Networks NBC. Das im Jahr 2006 gestartete Format (in Deutschland auf RTL2 ausgestrahlt) wurde im Internet durch zahlreiche Zusatzvideos ergänzt, die sich teilweise auf den Plot des TV-Formats bezogen, teilweise aber als klassische Spin-Offs des „First-level products“ ganze Seitenstränge neuer Geschichten und Figuren hervorbrachten, die sich nur im Nicht-TV-Medium fanden. „Made_for_new_Media“-Produkte sind vom grundsätzlichen Verständnis her nicht nur als Zusatzprodukte zu bestehenden Formaten zu sehen, sondern können auch Standalone-Produkte sein. Diese Produkte kommen dann oft nicht von den traditionellen Anbietern audiovisueller Inhalte, sondern von den neuen Teilnehmern im audiovisuellen Entertainmentmarkt im Internet, zum Beispiel von Community-Seiten. Exemplifizieren lässt sich dies in Deutschland am deutlichsten an der „Piet-Show“, der bislang aufwändigsten Produktion für das Internet. Auftraggeber war studiVZ.de, produziert wurde die Serie von der UFA. Die Tatsache, dass unterhaltende audiovisuelle Produkte für das Internet nicht nur von den traditionellen Anbietern dieser Inhalte, wie den TV-Sendern kommen, sondern auch von reinen Internet-Angeboten, wurde bereits im Kapitel über die disruptiven Innovationen theoretisch erfasst. An dieser Stelle gilt es lediglich noch einmal darauf hinzuweisen, dass sich TV-Sender und Produktionsunternehmen mit „Made_for_new_Media“-Produkten von Anfang 268
Der Ausdruck findet allgemein bereits Verwendung im deutschen Sprachraum. Ursprünglich wiederum zunächst in den Vereinigten Staaten geprägt, definiert die Gewerkschaft der US-Film- und Fernsehautoren (Writers Guild of Amerika, WGA) den Ausdruck als „a New Media Program is deemed original and covered by the WGA Minimum Basic Agreement (“MBA”) if it is produced by a signatory company (“Company”) for the Internet, a mobile device, or any other platform, thought of as “new media” by the industry (…).“ Zitiert nach URL: http://www.wgaeast.org/index.php?id=304&tx_ttnews%5Btt_news%5D=1602&tx_ ttnews%5BbackPid%5D=89, abgerufen am 15. 1. 2009.
6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
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an in einem neuen, erweiterten Markt bewegen, in dem sich die Zahl der Konkurrenten vervielfacht hat. Beispiel: „Cut_for_new_Media“269 Unter diesem Teilbereich soll nicht die faktische, physische Neuschaffung von „related content“ definitorisch gefasst werden, sondern die Rekombination von digitalen audiovisuellen Bestandteilen aus bestehendem Material. Dabei werden bestehende TV-Formate neugeschnitten und in unmittelbar auf das TV-Format bezogenen Zusammenhängen und/oder neuen (verwandten) Zusammenhängen rekombiniert. Bei der rechtlichen Betrachtung ist hierbei von Bedeutung, dass die geschaffenen Werke nicht so verfremdet werden oder so verfremdet dargestellt werden, dass eine Beschädigung des ursprünglichen (künstlerischen) Werks entsteht. Diese Gefahr tritt in der Regel nicht auf bei Non-Fiction-Inhalten, die – anders als im TV – in kleineren Einheiten z. B. auf Websites zum Abruf über das Internet oder über Mobilfunknetze angeboten werden. Grundlegend ist allen „Cut_for_New_Media“-Inhalten, dass keine neuen, zusätzlichen Bestandteile zum ursprünglichen Bestand hinzukommen, sondern gemäß der dargestellten digitalen Fragmentierungs- und Rekonfigurationslogik aus digitalem Ursprungsbeständen neu zusammengestellt werden. Dabei können zum Bespiel in einem inhaltlich-vertikalen Schnitt eigene Themen-Cluster zusammengestellt werden, die sich in dieser Bündelung im Fernsehen nicht finden. Ein Beispiel sind Boulevard-Fernsehsendungen, die üblicherweise in bestimmte Rubriken gegliedert sind (Musik, News, Lifestyle, Pflege, Gesundheit, Prominenten etc.). Deren zeitlich-lineare Logiken innerhalb der analogen TV-Zusammenstellung können nun aufgebrochen werden. Über Wochen und Monate, bei bestimmten, zeitlosen Inhalten sogar über Jahre, können die einzelnen Filmbeiträge entlang ihrer jeweiligen inhaltlichen Cluster rekombiniert werden. So sammeln sich dann beispielsweise unterhalb eines Clusters „Gesundheit“ sämtliche Beiträge, die dazu im Fernsehen oder in einer Zeitschrift jemals angeboten wurden und schaffen unterhalb der ursprünglichen Formatmarke neue Submarken, die sowohl von der Markenkompetenz des Ursprungsformats profitieren, wie für die Nutzer neuen Mehrwert durch Aggregation hochspezifischer und bislang nur disparat verfügbarer Inhalte schaffen (ein Mehrwert, für den sich auch die Werbewirtschaft interessiert, denn um die ThemenCluster herum sammeln sich wesentlich deutlicher konturierte Zielgruppen, als um das gebündelte Gesamtangebot des ursprünglichen TV-Formats). Als Beispiel könn269
Der Ausdruck ist eine Kreation des Autors. Er lehnt sich jedoch eng an Sinn und Verwendung der Wortbildung „Made_for_New_Media“ an, bezieht sich jedoch, wie gezeigt wird, nicht auf die Neukreation von Inhalten, sondern auf die Bearbeitung bestehenden Inhalts.
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6 Modelle strategischen Rechtemanagements
te hier die Website spox.com genannt werden, die gezielt Ausschnitte von Premiere Sport verwendet und durch Rekonfiguration und Neu-Aggregation den Usern zur Verfügung stellt oder die Seite clipfish.de der RTL-Gruppe, wo ebenfalls neue inhaltliche Cluster geschaffen wurden.270 Beispiel: „Sourced_for_new_Media“271 Als definitorischen Unterpunkt zu den „Cut_for_New_Media“-Quellen könnte man Inhalte abgrenzen, die unabhängig von bestehenden TV-Formaten (dasselbe gilt aber zum Beispiel auch für inhaltliche Rubriken von Print-Erzeugnissen) als archivarische Contentquellen erfasst werden können. Das „Sourcing“ dieser Inhalte stellt eine eigene kreativ-administrative Herausforderung dar, da es um eine Erfassung und Neu-Aggregation von „Alt-Bestand“ zur Schaffung völlig neuer, zu den ursprünglichen Inhalten des Hauptmediums nicht oder nur lose verbundenen Angeboten geht. Elementarer Kern für das Verständnis dieses Ansatzes ist, die geschaffenen Inhaltsbestände von Medienunternehmen als Contentpotential zu begreifen, das jenseits aller bislang gekannten Inhalte-Logiken des Hauptprodukts neu geordnet und dadurch besser genutzt werden kann. Diese Logik gilt für alle medialen Gattungen. Als (noch) hypothetisches Beispiel aus der Printbranche könnte man eine von Studenten betriebene Sportwebsite im Besitz der Süddeutschen Zeitung skizzieren, die technisch und von der Marktpositionierung unabhängig von der SZ agiert. Vorausgesetzt die SZ hätte im Sinne eines SMCR frühzeitig und großzügig umfassende Rechte an allen Artikeln erworben, die auf den Sportseiten des Printprodukts erscheinen und vorausgesetzt, die Studenten der (noch) hypothetischen Sportwebsite hätten uneingeschränkten Zugriff auf diese Artikel, dann wäre es „nur“ noch eine kreativ-journalistische Herausforderung, ein neues Produkt in einem neuen digitalen Vertriebskanal zu schaffen, das neben neuen und aktuellen, auch und vor allem alte, bereits verwendete Inhalte integriert, sie aber durch geschicktes Positionieren und Neuaggregieren für eine neue Zielgruppe neu erschließt. Aus Archivbeständen lassen 270
RTL benennt diese Strategie explizit und spricht davon, dass „Clipfish noch stärker auch auf die Einbindung von professionell produzierten Inhalten (setzt). Neben dem exklusiven RTL-Content haben (…) Clipfish-Partner die Möglichkeit, Channels mit ihren eigenen professionell produzierten Bewegtbild-Inhalten einzurichten.“ Vgl. dazu RTL-Eigendarstellung, abgerufen unter URL: http://kommunikation.rtl.de/de/pub/unternehmen/ueber_uns/ digitalisierung.cfm, am 13. 4. 2009. 271 Der Ausdruck ist eine Kreation des Autors. Er lehnt sich jedoch eng an Sinn und Verwendung der Wortbildung „Made_for_New_Media“ und „Cut_for_New_Media“ an, bezieht sich jedoch, wie gezeigt wird, nicht auf die Neukreation oder den Neuschnitt von Inhalten, sondern auf die (Wieder-)Nutzbarmachung archivierten und nicht mehr verwendeten Inhalts.
6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
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sich so vollständig neue Produkte für neue Zielgruppen schaffen, die unmittelbare Refinanzierungschancen haben und zudem die Basis der „Alt-Medien“ in der digitalen Welt erweitern.272 „Sourced_for_New-Media“ bietet allen Inhalte-Besitzern (also Rechte-Inhabern) Chancen, vorausgesetzt, es gelingt in den Unternehmen die zur Verwertung notwendigen Kompetenzen zu schaffen. Diese müssen eine neue Schnittmenge an kreativen wie administrativen und organisatorischen „Skills“ schaffen, die eine Überlappung z. B. von kreativen Potentialen im Herkunftsmedium wie im Neu-Medium bilden. Darin müssen zusätzlich wesentliche Kompentenzen hinsichtlich des SMCR und der Administration von Rechten einfließen. Beispiel: „Multichannel-Preview/Recycling“273 Unter dieser Kategorie sollen alle systematischen Verwertungen von Inhalten gefasst werden, die in ihren analogen Ursprungsmedien auf bestimmte Veröffentlichungszeitpunkte begrenzt sind und daher sehr kurze „Haltbarkeitsfristen“ haben. Diese Definitionskategorie umfasst alle digitalen Kanäle, die entgeltfrei oder gegen Gebühr „1:1-Inhalte“ (in inhaltlicher Hinsicht identisch mit dem Produkt des Ursprungsmediums) auf neuen Vertriebswegen zur nichtlinearen Nutzung anbieten. Nichtlineare Nutzung bezieht sich dabei sowohl auf die nachträgliche Zurverfügungstellung von 1:1-Inhalten, wie deren Angebot vor dem analogen Veröffentlichungstermin (Preview). In diese Kategorie fallen sehr viele Medienwebsites, die zum Beispiel online Inhalte des jeweiligen Hauptkanals, sei es TV oder Print, abbilden. Auch alle VoD-Paid Services sind in dieser Kategorie zu sehen. Hinsichtlich des SMCR ist an dieser Kategorie von Bedeutung, dass den meisten Medien eine Vielzahl von Distributionskanälen für die Zugänglichmachung von 1:1-Inhalten zur Verfügung steht (vorausgesetzt die entsprechenden Rechte wurden eingeräumt), dass aber die eigentliche Kunst in der Orchestrierung und Strukturierung einer Publishing-Strategie besteht. Dabei sind nicht nur Gefahren der Kannibalisierung einzurechnen und ggf. gegeneinander abzuwiegen, sondern auch Marketingaspekte, Reichweiten- und Spin-off-Effekte, sowie produktionstechnische Vorläufe und An272
Die „History“-Channel-Positionierung von SPIEGEL ONLINE und SPIEGEL TV ist ein weiteres Beispiel für diese Form der Content(-rechte)-Nutzung. 273 Der Ausdruck ist eine analoge Verwendung und Nutzbarmachung für die Medienwissenschaft einer verwandten Branchenterminologie durch den Autor. Moran und Malbon (2006) sprechen zum Beispiel im Zusammenhang mit der internationalen Verwertung von TV-Formaten von „multi-channel“ und „recycling“: „Behind this proliferation of transfers, this ever-expanding recycling of content, is a set of new economic arrangements designed to secure a degree of financial und cultural insurance not easily available in the multi-channel environment of the present.“ Vgl. dazu Moran, Albert & Malbon, Justin (2006): Understanding the Global TV Format, Intellect Books, Bristol, S. 11.
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6 Modelle strategischen Rechtemanagements
forderungen. Alleine der Vertrieb von nicht veränderten sondern nur digitalisierten 1:1-Kopien eines analogen Ursprungsprodukts erfordert eine eigene Veröffentlichungs-Partitur, die in Form von Windowing-Strategien vertragsrechtlich über die Einräumung von Rechten oder die Begrenzung von Holdbacks abgesichert werden muss. Beispiele für solche Strategien finden sich bei großen Printprodukten und deren Onlineseiten (Spiegel Online, Zeit Online ect.), bei allen großen privaten TVSendern und auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, die sich hier in neuen Strategien versuchen. 6.2.5
Organisatorische Konsequenzen
Die Quellenlage zur unternehmensorganisatorischen Integration von Modellen des SMCR ist sehr dünn. Das liegt in nachvollziehbarer Weise zum einen daran, dass die mit diesen Fragen befassten Unternehmen diese Informationen nicht preisgeben
Abbildung 10: Grobmodell einer organisatorischen Implementierung von SMCR274 Quelle: Picot & Thielmann (2005)275
274
Grisebach, Rolf (2005): Findet die digitale Revolution in der Verlagsbranche nicht statt? In: Picot, Arnold & Thielmann, Heinz (Hrsg.): Distribution und Schutz digitaler Medien durch Digital Rights Management, Springer-Verlag, Berlin, 2005, S. 51. 275 Grisebach, Rolf (2005): Findet die digitale Revolution in der Verlagsbranche nicht statt? In: Picot, Arnold & Thielmann, Heinz (Hrsg.): Distribution und Schutz digitaler Medien durch Digital Rights Management, Springer-Verlag, Berlin, 2005, S. 51.
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6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
wollen, um Mitbewerbern oder Konkurrenten keinen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, es liegt aber auch daran, dass SMCR eine hochspezifische Herausforderung für jedes einzelne Unternehmen darstellt, für die es keine standardisierbare Lösung geben kann. Die ausführlichste öffentlich zugängliche Darstellung von groben Modellen zur Integration des SMCR in Organisationen liegt in der Dokumentation der Auftrags-
Workflow Planung
Finanzmanagement
Werbezeitenvertrieb
Integrierte Programm-/ Sendeplanung
Rechtemanagement
Physisches Mediamanagement
Budgetplanung und -kontrolle, Vertragsmanagement für alle Produktionsarten. Programmschemata, Programmpläne, Inhalte und dazugehörige Rechtemetadaten. Dokumentation der Metadaten der Sende- und Archivmaterialien.
Abbildung 11: Organisatorische Schnittstellen des strategischen Rechtemanagements Quelle: Accenture in: Media Perspektiven276
276
Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 465.
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6 Modelle strategischen Rechtemanagements
studie der Unternehmensberatung Accenture für den Bayerischen Rundfunk im Jahr 2008 vor, deren wesentliche Ergebnisse in der Fachpublikation „Media Perspektiven“ veröffentlicht wurden.277 Rechtemanagement, so die Autoren, „kümmert sich um die effektive und effiziente Nutzung des Herzens der Medienindustrie: der Inhalte. Inhalte können auf verschiedene Art und Weise mehrfach verwendet werden, auch über klassische Plattformgrenzen hinweg. Aus der Vielzahl der möglichen Nutzungsund Verwertungsmöglichkeiten gilt es, die für eine Unternehmen passenden zu sondieren und die zu deren Umsetzung erforderlichen Rechte zu sichern und zu pflegen.“278
Wie die Autoren darstellen, hat das SMCR auf der operativen Ebene vor allem drei kritische Hauptaufgaben: das Finanzmanagement, die integrierte Programm- und Sendeplanung sowie das physische Media Management. Alle drei Bereiche sind in vielen Medienunternehmen vorhanden, waren es auch schon in der Zeit, bevor das SMCR bedingt durch die Digitalisierung zu einem geschäftskritischen Element wurde. Allerdings arbeiten die unterschiedlichen Unternehmensteile für ein funktionierendes SMCR nicht notwendigerweise reibungslos und zielorientiert miteinander. Vielmehr gilt es in in vielen Unternehmen sich zunächst einmal der gegenseitigen Abhängigkeit der genannten Prozesse voneinander zu gewärtigen. „Das programmbezogene Finanzmanagement behandelt Verträge mit Produzenten und muss zudem die budgetären Auswirkungen durch Honorar-und Lizenzzahlungen berücksichtigen. In der Programmplanung hat Rechtemanagement Auswirkungen auf verfügbare Nutzungsrechte im Kontekt der Planungszyklen. Für das physische Media Management (beispielsweise Archive) liefert das Rechtemanagement Informationen, die zur Identifikation der Inhalte nötig sind, sowie für die Wiederverwendung essentielle Metadaten (Rechtestatus, Verwendungsbeschränkungen, Kosteninformationen)“.279
Wie die obige Darstellung zeigt und wie bereits in der eingangs formulierten Definition des hier verwendeten Verständnisses von SMCR festgehalten, kann das SMCR als eine Schnittstellenfunktion und -Aufgabe zwischen strategischen und operativen Geschäftsprozessen bestimmt werden. In diesem Ansatz spiegelt sich die theoretische Verortung des SMCR als eine „Kernkompetenz“ von Medienunternehmen im Sinne von Hamel und Prahalad. Auf den ersten Blick wird jedoch deutlich, dass diese Verortung des Rechtemanagements im Schnittpunkt so unterschiedlicher Anforderungen und Zielorientierungen nicht als statisches Modell oder standardisierbare Lösung implementiert und mit prototypischen Maßnahmen hinterlegt 277
Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 453ff. 278 Ebenda, S. 457. 279 Ebenda, S. 458.
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6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
Strategischer Rahmen Ansätze und Konzepte, die für die Geschäftsprozesse den grundlegenden Handlungsrahmen bilden
Aufbauorganisation – Aufgaben, Rollen, Zuständigkeiten (Arbeitsleitung, Gliederung und Kompetenzverteilung) – Anreize, Institutionen, Regeln
Rechtemanagement Ablauforganisation Geschäftsprozesse, einschließlich logischer Abfolge und unter Berücksichtigung von Funktionen und Mengengerüsten
Strategischer Schwerpunkt
Aufbauorganisation – Technische Infrastruktur – Anwendungs-Software und Tools zur effizienten Unterstützung der Geschäftsprozesse
Operativer Schwerpunkt
Abbildung 12: Unternehmensinterne Verankerung des Rechtemanagements Quelle: Accenture in: Media Perspektiven280
werden kann. SMCR kann aus dieser Sicht nur als höchst dynamisches Modell unternehmensinternen Handelns verstanden werden, das zwar automatisierte und administrativ fixierte Workflows insbesondere beim archivarischen Umgang mit Inhalten erfordert, im Wesentlichen jedoch eine dynamische, prozessorientierte und hochkommunikative Aufgabe zwischen unterschiedlichen Geschäftsbereichen darstellt. „Eine stetige Koordination, Angleichung und Harmonisierung zwischen den operativen Bereichen des Rechtemanagements und den strategischen Bereichen ist dabei die zentrale Herausforderung. Einerseits gilt es, die entsprechende Aufbauorganisation und die Abläufe sowie die IT-Systeme zu schaffen, damit die Rechteerwerbs- und verwertungsstrategien effektiv umgesetzt werden können. Zum anderen sind die Erfahrungen aus den operativen Bereichen zwingend notwendig, um Nachjustierungen an der Strategie vornehmen zu können.“281
280
Popp, Wolfgang/Parke, Lennart/Kaumanns, Ralf (2008): Rechtemanagement in der digitalen Medienwelt. Herausforderung und Erfolgsfaktor für Rundfunkunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2008, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt am Main, S. 464. 281 Ebenda.
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6 Modelle strategischen Rechtemanagements
6.2.6
Normstrategien des SMCR
Für das SMCR können ähnlich wie für andere Managementbereiche Normstrategien abgeleitet werden. Normstrategien lassen sich nach Gälweiler (2006) prinzipiell aus dem Portfolio-Managementgedanken herleiten.282 Dabei werden im klassischen Ansatz bestimmten Geschäftsfeldern spezifische Handlungsempfehlungen zugeordnet. Wesentlicher Vorteil von Normstrategien ist nach Kerth & Asum (2008) die „Komplexitätsreduktion und übersichtliche Visualisierungsform“ die eine praxisnahe Veranschaulichung der eigenen Position ermöglicht.283 Im Bereich des KernkompetenzManagement und hier im speziellen Fall des SMCR können die Geschäftsfelder der Ist-Identifikation
Handlungsbedarf- und Normstrategien
• Primäre Analyse
Wertschöpfungskette
Geringe derzeitige Ausprägung der Kernkompetenz
• Identifikation von Core Assets und Kernkompetenzen die
– – – –
wertvoll selten
Hohe Zukünftige Bedeutung der Kernkompet enz
nicht-imitierbar nicht akquirierbar sind
Soll-Profil
Hohe derzeitige Ausprägung der Kernkompetenz
Strategie:
Strategie:
Schneller Aufbau durch verstärkte Investititionstätigkeit und Lernprozesse, Konzentration auf internen RessourcenAufbau
Pflege und Ausbau, Adaption durch Systematisierung des MarktScreenings
Strategie:
Strategie:
Zugriff durch Kooperation und/oder Zukauf, strategische Allianzen, ebenfalls zeitkritisch
Abbau und Desinvestition
Soll-Ist-Abgleich
• Marktanalyse • Entwicklung von
Zukunftsszenarien
• Ableitung von zukünftig relevanten Assets und Kernkompetenzen
Geringe Zukünftige Bedeutung der Kernkompet enz
Abbildung 13: Normstrategien zum Aufbau von SMCR Quelle: Eigene Darstellung nach Wirtz (2006)284
282
Vgl. Gälweiler, Aloys: Strategische Unternehmensführung, Campus-Verlag, Frankfurt am Main, S. 82. Gälweiler warnt hier allerdings – insbesondere in Bezug auf die sogenannte BCG-Portfolio-Matrix – vor verkürzenden Geschäftsfeldempfehlungen, spricht den Normstrategien aber grundsätzlich zu, „gute, nützliche und didaktische Hilfsmittel“ zu sein. 283 Kerth, Klaus & Asum, Heiko (2008): Die besten Strategietools in der Praxis, München, 3. Aufl., S. 230f. 284 Wirtz, Bernhard (2006): Medien- und Internetmanagement, Gabler-Verlag, Wiesbaden, 5. Aufl., S. 66.
6.2 Prototypisierung integrierter Rechteprozesse
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klassischen Portfolio-Analyse interpretiert werden als Kompetenzbereiche unternehmensinterner Assets und deren jetzige bzw. zukünftige Relevanz für die Wettbewerbsvorteile des Unternehmens. Folgt man dieser Analogie, dann sind in Anlehnung an Wirtz (2006, siehe auch Grafik) Normstrategien für das SMCR formulierbar. Die Normstrategien gelten dabei gemäß ihres universalen Anspruchs nicht nur für einen Teil der untersuchten Medienteilmärkte, sondern grundsätzlich für jede Teilbranche. Entscheidend für die Ableitung der Normstrategien ist besonders hinsichtlich des SMCR eine realitätsnahe Ist-Identifikation. Dieser Schritt sowie der Soll-IstAbgleich erscheint in jenen Märken besonders wichtig, in denen disruptive Innovationen und ein hohes Veränderungstempo den Wettbewerb prägen. 6.2.7
Planung und Verhandlungsführung
Vor dem Hintergrund des Gesagten wird deutlich, dass das Thema des SMCR für alle Beteiligten in der TV-Branche eine neue, massiv gewachsene Bedeutung mit völlig neuen, integrativen Skill- und Kompetenzanforderungen an das Handeln bekommen hat. Die Herausforderung kann angesichts der zu bewegenden Contentmengen von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein, und auch der vertikale oder horizontale Integrationsgrad der Marktteilnehmer prägt die Konsequenzen in entsprechender Stärke. Unabhängig aber davon, ob auf Produzenten- oder auf TVSender-Abnehmerseite ist das SMCR als Herausforderung an die Neuorchestrierung der eigenen Kernkompetenzen zu einem geschäftskritischen Thema geworden. Wird diese Bedeutung in den betroffenen Unternehmen erkannt und bejaht, müssen – wie dargestellt – daraus unmittelbare organisatorische Konsequenzen entstehen. Wie auch immer aber die Schnittstellen-Anforderungen jeweils organisiert sein mögen, sie werden immer Auswirkungen auf den Austausch von Positionen und Marktbeziehungen haben, die sich in entsprechenden Verhandlungen mit den um Rechte konkurrierenden Mitbewerbern zeigen. Viele der dargestellten Aspekte eines SMCR beruhen auf einem erweiterten Verständnis des Themas: Contentrechte nicht mehr nur als Thema der Verteidigung von Kernproduktrechten zu begreifen, sondern ergänzt um eine mindestens ebenso wichtige Komponente der multimedial-kreativen Anreicherung. Dies kann zur Folge haben, dass in Verhandlungen künftig nicht nur wirtschaftliche und juristische Spielräume thematisiert, zur Disposition gestellt und ausgelotet werden, sondern dieses gewohnte Rollenspiel im freien Spiel der Marktkräfte durch kreatives Potential ergänzt wird. Die Produktkomposition wird somit zu einem den wirtschaftlichen und juristischen Aushandelungsprozess begleitenden und permanent beeinflussenden Parallelprozess. Diese neue Form von Verhandlungen über Contentrechte können weder standardisiert noch formalisiert werden, sie sind
152
6 Modelle strategischen Rechtemanagements
vielmehr im engsten Sinne der Definition von Hamel und Prahalad „Kernkompetenzen“, die unmittelbar an unternehmensinterne Strukturen und nicht selten auch an Personen geknüpft sind. Der unternehmensinterne Austausch und die Kommunikation zwischen bislang oft nur sporadisch vernetzten Vertretern der „alten“ Produktwelten mit jenen der „neuen“ muss daher nicht nur auf kreativer Ebene z. B. klassische TV-Macher enger mit den New Media-Machern zusammenbringen, auch die Begleitgewerke wie Legal Affairs oder Contentadministration müssen Teil einer neuen „Haltung“ werden. SMCR stellt sich daher als organisatorisches Innovationsthema dar, bei dem Kommunikation und Kompetenzintegration zu geschäftskritischen Herausforderungen werden. Produzenten und Abnehmer, die über Rechte verhandeln, müssen in ihren eigenen persönlichen Kompetenzen oder aber in vielen Fällen in ihren beteiligten Teams somit künftig nicht nur das Wissen über die tradierten Produkte bündeln, sondern einen permanenten Austausch und ein Verstehen der Chancen und Herausforderungen der digitalen Welt organisieren. Dies bietet allen Beteiligten großen Chancen: Das Aufbrechen der Konfrontationslogik in Kombination mit kreativer Produkt-Innovation bietet weitaus größere Verhandlungs- und Einigungsspielräume als die üblichen Kosten- und Budgetplanungen.
7
Empirie: Methodik und Studiendesign
7.1
Konkretisierung der Fragestellung „Die Musikindustrie hat es einfach als Erstes getroffen. Jetzt kommen die Filmindustrie, das Fernsehen und die Buchverlage dran. Die Musikindustrie hat gut zehn Jahre gebraucht, um sich hier völlig neu zu positionieren. (…) Und ich sage Ihnen: Sie werden sich wundern, was den anderen Branchen noch bevorsteht. Nicht jeder hat die Krise der Musikindustrie studiert und nicht jeder hat für seine Branche die nötigen Schlüsse daraus gezogen.“285
Was Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie und ehemaliger Chef des TV-Senders VIVA in einem Interview für die Welt am Sonntag im Sommer des Jahres 2008 anspricht, verweist auf eine dieser Arbeit unausgesprochen zugrundeliegende grundsätzlich skeptische Annahme: Den Verdacht nämlich, dass die Veränderungen durch die Digitalisierung in ihrem Ausmaß von vielen Beteiligten in den Medienunternehmen (noch) nicht als für das eigene Geschäft bedrohlich genug eingeschätzt werden. Das Zitat von Dieter Gorny kann insofern als Fingerzeig für eine der wesentlichsten Fragestellungen in dieser Arbeit verstanden werden: Was sind die von Gorny geforderten „nötigen Schlüsse“ für die einzelnen Branchen? Wurden bereits Schlüsse gezogen? Welche sind noch zu ziehen? Und in welchem Verhältnis stehen diese Schlussfolgerungen zum Schlüsselfaktor „Management von Contentrechten“? Diese Fragen haben, wie in der Zwischenbetrachtung angedeutet, neben Deskription und Analyse der Gegenwart auch einen prognostischen Aspekt. Vor diesem Hintergrund kann die zentrale Fragestellung der Arbeit im zweiten Teil der Untersuchung präzisiert und neu fokussiert werden. Zusammengefasst lautet die wichtigste Problemstellung: Wie wird die TV-Industrie (privat finanzierte Sender und Produzenten) die dramatischen Veränderungen durch die Digitalisierung in den nächsten fünf bis zehn Jahren bewältigen und welche Rolle spielt dabei das strategische Management von Contentrechten SMCR?
285
Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie, ehemaliger Chef des TV-Senders VIVA, Interview in Welt am Sonntag, 10. 8. 2008, S. 69.
154
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
7.2
Szenarioanalyse
7.2.1
Methodischer Ansatz
Wie gezeigt werden konnte, ist die Digitalisierung ein hochdynamischer Prozess, dessen Entwicklung noch nicht annähernd abgeschlossen ist, dessen Voranschreiten sich im Gegenteil in Teilbereichen seiner Einwirkungssphäre weiter beschleunigt, vor allem auch in den Medien. Er durchläuft im Moment der Niederschrift dieser Arbeit weitere Stufen eines bislang nicht absehbaren Innovationsprozesses, der insbesondere auch die Teilindustrie der TV- und Fernsehbranche ergriffen hat, aber längst nicht nur diesen Teilbereich. Die internationale Finanzkrise und ihr Durchschlagen auf die Realwirtschaft führten bereits im Jahr 2008 zu Rezessionsmerkmalen, die sich im Jahr 2009 in Deutschland zu einer ausgeprägten realen Rezession verdichteten. Als werbefinanzierter Teilmarkt ist die private TV-Industrie in Deutschland unmittelbar und stärker als andere Branchen an die Konjunktur gebunden. Dies hat zur Folge, dass konjunkturelle Einbrüche erstens in verstärkter Form negativ auf die jeweilige Medienbranche einwirken, gleichzeitig aber auch hinsichtlich bereits vorhandener struktureller Risiken resonanzverstärkend wirken. Beide Effekte haben das Potential, sich gegenseitig aufzuschaukeln. Erkennen lässt sich dies unter anderem im Teilmarkt der Printbranche, aber auch im hier gewählten Untersuchungsschwerpunkt: der TV-Industrie. Beide Bereiche durchlaufen einen komplexen und schwierigen Prozess der strukturellen Anpassung an die durch die Digitalisierung veränderten Marktbedingungen. Erkenntnisgewinn innerhalb einer solchen beschleunigten Entwicklung ist unter den Bedingungen der raschen Veränderlichkeit nicht allein retrospektiv möglich. Auch eine bloße Gegenwartsbeschreibung genügt angesichts der drängenden wirtschaftlichen Herausforderungen in der Medienbranche nicht, die relevanten Tendenzen zu ermitteln und aus ihnen prozessuale und managementtheoretische Schlüsse abzuleiten. Der „Umgang“ mit der Digitalisierung als einem permanenten Manipulator und Mutator der Branche ist vor diesem Hingergrund nur möglich, wenn Annahmen über die Zukunft – sei es eine nahe oder ferne Zukunft – mitkalkuliert werden. Das „Managen“ der Prozesse, vor allem das Managen der beschriebenen Contentrechte, und die konkrete wirtschaftliche (Um-)Gestaltung traditioneller und neuer Geschäftsmodelle müssen sich unter den Bedingungen hoher Flexibilität und Veränderlichkeit intensiver noch als bisher angenommen mit der Zukunft beschäftigen. Aussagen über die Entwicklung der Digitalisierung und Aussagen über die Zukunft oder die Zukünfte können aber nur unter den Bedingungen von Unsicherheit und einer grundsätzlichen Offenheit des Prozesses gedacht und getroffen werden. Um eine Abschätzung der Entwicklung aufzuzeigen, können daher Methoden der Zukunftsforschung (und der Technik-
7.2 Szenarioanalyse
155
folgenabschätzung) hilfreich sein. Die Forschungsrichtung der Futurologie (oder: Zukunftsforschung) ist längst dem Stadium prognostischer Beliebigkeit und/oder eindimensionaler bzw. monokausaler Begründungszusammenhänge entwachsen, derer sie zu Beginn (oftmals zu Recht, später ungerechtfertigterweise) verdächtigt wurde. Nach Kreibich (2006/23) hat sich die Zukunftsforschung vielmehr innerhalb der Wissenschaft fest etabliert und kann mittlerweile auf einen festen Methodenkanon verweisen.286 Kreibich verweist auf die hohe und unmittelbare strategische Bedeutung der Zukunftsforschung für das wirtschaftliche Management „gerade bei turbulenter werdenden Umfeldbedingungen“. Die Futurologie hat zur Entwicklung von Annahmen und Entwürfen für die Zukunft unterschiedlichste theoretische Modelle entwickelt. Grundannahme jeder prognostischen Wissenschafts-Technik ist der theoretische Ausgangspunkt, dass jede denkbare Zukunft unsicher ist und nicht eindeutig prognostiziert werden kann. Mit anderen Worten: Es mag zwar – real und letztlich – retrospektiv betrachtet immer nur eine Zukunft geben/gegeben haben (und dies auch erst dann, wenn aus dieser Zukunft eine „reale“ Gegenwart oder gar Vergangenheit geworden ist), in der prognostischen und auf der Zeitachse nach „vorne“ gerichteten Sicht auf die Bedingungen der Unsicherheit muss aber von verschiedenden denkbaren „Zukünften“ ausgegangen werden, deren Eintreten unterschiedlich wahrscheinlich zwar, aber prinzipiell möglich ist. Die Wissenschaft ist dieser Vielfältigkeit des Denkbaren jedoch nicht methodenlos ausgeliefert. Vielmehr zeigt sich (vgl. Kreibich 2006/26), dass die Wissenschaft über „belastbare Wissensbestände sowohl hinsichtlich möglicher als auch wahrscheinlicher und wünschbarer Zukünfte und ihrer Grundlagen in Vergangenheit und Gegenwart“ verfügt.287 Wie Holtmann (2008) zeigt, ist eines der wesentlichsten Kennzeichen der Moderne das „Entscheiden unter Bedingungen von Unsicherheit“.288 Der Begriff der „Unsicherheit“ steht in der Diskussion in häufiger Nähe zum Begriff des „Risikos“. Entschei286
Kreibich, Rolf (2006/23): Zukunftsforschung. In: Arbeitsbericht 23 des Instituts für Zukunftstudien und Technologiebewertung, Berlin, S. 3ff. Zukunftsforschung ist laut Kreibich insbesondere mit dynamischen Systemen und Prozessen befasst, den mittel- und langfristigen Folgen von Entscheidungen sowie die Orientierung auf Perspektiven und Handlungsorientierungen in der Zukunft. Die unterschiedlichen Methoden der Zukunftsforschung (Trendanalysen, Szenariotechniken, Innovationsanalysen etc.) werden laut Kreibich heute vor allem ein einem „Methoden-Mix“ genutzt, als „gängige und bewährte Praxis in der Zukunftsforschung.“ 287 Kreibich, Rolf (2006/26): Zukunftsforschung. In: Arbeitsbericht 26 des Instituts für Zukunftstudien und Technologiebewertung, Berlin, S. 8ff. 288 Vgl. dazu Holtmann, Everhard (2008) in: Holtmann, Everhard/Patzelt, Werner: Führen Regierungen tatsächlich? Zur Praxis gouvernementalen Handelns, Springer-Verlag, Heidelberg, S. 9.
156
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
den unter Unsicherheit heißt aus dieser Perspektive: Entscheiden mit Risiko. Beck (1986) betont in seiner Konzeption der „Risikogesellschaft“ vor allem die Aspekte der „Entgrenzung“ und der „Nicht-Versicherbarkeit“. Ihm zufolge sind demnach die negativen Folgen „neuer Risiken“289 weder zeitlich noch räumlich eingrenzbar. Außerdem, so Beck, erreichen die Risiken neue Stufen der Gefährdungen.290 „Riskantes Entscheiden“, so Japp (1999), der sich unter anderem auf Beck bezieht, „nimmt spezifisches Nichtwissen nicht als Anlass zur Bemühung um (positive) Erkenntnis, sondern als Anlass zur Besorgnis um zukünftige Folgen“. Nach seiner Konzeption geht es dabei um die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Risiko. Diese „Schnittstelle“, so Japp, ist der „Effekt verschiedener Beobachtungsoperationen“.291 Unter den Bedingungen der digitalen Ökonomie steht die Forschung heute vor der Herausforderung, entsprechende „Beobachtungsoperationen“ erst zu entwickeln. Unter Hinweis auf die dramatischen Veränderungen durch Digitalisierung, Internet und Globalisierung weisen Fichter/Kiehne (2006) angesichts der gestiegenen Dynamik und Komplexität von Innovationsprozessen der „Früherkennung“ und dem „Monitoring“ technologischer, marktlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen eine „zentrale Bedeutung für den Innovationserfolg“ zu. Sie führen den Begriff des „Trendmonitorings“ ein als eines wesentlichen Bestandteils der betrieblichen
289
Die Digitalisierung stellt hier eine interessante Analogie zu den von Beck hauptsächlich skizzierten rein technologischen Risiken dar. Auch die Digitalisierung ist letztlich eine Technologie. Ihre Folgen, wie sie in der vorliegenden Untersuchung im Wesentlichen betrachtet werden, sind vorwiegend, aber längst nicht nur, wirtschaftlicher Art. Auch die psychologischen und soziologischen Folgeerscheinungen der Digitalisierung lassen eine Nähe zu den Szenarien von Beck erkennen. 290 Vgl. Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt. Becks Analysen münden in der These, dass die aktuelle Umbruchsphase dadurch gekennzeichnet ist, dass sich „Risiken“ in reale Gefahren transformieren und zu ihrem Management neue institutionelle Regeln und Systeme notwendig sind. Beck spricht vom Ziel „kalkulierbarer“ Risiken. Erneut springt die Analogie zur Medienbranche und den Folgen der Digitalisierung ins Auge. Der Umbruch ist hier in vollem Gange und insbesondere die neuen Regeln zum Umgang mit den Risiken sind noch kaum entwickelt. 291 Japp, Klaus P.: Die Unterscheidung von Nichtwissen. In: TA-Datenbank-Nachrichten des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Sytemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe, Nr. 3/4, Jahrgang 8, S. 30. Die Nähe des Ansatzes zum vorliegenden Forschungsdesigns ist frappant: „Beobachtungsoperationen“ sollen im Teil „Inhaltsanalyse“ helfen, genau jene wissenschaftliche Unschärfe von Prognosen und Szenarien zu kompensieren. Nach Japp kann ein solches Vorgehen konkrete Folgen für eine mögliches Managen der Herausforderung haben: Im Risikofall, so Japp, werden die Unsicherheiten spezifischen Nichtwissens durch Entscheiden verarbeitet, im Erkenntnisfall durch die Anwendunge von (Management-)Methoden und die Bildung von Hypothesen.
7.2 Szenarioanalyse
157
Zukunftsforschung.292 Fichter/Kiehne weisen dabei hinsichtlich der Innovationstätigkeit von Unternehmen auf drei zentrale Schwierigkeiten hin, die, wie sie sie nennen, „schwache(n) Signale“ relevanter Umfeldveränderungen zu erkennen. Nach Fichter/Kiehne lassen sich die Hauptherausforderungen für prognostisches Forschen folgendermaßen umschreiben: • Prognosen werden immer schwerer, weil die Veränderlichkeit von Markt- und Technologieentwicklungen gestiegen ist mit der Folge, das auch die Anzahl potentiell entscheidungsrelevanter Tatbestände und Variablen der Unternehmenswelt sowie ihre Interdependenzen gewachsen sind. • Die Gewinnung von Daten und Einzelinformationen sowie die Beobachung von singulären Trendparametern schafft noch kein „Orientierungswissen“. Es besteht die Notwendigkeit, Veränderungsbeobachtungen in einen sinntragenden und handlungsorientierten Gesamtkontext zu integrieren. • „(Die) Früherkennung und Prognosen technologischer, marktlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen erfordern in aller Regel eine hochgradig unternehmens- und situationsspezifische Wissensintegration.“293 Eine der wichtigsten Formen der hier geforderten Wissensintegration besteht nach Ansicht der Autoren in der Erarbeitung von Szenarien. Szenarien haben den Vorteil, nicht nur verschiedene denkbare „Zukünfte“ zu entwerfen, sondern sie entsprechen mit ihrer inhärenten Ganzheitlichkeit (wie es sich zum Beispiel im „Szenario-Writing“ ausdrückt als einer Methode, Zukünfte als „Geschichten“ zu erzählen, deren intersubjektive Plausibilität nur durch eine ganzheitliche Sicht der Dinge erreicht werden kann) auch der Forderung nach einem notwendigen „Orientierungswissen“. Unterstrichen wird dies durch Reibnitz (1992), der die Leistungen von Szenariotechniken auch als Kommunikationsgrundlagen betont. Daraus ergibt sich für den Untersuchungsansatz dieser Arbeit die Möglichkeit, die Innovationsnotwendigkeiten der Film- und Fernsehindustrie vor dem Hintergrund aggressiv fortschreitender Digitalisierung mit den Methoden der Zukunftsforschung und innerhalb derer mithilfe von Szenariotechniken analytisch beschreiben zu können. Dies eröffnet zudem die Gelegenheit, den Faktor des strategischen Umgangs mit Contentrechten als maßgebliches 292
Fichter, Klaus & Kiehne, Dierk-Oliver (2006): Trendmonitoring im Szenario-Management. Eine erste Bestandsaufnahme informationstechnischer Unterstützungspotentiale. In: Nova.netWerkstattreihe, Innovation in der Internetökonomie, Fraunhofer IRB-Verlag, Stuttgart, S. 2ff. Mit dem Begriff umschreiben die Autoren die kontinuierliche Beobachtung ausgewählter Indikatoren, Deskriptoren und Erkenntnisgegenstände sowie deren Veränderung im Zeitverlauf. Trendanalysen werden dabei betrachtet als wesentlicher Bestandteil der Umfeldbeobachtung und Früherkennung. 293 Fichter/Kiehne (2006), S. 2.
158
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
Kriterium herauszuarbeiten, für die Gestaltung der Zukunft zu dimensionieren und Indikatoren für ein künftiges strategisches Management von Contentrechten zu erarbeiten. In einer von Unsicherheit und dramatischem Wandel geprägten Situation, in denen Innovationen disruptiven Charakters tradierte Geschäftsmodelle bedrohen, bieten Szenarien zudem den nicht zu unterschätzenden Vorzug, neben der gewünschten Präzision einzelner Szenarien auch durch Kommunikationsfähigkeit solcher Prognosen einen Erkenntniswert zu schaffen. Dies ist deshalb von großer Bedeutung, da zwischen „alter“ (analoger) und „neuer“ (digitaler) Welt nicht selten kommunikative und perzeptorische Barrieren stehen, die sowohl auf individuelle Soziologien von Branchenakteursgruppen zurückgehen („Digital immigrants“ vs. „Digital natives“294), wie auf die faktische Distanz zwischen Managementrealitäten in analog-linearen Medien und neuen, digitalen Produkten.
7.2.2
Ursprung der Szenariomethode
Die Szenarioanalyse stellt einen elementaren Bestandteil des Methodenkanons der Zukunftsforschung dar. Reibnitz (1992) und andere verorten die Entstehung der Szenariotechnik in den 50er Jahren im Zusammenhang militärischer Forschungsvorhaben in den USA. Kahn (1975) verwendete im Zusammenhang mit Planspielen damals erstmals den Begriff „Szenario“. Im Zuge seiner Tätigkeit bei der RAND Corp. im Rahmen strategischer Planungen arbeitete Kahn daran, potentielle Szenarien zu entwickeln und die militärischen Planungen darauf abzustellen. Er beschreibt ein Szenario als „eine hypothetische Folge von Ereignissen, die für gewöhnlich in die Zukunft verlegt werden. (…) Ein Szenarium ist keine Prognose, es beschreibt nicht, was passieren wird, sondern nur, was passieren könnte.“295 In den sechziger Jahren wurde der Begriff aus der militärischen Sphäre in die zivile Zukunftsforschung eingeführt, unter Betonung des Aspekts der Entscheidung, insbesondere mit Blick auf strategische Managementfragen. In der betrieblichen Managementpraxis wurden Szenarien erstmals in den frühen 70er Jahren eingesetzt, unter anderem – im damals bekanntesten Fall – von Shell International, einem Unternehmen, das damit auf strategisch-planerische Defizite reagieren wollte, die sich in der Ölkrise offenbart hatten. Von Reibnitz (1992) formulierte Anfang der 90er Jahre für den Begriff des Szenarios „die Beschreibung einer zukünftigen Situation und die 294
Vgl. zur Begriffsbestimmung dazu u. a. Prensky, Marc (2001): Digital Natives, Digital Immigrants. In: On the horizon, MCB University Press, Nr. 9. Abgerufen unter URL: www.marcprensky.com/writing/Prensky%20-%20Digital%20Natives,%20Digital%20 Immigrants%20-%20Part1.pdf, 30. 3. 2009. 295 Kahn, H. (1975), Angriff auf die Zukunft, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S. 192.
7.2 Szenarioanalyse
159
Entwicklung bzw. Darstellung des Weges, der aus dem Heute in die Zukunft hineinführt“.296 Nach Porter (1985) bietet ein Szenario „einen in sich schlüssigen Ausblick darauf, wie sich Zukunft möglicherweise entwickeln kann“. Szenariomethoden wurden in den folgenden Jahrzehnten fester Bestandteil der Futurologie und des Alternativ- bzw. Multioptionsdenkens. Aber auch andere Wissenschaftsrichtungen übernahmen die Szenariotechnik oder zumindest Teile der Methode, die dann jeweils unterschiedlich gewichtet angewandt wurde.297 Leney/Coles (2004) stellen fest, das „die Szenarioplanung auf einer flexiblen Methode (basiert), die in unterschiedlichen Situationen zur Anwendung kommen kann. (…) Sie stellt (…) ein systematisches Instrument zur Ermittlung treibender Kräfte und zur Konzeption plausibler Entwicklungspfade bereit“.298 Steinmüller (1997) weist auf der einen Seite darauf hin, dass sich hinsichtlich von Szenariomethoden ein „schillernder Wortgebrauch“ entwickelt hat, dass aber die Szenariotechnik auf der anderen Seite vor allem auch aus forschungspraktischer Sicht eine Methode der Wahl darstellt, insbesondere unter den Bedingungen hoher Dynamik der Veränderung. Hauptvorteile sieht er in der Flexibilität möglicher Forschungsdesigns (in Abgrenzung zu formalisierten Methoden), der notwendigen Transparenz der vorausgesetzten Prämissen sowie im Kollektivitätsanspruch von Szenarien, der die Diskursfähigkeit der Voraussagen erheblich steigert.299 Die vorliegende Untersuchung will sich auf eine Definition von Gausemeier/Fink/Schlake stützen, wonach ein „Szenario die Beschreibung einer komplexen, zukünftigen Situation (ist), deren Eintreten nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann sowie die Darstellung einer Entwicklung, die aus der Gegenwart zu dieser Situation führen könnte“.300 Nach Steinmüller (1997) ist Zukunftsforschung 296
Reibnitz, U. von (1992): Szenario-Technik. Instrumente für die unternehmerische und persönliche Erfolgsplanung, Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 14. 297 In der Volkswirtschaftslehre dominieren vor allem quantitative Methoden, in den Planungswissenschaften der Technikfolgenabschätzung zeigt sich aber vor allem auch im strategischen Management ein zunehmend wachsender Anteil von qualitativen Methodenteilen. 298 Leney, Tom/Coles, Mike et al. (2004): Handreichung zur Szenarioentwicklung. Cedefop Dossiers series 7, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg, S. 62. 299 Steinmüller, Karlheinz (1997): Grundlagen und Methoden der Zukunftsforschung – Szenarien, Delphi, Technikvorausschau. In: Werkstattbericht 21, Sekretariat für Zukunftsforschung, Gelsenkirchen, S. 50ff. Steinmüller weist auf die Uneinheitlichkeit des Begriffs rund um das Präfix „Szenario“ hin. Verschiedene Verfahren, die sich jedoch grundsätzlich ähneln, wurden in der Literatur unterschiedlich bezeichnet (Szenariotechnik, Szenarioprozess, Szenario-Management). Steinmüller empfiehlt die Übernahme des Begriffs „Szenario-Technik“ als übergreifender Begriff für Szenario-basierte Verfahren. 300 Gausemeier, Jürgen/Fink, Alexander/Schlake, Oliver: Szenario-Management – Planen und Führen mit Szenarien, 2. Aufl. Hanser, München/Wien, 1996, S. 108.
160
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
die „systematische Erzeugung von Orientierungswissen“.301 Diese Forschung ist disziplinenübergreifend und benötigt schon allein aus diesem Grund eine jeweils spezifische Methodologie. Integraler Teil einer solchen Methodologie ist oftmals die Szenariomethode. Ihr prägendes Merkmal ist der Versuch, sich „abzeichnende Triebfedern des Wandels aufzuspüren, die manchmal nur als schwache Signale wahrnehmbar sind, quasi gerade erst am Horizont auftauchen“.302 So hat sich nach Szenario-Technik nach Minx (1978)
Szenario-Technik nach Geschka/ Winckler (1989)
Szenario-Methode nach Battelle (1989)
Szenario-Technik nach von Reibnitz (1992)
Problemanalyse
Strukturierung des Untersuchungsfeldes
Untersuchungsfeld definieren
Aufgabenanalyse
Umfeldanalyse
Einflußfaktoren/ Einflußbereiche und Wirkungsbeziehungen
Umfeld strukturieren
Einflußanalyse
Trendannahmen
Deskriptoren/ Projektionen
Entwicklungsrichtungen projizieren
Trendprojektionen
Konsistenzprüfung
Alternativ-Annahmen/ konsistente Bündel
konsistente Annahmenbündel bilden
Alternativbündelung
Szenario-Writing
Zukunftsbilder
Szenarien ausarbeiten
SzenarioInterpretation
Störereignisanalyse
Auswirkungsanalyse/ Störereignisse
Störereignisse prüfen
Konsequenzanalyse
Auswirkungsanalyse
Auswirkungen/ Anforderungen
Konsequenzen für das Untersuchungsfeld ableiten
Störereignisanalyse
Lösungssuche/ Maßnahmeplanung, Implementierung
Szenario-Transfer
Abbildung 14: Unterschiedliche Szenariomethoden Quelle: Steinmüller (1997), S. 61.
301
Steinmüller, Karlheinz (1997): Grundlagen und Methoden der Zukunftsforschung – Szenarien, Delphi, Technikvorausschau. In: Werkstattbericht 21, Sekretariat für Zukunftsforschung, Gelsenkirchen, S. 20. 302 Leney, Tom/Coles, Mike et al. (2004): Handreichung zur Szenarioentwicklung. Cedefop Dossiers series 7, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg, S. 53ff. Unter Verweis auf Porter macht die Studie deutlich, dass es bei der Untersuchung der Triebfedern möglich wird, die unabhängigen Unsicherheiten (nach Porter (Fortsetzung auf S. 161)
7.2 Szenarioanalyse
161
Steinmüller in den letzten drei Jahrzehnten der Szenario-Begriff „mehr und mehr als ein Kernkonzept der Zukunftsforschung herauskristallisiert.“ Nach seiner Feststellung sind innerhalb der unterschiedlichen Methoden der Szenario-Forschung „fast beliebige Methodenkombinationen im Forschungsdesign denkbar. Entscheidend für die Aussagekraft von Analyse und Trendableitung ist somit die valide Auswahl von Einzelmethoden aus einem Kanon unterschiedlicher Teilszenariotechniken. Steinmüller spricht hier bewusst von einem „Methoden-Mix“.303 Er unterscheidet jedoch unabdingbare Kategorien des Vorgehens, die mit jeweils adäquaten Methoden „gefüllt“ werden können. Folgende Schritte der Szenarioanalyse sollen diesem Ansatz folgend in der vorliegenden Untersuchung durchlaufen werden: • • • •
Problemanalyse und Umfeldanalyse – Identifikation der Hauptdeterminanten – Begründete Festlegung von Determinanten – in Kapitel 7.4 & 8.1
• Trendannahmen • – Trendextrapolation durch Inhaltsanalyse ausgewählter Textquellen • – in Kapitel 8.2 • Szenario-Writing • – Interpretation der denkbaren Szenarien • – in Kapitel 9 • Eintrittswahrscheinlichkeiten • – in Kapitel 9 302
(Fortsetzung von S. 160) jene, die sich dem Einfluss anderer Aspekte eines zukünftigen Szenarios entziehen) herauszuarbeiten. Sie können wiederum zur Szenarienbildung genutzt werden. Werden diese Triebfedern des Wandels in der Analyse unterbewertet, dann besteht der Studie zufolge die Gefahr, in den entstehenden Szenarien einzig „wünschenswerte“ Zukünfte abzubilden. 303 Steinmüller versteht darunter die Integration von unterschiedlichen Einzelmethoden in einen komplexen Forschungsprozess mit individuellem Design. Der Methoden-Mix ist die Folge davon, dass viele Methoden im Bereich der Zukunftsforschung nicht „scharf“ definiert sind, und zudem manche Forscher „hauseigene“ Vorgehensweisen entwickelt haben. In Anlehnung an Kreibich spricht Steinmüller hier von einem „variantenreichen“ Spektrum. Dieses Spektrum wird zudem davon geprägt, dass es schlicht unterschiedliche Begrifflichkeiten für ein und dasselbe Vorgehen gibt oder für Abwandlungen mit geringer Differenz. Diese unterschiedlichen Begrifflichkeiten in Verbindung mit einer jeweils neuen Rekombination von Teilmethoden führt nach Steinmüller zu weiteren „Schulen“ oder „Methoden“, die dann das begriffliche Durcheinander weiter verstärken. Entscheidend nach seiner Analyse sind aber nicht die Begrifflichkeiten, sondern die Strukturierung und Hierarchisierung von systematischen Forschungsschritten (vgl. dazu Steinmüller, 1997, S. 40ff.).
162
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
Szenarien werden an dieser Stelle verstanden als bestimmte Möglichkeiten innerhalb einer Varianz prinzipiell unbegrenzter Möglichkeiten. Reibnitz (1992) betont, dass Komplexität und Unsicherheit von Szenarien mit einem größer werdenden Zukunftshorizont ebenfalls größer werden. In einer symbolhaften Darstellung zeigt dies der sogenannte „Szenario-Trichter“.
Abbildung 15: Der Szenariotrichter nach Geschka Quelle: Geschka (1995).304
Die jeweiligen Szenarien liegen dabei an bestimmten festgelegten Punkten in der Zukunft (auf der geometrischen Schnittfläche des Trichters). Der Weg zu diesen Zielpunkten wird dargestellt durch „Entwicklungspfade“. Diese Pfade bilden die eigentliche „Story“ der Szenariomethode, eine begründete Herleitung des final an-
304
Geschka, H. (1995): Methoden der Technologiefrühaufklärung und der Technologievorhersage. In: Zahn, E. (Hrsg.): Handbuch Technologiemanagement, Schäfer-Poeschel, Stuttgart, S. 305.
7.3 Inhaltsanalyse
163
genommenen Szenarios im Szenario-Writing. Innerhalb des Szenariotrichters gibt es unterschiedlich stark differierende Zielpunkte, die entweder stark abweichende Extremszenarien („Best-Case“, „Worst-Case“) abbilden oder ein auf einer mittleren Achse liegendes Trendszenario.
7.3
Inhaltsanalyse
7.3.1
Methode: Qualitative Inhaltsanalyse
Gewählte Methode zur Ermittlung eines „Ist-Zustandes“ über das in der Branche vorhandene Bewusstsein gegenüber der digitalen Revolution und gegenüber der Rolle des SMCR darin soll eine empirische Unterschung in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse sein. Die gewählte empirische Forschungsstrategie ist dabei in Anlehnung an Linder (2006) „durch das Bemühen um systematischen Erfahrungsgewinn über das betrachtete reale Forschungsobjekt gekennzeichnet.“305 Nach Kubicek (1975) wird empirische Forschung als ein umfassender Prozess verstanden, „der die kreative Gewinnung von gedanklichen Konzepten aus einer Beobachtung der Realität und die Überprüfung der in diesen Konzepten enthaltenen Aussagen an der Realität beinhaltet, denn gerade das Wechselspiel zwischen gedanklichen Annahmen und empirischen Daten bestimmt den praktischen Forschungsprozess.“306 In Anlehnung an Schuh (2008) soll hier von einer „begleitenden Analyse“ ausgegangen werden, deren Vorteil es ist, „dass die Ergebnisse des beobachteten Wandlungsprozesses noch nicht bekannt sind, und so eine Beeinflussung der Forschungsergebnisse durch die Kenntnis des Ausgangs vermieden wird.“307 Die digitale Revolution im Medienbereich hat dabei eine Besonderheit gegenüber anderen Branchen und bietet daher die Möglichkeit für einen außergewöhnlichen Forschungsansatz im Bereich der Szenarioanalyse: Bedingt durch ihre publizistischen Produkte als Teil ihrer Gesamtproduktpalette ist die Medienbranche immer auch permanenter Gegenstand eigener selbstreflektierender Betrachtung – und zwar auch und gerade in den von den Veränderungen mittelbar oder unmittel305
Linder, Stefan (2006): Investitionskontrolle. Grundzüge einer verhaltensorientierten Theorie, Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 16. 306 Kubicek, Herbert (1975): Empirische Sozialforschung, Konzeption und Methodik, PoeschelVerlag, Stuttgart, S. 34. 307 Schuh, Arnold (2008): Fallstudien in der Strategieforschung. Auf der Suche nach dem Strategiewandel im Internationalisierungsprozess. In: Buber, Renate & Holzmüller, Hartmut (Hrsg.) (2008): Qualitative Marktforschung. Konezpte – Methoden – Analysen. SpringerVerlag, Berlin, S. 1005.
164
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
bar betroffenen Medien selbst. Medien berichten also über Medien: Sie berichten sowohl über „andere“ Medien – Wettbewerber, differierende Branchen usw. – und sie berichten auch über das Eigene: das eigene Medium oder die eigene Branche. Die Medien (als Branche) haben also einen im Vergleich zu allen anderen wirtschaftlichen Branchen einzigartig hohen Grad an veröffentlichter und damit der wissenschaftlichen Auswertung zugänglicher Selbstbetrachtung und Selbstreflexion. Dies bietet für die Erforschung eines „Branchen-Bewußtseins“ in Form eines öffentlichen Nachdenkens über Fragen der Digitalisierung eine ungewöhnliche Chance. Eine inhaltliche Analyse dieser Selbstreflexion kann wesentlich zum Verständnis dessen beitragen, wie die gesamte Industrie mit den Veränderungen, denen sie ausgesetzt ist, umgeht, wie sie sie erfährt, bewertet, strategisch verarbeitet, wie sie mit Handlungen (zum Beispiel im Bereich des SMCR) versucht, zu reagieren. Anhand von Argumentationsmustern und Projektionen ist es daher möglich, grobe Entwürfe von – in den Medien selbst entworfenen – Szenarien zu skizzieren und hinsichtlich ihrer Präsenz und ihrem Geltungsanspruch in den Medien selbst zu bewerten. Dies stellt methodisch eine einzigartige Möglichkeit dar: Nämlich die „klasssische“ Szenarioanalyse ergänzen zu können durch eine Bewertung und Verdichtung von selbstreflektorischen Zukunftsannahmen der Branche selbst. Mittel der Wahl der vorliegenden Auswertung soll eine qualitative Inhaltsanalyse sein. Wie später gezeigt, bietet die qualitative Inhaltsanalyse ein Instrumentarium, um Grundargumentationen der selbstreflektierenden Berichterstattung zu erfassen und gleichzeitig die größten methodischen Gefahren (Verzerrungen durch einen Bias in der Eigenanalyse, Fremdbestimmung der Meinungen durch Eigeninteresse etc.) zu umgehen. Rein quantitative Methoden können dies nicht leisten, sie sollen in dieser Arbeit bewusst nicht verwendet werden: Repräsentativität in einer strengen Form ihrer Definition ist nicht das wichtigste Ziel der Untersuchungen. Der Hauptgrund für eine Fokussierung auf qualitative Methoden liegt in der durch den Gegenstand bedingten Dispersität und Heterogenität des Themas. Die Veränderungen der digitalen Revolution sind so zahlreich, so unterschiedlich und zwischen den einzelnen Medienteilbranchen so inkohärent, dass rein quantitative Methoden zwar eine große Fallzahl untersuchen, kategorisieren und einordnen könnten, die Unterschiedlichkeit der thematisierten diversen neuen Geschäftsmodelle und Techniken aber zu einer Unübersichtlichkeit der Ergebnisse führen würde, deren Deutung dann notgedrungenerweise wiederum weitgehend beliebigen qualitativen Kriterien unterliegen müsste. So soll im Folgenden also Hauptaufgabe der Inhaltsanalyse sein, sich der Beschreibung des Themas zu nähern und Grundlagen dafür zu isolieren, wie solche Beschreibungen zur Präzisierung von Aussagen im Rahmen von Szenarienentwürfen verwendet werden können.
7.3 Inhaltsanalyse
165
Nach Witt (2001) müssen bei der qualitativen Inhaltsanalyse die Bedingungen des Datengewinns stärker betont, genauer betrachtet und expliziter dargestellt werden als in quantitativen Untersuchungen.308 Witt präzisiert: „Im Rahmen heuristischer qualitativer Forschung geht es bei der Analyse der Daten vorrangig um das Finden von Gemeinsamkeiten, d. h. um solche Aspekte in den Daten, die bei der größtmöglichen Heterogenität der Daten das Verbindende darstellen. Dieses Gemeinsame kann durch Gruppieren der Daten, durch „Fragen“ an die Daten, durch Kontrastierung mit dem Gegenteil, durch Negation usw. gefunden werden.“
Die hier gewählte Methode der „Inhaltsanalyse“ ist im wissenschaftlichen Diskurs nicht präzise abgegrenzt. Eine eindeutige und abschließende Definition findet sich in der Literatur nicht. Mollenhauer/Rittenmeyer (1977) sprechen davon, Inhaltsanalyse sei die „Analyse von Kommunikationsinhalten“, sie blenden dabei aber formale Kriterien der Kommunikation aus.309 Nach Mayring (2000) stellt die Inhaltsanalyse einen Ansatz empirischer methodisch kontrollierter Auswertung auch größerer Textcorpora dar, „wobei das Material, in seinen Kommunikationszusammenhang eingebettet, nach inhaltsanalytischen Regeln ausgewertet wird, ohne dabei in vorschnelle Quantifizierungen zu verfallen.“310 Mayring betont an anderer Stelle, die Interpretation des Gegenstandes in Richtung auf Kategorien. Kategorien können demnach auch in einer qualitativ orientierten Auswertung quantifizierbare Zuordnungen ergeben. Die Zuordnung der Textstellen zu Kategorien stellt jedoch einen (qualitativen) Interpretationsakt dar, der regelgeleitet erfolgt und so explizit wie möglich sein soll.311 Nach Rustemeyer (1992) geht es bei der qualitativen Inhaltsanalyse darum, bestimmte Textteile definierten Bedeutungsaspekten zuzuordnen, um eine systematische Gesamtbeschreibung des Textes zu erreichen.312 Witt (2001) definiert die Auswahl der Daten folgendermaßen: 308
Witt, Harald (2001): Forschungstrategien bei quantitativer und qualitativer Sozialforschung. Forum Qualitative Sozialforschung. URL: http://qualitative-research.net/fqs/fqs.htm. Abruf am 10. 10. 2007. 309 Vgl. Mollenhauer, K./Rittelmeyer, C. (Hrsg.) (1977): Methoden der Erziehungswissenschaft, Juvena-Verlag, München, S. 185. 310 Mayring, Philipp (2000, Juni). Qualitative Inhaltsanalyse [28 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research [Online Journal], 1(2). Verfügbar über: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-00/2-00mayring-d.htm [Datum des Zugriffs: 10. 10. 2007]. 311 Mayring, Philipp: Neuere Entwicklungen in der qualitativen Forschung und der qualitativen Inhaltsanalyse, in: Mayring/Gläser-Zikuda: Die Praxis der qualitativen Inhaltsanalyse, Stuttgart, 2005, S. 11. 312 Vgl. dazu: Rustemeyer, Ruth: Praktisch-methodische Schritte der Inhaltsanalyse, Münster, 1992, S. 23ff. Hinsichtlich der Hyptothesengenerierung warnt Rustemeyer vor einem rein induktiven Vorgehen, das die Gefahr einer Selbstreferenzialität in sich birgt, und plädiert für eine iterative Abstimmung von induktiven und deduktiven Hypothesen.
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7 Empirie: Methodik und Studiendesign
„Unter qualitativen Daten werden hier solche Daten verstanden, die konkrete Bedeutungen tragen; in der Regel sind es Texte, aber auch Bilder, Fotos, Filme usw. kommen in Frage. Die unmittelbare Bedeutung ist unter Umständen nicht eindeutig, sie muss ebenfalls um die Kontextbedingungen ergänzt werden, die Daten enthalten aber mehr Details und sie sind alltagsnäher als Zahlen. Auch hier ist durch die Art der Daten zunächst nicht festgelegt, auf welche Weise sie ausgewertet und analysiert werden (können). Dies ist ebenfalls von zusätzlichen Merkmalen der Daten und außerdem von der Fragestellung, d. h. von der Zielsetzung der Untersuchung abhängig. Während aber bei Untersuchungen mit quantitativen Daten die Zielstellung am Beginn klar sein muss und festgelegt wird, ergibt sich dies bei qualitativen Untersuchungen erst im Verlaufe der Untersuchung selber.“313
Die diskutierten Kriterien stecken damit das potentielle Objekt der Analyse weitgehend ab. Die qualitative Inhaltsanalyse ist geeignet, den extrem heterogenen Analysekanon zu erfassen, ihn grundsätzlich zu ordnen und dann in der zusammenfassenden Auswertung Muster von Argumentationen hinsichtlich ihrer Bedeutung wie hinsichtlich ihrer Häufigkeit zu bewerten. Nach Atteslander (1995) muss dieser Designrahmen sowie das forschende Herangehen durch eine Haltung weiter präzisiert werden: Qualitative Inhaltsanalyse erfordert demzufolge eine Grundhaltung, die von vier Parametern bestimmt wird: Offenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand, Kommunikativität, d. h. das Bewusstsein um interaktive Wechselwirkungen zwischen forschendem Subjekt und untersuchtem Objekt, Naturalistizität, in unserem Zusammenhang verstanden als Warnung vor der Überbetonung des Entstehungskontextes der Daten zu Lasten einer rezipientenfokussierten Offenheit sowie von Interpretivität, also dem Ansatz, mit den Daten nicht Hypothesen falsifizieren zu wollen, sondern aus ihnen Hypothesen ableiten zu können.314 Aus diesen Parametern soll sich im Folgenden das Vorgehen ableiten, das in sieben Schritten die Inhaltsanalyse und ihre Methoden, Kategorien, Diskurse strukturiert. 7.3.2
Ablaufmodell der Inhaltsanalyse in sieben Schritten
Das bekannteste inhaltsanalytische Ablaufmodell stammt von Mayring (1990). Mayring strukturiert die qualitative Inhaltsanalyse in elf Schritten. Dieses Modell wurde als Vorbild für die vorliegende Analyse verwendet, allerdings zu den eigenen Zwecken gestrafft. Aus den elf Schritten von Mayring wurde ein Modell mit sieben methodischen Stufen destilliert, die im Folgenden einzeln vorgestellt und 313
Witt, Harald (2001). Forschungsstrategien bei quantitativer und qualitativer Sozialforschung. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum Qualitative Social Research (OnlineJournal). Verfügbar über: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-01/1-01witt-d.htm [Datum des Zugriffs: 23. 10. 2007]. 314 Atteslander, Peter (1995): Methoden der empirischen Sozialforschung, de Gruyter-Verlag, Berlin, S. 252.
167
7.3 Inhaltsanalyse
Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell Festlegung des Materials
Analyse der Entstehungssituation
Formale Charakteristika des Materials
Richtung der Analyse
Theoretische Differenzierung der Fragestellung
Bestimmung der Analysetechnik(en) und Festlegung des konkreten Ablaufmodells
Definition der Analyseeinheit
Analyseschritte mittels des Kategoriensystems Zusammenfassung
Explikation
Strukturierung
Rücküberprüfung des Kategoriensystems an Theorie und Material
Interpretation der Ergebnisse in Richtung der Hauptfragestellung
Anwendung der inhaltsanalytischen Gütekriterien
Abbildung 16: Ablaufmodell nach Mayring Quelle: Mayring, 1990, S. 50.
begründet werden. Grund für die Vereinfachung des Modells von Mayring war im Wesentlichen die dadurch mögliche theoretische Komplexitätsreduktion. Diese Komplexitätsreduktion erscheint deshalb sinnvoll, weil die gesamte Untersuchung einem vorgegebenen Ansatz folgt – der Präzisierung von Aussagen für Szenarien –
168
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
und daher, anders als der Ansatz von Mayring, nicht von einer vollständig neutralen Betrachtung ausgeht. So folgt die Analyse folgendem Untersuchungsdesign: • Definition des zu analysierenden Materialkanons: Beschreibung des Kommunikationsmodells, Variablen der Textproduktion, Hintergründe der Auswahl • Analyse der Entstehungssituation – allgemeiner Produktionskontext • Formale Charakteristika • Inhaltliche Charakteristika und Zuordnung • Richtung der Analyse – Differenzierung der Fragestellungen • Durchführung der Inhaltsanalyse mithilfe definierter begründeter Kategorien • Interpretation der Ergebnisse 7.3.3
Detaillierung der einzelnen Arbeitsschritte
7.3.3.1 Definition des zu analysierenden Materialkanons: Beschreibung des Kommunikationsmodells, Variablen der Textproduktion, Hintergründe der Auswahl Ziel der Inhaltsanalyse ist es, innerhalb des Gesamtrahmens einer Szenarioanalyse Grundannahmen, Argumentationsmuster und Interpretationsschemata der öffentlich zugänglichen Branchenpublizistik zu erschließen und sie als kontrastierendes und/ oder präzisierendes Korrektiv für die deduktiv ermittelten Ableitungen und Prognosen hinsichtlich der Bedeutung der Determinanten einer Szenarioanalyse einzusetzen. Dies ermöglicht es, die Gefahr einer systembedingt immer vorhandenen Unschärfe durch eine unproportionale Gewichtung der Bedeutung der einzelnen Determinanten für ein Zukunftsszenario deutlich zu verringern: Der Radius des offenen Endes des „Szenariotrichters“ kann dadurch verringert werden, die Analyse wird fokussierter, die Eintreffwahrscheinlichkeit der Szenarien wird höher.315 Das grundsätzliche Vorgehen sieht vor, vier Determinanten für die Szenarioanalyse zunächst mittels öffentlich zugänglicher Primär- und Sekundärquellen zu beschreiben und dadurch deduktiv die jeweilige Bedeutung der Determinante abzuleiten (Dimensionierung). Hierzu werden Fakten und Daten zu den einzelnen Determinanten zusammengestellt, geordnet und bewertet. Ziel ist eine möglichst aktuelle und umfassende Bewertung aller jeweils zu den Determinanten vorliegenden 315
Geometrisch betrachtet stellt der „Szenariotrichter“ die Form eines waagerecht liegenden geraden Kreiskegels das. Da der Kegel durch eine Kreisfläche an einem Ende und durch einen Punkt außerhalb der Kreisebene, die Spitze begrenzt wird, hängt sein Volumen (V = r2 × × h : 3) von der Höhe h und der Größe des Radius r der Kreisfläche ab. Übertragen auf unsere Untersuchung führt eine Verkleinerung der Kreisfläche (= Verringerung der Schwankungsbreite möglicher Zukunftsszenarien) zu einer Fokussierung der Szenarien. Dies „schärft“ die Aussagekraft.
7.3 Inhaltsanalyse
169
Studien. Um nun jedoch hinsichtlich der Gewichtung der Determinanten für unterschiedliche Szenarien eine höhere Plausibilität und prognostische Schärfe zu erreichen, soll in der vorliegenden Untersuchung die Szenarioentwicklung mittels inhaltsanalytisch ermittelter Aussagen abgeglichen und somit wissenschaftlich „erhärtet“ werden. Die gewählte Inhaltsanalyse verwendet dazu einen zweiteiligen Materialkanon, dessen einzelne Teile jeweils normative Quellen unterschiedlicher Diskursdimension abbilden. Im umfangreicheren Teil der Inhaltsanalyse werden ausgewählte Kommentare der Branchenberichterstattung herangezogen und in einer in der bisherigen Forschung für diesen Zeitraum nicht vorhandenen Form sowie Tiefe aggregiert, analysiert und gewichtet. Die Voraussetzung für diese Möglichkeit des Hypothesen-Abgleichs stützt sich auf die bereits angedeutete Besonderheit der Medienindustrie und versucht, diese für einen Erkenntnisgewinn nutzbar machen. Die Besonderheit liegt in einer – gemessen an anderen Branchen – erheblich größeren Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion und Selbstreferenzialität der Medienbranche, die sich qua ihrer Produktionsbedingungen in bestimmten Segmenten der Berichterstattung selbst spiegelt – und dies auf einem außergewöhnlichen Niveau an Kenntnisreichtum und Wissen. Diese Betrachtungsweise basiert auf systemtheoretischen Überlegungen u. a. von Luhmann und Wieser (1959), die die Schlüsselbegriffe von „Rückkopplung“, „Selbstreferenzialität“ und „Selbstreflexivität“ umreißen. Es ist jedoch sich jederzeit zu gewärtigen, dass Rückkopplungsprozesse zwar auf der einen Seite ein vertieftes, weil involviertes Verständnis des Analysegegenstands ermöglichen, auf der anderen Seite jedoch Verzerrungen der Wahrnehmung wie der Bewertung eingerechnet werden müssen. Wieser beschreibt Rückkopplung als „das einfachste materielle Korrelat jenes Verhaltensphänomens, das wir Anpassung nennen“.316 Nach Watzlawick et al. (2000) macht das Prinzip der Rückkopplung klar, dass alle Elemente eines Systems nicht unabhängig voneinander denkbar sind und funktionieren, sondern in gegenseitiger Bezogenheit aufeinander einen rein deterministischen und linearen Ablauf idealtypisch, aber realitätsfremd erscheinen lassen. Rückkopplung führt zu einem zirkulären Prozess, der auch die Kausallogik von Argumentationen aufbrechen und die einzelnen Attribute der Argumentation sich non-linear auf sich selbst beziehen lassen kann.317 Luhmann (1995) betont den Gegensatz von Selbstreferenz und Fremdreferenz.318 Selbstreferenz kann dabei verstanden werden als ein Beobachten, das Neben der Beobachtung des Gegenstandes immer 316
Wieser, Wolfgang (1959): Organismen, Strukturen, Maschinen. Fischer-Bücherei, Frankfurt a. Main, S. 54ff. Nach Wieser sind es permanente Rückkopplungsverfahren, die instablie soziale Systeme in stabile Systeme oder gar „ultrastabile“ Systeme überführen. Systemtheoretisch sind darunter permanente iterative Prozesse zu verstehen, bei dem die Ergebnisse eines Iterationsschrittes als Ausgangswertes für den nächsten Schritt verwendet werden. 317 Watzlawick, Paul et al (2000): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen und Paradoxien. Huber-Verlag, Bern, S. 31ff., 131ff.
170
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
auch das beobachtende System und den Prozesscharakter des Beobachtens mitthematisiert. Fremdreferenzielles Beobachten erscheint dabei nicht immer als Gegensatz, sondern als potentielle Teilmenge des selbstreferenziellen Ansatzes, jenes Teils, der sich phänomenologisch singulär auf Tatsachen in der Realität beschränken will. In der Theorie der Medien von Luhmann bestimmt die Selbstreferenz immer die „Funktion“ der Medien. Diese Hauptfunktion umschreibt die Tendenz, mediale Kommunikation immer auch als Kommunikation selbst zu reflektieren. Das „System der Massenmedien (arbeitet) daher immer in der Annahme, dass die eigene Kommunikation in der nächsten Stunde oder am nächsten Tag fortgesetzt (wird).“319 Diese Prinzipien der Massenmedien gelten für die in dieser Untersuchung analysierten Medien ebenso, vielleicht sogar noch mehr, da die Verbindung von kommunizierten Objekten und kommunizierenden Subjekten in marginalen Nischenpublikationen in unmittelbarer, oft ökonomischer, ja persönlicher Abhängigkeit erfolgt. In der Branchenberichterstattung, also der Berichterstattung der Medienbranche über sich selbst, spiegelt sich auf diese Weise präzise die Gesamtsituation der Branche. Gleichzeitig wird diese Berichterstattung jederzeit strukturiert von „Brüchen“ durch ökonomische und persönliche Verzerrungen. Auffällig ist in jedem Fall der hohe Grad an Selbstreferenzialität: Medien machen sich stärker als dies in anderen Branchen zu erkennen ist, selbst zum Objekt der eigenen Berichterstattung und reflektieren den eigenen Zustand. Damit sind Medien als Beobachter und Beurteiler der eigenen Situation zwar auf der einen Seite immer auch Befangene und einer subjektiven, von eigenen oder Interessen Dritter beeinflussten Verfasstheit unterworfen (und beinhalten das Risiko einer nicht ausreichend kritischen Betrachtungsweise), auf der anderen Seite bietet die Branche – wenn es gelingt, einen Längsschnitt durch eine möglichst lange Periode der Berichterstattung zu nehmen und ihn kritisch zu kommentieren und zu diskutieren – die seltene Chance, in der Zusammenschau der unterschiedlichsten Betrachtungen und in einer Strukturanalyse der Argumentationen jene als Seismographen mit hoher Sensititivät für die Analyse nutzbar zu machen. In dieser Arbeit sollen daher in einem ersten Schritt ausgewählte Publikationen der Branchenberichterstattung im weitesten Sinne als Primärquellen zur Beantwortung der Frage herangezogen werden, inwieweit die Branche selbst ihre eigene Situation begreift und bewertet und inwieweit sich diese Urteile und Wertungen als Gradmesser für die Bedeutung der gewählten Szenariodeterminanten verwenden lassen.320 318
Luhmann, Niklas (1995): Die Realität der Massenmedien, Opladen, S. 28ff. Luhmann, Niklas (1995): S. 26. 320 Der Betrachtungsfokus wird dabei relativ weit offen sein. Neben einer Untersuchung auf Einschätzungen zur Bedeutung von Contentrechten im engeren Sinne wird es immer auch darum gehen, wie bestimmte Teilbereiche der Branche die Auswirkungen der Digitalisierung in einem weiteren Sinne bewerten. 319
7.3 Inhaltsanalyse
171
7.3.3.2 Analyse der Entstehungssituation – allgemeiner Produktionskontext Die Analyseeinheiten (Artikel) des Analysekanons entstanden in einer Zeit eines von vielen Beteiligten wahrgenommenen und entsprechend beschriebenen Wandels in der Film- und Fernsehbranche. Während es – dies ist Teil der Analyse – in der Detaileinschätzung der einzelnen Entwicklungen und ihrer Bedeutung große Unterschiede gab, war die Prämisse in allen Fällen gesetzt: Es gibt eine signifikante Veränderung der gesamten Medienlandschaft und die Beschreibung dieser Veränderung ist argumentativer Hauptkern der jeweiligen Berichte. Ausgewertet wurden in der vorliegenden Analyse im Wesentlichen Print-Publikationen, aber auch, dem digitalen Wandel Ausdruck gebend, Online-Publikationen, von denen viele Online-„Ableger“ bestehender Printprodukte waren und sind, zunehmend aber auch „stand-alone“-Online-Medien. Dabei war die bereits beschriebene Selbstreferenzialität der Berichterstattung besonders kritisch zu würdigen: Denn die Printbranche (mit ihren Online-Verlängerungen, aber auch mit der sie unmittelbar attackierenden Online-only-Publizistik) ist der Veränderung durch die Digitalisierung vollumfänglich unterworfen. Mehr noch: Die Digitalisierung verändert den gesamten Wettbewerbkontext für Printprodukte. Während sie bislang einzig innerhalb der eigenen medialen Gattung konkurrierten, bringt es die Digitalisierung mit sich, dass sich Printprodukte als Folge neuer eigener Aktivitäten (Online, Video etc.) in neuen hochdynamischen Wettbewerbssituationen wiederfinden. Dies musste Auswirkungen auf die „Neutralität“ der Berichterstattung haben: Aus der SubjektObjekt-Relation wird in vielen Fällen – und dies ist oft auf den ersten Blick nicht zu erkennen – eine Subjekt-Subjekt-Beziehung, in der die Berichtenden dem Berichteten in einer völlig neuen Haltung gegenübertreten, – beeinflusst von Eigeninteressen. Durch eine bewusste Verengung auf normativ-postulierende Texte soll es gelingen, ScheinNeutralität oder „hidden agenda“-Problematiken von vorneherein auszuschließen. Bei der Auswahl der Texte wurde diesem Umstand dadurch Rechnung getragen, dass nur zwei Kategorien von Artikeln verwendet wurden: Branchenpublizistik: Explizit kommentierende Artikel Akteursinterviews: Protagonisten der jeweiligen Teilbranchen
Die Interviews sind schon per definitionem subjektive Aussagen der Akteure. Diese Aussagen sind immer kritisch im Zusammenhang ihres Kontextes zu bewerten: Strategische Absichten, Zweckoptimismus, Verschleierung von Ratlosigkeit usw. können alles Motive sein, die bestimmte Haltungen gegenüber dem digitalen Branchenstrukturwandel – jedenfalls nach außen hin – verfälschen können. Dennoch be-
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7 Empirie: Methodik und Studiendesign
sitzt jede Interview-Äußerung auch eine ganz spezifische Wahrheit: Sie liegt in der Bewusstheit der Aussagen, aus der sich, bei entsprechend kritischer Untersuchung, auch die dem Wortsinn entgegenstehende eigentliche Bedeutung destillieren und/ oder dekodieren lässt. Jede Interview-Aussage, wie auch immer motiviert, ist daher verwendbar, wenn man den Aussagen nach einer Untersuchung möglicher Subtexte Absichten zuordnen kann. In einem solchen Verständnis liegt bei einer Kongruenz von Gesagtem und (wirklich) Gemeinten eine offenkundig wörtlich ernstzunehmende Aussage vor. Weicht das Gesagte absichtlich vom Gemeinten ab, muss zwar nicht das Gegenteil des Gesagten als richtig gelten, das Gesagte selbst aber wird durch die Täuschungsabsicht diskreditiert und eine plausibel vom Gesagten abweichende Annahme für das wirklich Gemeinte gestützt. Weicht das Gesagte vom Gemeinten unabsichtlich ab, liegt eine Verzerrung der Wahrnehmung vor, die wichtige Aussagen hinsichtlich der eigenen Haltung zum Gemeinten ermöglicht. Die Interview-Äußerung ist daher in diesem Verständnis prinzipiell kritisch zu prüfen, sie ist aber gleichzeitig ein unmittelbarer Indikator. Die aufgrund der großen Zahl von verfügbaren Interviews und einem über mehrere Jahre sich ziehenden Zeitraum große Streuung ermöglicht sehr plausible Begründungen für möglicherweise notwendige Dekodierungsakte. Andererseits sind solche Dekodierungen unter Umständen gar nicht nötig, weil die Zahl der Interviews und der lange Erhebungszeitraum gewisse Vergleiche über die Zeit hinweg ermöglichen. Diese Validierungsmöglichkeiten über die große Zahl und den langen Zeitraum waren auch der Grund, warum Interviews und nicht Leitfadeninterviews als Basis der Untersuchung herangezogen wurden. Weder durch die Zahl noch durch die vermeintlich größere Neutralität durch potentielle Vertraulichkeit hätte eine vergleichbare Qualität und eine ähnliche Sicherheit in der Bestimmbarkeit von Aussagen und Meinungen gewährleistet werden können. Anders als die sich selbst definierenden Interviews müssen die kommentierenden Artikel – zweiter Teil des Analysekanons – hinsichtlich ihrer Aussagekraft definiert werden. Unter kommentierendem Artikel werden in dieser Auswertung Kommentare und kommentierende Berichte verstanden. Noelle-Neumann et al. (1989) nennen als Kriterien für dieses journalistische Genre321, dass Kommentare und kommentierende Berichte erörtern, interpretieren, bewerten und hinterfragen. Sie treten in einer meinungsbezogenen Form auf, die auch Elemente einer argumentativen Dramaturgie enthält. Ein Kommentar oder ein kommentierender Bericht ist demnach „eine subjektive wertende Beurteilung“ und „eine Form der Kritik“322. Nach Degen (2004) enthalten kommentierende Darstellungsformen klar erkennbare Prämissen 321
Noelle-Neumann, Schulz, Wilke (1989): Fischer Lexikon. Publizistik. Massenkommunikation. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuchverlag, S. 69–83 322 Brockhaus (2001), Bibliografisches Institut F.A. Brockhaus AG.
7.3 Inhaltsanalyse
173
und eine auf diesen Prämissen aufbauende conclusio rationalis.323 Da die meisten der untersuchten Meinungsartikel in Form des kommentierenden Berichts vorliegen, sind diese Artikel immer als Mischform von reinem Kommentar und Faktenberichterstattung zu verstehen; sie enthalten nach v. Leonhardt/Ludwig et al. (2002)324 neben Fakten immer auch „auch subjektive, – z. B. argumentierende, kommentierende oder glossierende Elemente (…), bis hin zur Mischung von Bericht und Kommentar, die in deutschen Funkhäusern als kommentierender Bericht bekannt ist.“ Dovifat (1969)325 weist darauf hin dass „kommentierende Berichte und Features (…) von Korrespondenten verfasst (werden)“, was auf die Rolle der Fachjournalisten übertragen werden kann, die als journalistische Experten und Quasi-Korrespondenten aus ihrem Fachgebiet das Thema der Medien bearbeiten. Durch sie entsteht „der kommentierende Bericht, der im wesentlichen die Fakten sachlich referiert, diese gleichzeitig aber auch bewertet.“326 Bei Kommentaren oder den kommentierenden Teilen von kommentierenden Berichten sind allerdings besonders zu beachten die Interdependenzen innerhalb der Produktionsbedingungen: Abhängigkeiten von Auftraggeber, der Positionierung des Beitrags, den potentiellen Rezipienten. Der explizite Kommentar327 grenzt sich deutlich ab von der faktenorientierten Publizistik (Nachrichten, Fakten-Berichte, Features etc.) Da die Untersuchung dezidiert die Bewertung der Veränderungen in der Branche durch die Branche untersuchen will, konnte der Kanon weiter verengt werden: Es kamen nur Artikel in Frage, die im Sinne klassischer Kommentare eine explizite Meinung zu den zu untersuchenden Branchensegmenten formulierten. Artikel mit einem Schwerpunkt auf purer Analyse, bloße Verlaufsberichterstattung, das Reportieren von Sachverhalten wurden nicht inkludiert, sondern im Gegenteil gezielt aus dem zu analysierenden Material ausgeschlossen. 323
Degen, Matthias (2004): Mut zur Meinung. Genres und Selbstsichten von Meinungsjournalisten, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 26. 324 V. Leonhardt, Joachim-Felix/Ludwig, Hans-Werner et al. (2002): Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen, de Gruyter-Verlag, Berlin, S. 2082. 325 Vgl. Dovifat, Emil (1969): Handbuch der Publizistik, de Gruyter, Berlin. 326 Vgl. Schubert, Bianca (2000): Shell in der Krise. Zum Verhältnis von Journalismus und PR in Deutschland dargestellt am Beispiel der Brent Spar, Lit-Verlag, Münster/Hamburg, S. 128. 327 Im Folgenden wird aus Vereinfachungsgründen der Begriff „Kommentar“ als Sammelbegriff für die Kategorie der kommentierenden Artikel verwendet. Er umfasst dabei immer auch die Kategorie der „kommentierenden Berichte“. Die Wahl des Begriffs „Kommentar“ als Sammelbegriff hat seinen wesentlichen Grund darin, dass auch in kommentierenden Berichten oder anderen kommentierenden Darstellungsformen der Kommentar-Anteil für die hier durchzuführende Auswertung am relevantesten ist.
174
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
Die ausgewählten Kommentare stellen also ein Analysebündel subjektiver, oft sogar streng-individueller Ansichten von Personen und/oder Institutionen gegenüber den von ihnen besprochenen Themen dar, die unter entsprechend kritischer Würdigung ihrer Entstehungszusammenhänge – insbesondere auch mit einer Verortung auf der Zeitachse – Argumentationen und Veränderungen in den Begründungen erkennen lassen, aus denen sich Schlüsse hinsichtlich von Wahrnehmung, Bewertung und Handlung in Bezug auf das Managen der digitalen Veränderung ziehen lassen. Dies ermöglicht über einen entsprechend langen Zeitraum verfolgt und entsprechend aggregiert einen genauen Einblick in die Selbst- oder doch Nahsicht (auf sich selbst) einer ganzen Branche. Neben den strukturellen Merkmalen für einen „Kommentar“ war unabdingbar für die Auswahl der Analyseeinheiten der inhaltliche Topos der „Veränderung“. Veränderung musste in den Artikeln thematisiert werden – selbst wenn sie explizit negiert wurde: Dann nämlich konnte die postulierte Nicht-Veränderung als die Beschreibung eines Stillstands vor dem Hintergrund potentieller und/oder bereits diskutierter Veränderung verstanden werden. Grund für die Wahl dieses Parameters war der gewählte Forschungsansatz der Untersuchung. Die Szenarioanalyse kann als eine der zentralen Methoden des Veränderungsmanagements betrachtet werden, die immer dann Verwendung findet, wenn sich mehr als eine Planungsvariable verändert (oft verbunden mit einer Knappheit von Daten). Szenarien liegen also immer Veränderungen multivariabler Annahmen zugrunde. „Veränderung“ rückt in dieser Sicht – aber auch aus der bereits ausführlich dargestellten Gesamtsicht auf die Medienbranche im digitalen Wandel – an eine zentrale Stelle des Erkenntnisinteresses. Diesem Kriterium wurde konsequent der Analysekanon unterworfen. Ausnahmlos alle untersuchten Artikel mussten zentralargumentativ die Kategorie der „Veränderung“ verwenden – explizit, implizit oder ex negativo. Kennbar gemacht wurden „Veränderungs“-Argumentationen über implizite Techniken ebenso wie über explizite Kennzeichen, z. B. dem Gebrauch bestimmter semantischer Schlüsselbegriffe: Veränderung, Wandel, Wachstum, Rückschritt, Angriff, Verteidigung etc. Der Begriff der Veränderung inkludiert bestimmte Sub-Faktoren: Ursache, Zeit und Bewegung.328 Erkennbar durch Messung oder Beobachtung, erscheint als wichtigste Unter-Kategorie jene der Bewegung. Ohne innere oder äußere Bewegung ist keine Veränderung denkbar, die Nicht-Bewegung ist der Stillstand mithin die Nicht-Veränderung. Veränderungen in der Medienbranche unter dem hier gewählten Forschungsansatz stellen sich in vielen Fällen als eine Form der Bewegung dar und werden entsprechend formuliert, und bezogen auf – wenn nicht physische – dann doch geäußerte oder ge328
Mortensen, Chris: „Change“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2006 Edition), Edward N. Zalta (ed.). Abgerufen unter: URL = http://plato.stanford.edu/archives/ win2006/entries/change/, 30. 4. 2008.
7.3 Inhaltsanalyse
175
meinte Bewegung. Begrifflichkeiten aus dem semantischen Feld einer besonders auf Kategorien der Bewegung fixierten – nämlich der militärischen – Sphäre finden sich dementsprechend häufig: Bedrohungen, Reaktionen, Strategien, Ausweichmanöver. Abgegrenzt wird das Kriterium der „Veränderung“ von der „Neuigkeit“: Neuigkeit oder Neuheit alleine, wie zum Beispiel für eine nichtkommentierende Nachricht Voraussetzung, genügt nicht, eine Veränderung diagnostizierbar zu machen. Der Neuigkeit fehlt das Prozesshafte, der Verlauf, die Bewegung von einem realen oder gedachten Ort zum anderen: Bedingungen für eine wirkliche Veränderung.329 7.3.3.3 Formale Charakteristika Diesem Teil der Arbeit liegt die Auswertung eines umfassenden Kanons der Branchenberichterstattung zugrunde. Ausgewertet wurden: Branchenpublizistik: 185 Kommentare und kommentierende Artikel Akteursinterviews: 96 Interviews mit Protagonisten der Branchen
Die Quellen entstammen sowohl ausgewählten allgemeinen Print- und Onlinepublikationen (Zeitungen, Zeitschriften, Websites), wie auch speziellen Brancheninformationsdiensten. Untersucht wurde eine hochrelevante Auswahl aus der gesamten Branchenberichterstattung. Der gewählte Zeitraum:
Vom 1. 7. 2006 bis 1. 5. 2009 – also ein Zeitraum von knapp drei Jahren.
329
Die zwingende Parametrisierung von „Veränderung“ als notwendiger argumentativer Kategorie hat im Übrigen theoretisch noch einen interessanten Nebenaspekt. Als Methode im Veränderungsmanagement sind die Szenario-Analyse und die „Veränderung“ eng gekoppelt an Prinzipien der Selbstreferentialität. Ein Projekt des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT) hat 2007 eine Systematik erarbeitet, die den engen Zusammenhang von Szenarienentwicklung und Veränderungsmanangement zeigt. Betont wird dabei die Dynamik von Veränderung, die eine Unterscheidung zwischen Konzept und Umsetzung nicht immer trennscharf ermöglicht. Veränderung wird als kontinuierlicher Prozess begriffen, dessen Modell einen Regelkreis beschreiben muss. Die Vorstellung eines Regelkreises von Veränderungsmanagement weist unmittelbar auf die Begriffe von Selbstreferenzialität und Rückkopplung hin, die bei der kritischen Bewertung der Quellen wie gezeigt von unabdingbarer Bedeutung sind.
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7 Empirie: Methodik und Studiendesign
Die Auswertung stützte sich ganz bewusst ausschließlich auf Print- und Onlinepublikationen und ignorierte die Thematisierung in anderen Medien, insbesondere in Funk und Fernsehen. Der Grund liegt vor allem in der durch die Schriftlichkeit gewährleisteten Nachprüfbarkeit und Reproduzierbarkeit der Quellen, in den – gemessen an audiovisuellen Medien – sorgfältigeren und umfassenderen Recherche und Darstellung(-smöglichkeiten) der (vor allem Fach-) Print- und Onlinepublikationen und der damit den Angeboten von Fernsehen und Radio in der Regel überlegenen inhaltlichen und qualitativen Tiefe, sowie der Spezialisierung und damit zusätzlichen Qualifizierung der einzelnen Medien/Berichterstatter für einzelne Branchensegmente. Nur Printtitel sowie spezielle Onlinepublikationen bildeten die Branchenberichterstattung in Breite und Tiefe wie gefordert entsprechend umfassend ab. Audiovisuelle Berichterstattung, also zum Beispiel Medienmagazine von Hörfunk und Fernsehen, vermitteln aufgrund der diesen Medien eigenen Produktionsbegrenzungen hinsichtlich von pro Zeiteinheit vermittelbarer Information nur in den allerseltensten Fällen originäre oder gar exklusive Zusatzinformationen (zum Beispiel Interviews, die neben der Sachebene auch noch beobachtbare Rückschlüsse hinsichtlich Verhalten, Emotion oder Ausdruck ermöglichen würden); in der Regel basiert die audiovisuelle Aufbereitung der Inhalte mehr oder minder ausschließlich auf Informationen, die zuvor in Printtiteln oder auf Websites veröffentlicht wurden. Insofern konnte auf die Analyse audiovisueller Medienpublikationen ohne weiteres verzichtet werden. Kern der Auswertung war also eine Inhaltsanalyse der Branchenberichterstattung der Jahre. Der gewählte Scan über die Publikationen erfolgte in denkbar größtem anzunehmenden publizistischem Rahmen: Ausgewertet wurden alle relevanten Publikationen der deutschsprachigen Print- und Onlinepublizistik mit ihren Produkten in Deutschland, der Schweiz und Österreich, also alle publizistischen Produkte, die sich allgemein oder hochspezialisiert mit dem Thema „Medien“ beschäftigen, sei es auf bestimmten „Medienseiten“ (z. B. in Form der Medienberichterstattung in den Fachressorts der Publikumspresse) oder in vollem Umfang durch die Zugehörigkeit zur Branchenspezialpublizistik (spezialisierte Branchentiteln). Ausgewertet wurden u. a.: Abendzeitung, Blickpunkt Film, Börsenzeitung, Capital, Der Kontakter, Der Spiegel, Die Welt, Die Zeit, dpa, DWDL, epd medien, FASZ, FAZ, Faz.net, Focus Money, Frankfurter Rundschau, FTD, Gong, Handelsblatt, Horizont, Internet World Business, Journalist, Kölner Stadtanzeiger, Kontakter, Kress Report, Manager Magazin Online, Medien Bulletin, Medienbote, meedia.de, Münchner Merkur, New Business, perlentaucher.de, SPON, Süddeutsche Zeitung, sueddeutsche.de, Tagesspiegel, taz, Tendenz, text intern, update2.de, W &V, WamS, zeit.de.
7.3 Inhaltsanalyse
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Die im deutschsprachigen Raum nationenübergreifende Sicht auf die Digitalisierungsveränderung hat seine Ursache und methodische Begründung in oft weitgehend identischen Märkten, wobei die Dominanz der in Deutschland beheimateten Publikationen erdrückend und wenig überraschend ist. Der den deutschprachigen Raum übergreifende Ansatz macht dennoch Sinn, da z. B. privatfinanzierte TVProduktionen fast immer für den gesamten deutschsprachigen Raum hergestellt und dort verwertet werden, eine Betrachtung der Branche daher auch in einem entsprechenden Rahmen naheliegt. Eine Verengung des Fokus auf das territoriale Deutschland fand dennoch statt: Zwar nicht hinsichtlich der Herkunft der Publikation, sondern hinsichtlich seines Themas. So wurden zwar Printtitel zum Beispiel aus der Schweiz ausgewertet; herangezogen wurden jedoch nur Artikel, die sich kommentierend im Wesentlichen mit dem Markt in Deutschland beschäftigen und keine nationalen oder regionalen Sonderbetrachtungen thematisierten. Die Reduktion auf deutschsprachige Medien (unter Ausschluss z. B. eines europäischen oder gar internationalen Ansatzes) ist nicht nur dem potentiell kaum kalkulierbaren Umfang einer solchen Aufgabe geschuldet, sondern ist vor allem deshalb valide und hinreichend, da der gesamte Forschungsansatz auf die Veränderung der deutschen TV- und Produktionsbranche zielt. Diese Verengung des Fokus war und ist alleine schon deshalb notwendig, da sich europäische und internationale Medienmärkte zwar nicht unabhängig voneinander, jedoch in höchst unterschiedlichen Tempi und Schwerpunkten entwickeln und daher nur unter großen methodischen Anstrengungen (wenn überhaupt) vergleichbar gemacht werden können. Neben den bereits diskutierten inhaltlichen Kriterien wurden strenge formale Kennzeichen zur Definition des Materialkanons herangezogen, die auch unter Formaspekten die kommentierende Funktion des Untersuchungsgegenstandes belegten: Unter anderem entweder über die namentliche Nennung der Autoren (als deutlichstes Indiz für die subjektiv-kommentierende Genrezugehörigkeit, die sich in vielen Publikationen als eindeutige Abgrenzung zum Genre des nachrichtlichen Berichts, aber auch in Abgrenzung zur Meinung der gesamten Redaktion versteht), oder eine bestimmte Positionierung in der Gesamtpublikation (in der Regel gibt es Standardflächen oder besondere Kennzeichnungen der Kommentar-Spalten) oder in Form eines schlichten sprachlichen Kategorienverweises („Kommentar“), der den bewertenden Artikel qua eigener Kategorisierung explizit verortet.
7.3.3.4 Inhaltliche Charakteristika und Zuordnung Wichtiger und für die Analysequalität mindestens genauso bedeutend wie die formalen Kriterien sind die inhaltlichen Charakteristika, die den Untersuchungskanon prä-
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7 Empirie: Methodik und Studiendesign
gen. Sie werden unmittelbar aus dem Forschungsansatz der gesamten Arbeit heraus abgeleitet. Die Grundkonstellation der Untersuchung resultiert aus der Festlegung auf Teilbranchen für die Szenarien entwickelt werden sollen. Die gewählten Teilbranchen sind: Das privatfinanzierte Fernsehen in Deutschland Die TV-Produktionsbranche in Deutschland Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland (Exkurs) Die Printbranche in Deutschland (Exkurs)
Die Entwicklung dieser Medienteilbranchen wird im Wesentlichen bestimmt von vier externen Einflussfaktoren, den Hauptdeterminanten, die deduktiv aus dem Katalog der PEST-Analysekriterien abgeleitet werden:
Die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen Die Entwicklungen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Die Veränderung des Mediennutzungsverhaltens Die Dynamik der disruptiven digitalen Innovationen
Wenn die Inhaltsanalyse als Hauptfunktion die Aussagekraft der Determinanten schärfen und damit die Validität der Szenarienentwürfe für die vier Teilbranchen erhöhen soll, dann müssen sich diese Determinanten im Umkehrschluss im inhaltlichen Analysedesign zur Auswertung der gewählten Quellen widerspiegeln. Folgt man der Grundannahme, dass die gewählten externen Einflussfaktoren bestimmend für die Szenarioanalyse der untersuchten Fragestellung sind, dann wird also an den Materialkanon die Anforderung gestellt, nur Artikel zu umfassen, die sich inhaltlich (festgelegt über ein grobes Sprach-Codier-System in semantischen Welten) in die Sphäre der Determinanten einfügen lassen. Dies jedoch genügt noch nicht. Vielmehr wird an die Artikel die Forderung gestellt, jeweils mindestens zwei (oft und besser auch noch mehr) der den Determinanten zuordenbaren semantischen Räume zu berühren. Dieses Kriterium der Überlappung ist deshalb eine zentrale Anforderung, weil damit eine auf nur eine Einflussfaktoren- oder Determinantendimension verengte Betrachtungsweise ausgeschlossen werden soll. Bei einer solchen Verengung bestünde die Gefahr von Eindimensionalität, also einer statischen, rein deskriptiven
7.3 Inhaltsanalyse
179
Sicht, die die Dynamik der Branche sowie die Interdependenz330 von und zu anderen Faktoren außer Acht lässt. Insbesondere um die Begrifflichkeit der „Veränderung“ abzubilden, ist es aus inhaltlicher Sicht notwendig, Relationen zwischen den Determinanten zu berücksichtigen. Diese Relationen sind faktisch oft wechselseitige Einflüsse, die sich im Sinne der oben beschriebenen Rückkopplungseffekte (= Interdependenzen) gegenseitig verstärken können. Zur Vorbereitung der Szenario-Analyse werden – wie beschrieben – insgesamt vier Faktoren/Dimensionen näher betrachtet, die die unterschiedlichen Szenarien unterschiedlich beeinflussen können.331 7.3.3.5 Richtung der Analyse – Differenzierung der Fragestellungen Die Auswertung von Publikationen kann als ein Sonderfall klassischer qualitativer Inhaltsanalyse verstanden werden, der ähnlichen Gesetzmäßigkeiten und Regeln unterliegt, wie zum Beispiel qualitative Leitfadeninterviews. In beiden Fällen gilt es, in einem unabdingbaren Zwischenschritt der Operationalisierung, Leitfragen zu erstellen.332 Diese Leitfragen dienen – ähnlich wie ein Interviewleitfaden – nach Gläser u. Laudel (2006) als Versuch, „das Erkenntnisinteresse in den kulturellen Kontext“ der Auswertung einzugliedern. Leitfragen stellen nach Christmann und Groeben (1991)333 zunächst hypothesenungerichtete Fragen dar – in Abgrenzung zu hypothesengerichteten Fragen, die das Analysegut mit Hypothesen quasi „konfrontieren“. Bei der vorliegenden Untersuchung wird in Anlehnung an Kienpointners
330
Vgl. zur Verwendung des Begriffs: Keohane, Robert O./ Nye, Joseph (1977): Power and Inter-dependence. World Politics in Transition, Boston: Little, Brown and Company und Keohane, Robert O. (1984): After Hegemony. Cooperation and Discord in the World Political Economy, Princeton: Princeton University Press. Keohane definiert Interdependenz als eine politiksektorspezifische, gegenseitige Abhängigkeit, die aus Transaktionen resultiert, deren Unterbrechung Kosten verursachen würde, eine Definition, die sich schon wegen der der Ökonomie entlehnten Begrifflichkeiten („Transaktionen“, „Kosten“) unschwer auf wirtschaftliche Relationen übertragen lässt. 331 Wichtig an dieser Stelle ist der Hinweis, dass diese semantischen Räume begrifflich trennscharf abgesteckt werden können. Artikel des Analysekanons müssen also mindestens zwei oder mehrere Begriffe aus mindestens zwei oder mehreren Determinanten-Bereichen enthalten. 332 Vgl. dazu insbesondere Gläser, Jochen + Laudel, Grit (2006): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse, Verlag für Sozialwissenschaften, S. 108. 333 Christmann, U. + Groeben, N. (1991): Subjektive Theorien über Argumentieren und Argumentationsqualität. Erhebungsverfahren, inhaltsanalytische und heuristische Ergebnisse. Universität Heidlelberg, Psychologisches Institut, Bericht Nr. 34, S. 13ff.
180
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
(1992) „Alltagslogik“ davon ausgegangen, dass sich Leitfragen in ein dreigliedriges Schema von Argumentation einordnen lassen müssen, auf das sich sämtliche Argumentationen zurückführen lassen.334
Argument
Schlussregel
Abbildung 17: Konstitution von Argumentationen Quelle: Eigene Darstellung.
Nach Kienpoitner sind es die Schlussregeln, die einzig den Zusammenhang von Argumenten stiften und garantieren. Schlussregeln, so Kienpointner, lassen sich nicht alleine formallogisch darstellen, sondern beruhen letztlich auf dem Grad ihrer Zustimmungsfähigkeit in einer Sprechergemeinschaft.335 Neben den Schlussregeln verdienen die jeweiligen Prämissen der Leitfragen eine besondere Beachtung. Auf den (nicht mehr weiter hinterfragten) Prämissen fußt die Struktur der Argumentation. Da es für Prämissen keine grundsätzlichen theoretischen Einschränkungen gibt, sondern im Gegenteil Prämissen frei gefasst und formuliert werden können, sollen die wichtigsten Prämissen für die Auswertung an dieser Stelle explizit benannt und kategorisch postuliert werden. In Anlehnung an Mauthner (1913) soll jedoch auf den im Folgenden beschriebenen iterativen Prozess die Güte der Untersuchung immer wieder durch eine Überprüfung der Prämissen gewährleistet werden: Mauthner betont, „dass wir eine Prämisse vorläufig als richtig annehmen und
334
Kienpointner, Manfred (1992): Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern, Frommann-Holzboog, Stuttgart, S. 29. 335 Dabei macht Kienpointner die Begrenztheit wahrheitsfunktionaler Bedeutungstheorien deutlich. Sie können eben nicht ausreichen, um argumentative Sprechakte vollumfänglich zu erklären.
7.3 Inhaltsanalyse
181
sie so lange nicht verwerfen, als formale Schlüsse aus ihr unseren Wahrnehmungen der Wirklichkeitswelt nicht widersprechen.“336 Der Auswertung der Inhaltsanalyse liegen mindestens folgende Basis-Prämissen zu Grunde: – Alle Medien sind derzeit einem Wandel unterworfen. – Hauptauslöser der Veränderung ist die Digitalisierung. – Durch ihre Eigengesetzlichkeiten greift die Digitalisierung in die betrieblichen Vorgänge ein. – Insbesondere die audiovisuellen Medien sind der Veränderung unterworfen. – Die gesamte Branche hat – trotz langer Vorlaufzeiten – keine Schlüsselrezepte parat – es gibt mehr Fragen als Antworten.
Aus diesen Basis-Prämissen lassen sich nun Leitfragen ableiten, die helfen sollen, den Materialkanon grob zu strukturieren und erste Hinweise geben sollen auf mögliche Kategorien der Auswertung:
– – – – – – – – – –
336
Wie stark ist der prognostizierte Wandel? Handelt es sich um eine revolutionäre oder evolutionäre Entwicklung? Kann die Entwicklung plausibel skizziert werden? Welche Geschäftsprozesse sind im Besonderen betroffen? Wird die Veränderung von den Marktteilnehmern wahrgenommen und wenn ja, wie stark? Wie reagieren die unterschiedlichen Marktteilnehmer auf die Veränderung? Wird die Veränderung als Bedrohung oder als Chance begriffen? Werden revolutionäre Veränderungen auch mit revolutionären Vorschlägen beantwortet? Welche Argumentationsketten für Prognosen gibt es? Wie positiv oder negativ werden die Zukunftsaussichten betrachet?
Mauthner, Fritz (1913): Sprache und Logik. Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3. Band. Zitiert nach der ungekürzten Wiederveröffentlichung 1982, Ullstein-Verlag, Frankfurt am Main.
182
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
7.3.3.6 Durchführung mithilfe definierter Kategorien Ausgehend von den Prämissen und Leitfragen und den Fragestellungen bezüglich der Szenariodeterminanten wurden nun die Kategorien der Untersuchung festgelegt. Sie teilen sich auf in formale und inhaltliche Kategorien, die im Folgenden verdeutlicht werden sollen. Skizziert werden hier die Kategorien für die Auswertung der Kommentare, die Kategorien für die Interviews weichen nur unwesentlich davon ab. Bei der Untersuchung selbst wurde mittels der genannten Kategorien das gesamte Material des Analysekanons ausgewertet, über ein System der Paraphrasierung und Reduktion auf Kernaussagen eingeschmolzen und schließlich in die festgelegten Kategorien abgetragen. Erfasst wurden die Artikel zunächst in vier formalen Kategorien: Das Medium: Benennung des Titels der eigenständigen Publikation, in der der Artikel zum ersten Mal veröffentlich wurde. Das Jahr der Veröffentlichung, der Monat der Veröffentlichung, genauer Fundort: Diese drei Kategorien sind teilweise redundant (genauer Fundort/Monat/Jahr), weil in der Untersuchungsanordnung von der Hoffnung ausgegangen wurde, dass sich durch die Trennung von Jahr und Monat über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg und möglicherweise sogar über bestimmte Einzelmedien hinweg Veränderung im Zeitverlauf sichtbar gemacht werden können. Als inhaltliche Kategorien der Auswertung wurden festgelegt: Beschriebene Teilbranche: Zuordnung des Kerninhalts der Analyseeinheit auf jeweils eine der gewählten Teilbranchen, um eine klare Verortung des beschriebenen Inhaltskerns zu ermöglichen. (Paraphrasierte) Prämisse der Analyseeinheit: Diese einleitende Kategorie hat nur erläuternden Charakter. Sie dient dazu, Transparenz von Interdependenzen zu Medium, Eigeninteresse, Kommunikationssituation herzustellen und die gefundene und reduzierte Argumentation vor ihrem Entstehungshintergrund zu zeigen. Die Kategorie wird bei der Auswertung nur in begründeten Einzelfällen zur Relativierung der gefundenen Ergebnisse herangezogen. Lagebeurteilung: In einer ersten qualitativ-inhaltlichen Auswertungskategorie wird die Frage untersucht, wie in der Analyseeinheit über die Frage potentieller oder bereits eingetretener Veränderung in der Teilbranche geurteilt wird. Dabei werden drei Abstufungen/Reduktionen gewählt: ob nämlich die Kernargumentation der Analyseeinheit die Lage als im wesentlichen „stabil“, im wesentlichen als „volatil“ oder
7.3 Inhaltsanalyse
183
grundsätzlich „instabil“ bewertet. Diese Kategorie soll das Thema „Veränderung“ schärfer fassen und prüfen, ob die Grundannahme zutreffend ist, dass „Veränderung“ den Kern der meisten Argumentationen über die Digitalisierung darstellt (explizit, implizit oder ex negativo): • Stabile Lage – keine einschneidenden und/oder raschen Veränderungen diagnostiziert • Volatile Lage – nur evolutionäre Veränderungen im erwarteten Rahmen • Instabile Lage – Prognose einer massiven ggf. disruptiven Veränderung Differenzierung der potentiellen oder gegebenen Veränderung: Unabhängig davon, ob nun Veränderungen erkannt und beschrieben oder explizit negiert worden sind, soll in der nächsten Analysekategorie der Bezugsrahmen der Argumentation verdeutlicht werden. Wenn Veränderung – in welcher Form auch immer – in der Analyseeinheit thematisiert wird, auf welche unterschiedlichen Unterkategorien bezieht sich das: Herangezogen wird zu diesem Analyseschritt ein dreigliedriges Raster: Geschäftsmodell – Nutzung – Prozesse. Die Analysefrage lautet: In welches der drei Unterraster wird in der Argumentation der Analyseeinheit die Frage der „Veränderung“ im Wesentlichen eingeordnet? „Gefährlichkeit“ der Veränderung: In dieser Analysekategorie soll das Wesen der Veränderung erfasst werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Theorien von Clayton Christensen, dessen Postulat einer „disruptiven“ Innovation in dieser Untersuchung testweise auf die verschiedenen Teilbranchen angewendet werden soll. Im Kern geht es darum zu ermitteln, inwieweit in den Artikeln des Analysekanons die festgestellte oder projizierte Veränderung ggf. disruptive=zerstörerische Wirkung für die jeweilige Teilbranche/Kategorie entfalten kann. Abgestuft wird in zwei opponierenden Dimensionen: Entweder wird die Entwicklung/Veränderung/Innovation als „evolutionär“ begriffen, oder als „disruptiv“ im Sinne der Christensen’schen Definition. Bedeutung des Rohstoffes der „Rechte“: In diesem Punkt wird abgefragt, ob in den analysierten Einheiten ein Bewusstsein zur Frage der „Rechte“ thematisiert wird. Das Management von verfügbaren Rechten ist in der digitalisierten Welt von zentraler Bedeutung, aber prima facie noch von unterentwickelter Visibilität. An diesem Punkt soll also abgefragt werden, ob von den Kommentatoren die „Rechte“ als besonders relevant oder als weniger relevant (und/oder nicht der Erwähnung wert) betrachtet werden. Aktivitätsgrad der/in der Szenariodeterminante: In dieser Kategorie sollen Antwortausprägungsmöglichkeiten auf die Frage: Wie aktiv/passiv reagiert die im Kern beschriebene Teilbranche? abgetragen werden. Ziel ist es zu erfassen, welchen Aktivitätsgrad die jeweils betrachtete Einheit zeigt. Dieser Wert ist sehr wichtig, um Rückschlüsse auf die Distanz zwischen Erkenntnis und Handeln zu ermitteln und daraus
184
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
Prognosen für Resultate und Möglichkeiten der strategischen Steuerung bestimmter Bereiche in den Medien zu bekommen. Die Ableitung dieses Aktivitätsgrads aus den Artikeln des Analysekanons ermöglicht eine Schärfung und Präzisierung des Szenariotrichters. Erfaßt wird der Wert in einer zweigliedrigen Kategorie: Hoher Aktivitätsgrad versus niedriger (oder nicht vorhandener) Aktivitätsgrad. Prognose: Die abschließende Analysekategorie wendet sich der Frage zu: Wie wird die Zukunftsaussicht für die Teilbranche umschrieben? Hier wird eine kondensierte Wertung der Analyseeinheit zu einer einfachen Aussage reduziert: positive Zukunftsprognose/skeptisch bzw. unentschiedene Prognose/negative Prognose. Besonderheiten und Zitate: Abgerundet wird die Auswertung des Analysekanons durch die Extraktion illustrierender und unterstreichender, im besten Falle legitimierender wörtlich zitierter Einzelaussagen. Diese Einzelaussagen erheben den Anspruch, die Analyseeinheit – gemessen an allen anderen wörtlichen Aussagen – am besten in einem oder mehreren Sätzen zusammenzufassen. Die illustrierende Verwendung dieser Zitate soll nicht nur die Auswertung besser lesbar und fassbarer machen, sondern auch als eine Form der inhaltlichen Rückkopplung und Selbstüberprüfung beim Gütecheck und der iterativen Annäherung an ein intersubjektives Grundverständnis der Hauptaussage der Analyseeinheit helfen. Zur Einordnung der zentralen Argumentationsaussagen bedient sich die vorliegende qualitative Inhaltsanalyse einer Reduktionsstrategie, um verwertbare und klassifizierbare Aussagen zu bekommen. Dabei wurden zunächst die Schlüsselaussagen und -Argumente der einzelnen Artikel herausgearbeitet und anschließend paraphrasiert. Das Vorgehen orientierte sich an den von Mayring (1990) beschriebenen Arbeitsschritten:337 Sie decken mindestens folgendes Vorgehen ab: • • • •
Paraphrasierung der inhaltstragenden Textstellen Bestimmung des angestrebten Abstraktionsniveaus Reduktion durch Selektion, Streichen bedeutungsgleicher Paraphrasen Reduktion durch Bündelung, Konstruktion, Integration von Paraphrasen auf dem angestrebten Abstraktionsniveau
Dem folgend wurden in einem ersten Schritt alle Elemente des Analysekanons auf Basis der Leitfragen strukturiert und in einzelne Hauptaussagen zerlegt. Diese Hauptaussagen wurden dann in einem zweiten Schritt paraphrasiert, wobei alle nichtinhaltstragenden Textbestandteile eliminiert bzw. ignoriert wurden. Im nächsten Schritt wurden die gefundenen Aussagen/Argumentationen nivelliert, das heißt, 337
Mayring, P. (1990): Qualitative Inhaltsanalyse, Deutscher Studien-Verlag, Weinheim. S. 56.
185
7.3 Inhaltsanalyse
in eine vergleichbare, verkürzte Sprachfassung transformiert und abschließend generalisiert bzw. reduziert. Aus den gewonnenen Erkenntnissen ließen sich dann Einordnungen in das Analyseraster vornehmen. Dort wurden die Befunde erfasst und jeweils mit einem, das Transformationsergebnis am treffendsten ausdrückenden Zitat hinterlegt. 7.3.3.7 Interpretation der Ergebnisse Die Interpretation der Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse ist die „semantische Beschreibung und Deutung der (…) Befunde.“338 Dieser sekundäre Erhebungsprozess im Rahmen der qualitativen Analyse der Medieninhalte folgt bestimmten Prämissen, die in Kapitel 7.3.3.5 beschrieben wurden. Diese Prämissen sind Hypothesen, die nach Zetterberg (Zetterberg, 1967) Beziehungen zwischen Variablen darstellen.339 In der Regel werden über Hypothesen Ursache-Folgen-Annahmen abgebildet, die eine Relation zwischen jeweils unabhängigen Variablen (= i. d. R. die Ursache) und abhängigen Variablen (= i. d. R. die Folge) darstellen.340 So wird z. B. als Hauptursache der Veränderung in der Medienbranche und damit beim Umgang mit dem SMCR die Digitalisierung auf der einen Seite vorausgesetzt, auf der anderen Seite über iterative Prozesse validiert und bestätigt. Diese Prämissen finden sich nun bei der zusammenfassenden Einordung der Ergebnisse in Form von Interpretationskategorien wieder: So lassen sich die wichtigsten Argumentationen auf zwei Ebenen abbilden. Auf der einen Seite in aus den Prämissen heraus gesteuerten vier Interpretationskategorien: Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär? „Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse Das SMCR und die Marktteilnehmer Die Entwicklung des TV-Marktes Auf der zweiten Ebene ließen sich die Ergebnisse entlang der Zeitachse in ein theoretisches Veränderungsmodell einordnen, wie es das „Change Management“ anbietet. 338
Vgl. dazu: Leonhardt, Joachim-Felix et al (1999): Medienwissenschaft, Gruyter-Verlag, Berlin, S. 250. 339 Zetterberg, Hans L.: Theorie, Forschung und Praxis in der Soziologie“. In: König, René (Hrsg.): Handbuch der Empirischen Sozialforschung, 1. Band, Stuttgart, 1967, S. 87ff. 340 Einen Sonderfall stellt die intervenierende Variable dar, die ein ‚Verhältnis bezeichnet, bei der die Beziehung von unabhängiger und abhängiger Variabler nicht immer, sondern nur unter bestimmten Umständen gilt. Siehe grundsätzlich dazu Friedrichs (1990).
186
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
Bei der Auswertung der Ergebnisse der Inhaltsanalyse ergaben sich dabei Befunde, die über den ursprünglich geplanten Ansatz hinausreichten. So war zu konstatieren, dass die Ergebnisse der Inhaltsanalyse wesentlich mehr darstellten, als nur einen Zwischenschritt auf dem Weg zur Szenarienentwicklung. Vielmehr lässt sich die Inhaltsanalyse als eigenständiger Ergebnisteil innerhalb der gesamten vorliegenden Untersuchung darstellen, der in der Lage dazu ist, den Stand der Forschung mit selbständigen Erkenntnissen zu bereichern. Als Konsequenz dieses Ergebnisses werden die Befunde der Inhaltsanalyse bei der Ergebniszusammenfassung in Kapitel 8 eigenständig und herausgehoben dargestellt. Hinsichtlich der Auswertung wurde darauf geachtet, die Gütekriterien (quantitativer) empirischer Sozialforschung zu thematisieren und zu beachten. Die Übertragbarkeit der Anforderungen an Zuverlässigkeit, Gültigkeit, Repräsentativität, Objektivität auf qualitative Untersuchungen erklärt sich zwar nicht selbstverständlich, kann aber im Einzelfall geprüft und kritisch diskutiert werden. Kromney (2007) betont, dass es sich beim Streit um „quantitative“ versus „qualitative“ Inhaltsanalyse ohnehin nur „um ein Scheingefecht“ handelt: „Selbst wenn auf rein qualitativer Ebene die analysierten Texte entsprechend ihren Aussageinhalten lediglich in Gruppen und Klassen qualitativ unterscheidbarer Aussagen eingeteilt werden, so wird damit doch zumindest bereits eine einfache Klassifikation von Textelementen vorgenommen, d.h. es wird auf Nominalskalenniveau gemessen. (…) Es macht auch keinen prinzipiellen Unterschied, ob anschließend, – wie bei der Frequenzanalyse – das Resultat der Klassifikationen genau ausgezählt und die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Inhalte als Maß ihrer Bedeutsamkeit verwendet wird, oder ob der Forscher sich nur einen groben Überblick über die Verteilung von Inhalten in den analysierten Texten verschafft und für die Bestimmung der Bedeutsamkeit von Aussagen andere Kriterien heranzieht.“341
7.4
Untersuchung der Determinanten
7.4.1
Sekundäranalytisches Untersuchungsdesign
Die in der vorliegenden Untersuchung gewählte Form der Szenariotechnik stützt sich stark auf die Ergebnisse der Inhaltsanalyse der Branchenpublizistik. Diese Ergebnisse 341
Kromney, Helmut (2007): Empirische Sozialforschung, UTB-Verlag, Stuttgart, S. 396. Nur beispielhaft sei an dieser Stelle auf das Kriterium der Gültigkeit der ausgewählten Daten hingewiesen, sie wurde bereits anderorts diskutiert und durch eine strenge Vorauswahl des Untersuchungskanons sichergestellt. Repräsentativität der Auswertung war keine zentrale Anforderung an die Untersuchung. Allerdings ist festzuhalten, dass die Grundgesamtheit der relevaten Dokumente streng definiert werden konnte und dass sich dadurch das Merkmal einer „symbolischen Repräsentation“ postulieren lässt.
7.4 Untersuchung der Determinanten
187
sind jedoch im Wesentlichen als Interpretationen und Bewertungen von jenen Tendenzen zu verstehen, die die Entwicklung der gesamten Branche bestimmen. Diese im Folgenden als „Determinanten“ bezeichneten Hauptkräfte der Branchenentwicklung müssen daher vor ihrer Nutzbarmachung als „Leitplanken“ einer Szenarioentwicklung skizziert und auf wesentliche Hauptaussagen verdichtet werden. An dieser Stelle wird daher auf vier Hauptdeterminanten fokussiert, die im Wesentlichen die Szenarien für die Branchenentwicklung mitbestimmen. Die definierten Determinanten werden vor allem in ihrer Bedeutung für die Szenarienerstellung dimensioniert. Dimensionierung heißt in diesem Zusammenhang: Bewertung der Wirksamkeit. Methodisch werden die vier Hauptdeterminanten aus einer PEST-Analyse abgeleitet. Die PEST-Analyse „hilft Unternehmen dabei, das externe Umfeld und dessen treibende Kräfte zu identifizieren sowie zu analysieren.“342 Pepels (2003) beschreibt die PEST-Analyse als „grobes Instrument“, mit dem vor allem „Risiken systematisiert“343 werden können. Es geht also um eine vereinfachende Beschreibung der wesentlichen externen Einflüsse auf Unternehmen in der Medienbranche in Zeiten der Digitalisierung. Die vereinfachende Beschreibung soll erfolgen auf Basis einer synoptischen Sekundäranalyse der jeweils aktuellsten vorliegenden Studien zu den jeweiligen Determinanten. Dabei ist bedeutsam, dass sich die „Sekundäranalyse“ auf eine Sammlung, Vereinfachung und finale Bewertung der wichtigsten Ergebnisse der Primäruntersuchungen bezieht und nicht auf eine systematisch vergleichende Sekundäranalyse.344 Die Methodik der Sekundäranalyse soll hier vielmehr so verstanden werden, dass, wie bei einem qualitativen Auswertungsverfahren, Ergebnisse von Primärstudien zusammengefasst, bewertet und zu validierbaren und generalisierbaren Aussagen gebündelt werden. Diese qualitative Sekundäranalyse grenzt sich bewusst von Verfahren der quantitativen Meta-Analyse ab, bei dem über statistische Verfahren Datenbestände- und -auswertungen miteinander abgeglichen werden. Die Wahl des Verfahrens hat im Wesentlichen drei Gründe: Zunächst ist es im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich, Primäranalysen zu den jeweiligen 342
Pfaff, Dietmar (2004): Praxishandbuch Marketing. Grundlagen und Instrumente. CampusVerlag, Frankfurt am Main, S. 95. 343 Pepels, Werner (2003): ABWL: Eine praxisorientierte Einführung in die moderner Betriebswirtschaftslehre, Fortis-Verlag S. 603. 344 Eine solche vergleichende Sekundäranalyse wäre im Rahmen dieser Arbeit umfangmäßig nicht möglich, abgesehen von den zahlreichen theoretischen und systematischen Problemen durch die jeweils unterschiedlichen Untersuchungsdesigns. Eine solche – systematisch immer schwierige – vergleichende Sekundäranalyse ist in dieser Untersuchung auch gar nicht notwendig, da das formulierte Ziel einzig darin besteht, eine begründete, plausible und aus aktuellen Studien abgeleitetet Generaltendenz für die jeweiligen Determinanten zu bestimmen.
188
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
Determinanten zu erstellen, da dies den Umfang der Arbeit weit überschreiten würde. Eine Meta-Analyse verbietet sich aus demselben Grund, da bei einer Meta-Analyse kaum lösbare Probleme der Datenvergleichbarkeit entstünden. Zum Dritten ist es für eine Einschätzung von Determinanten von Szenarien wichtig (und insbesondere für ihre Dimensionierung), eine gewisse inhaltliche Streuung der ausgewerteten Studien zu haben, um der Gefahr einer verengten Sicht auf das Thema zu entgehen. An dieser Stelle muss betont werden, dass es sich bei dem gewählten Vorgehen um ein stark vereinfachendes Verfahren plausibilitätsorientierter Aussagenreduktion geht. Ziel ist es nicht, im Sinne einer statistischen Gültigkeit eine Art neuer Studie zu erstellen, sondern Ziel ist es, im Sinne einer strengen Reduktion die für die Szenarioerstellung gewählten Determinanten möglichst pragmatisch und leicht fassbar zu beschreiben: Es geht um eine narrativ darstellbare Grundtendenz der aktuellsten vorliegenden Studien zu den einzelnen Determinanten, nicht um eine weitere oder zusammenfassende Auswertung der primären Datenbestände. Die gewählte Form der qualitativen Sekundäranalyse weist – wie die Meta-Analyse – prinzipiell zwar zahlreiche inhärente Gültigkeitsprobleme auf, die aber bei dem hier gewählten Vorgehen und dem erklärt engen Zielansatz fast vollständig vernachlässigt werden können. DeCoster fasst diesen Ansatz einer qualitativen Sekundäranalyse folgendermaßen zusammen: „In this case, meta-analysis is used to provide information supporting a specific theoretical statement, usually about the overall strength or consistency of a relationship (Hervorhebung d.d. Autor; U.S.) within the studies being conducted.“345 Die „overall consistency“ ist daher der leitende Gedanke bei der Auswertung der gewählten Studien. Im Ergebnis der Auswertung sollen final zwei Forschungsfragen valide beantwortet werden können: – Welche Trends im Sinne der „wichtigsten Kernaussage“ für ein SzenarioWriting lassen sich innerhalb der vier gewählten Determinanten aus der Sekundäranalyse begründet isolieren und wirksam formulieren? – Wie lässt sich diese Kernaussage hinsichtlich ihrer prognostischen „Wucht“ dimensionieren, d. h. welchen Gültigkeitsanspruch kann einer solchen Aussage begründet zugeschrieben werden?
345
DeCoster, Jamie (2004): Meta-analysis Notes. Abgerufen unter URL: http://www.stathelp.com/notes.html, 4. 7. 2008. DeCoster betont den subjektiven Faktor bei metaanalytischen Auswertungen: „Meta-analysis“ relies on shared subjectivity rather than objectivity“.
7.4 Untersuchung der Determinanten
7.4.2
189
PEST-Kriterien als Determinanten
Da die Determinanten für die Szenarioerstellung Gültigkeit für alle jeweils zu untersuchenden medialen Teilbranchen haben sollen, bieten sich zu ihrer Formulierung und Bestimmung Methoden aus der strategischen Geschäftsfeldanalyse, mithin der Betrachung makroökonomischer Rahmenbedingungen an. Scheucher (2002) spricht von „Umfeldfaktoren“, die „mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die im Geschäftsfeld verfolgte Strategie beeinflussen können.“ Nach seiner Ansicht ist die PESTAnalyse „eine Möglichkeit, Umfeldaspekte in diese Richtung zu untersuchen.“346 Die PEST-Analyse ermöglicht es, vier wichtige externe Faktoren zu fassen, die Einfluss auf die Leistung von Unternehmen in einem bestimmten Geschäftsfeld haben. Es handelt sich dabei um politische, wirtschaftliche, sozio-kulturelle und technologische Einflussfaktoren. Die PEST-Analyse ist – wissenschaftlich betrachtet – eine Analyse von volatiler Qualität: Der Dateninput kann von Brainstormingtechniken bis hin zur hier gewählten Methode der Sekundäranalyse stammen, wobei letztere eine hohe Plausibilitätswirkung hat. Im Rahmen seiner Konzeption der Szenarioanalyse postuliert Coyle (2006) „finally, driving forces are ranked according to their importance for the decision and their uncertainty. Some might be discarded so that one ends with a few factors which are both important for this decision (…).“347 Rasner und Venzin (2003) fordern, dass die „Umweltfaktoren der PEST-Analyse (…) nach ihrer Erfassung einer Bewertung zugeführt werden (müssen)“, deren Basis drei Kernfragen sind: Nämlich wann und inwieweit diagnostizierte Trends in den einzelnen PEST-Kategorien das Marktverhalten von Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern beeinflussen wird.348
7.4.3
Auswahl der Studien
Zur Bestimmung der Bedeutung der Determinanten wurden zahlreiche aktuelle Studien herangezogen. Da – wie dargestellt – eine horizontale Vergleichbarkeit wegen systematischer Unterschiede nicht möglich war, wurden die einzelnen Studien in ihren Generalaussagen erfasst, verdichtet und zu Argumentationsbündeln zusammen-
346
Scheucher, Ron: Strategische Geschäftsfeldanalyse. In: Simon, Hermann & von der Gathen, Andreas: Das grosse Handbuch der Strategie-Instrumente, Campus-Verlag, Frankfurt a. M./New York, S. 188. 347 Coyle, R.G.(2006): Scenario thinking and strategic modelling. In: Faulkner, David & Campbell, Andrew: The Oxford Handbook of Strategy, Oxford University Press, S. 318. 348 Venzin, Markus, Rasner, Carsten, Mahnke, Volker: Der Strategie-Prozess. Praxishandbuch zur Umsetzung im Unternehmen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main, S. 75f.
190
7 Empirie: Methodik und Studiendesign
gefasst. Für die jeweiligen Determinanten wurden die folgenden Basisdokumente herangezogen:
P(olitischer Hauptfaktor): Rechtliche Situation • Hans-Bredow-Institut: Studie zu Richtlinie über audiovisuelle Medien • Zwölfter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Zwölfter Rundfunkänderungsstaatsvertrag)349 • Mächtel, Florian/Uhrich, Ralf/Förster, Achim (2007) Urheberrechtsreform 2008. Gesetzestexte und Synopse zum „zweiten Korb“ der Urheberrechtsreform. • Hofmann, Jeanette (Hrsg., 2006): Wissen und Eigentum. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 552. • Möller, Erik (2005): Die heimliche Medienrevolution – Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern. Heise Zeitschriften Verlag, Hannover.
E(conomical): Wirtschaftliche Entwicklung der Branche • Formatt-Institut (2007): Aufwind in der Fernsehproduktion in Deutschland 2005 und 2006. • Söndermann, Michael/Backes, Christoph et al. (2009): Endbericht Kultur- und Kreativwirtschaft: Ermittlung der gemeinsamen charakteristischen Definitionselemente der heterogenen Teilbereiche der Kulturwirtschaft zur Bestimmung ihrer Perspektiven aus vorlkwirtschaftlicher Sicht. Auftraggeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Köln/Bremen/Berlin. • Online-Vermarkterkreis im BVDW/ Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung AGOF (2009): OVK-Onlinereport 2009/01. • SevenOne Media: Klassische Medien • Film 20: Der Markt für Content • LfM Nordrhein-Westfalen: Situation und Perspektiven der Film- und TV-Produzenten • Institut für Medienökonomie: Die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Markt für Fernsehprogramme 349
Zwölfter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Zwölfter Rundfunkänderungsstaatsvertrag)… Abgerufen unter: www1.ndr.de/unternehmen/organisation/ rundfunkrat/zwoelfterstaatsvertragzuraenderun100.pdf, am 6. 4. 2009.
7.4 Untersuchung der Determinanten
191
• Spaces: München in der Krise? Wachstumsprobleme der Film- und Fernsehproduktion
S(oziologischer Hauptfaktor) Veränderung des Mediennutzungsverhaltens • Kloppenburg, Gerhard/Simon Erk et al. (2009): Der flexible Zuschauer? Zeitversetztes Fernsehen aus Sicht der Rezipienten. In: Media Perspektiven 01/2009. • Focus Magazin Verlag (2008): Der Markt der Medien, München. • SevenOne Media (2009): Sonderanalyse zur Mediennutzung in der Rezession. München, 31. 3. 2009. Basis waren AGF/GfK-Daten. • Weichert, Stephan & Kramp, Leif (2009): Das Verschwinden der Zeitung? Internationale Trends und medienpolitische Problemfelder. Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin. • Eimeren van, Birgit und Frees, Beate: Internetverbreitung: Größter Zuwachs bei den Silver Surfern. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2008. In: Media Perspektiven 07/2008, S. 330. • ARD/ZDF Onlinestudie 2008 • IBM-Studie „Innovation der Medien“ • AWA 2008 • JIM 2007: Jugend, Information, (Multi-)Media • MOTION: Ipsos Media CT-Study
T(echnologischer Hauptfaktor): Status quo disruptiver Technologien • Deloitte: Media Predictions • Initiative D21 e.V. & TNS Infratest (Hrsg., 2008): (N)Onliner Atlas 2008 – Deutschlands größte Studie zur Nutzung oder Nichtnutzung des Internets.
8
Ergebnisse
8.1
Die Determinanten
Die Darstellung der Determinanten erfolgt in zwei Schritten: Eine Beschreibung der wichtigsten Aussagen zur Determinante sowie eine Dimensionierung der Determinante. Die Kurzzusammenfassungen stellen dabei eine Art von „Forschungshintergrund“ dar, an dem sich die Aussagen der Fachpublizistik oder die Aussagen von wichtigen Branchenakteuren messen lassen (müssen). Die Dimensionierung stellt eine Bewertung hinsichtlich der Bedeutsamkeit der Determinante für die Szenarioentwicklung dar. 8.1.1
Politische Determinante: Der rechtliche Rahmen
8.1.1.1 Darstellung der Determinante Der medienrechtliche Rahmen des in dieser Arbeit abgesteckten Untersuchungsgebiets umfaßt ein weites und heterogenes Feld, das an dieser Stelle nicht detailliert oder auch nur annähernd erschöpfend dargestellt werden kann. Vielmehr soll die Analyse der entsprechenden Determinante auf wichtige singuläre Aspekte des Medienrechts fokussieren, die für die Fragestellung relevant sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es ein an einem Ort kanonisiertes Medienrecht in Deutschland nicht gibt. Das „Medienrecht“ ist vielmehr ein Sammelbegriff für die bei Bund und Ländern oder in Staatsverträgen niedergelegten Bestimmungen, die institutionelle wie individuelle Aspekte regeln. Beide Bereiche sind von Bedeutung für die Digitalisierungsinnovationen in den audiovisuellen Medien. Der Rundfunkstaatsvertrag, also die Vereinbarung aller 16 Bundesländer über den Rundfunk in der Bundesrepublik ist die wichtigste rechtliche Grundlage für das sogenannte „duale System“, also das Nebeneinander von öffentlich-rechtlich verfassten Rundfunkanbietern und privatwirtschaftlich organisierten Sendeanstalten. An die diversen Rundfunkstaatsverträge schließen weitere Vereinbarungen an, unter anderem der Rundfunkgebührenstaatsvertrag, der Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag, der Mediendienste-Staatsvertrag, das Telekommunikationsgesetz oder der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. In den jeweiligen Landesmediengesetzen wird zudem die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunk näher geregelt, die Kapazitäten für die Übertragung von Rundfunk oder Mediendiensten zugeordnet, sowie deren Kontrolle durch Landesmedienanstalten verfügt.
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8 Ergebnisse
Blickt man auf die determinierende Bedeutung der für diese Untersuchung maßgeblichen rechtlichen Rahmenbedingungen innerhalb der TV-Medienlandschaft, so fällt auf, dass rechtliche Themen zwar in den Jahren 2006 bis 2009 stark in der Öffentlichkeit platziert und diskutiert wurden, dass aber auf der anderen Seite unmittelbar mit Änderungen rechtlicher Rahmenbedingungen verbundene mediale Weichenstellungen, die sich auf die Veränderungen der Digitalisierung beziehen, eher unscharf erscheinen. Die vorliegenden wichtigsten Gesetzesänderungen sind in der Zusammenschau und gemessen am Veränderungsdruck durch die Digitalisierung eher als marginale Anpassungen des geltenden Rechts an die Realität aufzufassen. Als die wichtigsten medienpolitischen und medienrechtlichen Veränderungen ist vor diesem Hintergrund der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag zu sehen, der die rechtlichen Ausgangsbedingungen für die Haltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zur Digitalisierung und damit über ein unmittelbares Konkurrenzverhältnis auch die Ausgangsbedingungen für die privatfinanzierten Fernsehsender prägt sowie die Neufassung des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz – UrhG) in Form des „Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“, das am 1. 1. 2008 in Kraft trat.350 Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Fernsehindustrie in Deutschland werden unter anderem in den Rundfunkstaatsverträgen und dem allgemeinen Medienrecht definiert, das als Oberbegriff Teilgebiete des öffentlichen Rechtes, des Zivilrechts und des Strafrechts hinsichtlich der Themen Kommunikation und Information der Bürger regelt. Das duale Rundfunksystem sieht ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privatem Rundfunk vor. Rechtlich bestimmt wird das duale System durch die Rundfunkstaatsverträge bzw. deren Änderungsverträge sowie mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Bomas (2005) spricht von einem 350
Bundesgesetzblatt BGBl. I 2007, S. 2513, Beschlussfassung des Deutschen Bundestags, verabschiedet am 5. 7. 2007. Dem Gesetz ging eine langwierige Diskussion über den „zweiten Korb“ der Urheberrechtsreform voraus, bei der es vor allem um die Frage ging, wie berechtigte Interessen der Urheber zum Schutz ihrer Werke in der digitalen Welt abgegrenzt werden können vom berechtigten Interesse der privaten Nutzer, zu privaten Zwecken erstellte Kopien der Werke legal herstellen zu können. Aus Sicht dieser Untersuchung stellt diese öffentlichkeitswirksam geführte Diskussion einen interessanten Fall einer Wahrnehmungsverkürzung dar. Während nämlich Urheber und private Nutzer auf das zwar bezogen auf die Zahl der illegalen Produkte massenhafte Phänomen der Piraterie fokussierten, wurden die in dieser Arbeit dargestellten Gesetzmäßigkeiten der digitalen Ökonomie praktisch nicht beachtet und nicht thematisiert. Die Reduktion der Diskussion auf den kriminellen Missbrauchsaspekt ließ die Chancen und positiven Potentiale des Umgangs mit digitalen Kreationen in den Hintergrund rücken und verkürzten die Sichtweise (Urheber hier, Urheberrechtsverletzter dort) auf eine in der digitalen Welt eher seltene Bipolarität in der Akteursstruktur.
8.1 Die Determinanten
195
„Konzept eines umfassenden publizistischen Wettbewerbs von grundsätzlich verschiedenen Finanzierungs-, Organisations- und Verfahrensgrundlagen unterliegenden Akteuren mit je eigenen Schwächen und Stärken (…). Als Topos der neuen Kommunikationsordnung stellt der Begriff die beiden Säulen des Rundfunksystems in Beziehung zueinander, indem er eine gerade auf ihrer Verschiedenheit beruhende Zuordnung zueinander erlaubt. Er ermöglicht es auch, die aus den dogmatischen Wurzeln der Rundfunkfreiheit nur begrenzt ableitbare Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, nach der die Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Rundfunkfinanzierung im dualen System erst dort liegen, wo entweder der öffentlich-rechtliche Rundfunk an der Erfüllung seiner Grundversorgungsaufgabe gehindert oder privater Rundfunk Bedingungen unterworfen wäre, die ihn erheblich erschwerten oder gar unmöglich machten.“351
Der rechtliche Rahmen des dualen Mediensystems in Deutschland kann verstanden werden als ein immer wieder neu auszubalancierendes System von Möglichkeiten und Risiken, Chancen und Kontrollen. Die privaten TV-Sender sehen sich unter dem Druck der Digitalisierung finanziell bedroht, vor allem, wenn gleichzeitig an den rechtlichen Grundlagen Veränderungen vorgenommen werden. Während sich die privaten Medien mit wachsender Konkurrenz, der Gefahr von sinkender TV-Nutzungsdauer und Kostenherausforderungen durch die Digitalisierung ausgesetzt sehen, kann sich zum Beispiel das öffentlich-rechtliche System auf stabil wachsende Mittel verlassen. Von 4,3 Milliarden Euro im Jahr 1996 stiegen die Gebühreneinnahmen von ARD und ZDF bis zum Jahr 2008 auf rund 7,2 Milliarden.352 Da die öffentlichrechtlichen Anstalten bislang in ihren Berichten die Verwendung eines Teils der Gebühren für digitale Angebote unterschiedlich und damit prinzipiell intransparent darstellten, war bereits vor der Diskussion um den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag die konkrete Bezifferung dieser Ausgaben nicht möglich. Experten müssen auf Schätzungen zurückgreifen, wonach ARD und ZDF jährlich zwischen 100 und 300 Millionen Euro in die Expansion in den digitalen Bereich steckten.353 Nach Berechnungen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beliefen sich die Ausgaben „in den Jahren 2004 bis 2008 (…) auf insgesamt rund 275 Millionen Euro. Das sind 34 351
Bomas, Wiebke (2005): Der duale Rundfunk. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Rundfunkmarktes. Arbeitspapiere des des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln, Heft 206, S. 22f. Dort präzisiert Bomas, dass „strukturelle Diversifikation (…) also eine grundsätzlich funktionsgerechte Lebensfähigkeit der verschiedenen Strukturen voraus(setzt). Die eingenommene Perspektive bestätigte das Bundesverfassungsgericht schließlich in seiner sechsten Rundfunkentscheidung, in der es die Kooperation und Beteiligung öffentlich-rechtlicher Veranstalter mit privaten nicht ausgeschlossen hat, aber hinreichende Sicherungen dafür forderte, dass der Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht unterlaufen würde.“ 352 Vgl. dazu: 16. Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, KEF, Mainz, Dezember 2007, S. 128ff. 353 Vgl. Horizont, 11. 9. 2008, S. 4.
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Millionen Euro mehr, als ARD und ZDF per Rundfunkstaatsvertrag zusteht. Der nämlich legt fest, dass sie exakt 0,75 Prozent ihres gesamten Jahresetats fürs Internet ausgeben dürfen. Bei der ARD liegt der tatsächliche Prozentsatz nun aber bei 0,84 Prozent, beim ZDF sogar bei 0,9 Prozent. Auch das Deutschlandradio liegt mit 0,81 Prozent über der Schwelle.“354 Die immense Bandbreite zwischen Schätzungen und dokumentierten Ausgaben lag unter anderem in Definitionsfragen, wonach ARD und ZDF bestimmte, insbesondere technische und der Verbreitung dienende Ausgaben, nicht den Ausgaben für den Onlinebereich zurechnete. Während die privaten Fernsehsender bereits für diesen Zeitraum von „massiven Wettbewerbsverzerrungen“ sprachen355, eröffnen die Bestimmungen des Ende 2009 in Kraft getretenen neuen Rundfunkstaatsvertrags den öffentlich-rechtlichen Sendern nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, in die digitalen Welten zu investieren. Aus Sicht einer Bewertung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist daher wichtig zu konstatieren, dass private Wettbewerber (vor allem im Internet) es mit einer schwer oder gar nicht berechenbaren öffentlich-rechtlichen Konkurrenz zu tun haben, die über überproportional hohe Mittel verfügt, durch Intransparenz in der Budgetierung jederzeit „stille Reserven“ mobilisieren kann und zudem über das Mittel von weiteren Gebührenerhöhungen den eigenen Gesamtetat weiter aufstocken kann. Der rechtliche Rahmen des Mediensystems in der Bundesrepublik setzt damit für alle Marktteilnehmer in der digitalen Welt in Form des öffentlich-rechtlichen Systems einen hyperpotenten (zumindest was die Finanzierungskraft angeht) Wettbewerber in den Markt, dessen Marktmacht angesichts der umkämpften Marktsegmente als überproportional und damit als eine Erhöhung von Markteintrittsbarrieren zu begreifen ist. Meyer-Lucht (2007) nennt die Vertragsneufassung des 12. RfStV. „eine der wichtigsten politischen Weichenstellungen seit Einführung des Privatfernsehens.“356 Er weist darauf hin, dass neben den offenkundigen ökonomisch-inhaltlichen Interessen, auch eine grundsätzliche rechtliche Bewertung umstritten bleibt. Nach seiner Ansicht kollidieren bei den Onlinemedien die „bisher getrennten Sphären von Presse- und Rundfunkfreiheit. Während die Pressefreiheit um den freien Wettbewerb und Schutz vor Staatseingriffen konstruiert ist, erfordert die Rundfunkfreiheit gerade die Intervention, um Vielfalt zu sichern.“357 Folgt man der Analyse des unabhängigen Instituts 354
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 11. 2007, zitiert nach URL: http://www.faz.net/s/ Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~E4CEAD3E0B09F40189FE775FB DBA48B98~ATpl~ Ecommon~Scontent.html, abgerufen am 15. 9. 2008. 355 Annette Kümmel, Direktorin Medienpolitik ProSiebenSat1 Media AG, in: Horizont, 11. 9. 2008, S. 4. 356 Meyer-Lucht, Robin: Auf der Suche nach der Qualität. In: Financial Times Deutschland, 14. 05. 2007, S. 26. 357 Ebenda.
8.1 Die Determinanten
197
für Medien- und Kommunikationsforschung in Berlin, dann wird insbesondere die deutsche Fernsehindustrie von einem „zersplitterten Medienrecht“ geprägt, das „kaum noch Referenzen zur technologischen Wirklichkeit“ aufweist.358 Hachmeister et al. (2008) betonen die Bedeutung der über das Recht geregelten Medienpolitik. Medienpolitik sei nicht ein Politikfeld unter anderen, sondern eine Art „Meta-Politik: durch Handeln oder Unterlassen wird in diesem Feld entschieden, wie über das Politische insgesamt gedacht und geredet wird.“359 Der Kampf der Konkurrenten ist dabei machtvoll entbrannt, denn viele haben erkannt: das Internet ist nicht nur ein weiteres Medium, es ist durch seine Integrationskompetenzen das Medium schlechthin. Dieser Einschätzung zufolge wird der Kampf um die Vorherrschaft oder zumindest eine dominierende Rolle im neuen Meta-Medium Internet auch und möglicherweise vor allem über das Medienrecht ausgetragen. „Alle politischen Akteure in Deutschland handeln, angstbesetzt, aus einer Verteidigungsposition heraus: Die Zeitungsverleger, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Länder-Politiker, die Journalisten. Sie fürchten, durchaus nicht unbegründet, Verluste ihrer jahrzehntelang komfortablen Stellungen, wollen die konkurrierenden Systeme legislativ (Hervorhebung d.d. Autor) in die Schranken verwiesen sehen, um selbst Terrain gewinnen oder wenigstens halten zu können.“360 Die Neufassung der Rechtsposition von ARD und ZDF im Internet hat weitreichende Folgen: Eine Sieben-Tage-Frist zum Abruf von Inhalten in Mediacentern, ein Drei-Stufen-Test für alle digitalen Inhalte, das Verbot von Ratgeberportalen, sowie eine Beschränkung auf „sendungsbezogene“ Inhalte (untersagt: „presseähnliche“ Produkte) sind als wichtigste Eckpunkte zu nennen. Bilanzierend lässt sich sowohl aus dem Text des Vertrags selbst wie aus den unterschiedlichen Reaktionen zusammenfassen, dass auch durch die mühsam gefundenen Kompromissformulierungen der 12. Rundfunkstaatsvertrag einen breiten Interpretationsspielraum für die Auslegung der Bestimmungen bietet und zugleich die Selbstreferenzialität der Kontrolle durch den Zusammenfall von Kontrolliertem und Kontrollierenden (Drei-Stufen-Test durch eigene Gremien von ARD und ZDF) insbesondere vor dem vergleichbaren Hintergrund in anderen europäischen Ländern und hier besonders Großbritannien eine Inkonsequenz darstellt, die die konsensstiftende Kraft des Vertrags stark limitiert. 359
Hachmeister, Lutz; Burkhardt, Kai et al. (2008): Thesen zu einer neuen Medienpolitik, veröffentlicht unter „Es rappelt in der Kiste“, Süddeutsche Zeitung vom 17. 7. 2008. Die „Zersplitterung“ wird unter anderem daran deutlich, dass „neben die jeweiligen Rundfunkänderungsstaatsverträge und das allgemeine Kartellrecht (…) noch der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, das Telekommunikationsgesetz und das vor allem auf das Internet bezogene Telemediengesetz getreten“ sind. 359 Ebenda. 360 Ebenda.
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Neben dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag war für das künftige strategische Management von Contentrechten während des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit vor allem auch die Urheberrechtsreform 2008 von Bedeutung. Dies betraf vor allem den sogenannten „zweiten Korb“ des Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, in den eine Vielzahl noch ungeklärter Fragen bei der Verabschiedung des Gesetzes am 13. 9. 2003 verschoben worden waren. Ziel war, „die Ausgestaltung fakultativer Schrankenbestimmungen, insbesondere der Privatkopie“ sowie das pauschale Vergütungssystem „mit Blick auf die neuen Vervielfältigungsmöglichkeiten flexibler zu gestalten.“361 Die Reform wurde öffentlich zwar – verglichen mit dem Rundfunkstaatsvertrag – nicht ähnlich breit, dennoch aber intensiv diskutiert; nach Inkrafttreten zeigte sich aber deutlich weniger öffentliche Resonanz. Zusammenfassend bilanziert die Bundeszentrale für politische Bildung im Hinblick auf den am meisten diskutieren Punkt der Privatkopie, dass „in der aktuellen Urheberrechtsreform (Zweiter Korb), die Anfang 2008 in Kraft getreten ist, (…) die recht liberale Privatkopieregelung verschärft (wurde). Nun gilt, dass Kopien zu privaten Zwecken nur angefertigt werden dürfen, „soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird.“ Im Klartext heißt das, dass Dateien nicht heruntergeladen werden dürfen, die für jedermann erkennbar rechtswidrig online gestellt wurden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jeder weiß oder wissen muss, dass zum Beispiel die Film- oder Musikindustrie keine Dateien in Tauschbörsen einstellen würde.“362 Zudem wurde unter anderem auch das System zur Festlegung der Vergütungshöhe geändert. „Nach den neuen Regelungen sollen vor allem die Betroffenen (Verwertungsgesellschaften, Geräteindustrie, Rechteinhaber) gemeinsam Tarife aushandeln. Die Höhe der Vergütung soll sich an Untersuchungen orientieren, in denen festgestellt wird, welches Gerät oder Medium in welchem Umfang tatsächlich genutzt wird, um Privatkopien zu erstellen.“363 Die Änderungen der Urheberrechtsreform betreffen die Thematik der vorliegenden Untersuchung allerdings nur am Rande. Zwar gibt es einzelne Ände361
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, Bundesministerium der Justiz, 26. 1. 2006, abrufbar u. a. unter URL: www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/bmj/2006-01-03-Gesetzentwurf.pdf, S. 1, abgerufen am 13. 11. 2008. 362 Spielkamp, Matthias (2008): Tauschbörsen: Gefahr oder Chance. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Urheberrecht im Alltag. Kopieren, Bearbeiten, Selber machen. Schriftenreihe Band 655, Bonn, S. 45. 363 Passek, Oliver (2008): Geräte- und Lesegeräteabgabe. Pauschale für Autoren. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Urheberrecht im Alltag. Kopieren, Bearbeiten, Selber machen. Schriftenreihe Band 655, Bonn, S. 299.
8.1 Die Determinanten
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rungen, die unmittelbar auch in die bilateralen Verhandlungen zwischen Sendern und Produzenten eingreifen364, zu einer Neuverteilung der Kräfte ist es jedoch nicht gekommen. Dies hat vor allem Auswirkungen auf die TV-Produzenten in Deutschland, die seit Jahren ihre rechtliche Stellung beklagen. Sie befinden sich in der Regel in einer Abhängigkeitsposition, die allerdings weniger die Folge gesetzlicher Regelungen darstellt, als vielmehr vertragliches Ergebnis einer komplexen wirtschaftlichen Konstellation ist. Die Produzenten haben diese Rechtesituation lange Zeit akzeptiert, in den vergangenen Jahren jedoch ihre schwache Verhandlungsmacht erkannt, thematisiert und versucht, ihre Position gegenüber den Sendern zu verbessern. Schon im Jahr 2004 hatte die damalige und heute in der Allianz deutscher Produzenten aufgegangene film20-Interessengemeinschaft Filmproduktion darauf hingewiesen, dass aus Sicht der Produzenten die Digitalisierung eine „revolutionäre Veränderung von Produktions- und Verwertungsbedingungen mit sich bringt.“ In einer Stellungnahme forderten die Produzenten, dass angesichts der Verwerfungen in der Gesamtbranche „für die Produzenten die historische Chance – und Notwendigkeit (besteht) – mit alten und neuen Akteuren die Produzenten-Rolle beim Rechte-Clearing zu einer Festigung und Ausdehnung ihrer Leistungsschutzrechte zu nutzen. Alle Akteure – insbesondere natürlich die Produzenten – müssen ein Hauptinteresse an der ,Verflüssigung‘ der Rechtenutzung und damit des Rechtehandels haben. Die Etablierung eines transparenten und validen Rechtehandelssystems ist für das digitale Zeitalter zwingend.“365 Den Produzenten weist der Rundfunkstaatsvertrag eine indirekte rechtliche Bedeutung zu: In § 6 dürfen sich Produzenten mitverstanden wissen in der Verantwortung zur „Sicherung von deutschen und europäischen Film- und Fernsehwerken als Kulturgut sowie als Teil des audiovisuellen Erbes“.366 Auch in der Präambel
364
Dazu zählt unter anderem die Aufhebung der Bestimmung, dass in Verträgen keine Rechte erworben werden können, die erst in der Zukunft entstehen, etwa durch neue Produkte oder neue Vertriebswege. Diese Regelung wurde ersetzt. Rechte können nun auch für noch nicht existierende Produkte eingeräumt werden. 365 Tornow, Georgia (2004): Die Veränderung der Verwertungsbedingungen durch Digitalisierung. 5 Thesen. Vorgestellt auf dem Symposium „Bilder laufen – mit welchem Recht“, Wien, 5. Mai 2004. So eindeutig die Forderung von film20 (und so in gewisser Weise auch rechtzeitig), so aufschlussreich ist auch die Feststellung, dass die Forderung nach mehr Nutzungsrechten für die Produzenten erst an fünfter Stelle des Forderungskatalogs genannt wird. Davor genannt und somit priorisiert angeführt waren der aus Sicht von film20 notwendige Kampf gegen die Piraterie, die Veränderung der Auswertungslogik sowie der Blick auf neue Wettbewerber im Markt und die geänderte Macht des Zuschauers. 366 Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag) vom 31. August 1991, § 6.
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des Rundfunkstaatsvertrags finden „Fernsehproduktionen“ Erwähnung. Rechtlich deutlich weniger bindende Nennungen der Produzenten finden sich daneben zum Beispiel in den Selbstverpflichtungserklärungen von ARD und ZDF367 oder im WDR-Gesetz über die Eigen- und Auftragsproduktionen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen decken aber nur einen Teil der faktischen Rahmenbedingungen für die Verwertungsmöglichkeiten von Produzenten ab. Wie im Verlauf dieser Arbeit ausgeführt, bestimmen im praktisch-konkreten Verhältnis im Wesentlichen bilaterale Einzelverträge zwischen Sendern und Produzenten, wie Urheberrechte bzw. die Nutzung derselben und die mit ihnen verbundenen kommerziellen Chancen verteilt sind. Zweitverwertungsrechte sind für Produzenten gesetzlich nur in ganz wenigen Ausnahmen abgesichert, so zum Beispiel in Beteiligungen an der Leerkassettenund Geräteabgabe gemäß § 54 UrhG, einer Beteiligung an den Kabelweitersendungserlösen gemäß § 20b UrhG oder Anteilen an den Verleihtantiemen gemäß § 27 UrhG.368 Wie dargestellt gibt es von Seiten der Produzenten seit Jahren politische Versuche, ihre Position durch gesetzliche Vorgaben zu verbessern, also neue und quasi staatlich abgesicherte „terms of trade“ zu definieren, oft mit dem Hinweis auf die Praxis im anglosächsischen Kulturraum. Die Lobby-Politik der Produzenten hat bis dato nur zu Teilergebnissen geführt. Als wichtigsten Erfolg wertet die Allianz deutscher Produzenten den Abschluss der Verhandlungen mit ARD und ZDF über VoD-Rechte bei FFA-geförderten Spielfilmen, die die Allianz als „erste Etappe bei der Modernisierung der Terms of Trade“ verstanden wissen will: „Die Vereinbarungen, die Teil der von der Filmförderungsanstalt (FFA) mit beiden Sendergruppen abzuschließenden neuen Gemeinschaftsabkommen werden sollen, sehen vor, dass die Produzenten die Chancen, die der im Entstehen begriffene Pay-VoD-Markt bietet, künftig nutzen werden können. Die Sender erhalten mit den Free-TV-Rechten lediglich die Free-Video-on-Demand (VoD)-Rechte für sieben Tage nach Erstausstrahlung. ARD und ZDF können die Programme außerdem während der Lizenzzeit nach redaktionellen Angebotskonzepten maximal drei Mal und nur auf eine Dauer von vier Wochen pro Nutzung in ihre Mediatheken einstellen. Eine längere redaktionelle Nutzungsbefugnis muss in einem individuellen Vertrag geregelt werden. Pay-VoD Rechte erhalten die Sender grundsätzlich nur nicht-exklusiv und auch nur dann, wenn sie sich mit substantiellen Beträgen an der Finanzierung der Filme beteiligen.“369
367
Vgl. dazu u. a. die Grundsätze für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm vom April 2004, Ziffer I Programmgestaltung, (1) Auftrag, Abschnitt g). Abrufbar sind die Grundsätze z. B. über URL: www.br-online.de/content/cms/Universalseite/2008/03/06/ cumulus/BR-online-Publikation—95594.pdf, abgerufen hier am 12. 11. 2008. 368 Von einer Beteiligung am Vermietrecht ist der Produzent ausgeschlossen. 369 Allianz deutscher Produzenten: Presseerklärung „Verhandlung über Video-on-DemandRechte bei FFA-geförderten Spielfilmen abgeschlossen“. Berlin, 28. 11. 2008. Abgerufen unter URL: http://www.produzentenallianz.de/meldungen/einzelansicht/article/einigung-im(Fortsetzung auf S. 201)
8.1 Die Determinanten
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So sehr die Produzenten diesen Erfolg für sich reklamieren, so gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass es sich bei einzelnen Verhandlungserfolgen um Indizien für eine künftige generelle neue Rechteverteilung handeln könnte oder dass gar staatliche Regulierungsversuche künftig Einflus nehmen könnten auf das formalvertragliche Binnenverhältnis zwischen Sendern und Produzenten. 8.1.1.2 Dimensionierung der Determinante Die Bedeutung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die TV- und Produktionsbranche unter den Vorzeichen der Digitalisierung ist prinzipiell groß. Anders als in der öffentlichen Diskussion jedoch vorrangig betont wird, sind es weniger die großen rundfunkrechtlichen Rahmenbedingungen, die über den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Nach dem bisherigen Stand der Untersuchung sind es vielmehr die einzelvertraglich festzulegenden Binnenverhältnisse zwischen Sendern und Produzenten, die in Deutschland nicht durch übergeordnete Vorgaben restringiert werden. Während in angelsächsischen Ländern gesetzliche Vorgaben über die Allokation und den Verbleib von Rechten (insbesondere Nutzungsrechten) existieren, wird das deutsche Medienrecht von einer schwach ausgeprägten Regulationstiefe dominiert. Die Allokation von Nutzungsrechten auf der einen (Sender) oder anderen (Produzenten) Seite wird damit zum Produkt einer wirtschaftlichen Konstellation. Dies rückt die Produzenten mit ihrer chronischen Eigenkapitalschwäche und den branchenbedingt hohen Produktionskostenrisiken in eine defensive Position. Die defensive Grundhaltung wird dadurch weiter verschärft, dass denkbare strategische Alternativen (z. B. In369
(Fortsetzung von S. 200) rechte-streit-zwischen-produzenten-und-sendern.html?tx_ttnews %5BbackPid%5D=6&c Hash =cd9220e271, am 6. 4. 2009. Weiter heißt es in der Mitteilung: „Die TV-Sender verpflichten sich zu einem Geo-Blocking ihrer Internet-Verwertung zumindest außerhalb des deutschsprachigen Europa. Umgekehrt muss bei einer Lizenzvergabe ins Ausland durch den Produzenten ein Geoblocking für die deutsche Sprachfassung sichergestellt werden. Sonderregelungen gelten beim Erwerb von Arte-Rechten. Der Rechtserwerb und die Vergütung einer Verwertung, die über die vereinbarte Free-VoDNutzung hinaus geht, wie z. B. bei Pay-VoD-Rechten, wurde mit den öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern in unterschiedlichen Stufenssystemen geregelt, die sich bei ARD und ZDF nach ihrem Anteil am deutschen Finanzierungsanteil der Produktion richten. In ähnlicher Weise ist auch mit VPRT-Sendern ein Stufenmodell vereinbart worden, das sich hier vorrangig an der absoluten Höhe des Finanzierungsanteils des Senders orientiert. Electronic-Sell-Through- sowie Download-to-Own-Rechte verbleiben grundsätzlich beim Produzenten. Ein Erwerb ist nur bei gesonderter Vereinbarung und nur gegen Zahlung einer marktüblichen Vergütung zulässig. Die Sender können auch weitere Rechte nur durch gesonderte Verträge erwerben, deren Abschluss nicht zur Bedingung des Free-TV-Lizenzvertrages gemacht werden darf. Bei diesen Regelungen handelt es sich um Mindestbedingungen, die insbesondere für die Sender bindend sind. Sie schließen nicht aus, dass von Fall zu Fall durch die Produzenten auch bessere Bedingungen verhandelt werden können.“
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vestitionen in eigene digitale Vertriebsmöglichkeiten) massive Markteintrittsbarrieren in Form von Kosten („sunk costs“) aufweisen. Für die Entwicklung von Szenarien lässt sich die rechtliche Determinante daher als auf der einen Seite sehr wichtig klassifizieren; gleichzeitig erweist sich die Determinante als grundsätzliche strategische Hypothek von beträchtlicher Statik. Aus heutiger Sicht kann festgehalten werden, dass in Bezug auf rechtliche und/oder staatliche Vorgaben eine nur geringe Regulierung von rechtebezogenen Terms of Trade existiert. Die Determinante der rechtlichen Rahmenbedingungen kann somit als derzeit im Wesentlichen statische Größe von nicht zu unterschätzender Beharrungskraft bilanziert werden. 8.1.2
Wirtschaftliche Determinante: Markt und Konjunktur
8.1.2.1 Darstellung der Determinante Bei der Betrachtung der Determinante der wirtschaftlichen Gesamtsituation muss man sich verdeutlichen, dass es sich hierbei um eine „Meta-Determinante“ handelt. Sie umfasst in ihren Dimensionen sowohl wirtschaftliche Rahmendaten des heutigen Ist-Zustands wie ebenso hinsichtlich ihrer Prognosekraft Annahmen über die anderen untrennbar mit ihr verbundenen Co-Determinanten. Da zum Beispiel die wirtschaftliche Situation der werbefinanzierten Sender und mittelbar damit auch die Situation der wirtschaftlich abhängigen Produzenten an den TV-Werbemarkt gekoppelt ist, zeigt die Determinante immer auch Elemente, die diesen Anteil am Gesamtwerbemarkt mit definieren – wie Veränderungen der Mediennutzung oder Endgeräteverfügbarkeit. Grundsätzlich kann die Fernseh- und TV-Produktionsbranche beschrieben werden als Teil der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland. Nach langen Diskussionen konnte in der Studie zu den gesamtwirtschaftlichen Perspektiven der Branche im Jahr 2009 seitens der Bundesregierung erstmals ein akzeptiertes Grundmodell zur Definition und Abgrenzung des Branchenkomplexes vorgelegt werden. Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird darin beschrieben als „Teil einer wissens- und contentorientierten Gesellschaft und übernimmt eine Vorreiterrolle auf dem Weg in eine wissensbasierte Ökonomie in Deutschland. (…) Die Nachfrage nach künstlerischen und kreativen Inhalten steigt. Die häufig projektabhängige vernetzte Form der Arbeit in der Kultur- und Kreativwirtschaft greift zunehmend auf andere Wirtschaftsbereiche über und verdeutlich den Modellcharakter der Kultur- und Kreativwirtschaft für eine moderne Wirtschaft.“370 Deutlich gemacht werden konnte in der Studie der Bundesregierung unter anderem, dass es sich bei der Branche um eine grundsätzliche Wachstumsbranche handelt: 370
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.) (2009): Gesamtwirtschaftliche Perspektiven der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland. Kurzfassung eines Forschungsgutachtens. Berlin, S. 3ff.
8.1 Die Determinanten
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Hinweise: Alle Kennzahlen basieren auf vorläufigen Angaben und Schätzungen der Umsatzsteuer- und Beschäftigtenstatistik sowie der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.
Abbildung 18: Bedeutung der Kulturwirtschaft Quelle: Forschungsgutachen Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung 2009.
Die Fernsehbranche sowie die TV- und Filmproduktionsbranche werden im Bericht der Bundesregierung als zwei von insgesamt elf Teilmärkten dargestellt, zu denen auch Teile des Werbemarkts zu rechnen wären. Bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die TV- und Produktionsbranche muss allerdings differenziert werden: Die Grundsituation der wirtschaftlichen Betrachtung der (privaten) TV-Branche bleibt im Wesentlichen abhängig von der Einschätzung des Werbemarktes und seiner Veränderungen. Entscheidend dabei sind zwei Parameter: Die Größe des Gesamtwerbemarktes als Indikator für gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen und der Anteil der privaten TV-Industrie an diesem Volumen. Weil das privatfinanzierte Fernsehen letztlich Aufmerksamkeit „verkauft“, kommt es zur einschlägigen Dreiecksbeziehung zwischen Fernsehanbieter, Werbewirtschaft und Zuschauern. Tegge (2006) betrachtet die Zunahme des Programmangebots als eine der Hauptauswirkungen der Digitalisierung auf diese Dreiecksbeziehung. Die Ausweitung der Programme führt Tegge zufolge zu einer Ausweitung auch der Werbeumsätze, die aber nicht für alle Anbieter Chancen bietet. Die aus der Vervielfältigung des Programmangebots resultierende Zuschauermarktfragmentierung führt vielmehr dazu, dass das reichweitenabhängige Geschäftsmodell der Werbefinanzierung gerade für neu auf den Markt tretende Anbieter keine finanzielle Grundlage bietet. „Die wichtigste Alternative stellt in diesem Zusammenhang die Finanzierung über Zuschauerentgelte (Pay-TV) dar. Allerdings ist Digitalisierung nicht gleich Pay-TV. Es ist davon auszugehen, dass sich die etablierten Vollprogramme der beiden großen Senderfamilien aufgrund ihrer aufgebauten Reputation auch in Zukunft über Werbung finanzieren lassen.“371 Wie im Kapitel über die Determinante der digitalen Innovationen gezeigt wird, steht als wesentliche disruptive Bedrohung das „Fernsehen im oder über das Netz“ 371
Tegge, Svenja (2006): Die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Markt der Fernsehprogramme. Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln, Heft 220, Köln, S. 52.
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im Raum, in den Formen von Web-TV oder IP-TV. Aus wirtschaftlicher Sicht müssen diese Bewegtbild-Innovationen für das traditionelle Fernsehen als Bedrohungen gesehen werden. Breunig (2007) bewertet die Zukunftsaussichten von Web-TV (vor allem wegen der steigenden Anzahl von Angeboten) als „vielversprechend“.372 Unter Berufung auf eine Studie von Strategy Analytics prognostiziert er ein weltweites Gesamtumsatzpotential im Jahr 2010 von 4,4 Milliarden US-Dollar. Eine der am stärksten beeinflussenden Faktoren ist die Entwicklung des Markts für VideoWerbung in Non-TV-Medien, – im wesentlichen dem Internet: • In Europa (Schätzung) werden im Jahr 2012 rund 2,5 Milliarden Euro für VideoWerbung im Internet ausgegeben werden.373 • Im Jahr 2007 wuchs in Deutschland die Videowerbung im Web um 228% vom ersten auf das zweite Halbjahr.374 • Insgesamt wurden aber in 2007 in Deutschland nur 5,1 Millionen Euro für VideoWerbung im Internet ausgegeben, das entspricht nur 0,17% an den gesamten Online-Spendings (gebucht war nur rund 2% des verfügbaren Inventars).375 Solche Zahlen lassen jeweils zwei Interpretationen zu: Auf der einen Seite scheint Werbung im Internet und dort speziell im Umfeld von Bewegtbild noch sehr großes Potential zu besitzen und zeigt massives Wachstum, auf der anderen Seite ist das absolute Niveau und damit die unmittelbare Kannibalisierung tradierter TV-Werbeumsätze (noch) gering. Dies zeigt auch die folgende Grafik. Hier wird der kannibalisierende Einfluss auf das Fernsehen noch als gering angenommen, andere Medien sind durch Onlinewerbung viel stärker betroffen. Obwohl sich Fernsehen noch als (relativ) stabil erweist, deuten die Wachstumschancen von Onlinewerbung im Umfeld von Bewegtbild darauf hin, dass auch das klassische Fernsehen mit seiner tradierten Werbevermarktung Anteile verlieren könnte an das – zwar gebremst, aber weiterhin – stark wachsende Onlinegeschäft, wie dies in den Erwartungen der Onlinevermarkter selbst in der wirtschaftlichen Krise zum Ausdruck kommt:
372
Breunig, Christian: IPTV und Web-TV im digitalen Fernsehmarkt. In: Media Perspektiven 10/2007, S. 481. Grundvoraussetzung für entsprechende Umsatzerwartungen in Deutschland ist nach Ansicht des Autors eine weit stärkere Durchdringung der Haushalte mit IPTV, also dem Fernsehen aus dem Web, das über eine Set-Top-Box auf dem klassischen TV-Endgerät konsumiert wird. Als übertrieben optimistisch wertet Breunig Hoffnungen, dass die Durchdringung im Jahr 2012 deutlich über 10 Prozent liegen könnte. 373 ABI Research, Financial Times, Juli 2007 374 OVK, Onlinereport 2008/01 375 Ebenda.
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8.1 Die Determinanten
Anteil pro Mediengattung an den Gesamtwerbeausgaben 2005 –2009 (8 %) 8,5% 8,2% 8,1% 7,8% 7,8%
Abbildung 19: Veränderung Anteile Werbung pro Mediengattung Quelle: ZenithOptimedia 2007.376
„Obwohl Online-Werbung weiterhin stetig an Bedeutung gewinnt, bleibt sie nicht von den Auswirkungen der allgemeinen Wirtschaftslage verschont. Die Wachstumsprognose des OVK fällt für das Jahr 2009 somit deutlich konservativer aus als in den Vorjahren. Die Online-Experten rechnen mit einem Bruttowerbevolumen von knapp 380 Millionen Euro. Das entspricht einem Wachstum von zehn Prozent in der klassischen Online- Werbung und der Suchwort-Vermarktung sowie 15 Prozent bei den Affiliate-Netzwerken. Dieses Segment wird damit in 2009 die 300 Millionen-Euro-Marke übersteigen.“377
Geht man davon aus, dass Videowerbung im Internet (zumindest prinzipiell) konkurriert mit klassischer TV-Werbung, dann gibt es für die Entwicklung des Anteils von Fernsehen am Werbegesamtumsatz zumindest warnende Indizien, die der OVK feststellt: „Besonders auffallend ist der Erfolg der Videowerbeformate, der sich auch 2008 fortgesetzt hat. Wenngleich die Werbeinvestitionen momentan noch nicht an die der etablierten Formate heranreichen, werden sie immer mehr von Mediaagenturen und Kunden nachgefragt. Der Zuwachs von 236 Prozent zeugt von der großen Attraktivität und Akzeptanz des Formats. Die kreativen Möglichkeiten der zukunftsträchtigen Bewegtbildformate werden das Wachstum in den kommenden Jahren weiter stark beflügeln.“378 376
Grafik entnommen: Ehrlich, Matthias: Die Entwicklung der Onlinewerbung. Abgerufen unter URL: www.competence-site.de/online-marketing.nsf/…/$File/onlinewerbung_ehrlich_ leitfaden_marketing-online.pdf, am 6. 4. 2009. 377 Online-Vermarkterkreis im BVDW/ Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung AGOF (2009): OVK-Onlinereport 2009/01. Zitiert nach: www.ovk.de/fileadmin/downloads/fachgruppen/ Online-Vermarkterkreis/OVK_Online…/OVK_Online-Report_200901_Webversion…-, abgerufen am 6. 4. 2009. 378 Ebenda, S. 12.
206
8 Ergebnisse
Die Entwicklung ausgewählter Werbeformate von 2007 auf 2008 21,3
Rectangle
35,8
Skyscraper
Superbanner
-19,1
45,4
Wallpaper
11,4
Banner
236,3
Video -50 %
0%
50 %
100 %
150 %
200 %
250% 250
Abbildung 20: Erfolg von Videowerbung im Internet Quelle: OVK.379
Hinsichtlich der Größe des gesamten Werbeaufkommens lassen sich zum Abschluss dieser Arbeit keine belastbaren Prognosen aufstellen. Aus den verfügbaren aktuellen Informationen der Marktbeteiligten lässt sich als minimaler Argumentationskonsens herausarbeiten, dass die konjunkturelle und gesamtwirtschaftliche Situation für die Jahre 2009 und 2010 rückläufige Tendenzen bringen wird – verbunden mit einer hohen Unsichtigkeit der Prognosen für die darauffolgenden Jahre. Laut Mediaagentur Carat muss der deutsche Werbemarkt „sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr Umsatzeinbußen hinnehmen, mit 2,2 Prozent (2009) bzw. 1,1 Prozent (2010) halten sie sich allerdings im Vergleich mit anderen großen Werbemärkten in Grenzen“.380 „Medienanalysten von Screen Digest (prognostizieren) für dieses Jahr einen
379
Online-Vermarkterkreis im BVDW/ Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung AGOF (2009): OVK-Onlinereport 2009/01. Zitiert nach: www.ovk.de/fileadmin/downloads/fachgruppen/ Online-Vermarkterkreis/OVK_Online…/OVK_Online-Report_200901_Webversion…-, abgerufen am 6. 4. 2009. 380 Zitiert nach URL: http://www.am-com.com/php/news_langtext.php?id=2202, abgerufen am 7. 4. 2009.
8.1 Die Determinanten
207
„dramatischen Abschwung“ von 8,9% im deutschen Werbemarkt. Klammert man Online-Suchwort-Vermarktung aus, die einen Vergleich mit der letzten Krise erschwert, wird der Markt um 10,2% abstürzen. Damit droht 2009 das schlechteste Jahr für die Branche seit 2002 zu werden.“381 Zenith Optimedia kommt in seiner Prognose ebenfalls zu einer skeptischen Einschätzung: „In Deutschland wird der Werbemarkt laut der Studie „Advertising Expenditure Forecast“ sogar um 4,6% zurückgehen. Lediglich in Internetwerbung werde weiter investiert – voraussichtlich aber nur um 1,2%.“382 Die internationale Unternehmensberatung Deloitte bilanziert in ihren Media Predictions wenigstens den Hoffnungsschimmer Content: „While the global media sector is expected to be buffetet by grueling macroeconomic conditions in the year to come, we should not forget that the need for the media sector to inform and entertain us remains fundamental.“383 8.1.2.2 Dimensionierung der Determinante Unabhängig von den einzelnen Prognosen und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten, wie sie aus den zitierten Studien destilliert werden konnten, lassen sich hinsichtlich der Marktentwicklung zwei generalisierende Tendenzen im Sinne ihrer determinierenden Wirkung herausarbeiten. Erstens lässt sich festhalten, dass der Anteil des werbefinanzierten Fernsehens an den Gesamtwerbeausgaben durch das rasche und überproportionale Wachstum des Internets und insbesondere dessen Fähigkeit, Videowerbung auszuliefern, in seiner Größe prinzipiell bedroht ist – ebenso wie die Anteile der anderen „traditionellen“ Mediengattungen. Diese Entwicklung ist dabei teilweise unabhängig von der makroökonomischen Gesamtbeurteilung: Sie findet bedingt durch neue Inhalte, Anbieter und Nutzungsformen nämlich in jedem Fall statt – allerdings auch nicht mehr in Geschwindigkeit und Dramatik wie vor der Wirtschaftskrise. Gleichzeitig aber ist die Entwicklung eng gekoppelt an konjunkturelle Umstände, die nämlich eine Entwicklung zur Verlagerung von Umsätzen innerhalb der Mediengattungen durchaus beschleunigen können. Hinsichtlich der Größe der für die untersuchte Branche zur Verfügung stehenden Werbeeinnahmen besteht zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Arbeit die größte Unsicherheit. Nicht abschätzbar erscheint auch die potentielle Dauer der Krise. Geht man zudem von ei381
Zitiert nach URL: http://meedia.de/nc/details/article/werbemarkt-vor-dramatischem-ab schwung _100016650.html, abgerufen am 6. 4. 2009. 382 Zitiert nach URL: http://www.mm-presseservice.de/kurzmeldungen/60-weltweiter-werbe markt-schrumpft.html, abgerufen am 6. 4. 2009. 383 Deloitte Touche Tohmatsu (2009): Media Predictions – TMT Trends 2009, London. Abgerufen unter URL: www.deloitte.com/dtt/cda/doc/content/dtt_2009predictions_media.pdf, am 6. 4. 2009.
208
8 Ergebnisse
nem zeitlichen Verzögerungseffekt hinsichtlich der Wirksamkeit der Umsatzrückgänge innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette aus, so sind Rückgangseffekte für die vorgelagerten Stufen der TV-Produktion auch noch nach Einsetzen einer wirtschaftlichen Erholung zu erwarten. 8.1.3
Soziologische Determinante: Änderungen der Mediennutzung
8.1.3.1 Darstellung der Determinante Die Veränderung der Mediennutzung ist eine in ihrer Bedeutung a priori hoch anzusetzende Determinante. Denn die Mediennutzung ist zugleich ein zuverlässiger Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung medialer Branchen: unmittelbar bei den in ihrer Kapitalisierung von Abonnenten- oder Käufermärkten abhängigen Publikumskaufprodukten, mittelbar bei den werbefinanzierten Angeboten, deren „Ware“ letztlich die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppen ist. Wie gezeigt, sind es Kennzeichen disruptiver und damit existenzieller Bedrohungen für eine Branche, wenn das Kundenverhalten – und sei es auch nur in einem zunächst unscheinbaren Detail – sich ändert. Auch wenn sich final noch nicht bestimmen lässt, wie stark der Umfang und die Dramatik der feststellbaren Veränderungen das traditionelle Fernsehen betreffen, so gibt es an der Tendenz keinen berechtigten Zweifel mehr: Eine Auswertung der vorliegenden Studien zeigt, das sich die TV-Industrie und damit verbunden die TV-Produktionsbranche der Tatsache stellen muss, dass massive Veränderungen der Nutzung im Gang sind, die sie unmittelbar und mittelbar betreffen. Die Bandbreite der Einschätzungen hinsichtlich des Ausmaßes der Veränderung ist derzeit enorm. Sie umfasst eine imponierende Reichweite von Positionen, von Skepsis bis zu digital-euphorischen Haltungen, wie jene, die das Internet als neues Leitmedium sehen will: „Bis zum Jahr 2018 werden die Tageszeitungen etwa 30 Prozent ihrer Leser verloren haben. Und das Internet wird mindestens über so viele Werbeinnahmen verfügen wie der Zeitungsmarkt. Denn es wird sich als kombinierter Informations-, Unterhaltungs- und Einkaufsführer in den Generationen bis 60 Jahre durchgesetzt haben. Das ist das Ergebnis der aktuellen Trendstudie „Mediennutzungsverhalten in der Web-Gesellschaft 2018“ von Prof. Dr. Lothar Rolke und Johanna Höhn von der FH Mainz – University of Applied Sciences. Rolke sieht deshalb einen Paradigmenwechsel in Werbung und Unternehmenskommunikation. Das Internet werde zum Leitmedium in der Kampagnenplanung.“384
Andere fokussieren auf die Jugend und deren deutliche Verhaltensänderung: „Die Befunde zu den letzten zehn Jahren der Medienentwicklung für Jugendliche machen deutlich, dass Jugendliche zu Recht als Innovatoren bzw. „Early Adopters“ in der heutigen Medienwelt gelten. Mit der rasanten technischen Aneignung neuer Medienentwicklungen 384
Zitiert nach URL: http://idw-online.de/pages/de/news290752, abgerufen am 8. 4. 2009.
8.1 Die Determinanten
209
durch die Jugendlichen beschleunigt sich auch die Veränderung von Nutzungsmustern. In der konvergenten multimedialen Welt stehen heute jene Inhalte im Mittelpunkt, die auf verschiedenen Wegen konsumiert werden. Allerdings: In der neuen Medienwelt sterben die traditionellen Funktionen wie Lesen, Hören, Zuschauen oder Kommunizieren nicht aus.“385
Betrachtet man nun das Fernsehen und seine Nutzung, so zeigt sich, dass zwar von einer Krise der TV-Nutzung nicht die Rede sein kann, dass aber auch Fernsehen die Konkurrenz des Internets zu spüren bekommt: „Bei (…) wichtigen Zielgruppen hat die tägliche Sehdauer zugenommen: Bei den 14- bis 49-Jährigen stieg sie um 7 Minuten auf 199 Minuten, bei den 14- bis 49-jährigen Haushaltsführenden ebenfalls um 7 Minuten auf 258 Minuten und bei den 14- bis 49-jährigen Männern sogar um neun Minuten auf 190 Minuten. Auch bei den jungen, internetaffinen 14- bis 29-Jährigen hat die Attraktivität des Fernsehens weiter zugelegt: Hier stieg die tägliche Sehdauer im 1. Quartal 2008 um 1 Minute auf 143 Minuten. Die Internetnutzung nimmt ebenfalls zu. Laut Berechnungen von SevenOne Media ist sie bei den 14- bis 49Jährigen im 1. Quartal 2009 um rund 15 Minuten auf etwa 94 Minuten am Tag gestiegen.“386
Auch wenn Fernsehen unbestritten noch wächst: Internet wächst deutlich schneller. Zur Bestimmung der Determinante der Mediennutzung soll an dieser Stelle – wie beschrieben – kein quantitativ meta-analytisches Verfahren verwendet werden, sondern eine generalisierende Sicht entwickelt werden. Anders als bei den anderen Determinanten bietet sich jedoch bei einzelnen Fragestellungen eine Detailbetrachtung an, da einzelne Teil-Trends der Veränderung des Mediennutzungsverhaltens bereits vergleichsweise genau untersucht wurden und über einen Generaltrend hinausreichende Schlussfolgerungen ermöglichen. Relevante Ergebnisse dazu liefert zum Beispiel die Studie „Innovation der Medien“ (eine Zusammenarbeit des Zentrums für Evaluation und Methoden der Universität Bonn mit den Strategieberatern des Bereichs Media & Entertainment bei IBM Global Business Services).387 Es handelt sich um eine Kombinationsuntersuchung aus einer Primärerhebung mit einer für Deutschland repräsentativen Stichprobe von 862 Internetnutzern im Alter zwischen 14 bis 69 Jahren befragt in einem Zeitraum zwischen 11/2006 und 5/2007 sowie 385
Klingler, Walter (2008): Jugendlich und ihre Mediennutzung 1998 bis 2008. Eine Analyse auf Basis der Studienreihe Jugend, Information und (Multi-) Media/JIM. In: Media Perspektiven, 12/2008, S. 634. 386 SevenOne Media (2009): Sonderanalyse zur Mediennutzung in der Rezession. München, 31. 3. 2009. Basis waren AGF/GfK-Daten. 387 Scherf, Philipp & Neus, Andresas (et al.) (2008): Innovation der Medien. Web 2.0 verwöhnte Konsumenten zwingen Medienanbieter zum Umbau ihrer Geschäftsmodelle. Studie der deutschen Media- und Entertainment Practice der IBM Global Business Services in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Evaluation und Methoden der Universität Bonn, Hamburg.
210
8 Ergebnisse
100%
7
11
90%
14
14
16
36
80%
35
70% 60%
71
50%
67
65
73
40%
57
30%
57
20% 10% 0%
Internet 1
18
19
Zeitungen 2
Zeitschriften 3 (spez.)
18
13
Zeitschriften 4 (allg.)
Fernsehen 6
Radio 5
genauso häufig
häufiger
7
seltener
Abbildung 21: Nutzungstrends Quelle: IBM/ZEM Studie Innovation.
> 25 % Substitutionspotenzial
Alter in Jahren 14 bis 195
39
20 bis 294
38
62
30 bis 393
22
69
40 bis 492
12
20%
30% <10%
40% ca. 25%
12
8
50% ca. 50%
60% ca. 75%
70%
80%
>90%
Abbildung 22: Substitutionspotential neuer Medien an der TV-Nutzung Quelle: IBM/ZEM Studie Innovation.
21
10
19
84
10%
21
19
66
50 bis 591
0%
21
90%
1
22
5
3
100%
211
8.1 Die Determinanten
einem qualitativen Expertenpanel von 80 Medienexperten aus der Wertschöpfungskette der Werbung in Amerika, Asien und Europa. Die Studie ist eine der ersten Untersuchungen, die einen klaren Trend weg vom Fernsehen und hin zum Internet postulierte. Besonders signifikant waren Aussagen der Befragten, dass sie sich vorstellen können, einen Teil ihres jetzigen Fernsehkonsums durch (Amateur-)Videos aus dem Internet zu ersetzen. Deutlich wird das hohe Substitutionsrisiko, die Studie spricht von „erheblichem“ Potential. Die Botschaft der Untersuchung ist klar. Das traditionelle Fernsehen sieht sich ausgesetzt einem disruptiven Angriff neuer Technologien und Nutzungen. In der Studie wird dies überspitzt so formuliert: „Das Fernsehen wird (…) immer mehr in den Hintergrund gedrängt und wandelt sich vom ,Primärmedium‘, das unsere volle Aufmerksamkeit bindet, zu einem „Nebenbeimedium“, eine Entwicklung, die das Radio bereits durchlaufen hat.“388 Die Forscher diagnostizieren einen unmittelbaren „Substitutionseffekt“. „Fernsehen scheint an Relevanz und mit Sicherheit an Alleinstellung zu verlieren.“389 Das hat, so heißt es, unmittelbare Folgen vor allem für die privaten Fernsehsender mit ihren werbefinanzierten Geschäftsmodellen. Hier stünden die Sender vor „großen Herausforderungen“. Diese Herausforderungen zeigen sich der Studie zufolge noch in einem ganz anderen Bereich – dem der formalisierten Wertschöpfung nämlich. Hier lassen die Ergebnisse des Expertensurveys interessante Rückschlüsse auf mögliche Gefährdungen der Branche zu.
Advertiser
Media/ Advertising Agency
Media/ Planing & Buying
Content Owner/ Producer
Full Service Media/Advertising Agency Advertiser Niche Media Agency
increase
small loss
Traditional Media Planning & Buying Interactive Media Planning & Buying big loss
Content Owner/ Producer
Media Company/ Distributor
Consumer
Traditional distributor (TV, radio …) interactive distributor (Internet, mobile, …) big increase
Consumer
small increase
Increase or loss of power in the advertising value chain.
Abbildung 23: Disintermediationstendenzen durch die Digitalisierung in der TV-Branche Quelle: IBM/ZEM Studie Innovation.
388 389
Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 7.
212
8 Ergebnisse
Wendet man die Theorie von den disruptiven Innovationen im vorliegenden Fall vor allem als eine wirtschaftswissenschaftliche Schlüsseltheorie zum Verständnis der Veränderungen durch die Digitalisierung an, dann zeigen sich die Auswirkungen von Disruption hier in der Zersetzung und Rekomposition der Wertschöpfungslogiken. In der Studie „Innovation der Medien“ wird durch die Aussagen des Expertenpanels deutlich, dass die Befürchtungen, es könne zu einer „Disintermediation“390 in der tradierten Wertschöpfung kommen (zu einem Angriff auf die Wertschöpfungskette von beiden Seiten, der die Rolle der bisherigen Intermediäre (traditionelle Medienanbieter und -Distributoren) entwertet, bereits tief ins Bewusstsein der handelnden Akteure eingedrungen sind. „Im Internet könnten die Abwanderung der Aufmerksamkeit zu den interaktiven Medien sowie die fortschreitende Degradierung des Fernsehens vom „Leitmedium“ zum „Nebenbeimedium“ noch beschleunigt werden. Eine solche beschleunigte Verschiebung der Aufmerksamkeit würde wiederum eine weitere Verschiebung der Budgets und damit eine noch prekärere Kostensituation mit weiteren Auswirkungen auf die Attraktivität der Inhalte für die Massenmedien nach sich ziehen.“391 Die JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest rückt die Mediennutzung der Jugendlichen in den Mittelpunkt. Die Studie steht für eine Grundgesamtheit von rund sieben Millionen junger Menschen zwischen 12 und 19 Jahren aus der eine repräsentative Stichprobe von 1204 Jugendlichen befragt wurde.392 Auffällig deutlich wurde dabei die hohe Endgeräteverfügbarkeit bei den Jugendlichen. Mobiletelefone sind zu über 90 Prozent vorhanden, die Durchdringung von Fernsehern und Computern liegt gleichauf. In der Rangfolge der Bindungsstärke einzelner Medien bzw. Medienapplikationen liegen vor dem Fernseher als Endgerät bereits zwei digitale Geräte/Anwendungen (Computer/Internet). Wenn auch in dieser Studie keine eindeutige Nutzungs390
Vgl. dazu Heinemann, Gerrit (2008): Multi-Channel-Handel. Erfolgsfaktoren und BestPractices., Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 34: „Disintermediation bezeichnet die Verschmelzung der einzelnen Wertschöpfungsstufen, die auch typischerweise mit der Vertikalisierung einhergeht, wodurch eine Reduzierung der Distributionskosten stattfindet. Resultat ist eine verstärkte Kontrolle der Distributionssysteme durch einen neuen Anbieter, der auch die Koordinationsaufgabe übernimmt. Disintermediation wird in erster Linie von solchen Herstellern betrieben, die damit aus ihrer Sicht wertschöpfungsmindernde Aktivitäten von Zwischenhändlern ausschalten wollen. Gängig ist in dem Zusammenhang die Annahme, dass die im Zuge der Disintermediation dazugewonnene Marge zwischen Hersteller und Endkunde aufgeteilt wird.“ 391 Ebenda, S. 16. 392 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2008): JIM 2008 – Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, Stuttgart.
8.1 Die Determinanten
213
Handy MP3-Player Radio CD-Player Computer/Laptop Fernsehgerät Internetzugang Spielkonsole TV/ PC Digitalkamera Kasettenrekorder tragbare Spielkonsole DVD-Player (nicht PC) Walkman / Discman UMTS-Handy Videorekorder Mini-Disc-Rekorder
Abbildung 24: Gerätebesitz bei Jugendlichen. Quelle: JIM-Studie 2008.
verschiebung weg vom Fernsehen hin zum Internet diagnostiziert wurde, so wird deutlich: „Der Computer und das Internet haben in manchen Bereichen dem Fernsehen bereits den Rang abgelaufen. Für Jugendliche sind Computer, Internet und MP3-Player inzwischen weniger verzichtbar als der Fernseher.“393 Die JIM-Studien sind nicht die einzigen, die im weitesten Sinne und noch ohne Schärfe in der Analyse beginnende Substitutionsszenarien für das Fernsehen diagnostizieren. Auch die ARD/ZDF-Onlinestudie 2008 beschreibt vorsichtig Kannibalisierungstendenzen durch Onlinenutzung: „Mit den Videoportalen erwächst den klassischen Contentherstellern, den Fernsehmachern, potenziell Konkurrenz.“394 Die Studie „Der Markt der Medien“ des Focus-Verlags formuliert noch weniger explizit, verweist aber ebenfalls auf massiv sich ändernde Nutzungsgewohnheiten: „Das Internet ist (…) binnen 393
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2007): JIM 2007 – Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, Stuttgart, S. 69. In der JIM-Studie 2008 wird die Bedeutung des Computerbesitzes betont: „Die 12- bis 19-Jährigen können heute auf ein enormes Medienangebot zurückgreifen. Erstmals in der zehnjährigen Geschichte der JIM-Studie zeigt sich, dass Jugendliche eher einen Computer als einen Fernseher besitzen. Und auch sonst hat sich in den letzten Jahren die Grundausstattung an Mediengeräten verändert und kontinuierlich erweitert.“ Vgl. dazu JIM-Studie 2008, S. 67. 394 Eimeren van, Birgit und Frees, Beate: Internetverbreitung: Größter Zuwachs bei den Silver Surfern. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2008. In: Media Perspektiven 07/2008, S. 330.
214
8 Ergebnisse
kürzester Zeit von einem Außenseiter zu einem Massenmedium geworden.“395 Vor allem in Bezug auf die Printmedien kommen aktuelle Studien zu deutlicheren Aussagen: „(…) In den Köpfen der Medienmacher hat die digitale Revolution längst stattgefunden und droht, den traditionellen Qualitätsjournalismus und seine Bestimmungen in etwas Neues zu verwandeln, das noch nicht einmal ansatzweise zu erkennen ist. Die Zukunft gehört dem Internet, das haben sämtliche befragten Experten bestätigt – sogar die Vertreter der Zeitungsbranche.“396 In einer für für die USA repräsentativen Studie des Marktforschungsunternehmen Ipsos Media CT („MOTION-Studie zum Mediennutzungsverhalten von Internetnutzern“) werden die oben für Deutschland beschriebenen Tendenzen mit einer (hierzulande noch nicht feststellbaren) Sicherheit zusammengefasst, die aus dem Bewusstsein der Vorreiterschaft entspringt, die der amerikanischen (Medien-)Markt gegenüber den Tendenzen in Europa und Deutschland insbesondere hinsichtlich den Entwicklungen der Digitalisierung aufweist: “We really see these share gains in non-traditional video channels as not simply an isolated, generation-driven market effect, but rather a large macro-trend in the way consumers want their video content delivered that those in the entertainment industry should increasingly be paying attention to as we look forward to the rest of 2008 and beyond.”397
8.1.3.2 Dimensionierung der Determinante Die Determinante muss als besonders wichtig und prägend eingestuft werden, vor allem, da nach allen vorliegenden und hier ausgewerteten Studien ein massiver Wandel der Mediennutzungsgewohnheiten nicht mehr bestritten werden kann. Zwar gibt es graduelle Unterschiede zwischen den einzelnen Studien, der Wandel wird jedoch weitgehend übereinstimmend als gravierend und irreversibel beschrieben. Ihre besondere Wucht bekommt diese Einschätzung durch eine unbestreitbare demografische Komponente: Der Wandel fällt umso dramatischer aus, je jünger die betrachteten Zielgruppen sind. Der Effekt des Wandels wird also mit dem Hineinwachsen der (Noch-)Kinder und (Noch-)Jugendlichen in die TV-Vermarktungszielgruppen zu einem exponentiellen Relevanzzuwachs hinsichtlich der Vermarktung und Vermarktbarkeit führen. Diese Entwicklung ist insbesondere für werbefinanzierte Geschäftsmodelle von kaum zu überschätzender Bedeutung. 395
Focus Magazin Verlag (2008): Der Markt der Medien, München, S. 41. Weichert, Stephan & Kramp, Leif (2009): Das Verschwinden der Zeitung? Internationale Trends und medienpolitische Problemfelder. Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin. 397 Ipsos Media CT („MOTION-Studie zum Mediennutzungsverhalten von Internetnutzern“). Abgerufen unter URL: http://www.ipsosmediact.com/products/motion_overview.aspx, am 21. 4. 2009. 396
8.1 Die Determinanten
8.1.4
215
Technologische Determinante: Status digitaler Innovation
8.1.4.1 Darstellung der Determinante Die Digitalisierung ist kein abgeschlossener Prozess. Wie zu Beginn dieser Arbeit dargestellt, lässt sich die Digitalisierung vielmehr als eine permanent umwälzende Entwicklung auf unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ebenen und in verschiedenen Dimensionen darstellen. Für die Bestimmung der hier zu untersuchenden Determinante ist das Verständnis entscheidend, dass der Prozess der Digitalisierung in den Medien und dort vor allem in den audiovisuellen Medien erst begonnen hat und dass die technischen Möglichkeiten ihrer wirtschaftlichen und/oder auch publizistischen Steuerung und Wirkung weit voraus ist. Dieser Prozesscharakter der digitalen Revolution ist von großer Bedeutung für das grundsätzliche Verständnis der Märkte: Es handelt sich nicht um (scheinbar) stabile oder zwischenstabile Zustände, sondern um eine Bewegung, von der weder Geschwindigkeit, Rhythmus noch Richtung präzise vorhergesagt werden können. Sicher aber ist, dass die Veränderung kein absehbares „Ende“ erkennen lässt. Vielmehr gibt es Anzeichen dafür, dass Prozess-, Bewegungs- und Flusscharakter zentrale Merkmale der Digitalisierung darstellen, die darauf schließen lassen müssen, dass auf kurzfristigen Kontrollgewinn abzielende Maßnahmen ungeeignete, mindestens jedoch nur begrenzt wirksame Mittel darstellen werden, um die wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Die Digitalisierung als technischer Prozess hat dabei noch längst nicht alle Bevölkerungsteile erfasst. Vielmehr ist auch die quantitative Raumnahme nicht annähernd abgeschlossen, wie dies zum Beispiel Zahlen zur Internetnutzung zeigen: „Der Anteil der so genannten Onliner an der deutschen Bevölkerung steigt 2008 stärker als in den Vorjahren, nämlich um fast fünf Prozentpunkte auf ca. 65 Prozent, von denen wiederum ca. 65 Prozent über einen Breitbandanschluss verfügen; in allen Altersund Einkommensklassen und über alle Bildungsschichten nimmt die Internetnutzung gegenüber 2007 zu – dies sind die zentralen Ergebnisse im neuen (N)ONLINER Atlas.“398 Der Deutsche Kulturrat hat die Tendenz erkannt und zum Schwerpunkt seiner Tätigkeit im Jahr 2009 bestimmt: „Die Digitalisierung verändert auch die Möglichkeiten, audiovisuelle Medien zu produzieren und zu verbreiten. Telekommunikationsunternehmen eröffnen neue Geschäftsfelder und werden quasi zu Rundfunkanbietern. Verlage bieten in den Online-Ausgaben ihrer Zeitungen und Zeitschriften zusätzlich audiovisuelle Inhalte an. Diese Entwicklungen wurden durch den rasanten Fortschritt der digitalen Medien möglich. Die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Wertschöpfungskette sind in ihren Einzelheiten noch nicht genü-
398
Initiative D21 e.V. & TNS Infratest (Hrsg., 2008): (N)Onliner Atlas 2008 – Deutschlands größte Studie zur Nutzung oder Nichtnutzung des Internets. S. 6.
216
8 Ergebnisse
gend erforscht. Es steht zu vermuten, dass sich die Veränderungen in den unterschiedlichen Branchen der Kulturwirtschaft sehr unterschiedlich auswirken.“399
Wie in dieser Untersuchung gezeigt, muss sich vor allem auch der traditionelle TVMarkt mit der Digitalisierung und den daraus entspringenden disruptiven Bedrohungen durch neue Produkte und neue Nutzungsformen auseinandersetzen. Die Schwierigkeit bei der Bewertung dieser Bedrohungen hinsichtlich ihrer determinierenden Kraft für eine Szenarienentwicklung besteht darin, dass bereits die Determinante selbst stark dynamisch ist, und ihre Bewertung daher bereits prognostische Anteile enthält. Grundsätzlich aber kann diese zusätzliche Bewertungsunsicherheit kein Grund dafür zu sein, nicht zu versuchen, die Bedeutung des künftigen Einflusses digitaler Technologien zu bestimmen. Zusammengefasst lässt sich nach Auswertung der aktuellsten vorliegenden Studien zum Thema sagen, dass an der disruptiven Kraft vieler insbesondere der vom Internet ausgehenden und auf das traditionelle Fernsehen zielenden Innovationen vor allem beim Bewegtbild kein Zweifel sein kann. „The end of television as we know it“ ist die programmatische Überschrift der aktuellen IBM-Studie (2006) zum Thema.400 Sie kommt zu einem eindeutigen Schluss: “Today, audiences are becoming increasingly fragmented, splicing their time among myriad media choices, channels and platforms. For the last few decades, consumers have migrated to more specialized, niche content via cable and multichannel offerings. Now, with the growing availability of on demand, self-programming and search features, some experiencers are moving beyond niche to individualized viewing. With increasing competition from convergence players in TV, telecommunications and the Internet, the industry is confronting unparalleled levels of complexity, dynamic change and pressure to innovate.”401
Mogg, Wiese et al. (2008) kommen in ihrer Studie zu der Ansicht, dass zum Beispiel Web-TV die maßgebliche disruptive Bedrohung für das klassische Fernsehen darstellen wird. Web-TV definieren sie dabei in Abgrenzung zu IPTV als „over the top“ über Telekommunikationsunternehmen sprich Internetanbieter verbreitetes freies Contentprodukt, im Gegensatz zum über „walled garden infrastructures“ nur über proprietäre Systeme zu empfangendes IPTV.402 Web-TV bezeichnen die Autoren da399
Deutscher Kulturrat: Digitalisierung der Medien Schwerpunktthema für den Deutschen Kulturrat 2009, abgerufen unter URL: http://www.kulturrat.de/detail.php?detail=1453&rubrik=4, am 9. 4. 2009. 400 IBM-Studie (2006): The end of television as we know it. A future industry perspective. IBM Business Consulting Services, Media and Entertainment, New York, 2006. 401 Ebenda, S. 1. 402 Mogg, Alexander, Wiese, Hannes, Iblher, Felix (2008): WebTV insights and perspectives. Ab web 2.0 phenomenon is coining new TV usage patterns. Roland Berger Strategy Consultants, München, S. 4.
8.1 Die Determinanten
217
bei als „best effort“-Modell, da es den Web-TV-Anbieter aus eigener Kraft heraus nicht möglich ist, das technische Qualitätsniveau für die Endkunden selbst zu kontrollieren, da sie immer auf die Distribution Dritter angewiesen sind.403 Web-TV wird nach Mogg, Wiese et al. vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sich beim Contentangebot User-generated-Content mit professionellem Inhalt mischt, dass lineare Programmangebote neben On-Demand-Inhalten stehen, dass werbefinanzierte wie Paid-Geschäftsmodelle miteinander konkurrieren, dass kürzere Inhalte („Short Clips“) ebenso wie lange Contents („Full Episodes“) angeboten werden und dass eine Vielzahl unterschiedlicher Personalisierungs- wie Kommunikationsfunktionen die Angebote interaktiv mit dem Nutzer vernetzen. Weil sich die Angebote sowohl inhaltlich wie technisch immer mehr zu hochorganisierten Fernseh-ähnlichen Erlebniswelten verdichten, erkennen die Autoren eine unmittelbare Kannibalisierungsgefahr für das traditionelle, lineare Fernsehen: „Navigating through online libraries is becoming similar to simply switching the TV channel.“404 Explizit erwähnen die Autoren das Problem der Contentrechte. Es stellt sich unmittelbar, wenn regionale bzw. lokale Anbieter (in der Logik des World Wide Web sind dies Anbieter auf der Ebene von Nationalstaaten oder Staatenregionen wie der EU) internationale Inhalte für ihr jeweiliges Territorium lizensieren müssen. Dieser Frage müssen sich Inhalteanbieter sehr rasch stellen, wenn sie neben dem von Usern geschaffenen Inhalt auch professionellen TV- oder Kinoinhalt anbieten wollen. Hierin sehen die Autoren jedoch auch – neben der dargestellten Bedrohung – besondere Chancen für die bisherigen „traditionellen“ TV-Inhalteanbieter. Sie können die Kraft ihrer Marken ebenso auf die neuen Angebote übertragen, wie Teile ihres Programmbestands, für den die entsprechenden Rechte vorliegen bzw. erworben wurden. Implizit enthält diese Aussage eine Bestätigung der Ausgangsthese dieser Untersuchung, wonach die Beschaffung, Verwaltung und Distribution der entsprechenden Rechte für den Erfolg in den neuen digitalen Welten aus ausschlaggebender Bedeutung ist.405
403
Dieser Wettbewerbsnachteil verliert rasch an Bedeutung. Je rascher die Verbreitung von breitbandigen Internetzugängen zunimmt und die Netzwerkkapazitäten steigen, desto unwichtiger wird diese Tatsache. 404 Ebenda, S. 8. 405 Vgl. dazu ebenda, S. 9ff. „The solution to the content licensing issue will furthermore have significant implications on the strategic positioning of local versus international players. Many local players could already establish themselves next to ther omnipresent global competitors. BBC in the UK and ProSiebenSat1 in Germany can serve as two examples of regionally focused broadcasters which sucessfully managed to lever their local TV experience to the web. The users, correspondingly, see Web-TV more and more in competition to traditionally localized broadcast TV, rather than as a stand-alone web 2.0 application. As a consequence, also the demand for localized content and design in Web-TV is rising.“
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8 Ergebnisse
Die Studie schließt sich der These an, dass sich zwischen den avancierten Nutzungen einer besonders jungen und technikaffinen Generation und den klassischen „Couch potatoes“ eine Generationenkluft spannt. Sie kommt zur Schlussfolgerung, dass die Gruppe der „Kool Kids“ und „Gadgetiers“ jene ist, die für die Wettbewerber die größen Hoffnungen trägt: „As this group grows over time, it can represent revenue growth opportunity for industry incumbents – if compelling content and device/platform extensions can be offered.“406 8.1.4.2 Dimensionierung der Determinante Die Determinante der technologischen Veränderungen ist quantitativ schwer zu fassen – das ist an dieser Stelle aber auch gar nicht notwendig. Zur Einschätzung der Determinante für Szenarien hinsichtlich der Fernseh- und Produktionsbranche mit besonderem Blick auf das Thema des Rechtemanagements lässt sich festhalten: Alle Marktteilnehmer sollten sich vergewärtigen, dass sie Teil einer umfassenden, hochdynamischen technologischen Entwicklung sind, deren Ende nicht absehbar ist. Dabei eilen technische Möglichkeiten ihrer Nutzung und Vermarktung deutlich voraus. Nichtsdestotrotz lassen sich neue Produkte und Vertriebswege identifizieren, die auf (bislang nur) Teil-Märkten erste Erfolge gegenüber traditionellen Mitbewerbern erzielen. Somit kann die Dimensionierung dieser Determinante vor allem als Hintergrund möglicher Strategieentwicklung ausgelesen werden, deren Relevanz immer dann einen Bedeutungszuwachs erfährt, wenn wirtschaftliche oder strategische Maßnahmen von Marktteilnehmern auf Statik oder Eindämmung abzielende Maßnahmen oder Pläne aufweisen: Dann nämlich ist der Weg nicht weit zu einer massiven Unterschätzung der Entwicklung.
8.2
Die kommentierende Branchenpublizistik
In dieser Inhaltsanalyse wird aus verschiedenen Gründen getrennt zwischen der Auswertung der Fachpublizistik und der Auswertung der Interviews von beteiligten Akteuren der Branche. Hauptursache sind die unterschiedlichen kommunikativen Settings, die an die Rezeption der Aussagen und ihre Bewertung unterschiedliche Kriterien anlegen muss. Am offenkundigsten wird dies in der strategischen Zweckrationalität der Akteursaussagen, die zwar immer einen veröffentlichten (Zwischen-) Stand einer persönlichen Bewertung zum Ausdruck bringen, gleichzeitig jedoch nie 406
IBM-Studie (2006): The end of television as we know it. A future industry perspective. IBM Business Consulting Services, Media and Entertainment, New York, 2006. S. 12.
8.2 Die kommentierende Branchenpublizistik
219
ohne den strategischen Kontext von Eigen- und/oder Unternehmensinteressen zu bewerten sind. Die Kommentare der Branchenpublizistik unterliegen anders gearteten, eigenen und bereits thematisierten Interessen, die einen Bias zwischen Gesagtem und Gemeintem induzieren können. Die deutlich größere Zahl von auswertbaren Branchenkommentaren im Vergleich zu der öffentlich zugänglichen Zahl von Akteursinterviews führt zu einem weiteren Unterschied in der Auswertungsdarstellung. Insgesamt erscheint die Zahl der Akteursinterviews über den gesamten Zeitraum zu gering, um eine signifikante Veränderung von Bewertungstendenzen auf der Zeitachse abbilden zu können. Der Erkenntniswert der Akteursinterviews liegt vielmehr in der Eindeutigkeit und Folgenschwere der jeweiligen Aussagen. Bei den Kommentaren ergibt sich jedoch die Möglichkeit, den Untersuchungskanon durch das Auffinden gewisser thematischer und argumentativer Schwerpunktbildungen auch auf der Zeitachse erkenntnisbringend zu strukturieren und begründete Hypothesen in Bezug auf eine zeitliche Phasenkonzeption zu formulieren. 8.2.1
Grundlagen der Phasenmodellierung
Grundsätzlich ließ sich unter anderem die Fragestellung formulieren, ob und inwieweit die Medienbranche in ihrer publizistischen Selbstreflexion in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Relevanz des strategischen Managements von Contentrechten SMCR erkannt und entsprechende Maßnahmen umgesetzt hat. Die Gesamtheit der ausgewerteten Publikationen wurde dabei als phasenabhängiger Meta-Kommentar zu dieser Frage verstanden, der sich analog zu den Mustern von Veränderungsprozessen darstellen ließ. Angesichts des Veränderungs- und Aktionsdrucks durch die digitale Revolution kann plausibel eine Hypothese einer zugrunde liegenden „Blaupause“ von Veränderung entwickelt werden, die starke Analogien zu einem Veränderungsmodell aus dem Change Management aufweist. Die Einordenbarkeit der analytischen Befunde in dieses sich in einem selbstkritisch-iterativen Prüfprozess an Rändern und Konturen selbst schärfenden gedanklichen Grundgerüstes, ermöglichte eine Profilierung und Beschreibung bestimmter, von einem „Tenor“ von Aussagen und Wertungen grundierter Zeiträume, die sich zu einem plausiblen Gesamtbild eines Meta-Kommentars der Veränderung zusammenfassen ließen. Dieser Ansatz erscheint schlüssig, weil die aufgetretenen Befunde inhaltlich mit hoher Plausibilität in ein Modell der Erkenntnisveränderung und Handlungsinduktion im Change Management eingeordnet werden können. In den dargestellten prototypischen Phasen von Veränderungsprozessen lassen sich zunächst unterschiedliche inhaltliche Phasensequenzierungen bestimmen. Aus Gründen einer möglichst hohen Plausibilität und Nachvollziehbarkeit sowie aus erkenntnissystematischen Reduktionsnotwendigkeiten soll der die TV- und Produk-
220
8 Ergebnisse
Wahrgenommene persönliche Kompetenz zur Veränderungssteuerung
+
Integration „Es ist selbstverständlich …“
Vermeidung „Das stimmt nicht …“
Erkenntnis „Es geht ja tatsächlich …“
Einsicht „Vielleicht doch …“
Ausprobieren „Man könnte mal versuchen …“
Schock „Das kann nicht wahr sein …“
Akzeptanz „Es stimmt eigentlich …“
– Veränderungsereignis
Zeit
Abbildung 25: Phasenanalogie zu Veränderungsprozessen Quelle: Scherm, Ewald/Pietsch, Gotthard (2007).407
tionsbranche kommentierende Analysekanon zur Schärfung der Aussagekraft in drei als wesentlich zu bezeichnenden Phasen abgebildet werden: In einer ersten „Phase der Verdrängung“ finden sich signifikant viele Bewertungen, die einen Veränderungsdruck auf das Thema SMCR im Rahmen der digitalen Revolution schlicht verneinen, dem Thema ausweichen oder es gezielt und mit erkennbarer Absicht unterpriorisieren. Allen diesen Bewertungen geht ein belegbarer Erkenntnisprozess voraus: Jener nämlich, dass eine – wie auch immer geartete – Veränderung oder zumindest bestimmte wahrgenommene Prozesse bestimmte Reaktionen hervorgebracht haben, auf die die Kommentare nun zu antworten glauben müssen. Dieser – eingestandene oder uneingestandene – „Schock“ einer Thematisierung des lange Zeit Nicht-Thematisierbaren steht am Anfang jeder Veränderung. Selbstverständlich findet die Veränderung oder zumindest das Thema der Veränderung auch Akzeptanz, sie wird aber in jener ersten abgrenzbaren Phase nicht zum beherrschenden Tenor. Nach dieser ersten Phase lässt sich ein Zeitraum erkennen, der eine merkliche Verschiebung der kommentierenden Tonalität aufweist. In dieser „Phase der Akzeptanz“ sammeln sich die um Verstehen und ein Erklären bemühten Kommentierungen, die alle implizit oder explizit nun von einem unumkehrbaren Veränderungsprozess 407
Grafik entnommen: Scherm, Ewald/Pietsch, Gotthard (2007): Organisation. Theorie – Gestaltung – Wandel. Oldenbourg Wissenschafts-Verlag, München, S. 268.
8.2 Die kommentierende Branchenpublizistik
221
ausgehen. Hauptkennzeichen dieser Phase sind die hohe Varianz der Erklärungsversuche, die grundsätzliche und ausformulierte Unsicherheit über Tempo, Wucht und Ausmaß der Veränderung sowie der Versuch, Ansätze einer Repositionierung der besprochenen Teilbranchen zu diskutieren. Dieser breiten Mittelphase folgt ein vergleichsweise kurzes, aber intensives und bis in die aktuelle Gegenwart ragendes Intervall einer „Phase der Aktion“. In eine solche Phase lassen sich grundsätzlich alle Kommentierungen und Beschreibungen integrieren, die sich auf aktives unternehmerisches Handeln zur Steuerung der Veränderung beziehen. Diesem Phasenmodell kann nun ein zeitliches Phasensequenzierungsmodell zugewiesen werden. Um plausible zeitliche Kategorien zu erhalten, werden dabei Betrachtungszeiträume mit schlüssigen Anfangs- und Enddaten bestimmt. Grundsätzlich hat der Prozess der Digitalisierung und seine Auswirkungen auf die TV-Branche im Hinblick auf das strategische Management von Contentrechten aus sich selbst heraus keinen quasi „natürlichen“ definierbaren Anfang mit einem von allen Beteiligten perzeptierten Urknall-Effekt, sondern ist ein fließender Vorgang, innerhalb dessen nur mittels plausibler Annahmen exakte zeitliche Phasen (mit Anfangs- und Endzeitpunkten) herausmodelliert und beschrieben werden können. Dabei bietet sich für das strategische Management von Contentrechten und dessen öffentliche Thematisierung vor allem ein markantes Datum an: Der für die öffentliche Perzeption des Themas tiefste Einschnitt – die Gründung der Allianz deutscher Produzenten am 5. 3. 2008. Diese Gründung kann gelesen werden als Institutionalisierung eines durch die Digitalisierung notwendig erzwungenen Diskussions-, Veränderungs- und Anpassungsprozesses in der TV- und Produzentenbranche. Mit Gründung des neuen Verbands wurden explizit formuliert die Grenzen zwischen TV-Produzenten und Sendern neu betrachtet und in einer signifikant auf das Thema SMCR fokussierten Form definiert. Will man also die Branchenpublizistik auch zeitlich plausibel strukturieren, so bietet sich der 5. 3. 2008 als ScheideTermin an. Der Zeitraum vor diesem Termin-Marker kann aus dieser Sicht nicht nur von der kommentierenden Publizistik als von der „Zeit danach“ unterscheidbare Phase verstanden werden, sondern auch von den Teilnehmern der Branche selbst. Auf diese Weise strukturiert sich die zeitliche Phasensequenzierung quasi „natürlich“ und mit deutlicher inhaltlicher Belegbarkeit in eine Zeit vor dem 5. 3. 2008 und eine Phase nach dem 5. 3. 2008. Aus Analogiegründen zur inhaltlichen Phasensequenzierung ist es nun noch notwendig, einen begründeten Vorschlag für einen Startpunkt einer dritten Phase, der „Phase der Aktion“ zu definieren. Dieser Versuch muss notgedrungen mangels eines selbsterklärenden markanten Termins auf Basis von Plausibilität erfolgen, wird aber auch willkürliche Zeichen tragen. Als Marker müssen hierbei letztlich inhaltliche Befunde fungieren. Im Folgenden hat sich die
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8 Ergebnisse
Untersuchung dafür entschieden, den 1. 1. 2009 als Zeitpunkt-Chiffre für einen zeitlich nicht eindeutig zu präzisierenden Einschnitt in der kommentierenden Branchenberichterstattung zu wählen. Er bringt auf der einen Seite die inhaltlichen Befunde einer erkennbaren Tonalitätsverschiebung zum Ausdruck und ist auf der anderen Seite in der Lage, die psychologischen und makroökonomischen Stimmungsveränderungen durch die Weltwirtschaftskrise zu integrieren, die zwar bereits vor dem 1. 1. 2009 unübersehbar waren, sich aber in der untersuchten Branchenpublizistik massiv erst nach dem Jahreswechsel zu manifestieren begannen. Im Folgenden können nun die Befunde der inhaltanalytischen Auswertungen mittels begründeter inhaltlicher und zeitlicher Phasensequenzierungen gebündelt und zusammengefasst werden. In den jeweiligen Phasen werden dabei die im vorangegangenen Kapitel bestimmten Auswertungskategorien beschrieben und am Ende jeder Phasenbetrachtung generalisiert und dimensioniert.
8.2.2
Phase der Verdrängung
Betrachtet wird der Zeitraum vom 16. 7. 2006 bis zum 5. 3. 2008, also ein Zeitraum von gut eineinhalb Jahren. Diese Zeit vor der erstmaligen Gründung einer bundesweit agierenden gemeinsamen Produzenten-Institution zum systematischen Ringen um Contentrechte lässt sich innerhalb der Branchenpublizistik als eine Phase der Unterpriorisierung des Themas kennzeichnen. 8.2.2.1 Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär? In der Phase findet sich in der Branchenpublizistik noch keine eindeutige Diagnose für disruptive Veränderungen. Der digitale Wandel wird in der Regel zurückhaltend oder als evolutionäre Tendenz beschrieben. Auffällig allerdings ist eine statistisch geringe, inhaltlich aber auffällig explizite Zahl von Artikeln, die das Thema einer möglicherweise „zerstörerischen Veränderung“ erstmals aufgreifen und in vorsichtige Zusammenhänge mit den Veränderungen in der Medienbranche bringen. Eine entsprechende Kommentierung findet sich zum Beispiel im Manager Magazin. Dort wird, explizit auf die Medienbranche bezogen, auf die disruptiven Innovationen angespielt: „Frei nach dem Ökonomen Joseph Schumpeter könnte man sie als kreative Zerstörer bezeichnen. Sie suchen gezielt nach vermachteten Märkten. Nach Branchen, in denen ein Oligopol aus wenigen Anbietern die Preise hochhält und Innovationen verschleppt. Anschließend versuchen die Gründer, das Oligopol zu knacken. (…) Das Beispiel Yahoo zeigt, dass Konzerne sich bei der Verteidigung gegen die kreativen Zerstörer auf einem schmalen Grat bewegen. Um die Angreifer abzuwehren, müssen die Etablierten oft ihr eigenes Kerngeschäft durch neue Produkte kanniba-
8.2 Die kommentierende Branchenpublizistik
223
lisieren. Doch gleichzeitig wird das Kerngeschäft noch auf Jahre hinaus deutlich mehr Gewinn abwerfen als die unerprobten neuen Geschäftsmodelle.“ 408 Und weiter heißt es an selber Stelle: „Bedroht fühlen müssen sich von diesem Trend alle Unternehmen, deren Produkte auf digitalem Weg zum Kunden gelangen können; heute Telefonminuten, Popmusik und Computerprogramme, morgen vielleicht Fernsehfilme und Finanzdienstleistungen. (…) Mit dem Angriff auf einzelne Branchen unterscheiden sich die kreativen Zerstörer von den Internetgründern der ersten Generation. Die attackierten nicht in erster Linie etablierte Märkte, sondern schufen neue: Vor Yahoo gab es keine Internetportale, vor Ebay konnten Privatleute ihren Krimskrams nicht weltweit zum Kauf anbieten.“ 409 Auch der Spiegel greift die Disruption implizit auf: „Amazon, Cisco, Google und Microsoft: Amerikas Hightech-Konzerne langen derzeit zu, wo sie nur können; mitunter aus schierer Angst, den Anschluss zu verlieren. Die besten Online-Innovationen fänden an der Basis statt, und sie hätten sehr zerstörerische Auswirkungen auf die etablierten Konzerne, warnte MicrosoftGründer Bill Gates Ende vergangenen Jahres per Memo seine Kollegen.“ 410 An anderer Stelle wird eine bereits faktische Disruption thematisiert: Die Erosion der Nutzung in den tradierten analogen Medien: „Bedrohlich ist für traditionelle Medien wie Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen aber etwas anderes: Das Ungleichgewicht zwischen Mediennutzung und der Verteilung der Werbegelder. (…) Von Dauer dürfte diese Schieflage kaum sein. Nach den Mediennutzern werden auch die Werbegelder abwandern und verstärkt in das Internet umgeschichtet.“ 411 8.2.2.2 „Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse Wie der Wandel wirkt, darüber gibt es in der Branchenpublizistik der ersten Phase eine große Vielfalt an Erklärungsansätzen, die soweit gehen, dass sie sogar die eigene Ratlosigkeit als zyklischen Erfahrungsprozess thematisieren können: „Die Digitalisierung ist ein zyklisches Geschäft. Sie kommt in Wellen. Ihre Domestizierung folgt dabei dem immer gleichen Schema: Zunächst ist da eine neue Technologie, die einen neuen Möglichkeitsraum eröffnet. In diese erfahrungsarme Zone wird viel hineingeheimst. Irgendwann läuft der Möglichkeitsraum mit Erfahrung voll. Es kommt zu Wertberichtigungen und am Ende steht ein realistisches Bild der neuen Anwendung.“ 412 Auffällig ist in dieser Phase die Thematisierung einer auffälligen 408
Manager Magazin, 20. 04. 2007, S. 40. Ebenda. 410 Der Spiegel, 16. 07. 2006, S. 61. 411 FAZ, 27. 08. 2007, S. 21. 412 perlentaucher.de, 14. 12. 2007. 409
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Krise der Printbranche. Einige Kommentatoren diagnostizieren bereits eine lebenswichtige Entscheidungssituation, zum Beispiel bezogen auf die Bild-Zeitung: „Im Prinzip geht es bei dem intensiven Ausbau der Online-Aktivitäten um ein Wettrennen zwischen wegbrechenden Printauflagen und der steigenden Zahl von Internetusern.“ 413 Und an anderer Stelle heißt es: „Der Strukturwandel ist unausweichlich. In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren werden viele Menschen auf gedruckte Zeitungen verzichten. (…) Die generelle Krux ist: Es gibt noch kein Geschäftsmodell, das Qualitätsjournalismus – wie man ihn kennt – ausschließlich im Internet und allein mit Werbung finanzieren würde.“ 414 Skeptisch formuliert die Zeit hinsichtlich der Aussichten der Printbranche: „Die Ausgangslage für Verlage, um sich im Überfluss des digitalen Informationszeitalters durchzusetzen, ist nicht schlecht. Längst dominieren die Onlineangebote von Zeitungen, Magazinen wie dem Spiegel und Fernsehsendern das Nachrichtengeschehen im Internet. Wer sich dort informieren will, sucht die alten Marken. Doch nur sehr wenige Verlagsmanager wissen, wie sie auf die Nachfrage antworten sollen. Dies ist der dritte Schritt zur Selbstzerstörung (Die anderen beiden: zu hohe Renditenerwartungen und Ausschüttungen für die Besitzer sowie Sparen an der Qualität; A.d.V.).“ 415 Die Produzentenbranche, so sieht es ein Kommentator, habe unter anderem mit einem Preisverfall im DVD-Segment zu kämpfen: „Für die Filmproduzenten hat der Preisverfall drastische Folgen. (…) Für die Filmbranche ist (…) Video-on-demand – Videothek aus dem Internet – noch keine Alternative.“ 416 Insgesamt wird aus den Einschätzungen deutlich, wie unsicher insgesamt die künftigen Geschäftsmodelle eingeschätzt werden können. Bezogen auf die Fernsehbranche fällt auf, dass in vielen Kommentaren die Unsicherheit hinsichtlich der Geschäftsmodelle prägend ist: „(…) Die Digitalisierung verändert die Fernsehlandschaft nachhaltig. (…) Dabei scheint es das eine Geschäftsmodell, mit dem sich schnell und nachhaltig Kasse machen läßt, nicht zu geben.“ 417 Als ein Versuch, sich in den neuen Web-Welten zu positionieren, werden Online-Communities identifiziert: „Mit dem Ausbau ihrer Internet-Aktivitäten erweitern die TV-Sender systematisch ihre Vertriebswege. Doch die Pakete aus TV- und Web-Werbung sind für die Kunden nicht immer optimal. (…) Die Sender schlagen variantenreich gegen die Konkurrenz aus dem Web zurück. (…) Eine Stoßrichtung ist klar auf die Eroberung der Online-Communities gerichtet.“ 418 Doch dieser Vorstoß der Fernsehsender geht 413
Börsenzeitung, 25. 01. 2008, S. 17. Die Zeit, 31. 01. 2008, S. 28. 415 zeit.de, 20. 09. 2008. 416 Handelsblatt, 26. 02. 2007, S. 20. 417 DWDL, 26. 03. 2007. 418 Kontakter, 11. 05. 2007, S. 30. 414
8.2 Die kommentierende Branchenpublizistik
225
nach Ansicht anderer Kommentatoren möglicherweise ins Leere, weil die Hauptkonkurrenten in der digitalen Welt längst Gegenangriffe gestartet haben: „Google wird das Über-Medium. Das Fernsehen wird wie das Web, prophezeit Googles TVWerbemann Keval Desai. Google überträgt sein erfolreiches pay-per-Click-System (…) aus dem Web aufs traditionelle Fernsehgeschäft.“ 419 Insgesamt lässt sich für diese erste Phase bilanzieren, dass zwar gewisse Veränderungen erkannt und skeptisch betrachtet werden, dass die Branchenpublizistik jedoch bei den Medien selbst hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen eine gewisse Ratlosigkeit ausmacht: „Die Medien, ob Print oder Rundfunk, sie wissen, dass sie im Internet, dem Markt der Zukunft, dabeisein müssen, haben aber keine Ahnung davon, was in fünf, in zehn Jahren sein wird.“ 420 8.2.2.3 Das SMCR und die Rolle der Marktteilnehmer Hinsichtlich der strategischen Bedeutung von Contentrechten wird in dieser ersten Untersuchungsphase vor allem die Positionierung der Produzenten sehr kritisch gesehen, aber immerhin überhaupt zur Sprache gebracht, hier im Vergleich zu den umfassenden Auswertungsplänen der TV-Sender: „Von stolzen 360-Grad-Plänen sind die meisten deutschen Fernsehproduzenten mangels Größe und Finanzkraft ohnehin weit entfernt. (…) Um sich wieder aufzurichten, wäre eine größere Geschlossenheit hilfreich. Doch daran hapert es, hier gerät die Produzentenlandschaft nur mühsam in Bewegung.“ 421 An anderer Stelle wird sowohl auf Konzentrationstendenzen hingewiesen wie auch auf die sich wandelnden Anforderungen durch die digitale Veränderung: „Vor dem Hintergrund einer stabilen Auftragslage vollzieht sich in der deutschen TV-Produktionslandschaft ein deutlicher Wandel.“ 422 Sogar von „Übernahmefieber“ ist die Rede: „Ganz oben auf den Kauflisten stehen Produktionsfirmen. Inhalt ist König, lautet der Schlachtruf der New Economy.“ 423 Doch auch für diejenigen, die überleben, steigt das finanzielle Risiko, die Branchenkommentare formulieren Risiken für die Produzenten: „Im Zeitalter des Internetfernsehens müssen die Film- und Fernsehproduzenten mehr Geld für Forschung und Entwicklung neuer Programme ausgeben. Das Risiko teurer Fehlgriffe ist dabei hoch.“ 424 Das
419
SPON, 04. 04. 2007. Frankfurter Rundschau, 09. 11. 2007, S. 41. 421 epd medien, 07. 01. 2008. 422 Blickpunkt Film, 18. 02. 2008, S. 38. 423 Focus Money, 11. 04. 2007, S. 20. 424 Handelsblatt, 16. 04. 2007, S. 12. 420
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Ziel der TV-Sender hinsichtlich des SMCR wird in einem anderen Fachkommentar jedenfalls klar benannt: „Das Ziel: Ein Total-buyout der TV-Formate. (…) Der Markt wird weiter wachsen. (…) Erklärtes Ziel ist ein Total Buyout mit möglichst allen Online- wie Offline-Medien.“ 425 Die deutsche Produzentenbranche, so wird in Kommentaren deutlich, steht, anders als internationale Produzenten, der Umbruchssituation noch relativ gelassen gegenüber: „Fernsehen ist in die Jahre gekommen. Cannes diskutiert heftig, welche Opfer das Internet fordern wird. Google ist weniger eine Gefahr für die Produzenten, als für die Fernsehsender, unkt Wolf Bauer, Chef des größten deutschen Fernsehproduzenten UFA.“ 426 Singulär benannt wird das Thema potentieller Rechteakquisition. Das Produktionsunternehmen UFA geht in einer internen Untersuchung davon aus, dass die Digitalisierung massive Verwerfungen der bisherigen Geschäftsprozesse mit sich bringen wird: „Die verschiedenen Szenarien des Konzerns gehen ausnahmslos von der Überzeugung aus, dass sich viel bewegen werde. (…) Als größtes Manko betrachtet (UFA-Geschäftsführer, Anm. d. Autors) Bauer die unbefriedigende Rechtelage.“ 427 Hier prognostizieren einzelne Stimmen neue Konfrontationen: „Doch es tut sich was. Das Selbstbewußtsein der Produzenten nimmt zu, die Konfrontation mit den Sendern steht bevor.“ 428 Dies konstatiert auch eine andere Stimme: „Die Beziehung zwischen Filmproduzenten und Fernsehmachern hat schon harmonischere Jahre gesehen. (…) Für Ärger sorgt bei den freien Produzenten neben den sinkenden Gewinnmargen vor allem die Frage, welche Rechte sie an ihren Produktionen behalten, um sie in neue Verwertungsketten vom DVD-Verkauf über Video on Demand bis zum Handy-TV doch noch zu einem lohnenden Geschäft machen zu können.“ 429 Aber es gibt auch optimistische Stimmen: „TV-Produktionen fürs Internet schaffen Wachstumsperspektiven. (…) Die Entwicklung steht allerdings noch am Anfang.“ 430 Insgesamt lässt sich für diese erste Phase konstatieren, dass die bereits dargestellte Konfrontationsstellung zwischen TV-Produzenten und TV-Sendern die Kommentare beherrscht. Dabei werden die Folgen der Digitalisierung zwar als bedeutend für das SMCR erkannt und eingestuft, jenseits der erwähnten Konfrontationsstellung jedoch keine Positionen diskutiert.
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Kontakter, 26. 02. 2007, S. 30. Handelsblatt, 17. 04. 2007, S. 2. 427 Blickpunkt Film, 03. 09. 2007, S. 30. 428 FAZ, 11. 12. 2007, S. 42. 429 Kölner Stadtanzeiger, 09. 12. 2007. 430 text intern, 12. 10. 2007, S. 10. 426
8.2 Die kommentierende Branchenpublizistik
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8.2.2.4 Die Entwicklung des TV-Marktes Die Entwicklung des Fernsehmarktes wird in der (ersten) Verdrängungsphase von vielen Publikationen noch als evolutionäre Veränderung verstanden: „Die Gretchenfrage der TV-Branche in punkto Zukunftssicherung lautet Masse oder Nische. (…) Doch von Verdrängung des TV im großen Stil kann keine Rede sein. In zehn Jahren wird es beides geben: Fernsehen, wie wir es kennen, aber auch eine neue TVNutzung über Breitband-Internet.“ 431 Oder, an anderer Stelle: „Das lineare Fernsehen bleibt auch in mittelfristiger Zukunft massenmarktfähig und damit Hauptgeschäftsfeld der TV-Konzerne.“ 432 Aber es gibt auch – einzelne – andere Stimmen, die eine klare Warnung an die TV-Sender aussprechen: „Die Selbstgewissheit der großen Sendergruppen könnte sich in wenigen Jahren als illusorisch erweisen. (…) Geld für Investitionen ist angesichts des schwierigen Werbemarktes derzeit in der Fernsehbranche knapp. Deshalb stehen auch die Sendergruppen bei der digitalen Medienrevolution meistens im Abseits. (…) In der früher so heilen Fernsehwelt bleibt unterdessen kein Stein auf dem anderen. (…) Das Internet bedroht das Fernsehen in seiner Bedeutung, aber nicht in seiner Existenz. In der digitalen Welt geht es nicht um ein Entweder-Oder sondern um ein Sowohl-als-auch. Einen Kannibalismus in der Medienbranche gibt es traditionell nicht. (…) Deshalb werden die großen Fernseh- und Radiosender genauso wenig verschwinden. Doch sie werden im kommenden Zeitalter des mobilen Internets nicht mehr die erste Geige spielen. (…) Doch noch sitzt die traditionelle Fernsehbranche auf einem hohen Ross. Viel zu lange haben Senderchefs und TV-Produzenten geglaubt, dass sie mit ihren Inhalten am längeren Hebel sitzen. Doch das hat sich als Selbstbetrug erwiesen.“ 433 Ähnlich formuliert dies ein weiterer Kommentar: „Den neuen Videoplattformen wird unterstellt, sie eigneten sich dazu, irgendwann mal das klassische Fernsehen abzulösen. Aber das ist erst einmal nur Theorie. Denn nirgendwo im Netz wird das Fernsehen so sehr kopiert wie dort. (…) So leicht wird das Fernsehen seine Massenattraktivität nicht verlieren. Doch es wird sich verändern, allein schon, weil es plötzlich zigtausend neue Produzenten gibt.“ 434 Auch die Welt am Sonntag verweist darauf, dass der Zuschauer zum Produzenten wird: „Herkömmliches Fernsehen verschmilzt zunehmend mit dem Internet.“ 435 Deutlich wird in der Fachpublizistik, dass die Veränderung des Fernsehens von vielen Kommentatoren zwar festgestellt wird, dass aber
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Tendenz, 17. 01. 2008, S. 10. epd medien, 27. 10. 2007, S. 3. 433 Handelsblatt, 19. 02. 2008, S. 9. 434 FAZ, 12. 06. 2007, S. 42. 435 WamS, 18. 03. 2007, S. 58. 432
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Schlussfolgerungen für das Management von Contentrechten unterbleiben: „Man könnte auch sagen, das Web 2.0 ist erwachsen geworden, neben Musik-Clips und verwackelten Home-Videos gibt es nun auch Schweres aus der Politik – und nicht nur das: Professionelle Comedy, Reportagen, Entertainmentshows und Nachrichtenformate machen den konventionellen Sendern Konkurrenz.“ 436 Oder an anderer Stelle: „Das Internet setzt seinen Siegeszug fort. Mit steigenden Bandbreiten wird aus der Informationsfundgrube mehr und mehr ein Entertainment-Medium. Triebfeder der Entwicklung ist die emotionale Kraft der bewegten Bilder, bislang eine Domäne des Fernsehens. (…) Doch die Professionalisierung der Inhalte im Netz steigt.“ 437 Kritik wird geäußert an der Praxis der Sender, die Entwicklungen in der digitalen Welt teilweise zu bekämpfen, statt zu versuchen, sie mitzusteuern: „Das Internet macht es möglich: Jeder ist sein eigener Programmdirektor. Die Teenies haben es längst entdeckt. (…) Während die Medienunternehmen noch wild experimentieren, sind illegale und halblegale Internetseiten auf dem Vormarsch. (…) Die Fernsehsender klagen gegen diese Anbieter. Klüger wäre es, gemeinsam eine attraktive Alternative zu bieten.“ 438 Einen anderen, gleichwohl ebenfalls pessimistischen Grundton, schlägt folgender Kommentar an: „Schon jetzt beklagen TV-Produzenten, dass den Sendern – nicht nur bei ProSiebenSat1 – der Mut fehlt, Neues zu wagen (…). Das könnte dazu führen, dass sich Zuschauer vom Medium TV abwenden und stattdessen Filme auf Abruf anschauen oder sich DVDs kaufen. (…) Die Medienhäuser geraten immer stärker ins Abseits, da die Werbeeinnahmen zurückgehen.“ 439 Diese Haltung referenziert indirekt auf den Verlust der Aggregatorenkompetenz der TV-Häuser und damit die Bedrohung für deren Intermediärsfunktion. Als typisch für diese Phase lässt sich auch hier kennzeichnen, dass zwar eine negative Entwicklung konstatiert, Maßnahmen und Gegenstrategien jedoch nicht benannt werden können. Auch diese Stimme sieht größere Bedrohungen: „Die deutschen Fernsehsender müssen schon bald mit verschärfter Konkurrenz durch Anbieter von Filmen rechnen, die aus dem Internet heruntergeladen werden können.“ 440 Auch die kreative Konkurrenz – ganz im Sinne disruptiver Innovationen – wird thematisiert: „Und das dürfte ein grundsätzliches Problem der Fernsehbranche sein: Junge Wilde wagen Dinge, die das saturierte TV nicht mehr ausprobieren will – aus Angst vor dem Risiko.“ 441 Demgegenüber stehen Stimmen, die die Bedrohungssituation für das traditionelle 436
Der Spiegel, 12. 03. 2007, S. 102. Horizont, 15. 11. 2007, S. 36. 438 FASZ, 29. 07. 2008, S. 27. 439 W&V, 06. 09. 2007, S. 14. 440 FTD, 25. 09. 2007, S. 5. 441 W&V, 08. 11. 2007, S. 18. 437
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Fernsehen noch als harmlos einschätzen: „Bei aller Euphorie um das Web 2.0 – noch lassen sich (die) (…) Programmdirektoren der Zukunft (meint: die User) gerne berieseln und pfeifen auf die souveräne Inhaltenutzung der Medien. Was für eine Chance für den alten Klassiker: das Fernsehen.“ 442 Mancher Kommentator geht noch weiter: „Medien mit einem Mythos überleben. (…) Ohne User-ID-Kram und Passwortgewurschtel und den ganzen interaktiven Mist. Einfach fernsehen.“ 443 Diese geradezu „trotzige“ Haltung gegenüber der Wahrnehmung von Veränderung ist ein Merkmal der „Phase der Verdrängung“, das sich so in den folgenden Phasen nicht mehr findet. 8.2.2.5 Dimensionierung der „Phase der Verdrängung“ Selektivwahrnehmungen, Ratlosigkeit, Unterpriorisierung – diese Schlagworte erscheinen in der zusammenschauenden Betrachtung dieser ersten Phase (der Verdrängung) geeignet, die Branchenkommentare zu bündeln. Alle Themen werden zwar an der einen oder anderen Stelle benannt und oft in einem weitreichenden Spektrum an Meinung kommentiert. Es gibt aber keinerlei integrierte Sicht auf das Thema, nicht zu erkennen ist jede Form von vernetzten Erklärungsansätzen. Die Kommentierung in der Phase der Verdrängung zeigt damit eine Neigung, das eigentliche Thema nur partiell zu erfassen, die Bedrohungen tendenziell zu unterschätzen, wenn überhaupt, Fragen stellen und nicht Antworten liefern zu können: „Selbst wenn ihre Printmedien seit Jahren auch als Online-Ausgabe erscheinen, ist das Web aus Verlegersicht noch immer terra incognita: Welche Themen interessien die User? Wer sind überhaupt die User? Wie viel muss man investieren? Wird der Webauftritt jemals rentabel sein? Und: Klaut einem die Homepage die Leser des Mutterblatts? (…) Theoretisch liegt im World Wide Web eine Menge Geld bereit, nur wo und wie man dorthin kommt, rätselt die Branche noch immer.“ 444 Dies ist, wohlgemerkt, der Kommentar eines Mediums über sich selbst und seine eigene Branche.
8.2.3
Phase der Akzeptanz
Betrachtet wird in dieser Phase der Zeitraum vom 5. 3. 2008 bis zum 31. 12. 2008, also ein Zeitraum von zehn Monaten.
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SZ, 31. 03. 2007, S. 21. SZ, 22. 09. 2007. 444 SZ, 19. 12. 2007, S. 15. 443
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8.2.3.1 Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär? In der Phase der Akzeptanz ist in der Mehrzahl der Kommentare zu erkennen, dass die digitalen Veränderungen in der Medienbranche zunehmend als disruptive, also zerstörerische Bedrohungen verstanden werden. „Zeitschriften, Zeitungen und Fernsehsendern droht die Jugend abhanden zu kommen. (…) Die Geburt des Internets als Massenmedium (ist) der Beginn einer Medienrevolution, die mittlerweile in vollem Gange ist. (…) Das Werbegeld, das der Treibstoff für die Medienindustrie ist, wird den Lesern und Zuschauern ins Netz folgen.“ 445 Große Uneinigkeit jedoch herrscht in dieser Phase immer noch darüber, wie rasch die Veränderungen eintreten: „Das Internet ist nicht einfach ein zusätzliches Medium. Es deutet alle anderen MassenMedien um, definiert deren Form und publizistische Wirkung neu und bindet sie an den beschleunigten weltweiten Handel an. (…) Das herkömmliche Fernsehen, das Vollprogrammfernsehen stirbt, aber es stirbt langsam.“ 446 Auch an anderer Stelle wird von einem langsamen Prozess ausgegangen: „TV und Internet: die Fusion der beiden Medien schreitet voran – wenn auch langsam. (…) Dennoch: Deutschland steht erst am Anfang der Fusion der beiden Medien (…).“ 447 Die Grundeinschätzung, dass der Wandel eher langsam kommt, gilt auch dann noch, wenn sich einzelne Kommentatoren teilweise verblüfft zeigen über das hohe Tempo der Veränderung – mit dem sie bislang nicht gerechnet hatten: „Jüngere Zuschauer wenden sich vom TV ab. (…) Das Internet bringt das Fernsehen zunehmend in Bedrängnis. (…) Das Mediennutzungsverhalten der jüngeren Generation (ändert sich) ganz massiv. (…) Die Veränderung der Medienwelt geht schneller voran als noch vor wenigen Jahren vermutet.“ 448 Auch an dieser Stelle wird der rasche Wandel zum Ausdruck gebracht: „Die Medienwelt befindet sich im rasanten Wandel, das Internet ist global auf dem Durchmarsch und ändert das Informationsverhalten der Menschen.“ 449 Oder: „Der Vormarsch des Internet vollzieht sich offenbar in höherem Tempo als vielfach erwartet. In einem digital-progressiven Zukunftsszenario könnte die werbende Wirtschaft schon 2011 mehr Geld in die Online- als in die TV-Werbung stecken.“ 450 Es gibt in dieser Phase nur noch wenige Stimmen, die feststellen, dass der Wandel noch nicht vollständig angekommen und erfasst worden ist: „Dennoch geht man bei den deutschen Fernsehsendern nicht von einem radikalen Umbruch im Markt aus.“ 451 445
FAZ, 22. 09. 2008, S. 21. SZ, 17. 07. 2008, S. 15. 447 Abendzeitung, 08. 08. 2008, S. 17. 448 Handelsblatt, 02. 06. 2008, S. 20. 449 Focus Money, 02. 07. 2008, S. 46. 450 W&V, 25. 09. 2008, S. 63. 451 Blickpunkt Film, 29. 08. 2008, S. 18. 446
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Zusammenfassend kann man feststellen, dass diese Phase eine Akzeptanz des digitalen Wandels prägt. Große Varianzen in der Bewertung zeigen sich aber noch hinsichtlich des Tempos. Dabei ist jedoch auffällig, dass es erste Korrekturen an einer bislang vorwiegend zurückhaltenden Bewertung hinsichtlich des Tempos gibt. 8.2.3.2 „Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse Die Anerkennung der Veränderung als auffälligstem Merkmal dieser Mittelphase in der Medienanalyse wird in zahlreichen Kommentaren eindeutig beschrieben und es werden Schlussfolgerungen in Hinsicht auf die wirtschaftliche Bedeutung formuliert. Dabei geht es nun nicht mehr um die Frage, ob es eine Veränderung gibt, sondern nur noch um mögliche Antworten und Strategien: „Das Geschäft der Medienkonzerne ist schwierig geworden. Denn Print, Musik, Fernsehen oder Radio sind weitgehend entwickelte Branchen, die nur noch wenige oder gar keine Wachstumschancen mehr eröffnen. (…) Die Medienkonzerne (…) suchen fieberhaft nach neuen Geschäftsfeldern.“ 452 Auffällig in der Phase der Akzeptanz ist die Fraglosigkeit, mit der das Internet und die digitale Revolution als (einziger) Hoffnungsträger für die Medien angenommen wird: „Auch die Zeitungsverleger sind voller Zukunftszweifel angesichts des schleichenden Bedeutungsverlustes der gedruckten Tageszeitung. Sie schauen sorgenvoll in die USA, deren Papierjournalismus eine massive Krise durchzittert. Auch für die Verleger gibt es auf Dauer keine Alternative, als ihr Glück im Internet zu versuchen.“ 453 An anderer Stelle heißt es ebenfalls zur Print-Branche: „Alle wissen: Wer nicht im Internet präsent ist, verliert. Nicht ohne Grund betonten Medienmanager unisono: Die Hauptkonkurrenz droht von Google & Co.“ 454 Die Printbranche wird teilweise als prototypisch für die disruptive Erosion von Geschäftsmodellen betrachtet: „Die Besorgnis in der schreibenden Zunft wächst auch deshalb, weil die Medienmacher den Beweis schuldig geblieben sind, mit den Umwälzungen ihres Gewerbes fertig zu werden, ja sie überhaupt als Symptome einer publizistischen Überproduktion zu verstehen. (…) Aus Gründen, die Außenstehenden wohl für immer verschlossen bleiben, sind Verlage dazu übergegangen, ihre teuer produzierten Waren (muntere Enthüllungen, erfrischende Reportagen, belebende Formulierungen) als werbefinanzierte Gratisangebote im Internet zu verschenken, so wie die kölschen Jecken ihre Kamellen, beklatscht von einem internationalen Brain-Trust aus Internetfetischisten, Modejournalisten und Marketingleuten.“ 455 452
Handelsblatt, 04. 04. 2008, S. 16. SPON, 15. 04. 2008. 454 SZ, 25. 04. 2008, S. 29. 455 Manager Magazin, 27. 10. 2008, S. 14. 453
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Und, was noch vor einem Jahr niemand glauben wollte: Aus den neuen Mitkonkurrenten können rasch potentielle Käufer werden: „Das Medium Print, inhaltestark aber zuletzt renditeschwach, übt auf Internet-Unternehmer, hohes Renditepotenzial aber inhalte schwach, großen Reiz aus. (…) Google ist Kooperationspartner und Konkurrent zugleich – im Internet verschwimmen bisher gültige Marktabgrenzungsregeln.“ 456 Deutlich wird an anderer Stelle der Vorwurf formuliert, dass die Printbranche die digitalen Entwicklungen verschläft, zum Beispiel beim Thema der Verknüpfung von lokalen Inhalten mit lokalen Suchfunktionen: „Beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger gibt man sich noch gelassen. (…) Dabei ist Local Search ein Riesenmarkt und auch für Online-Agenturen ein immer wichtigeres Thema.“ 457 Auch für das Medium Fernsehen wird klar formuliert: „Das Internet macht dem Fernsehen den Stellenwert als Leitmedium streitig. (…) Der TV-Werbemarkt schwächelt, junge Leute kehren jetzt auch den auf die Zielgruppe der 14–49jährigen fixierten Privatkanälen den Rücken. Die Fragmentierung der TV-Landschaft durch die wachsende Zahl von Digital- und Spartenkanäle nagt an den Quoten der Großen. Das Internet soll also zusammenführen, was im traditionellen Geschäft zerbröckelt.“ 458 Und an anderer Stelle: „Junge Zielgruppen wollen Medien zeitunabhängig nutzen. Video on demand gewinnt daher an Akzeptanz. Die Werbewirtschaft begrüßt die TV-Umfelder im Netz. (…) Die mediale Zukunft liegt im Internet.“ 459 In einem Kommentar scheint die Akzeptanz der Veränderung sogar überzuschießen in dramatische Prognosen: „Der Siegeszug der digitalen Kanäle erfolgt schneller als prognostiziert: Im Werbemarkt wird das Internet den Klassiker TV schon in fünf Jahren überholen.“ 460 Kennzeichnend für die „Phase der Akzeptanz“ ist die hohe Varianz an strategischen Initiativen. Diese Varianz ist letztlich als Ausdruck von Unsicherheit auslesbar, die teilweise dazu führt, dass Vertreter ein und derselben Teilbranche mit vollständig unterschiedlichen Strategien in die digitale Herausforderung hinein gehen: „Für das laufende Jahr werden weitere hohe Investitionen geplant, vor allem in elektronische Medien… (…) Holtzbrick verfolgt damit eine andere Strategie als etwa Bertelsmann. Der Konzern aus Gütersloh, der unter hohen Schulden leidet, steht Zukäufen im Internet sehr kritisch gegenüber.“ 461 Diejenigen Print-Medien, die wollen und können, investieren massiv in mögliche digitale Geschäftsfelder: „(…) der Digitalisierungskurs des Bauer-Programmies findet nicht nur auf dem Papier statt, 456
Kress Report, 02. 10. 2008, S. 9. meedia.de, 22. 07. 2008. 458 SZ, 09. 04. 2008, S. 17. 459 W&V, 19. 06. 2008, S. 42. 460 W&V, 17. 07. 2008, S. 9. 461 SZ, 07. 05. 2008, S. 15. 457
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sondern auch über die sogenannten elektronischen Programmführer (EPG). Die EPG’s gelten als das Zukunftsmedium für Programminformation und -navigation, während die Auflagen vieler gedruckter Traditionstitel abstürzen oder erodieren.“ 462 Dass es zwischen technischen Möglichkeiten und ihrer wirtschaftlichen Verwertung zu einem Wettlauf mit häufigem Führungswechsel kommt, liegt in der dargestellten digitalen Logik. Für die digitalen Geschäftsmodelle von Unternehmen heißt dies aber, dass sie strategischen Charakter haben müssen, da die Kapitalisierungskraft volatil und und von prinzipiell unsicherer Nachhaltigkeit ist, was nun auch teilweise in den Kommentaren formuliert wird: „Videos erobern das Web. (…) Die Nachfrage nach Videowerbung schnellt in die Höhe – allein es fehlt der vermarktbare Content.“ 463 In den Kommentaren wird nun auch erstmals verwiesen auf die Bedeutung der Besonderheiten der digitalen Ökonomie. Die klaren Hierarchien und Marktteilnehmerstrukturen der analogen Welt finden sich dort nur noch in unscharfen Umrissen: „In der neuen Medienwelt lassen sich Konkurrenten und Partner nicht mehr so klar unterscheiden. Einerseits sehen sich die klassischen Medien von Suchmaschinen-, Webportal- oder Mobilfunkbetreibern unter Druck gesetzt. Andererseits nutzen Verlage und Rundfunkanbieter selbst das Internet und mobile Endgeräte, um dort Inhalte zu verbreiten und (mehr) Menschen an sich zu binden.“ 464 8.2.3.3 Das SMCR und die Rolle der Marktteilnehmer Das strategische Management von Contentrechten steht in dieser Zwischenphase des analysierten Zeitraums interessanterweise nicht im Fokus der Kommentare. Zwar wird der eine oder andere Aspekt thematisiert, auffällig ist jedoch, wie wenig im Vergleich zur breiten Diskussion über neue Geschäftsmodelle und die disruptiven Bedrohungen von einem systematischen Bewirtschaften von Rechten die Rede ist. Unmittelbar vor Gründung der Allianz deutscher Produzenten gibt es noch einzelne skeptische Kommentare in Bezug auf die Position der Produzenten. Publizistisch gewürdigt wird dann allerdings die neue Allianz deutscher Produzenten: „Im Verbund wollen die Kreativen künftig gemeinsam gegen die komplette Rechteverwertung seitens der TV-Stationen vorgehen. Auch die sogenannte digitale Dividende – Erlöse aus neuen Geschäftsbereichen wie DVD-Verkauf, Video-on-demand oder Abo-Fernsehen – soll den deutschen Produktionshäusern zugute kommen. (…) Die Lage der Produzenten hat sich in den vergangenen Jahren zugespitzt.“ 465 Auch scheint die in 462
Horizont, 27. 03. 2008, S. 26. W&V, 27. 3. 2008, S. 34. 464 Horizont, 11. 09. 2008, S. 76. 465 Der Kontakter, 21. 04. 2008, S. 40. 463
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der digitalen Ökonomie so bedeutsame Rolle von Allianzen und Kooperationen zumindest bei einige Marktteilnehmern in Bezug auf das SMCR erkannt und verstärkt umgesetzt zu werden: „Denn nach jahrelanger Frontalopposition gegen die Expansion von ARD und ZDF im Internet hat nun erstmals ein Zeitungsgigant die Kehrtwende vollzogen. Statt weiter gegen eine Gummiwand anzurennen, sucht der Essener Medienkonzern die Kooperation mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“ 466 Im Bereich der privaten TV-Sender erkennen einzelne Kommentatoren Strategien, die sich vollständig in die in dieser Untersuchung verwendete Definition von SMCR einordnen lassen: „Weibliche Internetnutzer haben sich zur Lieblingszielgruppe großer Medienhäuser gemausert. ProSiebenSat1 hat sich jetzt eingereiht und versucht mit Fem.com die Herzen der Frauen zu erobern. (…) Gegen die Konkurrenz will sich ProSiebenSat1 mit hauseigener Kompetenz durchsetzen: dem Bewegtbild. Zum einen setzt der Konzern auf Mehrfachverwertung. Dort kann er von Sendungen wie Germanys Nest Topmodel zehren. Zudem will das Unternehmen Extra-Inhalte fürs Web produzieren.“ 467 In der Phase der Akzeptanz gibt es immerhin zum ersten Mal auch in expliziter Form die Thematisierung des SMCR in der in dieser Arbeit formulierten erweiterten Definition. Unter der Überschrift „Die Sender müssen kreativer werden“ lassen sich erste Wahrnehmungen einer notwendigen kreativ-kooperativen Ergänzung des protektiven Ansatzes im Ringen um Rechte ausmachen: „Die TVSender müssen zusehen, dass sie ihre Präsenz im Internet deutlich ausbauen. (…) Von den Sendern (ist) vor allem ProSieben derzeit in einer günstigen Position. (…) Hinzu kommt, dass die Sender es in der Vergangenheit häufig versäumt haben, sich die Onlinerechte mitzusichern. Die Möglichkeit, eine Erfolgsserie im Fernsehen einfach ins Internet zu verlängern, fällt damit im Zweifel aus.“ 468 8.2.3.4 Die Entwicklung des TV-Marktes „Angst geht um bei den Sendern – die Angst vor der Zukunft. (…) Das Medium der Jugend ist das Internet.“ 469 Es hat die Glocke für die vielleicht letzte Runde für das Fernsehen geläutet – so könnte man einen Tenor vieler Äußerungen heraushören, und auf der nun angebrochenen Schlussrunde fällt die Entscheidung, wer in diesem rasanten Rennen der digitalen Revolution die Nase vorne haben kann. In der Süddeutschen Zeitung wird dies als Warnschuss und vielleicht letzte Chance für eine ganze Medienteilbranche interpretiert: „Kein einziger Sender traut sich bislang, 466
Handelsblatt, 12. .03. 2008, S. 12. Kress Report, 25. 07. 2008, S. 40. 468 Horizont, 23. 10. 2008, S. 29. 469 Gong, 05. 09. 2008, S. 1. 467
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das wahre Potential zu nutzen, das im Netz schlummert: die Magie der dezentralen Distribution; in Netzsprech auch „Widgetisierung“ genannt. Allerdings muss man entschuldigend anmerken, dass dieses Konzept dem alten, massenmedialen Vertriebsgedanken diametral entgegenläuft. (…) Das Fernsehen löst sich auf. (…) Was bleibt also vom Fernseherlebnis unserer Elterngeneration, wenn die Sender konsequent den Weg ins Web beschreiten? Nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Entgleichzeitigung die TV-Sender in Videotheken verwandelt und sie durch die Entbündelung auch noch ihre Wahrnehmbarkeit verlieren. Zugespitzt könnte man sagen: Das Fernsehen löst sich auf, zumindest das lineare, immobile. (…) Auf Dauer hat die Fernsehindustrie wahrscheinlich nur dann eine Überlebenschance, wenn sie sich von ihren industriellen Wurzeln trennt und zu einer Art medialem Risikokapitalisten wird, zu einem Talent-Scout und -Financier, einem Marketing- und Vermarktungsdienstleister.”470 Das Urteil der meisten Kommentatoren ist eindeutig: Das Fernsehen wird sich dramatisch verändern: „Es geht um die Zukunft; und die heißt nicht Fernsehen, sondern Internet. (…) Das Internet ist die Mutter aller Medien.“ 471 An anderer Stelle: „Web-TV kann traditionelles Fernsehen bald ersetzen.“ 472 Die Aufholjagd sehen Kommentatoren dabei schon als begonnen an: „Das Konkurrenzmedium Internet holt mächtig auf. (…) Fernsehen hat seinen Zenit durch die neue Konkurrenz des Internets wohl überschritten. Denn Online kann, was sich die Fernsehmacher immer gewünscht haben: In Echtzeit mit dem Nutzer kommunizieren.“ 473 Klar scheint, dass insbesondere die Zeitlinearität von Fernsehen und damit auch wesentliche Intermediärsfunktionen von TV an Bedeutung verlieren werden: „Der Anteil von nicht-linearen TV-Formaten wird mit steigender Nachfrage bzw. steigender Wettbewerbsintensität in den nächsten Jahren zunehmen.“ 474 Vielerorts äußert sich die Akzeptanz geradezu in einer affirmativen Bestätigung der (nun) wahrgenommenen Veränderung: „Dennoch verändert die Digitalisierung die Entwicklung und Entstehung von Fernsehfilmen massiv. (…) Vierzehn- bis 25jährige, zu deren Lebenswelten eher Handy und PC als der Fernsehapparat gehören und die zum Verdruss von Produzenten und Sendern deshalb auch immer weniger fernsehen.“ 475 Eine andere Stimme ist ebenfalls skeptisch für das Medium Fernsehen: „TV verliert bei Kindern und Jugendlichen an Stellenwert. Die Öffentlichen scheinen davor zu kapitulieren, die Privaten gehen crossmediale Wege. (…) Die Lösung liegt in der 470
sueddeutsche.de, 09. 07. 2008. Journalist, 01. 09. 2008, S. 13. 472 New Business, 25. 08. 2008, S. 16. 473 Handelsblatt, 30. 09. 2008, S. 12. 474 New Business, 25. 08. 2008, S. 20. 475 FAZ, 14. 04. 2008, S. 40. 471
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Vernetzung aller Kanäle. (…) Ob die Kids von heute zu TV zurückfinden, ist ungewiß.“ 476 „Fernsehsender verlieren den Wettstreit um Aufmerksamkeit und Werbegelder. (…) Das Fernsehen in seiner jetzigen Form wird immer mehr zu einem Auslaufmodell.“ 477 Typisch für die Phase der Akzeptanz sind auch die Kommentierungen von Prototypenbildung und Experimentalphasen. Ein Beispiel dafür sind die Verlagerungsversuche von Fußballfernsehen ins Web: „Mit der Internet-Übertragung des Uefa-Cup-Spiels gegen Glasgow hat Werder Bremen die Zukunft eröffnet.“ 478 Und an anderer Stelle wird auf die Zielszenarien prototypischer Testnutzung verwiesen: „Denn der Markt der Zukunft, und das hat auch der große Zampano Kirch jederzeit im Hinterkopf, ist das Internet-Fernsehen – und auch hierfür sind die technischen Möglichkeiten längst vorhanden.“ 479 Entscheidend für die Produktion von Bewegtbild ist, dass die Digitalisierung die Markteintrittsbarrieren dramatisch gesenkt hat – durch die unvergleichlich niedrigen Herstellungskosten von Web-Inhalten. Dies führt zu neuen Angeboten, die positiv kommentiert werden: „Und was das Revolutionäre ihrer Sendung angeht, hat Margarethe Schreinemakers einfach recht. Nicht ihr Inhalt ist bahnbrechend, aber das Garagenhafte der Produktion. Sie braucht keine riesigen Apparate mehr, sie geht auf Technikmessen, kauft sich das Equipment zusammen, verzichtet auf den teuren Kamerakran, sucht sich ein paar experimentierfreudige Partner, räumt den Dachboden frei, bringt Redaktion und Studio darin unter und sendet los. Sie braucht nicht einmal einen richtigen Fernsehsender.“ 480 Bei allen neuen Angeboten bewegten Bildes im Internet äußern Kommentatoren immer wieder die Gefahr der Kannibalisierung. Sie wird bezogen vor allem auf Fernsehsender. Nicht, weil sie keine Konkurrenz gewohnt wären, sondern weil sie sich aus oligopolen Konkurrenzverhältnissen verabschieden und aufbrechen müssen in eine (Online-)Welt multipolaren Verdrängungswettbewerbs, in dem letztlich eine prinzipiell unbegrenzte Zahl von Konkurrenten um dieselben Kapitalisierungschancen kämpft: „Berater von Booz & Co. meldeten, dass das Internet heute schon doppelt so einflussreich ist wie die Glotze, wenn es um den Griff zum Geldbeutel geht. (…) die Welt wird künftig einfach nur fraktaler. Das Internet wird das TV nicht umbringen, sondern schlucken. (…) Unterdessen wandern neue TV-Formate ins Netz, wo sie nicht nur immer mehr Augäpfel anziehen, sondern auch jede Menge Werbung. Interessanterweise haben da die Printverlage die Nase vorn, und nicht die Fernsehmacher: Zu Jahresbeginn hatten bereits 122 Zeitungstitel bewegte Bilder auf der 476
Horizont, 14. 08. 2008, S. 40. FASZ, 30. 11. 2008, S. 37. 478 Süddeutsche Zeitung, 09. 03. 2008, S.37. 479 SPON, 13. 03. 2008. 480 FASZ, 27. 04. 2008, S. 34. 477
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Website.“ 481 Skeptisch, aber von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugt auch diese Stimme: „Der maue TV-Werbemarkt zwingt die kommerziellen Sender immer stärker ins Internet: Werbefinanzierte Videoangebote sollen für Zusatzeinnahmen sorgen. Ob die Rechnung aufgeht, ist unklar. (…) Angesichts amerikanischer Hochglanzproduktionen, die kostenlos und werbefinanziert im Netz abrufbar sind, könnte der Reiz hiesiger Produktionen im Web rasch verblassen – und die Werbeerlöse aus dem Internet könnten versiegen, ehe sie richtig zu sprudeln begonnen haben.“ 482 Und an anderer Stelle: „Der Boom der Online-Videos ist für die TV-Anbieter aber nicht unproblematisch, weil klassische TV-Etats teilweise ins Netz abwandern können. (…) Die Werbung im Netz hat etliche Vorteile: Die Zahl der Nutzer lässt sich exakt anhand der Abrufe messen und erreicht vor allem Jugendliche und junge Erwachsene – jene Altersgruppen also, die dem herkömmlichen TV immer häufiger den Rücken kehren.“ 483 Auch kriegerische Metaphern finden sich jetzt, es ist von „Kampf“ die Rede: „Die Angreifer kommen von allen Seiten und werden immer mehr. Sie machen dem guten alten Fernsehen die Nutzer und die Werbebudgets seiner Kunden streitig.“ 484 Teilweise heftige Kritik in dieser Phase erntet der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Dies liegt zum einen an einer sich erhitzenden Debatte über die künftigen Expansionsrechte der Gebührenangebote in der digitalen Welt im Zusammenhang mit dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, zum anderen aber auch an einem im Jahr 2008 noch von den Kommentatoren festgestellten Unvorbereitetsein auf den digitalen Wandel. Dass die fehlende Wettbewerbsfähigkeit in der digitalen Welt und die Müdigkeit der bürokratisch erschwerten öffentlich-rechtlichen Anpassungsprozesse wirtschaftlich durch die geplanten neuen Freiheiten des neuen Staatsvertrags überkompensiert werden könnten, empört vor allem die seriöse journalistische Konkurrenz: „Denn ARD, ZDF und Deutschlandradio, die öffentlich-rechtlichen Bastionen gegen die Privatfunker, befinden sich mit dem wachsenden Erfolg journalistischer Internetangebote in einer ebenso schnell wachsenden Legitimationskrise.“ 485 Kommentatoren bemängeln, dass sich nun mehr und mehr zeige, wie wenig die gebührenfinanzierten Anstalten auf den digitalen Veränderungsdruck vorbereitet waren und sind: „Wirklich begriffen haben (ARD und ZDF) nichts. (…) In einer Welt, die vor zehn Jahren noch nichts von Google ahnte und die heute immerhin weiß, dass alles ständig im Fluss ist, und niemand mit Bestimmtheit sagen kann, was kommt, ist 481
Handelsblatt, 18. 09. 2008, S. 19. Blickpunkt Film, 12. 05. 2008, S. 22. 483 Kress Report, 22. 08. 2008, S. 24. 484 Kress Report, 02. 10. 2008. 485 Der Spiegel, 09. 06. 2008, S. 110. 482
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das (die geplante Negativliste, A.d.V.) ein aberwitziger Ansatz.“ 486 Andere Stimmen konzentrieren sich auf die Expansionsstrategie der öffentlich-rechtlichen Sender, zum Beispiel unter dem Titel „Digital ist nicht legal“: „Es wird immer deutlicher, dass die gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten versuchen, sich zu Anbietern elektronischer Presseerzeugnisse im Internet zu entwickeln.“ 487 Ein weiterer Vorwurf geht in die Richtung, ARD und ZDF als Sender zu charakterisieren, die den Kontakt zu jüngeren Zuschauern und damit die eigene Regenerationsfähigkeit verloren haben: „Demnach kehren die jungen Zuschauer der Tagesschau (und) Heute in Scharen den Rücken.“ 488 Einige Kommentare gehen hinsichtlich ihrer Einschätzung über die bloße „Akzeptanz“ einer dramatischen Veränderung für die TV-Industrie hinaus. Sie entwerfen Szenarien und Prognosen zum Beispiel für die strategische Ausrichtung der ProSiebenSat1-Gruppe unter dem damaligen CEO de Posch: „Doch offenbar ist de Posch mittlerweile klar geworden, dass die vielen Investititonen in die digitale Welt nur dann neue Einnahmen via Werbung bringen können, wenn die Sender als Leithengste auch Publikum ins Netz holen werden.“ 489 Interessant an dieser Prognose ist die implizite Verbindung zum SMCR wie in dieser Untersuchung definiert. Die Verwendung von bestehenden Sender- und Formatmarken als „Leithengste“ für Online-Produkte weist auf ein den protektiven Ansatz weit überschreitendes strategisches Verständnis hin. Anders als in anderen Medien-Teilbranchen gibt es für das privatfinanzierte Fernsehen auch Stimmen, die positive Szenarien zeichnen: „Werbung mit Bewegtbildern im Web gewinnt an Fahrt – und ist schon teurer als vergleichbare Spots im Fernsehen. (…) Die TV-Macher glauben in einer sorgfältigen Arbeitsteilung den Stein der Werbeweisen gefunden zu haben. Nur auf den TV-Portalen laufen Serien in voller Länge. Bereits vor der Fernsehausstrahlung gegen Gebühr abrufbar, danach eine Woche kostenfrei und werbefinanziert. Dann werden sie wieder kostenpflichtig.“ 490 8.2.3.5 Dimensionierung der „Phase der Akzeptanz“ Die Phase der Akzeptanz zeigt eine deutliche Verschiebung der Wahrnehmung in den Bewertungen der Branchenkommentare. Die Veränderung wird praktisch nicht mehr bestritten, was diskutiert wird ist ihr Tempo. Dieses unklare Verhalten des Veränderungstempos lässt die Kommentatoren eine Vielzahl höchst unterschiedlicher 486
taz, 09. 06. 2008, S. 11. FTD, 08. 05. 2008, S. 30. 488 Münchner Merkur, 30. 07. 2008, S. 23. 489 Medien Bulletin, 17. 07. 2008, S. 24. 490 Handelsblatt, 02. 10. 2008, S. 19. 487
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und mit großer Varianz bewerteter Maßnahmen der Branche beschreiben. Man könnte hier von einer diagnostizierten hochtourigen Strategiesuche sprechen, bei der sich zwar die digitalen Medien als einzige strategische Zielwerte ausmachen lassen, die jedoch hinsichtlich der Definition von Maßnahmen vielfach als Experimentalphase verstanden wird. Auffällig ist die schwache Wahrnehmung des SMCR als strategischem Schlüsselfaktor. Das Thema scheint zwar eine akzeptierte Relevanz zu besitzen, der konkrete Transfer zu den Herausforderungen der digitalen Revolution wird in der Branchenpublizistik jedoch kaum formuliert. Dies ist insbesondere auffällig, wenn man dagegen die Eindeutigkeit der Betrachtungen für die TV-Industrie stellt. Als zentrale Herausforderung gilt hier unübersehbar das Internet, aber auch hier fällt auf, dass die Kommentatoren vielfach ratlos scheinen, die wesentlichen oder auch nur die wahrscheinlichsten Erfolgsfaktoren zu benennen. Immerhin allerdings können viele Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen als Rohlinge künftiger Strategien gelesen werden, denen jedoch Konsistenz und Kohärenz zu diesem Zeitpunkt noch fehlen. 8.2.4
Phase der Aktion
Die Phase lässt sich, wie oben definiert, von Anfang 2009 bis Mai 2009491 fassen. Das ist gemessen an den anderen Betrachtungszeiträumen eine kurze Phase. Nach den aber bereits in dieser kurzen Phase feststellbaren sehr deutlichen kommentierenden Tendenzen ist davon auszugehen, dass in einer möglichen weiteren Betrachtung in weiteren Untersuchungen, diese Phase sich über das ganze Jahr 2009 und möglicherweise noch länger ziehen wird. 8.2.4.1 Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär? Die Frage, wie der digitale Wandel zu beurteilen ist, spielt bezeichnenderweise in der Phase ab dem 1. 1. 2009 nur noch eine marginale Rolle. Auch in den Kommentaren der Branchenpublizistik scheint mittlerweile völlig unstrittig, dass die Veränderungen durch die Digitalisierung von existenzieller Bedeutung für alle Medienmärkte sind. 8.2.4.2 „Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse Es verdichtet sich in dieser Phase eine Bewertungstendenz der Printbranche, die sich bereits in den beiden vorangegangenen Phasen zeigte. Für die Printbranche erschien das Problembewusstsein – verglichen mit jenem in der TV-Branche – in den beiden 491
Berücksichtigt werden konnten Artikel bis zum 1. Mai 2009.
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ersten Untersuchungsphasen auffällig unterproportioniert. Dies ändert sich nun deutlich – mit Tönen von Selbstkritik. „Trotz Wirtschaftskrise haben es Deutschlands Regionalverleger bislang recht komfortabel. (…) In rund 65 Prozent der Kreise erscheint nur eine Zeitung – Wettbewerb ist vielerorts ein Fremdwort. Jahrzehntelang haben die Verleger prächtig verdient. Erst langsam wächst die Erkenntnis, dass die Lage rauer geworden ist. Die Erosion von Auflage und Anzeigenumsatz beschleunigt sich.“ 492 Die bislang in Kommentaren auffällig positiv gestimmte Haltung der Printbranche wird teilweise abgelöst von harscher Selbstkritik: „Gerne wird behauptet, dass Leser von Print-Produkten für Journalismus bezahlen. Dies kann getrost also falsch bezeichnet werden: Die Leser bezahlen für die horrenden Kosten der Print-Distribution. Den Journalismus zahlte immer schon die Werbung. Wenn die Nutzer im Netz nicht direkt zahlen wollen, verlangen sie nur, dass die Kostenvorteile der Online-Distribution auch an sie weitergegeben werden. Das Luftschloss der Bezahlinhalte lenkt nur vom absehbaren Strukturwandel der Branche ab: Es gibt zu viele Titel und zu viel me-too-Journalismus.“ 493 Für das Fernsehen wurden die Markterwartungen auch in den vorausgegangenen Phasen wesentlich pessimistischer formuliert, ein Tendenz, die sich fortzuschreiben scheint: „Das Fernsehen schaut alt aus: Junge Zuschauer gehen lieber ins Netz, Werbegelder sind bedroht. Der Überlebenskampf der Sender hat begonnen. Sie suchen neue Geschäftsmodelle. (…) Mitten in der Wirtschaftskrise tobt da ein knallharter Verteilungskampf. Die Zukunft der Sender hängt davon ab, wie viel Umsatz sie über eigene Bewegtbild-Angebote im Netz zurückholen können.“ 494 Auffällig an diesem Kommentar ist nicht nur seine Eindeutigkeit hinsichtlich der wirtschaftlichen Herausforderungen: Auch seine kriegerische Semantik weist darauf hin, dass der Autor hier von einer gänzlich neuen Bedrohungssituation spricht („Überlebenskampf“, „Verteilungskampf“). Doch es gibt weitere Stimmen, die ebenfalls in die Richtung eines Verteilungskampfes argumentieren: „Die ersten Online-Videotheken versuchen sich mit werbefinanzierten Filmen und Serien. (…) Im Web boomt die Video-Werbung. Die Fantasie ist groß, den TV-Konzernen ein Stück vom Werbekuchen abspenstig zu machen.“ 495 Und: „(Der) Verteilungskampf im Netz tobt. (…) Ob TV und Internet nun komplementäre Medien sind oder sich gegenseitig substituieren – darüber scheiden sich die Geister. Die TV- Vermarkter hoffen auf Ersteres und expandieren online. Die Verschiebung von Werbemarktanteilen in Richtung Internet hinkt hinter der Entwicklung der Nutzerzahlen hinterher – und das hat seinen Grund. Und der ist nicht nur wirtschaft492
FTD.de, 10. 02. 2009. SPON, 17. 02. 2009. 494 Suedeutsche.de, 06. 03. 2009. 495 W&V, 19. 03. 2009, S. 75. 493
8.2 Die kommentierende Branchenpublizistik
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licher Natur, sondern eng verknüpft mit psychologischen Faktoren: Die Entscheider bei den Werbungtreibenden scheuen sich, die gelernten Arbeitsmethoden zu verändern. (…) Entsprechend stellen sich auch die klassischen Medien der rasanten Veränderung durch die Digitalisierung nur zögerlich – zumindest solange die Werbegelder in die traditionellen Medien noch fließen.“ 496 8.2.4.3 Das SMCR und die Rolle der Marktteilnehmer Nach einer auffälligen Unterrepräsentanz von Themen des SMCR in der Branchenkommentierung in der Phase der Akzeptanz, zeigt sich mit Beginn des Jahres 2009 eine erstaunliche Zahl von Kommentaren, die sich mit dem SMCR beschäftigen mit verblüffend konkreten Erwähnungen, die sich an konkrete reale Maßnahmen anknüpfen: „(Die) Produzenten verhandeln mit (der) ARD über neue Vertragsbedingungen. (…) Es geht dabei um die Gewinnverteilung der neuen Fernsehwelt. (…) Von Erlösen aus allen anderen Nutzungen (secondary rights) können die Sender nach dem Plan der Produzenten künftig höchsten zur Hälfte profitieren. Zu solchen Rechten zweiten Grades, die grundsätzlich beim Produzenten verbleiben sollen, zählt die Allianz neben der Nutzung für Video-on-Demand auch Auslandsrechte, Videoauswertung sowie die Ausstrahlung in neuen Spartenprogrammen oder im Internet.“ 497 Und: „Die Diskussion um Urheberrechtsverletzungen im Internet nimmt an Schärfe zu. Mehrere große Konzerne laufen Sturm gegen die unerlaubte digitale Verwertung ihrer Inhalte.“ 498 An anderer Stelle: „Verlage fordern ähnliche Schutzrechte wie TVSender. (…) Das Thema Inhalteschutz im Internet beginnt die Verlage zu beschäftigen. Schnelle Erfolge politischer Lobbyarbeit erhofft niemand – wohl aber die langsfristige Rettung der Geschäftsmodelle. (…) Werbefinanzierung funktioniert nur, wenn exklusive Inhalte auch exklusiv bleiben und deren Umfelder entsprechend hochpreisig vermarktet werden können. (…) Die (Offensive der Rechteinhaber) ist nötig, weil Presseverlage, anders als etwa Rundfunksender, Musiklabels und Orchester bislang kein Leistungsschutzrecht genießen. Ein solches LSR, quasi eine Art Urheberrecht für offizielle Weiterverarbeiter, steht in anderen Kreativbranchen demjenigen zu, der urheberrechtlich geschützte Texte, Musik oder andere Werke entweder aufführt, organisiert, gestaltet, vermarktet oder vertreibt.“ 499 Die in den vorausgegangenen Phasen vermissten Kommentierungen über konkrete Verhandlungen um Contentrechte oder um neue Leistungsschutzrechte, sind nun Inhalt der Branchen496
Horizont, 19. 03. 2009, S. 30. SZ, 07. 04. 2009, S. 15. 498 FTD, 08. 04. 2009, S. 8. 499 Horizont, 19. 03. 2009, S. 26. 497
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8 Ergebnisse
publizistik, aber, dies machen die Kommentare auch deutlich, sie kommen möglicherweise zu spät. Denn die Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen beeinflussen jetzt massiv die Diskussion um das SMCR – zumindest indirekt. Die wirtschaftlich angespannte Situation bei den Sendern führt nach Ansicht von Kommentatoren dazu, dass immer mehr Programme wiederholt werden, – und dass sich die Verhandlungsposition der Produzenten gegenüber den Sendern prinzipiell verschlechtert: „Aus Sicht der Produzenten ist das (mehr Wiederholungen pro Format; A.d.A.) fatal (…). Wegen des in Deutschlang gängigen Bezahlmodells des „Total-Buy-Out“ bekommen sie nur ein einziges Mal Geld und geben damit alle Rechte ab. Egal, ob eine „Richterin Salesch“-Folge ein Mal oder 300 Mal läuft. Durch die inflationäre Ausstrahlung werde dann auch noch eine mühsam aufgebaute Programmmarke geschädigt.“ 500 Und: „Die Krise hat längst begonnen. (…) Die Krise ist bei den Filmund Fernsehproduzenten angekommen. Zumindest was Stimmung und Zukunftserwartung angeht. (…) Das bisherige Fernsehmodell überhaupt, ARD und ZDF eingeschlossen, ist durch das Internet bedroht.“ 501 Ähnlich deutlich äußert sich ein anderer Kommentar: „Die Stimmung unter den deutschen TV-Produzenten ist gedämpft. (…) Der kreativen Branche stehen schwere Zeiten bevor. Wer jetzt schwächelt, hat bald Probleme. (…) Noch hat der Produzentenverband – die Allianz deutscher Produzenten Film & Fernsehen – keine Prognose für die gesamte Branche vorliegen. Grundsätzlich aber könne man sagen: Diejenigen Produzenten werden es schwer haben, die überwiegend für Privatsender wie RTL, ProSieben und Sat1 produzieren (…). Die Produzenten fordern vehement einen breiten Dialog mit ihren Geschäftspartnern, den Sendern. Dabei soll es auch um die Frage nach den Verwertungsrechten gehen. Die Devise – die gesamten Rechte an einer TV-Produktion liegen für immer bei den Sendern – stößt zunehmend auf Missfallen. Sie möchten diskutieren, ob man die Auslandsrechte nicht bei den Produzenten belassen kann oder für die Nutzung für neue Medien eigens vergütet wird.“ 502 Der Kommentar überbrückt eine schwer zu übersehende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Auf der einen Seite wird zwar formuliert, dass die Produzenten dabei sind, neue Forderungen zu erheben, auf der anderen Seite jedoch wird deutlich gemacht, dass die Verhandlungsposition der Produzenten offenkundig schlecht ist. Auffällig ist, wie offenbar die wirtschaftliche Krise zur Schärfung der Wahrnehmung und des Bewusstseins der Branchenpublizistik hinsichtlich des SMCR beiträgt. „(Die) Filmbranche kämpft gegen den Abstieg. (…) Die Programmbudgets vieler Sender müssen künftig deutlich sinken. Marktteilnehmer gehen davon aus, dass bis 2011 die Kosten 500
Der Tagesspiegel, 08. 02. 2009. Kölner Stadtanzeiger, 15. 04. 2009. 502 W&V, 19. 02. 2009, S. 42. 501
8.2 Die kommentierende Branchenpublizistik
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um 15 bis 20 Prozent gesenkt werden müssen. (…) Nach einer jüngsten Umfrage der Produzentenallianz bei den TV- und Filmproduzenten bewerten bereits 54 Prozent der befragten Unternehmen die Geschäftssituation negativ. Jedes fünfte Unternehmen hat nach dieser Umfrage die Absicht, noch in diesem Jahr Arbeitsplätze abzubauen. Doch das ist womöglich erst der Anfang. (…) Nun wird eine beschleunigte Marktbereinigung erwartet.“ 503 Die Deutlichkeit der negativen Geschäftserwartung in der Kommentierung verweist darauf, dass die Branchenpublizistik die Verhandlungsposition insbesondere der TV-Produzenten als künftig schwächer einschätzt. Die Welt verweist erstmals auf analytische Dimensionen hinsichtlich des SMCR, die eine Verbindung mit den Gesetzmäßigkeiten der digitalen Technologie und Ökonomie erkennen läßt: „Web-TV gewinnt mehr Anhänger. (…) Serien sind zu Datenmengen geworden, die sich auf allen möglichen Geräten zu jeder Zeit abspielen lassen.“ 504 Wenn Fernsehserien auch als „Datenmengen“ verstanden werden können, dann wird unmissverständlich deutlich, dass auch das Management dieser Inhalte auf eine neue Art verstanden werden muss. 8.2.4.4 Die Entwicklung des TV-Marktes Im Jahr 2009 brechen beschleunigt durch die Weltwirtschaftskrise die strukturellen Probleme nach Ansicht vieler Kommentatoren unmissverständlich auf: „Im Jahr 2009 wird beim Fernsehen kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. (…) Längst sind sich die Sender im Klaren, dass sie neue Wege finden müssen, um ausreichend Geld in die Kasse zu bringen und um ihre Bedeutung als Leitmedium nicht zu verlieren.“ 505 In einem Artikel zur Bewertung der Tatsache, dass frühere TV-Topmanager nun ins Internet und Internettechnologie investieren, heißt es: „Nichts spricht dagegen, dass ein Web-TV-Kanal nicht auch einmal ein Großer wird.“ 506 Die Haltung der TVSender in dieser Phase könnte in der Zusammensicht der Kommentare als „Spagat“Haltung bezeichnet werden: Auf der einen Seite ist die Notwendigkeit des Handelns deutlich erkannt und erste Aktionen sind implementiert, auf der anderen Seite muss das bisherige Kerngeschäft erfolgreich verteidigt werden: „Das Internet macht dem Fernsehen seine Rolle als Leitmedium streitig. (…) Wenn ein Leithammel ins Grübeln gerät, gar Selbstzweifel äußert und laut über seine Position nachdenkt, dann ist es mit seiner Zukunft bald vorbei. Dafür sorgen die jungen, rabiaten und ungebärdigen Nachwuchshammel bei erster Gelegenheit. In diese brenzlige Situation sind die 503
Handelsblatt, 30. 03. 2009. Die Welt, 07. 04. 2009, S. 31. 505 Focus.de, 08. 01. 2009. 506 W&V, 12. 02. 2009, S. 60. 504
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8 Ergebnisse
eben noch so selbstbewußten traditionellen Leitmedien Tageszeitung und Fernsehen inzwischen geraten.“ 507 8.2.4.5 Dimensionierung der „Phase der Aktion“ Die Phase der Aktion bringt – trotz ihrer zeitlichen Kürze – signifikante Ergebnisse in der Inhaltsanalyse. So gibt es praktisch keine Diskussion mehr darüber, welche Bedeutung die Digitalisierung für die Medienbranche hat: Sie wird als existenziell vorausgesetzt. Hinsichtlich des strategischen Managements von Contentrechten verblüfft die Tatsache, dass das Thema – anders noch als in den Phasen zuvor – als erfolgskritisch betrachtet wird und dass einige Marktteilnehmer Verhandlungen zum Thema begonnen haben, oder neue politische Forderungen stellen. Deutlich wird aber auch, dass dieser Relevanzzuwachs des Themas des SMCR bei manchen Marktteilnehmern möglicherweise zu spät kommt: Die Wirtschaftskrise überlagert in vielen Kommentaren die Diskussion und es wird deutlich, das die künftigen Markt- und Machtkonstellationen von den Auswirkungen der Krise möglicherweise mehr bestimmt werden, als vom plötzlichen Erkenntnisgewinn hinsichtlich des SMCR.
8.3
Die Akteurs-Interviews
Die Analyse der Akteurs-Interviews verlangt neben einer Gewichtung und einer argumentativen Gruppierung vor allem die Bereitschaft des Analysten zur Einordnung und Wertung. Ursächlich dafür sind die bereits skizzierten Interessenskonflikte und unmittelbaren Motivationen der Interviewten. Die Bandbreite der Einschätzungen der Interviewten ist enorm. Sie reicht von einer nahezu totalen Leugnung und Ablehnung angenommener disruptiver Prozesse durch die Digitalisierung bis hin zum Eingeständnis, dass die Veränderung bereits begonnen hat und kaum mehr steuerbar scheint. Im Folgenden sollen die ausgewerteten Aussagen der Branchenakteure zu thematischen Clustern zusammengefasst werden. 8.3.1
Der digitale Wandel: disruptiv oder evolutionär?
Zunächst einmal fällt bei der Analyse ein signifikanter Anteil an Aussagen auf, der den revolutionären Charakter der Veränderung durch die Digitalisierung infrage stellt. Der TV-Produzent Borris Brandt, (damals: Endemol) kommentiert zum Beispiel die konkurrierende Bewegtbild-Nutzung auf Video-Communities: „Das ist 507
W&V, 02. 04. 2009, S. 64.
8.3 Die Akteurs-Interviews
245
ein Hype. Meine 21jährige Tochter nutzt das auch, klar. Aber die schaut eben auch weiter fern: Shows, Filme, Serien. Meine Jüngsten – zehn und elf Jahre alt – sehen das Kinderprogramm, obwohl die längst auch im Internet surfen.“ 508 Noch drastischer äußert sich der Print-Mann DuMont: „In zehn Jahren ist Google tot. Ich habe in der Tat die Hoffnung, dass das, was sich jetzt im Markt befindet, übermorgen nicht mehr existiert. Die ersten Anzeichen dafür sehen Sie schon: die Ebay-Euphorie ist vorbei. Der Lebenszyklus der Internet-Ideen ist sowohl technisch wie inhaltlich ganz anders also bei herkömmlichen Unternehmen in der Old Economy. Dieser Nachteil hat den Vorteil, dass der Markt mit neuen Ideen immer wieder neu erobert werden kann.“ 509 Für den Nachrichtensender N24 betont dessen Geschäftsführer Torsten Rossmann im Jahr 2006 die Vorrangstellung von Fernsehen gegenüber TV: „Das Internet spielt für unsere Wettbewerbssituation im Augenblick noch eine untergeordnete Rolle. Es gibt zwar eine Kerngruppe von Heavy Usern im Internet, die wir mit TV nicht mehr erreichen. Aber das ist eine Minderheit, die auch nicht sprunghaft wächst.“ 510 Insgesamt kann man innerhalb der Akteursinterviews eine Gruppe von Medienmanager ausmachen, die man als „Evolutionisten“ bezeichnen könnte, die zwar die Veränderung sehen und darauf reagieren, die aber den Bedrohungsgrad für das eigene Geschäft und das eigene Medium (zunächst) als nicht existenziell einschätzen. Unter den „Evolutionisten“ finden sich auffällig viele Manager aus dem Printbereich. So formuliert Jürgen Todenhöfer, damals verantwortlicher Manager im Burda-Verlag ungebremsten Optimismus: „Mit gut gemachten Zeitungen und Zeitschriften kann man noch mindestens 50 Jahre richtig gut Geld verdienen. (…) Ich glaube an die Faszination Print.“ 511 Oder Andreas Arntzen, damaliger Geschäftsführer der Verlagsgruppe Madsack: „Ich glaube an Print – nur muss sich diese Gattung etwas schneller als bisher an neue Kundenbedürfnisse anpassen.“ 512 Den „Evolutionisten“ stehen zahlreiche Aussagen von Medienmachern entgegen, die vom genauen Gegenteil, nämlich einer revolutionär-dramatischen Veränderung ausgehen. Am deutlichsten formuliert dies Dieter Gorny, Vorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie in einer Art Warnung an das Fernsehen, nicht zuletzt offenbar wegen der Erfahrungen, die die Musikindustrie mit disruptiven Innovationen machen musste: „Die Musikindustrie hat es einfach als erstes getroffen. Jetzt kommen die Filmindustrie, das Fernsehen und die Buchverlage dran. (…) Und ich sage Ihnen: Sie werden sich wundern, was den anderen Branchen noch bevorsteht. Nicht jeder hat die Krise der Musikindustrie studiert und nicht jeder hat für 508
Business News, 11. 04. 2007, S. 6. FASZ, 26. 08. 2007. 510 Pro Media, 02. 10. 2006, S. 28. 511 SZ, 04. 10. 2008, S. 21. 512 meedia.de, 21. 10. 2008. 509
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8 Ergebnisse
seine Branche die nötigen Schlüsse daraus gezogen. (…) Wir müssen über die Inhalte diskutieren, nicht über die Trägermedien.“ 513 Auch Jens Müffelmann, Leiter Geschäftsbereich Elektronische Medien Springer AG, will einen disruptiven Wesenskern innerhalb der Digitalisierungsprozesse nicht ausschließen und warnt: „Der Digitalisierungsprozess ist aber noch nicht abgeschlossen. Das ist eher ein Marathon, kein Sprint. (…) Wir begreifen die Digitalisierung in erster Linie als enorme Chance. Die Verlage müssen in die Offensive gehen, andernfalls kann die Digitalisierung der Medienwelt zur substantiellen Bedrohung werden.“ 514 Christiane zu Salm, damaliges Vorstandsmitglied Crossmedia Burda Media sieht das ähnlich und verweist vor allem auf die Herausforderung, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln: „Im Internet zahlt niemand für Inhalte. Da sollten wir uns keine Illusionen machen. (…) Was wir erleben ist erst der Anfang dramatischer Veränderungen und niemand weiß, wann die Talsohle erreicht ist. (…) Es werden diejenigen verlieren, die sich hinter ihren Mauern verschanzen, die digitale Welt nicht verstehen, die nicht sehen wollen, wie das Netz die Welt verändert.“ 515 Auch in den Akteursinterviews lässt sich nachzeichnen, dass das Jahr 2009 – mitverursacht durch die Wirtschaftskrise – die Wahrnehmung disruptiver Tendenzen verstärkt hat. Im seltenen Fall des Öffentlichwerdens einer internen Information kann dies unter anderem belegt werden an einer Aussage von Burda-Vorstand Philipp Welte: „(…) Die Rezession beschleunigt mit hoher Energie den ohnehin schmerzhaften Prozess der Erosion unseres Kerngeschäftes, die ausgelöst wurde durch die digitale Revolution. (…) Dafür haben wir jetzt für den Bereich Verlage, Vermarktung und Vertrieb ein sehr komplexes Change Programm angeschoben, dem wir die Überschrift Concentrate.Integrate.Innovate. gegeben haben. Wichtigstes Ziel dieses Change Programmes ist es, den nationalen Verlagsbereich sicher durch die Rezession zu führen und ihn dabei trotz der dramatischen Erlöskrise konsequent auf eine konvergente Zukunft auszurichten.“ 516 Der Wandel hat begonnen: Revolution, Change, konvergente Zukunft – das sind die Begriffe eines neuen strategischen Managements. Bilanziert man die Aussagen zur Bedrohungssituation, kann man zum Ergebnis kommen, dass es innerhalb der Interviews einen deutlich kleineren Teil von „Evolutionisten“ und einen überwältigenden Teil jener gibt, die die Bedrohung durch die Digitalisierung als unmittelbar bedrohlich kennzeichnen. Spätestens mit der Finanzund Wirtschaftskrise kommt der Perspektivenwechsel in der gesamten deutschen Medienbranche an, – selbst in der Printbranche. 513
WAMS, 10. 08. 2008, S 69. W&V, 11. 12. 2008, S. 86. 515 FASZ, 10. 08. 2008, S. 35. 516 Dwdl.de, 11. 02. 2009. 514
8.3 Die Akteurs-Interviews
8.3.2
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„Impact of change“: Geschäftsmodelle und Prozesse
Die Digitalisierung der Medien ist – folgt man den Interviewaussagen – in vielen Branchen zunächst als rein wirtschaftliches Phänomen rezipiert worden, als eine Marktveränderung, deren Auswirkungen noch nicht final eingeschätzt werden konnten. Dabei lassen sich drei Lager voneinander unterscheiden: Jenes der Marktpessimisten, der Marktoptimisten und jenes der Doppelstrategen. Der TV-Produzent Meyer-Burckhardt formuliert die skeptische Grundhaltung vieler: „Die Zeit der großen Renditen ist gewiss vorbei. Die Rendite ist immer in einem aufbauenden Markt größer als in einem etablierten oder gerade degressiven Markt.“ 517 Hartmut Ostrowski, CEO Bertelsmann Group macht deutlich: „Für uns ist das Internet Mittel und nicht Zweck, ein Kanal, den wir mit unseren Inhalten und unseren Marken bespielen. Das ist der Bertelsmann-Weg.“ 518 Die Diskussion der künftigen Geschäftsmodelle ist weitgespannt, was weniger an der Heterogenität der Geschäftsmodelle selbst liegt, als vielmehr in einer prinzipiellen Unsicherheit über deren Tragfähigkeit. Konsens herrscht darüber, dass sich das Marktgefüge wandelt und dass sich die bisherigen Marktteilnehmer auseinandersetzen müssen mit vielen neuen Wettbewerbern. Jürgen Doetz, Präsident der Interessensvertretung der privaten Rundfunkanbieter VPRT formuliert: „(Wir erleben) durch die Einbeziehung der Telemedien und des Internets quasi die Konvergenz der Medienordnung und das bedeutet, dass auch die Verlage, die Produzenten, die Googles und Yahoos und viele andere mehr mit im Boot sitzen.“ 519 Die skeptische Linie vertritt für die Printteilbranche auch Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ: „Mich beunruhigt es, wenn man Klickzahlen teuer bezahlt und Geschäftsmodelle auf Hoffnung beruhen. Mit DER WESTEN testen und beweisen wir, dass wir selbst Gutes aufbauen können.“ 520 Bernd Kundrun, damaliger Vorstandsvorsitzender von Gruner & Jahr sieht in der Digitalisierung immer noch eine Teilentwicklung des Kerngeschäfts, der, das lässt sich implizit erschließen, keine eigenständige Aufmerksamkeit gebührt: „Der Kauf von Internetfirmen macht für uns nur Sinn, wenn diese geeignet sind, unser Kerngeschäft weiterzuentwickeln. (…) Im Internet ist nicht alles Gold, einiges ist nur Katzengold.“ 521 Eine relativierte Position findet sich bei Stefan von Holzbrinck und Michael Grabner, die zwar massiv in das Internet investiert haben, aber gleichzeitig zugeben, 517
Filmecho Filmwoche, 07. 04. 2007, S. 38. Der Spiegel, 07. 07. 2008, S.74. 519 Pro Media, 01. 07. 2008, S. 10. 520 Spiegel, 12. 11. 2007, S. 72. 521 SZ, 14. 04. 2008, S. 15. 518
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8 Ergebnisse
dass die Sicht auf die Entwicklung stark eingeschränkt ist, viel stärker, als dies aus den tradierten Medienbranchen Gewohnheit ist: „Aktivismus ohne Grund ist der größere Fehler. Man muss auch am Fluss sitzen und warten können. Nicht jeder Trend ist eine langfristige Bewegung. (…) Wer das Internet ein bißchen verstanden hat, hat es nicht verstanden. (…) Das Internet hat auch seine Risiken.“ 522 Die Verteilung der Mittel folgt(e) bei Holtzbrinck zumindet dieser Logik. Jochen Gutbrod vom Holtzbrinck-Verlag bestätigt: „Wir gehen davon aus, dass ungefähr 50 Prozent unserer Investitionen in traditionelle Medien gehen und 50 Prozent ins Internet.“ 523 Ähnlich formuliert das auch Andreas Wiele, Vorstand der Axel Springer AG. Insgesamt könnte man seine Haltung als weiteres Beispiel für eine „Doppelstrategie“ kennzeichnen, die versucht, in vertretbarem Rahmen das Alt-Geschäft mit seinem „Cash-Cow-Charakter“524 zu vereinbaren mit dem investitionsintensiven Neuaufbau von „Star“-Geschäftsfeldern: „Axel Springer verfügt über ein extrem gutes KnowHow, was (…) Zeitschriften betrifft. Wir sind deshalb aber nicht so arrogant zu glauben, dass wir das Online-Geschäft besser könnten. Wir haben uns klar entschieden, beide Wege zu gehen. Organisch zu wachsen, in dem wir unsere eigenen Marken ins Netz transferieren, und über Akquisitionen zu wachsen. (…) Die Digitalisierung ist ein Prozess, der das ganze Unternehmen durchzieht.“ 525 Die Marktoptimisten kommen nachvollziehbarerweise oft aus Branchen, die Teile der digitalen Veränderung selbst mitsteuern. So sagt Matthias Greve, Vorstand 1 & 1: „(Das Internet) ist das Kernmedium des 21. Jahrhunderts. (…) Auf jeden Fall muss man heute businessorientiert vorgehen, nicht mehr technologieorientiert. (…) Ich würde nur noch in Anwendungen denken und mich fragen: Wo steckt in Zukunft das Geld?“ 526 Matthias Falkenberg, damaliger Geschäftsführer der SevenOne Interactive verweist auf das teilweise dramatische Wachstum von Werbung im Internet: „Der Bereich Video-Advertising im Internet ist derzeit unsere größte Erfolgsgeschichte. (…) Der Markt ist im Vergleich zum Vorjahr förmlich explodiert.“ 527 Frank-Michael Schmidt, Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz & Friends bestätigt diese Trendeinschätzung: „Die klassische Werbung verliert an das neue und technologiegetriebene Feld der individualisierten und interaktiven Kommunikation 522
SZ, 13. 02. 2007. dradio.de, 08. 07. 2008. 524 Schlagworte referenzieren auf die bekannte „BCG-Matrix“ als eines der weitverbreitetsten Modelle einer Portfolioanalyse und deren Unterteilung in Stars, Question marks, dogs und Cash cows. Vgl. dazu. u. a. Schawel, Christian & Billing, Fabian (2004): Top 100 Managementtools, Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 37f. 525 W&V, 20. 09. 2007, S. 19. 526 Handelsblatt, 30. 04. 2008, S. 20. 527 Videowoche, 04. 08. 2008, S. 22. 523
8.3 Die Akteurs-Interviews
249
ebenso wie an ein uraltes Feld der Kommunikation in neuem Gewand: Werbung im wirklichen Leben.“ 528 Auffällig bis ins Jahr 2009 hinein zeigen sich in den Aussagen der Vertreter von Print-Medien die deutlichsten Verdrängungen der digitalen Realität. Noch Ende Februar 2009, mitten in der Wirtschafts- und Print-Strukturkrise, äußert sich Ulrich Reitz, Chefredakteur der WAZ, ungebrochen optimistisch über die Zukunft der gedruckten Presse: „Die Zeitung hat das Zeug zum Kultobjekt des digitalen Zeitalters. Wir müssen uns zwar strukturell auf weiter sinkende Auflagenzahlen einstellen, aber ich glaube an das Medium. Im Hörfunk versenden sich die Dinge, im Fernsehen ist die Farbe des Hemds oft wichtiger als eine politische Aussage. Und das Internet erweist sich, wenn sie die Nachrichtenportale ausnehmen, bisweilen als eine Ansammlung von Banalitäten. Die Zeitung als Medium des Sich-Zurücklehnens, des Sich-Einlassens ist einzigartig.“ 529
8.3.3
Das SMCR und die Rolle der Marktteilnehmer
Das Thema Rechte spielt in den Interviewaussagen der Branchenprotagonisten eine bedeutende Rolle. Das eigentliche SMCR kommt in den Interview-Aussagen vorwiegend in seiner protektiv-defensiven Form vor, vor allem zu Beginn des Betrachtungszeitraums. So sehr solche Statements gerade für den Aufbau von konfrontativen Stellungen benutzt werden, so sehr wird auch deutlich, dass andere Dimensionen als eine protektive Haltung zum SMCR in den Köpfen noch nicht verankert sind. Prototypisch dafür können die Aussagen zweier führender deutscher Produzenten stehen. Martin Hoffmann, Vorstandsvorsitzender MME, richtet den Focus seines SMCR auf die Sender als „Feindbild“: „Die Strategie der Sender mit ihrem TotalBuy-Out-Modell mit allen Nebenrechtsverwertungen trifft die Interessen der Produzenten ins Mark. Das verhindert eine Teilnahme an der Wertschöpfungskette.“ 530 Fred Kogel, zum Zeitpunkt des Interviews CEO Constantin Film, pflichtet bei: „Historisch bedingt liegen die Rechte von Produktionen auf „Total-buy-out“-Basis beim Fernsehsender und Produzenten können sie daher für neue Verwertungsformen nicht nutzen. Das heißt, sie können auch von existierenden Formaten keine für den mobilen Bereich adaptierte Derivate produzieren. Diese Rechtesituation ist natürlich nicht akzeptabel und es muss, ob durch Verhandlungen oder auch regulatorisch, hier zeitnah eine Änderung herbeigeführt werden.“ 531 Die am weitesten greifende For528
meedia.de, 04. 08. 2008. Süddeutsche Zeitung, 23. 02. 2009, S. 13. 530 Pro Media, 01. 09. 2006, S. 30. 531 Blickpunkt Film, 18. 09. 2006, S. 28. 529
250
8 Ergebnisse
mulierung hinsichtlich der Bedeutung von Rechten und ihres Managements kommt wenig überraschend von der unlängst gegründeten Allianz Deutscher Produzenten. Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Christoph Palmer formuliert in zahlreichen Interviews die Forderungen seiner Organisation, auch in der jüngsten Vergangenheit: „Die Terms of Trade müssen (…) diskutiert und neu justiert werden. Hier gilt es, die Voraussetzungen für eine angemessene Verteilung von Rechten zur Verwertung in der digitalen Welt zu schaffen. Von entscheidender Bedeutung ist es zudem, die Voraussetzung für einen funktionierenden Piraterieschutz zu schaffen. Hier zeigen uns Frankreich und England, welche Wege (z. B. „Graduated Response Verfahren“) hier auch im Konsens zwischen Rechteinhabern, Serviceprovidern und Verbraucherinteressen gegangen werden können. (…) Wir sind sowohl mit den öffentlichrechtlichen wie mit den privaten Sendern hier in Gesprächen. Unser Ziel ist es, dass wir die Vertragsbedingungen für die Produktionswirtschaft insgesamt verbessern, hierzu zählt insbesondere auch eine den Interessen beider Seiten entsprechende Regelung für die digitalen Rechte, insbesondere die Video on Demand Rechte. Hier wollen wir erreichen, dass Vertriebsmodelle geschaffen werden, in denen die Produzenten entweder den Vertrieb selbst übernehmen oder entsprechend dem Wert der Rechte angemessen beteiligt werden. Auch in der Vergangenheit haben die Produzenten mit den Sendern bei neuen Verwertungsformen Regelungen gefunden, so dass die Verhandlungen mit den Sendern hier von Zuversicht geprägt sind. (…) Wir haben im Jahr 2009 die zentrale Aufgabe, in den Verhandlungsprozes mit den Sendern um die sogenannten Terms of Trade einzusteigen. Die Protokollnotiz zum jüngsten Rundfunkänderungsstaatsvertrag gibt den Sendern auch die Aufgabe, auf, gerechte und (…) moderne Produktions- und Verwertungsverhältnisse mit uns zusammen zu erarbeiten. Für die Allianz bleibt es das vordringliche Ziel, die weitgehende Verfügungsmacht des Produzenten über seine Verwertungsrechte zu erhalten.“ 532 Weitere Vertreter der Organisation, Alexander Thies und Holger Roost-Macias, formulieren zwar ebenfalls einen konfrontativen Schwerpunkt hinsichtlich des SMCR, in ihren Ausssagen wird jedoch auch deutlich, dass sich angesichts der digitalen Veränderung das Verständnis, was Contentrechte sind und wie ihr Wert einzuschätzen ist, neue Ansätze notwendig sind: „Die Allianz muss verständlich machen, dass Programme nach dem Marktwert und nicht mehr nach den Herstellungskosten bewertet werden müssen. In einer digitalen Welt stellen Produzenten in erster Linie Rechte her. Ein Gut, das heute immer mehr wert wird, und deshalb müssen wir unsere Wertschöpfungskette neu gestalten.“ 533 Auf Produzentenseite wird deutlich, dass die Gründung der Allianz Deutscher Produzenten hinsichtlich des Problembewusstseins, aber auch der Maßnahmen ein signifikanter Einschnitt war. Oliver Castendyk, 532 533
Pro Media, 1/2009, S. 9f. Blickpunkt Film, 07. 07. 2008, S. 9.
8.3 Die Akteurs-Interviews
251
Geschäftsführer der Sektion Entertainment der Allianz Deutscher Produzenten bilanziert das erste Jahr der Tätigkeit: „Die Allianz wurde im März 2008 gegründet. Seitdem ist auf allen wesentlichen Feldern gearbeitet worden. Bei unserem Hauptziel, der Verbesserung der Terms of Trade für die Produzenten, haben wir eine Protokollnotiz zum neuen Rundfunkstaatsvertrag erreicht. Sie verpflichtet die Rundfunkanstalten, faire und angemessene Bedingungen und Rechteaufteilungen mit den Produzenten zu verhandeln. Außerdem haben wir sowohl mit den Anstalten als auch mit den privaten Sendern Gespräche über die Terms of Trade geführt.“ 534 Die Produzentenallianz wird dabei nach Castendyks Worten sehr konkret und greift erstmals in der Geschichte der deutschen TV-Produzenten in gezielter und integrierter Form auch die Verantwortung für den Prozess der Rechteverhandlungen auf: „Wir haben unsere Sektionsmitglieder mit einem Verhandlungsleitfaden „Deal Making“ versorgt. Darin findet man nicht nur Beispiele für Rechteaufteilungen, sondern auch Rechenbeispiele für Bonusregelungen, für Beteiligungen an Nebenrechten, oder für Formatlizenzen.“ 535 Castendyks Aussagen zeigen, dass im Jahr 2009 der Erkenntnisprozess im protektiven Ansatz bei den Produzenten vollständig entwickelt scheint, die kooperativ-kreativen Ansätze jedoch werden weiterhin vernachlässigt: „Die Verwertungsmöglichkeiten im Internet sind auch für uns sehr spannend. Es tun sich neue Märkte auf. Bisher bringen sie noch wenig Umsätze, aber das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Im Bereich des Kinofilms haben die Produzenten mit Hilfe der FFA und der Bundesregierung schon einen Kompromiss mit den Sendern erreicht, der die Interessen beider Seiten berücksichtigt. Es betrifft zwar nur FFAgeförderte Filme, da aber praktisch jeder Kinofilmproduzent sich die Aussicht auf Referenzförderung nicht verbauen will, werden diese Terms of Trade zum Mindeststandard werden. In diese Richtung müssen wir auch bei den TV-Produktionen kommen und zwar bei Fiktion und bei Unterhaltung. (…) Der TV-Markt ist ein einigermaßen saturierter Markt; Wachstum passiert im Internet und im Mobil-Segment. Klar, dass die Sender hier ausbauen. Ebenso klar ist, dass auch die Entertainmentproduzenten einen Stück von diesem Kuchen brauchen, um langfristig überleben zu können. Die Sender wiederum sehen sich als Plattform in allen Medien und für alle technischen Verbreitungsarten. Ein Produzent, der eine eigene Plattform aufmacht, wie etwa Brainpool die Website myspass.de, ist für Sender mit eigenen Plattforminteressen der Sündenfall schlechthin. Gleichzeitig engagieren sich Sender zunehmend über eigene Töchter im Produktionsmarkt. Hier muss man Wege finden, wie beide Seiten glücklich werden und nicht nur eine.“ 536
534
Promedia, 02/2009, S. 33–35. Ebenda. 536 Ebenda. 535
252
8 Ergebnisse
Die Produzentenbranche macht durch die Äußerungen ihrer Vertreter ihre protektiv-konfrontativen Forderungen deutlich, konkrete neue kooperative oder kreative Ansätze sind jedoch unterrepräsentiert. Immerhin wollen die Produzenten die neuen Märkte künftig ernst nehmen. Produzent Martin Hoffmann, Vorstandsvorsitzender der MME betont: „Wir sehen, dass der Programmbedarf wächst und Vertriebskanäle vielfältiger werden. Wir sehen aber auch, dass bei ganz vielen dieser neuen Vertriebswege noch kein solides, tragfähiges Geschäftsmodell entwickelt ist.“ 537 Sein Kollege Norbert Sauer, Geschäftsführer der UFA Fernsehproduktion ergänzt: „Diese Möglichkeiten (der digitalen Verwertung, A.d.V.) sehen wir auf jeden Fall. Ich glaube, dass solche Filme auch auf anderen Plattformen im digitalen Bereich sehr nachgefragt werden, insbesondere die diversen VoD-Plattformen, die sich in Deutschland etablieren. Unser Engagement im Eventmoviebereich hängt auch damit zusammen.“ 538 Auch UFA-Chef Wolf Bauer ist im Jahr 2007 optimistisch, was die Möglichkeiten der neuen Märkte für die Produzenten bedeuten können: „In der heutigen Unbalance der Medienindustrie haben wir Produzenten keinerlei Macht. Wir können große Programmerfolge kreieren, aber wir beherrschen die Vertriebswege nicht, weil es dort technologisch bedingte Engpässe gibt. In der digitalen Welt existieren diese Engpässe nicht mehr. Produzenten, die es verstehen, dank neuer Geschäftsmodelle viel der neuen Vertriebswege zu nutzen, werden in der Tat mehr Einfluss im Gesamtgefüge haben.“ 539 Die Aussagen machen jedoch auch klar, dass zwischen dem Erkennen der neuen Märkte und einer strategischen Bewirtschaftung seiner Möglichkeiten offenkundig ein Delta liegt. Insbesondere fällt auf, dass keiner der Produzenten eine kohärente Strategie für einen eigenen Vertrieb von Inhalten oder für neuartige kooperative Modelle mit anderen Marktteilnehmern formuliert. Vielmehr zeigt sich eine gewisse Vorsicht, von eigenen Aktivitäten in diesem Bereich zu sprechen. Dies ist umso erstaunlicher, als es ernstzunehmende Warnungen und Hinweise auf das Thema gibt. So weist Insa Sjurts, Vorsitzende der KEK, auf die Bedeutung der Teilhabe an strategischen Vertriebswegen hin: „Der deutsche Medienmarkt steht nach wie vor unter Druck. Zwar erholen sich auf der einen Seite die Werbeerlöse, auf der anderen Seite steigt die Fülle des Angebots in allen Medienteilmärkten. (…) Die Folge ist, dass strukturell für jedes einzelne Angebot weniger Erlöspotential verbleibt. (…) Der Besitz sowohl von Vertriebswegen als auch von exklusivem Content ist aus Investorensicht weiterhin ein ökonomisch aussichtsreiches Geschäftsmodell.“ 540 537
Blickpunkt Film, 04. 06. 2007, S. 28. Pro Media, 25. 06. 2007, S. 45. 539 Frankfurter Rundschau, 27. 09. 2007, S. 41. 540 Pro Media, 30. 05. 2007, S. 13. 538
8.3 Die Akteurs-Interviews
253
Die neuen digitalen Möglichkeiten zu nutzen, planen zumindest einige Vertreter der Produzentenbranche. Sascha Schwingel, Produzent und Mitglied der Geschäftsleitung bei Teamworx betont die sich ändernden Anforderungen an TV-Produktionen: „Sich 45 oder 90 Minuten auf ein fiktionales Programm zu konzentrieren, entspricht immer weniger ihrer durch das Internet geprägten Fernsehnutzung.“ 541 Einige Produzenten haben das bereits erkannt und versuchen im Sinne eines erweiterten SMCR umzusteuern, wie Matthias Pfeffer, Geschäftsführer von FocusTV: „Wir konnten uns zwar in vielen Fällen die Rechte an unseren Produktionen sichern, aber Nachrichten haben eine kurze Halbwertszeit.“ 542 Matthias Esche, Geschäftsführer Bavaria Film ergänzt: „Für die Bavaria ist wichtig, dass wir, wenn wir Rechte haben, sie zu späterer Zeit auch einsetzen können. Darin liegt ein Stück Zukunft.“ 543 Eine konkrete Strategie der Verwertung ist den Interviewäußerungen allerdings bis zuletzt nicht zu entnehmen. Präziser können dabei schon Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sender ihre Position bestimmen, sie sind zwar in Gesprächen mit den Produzenten über neue Rechteverteilungen, machen aber auch deutlich, dass die bisherige Praxis ihre Berechtigung hatte. Der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) Reiter, verteidigt die Haltung zum Rechteerwerb: „Die von den Ländern geforderte Selbstverpflichtung könnte nicht nur zu einem unter verfassungs- und europarechtlich äußerst problematischen Sonderprivatrecht (Urheberrecht) für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten führen, sondern erweckt den falschen Eindruck, wonach ARD und ZDF bisher unfaire Vertragsbedingungen praktiziert hätten. Dem sind folgende Fakten gegenüber zu stellen: Umfassende Rechte einschließlich der Online-Rechte werden nur bei vollfinanzierten Produktionen erworben. Hierfür erhält der Produzent zwischen 6 Prozent und 13,5 Prozent Handlungskosten und 7,5 Prozent Gewinn auf Herstellungskosten und Handlungskosten. Einzelrechte werden nach dieser Systematik nicht gesondert vergütet, vielmehr basiert die Vergütung auf der Übertragung sämtlicher Rechte an der Produktion (rights follow the risk). Teilfinanzierte Produktionen werden auch nur mit Teilrechten ausgestattet. ARD und ZDF – anders als private Sendeunternehmen – haben die „terms of trade“ fortlaufend mit den Produzentenverbänden diskutiert und Eckpunkte der Vertragsbedingungen vereinbart. Dies hat beispielsweise im ZDF zu zusätzlichen Beteiligungen der Produzenten an Verwertungsvorgängen geführt, selbst wenn die Produktion vollfinanziert war. Erlösbeteiligung bei Kinoverwertung. Erlösbeteiligung bei Auslandsvertrieb. Erlösteilung bei Pay-TV-Vertrieb im Inland.“ 544 541
Pro Media, 01. 07. 2008, S. 30. Kontakter, 03. 03. 2008, S. 26. 543 Blickpunkt Film, 27. 10. 2008, S. 24. 544 Promedia 11/2009, S. 35–37. 542
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8 Ergebnisse
Ergiebiger werden die analysierten Aussagen, wenn man das Thema SMCR nicht in seinem avanciertesten Verständnis auszulesen versucht, sondern es als implizite Thematisierung einer neuen, Content-zentrierten Sicht versteht. Exemplarisch dafür sind zum Beispiel Aussagen von Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG: „Wenn man die Digitalisierung ernst nimmt, eröffnen sich bei allen Risiken auch große Chancen für die Verlage. (…) Unser Geschäft ist der Inhalt.“ 545 Die Betonung des Contents als Kern des eigenen Geschäfts kann als „Halbzeug“ eines künftigen instrumentellen Verständnisses von SMCR verstanden werden. Wenn das Geschäft der Inhalt ist, dann ist das SMCR elementarer Teil dieses Geschäfts. Wie ernst man dieses Geschäft bei Springer nimmt, zeigt die Entscheidung, einen gemeinsamen Newsroom für die Arbeit von Print- und Multimedia-Journalisten zu schaffen. Durch eine solche Entscheidung werden wichtige operative Prozesse eines SMCR bereits in den täglichen Workflows abgebildet. Peter Würtenberger, Chef von „Die Welt“ sagt dazu: „Es wäre fahrlässig, nicht weiter in die eigenen Internetaktivitäten zu investieren. (…) Unsere Entscheidung, einen gemeinsamen Newsroom für Print und Online zu schaffen, war goldrichtig.“ 546 Und Kai Diekmann, Chefredakteur BILD, ergänzt: „Jetzt ist die Verzahnung von On- und Offline unsere entscheidende Herausforderung für die Zukunft, um die Stärke der Marke BILD langfristig auszubauen. (…) In der jüngeren Generation hat sich eine andere Mediennutzung ausgebreitet. Da spielen Online-Inhalte, die kostenlos verfügbar sind, eine viel größere Rolle.“ 547 Und Mathias Döpfner: „Ich teile diesen technologieskeptischen Kulturpessimismus nicht. Im Netz gibt es mehr Platz, mehr Wissen, viel geringere Produktionskosten, mehr Möglichkeiten. Ich glaube, dass das Internet den Journalismus besser machen wird.“ Und an anderer Stelle: „(…) Das Urheberrecht (…) ist geradezu schicksalhaft für die Verlage. Als man von Zeitungen früher noch ein paar Kopien auf Papier machte, was das nicht weiter wichtig, Durch die Digitalisierung unserer Inhalte hat sich das dramatisch geändert. (…) Es kann (…) nicht sein, dass die einen – die Verlage – heute mit viel Geld und Aufwand Inhalte schaffen. Und andere – Online-Anbieter und – Suchmaschinen – bedienen sich für lau und vermarkten es. Ein gesetztlich zu schaffendes Leistungsschutzrecht muss künftig dafür sorgen, dass die Mehrfachauswertung professionell ersteller Inhalte auch bezahlt wird.“ 548 Auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung sieht sich in einer neuen Rolle von Content-Managern, wie Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ verdeutlicht: „Unsere Kernkompetenz ist nicht das Drucken von Zeitungen, sondern die Produktion von 545
Handelsblatt, 14. 08. 2008, S. 12. Horizont, 31. 07. 2008, S. 26. 547 Kress Report, 11. 07. 2008, S. 26. 548 Der Spiegel, 02. 03. 2009, S. 86. 546
8.3 Die Akteurs-Interviews
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lokalem und regionalem Qualitätsjournalismus. Auf welchem Weg der verbreitet wird, (…) überlassen wir den Konsumenten. (…) Wir wollen den Content bergen und in allen Bereichen nutzen – sei es online oder in unseren Zeitungen.“ 549 Auf Seiten der TV-Sender zeigt der Fernsehkonzern ProSiebenSat1 Media AG ein weitgehendes neues Verständnis der Bedeutung von Contentrechten und dessen Management: eine thematische Diversifikation aus den eigenen Kernthemen heraus, ein Prozess, der sich nur im Rahmen eines neuen SMCR steuern lässt und der die Verwendung des eigenen Inhalts auf möglichst vielen Plattformen vorsieht. Letzteres beschreibt Jens Richter, Geschäftsführer der SevenOne International: „ProSieben has created a 360-degree marketing concept for the shows in collabaration with us as licensors. There is a website, where viewers can watch clips, (…) (the program is) available as a podcast from itunes and complete episodes were available from the VoD platform Maxdome.“ 550 Marcus Englert, zum Zeitpunkt seiner Aussagen Vorstand Diversifikation der ProSieben Sat1 Media AG umreißt die thematische Diversifikation: „Unseren Marktanteil im Bereich Display-Advertising wollen wir bis 2011 auf 10 Prozent ausbauen. (…) Wir wollen Content-Allrounder sein. Denn um im Online-Werbemarkt relevant zu sein, reicht es nicht, nur Entertainment-Inhalte bereitzustellen, wie zum Beispiel auf prosieben.de und sat1.de. Daher besetzen wir im Netz auch Themen wie News, Finance, Frauen, Reise, Sport und Autos.“ 551 Der Konzern ergänzt die hier skizzierten Aktivitäten durch zusätzliche, Web-only-Produktionen, wie Matthias Falckenberg vom Onlinevermarkter SevenOne Interactive schildert: „Gerade haben wir (…) auf ProSieben.de mit Blockbuster TV ein sogenanntes ,Made for new media‘ – Format für Kinofreunde gestartet, das ausschließlich Online läuft. Gleiches gilt für das Spielemagazin ,Sevengames TV‘.“ 552 Aber trotz dieser, auch neue Aspekte des SMCR integrierenden relativierenden Position der TV-Sender, gibt es auf deren Seite, vergleichbar der Position der Produzenten, auch die bekannte protektiv-konfrontative Haltung gegenüber dem Rechteerwerb. So sehen private TV-Sender auch im Jahr 2009 noch keinen Grund gekommen, von der „Total-Buy-Out-Logik“ abzukommen, wie das Marcus Englert, Vorstand Diversifikation ProSiebenSat1 Media AG, präzisiert: „Bei Total-Buy-Out hat man die Rechte schon komplett erworben. Eine direkte Beteiligung der Produzenten an den Werbeerlösen (bei der Online-Stellung von Sendungen; Anm. d. Autors) käme einem Paradigmenwechsel gleich. Zwar möchte ich das für die Zukunft nicht kategorisch ausschließen, aber derzeit führen wie keine Diskussionen darüber. Wo wir heute schon 549
W&V, 19. 05. 2008, S. 10. Blickpunkt Film, 07. 04. 2008, S. 6. 551 Horizont, 18. 09. 2008, S. 1. 552 Kontakter, 10. 03. 2008, S. 36. 550
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Produzenten beteiligen, ist beim Pay-Modell von Maxdome, bei dem die Rechteinhaber gemäß Umsatz beteiligt werden.“ 553 8.3.4
Die Entwicklung des TV-Marktes
Die Wahrnehmungen und Prognosen zum Fernsehmarkt der Zukunft sind weitgefächert und erwartungsgemäß divers. Klar wird in den meisten Äußerungen, dass der Branche ein grundlegender Wandel bevorsteht, wie ihr dies von Zukunftsforschern schon heute vorausgesagt wird: „Jeder hat eine leise Ahnung davon, dass sich das eigene Geschäft dadurch grundlegend verändern wird, dass in zehn Jahren Internet überall sein wird. (…) Die TV-Vermarktung, die wir heute kennen, wird meiner Meinung nach durch Systeme der Online-Werbung abgelöst. (…) Fernsehwerbung erreicht sicher nicht mehr zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Masse an Menschen. (…) Ich glaube, dass die heutigen Privatsender es schwer haben werden. Denn deren Aufgabe ist die Zusammenstellung eines Programms für Zielgruppen, die damit erreicht werden sollen. Wenn diese Funktion künftig von einer Software abgelöst oder sogar besser gemacht wird als von einem Programmdirektor, dann verschwindet die Identität der Sendermarke und letztlich ihre Berechtigung. (…) Für mich offenbaren solche Aussagen ein Festhalten an gewohnten Strukturen und dass die Sender sich nicht damit beschäftigen wollen, was auf sie und uns alle zukommt. (…) Das zeigt schon, dass Innovationen an der Stelle nicht aus der TV-Branche selber kommen. Aber das hat man ja oft, dass große Player, deren Geschäftsmodell noch leidlich funktioniert, keinen Druck verspüren, den Markt und sich selbst zu verändern. (…) Ich vermute, dass wir in einigen Jahren eine ähnliche TV-Struktur haben werden wie im Filmbusiness: große Studios, die Content produzieren, welcher über verschiedene Kanäle ausgespielt wird.“ 554 Unabhängig davon, wie dramatisch der Wandel bewertet wird, ist dennoch signifikant, dass die meisten der analysierten Medienakteure den Zeitpunkt für ein konkret geändertes Medienmanagement für gekommen halten. Produzent Hubertus Meyer-Burckhardt (Polyphon) sieht eine generelle Umorientierung für das Medium Fernsehen: „Das Fernsehen wird Portalcharakter haben. (…) Es ist die erste Generation, für die nicht nur das Produkt cool sein muss, sondern auch der Vertriebsweg. (…) Die totale Individualisierung kommt, zumindest bei den jungen Leuten.“ 555 Besonders kontrovers wird in der Branche die künftige mediale Bedeutung und die Rolle von Fernsehen in der Zukunft diskutiert. Hier zeigt sich eine Spaltung in ein „Lager der Traditionalisten“ und ein „Lager der 553
Blickpunkt Film, 20. 3. 2009, S. 44. Sven Jansky, Zukunftsforscher in: W&V, 26. 06. 2008, S. 90. 555 Die Zeit, 28. 12. 2006, S. 39. 554
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Progressiven“.556 Auffällig deutlich ins traditionelle Lager lassen sich Aussagen von Vertretern der öffentlich-rechtlichen Programmangebote einordnen. So ist Monika Piel, Intendatin des WDR, weiterhin von der traditionellen Wirkungskraft des analogen TV-Programms überzeugt: „Ich glaube nicht, dass der Lagerfeuer-Effekt vorbei sein wird. (…) Ich sehe als Kern weiter die linearen Programme. Die Medienlandschaft wird undurchsichtiger und stellt immer mehr Ansprüche an die Nutzer – irgendwann werden die Menschen die Nase davon voll haben. Es ist zu aufwändig, sich alles selber zusammenstellen zu müssen.“ 557 Fritz Raff, vormals ARD-Vorsitzender, widerspricht sogar wörtlich der Vorstellung von revolutionären Vorgängen durch die Digitalisierung. „Das Fernsehen wird auch wegen der demografischen Situation in Deutschland das klassische Leitmedium bleiben. (…) Der Wandel in der digitalen Welt ist keine Revolution. (…) Auf lange Sicht müssen die Fernsehmacher aber auf die neuen Nutzerbedürfnisse eingehen.“ 558 Und der damalige ARDProgrammchef Struve zeigt sich entschlossen, die Veränderungen zu ignorieren: „Fernsehen ist ein gelerntes Medium. Wer da revolutionär rangeht, wir revolutionär bestraft.“ 559 Vereinzelt gibt es auch bei den Öffentlich-Rechtlichen Stimmen, die die Situation anders bewerten. Peter Boudgoust, Intendant des SWR: „(Wir erleben) derzeit so etwas wie eine Medienfusion. Traditionelle Medien wie Fernsehen und Radio verbinden sich mit dem Internet zu einem neuen Multi-Medium. Darauf müssen wir uns einstellen, denn alles muss ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand bewerkstelligt werden. (…) Ein Beispiel ist das Phänomen Youtube. (…) Wenn wir also jüngere Leute erreichen wollen, müssen wir auf diesen Plattformen vertreten sein.“ 560 Interessant bei der Betrachtung öffentlich-rechtlicher Statements ist der Eindruck, dass das zentralisiert arbeitende Zweite Deutsche Fernsehen den Veränderungen und daraus resultierenden Anforderungen an das eigene Handeln aufgeschlossener zu sein scheint, als die oft disparat erscheinende ARD.561 So sagt Markus Schächter, 556
Zwischen den „Traditionalisten“ und den „Progressiven“ gibt es eine kleine Gruppe von „Beobachtern“, die sich noch auf keine eindeutige Interpretation der Entwicklung festlegen lassen wollen. Dazu lässt sich interessanterweise auch Ingo Wolf, Geschäftsführer von GridTV (IPTV-Nischenangebote) zählen: „Fernsehen wird ja nicht einfach verschwinden. Es verändern sich nur die Formate, Übertragungswege und Endgeräte.“ 557 Die Zeit, 28. 12. 2006, S. 39. 558 Focus.de, 12. 01. 2009. 559 Die Zeit, 18. 10. 2007, S. 33. 560 Stuttgarter Nachrichten, 09. 08. 2008. 561 Der Eindruck, der sich hier aus den Aussagen führender öffentlich-rechtlicher Protagonisten ergibt, deckt sich mit dem Vergleich der jeweiligen Online-Angebote. Hier hat das ZDF der ARD seit einigen Jahren schon deutlich erkennbar den Rang abgelaufen. Zuletzt waren dramatische konzeptionelle und technische Leistungsunterschiede in den Media Centern der jeweiligen Angebote augenfällig.
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Intendant des ZDF: „Es geht um eine Weichenstellung für die nächste Epoche der Mediennutzung. (…) Bewegtbild, Text, Audiofiles und animierte Formen, all das zusammen gehört zu den Standarderwartungen der Nutzer. Alle relevanten Inhalteanbieter im Netz müssen diese Vielfalt gewährleisten, auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk.“ 562 Und an anderer Stelle: „Nur wer im Netz mit seinen Inhalten sichtbar und präsent ist, wird auch wahrgenommen. (…) Ich bin überzeugt, dass sich die neue digitale Welt bis 2015 durchsetzen wird. Die klassischen Medien werden nicht mehr die alten sein.“ 563 Die traditionalistische Grundhaltung wird im Wesentlichen durch eine Verengung auf das bisherige Fernsehen in seinen gewachsenen Produktions- und Rezeptionsstrukturen bestimmt. Als typisch für die traditionalistische Sicht folgt daraus eine Argumentationsstruktur, die sich ebenfalls an tradierten Mustern orientiert. Ein Beispiel dafür sind die Aussagen von Anke Schäferkordt, der Geschäftsführerin RTL Fernsehen. Indem sie zwar die Relevanz der Internetnutzung auf der einen Seite als Fakt akzeptiert und deren Auswirkungen indirekt anerkennt, lässt sich in ihren Worten doch erkennen, wie sehr sie noch der auf traditionelles Fernsehdenken verhafteten ausschließlichen TV-Nutzungssicht verpflichtet ist: „Es wird oft behauptet, dass das Internet wächst und die Fernsehnutzung damit sinkt. Ich bin aber ziemlich sicher, wenn die Fernsehnutzung in allen Bereichen, in denen sie heute stattfindet, gemessen würde, würde man feststellen, dass sie nicht gesunken ist.“ 564 Interessant ist dabei weniger, was sie sagt, als vielmehr, was nicht gesagt wird: Dass nämlich mit der Internetnutzung nicht nur eine tradierte, lineare Bedrohung für das Fernsehen entstanden ist, sondern dass sich mit der Nutzung in einem Meta-Medium zusätzlich disruptive Effekte verbinden. Marcus Englert, Vorstand Diversifikation ProSieben Sat1 Media AG, spricht diese Effekte offen an: „In der ganz jungen Zielgruppe sehen wir eine leichte Abnahme in der TV-Nutzung.“ 565 Und an anderer Stelle: „Das Fernsehen ist sozusagen der Treibriemen, um in neue Verbreitungswege zu diversifizieren. (…) Wir Fernsehsender können TV-Rechte besser auswerten als Kabelkonzerne. (…) Was wir in dieser Sparte betrieben, ist strategische Unternehmenssicherung.“ 566 An anderer Stelle betont Englert jedoch auch, dass es sich bei der Transformation des Fernsehens um einen Prozess handelt, der nicht notwendigerweise kannibalisierend erfolgt: „Von Verdrängung also keine Spur. Zum einen gibt es das klassische Broadcasting, das kollektive Lagerfeuer, zum anderen das eher kognitive Verhalten, selbst562
Epd Medien, 17. 05. 2008, S. 3. Funk-Korrespondenz, 06. 06. 2008, S. 3. 564 Pro Media, 01. 08. 2008, S. 24. 565 W&V, 17. 01. 2008, S. 60. 566 Die Welt, 04. 09. 2006, S. 9. 563
8.3 Die Akteurs-Interviews
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bestimmt Inhalte abzurufen. Der Mediennutzer von morgen möchte lineare und nicht-lineare Inhalte konsumieren, wobei der nicht-lineare Effekt stärker zum Tragen kommt.“ 567 Englert betont die Bedeutung von Content und spielt damit zumindest implizit auf die Thematik des SMCR an: „Content anytime and anywhere heißt die Devise. (…) In zehn Jahren wird es beides geben: Fernsehprogramme, wie wir sie heute kennen, aber auch eine neue TV-Nutzung über Breitband-Internet, Handy und iPods. (…) Die klassische Wertschöpfungskette im TV hat sich grundlegend verändert. Bis vor kurzem handelten wir nach einem einfachen Prinzip: Wir haben Programme produziert oder gekauft und sie über den klassischen Fernsehkanal ausgestrahlt. Heute heißen die Schlagworte Delinearisierung und Vielfalt.“ 568 Torsten Rossmann, Geschäftsführer von N24 positioniert ein Jahr nach noch eher skeptischen Äußerungen seinen Sender innerhalb einer multimedialen Gesamtstrategie, in der auch das SMCR von großer Bedeutung ist: „Wir wollen N24 multimedial neu aufstellen. (…) Wir wollen die gesamte Platte multimedialer Anwendungen abdecken. Das geht vom Livestream des Nachrichtenprogramms über einzelne WebVideos bis zu öffentlichen Infoscreens (…). Die Voraussetzung ist ein entsprechendes Rechtemanagement.“ 569 Und wenig später: „(Wir sehen) eine Chance vor allem in der mittel- und langfristigen Perspektive. Wir verfügen über Bewegtbilder und deren Bedeutung im Internet wird weiter zunehmen. Insofern sind wir hervorragend positioniert und werden unser Internetangebot entsprechend weiterentwickeln.“ 570 Matthias Falkenberg, Geschäftsführer des Multimedia-Vermarkters SevenOne Interactive hebt die Sonderstellung des bewegten Bildes hervor, das seiner Ansicht nach durch seine Entertainment-Qualitäten die Entwicklung des Internet als auch das Fernsehen integrierendem Metamedium beschleunigt: „Das Internet wird sich weiterentwickeln. Die nächste Entwicklungsstufe wird jedoch nur auf Basis neuer Technologien möglich sein und stärker in Richtung mobiler Endgeräte und neuer digitaler Plattformen gehen. Aber inhaltlich wird Bewegtbild wahrscheinlich die letzte echte Entwicklungsstufe des www sein.“ 571 Wie weit die Erkenntnis der Veränderung fortgeschritten ist, zeigt ein Zitat – mit für TV-Sender revolutionärem Inhalt – von ProSiebenSat1 Media AG Fernsehvorstand Andreas Bartl, verantwortlich für immerhin fünf Free-TV-Sender in Deutschland: „Was heute eine Website ist, wird später ein Sender. (…) Die Internetseite prosieben.de wird ein Sender für delineares Fernsehen. Dort können Leute ihr Programm zu jeder Zeit abrufen und überall se567
comeunited.com, 15. 12. 2008, S. 1. Pro Media, 25. 08. 2008, S. 1. 569 Medien Bulletin, 01. 03. 2008, S. 32. 570 Pro Media, 01. 03. 2009, S. 25. 571 One to One, 01. 07. 2007, S. 1. 568
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hen, wo wie wollen.“ 572 Das ist ein dramatischer Paradigmen-Wechsel, der in solcher Klarheit und Präzision von keinem anderen TV-Manager formuliert wurde. An anderer Stelle präzisiert Bartl: „Wir investieren in das Internet. Wir stellen uns darauf ein, dass unsere Webseiten mehr und mehr zu Sendern werden. Das Konzept nennen wir TV 3.0. (…) Es gibt keine Mechanik zwischen hohem Programmbudget und Programmerfolg. Das wichtigste Element ist Kreativität.“ 573 Die Aussage verdeutlicht, wie sehr der Transmutationsprozess zwischen Fernsehen und Internet zumindest bei einigen privaten TV-Sendern vorangeschritten ist. Sekundiert wird Bartl von Thilo Proff, dem Geschäftsführer der ProSieben Televisions GmbH: „Dass die Jungen immer mehr Online und Mobile nutzen, um ihre Bewegtbildinhalte zu konsumieren, ist für ProSieben Chance und Risiko zugleich. (…) Wir werden in diesem Jahr mindestens zwei neue Formate starten, die ihren Ausgangspunkt im Web haben und von dort in die TV-Welt hineinwachsen.“ 574 Neben die gewohnte oligopole Machtkonstellation der Fernsehwelt tritt nun eine hochdiverse und multipolare Anbietersituation, in der aus bisherigen Nichtkonkurrenten neue Wettbewerber für das traditionelle Fernsehen werden, zum Beispiel in Form von Printmarken-Onlineplattformen, wie Manfred Hart, Chefredakteur Online BILD bestätigt: „Bewegtbild-Inhalte sind die Zukunft. BILD wird im Internet zwangsläufig BewegtBILD.“ 575 Christiane zu Salm, zum Zeitpunkt des Interviews Vorstand Crossmedia Burda Media sekundiert: „Bewegtbild wird bei Burda Cross Media eine große Rolle spielen. (…) Wir wollen zum führenden crossmedialen Medienhaus werden. (…) Dazu errichten wir einen Webcontent-Pool, ein zentrales Archiv, aus dem Inhalte und Textbausteine bestehender Websites entnommen, neu zusammengesetzt und vermarktet werden.“ 576 Und Wolfgang Blau, Chefredakteur von ZEIT Online ergänzt: „Die größte Konkurrenz für Verleger wie auch für öffentlich-rechtliche Sender ist das Internet selbst, also Angebote wie Wikipedia, Youtube, Blogs und internationale Medien, die auch in Deutschland immer stärker genutzt werden.“ 577 Aus diesen Aussagen wird deutlich: Die Konkurrenz kommt nicht nur von neuen Mitbewerbern, sondern vor allem auch durch neue Kanäle und Aggregationen. Dirk Kleine, Geschäftsführer SevenSenses betont zwar, dass das VoD-Portal Maxdome nur ein komplementäres Angebot zum klassischen Fernsehen darstellt, dennoch stellt VoD aber prinzipiell eine Nutzungskonkurenz dar: „Die Film-Nutzung 572
W&V, 24. 04. 2008, S. 48. SZ, 06. 05. 2008, S. 19. 574 Kress Report, 09. 01. 2009, S. 3. 575 meedia.de, 14. 07. 2008. 576 Horizont, 19. 06. 2008, S. 27. 577 kress.de, 23. 05. 2008. 573
8.3 Die Akteurs-Interviews
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findet verstärkt auf der Set-Top-Box statt. Und dies ist genau die Zielsetzung von Maxdome, nämlich auf den klassischen TV-Schirm im Wohnzimmer zu kommen.“ 578 Dominik Schmid, Deutschlandchef von Zattoo erklärt: „Wir sehen Zattoo als eine komplementäre Nutzungsform zum klassischen Fernsehen.“ 579 Willi Geike, President Warner Bros. Entertainment ergänzt: „Wir glauben, dass VoD in Deutschland einen richtigen Push bekommen kann, wenn man Day-and-date veröffentlicht. (…) EST (Electronic-sell-through) ist für uns in der Zukunft ebenfalls ein wichtiges Geschäft (…) Langfristig wird EST das Modell sein, das sich durchsetzt.“ 580 Dass sich auch bei den Branchenprotagonisten im Jahr 2009 die Sicht auf die Digitalisierung noch einmal zu ändern beginnt, kann an einigen Zitaten verdeutlicht werden. Die werbetreibende Industrie geht nach Aussagen einiger Protagonisten im Jahr 2009 jedenfalls davon aus, dass zwar Fernsehen und dessen Kapitalisierung nicht substituiert, jedoch massiv ergänzt wird durch die neuen digitalen Angebote. Matthias Falkenberg, damaliger Geschäftsführer der reorganisierten SevenOne Media bringt den Wandel auf den Punkt: „Die Digitalisierung ist ein extremes Wachstumsfeld. Wir haben hier nicht den Status quo vor Augen, sondern die Zukunft. (…) Unsere Sender-Sites sind bei Pre-Roll-Ads bereits so gut wie ausverkauft.“ 581 Und der damalige Sales-Vorstand der ProSiebenSat1-Gruppe und Vorsitzende der Geschäftsführung von SevenOne Media ergänzt: „In puncto Premiumqualität ist professioneller Bewegtbild-Content eine unschlagbare Waffe. Denn die Premiummarken unserer Kunden brauchen Premium Content. Als audiovisuelles Medienhaus verfügen wir über diesen Content und können so die gesamte Verwertungskette abbilden. Nicht nur im Free-TV, sondern auch als Video-on-Demand im Internet-TV und auf unserer Onlinevideothek Maxdome oder im Mobile-Bereich. (…) Das Leitmedium TV prägt also mit seinem Bewegtbild mehr und mehr das Internet – zugleich transportiert der audiovisuelle Content die Marken und die Werbung unserer Kunden in die digitale Welt.“ 582 Susanne Stürmer, Geschäftsführerin bei der UFA bestätigt den Trend aus Produzentensicht: „Der Markt hat sich gut entwickelt. Es ist etwas einfacher als in den Jahren zuvor, neue Projekte auf die Beine zu stellen. Sowohl Plattformbetreiber als auch die werbetreibende Industrie haben Interesse daran, Neues auszuprobieren.“ 583 Und Michael Westphal vom Internet-TV-Anbieter TV1 kommt zur Ansicht: „In wenigen Jahren wird Online, das Hauptmedium sein. (…) Schon 578
Infosat, 01. 04. 2008, S. 140. Horizont, 03. 04. 2008, S. 25. 580 Blickpunkt Film, 28. 04. 2008, S. 31. 581 Internet World Business, 14. 04. 2009, S. 24. 582 Ebenda. 583 W&V, 15. 01. 2009, S. 50. 579
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tauchen die ersten Cost-per-Order-Modell auf. Wir werden radikale Konzepte sehen: Ein Radiosender sendet schon kostenlose Spots und kassiert Provisionen bei Verkauf, der über das Internet kontrolliert wird. Eines ist Fakt: Werbekunden hassen Streuverluste und verbrannte Budgets. In Zukunft zählt nur noch der Erfolg. Die Beweislast liegt beim Anbieter.“ 584 Selbst in der Print-Branche, in der sich zumindest die meisten Einzelstimmen fanden, die die Digitalisierung und ihre Auswirkungen unterschätzten, macht sich der Zeitenwechsel in selbstkritischen Äußerungen deutlich, so zum Beispiel bei Wilm Herlyn, Chefredakteur der Nachrichtenagentur dpa: „Die Multimedialität des Marktes ist schneller gewachsen, als wir es erwartet haben. In den vergangenen drei, vier Jahren sind die Produkte der Medienhäuser zusammengewachsen und werden dort aus einer Hand bedient. (…) Wir sind sehr spät gestartet. (…) Wir sind auf einen Markt gekommen, auf dem Videostreams schnell, überall und kostenlos zu haben sind. Da ist es schwer, ein neues Produkt durchzusetzen. Natürlich ist ein multimediales Angebot ohne Video undenkbar.“ 585 8.3.5
Dimensionierung der Interview-Analysen
Obwohl die Analyse der Interviewaussagen – anders als die Kommentierungen der Branchenpublizistik – nicht über eine zusätzliche Zeitachse sondern „nur“ inhaltlich kategorisiert werden konnten, lassen sich signifikante Befunde festhalten. Bei der Einschätzung der (disruptiven) Bedrohungen durch die Digitalisierung lassen sich zum Beispiel „Evolutionisten“ unterscheiden von einer viel größeren Zahl von „Revolutionisten“. Was die Marktveränderungen angeht, stehen sich in ähnlich großen Lagern, „Pessimisten“, „Optimisten“ und „Doppelstrategen“ gegenüber. Hierbei ist auffällig, dass die schärfste Kluft im Lager der Printbranche zu beobachten ist, wo skeptische und prinzipiell optimistische Haltungen oft aufeinanderprallen. Bezogen auf das strategische Management von Contentrechten fällt der ausgeprägte Gegensatz zwischen Produzenten und TV-Sendern ins Auge. Vor allem die Produzentenbranche zeigt sich in den Äußerungen einem explizit protektiv-konfrontativen Ansatz verbunden. Kooperative Wege oder Schlussfolgerungen aus Gesetzmäßigkeiten der digitalen Ökonomie finden sich praktisch nicht. Bezogen auf die künftige Rolle des Fernsehens sind wiederum „progressive“ Haltungen von „traditionalistischen“ Positionen unterscheidbar. Bei der Auswertung dieser Kategorie wurde deutlich, dass vor allem die privaten TV-Sender in Deutschland einen in den Äußerungen ihrer Protagonisten erkennbaren Vorsprung im Verständnis der Integration ihres 584 585
dwdl.de, 31. 03. 2009. sueddeutsche.de, 11. 02. 2009.
8.4 Synopse und Dimensionierung der Inhaltsanalyse
263
„alten“ Mediums in denkbare Zukünfte der neuen Medien zeigen. Besonders ausgeprägt traditionell zeigten sich hingegen einzelne Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sender. Insgesamt lassen sich die Befunde als wichtige Korrektivmaßstäbe für die Szenario-Entwicklung dimensionieren, da die gefundenen Kategorien in aussagekräftiger Weise Argumentationen und Positionen zu bündeln in der Lage waren.
8.4
Synopse und Dimensionierung der Inhaltsanalyse
Die Inhaltsanalyse der Branchenpublizistik wie der Akteursinterviews in Hinblick auf das strategische Management von Contentrechten in Zeiten der digitalen Revolution bringt ein erfreulich aussagestarkes Ergebnis und lässt sich daher als bedeutsam für die Verwendung innerhalb einer Szenariomethode klassifizieren. Anhand der Kommentare der Branchenpublizistik lässt sich zeigen, wie das Thema des SMCR während der Phase der Verdrängung, aber vor allem auch noch während der Phase der Akzeptanz massiv unterbewertet wurde. Es lässt sich zeigen, dass nach der Einschätzung der Branche selbst, ein später als erfolgskritisch erkannter Schlüsselfaktor über Jahre vernachlässigt wurde. Diese Vernachlässigung korreliert in auffälliger Weise mit Bewertungen, die zeigen, dass sich die gesamte Branche im Hinblick auf das strategische Management von Contentrechten offenkundig zu wenig mit den Bedingungen der digitalen Ökonomie aber auch mit den (disruptiven) Folgen vieler durch die Digitalisierung ausgelöster Innovationen befasst zu haben scheint. Geht man von der dargestellten Sondersituation aus, in der Branchenpublizistik vor allem auch das Verständnis der Gesamtmedienbranche für sich selbst auslesen zu können, dann greift bilanzierend selbst der Schluss nicht zu weit, dass die in dieser Arbeit postulierten und auf ein SMCR bezogenen Kernkompetenzen interner Wissensvermittlung und organisationeller Anpassung an die veränderte Gesamtsituation in vielen Teilbranchen als unterentwickelt diagnostiziert werden können. Aus diesen Diagnosen ergeben sich aus anderer Sicht und anders formuliert wiederum aber auch Hinweise für die Erstellung von Prognosen und Szenarien. Die Auswertung der Inhaltsanalyse kommt im Rahmen der Szenarienerstellung in dieser Arbeit als plausibilitätserhöhender und legitimierender Faktor eine hohe Bedeutung zu. Die Ergebnisse der Interviewauswertung lassen vor allem wichtige Schlussfolgerungen hinsichtlich der Verhandlungspositionen der Marktteilnehmer zu. Aus anderer Sicht sind die Interviews aber auch als Indikatoren für ein neues Verständnis von Contentrechten und einer neuen Haltung gegenüber den neuen digitalen Welten interessant. Insgesamt lassen die zu Clustern verdichteten Argumentationsbündel sehr genaue Rückschlüsse auf die strategische Position der Marktteilnehmer zu.
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Szenario-Writing
An diesem Punkt der Untersuchung sollen nun mit den Methoden des „ScenarioWriting“ in sehr gestraffter Form mögliche „Zukünfte“ in Bezug auf die Fragestellung formuliert werden. Es geht also um mögliche Antworten auf die Frage, wie die Digitalisierung das strategische Management, insbesondere das strategische Management von Contentrechten (SMCR) in der TV- und Produktionsbranche verändern wird. Die Methode des „Scenario-Writing“ versucht in ihrer weitestgefaßten Form, denkbare Zukunftsmodelle in eine anschauliche Sprache zu transformieren und – wenn möglich – sogar mittels spannender und literarisierender Formen zu verdeutlichen. Steinmüller (1997) verlangt, dass Szenarien „ästhetische und affektive Momente bewusst (einbeziehen); (sie) verdeutlichen Wertungen ihrer Autoren und erleichtern damit Entscheidungsprozesse, von Kommunikationsprozessen ganz zu schweigen.“586 Dieser Ansatz soll hier nur eingeschränkt verfolgt werden. Hauptziel ist die Darstellung der Szenarien in einer transparenten und nachvollziehbaren Form. Als weniger wichtig werden mögliche Aspekte von Spannung und Literarisierung betrachtet. An die Beschreibungen werden – neben der wissenschaftlichen Fundierung – aber erweiterte Anforderungen gestellt. Die verwendete Zeitform ist dabei zumeist das Futur. Das indikativische Präsens als Stilmittel einer Gegenwartsbeschreibung, deren Realität im Szenario als sicher unterstellt und nicht mehr hinterfragt wird, wie dies von manchen Autoren postuliert wird, erscheint vor dem Hintergrund der Aufgabenstellung als überinterpretierend und von der Tonalität her betrachtet in den meisten Fällen als kontraproduktiv. Die Szenarienbeschreibungen enthalten hochverdichtete Hypothesen, die sich unmittelbar aus den analysierten und dargestellten Determinanten, den Inhaltsanalysen der Fachpublizistik sowie den 586
Steinmüller, Karlheinz (1997): Grundlagen und Methoden der Zukunftsforschung – Szenarien, Delphi, Technikvorschau. Werkstattbericht 21 des Sekretariats für Zukunftsforschung, Gelsenkirchen, S. 62ff. Steinmüller zitiert in diesem Zusammenhang die VDI-Richtlinie zur Technikbewertung aus dem Jahr 1991: „Die Szenario-Gestaltung ist eine qualitativ-literarische Methode zur ganzheitlichen Beschreibung möglicher komplexer Zukunftssituationen; (…) Ähnlich einem Drehbuch oder einer utopischen Erzählung repräsentiert das Szenario die in sich stimmige Antizipation eines Bündels aufeinander bezogener, zukünftige Geschehnisse und Zustände, die unter explizit angegebenen Ausgangsbedingungen eintreten können. (…) Die Szenariogestaltung ist eine Mischung aus prognostischem Wissen, intellektueller Kombinatorik und phantasievoller Erzählkunst. (…) die Szenariogestaltung (ist) offen für geisteswissenschaftliche Ansätze und literarische Formen der Welterschließung.“
266
9 Szenario-Writing
Branchenakteursinterviews ableiten. Das „Szenario-Writing“ ist damit Zukunftsbeschreibung im wörtlichen Sinne: Eine angenommene Zukunft wird als real denkbare Möglichkeit ernstgenommen. Das Szenario stellt einen horizontalen Schnitt durch die Zeitachse dar. Die Festlegung dieses „Schnittes“ ist dabei ein gezwungenermaßen arbiträrer Akt dar: Da das Tempo der durch die Digitalisierung bedingten Veränderung auf der einen Seite permanent hoch ist, auf der anderen Seite innerhalb dieses Tempos Wellenverläufe erkennbar sind, lässt sich ein „richtiger“ Zeitpunkt des linearen Querschnitts nicht bestimmen: Jedes Szenario für jeden Zeitpunkt innerhalb künftiger Digitalisierungsveränderungen liegt immer einerseits zu früh, andererseits teilweise zu spät für die Auswirkungen der Entwicklungen auf die jeweiligen Branchen. Insofern gibt es keinen quasi-natürlich sich anbietenden ZielZeitpunkt für die Szenarienfestlegung. Da jedoch, wie mehrfach herausgearbeitet, die Entwicklungen durch die Digitalisierung gemessen an anderen (historischen) Entwicklungen in den Medien tendenziell rasch ablaufen und mit kurzfristigen indikativen Vorwarnzeiten, erscheint eine Fokussierung auf einen nicht allzu weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt für die Szenarienentwicklung als sinnvoll. Zu kurzfristig jedoch kann und soll eine aus dieser Arbeit resultierende Prognose auch nicht sein, da der Betrachtungsschwerpunkt sich auch auf eine möglicherweise notwendige Veränderung im Bereich des strategischen Managements der Unternehmensressourcen bezieht, in dem ein möglicherweise sinnvolles oder gar notwendiges Change Management mehrere Jahre benötigt, um Wirksamkeit zu erhalten. Aus diesem Grund plädiert die Arbeit für die Annahme eines „unscharfen“ Zeitpunkts, der die geschilderten Szenarien in einem Zeitraum von 5 bis 10 Jahren verortet, und der in der vorliegenden Beschreibung auf die „glatte“ Jahreszahl 2015 hin definiert wird. Der „Zeitpunkt 2015“ kann also auch als Chiffre für einen Zeitraum von 2014 bis 2019 ausgelesen werden, enthält also eine absichtlich gewählte Unschärfe. Diese stellt nicht nur eine Antwort auf die Entwicklungsgesetzmäßigkeiten der Digitalisierung dar, sondern entspricht durch eine bewusste Abkehr von einem definierten Szenarioeintrittszeitpunkt auch die Diversität der schwerpunktmäßig betrachteten Untersuchungssubjekte (z. B. Free-TV und Produzenten) und stellt auch die unterschiedlichen Anpassungstempi in Rechnung. Der Zeitpunkt 2015 soll daher ein „Szenario-Fenster“ und nicht einen „Szenario-Termin“ umschreiben. Beim konkreten Vorgehen müssen nun vor allem die im Untertitel dieser Arbeit in engem Zusammenhang genannten Interessen der Fernsehsender und der Produktionsbranche getrennt werden, wie dies ja auch schon bei den inhaltsanalytischen Auswertungen praktiziert wurde. Szenario-Writing muss sich auf die Zukünfte der jeweiligen Teile des gemeinsamen Ganzen beziehen, um in Abgrenzung der Interessen voneinander (aber auch teilweise in Übereinstimmung) Trendszenarien extrapolierbar zu machen.
9.1 Das privatfinanzierte Fernsehen: Trendszenario 2015
267
In der Szenariobeschreibung wird ausschließlich auf „Trendszenarien“ fokussiert als eine mittlere Distanz zwischen den Annahmen eines „Worst-Case“-Szenarios und eines „Best-Case“-Szenarios. Neben der Betrachtung der privatfinanzierten Free-TV-Sender und der deutschen Produktionsbranche sollen in zwei kurzen Exkursen daneben auch die miterhobenen Erkenntnisse über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie über die Printbranche in Kurz-Szenarien skizziert werden. Dies macht deshalb insbesondere Sinn, weil der alle medialen Industrien angreifende Faktor – die Digitalisierung – im Wesentlichen ähnliche Folgen hat und die unterschiedlichen Teilbranchen im Ringen z. B. um Bewegtbildrechte anders als in der analogen Zeit unmittelbare Konkurrenten sind. 9.1
Das privatfinanzierte Fernsehen: Trendszenario 2015
Das Trendszenario für das strategische Management von Contentrechten für die privaten Fernsehsender in Deutschland weist gemäß der belegten Befunde zwei grundlegend unterschiedliche Ansätze auf, die als externe und interne Logik beschrieben werden können. Dieser doppelte Prognoseansatz ist Folge der schweren weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, die seit Ende 2008 massiv auch auf die deutsche Realwirtschaft durchschlägt und vor allem in 2009 Kürzungen der Marketingausgaben und Werbegelder nach sich zog. Obwohl sich zum Zeitpunkt dieser Untersuchung bereits wieder optimistischere Vorzeichen für die Jahre ab 2010/2011 andeuteten, hat die Verschiebung innerhalb des makroökonomischen Rahmens Auswirkungen auf alle denkbaren Szenarien. Sie stellt aber gleichwohl Szenarienbildung als prognostische Methode nicht grundsätzlich in Frage. Festzuhalten ist jedoch, dass die externe Logik der Wirtschaftskrise Auswirkungen auf die interne Logik der TV-Sender haben wird – sie definiert den Rahmen des Möglichen neu, wenngleich es sicher nicht so dramatisch kommen wird, wie dies manche Zeitungskommentare skizzieren: „Die Finanzkrise schwächt die kommerziellen Sender, ihre Einnahmen aus der Werbung sinken rapide, ihre Zukunft steht auf dem Spiel.“ 587 Fokussiert man auf die interne Logik der privaten Fernsehbranche, dann wird deutlich, dass das privatfinanzierte Fernsehen in Deutschland in den kommenden Jahren bis 2015 die entscheidende Phase hinsichtlich des SMCR proaktiv gestalten kann. Zwar unzweifelhaft geschwächt durch die Weltwirtschaftskrise und die sich verringernden Werbeeinnahmen auf der einen Seite und die Erosionswirkungen disruptiver Produktinnovationen auf der anderen Seite, gerät das private Fernsehen im Wesentlichen nur in einen vorübergehenden Zustand subjektiver Schwäche. Insbesondere bezogen auf das SMCR wirkt sich die Schwäche vor allem deshalb (nur) 587
Die Zeit, 19. 02. 2009, S. 1.
268
9 Szenario-Writing
subjektiv aus, da (fast) alle anderen Marktteilnehmer innerhalb der TV-Industrie und innerhalb der TV-Wertschöpfungslogik ebenfalls wirtschaftliche Schwächephasen durchlaufen. Die vorliegenden Ergebnisse der empirischen Untersuchung – vor allem jene der qualitativen Inhaltsanalyse hochrelevanter Branchenpublizistik – legen nahe, dass sich für das privatfinanzierte TV hinsichtlich eines hochwirksamen SMCR große Chancen eröffnen, die das private Fernsehen dank seiner Innovations- und Anpassungskraft im angenommenen Trendszenario auch nutzen wird. Dabei wird das privatfinanzierte Fernsehen vor allem in den kreativ-kooperativen Bereichen des SMCR tätig sein können. Hier können TV-Sender ihre eigenen – akquirierten oder selbstgeschaffenen – Plattformen, ihr – gemessen an anderen Marktteilnehmern und anderen Branchen – avanciertes Wissen um die Erfolgsfaktoren von Bewegtbildproduktion und das erkennbar hohe Verständnis der Digitalisierung sowie die Kraft und die Medienmacht ihrer Sender- und Formatmarken nutzen, um die Verwertung von Rechten auf neuen Kanälen – vor allem im Internet und in den damit verbundenen Werbemärkten – vorantreiben zu können. Grundsätzlich bietet der Prognosezeitraum den TV-Sendern die Möglichkeit, positiv auf die Legitimität des tradierten Rechte-Status quo zwischen den Marktteilnehmern zu rekurrieren und dabei unter anderem auf die eigenen Investitionen in neue digitale Vertriebswege sowie die schwieriger werdende wirtschaftliche Gesamtlage zu verweisen. Mit hoher Plausibilität können die Sender dabei Strategien entwickeln, die die Distribution von TV-Inhalten unter eigenen Sender- und Formatmarken auf möglichst vielen Nutzungskanälen ermöglicht. Die von disruptiven Tendenzen bedrohte „klassische“ Aggregatorenfunktion wiederbelebt sich dadurch in einer neuen, digitalen Dimension: Die Sender entwickeln sich zu Meta-Aggregatoren breitflächiger Sender- und Formatmarken-Kommunikation in allen inhaltlich sinnvoll vernetzbaren digitalen (und analogen) Welten. In Zeiten großer wirtschaftlicher Dynamik muss dies nicht zum Nachteil anderer Marktpartner sein: Vielmehr werden die TV-Sender auf Basis ihrer kreativen wie organisatorischen Core Assets dazu in der Lage sein, gemeinsam mit weiteren Marktpartnern im Sinne eines erweiterten SMCR zusätzliche Contentwerte zu schaffen. Der Legitimitätsanspruch der Position der privaten Sender, am Status quo der Rechteverteilung in der Branche nichts oder nur wenig ändern zu wollen, bleibt aus der Sicht der ausgewerteten Dokumente hoch und wird verstärkt durch die erwähnte Meta-Aggregatorenfunktion. Die privaten Fernsehsender haben die Digitalisierung nach den ausgewerteten Analysen offenkundig früher als andere Teilbranchen als eine nicht aufhaltbare Veränderung der Medienrealität akzeptiert und entsprechend gehandelt. Sie investierten massiv in den Ausbau neuer digitaler Angebote. Dies hatte hohe Initialkosten zur Folge. So ließ sich aus den in dieser Arbeit vorgestellten Analysen – trotz eines nicht einheitlichen Meinungsbilds – ein grundsätz-
9.1 Das privatfinanzierte Fernsehen: Trendszenario 2015
269
liches Bewusstsein der meisten TV-Sender ermitteln, an tiefgreifenden strukturellen Veränderungen beteiligt zu sein und dies auch zu wollen. Neue Geschäftsmodelle werden so prinzipiell nicht als bloße Bedrohung, sondern vor allem als Chance verstanden. Investitionsentscheidungen werden auch zugunsten der neuen Geschäftsfelder getroffen. Die oligopolistische Marktorganisation gab und gibt – dies zeigten die Analysen – den privaten TV-Sendern unbestreitbare Verhandlungsmacht, die aber nicht nur konfrontativ gesehen und genutzt wurde. In der Zukunft wird sich zeigen, dass die privaten TV-Sender enge Kooperationen eingehen können, mit einer Vielzahl unterschiedlicher Partner, von den großen Internet-Service-Providern bis hin zu den Portalbetreibern und nicht zuletzt auch hin zu Produzenten in den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfung. Im Trendszenario können die TV-Sender die Vorteile einer solchen positiven, proaktiven Haltung auch in Bezug auf die bereits vorhandenen Contentrechtbestände nutzen. Die inhaltlichen Portfolios in den Sendern können systematisch verwertet werden. Über das stationäre wie das mobile Internet werden zielgruppenkonfektionierte neue Kanäle oder Formate kreiert. Neue, eigene Sendungen starten zunächst im Internet verbunden mit einer Vielzahl von Online-Tools und Applikationen. Communities scharen sich um diese zunächst Online gestarteten Kanäle und Formate. Den Sendern erlaubt diese Entwicklung, eng zu bedeutenden Playern im Internet aufzuschließen, und dies ist auch notwendig. In Zeiten sich weiter fragmentierender Mediennutzung muss auch der On-AirErfolg „klassisch“ analoger TV-Formate durch alle Formen digitaler Distribution und Vernetzung abgesichert werden. Die Sender können den Erfolg ihrer neuen und alten Formate optimieren, indem Internetprodukte mit den On-Air-Produkten durch klassische Promotion, aber mehr und mehr auch durch kreative Integration miteinander verschmolzen werden. Sendungen können dabei zum Beispiel feste Bestandteile im Fernsehen wie im Internet haben, beide Teile sind miteinander verbunden und bedingen im Extremfall sogar ihr gegenseitiges Verständnis. Um die eigenen Erkenntnisvorsprünge zu nutzen, kann im Trendszenario auch eine bereits heute erkennbare Strategie der privaten TV-Sender darin liegen, weitere eigene Produktionsfirmen zu gründen. Alle Produkte dieser Firmen sind – bis auf gelegentliche Formatlizenzbeschränkungen – komplett in die Rechteverwertungskette der Sender integriert. Solche Schritte haben auch große prozessuale Vorteile: In neugegründeten eigenen Produktionsfirmen werden starke Scouting- und Developing-Einheiten etabliert. Sie haben die strategische Aufgabe, Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte rückgängig zu machen und kreative und Scouting-Kompetenz in die Sender rückzuintegrieren. Im Sinne einer strategischen Rechte-Position wird es zudem Ziel der Sender sein, innerhalb weniger Jahre den Anteil von rechtebeschränkten Formatlizenzen zu verringern, und dafür mehr und mehr selbst lizenzfähige eigene Formate zu entwickeln. Die sich dann ergebenden Formatrechte in-
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9 Szenario-Writing
klusive der Format- und Produktionsbibeln in Kombination mit dem gewonnenen Produktions-Know-How können dann in eigenen oder fremden TV-Netzwerken oder auf digitalen Plattformen zweitverwertet oder weiterverkauft werden.588 Unterhaltungsformate stehen dabei im Mittelpunkt, weil sie für eine interaktive Verwertung auf mehreren Plattformen besonders geeignet sind. Im Trendszenario für die TV-Sender wird also deutlich, dass die strategische Notwendigkeit erkannt und positiv beantwortet wird, eine langfristige Sicht auf das SMCR zu entwickeln, um für alle künftigen Kanäle und Auswertungen die notwendigen Rechte zur Verfügung zu haben. Die Inhaltsanalyse der deutschen Fachpublizistik sowie der Akteursinterviews lassen den Schluss zu, dass die Position der privaten TV-Sender im deutschen Free-TV-Markt hinsichtlich dieser Herausforderung als sehr gut einzuschätzen ist.
9.2
Die deutsche TV-Produktionsbranche: Trendszenario 2015
Die TV-Produktionsbranche gerät durch die Digitalisierung in eine Krise. Die Krise ist vor allem gekennzeichnet durch erhöhten Wettbewerbsdruck und neue Mitbewerber im Produzentenmarkt (Stichwort „prosumers“). Die inhaltliche Definitionshoheit der Produzenten über die Inhalte wird zum Beispiel durch „User generated content“ zumindest teilweise in Frage gestellt. Die Produzenten befinden sich gleichzeitig in ihrem „klassischen“ Geschäft in der Abhängigkeit von den großen privaten und öffentlich-rechtlichen Auftraggebern und damit gekoppelt an deren wirtschaftliche Situation. Für die neuen digitalen Vertriebswege haben die Produzenten nur in ganz wenigen Fällen eigene Marken oder kohärente eigene Strategien entwickeln können. Ein Umsteuern ist diesbezüglich kurzfristig kaum möglich – und in vielen Fällen ökonomisch und strategisch auch nicht sinnvoll. Die ökonomischen Gesetze der Digitalisierung wirken sich insgesamt kritisch für die deutsche Produzentenlandschaft aus, vor allem im Bereich der Kreation und der Produktneuentwicklung. Die vielen neuen Kanäle, die alle um die Aufmerksam588
Ein Beispiel für diese Entwicklung stellt die Gründung der „Red Seven Entertainment GmbH“ durch die ProSiebenSat1 Media AG im Mai 2008 dar. Ziel des Vorgangs sei es, so hieß es in einer Pressemitteilung, „durch die Gründung einer eigenen Produktionsgesellschaft für non-fiktionale Formate (wolle) die Gruppe sich auch den Zugang zu Rechten erleichtern und eigene oder erworbene Formatrechte besser verwerten.“ Pressemitteilung der ProSiebenSat1 Media AG vom 14. 5. 2008, zitiert nach: URL: http://www.prosiebensat1.com/ pressezentrum/prosiebensat1mediaag/meldung/index.php?method=pmview&pmid=25435 &plattform=prosiebensat1mediaag, abgerufen am 14. 5. 2008 um 13:45 Uhr. Aufgabe der Red Seven soll es ebenfalls sein, originären Web-Content zu produzieren.
9.2 Die deutsche TV-Produktionsbranche: Trendszenario 2015
271
keit der User/Zuschauer konkurrieren, bringen eine Vielzahl neuer Contentwünsche, -Erwartungen, -Genres hervor, die nach jeweils eigenen, aber abweichend von den tradierten Gesetzen funktionieren. Die dargestellten Analysen weisen darauf hin, dass auf Seiten vieler Produzenten möglicherweise nicht ausreichend investiert wurde in die Entwicklung eigener digitaler Produkte oder Plattformen, – und offenkundig auch zu wenig in Organisation, Prozesse und eine den digitalen Chancen angepasste Kreativentwicklung. Auch die technologische Komponente der neuen Medien wurde offenkundig unterschätzt, jedenfalls kaum erwähnt. Wo neue Vertriebswege aufgebaut wurden,589 erwies sich der Versuch, neue digitale Marken möglichst rasch auf eine vermarktungskritische und damit refinanzierbare Größe zu bringen, als mühsam. Während auf der einen Seite der prinzipielle Marktzugang weiterhin möglich und weiterhin einfach scheint, hat sich die Situation in der digitalen Welt, inbesondere im Internet, fortentwickelt. Produzenten-, Format-, oft auch Sender-ferne Marken mit eigener Markenbindungskraft sind entstanden, daneben Plattformen, auf denen Bewegtbildprodukte vertrieben werden, oft ohne jede Beteiligung professioneller Produzenten im traditionellen Sinne. Dass all dies ohne wesentliche Eigeninitiativen der Produzenten geschah, liegt unter anderem auch an der mittelständischen Organisation der Produzentenlandschaft. Das Management der digitalen Herausforderung ist nicht möglich, ohne dass beträchtliche Teile des Managementaufwands – aber auch der finanziellen Ressourcen – in das Thema investiert werden – und dies zeigte sich im untersuchten Betrachtungszeitraum nicht sehr ausgeprägt. Die Verbindung des traditionellen Produktionsgeschäfts mit den Gesetzmäßigkeiten der digitalen Ökonomie erweist sich im Sinne knapper Faktorenmärkte als rare und schwer substituierbare Expertenqualität, die im Produzentenkerngeschäft der analogen Ära nicht oder zu wenig zu Tage trat. Nach den ausgewerteten Analysen erscheinen daher im Trendszenario 2015 Strategien, die auf den Aufbau eines eigenständigen Endkundengeschäfts abzielen, als kaum wahrscheinlich. Naheliegender und erfolgsversprechender erscheint ein Transfer bisheriger (analoger) Produktionskompetenz auf neue – oft formatmarkenergänzende – digitale Contentplattformen. Die Formulierung von abstrakten Beteiligungsansprüchen an einer „digitalen Dividende“ erscheint vor dem Hintergrund von Investitionszurückhaltung und protektiver Grundhaltung als langfristige Strategie von Legitimitätsdefiziten belastet. Die Gründung der Allianz Deutscher Produzenten stellte für die Branche zwar einen wichtigen – taktischen – Schritt für die Integration aller Interessen unter klare, gemeinsame Gesamtziele im Sinne einer verbesserten Institutionalisierung dar, doch dominieren in vielen Äußerungen bis heute protektivkonfrontative Positionen. Zwar gelingen der Produzentenallianz vor allem gegenüber 589
Zum Beispiel die Online-Seite myspass.de von Brainpool.
272
9 Szenario-Writing
(in Bezug auf ein neues SMCR selbst schwachen) Partnern wie den öffentlich-rechtlichen Sendern der ARD einzelne Verhandlungserfolge. Hinsichtlich eines mit Blick auf die Digitalisierung erweiterten Verständnisses von SMCR wirken sich die analytisch belegbaren Defizite im kreativ-kooperativen Verständnis bei den Produzenten jedoch als grundsätzlich belastendes Vermächtnis bei der Entwicklung partnerschaftlicher und/oder individueller Vermarktungsstrategien aus. Den deutschen Produzenten stellen sich daher in der Zeit bis zum Jahr 2015 vor allem Herausforderungen im Bereich jenseits protektiv-konfrontativer Positionierungen. Chancen liegen vor allem im kreativ-kooperativen Teil des SMCR, wofür es immerhin bereits heute vereinzelte Signale gibt.590 Positionierungsmöglichkeiten als „best partners“ der auftraggebenden Sender setzen allerdings einen weiteren Kompetenzaufbau im Bereich digitaler Produkte voraus, um neben den „klassischen“ TV-Produzententätigkeiten auch Produkte mitanbieten zu können, die den Gesetzmäßigkeiten digitaler Ökonomie entsprechen und die eigene Produktpalette wesentlich erweitern.
9.3
Das öffentlich-rechtliche TV: Trendszenario 2015
Das Trendszenario für ARD und ZDF zeigt eine frappierende Bipolarität: Auf der einen Seite stehen – gewährleistet z. B. von entgegenkommenden rechtlichen Rahmenbedingungen, Contentmenge, Eigenproduktionsanteil und Personalquantität – große Chancen für ein den Bedingungen der digitalen Revolution entsprechendes SMCR. Auf der anderen Seite lassen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung struktur- und systemimmanente Eigenblockaden vermuten, die ein Ausnutzen der Chancen in vollem Umfang unwahrscheinlich machen. Insgesamt scheint der – von den öffentlich-rechtlichen Sendern selbst angenommene – Konkurrenzdruck durch die privaten Anbieter auf der einen Seite, bürokrati590
Vgl. dazu Alexander Thies, Vorsitzender Produzentenallianz in: Pro Media, 09/2009, S. 48ff. Dass es Anzeichen hin zu einem kooperativeren Verständnis des SMCR auch auf Seiten der Produzenten gibt, darauf deuten jüngste Äußerungen: „Das Verhältnis ist auf den Erfolg ihrer Produkte ausgerichtet. Beide, Sender und Produzenten, befinden sich in einer Schicksalsgemeinschaft (Hervorhebung durch den Autor, U.S.) im Ringen um das bestmögliche programmliche Angebot für den Zuschauer. Dabei sind die Sender die wichtigsten Nachfrager, Nutzer und Verwerter unserer Produkte im Auftrags-, Co-Produktions- und Lizenzbereich. Gleichzeitig weiten sie ihr Aktivitätsfeld immer mehr in die Bereiche Herstellung und Verwertung aus, integrieren sich also vertikal, was natürlich auch die Produzenten vor neue Herausforderungen stellt. (…) Es wird für die Sender nicht leichter, das Publikum zu erreichen, aber die gewachsene Partnerschaft bietet die Möglichkeit, gemeinsam nach neuen Lösungen zu suchen. Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten ihr großes Prä, eben diese langjährige Partnerschaft mit den Produzenten als Chance verstehen und entsprechend nutzen.“
9.3 Das öffentlich-rechtliche TV: Trendszenario 2015
273
sche Strukturen und das Altern der Hauptzielgruppen591 auf der anderen Seite, dazu geführt zu haben, dass inbesondere die Innovationsfähigkeit und das Erkennen und Umsetzen neuer Strategien und Prozesse als unterdurchschnittlich zu bewerten sind. Feststellbar sind diese Anpassungsdefizite jedoch nicht als lineares Phänomen: Bedingt durch seine gebührenfinanzierte Unabhängigkeit von Schwankungen des ökonomischen Wettbewerbs hat der öffentlich-rechtliche Runkfunk in der Vergangenheit regelmäßig die Chance bekommen (und sie in Teilen auch wahrgenommen), in zyklisch auftretenden Wirtschaftseinbrüchen rezipientenmarktorientierte Anpassungs-, Adaptions- und oft Imitationsleistungen zu finanzieren und während der Krisenzeit auch umzusetzen. Dies führt zu ebenso regelmäßigem wie selten nachhaltigem Aufschließen zu den strukturell wie inhaltlich oft vorausgeeilten privaten Sendern.592 Der Zeitraum bis zum Jahr 2015 bietet dafür eine Chance für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – auch und vor allem im Hinblick auf das SMCR. Dabei kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf gewisse Erfahrungen aufbauen. Im Jahr 2008 beendete zum Beispiel der Bayerische Rundfunk gemeinsam mit der Unternehmensberatung Accenture das Projekt „Strategische und operative Neuausrichtung des Rechtemanagements beim Bayerischen Rundfunk“, – das einzige öffentlich bislang dokumentierte Großprojekt, das das SMCR innerhalb öffentlichrechtlicher Angebote transparent macht. Intendant Thomas Gruber kommentierte das Vorhaben: „Das Rechte-Management hat für uns eine hohe strategische Bedeutung und birgt viele operative Herausforderungen. Gemeinsam mit Accenture konnte der Bayerische Rundfunk die Weichen richtig stellen, um die Herausforderungen des Rechte-Managements besser zu bewältigen.“ 593 Der Hausjustiziar Albrecht Hesse lobte „wertvolle und umsetzbare Ergebnisse im Hinblick auf den Erwerb von Rechten, Optimierung der organisatorischen Strukturen und prozessuale Verbesse591
Der Altersdurchschnitt der Fernsehzuschauer bei der ARD lag laut einer Analyse des Nachrichtenmagazins Focus im Jahr 2007 bei 59 Jahren, beim ZDF bei 60 Jahren. Zitiert nach URL: http://www.television-total.de/hintergrund.shtml, abgerufen am 28. 4. 2009. 592 Deutlich zu beobachten war dies zum Beispiel beim Zusammenbruch der New Economy und des ersten Hypes um das Internet. Während das öffentlich-rechtliche System den Börsenboom mit seinem gewachsenen Bedürfnis nach Wirtschaftsinformationen „verschlief“ und so Sendern wie n-tv und N24 den Markteintritt erst ermöglichte, konnten ARD und ZDF nach Ende des Booms mit umfangreichen Sendungsblöcken und Börsenwebsites Terrain zurückgewinnen, dass die konkurrierenden Angebote in der einsetzenden Krise mangels Ressourcen nicht verteidigen konnten. Eine ähnliche Entwicklung wird sich zeigen nach Inkrafttreten des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags. 593 Zitiert nach: Neuausrichtung des Rechte-Managements beim Bayerischen Rundfunks, Kundenbeispiel Accenture, abgerufen unter URL: http://www.accenture.com/Countries/ Germany/Services/By_Industry/Media_and_Entertainment/Broadcast/Client_Successes/ NeuausrichtungRundfunk.htm, am 11. 2. 2009.
274
9 Szenario-Writing
rungen“ 594. Das Projekt und seine Erkenntnisse kamen zu einem günstigen Zeitpunkt: Vor dem Hintergrund des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (Inkrafttreten am 1.1.2009) und den darin verankerten weitgehenden Möglichkeiten für ARD und ZDF, das Internet systematisch zu erschließen, bieten solche SMCR-Projekte die geeignete Grundlage, um sich der großen Inhaltsbestände der Anstalten zu vergewissern und diese Bestände auch in der digitalen Welt (ausgestattet mit neuen Vollmachten durch den Gesetzgeber) systematisch zu bewirtschaften. Derzeit gibt es neben ARD und ZDF neun dritte Fernsehprogramme, Spartenprogramme wie ARTE, 3Sat, KiKa, Phoenix, ZDFneo, ZDF Theaterkanal, Eins Extra, Festival, Plus, BRalpha, rund siebzig ARD-Radioprogramme und mehrere Dutzend sogenannter Web-Channels, in Summe mehr als hundert unterschiedliche Programmangebote auf den verschiedensten Vertriebsplattformen.595 Diese im internationalen Vergleich einzigartige und kaum mehr zu überschauende programmliche Vielfalt mit entsprechenden Contentausbringungsmengen kann keiner der privaten Konkurrenten im Wettbewerb um die digitalisierte Zukunft aufbieten, weder in der TV-, noch in anderen Medienbranchen. Die strategisch-programmliche Ausgangslage ist daher für die öffentlich-rechtlichen Sender – begründet vor allem durch weiterhin positive politische Rahmenbedingungen sowie das Befreit-Sein von den wirtschaftlichen Krisensorgen der Konkurrenz – positiv zu bewerten: Die programmlichen Arsenale zumindest sind übervoll. Jenseits dieser strukturell-positiven Rahmenbedingungen – das zeigen die in dieser Untersuchung ausgewerteten Dokumente – befinden sich die öffentlich-rechtlichen TV-Sender allerdings in einer tiefgreifenden Legitimationskrise. Die Entwicklung des Altersdurchschnitts der Rezipienten von Sendern und Formaten zeigt in vielen Bereichen eine deutliche Tendenz: Die Jugend geht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und insbesondere dem Fernsehen verloren. Nachdem das Interesse der Jüngeren an den öffentlich-rechtlichen TV-Programmen immer geringer wird, gibt es Grund zur Annahme, dass auch die Kraft einst wichtiger öffentlich-rechtlicher Sendermarken quasi biologisch verfällt. Spezial-Formate, die nur Randgruppen um sich scharen können, reagieren zwar indirekt auf die Fragmentierungstendenzen in der Mediennutzung, entfalten aber keine relevante Dachmarkenbindungswirkung und können die Gesamttendenz nicht stoppen. Eine Erosion von Marktanteilen im Rezipientenmarkt ist aber von Bedeutung auch für die ökonomischen Märkte, in denen nicht wahrgenommene und folgenlose Legitimationsdefizite gebühren- und damit marktfern-finanzierter Sender zu möglichen Wettbewerbsverzerrungen und partiellem Marktversagen führen können. 594 595
Ebenda. Vgl. dazu „Was wir uns von ARD und ZDF wünschen“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 4. 5. 2008, S. 33.
9.4 Die Privantbranche: Trendszenario 2015
275
Die organisatorischen Voraussetzungen für rasche Adaptions-, Aufhol-, bzw. Rückholprozesse erscheinen nicht günstig: Die vor dem Hintergrund der digitalen Veränderung notwendige Integration von externer Kompetenz und Kreativität wird oft durch bürokratietypische Hierarchiemuster und hermetische Rekrutierungssysteme erschwert. Durchlässigkeit der Strukturen, Beweglichkeit und Offenheit in den kreativen Herausforderungen sind jedoch Voraussetzung für erfolgreiche Bewältigungsstrategien in der digitalen Revolution. Diese organisatorischen aber auch personellen Defizite müssen daher in einem Trendszenario als wichtige Einschränkungen bewertet werden. So steht der öffentlich-rechtliche TV-Komplex im Jahr 2015 vor einer teilparadoxen Situation: Obwohl alle Mittel vorhanden scheinen, fehlen möglicherweise die entscheidenden.
9.4
Die Printbranche: Trendszenario 2015
Die Printbranche wird im Szenariozeitraum und bezogen auf das SMCR geprägt von einer extremen Zerklüftung der Geschäftsmodelle, der Strategien und Zukunftschancen. Mit großer Deutlichkeit hat die Inhaltsanalyse in der vorliegenden Arbeit ergeben, dass keine andere der betrachteten Medienbranchen die Entwicklung durch die digitale Revolution so unterschiedlich einschätzt wie die Printbranche. In keinem anderen betrachteten Teilbereich ließ sich mehr rückwärtsgewandter Traditionalimus nachweisen wie in der Printbranche. Gleichzeitig finden sich gerade in jüngster Zeit Haltungen, insbesondere auch die technologischen Herausforderungen der Digitalisierung offensiv anzunehmen. Die Zerklüftung der Strategien und die immer wieder feststellbare Tendenz zur Euphemisierung der analogen Vergangenheit steht dabei dramatischen Bedrohungsszenarien entgegen, die, anders als in anderen Medienbranchen, nicht mehr nur mit einem Ende des Mediums selbst kokettieren, sondern dieses Ende in zahlreichen Fällen tatsächlich vor Augen haben, was vor allem Beispiele aus den USA bereits gezeigt haben. Wandelschwerfälligkeit, ein Wahrnehmungs-Bias und dramatisch disruptiv wirkende Produktneuheiten ergeben ein explosives Gemisch, das zu massiven Folgen in der Branche führt. So vergeben viele Print-Marktteilnehmer offenkundig große Chancen, mittels eines kreativen Managements der eigenen Inhaltsrechte, das Internet oder andere digitale Vertriebswege systematisch zu bewirtschaften. Nur wenige Verlage scheinen zu erkennen, dass der Weg in den Erfolg in der digitalen Welt nur über Technologie, SMCR und starke Marken im Internet führt. Dabei investieren diese wenigen Verlage nicht nur in die Web-Verlängerungen und -Produkte ihrer eigenen Printmarken. Sie gehen auch den Weg, die eigenen ContentBestände in den Häusern konsequent zu nutzen und wieder zu verwerten. Dabei bie-
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9 Szenario-Writing
ten sich Akquisitions- und Gründungsstrategien an, die zu den klassischen Ressorts wie „Wirtschaft“, „Sport“, „Feuilletion“ oder auch „Boulevard/Magazin“ eigene Onlineplattformen unter neuen Markennamen schaffen, oder aber markenverwandte Seiten gezielt im Zuge von Beteiligungen oder mehrheitlichen Übernahmen ins eigene Netzwerk eingegliedern. Die Strategien der Verlagshäuser können dabei darauf zielen, mit dem eigenen Hauptasset – den hochwertig produzierten Rechten und Inhalten – im Web so rasch wie möglich relevante Größe zu bekommen. Dazu allerdings müssen die Verlage gleichzeitig massiv in das Thema Technologie einsteigen.
9.5
Eintrittswahrscheinlichkeiten
Die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Trendszenarios müssen an dieser Stelle als hoch eingeschätzt werden. Ihnen liegen die umfangreichen Auswertungen der Fachpublizistik sowie der Interviews führender Branchenakteure ebenso zugrunde, wie die untersuchten Basisparameter der aus der PEST-Analyse abgeleiteten Szenariodeterminanten. Die im Theorieteil dieser Arbeit geleistete Erschließung eines neuen Begriffs vom strategischen Management von Contentrechten SMCR erweitert die Entwicklungs-Visibilität und eröffnet Kategorien zum Ansatz von konkreten unternehmensorganisatorischen und prozessualen Maßnahmen. Den größten Unsicherheitsfaktor in den Jahren bis 2015 stellen die makroökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland dar. Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Arbeit wagen weder die Bundesregierung noch die großen Wirtschaftsforschungsinstitute selbstsichere Aussagen darüber, wie lange die Krise dauern wird, wie tiefgreifend sie sein wird, und welche realwirtschaftlichen Folgen auch auf die Medienbranche durchschlagen. Unbestreitbar ist die hohe unmittelbare Abhängigkeit der privaten Fernsehsender und der Printbranche von den Werbespendings der Realwirtschaft. In mittelbarer Folge sind davon auch die Produktionsfirmen betroffen. Diese Abhängigkeiten wurden in die Skizze der Szenarien einbezogen. Implizit wurde aber immer von einer „normalen“ Krise mit einer Zeitdauer von 2–3 Jahren ausgegangen mit einer sich daran anschließenden Erholung. Bewegen sich die konjunkturellen Schwankungen also in diesem Bereich, dann sollten die Trendszenarien eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit haben.
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Fazit, Schlussfolgerungen und Implikationen
Die vorliegende Untersuchung hat versucht, zu verschiedenen Aspekten des „strategischen Managements von Contentrechten“ Beiträge zu leisten und durch neue theoretische wie empirische Ansätze das Thema besser zu verankern, um damit Erkenntnisgewinne zu realisieren. So konnte gezeigt werden, dass das Thema als erfolgskritische Herausforderung für das Management von Medienunternehmen unter den Bedingungen der Digitalisierung zu verstehen ist. Die Digitalisierung hat dabei die Relevanz von Contentrechten vor allem in der TV-Industrie dramatisch erhöht und ihr Management zu einem Schlüsselerfolgsfaktor werden lassen. Erstmalig in diesem Umfang und mit einer notwendig gewordenen größeren Detailtiefe konnten in der vorliegenden Arbeit Fernsehinhalte als Kombination von unterschiedlichen audiovisuellen Medienrechten beschrieben werden, die als Bausteine des Fernsehprogramms verstanden wurden: Rechte als „Rohstoffe“ der Wertschöpfung in der TV-Industrie. Die bisher zur Verfügung stehenden Definitionen in der Literatur erwiesen sich als nicht ausreichend, um die durch die Digitalisierung erzwungenen neuen Charakteristika eines strategischen Managements von Contentrechten abzubilden. Durch ein erweitertes Verständnis des Begriffs sollten deshalb die bislang unverbunden nebeneinanderstehenden Komponenten eines tradierten protektiv-wertschöpfenden Ansatzes und eines neuformulierten kooperativ-innovativen Ansatzes zu einer Neudefinition des strategischen Managements von Contentrechten, abgekürzt: SMCR, fusioniert werden. In diesen Begriff wurden die Teildisziplinen des Umgangs mit Contentrechten integriert und für eine weitere Analyse nutzbar gemacht. Über eine weitergehende Beschreibung von Markt-, Prozess- und Innovationskonstellationen ließ sich im Folgenden ein neuer, integrierter Rechtemanagementansatz prototypisieren. Die Forderung nach einem strategischen Management als integriertem Prozess konnte in der Managementtheorie im Strategiemodell von Hamel und Prahalad (1990) abgebildet werden. In ihrer Definition von „core competencies“ zeichnen sie ein unternehmerisches Modell, das die Entwicklung und Anwendung von Strategie an die Kernstärken einer Organisation koppelt. In Abgrenzung zu klassischen Außensichten auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen (z. B. Porter), die Markt, Konkurrenz, Kunden als bestimmende Anfangsfaktoren zur Formulierung wirtschaftlicher Strategien wählen, postuliert das Core Competence-Modell, dass langfristige Wettbewerbsfähigkeit aus dem Unternehmen selbst evolviert:
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“In the long run, competitiveness derives from an ability to build, at lower cost and more speedily than competitors, the core competencies that spawn unanticipated products. The real sources of advantage are to be found in management’s ability to consolidate corporatewide technologies and production skills, in the competencies, that empower individual business to adapt quickly to changing opportunities.”596
Kernkompetenzen stellen nach Krüger/Homp (1997) eine Kombination aus Ressourcen und Fähigkeiten dar, die erst die Basis für einen Wettbewerbsvorteil bilden. Dieser Wettbewerbsvorteil kennzeichnet ihrer Darstellung zufolge eine Kernkompetenz ebenso wie ihre Dauerhaftigkeit und Transferierbarkeit. „Unternehmenskompetenz, so wie sie hier begriffen und definiert wird, entsteht erst durch die Bewährung im Markt, und nicht dadurch, dass eine Unternehmung interne Fähigkeiten besitzt und Kompetenz für sich beansprucht.“597 Das „strategische Management von Contentrechten“ konnte vor diesem Hintergrund als künftig notwendige Kernkompetenz und für die Bewältigung der Digitalisierung kritischer Erfolgsfaktor beschrieben und somit theoretisch verankert werden. Folgt man dieser Sicht, so stellen sich neue Anforderungen an das Management. Der Rechteerwerb, das strategische Management der Rechte sowie die nachgelagerte Sekundärproduktion rücken in die Mitte des Diversifikationsprozesses veränderungs- und anpassungsbereiter Medienunternehmen, auch und insbesondere in der TV-Branche. Das strategische Management von Rechten besetzt dabei eine Schnittstelle zwischen urheberrechtlicher/vertraglicher Sicherung und Ausgestaltung eines produktgebundenen Rechteportfolios, der primären Verwertung von Kern-/Basisrechten der traditionellen Wertschöpfung des medialen Ausgangskanals sowie der Erschließung und Steuerung neuer Wertschöpfungsstrukturen im digitalen Veränderungsdrama. 596
Prahalad, C.K. & Hamel, Gary (1990): The core competence of the corporation. In: Harvard Business Review, May-June 1990, S. 81. Prahalad und Hamel lehnen hier insbesondere die Portfolioperspektive als Hauptansatz zur Entwicklung von Unternehmensstrategien ab. Ihrer Ansicht nach genügt es nicht, in bestimmten strategischen Geschäftsfeldern überragende Fähigkeiten zu haben. Entscheidend sei vielmehr die Analyse jener Bereiche, in denen das Unternehmen jetzt oder künftig Erfolg haben will. Daraus leiten sie die Fokussierung auf die für diesen Erfolg notwendigen Kernkompetenzen ab. Dabei müssen diese Kompetenzen wegen des hohen Entwicklungstempos antizipiert werden. Es geht nach Prahalad und Hamel also nicht um strategische Geschäftseinheiten, die jeweils individuell ihre Märkte bedienen, sondern es geht um modulare interne Kompetenzen, die für die gewählten Aufgaben jeweils neu kombiniert werden können (und müssen). 597 Krüger, Wilfried und Homp, Christian (1997): Kernkompetenzmanagement – Steigerung von Flexibilität und Schlagkraft im Wettbewerb, Wiesbaden, S. 26. Krüger/Homp verstehen ihre Theorie als „Verbindungsstück“ zwischen den ressourcen- und marktbasierten Managementansätzen. Unternehmerischen Erfolg sehen sie als Wirkungskette, an deren einem Ende die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens stehen, am anderen die Bedürfnisse der Kunden.
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Veränderungsdruck und Veränderungstempo der Digitalisierung forcieren nach den Ergebnissen dieser Arbeit diese Refokussierung auf ressourcenbasierte Managementansätze zur Bewältigung der Herausforderungen. Da sich die Veränderungen der Digitalisierung in der Medienindustrie vielfach als Innovationen auf Produkt-, Prozeß- oder Technologieebene äußern, reklamieren Ansätze des Innovationsmanagements zur Bewältigung der Beschleunigungseffekte eine erweiterte Legitimität. Die vorliegende Arbeit setzte dabei die Besonderheiten der digitalen Ökonomie und ihrer medientheoretischen Vorbedingungen in ein Spannungsfeld mit der Theorie von den „disruptiven“ Innovationen, mit deren Hilfe deutlich gemacht werden konnte, wie stark und tief die Veränderungen durch die Digitalisierung in Wertschöpfung, Produktionsweise und Managementkompetenz von Medienunternehmen eingreifen. „Disruptive“ digitale Innovationen im Sinne der Theorie C. Christensens – so wurde versucht zu zeigen – bedrohen auch die tradierte TV-Wertschöpfung. In dessen Folge befindet sich die Fernsehindustrie – vergleichbar der Musikindustrie vor einigen Jahren – in Gefahr, dass disintermediäre Effekte wertsschöpfungsrelevante Aggregations- und Distributionsfunktionen entwerten. Die wesentlichen Charakteristika der Digitalisierung in Form von Desintegration von Daten, Fragmentierung und Rekombinationsfähigkeit von Inhalten und der Systemorganisation in Netzwerken erwiesen sich hinsichtlich ihrer Bedeutung für Contentrechte als nicht ausreichend berücksichtigt. Aus diesem Grund erarbeitete sich die vorliegende Studie einen Ansatz, um die Gesetzmäßigkeiten der digitalen Ökonomie in Form von Diskontinuitäten in der Wertschöpfung, Netzwerk- und Lock-in-Effekten und die Bedeutung von Kooperationen und Allianzen auch auf das Management von Contentrechten in der TV-Welt zu übertragen. An der Schnittstelle von „analoger“ und „digitaler“ Welt werden aus dieser Sicht „hybride“ Formen der Wertschöpfung notwendig, die auf einem wechselseitigen Wissenstransfer beruhen. Als Schlussfolgerung drängte sich auf, dass sich in der TV-Industrie die Marktteilnehmer vor dem Hintergrund der digitalen Herausforderungen hinsichtlich eines eigenen SMCR-Ansatzes repositionieren müssen. Die Nutzbarmachung der Gesetzmäßigkeiten der digitalen Ökonomie und Technologie sowie des neugeschaffenen Kategoriensystems innerhalb des SMCR wurde nun integriert in einen Versuch, über die Bestandsaufnahme von Bewusstsein und/ oder Managementpraxis hinaus, prognostische Verfahren zum Einsatz zu bringen. Ausgangspunkt bildete die Überlegung, dass Erkenntnisse über den postulierten (zukünftigen) Repositionierungsprozess der TV-Industrie nur mittels prognostischer Verfahren (Szenarioanalyse) gewonnen werden können. Ziel war die Entwicklung belastbarer Szenarien für die wichtigsten Teilbranchen der TV-Industrie sowie ihres erweiterten Wettbewerbumfelds.
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Als wichtige Dimensionierungs- und Korrektivmaßnahme bei der Entwicklung von Zukunftsszenarien wurde dabei auf eine umfangreiche Inhaltsanalyse der Fachpublizistik und von Interviewaussagen führender Akteure zurückgegriffen. Mittels dieser Analyse konnte ein Ist-Zustand hinsichtlich des SMCR in der Fernseh- und Produktionsbranche (aber auch in anderen relevanten Teilbereichen) festgestellt, beschrieben und als Dimensionierungsmaßstab für wahrscheinliche Entwicklungen verwendet werden. In einem abschließenden Schritt konnten auf Basis der erbrachten theoretischen und empirischen Befunde in einer SMCR-spezifischen Analyse für einen Prognosezeitpunkt im Jahr 2015 Szenarien für die wichtigsten untersuchten Teilbranchen entwickelt werden. Dazu wurden zunächst aus einer PEST-Analyse paradigmatische Rahmenbedingungen abgeleitet, innerhalb derer sich die verschiedenen Prognoseaussagen zu „möglichen Zukünften“ verdichten ließen, die dann wiederum mit Befunden der Inhaltsanalyse validiert werden konnten. Die Szenarien haben Möglichkeitsräume für eine künftige Entwicklung der jeweiligen Teil-Branchen dargestellt. Die vorliegende Untersuchung beschränkte sich wie geplant auf diese prognostischen Aussagen und entwickelte keine weitergehenden Ideen zur konkreten Implementierung möglicher Maßnahmen in Medienunternehmen. Ein offenkundiger Grund dafür war – und ist – die Unterschiedlichkeit von Teilbranchen und Unternehmen sowie die Unterschiedlichkeit der Herausforderungen in Bezug auf ein SMCR. Deutlich geworden ist jedoch, dass „Wissensmanagement“ im Sinne eines gezielten „Bewirtschaftens“ von Kompetenzen und Ressourcen eine übergreifende Kernstrategie zur Nutzbarmachung der Möglichkeiten eines modernen SMCR darstellt. Das Wissensmanagement kann dazu eine Reihe von Methoden bereitstellen. Dabei steht die „Verinstrumentalisierung“ des praxisorientierten Wissensmanagementansatzes auf die konkrete Situation der Digitalisierung im Vordergrund. Als hochrelevant vor dem Hintergrund der digitalen Herausforderung erweist sich der Faktor „Kreativität“ in Bezug auf das SMCR. „Die Organisation des neuen Jahrtausends wird deswegen überleben, weil sie über kreative Beziehungen verfügt, bei denen Wissenserarbeitung und Innovationsfähigkeit genutzt werden“, betont Hall (2002).598 Die lernende Organisation hat ihm zufolge vor allem sicherzustellen, 598
Hall, Brian P. (2002): Werte und Wissen bei der Schaffung lernender Organisationen. In: Bellmann, Matthias/Krcmar, Helmut/Sommerlatte, Tom (Hrsg.): Praxishandbuch Wissensmanagement, Symposion Publishing, 1. Auflage 2002, S. 726ff. Hall betont in seinem Beitrag die Bedeutung von „Werten“ für das Wissensmanagement und bezieht sich damit auf die Kultur der bewusst lernenden Organisation. Voraussetzung für Wissensaufbau und -Verwertung ist eine Unternehmenskultur, die dem Managen von Wissen einen entsprechenden Raum gibt.
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dass eine „Wertegemeinschaft“ zwischen den unterschiedlichen Einheiten des Unternehmens und den verschiedenen Hierachieebenen herrscht. Diese „Wertegemeinschaft“ erweist sich unter den Bedingungen der Digitalisierung als entscheidende Anforderung an das Management der internen Ressourcen. „Wertegemeinschaft“ ist in diesem Zusammenhang nicht als moralische Zielsetzung zu verstehen, sondern als eine Gemeinschaft mit Ausrichtung auf dieselben Ziele. Dies ist beim Angriff digitaler Innovationen auf „traditionelle“ Medien systematisch nicht der Fall: Das „Neue“ tritt hier zunächst als „Feind“ des „Alten“ auf. Da jedoch erfolgsversprechende Strategien einzig durch integrative Akte und ein neues, verbessertes gegenseitiges Verständnis vor allem in Hinblick auf die kooperativen Aspekte des SMCR denkbar ist, ist es notwendig, dass die „lernende Gemeinschaft“ diesen Anspruch tatsächlich lebt. Brack (2003) betont die interne Verarbeitung von Wissen und Informationen als Schlüsselerfolgsfaktoren. Dabei definiert sie die operative Tätigkeit von Medienunternehmen als „Informationsarbeit“: „Die Informationen werden durch den Transformationsprozess der Informationsarbeit immaterieller Bestandteil des Endproduktes Mediengut und erfüllen somit die betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Werkstoffe. Allerdings werden Informationen im Gegensatz zu anderen Werkstoffen im Produktionsprozess nicht verbraucht, sondern sind selbst Leistungsobjekt. Durch die Veränderung und/oder Neukombination von inhaltlichen Bausteinen durch Informationsarbeit können informationelle Mehrwerte für den Nachfrager entstehen.“ 599
Bracks Definition verweist in frappanter Weise auf die formulierten und bestimmten Kernanforderungen an ein SMCR. Wie eng Wissensmanagement und die Herausforderungen durch digitale, disruptive Innovationen ineinander verschränkt sind, haben bereits Lettice und Thomond (2003) aufgezeigt. Unter direkter Bezugnahme auf Christensens Theorien sprechen sie davon, dass “disruptive innovations pose several knowledge management problems to organisations because the have a high degree oft market, technological and enviromental uncertainty. Potentially disruptive ideas for low end and nonconsumers are difficult to identify and the organisation’s past and current knowledge and routines act as barriers to the sucessful development and commercialisation of disruptive projects.” 600
599
Brack, Anke (2003): Das strategische Management von Medieninhalten. Gestaltungsoptionen für die langfristige Erfolgssicherung in Medienmärkten. Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 14. Informationsarbeit wird von Brack als zyklischer Prozess über alle Unternehmensbereich hinweg verstanden. 600 Lettice, Fiona & Thomond, Pete (2003): Disruptive Innovation: The Challenge for managing Knowledge. International Ecotechnology Research Center, Cranfield. Abgerufen unter URL: www.insightcentre.com/resources/knowledge-board.pdf, am 1. 4. 2009.
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In der Konsequenz ergeben sich für im Wesentlichen in (noch) in traditionellen Märkten und Wertschöpfungslogiken engagierte Medienunternehmen, insbesondere in der TV-Branche, Wissensmanagement-Herausforderungen, die in bislang nicht gekanntem Maß als Vernetzungsnotwendigkeiten zwischen „alter“ und „neuer“ Welt, zwischen bislang unverbundenen Geschäftsund Unternehmenseinheiten und – Unternehmensgrenzen überschreitend – zwischen bisherigen Rivalen bzw. gegenüber unter- oder beigeordneten Marktpartnern ausgelesen werden können.
Das strategische Management von Contentrechten hat sich in der vorliegenden Untersuchung als strategische Größe für den Erfolg von Medienunternehmen gezeigt, vor allem in der Fernsehbranche. Im Prozess der digitalen Revolution, der in der Medienbranche noch nicht annähernd als abgeschlossen bezeichnet werden kann, verweisen die Implikationen, die diese Arbeit versucht hat aufzuzeigen, darauf, dass sich allen beteiligten Unternehmen die Hauptherausforderung stellt, die eigenen Kernkompetenzen zu überprüfen und im Rahmen eines gezielten Veränderungsprozesses Strukturen zu implementieren, die den hier ebenfalls herausgearbeiteten erweiterten Ansatz eines SMCR umsetzbar machen. Für heute noch in vorwiegend konfrontativen Positionen gegenüberstehenden Branchenbeteiligten bietet dieses Vorgehen nur Vorteile: durch ein erweitertes Verständnis für die digitalen Produkte und Vertriebswege auf der einen Seite, für mögliche für mehrere Seiten nutzenstiftenden Kooperationen auf der anderen Seite.
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