Management von Kompetenz

Georg Schreyogg/Peter Conrad (Hrsg.) Management von Kompetenz

Managementforschung Hrsg.: Georg Schreyogg, Peter Conrad und Jorg Sydow Mitbegrundet von Wolfgang H. Staehle (t)

Die Bande 1 bis 9 sind im Verlag de Gruyter erschienen, ab Band 10 erscheinen die Bande im Gabler Verlag. Alle Bande sind uber den Gabler Verlag erhaltlich. Eine Aufstellung der bereits erschienenen Bande finden Sie am Ende dieses Bandes.

Georg Schreyogg/Peter Conrad (Hrsg.)

Management von Kompetenz Managementforschung 16

GABLER

III

VS VERLAG

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber abrufbar.

Prof. Dr. Georg Schreyogg lehrt Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation und Fuhrung, an der Freien Universitat Berlin. Univ.-Prof. Dr. Peter Conrad ist Leiter des Instituts fur Personalmanagement am Fachbereich Wirtschafts- und Organisationswissenschaft an der Universitat der Bundeswehr Hamburg.

1. Auf lage August 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr.Th. Gabler I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ulrlke Lorcher / Katharina Harsdorf Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschlieRllch aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung aufterhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzelchnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: Ulrlke Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany

ISBN-10 3-8349-0398-1 ISBN-13 978-3-8349-0398-3

I Zur ^Mani^^iTientforschung'' Ziel der „Managementforschung" ist es, einen Uberblick iiber den aktuellen Stand und Ergebnisse der Forschung zu Managementproblemen zu geben; zugleich soil sie ein Diskussionsforum fur neue Trends und Stromungen sein. Die „Managementforschung'' richtet sich an Forscher und Studierende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie an wissenschaftlich interessierte Praktiker und Managementtrainer. Die „Managementforschung" ist am Institut fiir Management der Freien Universitat Berlin entstanden und erscheint seit 1991 jahrlich. Sie wird von Georg Schreyogg, Peter Conrad und Jorg Sydow herausgegeben (Griindungs-Mitherausgeber Wolfgang H. Staehle t). Der Schwerpunkt liegt auf innovativen Forschungsbeitragen zu zentralen Gebieten des Managements. Neben anerkannten Fachvertretern haben auch qualifizierte Nachwuchswissenschaftler die Gelegenheit, zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen. Disziplinare Offenheit ist Programm; sie wird bei der Akquisition, Begutachtung und Auswahl geeigneter Beitrage unterstiitzt. Dem Herausgeberbeirat gehoren zur Zeit an: aus dem Bereich der Betriebswirtschaftslehre Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, Universitat Duisburg-Essen Prof. Dr. Oskar Griin, Wirtschaftsuniversitat Wien Prof Dr. Dirk Holtbriigge, Universitat Erlangen-Niirnberg Prof Dr. Werner R. Miiller, Universitat Basel Prof. Dr. Gilbert Probst, Universitat Genf Prof Dr. Dieter Sadowski, Universitat Trier Prof. Dr. Bernd Schauenberg, Universitat Freiburg Prof. Dr. Frank Schirmer, Technische Universitat Dresden Prof. Dr. Martin K. Welge, Universitat Dortmund aus dem Bereich der Arbeits- und Organisationssoziologie bzw. -psychologie und der Politologie Prof Dr. Christoph Deutschmann, Universitat Tubingen Prof Dr. Ulrich Jiirgens, Wissenschaftszentrum und Freie Universitat Berlin Prof Dr. Peter Kappelhoff Bergische Universitat Wuppertal Prof. Dr. Walther Miiller-]entsch, Ruhr-Universitat Bochum Prof. Dr Oswald Neuberger, Universitat Augsburg Prof Dr. Helmut Willke, Universitat Bielefeld Die Manuskripte werden einem anonymen „doppelt blinden" Begutachtungsprozess unterzogen. Regelmafiig sind an der Begutachtung eines Beitrages Vertreter unterschiedlicher Disziplinen beteiligt. Auf der Grundlage der Gutachten wird iiber die Akzeptanz sowie iiber Art und Umfang der gewiinschten Uberarbeitung des Manuskriptes entschieden. Jeder Band der „Managementforschung" ist somit das Ergebnis einer engen Kooperation zwischen Autoren, Beiraten und Herausgebern.

I¥orwort Der Begriff der Kompetenz wurde lange Zeit nur auf die personale Ebene bezogen. Erst in den letzten Jahren kam es zur Ausweitung des Untersuchungsbereichs auf die organisationale Ebene. Heute ist das Konzept in der Managementliteratur hochst aktuell und okonomisch aufierst relevant. Zunehmend erkennt man die strategische Bedeutung organisationaler Kompetenzen; man kann so erklaren, wie nachhaltige Wettbewerbsvorteile entstehen und gestaltet werden konnen. Historisch datiert diese Interpretation in Arbeiten aus den 1950er Jahren; schon damals pragte Selznick den Begriff der „distinctive competencies", um unternehmensspezifische Fahigkeitspotenziale zu charakterisieren. Von besonderem Interesse sind dabei diejenigen Fahigkeiten, die aufgrund ihres komplexen, teilweise impliziten, vor allem aber gewachsenen Charakters nur schwer imitierbar sind und sich deshalb fiir den Aufbau nachhaltiger Wettbewerbsvorteile eignen. Das Thema der organisationalen Kompetenz wird intensiv in der Forschung zum resourced based view (RBV) behandelt. In Abgrenzung zu marktbasierten Ansatzen wird hier die Wettbewerbsposition von Unternehmen primar iiber die spezielle Ausstattung und Qualitat firmenspezifischer Ressourcenbiindel erklart. Signifikante, d.h. fiir den Erfolg einer Organisation kritische, Ressourcenheterogenitat entsteht danach vor allem dort, wo Faktormarkte versagen oder zumindest temporar aufier Kraft gesetzt werden konnen. Spezifische Ressourcen sind auf den Faktormarkten nicht verfiigbar. Sie miissen durch die Organisation selbst erzeugt werden oder sich selbst erzeugen, und konkurrierende Institutionen miissen an ihrer Beschaffung gehindert werden konnen. Ressourcenkombinationen, die schliefilich zu strategischen Wettbewerbsvorteilen fiihren, entwickeln sich typischerweise nicht nach einem ingenieurmafiig entwickelten Plan. Sie entstehen vor allem in den historisch gewachsenen Tiefenstrukturen einer Organisation, und zwar in Form von Praktiken, Routinen und Orientierungsmustern, die sich im besten Fall zu einer nicht oder nur sehr schwer imitierbaren Jdiosynkratischen Kompetenz" vereinigen. Obgleich die Bedeutung Organisationaler Kompetenzen schon friih angesprochen wurde, beachtete man diese Erkenntnisse lange Zeit kaum in der strategischen Debatte. Der eigentliche Schub in der strategischen Kompetenzdebatte und die Herausbildung eines eigenstandigen Ansatzes erfolgte erst iiber die Arbeiten zu „Kernkompetenzen''. Ausgangspunkt dieser tJberlegungen war die Beobachtung, dass nur diejenigen Unternehmen dauerhaft wettbewerbsfahig sind, die iiber spezielle Grund- oder eben Kernkompetenzen verfiigen. Ihre Besonderheit ist, dass sie nicht nur auf einen einzigen Markt oder ein Geschaftsfeld bezogen sind. Es handelt sich vielmehr um iibergreifende Kompetenzen, sie konnen in verschiedenen Geschaftsfeldern erfolgstrachtig zum Einsatz gebracht werden. Dies gilt in besonderem MajSe

VII

Vorwort

fiir erst entstehende Markte. Aufierdem sind Kemkompetenzen nicht das Ergebnis strategischer Plane, sie entwickeln sich quasi emergent. Bisherige Forschungen verstehen organisationale Kompetenz in erster Linie als gekonnte Nutzung oder Verkniipfung unterschiedlicher Ressourcen, u m bestimmte organisatorische Probleme zu losen. Dabei wird organisationale Kompetenz eng mit organisationaler Performanz verbunden. Eine Organisation gilt nur dann als kompetent, wenn sie die sich stellenden Probleme erfolgreich losen kann. Die Qualitat organisationaler Kompetenz ist demnach eine Funktion der organisationaler Handlungsprobleme. Organisatorische Problemlosungsprozesse sind das Ergebnis vielschichtiger sozialer Interaktionsprozesse, sie verdichten sich zu koUektiv geteilten Handlungsmustem im Sinne von Prozeduren und Pfaden. Erfolgreiche Verkniipfungsakte generieren positives Feedback und wirken selbstverstarkend. Durch diese Steuerung iiber die Konsequenzen stabilisieren sich Verkniipfungsmuster. Einmal erfolgreiche Ressourcen-Verkniipfungen beeinflussen bewusst oder unbewusst zukiinftige Verkniipfungen und verstarken sich so iiber die Zeit positiv. Dadurch erhoht sich die Wahrscheinlichkeit, dass spezifische, komplexe Verkniipfungsmuster entstehen, die - zuverlassig aktualisierbar - eine Organisation immer wieder in die Lage versetzen, erfolgreiche Problemlosungen hervorzubringen. Dieser produktiven Interpretation wird nun seit einiger Zeit entgegengestellt, dass es genau diese erfolgreiche, ja moglicherweise iiberlebenskritische mustergesteuerte Reproduktion von Kompetenz ist, die zugleich einen grundsatzlichen Gefahrdungstatbestand fiir die dauerhafte Erfolgssicherung schafft. Solche Risiken treten immer dann auf, wenn sich die Bedingungen organisationalen Handelns so verandert haben (iiber neue Nachfragesituationen, neue Wettbewerber usw.), dass die stabilisierten Handlungs- oder Beobachtungsmuster in ihrer Erfolgswirksamkeit beeintrachtigt sind. Die Routinisierungs- und Verfestigungstendenzen von (Kem-)Kompetenzen konnen dann zum Problem werden, wenn sie zu „ core-rigidities" und nachfolgenden Entscheidungsautismen degenerieren. So kann sich beispielsweise der Effekt einstellen, dass existierende Kompetenzen zwar immer weiter verbessert werden, gleichzeitig aber das Experimentieren mit Ressourcen zur Entwicklung altemativer Losungsansatze kontinuierlich an Attraktivitat verliert. Auf diese Weise perfektioniert eine Organisation ihre Problemlosungsarchitektur, gerat jedoch im Zuge dieses Prozesses potenziell in eine „Kompetenzfalle": Das erfolgreiche Verkniipfungsmuster wird zum selbstverstandlichen Bestandteil der Organisation, entsituiert oder ubergeneralisiert. Es wird regelmafiig angewendet, ohne seine nachhaltige Brauchbarkeit in Anbetracht geanderten Umwelten und Herausforderungen zu reflektieren. Der vorliegende Band 16 der Managementforschung setzt sich mit dem hochaktuellen Thema von Kompetenzen in Organisationen facettenreich auseinander. Eingangs nimmt Manfred Moldaschl eine kritische Bestandsaufnahme vor. Er zeigt Schwachen in der gegenwartigen, hauptsachlich vom RBV getragenen Kompetenz-

VIII

Vorwort

debatte auf und pladiert fur eine institutionelle Reflexivitat als altemativen Weg der Konzeptionalisierung organisationaler Kompetenz. ]6rg Freiling, Martin Gersch und Christian Goeke greifen die Frage einer adaquaten Konzeptualisierung aus anderer Perspektive auf. Ahnlich wie Manfred Moldaschl konstatieren sie grofie Schwachen in der gegenwartigen Kompetenzforschung und schlagen aber vor, sie auf „Marktprozesse'' auszurichten. Dietrich von der Oelsnitz und Andrea Graf arbeiten ebenfalls auf der theoretischen Ebene. Sie beleuchten in ihrem Beitrag die Bedeutung von Kompetenzen in der Kooperation zwischen Organisationen und argumentieren zugunsten einer interorganisationalen Kompetenzsicht. Ihr Augenmerk liegt auf dem Konstrukt „Kooperationskompe tenz ". Die vier weiteren Arbeiten des Bandes schliefien starker an den ursprtinglichen Ort der Kompetenzdebatte - die personale Ebene - an. Uta Wilkens, Helmut Keller und Martina Schmette entwickeln ein Modell, mit dessen Hilfe die Wirkungsbeziehungen zwischen der personalen und der organisationalen Ebene untersucht werden konnen. Die Arbeit von Daniela Rastetter beleuchtet den Kompetenzbegriff aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive und verbindet ihn mit modernen Strategien sozialer Rationalisierung. Die neueren Kompetenzmodelle werden als Ausdruck der sog. Subjektivierung der Arbeit begriffen, d.h. Kompetenzmodelle verlangen eine sehr starke Integration der gesamten Personlichkeit in den Arbeitsprozess. Albrecht Becker, Elisabeth Brauner und Stephan Duschek beschaftigen sich in ihrem Beitrag sehr stark mit der individuellen Ebene und betrachten sie als Ausgangspunkt organisationaler Kompetenzbildung. Eine besondere RoUe wird dabei anstelle voUer Wissensteilung dem Transaktiven Gedachtnis zugeschrieben. In ihrer empirischen Studie gehen Helmut Kasper und JUrgen MUhlbacher der Frage nach, ob sich die Kompetenzverteilung zwischen Top- und Mittelmanagement so darstellt, wie M. Porter vermutet. Die Ergebnisse bestatigen das fiir die Gegenwart, weisen aber fur die Zukunft auf einen grundlegenden Wandel in der Kompetenzverteilung im Management hin. Eine ganz andere Konzeptdifferenzierung, die die gesamtgesellschaftliche Ebene einbezieht, wird in dem abschliefienden Beitrag von Arno Rolf vorgeschlagen. Hier wird auf die grofie Bedeutung der Orientierungskompetenz hingewiesen. Dabei geht es dem Autor in erster Linie um die Kompetenz, spezifisches Fachwissen in einen iibergeordneten gesamtgesellschaftlichen Rahmen einordnen zu konnen. Die Gutachten flir die eingereichten Beitrage wurden wiederum mit grofier Sorgfalt und Engagement von den Mitgliedern des Flerausgeberbeirats der Managementfor-

IX

Vorwort

schung erstellt. Dariiber hinaus haben als exteme Gutachter an diesem Band mitgewirkt: ™ --~ -^ — -" -"

Prof. Dr. Diether Gebert, Berlin Prof. Dr. Gudela Grote, Zurich Dipl.-Kffr. Martina Kliesch, Berlin Prof Dr. Gunther Ortmann, Hamburg Dr. Sigrid Quack, Berlin Prof Dr. Peter Walgenhach, Erfurt Prof Dr. Jurgen Weibler, Hagen

Den Mitgliedem des Beirats und den externen Gutachtem sei an dieser Stelle fiir ihre Mitwirkung an der Erstellung dieses Bandes sehr herzlich gedankt. Ein besonderer Dank gilt auch diesmal Irmgard Hoemke, die wiederum mit grofier Umsicht und aller erforderlichen Nachhaltigkeit den gesamten Erstellungsprozess vom Eingang der Beitrage bis zur Erstellung der Druckvorlage souveran begleitet hat.

Berlin-Dahlem und Hamburg, im Mai 2006

Georg Schreyogg und Peter Conrad

I Inhattsverzelchnis

Innovationsfahigkeit, Zukunftsfahigkeit, Dynamic Capabilities Moderne Fahigkeitsmystik und eine Alternative Manfred Moldaschl

1

Eine „Competence-based Theory of the Firm'' als marktprozesstheoretischer Ansatz Erste disziplinare Basisentscheidungen eines evolutorischen Forschungsprogramms Jorg Freiling/Martin Gersch/Christian Goeke 37 Inhalt und Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz Eine Konstruktbestimmung Dietrich von der OelsnitzlAndrea Graf

83

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueller und kollektiver Kompetenz Theoriezugange und Modellbildung UtaWilkens/Helmut Keller/Martina Schmette 121 Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit - Verbindungslinien zweier arbeitswissenschaftlicher Ansatze Daniela Rastetter 163 Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile: Der Akteur als strategischer Faktor Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

201

Strategische Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management Sind Porters Annahmen richtig? Eine empirische Untersuchung Helmut Kasper/Jiirgen MUhlbacher

231

Orientierungskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale Arm Rolf

259

Zu den Autoren und Herausgebern

285

In Vorbereitung und bereits erschienen

289

XI

Manfred Moldaschl

Moderne Fahigkelfemystik und ane Alternative Absorptive Capacity; Competence Based View; Ressourcen und Gebrauch; Kompetenz und Performanz; Institutionelle Reflexivitat

Zusammenfassung Theorien des strategischen Managements und der Unternehmung scheinen dabei zu sein, im Uberschwang des Paradigmenwechsels von der Aussen- zur Innenperspektive, von der Markt- zur Kompetenzorientierung, jedes betriebliche Arrangement als „Fahigkeit'' zu interpretieren. Man lotet dabei offenbar mit Begeisterung jene Sackgassen aus, in die Jahrzehnte zuvor die Psychologie geraten war. Ich mochte in diesem Beitrag auf einige der damit verbundenen Probleme ressourcen-, fahigkeits- oder wissensorientierter Ansatze der Managementforschung hinweisen. Das Ziel ist es, die ressourcenzentrierte und die regelorientierte Perspektive auf die Unternehmung als komplementare Sichten auf einen Gegenstand zu portratieren, mit denen man eher spielen, als sie gegeneinander ausspielen sollte. Dafiir schlage ich zunachst einige Unterscheidungen vor, mit denen sich das viel beklagte „terminologische Wirrwarr'' von Kompetenzbegriffen etwas entwirren lasst. Diesen Uberlegungen, die im Rahmen des ressourcenorientierten Paradigmas bleiben, stelle ich anschliefiend eine „regelorientierte" Alternative gegeniiber, mit der sich betriebliche „Veranderungsfahigkeit'' ohne Rekurs auf Fahigkeits-, Kompetenz- oder Vermogensbegriffe analysieren lasst. i

Managementforschung 16 (2006), hrsg. von G. Schreyogg und P. Conrad Gabler Verlag • Wiesbaden, S. 1-36

Manfred Moldaschl

Abstract The paradigmatic change from a market-oriented to a resource-centered view in the strategic management discourse and the theory of the firm tends to imply that each organizational arrangement is conceptualized as an „ ability", particularly as an ability to cope with the future („change-ability"). Dead ends, into which the „ability approach" in psychology ran decades ago, seem to be plumbed with enthusiasm again here. I will discuss some of the problems associated with current resource-, capabilityor competence-approaches in management research in the first part of the paper. Drawing a distinction between resource-oriented and rule-centered approaches, I portray them as complementary views which should be used more in a contrasting than in a competing manner. In the second part, I suggest some conceptual distinctions that could help to reduce the much-lamented „terminological confusion" within the capability-paradigm. In the third part I will contrast this paradigm with a „rulecentered" alternative, which allows us to analyze and to measure the „inclination" of organizations to adapt and innovate without any reference to capability-terms.

InhaltsUbersicht 1 Uber die Fahigkeit, in Zukunft alles richtig zu machen 2 Arbeit am Ressourcenansatz 2.1 Ressourcen und Kompetenzen 2.2 Kompetenz und Performanz 2.3 Regeln und Ressourcen 3 Institutionelle Reflexivitat - eine Alternative zur Ressourcenperspektive 3.1 Institutionalisierung von Reflexivitat als Kern der Modernisierung 3.2 Analyse institutioneller Reflexivitat 3.2.1 Funktionsweisen institutioneller Reflexivitat 3.2.2 Qualitative Bewertung institutioneller Reflexivitat 3.2.3 Kontextualisierung institutioneller Reflexivitat 4 Fazit

Innovationsfdhigkeit, Zukunftsfdhiskeit, Dynamic Capabilities

1

iJber die Fahlgkeit, in Zukunft alles richtig zu machen

Wenn jemand einen Pudding kocht und dieser Pudding auch gelingt: schreiben wir dieser Person dann ein Puddingkochuermo^^n zu? Oder betrachten wir den Pudding, weniger konkretistisch, als Ergebnis eines allgemeinen Kochvermogens, oder noch allgemeiner, einer nutritiven Haushaltskompetenz? Und was ware, wenn die Person nur nach Rezept gekocht hat, also nach Anweisung und ohne eigenes Verstandnis des Vorgangs: Miissten wir ihr dann wenigstens eine allgemeine oder spezifische Leseund Ausfuhrungsfdhigkeit zubilligen? Oder kamen wir womoglich ganz ohne Kompetenzzuschreibungen aus, indem wir die vorliegenden Kiichenressourcen (Puddingpulver, Topf, Herd, Kochanweisung) katalogisieren und daraus das Potenzial der Puddingproduktion ableiten? Wer bei diesen Fragen an aktuelle Grundprobleme organisationaler Lerntheorien und ressourcenorientierter Unternehmenstheorie denkt, liegt richtig. Die Hinwendung der Managementforschung zu organisationalen Fahigkeiten, Kompetenzen und selbst geschaffenen Ressourcen seit den spaten 1980er Jahren ist eine aus theoretischer Sicht langst fallige und begriifienswerte Entwicklung. Die ressourcen- und kompetenzorientierten Ansatze fiillen Leerstellen neoklassischer Markttheorien und strategischer Managementtheorien, welche Performance-Unterschiede zwischen Unternehmen einer Branche nur auf eine optimale Anpassung der Unternehmensstrategie an die Umwelt zuriickfiihren konnen. Deren Aufienperspektive setzen sie eine Innenperspektive entgegen, und deren ahistorischem Denken eine evolutionare (NelsonAVinter 1982) bzw. lerntheoretische (z.B. Teece et al. 2002; Wilkens et al. 2004). In ihr gelten (Kern-) Kompetenzen von Unternehmen als langfristig gewachsene Biindel von Ressourcen und Fahigkeiten (vgl. Nelson/Winter 1982; Dierickx/Cool 1989), die ihrerseits wieder die Marktverhaltnisse verandern.2 Die RBVs bezahlen das allerdings mit neuen Leerstellen und Schwachen. Einige werde ich nachfolgend umreifien, um im Anschluss (Abschnitt 2) Moglichkeiten anzudeuten, wie man sie iiberwinden oder wenigstens mildern konnte - im paradigmatischen Rahmen dieser Ansatze. In Abschnitt 3 werde ich diesen Rahmen verlassen und einen altemativen Zugang skizzieren. Die auffalligste und eingangs karikierte Schwache ist die zirkulare Argumentation. Der Erfolg von Unternehmen (oder Personen oder Nationen), oder einfach jede ihrer Leistungen bzw. Fehlleistungen, wird auf eine oder mehrere Fahigkeiten zuriickgefiihrt. Als zirkular bezeichnen wir gewohnlich Annahmen, die das, was sie priifen wollen, bereits als Pramisse setzen. Die Basispramisse der ressourcen- und kompetenzorientierten Ansatze des strategischen Managements, die sich seit den 1990er Jahren in der Managementforschung verbreiten, lautet: Unterschiedlicher Unternehmenserfolg ist auf unterschiedliche Ressourcenausstattung oder -verwendung zuriickzuftihren. Die Forschungsdesigns dieser bislang empirieschwachen Ansatze sind jedoch selten so

Manfred Moldaschl

angelegt, dass die Annahme falsifiziert werden kann. Denn dazu miisste der Fahigkeitsbegriff prazise definiert und operationalisiert sein. Doch das trifft meist nur auf die Performanceaspekte zu, deren Differenzen man dann lediglich via Kompetenzzuschreibung interpretiert. Welche Ressourcen und (oder?) Kompetenzen aber iiberlegen sind, zeigt sich erst ex post an den erzielten Renten (vgl. Priem/Butler 2001; Foss/Knudsen 2003). Den Tautologievorwurf, den man der Neoklassik macht, kann man insofern auch den RBVs weiterreichen. Mit ihrem Fahigkeitsbegriff verhalt es sich ahnlich wie mit deren Nutzenbegriff: 1st er nur umfassend genug angelegt, kann jedes beobachtbare Handeln bzw. Handlungsergebnis damit „erklart" werden. So sehen wir uns einer Flut allgemeiner Kompetenz-, Fahigkeits- und Vermogensbegriffe gegeniiber. Der einstigen Metakategorie „Wettbewerbsfahigkeit" erwachst quasi stiindlich neue semantische Konkurrenz: „Innovationsfahigkeit", „Evolutionsfahigkeit"3 oder „Zukunftsfahigkeit", „Kooperations-" und „Netzwerkfahigkeit", „Absorptive Capacity" (CohenA-evinthal 1990), „Dynamic Capabilities" (Teece et al. 1997), „Strategic Change Capabilities" (PettigrewAVhipp 1993, von manchen zur ChangeAbility verdichtet), „Architectural Capability" (Henderson/Clark 1990),4 und so fort. Was ist mit einem Untemehmen, das mit seinem innovativen Produkt gescheitert ist, wie es vielen Biotech-Unternehmen erging? Hatte es eben doch keine ausreichende Innovationsfahigkeit? Oder fehlte es an der ,Vermarktungsfahigkeit' (MarketingKompetenz)? Warum spricht man dann eigentlich nicht von ,Scheiternsfahigkeit75 Oder lag es gar nicht an internen Befahigungen, sondem an extemen Bedingungen (Gesetzgebung, Verdrangung durch Konkurrenten mit grofierer Marktmacht, etc.)? Hat ein Untemehmen, das zufriedene Mitarbeiter hat, ,Zufriedenheitskompetenz' bzw. ,Befriedigungsvermogen', oder hat es vielleicht nur anspruchslose Mitarbeiter?^ Wiirde es Sinn ergeben, angesichts massiv zunehmender Riickrufaktionen deutscher Autohersteller von abnehmender ,Qualitatsfahigkeit' zu sprechen? Oder sind die Entwicklungszeiten zu kurz, bei zugleich steigender interaktiver Komplexitat der Produkte? Oder ist das ,oder' in alien Fallen unangebracht, weil man mit „Fahigkeit" immer die Kompetenz zum Beherrschen der jeweiligen Zusammenhange meint? Wenn ja, dann konnte man solche Kompetenzbegriffe getrost all den anderen buzzwords hinterher auf den Wortmiill werfen: Bedingungen und Kompetenzen waren eins. „Wenn alles Wissen ist, ist Wissen am Ende nichts", hatten Schreyogg und Geiger (2003) zur voUigen Entgrenzung des Wissensbegriffs angemerkt. Das gilt auch fiir die aktuelle Mode: Alles ist Kompetenz. Ein Denken, das jeder beobachtbaren Leistung ein spezifisches „Vermogen" unterstellt, wurde schon im 19. Jahrhundert als „Verm6genspsychologie" kritisiert, z.B. von J.F. Herbart.7 Auch Winfried Hacker (1998), der nach meiner Erinnerung das „Puddingkochvermogen" ins Spiel brachte, kritisiert in seiner AUgemeinen Arbeitspsychologie diese Pseudoerklarung:

Innovationsfahigkeit, Zukunftsfdhigkeit, Dynamic Capabilities

,Jeder ... Tatigkeit wird im formalen Riickgriff eine sie „bedingende'' psychische Funktion oder ein ,Vermogen' kurzerhand zugedacht: ,Durchsetzungskraft', ,Abstraktionsvermogen', ,Willenskraft'. Auch mit dem verharmlosenden Substantiv ,,-fahigkeit' sind derartige Regresse verbreitet: ,Durchsetzungsfahigkeit', ,Abstraktionsfahigkeit', ,Umstellungsfahigkeif. SchlieiSlich werden auch ohne ,-krafte', ,-vermogen'", [...] Ergebnisse dieser problematischen Schliisse angeboten: ,Belastbarkeif, ,Handgeschicklichkeif, ,Willensbestandigkeif" (Hacker 1998, S. 75). Hackers Kritik weist aber auch zuriick auf ein grundlegendes Problem der von ihm vertretenen psychologischen Handlungstheorie: Sie focussiert primar auf den Prozess der Handlungsregulation, weniger auf die Regulationsgrundlagen. Gleichwohl kommt auch sie nicht ohne Begriffe fiir psychische Resultate des Handelns aus, fiir iiberdauemde Sedimente gelungener Regulation, also: Wissen und Konnen.8 Durch die gesamte Psychologie zieht sich der Streit zwischen Prozess- und Substanzmodellen, Regulations- und Kompetenzperspektive. Er ist bis heute unentschieden. Die Arbeiten Volperts (2003) kann man als Versuch lesen, sie als komplementare Perspektiven zu betrachten, die offenbar nicht gleichzeitig (von einem Ansatz) voU zur Entfaltung gebracht werden kdnnen. Zu erkennen, dass wir nicht alles zugleich beachten und erklaren konnen, fiihrt letztlich zur Anerkennung von Theoriepluralismus. Fiir die Managementforschung scheint mir eine ahnliche Sichtweise bedenkenswert. Hier konkurrieren die Ressourcenansatze als eher substanzorientierte mit den regelorientierten (wie der Neuen Institutionenokonomik). Es differenzieren sich aber auch die Ressourcenansatze selbst in eine Structural School (die anfangliche Resource Based View, RBV) und eine Process School (die spatere Competence Based View, CBV, vgl. dazu Moldaschl/Fischer 2004).9 Letztere leitet Wettbewerbsvorteile nicht mechanistisch aus der Verfiigung iiber Ressourcen ab, sondem vielmehr aus der Fdhigkeit, diese sinnvoll zu nutzen. Eine entscheidende Einsicht, welche freilich nur Ernst macht mit einer Unterscheidung von Ressourcen und Gebrauch, die bereits bei der „Ahnin" der Ressourcenansatze, Edith Penrose, angelegt war. „It is never resources themselves that are the 'inputs' in the production process, but only the services that the resources can render. (...) The important distinction between resources and services is not their relative durability; rather it lies in the fact that the resources consist of a bundle of potential services and can, for the most part, be defined independently of their use, while services cannot be so defined" (Penrose 1959/1980, S. 25). Ich zitiere diese bekannte Stelle hier nochmals, well sie von zentraler Bedeutung ist fiir alle weiteren Argumente - fiir die kritischen ebenso wie fiir die zu einem Alternativkonzept (Abschnitt 3). Mit eingeleitet haben die Phase der Fahigkeits- und Kompetenzorientierung Prahalad und Hamel (1990) mit ihrem Beitrag The Core Competence of the Corporation. Sie verbinden darin die statische RBV mit lerntheoretischen Argumenten und dem Versuch, uberhaupt erst die Schaffung neuer Kompetenzen zu erklaren. Ihr Begriff der Kernkompetenz, der auch aus der AUtagssprache der Wirtschaft nicht mehr wegzudenken ist, bezeichnet jene capabilities, die fiir das Uberleben eines

Manfred Moldaschl

Untemehmens mafigeblich sind, insbesondere technologisches und Geschaftsprozesswissen. Was aber zum „Kern" gehort oder gehoren soUte, ergibt sich erst aus dem Vergleich zum Wettbewerb. Diese Annahme ist bedeutsam, well sie erstens einschliefit, die betreffenden Kompetenzen seien unterschiedlich, und zweitens, es konne sich andern, was iiberlebensnotwendig ist. Leonard-Barton (1992) hat darauf hingewiesen, dass sich besonders die erfolgreichen Praktiken (core competencies) leicht in „core rigidities" verwandeln, in Gewissheiten und Routinen, die aufzugeben aufierst schwer fallt.io Ahnliches wie Kemkompetenzen hatten Peters und Waterman (1982) mit ihrem Konzept der business excellence im Sinn: eine spezifische Kombination von „Erfolgsfaktoren". Denkt man an den kiimmerlichen Rest ihrer Liste „exzellenter Untemehmen" zehn Jahre spater (vgl. Pascale 1991, S. 18 f.), so wird die Bedeutung dieser Einschrankung offenkundig. Das Problem, dass man nicht wissen kann, welche Kemkompetenzen in Zukunft gefragt sein werden, wird von vielen Autoren aufgegriffen und mit Konzepten beantwortet (z.B. von PettigrewAVhipp 1993 mit dem der strategic change capabilities). Im Rahmen des CBV wurden Teece et al. (1997) aktiv mit ihrem Konzept der dynamic capabilities, das nach verbreiteter Ansicht den nachsten Schritt in der Entwicklung dieser Ansatze einleitete. Sie bestimmen diese Wandlungsfdhigkeit als „the firm's ability to integrate, build, and reconfigure internal and external competencies to address rapidly changing environments" (ebd., S. 516). Mit anderen Worten: als relevant gelten nun nicht mehr spezifische Kompetenzen, die ohnehin schnell veralten, sondem eine Art Metakompetenz, eine Fahigkeit, kompetent zu sein oder zu bleiben, d.h. sich zu wandeln.n Also eine Universalfahigkeit, oder Fahigkeit zur Entwicklung von Universalfahigkeiten (,Kompetenzfahigkeit', ,Fahigkeitskompetenz'?). Gebrauchlichere Begriffe sind „Lernfahigkeit" „Orientierungsfahigkeit" „Problemlosefahigkeit". Das ist verbreitet und hort sich plausibel an. Andern sich die Marktbedingungen immer schneller, muss man wie beim Autofahren immer weiter vorausblicken. Aus diesem Grund sollen auch auf der Ebene individueller Kompetenzen Beruflichkeit und Professionalitat abgelost werden durch eine allgemeine Fahigkeit, sich zu verandern und lebenslang zu lernen (employability). Uberspitzt hiefie das: Man muss nichts mehr wissen und konnen, sondem nur noch wissen, wo man Wissen findet und wie man lemt.i2 Das ist absurd. Und doch scheint es ihn schon zu geben, den modemen Experten, z.B. auf der Autobahn den (post-)modemen LKWFahrer, der gar nicht mehr fahren konnen, sondem nur noch wissen muss, wie man es lemt. Mit diesem neuen Schritt in der Entwicklung der ressourcen- und kompetenzorientierten „Views" haben wir nun nicht mehr das Problem des von Hacker kritisierten Konkretismus, sondem sein Gegenteil, die Gefahr eines inhaltsleeren Generalismus. Was halt uns davon ab, gleich eine PerfectAbility anzunehmen: einer Fahigkeit, in Zukunft alles richtig zu machenl Sicher wird sich jemand finden, der sich das rechtlich schiitzen lasst und vermarktet.

Innovationsfdhigkeit, Zukunftsfahiskeity Dynamic Capabilities

Ein drittes Problem der Debatte ist der vielfach nur metaphorische Gebrauch des Kompetenzbegriffs. Das lasst sich verdeutlichen anhand eines Konzepts, welches oft als geeignete Operationalisierung von Metakompetenz genannt wird: das der absorptive capacity von Cohen und Levinthal (1990). Sie definieren die Aufnahmefahigkeit eines Unternehmens als „... the ability of a firm to recognize the value of new, external information, assimilate it, and apply it to commercial ends ../' (ebd., S. 129). Das konkretisiert und verengt zugleich die „Veredelungsperspektive'' der RBV, wonach Unternehmen durch Aneignung, Anverwandlung und geschickte Anwendung externer Ressourcen eigene Ressourcen schaffen (bei Cohen/Levinthal praktisch nur ,Wissen'). Und wie messen sie betriebliche Aufnahmefahigkeit? Uber die FuE-Ausgaben! Je hoher der Anteil an FuE-Ausgaben, so die Annahme, desto hoher die absorptive capacity. Niemand wird bezweifeln, dass dieser Teil der Investitionen etwas iiber die Chancen des Betriebs in der Zukunft aussagt. OECD und EU-Kommission verwenden denselben Indikator fiir Regionen und Nationen.i3 Aber wozu braucht man hier einen Fahigkeitsbegriff ? Nach dieser Logik miissten Betriebe mit hohen Personalkosten hohe ,Personalfahigkeit' haben bzw. ,Human Resources Capability', und solche mit hohen Lagerkosten ,Lagerfahigkeif. Sinn wiirde das schon eher ergeben, wenn wir einem Unternehmen mit iiber durchschnittlichen Anwaits- und Gerichtskosten , defensive capacity' oder,aggressive capacity' (oder ,attornability'?) zuschrieben. Der bei Cohen und Levinthal nur angedeutete Wissensfocus hat mittlerweile Oberhand gewonnen, als „Knowledge-based View" (KBV, z.B. Grant 1996). Fried (2005, S. 163) spricht daher schon von einer dritten Phase in der Entwicklung der ressourcenorientierten Ansatze, der „Phase der Wissensorientierung".i4 „Unternehmen sind nicht langer ein Biindel von Ressourcen und Fahigkeiten, sondern ein „body of knowledge" (MuUer-Stewens/Lechner 2001, S. 282) oder ein „distributed knowledge system" (Tsoukas/Mylonopoulos 2004). Ob das ein Fortschritt ist? Zumindest konnte es eine Alternative zur Fahigkeitsmystik eroffnen, soweit nicht nach einem Allvermogen zur Aneignung von Wissen gesucht wird, sondern nach der jeweiligen Besonderheit konkreter, gewachsener betrieblicher Wissenssysteme. Und soweit das Wissen nicht nur in den Kopfen gesucht wird, sondern auch in Praktiken und Routinen (vgl. Spender 1994)15 sowie in Vergegenstandlichungen des Wissens (Engestrom 2005). Genau hier aber stofien wir auf konzeptionelle Inkonsistenz als ein viertes Problem der ressourcen- und/oder kompetenzorientierten Ansatze. Was Ressourcen sind und was Kompetenzen, wann Routinen Kompetenzen sind und warm Restriktionen, dafiir mangelt es nicht nur an brauchbaren Abgrenzungen (vgl. Abschnitt 2.1); es fehlt sogar am Bewusstsein dafiir, dass hier ein konzeptionelles Problem liegen konnte.

Manfred Moldaschl

Arbeit am Ressourcenansatz Wir haben die Texte der RBV und CBV wieder und wieder gelesen, ohne eine konsistente oder wenigstens einmal klare Unterscheidung von Ressourcen und Kompetenzen zu finden. Wenn aber aus Ressourcen ,an sich' nichts folgt, man aus ihrem Besitz schon gar keinen Erfolg „ableiten" kann (wie es der „Erfolgsfaktorenforschung" beliebt, vgl. Moldaschl 2005a), so konnte man hier schon ein Scheitem der Ressourcenansatze ausmachen. Wo, wenn nicht in der Abgrenzung der Kompetenzen von Ressourcen, soUte sich sonst die von Penrose adressierte Differenz von Ressourcen und Gebrauch festmachen? Aber von der Ressource Penrose wird ohnehin meist nur beglaubigend, selten konzeptionell Gebrauch gemacht. Die moglichen Beitrage der ressourcenorientierten Ansatze zum Verstandnis der Selbstbehauptung von Untemehmen sowie der Innovation in ihnen werden durch solche Unklarheiten ganz wesentlich beschrankt. Wenn man aber in den ressourcenorientierten Ansatzen eine Alternative zum verbreiteten Kompetenzgeschwafel sieht, und auch zu schwach operationalisierten Ansatzen wie dem der absorptive capacity, dann soUte man emsthaft Arbeit in die Begriffe und Unterscheidungen investieren. Dies mochte ich in den folgenden drei Abschnitten (2.1. bis 2.3) tun, in denen ich drei Basisunterscheidungen umreilSe, an deren Prazisierung weiter zu arbeiten ware. Im Anschluss daran (Abschnitt 3) verlasse ich die Ressourcenperspektive, um mich wieder der Regelperspektive zuzuwenden. Abschnitt 2.3 iiber Regeln und Ressourcen bereitet den Ubergang vor.

2.1

Ressourcen und Kompetenzen

Die aus unserer Sicht zentrale und heuristisch fruchtbare Unterscheidung von Ressourcen und Gebrauch bei Penrose (vgl. dazu Ortmann 2003a) wird in der Mehrheit der Beitrage zu RBV und CBV leider nicht fruchtbar gemacht. Zum einen gelten Wissen, Fahigkeiten und Fertigkeiten (skills) als zentrale Ressourcen, zum anderen als Kompetenzen, diese Ressourcen zu kombinieren und effizient zu nutzen. Die Begriffsverwendung ist voUig beliebig. „Owing to the complex and idios3mcratic nature of knowledge ... strategy development based on the company's valuable knowledge is likely to lead to sustainable competitive advantage" (Venzin et al. 1998, S. 30 f., als typisches Beispiel). Robert Grant (1991, S. 120), der neben finanziellen physische, humane, technische und organisationale Ressourcen sowie Reputation unterscheidet, erklart die Verkniipfung und Koordination mehrerer Ressourcen zu organisationalen Fahigkeiten. Sie betrachtet er als erlernte Muster der Koordination zwischen Menschen sowie zwischen Menschen und ,anderen Ressourcen': „A capability is, in essence, a routine, or a number of interacting routines" (ebd., S. 122; mehr dazu bei Fried 2005,

Innovationsfahiskeit, Zukunftsfahigkeit, Dynamic CapabUities

S. 156 ff.). Teece et al. (1997, S. 516) unterscheiden zudem noch Ressourcen von Produktionsfaktoren. Letztere werden als Input bezeichnet, der auf Faktormarkten kauflich ist. Ressourcen dagegen seien firmenspezifische, also veredelte Vermogen (z.B. Produktionserfahrungen), die in kollektiven Lernprozessen im Untemehmen entstehen. Also: die Routinen sind tief eingewurzelte, implizite Arrangements von Wissen und Konnen: durch Konkurrenten kaum imitierbare Ressourcen. Ein Teil von ihnen (die nicht-physischen Ressourcen) sind aber die „Kompetenzen''. Fiir diesen Wirrwarr habe ich eine Erklarung, die auf die theoretische Konstruktion des ganzen Ansatzes zuriickgeht. Die Fahigkeiten des Managements, die verschiedenen Ressourcen eines Unternehmens zu biindeln, werden als wahre Quelle eines strategischen Vorteils bestimmter Unternehmen betrachtet. Das wird aber nicht gesagt, bzw. kann nicht gesagt werden, weil der Management-Apriorismus der betreffenden Autoren ihnen die Einsicht verstellt, dass das eine von verschiedenen moglichen Perspektiven ist. Wenn von Wissen, Konnen und Kompetenzen als Ressourcen die Rede ist, dann sind nur diejenigen der Beschaftigten gemeint (oder gleich diese selbst, als human resources), also die Verfiigungsmasse der eigentlichen strategischen Akteure. Strategische Kompetenzen zur Konfiguration und Ausbeutung verfiigbarer Ressourcen hat dagegen nur das Management. Mit anderen Worten: Ressourcen sind die Beschaftigten und andere Gegebenheiten, derer sich das Management bedient, und Kompetenzen (im Sinne von Teece et al.) sind das, was das Management dazu hat, braucht oder entwickelt. Das Problem der unklaren Abgrenzung von Ressourcen und Kompetenzen erweist sich so als unmittelbare Folge einer theoretischen Ausgangsbedingung, welche die Ressourcenansatze gegeniiber der Neuen Institutionenokonomik schwach aussehen lasst: Sie haben kein explizites Akteurskonzept; ihre Sicht des Unternehmens ist monadisch, apolitisch (vgl. dazu Moldaschl/Fischer 2004, S. 129 f.). Wissenssoziologisch betrachtet ist die unreflektierte (implizite) Bindung an eine bestimmte Akteursperspektive das Lock-in der Disziplin „Strategisches Management". Das wirft fiir Autoren, die sich soziologisch-institutionalistischer und/oder mikropolitischer Theorien bedienen, die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen sie sich welche Telle des ressourcenorientierten Forschungsprogramms liberhaupt „anverwandeln" bzw. kommensurabel machen konnen. Umgekehrt konnen sie diese Denkwelt bereichern, derm ein Akteurskonzept liefert die Losung des Abgrenzungsproblems von Ressourcen und Kompetenzen, das fiir RBV-CBV-KBV-Autoren entweder keines ist oder nicht losbar scheint. }Nas Ressource ist und was Gebrauch, das ergibt sich erst aus einer Akteursperspektive. Wir bestimmen Ressourcen aus diesem Grund relational, als Verhaltnisbegriff; „Was zur Ressource wird, ist grundsatzlich nicht erfassbar in noch so voUstandigkeitsheischenden Listen oder noch so kontextfreien Formulierungen. Es hangt allein davon ab, ob ein materielles oder immaterielles Gut in einem individuellen oder institutionellen Handeln zweckgebundene Verwendung findet" (Moldaschl 2005b, S. 44).

Manfred Moldaschl

Die Unterscheidung ist also beobachterabhangig. Aus der Sicht einer Fiihrungskraft sind beispielsweise soziale Bindungen zwischen den Arbeitskraften einer Gruppe und ihre koUektive Kompetenz dann Ressourcen, wenn sie hoffen kann, sie sich zunutze zu machen. Seine eigene Kompetenz besteht darin, die Arbeits-, Kooperations- und Leistungsbedingungen so zu arrangieren (zu gebrauchen), dass er eine optimale „Ressourcennutzung" erzielt. Diese seine Kompetenz mag von der Muttergesellschaft seines Unternehmens als Ressource gesehen werden. Die Arbeitskrafte wiederum konnen ihre Ressourcen ganz im eigenen Interesse nutzen; etwa, wenn sie die Leistungsbedingungen als unfair empfinden und sich wechselseitig gegen den Zugriff des Managements solidarisieren (Gebrauch von Sozialkapital). Damit wird die begehrte Ressource aus der Sicht unseres Managers zur Restriktion.

2.2

Kompetenz und Performanz

Die Differenz von Ressourcen und Gebrauch darf man allerdings nicht allein an der Unterscheidung von Kompetenzen von Ressourcen festmachen. Jeder von uns nutzt seine Kompetenzen mal besser und mal weniger gut. Auch das „innovationsfahigste" Unternehmen trifft Fehlentscheidungen, z.B. beim Einstieg in neue Geschaftsfelder, und ist deshalb nicht gleich innovationsunfahig. Umgekehrt findet ein blindes Huhn auch mal ein Kom, obwohl ihm die „Sehfahigkeit" fehlt. Zudem hangt es selten von uns alleine ab, ob und wie gut Handlungen gelingen oder Strategien „aufgehen". Ich schlage daher vor, die aus der Linguistik stammende Unterscheidung von Kompetenz und Performanz aufzugreifen, um diese Differenz zu benennen.16 Kompetenz ist dann das angelegte Vermogen, und Performanz das, was der individuelle oder institutionelle Akteur unter gegebenen (wechselnden) Bedingungen daraus macht. Der Begriff hat dabei eine doppelte Bedeutung von Prozess und Ergebnis. Performanz als Prozess ist der Akt der Ausfiihrung, die konkrete Aktualisierung des Vermogens. Performanz als Ergebnis beschreibt die Doppelbilanz von unmittelbarem Handlungsergebnis (Leistung) und Riickwirkung auf die Handlungskompetenz (Leistungsfahigkeit). Nehmen wir als unmetaphorisches Beispiel fiir die Aktualisierung von Vermogen einen Hauskaufer. Der informiert sich iiber das Preisniveau der Region und iiber den Zustand der Objekte (Performanz als Prozess). Fiir Letzteres hat er aber wenig Zeit, weil er beruflich stark eingebunden ist; er macht also unter den situativen Restriktionen von seinem Urteilsvermogen nur beschrankten Gebrauch. Im Ergebnis kauft er eines der besichtigten Objekte und stellt danach erhebliche Mangel fest. Seine finanziellen Ressourcen hat er damit wenig effizient eingesetzt; faktisch hat er sie vermindert (Performanz als Resultat 1). Zugleich ist er aus Schaden kliiger geworden, hat gelemt, wo er andere Prioritaten setzen und bei Objekten hinschauen muss. Vielleicht kann er sich damit trosten, dass seine Performanz der Entwicklung seiner Kompetenz eher dienlich war (Resultat 2).

10

Innovationsfdhiskeity Zukunftsfahigkeit, Dynamic CapabUities

Warum man dergleichen iiberhaupt im Ressourcendiskurs ansprechen muss, ist merkwiirdig genug. Schliefilich ist man es in diesem iiberwiegend okonomischen Diskurs gewohnt, in dieser Unterscheidung zu denken, soweit es um finanzielle Vermogenswerte geht. Heifit doch die Differenz zwischen Ressource und Gebrauch hier „Rendite" oder „Rente". Aber es war bislang eben uniiblich, diese Denkweise jenseits aller Metaphorik konkret auf immaterielle Ressourcen zu iibertragen und etwa zu fragen, welche „Bilanz'' eine Personaleinsatzstrategie hat bezogen auf das „commitment" der Mitarbeiter (Sozialkapital). Oder welche Folgen die Objektivierung von Erfahrungswissen durch Wissensmanagement fiir die Bereitschaft der Beschaftigten hat, kiinftig Wissen zu teilen (Humankapitalbilanz). Ob ein Unternehmen seine Ressourcen effizient einsetzt, und ob es effektiv ist bei der Generierung von Ressourcen, das messen auch potenzialorientierte Ansatze meist nur indirekt, liber das Konzept der monetaren Renten bzw. der sustained supra-normal profits. Dieser Mafistab ist zwar fiir die Existenz von Unternehmen im Kapitalismus von unbestrittener Bedeutung. Doch er ist erstens ein sehr hoch aggregierter Mafistab, der dem Unternehmen wie dem Forscher wenig Aufschluss dariiber gibt, worauf sein competitive advantage im Besonderen beruht. Oder besser: beruhte, denn es handelt sich zweitens nur um einen Mal^stab ex post, der wenig iiber die Passung („fit") und (An-)Passungsfahigkeit der Unternehmung gegeniiber kiinftigen Anforderungen aussagt. Drittens sagt er ohnehin nur etwas iiber die Performance gewinnorientierter Organisationen, die den kleineren Teil gesellschaftlicher Organisationen ausmachen. Warum sollten Ressourcentheorien darauf verzichten, auch fiir die Mehrheit der Nonprofit-Organisationen Erklarungen und Empfehlungen anzubieten. Die Institutionenokonomik als regelorientierte Perspektive beispielsweise macht diese Einschrankung nicht. Mit Methoden wie der Balanced Scorecard oder der Wissensbilanz wird nunmehr im strategischen Controlling versucht, intangible assets messbar(er) zu machen, um sie bewusster zu managen (vgl. als Uberblicke Neely 2002; Becker 2003; Hinterhuber, Matzler 2005; Moldaschl 2006). Wir schlagen ein Vorgehen in vier Schritten vor, welche den Blick zugleich auf das ganze Spektrum betrieblich genutzter immaterieller Ressourcen erweitern. (1) Im ersten Schritt werden Ressourcen oder „ capabilities" direkt gemessen bzw. bewertet, wie Vertreter der CBV und der KBV das beim Wissen und bei capabilities versuchen. (2) Im zweiten Schritt werden Nutzungsweisen der Ressourcen erfasst, (3) um im dritten Schritt wiederum die Veranderungen einzelner Ressourcen zu bilanzieren. Das Ergebnis karm dabei drei Werte annehmen: die im Handeln gebrauchten Ressourcen werden entweder erhalten (reproduziert, regeneriert), erweitert (generiert) oder vernutzt. Damit lasst sich die interne Nachhaltigkeit betrieblicher Strategien fiir einzelne Ressourcenarten beurteilen, nicht nur anhand aggregierter Gewinne und ex post.

11

Manfred Moldaschl

(4) Im letzten Schritt wird dann noch eine Ebenenbetrachtung eingefiihrt, u m die positiven und negativen Externalitaten einzelwirtschaftlichen Handelns zu erfassen (exteme Nachhaltigkeit). Das kann man auf der Ebene von Abteilung und Betrieb oder von Betrieb und Untemehmung machen, oder auch bezogen auf ein Untemehmen und eine oder mehrere uberbetriebliche Ebenen der Bilanzierung (z.B. Netzwerk, Kommune, Region, Nation). Empirische Anwendungen dieser Vorgehensweise wird ein demnachst vorliegender Band dokumentieren.

2.3

Regeln und Ressourcen

Mit der letzten Unterscheidung will ich nun iiberleiten zum Vorschlag, organisationale „Veranderungsfahigkeit" ohne Rekurs auf Fahigkeits-, Kompetenz- oder Vermogensbegriffe zu fassen (Abschnitt 3). Die Unterscheidung von Regeln und Ressourcen als Grundbegriffen fiir soziale und damit auch organisationale ,Struktur' hat Anthony Giddens (1988) in seinem Entwurf einer Sozialtheorie stark gemacht. Als zwei Modi von ,Struktur' bilden sie dort wiederum die Grundlage fiir die Analyse von Strukturation, also der Bezugnahme von Akteuren auf diese Strukturen, in deren Verlauf sie sie verfestigen oder verandem. Ich finde diese Unterscheidung auch deshalb niitzlich, weil man mit ihr unterschiedliche Aufmerksamkeitsgrade von Theorien fiir den einen oder anderen Strukturmodus ausmachen kann. Die Ressourcenansatze richten offenkundig ihre ganze Aufmerksamkeit auf Ressourcen (die bei Giddens leider /// defined sind, wie Angelsachsen sagen wiirden; die Regeln auch).l7 In anderen Theorien kommen Ressourcen praktisch nicht vor, etwa in der Marktprozesstheorie oder der Systemtheorie. Den okonomischen und den soziologischen Neoinstitutionalismus konnte man - bei aller Divergenz - beide als typische „Regeltheorien" charakterisieren.i^ Die Unterscheidung hilft also als ein Heurismus, beim Interesse fiir das Eine nicht die Existenz und Relevanz des Anderen aus dem Blick zu verlieren. Institutionalistische Ansatze in den verschiedenen Sozialwissenschaften heben auf regelhafte Vergegenstandlichungen und Strukturierungen von Handeln ab. Institutionen sind danach vom Handeln abgeloste, mehr oder weniger stabilisierte Ordnungssysteme von Deutungen, Handlungen und Beziehungen, handlungsgenerierende Regelsysteme bzw. generative Grammatiken der Praxis. Der soziologische Institutionenbegriff umfasst auf der Makroebene gesamtgesellschaftliche Handlungs-, Beziehungs- und Deutungsmuster, die uber Intemalisierung und exteme Sanktionen verankert sind. Der okonomische Institutionenbegriff definiert Institution ebenfalls als Regelsysteme, z.B. Sanktionsmechanismen. Richter und Furubotn (1996, S. 6 f.) beziehen neben formalen auch informelle Regeln ein und definieren damit den Anspruch der ganz neuen Institutionenokonomik (GNIO, wenn man so will). Die Institutionen- und die Ressourcenperspektive sind aus dieser klassifikatorischen Sicht komplementar. Das heifit freilich nicht, dass die ihnen zugerechneten Theorien im

12

Innovatwnsfdhigkeit, Zukunftsfdhigkeit, Dynamic Capabilities

Sinne von Kuhn (1967) jeweils paradigmatisch kommensurabel waren. Einige AutorInnen versuchen beispielsweise, die Schwachen auch jener ressourcenorientierten Ansatze, die nicht hauptsachlich im neoklassischen Denken wurzeln wie die Structural School, durch Hinzunahme der Institutionenokonomik zu heilen (z.B. Altiparmak 2001; Foss/Foss 2004). Das scheint mir ebenso inkommensurabel wie eine „Mischung" des kulturalistischen Erklarungsprogramms im soziologischen Neoinstitutionalimus mit der rationalistischen Variante der RBV. Doch die Annahme der Inkommensurabilitat von Paradigmen und die Forderung nach kommensurabler Theoriebildung (ahnlich Gersch et al. 2005, S. 14 ff.) teilen viele nicht. Nun zeigt sich allerdings bei der Anwendung dieser Begrifflichkeit in vorliegenden wie auch in unseren eigenen empirischen Studien ein grofies Problem. Die Unterscheidung von Regeln und Ressourcen ist nur in Giddens Buch unproblematisch. Im konkreten Fall dagegen lasst sich wiederum nicht kontextunabhangig bestimmen, was Regel und was Ressource ist. Das liegt daran, dass jede Regel bzw. jede Institutionalisierung von Praktiken und Deutungen Ressourcencharakter haben oder bekommen kann. So ist diese Doppeldeutigkeit meist im Spiel, wenn vom Organisationskaptial die Rede ist (z.B. Sadowski 1991), von Institutionellem Kapital (Esser 2000, S. 233) oder eben von absorptive capacity und dynamic capabilies. Wir erinnern uns: Bei Autoren wie Teece et al. (1997) sind die schwer imitierbaren Ressourcen Routinen, tief eingewurzelte Arrangements von Wissen und Konnen. Das muss theoretische Konsequenzen haben. Im Grunde kann man das, was wir auf empirischem Wege einsahen, bereits aus der Strukturationstheorie folgern: Wenn „Dualitat von Struktur" (Giddens 1988, S. 77 ff.) grundsatzlich die Ermoglichung und Beschrankung von Handeln meint, so gilt das fiir Regeln und Ressourcen gleichermafien. Die neoklassische Okonomik, die in Regeln primar Restriktionen fiir Entscheidungen sieht, und die evolutorischen Ressourcentheorien, denen sich der Restriktionencharakter (,core rigidities') ihres Organisationskapitals so leicht entzieht, akzentuieren jeweils nur eine Seite.19 Bei Hayek (1939) erscheint beides als weitgehend identisch. Er bezeichnet explizite Regeln und Traditionen (Institutionen) als „soziale Werkzeuge" („rules as tools'', Hayek 1939, S. 10), deren Ressourcencharakter im Wesentlichen darauf beruht, dass in ihnen Wissen gespeichert ist bzw. in einem Prozess kultureller Evolution gespeichert wird (vgl. dazu bes. Vanberg 1994 und Kappelhoff 2002). Ich sehe darin dieselbe „Unscharferelation" wie im Falle der Inhaltsund der Prozesstheorien in der Psychologie (Abschnitt 1). Was ist die Losung? Nun, wenn sie beim Ressourcenbegriff relational war, so ist sie in dieser Frage prozedural. Man muss (a) den Weg angeben, auf dem man dazu kommt, eine Gegebenheit der Praxis als Regel oder als Ressource zu klassifizieren, und (b) angeben, bezogen auf welchen Praxiskontext und welche Betrachterperspektive sich diese Gegebenheit vorrangig als Option oder als Restriktion darstellt.

13

Manfred Moldaschl

Ein Beispiel: Den Zusammenhalt einer Arbeitsgruppe kann man als Ressource betrachten und deren Bestandsgrofie etwa als „ group cohesion" oder als „ social support" messen. Man kann ihn aber auch als Norm bestimmen, in unserem Beispiel als die einer wechselseitigen Verpflichtung, fiireinander einzuspringen. Die Normgeltung liefie sich wiederum in der Ressourcenperspektive als ein soziales oder organisationales Kapital bestimmen (Grad des ,commitments' bzw. der inneren Verpflichtung der Gruppen- oder Organisationsmitglieder gegeniiber dieser Norm); oder aber aus der Regelperspektive als ein Mafi fiir die Effizienz der Sanktionsregeln im Falle der Normverletzung. Wenn wir uns im ersten Schritt fiir eine Interpretation entschieden und dies begriindet haben, ist im zweiten zu analysieren, in welchem Kontext und fiir welchen Akteur die Gegebenheit (,Reger oder ,Ressource') in welchem Mafi ermoglichenden und beschrankenden Charakter entfaltet. Um im Beispiel zu bleiben: Ein Management wird Gruppenkohasion als nutzbares Potenzial ansehen, solange es die Gruppe nicht prioritar in den Dienst ihrer eigenen Interessen stellt; etwa weil sie die Erfahrung macht, die Nutzung dieses Potenzials durch das Management habe fiir sie iiberwiegend nachteilige Folgen.20 Was fiir die Gruppe noch immer Potenzial ist (,Ressource'), prasentiert sich dem Management nun als Restriktion. Das ist das Dumme an lebendigen Ressourcen: sie lassen sich durch interessierte Nutzer nicht einfach ausgraben, lagern und herumschieben wie Erze.

Institutionelle Reflexivitat - eine Alternative zur Ressourcenperspektive Die Alternative zum Versuch, Probleme der ressourcenorientierten Modellierung von „Innovationsfahigkeit" immanent zu losen, besteht darin, auf Kompetenzbegriffe ganz zu verzichten. In diesem Fall sucht man Erklarungen fiir unterschiedliche Anpassungsleistungen von Organisationen in ihren strukturellen Regelungen bzw. institutionellen Arrangements. Ausgehend von der bereits formulierten Armahme, es handle sich hier um zwei niitzliche und trotz gewisser Uberschneidungen komplementare Sichtweisen, mochte ich mich nun der zweiten, „regelorientierten" zuwenden. Die analytische Konzeption, die ich vorstellen werde, kommt ohne Rekurs auf Fahigkeitsbegriffe aus. Sie setzt an am Basisdilemma der Organisation, an jenem inneren Widerspruch, den sie verkorpert: Sie soil Flandeln zweckprogrammieren, indem sie es regelt. Dennoch soil sie sich veranderten Bedingungen anpassen konnen. Sie soil die Funktion des Ganzen von der Subjektivitat einzelner Mitglieder unabhangig machen, indem Verfahrensweisen objektiviert und damit vorhersagbar werden. Dennoch soil sie auf Ungeplantes reagieren und „lemen", kreativ und innovativ sein konnen, indem sie Subjektivitat nutzt. Weick und Westley (1996, S. 440) beschreiben das als Paradoxie

14

Innovationsfdhigkeity Zukunftsfdhigkeit, Dynamic CapabUities

des Organisationslernens: „Organization and learning are essentially antithetical ... to learn is to disorganize and increase variety. To organize is to forget and to reduce variety.'' Doch weil es sich um ein konstitutives Dilemma handelt, wird es bei weitem nicht nur in Theorien organisationalen Lernens und in der Change-Literatur behandelt, sondern in praktisch alien sozialwissenschaftlichen Disziplinen (vgl. Ortmann 2003b). Anstofie, die Bearbeitung dieses Dauerproblems liber ein Konzept Institutioneller Reflexivitat zu erfassen, gab neben der Auseinandersetzung mit Theorien der Modernisierung, des Organisationslernens und der Selbstorganisation vor allem das rational nicht zureichend erklarbare Ausmafi organisationaler „Hysterese", wie es uns in empirischen Begleit- und Beratungsprojekten begegnete. Hier waren es keineswegs nur besonders erfolgreiche Praktiken, die sich in unreflektierten Routinen sedimentierten, wie Ressourcentheoretiker meinen (z.B. Leonard-Barton 1992). Manche Regel war nicht einfach nur inadaquat geworden, sondern schien es seit jeher gewesen: wie etwa die Abschottungen der Kommunikation zwischen Werkern und Ingenieuren oder die Organisation des Vorschlagswesens. Ferner beobachteten wir „regelma6ig'', dass Organisationen enorme finanzielle und zeitliche Ressourcen in die Planung und Implementierung von Change-Projekten stecken, wahrend sie kaum Interesse und Bereitschaft aufbringen, deren Ergebnisse ernsthaft zu evaluieren. Wenn aber die Reflexion iiber Pramissen und Folgen von Strategie systematisch so begrenzt ist, dann sind auch die Moglichkeiten institutionellen Lernens vorsichtig einzuschatzen. Auf den verbleibenden Seiten mochte ich nun nicht den Versuch machen, Erklarungen fiir diese Phanomene anzubieten bzw. die vorliegenden Theorien zu referieren, sondern ein „technisches'' Problem behandeln: Wie konnen wir den Grad der Hysterese bzw. der Veranderungsbereitschaft empirisch messen und normativ bewerten? Da uns weder die metaphorischen Fahigkeitskonzepte noch die vorrangig auf Unternehmensoder Innovationskultur zielenden Operationalisierungen von „Veranderungsvermogen" befriedigen, richten wir unsere Aufmerksamkeit ganz auf die mehr oder weniger beobachtbare Infrastruktur von Organisationen aus. Wie, so die Leitfrage, mit welchen Verfahren halten sich Organisationen fiir Revisionen offen? Mit welchen Metaregeln machen sie ein „Lock-in'' unwahrscheinlich(er)?

3.1

Institutionalisierung von Reflexivitat als Kern der Modernisierung

Nach allgegenwartiger Modernisierungsrhetorik werden alle sozialen Arrangements, alle organisationalen Strukturen „fliissig" und disponibel, begrlindungspflichtig und revidierbar. Sie werden reflexiv im Sinne der Theorie reflexiver Modernisierung (vgl. z.B. Beck/Bonfi 2001). Auch die Managementliteratur ist voU davon, wenngleich mit

15

Manfred Moldaschl

anderen Begriindungen. Wie sehr aber Regeln und Deutungen in der Praxis regelmafiig gegen „falsifizierende" Einfliisse und Erkenntnisse aufrechterhalten, hartnackig verteidigt oder geradezu immunisiert werden, hat exemplarisch die Analyse wissenschaftlicher Praxis ergeben, die doch genuiner Hort der Kritik und Innovation sein soUte (vgl. Fleck, Kuhn, Lakatos u.a.). „Einer der wichtigsten blinden Flecken der Managementtheorie liegt in der Unterschatzung jener Mechanismen, mit denen sich ein Untemehmen davor bewahren kann, die eigenen Probleme zu losen", schrieb Dirk Baecker (1996, S. 71) als Vertreter einer regelorientierten Perspektive, der Systemtheorie. Ubrigens durchaus nicht ganz im Sinne Luhmanns, dem zufolge Organisationen auch von ihrer - sagen wir: Ignoranzfahigkeit leben. Sie dient - wie alles in der Systemtheorie - der Komplexitatsreduktion. Doch wie gesagt, um diesen und viele weitere Versuche, blinde Flecken, Latenz und Tragheit zu erklaren, mit ebenso vielen Begriffen (inertia, vgl. Zucker 1977; Rumelt 1995; theories-in-use, Argyris/Schon 1978 etc.), soil es hier nicht gehen. Wir sind auf der Suche nach einer operationalisierbaren Beschreibungsdimension. Reflexivitat bietet sich als Kategorie an, da sich mit ihr beides treffend thematisieren lasst: die permanente Re-Vision aller Praktiken, und deren Schranken. Wahrend sie mit Akzent auf der ersten Bedeutung mittlerweile die gesamte sozialwissenschaftliche Organisations- und Managementforschung durchsetzt, wurde sie in der Sozial- und Modernisierungstheorie gerade durch ihre Kehrseitigkeit zu einem Schliisselbegriff. Hier steht sie zum einen fiir das „Uberhandnehmen der Nebenfolgen" (so bei Ulrich Beck, z.B. 1996; Beck/Bonfi 2001),21 das heifit fur den wuchemden Uberhang unbeabsichtigter Effekte vemunftgesteuerter Wirklichkeitsintervention. Diese aufklarungsskeptische, systemische Lesart lenkt den Blick auf die SelhstbezUglichkeit (Rekursivitat) sozialer Praktiken, welche die von ihnen ausgehenden Ruckwirkungen auf sich selbst nicht unbedingt kognitiv einholen. Reflexivitat als bewusste Kontrolle und erweiterte Verarbeitung von Handlungsfolgen ist hingegen eine akteurszentrierte Bedeutung, die besonders Anthony Giddens (1995) dem Begriff zuweist. Er betont die Verdrangung von Traditionen durch Wissen, insbesondere durch das wissenschaftlich generierte. Dessen Diffusion zwinge den „wissensfahigen" (,knowledgeable') Akteur, Entscheidungen stets „wissensbasiert" und in Antizipation der Entscheidungen anderer zu treffen. Dies wiederum erfordere eine kontinuierliche Beobachtung eigener Strategien hinsichtlich ihrer Pramissen und Folgen, ein „reflexive monitoring" nach dem Prinzip des „methodischen Zweifels" (Giddens 1993, S. 437). Hier hat Reflexivitat praktisch das Erbe des Rationalitatsbegriffs angetreten und lasst gescheiterte Versprechen der Aufklarung wieder aufleben. In einer an Elias erinnemden Argumentationsfigur, wonach die Kontingenz des modemen Lebens mit ihrer unaufhaltsam wachsenden Zahl der Handlungsoptionen individuellen und koUektiven Akteuren (von der Organisation bis hin zur „ganzen Modeme") permanente „Begrundungspflicht" auferlege, treffen sich die Vertreter beider Semantiken wieder; und im Argument, die Moderne modemisiere nunmehr sich selbst. Doch in diesem gemeinsamen Begriff reflexiver Modernisierung schlagen letztlich die verschiedenen Lesarten wieder durch. Stellt sie fiir Giddens ,nur'

16

Innovationsfdhiskeit, Zukunftsfahiskeit, Dynamic Capabilities

eine „Radikalisierung" der Prinzipien bisheriger Modemisierung dar (rationale Planung, Wissensgenerierung durch Messung, Begriindungspflicht etc.), so besteht sie fiir Beck im Bruch mit ihnen (daher die Rede von der „zweiten Moderne"). Weil Reflexivitat als Kategorie umgekehrt proportional zu ihrer Beliebtheit an Kontur verliert, und sie zu definieren ohnehin die wenigsten ihrer Nutzer fiir notig halten, betone ich diese Differenzen: Reflexivitat als Rekursivitat oder als Reflexion, systemische versus akteurszentrierte Sicht, Steuerungspessimismus versus gemafiigter Voluntarismus, Akzent auf Nichtwissen versus Wissen. Will man den Begriff fiir Organisationsstudien systematischer entfalten, wird er heuristisch nur reich iiber die Unterscheidung beider Bedeutungen und ihre Integration in einem Bezugsrahmen, der das Spannungsverhaltnis thematisiert. Ausgehend von dieser Unterscheidung lasst sich auch die Institutionalisierung von Reflexivitat auf zwei Weisen interpretieren. (1) In der ersten (die ich hier vereinfachend der Position Becks zuschreibe) ist es ein emergenter Prozess, in dem sich der Grad der Kopplung sozialer Systeme und Aktivitaten verstarkt. Dass wir - um ein aktuelles Beispiel zu nehmen - nicht nur unsere Geflligelhaltung industrialisierten, sondern mit der weltweiten Vernetzung der Verkehrssysteme auch lokale Nebenfolgen globalisieren (hier das Infektionsrisiko), ist so eine rekursive Schleife. Aus organisationstheoretischer Sicht hat besonders Charles Perrow (1984) das Verhaltnis von Leistungssteigerung und Risiken durch „enge Kopplung'' herausgearbeitet. (2) In der zweiten liegt die Institutionalisierung eher im wortlichen Sinne der gezielten Schaffung von Institutionen, welche Entscheidungen beobachten und evaluieren, professionalisieren und kritisieren. Diese Perspektive, fiir die meist Giddens (z.B. 1993, 1995) zitiert wird, hat zuvor im Wesentlichen Glaus Offe formuliert, u.a. in seinem Buch zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft (1984, S. 310 ff.). Dort fiihrt er den Wandel zur „Dienstleistungsgesellschaff' auf den wachsenden „Bedarf an Koordination, Steuerung und Krisenbewaltigung" zuriick. Diese Funktionen wiirden auf spezialisierte Expertensysteme (Professionen, Normierungs- und Kontrollinstanzen etc.) iibertragen, die an alien Stellen der Gesellschaft neu entstehen. Die ungeheure Proliferation formaler Mess- und Bewertungsverfahren in und zwischen Unternehmen sowie alien anderen Organisationen der Gesellschaft, die Michael Power (1994) in seinem Buch Audit-Explosion beschrieb, kann im ersten wie im zweiten Sinne als eine Explosion institutioneller Reflexivitat verstanden werden. Im ersten Sinne wiirde man darin einen „Reflex" auf das Uberhandnehmen der Nebenfolgen sehen, weshalb jeder Akteur den anderen auf die externen Effekte seines Handelns hin beobachtet (beispielsweise via CSR-Indices).22 Das schafft zwar nicht das Perpetuum einer Dienstleistungsgesellschaft, in der jeder jedem die Pizza bringt, aber eine, in der tendenziell jeder jeden verfahrensformig beobachtet und numerisch bewertet. Im zweiten Sinn entlasten sich die Akteure von wachsender Komplexitat und Wissensintensitat, indem sie die Generierung und Verwaltung des Wissens sowie die Beobachtung und Revision seiner Anwendung an eigens geschaffene Institutionen abtreten.

17

Manfred Moldaschl

Powers Arbeiten sind dabei vor allem als Wamung zu lesen, sich allein der zweiten Deutung zu verschreiben und im Wuchem der ControUingsysteme v.a. Versuche der Selbstaufklarung von Praxis zu sehen. Wie die Professionsforschung oder die Organisationstheorie aus Foucault'scher Perspektive weist auch er auf die immanente Tendenz dieser Praktiken hin, sich gegeniiber ihrem Sinn zu verselbststandigen oder als Herrschaftsinstrumente zu dienen. Das ist ein Schliissel zum Verstandnis von Latenz, Hysterese und Veranderungsresistenz. Gleich, ob man nun mit Giddens Strukturationstheorie, Hayeks Theorie der spontanen Entstehung von Ordnung, Becks Modemisierungs- und Luhmanns Systemtheorie davon ausgeht, dass Selbstreferenzialitat als Basis der Autonomie und Leistungsfahigkeit sozialer Subsysteme zunehme, und dass damit die Institutionalisierung von Reflexivitat Schliisselprozess der Modernisierung auch in der Wirtschaft wird: Es stellt sich in jedem Fall die Frage, wie sich daraus eine analytische Konzeption fiir Organisationsstudien gewinnen lasst. Ein Mafistab, um den Grad der Modernisierung oder der „Modemisierungsfahigkeit" von Organisationen und Untemehmen im Besonderen zu beurteilen. Das Konzept der Institutionellen Reflexivitat macht hierzu ein Angebot. Insbesondere soil es die einander widersprechenden Momente von Reflexivitat Selbstreferenzialitat und Selbstaufklarung - thematisieren und operational fassen konnen. Mit der Grofischreibung beziehe ich mich dabei auf die analytische Konzeption, mit der Kleinschreibung auf institutionelle Reflexivitat als soziales bzw. organisationales Phdnomen.

3.2

Analyse institutioneller Reflexivitat

Institutionelle Reflexivitat als analytische Konzeption anzuwenden bedeutet, Managementkonzepte und Organisationsmethoden danach zu beurteilen, inwieweit sie der Moglichkeit nach die Aufnahmebereitschaft fiir Erkenntnisse fordem, die zur Revision bzw. Innovation bisheriger Sichtweisen und Praktiken beitragen.23 Organisationale Regelsysteme oder Praktiken, die das tun, lassen sich somit als reflexive Institutionen bzw. institutionalisierte Reflexivitat charakterisieren. Wie lasst sich nun deren Ausmafi in Organisationen bestimmen? Das skizziere ich in drei Schritten: der Definition von Funktionsweisen (Abschnitt 3.2.1), der Bewertung ihrer Auspragung (Abschnitt 3.2.2) sowie deren Kontextualisierung und normative Bewertung (Abschnitt 3.2.3).

3.2.1

Funktionsweisen institutioneller Reflexivitat

Die ersten folgenden fiinf Kriterien operationaliseren die oben als Merkmale von Reflexivitat eingefiihrten Modi der Selbstbeobachtung und Folgenevaluierung. Die Herleitung dieser Kriterien, die auch Anregungen aus Selbstorganisationstheorien (z.B.

18

Innovationsfdhigkeit, Zukunftsfdhigkeit, Dynamic Capabilities

V. Foerster 1984) und der Systemtheorie aufgreift (vgl. zu den Komplementaritaten bes. Kappelhoff 2002), uberspringe ich. Die hier formulierten Kriterien erfiillen nur deskriptive Zwecke. Sie helfen festzustellen, inwieweit in einer Organisation liberhaupt Institutionen (Regeln, Methoden, Verfahren) vorhanden sind, welche die Wahrscheinlichkeit der Revision bzw. Innovation bestehender Sichtweisen und Praktiken steigern konnen. Ob und ggf. wie sie das tun, soil erst im nachsten Schritt beurteilt werden. Ich umreifie sie kurz und nenne jeweils beispielhaft einige typische Verfahren der Unternehmenspraxis (s. Tab. 1).

Tab. 1:

Funktionsweisen institutioneller

Reflexivitdt EmmpfarischB VBffBhren

Dtmemion Institutionalisierung von Selbstbeobachtung und Selbstkritik

Systematischer Ruckgriff auf Fremdbeobachtung

• •

Schaffung von Funktionen/Abteilungen wie Organisationsentwicklung, Inhouse Consulting, Social Affairs

• • •

Benchmarking

Offene Evaluierung von Handlungsfolgen Entwurf alternativer Gegenwarten und Zukunfte

KVP, Frageheurismen (z.B. 5Why) Einsatz externer Berater, Einrichtung von Beiraten Auswertung von Kundenreklamationen

• Kommunikativer Bezug auf Fremdreferenz

Einbindung des Controlling in das strategische Monitoring (z.B. via BSC)

Kooperation mit Kritikern, roundtables

B

wechselseitige Hospitationen

•

Einsatz von boundary spanners

B

Berichtspraktiken (Reporting, z.B. CSR) Reputationsstudien Mafinahmen-Evaluierung

•

Kunden-, Mitarbeiterbefragung

B

Aufgaben-, Abteilungs-, Betriebswechsel parallels Entwicklerteams

• •

Anwendung von Kreativitatstechniken Think Tanks

(1) Institutionalisierung von Selbstbeobachtung und Selbstkritik. Welche Verfahren verhindern, dass bestimmte Routinen, Regeln, Themen oder Funktionen a priori von Kritik ausgenommen werden? Sofern in klassischen Modellen der Unternehmensfiihrung liberhaupt Institutionen des reflexive monitoring thematisiert werden, so die Leitungsgremien. Sie haben die strategische Ausrichtung zu entwerfen und zu iiberprufen.24 In den letzten Jahrzehnten wurden aber speziell in grofieren Untemehmen immer mehr Instanzen und Verfahren geschaffen, die alle anderen regelmafiiger Priifung unterwerfen. Ganze Berufsstande wie Wirtschaftspriifer etablierten sich. Zu

19

Manfred Moldaschl

Abteilungen wie Organisationsentwicklung und Inhouse Consulting kamen u.a. solche fiir Social Affairs und Umweltcontroiling. Femer werden „klassische" Controllingabteilungen zunehmend in das strategische Monitoring eingebunden, etwa wenn mit Instrumenten wie der Balanced Scorecard oder Wissensbilanzen strategisch relevante „intangible assets" erfasst und neu gemanaged werden soUen. Die in den 1990em eingefiihrten Methoden des Qualitatsmanagements (TQM, Kontinuierliche Verbesserungsprozess etc., z.B. Imai 1992) stimulieren - im Prinzip - ebenso die alltagliche Falsifikationsbereitschaft wie das „360°-Feedhack" (z.B. Neuberger 2000). Und Benchmarking nutzen Unternehmen, um sich in ihren Leistungen und Praktiken mit Wettbewerbem definitiv zu „messen"; oder um dort, wo kein Wettbewerb besteht, einen solchen zu initiieren oder zu imitieren. (2) Systematischer RUckgriff auf Fremdbeobachtung. Hier wird gefragt nach Beobachtungen zweiter Ordnung, also nach Beobachtungen von Beobachtungen, die eine reflexive Schleife mehr institutionalisieren. Kirsch et al. (1998) schlagen mit Bezug auf Luhmann vor, dies Responsiveness zu nermen (Umweltoffenheit und -sensibilitat, um nicht „Resonanzfahigkeit" zu sagen). Sie bezeichnen damit die kommunikativen Verbindungen „nach aujSen" und die Bereitschaft, Signale aus der Akteursumgebung aufzunehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass deren Impulse innovativ verarbeitet werden, wird gleichwohl stark vom Ausmafi der institutionalisierten Selbstkritik abhangen. Unternehmensberatung ist ein Import von Fremdreferenz, der sich als iibliche Praxis, als Institution, in Europa erst in den 1970er Jahren etablierte. Wie reflexiv diese Beratung freilich ist, bleibt - zumal schwierig - wieder dem zweiten Schritt zur Beurteilung iiberlassen. Femer gehoren dazu etwa die Auswertung von Kundenreklamationen, die Kooperation mit Kritikern, Runde Tische, wechselseitige Hospitationen, der Einsatz von boundary spanners bzw. „Grenzgangem" u.A. (z.B. EndresAVehner 1995; Duschek et al. 2001; Loose 2001). Solche Verfahren auf der interorganisationalen Ebene bilden fiir Sydow und Windeler (2004) die Instrumente eines „reflexiven Netzwerkmanagements". (3) Kommunikativer Bezug auf Fremdreferenz. Dieses Kriterium erhebt, wie Organisationen mit den Ergebnissen der Beobachtung zweiter Ordnung umgehen. Eine Form der Auseinandersetzung mit Fremdbildem, die auf die Deutungsmuster Anderer Bezug nimmt, hatte Luhmann (1984) als fremdreferenzielle „Formen von Selbstdarstellung" bezeichnet. Also: Kommunikation uber Kommunikation in der „Umwelt", gerichtet als Kommunikation iiber Kommunikation „nach aufien". Flier kommen zum einen Berichtspraktiken in den Blick, die antizipierte oder erfahrene Fremdwahmehmungen zum Ausgangspunkt der organisationalen Selbstdarstellung nehmen, also nicht einfach Werbung als intentionale Produktion eines Image. Zum anderen ist es die Accountability, also die mehr oder weniger obligatorische, „von aufien" geforderte Rechenschaftslegung eines Untemehmens (in Abgrenzung zur intemen Rechnungslegung, dem Accounting). Nur die behordlich geforderten Dokumentationen (z.B. iiber Schadstoffemissionen) sind im engeren Sinne erzwungen: rechtsformig institutionalisierte Reflexivitdt. Unternehmen konnen sich dariiber hinaus aber auch in unter-

20

Innovationsfahigkeit, Zukunftsfdhigkeit, Dynamic Capabilities

schiedlicher Weise und Intensitat mit externen Legitimationsanspriichen auseinandersetzen, etwa mittels „reflexiver'' Reportingpraktiken (z.B. Umweltreports, Corporate Social Reporting, s.u.). (4) Offene Evaluierung von Handlungsfolgen (Sensitivitdt). Wenn das erste und zweite Kriterium die Schaffung von Riickkopplungskanalen erheben, dann focussiert das vierte auf die Schaffung der Inhalte (im Sinne Kirschs ein zweites Element von Responsiveness). Es geht um alle Arten der Evaluierung von Aktivitaten hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf andere interne Akteure und die „Umwelt", soweit das die Be(ob)achtung von Nebenfolgen einschliefit und sich nicht allein auf die (zweckrationale) Messung der Abweichungen von festgelegten Zielkriterien einschiefit. Tatsachlich finden neben Gewinn, Pro-Kopf-Umsatz oder Wachstum immer mehr „weiche Faktoren" Eingang in die Mafinahmenevaluierung, wie Kundenbindung und -zufriedenheit. Reputation oder eben „Innovationsfahigkeit''. Erhebungsverfahren wie z.B. Kundenbefragungen konnen in dieser Funktion eingesetzt werden (miissen aber nicht, s.u.). (5) Akzentuierung von Nichtwissen und der Entwurf alternativer Zukiinfte. Wahrend die ersten vier Kriterien letztlich Regeln der Wissensschaffung und -priifung zum Gegenstand haben, leitet das fiinfte dazu an, den „geregelten" Umgang mit Nichtwissen in Organisationen zu beobachten. Setzt man den Mafistab so tief an wie Giddens, fiir den schon die Erstellung von Statistiken und einer altemativlosen Planung das Kriterium der Reflexivitat erfiillt, wiirde man die Anwendung etwa von Szenariotechniken zumindest fiir reflexiver halten. Weitere Verfahren, die dergleichen institutionalisieren, also auf Dauer stellen und von den Dispositionen einzelner Personen 15sen, sind unter anderem systematische Aufgahen-, Funktions-, Abteilungs- und Betriebswechsel oder parallele Entwicklerteams, fiir die japanische Unternehmen geriihmt werden (vgl. z.B. Nonaka/Takeuchi 1995). Die Sparine der Verfahren zur Erzeugung alternativer Zukiinfte reicht von den Kreativitatstechniken (etwa Rollenspiele wie die Sechs-Hiite-Methode de Bonos 1989) bis hin zu Think Tanks, wie sie sich grofie Technologieunternehmen (IBM, Xerox, DaimlerChrysler etc.) leisten.

3.2.2

Qualitative Bewertung institutioneller Reflexivitat

Das Vorhandensein solcher Institutionen lasst sich relativ leicht ermitteln, etwa in standardisierten Befragungen. Doch es ist erstens klar, dass man die exemplarisch genannten nicht allein oder vorrangig als Mafinahmen zur Steigerung institutioneller Reflexivitat betrachten kann. Es ist ein Aspekt, eine ihrer moglichen Funktionen. Der Einsatz von Beratern mag der Vermehrung der Optionen dienen, oder auch nur der Affirmation, der externen Beglaubigung getroffener Entscheidungen. Strategisches Controlling kann alles sein, von der Verkorperung des Steuerbarkeitsglaubens bis hin zur zentralen Reflexivitatsinstanz in Unternehmen. 25 Ein Kontinuierlicher Verbesserungsprozess dient vorrangig dem Abstellen von Fehlern und der kleinschrittigen

21

I

Manfred Moldaschl

Prozessoptimierung; der institutionalisierte Aufruf, alle Verbesserungsmoglichkeiten auf den Tisch zu legen, eroffnet aber auch die Moglichkeit, grundlegendere Regeln in Frage zu stellen. Im Prinzip zumindest, denn ob ein Unternehmen zulasst, dass auch Organisationsformen, Kompetenzzuschnitte und Fiihrungspraktiken Gegenstand der Verbesserungsvorschlage sein diirfen (oder es sogar dazu auffordert), ist die nun zu behandelnde Frage. Die obige Frage, wie institutionalisieren Organisationen Reflexivitat, ist nun also zu erganzen durch die Frage: wie sehr? (vgl. Tab. 2).

Tab. 2:

Bezvertungskriterien fur den Grad institutioneller Reflexivitat Krtterium

OpBraiionatisiBrung

Datenfyp

Zahl der Kanale fur Ruckkopplungen und Grad der Kopplung

Wie viele externa Referenzen (z.B. Berater, Wissenschaftler, Kritiker) bzw. Verfahren (z.B. Benchnnarking, Ranking) werden wie regelmaliig genutzt?

quantitativ

Reichweite des Einbezugs von Fernwirkungen

Weiclie Akteure und Systeme werden hinsichtlich welcher Folgen in welchem raumlichen und zeitlichen Horizont in das Monitoring einbezogen?

quantitativ & qualitativ

Moglichkeit der Kriterien- inwieweit sind diese in den Selbstbewertungen prinzipiell vorgesehen und zulassig? Welche und Zielrevision Malistabe und Ziele stehen zur Prufung, weiclie werden tabuisiert?

qualitativ

Grad derAnwendung / Aussetzung reflexiver Verfahren

Hat die Anwendung eines Verfahrens uberhaupt Konsequenzen? Falls ja, welchen Stellenwert hat es im Entscheidungsprozess? Werden Bereiche und Falle der Aussetzung begrundet/diskutiert?

quantitativ & qualitativ

Selbstanwendung

Inwieweit wird das jeweilige Prtifverfahren selbst zum Gegenstand der Prufung? In welchem Umfang werden gescheiterte Mafinahmen verarbeitet oder verdrangt?

qualitativ

(a) Die Zahl der Kanale fiir RUckkopplungen sowie der Grad der Kopplung. Holt sich ein

Unternehmen beispielsweise in Fragen organisationaler Innovation Rat in der Regel allein von einem Berater, oder ist es mindestens um eine „zweite Meinung" bemiiht? Und wenn es etwa Kunden- oder Mitarbeiterbefragungen durchfuhrt: Inwieweit werden diese iiberhaupt entscheidungsrelevant? Sehen die Verfahren nur vor, wie oft eine solche Befragung erfolgen soil (empirisch eher der Normalfall, z.B. Kalkowski 2002), oder auch, wie die Ergebnisse in den Entscheidungsprozess riickgekoppelt und verbindlich gemacht werden?

22

Innovationsfahiskeit, Zukunftsfahigkeit, Dynamic Capabilities

(b) Reichweite bzw. sachlicher und zeitlicher Horizont beobachteter Femwirkungen. Welche Akteure und Systeme werden hinsichtlich welcher Folgen in welchen Raumen und Zeitraumen ins Monitoring einbezogen? Unternehmen, die ihre Strategien etwa am Leitbild des Shareholder Value ausrichten, erlegen sich damit a priori geringere Anforderungen auf, was die Zahl der systematisch zu beobachtenden Handlungsfolgen bzw. der zu beriicksichtigenden Interessen angeht. (c) Moglichkeit der Kriterien- und Zielrevision: Inwieweit sind diese in den Selbstbewertungen prinzipiell vorgesehen und zulassig? Welche Mafistabe und Ziele stehen iiberhaupt zur Priifung und welche werden tabuisiert? Man denke nur an Evaluierungen im Hochschulsektor. Oder nochmals am Beispiel Beratung: Wahlen Entscheider in Organisationen stets moglichst „kommensurable", also ihren Pramissen nahe Berater, so wird die Wahrscheinlichkeit der Zielrevision in Reorganisationsprojekten geringer sein; ebenso, wenn sie es vorziehen, sich von Expertenberatern „versichem" statt von systemischen oder anderen Prozessberatem „irritieren" zu lassen. (d) Grad der Anwendung bzw. Aussetzung reflexiver Regeln. Weil die Evaluierung und Kritik organisationaler Routinen nicht nur eine epistemische Seite hat, sondem auch die Machtverhaltnisse beriihrt, hat die Analyse von Aussetzungen der Reflexivitat notwendigerweise auch den Betrieb als Herrschaftssystem zum Gegenstand. „ Employees are supposed to reflect critically on the operational procedures of the corporation, but only its surface ... learning that threatens the existence of the organization, such as liberated workers finding ecological and communicatively nurturing ways to achieve their purposes that begin with dismantling the organization, are not possible from the organization's perspective" (Fenwick 1997, S. 149). Benchmarking etwa wtirde Giddens generell als reflexiv bewerten, weil es Unternehmen vergleichende Informationen iiber sich selbst verschafft. Will man Ersteres gelten lassen, so bleibt der Grad seiner Reflexivitat zu bewerten. Werden Benchmarking-Objekte und Kriterien autokratisch festgelegt oder diskursiv erarbeitet? Vergleicht man nur einzelne Kennziffern oder Zusammenhange? Und vor allem: Werden die Praktiken der Benchmark-Setter (wie iiblich) als „best practice" interpretiert oder als Lemgelegenheiten fiir Moglichkeiten der Neuabstimmung der eigenen Organisation oder Organisationseinheit? (e) Selbstanwendung: Beobachtungsverfahren und Bewertungssysteme, die bestehende Institutionen priifen, sind selbst zu priifen - das verlangt das Prinzip des „methodischen Zweifels''. Und zwar umso systematischer, je mehr sich in Organisationen eine eigene „Schicht" solcher Verfahren etabliert. Inwieweit wird also das jeweilige Beobachtungs- oder Priifverfahren auf sich selbst angewandt? Wird es selbst als Gegenstand der Priifung und moglicher Revision konzipiert? Wird beispielsweise ein KVPSystem nur „zweckrationar' implementiert, um vorhandene Rationalisierungspotenziale aufzudecken, um es dann versanden zu lassen, wenn die Ertrage sinken (wie wir beobachteten, z.B. Moldaschl 1997). Oder wird die Einfiihrung solcher Verfahren mit

23

Manfred Moldaschl

Regelungen verbunden, wie und warm die Erfahrungen mit ihm selbst wieder evaluiert und verhandelt werden? Das unterscheidet einfache von reflexiver Evaluierung.

3.2.3

KontextualisJerung institutioneller Reflexivitat

Die beiden ersten Schritte liefem Informationen zum Was und Wieviel institutioneller Reflexivitat, aber nicht zur Frage, wie viel sinnvoU bzw kontextangemessen ist. Warum soUte man die Organisation der Miillabfuhr vorrangig danach bewerten, welchen Raum sie organisationalen Innovationen eroffnet? Und welchen Sinn hatte es jfiir Handwerksbetriebe, sich mittels Balanced Scorecard einen Uberblick uber das Verhaltnis zwischen Stimmungslage der Belegschaft und okonomischen Kennziffem zu verschaffen. Mit der Dynamik des Feldes, in dem sich eine Organisation bewegt, wachst die Anforderung, ihre Arrangements zu priifen, und mit ihrer Grofie wachst die Notwendigkeit, Reflexivitat verfahrensformig einzurichten.26 Mit unserem ersten Schritt, der Feststellung des Vorhandenseins reflexiver Verfahren, wiirde man ohne Beriicksichtigung des Kontexts lediglich die Neigung zu Formalismen erheben. Das heifit nicht, dass im Beispiel die Stimmungslage der Beschaftigten eines Handwerksbetriebs weniger wichtig oder dem Eigner immer bekannt sei; es bedeutet zu fragen, wie die reflexive Funktion jeweils erfiillt wird, und welche funktionalen Aquivalente es gibt. Femer bieten die obigen Kriterien keine normative Bewertung von einem zu definierenden Akteursstandpunkt aus. Man kann zwar, wie es die Managementwissenschaft in der Regel tut, von einem gedachten organisationalen Gesamtinteresse ausgehen, doch man muss sich letztlich irgendwann der organisationalen Realitat zuwenden. So wenig Sozialkapital per se gut ist (es wird im Untemehmenskontext meist als nutzbare Bindung an die Organisation bzw. als Commitment gegeniiber ihren Zielen verstanden, nicht als Bindemittel von KoUektiven mit Partialinteressen), so wenig ist Reflexivitat per se gut. Das 360°-Feedback (z.B. Neuberger 2000) beispielsweise kann man von einem imaginaren Gesamtinteresse aus als reflexive Schliefiung eines zuvor einseitigen Bewertungsvorgangs (Mitarbeiterbeurteilung durch Vorgesetzte) begriifien; ebenso von einem humanistischen Standpunkt als erweiterte Mitarbeiterpartizipation, oder politisch als ein Moment von Demokratisierung (und somit als Beitrag zu sozialer „Evolutionsfahigkeit"). Man kann und muss es aber auch, wie das Neuberger quasi exemplarisch fiir andere hier angesprochene Verfahren tut, als Herrschaftstechnik verstehen und seine Anwendung als solche analysieren. Und zwar in ihrem Wirken und Scheitern. Unter anderem erschliefien sich - quasi aus Foucault'scher Perspektive - die Machteffekte umfassender wechselseitiger Durchleuchtung der Personen und Gruppen, oder die Selbstzwangeffekte der Selbstbewertung. Femer wird der Blick gelenkt auf die Momente der Wissensentlockung und -enteignung, wie sie insbesondere auch den KVP- und TQM-Verfahren innewohnen. Im Scheitern der Verfahren schliefilich

24

Innovationsfahigkeit, Zukunftsfdhiskeit, Dynamic Capabilities

wird deutlich, dass man die Herrschaftsfunktion der Instrumente nicht einseitig rationalistisch verstehen darf. Derm der Leitspruch euphorischer Vertreter immaterieller Ressourcenbilanzierung, „miss es oder vergiss es", wird ad absurdum gefiihrt, wenn 80 % der Fiihrungskrafte als ,gut' eingestuft werden (vgl. Neuberger 2000, S. 59). Oder wenn Fiihrungskrafte im Deal mit ihren Untergebenen „milde Urteile" tauschen. Die Institution funktioniert dann zwar aus mikropolitischen Griinden nicht als Herrschaftsinstrument zur Leistungssteigerung, immerhin aber noch als Instrument symbolischer Politik, welches Sozialintegration durch ,Fartizipation' verheifit. Bei Power (1997, S. 14) heifit das „Rituals of Verification", bei Luhmann (1969/1983) „Legitimation durch Verfahren''.27 Das bringt uns zu einem dritten Desiderat, namlich der Erkldrung von Grenzen der Reflexivitat. Diese Frage hatte ich hier im Interesse der Darstellung von Operationalisierungsmoglichkeiten nicht behandelt, und will an dieser Stelle nur an sie erinnem, soweit es um kontextuelle und nicht prinzipielle Grenzen geht. Fine der verschiedenen Theorien der Regelevolution, die Erklarungsangebote machen, ist neben dem eben angedeuteten mikropolitischen Ansatz der soziologische Neoinstitutionalismus. So konnen die „Legitimationsfassaden" von Meyer und Rowan (1977) als Abschottungen gegen Reflexivitat interpretiert werden, die - indem sie organisationale Entscheidungsprozesse nach aufien und innen absichern und wechselseitige Verhaltenserwartungen stabilisieren - in diesem Ansatz doch noch als „funktionar' erklarbar werden. Auch in diesem Ansatz ware eine Analyse institutioneller Reflexivitat bzw. ihrer Aussetzung ohne Situierung nichts wert. Die in Tabelle 3 zusammengefassten Kriterien kontextbezogener Bewertung haben, starker noch als die obigen, heuristischen Charakter. Sie soUen den Analytiker, der „Innovationsfahigkeit" in Begriffen institutioneller Reflexivitat beschreibt und bewertet, dazu anregen, auf diese Kontexte zu achten und der Versuchung zu widerstehen, einem falschen Leitbild der „Reflexivitatsmaximierung" zu verfalien. Sie operational weiter herunterzubrechen ist zwar moglich (Betriebsgrofienklassen, Turbulenzgrade der Markte etc.), aber sinnvoU eher in Fallstudien zu leisten.

Tab. 3:

Prufkriterien der Kontextangemessenheit institutioneller Reflexivitat

Kontextbezug

Op0ratfoaaiisterung

Funktionalitat von Reflexivitat

Wie relevant ist die Revision aller/bestimmter Regain und Pramissen fiir ein Unternehmen in einem bestimmten Umfeld?

Form bzw. Verfahrensformigkeit

Welche Praktiken ubernehmen in kleineren Unternehmen die Funktion formalisierter Verfahren institutioneller Reflexivitat?

Akteursgruppenbezug bzw. StakeholderBilanzierung

Welche Folgen hat die Anwendung reflexiver Verfahren fur verschiedene Akteursgruppen? In wessen Interesse wird sie angewandt bzw. ausgesetzt?

25

Manfred Moldaschl

Fazit Was kann man nun mit der analytischen Konzeption Institutionelle Reflexivitat anfangen? Man kann damit erstens institutionelle Voraussetzungen der Veranderbarkeit von Untemehmensstrukturen und -kulturen anders konzeptualisieren als in Ansatzen, die das iiber Fahigkeiten chiffrieren - ganz gleich, ob als Aufnahme-, Innovations-, Veranderungs- oder Zukunftsfahigkeit. Zioeitens lassen sich damit empirische Analysen der - um diese andere Art der Begriffe zu variieren - Revisionsbereitschaft, Innovationsneigung, Suchraumerweiterung, Umweltoffenheit oder Sensitivitat von Organisationen durchfiihren. Eine nahe liegende „Standardanwendung" ware beispielsweise die empirische Untersuchung des Zusammenhangs von Institutioneller Reflexivitat und Innovationsperformanz. Eine dritte Moglichkeit ist die konzeptionelle Analyse angebotener Management-Tools im Hinblick auf die Zweckrationalitat oder Reflexivitat, zu der sie ihre Anwender anleiten (oder verfiihren). Werden etwa die aktuell offenbar so attraktiven Instrumente der Wissensbilanzierung oder des BildungscontroUing primar als „Messinstrumente" entwickelt und dargeboten, oder als Reflexionsverfahren, deren Einfiihrung und Anwendung insbesondere der kritischen Betrachtung eigener Praktiken der Wissensteilung und Weiterbildung dienen soil? Auf dieser Basis lassen sich Auswahl- und ggf. Kombinationsempfehlungen erarbeiten. Viertens kann man es im Beratungskontext anwenden, u.a. bei der Auswahl imd Anwendung von Management-Instrumenten. Funftens schliefilich karm man es konzeptionell und empirisch kombinieren mit ressourcenorientierten Ansatzen.28 Letzteres freilich nur, soweit diese ihre Kompetenzbegriffe iiberhaupt operational fassen. Ressourcen- und institutionenorientierte Erklarungsversuche des Innovationsgeschehens starker aufeinander zu beziehen, ist eine ebenso notwendige wie vielversprechende Aufgabe. Die im zweiten Teil des Beitrags angesprochene „Unscharferelation" zwischen der Beschreibung organisationaler Arrangements als Regeln oder als Ressourcen (Fahigkeiten, Capacities etc.) ist einer der Griinde hierfiir. Ein so komplexes Phanomen wie „Innovationsfahigkeit" wird man mit keiner der Perspektiven allein ausreichend beschreiben und erklaren konnen. Femer wird man weder kontextunabhangige Vermogen noch ebensolche Regeln finden, die organisationales Handeln in der (oder gar gegen die) Zukunft absichem. Das Kontextargument gilt folglich auch fiir modemisierungstheoretische oder marktlogische Argumentationen, welche die Maximierung von „Veranderungsfahigkeit" oder institutioneller Reflexivitat zur historischen Notwendigkeit erklaren. Letztlich verkaufen Untemehmen, bei aller Beschleunigung von Technologieentwicklung und Wissensproduktion, kein Veranderungsvermdgen (aufier vielleicht einige Berater), sondem diese oder jene Produkte und Dienstleistungen. Das Je-Desto-Denken gehort ins Reich der Erfolgsfaktorenforschung, aber nicht in die Organisations- und Untemehmenstheorie. Die These einer prinzipiellen Uberlegenheit moglichst dynamischer capabilities, moglichst umfassender Reflexivitat, lasst sich nicht begriinden. Es bleibt paradox, Meta-Regeln gegen das

26

Innovationsfahigkeit, Zukunftsfahigkeit, Dynamic Capabilities

Einrasten von Regeln zu errichten, und Denkweisen gegen die Blindheit von Denkweisen. Komplexeres Wissen impliziert mehr Irrtumsquellen, „more information generally leads to more uncertainty" (Michael 1996); und mehr institutionelle Regelpriifung schafft mehr Gelegenheiten zur Legitimation durch Verfahren sowie zur Verselbstandigung einer Reflexionsbiirokratie. Nicht zuletzt sind alle Verfahren systematischer Nutzenbewertung mit Aufwand, also Kosten verbunden. Das setzt auch okonomisch Grenzen. Es ist daher Aufgabe einer Konzeption Institutioneller Reflexivitat, (a) sowohl die Notwendigkeit als auch (b) die Grenzen der Notwendigkeit organisationaler Selbstbeobachtung und Selbstbefragung in verschiedenen Kontexten zu begriinden. Ferner hat es (c) Annahmen zu entwickeln, unter welchen Bedingungen die „Besonderung" reflexiver Funktionen, also ihre funktionale Abspaltung von den alltaglichen PraxisvoUztigen, als sinnvoU, gefahrlich oder ambivalent zu beurteilen ist. Und schliefilich hat sie (d) Beobachtungskriterien bereitzustellen, mittels derer sich der Grad und die Qualitat reflexiven Handelns sowie seine Angemessenheit gegeniiber den zu rekonstruierenden Anforderungen empirisch beurteilen lassen (Kriterien zur Beobachtung von Selbstbeobachtung). Letzteres habe ich hier straflich in den Vordergrund gestellt.

Anmerkungen 1 Fiir Kritik und Anregungen zu diesem Text danke ich den anonymen Gutachtern sowie Peter Conrad als Mitherausgeber dieses Bandes. 2 „Simply because firms that compete in imperfectly competitive product markets enjoy above normal returns does not necessarily imply that firms that adopt strategies to create these product market imperfections will enjoy above normal returns'' (Barney 1986, S. 1231 f.). 3 Allein zum Begriff „Innovationsfahigkeit" (den besonders Witte 1973 bekannt machte) wirft Google 95.200 Fundstellen aus. 4 Hatten Henderson und Clark (1990) damit im Rahmen ihrer Unterscheidung von incremental, radical und architectural innovation noch als eine Fahigkeit zur Kombination technologischer Komponenten bezeichnet, also als Fahigkeit zur Systeminnovation, iiberdehnt man den Begriff heute zur Fahigkeit der Kombination von Fahigkeiten (z.B. Stoll/Schaffer 2005). 5 Mach so weiter, aber scheiter' immer besser, textete Wolf Biermann in einem Song. Vermutlich bezog er sich damit auf Samuel Beckett: „Try again. Fail again. Fail better." 6 Bereits 1975 haben Bruggemann et al. eine haufige und kontraintuitive Beobachtung erklart, wonach Arbeitszufriedenheit bei Personen mit schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Aufstiegsmoglichkeiten besonders ausgepragt ist. Ihr Erklarungsmodell umfasst ftinf verschiedene Typen von Arbeitszufriedenheit, von denen die „konstruktive Arheitsunzufriedenheit" fiir einen Arbeitgeber der attraktivste Typus sein miisste. Die betreffenden Personen lei-

27

Manfred MoldascM

den nicht nur an schlechten Organisationslosungen, sondem haben auch eine ausgepragte Motivation, an Verbesserungen mitzuarbeiten. Solche Erkenntnisse haben in der Plattheit vieler heutiger Mess- und Bewertungskonzepte (auch in der Balanced Scorecard) keinen Platz. ^ Nach ihm u.a. von Kurt Lewin, einem jener grofien deutschen Psychologen, deren Vertreibung durch die Nazis heute noch Auswirkungen auf den Zustand des Faches Psychologie hat. Es liegt, so schrieb er 1930/1931, „in einer ganzen Reihe anderer grundlegender Begriffe, etwa dem Begriff der Fahigkeit, der Begabung oder ahnlicher bei den Tests verwendeter Begriffe (Intelligenz) [...] im Grunde die gleiche aristotelische ,Wesensverklarung' vor, die man seit langem als Vermogenspsychologie, als eine im Zirkel laufende Erklarung bekampft hat, ohne dass es je gelungen ist, sie wirklich durch eine andere Begriffsbildung zu ersetzen." Eine neuere Kritik reifizierenden Denkens in der Psychologie findet sich bei Neuweg (1999 S. 94 ff.). Hacker spricht von „operativen Abbildsystemen" (1998, S. 186 ff.), Oesterreich vom „Netz erinnerbaren Handelns" (1994), Volpert (2003) von „flexiblen Schemata". Zu deren Darstellung und theoretischen Neubegrundung vgl. Freiline (2004); Gersch et al (2005). 10 Das freilich ist noch keine verbreitete Sichtweise: Die mechanisch positive Attribution von Kompetenzen als „Erfolgsfaktoren" (vgl. Moldaschl/Fischer 2004, S. 128) dominiert, nach folgendem Muster: „Competence resides in the tacit capability of the firm that results from a process of continued and collective learning, and is embodied in the firm's localised skills and organisational routines" (Cantwell 1992, zit.n. Wilkens et al. 2004). „Heterogeneous knowledge bases and capabilities among firms are the main determinants of sustained competitive advantage and superior corporate performance" (Eisenhardt/Santos 2002, S. 139). 11 Noch kurioser: Metaskills", also Fertigkeiten fiir alles (Klein et al. 1991; vgl. dazu Schreyogg/ Kliesch 2003). All das lauft stets auf „Selbstorganisationsfahigkeit" oder „Selbstorganisationsdisposition" hinaus (z.B. Scharnhorst/Ebeling 2005). Der alte Begriff dafiir auf personaler Ebene ist Schlusselqualifikationen (zu dessen Kritik vgl. Geissler/Orthey 1993, 1998; Lehmkuhl 1994). Vielleicht ist aber auch etwas wie Sennetts „flexibler Mensch" gemeint, wie bei LampingAVolf (2005) die „Lifestyle-Management" emsthaft zur Metakompetenz erklaren. Andere bieten an: Organisationslemen (z.B. Riihli 1992), Psycho-soziale Komptenz und Wissensmanagement (z.B. Reinmann-Rothmeier/Mandl 1997), „Konfigurationsmanagement" (Henselek 2000), Oder Wissen zweiter Ordnung bzw. Wissen iiber Wissen (Degele 1999). 12 Sinnvoller erscheint in dieser Hinsicht das Konzept „selbstscharfender CJualifikation", das man heute mit Rolf Arnold zitiert (Amold/Schiissler 1998). Eingefiihrt hatte es Burkart Lutz in den 1980er Jahren (passim). Er unterstellte damit nicht irgendwelche Metakompetenzen neben, iiber oder jenseits der Expertenkompetenz von Facharbeitem, sondem betrachtete die Eigenschaft (oder meinetwegen Fahigkeit) zur „Selbstscharfung" als Wesensmerkmal einer nicht zu eng geschnittenen beruflichen Kompetenz. Ohne berufliche Kompetenz waren aus seiner Sicht die ganzen „Schliisselqualifikationen" wertios. 13 Und in den Daten zeigt sich z.B. eine relativ grofie Ubereinstimmung zwischen dem Abstieg Deutschlands in den Innovationsrankings und seinem relativ zu anderen Landem sinkenden Anteil offentiicher und industrieller FuE-Ausgaben, vgl. jew. aktuell unter http://epp. eurostat.cec.eu.int/

28

Innovationsfahigkeit, Zukunftsfdhiskeit, Dynamic Capabilities

14 Eine etwas andere Entwicklungsgeschichte dieser Ansatze zeichnen Foss/Foss (2004) sowie Gersch et al. (2005). Sie beklagen auch deren „termmologisches und konzeptionelles Wirrwarr" (ebd., S. 12). 15 „Collective knowledge is probably unlike that of individual knowledge. It is likely to be embedded in the organization's institutionalized collective practices and thus deals with the interaction between the individuals practice rather than with what they can report explicitly'' (Spender 1994, S. 359). 16 Noam Chomskys generative Transformationsgrammatik (1980) beschreibt das generelle Vermogen von Menschen, aus einem begrenzten Satz grammatischer Regeln beliebig viele sinnvolle Satze zu bilden, wovon im Sprechakt (Performanz) immer nur ein wenig sichtbar wird. 17 Als Ressourcen bestimmt Giddens im Sinne seines elementaren und „produktiven Machtbegriffs" alle Mittel, die Akteure zur Veranderung von Wirklichkeit mobilisieren konnen; er unterscheidet Macht iiber materiell-zeitliche Gegebenheiten bzw. „allokative" Ressourcen, und „autoritative" Ressourcen (1988, S. 86 f.); Letztere „beziehen sich auf Typen des Vermogens zur Umgestaltung, die Herrschaft xiber Personen oder Akteure generieren", wie er in einer spateren Schrift erganzt. Unter Regeln versteht er „generalisierbare Verfahren in der Praxis", „gleichbedeutend mit Brauch oder Routine" (1988, S. 71), im alltaglichen Handeln ausgebildete „Spielregeln" der Interaktion. 18 Zusammen mit einer weiteren Dimension, etwa Individualismus/KoUektivismus, kame man damit zu einem anderen Ordnungsschema von Organisationstheorien als Burrell und Morgan (1979). 19 Auch andere immaterielle Kapitalsorten binden jene, die iiber sie verfiigen. Der Habitus als ein nach Bourdieu kulturelles Kapital der Person beschrankt ebenso die Art der moglichen Interaktionen wie das Soziale Kapital etwa einer Vertrauensbeziehung. Beide Seiten konnen nur unter Hinnahme eines Totalverlusts von „Vertrauenskapitar' opportunistisch handeln; Vertrauen wachst stetig, verfallt aber ,katastrophar. Und beim physischen Kapital? Es bezahlt der Fette seine Chance, Nahrungskrisen zu uberstehen, mit Massetragheit. 20 Wofiir die verschiedenen damit befassten Wissenschaften dann unterschiedliche (wertgeladene) Begriffe haben; wo Soziologen eher von „Gruppensolidaritat" sprechen, greifen Psychologen gerne auf „Kontraproduktives Verhalten" zuriick, und Okonomen auf „Opportunismus" oder „shirking". 21 „Nicht Wissen, sondern Nicht-Wissen ist das ,Medium' reflexiver Modemisierung. Es ist genau dieser Gesichtspunkt der Verteilung, Verteidigung und (wissenschaftlichen) Erzeugung von Nicht-Wissen, der den Fragehorizont flir nichtlineare Theorien (reflexiver Modernisierung) eroffnet. Wir leben im Zeitalter der Nebenfolgen" (Beck 1996, S. 6). 22 Corporate Social Responsibility; sowohl NGOs als auch Regierungsorganisationen und Zeitschriften kreieren standig neue Indices und Rankings fiir CSR, Corporate Governance, zur dkologischen Bewertung von Unternehmensstrategien bzw. -verhalten, etc. 23 Absorptive capacity meint demgegentiber mehr und weniger: mehr, weil es auch und vor allem um neues technologisches oder Marktwissen geht; weniger, weil die Revisionsfrage nicht systematisch gestellt wird. 24 Dass in Deutschland der selbst als reflexive Instanz gegenuber dem Vorstand vorgesehene Aufsichtsrat oft fiir die Nichterfiillung dieser Funktion kritisiert wird, wird unter dem Stich-

29

Manfred Moidaschl

wort „Deutschland AG'" diskutiert, gehort aber fiir uns thematisch zum nachsten Analyseschritt. 25 Besonders einige Vertreter des Behavioral Accounting gehen in diese Richtung iind definieren es als ^process of ensuring that what ought to be done is done and of detecting if it is not done'' (Bonini et al. 1964: X; zit. n, Schwarz 2002, S. 44). Diese Formulierung ist freilich zu einseitig auf die Priifung der Zieleinhaltung ausgerichtet, statt gleichermafien Nebenfolgen und unerkannte Handlungsbedingungen sowie deren Verarbeitung in Zielrevisionen zu themati26 Die Einsicht ist trivial, muss aber doch angewandt werden; so bereits Chris Argyris (1992,

27

28

S. 9) zum Organisationslemen: „Single-loop learning is appropriate for the routine, repetitive issue - it helps get the everyday job done. Double-loop learning is more relevant for the complex, non-programmable issues - it assures that there will be another day in the future of the organization.'' Er fasst das natiirlich sehr viel allgemeiner: Der „Sinn rechtlich geregelter Verfahren" besteht „in der Legitimierung der Macht" und nicht darin, „wahre Erkenntius und wahre Gerechtigkeit" (ebd., S. 19 f.) zu erzeugen. Regeln oder Handlungsweisen, iiber deren Begriindung Oder sachliche Richtigkeit Zweifel oder Zwist bestehen, konnen durch Verfahrensformigkeit beglaubigt, d.h. mit Wahrheitsanspruch versehen werden; alle anderen Begriindungsformen werden demgegeniiber in ihrem Giiltigkeitsanspruch degradiert.. In den drei zuletzt genannten Funktionen arbeiten wir mit der Konzeption in einem laufenden Projekt, welches sowohl beraterische Interventionsmethoden als auch den betrieblichen Umgang mit „Managementtools" untersucht; vgl. http://www.nachhaltige-modemisierung.de

Literaturverzeichnis Altiparmak, S.C. (2001): Institutionelle Untemehmenstheorie und unvoUstandige Faktormarkte. Wiesbaden. Argyris, C. (1992): On organizational learning. Oxford. Argyris, C./Schon, D.A. (1978): Organizational learning. A theory of action perspective. Reading, Mass. Arnold, R./Schufiler, I. (1998): Wandel der Lemkulturen. Ideen und Bausteine fiir ein lebendiges Lemen. Darmstadt. Baecker, D. (1996): Wenn es im System rauscht. In: GDI-Impuls 1, S. 65-74. Barney, J.B. (1986): Strategic factor markets: Expectations, luck, and business strategy. In: Management Science 32 (10), S. 1231-1241. Beck, U. (1996): Das Zeitalter der Nebenfolgen und die Politisierung der Modeme. In: Beck, U./Giddens, A./Lash, S. (Hrsg.): Reflexive Modemisierung. Eine Kontroverse. Frankfurt a.M., S. 19-112.

30

Innovationsfdhigkeit, Zukunftsfahiskeit, Dynamic CapabHities

Beck, U./Bon6, W. (Hrsg.)(2001): Die Modernisierung der Moderne. Frankfurt a.M. Becker, A. (2003): Controlling als reflexive Steuerung von Organisationen. Stuttgart. Bonini, C.R/Jaedicke, R.K.AVagner, H M. (Hrsg.)(1964): Management controls - New directions in basic research. New York. Bruggemann, A./Gro6kurth, P./Ulich, E. (1975): Arbeitszufriedenheit. Bern. Burrell, G./Morgan, G. (1979): Sociological paradigms and organizational analysis. London. Cohen, W.M./Levinthal, D.A. (1990): Absorptive capacity: A new perspective on learning and innovation. In: Administrative Science Quarterly 35, S. 128-153. De Bono, E. (1989): Das Sechsfarben-Denken. Ein neues Trainingsmodell. Diisseldorf. Degele, N. (1999): Die Bedeutung des Design-Wissens fiir die Strukturierung von Vermittlungswissen. In: Schulz, W.K. (Hrsg.): Aspekte und Probleme der didaktischen Wissensstrukturierung. Frankfurt a.M., S. 171-183. Dierickx, I./Cool, K. (1989): Asset stock accumulation and sustainability of competitive advantage. In: Management Science 35 (12), S. 1504-1511. Duschek, S./Ortmann, G./Sydow, J. (2001): Grenzmanagement in Unternehmensnetzwerken. In: Ortmann, G./Sydow, J. (Hrsg.): Strategie und Strukturation. Wiesbaden, S. 421-448. Eisenhardt, K.M./Santos, KM. (2002): Knowledge-based view: A new theory of strategy? In: Pettigrew, A.ATiomas, H.AVhittington, R. (Hrsg.): Handbook of strategy and management. London, S. 139-164. Endres, E.AVehner, W. (1995): Storungen zwischenbetrieblicher Kooperation. In: Schreyogg, G./Sydow, J. (Hrsg.): Managementforschung 5. New York und Berlin, S. 145. Engestrom, Y. (2005): Developmental work research. Berlin. Esser, H. (2000): Soziologie. Spezielle Grundlagen. Band 4: Opportunitaten und Restriktionen. Frankfurt a.M. und New York. Fenwick, T. (1997): Questioning the learning organization concept. In: Scott, S.M./ Spencer, B./Thomas, A. (Hrsg.): Learning for life. Toronto, Ont., S. 140-152. Foerster, H. v. (1984). Principles of self-organization in a socio-managerial context. In: Ulrich, H./Probst, G.J.B. (Hrsg.): Self-organization and management of social systems. New York, S. 2-25. Foss, N.J./Knudsen, T. (2003): The resource-based tangle: In search of sustainable foundations. In: Managerial and Decision Economics 24, S. 291-307.

31

Manfred Moldaschl

Foss, K./Foss, N.J. (2004): The next step in the evolution of the RBV: Integration with transaction cost economics. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Beyond the resource based view. In: Management Revue 15 (1), S. 107-121. Freiling, J. (2004): A competence-based theory of the firm. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Beyond the resource based view. Management Revue 15 (1), S. 27-52. Fried, A. (2005): Was erklart die Resource-based View of the Firm? In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Immaterielle Ressourcen. Miinchen und Mering, S. 143-176. Geifiler, K.A./Orthey, KM. (1993): Schliisselqualifikationen: Paradoxe Konjunktur eines Suchbegriffs der Modemisierung. In: Grundlagen der Weiterbildung 4 (3), S. 154-156. Geifiler, K.A./Orthey, F.M. (1998): Der grofie Zwang zur kleinen Freiheit. Berufliche Bildung im Modemisierungsprozefi. Stuttgart. Gersch, M./Freiling, J./Goeke, C. (2005): Grundlagen einer Competence-based Theory of the Firm. In: Arbeitsberichte 100. Institut Fiir Untemehmensfiihrung Universitat Bochum. Giddens, A. (1988): Die Konstitution der Gesellschaft. Frankfurt a.M. und New York. Giddens, A. (1993): Tradition in der post-traditionalen Gesellschaft. In: Soziale Welt 44 (4), S. 445-485. Giddens, A. (1995): Konsequenzen der Modeme. Frankfurt a.M. [Consequences of Modernity 1990]. Grant, R.M. (1991): The resource-based theory of competitive advantage: Implications for strategy formulation. In: California Management Review 33 (3), S. 114-135. Grant, R.M. (1996): Toward a knowledge-based theory of the firm. In: Strategic Management Journal 17, S. 109-122. Hacker, W. (1998): AUgemeine Arbeitspsychologie. Bern etc. Hayek, F.A. (1939): Freedom and the economic System. Chicago. Henderson, R./Clark, K.B. (1990): Architectural innovation: The reconfiguration of existing product technology and the failure of established firms. In: Administrative Science Quarterly 35, S. 9-30. Henselek, H. (2000): Konfigurationseigenschaft als strategische Ressource - Konfigurationsmanagement als Metakompetenz. In: Hammann, R/Freiling, J. (Hrsg.): Die Ressourcen- und Kompetenzperspektive des Strategischen Managements. Wiesbaden, S. 465-489. Hinterhuber, H.H./Matzler, K. (Hrsg.)(2005): Bewertung und Management von Intangible Assets. Berlin und Bielefeld.

32

Innovatwnsfahiskeit, Zukunftsfdhigkeit, Dynamic CapabUities

Imai, M. (1992): Kaizen. Der Schliissel zum Erfolg der Japaner im Wettbewerb. Landsberg. Kalkowski, P. (2002): Neue Steuerungsinstrumente - Uberwindung der Biirokratie Oder Biirokratie im neuen Gewand? In: Arbeit 11 (2), S. 129-142. Kappelhoff, P. (2002): Zur Evolution von Regelsystemen. In: Maurer, A./Schmid, M. (Hrsg.): Neuer Institutionalismus. Frankfurt a.M., S. 57-86. Kappelhoff, P. (2006): Kompetenzentwicklung in Netzwerken: Die Sicht der Komplexitats- und allgemeinen Evolutionstheorie. In: Windeler, A./Sydow, J. (Hrsg.): Kompetenz. Wiesbaden (im Druck). Kirsch, W./Brunner, K./Eckert, N./Guggemoss, W.-CAVeber, M. (1998): Evolutionare Organisationstheorie I: Fortsetzung eines Projekts der Moderne mit anderen (postmodernen?) Mitteln. Miinchen (LMU, Ms.). Klein, J.A./Edge, G.M./Kass, T. (1991): Skill-based competition. In: Journal of General Management 16 (4), S. 1-15. Kuhn, T.S. (1967): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt a.M. Lamping, S./Wolf, S. (2005): Lifestylemanagement in virtualisierten Arbeitskontexten. Paper zur Tagung: Virtuelle Unternehmen und Lifestyle-Management. Universitat Bochum. Lehmkuhl, K. (1994): Das Konzept der Schliisselqualifikationen in der Berufspadagogik. Alsbach. Leonard-Barton, D. (1992): Core capabilities and core rigidities: A paradox in managing new product development. In: Strategic Management Journal 13, S. 111-125. Lewin, K. (1930/1931): Der Ubergang von der aristotelischen zur galileischen Denkweise in Biologie und Psychologie. In: Armalen der Philosophie. Band IX. Heft 6. Leipzig, S. 438-455. Loose, A. (2001): Netzwerkberatung in Beratungsnetzwerken. In: Ortmann, G./Sydow, J. (Hrsg.): Strategie und Strukturation. Wiesbaden, S. 235-270. Luhmann, N. (1983): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt a.M. [Orig. 1969]. Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme - Grundrifi einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M. Meyer, J.W./Rowan, B. (1977): „Institutionalized organizations: Formal structure as myth and ceremony''. In: American Journal of Sociology 83 (2), S. 340-363. Michael, M. (1996): Constructing identities. London.

33

Manfred Moldaschl

Moldaschl, M. (1997): Zweckrationales und reflexives Handeln. Zwei Kulturen des Managementhandelns. In: Kadritzke, U. (Hrsg): Untemehmenskulturen unter Druck. Berlin, S. 101-122. Moldaschl, M. (2005a): Sozialkapital als strategische Ressource? Auf den Holzwegen der Erfolgsfaktorenforschung. In: Hinterhuber, H.H./Matzler, K. (Hrsg.): Bewertung und Management von Intangible Assets. Berlin und Bielefeld, S. 581-605. Moldaschl, M. (2005b): Nachhaltigkeit von Untemehmensfuhrung und Arbeit. Eine integrative potentialorientierte Perspektive. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Immaterielle Ressourcen. Munchen und Mering, S. 19-46. Moldaschl, M. (Hrsg.)(2006): Messung und Bewertung immaterieller Ressourcen. Munchen und Mering (im Druck). Moldaschl, M./Fischer, D. (2004): Beyond the management view: In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Beyond the resource based view. Management Revue 15 (1), S. 122-151. Miiller-Stewens, G./Lechner, C. (2001): Strategisches Management. Wie strategische Initiativen zum Wandel fiihren. Stutgart. Neely, A. (Hrsg.)(2002): Business performance measurement. Cambridge. Nelson, R.R.AVinter, S.G. (1982): An evolutionary theory of economic change. Cambridge, Mass. Neuberger, O. (2000): 360°-Feedback: AUe fragen? AUes Sehen? AUes Sagen? Munchen und Mering. Neuweg, G. (1999): Konnerschaft und implizites Wissen. Miinster etc. Nonaka, I./Takeuchi, H. (1995): The knowledge creating company Oxford. Oesterreich, R. (1994): Das Netz erinnerbaren Handelns. Ein Gedachtnismodell. Heidelberg. Offe, C. (Hrsg.)(1984): Arbeitsgesellschaft: Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven. Frankfurt a.M. und New York. Ortmann, G. (2003a): Organisation und Welterschliefiung. Wiesbaden. Ortmann, G. (2003b): Regel und Ausnahme. Paradoxien sozialer Ordnung. Frankfurt a.M. Pascale, R.T. (1991): [Managen] auf Messers Schneide. Spannungen im Betrieb kreativ nutzen. Freiburg i.Br. Penrose, E.T. (1959): The theory of the growth of the firm. 2. Aufl. 1980. Oxford. Perrow, C. (1987): Normale Katastrophen. Die unvermeidbaren Risiken der Grofitechnologie. Frankfurt a.M. und New York [Normal Accidents, 1984].

34

Innovationsfdhiskeit, Zukunftsfdhigkeit, Dynamic Capabilities

Peters, T.J./Waterman, H. (1982): In the search of excellence: Lessons from America's best-run companies. New York. Pettigrew, A./Whipp, R. (1993): Strategic change capabilities. In: Lorange, P./Chakravarthy, B./Roos, J. (Hrsg.): Change, learning and co-operation. Oxford, S. 117-144. Power, M. (1994): The audit explosion. London. Power, M. (1997): The audit society. Rituals of verification. Oxford. Prahalad, C.K./Hamel, G. (1990): The core competence of the corporation. In: Harvard Business Review 3, S. 79-91. Priem, R.L./ Butler, J.E. (2001): Is the resource-based „view" a useful perspective for strategic management research? In: Academy of Management Review 26 (1), S. 22-40. Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H. (1997): Wissensmanagement in der Bildung. In: Hofling, S./Mandl, H. (Hrsg.): Lernen fiir die Zukunft - Lemen in der Zukunft. Miinchen, S. 56-66. Richter, R./Furubotn, E. (1996): Neue Institutionenokonomik. Line Einfiihrung und kritische Wiirdigung. Tiibingen. Riihli, E. (1994): Der Resource-based View of Strategy. In: Gomez, P./Hahn, D./MiillerStewens, G.AVunderer, R. (Hrsg.): Unternehmerischer Wandel: Konzepte zur organisatorischen Erneuerung. Wiesbaden, S. 31-57. Rumelt, R.P (1995): Inertia and transformation. In: Montgomery, C. (Hrsg.): Resourcebased and evolutionary theories of the firm: Towards a synthesis. Boston, MA., S. 101132. Sadowski, D. (1991): Humankapital und Organisationskapital - Zwei Grundkategorien einer okonomischen Theorie der Personalpolitik in Untemehmen. In: Ordelheide, D./ Rudolph, B./Biisselmann, E. (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre und okonomische Theorie. Stuttgart, S. 127-143. Schamhorst, A./Ebeling, W. (2003): Dynamik der Evolution von Kompetenz als Suchprozess in komplexen Landschaften - ein neues Modell fiir die RoUe von Kompetenzen und Metakompetenz. Berlin. Schreyogg, G./Geiger, D. (2003): Wenn alles Wissen ist, ist Wissen am Ende nichts?! In: Die Betriebswirtschaft 63 (1), S. 7-22. Schreyogg, G./Kliesch, M. (2003): Rahmenbedingungen fiir die Entwicklung Organisationaler Kompetenz. QUEM-Materialien 48. Berlin. Schwarz, R. (2002): ControUing-Systeme. Wiesbaden. Sennett, R. (1998): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin.

35

Manfred Moldaschl

Spender, J.-C. (1994): Organizational knowledge, collective practice and Penrose rents. In: International Business Review 3 (4), S. 353-368. StoU, M./Schaffer, U. (2005): Preparing for environmental change - Strategies and determinants of external and internal fit. Paper zum 4. Symposium Strategisches Kompetenz-Management. 3.-4. Nov. 2005. Bremen. Sydow, J.AVindeler, A. (2004): Organisation der Content-Produktion. Wiesbaden. Teece, D.J./Pisano, G./Shuen, A. (1997): Dynamic capabilities and strategic management. In: Strategic Management Journal 18 (7), S. 509-533. Teece, D.J./Pisano, G./Shuen, A. (2002): Dynamic capabilities and strategic management. In: Dosi, G./Nelson, R.R./Winter, S.G. (Hrsg.): The nature and dynamics of organizational capabilities. Oxford, S. 334-362. Tsoukas, H./Mylonopoulos, N. (Hrsg.)(2004): Organizations as knowledge systems: Knowledge, learning and dynamic capabilities. Palgrave. Vanberg, V. (1994): Kulturelle Evolution und die Gestaltung von Regeln. Tiibingen. Venzin, M./Krogh, G.v./Roos, J. (1998): Future research into knowledge management. In: Krogh, G.v./Roos, J./Kleine, D. (Hrsg.): Knowing in firms. Understanding, managing and measuring knowledge. London, S. 26-66. Volpert, W. (2003): Wie wir handeln - was wir konnen. 3. Aufl. Sottrum. Weick, K./Westley, F. (1996): Organizational learning. Affirming an oxymoron. In: Clegg, S./Hardy, C./Nord, W. (Hrsg.): Handbook of organization studies. London, S. 440-458. Wilkens, U./Menzel, D./Pawlowsky, P. (2004): Inside the black-box: Analysing the generation of core competencies and dynamic capabilities by exploring collective minds. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Beyond the resource based view. In: Management Revue 15 (1), S. 8-26. Witte, E. (1973): Innovationsfahige Organisation. In: Zeitschrift fiir Organisation 42, S. 17-24. Zucker, L.G. (1977): The role of institutionalization in cultural persistence. In: American Sociological Review 42, S. 726-743.

Prof. Dr. Dr. Manfred F. Moldaschl Technische Universitat Chemnitz Fakultat fiir Wirtschaftswissenschaften Erfenschlager Strafie D-09107 Chemnitz [email protected]

36

J^% Fret ling/Marttn Ger^d^^kristten Qoeke

Eine ,yCiMYip^^^#*Ni^ TheiM^ of the Firm'' als imilc^ozisi^liecireMscdmr Ansatz evolutoriscfwnForschur^pr©gramms

Competence-based View; Marktprozesstheorie; New Austrian Economics; Resourcebased View; Theorie der Untemehmung; Wissenschaftstheorie

Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag identifiziert massive Missstande in Bezug auf die theoretische Fundierung der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung. Auf dieser Grundlage wird unter dem Namen „Competence-based Theory of the Firm" zum Zwecke der Beseitigung mehrerer fundamentaler Unzulanglichkeiten eine Rekonzeptualisierung des Ansatzes vorgenommen, was mit zahlreichen grundsatzlichen Uberlegungen einhergeht. Es wird der Standpunkt vertreten, dass gerade derartige Grundsatziiberlegungen bislang zu rudimentar angestellt worden sind. Dieses Versaumnis hat die bisherige Forschung auf einen problematischen Pfad gefiihrt. Gelenkt durch das Konzept des harten Kerns von Lakatos benennen die Autoren zunachst explizit die der neuen Forschungskonzeption zugrunde liegenden Basisannahmen, um anschliefiend Vorschlage fiir veranderte Erkenntnisziele sowie Definitionen zentraler Begrifflichkeiten zu unterbreiten. Grundlegend neu ist dabei unter anderem, dass durch die Erkenntniszielvariation sowie die Neufassung zentraler Begrifflichkeiten und Kausalketten auch der bisher berechtigte Tautologievorwurf gegenuber der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung seine Grundlage verliert. Dies bedingt aus einer Exante-Sicht die Entkopplung der zentralen Terminologie von einem (nur ex post feststellbaren) realisierten Erfolg. Eine so aufgestellte Competence-based Theory of the Firm hat den Charakter einer evolutorischen Theorie der Unternehmung und zeichnet sich durch eine paradigmatische Kompatibilitat zur Marktprozesstheorie, insbesondere zu den New Austrian Economics, aus. Der Ansatz scheint insbesondere in der Lage, in der Marktprozesstheorie erkennbare Erklarungsliicken beziiglich der Generierung von Marktzufuhrprozessen (die so genannte „Realisierungslucke") zu schlie-

Managementforschung 16 (2006), hrsg. von G. Schreyogg und P. Conrad Gabler Verlag . Wiesbaden, S. 37-82

Jorg FreUing/Martin Gersch/Christian Goeke

fien. Sich auf dem Weg zu einer evolutorischen Theorie der Unternehmung unter dem Dach der Marktprozesstheorie befindend, soUen wichtige disziplinare Basisentscheidungen zur Diskussion gestellt werden.

Abstract Starting with a survey of resource- and competence-based research, this paper identifies the deplorable state of the theoretical basis to this field of research. Motivated by this conclusion, the authors give a suggestion for a research program on such a basis, to be called 'competence-based theory of the firm'. According to Lakatos' methodology of scientific research programs, they first discuss hard-core elements of a competencebased theory of the firm, followed by a specification of its epistemological aim and main terminology. The defined hard core can be considered compatible to market process theories, especially New Austrian Economics, in terms of the philosophy of science. This connectivity is used to finally close a formerly existing gap in market process theory, namely the exploration of backgrounds for the creation of market inputs on the corporate level.

Inhaltsubersicht 1

Ressourcen- und Kompetenzforschung: „Boomtown auf sandigem Grund"

2 Notwendige Grundlagen einer moglichen Competence-based Theory of the Firm 2.1 Grundlagen wissenschaftlicher Forschungsprogramme 2.2 Ein Forschungsprogramm „Competence-based Theory of the Firm" erfordert klare Basisentscheidungen 2.2.1 Elemente des harten Kerns 2.2.2 Erkenntnisziel 2.2.3 Zugrunde liegende Terminologie 2.2.4 Kausalstruktur der Competence-based Theory of the Firm 3 Positionierung der zukunftigen Competence-based Theory of the Firm 3.1 Einordnung in den Bereich organisationswissenschaftlicher Theorien 3.2 Verbindungen unter dem Dach der Marktprozesstheorie 3.2.1 Paradigmatische Kompatibilitat zu den „New Austrian Economics" 3.2.2 Schliefiung einer Realisierungsliicke in der Marktprozesstheorie 3.2.3 CbTF, Marktprozesstheorien und die Lehre von den Untemehmerfunktionen - eine aussichtsreiche Liaison? 4 Fazit und Ausblick auf die nachsten Schritte zu einer „Kompetenzbasierten Theorie der Unternehmung"

38

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Ressourcen- und Kompetenzforschung: ,,Boomtown auf sandigem Grund'I a Zu Beginn des neuen Jahrtausends hat die kompetenzorientierte Forschung einen Punkt erreicht, an dem sie grofie und immer weiter wachsende Popularitat sowie eine hohe Akzeptanz im Bereich des strategischen Managements und der Managementforschung geniefit (Schreyogg 1999; Bresser et al. 2000). Trotz erkennbaren Fortschritts und vielleicht auch gerade aufgrund ihrer interessanten Vielfalt mangelt es dieser Forschungsrichtung jedoch massiv an Konturscharfe und vor allem an einer einheitlichen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Fundierung. Als notwendige Grundlage einer eingehenderen Auseinandersetzung mit dieser Forschungsrichtung ist zunachst ihre Entwicklung zum aktuellen Stand im Jahr 2006 zu skizzieren. Ublicherweise werden die Monographien von Penrose (1959) und Selznick (1957) als zentrale Ausgangspunkte und vermeintliche Geburtsstunde derjenigen Uberlegungen angesehen, die unter dem Dach der „ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung'' zusammengefasst sind (exemplarisch Kor/Mahoney 2004). Ressourcen- und kompetenzrelevante Aspekte wurden aber auch schon deutlich friiher adressiert (Schneider 1998), zum Beispiel bei Friedrich List (1841), der die Uberlegungen von Adam Smith (1776) zur Arbeitsteilung um das koordinierte Zusammenspiel zerlegter Aufgaben und dessen planvoUe Veranlassung erganzt und damit den Untemehmergeist beriicksichtigt (Schneider 1998, S. 353). Der Hinweis Lists auf das „geistige Kapital des lebenden Menschen'' betont zudem bereits die Bedeutung von Humanvermogen und dessen Weiterentwicklung durch Lernen, das spater in Form von Ressourcen und Kompetenzen in die Uberlegungen aufgenommen wird. Mit der initialen Veroffentlichung von Wemerfelt (1984) erhielt der „Resource-based View'' (RbV) als einer der zentralen Ansatze im Rahmen der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung seinen Namen. Er wurde spater unter anderem von Barney (1991) und Peteraf (1993) weiterentwickelt und in divergierende Richtungen ausdifferenziert (Foss/Knudsen 2003). In den 1980er Jahren entstand parallel - zum Teil unabhangig voneinander, zum Teil mit gegenseitiger Beeinflussung - ein breites Spektrum von Veroffentlichungen, die, aufbauend auf dem Gedanken einer ressourcenorientierten Interpretation von Unternehmungen, verschiedene Partialansatze begriinden. Exemplarisch genannt seien hier Nelson und Winter (1982), die als Begriinder einer evolutionsorientierten Interpretation von Veranderungsprozessen gelten und sich ebenso auf Penrose (1959) stiitzen wie Pfeffer und Salancik (1978) mit ihrem allerdings beziiglich der theoretischen Herkunft etwas anders gelagerten - „Resource Dependence Ansatz". Zur groben Orientierung konnen unter dem Dach der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung drei Partialansatze herausgestellt werden:

39

Jorg FreUins/Martin Gersch/Christian Goeke

1. der Resource-based View, der in der Konstituierungs- und Orientierungsphase der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung beobachtbare Performanceunterschiede zwischen Untemehmungen insbesondere uber die in einem Zeitpunkt verfxigbaren Ressourcen erklart. Zu diesem Resource-based View sind eine eng auf den Basisansatz bezogene „Resource-based Theory" (z.B. Grant 1991), eine beziiglich ihrer theoretischen Verankerung aufierst breit gefasste „Resource Advantage Theory" (Hunt 2000) sowie ein starker industrieokonomisch durchsetzter „Resource Dependence Approach" (Mahoney 1995) zu zahlen. 2. der Competence-based View, der in seinen Kausalstrukturen gegeniiber dem Resource-based View iiber eine anders akzentuierte Perspektive verfiigt: Es bedarf verschiedenartiger Kompetenzen, um aus verfiigbaren Ressourcen tatsachlich Wettbewerbsvorteile auf einem Markt gegeniiber der relevanten Konkurrenz zu generieren und damit verbundene Performancepotenziale zu realisieren. Dariiber hinaus erfahrt eine zunehmende Veranderlichkeit der Marktanforderungen iiber einen Zeitraum hinweg immer starkere Beachtung. Eine besondere Aufmerksamkeit wurde dem „Competence-based View" (CbV) insbesondere durch die Veroffentlichungen von Prahalad und Hamel (1990) zuteil, die mafigeblich an der Entstehung einer Kemkompetenzperspektive beteiligt waren. Von Kernkompetenzen abstrahierend und eine kognitive und holistische Position bevorzugend, entwickelten Sanchez et al. (1996) den Ansatz des kompetenzbasierten strategischen Managements (CbSM), der wiederum iiber Unterschiede zum „Dynamic Capability Approach" von Teece et al. (1997) verfugt (Sanchez 2001). 3. der Knowledge-based View, der basierend auf Arbeiten der Chicago School auf das Wissen fokussiert und den Umgang mit Daten, Information und Wissen auf der Grundlage u.a. lerntheoretischer Ansatze in den Mittelpunkt riickt (z.B. Demsetz 1988). Abbildung 1 skizziert in einem stark selektierenden Historama die gerade beschriebene Entwicklung sowie wesentliche Meilensteine der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung bis zum aktuellen Stand im Jahr 2006. Insgesamt darf jedoch diese Forschung, die das Label „ressourcen- und kompetenzorientiert" tragt, keineswegs als ein homogenes und geschlossenes Forschungsprogramm interpretiert werden, sondem als eine Vielzahl zum Teil divergierender Ansatze und Weiterentwicklungen zur Erklarung der beobachtbaren Tatsache unterschiedlich erfolgreicher Untemehmungen auf der Grundlage verfiigbarer Ressourcen und Kompetenzen. Einer einheitlichen Charakterisierung der genarmten und in Abbildung 1 aufgefiihrten Beitrage bzw. einer Bezeichnung als homogenes Forschungsprogramm stehen insbesondere folgende Probleme entgegen:

40

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Abb. 1:

Selektive Meilensteine der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung

Konstituieru

Vorgeschichte

Friedrich List (1841) etganzt Adam Smith um den „Uhtemehmergelsf im „Gesetz der Kraftevereinigunci"

Initialveroffentichungen von Penrose (1959) und Selznick (1957) ^ Demsetz (1973) und Stigler begrunden die ..Chicago Schoof

Mises(1940) entwickelt den „homo agens"als Grundlageder NAE und des ,AI Entrepreneur"

Orient iGTungs phase

rigsphase

Wernerfielt (1984) pragt den Namen „RBSOurce-based

View A Demsetz (1988) begrundetdie ..Knowledge-based Theory of the Firni'

Reffer/Salandk(1978) pragen den .Resource Dependence Ansatz"

f

Herausbildung der New Austrian Economics unter dem Dach der Marktprozesstheorie, Fokussierung aufokonomische Marktprozesse unter VemachBssigung der korrespondierenden betrietswirtschaftlichen Herausftxderungen (.Realisierungsiucke") Schumpeter(1911) pragtden,.SEntrepreneur"und die ..schopferische Zerstorung"

1950 I Resource-based View

1970

1980

I Comoetence-based View

Conner (1991), Madhok(1996), Freilhg(2004d): Erstentwurfefur eine ..Competence-tased Theory of the Firni' | |

Prahalad/Hamel (1990) tetonen (Kern-) sanchezetal. (199efr.): ^ ^ ^ ^ " open system view" und ^ ^ ..Oompetence-based Strategic Management" Ortmanns (2004) .Komenhaben" und .jHabenkomen" J ^

Nelson/Whters (1982) ..Evdutionstheorie" und ihre Betonung von Routinen

1960

Ansatze zurSchlieRung einer ..Rsalisierungslucke" der MPT durchdie „Competsnce-based Theory of the Firm"?!

Begimende Spaltungder ressourcenorientierten Forschung durch zunahmende ..patadigmatische IInkompat nkompatitilit^"

1990

2000

Knovy^edae-based View

P Grundlaaen

Partialansdtze mit zunehmend divergierenden Erkenntniszielen. Ausgehend von der Grundidee, die Heterogenitat und Einzigartigkeit von Unternehmungen zu betonen, um deren Performanceunterschiede zu erklaren, herrscht weder Konsens hinsichtlich wesentlicher Basisentscheidungen der Forschungskonzeption - sofem sie iiberhaupt einmal trennscharf und eindeutig formuliert waren -, noch ist die eigentliche Theoriebildung weit vorangeschritten (Moldaschl/Fischer 2004; Foss/Foss 2004). Vielmehr differieren die einzelnen Partialansatze zunehmend deutlicher: ^Although the competence perspective may appear as relatively homogeneous compared to orthodox neoclassical theory, a closer analysis and comparison of individual contributions within this perspective nevertheless seem to indicate considerable heterogeneity. Therefore, it is probably not reasonable at this point to describe the competence perspective as a coherent research programme, or paradigm, characterized by a common hard core and positive heuristic ... On the contrary, the competence perspective should rather be characterized as a series of theories of a certain familiarity, being derived from a number of shared underlying themes'' (Knudsen 1996, S. 13).

41

Jorg Freilins/Martin Gersch/Christian Goeke

Verwirrung auf terminologischer und konzeptioneller Ebene. Eine Folge aus diesen divergierenden Stromungen sind die haufig kritisierten Begriffsverwirrungen: Gleiche oder ahnliche Sachverhalte werden mit verschiedenen Begriffen belegt und vice versa. Wahrend Bresser (1998) von „babylonischen Sprachverwirrungen" spricht, bezeichnet Foss (1997) den Resource-based View und seine Weiterentwicklungen als „terminologische Suppe". Dieser Richtung von Kritik schliefien sich auch Schneider (1998), Priem/Butler (2001), Burmann (2002), Freiling (2004d) sowie Moldaschl/Fischer (2004) an. Foss und Knudsen (2003, S. 291) sprechen von einem „... ten to fifteen year old building that was built by a few key contractors on a tight completion deadline and on the basis of somewhat different inputs ...", wenn sie den Ansatzen von Barney (1991) und Peteraf (1993) die Verwendung unterschiedlicher abhangiger und unabhangiger Variablen, Annahmen und Kausalstrukturen nachweisen. Dariiber hinaus steht gegen die gesamte ressourcen- und kompetenzorientierte Forschung der berechtigte Vorwurf einer inharenten Zirkelschlusslogik im Raum (z.B. Priem/Butler 2001; Porter 1991): Um im Markt erfolgreich zu sein, bedarf es einer adaquaten Ressourcen- und Kompetenzausstattung - erfolgreiche Unternehmungen sind erfolgreich, well sie iiber adaquate Ressourcen und Kompetenzen verfiigen. Eklektizismus in zahlreichen Grundsatzbeitrdgen. Stellenweise werden ressourcen- und kompetenzorientierte Basisentscheidungen mit Elementen anderer Theorien verkniipft, ohne deren paradigmatische Kompatibilitat kritisch zu iiberpriifen - so zum Beispiel mit der neoklassischen Mikrookonomie (Foss et al. 1995; Knudsen 1996), der Transaktionskostentheorie (Foss/Foss 2004; Langlois/Robertson 1995), der PropertyRights-Theorie (BambergerAVrona 1996), der Industrieokonomik (Teece et al. 1990; Cormer 1991; Mahoney/Pandian 1992) und der Evolutionstheorie (Foss et al. 1995). Im so genannten Knowledge-based View finden sich Erweiterungen ressourcenorientierter Ansatze um verhaltenswissenschaftliche Konzepte, denen auch Zukunftsaussichten fiir den Competence-based View zugesprochen werden (Knudsen 1996; Knyphausen-Aufsefi 2000, S. 479). Andere Autoren hingegen pladieren gerade fiir eine Riickbesinnung auf eine streng okonomisch-rationale Ausrichtung (Schneider 1997). Teilweise tritt auch der Eklektizismus ganz offen zutage und wird nicht einmal als mogliches Problem thematisiert. So besteht die Resource Advantage Theory von Hunt (2000) aus nicht weniger als elf unterschiedlichen Theorieansatzen. Missverstdndnisse und Desorientierungen bezuglich der grundsdtzlichen theoretischen Verankerung des Ansatzes. Sofem eine solche Einordnung uberhaupt vorgenommen wird, erfolgt zum Teil eine Zuordnung zu den Gleichgewichtstheorien (Foss/Foss 2004; Duschek 2002), zum Teil zu den Ungleichgewichtstheorien (Freiling 2001). Auch der Konzeption des eher holistisch-systemisch-kognitiven Ansatzes von Sanchez, Heene und Thomas (Sanchez et al. 1996; Sanchez/Heene 1997; Sanchez/Heene 2004) stehen solche gegeniiber, die den methodologischen Individualismus zugrunde legen (Stahl 2000; Freiling 2001).

42

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Der skizzierte Status quo der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung im Jahre 2006 ist somit erschreckend unbefriedigend: Disziplinare und interdisziplinare Forschung findet sich unstrukturiert vermischt innerhalb des Ansatzes wieder. Aufgrund dieser Heterogenitat, dem zum Teil offenen Eklektizismus und Bezug nehmend auf die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme von Lakatos (1974), die im folgenden Abschnitt noch kurz umrissen wird, fallt es schwer, bei der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung insgesamt, aber auch bei einzelnen Konzepten tatsachlich von Theorien bzw. einem Forschungsprogramm zu sprechen (Moldaschl/Fischer 2004, S. 130; Foss/Foss 2004, S. I l l f.; Duschek 2002, S. 248 ff.; Knyphausen-Aufsefi 2000; Freiling 2004a). Befindet sich ein Forschungsprogramm aufgrund berechtigter Kritik an einem Punkt der notwendigen Uberarbeitung, bieten sich laut Sydow (1999), der solche Uberlegungen fiir die Transaktionskostentheorie vorgenommen hat, neben einer enttauschten Abkehr drei grundsatzliche Handlungsalternativen an: (1) verbessern, (2) kombinieren oder (3) rekonzeptualisieren. Unter Verwendung der Methodologie von Lakatos will dieser Beitrag einen ersten Schritt in Richtung einer Theoriebildung in der Kompetenzforschung und damit den Weg der Rekonzeptualisierung gehen. Das explizite Ziel ist die Formulierung einer Forschungskonzeption in der Tradition der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung, die aber durch ihre konsistente Neuformulierung nicht mehr die aufgezeigten Probleme aufweist. Wenngleich wissenschaftstheoretische Uberlegungen derzeit in der betriebswirtschaftlichen Forschung keine allzu grofie Popularitat geniefien, scheint eine derart geleitete Herangehensweise aus Sicht der Autoren die einzig zielfiihrende, um die ressourcen- und kompetenzorientierte Forschung (nachtraglich und zumindest in Teilen) auf ein solides theoretisches Fundament zu stellen. In den folgenden Abschnitten wird ein barter Kern fiir ein Forschungsprogramm mit dem Namen „Competence-based Theory of the Firm'' (CbTF) mit ersten Implikationen entwickelt. AnschliejSend erfolgt die Definition einer schliissigen Basisterminologie sowie grundlegender Kausalstrukturen der Argumentation. Insbesondere wird auf die Nahe kompetenzbasierter Betrachtungen zur Marktprozesstheorie^ Bezug genommen. Die CbTF wird als mogliche Erganzung der Marktprozesstheorie interpretiert und positioniert. Auf einer solchen Grundlage wird auch eine Selektion problematischer Erweiterungen und Kombinationen aktueller ressourcen- und kompetenzbasierter Ansatze moglich, die inkompatibel sind und konsequenterweise dann nicht mehr als zulassige Erganzung Oder Erweiterung der Competence-based Theory of the Firm interpretiert werden konnen. So kann insbesondere auch dem Vorwurf des Eklektizismus begegnet werden.

43

I

Jors FreUJng/Martin Gersch/Christian Goeke

2

Notwendige Grundlagen einer moglichen Competence-based Theory of the Firm

2.1

Grundlagen wissenschaftlicher Forschungsprogramme

Lakatos (1974) hat mit seinem Konzept des harten Kerns und dem ihn umgebenden Schutzgiirtel eine Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme entwickelt, die auch auf die Wirtschaftswissenschaft anwendbar ist. Zentral ist dabei fur Lakatos eine gewisse Kontinuitat, die die einzelnen Glieder des Forschungsprogramms verbindet (Lakatos 1974, S. 129). Diese Funktion wird durch einen so genannten harten Kern erfiillt, der eine Zusammenstellung von Theorien ist, die von den beteiligten Forschem anerkannt und nicht mehr hinterfragt werden. Was Lakatos in diesem Zusammenhang „Theorien" nennt, konnen fiir den Bereich der Wirtschaftswissenschaft die Basisannahmen eines Forschungsprogramms sein, wie vor allem Rationalitatsannahmen, Annahmen zu Informationslagen und Entscheidungsverhalten (Backhouse 1998, S. 11 ff.; vgl. bzgL zu beachtender Konkretisierungsprobleme die Ausfiihrungen in Abschnitt 2.2.1). Zu diesem harten Kern erganzt Lakatos so genannte negative und positive Heuristiken als methodologische Regeln mit forschungsleitendem Charakter. Diese reprasentieren den so genannten Schutzgiirtel um den harten Kern, auf deren Basis sich (Hilfs-)Hypothesen bilden, die - anders als der harte Kern - Gegenstand von Modifikationen und Weiterentwicklungen sein konnen. Positive Heuristiken beschreiben dabei Forschungswege, denen zu folgen ist; negative Heuristiken solche, die man vermeiden soUte (Lakatos 1974, S. 129). Zentrales Anliegen dieses Beitrages ist es, zunachst einen Vorschlag fiir einen harten Kern der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung zu unterbreiten. Wie der Name „Competence-based Theory of the Firm" jedoch schon andeutet, soil dies vor dem Hintergrund geschehen, in einem Folgeschritt entsprechende Hypothesen in Richtung einer Theorie der Untemehmung formulieren zu konnen, die auf diesem harten Kern basieren. Dieses hier von den Autoren verfolgte Vorgehen ist daher vergleichbar mit dem Treffen der disziplinaren Basisentscheidungen, die etwa in der Terminologie von Zelewski (1999, S. 8 ff.) als Grundlage fiir die Etablierung eines betriebswirtschaftlichen Forschungsprogramms fungieren.

44

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

2.2

Ein Forschungsprogramm ,,Competence-based Theory of the Firm" erfordert klare Basisentscheidungen

2.2.1

Elemente des harten Kerns

Wie bereits in dem einleitenden Kapitel in Aussicht gestellt, unterbreiten die Autoren einen Vorschlag fiir ein Set von Basisentscheidungen, die Grundlage fiir eine konsistente „Competence-based Theory of the Firm'' mit evolutorischem Charakter sein konnen. Hierbei sei betont, dass weder Lakatos noch die ihn reflektierende Literatur bisher eine exakte Vorgabe entwickelt haben, was genau zum harten Kern einer Forschungskonzeption gehort und wie die potenziellen Elemente zu systematisieren sind (vgl. u.a. Schneider 2001a, S. 410). Struktur und Auswahl der jetzt im Hinblick auf die CbTF zu bestimmenden Aspekte orientieren sich daher an Arbeiten, die die Eignung des harten Kerns zur Charakterisierung wirtschaftswissenschaftHcher Forschungskonzeptionen thematisieren (vgl. u.a. Buchanan 1990; Backhouse 1998), an grundsatzlichen Diskussionen zu drohendem Eklektizismus bei unreflektierter Kombination divergierender Forschungskonzeptionen (vgl. u.a. Elschen 1982a; 1982b) sowie an vergleichbaren Arbeiten, die durch ahnliche Sets von Basisannahmen (andere) Forschungsprogramme eindeutig charakterisieren (vgl. u.a. Ehret 2000; Lingen 1993; Rese 2000a; Roemer 2004; Vaughn 1994). Die inhaltliche Festlegung in Bezug auf die derart extrahierten sechs Basisannahmen erfolgt durch Reflexion der bisherigen ressourcenund kompetenzorientierten Forschung sowie als Konsequenz zielgerichteter Entscheidungen, wenn einzelne Aspekte entweder als widerspriichlich oder als noch gar nicht bestimmt erkannt wurden. Das skizzierte Vorgehen ergibt folgenden Vorschlag fiir sechs Elemente HK 1 bis HK 6 eines harten Kerns gemal? Lakatos (1974), die nachfolgend (Abb. 2) dargestellt und beziiglich ihrer Eignung als Basis einer Competence-based Theory of the Firm diskutiert werden:^

HK 1: Methodologischer

Individualismus

In Anlehnung an das Begriffsverstandnis von Karl Popper (2000a, S. 329; 2000b, S. 340) werden Handlungen allein auf die Entscheidungen einzelner Individuen zuriickgefiihrt. Nicht die gesamte Untemehmung, sondern einzelne Akteure sind Entscheidungstrager - und zwar vor dem Hintergrund ihres individuellen Wissens, WoUens und Konnens (s. HK 2). Sie entscheiden unter anderem uber die Griindung und Nutzung von Institutionen (Vaughn 1994, S. 112 ff.; Lingen 1993, S. 168 ff.). Holistische Ansatze, die Institutionen entweder als objektiv gegeben oder als Produkt bewussten Planens einer zentralen Instanz darstellen, bzw. der methodologische KoUektivismus

45

Jors FreUing/Martin Gersch/Christian Goeke

(Freiling 2001, S. 169; Schanz 1997, S. 560) sind somit nicht mit diesem Element des harten Kerns vereinbar. Ein so verstandener methodologischer Individualismus (vgl. u.a. Rese 2000a; Schneider 2001a, S. 447 ff.) schliefit jedoch nicht aus, zum Beispiel aggregierte Analyseobjekte (wie etwa Teams, Unternehmungen und/oder Kooperationen) als Trager von Ressourcen und Kompetenzen zu verstehen (vgl. Abschnitt 2.2.3), das Zusammenspiel einzelner Akteure innerhalb einer Untemehmung systemisch zu interpretieren (vgl. den modifizierten Open System View in Abschnitt 2.2.4) oder Lemeffekte in und von Organisationen zu erfassen. Immer muss jedoch eine Riickfiihrung auf die einzelnen handelnden Individuen erfolgen, „Kollektivakteure" wie etwa Unternehmungen - verfiigen demnach iiber keinen eigenen Willen beziehungsweise konnen keine Entscheidungen treffen.

Abb. 2:

Elemente des harten Kerns der „ Competence-based Theory of the Firm"

HK1: Methodologischer Individualismus - Einzeine Akteure ais Entscheidungstrtger

• HK 2: Subjektivismus '

w^^!!^Il!!^4

Unterschiedlichkert der Akteure im Wissen, \Atoilen und K5nnen

• HK 3: Bedeutung derZeit '

Harter Kern (Paradigma)

Zeit ais Grundiage / Ebene des prozessuaien Denkens

- Beachtung der Hlstonzttit und ggf. Pfadabh^gigkeit i.e.S. - in'eversbiiitit von Entscheidungen und Einmaiigkeit des Kontextes

• HK4: Radikale Unsicherheit '

Akteure handein markt- und untemehmungsbezogen unter (radikaier) Unsiciierheit

- Handlungen beruhen auf Prognosen mit „intumsgarantie"

• HK 5: „Homo Agens*" ais Annahme des Entscheidungsverhaitens - „Ckononnisieref trotz widriger Rahnient>edingungen und beschrHnkter Rationaiitdt, Ziel: Wettbewerbs^higkeit - ^WacJisam" bezUgiich verfUgbarer (Handlungsoptionen - „Findigkeit": Kreativ beim Finden neuer ^iel-/Mittei-/A)temativenkombinationen'' - „Ktiiinlieif: zebhnet den liomo agens gerade bei nnehrperiodigen EntscheidungskaikUien aus

HK 6: Nicht-konsummatorischer Ansatz /gemaBigter Voiuntarismus - Aiie Entwicklungen sind ergebnisoffen und melir oder nninder indetemiiniert - Der Akteur hat bedtngien ^Mit-Einfluss"

46

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

HK2:

Subjektivismus

Die Akteure unterscheiden sich hinsichtlich Wissen, Wollen und Konnen eindeutig voneinander. Dies gilt sowohl interpersonell im gleichen Zeitpunkt als auch intrapersonell zu verschiedenen Zeitpunkten, da sich Wissen, Wollen und Konnen im Zeitablauf immer wieder - bei jederzeit moglicher und oftmals beobachtbarer gegenseitiger Beeinflussung der Akteure - auf individuellen Pfaden weiterentwickeln werden (Freiling 2004a, S. 30). Das entspricht der „Unterschiedlichkeit der mit Gestaltungswillen ausgestatteten Menschen" im Rahmen der New Austrian Economics (Rese, 2000a, S. 67 ff.). In Anlehnung an Mises (1940) und Kirzner (1988) wird hier betont, dass Menschen aufgrund ihrer natiirlichen und im Zeitverlauf erworbenen Ungleichheit auch in einzelnen Entscheidungssituationen unterschiedliche Ausgangspositionen haben und dementsprechend auch verschieden entscheiden werden. Sie sind unterschiedlich hinsichtlich ihrer Ausstattung, aber auch in ihrem Erlebten. Das bildet die Grundlage ftir verschiedenes Wissen und daraus resultierende divergierende Erwartungsbildung im Vergleich zweier Akteure in einem Zeitpunkt, aber auch im Vergleich unterschiedlicher Zeitpunkte bei einem Akteur. Nur voUkommene Gleichheit der Menschen wiirde die Annahme homogener Erwartungsbildung ermoglichen. Gerade das wird den Akteuren aber nicht unterstellt. Auf eine verhaltenswissenschaftliche Interpretation, zum Beispiel von Wahrnehmungs- oder psychologisch motivierten Verhaltensunterschieden, wird verzichtet, wie auch HK 5 verdeutlichen wird. In der Summe iiber alle Mitarbeiter tragt dieser Subjektivismus zu der Heterogenitat von Untemehmungen als zentralem Element der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung bei.

HK 3: Bedeutung der Zeit Die Zeit ist in mehrfacher Hinsicht wichtiges Element der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung und einer Competence-based Theory of the Firm: •

Die Zeit bildet die Grundlage fiir ein prozessuales Denken - unter anderem bei der Veredelung von Inputs zu Ressourcen, der Herausbildung von Kompetenzen sowie bei der Anpassung von Ressourcen und Kompetenzen.

•

Pfadabhangigkeiten kormen sowohl unternehmungsintern als auch bei anderen Akteuren (z.B. Rivalen, Partnern, Nachfragern) sowie in der wechselseitigen Beeinflussung der Akteure und nicht zuletzt in den relevanten Rahmenbedingungen als Grundlage der Marktanforderungen auftreten (Ackermann 2003; Schreyogg et al. 2003).

H Entscheidungen konnen sich nur auf eine offene, gestaltbare Zukunft beziehen. Aufgrund der Auswirkungen bereits realisierter Entscheidungen beziehungsweise erfolgter Entwicklungen ist nicht jede Entscheidung im Hinblick auf die Zukunft moglich (Historizitat der Entscheidungen): Es bestehen zu beachtende EntwicklungslinienZ-trichter bzw. Trajektorien, in denen eine bedingte Gestaltungsfreiheit

47

Jorg FreiUng/Martin Gersch/Christian Goeke

hinsichtlich einer „wunschenswerten Zukunft" vorhanden ist (Dosi 1982). Ein solcher Handlungsraum ist zahlreichen Einflussen - zum Beispiel Lock-in-, Lock-outEffekten und Wirkungsverzogerungen (Ghemawat 1991) und/oder zu beachtenden Wirkungsschleifen bzw. Riickkopplungsabfolgen (Repenning/Sterman 2002; Sterman 2000) - ausgesetzt und kann selbst wiederum Gegenstand von Analyse, Planung und Gestaltung im Rahmen eines Flexibilitatsmanagements sein (Janssen 1997; Volberda 1998; Burmann 2002). •

Erreichte Wettbewerbsfahigkeit und einmal erarbeitete Wettbewerbsvorteile gelten immer nur fiir einen bestimmten Zeitpunkt bzw. begrenzten Zeitraum. Sie sind nicht nur grundsatzlich verganglich, sondem konnen sogar auch zu Behinderungen einer angemessen schnellen Anpassung werden (Leonard-Barton 1992; SuU 1999). Auf der anderen Seite kann aber auch eine Wiederbelebung ruhender, so genannter „dormant capabilities" (Baden-FullerA^olberda 1997) erfolgen. Daher erscheint eine ,Zeitindizierung' von Wettbewerbsvorteilen und ihrer Schutzmechanismen dringend geboten.

Sowohl die Rahmenbedingungen, welche die Marktanforderungen an die einzelnen Akteure beeinflussen, als auch die Inputgiiter, Ressourcen und Kompetenzen einer Untemehmung, unterliegen im Zeitablauf Veranderungen - unabhangig, ob diese geplant oder ungeplant, gesteuert oder unbeeinflusst, wahrgenommen oder aufierhalb der Wahmehmung der Akteure erfolgen. Auch hierdurch ergibt sich die Notwendigkeit einer „Zeitindizierung" bzw. der Beachtung von „Giiltigkeitszeitraumen" fiir getroffene Aussagen und Erkenntnisse. HK 4: Radikale Unsicherheit Die Competence-based Theory of the Firm unterstellt fiir die handelnden Akteure radikale Unwissenheit bzw. radikale Unsicherheit (Rese 2000a, S. 69). Diese Unsicherheit bezieht sich jedoch nicht nur auf das untemehmungsexteme marktrelevante, sondem ebenso auf das untemehmungsinteme Wissen. Der Entscheider unterliegt weiterhin parametrischer und struktureller Unsicherheit sowie (auf anderer Ebene) Verhaltens- und Umweltunsicherheit. Bisher betonte die klassische ressourcen- und kompetenzorientierte Forschung zu einseitig - und gemafi Freiling (2004b) zu naiv die Umweltunsicherheit. Grundsatzlich billigen die kompetenzorientierten Ansatze den Akteuren durchaus einen Informationsvorsprung in Bezug auf untemehmungsinteme Angelegenheiten gegeniiber -extemen Akteuren zu. Aufgrund der Widrigkeiten der kausalen Mehrdeutigkeit (Lippman/Rumelt 1982, S. 132 ff.; Barney 1991) fiihrt dieser Wissensvorspmng aber noch lange nicht zu einem voUstandigen Bild. Weder sind den Akteuren alle Informationen bekannt, noch verstehen sie alle kausalen Zusammenhange, selbst wenn sie iiber samtliche existierenden Daten verfiigen konnten.

48

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Abb. 3:

Die unterschiedlichen Formen der Unwissenheit aus Sicht eines Marktakteurs (i.A.a. Rese 2000a, S. 70)

Das marktrelevante Wissen -41

7 .

@-

Competence-based Theory of the Firm: Erfahrung und Aufmerksamkeitx des Akteurs bestimmt. ober die \ Existenz weichen VVissens der / Akteuretwasweifi, /

Das von einem Akteurerreichte Wissen zu einenn bestimmten Zeitpunkt Wissen Qber das Wissen

Der Akteur ksnnt nieht ajles vorhandene retevsftte Wissen. und m wJrd st^ndig neues Wrssen geschaffen.

In Abbildung 3 ist gegeniiber der Darstellung bei Rese (2000a) eine vierte Kategorie des marktrelevanten Wissens eines Akteurs erganzt: Wissen, das zum Zeitpunkt einer Entscheidung noch gar nicht existiert, da sich die zuktinftigen Umweltlagen noch nicht realisiert haben. Damit wird insbesondere einer zentralen Eigenschaft evolutorischer Theorien, denen auch eine Competence-based Theory of the Firm zugerechnet werden soil, Rechnung getragen: „In evolutorischen Theorien ist Zukunft nicht einfach unbekannt, sondern sie existiert im Zeitpunkt vor einer Entscheidung, dies zu tun oder jenes zu unterlassen, noch gar nicht" (Schneider 1997, S. 44). Hierdurch kann auch der spontane Erkenntniszuwachs (z.B. durch Zufall) Bedeutung gewinnen und differenzierter betrachtet werden (Rese 2000a, S. 69).

HK 5: „Homo Agens'' als Annahme des

Entscheidungsverhaltens

Hinsichtlich des unterstellten Entscheidungsverhaltens beziehungsweise der angenommenen Rationalitat der Akteure sind im Rahmen der ressourcen- und kompetenzorientierten Ansatze aufierst unterschiedliche Annahmen und entsprechende Divergenzen zwischen den Autoren vorzufinden. Die Bandbreite reicht vom „homo oeconomicus'' mit (beschrankter) Rationalitat (Foss et al. 1995; Duschek 2002), iiber den „satisficing man'' Simon'scher Pragung (Hunt 2000, S. 125) bis zu Variationen, die als „homo creativus'' (Cantner/Hanusch 1997, S. 779) oder „variable Rationalitat" (Schoemaker 1990) bezeichnet werden. Da sich bisher keine Annahme beziiglich des unterstellten Entscheidungsverhaltens und der angenommenen Rationalitat der handelnden Akteure im Rahmen der res-

49

Jors FreUing/Martin Gersch/Christian Goeke

sourcen- und kompetenzorientierten Ansatze durchsetzen konnte bzw. die vorzufindenden Konzepte mehr oder minder deutliche Mangel aufweisen, schlagen die Autoren vor dem Hintergnind einer paradigmatischen Kompatibilitat zu Ansatzen der Marktprozesstheorie die Anwendung des dort entwickelten Konzepts des „homo agens" (Kirzner 1988; Mises 1949) vor. Insgesamt lasst sich das Handeln des „homo agens" vereinfachend durch zwei Eigenschaften beschreiben (Rese 2000a, S. 72 f.): •

Findigkeit (alertness): Gestaltung des eigenen Handlungsrahmens mit dem Ziel besserer Entscheidungen,

•

Okonomisieren: (beschrankt) rationale Wahl der Handlungsalternativen vor dem Hintergrund des zum Entscheidungszeitpunkt gegebenen Ziel-/Mittel-/Altemativen-Rahmens.

Der „homo agens" entscheidet also nicht nur (beschrankt) rational angesichts des gegebenen Ziel-/Mittel-/Altemativen-Rahmens, sondem zielt vor allem auch auf die aktive Erweiterung seines eigenen Entscheidungsrahmens in einer Welt unvoUstandigen Wissens gemafi HK 4: Mises nennt das ,Unbequemlichkeiten beseitigen' und ,Sich-besser-stellen'. Dabei wird der Subjektivismus akzeptiert und bildet eine wichtige Grundlage der Argumentation (Rese 2000a, S. 67).

HK 6: Nicht-konsummatorischer Ansatz und gemdfiigter Voluntarismus Die bereits in HK 4 angesprochene kausale Mehrdeutigkeit kann zu diesem letzten Element des harten Kerns iiberleiten. Man spricht von nicht-konsummatorischen Ansatzen, wenn sich Entwicklungen mit einem offenen Endergebnis voUziehen und daher unbestimmt und nicht determiniert sind (Hodgson 1993; Hunt/Morgan 1996, S. I l l f.). In engem Zusammenhang zu diesen Eigenschaften nicht-konsummatorischer Ansatze steht die Annahme des „gemajSigten Voluntarismus" (Freiling 2001, S. 83): Der Akteur hat bedingten Einfluss auf seine Umwelt und wird mit den von ihm wahrgenommenen Mitteln versuchen, sie in seinem Sinne zu gestalten. Es ist einschrankend von einem gemafiigten Voluntarismus zu sprechen, weil es Einfliisse gibt, die verhindem werden, dass ganzlich autonom gestaltet werden karm. In vielen Fallen wird der Akteur nur „mitgestalten" und zum Teil sogar keinen merklichen Einfluss ausuben kormen. Er hat sich dann den Umfeldbedingungen anzupassen. Mit Blick auf die in HK 3 festgestellte Bedeutung der Zeit kann konstatiert werden, dass mit steigender Entfemung von der Gegenwart tendenziell grofiere Gestaltungsspielraume unterstellt werden konnen. Kurzfristig sind diese, unter anderem durch kanalisierendes Handeln Drifter, wirksamen Bindungen durch Ressourcen und Kompetenzen in Verbindung mit zeitpfadabhangigen Entwicklungsprozessen bereits stark vorstrukturiert.

50

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

2.2.2

Erkenntnisziel

Mit der Formulierung von sechs Elementen des harten Kerns eines Forschungsprogramms „Competence-based Theory of the Firm'' ist der erste Schritt in Richtung der Bildung einer konsistenten und wissenschaftstheoretisch basierten Untermauerung vollzogen. Als Grundlage fur die Bildung von Hypothesen, Positiv- und Negativheuristiken und damit des Schutzgiirtels des Ansatzes wird im Folgenden auch ein explizites Erkenntnisziel erarbeitet. Die verschiedenen Ansatze im Rahmen der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung eint, dass sie die beobachtbaren Unterschiede zwischen Untemehmungen weder primar durch dauerhafte oder temporare (Struktur-)Merkmale der Markte, auf denen sie tatig sind, noch durch die Auspragungen der jeweils relevanten Wettbewerbskonstellation zu erklaren suchen (z.B. Porter 1999, S. 25 f.). Stattdessen erfolgt eine solche Erklarung aus der Erkenntnis der Einzigartigkeit von Untemehmungen heraus, die wesentlich durch die Verfiigbarkeit von Ressourcen und Kompetenzen bestimmt wird. Das „traditionelle Erkenntniszier' ressourcen- und kompetenzorientierter Forschung lasst sich daher wie folgt formulieren (vgl. u.a. Schoemaker 1990; Grant 2000; BambergerAVrona 1996, S. 130 ff.):

(1)

Erklarung der beobachtbaren divergierenden Performance (konkretisiert z.B. iiber Rendite, Gewinne oder Wettbewerbsvorteile) von Untemehmungen (auf Mdrkten) aus der unterschiedlichen Verfiigbarkeit von Ressourcen und Kompetenzen

Ein gemafi (1) formuliertes Erkenntnisziel fokussiert jedoch lediglich auf den tatsachlich realisierten Erfolg auf Markten und suggeriert, dass nur erfolgreiche Akteure kompetent handeln. Auch aufgrund dieser Ex-post-Perspektive muss sich dieses Erkenntnisziel die viel geiibte Kritik der Tautologie bzw. der Zirkelschlusslogik (Porter 1991; Priem/Butler 2001; Ortmann 2006) zu Recht gefallen lassen. Da ein mit solcher Kritik behaftetes Erkenntnisziel dauerhaft nicht tragbar ist, wird fiir die weiteren Uberlegungen das Erkenntnisziel in seiner Ausrichtung und Formulierung neu definiert:

(2)

Erklarung der aktuellen und zukUnftigen Wettbewerbsfdhigkeit von Untemehmungen (auf Mdrkten) aus der unterschiedlichen Verfiigbarkeit von Ressourcen und Kompetenzen

Diese Oberarbeitung wird als zwingend notwendig erachtet, um die Tautologieproblematik aus Sicht der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung abschlieiSend zu losen und ein Fundament zu schaffen, auf dem dann unter anderem aber eben nicht nur - zu einem spateren Zeitpunkt fundierte Aussagen zu nachhaltigen (Miss-)Erfolgen getroffen werden konnen. Es wird als grundsatzliches Problem

51

Jorg Freiling/Martin Gersch/Christian Goeke

der Entwicklung der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung angesehen, diesen Schritt nicht bereits friiher voUzogen zu haben. In Anlehnung an Schneider (1997, S. 68) kennzeichnet die oben genannte Wettbewerbsfahigkeit einer Untemehmung lediglich die Erfiillung der Bedingungen fiir ein Nichtscheitem im Marktprozess. Wettbewerbsfahigkeit wird insofem als die Grundlage fiir das Verbleiben in Markten interpretiert, das zumindest ausreichend die Erreichung der ex ante gesetzten Untemehmungsziele eriaubt. Es zielt gleichzeitig einerseits auf ein „Sich-behaupten-kdnnen" gegeniiber Wettbewerbem und negativen Einfliissen anderer Akteure auf horizontaler Ebene sowie andererseits auf ein „Sichhewdhren-kbnnen" gegeniiber den Marktprozessen der Marktgegenseite (Kunden und Lieferanten) auf vertikaler Ebene (Schneider 1998, S. 68). Das Streben nach Wettbewerbsfahigkeit bildet die zentrale Grundlage zur Sicherung einer aktuellen und zukiinftigen Existenzfahigkeit der Untemehmung, geht aber - je nach verfolgten und als Anforderung formulierten Untemehmungszielen - deutlich dariiber hinaus (Knyphausen-Aufsel? 2000, S. 458). Ein so modifiziertes Erkenntnisziel scheint auch daher besser geeignet, weil die Akteure im Streben nach Wettbewerbsfahigkeit gemafi HK 4 unter radikaler Unwissenheit agieren (u.a. Ressourcen formen, Kompetenzen ausbilden) werden, ohne ex ante wissen zu konnen, ob dies tatsachlich zu (messbaren) Erfolgsunterschieden fiihrt. Damit muss sich die Definition grundlegender Begriffe vom Kriterium des tatsachlich realisierten Erfolgs losen (Ortmann 2006). Dariiber hinaus wird die Bedeutung der Zeitdimension HK 3 folgend starker betont. Die Akteure bilden sich in einem Zeitpunkt auf der Grundlage ihres beschrankten Wissensstandes (HK 4) eine hochst individuelle und subjektive Vorstellung beziiglich der in spateren Zeitpunkten und/oder Phasen fiir sie relevanten Marktanforderungen, die es auf der Basis der aktuellen beziehungsweise daim jeweils verfiigbaren Leistungsbereitschaft im Rahmen konkreter Marktzufuhr- und Marktprozesse zu erfiillen gilt. Auf der Basis der in einem Zeitpunkt „geronnenen" und nicht veranderbaren, aber nur zum Teil wahrgenommenen und subjektiv beurteilten Realitat (Dietl 1993) werden die Akteure danach streben, durch geeignete Mafinahmen die noch offene und bedingt beeinflussbare Zukunft so zu gestalten, dass sie ihre Wettbewerbsfahigkeit ausreichend gesichert sehen und sie „hoffen konnen", in konkreten Transaktionsprozessen Wettbewerbsvorteile gegeniiber der dann relevanten Konkurrenz zu realisieren. Dies ist ein nie endender, sich immer wiederholender Prozess der Wahrnehmung. Analyse (Antizipation und Wertung), Entscheidung und Gestaltung. Griinde fur das spatere Scheitern im Marktprozess konnen vielfaltig sein. Sie reichen von Wahmehmungsfehlern, Prognoseirrtiimern bis hin zu Zufalligkeiten - ein bislang in der okonomischen Theorie vemachlassigtes Element. Aktuell wird iiber die Erkenntnisziele (1) und (2) hinaus diskutiert, ob entsprechend ausgerichtete kompetenzorientierte Ansatze grundsatzlich nicht auch fiir eine Theorie der Untemehmung geeignet erscheinen (Conner 1991; Cormer/Prahalad 1996; Madhok 1996; Osterloh et al. 1999; Freiling 2004b). Das entsprechende Erkenntnisziel kormte dann wie folgt formuliert werden:

52

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

(3)

Erkldrung der Existenz, Verdnderung und des Niedergangs von Unternehmungen

Dieses Erkenntnisziel ist deutlich grundlegender und beinhaltet implizit auch die ersten beiden Erkenntnisziele, st5i5t aber an entscheidenden Stellen durch Beantwortung der folgenden Fragen in eine andere Richtung (Coase 1937; Langlois/Robertson 1995, S. 7; Foss 1996, S. 1 ff.; Osterloh et al. 1999; Freiling 2004b, S. 5): •

Warum und wie entstehen Unternehmungen?

•

Warum und wie verandern sich Unternehmungen im Zeitablauf ?

•

Wie ist der Untergang von Unternehmungen im Zeitablauf zu erklaren?

•

Wie verlaufen die Grenzen einer Unternehmung im Zeitablauf?

•

Wie ist die interne Organisation von Unternehmungen zu erklaren, die sich aus mehreren Personen rekrutieren?

Vor dem Hintergrund der genannten Tautologie- und Zirkelschlusskritik und der zuvor definierten Elemente des harten Kerns scheint eine Abkehr der Epistemologie der Kompetenzforschung von (1) zu Gunsten von (2) unausweichlich. Mit der in diesem Beitrag angestofienen Idee der Autoren, sich in Richtung einer „ Competencebased Theory of the Firm'' zu bewegen, scheint es vielversprechend, auch (3) als forschungsleitend zu beriicksichtigen.

2.2.3

Zugrunde liegende Terminologie

In konsequenter Fortfiihrung der Bemiihungen zur Rekonzeptionalisierung werden im nachsten Schritt explizit zentrale Begrifflichkeiten als Ausgangsbasis fiir die Entwicklung einer Competence-based Theory of the Firm diskutiert und dariiber hinaus die grundlegende ressourcen- und kompetenzorientierte Argumentationslogik in Abbildung 4 erlautert. Ausgangspunkt zur Konfiguration der Leistungsbereitschaft einer Unternehmung in zukiinftigen Zeitpunkten sind Inputgiiter (Synonym: „assets'', ohne hierbei die bilanzielle Dimension des Begriffes zu meinen), die grundsatzlich auch iiber Markte zu beziehen waren:

Inputgiiter sind homogene, prinzipiell marktgangige, untemehmungsextem oder -intern erstellte Faktoren, die den Ausgangspunkt weiterer Verwertungs- oder Veredelungsaktivitaten bilden. Inputgiiter bzw. Assets sind mit Produktionsfaktoren nicht gleichzusetzen, da Letztere im produktionstheoretischen Kontext iiber einen ungleich spezifischeren Zuschnitt

53

I

Jorg FreiUns/Martin Gersch/Christian Goeke

verfiigen (Freiling 2001, S. 20). Folgende Aspekte charakterisieren Inputgiiter detaillierter: •

Sie werden entweder direkt im Rahmen von Leistungserstellungsprozessen zur Herstellung von Leistungsangeboten fiir die relevanten Markte der Untemehmung verwendet oder durch nachfolgende Konfigurations- und Veredelungsprozesse zu Ressourcen und somit Bestandteilen der zukiinftigen Leistungsbereitschaft einer Untemehmung.

•

Sie sind zwar grundsatzlich marktgangig, was aber nicht bedeutet, dass sie auch immer untemehmungsextern hergestellt und auf entsprechenden Beschaffungsmarkten erworben wurden. Im Rahmen der Make-or-Buy-Entscheidimg kann auch eine Entscheidung zu Gunsten einer Eigenerstellung fallen (Engelhardt/Reckenfelderbaumer 1993).

•

Aufgrund ihrer Marktgangigkeit und Homogenitat sind Inputgiiter regelmafiig keine Quelle fiir Wettbewerbsvorteile.

Abb. 4: Die Argumentationslogik kompetenzorientierter Ansdtze (i.A.a. Freiling 2004b, S. 7)

9,Meta-Kompetenzen'' Gestaltung der Leistungsberettsehatt

Gestaltung der LeJstungsersteHung (IVIarktzufuhrp rozesse) RSarktprozesse

^\

Qrds. Veredelbarkeit

54

Konkreta Grds. Konkrete Veredelung Aktivierbarkeit Aktivierung

Markt« angebot

Eine ^Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Ressourcen werden wie folgt definiert:

Ressourcen sind das Ergebnis durch Veredelungsprozesse welter entwickelter Inputgiiter, die wesentlich zur Heterogenitat der Unternehmung und zur Sicherstellung aktueller und zukiinftiger Wettbewerbsfahigkeit der Unternehmung beitragen (soUen). Folgende Aspekte charakterisieren Ressourcen detaillierter: •

Ressourcen sind aufgrund der erfolgten Veredelungsprozesse regelmafiig nicht marktgangig, sondern zeichnen sich durch eine mehr oder minder hohe Unternehmungsspezifitat aus (Gersch 1998, S. 94 ff.; Ghemawat 1991), die gleichzeitig als Isolationselement diese potenziellen Quellen von Wettbewerbsfahigkeit und gegebenenfalls sogar -vorteilen vor unerwiinschter Aneignung, Imitation und Substitution durch Dritte (Rotem/Amit 1997) schtitzen kann.

•

Das „(sollen)'' im Rahmen der Definition von Ressourcen entkoppelt von einem nur ex post zu beurteilenden Erfolg des Akteurs in einzelnen Zeitpunkten. Dem hier entwickelten Verstandnis folgend, verfiigen Anbieter auch iiber Ressourcen, die in einzelnen Marktprozessen aus verschiedensten Griinden nicht zum Zuge kommen, was auch mit Blick auf die angesprochene Zirkelschlussproblematik einen wichtigen Fortschritt darstellt. Vielmehr erweitert sich das Verstandnis von Erfolgsbedeutung fiir die Abgrenzung von Ressourcen, wie es angesichts einer evolutorischen und damit zeitpfadabhangigen Interpretation zwingend notwendig erscheint. In Bezug auf zukiinftig geplante Transaktionen am Markt wird jeder Akteur eine eigene Einschatzung entwickeln, die Ursache-AVirkungs-Zusammenhange zwischen (bisher) verfiigbaren Ressourcen und Kompetenzen und tatsachlich realisiertem beziehungsweise realisierbarem Markterfolg unterstellt. Auf dieser Grundlage wird er Entscheidungen zur Veranderung bzw. Implementierung einer zukiinftig als notwendig erachteten Leistungsbereitschaft treffen, die auf den bisherigen Ressourcen und Kompetenzen aufbaut.3 Auf der Grundlage visionarer Gestaltung und immer wieder erfolgender impliziter Anpassung und Veranderung der Ressourcen bei einzelnen Marktzufuhr- und Marktprozessen entwickelt sich ein - entsprechend den Marktprozessen - prinzipiell unendlicher Kreislauf bzw. nicht endender Pfad der Ressourcen(weiter)entwicklung. In einzelnen Zeitpunkten kann jederzeit - und damit entsprechend der bisher zumeist verfolgten Argumentation im Rahmen der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung - aus unternehmungsinterner wie -extemer Perspektive auch nachvollzogen werden, worin in den vergangenen Zeitabschnitten die Hauptursachen fiir aktuell zu beobachtenden Erfolg oder Misserfolg liegen konnten: Es konnen so genannte Kernressourcen bzw. Kemkompetenzen ahnlich der bisherigen, riickwartsgerichteten Sichtweise im Rahmen der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung identifiziert werden. Diese „rxickwartsgewandte Ex-post-Pers-

55

Jorg Freiling/Martin Gersch/Christian Goeke

pektive" (inklusive der damit verbundenen „Zirkelschlussproblematik") kann jedoch lediglich die Eignung vergangener Inputgiiter-, Ressourcen- und Kompetenzgefiige fiir vergangene Marktanforderungen belegen. Dies bedeutet jedoch allenfalls einen Anhaltspunkt fiir die Analyse zukiinftiger, oft veranderter Marktanforderungen sowie der Ausgangsbasis, die mit ihren Flexibilitats-/Entwicklungseigenschaften zukiinftige Anpassungs- und Entwicklungspfade bestimmt (Gersch 2006). Die Bezeichnung als Kemressource bzw. Kernkompetenz beinhaltet sowohl in der Ex-ante- als auch in der Ex-post-Perspektive eine Reduktion aus alien Elementen der Leistungsbereitschaft auf einige wenige, die von besonderer Bedeutung fiir den bisherigen bzw. zukiinftigen Erfolg erscheinen. Veredelungsprozesse kennzeichnen Vorgange, die mit Blick auf Marktanforderungen der Gegenwart und Zukunft Veranderungen mit der Absicht zum Erhalt bzw. zur Verbesserung der Wettbewerbsfahigkeit vomehmen. Das schliefit eine unternehmungsspezifische, zielorientierte Ausrichtung und Fokussierung von Inputgiitem ein. Hierbei ist nur die subjektive, zeitpunktbezogen zu betrachtende Perspektive des handelnden Akteurs mafigeblich, der MaiSnahmen zur Sicherstellung seiner zukiinftigen Wettbewerbsfahigkeit in diesem Zeitpunkt als notwendig erachtet. Er ist sich dabei bewusst, dass er Erwartungsirrtiimem unterliegen wird und die Entwicklungen nicht so verlaufen werden, wie er es zum jetzigen Zeitpunkt erwartet (vgl. HK 4). Aber dennoch will er handeln, da er es zum jetzigen Zeitpunkt fiir rational halt und als notwendig erachtet (vgl. HK 5). Die Veredelungsprozesse stiitzen sich vor allem auch auf Prozesse der Weiterverarbeitung, Anreicherung oder Kombination mit anderen Elementen zu spezifischen Verbunden. Ressourcen konnen sowohl das Ergebnis zielgerichtet geplanter und durchgefiihrter Veredelungsprozesse als auch das Resultat mehr oder minder ungeplanter Veranderungsvorgange sein. Sie werden dann zu „Nebenprodukten" im Rahmen von Ablaufen und Geschaftsprozessen, die originar der Erreichung ganz anderer Ziele dienen - oder moglicherweise ohne spezielle Zielrichtung erfolgt sind. Dies kann jederzeit auch auJSerhalb der Wahmehmung der Akteure stattfinden und erst in spateren Zeitpunkten „bemerkt" werden. Somit wird deutlich, dass jenseits bisheriger Beitrage zum kompetenzbasierten Management auch Zufalligkeiten der Entstehung von Ressourcen zugrunde liegen konnen. Ressourcen konnen problemspezifisch weiter differenziert und systematisiert werden, zum Beispiel in: (1) tangible und intangible Ressourcen, (2) begrenzte, regenerative und generative Ressourcen (Moldaschl/Fischer 2004, S. 138) oder (3) (kunden-)integrativ versus autonom erstellte Ressourcen (Gersch 1998, S. 139 ff.). Ressourcen sind nur Handlungsgrundlage und somit im Rahmen konkreter Geschaftsprozesse zu nutzende Elemente. AUein die Existenz und Verfiigbarkeit von

56

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Ressourcen in einem Zeitpunkt oder iiber einen Zeitraum reichen nicht aus, um erfolgreich Marktzufuhr- und Marktprozesse zu realisieren. •

Ressourcen und ihre Eigenschaften determinieren nicht das konkrete Handeln, sie restringieren und ermoglichen es. Ortmann (2006) vergleicht Ressourcen mit Regeln, die zur Anwendung kommen konnen, aber nicht miissen. Hier wird die Nahe einer Competence-based Theory of the Firm zur Strukturationstheorie deutlich (Giddens 1984).

Nach den Ressourcen gilt es nun, Kompetenzen zu definieren. Ausdriicklich werden dabei auch personelle Fahigkeiten als mogliche Kompetenzen interpretiert, iiber die eine Unternehmung mittelbar (z.B. durch Arbeitsvertrag und Anweisungsbefugnis) verfiigen kann. Zur deutlichen Unterteilung wird nachfolgend in Bezug auf natiirliche Personen von Fahigkeiten und in Bezug auf Organisationen von Kompetenzen gesprochen, wobei dies auch Kompetenzen mehrerer Organisationen in Netzwerken einschliefit. Von zentraler Bedeutung fiir die CbTF ist die Fahigkeit/Kompetenz zum kollektiven Handeln in Organisationen. Sie basiert unmittelbar auf den personellen Fahigkeiten zur Interaktion - und kann auch nur auf diese Weise im Rahmen des Individualismus erklart werden. Die synergieorientierte und auf Arbeitsteilung und Kraftevereinigung beruhende Sicht des Ansatzes legt es aber nahe, die personellen Fahigkeiten in den organisationalen Kontext zu stellen.

Kompetenzen sind wiederholbare, auf der Nutzung von Wissen beruhende, durch Regeln geleitete und daher nicht zufallige Handlungspotenziale einer Organisation, die zielgerichtete Prozesse sowohl im Rahmen der Disposition zukiinftiger Leistungsbereitschaften als auch konkreter Marktzufuhr- und Marktprozesse ermoglichen. Sie dienen dem Erhalt der als notwendig erachteten Wettbewerbsfahigkeit und gegebenenfalls der Realisierung konkreter Wettbewerbsvorteile. Folgende Aspekte charakterisieren Kompetenzen detaillierter (siehe auch Ortmann 2004, S. 10 ff.): •

Kompetenzen sind inkorporiert, das heifit, sie sind Elemente beziehungsweise Bestand im Rahmen eines sie enthaltenden Objektes (z.B. Prozessstruktur, Routinen).

•

Fahigkeiten und Kompetenzen sind ein bestandiges, aber nicht statisches Potenzial zum Handeln (Ortmann 2006) in zielorientierter Weise. Sie konnen als Bestandsgrofien in einem Zeitpunkt interpretiert werden, die: -

Objekt und Gegenstand zielgerichteter Dispositionen sein kdnnen (z.B. Verbesserung zukiinftiger Leistungsfahigkeit durch Training),

-

jeweils durch Aktivierung und Nutzung auch handlungslenkend fungieren („knowing-how'') und insofern als Handlungsvermdgen, aber eben nicht selbst

57

Jors Freiling/Martin Gersch/Christian Goeke

als Handlung zu sehen sind, situationsbezogenes Orientierungsvermogen stiften, was sich vor allem in der Nutzung zuganglichen Wissens manifestiert, -

auch auf neue Gegebenheiten und in veranderlichen situativen Kontexten angewendet werden konnen und miissen,

-

wiederholt nutz- und abrufbar sind und hierdurch selbst wieder Veranderungen erfahren. Kompetenzen sind daher ein „Immer-wieder-konnen" (Ortmann 2006) und eine wiederholt abrufbare Eigenschaft des jeweiligen Tragers. Im Sinne von Moldaschl und Fischer (2004) haben sie generativen Status, was bedeutet, dass eine Wertsteigerung durch Nutzung moglich ist.

-

Kompetenzen und Fahigkeiten basieren in ihrer Entstehung, Veranderung und Vorhaltung mafigeblich auf Lemprozessen und hierdurch auf verfugbarem Wissen. Dementsprechend bestimmen mogliche Eigenschaften von Lemprozessen und Wissen auch die Ausgestaltung und Art moglicher und vorhandener Fahigkeiten und Kompetenzen.

Der Prozess der Veranderung von Kompetenzen im Zeitablauf kann in Anbetracht von Versuch und Irrtum bei der Disposition nicht als geradliniger imd ausschliefilich das Leistungsvermogen steigemder Prozess verstanden werden. Vielmehr unterliegt die Kompetenzentwicklung komplexen, noch immer wenig erforschten Wirkungsmustem mit forderlichen und schadlichen Einfliissen. Auf die Techniken der dynamischen Systemanalyse abstellend, konnte von die Kompetenzentwicklung starkenden und schwachenden Einflusssystemen gesprochen werden. Sterman (2000) spricht etwa von „reinforcing loops" und von „balancing loops". Derartige Analysetechniken konnen mafigeblich zu einem verbesserten Verstandnis der Ursache- und Wirkungsrelationen im Kontext der Kompetenzentwicklxmg beitragen und verdienen daher starkere Beachtung. Insbesondere Kompetenzen beruhen sowohl auf Selbst- als auch auf Fremdsteuerung. Die Fremdsteuerung beruht auf der Einflussnahme der Untemehmungsfiihrung, die versucht ist, bestimmte Vorgange in der Untemehmung zielgerichtet zu kanalisieren. Die Selbststeuerung beruht auf den Interpretationen und Handlungen des Einzelnen bzw. der einzelnen Menschen. Diese spezifische Eigenschaft von Kompetenzen ist bislang weitestgehend vemachlassigt worden und bedarf allein schon deswegen einer Aufarbeitung, well sie deutlichen Einfluss auf die Koordinationseffizienz (Frese 1992), daneben aber auch auf das Improvisationsvermogen, haben diirfte. Unabdingbarer Bestandteil jeder Fahigkeit und jeder Kompetenz ist die Urteilskraft der handelnden Akteure (Ortmann 2006). Die - fur Untemehmerhandeln typische - Urteilskraft hat die Aufgabe, allgemeines Wissen, allgemeine Standards und Entscheidungskriterien auf besondere, einzigartige, immer wieder neue situative Umstande zu beziehen, jeweils auf eine angemessene, die Handlungsfolgen steuemde Weise. Erscheinungsformen und Triebkrafte untemehmerischen Handelns werden in der bisherigen ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung

I 58

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

nicht ausreichend beachtet. Eine nachfolgend skizzierte Verbindung zu der Lehre von den Unternehmerfunktionen im Rahmen der Marktprozesstheorien kdnnte daher einer Erfolg versprechende Erganzung der CbTF darstellen (vgl. Abschnitt 3.2.3). Kompetenzen sind auf verschiedenen Ebenen relevant (siehe Abb. 4), unter anderem: -

„Veredelungs-Kompetenzen": Sie werden benotigt, um auf der Basis einer Vision/ Prognose beziiglich in Zukunft als notwendig erachteter Leistungsbereitschaften Inputgiiter in Richtung benotigter Ressourcen zu veredeln bzw. das aktuell verfiigbare Inputgiiter-, Ressourcen- und Kompetenzgefiige zielgerichtet weiterzuentwickeln. Auch der Zugriff auf untemehmungsextem verfiigbare Inputgiiter, Ressourcen und Kompetenzen („firm-addressable resources") erfordert Veredelungskompetenzen in Verbindung mit der Findigkeit eines „homo agens'' gemafi HK 5.

-

„McLrktzufuhr-Kompetenzen": Sie betreffen (1) die Aktivierung der zu einem bestimmten Zeitpunkt verfiigbaren Leistungsbereitschaft im Rahmen konkreter Marktzufuhr- und Marktprozesse zur Uberfiihrung des Handlungspotenzials in konkrete Leistungsangebote und (2) gegebenenfalls erfolgreiche Transaktionen am Markt. Mogliche Wettbewerbsvorteile konkretisieren sich in „iiberlegenen" Leistungsangeboten und getatigten Transaktionen.

-

,Meta-Kompetenzen": Auf einer Metaebene gilt es, individuelle und organisat i o n a l Fahigkeiten zu gestalten, die iiber einen Zeitraum hinweg die Wettbewerbsfahigkeit der Unternehmung sicherstellen. Meta-Kompetenzen beziehen sich primar auf das Um- oder Rahmensystem der aktuellen und zukiinftigen Leistungserstellung. Meta-Kompetenzen leiten dann die Antizipation der Umsystemanforderungen sowie die proaktive Gestaltung der zukiinftig als notwendig erachteten Handlungspotenziale. Hierzu gehoren exemplarisch folgende Elemente: -

-

Sicherstellung einer kontinuierlichen Anpassungs- und Veranderungsfahigkeit der Unternehmung (unter anderem Flexibilitat der Organisationsstrukturen), strukturelle und organisationale Sicherstellung eines „Deutero-Lemens'' (Volberda 1998, S. 55; Argyris/Schon 1978), Wahrnehmung von Veranderungsprozessen im Untemehmungsumfeld sowie Modifikation bisheriger und Generierung neuer Kausalstrukturen zur Deutung und Erklarung von Ursache-AVirkungs-Zusammenhangen (Harper 1995).

59

Jors Freilins/Martin Gersch/Christian Goeke

2.2.4

Kausalstruktur der Competence-based Theory of the Firm

Kompatibel zu den dargestellten Grundlagen einer Competence-based Theory of the Firm und daher auch ihr zuzuordnen sind die Uberlegungen Ortmanns (2006) zur Veranderung der Leistungsbereitschaft im Zeitablauf - einschliefilich der damit verbundenen Wirkungsweise visionarer Prozesse und marktlicher Riickkopplungen zur Gestaltung und Nutzung von „K6nnenhaben" und „Habenkormen". Demzufolge verfiigen Untemehmungen zu einem Zeitpunkt iiber ein „Kbnnenhaben": ein Handlungsvermogen, welches durch das Gefiige aus dann jeweils verfiigbaren Inputgiitern, Ressourcen und Kompetenzen bestimmt wird. Dieses Handlungsvermogen besitzt jedoch keinen Eigenwert: Der Wert des Konnenhabens ergibt sich jeweils nur bei der konkreten Anwendung in einem bestimmten Sinn- und Verwendungszusammenhang.

Abb. 5:

„ Konnenhaben " und „Habenkonnen " auf einer Zeitachse^ (i.A.a. Gersch 2006)

Ursprunglich ve/muteter Handungsraum in t^ (Antizipiertes ,^abenkDnnen" to)

B

s2

n

0)

^ 0

•c

3 "O

% J? > I

Vorhandener Handlungsraum In t^ (TatsachUches „K6rmenhaben" y

60

Bfdgreiche Transaktion in t^ (Leistungsangebote = fAsarl^artfordemng in U)

Eine „Conipetence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Mit jeder Aktivierung und Anwendung dieses Handlungsvermogens verandert sich das Konnenhaben fiir den jeweils nachfolgenden Zeitpunkt. Dies impliziert Historizitat und Entwicklungspfade bei der Nutzung und Veranderung des Handlungsvermogens. Gleichermafien erfolgt aber auch eine zielgerichtete Adjustierung der Leistungsbereitschaft, ein „polishing-by-use" oder „leaming-by-doing". Eine Uberfiihrung von einem Konnenhaben zu einem Zeitpunkt to auf ein anderes Konnenhaben mitsamt den dazugehorigen Inputgiitem, Ressourcen- und Kompetenzgefiigen zu einem spateren Zeitpunkt ti unter radikaler Unsicherheit (HK 4) ist zentraler Untersuchungsgegenstand der Competence-based Theory of the Firm. Wahrend dieses gesamten Prozesses sind Marktriickkopplungen aufzunehmen und die verfiigbaren Inputgiiter, Ressourcen und Kompetenzen einer kritischen Reflexion und entsprechenden Anpassungen zu unterziehen. „Hahenkdnnen" ergibt sich als Handlungs- und Entwicklungsraum aus einem Zeitpunkt to und umschliefit die - aus einer subjektiven und zeitpunktorientierten Perspektive - vermuteten zukiinftigen Entwicklungsmoglichkeiten des eigenen Konnenhabens. Gemafi Abbildung 5 ist es durch einen sich offnenden Trichter auf der Zeitachse dargestellt.^ Es gilt, in einem kontinuierlichen Prozess das eigene Habenkonnen und das der Wettbewerber zu analysieren, das eigene Konnenhaben den erwarteten Marktanforderungen gegeniiberzustellen, grundsatzlich verfiigbar erscheinendes Habenkonnen durch Entwicklungs-, Anpassungs- und Akquisitionsstrategien in jeweils einzelnen Zeitpunkten in verfiigbares Konnenhaben zu iiberfiihren und dieses Potenzial dann auch in konkrete Leistungsangebote in einzelnen Zeitpunkten zu transformieren. In Abbildung 5 symbolisieren die weifien Sterne die seitens des Anbieters insgesamt vermutete Transaktionsnachfrage iiber die Zeit. Die drei dunklen Sterne stellen sein konkretes Konnenhaben in to dar und die hellgrauen Sterne sein antizipiertes und aus to potenziell erreichbares Konnenhaben - also das Habenkonnen. Insbesondere durch Innovationen ausgeloste Veranderungs- und Anpassungsprozesse bewirken eine permanente Abfolge von Lern- und Wissensentwertungsprozessen bei den Marktakteuren. Standig wird neues Wissen durch Impulse fiir Aktion und Reaktion generiert und ein kontinuierlicher „Versuchs- und Irrtumspfad im Zeitablauf' (Schneider 2001b, S. 155) beschritten. Als nahere Differenzierung eines Ausschnittes der prinzipiell unendlichen Abfolge von Untemehmungs- und Marktprozessen lasst sich in dem Wettbewerbsmodell von Hamel und Prahalad (1994) der Weg von einer starken Veranderung bisheriger Marktgegebenheiten durch Innovation zu tendenzieller Verstetigung und relativ hohem Wissensstand im Markt durch drei Phasen (Hamel/Prahalad 1994, S. 45 ff.; Freiling 2004c, S. 435 f.) aufzeigen, die im Vorgriff auf Abschnitt 3.3 bereits hier die M5glichkeiten der Konkretisierung marktprozesstheoretischer Uberlegungen verdeutlichen:

61

Jors FreiUns/Martin Gersch/Christian Goeke

1. Phase: Wettbewerb um die intellektuelle Fiihrerschaft Einzelne Akteure versuchen, der Vorstellung des „homo agens" (HK 5) entsprechend, auf der Basis eines „industriellen Vorausblicks" mogliche Marktanforderungen der Zukunft zu antizipieren. Ohne dass es die zukiinftigen Nachfrager oder die spater gegebenenfalls imitierenden Wettbewerber aufgrund von HK 4 selbst schon wissen oder gar artikulieren konnen, glauben diese Akteure, mogliche zukiinftige Herausforderungen und Chancen vor allem in Form neuer Leistungsangebote zu erkennen. Die gedachten Marktanforderungen der Zukunft werden iibersetzt in so genannte „Strategische Architekturen" als mogliche Konstellationen notwendiger Inputgiiter, Ressourcen und Kompetenzen, geordnet durch einen strategischen, auf neue Leistungsangebote zielenden Ansatz, iiber die ein Anbieter zwecks Wettbewerbsfahigkeit in den vermuteten zukiinftigen Marktumfeldem grundsatzlich verfiigen muss. Die Konkretisierung dieser Architektur hangt ab von der Einschatzung der vermuteten Prognosegenauigkeit des Akteurs: Er weifi genau, dass er auf dem Weg von seiner Vision bis zur tatsachlichen Realisierung einer Reihe von Irrtiimern unterliegen wird und nur bedingt Einfluss auf die sich tatsachlich realisierende Marktentwicklung ausiiben kann. Dies verdeutlicht den gemafiigten Voluntarismus als Element des harten Kerns (HK 6). AUerdings formt dieser Akteur auch zukiinftige Realitat durch die fortschreitende Konkretisierung seiner Vision im Zeitverlauf (HK 3) iiber die als notwendig erachtete Architektur hin zur konkreten Gestaltung der hierfiir notwendig erscheinenden Inputgiiter, Ressourcen und Kompetenzen. Da diese Elemente so regelmafiig riicht verfiigbar sein werden, muss der Akteur angemessene Entwicklungs-, Anpassungs- und Akquisitionsprozesse anstofien. In Abhangigkeit von seiner eigenen Einschatzung hinsichtlich der Prognosegenauigkeit seiner Vision wird er hierbei Veranderungsmoglichkeiten im Sinne zielgerichtet geplanter und gestalteter zukiinftiger Handlungsraume vorsehen. Dies leitet uber zur zweiten Phase.

2. Phase: Gestaltung von Migrationspfaden Hauptgegenstand dieser Phase ist die Konkretisierung der als notwendig erachteten Strategischen Architektur und deren Umsetzung im Rahmen von Ressourcen- und Kompetenzentwicklungs-, -anpassungs- und -akquisitionsstrategien. Identifizierte Liicken zwischen Soil- und Ist-Profilen benotigter und verfiigbarer Ressourcen und Kompetenzen gilt es zu schliei^en. Hierbei sind vor allem auch untemehmungsexteme Bezugsquellen und Erganzungsmoglichkeiten zu beriicksichtigen. Dies gilt auch und insbesondere fiir das Vorhalten als notwendig erachteter „Eventualoptionen", wenn der tatsachliche Bedarf vom prognostizierten abweichen soUte. Der Begriff „Migrationspfad" betont, dass die Umsetzung einer strategischen Basisarchitektur einen zeitintensiven, irreversiblen und nur bedingt planbaren Prozess mit der Gefahr zahlreicher Ex-post-Uberraschungen darstellt (HK 3). Mit dem ersten konkreten Angebot echter Marktneuheiten, zum Beispiel in Form innovativer Leistungsangebote, beginnt der im Rahmen der Marktprozesstheorie detailliert untersuchte Prozess der Wissens-

62

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

veranderung der Akteure auf Anbieter- und Nachfragerseite durch Wissenserwerb und Wissensentwertung iiber realisierte Transaktionen (Rese 2000a, S. 117 ff.). Anbieter werden unterschiedliche Auspragungen von Leistungsangeboten und die sie ermoglichenden Ressourcen und Kompetenzen ausprobieren und durch Anpassungsund Lemprozesse weiterentwickeln. Erste „Leistungsstandards'' werden sich auf den sich entwickelnden/verandernden relevanten Markten als dominant erweisen.

3. Phase: Wettbewerb um Marktanteile Mit der zunehmenden Etablierung von Leistungsangeboten erhoht sich der Wissensstand im Markt. Mogliche Ausgestaltungsfreiheiten der Akteure nehmen tendenziell ab. Zunehmend dominiert die Imitation bzw. leichte Variation bereits bekannter Leistungsangebote bei zunehmendem Preiswettbewerb. Die dritte Phase kennzeichnet die Marktsituation, die zumeist als unterstellte Ausgangslage in den Lehrbiichern zur marktorientierten Unternehmungsfiihrung dominiert (Hamel/Prahalad 1994, S. 47). Unter weitgehend stabilen Rahmenbedingungen und Marktanforderungen wetteifern die Konkurrenten um Marktanteile. Jederzeit kann diese Phase durch Innovationen als Folge veranderter Rahmenbedingungen und/oder kreativer Ideen findiger Akteure abgelost werden. Es gibt keine eindeutige Tendenz zu einem stabilen Gleichgewicht. Es entwickelt sich eine prinzipiell unendliche Abfolge der skizzierten Markt- und Wettbewerbsphasen. Zur naheren Charakterisierung der Heterogenitat von Untemehmungen sowie zur Konkretisierung der unternehmerischen Aufgaben wahrend der skizzierten Marktprozesse lasst sich auch vor dem Hintergrund der oben skizzierten Grundlagen einer Competence-based Theory of the Firm die Logik des „Open System View" von Sanchez und Heene heranziehen (ausfiihrlich bei Sanchez/Heene 1996, S. 40 ff.; Sanchez/Heene 1997, S. 39 ff.). Sie verstehen Untemehmungen als offene Systeme, die wiederum eingebettet sind in weitere solcher Systeme, welche die relevante Umwelt der Unternehmung bilden. Anzumerken ist, dass in Einklang mit der Annahme des methodologischen Individualismus (HK 1) im Rahmen der CbTF jegliches Handeln auf einzelne Akteure zuriickgefiihrt wird, die vielfaltigen Facetten und Interdependenzen im Zusammenspiel der individuellen Handlungen aber zum Beispiel „systemisch" interpretiert werden konnen. Dies gilt sowohl beziiglich einzelner Untemehmungen als auch auf hoheren Aggregationsebenen (z.B. Kooperationen, Netzwerke, Branchen, Nationen). Insgesamt wird das Handeln aller Mitarbeiter innerhalb einer Unternehmung von der so genannten „Strategic Logic" gepragt (Sanchez/Heene 2004, S. 59), als dem gemeinsamen Verstandnis dariiber, wie die unternehmungsindividuellen Ziele durch Verwendung verfiigbarer Inputgiiter, Ressourcen und Kompetenzen erreicht werden konnen. Koordiniert werden alle Systemelemente dabei durch so genannte Management-Prozesse, die top-down stattfinden. Gleichzeitig und in Verbindung mit der „Strategic Logic" finden aber auch bottom-up mehr oder minder autonom und kompetenzbasiert Selbstanpassungs- und Steuerungsprozesse statt.

63

Jors FreiUng/Martin Gersch/Christian Goeke

Nicht nur im Hinblick auf ihr zeitpunktbezogenes Ressourcen- und Kompetenzgefuge, sondem auch in ihrer „Strategic Logic" - und daraus resultierend den Management- und Selbstanpassungsprozessen - werden sich Untemehmungen regelmal^ig signifikant unterscheiden: Samtliche Elemente des Systems Unternehmung sind im Zeitablauf gewachsen bzw. sukzessive entstanden und entwickeln sich im Zusammenspiel mit der Umwelt permanent und zeitpfadabhangig weiter, wie auch Abbildung 6 darstellt.

Abb. 6:

Modifizierter „Open System View"{ i.A.a. Sanchez und Heene 1996, S. 41)

Umfeld: Scanning, Benchmarking, Berater,neueManager...-,

^

^

Strategic Loflic: ^

,, ^

t.

ais oWenes Sy^em ^

I Enischeidungen, P/ozeduren

Mana^jei^ient-Prozesse: KoordtfiaSonsmechaNsmen inmcks Ressourcenenwerfe und-^ntiwicklung

1^ Q. 2 g O

Daten

Ifitanalbie Assets: u.a.; WJssert, Rechte, Repo^on.Beztehungen

Si

Daten

Tangible Assets: MM:. Physischos Anlage- und Umlaufvemidgen

§ o

ii

Daien

Operalive fimzesse: DurchfQhrungi dtrLE und Res^urc«nv©rectelung

t

firodukte:

N s: c n

UisluiigsbQrKtel

N

Markte filr Produkte Matkiinhrmathnen

Um die Existenz- und Wettbewerbsfahigkeit sicherzustellen, muss und wird die Unternehmung in standigem Austausch mit der Umwelt stehen. Neben der Gestaltung von Transaktionsprozessen auf der Beschaffungs- und Absatzseite muss die Unternehmung die eigenen Grenzen in ihrem Verlauf und ihrer Durchlassigkeit (Permeabilitat) gestalten und steuem (Sanchez/Heene 1997, S. 31). Wettbewerb findet nicht nur im Rahmen von Transaktionen auf der Absatzseite statt, sondem insbesondere auch bei der Sicherung des Zugangs zu geeigneten Informationen, Inputgiitem, Ressourcen

64

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

und Kompetenzen sowie deren Kombination mit untemehmungseigenen Elementen. Das „Sich-bewahren-konnen" gegeniiber Marktpartnern und das „Sich-behauptenkonnen'' gegeniiber Wettbewerbern und Dritten erfordert die permanente Anpassung der Unternehmung an die sich - auch durch eigene (Re-)Aktionen - verandernden Umfeldanforderungen. Die Unternehmung unterliegt demnach einem kontinuierlichen Prozess der Variation und Selektion, bildet aber auch selbst wieder den Bestandteil gleicher Mechanismen fiir andere Marktteilnehmer (vgl. zu den deutlichen evolutorischen Beziigen der CbTF auch die grundsatzlichen Uberlegungen in Abschnitt 3.1).

3

Positionierung der zukiinftigen Competence-based Theory of the Firm

3.1

Einordnung in den Bereich organisationswissenschaftlicher Theorien

Nach der Aufarbeitung der wissenschaftstheoretischen Grundlagen einer zukiinftig noch zu konkretisierenden Competence-based Theory of the Firm, ihrem harten Kern und ihrem Erkenntnisziel, der Diskussion zentraler Begrifflichkeiten sowie wesentlicher Elemente ihrer Kausalstruktur ist eine Positionierung im Kontext gesellschaftswissenschaftlicher Theorien erforderlich. Zur Systematisierung von Forschungskonzeptionen haben unter anderem Burrell und Morgan (1979) sowie Astley und Van de Ven (1983) Vorschlage entwickelt (ahnlich auch Pfeffer 1982), aus denen Kriterien zur Einordnung in die zunehmend heterogener werdende Organisationstheorie extrahiert werden konnen. Dies sind im Einzelnen: •

die dominante Betrachtungsebene: Makro- (Branche bzw. Organisationspopulation) versus Mikroebene (Organisation),

•

das Verhaltnis von Umwelt zur Organisation: Determinismus versus Voluntarismus (beide Kriterien nach AstleyA^an de Ven 1983),

•

damit eng verbunden: die Frage einer subjektivistischen versus objektivistischen Ausrichtung sowie

•

die Grundposition beziiglich des gesellschaftlichen Wandels: Regelung versus radikaler Wandel (beide Kriterien nach Burrell/Morgan 1979).

Die Einordnung voUzieht sich entlang der genannten vier Punkte wie folgt: Erstens fokussiert die Competence-based Theory of the Firm auf die Mikroebene, was sich allein schon aus ihren Erklarungszielen ergibt. AUerdings zeigen jiingere Beitrage der

65

Jdr2 Freiling/Martin Gersch/Christian Goeke

kompetenzbasierten Forschung (z.B. Dyer/Singh 1998; Duschek 2002) die Notwendigkeit und Moglichkeit auf, auch auf Populationsebene bzw. im Branchenkontext Aussagen zu treffen. Zweitens neigt die Competence-based Theory of the Firm dem Voluntarismus zu, ohne dabei aber die Einordnung in den sozialen Kontext zu verkennen. GemaiS HK 5 (Figur des „homo agens") und HK 6 (non-konsummatorische Ausrichtung) wurde die Position unter Berucksichtigung marktlicher und umfeldbezogener Restriktionen organisationalen Handelns als gemafiigt voluntaristisch skizziert. Dabei ist zu beriicksichtigen, dass Gestaltungs- und Anpassungsprozesse einer Untemehmung auf der Basis von Riickkopplungen aus der relevanten Umwelt zur Sicherung der Wettbewerbsfahigkeit erfolgen. Drittens tendiert die Theorie auf Basis von HK 2 und einer angenommenen Ungleichverteilung von Wissen, WoUen und Konnen zum Subjektivismus, wobei in Verbindung mit dem gemalSigten Voluntarimus aber keine Extremposition bezogen wird. Viertens stellt sich mit Blick auf HK 3 (hier insbesondere relevant: Zeitpfadabhangigkeit) und HK 4 (radikale Unsicherheit) die Frage nach der Logik des Wandels. Die Antwort ist ambivalent: Der radikale Wandel wird weitestgehend ausgeschlossen, well Entscheidungen der Vergangenheit die Akteure binden. Gleichwohl versuchen wachsame, findige und kiihne Akteure im Sinne eines „homo agens" (HK 5) Veranderungen herbeizufiihren, die - im Falle des Erfolgs im Prozess der wettbewerblichen Selektion - auch disruptiver Art sein konnen. Als Ergebnis ergibt sich eine Mittelposition zwischen der Soziologie radikalen Wandels und der Soziologie der Regelung. Die Einordnung dient der weiteren Konturierung der Competence-based Theory of the Firm und vor allem auch der Abgrenzung gegeniiber dem lange herrschenden, allmahlich aber starker hinterfragten „funktionalistischen Mainstream" der betriebswirtschaftlichen Theorie (Heinl 1996, S. 156 f.). Auch im Kontext evolutionstheoretischer Forschung ergibt sich eine Profilbildung, da die Competence-based Theory of the Firm weder der stark voluntaristischen und dem radikalen Wandel folgenden Evolutionstheorie in der Pragung von Schumpeter, noch der eher evolutionaren Ausrichtung im Sinne der Darwinisten folgt (zur Einordnung vgl. Kappelhoff 2006). Es sei nur am Rande erwahnt, dass eine derartige Einordnung in den organisationstheoretischen Kontext neben der Abgrenzung von anderen Theoriezweigen die Moglichkeit zu Aussagen auf methodologischer Ebene bietet (Burrell/Morgan 1979, S. 6 f.), wobei die Competence-based Theory of the Firm in Richtung auf die der qualitativen Analyse nahe stehenden Ideografik tendiert. In Anbetracht der Idiosynkrasie der Organisation und ihrer Entwicklung vermag dies jedoch kaum zu iiberraschen. Damit ist festzuhalten: Die Competence-based Theory of the Firm ist als ein konsequent evolutorisches Forschungsprogramm zu etablieren. Aufgrund der breiten Verwendung der Begriffe „Evolutionary Theories" (Foss et al. 1995; Montgomery 1995), „evolutorische Okonomik" (Witt 1994; Cantner/Hanusch 1997) beziehungsweise „evolutorische Theorierichtungen" (Schneider 1996) in der Literatur scheinen jedoch auch diese ein zu weites Dach zu bilden. Witt (1994, S. 541 ff.) skizziert beispielsweise sechs divergierende Forschungskonzeptionen, die diesem Bereich zuzuordnen sind

66

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

und von Schumpeters (1911) diskontinuierlichem Strom von Innovationen iiber den biologisch beeinflussten Ansatz von Nelson und Winter (1982) bis hin zu Loasbys (1983) eher psychologischem Erklarungskonstrukt reichen. Trotz vieler Parallelen - wie z.B. Verschiedenartigkeit der Akteure, Grundmechanismen (Variation, Selektion, Reproduktion) oder Pfadabhangigkeit - stofit die Ubertragung (sozio-)biologischer Erkenntnisse auf okonomische Zusammenhange schnell an ihre Grenzen (Schneider 1996), wie auch schon Penrose (1952, S. 815) feststellte: „Even as a metaphor it [,the biological evolution', Anm. d. Verf.j is badly chosen although in principle metaphorical illustrations are legitimate and useful. [...] But in seeking fundamental explanations of economic and social phenomena in human affairs the economist, and the social scientist in general, would be well advised to attack his problems directly and in their own terms rather than indirectly by imposing sweeping biological models upon them." Die Bezeichnung einer Competence-based Theory of the Firm als evolutorische Theorierichtung scheint daher zwar berechtigt, aber noch zu unscharf. Deshalb wird zur genaueren Charakterisierung nachfolgend das Verhaltnis zu Forschungskonzeptionen der Marktprozesstheorie als evolutorische Forschungsrichtung vertiefend reflektiert.

3.2

Verbindungen unter dem Dach der Marktprozesstheorie

3.2.1

Paradjgmatische Kompatibilitat zu den „New Austrian Economics"

Schon vor der von den Autoren vorgenommenen Rekonzeptualisierung der ressourcen- und kompetenzbasierten Forschung mit dem Ziel zur Entwicklung einer Competence-based Theory of the Firm wurde der Competence-based View innerhalb der okonomischen Theorie als ein Ansatz der Marktprozesstheorie eingeordnet (z.B. Freiling 2001, S. 77 ff.). Die Marktprozesstheorie wird dabei als ein Dach iiber mehrere „Denkschulen" interpretiert und nicht - wie teilweise in der Literatur vorzufinden nahezu als Synonym fiir die so genannte Osterreichische Schule oder gar fiir die New/Modern Austrian Economics.^ Die Spannweite der Marktprozesstheorie erscheint zumindest so weit, dass benachbarte Ansatze der New Austrian Economics aufgrund der Kompatibilitat im harten Kern auch unter das aufgespannte Dach einzuordnen sind. Die Grundlagen der Marktprozesstheorie bzw. der New Austrian Economics konnen an dieser Stelle nur liberblicksartig skizziert werden und beschranken sich auf den Nachweis, dass sie eine paradigmatische Kompatibilitat zu dem oben genannten harten Kern einer Competence-based Theory of the Firm aufweisen (Ehret 2000, S. 94 ff.; Vaughn 1994, S. 112 ff.; Lingen 1993, S. 168 ff.). So erfolgt auch in der Welt der New Austrian Economics die Aufstellung von Wirtschaftsplanen unter un-

67

Jors FreUins/Martin Gersch/Christian Goeke

voUkommenem Wissen (HK 4), so dass Plane regelmafiig scheitern bzw. auf Basis von Lemprozessen revidiert werden miissen (Rese 2000a, S. 74). Auch erfordert die Durchfiihrung der Plane der Einkommenserzielung Zeit. Im Zeitablauf werden aber auch relevante Daten wieder Anderungen unterliegen, so dass auch aus diesem Grunde stets ein Teil der Plane zum Scheitern verurteilt ist (HK 3). Der Erfolg eines individuellen Plans wird zudem durch die Aktivitaten anderer okonomischer Akteure beeinflusst, was auch wiederum zu Planrevidierungen fiihren wird (HK 6). Ebenfalls wird in der Marktprozesstheorie die Unsicherheit als Grundproblem okonomischen Handelns bejaht, das nicht beseitigt, sondem nur verringert werden kann (HK 4). Gleichzeitig wird anerkannt, dass Wissen und Konnen nicht exogen vorgegeben sind (HK 2). Die Annahme, dass Individuen - die als „homo agens" (Mises 1940, S. 30) charakterisiert werden (HK 5) - in der Lage seien, ihre Nutzenfunktionen zu spezifizieren oder gar zu maximieren, wird abgelehnt. Mit dem hier vorliegenden ersten Schritt einer Rekonzeptualisierung der ressourcenund kompetenzorientierten Forschung zur Competence-based Theory of the Firm konnte eine paradigmatische Kompatibilitat zu zentralen Denkschulen der Marktprozesstheorie hergestellt werden. Von einer solchen paradigmatischen Kompatibilitat kann die Marktprozesstheorie in erheblichem Mafie profitieren, wie im nachfolgenden Abschnitt gezeigt wird.

3.2.2

SchlieBung einer RealisierungslUcke in der Marktprozesstheorie

Die Frage nach der Existenz und Notwendigkeit von Unternehmungen wurde unter anderem weder von Joseph Schumpeter noch von Israel Kirzner ausreichend beachtet oder thematisiert (Gick 2002, S. 95 ff.): „... Kirzner sees the market, but not the firm. He limits himself ..." (Gick 2002, S. 98). Wahrend die Marktprozesstheorie bisher schwerpunktmafiig auf die Wissensveranderungen im Markt abstellt, mangelt es ihr traditionell an einer betriebswirtschaftlichen Erganzung, die die Bedeutung und individuelle Ausgestaltung von Marktzufuhrprozessen einzelner Akteure thematisiert. Eine solche „Realisierungslucke" - also die fehlende Konkretisierung der notwendigen untemehmungsbezogenen Prozesse durch Untemehmer zur Realisierung z.B. von Innovations- und Imitationsprozessen - wird in der Literatur als erheblicher Mangel der Marktprozesstheorie im AUgemeinen und der New Austrian Economics im Besonderen angesehen (z.B. bei Choi 1995; Moran/Ghoshal 1999; Ehret 2000; Schneider 2001b; Gick 2002; Rese 2002). Witt (1999) spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem „Missing Chapter in Austrian Economics". Akteure werden durch ihr Handeln (Gestaltung der Leistungsbereitschaft, Durchfiihrung von Marktzufuhrprozessen sowie ggf. realisierte Transaktionen im Markt) zu Untemehmern. Die Erfolgreichen unter ihnen erhalten seitens des Marktes das Signal:

68

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

„weiter so!'', was aber auch den bisher nicht zum Zuge gekommenen Akteuren einen Wissenszuwachs hinsichtlich Kauferpraferenzen, Losungsmoglichkeiten in Form von Leistungsangeboten und gezahlter Preise fur realisierte Transaktionen ermoglicht. Bei der nachsten Transaktion wird der findige Akteur entweder durch Verbesserungen oder gar Innovationen neue, den Kundenpraferenzen eventuell besser entsprechende Leistungsangebote offerieren oder bisherige Angebote imitieren bzw. einen Preiswettbewerb beginnen (vgl. u.a. Lingen 1993; Rese 2000a; Roemer 2004). Im Vordergrund der Argumentation steht bei der klassischen Marktprozesstheorie insbesondere das Wissen iiber Marktakteure, relevante Eigenschaften des Leistungsangebotes und der bedienten Kauferwiinsche. Nicht thematisiert wird jedoch, was die dafiir notwendige Findigkeit beeinflusst und welche Bedeutung unternehmungsindividuelle Unterschiede bei der Gestaltung der Leistungsbereitschaft und den Marktzufuhrprozessen haben konnen. Um den Erfolg einzelner Akteure im Marktprozess zu erklaren, reicht es aber nicht aus, nur auf deren Findigkeit bei der Entdeckung von Wissen im reinen Marktprozess zu verweisen. Wahrend diverse Autoren bereits ressourcen- und kompetenzorientierten Ansatzen die Eignung zusprechen, diese Realisierungsliicke grundsatzlich fiillen zu konnen (u.a. Gick 2002, S. 98; Rese 2002, S. 272; Schneider 2001b), scheint dies aufgrund der paradigmatischen Kompatibilitat durch eine Competence-based Theory of the Firm in konsistenter Weise m5glich. Um weiterfiihrende Einsichten zu erlangen, wie eine ungleiche Wissensverteilung abgebaut und Anreize zur Schaffung neuen Wissens gewonnen werden konnen, bediirfe es nach Schneider (2001b, S. 156 ff.) einer Untersuchung der Bestimmungsgrunde von Wettbewerbsfahigkeit und der Ursachen von Wettbewerbsvorteilen. Es bedarf u.a. namlich auch der Nutzung des „richtigen Wissens" zur Realisierung eines den Marktanforderungen entsprechenden und im Vergleich zum Wettbewerb iiberlegenen Marktangebotes. Der Beantwortung genau dieser Fragestellung wird sich in Erganzung der klassischen Marktprozesstheorie eine paradigmatisch kompatible Competence-based Theory of the Firm unter dem Dach der Marktprozesstheorie widmen.

3.2.3

CbTF, Marktprozesstheorien und die Lehre von den Untemehmerfunktionen - eine aussichtsreiche Liaison?

In ahnlicher Weise paradigmatisch kompatibel zur Marktprozesstheorie wie die ressourcen- und kompetenzorientierte Forschung erscheint auch Schneiders Lehre von den Untemehmerfunktionen (dazu Freiling 2001, S. 78 ff.; Schneider 1995a, S. 254), auf die Schneider seinen Ansatz einer AUgemeinen Betriebswirtschaftslehre zuriickfiihrt (Schneider 1995a, S. 39 ff.; Schneider 1997, S. 46 f.; Schneider 2001a; Reckenfelderbaumer 2002, S. 185 ff.; Rieter, 2004). Die drei Untemehmerfunktionen lauten (z.B. Schneider 1995a, S. 28):

69

I

Jors FreHing/Martin Gersch/Christian Goeke

(1) Ubemahme von Einkommensunsicherheiten anderer Menschen als institutionenbegriindende Funktion, (2) Erzielung von (bzw. Streben nach) Arbitrage- und Spekulationsgewinnen in und zwischen Markten als institutionenerhaltende Funktion nach aufien, (3) Durchsetzung von Anderungen in wirtschaftlicher Fuhrerschaft als institutionenerhaltende Funktion nach innen. Aus ihnen leitet Schneider die Erklarung fiir die Griindung und Existenz von Institutionen als Regel- und Handlungssystemen ab und bildet dadurch eine Einzelwirtschaftstheorie der Institutionen mit dem Forschungsleitbild der Verringerung von Einkommensunsicherheiten. Die Untemehmerfunktionen konkretisieren dabei die RoUe des Untemehmers auf unvoUkommenen Markten in Ungleichgewichten und basieren explizit auf den Pramissen der New Austrian Economics (Schneider 1995a, S. 254). Nach Meinung der Autoren stellt die Lehre von den Untemehmerfunktionen eine gute Grundlage fiir das Verstandnis des Verhaltens von Akteuren auf Markten dar, die durch die Annahmen der Marktprozesstheorie gepragt sind, wobei wesentliche Aspekte einer Theorie der Untemehmung beantwortet werden (Reckenfelderbaumer 2002, S. 237). Aufgrund ihres noch sehr hohen Abstraktionsniveaus steht die Lehre von den Untemehmerfunktionen unter dem Dach der Marktprozesstheorie jedoch keineswegs in Konkurrenz zu einer Competence-based Theory of the Firm, wenn es um die genaue Erklarung und Analyse einzelwirtschaftlichen Verhaltens geht. Stattdessen seien hier nur kurz und thesenartig drei Vorschlage zusammengefasst, wie sich Verbindungsmoglichkeiten zwischen der Lehre von den Untemehmerfunktionen und einer Competence-based Theory of the Firm im Rahmen der Marktprozesstheorie gestalten konnten (Freiling 2004c; Gersch et al. 2005, S. 87 ff.): (1) Die Untemehmerfunktionen der Marktprozesstheorie im AUgemeinen sowie auch die drei Untemehmerfunktionen von Schneider finden sich in den CbTF-Uberlegungen bereits implizit wieder. (2) Sowohl der (S) entrepreneur von Schumpeter als auch der (A) entrepreneur der Austrian Economics konnen im Rahmen der CbTF naher konkretisiert werden. (3) Ressourcen(-unterschiede) sind bereits impliziter - aber eben nicht explizit diskutierter und beachteter - Bestandteil der Lehre von den Untemehmerfunktionen (so auch Schneider 2001b, S. 155). Die gmndsatzliche Eignung ressourcen- und kompetenzorientierter Ansatze zur Erganzung der Marktprozesstheorie sieht auch Dieter Schneider, da ihm zufolge - fiir ein umfassendes Verstandnis der Funktionsweise von Markten - die Bestimmungsgriinde fiir Wettbewerbsfahigkeit von Untemehmungen untersucht werden miissen (Schneider 2001b, S. 152). Nicht Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, sondern eine Verbindung der im Begriff der Untemehmensstmktur zusammengefassten Fahigkeiten mit dem Ausiiben von Untemehmerfunktionen erzeuge Ressourcen und

70

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Kompetenzen als Quellen von Wettbewerbsvorspriingen (Schneider 2001b, S. 155). Die ressourcen- und kompetenzorientierte Forschung wird durch die Verbindung zu den Marktprozesstheorien insgesamt auf eine breitere Grundlage im Hinblick auf einen ganzheitlichen Erklamngsansatz von Untemehmungen und Markten gestellt. Mit den Uberlegungen unter anderem zu Einzelakteuren als „Treiber" und „Getriebene'' von Veranderungsprozessen sowie den Unternehmerfunktionen als „Unruhe" und „Motor der Entwicklung'' konnen bisher erkennbare Schwachen beziehungsweise noch nicht ausreichend behandelte Aspekte im Rahmen der CbTF konsistent adressiert werden.

4

Fazlt und AusbMck auf die nachsten Schritte zu einer „Kompetenzbasierten Theorie der Untemehmung"

Die Autoren haben in diesem Beitrag eindeutig Position bezogen zu einer Rekonzeptualisierung der ressourcen- und kompetenzbasierten Forschung mit dem Ziel der Etablierung einer marktprozesstheoretisch fundierten Competence-based Theory of the Firm. Ein solches Vorhaben der Rekonzeptualisierung scheint angesichts der wissenschaftstheoretisch desolaten Situation der ressourcen- und kompetenzbasierten Forschung im Jahre 2005 iiberfallig: Neben einem klar identifizierbaren Riss durch diese Forschungsrichtung besteht mit dem Tautologievorwurf ein schwerwiegender Missstand - neben mehreren anderen. Die Autoren sind vor diesem Hintergrund einen Schritt zuriickgegangen, um, wissenschaftstheoretisch gelenkt durch das Konzept von Lakatos, Basisannahmen eines Forschungsprogramms „Competence-based Theory of the Firm'' herauszuarbeiten und in dessen harten Kern zu manifestieren. Zur Behebung schwerwiegender Vorwiirfe gegeniiber den ressourcen- und kompetenzbasierten Ansatzen wurden auf Basis dieses harten Kerns explizit auch Erkenntnisziel und zentrale Terminologie in Frage gestellt und neu entwickelt. Der erfolgte Ruckgriff auf bereits etablierte Argumentationslogiken im Rahmen der Kausalstruktur der Competence-based Theory of the Firm belegt dabei die trotz Rekonzeptualisierung erhalten gebliebene Nahe zu zentralen bisherigen Arbeiten. Insgesamt wird eine Competence-based Theory of the Firm als paradigmatisch in der Marktprozesstheorie verankert angesehen, unter deren Dach sie in der Lage scheint, bisher unbeantwortete Fragestellungen nach den einzelwirtschaftlichen Hintergrtinden bei der Gestaltung von Marktzufuhrprozessen („Realisierungslucke") zu beantworten. Aus der Perspektive der Marktprozesstheorien ergibt sich somit eine konsistente Erklarung, warum und wie sich die Akteure ein institutionelles Umfeld schaffen.

71

Jorg Frei ling/Martin Gersch/Christian Goeke

um so agieren zu konnen, wie es von den Marktprozesstheorien bisher angenommen wurde. Aus der Perspektive der CbTF ergibt sich die Einbettung der Uberlegungen zu den fiinf Grundfragen einer (evolutorischen) Theorie der Unternehmung in einen konsistenten Rahmen auf hoherer Aggregationsebene, der die Existenz und Funktionsweise von Markten analysiert und diesbezuglich weitgehend akzeptiert ist. Insgesamt ergibt sich ein theoretisches Rahmenwerk, welches die einzehien ontologischen Ebenen (insbesondere Branche, Markt, Organisationspopulation/Netzwerk, Unternehmung) - gerade in ihrer Interdependenz - weitaus gezielter auszuleuchten imstande ist. Auch durch die „Uberdachung" differenziert sich die CbTF von existierenden Theorien der Unternehmung (insb. aus dem Bereich der neo-institutionellen Okonomik). Sie ermoglicht gleichzeitig eine ganzheitliche Perspektive und eine Fokussierung auf das untemehmerische Handeln zur Chancenerkennung und -nutzung durch Erschaffung und (Mit-)Gestaltung von Neuem (z.B. Leistungsangebote, Prozessstrukturen, Geschaftssysteme und/oder ganzer Markte). Die zuweilen zu starke Konzentration der Betriebswirtschaftslehre auf die Absicherung und Rationalisierung des Bestehenden, in Routinen Umsetzbarem und seiner Optimierung (so auch Hauschildt 2002; Noss 2002, S. 36 f.) wird iiberwunden. Innovationen und ihre okonomische Umsetzung, Etablierung und Nutzung riicken in der Tradition der Ideen von Schumpeter sowie der Vertreter der Marktprozesstheorien (insb. der [New] Austrian Economics) wieder in den Mittelpunkt bei der Erorterung zentraler Fragen einer evolutorischen Theorie der Unternehmung. Mit diesem initialen Vorschlag beziiglich wesentlicher Grundlagen des Arbeitens mit dem Ansatz sind Bemiihungen in Richtung einer Competence-based Theory of the Firm jedoch erst am Anfang: In nachsten Schritten gilt es, die wahrend dieses Beitrags immer wieder implizit angedeuteten forschungsleitenden Hypothesen sowie positive und negative Heuristiken zu diskutieren, explizit zu formulieren, weiterzuentwickeln und empirischen Uberpriifungen auszusetzen.

Anmerkungen 1 Die Marktprozesstheorie konzentriert sich losgelost vom Gleichgewichtsdenken auf die Analyse und Erklarung von Marktprozessen und deren Ergebnissen aus einer eher volkswirtschaftlichen Perspektive (Witt 1999, S. 108; Schneider 1995b). Dies umfasst alle wirtschaftlichen Phanomene, die mit der Existenz von Markten verbunden sind, zum Beispiel Marktstrukturen, Marktverhalten und Marktergebnisse (Rese 2000b, S. 3). Der Begriff Marktprozess bezieht sich auf unumkehrbare zeitliche Handlungsfolgen in Markten, die auch als „Tastprozesse" interpretiert werden konnen (Schneider 1995b, S. 2 und 9 ff.). In Anlehnung an Schneider (1995b, S. 11 f.) werden Marktprozesse wie folgt definiert: „Ein Markt als Institution wird verstanden als eine geordnete Menge an beobachtbaren Elementen, genannt „Marktprozesse", und geordnet nach den Relationen „Marktregeln'' und „Marktstruktur". [...] Marktprozesse als Handlungen in einem Markt werden hier von der Marktzufuhr fiir

72

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

diesen Markt getrennt: Die Marktzufuhr eines Anbieters oder Nachfragers betrifft die realen auszuiibenden Tatigkeiten vor oder nach einer Tauschvereinbarung zu deren Erfiillung. Die Marktzufuhr bestimmt sich nach der Leistungsbereitschaft und ihrer Umsetzung in marktgangige Haupt- und Nebenleistungen/' Die sechs extrahierten Basisannahmen wurden auf ihre Verbindungen und gegenseitigen Bedingungen kritisch iiberpriift (Gersch et al. 2005, S. 28 ff.). Es konnten zwar Verbindungen entdeckt und analysiert werden, jedoch erscheint keine der gewahlten Kategorien fiir Basisannahmen durch eine andere deduktiv ableitbar. Die Basisannahmen sind nicht als dogmatische Vorgaben zu interpretieren, sondern dienen der eindeutigen Charakterisierung sowie dem Vergleich verschiedener Forschungskonzeptionen. Hierbei bieten sie auch eine differenzierte Grundlage zur Beurteilung der „paradigmatischen (In-)Kompatibilitat" verschiedener Forschungsprogramme und somit der Abwagung eines drohenden Eklektizismus bei ihrer Kombination. Eine Unternehmensneugriindung ohne jegliche Vorgeschichte hinsichtlich veredelter Inputgiiter zu Ressourcen bzw. ohne entwickelte Kompetenzen wird die absolute Ausnahme sein. Aber auch der Fall eines Starts nur mit marktgangigen Inputgiitern kann als seltener Beginn der permanenten Abfolge von (Weiter-)Entwicklungsprozessen zur Gestaltung und Sicherung einer den vermuteten zukiinftigen Marktanforderungen entsprechenden Leistungsbereitschaft interpretiert werden. Fiir ahnliche Visualisierungen von aktuellen und zukiinftigen Handlungsraumen siehe auch Schreyogg et al. (2003) und Ackermann (2003) in dem diesbeziiglichen Themenheft der Managementforschung: Schreyogg, G./Sydow, J. (Hrsg): Managementforschung 13. Wiesbaden 2003. Ahnliche Darstellungen im Rahmen der Evolutionstheorie finden sich bei Kappelhoff (2006). Ein sich in die Zukunft offnender Trichter als Handlungsraum ist aber keineswegs immer gegeben. So kdnnen zum Beispiel Entwicklungsverlaufe, welche die Eigenschaft der Pfadabhangigkeit i.e.S. aufweisen, zukiinftige Handlungsraume auf zunehmend schmalere Korridore oder gar auf enge Pfade verengen. Nur bedingt konnen einzelne Akteure diese (mit) gestalten oder gar „brechen'' (u.a. Ackermann 2003; Schreyogg et al. 2003). Die so genannte Osterreichische Schule geht zuriick auf grundlegende Veroffentlichungen ihrer beiden fiihrenden Kopfe Carl Menger und Eugen von Bohm-Bawerk und endete mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges (Fritz 1990, S. 496). Innerhalb der Osterreichischen Schule bilden die New Austrian Economics nur eine von mehreren unterschiedlichen theoretischen Richtungen. Der Name „New Austrian Economies'' geht nach Ehret (2000, S. 93 f.) auf das Wirken der beiden wichtigen Vertreter Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises zuriick, die seit den 1930er Jahren im angelsachsischen Bereich wirkten. Die Methoden dieser Denkschule wurden nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere in den USA lebendig gehalten, woher auch der englische Name kommt.

73

Jors Freilins/Martin Gersch/Christian Goeke

Literaturverzeichnis Ackermann, R. (2003): Die Pfadabhangigkeitstheorie als Erklarungsansatz unternehmerischer Entwicklungsprozesse. In: Schreyogg, G./Sydow, J. (Hrsg.): Managementforschung 13. Wiesbaden, S. 225-255. Argyris, C./Schon, D.A. (1978): Organizational learning. Reading, Mass. Astley, W.G.A^an de Ven, A.H. (1983): Central perspectives and debates in organization theory. In: Administrative Science Quarterly 28, S. 245-273. Backhouse, R.E. (1998): Explorations in economic methodolgy. London und New York. Baden-Fuller, CA^olberda, H.W. (1997): Strategic renewal in large complex organizations: A competence-based view. In: Heene, A./Sanchez, R. (Hrsg.): Competence based strategic management. Chichester, S. 89-110. Bamberger, I./Wrona, T. (1996): Der Ressourcenansatz und seine Bedeutung fiir die Strategische Untemehmensfiihrung. In: Zeitschrift fiir betriebswirtschaftliche Forschung 48 (2), S. 130-153. Barney, J.B. (1991): Firm resources and sustained competitive advantage. In: Journal of Management 17 (1), S. 99-120. Bresser, R.K.F. (1998): Strategische Managementtheorie. Berlin und New York. Bresser, R.K.F./Heuskel, D./Nixon, R.D. (2000): The deconstruction of integrated value chains. In: Bresser, R.K.F./Hitt, M.A./Nixon, R.D. (Hrsg.): Winning strategies in a deconstructing world. Chichester etc., S. 1-21. Buchanan, J.M. (1990): The domain of constitutional economics. In: Constitutional Political Economy 1 (1), S. 1-18. Burmann, C. (2002): Strategische Flexibilitat und Strategiewechsel als Determinanten des Untemehmenswertes. Wiesbaden. Burrell, G./Morgan, G. (1979): Sociological paradigms and organisational analysis: Elements of the sociology of corporate life. London etc. Cantner, U./Hanusch, H. (1997): Evolutorische Okonomie. In: Das Wirtschaftsstudium 26 (8/9), S. 776-785. Choi, Y.B. (1995): The entrepreneur: Schumpeter vs. Kirzner. In: Boettke, R/Rizzo, M.J. (Hrsg.): Advances in Austrian economics 2 (A). Greenwich etc., S. 55-78. Coase, R.H. (1937): The nature of the firm. In: Economica 4 (November), S. 386-405.

74

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Conner, K.R. (1991): A historical comparison of resource-based theory and five schools of thought within industrial organization economics: Do we have a new theory of the firm? In: Journal of Management 17 (1), S. 121-154. Conner, K.R./Prahalad, C.K. (1996): A resource based theory of the firm. In: Organization Science 7 (5), S. 477-501. Demsetz, H. (1988): The theory of the firm revisited. In: Journal of Law, Economics, and Organization 4 (1), S. 141-161. Dietl, H. (1993): Institutionen und Zeit. Tubingen. Dosi, G. (1982): Technological paradigms and technological trajectories. In: Research Policy 11 (3), S. 147-162. Duschek, S. (2002): Innovation in Netzwerken. Renten, Relationen, Regeln. Wiesbaden. Dyer, J.H./Singh, H. (1998): The relational view. In: Academy of Management Review 23, S. 660-679. Ehret, M. (2000): Innovative Kapitalnutzung. Wiesbaden. Elschen, R. (1982a): Betriebswirtschaftslehre und Verhaltenswissenschaften. Probleme einer Erkenntnisiibernahme am Beispiel des Risikoverhaltens bei Gruppenentscheidungen. Frankfurt a.M. Elschen, R. (1982b): Risikoschub bei Gruppenentscheidungen? - Ein Beispiel fiir den Umgang von Betriebswirtschaftlern mit verhaltenswissenschaftlichen Forschungsergebnissen. In: Zeitschrift fiir betriebswirtschaftliche Forschung 34, S. 870-891. Engelhardt, W.H./Reckenfelderbaumer, M. (1993): Tragerschaft und organisatorische Gestaltung industrieller Dienstleistungen. In: Simon, H. (Hrsg.): Industrielle Dienstleistungen. Stuttgart, S. 263-293. Foss, N.J. (1996): The emerging competence perspective. In: Foss, N.J./Knudsen, C. (Hrsg.): Towards a competence theory of the firm. London und New York, S. 1-12. Foss, N.J. (1997): Resources and strategy: A brief overview of themes and contributions. In: Foss, N.J. (Hrsg.): Resources, firms and strategies. Oxford, S. 3-18. Foss, K./FOSS, N.J. (2004): The next step in the evolution of the RBV: Integration with transaction cost economics. In: Management Revue 15 (1), S. 107-121. Foss, N.J./Knudsen, C./Montgomery, C.A. (1995): An exploration of common ground: Integrating evolutionary and strategic theories of the firm. In: Montgomery, C.A. (Hrsg.): Resource-based and evolutionary theories of the firm: Towards a synthesis. Boston, S. 1-17.

75

Jorg Freiling/Martin Gersch/Christian Goeke

Foss, N.J./Knudsen, T. (2003): The resource-based tangle: Towards a sustainable explanation of competitive advantage. In: Managerial and Decision Economics 24 (4), S. 291307. Freiling, J. (2001): Resource based View und okonomische Theorie. Wiesbaden. Freiling, J. (2004a): Blinde Flecken der Kompetenzforschung an der Schnittstelle zwischen Okonomie und „Anokonomischem". Kommentierung des Beitrages: „Haben und Konnen. Geben und Nehmen" von Giinther Ortmann. Workshop „Kompetenzentwicklung in Netzwerken". 2.-3. Juli 2004. FU Berlin. Freiling, J. (2004b): Competence-based View der Untemehmung. In: Die Unternehmung 58 (1), S. 5-25. Freiling, J. (2004c): Untemehmerfunktionen im kompetenzorientierten Ansatz. In: Friedrich von den Eichen, S.A./Hinterhuber, H.H./Matzler, K./Stahl, H.K. (Hrsg.): Entwicklungslinien des Kompetenzmanagements. Wiesbaden, S. 412-443. Freiling, J. (2004d): A competence-based theory of the firm. In: Management Revue 15 (1), S. 1-26. Frese, E. (1992): Organisationstheorie. 2. Aufl. Wiesbaden. Fritz, W. (1990): Ansatze der Wettbewerbstheorie aus der Sicht der Marketingwissenschaften. In: Die Betriebswirtschaft 50 (4), S. 491-512. Gersch, M. (1998): Vemetzte Geschaftsbeziehungen. Wiesbaden. Gersch, M. (2006): Untemehmerisches Handeln aus der Perspektive einer evolutorischen Forschungskonzeption - das Beispiel flexibilitatsbedingter Unternehmungskrisen. Habilitationsschrift. Bochum. Gersch, M./Freiling, J./Goeke, C. (2005): Grundlagen einer „Competence-based Theory of the Firm" - Die Chance zur Schliefiimg einer „Realisierungslucke" innerhalb der Marktprozesstheorie. Arbeitsbericht Nr. 100 des ifu. Bochum. Ghemawat, R (1991): Commitment: The dynamic of strategy. New York. Gick, W. (2002): Schumpeter's and Kirzner's entrepreneur reconsidered: Corporate entrepreneurship, subjectivism and the need for a theory of the firm. In: Foss, N.J./ Klein, P. (Hrsg.): Entrepreneurship and the firm: Austrian perspectives on economic organization. Cheltenham, S. 88-101. Giddens, A. (1984): The constitution of society: Outline of the theory of structuration. Cambridge. Grant, R.M. (1991): The resource-based theory of competitive advantage: Implications for strategy formulation. In: California Management Review 33 (3), S. 114-135.

76

Elne „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Grant, R.M. (2000): Contemporary strategy analysis: Concepts, techniques, applications. 3. Aufl. Cambridge, Mass. etc. Hamel, G./Prahalad, C.K. (1994): Competing for the future. Boston, Mass. Harper, D. (1995): Entrepreneurship and the market process. London. Hauschildt, J. (2002): Zwischenbilanz: Prozesse, Strukturen und Schliisselpersonen des Innovationsmanagements - Ergebnisse empirischer Studien des Kieler GraduiertenkoUegs „Betriebswirtschaftslehre fiir Technologie und Innovation". In: Schreyogg, G./ Conrad, P. (Hrsg.): Managementforschung 12. Wiesbaden, S. 1-34. Heinl, M. (1996): Ultramodeme Organisationstheorien: Management im Kontext des sozial- und naturwissenschaftlichen Paradigmenwechsels. Frankfurt a.M. Hodgson, G. (1993): Economics and evolution. Cambridge. Hunt, S.D. (2000): A general theory of competition: Resources, competences, productivity, economic growth. Thousand Oaks und London. Hunt, S.D./Morgan, R.M. (1996): The resource advantage theory of competition. In: Journal of Marketing 60 (4), S. 107-114. Janssen, H. (1997): Flexibilitatsmanagement. Stuttgart. Kappelhoff, P. (2006): Kompetenzentwicklung in Netzwerken: Die Sicht der Komplexitats- und allgemeinen Evolutionstheorie. In: Windeler, A./Sydow, J. (Hrsg.): Kompetenz. Wiesbaden (im Druck). Kirzner, I.M. (1988): Untemehmer und Marktdynamik. Wien. Knudsen, C. (1996): The competence perspective: A historical view. In: Foss, N. J./ Knudsen, C. (Hrsg.): Towards a competence theory of the firm. London, S. 13-37. Knyphausen-Aufsefi, D. z. (2000): Auf dem Weg zu einem ressourcenorientierten Paradigma? Resource-Dependence-Theorie der Organisation und Resource-based View des Strategischen Managements im Vergleich. In: Ortmann, G./Sydow, J./Tiirk, K. (Hrsg.): Theorien der Organisation. 2. Aufl. Wiesbaden, S. 452-480. Kor, Y.Y./Mahoney, J.T. (2004): Edith Penrose's (1959) Contributions to the resourcebased view of strategic management. In: Journal of Management Studies 41 (1), S. 183191. Lakatos, I. (1974): Falsifikationen und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme. In: Lakatos, I./Musgrave, A. (Hrsg.): Kritik und Erkenntnisfortschritt. Braunschweig, S. 89-189. Langlois, R./Robertson, P. (1995): Firms, markets, and economic change. London etc.

77

Jors FreUing/Martin Gersch/Christian Goeke

Leonard-Barton, D. (1992): Core-capabilities and core-rigidities: A paradox in managing new product development. In: Strategic Management Journal 13, S. 111-126. Lingen, T. v. (1993): Marktgleichgewicht oder Marktprozefi. Wiesbaden. Lippman, S.A./Rumelt, R.R (1982): Uncertain imitability: An analysis of intertirm differences in efficiency under competition. In: Bell Journal of Economics 13 (2), S. 418438. List, F. (1841): Das nationale System der Politischen Okonomie. Erster Band: Der Internationale Handel, die Handelspolitik und die deutsche ZoUunion. Stuttgart und Tiibingen. Loasby, B.J. (1983): Knowledge, learning, and enterprise. In: Wiseman, J. (Hrsg.): Beyond positive economics? London, S. 104-121. Madhok, A. (1996): The organization of economic activity: Transaction costs, firm capabilities and the nature of governance. In: Organization Science 7 (5), S. 577-590. Mahoney, J.T. (1995): The management of resources and the resource of management. In: Journal of Business Research 33, S. 91-101. Mahoney, J.T./Pandian, J.R. (1992): The resource-based view within the conversation of strategic management. In: Strategic Management Journal 13 (5), S. 363. Mises, L. V. (1940): Nationalokonomie: Theorie des Handelns und Wirtschaftens. Genf. Mises, L. V. (1949): Human action: A treatise on economics. Irvington-on-Hudson, NY. Moldaschl, M./Fischer, D. (2004): Beyond the management view: A resource-centered socio-economic perspective. In: Management Revue 15 (1), S. 122-151. Montgomery, C.A. (1995): Of diamonds and rust: A new look at resources. In: Montgomery, C.A. (Hrsg.): Resource-based and evolutionary theories of the firm: Towards a synthesis. Boston, S. 251-268. Moran, P./Ghoshal, S. (1999): Markets, firms, and the process of economic development. In: Academy of Management Review 24 (3), S. 30-412. Nelson, R.R.AVinter, S.G. (1982): An evolutionary theory of economic change. Cambridge, Mass. Noss, C. (2002): Innovationsmanagement - Quo vadis? - Kommentar zu J. Hauschildt. In: Schreyogg, G./Conrad, R (Hrsg.): Managementforschung 12. Wiesbaden, S. 35-48. Ortmann, G. (2006): Konnen und Haben. Geben und Nehmen. In: Windeler, A./Sydow, J. (Hrsg.)(2006): Kompetenz. Wiesbaden (im Druck).

78

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Osterloh, M./Frey, B./Frost, J. (1999): Was kann das Unternehmen besser als der Markt? In: Zeitschrift fur Betriebswirtschaft 69 (11), S. 1245-1262. Penrose, E.T. (1952): Biological analogies in the theory of the firm. In: American Economic Review 42 (5), S. 804-819. Penrose, E.T. (1959): The theory of the growth of the firm. Oxford. Peteraf, M.A. (1993): The cornerstones of competitive advantage: A resource-based view. In: Strategic Management Journal 14 (3), S. 179-191. Pfeffer, J. (1982): Organizations and organization theory. Boston etc. Pfeffer, J./Salancik, G.R. (1978): The external control of organizations. New York. Popper, K. (2000a): Individualismus oder Kollektivismus (1945). In: Popper, K.: Lesebuch - ausgewahlte Texte zu Erkenntnistheorie, Philosophie der Naturwissenschaften, Metaphysik, Sozialphilosophie. Tiibingen, S. 329-336. Popper, K. (2000b): Die Autonomie der Soziologie (1945). In: Popper, K.: Lesebuch ausgewahlte Texte zu Erkenntnistheorie, Philosophie der Naturwissenschaften, Metaphysik, Sozialphilosophie. Tiibingen, S. 337-349. Porter, M.E. (1991): Towards a dynamic theory of strategy. In: Strategic Management Journal 12, S. 95-117. Porter, M.E. (1999): Wettbewerbsvorteile. 5. Aufl. Frankfurt a.M. Prahalad, C.K./Hamel, G. (1990): The core competence of the corporation. In: Harvard Business Review 69, S. 79-91. Priem, R./Butler, J.E. (2001): Tautology in the resource-based view and the implications of externally determined resource value: Further comments. In: Academy of Management Review 26 (1), S. 57-66. Reckenfelderbaumer, M. (2002): Die Lehre von den Unternehmerfunktionen als theoretische Grundlage der Integrativitat und des Dienstleistungs-Management. In: Miihlbacher, H./Thelen, E. (Hrsg.): Neue Entwicklungen im Dienstleistungsmarketing. Wiesbaden, S. 223-256. Repenning, N./Sterman, J.D. (2002): Capability traps and self-confirming attribution. Errors in the dynamics of process improvement. In: Administrative Science Quarterly 47, S. 265-295. Rese, M. (2000a): Anbietergruppen in Markten - Eine okonomische Analyse. Tiibingen. Rese, M. (2000b): Eine Marktprozesstheoretische Sicht auf das Phanomen der Markttransaktion. Working Paper No. 1. Paderborn.

79

1

Jors Freilins/Martin Gersch/Christian Goeke

Rese, M. (2002): Zur Existenz strategischer Kompetenzgruppen - eine okonomische Betrachtung. In: Bellmann, K./Freiling, J./Hammann, P./Mildenberger, U. (Hrsg.): Aktionsfelder des Kompetenz-Managements. Wiesbaden, S. 257-274. Rieter, H. (2004): Wie die Wirtschaftslehre aus dem Schneider kommt. In: Zeitschrift fiir betriebswirtschaftliche Forschung 56, S. 60-71. Roemer, E. (2004): Flexibility in buyer-seller relationships - A transaction cost economics extension based on real option analysis. Wiesbaden. Rotem, Z./Amit, R. (1997): Strategic defense and competence based competition. In: Heene, A./Sanchez, R. (Hrsg.): Competence based strategic management. New York, S. 169-191. Sanchez, R. (2001): Building blocks for strategy theory: Resources, dynamic capabilities and competences. In: Volberda, H.W./Elfring, T. (Hrsg.): Rethinking strategy. London, S. 143-157. Sanchez, R./Heene, A. (1996): A systems view of the firm in competence-based competition. In: Sanchez, R./Heene, A./Thomas, H. (Hrsg.): Dynamics of competence-based competition: Theory and practice in the new strategic management. Oxford, S. 39-62. Sanchez, R./Heene, A. (1997): Competence-based strategic management: Concepts and issues for theory, research, and practice. In: Heene, A./Sanchez, R. (Hrsg.): Competence-based strategic management. Chichester, S. 3-42. Sanchez, R./Heene, A. (2004): The new strategic management. New York. Sanchez, R./Heene, A./Thomas, H. (1996): Introduction: Towards the theory and practice of competence based competition. In: Sanchez, R./Heene, A./Thomas, H. (Hrsg.): Dynamics of competence-based competition: Theory and practice in the new strategic management. Oxford, S. 1-35. Schanz, G. (1997): Wissenschaftsprogramme - Orientierungsrahmen und Bezugspunkte betriebswirtschaftlichen Forschens und Lehrens. In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium 26 (11), S. 554-561. Schneider, D. (1995a): Betriebswirtschaftslehre. Band 1: Grundlagen. 2. Aufl. Miinchen und Wien. Schneider, D. (1995b): Schwierigkeiten einer anwendungsbezogenen Marktprozefitheorie. Arbeitspapier zur Tagung des Ausschusses „Evolutorische Okonomik" im Verein fur Socialpolitik. 6-8 Juli 1995 in Tiibingen. Bochum. Schneider, D. (1996): Biologische Vorbilder fiir eine evolutorische Theorie der Unternehmung? In: Zeitschrift fiir betriebswirtschaftliche Forschung 48 (12), S. 1098-1114.

80

Eine „Competence-based Theory of the Firm" als marktprozesstheoretischer Ansatz

Schneider, D. (1997): Betriebswirtschaftslehre. Band 3: Theorie der Untemehmung. Mtinchen und Wien. Schneider, D. (1998): Vorlaufer der Lehre von den Kemkompetenzen: von Xenophons Kyrupaedie liber Babbage's Prinzip zu Lists „Gesetz der Kraftvereinigung". In: Glaser, H./Schroder, E./Werder, A. v. (Hrsg.): Organisation im Wandel der Markte. Wiesbaden, S. 343-358. Schneider, D. (2001a): Betriebswirtschaftslehre. Band 4: Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft. Miinchen und Wien. Schneider, D. (2001b): Theorie der Evolution der Unternehmung im Wettbewerb. In: Journal fiir Betriebswirtschaft 51 (4), S. 152-161. Schoemaker, P.J.H. (1990): Strategy, complexity and economic rent. In: Management Science 36, S. 1178-1192. Schreyogg, G. (1999): Strategisches Management - Entwicklungstendenzen und Zukunftsperspektiven. In: Die Unternehmung 53 (6), S. 387-407. Schreydgg, G./Sydow, J./Koch, J. (2003): Organisatorische Pfade - Von der Pfadabhangigkeit zur Pfadkreation? In: Schreyogg, G./Sydow, J. (Hrsg.): Managementforschung 13. Wiesbaden, S. 257-294. Schumpeter, J.A. (1911): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Berlin. Selznick, P. (1957): Leadership in administration: A sociological perspective. New York. Smith, A. (1776): An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations. 5. Aufl. (1904). Herausgegeben von Edwin Cannan. London. Stahl, H.K. (2000): Die Bedeutung des mittleren Managements fiir den Aufbau organisationaler Kompetenzen. In: Hammann, P./Freiling, J. (Hrsg.): Die Ressourcen- und Kompetenzperspektive des Strategischen Managements. Wiesbaden, S. 411-437. Sterman, J.D. (2000): Business dynamics: Systems thinking and modeling for a complex world. Boston etc. SuU, D.N. (1999): Why good companies go bad. In: Harvard Business Review 77, S. 4252. Sydow, J. (1999): Quo Vadis Transaktionskostentheorie? - Wege, Irrwege, Auswege. In: Edeling, T./Jann, W/Wagner, D. (Hrsg.): Institutionenokonomie und Neuer Institutionalismus. Opladen, S. 165-175. Teece, D.J./Pisano, G./Shuen, A. (1990): Firm capabilities, resources, and the concept of strategy. Working Paper EP-38. Berkeley, Cal.

81

Jdrs FreiUng/Martin Gersch/Christian Goeke

Teece, D.J./Pisano, G./Shuen, A. (1997): Dynamic capabilities and strategic management. In: Strategic Management Journal 18 (7), S. 509-533. Vaughn, K.I. (1994): Austrian economics in America. Cambridge. Volberda, H.W. (1998): Building the flexible firm. Oxford etc. Wemerfelt, B. (1984): A resource based view of the firm. In: Strategic Management Journal 5 (2), S. 171-180. Witt, U. (1994): Wirtschaft und Evolution. Einige neuere theoretische Entwicklungen. In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium 23 (10), S. 503-512. Witt, U. (1999): Do entrepreneurs need firms? A contribution to a missing chapter in Austrian economics. In: Review of Austrian Economics 11, S. 99-110. Zelewski, S. (1999): Grundlagen. In: Corsten, H./Reifi, M. (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre. Miinchen und Wien, S. 1-125.

Prof. Dr. Jorg Freiling Universitat Bremen Lehrstuhl fiir Mittelstand, Existenzgriindung und Entrepreneurship Wilhelm-Herbst-Strafie 5 D-28359 Bremen freiling@uni-br emen. de Dr. Martin Gersch und Dipl.-Ok. Christian Goeke beide Ruhr-Universitat Bochum Institut fiir Untemehmensfiihrung Universitatsstrafie 150 D-44801 Bochum [email protected] und [email protected]

82

IHetiich ym\ der Ottsnttz/Anilrea C^f

Beziehungskapital; Kooperationsfiihrung; Kooperationskompetenz; Managementfahigkeiten; organisationales Lernen; Sozialkapital

Zusammenfassung Angesichts der zunehmenden Ausdifferenzierung von Untemehmenskooperationen und ihrer sowohl betriebs- als auch volkswirtschaftlich gewachsenen Bedeutung wird die Frage nach den Komponenten eines diesbeztiglichen Fiihrungs-Know-hows immer drangender. Da der damit verbundene Begriff der Kooperationskompetenz in der Diskussion zumeist nur locker und wenig prazise verwendet wird, verfolgt dieser Beitrag das Ziel, auf der Basis einer intemationalen Literaturrecherche zur Konstruktvalidierung interorganisationaler Kooperationskompetenz beizutragen und dabei auch die einzelnen Konstruktdimensionen als „Teilfahigkeiten" verschiedenen Ebenen in der Organisation zuzuordnen. Die darauf aufbauenden praxeologischen Empfehlungen beriicksichtigen insbesondere den sozialen Charakter iiberbetrieblicher Partnerschaften. Damit soil ein Beitrag zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Kooperationsforschung geleistet werden.

Managementforschung 16 (2006), hrsg. von G. Schreyogg und P. Conrad Gabler Verlag • Wiesbaden, S. 83-120

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Abstract With the increasing significance of inter-firm relationships as managerial as well as economic strategic devices, researchers and practitioners likewise call for an in-depth understanding of management know-how in cooperative business settings. However, there is neither an accepted definition of this specific know-how we call „ Collaborative Capability of Firms", nor an agreement that characteristics and components constitute this capability. In this paper, we develop three dimensions of Collaborative Capability based on international literature research and identify specific skills and activities related to each of them. Based on the results, we discuss recommendations for managing inter-firm relationships focusing on aspects of social capital. Overall, we intend to contribute to validating this concept.

Inhaltsubersicht 1 Zur wachsenden Bedeutung von Kooperationskompetenz 2 Sondierung und nahere Begriindung des Konstrukts Kooperationskompetenz 3 Ebenen und Komponenten von „Kooperationskompetenz" 3.1 Die Makro-Ebene: Gesamtorganisationale Voraussetzungen von Kooperationskompetenz 3.2 Die Meso-Ebene: Teambezogene Voraussetzungen von Kooperationskompetenz 3.3 Die Mikro-Ebene: Individuelle Voraussetzungen von Kooperationskompetenz 4 Ansatzpunkte zum Management von Kooperationskompetenz 5 Resiimee und Forschungsausblick

84

Inhalt und Aufbau interorganisationaier Kooperationskompetenz

Jn the global economy, a well-developed ability to create and sustain fruitful collaborations gives companies a significant competitive leg up" (Kanter 1994, S. 96).

1

Zur wachsenden Bedeutung von Kooperationskompetenz

Kooperationen, AUianzen, strategische Wertschopfungspartnerschaften - diese Termini werden im Sprachgebrauch von Managementforschem sowie -praktikern mehr und mehr gelaufig, denn kooperative Arrangements und interorganisationale Biindnisse sind in der globalisierten Wirtschaft zum AUgemeingut geworden. Ob man so weit gehen kann, zu behaupten „the single, vertically integrated company competing as a stand-alone business is quickly becoming an obsolete business model" (Isabella/ Spekman 2001, S. 217) sei dahingestellt. Sicher ist, dass kooperative Verbindungen eine sinnfallige Antwort auf folgende Wettbewerbsbedingungen geben: •

Wachsende Komplexitat von Industrie- wie Konsumgiitern, die immer grofiere Etats fiir immer unsichere Neuentwicklungen hervorruft;

•

technologische Konvergenz vieler Branchen mit entsprechendem Druck auf das Angebot ganzheitlicher Systemlosungen und komplementarer „Angebotspakete" (vgl. hierzu speziell Sydow et al. 2002);

•

Notwendigkeit zur Erzielung von Economies of Scale und Scope mit dem haufigen Zwang zur internationalen Marktabdeckung;

H komprimierte Produktlebenszyklen, d.h. verkiirzte Pay-off-Phasen, die partnergestiitzte Schnelligkeitsvorteile essentiell werden lassen; •

weiterhin bestehende Handelsschranken und national verriegelte Markte, die oft nach einem kooperativen Markteintritt verlangen.

Wenn die Zukunft im „Hyperwettbewerb'' tatsachlich durch die Konkurrenz starker Firmennetzwerke gepragt ist (vgl. Contractor/Lorange 2002, S. 498 f.; D'Aveni 1995, S. 199 ff.; Gomes-Casseres 1994), dann verschiebt sich der Ankerpunkt des strategischen Denkens zusehends auf die iiberorganisationale Ebene, und die Effektivitat geschaftlicher Biindnisbeziehungen wird immer deutlicher zu einem entscheidenden Trumpf. Auf der anderen Seite ist nicht zu iibersehen, dass viele Koalitionen fiir wenigstens einen der Beteiligten mit einer Enttauschung endeten. Gerade in der Analyse von Biindnissen zwischen japanischen und US-amerikanischen oder europaischen Unternehmen fallt ein hoher Grad an einseitig von westlicher Seite aufgekiindigten Biindnissen auf - die Kooperationen zwischen Honeywell/NEC, General Motors/

85

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Toyota, General Motors/Daewoo, Xerox/Canon oder Canon/Apple sind nur einige Beispiele. Dementsprechend hagelte es in den Achtziger Jahren wissenschaftliche Beitrage der Provenienz „Joint ventures with Japan give away our future" (vgl. Reich/ Mankin 1986) beziehungsweise wurde noch vor kurzem gefragt, ob japanische Partner nicht vielfach „Trojan Horses" in einem Biindnis waren (vgl. Hennart et al. 1999). Vor allem japanische Untemehmen scheinen also schneller erkannt zu haben, dass auch in zunachst weniger wissenslastigen Kooperationen (z.B. in Vertriebs- oder Beschaffungsallianzen) Kompetenz- und Lemziele verfolgt werden konnen. Und wenn die Griinde ambivalenter Kooperationsergebnisse im Einzelfall auch vielschichtig sein mogen: Fast immer waren Asymmetrien in der Lemtiefe und Lemgeschwindigkeit zwischen den beteiligten Unternehmen mit fiir die negative Erfahrung eines Partners verantwortlich (vgl. u.a. Badaracco 1991, S. 76 f£.; D'Aveni 1995, S. 117; Hill/Hellriegel 1994; Hamel et al. 1989 oder speziell fiir die Halbleiter- und TV-Gerate-Branche Shan/Hamilton 1991, S. 430). Dieser Befund hangt nur vordergrundig mit der gestiegenen Zahl wissensbasierter Untemehmenskooperationen zusammen (vgl. Mowery et al. 1996, S. 77 f.); viel eher lassen sich signifikante Unterschiede hinsichtlich der Kooperationsphilosophie und der Kooperationsprofessionalitdt der beteiligten Untemehmen als ursachlich vermuten. Oder anders: „Understanding of collaborative mechanisms and transfer processes favors knowledge absorption by eliminating many of the unnecessary tasks and disruptive noise of cooperation" (Simonin 1999, S. 603). Die zunehmende Wichtigkeit von Kooperations-Know-how muss jedoch nicht allein mit kooperationsinharenten Lemasymmetrien begriindet werden: AUianzen und Netzwerke sind - insbesondere in der Form multilateraler Biindnissysteme - ohne ein spezielles Know-how letztlich nicht effektiv zu managen (vgl. Dyer/Singh 1998; Lorenzoni/Lipparini 1999; Powell et al. 1996; Lei 1993, S. 37 f.; Lei/Slocum 1992). Kooperationen evozieren spezielle Fuhrungsumstdnde und verlangen demgemajS weiterreichende Managementfahigkeiten als dies bei einem autonom agierenden Unternehmen der Fall ist. Dies liegt zunachst an der Multipersonalitdt, der Multiorganisationalitdt sowie der oftmaligen Multinationalitdt einer firmeniibergreifenden Partnerschaft (vgl. Meckl 1995, S. 35 f.). Eine Folge hiervon ist, dass die Prozesse im Rahmen eines Kooperationsprojekts von den parallel ablaufenden Prozessen in den Mutteruntemehmen beeinflusst werden, und somit eine ureigene Mixtur aus Eigenleben und Aufieneinwirkung entsteht (vgl. Kutschker 2005, S. 1143; Sydow 1992, S. 301 ff.). Insofem miissen AUianzen und Netzwerke als hochdynamische und emergente, d.h. sich z.T. auch ungesteuert entwickelnde Gebilde begriffen werden, in denen die Startbedingungen selten lange Bestand haben; eher gilt: „Most alliance groups don't spring into life fully formed. They are built gradually, piece by piece" (Gomes-Casseres 1994, S. 65; ahnlich Inkpen/Currall 2004, S. 587). Dies macht alltagliche Aushandlungsprozesse und Aktivitaten der operativen Konfliktbewaltigung zum Normalfall (vgl. Aderhold/Wetzel 2005; CuUen et al., S. 226; Gretzinger et al. 2002; Lin/Germain 1998). Neben die iiblicherweise thematisierten formalen Prozesse der Kooperationssteuerung (z.B. Selektion, AUokation, Regulation, Evaluation bei Sydow 2003, S. 312) tritt daher eine Viel-

86

Inhalt und Aufbau interorsanisationaler Kooperationskompetenz

zahl meist weniger beachteter informaler Prozesse, wie z.B. das reziproke „sensemaking", ^understanding" und „ committing" (vgl. Ring 2000, S. 155; Ring/van de Ven 1994, S. 96 ff. sowie Abschnitt 3.3). Benotigt werden deshalb vor allem auch sozioemotionale Managementfahigkeiten bzw. ein Mindestmafi an ^relational quality" (vgl. Arino et al. 2001). Dies hangt letztlich eng zusammen mit einem weiteren Charakteristikum: der doppelten Bindung transorganisationaler BUndnisse, Neben der bislang vorwiegend beachteten okonomisch-materiellen Koppelung, die mit steigender Zahl der Kooperationsmitglieder rapide zunimmt und die Koordinationsproblematik kompliziert, konstituieren kooperative Arrangements auch soziale Gebilde, die auf zusatzlichen Austauschebenen fufien (vgl. Das/Teng 2002, S. 447 f.; Gulati 1998, S. 95 f.). Spekman et al. (1996, S. 350 f.) stellen sich AUianzbeziehungen dementsprechend als eine ineinander verwobene Doppelhelix vor, deren beiden Strange - „relationship" und „business" - vom „alliance spirit" (gemeint sind die impliziten Normen und Grundregeln der Kooperation) zusammengehalten werden. Die immanente soziale Austauschebene - von Blau (1964, S. 91) als „voluntary actions of individuals that are motivated by the returns they are expected to bring and typically in fact bring from others" definiert - erweitert das erforderliche Kompetenzbiindel der Kooperationsfiihrung betrachtlich. Derm Kooperationen basieren, neben dem formal-vertragsgestiitzten, gleichsam „erzwungenen" Leistungstransfer, wesentlich auch auf freiwillig-ungeregelten Austauschprozessen, die ein kontingentes System wechselseitiger Belohnungsreaktionen bedingen und zur okonomischen somit zusatzlich eine immaterielle Koppelung begriinden. Dabei entscheidet die strukturelle wie soziale Position eines Untemehmens in seinem Netzwerk iiber dessen Reputation, Einfluss und letztendliche Appropriierungsfahigkeit. In diese Denkrichtung zielt zumindest der zunehmend beachtete Begriff des betrieblichen Social Capital (vgl. Burt 2003, 1997; Koka/Prescott 2001; Tsai 2000; Walker et al. 1997; in Deutschland Maurer 2003; Matiaske 1999). Publikationen zum Konstrukt „Kooperationskompetenz" haben vor diesem Hintergrund in den letzten Jahren an Umfang zugenommen. Inhaltlich wie methodisch ist die Literatur allerdings stark eingeschrankt: Zum einen bleibt das Konstrukt selbst vergleichsweise oberflachlich und wenig operabel, zum anderen blickt man in gewohnter Manier nach Asien - speziell auf japanische Automobilzuliefer-Netzwerke um von dort praktische Gestaltungshilfe zu erlangen (z.B. Kotabe et al. 2001; Dyer/ Nobeoka 2000; Dyer 1996). Uberdies findet sich ein „Dschungel" unterschiedlichster Konstruktelemente, deren heuristische Herkunft nicht immer ausreichend klar ist. Insgesamt herrscht also eine eher unsystematisch-anekdotische Sichtweise vor. Ziel unseres Beitrages ist es daher, auf exploratorischem Niveau zur Konstruktvalidierung interorganisationaler Kooperationskompetenz beizutragen. Hierzu sind klarer als bisher verschiedene Wirkungsebenen in der Organisation zu differenzieren und sodann erste Empfehlungen zum gezielten Aufbau von Kooperationskompetenz zu geben. Der Aufsatz ist daher bewusst breit angelegt. Die Prazisierung einzelner Subkomponenten - z.B. von Teamfahigkeiten im Rahmen der Personalauswahl - wurde

87

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

andernorts bereits fallweise geleistet und kann dann hier fur unsere Zwecke herangezogen werden. Sie tritt damit jedoch hinter dem Ziel der Sammlung, Verkniipfung und inhaltlichen Neuausrichtung der Einzelelemente zuriick.

Sondlerung und nahere Begrlindung des Konstrukts Kooperatlonskompetenz Wenngleich das Konstrukt „Kooperatlonskompetenz" in diesem Beitrag primar mit Blick auf interorganisationale Beziehungen analysiert wird, muss an dieser Stelle einer semantischen Verengung vorgebeugt werden: Natiirlich wird eine derartige MetaFahigkeit auch in organisationsintemen Arbeitsprozessen benotigt, besteht doch das genuine Wesen von „Organisation" bzw. „Hierarchie" darin, dass hierdurch ein formales wie informales Regelungsgeriist kreiert wird, das sich vor allem uber seine spezielle Losung der allgegenwartigen Koordinations- und Kooperationsproblematik charakterisiert. Bestimmte, nachfolgend noch zu konkretisierende Dimensionen von Kooperationskompetenz sind somit bei internen wie grenziiberschreitenden Arbeitsprozessen identisch. Gleichwohl treten - wie oben bereits skizziert - im Rahmen organisationsiibergreifender Aktivitaten zusatzliche Schwierigkeiten und Erfordemisse auf, die letztlich eine bevorzugte Hinwendung zur interorganisationalen Kooperationskompetenz rechtfertigen. Dabei lasst sich Kompetenz zunachst allgemein als praktisches Konnen, also als „handlungsbezogen bewahrtes Wissen" begreifen. Im Rahmen dieser Sichtweise korrespondiert „Kompetenz" am starksten mit dem gelegentlich synonym verwendeten Begriff „Know-how", beinhaltet dariiber hinaus aber zumeist auch das Wissen um deklarative Fakten (= Know-what) sowie das Vermogen einer prinzipiellen Reflexionsfahigkeit (= Know-why). Der spezielle Terminus Kooperationskompetenz wird in der Literatur dann sehr unterschiedlich gefiillt - mit zum Tell deutlich anderen Akzentuierungen finden sich u.a. die Begriffe Relational capability (LorenzoniA^ipparini 1999), Collaborative Know-how (Simonin 1997), Kooperationsfdhigkeit (Eisele 1995), Komplementaritdtskompetenz (Bellmann/Hippe 1996, S. 71), Kooperative Kernkompetenz (Duschek 1998) und Beziehungs-, Vernetzungs- oder Netzwerkkompetenz (Stahl 1996; Peitz 2002 bzw. Ritter 1998; Ritter/Gemiinden 1998). Im Folgenden soil anhand einer Synopse ausgewahlter Arbeiten ein erster Uberblick iiber die Vielzahl der Begriffe sowie mogliche Konstruktinhalte und -dimensionen gegeben werden. Die referierten Arbeiten wurden dabei aufgrund ihrer Originalitat, inhaltlichen Operationalisierung und/oder spateren Verwendbarkeit in unserem Text ausgewahlt. Ein Anspruch auf VoUstandigkeit wird nicht erhoben (einen hilfreichen, wenngleich nicht mehr ganz aktuellen Uberblick geben auch Pfohl/Buse 1999, S. 286).

88

Inhalt und Aufbau interorsanisationaler Kooperationskompetenz

•

Miiller (1990) - Kooperationsfdhigkeit - unterscheidet grob in objektive und psychologische Voraussetzungen. Objektive Faktoren sind Interessenidentitat, ahnliche Unternehmensgrofien, Freiwilligkeit, solide Finanzausstattung und Wettbewerbsstarke. Psychologische Bedingungen: Vertrauen, Informationsbereitschaft, „sinnvolle'' Ziele, individuelle Kooperationsfahigkeit sowie Wille zu gemeinsamen Losungen.

•

Bronder (1993) - Kooperationsfdhigkeit - nennt als „tragende Saulen'': vertrauensforderndes Kooperationsverhalten der Mitarbeiter; kooperationsfdrdemde, dezentrale Organisationsstrukturen; kooperationsfordemde Managementsysteme.

11 Bellmann/Hippe (1996) - Komplementaritdtskompetenz - fiihren als Dimensionen auf: Logistikkompetenz, Koordinationskompetenz, Kommunikationskompetenz; sowie als grundlegende Komplementaritdtskompetenzen: reziproke Kompetenz; sequentielle Kompetenz; redistributive Kompetenz. •

Hinterhuber/Stahl (1996) differenzieren drei Teilkompetenzen: Relationale Kompetenz im Sinne von identitatsfordemden Fahigkeiten, wie z.B. RoUeniibernahme (Fahigkeit, die Erwartungen der Interaktionspartner zu iibemehmen); Ambiguitatstoleranz (Fahigkeit, die Entfaltung der Ich-Identitat der Beziehungspartner zu akzeptieren); Selbstoffnung (Bereitschaft, dem Interaktionspartner Einblick in das Selbst zu gewahren). Sodann die Reputationale Kompetenz als „jene Fahigkeiten und Fertigkeiten, die fiir den Aufbau und Erhalt von Reputationskapital (Vertrauenswiirdigkeit und Ansehen) erforderlich sind''. Schliefilich die Integrative Kompetenz als Vermogen zur Kombination diagnostischer mit gestaltender Fahigkeit.

B Hilb (1997) - Transformations- und Vernetzungsfdhigkeit - sieht jene als Schlusselkompetenz in Unternehmen, die ein hohes Mafi an Offenheit verlangen. Das Anforderungsprofil an einen virtuellen Partner: Personlichkeits-Kompetenz; FachKompetenz; Fiihrungs-Kompetenz; Sozial-Kompetenz. •

Hillig (1997) - Kooperationskompetenz - als die allgemeine Fahigkeit von Unternehmen, die organisatorischen Voraussetzungen fiir erfolgreiche Kooperation zu schaffen. Komponenten, jeweils auf Kooperations- und Partnerebene sind: Selbstorganisation, Beobachtung, shared understanding, Vertrauen und Konfliktlosungsfahigkeit.

•

Simonin (1997) - Collaborative Know-how - als fiinf-faktorielles Konstrukt: collaborative management know-how (mit 43,7 % Varianzaufklarung der wichtigste Faktor), negotiation know-how, partner-searching know-how, knowledge and skill transfers sowie exiting skills.

•

Beck (1998) - Netzwerkfdhigkeit - als „Networking"-Kompetenz einer Unternehmung zum effizienten Aufbau, Betrieb und Losen von Netzmitgliedschaften. Bausteine von Netzwerkfahigkeit: Diagnosefahigkeit, Anwerbefahigkeit, Bargaining-Kompetenz, Konfliktfahigkeit, Sicherungskompetenz, Fairness, Lernfahigkeit, Flexibilitat, IT-Kompetenz.

89

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

•

•

•

Ml

•

•

ReiJS (1998) - Netzwerkkompetenz - mit den Elementen Segmentierungskompetenz; Vemetzungskompetenz; Infrastrukturkompetenz. Diese Teilfahigkeiten miissen durch adaquate Kombination in einen „Kompetenz-Mix" iiberfuhrt werden. Dent (1999) - Partnering Intelligence - wird gemessen iiber einen „partnering quotient" (PQ), welcher „ certain traits and skills that lead to successful partnerships" beinhaltet; namlich: clear vision, welcomes change, creatively resolves conflicts and solves problems, values interdependence, trust, openly self-discloses information, feedback. Zahn/Foschiani (2002) - Netzwerkfahigkeiten - die sich vor allem in Beziehungskapital manifestieren. Dabei erleichtert interne Netzwerkfahigkeit die Bildung extender Netzwerkbeziehungen (u.a. via kooperationsfordemdem Klima, Erfahrungen mit intemen Kooperationen, Anreizen zur iibergreifenden Ressourcenbundelung). Peitz (2002) - Vemetzungskompetenz - die sich vor allem als „Interaktionsfahigkeit in Netzwerken" zeigt. Die Elemente: Grenzstellengestaltung, Interaktionskultur und Mitarbeiter, Kommunikation/InformationAVissen sowie Netzwerkstrategie und Beziehungsportfolio. Feldman (2004) - Relational resources - die sich in „understanding about both the skills and the willingness of other people" aufiert. Dies wird begiinstigt durch „Trust, authority, complementarity, and information are qualities of the relationships that influenced the way people were able to work together." Phan/Styles/Patterson (2005) - Relational competence - mit den beiden Dimensionen Relationship initiation competence und Relationship maintenance competence. Daneben aber auch Relationship quality mit den Einzeldimensionen Trust, Satisfaction, Commitment und Joint problem solving.

Auf der Suche nach konzeptiibergreifenden Gemeinsamkeiten ist zu konstatieren, dass „Kooperationskompetenz" als Sammelbegriff eine Vielzahl diverser Einzelfahigkeiten umfasst, die - je nach Kooperationsrichtung - zudem in ihrer Wichtigkeit situativ variieren diirften. Wenn es speziell um die vertikale Zusammenlegung von Unternehmenskompetenzen innerhalb einer ganzheitlichen Wertschopfungskette geht, dann beschreibt der Begriff z.B. die Fahigkeit, Ressourcenkomplementaritaten zwischen den Partnem erkennen und die einzelnen Leistungsbeitrage friktionslos zu einem nutzenstiftenden Endprodukt zusammenfiigen zu konnen. Blickt man hingegen eher auf horizontale Kooperationen zwischen Wettbewerbem, dann geht es vor allem um die Schnelligkeit und Tiefe des eigenen Wissenszuwachses bei gleichzeitigem Wissensschutz (vgl. von der Oelsnitz 2005, S. 201). Auch hinsichtlich der Kooperationsart bzw. der verfolgten Kooperationsziele variieren die geforderten Fahigkeiten. In Beschaffungsallianzen sind Lemfahigkeiten z.B. weniger zentral, bei Produktionsallianzen dominiert die technische Anschlussfahigkeit; innovationsorientierte AUianzen erfordem eine starkere Beachtung des Wissenstransferprozesses als Biindnisse, denen eher Routineaufgaben obliegen.

90

Inhalt und Aufbau interorsanisationaler Kooperationskompetenz

Kompositionell umfasst Kooperationskompetenz auf der Gesamtunternehmensebene in einer ersten Annaherung zum einen die Verbesserung der allgemeinen organisationalen Beziehungs- und Anschlussfahigkeit (als eher sozio-technische Grofie, die partnerabhangig ist), und zum anderen die Fahigkeit zur bestmoglichen Entwicklung sowie eigenen Nutzung einer Kooperation durch den Einsatz eines eher universellen Management-Know-hows (als intellektuelle Grofie, die partnerunabhangig ist). Uberblickt man im Weiteren die einzelnen Elemente - als Teilfahigkeiten interpretiert - in der obigen Synopse, dann befinden sich diese offenkundig auf unterschiedlichen Organisationsebenen. Vereinfachend ist zwischen unmittelbarer Arbeitsebene (Individuum und Team) und iibergeordneter Leitungsebene einer Kooperation zu unterscheiden. Diese Konzipierung von Kooperationskompetenz als mehrdimensionales Konstrukt, das sowohl personliche Fdhigkeiten der individuellen Kooperationstrager als auch organisationale Fdhigkeiten bzw. Merkmale der Partnerunternehmen insgesamt umfasst, wird von verschiedenen Autoren zwar geteilt (vgl. Hillig 1997, S. 101 f., 181 ff.; Spekman et al. 2000, S. viii; Wiihrer 1995, S. 82; Miiller 1990, S. 371 f.), nichtsdestotrotz aber von der Mehrheit iibersehen. Da Kompetenzen letztlich durch innerorganisationale Lernvorgange entstehen, ist es wichtig festzustellen, dass unsere Systematik mit der iiblichen dreigliedrigen Schichtung betrieblicher Lernprozesse korrespondiert (vgl. z.B. Reber 1992, Sp. 1243). Kooperationskompetenz wird im Rahmen dieses Beitrags folgerichtig als aus den Elementen der Individualkompetenz, der gruppenbasierten Mesokompetenzen sowie der iibergreifend-integrierenden Makrokompetenzen bestehend beschrieben. Analog: „Alliance competence is partly a function of individual skills and capabilities and firm-level attributes that enhance, encourage, and support alliance-like thinking and behavior throughout the firm'' (Spekman et al. 2000, S. iix). Dementsprechend wird interorganisationale Kooperationskompetenz nachfolgend als die Summe der in eine spezifische Kooperationsbeziehung eingebrachten individuellen, teambezogenen und gesamtorganisationalen Unternehmensfdhigkeiten verstanden. Dabei diirfen Zusammenhdnge und Interdependenzen nicht iibersehen werden. Die soziale Kooperationsdimension beschrankt sich nicht auf eine einzelne Ebene; der Begriff der Unternehmung darf gerade hier nicht reifiziert werden - es handelt ja nicht „das'' Unternehmen; festzuhalten ist vielmehr, dass die eigentliche Zusammenarbeit in Untemehmensbiindnissen zwischen Teams beziehungsweise Individuen stattfindet. Die jeweils ausgewahlten Mitarbeiter bringen hierbei ihr ureigenes, mehr oder minder geeignetes Set von Fahigkeiten und Personlichkeitsmerkmalen ein. Dies gilt ebenso fiir die Leitungsebene: Auch hier mlissen zum Zwecke der effektiven Suche, Auswahl und Einbindung geeigneter Partner bestimmte Fahigkeiten vorhanden sein. Beide Bereiche sind nicht unabhangig voneinander, z.B. wirken die kooperationskonstituierenden Entscheidungen der Leitungsebene in nachhaltiger Weise auf die spatere operative Zusammenarbeit der Beteiligten ein (d.h. kooperationsvertragliche Regelungen erschweren oder vereinfachen, je nach ZweckmajSigkeit, das alltagliche Miteinander). Und auch hinsichtlich des Faktors Sozialkapital beriihrt sich die Makroebene der

91

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Kooperationskompetenz mit einer noch naher zu definierenden Mikroebene. Derm um soziales Kapital - sprich: Einfluss und Vertrauen - aufzubauen, bedarf es letztlich auf alien Ebenen der Zusammenarbeit personlicher Integritat und politisch-emotionaler Managementfahigkeiten. Die damit angesprochenen Teilkompetenzen auf der Individualebene wirken ihrerseits wiederum auf das Image und die Reputation eines Unternehmens als Kooperationspartner fiir andere ein. Auf Basis dieser Uberlegungen sollen im folgenden Abschnitt die verschiedenen Ebenen interorganisationaler Kooperationskompetenz prazisiert werden.

Ebenen und Komponenten von „ Kooperationskompetenz"

Abb. 1:

92

Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz

Inhalt und Aufbau interorsanisationaler Kooperationskompetenz

3.1

Die Makro-Ebene: Gesamtorganisationale Voraussetzungen von Kooperationskompetenz

Die organisationsinternen und -externen Voraussetzungen stecken die Rahmenbedingungen der interorganisationalen Kooperationskompetenz ab und ummanteln samtliche Prozesse und Aspekte der interorganisationalen Kooperationskompetenz (vgl. Abb. 1). Nicht nur werden auf der Makro-Ebene die grundlegenden Entscheidungen getroffen. Auch bestimmt vor allem die Verfiigbarkeit der tangiblen und intangiblen Ressourcen mit unterschiedlicher Relevanz, Reagibilitat und Transferierbarkeit iiber die Attraktivitat einer Unternehmung fiir andere und damit iiber die Erfolgswahrscheinlichkeit der Zusammenarbeit. Einigkeit besteht in diesem Zusammenhang dariiber, dass diese Ressourcen in einer Unternehmenskooperation gezielt gesteuert werden miissen (vgl. Hinterhuber/Stahl 1996, S. 96). Wir gehen in den folgenden Uberlegungen dabei davon aus, dass im Unternehmen die Motivation, eine Kooperation mit einem anderen Unternehmen einzugehen, prinzipiell gegeben ist. Gemafi obiger Literaturrecherche betrifft die gesamtorganisationale FUhrungs- und Beziehungsfdhigkeit grundsatzliche Untemehmensmerkmale, die quasi den unausgesprochenen Hintergrund einer Kooperation bilden. In ordnender Absicht lassen sich drei Dimensionen unterscheiden: (1) funktionale Kernkompetenzen sowie iibergreifendes Management-Know-how als Meta-Ressource (fachliche und iiberfachlich-strategische Dimension); (2) kompatible Managementsysteme, Organisationsstrukturen und tionswege (systemisch-technische Dimension);

Kommunika-

(3) organisational Reputation und Zentralitat (soziale Dimension). Der Besitz spezieller Kompetenzen und Ressourcen ist die Eingangsvoraussetzung kooperativer Arrangements. Ein Unternehmen muss folglich entweder eine bestimmte betriebswirtschaftliche Funktion (Forschung, Marketing, Produktion etc.) beherrschen, die der Partner mitnutzen mochte (wodurch er sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren kann), oder es muss iiber wesentliche materielle oder immaterielle Ressourcen verfugen, die es effizienzfordernd in eine Kooperation einbringen karm (Finanzkraft, Marktkenntnis, Vertriebsstruktur, Management-Know-how etc.). Attraktivitat fiir potenzielle Partner erreicht ein Unternehmen dann, wenn die Kompetenzen und Ressourcen so gesteuert werden, dass sie eine koordinierte Gesamtheit von Knowhow, Fahigkeiten und Technologien darstellen (vgl. Fiamel/Prahalad 1997). Verschiedene Studien erbringen den empirischen Nachweis iiber untemehmensweit gebiindelte Kompetenzen in Unternehmensnetzwerken sowie uber die Differenz zwischen fachlichen („general purpose'') und grundsatzlicheren, fiihrungsbezogenen Fertigkeiten („alliance capability''; vgl. z.B. Inkpen/Currall 2004, S. 592; Anand/Khanna 2000, S. 313; Kale et al. 2002; Lorenzoni/Lipparini 1999). In der jiingeren Forschung wird angenommen, dass diese Kompetenzen auf der Makro-Ebene entwickelt werden

93

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

konnen (vgl. Spekman et al. 2000; ZoUo et al. 2002). Begriindungen dieser Annahme wurzeln vor allem im Aussagengeriist des „Resource-based view" bzw. des „Knowledge-based view of the firm" (vgl. genauer Abschnitt 4). Neben der Aufgabe, das strategische Fiihrungs-Know-how sowie die fachlichen Voraussetzungen fiir die grenziiberschreitende Beziehungsfahigkeit zu entwickeln, ist das Untemehmen fiir andere formal anschlussfahig zu gestalten. Dies betrifft die systemisch-technische Dimension einer iiberbetrieblichen Partnerschaft. Die Anforderungskataloge hinsichtlich diverser „Teil-Kompatibilitaten" sind insbesondere zu dieser FitDimension umfangreich. Hier fallen aber auch normative Inkonsistenzen auf: So werden beispielsweise in einem Teil der Literatur ahnliche Untemehmenskulturen der Biindnispartner gefordert, in einem anderen Teil zu differenten Kulturen geraten. Widerspriichliche Befunde lassen sich auch zu den Parametem Untemehmensgrofie, Untemehmensalter, Umsatzstarke und Branche der Partner finden. Insbesondere die Arbeit von Robson (2002), die aus einer Liste mit 37 potenziell relevanten Kriterien zur Partnerselektion schliefilich 12 distinkte Kriterien herausschalt, zeigt indes, dass eine diesbeziiglich angestrebte VoUstandigkeit von Fit-Dimensionen nicht nur kaum moglich, sondem letztlich auch nicht sinnvoU ist, da sich eine iiberraschend grofie Zahl von Kriterien als fur den finalen Kooperationserfolg irrelevant (und damit vemachlassigbar) erwiesen hat. Dies gilt nur fiir wenige Parameter nicht, die aus diesem Grunde fiir eine Operationalisierung vorgeschlagen werden: Zuvorderst sind dies die betrieblichen Fiihrungs- und IT-Systeme (Planungs-, Informations- und Anreizsystem). Empirische Studien zeigen einhellig, dass ein Misfit hier zum Scheitem der Zusammenarbeit fiihren kann (vgl. u.a. Dyer/Singh 1998, S. 668). Daten kormen in diesem Fall nur unter Schwierigkeiten ausgetauscht werden, oder differente Anreizphilosophien honorieren einmal den Gruppen-, andemorts die Einzelleistung und richten so das Verhalten der Kooperationsbeteiligten abweichend aus. Auch unterschiedlich ausgelegte Planungssysteme, mit unterschiedlichen Zeithorizonten oder Planungspramissen, erschweren eine reibungslose Zusammenarbeit. Uberdies muss die Organisationsstruktur der kooperierenden Untemehmen anschlussfahig sein; erschwert wird eine Zusammenarbeit z.B. dann, wenn sachkundiges und zugleich interkulturell kompetentes Personal fehlt (vgl. vor allem Graf 2004a), nicht in geniigendem Mafie grenziiberspannende Einheiten vorhanden sind oder fehlende Standorte (Auslandsniederlassungen etc.) die personlichen Zusammenkiinfte der Beteiligten auf ein Minimum reduzieren. Die oben bereits angesprochene soziale Dimension einer Kooperationsbeziehung, die neben dem okonomischen ein soziales Netzwerk konstituiert, das iiber die eigentliche Koalition hinaus haufig auch diverse Aul^enkontakte der Partner in das Biindnis einbringt, riickt als dritte Dimension die soziale Einbettung (Sozialkapital) des Unternehmens in den Vordergrund: „Evidence suggests that the proclivity of firms to enter alliances is influenced not only by their financial and technological attributes (...), but also by how they are embedded in social networks" (Gulati 1998, S. 300). Die Ein-

94

Inhalt und Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz

bettung in die organisationale Umwelt bezieht sich dabei sowohl auf die soziale als auch auf die strukturelle Stellung des Unternehmens innerhalb eines gegebenen Netzes sozialer Beziehungen (zu einzelnen Strukturmerkmalen vgl. Maurer 2003, S. 32 ff.; Coleman 2000, S. 26 f.). Die wichtigsten Auspragungen der sozialen Einbettung sind demnach Reputation und Zentralitat. Die besondere Bedeutung der Sozialdimension beruht auf der Tatsache, dass Kooperationen in der Kegel, anders als der transaktionskostentheoretische Zugang dies modelliert, keine separaten Einmalvorgange darstellen, sondern sich in ihrer konkreten Entwicklung vielmehr pfadabhangig zeigen - Verhalten und Leistungen eines Unternehmens in vormaligen Kooperationen bleiben insofern „gespeichert" und bilden zusammen mit dem Ausmafi der betrieblichen Verkniipfung mit anderen Marktteilnehmern iiber die Zeit das spezifische Sozialkapital eines Unternehmens. Diese Grofie ist insofern Voraussetzung und Folge sozialer Austauschbeziehungen zugleich (vgl. Coleman 2000, S. 38; Matiaske 1999, S. 134). Sie stellt aufierdem einen nicht-imitierbaren und kaum substituierbaren Vermogenswert dar. Gulati (1998, S. 298 ff.) konnte in diesem Sinne zeigen, dass ein hohes Sozialkapital nicht nur die AUianzbildung eines Unternehmens erleichtert, sondern sich letztlich auch auf zahlreiche andere Kooperationsparameter positiv auswirkt (z.B. die Governance-Struktur, die Evolution der Kooperation und ihre okonomischen Resultate). Dies gilt ebenso fiir das verbesserte Inter-Partner-Lernen (vgl. Kale et al. 2000; Lane/Lubatkin 1998). Auch Lorenzoni und Lipparini konnten in ihrer Studie nachweisen, dass die Beachtung der sozialen Kooperationsdimension nicht nur die Biindnisstabilitat erhoht, sondern gleichzeitig auch bessere Innovations- und Kostenwerte bewirkt (vgl. Lorenzoni/Lipparini 1999, S. 332 f.). Auf der anderen Seite konnen Unachtsamkeiten in diesem Bereich fiir das Scheitern von Kooperationen (mit-)verantwortlich gemacht werden (vgl. z.B. fiir die AUianz zwischen Renault und Volvo Bruner/Spekman 1998, S. 144 f.). Zu einer hohen Kooperationskompetenz gehort insofern auch der passende soziale Kontext eines Unternehmens. In diesem Sinn kompetenten Partnern erwachsen aus ihrer sozialen Reputation und Position in einer Vielzahl von Biindnisbeziehungen vor allem zwei Vorteile: Zum einen konnen sie aufgrund ihres Status' leichter hochrangige Kooperationspartner fiir eine Zusammenarbeit gewinnen, zum anderen erlangen sie Informationsvorteile, d.h. bekommen aufgrund ihrer strukturellen Zentralitat einen besseren Uberblick iiber leistungsstarke Partner und giinstige Biindnisgelegenheiten. Ein positiver sozialer Kontext fiihrt z.B. dazu, dass ein Unternehmen Referenzen von einstmaligen Biindnispartnern erhalt und/oder gemeinsam mit diesen Synergieeffekte bei der Ausschau nach weiteren Kooperationsmitgliedern erzielt. Diverse Studien zeigen klar, „that firms that had more prior alliances, were more centrally situated in the alliance network, or had more focused networks, were more likely to enter new alliances and did so with greater frequency'' (Gulati 1998, S. 300 f.; ahnlich Walker et al. 1997). Zu beachten ist, dass durch diesen sozialtheoretischen Akzent die traditionell okonomische Ratio der Kooperationsbildung keineswegs aufier Kraft gesetzt wird; die soziale Reputation eines (potenziellen) Kooperationsmitglieds dient vielmehr als In-

95

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

dikator fiir dessen Zuverlassigkeit und Vertrauenswiirdigkeit. Damit kann das immanente Moral-hazard-Problem bei der Kooperationsformierung wirksam reduziert und die Gefahr respektive die Kosten eines etwaigen opportunistischen Verhaltens eines Biindnismitglieds verringert werden. Den theoretischen Reflexionen entsprechend ist die soziale Dimension interorganisationaler Kooperationskompetenz insofem operationalisierbar, als die ,Joint Actions" eines Untemehmens als Beurteilungskriterium verwendet werden konnen (siehe diesbeziigliche Ausfiihrungen von Dyer/Singh 1998 und Heide/John 1990). Schreiner et al. (2005) empfehlen bei einer Evaluation der sozialen Dimension anhand der Joint Actions die Fokussierung auf Kooperationen in Verkauf, Projektimplementierung, Training und Weiterbildung, Maintenance und Kundenbetreuung sowie Produktentwicklung.

3.2

Die Meso-Ebene: Teambezogene Voraussetzungen von Kooperationskompetenz

Die auf der Makro-Ebene angeordneten Ziele und dann in operative Aktivitaten umzusetzenden Aufgaben werden zu grojSen Anteilen von Teams erreicht bzw. geleistet. Die hohe Aufgabenkomplexitat der kooperativen Zusammenarbeit, oft gepaart mit einer hohen Innovationserwartung, ist von isoliert arbeitenden Individuen schwerlich zu bewaltigen. Hierbei spielt u.a. die zur Spezialisierung zwingende Zunahme der Gesamtmenge verfiigbaren Wissens eine RoUe. Die daraus folgende Fragmentierung der Wissensbestande des Einzelnen verlangt in der Kegel eine Verkniipfung von Experten unterschiedlichster Disziplinen und Professionen. Teamarbeit stellt die gegenwartig favorisierte Moglichkeit dar, den diesbeziiglich hohen Anforderungen gerecht zu werden (vgl. Picot et al. 2003, S. 233; Hogl/Gemunden 2000; Wiendieck 1992, Sp. 2377 f.). Teams nehmen dariiber hinaus eine wesentliche Briickenfunktion in Unternehmenskooperationen wahr, wenn sie als Bindeglied zwischen den Partnem - beispielsweise in Form von Projektteams - fungieren. Teams bilden zugleich das Scharnier, das die in konkreten Arbeitsphasen der Kooperation gesammelten Each- und/ Oder Beziehungserfahrungen spater an die Gesamtuntemehmung weitergibt; sie sind damit der Grundbaustein des im giinstigsten Fall zur Kooperationskompetenz fiihrenden Organisationslemens. In diesem Zusammenhang interessieren vor allem die operativen Merkmale der Teamarbeit (Kohasion, Koordination, Arbeitsnormen, Beitragsgleichgewicht etc.). Eine SchliisselroUe spielt dabei das effiziente Kommunikations- und Informationsverhalten (vgl. Hogl/Gemiinden 2000, S. 44; Wiseman 2002). Die erweiterten kognitiven Anforderungen, die diese SchliisselroUe an die Teammitglieder stellt, lassen sich gut mit dem von Wegner (1987) entwickelten Konzept des transaktiven Geddchtnisses beschreiben

96

Inhalt und Aufbau interorsanisationaler Kooperationskompetenz

(vgl. von der Oelsnitz/Busch 2004; sowie den Beitrag von Albrecht Becker, Elisabeth Brauner und Stephan Duschek in diesem Band). In Analogic zum menschlichen Gehirn wird das (Projekt-)Team als ein informationsverarbeitendes System verstanden, wobei das transaktive Gedachtnis das Meta-Wissen dariiber verkdrpert, wer im Kollektiv was weifi. In interorganisationalen Teams kann durch den gezielten Aufbau eines transaktiven Gedachtnissystems (TGS) schneller und praziser Spezialwissen zwischen den kooperierenden Unternehmen zugewiesen und ausgetauscht werden, was die Qualitat der Arbeit in und von Teams mafigeblich verbessert. Das TGS ist damit Teil des umfassenderen Konzepts des koUektiven mentalen Modells von Teams, denn es vereint die individuellen Gedachtnisse der Teammitglieder und pragt die einzelnen Phasen der personengebundenen Informationsverarbeitung (Encodierung, Speicherung und Wiederabrufung der Information). Wegweisend ist hierflir eine Studie von Moreland, Argote und Krishnan (1998), welche Teams untersuchte, die eine Montageaufgabe erledigen sollten und vor Arbeitsbeginn entweder als Kollektiv oder als Einzelpersonen eingewiesen wurden. Ergebnis war, dass Einweisungen unter dem Fokus „Team'' zur Entwicklung eines transaktiven Gedachtnisses ftihrten und das Team als Ganzes im Vergleich zu Einzeleinweisungen erfolgreicher machten. Das umfassende Bewusstsein der individuellen Fahigkeiten erlaubte es, die richtigen Informationen von den richtigen Leuten zu erlangen und darauf zu vertrauen, dass diese Informationen korrekt waren. Das Wissen, wer worin „gut'' war, verbesserte auch die Koordination innerhalb der Gruppe, well das wechselseitige Verhalten antizipiert werden konnte. Dementsprechend stellen Sivadas und Dwyer (2000, S. 33) die „ability of interacting units (within or across firms) to adjust mutually" als Merkmal interorganisationaler Kooperationskompetenz in den Vordergrund. In einem Team interagieren Personen mit unterschiedlichen Voraussetzungen, deren individuelle Ziele in eine koUektive Zielerreichung iiberfiihrt werden soUen. Grundsatzlich ist davon auszugehen, dass eine Zusammenarbeit bei guter Kooperationsfahigkeit und -bereitschaft der einzelnen Teammitglieder das Potenzial einer erfolgreichen Zielerreichung aufweist. Jedoch gibt es keine Gewahr dafiir, dass jemand mit in der Regel als kooperativ „anerkannten" Verhaltensformen von einem spezifischen Teammitglied in einer spezifischen Situation auch wirklich als kooperativ beurteilt wird. So ist aus individueller Sicht Kooperationskompetenz letztlich eine selbstreferenzielle Attribution: Es hangt von diversen Merkmalen des Interaktionspartners ab, ob dieser ein gezeigtes Verhalten als kompetent einschatzt (gleichwohl muss es dadurch noch nicht „objektiv'' kompetent sein, d.h. den situativen Handlungserfordemissen entsprechen). Diese interpersonalen Prozesse zwischen Kooperationspartnern werden in der Literatur als „episodisches System'' beschrieben (vgl. Graf 2004b, S. 1127; Spitzberg 2000, S. 376). Eine hohe Auspragung an individueller Kooperationsfahigkeit eines Akteurs erhoht dabei die Wahrscheinlichkeit, dass sein Verhalten von Dritten als kooperativ beurteilt wird. Die Einschatzung der Interaktionspartner hangt jedoch auch von deren eigenen Voraussetzungen ab. So sind diese in Abhangigkeit ihrer speziellen

97

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

kooperativen und weiteren sozialen Fahigkeiten in unterschiedlichem Ausmafi in der Lage, das Verhalten des Gegeniibers differenziert wahrzunehmen und zu beurteilen. Dariiber hinaus wird ihre Evaluation davon beeinflusst, welche Fahigkeiten sie in einer Kooperation als wichtig erachten (vgl. Dean/Popp 1990), wobei sicherlich insbesondere diejenigen Fahigkeiten bei der Beurteilung der Teammitglieder ins Gewicht fallen, die als bedeutsam fiir eine langfristige und faire Zusammenarbeit betrachtet werden. Schliefilich sind auch die allgemeinen Erwartungen an die kooperierenden Individuen relevant (vgl. Olson et al. 1996, S. 212); wobei Spitzberg (2000) zugestimmt werden kann, dass eine Person das Verhalten eines Interaktionspartners umso positiver beurteilt, je mehr diese ihren positiven Erwartungen und je weniger sie ihren negativen Erwartungen entspricht. Die Beurteilungsprozesse einzelner Episoden durch die Teammitglieder und die daraus resultierenden Beziehungsgeflechte stellen die Basis der einzelnen Teamvorgange (Kommunikation, Konflikte etc.) dar. Die sog. interdependenten Aktionen der Teammitglieder sind das fiir die Untemehmenskooperation wesentliche Resultat dieser Teamvorgange. Ziel der Teamarbeit ist es, aus den individuellen Inputs zu den Teamzielen (Arbeitsleistung der Individuen) entsprechende Outputs (z.B. gemeinschaftliche Aufgabenerfiillung) zu machen (vgl. Marks et al. 2001). Fiir diesen Prozess muss das „Kooperationsmindset" der einzelnen Teammitglieder zu einem kollektiven „KooperationsmindseV\ dem in der Teamforschung sog. Team-Empowerment (vgl. Gibson 2001; Kirkman et al. 2004), verdichtet werden. Diese zielbezogene Motivation wird gesteigert, wenn die einzelnen Teammitglieder die gemeinsame Aufgabenstellung und die gegebenen situativen Rahmenumstande der Kooperation fiir sich positiv beurteilen. Begiinstigt wird die Ausbildung eines kollektiven Kooperationsmindsets bekanntlich durch die Haufigkeit personlicher Kontakte (vgl. Kirkman et al. 2004, S. 186 f.), so dass uberbetrieblichen Teams durch deren gezielte Stimulierung die Kohasion erleichtert, d.h. auch: den Moglichkeiten eines innerorganisationalen Teams angenahert werden kann. Eine Operationalisierung der teambezogenen Voraussetzungen in interorganisationalen Kooperationen ist zunachst durch eine Selbstbeurteilung der (potenziellen) Teammitglieder moglich. Andere Beurteilungsformen - z.B. die Beurteilung durch Vorgesetzte - sind nicht in der Lage, wesentliche mfrapersonale Prozesse der Teammitglieder, beispielsweise ihre Erwartungen an die Teamarbeit oder die Motivation zu firmeniibergreifender Arbeit, umfassend einzuschatzen. Vor allem ist zu bedenken, dass im Rahmen einer Untemehmenskooperation Teams mit dem Ziel der Wahrnehmung einer Briickenfunktion neu zusammengestellt werden, also in der Regel nicht auf altbewahrte Teamzusammensetzungen zuriickgegriffen werden kann. Nach eigenen Recherchen existiert bisher kein entsprechendes Instrument zur Erfassung teambezogener Voraussetzungen in Untemehmenskooperationen. Ein Auftrag zukiinftiger Forschung ist daher die Entwicklung eines derartigen Instruments (bzw. von operationalisierten Dimensionen) unter besonderer Beriicksichtigung der diskutierten

98

Inhalt und Aufbau interorgamsationaler Kooperationskompetenz

Teamdynamik. Einschlagige Instrumente von Brodbeck (2000), Hiisgen (2005) oder Kauffeld (2004) konnen dabei durchaus als Grundlage verwendet werden.

3.3

Die Mikro-Ebene: Individuelle Voraussetzungen von Kooperationskompetenz

Die Mikroebene interorganisationaler Kooperationskompetenz ist sowohl aus der Makro- als auch aus der Meso-Ebene abzuleiten: Sie steht mit beiden in enger Wirkungsbeziehung. Mit Bezug auf die gesamtorganisationale (Leitungs-)Dimension sind zunachst die verantwortlichen AUianz-Manager zu analysieren, deren personliche Voraussetzungen wesentlich iiber den Erfolg einer Untemehmenskooperation entscheiden (vgl. aktuell Phan et al. 2005, S. 175 ff.; aber auch Harich/LaBahn 1998; Doney/Cannon 1997). So beschreiben Spekman et al. (1996, S. 351 f.) als Resultat einer Metaanalyse die personliche Beziehung zwischen den verantwortlichen Managern der kooperierenden Unternehmen als Schlusselvariable fiir den Kooperationserfolg. Diese „Alliance manager", so die Autoren, bediirfen einer Vielzahl von „unteachable competencies'', wozu u.a. Ambiguitatstoleranz zahlt, die sie als eine Fahigkeit „simultaneously consider multiple points of views" beschreiben. Dieses Postulat ergibt sich nicht zuletzt aufgrund des sozialen Kooperationscharakters bzw. der oben bereits erorterten doppelten Bindung im Rahmen interorganisationaler Biindnisse (vgl. Abschnitt 1). Einen vergleichbaren Behind liefern Arino et al. (2001), die speziell ihr Konstrukt der Relational Quality prazisierten. Dabei speist sich die Wahmehmung dieser Beziehungsqualitat durch den Kooperationspartner - neben den Startbedingungen und den diver sen aufierkooperativen Ereignissen - am starksten aus der Qualitat der ^partner interactions'' (vgl. Ring 2000, S. 155 f.). Analog fanden aktuell Phan et al. (2005) heraus, dass insbesondere die Unternehmenskooperationen langfristig erfolgreich waren, deren Allianz-Manager neben der geschaftlichen Beziehung auch positive informelle, private Kontakte pflegten. Weiche Faktoren, wie z.B. die personliche Beziehungsfdhigkeit, stellen auch die im Rahmen der Untersuchung befragten Manager als wesentliche Voraussetzung fiir den Netzwerkerfolg heraus. Insofem steht die Mikroebene wiederum in enger Wechselwirkung mit der Makroebene - hangt es doch von der Effektivitat der Personalselektion auf organisationaler Ebene ab, ob diesbeziiglich geeignete Fiihrungskrafte als Allianz-Manager iiberhaupt rekrutiert werden. Von der Mesoebene ist die Mikroebene ebenfalls einsichtig abzuleiten, derm jedes Team besteht aus Individuen, die das gemeinsame Ziel durch Einbringen ihres Beitrages zu erfiillen versuchen (vgl. z.B. fur zwischenbetriebliche Vertriebsteams von der Oelsnitz/Busch 2005). Neben den fiir organisationsinteme Arbeitsablaufe erf orderlichen methodischen Fahigkeiten bediirfen die Individuen fiir eine erfolgreiche Zusammenarbeit weiterer individueller Kompetenzen, die das kooperative Handeln erleichtern (Hillig 1997, S. 101 f.; Spekman et al. 2000, S. viii; Wiihrer 1995, S. 82).

99

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Hierzu zahlen vor allem ^boundary spanning"-Fahigkeiten (vgl. Hinterhuber/Stahl 1996, S. 106; Sydow 1992, S. 308). Auch hier hangt der Erfolg der einzelnen Akteure - und als Resultat auch der des Teams - wesentlich vom Personalmanagement auf der Makroebene bzw. von der prinzipiellen Fiihrung der AUianz-Manager selbst ab. Auf der anderen Seite beeinflussen wiederum die Teamleistungen das zukiinftige Kompetenzniveau des Untemehmens. Insofem durfen neben den genannten methodischen und sozialen Fahigkeiten keinesfalls die fachlichen Kompetenzen der Kooperationsbeteiligten aufier Acht gelassen werden. Morgan und Lassiter (1992) weisen nicht umsonst darauf hin, dass grofie Unterschiede im Leistungsvermogen der Teammitglieder, und hier insbesondere bei deren Wissensstand, die Zusammenarbeit nachhaltig beeintrachtigen konnen. Angenommen wird, dass die individuellen Voraussetzungen bei Mitarbeitem und Fiihrungskraften zu grofien Teilen vergleichbar sind - ist es doch sowohl auf der TopManagementebene als auch innerhalb und zwischen Teams wichtig, ein Beziehungsgeflecht zu den Kooperationspartnern zu initiieren und aufrechtzuerhalten, um auf dieser Basis die Ziele der Untemehmenskooperation gemeinsam erreichen zu konnen. Unklar bzw. umstritten ist bisher, welche Fahigkeiten und Charakteristika an Unternehmenskooperationen beteiligte Individuen im Einzelnen aufweisen soUten. Ein Blick in die Literatur zeigt, dass individuelle Kooperationsfahigkeit durchgangig als ein Set aus verschiedenen Einzelfahigkeiten verstanden wird, auch wenn sich die Anzahl und die Inhalte der Elemente bei den Autoren z.T. deutlich unterscheiden (vgl. z.B. Hillig 1997, S. 181 ff.; Hinterhuber/Stahl 1996, S. 103 ff; Amelingmeyer/Specht 2000, S. 330 und obige Literatursynopse). Um den uniibersichtlichen Erkenntnisstand zu den individuellen Voraussetzungen ein wenig zu ordnen, wird eine Systematik vorgeschlagen, die in Anlehnung an die Konzeptionalisierung des theoretischen Konstrukts „Einstellung" behaviorale (verhaltensbezogene), emotionale (gefiihlsbezogene) und kognitive (erkenntnisbezogene) Komponenten umfasst. Es scheint offensichtlich, dass Mitarbeiter nicht nur kooperationsspezifische Verhaltensweisen benotigen, die der verhaltensbezogenen Komponente zugerechnet werden konnen, sondem auch iiber eine die Untemehmenskooperation prinzipiell wertschatzende Einstellung (emotionale Komponente) verfiigen soUten sowie iiber einschlagig relevantes Wissen (Know-how, Know-what, Know-why), also eine ausreichende kognitive Ausstattung. Diese integrative Perspektive wird in der Forschung insofem gestiitzt, als nachweislich jede einzelne dieser drei Stmkturdimensionen einen signifikanten Einfluss auf kooperative Fahigkeiten ausiibt (vgl. Chen/ Starosta 1996; Graf 2004c; Snyder/Shikas 1999; Imahori/Lanigan 1989, S. 273; Spitzberg/Cupach 1989). Diese Dreiteilung ubemehmend, werden im Folgenden die einzelnen Dimensionen insofem naher bestimmt, als ihnen zugehorige personliche Einzelfahigkeiten zugeordnet werden. Die behaviorale Strukturdimension individueller Kooperationsfahigkeit gewahrleistet, ein intendiertes Verhalten kompetent ausfiihren zu konnen, denn „an awareness of

100

Inhalt und Aufbau interorsamsationaler Kooperationskompetenz

and familiarity with relevant skills does not guarantee the ability to consistently display them behaviorally" (Ruben 1976, S. 335). So stellen (auch ausgepragte) emotionale und kognitive Einzelfahigkeiten keine hinreichende Bedingung kooperationsfordernden Handelns dar. Letztlich ist das Verhalten, also die behaviorale Dimension, zugleich die fur Interaktionspartner einzige beobachtbare Messebene; sie miissen also von diesem Verhalten auf die zugrunde liegenden emotionalen und kognitiven Prozesse ihres Gegeniibers schliefien. Als zentrale Einzelfahigkeiten der behavioralen Strukturdimension auf der Mikroebene heben sich Kommunikationsfahigkeit und Konfliktfahigkeit/Ambiguitatstoleranz ab, die als wesentliche Voraussetzung zur Realisierung des behavioralen Zielaspekts kooperativen Handelns verstanden werden (vgl. Hillig 1997, S. 102). Kommunikationsfahigkeit umfasst die Realisierung angemessener und effektiver Kommunikationsverhaltensweisen, sowohl verbaler Kommunikation (z.B. die Verbalisierung von Abmachungen) als auch nonverbaler Kommunikation (z.B. zeitgleich gezeigte Mimik und Gestik). Mit dieser Fahigkeit konnen die an der Kooperation beteiligten Personen Informationen effektiv und angemessen austauschen und somit die erste Voraussetzung kooperativen Handelns erfiillen (vgl. Ritter 1998, S. 51; Sivadas/Dwyer 2000, S. 33 f.; Griffith/Harvey 2001; Knapp 1995). Konfliktfahigkeit und Amhiguitdtstoleranz stellen zwei weitere wesentliche Elemente der verhaltensorientierten Komponente dar (vgl. Meyer 2004, S. 145; Miiller/Gelbrich 1999, S. 53 ff.; Ruben 1976, S. 341). Sie umfassen u.a., Widerspriichliches nebeneinander gelten zu lassen und sich dem Kooperationspartner gegeniiber offen und vorurteilsfrei zu verhalten. Diese Voraussetzungen sind insofern von Bedeutung, als sich kooperatives Handeln immer haufiger auf diverse interkulturelle Kontexte bezieht und die Akteure es dabei gleichzeitig verstehen miissen, mit der parallelen Existenz von Kooperation und Konkurrenz umzugehen (vgl. Hamel 1991, S. 83; Schurer 1977, S. 190 f.). Letztlich schliefien gemeinsame Zielvorstellungen betrieblicher Kooperationspartner konkurrierende personliche Ziele nicht aus, die dann eine individuelle Nutzenmaximierung auf der Basis der erhaltenen Selbstbestimmung erlauben. Die emotionale Strukturdimension betrifft die Einstellungs- und Werthaltungen eines Individuums hinsichtlich einer gemeinschaftlichen Zielerreichung mit dem Kooperationspartner. Diese Dimension wird in der Literatur vielfach durch die Charakteristika Kooperations-Mindset/Motivation sowie Vertrauensfahigkeit charakterisiert. Kooperations-Mindset IMotivation, also die Bereitschaft und der Wille, eine Bundnisverbindung einzugehen, schaffen die emotionale Voraussetzung fiir die Wahl kooperativer Verhaltensweisen (vgl. Dyer/Singh 1998, S. 672; Miiller/Gelbrich 2001, S. 255; Ring 2000, S. 155; Spekman et al. 2000, S. 211 ff.). Denn: „selbst hoch qualifizierte, gut informierte und mit Entscheidungsfreiheit ausgestattete Mitarbeiter werden, wenn sie nicht entsprechend motiviert sind, nicht im Interesse ihres Netzwerkunternehmens handeln" (Brauer 2003, S. 269). Salopp gesagt: Eine Kooperation muss von den Beteiligten auch gefiihlsmafiig „gewollt" werden. Dabei miissen die unterschiedlichen Handlungs- und Entscheidungsebenen einer Kooperation auseinander gehalten werden: Nicht selten

101

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

sind die Initiatoren in der Untemehmensspitze vom Wert eines Biindnisses iiberzeugt und meinen, ihre Haltung wiirde sich nahtlos auf die Mitarbeiter iibertragen. Dies ist oft ein Trugschluss, derm auf der Vereinbarungsebene spielen haufig andere Kalkiile eine RoUe als auf der spateren Realisationsebene. Hier beriihrt sich die Kooperationsforschung letztlich mit der strategischen Prozessforschung, die sich ebenfalls verstarkt fiir projektinharente Beziehungsaspekte interessiert und - trotz unterschiedlichen Zugangs - dabei gleichermafien Committment und Vertrauen als wesentliche Erfolgsparameter einer Zusammenarbeit hervorhebt (vgl. Voeth/Rabe 2005, S. 664 f.; Kutschker 2005, S. 1142 f.). Fiir eine effektive Zusammenarbeit ist es dementsprechend auch wichtig, dass die beteiligten Individuen in ausreichendem Mafie iiber Vertrauensfahigkeit verfiigen (vgl. Bronder 1992, S. 124 ff.; Hamel 1991, S. 100; Loose/Sydow 1994; Sivadas/Dwyer 2000, S. 37 ff.; Inkpen/Currall 2004, S. 591). Dies ermoglicht die fiir die gedeihliche Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Individuen bzw. Parteien unerlassliche Kompensation von Ungewissheiten und temporaren Ungleichgewichten und verbessert iiberdies den Lemumfang der Kooperierenden (vgl. Kale et al. 2000, S. 227 ff.). Vertrauen sowohl in die fachlichen Kompetenzen als auch in die soziale Reoperations- und Konsensbereitschaft der KoUegen reduziert Reibungsverluste, senkt KontroUkosten und sorgt dafiir, dass sich die Partner in voUem Umfang fur das Biindnis engagieren konnen. Zur Beziehungsfahigkeit auf der systemisch-technischen Makroebene tragt insofem auch die Beziehungsqualitat der Mikroebene bei. Know-how beziiglich der Initiierung, Konstituierung, Aufrechterhaltung und Nutzung der Kooperationsbeziehung (vgl. Spekman et al. 2000, S. 211 f.; Ritter 1998, S. 50; Walter 1998, S. 74 ff.) bilden im Wesentlichen die kognitive Strukturdimension interorganisationaler Kooperationskompetenz auf der Mikroebene. Das fiir das Top-Management relevante kognitive Wissen iiber den „richtigen" Kooperationspartner griindet zunachst auf dem Bewusstsein iiber eigene Starken und Schwachen (vgl. Amelingmeyer/Specht 2000, S. 330; Ritter 1998, S. 50). Kanter (1994) weist zu Recht darauf hin, dass hierbei neben rechtlichen und finanziellen Aspekten selbstkritisch vor allem weiche Faktoren, wie die eigene Empathie und Kompromissfahigkeit, in Betracht gezogen werden soUten. Fiir die Initiierung und vor allem die effektive Fortfiihrung einer Kooperationsbeziehung bedurfen die beteiligten Individuen aufierdem einer spezifischen Beobachtungsfahigkeit, um den Handlungskontext des Partners sowie die Dynamik der Kooperation umfassend wahrzunehmen und sodann - z.B. auf der Grundlage eines Beziehungsportfolios (vgl. Walter 1998, S. 116 ff.) - angemessen (re-) agieren zu konnen. Gerade hier handelt es sich iiberwiegend um implizites, nur schwer greif- und verbalisierbares Wissen, das an den subjektiven Erfahrungshintergrund der Akteure gebunden ist. Dieses Kontextwissen ist schwerlich isolierbar und folglich auch nur unvoUkommen auf andere Individuen oder Einheiten iibertragbar (vgl. Miiller-Stewens/Osterloh 1996, S. 307).

102

Inhalt und Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz

Die Operationalisierung der individuellen Voraussetzungen interorganisationaler Kooperationskompetenz ist aufgrund der erwahnten Tatsache, dass ausschliejSlich die behaviorale Dimension von Dritten beobachtbar ist, fiir Forschung und Unternehmenspraxis eine grofie Herausforderung. In der Forschung wird dieser Herausforderung in jiingeren Studien durch Tiefeninterviews begegnet. So haben Phan et al. (2005) individuelle Beziehungskompetenz und personliche Kommunikationsfahigkeit in Untemehmenskooperationen durch intensive, qualitative Interviews erfasst, die, auf Tonband aufgenommen, anschliefiend von zwei unabhangigen Experten zu beurteilen waren. Dabei wurden gezielte Fragen iiber zahlreiche individuelle Aspekte der Kooperation gestellt, die von den Autoren jedoch in ihrer Veroffentlichung nicht spezifiziert werden. Anschliefiend werden Beurteilungsanker vorgegeben; zur Veranschaulichung sei als Beispiel die Fahigkeit „Assertiveness" aufgefiihrt: „The tendency of the individual to accept, express, actively seek after, and protect reasonable personal needs and desires including resistance to unreasonable infringments by others'', wobei den Beurteilem zwei Antwortmoglichkeiten vorgegeben wurden: „observe'' oder „notobserve''. Als weiteres Beispiel sei die empirische Untersuchung von Haytko (2004) genannt, in der dreistlindige Interviews mit offenen Fragen durchgefiihrt wurden (z.B. „tell me about your relationship with your brand manager"), wobei die Interviewten iiber jede Beziehung befragt wurden, die sie im Rahmen der Unternehmenskooperation pflegen. Die Mitschriften der Interviews wurden den Befragten zur Korrektur und Erganzung vorgelegt - ein Vorgehen, das sich „member checking" nennt (vgl. Lincoln/Guba 1985). Die derart iiberarbeiteten Transkripte wurden schliefilich von unabhangigen Beurteilern mit Bezug auf vorgegebene Dispositionen der Befragten qualitativ ausgewertet. Fiir eine weiterfiihrende Operationalisierung konnten mit Bezug auf die in unserer Analyse identifizierten individuellen Dimensionen mit den jeweiligen Beschreibungen (Kommunikationsfahigkeit, Konfliktfahigkeit/Ambiguitatstoleranz, Kooperations-Mindset/Motivation, Vertrauensfahigkeit, Know-how in Prozessen der Unternehmenskooperation) daran angelehnte Interviews samt Beurteilungsankern konzipiert werden. In der Unternehmenspraxis ist die Frage der Erfassbarkeit der individuellen Voraussetzungen nahezu gleichzusetzen mit der Frage der Potenzialanalyse (diese vor allem mit dem Ziel der optimalen Personalselektion), wobei die in der Forschung favorisierte Vorgehensweise hier zu aufwandig sein kann. Aus diesem Grund geben wir im Folgenden praxisorientierte Empfehlungen: Fiir die Unternehmenspraxis soUte als erster Schritt die Abfrage der Motivation eines fiir eine Netzwerktatigkeit vorgesehenen Belegschaftsmitglieds vorgenommen werden, da das emotionale Kooperations-Mindset die Grundlage kooperativen Verhaltens darstellt. Die behaviorale Dimension ist bei Mitarbeitern meist gut seitens des Vorgesetzten einzuschatzen. Bei Fiihrungskraften mit Schliisselpositionen sollten die personlichen Verhaltenstendenzen jedoch unbedingt zusatzlich erfasst werden. Hierfiir eignen sich Prasentationen oder Gesprachssimulationen, beispielsweise im Rahmen eines Kurz-Assessment-Centers. So kann die Rhetorik und Prasentationsfahigkeit einer fiir eine Netzwerktatigkeit vorgesehene

103

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Person in einem Vortrag mit vorgegebenem Thema beobachtet werden. Bei geschickter Themenwahl kann die Prasentation u.a. Aufschluss dariiber geben, wie der Bewerber mit kontraren Meinungen oder Arbeitsansatzen im Untemehmen umgeht. Ein simuliertes Gesprach mit Vorgabe einer Konfliktsituation ermoglicht eine Einschatzung der Gesprachsfiihrung des Bewerbers, seiner Fahigkeit, sich in den Interaktionspartner einzufiihlen sowie seiner Konfliktbewaltigungsstrategien. Die Erfassung der kognitiven Dimension ist vor allem bei der Auswahl von AUianz-Managem von Bedeutung. Die bereits gesammelten Erfahrungen in vorhergehenden Bundnissen soUten bei der Entscheidung ebenso beriicksichtigt werden wie die Fahigkeit, das ureigene Wissen im derzeitigen Unternehmenskontext konstruktiv einzubringen.

4

Ansatzpunkte zum Management von Kooperationskompetenz

Vor dem Hintergrund der immer vielfaltigeren Erscheinungsformen interorganisationaler Biindnisse und kooperativer Arrangements wird das Geschick bei der Herstellung und Entfaltung einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit anderen Untemehmen zu einer strategischen Schlusselfahigkeit auf der Metaebene des Managements. Im giinstigsten Fall kann - ungeachtet des jeweiligen Kooperationsmotivs - das damit verbundene Know-how selbst zur Quelle eines Wettbewerbsvorteils werden. Dabei verkorpert Kooperationskompetenz grundsatzlich eine planvoU entwickelbare, pfadabhangige Untemehmensressource, deren Ziel letztlich die Maximierung der externen Kooperationsrente ist. Dieser Effekt stellt sich indes nicht „automatisch" ein. Es liegen durchaus auch Studien vor, die kaum einen nennenswerten Zusammenhang zwischen Kooperationserfahrung und Kooperationslemen oder Kooperationserfolg ausweisen. Simonin (1997, S. 1168) fiihrt diesen Behind darauf zuriick, dass die jeweiligen Autoren lediglich einen direkten Effekt messen und die Notwendigkeit zur Herausbildung von Kooperations-Know-how iibersehen. Wir schliefien uns dieser Sichtweise ausdriicklich an - weist sie doch eindeutig darauf hin, dass Kooperationskompetenz aktiv durch ein geeignetes Mafinahmenpaket stimuliert werden muss. Die Genese dieser immateriellen Ressource ist untrennbar mit dem Themenfeld des organisationalen Lemens verbunden. Dabei sind zwei Entwicklungsprozesse zu differenzieren: Zum einen konnen die entsprechenden Fahigkeitenbiindel durch inkrementelles Erfahrungslernen erworben werden, also ein eher spontanes „ learning by doing" (vgl. u.a. Anand/Khanna 2000). Zum anderen ermoglichen explizite organisational Interventionen - hier verstanden als Kompetenz-Management - eine starker gesteuerte Entwicklung der interorganisationalen Kooperationskompetenz (vgl. u.a. Kale et al. 2002; Schreiner et al. 2005). In und durch Kooperationen das „Lemen zu lemen" setzt

104

Inhait und Aufbau interorsanisationaler Kooperatwnskompetenz

zunachst zwingend am Individuum, d.h. dem einzelnen Kooperationsteilnehmer an, bedarf dariiber hinaus aber auch der gezielten organisatorisch-kulturellen Flankierung: „It depends on how the firm communicates with sources of knowledge outside the firm, on the mechanisms within the firm that exploit individual experiences, and on the distribution of expertise within the firm'' (Anand/Khanna 2000, S. 298). Dementsprechend geht es zunachst ganz allgemein darum, Lerngelegenheiten zu schaffen - am einzelnen Arbeitsplatz, im Team, in zwischenbetrieblichen Parallelstrukturen, in iibergreifendenBeziehungsnetzwerken. Viele Unternehmen - gerade auch in den USA - haben sich bislang kaum um die Entwicklung des zur Kooperationsanbahnung und -steuerung notwendigen Know-hows gekiimmert, sondern betreiben ihre Biindnisse eher auf einer spontanen ad hoc-Basis (vgl. Abb. 2). Aber auch insbesondere mittelstandische europaische Unternehmen gehen an diesem Punkt eher hemdsarmelig vor. Zur Strukturierung der notwendigen Entwicklungsmafinahmen setzen wir wieder an den drei primaren Konstruktdimensionen an.

Abb. 2:

Wie Unternehmen Kooperatwnskompetenz verankern (nach Harbison/Pekar 1998, S. 82)

Zahl der involvierten Personen

breite Expertenbasis formalisierte Erfahrungen und Lessons Learned systematisches Kompe-( tenzmanagement

Einzelpersonen mit „Guru-Charakter" begrenzte Know-howWeitergabe kaum organisatorische und kulturelle Unterstiitzung einzelfallbezogene Losung standig wechselnde Verantwortlickeiten keine Erfassung von Best Practices

Grad der organisatorischen Verankerung

105

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Die Herausbildung interorganisationaler Kooperationskompetenz setzt eine gewisse Anzahl einschlagiger Erfahrungen voraus. Die spontane Emergenz dieser Erfahrungen bei einzelnen Individuen ist dabei nicht ausreichend; derm um diese Erfahrungen dauerhaft fur das Untemehmen zu sichem, also in die organisationale Wissensbasis einzuspeisen, bedarf es ihrer konsequenten Auswertung und Dokumentation, was die Bedeutung eines systematischen KooperationscontroUing mit anschliefiender Unternehmenskommunikation unterstreicht. Untemehmen wie Hewlett Packard oder Xerox tun dies bereits: Wahrend HP fur seine Top 1000-Fuhrungskrafte etwa 50 zweitagige AUianzmanagement-Seminare im Jahr anbietet, arbeit Xerox mit einer Mischung aus extemen und intemen Schulungen sowie einer elektronischen Datenbank aus Best Practices. Auch Motorola hat den gesamten AUianzprozess nach festen Regeln institutionalisiert und bietet gleichzeitig fiir seine Partner Trainingsseminare an, in denen die Arbeitsweise von Motorola verdeutlicht wird (vgl. Harbison/Pekar 1998, S. 89). Kooperationen verkorpern unserer Meinung nach keine eigenstandige Strategie, sondern dienen eher als ein Mittel oder „Werkzeug" zur Realisierung einer bestimmten Geschaftsstrategie. Wenn Firmenbiindnisse in diesem Sinn tatsachlich zum Standardwerkzeug der Unternehmenspolitik werden, liegt es nahe, dies organisatorisch konsequent durch die Schaffung entsprechender Stellen zu reflektieren, d.h. die Verantwortung fiir die reibungslose Kooperationssteuerung - und damit auch fiir den Aufbau von Kooperationskompetenz - bestimmten Personen im Untemehmen/ZAC zuzuweisen. So haben Microsoft oder Hewlett Packard mittlerweile einen „Director of Strategic Alliances", zu dessen Hauptaufgaben nicht nur das fallweise Partnerscreening, sondem auch die Sicherstellung effektiver Austauschprozesse zwischen den Koalitionaren gehort. Das oben bereits mehrfach unterstrichene Nebeneinander von okonomischer und sozialer AUianzdimension impliziert femer unterschiedliche SoUQualifikationen fiir das externe Agieren auf dem gemeinsamen Produkt/Markt-Feld einerseits, und dem internen Agieren im Rahmen der AUianz andererseits. Gute Geschaftsfeldmanager sind von daher noch langst keine guten AUianz-Manager. Diese empirisch des ofteren geaufierte Einsicht (vgl. z.B. Spekman et al. 1996, S. 356) lasst eine fast schon in Vergessenheit geratene Aufbaukonfiguration zumindest diskussionswiirdig erscheinen: die Matrix-Organisation. Ohne deren Vor- und Nachteile hier auch nur annahemd diskutieren zu konnen, darf doch erwartet werden, dass es dadurch durchaus zu einer sinnvoUen Arbeitsteilung kommen kann: Die eine MatrixDimension wird von einem branchenkundigen Geschafts- oder Marktmanager geleitet, der anderen Dimension steht ein kooperationserfahrener „Kommunikator" und „Moderator'' vor, der sich vor allem um die Kontakte zu dem/den Biindnispartner(n) kiimmert. Hierdurch entsteht zwar eine zusatzliche Schnittstelle, aber beide Sichtweisen - die extem-okonomische wie die intem-soziale - diirften durch den Geschafts- und AUianzverantwortlichen gemeinsam nicht nur professioneller gemanagt, sondem letztlich auch enger miteinander verzahnt werden. Dariiber hinaus wohnt einem gesondert bestellten AUianzmanager eine gewisse Symbolkraft inne: Dem

106

Inhalt und Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz

Partner wird damit u.a. signalisiert, dass man seine besonderen Bediirfnisse und Anforderungen ernst nimmt und die begonnene Partnerschaft nicht nur einer kurzfristigen und einseitigen Logik dient. Auf der Meso-Ebene spielt neben den prinzipiellen, zur Teamarbeit befahigenden Personeneigenschaften die Stimulierung des Gruppengedachtnisses eine wichtige Rolle (vgl. Abschnitt 3.2). Ohne dass die Forschung hier bereits zu letztgiiltigen Resultaten gekommen ware, ist zwar davon auszugehen, dass sich ein Transaktives Gedachtnissystem (TGS) im Zeitverlauf selbst dann etabliert, wenn dies nicht bewusst geplant wurde; dennoch sollten gerade in Interorganisationsbeziehungen gezielte Gestaltungsmafinahmen zur friihzeitigen Entwicklung des TGS eingesetzt werden. Hierzu sind neben vertrauens- und motivationsfordernden Mafinahmen vor allem formelle und informelle Interaktionsgelegenheiten vonnoten (z.B. Kick off-Meetings, Pausenraume, luK-Architektur, Feedback-Gesprache innerhalb der Gruppe). Daneben bietet sich die Kodifizierung von Kooperations- wie Fachwissen an, d.h. auch: die konsequente Wissensspeicherung in dafur geeigneten Medien (z.B. Team-Homepage, Kooperationshandbiichern, Groupware). Bleibt diese Kodifizierung aus, kann das TGS durch den Weggang einzelner Mitglieder erheblich geschwacht werden. Dass diese Furcht nicht unbegriindet ist, zeigen die allfalligen Klagen von Praktikem, das AUianzpersonal wiirde oftmals viel zu friih abberufen, das Rotationsprinzip iibertrieben werden (vgl. Spekman et al. 1996, S. 351). Wenn z.B. alle zwei Jahre wichtige Funktionstrager die Kooperation verlassen, dann werden auch soziale Bande zerschnitten und wichtiges Beziehungskapital zerstort. Nicht selten bestehen auch die Mitarbeiter selbst auf einer baldigen Abberufung bzw. sind es offensichtliche Kompetenzdefizite, die zur Riickkehr in das Stammunternehmen zwingen. Ein solches Verhalten stellt immer auch die Personalpolitik der jeweiligen Organisation in Frage. Um den auf alien Wirkungsebenen wichtigen Beitrag der Humanressourcen (HR) in Unternehmenskooperationen gezielt zu fordern, entwickeln erfolgreiche Untemehmen daher konsequent HR-Strategien und -praktiken (vgl. Boxall/Purcell 2003; Boxall/Steeneveld 1999; Swart et al. 2004, S. 290). AUerdings besteht weiterhin mehrheitlich der Eindruck, dass das betriebliche Human Resource Management Personalentscheidungen in kooperativen Verbiinden wenig Beachtung schenkt - laut Prange (2003, S. 169) wird vor allem die Forderung interfunktionaler und interkultureller Fahigkeiten vernachlassigt. Im Weiteren sind vor allem auch die Prozesse der Personalselektion und Personalentwicklung hervorzuheben; zum Aufbau speziell der gruppenbezogenen Fahigkeiten wird die Methode der Teamentwicklung empfohlen. Personalauswahl spielt beim Aufbau individueller Kooperationskompetenz in Unternehmen insofem eine sensible Rolle, als es sich bei diesem Kompetenzkonstrukt um ein Set an Einzelfahigkeiten handelt, das nur langfristig zu entwickeln ist. So konnen beispielsweise die Konfliktfahigkeit und Ambiguitatstoleranz oder auch die kooperativen Einstellungs- und Werthaltungen eines Individuums als relativ stabile Person-

107

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

lichkeitseigenschaften verstanden werden, die, wenn iiberhaupt, nur mit erheblichem Trainingsaufwand zu modifizieren sind. Ahnlich verhalt es sich mit der zentralen Fahigkeit, sich in die Gedankenwelt des Partners versetzen zu konnen („perspective taking") - eine Fahigkeit, die auch in unserer Literatursynopse immer wieder genannt wurde. Aus diesem Grunde ist es sinnvoU, bereits bei der Selektion von fiir die kooperative Zusammenarbeit vorgesehenem Personal kooperationsrelevante Anforderungen zu beriicksichtigen (vgl. bereits Pucik 1988). Als Instrumente werden dabei simulationsorientierte Auswahlprozesse (wie z.B. die Assessment Center-Methode) empfohlen, die die beschriebenen individuellen Dispositionen grofitenteils valide zu erfassen vermogen. Das HR-Management hat dabei darauf zu achten, dass die Module in den Assessment Center-Situationen vorrangig die interpersonale Zusammenarbeit zum Inhalt haben, um die Reaktionen der Bewerber in diesem Bereich einschatzen zu konnen (siehe Abschnitt 3.3). Auch die Personalentwicklung soUte im Dienste der Fahigkeiten stehen, die fur die Arbeit in Untemehmensverbiinden benotigt werden. Dies bedeutet mit Bezug auf die Mikro-Ebene beispielsweise das Angebot von Mafinahmen zur Forderung der Kommunikations- und Konfliktfahigkeit sowie des kooperativen Verhaltens in interaktionsorientierten Interventionen. Diese Fahigkeiten sind z.B. in RoUenspielen mit anschliefienden Feedbackprozessen - z.B. in einem professionellen Untemehmenstheater (vgl. Schreyogg 1999) - zu schulen. Bin wesentlicher Schwerpunkt der Personalentwicklung hinsichtlich der Vermittlung teambezogener Kompetenzen ist die systematische Teamentwicklung. Diese zielt darauf ab, „Team-Empowerment" dadurch zu starken, dass ein personliches Kennenlemen ermoglicht bzw. vertieft wird, wodurch sich zugleich die Erwartungen der Teammitglieder aufeinander abstimmen lassen (vgl. Bennett 2001, S. 22). Im Hinblick auf die Nutzung des Teams als „transaktives Gedachtnis" unterstiitzen professionelle Teamentwicklungen iiberdies die effiziente Nutzung der individuellen Wissensspeicher, da die Teilnehmer in der Entwicklungsmafinahme zugleich mehr iiber die Kompetenzen und den Erfahrungshintergrund ihrer TeamkoUegen erfahren. Die angeleitete Auseinandersetzimg mit den „Anderen" bezweckt femer ein positives Gemeinschaftserlebnis, das insbesondere bei technologievermittelt agierenden Teams mit seltenen (oder gar ganzlich fehlenden) Face-to-face Kontakten andemfalls ausbliebe. Die Wirksamkeit der HR-Strategie zur Forderung der interorganisationalen Kooperationskompetenz (inkl. des inkorporierten Wissensmanagements) wird letztlich von den Charakteristika der jeweiligen Untemehmenskooperation bestimmt (vgl. Child 1997, S. 55; Gulati et al. 2000, S. 203; Mueller 1996). Insgesamt steht aber das schliissige Zusammenspiel der einzelnen Interventionen im Vordergrund, derin „the knowledge of how to create a positively reinforcing blend of HR philosophy, process and investment within a particular context is likely to be very rare. The systemic quality of highly effective policy is likely to be very important" (Boxall/Purcell 2003, S. 86). Hierbei macht das unnachahmliche Zusammenspiel aus HR-Prozessen und inner- wie aufierbetrieblichen Biindnischarakteristika eine Imitation durch andere AUianzen nahezu

108

Inhalt und Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz

unmoglich und schiitzt so den angestrebten Wettbewerbsvorteil; denn als Biindel von Einzelfahigkeiten sind Kernkompetenzen umso schwieriger zu entschliisseln und nachzuahmen, je mehr Ressourcen im Verbund zusammenwirken (vgl. Reed/De FiUippi 1990).

5

ResUmee und Forschungsausblick

Die Attraktivitat von Untemehmen fiir potenzielle Kooperationspartner stellt ebenso eine Schliisseleigenschaft dar, wie die spiegelbildliche Fahigkeit des Managements, seinerseits Kooperationen mit anderen Unternehmen effektiv anbahnen, entwickeln und fiihren zu kdnnen. Eine Studie der Unternehmensberatung Booz-Allen & Hamilton belegt, welche Vorteile mit kompetent gemanagten AUianzen verbunden sind: Die 25 allianzaktivsten Untemehmen ihrer Untersuchung erwirtschaften mit 17,2 % einen deutlich hoheren Return on Investment als die 25 am wenigsten biindnisgeneigten Unternehmen der Fortune 500-Liste, die es auf lediglich 10,1 % Return on Investment bringen. Insgesamt liegen die 25 Spitzenreiter mit ihrem Ergebnis gute 40 % iiber dem unternehmerischen Durchschnitt (vgl. Harbison/Pekar 1998, S. 80). Derartige Resultate runden unsere Analyse ab und berechtigen letztlich zu dem Schluss, dass durch den Besitz und Einsatz eigener Kooperationskompetenz bereits vor der eigentlichen Bundnisphase die Grundlagen fiir den Erfolg einer Interorganisationsbeziehung gelegt werden. Unser Beitrag verfolgte daher zwei Ziele: Zum einen eine explorative, literaturgestiitzte Vorklarung der moglichen Konstruktdimensionen, zum anderen die Ableitung gestalterischer Empfehlungen zur gezielten Entwicklung dieses Konstrukts. Dabei handelt es sich naturgemajS um einen langfristig angelegten Prozess - die bekannte Sentenz von Hamel und Prahalad gilt auch hier: Beim Aufbau von Kernkompetenzen „wird immer noch in Jahren und nicht in Monaten gemessen" (Hamel/Prahalad 1997, S. 304). Zentral ist die Einsicht, dass Kooperationen neben einer okonomischen auch eine soziale Transaktionsdimension aufweisen, neben dem formalen Kooperationsvertrag folglich immer auch ein mindestens ebenso wichtiger psychologischer Vertrag besteht. Speziell die immaterielle Koppelung der Untemehmen verlangt verstarkt nach sozioemotionalen Managementfahigkeiten sowie nach der Einsicht in die oft unvorhersehbare Emergenz des Kooperationsverlaufs (mitsamt einer entsprechenden Improvisationsgabe). Dies scheint keine ausgesprochene Starke der meisten Topmanager zu sein. Auch jiingere Erfahrungen zeigen, dass die Fiihrungsebenen einer Kooperation oft allzu sehr die Kontrolle der rechtlichen und finanziellen Aspekte betonen; die exklusive Orientierung am Kooperationsvertrag bzw. das Pochen auf schriftliche Vereinbarungen geniigen jedoch nicht. Dies beschleunigt zwar in Phasen der im Kooperationsverlauf zumeist notwendigen Neujustiemng der Allianz die Entscheidungspro-

109

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

zesse, verletzt aber nicht selten die unausgesprochenen Grundregeln der Kooperation (idealtypisch zu beobachten in der AUianz RenaultA^olvo; vgl. Bruner/Spekman 1998, S. 146 f.). Weiche Faktoren wie partnerbezogene Empathie, emotionale Nahe, Sensemaking oder Kompromissfahigkeit finden sich dennoch haufig als „un6konomisch" diskreditiert und vemachlassigt. Ein wesentlicher Grund hierfiir diirfte in der Tatsache zu sehen sein, dass Manager von ihrer personlichen wie professionellen Sozialisation her vielfach immer noch „Einzelkamp£er-Naturen" sind, denen KontroUe und die Wahrung ihrer Autonomie unverzichtbar sind und die eher zu schnellen, (kurz-)entschlossenen Anweisungen als zur dialogischen Suche nach Kompromissen und konsensualen Losungen tendieren. Die kooperative Entscheidungsfindung liegt ihnen in der Kegel nicht (vgl. auch Doz/ Hamel 1998, S. 226; Spekman et al. 1996, S. 354). Diese Haltung korrespondiert mit der traditionellen Logik der weitgehend autarken Einzeluntemehmung, ist fiir die effektive Zusammenarbeit in untemehmensiibergreifenden Biindnissen aber oft schadlich. Statt Kooperationen formal zu reglementieren, soUten sie letztlich lieber schrittweise entwickelt, mit ausreichenden Selbstorganisationsspielraumen versehen und im Geiste konstruktiven Vertrauens gefiihrt werden. Aus diesen Uberlegungen ergeben sich zahlreiche weiterfiihrende Fragen und Ankniipfungspunkte fiir zukiinftige Forschungsaktivitaten. Drei soUen abschliefiend kurz genannt werden. 1. Wenn offenkundig zunehmend psychologische Faktoren des Kooperationserfolges in den Vordergrund rucken, wie z.B. die Personlichkeit oder die mentalen Modelle der Kooperationsbeteiligten, dann bietet sich eine engere Verkniipfung mit den unter dem Schlagwort Upper Echelons subsumierten Forschungsarbeiten an (vgl. dazu u.a. Hambrick/Mason 1984). 2. Um den Beitrag der einzelnen Variablen zur Kooperationsfahigkeit gewichten zu konnen, miisste im Rahmen einer situativen Dijferenzierung genauer u.a. nach der konkreten Form oder Art des kooperativen Arrangements (vertikal/horizontal, mit/ohne Wettbewerber, dominante Motive, Forschungs- oder Produktionskooperation etc.) gefragt werden. Weiche Teilfahigkeiten korrespondieren damit besonders? Eine weitere sinnvoUe Differenzierimg betrifft die unterschiedlichen Evolutionsphasen einer Kooperation - weiche Kompetenzdimensionen sind z.B. in der Initialphase, weiche in der engeren Arbeitsphase vordringlich? Trifft die These von Ring und van de Ven (1994) bzw. Ring (2000) zu, dass die informalen Prozesse zu Beginn in der Findungs- und Verhandlungsphase, die Kompetenzen fur die formalen Prozesse dagegen vor allem ab der eigentlichen Transaktionsphase relevant sind? 3. Zum Dritten impliziert die Einsicht in die lediglich begrenzte Steuerbarkeit der Kooperationsevolution in Verbindung mit dem biindnisinharenten Machtaspekt eine verstarkte Beachtung der potenziellen Machtverschiebungen zwischen den Part-

110

Inhalt und Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz

nern, die womoglich auf unterschiedlich ausgepragte Kooperationskompetenzen der Partner zuriickgefiihrt werden konnten. Hier sind insbesondere Beziige zur Resource Dependence Theory denkbar. Eine erganzende Fragestellung bezieht sich auf die Differenz zwischen lediglich individueller und kollektiver, d.h. gemeinsam aufzubauender oder vielleicht auch nur gemeinsam entstehender Kooperationskompetenz.

Literaturverzeichnis Aderhold, J./Wetzel, R. (2005): Netzwerkmoderation. Gmndprobleme und Gestaltungsvorschlage fiir ein handlungsfahiges Netzwerkmanagement. In: Zeitschrift Fuhrung und Organisation 74 (1), S. 18-24. Amelingmeyer, J./Specht, G. (2000): Wissensorientierte Kooperationskompetenz. In: Hammann, R/Freiling, J. (Hrsg.): Die Ressourcen- und Kompetenzperspektive des Strategischen Managements. Wiesbaden, S. 313-335. Anand, B.N./Khanna, T. (2000). Do firms learn to create value? The case of alliances. In: Strategic Management Journal 21, S. 295-315. Arino, A./de la Torre, J./Ring, P.S. (2001): Relational quality: Managing trust in corporate alliances. In: California Management Journal 44 (3), S. 109-131. Badaracco, J.L. (1991): Strategische AUianzen. Wie Unternehmen durch Know-howAustausch Wettbewerbsvorteile erzielen. Wien. Beck, T. (1998): Kosteneffiziente Netzwerkkooperation. Optimierung komplexer Partnerschaften zwischen Unternehmen. Wiesbaden. Bellmann, K./Hippe, A. (1996): Kemthesen zur Konfiguration von Produktionsnetzwerken. In: Bellmann, K./Hippe, A. (Hrsg.): Management von Untemehmensnetzwerken. Wiesbaden, S. 55-86. Bennett, M.J. (2001): Developing intercultural competence for global leadership. In: Reineke, R./Fufiinger, C. (Hrsg.): Interkulturelles Management: Konzeption - Beratung - Training. Wiesbaden, S. 205-226. Blau, P.M. (1964): Exchange and power in social life. New York. Blecker, T (1999): Unternehmung ohne Grenzen. Wiesbaden. Boxall, P./Purcell, J. (2003): Strategy and human resource management. Basingstoke. Boxall, P./Steeneveld, M. (1999): Human resource strategy and competitive advantage: A longitudinal study of engineering consultancies. In: Journal of Management Studies 36 (4), S. 443-463.

111

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Brauer, B. (2003): Wissensmanagementstrategietypen in temporal intendierten Unternehmensnetzwerken. Koln. Brodbeck, R (2000): Teamklima-Inventar. Gottingen. Bronder, C. (1992): Unternehmensdynamisierung durch Strategische AUianzen - Ein konzeptioneller Ansatz zum Kooperationsmanagement. St. Gallen. Bronder, C. (1993): Kooperationsmanagement. Unternehmensdynamik durch Strategische AUianzen. Frankfurt a.M. und New York. Bruner, R./Spekman, R. (1998): The dark side of alliances: Lessons from Volvo-Renault. In: European Management Journal 16 (2), S. 136-150. Burt, R. (1997): The contingent value of social capital. In: Administrative Science Quarterly 42, S. 339-365. Burt, R. (2003): The social structure of competition. In: Ostrom, E./Ahn, T.K. (Hrsg.): Foundations of social capital. Cheltenham, S. 197-219. Chen, G.-M./Starosta, W.J. (1996): Intercultural communication competence: A synthesis. In: Burleson, B. (Hrsg.): Communication Yearbook 19. Thousand Oaks, S. 353-383. Child, J. (1997): Strategic choice in the analyses of action, structure, organizations and environment: Retrospect and prospect. In: Organization Studies 18 (1), S. 43-76. Coleman, J.S. (2000): Social capital in the creation of human capital. In: Lesser, E. (Hrsg.): Knowledge and social capital. Wobum, S. 17-41. Contractor, F.J.A-orange, R (2002): The growth of alliances in the knowledge-based economy. In: International Business Review 11 (4), S. 485-502. CuUen, J.B./Johnson, J.L./Sakano, T. (2000): Success through commitment and trust. In: Journal of World Business 35, S. 223-240. Das, T./Teng, B. (2002): Alliance constellations: A social exchange perspective. In: Academy of Management Review 27 (3), S. 445-456. D'Aveni, R.A. (1995): Hyperwettbewerb. Frankfurt a.M. Dean, O./Popp, G.E. (1990): Intercultural communication effectiveness as perceived by American managers in Saudi Arabia and French managers in the U.S. In: International Journal of Intercultural Relations 14, S. 405-424. Dent, S.M. (1999): Partnering intelligence. Creating value for your business by building strong alliances. Palo Alto. Doney, RM./Cannon, J.P. (1997): An examination of the nature of trust in buyer-seller relationships. In: Journal of Marketing 61 (4), S. 35-51.

112

Inhalt und Aufbau interorsanisationater Kooperationskompetenz

Doz, Y./Hamel, G. (1998): Alliance advantage. The art of creating value through partnering. Cambridge und Harvard. Duschek, S. (1998): Kooperative Kernkompetenzen - Zum Management einzigartiger Netzwerkressourcen. In: Zeitschrift Fiihrung und Organisation 68 (4), S. 230-236. Dyer, J.H. (1996): Does governance matter? Keiretsu alliances and asset specificity as sources of Japanese competitive advantage. In: Organization Science 7, S. 649-666. Dyer, J.H./Nobeoka, K. (2000): Creating and managing a high-performance knowledge sharing network: The Toyota case. In: Strategic Management Journal 21, S. 345-367. Dyer, J.H./Singh, H. (1998): The relational view: Cooperative strategy and sources of interorganizational competitive advantage. In: Academy of Management Review 23 (4), S. 660-679. Eisele, J. (1995): Erfolgsfaktoren des Joint Venture-Management. Wiesbaden. Feldman, M.S. (2004): Resources in emerging structures and processes of change. In: Organization Science 15 (3), S. 295-309. Gibson, C.B. (2001): From accumulation to accommodation: The chemistry of collective cognition in work groups. In: Journal of Organizational Behavior 22, S. 121-134. Gomes-Casseres, B. (1994): Group versus group: How alliance networks compete. In: Harvard Business Review 72 (4), S. 62-74. Graf, A. (2004a): Interkulturelle Kompetenzen im Human Resource Management. Wiesbaden. Graf, A. (2004b): Screening and training intercultural competencies. In: International Journal of Human Resource Management 15 (6), S. 1124-1148. Graf, A. (2004c): Expatriate selection: An empirical study identifying significant skill profiles. In: Thunderbird International Business Review 46 (6), S. 667-685. Gretzinger, S./Matiaske, WAVeber, W (2002): Kooperation und Konflikt in strategischen Netzwerken. In: Zeitschrift Fiihrung und Organisation 71 (1), S. 22-25. Griffith, D.A./Harvey M.G. (2001): Executive insights: An intercultural communication model for use in global interorganizational networks. In: Journal of International Marketing 9 (3), S. 87-103. Gulati, R. (1998): Alliances and networks. In: Strategic Management Journal 19 (4), S. 293-317. Gulati, R./Nohria, N./Zaheer, A. (2000): Strategic networks. In: Strategic Management Journal 21, S. 203-215. Hambrick, D.C./Mason, RA. (1984): Upper echelons: The organization as a reflection of its top managers. In: Academy of Management Review 9, S. 193-206.

113

I

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Hamel, G. (1991): Competition for competence and inter-partner learning within international strategic alliances. In: Strategic Management Journal 12, S. 83-103. Hamel, G./Doz, Y./Prahalad, C. (1989): Mit Marktrivalen zusammenarbeiten - und dabei gewinnen. In: Harvard Business Manager 11 (3), S. 87-95. Hamel, G./Prahalad, C.K. (1997): Wettlauf um die Zukunft. 2. Aufl. Wien. Harbison, J.R./Pekar, P. (1998): Institutionalizing alliance skills: Secrets of repeatable success. In: Strategy & Business 4 (2), S. 79-94. Harich, K.R.A-aBahn, D.W. (1998): Enhancing international business relationships, a focus of customer perceptions of salesperson role performance including intercultural sensitivity. In: Journal of Business Research 42, S. 87-101. Haytko, D. (2004): Firm-to-firm and interpersonal relationships. In: Academy of Marketing Science 32(3), S. 312-328. Heide, J.B./John, G. (1990): Alliances in industrial purchasing: The determinants of joint action in buyer-supplier relationships. In: Journal of Marketing Research 27, S. 2436. Hennart, J.-R/Roehl, T./Zietlow, D. (1999): „Trojan horse" or „Workhorse"? The evolution of U.S.-Japanese joint ventures in the United States. In: Strategic Management Journal 20 (1), S. 15-29. Hilb, M. (1997): Management der Human-Ressourcen in virtuellen Organisationen. In: MuUer-Stewens, G. (Hrsg.): Virtualisierung von Organisationen. Stuttgart, S. 83-95. Hill, R./Hellriegel, D. (1994): Critical contingencies in joint venture management: Some lessons from managers. In: Organization Science 5, S. 594-607. Hillig, A. (1997): Die Kooperation als Lemarena in Prozessen fundamentalen Wandels. Ein Ansatz zum Management von Kooperationskompetenz. Bern und Stuttgart. Hinterhuber, H.H./Stahl, H.K. (1996): Untemehmensnetzwerke und Kemkompetenzen. In: Bellmann, K./Hippe, A. (Hrsg.): Management von Untemehmensnetzwerken. Wiesbaden, S. 87-117. Hogl, M./Gemiinden, H.G. (2000): Determinanten und Wirkungen der Teamarbeit in innovativen Projekten. In: Gemiinden, H.G./Hogl, M. (Hrsg.): Management von Teams. Wiesbaden, S. 33-66. Husgen, M. (2005): Projektteams: Das Sechs-Ebenen-Modell zur Selbstreflexion im Team - Instrument und Einsatz. Gottingen. Imahori, T.T.A-anigan, M.L. (1989): Relational model of intercultural communication competence. In: International Journal of Intercultural Relations 13, S. 269-286.

114

Inhalt und Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz

Inkpen, A.C./Currall, S.C. (2004): The coevolution of trust, control, and learning in joint ventures. In: Organization Science 15 (5), S. 586-599. Isabella, L.A./Spekman, R.E. (2001): Alliance leadership: Template for the future. In: Mobley, W./McCall, M. (Hrsg.): Advances in global leadership. Vol. 2. Amsterdam und New York, S. 217-244. Kale, P./Dyer, J.H./Singh, H. (2002): Alliance capability, stock market response and long-term alliance success: The role of the alliance function. In: Strategic Management Journal 23, S. 747-767. Kale, P./Singh, H./Perlmutter, H. (2000): Learning and protection of proprietary assets in strategic alliances - Building relational capital. In: Strategic Management Journal 21 (3), S. 217-237. Kanter, R.M. (1994): Collaborative advantages: The art of alliances. In: Harvard Business Review 72 (4), S. 96-108. Kauffeld, S. (2004): Fragebogen zur Arbeit im Team. Gottingen. Kirkman, B.L./Rosen, B. (2000): Powering u p teams. In: Organizational Dynamics 28 (3), S. 48-66. Kirkman, B.L./Rosen, B./Tesluk, P/Gibson, C. (2004): The impact of team empowerment on virtual team performance: The moderating role of face-to-face interaction. In: Academy of Management Journal 47 (2), S. 175-192. Knapp, K. (1995): Interkulturelle Kommunikationfahigkeit als Qualifikationsmerkmal fiir die Wirtschaft. In: Bolten, J. (Hrsg.): Cross-Culture - Interkulturelles Handeln in der Wirtschaft. Stemenfels, S. 9-24. Koka, B.R./Prescott, J. (2001): Strategic alliances as social capital. In: Strategic Management Journal 22, S. 795-816. Kotabe, M./Martin, X./Domoto, H. (2001): Gaining from vertical partnerships: Knowledge transfer, relationship duration, and supplier performance improvement in the US and Japanese automotive industries. In: Strategic Management Journal 24, S. 293-316. Kutschker, M. (2005): Prozessuale Aspekte der Kooperation. In: Zentes, J./Swoboda, B./Morschett, D. (Hrsg.): Kooperationen, AUianzen und Netzwerke. 2. Aufl. Wiesbaden, S. 1125-1154. Lane, P./Lubatkin, M. (1998): Relative absorptive capacity and interorganizational learning. In: Strategic Management Journal 19 (5), S. 461-477. Lei, D. (1993): Offensive and defensive use of alliances. In: Long Range Planning 26 (4), S. 32-41. Lei, D./Slocum, J.W. (1992): Global strategy, competence-building and strategic alliances. In: California Management Review 35 (1), S. 81-97.

115

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Lin, X./Germain, R. (1998): Sustaining satisfactory joint venture relationships: The role of conflict resolution strategy. In: Journal of International Business Studies 29, S. 179196. Lincoln, Y./Guba, E. (1985): Naturalistic inquiry. Beverly Hills. Loose, A./Sydow, J. (1994): Vertrauen und Okonomie in Netzwerkbeziehungen Strukturationstheoretische Betrachtungen. In: Sydow, J.AVindeler, A. (Hrsg.): Management interorganisationaler Beziehungen. Opladen, S. 160-193. Lorenzoni, G./Lipparini, A. (1999): The leveraging of interfirm relationships as a distinctive organizational capability: A longitudinal study. In: Strategic Management Journal 20 (4), S. 317-338. Marks, M.A./Mathieu, J./Zaccaro, S. (2001): A temporally based framework and taxonomy of team processes. In: Academy of Management Review 26, S. 356-376. Matiaske, W. (1999): Soziales Kapital in Organisationen. Miinchen. Maurer, I. (2003): Soziales Kapital als Erfolgsfaktor junger Untemehmen. Wiesbaden. Meckl, R. (1995): Zur Planung intemationaler Untemehmenskooperationen. In: Zeitschrift fiir Planung 6 (1), S. 25-39. Meyer, T. (2004): Interkulturelle Kooperationskompetenz. Frankfurt a.M. Moreland, R.L./Argote, L./Krishnan, R. (1998): Training people to work in groups. In: Tindale, R.S./Heath, L./Edwards, J./Posavac, E./Bryant, R/Suarez-Balcazar, Y./Henderson-King, E./Myers, J. (Hrsg.): Theory and research on small groups. New York, S. 3760. Morgan, B.B./Lassiter, D.L. (1992): Team composition and staffing. In: Swezey, R./Salas, E. (Hrsg.): Teams: Their training and performance. New Jersey, S. 75-100. Mowery, D.C./Oxley, J.E./Silverman, B.S. (1996): Strategic alliances and interfirm knowledge transfer. In: Strategic Management Journal 17, S. 77-91. Mueller, F. (1996): Human resources as strategic assets: An evolutionary resourcebased theory. In: Journal of Management Studies 33 (6), S. 757-785. MuUer, K. (1990): Kooperation bei Klein- und Mittelbetrieben. In: Pfohl, H.-C. (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe. 2. Aufl. Berlin, S. 361-382. Miiller, S./Gelbrich, K. (1999): Interkulturelle Kompetenz und Erfolg im Auslandsgeschaft: Status quo der Forschimg. Dresden. Miiller, S./Gelbrich, K. (2001): Interkulturelle Kompetenz als neuartige Anforderung an Entsandte: Status quo und Perspektiven der Forschung. In: Zeitschrift fiir betriebswirtschaftliche Forschung 53 (5), S. 246-272.

116

Inhalt und Aufbau interorsanisationaler Kooperationskompetenz

Miiller-Stewens, G./Osterloh, M. (1996): Kooperationsinvestitionen besser nutzen: Interorganisationales Lernen als Know-how-Transfer oder Kontext-Transfer? In: Zeitschrift Fiihrung und Organisation 66 (1), S. 18-24. Oelsnitz, D. von der (2005): Kooperation: Entwicklung und Verkniipfung von Kernkompetenzen. In: Zentes, J./Swoboda, B./Morschett, D. (Hrsg.): Kooperationen, Allianzen und Netzwerke. 2. Aufl. Wiesbaden, S. 183-210. Oelsnitz, D. von der/Busch, M. (2004): Transaktives Gedachtnis. In: Die Betriebswirtschaft 64 (2), S. 245-249. Oelsnitz, D. von der/Busch, M. (2005): Kompetenzorientierte Fiihrung und Gestaltung interorganisationaler Vertriebsteams. In: Ahlert, D./Olbrich, R./Schroder, H. (Hrsg.): Netzwerke in Vertrieb und Handel. Frankfurt a.M., S. 89-106. Olson, J.M./Roese, N.J./Zanna, M.R (1996): Expectancies. In: Higgins, I.E. (Hrsg.): Social psychology. Handbook of basic principles. New York, S. 211-238. Peitz, U. (2002): Struktur und Entwicklung von Beziehungen in Unternehmensnetzwerken. Wiesbaden. Pfohl, H.-C./Buse, H.P. (1999): Organisationale Beziehungsfahigkeiten in komplexen kooperativen Beziehungen. In: Engelhard, J./Sinz, E. (Hrsg.): Kooperation im Wettbewerb. Wiesbaden, S. 271-300. Phan, M.C./Styles, C.W./Patterson, PG. (2005): Relational competency's role in Southeast Asia business partnerships. In: Journal of Business Research 58, S. 173-184. Picot, A./Reichwald, R.AVigand, R. (2003): Die grenzenlose Unternehmung. 5. Aufl. Wiesbaden. Powell, W./Koput, W./Smith-Doerr, L. (1996): Interorganizational collaboration and the locus of innovation. In: Administrative Science Quarterly 41, S. 116-145. Prange, C. (2003): Interorganisationales Lernen: Lernen in, von und zwischen Organisationen. In: Sydow, J. (Hrsg.): Management von Netzwerkorganisationen. 3. Aufl. Wiesbaden, S. 151-177. Pucik, V. (1988): Strategic alliances, organizational learning, and competitive advantage: The HRM agenda. In: Human Ressource Management 27 (1), S. 77-93. Reber, G. (1992): Organisatorisches Lernen. In: Frese, E. (Hrsg.): Handworterbuch der Organisation. 3. Aufl. Stuttgart, Sp. 1240-1255. Reed, R./DeFillippi, R. (1990): Causal ambiguity barriers to imitation, and sustainable competitive advantage. In: Academy of Management Review 15 (1), S. 88-102. Reich, R./Mankin, E. (1986): Joint ventures with Japan give away our future. In: Harvard Business Review 64 (2), S. 78-86.

117

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Reifi, M. (1998): Der neue Mittelstand. Frankfurt a.M. Ring, RS. (2000): The three T's of alliance creation: Task, Team and Time. In: European Management Journal 18 (2), S. 152-163. Ring, P.S.A^an de Ven, A. (1994): Developmental processes of cooperative interorganizational relationships. In: Academy of Management Review 19 (1), S. 90-118. Ritter, T. (1998): Innovationserfolg durch Netzwerkkompetenz. Effektives Management von Unternehmensnetzwerken. Wiesbaden. Ritter, T./Gemiinden, H.G. (1998): Die netzwerkende Untemehmung: Organisationale Voraussetzungen netzwerk-kompetenter Unternehmen. In: Zeitschrift Fiihrung und Organisation 67 (5), S. 260-265. Robson, M.J. (2002): Partner selection in successful international strategic alliances: The role of co-operation. In: Journal of General Management 28 (1), S. 1-15. Ruben, B.D. (1976): Assessing communication competency for intercultural adaptation. In: Group & Organization Studies 1 (3), S. 334-354. Schreiner, M./Corsten, D./Kale, P. (2005): Collaborative capability of firms, joint action, and relationship quality in inter-firm relationships. Working paper University of St. Gallen. Schreyogg, G./Dabitz, R. (Hrsg.)(1999): Unternehmenstheater. Wiesbaden. Schurer, B. (1977): Kooperationsfahigkeit. In: Manstetten, R./Nibbrig, B./Tiimmers, J. (Hrsg.): Zukunftsbedeutsame Lehrziele. Theoretische Grundlagen und unterrichtspraktische Mafinahmen. Trier, S. 189-207. Shan, W./Hamilton, W. (1991): Country-specific advantage and international cooperation. In: Strategic Management Journal 12, S. 419-432. Simonin, B.L. (1997): The importance of collaborative know-how: An empirical test of the learning organization. In: Academy of Management Journal 40 (5), S. 1150-1174. Simonin, B.L. (1999): Ambiguity and the process of knowledge transfer in strategic alliances. In: Strategic Management Journal 20, S. 595-623. Sivadas, E./Dwyer, RR. (2000): An examination of organizational factors influencing new product success in internal and alliance-based processes. In: Journal of Marketing 64 (1), S. 31-49. Snyder, M./Stukas, A. (1999): Interpersonal processes: The interplay of cognitive, motivational, and behavioral activities in social interaction. In: Armual Review of Psychology 50, S. 273-303. Spekman, R.E./Isabella, L./MacAvoy, T./Forbes, T. (1996): Creating strategic alliances with endure. In: Long Range Planning 29 (3), S. 346-357.

118

Inhalt und Aufbau interorganisationaler Kooperationskompetenz

Spekman, R.E./Isabella, L.A./MacAvoy, R.C. (2000): Alliance competence: Maximizing the value of your partnerships. New York. Spitzberg, B.H. (2000): A model of intercultural communication competence. In: Samovar, L./Porter, R. (Hrsg.): Intercultural communication: A reader. Belmont, S. 375-387. Spitzberg, B.H./Cupach, W.R. (1989): Handbook of interpersonal competence research. New York, S. 333-368. Stahl, H. (1996): Beziehungskompetenz. In: Hinterhuber, H./Friedrich, S./Al-Ani, A./ Handlbauer, G. (Hrsg.): Das Neue Strategische Management. Wiesbaden, S. 217-244. Swart, J./Kinnie, N./Purcell, J. (2004): Human resource advantage in the networked organization. In: Management Review 15 (3), S. 288-304. Sydow, J. (1992): Strategische Netzwerke. Wiesbaden. Sydow, J. (2003): Management von Netzwerkorganisationen - Zum Stand der Forschung. In: Sydow, J.AVindeler, A. (Hrsg.): Management von Netzwerkorganisationen. 3. Aufl. Wiesbaden, S. 293-354. Sydow, J.AVindeler, A.AVirth, C. (2002): Markteintritt als koUektiver Netzwerkeintritt. In: Die Betriebswirtschaft 62 (5), S. 459-473. Tsai, W. (2000): Social capital, strategic relatedness and the formation of intraorganizational linkages. In: Strategic Management Journal 21, S. 925-939. Voeth, M./Rabe, C. (2005): Internationale Joint Ventures - Grundsatzentscheidung, Ausgestaltung und Erfolgsfaktoren. In: Zentes, J./Swoboda, B./Morschett, D. (Hrsg.): Kooperationen, AUianzen und Netzwerke. 2. Aufl. Wiesbaden, S. 647-672. Walker, G./Kogut, B./Shan, W. (1997): Social capital, structural holes and the formation of an industry network. In: Organization Science 8, S. 109-125. Walter, A. (1998): Der Beziehungspromotor. Ein personaler Gestaltungsansatz fiir erfolgreiches Relationship Marketing. Wiesbaden. Wegner, D. (1987): Transactive memory: A contemporary analysis of the group mind. In: Mullen, B./Goethals, G. (Hrsg.): Theories of group behavior. New York, S. 185-208. Wiendieck, G. (1992): Teamarbeit. In: Frese, E. (Hrsg.): Handworterbuch der Organisation. 3. Aufl. Stuttgart, Sp. 2375-2384. Wiseman, R.L. (2002): Intercultural communication competence. In: Gudykunst, WB./ Mody, B. (Hrsg.): Handbook of international and intercultural communication. Thousand Oaks, S. 207-224. Wiihrer, G.A. (1995): Internationale AUianz- und Kooperationsfahigkeit osterreichischer Unternehmen. Linz.

119

Dietrich von der Oelsnitz/Andrea Graf

Zahn, E./Foschiani, S. (2002): Wertgenerierung in Netzwerken. In: Albach, A./Kaluza, B,/Kersten, W. (Hrsg.): Wertschopfungsmanagement als Kemkompetenz. Wiesbaden, S. 265-275. ZoUo, M./Reuer, J./Singh, H. (2002): Inter-organizational routines and performance in strategic alliances. In: Organization Science 13, S. 701-713.

Univ.-Prof. Dietrich von der Oelsnitz Fakultat fiir Wirtschaftswissenschaften Fachgebiet Unternehmensfiihrung Technische Universitat Ilmenau D-98684 Ilmenau [email protected] Prof. Dr. Andrea Graf Universitat Regensburg Institut fiir Betriebswirtschaftslehre Lehrstuhl fiir Fiihrung und Organisation Universitatsstrafie 31 D-93040 Regensburg [email protected]

120

Uta WUk#ns/IMim^ Kielter/Marttna Schmette

Individuelle Kompetenz; koUektive Kompetenz; Kompetenzebenen; Kompetenzentwicklung; Komplexitatstheorie; sozial-kognitive Theorie

Zusammenfassung Der Beitrag zielt darauf ab, Prozesse der Kompetenzentwicklung in sozialen Systemen zwischen den Ebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk abbildbar zu machen. Ausgehend von einem Kompetenzverstandnis im Sinne situationsiibergreifender Handlungs- und Problemlosungsfahigkeit werden mit der Theorie komplexer adaptiver Systeme und der sozial-kognitiven Theorie vier ebeneniibergreifend giiltige Kompetenzdimensionen begriindet: (1) Komplexitatsbewaltigung, (2) Selbstreflexion, (3) Kombination und (4) Kooperation. Diese Systematik schafft die Voraussetzung, um Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen zu messen und soziale Systeme nach den in ihnen ablaufenden dominanten ebeneniibergreifenden Kompetenzbeziehungen zu klassifizieren. Annahmen iiber die fur ein soziales System zu priifenden Wirkungsbeziehungen sowie die Grundstruktur und Grenzen eines entsprechenden Untersuchungsmodells runden den Beitrag ab.

Managementforschung 16 (2006), hrsg. von G. Schreydgg und P. Conrad Gabler Verlag . Wiesbaden, S. 121-161

Uta WHkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Abstract The paper discusses capability development processes in social systems that take place between the individual, the group, the organizational and the network levels. We first elaborate a definition of capabilities and competencies in terms of an overall capacity to act and to solve problems. We further specify this capacity on the basis of the theory of complex adaptive systems and social-cognitive theory by using the four dimensions (1) dealing/overcoming with complexity, (2) self-reflection, (3) combination and (4) cooperation. These theories explain action and encompass all the levels mentioned that can be important for capability development. The proposed specification is a prerequisite for measuring the relationship between different levels of competencies and capabilities and for the classification of social systems as specific systems for competency development. The article is rounded-off with hypotheses on the relation between the mentioned levels and a model for multi-level competency measurement, including its limitations.

Inhaltsubersicht 1 Anschlussstellen und Forschungsbedarfe in der Mehrebenenbetrachtung von Kompetenz 2 Kompetenzebenen und ebeneniibergreifendes Kompetenzverstandnis 2.1 Identifikation relevanter Kompetenzebenen 2.2 Theorieauswahl fiir ein ebenenubergreifendes Kompetenzverstandnis 2.3 Kompetenz in der Theorie komplexer adaptiver Systeme 2.3.1 Grundziige der Theorie 2.3.2 Kompetenzdimensionen komplexer adaptiver Systeme 2.4 Kompetenz in der sozial-kognitiven Theorie von Bandura 2.4.1 Grundzuge der Theorie 2.4.2 Kompetenzdimensionen der sozial-kognitiven Theorie 2.5 Integration der Kompetenzdimensionen in einen Gesamtansatz 3 Annahmen zu Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen 4 Untersuchungsmodell zur empirischen Uberpriifung des Annahmesystems 4.1 Vorarbeiten und Anknupfungspunkte integrierter Kompetenzmessung 4.2 Ein sozial-konstruktivistischer Untersuchungsansatz 4.3 Analyseschritte des Untersuchungsmodells 4.4 Limitierungen des Untersuchungsmodells 5 Ausblick auf den praktischen Nutzen von Wirkungsanalysen zwischen Kompetenzebenen

122

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueller und koUektiver Kompetenz

1

Anschlussstellen und Forschungsbedarfe in der Mehrebenenbetrachtung von Kompetenz

Dem Konstrukt der Kompetenz wird in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen, aus denen sich die Managementforschung formiert, hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei lassen sich die unterschiedlichen Kompetenzansatze nach den von ihnen verfolgten Zielgrofien und nach den von ihnen betrachteten Kompetenzebenen systematisieren. So zielen padagogisch-psychologische Konzepte besonders auf die Employability von Individuen ab; dkonomische Ansatze interessieren sich fiir die Wettbewerbsfahigkeit von Unternehmen oder Unternehmenskooperationen. Mit den in unterschiedlichen Disziplinen verfolgten Zielgrofien werden gleichzeitig unterschiedliche Strukturebenen von Kompetenz fokussiert. Dabei lasst sich fiir jede Kompetenzebene - Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk - eine Reihe von Begriffsauslegungen identifizieren. Auf den ersten Blick weisen diese Definitionen kaum Beziige zueinander auf; das Feld der Kompetenzforschung gilt als fragmentiert. Zumindest bleibt auf diesem Forschungsgebiet angesichts einer Vielzahl von Definitionen eine gewisse Unscharfe zu konstatieren (Sydow et al. 2003; Schreyogg/Kliesch 2003; Pawlowsky et al. 2005; Gillen/Kaufhold 2005). Dies soil durch Abbildung 1, in der unterschiedliche Begriffsfassungen verschiedener Disziplinen fiir vier Kompetenzebenen zusammengestellt sind, zum Ausdruck gebracht werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es trotz der Heterogenitat nicht auch etwas Verbindendes unter den aufgezeigten Begriffsauslegungen gibt, das als gemeinsames Forschungsanliegen der unterschiedlichen Zugange zum Kompetenzkonstrukt verstanden werden kann. Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist nicht nur durch den Wunsch einer einheitlichen Begriffsverwendung motiviert. Sie scheint auch deshalb notwendig, weil in der Forschung ganz selbstverstandlich Annahmen formuliert werden, die einen Wirkungszusammenhang zwischen den Kompetenzebenen herausstellen. Beispielsweise wird organisational Wettbewerbsfahigkeit auf Humanressourcen und individuelle Lernprozesse zuriickgefiihrt (Hatch/Dyer 2004) oder mit Netzwerkbeziehungen begriindet (Dyer/Singh 1998; ausfiihrlich dazu Abschnitt 3). Um solche Annahmen systematisch priifen zu kdnnen, bedarf es eines einheitlichen Argumentationsrahmens fiir die unterschiedlichen Betrachtungsebenen, dessen Ursprung in einem einheitlichen Kompetenzverstandnis zu sehen ist.

123

Uta Wilkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Abb. 1:

Definitionsansdtze zur Kompetenz (Quelle: in Anlehnung an Pawlowsky et al 2005, S. 345, eigene Weiterentwicklung; zur Ubersicht siehe audi Sydow et al. 2003; Schreyogg/Kliesch 2003)

Analyse-Ebene

Organisatbn

Gruppe

DiszipliiV Ansatz

Gr und verstan d ni s

Zielsystem/ Erfolgskriterien

Wett bewerbstheorie: Beziehungsorientierter Ansatz, Kbmplexitatstheorie

Handungs- und Wettbewerbsfi^jgkeit, In novation sfSh igkeit, Mtg^iedschaft, Kbevolution

Wett bewerbstheorie: Ressourcenorlentierter Ansatz, Dynarric Capablity Apprcach, ^temtheorie

Handungs- und Wettbewerbsfahigl^eit, ekonorrische Rente, Wertsch5pfungstDelr3ge, Prozessopti niem ng

Handungs- und Selbststeuemngsfahigkeit von Gruppe n, Larn- und Enlwicklungsprozess der Gruppe

Sozialpsychologie, Gruppe nsoeiobgie

Radagogik, Incfvidualpsyciiolocpe

1 fr>#y|#i^^i^ftmp?»ny a) S^iatiomut>et9rei1end0 HandlUiig|8(iShlg^«Ht; Sstistt>) Faciv, Me^oden>, ScKttai- und SeibsttconpetarK: c) K<:artze0oo^\», stxmie urwi techrdsche Konnpeter«: d) Oiatifkalion

Seltstwirksannkeitswahrnehmung, HandlungsfShigkel, individueler Beiufseifolg, Egnungsgrad und zukunflige Antbrderungsfcie\ABltigung

Das Verbindende zwischen unterschiedlichen Kompetenzkonstrukten gewinnt an Kontur, wenn man die Zielsysteme bzw. Erfolgskriterien der Forschungsansatze in die Analyse einbezieht (siehe Abb. 1). Die padagogische Forschung stellt die selbstorganisatorischen und schopferischen Fahigkeiten des Individuums in den Mittelpunkt. Es geht ihr um die Forderung der individuellen Fahigkeit zum lebenslangen Lemen als Voraussetzung dafiir, die Beschaftigungsfahigkeit unabhangig von einem bestimmten betrieblichen Kontext oder Anforderungsbereich zu sichem (Baitsch 1996; Arnold 1997; Sauer 2002). Parallel dazu interessieren sich die Sozialpsychologie und die soziologisch gepragte Organisationsforschung fiir die Kompetenz koUektiver Systeme. Hier werden die Selbstorganisationsfahigkeiten sowie Lem- und Entwicklungsprozesse von Gruppen bzw. Organisationen, die im Interaktionsgeschehen und der Unternehmenskultur verankert sind, beleuchtet (z.B. Schreyogg/Kliesch 2003). Schliefilich werden in der Wettbewerbstheorie capabilities als Quelle nachhaltiger Wettbewerbsvorteile von Organisationen oder Netzwerken betrachtet, durch die eine dauerhafte okonomische Rente generiert werden kann (Barney 1991; Teece et al. 1997; Dyer/ Singh 1998; Zaheer/Bell 2005).

124

Wirkunssbeziehungen zwischen Ebenen individueller und koUektiver Kompetenz

Ein erstes gemeinsames Merkmal in den auf unterschiedliche Ebenen gerichteten Kompetenzdefinitionen lasst sich also darin erkennen, dass Kompetenz entweder als Handlungs- und Problemlosungsfahigkeit verstanden wird oder als unmittelbare Voraussetzung, um Handlungs- und Problemlosungsfahigkeit zu erlangen und zu erhalten. „Kompetenz ist ein handlungsbezogenes Konstrukt, das sich in einer erfolgreichen Bewaltigung von Problemsituationen niederschlagt" (Schreyogg/Kliesch 2003, S. 22). Hinter der Auseinandersetzung mit dem Kompetenzkonstrukt steht das Anliegen, etwas iiber die Handlungsfahigkeit einer betrachteten Einheit auszusagen. Als zweites gemeinsames Merkmal bleibt festzuhalten, dass die Handlungsfahigkeit als situationsUbergreifend, wenn auch nicht vollig kontextlosgelost, zu verstehen ist. So geht es bei der Kompetenz von Individuen nicht nur um das anforderungsgerechte Handeln im Sinne von Qualifikation, sondern gerade auch um die Regulationsfahigkeit des Individuums, bei neuen Herausforderungen entsprechende Handlungsalternativen zu entwickeln (Baitsch 1996; Erpenbeck 1996; Arnold 1997; Sauer 2002; von Rosenstiel/Erpenbeck 2003). Ebenso werden auf den koUektiven Ebenen die Selbstorganisationsdispositionen betont. Kollektive Systeme - Gruppen, Organisationen und Netzwerke - brauchen neben der Selbstreferenzialitat dynamische Fahigkeiten zur ijberwindung von Beharrungstendenzen und Erneuerung des Handlungsrepertoirs, um dauerhaft erfolgreich und iiberlebensfahig zu sein (Teece et al. 1997; Dyer/Singh 1998; Steiner 1972; Baron et al. 1992). Es kann festgehalten werden, dass es unter den verschiedenen Disziplinen, die sich mit dem Kompetenzkonstrukt befassen, ein gemeinsames Kernanliegen in der Erklarung situationsUbergreifender Handlungs- und Problemlosungsfahigkeit gibt. Damit schliefit sich die Frage an, ob auch die fiir unterschiedliche Ebenen zu findenden Zugange zu dieser Meta-Fahigkeit aneinander anschlussfahig sind. In der auf Individuen und Gruppen gerichteten Kompetenzforschung lassen sich Kompetenzfacetten, wie beispielsweise Each-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz finden, auf die sich diese situationsiibergreifende Handlungs- und ProblemIdsungsfahigkeit stiitzt (Patzold 1999; Frieling et al. 2000; Bader/Miiller 2002). Fiir die Organisations- und Netzwerkebene konnen mit Hilfe einer systemtheoretischen Ausdeutung Hinweise auf die Selbstreferenzialitat und Selbstregulationsfahigkeit des Systems als Voraussetzung, um Anpassungsleistungen in komplexen Problemsituationen voUziehen zu konnen (dazu Luhmann 1988), konkretisiert werden. Fiir die Netzwerkebene kann eine weitere dahingehende Spezifizierung erfolgen, dass iiber interorganisationale Beziehungen Handlungsfahigkeit gesichert werden kann (Sydow et al. 2003; Hoffmann 2003; Kappelhoff 2004). Hierbei zeigt sich, dass die benannten Kompetenzfacetten der jeweiligen Ansatze zwar durchaus verwandt erscheinen, aber gleichwohl nicht unmittelbar aneinander anschliefien. Dieses Defizit wird in jiingster Zeit besonders betont (Schreyogg/Kliesch 2003; Pawlowsky et al. 2005). Erste Bestrebungen, diese fehlende Anschlussfahigkeit herzustellen, haben eher assoziativen Charakter, indem Facetten zur Organisationskompetenz analog zu Beschreibungen

125

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

individueller Kompetenz formuliert werden (Schreyogg/Kliesch 2003). Ein gemeinsames theoretisches Rahmenkonzept, das die unterschiedlichen Kompetenzebenen derart verbindet, dass fiir alle Ebenen vergleichbare Kompetenzdimensionen formuliert werden konnen, fehlt indessen. Eine Analyse, die Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen zum Gegenstand macht, setzt ein Kompetenzverstandnis voraus, das fiir alle Kompetenzebenen gleichermafien aussagefahig ist. Das Kemanliegen dieses Beitrages besteht darin, auf theoretischer Grundlage ebeneniibergreifend aussagekraftige Kompetenzdimensionen herauszuarbeiten, auf die sich situationsiibergreifende Handlungs- und Problemlosungsfahigkeit unabhangig von der betrachteten Kompetenzebene stiitzt. Damit soil eine Anschlussfahigkeit zwischen den unterschiedlichen Kompetenzebenen hergestellt und gleichzeitig die Voraussetzung geschaffen werden, um Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen analysieren und dariiber die fiir ein betrachtetes soziales System mafigeblichen Prozesse der Kompetenzentwicklung verdeutlichen zu konnen. Ein weiterfiihrendes Ziel besteht darin, die Grundstruktur einer Wirkungsanalyse zwischen Kompetenzebenen zu veranschaulichen. Mit einer solchen Wirkungsanalyse verbindet sich nicht zuletzt das praktische Ziel, auf der Basis empirisch ermittelter Zusammenhange Ansatzpunkte fur Kompetenzentwicklungsmafinahmen zu identifizieren, so dass Riickschliisse im Hinblick auf einen zielfiihrenderen Einsatz von Mafinahmen des Human Resource Managements ebenso moglich werden wie zu sinnvoUen Aktivitaten der Beziehungspflege. Entsprechende Ergebnisse waren fiir das Personalmanagement und die Organisationsgestaltung von besonderem Interesse. Um sich diesen Zielen zu nahern, werden zunachst die relevanten Kompetenzebenen vergegenwartigt (Abschnitt 2.1), um darauf aufbauend eine theoretisch fundierte, ebeneniibergreifend giiltige Konkretisierung des Kompetenzkonstruktes vorzuschlagen, auf deren Grundlage Wirkungsanalysen durchgefiihrt werden konnen (Abschnitte 2.2 bis 2.5). AnschlieiSend soUen Annahmen zur Wirkungsbeziehung zwischen Kompetenzebenen spezifiziert werden, um die denkbaren Wirkungen und Wirkungsrichtungen innerhalb eines betrachteten sozialen Systems zu verdeutlichen (Abschnitt 3). Daran ankniipfend wird dann die Grundstruktur eines Modells veranschaulicht, das die Basis bilden kann, um Wirkungsanalysen durchzufuhren (Abschnitt 4). Hinweise zum praktischen Nutzen solch eines Modells und des damit verbundenen Untersuchungsinstrumentariums beschliefien den Beitrag (Abschnitt 5).

126

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

2

Kompetenzebenen und ebeneniibergreifendes Kompetenzverstandnis

2.1

Identifikation relevanter Kompetenzebenen

Bei der Frage nach den Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen konnen alle vier bereits genannten Strukturebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk in die Betrachtung einbezogen werden. Durch die Einbeziehung der Netzwerkebene wird deutlich, dass auch organisationsexterne Bezugssysteme zur Entwicklung von Handlungsfahigkeit beitragen. Dies wird besonders im relational view betont (Dyer/Singh 1998; Duschek 2004), zu dessen Ausdifferenzierung die Strukturationstheorie (Sydow et al. 2003) und die Komplexitatstheorie (Kappelhoff 2000) beitragen konnen. Bislang hat sich die Forschung zur Netzwerkkompetenz auf organisational Netzwerke konzentriert (Andersson et al. 2001; Zimmer 2002; Ritter/Gemiinden 2003; Sydow et al. 2003), wahrend die informellen Beziehungssysteme Einzelner oder von Gruppen nicht systematisch aufgegriffen wurden. Sowohl in der strukturationstheoretisch fundierten Netzwerkbetrachtung von Sydow et al. (2003) als auch den komplexitatstheoretischen Uberlegungen (Kappelhoff 2002) sind diese Beziehungssysteme zwar grundsatzlich enthalten, ihre systematische Integration in ein Analysekonzept steht allerdings noch aus und soil hier weiter verfolgt werden. Denn Netzwerke spielen ebenso auf Individuums- wie Gruppenebene innerhalb und aufierhalb der Organisation eine wichtige Rolle. Darauf machen vor allem die Arbeiten zu Communities of Practice (Wenger/Snyder 2000) oder zum Boundary Spanning von Teams (Weinkauf et al. 2005) aufmerksam. Communities im Sinne informeller Austauschgruppen, die zum Aufbau und zur Erweiterung von Handlungsfahigkeit beitragen, konnen sich organisationsintern formieren oder treten als organisationsubergreifendes Beziehungsgeflecht zutage (Brown/Duguid 2001; Weinkauf et al. 2005). Als relevante Ebenen fiir eine Wirkungsanalyse von Kompetenzbeziehungen gilt es daher, sowohl die formalen Ebenen Individuum, Gruppe und Organisation als auch die informellen Netzwerkbeziehungen jeder dieser Ebenen zu beriicksichtigen.

127

Uta wakens I Helmut Keller/Martina Schmette

2.2

Theorieauswahl fur ein ebeneniibergreifendes Kompetenzverstandnis

Auf welcher theoretischen Grundlage lasst sich nun ein Kompetenzverstandnis erarbeiten, das alle genannten Ebenen integriert und dem herausgearbeiteten ebenenlibergreifend giiltigen Kompetenzverstandnis im Sinne von situationsiibergreifender Handlungs- und Problemlosefahigkeit entspricht? Zur weiteren theoretischen Fundierung verwenden wir Handlung erklarende Theorien, um zu erlautem, worauf Handlung bzw. die Fahigkeit zur Handlung grundet. Des Weiteren orientiert sich der Auswahlprozess an Ansatzen, die mehrperspektivisch argumentieren und damit eine gute Voraussetzung bilden, um Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen analysieren zu konnen. Gleichzeitig woUen wir zur Vermeidung von Eklektizismus die Anzahl der verwendeten Theorien gering halten. Vor diesem Hintergrund erachten wir eine Unterlegung des Kompetenzkonstruktes mit der Komplexitatstheorie in der Lesart der Theorie komplexer adaptiver Systeme (KAS) (Wardrop 1992; Gell-Mann 1994; Cowan et al. 1994; Holland 1995) in Kombination mit der sozial-kognitiven Theorie von Bandura (1986, 2000, 2001) fiir sinnvolL Beide Theorien erklaren Handlung und gehen dabei mit dem hier zugrunde gelegten Basisverstandnis von Kompetenz konform. Die Komplexitatstheorie wird trotz ihres recht hohen Abstraktionsgrades zunehmend in der Managementforschung zur Erklarung sozialer Prozesse herangezogen (so Kappelhoff 2002; Truss 2001; Strunk et al. 2004).! Sie dient insbesondere zur Analyse des Zusammenspiels zwischen Netzwerken und Organisationen im Sinne von Systemen und Subsystemen (McKelvey 1999a, 1999b). Grundsatzlich ist sie aber in der Lage, alle genannten Kompetenzebenen als Handlungsebenen abzubilden. Uberdies gibt es bereits erste Uberlegungen, die Komplexitatstheorie fiir die Identifikation von Kompetenzentwicklungsmafinahmen fruchtbar zu machen (so Kappelhoff 2004), so dass auf Vorarbeiten zuruckgegriffen werden kann. AUerdings leistet Kappelhoff (2004) keine konsequent aus der Komplexitatstheorie abgeleitete Identifikation von Kompetenzdimensionen, sondem fiihrt Uberlegungen des organisationalen Lernens iiber die Komplexitatstheorie an die Kompetenzforschung heran. Der vorliegende Beitrag thematisiert dagegen starker das fehlende Verbindungsstiick dazwischen und fragt nach den Kompetenzdimensionen, auf die sich Handlungsfahigkeit stiitzt. Da der KAS-Ansatz es insbesondere erlaubt, ein Optimum an Handlungsfahigkeit anzugeben und Handlung dabei als Ereignis versteht, ist dieser Zugang fiir die Kompetenzforschung von besonderem Interesse. Die sozial-kognitive Theorie hat als psychologische, aus der Motivationsforschung stammende Theorie schon seit langerem Einzug in die Managementforschung gehalten (Stajkovic/Luthans 1998; Bruch/Ghoshal 2005). Sie kann das durch die Komplexitatstheorie aufgesparmte Annahmesystem um den Gesichtspunkt der Handlungs-

128

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individuelier und koUektiver Kompetenz

intention erganzen und dabei die individuelle Ebene besser abbilden. Mit ihrer Hilfe gelingt es, die Grenze der Komplexitatstheorie zu iiberwinden, die darin besteht, dass diese sich in ihrer Darstellung regelgeleiteter Systeme als tendenziell zu mechanistisch erweist, um die intentionale, zielgerichtete Handlung eines individuellen Akteurs und dessen bewusste Wahl von Bezugssystemen aufgreifen zu konnen (siehe auch Kappelhoff 2002). Dies leistet die sozial-kognitive Theorie auf Grundlage des Selbstwirksamkeitskonstruktes, das die Handlungsintention beschreibt. Die Selbstwirksamkeitserwartung oder auch Kompetenzerwartung eines Individuums gilt als guter Pradiktor fiir tatsachliches Handeln (Ajzen 1985, 1991; Schwarzer 1994; Bruch/Ghoshal 2005). Zudem schliel^t Bandura (2000, 2001) in seinen neueren Ausfiihrungen der sozialkognitiven Theorie zur koUektiven Ebene auf, indem er Annahmen zur individuellen Selbstwirksamkeitserwartung mit Annahmen zur kollektiven Kompetenzerwartung eines Individuums sowie der kollektiven Einheit als Ganzes verbindet. Darunter konnen nicht nur formale Einheiten, sondern auch informelle Netzwerke bzw. Communities gefasst werden. Die sozial-kognitive Theorie hat ihre Starke in der Beschreibung individuelier Handlungsfahigkeit unter Riickbezug auf koUektive Systeme. Zusammengenommen konnen die beiden vorgeschlagenen Theorien damit das erarbeitete Basisverstandnis von Kompetenz abbilden und alle benannten Kompetenzebenen integrieren. Sie erweisen sich zudem als gut anschlussfahig aneinander, well sie im Ergebnis fiir die einzelnen Kompetenzebenen miteinander vergleichbare Kompetenzdimensionen, aus denen sich die jeweilige Handlungsfahigkeit ergibt, vorschlagen (siehe Abschnitte 2.3 und 2.4).^

2.3

Kompetenz in der Theorie komplexer adaptiver Systeme

2.3.1

Grundzlige der Theorie

Die Komplexitatstheorie in ihrer Lesart komplexer adaptiver Systeme (KAS) geht von der Annahme aus, dass Ordnungsbildung nicht nur exogen durch die evolutionaren Mechanismen von blinder Variation und selektiver Retention, sondern auch endogen durch Muster der Selbstorganisation gesteuert wird (z.B. Kauffman 1991, 1993, 1995; Holland 1995; Cohen/Stewart 1993; Wardrop 1992). Eine der grundlegenden Einsichten dieses Ansatzes besteht darin, dass komplex vernetzte dynamische Systeme im Ubergangsbereich von chaotischen Dynamiken und starren Ordnungszustanden am ehesten in der Lage sind, Ordnungsfahigkeit und Anpassungsfahigkeit miteinander zu verbinden, d.h. ihre maximale Handlungsfahigkeit erreichen. Die komplexitatstheoretische Perspektive legt somit nahe, Kompetenz als spezifische Handlungsfahigkeit eines KAS zu bezeichnen, die ermoglicht, in dynamischen Entwicklungsprozessen

129

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

flexible Ordnungsformen zu entwickeln und diese an Komplexitatssteigerungen in der Umwelt anzupassen. Die Kennzeichnung eines Systemzustandes als Ordnung am Rande des Chaos macht dabei deutlich, dass der Zustand einer optimalen und gleichzeitig flexiblen Ordnung von prekarer Natur ist, denn er kann potenziell nach der einen Seite ins Chaos abgleiten oder nach der anderen Seite in einer nicht mehr evolutionsfahigen Ordnung erstarren (Kappelhoff 2006). Ob sich ein KAS als ausreichend kompetent erweist, um ein solches flexibles Optimum an Ordnung iiberhaupt erreichen zu konnen, hangt zunachst von seiner Binnendifferenzierung ab, d.h. von der Zahl seiner konstituierenden Elemente (N) und deren Wechselwirkungen (K) (Kauffman 1993,1995). Sind die Elemente eines KAS nur gering vemetzt (hoch korrelierte, „glatte" NK-Fitnesslandschaft) ist es in dynamischen Prozessen sehr schwierig, ein Optimum an Ordnung erreichen zu konnen. Es besteht dann die Gefahr, dass es im System zu einer Fehlerkatastrophe kommt, weil die Handlungsoptionen des Systems mit Blick auf die von ihm zu bewaltigenden Herausforderungen nicht ausreichen. Umgekehrt ist aber auch eine zu hohe Vemetzung (gering korreliert, „zerkluftete" NK-Fitnesslandschaft) problematisch, um ein Optimum an Ordnung zu finden, weil die vielfaltigen Verbindungen der Systemelemente zu viele Handlungsoptionen produzieren. Das System ist dadurch nicht mehr in der Lage, die Komplexitat angemessen zu reduzieren, so dass eine Komplexitatskatastrophe im System ausgelost wird. Lediglich im Falle einer moderaten Vemetzung von KAS-Elementen kann das System flexible Ordnungsmuster herausbilden und sowohl eine Fehler- als auch eine Komplexitatskatastrophe vermeiden. Die Fahigkeit eines KAS zur Ausbildung einer flexiblen Ordnung ist aber noch keine hinreichende Erklarung fiir die Kompetenz eines KAS, langfristig am Rande des Chaos zu iiberleben. In dynamischen Entwicklungsprozessen erfolgt die ordnungsbildende Anpassung eines KAS in Abhangigkeit von anderen KAS, mit denen es in Verbindung steht (Kauffman 1993, 1995). Dies bedeutet, dass die Veranderung der Handlungsfahigkeit eines einzelnen KAS Einfluss hat auf die Handlungsfahigkeit der anderen miteinander in Wechselwirkung stehenden KAS. Fiir die Entwicklung bzw. Aufrechterhaltung eines Ordnungsoptimums ist deshalb entscheidend, inwieweit es einem KAS gelingt, auch eine Koevolution am Rande des Chaos zu voUziehen, d.h. die interne Komplexitat der NK-Verknupfungen parallel zur extemen Komplexitatsveranderung des Netzwerkes, in das es mit anderen KAS iiber eine Reihe von Wechselwirkungen eingebunden ist, zu entwickeln (McKelvey 1999a, 1999b; siehe auch Abb. 2). Ubertragt man den KAS-Ansatz auf sozialtheoretische Fragestellungen und versteht eine Organisation als KAS auf einer koUektiven Handlungsebene, dann ist die systemische Kompetenz einer Organisation zum einen abhangig von der Zahl und von dem Grad der Verkniipfungen ihrer formalen und informellen Subsysteme, d.h. vom hierarchischen Geflecht der organisationalen Entscheidungsbefugnisse bzw. -abhan-

130

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

gigkeiten von Geschaftsbereichen, Abteilungen, Teams und einzelnen Mitarbeitern. Zum anderen wird das Niveau der organisationalen Kompetenz auch bedingt durch die Art der (formalen und informellen) Beziehungen zur Umwelt und dadurch, inwieweit es einer Organisation gelingt, sich iiber diese Beziehungen mit anderen Akteuren in einem organisationalen Feld - wenn beispielsweise in einem Zulieferernetzwerk oder in einem regionalen Cluster S Firmen mit C anderen Firmen verbunden sind - koevolutiv anzupassen.

2.3.2

Kompetenzdimensionen komplexer adaptiver Systeme

Auf welche Kompetenzdimensionen lasst sich die skizzierte systemische Handlungsfahigkeit zuriickfiihren? Aus dem KAS-Modell konnen vier Kompetenzdimensionen abgeleitet werden, die sich mit dem bereits herausgearbeiteten ebeneniibergreifenden Kompetenzverstandnis vereinbaren lassen und mit deren Hilfe eine weiterfiihrende theoriegeleitete Operationalisierung des Kompetenz-Konstruktes moglich wird (siehe auch Abb. 2). Bei der Wahl der Bezeichnung dieser Kompetenzdimensionen haben wir auch den Vorschlag von Schreyogg/Kliesch (2003) zur Kennzeichnung von Organisationskompetenzberucksichtigt.3 1. Kompetenzdimension:

Komplexitdtsbewdltigung

Die erste Kompetenzdimension bezieht sich auf den Aspekt der Komplexitatsbewaltigung. Ein sozialer Akteur als KAS braucht die Fahigkeit zur Aufnahme von Umweltveranderungen und gleichzeitig zur sinnvollen Selektion der aufgenommenen Informationen, um Komplexitat angemessen zu reduzieren. Damit wird im Zuge der weiteren Operationalisierung die Aufmerksamkeit auf die Umweltsensoren und Informationsverarbeitungsmechanismen gelenkt. 2. Kompetenzdimension:

Selbstreflexion

Die zweite Kompetenzdimension fokussiert den Aspekt einer „reflexiven Handlungsfahigkeit''. Sie beschreibt die Fahigkeit eines sozialen Akteurs als KAS, den eigenen Entwicklungsprozess dahingehend reflektieren zu konnen, ob die zur Anwendung kommenden Handlungsroutinen noch angemessen sind. Veranderungen in der Umwelt sind als Storungen von aufien zu verstehen, um Ordnungsvarianten des Systems systematisch auf ihre Eignung zu prufen und ggf. anzupassen bzw. durch alternative Ordnungsvarianten zu ersetzen. Mit Blick auf die weiterfiihrende Operationalisierung sind damit checks and hallances dienliche Systeme von besonderem Interesse.

131

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

3. Kompetenzdimension: Kombination Die dritte Kompetenzdimension thematisiert die Fahigkeit eines sozialen Akteurs als KAS, interne NK-Verkniipfungen herstellen zu konnen, d.h. Varianten von Ordnungsmustem hervorzubringen, mit denen das System angepasst und in einem Zustand optimaler Ordnung gehalten werden kann. Ubertragen auf Organisationen bezieht sich dieser Kompetenzaspekt auf die Fahigkeit, durch Integration und Rekombination von organisationalen Wissensbestanden neue Ordnungsmuster herzustellen. Nicht zuletzt geraten damit betriebliche Wissensmanagementsysteme ins Visier. 4. Kompetenzdimension: Kooperation Die vierte Kompetenzdimension beinhaltet schliefilich das Vermogen eines sozialen Akteurs als KAS, Beziehungen zu anderen Akteuren zu gestalten und aufrechtzuerhalten, um die eigene Handlungsfahigkeit angemessen zu entwickeln, insbesondere um Handlungsoptionen iiber Kooperationen mit Netzwerkpartnem zu erweitem.

Abb. 2:

Kernaussagen und Kompetenzdimensionen laut KAS-Ansatz

Kompetenz als Ordnung und Koevolution am Rande des Chaos Umwelt: C-fach Vernetzung von '^ S Akteuren

^-—'—-v.^ /Ne\zwerk\A I partner ) \__^ Aletzwerk^v ( partner ) ^7

/Netzwerk-\^^

SC f Netzwerk V wif > S^^^^^''^^ 7 Netzwerk - V ^ J partner )

Organisation: interne NK-Verknupfungen

Kompetenzdimensionen Komplexitatsbewaltigung (Interpretationsvemnogen des KAS)

NK-Verknupfung

^^

partner ) ^ ^ \^il[lS<^

Spiegel- _^ bildlichkeit

^

KAS Hk»ViMni)|]tog

. -^^N. J~

Selbstreflexion Kombination 1 (NK-Verknijpfungen herstellen durch Re-Kombination von Wissen) Kooperation

\N»
Zusammenfassend lasst sich fiir die Theorie komplexer adaptiver Systeme in Bezug auf die vorliegende Fragestellung Folgendes festhalten. Das Kompetenzverstandnis, welches diese Theorie nahe legt, erlaubt nicht nur organisationsinteme formale und informelle Beziehungssysteme zu betrachten, sondem auch organisationsiiberschrei-

132

Wirkungsbeziehunsen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

tende Wirkungsbeziehungen von Kompetenz zu integrieren. Ein weiterer fruchtbarer Ansatz aus dieser Theorie ergibt sich daraus, dass Kompetenz, verstanden als Handlungs- und Problemlosungsfahigkeit eines komplexen adaptiven Systems, sich in unterschiedliche Dimensionen zerlegen lasst, die als Grundlage fiir weitere Operationalisierungen geeignet erscheinen. Als dritter positiver Aspekt kann schliefilich festgehalten werden, dass auch Individuen als handelnde Akteure liber das Modell der KAS integriert werden. Sie sind als Agenten wechselwirkende Elemente in einem KAS, die auf der Basis handlungsleitender Regeln agieren und selbst wiederum als KAS aufgefasst werden konnen. Als problematisch erweist sich jedoch, dass der individuelle Akteur als Agent im KAS sehr abstrakt bleibt, d.h. die intentionalen, zielgerichteten Handlungen individueUer Akteure werden eher in den Hintergrund gedrangt bzw. bleiben unberiicksichtigt (siehe auch Kappelhoff 2002). Um die abgeleiteten Kompetenzdimensionen deshalb auch fiir individuelle Handlungstrager zu spezifizieren und das KAS-Modell daran anschlussfahig zu gestalten, soil als Vorbereitung fiir die ebeneniibergreifende Erfassung der Wirkungsbeziehungen von Kompetenz im Folgenden iiber die Hinzuziehung der sozial-kognitiven Theorie von Bandura ein weiterer Theorieansatz verwendet werden, um die Dimensionen, aus denen sich Handlungsfahigkeit ergibt, zu spezifizieren.

2.4

Kompetenz in der sozial-kognitiven Theorie von Bandura

2.4.1

Grundzuge der Theorie

Die sozial-kognitive Theorie von Bandura (1986, 2000, 2001) stellt neben Makrobedingungen des Lemens die Selbstwirksamkeitserwartung (self-efficacy) des Individuums, auch Kompetenzerwartung genannt, ins Zentrum der Betrachtung. Hierbei handelt es sich um die subjektive Uberzeugung eines Individuums, eine bestimmte Verhaltensanderung vollziehen zu konnen bzw. schwierigen Anforderungen gewachsen zu sein, weil es sich aufgrund angenommener Fahigkeiten in der Lage sieht, durch eigenes Handeln Wege der Problembewaltigung zu finden (Schwarzer 1994; Jonas/Bromer 2002). Dementsprechend lasst sich diese Theorie den Handlungstheorien zurechnen und fiir die Kompetenzforschung fruchtbar machen. Sie setzt am Beginn der Handlung, der Handlungsintention, an (Greve 2002). In der sozial-kognitiven Theorie wird Handlung auf der Grundlage von individuellen Erwartungen erklart. Danach hat das Individuum eine Handlungs-Ergebnis-Erwartung und eine fiir den tatsachlichen HandlungsvoUzug mafigebliche Selbstwirksamkeitserwartung hinsichtlich des eigenen Handlungsvermogens (siehe auch Abb. 3). Nur wenn sich ein Individuum in der Lage sieht, eine Handlung in Gang zu setzen und auch bei Auftreten von Barrieren zielftihrend zu vollenden, wird es eine entspre-

133

Uta Wilkens/Helmut Keller/Martina Schmette

chende Anstrengung untemehmen (Bandura 1997; Schwarzer/Schmitz 1999), Diese „optimistische Selbstiiberzeugung (...) stellt einen Schliissel zur kompetenten Selbstregulation dar" (Schwarzer/Schmitz 1999, S. 263). Sie steht laut sozial-kognitiver Theorie (Bandura 1986,1997) im Zusammenhang mit den kognitiven Voraussetzungen und den sozialen Bedingungen des Individuums. In empirischen Untersuchungen wurde gezeigt, dass die Selbstwirksamkeitserwarhing auf unterschiedliche Lem- und Handlungssituationen iibertragbar ist, es also nicht nur eine situationsspezifische, sondem auch eine allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung im Sinne einer stabilen Personlichkeitsdisposition gibt (Schwarzer 1994; Schwarzer/Schmitz 1999; Stajkovic/Luthans 1998; Jonas/Bromer 2002). Das heifit aber nicht, dass die konkrete Auspragung der Kompetenzerwartung losgelost vom sozialen Kontext, in den ein Individuum eingebunden ist, zu sehen ist. Derm dieser beeinflusst die kognitiven Voraussetzungen in einer spezifischen Handlungssituation. Dies verdeutlicht Bandura (2000, 2001), obgleich die Annahme indirekt immer vorhanden war, vor allem in seinen neueren Arbeiten. Er zeigt, dass die individuelle Kompetenzerwartung in engem Zusammenhang mit der koUektiven Kompetenzerwartung des Individuums steht. „ People's shared beliefs in their collective efficacy influence the types of futures they seek to achieve through collective action, how well they use their resources, how much effort they put into their group endeavour, their staying power when collective efforts fail to produce quick results or meet forcible opposition, and their vulnerability to the discouragement that can beset people taking on tough social problems" (Bandura 2000, S. 76).

KoUektive Kompetenz (collective efficacy) beschreibt (1) die individuelle Erwartung, (la) innerhalb einer Gemeinschaft wirksam werden zu konnen und (lb) mit der Gemeinschaft als Ganzes handlungswirksam zu sein sowie (2) die koUektive Wahrnehmung hinsichtlich der Handlungswirksamkeit der Gruppe (Bandura 2000, S. 76). Letzteres iibersetzen Schwarzer und Schmitz (1999, S. 264) als „die von einer Gruppe geteilte Uberzeugung in ihre gemeinsamen Fahigkeiten, die notwendigen Handlungen zu organisieren und auszufiihren, um bestimmte Ziele zu erreichen." Bandura geht von einer engen Verzahnung zwischen individueller und koUektiver Kompetenzerwartung aus. Ein Individuum wird nur entsprechende Anstrengungen untemehmen, um zu Handlungsergebnissen zu gelangen, wenn es eine positive Erwartung hinsichtlich der personlichen Wirksamkeit in einer Gruppe und der Wirksamkeit der Gruppe als Ganzes hat. Ebenso gibt es eine koUektive Erwartung der Gruppe hinsichtlich der gemeinsamen Wirksamkeit, die das Aktivitatsniveau beeinflusst. Diese Erwartung wird wiederum beeinflusst von der individuellen Selbstwirksamkeitserwartung jedes Gruppenmitglieds, ist aber etwas anderes als die blofie Summe individueller Erwartungen. Die individuelle Selbstwirksamkeitserwartung kann gleichwohl durch die Gruppe gebremst oder gestarkt werden und vice versa. Die Kompetenzentwicklung des Individuums kann nach Bandura bei den kognitiven Voraussetzungen und bei den sozialen Lembedingungen ansetzen, wobei diese Felder

134

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueller und koUektiver Kompetenz

teilweise ineinander greifen. So kann ein Individuum den Glauben an die eigene Handlungsfahigkeit durch vier Erfahrungsfelder starken: 1. Bewdltigungserfahrung - Erfolge bzw. positive Erfahrungen in der Bewaltigung von Herausforderungen erhohen die wahrgenommene Selbstwirksamkeit und Misserfolge reduzieren sie. 2. Stellvertretende Erfahrung - Fehlt es in Verhaltensbereichen an eigenen Erfahrungen, kann die wahrgenommene Selbstwirksamkeit auch positiv durch Modellverhalten anderer, als soziale Vergleichsgruppe akzeptierter Personen, beeinflusst werden. 3. Verbale Informationsvermittlung - Kann eine Person ihre Verhaltensausfiihrung selbst nur schwer einschatzen, lasst sich die wahrgenommene Selbstwirksamkeit durch Feedback starken. 4. Psychologische und affektive Zustdnde - Stimmungen und Gefiihle stehen in enger Wechselwirkung mit der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit. Bei Stress und negativer Stimmung ist die wahrgenommene Selbstwirksamkeit geringer, positive Gefiihle dagegen konnen sie steigern. Insbesondere beim ModelUernen und beim Feedback zeigt sich, dass die kognitiven Voraussetzungen in engem Zusammenhang mit den sozialen Lernbedingungen stehen. Systeme des Mentorings, Coachings oder dialogischen Austauschs, aber auch Experimentierflachen und Fehlertoleranzen, die im Zusammenhang mit der Bewaltigungserfahrung und dem Stressniveau stehen, leisten wichtige Beitrage zur Kompetenzentwicklung. Damit stellt sich die Frage, auf welche Fahigkeiten ein Individuum bzw. eine Gruppe seine bzw. ihre Wirksamkeitserwartung stutzt. Welche Kompetenzdimensionen liegen dahinter? Dies lasst sich indirekt aus den genannten Ansatzpunkten der Kompetenzentwicklung schliefien.

2.4.2

Kompetenzdimensionen der sozial-kognitiven Theorie

Das allgemeine Kompetenzverstandnis der sozial-kognitiven Theorie und die daraus abgeleiteten Mafinahmen der Kompetenzentwicklung miinden in vier Kompetenzdimensionen, die es ermoglichen, das theoretische Konstrukt empirisch erfassbar zu machen. Die Formulierung dieser Dimensionen erfolgt in Anlehnung an die Begriffswahl, die im Zusammenhang mit der Komplexitatstheorie bereits getroffen wurde. In ihrer Beschreibung sind bereits Hinweise auf eine weitere Operationalisierung enthalten.

135

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

1. Kompetenzdimension: Komplexitatsbewaltigung Ein Individuum stiitzt seine Fahigkeit, in unerwarteten Situationen angemessen handeln zu konnen, auf die Fahigkeit zur Strukturierung bei neuen Herausforderungen, indem es der steigenden Komplexitat durch Selektion von Information und Riickbesinnung auf vorhandene Handlungsoptionen begegnet und dabei affektive Zustande auf Problemlosungsverhalten hin orientiert. Hierzu tragen die Bewaltigungserfahrung und die Regulation psychologischer und affektiver Zustande des Individuums gleichermal^en bei. 2. Kompetenzdimension: Selbstreflexion Die Fahigkeit des Individuums zur Selbstreflexion und die damit einhergehende Verarbeitung von Riickmeldungen aus dem Umfeld sowie deren Ubersetzung in eigene Verhaltensanderungen ist nach Bandura ein konstitutives Element der individuellen Selbstwirksamkeitswahmehmung. Die konstruktive Verarbeitung von Feedback kommt in dieser Kompetenzdimension zum Ausdruck. 3. Kompetenzdimension: Kombination Die gleichzeitige Generierung neuer Ideen zur Bewaltigung neuartiger Herausforderungen durch veranderte Problemlosungsansatze stutzt das Individuum auf seine Fahigkeit, sein Wissen in unterschiedlichen Problemsituationen einzusetzen und dabei ggf. neu zu kombinieren, wodurch eine Wissenserweiterung stattfindet. Ein Riickbezug auf die koUektive Wissensbasis, insbesondere im Sinne der Einbeziehung von Erfahrungstragern, ist dabei ebenfalls denkbar. Bewaltigungserfahrungen und Modelllemen stiitzen kombinatorische Fahigkeiten. 4. Kompetenzdimension: Kooperation Zwar wird das Konstrukt der Selbstwirksamkeit als Personlichkeitsdisposition aufgefasst. Ihre Entwicklung wird aber nicht losgelost vom sozialen Kontext gesehen. Hier zeigt sich die enge Verzahnung mit der koUektiven Kompetenzerwartung des Individuums. Uber die Interaktionsfahigkeit, die im Zuge der verbalen Informationsvermittlung und des dialogischen Austauschs gestarkt wird, schliefit das Individuum zum koUektiven System auf und profitiert iiber das koUektive Handlungsvermogen auch hinsichtlich der individuellen Kompetenzerwartung. Aus der sozial-kognitiven Theorie lassen sich damit zwei Kompetenzdimensionen ableiten, die eher auf die sozialen Fahigkeiten des Individuums abstellen („Selbstreflexion'V//Kooperation") und damit in besonderer Weise die Verbindung zum koUektiven System verdeutlichen sowie zwei Dimensionen, die eher die kognitiven Fahigkeiten des Individuums betreffen („Komplexitatsbewaltigung'V„Kombination").^

136

Wirkunssbeziehungen zwischen Ebenen individueller und koUektiver Kompetenz

Fiir die koUektive Ebene liegen bei Bandura keine vergleichbaren Ausfiihrungen vor, um Kompetenzdimensionen abzuleiten; die Grundlagenforschung zur koUektiven Kompetenz steht noch aus (Schwarzer/Schmitz 1999). Diese Dimensionen konnen aber analog zur Individuumsebene formuliert werden, wenn davon ausgegangen wird, dass Individuen und Gruppen die Wirksamkeit eines koUektiven Systems an Voraussetzungen festmachen, die der personlichen Kompetenzerwartung vergleichbar sind. Dazu zahlen (1) die Informationsverarbeitungskapazitat und Fahigkeit zur Komplexitatsreduktion, die Komplexitatsbewaltigungsfahigkeit begriinden, (2) die Reflexionsfahigkeit der koUektiven Bezugseinheit, Handlungsmuster zu hinterfragen und weiterzuentwickeln, (3) die problemlosungsbezogene Anwendung von Wissen einschliefilich der Generierung neues Wissens sowie (4) die Interaktionsfahigkeit innerhalb des Systems, um handlungsfahig zu bleiben. Diese Kompetenzdimensionen konnen dabei seitens des Individuums auf unterschiedliche formale und informelle Beziehungssysteme (interne und externe Netzwerke bzw. Communities) bezogen werden (siehe auchAbb. 3).

Abb. 3;

Kompetenzdimensionen auf Basis der sozial-kognitiven Theorie

Person

Verhalten/ Verhaltensanderung

Ergebnis

Ergebniserwartung Komplexitatsbewaltigung (Strukturierung und Ordnung in komplexen Handlungssituationen)

Selbstreflexion Kombination (Wissensanwendung und -generierung)

Kooperation (ijber Interaktion wirksam sein)

Zusammenfassend lasst sich mit Blick auf unser Anliegen, einen ebeneniibergreifenden Systematisierungsansatz von Kompetenz zu entwickeln, fiir die sozial-kognitive Theorie festhalten, dass sie eine Grundlage zur Erklarung sowohl der individuellen als auch der koUektiven Kompetenz bilden kann. Banduras Ansatz erlaubt, liber das Konstrukt der individueUen Selbstwirksamkeitserwartung {self-efficacy) und

137

I

Uta Wilkens/Helmut Keller/Martina Schmette

die genannten Ansatzpunkte zu dessen Entwicklung Dimensionen fur die Kompetenz individueller Handlungstrager zu spezifizieren. Dieser Zugang ist insofem vielversprechend, weil das Konstrukt der individuellen Kompetenz empirisch gut abgesichert ist (Schwarzer 1994; Jerusalem/Schwarzer 1999). Ausgehend von der individuellen Selbstwirksamkeitserwartung erschliefit Bandura aber auch den Zugang zur koUektiven Handlungsfahigkeit (collective efficacy), indem er ein Verstandnis von koUektiver Kompetenz im Sinne einer sozialen Konstruktion des Individuums und der Gruppe nahe legt. Dieser von Bandura erst in jiingerer Zeit angesprochene Zusammenhang zwischen individueller und koUektiver Kompetenz ist bislang kaum aufgearbeitet worden (Ausnahme: Schwarzer/Schmitz 1999), obwohl er in einer der Grundannahmen der sozial-kognitiven Theorie bereits enthalten ist, dem Wechselspiel zwischen Person, Umwelt und Verhalten (Bandura 1986).

2.5

Integration der Kompetenzdimensionen in einen Gesamtansatz

Durch eine Zusammenfiihrung der theoretisch hergeleiteten Kompetenzdimensionen aus der Theorie komplexer adaptiver Systeme und der sozial-kognitiven Theorie ergibt sich eine inhaltliche Konkretisierung des Kompetenzkonstruktes, die es erlaubt, den Ursprung situationsiibergreifender Handlungs- und Problemlosungsfahigkeit aller genannten Strukturebenen innerhalb und aufierhalb eines sozialen Systems gleichermafien abzubilden. Damit wird eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueller und koUektiver Kompetenz sowohl innerhalb dieses sozialen Systems als auch grenziiberschreitend zu untersuchen. Dies stellt eine Erweiterung gegenuber bisherigen Systematisierungsansatzen in der Kompetenzforschung dar, weil durch den unterbreiteten Vorschlag das Kompetenzkonstrukt unabhangig von der Betrachtungseinheit charakterisiert werden kann. Die Dimensionen haben Giiltigkeit fiir alle Kompetenzebenen. Der Neuigkeitswert gegeniiber der bisherigen Kompetenzforschung liegt iiberdies in der Einbeziehung informeller Netzwerke auf Individuums- und Gruppenebene (siehe Abb. 4). Durch die Herausarbeitung der Kompetenzdimensionen wird die Durchfiihrung einer Wirkungsanalyse auf theoretisch-konzeptioneller Basis vorbereitet. Im Anschluss soil geklart werden, welche Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen angenommen werden konnen.

138

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

Abb. 4:

Grundmodell zur ebeneniibergreifenden Operationalisierung von Kompetenz

Organisationsebene

Kompetenzdimensionen Komplexitatsbewaltigung Selbstreflexion Kombination Kooperation

Individuelle Ebene

Annahmen zu Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen Aus den verwendeten Basistheorien zur Beschreibung des Kompetenzkonstruktes lassen sich auch Annahmen iiber Wirkungen und Wirkungsrichtungen zwischen unterschiedlichen Kompetenzebenen ableiten. Diese Annahmen konnen durch weitere wissenschaftliche Ansatze, die in der Kompetenzforschung Beriicksichtigung finden, erhartet werden. Hinsichtlich der moglichen Wirkungsbeziehungen soUen im Folgenden sechs grundlegende Annahmen naher erlautert werden.5 Fiir soziale Systeme gilt dann zu untersuchen, welche ebeneniibergreifenden Prozesse der Kompetenzentwicklung fiir sie ausschlaggebend sind, um diese zielgerichtet unterstiitzen zu konnen.

139

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

1) Individuelle Kompetenz ist die Quelle kollektiver Kompetenzentwicklung: Im Sinne der sozial-kognitiven Theorie von Bandura (2000, 2001) hat das Individuum neben der individuellen Kompetenz- bzw. Selbstwirksamkeitserwartung auch eine Erwartung hinsichtlich der kollektiven Kompetenz in einer Gemeinschaft als Individuum wirksam werden zu konnen sowie hinsichtlich der Wirksamkeit der Gemeinschaft als Ganzes. Nach Bandura ergibt sich die koUektive Kompetenz auch als soziale Konstruktion eines generativ und proaktiv handelnden Individuums, wobei eine hohe individuelle Selbstwirksamkeitserwartung eine positive Voraussetzung fiir eine hohe koUektive Wirksamkeitserwartung und damit Handlungsbereitschaft begrundet.^ Verlasst man die sozial-konstruktivistische Argumentationsbasis, so findet man vergleichbare Annahmen iiber Wirkungsbeziehungen auch im dynamic capability approach (Teece et al. 1997). Hier wird das Individuum mit seinem personlichen Handlungsvermogen als wichtige Quelle fiir die Emeuerung organisationaler Kemkompetenzen gesehen, indem es Anstofie zur Uberwindung von Beharrungstendenzen liefert, die einer Kemkompetenz ebenfalls innewohnen (dazu Leonard-Barton 1995). Es bewirkt eine Dynamisierung der organisationalen Kemkompetenzen als Voraussetzung dafiir, dass die Organisation dauerhafte Wettbewerbsvorteile erlangt. Organisationale Wettbewerbsfahigkeit wird auf Humanressourcen und individuelle Lemprozesse zuriickgefiihrt (HatchA^yer 2004). 2) Die koUektive Kompetenz formaler Systeme ist die Quelle individueller Kompetenzentwicklung: Bezieht man sich wiederum auf die sozial-kognitive Theorie von Bandura (2000, 2001), so betont diese die Bedeutung des sozialen Systems, insbesondere der darin enthaltenen sozial-kommunikativen Praktiken fiir die individuelle Kompetenzentwicklung. Aus einer hohen kollektiven Wirksamkeitserwartung kann eine Starkung des Individuums hinsichtlich seiner Handlungsbereitschaft und Handlungsfahigkeit resultieren. Diese Annahme lasst sich ebenso aus Konzepten selbstorganisierten Lemens (dazu Schiifiler 2004; Erpenbeck/Heyse 1999b; Greif/Kurtz 1998) ableiten. Danach lemt das Individuum, indem es sich auf soziale Systemstrukturen stiitzt. Die Strukturen dazu konnen vom Einzelnen nicht ohne weiteres geschaffen werden. Vielmehr bedarf es einer Kultur, die individuelle Entwicklung konstruktiv handhabt. Vergleichbare Uberlegungen finden sich auch in der Organisationskulturdiskussion (zur Ubersicht Schreyogg 1996; Schein 1991), die auf den normierenden Effekt der Kultur gegenuber dem Individuum abstellt. Ebenso stellt die Gruppenforschung motivational Effekte und kognitive Stimulationen fiir den Einzelnen heraus, die durch Gruppenzugehorigkeit erzeugt werden (Schulz-Hardt/Brodbeck 2006). 3) Die koUektive Kompetenz informeller Communities ist die Quelle individueller und gruppenspezifischer Kompetenzentwicklung: Zwar bezieht Bandura seine Uberlegungen zum Zusammenhang individueller und kollektiver Kompetenz nicht explizit auf informelle Austauschsysteme des Individuums. Seine Annahme zur kollektiven Kompetenzerwartung (siehe oben) lasst sich aber ebenso auf informelle Communities iibertragen. Zudem kann diese Annahme in weiteren zentralen Forschungsarbeiten gefunden werden, die auch informelle organisationsexteme wie -interne Beziehungssysteme von 140

Wirkunssbeziehungen zwischen Ebenen individueller und koUektiver Kompetenz

Individuen oder Gruppen betrachten und in einen positiven Zusammenhang zu deren Handlungsfahigkeit setzen. Dies ist beispielsweise der Kern des Konstruktes „soziales Kapitar' (dazu insbesondere Bourdieu 1983 mit Riickbezug auf Loury 1977). Es beschreibt die individuellen Beziehungsnetze, in die ein Akteur eingebunden ist und die er zum eigenen Nutzen, insbesondere zur Entwicklung des Humankapitals und zur Akkumulation dkonomischen Kapitals mobilisieren kann, so dass letztlich seine individuellen Handlungsoptionen erweitert werden. Analog lasst sich diese Annahme aus den Forschungsarbeiten zu Communities of Practice und Networks of Practice (Brown/ Duguid 2001; Weinkauf et al. 2005) ableiten, die nicht nur individuelle, sondern auch gruppenspezifische Austauschgemeinschaften thematisieren, um auf erweiterte Handlungsmoglichkeiten hinzuweisen. 4) Interorganisationale Netzwerke erweitern die Handlungsfahigkeit der Organisation: Netzwerke wirken sich also positiv auf die Organisationskompetenz aus und werden durch diese wiederum gestarkt. Der grundsatzlich positive Einfluss von Netzwerken auf die Organisationskompetenz ist in unterschiedlichen Ansatzen, auf die sich die Netzwerkforschung stutzt, gedanklich verankert. In allgemeiner Form kommt sie in der Komplexitatstheorie zum Ausdruck (Kappelhoff 2000, 2002), die die Koevolution von Systemen und Subsystemen im Sinne einer wechselseitigen Erweiterung des Handlungsrepertoirs beschreibt. Erganzend kann auch hier auf das Konzept sozialen Kapitals (zum Uberblick Esser 2000; Jiaug 1997) verwiesen werden, das zwar zunachst fiir die individuelle Ebene formuliert (Bourdieu 1983), dann aber auch auf koUektive Ebenen iibertragen wurde (z.B. Matiaske 1999; Maurer 2003). „(S)ocial capital as the sum of the actual and potential resources embedded within, available through, and derived from the network of relationships possessed by an individual or social unit" (Nahapiet/Ghoshal 1998, S. 243) erweitert aus Sicht der genannten Autoren die organisationalen Handlungsoptionen. Die Annahme kann des Weiteren durch den relational view (dazu Dyer/Singh 1998; Duschek 2004) der Wettbewerbstheorie unterlegt werden. Zwar lasst sich auch der RBV verwenden, um die Annahme zu stiitzen, da er auf die absorptive Fahigkeit der Organisation verweist, die Ressource eines Netzwerkpartners zu implementieren und fiir die organisational Wettbewerbsfahigkeit fruchtbar zu machen (dazu Cohen/Levinthal 1990). Mafigeblicher ist aber das Argument von Dyer/Singh (1998; siehe auch Duschek 2004), demzufolge in der Netzwerkbeziehung selbst die Erweiterung der Handlungsoptionen liegt, beispielsweise aufgrund von Ressourcenkomplementaritat, einer vertrauensbasierten Governance-Struktur oder spezifischen Formen der Wissensteilung.7 Es bildet sich dann eine inter-organisationale Kompetenzeinheit. Interessant erweist sich dabei der von Staber (2002) erarbeitete Hinweis, dass der Erfolg eines Beziehungssystems von den organisationsinternen Riickkoppelungsmoglichkeiten der Netzwerkakteure abhangig ist. Damit lasst sich die Annahme auch umgekehrt, aber gleichwohl nicht unabhangig von der Hauptannahme formulieren: Netzwerkkompetenz wird durch Organisationskompetenz weiter gestarkt.

141

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

5) Interorganisationale Netzwerke konnen die Handlungsfahigkeit der Organisation schwachen: Folgt man der Komplexitatstheorie welter (insbesondere Kauffman 1991; Kappelhoff 2000, 2002), so kann die in der vierten Annahme formulierte Wirkungsbeziehung auch ein negatives Vorzeichen tragen. Sie weist darauf hin, dass bei wachsenden Handlungsoptionen innerhalb eines Netzwerkes eine Organisation in eine Fehlerkatastrophe geraten kann. Diese tritt ein, wenn die Organisation ihre eigene Binnenkomplexitat nicht entsprechend der Netzwerkkomplexitat, d.h. entsprechend der Zahl ihrer durch Netzwerkverkniipfungen zum Ausdruck kommenden Handlungsoptionen erhoht. Negative Wirkungsbeziehungen werden in anderen theoretischen Ansatzen weniger pointiert, aber gleichwohl als Randerscheinung oder immanentes Teilproblem der sonst positiven Effekte zwischen Netzwerk- und Organisationskompetenz reflektiert. So zeigt die Sozialkapitalforschung, dass zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Beziehungssysteme wichtig sein konnen, womit der Aufbau eines Netzwerkes durch die Pflege eines anderen Netzwerkes erschwert werden kann (dazu Maurer 2003). Jiingste Uberlegungen zum organisationalen Lernen problematisieren, dass aufgrund eines nicht zieldienlichen Informationsflusses zwischen Netzwerkpartnern die zu bewaltigende Komplexitat unnotig erhoht wird, so dass organisationales Handeln sich letztlich verlangsamt (dazu Grunwald/Kieser 2004). 6) Communities of Practice von Organisationsmitgliedern stehen in einem ungeklarten Verhaltnis zur Kompetenzbeziehung des Individuums oder der Gruppe in der formalen Organisation. Ihr Einfluss auf die Kompetenzentwicklung innerhalb einer Organisation kann positiv oder negativ sein: Das ungeklarte Verhaltnis zwischen extemen und internen informellen Beziehungsnetzwerken zur formalen Organisation lasst sich nur indirekt aus einer der in dieser Arbeit verwendeten Basistheorien ableiten. Sie steht im Zusammenhang mit der Selbstwirksamkeitsforschung. Folgende Voriiberlegungen gehen aber der theoretischen Begriindung voraus: Communities wurden in Annahme drei als wichtige Quelle fiir individuelle und koUektive Kompetenz benannt. Nun kann man analog zur Annahme vier vermuten, dass sich dies wiederum positiv auf die Organisationskompetenz auswirkt (dazu insbesondere Nahapiet/ Ghoshal 1998), indem der Selbstorganisationsrahmen der Organisation durch die extemen Beziehungen individueller Akteare"5zwrAkteursgruppen erweitert wird. AUerdings zeigt die neuere Community-Forschung auch, dass Effizienz im lokalen Austausch auf der Ebene der Organisation Hurden mit sich bringen kann, die durch die unterschiedlichen informellen Zugehorigkeiten von Organisationsmitgliedern entstehen (Brown/Duguid 2001). So konnen etwa fiir Wissensarbeiter und vertriebsnahe Arbeitskrafte Bezugspersonen aufierhalb des Unternehmens zur wichtigsten Reflexionsflache individueller Kompetenzentwicklung werden und sich als Hemmnis fiir interne Austauschprozesse erweisen. Empirisch lasst sich beobachten, dass die Starkung der organisationsextemen Bezugsbasis zu einer Verlagerung von Loyalitat und Commitment des Individuums gegenuber organisationsinternen koUektiven Bezugseinheiten fuhren kann, weil die extemen Bezugssysteme dem Individuum die fiir den eigenen Erwerbsverlauf stabilere Basis im Vergleich zu den internen Bezugs-

142

Wirkunssbeziehungen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

systemen bieten (Wilkens 2004; Mayrhofer et al. 2005). In der Folge kann also die vertikale organisationsinterne Kompetenzbeziehung durch externa Communities of Practice abgeschwacht werden. Durch die angewandte Selbstwirksamkeitsforschung lasst sich diese Argumentation stiitzen. Schwarzer/Schmitz (1999) zeigen auf empirischer Grundlage, dass individuelle Selbstwirksamkeitserwartung und organisationsinterne kollektive Kompetenzerwartungen als zwei unabhangige Konstrukte zu handhaben sind. Analog kann dies dann fiir die koUektiven Kompetenzerwartungen von Gruppen und Organisationen angenommen werden.

Untersuchungsmodell zur empirlschen Uberprlifung des Annahmesystems Wie lassen sich nun die aufgezeigten Annahmen zur Wirkungsbeziehung zwischen Kompetenzebenen empirisch iiberpriifen? Die Grundstruktur eines entsprechenden Untersuchungsmodells soil in diesem Abschnitt aufgezeigt werden. Dem eigenen Umsetzungsvorschlag geht eine Auseinandersetzung mit existierenden Kompetenzmessmodellen voraus, um auf den dabei gewonnenen Erfahrungen aufbauen zu konnen.

4.1

Vorarbeiten und Anknlipfungspunkte integrierter Kompetenzmessung

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Kompetenzmessinstrumente entwickelt (zum Uberblick siehe von Rosenstiel/Erpenbeck 2003; Sonntag et al. 2005). So vielfaltig wie sich die Begriffsbestimmungen von Kompetenz erwiesen haben, so heterogen bleibt der Gegenstand der Kompetenzerfassung und so eingeschrankt die Moglichkeit, Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen auf der Grundlage bestehender Instrumente zu analysieren. Auch wenn in dieser Hinsicht der Status quo der Kompetenzmessung als unbefriedigend bezeichnet werden muss - nicht zuletzt deshalb ist dieser Beitrag entstanden -, so gibt es doch einzelne Messinstrumente, auf deren Grundmuster der Kompetenzerfassung auch mit Blick auf eine ebeneniibergreifende Analyse aufgebaut werden kann. Vor diesem Hintergrund werden in der nachstehenden tabellarischen Ubersicht ausgewahlte Messinstrumente angefiihrt (siehe dazu auch die Instrumenteniibersicht von Pawlowsky et al. 2005; Reinhardt 2002), die am ehesten Ansatzpunkte der ebenenubergreifenden Kompetenzmessung bieten und im Zuge einer Umsetzung dann Aufklarungsbeitrage zum vorgestellten Annahmesystem leisten konnen. ^

143

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Tab. 1:

Wbmi^

144

Referenzmodelle fiir die Erfassung von Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen Instraiiieiit/AEt^ren

K«rzbe$chi^libaiig

Kompetenzbiographie von Erpenbeck/Heyse (1999a, 1999b)

Individuelle Kompetenzen als Ergebnis unterschiedlicher biografischer und erwerbsbiografischer Erfahrung, wobei Organisationen entsprechende Erfahnmgsraume darstellen => biografische Fragebogen und selbstzentrierte biografische Tiefeninterviews zur Erfassung von (1) Each- und Methodenkompetenz, (2) sozial-kommunikative Kompetenz, (3) Personale Kompetenz (Selbstreflexion, Werthaltung), (4) Aktivitats- und Handlungskompetenz

Riickbezug auf kollektive Ebene, allerdings ohne separate Erfassung kollektiver Kompetenz, Ansatzpunkte zur weiteren Operationalisierung der Kompetenzdimensionen, Individuumsbefragungen

Selbstwirksamkeitserwartung nach Schwarzer (1994), Jerusalem/ Schwarzer (1999), aufbauendaufder sozial-kognitiven Theorie von Bandura (1986)

Selbstwirksamkeitserwartung wurde auf der Grundlage einer validierten 10-Item-Skala erfasst

Skala fur Individuumsebene verwendbar

Selbstkonzept bemflicher Kompetenz nach Bergmann (2003)

Selbsteinschatzung des Individuums hinsichtlich des berufsbezogenen fachlichen Wissens, der personlichen Kommunikations- und Kooperationsfahigkeiten, der methodischen und kognitiven Fahigkeiten sowie der Eigenaktivitat beim Lemen unter Auswertung bemflicher Kompetenz ftir den Gruppenkontext

Zeigt, dass Selbstbewertungen zu validen Ergebnissen ftihren, und liefert Items zur weiteren Operationalisierung der Kompetenzdimensionen

Kasseler KompetenzRaster (KKR) von Frieling et al. (2000)

Fremdbewertung von Gruppenkompetenzen, gemessen an den Kompetenzklassen Each-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz

Von der Gruppenebene Riickbeziige auf Individuums- und Organisationsebene, allerdings mit uneinheitlichen Kompetenzdimensionen und unter tendenzieller Verkiirzung des Kompetenzverstandnisses auf Qualifikation

Kollektive Selbstwirksamkeitserwartung nach Schwarzer/Schmitz (1999), aufbauend auf dem Konstrukt collective efficacy nach Bandura (1997)

Kollektive Selbstwirksamkeitserwartung wird auf Grundlage einer validierten 12-Item-Skala fur Lehrerkollegien erfasst

Skala ftir andere kollektive Bezugseinheiten verwendbar

sozial-konstruktivistische Erfassung von Kompetenz Ursachen/Riickbezug der Kompetenzerwartung nicht geklart

Erlaubt Ubertragung auf Gruppenkontext, allerdings nur als Ergebnis von individuellen Einschatzungen, separate Erfassung kollektiver Kompetenz fehlt

Sozial-konstruktivistische Erfassung von kollektiver Kompetenz durch standardisiertelndividuumsbefragung Ursachen/Ruckbezug der Kompetenzerwartung nicht geklart

Wirkunssbeziehungen zwischen Ebenen individueller und koUektIver Kompetenz

M^^&^. InstrumeBf/Atttoren

Kor^beschreibiiag

Aiisiit^Q»Me & Gren^en ftr

Wissens- und Kompetenzdiagnostik von Pawlowsky et al. 2005

Auf konstruktivistischer Grundlage wird die kognitive Landkarte der Organisationsmitglieder (gemeinsam geteilte Wirklichkeitsinterpretationen) iiber die fiir die Aufrechterhaltung der zukiinftigen Handlungsfahigkeit erfolgskritischen Prozesse erfasst

Subjektive Wirklichkeitskonstruktion zur Erfassung kollektiver Handlungsfahigkeit von Interesse, well darin eine methodische Verkniipfung zur Selbstwirksamkeitsanalyse auf individueller Ebene gesehen werden kann, aber fehlender Riickbezug auf andere Kompetenzebenen

Informations-Space (I-Space) nach Boisot (1995,1998)

Erfasst Meta-Wissen zur allgemeinen Problemlosungsfahigkeit in einem Lemkreislauf, womit die Entstehung von Handlungsfahigkeit verdeutlicht v^ird

Operationalisierung auf Dimensionen Komplexitatsbewaltigung und Kombination verwendbar und auf unterschiedliche kollektive Ebenen iibertragbar

1

Strategic Learning Assessment Map (SLAM) nach Bontis (1999) und Bontis et al. (2002), beruht auf dem 4i-Modell organisationalen Lemens nach Crossan et al. (1999)

Prozessanalyse beispielgebend Weniger kognitiv gelagerte Kompetenzdimensionen allerdings kaum integriert Beschreibt anhand der vier Lemsequenzen Intuition, Interpretation, Integration und Institutionalisierung den Ubergang vom individuellen zum organisationalen Lemen und vice versa durch wissensbezogene Bestandsgrofien sowie Feed-forward- und Feed-backWissensfliisse, die sich zwischen den jeweiligen Lemebenen verorten lassen Wissensbestande und Wissensfliisse werden durch Fragebogen erfasst

Liefert konzeptionellen Zugang zu Wirkungsbeziehungen zwischen Strukturebenen iiber Feed-forwardund Feed-back-Prozesse Wahlt sozial-konstruktivistischen Zugang durch subjektive Interpretationen iiber die erfassten Wissensprozesse Musste starker auf Kompetenzdimensionen statt organisational Lemprozesse bezogen werden

Vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden und validierten Instrumente zur Erfassung von Kompetenz (oder auch organisationaler Lernprozesse - die Vorarbeiten sind hier nicht trennscharf) kristallisiert sich als methodischer Zugang fiir das eigene Untersuchungsanliegen eine Befragung von Akteuren eines sozialen Systems heraus, die ihre individuelle Kompetenz und die kollektive Kompetenz unterschiedlicher Bezugsebenen bewerten, die dahinter liegende Kompetenzdimensionen spezifizieren sowie die dabei majSgeblichen Feed-forward- und Feed-back-Frozesse benennen. Dies ergibt sich insbesondere aus der in Tabelle 1 skizzierten Selbstwirksamkeitsmessung nach Jerusalem/Schwarzer (1999), dem Selhstkonzept beruflicher Kompetenz nach Bergmann (2003) sowie der Strategic Learning Assessment Map nach Bontis (1999). Bei der Selbstwirksamkeitsmessung wird deutlich, dass subjektive Konstruktionen iiber das eigene Handlungsvermogen iiber Selbstauskiinfte erschlossen werden konnen. Bei der Entwicklung des Selbstkonzeptes beruflicher Kompetenz wurde die Validitat von Selbstauskunften durch einen Abgleich mit Fremdevaluationen eingehend gepriift (fiir ahnliche Ergebnisse siehe auch Moser 1999; Hansson 2001). Zu einer durch den Vergleich zur Fremdeinschatzung ermittelten realistischen Selbsteinschatzung kommt es insbeson-

145

f

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

dere dann, wenn Anonymitat der Angaben gewahrt, nach dem Arbeitsverhalten gefragt und eine Validierung der Urteile angekiindigt werden sowie erste Berufserfahrungen der Befragten gegeben sind. In der SLAM werden auch Wirkungsrichtungen auf Basis individueller Zuschreibungen ermittelt. Uberdies lassen sich die bei den in Tabelle 1 aufgefiihrten Instrumenten verwendeten Operationalisierungen teilweise zur weiteren Ausdifferenzierung der hier generierten Kompetenzdimensionen Komplexitatsbewaltigung, Selbstreflexion, Kombination und Kooperation fruchtbar machen.

4.2

Ein sozial-konstruktivistischer Untersuchungsansatz

Durch die gewahlten theoretischen Zugange im Rahmen dieses Beitrages wird offensichtlich, dass ganz unterschiedliche, zum Teil auch iiber bisherige Studien hinausgehende Zugange gewahlt werden konnen, um Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen zu erfassen. Die sozial-kognitive Theorie legt Selbstauskiinfte von Individuen und koUektiven Einheiten nahe, weil Kompetenz sich hier im Sinne einer Handlungsintention als intra-personales und inter-personales Konstrukt nicht unmittelbar beobachten lasst, sondem Ausdruck der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion von Individuen und Gruppen ist und folglich auch als solche erschlossen werden muss. Demgegeniiber gelangt man auf Basis der Komplexitatstheorie zu einem experimentellen Design mit der Durchfiihrung von Simulationslaufen. Experimentelle Designs lassen sich allerdings nur sehr schwer fiir reale Ablaufe in sozialen Systemen verwenden. Daher erachten wir eine engere Anbindung an die methodischen Implikationen, die sich aus der sozial-kognitiven Theorie ergeben, als den gangbareren Weg fiir unser Vorhaben, Prozesse der Kompetenzentwicklung in sozialen Systemen iiber mehrere Ebenen hinweg abbildbar zu machen. Wir entscheiden uns demzufolge fiir ein Grunddesign, das auf Personenbefragungen basiert. Obgleich dieses Design in bestehenden Kompetenzerfassungsinstrumenten als bewahrt gilt (siehe Tab. 1), weist es mit Blick auf eine Mehrebenenanalyse gewisse Grenzen auf. Das Differenzierungsvermogen von Individuen kann bei einer gleichzeitigen Betrachtung von Kompetenzbeziehungen mehrerer Ebenen uberfordert werden. Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, die Bewertung von Kompetenzen und Kompetenzbeziehungen mit Blick auf Individuen, Gruppen und Organisationen durch eine Belegschaftsbefragung zu eruieren, hinsichtlich der organisationalen Netzwerke aber ausschliefilich das Top-Management eines betrachteten sozialen Systems um Auskunft zu bitten, weil diese Ebene fiir das einzelne Organisationsmitglied nur vage einschatzbar ist. Eine weitere Limitierung des vorgeschlagenen Untersuchungsweges besteht darin, dass iiber Personenbefragungen nicht die soziale Praktik zwischen Kompetenzebenen abgebildet werden karm, sondem nur ihre subjektive Konstruktion erfasst wird. Aus diesem Grund erscheint es zur Validierung der erhobenen Daten wichtig, fur jede

146

Wirkungsbeziehunsen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

untersuchte Kompetenzebene eine oder mehrere exogene Variablen in die Untersuchungskonzeption zu integrieren. Auf diese Weise lasst sich der hier praferierte sozialkonstruktivistische Untersuchungsansatz absichern. Unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilitat ist zu erganzen, dass standardisierte Befragungen mit Selbstauskiinften in der Kegel mit deutlich weniger materiellem und zeitlichem Aufwand bei der Erhebung und Auswertung bewerkstelligt werden konnen als z.B. Verfahren, die Verhaltensdaten ermitteln. Dies spricht ebenfalls fiir die vorgeschlagene Akteursbefragung als ein auch vom Aufwand her gangbarer Weg, um das Erhebungsinstrument in der Praxis fiir eine Diagnostik des spezifischen Kompetenzsystems einsetzen zu konnen. Je nach Bedarfslage eines sozialen Systems konnen erganzend dann immer noch andere Zugange gewahlt werden, z.B. Gruppeninterviews oder die Beobachtung von Gruppeninteraktionen.

4.3

Analyseschritte des Untersuchungsmodells

Es gilt zunachst, die vorgeschlagenen Dimensionen Komplexitatsbewaltigung, Selbstreflexion, Kombination und Kooperation in messbare Items zu iibersetzen und die Konstruktvaliditat im Rahmen eines Pretests faktoranalytisch zu priifen. Dieser Priifschritt ist exemplarisch in Abbildung 5 (beispielhaft sind einige Untersuchungskategorien, die in Items zu iibersetzen sind, angefiihrt) dargestellt. Die Erfassung der Kompetenzdimensionen erfolgt standardisiert unter der Verwendung von Ratingskalen. Eine weitere Mafinahme, um die Validitat der verwendeten Operationalisierung zu priifen, besteht darin, die Variablen individuelle und koUektive Selbstwirksamkeitserwartungen als zusatzliche allgemeine Indikatoren fiir Handlungsfahigkeit in den Pretest einzubeziehen. Fiir die Erfassung der individuellen Selbstwirksamkeitserwartung greifen wir auf die Skala von Jerusalem/Schwarzer (1999) zuriick. Fiir koUektive Wirksamkeitserwartungen auf Gruppen-, Organisations- und Netzwerkebene verwenden wir angepasste Skalen von Schwarzer/Schmitz (1999) sowie Riggs/Knight (1994). Die von uns angenommenen hohen Korrelationen zwischen diesen Konstrukten und den Kompetenzdimensionen der jeweils betrachteten Ebene helfen den Operationalisierungsvorschlag abzusichern. Nach Abschluss des Pretests kann das Instrumentarium eingesetzt werden, um Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen zu analysieren. Durch den Vergleich der vom Individuum vorgenommenen individuellen Kompetenzbewertung mit den vom Individuum abgegebenen Bewertungen zur Gruppen- und Organisationskompetenz erhalt man erste grundsatzliche Hinweise auf die Abhangigkeit bzw. Unabhangigkeit dieser Konstrukte. Von Interesse ist auch die Homogenitat bzw. Heterogenitat der Antworten hinsichtlich der Einschatzung der koUektiven Kompetenzebenen.

147

Uta WHkens/Helmut Keller/Martina Schmette

148

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Ahb. 5:

I

Exemplarische Beschreibung der

Techniken der Informationsverarbeitung

Kompetenzdimensionen

Kompetenzdimensionen

Kompetenzdimensionen

Methoden der Umweltanalyse Dezentralisierung v Strukturen

Auswertung / Annahme von Feedback Umgang mit Fehlern

Dialogorientierte Fijhrungsinstrumente

Obertragung von Wissen in neue Situationen

Wissensmanagementaktivitaten-Zinstrumente

Methoden der Wissenserweiterung

Kreativitatstechniken Kooperationsregein

Umgang mit Konflikten

Kooperation sregein

Reziprozitat / Vertrauen

pruppendruck / Umganc mit Abwelchlern

Zur Erfassung der spezifischen Wirkungsbeziehungen sind unterschiedliche Vorgehensweisen denkbar, die bei fehlenden Erfahrungswerten mit dem Analyseinstrument parallel verfolgt werden sollten. 1) Wirkungsbeziehungen zwischen Strukturebenen der Kompetenz lassen sich dergestalt ermitteln, dass jede Befragungseinheit auch um Auskunft hinsichtlich ihrer Riickbeziige auf angrenzende Struktureinheiten gebeten wird. Die Befragten spezifizieren die ihnen relevant erscheinenden Feed-forward- und Feed-back-Frozesse. Ein Individuum stellt danach Rlickbezuge zum individuellen Netzwerk, zur Arbeitsgruppe und zur Organisation her, eine Gruppe zur Individuumsebene, zu Communities of Practice sowie zur Organisationsebene und eine Organisation zu organisationalen Netzwerken, Arbeitsgruppen und Individuen. Diese Riickbeziige sollen wiederum Riickschliisse auf die dahinter liegende Kompetenzdimensionen ermoglichen. Die Vorgehensweise ist exemplarisch in Tabelle 2 dargelegt.

148

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueller und koUektiver Kompetenz

Tab. 2:

Sozial-konstruktivistischer Zugang zu Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen

Netzwerk Komplexitdtsbewdltigung: Informationsaustausch und Losungssuche iiber exteme Bezugsgruppen Selbstreflexion: Feedback-Partner auBerhalb des Untemehmens Kombination: Wissensteilung in extemen Communities Kooperation: Stabilitat in der Beziehung zu extemen Partnem Organisation Komplexitdtsbewdltigung: Unterstiitzung durch Vorgesetzte bei Problemstrukturierung Selbstreflexion: Lemkultur als Motivator fur eigene Entwicklungsschritte Kombination: Unterstutzung durch Wissensmanagementsysteme Kooperation: Motivation durch Fiihrungsbeziehung Gruppe Komplexitdtsbewdltigung: Strukturierungshilfe durch Gruppe in Problemsituationen Selbstreflexion: Austauschkultur der Gruppe fbrdert individuelles Lemen Kombination: Kreativitatssteigerung durch Gruppeninteraktion Kooperation: Akzeptanz von sozialen Regulationsmechanismen der Gruppe

Ansgniigspiiiikt Grappe

Ansgaiigspiiiikt Orgaslsatioii

Netzwerk Komplexitdtsbewdltigung: Informelle Communities als zentraler Informationszugang Selbstreflexion: Exteme Communities zur Hinterfragung eigener Routinen Kombination: Wissensaustausch und Generiemng uber exteme Communities Kooperation: Stabilitat in der Beziehung zu extemen Partnem Organisation Komplexitdtsbewdltigung: Rtickgriff auf organisationale Informationsinstmmente Selbstreflexion: Annahme der organisationalen Lemkultur durch die Gmppe Kombination: Nutzung von Wissensmanagementsystemen Kooperation: Unterstutzung durch Mitarbeiterfuhmng Individuum Komplexitdtsbewdltigung: Stmkturiemngsleistung Einzelner Selbstreflexion: Regelmafiiges Hinterfragen der Gmppenaktivitaten durch Einzelne Kombination: Kreative Individuen in den Teams Kooperation: Gmppenanliegen wird von Mitarbeitem iiber Einzelinteressen gestellt

Netzwerk Komplexitdtsbewdltigung: Neuemngen werden gemeinsam mit Netzwerkpartnem vorangetrieben Selbstreflexion: Strategische Positioniemngen werden mit Netzwerkpartnem regelmafiig hinterfragt Kombination: Gemeinsame Projekte mit Netzwerkpartnem (z.B. F&E) Oder Mitarbeiterrotation im Netzwerk Kooperation: Reziprozitat im Netzwerk gewahrt, hohes Vertrauen in Partner Gruppe Komplexitdtsbewdltigung: Arbeitsstrukturen, Normen und Standards Selbstreflexion: Auswertung und Riickkoppelung von Gmppenergebnissen mit Blick auf Untemehmensziele Kombination: Innovationsdynamik in Teams Kooperation: Inter-Gmppen-Kommunikation Individuum Komplexitdtsbewdltigung: Bedeutung einzelner Handlungstrager ftir Zieldefinition und -ausrichtung Selbstreflexion: Lem- und Entwicklungsbereitschaft jedes einzelnen Mitarbeiters Kombination: Einzelne Mitarbeiter als zentrale Ideengeber Kooperation: Jeder Einzelne zieht in schwierigen Situationen mit

149

Uta WHkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Uber Korrelationsanalysen kann dann der Zusammenhang erfasst werden, in dem die Kompetenz der jeweiligen Betrachtungseinheit mit den Items anderer Kompetenzebenen steht. Die in der kognitiven Landkarte hinterlegten Feed-back- und Feed-forwardProzesse werden iiber Korrelationen sichtbar gemacht. Erfasst man das Abhangigkeitsmal? zwischen individuellen und koUektiven Kompetenzen und zugleich fiir jede Kompetenzebene, auf welche Dimensionen welcher Ebene Ruckbezug genommen wird, darm kann man auch dominante Wirkungsrichtungen im Rahmen der Kompetenzanalyse ermitteln. Das Vorgehen entspricht vom Grundprinzip den Verfahrensweisen, die auch bei den in Abschnitt 4.1 dargestellten Instrumenten auf Organisationsebene gewahlt werden, erweitert diese jedoch um eine Mehrebenenbetrachtung unter Konkretisierung relevanter Kompetenzdimensionen. Ein Problem des skizzierten Analyseweges besteht allerdings darin, dass die Zahl der zu bewertenden Untersuchungsitems fiir eine Mehrebenenanalyse sehr hoch wird. 2) Ein altemativer, sparsamerer Zugang zum Untersuchungsgegenstand kann in einer Pfadanalyse gesehen werden. Dafiir wird ein Prozessmodell erarbeitet, entlang dessen fiir jedes soziale System die sechs in Abschnitt 3 formulierten Annahmen gepriift werden, um die fiir das betrachtete System spezifischen Prozesse der Kompetenzentwicklung erkennen zu konnen. In Abbildung 6 ist eine mogliche Modellvariante dargestellt. Um zwischen sich verstarkenden und sich abschwachenden Effekten unter den Kompetenzebenen differenzieren zu konnen und um die Wirkungsrichtung eindeutig benennen zu konnen, gilt es fiir jede Kompetenzebene mindestens eine exogene Variable, die ebenfalls ursachlich fur die Handlungsfahigkeit sein kann, zu identifizieren. Die Wahl dieser Variablen wird abhangig von dem betrachteten sozialen System sein. Bei einem borsennotierten Untemehmen kann der Aktienkurs als exogene Variable in das Modell integriert werden; bei Untemehmen aus dem organisationalen Netzwerk, die ebenfalls borsennotiert sind, lasst sich dieser Indikator analog verwenden. Fiir beide Ebenen sind auch andere per Dokumentenanalyse zu eruierende betriebswirtschaftliche Erfolgskennziffem denkbar. Betrachtet man hingegen Forschungseinrichtungen und ihre Netzwerkpartner, konnen z.B. Drittmittel pro HochschuUehrer eine Bezugsgrofie bilden. Mit Blick auf die Individuums- und Gruppenebene sind die exogenen Variablen weniger abhangig vom Organisationstyp. Von besonderem Interesse sind hier Handlung beeinflussende Bezugsgruppen aufierhalb der Organisation, so dass fiir das Individuum und die betrachtete Gruppe die extemen Communities of Practice erfasst werden konnen. Auf diese Weise gelingt es, die Netzwerke auf Individuums- und Gruppenebene in das Gesamtuntersuchungsdesign zu integrieren. Uber die ermittelte Abhangigkeit bzw. Unabhangigkeit zwischen Individuums- und Organisationskompetenz respektive Gruppen- und Organisationskompetenz und die parallele Information iiber die Integration in informelle Bezugssysteme kann dann wiederum ermittelt werden, ob ein positiver oder negativer Effekt von diesen Bezugsgruppen fiir die interne vertikale Kompetenzbeziehung ausgeht.

150

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

Abh. 6:

Prozessmodell zu Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen

z. B. Aktienkurs oder eingeworbene Drittmittel pro Hochschullehrer

z. B. Aktienkurs oder eingeworbene DrittrDittel pro Hochschulleiirer

z. B. externe communities of practice

4.4

z. B. personliciie Netzwerke/Bezugsgruppen

Limitierungen des Untersuchungsmodells

Zwar lasst sich auf der Gmndlage der sozial-kognitiven Theorie die Durchfiihrung von Befragungen mit Selbstauskunften im Rahmen einer Kompetenzanalyse gut begrunden, well der theoretischen Basis folgend Kompetenz aus einer Selbstwahrnehmung von Individuen oder Gruppen resultiert. Gleichwohl werden Wirkungsbeziehungen dann als soziale Zuschreibungen individueUer oder koUektiver Akteure erfasst. Bei einer Mehrebenenanalyse bewegt man sich dabei zudem an den Grenzen der individueUen Differenzierungsfahigkeit. Da alternative Zugange eher in experimenteUen Designs als in der empirischen Sozialforschung realisierbar erscheinen, soUen die mit der Personenbefragung verbundenen Limitierungen durch die Einbeziehung exogener Variablen abgefedert werden.

151

Uta WHkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Die Giite der Untersuchung kann auch durch die Vielzahl zu untersuchender Items geschmalert werden, was bei den Befragten die Teilnahmebereitschaft wahrend der Beantwortung des Fragebogens reduzieren kann. Dies gilt insbesondere fiir ein Untersuchungsmodell, das auf Korrelationsanalysen basiert. Sobald Erfahrungswerte iiber die Durchfiihrbarkeit einer Pfadanalyse vorliegen, werden Fragen zu den Riickbeziigen auf andere Kompetenzebenen verzichtbar, was die Handhabbarkeit des Instrumentes erhohen diirfte. Mit der Entscheidung fiir ein quantitatives anstelle eines qualitativen Analyseinstrumentes, zumindest was die Grundkonzeption des Untersuchungsmodells anbelangt, sind ebenfalls Limitierungen verbunden. Qualitative Beobachtungen wiirden einen von den Akteuren der analysierten Ebenen unabhangigeren Zugang zu Wirkungsbeziehungen erlauben. AUerdings lassen sich qualitative Instrumente nur fiir kleine Einheiten, z.B. zur Untersuchung der Individuums-Gruppen-Beziehung verwenden. Eine dariiber hinausgehende Mehrebenenbetrachtung ist mit qualitativen Beobachtungen kaum zu leisten, zumal sich informelle Communities einer direkten Beobachtung entziehen. Da im dargestellten Untersuchungsmodell unterschiedliche Parameter gleichzeitig beriicksichtigt werden miissen, erachten wir die vorgeschlagene standardisierte Befragung mit Selbstauskiinften fiir einen vertretbaren Zugang, um die Prozesse der Kompetenzentwicklung iiber mehrere Ebenen hinweg abbildbar zu machen. Zum gegenwartigen Zeitpunkt mag auch der empirisch nicht abgesicherte Vorschlag der mehrebenenbezogenen Kompetenzdimensionen als Limitierung erscheinen. Mit Fortfiihrung der Operationalisierung und Durchfiihrung eines Pretests soUte dieses Defizit allerdings in Kiirze behoben sein.^

Ausblick auf den praktischen Nutzen von Wirkungsanalysen zwischen Kompetenzebenen Im Ergebnis der Modellentwicklung soil es moglich werden, soziale Systeme nach den fiir sie dominanten Wirkungsbeziehungen der Kompetenzentwicklung zu differenzieren. So kann es Systeme geben, deren Kompetenzentwicklung im Kern auf Netzwerkbeziehungen basiert und andere, deren Handlungs- und Problemlosungsfahigkeit sich auf individuelle Kompetenzen stiitzt. Es konnen dann die Ansatzpunkte fur Kompetenzentwicklungsmafinahmen identifiziert werden, die eine besonders hohe Hebelwirkung in dem betrachteten sozialen System vermuten lassen. Dariiber hinaus lasst sich das Modell auch fiir diagnostische Zwecke einsetzen, indem beispielsweise 152

Wirkunssbeziehungen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

„fragmentierte Handlungsgemeinschaften'' im Sinne von Handlungssystemen, in denen sich kaum kompetenzforderliche Aktivitaten erkennen lassen, liber die Auswertung der Befragungsergebnisse aufgespiirt werden. Die auf Basis des Modells gewonnenen Untersuchungsergebnisse sollen also die Identifikation geeigneter Kompetenzentwicklungsmafinahmen stiitzen, um Losungsansatze fiir die Praxis zu unterbreiten. Ebenso kann das Instrument dazu beitragen, ein System im Zuge von KompetenzRatings dahingehend zu klassifizieren, wie es seine spezifische Handlungsfahigkeit sichert (z.B. iiber Netzwerkkooperationen oder iiber die kombinatorischen Fahigkeiten seiner Mitarbeiter). Damit lassen sich dann auch Mafinahmen zur Kompetenzentwicklung in ihrer Bedeutung besser einschatzen. Wenn die Indikatorisierung von Kompetenz theoretisch fundiert ist und nachweislich etwas iiber die Handlungsfahigkeit eines Systems aussagen kann, kann darin unseres Erachtens ein Entwicklungserfolg gegeniiber bisherigen Ansatzen eines Kompetenz-Ratings (zum Uberblick Hasebrook et al. 2004) gesehen werden, der von hoher Relevanz fiir die betriebliche Bewertungspraxis ist.

Anmerkungen Zwar ist die Theorie aufgrund ihres eher naturwissenschaftlichen Ursprungs nicht vollstandig auf soziale Systeme iibertragbar (Kappelhoff 2002; Mathews et al. 1999); sie beschreibt aber systemische Wirkungsbeziehungen in einer Art und Weise, dass darin ein abstraktes und doch zugleich prazises Abbild sozialer Beziehungen gesehen werden kann. Insbesondere wird dem Ansatz Potenzial zuerkannt, das Wechselspiel zwischen Systemen, Subsystemen und komplexen Umwelten abzubilden (dazu Schreyogg 2002) und damit das hier fokussierte Binnen-Aufien-Verhaltnis zwischen Kompetenzebenen zu analysieren. Letztlich waren auch Zugange uber die Strukturationstheorie (dazu Sydow et al. 2003) oder iiber Ansatze der Gruppenforschung denkbar. Ansatze der Gruppenforschung sind allerdings weniger klar mit dem Kompetenzkonstrukt verbunden. Auf Basis der Strukturationstheorie lassen sich aus unserer Einschatzung weniger klar Kompetenzdimensionen ableiten, die fiir alle Ebenen gleichermafien giiltig sind. Daher werden diese Zugange hier nicht vertieft, sind aber grundsatzlich als weitere theoretische Unterlegungen denkbar. Schreyogg/Kliesch (2003) leiten aus einer Auseinandersetzung mit individueUer Managementkompetenz assoziativ drei Dimensionen der Organisationskompetenz ab. Ihre Dimensionen sind im strengen Sinne nicht theoretisch fundiert und stehen nicht im Zusammenhang mit der Analyse von Wirkungsbeziehungen zwischen Kompetenzebenen. Die Wahl ihrer Bezeichnungen erweist sich aber als durchaus fruchtbar fiir das hier verfolgte Untersuchungsvorhaben. Daher wird der Formulierungsvorschlag aufgegriffen, in die theoriegeleitete Argumentation integriert und vor diesem Hintergrund um eine Kompetenzdimension erweitert. Nach Schreydgg/Kliesch (2003) lasst sich organisational Kompetenz operationalisieren durch organisationales Verkniipfungs-Know-how, organisationales Kooperationsvermogen und organisationales Interpretationsvermogen.

153

I

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

4 Fiir die Formulierung der beiden Kompetenzdimensionen, die sich iiber die kognitiven Fahigkeiten des Individuums begriinden, ist eine Verkniipfung mit der Theorie menschlicher Informationsverarbeitung (dazu Streufert 1990), die auf die Dimensionalitat menschlicher Kognitionen, ihre Differenziertheit und das Niveau der Informationsverarbeitung abstellt, sinnvoU. 5 Das skizzierte Armahmesystem lasst einen weiteren, in der Literahir vorzufindenden Argumentationsstrang unberiicksichtigt, der annimmt, dass die Wirkungszusammenhange zwischen den unterschiedUchen Kompetenzebenen nicht sinnvoU erfasst werden konnen, weil letztlich alle Betrachtungsebenen ein kollektives System beschreiben, so insbesondere systemtheoretische (zur Ubersicht Aderhold/Jutzi 2003; Willke 2000; Schmid/Haferkamp 1987) und interaktionstheoretische (zur Ubersicht Neuberger 2002; Frey 2002) Uberlegungen. 6 Zur Modifikation dieser Kemannahme siehe Annahme 6. 7 Siehe dazu auch den Begriff des sozialen Kapitals von Coleman (1995, S. 394). Danach ist soziales Kapital ein kontextgebundenes, nicht fungibles, spezifisches Gut, welches durch „Beziehungen zwischen Personen verkorperf' wird. Ressourcen und Entwicklungspotenziale werden iiber die Strukturen und Interaktionen in der sozialen Gemeinschaft fiir alle darin eingeschlossenen Akteure geleistet. 8 Bestehende Instrumente zur Erfassung von Netzwerkkompetenz erweisen sich unseres Erachtens als nicht weiterfiihrend fiir das eigene Vorhaben, Wirkungsbeziehungen zu analysieren, so dass sie nicht in die tabellarische Ubersicht integriert wurden. 9 Die vorliegende Ausarbeitung ist im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprogramms „Lernkultur Kompetenzentwicklung'' (Bereich Gnmdlagenforschung) entstanden, das aus Mitteln des Bundesministeriums fiir Bildung und Forschung sowie aus Mitteln des Europaischen Sozialfonds gefordert wird (Laufzeit zur Erstellung des Gutachten: 01.02.2005 bis 30.10.2006). * Wir danken drei anonymen Gutachtem fiir Ihre konstruktiven Hinweise, den Herausgebem dieses Bandes fiir ihre Moderation zwischen den zahlreichen Uberarbeitungsanforderungen und die geduldige Begleitung unseres Uberarbeitungsprozesses sowie Prof. Dr. Peter Kappelhoff fiir ein Expertengesprach zur empirischen Umsetzung unseres Vorhabens und Dr. Martin Brussig fUr kritische Anmerkungen zu unterschiedlichen Manuskriptfassungen.

Literaturverzeichnis Aderhold, J./Jutzi, K. (2003): Theorie sozialer Systeme. In: Weik, E./Lang, R. (Hrsg.): Modeme Organisationstheorien 2. Wiesbaden, S. 122-126. Ajzen, I. (1985): From intentions to action: A theory of planned behaviour. In: Kuhl, J./ Beckmann, J. (Hrsg.): Action control: From cognition to behaviour. New York, S. 11-39. Ajzen, I. (1991): The theory of planned behaviour. In: Organizational Behaviour and Human Decision Processes 50, S. 179-211. Andersson, U./Forsgren, M./Holm, U. (2001): Subsidiary embeddedness and competence development in MNCs - Multi-level analysis. In: Organization Studies 22 (6), S. 1013-1035.

154

Wirkunssbeziehungen zwischen Ebenen individueller und kollektiver Kompetenz

Arnold, R. (1997): Von der Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung. In: Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management Berlin (Hrsg.): Kompetenzentwicklung 1997 - Berufliche Weiterbildung in der Transformation - Fakten und Visionen. Miinster, S. 253-306. Bader, R./Miiller, M. (2002): Leitziel der Berufsbildung: Handlungskompetenz. In: Die berufsbildende Schule 54 (6), S. 176-182. Baitsch, C. (1996): Lernen im Prozess der Arbeit - ein psychologischer Blick auf den Kompetenzbegriff. In: QUEM-Bulletin 1, S. 6-8. Bandura, A. (1986): Social foundations of thought and action - A social cognitive theory. Englewood Cliffs. Bandura, A. (1997): Self-efficacy: The exercise of control. New York. Bandura, A. (2000): Exercise of human agency through collective efficacy. In: Current Directions in Psychological Science 9 (3), S. 75-78. Bandura, A. (2001): Social cognitive theory. An agentic perspective. In: Annual Review Psychology 52, S. 1-26. Barney, J.B. (1991): Firm resources and sustained competitive advantage. In: Journal of Management 17 (1), S. 99-120. Bergmann, B. (2003): Selbstkonzept beruflicher Kompetenz. In: Erpenbeck, J./Rosenstiel, L. von (Hrsg.): Handbuch Kompetenzmessung. Stuttgart, S. 229-260. Baron, R./Kerr, N./Miller, N. (1992): Group process, group decision, group action. Buckingham. Boisot, M.H. (1995): Information space - A framework for learning organisations, institutions and culture. London. Boisot, M.H. (1998): Knowledge assets - Securing competitive advantage in the information economy. Oxford. Bontis, N. (1999): Managing organizational knowledge by diagnosing intellectual capital - Framing and advancing the state of the field. In: International Journal of Technology Management 18, S. 433-475. Bontis, N./Crossan, M./HuUand, J. (2002): Managing an organizational learning system by aligning stocks and flows. In: Journal of Management Studies 39 (4), S. 437-469. Bourdieu, P. (1983): Okonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Soziale Welt. Sonderband 2, S. 183-198. Brown, J.S./Duguid, P. (2001): Knowledge and organization: A social-practice perspective. Organization Science 12 (2), S. 198-213.

155

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Bruch, H./Ghoshal, S. (2005): Managerial action: Construct definition, model development and testing. In: Zeitschrift fiir Betriebswirtschaft 75 (2), S. 105-133. Cohen, J./Stewart, I. (1993): The collapse of chaos - Discovering simplicity in a complex world. New York. Cohen, R.N.A^evinthal, D.A. (1990): Absorptive capacity: A new perspective in learning and innovation. In: Administrative Science Quarterly 35, S. 128-152. Coleman, J.S. (1995): Grundlagen der Sozialtheorie. Bd. 1. Miinchen und Wien. Cowan, G.A./Pines, D./Meltzer, D. (1994): Complexity: Metaphors, models and reality. Reading, MA. Crossan, M.M./Lane, H.W.AVhite, R.E. (1999): An organizational learning framework From intuition to institution. In: Academy of Management Review 24, S. 337-360. Duschek, S. (2004): Inter-firm resources and sustained competitive advantage. In: management review. Special Issue: Beyond the Resource Based View 15 (1), S. 53-73. Dyer, J.H./Singh, H. (1998): The relational view - Cooperative strategy and sources of interorganizational competitive advantage. In: Academy of Management Review 23 (4), S. 660-679. Erpenbeck, J. (1996): Kompetenz und kein Ende? In: QUEM-BuUetin 1, S. 9-13. Erpenbeck, J./Heyse, V. (1999a): Kompetenzbiographie - Kompetenzmilieu - Kompetenztransfer. QUEM-report 62. Berlin. Erpenbeck, J./Heyse, V. (1999b): Die Kompetenzbiographie - Strategien der Kompetenzentwicklung durch selbstorganisiertes Lemen und multimediale Kommunikation. Miinster. Esser, H. (2000): Soziologie. Bd. 4. Frankfurt a.M. und New York. Frey D. (Hrsg.)(2002): Gruppen-, Interaktions- und Lemtheorien. 2. voUst. iiberarb. und erw. Aufl. Bern und Gottingen. Frieling, E./Kauffeld, S./Grote, S./Bemard, H. (2000): Flexibilitat und Kompetenz Schaffen flexible Untemehmen kompetente und flexible Mitarbeiter? Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management Berlin. Edition QUEM - Studien zur beruflichen Weiterbildung im Transformationsprozess 12. Miinster etc. Gell-Mann, M. (1994): The Quark and the Jaguar. New York. Gillen, J./Kaufliold, M. (2005): Kompetenzanalysen - kritische Reflexion von Begrifflichkeiten und Messmoglichkeiten. In: Zeitschrift fiir Berufs- und Wirtschaftspadagogik 101 (3), S. 364-378.

156

Wirkunssbeziehunsen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

Greif, S./Kurtz, H.-J. (Hrsg.)(1998): Handbuch Selbstorganisiertes Lemen. 2. Aufl. Gottingen. Greve, W. (2002): Handlungstheorie. In: Frey, D./Irle, M. (Hrsg.): Theorien der Sozialpsychologie. Band II: Gruppen- und Interaktions- und Lerntheorien. Bern, S. 300-325. Grunwald, R./Kieser, A. (2004): Learning to reduce inter-organizational learning. Vortrag auf der 28. Tagung der Kommission Organisation zum Thema „Neue Entwicklungen in der Theoriebildung und den Forschungsmethoden der Organisationsforschung. 26.-27.02.2004 an der Universitat Augsburg. Hansson, B. (2001): Competency models - Are self-perceptions accurate enough? Global HRM Conference CD. Barcelona. Hasebrook, J./Zawacki-Richter, O./Erpenbeck, J. (Hrsg.)(2004): Kompetenzkapital. Frankfurt a.M. Hatch, N.W./Dyer, J.H. (2004): Human capital and learning as a source of sustainable competitive advantage. In: Strategic Management Journal 25 (12), S. 1155-1178. Haug, S. (1997): Soziales Kapital. Mannheimer Zentrum ftir Europaische Sozialforschung. Arbeitsbereich II Nr. 15. Mannheim. Hoffmann, W.H. (2003): Allianzmanagementkompetenz - Entwicklung und Institutionalisierung einer strategischen Ressource. In: Schreyogg, G./Sydow, J. (Hrsg.): Managementforschung 13. Wiesbaden, S. 93-150. Holland, J.H. (1995): Hidden order - How adaptation builds complexity. Cambrigde. Jerusalem, M./Schwarzer, R. (1999): Die Skala AUgemeine Selbstwirksamkeitserwartung. In: Schwarzer, R./Jerusalem, M. (Hrsg.): Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schlilermerkmalen. Berlin, S. 57. Jonas, K./Bromer, R (2002): Die sozial-kognitive Theorie von Bandura. In: Frey D./Irle, M. (Hrsg.): Theorien der Sozialpsychologie. Band II: Gruppen-, Interaktions- und Lerntheorien. 2. Aufl. Bern etc., S. 277-299. Kappelhoff, P. (2000): Komplexitatstheorie und Steuerung von Netzwerken. In: Sydow, J./Windeler, A. (Hrsg.): Steuerung von Netzwerken. Opladen, S. 347-389. Kappelhoff, P. (2002): Komplexitatstheorie: Neues Paradigma fiir die Managementforschung? In: Schreyogg, G./Conrad, P. (Hrsg.): Managementforschung 12. Wiesbaden, S. 49-101. Kappelhoff, P. (2004): Chaos- und Komplexitatstheorie. In: Schreyogg, G.AVerder, A.v. (Hrsg.): Handworterbuch Unternehmensfiihrung und Organisation. Stuttgart, S. 123131. Kappelhoff, P. (2006): Kompetenzentwicklung in Netzwerken. In: Windeler, A./Sydow, J. (Hrsg.): Kompetenz. Wiesbaden (im Druck).

157

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Kauffman, S.A. (1991): Leben am Rand des Chaos. In: Spektrum der Wissenschaft Oktober 1991, S. 90-99. Kauffman, S.A. (1993): The origin of order. Oxford. Kauffman, S.A. (1995): Technology and evolution: Escaping the Red Queen effect. In: The McKinsey Quarterly 1, S. 118-129. Leonard-Barton, D. (1995): Wellsprings of knowledge. Boston. Loury G.C. (1977): A dynamic theory of racial income difference. In: Wallace, RA./ LaMonde, A.M. (Hrsg.): Women, minorities, and employment discrimination. Lexington und Toronto, S. 153-188. Luhmann, N. (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt a.M. Mathews, M.AVhite, M./Long, R. (1999): Why study the complexity sciences in the social sciences? In: Human Relations 52 (4), S. 439-462. Matiaske, W. (1999): Soziales Kapital in Organisationen: eine tauschtheoretische Studie. Miinchen etc. Maurer, I. (2003): Soziales Kapital als Erfolgsfaktor junger Untemehmen. Wiesbaden. Mayrhofer, W./Steyrer, J./Meyer, M./Strunk, G./Schiffinger, M./Iellatchitch, A. (2005): Graduates' career aspirations and individual characteristics. In: Human Resource Management Journal 15 (1), S. 28-46. McKelvey B. (1999a): Avoiding complexity catastrophe in coevolutionary pockets Strategies for rugged landscapes. In: Organization Science 10 (3), S. 294-321. McKelvey B. (1999b): Self-organization, complexity catastrophe an microstate models at the edge of chaos. In: Bum, J.A.C./McKelvey B. (Hrsg.): Variations in organization science - In honour of Donald T. Campell. Thousand Oaks, S. 279-307. Moser, K. (1999): Selbstbeurteilung beruflicher Leistung. In: Psychologische Rundschau 50 (1), S. 14-25. Nahapiet, J./Ghoshal, S. (1998): Social capital, intellectual capital and the organizational advantage. In: Academy of Management Review 23 (2), S. 242-266. Neuberger, O. (2002): Fiihren und Fuhren lassen. Stuttgart. Patzold, G. (1999): Berufliche Handlungskompetenz. In: Kaiser, F.-J./Patzold, G. (Hrsg.): Worterbuch der Berufs- und Wirtschaftspadagogik. Bad Heilbrunn, S. 57-58. Pawlowsky R/Menzel, D./Wilkens, U. (2005): Wissens- und Kompetenzerfassung in Organisationen. In: Sonntag, K.-H./Pawlowsky R/Lang-von Wins, T./Rothe, H.-J./ North, K. (2005): Kompetenzmessung im Untemehmen. Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management. Edition QUEM. Bd. 18. Munster etc., S. 343-453.

158

Wirkunssbeziehunsen zwischen Ebenen individueller und koUektiver Kompetenz

Reinhardt, R. (2002): Wissen als Ressource. Frankfurt a.M. Riggs, M.L./Knight, RA. (1994): The impact of perceived group success-failure on motivational beliefs and attitudes: A causal model. In: Journal of Applied Psychology 79, S. 755-766. Ritter, T./Gemiinden, H.G. (2003): Network competence. In: Journal of Business Research 56 (9), S. 745-756. Rosenstiel, L. von/Erpenbeck, J. (Hrsg.)(2003): Handbuch Kompetenzmessung. Stuttgart. Sauer, J. (2002): Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Lernkultur Kompetenzentwicklung''. In: Dehnbostel, R/Elsholz, U./Meister, J./Meyer-Menk, J. (Hrsg.): Vernetzte Kompetenzentwicklung. Berlin, S. 45-63. Schein, E.H. (1991): What is culture? In: Frost, RJ./Moore, L.F. (Hrsg.): Refraiming organizational culture. Newbury Park, S. 243-253. Schmid, M./Haferkamp, H. (1987): Sirm, Kommunikation und soziale Differenzierung. Frankfurt a.M. Schreyogg, G. (1996): Organisation. Wiesbaden. Schreyogg, G. (2002): Komplexitat und Organisation. Kommentar zu P. Kappelhoff. In: Schreydgg, G./Conrad, P. (Hrsg.): Managementforschung 12. Wiesbaden, S. 103-111. Schreydgg, G./Kliesch, M. (2003): Rahmenbedingungen fiir die Entwicklung Organisationaler Kompetenz. QUEM-Materialien 48. Berlin. Schiifiler, I. (2004): Lernwirkungen neuer Lernformen. QUEM-Materialien 55. Berlin. Schulz-Hardt, S./Brodbeck, F.C. (2006): Group Performance and Leadership. In: Hewstone, M./Stroebe, W/Jonas, K. (Hrsg.): Introduction to Social Psychology. 4. Aufl. Oxford (im Erscheinen). Schwarzer, R. (1994): Optimistische Kompetenzerwartung. In: Diagnostica 40 (2), S. 105-123. Schwarzer, R./Schmitz, G.S. (1999): Kollektive Selbstwirksamkeitserwartung von Lehrern: Fine Langsschnittstudie in zehn Bundeslandern. In: Zeitschrift fiir Sozialpsychologie 30 (4), S. 262-274. Sonntag, K.-H./Pawlowsky R/Lang-von Wins, T./Rothe, H.-J./North, K. (2005): Kompetenzmessung im Unternehmen. Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management. Edition QUEM. Bd. 18. Miinster etc. Staber, U. (2002): Soziales Kapital im Management von Unternehmensnetzwerken. In: Schmidt, R./Gergs, H.-J./Pohlmann, M. (Hrsg.): Managementsoziologie - Themen, Desiderate, Perspektiven. Miinchen, S. 112-127. 1

159

Uta WUkens/Helmut Keller/Martina Schmette

Stajkovic, A.D./Luthans, R (1998): Self-efficacy and work-related performance. In: Psychological Bulletin 124 (2), S. 240-261. Steiner, I.D. (1972): Group process and productivity. New York. Streufert, S. (1990): Zur Simulation komplexer Entscheidungen. In: Fisch, R./Boos, M. (Hrsg.): Vom Umgang mit Komplexitat in Organisationen. Konstanz, S. 197-214. Strunk, G./Schiffinger, M./Mayrhofer, W. (2004): Lost in transition? Complexity in organisational behaviour - The contributions of systems theories. In: management revue 15 (4), S. 481-509. Sydow, J./Duschek, S./MoUering, G./Rometsch, M. (2003): Kompetenzentwicklung in Netzwerken - Eine typologische Studie. Wiesbaden. Teece, D.J./Pisano, G./Shuen, A. (1997): Dynamic capabilities and strategic management. In: Strategic Management Journal 18 (7), S. 509-533. Truss, C. (2001): Shifting the paradigm in human resource management - From the resource based view to complex adaptive systems. HRM Working Papers Series. Kingston Business School. Wardrop, M.M. (1992): Complexity - The emerging science at the edge of chaos and order. New York. Weinkauf, K./Hogl, M./Gemiinden, H.G./Holzle, K. (2005): Zusammenarbeit zwischen organisatorischen Gruppen: Ein Literaturiiberblick iiber die Intergroup Relations-, Schnittstellen- und Boundary Spanning-Forschung. In: Journal fiir Betriebswirtschaft 55, S. 85-111. Wenger, E.C./Snyder, W.M. (2000): Communities of Practice: Warum sie eine wachsende RoUe spielen. In: Harvard Business Manager 4, S. 55-62. Wilkens, U. (2004): Management von Arbeitskraftunternehmern. Wiesbaden. Willke, H. (2000): Systemtheorie I: Grundlagen - Eine Einfuhrung in die Grundprobleme der Theorie sozialer Probleme. 6. iiberarb. Aufl. Stuttgart. Zaheer, A./Bell, G.G. (2005): Benefiting from network position: Firm capabilities, structural holes, and performance. In: Strategic Management Journal 26 (9), S. 809-825. Zimmer, G. (2002): Kompetenzentwicklung in virtuellen Kooperationen: In: Dehnbostel, R/Elsholz, U./Meister, J./Meyer-Menk, J. (Hrsg.): Vemetzte Kompetenzentwicklung. Berlin, S. 81-94.

160

Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueUer und koUektiver Kompetenz

Prof. Dr. Uta Wilkens Ruhr-Universitat Bochum Institut fiir Arbeitswissenschaft Lehrstuhl Arbeitsmanagement und Personal D-44780 Bochum [email protected] Dipl.-Pad. Helmut Keller WHL Wissenschaftliche Hochschule Lahr Lehrstuhl Wirtschaftspadagogik/Bildungsmanagement Hohbergweg 15-17 D-77933 Lahr helmu t. keller®whl-lahr. de Dr. Martina Schmette ZAWF - Zentrum fiir angewandte Weiterbildungsforschung e. V. Hohbergweg 15-17 D-77933 Lahr martina. schmette@whl-lahr. de

161

Verbiwhir^inlen zweier arbeltȴissei^haftlictwr

CB-HRM; HRM; Kompetenzen; Kompetenzmodelle; Subjektivierung

Zusammenfassung Kompetenzen sind aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Wer wiirde bestreiten, dass jeder Arbeitnehmer seine Aufgaben kompetent erfiillen soUte? Zu den alten Fachkompetenzen gesellen sich in den letzten Jahren immer neue Kompetenzen: Sozialkompetenz, emotionale Kompetenz, Genderkompetenz, Selbstkompetenz, Lernkompetenz, um nur einige zu nennen. Unternehmen entwickeln „ Kompetenzmodelle", in denen verschiedene organisationsspezifische Kompetenzen zusammengestellt und aufeinander bezogen werden. Der Beitrag behandelt diese Thematik zweifach. Zum einen soil die in Kompetenzmodellen liegende wissenschaftliche und praktische Bedeutung gepriift und kritisch bewertet werden. Zum anderen werden Kompetenzmodelle auf eine neue Form der Nutzung von Arbeitskraft bezogen: die sog. Subjektivierung der Arbeit. Es wird die These aufgestellt, dass Kompetenzmodelle Manifestationen dieses arbeitswissenschaftlichen Paradigmas darstellen.

Managementforschung 16 (2006), hrsg. von G. Schreyogg und P. Conrad Gabler Verlag • Wiesbaden, S. 163-199

Daniela Rastetter

Abstract The workforce nowadays can no longer live without competences. Who would deny the fact that employees should accomplish their tasks in a competent way? In recent years, more and more new competences have joined the old professional competences: social competence, emotional competence, gender competence, self competence, learning competence and further competences. Enterprises develop „competency models", wherein a variety of specific organisatory competences are sorted and linked. This article deals with this subject matter in a dual way. For one, the scientific and practical significance that is being found in competency models will be examined and crucially evaluated. And then competency models will be referred to a new form of use of the workforce: the so-called „subjectivation of work". The case will be made that competency models depict manifestations of this industrial science paradigm.

InhaltsUbersicht 1 Kompetenzmodelle: Konstruktion und Bewertung 1.1 Kompetenz: Karriere eines Begriffs 1.2 Konstruktion von Kompetenzmodellen 1.2.1 Kompetenz und Leistung 1.2.2 Kompetenz statt Intelligenz: die psychologische Forschungslinie 1.2.3 Ablauf von Kompetenzstudien 1.3 Kompetenzmodelle im Human Resource Management 1.3.1 Personale und organisational Kompetenzen 1.3.2 Kompetenzbasiertes Personalwesen 1.4 Bewertung von Kompetenzmodellen 1.4.1 Versprechungen 1.4.2 Probleme 2 Kompetenzmodelle als Form der Subjektivierung von Arbeit 2.1 Subjektivierung von Arbeit 2.2 Subjektivierende Wirkungen von Kompetenzmodellen 2.2.1 Nutzung von Subjektivitat durch Kompetenzmodelle 2.2.2 Nutzung von Kompetenzen durch die Subjekte 3 Fazit

164

Kompetenzmodelle und die Subjektivieruns von Arbeit

1

Kompetenzmodelle: Konstruktion und Bewertung

1.1

Kompetenz: Karriere eines Begriffs

„Kompetenz'' ist ein Allerweltsbegriff geworden, unter dem sich jeder etwas vorstellen kann, von dem er annimmt, dass es sich in etwa mit den Vorstellungen der anderen deckt. Die Bedeutung des Begriffs hat sich jedoch liber die Zeit gewandelt, und es ist keineswegs gesagt, dass heute alle das Gleiche darunter verstehen. Vom Wortstamm her bedeutet „com-petere" „zusammen etwas anstreben", weshalb Kompetenz fruber den Sinn von Konkurrenz hatte. Das Substantiv competentia mit der Bedeutung „Zusammentreffen'' wurde zunachst nur in der Juristensprache verwendet, spater auch in der AUtagssprache im Sinne eines Zusammentreffens von bestimmten personalen Merkmalen mit bestimmten aufieren Aufgaben. Daraus entwickelte sich die heutige Verwendung. Wer kompetent ist, so die allgemeine Meinung, ist in einem bestimmten Bereich besonders gut. Kompetenz wurde zu einem durch und durch positiven Begriff, der mehr als Qualifikation bedeutet. Wahrend eine Qualifikation formal und extern erworben und zertifiziert wird, zeigt sich die Kompetenz in der Praxis. So mag jemand in der Lage sein, hervorragende medizinische Behandlungen durchzufiihren, ohne die entsprechende Qualifikation zu haben, er kann also alles, darf aber nichts, weil seine Kompetenz nicht zertifiziert ist. Umgekehrt ist der „Inkompetente" stigmatisierter als der Unqualifizierte, der zur Not die erforderliche Qualifikation nachholen kann. Ist ein Begriff erst einmal positiv besetzt, findet er sich bald im Marketing wieder, z.B. in Firmenlogos („Kompetenz fiir alle'', „Ergonomie Kompetenz Netzwerk"), als Motto („Willkommen bei EHL & Zapf - Kompetenz in Stein"), als Hauptlink auf FirmenWebsides oder in Begriffen wie „Kompetenzzentren" oder „Kompetenz-Pools", die gerade an Hochschulen im Kommen sind. ^Kompetenzmodelle", die je nach Spezifitat ftir eine Funktion, einen Arbeitsbereich oder gar fiir alle Beschaftigten der Organisation zentrale personale Kompetenzen enthalten, bedienen sich des positiven Begriffs und kombinieren ihn mit „Modell", das die Konnotation wissenschaftlicher Fundierung besitzt: etwas, das nicht einfach konstatiert, sondern sorgfaltig entwickelt wird. In der Tat handelt es sich bei Kompetenzmodellen - zumindest bei den „echten'' - um Verfahren mit wissenschaftlichen Grundlagen, deren Ergebnis, wie bei wissenschaftlichen Modellen auch, fiir verschiedene Anwendungen tauglich ist. Kompetenzmodelle sind modern. Unternehmen und Beratungsfirmen prasentieren Hunderte von Modellen, die mehr oder weniger ausfiihrlich auf ihren Intemet-Seiten beschrieben werden. Es gibt eine regelrechte Kompetenzindustrie mit zahlreichen

165

[

Daniela Rastetter

Beratungsuntemehmen, die sich auf dieses Gebiet spezialisiert haben und ihre Dienste teuer anbieten. Der folgende Beitrag weist zwei grofiere Teile auf. Im ersten Teil werden Kompetenzmodelle als solche bewertet, indem zunachst ihr innerer Aufbau und ihre zentralen Bestimmungsmerkmale dargelegt werden. Kompetenzmodelle sind Grundlage fiir das sog. kompetenzbasierte Human Resource Management (HRM) und machen weitreichende Versprechungen beziiglich ihrer Vorteile und Giite. Betrachtet man sie jedoch genauer, gelangt man zu einer insgesamt kritischen Bewertung. Aus dieser resultiert die Erweiterung der Perspektive auf das arbeitswissenschaftliche Paradigma der Subjektivierung der Arbeit, das im Zentrum des zweiten Teils des Beitrags steht. In diesem Paradigma wird postuliert, dass sich subjektive Potenziale der Arbeitenden vom Storfaktor zur zentralen Ressource des HRM wandelten. Kompetenzen, so die These, stellen eine besondere Form subjektiver Ressourcen dar. Es wird untersucht, inwiefem Kompetenzmodelle als Manifestationen der Subjektivierung von Arbeit zu betrachten sind. Fiir dieses Vorgehen spricht nicht nur ihr zeitliches Zusammenfallen - beide Konzepte entstanden bzw. etablierten sich in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts -, sondem auch ihr zentrales Verbindungsstiick: das Subjekt, das in beiden Ansatzen eine ganz besondere Rolle spielt.

1.2

Konstruktion von Kompetenzmodellen

1.2.1

Kompetenz und Leistung

Hinter Kompetenzmodellen steht die zentrale Idee, dass Kompetenz zu Leistung fuhrt. Damit konkurriert sie mit anderen Konzepten, die auf ihre Art erklaren, wie Leistung entsteht: •

Die Personlichkeitspsychologie wiirde Leistung iiber stabile, gar angeborene Personlichkeitseigenschaften erklaren. Demgegeniiber ist Kompetenz zwar in die Personlichkeit eingebunden, aber trainierbar und veranderbar.

•

Der das Verhalten analysierende Behaviorismus wiirde behaupten, dass aufiere Einfliisse bestimmte Reaktionen und Wirkungen erzeugen, wahrend Kompetenz von innen, von der Person kommt.

•

Situationistische Ansatze wiederum betrachten die aufieren Bedingungen als entscheidend dafiir, welche Ergebnisse herauskommen: RoUen und Strukturen sind bestimmend, nicht das Individuum. Beim Kompetenzansatz ist die Situation von untergeordneter Bedeutung.

Kompetenz steht quasi zwischen Personlichkeitsmerkmalen und Verhalten, da sie in der Person verankert ist, aber sich erst im Verhalten manifestiert. Zwar zeigen sich letztlich alle intemen Merkmale erst im Verhalten, im Kompetenzansatz wird aber be-

166

KompetenzmodeUe und die Subjektivieruns von Arbeit

sonderen Wert auf das Verhaltnis von Oberflachenverhalten und zugrunde liegender Kompetenz gelegt. Diese Zwischenstellung zwischen Eigenschaften und Verhalten ist fxir ein tieferes Verstandnis von Kompetenzmodellen von Bedeutung, wie im weiteren Verlauf dieses Beitrags deutlich wird.

1.2.2

Kompetenz statt Intelligenz: die psychologische Forschungslinie

Als die „Vater" der KompetenzmodeUe konnen Richard Boyatzis sowie Lyle und Signe Spencer bezeichnet werden. Sowohl Boyatzis, Psychologe und Professor fiir organizational behavior, als auch Spencer und Spencer sind eng mit der Untemehmensberatung Hay/McBer verbunden. Alle drei stellten in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts aus eigenen und aus sekundar analysierten Studien Kompetenzlisten fiir verschiedene Berufe und Funktionen zusammen, in erster Linie fiir Fiihrungstatigkeiten. Der Beginn dieser Forschungsrichtung ist jedoch noch frliher anzusetzen, namlich 1973, als David McClelland (der „Gro6vater" der Kompetenzforschung), der vor allem durch seine Studien zur Leistungsmotivation bekannt geworden ist, dafiir pladierte, abzukehren vom Testen grundlegender Intelligenzfaktoren und stattdessen kriterienrelevante und tdtigkeitsbezogene Fdhigkeiten zu erfassen - eben die „Kompetenzen". In seinem einflussreichen Aufsatz „Testing for Competence rather than for ,Intelligence'" leitete er mit diesem Vorschlag einen kleinen Paradigmenwechsel in der Personalbeurteilung ein. Wahrend Intelligenz oder andere Testeigenschaften wenig Bezug zu Erfolg im Leben und Leistung am spateren Arbeitsplatz haben, so die Argumentation, soUen Kompetenzen in direkter Beziehung zur Leistung am Arbeitsplatz (oder zu anderen Erfolgsfaktoren) stehen, derm sie werden aus dem kriterienrelevanten Verhalten selbst abgeleitet. „If you want to know, how well a person can drive a car (the criterion), sample his ability to do so by giving him a driver's test" (McClelland 1973, S. 7). McClelland favorisiert mithin die Arbeitsprobe als Verfahren zur Identifikation von Eignung. In der Eignungsdiagnostik wird diese Form der Beurteilung als Induktionsschluss bezeichnet: Man schliefit aus dem moglichst tatigkeitsrelevanten Verhalten im Test auf das Verhalten, das der zu Beurteilende am Arbeitsplatz zeigen wird (vgl. Rastetter 1996, S. 85). Nach McClellands Vorschlag wiirde man bei der Auswahl eines Fahrers also den Bewerber einen Fahrtest absolvieren lassen. Anders beim Analogieschluss: Hier wird aus dem Testverhalten auf bestimmte Personlichkeitseigenschaften und -merkmale geschlossen, die wiederum fiir die Arbeitstatigkeit als notwendig betrachtet werden. Um beim gleichen Beispiel zu bleiben: Der Bewerber wiirde einen Aufmerksamkeitstest oder einen Reaktionstest machen, der auf Reaktionsschnelligkeit oder Aufmerksamkeitsspannen schliefien lasst, die wiederum zum Autofahren gebraucht werden. Beide Vorgehensweisen werden in der Eignungsdiagnostik neben-

167

Daniela Rastetter

einander bzw. in Mischformen praktiziert. So behauptet man vom Assessment Center geme, seine Starke liege in der tatigkeitsbezogenen Konstruktion der Ubungen, letztlich werden aber haufig Personenmerkmale wie Teamfahigkeit oder Sozialkompetenz beurteilt (z,B. Kompa 1990). Auch die Kompetenzermittlung steht, wie noch zu zeigen sein wird, zwischen tatigkeits- und personenbezogenen Verfahren, was sich logisch aus der Positionierung von Kompetenzen zwischen Personlichkeitseigenschaften und Verhalten ergibt. McClellands Paradigmenwechsel wurde also nicht so radikal umgesetzt wie er urspriinglich gedacht war. McClelland setzte sich dafur ein, dass Kompetenzen einen klaren Bezug zu Ergebnissen aufweisen und Komplexitat moglichst lebensnah abbilden (McClelland 1973). Beurteilungen soUen dadurch einerseits weniger anfallig fur Verfalschungen und andererseits weniger diskriminierend gegeniiber Minoritaten werden. Denn wahrend Intelligenztests oder Personlichkeitsinventare die Person mit einer fiktiven Durchschnittsperson vergleichen, soUen Kompetenzmodelle von den konkreten Anforderungen in der Organisation ausgehen und die Person mit jemandem vergleichen, der diese Anforderungen besonders gut erfiillt. Schulwissen, soziale Herkunft oder Bildungshintergrund spielen eine untergeordnete RoUe, nicht zuletzt weil Kompetenzen im Gegensatz zu stabilen Eigenschaften jederzeit entwickelt werden konnen. Wahrend McClellands Ansatz noch ein unspezifisches Pladoyer gegen die traditionelle Intelligenzmessung als Grundlage zur Beurteilung beruflicher Leistung darstellt, konzentrierten sich die daran anschlielienden Untersuchungen auf Personen in fuhrenden Positionen, insbesondere durch die umfangreichen Studien der Hay/McBer Unternehmensberatung. Vom Ziel der Diskriminierungsfreiheit ist nun nicht mehr die Rede, dafiir steht die exzellente Leistung im Mittelpunkt. Nach Boyatzis' Definition - die er von Klemp (1980) iibemommen hat - ist eine Kompetenz „an underlying characteristic of a person which results in effective and/or superior performance in a job" (Boyatzis 1982, S. 20; siehe auch Boyatzis 1993). Mit der „underlying characteristic" ist zweierlei gemeint. Zum einen, dass der Besitz einer Kompetenz nicht unbedingt bewusst sein muss, zum anderen, dass sie nicht mit Verhalten zu verwechseln ist. Verhalten gilt als die Manifestation einer Kompetenz im Kontext der Anforderungen eines Arbeitsplatzes und einer organisationalen Umgebung. Dieser Aspekt wird von vielen Anwendern unterschlagen, die Kompetenz als beobachtbares Verhalten betrachten und dementsprechend messen, eine Fehlentwicklung, die Boyatzis selbst in einem Interview beklagt (Yeung 1996). Ihm ist daran gelegen, die Intention und die Effektivitat eines Verhaltens zu ergriinden, um daraus eine Kompetenz abzuleiten. Freilich entsteht damit ein Messproblem. Letztlich kann man nur beobachtbares Verhalten „messen" und muss daraus auf nicht beobachtbare Absichten oder Kompetenzen schliefien. Die Unterscheidung zwischen intemen Merkmalen und Verhalten tragt aber dazu bei, nicht vorschnell vom Verhalten innere Eigenschaften abzuleiten, sondern die Folgen des Verhaltens zu betrachten, u m vielleicht noch nicht bekannte Kompetenzen zu entdecken. Es soil zudem vermieden

168

Kompetenzmodelle und die Subjektivieruns von Arbeit

werden, simple Eigenschaftseinschatzungen vorzunehmen („ist der Kandidat zielstrebig?"), wie es in Personalbeurteilungen oder Einstellungsinterviews nicht selten der Fall ist. Ausgangspunkt eines Kompetenzmodells ist deshalb die Erfassung des leistungsrelevanten Verhaltens, das von Arbeitskontext zu Arbeitskontext verschieden sein kann. Daflir sind sog. Kompetenzstudien durchzuftihren, die im nachsten Abschnitt dargestellt werden. Da diese jedoch praxisorientiert und nicht theoriegeleitet vonstatten gehen, bleibt letztlich die Frage der Vermittlung zwischen Kompetenz und Performanz ungelost und ftihrt nicht selten dazu, dass Kompetenzmodelle aus langen Verhaltenslisten bestehen. Manchmal wird gezeigtes Verhalten als Kompetenz bezeichnet, manchmal das Potenzial oder das prinzipielle Konnen. Diese Unscharfe tragt bis heute zu Klarungsversuchen bei, was der Kompetenzbegriff eigentlich bedeutet (vgl. Cheng et al. 2002).

1.2.3

Ablauf von Kompetenzstudien

Wie wird ein Kompetenzmodell entwickelt? Abbildung 1 zeigt, dass der Ablauf einer Systematik folgt, die zum Ziel hat, Anforderungen in einem Arbeitsbereich zu bestimmen. Dazu miissen zunachst Kriterien guter Leistung festgelegt werden: Was soil herauskommen? In der Kegel kann nicht auf objektive Leistungsmafie wie Verkaufszahlen zuriickgegriffen werden, sondern lediglich auf Leistungseinschatzungen, z.B. anhand von Vorgesetztenurteilen (McClelland 1998, S. 333; siehe auch Sieben 2001, S. 157). Mit Hilfe dieser Kriterien werden Personen mit iiberdurchschnittlichen (obere 5-10 %) und durchschnittlichen Leistungen (nachste 11-25 %) identifiziert und jeweils in Gruppen zusammengestellt. Dieser Schritt ist bereits voraussetzungsvoU: Man tut so, als gabe es eindeutig identifizierbare Top Performers. Leistungen sind jedoch Konstrukte, die von der jeweiligen Organisation festgesetzt werden und sich auch andern konnen. Das Kernsttick des Verfahrens bilden u.a. Befragungen mittels des „Behavioral-EventInterview", einer halbstrukturierten Tiefenbefragung, die von Flanagans Methode der kritischen Ereignisse ausgeht (Flanagan 1954). Dabei soUen die Stelleninhaber Episoden beschreiben, die erfolgsrelevantes Verhalten zeigen. Die Auswertung der Interviews und anderer Erhebungsmethoden wie Beobachtungen ergibt personenbezogene Anforderungen am Arbeitsplatz oder innerhalb der ausgeiibten Funktion und mundet in ein Kompetenzmodell.

169

Daniela Rastetter

Abb. 1:

Designing Competency Studies (nach Spencer/Spencer 1993, S. 95)

DEFINE Performance Effectiveness Criteria

• • • • •

Hard data: sales, profits, productivity measures Supervisor nominations Peer ratings Subordinate ratings (e.g. managerial styles, morale) Customer ratings

IDENTIFY Criterion Sample

Superior performers Average performers

Collect Data

Behavioral Event Interviews

Panels

Surveys 360° Ratings

Expert System Data Base

Observation

r IDENTIFY

• Job Tasks • Job Competency Requirements

Elements of job person has to perform Characteristics of people who do the job well: „Competency Model'"

^r Validate Competency Model

^f Applications

170

Behavioral Event Interviews ^ Tests r Assessment Center ratings

Second criterion sample

Selection Training Professional development Performance appraisal Succession planning Evaluation of training, professional development programs

Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit

Die Validierung geschieht an einem zweiten Sample und mit weiteren Verfahren. 1st das Modell fertig, lasst sich daraus eine Reihe verschiedener Anwendungen ableiten, etwa fiir die Personalauswahl, fiir Training und Entwicklung, fiir Personalbeurteilung, Nachfolgeplanung oder BildungscontroUing. Abbildung 2 zeigt in typischer Weise die Multifunktionalitat von Kompetenzmodellen (Bratton 1998, S. 17). Daraus entwickelte sich das heutige „competence-based management" (z.B. Sanchez/Heene 2000) und das spezifischere „competence-based human resource management" (z.B. Dubois/Rothwell 2004; Dubois/Rothwell 2000; Rodriguez 2002), das alle Aufgaben des HRM abdeckt.

Abb. 2:

Anwendungen eines Kompetenzmodells (nach Bratton 1998, S. 17)

Kompetenzmodelle sind in ihrer Reinform stets Zusammenstellungen der fiir Spitzenleister charakteristischen Merkmale. Ublicherweise werden drei bis sechs Cluster entwickelt, die jeweils zwei bis fiinf - manchmal auch mehr - thematisch miteinander verbundene Kompetenzen enthalten. Obligatorisch wird jede Kompetenz erlautert und mit Verhaltensindikatoren versehen (Spencer/Spencer 1993, S. 16). Spencer und Spencer prasentierten 1993 basierend auf einer Metaanalyse von 286 Studien ein allgemeines Modell mit 21 Kompetenzen, die in sechs Cluster eingeteilt sind (s. Tab. 1), z.B. „achievement and action", oder „helping and human service" (ebd., S. 25 ff.). Die Verhaltensindikatoren spezifizieren die Auspragung der Kompetenz. Betrachten wir das Cluster

171

Daniela Rastetter

„personal effectiveness": Die erste Kompetenzdimension lautet „self-control" und wird beschrieben als "enables a person to maintain performance under stressful or hostile conditions" (ebd., S. 79). Die Verhaltensbeispiele werden auf einer Skala von -1 bis 6 eingeteilt. -1 ist „loses control": Der Betreffende zeigt Gefiihle in unangemessener Weise, Gefiihle storen seine Arbeitsleistung. Dieses Verhalten ist unerwiinscht. In den mittleren Bereich wird er eingestuft, wenn er negative Gefuhle kontroUieren, aber nicht bearbeiten kann. Bei den hochsten Stufen 5 und 6 werden sogar die Quellen negativer Gefiihle ausgeschaltet und er karm selbst andere beruhigen. Dieses aktive konstruktive Vorgehen gilt als das beste.

Tab. 1:

Kompetenzmodell nach Spencer/Spencer (1993, S. 25 ff.), eigene Zusammenstellung

ACHIEVEMENT AND ACTION • Achievement Orientation is a concern for working well or for competing against a standard of excellence [...] • Concern for Order, Quality, and Accuracy [...] reflects an underlying drive to reduce uncertainty in the surrounding environment [...] • Initiative [...] is a preference for taking action [...] • Information Seeking [Is] a desire to know more about things, people, or Issues [...] HELPING AND HUMAN SERVICE • Interpersonal Understanding [...] is the ability to hear accurately and understand the unspoken or partly expressed thoughts, feelings, and concern of others [...] • Customer Service Orientation [...] means focussing efforts on discovering and meeting the customer or client's needs [...] THE IMPACT AND INFLUENCE CLUSTER • Impact and Influence [...] expresses an intention to persuade, convince, influence, or impress others, in order to get them to support the speaker's agenda [...] • Organizational Awareness [...] refers to the individual's ability to understand the power relationships in his or her own organization or in other organizations [...] and at the higher levels, the position of the organization in the larger world. [...] • Relationship Building [...] is working to build or maintain friendly, warm relationships or networks of contacts with people who are, or might some day be, useful in achieving work-related goals. [...] MANAGERIAL • Developing Others is a special version of impact and influence, in which the intent is to teach or to foster the development of one or several people [...] • Directiveness: Assertiveness and use of positional power [...] expresses the individual's intent to make others comply with his or her wishes [...] • Team Work and Cooperation [...] implies a genuine Intention to work cooperatively with others, be part of a team [...] • Team Leadership [...] is the intention to take a role as a leader of a team or other group [...]

172

Kompetenzmodelle

und die Subjektivierung

von Arbeit

COGNITIVE • Analytical Thinking [...] is understanding a situation by breaking it apart into smaller pieces [...] • Conceptual Thinking [...] is understanding a situation or problem by putting the pieces together, seeing the large picture. [...] • Technical/Professional/Managerial Expertise [...] includes both the body of jobrelated knowledge [...], and also the motivation to expand, use, and distribute workrelated knowledge to others [...] PERSONAL EFFECTIVENESS •

Self-Control enables a person to maintain performance under stressful or hostile conditions. [...]

•

Self-Confidence [...] is a person's belief in his or her own capability to accomplish a task. This includes the person's expressing confidence in dealing with increasingly challenging circumstances, in reaching decisions or forming opinions, and in handling failures constructively. [...]

•

Flexibility [...] is the ability to adapt to and work effectively with a variety of situations, individuals, or groups. [...]

•

Organizational Commitment [...] is the individual's ability and willingness to align his or her own behaviour with the needs, priorities, and goals of the organization, to act in ways that promote organizational goals or meet organizational needs.

Neben diesem allgemeinen Kompetenzmodell, dem „dictionary'', das vor allem als Kodierhilfe bei der Durchfiihrung eigener Kompetenzstudien dienen soil, wurden „generic competency models'' fiir bestimmte Berufsgruppen erstellt (Spencer/Spencer 1993, S. 157). Mittlerweile stehen neben dem „dictionary" von Spencer und Spencer auch andere sog. „competency menues" zur Verfiigung, aus denen sich die jeweilige Organisation ihr eigenes Modell zusammenbauen kann (Dubois/Rothwell 2004, S. 29 f.). Zwar sind Kompetenzmodelle vor allem im anglo-amerikanischen Raum verbreitet (vgl. auch Lawler 1994; Sandberg 1994; LangdonAVhiteside 2004; Lucia/Lepsinger 1999; Hellriegel 2002; Rausch 2002; Dainty et al. 2005), aber auch in deutschen Unternehmen zu finden (z.B. bei Siemens, vgl. Sanne 2004). Dargestellt werden sie geme in pragnanter Gestalt wie Kreisen, Dreiecken und Radern (vgl. z.B. RothwellAVellins 2004). Zur Illustration drei Beispiele: M Nortel (s. Abb. 3) prasentiert ein Drei-Cluster-Modell in Form eines Puzzles, das symbolhaft zeigt, dass erst die Einzelteile zusammen das Ganze ergeben (Morris 1996). Das Modell existiert auch als holzemes Puzzle, das alien aktiv beteiligten Mitarbeitern als Geschenk iiberreicht wird. •

Djelic und Gutsatz (2000, S. 85) entwerfen fiir Manager in der Luxusgiiterindustrie ein einfaches Modell aus fiinf Kategorien, denen insgesamt 50 Kompetenzen zugeordnet sind. 14 davon weichen vom Kompetenzmodell von Spencer und Spencer so weit ab, dass sie als spezifisch fiir die Luxusgiiterbranche betrachtet werden (s. Tab. 2).

173

Daniela Rastetter

Das Siemens-Kompetenzmodell fiir Fiihrungskrafte (Sanne 2004, S. 162) enthalt neben Kenntnissen und Erfahrungen 17 Fahigkeiten, z.B. Initiative, Teamfahigkeit und Einfiihlungsvermogen, die in vier Cluster eingeteilt sind: Drive, Focus, Impact, Guide.

Abb. 3:

Kompetenzmodell von Nortel (Morris 1998, S. 41)

«»

1 n* 1 •«*« o m

HR Competencies

BNR0I =1

wis/'' XJR^

-1

1

Ji

-^

1

"5 c o

m

i"

€0 Ik*

/

Bultding Business PartnersNps

\

en i n 1 ^

Business Impact V

V

Es ist jedoch nicht gesagt, dass hinter jedem in der Praxis existierenden Modell die oben skizzierte aufwandige Methode der Kompetenzermittlung steht. Wie das Modell zustande gekommen ist, ware in jedem Einzelfall zu priifen. Es kann ebenso Ergebnis eines kurzen Expertenworkshops wie umfangreicher Interviews mit Stelleninhabem sein. Bei Siemens entstand es beispielsweise als Destillat einer Benchmarkstudie, Managerworkshops in mehreren Landem und Behavioral-Event-Interviews mit erfolgreichen Fiihrungskraften. ijblicherweise beziehen sich Kompetenzmodelle weniger auf einzelne Arbeitsplatze als vielmehr auf Funktionsbiindel oder ubergreifende Arbeitsbereiche (vgl. Schippmann et al. 2000; Nybo 2004). Grund dafur ist die Annahme, dass der diskrete isolierte Arbeitsplatz, der eine genau definierte Anzahl von Anforderungen beinhaltet, der Vergangenheit angehort bzw. haufiger als friiher Gefahr lauft, wegrationalisiert zu werden. In Zukunft werden immer mehr Tatigkeiten in wechselnden Teams oder als

174

Kompetenzmodelie

und die Subjektivierung

von Arbeit

flexible Einsatze an verschiedenen Arbeitsplatzen stattflnden. Man konnte sich also vorstellen, dass das Unternehmen das Kompetenzprofll eines jeden Mitarbeiters gespeichert hatte und daraufliin geeignete Projektgruppen zusammenstellt. Wer Kompetenzen einer Gruppenleiterin aufwiese, wiirde diese RoUe zugewiesen bekommen, wahrend der kompetente Verkaufsspezialist die Aufgabe erhielte, die in der Gruppe entwickelten Ideen intern zu „verkaufen". Denkbar ist auch, dass Aufgaben auf die Talente der Arbeitnehmer zugeschnitten wer den, ahnlich wie es Ansatze zur „Individualisierung der Arbeit" formulieren (z.B. Rollinghoff 1996). Dubois und Rothwell sprechen demgemafi von „Personalisierung" statt „Sozialisierung" am Arbeitsplatz: „... we would build a job to fit the person's talents ..." (Dubois/Rothwell 2004, S. 244). Dementsprechend sieht es Siemens als „gemeinsame Aufgabe von Unternehmen und Mitarbeiter, diejenigen Aufgaben und Positionen herauszufinden, in denen die Fiihrungskrafte die individuell vorhandenen Fahigkeiten optimal zur Geltung bringen konnen" (Sanne 2004, S. 166). Drive, Focus, Impact und Guide werden nicht als stabile Personlichkeitsdispositionen verstanden, sondern als „personbezogene Leistungsvoraussetzungen und Potenzialfaktoren fiir die Bewaltigung von Fiihrungsaufgaben" (ebd., S. 165).

Tab. 2:

Luxury brand Management Competencies (nach Djelic/Gutsatz 2000, S. 86)

Attitude Toward Others • Managing differences • Generate involvement by setting an example Attitude Toward the Environment • Sense of proximity • Sensitivity to weak signals • Spiral perception of time • Linear perception of time • Aesthetic sensitivity • To absorb - to immerse oneself into a given situation Attitude Toward Goals and Action •

Do it orientation

Attitude Toward Problem Solving • Holistic vision of situations • Intuition Self construction • Acceptance of ambiguity or uncertainty • Freedom of mind • Breaking norms and rules

175

Daniela Rastetter

1.3

Kompetenzmodelle im Human Resource Management

1.3.1

Personale und organisationale Kompetenzen

Rekapitulieren wir nochmals: Kompetenzen sind 11 in der Person verankert, jedoch trainierbar, •

ursachlich fiir bestimmte Verhaltensweisen, die wiederum Leistungen bedingen,

•

dadurch charakterisiert, dass sie in Beziehung zu feststellbaren Leistungsunterschieden stehen und gute von sehr guten Leistungstragem differenzieren.

Es scheint eine durchaus vemiinftige Idee zu sein, an dem anzusetzen, was die Menschen konkret tun und leisten und nicht abstrakte Personenmerkmale zu verwenden, die nur Fachleute mit Sinn fiillen. Auch der Gedanke, exzellente Arbeitskrafte als Vorbilder fiir Entwicklungsprogramme zu verwenden, wirkt iiberzeugend. Kompetenzmodelle stehen jedoch vor dem Dilemma zwischen Generalisierung und Spezialisierung, d.h. zu allgemeine Modelle - „one size fits all" nach Mansfield (1996) lassen sich nicht konkret anwenden und spezifische Modelle haben einen eingeengten Anwendungsbereich. So gibt es in einem Extrem Modelle, die nur fur den Trainingsbedarf eingesetzt werden, und im anderen Extrem Modelle, die als Grundlage fiir den gesamten Wandel der Organisation dienen soUen. Diese Gruppe wird geme im Zusammenhang mit dem beriihmten Aufsatz von Prahalad und Hamel (1990) genannt, die ein strategisches Konzept sog. Kernkompetenzen (core competencies) entwickelten, durch die Produkte, Prozesse und HRM miteinander verbunden werden. Obwohl die Autoren mit den core competencies weniger an individuelle Merkmale oder Verhaltensweisen als vielmehr an untemehmensweite strategische Wettbewerbsvorteile dachten, war dieser Ansatz ein weiterer Grund fiir die Entstehung des aktuellen „Kompetenzmarktes", in dem haufig - nicht ganz korrekt - von Kernkompetenzen die Rede ist, wenn besonders zentrale und fur alle Beschaftigte geltende Fahigkeiten gemeint sind. In der aktuellen Literatur findet man nicht selten eine Durchmischung von Kompetenzkonzepten, beispielsweise im von Sanchez und Heene herausgegebenen Band „Research in Competence-Based Management" (2000). Neben Beitragen, die Unternehmensstrategien und spezifische Starken von Untemehmen zum Thema haben, also nach Prahalad und Hamel argumentieren, stehen Beitrage, die gemalS Spencer und Spencer bzw. Boyatzis vorgehen, z.B. Djelic und Gutsatz (2000) oder Lau et al. (2000). Um Missverstandnissen vorzubeugen, scheint es jedoch ratsam, die Unterschiede zwischen core competencies und individuellen Kompetenzen klar zu machen. Die einen driicken die strategischen Starken eines Untemehmens aus, die keinesfalls ausgelagert werden soUten, die anderen die Charakteristiken besonders erfolgreicher Arbeitskrafte. Core competencies bewegen sich auf der Makroebene, die Analyseeinheit ist

176

Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit

das Unternehmen, die Methode die Organisationsentwicklung. Individuelle Kompetenzen bewegen sich auf der Mikroebene, die Analyseeinheit ist das Individuum und die Methode die Personal- und Fiihrungsentwicklung (vgl. Tweed/McGregor 2000, S. 290). Im Hinblick auf ihre Forschungstradition gehoren die individuellen Kompetenzen eher zur Psychologie, die Kernkompetenzen zur Okonomie. Auch wenn gerne das Personal als grofiter Wettbewerbsfaktor des Unternehmens bezeichnet wird und im Kernkompetenzansatz HR-Funktionen mit anderen Unternehmensstrategien verkniipft werden, sollten aufgrund der konzeptionellen Unterschiede die beiden Kompetenzkonstrukte (individuelle versus organisationale Kompetenzen) nicht vermengt werden. Die Analyseeinheit „Mensch" unterscheidet sich nun einmal erheblich von der Analyseeinheit „Unternehnnen''. Der Gebrauch von Kompetenzmodellen ist in Deutschland noch uniibersichtlicher als in den USA. Neben firmeninternen Modellen nach dem Vorbild von Spencer und Spencer gibt es weitere, davon abweichende Ansatze, von denen das Forschungsprojekt QUEM (Qualifikationsentwicklungs-Management) am bekanntesten sein diirfte, das Studien zur Kompetenzentwicklung durchfiihrt (z.B. Erpenbeck/Rosenstiel 2003). Aus diesen resultiert das „Kasseler-Kompetenz-Raster", das eine Art von allgemeinem Kompetenzmodell darstellt, selbst wenn es nicht so genannt wird (z.B. Kauffeld et al. 2003). Auch zwischen US-amerikanischen und britischen Kompetenzmodellen bestehen Unterschiede (Cheng et al. 2002). Trotz aller Differenzen lasst sich folgender kleinster gemeinsamer Nenner deutscher, britischer und amerikanischer Kompetenzansatze festhalten: •

Die Identifizierung von Kompetenzen geschieht moglichst nah an oder mit den Betroffenen.

•

Kompetenzen weisen eine explizite Beziehung zu Leistung auf.

•

Sie sind Grundlage fiir verschiedene Human-Resource-Mafinahmen und -Verfahren.

Insgesamt ist zu beobachten, dass die Resonanz auf die Identifizierung individueller Kompetenzen in der Praxis wesentlich grofier war als in der wissenschaftlichen Forschung. Bin Grund dafiir liegt sicherlich darin, dass die Vater der Kompetenzforschung von Anfang an ihr Konzept auf dem Beratungsmarkt einsetzten und die Verbindung zur Wissenschaft weniger ausgepragt war. Bin besonders marktstarker Ableger der Kompetenzforschung ist Daniel Golemans (1997) Konzept der emotionalen Intelligenz, die eigentlich eine emotionale Kompetenz ist. Er kniipft an Kompetenzmodelle nach Spencer und Spencer an, bedient sich aber recht locker daraus und wurde fiir sein unsystematisches Vorgehen vielfach kritisiert (vgl. Sieben 2001).

177

I

Daniela Rastetter

1 • 3.2

Kompetenzbasiertes Personalwesen

Wahrend der deutsche Ausdruck „kompetenzbasiertes Personalwesen" wenig gelaufig ist, weist „ competence-based human resource management" (CB-HRM) im anglo-amerikanischen Raum eine langere Tradition auf, was nicht bedeutet, dass es von der Mehrzahl der Untemehmen praktiziert wird. Einen guten Einblick gibt das gleichnamige Buch von Dubois und Rothwell (2004), in dem samtliche HR-Funktionen auf der Grundlage von Kompetenzmodellen behandelt werden. Um die wesentlichen Unterschiede zum traditionellen HRM zu skizzieren, werden in der nachfolgenden Tabelle Ausziige aus einer Ubersicht dieser Autoren vorgestellt.

Tab. 3:

Traditionelles versus kompetenzbasiertes HRM (in Anlehnung an Dubois/Rothwell 2004, S. 11 f.) tradltiotieilesHllli

KcHUp^emdN^^rlis HEM

Grundlagen

Arbeitsanalyse und Stellenbeschreibungen sind Grundlage fur Auswahl, Training, Entlohnung, Beurteilung.

Identifizierung, Zusammenstellung und Beurteilung von Kompetenzen sind Grundlage fur das HRM.

Rolle der Individuen

Individuen werden einzelne Aufgaben ubertragen, fur die sie verantwortlich sind.

Talent wird genutzt: Unterschiede zwischen Individuen fuhren dazu, dass herausragende Leistungstrager produktiver sind als nur erfolgreiche Leistungstrager.

Rolle des HRM

Sichert die Erfullung gesetzlicher Regein und betriebllcher Vorgaben.

Tragt zum unternehmerischen Wettbewerbsvorteil bei, indem mogiichst viele herausragende Arbeitskrafte ausgewahit und gefordert werden.

Personalplanung

Auf „K6pfe zahlen" und Kosten konzentriert. Planungen beruhen auf Zahlen der Vergangenheit. Benutzt quantitative Methoden.

Auf Talente konzentriert. Planungen sind auf die Zukunft gerichtet. Benutzt qualitative Planungsmethoden.

Personalauswahl

Die ubiichen internen und externen Quellen werden verwendet. Kandidaten sollen die in den Arbeitsplatzbeschreibungen ausgewiesenen Qualifikationen haben.

Beweise fur herausragende Leistungen in der Vergangenheit werden als Quellen genutzt. Die Auswahl basiert auf der Fahigkeit, Ergebnisse zu produzleren. Talente der Bewerber werden mit dem Kompetenzmodell verglichen, das die Merkmale der guten und herausragenden Leistungstrager enthalt.

Die Liste voUstandig zu iibemehmen ist nicht notig, um zu erkennen, dass manche Unterschiede zwischen traditionellem HRM und CB-HRM konstruiert werden, die es so nicht gibt. Nicht erst seit CB-HRM muss sich die Personalplanung auf Wandel und schrumpfende Belegschaften einstellen. Personalauswahl mittels situationalem Inter-

178

Kompetenzmodelle und die Subjektivieruns von Arbeit

view, in dem nach erfolgreichen Episoden des Bewerbers an friiheren Arbeitsplatzen gefragt wird, existiert ebenfalls seit geraumer Zeit (vgl. Rastetter 1999). Und das HRM ist langst aus einem randstandigen Verwaltungsdasein der Personalabteilung herausgetreten und nimmt in vielen Unternehmensansatzen wie dem „strategischen Personalmanagemenf' eine zentrale Position ein (z.B. Staehle 1990). Umgekehrt wird auch in Zukunft ein wichtiger Teil des HRM aus arbeitsrechtlichen Aspekten bestehen, denn das AUtagsgeschaft beinhaltet nun einmal die Verwaltung von Arbeitsvertragen und Personalakten. Kaum kaschiert wird das eigentliche Ziel des CB-HRM, namlich die Rationalisierung von Arbeit. Dies formulieren Dubois und Rothwell an anderer Stelle deutlicher: „If it were possible to get all employees up to the level of exemplars (the so-called best-inclass workers), then an organization might be able to get the same work out with far fewer people'' (Dubois/Rothwell 2004, S. 241). Der logische Fehler, dass nicht alle Arbeiter gleichzeitig die Besten sein konnen, scheint ihnen nicht aufzufallen. Wenn auch das kompetenzbasierte Personalwesen manche alten HRM-Konzepte in neuer Verpackung darbietet, so sticht doch ein Unterschied zu herkommlichen Ansatzen ins Auge: die starke Betonung der herausragenden Arheitskrdfte, der Talente, der Spitzenleister oder wie immer jene genannt werden, die als die Besten ihrer Gruppe gelten. Der Mensch scheint wieder im Mittelpunkt zu stehen, allerdings nur der Leistungsstarke. Die RoUe des Menschen wird im zweiten Teil dieses Beitrags beleuchtet, nachdem im Folgenden Kompetenzmodelle als solche bewertet wurden.

1.4

Bewertung von Kompetenzmodellen

1.4.1

Versprechungen

Kompetenzmodelle waren nicht so popular, wenn sie nicht spezifische Starken und Vorteile versprechen wiirden. In diesem Abschnitt werden die Versprechungen aufgezahlt, wahrend im nachfolgenden Abschnitt gezeigt wird, dass einige davon hochst fragwiirdig sind. 1. Als eine grofie Starke von Kompetenzen wird genannt, dass sie mit Hilfe der Verhaltensindikatoren bestimmbar und messbar seien, z.B. durch Interviews oder 360Grad-Feedbacks. Das heifit auch, dass sie praktisch von jedem zu erfassen sind, nicht nur von Eignungsdiagnostikern oder Wissenschaftlern. 2. Kompetenzen konnen trainiert und verbessert werden. Boyatzis hat nach eigenen Aussagen in 20 Jahren Beschaftigung mit Kompetenzmodellen keine einzige Kompetenz gefunden, die nicht veranderbar ware (Yeung 1996). 3. Dadurch, dass Kompetenzen eher allgemein als spezifisch sind, gelten sie fiir viele Situationen und Funktionen im Unternehmen und sind Basis fiir eine ganze Reihe

179

Daniela Rastetter

von Aufgaben wie Selektion, Training oder Entlohnung, also hochst okonomisch einsetzbar. 4. Kompetenzmodelle soUen einfach und iiberschaubar aufgebaut sein. Nortel weist beispielsweise nur drei, Siemens vier Cluster auf. Komplizierte Zusammenhange wie Riickkopplungsschleifen oder Wechselwirkungen entfallen. Im Siemens-Kompetenzmodell ist es ein explizites Ziel, „einfache, klar verstandliche Standards fiir exzellente Fuhrung" zu entwickeln (Sanne 2004, S. 164). 5. Damit steigt die „face validity". Wer konnte etwas dagegen einwenden, dass Kommunikationsfahigkeit oder Kundenorientierung (beides Fahigkeiten im SiemensModell) wichtige Merkmale von Spitzenkraften sind? Die Akzeptanz diirfte bei den Betroffenen hoher sein als hinsichtlich abstrakterer Eignungsmerkmale. Seit langem ist bekannt, dass Beurteilungs- und Auswahlverfahren umso besser akzeptiert werden, je naher sie an der Arbeitstatigkeit liegen (z.B. Rastetter 1996, S. 304 f.). 6. Es wird eine einheitliche Sprache geschaffen: Jedem soil klar sein, was unter „Selbstvertrauen" zu verstehen ist, weil Verhaltensindikatoren konkrete Inhaltsbestimmungen liefem. Dadurch, dass Kompetenzen gemeinsam mit den Stelleninhabem entwickelt werden, soUen Sprache und Geist der Organisation getroffen werden. Deshalb wird gerne betont, dass ein Kompetenzmodell die Unternehmenskultur der jeweiligen Organisation widerspiegelt (z.B. Dubois/Rothwell 2004, S. 244). 7. Im Gegensatz zu vielen anderen Beurteilungen soil beim Kompetenzansatz mit offenen Karten gespielt werden, damit die beurteilte Person weifi, was von ihr verlangt wird. Bei Siemens lautet deshalb ein Ziel des Kompetenzmodells „Steigerung der Transparenz der individuellen Fiihrungsleistung" (Sanne 2004, S. 164). 8. Aus der Transparenz erhofft man sich eine positive Aufienwirkung: Exteme Kunden, Bewerber, Geschaftspartner - soUen erfahren, welche Kompetenzen im Untemehmen gefragt sind, und ihre eigenen Entscheidungen danach ausrichten. 9. Mit Hilfe ihrer breiten Anwendbarkeit korrespondieren Kompetenzen mit Veranderimgen in Unternehmen. Wahrend die Stellenbeschreibung schnell veraltet und spezifisch auf einen Arbeitsplatz zugeschnitten ist, soUen Kompetenzen vielfaltig einsetzbar und so veranderungsfahig wie das gesamte Untemehmen sein. Als erstes Zwischenfazit ist festzuhalten: Kompetenzmodelle sind eingangig. Ihr enger Bezug zu konkreten Tatigkeiten und Aufgaben erhoht die Akzeptanz bei den Nutzem. Was intuitiv Sinn macht, wird dann auch als wahr und gerecht betrachtet. Gerne wird deshalb iibersehen, dass der Ansatz eine Reihe von Mdngeln aufweist.

180

Kompetenzmodelle und die Subjektivieruns von Arbeit

1.4.2

Probleme

Einige Probleme wie die Gefahr der Ubergeneralisierung von Schliisselkompetenzen wurden bereits angesprochen. Wegen der schnellen Veranderungen und der zu grofien Arbeitsplatzspezifitat werden technische und funktionale Kompetenzen haufig aus den Modellen ausgeklammert und sehr breite Merkmale wie soziale oder methodische Kompetenzen favorisiert, damit das teuer entwickelte Modell mehrere Jahre halt. Weitere Probleme wurden zum Teil von Spencer/Spencer und Boyatzis selbst formuliert, zum Teil spater entdeckt (vgl. dazu auch Sieben 2001, S. 157 f.): 1. Bezugspunkt der Kompetenzermittlung ist die vergangene Leistung, da jene Stelleninhaber als Informanten dienen, die in der Vergangenheit Spitzenleistungen gezeigt haben (dieses Manko sah auch McClelland 1998, S. 333). Fiir zukiinftige Leistung ist diese Beziehung fraglich. Manche Unternehmen behelfen sich damit, dass sie Experten Visionen entwickeln lassen, aber wer weijS, ob diese Experten in Zukunft noch Experten sein werden und ob sich ihre Visionen bewahrheiten. 2. Die Kausalitatsrichtung konnte auch umgekehrt sein (vgl. Barrett/Depinet 1991, S. 1020): Nicht bestimmte Merkmale fiihren zu Erfolg, sondern Erfolg fordert bestimmte Merkmale. Ist Selbstvertrauen Ursache oder Wirkung von Erfolg? Grofiere Langsschnittstudien wurden meines Wissens bislang nicht durchgefiihrt. 3. Der grofie Vorteil der Kompetenzmodelle, die kriterienbezogene Ableitung, schrumpft, wenn die beschriebenen Episoden nicht reprasentativ fiir die Tatigkeit sind, wenn also die Inhaltsvaliditat fragwiirdig ist. Ein Beispiel dafiir ist der Fahrtest, den McClelland als ideale Grundlage zur Beurteilung der Fahigkeit zum Autofahren bezeichnet, obwohl er laut verschiedener Studien die Unfallhaufigkeit einer Person nicht vorhersagt (Barrett/Depinet 1991, S. 1020). Die Autoren zitieren einige Studien, die demgegeniiber einen Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitstests oder sogar Intelligenztests und Unfallhaufigkeit festgestellt haben. 4. Wenn bei der Entwicklung eines Modells nur die 5 bis 10 % Spitzenkrafte sowie die nachsten 11 bis 25 % untersucht werden, spielen mindestens 65 % der Stelleninhaber, also weit mehr als die Halfte, keine RoUe. Jedoch kdnnten ihre Kompetenzen indirekt zum Erfolg der Superstars beitragen, indem sie Routinetatigkeiten iibernehmen oder den Stars zuarbeiten (vgl. Cascio 1991, S. 208). Und wer weifi, ob die „Durchschnittlichen'' nicht etwas aufweisen, das sie in Zukunft zu Spitzenleistern macht? 5. Die Ableitung von Personenmerkmalen aus Verhaltensbeschreibungen ist ein Problem, das generell bei Merkmalsanalysen entsteht und auch auf die Auswertung des Behavioral-Event-Interviews zutrifft, bei dem u.a. unbewusste Motive oder Gefiihle erfragt werden (vgl. Hogan 1991, S. 899). Analogieschliisse soUten zwar bei diesem Verfahren nicht im Vordergrund sein, aber es besteht dennoch die Gefahr, dass die ermittelten Kompetenzen eher wissenschaftliche Merkmalsmodelle als erfolgsrelevante Charakteristiken der Person widerspiegeln.

181

I

Daniela Rastetter

Verfahrensimmanente Mangel sind mithin erheblich, fuhrten aber nicht zu einem generellen Misstrauen gegeniiber Kompetenzmodellen, sondem bestenfalls zu deren Weiterentwicklung und Verfeinerung (du Gay et al. 1996, S. 277). Die beschriebenen Schwachen lassen sich dadurch jedoch nicht beseitigen, sondem hochstens kaschieren. Der Verdacht liegt nahe, dass Kompetenzmodelle weitere oder andere Funktionen erfiillen als die exakte Wiedergabe erforderlicher Kompetenzen zur AufgabenerfuUung. Bei naherer Betrachtung folgen Kompetenzmodelle klassischen epistemologischen Traditionen. Sie sind objektivistisch, denn es gibt in ihnen eine Realitat, die bestimmte Anforderungen enthalt, eine Aufienwelt, die untersucht werden kann. Sie sind rationalistisch: Kompetenzen sind identifizierbar und diskret, denn sie konnen auf einer Skala von -6 bis 6 gemessen werden. Sie sind personalistisch: Kompetenzen sind im Menschen zumindest iiber eine gewisse Zeit stabil vorhanden und unterscheiden einen Menschen vom anderen. Schliefilich sind sie dualistisch: Person und Welt sind getrennte Entitaten, es gibt die Aufgabe und den Arbeiter, der sie erfiillt oder nicht. Womoglich sind Kompetenzmodelle gerade deshalb so popular, weil sie herkommlichen Denkschemata wie dem Eigenschaftsansatz und der dualistischen Weltsicht entsprechen. Das Neue an ihnen ist jedoch die prominente Stellung des Subjekts. Ein kritischer Ansatz der Arbeitswissenschaften beleuchtet genau diese herausragende (neue) RoUe des Subjekts im Arbeitskontext: die „Subjektivierung von Arbeit". Er sieht das Subjekt nicht nur als Trager und Entwickler von Eigenschaften oder Kompetenzen, sondem als Ziel- und Ausgangspunkt der Verwertung subjektiver Ressourcen durch die Organisation und damit in einer neuen, teils freiwillig teils unfreiwillig aktiven Funktion.

Kompetenzmodelle als Form der Subjektivierung von Arbeit 2.1

Subjektivierung von Arbeit

Moldaschl (2002, siehe auch 2003a) proklamiert eine neue Entwicklungsstufe der Arbeitswissenschaften mit Beginn der neunziger Jahre: die subjektwissenschaftliche Stufe. Ohne an dieser Stelle die soziologischen und philosophischen Wurzeln der Begriffe Subjekt und Subjektivitat zu erklaren, soil nach Kleemann et al. (2003, S. 61) unter Subjektivitat ein Produkt der Verbindung zwischen Person und Gesellschaft verstanden werden, das die Person in ihrer sozialen Umwelt positioniert. Subjektivitat wird nicht allein sozial erzeugt, sondem hat aktive Herstellungs-Leistungen der

182

KompetenzmodeUe und die Subjektivierung von Arbeit

Person zur Grundlage. Alte soziologische und philosophische Fragen nach der Autonomie des Subjekts sowie den Moglichkeiten und Grenzen unseres freien Willens tauchen deshalb im Paradigma der Subjektivierung der Arbeit wieder auf. In unserem Zusammenhang bedeutet Subjektivierung, dass „historisch konkrete subjektive - also individuell je verschiedenartige - Leistungen bzw. Handlungen gesellschaftlich zunehmend funktional werden'' (Kleemann et al. 2003, S. 61). Im Arbeitskontext finden wir eine Intensivierung von Subjektivitat involvierenden Wechselverhaltnissen zwischen Person und Betrieb, zum einen, indem Personen von sich aus mehr subjektive Anspriiche an die Arbeit stellen (eine sinnvolle Tatigkeit, Selbstverwirklichung, Anerkennung), zum anderen, indem die Arbeit immer mehr Subjektivitat von den Individuen verlangt. Ein Beispiel ware Intuition, die im Sinne eines gefiihlsmafiigen Handelns lange verpont wurde, weil sie als nicht-rationales Entscheidungsverhalten gait (Schanz 1997). Gefiihle wurden der Privatsphare zugewiesen und am Arbeitsplatz als storend betrachtet. Heute berufen sich Manager ohne Scheu auf ihre Intuition, die in Weiterbildungsprogrammen trainiert wird. Intuition wurde zur Managementkompetenz (ebd.). Dabei ist jedoch nicht, wie Managementdiskurse geme nahe legen, von einer Deckungsgleichheit zwischen Person und Betrieb auszugehen, sond e m im Gegenteil von einer Kampfzone, auf der um Moglichkeiten und Grenzen der Nutzung subjektiver Ressourcen gerungen wird. Derm die betriebliche Nutzung der Subjektivitat kann nur dann gelingen, wenn diese im Sinn der Organisation eingesetzt wird. Selbstbeherrschung und Selbstkontrolle, quasi die Intemalisierung externer Kontrollsysteme und Herrschaftsmechanismen, sind deshalb zentrale Elemente der Subjektivierung von Arbeit, die ohne selbstregulierende Kapazitaten der Beschaftigten nicht auskommen. Mit welchen Strategien und „Verfahren" eine solche Mobilisierung der subjektiven Kapazitaten unternommen wird, sind zentrale Fragen bei der Erforschung dieses Paradigmas. Wahrend friihere Paradigmen der Objektivierung die Organisation vom subjektiven Faktor unabhangig machen wollten, soil Subjektivierung die individuellen Potenziale freisetzen (Moldaschl 2003a, S. 31). Objektivierung heifit: Berechenbarkeit, Biirokratie, Ausschluss der Subjektivitat, Fremdkontrolle, kalkulierte Anreizsysteme. Subjektivierung besteht dagegen darin, die lange missachteten subjektiven Potenziale zu aktivieren und das ganze Subjekt mit seinen nur ihm eigenen Wahrnehmungen und Zielsetzungen zu involvieren. Das bedeutet, dass Riicksicht auf die Wiinsche und Ziele der Arbeitnehmer genommen wird (werden muss) und dass man sich Gedanken um Motivation und Commitment macht. Nur wer nicht fremdgesteuert arbeitet, wird seine Intuition fiir betrieblich optimale Entscheidungen nutzen. Zur Subjektivierung gehoren deshalb auch quasi-unternehmerische kontraktuelle Elemente zwischen Arbeitskraft und Organisation, da gleichsam der Arbeitnehmer als Geschaftspartner der Organisation betrachtet wird und nicht als eingekaufte funktionsfahige Arbeitskraft (Moldaschl 2003a, S. 32).

183

Daniela Rastetter

Modeme Leitfiguren wie das untemehmerische Subjekt, der Arbeitskraftuntemehmer, der Intrapreneur oder zumindest der Arbeitnehmer mit „entrepreneurial spirit", die aus anderen arbeitssoziologischen Ansatzen stammen (z.B. von Voli/Pongratz 1998; Pinchot 1988), bieten Anschliisse an die Subjektivierung der Arbeit. Das untemehmerische Selbst, das Brockling (2000, S. 133) unter Riickgriff auf den Begriff der „Gouvemementalitat" von Michel Foucault untersucht, hat Marktmechanismen so weit intemalisiert, dass es eigenverantwortlich nach Marktgesetzen handelt und keine Anweisungen mehr braucht bzw. sich selbst anweist. Es ist deshalb ein Prototyp subjektivierter Arbeit. Die zunehmende Bedeutung von subjektiven Potenzialen und Leistungen im Arbeitsprozess ist Chance und Zwang zugleich: Subjektivitat kann verstarkt in die Arbeit eingebracht werden, sie muss aber auch verstarkt eingebracht werden, um den Anforderungen standzuhalten (MoldaschWofi 2003, S. 16). Dienst nach Vorschrift reicht nicht raehr, um gute Beurteilungen zu erhalten. Wer sich nicht aktiv beteiligt und eigene Ideen entwickelt, wird nicht zu den Spitzenkraften zahlen. Somit ist Subjektivitat eine wertvoUe Ressource, die angezapft und verwertet wird, die sich aber auch diesem Ansinnen sperren kann. Derm der Eigen-Sinn des Menschen wird niemals auch durch noch so gute Motivationsprogramme oder Sinngebungsverfahren voUstandig zu lenken sein, wenn er gleichzeitig eigenstandig arbeiten soil. Dieser Aspekt von vermehrter Freiheit und zugleich verstarktem Zwang soil einen Kontrapunkt gegen jene Ansatze bieten, die vor allem den positiven Aspekt der Subjektivierung im Sinne einer Humanisierung der Arbeit sehen (wollen). In vereinfachender Weise wird dort Subjektivierung als Gewinn fur Arbeitnehmer gesehen, nach der simplen Formel: wer mehr eigene Ideen einbringen kann, ist selbstbestimmter und zufriedener. Dagegen wird von Vertretem der Subjektivierungsdebatte (neben Moldaschl u.a. Vofi, Bohle und Matuschek) argumentiert, dass weniger KontroUe auch weniger Sicherheit, dass verstarkte Eigenverantwortung auch verstarkten Druck, mehr Untemehmertum mehr Konkurrenz nach sich Ziehen (MoldaschWofi 2003, S. 35 f.). Sie folgen damit der Tradition Foucaults, der Subjektivierung als eine Form der Macht betrachtete, die „aus Individuen Subjekte macht" (1987, S. 246), und das Subjekt ist, wie der lateinische Name sagt, gleichzeitig das Unterworfene und das seiner Identitat Verhaftete (ebd., S. 246 f.). Macht durch Subjektivierung beruht auf der Einflussnahme auf die Subjektivitat und auf dem Selbstverstandnis der Individuen, indem ihnen ein bestimmter Subjektentwurf als Ideal und erstrebenswertes Modell vorgesetzt wird. Der „Untemehmer im Untemehmen" kann zwar mehr eigene Potenziale nutzen als der klassische Angestellte, er kann sich aber nicht der Norm des Intrapreneurs entziehen, zumal diese ihm nicht iibergestiilpt, sondem verlockend angeboten wird. Der wachsende Stellenwert von Subjektivitat ist mit dem Riickgang von vorstrukturierten Situationen verbunden. Die post-tayloristische Arbeitsorganisation erfordert neue Strategien der Arbeitskraftnutzung, die auf eine starkere Eigenstrukturierung der Arbeit und mehr Autonomie der Arbeitenden hinauslauft, freilich unter der Pramisse

184

Kompetenzmodelie und die Subjektivierung von Arbeit

des okonomistischen Funktionalismus, nicht einer humanistischen Erweiterung der Handlungsspielraume. KontroUe der Arbeit ist durch Gewahrung erweiterter Autonomien zu erzielen, bei gleichzeitig steigenden Leistungsanforderungen. Der erweiterte Zugriff auf bislang kaum systematisch genutzte Potenziale der Arbeitskraft wie Kreativitat, Sozial- und Kommunikationskompetenzen, Begeisterungsfahigkeit, Intuition etc. wird von manchen Autoren als totaler Zugriff auf die gesamte Person interpretiert (z.B. Vofi 1994). Kritisch sei hier angemerkt, dass die Identifikation eines radikal neuen Paradigmas der Arbeitswissenschaften (Moldaschl 2003a, S. 30) m.E. nicht gerechtfertigt ist. Es stimmt wohl, dass Subjektivitat heute als Ressource anerkannt wird, wahrend sie friiher nur Storfaktor war, jedoch: Das letztendliche Ziel jeder Profit-Organisation ist und bleibt die KontroUe und Berechenbarkeit der Subjektivitat (die Moldaschl als Modi der Objektivierung bezeichnet), derm um Profit der Organisation zurechenbar und verlasslich zu erwirtschaften, braucht es Planung und Kalkulation. Der subjektive Faktor ist im Transformationsproblem bereits enthalten: Arbeitskraft wird eingekauft, die Organisation bekommt aber den ganzen Menschen mit seinen subjektiven Anteilen wie Trotz, Lustlosigkeit, Miidigkeit, aber auch Kreativitat, unendliche Leistungsbereitschaft (iiber die Entlohnung hinaus) und Ideenreichtum. Das will spezifisch kontrolliert, hervorgebracht und gefordert werden. Es ist wohl der mangelnden organisationstheoretischen Rahmung geschuldet, wenn Subjektivierung als etwas vollig Neues in Organisationen betrachtet wird. Stellt man Objektivierung und Subjektivierung in einen organisationalen Rahmen, weisen sie zwar die von Moldaschl beschriebenen unterschiedlichen Logiken auf (Organisierung und Standardisierung versus Okonomisieren und Individualisieren), beide sind aber Organisationslogiken, wie auch die Herrschafts- und die Verwertungslogik in Organisationen nebeneinander existieren, sich teilweise widersprechen, aber auch ineinander greifen (z.B. Neuberger 1995, S. 44 ff.). Deshalb kommt Bohle (2003) in seiner Analyse subjektivierender Arbeit zum Schluss, dass die Freisetzung von Subjektivitat die Objektivierung selbstgesteuerten Arbeitshandelns nach sich zieht, um die Arbeit planbar und kontroUierbar zu machen. Das Subjekt ist in den neuen Arbeitsformen jedoch wesentlich mehr involviert als friiher. Es muss (und will) aktiv mitmachen. Subjektivierung wirkt, wie Foucault sagt, iiber das sprechende Subjekt, nicht iiber die stumme Anpassung. Durch Selbstinspektion, Selbst-Bewusstsein und , self-monitoring' bewertet es sich selbst und verandert sich, seine Geftihle und sein Verhalten nach Mafigabe der Leitbilder. Das Subjekt ist nicht nur Wissensobjekt, sondern es wird auch dazu gebracht, sich selbst zu beobachten, zu analysieren, zu entziffern, als einen Bereich moglichen Wissens anzuerkennen (Foucault 1987, S. 246 ff.). Dabei hilft ihm eine Flut an Ratgebern, Schulungs- und Therapieangeboten, durch die er sich selbst besser versteht und verandern kann. In welchem Umfang, in welchen Formen, mit welchen Konsequenzen fiir welche Beschaftigtengruppen findet Subjektivierung statt: Das sind fiir Moldaschl (2003a, S. 50) zentrale Fragen arbeitswissenschaftlicher Forschung. Als eine Form der Subjekti-

185

I

Daniela Rastetter

vierung konnen Kompetenzmodelle identifiziert werden, wie nun nachgewiesen werden soil.

2.2

Subjektivierende Wirkungen von Kompetenzmodellen

2.2.1

Nutzung von Subjektivitat durch Kompetenzmodelle

Der Mensch bringt, wie ausgefiihrt wurde, in die Organisation ein Potenzial mit, das auf der einen Seite hochst niitzlich und notwendig fiir die Schaffung von Mehrwert ist, auf der anderen Seite aber amorph oder gar gefahrlich ist: die subjektiven Ressourcen. Sie sind keine Dinge oder Objekte, die sich wie eine Maschine fassen liefien, und sie konnen sich sogar gegen die Organisation wenden, wie Fluten von Studien iiber Sabotage, Mobbing, innere Kiindigung oder Auswirkungen von Arger und Stress zeigen. Entfalten sich die subjektiven Ressourcen aber im Sinne der Untemehmensziele, vermogen sie mehr als jede Technik. „People are our biggest asset", lautet der typische Personalwesendiskurs des Spatkapitalismus. Die grofie Herausforderung des HRM besteht darin, die subjektiven Ressourcen in den Griff zu bekommen, ihre negativen Seiten zu kontroUieren und gleichzeitig die produktiven Potenziale zu entfalten. Mit Kompetenzmodellen hat das HRM nun eine neue Waffe zur Beherrschung und Nutzung der subjektiven Ressourcen in der Hand, eine Waffe, die sich aber nicht als solche prasentiert, sondem als attraktives Angebot, das dem Einzelnen etwas Ntitzliches bringt. Obwohl sich die aktuellen Subjektivierungsforscher zum Teil deutlich von Foucault abgrenzen (z.B. Moldaschl 2003b), hilft dessen Vorgehen bei der Analyse von Kompetenzmodellen als Subjektivierungsmodus. Denn Foucault analysierte in erster Linie die Verfahren, durch die Subjektivierung geschieht und ihre Machtwirkungen entfaltet. Kompetenzstudien und die daraus entwickelten Kompetenzmodelle soUen im Folgenden als Verfahren zur Nutzung von Subjektivitat betrachtet werden. Machtwirkungen kommen gemafi Foucault jenseits von etablierten Herrschaftsverhaltnissen in alltaglichen Routinen, Technologien und Verfahren zu Tage. Sie produzieren kein souveranes Subjekt, sondem ein in den jeweils historisch-gesellschaftlichen Verhaltnissen verankertes und „fabriziertes" Subjekt. Ein Subjekt, das gezwungen ist, sich Kompetenzen anzueignen, und gleichzeitig die Chance erhalt, dadurch kompetenter zu werden und seine Subjektivitat starker in die Arbeit hineinzutragen. Der Zwang zur Kompetenzerweiterung ist mithin - der oben skizzierten Dialektik folgend - nicht nur negativ zu sehen. Kompetenzentwicklung soil die Menschen befahigen, sich gegen Vereinnahmung und Funktionalisierung zu behaupten (Kleemann et al. 2003, S. 101). Auf diesen Gedanken komme ich spater zuriick.

186

Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit

Eine erste Verbindung zu Kompetenzen stellen unbeabsichtigt die Subjektivierungswissenschaftler Kleemann et al. (2003) selbst her, indem sie darauf hinweisen, dass infolge von Subjektivierung metafachliche Kompetenzen - sie verwenden diesen Begriff, ohne ihn zu definieren - gegeniiber fachlichen Qualifikationen an Bedeutung gewinnen. Standige Aktualisierungen erworbener Kompetenzen sind gefordert (ebd., S. 97). Sie nennen: Selbstlernkompetenzen, Individualkompetenzen, Alltagskompetenz und Planungskompetenz. Ein weiteres Beispiel dafiir, wie der Begriff Kompetenz in die Sprache wandert mit der Pramisse, alle wiirden dasselbe darunter verstehen und eine Definition sei nicht mehr notwendig. Inwiefern wirken Kompetenzmodelle „subjektivierend'7

1. Das Selbst im

Mittelpunkt

Das „missing link" zwischen Subjektivierung und Kompetenz ist das Selbst. Die „bluhende Semantik des Selbst'' (Moldaschl 2003a, S. 37) driickt sich aus in Forderungen wie Selbststeuerung, Selbstverantwortung, Selbstorganisation, Selbstfiihrung, Selbstunternehmertum, Selbstverpflichtung etc. als positiv besetzte Leitmetaphem. Unter dem Stichwort „Selbstmanagement'' findet man seit Mitte der 90er Jahre eine Flut von Biichern, mit Titeln wie: Der Aufschwung beginnt bei mir. Die Marke ICH, Eigenlob stimmt. Handle derm es kiisst Dich niemand wach ... Im Mittelpunkt steht das Ich, das aktiv werden muss, das nicht auf einen Marchenprinzen hoffen darf, sondem sich selbst sein Konigreich schafft. Der Unternehmer seiner selbst checkt sein Unternehmen, also sich selbst, danach ab, ob alle Telle gut funktionieren und welches Teil gefordert oder eliminiert werden muss (Brockling 2000, S. 159). Arbeit an sich und training for the job fallen zusammen. Das Kompetenzparadigma bedeutet die Neuerschaffung der Arbeitskraft mit der Betonung auf dem Selbst. Schliefilich kann jemand nicht kompetent gemacht werden, sondern nur sich selbst kompetent machen. Kochanski schreibt in der Einleitung zum Themenband „Competencies'' der Zeitschrift „Human Resource Management": „It may be that managerial guts and employee self-responsibility, are the competencies that make competencies effective "(Kochanski 1996, S. 6). Selbstverantwortung als Meta-Kompetenz, um iiberhaupt seine Kompetenzen erkennen zu konnen. Im Zentrum des Kompetenzmodells von Djelic und Gutsatz (2000) steht „self construction" (siehe Abb. 4). Darunter verstehen sie Ambiguitatstoleranz, Denkfreiheit und das Brechen von Normen und Regeln. Das klingt emanzipatorisch. Letztendlich soUen die kompetenten Manager aber mit diesen Fahigkeiten Markttrends in der Luxusgiiterindustrie erahnen, kreative Vermarktungsideen entwickeln und nicht am Althergebrachten festhalten. Nutzt der Manager seine Denkfreiheit in diesem Sinne, profitiert der Betrieb in einer Weise, die mit Handlungsanleitungen und Druck nicht mdglich gewesen ware.

187

Daniela Rastetter

Abb. 4:

Five Main Categories of Competencies (Djelic/Gutsatz 2000, S. 85)

Attitude toward others

Attitude toward the environment

Self construction

Attitude toward goals and action

Attitude toward problem solving

2. Ein neuer Sozialcharakter Im Kompetenzdiskurs wird ein bestimmter Typ verlangt: initiativ, empowered, autonom, selbstregulierend. Er hegt und pflegt sein eigenes Humankapital, um seine employability zu erhalten. Er ist sich bewusst, dass seine aktuelle Arbeitsstatte morgen wegrationalisiert sein kann und er dann nur noch seine individuellen Ressourcen einschliefilich seiner Kompetenzen besitzt. Wer nichts daraus macht, ist selbst schuld. Richard Boyatzis verwendet im Interview 1996 viermal den Ausdruck „helfen": „helping people explore and determine where they are, where they want to go, and then develop their own plan". Das Human Resource Management schreibt nicht vor, es schlagt vor. Es hat weniger die RoUe einer Instanz, die personalwirtschaftliche Angelegenheiten verwaltet, als vielmehr die RoUe eines Therapeuten, der den miindigen Klienten bei der Personlichkeitsentwicklung unterstiitzt. Letztlich ist dieser aber selbst verantwortlich dafiir, was aus ihm wird. Auch Dubois und Rothwell (2004, S. 13) sehen den Unterschied zum traditionellen HRM darin, dass das CB-HRM durch Feedback den Individuen hilft, ihre Kompetenzen zu entdecken und sich in Richtung herausragender Leistungen zu entwickeln. Subjektivierung bringt mithin einen neuen Sozialcharakter hervor (vgl. Moldaschl 2003a, S. 50), dessen Beschaffenheit aber (noch) nicht feststeht. Er konnte in Richtung eines bindungslosen Opportunisten gehen, wie ihn Sermett (1998) identifiziert, da er als Untemehmer seiner selbst im Konkurrenzkampf mit alien anderen steht und hochstens strategische AUianzen eingeht. Sein Sozialkapital setzt er genauso okonomisch sinnvoU ein wie sein Humankapital. Vielleicht ist er aber auch ein angepasster Individualist, wie er in Becks Individualisierungsthese beschrieben wird (Beck 1994). Angepasst deshalb, weil er sich den koUektiven Leitmodellen nicht entziehen kann und

188

KompetenzmodeUe und die Subjektivieruns von Arbeit

nicht entziehen will. Tiirk sprach schon 1993 von einer „Organisationskompetenz", die Arbeitskrafte haben miissen, um die Spielregeln, die Sitten und Gebrauche, die Sprache und die Eigenheiten einer Organisation zu verstehen und sich in ihr effektiv zu bewegen. Diese Anforderung hat sich zu einer allgemeinen „Arbeitskraftkompetenz" weiterentwickelt, die darin besteht, zu erkennen, welcher Typ gefragt ist und was man tun muss, um zu einem solchen zu werden. Wer hier in jungen Jahren scheitert, verpasst leicht den Anschluss. Migranten oder andere Minderheiten scheinen besonders durch solche „Inkompetenz" gefahrdet zu sein. Nicht ausgeschlossen ist jedoch auch ein Sozialcharakter, der neue Solidarisierungen unter den auf sich selbst zuriickgeworfenen Individuen eingeht, denen die Organisation als Lebensabschnittsarbeitsstelle nicht mehr genug Identifikationsmoglichkeiten bietet. Vielleicht ist man gerade wegen der Auflosung betrieblicher Sicherungssysteme auf soziale Netzwerke angewiesen, die auf Vertrauen basieren (obwohl auch dieser Wert bereits zur betrieblichen Ressource wurde).

3.

Selbsterkenntnisse

Subjektivierung geschieht durch Selbsterkenntnisse: Foucault betrachtete die christliche Beichte als Modellfall fiir Bestrebungen, den Blick ins Innere des Subjekts zu richten, auf das, was es denkt und empfindet. Heute, so Foucault (1987), wird das Seelenheil der Individuen im Diesseits statt im Jenseits in Aussicht gestellt, indem individuelle Gestandnisse, wie er es nennt, also Aussagen uber sich, iiber subjektive Gedanken und Gefiihle, gedeutet werden, und zwar anhand der Kategorien des herrschenden Diskurses. Im Siemens-Kompetenzmodell gibt es eine Selbst- und Fremdeinschatzung der Leistung durch den Leitenden Angestellten und dessen Fiihrungskraft, und im anschliefienden „EFA-Dialog" (Entwicklung, Forderung, Anerkennung) zwischen beiden werden „ Selbst- und Fremdbild durchgesprochen und eine gemeinsam getragene Einschatzung erarbeitet" (Sanne 2004, S. 163). Das Selbstbild ist nicht mehr privat, sondem muss geaufiert und mit dem Bild des anderen abgeglichen werden. In den Interviews zur Kompetenzermittlung werden bei Spencer und Spencer neben Verhaltensweisen auch Gedanken und Gefiihle ermittelt. Die Autoren geben Beispiele (1993, S. 128): Wenn der Interviewte sagt: „Everyone was attacking me ../', soil der Interviewer fragen: „How did you feel at that point?" Das Human Resource Management lockt im Behavioral-Event-Interview oder in Prtifungen wie dem Einstellungsinterview nicht nur Gestandnisse hervor, sondern erklart auch deren „Be-Deutung". Denn die Erzahlungen werden in Kompetenzen iiberfiihrt. Dazu passt die zentrale RoUe von Self Assessments in Kompetenzmodellen. Im Selbsteinschatzungsbogen von Scott (1998, S. 42) muss der Beschaftigte zur Kompetenz „insight and judgment" u.a. beurteilen, ob er nur „ shares appropriate information with the right people in a timely manner" - das ware „basic" -, oder ob er „maintains awareness of and effectively uses the culture and politics of the organization" - das ware „advanced". Und nicht nur das, er muss auch ankreuzen, welches Mafi an Kompetenz er sich fur die Zukunft

189

I

Daniela Rastetter

wiinscht. Es wird ihm also eine generelle Organisationskompetenz unterstellt, mit der er solche Einschatzungen iiberhaupt tatigen kann, und gleichzeitig wird sie ihm aufgezwungen, da er sich dem self assessment kaum bzw. nur um den Preis, als inkompetent zu gelten, entziehen kann. Das Gegenstuck zur Selbsterkenntnis, die hier zum Gestdndniszwang wird, ist die Enteignung impliziten Wissens. In der Kegel werden Interviews mit Stelleninhabem durchgefiihrt, die Gedanken und Einstellungen der Befragten explizit machen sollen, um daraus relevante Kompetenzen abzuleiten. Dies ist keine problemlose Prozedur, wie Spencer und Spencer (1993) zeigen. Sie geben dem Interviewer Tipps, wie er mit einem Interviewpartner umgehen soil, der aufgrund seiner Introspektion emotional aufgewuhlt ist. Der Interviewer soil in diesem Fall den Befragten beruhigen und dann zum Weiterreden bewegen. Personengebundenes Wissen wird abstrahiert, dokumentiert und dem Untemehmen zur Verfiigung gestellt. Es kann dieses Wissen einsetzen, um mehr Profit zu machen, einerseits weil der Arbeitnehmer dadurch besser zu kontroUieren ist, da seine Gedanken und Gefiihle bekannter als vorher sind, andererseits, weil das Wissen fur alle vervielfaltigt werden kann. 4. Entwicklung Subjektivierung geschieht durch Entwicklung. Moldaschl (2003a) spricht von der Prozeduralisierung neuer Arbeitsformen: Personal- und Organisationsentwicklung, organisationales Lemen, Wandel, change management etc. stehen hoch im Kurs. Die Verfliissigung organisatorischer Strukturen und Regeln fiihrt zu neuen Deutungen des Althergebrachten und zu standigen Umstrukturierungen. Wer nicht fiir den Wandel ist, gilt als Bremser, Sand im Getriebe, ewig Gestriger, der zu Veranderungswiderstand neigt. Damit einher geht die „Beraterisierung", bei der extern eingekauftes Wissen interpretiert und integriert wird (Moldaschl 2003a, S. 40). Entwicklung ist wie oben ausgefiihrt auch ein Hauptpfeiler im Kompetenzkonstrukt. Bei Siemens-Nixdorf soil sich jeder Angestellte als Consultant fur das Untemehmen betrachten, der spezifisches Wissen, Erfahrung und Kompetenzen einbringt. Die RoUe des Subjekts wird erhoht, ja es wird geradezu idealisiert, derm das kompetente Subjekt stellt den virtuellen Endpunkt einer linearen Entwicklung dar, an dem es allem anderen im Untemehmen iiberlegen ist. Der Endpunkt ist freilich niemals erreichbar, ein „stretch goal", derm man kann immer mehr Kompetenzen erlangen und ist niemals damit fertig. Das Trainingsangebot ist verlockend im doppelten Sinn: Es verheifit dem Arbeitnehmer eine bemfliche Weiterentwicklung mit verbesserten Aufstiegschancen und zugleich eine personliche Weiterentwicklung. Damit wird die Chance erhoht, dass er sich willig den Trainings unterzieht und in erwiinschter Richtung entwickelt. Das Angebot der Entwicklung ist aber gleichzeitig ein Zwang zur Entwicklung: Morris (1996) formuliert als Prinzip der freien Wahl: „Although use of these particular tools is

I 190

Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit

optional, development of competencies and skills is not optional/' Man kann zwar das konkrete Trainingsangebot ablehnen, aber man muss sich weiterentwickeln. Da dies kaum ohne die Tools des Unternehmens geht, gibt es doch keine freie Wahl. Die Botschaft an die Betroffenen lautet, an sich zu arbeiten und Fortschritte immer wieder iiberpriifen zu lassen. Nicht umsonst wird nur das leistungsmafiig obere Drittel der Arbeitskrafte als Orientierungsgrofie verwendet, sodass von vornherein klar ist, wie weit die meisten vom Ideal entfernt sind. Geme wird zur Uberpriifung der Fortschritte das 360-Grad-Feedback verwendet, bei dem der Einzelne von alien Seiten in alien Situationen anonym beurteilt wird.

5. Das kompetente

Subjekt

Subjektivitat meint den ganzen Menschen mit all seinen auch „extrafunktionalen Qualifikationen''. Mit Kompetenzen konnen diese subjektiven Ressourcen mit abgedeckt werden, ohne dass sie aus dem Kernbereich herausfallen, wie dies sonst schon sprachlich der Fall ist („extrafunktionar', „soft vs. hard skills"). Auf gleicher Ebene mit fachlichen oder technischen Kompetenzen stehen soziale, emotionale oder Selbstkompetenzen. Damit bleibt kaum mehr ein Bereich des Menschen frei von Kompetenzen, die ausdriicken, wie gut jemand darin ist. Friiher war ein Gefiihl ein Gefiihl, heute gibt es - siehe die Literatur zur emotionalen Intelligenz - „toxic emotions", die moglichst ausgemerzt gehoren, und perfekte Emotionen, die zu Erfolg fiihren (Goleman 1997). „Einfuhlungsvermogen" wird de-finiert. Es darf nicht Mitleid oder Hilfsbereitschaft beinhalten, sondern bedeutet im Siemens-Modell „Mitarbeiter fordern, Potenziale entwickeln und Besetzungen mit Sorgfalt vornehmen" (Sanne 2004, S. 166). Gefiihlsmanagement gehort zum kompetenten Subjekt dazu. Das kompetent gemachte und sich kompetent machende Subjekt ist am Zustandekommen der Machtwirkung, die es betrifft, heteiligt, indem es Wissen iiber sich sammelt und selbststandig an sich arbeitet, um sich dem Ideal anzunahern. Im doppelten Sinn von Subjektivierung, namlich Subjektwerdung und Unterwerfung, gibt es kein Entrinnen aus dem Prototyp des kompetenten Mitarbeiters. Die Arbeitnehmer miissen sich kompetent machen, um weiter im Spiel zu bleiben. Kompetenzentwicklung kann zwar fiir den Einzelnen ein Gewinn an Fahigkeiten und Konnen bedeuten, aber gleichzeitig den Zwang, diese Fahigkeiten auch im Unternehmensinteresse einzusetzen. Alles andere wiirde entweder zu Nachschulungen oder zur Trennung vom Unternehmen fiihren. Dass die Betroffenen mit Nachdruck dazu gebracht werden miissen, Kompetenzmodelle anzunehmen, wird nur in manchen Nebensatzen deutlich. Morris, die das Kompetenzmodell von Nortel darstellt, spricht beispielsweise von einer „pervasive fear in the function that the model would be used to assess and downsize the organization" (1996, S. 41). Als Heilmittel dient ihr eine simple Formel, in der Angst von Motivation und Know-how hinsichtlich Competency Development iibertrumpft wird: M x KH > F, mit M = Motivation to use the tools, KFl = Know how to use the

191

Daniela Rastetter

tools, und F = Fear. Fine Angst, die nicht ganz unberechtigt ist, schreibt doch Kochanski: „... competencies remain a means to improve performance without adding people or other significant cost" (Kochanski 1996, S. 3). Ist das Kompetenzmodell erst einmal entwickelt, miissen sich alle so verhalten, wie es vorgeschrieben ist. Nicht einmal Fiihrungskrafte, die sich friiher auf ihre idiosynkratische Art zu handeln oder ihr undefinierbares Charisma berufen konnten, sind ausgenommen. Das „Machtnetz" - ein Begriff von Foucault - legt sich gleichermafien iiber alle. Das geht bis zu Kleidungsvorschriften wie in folgendem Verhaltensindikator: „They dress in a fashion considered desirable and attractive in their surroundings" (Boyatzis 1982, S. 85). Will sich jemand anders verhalten oder glaubt, auf andere Weise erfolgreich zu sein, ist das nicht erlaubt. Durch Introspektion kann jeder stets priifen, wie weit er vom Ideal entfemt ist. Das Subjekt macht sich selbst zur Ressource und wird zur Ware. In dieser Perspektive werden die in Abschnitt 1.4.1 genannten Versprechen hohl: Transparenz bedeutet nicht Fortschritt, sondem erhohte Sichtbarkeit jedes Einzelnen, die zu verscharften Kontrollen fiihrt; Trainierbarkeit nicht Hoffnung auf mehr Konnen, sondem Druck zu standiger Anpassung; Messbarkeit nicht Effizienz, sondern Verwandlung von Individualitat in Zahlen und Werte; Verstandlichkeit bedeutet nicht die Uberwindung eines psychologischen Geheimwissens, das Herrschaft auf die ahnungslosen Testsubjekte ausiibt, sondem im Gegenteil bewirkt sie, dass sich nun jeder auch noch selbst prufen und Kompetenzliicken selbsttatig schliefien muss.

2.2,2

Nutzung von Kompetenzen durch die Subjekte

Die Dialektik der Subjektivierung bringt es mit sich, dass der Gewinn fiir die Subjekte selbst durchaus iiber die Anerkennung von Organisationsseite hinausgehen mag, ja sogar in einer Sperrung gegen den „totalen Zugriff" der Organisation liegen kann. Denkbar sind zwei Varianten: Die Subjekte entwickeln andere Kompetenzen als vom Unternehmen erwiinscht, oder sie nutzen die erworbenen Kompetenzen fiir sich und ihr Weiterkommen, was eine unerwiinschte Nebenwirkung fiir das Untemehmen sein kann (nicht unbedingt sein muss). Ein Beispiel fur die erste Variante ist Lufthansa, als der Vorstandsvorsitzende Jiirgen Weber nach dem Tarifkonflikt im Jahr 2001 heftigst die „Selbst GmbH" kritisierte, immerhin ein von fiihrenden Mitarbeitem des Hauses entwickeltes Konzept. Die Selbst-GmbH wurde zu selbststandig, sie nutzte ihre Erkenntnisse fiir eigene Zwecke. Das Subjekt, das sich dem Kompetenzmodell unterwirft, wird gleichzeitig selbst machtvoU und kompetent zur „Inkompetenz" (in betrieblichem Sinne). Dieser Aspekt wird von Subjektivierungsforschern vemachlassigt, wohl um die oben zitierte Managementideologie einer Humanisiemng durch Subjektiviemng zu vermeiden, ist aber trotzdem relevant, wie auch Holtgrewe (2003, S. 229) in ihrer Studie zur subjekti-

192

Kompetenzmodelle und die Subjektivieruns von Arbeit

vierten Arbeit im Dienstleistungssektor feststellt: „... der voraussetzungsvoUe Kampf darum, die intersubjektiven M5glichkeiten von Dienst und Leistung zu entfalten, eroffnet neue Moglichkeiten des Handelns, Gestaltens und des Reflektierens/' Interessanterweise bezeichnet sie die Chancen der Nutzung von Spielraumen als Kompetenzen. Unter welchen Bedingungen welche Kompetenzen entwickelt oder blockiert werden, muss in weiteren Studien untersucht werden. Zweifellos wird den Subjekten auf dem Kompetenzmarkt einiges versprochen und in Aussicht gestellt, das Erwartungen weckt und die Hoffnung nahrt, (endlich) als Mensch ganzheitlich wahrund ernst genommen zu werden. Werden diese Erwartungen enttauscht, konnten arbeitspolitische Auseinandersetzungen neuer Art entstehen. Ein Beispiel fiir die Nutzung von Kompetenzen fiir den Arbeitnehmer selbst kann die Verbesserung der Chancengleichheit sein, auch wenn (oder weil) der Aspekt der Diskriminierungsfreiheit im heutigen Kompetenzdiskurs kaum eine Rolle spielt. Da formale Qualifikationen eine untergeordnete Bedeutung haben, konnten die Chancen von Arbeitnehmern steigen, die weniger davon und dafiir mehr Kompetenzen aufzuweisen haben. Das wiirde jenen zugute kommen, die aus welchen Griinden auch immer den Erwerb formaler Abschliisse verpasst oder vernachlassigt haben, z.B. Personen aus bildungsfernen Schichten oder Migranten. Hochschulen, die den Zugang zum Studium nicht nur vom Abitur abhangig machen, sondern einen Anteil an Studierenden ohne Abitur durch Eingangstests aufnehmen, sind ein Beispiel fiir die Erhohung der Chancengleichheit. Zudem gibt es Projekte, deren Ziel es ist, Kompetenzen zu erfassen, die aufierhalb von Erwerbsarbeitsverhaltnissen angeeignet wurden, aber am Arbeitsplatz verwertet werden konnen, beispielsweise das Projekt „Familienkompetenzen: Schliissel zu mehr Erfolg im Beruf" der Europaischen Kommission, oder Ansatze zur Zertifizierung von Kompetenzen (Hofer 2004). Fiir Personen, meist Frauen, die langere Zeit ihre Erwerbsarbeit unterbrochen haben und deshalb als entqualifiziert gelten, ergeben sich hiermit neue Moglichkeiten fiir qualifizierte Erwerbsarbeit. Ebenso bietet der Kompetenzansatz alteren Arbeitnehmern die Chance, ihre Fahigkeiten zu beweisen, die sie aufierhalb formaler Aus- und Weiterbildungen erworben haben und die im herrschenden jugendzentrierten HRM oft genug iibersehen werden (z.B. Mohr 2002). Umgekehrt konnen die im Betrieb entwickelten Kompetenzen auf andere Bereiche iibertragen werden, insbesondere soziale und emotionale Kompetenzen. Das Subjekt als „Besitzer'' seiner Kompetenzen macht sich ein Stiick weit vom konkreten Unternehmen unabhangig. Das Schlagwort der employability zeigt, dass dieser Vorteil gleichzeitig eine notwendige Fahigkeit darstellt, um bei befristeten Beschaftigungsverhaltnissen nicht den Anschluss zu verlieren, wovon auch die Unternehmen profitieren, die auf dem externen Arbeitsmarkt stets passende Arbeitskrafte finden. Aber Kompetenzen kdnnen auch im Privaten oder fiir sich personlich genutzt werden, etwa zur Konfliktregelung in der Familie oder zur Personlichkeitsentwicklung. Das Subjekt hat das Potenzial, Kompetenzen anders zu nutzen als es im Weiterbildungsprogramm gedacht war, z.B. indem es seine neu erworbenen „networking skills'' (eine Fahigkeit

193

Daniela Rastetter

aus dem Siemens-Modell) dazu einsetzt, Netzwerke jenseits betrieblich funktionaler Verwertung, etwa in der Nachbarschaft oder Gemeinde, aufzubauen. Nichtsdestotrotz darf man sich von Kompetenzmodellen in dieser Hinsicht nicht zu viel versprechen. Der Fokus auf Exzellenz und auf Unterschieden zwischen Arbeitnehmem schwacht Solidaritat und fordert elitares Denken. Die Kompetenzen alterer Arbeitnehmer sind so lange gefragt, wie ein Mangel an Nachwuchs herrscht, und Personen mit Erwerbsunterbrechungen unterliegen im Wettbewerb nach wie vor jenen mit kontinuierlicher Erwerbsbiografie (BebloAVolf 2002). Es darf nicht vergessen werden, dass Kompetenzmodelle betriebliche Managementprogramme darstellen, mit denen Arbeit optimiert und verbilligt werden soil. Nicht-intendierte Konsequenzen lassen sich nicht vermeiden, werden aber zu minimieren versucht. Der emanzipatorische Gehalt der Kompetenz ist damit abhangig von den jeweiligen Nutzungsmoglichkeiten der erworbenen Kompetenzen, sollte aber nicht im Eifer einer ideologiekritischen Perspektive unterschlagen werden.

Fazit Im ersten Teil des Beitrags wurden Kompetenzmodelle einer recht kritischen Beurteilung unterzogen, die einen bewussten Kontrast zu den iiberwiegend positiven und einseitig die Vorteile herausstreichenden Texten darstellen soil (eine der wenigen Ausnahmen hiervon ist der kritische Aufsatz von du Gay et al. 1996). Nichtsdestotrotz ist ein sorgfaltig entwickeltes Kompetenzmodell wesentlich besser als viele gangige Zusammenstellungen von Schliisselqualifikationen, die von „Experten" ohne Einbeziehung der Stelleninhaber am Schreibtisch entwickelt werden oder der AUtagserfahrung von Personalverantwortlichen entspringen. Die Betonung auf Exzellenz und Spitzenleistung vermittelt einen zwiespaltigen Eindruck: Einerseits karm mit dem Verweis auf mangelnde Exzellenz der Ausschluss von grofien Teilen der Arbeitnehmerschaft legitimiert werden, der haufig Folge von Outsourcingstrategien ist, die wenig mit individuellen Kompetenzen zu tun haben. Kompetenzen sind in der Kegel - mit Absicht - so weit definiert, dass Verantwortliche grofie Spielraume in der Beurteilung von Arbeitnehmem haben und unter dem Deckmantel rationaler Kompetenzmodelle willkiirliche Personalentscheidungen legitimieren konnen. Andererseits fugt sich das Bild des lern- und entwicklungsfahigen Menschen in modeme Ansatze des lebenslangen Lernens und in Muster nicht geradliniger Lebensverlaufe, in denen notwendige Fahigkeiten angeeignet werden, wenn sie gebraucht werden, und dann auch vielfaltig einsetzbar sind. Hier liegen Potenziale fiir eine Personalpolitik, die sich auf altere und multikulturelle Belegschaften einstellen muss. So sind Kompetenzmodelle moglicherweise „menschengerechter" als starre zertifikationsorientierte Eignungskriterien. Das kompetenzbasierte HRM kann einen Beitrag dazu leisten, vom konkreten Tun der 194

Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit

Menschen auszugehen und auch Erfahrungswissen und Intuition als besondere Starken zu wiirdigen. Das „Naher-am-Mensch-Sein" ist sicherlich ein grofies Plus von Kompetenzmodellen. Im Lichte der Subjektivierung von Arbeit erweist sich diese Menschennahe jedoch als fdrderlich und riskant zugleich: Das Selbst wird in der Organisation umfassender und ausgiebiger genutzt als je zuvor, es muss sich „einbringen" und im Sinne des Untemehmens „entfalten". Gleichzeitig wird ihm vorgegaukelt, dass dieses Engagement seinem Wohl diene und bessere Arbeitsbedingungen schaffe als in friiheren Zeiten. Es bedarf der weiteren kritischen Beobachtung, um den derzeit einseitig positiven Diskurs uber Kompetenzen immer wieder zu hinterfragen.

Literaturverzeichnis Barrett, G.V./Depinet, R.L. (1991): A reconsideration of testing for competence rather than for intelligence. In: American Psychologist 46, S. 1012-1024. Beblo, M./Wolf, E. (2002): Die Folgekosten von Erwerbsunterbrechungen. In: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 71, S. 83-94. Beck, U. (1994): Riskante Freiheiten: Individualisierung in modernen Gesellschaften. Frankfurt a.M. Bohle, F. (2003): Vom Objekt zum gespaltenen Subjekt. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit. 2. Aufl. Miinchen und Mering, S. 115-148. Boyatzis, R.E. (1982): The competent manager. New York etc. Boyatzis, R.E. (1993): Beyond competence: The choice to be a leader. In: Human Resource Management Review 3 (1), S. 1-14. Bratton, D.A. (1998): Develop a framework of core competencies. In: Credit Union Magazine 64 (10), S. 17-18. Brockling, U. (2000): Totale Mobilmachung. Menschenfiihrung im Qualitats- und Selbstmanagement. In: Brockling, U./Krasmann, S./Lemke, T. (Hrsg.): Gouvemementalitat der Gegenwart. Studien zur Okonomisierung des Sozialen. Frankfurt a.M., S. 131167. Cascio, W.F. (1991): Applied psychology in personnel management. 4. Aufl. Englewood Cliffs. Cheng, M.I./Dainty, A.R.J./Moore, D.R. (2002): The differing faces of managerial competency in Britain and America. In: Journal of Management Development 22 (6), S. 527537.

195

Daniela Rastetter

Dainty, A.RJ./Cheng, M.I./Moore, D.R. (2005): Competency-based model for predicting construction project manager's performance. In: Journal of Management and Engineering 21, S. 2-9. Djelic, M.-L./Gutsatz, M. (2000): Managerial competencies for organizational flexibility. In: Sanchez, R./Heene, A. (Hrsg.): Research in competence-based management. Stanford, Ct., S. 67-96. Dubois, D.D./Rothwell, W.J. (2000): The competency toolkit. Amherst, MA. Dubois, D.D./Rothwell, W.J. (2004): Competency-based human resource management. Palo Alto, CA. Du Gay, RL./Salaman, G./Rees, B. (1996): The conduct of management and the management of conduct: Contemporary managerial discourse and the constitution of the ,competent' manager. In: Journal of Management Studies 33 (3), S. 263-282. Erpenbeck, J./Rosenstiel, L.v. (Hrsg.)(2003): Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen, und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, padagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart. Flanagan, J.C. (1954): The critical incident technique. In: Psychological Bulletin 51, S. 327-358. Foucault, M. (1987): Das Subjekt und die Macht. In: Dreyfus, H./Rabinow, P. (Hrsg.): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Frankfurt a.M., S. 243-261. Goleman, D. (1997): Emotionale Intelligenz. Miinchen. Hellriegel, D. (2002): Management: A competency-based approach. Cincinnati, Ohio. Hofer, S. (2004): Internationale Kompetenzzertifizierung. Miinster. Hogan, R.T. (1991): Personality and personality measurement. In: Dunnette, M.D./ Hough, L.M. (Hrsg.): Handbook of Industrial and Organizational Psychology. 2. Aufl. Palo Alto, S. 873-919. Holtgrewe, U. (2003): Anerkennung und Arbeit in der Dienst-Leistungs-Gesellschaft. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit. 2. Aufl. Miinchen und Mering, S. 211-229. Kauffeld, S./Grote, S./Frieling, E. (2003): Das Kasseler-Kompetenz-Raster (KKR). In: Erpenbeck, J./Rosenstiel, L.v. (Hrsg.): Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen, und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, padagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart, S. 261-282. Kleemann, F./Matuschek, I./Vofi, G.G. (2003): Subjektivierung von Arbeit. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit. 2. Aufl. Miinchen und Mering, S. 57114.

196

Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit

Klemp, G.O. (Hrsg.)(1980): The assessment of occupational competence. Washington, DC. Kochanski, J.T. (1996): Introduction to special issue on human resource competencies. In: Human Resource Management 35 (1), S. 3-6. Kompa, A. (1990): Demontage des Assessment Centers: Kritik an einem modernen personalwirtschaftlichen Verfahren. In: Die Betriebswirtschaft 50 (5), S. 587-609. Langdon, D.AVhiteside, K. (2004): Bringing sense to competency definition and attainment. In: Performance Improvement 43 (7), S. 10-15. Lau, T./Chan, K.R/Man, T.W.Y. (2000): The entrepreneurial and managerial competencies of small business owner/managers in Hong Kong. In: Sanchez, R./Heene, A. (Hrsg.): Research in competence-based management. Stanford, Ct., S. 187-216. Lawler, E.E. (1994): From job-based to competency-based organizations. In: Journal of Organizational Behavior 15, S. 3-15. Lucia, A.D./Lepsinger, R. (1999): The art and science of competency models: Pinpointing critical success factors in organizations. San Francisco. Mansfield, R.S. (1996): Building competency models: Approaches for HR professionals. In: Human Resource Management 35 (1), S. 7-18. McClelland, D.C. (1973): Testing for competence rather than for „intelligence''. In: American Psychologist 28, S. 1-14. McClelland, D.C. (1998): Identifying competencies with behavioral event interviews. In: Psychological Science 9, S. 331-339. Mohr, H. (2002): Alterns- und altersgerechte Erwerbsarbeit. Stuttgart. Moldaschl. M. (2002): Das Subjekt als Objekt der Begierde - Die Perspektive der „Subjektivierung von Arbeit''. In: Schreyogg, G./Conrad, P. (Hrsg.): Managementforschung 12. Wiesbaden, S. 245-280. Moldaschl, M.A^ofi, G.G. (2003): Zur Einftihrung. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit. 2. Aufl. Mtinchen und Mering, S. 15-24. Moldaschl, M. (2003a): Subjektivierung - Fine neue Stufe in der Entwicklung der Arbeitswissenschaften? In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit. 2. Aufl. Miinchen und Mering, S. 25-56. Moldaschl, M. (2003b): Foucaults Brille. In: Moldaschl, M. (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit. 2. Aufl. Miinchen und Mering, S. 149-192. Morris, D. (1996): Using competency development tools as a strategy for change in the human resources function: A case study. In: Human Resource Management 35 (1), S. 35-51.

197

Daniela Rastetter

Neuberger, O. (1995): Mikropolitik. Der alltagliche Aufbau und Einsatz von Macht in Organisationen. Stuttgart. Nybo, G. (2004): Personnel development for dissolving jobs: Towards a competencybased approach? In: International Journal of Human Resource Management 15 (3), S. 549-564. Pinchot, G. (1988): Intrapreneuring: Mitarbeiter als Untemehmer. Wiesbaden. Prahalad, C.K./Hamel, G. (1990): The core competence of the corporation. In: Harvard Business Review 81, S. 79-93. Rastetter, D. (1996): Personalmarketing, Bewerberauswahl und Arbeitsplatzsuche. Stuttgart. Rastetter, D. (1999): Das Einstellungsinterview: ein Name, viele Verfahren. In: Zeitschrift Fiihrung und Organisation 68 (1), S. 20-24. Rausch, E. (2002): Defining and assessing competencies for competency-based, outcome-focused management development. In: The Journal of Management Development 21 (3/4), S. 184-200. Rodriguez, D. (2002): Developing competency models to promote integrated human resource practices. In: Human Resource Management 41, S. 309-324. RoUinghoff, S. (1996): Die Individualisierung des Personaleinsatzes: empirische Annaherungen, normative Programme und theoretische Implikationen unter Beriicksichtigung neuerer organisationstheoretischer Ansatze. Miinchen etc. Rothwell, W.AVellins, R. (2004): Mapping your future: Putting new competencies to work for you. In: Training and Development 58 (5), S. 94-101. Sanchez, R./Heene, A. (Hrsg.)(2000): Research in competence-based management. Stanford, Ct. Sandberg, J. (1994): Human competence at work. An interpretative approach. Goteborg. Sanne, C. (2004): Kompetenzmanagement mit dem Siemens Kompetenzmodell. In: Rosenstiel, L.v./Pieler, D./Glas, P. (Hrsg.): Strategisches Kompetenzmanagement. Wiesbaden, S. 159-168. Schanz, G. (1997): Intuition als Managementkompetenz. In: Die Betriebswirtschaft 57 (5), S. 640-654. Schippmann, J.S./Ash, R.A./Battista, M./Carr, L./Eyde, L.D./Hesketh, B./Kehoe, J./Pearlman, K./Prien, E. (2000): The practice of competency modeling. In: Personnel Psychology 53, S. 703-740.

198

Kompetenzmodelle und die Subjektivierung von Arbeit

Scott, M.J. (1998): AICPA competency model for the new finance professional. In: The CPA Journal 68, S. 40-45. Sermett, R. (1998): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin. Sieben, B. (2001): Emotionale Intelligenz - Golemans Erfolgskonstrukt auf dem Priifstand. In: Schreyogg, G./Sydow, J. (Hrsg.): Managementforschung 11. Wiesbaden, S. 135-170. Spencer, L.M./Spencer, S.M. (1993): Competence at work. Models for superior performance. New York etc. Staehle, W. (1990): Human resource management and corporate strategy. In: Pieper, R. (Hrsg.): Human resource management: An international comparison. Berlin und New York, S. 27-38. Tiirk, K. (1993): Politische Okonomie der Organisation. In: Kieser, A. (Hrsg.): Organisationstheorien. Stuttgart, S. 297-332. Tweed, D.M./McGregor, J.H. (2000): Linking competence with goal attainment in smes. In: Sanchez, R./Heene, A. (Hrsg.): Research in competence-based management. Stanford, Ct., S. 287-303. Vofi, G.G. (1994): Das Ende der Teilung von „Arbeit und Leben'7 An der Schwelle zu einem neuen gesellschaftlichen Verhaltnis von Betriebs- und Lebensfiihrung. In: Beckenbach, N./van Treeck, W. (Hrsg.): Umbrliche gesellschaftlicher Arbeit. Gottingen, S. 269-294. Vofi, G.G./Pongratz, H.J. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der „Ware Arbeitskraft'7 In: Kolner Zeitschrift fiir Soziologie und Sozialpsychologie 50 (1), S. 131-158. Yeung, A.K. (1996): Competencies for HR professionals: An interview with R.E. Boyatzis. In: Human Resource Management 35 (1), S. 119-131.

Prof. Dr. Daniela Rastetter Universitat Hamburg Fakultat fiir Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Department fiir Wirtschaft und Politik Von-Melle-Park 9 D-20146 Hamburg [email protected]

199

Albrecht Becker/EHsiribeth Brauntr/^ephan D u s d ^

Knowledge-based View; organisationales Wissen; organisationale Strukturationstheorie; Transactive Knowledge Systems

Kompetenzen;

Zusammenfassung Organisational Kompetenzen werden im Knowledge-based View als koUektiv geteiltes Wissen einer Organisation verstanden. Ihre Potenz zur Generierung dauerhafter und kaum zu imitierender Wettbewerbsvorteile wird insbesondere auf den impliziten und kollektiven Charakter des zugrunde liegenden Wissens zuriickgefiihrt. Wir identifizieren drei konzeptionelle Probleme dieser Argumentation: die Nichtbeachtung ungeteilten Expertenwissens, die Dezentrierung individueller Akteure als Trager von Wissen sowie die mangelnde Erklarungskraft des Ansatzes fiir die Nichtimitierbarkeit von Ressourcen. Wir formulieren ein alternatives Konzept organisationaler Kompetenzen. Es beruht einerseits auf der Strukturationstheorie und andererseits auf dem Konzept transaktiver Wissenssysteme, wobei insbesondere die entscheidende Rolle individueller Akteure und die soziale Organisation ihres individuellen Wissens in transaktiven Wissenssystemen betont werden. Unser Konzept organisationaler Kompetenzen erlaubt eine angemessene Wiirdigung individuellen, ungeteilten und expliziten Wissens in Organisationen sowie eine klarere Beschreibung der Nichtimitierbarkeit von Ressourcen als Grundlage fiir dauerhafte Wettbewerbsvorteile.

Managementforschung 16 (2006), hrsg. von G. Schreyogg und P. Conrad Gabler Verlag • Wiesbaden, S. 201-230

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

Abstract The knowledge-based view of strategic management conceptualizes organizational competencies as the collectively shared knowledge of an organization. The ability to generate sustained competitive advantage is attributed to the implicit and shared character of organizational knowledge. The paper identifies three conceptual issues, namely the negligence of unshared expertise, the de-centering of individual actors as subjects of knowledge, and the lack of an explanation of resource inimitability. We propose an alternative conceptualization of organizational competencies based on structuration theory and the concept of transactive knowledge systems, which describes the embeddedness of individual knowledge in a system of social metaknowledge, i.e. social knowledge about others' knowledge. This provides a better description of the role of individual, unshared, and explicit knowledge in organizations and allows for a more lucid conceptualization of the inimitability of resources as prerequisite to sustained competitive advantage.

Inhaltsubersicht 1

Einleitung

2 Geteiltes Wissen: Organisationale Kompetenzen im Knowledge-based View 3 Die rekursive Konstitution von Kompetenzen 3.1 Ressourcen und Services revisited 3.2 Wissen und die rekursive Konstitution von Kompetenzen 4 Wissen als Ressource - Ressourcen als Wissen 4.1 Organisationales Wissen und transaktive Wissenssysteme 4.2 Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile 5 Schluss: Zu einem Transactive Knowledge-based View organisationaler Kompetenzen

202

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

Einleltung Der im Rahmen der Volkswirtschaftslehre entwickelte Resource-based View (vgl. insbes. Wemerfelt 1984; Barney 1991) hat sich immer mehr zu einem Knowledge- oder Competence-based View entwickelt (vgl. z.B. Freiling 2000; von Krogh/Grand 2002). In der Folge dieser Entwicklung gewinnen Kompetenzen eine neue Bedeutung als Erklarungskategorie fiir Wettbewerbsvorteile. Genauer gesagt riickt das Phanomen koUektiver organisationaler Kompetenzen ins Zentrum des betriebswirtschaftlichen Forschungsinteresses (vgl. z.B. Probst/Raub 1998; Duschek 2004). KoUektive organisationale Kompetenzen werden im Rahmen des Knowledge-based View als „KollektivGuf' verstanden, als „ collective learning in the organization'' (Prahalad/Hamel 1990, S. 82). Das Potenzial individueller Akteure kommt nur insoweit ins Spiel, als es als notwendiger Baustein der Wissensteilung betrachtet wird; der Wert individuellen Wissens ergibt sich erst durch seine Umwandlung in implizites geteiltes organisationales Wissen (van den Hooff/de Leeuw van Weenen 2004, S. 13). Insofem wird der Knowledge-based View auch als „knowledge transfer theory" (Kalling 2003) oder als „knowledge-sharing research" (Haas/Hansen 2005) bezeichnet. Aufgrund ihres geteilten und impliziten Charakters weisen organisational Kompetenzen eine „ stickiness" (von Hippel 1994) auf, die als zentrale Quelle von und Imitationsbarrieren fiir dauerhafte Wettbewerbsvorteile von Untemehmungen angesehen wird (vgl. fiir viele Conner/Prahalad 1996; McEvily/Chakravarthy 2002). Diese Konzentration auf kollektiv geteiltes und implizites Wissen erscheint allerdings problematisch. Sie widerspricht erstens der Einsicht, dass ungeteiltes Expertenwissen eine wesentliche Quelle von Wettbewerbsvorteilen sein kann (Hayek 1945). Zweitens impliziert die Erklarung der Nichtimitierbarkeit von Wettbewerbsvorteilen aus dem impliziten Charakter des zugrunde liegenden Wissens, dass diese Quelle von Wettbewerbsvorteilen nicht systematisch beeinflusst und gesteuert werden kann. Das aber ist eine unbefriedigende Basis fiir eine Theorie der wissensbasierten Wettbewerbsvorteile. In unserem Beitrag nehmen wir diese Unklarheiten zum Ausgangspunkt fiir die Formulierung eines alternativen Konzepts von organisationalen Kompetenzen, das individuelle Akteure und verteiltes Wissen in Organisationen starker ins Zentrum riickt. Wir beziehen uns dabei auf Brauners (2002) Konzeption der transaktiven Wissenssysteme und erklaren dauerhafte Wettbewerbsvorteile mittels der sozialen Organisation von weitgehend ungeteiltem, gleichwohl organisational fest verankertem Wissen. Unser Beitrag zielt neben einer Rekonzeptualisierung des Begriffs organisationaler Kompetenzen im Rahmen des Knowledge-based View auf eine Neuinterpretation der kausalen Ambiguitat von Ressourcen als der zentralen Imitationsbarriere fiir wissensbasierte Wettbewerbsvorteile. Im folgenden zweiten Abschnitt unseres Beitrags werden wir genauer auf die hier nur angedeuteten Probleme des Knowledge-based View eingehen. Im dritten Abschnitt formulieren wir zunachst unser Verstandnis von organisationalen Kompetenzen und

203

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephen Duschek

ihrer Genese. Dabei rekurrieren wir auf die Arbeit von Penrose (1959), die wir allerdings auf Basis der Strukturationstheorie (Giddens 1984) neu interpretieren. Im vierten Abschnitt fiihren wir die Theorie der „transactive knowledge systems" (Brauner 2002) ein und zeigen, dass sich die im dritten Abschnitt vorgestellte Konzeption von organisationalen Kompetenzen damit in Hinblick auf die RoUe individuellen und ungeteilten Wissens weiter spezifizieren lasst.

Geteiltes Wissen: Organlsatlonale Kompetenzen im Knowledge-based View Intangible, wissensbasierte Untemehmensressourcen standen seit jeher im Fokus der ressourcenbasierten Forschungsrichtung des strategischen Managements (vgl. etwa Barney 1986; Kogut/Zander 1992). AUerdings ging es ihren Vertretem und Vertreterinnen zunachst eher um programmatische Abgrenzungen zum industrieokonomischen Market-based View des strategischen Managements (vgl. insbes. Porter 1980) sowie u m eher allgemeine kategoriale Bestimmungen ressourcenbasierter Quellen und Imitationsbarrieren dauerhafter Wettbewerbsvorteile (vgl. z.B. Wemerfelt 1984; Barney 1991; Dierickx/Cool 1989). Nachdem sich der Resource-based View jedoch inzwischen etabliert, konsolidiert und als der dominante Ansatz des strategischen Managements durchgesetzt hat (vgl. z.B. Barney et al. 2001; Bresser 2004, S. 1270), konzentriert sich die Forschung nun starker auf die inhaltliche Spezifikation der Grundbausteine unternehmungsintern fundierter dauerhafter Gewinne. Organisationales Wissen bzw. organisationale Kompetenzen werden als originare Quellen und Imitationsbarrieren von Wettbewerbsvorteilen von Untemehmungen ausgemacht und ihr konkreter Beitrag wird intensiv erforscht (vgl. fiir viele Spender 1994; von Krogh/Grand 2004). Von einer einheitlichen Definition von organisationalen Kompetenzen kann zwar bis heute nicht die Rede sein (vgl. z.B. Freiling 2002; Duschek 2004), gleichwohl wird in der Literatur zum Knowledge-based View ubereinstimmend davon ausgegangen, dass Wissen die originare Basis organisationaler Kompetenzen ist (vgl. fiir viele von Krogh/ Roos 1995, S. 62; Conner/Prahalad 1996, S. 477) und dass organisationales Wissen und organisational Kompetenzen faktisch zwei Seiten einer Medaille sind. Oftmals werden die Begriffe sogar synonym benutzt (vgl. exemplarisch Haas/Flansen 2005). Die wissensbasierten Ansatze des strategischen Managements gehen nun von einem spezifischen Verstandnis organisationalen Wissens aus:

204

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

,Jn fact, it does not seem too great a stretch to say that the resource-based and capability theories of business strategy would be relatively uninteresting if shared knowledge were disproved as a source of superior performance. Few other resources seem plausible candidates across the breadth of businesses the theory wishes to cover and also meet the joint tests of nonmarketability, nonsubstitutability, inimitability, etc. that have been identified as necessary conditions for a resource to provide competitive advantage'' (Hoops/Postrel 1999, S. 838 f.; Hervorh. d. Verf.). Nur organisational geteiltes Wissen weist in dieser Perspektive ausreichend „ stickiness" (von Hippel 1994) auf, um nicht imitierbar zu sein und entsprechend eine dauerhafte Basis fUr ressourcenbasierte Rentengenerierung zu bieten (vgl. fiir viele Spender 1996; CoUis 1996; Tsai 2002). Im Zentrum dieser Betrachtungsweise steht ein kollektiver Akteur: „they tend to view knowledge as a property of the overall firm, rather than of individual members or task units" (Haas/Hansen 2005, S. 2). Zwar werden individuelle Akteure im Prozess der koUektiven Wissensteilung stets mitgedacht. AUerdings steht nicht das Potenzial, welches das (Experten/-innen-)Wissen einzelner Akteure beinhalten kann, im Zentrum, sondem konzeptionell relevant wird individuelles Wissen erst im Zuge der Teilung eben jenes Wissens. So weisen Berman et al. (2002) darauf hin, dass „the knowledge required to perform [a] complex task is diffused among the individuals, each of whom has a different responsibility. (...) Each individual possesses but a part of the whole [knowledge required]" (Berman et al. 2002, S. 15). Und Hatch und Dyer (2004) argumentieren, dass einerseits „human resources become a primary repository of both codifiable and tacit knowledge" (Hatch/ Dyer 2004, S. 1158), dass aber andererseits dieses Wissen nur dann wertvoU fiir die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen werden kann, wenn es ^embedded in the firm's routines, human skills, and relationships" ist (ebd.). Nur in der KoUektivitat, so die zentrale Botschaft des Knowledge-based View, entfaltet Wissen sein spezifisches organisationales Potenzial zur dauerhaften Generierung von Wettbewerbsvorteilen. Charakteristisch fiir diese Sichtweise ist die im Knowledge-based View viel rezipierte Idee der Wissensspirale von Nonaka und Takeuchi (1995). Sie formulieren ein 4-stufiges Modell einer Wissensspirale, um den Zyklus der Wissenskonversion bei der Generierung organisationalen Wissens zu beschreiben. Nach diesem Modell besteht der Prozess organisationaler Wissensgenerierung in seinem Kern in der Konversion von implizitem individuellen Wissen iiber Zwischenschritte der Explikation und Wissensteilung in implizites kollektives Wissen (vgl. zu einer Darstellung und dezidierten Kritik der Wissensspirale Schreyogg/Geiger 2003, 2005). So plausibel die Idee, organisational geteiltes Wissen zum Ausgangspunkt der Begrundung dauerhafter Wettbewerbsvorteile zu machen, auf den ersten Blick auch sein mag, so problematisch erscheint sie bei kritischer Betrachtung.i Sie blendet erstens in einem unzulassigen Mafie die Relevanz ungeteilten Wissens zur Generierung von wissensbasierten Untemehmensvorteilen aus. Sie ignoriert beispielsweise bewahrte Forschungstraditionen wie Hayeks (1945) als Kritik an der okonomischen Gleichgewichtstheorie formulierte Auffassung, dass es gerade das verteilte Wissen und Exper-

205

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

tenwissen sind, die zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen entscheidend beitragen. Sie ignoriert ebenfalls die von Chandler (1962) im Kontext untemehmerischen Strategic- und Strukturwandels herausgestellte zunehmende organisational Dezentralisierung, Divisionalisierung und Spezialisierung von Untemehmungen, die ja zum Ziel haben, durch verteilte Expertise in den dezentralisierten Organisationseinheiten konzentrierter und schneller auf steigende Anforderungen dynamischer Markte zu reagieren. Kalling (2003, S. 116) sowie Haas und Hansen (2005, S. 4 f.) weisen darauf hin, dass ein gezieltes Management der koUektiven Teilung von Wissen sogar negative Auswirkungen auf die Funktions- und Wettbewerbsfahigkeit von Untemehmungen haben kann, da eine organisational Wissensteilung erhebliche Such- und Transferkosten impliziert. Die Kostenseite strategischer Planung wird allerdings von den Wissensansatzen strategischen Managements systematisch ausgeblendet. Dariiber hinaus wird im „knowledge-sharing research" unterschatzt, dass auch in hierarchischen Organisationen Wettbewerb, Egoismen und Opportunismus zwischen Abteilungen und Divisionen herrschen (s. zur Unterschatzung exemplarisch Conner/Prahalad 1996), die zumindest einen unproblematischen Austausch von wettbewerbsrelevantem Wissen fraglich erscheinen lassen (vgl. auch Duschek 2002, S. 139 ff.; Tsai 2002, S. 179; Huysman/de Wit 2004, S. 86). Es spricht daher einiges dafiir, dass Organisationen nicht im Sinne einer „economy of sharing" (Styhre 2002, S. 229) zu verstehen seien, sondem ganz im Gegenteil als effizient zu verkoppelnde „ distributed knowledge systems" (vgl. Tsoukas 1996; TsoukasA^ladimirou 2001; ebenso schon Crozier/ Friedberg 1979). Ein zweites konzeptionelles Problem des Knowledge-based View liegt in der Gleichsetzung von wettbewerbsrelevantem Wissen mit implizitem Wissen. Insbesondere dem impliziten organisationalen Wissen - dem in die Tiefenstrukturen der Unternehmung eingebetteten geteilten Wissen - wird aufgrund seiner strukturell bedingten schweren Imitier- und Transferierbarkeit das Potenzial zur Erzielung dauerhafter Wettbewerbsvorteile zugesprochen (vgl. z.B. Spender 1996, S. 52; Collis 1996, S. 153; Tsai 2002, S. 180). Je starker der implizite Charakter des organisationalen Wissens ausgepragt ist, desto starker hat dieses Wissen das Potenzial, kausal unklare Wirkungszusammenhange zu konstituieren und folglich Ursprung dauerhafter nicht imitierbarer Wettbewerbsvorteile zu sein (vgl. z.B. Spender 1994; Collis 1996). Die kausale Ambiguitat gilt den ressourcenbasierten Ansatzen als die zentrale Imitationsbarriere von wettbewerbsrelevanten Ressourcen (vgl. Lippman/Rumelt 1982; Dierickx/ Cool 1989). Allerdings fiihrt dieses spezifische Verstandnis kausaler Ambiguitat den Knowledge-based View in ein zugleich schwerwiegendes und nicht zu losendes Paradox: Streng genommen schlieiSt namlich die Annahme kausaler Ambiguitat ein den Austausch von Wissen - und damit die Generation von wettbewerbsrelevantem organisationalen Wissen - bewusst steuemdes (Wissens-)Management kategorisch aus. Als Konsequenz kann die zentrale Begriindungskategorie der Erzielung von Wettbewerbsvorteilen - die erfolgreiche Teilung von (implizitem) Wissen innerhalb der Organisation - nur als Resultat zufalliger Umstande erklart werden (vgl. etwa

206

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

Peteraf 1993, S. 187; Schreyogg 1999, S. 402). Fiir eine Managementtheorie der Wettbewerbsvorteile kann das nicht ausreichen. Es lasst sich noch ein drittes konzeptionelles Problem des Knowledge-based View identifizieren. Wie bereits erwahnt, verortet dieser Ansatz Wettbewerbsvorteile in den Tiefenstrukturen von Unternehmungen (vgl. z.B. zu Knyphausen 1993). Damit ist die Einbettung in organisational Routinen gemeint (Szulanski/Jensen 2004, S. 347 f.; vgl. auch NelsonAVinter 1982). Die koUektiven Wurzeln des organisationalen Wissens werden besonders betont (vgl. z.B. Spender 1994, S. 362; Nickerson/Zenger 2004, S. 618). Wettbewerbsrelevantes Wissen wird dem koUektiven Akteur „Untemehmung" zugeschrieben; die Organisation ist das originare Speichermedium organisationalen Wissens (vgl. CoUis 1996, S. 151; Haas/Hansen 2005, S. 2). Insbesondere Spender (1994, 1996; vgl. aber auch z.B. Kor/Mahoney 2004) hat sich in diesem Zusammenhang auf Penrose bezogen, die „resources" und „ services" unterscheidet: „Strictly speaking, it is never resources themselves that are the ,inputs' in the production process, but only the services that the resources can render. The services yielded by resources are a function of the way in which they are used" (Penrose 1959, S. 25). Die in den Services zum Ausdruck kommenden koUektiven Praktiken der Nutzung von Ressourcen stellen in dieser Perspektive kontextspezifisch organisationales Wissen dar (Spender 1994, S. 362; vgl. auch Tsoukas 1996, S. 14). Organisationale Kompetenzen werden damit auf der einen Seite quasi „verflussigt", d.h. sie werden ausschliefilich in ihrer Verwirklichung in Services gedacht (vgl. Geiger 2006, S. 48). Auf der anderen Seite verbindet Spender (1994, S. 355 ff., 1996, S. 53 f.; vgl. aber auch z.B. Kor/Mahoney 2004) die zentrale RoUe von Praktiken, Aktivitaten und ihrer Kontextgebundenheit mit einem an Diirkheim (1982) angelehnten strukturdeterministischen Akteursmodell. Diirkheim versteht Akteurshandeln als von einem „ koUektiven Bewusstsein" beeinflusst. Individuelles Handeln im Rahmen der organisationalen Praktiken der Nutzung von Ressourcen und Wissen steht unter dem Einfluss eines lenkenden KoUektivismus. Hierdurch werde, so Spender, der Gefahr einer voluntaristischen „individualisitic position" ausgewichen, die den Einfluss einzelner Akteure auf die Verstandnisweise koUektiven Wissens zu sehr betont. AUerdings schliefit dieses Akteursmodell die Moglichkeit aus, eine aktive Einflussnahme individueller Akteure und deren (ungeteilter) Wissensbestande an dem organisationalen Prozess der Wissensentstehung und -speicherung zu denken (vgl. Grant 1996, S. 113). Die Spannung zwischen der koUektiven organisationalen und der individuellen akteursbezogenen Dimension organisationaler Praktiken wird voUstandig zur Seite der „sozialen Tatsache" (Diirkheim) von Organisationen aufgelost und fiihrt ein deterministisches Moment ein. Individuen kommen nur noch als durch koUektive Routinen und Praktiken determinierte Subjekte vor, deren aktive Mitwirkung an der Kreation und Speicherung organisationalen Wissens zu Residualgrofien verkiimmem. Spender zeichnet damit ein widerspriichliches Bild von einerseits in Praktiken „verfliissigten" Ressourcen und andererseits ent-individualisierten, vom koUektiven Wissen determinierten Akteuren.

207

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

An dieser Stelle konnen wir zunachst festhalten, dass in unserer Analyse drei Probleme des Verstandnisses von organisationalen Kompetenzen im Knowledge-based View zu konstatieren sind: die Bedeutimg individueller Expertise und ungeteilten Wissens wird unterschatzt; die Konzentration auf implizites Wissen macht es problematisch, iiber das systematische Management organisationaler Kompetenzen nachzudenken; und es wird ein widerspriichliches Bild der RoUe von individuellen Akteuren bei der Konstitution von organisationalen Kompetenzen gezeichnet. Im folgenden Abschnitt schlagen wir im ersten Schritt ein alternatives Verstandnis von Penroses (1959) Werk vor, das wir vor dem Hintergrund der Theorie der Strukturation (Giddens 1984) entwickeln. Die Theorie der Strukturation bietet ein Riistzeug, das die bei Penrose mehr angedeutete als explizit ausgearbeitete rekursive Konstitutionsbeziehung von Ressourcen und Services zu erklaren vermag (vgl. auch Duschek 2001). Insbesondere gelingt es damit, die Beziehungen von organisationalem Wissen und organisationalen Praktiken sowie von individuellem und organisationalem Wissen adaquat zu fassen.

3

Die rekursive Konstitution von Kompetenzen

3.1

Ressourcen und Services revisited

Organisationale Kompetenzen (services) werden bei Penrose (1959) wie auch in den ressourcen- und wissensbasierten Ansatzen als koUektive Praktiken der Nutzung von Ressourcen verstanden (z.B. Teece et al. 1997, S. 518). Die Idee von Kompetenzen als Nutzungsweisen von Ressourcen ist allerdings komplexer als es ihre im vorhergehenden Abschnitt dargestellte Rezeption in den ressourcen- und wissensbasierten Ansatzen nahe legt. Sie beinhaltet die Idee einer rekursiven Konstitution organisationaler Ressourcen in der Realisierung von Services: „The services yielded by resources are a function of the way in which they are used (...). The important distinction between resources and services (...) lies in the fact that resources consist of a bundle of potential services and can, for the most part, be defined independently of their uses, while services cannot be so defined" (Penrose 1959, S. 25; Hervorh. d. Verf.). Ressourcen sind Potenziale - „potential services" - und sie stehen mit Services in einem Verhaltnis wechselseitiger Voraussetzung: Services reproduzieren Ressourcen und sind gleichzeitig aus ihnen abgeleitet. Organisationale Kompetenzen lassen sich dann als das Zusammenspiel von Ressourcen und Services interpretieren. Entsprechend konnen sie sinnvoUerweise einerseits in einer „Prozessdimension" (Services), andererseits in einer „Strukturdimension" (Ressourcen) konzeptuaHsiert werden (vgl.

208

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

Abb. 1). Die Prozessdimension beschreibt Kompetenzen als Wettbewerbsfaktoren, die im Moment ihrer faktischen Anwendung in einem spezifischen Kontext aktualisiert werden. Die „Strukturdimension'' beschreibt die Kompetenzen als Ressourcen im Sinne von Potenzialen. Erst durch die Annahme dieser Strukturdimension konnen Kompetenzen auch als institutionalisierbare und reproduzierbare - und somit letztlich dauerhafte - Handlungsmuster bzw. (reproduzierbare) Praktiken von Organisationen konzeptualisiert werden (vgl. etwa Leonard-Barton 1992; Duschek 2004).

Abb. 1:

Rekursive Beziehung von Ressourcen und Services im Modell der Wettbewerbsfaktoren von Penrose (1959)

resources

enabling

competencies

reproducing

sePiices

Die aus Penroses (1959) Unterscheidung von Ressourcen und Services herauspraparierte Rekursivitat lasst sich mit der strukturationstheoretischen Denkfigur der Dualitat der Struktur (vgl. Giddens 1984) genauer beschreiben (vgl. auch Duschek 2002, S. 283 ff.). Danach sind soziale Systeme - also z.B. Untemehmungen - im Kern durch Strukturen gekennzeichnet, die zugleich aktives Medium und strukturelles Ergebnis von Handeln sind. Im Vollzug sozialer oder organisationaler Praktiken beziehen sich die Akteure auf Strukturen des sozialen Systems, verwirklichen diese in ihrem Handeln und reproduzieren sie damit. Im Handeln werden damit gleichzeitig die strukturellen Handlungsbedingungen produziert und reproduziert. Bei Penrose (1959, S. 25) werden analog Ressourcen auf der einen Seite im Sinne struktureller Ressourcen verstanden, die als ein Blindel potenzieller Services unabhangig von ihrem je spezifischen Gebrauch definiert werden. Sie befinden sich in der analytischen Betrachtung „au6erhalb" einer konkreten Situation und besitzen folglich jenen strukturellen und verallgemeinerbaren Charakter, der es ermoglicht, sie in unterschiedlichen Situationen

209

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

anzuwenden. Auf der anderen Seite existieren Ressourcen als aktualisierte Services, im Handeln angewandte Ressourcen, die nicht aufierhalb ihrer je spezifischen Nutzungsweise gedacht werden konnen; sie sind also kontextualisiert bzw. kontextspezifisch (in Anlehnung an Giddens 1976, S. 125 ff.). In strukturationstheoretischer Perspektive ist die Trennung von strukturellen Ressourcen und aktualisierten Services allerdings nur analytisch zu verstehen; empirisch ist sie in den organisationalen Praktiken aufgehoben. Bei Penrose lasst sich dieser Gedanke u.a. aus der Formulierung ableiten, dass die „ services yielded by resources are a function of the way in which they are used" (Penrose 1959, S. 25). In den Praktiken der handelnden Akteure sind beide Aspekte von organisationalen Wettbewerbsfaktoren unauflosbar miteinander verwoben. In dieser strukturationstheoretisch inspirierten Interpretation von Penrose werden organisational Kompetenzen als vom Handeln der individuellen Akteure abhangig verstanden. Es sind die handelnden Akteure, die die Routinen und Handlungsmuster, aus denen die organisationalen Kompetenzen bestehen, anwenden und sich dabei gleichzeitig auf Ressourcen beziehen. Im Gegensatz zu Spenders an Dtirkheim (1982) angelehnter Lesart von Penrose, bei der die Akteure als VoUstrecker des „kollektiven Bewusstseins" bzw. des „kollektiven Gedachtnisses" erscheinen, steht im Mittelpunkt der strukturationstheoretischen Interpretation die gleichberechtigte Beriicksichtigung einer koUektiven Struktur und aktiv handelnder individueller Akteure. Dies erscheint uns angemessener, denn „[i]f we look at social practices in one way, we can see actors and actions; if we look at them another way, we can see structures" (Craib 1992, S. 3). Dies wird der Penrose'schen (1959) Idee der rekursiven Beziehung von Ressourcen und Services eher gerecht und riickt gleichzeitig die Akteure starker in den Fokus der Betrachtung.

3.2

Wissen und die rekursive Konstitution von Kompetenzen

Die Generierung und Reproduktion von organisationalen Ressourcen und Kompetenzen an das Handeln von Akteuren zu binden impliziert, dass diese Prozesse auch vom individuellen Wissen der Akteure abhangen. Akteure werden im Rahmen der Strukturationstheorie als reflexiv agierende „knowledgeable agents" (kompetente Akteure) verstanden (vgl. etwa Giddens 1984, S. 5; Windeler 1997, S. 182 ff.). Dies meint, dass Akteure mehr oder weniger bewusst individuelle und organisational Wissensbestande in ihren Praktiken verwenden. Akteure wissen eine Menge uber sich, iiber ihr Handeln sowie iiber die strukturellen Bedingungen und Quellen ihres Handelns (Giddens 1984, S. 26). Sie wissen entsprechend auch um Kompetenzen, Services und Ressourcen und setzten sie in ihren je spezifischen Handlungskontexten in konkreten organisationalen Praktiken um. Wissen um Ressourcen ist zugleich ein „Wissen um Strukturen" (Kiefiling 1988, S. 122), das faktisch nur im Handeln und im Wissen

210

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

der Akteure zum Ausdruck kommt. „ Structure exists only as memory traces, the organic basis of human knowledgeability, and as instantiated in action" (Giddens 1984, S. 377). Sowohl strukturelle Ressourcen als auch der VoUzug von Services basieren damit auf dem Wissen von knowledgeable agents. Organisational Kompetenzen stehen mit individuellen Kompetenzen in einem Verhaltnis wechselseitiger Konstitution, da individuelle Akteure das Wissen um Ressourcen stets im Rahmen ihrer eigenen Fahigkeiten kontextabhangig anwenden und einsetzen und damit zur Reproduktion der Ressourcen beitragen. Die in Abbildung 1 dargestellte Rekursivitat von Ressourcen und Services lasst sich somit analytisch um die Rekursivitat von Services und dem Wissen der Akteure erweitern (Abb. 2). Ressourcen und Services - so unsere strukturationstheoretische Rezeption von Penrose (1959) - basieren auf dem Wissen der kompetenten Akteure und ermoglichen gleichzeitig die Entstehung und Reproduktion dieses Wissens.

Abb. 2:

Rekursivitat von Ressourcen, Services und Wissen im Modell der Wettbewerbsfaktoren von Penrose (1959P

/

'f

organizational resources

\

organizatbnal competencies

\ services

f

J \

individual competencies

individual knowledge

1 211

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

In unserem Verstandnis organisationaler Praktiken setzen wir nicht voraus, dass das Wissen der Akteure stets explizites Wissen ist, es kann sich durchaus um „handlungspraktisches Wissen" handeln (Giddens 1984). Kompetente Akteure „wissen, wie man es macht, vielleicht besser: sie wissen es zu tun, sie verstehen sich darauf, ohne dass sie genau explizieren konnen, wie und warum sie es tun (miissen)" (Ortmann et al. 1997, S. 318, Hervorh.i.Orig.). Das reflexive Handeln griindet in der Anwendung von Wissen und dies schliefit nicht unbedingt ein, dass das Wissen explizit reflektiert wird oder werden kann. Wissen iiber wettbewerbsrelevante Verfahrensweisen in der Organisation kann damit auch praktisches und implizites Wissen sein, das kaum artikuliert werden kann (vgl. auch Sydow et al. 1995, S. 29). Anders als im Knowledge-based View gilt in der Strukturationstheorie allerdings das Wissen als „Erinnerungsspuren" („memory traces") der individuellen Akteure (Giddens 1984, S. 25). Unsere strukturationstheoretische Perspektive setzt sich somit deutlich von den Versuchen des Knowledge-based View ab, implizites Wissen originar dem koUektiven Akteur „Unternehmung" zuzuschreiben. Sie bindet das organisational Wissen deutlich enger an aktiv handelnde Akteure, ohne jedoch die strukturelle Dimension koUektiver Tatbestande auszublenden. Weder existieren diese koUektiven Tatbestande voUstandig unabhangig von den Akteuren, noch wirken sie deterministisch auf diese ein. Gleichzeitig sind die Akteure jedoch nicht einfach aus ihrem System herauslosbar und somit ihr Wissen einfach transferierbar; ihr Wissen ist in unserem Akteursmodell ja zugleich durch die organisationalen Praktiken fest in die Systemreproduktion eingewoben. Diese Einbettung des Wissens in das konkrete soziale System bzw. die Organisation stellt eine zentrale Imitationsbarriere fiir wettbewerbsrelevante organisationale Ressourcen bzw. organisationales Wissen dar. Wie diese Einbettung des individuellen in organisationales Wissen konzeptualisiert werden kann, und unsere Uberzeugung, dass dies nicht nur fur implizites, sondem auch fiir explizites Wissen gilt, wird im folgenden Abschnitt thematisiert.

Wissen als Ressource - Ressourcen als Wissen Die strukturationstheoretische Reformulierung der Theorie der Wettbewerbsvorteile von Penrose (1959) geht davon aus, dass die fundamental RoUe von Akteuren nicht nur aus dem Mechanismus der Dualitat von Struktur resultiert, sondern auch aus den individuellen Wissensbestanden der Akteure. Im Rahmen der Strukturationstheorie impliziert der Rekurs auf individuelles Wissen allerdings keinen methodologischen Individualismus; das explizite Ziel der Strukturationstheorie ist es ja, den Dualismus von methodologischem Individualismus und KoUektivismus mit Hilfe der Denkfigur

212

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

der Dualitat von Struktur zu iiberwinden. Idiosynkratische individuelle Wissensbestande werden immer in einer rekursiven Konstitutionsbeziehung mit kollektivem Wissen gedacht (s. Abb. 2, vgl. ausfiihrlich mit dem Fokus auf Rationalitat Becker 1996). AUerdings bedarf die Strukturationstheorie in Bezug auf ihr Wissenskonzept fiir unsere Zwecke der Erganzung, weil auch sie in den bisherigen Darstellungen liberwiegend geteiltes Wissen, insbesondere in der Form des „gegenseitigen Wissens'' iiber soziale Praktiken („mutual knowledge"), in den Vordergrund stellt, ohne allerdings die Relevanz individuellen Wissens prinzipiell zu negieren (vgl. Giddens 1976, S. 88 ff., 1984, S. 4; Duschek 2001 ).3 Diese Konzentration auf geteiltes Wissen erschwert auch in der Strukturationstheorie den Blick auf die zentrale Rolle ungeteilter Expertise fiir dauerhafte Wettbewerbsvorteile. Zur Fundierung einer Theorie wissensbasierter Ressourcen und Kompetenzen erscheint es angebracht, ein Konzept organisationalen Wissens zu formulieren, das auch verteilte Expertise, die im Grenzfall das idiosynkratische Wissen einer einzelnen Person sein kann, als Bestandteil zulasst.

4.1

Organisationales Wissen und transaktive Wissenssysteme

Fiir den Knowledge-based View hatten wir im zweiten Abschnitt gezeigt, dass er organisationales Wissen nur dann als wettbewerbsrelevante Ressource ansieht, wenn es geteiltes Wissen ist (Haas/Hansen 2005). Weiterhin wird postuliert, dass Akteure nicht die einzigen und auch nicht die wichtigsten Trager dieses Wissens seien (Berman et al. 2002; Hatch/Dyer 2004). Stattdessen werden koUektiv verdinglichte Routinen und Praktiken von Unternehmungen als die zentralen Trager und Speicherorte organisationalen Wissens angesehen (Nelson/Winter 1982; Spender 1996).^ Dies ist allerdings eine strukturdeterministische Position, die emergente soziale Phanomene wie Routinen und Praktiken reifiziert (vgl. Grant 1996, S. 113). Diese Sichtweise ist iiberdies nicht kompatibel mit der hier vertretenen strukturationstheoretisch inspirierten Lesart von Penroses (1959) Konzeption von Wettbewerbsvorteilen, die erst in der situationsspezifischen Anwendung von Ressourcen in Services realisiert werden konnen: Diese Anwendung erf order t Wissen der Akteure, sie ist gerade nicht der „wissensfreie'' Vollzug von Automatismen. Die Rolle von Wissen fiir die Generierung von Ressourcen und Services lasst sich u.E. besser verstehen und konzeptualisieren, wenn man zundchst da von ausgeht, dass Wissen stets individuelles Wissen ist. In Anlehnung an die Kognitionswissenschaft (Klix 1988; Seel 1991) und die Semiotik (Uexkiill/Kriszat 1934/1983; Noth 1995) lasst sich der Begriff des Wissens am besten anhand des Unterschieds zu Information und Daten verdeutlichen. Dinge oder Objekte, denen keine Bedeutung zugeordnet ist, werden als Daten bezeichnet. Daten werden zu Information, wenn ihnen Bedeutung zugewiesen wird; Information wird daher durch Bedeutungszuweisung durch ein kognitives

213

$.

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

System produziert. So sind die reinen Daten in einer SPSS-Datei ohne Variablenbeschreibung und deren Einbettung in einen Kontext bedeutungslos; erst auf der Basis von Theorien, zu priifender Hypothesen etc., werden sie bedeutungsvolL Wissen hingegen ist Information, die in einen kognitiven Kontext, in ein System von Bedeutungen eingebettet ist. Das bedeutet auch, dass Information nur vor dem Hintergrund von Wissen produziert werden kann. Was namlich fiir eine Person ein bedeutsames Datum ist, hangt wiederum von ihrem Wissen, also dem Bedeutungssystem ab. Wissen ist daher stets an Personen und deren Gedachtnis gebunden. Im Gegensatz zu anderen Autoren (z.B. Walsh/Ungson 1991; Casey/Olivera 2003) betrachten wir nur das (menschliche) Gedachtnis als Ort der Speicherung von Wissen. Aufierhalb des menschlichen Gedachtnisses konnen allenfalls Informationen gespeichert werden, so zum Beispiel in Datenbanken, Biichem oder Archiven. Damit wird die Verwendung des Wissensbegriffs eingeschrankt auf Akteure, die zur Kommunikation fahig sind. In der Verbindung mit der Theorie der Strukturation und ihrem Konzept der „ knowledgeable agents" (Giddens 1984) wird deutlich, dass diese Eingrenzung keine reduktionistische oder individualistische Perspektive auf Wissen impliziert, weil das Wissen der Akteure durch ihr unvermeidlich soziales Handeln rekursiv in die Konstitutionsprozesse sozialer Systeme eingebunden gedacht ist. Wir hatten oben dargestellt, dass in strukturationstheoretischer Perspektive insbesondere die strukturellen Aspekte von Ressourcen in Form von individuellen Wissensbestanden der Akteure handlungsrelevant werden. Die koUektiven Wissenspraktiken sind als „memory traces" (Giddens 1984) in den Gedachtnissen der individuellen Akteure gespeichert. Es kann daher keine Erklarung organisationaler Kompetenzen ohne Rekurs auf individuelles Wissen geben. Gleichzeitig gilt, dass das individuelle Wissen nicht im luftleeren Raum entsteht, sondem im Rahmen je unterschiedlicher sozialer Systeme. Die Denkfigur der Dualitat von Struktur (Giddens 1984) erlaubt, diese soziale Einbettung der Akteure mitzudenken. Die Akteure machen die Erfahrungen, aus denen sich ihr individuelles Wissen formt, in spezifischen sozialen Kontexten, in Organisationen oder organisationalen Einheiten ebenso wie in vor-, trans- und aufierorganisationalen sozialen Systemen. Dieses hier vorgeschlagene Verstandnis von Wissen macht die in der Literatur immer wieder diskutierten Probleme des Wissenstransfers verstandlich. Dieser erfordert in erster Linie Kommunikation, die von Akteuren abhangt, die allein dazu in der Lage sind. Dariiber hinaus impliziert Wissen in kognitionswissenschaftlicher (Anderson 2001) und konstruktivistischer Perspektive (von Glasersfeld 1987; von Foerster 1992) stets eine kognitive Konstruktion. Wissenstransfer bedeutet dann konsequenterweise die Kommunikation dieser kognitiven Konstruktion und die anschliefiende ReKonstruktion von Wissen in einem anderen kognitiven System. Konstruktivisten sprechen hier von parallelen Zustanden (MaturanaA^arela 1992). Geteiltes Wissen ist dann eine soziale Konstruktion (Becker im Druck).^

214

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

Vor dem Hintergrund eines Begriffs von Wissen als individuellem Wissen in sozialen Kontexten, lassen sich nun drei Klassen von Wissen unterscheiden, die organisationales Wissen konstituieren. Erstens handelt es sich um geteiltes, gegenseitiges Wissen im Sinne des mutual knowledge (Giddens 1984). Dieses Wissen bildet die Basis, die erst das gemeinsame Agieren der Akteure in einer Organisation ermoglicht. Es umfasst so unterschiedliche Dinge wie grundlegendes geteiltes Wissen um basale soziale Praktiken des alltaglichen Umgangs miteinander, wie sie etwa von Berger und Luckmann (1966) als Institutionen oder in der Ethnomethodologie (Garfinkel 1967) als Alltagswissen beschrieben werden. Weiterhin bildet die Sprachkompetenz einen wichtigen geteilten Wissensbestand, der von besonderer Bedeutung fiir die Kommunikation ist. Neben diesem eher allgemeinen und die Organisation iibergreifenden AUtagswissen existiert in jeder Organisation ein organisationsspezifischer Bestand geteilten Wissens liber grundlegende organisational Ablaufe, Zustandigkeiten etc. Dieses geteilte Wissen wird im Prozess der Sozialisation in der Organisation erworben. Zweitens existieren spezifische ungeteilte Expertisebereiche in jeder Organisation. Sie werden durch Arbeitsteilung und Spezialisierung ebenso hervorgebracht wie durch die Schaffung formaler Organisationsstrukturen mit ihren Untergliederungen in Abteilungen, Arbeitsgruppen etc. Informelle Gruppen konnen ebenfalls spezifische Expertise generieren. Diese ungeteilten Wissensbestande sind haufig besonders wettbewerbsrelevant, weil sie die idiosynkratischen Kompetenzen der Organisation bilden (Berman et al. 2002). Diese Wissensbestande sind jedoch nur zum Teil und insbesondere nicht organisationsweit geteilt, sondern zumeist innerhalb der engen Grenzen, in der die jeweilige Expertise relevant ist (Hatch/Dyer 2004). Die dritte Klasse von relevantem Wissen bildet das soziale Metawissen (Brauner 2006). Das Konzept des Metawissens beruht zunachst auf der Unterscheidung von Objektwissen und Metawissen. Wahrend als Objektwissen das Wissen liber Dinge und Prozesse bezeichnet werden kann, ist Metawissen Wissen iiher Wissen (Nelson 1992, 1999). Metawissen ist nicht eine andere Form des Wissens, sondern bezeichnet die Tatsache, dass der spezifische Wissensinhalt nicht ein konkreter oder abstrakter Gegenstand, sondern ebenfalls Wissen ist. Aus individualpsychologischer Sicht umfasst personliches Metawissen das Wissen einer Person liber das eigene Wissen. Relevant flir soziale Systeme wird Metawissen, wenn darliber hinaus Wissen liber das Wissen anderer entsteht. Ebendies wird als soziales Metawissen bezeichnet, das aber ebenfalls in individuellen Gedachtnissen gespeichert ist. Das Metawissen liber andere Akteure bzw. deren Wissen wird liberwiegend in der Interaktion und Kommunikation gewonnen. Dabei entstehen Systeme, die das individuelle und idiosynkratische Wissen einzelner Personen durch das in der Kommunikation entstandene soziale Metawissen verbinden. Diese werden in Anlehnung an Wegners (1987, 1995; Wegner et al. 1985) Konzept des „transactive memory system'' als transaktive Wissenssysteme bezeichnet. Das Konzept wurde auf Paarbeziehungen (Wegner 1987, 1995; Wegner et al. 1985), Gruppen (Brauner 2002, 2003; Moreland et al. 1996, 1998), Arbeitsgruppen (Brauner 2001, 2002; Moreland 1999) und auf Organisationen (Anand et al. 1998; Brauner/Becker

215

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

2006) ubertragen.6 Transaktive Wissenssysteme bestehen damit aus individuell gespeichertem Wissen einzelner Akteure, das iiber ebenfalls individuell gespeichertes aber soziales Metawissen ebendieser und anderer Akteure fiir das soziale System zuganglich ist und ausschliefilich liber dieses soziale Metawissen sozial geteilt werden kann. Soziales Metawissen umfasst auf der einen Seite Wissen iiber die Speicherorte und die Qualitat von Wissen. Es ist Wissen dariiber, welche Person in einer Organisation oder einem Team iiber welche Expertise verfiigt und wie zuverlassig das Wissen dieser Person ist. Es wird in besonders effizienter Weise in Interaktionen erworben; technische Speichermedien wirken zwar unterstiitzend, konnen die Interaktion aber meist nicht ersetzen (HindsAVeisband 2003; Pipek et al. 2003).^ Auf der anderen Seite kann soziales Metawissen auch Wissen iiber Strategien der Wissensakquisition (z.B. Erhebungstechniken bei Beratungsprozessen) und der Wissenspriifung (z.B. Techniken der Validierung von Informationsquellen) umfassen. In einem transaktiven Wissenssystem sind die individuellen Wissensbestande der beteiligten Akteure durch soziales Metawissen vemetzt. Objektwissen braucht daher nicht unbedingt geteilt zu sein, damit es innerhalb des transaktiven Wissenssystems verfugbar ist. Die Voraussetzung ist lediglich, dass soziales Metawissen iiber die Existenz dieses Objektwissens bei einer anderen Person vorhanden ist. Soziales Metawissen kann dabei wechselseitig oder einseitig sein. Beim wechselseitigen sozialen Metawissen wissen die Akteure gegenseitig liber ihre Wissensbestande bzw. ihre Expertisebereiche Bescheid. Beim einseitigen sozialen Metawissen weifi ein Akteur iiber die Expertise des oder der anderen Bescheid, aber nicht umgekehrt. Je starker ausgepragt das wechselseitige Metawissen innerhalb eines transaktiven Wissenssystems ist, desto besser entwickelt ist das System. Das Konzept der transaktiven Wissenssysteme erlaubt nun, organisationales Wissens auf neue Weise zu beschreiben (Brauner/Becker 2001; Brauner et al. 2005). Transaktive Wissenssysteme beschreiben die Form der sozialen Organisation von Objekt- und Metawissen, die konstitutiv ist fiir die Verfiigbarkeit dieses Wissens in Organisationen. Damit kann organisationales Wissen als die spezifische soziale Organisation des (individuellen) Wissens innerhalb einer Organisation betrachtet werden. Organisationales Wissen ist damit eine spezifische Form der Organisation des Wissens - und nicht ein besonderer Typ von Wissen. Organisationales Wissen umfasst in dieser Perspektive die individuellen geteilten und/oder ungeteilten Wissensbestande organisationaler Akteure, die durch gegenseitiges und/oder einseitiges Metawissen miteinander vernetzt sind. Dabei ist in aller Kegel nicht davon auszugehen, dass sich das Metawissen der Akteure iiber die gesamte Organisation erstreckt - zumal, wenn es sich um groi^e Unternehmungen handelt (vgl. Anand et al. 1998). Vielmehr ist zu erwarten, dass sich hauptsachlich auf der Ebene von Teams oder kleineren Organisationseinheiten, in denen haufige personliche Interaktion moglich ist, lokale transaktive Wissenssysteme herausbilden. Diese sind dann netzwerkformig durch das Metawissen grenziiberschreitend agierender Akteure miteinander verbunden. Die Organisation des Wissens in Organisationen lasst sich also auch als ein Netzwerk lokaler und globaler trans-

216

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

aktiver Wissenssysteme beschreiben. Ein Mindestmafi an geteiltem Wissen und sozialem Metawissen ist die Voraussetzung flir das Funktionieren transaktiver Wissenssysteme in Organisationen. Wie bereits angesprochen, muss wenigstens grundlegendes geteiltes Objektwissen vorhanden sein, um eine Verstandigung der Akteure untereinander zu ermoglichen. Aufierdem ist ein gewisser Bestand an geteiltem sozialem Metawissen iiber dieses basale Wissen erforderlich, damit Akteure verlassliche Erwartungen iiber das von anderen zu erwartende Handeln bilden konnen. Das von Giddens (1984) beschriebene mutual knowledge muss mit anderen Worten von den Akteuren auch als solches - namlich geteiltes Wissen - erkannt werden, wodurch wechselseitiges soziales Metawissen iiber das gegenseitige Wissen entsteht.

4.2

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvortei le

Vor dem Hintergrund des reformulierten Begriffs organisationalen Wissens lasst sich nun auch der Prozess der rekursiven Konstitution von Kompetenzen in der organisationalen Praxis genauer fassen. Ressourcen und Kompetenzen bzw. Weisen der Nutzung von Ressourcen basieren auf dem Wissen der Akteure. In der Generierung und im enactment dieser Ressourcen und Kompetenzen stehen ihnen die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen drei Klassen von Wissen zur Verfiigung: geteiltes Wissen in Form von Alltags- und/oder Fachwissen, ungeteiltes Spezialwissen und soziales Metawissen. Das geteilte Alltagswissen und Wissen um organisationale Aufgaben und Praktiken ermoglicht iiberhaupt erst das Handeln in der Organisation. Im Vollzug ihrer Aufgaben innerhalb der Organisation greifen die Akteure in unterschiedlichem Mafie - namlich nach Mafigabe der Anforderungen der Aufgabe - einerseits auf ihr eigenes Spezialwissen zuriick. Soziales Metawissen ermoglicht ihnen dabei, ihre eigenen Handlungen und Routinen sinnvoll zu vollziehen, well sie um die Kompetenzen und Routinen der anderen wissen. Andererseits ermoglicht soziales Metawissen gerade in Situationen, in denen innovatives Handeln erforderlich ist, Akteure mit relevanten Wissensbestanden zu identifizieren und auf deren Kompetenzen zuzugreifen, ohne sie selbst zwangslaufig erwerben zu miissen. Die effiziente Nutzung ungeteilten Wissens wird durch die Existenz von sozialem Metawissen bzw. die Existenz transaktiver Wissenssysteme ermoglicht. Im Gegensatz zum Knowledge-based View miissen wir dabei nicht annehmen, dass dieses Wissen geteilt - also jeweils selbst angeeignet - werden muss. Dadurch, dass ihm das Konzept des sozialen Metawissens fehlt, ist der Knowledge-based View gezwungen, eine eher unklare Konzeption impliziten koUektiven Wissens als Basis von Wettbewerbsvorteilen anzunehmen. Vor dem Hintergrund unserer Uberlegungen zum Begriff des individuellen und organisationalen Wissens konnen wir die darin enthaltene Problematik nun in einer anderen Perspektive formulieren. Wenn Wissen stets

217

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

individuelles Wissen ist, dann macht es keinen Sinn, die Idee des impliziten Wissens bzw. tacit knowledge (Polanyi 1966; vgl. auch Reber 1989, 1993) auf eine koUektive Ebene zu iibertragen. Hier bekommt das „implizit" unter der Hand einen anderen Sinn als in der urspriinglichen Fassung, in der es sich ja auf nicht verbalisierbares individuelles Wissen bezieht (vgl. auch Litman/Reber 2005; Schreyogg/Geiger 2005). Bei Spender (1994, 1996) sowie Nonaka und Takeuchi (1995) bedeutet „implizit" namlich, dass ein Wissen der Organisation nicht unmittelbar zuganglich ist, mit anderen Worten: Es handelt sich um wettbewerbsrelevantes ungeteiltes Wissen, das dem Management entzogen ist, weil es ungeteilt ist. So jedenfalls lasst sich die Wissensspirale von Nonaka und Takeuchi (1995) interpretieren. Das ist aber problematisch nicht nur aufgrund des kategorialen Fehlers der Vermischung von individuellem und kollektivem Wissen, sondem weil es gerade den Blick auf die Relevanz ungeteilter Expertise verstellt. Ungeteiltes - und insbesondere auch explizites - Spezialwissen kann (und wird haufig) gerade in dieser ungeteilten Form wertvoll sein; das ist eine wesentliche Einsicht, die sich vor dem Hintergrund des Konzepts der transaktiven Wissenssysteme (Brauner 2002) gewinnen lasst. Die auf der Vorstellung impliziten koUektiven Wissens beruhende Idee der kausalen Ambiguitat (Barney 1991) stiftet, wie wir oben aufgezeigt haben, mehr Unklarheit als Klarheit (vgl. insbes. Wilcox-King/Zeithamel 2001); sie fiihrt gerade nicht dazu, dass die Nichtimitierbarkeit von Ressourcen erklart wird. Imitationsbarrieren werden vielmehr faktisch als nicht erklarbar deklariert. Das ist aber eine denkbar problematische Basis fiir eine Theorie ressourcenbasierter Wettbewerbsvorteile. Auf der Basis transaktiver Wissenssysteme und der Strukturationstheorie hingegen lasst sich die Nichtimitierbarkeit (auch expliziten) organisationalen Wissens und organisationaler Kompetenzen durchaus plausibel erklaren: Organisationale Praktiken sind hochgradig idiosynkratisch, weil sie auf der Verwirklichung durch situierte Akteure und der Anwendung ihres spezifischen Wissens beruhen. In diesen organisationalen Praktiken der Generierung von Services aus Ressourcen werden die Ressourcen - organisationales Wissen - rekursiv konstituiert und reproduziert. Das bedeutet, dass das zur Anwendung kommende Wissen nicht unabhangig von seinem konkreten Verwirklichungskontext gedacht werden kann; es ist als handlungsrelevantes Wissen hochgradig spezifisch und nicht problemlos in andere Kontexte ubertragbar.8 In unserer Perspektive ist diese Spezifitat der Ressourcen zwei Ursachen geschuldet: Erstens weisen die Ressourcen stets auch strukturelle Merkmale auf. Wir hatten oben in unserer strukturationstheoretischen Lesart der Penrose'schen (1959) potential services argumentiert, dass diese strukturellen Momente der Ressourcen ihre Anwendbarkeit fiir die Generierung unterschiedlicher Services begriindet. Gleichzeitig gilt aber, dass diese strukturellen Aspekte im Prozess der Strukturation (Giddens 1984) innerhalb eines konkreten organisationalen Kontexts stehen und entstehen. Sie sind also nicht einfach - beispielsweise durch das Abwerben von Personal - von diesem Kontext ablosbar und in einen anderen Kontext iibertragbar. Zweitens beruhen die organisationalen Kompetenzen mindestens zum Teil auf ungeteiltem Spezialwissen bzw. idio-

218

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

synkratischen Kompetenzen einzelner Organisationsmitglieder oder Gruppen von Organisationsmitgliedern, die in ein organisationsspezifisches Netz transaktiven Wissens eingebettet sind, und deren effiziente Nutzung nicht unabhangig von diesen organisationsspezifischen transaktiven Wissenssystemen zu denken ist. Diese doppelte Einbettung von Ressourcen in organisationale Praktiken und organisational transaktive Wissenssysteme bildet eine wirksame Imitationsbarriere: Wissen kann nicht einfach aus einem Kontext in einen anderen Kontext bzw. aus einem Unternehmen in ein anderes Untemehmen transferiert werden.9 Das ist die eigentliche Basis der stickiness (von Hippel 1994) organisationaler Ressourcen.

Schluss: Zu einem Transactive Knowledge-based View organisationaler Kompetenzen Der Knowledge-based View des strategischen Managements identifiziert idiosynkratische, schwer transferier- und imitierbare Ressourcen und aus ihnen abgeleitete organisationale Kompetenzen als die Basis von dauerhaften Wettbewerbsvorteilen von Untemehmen. Er erklart nun diese Potenz organisationaler Ressourcen oder Kompetenzen zur Generierung dauerhafter Wettbewerbsvorteile damit, dass diese implizites und kollektiv geteiltes Wissen darstellten, das in den Praktiken der Organisation historisch tief verankert sei. Dadurch sei die Kausalitat der Entstehung von Wettbewerbsvorteilen nicht durchschaubar. Diese kausale Ambiguitat zusammen mit dem impliziten und kollektiv geteilten Charakter des organisationalen Wissens bildeten wirksame Imitationsbarrieren und konnten auf diese Weise die Dauerhaftigkeit von Wettbewerbsvorteilen plausibel erklaren. An dieser Argumentation erscheint uns problematisch, dass damit Imitationsbarrieren und die Genese von Ressourcen auf letztendlich nicht analysierbare Prozesse zuriickgefiihrt werden; sie werden damit faktisch als nicht erklarbar deklariert. Gleichzeitig werden die organisationalen Akteure als eigentliche Trager des Wissens in Organisationen aus dem Ansatz hinausdefiniert, indem als Wissensspeicher organisationale Routinen oder Praktiken angenommen werden. Schliefilich erweist sich als problematisch, dass der Knowledge-based View das ungeteilte Spezialwissen, das ja haufig eine wesentliche Quelle spezieller Kompetenzen ist (Hayek 1945), schlichtweg ignoriert und durch die Konzentration auf geteiltes Wissen implizit als unwichtig deklariert. Wir haben als Konsequenz aus dieser Kritik am Knowledge-based View eine alternative Formulierung organisationalen Wissens und organisationaler Kompetenzen als Basis fiir ein neues Konzept der Generierung dauerhafter Wettbewerbsvorteile vorgeschlagen. Indem wir Penroses (1959) Konzeption strukturationstheoretisch reformu-

219

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

lieren, konnen wir den Prozess der rekursiven Konstitution von Ressourcen im Zuge ihrer situativen Anwendung in der Erstellung von Services exakter, als rekursives Zusammenspiel struktureller Ressourcen und ihrer situierten Verwirklichung als Services durch knowledgeable agents (Giddens 1984), beschreiben. Das Wissen, auf das die Akteure dabei zuriickgreifen, haben wir als drei Klassen von Wissen systematisiert: geteiltes Wissen, ungeteiltes (Spezial-)Wissen und transaktives Metawissen, und haben gezeigt, wie diese drei Klassen von Wissen als organisationales Wissen zusammenspielen. Organisationales Wissen haben wir definiert als spezifische Organisationsform geteilten und ungeteilten Objektwissens und Metawissens, namlich als Integration des ungeteilten Objektwissens durch ein Netzwerk transaktiver Wissenssysteme (Brauner 2002) auf einer notwendigen Basis geteilten Wissens. Diese transaktiven Wissenssysteme ermoglichen einerseits den Zugriff auf ungeteilte spezialisierte Wissensbestande und bilden anderseits eine wirksame Imitationsbarriere auch fiir explizites Wissen, well dieses nur in spezifischen Kontexten organisationaler Praktiken und organisationaler transaktiver Wissenssysteme (wettbewerbs-)wirksam eingesetzt werden kann. Ein solcher transactive knowledge-based view kommt ohne die zentrale Stellung des impliziten koUektiven Wissens aus und wird so deutlich erklarungsmachtiger. Ein Blick in die Black Box organisationaler Kompetenzen und der kausalen Ambiguitat ihrer Entstehung und Nichtimitierbarkeit wird moglich. Zudem ergeben sich in diesem transactive knowledge-based view nicht nur neue Ansatzpunkte fiir das Verstandnis, sondern auch fiir das Management von Kompetenzen. Vor dem Hintergrund der Strukturationstheorie mit der zentralen Stellung von knowledgeable agents und der sozial- und kognitionspsychologischen Untermauerung der knowledgeability durch die Unterscheidung von Wissen und Metawissen riicken die Akteure, ihre situierten Praktiken und die strukturellen Momente organisationalen Wissens starker ins Zentrum eines so erweiterten Knowledge-based View. Dadurch wird es zunachst schwieriger, konkrete Handlungsanweisungen im Sinne allgemein giiltigen Rezeptwissens zu geben. Organisational Kompetenzen und ihre Genese sind stets pfadabhangig („history matters") und in dieser Hinsicht nicht durch Normstrategien zu steuern. Es gibt keinen „one best way" zur Erlangung idiosynkratischer Kompetenzen und darauf aufbauender dauerhafter Wettbewerbsvorteile; das ware auch ein Selbstwiderspruch. Neue Perspektiven ergeben sich aber in anderer Hinsicht. In unserer Perspektive riickt das Personal als strategischer Faktor in besonderem Mafie in den Mittelpunkt. Hatte beispielsweise Schreyogg bereits 1987 auf die zentrale Bedeutung des Personals fiir die M5glichkeit der Formulierung und Implementation von Strategien hingewiesen, so lasst sich dies nun einerseits mit den Erkenntnissen von Hatch und Dyer (2004) untermauern. Sie zeigen in ihrer Untersuchung die Relevanz der personalpolitischen Mafinahmen - Personalauswahl, Personaleinsatz sowie Aus- und Weiterbildung - fiir die Aufrechterhaltung von dauerhaften Wettbewerbsvorteilen auf. Andererseits konnen wir dies mit Erkenntnissen aus der Forschung zum Wissensmanagement erganzen. Ubereinstimmend sind namlich dort die Diagnosen, dass technische Losun-

220

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

gen als isolierte Mafinahmen zum Management organisationalen Wissens problematisch erscheinen, well diese die personliche face-to-face Interaktion nicht ersetzen konnen (Pipek et al. 2003; HindsAVeisband 2003): Beispielsweise erfordert Zusammenarbeit die Etablierung von Glaubwiirdigkeit von kooperierenden Akteuren (Maznewski/Athanassiou 2003) oder eine entprechende „ culture, and not infrastructure or systems'' (Newell et al. 2001, S. 110). Entsprechendes gilt fiir den Aufbau transaktiven Wissens (HoUingshead 1998). Die Entwicklung der organisationalen Wissensbasis erfordert insbesondere gezielte Mafinahmen der Personalentwicklung, die den Erwerb von transaktivem Metawissen fordern. Solche Mafinahmen konnen selbstverstandlich nicht eine gute Geschaftsidee ersetzen, aber zur Entwicklung der transaktiven Wissenssysteme als einer zentralen Voraussetzung zur Erlangung dauerhafter Wettbewerbsvorteile dienen.

Anmerkungen 1 Nur am Rande sei hier erwahnt, dass die Annahme, dass der organisationale Wert individuellen Wissens umso grofier ist, je starker es geteilt wird (vgl. z.B. van den Hooff/de Leeuw van Weenen 2004, S. 13), die begrenzte Kapazitat von Individuen zur Informationsverarbeitung (vgl. insbes. Simon 1951) ignoriert. 2 Die Struktur dieser Abbildung ist angelehnt an die Abbildung 4 in Ortmann et al. (1997, S. 340). Siehe fiir den Entwurf einer strukturationstheoretischen Mehrebenenperspektive der Konstitution von Kompetenzen auch Sydow et al. (2003, S. 31 ff.). 3 Unter „mutual knowledge" versteht Giddens den Bestand an von alien oder den meisten Akteuren geteiltem Alltagswissen, der es Akteuren innerhalb eines sozialen Systems iiberhaupt ermoglicht, sich miteinander zu verstandigen und koordiniert zu handeln (Giddens 1976, S. 88 ff., 1984, S. 4). Dieses gegenseitige Wissen ist die Basis, auf der alle Interaktionen innerhalb eines Systems aufbauen. Dabei gibt es gesellschaftlich bzw. kulturell geteiltes Wissen ebenso wie organisationsspezifisches „mutual knowledge". Wir kommen weiter unten wieder auf die Bedeutung dieses Wissens fiir organisationales Wissen zu sprechen. 4 Hier korrespondieren die Arbeiten aus dem Knowledge-based View im Ubrigen mit der Perspektive des Mainstreams der „practice-based studies" in der Organisationstheorie, dass Wissen in Praktiken gespeichert sei (Cook/Brown 1999; Gherardi 2000; Brown/Duguid 2001). 5

Es liefie sich hier im Ubrigen auch auf Luhmanns Kommunikationsbegriff verweisen; Luhmann (1984, S. 198) argumentiert, dass Kommunikation letztendlich vom Verstehen auf Seiten der adressierten Person abhangt und mithin ein selbstreferenzieller Prozess sei.

6

Berman et al. (2002, S. 15 f.) unterscheiden vom Sachwissen eine interpretative Komponente des Wissens; sie beinhalte jene Wissensbestandteile, die ein Akteur iiber das Handeln der anderen Akteure und ihre Handlungsmuster erwirbt. Berman et al. beziehen sich in diesem Zusammenhang kurz auf das Konzept des transactive memory. Sie wenden es aber gleich wieder in der Tradition des Knowledge-based View ins Implizite: „knowledge that is both dispersed and embedded within a network of social relations by its very nature tends to be tacit" (Berman et al. 2002, S. 16). Das mag fiir die von ihnen gewahlten Beispiele - Basketballteams und

221

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

Segelcrews - in Grenzen zutreffend, scheint aber beispielsweise fiir eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung eine wenig hilfreiche Beschreibung zu sein. Unter Metawissen konnte man auch das Wissen um andere Speicherorte von Informationen wie Datenbanken, Bibliotheken etc. subsumieren. Im strengen Sinne handelt es sich allerdings nicht um Wissen iiber Wissen, sondem um Wissen iiber Daten und/oder Informationen. Diese mangelnde Ubertragbarkeit aufgrund der Kontextspezifitat ist auch eine zentrale These von Hatch und Dyer (2004). Sie begriinden sie allerdings ganz in der Tradition des Knowledge-based View stehend mit dem entscheidenden Anteil des impliziten Wissens. Im Rahmen der practice-based studies in der Organisationstheorie bzw. der Theorie organisat i o n a l Wissens und Lernens (z.B. Cook/Brown 1999; Gherardi 2000; TsoukasA^ladimirou 2001) wird gegen einen Begriff von Wissen, der dieses als an Personen gebunden versteht, der Vorwurf erhoben, dass damit eine ,reification of knowledge' als ,objectified transferable commodity' stattfinde (so Gherardi 2000, S. 213). Unsere Argumentation hat gezeigt, dass dieser Vorwurf nicht haltbar ist und auf einem zu einfachen Verstandnis von individuellem Wissen beruht.

Literaturverzeichnis Anand, V./Manz, C.C./Glick, W.H. (1998): An organizational memory approach to information management. In: Academy of Management Review 23, S. 796-809. Anderson, J.R. (2001): Kognitive Psychologie. 3. Aufl. Heidelberg. Barney, J.B. (1986): Organizational culture: Can it be a source of sustained competitive advantage? In: Academy of Management Review 11 (3), S. 656-665. Barney, J.B. (1991): Firm resources and sustained competitive advantage. In: Journal of Management 17 (1), S. 99-120. Barney, J.B.AVright, M./Ketchen, D. (2001): The resource-based view of the firm: Ten years after 1991. In: Journal of Management 27, S. 625-641. Becker, A. (1996): Rationalitat strategischer Entscheidungsprozesse: Ein strukturationstheoretisches Konzept. Wiesbaden. Becker, A. (im Druck): Die soziale Konstruktion von Rationalitat. In: Hinterhuber, H.H./Friedrich, S.A./Al-Ani, A./Handlbauer, G. (Hrsg.): Das Neue Strategische Management. 3. Aufl. Wiesbaden. Berger, P./Luckmann, T. (1966): The social construction of reality: A treatise in the sociology of knowledge. New York.

222

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

Berman, S.L./Down, J./Hill, C.W.L. (2002): Tacit knowledge as a source of competitive advantage in the National Basketball Association. In: Academy of Management Journal45, S. 13-31. Brauner, E. (2001): Wissenstransfer in Projektgruppen: Die Rolle des transaktiven Gedachtnisses. In: Fisch, R./Beck, D./Englich, B. (Hrsg.): Projektgruppen in Organisationen: Praktische Erfahrungen und Ertrage der Forschung. Gottingen, S. 237-248. Brauner, E. (2002): Transactive knowledge systems in groups and organizations. Habilitationsschrift. Humboldt-Universitat zu Berlin. Berlin. Brauner, E. (2003): Informationsverarbeitung in Gruppen: Transaktive Wissenssysteme. In: Thomas, A./Stumpf, S. (Hrsg.): Teamarbeit und Teamentwicklung. G5ttingen, S. 57-83. Brauner, E. (2006): Kodierung transaktiver Wissensprozesse (TRAWIS): Ein Verfahren zur Erfassung von Wissenstransfer in Gruppen. In: Zeitschrift fiir Sozialpsychologie 37 (2), S. 99-112. Brauner, E./Becker, A. (2001): Wormholes to organizational expertise: The management of metaknowledge. In: Crossan, M./Olivera, F. (Hrsg.): Organizational learning and knowledge management: New directions. London, Canada, S. 31-48. Brauner, E./Becker A. (2006): Knowledge management in interaction: Transactive knowledge systems and the management of knowledge. In: Renzl, B./Matzler, K./ Hinterhuber, H.H. (Hrsg.): The future of knowledge management. New York, S. 62-89. Brauner, E./Becker, A./Jordan, S. (2005): Organizational learning: The interplay of routinization and crisis in practices. In: Gherardi, S./Niccolini, D. (Hrsg.): The passion for learning and knowing: Proceedings of the 6th International Conference of Organizational Learning and Knowledge. University of Trento E-Book. Trento, S. 133-155. Bresser, R.K.F. (2004): Ressourcenbasierter Ansatz. In: Schreyogg, G./Werder, A.v. (Hrsg.): Handworterbuch Unternehmensfiihrung und Organisation. 4. Aufl. Stuttgart, Sp. 1270-1278. Brown, J.S./Duguid, P. (2001): Knowledge and organization: A social-practice perspective. In: Organization Science 12, S. 198-213. Casey, A./Olivera, F. (2003): Learning from the past: A review of the organizational memory literature. In: Easterby-Smith, M. (Hrsg.): Proceedings of the 5th International Conference on Organizational learning and knowledge (CD-ROM). Lancaster. Chandler, A.D. Jr. (1962): Strategy and structure. Chapters in the history of the American industrial enterprise. Cambridge, Mass. Collis, D.J. (1996): Organizational capabilities as a source of profit. In: Moingeon, B./ Edmondson, A. (Hrsg.): Organizational learning and competitive advantage. London etc., S. 139-163.

223

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

Conner, K.R./Prahalad, C.K. (1996): A resource-based theory of the firm: Knowledge versus opportunism. In: Organization Science 7 (5), S. 477-501. Cook, S.D.N./Brown, J.S. (1999): Bridging epistemologies: The generative dance between organizational knowledge and organizational knowing. In: Organization Science 10, S. 381-400. Craib, I. (1992): Anthony Giddens. London. Crozier, M./Friedberg, E. (1979): Macht und Organisation. Konigstein/Ts. Dierickx, I./Cool, K. (1989): Asset stock accumulation and sustainability of competitive advantage. In: Management Science 35 (12), S. 1504-1511. Diirkheim, E. (1982): The rules of sociological method and selected texts on sociology and its method. London. Duschek, S. (2001): Modalitaten des strategischen Managements - Zur strukturationstheoretischen Interpretation des Resource-based View. In: Ortmann, G./Sydow, J. (Hrsg.): Strategie und Strukturation - Strategisches Management von Unternehmen, Netzwerken und Konzemen. Wiesbaden, S. 57-89. Duschek, S. (2002): Innovation in Netzwerken: Renten, Relationen, Regeln. Wiesbaden. Duschek, S. (2004): Kompetenzen, organisational. In: Schreyogg, G./Werder, A. von (Hrsg.): Handworterbuch Unternehmensfiihrung und Organisation. 4. Aufl. Stuttgart, Sp. 612-618. Foerster, H. von (1992): Entdecken oder Erfinden. Wie laiSt sich Verstehen verstehen. In: Gumin, H./Meier H. (Hrsg.): Einfuhrung in den Konstruktivismus. Miinchen, S. 4188. Freiling, J. (2000): Entwicklungslinien und Herausforderungen des ressourcen- und kompetenzbasierten Ansatzes: Eine Einordnung in das Neue Strategische Management. In: Hinterhuber, H.H./Friedrich, S.A./Al-Ani, A./Handlbauer, G. (Hrsg.): Das Neue Strategische Management: Perspektiven und Elemente einer zeitgemafien Unternehmensfiihrung. 2. Aufl. Wiesbaden, S. 183-218. Freiling, J. (2002): Terminologische Grundlagen des Resource-based View. In: Bellmann, K./Freiling, J./Hamann, R (Hrsg.): Aktionsfelder des Kompetenz-Managements. Wiesbaden, S. 3-28. Garfinkel, H. (1967): Studies in ethnomethodology. Englewood Cliffs. Gherardi, S. (2000): Practice-based theorizing on learning and knowing in organizations. In: Organization 7 (2), S. 211-223. Geiger, D. (2006): Wissen und Narration: Der Kern des Wissensmanagements. Berlin.

224

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

Giddens, A. (1976): New rules of sociological method: A positive critique of interpretative sociologies. Cambridge. Giddens, A. (1984): The constitution of society: Outline of the theory of structuration. Cambridge und London. Glasersfeld, E. von (1987): Wissen, Sprache und Wirklichkeit. Arbeiten zum radikalen Konstruktivismus. Braunschweig. Grant, R.M. (1996): Towards a knowledge-based theory of the firm. In: Strategic Management Journal 17. Special Issue, S. 109-122. Haas, M./Hansen, M.T. (2005): When using knowledge can hurt performance: The value of organizational capabilities in a management consulting company. In: Strategic Management Journal 26 (1), S. 1-24. Hatch, N.W./Dyer, J.H. (2004): Human capital and learning as a source of sustainable competitive advantage. In Strategic Management Journal 25, S. 1155-1178. Hayek, RA. (1945): The use of knowledge in society. In: American Economic Review 35, S. 519-530. Hinds, R/Weisband, S.P. (2003): Knowledge sharing and shared understanding in virtual teams. In: Gibson, C.B./Cohen, S.G. (Hrsg.): Virtual teams that work. Chichester, S. 21-36. Hippel, E. von (1994): ,Sticky information' and the locus of problem solving: Implications for innovation. In: Management Science 40, S. 429-439. Hollingshead, A.B. (1998): Communication, learning, and retrieval in transactive memory systems. In: Journal of Experimental Social Psychology 34, S. 423-442. Hooff, B. van den /Leeuw van Weenen, R de (2004): Committed to share: Commitment and CMC use as antecedents of knowledge sharing. In: Knowledge and Process Management 11 (1), S. 13-24. Hoops, D.G./Postrel, S. (1999): Shared knowledge, ,glitches', and product development performance. In: Strategic Management Journal 20, S. 837-865. Huysman, M.AVit, D. de (2004): Practices of managing knowledge sharing: Towards a second wave of knowledge management. In: Knowledge and Process Management 11 (2), S. 81-92. Kalling, T. (2003): Organization-internal transfer of knowledge and the role of motivation: A qualitative case study. In: Knowledge and Process Management 10 (2), S. 115126. Kiefiling, B. (1988): Kritik der Giddensschen Sozialtheorie: Ein Beitrag zur theoretischmethodischen Grundlegung der Sozialwissenschaften. Fankfurt a.M. etc.

225

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek

Klix, R (1988): Gedachtnis und Wissen. In: Mandl, H./Spada. H. (Hrsg.): Wissenspsychologie. Miinchen, S. 19-54. Knyphausen, D. zu (1993): „Why are firms different": Der Ressourcenbasierte Ansatz im Mittelpunkt einer aktuellen Kontroverse im Strategischen Management. In: Die Betriebswirtschaft 53 (6), S. 771-792. Kogut, B./Zander, U. (1992): Knowledge of the firm, combinative capabilities, and the replication of technology. In: Organization Science 3 (3), S. 383-397. Kor, Y.Y./Mahoney J.T. (2004): Edith Penrose's (1959): Contribution to the resourcebased view of strategic management. In: Journal of Management Studies 41 (1), S. 183191. Krogh, G. von/Grand, S. (2002): From economic theory towards a knowledge-based theory of the firm: Conceptual building blocks. In: Chun Wei, C./Bontis, N. (Hrsg.): The strategic management of intellectual capital and organizational knowledge. Oxford, S. 163-184. Krogh, G. von/Grand, S. (2004): Wissensmanagement. In: Schreyogg, G./Werder, von A. (Hrsg.): Handworterbuch Untemehmensfiihrung und Organisation. 4. Aufl. Stuttgart, Sp. 1647-1656. Krogh, G. von/Roos, J. (1995): A perspective on knowledge, competence and strategy. In: Personnel Review 24 (3), S. 56-76. Leonard-Barton, D. (1992): Core capabilities and core rigidities: A paradox in managing new product development. In: Strategic Management Journal 13 (2), S. 111-125. Lippman, S.A./Rumelt, R.P (1982): Uncertain imitability: An analysis of interfirm differences in efficiency under competition. In: Bell Journal of Economics 13, S. 418-438. Litman, L./Reber, A. (2005): Implicit cognition and thought. In: Holyoak, K./Morrison, R. (Hrsg.): The handbook of thinking and reasoning. Cambridge, S. 431-455. Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme: Grundrifi einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M. Maturana, H.R.A^arela, F.J. (1992): Der Baum der Erkenntnis: Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens. 4. Aufl. Munchen. Maznewski, M.L./Athanassiou, N.A. (2003): Designing the knowledge-management infrastructure for virtual teams: Building and using social networks and social capital. In: Gibson, C.B./Cohen, S.G. (Hrsg.): Virtual teams that work. Chichester, S. 196-213. McEvily, S.K./Chakravarthy, B. (2002): The persistence of knowledge-based advantage: An empirical test for product performance and technological knowledge. In: Strategic Management Journal 23 (4), S. 285-305.

226

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

Moreland, R.L. (1999): Transactive memory: Learning who knows what in work groups and organizations. In: Thompson, L.L./Levine, J.L./Moreland, R.L. (Hrsg.): Shared cognitions in organizations: The management of knowledge. Mahwah, NJ, S. 33L Moreland, R.L./Argote, L./Krishnan, R. (1996): Socially shared cognition at work: Transactive memory and group performance. In: Nye, J.L./Brower, A.M. (Hrsg.): What's social about social cognition? Research on socially shared cognition in small groups. Thousand Oaks, CA, S. 57-84. Moreland, R.L./Argote, L./Krishnan, R. (1998): Training people to work in groups. In: Tindale, R.S./Edwards, J.E./Heath, L./Posavac, E.J./Bryant, KB./Henderson-King, E./ Suarez-Balcazar, Y./Myers, J. (Hrsg.): Social psychological applications to social issues: Applications of theory and research on groups 4. New York, S. 37-60. Nelson, R.R./Winter, S.G. (1982): An evolutionary theory of economic change. Cambridge, Mass. und London. Nelson, TO. (1992): Metacognition: Core readings. Boston. Nelson, T.O. (1999): Cognition versus metacognition. In: Sternberg, R.J. (Hrsg.): The nature of cognition. Cambridge, MA, S. 625-641. Newell, S./Scarborough, H./Swan, J. (2001): From global knowledge management to internal electronic fences: Contradictory outcomes of intranet development. In: British Journal of Management 12, S. 97-111. Nickerson, J.A./Zenger, T.R. (2004): A knowledge-based theory of the firm - The problem-solving perspective. In: Organization Science 15 (6), S. 617-632. Nonaka, I./Takeuchi, H. (1995): The knowledge creation company: How Japanese companies create the dynamics of innovation. New York. Noth, W. (1995): Handbook of semiotics. Bloomington, IN. Ortmann, G./Sydow, A./Windeler, A. (1997): Organisation als reflexive Strukturation. In: Ortmann, G./Sydow, J./Tiirk, K. (Hrsg.): Theorien der Organisation: Die Riickkehr der Gesellschaft. Opladen, S. 315-354. Penrose, E.G. (1959): The theory of the growth of the firm. Oxford. Peteraf, M.A. (1993): The cornerstones of competitive advantage: A resource-based view. In: Strategic Management Journal 14, S. 179-191. Pipek, V./Hinrichs, J./Wulf, V. (2003): Sharing expertise: Challenges for technical support. In: Ackerman, M./Pipek, V./Wulf, V. (Hrsg.): Sharing expertise: Beyond knowledge management. Cambridge, MA. Polanyi, M. (1966/1983): The tacit dimension. Reprint. Gloucester, MA.

227

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephan Duschek 1$:

Porter, M.E. (1980): Competitive strategy. New York. Prahalad, C.K./Hamel, G. (1990): The core competence of the corporation. In: Harvard Business Review 68 (3), S. 79-91. Probst, G.J.B./Raub, S.P. (1998): Kompetenzorientiertes Wissensmanagement. In: Zeitschrift Fiihrung + Organisation 67 (3), S. 132-138. Reber, A.S. (1989): Implicit learning and tacit knowledge. In: Journal of Experimental Psychology: General 118 (3), S. 219-235. Reber, A.S. (1993): Implicit learning and tacit knowledge: An essay on the cognitive unconscious. New York. Schreyogg, G. (1987): Verschliisselte Botschaften: Neue Perspektiven einer strategischen Personalfiihrung. In: Zeitschrift Fiihrung + Organisation 56, S. 151-158. Schreyogg, G. (1999): Strategisches Management - Entwicklungstendenzen und Zukunftsperspektiven. In: Die Unternehmung 53 (6), S. 387-407. Schreyogg, G./Geiger, D. (2003): Warum sich die Wissensspirale nicht dreht - Vorschlage zu einer Neuorientierung im Wissensmanagement. In: Hoffmann, W.H. (Hrsg.): Die Gestaltung der Organisationsdynamik - Konfiguration und Evolution. Festschrift fiir Oskar Griin zum 65. Geburtstag. Stuttgart, S. 383-412. Schreyogg, G./Geiger, D. (2005): Zur Konvertierbarkeit von Wissen - Wege und Irrwege im Wissensmanagement. In: Zeitschrift fiir Betriebswirtschaft 75 (5), S. 433-454. Seel, N.M. (1991): Weltwissen und mentale Modelle. Gottingen. Simon, H.A. (1951): Administrative behavior. A study of decision-making processes in administrative organizations. New York. Spender, J.-C. (1994): Organizational knowledge, collective practice and Penrose rents. In: International Business Review 3, S. 353-367. Spender, J.-C. (1996): Making knowledge the basis of a dynamic theory of the firm. In: Strategic Management Journal 17, S. 45-62. Styhre, A. (2002): The knowledge-intensive company and the economy of sharing: rethinking utility and knowledge management. In: Knowledge and Process Management 9 (4), S. 228-236. Szulanski, G./Jensen, R.J. (2004): Overcoming stickiness: An empirical investigation of the role of the template in the replication of organizational routines. In: Managerial and Decision Economics 25, S. 347-363. Sydow, J.AVindeler, A./Krebs, M./Loose, A.AVell, B. van (1995): Organisation von Netzwerken: Strukturationstheoretische Analysen der Vermittlungspraxis in Versicherungsnetzwerken. Opladen.

228

Transaktives Wissen, Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile

Sydow, J./Duschek, S./MoUering, G./Rometsch, M. (2003): Kompetenzentwicklung in Netzwerken - Eine typologische Studie. Wiesbaden. Teece, D.J./Pisano, G./Shuen, A. (1997): Dynamic capabilities and strategic management. In: Strategic Management Journal 18 (7), S. 509-533. Tsai, W. (2002): Social structure of „coopetition'' within a multiunit organization: Coordination, and intraorganizational knowledge sharing. In: Organization Science 13, S. 179-190. Tsoukas, H. (1996): The firm as a distributed knowledge system: A constructionist approach. In: Strategic Management Journal 17, S. 11-25. Tsoukas, H./Vladimirou, E. (2001): What is organizational knowledge. In: Journal of Management Studies 38, S. 973-993. Uexklill, J. von/Kriszat, G. (1934/1983): Streifziige durch die Umwelten von Tieren und Menschen: Bedeutungslehre. Frankfurt a.M. Walsh, J.P./Ungson, G.R. (1991): Organizational memory. In: Academy of Management Review 16, S. 57-91. Wegner, D.M. (1987): Transactive memory: A contemporary analysis of the group mind. In: Mullen, B./Goethals, G.R. (Hrsg.): Theories of group behaviour. New York, S. 185-208. Wegner, D.M. (1995): A computer network model of human transactive memory. In: Social Cognition 13, S. 319-339. Wegner, D.M./Guliano, T./Hertel, RT. (1985): Cognitive interdependence in close relationships. In: Ickes, W.J. (Hrsg.): Compatible and incompatible relationships. New York, S. 253-276. Wernerfelt, B. (1984): A resource-based view of the firm. In: Strategic Management Journal 5 (2), S. 171-180. Wilcox-King, A./Zeithamel, C.P. (2001): Competencies and firm performance: Examining the causal ambiguity paradox. In: Strategic Management Journal 22 (1), S. 75-99. Windeler, A. (1997): Unternehmungsnetzwerke: Konstitution und Strukturation. Wiesbaden.

229

Albrecht Becker/Elisabeth Brauner/Stephen Duschek

Prof. Dr. Albrecht Becker Universitat Innsbruck Fakultat fiir Betriebswirtschaft Universitatsstr. 15 A-6020 Innsbruck [email protected] Prof. Dr. Elisabeth Brauner Brooklyn College and The Graduate Center City University of New York 2900 Bedford Avenue Brooklyn, NY 11210-2889, USA ebrauner@brooklyn. cuny.edu Dr. Stephan Duschek Freie Universitat Berlin Institut fiir Management Boltzmannstr. 20 D-14195 Berlin [email protected]

230

Helmut Kasper/JUrgen Muhlbacher

Strat^sche Aufgaben- und Kompetenzverteilung im A^nai^ment Sind Porters Annahmen richtig? Eine empirlsche Untersuchung Kompetenzverteilung; Strategisches Management; Flexibilitat; Innovation

Zusammenfassung Ausgehend von der Ableitung des selbstdispositiven Kompetenzbegriffs und der Darstellung unterschiedlicher Konzepte der Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management testet diese Studie die von Porter vorgeschlagene strategische Kompetenzverteilung zwischen Top- und Mittelmanagement. Methodisch basiert die Untersuchung auf einer Internetumfrage hinsichtlich aktuell erforderlicher und zukiinftig antizipierter Kompetenzen, an der 275 Fuhrungskrafte teilnahmen. Die statistische Analyse fiihrt zu zwei unterschiedlichen Ergebnissen. Erstens wird fiir die Gegenwart Porters Modell der Aufgabenteilung weitgehend bestatigt. Zweitens weisen die zukiinftigen Erwartungen jedoch auf einen umfassenden Wandel hin. Beide hierarchischen Ebenen setzen in Zukunft verstarkt auf die Erhohung der Flexibilitat. Dies fiihrt zu einem Mangel an Innovation, Teamwork und Empowerment, die als wesentliche Kompetenzen fiir den Aufbau und Erhalt eines strategischen Wettbewerbsvorteils angesehen werden miissen.

Managementforschung 16 (2006), hrsg. von G. Schreyogg und P. Conrad Gabler Verlag • Wiesbaden, S. 231-258

Helmut Kasper/Jurgen Muhlbacher

Abstract Based on a self-dispositive definition of competency and the presentation of different models concerning the division of competencies in management, the aim of this study is to question and to test empirically the allocation of tasks according to Porter's differentiation of the functions concerning top and middle management. The methodical foundation for this is provided by an Internet survey of 275 managers recording the management competencies believed to be essential both at present and in the future. The statistical analysis leads to two different outcomes. While at present. Porter's model can be confirmed with only small caveats, the future expectations of the management hint at major changes. For the future, both hierarchical levels rather believe in a general increase in the flexibility of companies. This runs the risk of resulting in a dearth in innovation, teamwork and empowerment of the employees, in short, a lack of competencies essential for the generation of competitive advantages.

Inhaltsubersicht 1

Einleitung

2

Ableitung des selbstdispositiven Kompetenzbegriffs

3

Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management

4

Kompetenzverteilung nach Porter 4.1 Modellbildung 4.2

Methodik und Stichprobe der Internetumfrage

5

Empirische Ergebnisse

6

Fazit

Anhang: Multiple-Job-Kompetenzmodell und Kategorienschema der Erhebung

232

Stratesische Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management

Einleitung Dieser Beitrag beginnt mit der Ableitung des Kompetenzbegriffs als selbstdispositives Konzept losungsorientierten Handelns und dessen praktischer Umsetzung im Rahmen unterschiedlicher Kompetenzmodelle. So entwickelten beispielsweise Boyatzis (1993) Oder Bartlett und Goshal (1998) Konzepte, die auf die differenzierte Aufgabenund Kompetenzverteilung im Management und deren zeitlichen Wandel fokussieren. Um solche Veranderungen aufzuzeigen, bedarf es eines Multiple-Job-Modells, mit dem ein breites Spektrum managementspezifischer Kompetenzen erfasst und kategorisiert werden kann. Die Ausfiihrungen von Woodruffe (1993, 2003) und Mansfield (1996) weisen darauf hin, dass nur breit angelegte Kompetenzmodelle Vergleiche und Benchmarks innerhalb und zwischen Untemehmen ermoglichen. Diese Erkenntnisse werden in Folge genutzt, um Porters Ansatz einer hierarchischen Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management zu operationalisieren und zu testen. Dabei werden 10 Kompetenzen einer Interneterhebung ausgewahlt und den Kategorien von Porters Ansatz theoriegeleitet zugeordnet. Die Ergebnisse weisen auf einen bevorstehenden umfassenden Wandel hinsichtlich aktuell erforderlicher und zukiinftig antizipierter Kompetenzen im Management hin.

Ableitung des selbstdisposltiven Kompetenzbegriffs Dieser Abschnitt dokumentiert, wie sich der Begriff der Kompetenz von seiner anfanglichen astronomischen Bedeutung bis zu seiner aktuellen Verwendung als Synonym fiir selbstorganisierte, innovative Problemlosung gewandelt hat. Ausgehend von seiner ursprlinglichen Bedeutung eines „Zusammentreffens" im Sinne einer astronomischen Konstellation von Gestirnen - ein Begriff, der sich in ahnlicher Form heute noch in der Tektonik findet - wurde der Kompetenzbegriff bis ins 19. Jahrhundert hinein lediglich im Sinne zustehender Einkiinfte bzw. des notwendigen Lebensunterhalts gebraucht. Erst durch die Entwicklung des offentlichen Rechts wurde Kompetenz als die Zustandigkeit staatlicher Organe - speziell als deren Rechte und Pflichten - definiert (Ritter/Griinder 1976, S. 919 f.). Der - in Zusammenhang mit dieser Untersuchung bedeutsamere - Kompetenzbegriff, der auf effektives Handeln abzielt, wurde erst 1959 von White in die Motivationspsychologie eingefiihrt. White (1959, S. 300 ff.) differenziert zwischen angeborenen

233

Helmut Kasper/Jursen Muhlbacher

oder biologischen Anpassungen an die Umwelt sowie individuell generierten Interaktionsmustern und nimmt hierzu ein Wirksamkeitsmotiv an. Das Individuum entwickelt demnach seine Kompetenz nicht ausschliefilich zur Bediirfnisbefriedigung, sondern um seiner selbst willen. Erst durch die wahrgenommene Effektivitat des eigenen Handelns beginnt die Zuweisung eigener Energie zur Entwicklung der IchFunktion (White 1963, S. 24 ff.). Somit stellt Kompetenz nach White eine intrinsisch motivierte Interaktion mit der Umwelt dar, die zur selbstorganisierten Herausbildung des individuellen Selbst fiihrt. Die klinische Psychologie halt im anglikanischen Sprachraum seither an dieser Definition fest (Shippmann et al. 2000, S. 707). Im Rahmen der Kommunikationswissenschaft unterscheidet Chomsky (1969) erstmals zwischen Kompetenz und Performanz. Der Kompetenzbegriff stellt hierbei die Fahigkeit dar, mit Hilfe eines begrenzten phonetischen Inventars und einer limitierten Zahl von Kombinationsregeln eine potenziell unendliche Zahl neuer Kommunikationsprozesse und -inhalte selbstorganisiert zu generieren. Die Performanz verweist wiederum auf die konkrete Umsetzung und bezieht Limitationen, wie z.B. begrenztes Gedachtnis, Zerstreutheit oder Verschiebung der Aufmerksamkeit bzw. Interessen, mit ein. Dieser Trennung wird jedoch auch widersprochen, derm „... a theory of competence depends ultimately on performances since the adaequancy of such a theory can only be determined on the basis of performances. Therefore, the claim that it is possible or even necessary to develop a theory of competence independent of a theory of performance becomes methodologically incorrect" (Stemmer 1971, S. 88). Solange jedoch keine einheitlichen Kriterien zur Kompetenzmessung gefunden w^erden, erscheint diese Forderung gleichermafien methodologisch richtig wie utopisch. Daher einigte man sich in der Kommunikationswissenschaft auf die Integration einer Stil-Kompetenz, die als Bindeghed zwischen Kompetenz und Performanz unterschiedliche Umsetzungsmoglichkeiten abdeckt (Abraham/Braunmiiller 1971, S. 11). Dies fiihrt dazu, dass Kompetenz nicht als statisch fixierte Grofie angesehen werden kann, sondern als dynamisches, auf den situativen Kontext angepasstes Verhalten, das gleichzeitig den Erwerb neuer Verhaltensweisen ermoglicht. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit eines offenen Kompetenzansatzes, wie er in Folge geschildert wird. Die eigentliche „ Competency "-Be wegung wurde durch McClelland (1973) begriindet. Seine Erhebung unterschiedlicher Kompetenzbiindel basierte auf einem Kontrastgruppendesign und der Datenerhebung mittels Behavioral Event Interviews. Dabei wurden Top- und Medium-Performer - in Anlehnung an die Critical-IncidentTechnique - nach drei erfolgreichen und wenig erfolgreichen Situationen in ihrer Berufsbiografie befragt. Diese Interviews wurden hinsichtlich kontrastierender Verhaltensmuster, respektive Kompetenzbundel, untersucht. Zum eigentlichen Durchbruch der Kompetenzmodelle kam es jedoch erst mit Boyatzis Buch „The Competent Manager", das 1982 erschien (Sarges 2002, S. 287). Im Bereich der „Competency"Bewegung hat sich seither folgende Definition von Kompetenz durchgesetzt:

234

Strate^ische Aufgaben- und KompetenzverteHung im Management

„A competency is an underlying characteristic of an individual that is causally related to criterion-referenced effective and/or superior performance in a job or situation'' (Spencer/ Spencer 1993, S. 9). Als Vorteil der zuletzt angefiihrten Definition wird vor allem die grofie Nahe zur Alltagssprache und dem gegenwartigen Verstandnis im Human Resource Management sowie die ausdriickliche Fokussierung auf die Zukunft angefiihrt. Letzteres erm5glicht schliefilich auch die Verkniipfung mit der Vision bzw^. der strategischen Positionierung eines Unternehmens (Sarges 2002, S. 288 ff.). Diesen Vorteilen stehen die Nachteile eines fehlenden universellen Modells, unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen hinsichtlich einzelner Kompetenzen und die mangelnde valide Messbarkeit dieser Kriterien gegeniiber. Kompetenzmodelle werden oft nur fiir einzelne Organisationen, Branchen oder Positionen ermittelt. Darunter leidet insbesondere die Vergleichbarkeit der Daten. Letztere ist jedoch auch darin begriindet, dass einzelne Kompetenzen fiir unterschiedliche Bezugsgruppen differente Inhalte wiedergeben (Sarges 2002, S. 291 f.). So hat beispielsweise Planung fiir das strategisch-orientierte Topmanagement eine andere Bedeutung als fiir das operative Projektmanagement. Das ist insbesondere wichtig, da der aktuelle Kompetenzbegriff nicht mehr auf ein Set individueller Charakteristika fokussiert, sondern auf Dispositionen selbstorganisierten Handelns. Diese inneren, unbeobachtbaren Dispositionen stellen stets eine Form von Zuschreibungen aufgrund eines Urteils des Beobachters dar (Erpenbeck/von Rosenstiel 2003, S. X f.). Die Attribution von Kompetenz erfolgt problem- bzw. losungsorientiert, indem einer Person eine Zielsetzung - ohne spezifischen Losungsweg - vorgegeben und danach der Grad der Zielerreichung erhoben wird. Das Erreichen oder sogar Ubertreffen des gewahlten Zielerreichungsgrades w^ird als Kompetenz definiert. „Was wir erwarten, sind iiberraschende Losungen, ist schopferisch Neues. Unser Interesse ist hier nicht zuerst auf die Leistungsresultate gerichtet, sondern auf die Dispositionen, entsprechende Leistungen hervorzubringen. Kompetenzen als entsprechende Dispositionsbestimmungen sind in erster Linie subjektzentriert. Sie sind nicht direkt priifbar, sondern nur aus der Realisierung der Dispositionen erschliefibar und evaluierbar" (Erpenbeck/von Rosenstiel 2003, S. XI). Die angesprochene Evaluierung des Handelns durch Beobachtung und die darauf aufbauende Zuschreibung von Effektivitat oder Effizienz setzen jedoch eine soziale Instanz voraus, die diese Bewertung vornimmt. Uber die Losungsorientierung hinaus basiert die steigende Bedeutung der Selbstorganisation im Kontext des Kompetenzbegriffs vor allem auf der stetig wachsenden Komplexitat und Dynamik der externen aber auch internen Umwelt in Unternehmen.

235

Helmut Kasper/Jursen Muhlbacher

„Selbststeuerung oder Selbstorganisation des Handelns ist in der Regel dort notwendig, wo die Komplexitat der Handelnden, der Handlungssituation und des Handlungsverlaufs keine streng nach Plan verlaufenden Problemlosungsprozesse zulasst"' (Erpenbeck/von Rosenstiel 2003, S. XIII). Nicht zuletzt deshalb bedarf es eines Beobachtungs- bzw. Bewertungsschemas, das relativ umfassend und gegeniiber Veranderungen offen ist. Die theoretische Basis fiir ein derartiges Modell wird im folgenden Abschnitt aufgezeigt.

3

Aufgaben- und Kompetenzverteilung 1m Management

Seit 1965 wird implizit davon ausgegangen, dass das strategische Management eine Domane des Topmanagements darstellt (vgl. Mahoney et al. 1965; Katz 1974; Stewart 1982; Mintzberg 1989; Robert 1991; Stacey 1996; Bartlett/Goshal 1998; Porter 2003), das auch einen Grofiteil des Zeitbudgets der Spitzenmanager in Anspruch nehmen soUte. Dem mittleren Management schreibt man hingegen verstarkt das Methodenwissen sachbezogener Aufgabenerfiillung und direkte Fiihrung zu (Mahoney et al. 1965). So kreierte beispielsweise Boyatzis ein Karrieremodell fiir Fiihrungskrafte, das einen Zusammenhang zwischen der individuellen Entwicklung, der hierarchischen Position und den eingesetzten Kompetenzen herstellt. Danach gibt es drei Entwicklungsphasen, die sich wesentlich voneinander unterscheiden: (1) den „Performance Mode", der meistens bei Nachwuchsfiihrungskraften und beim operativen Management vorzufinden ist, (2) den „Leaming Mode" des mittleren Managements und (3) den „Development Mode" des Topmanagements. Die erste Phase ist vor allem durch eine stringente Erfolgsorientierung gekennzeichnet. Konnte dieses Bedurfnis erfiillt werden, steht im darauf folgenden Entwicklungsschritt die Suche nach abwechslungsreichen Erfahrungen im Mittelpunkt des Interesses, bevor in der dritten Phase die generative Orientierung, also die Unterstiitzung der nachsten Generation (vgl. Erikson 1959, S. 117), in den Vordergrund tritt und auf die Sinnsuche der Wunsch nach der Vermittlung der eigenen Lebenserfahrung folgt (Boyatzis 1993, S. 3 ff.). In Anlehnung an Conger (1989, S. 7) geht Boyatzis (1993, S. 5 ff.) davon aus, dass diese Erwartungen zur Verfestigung bestimmter RoUen fiihren. Dabei handelt es sich um prozessorientierte Professionals im operativen Management, Mittelmanager in der Funktion von AUokatoren organisationaler Ressourcen und strategieorientierte Fuhrungskrafte im Topmanagement. Ausgehend von ihrer Untersuchung, bei der liber 400 Interviews mit Managern aus 20 Untemehmen mit Sitz in den USA, Europa und Asien durchgefiihrt und durch Do-

236

Strategische Aufsaben- und Kompetenzverteiluns im Management

kumentenanalysen erganzt wurden, stellen Bartlett und Goshal (1998) daruber hinaus einen richtungsweisenden Rollenwandel im Management fest. Die klassische Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Managern unterschiedlicher Hierarchieebenen wird deshalb von den Autoren kritisch hinterfragt. „In hierarchischen Organisationen geben die Manager an der Spitze die Richtung vor, indem sie Strategien festlegen und die Ressourcen kontroUieren. Die Manager der mittleren Ebene agieren in der Rolle administrativer Controller, die Informationen weitergeben und die Mittelzuweisung regeln. Die Linienmanager finden sich in der Rolle operativer VoUstrecker, von oben her iiberschwemmt mit Anweisungen und Kontrollen" (Bartlett/Goshal 1998, S. 80). Diese Verwaltungsaufgaben fiihren zunehmend zu einem Mangel an Flexibilitat und Innovation in Unternehmen. Sie stellen zwar hoch standardisierte und zuweilen effiziente aber auch zutiefst entpersonlichte Managementsysteme dar, die die Humanressourcen nicht als strategischen Wettbewerbsvorteil, sondern als „Radchen im Getriebe'' ansehen. Daher soUten Topmanager verstarkt Fiihrungskompetenzen einsetzen und so bei ihren Mitarbeitem ein Gefiihl fiir personliche Verantwortung und individuelle Wertschatzung wecken, anstatt lediglich kollektive Leistungsziele vorzugeben und deren Umsetzung zu liberwachen. Das kann insbesondere durch das Vorleben von Normen und Werten der Unternehmenskultur sowie einer motivierenden Vision erreicht werden. Diese Ansicht basiert auf der Annahme, dass Manager letztlich nicht einem Unternehmen gegeniiber loyal sind, sondern bestimmten Werten, an die sie glauben und die sie befriedigend finden (Bartlett/Goshal 1998, S. 84 f.). Mittelmanager soUten sich hingegen von ControUern zu Coaches der Linienmanager entwickeln, die als die eigentlichen Entrepreneure im Unternehmen angesehen werden konnen und die innovative Entwicklung neuer Geschaftsfelder fordern soUen (Bartlett/Goshal 1998, S. 81 ff.). Bartlett und Goshal zeigen mit ihrem Modell auf, dass nicht nur die individuellen Kompetenzen einem Wandel unterworfen sind, sondern sich diese Veranderung auch auf die Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen den hierarchischen Ebenen auswirkt. Leider macht jedoch das Fehlen klar definierter und iiberschneidungsfreier Kompetenzkategorien eine Operationalisierung des Modells und somit eine Ubernahme in die Praxis bzw. einen empirischen Test unmoglich. Hinsichtlich solcher Untersuchungen kritisiert Woodruffe (1993, S. 34) auch den mangelnden Zusammenhang zwischen Kompetenz und Leistung und beschreibt diese Situation folgendermafien: „Competencies are behavioural repertoires that some people carry out better than others. It are these behavioural dimensions that should be the focus of the job analysis. What matters to people's performance is the way they behave, and the job analysis must isolate the behaviours that distinguish high performance."

237

Helmut Kasper/JUrsen Muhlbacher

Dieser Argumentation folgt er auch noch 10 Jahre spater, wenn er dezidiert zwischen aufgabenorientierten „Areas of Competence" und individuellen Kompetenzen unterscheidet: „First, it can be used to refer to areas of work or roles at which the person is competent (e.g. devising publicity campaigns). This is the job-related and dictionary sense of the word. For clarity, I propose to term these ,areas of competence'. Second, it is used to refer to the dimensions of behaviour that lie behind competent performance. This is the person-related sense for which I will reserve the word ,competency'" (Woodruffe 2003, S. 88). Neben einem gemeinsamen Kernbereich, der den meisten Kompetenzmodellen zu eigen ist und der sich auf analytisches und strategisches Denken, Leistungsorientierung, Kommunikations- und Teamfahigkeit sowie Fiihrungskompetenz erstreckt und mithin keinen grofieren Erklarungswert als ein klassisches Inserat fiir eine vakante Managementstelle aufweist -, bleiben die zusatzlichen Kompetenzauspragungen meist so vage, dass ein weiter Interpretationsspielraum bleibt, der letztlich keine objektive Vorhersage hinsichtlich der individuellen Leistungsfahigkeit erlaubt. Dies stofit ebenfalls auf die Kritik Woodruffes (2003, S. 85): „Unfortunately, there are also plenty of examples of competency frameworks that would serve as a poor basis of an assessment or development centre." Letztlich stellt Woodruffe (1993, S. 34) fest, dass Kompetenzmodelle nur hinsichtlich ihres Zeitbezugs und der Hierarchie differenziert werden konnen. „The competencies in a list must be reviewed to decide which are likely to remain important, which are likely to increase in in\portance and which are likely to become less important over time. This makes sense if the job analysis has concentrated on both present and future requirements. For most purposes it is better to concentrate on the future. After all, the organization is assessing and developing managers of the future, not of the present. Categorizing competencies in terms of senority will show which are core throughout a person's career, which drop out with senority, and which become salient only with senority. This seems perfectly legitimate, and is based on comparing competency lists at different (hierarchical, Anm. d. Verf.) levels'' (Woodruffe 1993, S. 34). Die hier geforderten Differenzierungen nach der hierarchischen Ebene und der Gegenwarts- b z w Zukunftsorientierung finden sich auch bei der empirischen Erhebung dieses Beitrags wieder, wodurch eine vergleichende Analyse der Ist-Situation in osterreichischen Untemehmen ermoglicht wird (vgl. Abschnitt 4.2). Dadurch wird auch der wesentlichste Kritikpunkt hinsichtlich aufgabenorientierter Kompetenzmodelle ausgeraumt, der besagt, dass deren Ubemahme zu einer Fixierung der einmal festgelegten RoUenkultur fiihren kann. So wird beispielsweise beim MCIStandard eine funktionale Aufgabenteilung zwischen Top-, mittlerem und operativem Management festgelegt, die zuklinftige Entwicklungen nicht beriicksichtigt. AulSerdem verlangen unterschiedliche Funktionsbereiche im Untemehmen nach einer differenzierteren Betrachtungsweise (Lester 1994, S. 29). Zwar wird durchaus zuge-

238

Strategische Aufgaben- und KompetenzverteUung im Manasement

standen, dass nicht nur einzelne Kompetenzen, sondern vor allem spezifische Kompetenzbiindel, die fiir die Ubernahme einer bestimmten Funktion erforderlich sind, einen erheblichen Einfluss auf die Effektivitat und Effizienz haben (Brittain/Ryder 1999, S. 48), diese Biindel soil ten jedoch eine moglichst hohe Heterogenitat innerhalb eines Unternehmens aufweisen, um Kurzsichtigkeiten und Inflexibilitat zu vermeiden (Buckingham 1999, S. 43 ff.). Ahnlich argumentiert auch Mansfield, der aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen vorhandene Kompetenzmodelle in Single-Job- und One-Size-Fits-All-Modelle unterteilt. Single-Job-Modelle weisen zwar - ebenso wie das Personalselektionsverfahren der biografischen Fragebogen, an deren Methodik es angelehnt ist - eine hohere Validitat auf, sind jedoch in ihrer Erstellung sehr zeit- und kostenintensiv. Der hohe Aufwand steht also nur in Bereichen mit einer entsprechend hohen Mitarbeiterzahl und einer hohen Fluktuationsrate in Relation zum Nutzen. Dariiber hinaus ist bei dieser Art der Modellbildung von einer relativ raschen „Verfallszeit'' von maximal zwei Jahren auszugehen (Mansfield 1996, S. 9). One-Size-Fits-All-Modelle lei ten sich hingegen aus der Theorie ab und sind insbesondere von Vorteil, wenn ein Vergleich zwischen verschiedenen Organisationseinheiten oder Berufsgruppen erwiinscht ist. Solche Modelle lassen sich dariiber hinaus leicht mit strategischen Leitbildern verkniipfen. In der Realitat zeigt sich jedoch die Schwierigkeit, dass unterschiedliche Aufgaben nach differenzierten Kompetenzmodellen verlangen, die einen unmittelbaren Bezug zum eigenen Handeln herstellen (Mansfield 1996, S. 10). Diese Gegeniiberstellung der Vor- und Nachteile beider Ansatze fiihrt Mansfield zu einer weiteren Kategorie - dem so genannten Multiple-Job-Modell. Bei dieser Art der Kompetenzmodellierung wird ein Biindel von rund 40 allgemein giiltigen Kompetenzen definiert (Sonntag/Schmidt-Rathjens 2004, S. 20), die - ganz im Sinne eines Baukastensystems - rasch an die Erfordernisse spezifischer Unternehmen angepasst werden konnen und dariiber hinaus trotzdem die oftmals gewiinschten Vergleiche ermoglichen (Mansfield 1996, S. 10 ff.). Als drei unumgangliche Bedingungen fiir die Entwicklung eines Multiple-Job-Modells fiihrt Mansfield (1996, S. 11 ff.) an: 1. Using a common set of building block competencies; 2. Allowing for customization; 3. Defined levels of competencies. Ausgehend von einem umfassenderen Modell, das m5glichst alle erforderlichen Kompetenzen abdeckt, soil mittels „ Customization'' fiir jede Teilaufgabe ein eigenes Kompetenzbiindel erstellt werden. Dazu konnen Experten befragt oder theoretische Literatur benutzt werden. Dadurch soil eine rasche und kostengiinstige Erstellung eines Kompetenzmodells ermoglicht werden (Mansfield 1996, S. 14 f.).

239

Helmut Kasper/Jursen Muhlbacher

Dieser Beitrag hat sich daher zum Ziel gesetzt, die aktuell wahrgenommene bzw. zukiinftig antizipierte Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management mittels eines Multiple-Job-Modells zu hinterfragen und anhand von Porters Differenzierung der Funktionen des Top- und des mittleren Managements empirisch zu testen. Die Datenbasis dafiir liefert eine Internetbefragung von 275 Fuhrungskraften, bei der die aktuell und zukiinftig fiir notwendig erachteten Managementkompetenzen erhoben und ausgewertet wurden.

Kompetenzverteilung nach Porter Schon in seinen friihen Werken zum strategischen Management unterstellt Porter wiederholt die Notwendigkeit, Fiihrungsverhalten insbesondere auf die Strategie abzustimmen. Bei seiner Unterscheidung zwischen Leadership-, Niche-, Harvest-, und Divest-Strategien differenziert er bereits 1980 zwischen klassischen Wachstums- und Innovationsstrategien einerseits und analytischen Optimierungs- und Marktaustrittsstrategien andererseits (Porter 1980, zuletzt 2004, S. 267 ff.). In seinem Werk „On Competition" definiert Porter die Aufgaben des Top- und mittleren Managements im Rahmen eines kompetenzorientierten Ansatzes folgendermafien: „Managers must clearly distinguish operational effectiveness from strategy. Both are essential, but the two agendas are different" (Porter 2003, S. 71). Welters fiihrt er aus: „The operational agenda involves continual improvement everywhere there are no tradeoffs. Failure to do this creates vulnerability even for companies with a good strategy. The operational agenda is the proper place for constant change, flexibility, and relentless efforts to achieve best practice. In contrast, the strategic agenda is the right place for defining an unique position, making clear trade-offs, and tightening fit. It involves the continual search for ways to reinforce and extend the company's position. The strategic agenda demands discipline and continuity, its enemies are distraction and compromise" (Porter 2003, S. 71).

Eine ahnliche Aufgabenaufteilung zeigte sich schon zuvor bei Bartlett und Goshal (1998). Deren Auswertungen belegen deutlich, dass Veranderungen extemer und organisatorischer Umwelten neue Anspruche an das Verhalten von Managern stellen. Diese Anderungen betreffen alle Hierarchieebenen, stellen jedoch an jede einzelne Managementebene spezifische Anforderungen. So soUen aus operativen Linienmanagem aktive und vor allem innovative Entrepreneure werden. Fiir das Topmanagement hingegen ist es wesentlich, sich von entpersonlichten strukturalen und prozessualen Zielvorgaben zu losen und ihre Strategie verstarkt auf den Untemehmenszweck sowie auf die Innen- und Aufienbeziehungen (Clear Trade-offs und Tightening Fit) abzu-

240

Stratesische Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management

stimmen (Bartlett/Goshal 1998, S. 85). Auch Buchanan und Badham (1999, S. 166 ff.) argumentieren im Rahmen ihres mikropolitischen Change Management-Ansatzes auf ahnliche Weise, wenn sie dem (mittleren) Management projektspezifische Aufgaben der Organisationsentwicklung zuschreiben und von den Fiihrungskraften im Topmanagement kreative, proaktiv-strategische Weitsicht und ein umfangreiches Relationship Management fordern.

4.1

Modellbildung

Aus den obigen Ausfiihrungen lasst sich folgendes Modell iiber „ Operational Effectiveness" und „Strategy" (siehe Abb. 1) als wesentliche Unterscheidung zwischen mittlerer (Operational Effectiveness) und oberster Managementebene (Strategy) ableiten. Wahrend die von Porter selbst erwahnten Kompetenzen der Flexibilitat und der Innovationskraft bzw. -fahigkeit die grundlegende Ausrichtung dieser Differenzierung vorgeben (Porter 2003, S. 72), stehen Change Management- und Personalentwicklungskompetenzen fiir den langfristigen und kontinuierlichen Veranderungsprozess, also den „Constant Change" (Moxley/O'Connor Wilson 1998, S. 217 ff.). Die tJbernahme von „Best Practice"-Modellen verlangt wiederum Kompetenzen im Bereich des Prozessmanagements und des Strukturwissens iiber die Aufbauorganisation (Nonaka/ Takeuchi 1995, S. 231 ff.). Beide Zielsetzungen sollten nach Porter primar vom mittleren Management verfolgt werden. Neben der Hauptzielsetzung der obersten Managementebene, namlich den Aufbau bzw. Erhalt einer „Unique Position" des Unternehmens mit Hilfe der Innovationsfahigkeit, haben die Topmanager vor allem den strategischen Ausgleich zwischen Unternehmen, Humanressourcen und der Umwelt zu gewahrleisten. „ Strategic fit among many activities is fundamental not only to competitive advantage but also to the sustainability of that advantage. It is harder for a rival to match an array of interlocked activities than it is merely to imitate a particular sales-force approach, match a process technology, or replicate a set of product features. Positions build on systems of activities are far more sustainable than those built on individual activities'' (Porter 2003, S. 63).

Diese Funktionen werden am effektivsten durch Instrumente des strategischen Managements und des Wissensmanagements erftillt. Wahrend also der „Fit" auf das gesamte Unternehmen abzielt, fokussiert Porter bei den „Clear Trade-offs" auf die individuelle Ebene. „Strategic positioning sets the trade-off rules that define how individual activities will be configured and integrated" (Porter 2003, S. 64). Diese Regeln beziehen nicht nur die eigenen Mitarbeiter, sondern insbesondere auch Kunden mit

241

Helmut Kasper/Jurgen Muhlbacher

„In general, value is destroyed if an activity is overdesigned or underdesigned for its use. For example, even if a given salesperson were capable of providing a high level of assistance to one customer and none to another, the salesperson's talent (and some of his or her cost) would be wasted on the second customer. Moreover, productivity can improve when variations of an activity is limited'' (Porter 2003, S. 58). Somit zahlen das Relationship Management und Motivationsinstrumente zu den wichtigsten Kompetenzen in diesem Bereich.

Abb. 1:

Operational Effectiveness versus Strategy Operational Effectiveness

Porters Dimensionen

Zugeordnete Komptenzen

Strategy Porters Dimensionen

Zugeordnete Kompetenzen

Flexibility

Flexibilitat

Unique Position

Innovationsfahigkeit

Constant Change

Change Management

Tightening Fit

Strategisches Management

Personalentwicklung Best Practice

Prozessmanagement

Wissensmanagement Clear Trade-Offs

Strukturwissen / Aufbauorganisation

Relationship Management Motivation

Dieses Modell wird nun im Rahmen der empirischen Untersuchung, die im folgenden Abschnitt ausfiihrlicher dargelegt w^ird, getestet. Dabei werden zwei handlungsleitende Forschungsfragen beantwortet: 1. Lasst sich die von Porter vorgenommene Differenzierung der „Operational Effectiveness" versus „Strategy" tatsachlich im empirischen Feld nachweisen? 2. Erwartet das Management in Zukunft eine Veranderung dieser Differenzierung bzw. einzelner Dimensionen des Modells?

4.2

Methodik und Stichprobe der Internetumfrage

Um die o.a. Forschungsfragen zu beantworten, wurde eine Internetumfrage bei den rund 2.100 elektronisch erreichbaren Mitgliedem des osterreichischen Wirtschaftsforums der Fiihrungskrafte durchgefiihrt. Die Grundgesamtheit setzt sich zu etwa einem Drittel aus Topmanagem und zu zwei Drittel aus Fiihrungskraften der mitt-

242

Strategische Aufgaben- und KompetenzverteUuns im Management

leren Hierarchieebene zusammen. Am starksten vertreten sind die Bereiche Industrie, Handel und Dienstleistungsuntemehmen. Rund 7 % der Mitglieder sind weiblich. Das Kernstiick der Befragung bilden zwei offene Fragen iiber die gegenwartig und zukiinftig notwendigen Managementkompetenzen. Die genannten Kompetenzen wurden in einem zweiten Schritt von den Befragten mit einer prozentuellen Gewichtung hinsichtlich ihrer aktuellen und antizipierten Relevanz versehen, sodass fiir beide Zeitpunkte ein voUstandiges (also ein 100 % umfassendes) Kompetenzprofil erstellt werden kann. Die Antworten auf die offenen Fragestellungen wurden mit Hilfe eines theoretisch abgeleiteten Multiple-Job-Kompetenzmodells, das zugleich das Kategorienschema der empirischen Erhebung darstellt und sich im Anhang wiederfindet, kodiert. Fiir die statistische Auswertung standen somit die Nennungen und die prozentuellen Gewichtungen zur Verfiigung, wobei ausschliel^lich auf die Werte der 10 genarmten Kompetenzen des in Abbildung 1 entwickelten Modells zuriickgegriffen wurde. Die Kritik eines moglichen „Self-Serving Bias", also der selbstwertstiitzenden Verzerrung von Daten, ist in diesem Fall nur von geringer Relevanz, da das Verhalten der Befragten keiner Wertung unterworfen wird. Diese mdgliche Fehlerquelle erlangt nur dann grofiere Bedeutung, wenn zwischen den Selbstbeurteilungen und dem Selbstkonzept, also des Konstrukts zur Wahmehmung der eigenen Identitat, Spannungen auftreten. Beurteilungsfehler - wie der Inter- bzw. Intraklasseneffekt, der auf unterschiedlichen Bewertungen der eigenen und fremder Gruppierungen (hier z.B. der Hierarchiestufen) oder der „Baseline-Error", der zu Verzerrungen aufgrund von pragnanten Ereignissen fiihrt - wurden durch die Verwendung neutraler, urteilsfreier und nicht vergleichender Fragestellungen weitgehend vermieden (Bortz/Doring 2003, S. 183 f.). Aufierdem bietet sich kaum eine andere Vorgehensweise an, da schon Peter F. Drucker (1999, S. 85) feststellt: „Work on knowledge-worker productivity therefore begins with asking the knowledge workers themselves: What is your task? What should it be?'' Nach dem Ausscheiden aller unvoUstandigen Datensatze standen die Werte von 275 Befragten zur Verfiigung, was einer Riicklaufquote von 13,1% gleichkommt. Dies entspricht einer durchschnittlichen Responserate, wenn man die heterogene Grundgesamtheit und die Erhebungsform der Intemetbefragung in Betracht zieht (vgl. Bortz/Doring 2003, S. 257). Der Anteil der weiblichen Fiihrungskrafte liegt bei iiberdurchschnittlichen 14,9 %. Das durchschnittliche Alter der 124 Topmanager betragt 49,67 Jahre, wobei die Sparine von 33 bis 67 Jahre reicht. Das Durchschnittsalter der 151 Mittelmanager betragt 45,72 Jahre und schwankt zwischen 25 bis 64 Jahren. Beide Gruppen sind somit in einem reprasentativen Ausmafi vertreten. Was die Aufteilung nach Branchen betrifft, ergibt sich folgendes Bild:

243

Helmut Kasper/Jurgen Muhlbacher

Abb. 2:

Aufteilung nach Branchen

illiiiiilllii^ Consulting

22,2 %

Investitionsguter

18,5%

BankenA/ersicherungen

13,1 %

IT/Telekommunikation

10,9%

Konsumguter

8,4 %

Dienstleistungen

6,5 %

Handel

4,4 %

Offentlicher Dienst

2,9 %

Sonstige (z.B. Versorgungsunternehmen, Gesundheitsund Kulturorganisationen)

13,1 %

100,0%

Summe

Hinsichtlich der Angabe von Funktionen, die von den Befragten vorrangig iibernommen werden, waren Mehrfachantworten mdglich. Dabei zeigt sich, dass Fiihrungskrafte mit ihren „Querschnittsaufgaben" in durchschnittlich rund 2,4 Funktionsbereichen verankert sind. Einen Uberblick hierzu bietet Abbildung 3:

Abb. 3:

Funktionsbereiche der Befragten

Funktionsbereich

Hiufigkeit der Antworten

Marketing

115

Personalwesen

102

Organisation

93

Finanzierung/lnvestition

78

Projektmanagement

76

EDV

41

Produktion

39

Logistik

35

Forschung und Entwicklung

27

Sonstige

51

Summe

657

244

Stratesische Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management

Die folgenden Auswertungen wurden mit der Standardsoftware SPSS (Version 12.0) durchgeftihrt. Die spezifischen Verfahren werden jeweils zu Beginn der Analysen angefiihrt. Auf eine nahere Erlauterung der Auswertungsmethodik kann daher an dieser Stelle verzichtet werden. Methodisch sei jedoch noch angemerkt, dass hinsichtlich der einzelnen (Teil-)Dimensionen keine Faktorenanalysen bzw. Untersuchungen der Skalenreliabilitat vorgenommen wurden. Die Begrtindung dafiir liegt in der Tatsache, dass keine Skalen, sondern Kompetenzbiindel untersucht werden, die thematisch oft weit auseinander liegen und deren eigentliche Gemeinsamkeit die zweckgerichtete Aufgabenerfiillung darstellt. Insofern ist eine hohe Heterogenitat in der Bewertung der einzelnen Kompetenzen geradezu programmatisch. Dies stellt auch schon Woodruffe (2003, S. 104 f.) fest: „If the ratings for importance were factor analysed, behaviours at the various levels of importance would group together into their factors but they would not be dimensions upon which people could be assessed meaningfully/' Die Analyse beschrankt sich daher bewusst auf Mittelwertvergleiche der einzelnen Dimensionen des Modells bzw. deren Summen - im Sinne der Bewertung eines Kompetenzfeldes bzw. „Area of Competence''.

Empirlsche Ergebnisse Im ersten Schritt wurden das gesamte Modell und dessen einzelne Dimensionen getestet. Dazu wurde ein T-Test bei unabhangiger Stichprobe mit den beiden Vergleichsgruppen des Top- und mittleren Managements durchgefiihrt. Die prozentuellen Gewichtungen der im Modell angefiihrten Kompetenzen wurden summiert und ein Mittelwertvergleich der Kategorien „Operational Effectiveness" sowie „Strategy'' gerechnet - getrennt nach gegenwartig erforderlicher und zukiinftig erwarteter Kompetenzverteilung. Ergebnis: Fiir die Gegenwart kann das Modell von Porter durch die vorhandenen Daten durchaus bestatigt werden, wie ein Blick auf Abbildung 4 zeigt: „Operational Effectiveness" ist eindeutig Sache des mittleren Managements, „Strategy" liegt klar in Handen des Spitzenmanagements. Fiir die Zukunft zeichnet sich allerdings eine nicht unwesentliche Verschiebung ab, die man als eine Art „RiickfaH" des Topmanagements auf den Bereich der „Operational Effectiveness" umschreiben konnte. Auch die oberste Fiihrungsspitze eines Unternehmens wird sich demnach wieder starker um operative Aufgaben kiimmern, die man bisher eher dem mittleren Management iibertragen hat. Spekulationen dariiber, ob diese offensichtliche „Renaissance" operativer Fuhrungsaufgaben mit antizipierten.

245

Helmut Kasper/Jurgen Muhlbacher

organisatorischen Restrukturierungen zusammenhangt und als notwendige Anpassung an sich verflachende Hierarchien zu interpretieren ist, seien zunachst dahingestellt. Genauerer Aufschliisse dariiber bringen erst die Auswertung der antizipierten Entwicklungen einzelner Kategorien (siehe Abb. 5) sowie die Analyse der temporalen Veranderung (siehe Abb. 6).

Abb. 4:

T-Test des Modells

Kategorle

Nlerarehle

MHIelwert

df

Slf,

GEGENWART Operational Effectiveness

Topmanagement Mittelmanagement

10.4768

Strategy

Topmanagement

12.6694

Mittelmanagement

5.4758

3.038

258.022

0.003

-3.902

218.782

0.000

0.387

273.000

0.699

-2.709

214.175

0.007

5.6821

ZUKUNFT Operational Effectiveness

Topmanagement

14.1532

Mittelmanagement

15.2119

Strategy

Topmanagement

15.2419

Mittelmanagement

8.9801

Die einzelnen Kategorien des Modells wurden daher ebenfalls mittels T-Test bei unabhangiger Stichprobe gepriift, um eine differenzierte Interpretation der Ergebnisse zu ermoglichen. Dabei wurden gleichfalls die Mittelwerte der prozentuellen Gewichtung des Top- und mittleren Managements herangezogen. Einen Uberblick der Ergebnisse gibt Abbildung 5. Generell belegt dieses Ergebnis deutlich, dass die grundlegende Differenzierung zwischen Flexibilitat des mittleren Managements und Innovationskraft des Topmanagements weder aktuell noch zukiinftig eine RoUe spielt und in Zukunft von beiden Hierarchieebenen eine starkere Flexibilisierung favorisiert wird. Diese Tendenz ist zwar verstandlich, widerspricht aber voUig dem strategischen Flexibilisierungskonzept von Volberda (1998), der davon ausgeht, dass erst die Balance zwischen Flexibilitat und ausreichender Stabilitat Untemehmen zum Erfolg fiihrt.

246

Strategische Aufsaben- und KompetenzverteHuns im Management

Abb. 5:

T-Test der einzelnen Modell-Kategorien

Kategom

Hlenifchi^

df

mmiwmt

(l^eltig)

GEGENWART Flexibility

Topmanagement

0.7260

Mittelmanagement

0.9270

Constant Change

Topmanagement

2.5726

Mittelmanagement

3.0464

Best Practice

Topmanagement

2.1774

Mittelmanagement

6.5033

Innovation

Topmanagement

2.0160

Mittelmanagement

1.5230

Tightening Fit

Topmanagement

5.9274

Mittelmanagement

2.9338

Clear Tradeoffs

Topmanagement

4.7258

Mittelmanagement

0.431

273.000

0.667

0.459

273.000

0.647

3.276

216.355

0.001

-0.577

273.000

0.564

-2.401

219.253

0.017

-3.293

165.474

0.001

-0.534

273.000

0.594

0.951

271.546

0.342

0.400

273.000

0.690

-1.165

202.979

0.245

-1.267

273.000

0.206

-2.031

235.358

0.043

1.2252

ZUKUNFT Flexibility

Topmanagement

6.6610

Mittelmanagement

5.6090

Constant Change

Topmanagement

5.6774

Mittelmanagement

7.3510

Best Practice

Topmanagement

1.8145

Mittelmanagement

2.2517

Topmanagement

3.2180

Mittelmanagement

1.9870

Topmanagement

4.8629

Mittelmanagement

3.1788

Topmanagement

7.1613

Mittelmanagement

3.8146

Innovation

Tightening Fit

Clear Tradeoffs

Was jedoch die weitere, aktuelle Kompenzverteilung anbelangt, kann Porters Modell neuerlich bestatigt werden. ^Tightening Fit'' und „Clear Trade-offs'' werden signifikant dem Topmanagement und „Best Practice" dem mittleren Management zugeordnet. Lediglich beim „Constant Change" mit seinen Auspragungen des Change Managements und der Personalentwicklung lasst sich empirisch keine eindeutige Zuordnung zum mittleren Management treffen, wie es das Porter-Modell postuliert. Doch diese Abweichung von Porters Thesen lasst sich vor dem Hintergrund der meisten

247

Helmut Kasper/Jurgen Muhlbacher

Change-Management-Ansatze plausibel argumentieren, die hinsichtlich der erfolgreichen Umsetzung von Veranderungsprozessen iiberwiegend von einer geteilten Verantwortung des Top- und mittleren Managements ausgehen (vgl. Nonaka/Takeuchi 1995; Kotter 2001; Kotter/Cohen 2002). VoUig anders fallt das Resultat aus, was die zukiinftigen Erwartungen an die beiden Managementebenen betrifft: Die im theoretischen Modell Porters getroffene, klare Aufgabendifferenzierung verschwindet in den empirischen Befunden. Zwar nehmen bis auf „Best Practice" - alle Kategorien des Modells an Bedeutung zu. Doch ein signifikanter Unterschied zwischen Top- und mittlerem Management kann nur noch bei der Auspragung „Clear Trade-offs" festgestellt werden, die eindeutig dem Topmanagement zugeordnet wird. Aus den empirischen Ergebnissen lasst sich fiir die Zukunft vielmehr ein verstarkter Trend des Topmanagements zur Kategorie „Constant Change" nachweisen. Durch die entstehende Uberlappung im Bereich der „Operational Effectiveness" eroffnen sich neue Konfliktfelder innerhalb der Untemehmen. Neue Kompetenzstreitigkeiten scheinen unausweichlich. Ein klassisches Beispiel hierfiir ist das oft zu beobachtende und meist von den Mittelmanagern reklamierte Phanomen des „Hineinregierens", wobei das Topmanagement punktuell - aber nachhaltig - in das operative Tagesgeschaft eingreift. Ebenso zeigt sich ein Trend, wonach sich beide Managementebenen in Zukunft zunehmend den strategischen Kompetenzen des „Tightening Fit" widmen. Das Signifikanzniveau dieser Kategorie, das von 0.017 auf 0.206 markant sinkt, belegt diese Annahme deutlich. Um die zweite handlungsleitende Forschungsfrage - beziiglich der antizipierten Veranderungen der Kompetenzaufteilung im Management im Zeitablauf - besser beantworten zu konnen, wurde zusatzlich noch ein T-Test bei gepaarter Stichprobe errechnet. Dieser zeigt die Signifikanz der temporaren Veranderungen der einzelnen Kategorien iiber beide Hierarchiestufen hinweg. Fiir die Zukunft ist mehr Flexibilitat, mehr Change Management und Personalentwicklung (Constant Change) sowie mehr Relationship Management und Motivation (Clear Trade-offs) zu erwarten, wie Abbildung 6 zeigt. Die Innovationsfahigkeit bleibt stabil insignifikant, die wahrgenommene Relevanz der Kategorie „Best Practice" nimmt deutlich ab und auch jene des „Tightening Fits" zeigt eine leichte - wenn auch insignifikante - Abwartstendenz.

248

Strategische Aufgaben- und Kompetenzverteiluns im Management

Abb. 6:

Verdnderungen der Modell-Kategorien im Zeitablauf Mm0lw#rt

T

df

$ig.

Flexibility - Gegenwart

0.8360

-5.361

274

0.000

Flexibility - Zukunft

6.0840

Constant Change - Gegenwart

2.8327

-3.998

274

0.000

3.228

274

0.001

-1.443

274

0.150

0.462

274

0.644

-3.037

274

0.003

Kategorienpaar

Constant Change - Zukunft

6.5964

Best Practice - Gegenwart

4.5527

Best Practice - Zukunft

2.0545

Innovation - Gegenwart

1.7450

Innovation - Zukunft

2.5420

Tightening Fit - Gegenwart

4.2836

Tightening Fit - Zukunft

3.9382

Clear Trade-offs - Gegenwart

2.8036

Clear Trade-offs - Zukunft

5.3236

Die in Abschnitt 3 geschilderten veranderten Arbeitsanforderungen im Management verlangen aber auch neue Verhaltensweisen und Kemkompetenzen. Die Ignoranz dieser Entwicklung schafft vor allem Probleme im viel zitierten und oft geforderten Empowerment der Mitarbeiter. „In the end, everyone is frustrated. In theory, empowerment should make it easier for organizations to meet their numbers. But when change programs are imposed without recognizing the limitations of empowerment and when managers and employees are not helped to deal effectively and openly with them, the organization ends up worse off than it was to begin with'' (Argyris 1998, S. 104). Hierzu bleibt noch anzumerken, dass das Empowerment als Kategorie in dieser Umfrage von den Fiihrungskraften gar nicht genannt wurde, sondern bestenfalls durch die Flihrungskompetenz der (Fremd-)Motivation abgedeckt wird.

249

Helmut Kasper/Jurgen Muhlbacher

Fazit Zusammenfassend ergeben sich aus obiger Analyse also zwei unterschiedliche Perspektiven. Wahrend fiir die Gegenwart - mit kleineren Einschrankungen - das Modell von Porter bestatigt werden kann, deuten die zukiinftigen Erwartungen des Managements auf einen umfassenden Wandel hin. Daraus ergeben sich folgende Antworten auf die Forschungsfragen aus Abschnitt 4.1. 1. Lasst sich die von Porter vorgenommene Differenzierung der „Operational Effectiveness" versus „Strategy" tatsachlich im empirischen Feld nachweisen? Diese Frage lasst sich fiir die Gegenwart eindeutig positiv beantworten. Eine grundsatzlich differenzierte Ausrichtung nach Flexibilitat des mittleren Managements und der Innovativitat des Topmanagements lasst sich jedoch nicht feststellen. Fiir die Zukunft setzen beide Hierarchieebenen eher auf eine generelle Flexibilisierung der Unternehmen. Dadurch droht jedoch ein Mangel an Innovation, Teamwork und Empowerment der Mitarbeiter und somit das Fehlen von Kompetenzen, die fiir einen wirklich flexiblen Umgang mit den Anforderungen der Zukunft unerlasslich sind. 2. Erwartet das Management in Zukunft eine Veranderung dieser Differenzierung bzw. einzelner Dimensionen des Modells? Was die kiinftigen Kernkompetenzen betrifft, kommt es bei den Aufgaben des „ Constant Changes" - anders als im Porter-Modell postuliert - bereits in der Gegenwart zu einer Kompetenzuberschneidung zwischen Top- und mittlerem Management, die sich in Zukunft noch verstarkt. Die Bedeutung der Kategorie „Best Practice" ist in Zukunft stark im Sinken begriffen. Dies mag darauf zuruckzufiihren sein, dass solche Mafinahmen in der Vergangenheit haufig falsch verstanden wurden. Hierbei geht es nicht um die blofie Ubemahme einzelner Modelle, sondern um deren Integration in das Gesamtsystem eines Untemehmens. Die reine Imitation ist somit von Beginn an zum Scheitern verurteilt, wie Porter (2003, S. 63) richtigerweise feststellt: „A competitor seeking to match an activity system gains little by imitating only some activities and not matching the whole. Performance does not improve; it can decline."

Bei den strategischen Kompetenzen nahern sich Top- und mittleres Management wechselseitig zunehmend an. Dieses Kompetenzfeld wird vom mittleren Management vor allem fiir den antizipierten Sprung ins Topmanagement genutzt. Letztlich bleibt zur Unterscheidung zwischen Top- und mittlerem Management nur noch die Sozialkompetenz des Relationship Managements sowie die Fiihrungskompetenz der (Fremd-)Motivation. Diese werden gegenwartig vom Top-

250

Strategische Aufgaben- und Kompetenzverteiluns im Manasement

management etwas vernachlassigt, zukiinftig jedoch verstarkt vom mittleren Management eingefordert. Trotz der Bestatigung von Porters Differenzierung fiir den Status quo, empfehlen die Autoren daher, den antizipierten Wandel - ganz im Sinn des Management Developments - in den eigenen Organisationen rasch zu thematisieren. Nur so konnen, im Rahmen der strategischen Personalentwicklung, gezielte Qualifikationsprogramme entwickelt und eine vorausschauende Kompetenz- und Verantwortungsaufteilung vorgenommen werden - rechtzeitig, bevor die ersten Konflikte und strategische Entwicklungsbriiche in den Unternehmen auftreten.

Literaturverzeichnis Abraham, W./BraunmuUer, K. (1971): Stil, Metapher und Pragmatik. In: Lingua 28 (1), S. 1-47. Argyris, C. (1998): Empowerment: The emperor's new clothes. In: Harvard Business Review 76 (3), S. 98-105. Bartlett, C.A./Goshal, S. (1998): Wie sich die RoUe des Managers verandert. In: Harvard Business Manager 20 (6), S. 79-90. Bortz, J./Doring, N. (2003): Forschungsmethoden und Evaluation fiir Human- und Sozialwissenschaftler. 3. Aufl. Berlin etc. Boyatzis, R.E. (1982): The competent manager - A model for effective performance. New York. Boyatzis, R.E. (1993): Beyond competence: The choice to be a leader. In: Human Resource Management 3 (1), S. 1-14. Brittain, S./Ryder, P (1999): Get complex. In: People Management 5 (23), S. 48-51. Buchanan, D./Badham, R. (1999): Power, politics, and organizational change - Winning the turf game. London etc. Buckingham, M. (1999): Clone-free zone. In: People Management 5 (19), S. 42-45. Chomsky, N. (1969): Aspekte der Syntaxtheorie. Frankfurt a.M. Conger, J.A. (1989): The charismatic leader behind the mystique of exceptional leadership. San Francisco. Drucker, PF. (1999): Knowledge-worker productivity: The biggest challenge. In: California Management Review 41 (2), S. 79-94. Erikson, E.H. (1959): Identitat und Lebenszyklus. Frankfurt a.M.

251

Helmut Kasper/Jursen Muhlbacher

Erpenbeck, J./Rosenstiel, L. von (2003): Einfiihrung. In: Erpenbeck, J./Rosenstiel, L. von (Hrsg.): Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, padagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart, S. IX-XL. Kasper, H./Miihlbacher, J. (2004): Konturierung zukiinftiger Management-Kompetenzen. In: Kasper, H. (Hrsg.): Strategien realisieren - Organisationen mobilisieren. Wien, S. 299-317. Katz, R. (1974): Skills of an effective administrator. In: Harvard Business Review 52 (5), S. 90-102. Kotter, J.R (2001): Leading change. 17. Aufl. Boston. Kotter, J.R/Cohen, D.S. (2002): The heart of change. Boston. Lester, S. (1994): Management standards: A critical approach. In: Competency 2 (1), S. 28-31. Mahoney, T.A.yjerdee, T.H./CarroU, S.J. (1965): The job(s) of management. In: Industrial Relations 4 (2), S. 97-110. Mansfield, R.S. (1996): Building competency models: Approaches for HR professionals. In: Human Resource Management 35 (1), S. 7-18. McCall, M.W. (1998): High flyers. Developing the next generation of leaders. Boston. McClelland, D.C. (1973): Testing for competence rather than for intelligence. In: American Psychologist 2 (1), S. 1-14. Mintzberg, H. (1989): Mintzberg on management. New York. Moxley, R.S./O'Connor Wilson, P. (1998): A system approach to leadership development. In: Handbook of leadership development. San Francisco, S. 217-241. Nonaka, I./Takeuchi, H. (1995): The knowledge creating company. How Japanese companies create the dynamics of innovation. Oxford. Porter, M.E. (1980): Competitive strategy - Techniques for analyzing industries and competitors. New York. Porter, M.E. (2003): What is strategy? In: Porter, M.E. (Hrsg.): On competition. Boston, S. 39-73. Porter, M.E. (2004): Competitive strategy. New York. Ritter, J./Grunder, K. (1976): Historisches Worterbuch der Philosophie. Band 4. Basel und Stuttgart. Robert, M. (1991): The essence of leadership. Strategy, innovation, and decisiveness. New York.

252

Strategische Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management

Sarges, W. (2002): Competencies statt Anforderungen - nur alter Wein in neuen Schlauchen? In: Riekhof, H.-C. (Hrsg.): Strategien der Personalentwicklung. 5. Aufl. Wiesbaden, S. 258-300. Shippmann, J.S./Ash, R.A./Battista, M./Carr, L./Eyde, L.D./Hesketh, B./Kehoe, J./Pearlman, K./Prien, E.P./Sanchez, J.I. (2000): The practice of competency modeling. In: Personnel Psychology 53 (3), S. 703-740. Sonntag, K./Schmidt-Rathjens, C. (2004): Kompetenzmodelle - Erfolgsfaktoren im HRManagement? Ein strategie- und evidenzbasierter Ansatz der Kompetenzmodellierung. In: Personalfiihrung 37 (10), S. 18-26. Spencer, L.M./Spencer, S.M. (1993): Competence at work - Model for superior performance. New York. Stacey, R.D. (1996): Strategic management & organisational dynamics. 2. Aufl. London. Stemmer, N. (1971): A note on competence and performance. In: Linguistics 65 (1), S. 83-89. Stewart, R. (1982): Choices for the manager - A guide to managerial work and behavior. London. Volberda, H. (1998): Building the flexible firm. How to remain competitive. Oxford. White, R.W. (1959): Motivation reconsidered: The concept of competence. In: Psychological Review 66 (2), S. 297-333. White, R.W. (1963): Ego and reality in psychoanalytic theory. In: Psychological Issues 3 (3). Monograph 11. New York. Woodruffe, C. (1993): What is meant by a competency? In: Leadership & Organization Development Journal 14 (1), S. 29-36. Woodruffe, C. (2003): Development and assesment centres - Identifying and assessing competence. 3. Aufl. London.

Univ.-Prof. Dr. Helmut Kasper und Dr. Jiirgen Miihlbacher beide Wirtschaftsuniversitat Wien Abteilung fiir Change Management und Management Development Augasse 2-6 A-1090 Wien [email protected] [email protected]

253

Helmut Kasper/Jursen Muhlbacher

Anhang: Multiple-Job-Kompetenzmodell und Kategorienschema der Erhebung (vgl. auch Kasper/Muhlbacher 2004, S. 315 ff.)

Sellisy isiK^illve Ki^iii^em^ii Kompetenz

Auspragung

Zeitmanagement

-) erforderlichen Zeitbedarf planen -) Prioritaten setzen -) angemessenes Arbeitstempo wahlen -) Milestones setzen

Stresstoleranz

-) mit physischem / psychischem Druck umgehen konnen -) kurzfristigen Belastungen Stand halten -) langfristigen Belastungen entgegenwirken -) abschalten konnen

Flexibilitat

-) Interesse an unterschiedlichen Aufgabenbereichen zeigen -) anpassungsfahig sein -) ein Problem in der Schwebe halten konnen -) beweglich sein

Untemehmerisches Denken

-) etwas umsetzen / realisieren wollen -) sich selbst motivieren -) entscheidungsfreudig sein -) Kampfgeist haben

Innovationsfahigkeit

-) neue Ideen haben -) neue Ideen akzeptieren -) neue Losungen ausprobieren wollen -) experimentierfreudig sein

Work-Life-Balance

-) auf die Lebensqualitat achten -) Spannungen zwischen Beruf und Privatleben reduzieren -) an die Gesundheit denken -) Hobbys entwickein / pflegen

Emotionskompetenz

-) mit eigenen Emotionen umgehen konnen -) fremde Emotionen erkennen -) Emotionen positiv einsetzen -) Stimmungsschwankungen fruhzeitig erkennen

Umgang mit Verantwortung

-) Verantwortung aktiv suchen -) Verantwortung passiv ubernehmen -) Verantwortung delegieren

254

Strategische Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Management

Fachlich-methodische Kompetenzen Kompetenz

Auspragung

Analytisches Denken

-) denken in Kausalbeziehungen -) vergleichen -) Ergebnisse optlmieren

Vernetztes Denken

-) denken in Regelkrelsen -) Suche nach Zusammenhangen / Interaktionseffekten -) Systeme modellieren

Reflexives Denken

-) bisherlge Ereignisse evaluieren -) in Frage stellen eigenen / fremden Verhaltens -) beraten konnen

Visionares Denken

-) langfristige Ziele setzen -) auch wenig wahrschelnliche Optionen in Betracht Ziehen -) Krafte auf ein Ziel hin biJndeln

Entscheidungsverhalten

-) rasch entscheiden -) auf die Qualitat einer Entscheidung achten -) auf die Akzeptanz eIner Entscheidung achten -) auch bei komplexen Problemen eine Entscheidung finden

Change Management

-) Strukturen / Prozesse modifizieren -) Ressourcen neu vertellen -) Veranderungen initiieren -) mit Widerstanden umgehen konnen

Total Quality Management / Supply Chain Management

-) auf die Qualitat achten -) Qualitatszirkel einsetzen -) ISO-Zertifizierungen durchfuhren -) Supply Chain / Loglstik steuern

Projektmanagement

-) Sekundarstrukturen aufbauen -) neue und komplexe Problemstellungen iosen -) heterogene Projektgruppen zusammensetzen / fuhren -) Instrumente des Projektmanagements nutzen

Prozessmanagement

-) Prozesse definieren -) Prozesse koordinieren -) Schnlttstellen reduzieren -) Verantwortungsabgrenzung vornehmen

Strukturwissen / Aufbauorganisation

-) Aufbauorganisation eines Unternehmens festlegen -) Vor- und Nachteile einer Struktur kennen -) Zielsetzung und Struktur aufeinander abstimmen -) Organigramme analysieren konnen

255

Helmut Kasper/Jurgen Muhlbacher

Mergers & Acquisitions / Fusionen

-) passende Organisationen finden / auswahlen -) Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Optionen kennen -) M&A bzw. Fusionsprozess begleiten -) Post-Merger Integration unterstutzen

Controlling & Rechnungswesen

-) Berichtswesen organisieren -) Berichte interpretieren konnen -) Interventionen zur Steuerung von Kennzahlen setzen -) ergebnisorientierte Unternehmenssteuerung implementieren

Strategisches Management

-) Strateglen entwickein -) Strategien implementieren -) Szenarien entwickein -) strategische Instrumente verwenden

Wissensmanagement

-) Informationen auswahlen -) Informationen zielgruppengerecht weiterleiten -) Erfahrungen dokumentieren -) vorhandene Wissensbestande weiterentwickein

Markt- & Branchenwissen / Kundenorientierung

-) Marktubersicht haben -) Konkurrenz kennen -) Kunden kennen -) Kundensegmente analysieren konnen

Umgang mit neuen Medien

-) mit neuen Medien umgehen konnen -) E-Mail gezielt einsetzen -) Internet / Intranet gezielt nutzen

Prasentationsfahigkeit

-) Vorteile von Produkten / Dienstleistungen hervorheben -) Prasentationen erstellen -) Inszenierung des Kaufaktes Sozial-kommunikative Kompetenzen

Kompetenz

Auspragung

Kommunikation

-) zielorientiertes Reden / Zuhoren -) verstehen / verstanden werden -) im eigenen Interesse antworten -) nonverbale Zeichen interpretieren konnen

Moderation

-) die Ziele anderer herausfinden und kommunizieren -) die Kommunikation anderer unterstutzen -) den Informationstransfer innerhalb einer Gruppe fordern -) die Gruppe wichtiger nehmen als sich selbst

Verhandlungsgeschick

-) diplomatisch sein -) subjektiven Nutzen erkennen -) individuellen Nutzen aufzeigen

256

Strateglsche Aufgaben- und KompetenzverteHung im Management

Kooperation und Teamfahigkeit -) mit anderen zusammenarbeiten -) sich selbst relativieren -) Mitglied einer Gruppe sein und sich entsprechend verhalten -) eigenen Nutzen und Gruppennutzen gegeneinander abwagen Einfuhlungsvermogen

-) sich in andere hineinversetzen -) verschiedene Rollen ausfullen konnen -) Rollendistanz haben -) Handlungen anderer einschatzen / voraussehen

Konfliktmanagement

-) Konflikte fruhzeitig erkennen -) Konflikte analysieren -) zwischen Konfliktparteien vermittein -) Kompromisse / Konsens ausarbeiten

Relationship Management

-) Netzwerke intern und entlang der Wertschopfungsketten aufbauen -) Beziehungen aufbauen -) Beziehungen pflegen -) gemeinsamen Nutzen aufzeigen

Lobbying

-) externe Netzwerke aufbauen -) politischen Einfluss nutzen -) gesellschaftliche Krafte kennen -) politische Entscheidungstrager informieren / beeinflussen

Interkulturelle Kompetenz

-) Fremdes akzeptieren -) fremde Kulturen kennen -) eigenen kulturellen Standpunkt relativieren Subkategorie: Fremdsprachen beherrschen FiJhrungskompetenzen

Kompetenz

Auspragung

Klassische Fuhrungsmethoden

-) Zielerreichung kontrollieren

-) Zlele vereinbaren -) Aufgaben verteilen -) Anweisungen geben

Symbolisches Management

-) Vorbild sein -) Sinn vermittein -) andere inspineren -) durch Charisma / Ausstrahlung Stolz vermittein

Motivation

-) motivierende Arbeitssituation schaffen -) richtiges Anspruchsniveau treffen -) Anerkennung zeigen -) Feedback und Kritik vermittein

257

Helmut Kasper/Jurgen Muhibacher

Teamworkmanagement

-) Teams zusammenstellen -) Teams fordern / entwickein -) Selbstorganisation innerhalb des Teams zulassen -) andere integrieren

Personalentwicklung

-) Mitarbeiterpotenziale erkennen -) Schulungsprogramme auswahlen -) Freiraume zur Entwicklung gewahren -) Lemtransfer unterstutzen

Personalauswahl

-) Vor- und Nachteile interner vs. externer Beschaffung kennen -) Vor- und Nachteile der Selektionsinstrumente kennen -) Auswahlprozess gestalten -) Auswahlkriterien definieren Personale Kompetenzen

Kompetenz

Auspragung

Ehrgeiz

-) anspruchsvolle Ziele verfolgen -) eigene Energie auf ein Ziel fokussieren -) andere Optionen zuruckstellen

Selbstsicherheit

-) von sich uberzeugt sein -) eigene Schwachen nicht wahrnehmen -) Melnung der anderen relativleren

Integritat

-) sich entsprechend eigener Wertvorstellungen verhalten -) verlasslich sein -) stabile Verhaltensweisen zeigen

Lernbereitschaft

-) neugierig sein -) sich selbst weiterentwickein wollen -) an unterschiedlichen Themen interessiert sein

Durchsetzungsvermogen

-) dominant sein -) Zuverslcht und Optimismus vermittein -) beharrlich / eigensinnig sein

Geduld

-) gegenwartige Bedurfnisse zuruckstellen -) Aktivitaten in die Zukunft verlagern -) den richtigen Zeitpunkt abwarten

258

Arm) Rolf

Expertenwissen; Kompetenz; Orientierungswissen; soziotechnische Perspektive; Techniknutzungspfad; Wechselwirkungen

Zusammenfassung Im Zuge der Diskussionen um das zukiinftige Bildungssystem wird die Frage nach dem Rang des Fachwissens im Verhaltnis zum Orientierungswissen aufgeworfen. Der Beitrag setzt sich mit den Schwierigkeiten der Fachdisziplinen auseinander, transdisziplinare Erkenntnisse zu beriicksichtigen. Er nimmt Mittelstrafi' Forderung auf, nach der insbesondere „nutzliche Disziplinen", neben ihrer Rolle als Produktionsfaktor, auch eine Rolle als Orientierungsfaktor spielen soUten. Es wird ein Modell der Wechselwirkungen vorgestellt, das die Perspektive des spezialisierten Experten- bzw. Verfugungswissens so erganzt, dass Akteure in Wissenschaft und Praxis in ihrer Orientierungskompetenz untersttitzt werden. Er soil die Einordnung des eigenen fachlichen Handelns in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ermoglichen. Es geht um ein besseres Verstandnis von Technologisierungsprozessen in ihrer okonomischen und sozialen Bedeutung fiir Organisationen und gesellschaftliche Entwicklungen. Orientierungskompetenz hat nicht nur etwas mit dem Wissen um aktuelle Zustande und Strukturen und ihre Einordnung zu tun. Sie kann auch durch Verstehen vergangener Entwicklungen gefordert werden. Die damit verbundenen, moglicherweise konfliktreichen Prozesse und erfolgreichen wie erfolglosen Pfadverlaufe der Vergangenheit und Gegenwart kdnnen so besser verstanden werden.

Managementforschung 16 (2006), hrsg. von G. Schreyogg und P. Conrad Gabler Verlag . Wiesbaden, S. 259-284

Arno Rolf

Abstract The article takes into consideration MittelstrajS' postulation, according to which the sciences are not only playing a role as a factor of production, but also as a factor of orientation in the life of modem cultures. A model of interdependency will be presented that adds to the perspectives of expertise knowledge in such a way that the actors' competence of orientation in scientific and practical contexts will be supported. The article intends to facilitate the integration of one's own professional practice into a wholesome social and scientific context. It deals with the decipherment of technology implementation processes with their economic and social impact for organisations and social institutions. Competence of orientation has not only to do with the knowledge of current circumstances, structures and their classification. It also implies understanding developments of the past with the potentially conflicting processes behind them and the paths of technology usage, successful or not, of the past and present. This is about competence of orientation, with knowledge about the past leading to a future perspective.

Inhaltsubersicht 1 Orientierungskompetenz - Problemaufriss 1.1 Grenzen der Fachdisziplinen bei der Produktion von Orientierungskompetenz 1.2 Orientierungskompetenz durch Verfugungswissen plus Orientierungswissen 2 Das Mikropolis-Modell: Ein transdisziplinarer Versuch, disziplinare Hindemisse zu iiberwinden 2.1 Die Architektur des Mikropolis-Modells: Orientierungskompetenz durch „Rekultivierung" von Wechselwirkungen 2.2 Die soziotechnische Perspektive 2.3 Der Mikrokontext 2.4 Der Makrokontext 2.5 Prozesse und Pfade 2.5.1 1st Technikentwicklung determiniert oder sozial konstruiert? 2.5.2 Zur Theorie der Pfadabhangigkeit 2.5.3 Prozesse und Pfade im Mikropolis-Modell 3 Fallbeispiel: Analyse virtueller Organisationen mit Hilfe des Mikropolis-Modells 4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

260

Ohentierungskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

1

Orientierungskompetenz Problemaufriss

1.1

Grenzen der Fachdisziplinen bei der Produktion von Orientierungskompetenz

In den Debatten um Wachstum und Arbeitslosigkeit geht es heute vor allem auch um Bildungsfragen, etwa: Was miissen Hochschulen tun, u m die exzellenten Absolventen auszubilden, die Wirtschaft und Politik fiir die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs fordern? Welche Kompetenzen sollten die Universitaten bei ihren Studierenden fordern? Wie definieren sich Exzellenz und Spitzenleistungen in Zeiten von Globalisierung und Wissensgesellschaft? Relevante Stimmen halten die Curricula, insbesondere in den so genannten „niitzlichen Disziplinen'', zu denen etwa die Informatik, die Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften zahlen, wegen der ausschliefilichen Fachausbildung fiir nicht mehr zeitgemal^ (vgl. Mittelstrafi 2001; Beck 2004). Dies wird verstarkt fiir die Zukunft durch das zumeist nur auf sechs Semester angelegte Bachelor-Studium befiirchtet. Es stellt sich die Frage, ob selbst die beste Expertenausbildung angesichts der heutigen 5konomischen Bedingungen auf die Einbettung in strukturelle, normative und kulturelle Bedingungen verzichten sollte. Eine Option ware, Einzeldomanen wie Management und Technologie nicht aus ihren Kontexten herauszulosen, sondern sie in einen umfassenderen wissenschaftlichen Kreislauf zu integrieren. Dies ware ein Versuch, den wachsenden Anforderungen, die die Komplexitat und das Veranderungstempo der Alltags- und Arbeitswelt ebenso wie globale Entwicklungen an eine interdisziplinare Bildung und kulturelle Kompetenzen stellen, Rechnung zu tragen. Die generelle Kritik an der tradierten disziplinaren Ausrichtung in hochspezialisierte Teilsysteme verliert zuweilen das Positive der Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung der Wissenschaftsdisziplinen aus dem Blick: Sie haben wesentlich zum Wohlstand und Wachstum moderner Gesellschaften beigetragen. Wissenschaftler sind so in der Lage, immer „tiefer zu bohren'' und den wissenschaftlichen Fortschritt in ihren Disziplinen voranzubringen. Der durch Spezialisierung ermoglichte Tiefgang resultiert aus der Einhegung von Wissensgebieten, die so beherrschbar werden. Diese Komplexitatsreduktion ist zur Ausbildung fachbezogener Kompetenz unabdingbar (vgl. Kabisch 2001, S. 14). Der akademische Nachwuchs muss sich dieses Experten- bzw. Verfiigungswissen, nicht zuletzt als Voraussetzung fiir die eigene Karriere, aneignen, davon hangt aber auch der Wohlstand einer Volkswirtschaft ab. Das Dilemma dieser Ausdifferenzierungsprozesse liegt darin, dass sie die Komplexitat des Wissens enorm ansteigen liel^en. Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse einer Disziplin lassen sich kaum noch Spezialisten anderer Fachgebiete vermitteln. Auch

261

Arno Rolf

innerhalb einer Disziplin ist dies langst zum Problem geworden. Riickkoppelnde Reflexionsprozesse zwischen Experten und potenziellen Nutzern der Entwicklungen sind schwierig geworden und unterbleiben deshalb haufig. Viele Disziplinen haben Miihe, die okonomischen und gesellschaftlichen Konsequenzen ihrer Arbeit einzuschatzen. Trotz zahlreicher Appelle und guter Absichten der Fachexperten, dieses Dilemma durch inter- bzw. transdisziplinare Ansatze zu iiberwinden, liegen bislang kaum befriedigende Entwurfe vor.i-Das hat tiefere Ursachen: Eine Disziplin ist zuvorderst begriindet durch eine gemeinsame Sichtweise auf den Forschungsgegenstand, der in seinen Kommunikationsbeziehungen zum Ausdruck kommt. Der professionelle Kern einer Disziplin impliziert einen gewissen Konsens bezuglich Methoden, Erkenntnisinteressen und Theorien. Eine Disziplin ist somit eine Diskursgemeinschaft mit Argumentationsschemata und Wertorientierungen. Wer sich der Disziplin zugehorig zahlt, hat sich dem zu unterwerfen. Hierin liegt ein wesentliches Erschwerrus diszipliniibergreifender Tatigkeit. Akzeptanz und Reputation eines Wissenschaftlers innerhalb einer disziplinaren Gemeinschaft sind wesentlich davon abhangig, ob er sich an Regeln und Sichtweisen der Disziplin halt. Auch die Permanenz einer Disziplin wird durch die Akzeptanz dieser Regeln gesichert (vgl. Wahoff 2005, S. 14 f.). Das Nebeneinander von in Disziplinen verwahrtem Spezialwissen reduziert nicht nur die Moglichkeit zum ganzheitlichen Denken in und zwischen Disziplinen. Sie macht die ganzheitliche Systematisierung von Erkenntnissen und damit den Blick fiirs Ganze unmoglich (vgl. Mittelstrafi 2003, S. 7). Es kommt hinzu, dass sich Probleme nicht (immer) den Disziplinen zufiigen, sie sind dann wissenschaftlich „heimatlos". Da Disziplinen die Welt durch eine spezifische Perspektive betrachten, konnen oft nur bestimmte Aspekte eines Realitatsausschnittes in den Blick genommen werden. Somit lassen sich Probleme, die nicht in Ganze von einer Disziplin erfasst werden, weder aus einer Disziplin heraus erforschen noch losen, sie lassen sich nicht einmal in der Sprache einer Disziplin ganzheitlich formulieren und sind somit nicht durch sie erfassbar. Die Grenzen der Disziplin drohen zu Grenzen der Erkenntnis zu werden (vgl. Mittelstrafi 2003, S. 7; Wahoff 2005, S. 19). Bekanntlich vertritt Snow die These, dass die diszipliniibergreifenden Verstandigungsprobleme auf der Ebene des Auseinanderdriftens der zwei Kulturen Geistes- und Naturwissenschaften zu verorten sind. Uberall dort, wo es gelingt, diese beiden Kulturen zumindest ansatzweise zusammenzubringen, entsteht ein Potenzial zur Uberwindung des Dilemmas (vgl. Hiibenthal 1991, S. 1). Wie ist dies angesichts der heutigen Wissenschaftslandschaft und des beschriebenen Problemdrucks anzugehen? Wir werden diese Frage im Folgenden auf „nutzliche Disziplinen'' eingrenzen.

262

Orientierungskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

1.2

Orientierungskompetenz durch Verfligungswissen plus Orientierungswissen

Inter- bzw. Transdisziplinaritat in den Fachdisziplinen ware als Korrekturmechanismus erforderlich, es fehlen bislang jedoch iiberzeugende Konzepte. Verschiedene Fakultaten „nutzlicher Disziplinen'' haben sich fur ein Studium generate, im Sinne eines verpflichtenden Erganzungsfaches fiir Studierende, angesiedelt in den Geistes- oder Sozialwissenschaften, in ihren Studienordnungen entschieden. Der Wert liegt im Kennenlernen einer anderen Fachsprache sowie kontrastiver Paradigmen und Wertsetzungen. Es kann aber nicht die Trennung der Disziplinen insbesondere fiir die Lehrenden iiberwinden. Und sie lasst die Studierenden allein, ohne Anleitung eines „Briickenbauers''. Jiirgen Mittelstrafi hat vorgeschlagen, an den Fiochschulen die Vermittlung des Fachbzw. Verfiigungswissens um Orientierungswissen zu erganzen (Mittelstrafi 1989, 2001, 2003). Wahrend Verfilgungswissen ein Wissen um Mittel und Methoden ist, das Wissenschaften unter vorgegebenen Zwecken zur Verfiigung stellen, gibt Orientierungswissen Einsichten, die im Leben orientieren, z.B. als Orientierung in einem Fachgebiet, aber auch in solche, die dem eigenen Leben Orientierung geben konnen. Orientierungswissen soil verhindern, dass die Einbindung spezialisierten Wissens in seine Kontexte vernachlassigt wird. Durch Erganzung des Experten- um Orientierungswissen soUen Kompetenzen zur Einordnung des eigenen fachlichen Handelns in historische, gesamtgesellschaftliche und 5konomische Zusammenhange entwickelt werden. Orientierungskompetenz kann verhindern, von den Prozessen der Beschleunigung und Komplexitatssteigerung iiberroUt zu werden. Sie fordert die Fahigkeit, fachliche Detailkenntnisse in einen erweiterten Rahmen setzen zu konnen. Es geht dann nicht mehr nur um die Funktionsweise eines eingespielten technischen oder okonomischen Systems, sondern auch um seine Bewertung unter Anlegung eigener und normativ begrundeter Perspektiven. Orientierung bedeutet dabei ganz sicher nicht, Kenntnisse, Sachverhalte und Zusammenhange zu Gunsten einer blofien Vergewisserung der eigenen Einstellungen und Uberzeugungen zu ignorieren. Verfiigungs- und Orientierungswissen bedingen sich. Verfilgungswissen ist positives Wissen, das sich im Konnen ausdriickt. Orientierungswissen verkommt ohne fachliches Verfilgungswissen zur inhaltslosen Rhetorik. Orientierungswissen kann Pfade fiir zukiinftig relevantes Expertenwissen aufzeigen und Sicherheit bei der Einschatzung neu aufkommender Entwicklungen geben. Insofem schlummern im Orientierungs- wie im Verfilgungswissen Produktivitatsreserven fiir im globalen Wettbewerb stehende Organisationen und Volkswirtschaften. Die alleinige Konzentration auf fachspezifisches Expertenwissen korrespondiert zuweilen mit eher naiven Deutungen was Menschen, Untemehmen und Gesellschaft betrifft, fast zwangslaufig dann verbunden mit einer hohen Anfalligkeit gegeniiber

263

Arno Rolf

Moden und Mythen. Breite des Wissens, Uberblick und Bildung konnen am ehesten verhindem, dass sich Moden und Mythen, die unentdeckten Produktivitatskiller, ausbreiten. Ein Beispiel ist die aktuell generell fiir iiberzeugend gehaltene Strategie des Outsourcings von Beschaftigten und ihrer zeitweiligen vertraglichen Bindung als Freelancer oder in Form von virtuellen Organisationen, je nach Bedarfslage der Unternehmen. Dabei wird haufig nur auf Kostenvorteile durch den schnellen Auf- und Abbau eines Netzwerkes gesetzt, ohne die Kosten der dauerhaften Koordination und Planung der dann Externen in Rechnung zu stellen. Unberiicksichtigt bleibt dabei auch, dass bei wissensintensiven Dienstleistungen der Erfolg von der Schaffung einer langfristigen Bindung bis hin zur dauerhaften Partnerschaft abhangig ist (vgl. Niemeier 2004, S. 14). Orientierungskompetenz kann aber nicht nur mehr Sicherheit geben und Produktivitatsreserven freisetzen: Eine globale Gesellschaft kann nicht auf Verstehen und Verstandigung iiber das Gemeinsame des Entwicklungspfades verzichten. Es ist mithin auch ein Stiick Aufklarung iiber einen vemunftgeleiteten Weg, der inter- und transdisziplinare „Grenzganger" ermutigen soil, ihre Fachexpertise mit Orientierungswissen iiber soziale, technische und okonomische Zusammenhange zu verkniipfen. Es ist auch Voraussetzung, um die nachhaltige Gestaltung globaler Gesellschaften fordem zu konnen.

Das Mlkropolis-Modell: Ein transdiszipHnarer Versuch, disziplinare Hindernisse zu Uberwinden Im Folgenden wird das Mikropolis-Modell vorgestellt, das sich der Herausforderung stellt, die Komplexitat der soziotechnischen Wechselwirkung von IT-Gestaltung, Organisationshandeln und gesellschaftlicher Entwicklung in einem Modell darzustellen. Es systematisiert das Zusammenspiel von Akteuren, Organisationen und Informationstechnik in einer globalen Gesellschaft. Es ist ein Versuch, das Orientierungswissen dieses soziotechnischen Feldes zu rekonstruieren und in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Es ist ein exemplarischer und sehr konkreter transdisziplinarer Versuch, disziplinare Hindernisse zu iiberwinden, ohne die Vorteile disziplinarer Arbeit in Frage zu stellen. Das Mikropolis-Modell riickt dabei Wechseliuirkungen zwischen Informationstechnologien, Organisationen sowie individuellen wie gesellschaftlichen Akteuren mit ihren kulturellen Werten und Leitbildem ins Zentrum, die Arbeit und Leben im globalen Mafistab verandem. Mit der „Rekultivierung der Wechselwirkungen" soil Orientie-

264

Orientierungskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

rungskompetenz aufgebaut werden. Mittels der Wechselwirkungen konnen dariiber hinaus die Beztige zwischen den Gegenstanden verschiedener Wissenschaften expliziert werden. Es ist ein Angebot, die Gegenstande „nutzlicher" Disziplin - nicht zufallig „Stoff" genannt - in eine Systematik einzubinden (vgl. Euler 2005, S. 65 f.). Im Idealfall kann das Modell die Rolle der inhaltlichen Sortierung und Bewertung sowie der Integration von Verfiigungs- und Orientierungswissen zu einem die Fachdisziplin strukturierenden Prinzip iibernehmen. Fiir die Etablierung eines transdisziplinaren Diskurses stellt das Modell somit einen moglichen Ausgangspunkt dar. Es ist keine Theorie im Sinne eines Aussagensystems. Es beschreibt und strukturiert Gegenstandsbereiche und versucht zugleich, kritische Distanz zu ihnen herzustellen und den „latenten sozialen Einfluss'' auf die faktische Auspragung von Informationstechnik und korrespondierenden Nutzungsformen beobachtbar zu machen (vgl. Frank 1997, S. 109). Das Mikropolis-Modell wurde fiir Studierende der Informatik und Wirtschaftsinformatik entwickelt, Wirtschaftswissenschaftler werden die Brauchbar- und Ubertragbarkeit fiir ihre Zwecke schnell einschatzen konnen. Diese Zielgruppen sind mit sozial-, geisteswissenschaftlichen oder makrookonomischen Modellen oder Termini in der Regel kaum vertraut. Es ist also eine typische Situation, in der transdisziplinare Entwiirfe oft scheitern, und zwar deshalb, weil sie die Zielgruppe zu schnell in eine ihnen fremde Modellwelt werfen. Dem versuchen wir Rechnung zu tragen, indem zunachst relevante, mit Informationstechnik (IT) verbundene gesellschaftliche Fragestellungen aufgeworfen werden. Nach und nach wird daraus die Modellsicht des MikropolisModells entwickelt. Eine zweite Bruchstelle kann in der Sprache transdisziplinarer Entwiirfe liegen, die fiir viele fremd und unverstandlich ist. Andere empfinden sie als banal oder jenseits einer bzw. ihrer Fachsprache. Dieses Dilemma ist angesichts der Fachsozialisation nur begrenzt 15sbar. Hier eine angemessene Sprache zu finden, ist eine besondere Herausforderung und sofern sie gelingt, im Sinne der transdisziplinaren Wissenschaftskommunikation aller Ehren wert. Naturwissenschaften und amerikanische Unternehmen versuchen in jiingerer Zeit, komplexe Zusammenhange verstarkt durch Methoden der Visualisierung zu vermitteln (vgl. Tufte 1997; Schumann/Miiller 1999). Fiir die Forderung des transdisziplinaren Diskurses liegt hier ein grol^es, noch kaum entdecktes Potenzial. Auch in dieser Richtung werden wir bei der Prasentation des Mikropolis-Modells experimentieren.

265

Arno Rolf

2.1

Die Architektur des Mikropolis-Modells: Onentierungskompetenz durch „Rekultivierung" von Wechselwirkungen

Durch Beriicksichtigung von Wechselwirkungen lasst sich das Verfiigungs- mit dem Orientierungswissen verbinden. Das Mikropolis-Modell legt dabei den Fokus auf okonomische und informationstechnische Entwicklungen und ihre Wechselwirkungen mit Akteuren, Organisationen und Gesellschaft. Man spricht von einer Wechselwirkung, wenn zwei Gegebenheiten einander beeinflussen, deren Ursache nicht unbedingt benannt werden muss. Georg Simmel (1958/ 1900) hat sie bereits vor einem Jahrhundert zum Kern seiner Gesellschaftstheorie gemacht. Der Ausgangspunkt aller sozialen Gestaltung war fur ihn die Wechselwirkung von Person zu Person. Der Begriff Gesellschaft war fur ihn etwas Statisches, worin er einen Widerspruch zu ihrem erkennbar dynamischen Charakter sah. Ihre Dynamik, ihr prozesshafter Charakter wird, so Simmel, erst durch Wechselwirkungen deutlich. Sie sind fiir ihn die zentrale Form, iiber die Personen ihre okonomischen Interessen, Werte, Neigungen, Triebe etc. transportieren bzw. austauschen. Inhalte konnen sich nur iiber die Form der Wechselwirkungen realisieren, woraus Vergesellschaftung resultiert. Wechselwirkungen sind fiir Simmel die Grammatik, die „die reinen Formen der Sprache von den Inhalten sondert, an denen diese Formen lebendig sind" (Simmel 1983/1908). Wechselwirkungen sind die Trager von Veranderung. Wechselwirkungen erzwingen eine doppelte RoUe: Durch Tatigwerden wird jeder zum Handelnden, zugleich ist er mit den Folgen seines Handelns konfrontiert, er wird zum Betroffenen. Wechselwirkungen sind in aktuellen Theorieansatzen von zentraler Bedeutung. Das „System" Gesellschaft und seine Teilsysteme konstituieren sich nach Luhmann (1984) durch den steten Austausch unterschiedlicher Kommunikationsakte. Nach Bourdieu (1998) hangen soziale Positionen vom Stand der Kampfe um die Bedeutung sozialen, okonomischen und kulturellen Kapitals ab. In beiden Sichtweisen entsteht Dynamik durch gegenseitige Wahmehmungs- und Bewertungsleistungen der Akteure, die sich auch als Wechselwirkungen identifizieren lassen. In Giddens (1988) Strukturationstheorie kommen in der Dualitat von Handlung und Struktur Wechselwirkungen zum Vorschein. Orlikowski (1992) spricht unter Bezugnahme auf Giddens von der Dualitat der Technik: Technik wird durch menschliches Handeln geschaffen und verandert, gleichzeitig wird sie von Menschen genutzt, um Handlungsmoglichkeiten zu erweitem, aber auch zu begrenzen. Aus dieser Dualitat werden eine Reihe von Wechselwirkungen zwischen individuellem Handeln und organisatorischen Strukturen einerseits und der Nutzung von Informationstechnik andererseits erkennbar. Simmel arbeitet die zentrale RoUe von Wechselwirkungen heraus, um den prozesshaften Charakter von Gesellschaften beschreiben zu konnen, Luhmann identifiziert die Kommunikation als „alleinige Substanz" der Wechselwirkungen, Giddens be-

266

Orientierungskompetenz - Wege, Hindernisse, PotenzMe

schreibt Wechselwirkungen als Dualitat von Handlung und Struktur, dies erhalt durch die Beriicksichtigung von IT eine spezifische Perspektive (Orlikowski 1992). Mit dem Mikropolis-Modell wird die Absicht verfolgt, die Wechselwirkungen von Informationstechnikentwicklung und Wandel in Organisationen sowie gesellschaftlichen Veranderungen konkret zu machen, um so die technologischen Aspekte der Informationstechnik mit ihren okonomischen, sozialen und kulturellen Kontexten in Beziehung zu setzen. Das Mikropolis-Modell enthalt drei Struktur gebende Elemente: die sozio-technische Perspektive, Mikro- und Makrokontext sowie Prozesse und Pfade. Sie sind der Kern des Modells. Die soziotechnische Perspektive beschreibt grundlegende Wechselwirkungen zwischen Informationstechnologie und sozialen Handlungszusammenhangen. Mit Mikro- und Makrokontext werden Informationstechnologieentwicklung und -nutzung in einem weiteren Blickfeld betrachtet. Auf der Mikroebene werden die Wechselwirkungen in der Technikentwicklung und -nutzung zwischen den IT-Produzenten und den IT-Nutzem beschrieben. Dieser Mikrokontext ist in einen grofieren Kontext, den Makrokontext eingebettet. Auf dieser Ebene riicken gesellschaftliche Phanomene ins Blickfeld, die natiirlich auch schon im Mikrokontext zu verorten sind. AUerdings wird im Makrokontext ein besonderer Fokus auf Phanomene gelegt, die nicht unmittelbar mit der Techniknutzung- und -entwicklung korrespondieren. Hier sind u.a. gesellschaftliche Normen, rechtliche Regelungen und Phanomene wie Deregulierung sowie Globalisierung zu nennen. Bei der Betrachtung von Prozessen und Pfaden schliefilich wird eine historische Perspektive eingenommen. Die Betrachtung der zeitlichen Entwicklung von Techniknutzungspfaden erfolgt mit der Absicht, Gegenwart und Zukunft besser abschatzen zu konnen.

2.2

Die soziotechnische Perspektive

Die Nutzung von Rechnern und Software ist im Alltag zur Selbstverstandlichkeit geworden. Dabei gerat zuweilen in Vergessenheit, was die Voraussetzungen ihres Funktionierens sind und welche Vorarbeiten dafiir erforderlich sind. Orientierungskompetenz in diesem Sinne bedeutet, Kenntnis davon zu haben, wie menschliches Handeln in technologische Artefakte „uberfuhrt'' werden und wie diese sich wiederum auf Handlungen von und zwischen Menschen auswirken. Diese Sicht auf die Wechselwirkungen von menschlicher und technischer Symbolverarbeitung werden wir als soziotechnische Perspektive bezeichnen. Der Prozess der Entwicklung und Nutzung von Software lasst sich als Wechselwirkung beschreiben: Um einen Wirklichkeitsausschnitt in ein Computersystem iiber-

267

Arno Rolf

fiihren zu konnen, ist im ersten Schritt die Formalisierung, d.h. die Beschreibung von Handlungen als Operationen, notwendig. Wahrend Handlungen einmalig in einer bestimmten Situation bzw. in einem Kontext stattfinden, beschreiben O-perationen wiederholtes, zur Routine gewordenes Handeln. Die Beschreibung bedarf eines Beobachters. Auf diese Weise fliefit zwangslaufig die Perspektive des Beobachters und seine Zwecksetzung mit ein. Durch die Beschreibung wird die Operation gewissermafien vom individuell handelnden Menschen abgelost und iibertragbar. Der Formalisierung folgt die Algorithmisierung. Ein Algorithmus ist eine exakte Vorschrift, die genau beschreibt, wie eine Operation in einzekien Schritten auszufiihren ist. Dazu ist die Festlegung in endlich viele, diskrete Einzelschritte erforderlich. Mit dem Algorithmus werden Handlungen zu formal berechenbaren Verfahren. Wir befinden uns jetzt in der Welt der Daten und Signale. Der Prozess ist stets mit Dekontextualisierung verbunden, d.h. eine Handlung wird aus dem jeweils individuellen Kontext, z.B. einer Arbeitsumgebung, herausgelost, formalisiert, algorithmisiert und dem Computer iibergeben. Dieses formale Modell ist kontextfrei, sinnfrei und menschenleer, die tradierten Sinnbeziige der ehemaligen Handlungen sind aufgelost. Deshalb ist der Einsatz der Informationstechnik zwangslaufig mit Destruktion verbunden. Dies kann bei den davon Betroffenen sowohl Angste als auch Hoffnungen und Fantasien auslosen (vgl. Sesink 2004, S. 123 ff.). Die Prozesse der Dekontextualisierung bzw. Destruktion stehen nie allein, sie stehen stets in Wechselwirkung mit den Prozessen der Rekontextualisierung bzw. Konstruktion. Denn nach der Ausfiihrung im Rechner kommt es zur Rekontextualisierung, d.h. zur Riickfiihrung in den Kontext. Der Mensch muss das Resultat wieder in seine Handlungen einbinden, es muss wieder Sinn machen. Der Nutzer kann nicht einfach die neu bereitgestellten Funktionalitaten abrufen, sondem er muss seine tradierten Handlungen iiberdenken und neu strukturieren. Deshalb ist Technikeinsatz und -nutzung zugleich immer beides, Destruktion und Konstruktion. „Das Neue, auch das Bessere, erwachst immer aus der Destruktion des Alten. Durch die technische Auflosung gegebener Lebenszusammenhange wird eben auch freigeraumt, werden Verkrustungen aufgebrochen, wird Raum geschaffen fiir Anderes" (Sesink 2004, S. 125).

Der Prozess der Wechselwirkungen in dieser Perspektive kann Orientierung daruber geben, welche Formalisierungsprozesse notwendig sind, um Funktionen und Handlungen automatisieren zu konnen, wie durch Einsatz von Rechnem und Software Tradiertes und Uberliefertes zerstort wird (Destruktion) und gleichzeitig Neues entsteht (Konstruktion). Es sind grundlegende Prinzipien, die erforderlich sind, um menschUches Handeln in technologische Artefakte zu transferieren, die wiederum durch Riickfiihrung in den Kontext Handlungen von und zwischen Menschen beeinflussen (s. Abb. 1).

268

Orientierungskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

Abb. 1:

Die soziotechnische Perspektive der Informationstechnik

Rekontextualisierung/ Konstruktion ^ r ^ ^ " ""^""^ Algorithmen/ Handlungen •^ ^^^^^^ Programme/ Kontext ^^^^^^ Qg^^^ Dekontextualisierung/ Destruktion

2.3

Der Mikrokontext

Der Prozess der De- und Rekontextualisierung findet zumeist in Organisationen zwischen Menschen statt und kann konfliktreich verlaufen. Mit der Dekontextualisierung bzw. Destruktion stehen vorhandene Arbeits- und Lebenszusammenhange von Menschen zur Disposition. In jedem Fall werden die Handlungsroutinen der beteiligten Personen verandert. De- und Rekontextualisierung sind in Nutzungskontexte von Menschen eingebettet, die in Organisationen tatig sind und ihre eigenen Vorstellungen haben. Derm der Einsatz von IT in Organisationen „zerstort" tradierte Arbeitszusammenhange und Organisationsstrukturen und lasst zugleich Neues entstehen. Zu Organisationen zahlen private Unternehmen wie offentliche Verwaltungen. Neben anderen Akteuren sind dort auch IT-Entwickler und IT-Berater tatig, die Hard- und Softwaresysteme einfiihren oder administrieren. Sie sind Teil der IT-anwendenden Organisationen und zahlen im Mikropolis-Modell nicht zum Informatiksystem! Neben den IT-anwendenden Organisationen findet das Informatiksystem als zweiter Komplex in unserem Modell Beriicksichtigung. Im Informatiksystem geht es um Forschung und Entwicklung (F&E) sowie um die Herstellung von IT-Produkten, von Softund Hardware. Wir haben es selbstverstandlich auch hier mit Organisationen zu tun. Hier interessiert jedoch weniger die Nutzung von IT, sondem ihr Hauptzweck, die

269

Arno Rolf

Forschung, Herstellung und Produktion von IT. Zum Informatiksystem zahlen sowohl wissenschaftliche Organisationen, wie Informatikfakultaten von Universitaten und einschlagige Forschungsinstitute, des Weiteren Hersteller von Hardware- und Softwareprodukten. Wesentliches Merkmal dieser Gruppe ist, dass Wissenschaftler und Technikhersteller permanent den bestehenden Erkenntnis- und Wissensstand in Frage stellen, um etwas technisch Neues zu entwickeln und zu konstruieren. Wir trennen analytisch die in der Realitat enge Beziehung zwischen IT-anwendenden Organisationen einerseits und Informatiksystem andererseits, weil wir so die Wechselwirkungen zwischen informationstechnischen Entwicklungen auf Seiten der ITHerstellung und IT-Forschung (Informatiksystem) und den Anforderungen auf Seiten IT-nutzender Organisationen klarer herausarbeiten konnen (Abb. 2).

Abb. 2:

Blick auf den Mikrokontext

IT-Entwicklung wird beobachtet, Erfolg versprechende Resultate werden eingekauft

IT-anwendende Organisationen

Informatiksystem: IT-Forscliung & -Herstellung

Organisationen werden beobachtet, Erfolg versprechende technische Losungen realisiert

Was tut sich und wie verhalten sich die Akteure in Organisationen, wenn sie mit Deund Rekontextualisierungen durch Informationstechnik konfrontiert werden und wie lassen sich Situationen und Aktionen bei der Entwicklung und Herstellung von Informationstechnik im Informatiksystem beschreiben?

270

Onentierungskompetenz - Wege, Hindermsse, Potenziale

IT-anwendende Organisationen wie das Informatiksystem leben durch dort tatige Akteure, die Interessen und Emotionen haben, und sich keineswegs vorwiegend als Homo oeconomicus oder Homo technicus verstehen. Sie wollen in Wechselwirkung zu anderen Akteuren ihre Ziele nach Moglichkeit durchsetzen. Es konnen auch Gruppen oder Gemeinschaften von Menschen mit gleichen Werten oder Interessen sein. Sie koordinieren ihr Handeln im Wechselspiel und bauen AUianzen oder Konkurrenzen zu anderen Akteuren auf. Akteure in Organisationen tragen ihre unterschiedlichen Sichtweisen, Interessen und Werte insbesondere beim Umbau der Arbeitskontexte und Organisationen durch neue Software vor Ort aus. Im Informatiksystem konkurrieren Hersteller von Informationstechnik miteinander, wahrend sich die Informatikforschung an Universitaten und Forschungsinstituten durch Fachwissen und spezielle Leistungen zu profilieren versucht. Wissenschaftler z.B. prasentieren ihre Modelle, Methoden und Produkte auf Konferenzen oder in Fachzeitschriften. Sie und ihre Institute stehen im Wettbewerb um Forschungsrichtungen und -gelder. IT-Hersteller und F&E-Akteure im Informatiksystem beobachten sich aufmerksam wechselseitig, um Hinweise zu erhalten, die den Erfolg ihrer Arbeiten sichem konnen. Es gibt auch gemeinsame Arenen, in denen sich Akteure aus ITanwendenden Organisationen, Akteure des Informatiksystems und politische Akteure - z.B. bei der Entscheidung um Standards - auseinandersetzen. Wird der Blick auf die Beziehung IT-anwendende Organisationen und Informatiksystem gerichtet, so wird es moglich, Innovationen zu einem Teil durch das Wechselspiel zwischen Organisationen und Informatiksystem und ihren Akteuren zu beschreiben: Akteure im Informatiksystem beobachten die Anforderungen der Unternehmen und bieten ihnen Produkte, Methoden und Konzepte an (options). Organisationen haben Schwierigkeiten, die angebotenen technischen Potenziale zu liberblicken. Sie werden versuchen, die Vielfalt durch permanente Beobachtung, durch Testen und Ausprobieren in den Griff zu bekommen, oft auch mit Unterstiitzung von Unternehmensberatungen und Softwarehausern. Umgekehrt senden Organisationen standig Signale in Form von Anfragen und Anforderungen an Hersteller, Entwickler und Informatiker aus (offers). Auch das Informatiksystem beobachtet permanent und nimmt wahr, wenn Anwendungsprobleme oder -potenziale auftauchen und reagiert hierauf mit neuen F&E-Bemiihungen. Zugleich setzen die Akteure im Informatiksystem eingeschlagene Entwicklungspfade fort, ohne zunachst sicher zu sein, ob sie einmal zu erfolgreichen Anwendungen in Organisationen fiihren. Auch die heute vorhandene komplexe IT-Infrastruktur kann neue Forschungsfelder auslosen. Ein Beispiel ist die F&E im Bereich IT-Sicherheit. Die Auswahl bzw. Selektion erfolgt nicht notwendig logisch, sondem bis zu einem gewissen Grade beliebig und je nach Kontext verschieden. Es sind dynamische, rekursive Prozesse, aus denen sich eine Jnnovationsspirale" entwickelt. Sie ist der Nahrboden fiir immer neue Entwicklungen und Antreiber der Pfadentwicklung, woraus

271

Amo Rolf

m innovative Modelle, Methoden und Gestaltungsoptionen sowie IT-Produkte entstehen (s. noch einmal Abb. 2).

2.4

Der Makrokontext

Anwendende Organisationen und Informatiksystem sind, metaphorisch gesprochen, von einer Membran umhiillt, in ein gesellschaftliches Umfeld mit kulturellen Werten, okonomischen und rechtlichen Wertsetzungen, Traditionen, einem Wissenschafts- und Bildungssystem eingebettet (Abb. 3). Eine Membran ist nach beiden Seiten durchlassig. Werte, Regulierungen etc. nehmen Einfluss auf Organisationen und Entwicklung und Nutzung der Informationstechnik. Sie konnen sie lenken, beschleunigen Oder hemmen. Andererseits rufen Innovationsprozesse gesellschaftliche Spannungen und Anpassungen hervor, z.B. durch neue Qualifikationsanforderungen an das Bildungssystem. Es werden neue Arbeitsplatze geschaffen, andere entfallen. Gesellschaften mit ihren Institutionen, Regulierungen oder kulturellen Traditionen konnen heute nicht mehr in der Perspektive nationaler Grenzen betrachtet werden. Durch die Wechselwirkungen von beschleunigter globaler okonomischer Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung, initiiert vor allem durch die World Trade Organization (WTO), sowie dem Vorhandensein weltweiter, hocheffizienter informationstechnischer Infrastrukturen konnten neue Organisationsformen der Untemehmen wie die Netzwerkorganisation entstehen (Sydow 2006). Dieses „Dreieck" macht schwierige okonomische Anpassungsprozesse notwendig. Auf die nationalen Regierungen kommt die unlosbare Aufgabe zu, diese zeitgleich sozial- und umweltvertraglich zu gestalten. Arbeit und gesellschaftliches Leben spielen sich zu Beginn des neuen Jahrtausends vor der Folie einer umfassend digitalisierten, globalen Infrastruktur ab. Routinearbeiten sind automatisiert, Rechner steuem und kontroUieren Prozesse in Produktion und Dienstleistung, Wissensarbeiter in Organisationen nutzen den Rechner als Werkzeug und koordinieren iiber das Medium Internet transnational verteilte Arbeitsprozesse. Universelle Informatiksysteme werden zugleich als rationalisierende Automaten, Organisationstechnologien, Werkzeuge und Medien genutzt. Technische Grundlagen dieser Entwicklung sind die enorme Zunahme der Leistungsfahigkeit der Rechner bei gleichzeitig drastischer Kostenreduzierung, die Entwicklung von Softwaresystemen fiir alle nur denkbaren Nutzungskontexte sowie die weltweite technische Vemetzung der Rechner. Fiir Organisationen sind Informationstechniken ein unverzichtbares Potenzial ihrer Wettbewerbsfahigkeit. Die globale, informationstechnische Infrastruktur vermag Transaktionskosten wie -zeiten zu senken und die Handlungsspielraume insbesondere multinationaler Unternehmen zu erweitern. Aktionen und Produktionsstandorte kon-

272

Orientierunsskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

nen ohne Zeitverluste gesteuert und kontrolliert werden. Flexible Reaktionen wie ortliche Verlagerungen werden moglich. Fiir Castells sind die Informations- und Kommunikationstechnologien zwar nicht die Ursache der Transformation der globalen Okonomie, aber ihr unverzichtbares Medium (Castells 2001, S. 431). Organisationen und Akteure des Informatiksystems miissen in einem brisanten Gemisch von globalen Akteuren und Arenen, hohem Diffusionsgrad der Informationstechnologien und liberalisiertem und dereguliertem Wettbewerb in einem nunmehr weltweiten Aktionsfeld bestehen. Die Technologie ist fiir sie Potenzial und Chance. Zugleich ist sie Bedrohung, derm sie muss genutzt werden, um im globalen Wettbewerb nicht abgehangt zu werden. Es geht um Destruktion und Rekonstruktion im globalen Mafistab.

Abb. 3:

Das Mikropolis-Modell der Wechselwirkungen

273

Arno Rolf

Der Primat des globalen Marktes mit Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung der globalen Okonomie einerseits und Informatisierung andererseits haben sich zu einem Wechselspiel vereinigt, sie sind zu „Entwicklungspartnem" geworden. Die Informatisierung hat die technischen Potenziale bereitgestellt, die die Fliefigeschwindigkeit der okonomischen Transaktionen radikal verkiirzt. Sie hat der globalen ,Just-in-time-Okonomie", die unabhangig von den Restriktionen Raum und Zeit agieren kann, zum Durchbruch verholfen. Weltweite Kapitalbewegungen aufgrund okonomischer Bewertungen von nationalen Standorten konnen die Regie iibemehmen. Die herrschende okonomische Lehre mit dem Primat des globalen Marktes konnte nur durch Informatisierung den Stand erreichen, der heute Realitat ist. Informatik ist zum Trendverstarker vorherrschender okonomischer Lehren geworden. Es wurde versucht, die verwirrend vielen Wechselwirkungen in einem Modell zu strukturieren. Die grofiere Einheit, der Makrokontext, wird als Gesamtzusammenhang benotigt, die kleinere Einheit, der Mikrokontext, bildet die innere Struktur. Die soziotechnische Perspektive nimmt die Wechselwirkungen von menschlicher und technischer Symbolverarbeitung in den Blick. Es wird so moglich, sich auf eine Perspektive bzw. einen Kontext zu konzentrieren, ohne die Beziige untereinander zu vemachlassigen (s. noch einmal Abb. 3).

2.5

Prozesse und Pfade

Orientierungskompetenz beinhaltet neben dem Wissen um Wechselwirkungen auch Deutung und Verstehen vergangener Entwicklungen und der sich dahinter verbergenden, moglicherweise konfliktreichen Prozesse und erfolgreichen wie erfolglosen Pfadverlaufe der Vergangenheit und Gegenwart. Aus ihnen sind Schliisse zu Ziehen, um Optionen zukiinftiger Innovations- und Gestaltungspfade besser beurteilen bzw. eigene entwickeln zu konnen. So etwa der Historiker Hobsbawm: „... paradoxerweise bleibt die Vergangenheit das niitzlichste analytische Werkzeug fur die Bewaltigung eines konstanten Wandels ..." (Hobsbawm 2001, S. 35). Die „nutzlichen" Facher haben die Potenziale, die in dieser Sicht liegen, bislang kaum genutzt. Das hat Ursachen: Das Selbstverstandnis z.B. technischer Disziplinen bei der Entwicklung neuen Wissens erinnert zuweilen an das „Schurfen nach Gold". Demnach liegen der Technikentwicklung zu enthiillende Gesetze zugrunde, die immer wieder aufs Neue entdeckt werden woUen (vgl. Konig 2005, S. 35). Hier wird das Leitbild des Technikdeterminismus erkennbar. Die Beschaftigung mit vergangenen Entwicklungen lohnt dann nur als Erfindergeschichte, die viel von hellen Kopfen und dem schopferischen Geist zu erzahlen hat. Es geht dann vorwiegend um Personalisierung grofier Kopfe und „Denkmalpflege". Ob die Einbeziehung von Entwicklungspfaden fiir „nutzliche Disziplinen" sinnvoU ist, entscheidet sich letztendlich an der Frage: Ist Technikentwicklung determiniert oder sozial konstruiert?

274

Orientierungskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

2.5.1

1st Technikentwicklung deter mi niert oder sozial konstruiert?

Der Technikdeterminismus geht von einer immanenten Sachlogik der Technik aus. Technikentwicklung basiert danach auf der Anwendung von Erkenntnissen der Naturund Ingenieurwissenschaften. Technik entwickelt sich aufgrund von Gesetzen, die in einem schdpferischen Prozess von talentierten Forschern immer weiter ans Licht geholt werden. Gesellschaftliche, dkonomische oder kulhirelle Rahmenbedingungen haben keinen oder nur einen geringen Einfluss, da technischer Fortschritt eine eigene Logik besitzt. Vielmehr gilt umgekehrt, dass technischer Fortschritt sozialen und kulturellen Wandel determiniert. Dann ist nur die Perspektive interessant, welche gesellschaftlichen Veranderungen Technikentwicklungen einfordern. Der Technikdeterminismus interpretiert Technikentwicklung zugleich inharent deterministisch und determinierend, d.h. zum einen ist der Verlauf der Entwicklung einer Technik einer Eigendynamik unterworfen, die unverursacht und vom Menschen unabhangig voranschreitet. Zum anderen ist es der technische Wandel, der den sozialen bestimmt (Degele 2002, S. 24). In diesem Verstandnis bestimmt das Gestaltungspotenzial der Technik den sozialen Wandel. Die These der deterministischen und determinierenden Technikentwicklung ist in den „nutzlichen'' Disziplinen noch verbreitet. In den Sozialwissenschaften und der Technikgeschichte war lange Zeit die Kontroverse zwischen Technikdeterminismus und dem sog. Sozialkonstruktivismus vorherrschend: Ist technischer Fortschritt der Eigengesetzlichkeit technischer Logik geschuldet oder ist Technik ein von gesellschaftlichen Gruppen und ihren Absichten und Interessen hergestelltes Produkt, das auch vom jeweiligen Zeitgeist und anderen Kontextbedingungen abhangig ist? Das - heute in den Sozialwissenschaften weithin akzeptierte - Gegenmodell zum Technikdeterminismus wurde vor allem von der Technikgeneseforschung ins Spiel gebracht (Rammert 1994, S. 3 f.). Danach existiert kein inharenter Mechanismus, der die Entwicklung unabhangig von jeglicher Einflussnahme vorantreibt. Vielmehr ist die spezifische Ausgestaltung einer Technik als kulturelles Artefakt das Ergebnis eines nicht-linearen, zyklischen Aushandlungsprozesses, bei dem sich nicht die ingenieurwissenschaftlich beste, sondern die von den beteiligten Akteuren akzeptierte Losung durchsetzt. Es sind soziale Gegebenheiten, so diese Interpretation, die die Technikentwicklung mafigeblich beeinflussen und dazu fiihren, dass sich eine Technik verbreitet.

2.5.2

Zur Theorie der Pfadabhangigkeit

Bei allem Respekt vor abweichenden Positionen konnen Stand und Position der Technikgeschichte und sozialwissenschaftlichen Technikforschung heute etwa wie folgt auf den Punkt gebracht werden: die existierende Technik und der Stand des technischen

275

Arno Rolf

Wissens und Konnens, die aus menschlichen Handlungen in der Vergangenheit hervorgegangen sind, beeinflussen die weitere Technikentwicklung. Einfacher formuliert: Innovationen hangen nicht nur von aktuellen sozialen Aushandlungsprozessen ab, sondem entscheidend von vorangegangenen Entwicklungspfaden mit ihren jeweils vorherrschenden Leitbildem und Technikparadigmen (vgl. Konig 2005, S. 33 ff.). Damit wird die sozialkonstruktivistische Sichtweise um eine zeitliche Dimension, die auch vergangene, Struktur bildende Verlaufe beriicksichtigt, erganzt. Dennoch kann akzeptiert werden, dass z.B. der Informationstechnik Eigengesetzlichkeiten inharent sind, ohne dass diese die Entwicklungspfade determinieren. Sie setzen eher der Beliebigkeit einer sozialen Konstruktion der Technik Grenzen. Wird diese Position akzeptiert, so macht es Sinn, sich auch mit vergangenen Pfadverlaufen von Technikentwicklungen auseinanderzusetzen, weil so der Pfad der erfolgreichen und misslungenen Innovationen und deren Ursachen sowie die jeweils herrschenden Technikparadigmen erkennbar werden. Dieses Wissen kann die Orientierungskompetenz fiir gegenwartige und zukiinftige Entwicklungen scharfen. Es geht dann nicht mehr um die Geschichte grofier Erfinder. Es macht Sinn, Pfadverlaufe zu verstehen, warum etwas in eine Richtung gelaufen ist, obwohl moglicherweise iiberzeugendere Optionen vorhanden waren. Dosi (1988) hat schon friih darauf aufmerksam gemacht, dass technischer Fortschritt sich entlang bestimmter Pfade entwickelt, die oft durch ein Paradigma charakterisiert sind. Neuerungen konzentrieren sich zumeist auf bestehende Teilausschnitte oder -komponenten und den Versuch, diese weiterzuentwickeln, ohne nach grundlegend neuen Losungen zu suchen. Die Akteure der Innovationen sind gewissermafien „blind" gegeniiber anderen Optionen. Die aktuelle Pfadforschung betrachtet Pfade als immer auch zufallsabhangige Entwicklungsprozesse (Windeler 2003, S. 298). Sie konnten immer auch anders verlaufen, streben aber dann geordnet und selbstverstarkend und zuweilen auch irreversibel auf ein erst im Prozess sich endgiiltig herauskristallisierendes Resultat zu. Vergangene Ereignisse provozieren Folgeereignisse, Erfolge generieren positive Riickkopplungen in Form neuer Erfolgschancen. Daraus entstehende Erfahrungen und Einsichten verbessem die Chancen fiir die Ubemahme der Technologie („increasing returns"). Durchaus wahrscheinlich, dass der Pfad nicht mehr verlassen werden kann und zwar unabhangig von Vor- und Nachteilen vorhandener Altemativen. Der Pfad besitzt dann ein hohes Verharrungsvermogen, es kann zu sog. „lock ins" kommen. Die Theorie der Pfadabhangigkeit wendet sich einerseits gegen die Vorstellung, die Herausbildung von Innovationen sei durch bestimmte Merkmale der Ausgangssituation determiniert oder durch geeignete Planung oder Steuerung beherrschbar. Andererseits vertritt sie aber auch nicht die Auffassung, derartige Prozesse seien beliebig gestaltbar. Entwicklungsprozesse entfalten sich nicht voraussetzungsfrei, sondern riickbeziiglich, indem vorhergehende Entscheidungen nachfolgende pragen (vgl. auch Schreyogg et. al. 2003).

276

Orientierungskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

2.5.3

Prozesse und Pfade im Mikropolis-Modell

Im Mikropolis-Modell ist liber die Wechselwirkungen bereits implizit die zeitliche Dimension von Entscheidungen, Ereignissen und Veranderungen im Mikro- und Makrokontext enthalten. Die Dynamik der Wechselwirkungen zwischen Technik und sozialen Faktoren lasst sich als Pfad beschreiben. Das Modell fokussiert Technikentwicklungs- und -nutzungspfade und kann auf die Theorie der Pfadabhangigkeit zuriickgreifen, die sich auf die Entwicklung von Technik und entsprechender Einflxisse sozialer Faktoren bezieht. Wahrend soziotechnische Perspektive sowie Mikro- und Makrokontexte die strukturbildenden Elemente des Mikropolis-Modells bilden, wird das Modell mit der zweiten Sicht auf Prozesse und Pfade um eine zeitliche Betrachtung erganzt. Prozesse und Pfade beschreiben die Historie, aufgrund derer sich bestimmte soziotechnische Strukturen durchgesetzt und zum gegenwartigen Zustand gefiihrt haben. Es ist die Geschichte der sozialen Auseinandersetzungen der beteiligten oder betroffenen Akteure, ihrer Konflikte um Machtzugewinne und -verluste, ihrer Leitbilder und der jeweils herrschenden Technikparadigmen. Werden die Wechselwirkungen zwischen Organisationen und Informatiksystem und ihrer Akteure im Zeitverlauf betrachtet, so wird ein Pfad der erfolgreichen und misslungenen Innovationen erkennbar, der sog. Techniknutzungspfad. Die historischen Stadien der Entwicklung und Nutzung von Informationstechnologie kommen in den Blick. Der Techniknutzungspfad sagt sowohl etwas aus iiber die Entstehung von Organisations- und Technikleitbildern als auch iiber die Sieger, Verlierer und Konflikte im Zeitverlauf; im Techniknutzungspfad werden „die zu Strukturen geronnenen Handlungen der Sieger" erkennbar. Zugleich kann der Blick auf Verlierer und Niederlagen wichtige Informationen fiir zukiinftige Innovationen geben. Im Techniknutzungspfad spiegelt sich wider, was sich am Markt, in Organisationen und in der Informatik an Leitbildem, Modellen, Methoden, Produkten und Werkzeugen durchgesetzt hat. Die Konzentration auf den Techniknutzungspiad und nicht etwa auf den Technikenfwicklungspiad ist konsequent im Sinne des Mikropolis-Modells: Technische Entwicklungen im Informatiksystem werden erst dann zu Innovationen, wenn sie das „Freiland", also Organisationen oder private Akteure erreichen und von ihnen genutzt werden. Es ist die „Fusion'' von Informatiksystem und Anwendungskontext, aus der Innovationen entstehen. Was nicht genutzt wird, wird in der Kegel vergessen. Insofem macht es Sinn, sich sowohl in der Riickschau liber den Techniknutzungspfad wie in der Vorschau liber den Innovations- und Gestaltungspfad auf den Nutzungserfolg zu konzentrieren. Der Techniknutzungspfad kann als Biografie eines einzelnen Akteurs mit seinen personlichen Erfahrungen in der Nutzung der IT „erzahlt" werden. Er kann auch flir eine einzelne Organisation beschrieben werden. Dann ist er insbesondere im Erfahrungs-

277

Arno Rolf

wissen von Systemgestaltem als erlebter Teil des Techniknutzungspfades eingeschrieben. Der Techniknutzungspfad kann dariiber hinaus fiir eine Branche, fiir eine Volkswirtschaft oder gar fiir die globale Gesellschaft gedeutet werden. Dies geschieht bereits heute oft allgemein, wenn der Ubergang von der Industrie- zur Informationsbzw. Wissensgesellschaft angesprochen wird. Die Metapher „Pfad" deutet an, dass wir es nicht mit einer eng begrenzten, durch technische Sachzwange determinierten Wegstrecke - etwa einem „Konstruktionskorridor" - zu tun haben. Vielmehr sind Verzweigungen, Altemativen und Optionen moglich (gewesen). Die Pfadtheorie bietet hier mit ihren Erkenntnissen iiber „increasing returns", „lock ins" etc. ein Instrumentarium an, das zur Erklarung von Pfadverlaufen herangezogen werden kann. Vorhandene Technik wie Stand des technischen Wissens sind das Resultat menschlicher Handlungen der Vergangenheit, die zu Strukturen und zur Basis fiir weitere technische Entwicklungen geworden sind. Die Akteure bewegen sich mit ihren Handlungen auf Strukturen, die zum Techniknutzungspfad geworden sind. Die Akteure erproben und erweitem mit ihren Handlungen die durch den Pfad gesetzten Handlungsraume (Giddens 1999, S. 614). Sowohl das Akteursmodell als auch Giddens Strukturationstheorie sind hilfreich zur Beschreibung des Geschehens auf dem Techniknutzungspfad. Mit der Erkenntnis, dass die Beriicksichtigung von Pfadverlaufen iiber mehr Orientierung zu besseren Entscheidungen fiihren kann, ist noch nicht entschieden, wer sich dafiir zustandig fiihlt. Es ist zu vermuten, dass Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Wirtschaftswissenschaften sich auf Pfadanalysen einlassen werden, werm sie erkennen, dass sie so einen unmittelbaren Mehrwert erzielen kormen. Exemplarische Fallstudien konnen helfen, dies zu befordem. Die transdisziplinare Kooperation mit Technikgeschichte und sozialwissenschaftlicher Technikforschung ist natiirlich nahe liegend. Diese Disziplinen konnten so erheblich an Bedeutung gewinnen. Der Forschungsaufwand fiir entsprechende Fallstudien ist hoch. Es reicht nicht, lediglich die „zu Strukturen geronnenen Handlungen der Sieger" zu dokumentieren. Dies wiirde den Anspriichen, die die Theorie der Pfadabhangigkeit oder Historiker stellen, nicht geniigen. Fiir die Untersuchung der Pfade und Optionen, die auch moglich gewesen waren, aber aus welchen Grunden auch immer nicht begangen oder aufgegeben wurden, sind Sozialwissenschaftler, Technik- und auch Wirtschaftshistoriker qualifiziert. Die Arbeiten von David Noble (1984) zur Entwicklung von NC-Werkzeugmaschinen sind ein friihes Beispiel fur eine gelungene Techniknutzungspfadanalyse. Noble zeigt, dass sich NC-Maschinen, die eine weitgehende KontroUe des Managements iiber die Produktion versprachen, gegeniiber den auf dem Record-PlaybackVerfahren basierenden Maschinen zwar gegen den Widerstand der Werker durchsetzen konnten. Dieser „Traum" stellte sich dann jedoch bald als triigerisch heraus, well NC-Maschinen ohne Fachpersonal auf Dauer nicht erfolgreich betrieben werden konnten. Zwei weitere, haufig genannte Pfadstudien sind die „Schreibmaschinen-

278

Orientierunsskompetenz — Wege, Hindernisse, Potenziale

Tastatur-Studie" (QWERTY) von David (1985) sowie die Pfadanalyse der Videostandards „VHS/BetaMdeo 2000" (vgl. Schreyogg et al. 2003, S. 283).

3

Fallbeisplel: Analyse virtueller Organisatlonen mit Hllfe des Mlkropolls-Modeils

Die Aufgabe des Forschungsprojektes VIRKON^ bestand in der Etablierung und Unterstiitzung von Informationstechnik fiir ein Freelancer-Netzwerk. Die raumliche Verteilung der Mitglieder lieiS den Einsatz einer Kooperationsplattform sinnvoU erscheinen. Dennoch wurden mehrere, nacheinander erprobte Groupwaresysteme, die bei der Einfiihrung stets den Wiinschen der Nutzer entsprachen, kaum genutzt (vgl. Finck et al. 2006a; Finck et al. 2006b). Analyse- und Gestaltungsmethoden der partizipativen Systemgestaltung gaben keine ausreichende Antwort, warum es trotz umfangreicher Anforderungsermittlung nicht gelang, die Techniknutzung der Beteiligten zu intensivieren. Da neben technischen, organisatorische und soziale Faktoren als Ursachen vermutet wurden, wurde das Mikropolis-Modell zu einer genaueren Analyse der Nutzungsproblematik herangezogen (vgl. Janneck et al. 2005; Finck et al. 2006b). Im Mikrokontext betrachteten wir zum einen den Prozess der Dekonstruktion und Rekonstruktion, der mit der Einfiihrung einer gemeinsamen Kooperationsplattform sowohl auf technischer als auch auf der Ebene der Arbeitsorganisation (von eigenstandiger Planung hin zu koUektiven Regelungen) einhergeht. Hier identifizierten wir Konfliktpotenzial in Bezug auf die Nutzung, wie etwa fehlende Zugriffsmoglichkeiten auf Geschaftsreisen oder stark unterschiedliche berufliche Rhythmen. Die Analyse des Techniknutzungspfades legte zudem die Entscheidungsprozesse of fen, die den wiederholten Technologiewechseln im Netzwerk zugrunde lagen. Flieran waren nur wenige Mitglieder konkret beteiligt, so dass die Technologiewechsel selber sowie deren Zustandekommen vermutlich verunsichernd auf die iibrigen Mitglieder wirkte und deren Nutzungsmotivation verringerte. Die Analyse der Handlungen der beteiligten Akteure und der damit verbundenen Leitbilder und Interessen zeigte ein deutliches Spannungsfeld. Das nach auiSen propagierte Leitbild der gleichberechtigten Kooperation der Freelancer stimmte mit dem tatsachlichen Verhalten der Akteure nur bedingt iiberein. Tatsachlich wurde eine hierarchisch gepragte Handlungspraxis bei Entscheidungsprozessen, Austausch und Unterstiitzung von Informationen deutlich. Das Leitbild der Kooperation koUidierte erkennbar

279

Arno Rolf

mit der Realitat der Netzwerkteilnehmer, die auch um Marktpositionen und Akquisemoglichkeiten kampfen miissen und sich somit sowohl in einer kaum einschatzbaren Kooperations- wie Konkurrenzsituation befinden. Eine okonomische Ausrichtung des Netzwerks bringt ein gewisses Konkurrenzverhaltnis der Mitglieder untereinander mit sich, das den offenen sozialen Austausch behindert, wenn nicht gar unmoglich macht. Die implizite Konkurrenzsituation innerhalb des Netzwerks wird verscharft durch den hohen Druck aus dem Makrokontext, dem sich die Freelancer aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Situation und mangelnder Beschaftigungsalternativen ausgesetzt sehen. Wir vermuten in diesen Diskrepanzen zwischen Leitbild und Praxis Ursachen fiir die geringe Nutzung in zweierlei Hinsicht: Auf der einen Seite ergeben sich in dieser unklaren Kooperationssituation - aufierhalb konkreter Projekte einzelner Mitglieder kaum Kooperationsanlasse auf der Netzwerkplattform. Zudem empfiehlt die Notwendigkeit, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, eine sparsame Investition an Ressourcen (finanzielle ebenso wie kostbare Arbeitszeit) in das Netzwerk: Dies kommt in besonderem Mafie auch beim Bereitstellen von (okonomisch relevanten) Inhalten auf der Kooperationsplattform zum Tragen. Das Fallbeispiel gibt einen ersten Einblick, wie die einzelnen Elemente des MikropolisModells - wie Wechselwirkungen auf Mikro- und Makroebene, Techniknutzungspfadanalyse, Akteurs- und Leitbildanalyse - verwendet werden konnen, um konkrete soziotechnische Gestaltungsprobleme und -fragen zu analysieren.

Zusammenfassung und Sch lussfolgeru ngen In diesem Beitrag wurde die Frage nach dem Rang des Verfugungswissens im Verhaltnis zum Orientierungswissen mit dem Ziel aufgeworfen, so exemplarisch die Orientierungskompetenz von Wirtschaftsinformatikem und Informatikem zu starken. Unumstritten ist dabei, dass in einer stark ausdifferenzierten Wissenschaftslandschaft Verfiigungswissen, verstanden als hochspezialisiertes Detail- und Anwendungswissen, unabdingbar ist. Mit der Zunahme von Verfugungswissen haben sich traditionelle Disziplinen in eine Vielzahl von Fachdisziplinen und Forschungsschwerpunkte aufgeteilt. Der Blick fiirs Ganze wird zunehmend schwieriger. Mit dem MikropolisModell soil dieser Blick wieder moglich werden. Global agierende Unternehmen werden zukiinftig vermehrt Orientierungskompetenz benotigen. Bildungsinstitutionen zeigen sich dagegen haufig noch hilflos, dies in ihren 280

Onentierungskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

Ausbildungsbemuhungen ausreichend zu beriicksichtigen. Angesichts einer sich zeitlich und inhaltlich verdichtenden Ausbildung, die wenig Zeit und Raum fiir kritische Reflexion lasst, erscheint diese Aufgabe zusatzlich erschwert. Ein Nachholen entsprechender „Orientierungskompetenz'' durch Weiterbildungsmafinahmen trifft auf eine ebenfalls prekare Situation schwindender Zeit- und Lernressourcen, die haufig fiir das „Up-to-date-Bleiben'' in Sachen Verfiigungswissen verwendet werden miissen. Das Mikropolis-Modell bietet an dieser Stelle ein Angebot, das sich sowohl der Herausforderung stellt, die Komplexitat der soziotechnischen Wechselwirkungen von ITGestaltung, Organisationshandeln und gesellschaftlicher Entwicklung anzuerkennen als auch den Versuch unternimmt, dies mit Hilfe eines transdisziplinaren Modells zu systematisieren. Die Herstellung von Transdisziplinaritat iiber die Beriicksichtigung von Wechselwirkungen ist auch der Versuch einer „ Re-Vision'' der Wissenschaft mit dem Ziel, iiber eine reflektierte Ausdifferenzierung sowie iiber die Transparenz gesellschaftlicher Beziige zu einer revidierten Disziplinaritat zu gelangen (vgl. Euler 2005, S. 63 f.). Das Modell beschreibt die Wechselwirkungen von IT-Gestaltung und sozialem Wandel zwar strukturorientiert, versteht sich aber als ein normativ begriindeter Ansatz. Es ist vor dem Hintergrund unerflillter Versprechen der informationstechnischen Entwicklung spektakularer wie alltaglicher Falle des Scheiterns, des Missbrauchs und der Ineffizienz von IT-Projekten (vgl. Brodner 1999) und neuer gesellschaftlicher Problemfelder wie des „digital divide" entstanden. Es versteht sich daher insbesondere als ein Ansatz zur Aufklarung von zukiinftigen Systemgestaltern und des Managements. Der haufig zu beobachtenden Technikeuphorie setzt das Mikropolis-Modell das Ideal einer nachhaltigen IT-Entwicklung entgegen, die die Technikentwicklung und -nutzung von vornherein auch als sozialen Prozess versteht.

Anmerkungen Interdisziplinaritdt geht iiber das additive Sammeln von Erkenntnissen verschiedener Disziplinen hinaus (vgl. Vosskamp 1984, S. 452). Erkenntnisse werden nicht interdisziplinar zusammengefiihrt, sondern durch Ubernahme von Methoden und Theorien interagieren verschiedene Disziplinen (vgl. Moller/Bornemann 2005, S. 18). Interaktion ist ein entscheidender Faktor, damit ein gemeinsamer interdisziplinarer Diskurs beginnen kann. Transdisziplinaritat zeichnet Problemorientierung aus. Sie wird motiviert durch komplexe Problemfelder bzw. lebensweltliche Probleme. Sie stellt kein Ubergangsstadium zur Herausbildung einer neuen Disziplin dar, sondern ist ein Forschungsprinzip (vgl. Mittelstrafi 2003, S. 9 f.). VIRKON („Arbeiten in WJRtuellen Xonstrukten, Organisationen und Netzen", http://www. virkon-projekt.de) wird im Forderprogramm „Innovative Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit" des Bundesministerium fiir Bildung und Forschung (BMBF) gefordert. Ziel des Pro-

281

Arno Rolf

jektes ist es, die Arbeitsbedingungen von freiberuflich in Netzwerken agierenden Wissensarbeitem zu analysieren und kompetenzforderliche sowie technisch-organisatorische MaCnahmen und Vorgehensmodelle zu entwickeln, um eine nachhaltige Arbeitssituation fiir diese Zielgruppe zu gestalten.

Literaturverzeichnis Beck, U. (2004): Vorwarts zu Humboldt 2. In: DIE ZEIT vom 11.11.04, S. 15. Bourdieu, P. (1998): Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt a.M. Brodner, R (1999): Informatik in der Arbeitswelt: In: Rizvi, S./Klaeren, H. (Hrsg.): Tubinger Studientexte Informatik und Gesellschaft. Tubingen. Castells, M. (2001): Bausteine einer Theorie der Netzwerkgesellschaft. In: Berliner Journal fur Soziologie. Heft 4/2001, S. 423-439. Degele, N. (2002): Einfiihrung in die Techniksoziologie. Miinchen. Dosi, G. (1988): The nature of innovative process. In: Dosi, G./Freeman, C./Nelson, R./ Silverberg, G./Soete, L.: Technical change and economic theory. New York, S. 13-37. Euler, P. (2005): Interdisziplinaritat als kritisches „Bildungsprinzip" der Forschung: Methodische Konsequenzen. In: Technikfolgenabschatzung Theorie und Praxis. Nr. 2. (Juni), S. 63-68. Finck, M./Janneck, M./Oberquelle, H./Rolf, A. (2006a): Informationstechnische Unterstutzung von Freelancer-Netzwerken. Erscheint in: BMBF (Hrsg.): Broschiire „Arbeiten in virtuellen Untemehmen" (in Vorbereitung). Finck, M./Janneck, H./Rolf, A. (2006b): Techniknutzung zwischen Kooperation und Konkurrenz: Eine Analyse von Nutzungsproblemen. Angenommener Beitrag zur Teilkonferenz „Collaborative Business" der MKWI2006. Frank, U. (1997): Erfahrung, Erkenntnis und Wirklichkeitsgestaltung. Anmerkungen zur RoUe der Empirie in der Wirtschaftsinformatik. In: Griin, O./Heinrich, L.J. (Hrsg.): Wirtschaftsinformatik - Ergebnisse empirischer Forschung. Berlin, S. 21-36. Giddens, A. (1988): Die Konstitution der Gesellschaft - Grundzuge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt a.M.. Giddens, A. (1999): Soziologie. 2. Aufl. Graz und Wien. Hobsbawm, E. (2001): Wie viel Geschichte braucht die Zukunft? Miinchen. Hiibenthal, U. (1991): Interdisziplinares Denken. Stuttgart.

282

Orientierunsskompetenz - Wege, Hindernisse, Potenziale

Janneck, M./Finck, M./Oberquelle, H. (2005): Soziale Identitat als Motor der Technologieaneignung in virtuellen Gemeinschaften. In: i-com 2/2005. Themenheft Communities, S. 22-28. Kabisch, M. (2001): Sprachlogische Einheitskonzeption der Wissenschaft und Sprachvielfalt der Disziplinen. In: Kabisch, M./Maafi, H./Schmidt, S. (Hrsg.): Interdisziplinaritat - Chancen, Grenzen, Konzepte. Leipzig, S. 13-31. Konig, W. (2005): Historische Technikforschung. In: Hengartner, T. (Hrsg.): Standpunkte zur Technikforschung. Beiheft zum Kongress Kulturwissenschaftliche Technikforschung. Hamburg 25.-27.11.05, S. 33-36. Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme. Grundrifi einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M. Mittelstrafi, J. (1989): Glanz und Elend der Geisteswissenschaften. In: Oldenburger Universitatsreden. Ansprachen, Aufsatze, Vortrage 27, S. 1-35. Mittelstrafi, J. (2001): Konstruktion und Deutung: liber Wissenschaft in einer Leonardo- und Leibniz-Welt. Festvortrag anlasslich der Verleihung der Ehrendoktorwiirde am 31. Januar 2001. In: Der Frasident der Humboldt-Universitat zu Berlin (Hrsg.): Humboldt-Universitat zu Berlin. Philosophische Fakultat I. Berlin. Mittelstrafi, J. (2003): Transdisziplinaritat - wissenschaftliche Zukunft und institutionelle Wirklichkeit. Konstanz. M511er, A./Bomemann, B. (2005): Kyoto ist anderswo. Zwischen Interdisziplinaritat und Nachhaltigkeit. In: Informatik Spektrum vom 23. Feb. 2005, S. 15-23. Niemeier, J. (2004): Reality Check „virtuelle Unternehmen'' - Visionen, Trends und aktuelle Opportunities. In: Engelien, M./Meifiner, K. (Hrsg.): Virtuelle Organisationen und Neue Medien. Lohmar und Koln, S. 14. Noble, D. (1984): Forces of production: A social history of industrial automation. New York. Orlikowski, W.J. (1992): The duality of technology: Rethinking the concept of technology in organizations. In: Organization Science 3 (3), S. 398-427. Orlikowski, WJ./Barley S.R. (2001): Technology and institutions: What can research on information technology and research on organizations learn from each other. In: MIS Quarterly 25 (2), S. 145-165. Rammert, W. (1994): Modelle der Technikgenese: Von der Macht und der Gemachtheit technischer Sachen in unserer Gesellschaft. In: Fricke, W. (Hrsg.): Jahrbuch Arbeit und Technik. Bonn, S. 3-12.

283

Arno Rolf

Sesink, W. (2004): Wozu Informatik? Ein Antwortversuch aus padagogischer Sicht. In: Informatik zwischen Konstruktion und Verwertung. Materialien zur Arbeitstagung in Bad Hersfeld. Bericht Nr. 1/04. Universitat Bremen. FB Mathematik & Informatik, S. 59-62. Simmel, G. (1958/1900): Philosophie des Geldes. Berlin. Simmel, G. (1983/1908): Soziologie. Untersuchungen iiber die Formen der Vergesellschaftung. Berlin. Schreyogg, G./Sydow, J./Koch, J. (2003): Organisatorische Pfade - Von der Pfadabhangigkeit zur Pfadkreation. In: Schreyogg, G./Sydow, J. (Hrsg.): Managementforschung 13. Wiesbaden, S. 257-294. Schumann, H./Miiller, W. (1999): Visualisierung. Grundlagen und allgemeine Methoden. Berlin etc. Sydow, J. (Hrsg.)(2006): Management von Netzwerkorganisationen. 4. Aufl. Wiesbaden. Tufte, E.R. (1997): Visual Explanations. Cheshire, Conn. Vosskamp, W. (1984): Von der wissenschaftlichen Spezialisierung zum Gesprach zwischen den Disziplinen. In: Wendt, H./Loacker, N. (Hrsg.): Kindlers Enzyklopadie „Der Mensch". Ziirich, S. 445-462. Wahoff, J.-H. (2005): Das Mikropolis-Modell als Ausgangspunkt fiir eine transdisziplinare Wirtschaftsinformatik. FBI-HH-B-266/05 des Fachbereichs Informatik der Universitat Hamburg. Windeler, A. (2003): Kreation technologischer Pfade: Ein strukturationstheoretischer Analyseansatz. In: Schreyogg, G./Sydow, J. (Hrsg.): Managementforschung 13. Wiesbaden, S. 295-328.

Prof. Dr. Amo Rolf Universitat Hamburg Fachbereich Informatik Vogt-KoUn-Str. 30 D-22527 Hamburg [email protected]

284

I Zu cten Autoren und Herdu^^bern

Albrecht Becker, Studium der Sozialwissenschaften an der Carl-von-Ossietzky Universitat Oldenburg, Promotion (1994) und Habilitation (2000) an der Freien Universitat Berlin; Professor fiir Management Accounting an der Leopold-Franzens-Universitat Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: Management Accounting in seinen sozialen und organisationalen Kontexten, international vergleichende Forschung zur Management Accounting Praxis, Wissen und Lernen in Organisationen. Elisabeth Brauner, Studium der Diplom-Psychologie an der Carl-von-Ossietzky Universitat Oldenburg (1990), Promotion (1993) an der Georg-August-Universitat Gottingen, Habilitation (2003) an der Humboldt-Universitat zu Berlin. Professorin fiir Industrial and Organizational Psychology am Brooklyn College, The City University of New York. Forschungsschwerpunkte: Transaktive Wissenssysteme, Kommunikation, Prozessmethoden der Gruppenforschung, Wissensmanagement und Organisationales Lernen. Peter Conrad, Studium der Betriebswirtschaftslehre (Dipl.-Kfm.) und der Psychologie (Dipl.-Psych.), Promotion zum Dr. rer. pol. an der Freien Universitat Berlin, langjahrig als interner und externer Berater fiir Industrie und Verwaltung mit den Schwerpunkten Personal, Organisation und Strategie tatig. Seit 1997 Universitatsprofessor fiir Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personal an der Helmut Schmidt-Universitat, Hamburg. Zahlreiche Publikationen auf den Gebieten Human Resources Management, verhaltenswissenschaftliche Managementforschung, Management offentlicher Verwaltungsbetriebe und Organisationspsychologie. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: strategisches Human Resources Management, kritische Managementforschung, New Public Management/New Public Services, Dienstleistungsmanagement. Organizational Citizenship Behaviour. Stephan Duschek, Studium der Betriebswirtschaftlehre und Wirtschaftswissenschaft an der Universitat Mannheim und der Bergischen Universitat Wuppertal; Promotion an der Freien Universitat Berlin (2001); zurzeit wissenschaftlicher Assistent und Habilitand an der Freien Universitat Berlin am Institut fiir Management; Mitantragsteller und Trager des DFG-Graduiertenkollegs „Pfade organisatorischer Prozesse" sowie Leiter eines vom BMBF geforderten Projekts zu einer „Netzwerktypologie der Kompetenzentwicklung''. Forschungsschwerpunkte: Untemehmenskooperation, Management- und Organisationstheorien, Strategisches Management sowie Innovationsmanagement.

285

Zu den Autoren und Heraussebern

Jorg Freiling, Studium, Promotion und Habilitation an der Ruhr-Universitat in Bochum. Seit 2001 Inhaber des Lehrstuhls fiir Mittelstand, Existenzgriindung und Entrepreneurship, Universitat Bremen. Zuvor Gast- und Vertragsprofessuren an der Freien Universitat Bozen (2000-2002), an der Staatsuniversitat St. Petersburg (2002) sowie an der Universitat Innsbruck (2001). Seit 2001 Vorsitzender des Masterprogramms „Business Studies" der Universitat Bremen. Forschungsschwerpunkte: Kompetenz-Management, Entrepreneurship, KMU-Management, Dienstleistungs-Management, Change Management, Investitionsgiiter-Marketing. Martin Gersch, Studium, Promotion und Habilitation an der Ruhr-Universitat in Bochum. Seit 2000 Leiter des Competence Center E-Commerce am Institut fiir Unternehmensfiihrung an der Ruhr-Universitat Bochum. Lehrauftrage und Gastprofessuren unter anderem an den Universitaten Koln, Diisseldorf sowie New South Wales. Tatigkeiten in der Praxis unter anderem als Projektleiter der intemen Untemehmensentwicklung. Forschungsschwerpunkte: Okonomische Theorien, Entrepreneurship, Strategisches Marketing, Technologie- und Innovationsmanagement, Informations- und Geschaftsprozessmanagement, Dienstleistungs-Management, Investitionsgiiter-Marketing, evolutorische (Miss-)Erfolgsanalysen, Change- und Transformationsprozesse, E-Leaming. Christian Goeke, Studium der Wirtschaftswissenschaft an der Ruhr-Universitat Bochum und der CERAM Grande Ecole de Commerce, Sophia Antipolis (Frankreich). Aktuell wissenschaftlicher Mitarbeiter am Competence Center E-Commerce des Instituts fiir Untemehmensfiihrung an der der Ruhr-Universitat Bochum. Forschungsinteressen: evolutorische Okonomik, ressourcen- und kompetenzbasierte Ansatze, kooperative Arrangements, Branchentransformation. Helmut Kasper, seit 2002 Leiter der Instituts fiir Change Management und Management Development, vormals (1991-2002) Abteilung fiir „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre unter besonderer Beriicksichtigung von Personal, Fiihrung und Organisation" an der Wirtschaftsuniversitat Wien. Seit 5/2005 Vorstand des Departments fiir Management der WU. Wissenschaftlicher Leiter des „Post Graduate Management Uruversitatslehrganges" und wissenschaftlicher Leiter des „Advanced Post Graduate Management" Master of Business Administration (MBA) fiir Executives der Wirtschaftsuniversitat Wien. Forschungsschwerpunkte sind die Organisations- und Managementforschung basierend auf der „Theorie sozialer Systeme", Cross Cultural Management, Lemende Organisation und Knowledgemanagement, Strategieentwicklung, Strategierealisierung und Change Management. Helmut Keller studierte von 1991-1998 Erziehungswissenschaft, Bildungssoziologie und padagogische Psychologie an der Universitat Trier. Stipendien-Aufenthalte an der Universitat Complutense Madrid, der Klassischen Universitat Lissabon sowie in der Direktion Berufsbildung der Europaischen Kommission in Briissel. Anschliel^end Tatigkeiten als EU-Fachreferent in einer IHK/Hwk-Einrichtung und als Produktmanager fiir Each- und Fiihrungskraftetrainings bei einem US-amerikanischen Bil-

286

Zu den Autoren und Herausgebern

dungsveranstalter. Seit 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl fiir Wirtschaftspadagogik/Bildungsmanagement der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr (WHL). Manfred Moldaschl, Studium u.a. der Psychologic (Dr. phil.), Geschichte und Soziologie (rer. pol.) in Tubingen, Berlin, Miinchen. Seit 2001 Professur fiir BWL an der TU Chemnitz, Lehrstuhl fiir Innovationsforschung und nachhaltiges Ressourcenmanagement. Gastprofessuren fiir Soziologie, Psychologic und Okonomie (u.a. Mexico, Innsbruck, Madrid Chile). Arbeitsgebiete derzeit: Untemehmens- und Organisationstheorie, Interventionstheorie/Beratung, Wissensokonomie und Innovation, Sozialkapital, Subjektivitat, Reflexivitat. Jurgen Miihlbacher, seit 1998 Projekt- und Universitatsassistent am Institut fiir Change Management und Management Development, vormals Abteilung fiir „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre unter besonderer Beriicksichtigung von Personal, Fiihrung und Organisation" der Wirtschaftsuniversitat Wien. Derzeit im status habilitandis, Titel der Habilitationsschrift: „Kompetenzmanagement als Grundlage strategischer Wettbewerbsvorteile". Forschungsprojekte zu den Themen: Lernende Organisation/ Wissensmanagement und zukiinftige Kernkompetenzen im Management; weitere Arbeitsschwerpunkte: Strategisches Kompetenzmanagement, Management in Emerging Markets (Asien). Dietrich von der Oelsnitz, Studium der Wirtschaftswissenschaft und der Betriebswirtschaftslehre an der TU Braunschweig und der Georg-August-Universitat Gottingen. 1993 Promotion, 1999 Habilitation an der TU Braunschweig. Seit 1999 Leiter des Fachgebiets Unternehmensfiihrung an der TU Ilmenau. Forschungsaufenthalte in London, Sofia und Fontainebleau. Arbeitsschwerpunkte: Strategisches Kompetenz- und Wissensmanagement, Markteintritts-Management, Interorganisationsbeziehungen (Kooperationen), geplanter Untemehmenswandel. Daniela Rastetter, Studium der Psychologic, Abschluss Diplom-Psychologin an der Universitat Miinchen. Promotion 1993 an der Universitat Augsburg zum Thema „Sexualitat und Herrschaft in Organisationen". Habilitation 2001 an der Universitat Augsburg zum Thema „Die Konstituierung des Emotionsarbeiters im Dienstleistungsunternchmen". Seit 2002 Professur fiir Personal, Organisation und Gender Studies an der Universitat Hamburg, Fakultat fiir Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Arbeitsschwerpunkte: Geschlecht und Organisation, Personalpolitik, Mikropolitik, Emotionsarbeit in Organisationen. Arno Rolf, Studium der Volkswirtschaftslehre an den Universitaten Miinster und Hamburg (bis 1969). In dieser Zeit Aufenthalte in Afghanistan, Pakistan und Indien. Tatigkeiten in einer Schweizer Unternehmens- und Softwareberatung sowie in einem Verlag als EDV- und Organisationsentwickler. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Osnabriick, Fachbereich Sozialwissenschaften und an der Universitat Hamburg, Fachbereich Informatik. Hochschullehrer an der Hochschule Bremerhaven, Studien-

287

Zu den Autoren und Heraussebern

gang Systemanalyse. HochschuUehrer fiir „Informatik in Organisationen und globalen Gesellschaften" sowie Umweltinformatik an der Universitat Hamburg, Fachbereich Informatik (seit 1986). Martina Schmette studierte zunachst Sozialwissenschaften an der Gerhard-MercatorUniversitat -GH- Duisburg (Abschluss 1995 zum Dipl.-Soz. Wiss.). An dieser Hochschule war sie fiir ein Jahr als wissenschaftliche Angestellte im Praktikanten- & Absolventenbiiro der Universitat Duisburg beschaftigt. Danach war sie iiber sechs Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut fiir Untemehmenskybemetik in Miilheim/ Ruhr angestellt. In dieser Zeit begann sie ihr Promotionsverfahren an der Universitat Duisburg-Essen, das sie 2004 als Dr. phil. abschloss. Seit 2004 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der WHL Wissenschaftliche Hochschule Lahr im Bereich Research Service Center sowie am ZAWF - Zentrum fur angewandte Weiterbildungsforschung e.V. tatig. Georg Schreyogg, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universitat ErlangenNiimberg; dort auch Promotion und Habilitation. 1985 Professur fiir Betriebswirtschaftslehre an der Universitat Bamberg; 1986 Professur fiir Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation und Planung an der FemUniversitat Hagen. Seit 1994 Professor fiir Organisation und Fiihrung an der Freien Universitat Berlin. Etwa 200 Publikationen auf dem Gebiet der Managementlehre, der Strategischen Planung und der Organisationstheorie. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: Wissensmanagement, Pfadabhangigkeit in organisatorischen Prozessen und Strategische Kompetenzen. Uta Wilkens, nach dem Studium der Betriebswirtschaftlehre (Dipl.-Kffr. 1992) und der Wirtschaftspadagogik (Dipl.-Hdl. 1994) an der Georg-August-Universitat Gottingen und der Freien Universitat Berlin war sie 1993 bis 1994 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle Sozialokonomik der Arbeit an der FU Berlin tatig. Im Anschluss wechselte sie an den Lehrstuhl Personal und Fiihrung der TU Chemnitz, wo sie bis 2004 als wissenschaftliche Assistentin tatig war. Anfang 2004 erhielt sie mit Abschluss der Habilitation die venia legend! fiir Betriebswirtschaftslehre. Zum 01.10.2004 nahm sie einen Ruf an die Wissenschaftliche Hochschule Lahr, Lehrstuhl Personalmanagement und Organisation, an. Seit 01.12.2005 ist sie Inhaberin des Lehrstuhls Arbeitsmanagement und Personal am Institut fur Arbeitswissenschaft der RuhrUniversitat Bochum.

288

I In Vorbereitynf und l i m i t s erschten#n

In Vorbereitung:

Managementforschung 17, 2007 hrsg. von Georg Schreyogg u n d Jorg Sydow

Kooperation und Konkurrenz

Bereits erschienen: Managementforschung 1, 1991 hrsg. von Wolfgang H. Staehle und Jorg Sydow

Selbstorganisation und systemische Fuhrung ISBN 3-409-11975-2 Inhalt: Neuerungen durch selbstorganisierende Prozesse, H. Kasper Unternehmungen als „autopoietische" Systeme?, W. Kirsch & D. zu Knyphausen Systementwicklung als Managementproblem, R. Klimecki G.J. Probst & P. Eberl Annaherungen an Informationsmanagement, H. Krcmar 40 Jahre „Work Activity^-Forschung, F. Schirmer Der Managementprozefi - neu gesehen, G. Schreyogg Okonomische Analyse von Unternehmensnetzwerken, H. Siebert Redundanz, Slack und lose Kopplung in Organisationen, W.H. Staehle Entwicklung von Leitmotiven verhaltensorientierten Managementwissens, E. Walter-Busch

289

In Vorbereitung und bereits erschienen

Managementforschung 2, 1992 hrsg. von Wolfgang H. Staehle und Peter Conrad Flache Hierarchien und organisatorisches Lernen ISBN 3-409-11976-0

Inhalt: Betriebspolitische Aspekte des Biirokratieabbaus in Industrieunternehmen, K. Brunnecke, Ch. Deutschmann & M. Faust Verhaltenswissenschaftliche Urspriinge in der Betriebswirtschaftslehre, /. Deters Unternehmenskultur und okonomische Theorie, S. Fohr & H. Lenz Auswirkungen globaler Informations- und Kommunikationssysteme auf die Organisation weltweit tatiger Untemehmen, /. Griese Betriebliche Qualifikationsstrategien und organisationales Lernen, P. Pawlowsky Strategische Netzwerke und Transaktionskosten, /. Sydow Vom Personalwesen zum Strategic Human Resource Management, W. Wachter Managementforschung 3, 1993 hrsg. von Wolfgang H. Staehle und Jorg Sydow Autonomie, Flexibilitat und Effizienz ISBN 3-409-11977-9

Inhalt: Mitbestimmung und logistische Kette, W. Dduhler Management Buyouts, /. Drukarczyk Zur Flexibilisierung der betrieblichen Beschaftigungs- und Entgeltpolitik, H.-D. Hardes & P. Griinzinger Okonomik und Ethik als Grundlage organisationaler Beziehungen, A. Lohr & M. Osterloh Industrieokonomik und Strategieforschung, M. Minderlein Akquisitionsmanagement als Organisation des Wandels, G. Muller-Stewens & J. Spickers Soziologie des Managements: Eine Prozefiperspektive, G. Schienstock Effizienz und Autonomie in Zuliefemetzwerken, K. Semlinger

290

In Vorbereitung und bereits erschienen

Managementforschung 4, 1994 hrsg. von Georg Schreyogg und Peter Conrad

Dramaturgie des Managements - Laterale Steuerung ISBN 3-409-11978-7 Inhalt: Zur Asthetisierung des Managements, O. Neuberger Die Mentalitat des Managers, K.P. Hansen Konzernmanagement durch Kontextsteuerung, H. Naujoks „Lean" - Zur rekursiven Stabilisierung von Kooperation, G. Ortmann Verhandlung und Struktur, K. Sandner & R. Meyer Risikoallokation im Arbeitsvertrag, K. Pull Abgang von Top Managern in turbulenten Zeiten, T.J. Gerpott

Managementforschung 5, 1995 hrsg. von Georg Schreyogg und Jorg Sydow

Empirische Studien ISBN 3-409-11979-5 Inhalt: Storungen zwischenbetrieblicher Kooperation, E. Endres & Th. Wehner Ausbreitung und Auswirkungen von Electronic Data Interchange, A. Ficot, R. Neuberger & ]. Niggl Personelle Verflechtung als Ressourcenmanagement, G. Schreyogg & H. Papenheim-Tockhorn Neue Managementkonzepte und industrielle Beziehungen, K. Dorre & J. Neubert Produktivitatsfolgen (uber-)betrieblicher Interessenvertretungen, B. Prick Mittlere Manager in Deutschland und Grofibritannien, P. Walgenbach & A. Kieser Modem times fiir Frauen im Management?, U. Schumm-Garling, R. Martens & U.L. Fischer Betriebliche Weiterbildung in kleinen und mittleren Unternehmen, H. Wagner, M. Wehling & M. Weingartner

291

In Vorbereitung und bereits erschienen

Managementforschung 6, 1996 hrsg. von Georg Schreyogg und Peter Conrad Wissensmanagement ISBN 3-409-11980-9 Inhalt: Wissensmanagement im Untemehmen, /. Rehauser & H. Krcmar Organisatorische Intelligenz, H. Oberschulte Cognitive Mapping, J.M. Lehner Organisationales Lemen und Macht, A. Hanft Interorganisationales Lemen, C. Prange Wissensintensiv durch Netzwerkorganisation, /. Sydow & B. van Well Arbeit und Wissen im Produktentstehungsprozefi, L Lippertr U. Jurgens & H. Drilke Dimensionen des Wissensmanagements, H. Willke

Managementforschung 7, 1997 hrsg. von Georg Schreyogg und Jorg Sydow Gestaltung von Organisationsgrenzen ISBN 3-409-11981-7 Inhalt: Systemrationalisierung an ihren Grenzen - Organisationsgrenzen und Funktionen von Grenzstellen in Wirtschaftsorganisationen, V. Tacke Die Gestaltung von Systempartnerschaften zwischen Automobilherstellern und ihren Zulieferem - eine spieltheoretische Analyse, M. Kleinaltenkamp & H. Walters Vertrauen und Macht in zwischenbetrieblichen Kooperationen - zur RoUe von Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsverbanden in Deutschland und Grofibritannien, R. Bachmann & C. Lane Auslandseinsatz als Instrument des informationellen Grenzmanagements international tatiger Unternehmen - eine systemtheoretische Analyse, W. Mayrhofer „Grenzenlose" Unterstiitzung - „Grenzenlose" Personalwirtschaft?, /. Eigler Die Internet-Unterstiitzung Virtueller Untemehmen, P. Sieber Organisationale Transformation - grenzenlos? Struktur- und Prozefimuster in der koUektiven Bewaltigung von Unsicherheit, R. Klimecki & M. Gmur Zur Fehlkonstruktion des deutschen Konzemrechts - Kritik und Neuansatze in interdisziplinarer Perspektive, Oi. Kirchner

292

In Vorbereitung und bereits erschienen

Managementforschung 8, 1998 hrsg. von Dietrich Budaus, Peter Conrad und Georg Schreyogg New Public Management ISBN 3-409-11982-5 Inhalt: Von der biirokratischen Steuerung zum New Public Management - Eine Einfiihrung, D. Budaus New Public Management - Theoretische Grundlagen und problematische Aspekte der Kritik, S. Borins & G. Gruning Benchmarking in der offentlichen Verwaltung. Anwendungspotentiale und Grenzen aus theoretischer und empirischer Sicht, W. Burr & H. Siedlmeier Interkommunale Kooperation in der Region: Auf der Suche nach einem neuen Steuerungsmodell, D. Rehfeld & J. Weibler Verwaltungsmodernisierung als Machtspiel. Zu den heimlichen Logiken kommunaler Modernisierungsprozesse, /. Bogumil & L Kifiler Human Resource Management - Auswirkungen des New Public Management auf ein zeitgemafies Personalmanagement in der offentlichen Verwaltung, W. A. Oechsler & S. Vaanholt Zur Konzeption wirkungsorientierter Planung und Budgetierung in Politik und Verwaltung, Th. Haldemann Industrielles Produkt- und Prozefidesign fiir Verwaltungs-Dienstleistungen, W. Kraemer, A. Koppen & A.-W. Scheer

Managementforschung 9, 1999 hrsg. von Georg Schreyogg und Jorg Sydow Fuhrung neu gesehen ISBN 3-409-11983-3 Inhalt: Fuhrung als Schliissel zur organisationalen Lernfahigkeit, W.R. Muller & M. Hurter Arbeitsengagement aus freien Stiicken: Zur RoUe der Fuhrung, KW. Bierhoff&MJ. Herner Zur Entwicklung interpersonalen, interorganisationalen und interkulturellen Vertrauens durch Fuhrung - Empirische Ergebnisse der sozialpsychologischen Vertrauensforschung, W. Neubauer Fuhrung und Interaktionsstrukturen, S. Fohr

293

In Vorbereituns und bereits erschienen

Charisma in Organisationen - Zum Stand der Theorienbildung und empirischen Forschung, /. Steyrer Charismatische Momente und Trajekte - Das Projekt als Plattform charismatischer Fuhrung, D. Blutner, U. Holtgrewe & G. Wagner Rebellion in der Organisation - Uberlegungen zu einer Fiihrungstheorie des radikalen Wandels, P. Eberl, ]. Koch & R. Dabitz Fuhrung in Netzwerkorganisationen - Fragen an die Fiihrungsforschung, /. Sydow

Managementforschung 10, 2000 hrsg. von Georg Schreyogg und Peter Conrad Orgam'satorischer Wandel und Transformation ISBN 3-409-11536-6 Inhalt: Zwischen Freiheit und Reglementierung - Widerspruchlichkeiten als Motor inkrementalen und transformationalen Wandels in Organisationen - eine Kritik des punctuated equilibrium-Modells, D. Gebert Von der Episode zum fortwahrenden Prozefi - Wege jenseits der Gleichgewichtslogik im Organisatorischen Wandel, G. Schreyogg & Ch. Noss Organisationales Lemen - Zur Integration von Theorie, Empirie und Gestaltung, R. Klimecki, H. Laflleben & M. Thomae Entwicklung, Evolution oder Archaologie? Ansatze zu einer postmodernen Theorie des organisatorischen Wandels, D. Holtbriigge Organisationaler Wandel als konstruktive Destruktion, /. Deeg & J. Weibler Jenseits der Machbarkeit - Idealtypische Herausforderungen tiefgreifender unternehmerischer Wandelprozesse aus einer systemisch-relational-konstruktivistischen Perspektive, /. Ruegg-Sturm Evaluation in Veranderungsprozessen, S. Hornberger Strategie, Management und hierarchische Organisation - Barrieren organisationalen Wandels am Beispiel der Wirtschaftskrise in Siidkorea, M. Pohlmann

Managementforschung 1 1 , 2001 hrsg. von Georg Schreyogg und Jorg Sydow

Emotionen und Management ISBN 3-409-11804-7

294

In Vorbereituns und bereits erschienen

Inhalt: Leidenschaften als Organisationsproblem, Gertraude Krell & Richard Weiskopf Reflexive Emotionalitat - Konzepte zum professionellen Umgang mit Emotionen im Management, Tanja Eiselen & Ralph Sichler Was Metaphern uber Gefiihle sagen - Ein neuer Zugang zu Emotionen auf der Managementebene, Thomas Sieger Emotionsarbeit - Betriebliche Steuerung und individuelles Erleben, Daniela Rastetter Emotionale Intelligenz - Golemans Erfolgskonstrukt auf dem Priifstand, Barbara Sieben Konkurrenz als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln - Eine sozio-analytische Dekonstruktion, Burkard Sievers Intuition und Emotion in der Entscheidungsforschung - State-of-the-Art und aktuelle Forschungsrichtungen, Michael Nippa Emotionale Grenzen der Vemunft und ihre Konsequenzen flir die Neue Institutionenokonomie, Egon Franck & Josef Zellner Emotion und Entscheidung, GUnther Ortmann

Managementforschung 12, 2002 hrsg. von Georg Schreyogg und Peter Conrad

Theorien des Managements ISBN 3-409-11916-7 Inhalt: Zwischenbilanz: Prozesse, Strukturen und Schliisselpersonen des Innovationsmanagements - Ergebnisse empirischer Studien des Kieler GraduiertenkoUegs „Betriebswirtschaftslehre fiir Technologie und Innovation", JUrgen Hauschildt Kommentar zu J. Hauschildt: Innovationsmanagement - Quo vadis?. Christian Noss Komplexitatstheorie: Neues Paradigma fiir die Managementforschung?, Peter Kappelhoff Kommentar zu P. Kappelhoff: Komplexitat und Organisation, Georg Schreyogg Der evolutionstheoretische Ansatz in der Organisationsforschung: Einblicke und Aussichten, Udo Staber Kommentar zu U. Staber: Evolutionstheorie in der Organisationsforschung - AUtagstheorie, Metatheorie oder Metaphysik?, Werner R. MUller Neoinstitutionalistische Organisationstheorie - State of the Art und Entwicklungslinien, Peter Walgenbach Kommentar zu P. Walgenbach: Organisationales Flandeln zwischen institutioneller Normierung und strategischem Kalklil, Walter MUller-]entsch Vom Faktoransatz zum Human Resource Management, Hans-Gerd Ridder

295

In Vorbereitung und bereits erschienen

Kommentar zu H.-G. Ridden Was das Human Resource Management aus der Unternehmenstheorie lemen konnte. Dieter Sadowski Das Subjekt als Objekt der Begierde - Die Perspektive der „Subjektivierung von Arbeit", Manfred Moldaschl Kommentar zu M. Moldaschl: Arbeit ohne Subjekt?, Peter Conrad

Managementforschung 13, 2003 hrsg. von Georg Schreyogg und Jorg Sydow Strategische Prozesse und Pfade ISBN 3-409-11917-5 Inhalt: Strukturwirkungen strategischer Entscheidungen: Die Forschungszielsetzung einer Studie als Moderator der metaanalytischen Untersuchung, Gerhard Schewe Strategieentwicklung von KMU im Globalisierungsprozess, theoretisch fundiert und empirisch untersucht, Uta Wilkens & Martin Brussig AUianzmanagementkompetenz - Entwicklung und Institutionalisierung einer strategischen Ressource, Werner H. Hoffmann Zur Anwendbarkeit des Realoptionenansatzes als Instrument zur Unterstiitzung strategischer Entscheidungsprozesse - Indizien kontingenztheoretischer Bewertungsnotwendigkeiten, Michael Nippa & Kerstin Petzold Strategische Projekte als Objekte koUektiver Investitionsentscheidungen in Unternehmensnetzwerken, Oliver Wohlgemuth & Thomas Hess Die Pfadabhangigkeitstheorie als Erklarungsansatz untemehmerischer Entwicklungsprozesse, Rolf Ackermann Organisatorische Pfade, Georg Schreyogg, Jorg Sydow & Jochen Koch Kreation technologischer Pfade: Ein strukturationstheoretischer Analyseansatz, Arnold Windeler

Managementforschung 14, 2004 hrsg. von Georg Schreyogg und Peter Conrad Gerechtigkeit und Management ISBN 3-409-11916-7

296

In Vorbereitung und bereits erschienen

Inhalt: Kann Corporate Governance Gerechtigkeit schaffen? Elmar Gerum Business & Society-Forschung versus Kritische Strategieforschung - Kritik zweier Ansatze zur Integration von sozialer Verantwortung und strategischer Unternehmensftihrung, Andreas Georg Scherer & Brigitte Kustermann Was ist gerecht im Untemehmen? Uber die Moglichkeiten einer erfahrungswissenschaftlichen Gerechtigkeitsanalyse in Untemehmen, Stefan Liebig Gerechtigkeit und die zwei Ebenen industriellen Konflikts - Empirische Befunde der betrieblichen Einstellungsforschung, Holger Lengfeld Fairness als Voraussetzung ftir die Tragfahigkeit psychologischer Vertrage, Sabine Raeder & Gudela Grote Die Organisation von Inklusion und Exklusion - Zur Implizitat organisationaler Gerechtigkeit und dem Problem systematischer Exklusion, Jochen Koch Management, Organisation und die Gespenster der Gerechtigkeit, Richard Weiskopf

Managementforschung 15, 2005 hrsg. von Bernd Schauenberg, Georg Schreyogg und Jorg Sydow

Instltuti'onenokonomlk als Managementlehre? ISBN 3-409-14340-8 Inhalt: Institutionenokonomik jenseits des Opportunismus: Froschungsprogramm statt Utopie, Gotthard Pietsch „The Proof of the Pudding ../' Kommentar zum Beitrag von Gotthard Pietsch, Dieter Sadowski Die Stellung von Natur in der Neuen Institutionenokonomik - Fine kritische Bestandsaufnahme und Perspektive, Ralf Antes Streckbett fiir eine „middle-range theory'' Kommentar zum Beitrag von Ralf Antes, Walther MUller-Jentsch Internationales Management aus der Perspektive der Neuen Institutionenokonomik, Birgitta Wolff Wenn schon, denn schon: Fin Pladoyer fiir theoretische Stringenz Kommentar zum Beitrag von Birgitta Wolff, Stephan Duschek Metatheoretische Uberlegungen zur Zusammenarbeit von Institutionenokonomik und Managementlehre, Michaela Haase Metatheoretische Klarungsversuche in schwierigem Terrain Kommentar zum Beitrag von Michaela Haase, Bernd Schauenberg

297

M

In Vorbereituns und bereits erschienen

Markt und Organisation? - Eine Dekonstruktion Zum Verhaltnis von Transaktionskostenansatz und Organisationsforschung jenseits von Opportunismusbehauptung und Opportunismusvorwurf, Jochen Koch Das fatale Apriori des Marktes Kommentar zum Beitrag von Jochen Koch, Gunther Ortmann Vertrauen, Opportunismus und KontroUe - Eine empirische Analyse von Joint Venhire-Beziehungen vor dem Hintergrund der Transaktionskostentheorie, Peter Eberl und Rudiger Kahst Uber den empirischen Umgang mit Beziehungsqualitaten Kommentar zum Beitrag von Peter Eberl und Rudiger Kabst, Werner R. Miiller Opportunismus und Institutionen in vertikalen Innovationskooperationen, Martin Kloyer Die Opportunismusannahme in der Neuen Institutionenokonomie Kommentar zum Beitrag von Martin Kloyer, Peter Kappelhoff Corporate Governance: Eine Prinzipal-Agenten-Beziehung, Team-Produktion oder ein soziales Dilemma?, Margit Osterloh und Bruno S. Prey Wie entwickeln Firmen koUektive Kompetenzen? Kommentar zum Beitrag von Margit Osterloh und Bruno S. Frey, Christoph Deutschmann Institutionenokonomik und Managementlehre: Anmerkungen zu diesem Band, Bernd Schauenherg

298