Springer-Lehrbuch
Das Zweite – kompakt Herausgeber Klaus-Peter Schaps Oliver Kessler Ulrich Fetzner
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Springer-Lehrbuch
Das Zweite – kompakt Herausgeber Klaus-Peter Schaps Oliver Kessler Ulrich Fetzner
Weitere Titel dieser Reihe: Grundlagen 978-3-540-46344-3 Innere Medizin 978-3-540-46350-4 Chirurgie – Orthopädie –Urologie 978-3-540-46335-1 Gynäkologie – Pädiatrie 978-3-540-46347-4 Neurologie – Psychiatrie – Psychosomatik 978-3-540-46354-2 Dermatologie – Augenheilkunde – HNO 978-3-540-46338-2 Allgemeinmedizin – Anästhesie – Arbeits- und Sozialmedizin – Rechtsmedizin 978-3-540-46333-7 Gesundheitsstörungen 978-3-540-46339-9 Das Zweite – kompakt (Set) 978-3-540-69558-5
Querschnittsbereiche S. Han
Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik J. G. Mayer
Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin A. Klinghuber, M. Kümmerle
Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege R. Stock, E. Georgi
Infektiologie, Immunologie W. Kroukis, K.-P. Schaps
Klinische Umweltmedizin M. Jamour
Medizin des Alterns und des alten Menschen U. P. Herrmann, A. Ehrt
Nofallmedizin S. Wohlmann
Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie F.-Ch. Vogeler
Prävention und Gesundheitsförderung N. Paquet
Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz N. Paquet, U. Fetzner
Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren Mit 169 größtenteils farbigen Abbildungen und 89 Tabellen
123
Reihenherausgeber Dr. med. Klaus-Peter Schaps Rostocker-Str. 21 26388 Wilhelmshaven
Dr. med. Oliver Kessler Leisibüelstr. 128 CH-8708 Männedorf
Ulrich Fetzner Von-Lobdeburg-Str. 4 97688 Bad Kissingen
ISBN-13 978-3-540-46357-3 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2008 Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Peter Bergmann, Heidelberg Projektmanagement: Axel Treiber, Heidelberg Lektorat: Dr. med. Monika Merz, Sandhausen, Ursula Illig, Stockdorf Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg SPIN 11885627 Gedruckt auf säurefreiem Papier
15/2117 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Das Hammerexamen: die letzte große Hürde vor dem Traumberuf »Arzt«. So mag es all jenen vorkommen, die sich kurz vor dem Hammerexamen befinden. Der gesamte klinische Stoff – und noch dazu im PJ – wie soll das gehen? Daher hat sich der Springer Medizin Verlag entschlossen, eine neue Repetitorien-Reihe ins Leben zu rufen. Ideal für das Lernen auf die 2. Ärztliche Prüfung hin – gerade während des PJ – und für das kurze Repetieren vor dem Examen bieten die 9 Bände alle Krankheitsbilder und die Gesundheitsstörungen des aktuellen Gegenstandskataloges. Das Besondere daran: Die Krankheitsbilder, die in den ersten 8 Bänden behandelt werden, werden nach wie vor nach Fächern geordnet angeboten – ganz so, wie es jeder Student aus dem klinischen Studienabschnitt kennt. In Lerntexten, die größtenteils von Studenten und jungen Assistenzärzten verfasst und von Fachärzten der jeweiligen Disziplinen gegengelesen wurden, wird all das noch mal kurz wiederholt, was in der 2. Ärztlichen Prüfung angewandt werden soll. Nach jedem GK-Krankheitsbild findet sich eine Zusammenfassung für das schnelle Repetieren an den Tagen unmittelbar vor dem Examen. Für grafische Lerner stellen große Übersichtsschaubilder, die »Mindmaps«, komplexe Sachverhalte übersichtlich dar. Der 9. Band enthält die Gesundheitsstörungen: Jede Gesundheitsstörung wird durch einen Fall lebendig gemacht und vom Leitsymptom ausgehend die Differentialdiagnose entwickelt. Zusätzlich finden sich am Ende jeder Gesundheitsstörung noch eine Wiederholung der häufigsten Krankheitsbilder, die diese Störung hervorrufen, eine grafische Darstellung der Differentialdiagnostik und einige Fragen zur Selbstprüfung. »GK2 Das Zweite – kompakt« ist die ideale Reihe, um sich das Grundwissen anzueignen, das man zum Lösen der Probeexamina in schwarzer oder gelber Reihe und natürlich zum Bestehen der 2. ÄP benötigt. Allen Mitwirkenden, den Herausgebern, Herrn Dr. Schaps, Herrn Dr. Kessler und Herrn Fetzner, allen Autoren und Fachärzten und auch allen studentischen Testlesern sei an dieser Stelle von Seiten des Springer Medizin Verlags noch einmal sehr herzlich für Ihre Mitarbeit am Entstehen dieses Projektes gedankt. Wir hoffen alle sehr, den Studenten mit diesem Werk eine echte »erste Hilfe« zum Bestehen des »Hammerexamens« an die Hand gegeben zu haben. Auszüge aus Vorabrezensionen: »Aufgrund der oben genannten Aspekte finde ich das neue Konzept hervorragend!! Der GK wird erfüllt; ich kann systematisch vorgehen und gleichzeitig verknüpfen, wiederholen und die neue Fragestellung üben. Von dem Arbeitsbuch-Charakter des letzten Bandes »Gesundheitsstörungen« halte ich sehr viel. Der Platz für eigene Notizen, ein einprägsames Bild und die 2-Farbigkeit setzen das sehr gut um.« »Das Konzept ist vernünftig und schlüssig. Auch die Aufteilung der Themen ist meiner Meinung nach gelungen. … Die Sprache finde ich sehr gut getroffen, … das Lesen fällt leicht, was das Arbeiten mit dem Text angenehm gestaltet. … Auch das Layout der einzelnen Seiten wirkt übersichtlich, nicht voll gepackt und ist durch Absätze, Tabellen und die farbliche Gestaltung ansprechend und übersichtlich.« Springer Medizin Verlag Heidelberg im Frühjahr 2008
Das Zweite – kompakt: Querschnittsbereiche
Leitsystem: Schnelle Orientierung über alle Kapitel
Mindmap: Grafische Übersicht komplexer Sachverhalte
Zahlreiche Abbildungen veranschaulichen komplizierte und komplexe Sachverhalte
Tabellen: Klare Übersicht der wichtigsten Fakten
Aufzählungen: Lerninhalte übersichtlich präsentiert
Inhaltliche Struktur: Klare Gliederung durch alle Kapitel
Navigation: Seitenzahl und Kapitelnummer für die schnelle Orientierung
Übersichten Wichtige Fakten werden übersichtlich dargestellt
Wichtig Zentrale Informationen auf einen Blick
Cave: Vorsicht! Bei falschem Vorgehen Gefahr für den Patienten
In Kürze: Wiederholung der wichtigsten Fakten zu jedem Krankheitsbild zum schnellen Repetieren kurz vor dem Examen
VIII
Mitarbeiterverzeichnis A. Ehrt
M. Kümmerle
Dr. med. Institut für Anästhesie und Intensivmedizin Klinikum Ingolstadt GmbH, Krumenauerstr. 25 85049 Ingolstadt
Reuterstr. 33b 51465 Bergisch Gladbach
J. G. Mayer
Von-Lobdeburg-Str. 4 97688 Bad Kissingen
Dr. med. Institut für Geschichte der Medizin Oberer Neubergweg 10a 97074 Würzburg
E. Georgi
N. Paquet
In der Weglänge 32 56072 Koblenz
Hildesheimerstr. 13 30169 Hannover
S. Han
K.-P. Schaps
Bahnstr. 31 50858 Köln/Weiden
Dr. med. Rostockerstr. 21 26388 Wilhelmshaven
U. Fetzner
U. P. Herrmann Bahnstr. 26 47877 Willich
R. Stock Walter Gropiusstr. 7 31535 Neustadt am Rübenberge
M. Jamour Dr. med. Geriatrische Rehabilitationsklinik Ehingen Spitalstr. 29 89584 Ehingen
F.-Ch. Vogeler Heilgeiststr. 74, 18439 Stralsund
S. Wohlmann A. Klinghuber Layer Str. 38 56073 Koblenz
W. Kroukis Dr. med. Bubenheimer Kirchpfad 4a 56072 Koblenz
Lange Bögen 20 97074 Würzburg
IX
Gegenstandskatalog Teil 1: Gesundheitsstörungen 7 Band Gesundheitsstörungen Teil 2: Krankheitsbilder A00-A09
Infektiöse Darmkrankheiten
2
A15-A19
Tuberkulose
3
A20-A28
Bestimmte bakterielle Zoonosen
A20
Pest
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 2.1.6.2
A22
Anthrax [Milzbrand]
7 Band Grundlagen 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
A23
Brucellose
7 Band Grundlagen
A27
Leptospirose
7 Band Grundlagen
A30-A49
Sonstige bakterielle Krankheiten
A31
Infektion durch sonstige Mykobakterien
A32
Listeriose
A35
Sonstiger Tetanus
A36
Diphtherie
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.4
A37
Keuchhusten
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.4
A38
Scharlach
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.4
A39
Meningokokkeninfektion
7 Band Grundlagen
A40
Streptokokkensepsis
7 Band Grundlagen 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.3.6 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
A41
Sonstige Sepsis
A42
Aktinomykose
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen
A46
Erysipel [Wundrose]
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen
A48
Sonstige bakterielle Krankheiten, anderenorts nicht klassifiziert
4
(z.B. Salmonellenenteritis, Lebensmittelvergiftung durch Staphylokokken, Enteritis durch Rotaviren)
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
1
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 2.1.6.4, 7 Kap. 4.1.3.3, 7 Kap. 9.4
7 Band Grundlagen 7 Band Grundlagen (Wundstarrkrampf )
(z.B. Sepsis durch Staphylococcus aureus, Systemic inflammatory response syndrome [SIRS])
7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.4
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.3.5
(z.B. Gasbrand, Legionellose, Toxisches Schocksyndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen
A49
Bakterielle Infektion nicht näher bezeichneter Lokalisation
(z.B. Helicobacter-Infektion)
7 Band Grundlagen
5
A50-A64
Infektionen, die vorwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragen werden
(z.B. Syphilis, Gonokokkeninfektion, Chlamydienkrankheiten, Ulcus molle [venereum], Infektionen des Anogenitalbereiches durch Herpesviren [Herpes simplex], Condylomata acuminata, Trichomoniasis)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 2.1.6.2, 7 Kap. 9.4
6
A65-A69
Sonstige Spirochätenkrankheiten
A69
Sonstige Spirochäteninfektionen
(z.B. Lyme-Krankheit)
7 Band Grundlagen
7
A70-A74
Sonstige Krankheiten durch Chlamydien
(z.B. Infektion durch Chlamydia psittaci, Trachom)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen
8
A75-A79
Rickettsiosen
(z.B. Zeckenbissfieber, Q-Fieber)
7 Band Grundlagen
9
A80-A89
Virusinfektionen des Zentralnervensystems
A80
Akute Poliomyelitis [Spinale Kinderlähmung]
A81
Atypische Virus-Infektionen des Zentralnervensystems
A82
Tollwut [Rabies]
A84
Virusenzephalitis, durch Zecken übertragen
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.4 (z.B. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.4
(z.B. FSME)
7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.4
X
Gegenstandskatalog
7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.4.3
10
A90-A99
Durch Arthropoden übertragene Viruskrankheiten und virale hämorrhagische Fieber
11
B00-B09
Virusinfektionen, die durch Haut- und Schleimhautläsionen gekennzeichnet sind
12
B15-B19
Virushepatitis
13
B20-B24
HIV-Krankheit [Humane ImmundefizienzViruskrankheit]
B20
Infektiöse und parasitäre Krankheiten infolge HIV-Krankheit [Humane ImmundefizienzViruskrankheit]
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen
B24
Nicht näher bezeichnete HIV-Krankheit [Humane Immundefizienz-Viruskrankheit]
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.3.4 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen
14
15
(z.B. Herpesenzephalitis, Varizellen, Zoster, Masern, Röteln, Viruswarzen, Mollusca contagiosa, Dreitagefieber, Ringelröteln)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.4 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.3.7, 7 Kap. 9.4 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
B25-B34
Sonstige Viruskrankheiten
B25
Zytomegalie
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B26
Mumps
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B27
Infektiöse Mononukleose
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B30
Viruskonjunktivitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
B35-B49
Mykosen 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen
B35
Dermatophytose [Tinea]
B36
Sonstige oberflächliche Mykosen
B37
Kandidose
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Grundlagen 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
B44
Aspergillose
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 5.5.4.2 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
B45
Kryptokokkose
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
16
B50-B64
Protozoenkrankheiten
17
B65-B83
Helminthosen
B65
Schistosomiasis [Bilharziose]
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Grundlagen
B67
Echinokokkose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
B68
Taeniasis
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
B69
Zystizerkose
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
B77
Askaridose
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
B80
Enterobiasis
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
B85-B89
Pedikulose [Läusebefall], Akarinose [Milbenbefall] und sonstiger Parasitenbefall der Haut
B85
Pedikulose [Läusebefall] und Phthiriasis [Filzläusebefall]
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B86
Skabies
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
19
C00-C14
Bösartige Neubildungen der Lippe, der Mundhöhle und des Pharynx
20
C15-C26
Bösartige Neubildungen der Verdauungsorgane
18
(z.B. Pityriasis versicolor)
(z.B. Malaria, Leishmaniose, Toxoplasmose, Pneumozystose)
(z.B. Bösartige Neubildung der Parotis)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.4.2, 7 Kap. 4.1.4.4, 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
C15
Bösartige Neubildung des Ösophagus
7 Band Innere Medizin
C16
Bösartige Neubildung des Magens
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C17
Bösartige Neubildung des Dünndarmes
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
XI Gegenstandskatalog
21
C18
Bösartige Neubildung des Kolons
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
C20
Bösartige Neubildung am Rektosigmoid, Übergang
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C20
Bösartige Neubildung des Rektums
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C21
Bösartige Neubildung des Anus und des Analkanals
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C22
Bösartige Neubildung der Leber und der intrahepatischen Gallengänge
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C23
Bösartige Neubildung der Gallenblase
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C24
Bösartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile der Gallenwege
C25
Bösartige Neubildung des Pankreas
C30-C39
Bösartige Neubildungen der Atmungsorgane und sonstiger intrathorakaler Organe
(z.B. Gallenwegskarzinom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C32
Bösartige Neubildung des Larynx
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
C33
Bösartige Neubildung der Trachea
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin
C34
Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C40-C41
Bösartige Neubildungen des Knochens und des Gelenkknorpels
C40
Bösartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels der Extremitäten
(z.B. Osteosarkom des Femurs)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
C41
Bösartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels sonstiger und nicht näher bezeichneter Lokalisationen
(z.B. Chondrosarkom, Ewing-Sarkom des Beckens)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
C43-C44
Melanom und sonstige bösartige Neubildungen der Haut
C43
Bösartiges Melanom der Haut
C44
Sonstige bösartige Neubildungen der Haut
(z.B. Basalzellenkarzinom, Plattenepithelkarzinom)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
24
C45-C49
Bösartige Neubildungen des mesothelialen Gewebes und des Weichteilgewebes
(z.B. Pleuramesotheliom, Kaposi-Sarkom, Liposarkom)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Chirurgie, Orthopäadie , Urologie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin
25
C50
Bösartige Neubildung der Brustdrüse [Mamma]
26
C51-C58
Bösartige Neubildungen der weiblichen Genitalorgane
C51
Bösartige Neubildung der Vulva
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C52
Bösartige Neubildung der Vagina
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C53
Bösartige Neubildung der Cervix uteri
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.2
C54
Bösartige Neubildung des Corpus uteri
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C56
Bösartige Neubildung des Ovars
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C57
Bösartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter weiblicher Genitalorgane
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
27
C60-C63
Bösartige Neubildungen der männlichen Genitalorgane
(z.B. Peniskarzinom, Prostatakarzinom, Hodenmalignom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.2 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
28
C64-C68
Bösartige Neubildungen der Harnorgane
(z.B. Nierenzellkarzinom, Wilms-Tumor, Urothelkarzinom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Innere Medizin Band Gynäkologie, Pädiatrie
29
C69-C72
Bösartige Neubildungen des Auges, des Gehirns und sonstiger Teile des Zentralnervensystems
C69
Bösartige Neubildung des Auges und der Augenanhangsgebilde
(z.B. Retinoblastom, Aderhautmelanom)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
C71
Bösartige Neubildung des Gehirns
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
C72
Bösartige Neubildung des Rückenmarkes, der Hirnnerven und anderer Teile des Zentralnervensystems
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
22
23
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.2 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 9.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Grundlagen
XII
30
Gegenstandskatalog
C73-C75
Bösartige Neubildungen der Schilddrüse und sonstiger endokriner Drüsen 7 Band Innere Medizin
C73
Bösartige Neubildung der Schilddrüse
C74
Bösartige Neubildung der Nebenniere
(z.B. Neuroblastom, Phäochromozytom)
7 Band Innere Medizin
31
C76-C80
Bösartige Neubildungen ungenau bezeichneter, sekundärer und nicht näher bezeichneter Lokalisationen
(z.B. Metastasen, Paraneoplastisches Syndrom)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
32
C81-C96
Bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes
C81
Hodgkin-Krankheit [Lymphogranulomatose]
7 Band Innere Medizin
C82
Follikuläres [noduläres] Non-HodgkinLymphom
7 Band Innere Medizin
C83
Diffuses Non-Hodgkin-Lymphom
C84
Periphere und kutane T-Zell-Lymphome
C90
Plasmozytom und bösartige PlasmazellenNeubildungen
7 Band Innere Medizin
C91
Lymphatische Leukämie
7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
C92
Myeloische Leukämie
7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
C96
Sonstige und nicht näher bezeichnete bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes
D00-D09
In-situ-Neubildungen
D00
Carcinoma in situ der Mundhöhle, des Ösophagus und des Magens
33
34
35
36
37
7 Band Innere Medizin (z.B. Mycosis fungoides)
(z.B. Abt-Letterer-Siwe-Krankheit)
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. M. Bowen)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Gutartige Neubildung des Kolons, des Rektums, des Analkanals und des Anus
(z.B. Polyposis coli)
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Chrirugie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen
D13
Gutartige Neubildung sonstiger und ungenau bezeichneter Teile des Verdauungssystems
(z.B. Gutartige Tumoren der Leber)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
D14
Gutartige Neubildung des Mittelohres und des Atmungssystems
(z.B. Adenomatöse Polypen)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
D16
gutartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels
(z.B. Osteochondrom, Osteoid-Osteom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
D17
Gutartige Neubildung des Fettgewebes
D18
Hämangiom und Lymphangiom
D21
Sonstige gutartige Neubildungen des Bindegewebes und anderer Weichteilgewebe
D22
Melanozytennävus
D25
Leiomyom des Uterus
D32
Gutartige Neubildung der Meningen
(z.B. Meningeom)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
D33
Gutartige Neubildung des Gehirns und anderer Teile des Zentralnervensystems
(z.B. Akustikusneurinom)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
D35
Gutartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter endokriner Drüsen
D37-D48
Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens
D44
Neubildung unsicheren oder unbekannten Verhaltens der endokrinen Drüsen
D46
Myelodysplastische Syndrome
D47
Sonstige Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes
D50-D53
Alimentäre Anämien
D50
Eisenmangelanämie
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche
D51
Vitamin-B12-Mangelanämie
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche
D52
Folsäure-Mangelanämie
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche
D55-D59
Hämolytische Anämien
D04
Carcinoma in situ der Haut
D10-D36
Gutartige Neubildungen
D12
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin 7 Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Hautfibrome)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Innere Medizin
(z.B. »Inzidentalome« [Nebenniere, Hypophyse], Kraniopharyngeom)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
(z.B. Myelofibrose)
(z.B. Hereditäre Sphärozytose, Autoimmunhämolytische Anämien)
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin
XIII Gegenstandskatalog
38
D60-D64
Aplastische und sonstige Anämien
(z.B. Akute Blutungsanämie, Tumoranämie)
7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
39
D65-D69
Koagulopathien, Purpura und sonstige hämorrhagische Diathesen
(z.B. Disseminierte intravasale Gerinnung, Hämophilie A, Willebrand-JürgensSyndrom, Allergische Vaskulitis)
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
40
D70-D77
Sonstige Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe
(z.B. Agranulozytose, Methämoglobinämie, Hypersplenismus, sekundäre Polyglobulie)
7 Band Innere Medizin
41
D80-D90
Bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
D83
Variabler Immundefekt [common variable immunodeficiency]
D84
Sonstige Immundefekte
D86
Sarkoidose
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.2.7.10
D90
Immunkompromittierung nach Bestrahlung, Chemotherapie und sonstigen immunsuppressiven Maßnahmen
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.1.2, 7 Kap. 8.2.2.1
E00-E07
Krankheiten der Schilddrüse
42 43
44
45
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.2.4.2 (z.B. Hereditäres Quincke-Ödem)
(z.B. Endemische Struma, Hypothyreose, Hyperthyreose, Thyreoiditis)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.2.7.9 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
E10-E14
Diabetes mellitus
E10
Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-1-Diabetes]
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
E11
Nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-2-Diabetes]
7 Band Innere Medizin
E14
Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
E15-E16
Sonstige Störungen der Blutglukose-Regulation und der inneren Sekretion des Pankreas
E20-E35
Krankheiten sonstiger endokriner Drüsen
E21
Hyperparathyreoidismus und sonstige Krankheiten der Nebenschilddrüse
E23
Unterfunktion und andere Störungen der Hypophyse
(z.B. Hypoglykämie)
7 Band Innere Medizin 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.3 7 Band Innere Medizin
(z.B. Hypopituitarismus, Diabetes insipidus)
7 Band Innere Medizin
E24
Cushing-Syndrom
7 Band Innere Medizin
E25
Adrenogenitale Störungen
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
E26
Hyperaldosteronismus
(z.B. Conn-Syndrom)
7 Band Innere Medizin
E27
Sonstige Krankheiten der Nebenniere
(z.B. Nebennierenrinden-Insuffizienz)
7 Band Innere Medizin
E28
Ovarielle Dysfunktion
E29
Testikuläre Dysfunktion
E30
Pubertätsstörungen, anderenorts nicht klassifiziert
E31
Polyglanduläre Dysfunktion
E34
Sonstige endokrine Störungen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Pubertas praecox, Pubertas tarda)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Innere Medizin
(z.B. Karzinoid-Syndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche
46
E40-E46
Mangelernährung
47
E50-E64
Sonstige alimentäre Mangelzustände
48
E65-E68
Adipositas und sonstige Überernährung
E66
Adipositas
E70-E90
Stoffwechselstörungen
E70
Störungen des Stoffwechsels aromatischer Aminosäuren
E78
Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
E79
Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels
7 Band Innere Medizin
E80
Störungen des Porphyrin- und Bilirubinstoffwechsels
7 Band Innere Medizin
E83
Störungen des Mineralstoffwechsels
E84
Zystische Fibrose
49
(z.B. Vitamin-D-Mangel)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Phenylketonurie)
(z.B. Hämochromatose)
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
XIV
50
Gegenstandskatalog
F00-F09
Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
F00
Demenz bei Alzheimer-Krankheit
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.5.8 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.5.8
F01
Vaskuläre Demenz
F02
Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
F05
Delir, nicht durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingt
F06
Andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit
(z.B. Organische Halluzinose)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F07
Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns
(z.B. Organische Persönlichkeitsstörung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
51
F10-F19
Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
(z.B. Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Opioide und Cannabinoide, Entzugssyndrom mit Delir)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.8
52
F20-F29
Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
F20
Schizophrenie
7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F22
Anhaltende wahnhafte Störungen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F25
Schizoaffektive Störungen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F30-F39
Affektive Störungen
F31
Bipolare affektive Störung
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F32
Depressive Episode
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F33
Rezidivierende depressive Störung
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F34
Anhaltende affektive Störungen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F40-F48
Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F40
Phobische Störungen
F41
Andere Angststörungen
F42
Zwangsstörung
F43
Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen
F44
Dissoziative Störungen [Konversionsstörungen]
53
54
55
56
F45
Somatoforme Störungen
F50-F59
Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
F50
Essstörungen
F51
Nichtorganische Schlafstörungen
F52
Sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit
F54
Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
F60-F69
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F60
Spezifische Persönlichkeitsstörungen
(z.B. bei Creutzfeldt-Jacob-Krankheit, HIV-Krankheit)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psycosomatik
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik (z.B. Panikstörung, Generalisierte Angststörung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.8 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
(z.B. Akute Belastungsreaktion, Posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörungen)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik (z.B. Hypochrondrische Störung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
(z.B. Anorexia nervosa, Bulimia nervosa)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche
(z.B. Erektile Dysfunktion)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 8.2.11.3 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
(z.B. Dissoziale Persönlichkeitsstörung, Emotional instabile Persönlichkeitsstörung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
57
F70-F79
Intelligenzminderung
58
F80-F89
Entwicklungsstörungen
59
F90-F98
Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
F90
Hyperkinetische Störungen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F91
Störungen des Sozialverhaltens
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
F93
Emotionale Störungen des Kindesalters
F94
Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
F95
Ticstörungen
F98
Andere Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
(z.B. des Sprechens und der Sprache, schulischer Fertigkeiten; Frühkindlicher Autismus)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik (z.B. Elektiver Mutismus)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
(z.B. Nichtorganische Enuresis)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
XV Gegenstandskatalog
G00-G09
Entzündliche Krankheiten des Zentralnervensystems
61
G10-G13
Systematrophien, die vorwiegend das Zentralnervensystem betreffen
G10
Chorea Huntington
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Grundlagen
G11
Hereditäre Ataxie
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G12
Spinale Muskelatrophie und verwandte Syndrome
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G20-G26
Extrapyramidale Krankheiten und Bewegungsstörungen
G20
Primäres Parkinson-Syndrom
G21
Sekundäres Parkinson-Syndrom
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.5.8 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G23
Sonstige degenerative Krankheiten der Basalganglien
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
62
(z.B. Meningitis, Enzephalitis, Myelitis, Enzephalomyelitis, Intrakranielle und intraspinale Abszesse und Granulome)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
60
(z.B. Demenz mit Lewy-Körperchen bei Parkinson-Syndrom)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.5.8 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G24
Dystonie
G25
Sonstige extrapyramidale Krankheiten und Bewegungsstörungen
63
G30-G32
Sonstige degenerative Krankheiten des Nervensystems
G30
Alzheimer-Krankheit
64
G35-G37
Demyelinisierende Krankheiten des Zentralnervensystems
G35
Multiple Sklerose [Encephalomyelitis disseminata]
G40-G47
Episodische und paroxysmale Krankheiten des Nervensystems
G40
Epilepsie
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.3 7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G41
Status epilepticus
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.3 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
65
66
67
68
(z.B. Restless-Legs-Syndrom)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.5.8
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G43
Migräne
G44
Sonstige Kopfschmerzsyndrome
G45
Zerebrale transitorische Ischämie und verwandte Syndrome
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G46
Zerebrale Gefäßsyndrome bei zerebrovaskulären Krankheiten
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.3 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
(z.B. Cluster-Kopfschmerz, Vasomotorischer Kopfschmerz, Spannungskopfschmerz, Chronischer posttraumatischer Kopfschmerz, Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 8.1.7.5
G47
Schlafstörungen
G50-G59
Krankheiten von Nerven, Nervenwurzeln und Nervenplexus
G50
Krankheiten des N. trigeminus [V. Hirnnerv]
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G51
Krankheiten des N. facialis [VII. Hirnnerv]
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G52
Krankheiten sonstiger Hirnnerven
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G54
Krankheiten von Nervenwurzeln und Nervenplexus
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G56
Mononeuropathien der oberen Extremität
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G57
Mononeuropathien der unteren Extremität
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G60-G64
Polyneuropathien und sonstige Krankheiten des peripheren Nervensystems
G61
Polyneuritis
G62
Sonstige Polyneuropathien
(z.B. Alkoholneuropathie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G63
Polyneuropathie bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
(z.B. Diabetische Polyneuropathie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G70-G73
Krankheiten im Bereich der neuromuskulären Synapse und des Muskels
G70
Myasthenia gravis und sonstige neuromuskuläre Krankheiten
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
XVI
69
70
Gegenstandskatalog
G71
Primäre Myopathien
(z.B. Muskeldystrophien, Myotone Syndrome)
7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G72
Sonstige Myopathien
(z.B. Arzneimittelinduzierte Myopathie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 8.1.7.5 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
G80-G83
Zerebrale Lähmung und sonstige Lähmungssyndrome
G80
Infantile Zerebralparese
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
G81
Hemiparese und Hemiplegie
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G82
Paraparese und Paraplegie, Tetraparese und Tetraplegie
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G83
Sonstige Lähmungssyndrome
(z.B. Cauda-equina-Syndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G90-G99
Sonstige Krankheiten des Nervensystems
G90
Krankheiten des autonomen Nervensystems
(z.B. Multisystem-Atrophie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
G91
Hydrozephalus
(z.B. Normaldruckhydozephalus)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G95
Sonstige Krankheiten des Rückenmarkes
(z.B. Syringomyelie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
H00-H06
Affektionen des Augenlides, des Tränenapparates und der Orbita
H00
Hordeolum und Chalazion
H02
Sonstige Affektionen des Augenlides
H04
Affektionen des Tränenapparates
72
H10-H13
Affektionen der Konjunktiva
H10
Konjunktivitis
73
H15-H22
Affektionen der Sklera, der Hornhaut, der Iris und des Ziliarkörpers
H15
Affektionen der Sklera
H16
Keratitis
H18
Sonstige Affektionen der Hornhaut
H20
Iridozyklitis
H22
Affektionen der Iris und des Ziliarkörpers bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
71
74
75
H25-H28
Affektionen der Linse
H25
Cataracta senilis
H26
Sonstige Kataraktformen
H30-H36
Affektionen der Aderhaut und der Netzhaut
H30
Chorioretinitis
H32
Chorioretinale Affektionen bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Ektropium, Entropium, Ptosis)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
(z.B. Skleritis, Episkleritis)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
(z.B. Keratokonus)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
(z.B. Iridozyklitis bei Zoster, bei Spondylitis ankylopoetica)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Cataracta traumatica)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
(z.B. bei Toxoplasmose)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H33
Netzhautablösung und Netzhautriss
H34
Netzhautgefäßverschluss
H35
Sonstige Affektionen der Netzhaut
(z.B. Hypertensive Retinopathie, Retinopathia praematurorum, Altersbedingte Makuladegeneration [AMD], Retinopathia pigmentosa)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H36
Affektionen der Netzhaut bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
(z.B. Diabetische Retinopathie, Atherosklerotische Retinopathie)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
76
H40-H42
Glaukom
77
H43-H45
Affektionen des Glaskörpers und des Augapfels
H43
Affektionen des Glaskörpers
(z.B. Glaskörperblutung)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H44
Affektionen des Augapfels
(z.B. Endophthalmitis, Intraokularer Fremdkörper)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H46-H48
Affektionen des N. opticus und der Sehbahn
H46
Neuritis nervi optici
H47
Sonstige Affektionen des N. opticus [II. Hirnnerv] und der Sehbahn
(z.B. Anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION), arteriosklerotisch)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H48
Affektionen des N. opticus [II. Hirnnerv] und der Sehbahn bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
(z.B. bei Multipler Sklerose)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H49-H52
Affektionen der Augenmuskeln, Störungen der Blickbewegungen sowie Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehler
H49
Strabismus paralyticus
H50
Sonstiger Strabismus
78
79
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Strabismus concomitans)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
XVII Gegenstandskatalog
H52
Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehler
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
80
H53-H54
Sehstörungen und Blindheit
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
81
H60-H62
Krankheiten des äußeren Ohres
H60
Otitis externa
H65-H75
Krankheiten des Mittelohres und des Warzenfortsatzes
H65
Nichteitrige Otitis media
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H66
Eitrige und nicht näher bezeichnete Otitis media
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H68
Entzündung und Verschluß der Tuba auditiva
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H70
Mastoiditis und verwandte Zustände
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H71
Cholesteatom des Mittelohres
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H72
Trommelfellperforation
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H80-H83
Krankheiten des Innenohres
H80
Otosklerose
H81
Störungen der Vestibularfunktion
(z.B. Ménière-Krankheit)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H83
Sonstige Krankheiten des Innenohres
(z.B. Lärmschwerhörigkeit)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 5.6.1.1 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeit- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
82
83
84
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
H90-H95
Sonstige Krankheiten des Ohres
H90
Hörverlust durch Schalleitungs- oder Schallempfindungsstörung
(z.B. Angeborene Taubheit)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
H91
Sonstiger Hörverlust
(z.B. Altersschwerhörigkeit)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.4.8 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
85
I00-I02
Akutes rheumatisches Fieber
86
I05-I09
Chronische rheumatische Herzkrankheiten
I05
Rheumatische Mitralklappenkrankheiten
I06
Rheumatische Aortenklappenkrankheiten
I10-I15
Hypertonie [Hochdruckkrankheit]
I10
Essentielle (primäre) Hypertonie
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche
I11
Hypertensive Herzkrankheit
7 Band Innere Medizin
I12
Hypertensive Nierenkrankheit
7 Band Innere Medizin
I15
Sekundäre Hypertonie
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen
I20-I25
Ischämische Herzkrankheiten
I20
Angina pectoris
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I21
Akuter Myokardinfarkt
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.2
I22
Rezidivierender Myokardinfarkt
7 Band Innere Medizin
I25
Chronische ischämische Herzkrankheit
7 Band Innere Medizin
I26-I28
Pulmonale Herzkrankheit und Krankheiten des Lungenkreislaufes
I26
Lungenembolie
87
88
89
90
7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Cor pulmonale)
7 Band Innere Medizin
I27
Sonstige pulmonale Herzkrankheiten
I30-I52
Sonstige Formen der Herzkrankheit
I30
Akute Perikarditis
I31
Sonstige Krankheiten des Perikards
I34
Nichtrheumatische Mitralklappenkrankheiten
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I35
Nichtrheumatische Aortenklappenkrankheiten
7 Band Innere Medizin
I38
Endokarditis, Herzklappe nicht näher bezeichnet
7 Band Innere Medizin
I39
Endokarditis und Herzklappenkrankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
7 Band Innere Medizin
I40
Akute Myokarditis
7 Band Innere Medizin
I41
Myokarditis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin (z.B. Chronische Perikarditis)
7 Band Innere Medizin
XVIII
91
92
93
94
Gegenstandskatalog
I42
Kardiomyopathie
7 Band Innere Medizin
I44
Atrioventrikulärer Block und Linksschenkelblock
7 Band Innere Medizin
I45
Sonstige kardiale Erregungsleitungsstörungen
(z.B. Rechtsschenkelblock, PräexitationsSyndrom)
7 Band Innere Medizin
I46
Herzstillstand
(z.B. Plötzlicher Herztod)
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.6
I47
Herzstillstand
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Innere Medizin
I48
Vorhofflattern und Vorhofflimmern
I49
Sonstige kardiale Arrhythmien
I50
Herzinsuffizienz
I60-I69
Zerebrovaskuläre Krankheiten
I60
Subarachnoidalblutung
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I61
Intrazerebrale Blutung
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I62
Sonstige nichttraumatische intrakranielle Blutung
I63
Hirninfarkt
I65
Verschluss und Stenose präzerebraler Arterien ohne resultierenden Hirninfarkt
I66
Verschluss und Stenose zerebraler Arterien ohne resultierenden Hirninfarkt
I67
Sonstige zerebrovaskuläre Krankheiten
(z.B. Kammerflimmern, Sick-SinusSyndrom)
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.2 7 Band Innere Medizin
(z.B. Spontane subarachnoidale Blutung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
(z.B. Basilaristhrombose)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Hirnatherosklerose, Hirnvenenthrombose)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
I69
Folgen einer zerebrovaskulären Krankheit
I70-I79
Krankheiten der Arterien, Arteriolen und Kapillaren
I70
Atherosklerose
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche
I71
Aortenaneurysma und -dissektion
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
I72
Sonstiges Aneurysma
(z.B. Aneurysma der A. carotis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
I73
Sonstige periphere Gefäßkrankheiten
(z.B. Raynaud-Syndrom, Thrombangiitis obliterans, Claudicatio intermittens)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I74
Arterielle Embolie und Thrombose
I80-I89
Krankheiten der Venen, der Lymphgefäße und der Lymphknoten, anderenorts nicht klassifiziert
I80
Phlebitis und Thrombophlebitis
7 Band Innere Medizin 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
I81
Pfortaderthrombose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
I82
Sonstige venöse Embolie und Thrombose
(z.B. Thrombophilie wie Protein-S-Mangel, Protein-C-Mangel, APC-Resistenz)
7 Band Innere Medizin
I83
Varizen der unteren Extremitäten
(z.B. Ulcus cruris venosum)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
I84
Hämorrhoiden
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I85
Ösophagusvarizen
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I86
Varizen sonstiger Lokalisationen
(z.B. Magenvarizen, Varikozele)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
I87
Sonstige Venenkrankheiten
(z.B. Postthrombotisches Syndrom, Venöse Insuffizienz)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin
I88
Unspezifische Lymphadenitis
I89
Sonstige nichtinfektiöse Krankheiten der Lymphgefäße und Lymphknoten
J00-J06
Akute Infektionen der oberen Atemwege
J00
Akute Rhinopharyngitis [Erkältungsschnupfen]
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J01
Akute Sinusitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J02
Akute Pharyngitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J03
Akute Tonsillitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J04
Akute Laryngitis und Tracheitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Lymphödem)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin
XIX Gegenstandskatalog
J05
Akute obstruktive Laryngitis [Krupp] und Epiglottitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
J06
Akute Infektionen an mehreren oder nicht näher bezeichneten Lokalisationen der oberen Atemwege
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche (z.B. Grippaler Infekt) 7 Kap. 8.2.10.3
95
J10-J18
Grippe und Pneumonie
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Grundlagen
96
J20-J22
Sonstige akute Infektionen der unteren Atemwege
J20
Akute Bronchitis
J21
Akute Bronchiolitis
97
98
99
100
101
102
103
7 Band Innere Medizin (z.B. RSV-Infektion)
7 Band Innere Medizin 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Grundlagen
J30-J39
Sonstige Krankheiten der oberen Atemwege
J30
Vasomotorische und allergische Rhinopathie
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J31
Chronische Rhinitis, Rhinopharyngitis und Pharyngitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J32
Chronische Sinusitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J33
Nasenpolyp
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
J34
Sonstige Krankheiten der Nase und der Nasennebenhöhlen
J35
Chronische Krankheiten der Gaumen- und Rachenmandeln
J38
Krankheiten der Stimmlippen und des Kehlkopfes, anderenorts nicht klassifiziert
J40-J47
Chronische Krankheiten der unteren Atemwege
J41
Einfache und schleimig-eitrige chronische Bronchitis
7 Band Innere Medizin
J43
Emphysem
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
J44
Sonstige chronische obstruktive Lungenkrankheit
(z.B. Nasenfurunkel)
7 Band Chirurgie, Orthopädie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. Stimmlippenknötchen)
(z.B. COPD)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Innere Medizin
J45
Asthma bronchiale
7 Band Innere Medizin
J46
Status asthmaticus
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.1 7 Band Innere Medizin
J47
Bronchiektasen
J60-J70
Lungenkrankheiten durch exogene Substanzen
J61
Pneumokoniose durch Asbest und sonstige anorganische Fasern
(Asbestose)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Innere Medizin
J62
Pneumokoniose durch Quarzstaub
(z.B. Silikose)
7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
J67
Allergische Alveolitis durch organischen Staub
(z.B. Farmerlunge)
7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
J80-J84
Sonstige Krankheiten der Atmungsorgane, die hauptsächlich das Interstitium betreffen
J81
Lungenödem
J84
Sonstige interstitielle Lungenkrankheiten
J85-J86
Purulente und nekrotisierende Krankheitszustände der unteren Atemwege
J86
Pyothorax
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Grundlagen (z.B. Hamman-Rich-Syndrom)
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
J90-J94
Sonstige Krankheiten der Pleura
J90
Pleuraerguss, anderenorts nicht klassifiziert
J91
Pleuraerguß bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
7 Band Innere Medizin
J93
Pneumothorax
7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.1 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
J95-J99
Sonstige Krankheiten des Atmungssystems
J98
Sonstige Krankheiten der Atemwege
(z.B. Exsudative Pleuritis)
(z.B. Atelektase, Interstitielles Emphysem, Mediastinitis)
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin
XX
104
105
106
107
108
109
110
111
Gegenstandskatalog
K00-K14
Krankheiten der Mundhöhle, der Speicheldrüsen und der Kiefer
K10
Sonstige Krankheiten der Kiefer
(z.B. Kieferosteomyelitis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K11
Krankheiten der Speicheldrüsen
(z.B. Sialolithiasis)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
K12
Stomatitis und verwandte Krankheiten
(z.B. Rezidivierende orale Aphthen)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
K13
Sonstige Krankheiten der Lippe und der Mundschleimhaut
(z.B. Cheilitis, Leukoplakie)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
K20-K31
Krankheiten des Ösophagus, des Magens und des Duodenums
K20
Ösophagitis
7 Band Innere Medizin
K21
Gastroösophageale Refluxkrankheit
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
K22
Sonstige Krankheiten des Ösophagus
K25
Ulcus ventriculi
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
K26
Ulcus duodeni
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbetis- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
K29
Gastritis und Duodenitis
7 Band Innere Medizin
K30
Dyspepsie
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 8.2.4.3
K35-K38
Krankheiten der Appendix
K35
Akute Appendizitis
K40-K46
Hernien
K40
Hernia inguinalis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K41
Hernia femoralis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K42
Hernia umbilicalis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K43
Hernia ventralis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K44
Hernia diaphragmatica
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K50-K52
Nichtinfektiöse Enteritis und Kolitis
K50
Crohn-Krankheit [Enteritis regionalis] [Morbus Crohn]
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K51
Colitis ulcerosa
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Erworbene Divertikel, Mallory-WeissSyndrom, Perforation)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthiopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K55-K63
Sonstige Krankheiten des Darmes
K55
Gefäßkrankheiten des Darmes
(z.B. Mesenterialinfarkt, Ischämische Kolitis)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie
K56
Paralytischer Ileus und mechanischer Ileus ohne Hernie
(z.B. Invagination, Bridenileus)
7 Band Innere Medizin 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K57
Divertikulose des Darmes
7 Band Innere Medizin 7 Band Innere Medizin 7 Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K58
Reizdarmsyndrom
7 Band Innere Medizin
K60
Fissur und Fistel in der Anal- und Rektalregion
7 Band Innere Medizin
K61
Abszess in der Anal- und Rektalregion
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K62
Sonstige Krankheiten des Anus und des Rektums
(z.B. Analpolyp, Analprolaps)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
K63
Sonstige Krankheiten des Darmes
(z.B. Darmabszess, Darmfistel)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K65-K67
Krankheiten des Peritoneums
K65
Peritonitis
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K70-K77
Krankheiten der Leber
K70
Alkoholische Leberkrankheit
7 Band Innere Medizin
K71
Toxische Leberkrankheit
7 Band Innere Medizin
K72
Leberversagen, anderenorts nicht klassifiziert
7 Band Innere Medizin
K74
Fibrose und Zirrhose der Leber
7 Band Grundlagen 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
K75
Sonstige entzündliche Leberkrankheiten
(z.B. Leberabszess, Autoimmune Hepatitis)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K76
Sonstige Krankheiten der Leber
(z.B. Fettleber)
7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
XXI Gegenstandskatalog
112
113
114
115
116
117
118
119
120
K80-K87
Krankheiten der Gallenblase, der Gallenwege und des Pankreas
K80
Cholelithiasis
K81
Cholezystitis
K83
Sonstige Krankheiten der Gallenwege
K85
Akute Pankreatitis
K86
Sonstige Krankheiten des Pankreas
K90-K93
Sonstige Krankheiten des Verdauungssystems
K90
Intestinale Malabsorption
L00-L08
Infektionen der Haut und der Unterhaut
L00
Staphylococcal scalded skin syndrome [SSS-Syndrom]
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen
L01
Impetigo
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L02
Hautabszess, Furunkel und Karbunkel
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L03
Phlegmone
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L04
Akute Lymphadenitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L05
Pilonidalzyste
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L08
Sonstige lokale Infektionen der Haut und der Unterhaut
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Gallengangsverschluss)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Chronische Pankreatitis)
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Zöliakie)
7 Band Innere Medizin 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. Pyodermie, Erythrasma)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L10-L14
Bullöse Dermatosen
L10
Pemphiguskrankheiten
L12
Pemphigoidkrankheiten
L13
Sonstige bullöse Dermatosen
L20-L30
Dermatitis und Ekzem
L20
Atopisches [endogenes] Ekzem
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L21
Seborrhoisches Ekzem
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L22
Windeldermatitis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
L23
Allergische Kontaktdermatitis
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L24
Toxische Kontaktdermatitis
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L27
Dermatitis durch oral, enteral oder parenteral aufgenommene Substanzen
(z.B. Arzneimittelexanthem)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 8.2.8.1 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
(z.B. Nummuläres Ekzem)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Dermatitis herpetiformis Duhring)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L30
Sonstige Dermatitis
L40-L45
Papulosquamöse Hautkrankheiten
L40
Psoriasis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L41
Parapsoriasis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L42
Pityriasis rosea
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L43
Lichen ruber planus
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L50-L54
Urtikaria und Erythem
L50
Urtikaria
L51
Erythema exsudativum multiforme
L52
Erythema nodosum
L55-L59
Krankheiten der Haut und der Unterhaut durch Strahleneinwirkung
L55
Dermatitis solaris acuta
L56
Sonstige akute Hautveränderungen durch Ultraviolettstrahlen
(z.B. Polymorphe Lichtdermatose)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 5.4.1
L57
Hautveränderungen durch chronische Exposition gegenüber nichtionisierender Strahlung
(z.B. Aktinische Keratose)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 5.4.1
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Toxische epidermale Nekrolyse)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 5.4.1
L60-L75
Krankheiten der Hautanhangsgebilde
L60
Krankheiten der Nägel
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L63
Alopecia areata
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L64
Alopecia androgenetica
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
XXII
Gegenstandskatalog
L70
121
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Akne
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L71
Rosazea
L72
Follikuläre Zysten der Haut und der Unterhaut
(z.B. Atherom)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L73
Sonstige Krankheiten der Haarfollikel
(z.B. Hidradenitis suppurativa)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 8.2.11.1
L80-L99
Sonstige Krankheiten der Haut und der Unterhaut
L80
Vitiligo
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L82
Seborrhoische Keratose
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L83
Acanthosis nigricans
L85
Sonstige Epidermisverdickung
L88
Pyoderma gangraenosum
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L89
Dekubitalgeschwür
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.4.3 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Cornu cutaneum, Akrale Hyperkeratosen)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L90
Atrophische Hautkrankheiten
(z.B. Lichen sclerosus et atrophicus, Narben, Striae cutis atrophicae)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L92
Granulomatöse Krankheiten der Haut und der Unterhaut
(z.B. Granuloma anulare, Nekrobiosis lipoidica)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
L93
Lupus erythematodes
L94
Sonstige lokalisierte Krankheiten des Bindegewebes
M00-M03
Infektiöse Arthropathien
M00
Eitrige Arthritis
M01
Direkte Gelenkinfektionen bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
(z.B. Arthritis bei Lyme-Krankheit)
7 Band Innere Medizin
M02
Reaktive Arthritiden
(z.B. Reiter-Krankheit)
7 Band Innere Medizin
M03
Postinfektiöse und Reaktive Arthritiden bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
123
M05-M14
Entzündliche Polyarthropathien
124
M15-M19
Arthrose
M15
Polyarthrose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M16
Koxarthrose [Arthrose des Hüftgelenkes]
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M17
Gonarthrose [Arthrose des Kniegelenkes]
M19
Sonstige Arthrose
M20-M25
Sonstige Gelenkkrankheiten
M20
122
125
126
127
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Sclerodermia circumscripta)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Chronische Polyarthritis, Arthritis psoriatica, Juvenile Arthritis, Gicht, Begleitarthropathien)
7 Band Innere Medizin 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Omarthrose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Erworbene Deformitäten der Finger und Zehen
(z.B. Hallux valgus)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M21
Sonstige erworbene Deformitäten der Extremitäten
(z.B. Fallhand)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M22
Krankheiten der Patella
M23
Binnenschädigung des Kniegelenkes [internal derangement]
(z.B. Meniskusschädigung)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M24
Sonstige näher bezeichnete Gelenkschädigungen
(z.B. Freier Gelenkkörper)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M25
Sonstige Gelenkkrankheiten, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Hämarthros, Gelenkinstabilität, Gelenksteife)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M30-M36
Systemkrankheiten des Bindegewebes
M30
Panarteriitis nodosa und verwandte Zustände
(z.B. Kawasaki-Krankheit)
7 Band Innere Medizin 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
M31
Sonstige nekrotisierende Vaskulopathien
(z.B. Hypersensitivitätsangiitis, Riesenzellarteriitis)
7 Band Innere Medizin
M32
Systemischer Lupus erythematodes
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
M33
Dermatomyositis-Polymyositis
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
M34
Systemische Sklerose
M35
Sonstige Krankheiten mit Systembeteiligung des Bindegewebes
M40-M43
Deformitäten der Wirbelsäule und des Rückens
M40
Kyphose und Lordose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M41
Skoliose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde (z.B. Polymyalgia rheumatica)
7 Band Innere Medizin
XXIII Gegenstandskatalog
128
129
M42
Osteochondrose der Wirbelsäule
M43
Sonstige Deformitäten der Wirbelsäule und des Rückens
M45-M49
Spondylopathien
M45
Spondylitis ankylosans
M46
Sonstige entzündliche Spondylopathien
M47
Spondylose
M48
Sonstige Spondylopathien
M50-M54
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens
M50 M51
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Spondylolisthesis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Spondylodiszitis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Lumbale Spinalstenose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Zervikale Bandscheibenschäden
(z.B. zervikale Myelopathie)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Sonstige Bandscheibenschäden
(z.B. Lumbaler Bandscheibenvorfall)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M53
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Zervikobrachial-Syndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Lumboischialgie)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M54
Rückenschmerzen
M60-M63
Krankheiten der Muskeln
M60
Myositis
7 Band Innere Medizin
M61
Kalzifikation und Ossifikation von Muskeln
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
131
M65-M68
Krankheiten der Synovialis und der Sehnen
M65
Synovitis und Tenosynovitis
132
M70-M79
Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes
M70
M72
130
133
134
(z.B. Schnellender Finger)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Krankheiten des Weichteilgewebes im Zusammenhang mit Beanspruchung, Überbeanspruchung und Druck
(z.B. Bursitis praepatellaris)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
Fibromatosen
(z.B. Nekrotisierende Fasziitis)
7 Band Grundlagen 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M75
Schulterläsionen
(z.B. Läsionen der Rotatorenmanschette)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M76
Enthesopathien der unteren Extremität mit Ausnahme des Fußes
(z.B. Tractus-iliotibialis-Syndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M77
Sonstige Enthesopathien
(z.B. Epicondylitis radialis humeri)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M79
Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Fibromyalgie, Neuralgie)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
M80-M85
Veränderungen der Knochendichte und -struktur
M80
Osteoporose mit pathologischer Fraktur
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.5.6
M81
Osteoporose ohne pathologische Fraktur
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 6.5.6
M85
Sonstige Veränderungen der Knochendichte und -struktur
(z.B. Knochenzyste)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M86-M90
Sonstige Osteopathien
M86
Osteomyelitis
M87
Knochennekrose
M88
Osteodystrophia deformans [Paget-Krankheit]
M89
Sonstige Knochenkrankheiten
(z.B. Komplexes regionales Schmerzsyndrom)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
135
M91-M94
Chondropathien
(z.B. M. Perthes, Osteochondrosis dissecans)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
136
M95-M99
Sonstige Krankheiten des Muskel-SkelettSystems und des Bindegewebes
M99
Biomechanische Funktionsstörungen, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Knöcherne Stenose des Spinalkanals, Stenose des Spinalkanals durch Bandscheiben)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
137
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Idiopathische aseptische Knochennekrose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N00-N08
Glomeruläre Krankheiten
N00
Akutes nephritisches Syndrom
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N01
Rapid-progressives nephritisches Syndrom
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N02
Rezidivierende und persistierende Hämaturie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N03
Chronisches nephritisches Syndrom
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N04
Nephrotisches Syndrom
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
XXIV
138
139
140
141
142
143
144
145
146
Gegenstandskatalog
N10-N16
Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten
N10
Akute tubulointerstitielle Nephritis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N11
Chronische tubulointerstitielle Nephritis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N13
Obstruktive Uropathie und Refluxuropathie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N15
Sonstige tubulointerstitielle Nierenkrankheiten
(z.B. Nierenkarbunkel, Paranephritis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N17-N19
Niereninsuffizienz
N17
Akutes Nierenversagen
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
N18
Chronische Niereninsuffizienz
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 8.2.1
N20-N23
Urolithiasis
N20
Nieren- und Ureterstein
N21
Stein in den unteren Harnwegen
N25-N29
Sonstige Krankheiten der Niere und des Ureters
N26
Schrumpfniere, nicht näher bezeichnet
N28
Sonstige Krankheiten der Niere und des Ureters, anderenorts nicht klassifiziert
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin (z.B. Blasenstein)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin (z.B. Niereninfarkt)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
N30-N39
Sonstige Krankheiten des Harnsystems
N30
Zystitis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N31
Neuromuskuläre Dysfunktion der Harnblase, anderenorts nicht klassifiziert
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N32
Sonstige Krankheiten der Harnblase
N34
Urethritis und urethrales Syndrom
N35
Harnröhrenstriktur
N39
Sonstige Krankheiten des Harnsystems
(z.B. Blasenhalsobstruktion)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Stressinkontinenz, Urgeinkontinenz, Harnwegsinfektion, Urosepsis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
N40-N51
Krankheiten der männlichen Genitalorgane
N40
Prostatahyperplasie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N41
Entzündliche Krankheiten der Prostata
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N43
Hydrozele und Spermatozele
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N44
Hodentorsion und Hydatidentorsion
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N45
Orchitis und Epididymitis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N46
Sterilität beim Mann
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N47
Vorhauthypertrophie, Phimose und Paraphimose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N48
Sonstige Krankheiten des Penis
(z.B. Balanoposthitis, Priapismus, Impotenz organischen Usprungs, Penisfraktur)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N49
Entzündliche Krankheiten der männlichen Genitalorgane, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Fournier-Gangrän)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Fibrozystische Mastopathie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N60-N64
Krankheiten der Mamma [Brustdrüse]
N60
Gutartige Mammadysplasie
N61
Entzündliche Krankheiten der Mamma [Brustdrüse]
N70-N77
Entzündliche Krankheiten der weiblichen Beckenorgane
N70
Salpingitis und Oophoritis
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N71
Entzündliche Krankheit des Uterus, ausgenommen der Zervix
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N72
Entzündliche Krankheit der Cervix uteri
N73
Sonstige entzündliche Krankheiten im weiblichen Becken
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie (z.B. Parametritis, Pelveoperitonitis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N75
Krankheiten der Bartholin-Drüsen
N76
Sonstige entzündliche Krankheit der Vagina und Vulva
N80-N98
Nichtentzündliche Krankheiten des weiblichen Genitaltraktes
N80
Endometriose
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N81
Genitalprolaps bei der Frau
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. Akute Kolpitis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
XXV Gegenstandskatalog
(z.B. Glanduläre Hyperplasie, Adenomatöse Hyperplasie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N85
Sonstige nichtentzündliche Krankheiten des Uterus, ausgenommen der Zervix
N86
Erosion und Ektropium der Cervix uteri
N87
Dysplasie der Cervix uteri
N89
Sonstige nichtentzündliche Krankheiten der Vagina
(z.B. Hochgradige Dysplasie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N90
Sonstige nichtentzündliche Krankheiten der Vulva und des Perineums
(z.B. Atrophie der Vulva)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N91
Ausgebliebene, zu schwache oder zu seltene Menstruation
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N92
Zu starke, zu häufige oder unregelmäßige Menstruation
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N94
Schmerz und andere Zustände im Zusammenhang mit den weiblichen Genitalorganen und dem Menstruationszyklus
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. Dyspareunie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N95
Klimakterische Störungen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N97
Sterilität der Frau
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O00-O08
Schwangerschaft mit abortivem Ausgang
O00
Extrauteringravidität
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O01
Blasenmole
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O03
Spontanabort
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O10-O16
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie während der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes
O14
Gestationshypertonie [schwangerschaftsinduziert] mit bedeutsamer Proteinurie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O15
Eklampsie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O20-O29
Sonstige Krankheiten der Mutter, die vorwiegend mit der Schwangerschaft verbunden sind
O20
Blutung in der Frühschwangerschaft
O24
Diabetes mellitus in der Schwangerschaft
O26
Betreuung der Mutter bei sonstigen Zuständen, die vorwiegend mit der Schwangerschaft verbunden sind
(z.B. Übermäßige Gewichtszunahme, Herpes gestationis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
150
O30-O48
Betreuung der Mutter im Hinblick auf den Feten und die Amnionhöhle sowie mögliche Entbindungskomplikationen
(z.B. Mehrlingsschwangerschaft, Übertragene Schwangerschaft, Polyhydramnion)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
151
O60-O75
Komplikationen bei Wehentätigkeit und Entbindung
(z.B. Abnorme Wehentätigkeit, Geburtshindernis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
152
O85-O92
Komplikationen, die vorwiegend im Wochenbett auftreten
O91
Infektionen der Mamma [Brustdrüse] im Zusammenhang mit der Gestation
153
O95-O99
Sonstige Krankheitszustände während der Gestationsperiode, die anderenorts nicht klassifiziert sind
(z.B. Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft, Schwangerschaftsdermatosen)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
154
P00-P04
Schädigung des Feten und Neugeborenen durch mütterliche Faktoren und durch Komplikationen bei Schwangerschaft, Wehentätigkeit und Entbindung
(z.B. Schädigung des Kindes durch Placenta praevia)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
155
P05-P08
Störungen im Zusammenhang mit der Schwangerschaftsdauer und dem fetalen Wachstum
P05
Intrauterine Mangelentwicklung und fetale Mangelernährung
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P07
Störungen im Zusammenhang mit kurzer Schwangerschaftsdauer und niedrigem Geburtsgewicht, anderenorts nicht klassifiziert
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
156
P10-P15
Geburtstrauma
157
P20-P29
Krankheiten des Atmungs- und Herz-Kreislaufsystems, die für die Perinatalperiode spezifisch sind
(z.B. Intrauterine Hypoxie, Atemnot-Syndrom und Aspirationssyndrome beim Neugeborenen, Angeborene Pneumonie, Bronchopulmonale Dysplasie bei Frühgeburtlichkeit, Herzrhythmusstörung beim Neugeborenen, Persistierender Fetalkreislauf )
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
158
P35-P39
Infektionen, die für die Perinatalperiode spezifisch sind
(z.B. Angeborene Sepsis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
159
P50-P61
Hämorrhagische und hämatologische Krankheiten beim Feten und Neugeborenen
P53
Hämorrhagische Krankheit beim Feten und Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P55
Hämolytische Krankheit beim Feten und Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
147
148
149
(z.B. Drohender Abort)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
XXVI
160
161
162
Gegenstandskatalog
P57
Kernikterus
P59
Neugeborenenikterus durch sonstige und nicht näher bezeichnete Ursachen
P70-P74
Transitorische endokrine und Stoffwechselstörungen, die für den Feten und das Neugeborene spezifisch sind
P70
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie (z.B. Hyperbilirubinämie bei Frühgeburtlichkeit)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Transitorische Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels, die für den Feten und das Neugeborene spezifisch sind
(z.B. Syndrom des Kindes einer diabetischen Mutter)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Grundlagen
P74
Sonstige transitorische Störungen des Elektrolythaushaltes und des Stoffwechsels beim Neugeborenen
(z.B. Dehydratation beim Neugeborenen)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P75-P78
Krankheiten des Verdauungssystems beim Feten und Neugeborenen
P75
Mekoniumileus
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
P77
Enterocolitis necroticans beim Feten und Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
P90-P96
Sonstige Störungen, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben
P90
Krämpfe beim Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche
P91
Sonstige zerebrale Störungen beim Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P92
Ernährungsprobleme beim Neugeborenen
Q00-Q07
Angeborene Fehlbildungen des Nervensystems
Q05
Spina bifida
Q07
Sonstige angeborene Fehlbildungen des Nervensystems
(z.B. Arnold-Chiari-Syndrom)
164
Q10-Q18
Angeborene Fehlbildungen des Auges, des Ohres, des Gesichtes und des Halses
(z.B. Angeborene Fehlbildungen des Tränenapparats)
165
Q20-Q28
Angeborene Fehlbildungen des Kreislaufsystems
(z.B. Transposition der großen Gefäße, Septumdefekte, Klappenstenosen und Klappeninsuffizienzen, Hypoplastisches Linksherzsyndrom, Offener Ductus Botalli, Aortenisthmusstenose, LungenvenenFehleinmündungen, Hirngefäßaneurysma)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
166
Q30-Q34
Angeborene Fehlbildungen des Atmungssystems
Q30
Angeborene Fehlbildungen der Nase
(z.B. Choanalatresie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
167
Q35-Q37
Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte
168
Q38-Q45
Sonstige angeborene Fehlbildungen des Verdauungssystems
Q39
Angeborene Fehlbildungen des Ösophagus
(z.B. Ösophagusatresie, Ösophagusdivertikeln)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q40
Sonstige angeborene Fehlbildungen des oberen Verdauungstraktes
(z.B. Angeborene hypertrophische Pylorusstenose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Gynäkologie, Pädiatire
Q43
Sonstige angeborene Fehlbildungen des Darmes
(z.B. Meckel-Divertikel, HirschsprungKrankheit)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q50-Q56
Angeborene Fehlbildungen der Genitalorgane
Q51
Angeborene Fehlbildungen des Uterus und der Cervix uteri
(z.B. Uterusaplasie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q52
Sonstige angeborene Fehlbildungen der weiblichen Genitalorgane
(z.B. Hymenalatresie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q53
Nondescensus testis
Q54
Hypospadie
Q55
Sonstige angeborene Fehlbildungen der männlichen Genitalorgane
(z.B. Pendelhoden)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
170
Q60-Q64
Angeborene Fehlbildungen des Harnsystems
(z.B. Nierenzyste, Zystische Nierenkrankheit, Nierenbecken-Abgangsstenose, Megaureter, Ektope Niere, Epispadie, Harnblasenekstrophie)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
171
Q65-Q79
Angeborene Fehlbildungen und Deformitäten des Muskel-Skelett-Systems
Q65
Angeborene Deformitäten der Hüfte
(z.B. Hüftdysplasie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q66
Angeborene Deformitäten der Füße
(z.B. Pes equinovarus congenitus)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
163
169
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
XXVII Gegenstandskatalog
Angeborene Muskel-Skelett-Deformitäten des Kopfes, des Gesichtes, der Wirbelsäule und des Thorax
(z.B. Angeborene Skoliose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q71
Reduktionsdefekte der oberen Extremität
(z.B. Spalthand)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q72
Reduktionsdefekte der unteren Extremität
(z.B. Spaltfuß)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q73
Reduktionsdefekte nicht näher bezeichneter Extremität (en)
(z.B. Dysmelie, Phokomelie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q75
Sonstige angeborene Fehlbildungen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen
(z.B. Kraniosynostose)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q76
Angeborene Fehlbildungen der Wirbelsäule und des knöchernen Thorax
(z.B. Spina bifida occulta, Angeborene Kyphose)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q78
Sonstige Osteochondrodysplasien
(z.B. Osteogenesis imperfecta)
7 Band Grundlagen 7 Band Chirurgie, Prthopädie , Urologie
Q79
Angeborene Fehlbildungen des MuskelSkelett-Systems, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Omphalozele, Gastroschisis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Prthopädie , Urologie
Q67
172
Q80-Q89
Sonstige angeborene Fehlbildungen
Q80
Ichthyosis congenita
Q82
Sonstige angeborene Fehlbildungen der Haut
(z.B. Mastozytosen, Angeborener nichtneoplastischer Nävus)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
Q85
Phakomatosen, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Neurofibromatose)
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Q86
Angeborene Fehlbildungssyndrome durch bekannte äußere Ursachen, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Alkohol-Embryopathie [mit Dysmorphien])
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
173
Q90-Q99
Chromosomenanomalien, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Down-Syndrom, Turner-Syndrom, Klinefelter-Syndrom, Syndrom des fragilen X-Chromosoms)
7 Band Grundlagen
174
R95-R99
Ungenau bezeichnete und unbekannte Todesursachen
R95
Plötzlicher Kindstod
175
S00-S09
Verletzungen des Kopfes
176
S10-S19
Verletzungen des Halses
177
S20-S29
Verletzungen des Thorax
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.4 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
178
S30-S39
Verletzungen des Abdomens, der Lumbosakralgegend, der Lendenwirbelsäule und des Beckens
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
179
S40-S49
Verletzungen der Schulter und des Oberarmes
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
180
S50-S59
Verletzungen des Ellenbogens und des Unterarmes
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
181
S60-S69
Verletzungen des Handgelenkes und der Hand
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
182
S70-S79
Verletzungen der Hüfte und des Oberschenkels
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
183
S80-S89
Verletzungen des Knies und des Unterschenkels
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
184
S90-S99
Verletzungen der Knöchelregion und des Fußes
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
185
T00-T07
Verletzungen mit Beteiligung mehrerer Körperregionen
186
T08-T14
Verletzungen nicht näher bezeichneter Teile des Rumpfes, der Extremitäten oder anderer Körperregionen
(z.B. Wirbelsäulenfraktur, Rückenmarksverletzung ohne Höhenbezeichnung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.3 7 Band Chirurgie, Orthopädie
187
T15-T19
Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung
(z.B. Fremdkörper in den Atemwegen)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.1, 7 Kap. 7.4.1
188
T20-T32
Verbrennungen oder Verätzungen
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.10, 7 Kap. 7.10.6
189
T33-T35
Erfrierungen
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.7 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
190
T36-T50
Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.11 7 Band Grundlagen 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
191
T51-T65
Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Grundlagen
7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin (z.B. Schädel-Hirn-Trauma)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
XXVIII Gegenstandskatalog
192
T66-T78
Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen
T67
Schäden durch Hitze und Sonnenlicht
T68
Hypothermie
T69
Sonstige Schäden durch niedrige Temperatur
T71
Erstickung
T74
Missbrauch von Personen
(z.B. Kindesmisshandlung)
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
T75
Schäden durch sonstige äußere Ursachen
(z.B. Ertrinken, Schäden durch elektrischen Strom)
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.5, 7 Kap. 7.10.9
T78
Unerwünschte Nebenwirkungen, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Anaphylaktischer Schock, Angioneurotisches Ödem, Kuhmilchproteinintoleranz)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.7.2, 7 Kap. 8.2.4.5, 7 Kap. 4.3.3.2 7 Band Dermatologie, HNO, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin 7 Band Grundlagen
T79
Bestimmte Frühkomplikationen eines Traumas, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Luftembolie, Schock, Kompartmentsyndrom)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.3.6, 7 Kap. 7.7.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
193
T80-T88
Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen und medizinischer Behandlung, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Septikämie, Transfusionsreaktion)
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Grundlagen
194
U00-U49
Vorläufige Zuordnungen für Krankheiten mit unklarer Ätiologie
195
U04
Schweres akutes respiratorisches Syndrom [SARS]
196
U80-U85
Infektionserreger mit Resistenzen gegen bestimmte Antibiotika oder Chemotherapeutika
U80
Erreger mit bestimmten Antibiotikaresistenzen, die besondere therapeutische oder hygienische Maßnahmen erfordern
7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.1.2
U82
Mykobakterien mit Resistenz gegen Antituberkulotika (Erstrangmedikamente)
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 4.1.3.3 7 Band Grundlagen
197
V01-X59
Unfälle
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 3.2.3.5 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
198
X60-X84
Vorsätzliche Selbstbeschädigung
7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.8 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
199
X85-Y09
Tätlicher Angriff
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.8 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.7 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin (z.B. Frostbeulen)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin 7 Band Querschnittsbereiche 7 Kap. 7.10.7 7 Band Allgemeinmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
7 Band Grundlagen
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XXXI
Inhaltsverzeichnis 1
1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4
1.3.5 1.3.6
2
Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik . . S. Han Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . Vorraussetzungen epidemiologischer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medizinische Biometrie . . . . . . . . . Biostatistik, Stochastik in der Medizin Medizinische Studien . . . . . . . . . . . Darstellungsverfahren . . . . . . . . . . Biometrie in Forschung und Studium . Medizinische Informatik . . . . . . . . Grundlagen der Signal- und Bildverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . Daten, Information, Wissen, Recall, Präzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen des Internet . . . . . . . . . Telemedizin, Einzug der EDV in Kliniken und Praxis, Universität (Aus-/Fortbildung) . . . . . . . . . . . . . Datensicherheit, ärztliche Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . Dokumentation und Verschlüsselung in der Medizin (ICD) . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
2 2 2 4
. . . . . . .
. . . . . . .
5 6 6 11 12 12 17
. .
17
. . . .
18 18
. .
19
. .
19
. .
20
Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
G. Mayer Geschichte der Medizin . . . . . . . . . . Magische Heilkonzepte . . . . . . . . . . Indische Medizin . . . . . . . . . . . . . . . Chinesische Medizin . . . . . . . . . . . . Medizin in der europäischen Antike . . Medizin im europäischen Mittelalter . . Epidemien: Pest, Syphilis, Cholera und Lungentuberkulose . . . . . . . . . . 2.1.7 Medizin im Zeitalter von Humanismus und Renaissance (ausgehendes 15. und 16. Jh.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.8 17. und 18. Jahrhundert: zwischen Tradition und Aufbruch . . . . . . . . . . 2.1.9 Medizin im 19. Jahrhundert: Beginn der Modernen Medizin . . . . . . 2.1.10 Medizin im 20. Jahrhundert . . . . . . . . 2.1.11 Medizin im Nationalsozialismus . . . . . 2.2 Theorie der Medizin . . . . . . . . . . . . 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6
1
. . . . . .
24 24 24 25 25 28
.
31
.
34
.
35
. 37 . 39 . 42 . 45
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3
Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . Gesundheit – Krankheit . . . . . . . . . . Handlungstheorie (ärztliche Theorie) . . Ethik der Medizin . . . . . . . . . . . . . . Was ist Ethik? . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtigste Ethiktheorien . . . . . . . . . . Fragen und Probleme der Medizinethik
3
Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
. 45 . 45 . 47 . 48 . 48 . 49 51
3.4.2 3.4.3
A. Kümmerle, M. Kümmerle Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . 61 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Entwicklung des Systems der sozialen Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Aufbau und Aufgaben der Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . 63 Ärztliche Körperschaften und Verbände 72 Kassenärztliche Vereinigung (KV) . . . . . 72 Ärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Freie ärztliche Verbände, Berufsverbände 74 Versorgungssysteme . . . . . . . . . . . . . 75 Heil- und Hilfsmittelversorgung . . . . . . 78 Arzneimittelversorgung . . . . . . . . . . . 79 Pflegemanagement . . . . . . . . . . . . . . 79 Rettungs- und Notfallmedizin . . . . . . . 80 Gesundheitsökonomie . . . . . . . . . . . 80 Transparenz und Kostenentwicklung im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . 81 Modelle der Kostenbegrenzung . . . . . . 83 Neue Versorgungsformen . . . . . . . . . . 83
4
Infektiologie, Immunologie . . . . . . . 87
3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.4 3.4.1
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
R. Stock, E. Georgi Infektiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infektiologische Symptome . . . . . . . . Klinische Infektiologie . . . . . . . . . . . Tropenmedizinische Krankheitsbilder . Immunologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Anatomie und Physiologie des Immunsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antigenpräsentation, Regulation der Immunantwort . . . . . . . . . . . . . . . . Abwehr von Krankheitserregern . . . . . Angeborene Immundefekte . . . . . . .
. 88 . 88 . 96 . 99 . 111 . 117 . 117 . 122 . 123 . 124
XXXII
Inhaltsverzeichnis
4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8 4.2.9
Labordiagnose des Immunstatus . . Immunmodulation, Immuntherapie Autoimmunerkrankungen . . . . . . Allergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transplantationsimmunologie . . . .
5
Klinische Umweltmedizin . . . . . . . . 133
5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4 5.7 5.7.1 5.7.2
6
6.1 6.2 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.4.7 6.4.8 6.4.9 6.5 6.5.1
. . . . .
. . . . .
W. Kroukis und K.-P. Schaps Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umweltbedingte Erkrankungen . . . . Multiple-chemical-sensitivity-Syndrom (MCS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sick-building-Syndrom (SBS) . . . . . . . Methoden in der Umweltmedizin . . . Probleme in der Umweltmedizin . . . . Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analysen im biologischen Material . . . Haut und Umwelt . . . . . . . . . . . . . . UV-Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . Photokarzinogenese . . . . . . . . . . . . Chemische Kanzerogenese . . . . . . . . Lunge und Umwelt . . . . . . . . . . . . . Außenluftschadstoffe . . . . . . . . . . . . Innenluftschadstoffe . . . . . . . . . . . . Luftverschmutzung am Arbeitsplatz . . Allergien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umweltbelastung Lärm . . . . . . . . . . Auswirkungen von Lärm . . . . . . . . . . Lärmbekämpfung . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
125 125 127 130 132
. 134 . 134 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136 136 137 138 139 140 141 143 145 147 149 150 151 151 151 152 153 154
Medizin des Alterns und des alten Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 M. Jamour Individuelles Altern . . . . . . . . . . . . . Demographischer Wandel, demographische Alterung . . . . . . . . . Krankheitsmanifestation, Krankheitsfolgen im Alter . . . . . . . . . Geriatrische Syndrome . . . . . . . . . . . Exsikkose, Störungen im Elektrolythaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dysphagie, Malnutrition . . . . . . . . . . . Dekubitalgeschwüre . . . . . . . . . . . . . Inkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stürze, posturale Instabilität, Gangstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . Immobilität, Sarkopenie . . . . . . . . . . . Kognitive Beeinträchtigung und Delirien Sehbehinderungen, Altersschwerhörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iatrogene Schäden . . . . . . . . . . . . . . Häufige Krankheitsbilder im Alter . . . . Herzinsuffizienz. . . . . . . . . . . . . . . . .
6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.5.5 6.5.6 6.5.7 6.5.8 6.5.9 6.6 6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4 6.7 6.7.1 6.7.2 6.7.3
7 7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4
158 158 159 161 161 162 164 164 166 167 169 170 171 173 173
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.6 7.7 7.7.1 7.7.2 7.7.3 7.7.4 7.8 7.9 7.9.1 7.9.2
Schlaganfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arterielle Hypertonie, Vorhofflimmern . . Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . Pneumonie, Harnwegsinfekt . . . . . . . . Osteoporose . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morbus Parkinson . . . . . . . . . . . . . . . Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geriatrisches Management . . . . . . . . Geriatrische Versorgungsstrukturen . . . Geriatrisches Assessment . . . . . . . . . . Interdisziplinäres Team . . . . . . . . . . . . Geriatrische Rehabilitation . . . . . . . . . Spezielle Aspekte im Alter . . . . . . . . . Gesundheitsförderung im Alter . . . . . . Pflegebedürftigkeit, Pflegeversicherung Behandlung unheilbar Kranker, Palliativmedizin, Behandlung Sterbender
173 176 177 178 178 179 181 183 185 185 185 186 188 189 189 190
Notfallmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . U.P. Herrmann, A. Ehrt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notfallmedizinische Diagnostik . . . . . Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . Apparative Untersuchungsmöglichkeiten Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Todesfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . Notfallmedizinische Basisfertigkeiten . . Rettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Triage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherung der Atemwege, Intubation, Beatmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherung der Atemwege . . . . . . . . . . Beatmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intubation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medikamentenapplikation . . . . . . . . . Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Häufig benötigte Notfallmedikamente . . Infusionstherapie . . . . . . . . . . . . . . . Narkose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kardiopulmonale Reanimation . . . . . . Vitalfunktionsstörungen . . . . . . . . . . Störungen der Atmung . . . . . . . . . . . . Störungen der Herz-Kreislauf-Funktion . . Störungen des Bewusstseins . . . . . . . . Störungen der Homöostase . . . . . . . . . Neuropsychiatrische Notfälle . . . . . . . Notfallmedizin bei Schwangeren und Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notfälle in der Schwangerschaft . . . . . . Pädiatrische Notfälle . . . . . . . . . . . . .
193
191
194 194 194 196 197 198 198 199 199 199 199 203 203 203 204 206 206 207 207 210 210 212 212 215 221 224 225 227 227 228
XXXIII Inhaltsverzeichnis
7.10 7.10.1 7.10.2 7.10.3 7.10.4 7.10.5 7.10.6 7.10.7 7.10.8 7.10.9 7.10.10 7.11
8
Traumatologische Notfälle . . Versorgung . . . . . . . . . . . . . Schädel-Hirn-Trauma (SHT) . . Wirbelsäulenverletzung, Rückenmarksverletzung . . . . Thoraxtrauma . . . . . . . . . . . Ertrinken, Beinaheertrinken . . Verbrennung . . . . . . . . . . . . Erfrierung, Unterkühlung . . . . Insolation . . . . . . . . . . . . . . Elektrounfälle, Schäden durch elektrischen Strom . . . . . . . . Verätzungen . . . . . . . . . . . . Intoxikationen . . . . . . . . . .
. . . . . . 230 . . . . . . 230 . . . . . . 231
9
9.1 . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
231 232 232 232 233 234
. . . . . . 234 . . . . . . 234 . . . . . . 234
Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . 239
S. Wohlmann Allgemeine klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . 240 8.1.1 Prinzip der Arzneimitteltherapie . . . . . 240 8.1.2 Quellen der Arzneimittelinformation . . 240 8.1.3 Plazeboeffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 8.1.4 Entwicklung, klinische Prüfung, Zulassung, Überwachung . . . . . . . . . 241 8.1.5 Pharmakogenetik . . . . . . . . . . . . . . . 242 8.1.6 Therapiebesonderheiten spezieller Patientengruppen . . . . . . . . . . . . . . 243 8.1.7 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 8.1.8 Arzneimittelwechselwirkungen (WW) . . 245 8.1.9 Grundlagen des Rezeptierens . . . . . . . 245 8.1.10 Arzneimittelrechtliches . . . . . . . . . . . 247 8.2 Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . 248 8.2.1 Therapie von Ödemen . . . . . . . . . . . . 248 8.2.2 Tumortherapie . . . . . . . . . . . . . . . . 250 8.2.3 Immunsuppressive, immunmodulatorische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . 255 8.2.4 Therapie gastrointestinaler Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 8.2.5 Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . 260 8.2.6 Therapie mit Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmern, Thrombolytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 8.2.7 Antiemese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 8.2.8 Therapieoptionen bei allergischen Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 8.2.9 Therapie der Schlafstörungen . . . . . . . 268 8.2.10 Antiinfektiöse Therapie . . . . . . . . . . . 270 8.2.11 Lifestyle-Drugs . . . . . . . . . . . . . . . . 279
9.1.1 9.1.2 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3
8.1
9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.5 9.5.1 9.5.2 9.6 9.6.1 9.6.2 9.6.3 9.6.4 9.7 9.7.1 9.7.2 9.8 9.8.1 9.8.2 9.8.3 9.9 9.9.1 9.9.2 9.9.3 9.9.4 9.9.5 9.9.6
Prävention und Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 F.-Ch. Vogeler Grundlagenaspekte der Prävention und Gesundheitsförderung . . . . . . . . Gesundheitliche Prävention . . . . . . . . Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . Prävention von onkologischen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Krebsmortalität . . . . . . . . . . . . . . . . Primärprävention . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärprävention . . . . . . . . . . . . . Tertiärprävention . . . . . . . . . . . . . . . Prävention von Zivilisationskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internistische Erkrankungen . . . . . . . . Allergien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats . . . . . . . . . . . . . Prävention von Infektionserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Infektionsschutzgesetz (IfSG) . . . . . . . Prophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutzimpfungen . . . . . . . . . . . . . . Prävention im Kinder- und Jugendalter Kinder- und Jugenduntersuchungen . . Unfallverhütung bei Kindern . . . . . . . Prävention im Erwachsenalter . . . . . . Gesundheits-Check-up . . . . . . . . . . . Zahnvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . Frauen und Prävention . . . . . . . . . . . Prävention im Alter . . . . . . . . . . . . . . Prävention in der Sozialmedizin . . . . . . Sucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prävention in der Arbeitsmedizin . . . . Arbeitsschutzvorschriften . . . . . . . . . Unfallverhütungsvorschrift Betriebsärzte (UVV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebliche Gesundheitsförderung . . . Evaluationsmethoden der Prävention und Gesundheitsförderung . . . . . . . . Qualitätszirkel . . . . . . . . . . . . . . . . . Zertifizierung nach der ISO-9000-Familie Total Quality Management (TQM) . . . . European Foundation for Quality Management (EFQM) . . . . . . . . . . . . Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus (KTQ) . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
282 282 282 283 283 283 283 284 284 284 286 287 287 288 288 288 289 289 289 290 290 290 290 291 291 291 293 293 294 294 294 294 294 294 295 295 295 295
XXXIV Inhaltsverzeichnis
10
Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz 297
N. Paquet 10.1 Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . 10.1.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Organsystembezogene bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Interventionelle Verfahren . . . . . . . . . . 10.2 Strahlenbehandlung . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Grundlagen der Strahlenbiologie . . . . . 10.2.2 Strahlensensibilität der Zellen und Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Strahlenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Prinzipien der Strahlentherapie . . . . . . 10.2.5 Anwendung bei benignen Erkrankungen, Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.6 Nuklearmedizinische Radioiodtherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Strahlenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Strahlenrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Strahlenschutz in der Medizin . . . . . . . 10.3.3 Besonderheiten bei Schwangeren, im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . .
298 298 303 349 355 355 355 355 356 357 357 357 358 358 358
11
Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren . . . . . . . . . . . . . 361
11.1 11.1.1 11.1.2 11.2 11.2.1 11.2.2 11.3 11.3.1 11.3.2
N. Paquet, U. Fetzner Rehabilitation . . . . . Allgemeines . . . . . . . Spezielle Verfahren . . Physikalische Medizin Allgemeines . . . . . . . Spezielle Therapie . . . Naturheilverfahren . . Allgemeines . . . . . . . Spezielle Verfahren . .
12
Klinisch-pathologische Konferenz . . 389
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
362 362 365 369 369 371 378 378 380
Farbabbildung zu Kapitel 10: Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz . . . . . 391 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
1 Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik S. Han 1.1
Epidemiologie –2
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4
Einführung –2 Terminologie –2 Datenerhebung –4 Vorraussetzungen epidemiologischer Forschung
1.2
Medizinische Biometrie
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4
Biostatistik, Stochastik in der Medizin –6 Medizinische Studien –11 Darstellungsverfahren –12 Biometrie in Forschung und Studium –12
–5
–6
1.3
Medizinische Informatik
1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4
Grundlagen der Signal- und Bildverarbeitung –17 Daten, Information, Wissen, Recall, Präzision –18 Grundlagen des Internet –18 Telemedizin, Einzug der EDV in Kliniken und Praxis, Universität (Aus-/Fortbildung) –19 Datensicherheit, ärztliche Schweigepflicht –19 Dokumentation und Verschlüsselung in der Medizin (ICD) –20
1.3.5 1.3.6
–17
2
1
Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
Jeder Medizinstudent kommt spätestens bei der Erhebung der Daten seiner Promotionsarbeit mit Epidemiologie und Biomathematik in Berührung, jeder Arzt setzt sich damit täglich auseinander, teils ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Informatik ist heute nicht mehr aus dem Berufsleben wegzudenken. In der Klinik findet sie vor allem bei der elektronischen Führung der Krankenakte Anwendung. Das kompetente Handeln und Wissen eines jeden Mediziners beruht auf der Grundlage und der Anwendung von Statistiken bzw. biometrischen Grundprinzipien und Auswertungen, die wiederum bei immer spezielleren Problemen der Datenanalyse besonders in klinischen Bereichen zunehmend notwendiger werden. Unsere immer mehr globalisierte, komplexer werdende Welt erfordert Einarbeitung und Kenntnis in diese Gebiete, um bestes Verständnis und effektive Umsetzung zu gewährleisten.
Der noch zu tolerierende Schwankungsbereich kann durch Angabe der entsprechenden Quantile angegeben werden (quantil-basierte Referenzbereiche). Bei medizinischen Fragestellungen enthalten die Referenzbereiche in der Regel 95% oder 99%. So legt man bei normalverteilten Daten zugrunde, dass ein Wert außerhalb eines bestimmten Referenzbereichs überprüft werden sollte (zum Beispiel auf Messfehler, pathologische Werte etc.). Morbidität Definition. Krankheitshäufigkeit innerhalb einer Population. Die Morbidität wird durch die Inzidenz und Prävalenz ausgedrückt, oft auch synonym verwandt. Meist wird die Häufigkeit von Erkrankungen aufgrund ihrer Seltenheit nicht in Prozentwerten, sondern oft auf 10.000 Personen bezogen dargestellt. Mortalität
1.1
Epidemiologie
1.1.1 Einführung
Definition. Verhältnis an einer bestimmten Krankheit
zu erkranken und daran zu sterben zum Durchschnittsbestand in der Population. Synonym für Todesrate. Letalität
Definition. Epidemiologie ist die Lehre von der Ursa-
Definition. Tödlichkeit einer bestimmten Erkrankung.
che und Verbreitung einer Krankheit in einer Population. Sie versucht Risikofaktoren und Prognosen einer Krankheit zu ermitteln. Durch Bestimmung relevanter prognostischer Faktoren sowie Feststellung von therapeutischen Maßnahmen kann die Epidemiologie Ärzten bei der Entscheidungsfindung von Patientenbehandlungen helfen, aber auch Politik oder Wirtschaft zu sinnvollen präventiven Maßnahmen leiten. Die Epidemiologie wird in die beschreibende (deskriptive) und die erforschende (analytische) Epidemiologie unterteilt. Die Maßzahlen einer epidemiologischen Studie müssen meist abgeschätzt werden, da es schwierig bzw. unmöglich ist die komplette Grundgesamtheit zu erheben.
Die Anzahl der an einer bestimmten Krankheit verstorbenen Personen wird zur Anzahl neuer Fälle ins Verhältnis gesetzt. Prävalenz Definition. Anteil Erkrankter in der Population. Unter-
schieden werden Punktprävalenz (Bezug der Prävalenz auf einen bestimmten Zeitpunkt) und Intervallprävalenz/Periodenprävalenz (Bezug der Prävalenz auf einen Zeitraum). Prävalenz, Inzidenz und Mortalität können in Abhängigkeit voneinander stehen. So sinkt die Prävalenz durch höhere Mortalität oder einer Verringerung der Inzidenz. > Prävalenz: Zahl der erkrankten Fälle/Populationsumfang. Die Prävalenz gibt nicht an, wie hoch das Risiko ist, die Krankheit zu entwickeln.
1.1.2 Terminologie Inzidenz 1.1.2.1 Kenngrößen Referenzbereich Definition. Als Referenzbereich eines Wertes zu einem bestimmten Parameter wird der Bereich bezeichnet, in dem Werte noch als normal angesehen werden können.
Definition. Anzahl der Neuerkrankungsfälle einer
Krankheit in einer Population zu einem bestimmten Zeitraum. Eine hohe Inzidenz bedeutet ein hohes Erkrankungsrisiko. > Inzidenz: Zahl der neuen Fälle/Populationsumfang
1
3 1.1 · Epidemiologie
Lebenserwartung Definition. Statistisch zu erwartende Anzahl der Lebensjahre eines Neugeborenen zum Zeitpunkt seiner Geburt. Sterbetafeln Definition. Geben an wie wahrscheinlich es ist, dass
eine Person in einer bestimmten Altersgruppe stirbt oder überlebt. Aufgetragen wird in jedem Alter, sodass auch die mittlere Lebenserwartung in jedem Geburtsjahrgang entnommen werden kann. Die Tabelle wird vom Statistischen Bundesamt regelmäßig aktualisiert und veröffentlicht. Sterbeziffer Definition. Zeigt den Anteil der Verstorbenen in einem bestimmten Beobachtungszeitraum an. Meistens werden spezifische Sterbeziffern veröffentlicht, wie z. B. die ursachenspezifische Sterbeziffer, die alle an einer bestimmten Krankheit verstorbenen Personen innerhalb eines Jahres umfasst oder der Neugeborenensterbeziffer. 1.1.2.2 Risikostudien Da viele Krankheiten multifaktoriell bedingt sind, ist es oft schwer einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Risikofaktoren (z. B. Adipositas, Rauchen) und Krankheit zu erkennen, trotzdem sollte der Arzt die Risiken kennen, um effektiv und präventiv bestimmten Krankheiten vorzubeugen. Durch Erhebungen von epidemiologischen Studien lassen sich Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und Krankheiten aufzeigen. Im Folgenden werden Grundbegriffe der Risikostudien kurz beschrieben.
Relatives Risiko Definition. Quotient aus Risiko einer Erkrankung bei
Vorliegen eines bestimmten Faktors und Risiko derselben Erkrankung ohne Vorliegen desselben Faktors. Das relative Risiko zeigt an, in welchem Maße ein bestimmter Faktor Einfluss auf das Risiko einer Erkrankung in der Population nimmt. Relatives Risiko für ein missgebildetes Kind In einer fiktiven Studie haben 100 Frauen ein missgebildetes Kind zur Welt gebracht (Gruppe A). Daraufhin wurden sie befragt, ob sie während der Schwangerschaft geraucht haben. In der Kontrollgruppe (Gruppe B) wurden 100 Frauen befragt, die ein gesundes Baby zur Welt gebracht haben (. Tab. 1.1). Für das relative Risiko ergibt sich folgende Formel: a/a+c geteilt durch b/b+d, d. h. in diesem fiktiven Fall der Quotient aus der Wahrscheinlichkeit, dass Frauen ein missgebildetes Kind zur Welt gebracht und geraucht haben zu der Wahrscheinlichkeit, dass Frauen ein missgebildetes Kind zur Welt gebracht und nicht geraucht haben. Wenn das Rauchen tatsächlich ein Risikofaktor ist, muss der Wert des relativen Risikos größer als 1 sein. Ein relatives Risikoergebnis von 1 würde aussagen, dass das Rauchen das Risiko der Geburt eines missgebildeten Kindes nicht erhöht. In dem Beispiel ergibt sich nach der Formel für das relative Risiko ein Wert von 3,12. Demnach ist für eine Raucherin das Risiko ein missgebildetes Kind zu bekommen etwa 3,12-mal größer wie für eine Nichtraucherin. Zum relativen Risiko von 0 kommt man, wenn die Bedingung a=0 erfüllt ist. Dieses würde in diesem Beispiel sogar bedeuten, dass das Rauchen einen protektiven Einfluss auf die Geburt von missgebildeten Kindern hat.
Risiko Definition. Wahrscheinlichkeit, mit der ein Ereignis in
der Population vorkommt. Dabei geben Risikofaktoren Merkmale an, die sich unter strengen statistischen Studien als fördernd hinsichtlich bestimmter Krankheiten herausgestellt haben. Ursache können psychosoziale Faktoren (erheblicher Stress), genetische Faktoren, Faktoren des äußeren Umfeldes (Abgase, erhöhte UV-Belastung) oder bestimmtes Verhalten wie Bewegungsmangel, Adipositas oder Rauchen sein. Im Gegensatz dazu tragen die Risikoindikatoren nicht direkt zur Krankheit bei, sondern beschreiben Merkmale eines Erkrankungsrisikos, wie z. B. das Ausüben des Berufes in der Schwangerschaft ein erhöhtes Totgeburtenrisiko anzeigen kann.
Attributierbares, zuschreibbares Risiko Definition. Differenz aus Risiko einer Erkrankung bei Vorliegen eines bestimmten Faktors und Risiko derselben Erkrankung ohne Vorliegen desselben Faktors.
. Tab. 1.1. Relatives Risiko Rauchen in der Schwangerschaft – Kindesmissbildung In Schwangerschaft geraucht
Ja
Nein
Gruppe A (missgebildetes Kind)
a=70
b=30
Gruppe B (gesundes Kind)
c=20
d=80
4
1
Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
Attributierbares Risiko Beim obigen Beispiel der fiktiven Studie ergibt sich für das attributierbare Risiko die Formel: a/a+c minus b/b+d. Wenn der Faktor einen Risikofaktor darstellt, muss der Wert des attributierbaren oder zuschreibbaren Risikos größer als 0 sein, was im Beispiel mit dem Wert 0,53 zutreffen würde.
! Cave
Odds ratio (Chancenverhältnis) Definition. Gibt wie das relative Risiko den Zusammenhang zwischen der Exposition und der Krankheit wieder und wird besonders bei Fall-Kontroll-Studien (7 Kap. 1.2.4) angewendet. Die »odds ratio« eignet sich gut als Annäherung für das relative Risiko, das die Irrtumswahrscheinlichkeit aufzeigt.
Krebsregister Definition. Sammlung systematisch erhobener Daten zu Tumorerkrankungen. So kann beispielsweise die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Tumorerkrankungen in einer Region beobachtet werden, verschiedene Regionen können untereinander verglichen werden (zeitliches, räumliches Monitoring). Krebsregister sollten zu einer Verbesserung der Behandlung von Tumorerkrankungen führen, weshalb Therapien miteinander verglichen und detaillierte Daten zur Erkrankung und Therapie gesammelt werden. Im Qualitätsmanagement sollten Krankenhäuser und Therapeuten verglichen werden können, um zu erfahren, wo bzw. wer bei gleicher Ausgangssituation warum bessere Ergebnisse erzielt. Alle Neuerkrankungen einer Region müssen unverzüglich gemeldet werden, damit ein zuverlässiges und aussagekräftiges epidemiologisches Register entstehen kann. Die Melderate sollte mindestens 90% betragen.
1.1.3 Datenerhebung 1.1.3.1 Datenquellen Mikrozensus Definition. Statistische Erhebung für die mit bestimmten Zufallskriterien Haushalte ausgewählt werden. Der Mikrozensus wird in Deutschland vom Statischen Bundesamt vorbereitet und organisiert. Die Ergebnisse dienen als Grundlage wichtiger Entscheidungen in Politik und Wirtschaft. Da der organisatorische Aufwand beim Mikrozensus überschaubar ist, wird er auch genutzt, um die im Rahmen von großen, umfassenden Volkszählungen erhobenen Daten zu überprüfen.
Die auf dem Leichenschauschein eingetragenen Todesursachen berücksichtigen bei nicht ordnungsgemäßem, unsorgfältigem Ausfüllen nicht die Grunderkrankung, sondern nur deren Folge, z. B. Atemversagen.
> Für klinische Register ist es notwendig, dass die Erkrankungen in der jeweiligen Klinik oder Praxis vollständig erhoben werden.
Gesundheitsberichterstattung (GBE) Definition. Umfasst Informationen und Maßnahmen
in Hinblick auf gesundheitlich relevante Inhalte die Gesamtbevölkerung betreffend. Vom besonderen Interesse ist die GBE daher für jeden praktizierenden Arzt und für die in der Gesundheitspolitik Tätigen. Inhalte der GBE sind z. B. Gesundheitsstörungen, Risikofaktoren, Risikoverhalten, Sozialstruktur, aber auch Gesundheitskosten. All dies sind wichtige Aspekte für die Präventionsmedizin, da durch durchdachte präventive Maßnahmen viel Geld eingespart werden kann. Die Informationsquelle der GBE stellen die amtliche Statistik, Befragungen sowie Statistiken von Krankenkassen oder Ärztekammern dar.
1.1.3.2 Verzerrungsquellen epidemiologischer Studien > Erhobene Daten müssen standardisiert werden, um Störgrößen, die zu einem systematischen Fehler führen können, möglichst zu minimieren.
Confounder Definition. In epidemiologischen Studien nicht erfasste, nicht kontrollierbare Störfaktoren, die in beobachteten Expositionen nur in der Vergleichsgruppe auftreten und damit das Ergebnis systematisch verfälschen. Lead-time-Bias Definition. Systematischer Fehler bei Vorverlegung des
Todesursachenregister Definition. Ein Verzeichnis der statistischen Ämter auf Basis von Totenscheinen.
Diagnose-Zeitpunkts. Die Lead-time-Bias spielt z. B. eine Rolle bei der Tumorfrüherkennung. Sie gibt eine verlängerte Überlebenszeit mit Vorverlegung des Diagnosezeitpunktes wieder im Vergleich zu Patienten, die die Diagnose erst nach klinischen Symptomen bekommen.
5 1.1 · Epidemiologie
1.1.4 Vorraussetzungen
epidemiologischer Forschung Datenschutz Da in der heutigen Zeit der Umgang mit digitalen Medien auch in der Klinik oder Arztpraxis immer gebräuchlicher und damit die Weitergabe von Daten einfacher wird, nimmt die Bedeutung des Datenschutzes immer mehr zu. Personenbezogene Daten müssen geschützt werden. Die Entstehung des sog. gläsernen Menschen soll auch dadurch verhindert werden, dass jeder Mensch selber entscheiden kann, wer über seine persönlichen Daten verfügen darf. > Datensparsamkeit stellt ein Hauptprinzip des Datenschutzes dar. Werden Daten nicht mehr benötigt, sollten sie vernichtet werden.
Maßnahmen zu Datensicherheit stellen Verschlüsselungsprinzipien, Zugriffskontrollen und Sicherheit der verarbeitenden Computer dar. Das anwendende Personal muss über die Gefahren von Sicherheitslücken, die beispielsweise im Internet von Viren ausgenutzt werden können, geschult und sensibilisiert werden. Informed consent Definition. Qualifizierte Zustimmung des Patienten,
beispielsweise nachdem der Arzt seine Aufklärungspflicht über die Nebenwirkungen eines bestimmten Medikaments beendet hat. Mit dem Ziel des »informed consent« vor Augen sollte der Arzt auf seine Wortwahl achten, sodass der Patient der Aufklärung folgen kann. Nur zu oft stimmen Patienten einfach zu, ohne über die Tragweite ihrer Entscheidung genug zu wissen. Patienten sollen wichtige Entscheidungen selbst treffen und mit genug Informationen ausgestattet werden. Stochastisches Record-linkage-Verfahren Definition. Verfahren zur Überprüfung des Grades der Zusammengehörigkeit von Meldungspaaren. Wenn passende Datensätze gefunden werden, die über ein hohes Übereinstimmungsgewicht verfügen, können sie als zusammengehörig bezeichnet werden. Ethische Aspekte Jeder Arzt wird im Laufe seiner Tätigkeit mit schwierigen ethischen Entscheidungen konfrontiert: 4 Soll eine Behandlung abgebrochen werden oder nicht?
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4 Unter welchen Umständen kann es vertretbar sein, sich über die Wünsche des Patienten hinwegzusetzen? 4 Welche Rolle spielt die Einflussnahme der Verwandten? Aktive Sterbehilfe So wird in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe im ärztlichen Alltag praktiziert. Betagte Patienten sterben durch ärztliche Hand, was juristisch legalisiert ist, jedoch in 1–2% der Todesfälle ohne ausdrücklichen Wunsch der Patienten geschieht.
Die Einwilligungsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit eines Betroffenen der Verletzung eines ihm zustehenden Rechtsguts zuzustimmen. Ohne diese Zustimmung stellen ärztliche Eingriffe (Blutentnahme, Operation) eine Körperverletzung dar. Die genaue und umfangreiche Aufklärung des Patienten soll diesen befähigen die Komplexität des Eingriffs in seine körperliche Integrität zu erfassen. Weitere ethisch kritische Bereiche sind die Bundesärztekammer-Sterberichtlinie, die Bioethik-Konvention des Europarates, Organtransplantationen, die Abtreibungsfrage, Pränataldiagnostik, Organspende mit Todesbegriff bei Embryonen, Wachkoma-Patienten. Alle statistischen Erhebungen und Studien, besonders randomisierte Therapiestudien müssen vorab von einer Ethikkommission begutachten werden. Viele statistische Studien mögen sinnvoll sein, müssen aber deshalb noch lange nicht ethisch vertretbar sein. Qualitätskontrolle, Qualitätssicherung Definition. Qualitätskontrollen helfen zu ermitteln, ob bestimmte Vorgaben auch eingehalten werden. Hierzu gehören: 4 Strukturqualität: Die Qualität ist abhängig vom Ausgangswert. 4 Prozessqualität: Die Qualität ist abhängig vom Untersuchungsverfahren. 4 Ergebnisqualität: Die Qualität ist abhängig vom Messverfahren. Qualitätssicherung bezeichnet einen Prozess, der gewährleistet, dass ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Leistung ein festgelegtes Niveau hat. Dafür müssen Prüfverfahren, Stichprobengröße und mögliche Fehlerquellen festgelegt werden. Problemanalysen sollen helfen, nach dem Erkennen eines Fehlers diesen zu beseitigen.
6
Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
In Kürze
1
Epidemiologie
1.2
Prävalenz
Anteil Erkrankter in der Population: Zahl der erkrankten Fälle/Populationsumfang. Die Prävalenz gibt nicht an, wie hoch das Risiko ist die Krankheit zu entwickeln
Inzidenz
Anzahl der Neuerkrankten in einer Population: Zahl der neuen Fälle/Populationsumfang
Sterbetafeln
Geben die Wahrscheinlichkeit an, dass eine Person in einer bestimmten Altersgruppe stirbt oder überlebt
Medizinische Biometrie
1.2.1 Biostatistik, Stochastik
in der Medizin 1.2.1.1 Merkmale Definition. Merkmale: Die für den Untersucher relevanten Variablen der Beobachtungseinheiten. Merkmalsausprägung: Qualität oder Wert eines Merkmals. Merkmalsträger: Die durch Merkmale charakterisierten Untersuchungseinheiten eines Versuchs (Tiere, Menschen, bestimmte Objekte), in der Medizin meist Patienten oder freiwillige Probanden. Vor Beginn der Untersuchung müssen die zu untersuchenden Merkmale genau analysiert und die Merkmalsausprägungen definiert werden, um den passenden Umfang der Stichproben und Messmethoden auszuwählen. Beispiel. Untersuchungseinheit: Frauen und Männer,
Merkmal: Rhesus-Faktor, Merkmalsausprägungen: Rhesus +, Rhesus –. Merkmale werden aufgeteilt in Zielgrößen, Einflussgrößen und Begleitvariablen, die je nach Ziel und Fragestellung der Untersuchung unterschiedliche Priorität besitzen:
4 Über die Zielgröße will man Ergebnisse erhalten. 4 Die Einflussgrößen beinhalten die Faktoren, die im Rahmen des Versuches ausgewertet werden. 4 Begleitvariablen sind Störgrößen, die erfasst oder nicht erfasst sein können, aber in der Studie nicht weiter untersucht werden. Beispiel. Es soll eine Studie zu der Aussage »Alkohol begünstigt eine Leberzirrhose« gemacht werden. Zielgröße ist das Entstehen einer Leberzirrhose. Einflussgröße ist der Alkohol, der hier den wichtigsten zu untersuchenden Faktor darstellt. Begleitvariablen und Störgrößen könnten z. B. Medikamentenabusus, Umweltbelastungen (Schäden durch Chemikalien) sowie genetische Veranlagungen der Untersuchungseinheiten sein, die auch eine Leberzirrhose begünstigen können, aber nicht erfasst sind und in der Studie nicht weiter untersucht werden.
1.2.1.2 Skalenniveaus Definition. Messinstrumente zur Abbildung von Merkmalen (. Tab. 1.2). Für die Verarbeitung der Daten ist es notwendig, dass die ermittelten Merkmale entsprechenden Skalenniveaus zugeordnet werden.
. Tab. 1.2. Skalenniveaus Skalenniveaus
Merkmalsart
Beispiel/Besonderheit
Nominalskala
Qualitativ
Geschlecht (männlich/weiblich)
Ordinalskala (Rangskala)
Qualitativ
Schulnoten (sehr gut – ungenügend), Rangfolge kann angegeben werden
Intervallskala (Abstandsskala)
Quantitativ
Temperaturmessung (20°C, willkürlicher Nullpunkt, definierte Abstände)
Ratioskala (Verhältnisskala)
Quantitativ
Gewicht (100 kg, absoluter Nullpunkt, definierte Verhältnisse)
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7 1.2 · Medizinische Biometrie
Unterschieden werden 4 Skalenniveaus: 4 Nominalskala 4 Ordinalskala (Rangskala) 4 Intervallskala (Abstandsskala) 4 Ratioskala (Verhältnisskala) Die Nominalskala besitzt das niedrigste Niveau. Zwar werden bei der Nominalskala den Messwerten Zahlen zugeordnet, doch gibt es bei den Messwerten keine Reihenfolge hinsichtlich ihrer Größe oder Rangfolge. Sie hat den Charakter von Namen oder Kategorien, z. B. Geschlecht, Augenfarbe, Haarfarbe, Blutgruppe. Das nächst höhere Niveau hat die Ordinalskala (Rangskala). Hier lassen sich die Messwerte in einer Rangposition abbilden, eine Größer-kleiner-Beziehung ist ersichtlich, z. B. Schulnoten (1–6), Infektionsgrad, medizinische Scores. Ordinalskala Schulnoten Auch Schulnoten fallen unter die Kategorie Ordinalskala, da hier zwischen den Noten weder ein Verhältnis (wie die Note »gut« ist doppelt so gut wie die Note »ausreichend«) noch eine sinnvolle Differenzangabe möglich ist (Unterschied zwischen »sehr gut« und »befriedigend« entspricht nicht dem Unterschied zwischen »ausreichend« und »ungenügend«)
Die Messwerte auf der Intervallskala (Abstandsskala) beschreiben Abstände, die das sinnvolle Rechnen mit den Messwerten (Addition, Subtraktion) ermöglichen, z. B. Temperaturmessung in Celsius, IQ-Werte. Der Nullpunkt wird willkürlich festgelegt. Das bedeutet beispielsweise, dass ein Hund mit einem IQ von 100 nicht doppelt so intelligent ist wie ein Hund mit dem IQ von 50. Mit der Ratioskala (Verhältnisskala) können Verhältnisse dargestellt werden, z. B. Längen, Gewichte. Die Ratioskala besitzt im Unterschied zur Intervallskala einen absoluten Nullpunkt mit definierten Abständen von den Messwerten. So trifft die Aussage »100 kg sind doppelt so viel wie 50 kg« zu, ebenso kann man das Verhältnis der Messwerte zueinander angeben (2:1). > Die Möglichkeit, hohe Sklalenniveaus auf entsprechend niedrigere Skalenniveaus zu reduzieren, ist gegeben, umgekehrt ist dieses jedoch nicht möglich! Ratioskala Körpergewicht Das Gewicht in kg abgebildet auf der Ratioskala kann auch auf der Ordinalskala mit der Reihenfolge der Messwerte hinsichtlich ihres Gewichts ohne Probleme dargestellt werden (übergewichtig, normal, untergewichtig).
Qualitative Merkmale werden in Nominal- und Ordinalskalen abgebildet. Sie charakterisieren Eigenschaften wie Therapieerfolg oder Haarfarbe. Im Gegensatz zur Intervall- und Ratioskala sind aber keine Rechenoperationen (Addieren, Subtrahieren) der Werte möglich, weder Abstand noch Verhältnis zwischen den einzelnen Merkmalen ist festgelegt. Quantitative Merkmale werden in Intervall- und Ratioskalen abgebildet, da hier die Merkmale auch durch Zählen oder Messen erfasst werden können, Rechenoperationen mit den einzelnen Werten sind möglich. 1.2.1.3 Häufigkeiten Unterschieden werden absolute und relative Häufigkeiten: Wenn eine bestimmte Anzahl von Beobachtungen für ein bestimmtes Merkmal vorliegt, gibt die Anzahl der gleichen Merkmalsausprägungen die absolute Häufigkeit der entsprechenden Merkmalsausprägung an. Wird die absolute Häufigkeit ins Verhältnis zur Grundgesamtheit der Beobachtungen gesetzt, erhält man die relative Häufigkeit. Diese kann folglich nur Werte zwischen 0 und 1 einnehmen, da die Anzahl der gleichen Merkmalsausprägungen niemals die Anzahl der Beobachtungen der Grundgesamtheit überscheiten kann, d. h. der Zähler immer kleiner als der Nenner des Quotienten der relativen Häufigkeit ist. > Relative Häufigkeit = Anzahl der gleichen Merkmalsausprägungen (absolute Häufigkeit)/Anzahl der Beobachtungen der Grundgesamtheit.
In Tabellen wird die relative Häufigkeit oft als Prozentangabe notiert (Multiplikation mit 100, . Tab. 1.3). Die
. Tab. 1.3. Beispiel absolute und relative Häufigkeiten: Erhebungsumfang: 500 Personen Blutgruppe
Anzahl der gleichen Merkmalsausprägung Absolute Häufigkeit
Relative Häufigkeit
A
200
40%
B
90
18%
O
180
36%
AB
30
3%
500
100%
Gesamt
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1
Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
Darstellung der Zuordnung von Häufigkeiten zu Merkmalsausprägungen (Häufigkeitsverteilung) kann durch Urlisten, Häufigkeitstabellen oder auch verschiedenen Diagrammtypen wie dem Stab- oder Kreisdiagramm erfolgen. Können Werte oder Ausprägungen eines Merkmals einfach abgezählt werden, handelt es sich um ein diskretes Merkmal, z. B. Anzahl der Kinder einer Familie. Man spricht von stetigen Merkmalen, wenn die Werte nicht gezählt, sondern gemessen werden. Die gemessenen Werte können dann innerhalb bestimmter Grenzen jede beliebige rationale Zahl annehmen, z. B. Körpertemperatur, Körpergewicht oder Größe. 1.2.1.4 Lage- und Streuungsmasse Ziel der Lage- und Streuungsmasse ist es die normalerweise große Flut an Zahlen und Informationen zu reduzieren und die wichtigen Merkmale einer Messreihe mit wenigen Zahlen zu beschreiben. Lageparameter Modalwert ist der Wert einer Messreihe, der am häufigsten vorkommt. Kommen mehrere Werte gleich häufig vor, so werden alle entsprechenden Werte als Modalwerte bezeichnet. Der Modalwert tritt am häufigsten bei qualitativen Merkmalen auf. Beispiel: Bei 100 Familien wird die Anzahl der Kinder bestimmt: 1 (45), 2 (40), 3 (6), 4 (6), 5 (3). Die Anzahl der Familien mit einem Kind kommt am häufigsten vor, Modalwert ist also die Familie mit einem Kind. Der Mittelwert (arithmetisches Mittel) bestimmt den Schwerpunkt der Messwerte bei quantitativen Merkmalen. Er wird berechnet als Quotient aus der Summe der Messwerte und deren Anzahl n (Formel: X– = ×1 + ×2 + … × n/n = 1/n ∑×j, oberhalb der Summe n, unterhalb j=1). Für die Bestimmung des Median ist es notwendig, dass man alle Beobachtungswerte (n) entsprechend ihrer Größe anordnet. Bei einer geraden Anzahl n ist der Meridian das arithmetische Mittel der beiden Zahlen, die in der Mitte stehen, bei einer ungeraden Anzahl n der in der Mitte stehende Wert. Vorteil des Median ist, dass extrem abweichende Werte einen nicht so starken Einfluss wie beim Mittelwert haben. Je nach Situation und Problemstellung sollte entschieden werden, ob man den Mittelwert oder den Median verwendet. Quantile teilen die nach der Größe geordneten Beobachtungswerte in gleich große Teile. Ein p-Quantil muss folgende Bedingungen erfüllen: der Anteil p der Werte muss kleiner oder gleich diesem Wert und der Anteil 1-p größer oder gleich diesem Wert sein.
Besondere Quantile 4 4 4 4
Q1: 0,25-Quantil (oder auch unteres Quartil) X~: Median Q3: 0,75-Quantil (oder auch oberes Quartil) 0,01-, 0,02-,…0,99-Quantile: Perzentile
Um das p-Quantil zu bestimmen, muss das Produkt aus p und der Anzahl der Messwerte (n) bestimmt werden. Wenn das Produkt keine ganze Zahl ist, gibt die darauf folgende ganze Zahl die Position des Wertes vom p-Quantil wieder. Bei ganzen Zahlen wird für das p-Quantil der Mittelwert zwischen dem Wert der ermittelten Position und dem Wert der darauf folgenden Position gebildet. Beispiel Messung IQ bei 10 Probanden Es liegen n=10 Messwerte bei der IQ-Bestimmung der Probanden vor (90, 90, 95, 100, 100, 100, 100, 105, 110, 112). Da der Wert IQ:100 am häufigsten vorkommt, gibt dieser Wert auch den Modalwert wieder. Für die Berechnung des Meridians ergibt sich ein gerader Wert (pn=5), so muss der Mittelwert zwischen dem Wert der ermittelten Position (Position 5: IQ 100) und den Wert der darauf folgenden Position gebildet werden (Position 6: IQ 100). Somit ergibt sich für den Meridian ebenfalls ein Wert von IQ 100. Beim 0.25 Quantil ergibt das Produkt keine ganze Zahl (pn=2.5). Es wird der Wert der darauf folgenden ganzen Zahl zugeordnet. So ergibt sich für das 0.25 Quantil ein Wert von IQ 95.
Streuungsparameter Das Streuungsmaß gibt die Breite der Verteilung der Messwerte um dieses Lagemaß wieder und somit Auskunft über die Variabilität der Werte. Da keine Abstände bei qualitativen Merkmalen festgelegt sind, entfällt hier die Zuordnung von Streuungsmassen. Das einfachste Streuungsmaß ist die Spannweite (»range«, range=x(n)-x(1)). Sie gibt den Wertebereich der Messergebnisse wieder und berechnet sich aus dem Abstand zwischen dem größten und kleinsten Messwert. Der Quartilabstand (Quartilabstand= Q3–Q1) gibt den Abstand zwischen dem 1. und 3. Quartil wieder, in dessen Bereich sich ca. 50% aller Messergebnisse befinden. Die Varianz charakterisiert die Streuung der einzelnen Werte der Messreihe um ihren Mittelpunkt, sie ist ein Maß für die Abweichung einer Variablen von ihrem Erwartungswert. Da die Varianz die mittlere quadratische Abweichung der Daten vom Mittelwert angibt, ist zur Interpretation die Standardabweichung besser geeignet, die
9 1.2 · Medizinische Biometrie
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sich aus der Wurzel der Varianz ergibt. Sie charakterisiert die Homogenität der Messreihe. Der Standardfehler des Mittelwertes (s/√n) kann berechnet werden. Der Quotient aus Standardabweichung und Mittelwert wird als Variationskoeffizient bezeichnet. Er wird benutzt um die relative Genauigkeit von verschiedenen Messreihen zu vergleichen.
Vereinbar sind Ereignisse, wenn sie gleichzeitig vorliegen können. Um die Summe von mehreren Ereignissen zu betrachten, die sich nicht gegenseitig beeinflussen, gilt folgender Additionssatz: p(AuB)= p(A)+p(B)–p(A–B)
Standardabweichung Körpergewicht Eine Standardabweichung von 5 kg bezogen auf das Gewicht von männlichen Studenten mit einem Durchschnittsgewicht von 80 kg sticht weniger heraus, als dieselbe Standardabweichung bezogen auf eine Gruppe von männlichen Grundschülern mit einem Durchschnittsgewicht von 40 kg.
Unabhängig nennt man Ereignisse, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses das Auftreten eines zweiten Ereignisses nicht beeinflusst. Beispiel: 2 Münzen werden geworfen. Für jede Münze ist die Wahrscheinlichkeit 1/2, dass Kopf angezeigt wird. Für unabhängige Ereignisse gilt der Multiplikationssatz : p(A–B) = p (A×B) = p(A) ×p(B). Die Wahrscheinlichkeit, dass beide Münzen Kopf anzeigen ist: ½ × ½ = ¼. Abhängig sind Ereignisse, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses das Auftreten eines zweiten Ereignisses beeinflusst. Beispiel: Um zwei Gruppen zu bilden, werden aus einer Urne zwei Zettel mit der Aufschrift Gruppe 1 und Gruppe 2 gezogen. Da die Zettel nach der Ziehung nicht wieder in die Urne zurückgelegt werden, wird die nachfolgende Ziehung durch das Ergebnis der vorausgegangen Ziehung beeinflusst. Als A-posteriori-Wahrscheinlichkeit oder bedingte Wahrscheinlichkeit wird die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, dass Ereignis A eintritt, wenn Ereignis B schon vorliegt (p(A/B)). Bei bedingten Wahrscheinlichkeiten wird das Bayes-Theorem in der Medizin häufig angewendet (7 Kap. 1.2.4.5).
1.2.1.5 Wahrscheinlichkeitsrechnung Die Wahrscheinlichkeit (p) für ein bestimmtes Ereignis, das vom Zufall abhängt (Zufallsvariable), ist ein theoretischer Wert für die Häufigkeit des Auftretens dieses Ereignisses, wenn dieselben oder gleichartigen Elemente des Ereignisses wiederholt beobachtet werden. Die beobachtete Häufigkeit stimmt mit dem theoretischen Wert besser überein, wenn mehr Elemente beobachtet werden. Viele Ereignisse fallen aufgrund komplexer, vernetzter Vorgänge unter die Kategorie Zufall, da sie schwierig vorauszusagen sind. Ist dagegen bei einem bestimmten Ereignis immer mit derselben Folge zu rechnen, handelt es sich um einen determinierten Prozess. Um die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses zu bestimmen, bedient man sich einer möglichst guten Schätzung, die mit dem theoretischen Wert umso besser übereinstimmt je mehr Elemente beobachtet werden oder dem Gleichwahrscheinlichkeitsmodell. Hierfür ist keine Überprüfung durch ein Experiment notwendig, so erscheint es z. B. durchaus plausibel, dass bei einem Münzwurf die Häufigkeit des Auftretens von Kopf und Zahl mit einer Wahrscheinlichkeit von ½ gleich groß ist. Die Ergebnismenge bezeichnet die Menge aller möglichen Ergebnisse. Dabei kann sie Werte zwischen 0 (niemals eintreffend) und 1 (immer eintreffend) annehmen. Die Ergebnismenge wird oft in Prozentzahlen angegeben. Es gilt bei mehreren Ereignissen (A, B etc.): p(A)+p(B)+…+p(Z)=1. p(AuB) bedeutet, dass beide Ereignisse gleichzeitig auftreten. Disjunkt sind Ereignisse, wenn sie sich gegenseitig ausschließen. Der Summensatz für disjunkte Ereignisse lautet p(AuB)=p(A)+p(B)…+p(Z).
> p(A–B) gibt die Menge wieder, bei der Ereignisse aus A und B gleichzeitig auftreten.
1.2.1.6 Verteilungen Die Gauss-Verteilung (Normalverteilung) gibt durch zufällige Messfehler entstandene Abweichungen der Messwerte von ihrem Mittelwert wieder. Jedem Studenten wird die graphische Darstellung der berühmten sog. Gauß-Glockenkurve begegnet sein. Wenn die Standardabweichung zunimmt, verändert sich auch der mittlere Teil der Glockenkurve, sie nimmt eine flachere und breitere Form an. > Der zentrale Grenzwertsatz garantiert, dass die Summe einer großen Anzahl beliebig verteilter, unabhängiger Zufallsvariablen normal verteilt ist.
Ein Zufallsversuch, wo genau 2 sich gegenseitig ausschließende Ergebnisse auftreten, wird Bernoulli-Versuch genannt. Die Ergebnisse können mit Erfolg (p) und Misserfolg (q) beschrieben werden, für die dann gilt: q=1-p. Wenn mehrere Bernoulli-Versuche unter
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Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
gleichen Bedingungen stattfinden, werden diese Ergebnisse in der Binomialverteilung beschrieben. Bei der Exponentialverteilung beschreibt die Variable (X) die Verteilung der Lebensdauer bei konstanter Sterberate. 1.2.1.7 Stichproben Definition. Teilmenge einer Grundgesamtheit, die ein
möglichst repräsentatives Abbild der Grundgesamtheit gibt. Stichproben finden in vielen verschiedenen Bereichen der Forschung (medizinisch, psychologisch, naturwissenschaftlich) Anwendung, wenn es zu aufwändig oder unmöglich ist die komplette Grundgesamtheit zu untersuchen. Folgende Kriterien charakterisieren die Güte einer Schätzgröße: 4 Als Erwartungstreue wird die Eigenschaft eines Schätzers (g) einen Erwartungswert E(g) zu besitzen bezeichnet, der gleich dem zu schätzenden Parameter der Grundgesamtheit ist. Eine erwartungstreue Schätzung wird auch als unverzerrt bezeichnet. 4 Die Konsistenz gibt wieder, dass je größer die Stichprobe ist, umso genauer die Schätzung über die Verteilung in der Grundgesamtheit erfolgen kann. 4 Je geringer die Varianz (Abweichung einer Zufallsvariable X von ihrem Erwartungswert) des Schätzers, umso genauer wird die Schätzung. 4 Wenn die Schätzung eine hohe Effizienz besitzt, kann auch eine kleine Stichprobe einen guten Schätzwert liefern. 4 Wenn möglichst viele Informationen einer Stichprobe berücksichtigt werden, so ist das Kriterium der Exhaustivität erfüllt. Der Mittelwert der tatsächlichen Ergebnisse bei einer oft wiederholten Durchführung eines Experiments gibt den Erwartungswert der Zufallsvariablen wieder. > Dabei garantiert das Gesetz der großen Zahlen, dass umso häufiger der Versuch wiederholt wird die relative Häufigkeit eines Ergebnisses sich immer näher der theoretischen Wahrscheinlichkeit für den Erwartungswert annähert.
In der Medizin wird dies ausgenutzt, um beim Wirksamkeitsnachweis von medizinischen Verfahren Zufallsseinflüsse auszuschalten. Die Korrelation gibt die Beziehung zwischen mindestens zwei Merkmalen wieder. Unterschieden werden positive (z. B. je mehr Ärzte, desto besser die ärzt-
liche Versorgung) und negative (z. B. je mehr neue Feiertage, desto weniger Arbeitstage) Korrelationen. Die Kausalität bezeichnet die Ursache und Wirkungen von Ereignissen. Eine Korrelation wird häufig benutzt, um eine Kausalität zwischen zwei Merkmalen zu prüfen. Dies ist optimal gegeben, wenn das eine Merkmal nur von dem anderen Merkmal abhängt. Da die meisten Vorgänge aber in einem komplexen Zusammenhang funktionieren, müssen verschiedene Variablen, die ebenfalls Einfluss üben auch untersucht werden. Der kausale Zusammenhang zwischen zwei Variablen kann dabei immer undeutlicher werden. So verursacht z. B. Alkoholabusus die Ausbildung einer Leberzirrhose, die aber auch durch verschiedene andere Ursachen wie Virushepatitis, Stoffwechselkrankheiten, Medikamentenabusus verstärkt werden kann. ! Cave Besteht eine Korrelation zwischen Merkmalen, bedeutet das nicht zwingend auch eine Kausalität. Es muss stets überprüft werden, ob eine Kausalität vorhanden ist oder ob zwei Merkmale von einer dritten Größe kausal beeinflusst werden. Rückgang der Störche im Burgenland Bei dem berühmten Beispiel des Rückgangs der Störche im Burgenland besteht parallel auch ein Rückgang der Anzahl der menschlichen Geburten. Die beiden Ereignisse stehen aber in keinem kausalen Zusammenhang. Dritte Größen spielen hier eine Rolle, wie die Verstädterung, die Nistplätze der Störche zerstört und die soziale Förderung von Kleinstfamilien.
Vorsicht ist auch bei der Richtung der Korrelation geboten: So darf aus der Tatsache, dass Leberzirrhosen oft mit Alkoholabusus vergesellschaftet sind, nicht gefolgert werden, dass Leberzirrhosen immer Ursache für Alkoholabusus sind. 1.2.1.8 Multivariate Statistik Mithilfe multivariaten Analysemethoden werden Fragestellungen behandelt, bei denen mehrere Ziel- und Einflussvariablen untersucht werden. Die Variablen werden nicht isoliert (univariat) betrachtet, sondern hinsichtlich ihrer Abhängigkeit untersucht. Gewünscht werden stets möglichst homogene, ausreißerfreie Verteilungen. In der Kriminologie begegnen uns multivariate Analysemethoden bei der Erstellung eines Täterprofils. Die Diskriminanzanalyse ist ein Klassifikationsverfahren. Klassen- oder Gruppenunterschiede werden hinsichtlich diverser Einflussfaktoren analysiert und
11 1.2 · Medizinische Biometrie
entsprechend zugeordnet. Werden z. B. die Patienten einer Station hinsichtlich ihrer Anfälligkeit für Erkrankungen (stärker anfällig/weniger stark anfällig) untersucht, kann mit der Diskriminanzanalyse herausgefunden werden, in welchen Einflussfaktoren sich beide Gruppen unterscheiden (Sport, Ernährung, Gewicht o. ä.). Bei der Faktorenanalyse werden Zusammenhänge zwischen mehreren Einflussgrößen festgestellt und aufgrund ihrer Korrelationen Gruppen zugeordnet. Sie wird eingesetzt, um Daten zu reduzieren. Problem der Faktorenanalyse ist, das viele subjektive Entscheidungen, wie z. B. die Anzahl oder die Benennung der Faktoren einfließen. In der Clusteranalyse werden die zu analysierenden Objekte in Form von Vektoren als Punkte in einem Vektorraum zusammengefasst, dabei bildet eine Ansammlung von Punkten einen Cluster. Aus einer Grundmenge von Objekten werden so Gruppen zusammengehöriger Objekte gebildet. Die Clusteranalyse findet man häufig in der Bildverarbeitung wieder, um Muster zu erkennen. Die Hauptkomponentenanalyse stellt ein Verfahren dar, mit dem es gelingt aus Daten mit vielen komplizierten Eigenschaften weniger wichtige Faktoren herauszuextrahieren. Auf einem Anamnesebogen können viele unzählige Faktoren vermerkt werden, sollten aber auf einige wichtige Faktoren wie das Vorhandensein eines Diabetes mellitus oder Bluthochdruckes beim Patienten reduziert werden. 1.2.1.9 Grundbegriffe für Testverfahren Der positive prädikative Wert (positive Vorhersagewert) ist der Quotient aus der Anzahl richtiger positiver Ergebnisse (wie beispielsweise das positive Testergebnis einer Untersuchung und der Anzahl aller positiven Testergebnisse, die auch die falsch positiven Ergebnisse beinhaltet. Er gibt die Wahrscheinlichkeit wieder, dass das Ergebnis bei Übermittlung der Diagnose positiv auch tatsächlich richtig positiv ist. Beispiel: Ein Patient wurde mit einer medizinischen Untersuchungsmethode auf Influenza positiv getestet. Der positive prädikative Wert gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Patient wirklich krank ist. Der negative prädikative Wert (negativer Vorhersagewert) ist der Quotient aus der Anzahl richtig negativer Ergebnisse und der Anzahl aller negativen Testergebnisse.
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1.2.2 Medizinische Studien 1.2.2.1 Güte diagnostischer Tests Die Objektivität beschreibt die Unabhängigkeit des Testergebnisses, d. h. dass keine subjektive Verzerrung oder Wertung bei der Auswertung und der Interpretation des Testergebnisses stattgefunden hat. Mit der Reliabilität kann die Zuverlässigkeit einer Untersuchung geprüft werden. Dabei wiederholt man die Untersuchung und achtet auf die Stabilität der Ergebnisse. Die Validität besagt, ob ein Test auch wirklich Gültigkeit hat. Die Begriffe Sensibilität und Spezifität haben Bezug zur Validität eines Tests. > Sensitivität = Anzahl der richtig positiven/Anzahl der richtig-positiven + Anzahl der falsch-negativen.
Die Sensitivität ist der Quotient aus richtig positiven Testergebnissen und der Summe der richtig positiven und falsch negativen Testergebnisse. Beispiel: In einer medizinischen Studie zur Erkennung einer Krankheit wird die Sensitivität bestimmt. Sie gibt den Anteil der Kranken an, die auch tatsächlich krank sind und als krank erkannt wurden. > Spezifität = Anzahl der richtig negativen/Anzahl der falsch-positiven + Anzahl der richtig-negativen.
Die Spezifität ist der Quotient aus richtig negativen Testergebnissen und der Summe der falsch positiven und richtig negativen Testergebnisse. Beispiel: In einer medizinischen Studie zur Erkennung einer Krankheit wird die Spezifität bestimmt. Sie gibt den Anteil der Gesunden an, bei denen auch tatsächlich keine Krankheit festgestellt wurde. 1.2.2.2 Systematischer Fehler Bei systematischen Fehlern (Bias) weichen die Stichprobenwerte vom richtigen Wert in eine bestimmte einseitige Richtung ab, führen zu falschen Ergebnissen, die wiederum zu falschen Schlussfolgerungen und Interpretationen führen können. Ursachen systematischer Fehler können sein: 4 Der Tester, der z. B. eine schlechte Reaktionszeit beim Messen und Stoppen von Zeiten aufweist oder aufgrund mangelnder Sehkraft ungenaue Daten abliest. 4 Umwelteinflüsse, wie z. B. Wind, Temperatur oder Wetter. 4 Instrumente, die veraltet oder schlecht kalibriert sind.
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Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
Um systematische Fehler zu vermeiden, 4 sollte das Studiendesign sorgfältig ausgewählt werden, 4 sollte bei Gruppen auf Struktur- und Beobachtungsgleichheit geachtet werden, 4 sollten Geräte kritisch auf ihre genaue Verwendbarkeit geprüft werden, 4 sollte die Stichprobe repräsentativ gewählt werden, 4 muss ein geeignetes statistisches Modell ausgewählt werden. Zufällige Fehler lassen sich sehr schwer vermeiden, können aber u.a. mit einer sorgfältigen Versuchsplanung minimiert werden. Bei mehreren Beobachtungseinheiten können beim Messen unterschiedliche Ergebnisse auftreten, die in der interindividuellen Variabilität begründet sind. Ein großer Stichprobenumfang vermindert das Auftreten zufälliger Fehler. > Durch Selektion und Faktorbildung, die eine Homogenisierung der Stichproben fördern, können zufällige Fehler vermieden werden.
1.2.3 Darstellungsverfahren Der Box-Whisker-Plot (. Abb. 1.1) kann eine Reihe numerischer Daten graphisch darstellen. Nach Berechnung von Lage- und Streuungsmassen bei der Beschreibung von Merkmalen folgt vielfach der Wunsch nach einer anschaulich graphischen Darstellung, die im Box-Whisker-Plot erfolgen kann. Ein Streudiagramm stellt 2 beobachtete Merkmale graphisch dar. Die Werte werden in ein Koordinatensystem übertragen, die dann eine Punktwolke bildet. Sie gilt für bivariate Datensätze. 1.2.4 Biometrie in Forschung und Studium 1.2.4.1 Studientypen Bei einer retrospektiven Studie liegen bereits Ergebnisse (z. B. Krankenakten, Archive) vor, von denen ausgehend die Einflussgrößen untersucht werden. Bei einer Fall-Kontroll Studie (. Abb. 1.2) werden retrospektiv erhobene Daten, bei denen das zu untersuchende Ereignis eingetroffen ist mit den Daten einer Gruppe, bei der das zu untersuchende Ereignis nicht eingetroffen ist, verglichen. Das zu untersuchende Ereignis kann z. B. das Auftreten einer bestimmten Krankheit sein. Die, für die Untersuchung wesentlichen Eigenschaften (Vorerkrankungen, Alter, Gewicht) sollten in beiden Gruppen ähnlich verteilt sein (»match-
. Abb. 1.1. Box-Whisker-Plot. Untere und obere Begrenzungslinien der Box sind durch das untere und obere Quartil gekennzeichnet. Die horizontale Linie innerhalb der Box gibt den Median wieder und der Punkt das arithmetische Mittel. Die vertikalen Linien werden als Whisker bezeichnet, dabei beträgt die Länge der Whisker maximal das 1,5-fache der Interquartilabstands. Der eingezeichnete Wert hat die Grenze überschritten und wird somit separat in das Diagramm eingetragen (Ausreißer)
ing«). Dann wird geprüft, inwiefern die zweite Gruppe dem zu untersuchenden Faktor anders als die erste Gruppe ausgesetzt war. Rauchen und Lungenkrebs – retrospektiv Ziel einer Studie soll sein, den Einfluss des Rauchens auf Lungenkrebs zu überprüfen. Es liegen Daten von Patienten vor, die aufgrund Lungenkrebs im Krankenhaus behandelt wurden. Deren Zigarettenkonsum wird bestimmt. Nun wird der Zigarettenkonsum bei Patienten, die wegen einer anderen Krankheit im Krankenhaus behandelt wurden, ermittelt. Beim Vergleich stellt sich heraus, dass der Zigarettenkonsum der Lungenkrebspatienten deutlich höher ist als der Zigarettenkonsum der an einer anderen Erkrankung leidenden Patienten.
Vorteile einer retrospektiven Studie sind, dass sie leicht, billig und relativ zeitunaufwändig durchzuführen sind. Nachteil ist, dass man auf möglicherweise trügerische
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. Abb. 1.2. Mindmap Studientypen
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Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
Erinnerungen des Patienten angewiesen ist oder auf Unterlagen, in denen die zu untersuchenden Daten ggf. nicht erhoben wurden (Recall-Bias). Bei der prospektiven Studie (Langzeitstudie) wird vor Versuchsbeginn eine zu prüfende Hypothese festgelegt und dann planmäßig überprüft, z. B. die medizinische Wirksamkeit einer Behandlungsmethode. Vorteil einer prospektiven Studie ist, dass sie exaktere Ergebnisse hinsichtlich der Fragestellung liefert. Nachteil solcher Studien ist, dass sie meist sehr aufwändig durchzuführen, zeitintensiv und teuer sind. Rauchen und Lungenkrebs – prospektiv Ziel einer Studie soll sein, den Einfluss des Rauchens auf Lungenkrebs hin zu überprüfen. Man erhebt Daten von ausgewählten Probanden über deren Zigarettenkonsum und teilt sie dementsprechend in Gruppen ein. Später wird überprüft, ob sie sich in Hinblick auf die Ausbildung eines Lungenkrebses unterscheiden.
Ist eine eindeutige Fragestellung gegeben, ist die am besten anwendbare Studie die randomisierte kontrollierte Studie. Sie ist Goldstandard, d. h. dass sie in der medizinischen Forschung anerkannt ist, sich in der Routine langjährig bewährt hat und als Testverfahren etabliert ist. Beim Vergleich von Gruppen im Rahmen kontrollierter Studien ist auf Beobachtungs-, Struktur- und Behandlungsgleichheit zu achten. Werden mehrere Beobachtungseinheiten in eine Gruppe zusammengefasst (z. B. Alter), können zufällige Fehler reduziert und Unterschiede in den Zielgrößen verdeutlicht werden. Diese Gruppenbildung nennt man auch Schicht (Stratifizierung), sie hilft eine Strukturgleichheit zu schaffen. Eine zufällige Einteilung (Randomisierung) garantiert das Ausschließen von unbewussten subjektiven Urteilen des Untersuchers bei der Einteilung sowie eine möglichst gleiche Verteilung von bekannten und nicht bekannten Einflussfaktoren auf alle Gruppen. So wird z. B. bei der Testung einer neuen Wirksubstanz häufig ein Doppelblind-Versuch angewandt. Dabei wissen weder die zu untersuchenden Personen noch der Versuchsleiter, welche Gruppe ein Placebo und welche Gruppe die Wirksubstanz bekommt. Bei einem Einfachblind-Versuch hingegen wissen nur die zu untersuchenden Personen nicht, wer ein Placebo und wer die wirkliche Wirksubstanz (Verum) bekommt. Anzustreben ist bei kontrollierten eine möglichst große Anzahl von zu untersuchenden Personen, eine einheitliche Befunddokumentation und ein guter Studienplan.
Beim Studienplan muss eindeutig festgelegt sein, 4 welcher Faktor untersucht werden soll (Einflussgröße), 4 was erreicht werden soll (Zielgröße), 4 welche Identifikationsmerkmale (Stadium der Krankheit, Geburtsdatum) gelten sollen, 4 welcher Notfallplan zur Kontrolle von Störgrößen gilt. In einer Meta-Analyse werden verschiedene Untersuchungen zusammengefasst. Dies hilft insbesondere bei Studien mit geringen Stichproben verwertbare Ergebnisse zu liefern. So kann nun die Zusammenfassung vieler geeigneter Untersuchungen helfen, ein präziseres Ergebnis zu liefern. Der Forschungsgegenstand muss zu Beginn genau eingegrenzt und definiert werden. Danach werden die Daten meist mittels einer ausführlichen Literaturrecherche erhoben. Die Befunde werden nun integriert, auf deren Heterogenität analysiert und anschließend in Bezug auf den Forschungsgegenstand interpretiert. Durch das relative Risiko wird angezeigt, wie häufig ein nicht gewünschtes Ereignis in einer Prüfgruppe gegenüber einer Kontrollgruppe auftritt. > Relatives Risiko (RR) = Auftreten eines nicht gewünschten Ereignisses der Prüfgruppe (in Prozent)/ Auftreten eines nicht gewünschtes Ereignisses der Kontrollgruppe (in Prozent) Relatives Risiko 5 Wenn RR<1 ist, dann ist das Risiko eines Auftretens eines nicht gewünschten Ereignisses in der Prüfgruppe niedriger als in der Vergleichsgruppe. 5 Wenn RR=1 ist, gibt es keinen Unterschied zwischen dem Risiko eines Auftretens eines nicht gewünschten Ereignisses in der Prüfgruppe und der Vergleichsgruppe. 5 Wenn RR>1 ist, dann unterliegt das Risiko eines Auftretens eines nicht gewünschten Ereignisses in der Prüfgruppe dem der Vergleichsgruppe.
Die relative Risikoreduktion lässt sich mit dem Wert des relativen Risikos leicht errechnen. Sie gibt an, um wie viel Prozent das Risiko durch eine Intervention verringert wird. > Relative Risikoreduktion = RR – 1
Die absolute Risikoreduktion gibt das absolute Ändern eines Ereignisses durch eine Intervention in Zahlen wieder.
15 1.2 · Medizinische Biometrie
Risikoreduktion Durch eine neuartige gut wirksame Therapie ändert sich die Anzahl der Todesfälle einer bestimmten Krankheit von 6 auf 4 Personen bezogen auf 100 Personen, was eine absolute Risikoreduktion von 2% bedeutet. Eine Änderung der Mortalität von 6% auf 4% bedeutet eine relative Risikoreduktion um 33%.
Um den Nutzen einer Behandlung darzustellen bedient man sich häufig der »number needed to treat« (NNT). Das ist die Anzahl der Patienten, die mit der neuen Therapie behandelt werden müssten, um einen zusätzlichen Geheilten zu bekommen. Eine größere Risikoreduktion geht mit einer kleineren NNT einher. 1.2.4.2 Statistisches Testen Statistische Tests werden durchgeführt, um aufgestellte Hypothesen zu überprüfen und sie auf ihre Zufälligkeit zu testen. Weist ein statistischer Test eine hohe Signifikanz auf, so wird die Stichprobe aus einer bestimmen Grundgesamtheit kommen und nur höchst unwahrscheinlicherweise durch Zufall zustande gekommen sein. Das sog. Signifikanzniveau bezeichnet die maximal zulässige Irrtumswahrscheinlichkeit. Oft wird dieser Wert mit p-Wert oder auch Überschreitungswahrscheinlichkeit bezeichnet. 1.2.4.3 Hypothesen Definition. Durch Beobachtungen oder Überlegungen gewonnene wissenschaftliche Vermutung. Da die Hypothese aber noch nicht experimentell bewiesen wurde, ist es Ziel sie durch sachliche Argumente und Tests kritisch zu überprüfen, um so zur Formulierung einer Theorie übergehen zu können. Da die Hypothese bei neuen Erkenntnissen diesen stets angepasst wird, können viele verworfene Hypothesen nötig sein. Bei der Formulierung von Hypothesen ist es sehr wichtig, dass die Inhalte so genau wie möglich vor der Durchführung des Tests formuliert werden, um so eine klare und konkrete Fragestellung zu gewährleisten. Die Nullhypothese ist eine Annahme über die Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Variablen. Eine Hypothese, die alte Inhalte in Frage stellt und auf Neuerungen beruht, wird als Alternativhypothese bezeichnet. Die Nullhypothese ist im Gegensatz zur Alternativhypothese eindeutig formuliert. Alle Möglichkeiten, die eine zu häufige oder zu seltene Ziehung einer weißen Kugel zulassen, sind in der Alternativhypothese vorhanden. Da hier nichts über die Richtung eines Unterschieds ausgesagt wird, nennt man diese Art von Hypothesen zweiseitige oder ungerichtete Hypothesen.
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Einseitige oder gerichtete Hypothesen kann man erstellen, wenn aufgrund von Überlegungen oder Erfahrungen Kenntnisse über die Richtung eines möglichen Unterschieds vorliegen. Hypothesen In einer Urne befinden sich schwarze und weiße Kugeln, die in gleicher Anzahl vorhanden sind. Die Aussage, dass Urne und Kugeln ideal sind, wird jetzt in eine statistische Hypothese umgewandelt. Die Kugeln in der Urne werden anhand der weißen Kugeln geprüft. 5 Nullhypothese: H0: p=1/2 Das p in der Nullhypothese symbolisiert die Wahrscheinlichkeit, eine weiße Kugel zu ziehen. Die komplementäre Hypothese, die Alternativhypothese (H1), würde folglich lauten: 5 Alternativhypothese: H1: p≠1/2 So kann, wenn der Testleiter annimmt, dass zu selten und keinesfalls zu oft eine weiße Kugel gezogen wird, folgende Hypothesen erzeugt werden: 5 H0: p=1/2 5 H1: p<1/2
Der Testleiter muss stets vor der Durchführung des Tests kritisch und sorgfältig prüfen, welche Art der Hypothese zu seinem Test besser passt und bessere Informationen in Bezug auf seine Fragestellung liefern kann. 1.2.4.4 Fehlerarten Wenn die aufgestellte Nullhypothese richtig ist und fälschlicherweise zurückgewiesen wird bzw. man sich für die Alternativhypothese entscheidet, handelt es sich um einen α-Fehler oder Fehler 1. Art. Beim β-Fehler oder Fehler 2. Art hält man die Nullhypothese für wahr, obwohl sie nicht zutrifft. α-Fehler: Die Nullhypothese sei H0: Es liegt ein idealer Würfel vor. Ein Spieler würfelt mit einem idealen Würfel unverhältnismäßig oft eine 1, was durchaus zufällig eintreten kann. Er nimmt fälschlicherweise an, dass der Würfel nicht ideal sei und nimmt die Alternativhypothese an: H1: Es liegt kein idealer Würfel vor. β-Fehler: In einer Urne sind gleich viele weiße wie schwarze Kugeln enthalten. Ein Tester darf probeweise eine Kugel entnehmen und muss dann ein Urteil über die aufgestellte Nullhypothese »Es sind mehr weiße als schwarze Kugeln in der Urne vorhanden« treffen. Wenn der Tester sich aufgrund mehrmaliger Entnahmen von Kugeln zu dem 6
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Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
Schluss kommt, dass die Nullhypothese zutrifft, obwohl in der Urne gleich viele weiße wie schwarze Kugeln enthalten sind, begeht er einen Fehler 2. Art.
! Cave Statistische Studien, die eine hohe Signifikanz aufweisen, müssen nicht zwangsläufig einen hohen praktischen Aussagewert oder klinische Relevanz besitzen.
Zwar können aufgrund der hohen statischen PowerStudien mit großen Fallzahlen zu Ergebnissen mit hoher Signifikanz führen, doch muss die Größe des beobachteten Effekts wie die Wirkung eines Medikaments deswegen noch lange nicht von klinischer Relevanz sein. 1.2.4.5 Statistisches Schätzen Bei bedingten Wahrscheinlichkeiten wird das BayesTheorem in der Medizin häufig angewendet. Mit der Formel lässt sich berechnen, wie wahrscheinlich es ist p(A/B), dass der Patient die Krankheit A hat, nachdem ein Symptom B festgestellt wurde. > Bayes-Formel: p(A/B)=p(B/A)*p(A)/p(B/A)*p(A) + p(B/Ā)*p(Ā)
Ā gibt das komplementäre Ereignis zu A an. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die Krankheit A hat, nachdem ein Symptom B festgestellt wurde, ist also die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit auftritt p(B/A)*p(A) geteilt durch dieselbe Bedingung addiert mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit nicht auftritt p(B/Ā)*p(Ā). 1.2.4.6 Intervallschätzungen Gängige Verfahren wie Punktschätzungen werden angewendet, um verwendbare Schätzwerte zu erhalten. Der Nachteil besteht in der Interpretation, da ein einzelner Schätzwert keine Informationen liefert, wie sehr er vom wirklichen Parameter der Grundgesamtheit abweicht. Wenn das Schätzverfahren geeignet ausgewählt wird, liegt der Schätzwert in der nahen Umgebung des gesuchten Parameters. Um Punkte zu ermitteln, wie sehr der Schätzwert vom wirklichen Parameter der Grundgesamtheit abweicht, werden aus den Daten der Stichprobe Konfidenzintervalle zusammengestellt. Das Ziel ist es ein Intervall zu konstruieren, das den Parameter einschließt. > Es gibt keine Garantie dafür, dass das Konfidenzintervall den gesuchten Parameter überdeckt, daher wird eine Irrtumwahrscheinlichkeit (α) festgelegt, die normalerweise 5% beträgt.
Die Standardabweichung der Schätzfunktion bestimmt die Breite des Konfidenzintervalls, die möglichst schmal sein sollte. Durch Erhöhung des Stichprobenumfangs kann die Breite des Konfidenzintervalls verringert werden. Bei der Konstruktion eines Konfidenzintervalls ist möglich: 4 Die Wahrscheinlichkeit, dass das Intervall den gesuchten Parameter enthält, beträgt 1–α. Dieser Wert gibt die Konfidenzwahrscheinlichkeit wieder. 4 Das Konfidenzintervall enthält den gesuchten Parameter mit einer Wahrscheinlichkeit von α nicht. Bei der Konstruktion eines Konfidenzintervalls muss die Irrtumswahrscheinlichkeit immer angegeben werden, da das Konfidenzintervall keinen Vermutungen zulässt welches der erläuterten Möglichkeiten eingetroffen ist. 1.2.4.7 Überlebenszeitanalyse Um den Einfluss schädlicher Faktoren, ungünstiger Parameter (z. B. Gendefekte) oder medizinischer Behandlungen bezogen auf bestimmte Erkrankungen einschätzen zu können, bedient man sich der Überlebenszeitanalyse. Die Zeit für verschiedene Gruppen bis zum Eintritt eines festgelegten Ereignisses wie den Tod des Patienten oder das Auftreten erster Komplikationen wird verglichen. Der Kaplan-Meier-Schätzer ermöglicht eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit inwiefern ein Ereignis, z. B. das Auftreten von Komplikationen innerhalb einer definierten Zeitspanne nicht vorkommt. Der Hazardwert gibt die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines bestimmten Ereignisses wie den Tod infolge einer Krankheit in einer bestimmten Zeitspanne an. 1.2.4.8 Regressionsanalyse Um die Abhängigkeit zweier Messgrößen zu untersuchen, bedient man sich der Regressionsanalyse. Bei der linearen Regression kann eine Regressionsgerade dargestellt werden, die interessierende Variable y (endogene Variable) wird durch eine lineare Kombination von anderen Variablen x (exogenen Variablen) beschrieben. Die Regressionsgerade zeigt die Abhängigkeit der Größen x und y, z. B. Hitze und Temperatur, voneinander auf. Welches Gewicht die einzelnen exogenen Variablen einnehmen, kann man aus erhobenen Studien der endogenen Variablen abschätzen. ! Cave Die Annahme falscher linearer Zusammenhänge führt oft zur Verfälschung funktionaler Zusammenhänge zwischen Variablen.
17 1.3 · Medizinische Informatik
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In Kürze Medizinische Biometrie
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Nominalskala
Hat das niedrigste Niveau und den Charakter von Namen oder Kategorien, z. B. Haarfarbe, Blutgruppe
Ratioskala
Höchstes Niveau, stellt Verhältnisse dar, z. B. Längen, Gewichte. Besitzt einen Nullpunkt und definierte Abstände
Varianz
Charakterisiert die Streuung einzelner Werte der Messreihe um ihren Mittelpunkt
Sensitivität
Anzahl der richtig-positiven Testergebnisse/Anzahl der richtig-positiven Testergebnisse + Anzahl der falsch-negativen Testergebnisse, z. B. kann bestimmt werden, ob Kranke auch wirklich krank sind.
Spezifität
Anzahl der richtig-negativen Testergebnisse/Anzahl der richtig-negativen Testergebnisse + Anzahl der falsch-positiven Testergebnisse, z. B. kann bestimmt werden, wie viele von den Gesunden auch wirklich gesund sind
Retrospektive Studie
Ergebnisse liegen bereits vor (Krankenakten, Archive), von denen ausgehend Einflussgrößen untersucht werden können
Medizinische Informatik
1.3.1 Grundlagen der Signal-
und Bildverarbeitung 1.3.1.1 Grundbegriffe Unter Signalverarbeitung versteht man alle Bearbeitungsschritte, die Informationen aus einem Signal herauszuziehen. Informationen über Prozesse sollen gewonnen werden oder bestimmte Daten reduziert werden. In der Medizin muss sich jeder Arzt mit einer Vielzahl von Signalen auseinandersetzen und dementsprechend interpretieren. So können Körpertemperatur, Blutdruck, EEG und EKG aufgezeichnet werden. Unterschieden werden digitale und analoge Signale. Analoge Daten können in digitale Daten umgewandelt werden und liegen dann in Form von bestimmten Werten in Zahlen, Buchstaben oder Zeichen vor. Da die digitale Signalverarbeitung meist kostengünstiger, reproduzierbarer und kompakter ist und eine einfache Weiterverarbeitung und Speicherung zulässt, gewinnt sie zunehmend an Bedeutung. Die digitale Bildverarbeitung nutzt die Mittel der Signalverarbeitung, um die visuellen Informationen zu speichern und weiterzuverarbeiten.
! Cave Bildverarbeitung darf nicht mit Bildbearbeitung verwechselt werden, die Bilder zur späteren Darstellung verändert.
Die Bildbearbeitung stellt eine Zwischenstufe zur maschinellen Bearbeitung dar, die z. B. in der Informatik in Signalen bestimmte Muster erkennt und auswertet. Daten und Signale können jeder Art von Zeichen sein und Informationen liefern, wenn sie nach einem bestimmten Muster zusammengesetzt sind, dass ein entsprechendes Programm oder Gerät verwerten kann. Die Darstellung von Daten wird in einem Datenverarbeitungssystem in Bytes dargestellt und arbeitet mit einem Binärsystem. Ein Byte besteht aus 8 Bits, die nur zwei Zustände annehmen können: 0 und 1. Elektronische Datenverarbeitung (EDV) ist ein Sammelbegriff für die Bearbeitung und Erfassung von Daten durch Computer dar. 1.3.1.2 Aufbau und Funktionsweise von Computern Jedes Computersystem wird in zwei elementare Grundsteine unterteilt: Die Hardware stellt die maschinentechnische Ausrüstung eines Computers dar, wie den Prozessor, Arbeitsspeicher, Ausgabegeräte (Drucker, Bildschirm) und Eingabegeräte (Maus, Tastatur).
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Kapitel 1 · Epidemiologie, Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik
Als Software werden die Programme (im Voraus festgesetzter Ablauf) und Daten bezeichnet. Sie werden verwendet, um Probleme zu lösen und sind in einer Programmiersprache wie Pascal oder C++ erstellt. Um ein Programm zu erschaffen, braucht man zuerst eine genau definierte Handlungsvorschrift um ein bestimmtes Problem zu lösen. Dieses wird auch als Algorithmus bezeichnet. Algorithmus Im praktischen Leben werden wir andauernd mit Algorithmen konfrontiert, z. B. bei Bedienungsanleitungen oder wenn wir Wäsche waschen wollen und dafür das geeignete Waschmaschinenprogramm wählen müssen.
1.3.2 Daten, Information, Wissen, Recall,
Präzision In der Informatik und Datenverarbeitung werden Daten als Repräsentanten für Informationen benutzt. Wenn ein Bedeutungskontext gegeben ist, können Daten zu Informationen werden. Beispiel: 0049 kann eine Landesvorwahl sein und gehört zu der Kategorie Daten. Wenn nun ein Bedeutungskontext in Form eines zugehörigen Landes hinzugefügt wird, wird daraus eine Information. Man unterscheidet zwischen strukturierten Daten wie Datenbanken und unstrukturierten Daten wie Dokumenten. Eine maschinelle Weiterverarbeitung unstrukturierter Daten geht mit größerem Geld- und Zeitaufwand einher und ist zudem auch öfters ungenau. Recall und Präzision spielen bei der Suche von Daten innerhalb einer Datenbank eine Rolle. Sie beschreiben die Güte eines Suchergebnisses: 4 Recall beschreibt das Verhältnis der bei einer Suche gefundenen relevanten Dokumente und der relevanten Dokumente in der Grundgesamtheit. 4 Durch die Präzision wird die Genauigkeit eines Suchergebnisses beschrieben. Sie gibt das Verhältnis der gefundenen relevanten Dokumente zu allen bei einer Suche gefundenen Dokumenten wieder. Steigt der Recall durch Vorhandensein von mehr Treffern, sinkt die Präzision, da nun mehr irrelevante Ergebnisse vorhanden sind. Dieses gilt auch umgekehrt: wenn weniger irrelevante Ergebnisse vorliegen, steigt die Präzision, aber der Recall sinkt. Dies ist ein Beispiel für eine negative Korrelation dar. Als »retrieval« wird der Vorgang der Informationswiedergewinnung beschrieben.
1.3.3 Grundlagen des Internet 1.3.3.1 Internet und Intranet Das Internet besteht aus einem weltweit vorhanden Netzwerk voneinander unabhängiger Netzwerke, in denen Informationen ausgetauscht werden und auch die Kommunikation gefördert wird. Netzwerke sind Zusammenschlüsse selbstständiger elektronischer Systeme wie Computer, die miteinander kommunizieren können und damit den Austausch von Daten zwischen den Rechner im Netzwerk ermöglichen. Da im Internet die meisten Inhalte keiner Objektivität oder kritischen Prüfung unterzogen wurden, muss mit den Informationen kritisch und vorsichtig umgegangen werden. Internet In Schulen und Universitäten wird das Internet als Kommunikationsmittel und Informationsquelle unverzichtbar. Die gesuchten Informationen sollten in Datenbanken zu Verfügung gestellt werden und kritisch auf Eignung und Zuverlässigkeit überprüft werden, um einen kompetenten Umgang mit Daten und Informationen zu ermöglichen. Eigene Ergebnisse und Inhalte sollten ebenfalls ausgetauscht werden können.
Im Gegensatz kann das Intranet aber nur von einer bestimmten Gruppe, wie z. B. den Ärzten eines Krankenhauses oder den Mitarbeitern einer Firma benutzt werden. Dabei findet aber keine räumliche Begrenzung statt. Die Standorte von großen Unternehmen sind meistens über die ganze Welt verteilt. Durch ein spezielles Eingabefenster kann allen Mitarbeitern des Unternehmens Zugriff auf dasselbe Intranet gestattet werden. 1.3.3.2 Daten- und Wissensbanken in der Medizin Wichtige Datenbanken in der Medizin sind DIMIDI oder MEDLINE. Sie sind auf CD-ROM oder Diskette verfügbar und können auch online im Internet angesehen werden. MEDLINE ist eine öffentlich zugängige Datenbank und ermöglicht den Zugriff auf Nachweise der internationalen Fachliteratur in allen Bereichen der Medizin. Abgerufen werden können auch Zusammenfassungen über Studien (»abstracts«). Im Internet sind viele elektronische Datenbanken aufgrund ihrer schnellen Verfügbarkeit vorhanden. Spezielle Suchmaschinen können zur umfangreichen Literaturrecherche auf mehrere Datenbanken gleichzeitig zugreifen. Unterschieden werden:
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4 Literaturdatenbanken wie MEDLINE 4 Faktendatenbanken wie Arzneimitteldatenbanken (Rote Liste, ChemIDplus), die gesuchte Informationen im Volltext zur Verfügung stellen 4 Bilddatenbanken (DERMIS) Zitationen geben einen direkten Verweis von einer Publikation auf eine andere, was häufig als Zitatform, Quellenangabe oder Literaturhinweise in einer Promotionsarbeit auftritt. Zitationen spielen in der wissenschaftlichen Literatur eine wichtige Rolle, da so die gewonnenen Erkenntnisse und angewandten Methoden nachvollzogen werden können. Die dazugehörige Datenbank wird als »citation index« bezeichnet und enthält Zitationen, die für bibliometrische Untersuchungen verwendet werden können. Diese o. g. Datenbaken können helfen, eine möglichst gute evidenzbasierte Medizin zu betreiben. Das gesamte medizinische Wissen vermehrt sich enorm schnell. Bei der so entstehenden Menge an neuen Informationen, kann der Student und Arzt schnell überfordert sein, bedeutende Informationen für sich herauszufiltern. Die evidenzbasierte Medizin bewertet die Qualität neuer veröffentlichter medizinischer Daten und kann so bei der Urteils- und Entscheidungsfindung helfen. Evidenzbasierte Medizin soll dem Patienten ermöglichen, auf Basis der momentan besten zu Verfügung stehenden Daten medizinisch behandelt zu werden. Dazu muss der behandelnde Arzt 4 nach den entsprechenden relevanten Evidenz beinhaltenden Daten in medizinischen Datenbanken suchen, 4 das klinische Problem aufgrund deren Gültigkeit kritisch beurteilen und 4 seine klinische Erfahrung am Patienten anwenden. 1.3.4 Telemedizin, Einzug der EDV
in Kliniken und Praxis, Universität (Aus-/Fortbildung) In Kliniken sowie Praxen werden Krankenakten zunehmend in EDV-Systemen archiviert. Dies hat den Vorteil, dass gesuchte Daten schneller gefunden und besser verarbeitet werden können. So kann man auch Laboranalysen oder Röntgenbilder sowie EEG und EKG schnell über vernetzte Computer in einer großen Klinik abrufen, was Zeit und Geld spart. Als Ordnungskriterien treten oft der Name, das Geburtsdatum sowie eine, jedem Patienten zugeordnete Identifikationszahl auf. Doch die EDV ist auch aus Aus- und Fortbildung nicht mehr wegzudenken. Dem Studenten begegnet sie
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z. B. wenn er Vorlesungsunterlagen in universitätsinternen Netzwerkordnern oder Internetseiten abrufen kann. Die räumliche und zeitliche Überbrückung einer Distanz mittels Telekommunikation (am häufigsten über das Telefon oder Computer) zwischen Arzt oder Patienten oder auch zwischen zwei Ärzten ist Gebiet der Telemedizin. Sie ist besonders in dünn besiedelten Regionen von Nöten, wie z. B. Australien. Hier wurde mit den »flying doctors« ein gut funktionierendes Netzwerk an medizinischer Versorgung aufgebaut. Mit Hilfe von Flugzeugen und telefonischer Konsultierung des Patienten vor Eintreffen eines Arztes wird hier die medizinische Versorgung gewährleistet. Nachteil der Telemedizin ist, dass häufig therapeutische Möglichkeiten wegen des Fehlens fachärztlichen Einsatzes nicht ausgeschöpft werden können. Trotzdem stellt die Telemedizin eine deutliche Qualitätsverbesserung dar, Fachärzte können vernetzt werden und sich über anstehende Probleme austauschen. Ein großes Problem der Telemedizin stellt der Datenschutz dar, daher sollten wenn möglich personenbezogene Daten nur anonymisiert ausgetauscht werden. Ein für die Anonymisierung von Patienten wichtiger wachsender Markt stellt die Verschlüsselungs-Branche dar, allerdings müssen hierfür beim Sender und Empfänger die notwendigen Bedingungen und Ausstattung vorhanden sein. 1.3.5 Datensicherheit, ärztliche
Schweigepflicht Datensicherheit und Datenschutz sind Themen, die auch gerade aktuell mit der Frage der Einführung von neuen Chipkarten diskutiert werden. Momentan finden sich auf der Krankenkassenkarte Daten wie Name, Geburtsdatum, Geschlecht und Anschrift. Das zukünftige Modell sieht eine Ergänzung krankheitsbezogener Daten von Fachärzten, Hausarzt und Kliniken vor. Sogar bildgebende Daten wie Röntgenbilder sollen dann abgerufen werden können, um eine präzisere, schnelle und kostengünstigere Diagnose und Therapie zu gewährleisten. Neue Verschlüsselungstechniken wie die digitale Signatur, die man mittlerweile in fast jedem E-Mail-Programm vorfinden kann, erlauben eine Sicherstellung von korrekt zugeordneten Sendern. So können eindeutige Daten wie Rezepte oder PatientenDaten dem jeweiligen Arzt zugeordnet werden. ! Cave Damit solche Daten nicht missbraucht werden, ist Datensicherheit und -schutz unbedingt notwendig.
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So muss bei der Weitergabe oder Speicherung von Daten stets geprüft werden, ob die Institution ihren Aufgaben entsprechend handelt oder kritisch hinterfragt werden, ob der Empfänger eine nachvollziehbare Berechtigung an den Daten hat, wie es bei weiterbehandelnden Ärzten der Fall wäre. > Bei der Weitergebe an Dritte, wie z. B. im Rahmen von Studien, müssen Daten anonymisiert und der teilnehmende Patient detailliert über Wesen, Tragweite, Bedeutung und Risiken der Versuchsteilnahme aufgeklärt werden.
Grundsätzlich ist ein Arzt zur Schweigepflicht gegenüber jeder Person, d. h. auch gegenüber Angehörigen des Patienten, Gerichten, Arbeitgebern, Versicherungen und auch Ärzten verpflichtet. Der Patient besitzt das Recht den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, in diesem Fall muss eine (schriftliche) Einverständniserklärung vom Patienten eingeholt werden, um die Rechtssicherheit zu wahren und mögliche Missverständnisse auszuschließen. Die Angehörigen eines Patienten haben nicht das Recht, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. ! Cave Da die Schweigepflicht eine der wesentlichsten Grundlagen des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ist, ist die Einhaltung der Schweigepflicht oberstes Gebot!
1.3.6 Dokumentation und Verschlüsselung
in der Medizin (ICD) 1.3.6.1 Medizinische Dokumentation Eine medizinische Dokumentation klinischer Daten ist unbedingt notwendig, damit Vorgänge, Analysen und Therapien nachvollzogen werden können. > Zur sorgfältigen Dokumentation ist jeder praktizierende Arzt verpflichtet.
Unterschieden werden: 4 Bei der strukturierten Dokumentation ist ein entsprechendes Schema fest vorgegeben, z. B. bei Erhebungsbögen). 4 Die freie Dokumentation ist problemorientiert aufgebaut, es wird mit freien Texten und Berichten gearbeitet. Eine Basisdokumentation sollte mindestens die Personendaten wie Name, Geschlecht, Alter und Gewicht,
Diagnosen, Allergien und Tag der Aufnahme und Entlassung enthalten. Eine besonders wichtige Rolle spielt die Dokumentation in der späteren Abrechnung mit zum Beispiel den Krankenkassen. Dort muss begründet und vorgelegt werden, warum welche Therapie über welchen Zeitraum beim Patienten angewendet wurde. Unauffällige Befunde, so genannte Null-Befunde sollten ebenfalls aufbewahrt werden, um so eine später eintretende Veränderung festzustellen. 1.3.6.2 Verschlüsselung Um Datenstrukturen zu vereinfachen, besser auswerten und sich international besser austauschen zu können, werden Informationen codiert. Diagnosen werden bestimmten zugewiesenen Schlüsselsystemen zugewiesen, wobei selten alle spezifischen Angaben der Diagnose mitverschlüsselt werden können, es tritt also ein Informationsverlust auf. Ein Diagnoseschlüssel ist aus Zahlen und Buchstaben zusammengesetzt und hierarchisch geordnet. Der Schlüssel muss, um in der medizinischen Dokumentation angewandt werden zu können, umfassend sein. Jeder möglichen Diagnose sollte ein entsprechender Schlüssel zugewiesen werden können. Oft findet man bei nicht genauer Kategorisierung die Auswahl in »sonstige Ursachen« oder »unbekannter Wert« wieder. Der Schlüssel darf auch nicht disjunkt sein, Schlüssel dürfen sich nicht überschneiden, eine Diagnose darf nur durch einen Code verschlüsselt werden. Verschlüsselung Es wird die Diagnose Influenza gestellt. Folgende Schlüssel sind vorhanden: 1. Infektionskrankheiten 2. angeborene Krankheiten 3. Influenza 4. … Die Diagnose Influenza kann nun in Kategorie 1 und 3 fallen und wäre somit nicht disjunkt. Wenn der 1. Punkt Infektionskrankheiten ausgenommen Influenza lauten würde, wäre ein disjunkter Schlüssel gegeben.
Wichtige Diagnoseschlüssel sind: 4 Das TMN-System fasst pathologisch-anatomische Parameter einer Krebserkrankung in codierter Form zusammen. Das T steht für die Ausdehnung des Primärtumors, das N für den Zustand der regionären Lymphknoten und das M für das Auftreten von Fernmetastasen. 4 Im ICD-Schlüssel setzt sich der Code aus einem Buchstaben und drei Ziffern zusammen. Die Kategorie der Diagnose kann von dem Buchstaben und deren ersten beiden Ziffern hergeleitet werden, die dritte Zahl gibt die Unterkategorie an. Sie stellt eine internationale Klassifikation der Krankheiten dar.
21 1.3 · Medizinische Informatik
4 Das SNOWMED-Schlüsselsystem besteht aus sieben Achsen, die die verschiedenen medizinisch relevanten Sichten auf den Menschen, seiner Um-
1
gebung und seiner Krankheit enthält. So tritt z. B. der Beruf, die Morphologie oder Prozedur als Achsen auf.
In Kürze Medizinische Informatik Recall
Beschreibt das Verhältnis der bei einer Suche gefundenen relevanten Dokumente und der relevanten Dokumente in der Grundgesamtheit
Präzision
Beschreibt die Genauigkeit eines Suchergebnisses: Verhältnis der gefundenen relevanten Dokumente zu allen bei einer Suche gefundenen Dokumenten
Zitationen
Verweise von einer Publikation auf eine andere
2 Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin J. G. Mayer
2.1
Geschichte der Medizin
–24
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7
Magische Heilkonzepte –24 Indische Medizin –24 Chinesische Medizin –25 Medizin in der europäischen Antike –25 Medizin im europäischen Mittelalter –28 Epidemien: Pest, Syphilis, Cholera und Lungentuberkulose –31 Medizin im Zeitalter von Humanismus und Renaissance (ausgehendes 15. und 16. Jh.) –34 2.1.8 17. und 18. Jahrhundert: zwischen Tradition und Aufbruch –35 2.1.9 Medizin im 19. Jahrhundert: Beginn der Modernen Medizin –37 2.1.10 Medizin im 20. Jahrhundert –39 2.1.11 Medizin im Nationalsozialismus –42
2.2
Theorie der Medizin
2.2.1 2.2.2 2.2.3
Anthropologie –45 Gesundheit – Krankheit –45 Handlungstheorie (ärztliche Theorie)
–45
2.3
Ethik der Medizin
2.3.1 2.3.2 2.3.3
Was ist Ethik? –48 Wichtigste Ethiktheorien –49 Fragen und Probleme der Medizinethik
–47
–48
–51
24
2
Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Von Medizin kann erst dann die Rede sein, wenn zur heilkundlichen Praxis eine Theorie hinzukommt, die sich an der jeweils aktuellen Naturwissenschaft ausrichtet. Schon in der Antike gehörten Geschichte, Theorie und Ethik zur Medizin. Die besondere Stellung der Ärzte in der Gesellschaft brachte frühzeitig eine spezifische Ethik hervor, und die hellenistische Welt kannte bereits mehrbändige Werke zur Medizingeschichte (die leider verloren gingen). Das Wissen um Ursprung und Geschichte der Medizin hilft auch heute beim Verständnis des Gesundheitswesens und seiner Probleme. Mit theoretischen und ethischen Fragestellungen sind Ärztin und Arzt nahezu täglich konfrontiert. 2.1
Geschichte der Medizin
2.1.1 Magische Heilkonzepte Bevor sich eine wissenschaftlich begründete Heilkunde (Medizin) in der griechischen und chinesischen Kultur zwischen dem 6. und 3. Jh. v. Chr. entwickelte, wurden Krankheiten nach magischen Konzepten behandelt. Magisches findet sich auch heute noch in der Medizin (z. B. Plazebo-Effekt), während die magische Heilkunde immer auch empirische Elemente besaß. > Die magisch-animistische Medizin bzw. theugrische Heilkunde hatte ihre Grundlage in übernatürlichen Vorstellungen von transzendenten Kräften.
4 Krankheiten werden durch Götter, Geister, Dämonen, Sterne und Planeten beherrscht. 4 Heilmethoden: meist Rituale (Tänze, Waschungen etc.), welche die Geister besänftigen sollten. 4 Die Arzneimittel wurden durch die Signaturenlehre aufgefunden, d. h. die Heilpflanze »verriet« ihre Wirkung durch Farbe oder Form. Krankheit wurde durch Tabu-Verletzung (Übertretung einer sozialen oder religiösen Regel) verursacht und stellte somit eine übernatürliche Strafe dar. Sie konnte selbst ein Geist sein, der den Kranken befiel. Die Therapeuten in diesem System waren Medizinmänner oder Schamanen. Für die Heilung waren eine hervorgehobene Stellung in der Gesellschaft und eine genaue Kenntnis der psychosozialen Situation des Patienten unabdingbar. Der Medizinmann verwandte vor allem pflanzliche Wirkstoffe und physikalische Therapiemethoden sowie Rituale um die Krankheitsgeister zu vertreiben. Zusätzlich wurde die Ekstase eingesetzt, die für den Schamanen die wichtigste Technik darstellte.
Noch die Medizin der alten Hochkulturen von Ägypten, Babylon sowie die altindische Medizin zeigen magisch-dämonische und empirisch-rationale Elemente. Entsprechend gab es auch Priesterheiler und Zauberheiler sowie praktische Heiler (Ärzte). Recht gut belegt ist die ägyptische Medizin, nicht nur durch archäologische Sachfunde und Mumien, sondern auch durch Textzeugnisse (Papyri, Wandinschriften). Die wichtigste Schrift ist der sog. Papyrus Ebers (um 1550 v. Chr.), benannt nach dem Käufer Georg Ebers, der ihn 1872 erwarb. Auf einer Länge von 20 m werden zahlreiche kürzere Texte überliefert, die sich in drei Gruppen gliedern lassen: 4 Erkrankungen des Herzens 4 Theoretische Traktate über das Herz und die Gefäße 4 Rezeptsammlungen zu verschiedenen Krankheiten Ähnlich wichtig ist der Papyrus Smith, der die Chirurgie behandelt. In der Physiologie tauchten bereits die vier Elemente Luft, Feuer, Erde und Wasser auf, die in der griechischen und mittelalterlichen Medizin Europas eine zentrale Rolle spielten. 2.1.2 Indische Medizin Die Schriften der altindischen Religion, die sog. Veden (um 1200 v. Chr.), sind die Quellen für die altindische Medizin, die deshalb auch altvedische Medizin genannt wird. Hier stellen noch Götter die Ursache von Krankheit und Heilung dar. Eine besondere Rolle spielten die fünf Winde der Veda und der Atem. Auf dieser Basis entwickelte sich zwischen 500 v. Chr. und 500 n. Chr. die Ajurveda-Medizin. Ajurveda bedeutet »Wissen über das lange Leben«. Ähnlich wie die chinesische und die griechische Naturphilosophie wurde von Elementen ausgegangen. Im Ajurveda waren dies: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum. Der Raum wurde mit dem alten Wind-Prinzip zum Vata-Prinzip verbunden, die Elemente Wasser und Erde zum Schleim- oder Kapha-Prinzip, Wasser und Feuer bildeten das PittaPrinzip (Galle). Dies waren die drei Dosas. Das Blut stellte ein viertes Prinzip dar. Die drei Dosas waren für die Ernährung zuständig: Kapha befeuchtete die Nahrung, Pitta »kochte« sie, und Vata verteilte sie im Körper. Ein Gleichgewicht zwischen den Dosas erhielt die Gesundheit, ein Ungleichgewicht brachte Krankheit. Die Untersuchung des Patienten konzentrierte sich zunächst auf Haut, Zunge und Fäkalien, so dann auf Palpation, Auskultation, Puls- und Urindiagnostik. In der Therapie hatten Diät und Hygienevorschriften einen hohen Stellenwert. Daneben wurden pflanz-
25 2.1 · Geschichte der Medizin
liche Drogen in verschiedenen Formen appliziert (u. a. Klistier, Inhalation), weitere Methoden waren Aderlass und Bäder. Die hochentwickelte Chirurgie kannte Starstich, Blasensteinentfernung, Amputation und Kaiserschnitt (an der verstorbenen Mutter) und sogar plastische Chirurgie (z. B. Nasenplastik). Unter Einbeziehung europäischer Elemente erlebte die ajurvedische Medizin im vergangenen Jahrhundert eine große Renaissance und wird an eigenen Universitäten in Indien gelehrt. 2.1.3 Chinesische Medizin Um die Zeitenwende ab etwa 200 v. Chr., und damit etwas später als in Griechenland (7 Kap. 2.1.4), lässt sich für China eine naturgesetzlich begründete Medizin nachweisen. Zuvor bestand eine Heilkunde, in der Krankheitsdämonen zu bekämpfen waren. Diese Vorstellung blieb lange Zeit erhalten, denn anders als die europäische kennt die chinesische Medizingeschichte keine Brüche, das Alte lebte immer weiter, deshalb setzt sich die chinesische Medizin (CM) aus vielen disparaten Elementen zusammen. Theoretische Grundlagen Theoretische Grundlage der CM bildeten die Yin-YangLehre und die Fünf-Phasen-Lehren. Die Yin-Yang-Lehre geht davon aus, dass jede Einheit aus dem Dualismus von Gegensätzen besteht: > 4 Yang: Wärme, Aktivität, männlich 4 Yin: Kälte, Ruhe, weiblich
Wenn eines der Prinzipien zum falschen Zeitpunkt herrscht (wie etwa Kälte im Sommer), kommt es zu Krisen bzw. Krankheit. Im Gegensatz zur abendländischen Medizin, die auf einem Viererschema aufbaut, besitzt die CM ein Fünferschema, wie an der Anzahl der Elemente, Organe, Säfte, und krankmachenden Emotionen deutlich wird.
Fünferschema der Fünf-Phasen-Lehren 4 Elemente: Wasser – Holz – Feuer – Erde – Metall 4 Organe: Nieren – Leber – Herz – Milz – Lunge 4 Säfte: Nasenschleim – Schweiß – Speichel – Tränen – Spucke 4 Emotionen: Trauer – Freude – Furcht – Ärger – Betrübnis
2
Die Fünf-Phasen-Lehren lassen sich als zwei Kreise darstellen (. Abb. 2.1): 4 Kreislauf der Entstehung: 5 Wasser lässt Pflanzen (Bäume) wachsen, es entsteht Holz. 5 Holz nährt das Feuer. 5 Feuer produziert Asche, also Erde. 5 Aus der Erde entsteht das Metall. 5 Erhitztes Metall bringt Dampf, es entsteht Wasser. 4 Kreislauf der Zerstörung: 5 Wasser löscht Feuer. 5 Feuer schmilzt Metall. 5 Metall schneidet Holz. 5 Holz, z. B. als Schaufel, bewegt Erde. 5 Erde, z. B. als Damm, stoppt Wasser. Da die fünf Elemente mit Organen in Beziehung gesetzt wurden, konnte man mit den Fünf-Phasen-Lehren und der Yin-Yang-Lehre komplexe Vorgänge beschreiben. Therapie Neben der sehr wichtigen Diätetik hat die CM eine umfangreiche Pharmakologie mit nahezu 2000 Substanzen entwickelt. Im 6. Jh. entstand die Einteilung in höhere, mittlere und niedere Arzneimittel. Die höheren waren die völlig ungiftigen, die mittleren erwiesen sich manchmal als toxisch, die niederen waren toxisch und konnten nur gegen bestimmte Krankheiten eingesetzt werden. Aus dem Aderlass entwickelte sich etwa im 1. Jh. v. Chr. die Akupunktur, als Diagnose- und Therapiemethode. Dabei wurden mit feinen Nadeln bestimmte Hautstellen punktiert, um bestimmte Leitbahnen, die mit feinsten Dämpfen gefüllt sind, zu beeinflussen. In der Neuzeit geriet die Methode fast in Vergessenheit und wurde 1822 schließlich sogar behördlich verboten. Mitte des 20. Jh. wurde das Verfahren, das in der Volksmedizin weiterlebte, neu entdeckt und wird seit den 70er-Jahren auch in der westlichen Medizin eingesetzt. > Die heutige Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ist eine Konstruktion des 20. Jh. aus Elementen der alten chinesischen Medizin.
2.1.4 Medizin in der europäischen Antike Heilkunde in der Antike Der römische Gelehrte Aulus Cornelius Celsus schrieb im 1. Jh. n. Chr. in seiner »Medizin«: »Die Heilkunde findet sich überall, sogar die mit ihr gänzlich unvertrauten Menschen kennen Kräuter und andere Mittel zur Heilung von Wunden 6
26
Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
2
. Abb. 2.1. Fünf-Phasen-Lehre
27 2.1 · Geschichte der Medizin
und Krankheiten. Sie ist aber bei den Griechen viel weiter ausgebildet worden als bei allen übrigen Völkern, aber auch bei ihnen nicht von Anfang an, sondern erst seit wenigen Jahrhunderten.«
Mit dem Asklepios-Kult kannten die Griechen eine theurgische Heilkunde. Sie berief sich auf den Heilgott Asklepios, ein Sohn des Gottes Apollon. Die Behandlung in den Asklepios-Heiligtümern bestand aus Bädern, Gebeten, Opfern, besonders wichtig war der Tempelschlaf, für den besondere Liegehallen bereitstanden: während der Patient schlief, sollte der Gott selbst die Heilung vollziehen. Beginn der Medizin in Griechenland Beginn der Medizin Bei den Griechen etablierten die Vorsokratiker zwischen dem 7. und 5. Jh. eine Naturphilosophie (Physik), die nach den Voraussetzungen und Bedingungen für die Existenz der Dinge und des Lebens fragte: Woher kommen die Dinge, die Lebewesen, die Menschen? So sagte Thales von Milet: alles kommt aus dem Wasser. Andere hielten die Luft/ Pneuma (Anaxímenes), wieder andere das Feuer (z. B. Heraklit) für den Urstoff. Die Frage nach dem Urstoff (Hýle) und dem Urprinzip (Arché) wurde mit der Lehre von den vier Elementen durch den Philosophen Empédokles schließlich vorläufig gelöst. Demnach bestand alles, was existierte, aus einer Mischung von vier Elementen: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Durch das Prinzip Liebe wurden die Dinge aus den Elementen erschaffen, durch das Prinzip Streit/Krieg zerfielen sie wieder in die Elemente. An dieser Naturwissenschaft richtete sich die griechische Heilkunde aus, dies war der Beginn der Medizin.
Neben den Vorsokratikern, die vor allen an der Küste Kleinasiens wirkten, entstanden in Süditalien die Schulen der Phytagoreer, die auf Pythagoras von Samos (gest. 497/496) zurückgingen. Ihnen stand der Naturphilosoph und Arzt Alkmaion von Kroton nahe. Für ihn war Gesundheit »Harmonie« und Krankheit »Disharmonie« im Körper. Dazu nannte er eine Reihe von Gegensatzpaaren, die diese Harmonie verdeutlichen: warm-kalt, trocken-feucht, bitter-süß usw. Wenn einer dieser Aspekte überwog, bedeutete dies Krankheit. Krankheiten entstanden durch ein Übermaß an Hitze oder Kälte, durch zuviel oder zuwenig Nahrung oder durch direkte äußere Einwirkungen (Verletzungen). Ärzteschule von Kos Die wichtigste griechische Ärzteschule der klassischen Zeit wurde Kos, eine Insel vor der kleinasiatischen Mittelmeerküste. Gegründet in der 2. Hälfte des 4. Jh. vertrat sie die vorsokratische Naturphilosophie. Berühm-
2
tester Arzt der Schule war Hippokrates von Kos (gest. um 380 v. Chr.). Nach ihm wurde das »Corpus hippocraticum« benannt, das über 60 medizinische Schriften enthält. Die ältesten stammen aus dem 5. Jh. v. Chr., die jüngsten aus dem 1. bis 2. Jh. n. Chr. Die Sammlung entstand erst lange nach Hippokrates im ägyptischen Alexandrien. Texte des Hippokrates Auf Hippokrates gehen nur wenige Texte zurück: die Bücher I und III der »Epidemien« und das »Prognostikon«, vielleicht noch eine Aphorismen-Sammlung. Der Hippokratische Eid ist sicherlich jüngeren Datums. Er galt wahrscheinlich nur für eine bestimmte Ärzteschule, die vielleicht den Pythagoreern nahe stand (7 Kap. 2.3).
Auch nach der hippokratischen Medizin war Krankheit Disharmonie, die harmonische Mischung der Körpersäfte war gestört (Dyskrasie). Den Ausgleich (Synkrasie) sollte eine »Kochung« oder pepsis (Dauung) erbringen. > Wegen der großen Bedeutung der Körpersäfte in diesem System spricht man von der Humoralpathologie (humor = Saft).
Zentral ist die Diätetik: Für ein gesundes Leben genügte es nicht, die »res naturales« (natürlichen Dinge) zu beachten: Elemente, Säfte, Konstitution, sondern auch die »sex res non naturales«: Licht und Luft, Speise und Trank, Bewegung und Ruhe, Schlafen und Wachen, Ausscheidungen, Emotionen. Schule von Alexandrien Neben der Schule von Kos war die Schule von Alexandrien die bedeutendste der Antike. Hier wirkten Herophilos (ca. 300 v. Chr.) und Erasistratos (ca. 250 v. Chr.). Herophilos von Chalcedon gilt als Vater der Anatomie. Er soll seine ausgezeichneten anatomischen Kenntnisse zum Teil durch Vivisektion von Schwerverbrechern erworben haben (so Celsus). Er beschrieb als erster das Gehirn, die vier Häute des Augapfels, die Genitalien von Mann und Frau und die Nervenbahnen, benannte den Zwölffingerdarm (Dodekadaktyklon) und machte sich um die Pulsmessung verdient. Auch Erasistratos nutzte die Sektion von Tieren und menschlichen Leichen. Er wurde der Vater der Physiologie. Seine Studien galten vor allem dem Weg der Verdauung, wobei er die Vorstellung ablehnte, die Nahrung werde im Magen gekocht. Er betrachtete das Herz als zentrales Pumpwerk, das Blut und Pneuma in die Organe befördert.
28
2
Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Alexandrien blieb bis zum Arabersturm (7. Jh.) das wissenschaftliche Zentrum der römisch-griechischen Welt auch im Bereich der Medizin. Die Spätantike kannte noch weitere Schulen, wie die Empiriker, die Methodiker und die Pneumatiker, die über die Antike hinaus keine oder nur sehr geringe Wirkung zeigten. Medizin in Rom (1. bis 2. Jh. n. Chr.) Aulus Cornelius Celsus war römischer Gelehrter und Enzyklopädist, kein Arzt. Er verfasste zwischen 25 und 35 n. Chr. eine umfangreiche Enzyklopädie, die weitgehend verloren ging, nicht jedoch seine acht Bücher über die Medizin (»De Medicina«). Celsus hatte wegen seines klassischen Stils (Cicero medicorum) großen Einfluss auf die Humanisten. Seine breite Rezeption in der frühen Neuzeit führte zu einer Konfusion in der Terminologie. Auch Plinius der Ältere (gest. 79) war wie Celsus kein Arzt, sondern Enzyklopädist und römischer Flottenadmiral. Seine Naturgeschichte (»Naturalis historia«) enthält umfangreiches Material zur Medizin, besonders zu den Heilmitteln. Die medizinisch relevanten Teile seiner Naturgeschichte wurden zur »Physica Plinii« zusammengestellt. Dadurch wurde er zu einem wichtigen medizinischen Autor für das Mittelalter, insbesondere für die Klostermedizin und die frühe Neuzeit. Pedanios Dioskurides von Anazarbos war Grieche und Militärarzt. Seine um 60 n. Chr. entstandene »Materia medica« ist die erste erhaltene systematische Darstellung der Arzneimittel. Nach 5 Büchern geordnet behandelt sie über 800 pflanzliche und jeweils 100 tierische und mineralische Arzneimittel. Sie war für 1800 Jahre das wichtigste Werk zur Arzneimittelkunde in Europa. Galen (Galenos) von Pergamon (etwa 130–200 n. Chr.) Galen ist nach Hippokrates der wichtigste Arzt der Antike, u. a. Leibarzt des Kaisers Marcus Aurelius. In seinem riesigen Schrifttum bietet er die Quintessenz der antiken, griechischen Medizin, allerdings nicht in systematisierter Form. In über 300 Texten kommentierte und erweiterte er die Schriften des »Corpus Hippocraticum«. Galen baut auf der Viersäftelehre bzw. Humoralpathologie der Hippokratiker auf. Demnach bedeutet eine gute Mischung der Körpersäfte (Synkrasie) Blut, Schleim, Gelbe und Schwarze Galle Gesundheit, eine schlechte Mischung (Dyskrasie) Krankheit. Von grundlegender Bedeutung sind die vier (Primär-)Qualitäten: warm-kalt, feucht-trocken (7 Kap. 1.5.3). Von den Pneumatikern übernahm Galen die Pneuma- oder Spiritus-Lehre. Demnach wird aus der Luft im Herzen das Lebens-Pneuma (spiritus vitalis, greich.
pneuma zootikon) gebildet, das wieder den Grundstoff für das Seelen-Pneuma (spiritus animalis, bzw. pneuma physicon) liefert, das im Gehirn gebildet wird. Somit hat die Seele eine materielle Grundlage. Digestionslehre Galens Sie war von größter Bedeutung und besitzt drei Stufen: 4 Verdauung geschieht im Magen, wo der chylus aus dem Nahrungsbrei gebildet wird, die wertlosen Teile werden über den Darm ausgeschieden. 4 Verdauung leistet die Leber, die aus dem chylus das Blut bildet, Reststoffe werden über den Harn ausgeleitet. 4 Verdauung ereignet sich in den übrigen Organen und Körpergliedern, die sich vom Blut ernähren, wobei das Blut aufgebraucht wird. Reststoffe werden im Schweiß ausgesondert.
Galen kannte also keinen Blutkreislauf, der Körper muss ständig neues Blut bilden, um seine Organe ernähren zu können. 2.1.5
Medizin im europäischen Mittelalter
2.1.5.1
Klostermedizin/monastische Medizin
Klosterkultur Mit dem Untergang des römischen Reiches durch die Völkerwanderung und die Justinianischen Pestwellen ab 543 ging eine sehr hoch stehende Zivilisation weitgehend unter und mit ihr das griechisch bestimmte Medizinalwesen. Die Bevölkerung Europas verlor weitgehend die Schriftlichkeit. Eine Ausnahme bildete der Klerus in den Klöstern und Bischofsstädten. Als die karolingischen Könige im 8. Jh. das fränkische Reich nach römischen Vorbild erneuern wollten, mussten sie auf die Klosterkultur zurückgreifen und den Mönchen auch die medizinische Versorgung übertragen. Diese Aufgabe war bereits in der Mönchregel des Hl. Benedikt von Nursia, gest. 547, festgelegt worden.
Im Kapitel 36 der Benediktinerregeln hieß es: »Die Sorge für die Kranken steht vor und über allen Pflichten.« Jedes Kloster sollte eine Krankenabteilung haben. > Durch das Christentum kamen neue Aspekte in die Medizin, wie der Gedanke der Barmherzigkeit. Es hieß, dass einem Christus selbst im Kranken begegne. Krankenpflege wurde so Gottesdienst.
Weil die Klöster vom 8. bis 12. Jh. das Monopol in der medizinischen Versorgung innehatten, läuft diese Epoche unter dem Stichwort Klostermedizin.
29 2.1 · Geschichte der Medizin
Inhaltlich versuchten die Mönche am Wissen der antiken Ärzte anzuknüpfen, was nur in Ansätzen gelang, da die praktische Erfahrung fehlte und Literatur nur im geringen Umfang zur Verfügung stand. Deshalb griff man auch auf Praktiken der Volksmedizin zurück. Im Zentrum der Behandlung standen Phytotherapie, Badekuren und Aderlass. Viele Klöster errichteten Spitäler, vor allem entlang der großen Pilgerstraßen nach Santiago de Compostela und nach Rom. Wichtigstes Werk der Klostermedizin war der »Macer floridus« aus der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts, eines der sehr verbreiteten Kräuterbücher im Mittelalter. Die medizinischen Schriften der Hildegard von Bingen (1098–1179) waren dagegen nur am Mittelrhein bekannt. 2.1.5.2 Islamisch-arabische Medizin Während die Klostermedizin in Europa mühsam versuchte, den Anschluss an die antike Medizin zu finden, hatten die Gelehrten der neu entstandenen islamischen Welt, die von Westindien bis Spanien reichte, direkten Zugriff auf die Werke der griechischen Medizin, die, teilweise über das Syrische, ins Arabische übersetzt wurden. Auf der Basis der Werke Galens und der »Materia medica« des Dioskurides u. a. schufen Razes (gest. 932), Ali ibn al-Abbas (Haly Abbas, gest. 994), Isaak Judaeus (gest. 950) und der Perser Ali Ibn Sina (Avicenna, gest. 1037) ihre Schriften. Der »Canon medicinae« Avicennas war die erste systematische Darstellung der Medizin überhaupt und wurde deshalb in seiner lateinischen Übertragung von 1177 durch Gerhard von Cremona in Toledo zum wichtigsten medizinischen Lehrbuch in Europa. Durch die christliche Rückeroberung Spaniens und den Mongolensturm (1258) erlebte diese Zivili-
2
sation, in der auch noch viele Christen und Juden wirkten, einen Niedergang. Als der Philosoph und Arzt Averroes (gest. 1198) die aristotelische Philosophie über die Lehren des Islam stellte, kam es zu einer starken Gegenbewegung seitens der islamischen Geistlichkeit. 2.1.5.3 Medizin im Hochmittelalter Schule von Salerno In der süditalienischen Bischofsstadt Salerno entstand im 10. Jh. eine Medizinschule. Um das Jahr 1075 kam der aus Karthago stammende Arzt Constantinus Africanus nach Salerno. Er übersetzte wichtige Werke der arabisch-jüdischen Medizin verkürzt ins Lateinische. Diese Übersetzungen wurden die Basis für das reiche salernitanische Schrifttum. Constantin starb 1087 als Mönch in Monte Cassino. In der 1. Hälfte des 12. Jh. verfassten die Ärzte von Salerno eigenständige Werke. Hervorzuheben ist hier die Ärztefamilie der Platearii, Copho sowie Bartholomäus und Nikolaus Salernitanus. Die salernitanische Literatur prägte die medizinische Fachsprache des Mittelalters, wobei sie sich eines graeco-lateinischen Wortschatzes bediente. Für Süditalien und Sizilien wurden die ersten Approbationsordnungen erlassen, 1140 durch den Normannenkönig Roger II. (1095–1154), erweitert durch die Medizinalordnung Kaiser Friedrichs II. (1194– 1250), die sog. Konstitutionen von Melfi (1231–1241). Danach musste ein Arzt nach 3-jährigem Artesstudium und 5-jährigem Medizinstudium in Salerno eine Prüfung ablegen. Auch eine personelle Trennung von Arzt und Apotheker wurde festgelegt. Die Medizintheorie von Salerno war ausschließlich humoralpathologisch ausgerichtet (. Tab. 2.1).
. Tab. 2.1. Viererschema als naturwissenschaftlich-medizinisches Weltbild Element
Luft
Feuer
Erde
Wasser
Humor
Sanguis
Cholera
Melancholica
Phlegma
Körpersaft
Blut
gelbe Galle
schwarze Galle
Schleim
Primärqualität
warm-feucht
warm-trocken
kalt-trocken
kalt-feucht
Organ
Herz
Leber
Milz
Gehirn
Konstitution
Sanguiniker
Choleriker
Melancholiker
Phlegmatiker
Lebensalter
Jugend
Erwachsener
Greis
Säugling
Jahreszeit
Frühling
Sommer
Herbst
Winter
30
2
Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Beispiel Ein Überschuss an kalt-feuchtem Phlegma (Schleim), bedingt durch kalt-feuchte Witterung, sammelt sich im Gehirn, das sich vom Phlegma ernährt. Schließlich läuft das angesammelte Phlegma durch die Nase herab, so entsteht Schnupfen. Gegen diese Erkrankung müssen wärmende und trocknende Arzneimittel gegeben werden.
Alle Krankheiten und Medikamente wurden nach den Primärqualitäten eingeteilt. Das Individuum wurde durch seine spezifische Säftemischung bestimmt: so herrscht beim trägen Phlegmatiker eine leichte (nicht-pathologische) Dominanz des Schleims, während beim Choleriker die warme und trockene Gelbe Galle dominiert. Auch die verschiedenen Lebensalter und die Jahreszeiten haben einem spezifischen Einfluss auf den Menschen. So tendieren alle im Winter zum Phlegma und im Alter zur kalten, trockenen Melancholica. Das wichtigste diagnostische Verfahren war die Uroskopie. Das Harnglas wurde zum Merkmal des studierten Arztes, des Medicus oder Physicus (Internist). Daneben spielte die Hämatoskopie eine Rolle, wobei das Blut verschiedenen Prüfungsverfahren unterzogen wurde. Genutzt wurden auch Pulsdiagnose und Koproskopie. In der Therapie gewannen der Aderlass und das Schröpfen im Laufe des Mittelalters eine immer größere Bedeutung. Häufig angewandte Evakuationsmethoden waren Abführen und Erbrechen mit Hilfe von sog. Purgiermitteln. Das gestörte Säftegleichgewicht sollte so wieder hergestellt werden. Für die Arzneimittel nutzte man ein großes Repertoire an einheimischen und asiatischen Heilpflanzen entweder als Simplicium oder als Komplexmittel. Von den Arabern übernahm man im 12. Jh. die Kunst der Destillation, die sich im Spätmittelalter zunehmender Beliebtheit erfreute. Ein sehr umfangreiches Schrifttum gab es zur Erhaltung der Gesundheit, die sog. Gesundheitsregimen, die teilweise auf antike, teilweise auf arabische Autoren zurückgingen und auf den sex res nonnaturales (7 Kap. 2.1.4) aufbauten. Mit der Hygiene stand es nicht so schlecht bestellt, wie oft behauptet. Dies zeigt nicht nur die Badekultur, sondern auch die Tatsache, dass aus dem frühen und hohen Mittelalter keine großen Epidemien bekannt sind. Universitäre Ausbildung Mit dem 12. Jh. begann das Zeitalter der Universitäten, die Schulen von Salerno, Bologna, Montpellier, Paris und Oxford nannten sich »Studium« oder »Universitas magistrorum et scholarium« (Paris). Vorbild für das
Medizinstudium wurde Salerno. In der Regel gab es vier Fakultäten: 4 die Artistenfakultät, an der die septem artes liberales (sieben freien Künste) gelehrt wurden, Sprache (Latein) und Mathematik, sowie die höheren Fakultäten: 4 Theologie, 4 Jurisprudenz und 4 Medizin. Die Vorreiterrolle in der Medizin übernahm im 13. Jh. Montpellier für kurze Zeit. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit nahm Padua (gegründet 1222) unbestritten den ersten Rang unter den medizinischen Fakultäten ein. 2.1.5.4
Spätes Mittelalter
> Zentrales Ereignis in der Geschichte der Medizin im Mittelalter ist die Pest, die ab 1347 Europa heimsuchte.
Die Pest verbreitete sich per Schiff und wütete deshalb vor allen in den Küstenregionen und den großen Handelsstädten an den Hauptflüssen. Am schwersten wurde Italien und Südengland getroffen, während das Binnenland, wie etwa die Städte Süddeutschlands erst gegen 1370 mit der Seuche in wesentlich geringerem Ausmaß konfrontiert wurden. Die Hilflosigkeit der Medizin war offenkundig. Als Reaktion war eine stärkere Hinwendung zur Astromedizin zu beobachten. Nachdem die Mediziner der Pariser Universität in ihrem Pestgutachten die Ursache der Epidemie in einer Planetenkonstellation gesehen hatten, die wiederum zur Verderbnis der Luft geführt habe, wurden Gesundheit und Krankheit zunehmend als Ergebnis von Einflüssen der Gestirne betrachtet. Auch die Therapie, wie etwa der Aderlass, orientierte sich nun an der Konstellation von Planeten und Tierkreiszeichen. Eine neue Institution war der Stadtphysicus (Stadtarzt), die Gesundheitsbehörde einer Stadt. Er überwachte die professionellen Heilberufe: Chirurgen, Apotheker, Hebammen, Starstecher, Bruchschneider. Vorbild war die Freie Reichsstadt Frankfurt am Main. Seit dem 12. Jh. wurden in den Städten Hospitäler errichtet, die von Spitalorden geführt wurden (ritterlicher Johanniterorden, 1113, oder Deutscher Orden, 1191) oder von nichtritterlichen (Antoniern) oder Ordensgemeinschaften (Ordensgemeinschaft vom Heiligen Geist, 1198). Im 15. Jh. dominierten dann kommunale Spitäler. > Die Spitäler waren keine Krankenhäuser im heutigen Sinn, sondern auch Armenhaus, Altenheim, Waisenhaus und Entbindungsanstalt.
31 2.1 · Geschichte der Medizin
2
In Kürze Geschichte der Medizin Magische Heilkonzepte
Krankheiten durch Götter verursacht, Heiler: Priester, Scharmanen
Indische Medizin
Ajurveda, zwischen 500 v. und 500 n. Chr. entwickelt: Winde, Elemente, Säfte, Diätetik und Hygiene; hochstehende Chirurgie
Chinesische Medizin
Ausgang: Ying-Yang-Dualismus; Fünferschema von 5 Elementen, 5 Organen, 5 Säften und 5 Emotionen; hochstehende Diätetik und Arzneimittellehre
Medizin in der europäischen Antike
Griechische Naturphilosophie: Viererschema: 4 Elemente, 4 Säfte, 4 Organe, 4 Primärqualitäten (warm, kalt, feucht, trocken). Schulen: Kos (Hippokrates), Knidos, Alexandrien (Ägypten). In Rom wird die Arzneimittellehre durch Dioskurides (60 n. Chr.) und die Medizintheorie durch Galen (gest. um 200 n. Chr.) zusammengefasst und systematisiert. Vorherrschendes System: Humoralpathologie (Viersäftelehre)
Medizin im europäischen Mittelalter
Klostermedizin: Reste antiker Medizin mit Elementen der Volksmedizin. Ab 11. Jh. Entstehung einer akademischen Medizin in Salerno. Rezeption der arabischen Medizin in Salerno (11. bis 13. Jh.) und Toledo (12. Jh.). Ausfaltung der Humoralpathologie. Einbruch der Pest als erste Epidemie des Mittelalters
2.1.6
Epidemien: Pest, Syphilis, Cholera und Lungentuberkulose
Epidemien haben die Geschichte der Menschheit massiv beeinflusst. So hat die sog. Spanische Grippe, die Europa im Jahr 1918 heimsuchte, wahrscheinlich zu einer schnelleren Beendigung des I. Weltkriegs geführt, wie neueste Untersuchungen nahe legen. Ein Kreuzzug musste von Kaiser Friedrich II. im Jahr 1227 abgeblasen werden, weil seine Truppen im Sammellager von einer Epidemie (vielleicht Ruhr) stark dezimiert worden waren. Cholera, Diphtherie, Fleckfieber, Tuberkulose, Ruhr und Typhus vergrößerten noch im 19. Jh. die Leiden der ärmeren Bevölkerungsschichten. 2.1.6.1 Pest Mehrfach griff die Pest in die Geschichte Europas ein. Die erste wirkliche Pestepidemie, historisch eindeutig als solche belegt, war die sog. Justinianische Pest. Alle vorhergehenden Berichte von Epidemien betreffen wahrscheinlich andere Krankheiten, wie Typhus oder Pocken, z. B. die Pest des Thukydides, die der griechische Historiker Thukydides in seinem »Peloponesischen Krieg« beschreibt. Justinianische Pest Die Justinianische Pest begann im Jahr 543 n. Chr. in der Regierungszeit des oströmischen Kaisers Justinian. Über 6
200 Jahr hinweg blieb sie im Mittelmeerraum endemisch. Ihr Auftreten förderte den Untergang des römischen Reiches und den Vormarsch der islamischen Kräfte in Kleinasien und Nordafrika sowie der Langobarden in Italien.
Das hohe Mittelalter blieb von weiteren Pestwellen verschont, es scheint vom 8. bis 13. Jh. überhaupt keine Pandemie aufgetreten zu sein. Schwarzer Tod (Pest von 1348/50) Umso heftiger war die Erschütterung, als 1347 die Pest in Europa (zuerst auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim, dann in Konstantinopel und auf Zypern) ausbrach. Ausbreitung Sie war bereits 1346 bis zum Schwarzen Meer, sowie nach Russland, Syrien und Ägypten vorgedrungen. 1348 gelangte die Seuche über Marseille nach Frankreich und erreichte noch im gleichen Jahr Paris und London. Bis zum Jahr 1350 waren fast alle küstennahen Landstriche Westeuropas betroffen. Am schlimmsten wütete die Pest anscheinend in Italien. Die großen Städte auf der Apenninhalbinsel verloren etwa die Hälfte ihrer Einwohner, einzelne sogar 70%. Andere Regionen wie Brabant, Zentralfrankreich, Bayern, Böhmen und Schlesien blieben zunächst verschont.
Als Symptome der Krankheit wurden genannt: das Anschwellen der Drüsen in der Leistengegend und unter den Achseln, heftiges Fieber, Wahnvorstellungen, tiefe
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Bewusstlosigkeit und Lähmungen. Der Tod soll sehr rasch nach zwei bis drei Tagen eingetreten sein. Der schnelle Verlauf lässt vermuten, dass Beulen- und Lungenpest gemeinsam auftraten. Der Kanoniker Johannes von Parma beobachtete bei der Pest von Trient 1348, dass keiner, der Blut spuckte, die Krankheit überlebte. Mehrfach heißt es, dass junge Menschen schneller starben als Greise. Die wahren Ursachen der Pest blieben unbekannt. Sie wurden erst Ende des 19. Jh. durch Yersin entdeckt. Damals ging man von fauligen Dünsten in der Luft (einer »Verpestung« der Luft) aus, die durch eine unheilvolle Konstellation der Planeten Mars, Jupiter und Saturn im Zeichen des Wassermanns entstanden sein sollen, welche für das Jahr 1347 beobachtet worden war. Der König von Frankreich ließ im Herbst 1348 von der medizinischen Fakultät der Pariser Universität ein Pestgutachten erstellen. Dieses Pariser Pestgutachten nannte als Ursache die Planten und riet vor allem zur Flucht: »longe et cito« (weit weg und zwar schnell). Da einem bereits Infizierten nicht zu helfen war, wurden vor allem diätetische Maßnahmen empfohlen, die einer Ansteckung vorbeugen sollten: flaches Atmen, Reinigung der Luft in den Häusern durch Räucherungen (vorzugsweise mit Wacholderholz), möglichst wenig Schlaf. Als Therapeutikum wurde in erster Linie der Theriak genannt, eine Mischung verschiedenster Substanzen, die u. a. Schlangenfleisch enthielt. > Die Seuche suchte vorwiegend die Handelsstädte heim, hier starben etwa 30% der Bevölkerung.
Die Dörfer auf dem flachen Land wurden weit weniger befallen. Da, anders als in Kriegszeiten, die Güter (Häuser, Felder, Waren) nicht zerstört wurden, besaßen die Überlebenden eine günstige Ausgangsposition. Die Pest des 14. Jh. förderte den Aufstieg des Bürgertums in den Städten. Auf der anderen Seite verbreitete der Schwarze Tod eine Weltuntergangsstimmung. Er galt als eine von Gott gesandte Strafe für die Sünden. Das Vertrauen in die Religion, in die staatliche Ordnung und nicht zuletzt in die Medizin wurde nachhaltig gestört, denn sie konnten keine echte Hilfe leisten. > Für die Medizin bedeutete die Pest den Durchbruch der Astrologie als wichtiges Element in der Diagnose, Prognose und Therapie.
Eine furchtbare Folge der Pest stellten die großen Judenprognome dieser Zeit dar. Man beschuldigte die Juden, die Brunnen der Städte vergiftet zu haben. Daraufhin wurden die Judenviertel in vielen Städten niederge-
brannt, die jüdischen Gemeinden kamen weitgehend im Feuer um. Wahrscheinlich war dies die größte systematische Ermordung von Juden vor dem Holocaust. Die Pest blieb bis zum Beginn des 18. Jh. in Europa endemisch, entwickelte aber keine Pandemie mehr, die mit der Justinanischen Pest und dem Schwarzen Tod von 1348/50 vergleichbar gewesen wäre. Als letzte große Pestepidemie in Europa gilt die von Marseille in den Jahren 1720–22. Yersinia pestis Die Entdeckung des Pesterregers gelang dem Schweizer Bakteriologen Alexandre John Emile Yersin (1863–1943). Er studierte in Marburg und Paris Medizin und kam als Schiffsarzt nach Saigon (1890). Von der französischen Regierung bekam er 1894 den Auftrag in Hongkong nach dem Pesterreger zu suchen. Dabei isolierte er aus Pestbeulen den Erreger (Yersinia pestis) und erkannte die Ratte als das Reservoir. 1895 konnte Yersin bereits ein Heilserum herstellen.
Die Pest ist also eine Nagetierkrankheit, die durch Flöhe nicht nur von Nager zu Nager, sondern auch auf den Menschen übertragen wird. Dass die Pest von einem Rattensterben begleitet wurde, berichtete erstmals der paduanische Stadtarzt Lodovico Pasini, als 1555 in Padua die Pest ausbracht. Warum die Pest in Europa lange vor dem Einsatz der Antibiotika verschwunden ist, und auch die weniger entwickelten Länder nicht unter Pestepidemien zu leiden haben, ist bislang ungeklärt. 2.1.6.2 Syphilis (Lues) Das spätmittelalterliche Europa hatte den Schock nach der ersten Pandemie, dem Schwarzen Tod von 1347– 1350 mit vielen weiteren kleineren Pestepidemien noch nicht überwunden, da brach eine zweite Geisel herein: Die Syphilis, eine Infektionskrankheit, die zuerst »Franzosenkrankheit« oder »italienische Krankheit« (Morbus gallicus, Morbus neapolitanus) genannt wurde. Erstmals berichtet wurde von der Krankheit im Zusammenhang mit einem Feldzug des französischen Königs Karl VIII. gegen Neapel. Er war mit seinem Heer 1493 über die Alpen gezogen, musste seine Unternehmung aber wegen der Durchseuchung seiner Truppen aufgeben, die sich bei der Rückkehr nach der Überquerung der Alpen auflösten und die Krankheit über ganz Europa verbreiteten. Den Zug der Krankheit kann man an den Namen in den europäischen Ländern verfolgen: In Frankreich hieß die Syphilis »italienische Krankheit«, in Deutschland »Franzosenkrankheit«, in Polen »deutsche Krankheit«, in Russland »polnische Krankheit«. Die, wegen ihrer Übertragung beim Geschlechtsverkehr, auch als Lustseuche bezeichnete Syphilis, wur-
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de die Geschlechtskrankheit schlechthin, man sprach deshalb auch vom »Morbus venereus«. Der Name Syphilis setzte sich erst verhältnismäßig spät durch. Er wurde von Girolamo Fracastroro, einem der einflussreichsten Ärzte des 16. Jh. eingeführt. Papst Paul III. berief ihn zum Ersten Arzt (Medicus ordinarius) des Tridentinischen Konzils. Fracastoro verfasste 1521 ein umfangreiches Lehrgedicht über die Krankheit: »Syphilis, sive morbi gallici libri tres« (Drei Bücher über die Syphilis oder Franzosenkrankheit). In dem hochinteressanten Werk benannte er die Krankheit nach dem Hirten Syphilus. Der Name setzte sich allerdings erst nach 1700 allgemein durch. Für die Entstehung der Krankheit machte Fracastoro eine astrologische Ursache verantwortlich (7 Kap. 2.1.6.1). Als Therapeutika nannte er Quecksilber und Guajakholz und gab diätetische Hinweise. Das Lehrgedicht erschien gedruckt erst 1530. 1905 wurde durch Fritz Richard Schaudinn und Erich Hoffmann der Erreger der Syphilis, das Bakterium Treponema pallidum entdeckt. Vier Jahre später (1909/10) konnte Paul Ehrlich mit seinem Salvarsan, einer organischen Arsenverbindung, Erfolge bei der Behandlung der Syphilis vorweisen. Auf den Einsatz von Quecksilber konnte man jedoch erst nach der Entdeckung des Penicillins verzichten. Offen ist immer noch die Frage der Herkunft: Eine Theorie besagt, dass Columbus mit seiner Mannschaft die Krankheit von Amerika nach Europa gebracht habe (1492). Es gibt aber archäologische Hinweise, dass die Erkrankung bereits zuvor in Europa auftauchte, aufgrund ihrer Seltenheit wurde sie aber nicht erwähnt. 2.1.6.3 Cholera (asiatica) Die eigentliche Cholera, Cholera asiatica, wurde in Hinterindien im 4. Jh. v. Chr. als »Schneller Tod« (Mordechim) beschrieben. Der erste Bericht eines Europäers stammt von Garcia del Huerto, Arzt in Goa, aus der Zeit um 1560. Ausbreitung der Cholera Nach ersten Cholera-Epidemien in Teilen Indiens im letzten Drittel des 18. Jh. wurde im Jahr 1817 ganz Indien von einer sich rasend schnell verbreitenden Epidemie erfasst. Sie wurde an der Wolgamündung durch den Wintereinbruch gestoppt. Eine zweite Pandemie von 1829–1837 erreichte auch Westeuropa. Mehr als die Hälfte der Erkrankten starben innerhalb von 1–6Tagen an Durchfall und Erbrechen. Während der dritten Pandemie (1840–1860) tobte der Krimkrieg (1853– 1856), dabei verloren mehr Soldaten durch die Cholera als in den Gefechten ihr Leben. Mehrere Millionen starben. 6
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Man diskutierte, ob es sich um eine ansteckende Krankheit handle oder ob giftige Dämpfe (Miasmen), die dem Boden entweichen, die Krankheit hervorrufen. Teilweise glaubte man auch an eine bewusst herbeigeführte Arsenvergiftung der armen Bevölkerung durch die Obrigkeit. Meist wurden die Kranken nach der sog. englischen Methode mit Aderlass, Opium und dem Abführmittel Calomel behandelt. In Edinburgh verabreichten jedoch bereits Mediziner im Jahr 1831 Infusionen mit Kochsalzlösung! Noch drei weitere Pandemien erreichten Europa: 1863–1875, 1881–1896 und 1899–1923. Eine siebte Pandemie begann 1961 in Indonesien und ist noch nicht zum Stillstand gekommen.
In Deutschland kam es letztmals 1892 zu einer Epidemie, die sich auf Hamburg beschränkte, dort war verunreinigtes Elbwasser in die Leitungsrohre gekommen. Dabei hatte schon 1854 der Arzt John Snow in London gezeigt, dass eine Cholera-Epidemie in einem Londoner Stadtteil auf fäkalienverseuchtes Wasser zurückzuführen war. In diesem Jahr hatte der Italiener Filippo Pacini das Kommabakterium (Vibrio cholerae) entdeckt, was aber weitgehend unbekannt blieb. So fand Robert Koch (1843–1910) in Indien in den Därmen von Choleraleichen den Erreger. Er konnte zeigen, dass der Erreger von den Infizierten ausgeschieden wird und sich im Wasser weiter verbreitet. Damit war man in der Lage geeignete Maßnahmen gegen die Cholera zu ergreifen: Isolierung der Erkrankten, Abkochung des Wassers. Die erste wirksame Therapie war die intravenöse Gabe von steriler Kochsalzlösung, die sich 1907 auf Betreiben von Sir Leonhard Rogers durchsetzte. 2.1.6.4 Lungentuberkulose Die Lungentuberkulose, oft auch Schwindsucht bzw. lateinisch Phthisis genannt, war bereits in der Antike bekannt und wurde im Mittelalter auch als weiße Pest bezeichnet, da sie keine äußerlichen Symptome zeigt. Zu einer besonders großen Plage entwickelte sich die Schwindsucht (zusammen mit der Cholera) im 18. und 19. Jahrhundert auf Grund der Verstädterung und Verarmung der Bevölkerung im Zeitalter der industriellen Revolution. Obwohl der Erreger, der Tuberkelbazillus Mycobacterium tuberculosis durch Robert Koch (1843– 1910) im Jahr 1882 entdeckt worden war (Nobelpreis 1905), dauerte es in diesem Fall 80 Jahre, bis eine wirklich zuverlässige medikamentöse Behandlung der Krankheit möglich wurde. Das von Koch selbst entwickelte Tuberkulin (1910) erfüllte die Hoffnung nicht, erwies sich allerdings als ein wichtiges Hilfsmittel in der Diagnose. Sehr bedeutsam war die Möglichkeit der
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Röntgenaufnahme für die Untersuchung der Patienten. Manche Patienten konnten mit dem sog. Pneumothorax (Gasbrust) von Carlo Forlanini (1847–1918) geheilt werden. Durch das Einfüllen von Luft zwischen innerem und äußerem Brustfellblatt wird die Lunge ruhig gestellt, es entsteht die Gasbrust. So konnten offene Kavernen verschlossen und die Tuberkelbazillenaussaat unterbunden werden. Bis in die 50er-Jahre hinein wurden erkrankte Lungenteile auch chirurgisch entfernt. Im Vordergrund standen jedoch diätetische Maßnahmen: Wahl eines idealen Klimas, berühmt wurde der Schweizer Kurort Davos, bestmögliche Ernährung; Ruhen in frischer kalter Luft. Eine glänzende Beschreibung der Behandlungen gibt Thomas Man in seinem
Roman »Der Zauberberg«. Diese Bemühungen führten dazu, dass die Mortalität unter den Tuberkulosepatienten langsam aber spürbar sank, obwohl man die Krankheit nicht direkt bekämpfen konnte. Einen entscheidenden Fortschritt in der medikamentösen Behandlung stellte die Entwicklung von Streptomycin (1944) durch Selman Abraham Waksmann dar. In der Folgezeit kamen Isoniazid (INH), Paraminosalizylsäure (PAS) und schließlich Rifampicin (1968) hinzu. Erst jetzt verlor die Tuberkulose ihren Schrecken. > Heute ist etwa die Hälfte der Weltbevölkerung mit Tuberkulose infiziert, ungefähr 8 Millionen Menschen erkranken jährlich neu.
In Kürze Epidemien Pest
Herkunft: Zentralasien. Zwei Epidemien in Europa: 6. bis 7. Jh. (ab 543) und ab der Mitte des 14. Jh. (1348). Dazwischen gab es keine Epidemie in Europa! Die Pest verschwindet um 1720/22, obwohl Erreger und wirksame Therapie erst 1894/95 durch Yersin entdeckt wurden
Syphillis
Herkunft: unbekannt. Ausbreitung ab 1493 durch das Heer Karls VIII v. Frankreich von Südwesten her über Europa aus. Therapie: Quecksilber, Guajakholz. Quecksilber blieb bis zum Einsatz von Penicillin bedeutsam
Cholera
Herkunft: Ostindien. Erste Epidemie 1817. Zahlreiche Pandemien im 19. Jh. mit Mio. Toten. Erreger von Robert Koch entdeckt, Therapie durch Sir Leonhard Rogers (1907)
Tuberkulose
Seit Antike bekannt, wird erst im 18. und 19. Jh. zur allgemeinen Plage. Tuberkelbazillus durch Robert Koch (1882) entdeckt. Wirksames Therapeutikum erst seit den 60er-Jahren des 20. Jh. verfügbar (Rifampicin 1968)
2.1.7 Medizin im Zeitalter von
Humanismus und Renaissance (ausgehendes 15. und 16. Jh.) Die Renaissance zeichnete sich durch eine ablehnende Haltung gegenüber dem Mittelalter, dem Zeitalter der Gotik aus. Wichtiger Auslöser war die Eroberung von Konstantinopel (1453) durch die Türken. Beim Ende des Oströmischen (Byzantinischen) Reiches flohen viele griechische Gelehrte nach Italien und brachten ihre Literatur mit. In der Medizin äußerte sich dies in der Verwerfung des Arabismus (insbesondere Avicennas). Die Arabischen Ärzte galten als Verfälscher der griechisch-römischen Heilkunde. Gemäß dem Humanisten-Motto »zurück zu den Quellen« suchte man nach der unverfälschten antiken Medizin. So schrieb Leonhart Fuchs (1501–1566): »gehen wir daher zu den Quellen zurück ...« Diese Quellen waren Hippokrates, Galen,
Dioskurides und Plinius. Celsus wurde erst jetzt zur medizinischen Autorität. Die humanistische Bewegung hatte Niccolò Leoniceno (1428–1524), Professor der Medizin an der Universität Ferrara begründet. Die besondere Begeisterung für die römischen Medizinschriftsteller, vor allem Celsus (1. Jh. n. Chr.), führte zu einer Änderung der medizinischen Terminologie, die Fachsprache basierte zuvor auf der graeco-lateinischen Terminologie, wie sie seit der Schule von Salerno gepflegt worden war. > Die Humanisten waren keine Revolutionäre, sondern konservative Reformer (Christa Habrich), über die Wiederentdeckung kam man zur Neuentdeckung.
Die Entwicklung der Medizin in dieser Epoche kann an drei Personen dargestellt werden:
35 2.1 · Geschichte der Medizin
Die Anatomie wurde durch Andreas Vesalius (1514–1564) erneuert. Er lehrte in Padua, Bologna, Basel und Pisa, war Leibarzt Karls. V. und galt als der beste Arzt seiner Zeit. Seine Anatomie erschien 1543 in Basel mit dem Titel: »De humane corporis fabrica libri septem«. Die Abbildungen, mit Tizian und seinen Schülern (besonders Jan Stefan von Calcar) angefertigt, wurden wegweisend für die anatomische Darstellung. Mit seinen hervorragenden Kenntnissen, die er u. a. auch bei Feldzügen erworben hatte, konnte er Galen in vielen Punkten korrigieren. Entscheidende Fortschritte in der Chirurgie konnte Ambroise Paré (1510–1590) erzielen. So brannte er die Wunden nicht mit dem Brenneisen aus, wie damals üblich, sondern arbeitete mit kühlenden Umschlägen und adstringierenden Mitteln, wie Rosenöl. Bei Amputationen schnitt er nur im gesunden Bereich und band die Arterien ab, wie es die antiken Ärzte taten. Leistbruch- und Blasensteinoperationen konnte er verbessern, Prothesen konstruieren, Zahnlücken füllte er mit Elfenbein und erfand neue Instrumente. Girolamo Fracastoro (gest. 1553) studierte in Padua und war Arzt in Verona. Er stellte als erster ansteckende Krankheiten dar. Dabei unterschied er drei Arten der Ansteckung: durch direkten Kontakt, durch Material (wie Kleidung) oder ohne direkte Berührung über Distanzen hinweg. Ansteckungskeime entstünden durch Fäulnis im Körper, sie könnten sogar über die Luft übertragen werden, durch Feuer und sehr kaltes Wasser würden sie zerstört. Diese Kontagionstheorie wurde der Vorreiter der Keimtheorie. Paracelsus Paracelsus (Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493 oder 1495 bis 1541) beeinflusste sehr stark die Anthroposophische Medizin. Für die Entwicklung der akademischen Medizin vom 15. zum 19. Jh. war Paracelsus nahezu bedeutungslos. Wenn er von Erfahrung und eigener Erwägung sprach, dann meinte er das nicht im Sinn moderner Erfahrungswissenschaften. Vielmehr war er überzeugt, dass die Dinge am Aussehen ihr Wesen offenbaren: einer Pflanze könne man ihre Heilwirkung ansehen (z. B. an der Blattform, der Blütenfarbe, sog. Signaturenlehre). Krankheiten sollten u. a. durch die Sterne entstehen bzw. könnten als Strafe Gottes betrachtet werden, ein Element der magischen Heilkunde.
2.1.8 17. und 18. Jahrhundert: zwischen
Tradition und Aufbruch Während die Wissenschaften in Renaissance und Humanismus von einem Rückblick auf die Antike und
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Kritik gegenüber dem Mittelalter bestimmt waren, löste sich die Medizin im Zeitalter von Barock und Aufklärung von den alten Autoritäten und versuchte neue Ansätze, die allerdings teilweise nur kurzzeitig von Bedeutung waren (z. B. Brownianismus, Vitalismus). Die wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen schufen die Philosophen Francis Bacon (1561–1626) und René Descartes (1596–1650). Das Wissen musste mit der Natur und nicht mit den Autoritäten übereinstimmen. Zentren des wissenschaftlichen Fortschritts waren die Universitäten von Padua und Leiden, für das 18. Jh. sind auch Wien und Edinburgh besonders zu erwähnen. In London wurden die neuen Erkenntnisse aus ganz Europa von der Royal Society gesammelt. > 4 Francis Bacon: Empirie, Experiment, Beobachtung, induktives Erkennen als Basis der Wissenschaften. 4 René Descartes: Erkenntniskritik, Trennung von Körper und Geist, dadurch wurde der wissenschaftliche Blick auf das Einzelorgan ermöglicht, Organismus als Maschine.
Beide stellten die Forderung auf, dass die Medizin in die Lage kommen müsse, die Lebenszeit der Menschen zu verlängern. Der menschliche Organismus als Maschine Ausgehend von der Rezeption der griechischen Atomisten in der Antike (Leukipp, Demokrit, Epikur) gingen Wissenschaftler wie Sennert, Basso und Pierre Gassendi (1592– 1655) davon aus, dass die Welt aus kleinsten unteilbaren Teilchen (Atomen) bestehe und dass alle Vorgänge im Organismus mathematisch berechenbar, mechanisch rekonstruierbar und physikalisch erklärbar seien.
Eine Reihe von Entdeckungen des 17. und 18. Jh. förderten die endgültige Abkehr von der Humoralpathologie: 4 Anatomie: Caspar Bauhin (1560–1624) 4 Entdeckung des großen Blutkreislaufes durch William Harvey (1578–1657) 4 Ergebnisse der Untersuchungen der Mikroskopisten: Antony van Leewenhoek (1632–1723) und Marcello Malpighi (1628–1694) William Harvey William Harvey hatte in Padua Medizin studiert (Dr. med. 1602), praktizierte danach in London und hielt ab 1615 Vorlesungen über Physiologie und Anatomie am Royal College of Physicians. 1628 publizierte er seine neue Blutbewe6
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
gungstheorie unter dem Titel »Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus«. Durch Berechnungen der Blutmengen und der Strömungsgeschwindigkeit, wies er nach, dass der Organismus nicht soviel Blut ständig neu bilden konnte, wie das für die alte Physiologie nach Galen nötig wäre. Zur Verifizierung seiner Theorie unternahm Harvey auch Experimente an Tier und Mensch. Voraussetzung war die Anatomie Vesals, die Beschreibung der Venenklappen durch seinen Lehrer Fabricius (Padua) und die Beschreibung des kleinen Blutkreislaufs durch Realdo Colombo (ca. 1510–1559). Die Resonanz auf Harveys Theorie war keineswegs nur positiv. Man beschimpfte ihn als »Circulator«. Erst der Nachweis der Lungenkapillaren durch Malpighi als Übertritt vom arteriellen zum venösen System brachte den Durchbruch. Robert Hooke Robert Hooke (1635–1703) erkannte, dass bei der Lungenpassage ein Stoff aus der Luft ins Blut aufgenommen wurde.
Entdeckungen der Mikroskopiker Der Niederländer Leewenhoek, von Beruf Tuchhändler, konnte hervorragende Linsen und Mikroskope herstellen (200- bis 270-fache Vergrößerung). Damit entdeckte er Bakterien und Spermatozoen, die Querstreifung der Muskulatur, die Faserstruktur der Augenlinse und die Erythrozyten. Malpighi war besonders in der Untersuchung der Struktur der Drüsen erfolgreich und konnte den Weg der Gallenflüssigkeit beschreiben. Damit kam es zu einer Neubewertung der Leberfunktion, der vielleicht wichtigste Schritt zur Aufgabe der Humoralpathologie. Solidarpathologie Die Humoralpathologie war gewissermaßen ein ganzheitliches Konzept. Unharmonische Mischungen der Körpersäfte galten als das eigentlich krankheitsverursachende Prinzip. Bereits im 17. Jh. rückte jedoch das einzelne Organ immer stärker ins Blickfeld der Wissenschaft. Zwei Italiener gaben dafür den Ausschlag. Giorgia Baglivi (1668–1707) wirkte in Florenz, Bologna und Rom. Er forderte eine unvoreingenommene Beobachtung des Arztes am Krankenbett und führte selbst viele Autopsien und Tierversuche durch. Er bemerkte, dass der Verlust der Milz, eines der vier zentralen Organe nach der Humoralpathologie (Sitz der Melancholica) nicht unmittelbar lebensbedrohlich sei. In der Pathologie hielt er den Spannungszustand der Fasern für entscheidender als die Säftemischung. Damit bahnte er den Weg zur Solidarpathologie, den Giovanni Battista Morgagni (1682–1771) beging. Er verlegte die Krankheitsursachen von den Körperflüssigkeiten in die Organe, in die Solida. Anhand exakter patholo-
gischer Obduktionsbefunde klinischer Fälle versuchte er zu zeigen, dass pathologische Strukturveränderungen der Organe als Ursachen der Funktionsstörungen zu betrachten seien. In der Folge wurde die Humoralpathologie durch neue Aspekte ergänzt und schließlich abgelöst. Krankheit und Gesundheit wurden nach den Prinzipien der Physik mechanisch erklärt und berechnet. Von den neuen theoretischen Konzepten konnte sich jedoch keines allgemein durchsetzen. Zur Wende vom 18. zum 19. Jh. standen sich unterschiedlichste Strömungen gegenüber: Materialisten, Neo-Hippokratiker, Galenisten, Brownianer, Animisten, Vitalisten, Magnetisten und Homöopathen. Animismus und Vitalismus In Halle entwickelte Goerg Ernst Stahl (1659–1734) ein animistisches Konzept: Der Körper ist demnach ein beseelter Organismus (keine Maschine) und nur durch die Seele können die einzelnen Glieder zusammenwirken. Die Affekte der Psyche (Freude, Trauer, Zorn etc.) beeinflussen unmittelbar die Organe des Körpers. Stahl gilt deshalb als einer der Begründer des Animismus. Krankheit entsteht aus einer Störung der Seele, der Säfte oder der Organe. Die Krankheitssymptome sind Zeichen der Abwehrarbeit der Seele. Der Arzt kann diese Abwehr unterstützen, wobei Stahl allzu drastische Maßnahmen und Medikamente ablehnte. Stahls Konzeption wurde vor allem in Montpellier von Sauvages, Bordeu (1722–1776) und Barthez (1734– 1806) aufgegriffen und zum Vitalismus weiterentwickelt. Demnach gibt es in jedem Organ eine »vita propria«. Die einzelnen Organvitalitäten stellen die Sensibilität für ein harmonisches Zusammenspiel des gesamten Organismus bereit. Ein Lebensprinzip (»principium vitae«) gehört zu allem Lebendigen notwendig dazu. Der Vitalismus beeinflusste den Brownianismus und die naturphilosophisch ausgerichtete Medizin in Deutschland, u. a. Hufeland. Nachdem die Suche nach einer materiellen Verankerung der »Lebenskraft« keine Erfolge zeigte, verlor der Vitalismus in der 1. Hälfte des 19. Jh. rasch an Bedeutung (neue Ansätze am Ende des 19. Jh. etwa durch Hans Driesch). Erregbarkeit und Reizung Die sog. Irritabilitätslehre geht auf Francis Glisson (1597–1677) zurück, der in Cambridge lehrte (Erfinder der »Glisson-Schlinge«). Er sprach von einer Erregbarkeit der Muskelfasern, die durch Bewegungsreaktionen beantwortet wird. Der Schweizer Albrecht von Haller (Leiden, Göttingen, Bern) führte diese Lehre weiter und unterschied eine Reizbeantwortungsfähigkeit der Mus-
37 2.1 · Geschichte der Medizin
keln von der Sensibilität als einem Empfindungsvermögen der Nerven. Albrecht von Haller (1708–1777) war einer der bedeutendsten Ärzte des 18. Jh. Er forschte auf dem Gebiet der Anatomie, Chirurgie und der Botanik, schuf umfangreiche Werke zur Anatomie, eine Botanik der Schweiz, außerdem war er ein sehr geschätzter Dichter (u. a. »Die Alpen«, 1729). Der Haller-Schüler Johann Georg Zimmermann (1728–1795) wies die Muskelirritabilität an Fröschen nach, deren Köpfe er zuvor entfernt hatte. Brownianismus Aus der Irritabilitätslehre und der Lehre von William Cullon (gest. 1790), die besagt, dass die Ursache aller Krankheiten im Nervensystem liege (auf Cullen geht der Begriff Neuroe zurück), entwickelte der schottische Arzt John Brown (1735–1788) eine umfassende, aber auch sehr schlichte (Lebens-)Theorie. Er setzte Erregbarkeit und Reize als die Grundkraft des Lebens an. Innere und äußere Reize halten den Organismus in Aktion. Gesundheit und Krankheit sind abhängig von der Fähigkeit des Organismus auf die Reize zu reagieren. Brown unterschied zwischen zwei Krankheitsarten: 4 Asthenische Krankheiten entstehen aus niedrigem Erregungszustand (direkte Asthenie/Schwäche). 4 Sthenische Krankheiten entsprechen einem erhöhten Erregungszustand (indirekte Asthenie, Schwäche). Analog gestaltet sich die Therapie: sthenische Krankheiten sollen mit dämpfenden Mitteln wie kalten Getränken, Aderlass, Ruhe, vegetarischer Ernährung behandelt werden, asthenische mit »reizenden« Mitteln wie Wärme, Bewegung, Alkohol. Es gilt ein Gleichgewicht der Erregbarkeit herzustellen. > Die Lehre der Erregbarkeit entsprach dem Zeitalter der Empfindsamkeit und der Romantik.
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Vitalismus: Lebenskraft, Medizin in Weimar Der bedeutendste Arzt an der Wende vom 18. zum 19. Jh. war in Deutschland Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836). Christoph Wilhelm Hufeland Hufeland wirkte zunächst in Weimar. Zu seinen Patienten gehörten Goethe, Schiller und Herder. Als Professor in Jena (seit 1793) schrieb er 1797 sein wichtigstes Werk »Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern«, das ab der 2. Auflage den Titel »Makrobiotik« bekam. 1801 wechselte er als Leibarzt der preußischen Königsfamilie nach Berlin. Dort war er am Aufbau der Berliner Universität beteiligt, wo er die Professur für Pathologie und Therapie inne hatte und erster Dekan der Medizinischen Fakultät wurde.
Konzept der Lebenskraft Hufeland postulierte ein Selbsterhaltungsprinzip des Organismus: die Lebenskraft. Diese habe verschiedene Funktionen: die Erhaltung, Regeneration und die Neubildung. Krankheit sei demnach eine Störung der Lebenskraft durch pathogene Reize. Jeder Krankheitsreiz provoziere eine spezifische Heilreaktion der Lebenskraft, auf diese müsse der Therapeut achten. Jede Therapie müsse eine Unterstützung der Lebenskraft sein, etwa durch Abschwächung krankmachender Reize und Stärkung der Lebenskraft. Eine vorsichtige Auswahl der Medikamente, diätetische Regeln und physikalische Therapie sollte dabei zusammenspielen. Entstehung des modernen Krankenhauses Im 18. Jh. wurde das Spital mit seinen vielfältigen sozialen und medizinischen Funktionen durch das Krankenhaus abgelöst. Wichtiges Beispiel war das erste staatliche Krankhaus in Preußen, die Charité, das 1727 in Berlin eröffnet wurde. Im Hospital lagen alle Kranken in einem großen Saal. Jetzt gab es mehrere kleinere Krankensäle, einen Operationssaal, eine Geburtshilfe- und Infektionsabteilung, eine Krankenhausapotheke. In den Universitätsstädten wurde hier auch ärztlicher Unterricht erteilt.
Browns Theorie war für kurze Zeit sehr populär in Europa, er beeinflusste vor allem die Naturphilosophen und die sog. romantische Medizin in Deutschland.
2.1.9 Medizin im 19. Jahrhundert:
Magnetismus, Mesmerismus Eine kurze Modeerscheinung der Zeit war der Magnetismus, nach seinem Propaganten auch Mesmerismus genannt. Der Mediziner Franz Anton Mesmer (1734–1815) hatte eine Lehre vom tierischen Magnetismus entworfen und praktizierte in Wien, Paris. Danach zog er durch die Schweiz und Deutschland und noch einmal nach Frankreich, um sich schließlich am Bodensee niederzulassen. Seine Methode war vor allem der hypnotische Schlaf.
Schritte zur modernen Medizin Einen revolutionären Schritt vollzog François Magendie (1783–1855), indem er das Tierexperiment ins Zentrum der medizinischen Forschung stellte. Er verfasste das erste moderne Lehrbuch der Physiologie und zeigte u. a. die Bedeutung des Proteins in der menschlichen Ernährung, beschrieb die Hirn-Rückenmark-Flüssigkeit und setzte die neu entdeckten Alkaloide (Morphin,
Beginn der Modernen Medizin
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Kodein etc.) therapeutisch ein. Im Werke des französischen Romanciers Balzac wurde er als »Docteur Maugredie« literarisch verewigt. In Deutschland überwand Johannes von Müller (1801–1858) mit der experimentellen Physiologie die Naturphilosophie, in dem er nur die Empirie gelten lassen wollte. Schüler waren u. a. Hermann von Helmholtz, Emile du Bois-Reymond, Albrecht von Koelliker und Rudolf Virchow. Die experimentelle Physiologie wurde durch die neue organische Chemie ergänzt. Justus von Liebig (1803–1873) forschte über Nahrungsmittelchemie und Nahrungsmittelanbau (Düngemittel). Friedrich Wöhler (1800–1882) gelang die Harnstoffsynthese, womit der Nachweis erbracht war, das sich organische Stoffe auch ohne vis vitalis im Labor erzeugen lassen. Diese Erfolge führten zur Entstehung der wissenschaftlichen Pharmazie. Zellularpathologie Rudolf Virchows (1821–1902) Ausgehend von der Zellforschung (Theodor Schwann, Johann E. Purkinje, Robert Remak) verkündete Virchow 1845: »Leben ist im wesentlichen Aktivität der Zelle«. Als Pathologe in Würzburg und Berlin veröffentlichte er 1856 seine »Cellularpathologie«. > In Virchows Zellularpathologie wurden Krankheitszustände auf Veränderungen der Körperzellen zurückgeführt. Die Zelle sei die kleinste Einheit des Lebens. »Wo eine Zelle entsteht, da muss eine Zelle vorausgegangen sein (»omnis cellula a cellula«).«
Erst mit der Zellularpathologie war eine neue pathologische Konzeption gefunden, die allgemeine Anerkennung fand und das humoralpathologische Konzept endgültig ablöste. Als engagierter Politiker (u. a. Mitglied des preußischen Abgeordneten Hauses) und Historiker war Virchow eine der wichtigsten Persönlichkeiten des 19. Jh. Bakteriologie Im Jahr 1876 war es Robert Koch (1843–1910) gelungen den Milzbranderreger nachzuweisen und Bacillus anthracis zu züchten. 1882 gelang ihm die Entdeckung des Tuberkulose-Erregers Mycobacterium tuberculosis. In Frankreich hatte der Chemiker und Mikrobiologe Louis Pasteur (1822–1885) umfangreiche Studien zu den Mikroben betrieben. Nach der Entdeckung des Milzbranderregers durch Koch konnte Pasteur im Jahr 1881 einen wirksamen Impfstoff gegen Milzbrand vorstellen, die Immunisierung nannte er Vakzination. 1885 wurde erstmals eine Tollwutimpfung erfolgreich vorgenommen, obwohl der eigentliche Erreger nicht gefun-
den worden war. Man arbeitete dabei mit der Rückenmarkflüssigkeit infizierter Tiere. Hygiene Max von Pettenkofer (1818–1901) war Apotheker und Arzt und forschte zunächst bei Justus von Liebig im Labor. 1847 wurde er Professor für Chemie in München und Hofapotheker. Obwohl er von der falschen Voraussetzung ausging, dass Krankheitskeime im Boden herankeimen und gären, wobei der giftige Krankheitsstoff (Miasma) entstehe, konnte Pettenkofer große Erfolge in der Hygiene erzielen. Es ging ihm um öffentliche Gesundheitspflege mit Verbesserung der Wohnungen, der Ernährung, der Arbeitsbedingungen und Kommunalhygiene. Die Gesundheit der Bevölkerung galt ihm als ein wirtschaftliches Gut. 1865 erhielt er den ersten Lehrstuhl für Hygiene. Er unternahm wissenschaftliche Untersuchungen zur Epidemiologie, insbesondere zu Cholera und Typhus. Gynäkologie Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865) hatte beobachtete, dass das Kindbettfieber, nicht durch die Unreinlichkeit der Wöchnerinnen, sondern vor allem durch die Hände der Geburtshelfer verursacht wurde. Damit konnte das massenhafte Sterben von Frauen im Zuge der Geburt eingedämmt werden. Durch die Fortschritte in der Chirurgie sank die Mortalität beim Kaiserschnitt von 60% auf 6%. Andere operative Eingriffe, etwa zur Behandlung von Lageanomalien oder zur Krebstherapie wurden zur Routine. > Die zentrale Entdeckung des 19. Jh. war aber die Entdeckung des menschlichen Eis und das Verstehen des Zyklus der Frau. Erst jetzt wurde bekannt, dass die Eierstöcke der Frau in regelmäßigen Abständen ein Ei hervorbringen.
Psychiatrie Die Psychiatrie konnte sich im 19. Jh. als eigenes Fach etablieren. Erster Lehrstuhl 1864 in München, zweiter 1865 in Berlin. Der Berliner Psychiater Wilhelm Griesinger (1817–1868) vertrat die Auffassung, dass jede psychische Störung auf eine physiologische Gehirnveränderung zurückzuführen sei. Dies war der Beginn der somatischen Psychiatrie. Um die Klassifizierung der psychischen Erkrankungen machten sich Paul Eugen Bleuler (1857–1939) und Richard von Krafft-Ebing (1840–1903) verdient. Bleuler teilte die Psychosen in die zyklischen Erkrankungen und den Formenkreis der Dementia praecox. Krafft-Ebing ging von den Symptomen und Verläufen der Krankheit aus. Daneben wurde er der Begründer der Sexualpsychiatrie.
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Chirurgie Die Chirurgie veränderte sich grundlegend durch: 4 Antisepsis: Der Engländer Josef Lister (1827– 1912) entdeckte die keimtötende Wirkung von Karbolsäure, die sich ab 1860 in der Chirurgie durchsetzte. Curt Schimmelbusch (1860–1895) konnte in Berlin nachweisen, dass strömender heißer Wasserdampf noch wirkungsvoller ist. In den sog. Schimmelbusch-Trommeln konnten Operationsinstrumente nahezu hundertprozentig sterilisiert werden. Weitere Maßnahmen waren das Auftragen von Jodtinktur und das Tragen von Gummihandschuhen. 4 Anästhesie: 1844 erfolgte der erste Einsatz der Lachgasnarkose durch Horace Wells (1815–1848). Die Äthernarkosen wurden durch William Morton (1819–1868) und John Warren (1778–1856), die Chloroformnarkose durch den Gynäkologen James Young Simpson (1811–1870) in Edinburgh eingeführt. 4 Neue Operationsmethoden wurden vor allem durch den Österreicher Theodor Billroth (1829– 1894) entwickelt, z. B. die Magenresektion. Neue Disziplinen Die Ophthalmologie, Orthopädie, Pädiatrie und die Dermatologie konnten sich im Verlauf des 19. Jh. als eigenständige Spezialdisziplinen herauslösen. Krankenhauswesen, Krankenpflege Das Krankenhaus wurde im 19. Jh. durch die neue klinische Medizin völlig verändert. Es ging nun ausschließlich um Diagnose und Therapie von Krankheiten. Zur Apotheke kam das klinische Laboratorium. Die neuen Disziplinen brachten auch neue Abteilungen mit sich. Es erfolgte eine Aufteilung nach Geschlecht, nach internistischer oder chirurgischer Abteilung. Mit dem neuen Krankenhaus entstand auch der neue Beruf der Krankenschwester, der zunächst von den katholischen Barmherzigen Schwestern (gegründet von Vinzenz de Paul) und den evangelischen Diakonissen (z. B. Diakonissenanstalt Kaiserswerth) getragen wurde. Mehr und mehr gingen aber auch bürgerliche Frauen in die Krankenpflege. So gründete Florence Nightingale 1860 in London eine unabhängige Krankenpflegeschule. Sozialmedizin Eine der wichtigsten Errungenschaften des 19. Jh. ist die Sozialmedizin, die durch Salomon Neumann (1819– 1908) und Rudolf Virchow angestoßen wurde. Auf Betreiben Bismarcks wurden schließlich drei wichtige Gesetze zur Sozialreform des Deutschen Reiches eingeführt: zur Krankenversicherung 1883, zur Unfallversicherung 1884 und zur Alters- und Invalidenversiche-
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rung 1889. Mit der Krankenversicherung von 1883 wurden die Ortskrankenkassen ins Leben gerufen. 2.1.10 Medizin im 20. Jahrhundert Die Erfolge der Medizin des 20. Jh. haben die Schwerpunkte in Gesellschaft und Medizin verändert: die Lebenserwartung erhöhte sich von knapp 40 Jahren um 1900 auf 70 um 1980 (77 bei Männern und 81 bei Frauen im Jahr 2005). Dagegen treten chronische Krankheiten treten immer stärker in den Vordergrund. > Die Medizin im 20. Jh. stand vor allem in der ersten Hälfte ganz im Zeichen der Naturwissenschaft.
Dadurch kam ihr der Patient als Individuum und Person fast abhanden. Ein Vorgang, der nicht nur zu menschenverachtenden Versuchen im NS-Staat (und auch anderswo) führte, sondern auch zur skeptischen Haltung in der Bevölkerung gegenüber der sog. Schulmedizin. Auf der anderen Seite wurden gewaltige Fortschritte zum Wohl der Menschheit erzielt. Diagnose Am 8.11.1895, also kurz vor der Wende zum 20. Jh. gelang mit der Entdeckung der X-Strahlen durch den Physiker Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923) in Würzburg ein Durchbruch in der Diagnose. Die Durchleuchtung setzte sich geradezu blitzartig durch. Bereits 1897 erhielten alle großen Krankenhäuser ein Röntgengerät. Die gesamte Sichtweise auf den Organismus veränderte sich (vgl. Thomas Manns »Zauberberg«). Durch Kontrastmittel lernte man bald, auch Hohlorgane sichtbar zu machen. Schichtaufnahmen wurden schon ab 1914 zur Diagnose eingesetzt. Seit den 60er-Jahren stand die Fernsehtechnik mit Bildschirmen bereit. Die Verbindung vom Schichtaufnahmeverfahren mit der Computertechnik ermöglichte die Computertomographie (CT), so lassen sich seit 1972 auch Weichteile darstellen. Bei der in den 80er-Jahren entwickelten Kernspin (resonanz)tomographie, in der durch Kernresonanzmessungen ein tomographisches Schichtbild aufgebaut wird, entfällt die Strahlenbelastung des Patienten. Die Elektrokardiographie (EKG) erlangte ähnliche Bedeutung wie die Röntgenstrahlen. Der Niederländer Willem Einthoven (1860–1927) konnte mit dem von ihm entwickelten Saiten-Galvanometer 1902/03 erstmals elektrische Herzströme korrekt registrieren, und wurde so zum Begründer der Elektrokardiographie. Herzfehler, Herzinfarkt und koronare Herzerkrankungen konnten nun diagnostiziert werden. Aus der Weiterentwicklung der Schalldiagnose durch Mi-
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krophone (v. a. piezoelektronische Kristallmikrophone) und Verstärkung entwickelte sich die Phonokardiographie. Erst durch diese Verfahren, besonders durch die differenzierte EKG-Diagnostik, sind Herzoperationen, Schrittmacher-Implantationen u. v. m. erst möglich geworden. Seit den 40er-Jahren des 20. Jh. wird die Ultraschalldiagnostik (Sonographie) eingesetzt, die auf das Echolot zurückgeht. Seit den 70er-Jahren steht das Realtime-Verfahren zur Verfügung, bei dem das Bild dem Schallwinkel folgt. Diese Untersuchungsmethode wird vor allem im Bereich der Abdominal- und Pränataldiagnostik eingesetzt. Für die Fortschritte in der klinisch-chemischen Diagnostik waren vor allem die Forschungen des Amerikaners Otto Folin (1867–1934) zu den Abbauprodukten der Proteine im Urin wichtig. Zusammen mit dem Chinesen Hsien Wu (1893–1959) entwickelte Follin außerdem die Analysemethode der Kolorimetrie zur Harnsäurebestimmung. Folin, Wu sowie Fritz Pregl (1869–1930) und der Norweger Christian Bang (1869– 1918) lieferten außerdem entscheidende Methoden zur Mikroanalyse des Blutes. Genetische Diagnostik Ausgehend von der durch Gregor Mendel (1822– 1884) entdeckten Vererbungslehre, die von Correns, Tschermak und de Vries (1848–1935) wieder entdeckt wurde, begründete Thomas Hunt Morgan (1866– 1945) mit seinen Forschungen an der Fruchtfliege (Drosophila) die Chromosomenforschung. So konnten die Gene als Träger der Erbinformation bestimmt und erste Chromosomenkarten erstellt werden. Es zeigte sich bald, dass die Gene unter bestimmten Einflüssen (z. B. Röntgenstrahlen) mutieren. Als James Gewey Watson und Francis Harry Crick die Doppelhelixstruktur der Desoxyribonukleinsäure (DNS) 1953 vorstellten, wurde klar, dass die Genmutation durch Änderung der Reihenfolge oder Anzahl der Nukleotide erfolgte. > Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Human Genom Projekt: 100.000 Gene mit 3 Mio. Basissequenzen.
Mit Hilfe der Amniozentese (ab 15. Schwangerschaftswoche) und der Chorionbiopsie (ab 8. bis 10. Schwangerschaftswoche) wurde die pränatale Diagnostik ermöglicht. Trisomien, Turner- und Klinefelter-Syndrom wurden erkennbar. (Durch die aktuelle Regelung des § 218 ist eine Abtreibung als medizinische Indikation möglich, 7 Kap. 2.3.3.2).
Hormonforschung 1929 konnten Frederick Banting (1891–1941) und Charles Herbet Best (1899–1978) erstmals Insulin isolieren. Ab 1923 wurden Diabetiker mit Altinsulin aus Schweine- oder Rinderpankreas behandelt, 1936 gelang die Umstellung auf kristallines Insulin. Mit der Isolation der Geschlechtshormone zu Beginn der 30er-Jahre wurde die Entwicklung der Ovulationshemmer (Pille) möglich. Therapie Schon gegen Ende des 19. Jh. konnten mit einer verbesserten Hygiene beachtliche Erfolge erzielt werden (z. B. bei der Bekämpfung der Cholera). Durch Fortschritte in der Bakteriologie waren viele Erreger entdeckt und Krankheitsverläufe aufgeklärt worden. Auf dieser Basis wurden z. B. Maßnahmen entwickelt, die die Lebenserwartung von Tuberkulose-Patienten erhöhten. Eine antibakterielle Therapie fehlte jedoch. Einen entscheidenden Fortschritt brachte die Serumtherapie. Emil von Behring (1845–1917) und Shibasaburo Kitasato (1852–1931), beide Schüler von Robert Koch, entdeckten, dass der Organismus Antitoxine gegen Diphtherie und Tetanus bilden konnte (1892 klinisch erprobt). Aus den Diphtherieseren konnte ein Impfstoff entwickelt werden, der ab 1913 eingesetzt wurde. Das Tetanus-Serum Behrings eignete sich für Therapie und Prophylaxe (im 1. Weltkrieg erprobt). Behring wurde Professor in Marburg. Aus seinem Wirken gingen die Behring-Werke hervor. Max von Gruber (1853–1927), ein Schüler Pettenkofers, zeigte, dass die Antikörper wegen ihrer Agglutinationsfähigkeit mit dem speziellen Krankheitserreger als Reagens genutzt werden können, um den Bakterienstamm zu definieren (Gruber-Widal-Reaktion). Durch die Gabe von spezifischen Immunseren konnte ein Infektionserkrankter für etwa 3 Wochen immunisiert werden. Die große Schwäche der Serumtherapie bestand darin, dass sie antiinfektiös und nicht antibakteriell ausgerichtet war und deshalb nicht zuverlässig wirkte, außerdem bestand die Gefahr, serumkrank zu werden. Einen Schritt weiter ging Paul Ehrlich (1845–1915), Mitarbeiter Behrings, der arsenhaltige Präparate gegen die Erreger der Syphilis einsetzte. Gerhard Domagk (1895–1964) entdeckte schließlich, dass Bakterien schneller phagozytiert wurden, wenn sie zuvor geschädigt worden waren und fand im Sulfonamid einen geeigneten Stoff (Marke: Prontosil 1935). Domagk und Ehrlich bahnten der Chemotherapie den Weg. Der Schotte Alexander Fleming (1881–1955) bemerkte 1927 bei seinen Untersuchungen zur Infekti-
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onsabwehr, dass ein Stoffwechselprodukt des Schimmelpilzes, Penicillium notatum, das Wachstum von Bakterienkulturen hemmt. Er nannte das Produkt Penizillin. Aber erst Howard Walter Florey (1889–1968) und Ernst Boris Chain (1906–1979) erkannten ein Jahrzehnt später in Oxford den therapeutischen Nutzen. Das Penizillin rettete so im 2. Weltkrieg vielen Soldaten der alliierten Truppen das Leben. Die antibiotische Therapie hatte begonnen. Das erste nachgewiesene Virus war der Pockenerreger Variolavirus (1906 durch Enrique Paschen, Hamburg). Durch seine relative Größe ist es noch im Lichtmikroskop darstellbar. Die Entwicklung des Elektronenmikroskops ermöglichte schließlich die Definierung der Viren durch André Lwoff (1902–1994). Eine wirklich effektive antivirale Therapie ist immer noch nicht verfügbar. Chirurgie Anästhesie (Vollnarkose seit 1844), aseptische Operationsmethoden und die Bluttransfusion bildeten die Voraussetzungen für die moderne Chirurgie. Organtransplantation Die ersten Transplantationen wurden im ausgehenden Mittelalter vorgenommen. Zur Wiederherstellung verstümmelter Körperteile, z. B. der Nase, wurde Eigengewebe verpflanzt. Mit der Organtransplantation beschäftigt sich die Chirurgie im Versuch seit Ende des 19. Jh. Erste Nierentransplantationen wurden um 1945 in den USA (Boston) vorgenommen, zunächst ohne Erfolg. Die erste erfolgreiche Verpflanzung einer Niere gelang 1954 wiederum in Boston durch Joseph E. Murray (Nobelpreis 1990). Der Spender war der Zwillingsbruder des Patienten. Ebenfalls in Boston wurde auch erstmal eine Niere von einem nichtverwandten Spender eingesetzt, wobei eine Immunsuppression mit Azathiopin (ein Antimetabolit) vorgenommen worden war. Neben der Weiterentwicklung der Immunsuppression (Ciclosporin 1982) wurde die Strategie entwickelt, immunologisch passende Spender und Empfänger zusammenzubringen. Zu diesem Zweck wurde 1967 Eurotransplant gegründet. Die erste Herztransplantation gelang am 3.12.1967 Christiaan Barnard in Kapstadt. Die Möglichkeiten der Organtransplantation führten auch zu heftigen Debatten ethischer Themen. Künstlicher Organersatz Von noch größerer Bedeutung ist die Entwicklung künstlicher Organe für den temporären oder dauerhaften Einsatz. Mit dem Maschinenkonzept des Körpers im Zeitalter des Barock versuchte man mit mechanischen Mitteln künstliche Organe zu entwickeln. Erster
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Erfolg waren die von Ferdinand Sauerbruch im 1. Weltkrieg konstruierten Handprothesen. Für Operationen wichtig waren Eiserne Lunge (1929) und Herz-Lungen-Maschine (1953). Dieser Organersatz spielte in der Unfallchirurgie und in der Intensivmedizin eine überragende Rolle. Das meist verbreitete künstliche Organ ist die sog. künstliche Niere, der Dialyseapparat, den der Niederländer Willem Johan Kolff 1943 gebaut hat. Die meisten künstlichen Organe mit Ausnahme der Prothesen stellen jedoch nur eine Überbrückungshilfe dar. Gynäkologie und Geburtshilfe Neue Methoden der Anästhesie, die Bluttransfusion, Asepsis und Antibiotika ließen die Mortalität bei Geburt und Kaiserschnitt drastisch sinken. Verbesserung in der Diagnostik von Tumorzellen im Genitalbereich und ihrer Bekämpfung (Radiumstrahlung, Zytostatika) gehen vor allem auf Carl Ruge und Robert Meyer zurück. In den 20er-Jahren begann der Aufbau der Vorsorgeuntersuchungen zur Krebsfrühdiagnostik. Robert Schröder erkannte 1915, dass der Menstruationszyklus durch die Ovarien gesteuert wird. Nach der Entdeckung der wichtigsten Sexualhormone konnte Carl Kaufmann Menstruationsstörungen direkt behandeln, indem er zyklusgerechte Hormone substituierte. Selmar Aschheim (Charité, Berlin, gest. 1965) entwickelte zusammen mit Bernhard Zondek den ersten biologischen Schwangerschaftstest, in dem das Gelbkörperhormon im Urin nachgewiesen wurde (Aschheim-Zondek-Schwangerschaftsreaktion). Ein zentrales Thema der Forschung im 20. Jh. stellte die Suche nach einer zuverlässigen Geburtenregelung durch Empfängnisverhütung dar. Die mechanischen Verhütungsmittel wie Kondome und Pessare galten ebenso, wie chemisch wirkende Präparate in Form von Scheidenzäpfchen und Salben als umständlich und störend. Im Tierversuch gelang 1921 durch Hormongabe eine zeitlich begrenzte Kontrazeption (Ludwig Haberlandt), die in den 50er-Jahren durch Gregory Goodwin Pincus (1903–1967) auch am Menschen nachgewiesen wurde. Damit war der Weg frei geworden für die Entwicklung von Östrogen-Progesteron-Präparaten zur oralen Einnahme, im Volksmund Anti-Baby-Pille genannt, die in den USA 1960, in Deutschland 1961 zugelassen wurden. Künstliche Befruchtung Vor allem die Bürgerrechtsbewegungen der 50er- und 60er-Jahre in den USA hatte u. a. ein Recht auf Elternschaft eingefordert. Dies führte zur Entwicklung der
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
In-vitro-Fertilisation, zur künstlichen Befruchtung im Reagenzglas und zu anderen Fertilisationstechniken, wie Embryotransfer und intratubaren Gametentransfer. Das erste sog. Retortenbaby wurde 1978 geboren. Die Fertilisationstechnik provozierte zahlreiche ethische Fragen in Bezug auf Samenspende, Embryonenspende, Ersatz- oder Leihmutterschaft, vor allem aber wegen der Tötung überzähliger Embryonen bzw. der Forschung an diesen Embryonen. Auf der anderen Seite führte die künstliche Befruchtung zu einem enormen Wissenszuwachs auf dem Gebiet der Befruchtung, Zellteilung, der Frühphase der Schwangerschaft usw. Gerade der Gedanke, toti- und pluripotente Zellen für die Therapie zu nutzen, wäre ohne die künstliche Befruchtung wohl nicht so schnell gereift. Psychiatrie Die Psychiatrie konzentrierte sich im 20. Jh. zunächst auf drei Behandlungsmethoden. Bei der progressiven Paralyse, die 1857 als eine Spätform der Syphilis erkannt worden war, versuchte man Fieber zu induzieren, weil man unter Fieber eine Besserung beobachtet hatte. Julius Wagner von Jauregg (1857–1940) setzte nach vielen Versuchen Malaria-Erreger ein. Diese Malaria Kur war die erste wirksame Therapie der progressiven Paralyse (Nobelpreis 1927). Seit der Mitte des 20. Jh. ersetzt Penizillin die Kur. Besonders in den 30er-Jahren erfolgten Versuche mit verschiedenen Schocktherapien. Schon lange bestand die Erfahrung, dass physischer oder psychischer Schock (z. B. durch Kalt-Wasser-Güsse) eine Besserung herbeiführen kann. Nun experimentierte man mit Insulinschock, Cardiazolschock und Elektroschock (Ugo Cerletti, Lucio Beni). Die Verfahren wurden aber bald wieder aufgegeben. Als wichtigste Therapiemittel erwiesen sich die Psychopharmaka. Zu Beginn des 20. Jh. dienten Barbiturate zur Sedierung der Patienten. Aber erst um 1950 beginnt die Epoche der eigentlichen Psychopharmaka. Man setzte Lithium bei manisch-depressiven Patienten ein, Phenothiazin Chlorpromazin als Neuroleptikum bei Schizophrenie, seit 1958 auch Butyrophenone. 1958 entstanden auch die ersten trizyklischen Antidepressiva. Mit der Entdeckung, dass das Muskelrelaxans Meprobamat auch eine angstlösende und sedierende Wirkung besitzt, begann die Entwicklung der Tranquilizer. Seit 1960 wurden vor allem Benzodiazepine eingesetzt. Parallel zu den Therapien entstand die Sozialpsychiatrie, die sich gegen ein »Wegsperren« der Patienten in abgeschiedene Fachkrankenhäuser wehrt und für Alternativen wie betreutes Wohnen, beschützende Werkstätten und ambulante Versorgung einsetzt.
2.1.11 Medizin im Nationalsozialismus Die Ideologie des Nationalsozialismus griff Gedanken auf, die bereits im 19. Jh. diskutiert wurden: wie z. B. der im NS-Staat völlig übersteigerte Gedanke des Nationalstaates, des Sozialismus, des Antisemitismus, der Rassenhygiene und Menschenzüchtung aus einer radikalen Interpretation des Darwinismus heraus, und nicht zuletzt eines radikalen Kolonialismus. Schon vor 1900 warfen Evolutionsbiologen wie Ernst Haeckel (1834–1919) den Ärzten vor, sie würden durch ihr Handeln der Menschheit Schaden zufügen, weil sie auch gesundheitlich Schwachen ein langes Leben und die Fortpflanzung ermöglichten. Umwertung der ärztliche Ethik Der Ns-Staat versuchte ein Gesundheitssystem zu etablieren, dass ganz im Dienste der politischen Ziele stehen sollte. Man propagierte eine Umwertung der ärztliche Ethik: nicht mehr der einzelne Kranke sondern die Gesundheit der »Volksgemeinschaft« sollte nun im Vordergrund des ärztlichen Interesses stehen. So war es möglich, dass sich Ärzte an der »Vernichtung lebensunwerten Lebens« beteiligten, denn diese Maßnahme galt der Verbesserung der Volksgesundheit. Eine neue Leistungsmedizin sollte die Arbeitsleistung erhöhen. Dem Einzelnen wurde eine »Pflicht zur Gesundheit« auferlegt. > Krankheit galt als das Ergebnis einer fehlerhaften Lebensweise und konnte als sittenwidriges Versagen geächtet werden.
Entsprechend nannte sich der 1943 ins Amt gekommene Leonardo Conzi nicht mehr Reichsärzteführer, sondern Reichsgesundheitsführer. Rasche Gleichschaltung des Gesundheitswesens Wie in vielen anderen Breichen, musste das NS-Regime nach der Machergreifung im Jahr 1933 keine große Gewalt bei der »Gleichschaltung« des Gesundheitswesens und der Ärzteschaft anwenden. Bereits am 24.3.1933 unterstellten sich der Hartmannbund und der Ärztevereinsbund dem Reichsärzteführer Gerhard Wagner. Die Ärztekammern gingen durch die Reichsärzteordnung (13.12.1935) in der Reichsärztekammer auf. Mit dem »Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens« vom 3.7.1935 wurde mit der flächendeckenden Einrichtung von Gesundheitsämtern begonnen. Jüdische und politisch missliebige Kollegen wurden hinausgedrängt. Knapp 45% der Ärzteschaft waren Mitglied in der NSDAP, was aber nicht nur politische, sondern auch materielle Gründe hatte.
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Kontrolleure der Patienten Ärzteschaft und Gesundheitsämtern kamen zahlreiche Kontrollfunktionen im NS-Staat zu. Das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 14.7.1933 verpflichtete alle im Gesundheitswesen tätige Personen zur Meldung von Erbkranken bei den Amtsärzten. Mit dem »Ehegesundheitsgesetz« (18.11.1935) wurde die Vorlage eines Gesundheitszeugnisses vor der Eheschließung verordnet. Zweidrittel der frei praktizierenden Ärzte waren bei den Volksgesundheitsämtern der NSDAP registriert. Sie waren damit in einem Hausarztsystem eingebunden, das den Gesundheitszustand der Bevölkerung überwachen sollte (»Gesundheitsblockwart«). Ideologisierung der Medizin: Neue Deutsche Heilkunde Der ideale »Gesundheitsführer« im NS-Staat sollte weniger Facharzt, sondern Allgemeinarzt sein, der die Ganzheit von Geist, Körper und Umwelt, aber auch die Rassenhygiene im Blick hat. In den ersten Jahren des NS-Staates erfreuten sich naturkundliche Heilmethoden einer großen Beliebtheit, nicht zuletzt, weil man sich von ihnen finanzielle Einsparungen und eine größere Unabhängigkeit vom Weltmarkt versprach. Zu den großen Befürwortern naturheilkundlicher Verfahren gehörten NS-Größen wie Heinrich Himmler, Rudolf Heß und Julius Streicher (Gauleiter von Franken). > Hauptaufgabe der Neuen Deutschen Heilkunde (NDH) sollte die Hebung und Erhaltung der Volksgesundheit sein. Somit standen präventive Maßnahmen im Vordergrund, wie Sport und Leibesübungen, sowie diätetische Anweisungen.
Die naturwissenschaftlich orientierte »Schulmedizin« galt dagegen als materialistisch, jüdisch, marxistisch, als ein System, im dem das Vertrauen im Arzt-PatientenVerhältnis gestört sei. Dem wurde der volksverbundene Hausarzt gegenübergestellt. Die NHD hatte zudem die politische Aufgabe, die millionenstarke Anhängerschaft der Naturheilkundebewegung für den neuen Staat zu gewinnen. Mit der zunehmenden Kriegsvorbereitung, die durch Maßnahmen wie den Vier-Jahres-Plan (September 1936) eingeleitet wurde, ging das Interesse des NS-Staates an der NHD zurück und verschwand mit Beginn des Krieges weitgehend aus der öffentlichen Diskussion. Rassenhygiene Die Rassenhygiene entwickelte sich aus der Eugenik, ein Terminus, den der Engländer Francis Galton 1883, ein Vetter Darwins, geprägt hatte.
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> Die Eugenik ist die Wissenschaft, »die sich mit allen Einflüssen befasst, welche die angeborenen Eigenschaften einer Rasse verbessern.« (F. Galton)
Die Eugenik wollte auf der Basis des Sozialdarwinismus und der Hygiene die sozialen Probleme der Industriestaaten lösen, die durch Landflucht, Zuwanderung von Ausländern usw. entstanden waren. So wurde gefordert, die Fortpflanzung von »Schwachsinnigen« einzuschränken und eugenisch positive Familien durch differenzierte Sozialfürsorge zu fördern. In Indiana (USA) wurde in diesem Zusammenhang 1906 erstmals ein Zwangssterilisierungsgesetz erlassen. In Deutschland taufte Alfred Ploetz (1895) die Eugenik in »Rassenhygiene« um. Dennoch verstand man darunter zunächst vorwiegend die Pflege der menschlichen Rasse ohne völkische Verengung. 1932, also noch vor der Machtergreifung Hitlers, wurde in Preußen ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der die freiwillige Sterilisierung erblich belasteter Menschen vorsah. Dieser Gesetzentwurf diente als Vorlage für das 1933 erlassene »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, das eine Zwangsterilisierung ermöglichte. An bis zu 400.000 Menschen wurde diese Maßnahme vollzogen. Betroffen waren u. a. Epileptiker, Schizophrene, Manisch-Depressive, erblich Blinde und Taube, schwere Alkoholiker und Menschen mit »angeborenen Schwachsinn«. Darunter verstand man auch »moralischen Schwachsinn«, der bei Straftätern, Prostituierten, Obdachlosen u. a. diagnostiziert wurde. > Dem Arzt wurde das »Recht der Entscheidung über wertvoll und minderwertig« zugesprochen (Arthur Gütt im Deutschen Ärzteblatt, 1933).
Der Nationalsozialismus verstand unter Rassenhygiene, wie sie in den Nürnberger Rassengesetzen umgesetzt wurde, die Förderung der »arischen Rasse«. Diesem Ziel schloss sich die Mehrheit der deutschen Eugeniker und Erbforscher wie Fritz Lenz und Eugen Fischer an. Rassenhygiene wurde 1936 Prüfungsfach und 1939 Pflichtfach in der Approbationsordnung. »Vernichtung unwerten Lebens« Im Herbst 1939 begann die sog. T4-Aktion. T4, weil sie im Haus Tiergartenstraße 4 in Berlin beschlossen wurde. Intern hieß sie »Vernichtung unwerten Lebens«, auch als »Euthanasie« (guter Tod) oder GnadentodAktion bezeichnet. In den deutschen Heilanstalten wurden daraufhin etwa 200.000 Patienten durch Nahrungsentzug, Überdosierung von Medikamenten oder in einer von sechs Tötungsanstalten durch CO-Gas ermordet.
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Als der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, in Hirtenbriefen und Predigten massiv gegen das Töten in den Heilanstalten auftrat, wurde die T4-Aktion eingeschränkt. Dafür wurde nun das systematische Töten auf andere Gruppierungen ausgeweitet: auf kränkliche KZInsassen und Kriegsgefangene, auf »Zigeuner«, wie Sinti und Roma genannt wurden, sowie »Streuner« (Obdachlose), bis schließlich auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 die »Endlösung der Judenfrage« ausgerufen wurde. Die Massentötung im Konzentrationslager Auschwitz mit Zyklon B war durch die CO-Vergasung der T4-Aktion vorbereitet worden. Menschenversuche An Häftlingen wurden ohne deren Zustimmung Versuche durchgeführt, die den Tod der Versuchpersonen teilweise sogar vorsahen. Mit etwa 3500 Menschen sollen nach Berechnungen des Gerichts im Nürnberger Ärzteprozess solche Versuche durchgeführt worden sein, von ihnen starben mindestens 800. Neben Versuchen zu einzelnen Erkrankungen (Tuberkulose, Multiple Sklerose) wurden auch Medikamente und Impfstoffe an den Häftlingen erprobt. Der Schwerpunkt der Versuche diente aber militärischen, rassenhygienischen und rassenpolitischen Interessen. Zu den militärischen bzw. wehrwissenschaftlichen Experimenten gehörten z. B. die Experimente mit Giftgasen wie Lost (Senfgas), Phosgen und Tabun. Im Konzentrationslager Buchenwald gab es eine Forschungsstation für biologische Kriegsführung. Hier wurden u. a. Versuche mit Pesterregern unternommen. Die Luftwaffe ließ im Konzentrationslager Dachau Unterdruck- und Unterkühlungsexperimente durchführen. Dabei ging es darum, herauszufinden, welche Höhe der menschliche Organismus mit und ohne Sauerstoffgerät ertragen kann.
Die Rassenideologie sollte mit Experimenten untermauert werden, wie sie Josef Mengele in Auschwitz an von ihm ausgewählten Juden vornahm. Auch Kriegsgefangene asiatischer oder afrikanischer Abstammung wurden für rassenanthroposophische Untersuchungen ausgesucht. Im Zuge der Aktion »Vernichtung lebensunwerten Lebens« wurden behinderte Kinder zu Versuchen herangezogen, bevor man sie tötete. Rassenpolitische Ziele verfolgten z. B. die Sterilisierungsexperimente von Carl Clauberg und Horst Schumann. Schuhmann erprobte die Tauglichkeit von Röntgenstrahlung zur Massensterilisierung von Männern und Frauen. Clauberg verklebte Frauen die Eileiter mit einer Formalinlösung und ließ seine Probanden nach Versuchsende in Birkenau ermorden. »Medizin ohne Menschlichkeit« »Medizin ohne Menschlichkeit«, so fasste der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908–1982) die Ereignisse im NS-Staat zusammen, als er zusammen mit Fred Mielke die Dokumentation zu den Nürnberger Ärzteprozessen erstellte, die 1947 unter dem Titel »Das Diktat der Menschenverachtung« erschien. Er wurde von vielen Ärzten als »Nestbeschmutzer« diffamiert. Im Nürnberger Ärzteprozess vom August 1947 wurden 23 Personen angeklagt, wovon sieben hingerichtet und ebenso viele freigesprochen wurden. Mitscherlich sprach von 350 Ärzten, die sich an den Verbrechen beteiligt hätten. Im Rahmen des Nürnberger Ärzteprozesses wurde im »Nürnberg Codex« (»Nuremberg Code«) die ethischen Grundlagen für das Humanexperiment festgelegt. Der Codex wurde in den Deklarationen von Helsinki und Tokio vertieft. Eine weitere wichtige Reaktion auf die Medizin im NS-Staat ist das Genfer Ärztegelöbnis (7 Kap. 2.3).
In Kürze Neuzeit Medizin im Zeitalter von Humanismus und Renaissance (15./16. Jh.)
Abkehr von der arabisch beeinflussten Medizin: zurück zur Antike. Fortschritte in Anatomie (Vesal), Chirurgie (Paré) und Theorie (Fracastaro)
Medizin zwischen Tradition und Aufbruch (17./18. Jh.)
Neue philosophische Ansätze durch Bacon und Descartes: Maschinenmodell. Gegenmodell: Animismus und Vitalismus: beseelter Organismus. Reiztheorien: Brownianismus. Viele Erkenntnisse (Blutkreislauf, Mikroskopismus), aber keine überzeugende Theorie, die die Erkenntnis verwerten kann
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45 2.2 · Theorie der Medizin
2.2
Beginn der modernen Medizin (19. Jh.)
Mit der Zellularpathologie wird eine tragfähige Theoriegrundlage gefunden. Entdeckung der Bakterien und Viren und erste therapeutische Ansätze zu ihrer Bekämpfung.
Medizin im 20. Jh.
Penicillin- Antibiotika, künstliche Organe und Organtransplantationen. Diagnoseverfahren: vor allem sehr verfeinerte bildgebende Verfahren
Medizin im Nationalsozialismus
Das Volk, nicht das Individuum wird Gegenstand der Medizin. Medizin im Dienst eines totalitären Regimes
Theorie der Medizin
Im 19. Jh. hat sich die Medizin zur Naturwissenschaft erklärt. Als Wissenschaft gründet sie sich auf Empirie und Induktion. Damit wird das Menschenbild auf das naturwissenschaftlich Erkennbare begrenzt. Die Fragen, was Gesundheit und Krankheit, was Leben und Person ist, lässt sich jedoch mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht klären, hier liegt die Berechtigung für das Fach Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin (GTE). Wissenschaftstheorie Die Wissenschaftstheorie ist seit Beginn des 20. Jh. eine eigene Disziplin der Philosophie, die aus dem Konflikt zwischen Natur- und Geisteswissenschaften entstand. Es geht um das Verhältnis von Methode und Forschungsgegenstand in den einzelnen Wissenschaften. Die Wissenschaftstheorie analysiert die Methoden, Strukturen, Ziele, Folgen und Erkenntnisschlüsse und fragt inwieweit sie dem Gegenstand angemessen sind, so dass die gewonnen Aussagen als »wahr« gelten können.
Die Medizintheorie ist eine auf die Medizin ausgerichtete Wissenschaftstheorie, die drei wesentliche Bereiche umfasst: 4 Anthropologie: Gegenstand der Medizin ist der Mensch. Was bedeutet das für eine systematische Erkenntnis und wissenschaftlich fundiertes Handeln? Der Mensch ist zugleich Subjekt und Objekt im medizinischen Handeln. Deutlich wird das an Begriffen wie Gesundheit und Krankheit, am Verhältnis von Krankheit und Kultur. 4 Handlungstheorie: Medizin wird erst im praktischen Handeln sinnvoll, deshalb stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis. Es ist die Frage zu klären, wie theoretische Entwürfe konkretes Handeln ermöglichen. 4 Erkenntnistheorie: Frage nach Möglichkeiten systematischer Erkenntnis und den Wahrheitskriterien der wissenschaftlichen Aussagen (z. B. Diagnose, Prognose, Therapie als Hypothese).
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2.2.1 Anthropologie Gegenstand der Medizin ist der Mensch. Mit dem Wandel der Medizin in der frühen Neuzeit vom 17. bis zum 19. Jh. zu einem Maschinenmodell des menschlichen Organismus geriet der Mensch als Ganzes beinahe aus dem Blickfeld der naturwissenschaftlich-technischen Medizin. Der methodische Schritt der Trennung von Psyche und Soma führte zu einem großen Erkenntnisgewinn. Mit diesem Modell war aber nicht zu klären, was Leben, Person, Gesundheit oder Krankheit sei. Eine Lösung versuchte die Anthropologische Medizin zu geben, die auf ein Konzept zurückgeht, das Viktor von Weizsäcker in den 20er-Jahren entwickelte und das in der Heidelberger Schule eine Fortsetzung fand. Demnach sollte die Medizin ihr mechanistisches Menschenbild aufgeben und anstelle dessen ein personales Wesen setzen, das bewusst in einer bestimmten Umwelt steht. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wurde als personale Beziehung und Interaktion begriffen. > Der Mensch, der Patient sollte zum Subjekt in der Medizin werden.
Eine alleinige Reduktion auf kausale Denkmodelle entspreche nicht der Wirklichkeit des Lebens, es müsse neben dem kausalen Erklären auch zum Verstehen der Peron im Gespräch kommen, wobei die jeweilige Lebenssituation des Patienten, ja das Kranksein im Sinnzusammenhang der Biographie des Patienten mit einbezogen wird. Dies lässt sich an den Begriffen Gesundheit und Krankheit veranschaulichen. 2.2.2 Gesundheit – Krankheit Gesundheit Das Problem der Medizin und Medizintheorie wird an der Suche nach einer Definition von Gesundheit deutlich: Nicht ohne Grund gelang bislang keine allgemein akzeptierte Formulierung. Die Formel: »Gesundheit ist
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Abwesenheit von Krankheit« kann nicht überzeugen, denn, gemessen an einem theoretischen (statistisch gewonnenen) Idealzustand aller Körperteile ist kein Mensch vollkommen gesund. Einen extremen Standpunkt nimmt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein. In ihrer Definition ist Gesundheit ein »völliges Wohlbefinden in physischer, geistiger und sozialer Hinsicht«. Diese Umschreibung von Gesundheit wird oft als Vorgabe eines utopischen Zustandes kritisiert. > »Health is a state of complete physical, mental and social wellbeing and not merely the absence of disease or infirmity.« (WHO, 1947) Gesundheit in Antik und Mittelalter Die antike und mittelalterliche Medizin sprach von einem Zustand der »Neutralität«. Gesundheit wurde als ein ständig neu zu schaffender bzw. zu erhaltender Zustand betrachtet. Dem Arzt wurde deshalb die Aufgabe zugewiesen, Vorgaben für eine entsprechende Lebensführung zu entwickeln.
Auch heute beinhaltet der Begriff Gesundheit einen Optimalzustand, der nicht nur die Erhaltung, sondern sogar die Steigerung der körperlichen Fähigkeiten eines Individuums mit einschließt. Nach dem Philosophen Hans-Georg Gadamer kommt die an sich verborgene Gesundheit »in einer Art Wohlgefühl zutage, und mehr noch darin, dass wir vor lauter Wohlgefühl unternehmungsfreudig, erkenntnisoffen und selbstvergessen sind und selbst Strapazen und Anstrengungen kaum spüren.« (Über die Verborgenheit der Gesundheit, 1993) Aber auch damit wird das Phänomen Gesundheit nicht wirklich erfasst. Es gibt kein Leben gänzlich ohne Krankheit: Krankheiten (z. B. Kinderkrankheiten) sind geradezu Voraussetzung für ein relativ gesundes Leben. Krisen führen zu Depressionen, die letztlich wieder wichtige Entscheidungen für ein gesundes Leben bewirken können. Hier stellt sich auch die Frage nach der Behinderung, ist jemand krank, der ein Organ (ein Auge, einen Arm) verloren hat und gut damit zu Recht kommt? Ist jemand gesund, der aufgrund einer Abnormität sich selbst nicht annehmen kann, obwohl im organisch nichts fehlt? Ist jemand krank, weil er keine Kinder bekommen kann? Krankheit Maschinenmodell des menschlichen Organismus Mit dem mechanisch-technischen Modell des Cartesianismus (nach René Descartes) im 17. und 18. Jh. wurde eine 6
zuvor nicht gekannte Trennung von Leib und Seele vollzogen. Der Organismus wurde als eine Art Maschine interpretiert, Krankheit bekam so den Status eines Defektes, der durch eine entsprechende Therapie (verstanden als Reparatur) zu beseitigen war. Diese Reduktion erbrachte enorme Fortschritte, führte aber auch zu Irritationen im ArztPatienten-Verhältnis, die noch heute zu spüren sind: Der Kranke wurde zum Objekt, der kranke Mensch zu einer Krankheit. Es wurde nach Alternativen gesucht.
Alternative Ansätze haben ihre Wurzeln im 18. Jh. Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau stellte die These auf, dass die Zivilisation die Gesundheit verdorben habe, die der Mensch in seinem Naturzustand ursprünglich besaß. Bei einer naturgemäßen Lebensführung würden fast alle Erkrankungen vermieden werden. Diese war die theoretische Grundlage für die Naturheilbewegungen des 19. und 20. Jh. Im 20. Jh. bemühte sich die Schulmedizin um »die Einführung des Subjektes« (Viktor von Weizsäcker). Krankheit sollte nicht länger als Defekt eines Organs oder des Organismus verstanden werden, sondern als eine Not, die sich in der Bitte um Hilfe äußert. Weizsäcker nennt deshalb denjenigen krank, der einen Arzt anruft, und dem der Arzt diese Not anerkennt. Damit würde die subjektive Einschätzung von Patient und Arzt für die Bestimmung von Krankheit wesentlich sein. Objektiv Kranke können sich für gesund, objektiv Gesunde für krank erklären. Tatsächlich spielen bei der Unterscheidung zwischen Krankheit und Gesundheit individuelle und gesellschaftliche Ideale und Normen eine wesentliche Rolle (so gibt es z. B. das Schleudertrauma nur in Deutschland). Durch die veränderte Situation auf dem Arbeitmarkt verringert sich die Anzahl der Krankmeldungen von Jahr zu Jahr deutlich. Der Patient geht mit der Erkrankung unterschiedlich um: er kann seine Haltung zu einer Erkrankung verändern. Damit können Krankheiten sogar verschwinden bzw. neue entstehen. Auf der anderen Seite wird Krankheit für den Patienten oft dann erst »wahr«, wenn der Arzt eine entsprechende Diagnose stellt und eine Therapie einleitet. Krankheit hat immer auch eine soziale Komponente. Oft leiden Patienten unter den sozialen Folgen stärker, als unter der Krankheit selbst, sei es wegen familiären, beruflichen oder noch weiterreichenden Konsequenzen. Auch die verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften gehen mit einer Erkrankung, bzw. mit bestimmten Krankheiten ganz verschieden um. In Gesellschaften, in welchen Leistung und Aktivität einen sehr hohen Stellenwert einnehmen, hat der Kranke und die
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Krankheit einen anderen Stellenwert als in Gesellschaften mit anderen Wertvorstellungen. Die verschiedenen Perspektiven, die den Begriff Krankheit umfassen, lässt sich an der Differenzierung zeigen, den die englische Sprache vorgenommen hat: demnach bezeichnet »disease« die objektive, naturwissenschaftliche Seite einer Krankheit, »sickness« die subjektive und »illness« die soziale Seite. > Eine pragmatische Definition von Krankheit: Krankheit ist eine vorübergehende oder zum Tod führende Unfähigkeit zu eigenständiger Situationsbewältigung und selbstbestimmter Lebensgestaltung. Sinn der therapeutischen Praxis ist es, so zu wirken, dass der Patient die Fähigkeit zu eigenständigem Handeln, zwischenmenschlicher Kommunikation und selbstbestimmter Lebensgestaltung wieder erhält.
2.2.3 Handlungstheorie (ärztliche Theorie) Die Medizinische Theorie aus ärztlicher Seite betrachtet orientiert sich gerade auch an den Einzelschritten der Praxis und reflektiert die logischen Strukturen von Anamnese, Diagnose, Prognose, Indikation und Therapie in ihrem Zusammenhang mit dem vorausgesetzten Menschenbild und Krankheitsbegriff. In der Anamnese ist zwischen dem Aspekt der Information und der Kommunikation zu unterscheiden, damit deutlich wird, dass die im Gespräch stattfindende Reflexion bereits therapeutische Bedeutung besitzt und nicht nur zum Zweck der Einordnung in ein schon vorgegebenes therapeutisches Handlungsschema dient (hier kann die Medizin vielleicht von der Homöopathie lernen). > Diagnose, Prognose und Therapie sind wissenschaftstheoretisch als Hypothese zu verstehen.
Für die Diagnose werden Äußerungen des Patienten, Symptome, Untersuchungsbefunde, bildgebende Verfahren usw. zusammengetragen und mit Krankheitsbildern verglichen, die wiederum aus Erfahrung, statistischen und induktiven Methoden als Entitäten bestimmt werden. Diese Verfahren können aber keine Gewissheit im Erkennen begründen, denn sie wurden nur durch statistische Beobachtungen gewonnen. Die auf dieser Grundlage gewonnene Prognose (Vorhersage) erlaubt Aussagen über das Auftreten weiterer Symptome, aber auch Anweisungen für ergänzen-
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de diagnostische Untersuchungen, um die aktuelle Diagnose zu bestätigen oder zu korrigieren. Die Diagnose bestimmt vor allem die Schritte der Therapie; wiederum in Wenn-dann-Sätzen wird gesagt, wie auf anatomische Strukturen und physiologische Funktionen des menschlichen Körpers einzuwirken ist. Tritt eine erwartete Besserung nicht ein, ergibt sich eine erneute Überprüfung der Diagnose. Auf diese Weise entsteht ein kontrollierender Handlungs-Zirkel von Diagnose, Prognose und Therapie. Ärztliches Erkennen und Handeln werden so kausal bestimmt, und ebenso wird in der medizinischen Forschung ein kausal bestimmter Zusammenhang von Ursache und Wirkung in der Natur vorausgesetzt. Damit setzt die Medizin als Wissenschaft die vollständige Begreifbarkeit der Natur voraus. Damit wäre das medizinische Handeln eine Technik, denn es handelt sich um eine lineare Beziehung zwischen kausal-analytischem Wissen und praktischen Handeln. Denn Handeln, das durch eine Theorie festgelegt ist und sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen unmittelbar ergibt, ist Technik. Dadurch wird aber der Mensch, der Patient auf maschinenhafte Funktionalität reduziert. Die Medizin ist darauf angewiesen, dass sie durch Instrumente am Menschen handelt, deshalb ist der Patient im medizinischen Handeln immer auch Objekt. Menschsein definiert sich aber als ein Wesen, das aus Selbstbestimmung heraus lebt. Deshalb stellt sich die Frage: Wie ist medizinisch-technisches Handeln am Menschen möglich, so dass gleichzeitig seine freie Selbstbestimmung erhalten bleibt? Der Arzt hat mit Menschen zu tun, nicht mit Maschinen, deshalb ist auch in der Diagnose und Therapie Einfühlungsvermögen und Intuition notwendig. Seit der Antike wird das Handeln des Arztes deshalb als eine Kunst (Ars) bezeichnet. Ein Arzt ist kein deskriptiv arbeitender Biologe oder Physiker, auch wenn Medizin sich als Wissenschaft versteht. Er betreibt eine Handlungswissenschaft (wissende Praxis). Auf der einen Seite steht die wissenschaftliche Arbeit, die beobachtet, beschreibt und experimentiert, auf der anderen Seite ist die ärztliche Handlung auf einen Menschen bezogen, der ein eigenes Recht besitzt. Deshalb fordert der Philosoph Karl Jaspers eine Verbindung von Naturwissenschaft und Humanität in der Medizin: Ärztliches Handeln basiert zum einen auf dem naturwissenschaftlichen Erklären (einer Krankheit, einer Therapie) und dem geisteswissenschaftlichen Verstehen (der Person, der Situation des Patienten).
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
In Kürze Theorie der Medizin
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2.3
Anthropologie
Nicht nur die Organe und der Organismus, der Mensch als Person steht im Zentrum der Medizin
Gesundheit
Kein absoluter Wert, sondern abhängig von der einzelnen Person
Krankheit
Ist nicht einfach ein Defekt eines Organs. Für den Arzt liegt eine Krankheit vor, wenn sich der Patient an ihn wendet, weil er sein Leben nicht mehr eigenständig und selbstbestimmt bewältigen kann
Handlungstheorie/ ärztliche Theorie
Ärztliches Handeln beruht wissenschaftstheoretisch gesprochen immer auf Hypothesen. Es ist eine Handlung zwischen Personen (Subjekten) und ist deshalb nicht identisch mit dem deskriptiven Handeln der Naturwissenschaft. Naturwissenschaftliche Erkenntnis und humanistisches Verstehen der Person müssen zusammen kommen
Ethik der Medizin
2.3.1 Was ist Ethik? Ethik ist eine Teildisziplin der Philosophie, die sich wissenschaftlich mit der Beschreibung, Beurteilung und Begründung moralischen Handelns befasst. Die Erfordernisse der Moral ergeben sich daraus, dass der Mensch nicht allein auf einer Insel lebt, sondern in einer Gesellschaft mit anderen Menschen und von dieser Tatsache existenziell abhängig ist. Die Menschen haben schon früh moralische Verhaltensregeln aufgestellt. Erste Zeugnisse liegen in den Geboten vor, wie sie die Weltreligionen kennen, z. B. die 10 Gebote der Bibel. Sowohl das griechische »ethos« (die Wurzel von Ethik) als auch die lateinischen »mores« (Wurzel von Moral) bezeichnen Gebräuche und sittliches Verhalten: 4 Mit Moral werden die Verhaltenregeln bezeichnet, die in einer bestimmten Gesellschaft aus einer Tradition heraus als richtig gelten. Diese Regeln wurden zuerst von der Religion getragen und als gottgegeben betrachtet. 4 Die Ethik versucht die moralischen Regeln philosophisch zu begründen. Die Medizinethik ist wiederum eine Bereichsethik innerhalb der Ethik und arbeitet mit den Methoden der Philosophie. 4 Werte besitzen einen zentralen Stellenwert für die Ausrichtung des menschlichen Handelns, z. B. Werte wie »Leben«, »Freiheit«, »Gesundheit«. Werte können sich ändern. Wer das irdische Leben vor allem als Vorbereitungszeit für eine andere Wirklichkeit betrachtet, wird eine andere Bezug zum
Leben haben als jemand, der dieses Leben als alleinigen Selbstzweck betrachtet. 4 Normen beziehen sich auf verschiede Bereiche des Handelns. So hat die Etikette Normen, aber Normen können auch Gesetzesvorschriften zum Ausdruck bringen. Ethische Normen bringen das moralische Handeln zum Ausdruck. Handlungsvorschriften müssen in der Ethik begründet sein, sie wurden früher in der Regel durch die Religion begründet. In der Philosophie gibt es im Wesentlichen zwei Begrünungen von Normen, die deontologische und die teleologische. 5 Der Begriff deontologisch stammt von griechisch »deon«, die Pflicht. Die deontologische Nomenbegründung beruft sich also auf die Pflicht. Ein modernes Beispiel sind die sog. Prima-facie-Pflichten, die der britische Philosoph Ross entwickelt hat. Prima-facie-Pflichten werden aus grundlegenden zwischenmenschlichen Aktionen abgeleitet, wie das Geben von Versprechen oder das Schließen von Verträgen. Diese Prinzipien sind in der Regel allgemein gültig, können aber durch schwerer wiegende Gründe zurückstehen: z. B. wenn durch Hilfe bei einem Notfall eine Verabredung nicht eingehalten werden kann. 5 Die teleologische Normenbegründung nimmt auf die Folgen einer Handlung Bezug. Der Begriff leitet sich von griechisch »telos«, Ziel oder Zweck ab. Die Moralität einer bestimmten Handlung wird vom Ergebnis her begründet, man spricht deshalb auch von konsequenzialistischer Ethik; ein wichtiges Beispiel stellt der Utilitarismus (7 Kap. 2.3.2) dar.
49 2.3 · Ethik der Medizin
4 Tugend war in der antiken Philosophie das Mittel und der goldene Mittelweg für ein geglücktes Leben. Tugenden mussten gelernt und entwickelt werden. Heute wird den Tugenden immer noch eine unterstützende Funktion zugesprochen, die eine Richtlinie gerade bei rasch zu fällenden Entscheidungen geben können. > Aufgrund ihrer besonderen Stellung und Verantwortung hat sich die europäische Ärzteschaft um eine eigene moralische Reflexion bemüht.
Der berühmteste Ausdruck der Ethik des Arztes ist der Hippokratische Eid, der in vielen Abschriften des »Corpus Hippocraticum« auf der ersten Seite steht. Er ist aber höchstwahrscheinlich nach Hippokrates entstanden. Erstmals wird er Mitte des 1. Jh. n. Chr. erwähnt. Der Eid wird in 9 Abschnitte geteilt: 4 § 1 ist eine Anrufung der Götter und Gliederung der Medizin: Apollo = Medizin u. Wissenschaft, Asklepios = Innere Medizin, Hygieia = Diätetik, Panakeia = Arzneimittelkunde 4 § 2 Der sog. Lehrvertrag (Hinweis auf Herkunft aus einer Ärzteschule) 4 § 3 Das ärztliche Können zum Nutzen des Patienten einsetzen, auf keinen Fall schaden. 4 § 4 Niemals durch ein Medikament (Gift) töten oder bei Abtreibung behilflich sein. 4 § 5 Das private und berufliche Leben des Arztes soll untadelig sein. 4 § 6 Ablehnung des Gebrauchs von chirurgischen Eingriffen (Steinschneiden) 4 § 7 Keine sexuelle Ausnutzung des Arzt-PatientenVerhältnisses 4 § 8 Schweigepflicht 4 § 9 Selbstverfluchung und Selbstausschluss bei Nichtbeachtung des Eides > Hauptanliegen des Hippokratischen Eides ist der Schutz eines vertrauensvollen Verhältnisses von Arzt und Patient. Dazu gehört auch die Ablehnung jeder Handlung, die zum Tod des Patienten führen könnte, aber auch die Schweigepflicht.
Daneben werden auch standespolitische Aspekte deutlich. Die Haltung des Hippokratischen Eides wurde problemlos im christlichen Abendland übernommen, wobei hier noch die Grundhaltung der Barmherzigkeit hinzukam. Eine Weiterentwicklung des Hippokratischen Eides stellt das Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes (Genf
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1948) dar, ein Beispiel für deontologiosche Ethik in der Medizin. Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes 4 Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschheit zu stellen. 4 Ich werde meinen Lehrern die schuldige Achtung und Dankbarkeit erweisen. 4 Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. 4 Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. 4 Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren. 4 Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten. 4 Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein. 4 Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung. 4 Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den geboten der Menschlichkeit anwenden. 4 Dies alles verspreche ich feierlich und frei auf meine Ehre.
2.3.2 Wichtigste Ethiktheorien Die zentrale Frage der Ethik lautet: Wie soll ich handeln? Die griechischen Philosophen der Antike gingen noch einen Schritt weiter mit der Frage: Wie komme ich zu einem geglückten Leben? Denn ein geglücktes Leben führt zur Glückseligkeit (eudaimonia). Systematisch formulierte das Aristoteles (384–322 v. Chr.). Das gute Leben wird nach Aristoteles in Übereinstimmung mit den Tugenden erlangt. Die Tugenden definierte er als die sog. goldene Mitte von zwei Extremen: Mut ist die Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit, Freigebigkeit die Mitte zwischen Geiz und Verschwendung. Wegen der Rolle der Tugenden wird diese Konzeption der Ethik Tugendethik genannt. Bis heute von Bedeutung ist die Pflichtenethik, wie sie Immanuel Kant (1724–1804) formuliert hat. Grundgedanke ist hier die Frage, wie kann der Mensch seine Selbstbestimmung behalten, selbst dann wenn er
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
moralischen Regeln folgen soll bzw. folgen muss. Das Höchstmaß an erreichbarer Freiheit wird dabei wieder durch einen Mittelweg bestimmt: als Mitte zwischen totaler Freiheit (Anarchie) und totaler Fremdbestimmung (Diktatur). In der Anarchie kann zwar jeder tun, was er will, aber es fehlt jede Sicherheit für das Leben. In der Diktatur herrscht zwar große Sicherheit, dafür fehlt die Selbstbestimmung, die den Menschen erst zum Menschen macht. Für die Lösung des Problems suchte Kant ein Gesetz, das immer und überall gelten soll und auf der Vernunft begründet ist, dies ist der sog. Kategorische Imperativ: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.« Kant bringt als ein Beispiel das Verleihen von Geld: wenn jemand Geld verleiht, dann erwartet er, es zurückzubekommen. Wird das Geld nicht zurückgegeben, dann funktioniert die Handlung des Verleihens nicht mehr und somit wird die Freiheit des menschlichen Handelns eingeschränkt. Deshalb fordert Kant die uneingeschränkte Geltung der moralischen Pflichten. Zentrales Element der kantschen Ethik, ist die Gesinnung, deshalb wird sie auch Gesinnungsethik genannt. Eine Tugend ist nicht in jedem Fall richtig: mit Mut kann man auch Verbrechen begehen. Immer gut ist nach Kant nur »ein guter Wille«. Entscheidend für die moralische Bewertung einer Tat ist der Wille, das Richtige zu tun. Die Konsequenzen des Handelns spielen demgegenüber keine Rolle, denn die Konsequenzen unseres Handelns können wir nicht mit Bestimmtheit voraussehen. Ein Gegenmodell stellt der in England entwickelte Utilitarismus (auch Konsequenzialismus genannt) dar, der auf Jeremy Bentham (1748–1832) zurückgeht. Hier geht es gerade um die Konsequenzen des Handelns: eine Handlung ist dann richtig und gut, wenn sie das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl bewirkt. Bentham brachte zwei Aspekte zusammen: das Eigeninteresse des Menschen mit dem moralischen Anspruch, dem Allgemeinwohl dienen zu wollen. Der Utilitarismus spielt im angloamerikanischen immer noch eine wichtige Rolle, sein Problem ist die schwierige Abschätzbarkeit der Handlungskonsequenzen. Ein ganz anderes Modell brachte der deutsche Philosoph Jürgen Habermas mit der prozedualen Ethik
ein. Habermas versucht nicht moralische Werte und Normen zu begründen, er beschränkt sich vielmehr darauf, das Verfahren festzulegen, nach dem eine moralische Entscheidung zustande kommen soll. Sein Weg ist der »herrschaftsfreie Diskurs« in dem die beteiligten Parteien zu einem Konsens finden sollen. Schon stärker auf das Handeln in der Medizin bezogen ist die Fürsorge-Ethik, oder Care-Ethik nach Carol Gilligan. Hier steht der Mensch im Mittelpunkt, der mit der Bedürftigkeit der Mitmenschen konfrontiert ist und darauf reagieren muss. Ausgangspunkt sind die moralischen Ansprüche in konkreten Situationen, die sich aus den Beziehungen der Menschen zueinander ergeben. Aus den Problemen der modernen Medizin heraus wurden die »bio-ethics« (Bioethik) entwickelt. Vor dem Hintergrund der multikulturellen Gesellschaft in den USA, die eine Konsensfindung erschwert und den rasch wachsenden Möglichkeiten und Ansprüchen an die moderne Medizin führten die Bioethiker Tom Beauchamp und James Childress die Prinzipien mittlerer Reichweite ein. Das heißt, es wird nicht versucht, allgemeingültige Prinzipien zu finden, sondern Prinzipien zu verwenden, die in der Medizin akzeptiert werden, wobei sich diese ändern können.
Prinzipien der Bioethik 4 Erhaltung der Autonomie des Patienten als zentrales Prinzip in der medizinischen Behandlung 4 Fürsorgepflicht des Arztes 4 Nichtschadensgebot (Hippokratischer Eid § 3) 4 Gerechtigkeit
In jedem einzelnen Fall sind diese Prinzipien abzuwägen, wobei die Selbstbestimmung des Patienten den höchsten Stellenwert besitzt. Die Bioethik stellt wie auch die Care-Ethik eine Form der kasuistischen Ethik dar, es geht um die Klärung des Einzelfalls, deshalb gehört zur Bioethik das Einüben der Entscheidungsfindung durch Fallstudien (»cases«).
51 2.3 · Ethik der Medizin
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In Kürze Ethiktheorien Tugendethik
Tugenden, goldene Mitte: Glück (Aristoteles)
Gesinnungs- und Pflichtethik
Guter Wille und Pflichterfüllung: (Immanuel Kant), Freiheit, Vernunft
Utilitarismus
Konsequenzen der Handlung: Glück (Jeremy Bentham)
Führsorge-Ethik (Care-Ethik)
Beziehung und Verantwortung (Carol Gilligan) in der konkreten Situation
Prozeduale Ethik
Verfahren der Konsensfindung (Jürgen Habermas)
Prinzipienethik
Prinzipien mittlerer Reichweite (Beauchamp/Childress) Patientenautonomie
2.3.3
Fragen und Probleme der Medizinethik
2.3.3.1 Patient-Arzt-Beziehung Auch in den modernen Konzepten der ärztlichen Ethik steht das Arzt-Patienten-Verhältnis im Zentrum. Sie sind aber auch geprägt von den Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus und den neuen Möglichkeiten der modernen Medizin. Auf der Suche nach einem allgemein anerkannten Prinzip für die Medizinethik entwickelte sich, ausgehend von den USA und den Niederlanden das Prinzip der Patientenautonomie, der Selbstbestimmung des Patienten. In Praxis und Klinik hat letztlich der Patient, soweit als möglich über das zu entscheiden, was mit ihm
geschieht oder nicht. Als Grundlage für diese Entscheidung hat sich der Ausdruck »informed (voluntary) consent« durchgesetzt, der besagt, dass alle präventiven, diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nur im Einverständnis mit dem Patienten vorgenommen werden auf der Basis einer umfassenden, allgemeinverständlichen Aufklärung und der Freiwilligkeit. > Das Patient-Arzt-Verhältnis wird so zu einer Partnerschaft, in der der Arzt die Sichtweise des Patienten zu verstehen versucht.
Selbst wenn der Patient eine nach Sicht des Arztes für sich selbst ungünstige Entscheidung trifft, ist diese zu respektieren
Bedingungen für eine Entscheidung nach dem »informed consent« 4 Umfassende, allgemeinverständliche Aufklärung des Patienten durch den Arzt über sein Krankheit sowie die Vor- und Nachteile der geplanten Maßnahmen.
Die Einwilligungsfähigkeit muss vom Arzt überprüft werden, sie ist nicht gleichzusetzen mit der Geschäftsfähigkeit. Auch ein Jugendlicher kann eine rechtsfähige Erklärung für eine Behandlung abgeben, wenn er offensichtlich das Wesen und die Bedeutung des Eingriffs verstehen kann. > Bei Patienten, die nur eingeschränkt oder gar nicht einwilligungsfähig sind (etwa in Notfallsituationen) kann ein Arzt im mutmaßlichen Interesse des Patienten selbst die notwendigen Entscheidungen treffen.
4 Der Arzt überprüft, ob der Patient die Erklärung verstanden hat. 4 Der Patient entscheidet frei, ohne Zwang. 4 Der Patient ist einwilligungsfähig.
Bei dementen Patienten muss bei dem gesetzlichen Betreuer (bei Kindern die Eltern) die stellvertretenden Einwilligungen eingeholt werden. In der Pädiatrie werden in jüngster Zeit auch Kleinkinder soweit wie möglich als Partner in der Behandlung ernst genommen. 2.3.3.2 Schwangerschaft Die schwierigsten ethischen Probleme in der Medizin drehen sich um Anfang und Ende des Lebens, um Schwangerschaft und Tod. Besonders komplex gestalten sich die Probleme in der Schwangerschaft, da das Leben des Embryos nicht
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
von dem der Mutter zu trennen ist. Ursprünglich ging die Gesetzgebung von einer absoluten Schutzwürdigkeit des Embryos aus. So war im § 218 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch nur bei einer vorliegenden Gefährdung des Lebens der Mutter zulässig (medizinische Indikation). Diese Position lässt sich folgendermaßen begründen: Ab der Befruchtung sei der Embryo biologisch ein Mitglied der Gattung Mensch. Er habe die Potenz sich in einen Menschen zu entwickeln. Diese Entwicklung verlaufe kontinuierlich. Es ließen sich keine weiteren Zäsuren zwischen einem Vormenschsein und einem Menschsein eindeutig festlegen. Der Embryo sei mit dem Menschen, zu dem er sich entwickelt, identisch. Die Argumente der Kritik lauten: Die biologische Zugehörigkeit allein könne noch keinen Rückschluss auf moralische Rechte begründen. Es gäbe durchaus moralisch relevante Zäsuren in der Entwicklung des Embryos zum Menschen, z. B. die Einnistung des befruchteten Eis in die Gebärmutter, die Lebensfähigkeit außerhalb der Mutter, die Geburt. Ein potenzieller Mensch habe nicht automatisch dieselben Rechte wie ein Mensch. Die Identität könne nur an Personeneigenschaften gebunden werden, nicht an eine genetische Substanz. Heute geht die Rechtsprechung davon aus, dass die besondere Situation der Koexistenz von Mutter und Embryo eine besondere Lösung erfordere. Eine Abwägung der Interessen der Frau gegen die Interessen des Embryos sei gerechtfertigt, weil die Frau die unabdingbare Voraussetzung für das Menschsein des Embryos darstellt. Ein Schutz der Interessen des Embryos könne nur durch die Frau und nicht gegen die Interessen der Frau erfolgen. Die Emanzipationsbewegung der 60er- und 70erJahre des letzten Jahrhunderts erreichte die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruches in der BRD unter bestimmten Bedingungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche (Indikationenregelung): 4 Soziale Indikation, bei sozialer Notlage 4 Kriminologische Indikation nach Vergewaltigung 4 Eugenische Indikation, bei Erwartung einer schweren Behinderung des Kindes 4 Medizinische Indikation: Abort zur Rettung des Lebens der Mutter In der DDR galt eine Fristenlösung (nur zeitliche Einschränkung). Nach der Wiedervereinigung wurde der § 218 neu geregelt: der Schwangerschaftsabbruch ist bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei (Fristenlösung), wenn ein Beratungsgespräch mindestens drei Tage zu-
vor stattgefunden hat. Zeitlich unbefristet ist die medizinische Indikation, die vorliegt, wenn die Fortführung der Schwangerschaft mit schwerwiegenden seelischen oder körperlichen Risiken für die Frau verbunden ist, wobei auch die Feststellung einer schweren Behinderung bei einer Pränataldiagnostik (PND) eingeschlossen ist. Dies führt zu dem schwierigen ethischen Problem, dass es zu Spätabreibungen kommt, zu einem Zeitpunkt an dem der Fetus schon außerhalb des Mutterleibes überlebensfähig wäre. Dieser Zeitpunkt wird durch die großen Fortschritte der Neonatologie immer früher erreicht. 2.3.3.3 Reproduktionsmedizin Seit den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jh. wird besonders in den USA, neben dem Recht auf Kinderlosigkeit (Verhütung, Schwangerschaftsabbruch) auch ein Recht auf Elternschaft proklamiert. Es wurden verschiedene Verfahren entwickelt, um den Wunsch nach eigenen Kindern zu erfüllen: 4 Künstliche Befruchtung durch Spendersamen 4 In-vitro-Fertilisation (IVF): Die Befruchtung findet im Reagenzglas oder durch Injektion von Samenzellen direkt in die Eizelle statt. 4 Eizell- oder Embryospende: Dabei ist die Frau, die das Kind austrägt, nicht die genetische Mutter des Kindes. Dieses Verfahren wird bei Frauen eingesetzt, die keine funktionsfähigen Eierstöcke haben. Es ist in Deutschland nicht erlaubt, wird aber in anderen Ländern (USA, Italien) praktiziert. 4 Leihmutterschaft: Die In-vitro-Fertilisation ermöglicht, dass eine Frau für ein anderes Paar ein Kind austrägt (wurde in den USA einige Male durchgeführt). Durch diese Verfahren der Reproduktionsmedizin entstanden zahlreiche Probleme: Die genetisch-leibliche Elternschaft und die soziale Elternschaft gehen auseinander, was zu erheblichen sozialen und seelischen Schwierigkeiten führen kann. Zudem besteht die Gefahr der Instrumentalisierung von sozial Schwachen bei großen gesundheitlichen Risiken. Durch die IVF wurde die Forschung in die Lage versetzt, die Entwicklung von Ei- und Samenzelle zum Embryo zu beobachten und zu verstehen. So kamen die toti- und pluripotenten humanen Stammzellen ins Blickfeld der Forschung. In Deutschland ist durch das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 jeder Embryo nach Verschmelzung der beiden Vorkerne als schützenswertes menschliches Leben definiert. Zudem ist die Befruchtung außerhalb des weiblichen Körpers nur zum Zweck der künstlichen Befruchtung erlaubt. In
53 2.3 · Ethik der Medizin
Deutschland dürfen nur drei Embryonen für die Implantation hergestellt werden. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) ermöglicht die Präimplantationsdiagnostik (PID) mittels PCR-Technik. Dabei wird am 3. Tag nach der In-vitro-Befruchtung dem Embryo eine Zelle für eine DNA-Analyse entnommen. Das Ergebnis der Analyse entscheidet darüber, ob der Embryo implantiert wird. Das Verfahren ist in Deutschland nicht gestattet, da es sich bei der entnommen Zelle um eine totipotente Zelle handeln könnte, die laut Embryonenschutzgesetz ein eigenständiges menschliches Leben darstellt. Kritiker sehen im Zusammenspiel von IVF und PID die Möglichkeit der gezielten Züchtung von menschlichem Leben. 2.3.3.4 Embryonenforschung Unterschieden werden: 4 Embryonale Stammzellen: Aus befruchteten menschlichen Eizellen. Therapeutischer Einsatz im Tierversuch. Forschung durch Stammzellgesetz (2002) geregelt. 4 Adulte Stammzellen: aus ausgewachsenen Organismus (Knochenmark, Schilddrüse etc.). Therapeutischer Einsatz bei Leukämie (Knochenmarktransplantation etc). Mit der Entdeckung des Potenzials der menschlichen Stammzellen entstand auch das Bedürfnis nach weiterer Forschung. In Deutschland ist jedoch eine verbrauchende Forschung an menschlichen Embryonen zum Zweck der Forschung nicht erlaubt. Verbrauchende Forschung heißt, dass die befruchtete Eizelle zerstört wird. Deshalb wurden die strengen Richtlinien des Embryonenschutzgesetzes teilweise kritisiert, weil sie die Forschung an Stammzellen in Deutschland nahezu unmöglich machten. Im Frühjahr 2002 wurde deshalb das Stammzellgesetz verabschiedet. Demnach dürfen embryonale Stammzellen aus anderen Ländern eingeführt werden, die vor einem Stichtag erzeugt worden sind (um eine kommerzielle Herstellung von ES zu verhindern). Inzwischen haben die Erfolge, die mit adulten Stammzellen erzielt werden konnten, die Brisanz der Diskussion entschärft. Das reproduktive Klonen, die Herstellung eines genetischen Zwillings, wird fast allgemein abgelehnt, zumal hier mit zahlreichen Missbildungen zu rechnen ist. Vor allem aber, weil diese Technik die Unverfügbarkeit der Person in Frage stellt. Beim therapeutischen Klonen dabei wird der Kern einer Zelle des Patienten in eine entkernte menschliche Eizelle transferiert. So entsteht gleichsam eine befruchtete Eizelle, die sich wie ein Embryo weiter entwickeln
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kann. Die dabei entstehenden Stammzellen sollen dem Spender bei einer Therapie implantiert werden, etwa um einen Organersatz zu ermöglichen. Durch diese Methode wird die Gefahr der Abstoßungsreaktion bei einer Therapie mit embryonalen Stammzellen umgangen. Allerdings werden hier entwicklungsfähige Eizellen, also Embryonen hergestellt, die ein schützenswertes Leben darstellen. In England ist das therapeutische Klonen inzwischen zugelassen. 2.3.3.5 Genetik, genetische Diagnostik Die genetische Diagnostik weckt Ängste und Hoffnungen: Einerseits die Angst vor hilfloser Determination (Diagnose: Chorea Huntington), vor Diskriminierung und Stigmatisierung sowie Ängste vor Missbrauch durch Versicherungen, Arbeitgeber und Staat, auf der anderen Seite die bislang kaum erfüllte Hoffnung auf neue Therapien genetisch determinierter Krankheiten. In der Regel folgen der genetischen Diagnostik keine erfolgsversprechenden therapeutischen Maßnahmen, sondern allenfalls Vorsorgemaßnahmen, etwa Schwangerschaftsabbruch oder Brustamputation bei BRCA (»breast cancer genes«). Eine genetische Diagnostik muss von einer genetischen Beratung begleitet werden, wie dies von der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik gefordert wird, denn häufig sind den Ratsuchenden die psychischen und sozialen Folgen eines positiven Befundes nicht bewusst. Es können sich tief greifende Konsequenzen für Familienplanung oder Familienangehörige ergeben. Das Wissen um eine genetische Disposition kann außerdem zunehmend Nachteile bei Versicherungsabschlüssen und Arbeitsplatzsuche mit sich bringen. 2.3.3.6 Transplantationsmedizin Die Transplantationsmedizin wird zu den großen Erfolgen der Medizin in der zweiten Hälfte des letzten Jh. gezählt. Die Lebendspende kann sich nur auf wenige Verfahren beschränken: auf Knochenmarksspende, dem Spenden einer Niere oder der Teilspende von Leber oder Pankreas. Sie sind mit erheblichen Risiken für die Spender verbunden. Die Lebendspende von nicht regenerierbarem Gewebe und Organen ist in Deutschland nur unter Verwandten oder sehr nahe stehenden Personen erlaubt. Die Organspende ist also immer auf eine konkrete Person gerichtet (gerichtete Lebendspende). Ziel ist es vor allem, eine Kommerzialisierung der Organspende zu verhindern, die in einigen asiatischen Ländern zu beobachten ist. In manchen Ländern (z. B. USA) ist auch die ungerichtete Lebendspende über ein
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Transplantationszentrum möglich. Besonders wichtig ist hier eine nicht-direktive Beratung der Beteiligten. Die postmortale Organspende ist in Deutschland seit 1968 bei Hirntoten erlaubt. Die postmortale Organspende ist erst durch das Hirntodkonzept möglich, wonach der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt wird, obwohl das Herz noch schlägt, der Körper noch durchblutet wird. Dies wurde im Transplantationsgesetz von 1997 gesetzlich geregelt. > Hirntod liegt vor, wenn Großhirn- und Stammhirnfunktionen irreversibel ausgefallen sind.
Der Nachweis muss innerhalb von 24 h durch zwei Untersuchungen erbracht werden. Die Person muss im tiefen Koma liegen, darf keine zentralen Reflexe und keine spontane Atmung zeigen und muss weite, lichtstarre Pupillen aufweisen. Der Einsatz eines EEG ist nicht vorgeschrieben. Das Hirntodkonzept zum Zweck der Organentnahme ist nicht unumstritten. Befürworter halten den Hirntod für den eigentlichen Tod des Menschen, da ein personales Leben mit den Funktionen des Großhirns verbunden sei (Bewusstsein, Verstandestätigkeit). Kritiker setzten entgegen, dass das Leben eines Menschen nicht ausschließlich auf die geistigen Funktionen reduziert werden sollte. Es wird auch die Ansicht vertreten, dass der Tod eines Menschen in der Intensivmedizin nicht mehr eindeutig zu bestimmen sei. Außerdem erhebt sich die Frage, ob der Tod eines Menschen naturwissenschaftlich objektiv und allgemeingültig definiert werden kann.
lung von postmortalen Organen wurde Eurotransplant gegründet. Die Transplantationszentren der beteiligten Länder entscheiden über die Aufnahme eines Patienten in die Warteliste. Die Zuteilung eines Organs kann nicht nur auf Grund medizinischer Notwendigkeit erfolgen: Neben der Bedürftigkeit spielen auch die Wartezeit, die Erfolgsaussicht und der Nutzen für Person und Gesellschaft eine Rolle. Als weiteres Problem belasten die enormen Kosten die Transplantationsmedizin, nicht nur bei der Operation, sondern auch in der lebenslangen Behandlung (Immunsuppression etc.) der Patienten. In Zeiten schwindender finanzieller Ressourcen wird die Frage nach einer gerechten Handhabung zu lösen sein. 2.3.3.7 Sterbehilfe, Sterbebegleitung Sterbehilfen Für die überwiegende Mehrheit der Ärzte gilt der Grundsatz, dass der Arzt mit dem Töten nichts zu tun haben soll, wie das auch im Hippokratischen Eid ausgedrückt wird (etwa 90% der Ärzte in Deutschland und den USA sehen dies so). Auf Grund der T4-Aktion (Vernichtung unwerten Lebens, 7 Kap. 2.1.11) in der NS-Zeit ist man in Deutschland besonders sensibilisiert. In anderen Ländern (z. B. Niederlande, Belgien, Schweiz) ist dagegen der Wunsch eines Schwerstkranken auf die Verkürzung seines Leidens mittels Gabe eines tödlichen Mittels durch den Arzt unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Man spricht von Sterbehilfe bzw. von Euthanasie, dem guten Tod (von griechisch Thanatos, der Tod).
Sterbehilfe > Die deutsche Kompromissregelung sieht vor, dass die Organentnahme bei eingetretenem Hirntod erlaubt ist, wenn der Betroffene zu Lebzeiten zugestimmt hat (z. B. durch einen Organspendeausweis).
Diese enge Zustimmungslösung ermöglicht es dem Menschen auch über den Tod hinaus über seinen Körper zu verfügen. Die erweiterte Zustimmungslösung sieht die Befragung der Angehörigen vor. Dieses Verfahren stellt die Angehörigen in einer schweren Situation vor eine Entscheidung, die sie leicht überfordert. Österreich und andere Länder gehen den umgekehrten Weg, dort ist die Organentnahme zulässig, wenn der Betroffene sich zu Lebezeiten nicht dagegen ausgesprochen hat (Widerspruchslösung). Ein großes Problem in der Transplantationsmedizin stellt die gerechte Verteilung der nur mangelhaft verfügbaren Organe dar. Für eine effizientere Vertei-
4 Passive Sterbehilfe: Unterlassen oder Beenden lebensverlängernder Maßnahmen. Rechtslage: zulässig, wenn dies nach dem Willen des Patienten (durch Aussage oder Patiententestament) geschieht. 4 Indirekte Sterbehilfe: Der Tod des Patienten wird als Folge einer Behandlung (z. B. starke Schmerzmittel) in Kauf genommen. Rechtslage: laut Bundesärztekammer zulässig. 4 Aktive direkte Sterbehilfe: Verabreichung eines Mittels allein zum Zweck der Tötung eines Patienten (z. B. Überdosis von Kaliumchlorid). Rechtslage: verboten nach § 216 StGB. 4 Beihilfe zum Selbstmord: Der Arzt verschreibt oder übergibt ein potenziell tödliches Medikament in Kenntnis der Selbsttötungsabsicht des Patienten. Rechtslage: straffrei, wird aber von der Bundesärztekammer abgelehnt.
55 2.3 · Ethik der Medizin
In der Intensivmedizin sind die Grenzen zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe oft nicht klar zu ziehen. Das Abschalten eines Beatmungsgeräts bei einem beatmungspflichtigen Patienten unterscheidet sich nach Auffassung mancher kaum von der Injektion eines tödlichen Mittels. Passive Sterbehilfe wird zunehmend durch den Willen des Patienten geradezu erforderlich: etwa wenn der Patient keine Einwilligung zu einer lebenserhaltenden Maßnahme gibt. Euthanasie in den Niederlanden Nach einer Probezeit von 10 Jahren wurde 2002 in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe von der Strafverfolgung freigestellt. Dabei müssen jedoch folgende Bedingungen erfüllt sein: 4 Der Patient muss unter Zeugen den Wunsch mehrfach geäußert haben. 4 Sein Leiden muss unerträglich, andauernd und nicht behandelbar sein. 4 Ein zweiter Arzt muss dies bestätigen 4 Der ausführende Arzt muss sein Vorgehen einer Kommission anzeigen. Kritisiert wird, dass die aktive Sterbehilfe in den Niederlanden an zahlreichen Personen ohne Bewusstsein vorgenommen wurde, obwohl keine eindeutige entsprechende Willensbekundung vorlag. Man befürchtet die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt sowie den Druck auf ältere und unheilbar kranke Menschen, ihren Angehörigen und der Gesellschaft weitere Belastungen zu ersparen. In den Niederlanden gelten die Fürsorgeeinrichtungen für pflegebedürftige Menschen als vorbildlich. In der Regel wünschen die Patienten die aktive Sterbehilfe nur wenige Tage vor dem prognostizierten Ableben.
Sterbebegleitung und Therapiebegrenzung Ein oft schwer zu lösendes Problem ist die Frage, wann Therapiemaßnahmen beendet werden sollen und zu rein palliativen Maßnahmen überzugehen ist. Dabei spielt der Wille des Patienten eine entscheidende Rolle. Im Idealfall liegt eine Patientenverfügung aus der jüngeren Zeit vor. Im Zweifelsfall müssen Angehörige, Pflegekräfte oder ein juristischer Betreuer einbezogen werden. Wichtig ist, dass auch bei einer Therapiebegrenzung der Sterbende nicht aus der Verantwortung des Arztes und des Pflegepersonals entlassen wird. Ein möglichst schmerzfreies, würdevolles Leben bis zum Tod sollte gewährleistet werden, dazu gehört: 4 Menschenwürdige Unterbringung 4 Ausschalten oder Linderung von Schmerzen und Beschwerden (z. B. Atemnot)
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4 Stillen von Hunger und Durst 4 Körperpflege und Zuwendung 4 Ernstnehmen der psychischen und spirituellen Bedürfnisse des Patienten Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung: ww.bundesaerztekammer.de/30/ Richtlinien/Empfidx/Sterbebegleitung2004/ 2.3.3.8 Psychiatrie Das Verhältnis von Patient und Arzt in der Psychiatrie weist einige Besonderheiten auf. Der Arzt lernt die gedankliche, emotionale und soziale Welt des Patienten tiefer kennen als üblich und beeinflusst diese auch stärker. Der Therapeut hat größere Machtbefugnisse. So können Zwangsbehandlungen angeordnet werden; der Psychiater beurteilt die Entscheidungskompetenz des Patienten. Zudem führt immer noch bereits die Diagnose einer psychischen Erkrankung zu einer Diskriminierung der Person, dabei sind gerade in der Psychiatrie die Grenzen zwischen Normalität und pathologischer Erscheinung besonders unscharf. Deshalb plädiert der Weltverband für Psychiatrie für die weitgehende Einhaltung des »Informed-consent«-Prinzips und einen sorgsamen Umgang mit Zwangsmaßnahmen. Ziel der modernen Psychiatrie ist die Wiederherstellung der Selbstbestimmung, nicht nur die Linderung von Krankheitssymptomen oder gar die reine Verwahrung der Patienten zum Schutz der Allgemeinheit. Die Betreuung bei einer eingeschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit regelt in Deutschland das Betreuungsgesetz von 1992 (§ 1896, Abs. 1 BGB). Es wird nur noch bei Minderjährigen von einer Vormundschaft gesprochen, ansonsten von Betreuung. In der Betreuung ist die Zuständigkeit des vom Vormundschaftsgericht benannten Betreuers genau eingegrenzt, abhängig vom den Möglichkeiten der betreuten Person. Ein psychisch Kranker kann auch selbst einer Person (z. B. einem Angehörigen) eine Vorsorgevollmacht erteilen. Eine Zwangsbehandlung widerspricht den Grundregeln der Patienten-Arzt-Beziehung diametral. Sie ist bei einer Selbst- oder Fremdgefährdung jedoch unter Umständen notwendig. Ein Gericht kann durch eine einstweilige Verfügung die Unterbringung in einer Klinik für sechs Wochen anordnen. Die häufigste Ursache für eine Zwangsbehandlung ist Suizidgefahr. Dazu muss aber eine Krankheit vorliegen, welche die Selbstbestimmungsfähigkeit der Person einschränkt. Bei einer Fremdgefährdung, etwa bei Sexualstraftätern, ist zwischen der individuellen Freiheit und dem Schutz der Gesellschaft abzuwägen.
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
2.3.3.9 Forschung am Menschen Die Notwendigkeit der Forschung am Menschen ist grundlegender Bestandteil der modernen Medizin. Negative Erfahrungen in der jüngsten Geschichte, nicht nur in der NS-Zeit, und die Gefahr des Missbrauchs angesichts ehrgeiziger wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Interessen haben dazu geführt, dass der Patient in der Forschung unter besonderen Schutz gestellt wurde. Der Arzt ist hier nicht nur zu einer strengen Nutzen-Risiko-Abwägung und zu einer umfassenden Aufklärung der Probanden aufgefordert, die Forschungsvorhaben müssen auch von einer Ethikkommission beurteilt werden. Entsprechende Ethikkommissionen gibt es an allen Universitäten und Landesärztekammern. Sie werden nach Landesrecht gebildet. Sie sollen sinnlose und überflüssige Forschungsvorhaben verhindern und darauf achten, dass alle ethischen und rechtlichen Richtlinien beachtet und eine ausreichende Aufklärung der Versuchsteilnehmer durchgeführt werden. Seit dem Nürnberger Kodex (1947) und der Helsinki-Deklaration (1964) sind folgende Grundsätze zu beachten: 4 Umfassende Aufklärung über Risiken, Nutzen und Verlauf des Versuchs sowie ggf. über therapeutische Alternativen 4 Absolute Freiwilligkeit der Teilnahme 4 Das Recht den Versuch zu jedem Zeitpunkt verlassen zu können, ohne dass irgendwelche Nachteile entstehen. Besondere Aufklärung erfordert die Teilnahme von Frauen im gebärfähigen Alter, da die Wirkung eines neuen Medikaments bei Schwangerschaft oft nicht eingeschätzt werden kann. Deshalb ist während des Versuchs eine strenge Schwangerschaftsverhütung notwendig. Viele neue Medikamente werden deshalb nur an Männern getestet, dadurch ist die Wirkung bei Frauen insbesondere in einer Schwangerschaft unbekannt. Rechtliche Regelungen Die Durchführung von Versuchen am Menschen sind in Deutschland im Arzneimittelgesetz (AMG §§ 40/41), im Medizinproduktegesetz (MPG $$ 20/21) und in der Strahlenschutzverordnung (§§ 23ff) geregelt. International sind die Deklarationen des Weltärztebundes von Helsinki, Tokio und Edinburgh von zentraler Bedeutung. Versuchsarten Unterschieden werden: 4 Der wissenschaftliche Versuch dient ausschließlich der Erweiterung wissenschaftlicher Erkennt-
nisse und wird in der Regel an gesunden Probanden durchgeführt. Dabei kann es um die Erforschung physiologischer Vorgänge im Organismus gehen oder um die Toxizität neuer Arzneimittel. So sind die Phase-I-Studien in der Arzneimittelzulassung rein wissenschaftliche Versuche. Diese Versuche dürfen nur dann an Menschen durchgeführt werden, wenn durch vorausgehende systematische Tierversuche die Risiken für die Teilnehmer als gering eingestuft worden sind. 4 Beim therapeutischen Versuch geht es darum, ein neues Therapieverfahren bzw. ein neues Medikament an entsprechenden Patienten zu testen. Dabei muss es zuvor im Tierversuch zu den gewünschten Wirkungen gekommen sein. Im therapeutischen Versuch steht ein Nutzen für den Patienten in Aussicht. Dazu gehören in der Arzneimittelzulassung die Phase-II-Studien, die der Dosisfindung und dem Aufspüren von Nebenwirkungen dienen. Ein ethisches Problem stellt die Verwendung von Plazebos in klinisch kontrollierten Studien dar. Plazeboforschung ist nur dann zulässig, wenn den Patienten dadurch keine notwendige und nachweislich wirksame Behandlung vorenthalten wird. Bei schweren Erkrankungen werden deshalb meist nur verschiedenen Therapiemethoden miteinander verglichen. Forschung an Kindern, psychisch kranken und geistig behinderten Menschen Unstrittig ist, dass in allen Bereichen der Psychiatrie und Pädiatrie Forschungen notwendig sind, um Ätiologie, Diagnose und Therapie weiter zu entwickeln. Dabei ist jedoch zu beachten: 4 Ist der Patient einwilligungsfähig? 4 Ist aus der Forschung ein potenzieller Nutzen für den Probanden zu erwarten? 4 Welche Risiken sind mit der Forschung für den Probanden verbunden? Ist der Patient nicht einwilligungsfähig, ist ggf. die Einwilligung des Betreuers erforderlich. Bei Forschungen ohne potenziellen Nutzen für den Patienten ist dies sehr problematisch. Die Deklaration von Helsinki in der Version vom Jahr 2000 fordert, dass Patienten mit fehlender Einwilligungsfähigkeit nur zu Forschungen herangezogen werden sollen, die zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der betreffenden Patientengruppe zielt und die nicht an Einwilligungsfähigen durchgeführt werden kann. Bei Minderjährigen muss das zu testende Mittel zur Behandlung von Krankheiten bei Minderjährigen bestimmt sein.
57 2.3 · Ethik der Medizin
2.3.3.10 Tierversuch In Deutschland werden jährlich an über 2 Mio. Wirbeltieren Versuche durchgeführt, davon etwa 75% Nagetiere, Menschaffen wurden zuletzt 1991 verwendet. Knapp 40% benötigt der medizinische Sektor zur Erforschung und Entwicklung von Mitteln oder Geräten. Für toxikologische Untersuchungen, einschließlich des medizinischen Bedarfs, sind es noch einmal knapp 10%. Durch die Injektion von Krankheitserregern oder durch Erbgutveränderungen werden bei den Tieren bestimmte Krankheitszustände hervorgerufen, damit sie als Krankheitsmodell dienen können. Auch werden sie zur Prüfung von Produkten giftigen Stoffen ausgesetzt, manchmal werden auch operative Eingriffe vorgenommen. Meist endet der Versuch für die Tiere mit dem Tod, weil sie zum Zweck der Forschung seziert werden, oder weil ihnen ein qualvolles Weiterleben erspart werden soll. Rechtliche Bestimmung: Nach dem Tierschutzgesetz dürfen Tierexperimente durchgeführt werden: 4 zur Bekämpfung und Vermeidung gesundheitlicher Schädigung an Mensch und Tier, 4 für die Grundlagenforschung, 4 für die Erkennung von Umweltgefährdungen. Tierversuche müssen bei der zuständigen Behörde beantragt werden, der jeweilige Tierschutzbeauftragte und eine der Behörde beigeordnete Kommission geben ihre Stellungnahme ab, bevor die Behörde entscheidet. Seit Sommer 2002 ist der Tierschutz im Grundgesetz verankert. Die Konsequenzen für das Tierexperiment sind nicht absehbar. Ethische Probleme Zur Diskussion steht die grundsätzliche Frage, ob der Mensch einem empfindungsfähigen Tier Leid und Tod zufügen darf, gleichgültig, welchen Nutzen er dabei erzielt. Die Argumentationen von Tierschützern, dass Computersimulation und In-vitro-Versuche den Tierversuch unnötig machen, sind dem gegenüber zweitrangig und sicher zu widerlegen. Befürworter von Tierversuchen vertreten meist die Position, dass den Interessen des Menschen ein höherer Wert beizumessen sei, als denjenigen der Tiere. Gegner sagen, dass allen Lebewesen, die sich als Subjekt erleben, prinzipiell den gleichen Wert besitzen. Ein gewisser Konsens besteht in dem Bestreben, den Einsatz von Tieren in der Forschung zu verringern und sinnloses Leiden der Tiere zu vermeiden.
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2.3.3.11
Öffentliche Gesundheitsvorsorge (Public Health) Die öffentliche Gesundheitsvorsorge befasst sich mit Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Bevölkerung eines Landes, der Verhütung und Bewältigung von Krankheiten (z. B. Epidemien) sowie den Bedürfnissen einzelner Bevölkerungsgruppen (z. B. Kindern, Senioren). Die Prävention ist dabei ein wichtiger Aspekt, etwa in Form von Impfungen, Früherkennungsmaßnahmen und Informationskampagnen (Ernährung, Nikotinmissbrauch etc.). Das Öffentliche Gesundheitswesen wird in Deutschland von den Gesundheitsämtern getragen, auf nationaler Ebene von verschiedenen Bundesbehörden, die direkt dem Bundesgesundheitsministerium unterstehen: 4 Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) 4 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 4 Robert-Koch-Institut (RKI) Auf internationaler Ebene ist die WHO (World Health Organisation) die oberste Organisation. Ressourcenallokation, gerechte Verteilung knapper Mittel In Deutschland wird das öffentliche Gesundheitswesen von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert, es ist damit kein sich selbstregelndes System des freien Marktes, sondern es werden politische Vorgaben unter bestimmten ökonomischen Rahmenbedingungen umgesetzt. Das System basiert auf den Grundprinzipien der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit. Im konkreten Fall kann eine Entscheidung sehr schwierig sein: verletzt ein Raucher nicht bereits das Prinzip der Solidarität? Können wirklich jedem Patienten die gesamten Möglichkeiten des medizinischen Fortschritts zuteil werden? Es ist kaum noch umstritten, dass die allgemeinzugänglichen Leistungen des Gesundheitswesens begrenzt werden müssen. Prävention und Autonomie Grundsätzlich gilt, dass der Patient seine Autonomie im Gesundheitswesen behalten soll. Das Recht auf Autonomie kann jedoch in bestimmten Fällen stark eingeschränkt werden. Etwa um die Ausbreitung von Epidemien einzudämmen. So kann bei erhöhtem Auftreten der Masern eine Impfung angeordnet werden, obwohl ansonsten die Impfpflicht aufgehoben wurde. Ja es kann sogar zur Anordnung auf Verlegung in ein Quarantänelager kommen, wie dies 2003 beim Auftreten von SARS
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Kapitel 2 · Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
in einigen asiatischen Ländern geschah. Auf der anderen Seite wurde auf solche Maßnahmen bei AIDS ver-
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zichtet, um eine Stigmatisierung der betroffenen Personen zu verhindern.
In Kürze Ethik Definition
Philosophische Teildisziplin: Lehre von der Moral, die das Zusammenleben der Menschen regelt. Ärztliche Ethik seit der Antike (Eid des Hippokrates) schützt das Patienten-ArztVerhältnis
Theorien der Ethik
Von der Tugend und Gesinnungsethik zur kasuistischen Ethik: Selbstbestimmung des Patienten als oberstes Ziel
Patienten-ArztBeziehung
Um die Bewahrung der Selbstbestimmung des Patienten zu gewährleisten, soll alles was mit dem Patienten geschieht auf der Basis des »informed consent« (Übereinstimmung bei bestmöglicher Information) erfolgen
Probleme
Besondere Konflikte, die die Patienten-Autonomie betreffen, bestehen in der ungewollten Schwangerschaft (Konflikt Mutter–Kind), in der Reproduktionsmedizin und Embryonenforschung, sowie in der genetischen Diagnose, da hier gegen Leben entschieden werden kann Transplantationsmedizin: Der Mensch verfügt auch über seinen Tod hinaus über seinen Körper
3 Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege A. Klinghuber, M. Kümmerle 3.1
Einführung
–60
3.2
Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland –61
3.2.1 3.2.2 3.2.3
Einführung –61 Entwicklung des Systems der sozialen Sicherung –62 Aufbau und Aufgaben der Sozialversicherung –63
3.3
Ärztliche Körperschaften und Verbände –72
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8
Kassenärztliche Vereinigung (KV) –72 Ärztekammer –74 Freie ärztliche Verbände, Berufsverbände –74 Versorgungssysteme –75 Heil- und Hilfsmittelversorgung –78 Arzneimittelversorgung –79 Pflegemanagement –79 Rettungs- und Notfallmedizin –80
3.4
Gesundheitsökonomie –80
3.4.1 3.4.2 3.4.3
Transparenz und Kostenentwicklung im Gesundheitswesen Modelle der Kostenbegrenzung –83 Neue Versorgungsformen –83
–81
60
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
Wesentliches Ziel dieses Kapitels ist es, Mediziner funktions- und fachübergreifend in ihrer Handlungskompetenz zu fördern. Dazu ist die situationsbezogene Verknüpfung von Fach-, Sozial- und Methodenkompetenz notwendiger denn je.
3 3.1
Einführung
Das System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland ist eines der besten, gleichzeitig aber auch teuersten, der Welt (. Abb. 3.1). Es unterliegt den stetigen gesellschaftlichen Entwicklungen und damit vielfältigen Veränderungen. Nahezu unbegrenzt sind z. B. die Möglichkeiten der Hightech-Medizin und ebenso faszinierend. So können heutzutage Ganzkörperuntersuchungen völlig strahlenfrei durchgeführt werden, Bandscheibenoperationen lassen sich durch Hochdruck-Wasserstrahl-Eingriffe ersetzen, Korrekturen von Kieferfehlstellungen erfolgen von innen ohne äußere Hautschnitte, ganzheitliche Computersysteme helfen, eigene Gesundheitswerte (Blutdruck, Blutzucker usw.) zu steuern. In der Form, wie sich die Möglichkeiten modernster Medizintechnik entwickeln, wächst auch das Interesse an ihnen, wird ein Bedarf geweckt. So wichtige Aspekte wie Patienten(Kunden-)zufriedenheit und Patienten(Kunden-)betreuung spornen Wissenschaftler, Forscher und Praktiker aller Wirtschaftsbereiche an nach immer neuen und besseren Lösungen im Gesundheitsmarkt zu suchen. > Immer wieder muss daher die Forderung nach Befriedigung der gesundheitlichen Bedürfnisse der Bevölkerung mit der Bezahlbarkeit der modernen Medizin in Übereinstimmung gebracht werden.
Eine große Rolle spielt deshalb die wirtschaftliche Führung jeder medizinischen Einrichtung. Es sind Dienstleistungsunternehmen mit allen sich daraus ergebenden betriebswirtschaftlichen Inhalten und Konsequenzen. Selbst die Kunden (Patienten) sind längst keine »willfährigen Objekte zentralistischer Verwaltungsakte« mehr. Gesundheit ist keine frei konsumierbare Ware, sondern für jeden Einzelnen ein existentielles Gut. Der Kranke sucht und benötigt Hilfe – im Zweifel, um zu überleben. Die Deutschen geben für ihre Gesundheit rund 240 Mrd. € pro Jahr aus und sind damit im europäischen Maßstab Spitzenreiter bei den Pro-Kopf-Ausgaben. Mit dem Gesamtvolumen bestreitet der Gesundheitssektor rund 11% des Bruttoinlandproduktes. Den größten Anteil an den Gesundheitsausgaben, im Jahr 2006 waren es 142,21 Mrd. €, trägt die gesetzliche Krankenversi-
cherung. Der Anteil der Privaten Krankenversicherung an den Gesundheitsausgaben beträgt 17,3 Mrd. €. Das deutsche Gesundheitswesen bleibt somit auch weiterhin ein Wachstumssektor der Wirtschaft. Hier arbeiten rund 4,26 Mio. Menschen in mehr als 800 Berufen. Die Gesundheitsbranche ist insbesondere ein zentraler Arbeitsmarkt für Frauen, ca. 3 Mio. sind weiblichen Geschlechts. Ursachen für das stetige Branchenwachstum sind: 4 Demographische Altersverschiebung 4 Medizinischer Fortschritt und damit auch Zunahme der erkannten Erkrankungen 4 Angebotsinduzierte Nachfrage im ambulanten und stationären Bereich 4 Moderne apparative und pharmazeutisch-therapeutische Hochleistungsmedizin > Früher waren Schließungen von Arztpraxen, Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen quasi unmöglich. Heute sind sie manchmal auch Zeugnis dafür, dass der auch für den wirtschaftlichen Erfolg verantwortliche Arzt unter Umständen die falschen unternehmerischen Entscheidungen getroffen hat.1
Die Herausforderung für das derzeitige Gesundheitssystem besteht heutzutage vor allem in der Managementdimension, also in der institutionellen, funktionellen und instrumentellen Ausgestaltung der Vorhaltung von Gesundheitsleistungen und der Produktion von Gesundheitsleistungen. Neben dem medizinischen Wissen ist aus diesem Grunde für die tägliche Arbeit eines Arztes auch ein solides Basiswissen in den folgenden Bereichen nicht nur wünschenswert, sondern ein »Generalschlüssel« für den persönlichen Erfolg: 4 Aufbau und Aufgaben des Sozialwesens 4 Versorgungssysteme 4 Gesundheitsökonomie 4 Öffentliche Gesundheitspflege
1
Anmerkung des Herausgebers: Der wirtschaftliche Erfolg einer Arztpraxis ist u.a. auch durch den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), der Gebührenordnung für Ärzte, geregelt. So haben z.B. nach der Reform des EBM im Jahre 2007 viele Schmerztherapeuten und niedergelassene Anästhesisten ihre Praxen auf Grund hoher Einnahmeverlusten wegen deutlicher Unterbewertung ihrer ärztlichen Leistungen schließen müssen. Der Zeit besteht eine Unterversorgung an Schmerztherapeuten in Deutschland. Oder es finden auch nur wenige Praxen in ländlichen Gebieten einen Nachfolger. Hier liegen aber keinesfalls falsche unternehmerische Entscheidungen als Ursache vor, wie die Autoren meinen, sondern geänderte gesetzliche Rahmenbedingungen.
61 3.2 · Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland
3
. Abb. 3.1. Arzt und Patient im Geflecht der Gesundheitsökonomie
3.2
Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland
3.2.1 Einführung Der Gedanke der sozialen Sicherung ist keineswegs neu. Er begründet sich allerdings ursprünglich nicht in
dem Versicherungs- sondern vielmehr in einem Fürsorgegedanken. Die wirtschaftlichen Umwälzungen im 19. Jahrhundert führten allerdings dazu, dass es in Deutschland zu gesetzlichen Eingriffen des Staates zur Sicherung der Gesundheitsversorgung kam. Durch die heutige organisatorische Gliederung des Gesundheitswesens in ambulante und stationäre Leistungssysteme
62
3
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
und den weitestgehend fehlenden Verzahnungen beider Strukturen sind gesundheitspolitische und volkswirtschaftliche Problemfelder entstanden. Hinzu kommt, dass in allen Teilen der medizinischen und pflegerischen Versorgung nicht nur unterschiedliche Träger der Leistungserbringung, sondern auch der Finanzierung auftreten. Alle Träger haben eigene Organisationsformen, Administrationen und Hierarchien. Dementsprechend sehen sich alle Beteiligten im Gesundheitswesen auch verschiedenen Verteilungsmechanismen gegenüber. Zahlreiche Bedürfnisse konkurrieren untereinander und lassen sich angesichts knapper Ressourcen deshalb nicht gleichzeitig verwirklichen. > Statt umfassender Reformen mit dem Ziel der Neugestaltung aller Felder des Gesundheitswesens hat sich die Politik in den letzten 20 Jahren mehr auf Kostendämpfungsmaßnahmen und Leistungsverschiebungen beschränkt.
Trotzdem erhöht sich die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ständig, so dass man den Gesundheitsmarkt auch weiterhin als Wachstumsmarkt bezeichnet. Die Gesundheitspolitik als Teilgebiet der Sozialpolitik hat die Aufgabe, die Gesundheit der Bevölkerung zu wahren und zu fördern und verantwortet alle politischen Entscheidungen, wie z. B.: 4 Steuerung von Bedarf und Nutzung 4 Steuerung des Leistungsangebotes 4 Steuerung der Ausgaben und Einnahmen 4 Steuerung der Informationen (Daten des Gesundheitswesens, Statistiken)
Die erste Auswirkung der Kaiserlichen Botschaft war die Regelung der Krankenversicherung der Arbeiter mit Gesetz vom 15.06.1883. Das Kernstück des Gesetzes lag in der Einführung des Versicherungszwanges. Die im Gesetz aufgeführten Personen, insbesondere Personen, die gegen Gehalt oder Lohn beschäftigt wurden, waren damit kraft Gesetzes versichert. > Die Kaiserliche Botschaft Wilhelms I. vom 17.11.1881 ist die Geburtsurkunde der deutschen Sozialversicherung!
Es folgte das wichtige Unfallversicherungsgesetz vom 06.07.1884. Auch hier wurde der Versicherungszwang eingeführt. Der im Betrieb verunglückte Arbeiter oder seine Hinterbliebenen konnten jetzt eine Rente von der sog. Berufsgenossenschaft erhalten. Als nächstes folgte das Gesetz über die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22.06.1889, das die Gewährung einer Altersrente vom 70. Lebensjahr an oder eine Invalidenrente bei Invalidität vorsah. > Eine Ordnung all dieser Gesetze erfolgte mit der Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 09.07.1911.
Eine abgestimmte und konzeptionelle Gesundheitspolitik wird sich deshalb immer des Instruments der Gesundheitsplanung bedienen, deren Aufgabe darin besteht, zukünftige Entscheidungsprobleme im Gesundheitswesen offen zu legen und Lösungsvorschläge vorzubereiten. Die Gesundheitsreform 2007, die im Wesentlichen am 01.04.2007 in Kraft getreten ist, bereitet nun den Weg zu einer neuen Gesundheitsversicherung.
Das Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung trat zum 16.07.1927 in Kraft. Während des nationalsozialistischen Staates wurden die Grundlagen der Sozialversicherung im Wesentlichen nicht verändert. Allerdings wurde die Selbstverwaltung abgeschafft und das »Führerprinzip« eingeführt. Nach der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde die Gesetzgebung der veränderten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage angepasst. Ausdruck findet dies in der Verfassung. Nach Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Entsprechend diesem Auftrag existiert ein soziales Netz, mit dessen Hilfe kein Bürger wegen Krankheit, Unfall, Alter, Minderung der Erwerbsfähigkeit oder Arbeitslosigkeit in soziale Not geraten soll. Zu gesetzlichen Anknüpfungspunkten . Tab. 3.1.
3.2.2 Entwicklung des Systems
> Die Sozialversicherung darf als wichtigstes Teilgebiet der Sozialpolitik betrachtet werden.
der sozialen Sicherung Kaiserliche Botschaft Durch die Kaiserliche Botschaft Wilhelms I. vom 17.11.1881 wurde der Aufbau der Arbeiterversicherung eingeleitet. Diese Botschaft, sie geht auf eine Anregung Bismarcks zurück, wird allgemein als die Magna Charta oder die Geburtsurkunde der deutschen Sozialversicherung bezeichnet.
Die Frage der sozialen Sicherung erwuchs aus der geschichtlichen Entwicklung, besonders durch die wirtschaftliche Entwicklung und Industrialisierung und dem Anwachsen der Bevölkerungsdichte in den Städten. Zudem war die arbeitende Bevölkerung bis dahin weitgehend ohne Schutz in den Wechselfällen des Lebens (Alter, Krankheit, Invalidisierung, Arbeitslosigkeit, Tod).
63 3.2 · Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland
. Tab. 3.1. Gesetzeshinweise im Zusammenhang mit der sozialen Sicherung der Bundesrepublik Deutschland Artikel
Inhalt
Art. 1 GG
Grundrecht der Menschenwürde
Art. 2 GG
Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
Art. 3 GG
Grundrecht der sozialen Gleichheit
Art. 6 GG
Grundrecht der Fürsorge für Familien, Mütter und Kinder
Art.12 GG
Grundrecht für Berufsfreiheit
Art.14 GG
Gewährleistung des Eigentums
. Tab. 3.2. Konglomerat Sozialgesetzbuch Abschnitt
Inhalt
1. Buch
Allgemeiner Teil
2. Buch
Grundsicherung für Arbeitssuchende
3. Buch
Arbeitsförderung
4. Buch
Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung
5. Buch
Gesetzliche Krankenversicherung
6. Buch
Gesetzliche Rentenversicherung
7. Buch
Gesetzliche Unfallversicherung
8. Buch
Kinder- und Jugendhilfe
9. Buch
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
10. Buch
Verwaltungsverfahren, Schutz der Sozialdaten, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten
11. Buch
Soziale Pflegeversicherung
12. Buch
Sozialhilfe
Zur Verwirklichung des Sozialstaates gibt das Grundgesetz dem Staat spezielle Gesetzgebungsbefugnisse. Zu den Inhalten des Sozialgesetzbuches . Tab. 3.2. Wegen des Schutzes der Sozialdaten, z. B. 10. Buch, gilt:
3
4 Nach spätestens 10 Jahren müssen Krankenkassen gespeicherte personenbezogene Daten von Angaben über Leistungsvoraussetzungen (u. a. Art einer Erkrankung) löschen. 4 Nach spätestens 2 Jahren müssen Krankenkassen gespeicherte personenbezogene Daten von übermittelten Datenträgern aus der Abrechnung ärztlicher Leistungen, Daten aus Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Daten zur Erprobungsregelung zur Beitragsrückzahlung löschen. Das Sozialgesetzbuch gliedert sich (von allgemeinen, formalen und rechtlichen Teilen abgesehen) in die Bereiche: 4 Sicherung für Arbeitssuchende/Arbeitsförderung 4 Krankenversicherung 4 Rentenversicherung 4 Unfallversicherung 4 Kinder- und Jugendhilfe 4 Rehabilitation 4 Belange behinderter Menschen 4 Pflegeversicherung und Sozialhilfe Als Sozialversicherung werden Systeme bezeichnet, in die aufgrund gesetzlicher Vorschriften Beiträge bezahlt werden und von denen die Versicherungsberechtigten im Versicherungsfall Leistungen erhalten: 4 Krankenversicherung (KV) 4 Unfallversicherung (UV) 4 Rentenversicherung (RV) 4 Arbeitslosenversicherung (AV) 4 Pflegeversicherung (PV) Daneben ist weiterhin zu unterscheiden: 4 Die Versorgung erfolgt aus Steuermitteln an Versorgungsberechtigte, die dem Staat in bestimmter Weise gedient haben, z. B. Bundesversorgungsgesetz (BVG) für Gesundheitsschäden durch Militärdienst. 4 Fürsorge, ebenfalls aus Steuermitteln, erhält derjenige, der sich in einer Notlage befindet, in der er sich nicht selbst helfen kann. Hier kommt es allein auf die Bedürftigkeit an (Regelungen lt. SGB II und SGB 12). 3.2.3
3.2.3.1
Aufbau und Aufgaben der Sozialversicherung
Gesetzliche Krankenversicherung und Leistungsgewährung nach SGB V Die gesetzliche Krankenversicherung ist das Herzstück des Sozialstaates und der älteste Zweig der Sozialversicherung. Der Träger der gesetzlichen Krankenversiche-
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3
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
rung in der Bundesrepublik Deutschland ist im Wesentlichen die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Form der gesetzlichen Krankenkassen. 2004 gab es 283 selbstständige Krankenkassen, in denen ca. 70,3 Mio. Menschen versichert waren. Die Anzahl der Krankenkassen sinkt aber mit der Zeit ständig aufgrund des hohen Wettbewerbdrucks. > 2006 gab es nur noch 207 selbstständige Krankenkassen.
Die Gesundheitsreform 2007 beinhaltet Reformen in 4 wesentlichen Bereichen: 4 Einführung einer Krankenversicherung für alle: Mehr als 200.000 Menschen in Deutschland, die bis dato keine Krankenversicherung hatten, haben jetzt einen Anspruch auf Versicherungsschutz. Erstmals in der deutschen Sozialgeschichte besteht damit für alle Bürgerinnen und Bürger Deutschlands (rund 82 Mio. Menschen) die Pflicht, eine Krankenversicherung abzuschließen. Für ausnahmslos alle gilt somit künftig eine hochwertige Gesundheitsversorgung. 4 Reform der Versorgungsstrukturen und der Kassenorganisationen: Zugleich intensiviert die Gesundheitsreform den Wettbewerb im Gesundheitswesen. Das ist kein Selbstzweck, sondern geschieht mit Absicht: Wenn die Krankenkassen sich besser auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden einstellen, dann profitieren vor allem die Versicherten davon. 4 Reform der Finanzierungsordnung: Die Gesundheitsreform sorgt dafür, dass mehr gespart wird. Sie vereinfacht die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Sie wird in Zukunft neu geordnet, klarer, nachvollziehbarer und gerechter durch den Gesundheitsfonds. 4 Reform der privaten Krankenversicherung: Erstmals muss sich auch die Private Krankenversicherung einem bislang nicht gekannten Wettbewerb stellen. Im Rahmen der Versicherungspflicht muss sie ehemals bei ihr Versicherte wieder aufnehmen. Der Wechsel zwischen den Krankenversicherungen wird erheblich erleichtert. Die gesetzlichen Krankenkassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie stellen als juristische Personen des öffentlichen Rechts eine besondere Form der öffentlichen Versorgungsbetriebe dar (§ 4 Abs. 1 SGB V) und erfüllen öffentliche Aufgaben, handeln im Auftrage des Staates. Aus diesem Grund erhalten sie von Staatsseite entsprechenden Schutz bzw. Vergünstigungen (z. B. Steuerfreiheit, Amtshilfe, Finanzhoheit
etc.). Ihr Handlungsrahmen ist somit allerdings vorgegeben und weitestgehend an staatliche Normen und Ziele gebunden (z. B. SGB, RVO). Sie haben als Solidargemeinschaft nach § 1 SGB V die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Die Krankenkassen stellen ihren Versicherten dazu Leistungen, unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes, zur Verfügung. § 12 Abs. 1 SGB V definiert das Wirtschaftlichkeitsgebot wie folgt: »Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.« Diese Leistungen gliedern sich wie folgt: 4 Förderung der Gesundheit und Verhütung von Krankheiten (§§ 20–24 SGB V) 4 Früherkennung von Krankheiten (§§ 25 und 26 SGB V) 4 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§§ 26ff. SGB IX) 4 Behandlung von Krankheiten (einschließlich Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, Heilmitteln, Hilfsmitteln, häuslicher Krankenpflege, Haushaltshilfe, Soziotherapie, Krankenhausbehandlung, Krankengeld, Fahrkosten, Festzuschuss für Zahnersatz, §§ 27–52 SGB V) Die Gewährung der notwendigen Leistungen (. Abb. 3.2) erfolgt als Sachleistung (z. B. Arzneimittel) oder Dienstleistung (z. B. ärztliche Behandlung). Die Mittel für die Krankenversicherung werden durch Beiträge und sonstige Einnahmen aufgebracht. Die Beiträge entrichten die Mitglieder und ihre Arbeitgeber nach den beitragspflichtigen Einnahmen. Für versicherte Familienangehörige werden bis jetzt keine Beiträge erhoben. Mit dem GKV-Wettbewerbs-Stärkungsgesetz (WSG) werden allerdings ab 2009 finanzielle Mittel aus Steuern für Familienangehörige zugeführt. Die in der GKV geschützten Personen setzen sich aus Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten (Versicherungsberechtigten) zusammen. Nach § 5 SGB V gehören dazu: 4 Arbeiter, Angestellte, Auszubildende 4 Leistungsempfänger nach SGB III 4 Studenten und Praktikanten 4 Behinderte Menschen 4 Personen in Einrichtungen der Jugendhilfe 4 Rentenbezieher und Rentenantragsteller
65 3.2 · Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland
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. Abb. 3.2. Ökonomisches Prinzip
4 Künstler und Publizisten 4 Landwirte und ihre mitarbeitenden Familienangehörigen § 10 SGB V regelt die Mitversicherung der Ehegatten und Kinder eines Mitgliedes. In den §§ 6 und 7 SGB V werden die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit geregelt. Versicherungsfrei können sein: 4 Arbeitnehmer, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen 4 Beamte, Richter, Geistliche, Pensionäre 4 Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten 4 Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig werden 4 geringfügig Beschäftigte 4 beschäftigte Studenten Die gesetzliche Krankenversicherung gliedert sich gemäß § 4 Abs. 2 SGB V wie folgt: 4 Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK, §§ 143–146a SGB V) 4 Betriebskrankenkassen (BKK, §§ 147–156 SGB V) 4 Innungskrankenkassen (IKK, §§ 157–164 SGB V) 4 Landwirtschaftliche Krankenkassen (LKK, § 166 SGB V) 4 Bundesknappschaft (§ 167 SGB V) 4 Ersatzkassen (Arbeiter-, Angestelltenersatzkassen, §§ 168–171 SGB V)
Die Zuständigkeiten der Krankenkassen und die Wahlrechte der Mitglieder sind im Einzelnen in den §§ 173– 177 SGB V geregelt. Als Organe fungieren der Verwaltungsrat, der u. a. die Satzung beschließt und der hauptamtliche Vorstand, der den Sozialversicherungsträger vertritt und ihn gerichtlich und außergerichtlich. Nach § 29 Abs. 1 SGB V sind diese Träger rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltung wird, soweit § 44 SGB V nichts anderes bestimmt, durch die Versicherten und Arbeitgeber paritätisch ausgeübt. Sie nehmen hoheitliche Aufgaben wahr, die ihnen vom Staat übertragen werden. Nach § 87 Abs. 1 SGB IV unterliegen sie der staatlichen Aufsicht. > Unter Satzung im Sinne des Sozialgesetzbuches sind die autonomen Rechtssätze zu verstehen, die nach den besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige der Inhalt der Satzung sind oder sein können.
Die einzelnen Krankenkassen bilden nach § 207 SGB V Landesverbände, die übergeordnete Aufgaben haben, u. a.: 4 Beratung und Unterrichtung der Krankenkassen 4 Sammlung und Aufbereitung von statistischem Material zu Verbandszwecken 4 Abschluss von Verträgen (z. B. mit der KV, KZV, Heil- und Hilfsmittelerbringer) 4 Vertretung der Mitgliedskassen gegenüber anderen Trägern der SV, Behörden, Gerichten
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Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
Die Landesverbände der AOK, BKK und IKK bilden jeweils einen Bundesverband. Die Ersatzkassen können sich zu Verbänden zusammenschließen.
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> Alle Kassenarten gehören dem Spitzenverband der Krankenkassen an.
Mit der jüngsten Gesundheitsreform 2007 wurden aber auch hier organisationsrechtliche Änderungen vorgenommen, die besonders die Krankenkassen und ihre Verbände betreffen. Ziel ist es, mit diesem Gesetz die Institutionen des Gesundheitswesens neu zu ordnen, damit sie ihre Aufgaben und Funktionen in einem stärker wettbewerblich geprägten Ordnungsrahmen besser erfüllen können. Vorgesehen ist : 4 Reform und Neuordnung der Institutionen 5 Alle Krankenkassen werden zum 01.01.2009 geöffnet. Für geschlossene Betriebskrankenkassen gilt allerdings eine Ausnahmeregelung. 5 Bundesknappschaft und Seekrankenkasse werden nach Zusammenschluss zur Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See geöffneten Betriebskrankenkassen gleichgestellt. Leistungs- und organisationsrechtliche Beschränkungen und Privilegien dieser Kassenarten werden aufgehoben. 5 Jede Krankenkasse soll auch außerhalb ihres Erstreckungsgebietes z. B. durch Kooperationen sicherstellen, dass ihre Versicherten auch über die kollektivvertraglich vereinbarte Regelversorgung hinaus, besondere Versorgungsformen in Anspruch nehmen können. 5 Ab 01.04.2007 werden kassenartenübergreifende Fusionen ermöglicht. Damit können sich dauerhaft wettbewerbs- und leistungsfähigere Einheiten bilden, um den ständig steigenden Anforderungen an die Verwaltung und Organisation der Leistungserbringer gerecht zu werden. 4 Errichtung eines Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen 5 Dieser Verband wird ab 1. Juli 2008 seine Aufgaben nach § 217f. Abs. 1 SGB V erfüllen. Damit können zeitliche und organisatorische Abläufe in den bis dato einzelnen Verbänden der jeweiligen Kassen deutlich gestrafft und Handlungsblockaden vermieden werden. Dazu zählen u. a.: – Unterstützung der Krankenkassen bei der EDV, z. B. Sicherstellung eines einheitlichen Verfahrensablaufs im Beitrags- und Meldeverfahren, zielorientiertes Benchmarking der Leistungs- und Qualitätsdaten
– Die vom Spitzenverband abgeschlossenen Verträge und seine sonstigen Entscheidungen gelten zwingend für die Mitgliedskassen 5 Dieser Spitzenverband Bund der Krankenkassen untersteht der Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Bei Entscheidungen zum Melde- und Beitragsverfahren übernimmt die Aufsicht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. 5 Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. § 217a Abs. 2 SGB V) und erhält 3 Organe (Vorstand, Verwaltungsrat, Mitgliederversammlung). 3.2.3.2
Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) Die Krankenkassen sind in ganz bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen (vgl. §§ 275–283 SGB V). Der sog. Prüfauftrag kann auch durch den Arbeitgeber ausgelöst werden. Der MDK wird für jedes Bundesland errichtet und hat die wesentliche Aufgabe, die Krankenkassen allgemein in medizinischen Fragen zu beraten und auf Anforderung zu prüfen, ob die Krankenkassen die Kosten für bestimmte Leistungen im Einzelfall zu übernehmen haben. > Die Ärzte des MDK sind bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen.
! Cave Die Ärzte des MDK sind nicht berechtigt, in die laufende ärztliche Behandlung einzugreifen.
Die zur Finanzierung des MDK erforderlichen Mittel werden von den Mitgliedskrankenkassen durch eine Umlage aufgebracht. Die Organe des MDK sind der Verwaltungsrat und der Geschäftsführer, Fachaufgaben werden von Ärzten und Angehörigen anderer Heilberufe wahrgenommen. 3.2.3.3
Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA) Die DVKA ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und wird von den Spitzenverbänden der Krankenkassen getragen. Im Rahmen des über- bzw. zwischenstaatlichen Rechts nimmt sie u. a. folgende Aufgaben wahr:
67 3.2 · Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland
4 Vereinbarungen mit ausländischen Stellen 4 Kostenabrechnungen mit aus- und inländischen Stellen 4 Festlegung des anzuwendenden Versicherungsrechts 4 Fragen im Zusammenhang mit der Entsendung deutscher Arbeitsnehmer ins Ausland 4 Abrechnung der im Ausland wohnenden Grenzgänger, Familienangehöriger und Rentner 4 Unterstützung deutscher Krankenkassen bei Geltendmachung ihrer Ersatz- und Erstattungsansprüche im Ausland Ab 1. Juli 2008 werden diese Aufgaben allerdings vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen wahrgenommen. Er erfüllt ab dann alle über-, zwischen- und innerstaatlichen Aufgaben wie z. B. Vereinbarungen mit ausländischen Verbindungsstellen, Kostabrechnungen Ausland, Koordinierung der grenzüberschreitenden Verwaltungshilfe sowie Information, Beratung und Aufklärung (vgl. § 219a SGB V). Die Aufsicht wird einvernehmlich zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales geregelt (vgl. § 217d SGB V). 3.2.3.4 Private Krankenversicherung (PKV) In der Bundesrepublik Deutschland sind ca. 100 Unternehmen im Bereich der privaten Krankenversicherung tätig. Diese Unternehmen sind privatrechtliche Gesellschaften und gehören dem Verband der privaten Krankenversicherung e.V. an. Das Leistungsangebot der PKV besteht aus der Übernahme des vollen Versicherungsschutzes und ergänzendem Versicherungsschutz in Form der Absicherung von bestimmten Risiken: 4 Krankheitskosten als Voll- und Zusatzversicherung 4 Krankenhaustagegeldversicherung 4 Verdienstausfallversicherung 4 Auslandsreisekrankenversicherung Kunden der PKV können Personen werden, die ihren Versicherungsschutz frei wählen können, z. B. Arbeitnehmer, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen, selbstständig Tätige und Beamte. Grundlage ist ein Versicherungsvertrag. Die Prämienhöhe richtet sich nach dem Versicherungsrisiko, dem Alter und dem Geschlecht. Entstehende Kosten werden nach dem Kostenerstattungsprinzip beglichen, d. h. der Versicherte tritt in Vorleistung und rechnet am Ende mit der privaten Krankenversicherung ab.
3
> Eine kostenfreie Mitversicherung für Familienmitglieder gibt es nicht.
Die Zuzahlungen (. Tab. 3.3 bis . Tab. 3.5) beziehen sich auf das Jahr 2007. Sie sind jährlich veränderbar. 3.2.3.5 Sonstige Finanzierungen Soziale Pflegeversicherung (PV) Am 01.01.1995 wurde die Pflegeversicherung eingeführt. Sie ist ein eigenständiger Bereich der Sozialversicherung. Sie hat die Aufgabe, Pflegebedürftigen Hilfe zu leisten, die wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit auf solidarische Unterstützung angewiesen sind. Die Pflegeversicherung sichert damit das Risiko der Pflegebedürftigkeit durch Sach- und Geldleistungen für den Bedarf an Grundpflege, hauswirtschaftlicher Versorgung und Kostenerstattung ab. Dabei hat die häusliche und teilstationäre Pflege immer Vorrang vor der vollstationären Pflege. Wer allerdings privat versichert ist, muss nach § 1 Abs. 2 SGB XI auch eine private Pflegeversicherung abschließen. Die Ausgaben der sozialen PV werden durch Beiträge der Mitglieder und deren Arbeitgeber zu gleichen Teilen finanziert (ausgenommen Sachsen). Die Höhe richtet sich nach dem beitragspflichtigen Einkommen, Familienmitglieder zahlen analog der GKV keinen Beitrag. Der Beitragssatz wird durch Gesetz festgelegt und beträgt bundeseinheitlich 2007 1,7% plus 0,25% Beitragszuschlag nach dem Kinderberücksichtigungsgesetz. Träger der sozialen Pflegeversicherung sind die Pflegekassen, deren Aufgaben von den Krankenkassen wahrgenommen werden. Sie sind ebenfalls Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Die Pflegekassen sind für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung ihrer Versicherten verantwortlich. Sie arbeiten dabei mit allen an der pflegerischen, gesundheitlichen und sozialen Versorgung Beteiligten eng zusammen. Als pflegebedürftig gelten Personen, die wegen ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Für die Art und den Umfang sind 3 Pflegestufen vorgesehen: 4 Stufe I: erheblich pflegebedürftig 4 Stufe II: schwerpflegebedürftig 4 Stufe III: schwerstpflegebedürftig
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Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
. Tab. 3.3. Übersicht: private oder gesetzliche Krankenversicherung?
3
Gesetzlich
Privat
Solidaritätsprinzip
Äquivalenzprinzip
Einkommensabhängiger Beitrag
Festlegung der Prämie nach Krankheitsrisiko, Alter, Geschlecht
Beiträge werden umgehend als Leistungen ausgeschüttet
Prämien werden nur teilweise für Leistungsausgaben verwendet, ein Teil geht in die Altersrückstellung
Versicherung kraft Gesetz
Versicherung kraft Vertrag
Annahmezwang für alle
Aufnahmepflicht für ehemalige Versicherte
Gesetzliche Vorgaben eines einheitlichen Leistungskataloges (Leistungen können jederzeit vom Gesetzgeber geändert werden)
Individueller Leistungsumfang (einmal vereinbarte Leistungen können nur im Einverständnis der Versicherung und des Versicherungsnehmers geändert werden)
Familienbeitrag
Individualbeitrag
Sachleistungsprinzip, Kostenerstattungsprinzip
Kostenerstattungsprinzip
Keine Altersrücklagen
Gesetzlich fest geschriebene Altersrückstellungen
Möglichkeiten zur Individualität: 4 Selbstbehalttarife, variable Kostenerstattung 4 Tarife für Nichtinanspruchnahme von Leistungen 4 Tarife der Kostenübernahme für Arzneien und Therapien, die über der Regelversorgung liegen
Individuelle Vertragsvereinbarungen (z. B. Selbstbeteiligung)
Beitragsrückerstattung möglich, bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen innerhalb eines Jahres
Beitragsrückerstattung (bis 6 Monatsbeiträge) möglich
. Tab. 3.4. Wesentliche ambulante Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung Gesetzlich
Privat
Vertragsärztliche Versichertenkarte
Freie Arztwahl, Privatpatient
gestaffelte Zuzahlung für Arznei- und Verbandsmittel
Arznei- und Verbandsmittel nach Verordnung, keine Zuzahlung
Hilfsmittel nach kassenärztlicher Versorgung; vielfach Festbeträge, teilweise 20% Selbstbehalt
Alle technischen Geräte, die eine Krankheitsfolge unmittelbar und einfach lindern (Vorsicht bei Hilfsmittelkatalogen!)
Keine Brillengestelle, Festbeträge für Gläser
Brillengestelle nach Tarif, Gläser nach medizinischer Notwendigkeit
Fahrkosten bei medizinischer Notwendigkeit, Eigenanteil (10% der Kosten, mindestens 5 € und maximal 10 €/Fahrt
Fahrkosten nur in Ausnahmefällen
Verordnete Heilmittel, z. B. Massagen Eigenanteil 15%
Verordnete Heilmittel keine Zuzahlung
ausgewählte Heilpraktikerleistungen
Heilpraktikerleistungen und alternative Heilmethoden (je nach Tarif )
Begrenzter Auslandsschutz in Ländern mit denen Sozialversicherungsabkommen bestehen, Keine Rücktransporte
Weltgeltungsbereich, inklusive Rücktransport
Arzthonorare nach Budgetierung
Große Leistungsunterschiede je nach frei gewähltem Tarif, jedoch gesetzlich fest geschrieben ist ein Mindestleistungsumfang analog zur GKV
69 3.2 · Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland
3
. Tab. 3.5. Wesentliche stationäre Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung Gesetzlich
Privat
Krankentransport bei medizinischer Notwendigkeit
Hin- und Rücktransport vom/zum Krankenhaus
Regelleistungen im Krankenhaus; Zuzahlungen pro Tag 10 € (maximal 28 Tage/Jahr)
Freie Arztwahl und Krankenhauswahl (je nach Tarif ), Wahlleistungen, keine Zuzahlungen
Unterkunft: kein Anspruch auf Einzelzimmer
Unterkunft nach Tarif (Einbett-, Zweibett-, Mehrbettzimmer)
Arzthonorare nach Fallpauschale, Bundespflegesatzverordnung
Die Pflegeversicherung kennt folgende Leistungen: 4 Leistungen bei häuslicher Pflege: 5 Pflegesachleistung 5 Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfe 5 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson 5 Pflegehilfsmittel und technische Hilfen 4 Teilstationäre Pflege, Kurzzeitpflege 4 Vollstationäre Pflege 4 Leistungen für Pflegepersonen, insbesondere: soziale Sicherung, Pflegekurse Einen Überblick über die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung gibt § 21a SGB I. Einzelheiten enthalten die §§ 28 bis 45c SGB XI. Gesetzliche Unfallversicherung (UV) Aufgabe der UV ist es, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten, bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit wiederherzustellen und die Versicherten oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen (. Tab. 3.6). Einzelheiten zum Kreis der versicherten Personen regeln §§ 2–6 SGB VII: 4 Pflichtversicherte: kraft Gesetzes Beschäftigte, Kinder, Schüler, Blutspender usw. 4 Pflichtversicherte: kraft Satzung Unternehmer 4 Freiwillig Versicherte: Personen in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften Die Finanzierung der UV erfolgt ausschließlich nur durch die Unternehmen im Wege der Umlage. Berechnungsgrundlage sind der Finanzbedarf des abgelaufenen Kalenderjahres, die Arbeitsentgelte und die Gefahrenklasse. Die Gefahrenklasse berücksichtigt die unterschiedlichen Unfallgefahren in den einzelnen Gewerbezweigen.
Träger der UV sind die Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und Gemeindeunfallversicherungsverbände (vgl. § 114 Abs. 1 SGB VII, § 22 Abs. 2 SGB I). Gewerbliche Berufsgenossenschaften sind nach Branchen gegliedert. Für den Bund ist die Bundesausführungsbehörde zuständig. Leistungen erhalten Versicherte und Hinterbliebene nach Eintritt des Versicherungsfalles, das sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. > Die Arbeitgeber haben dies dem zuständigen UV-Träger anzuzeigen, wenn Versicherte getötet oder so verletzt sind, dass sie mehr als 3 Tage arbeitsunfähig werden.
Die Berufsgenossenschaft prüft und bewilligt Heilbehandlung, Verletztengeld, Berufshilfe, Übergangsgeld und Renten (. Tab. 3.6). Die Heilbehandlung umfasst insbesondere ärztliche Behandlung einschließlich Erstversorgung, zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz, Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, häusliche Krankenpflege und die Behandlung in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen. Gesetzliche Rentenversicherung (RV) Die gesetzliche RV basiert auf dem Solidarvertrag zwischen den Generationen, d. h. die RV arbeitet nach dem Umlageverfahren. Die eingezahlten Beiträge werden nicht als Rücklage für den Einzelnen angesammelt. > Generationenvertrag: Die jetzt arbeitende Generation finanziert die laufenden Renten und erwirbt sich gleichzeitig den Anspruch von der nächsten arbeitenden Generation ihre eigene Rente finanziert zu bekommen.
Die RV ist eine Versicherung für alle. Jeder kann ihr nach §§ 1–8 SGB VI beitreten. Bei den Versicherten wird unterschieden:
70
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
. Tab. 3.6. D-Arzt-Verfahren Grundlage
Berufsgenossenschaften sind Träger der gesetzlichen Unfallversicherung! Gesetzlich unfallversicherte Personen (Arbeiter, Angestellte, Azubis, Beamte) die einen Arbeitsunfall erlitten haben, werden im sog. berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren ärztlich versorgt. Zur Sicherstellung der Heilbehandlung ist das Durchgangsarztverfahren (kurz: D-Arzt-Verfahren) eingeführt worden Wenn ein Arbeitsunfall zu einer vermutlichen Arbeitsunfähigkeit von mindestens einem Tag führt oder die Behandlung vermutlich eine Woche übersteigt, muss der Arbeitnehmer unverzüglich bei einem D-Arzt vorstellig werden (Ausnahme: Notfall). Bei mehreren D-Ärzten am Ort kann der Unfallversicherte wählen Auch eine Wiedererkrankung aus Ursache eines vorausgegangenen Unfalles ist D-Arzt vorstellungspflichtig Die Kosten für das Heilverfahren übernimmt die jeweilige Unfallversicherung
D-Arzt (Durchgangsarzt)
Bestellung von den Berufsgenossenschaften Meist Fachärzte für Chirurgie, Orthopädie mit besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Unfallmedizin und einer entsprechenden Erreichbarkeit/Bereitschaft und Praxisausstattung (Operation, Röntgen). Sie werden von den Unfallversicherungen bestellt Ist der erstbehandelnde Arzt kein D-Arzt muss er unverzüglich (genau wie der Arbeitgeber) für Vorstellung des Patienten beim D-Arzt sorgen (Ausnahme: Notfallversorgung)
D-Arzt-Verfahren
Der Durchgangsarzt entscheidet aufgrund Art und Schwere der Verletzung über die Art der weiteren Heilbehandlung (ambulant, stationär, BG-Verfahren oder hausärztliche/fachärztliche Weiterbehandlung). Er bestimmt damit den weiterbehandelnden Arzt und das Verfahren (allgemeines oder besonderes Heilverfahren). Er verfasst einen D-Arzt-Bericht
Verletzenartenverfahren
Im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren gibt es zudem dieses besondere Verfahren bei Augen-/HNO Verletzungen. Der jeweilige normale Facharzt, den der Arbeitnehmer ohne Zeitverlust aufsuchen muss entscheidet über die weitere Behandlung. Die Behandlung erfolgt meist in zugelassen Krankenhäusern
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Cave: Verdacht auf Berufskrankheiten hat nichts mit D-Arzt-Verfahren zu tun!
4 Versicherungspflichtige: 5 Kraft Gesetzes z. B. Beschäftigte, Behinderte 5 Auf Antrag z. B. Entwicklungshelfer 4 Freiwillig Versicherte 4 Nachversicherte z. B. Beamte, Richter Die Finanzierung der RV erfolgt durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und durch Zuschüsse des Bundes. Die Beitragslast ist unterschiedlich verteilt. Bei Pflichtversicherten zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Beiträge je zur Hälfte. Freiwillig Versicherte und Selbstständige zahlen ihren Beitrag in voller Höhe selbst. Für Wehr- und Zivildienstleistende zahlt der Bund den Beitrag. Bei geringfügig Beschäftigten zahlt der Arbeitgeber den Beitrag allein. Der monatliche Beitrag des Pflichtversicherten beträgt 2007 19,9%, der freiwillig Versicherte bestimmt die Höhe des Beitrages selbst. Der Nachweis der Beiträge wird über eine Versicherungsnummer geführt, welche jeder bei der Aufnahme
seiner ersten Arbeit erhält, der RV-Träger führt somit für jeden ein Konto. Über die Krankenkassen werden die Arbeitsverdienste gemeldet. Die Träger der gesetzlichen RV gliedern sich in die: 4 Deutsche Rentenversicherung für Bund und Länder 4 Knappschaft 4 Alterssicherung der Landwirte Einen Überblick über die Leistungen enthält § 23 Abs. 1 SGB I. Einzelheiten sind in den §§ 9ff. SGB VI geregelt. Daraus leiten sich 2 große Leistungsbereiche ab: 4 Leistungen zur Rehabilitation (medizinische Leistungen, Leistungen zur Teilnahme am Arbeitsleben, ergänzende Leistungen, Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit) 4 Renten (bei Erreichen der Altersgrenze oder Erwerbsunfähigkeit)
71 3.2 · Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland
Arbeitsförderung Die Arbeitsförderung hat die Aufgabe dazu beizutragen, dass ein hoher Beschäftigungsgrad erreicht und die Beschäftigungsstruktur ständig verbessert wird. Die Leistungen der Arbeitsförderung sind insbesondere darauf gerichtet, das Entstehen von Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder die Dauer von Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Träger der Arbeitsförderung sind die Agenturen für Arbeit und die sonstigen Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit. Die Bundesagentur für Arbeit gliedert sich in eine Zentrale auf der oberen Verwaltungsebene, Regionaldirektionen auf der mittleren Verwaltungsebene und Agenturen für Arbeit auf der örtlichen Verwaltungsebene (vgl. § 367 Abs. 2 SGB III). Bei den Versicherten unterscheidet man in: 4 Versicherungspflichtige Beschäftigte: alle, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind 4 Sonstige Versicherungspflichtige: Jugendliche, die in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation sind, Wehr- und Zivildienstleistende, Personen, die Krankengeld, Verletztengeld oder Übergangsgeld beziehen 4 Versicherungsfreie Personen: Beamte, Richter, Berufssoldaten, geringfügig Beschäftigte, Personen, die das 65. Lebensjahr überschritten haben Die Finanzierung der Leistungen der Arbeitsförderung erfolgt durch Beitragserhebung. Die Höhe der Beiträge wird von der Bundesregierung festgelegt. Für 2007 betrug der Beitragssatz 4,2%. Grundlage bildet das Arbeitsentgelt. Die Beiträge werden zur Hälfte vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen. Die Leistungen der Arbeitsförderung werden im Zusammenwirken von Arbeitnehmern, Arbeitgebern mit den Agenturen für Arbeit erbracht, insbesondere für: 4 Beratung und Vermittlung 4 Verbesserung der Eingliederungsaussichten 4 Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit 4 Förderung der Berufsausbildung 4 Förderung der beruflichen Weiterbildung 4 Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben 4 Eingliederungs- und Einstellungszuschüsse an Arbeitgeber 4 Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Ein weiterer wesentlicher Arbeitsbereich ist die Zahlung von Entgeltersatzleistungen (Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld).
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Einzelheiten zu den Voraussetzungen und zum Umfang der Leistungen sind im SGB III geregelt. Grundsicherung für Arbeitssuchende Die Grundsicherung für Arbeitssuchende soll die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Grundlage ist das SGB II. Die Leistung der Grundsicherung umfasst das Arbeitslosengeld II (ALG II). > Erwerbslose, die bisher Sozialhilfe bezogen haben und laut ärztlichem Nachweis erwerbsfähig sind, erhalten jetzt Arbeitslosengeld II.
Dieses ist zeitlich begrenzt und orientiert sich an der Bedürftigkeit des Einzelnen. Das ist eine grundlegende Veränderung der sog. Harz-IV-Reform, die damit die bis Ende 2004 gezahlte Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenführt. Bei Übergang vom Arbeitslosengeld in die Grundsicherung für Arbeitssuchende wird ein auf zwei Jahre befristeter Zuschlag gezahlt (Alleinstehende 160 €, Kind 60 €). Der Zuschlag wird nach einem halben Jahr halbiert und entfällt mit Ablauf des 2. Jahres nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld. Soweit angemessen, wird darüber hinausgehender Bedarf (Heizung, Unterkunft) gezahlt. Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld. Alle Bezieher von ALG II sind in die gesetzliche KV, PV, RV einbezogen. Der Bund trägt hierbei die Aufwendungen der Grundsicherung. Soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden, öffentliche Gesundheitspflege Die grundsätzlichen Gesichtspunkte, unter denen staatliche Entschädigungsleistungen für Gesundheitsschäden erbracht werden, umschreibt § 5 SGB I. Danach ist für einen Leistungsanspruch Voraussetzung, dass jemand einen Gesundheitsschaden erleidet, für dessen Folgen die staatliche Gemeinschaft nach vorsorgerechtlichen Grundsätzen einsteht. > Die soziale Entschädigung kommt damit nur in Betracht, wenn der Gesundheitsschaden von einem bestimmten Grund herrührt und eine positivrechtliche Regelung des Gesetzgebers über die Tatbestände vorliegt.
72
3
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
Einen Anspruch hat folgender Personenkreis: 4 Kriegsopfer und deren Hinterbliebene 4 Wehr- und Zivildienstbeschädigte 4 Opfer von Gewalttaten 4 Impfgeschädigte
4 Information und Beratung der Bevölkerung, Verwaltung und Politik 4 Kooperation mit Institutionen, Verbänden und Personen 4 Interdisziplinäre Arbeit
Versorgungsleistungen sind insbesondere: 4 Heil- und Krankenbehandlung sowie andere Leistungen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit einschließlich wirtschaftlicher Hilfen 4 besondere Hilfen im Einzelfall einschließlich Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben 4 Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit 4 Renten an Hinterbliebene, Bestattungsgeld, Sterbegeld 4 Kapitalabfindungen, insbesondere zur Wohnraumbeschaffung
Die Gesundheitsämter arbeiten interessenunabhängig und kundenorientiert, um die örtliche Vernetzung zur besseren Kommunikation und Kooperation der verschiedenen Anbieter gesundheitsbezogener Dienstleistungen zur breiten Förderung der Gesundheit zu unterstützen. Sie werden durch eine Ärztin oder einem Arzt geleitet, die oder der die Amtsarztprüfung bestanden haben muss. Durch Rechtsverordnung ist Näheres über die Zulassung zur Amtsarztprüfung geregelt.
Präventionsmaßnahmen sind nicht vorgesehen, weil das Entschädigungsrecht seiner Natur nach erst dann eingreift, wenn ein Gesundheitsschaden bereits eingetreten ist. Zuständig für die soziale Entschädigung sind: 4 Versorgungsämter 4 Landesversorgungsämter 4 Orthopädische Versorgungsstellen 4 Für besondere Hilfen im Einzelfall die Kreise und kreisfreie Städte 4 Hauptfürsorgestellen
3.3
Ärztliche Körperschaften und Verbände
Historisches Zwischen Ärzten und Krankenkassen bestanden Rechtsbeziehungen seit Beginn der Bismarckschen Sozialgesetzgebung. Allerdings wurden durch unterschiedliche Rechtsauffassungen der soziale Frieden im Lande und die Versorgung der sozialversicherten Bevölkerung oft erheblich gestört. Begründet lag dies in der damals großen Anzahl verfügbarer Ärzte, an der wirtschaftlichen Rezession des Landes, aber auch an der Abschaffung des Einzelvertragssystems.
Träger des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind die Kommunalverwaltungen. Die wesentlichen Aufgaben sind in den Gesundheitsdienstgesetzen der Länder geregelt: 4 Gesundheitsschutz mit den Teilbereich Infektionsschutz und umweltbezogener Gesundheitsschutz 4 Gesundheitsförderung und Prävention 4 Gesundheitsberichterstattung und Epidemiologie 4 Kinder- und Jugendgesundheitsdienst 4 Sozialmedizinische und sozialpsychiatrische Beratung, Betreuung und Vermittlung von Hilfen für besondere Zielgruppen 4 Amtsärztlicher Dienst und gutachterliche Tätigkeit
Die Ärzteschaft der Bundesrepublik Deutschland organisiert sich heute im Wesentlichen wie folgt: 4 Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft (z. B. Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern, Psychotherapeutenkammern der Länder) 4 Verbände mit freiwilliger Mitgliedschaft und vorwiegend berufspolitischen Zielen (z. B. Hartmannbund, Marburger Bund) 4 Wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften
Zum speziellen Inhalt von Gesundheitsdienstgesetzen der Länder gehört u. a. auch die Ausbildung und Prüfung derjenigen Gesundheitsberufe, die nicht durch Bundesrecht geregelt sind sowie die Einrichtung von Ethikkommissionen. Die öffentlichen Gemeinden haben Gesundheitsämter zu unterhalten, die sich mit diesen Aufgaben beschäftigen:
Am 08.12.1931 erfolgte die Errichtung der Kassenärztlichen Vereinigung durch Verordnung des Reichspräsidenten als genossenschaftlicher Zusammenschluss der Kassenärzte. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts obliegt ihr seitdem kraft Gesetzes die Wahrung der Rechte der Kassenärzte gegenüber den Krankenkassen. § 77, SGB V ist die heutige Rechtsgrundlage, nach der die
3.3.1 Kassenärztliche Vereinigung (KV)
73 3.3 · Ärztliche Körperschaften und Verbände
Vertragsärzte für den Bereich jedes Landes eine Kassenärztliche Vereinigung zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben errichten. 3.3.1.1 Mitgliedschaft Mit Wirkung vom 01.01.2005 sind die zugelassenen Ärzte, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung in den zugelassenen medizinischen Versorgungszentren angestellten Ärzte, und die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden ermächtigten Krankenhausärzte Mitglieder der für ihren Arztsitz zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung. Voraussetzungen sind: 4 Eintragung in das Arztregister 4 Zulassung als Vertragsarzt Mit dieser Pflichtmitgliedschaft ist nicht nur die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsärzte, sondern auch die Übertragung öffentlichrechtlicher Aufgaben an sie und die Disziplinarbefugnis gegeben. Allerdings behält sich der Staat die Rechtsaufsicht vor. Die Kassenärztlichen Vereinigungen unterstehen der für die Sozialversicherung nach Landesrecht zuständigen obersten Verwaltungsbehörde. 3.3.1.2 Organe und Geschäftsführung Mit Wirkung vom 01.01.2005 arbeiten die Kassenärztlichen Vereinigungen mit einer Vertreterversammlung als Selbstverwaltungsorgan und einem hauptamtlichen Vorstand. Sie werden jeweils für eine Amtsperiode von 6 Jahren gewählt. Der Vertreterversammlung obliegen insbesondere der Beschluss der Satzung der KV und die Überwachung des Vorstandes. Sie wählt z. B. die Mitglieder von Ausschüssen, stellt den Haushaltsplan fest, nimmt den Jahresabschluss entgegen und entlastet den Vorstand. Der hauptamtliche Vorstand besteht aus bis zu 3 Mitgliedern. Er verwaltet die Körperschaft und vertritt die KV gerichtlich und außergerichtlich. Für die Durchführung der Aufgaben der KV bedienen sich die Vertreterversammlung und der Vorstand einer Geschäftsstelle. Das Nähere dazu ist in der Satzung geregelt. Darin sind u. a. Bestimmungen enthalten über Durchführung vertragsärztlicher Versorgung, Fortbildung der Ärzte, Maßnahmen bei vertragsärztlichen Pflichtverletzungen. Auf Satzungsrecht basiert auch die Vereinbarung eines Honorarverteilungsmaßstabes (HVM), der zwischen der KV, den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen einheitlich und gemeinsam abzuschließen ist. 3.3.1.3 Aufgaben der KV Nach § 75 SGB V obliegen den Kassenärztlichen Vereinigungen Aufgaben:
3
4 Sicherstellungsauftrag: Verpflichtung zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in dem in § 73 Abs. 2 SGB V bezeichneten Umfang, d. h. ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse. Die Sicherstellung umfasst auch einen ausreichenden Notfalldienst zu den sprechstundenfreien Zeiten. Für die Krankenkassen und ihren Verbänden besteht durch den Abschluss von Direktverträgen mit einzelnen Vertragsärzten oder Vertragsarztgruppen die Möglichkeit, in den Sicherstellungsauftrag einzugreifen. Der Sicherstellungsauftrag umfasst auch Personen, die nicht Sozialversicherte der Krankenkassen sind, aber z. B. Ansprüche auf freie Heilfürsorge haben (Bundeswehr, Zivildienst, Bereitschaftspolizei). Ebenso gehört die Behandlung von Strafgefangenen in Notfällen dazu. 4 Interessenvertretung: Wahrung der Rechte der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen. Dazu gehören Gebietszulassungen, die Einzelvertretung der wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, ständige Beratung in allen Fragen der vertragsärztlichen Tätigkeit, Honorierung der Leistungen, aber auch Erschließung neuer Leistungsbereiche für ihre Mitglieder (Entwicklung neuer Versorgungsstrukturen wie vernetzte Praxen, Hausarztmodelle) 4 Gewährleistungspflicht: Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchführung der vertragsärztlichen Tätigkeit gegenüber den Krankenkassen nach Gesetz und Vertrag. Hierunter fällt vor allem die Abrechnung der Vertragsärzte vor Weitergabe an die Krankenkassen auf Plausibilität und sachlich-rechnerische Richtigkeit. Damit sollen den Krankenkassen nur solche Leistungen in Rechnung gestellt werden, die nach den jeweils geltenden Gebührenordnungen berechnungsfähig und in sich plausibel sind. Die Einhaltung der Pflichten der Vertragsärzte wird durch die KV geprüft, nötigenfalls mit Disziplinarmaßnahmen geahndet (z. B. Verwarnung, Verweis, Geldbuße bis 10.000 €, Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu 2 Jahren) 4 Vertragshoheit: Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen mit den Verbänden der Krankenkassen zur Gestaltung der vertragsärztlichen Versorgung. Die Wahrung dieser Rechte erfolgt in erster Linie durch den Abschluss der Gesamtverträge (§ 83 SGB V) auf Bundes- und Landesebene. Dazu gehören auch: 5 Prüfvereinbarungen zur Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung (§ 106 SGB V)
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3
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
5 Gewährleistung eines reibungslosen Überganges aus der ambulanten Versorgung in die stationäre Behandlung und umgekehrt (§ 115 SGB V) 5 Vereinbarungen zum ambulanten Operieren am Krankenhaus und sonstigen stationsersetzenden Eingriffen (§ 115b SGB V) 5 Institutsverträge, Ermächtigungsverträge, Verträge zur Krankheitsvorbeugung usw. 4 Ausschussbesetzung: Recht zur Besetzung von Ausschüssen der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen. Im Einzelnen handelt es sich um: 5 Zulassungsausschuss, Berufungsausschuss 5 Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 5 Prüfungs- und Beschwerdeausschuss 5 Schiedsämter, erweiterte Landesschiedsstelle Seit 1973 gibt es das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland als Stiftung des privaten Rechts. Die Tätigkeit der Stiftung dient dem Ziel, bestehende Lücken in der wissenschaftlichen Forschung, der technischen Entwicklung sowie der organisatorischen Beratung auf dem Sektor der ambulanten Medizin und der vertragsärztlichen Tätigkeit schließen zu helfen. 3.3.2
Ärztekammer
Die Ärztekammern sind die durch Landesgesetze geschaffene Berufsvertretung für alle approbierten Ärzte. Das Recht der Ärztekammern leitet sich aus der Zuständigkeit der Länder im Gesundheitswesen ab. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts mit hoheitlichen Aufgaben. In jedem Bundesland gibt es eine Ärztekammer (in Nordrhein-Westfalen zwei). Die Bundesärztekammer besteht seit 1955. Sie ist ein freiwilliger Zusammenschluss der Landesärztekammern in der Rechtsform eines nicht eingetragenen Vereines. Damit ist sie keine Körperschaft des öffentlichen Rechtes. 3.3.2.1
Mitgliedschaft
> Pflichtmitglieder der Ärztekammern sind alle Ärzte, die im Bereich der Kammer ihren Beruf ausüben, oder, sofern sie ihren Beruf nicht ausüben, ihren Wohnsitz haben.
Das gilt für niedergelassene Ärzte ebenso für angestellte Ärzte in Krankenhäusern, beamtete Ärzte und Ärzte im Ruhestand. Auch für ausländische Bürger, die in der
Bundesrepublik Deutschland ärztlich tätig werden, besteht die Pflichtmitgliedschaft in der örtlich zuständigen Ärztekammer. 3.3.2.2 Organe und Geschäftsführung Oberstes Organ der Landesärztekammer ist die Delegierten- oder Kammerversammlung. Diese beschließt die Satzung und die Wahlordnung. Sie wählt aus ihrer Mitte den Vorstand. Der Vorstand führt die Geschäfte auf der Grundlage von Gesetz und Satzung. An der Spitze stehen ein Präsident und ein Vizepräsident. Sie vertreten die Ärztekammer nach außen. 3.3.2.3 Aufgaben Die wichtigste Aufgabe der Ärztekammer ist die Regelung der ärztlichen Berufsausübung durch Beschluss der Berufsordnung und der Weiterbildungsordnung. Außerdem gehören dazu: 4 Aufsicht über die Einhaltung der Berufspflichten und Ausübung der Berufsgerichtsbarkeit 4 Maßnahmen der Qualitätssicherung 4 Einrichtung von Schlichtungs- und Gutachterkommissionen für ärztliche Behandlungsfehler bzw. für Fragen der Arzthaftpflicht 4 Einrichtung von Ethikkommissionen zur Beurteilung von Forschungsvorhaben Ärztekammern unterhalten auch eigenständige Vorsorge- und Fürsorgeeinrichtungen als alternative Systeme der Alters- und Hinterbliebenenversorgung sowie für die Absicherung im Fall der Berufsunfähigkeit. 3.3.3
Freie ärztliche Verbände, Berufsverbände
Die Interessen der Mitglieder dieser Verbände erfolgen hier unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten medizinischen Fachgruppe. Die Mitgliedschaft ist freiwillig und unterliegt nur der Verbandssatzung. Zu den bekanntesten Verbänden, . Tab. 3.7. Neben den freien ärztlichen Verbänden gibt es eine Reihe von ärztlichen Verbänden als berufspolitische Interessenvertretung für bestimmte medizinische Fachrichtungen. Dazu zählen z. B.: 4 Deutscher Hausärzteverband e.V. 4 Berufsverband Deutscher Internisten e.V. 4 Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände Außerdem existiert eine Vielzahl wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften.
75 3.3 · Ärztliche Körperschaften und Verbände
3
. Tab. 3.7. Große freie ärztliche Verbände Hartmann-Bund
Virchow-Bund
Marburger Bund
Gegründet 1900 zur »wirtschaftlichen Wahrung der ärztlichen Interessen«. Er setzt sich heute auch für Medizinstudenten ein und insbesondere für die freie Berufsausübung sowie für eine qualitativ hochwertige ambulante und stationäre Betreuung. Mitglieder: 37.000
Gegründet 1949 mit dem Ziel, das Kassenarztrecht zu reformieren. Verbandszweck ist heute u. a. die Sicherung und Förderung der Freiberuflichkeit, der Niederlassungsfreiheit und die freie Arztwahl durch die Bevölkerung. Mitglieder: 20.085
Gegründet 1947 als Interessenvertretung der angestellten und beamteten Ärzte sowie der Medizinstudenten. Seine Ziele sind bessere Arbeitsbedingungen und eine leistungsgerechtere Entlohnung. Mitglieder: 80.000
3.3.4
Versorgungssysteme
Das Gesundheitswesen ist einem steigenden Wirtschaftlichkeitsdruck ausgesetzt (. Abb. 3.3). Die sich stetig verbessernden Lebensbedingungen (z. B. Ernährung, Hygiene, innovative Diagnostik- und Behandlungsverfahren) führen in Verbindung mit einer niedrigen Geburtenrate zu einer Überalterung der Bevölkerung. Eine solche Entwicklung stellt in Anbetracht der nur begrenzt zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen jedes Gesundheitssystem vor immer neue Herausforderungen. Immer komplexere Strukturen erfordern deshalb steigende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Dies gilt sowohl für den stationären als auch den ambulanten Bereich. Es genügt heutzutage nicht mehr, Krankenhäuser zu verwalten; sie bedürfen auch der zielorientierten Führung. Nur mit einem qualifizierten Management lassen sich diese Herausforderungen der Zukunft erfolgreich bewältigen. In diesem Zusammenhang kommen auf den Arzt im Krankenhaus ganz neue Aufgaben zu. Gefragt ist nicht mehr nur allein medizinisches Wissen, er muss auch ökonomische Sichtweisen in die täglichen Arbeitsabläufe einfließen lassen und Verant-
. Abb. 3.3. Beziehung vertragsärztliche Versorgung – Patient
wortung in wirtschaftlichen Bereichen, z. B. bei der internen Budgetierung, übernehmen. Management ist auch ein wichtiger Erfolgsfaktor für den niedergelassenen Arzt. Will er ein angemessenes Ergebnis erwirtschaften, muss er ebenfalls Führungsinstrumente einsetzen. Dies gilt besonders in Zeiten wachsender Konkurrenz, stagnierender Honorarzuwächse und zunehmender gesetzlicher Reglementierungen. Zu einer effizienten Führung der Arztpraxis gehört eine gute Organisation, denn durchschnittlich gehen 20% der kreativen Arbeitszeit durch unsystematisches Arbeiten von Arzt und Praxispersonal verloren. Das Ziel, eine patientenfreundliche Atmosphäre zu schaffen und selbst einer möglichst stressfreien Arbeit nachzugehen zu können, gewinnt immer mehr an Bedeutung. 3.3.4.1
Ambulante Versorgung, vertragsärztliche Versorgung Versicherte haben gegenüber ihrer Krankenkasse Anspruch auf Krankenbehandlung. Der Vertragsarzt nimmt somit unter allen Leistungserbringern eine Schlüsselfunktion wahr. Durch ihn wird nicht nur die ärztliche Behandlung erbracht, er veranlasst auch Leis-
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Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
tungen anderer Gesundheitsberufe (z. B. Krankengymnastik, Krankenhausbehandlung). Welchen Umfang dabei die veranlassten Leistungen haben, lässt sich daran erkennen, dass auf 1 € ärztliches Honorar etwa 5 € für veranlasste Leistungen entfallen. Am 31.12.2003 waren bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung rund 117.600 Vertragsärzte registriert, die in 96.084 Praxen tätig waren. Hinzu kamen rund 8.200 angestellte Ärzte sowie rund 11.000 ermächtigte Ärzte. Damit nahmen zu diesem Zeitpunkt 136.800 Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung teil. 2006 gab es 127.048 niedergelassene Ärzte und Ärztinnen in 93.556 vertragsärztlichen Einrichtungen (Einzelpraxen, Gemeinschaftspraxen, Medizinische Versorgungszentren). Das vertragsärztliche Behandlungsangebot gliedert sich in die haus- und fachärztliche Versorgung und umfasst sämtliche Arztgruppen, wie sie sich aus dem ärztlichen Weiterbildungsrecht ergeben. Auf Grund der Weiterbildungsordnung verteilen sich die Ärzte auf: 4 32 Gebiete (z. B. Augenheilkunde, Chirurgie, Neurologie) 4 33 Facharzt(FA)- und Schwerpunkt(SP)-Kompetenzen (z. B. Chirurgie: FA Herzchirurgie; Kinderund Jugendmedizin: SP Kinderkardiologie) 4 42 Zusatzbezeichnungen (z. B. Allergologie, Sportmedizin) An der hausärztlichen Versorgung nehmen grundsätzlich Allgemeinärzte, praktische Ärzte, Ärzte ohne Gebietsbezeichnung und Kinderärzte teil, nach Wahl auch Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung. Kinderärzte mit Schwerpunktbezeichnung können auch an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen. Die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ist auf dem Praxisschild anzugeben (§ 76 Abs. 3 SGB V). Die übrigen Fachärzte nehmen an der fachärztlichen Versorgung teil. Um den Sicherstellungsauftrag zu erfüllen, kann der Zulassungsausschuss Internisten und Kinderärzte, die sich für die hausärztliche Tätigkeit entschieden haben, eine befristete Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung gestatten. > Anspruch auf Zulassung an der vertragsärztlichen Versorgung haben grundsätzlich alle approbierten Ärzte.
Zuständig dafür ist der Zulassungsausschuss, wenn auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind: 4 Eintragung in das Arztregister, das bei den Kassenärztlichen Vereinigungen geführt wird 4 Persönliche Eignung 4 Lebensalter: nach Vollendung des 55. Lebensjahres ist eine Zulassung nur in Ausnahmefällen möglich 4 Antrag
Entsprechende Unterlagen sind für die Zulassung vorzulegen: 4 Auszug aus dem Arztregister 4 Bescheinigung über die seit der Approbation ausgeübten ärztlichen Tätigkeiten 4 Lebenslauf 4 Polizeiliches Führungszeugnis Die Zulassung endet mit dem Tod, dem Verzicht, dem Wegzug aus dem Zulassungsbezirk, der Entziehung (z. B. bei gröblicher Pflichtverletzung, Wegfall der Eignung) und mit Erreichung der Altersgrenze von 68 Jahren. Die Pflichten des Vertragsarztes beziehen sich auf: 4 Residenz- und Präsenzpflicht (Erreichbarkeit, Festlegung von Sprechstunden) 4 Beachtung des allgemeinen Berufsrechtes 4 Teilnahme am Notfalldienst 4 Persönliche Leistungserbringung in freier Praxis (aber: er kann sich bei Urlaub, Krankheit, Fortbildung oder Teilnahme an einer Wehrübung innerhalb von 12 Monaten bis zu einer Dauer von 3 Monaten vertreten lassen 4 Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes 4 Fortbildungspflicht Mit seiner Zulassung als Vertragsarzt wird der Arzt Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung und erwirbt alle satzungsmäßigen Rechte. Zu besonderen Formen der Praxisausübung . Tab. 3.8. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben einvernehmlich mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen sowie im Benehmen mit den zuständigen Landesbehörden einen Bedarfsplan auf Landesebene aufzustellen und der Entwicklung anzupassen. Mit Hilfe des Bedarfsplanes soll mittel- und langfristig eine wirksame Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erreicht werden. Der allgemeine bedarfsgerechte Versorgungsgrad wird durch arztgruppenspezifische allgemeine Verhältniszahlen ausgedrückt. So genannte Über- oder Unterversorgungen sollten damit ausgeschlossen sein. 3.3.4.2
Stationäre Versorgung, Krankenhaus, Klinik, Vorsorge- und RehaEinrichtungen Die Nachfrage nach Krankenhausleistungen wird von unterschiedlichen Interessen bestimmt, z. B. vom: 4 Einweisenden Arzt: Die Krankenhauseinweisung schafft Reduzierung zeitintensiver Leistungen, z. B. Hausbesuche. 4 Krankenhausarzt: Größere Anzahl der zu betreuenden Patienten schafft höheres Ansehen und letztendlich eine bessere Entlohnung.
77 3.3 · Ärztliche Körperschaften und Verbände
3
. Tab. 3.8. Formen der Praxisausübung Zweigpraxis
Gemeinschaftspraxis
Praxisgemeinschaft
Belegarzttätigkeit
Tätigwerden eines Arztes neben seiner Praxistätigkeit am Niederlassungsort an einem anderen Ort. Dies setzt die Genehmigung der Ärztekammer und der KV voraus
Zusammenschluss zweier oder mehrerer Ärzte zur gemeinsamen Ausübung des ärztlichen Berufes in einer Praxis. Die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist nur unter Vertragsärzten zulässig. Notwendig ist die vorherige Genehmigung des Zulassungsausschusses
Gemeinsame Nutzung von Praxisräumen, Praxiseinrichtungen, Praxispersonal bei sonst selbstständiger Praxisführung und eigener Patientenkartei durch zwei oder mehrere Ärzte. Eine Genehmigung ist nicht erforderlich, allerdings ist die KV zu unterrichten. Dazu zählen u. a. auch Apparate- und Laborgemeinschaften
Nach § 121 SGB V die stationäre vertragsärztliche Behandlung. Belegärzte sind nicht am Krankenhaus angestellte Ärzte, sondern niedergelassene Ärzte. Die stationäre Tätigkeit darf nicht das Schwergewicht der Gesamttätigkeit bilden. Die unverzügliche und ordnungsgemäße Versorgung der ambulant und stationär zu betreuenden Patienten muss immer gewährleistet sein
4 Patient: Hat keine großen finanziellen Belastungen und damit kein unmittelbares Interesse, einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden bzw. zu verkürzen. 4 Versicherungsunternehmen: In der Funktion des Kostenträgers sind sie daran interessiert das Bettenangebot auf das medizinisch zweckmäßige und ausreichende Maß zu beschränken und damit im stationären Bereich den Anspruch, ein quantitativ, qualitativ und strukturell bedarfgerechtes und dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügendes Angebot an Krankenhausleistungen zu ermitteln. Krankenhäuser bieten im Wesentlichen im Akutfall ärztliche und pflegerische Hilfeleistungen an und grenzen sich damit von den Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen ab. Im Sinne des Gesetzes (SGB V) sind Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen Einrichtungen, in denen Patienten untergebracht und verpflegt werden. Hier dient jedoch die stationäre Behandlung schwerpunktmäßig dazu, der Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung entgegenzuwirken (Vorsorge) und/oder den Gesundheitszustand des Patienten zu verbessern (Rehabilitation). Nach § 2 der Bundespflegesatzverordnung sind Krankenhausleistungen insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, die für die Versorgung im Krankenhaus notwendig sind, sowie Unterkunft und Verpflegung. Sie umfassen allgemeine Krankenhausleistungen und Wahlleistungen. Zu den Krankenhausleistungen gehören nicht die Leistungen der Belegärzte sowie der Beleghebammen und -entbindungspfleger. Allgemeine Krankenhausleistungen sind die Krankenhausleistungen, die unter Berücksichtigung der Leis-
tungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind. Der Begriff »stationäre Leistung« gilt als Synonym für Krankenhausleistung. Bei der Nachfrage nach Krankenhausleistungen wird unterschieden: 4 Objektiv notwendige Nachfrage: Wird durch die Diagnose bestimmt, diagnostische, therapeutische und pflegerische Leistungen kann nur das Krankenhaus bereit stellen 4 Bedingt notwendige Nachfrage: Liegt in der Person des Patienten, mangels anderer Behandlungsund Betreuungsmöglichkeiten. 4 Entbehrliche Nachfrage: Inanspruchnahme von Leistungen, obwohl aus medizinischer Sicht eine Unterbringung im Krankenhaus nicht notwendig wäre. Im Normalfall stellt der Haus- bzw. Facharzt eine Verordnung für eine stationäre Behandlung aus. > Im Notfall ist eine solche Verordnung natürlich nicht erforderlich.
Zu Beginn einer klinischen Behandlung prüft ein Krankenhausfacharzt, welche Art der Behandlung notwendig ist und entscheidet, in welcher Form die Behandlung durchgeführt wird. Daraufhin ergeht an die Krankenkasse des Patienten eine Kostenübernahmeerklärung, die in der Regel kurzfristig bestätigt wird. Eine Krankenhausbehandlung kann erfolgen: 4 Vollstationär 4 Teilstationär (klinische Behandlung nur tagsüber oder nur nachts)
78
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Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
4 Vorstationär (ohne Verpflegung und Übernachtung in Vorbereitung auf eine stationäre Behandlung) 4 Nachstationär (ebenfalls ohne Verpflegung und Übernachtung in Nachbereitung einer stationären Behandlung) 4 Ambulant Grundsätzlich übernehmen die Krankenkassen alle Leistungen, die für die individuelle Behandlung notwendig sind (ärztliche Behandlung einschließlich Operationen, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heilund Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung). Davon ausgenommen sind allerdings sog. Wahlleistungen, wie z. B. Einbettzimmer, Chefarztbehandlung. Wahlleistungen lassen sich allerdings durch eine zusätzliche Privatversicherung abdecken. Der Krankenhausbehandlung kann eine Anschlussheilbehandlung folgen. Es handelt sich dabei um Rehabilitationsmaßnahmen in Spezialkliniken mit dem Ziel, dass der Patient dem Alltags- und Berufsleben wieder gewachsen ist. Wenn auch die Art der Erkrankung vornehmlich die Inanspruchnahme der Krankenhausleistung bestimmt, ist diese dennoch auch abhängig von: 4 Demographische Entwicklung (höhere Morbidität) 4 Ökonomische Faktoren (Arbeitslosigkeit, Einkommen) 4 Sozialökonomische Faktoren (Bildung, Erziehung) 4 Regionale Gegebenheiten (Industriestrukturen) 4 Verkehrsmäßige Gegebenheiten (Verkehrsunfälle) 2137 Krankenhäuser mit 523.567 Betten versorgten 2006 in Deutschland mehr als 17 Mio. Menschen. Rund 1 Mio. Beschäftigte kümmern sich dabei um das Wohl der Patienten. Rund um die Uhr wird die Krankenversorgung gesichert. Die Krankenhäuser sind nicht nur tragende Säule des medizinischen Fortschritts, sondern mit rund 64 Mrd. € Umsatz außerdem ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Wachstumsmarkt Gesundheit. Wegen sinkender Budgets und Einsparung bei Personal und Betten ist jetzt für die Krankenhäuser die Steigerung der Wirtschaftlichkeit wichtigstes Ziel. 3.3.5 Heil- und Hilfsmittelversorgung Heilmittel sind physikalische Leistungen und nicht ärztliche Heilbehandlungen wie z. B.: 4 Physikalische Therapien 4 Beschäftigungs- und Arbeitstherapien 4 Stimm-, Sprech- und Sprachtherapien 4 Podologische Therapien
Bäder, Elektrotherapien, Krankengymnastik, Massagen, Sprachtherapien usw. sind Dienstleistungen die von fachlich versiertem und qualifiziertem Personal durchgeführt werden. Grundlage dafür ist eine vertragsärztliche Verordnung. Bei der Auswahl der Heilmittel, die Anwendung mehrerer ist möglich, richtet sich der Arzt nach der Heilmittelrichtlinie. Diese Sachleistungen werden durch die Krankenkassen vergütet, wenn ein zugelassener Therapeut die Verordnung umsetzt. Allerdings müssen gemäß § 32 SGB V Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, eine Zuzahlung entrichten. Hilfsmittel sind Gegenstände, die zu medizinischen oder therapeutischen Zwecken eingesetzt werden und nachweislich zum Erfolg einer Krankenbehandlung beitragen, z. B. Hörhilfen, Prothesen,orthopädische Schuhe, Bandagen, Schienen, Messgeräte. Sie sollen körperliche Störungen, die durch Krankheit oder Behinderung hervorgerufen sind, vermindern bzw. ausgleichen. Hilfsmittel dürfen vom Arzt nur verordnet werden, wenn sie notwendig sind. Allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, z. B. Wärmflasche, Schuhanzieher, gehören nicht dazu. Die Versorgung mit Hilfsmitteln umfasst außer der Grundausstattung auch das Zubehör für eine korrekte Anwendung, die Anpassung, die Ausbildung im Gebrauch, eventuell notwendige Änderungen, die Instandsetzung bzw. Reparatur oder der Ersatz (falls das Hilfsmittel nicht mehr tauglich ist). Auch hier müssen sich die Versicherten ab Vollendung des 18. Lebensjahres durch Zuzahlung beteiligen. In Deutschland wird der Rezeptblock immer noch zu schnell »gezückt«. Fast jeder Arztbesuch endet mit einem Rezept, auf dem durchschnittlich 1,7 Verordnungen stehen. Jährlich werden rund 800 Mio. Verordnungen ausgestellt. > Budgets zur Ausgabenstabilisierung scheinen unverzichtbar, um mit einem konsequenten Verordnungsverhalten der Ärzte ungenutzte Wirtschaftlichkeitsreserven auf diesem Gebiet aufzuzeigen.2 2
Anmerkung des Herausgebers: Aus Sicht des Herausgebers ist diese Aussage diskussionswürdig und kann undifferenziert missverstanden werden: Die Anzahl der verschriebenen Medikamente ist im europäischen Vergleich durchschnittlich. Der jährliche Anstieg der Verordnungsmenge muss auch vor dem Hintergrund der Alterung der Gesellschaft und der ständigen Optimierung der medikamentösen Versorgung beurteilt werden. Eine individuelle und patientenorientierte Therapie ist aus Sicht der Herausgeber sehr wichtig. Ein Budget, d.h. die künstliche Festlegung der Obergrenze der Arzneimittelverschreibungsmenge schränkt diese individuelle Therapie ein und beschneidet die ärztliche Therapiehoheit erheblich. Ein Lösungsansatz dieser Problematik könnte die Einführung einer Positivliste für Medikamente sein.
79 3.3 · Ärztliche Körperschaften und Verbände
3.3.6 Arzneimittelversorgung Das Thema Arzneimittel ist hoch aktuell und wird dabei vielfach kontrovers diskutiert. Der Gesetzgeber definiert ein Arzneimittel im Wesentlichen über dessen Funktion, nämlich »durch Anwendung am oder im menschlichen Körper um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu verhüten oder zu erkennen« (§ 2 Abs. 1 AMG). Deshalb werden hohe Anforderungen an Herstellung, Qualität und Überwachung von Arzneimitteln gestellt. Grundsätzlich sind alle Arzneimittel apothekenpflichtig. > Ausnahmen sind möglich, wenn eine Gefährdung, auch bei unsachgemäßem Gebrauch, nicht zu erwarten ist. Solche Produkte werden als freiverkäufliche Arzneimittel bezeichnet.
Das richtige Medikament in der richtigen Dosierung beim richtigen Patienten anzuwenden, ist das Idealziel einer medizinischen Therapie. Dies unterliegt einigen Einflussfaktoren: 4 Effektivität 4 Nebenwirkungen 4 Verfügbarkeit 4 Kosten 4 Vorstellungen des Patienten > Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Medikamenten, die ausreichend und zweckmäßig, gleichermaßen aber auch wirtschaftlich sein sollen (§ 31 Abs. 1 SGB V).
Auf dem deutschen Arzneimittelmarkt steht eine unendliche Vielzahl von Präparaten in vergleichbarer Qualität, mit vergleichbarer Wirkung und zum Teil gar mit identischer Zusammensetzung zu sehr unterschiedlichen Preisen zur Verfügung. Innerhalb der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung bilden die Arzneimittel aus Apotheken den viertgrößten Block (1. Quartal 2005: 16,82% = 5,8 Mrd. €; 1. Quartal 2006: 16,61% = 6,3 Mrd. €). 2006 wurden weitere 2593 Arzneimittel zugelassen. Die forschenden Arzneimittelhersteller investierten 4,1 Mrd. € in Forschung und Entwicklung. In der Pharmaindustrie arbeiten 113.000 Beschäftigte, davon 85.000 in der forschenden Pharmaindustrie. Im Bereich der Patentanmeldungen für gentechnisch hergestellte Arzneimittel liegt Deutschland mit 1375 Anmeldungen auf Platz 3 des Weltmarktes hinter den USA. Es gibt 1470 zugelassene Versandapotheken.
3
> Noch immer entfallen knapp 12% des Arzneimittelumsatzes auf Medikamente mit umstrittener Wirkung oder auf Arzneimittel, deren Wirksamkeit bisher nicht nachgewiesen wurde. Allein das macht ein Volumen von ca. 2,5 Mrd. € aus.3
Überflüssige Arzneikosten können u. a. vermieden werden durch: 4 Rahmenvorgaben und Zielvorgaben 4 Verordnungsverhalten 4 Negativliste/Positivliste 4 Verordnung von Generika (»Aut-idem-Regelung«) 4 Beachtung der Packungsgrößen Auch hier sind durch den Versicherten Zuzahlungen zu leisten. Befreiungen sind u. a. möglich, wenn alle bisher geleisteten Zuzahlungen eines Jahres die Belastungsobergrenze überschreiten. Damit auch in Zukunft wichtige Innovationen im Arzneimittelbereich bezahlbar bleiben, wurden Festpreise für patentgeschützte Arzneimittel eingeführt. Festbeträge sind in der gesetzlichen Krankenversicherung maximale Erstattungsbeträge, d. h. die Kosten werden nur bis zum festgelegten Betrag übernommen.4 > Verordnet der Arzt dennoch ein Arzneimittel oberhalb des Festbetrages, ist der Kunde (Patient) darüber zu informieren, da dieser die Differenz zwischen Festbetrag und Apothekenabgabepreis selbst zu zahlen hat.
3.3.7 Pflegemanagement Der Pflegebegriff unterliegt einem kontinuierlichen Wandel. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe e.V. definierte 1997: »Pflege ist Lebenshilfe und eine gesellschaftlich notwendige Dienstleistung. Pflege leistet Hilfen zur Erhaltung, Anpassung oder Wiederherstellung der physischen, psychischen und sozialen Funktionen und Aktivitäten des täglichen Lebens.« Gepflegt wird ambulant und stationär und ist von der Pflegebedürftigkeit des Betroffenen abhängig. Die Pflegebedürftigkeit wird in 3 Stufen untergliedert. Diese wiederum sind Grundlage für die Leistungsgewäh3
4
Anmerkung des Herausgebers: Die genannten Kosten fallen allerdings größtenteils nicht zu Lasten der gesetzlichen KV an, da es sich um frei verkäufliche, so genannte OTC-Präparate, handelt, die nicht zu Lasten der GKV verordnet werden können. Anmerkung des Herausgebers: Aus Sicht des Herausgebers ist diese Aussage diskussionswürdig und vor den Hintergrund einer patientenorientierten Individualtherapie kritisch zu hinterfragen.
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Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
rung. Krankenkassen und Pflegekassen arbeiten unter einem Dach, um folgende Leistungen bei Pflegebedürftigkeit gewähren zu können: 4 Pflegesachleistungen 4 Pflegegeld 4 Pflegehilfsmittel 4 Tages- und Nachtpflege 4 Kurzzeitpflege 4 Verhinderungspflege 4 Vollstationäre Pflege Damit sollen die Beschwerden des Pflegebedürftigen gelindert und eine selbstständigere Lebensführung ermöglicht werden. Pflegepersonen (z. B. auch Familienangehörige) haben Anspruch auf Unfallversicherungsschutz, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und Leistungen nach dem Recht der Arbeitsförderung durch die Pflegekasse. Das Pflegemanagement ambulanter und stationärer Einrichtungen hat vielfältige Aufgaben: 4 Personaleinsatzplanung und -führung 4 Planung der Pflegedurchführung und -auswertung, Ideenentwicklung 4 Fort- und Weiterbildung 4 Mitarbeit in Berufsverbänden, Öffentlichkeitsarbeit Aus betriebswirtschaftlicher Sicht liegen hier auch die Budgethoheit und die Gewährleistung des rationellen Einsatzes der pflegerischen Dienstleistung. 3.3.8 Rettungs- und Notfallmedizin Nach § 75 Abs. 1 SGB V wird der Rettungsdienst vom Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung nicht erfasst, soweit durch Landesrecht nichts anderes bestimmt ist. > Dagegen ist aber jeder Vertragsarzt grundsätzlich verpflichtet, am Notfalldienst teilzunehmen.
Dazu existieren Notfalldienstordnungen bei den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen, die gemeinsam mit den Ärztekammern erstellt wurden. 3.4
Gesundheitsökonomie
Für den Begriff Gesundheitsökonomie gibt es bis jetzt keine allgemeingültige Definition. Er ist in Deutschland mit der Diskussion zur Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems in den 70iger Jahren entstanden. Es ist
vergleichsweise eine noch junge Disziplin, die sich weniger durch eine allgemein anerkannte Definition, als vielmehr durch eine Anzahl von Fragestellungen und Aufgabengebieten charakterisieren lässt. Zentrale Aufgabe ist die Untersuchung des Gesundheitswesens und seiner ökonomischen Auswirkungen und Abhängigkeiten mittels der Erkenntnisse und methodischen Instrumentariums der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Entsprechend stehen im Vordergrund der Analyse die Problembereiche der Allokation, Distribution und Stabilisierung im Hinblick auf die Gesundheitssicherung der Bevölkerung. > Mit der Gesundheitsökonomie wird versucht, allgemeine ökonomische Theorien auf den Gesundheitssektor zu übertragen.
Es geht darum, eine qualitätsvolle Gesundheitsversorgung samt entsprechenden Nebenleistungen anzubieten und dabei wirtschaftlichen Anforderungen zu genügen. Die Gesundheitsökonomie bietet somit auf dieser Grundlage einen Handlungsspielrahmen für die Praxis, und es ist nicht verwerflich, das hohe Gut Gesundheit ökonomischen Betrachtungen zu unterziehen: 4 Die derzeit bereits vorhandenen und in Zukunft noch zunehmenden finanziellen Probleme des Gesundheitssystems führen zu Verteilungskonflikten. Zwangsläufig müssen Entscheidungen zum Einsatz von Allokationen getroffen werden, die nicht nur vor einem ökonomischen, sondern mehr und mehr auch vor einem ethischen Hintergrund zu sehen sind. Unter dem allokativen Aspekt wird die Frage nach der Höhe der Gesundheitsquote (das Maß für die öffentliche Aktivität im Gesundheitswesen, soweit diese sich in Ausgaben niederschlägt) aufgeworfen und zusammenhängend damit wie die Gesundheitsausgaben zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor und innerhalb des öffentlichen Sektors aufgeteilt werden. In der Regel können strukturelle Entwicklungen klarer erkennbar werden. 4 Ökonomische Analysen haben nicht nur das Ziel, ein wissenschaftlich begründetes Kostenminimum zu bestimmen, um damit vorzuschreiben, welche Mittel in einem konkreten Krankheitsfall angewendet werden. Die Gesundheitsökonomie will vielmehr zu einer effizienten Verwendung und Verteilung der begrenzt vorhandenen Mittel beitragen. Distributionspolitische Aspekte stehen dann zur Diskussion, wenn nach den Wirkungen der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Einkommensverteilung gefragt wird. Hierunter fallen
81 3.4 · Gesundheitsökonomie
ebenfalls die Zugänglichkeit von Gesundheitseinrichtungen, das gruppenspezifische Krankheitsmuster und regionale Versorgungsunterschiede. 4 In den Vordergrund der Betrachtungen rückt zunehmend die Evaluation von Gesundheitsleistungen. Hierbei entwickelt sich aus ökonomischer Sicht eine Verhaltenstheorie für Anbieter (Arzt) und Nachfrager (Kunde, Patient). Jedes Angebot schafft seine Nachfrage selbst, kann so u. U. auch zum Marktversagen führen. Unter stabilitätspolitischem Aspekt stellt sich die Frage nach der Konjunkturabhängigkeit des Gesundheitswesens bzw. möglicher Auswirkungen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung. 4 Für detaillierte Untersuchungen all dieser Bereiche lassen sich verschiedene Sichtweisen einer ökonomischen Analyse unterscheiden, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen: 5 Was, wie, für wen wird im Gesundheitssektor produziert? Dabei wird dem Problem der Nachfragegerechtigkeit von Gesundheitsleistungen starke Aufmerksamkeit geschenkt. Insbesondere wird der Zusammenhang zwischen einer Verbesserung des Gesundheitsstandes und dem Einsatz von Produktionsfaktoren erklärt. Es ergeben sich Rückschlüsse, wer den Nutzen aus den Gesundheitsgütern zieht und ob die Verwendung der Ressourcen bestimmten Verteilungskriterien gemäß erwünscht ist oder einer Änderung bedarf. 5 Hervorhebung des systemtheoretischen Charakters der Gesundheitsökonomie. Zum einen steht hier die Beschreibung der Funktionen und Träger des Gesundheitswesens an, andererseits werden die Funktionsweise des Gesundheitssystems und deren Mechanismen erforscht. 5 Hier wird eine stärker Verhaltenslenkende Gesundheitsökonomie entworfen. Diese setzt die Analyse ökonomischer Anreizsysteme voraus, die ein zielgerichtetes Verhalten der am Gesundheitsmarkt Beteiligten hervorrufen. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang die Kenntnis der spezifischen Zielfunktionen und Interessenlagen der beteiligten Personengruppen. > Die nachfolgenden Betrachtungen sind nur Ausschnitte aus dieser Fachdisziplin mit dem inhaltlichen Ziel der Sicherung eines aus ökonomischer Sicht effizienten und aus ethischer Sicht zufrieden stellenden Gesundheitssystems.
3
So wie es im Bereich medizinischer Diagnosen und Therapien mehrere Handlungsalternativen gibt, stehen für ökonomische Zielsetzungen, Strategien, Strukturen und Prozesse, Budgetierung, Controlling, Reporting, Marketing usw. ebenfalls verschiedene Optionen zur Verfügung. Die Notwendigkeit ihrer Anwendung zeigen auch folgende zwei Betrachtungen: Bundesweit steht bis 2010 in jeder 3. von derzeit rund 54.000 Hausarztpraxen ein Generationswechsel an. Daran sieht man bereits jetzt, dass die herkömmliche hausärztliche Versorgung in Gefahr geraten ist und neue Versorgungsformen entstehen sollten, z. B. Medizinische Versorgungszentren MVZ). Hierbei praktizieren Ärzte verschiedener Fachrichtungen unter einem Dach und nutzen die Synergieeffekte beim Einsatz von Personal und Geräten. Mancher Arzt schätzt außerdem, dass ihm das Praxismanagement abgenommen wird und dass er seine Stundenzahl reduzieren kann. Die Zufriedenheit der Patienten kann auch dadurch erhöht werden, weil ein breiteres Leistungsspektrum und flexiblere Sprechstundenzeiten angeboten werden können. Laut einer Studie des Marburger Bundes vom September 2007 gibt es auch einen ernsthaften Ärztemangel in den Krankenhäusern durch Ärzteflucht in andere Berufe oder ins Ausland. Auch immer mehr Jungmediziner, ausgestattet mit hervorragenden Fremdsprachenkenntnissen, drängt es ins Ausland. Als Folge droht den Kliniken ein Einbruch der Versorgungsqualität. Die Studie zeigt auf, dass am meisten die Arbeitsüberlastung (39%), die überhand nehmende Bürokratie (22%) und die nicht adäquate Vergütung (19%) viele Mediziner stören. Hochgerechnet auf die ca. 131.000 Krankenhausärzte kommen lt. Studie 56,6 Mio. Überstunden zusammen. Eine individuelle und fürsorgliche Betreuung der Kunden-(Patienten) wird damit fraglich, ebenso wie ein erweitertes Angebot an zusätzlichen und gewünschten Gesundheitsleistungen. Selbst die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird erschwert. 3.4.1 Transparenz und Kostenentwicklung
im Gesundheitswesen Die Statistiken der letzten Jahre zeigen einen stetigen Kostenanstieg in allen Bereichen des Gesundheitswesens. So stiegen auch in den Monaten Januar bis März 2005 die Leistungsausgaben der Krankenkassen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum je Mitglied um 2,9% an. Die beitragspflichtigen Einnahmen stiegen dagegen nur um 0,5%. Im 1. Quartal 2005 wurden insgesamt 34,5 Mrd. € ausgegeben (GKV-Statistik KM1 – BMGS).
82
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
. Tab. 3.9. Ausgabenverteilung 2005 und 2006
3
Zeitraum
Ausgabenbereich
Anteil in Prozent
Anteil in €
Aktuelle Ausgabenanteile 1. Quartal 2005 u. a. für
Ärztliche Behandlung
15,8%
5443 Mrd. €
Zahnärztliche Behandlung ohne Zahnersatz
5,6%
1925 Mrd. €
Zahnersatz
1,5%
519 Mrd. €
Arzneimittel aus Apotheken
16,8%
5794 Mrd. €
Krankenhausbehandlung
35,3%
12.171 Mrd. €
Hilfsmittel
3,0%
1047 Mrd. €
Heilmittel
2,2%
759 Mrd. €
Ärztliche Behandlung
15,1%
5724 Mrd. €
Zahnärztliche Behandlung ohne Zahnersatz
5,2%
1970 Mrd. €
Zahnersatz
1,8%
713 Mrd. €
Arzneimittel aus Apotheken
17,9%
6.266 Mrd. €
Krankenhausbehandlung
34,2%
12.865 Mrd. €
Hilfsmittel
2,9%
1117 Mrd. €
Heilmittel
2,4%
964 Mrd. €
Aktuelle Ausgabenanteile 1. Quartal 2006 u. a. für
Die prozentuale Aussage lässt im 1. Quartal 2006 (. Tab. 3.9) einen Rückgang erkennen, wertmäßig liegt aber tatsächlich eine Erhöhung vor. Aus diesem Grund waren Beitragserhöhungen durch verschiedene Krankenkassen unumgänglich. Die wesentlichen Ursachen der Kostenerhöhung liegen in den 2 ausgewählten Bereichen: 4 Krankenhausbereich 5 Überkapazitäten (überhöhte Anzahl an Krankenhäusern, 2006: 2137) 5 Überhöhte Bettenvorhaltung (6,4 Betten/1000 Einwohner, im Vergleich: Frankreich 3,8 bzw. England 3,6 5 Zu viele stationäre Behandlungen 5 Zu hohe Verweildauern (durchschnittlich 9,8 Tage/Jahr) 5 Kostendruck 5 Konkurrierende Versorgungssituation 5 Anstieg der Wettbewerbsintensität 5 Markteintritt in neue Geschäftsfelder 5 Führungsprobleme 4 Ambulanter Bereich 5 Arzneimittelausgaben 5 Organisationsprobleme – Bestellsystem
5 5 5 5 5 5
5
– EDV-Einsatz – Ungenügende Dokumentationen Personaleinsatz und -führung Ärzte ohne Managementkompetenz Über- bzw. Unterversorgung Wettbewerbsdruck Umgang mit Budgets Nicht in Anspruchnahme von Weiterbildungsangeboten5
Anmerkung des Herausgebers: Aus Sicht des Herausgebers ist diese Aussage diskussionswürdig: Im ambulanten Bereich ist die Vergütung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab(EBM) geregelt. Dieser sieht bei einem gedeckelten Budget die Angabe der Höchstmenge der Leistungen pro Patient vor. Folglich ist die unbegrenzte Steigerung der Einnahmen und Abrechnungen von Leistungen nicht möglich. Die o.g. Maßnahmen, wie Organisationsprobleme, schlechte Personalführung, fehlende Managementkompetenz, oder fehlendeärztlicheWeiterbildungsindzurBeurteilungderKostensteigerung im ambulanten Bereich also keinesfalls relevant. Defizite in diesen Bereichen führen zu persönlichen Einnahmeverlusten des Arztes in seiner Praxis, haben aber keine Kostensteigerung für die GKV bzw. Gesellschaft zur Folge. In der ambulanten Praxis ist durch Missmanagement lediglich ein Einnahmeverlust für den einzelnen Arzt möglich – eine unbegrenzte Einnahmesteigerung, welche zur Kostensteigerung in der GKV führen würde, alleine schon durch das EBM-Budget unmöglich.
83 3.4 · Gesundheitsökonomie
> Bettenbedarf = (Einwohnerzahl × Krankenhaushäufigkeit × Verweildauer) geteilt durch (Bettennutzung × 1000)
Die Krankenhauslandschaft wird sich in den nächsten Jahren grundsätzlich ändern müssen. Errechnet wurde z. B. für 2008, dass im öffentlich-rechtlichen Bereich 2,84% der Krankenhäuser der Insolvenzwahrscheinlichkeit unterliegen werden. 3.4.2 Modelle der Kostenbegrenzung Die Entwicklung der Entgeltsysteme ist im stationären Bereich ist eng mit den verschiedenen Formen der Kostenbegrenzung verbunden: 4 Bis 1995: allgemeiner vollpauschalierter Pflegesatz 4 Ab 1996: 5 Basispflegesatz = Abteilungspflegesätze (80%) + Sonderentgelte 5 Fallpauschalen = 20% einschließlich Sonderentgelte 4 Ab 2003: DRG-System (»diagnosis related group system«) Bei dem DRG-Finanzierungssystem erhalten vergleichbare Krankenhäuser für homogene Leistungen im Voraus festgelegte Pauschalen. Voraussetzung dafür ist die Bildung medizinisch und ökonomisch homogener Fallgruppen. Grundlage ist die Ermittlung durchschnittlicher Fallkosten über alle Fallgruppen und Krankenhäuser einer Region, versehen mit einem Kostengewicht. Die Fallpauschale, d. h. der Preis pro Fallgruppe, ergibt sich aus der Multiplikation der Durchschnittskosten und des relativen Kostengewichts. Damit ist die Höhe des Entgeltes unabhängig von den tatsächlichen Ist-Kosten im einzelnen Krankenhaus. Vorteile des Systems sind: 4 Preisreduzierung 4 Erhöhte Leistungs- und Qualitätstransparenz 4 Verstärkte Wirtschaftlichkeitsanreize durch Leistungsdefinition 4 Reorganisation der medizinischen Prozesse (Wer? Was? Wie? Wann? Womit?) 4 Reduzierung der Verweildauer 4 Anreiz zur Ausweitung der Fallzahlen Diese fallzahlbezogene Budgetierung erlaubt den Krankenhäusern auch die Beurlaubung, Wiederaufnahme oder Verlegung der Patienten in andere Krankenhäuser, ein ökonomischer Anreiz zur Kosteneinsparung. So erfolgt auch eine »engere Zusammenarbeit« mit den niedergelassenen Ärzten, die auf Grund der eigenen Budgetierung ambulant behandelbare Patienten, bei
3
denen der erwartete Erlös in einem ungünstigen Verhältnis zum Behandlungsaufwand steht, in ein Krankenhaus überweisen. Dort bringt jeder zusätzliche Fall zusätzliche Erlöse. Die Ausgaben der Krankenkassen für die vertragsärztliche Versorgung sind durch Gesetz begrenzt. Grundlage ist ein Gesamtvertrag zwischen den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung. Für die gesamte vertragsärztliche Versorgung entrichten die Krankenkassen mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung, aus der die Honorarverteilung für den einzelnen Arzt durch die Kassenärztliche Vereinigung vorgenommen wird. Die Kassenärztliche Vereinigung, die im Rahmen ihres gesetzlichen Sicherstellungsauftrages die ambulante Versorgung in ihrer Region gewährleisten muss, verteilt somit nach einem bestimmten Verfahren das leistungsbezogene Honorar an ihre Mitglieder, die Ärzte. 3.4.3 Neue Versorgungsformen Disease-Management-Programme (DMP) DMP richten sich vorrangig an Versicherte, die an chronischen Erkrankungen leiden. Fast 20% der Bundesbevölkerung gelten als chronisch erkrankt. Chronisch krank ist ein Patient, 4 der sich nachweislich in ärztlicher Dauerbehandlung befindet, 4 für den eine Pflegebedürftigkeit Stufe 2 oder 3 vorliegt, 4 für den ein Grad der Behinderung von mindestens 60% bestätigt ist, 4 für den eine kontinuierliche medizinische Versorgung notwendig ist. Diese Menschen sind auf eine gut abgestimmte und anhaltend gute Betreuung durch Hausarzt, Facharzt, Krankenhaus, Sanitätshaus, Pflegedienst und Krankenkasse angewiesen. Strukturierte Behandlungsprogramme wurden bisher für 4 chronische Krankheiten eingeführt, eine Teilnahme ist freiwillig und kostenfrei: 4 Brustkrebs: Begleitung während des Behandlungsprozesses durch Aufklärung und Infos, Verbesserung der operativen Standards mit dem Ziel, die Zahl von Brustamputationen zu senken, Standards für unterstützende Therapien, psychosoziale Betreuung, umfassende Nachsorge. Jährlich erkranken etwa 55.150 Frauen in Deutschland neu an Brustkrebs. Damit ist das Mammakarzinom die häufigste Krebserkrankung und die häufigste krebsbedingte Todesursache bei Frauen.
84
3
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
4 Diabetes mellitus Typ II: Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität, Verhinderung von schweren Folge- und Spätschäden wie Herz-Kreislauf-Komplikationen oder anderer Organe, Vermeidung der Nebenbedingungen der Behandlung und Störungen des Stoffwechsels. Mehr als 4 Mio. Menschen in Deutschland, also rund 5% der Gesamtbevölkerung, sind von dieser Krankheit betroffen. 4 Koronare Herzerkrankungen: Verbesserte Betreuung unter Einbeziehung der Patienten, Betreuung nach neuesten medizinischem Wissen, Unterstützung bei Einweisungen in kardiologisch qualifizierte Reha-Einrichtungen, Transparenz durch regelmäßige Dokumentationen. 1,45 Mio. Menschen zwischen 30 und 79 Jahren haben in Deutschland mindestens einen Herzinfarkt erlitten. Gemäß den Angaben des Statistischen Bundesamtes war 2003 die chronisch ischämische Herzkrankheit die häufigste Todesursache in Deutschland. 4 Chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen, Asthma bronchiale/COPD:Fortschreiten der Krankheit stoppen, krankheitsbedingte Beeinträchtigungen (Asthmaanfälle) verringern, bestmögliche Lungenfunktion erreichen, Lebensqualität verbessern. In Deutschland leiden etwa 5% der Erwachsenen und 10% der Kinder an Asthma bronchiale, einer chronisch entzündlichen Erkrankung der Atemwege, die mit anfallsartiger Atemnot einhergeht. Die Umsetzung solcher Programme erfordert besondere Grundsätze: 4 Hausarzt als Koordinator 4 Anwendung wissenschaftlich begründeter Behandlungsleitlinien 4 Vernetzung der Leistungssektoren (ambulant, stationär, Prävention, Reha) 4 Stärkung der Wirtschaftlichkeit 4 Die strukturierten Behandlungsprogramme sollen steuernd wirken gegen nicht angemessene Behandlungen, gegen Über-, Unter- oder Fehlversorgung, gegen eine unkoordinierte und ineffiziente Einnahme von Arzneimitteln.6 Integrierte Versorgung (. Abb. 3.4) Patienten verlieren sich oft, wenn es um die Auswahl und Koordination ihrer Therapie geht, da sie zwischen stationärer und ambulanter Behandlung oder beim Übergang in Rehabilitationsmaßnahmen selbst recherchieren und organisieren müssen. Hier setzt die integrierte Versorgung (. Abb. 3.4) an mit dem Ziel, den
Patienten eine abgestimmte Versorgung anzubieten, bei der Haus- und Fachärzte, ärztliche und nichtärztliche Leistungserbringer, ambulanter und stationärer Bereich sowie gegebenenfalls Apotheken koordiniert zusammen wirken. Viele Krankenkassen organisieren diesbezüglich solche Serviceangebote, auch innerhalb ihrer Einrichtung: Patienten-Scout, Praxisnetze, Einzelverträge mit Praxiskliniken, Krankenhäusern usw. Vorteile sind: 4 Schnellere und aufeinander abgestimmte medizinische Versorgung 4 Vermeidung langer Krankheitszeiten 4 Verringerung des Medikamentenverbrauchs 4 Vermeidung von Doppeluntersuchungen 4 Kurze Liegezeiten 4 Senkung der Behandlungskosten 4 Integrierte Versorgungsmodelle werden für eine Vielzahl von Krankheitsbildern angeboten. Die Vernetzung ist insbesondere für komplexe Behandlungsprozesse geeignet, an denen mehrere medizinische Leistungserbringer beteiligt sind. Darunter fallen beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas, Depressionen oder Bandscheibenerkrankungen. 4 Bislang sind bei der gemeinsamen Registrierungsstelle zur Unterstützung der Umsetzung des § 140d SGB IV 2214 Verträge gemeldet (Stand 31.03.2006). Das Vergütungsvolumen liegt bei rund 513 Mio. € (Stand 31.03.2006). Klinik-, Leistungsranking Die Qualität von Krankenhausleistungen gehört zu den best gehüteten Geheimnissen. Mehr Transparenz und Autonomie für die Patienten, mehr Wettbewerb für und unter den Krankenhäusern wird die Anwendung des § 137 SGB V bringen. Danach sind Kliniken verpflichtet Qualitätsberichte an die Krankenkassen zu geben. Sie erhalten damit Möglichkeiten, individuelle Stärken und Leistungsschwerpunkte nach außen darzustellen. Die Qualitätsberichterstattung ist ein Marke6
Anmerkung des Herausgebers: Aus Sicht des Herausgebers ist diese Aussage diskussionswürdig: Nach Auswertung der langfristigen Ergebnisse der Disease-Management-Programme nach jetzt dreijähriger Laufzeit, zeigt sich, dass diese zu einer nicht unerheblichen Zunahme der Arzneimittelverordnungen geführt haben. Auf Grund engmaschiger Therapiekontrolle der Patienten im Rahmen der Chronikerprogramme kommt es folglich zu einer Intensivierung der medikamentösen Therapie bei strengerer und schärferer Einstellung der z.B. Blutdruck- oder Blutzuckerwerte. Die gewünschte Begrenzung der Steigerung der Arzneimittelausgaben im Rahmen der DMP konnte also nicht erreicht werden.
85 3.4 · Gesundheitsökonomie
. Abb. 3.4. Integrierte Versorgung
3
86
3
Kapitel 3 · Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege
tinginstrument mit dem man eine Krankenhausleistung nicht mehr gefühlsmäßig, sondern tatsächlich beurteilen kann. Je besser ein Verbraucher die Qualität der Leistung beurteilen kann, desto größer ist der Druck auf den Anbieter noch besser zu werden. Ökonomisch gesehen erfolgt hier das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage. Das wird als Markt bezeichnet. Konstitutives Element eines funktionierenden Marktes ist neben dem Preismechanismus der Wettbewerb. Als Wettbewerb bezeichnet man die sich auf jeweils einer Marktseite abspielenden Auseinandersetzungen zwischen den Wirtschaftseinheiten. Die Mittel, die dabei zum Einsatz kommen, sind also: 4 Preis 4 Qualität 4 Marketing 4 Werbung Der Wettbewerb steuert zum einen die Verwendung knapper Güter und schafft Anreize zur Kostensenkung und Einführung neuer Angebote. Wer seine Dienstleistung kostengünstiger anbietet, erreicht – zumindest zeitweilig – eine Besserstellung gegenüber der Konkurrenz und damit Versorgungsgewinne. Gegenwärtig weisen Krankenhausleistungen im Sinne der marktwirtschaftlichen Effizienz einen nachhaltigen Wettbewerbsmangel auf: Die Krankenkassen verhandeln gemeinschaftlich mit den Anbietern, so dass die Marktform eines bilateralen (kollektiven) Monopols vorliegt. Die Ergebnisse einer solchen Marktsituation (d. h. Preise, Qualität, Konditionen usw.) kommen durch Verhandlungen zustande, nicht durch Wettbewerb und Preise. Ebenso reicht es nicht mehr, Mengen- und Strukturdaten zu veröffentlichen. Gefragt sind Angaben zur Ergebnisqualität, zum Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung. Medizinische Versorgungszentren Wie bereits erwähnt, handelt es sich hier um Einrichtungen für eine ambulante und fachübergreifende Zusammenarbeit von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen. Ausschlaggebend für ein MVZ ist, dass ein gemeinsamer Träger die Einrichtung verwaltet, eine ärztliche Leitung die Führung der Mediziner übernimmt, das MVZ unter einer Adresse firmiert. Es kann von Klinikbetreibern, Heilmittelerbringern und Apotheken gegründet werden. Infolge des GKV-Modernisierungsgesetzes können MVZ seit dem 01.01.2004 an
der ambulanten Versorgung teilnehmen. Im Jahr 2007 existierten 809 zugelassene MVZ mit 3.263 Ärztinnen und Ärzten, davon 2191 im Angestelltenverhältnis. Hausarztmodell Bei der Suche nach einem Hausarzt hilft die Krankenkasse, z. B. durch ein eigens hierfür angelegtes Ärzteverzeichnis. Patienten ab dem vollendeten 18. Lebensjahr können sich über eine Teilnahmeerklärung bei ihrem Hausarzt oder direkt bei der Krankenkasse freiwillig in ein Hausarztmodell einschreiben. Das bedeutet: 4 Mitmachen durch Einschreiben für mindestens 1 Jahr 4 Orientierung durch Erstuntersuchung 4 Verlässlichkeit im Krankheitsfall 4 Erfolgreiche Behandlung durch gezielte Überweisung 4 Optimaler Überblick durch Dokumentation in einer Hand 4 Qualitätssicherung Ein Wechsel des gewählten Hausarztes ist innerhalb des Zeitraumes von einem Jahr möglich, aber nur aus wichtigem Grund, z. B. gestörtes Vertrauensverhältnis. Entwicklungstendenzen Zu nennen sind: 4 Krankenhäuser und Vertragsärzte müssen ihr traditionelles Verhältnis zu den Kostenträgern überdenken und neue Kooperationsformen anstreben. 4 Sie müssen ihre Aufbaustruktur den neuen Anforderungen anpassen: prozessorientiert, kunden(patienten)orientiert, kostenorientiert. 4 Der stationäre und ambulante Bereich muss die Vernetzungen miteinander und untereinander intensivieren: Entwicklung von Vertragspartnernetzen. 4 In beiden Bereichen gilt, dass nicht mehr »verwaltet« wird, sondern unternehmerisches Denken und Handeln auf allen Ebenen Einzug hält, d. h. Wechsel von der »sicheren« Planwirtschaft zum Wettbewerb. 4 Die Anwendung von Managementmethoden u. a. zur Optimierung der interdisziplinäre Zusammenarbeit, der Qualitätssicherung, der eigenen Leistung werden dazu beitragen, Medizin und Ökonomie nicht mehr als Widerspruch, sondern als Einheit zu sehen.
4 Infektiologie, Immunologie R. Stock, E. Georgi 4.1
Infektiologie –88
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4
Grundlagen –88 Infektiologische Symptome –96 Klinische Infektiologie –99 Tropenmedizinische Krankheitsbilder –111
4.2
Immunologie –117
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8 4.2.9
Anatomie und Physiologie des Immunsystems –117 Antigenpräsentation, Regulation der Immunantwort –122 Abwehr von Krankheitserregern –123 Angeborene Immundefekte –124 Labordiagnose des Immunstatus –125 Immunmodulation, Immuntherapie –125 Autoimmunerkrankungen –127 Allergie –130 Transplantationsimmunologie –132
88
4
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
4.1
Infektiologie
4.1.1
Grundlagen
4.1.1.1 Einführung Die Infektiologie beschäftigt sich mit der Entstehung, Klinik, Diagnostik, Therapie und Prävention von Infektionskrankheiten. Hierzu bedient sie sich der Methoden der Mikrobiologie, Inneren Medizin, Epidemiologie und Hygiene. Sie ist eng mit anderen medizinischen Fachgebieten wie Innere Medizin, Chirurgie, Dermatologie/Venerologie, Pädiatrie oder Pharmakologie verzahnt. van Leeuwenhoek, Hooke, Koch Anton van Leeuwenhoek und Robert Hooke waren die ersten, die um 1670 die Existenz von Organismen beschrieben, die sich dem menschlichen Auge aufgrund ihrer Größe entziehen. Möglich war dies durch die Erfindung des Lichtmikroskops, an dessen Weiterentwicklung beide maßgeblich beteiligt waren. Erst viel später wurde die Bedeutung dieser Mikroorganismen als Krankheitserreger erkannt und somit die Infektiologie begründet. Robert Koch (1842– 1910) suchte, angespornt durch seine Entdeckung des Milzbranderregers und des Erregers der Tuberkulose, gezielt und systematisch nach Krankheitserregern und bewies zudem deren Infektiosität.
4.1.1.2
Prinzipien der antiinfektiösen Chemotherapie Kalkulierte Therapie Die kalkulierte Therapie stellt die klinisch häufigste und herausforderndste Antiinfektiva-Gabe dar. Ausgehend von dem klinischen Erscheinungsbild, der Erkrankungsschwere und begleitenden Faktoren wie Alter und Begleiterkrankungen wird empirisch aus dem breiten Spektrum der Pharmaka eine Monotherapie oder eine Kombinationstherapie ausgewählt. Eine besondere Rolle spielt die Frage, ob eine (mögliche) Infektion ambulant oder nosokomial erworben wurde. Aufgrund des hohen Selektionsdrucks des Krankenhausmilieus weisen Hospitalkeime oft Multiresistenzen auf und sind daher schwerer zu behandeln. Bei der Therapie ist das krankenhaus-spezifische Erregerspektrum zu beachten. > Vor dem Beginn einer kalkulierten Therapie sollte eine Materialgewinnung zum Erregernachweis (Blutkultur, Wundabstrich, Liquorpunktion, Urinkultur etc.) angestrebt werden.
Die kalkulierte initiale Antibiotikagabe mit breitem Wirkungsspektrum wird nach Kenntnis von Erreger und Antibiogramm im Sinne einer Deeskalation oft auf eine gezielte Therapie mit schmalem Spektrum umgesetzt.
Gezielte Therapie Die gezielte Therapie setzt sowohl die Kenntnis des zugrunde liegenden Erregers als auch der Antibiotikasensibilität voraus. Die Auswahl des optimalen Medikamentes richtet sich nach ausreichenden Blut- bzw. Gewebespiegeln am Infektionsort, dem Spektrum der unerwünschten Arzneimittelwirkungen und der möglichst spezifischen Schädigung des Erregers unter Schonung der körpereigenen Flora. Allerdings ist eine zeitnahe Erregerisolierung samt Antibiogramm oft schwierig. Kontaminationen und Mischinfektionen können die Interpretation des mikrobiologischen Befundes erschweren. Sequenzialtherapie Unter Sequenzialtherapie versteht man das Umsetzen eines parenteralen auf ein ähnliches orales Antibiotikum. Antibiotikaresistenz Die minimale Hemmkonzentration (MHK) bezeichnet diejenige Konzentration eines Antibiotikums, die einen Erreger noch am Wachstum hindert. Analog dazu kann auch eine minimale bakterizide Konzentration definiert werden. Kann nun eine notwendige MHK im Gewebe bzw. Serum nicht mehr erreicht werden, besteht eine Resistenz des Erregers bezüglich des betreffenden Antibiotikums. Zur Bestimmung der MHK wird meistens der Agardiffusionstest, seltener eine Verdünnungsreihe verwendet. Grundsätzlich werden 4 Resistenzmechanismen unterschieden: 4 Produktion antibiotikainaktivierender Substanzen (Betalaktamasen, Azetyltransferasen etc.) 4 Diffusionsbarrieren 4 Effluxmechanismen 4 Veränderung der Zielstrukturen (z. B. Modifikation der Penicillin-bindenden Proteine) Resistenzen bei nosokomialen Infektionen Die in den letzen Jahren und Jahrzehnten zunehmenden nosokomialen Infektionen durch antibiotikaresistente Erreger ist ein weltweites Phänomen. Beispielhaft sei hier der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) erwähnt. Durch vermehrten Einsatz invasiver Behandlungsregime und Breitbandantibiotika, Veränderung des hospitalisierten Patientenklientel hin zu schwer- und schwerstkranken Menschen und nicht immer konsequent durchgeführten Hygienestandards nimmt die Zahl der multiresistenten Keime zu. Ein MRSA ist zwar nicht aggressiver als sein Methicillin-sensibler Verwandter, jedoch schwerer zu behandeln. Mit dem Auftreten Vancomycinresistenter Varianten (VRSA) sind die therapeutischen Möglichkeiten nochmals enorm eingeschränkt worden. Auch 6
89 4.1 · Infektiologie
gramnegative Erreger zeigen zunehmend Resistenzmuster und werden in den nächsten Jahren einen weiteren infektiologischen Brennpunkt darstellen.
Antibiotikatherapie in besonderen Situationen Perioperative Prophylaxe Jede invasive Maßnahme birgt ein potenzielles Infektionsrisiko, da die Haut-/Schleimhautbarriere durchbrochen wird. Das Risiko eine Keimeinschleppung kann durch ein steriles Arbeiten und gute Vorbereitung, z. B. präoperative Darmspülungen, deutlich reduziert werden. Seit den 60er-Jahren ist bekannt, dass eine präoperative Antibiotikumgabe die postoperative Infektionsrate senken kann: 4 Perioperative antibiotische Prophylaxe: Präoperative Antibiotikumgabe für ausreichend hohe Gewebsspiegel vor (potenzieller) bakterieller Kontamination. 4 Vorsorgliche antibiotische Applikation: Erst nach einer (intraoperativen) bakteriellen Kontamination wird noch vor Eintritt manifester Infektionszeichen antibiotisch behandelt. ! Cave Die perioperative Antibiotikumgabe ist Standard bei allen Operationen mit Kontaminationsrisiko oder mit Infektion des Wundgebietes.
Auch bei aseptischen Eingriffen kann sie bei zusätzlichen Risikofaktoren (z. B. Immunsuppression oder dialysepflichtige Niereninsuffizienz) indiziert sein.
4
4 Nutzen-Risiko-Abwägung: Der potenzielle Erfolg der Pharmakotherapie muss gegen das Risiko für das Kind abgewogen werden. 4 Vitale Indikation: Bei Infektionen, die während einer Schwangerschaft fulminant verlaufen können (u. a. Malaria, HIV-Infektion, Tuberkulose), kann man trotz potenziell fruchtschädigender Wirkung der Medikamente nicht auf eine lebenswichtige Therapie verzichten. 4 Organogenese: Insbesondere in der kritischen Phase der Organogenese (1. Trimenon) müssen Medikamente mit wahrscheinlichen zytotoxischen Effekten (Co-Trimoxazol, Trimethoprim, Clarithromycin, Rifampicin, Metronidazol, Griseofulvin, Ketokonazol) unbedingt vermieden werden. 4 Problematisch: Als kritisch gelten grundsätzlich Tetrazykline (Wachstumsstörungen, Zahnschäden), Aminoglykoside (Innenohrschäden), Gyrasehemmer und Co-Trimoxazol (Bilirubin-Enzephalopathie). > Als weitgehend unbedenklich gelten Penicilline und Cephalosporine.
Leber- und Niereninsuffizienz Für viele Antiinfektiva sind in unterschiedlichem Maße hepatotoxische und nephrotoxische Effekte bekannt. Verlaufskontrollen der Leber- und Nierenfunktion unter der Therapie sind daher wichtig. Besteht eine bekannte Leber- oder Niereninsuffizienz, muss die Arzneimitteldosis ggf. angepasst werden. Eine Medikamentenspiegelbestimmung (Tal-/Spitzenspiegel) zur Dosissteuerung ist optimal.
Perioperative Antibiotikatherapie 4 Wann? Etwa 2 h vor dem Eingriff. Bei langdauernden Eingriffen Repetitivdosis. 4 Wie lange? Meist »single shot«. Selten Ultrakurzzeit- oder Kurzzeitprophylaxe bis zu 2 Tagen. 4 Wie? Intravenös. Bei Gyrasehemmern wegen guter Resorption vor elektiven Operationen ggf. auch oral. 4 Womit? Abhängig von Eingriff und zu erwartendem Keimspektrum. Oft Aminopenicilline, Cephalosporine oder Gyrasehemmer.
Schwangerschaft Da nahezu alle systemischen Medikamente plazentagängig und damit potenziell teratogen/fetotoxisch sind, muss in der Schwangerschaft eine besonders strenge Indikationsstellung erfolgen. Für antiinfektiöse Chemotherapeutika gilt:
Endokarditisprophylaxe Bei vorgeschädigten Herzklappen oder nach Klappenersatz ist vor Eingriffen mit potenzieller Keimeinschwemmung in die Blutbahn und der Gefahr einer Endokarditis eine antibiotische Prophylaxe wichtig. Zum Beispiel wird vor Zahnextraktion eine Stunde vor Eingriff eine Einmalgabe von Amoxicillin empfohlen. Antibiotikassoziierte Kolitis Definition. Entzündliche Darmerkrankung, die im kausalen Zusammenhang mit einer Antibiotikatherapie steht. Ätiopathogenese. Noch während der Antibiotikagabe,
aber auch bis zu mehren Wochen nach Absetzen der antibakteriellen Chemotherapeutika, wird die die physiologische Darmflora mit toxinbildenden Clostridium-difficile-Stämmen überwuchert.
90
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
Symptomatik. Die Klinik ist eher unspezifisch und
reicht von leichten Diarrhöen bis zur hochfieberhaften hämorrhagischen Kolitis. Zum Nebenwirkungsspektrum vieler Antibiotika zählen Magen-Darm-Beschwerden und Diarrhöen. ! Cave
4
An die Entwicklung einer antibiotikaassoziierten pseudomembranösen Kolitis muss immer gedacht werden.
Diagnostik. Beweisend sind das typische Bild in der
Endoskopie und Histologie sowie der Toxinnachweis im Stuhl. Therapie. Bei schwereren Verläufen werden Gaben von 1–1,5 g Metronidazol verteilt auf 3–4 Einzeldosen über 10 Tage empfohlen, alternativ bei Rezidiven orales Vancomycin. Der Behandlungserfolg wird an der klinischen Befundbesserung und an einem im Verlauf wieder negativen Toxinnachweis im Stuhl gemessen.
Erreger mit bestimmten Antibiotikaresistenzen, die besondere therapeutische oder hygienische Maßnahmen erfordern Nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in Pflegeeinrichtungen spielen immer mehr Keime eine Rolle, die zwar für Gesunde kein wesentliches Erkrankungsrisiko darstellen, jedoch bei Grunderkrankungen oder im Zusammenhang mit operativen bzw. intensivmedizinischen Maßnahmen relevant werden. Diese Keime sind zwar nicht pathogener als nichtresistente Varianten, jedoch sind die therapeutischen Optionen ähnlich zur Vor-Antibiotika-Ära deutlich eingeschränkt. Wichtige Vertreter sind: 4 Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) 4 Glykopeptidresistente Enterokokken 4 ESBL- (»extended-spectrum-betalactamase«-) Enterobacteriaceae (wie E. coli oder Klebsiellen) 4 Mehrfachresistente Pseudomonaden Um die Ausbreitung solcher Problemkeime in Gesundheitseinrichtungen zu verhindern, sind zusätzlich zur Standardhygiene weitere Maßnahmen erforderlich. In Abhängigkeit von Einrichtung, wahrscheinlichem Keimspektrum, Übertragungsweg oder Patientenklientel kann dies z. B. bedeuten: 4 Screening von Personal und Patienten 4 Quarantäne potenziell besiedelter Patienten 4 Isolation von betroffenen Patienten 4 Kontakt- und Kittelhygiene
4 Arbeitsverbote für kolonisiertes Personal bis zur Sanierung der Kolonisationsherde, z. B. MRSA im Nasen-Rachenraum 4 Gute Ausbildung und Kontrolle insbesondere des Reinigungspersonals Ausgewählte Aspekte bei Immundefektsituationen Drogenabhängige Patienten Drogenabhängige, im engeren Sinne i.v. Drogenabhängige, stellen besondere Herausforderungen an den behandelnden Arzt. Typische i.v. Drogen sind Opiate, vor allem Heroin in unterschiedlicher Reinheit, und Kokain. Die Sucht spielt eine entscheidende Rolle bei der Patientenführung und muss eine zentrale Rolle auch in der Therapie spielen. Eine Therapie allein der Infektion ohne suffiziente Substitution der Droge wird in den meisten Fällen zum Therapieabbruch führen. Zudem können körperliche Beschwerden vom Patienten als Ausdruck eines Entzuges und nicht einer Infektion fehlinterpretiert werden. Die Beschwerden werden durch die Wirkung der Drogen oft verschleiert: Opiate wirken analgetisch, antitussiv, verändern die Temperaturregulation und führen zu verminderter Wahrnehmung von Atemnot. ! Cave Drogenabhängige haben auch bei schweren Infektionen oft kein Fieber.
Umgekehrt sollten daher schon geringe Beschwerden zu einer Diagnostik führen. Prinzipiell können Drogenabhängige alle Infektionen akquirieren, die Nichtabhängige erwerben können. Bei i.v. Drogenabusus werden aber bestimmte Infektionskrankheiten durch Faktoren wie Verletzung der Hautbarriere, verminderte Hygiene im Lebensumfeld, ggf. »needle sharing« oder Prostitution begünstigt. Häufige Infektionen sind Virushepatitiden, HIV, Tuberkulose oder sexuell übertragbare Krankheiten (STD) wie Lues sowie Endokarditiden, Pneumonien, Weichteilinfektionen und Sepsis. Wichtig sind infektionsprophylaktische Maßnahmen wie Impfungen oder Zugang zu sterilen Infusionsbestecken. Intensivpatienten Intensivpatienten sind durch eine Vielzahl von Faktoren infektionsgefährdet, u. a.: 4 Immunsuppression durch Grunderkrankung und iatrogen 4 Invasive Therapie (ZVK, Dialyse, Blasenkatheter, Magensonde) 4 Invasive Beatmung 4 Störung der Darmflora durch Antibiose und parenterale Ernährung
91 4.1 · Infektiologie
Transplantationspatienten Aufgrund der notwendigen iatrogenen Immunsuppression besteht eine erhöhte Infektionsgefahr. ! Cave Bei auftretendem Krankheitsgefühl muss eine Infektionserkrankung immer differenzialdiagnostisch von einer Abstoßungsreaktion abgegrenzt werden. Gegebenenfalls ist die Immunsuppression anzupassen.
Immunkompromittierung nach Bestrahlung, Chemotherapie und sonstigen immunsuppressiven Maßnahmen Die wichtigsten Ursachen einer klinisch relevanten Neutropenie sind ärztliche Maßnahmen wie Immun-, Chemo- oder Strahlentherapie. Doch auch Infektionen (HIV oder Knochenmarksinsuffizienz durch andere Viren), aplastische Anämie, Myelodysplasie, Agranulozytose, Knochenmarkinfiltration durch maligne Zellen, nutritiver bzw. toxischer Vitaminmangel und weitere immunologische Ursachen können zur Verminderung der neutrophilen Granulozyten führen. Ein relevantes Infektionsrisiko besteht bei Neutrophilen unter 1000/μl, wobei Dauer und Ausmaß der Neutropenie das Risiko bestimmt. So führt eine über mindestens 10 Tage bestehende Neutropenie mit weniger als 100 Granulozyten/μl in 80% der Fälle zu Infektionen. Ein zusätzlicher Pathomechanismus ist die chemotherapeutisch induzierte Schleimhautschädigung resp. Zerstörung der Haut-/ Schleimhautbarriere durch Tumorwachstum. Daneben spielen auch Lymphozyten- oder Antikörpermangel eine Rolle. Zum Schutz hochinfektionsgefährdeter Patienten (z. B. nach Knochenmarkstransplantation) wird eine Umkehrisolation eingerichtet. Im Gegensatz zur normalen Isolation, bei der keine Keime vom Patienten in die Umgebung verschleppt werden sollen, ist dabei das Ziel möglichst keine Keime zum Patienten vordringen zu lassen. Dies wird neben ablauforganisatorischen vor allem durch technische Maßnahmen wie überdruckbelüftete Zimmer und Raumluftfilteranlagen erreicht. HIV-Patienten Kommt es zu rezidivierenden Infektionskrankheiten, sollte eine zugrunde liegende erworbene Immunschwächeinfektion ausgeschlossen werden. Bei bekannter HIV-Infektion (7 Kap. 4.1.3.4) muss bei akuten Exazerbationen Viruslast und CD4-Count bestimmt werden. Opportunistische Erkrankungen können bei Helferzahlen über 200/μl weitgehend ausgeschlossen werden.
4
Bedeutung nosokomialer Infektionen Zu den häufigsten nosokomialen Infektionen zählen: 4 Harnwegsinfekte 4 Wundinfektionen 4 Pneumonien Die bei etwa 5–10% der stationären Patienten auftretenden, im Krankenhaus erworbenen Infektionen werden durch ein geschwächtes Immunsystem und mangelnde Hygiene begünstigt. > Die Letalität nosokomialer Infektionen ist mit etwa 7% hoch.
Übertragung von Erregern durch das Klinikpersonal auf Patienten Eine der gefährlichsten Infektionswege im Krankenhaus ist die Übertragung von infektiösem Material durch Personal auf den Patienten. Hierbei ist es unwesentlich, ob der Mitarbeiter selbst erkrankt oder nur Keimträger (z. B. MRSA, Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) ist. Schon durch einfache hygienische Maßnahmen wie Händedesinfektion vor und nach jedem Patientenkontakt sowie das Tragen von Handschuhen beim Umgang mit infektiösem Material ließen sich viele nosokomiale Infektionen vermeiden. Leidet ein Mitarbeiter offensichtlich an einer kontagiösen Erkrankung, z. B. an einem Infekt der oberen Atemwege, sollte er keinen Kontakt zu Patienten, insbesondere immunsupprimierten Patienten haben. Dies zu kontrollieren ist Teil der Aufgaben des Hygienebeauftragten einer Krankenanstalt. Kommt es dennoch zum gehäuften Auftreten gleichartiger Infektionskrankheiten auf einer Station, muss unverzügliche eine Meldung an den Hygienebeauftragten erfolgen. Dieser koordiniert dann in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden die weiteren Maßnahmen zur Infektionsquellensuche und Eindämmung des Ausbruchs. Im schlimmsten Fall müssen sogar ganze Abteilungen einer Klinik vorübergehend geschlossen werden. Nadelstichverletzungen Die Prävalenz einer infektiösen Hepatitis B beträgt in Deutschland ca. 1,3%, einer infektiösen Hepatitis C ca. 0,5% und einer infektiösen HIV-Infektion ca. 0,05%. Daraus und aus der Kontagiösität der Viren (HBV > HCV > HIV) errechnet sich ein relatives Risiko von 1:250 sich bei einer Nadelstichverletzung mit Hepatitis B zu infizieren. Für Hepatitis C beträgt das Risiko 1:650 und für HIV »nur« 1:650.000. Verletzungen mit spitzen Gegenständen, die zuvor mit Patientenmaterial kontaminiert wurden, geschehen meist direkt bei Benutzung oder bei Entsorgung der Materialien.
92
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
. Tab. 4.1. Empfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut Berlin (STIKO) für die Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt mit HBV
4
Aktueller Anti-HBs-Titer des HBV-Exponierten
Gabe von HB-Impfstoff
Gabe von HB-Immunglobulin
Anmerkungen
≥100 IE/l
Nein
Nein
–
≥10 bis ≤100 IE/l
Ja
Nein
–
<10 IE/l
Ja
Ja
Gilt auch für Impf-Nonresponder (kein messbares Anti-HBs nach mindestens 6 Impfungen)
Nicht innerhalb von 48 h zu bestimmen
Ja
Ja
Bei HBsAg-positiver oder unbekannter Infektionsquelle
Quelle: Dtsch Ärztebl 102:A2234–2239 (2005)
> 4 Scharfe und spitze Gegenstände grundsätzlich selbst sofort entsorgen! Keine Staffetten! 4 Nadeln und Kanülen nie zurück in die Hülle stecken! 4 Abwurfbehälter nie übervoll werden lassen! 4 Bei Operationen, bei denen mit Spritzern zu rechnen ist, zusätzlich zu Mundschutz und Haube Schutzbrille tragen! 4 Auf ausreichenden Impfschutz gegen Hepatitis B achten!
Kommt es zur Verletzung, sollte die Wunde durch Druck auf das umgebende Gewebe gereinigt und mit einem viruswirksamen Desinfektionsmittel (mindestens 80% Ethanol) ausgiebig desinfiziert werden. Danach hat umgehend eine Meldung an den zuständigen Betriebsmediziner zu erfolgen (D-Arzt-Bericht!). Die Bestimmung (»Cito«) der Hepatitis- und HIV-Serologie von Patient und verletztem Mitarbeiter ist dringlich durchzuführen. Bei einer HIV-Infektion des Patienten sollte umgehend eine HIV-Postexpositions-Prophylaxe (PEP) begonnen werden. Die Wirksamkeit einer PEP bei HIV ist wissenschaftlich nicht eindeutig belegt. Sie sollte spätestens 24 h nach der Verletzung erfolgen. Ein Nutzen der PEP bei einem Beginn erst 72 h nach der Stichverletzung ist fraglich. Derzeit empfiehlt das Robert-Koch-Institut ein Kombinationspräparat aus Zidovudin und Lamivudin in Kombination mit Nelfinavir oder Indinavir (Stand November 2007). Besteht bei der Person, die sich eine Nadelstichverletzung zugezogen hat, kein oder nur ein unzureichender Immunschutz gegen Hepatitis B, sollte innerhalb von 48 h eine Simultanimpfung mit Hyperimmunglobulin und Aktivimpfstoff erfolgen (. Tab. 4.1). Anschließend wird in serologischen Verlaufkontrollen die Hepatitis-B-
und -C- sowie die HIV-Serologie im Abstand von 2 und 6 Wochen sowie nach 3 und 6 Monaten überwacht. Einführung in Seuchenhygiene Die Seuchenhygiene befasst sich mit Erkennung, Bekämpfung und Verhütung von infektiösen Erkrankungsausbrüchen. Dies ist in Deutschland durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Epidemie Das massenhafte Auftreten einer Infektionskrankheit in einem begrenzten Gebiet zu einem bestimmten Zeitraum bezeichnet man als Epidemie. Handelt es sich um einen örtlichen Bereich, z. B. ein Dorf oder ein Seniorenstift, spricht man von einer Kleinraumepidemie. Durch präventive Maßnahmen, insbesondere der Lebensmittelhygiene, Trinkwasserkontrolle sowie Impfprogrammen wird versucht das Auftreten von Epidemien zu verhindern. Bei Flüchtlingsdramen oder Naturkatastrophen mit epidemisch auftretenden Erkrankungen stehen Hilfsorganisationen immer wieder vor großen Herausforderungen. Bioterrorismus: Milzbrandbriefe Bacillus anthracis gilt als einer der wahrscheinlichsten Erreger bei Bioterrorismusanschlägen. Entsprechend der Klassifizierung durch die amerikanische Gesundheitsbehörde (Center of Disease Control, CDC) zählen zur Kategorie A außerdem Clostridium botulinum bzw. Botulinum-Toxin, Yersinia pestis, Variola major (Pockenviren), Francisella tularensis (Tularämie) und hämorrhagische Fieberviren (u. a. Ebola- und Marburg-Virus). Milzbrand (Anthrax) wird durch den grampositiven, aeroben Sporenbildner Bacillus anthracis verursacht. Die 6
93 4.1 · Infektiologie
4
Erkrankung ist weltweit vor allem bei Weidetieren (Rinder, Schafe, Ziegen) verbreitet, spielt aber in Deutschland und Nordeuropa keine Rolle. Neben der Sporenbildung besitzt der Erreger als plasmidgebundene Virulenzfaktoren Toxine (»protective antigen« – PA, »lethal factor« – LF, »edema factor« – EF) sowie ein Kapselpeptid. Eine Verbreitung von Mensch zu Mensch tritt nicht auf. Mögliche Formen der Erkrankung sind: 4 Hautmilzbrand: Weitaus häufigstes Erscheinungsbild. Nach Inokulation von Hautwunden mit MilzbrandSporen kommt es zum Auftreten von Papeln oder Vesikeln mit im Verlauf schwärzlich-hämorrhagischer Verkrustung. 4 Darmmilzbrand: Seltene Variante. Nach Ingestion von Sporen Auftreten von Diarrhöen, Übelkeit/Erbrechen und Peritonitis. 4 Lungenmilzbrand: Nach Sporenaufnahme als Aerosol, hat im Rahmen des Bioterrorismus Aufmerksamkeit erlangt. Es kommt zur hämorrhagischen Mediastinitis und teilweisen Erregerausbreitung über die Blutbahn mit Meningitis, häufig letaler Verlauf.
> Endemische Infektionen weisen auf spezifische Bedingungen im Infektionszyklus, beispielsweise den Lebensraum eines Überträgers oder einer Reservoirpopulation hin.
Penicillin G bzw. Doxycyclin bei Penicillinallergie gilt als Mittel der Wahl. Jedoch sollte bei Verdacht auf Bioterrorismus aufgrund möglicher Penicillin- und Tetrazyklinresistenz primär mit Ciprofloxacin behandelt werden. Ciprofloxacin wird auch zur Postexpositionsprophylaxe nach vermutetem Kontakt mit Milzbrandsporen (Milzbrandbriefe) empfohlen.
Infektionsschutzgesetz (IfSG), § 1 Zweck des Gesetzes (1) Zweck des Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.
Pandemie Sonderform einer Epidemie ist die Pandemie. Eine Erkrankung bleibt dabei nicht auf eine Region oder einen Kontinent beschränkt, sondern breitet sich ungehindert über alle Grenzen hinweg aus. Ein beeindruckendes Beispiel ist die Influenza, welche in den letzten 100 Jahren sechs Pandemien verursachte. Bei der stärksten Pandemie 1918 starben weltweit mindestens 25 Mio. Menschen. Weitere Beispiele sind die mittelalterlichen Pestwellen, die weltweiten HIV-Infektionen oder die weltweiten SARS-Erkrankungen. Die Gefahr von Pandemien steigt durch das globale Reiseverhalten der Menschen kontinuierlich an und macht somit auch eine erneute Grippe-Pandemie nicht unwahrscheinlich. Endemie Kommt eine Krankheit in einem bestimmten geographisch begrenzten Gebiet ständig vor oder tritt dort immer wieder auf, handelt es sich um eine endemische Erkrankung. Beispiele sind Infektionskrankheiten wie Malaria, im weiteren Sinne aber auch erbliche Krankheiten wie Sichelzellanämie.
Emerging infectious diseases Dies sind Krankheiten, die entweder noch nicht bekannt waren oder durch neu entstandene Probleme, wie Resistenzentwicklungen, aus infektiologischer Sicht eine neue Herausforderung darstellen, z. B. das neu entdeckte SARS-Virus oder multiresistente Stämme von Mycobacterium tuberculosis. Infektionsschutzgesetz In Deutschland ist die Meldepflicht bestimmter Infektionskrankheiten im Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen, dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) festgelegt. Das Gesetz regelt und koordiniert die staatlichen Maßnahmen, die die Entstehung und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten verhindern sollen.
(2) Die hierfür notwendige Mitwirkung und Zusammenarbeit von Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen, Ärzten, Tierärzten, Krankenhäusern, wissenschaftlichen Einrichtungen sowie sonstigen Beteiligten soll entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen und epidemiologischen Wissenschaft und Technik gestaltet und unterstützt werden. Die Eigenverantwortung der Träger und Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen, Lebensmittelbetrieben, Gesundheitseinrichtungen sowie des Einzelnen bei der Prävention übertragbarer Krankheiten soll verdeutlicht und gefördert werden.
Bei bestimmten Erkrankungen wie Cholera, Diphtherie, akute Virushepatitis, Pest und Tollwut sind der Krankheitsverdacht, die Erkrankung und der Tod namentlich an die zuständigen Gesundheitsbehörden zu melden. Bei anderen Krankheiten wie der Tuberkulose muss eine namentliche Meldung nur bei gesicherter Diagnose der Erkrankung bzw. beim Tod des Patienten erfolgen. Daneben ist der Erregernachweis bestimmter Infektionskrankheiten durch das Labor meldepflichtig (§ 7 IfSG). Besteht der Verdacht einer durch Lebensmittel verursachten Massenerkrankung oder ist eine Person erkrankt, die z. B. in einer Großküche tätig ist, muss dies ebenfalls schnellst möglich den Gesundheitsämtern mitgeteilt werden (§ 6 (2) IfSG). Zur Meldung sind nicht
94
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
nur die behandelnden oder die diagnostizierenden Ärzte oder Krankenhäuser, sondern auch Leiter von Heimen, Pflegeeinrichtungen oder Justizvollzugsanstalten, Pflegekräfte, Heilpraktiker oder Tierärzte verpflichtet. Impfungen
4
> Impfungen stellen die effektivsten und effizientesten Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten dar.
Bei einer aktiven Immunisierung wird das Immunsystem nach Kontakt mit einem Impfstoff (Vakzine) spezifisch zur Ausbildung einer Immunität angeregt. Bei der Grundimmunisierung müssen für eine optimale Schutzwirkung Mindestabstände eingehalten werden. Unzulässig große Abstände gibt es nicht, jede Impfung zählt. Eine Impfpflicht besteht in Deutschland nicht. Die aktuellen Empfehlungen für Deutschland werden von der Ständigen Impfkommission (STIKO, . Tab. 4.2) am Robert-Koch-Institut (RKI) herausgegeben. Vakzine zur aktiven Immunisierung sind: 4 Lebendimpfstoffe, die im Vergleich zum Wildtyp des Erregers in ihrer Virulenz abgeschwächt sind (attenuierte Impfstoffe), bieten einen optimalen Impfschutz. Oft ist bereits eine einmalige Applikation ausreichend, da sich die verimpften Erreger vermehren können und so das Immunsystem herausfordern. 4 Bei Totimpfstoffen wird eine Immunität erst nach mehrmaliger Applikation erreicht. Dafür können auch immungeschwächte Patienten von der Prophylaxe profitieren. 4 Teile der Erreger können als gereinigte Immunantigene verimpft werden. Stark immunogen sind:
5 Fremdproteine: z. B. Hepatitis-B-surface-Antigen, die oft gentechnisch (rekombinant) hergestellt werden können. 5 Polysaccharide: z. B. Kapselpolysaccharide von Pneumokokken, stimulieren eine Antikörperproduktion. Da es sich aber um TZell-unabhängige Antigene handelt, führt dies erst nach Ausreifung des Immunsystems (Kinder älter als 2 Jahre) zu einer zuverlässigen Immunität. 5 Konjugatimpfstoffen: Polysaccharid-Epitope von Bakterienkapseln gekoppelt an Proteine können auch an Kinder unter 2 Jahren (ab 2 Monaten) verimpft werden. 4 Toxoide: Durch chemische oder physikalische Maßnahmen entgiftete Toxine, die aber noch immunogen sind. 4 Experimentelle Impfstoffe: Dazu zählen Impfstoffe in Lebensmitteln (»edible vaccine«), Viren als Träger von Fremdgenen, die für das Antigen-Gen kodieren, DNA-Vakzine oder Anti-Idiotyp-spezifische Antikörper. ! Cave Bei Immungeschwächten oder während der Schwangerschaft sind Lebendimpfstoffe grundsätzlich zu vermeiden.
Bei der passiven Immunisierung werden dagegen bereits in einem anderen Wirt hergestellte Antikörper übertragen. Dazu werden oft homologe (vom Menschen stammende) Hyperimmunseren aufgearbeitet. Diese übertragene Immunität ist auf einige Wochen beschränkt (. Tab. 4.3).
In Kürze Grundlagen der Infektiologie Erreger mit bestimmten Antibiotikaresistenzen, die besondere therapeutische oder hygienische Maßnahmen erfordern
4 Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) 4 Glykogenpetidresistente Enterokokken 4 ESBL-(»extended-spectrum-betalactamase«-) Enterobacteriaceae (wie E. coli oder Klebsiellen) 4 Mehrfachresistente Pseudomonaden
Immunkompromittierung nach Bestrahlung, Chemotherapie und sonstigen immunsuppressiven Maßnahmen
Patienten mit eingeschränkter Immunkompetenz sind auch durch Infektionserreger gefährdet, die für Immungesunde ungefährlich sind. Eine wichtige Maßnahme zum Schutz ist dann eine Umkehrisolation
95 4.1 · Infektiologie
. Tab. 4.2. Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Empfohlenes Impfalter und Mindestabstände zwischen den Impfungen (Quelle: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI/Stand: Juli 2007, Epidemiologisches Bulletin Nr. 30/2007, Selbstverlag des Robert Koch-Instituts, Berlin)
4
96
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
. Tab. 4.3. Wichtige Impfungen bei Erwachsenen. (Nach Buchta et al. 2004)
4
Erkrankung
Impfstoff
Durchführung
Auffrischung
Nebenwirkungen
Kontraindikationen
Tetanus
Totimpfstoff (Toxoid)
1. und 2. Injektion im Abstand von 4 Wochen, 3. Injektion nach 1 Jahr
Nach 10 Jahren
Urtikaria, Fieber
keine
Diphtherie
Totimpfstoff (Toxoid)
Wie Tetanus
Wie Tetanus
Thrombozytopenie, Meningoenzephalitis, Neuropathie
Thrombozytopenie
Poliomyelitis
Parenteraler Totimpfstoff (oraler Lebendimpfstoff ist obsolet)
2 Injektionen im Abstand von 2–6 Monaten
Nach 10 Jahren
Keine bei parenteralem Totimpfstoff
Keine bei parenteralem Totimpfstoff
Röteln
Lebendimpfstoff mit attenuierten Viren
2 Impfungen (mit 12 Monaten und 6 Jahren)
Nicht erforderlich
Flüchtiges Exanthem, Fieber, allergische Reaktion
Gravidität, rheumatische Erkrankungen, Hühnereiweißallergie
Influenza
Totimpfstoff
Jährliche Impfung
Jährlich
Selten Guillain-Barré-Syndrom, allergische Reaktionen
Hühnereiweißallergie
4.1.2
Infektiologische Symptome
4.1.2.1
Fieber
Definition. Von Fieber spricht man, wenn bei oraler
Temperaturmessung eine Körpertemperatur von mehr als 37,2°C am Morgen oder mehr als 37,8°C am Abend festgestellt wird. > Das Symptom Fieber ist einer der häufigsten Gründe für Patienten, den Arzt aufzusuchen.
Ätiopathogenese. Wird die hypothalamische Tempe-
raturkontrolle als Antwort auf exogene oder endogene pyrogene Reize hochgeregelt, resultiert ein Körpertemperaturanstieg: Fieber. Exogene Pyrogene sind jegliche Krankheitserreger, deren Abbau- und Stoffwechselprodukte, Antigen-Antikörper-Komplexe, Komplementfaktoren und alle Produkte von Gewebenekrosen. Diese werden von der zellulären Immunabwehr phagozytiert, was zur Ausschüttung von endogenen Pyrogenen wie Interferonen, Interleukin-1 und -6, Tumornekrosefaktor-α und Prostaglandinen führt.
4 Wie begann das Fieber? (Plötzlich? Chronisch?) 4 Seit wann besteht es? (Rhythmik? Verlauf?) 4 Begleitsymptomatik? B-Symptome (Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust)? 4 Gibt es einen offensichtlichen Infektionsfokus? (Husten? Dysurie? Abszess? Operation?) 4 Erkrankte Personen im Umfeld? Kontakt zu Tuberkulosepatienten? 4 Auslandsaufenthalte? Berufliche Exposition? Tierkontakte? 4 Medikamenten-/Drogenanamnese? 4 Begleiterkrankungen? Gynäkologische Anamnese? Länger bestehendes Fieber erfordert immer eine eingehende Diagnostik (Labor, Urinstatus und Urinkultur, Blutkulturen, Sonographie und Röntgen). Fieber kann auch als Symptom einer malignen Erkrankung oder einer Autoimmunerkrankung (z. B. SLE) auftreten. Therapie. Zur symptomatischen Therapie hat sich ne-
ben ausreichender Flüssigkeitsgabe und physikalischer Kühlung Paracetamol, Ibuprofen und Metamizol bewährt.
Diagnostik. Die Ursachen von Fieber lassen sich meist
durch eine eingehende Anamnese und körperliche Untersuchung wesentlich eingrenzen:
> Ubi pus, ibi evacua! Lokale entzündliche Prozesse sollten möglichst chirurgisch angegangen werden.
97 4.1 · Infektiologie
Der Beginn einer kausalen Pharmakotherapie (z. B. Antibiotika, Antimykotika, Virostatika) muss individuell entschieden werden. Zuvor sollte jedoch immer ein Erregernachweis angestrebt werden. 4.1.2.2
Husten, Auswurf Diagnostik. Sowohl bei Infektionen der oberen als auch der unteren Atemwege ist Husten ein Leitsymptom. Die Art des Hustens und des Auswurfs sowie der Krankheitsverlauf können wichtige Hinweise auf die Infektionsursache geben: Leidet ein Kind an bellendem, anfallsartigem Husten mit inspiratorischem Stridor, ist eine Infektion mit Bordetella pertussis wahrscheinlich. Die Verdachtsdiagnose Keuchhusten wird durch serologische Tests und/oder Erregernachweis bestätigt. Bei klarem, weißlichem Auswurf handelt es sich eher um eine virale, bei gelblichem oder grünlichem, zähen Auswurf eher um eine bakterielle Infektion der Atemwege. ! Cave
4
> Eine Stuhlfrequenz zwischen 3-mal pro Tag und 3-mal pro Woche ist normal!
Ätiopathogenese. Häufige Ursachen sind virale (Rota-
virus, Norovirus) oder bakterielle Infektionen, aber auch Lebensmittelvergiftungen verursacht durch toxinbildende Bakterien sowie Infektionen durch Protozoen. Differenzialdiagnostisch sind u. a. medikamenteninduzierte Durchfälle, Maldigestion, Malabsorption, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Adenome und Karzinome des Darms sowie funktionelle Darmstörungen zu berücksichtigen. Diagnostik. In der Anamnese sollte nach Dauer der
Beschwerden, Stuhlfrequenz, -konsistenz, -farbe, -volumen, Blut- oder Schleimbeimengungen, Nahrungsmittelgewohnheiten, Auslandsaufenthalten, Infektionen in der näheren Umgebung des Patienten und nach Medikamenten, insbesondere nach Antibiotika, gefragt werden. Ein Erregernachweis kann durch (Frischstuhl-)Mikroskopie, Elektronenmikroskopie, kulturelle Anzucht oder Serologie erfolgen.
Bei blutigem Auswurf muss eine offene Tuberkulose differenzialdiagnostisch erwogen und ggf. Isolationsmaßnahmen getroffen werden.
Therapie. Bei immunkompetenten Patienten steht eine
Therapie. Bei Infektionen der Atemwege sollte zunächst
symptomatische Therapie mit Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution im Vordergrund.
eine symptomatische Therapie mit ausreichender Flüssigkeitsgabe, Inhalation und schleimlösenden Maßnahmen eingeleitet werden. Kommt es nicht zur Besserung, kann bei Verdacht auf eine bakterielle Superinfektion mit einer kalkulierten Antibiose begonnen werden. > Grundsätzlich sollte vor Antibiotikagabe Material zum Erregernachweis gewonnen werden.
Bei Infektionen der unteren Atemwege erfolgt ein Erregernachweis durch mikroskopische Sputumdiagnostik sowie durch kulturelle Anzucht. Bei Pneumonien sollten mehrere Kulturen aus Sputum und Blut angelegt werden. Infektionsserologische Untersuchungen haben eher untergeordnete Bedeutung, da bis zum Ausbilden einer spezifischen Immunantwort mehrere Tage vergehen können. Als kalkulierte Antibiose stehen beispielsweise Aminopenicilline mit β-Laktamaseinhibitoren und Makrolide, bei nosokomialen Pneumonien Cephalosporinne der 2. oder 3. Generation zur Verfügung. 4.1.2.3
! Cave Besonders Säuglinge, Kleinkinder und alte Menschen sind durch eine Dehydratation vital gefährdet.
Nur bei schweren Verläufen kommen Antibiotika zum Einsatz. Bei Salmonelleninfektionen kann eine Antibiotikagabe den Zeitraum der Erregerausscheidung verlängern. 4.1.2.4
Lymphknotenschwellung, Splenomegalie Ätiopathogenese. Eine primäre Lymphknotenschwellung kommt z. B. bei Lymphomen oder einer EBV-Infektion vor. Sekundäre Lymphknotenschwellungen sind dagegen Folge einer Entzündungsreaktion im Zuflussgebiet einer bestimmten Lymphknotenregion (. Tab. 4.4). Therapie. Ein Entzündungsherd sollte chirurgisch sa-
niert werden. Kommt es zu Lymphknotenabszessen, ist ebenfalls eine chirurgische Behandlung notwendig.
Diarrhö
Definition. Erhöht sich die Stuhlfrequenz auf mehr als
4.1.2.5
3-mal pro Tag, wird die Stuhlkonsistenz weich bis flüssig und steigt die Stuhlmenge auf mehr als 250 g pro Tag an, spricht man von einer Diarrhö.
Definition. Gelbfärbung der Skleren und der Haut
Ikterus
durch eine Bilirubinerhöhung.
98
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
. Tab. 4.4. Beispiele für erregerbedingte Lymphknotenschwellungen Erreger
Lymphknotenregion/Milzschwellung
Symptome
Diagnostik
EpsteinBarr-Virus
Generalisierte Lymphknotenschwellung In 50% der Fälle Milz- und Leberschwellung
Fieberhafte Angina tonsillaris
Leukozytose mit typischer Monozytose, Serologie
Röteln-Virus
Starke nuchale Lymphknotenschwellung In 50% der Fälle Milzschwellung
Fieber Makulopapulöses Exanthem Purpura Gelenkbeteiligung
Leukopenie, Lymphozytose, Serologie
HIV (akute Infektion)
Generalisierte Lymphknotenschwellung mit Milz- und Leberschwellung
In 30% der Fälle mononukleoseartige Symptome
Serologie teilweise noch negativ, Virusdirektnachweis (PCR) positiv
EpsteinBarr-Virus
Generalisierte Lymphknotenschwellung In 50% der Fälle Milz- und Leberschwellung
Fieberhafte Angina tonsillaris
Leukozytose mit typischer Monozytose, Serologie
4
Ätiopathogenese. Abgegrenzt werden müssen prähe-
patische (z. B. Hämolyse), intrahepatische (z. B. Virushepatitis) und posthepatische (z. B. Choledocholithiasis) Ursachen. Symptomatik. Schwere Leberinfektionen können mit Fieber, starkem Krankheitsgefühl, Pruritus und Ikterus verbunden sein. Diagnostik. Anamnestisch relevant sind Beruf, Hobby,
Ernährungsgewohnheiten, Medikamenteneinnahme, Drogenkonsum, Promiskuität, Infektionen im persönlichen Umfeld oder Auslandsaufenthalte. Labordiagnostisch sollten Blutbild, Transaminasen und Cholestaseparameter, CRP, Serumeisen, Gerinnungsparameter, Albumin und Cholinesterase bestimmt werden. Als bildgebendes Verfahren hat die Sonographie den höchsten Stellenwert.
4 Makulo-papulöses Exanthem bei Röteln 4 Erythematöses, morbilliformes Exanthem bei Masern 4 Generalisiertes, vesikuläres Exanthem bei Windpocken (VZV) 4 Gyrierte Erytheme bei Ringelröteln (Parvovirus B19) 4 Exanthema subitum beim durch HHV 6 hervorgerufenen Dreitagefieber 4 Erythema migrans bei Lyme-Borreliose Kopfschmerz Ätiopathogenese. Kopfschmerz ist kein klassisches in-
fektiologisches Symptom, steht aber bei z. B. Meningitiden/Meningoenzephalitiden im Vordergrund. Manchmal können Infektionserkrankungen neurologische Symptome hervorrufen. Arthritis
4.1.2.6
Weitere Symptome mit möglicher infektiologischer Ätiologie Nachtschweiß Definition. Situation, bei der der Patient gezwungen ist, seine nassgeschwitzte Nachtwäsche zu wechseln.
Ätiopathogenese. Bei Gelenkentzündungen müssen
Ätiopathogenese. Dieses unspezifische Symptom
neben reaktiven auch direkte infektiöse Ursachen (z. B. nach Gelenkpunktion) erwogen werden. Nach Urogenitalinfektionen (v. a. Chlamydien) oder gastrointestinalen Infekten (gramnegative Bakterien) werden manchmal reaktive Arthritiden beobachtet. Hierbei handelt es sich um eine Immunreaktion des Körpers gegen körpereigene Oberflächenantigene mit struktureller Ähnlichkeit zum Erreger. Der den Spondylarthritiden zugeordnete Morbus Reiter wird durch die typische Trias aus Arthrititis, unspezifischer Urethritis und Konjunktivitis charakterisiert.
kommt zusammen mit anderer B-Symptomatik (Fieber, Gewichtsverlust) regelmäßig bei Tumorerkrankungen, Leukämien und bei Tuberkulose vor und muss gegen Hyperhidrosis abgegrenzt werden. Exanthem Ätiopathogenese. Bei vielen Infektionen kommt es zu
exanthematösen Erscheinungsformen:
99 4.1 · Infektiologie
4
In Kürze Infektiologische Symptome Fieber
4 Normale Körperkerntemperatur: 36,0–37,7°C, orale Temperatur liegt um 0,4°C niedriger, die rektale um 0,5°C höher 4 Fieber ist lediglich ein Symptom und keine Krankheit! 4 Länger bestehendes Fieber erfordert eine eingehende Diagnostik! 4 Der Fieberkurvenverlauf kann richtungweisend für die Diagnose sein! Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten! 4 Fiebersenkung: physikalische Maßnahmen, Paracetamol, Ibuprofen oder Metamizol 4 Last, not least: Anamnese, Anamnese, Anamnese!
Husten, Auswurf
4 Art des Hustens und Auswurfs sowie Krankheitsverlauf können wichtige Hinweise auf die Infektionsursache geben
Diarrhö
4 Bei Immungesunden ist Erregernachweis nur bei länger andauernden Diarrhöen erforderlich 4 Neben Infektionen auch z. B. Autoimmunprozesse oder psychische Genese möglich
Lymphknotenschwellung, Splenomegalie
4 Zunächst Suche nach Infektionsherd oder systemischer Infektion 4 Differenzialdiagnose: maligne Erkrankungen
Ikterus
4 Prähepatische, intrahepatische oder posthepatische Ursachen
4.1.3
Klinische Infektiologie
Epidemiologie. In Deutschland erkranken jährlich
4.1.3.1
Meningitis, Meningoenzephalitis Definition. Erregerbedingte Entzündung der Hirnhäute, ggf. mit Beteiligung des Zentralnervensystems. Ätiopathogenese. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion (aufsteigend vom Nasenrachenraum), hämatogen (z. B. nach Pneumonie), per continuitatem (bei Infektionen im HNO-Bereich) oder bei direkter Eröffnung der Schädelhöhle (offenes Schädelhirntrauma). Virale Meningitiden werden durch eine Reihe unterschiedlichster Viren verursacht. Zu diesen zählen Herpes-simplex-, Varizella-zoster-, Zytomegalie-, Epstein-Barr-, Coxsackie- und Enteroviren sowie Mumps-, Masern- und FSME-Virus.
rund 800 Menschen an einer bakteriellen Meningitis. Kinder sind häufiger als Erwachsene betroffen. In Abhängigkeit vom Alter des Patienten finden sich verschiedene Erreger in unterschiedlicher Häufigkeit (. Tab. 4.5). Eine virale Entzündung der Hirnhäute wird insgesamt etwas häufiger beobachtet. Meningokokkenmeningitis Meningitiden durch Neisseria meningitidis sind hoch-infektiös. Schon beim Verdacht muss ein Patient bis zum Beweis des Gegenteils isoliert werden. Der Erkrankungsverdacht, die Erkrankung und der Tod des Patienten sind nach IfSG namentlich meldepflichtig. 6
. Tab. 4.5. Erregerspektren bei bakterieller Meningitis Patientengruppe
Häufige Erreger
Säuglinge unter 3 Monaten
E. coli, Streptokokken der Gruppe B, Listerien
Kleinkinder
Haemophilus influenzae, Meningokokken
Erwachsene
Pneumokokken, Meningokokken, Listerien, Staphylokokken
100
4
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
Die Prognose ist mit einer Letalität von über 10% ernst. Auch heute sterben fast alle Betroffenen an der gefürchteten Komplikation eines Waterhouse-Friderichsen-Syndroms (Versagen der Nebennierenrinde, petechiale Blutungen, Kreislaufschock). Kontaktpersonen sollten eine Chemoprophylaxe mit Rifampicin oder Ciprofloxacin erhalten. Bei Schwangeren empfiehlt sich eine Chemoprophylaxe mit Ceftriaxon. Eine Impfung schützt vor einer Infektion mit Meningokokken der Gruppe A, C, W135, Y. Ein Impfschutz gegen den in Deutschland am meisten vorkommenden Serotyp B existiert nicht. Bei epidemischem Auftreten wird mittels Rachenabstrichen zur Identifizierung symptomfreier Keimträger der Infektionsherd gesucht.
Symptomatik. Zu Beginn der Erkrankung kann die viralen von der bakteriellen Meningitis nur schwer unterschieden werden. Es treten auf Kopf- und Nackenschmerzen, Fieber, Übelkeit und Erbrechen. Hinzu können kommen psychische Auffälligkeiten (Gereiztheit, Verwirrtheit, Halluzinationen) oder neurologische Symptome wie Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen oder Nackensteife mit den klassischen Meningismuszeichen. > Bakterielle Infekte verlaufen meist akuter und gehen in der Regel mit höherem Fieber einher.
Typische Symptome bei Meningitis 4 Meningismus: Kombination von Symptomen (Kopfschmerz, Lichtempfindlichkeit, positives Lasègue-Zeichen u. a.), die durch eine Erkrankung der Meningen bedingt sind. Stark eingeschränkte Kopfbeweglichkeit. Bei passiver Kopfbeugung in Richtung des Sternums fällt eine (brettharte) Nackensteife auf. Abzugrenzen ist eine meningeale Reizung bei grippalen Infekten. 4 Kernig-Zeichen: Heftige Schmerzen bei passiver Streckung im Kniegelenk bei gebeugtem Hüftgelenk. 4 Lasègue-Zeichen: Schmerzen im Rücken bei passiver Beugung des gestreckten Beines. 4 Brudzinski-Zeichen: Bei passiver Kopfbeugung beim flach liegenden Patienten reflekto
Diagnostik. Anamnese, klinische Untersuchung, Zell-
zahl im Liquor und Erregerdirektnachweis (Anzucht aus Blut und Liquor, Antigennachweis und PCR).
Durch quantitative Bestimmung von Antikörpern gegen bestimmte Erreger aus Blut und Liquor (Liquor-/ Serumpaar-Vergleich) kann eine Antikörperproduktion innerhalb der Liquorräume nachgewiesen werden. Vor der Liquorgewinnung muss eine Hirndruckerhöhung mittels Computertomographie des Schädels ausgeschlossen werden. ! Cave Eine Lumbalpunktion bei erhöhtem Hirndruck kann zur unteren Einklemmung mit Quetschung des Hirnstamms und resultierender Schädigung des Atemzentrums führen.
Die früher geforderte Augenhintergrundspiegelung kann eine Hirndruckerhöhung weniger zuverlässig anzeigen als das CT und wird daher heutzutage vor einer Lumbalpunktion nicht mehr regelmäßig angewendet. Schon durch einfache, schnell verfügbare Labordiagnostik kann nach Liquorpunktion oft zwischen bakterieller und viraler Meningitis unterschieden werden (. Tab. 4.6). Therapie. Eine bakterielle Meningitis muss sofort
hochdosiert intravenös antibiotisch behandelt werden. Eine Umstellung der Therapie erfolgt ggf. nach Antibiogramm. Bei Verdacht auf eine virale Meningitis durch Herpesviren muss unverzüglich eine i.v. Therapie mit Aciclovir eingeleitet werden. Kann initial nicht sicher zwischen viraler oder bakterieller Genese unterschieden werden, wird eine Kombination aus Antibiose und Virostatikum gewählt. Zusätzlich muss der Elektrolyt- und Wasserhaushalt des Patienten reguliert, ein eventueller Hirndruck gesenkt und einer Thromboembolie vorgebeugt werden. Daneben muss symptomatisch behandelt werden. Bei den meisten viralen Formen der Meningitis bleibt dies mangels Therapiemöglichkeiten die einzige Behandlungsoption. 4.1.3.2
Pneumonie
Definition. Lunge, Alveolarraum oder das Interstitium
betreffende akute oder chronische Entzündung. Ätiopathogenese. Pneumonien können eingeteilt wer-
den nach: 4 Ätiologie 5 Viren 5 Bakterien 5 Pilze 5 Mykobakterien 5 Physikalische oder chemische Noxen
101 4.1 · Infektiologie
4
. Tab. 4.6. Liquordiagnostik bei Meningitis Bakterielle Meningitis
Virale Meningitis
Tuberkulöse Meningitis
Aussehen
Trüb
Klar
Spinnengewebsgerinnsel
Zellzahl/μl
Stark erhöht
Erhöht
Erhöht
Zelltyp
Granulozyten
Lymphozyten
Lymphozyten/Monozyten
Glukose
Erniedrigt
Normal
Erniedrigt
Eiweiß
Erhöht
Normal
Erhöht
Laktat
>3,5 mmol/l
<3,5 mmol/l
>3,5 mmol/l
4 Klinischer Verlauf 5 Typische Lobärpneumonie: plötzlicher, hochfieberhafter Beginn, Husten, ausgeprägter Auskultationsbefund 5 Atypische Pneumonie: schleichender Beginn mit erhöhter Temperatur ohne deutlichen Auskultationsbefund 5 Bronchopneumonie: herdförmige Verteilung im Lungengewebe 4 Akquirierung 5 Ambulant erworben (»community acquired pneumonia«, CAP) 5 Nosokomial erworben: tritt nach mehr als 48 h Hospitalisierung auf 4 Vorerkrankungen 5 Primär: ohne relevante Vorerkrankungen 5 Sekundär: als Folge einer Grunderkrankung wie COPD, Tumor, Linksherzinsuffizienz > Akute oder chronische Entzündungen der Lungen, die Alveolarraum oder/und Interstitium betreffen können, stellen in den Industrienationen die am häufigsten zum Tode führende infektiologische Erkrankungen dar.
Blutdruck, Puls, Temperatur), Laborroutine (Blutbild, CRP), Sputum- und Blutkulturen zum Erregernachweis, Antibiogramm. Die Farbe des Sputums kann Hinweise auf die Ätiologie der Pneumonie geben: Bei viralen Infekten herrscht eher ein weißlich-klares Sekret, bei bakteriellen dagegen eher ein gelblich-zäher Auswurf vor. > Hämatopnoe sollte immer auch an Tuberkulose denken lassen.
Bei unproduktivem Husten kann ein provoziertes Sputum mittels NaCl-Inhalation induziert werden. Die Röntgenthoraxübersichtsaufnahme in 2 Ebenen hat in der Diagnostik den höchsten Stellenwert, ggf. kann ergänzend eine radiologische Schnittbilddiagnostik notwendig werden. Zur Verlaufskontrolle von Pleuraergüssen eignet sich besonders die Sonographie der Pleura. Bei schweren Verläufen kann zum Erregernachweis und zur Differenzialdiagnose die Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage und ggf. Biopsie herangezogen werden. Nur bei bereits mehr als 7 Tage bestehenden Verläufen ist ein indirekter Nachweis von pneumotropen Erregern durch Antikörpersuche sinnvoll. Differenzialdiagnose. Nach Abheilung sollte ein Tumor
Symptomatik. Leitsymptome sind meist Husten mit
Auswurf und Fieber. Des Weiteren treten Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen, starkes Krankheitsgefühl, Dyspnoe, Hyperpnoe, Tachykardie, atemabhängige thorakale Schmerzen bei pleuritischer Reizung auf. > Die typische Pneumonie verläuft im Gegensatz zur atypischen eher akut und hoch fieberhaft.
Diagnostik. Anamnese (Verlauf, Auslandsaufenthalte),
körperlicher Untersuchung (Auskultation, Perkussion;
durch eine Röntgenthoraxkontrolle ausgeschlossen werden. Therapie. Jüngere Patienten in gutem Allgemeinzu-
stand ohne Begleiterkrankungen können auch ambulant behandelt werden, sofern eine häusliche Versorgung gewährleistet ist. Andernfalls sollte zumindest die Initialtherapie im Krankenhaus erfolgen. Im Vordergrund stehen zunächst Allgemeinmaßnahmen wie ausreichende Flüssigkeitszufuhr, körperliche Schonung, schleimlösende Maßnahmen mit Atemgymnastik sowie Inhalation.
102
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
! Cave Eine Kombination von Schleimlösern und Antitussiva sollte bei produktivem Husten unterbleiben.
4
Eine aggressive Fiebersenkung mit Antipyretika sollte vermieden werden, um einerseits die physiologischen Abwehrprozesse des Körpers zu unterstützen und andererseits den Patienten nicht durch stark schwankende Körpertemperaturen weiter zu schwächen. Nach Gewinnung von Material zur Erregerdiagnostik folgt in der Regel eine kalkulierte antibiotische Therapie. Wichtigstes Kriterium bei der Medikamentenauswahl ist der Modus der Akquirierung. So sind Makrolide bei ambulant erworbener Pneumonie bei Patienten ohne Grunderkrankungen Therapie der Wahl. Bei nicht zeitgerecht ansprechender Therapie muss eine Resistenz oder Fehldiagnose erwogen werden. 4.1.3.3
Tuberkulose Synonym. Schwindsucht. Definition. Durch Mykobakterien hervorgerufene In-
fektionskrankheit. Die Tuberkulose ist eine chronische Erkrankung der Lungen, die aber auch andere Organe des Körpers betreffen kann. Die Erstbeschreibung der Tuberkuloseerreger erfolgte 1882 durch Robert Koch, der nachwies, dass die Mykobakterien in kausalem Zusammenhang mit der Schwindsucht stehen. Ätiopathogenese. Als Mycobacterium-tuberculosis-
Komplex werden die Haupterreger M. tuberculosis, M. bovis und M. africanum zusammengefasst. Hauptreservoir bildet der Mensch, bei M. bovis zusätzlich auch das Rind. Bei Immunsupprimierten, v. a. HIVPatienten spielt auch der Erreger der Geflügeltuberkulose (M. avium) eine gewisse Rolle. Mykobakterien sind schlanke, lange, obligat aerobe, säurefeste und sporenlose Stäbchenbakterien mit langer Generationszeit und hoher Umweltresistenz durch eine Zellwand mit hohem Gehalt an Lipiden, Wachsen und Fettsäuren. Pathogenetisch bedeutsam ist daneben die Fähigkeit zur intrazellulären Vitalpersistenz, wodurch eine ausgeprägte zelluläre Immunantwort induziert wird. Hauptansteckungsquelle sind Patienten mit offener Lungentuberkulose, die die Erreger per Tröpfcheninfektion verbreiten. Erregerhaltige Aerosole von 1–5 μm gelangen in die basalen Alveolen. > Je nach Umgebungsbedingungen werden von einem Patienten mit offener Tuberkulose 210 weitere Personen infiziert.
Können Mykobakterien mikroskopisch in Sputum, bronchoalveolärer Lavage (BAL) oder Magensaft nachgewiesen werden, besteht ein deutlich höheres Infektionsrisiko als bei Patienten, bei denen die Erreger nur kulturell oder mittels PCR diagnostiziert werden können. > Unter einer wirksamen antituberkulostatischen Therapie besteht nach 2–3 Wochen kein relevantes Ansteckungsrisiko mehr.
Von einer extrapulmonalen Tuberkulose geht praktisch kein Infektionsrisiko aus, auch wenn die Mykobakterien in Urin oder anderen Körperausscheidungen nachgewiesen werden können. Zwar ist der Mensch auch für die Rindertuberkulose empfänglich, allerdings kommt dieser Ansteckungsquelle zumindest in Deutschland durch Pasteurisierung der Milch und tuberkulosefreie Rinderbestände keine Bedeutung mehr zu. Epidemiologie. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung
ist mit M.-tuberculosis-Komplex infiziert. Weltweit kommt es zu rund 100 Mio. Neuinfektionen und 8 Mio. Neuerkrankungen pro Jahr. 5–10% der Infizierten erkranken im Laufe ihres Lebens an Tuberkulose. Mit 2–3 Mio. Todesfällen pro Jahr ist die Tuberkulose die weltweit am häufigsten zum Tode führende Infektionskrankheit bei Jugendlichen und Erwachsenen. Die Erkrankung gilt als eine Erkrankung der Ballungszentren und der Armut und findet sich hauptsächlich dort, wo rasches Bevölkerungswachstum und schlechte medizinische Versorgung (Slums, Krieg, Vertreibung) aufeinander treffen. In Deutschland zählen zur Risikopopulation Kontaktpersonen zu Tuberkulosepatienten, Obdachlose, Alkohol-/Drogenabhängige sowie Patienten mit geschwächtem Immunsystem, hauptsächlich durch HIV, aber auch Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz oder Leberzirrhose. Entsprechend dem Infektionsschutzgesetz sind der Tod oder die behandlungsbedürftige Erkrankung (mit oder ohne Erregernachweis) nach § 6 IfSG meldepflichtig. Symptomatik. Unterschieden wird: 4 Primärtuberkulose: In Abhängigkeit von Infektionsdosis, Virulenz und Immunstatus kommt es nach etwa 6 Monaten zur Primärtuberkulose. Pathogenetisch findet sich ein entzündliches pulmonales Infiltrat (Primäraffekt), das zusammen mit dem regionalen reagierenden Lymphknoten den Primärkomplex bildet. Nach diesem meist symptomarmen Verlauf endet für die meisten Patienten die Erkrankung. 4 Progressive Primärtuberkulose: Manchmal verläuft sie aber auch progressiv mit Fieber, Gewichts-
103 4.1 · Infektiologie
verlust, hämatogener oder lymphogener Erregeraussaat, tuberkulösen Meningitis, Pleuritis exsudativa und disseminierten, stecknadelgroßen pulmonalen Herden (Miliartuberkulose). 4 Postprimäre Tuberkulose: Da die Erreger in den Granulomen jahrelang überleben können, kann es im Alter oder nach Schwächung des Immunsystems zu Reaktivierungen kommen. Die Patienten zeigen neben der Allgemeinzustandsverschlechterung eine B-Symptomatik (Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß), Husten, Dyspnoe oder ein Erythema nodosum. Mögliche Komplikationen der Lungentuberkulose sind Hämoptysen oder Pneumothorax. 4 Extrapulmonale Tuberkulose: Die Lymphknotentuberkulose stellt die häufigste Variante der extrapulmonalen Tuberkulose dar, die aber auch Darm (meist durch Verschlucken der Erreger bei offener Lungentuberkulose), Peritoneum (nach hämatogener Aussaat oder Abszedierung/Perforation mesenterialer Lymphknoten), Urogenitalregion/Niere (sterile Pyurie), seltener auch Knochen und Gelenke oder Nebenniere betreffen kann. Auch Hautveränderungen können durch die Tuberkulose-Bakterien selbst oder bei den sog. Tuberkuliden abakteriell durch immunologische Prozesse im Verlauf der hyperergen Phase einer Tuberkulose hervorgerufen werden. ! Cave Jeder länger als 3 Wochen bestehende Husten sollte weiter abgeklärt werden. Blutiger Auswurf muss sofort Anlass zur weiterführenden Diagnostik geben. Jede Pneumonie, die trotz Antibiotikagaben nicht zeitgerecht abheilt, ist tuberkuloseverdächtig.
Diagnostik. Neben der Anamnese kommt der Rönt-
genthoraxaufnahme, ggf. Thorax-CT diagnostische Bedeutung zu. Als Screeninguntersuchung wird häufig die Tuberkulinreaktion (Tine-Test oder der zuverlässigere Mendel-Mantoux-Test) herangezogen, wobei diese Tests auch nach der, inzwischen in Deutschland nicht mehr empfohlenen, BCG-Impfung positiv sind. Mendel-Mantoux-Test Beim Mendel-Mantoux-Test (GT-10) werden 0,1 ml einer definierten Proteinmenge streng intrakutan in die Volarseite eines Unterarms gespritzt. Dabei muss eine Quaddel entstehen, die innerhalb weniger Minuten wieder verschwindet. Etwas oberhalb wird meist 0,1 ml des Lösungsmittel als Negativkontrolle gespritzt. Der Test wird nach 48 und 72 h abgelesen und ist positiv, sofern sich eine Rötung mit Induration von mindestens 5 mm Durchmesser zeigt. Ein positiver Test zeigt lediglich eine Exposition zum Erreger, sei es durch früheren Kontakt, BCG-Impfung oder aktive Infektion.
4
Bei Verdacht auf eine Miliartuberkulose bzw. generalisierte Tuberkulose werden ggf. eine Funduskopie (Nachweis von Chorioidtuberkeln), Lumbalpunktion, Laparo-/Thorakoskopie durchgeführt. Goldstandard bleibt der mikroskopische Nachweis der Mykobakterien (Ziehl-Neelsen-Färbung oder Fluoreszenzmikroskopie nach Auraminfärbung) aus Sputum oder BAL, jedoch müssen dazu mindestens 104 Bakterien/ml Untersuchungsmaterial vorhanden sein. Parallel werden Teile der Proben auf Fest- und Flüssigmedien kultiviert. Einerseits steigt damit die Empfindlichkeit (bis 10 Erreger/ml Material), andererseits müssen damit Resistenztestungen erfolgen. Bei offener Lungentuberkulose erwartet man auch Bakterien im Nüchternmagensaft, jedoch gibt es auch zahlreiche falsch-positive Ergebnisse durch apathogene Mykobakterien. Die PCR lässt sich für epidemiologische Fragestellungen und zur Abgrenzung von apathogenen Spezies einsetzen, ist aber zur Therapiekontrolle nicht geeignet. Therapie. Behandlungsziel ist eine signifikante Reduk-
tion der Infektiosität und die Verbesserung der Symptomatik bis zur Ausheilung. Dazu sollte immer eine Kombinationstherapie über mindestens 6 Monate gewählt werden. Bei der Standardtherapie wird zunächst über 2 Monate mit 4 der 5 First-line-Medikamente (INH [Isonicotinsäurehydrazid] + RMP [Rifampicin] + PZA [Pyrazinamid plus EMB [Ethambutol] oder plus SM [Streptomycin]), dann über 4 Monate mit 2 Medikamenten (INH + RMP) behandelt. Kontaktpersonen können ggf. mit Rifampicin prophylaktisch therapiert werden. Der Therapiekontrolle und dem Management der unerwünschten Arzneimittelwirkungen kommt eine besondere Bedeutung zu, da die First-line-Medikamente nur nach sorgfältiger Abwägung ab-/umgesetzt werden sollten. Mykobakterien mit Resistenz gegen Antituberkulotika Ein zunehmendes Problem stellt die MDR-(»multidrug-resistant«-)Tuberkulose dar. Ein Tbc-Isolat gilt dann als MDR, wenn es mindestens gegen die beiden wichtigsten First-line-Medikamente (INH und RMP) Resistenzen aufweist. Dabei wird zwischen primärer Resistenz (Infektion mit bereits resistentem Keim) und sekundärer Resistenz (Entwicklung unter Selektionsdruck der Therapie) unterschieden. In Deutschland sind mindestens 2% der klinischen Isolate als MDR einzustufen. Bei Patienten aus osteuropäischen Staaten, Mittel- und Südamerika sowie Afrika ist mit deutlich höheren Prävalenzen zu rechnen. Ist der Tuberkuloseerreger auch gegen Reserveantibiotika resistent, spricht man von XDRStämmen (»extensivly drug resistant tuberculosis«).
104
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
In Kürze Klinische Infektiologie Tuberkulose
4 Symptomatik: produktiver Husten über mehr als 3 Wochen, B-Symptomatik (Gewicht p, Fieber, Nachtschweiß). Verlaufformen primär,. progressiv primär, postprimär, extrapulmonal. Bei HIV-Koinfektion oft atypische klinische Bilder 4 Ätiologie: Infektion mit Mycobacterium-tuberculosis-Komplex, aerogene Übertragung, endogene Reinfektion 4 Diagnostik: Anamnese, Tuberkulinreaktion, Sputum/BAL, Röntgenthorax, ggf. ThoraxCT 4 Therapie: Kombination über mindestens 6 Monate der First-line-Medikamente INH (Isonicotinsäurehydrazid), RMP (Rifampicin), PZA (Pyrazinamid), EMB (Ethambutol), SM (Streptomycin). Möglichst nicht umsetzen
Mykobakterien mit Resistenz gegen Antituberkulotika
4 MDR (mindestens Resistenzen gegen INH und RMP) und XDR (»extensivly drug resistant tuberculosis«) zunehmend
4
4.1.3.4
HIV-Infektion
Definition. Krankheitskomplex als Folge einer Infekti-
on mit dem humanen Immunschwäche Virus (HIV). Neben opportunistischen Infektionen als Folge der erworbenen Immunschwäche kommt es auch direkt durch HIV zu Krankheitserscheinungen. Ätiopathogenese. Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) gehört zur Gruppe der RNA-Viren, Familie Retroviridae. Während HIV-Typ 1 weltweit verbreitet ist, kommt der seltenere HIV-Typ 2 vor allem in Afrika vor. Symptomatik. Je nach Klinik und Anzahl der CD4Lymphozyten (CD4-Count) werden nach der klassischen CDC-Einteilung von 1993 in einer Matrix aus Klinik und Labor 9 Gruppen (A1C3) und 3 Stadien (I–III) unterschieden (. Tab. 4.7): 4 Die klinische Kategorie A umfasst die asymptomatische sowie die akute HIV-Infektion (ARS, akutes retrovirales Stadium). 4 Zur Kategorie C zählen HIV-positive Patienten mit sog. AIDS-definierenden Erkrankungen wie PCP (Pneumocystis-carinii-Pneumonie), ToxoplasmaEnzephalitis, Tuberkulose, Infektionen mit Mycobacterium-avium-Komplex, Kaposi-Sarkom, invasivem Zervixkarzinom oder PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie). 4 Bestimmte Erkrankungen wie oropharyngeale Candida-Infektionen, die noch nicht in Kategorie C fallen, aber ursächlich der Immundefizienz zugeordnet werden, definieren die Kategorie B. 4 Für die Laborklassifikation 1–3 ist die Höhe der CD4-Lymphozyten ausschlaggebend.
. Tab. 4.7. CDC-Klassifikation der HIV-Infektion Klinik CD4-Count
A
B
C
1 (>500/μl)
I
I
I
2 (200–500/μl)
I
II
II
3 (<200/μl)
II
II
III
Die Klassifizierung berücksichtigt die Kriterien bei der Erstdiagnose. Steigen später unter einer Therapie z. B. die Lymphozyten wieder an, wird nicht von z. B. A3 auf A2 umgestuft.
Die Infektion durchläuft regelhaft, jedoch nicht immer 4 Stadien: 4 Akutes retroviralen Syndrom (ARS): Bei rund 2/3 der HIV-Infizierten kommt es 3–4 Wochen nach der Ansteckung zu einem mononukleoseartigen Krankheitsbild mit generalisierter Lymphadenopathie, morbilliformen-makulopapulösem Exanthem oder mukokutanen Ulzerationen. Auch eine Meningoenzephalitis ist typisch. Die Symptomatik wird oft nicht richtig eingeschätzt. 4 Klinische Latenzphase: Nach Stabilisierung der CD4-Lymphozyten und Suppression der Viruslast durch das Immunsystem folgt ein unterschiedlich langes asymptomatisches Stadium. 4 Generalisierte Lymphadenopathie: Etwa 2 von 5 HIV-Infizierten entwickeln vor Übergang in das
105 4.1 · Infektiologie
Vollbild AIDS eine generalisierte Lymphadenopathie, zu der im Verlauf eine B-Symptomatik mit Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsabnahme und Leistungsknick hinzutreten kann. 4 AIDS: Mit dem Auftreten von bestimmten opportunistischen Infektionen und AIDS-definierenden Malignomen beginnt das Vollbild der chronischen, letal verlaufenden Infektion. Diagnostik. HIV-1/2-Antikörper lassen sich etwa 6 Wochen nach Infektion nachweisen. Der routinemäßige HIV-Test (vulgo AIDS-Test) ist ein sehr sensitiver Antikörper-Suchtest (meist EIA). Positive Resultate müssen durch ein anderes Testverfahren mit hoher Spezifität (meist Westernblot) vor Freigabe des Testergebnisses bestätigt werden. Serologisch kann auch der HIV-Typ differenziert werden. Weiterhin kann mittels PCR ein qualitativer oder (häufiger) quantitativer Genomnachweis erfolgen. > Klinik, Viruslastbestimmung (»viral load«) und CD4Helferzahl (Lymphozytentypisierung) bilden wichtige Kriterien für den Beginn und die Verlaufsbeurteilung einer Therapie.
Therapie. Die Therapiemöglichkeiten haben sich durch neue Medikamentenzulassungen seit 1996 deutlich verbessert. Die Infektion ist heute behandelbar, aber bisher nicht heilbar. Während man in der Prä-HAART-Ära oft nur ein Monotherapeutikum verwenden konnte, ist der heutige Therapiestandard (HAART; »highly active antiretroviral therapy«) eine Kombinationstherapie von mindestens 3 Wirkstoffen. Ziel ist die Suppression der »viral load« unter Nachweisgrenze und eine ausreichend hohe CD4-Zahl, um die asymptomatische Phase möglichst weit auszudehnen. Der richtige Zeitpunkt zum Therapiebeginn ist von vielen Faktoren (soziales Umfeld, Adhärenz, Nebenwirkungen, Koinfektionen, Begleiterkrankungen etc.) abhängig und immer eine Einzelfallentscheidung. Als Anhaltspunkt kann bei asymptomatischen Patienten eine CD4-Zahl zwischen 250 und 300/μl gelten. Die Hauptgruppen der antiretroviralen Medikamente sind: 4 Nicht-nukleosidische Reverse-TransskriptaseInhibitoren (NNRTI): z. B. EFV, Efavirenz, Sustiva 4 Nukleosidische Reverse-Transskriptase-Inhibitoren (NRTI): z. B. AZT, Zidovudin, Retrovir 4 Protease-Inhibitoren: z. B. IDV, Indinavir, Crixivan 4 Fusionsinhibitoren: z. B. T-20, Enfuvirtide, Fuzeon
4
4.1.3.5
Sepsis, Systemic inflammatory response syndrome (SIRS) Definition. Systemic inflammatory response syndrome (SIRS): systemische Entzündungsreaktion des Körpers ausgehend von einem Entzündungsherd hervorgerufen durch Freisetzung von proinflammatorischen Mediatoren wie Interleukin-1 und -8 sowie Tumornekrosefaktor. Dabei ist der Mechanismus der Entzündungsreaktion, nicht aber der Auslöser entscheidend. Es gibt nichtinfektiöse (z. B. Gewebstraumata) und infektiöse Ursachen von SIRS. Sepsis: Erregerbedingtes SIRS, d. h. Sonderform des SIRS. Ätiopathogenese. Geschätzt wird, dass es bei 8 ‰ der
Krankenhausaufenthalte im Verlauf zu einem SIRS kommt (. Abb. 4.1). Ein Erregernachweis durch Blutkultur gelingt nur in ca. 30% der Fälle. Die meisten Fälle von Sepsis werden durch nosokomiale Infektionen verursacht. Ein wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung eines SIRS oder einer Sepsis ist eine eingeschränkte Immunsituation des Patienten (Alter, Tumorleiden, erworbene Immunschwäche). > Die Letalität des SIRS liegt bei 25%; die des septischen Schocks, trotz allen zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Maßnahmen, bei 50%.
Je nach Eintrittspforte werden bei einer Sepsis verschiedene Erreger gefunden (. Tab. 4.8.). Symptomatik. Klinisch treten Fieber oder Hypother-
mie, Tachykardie, Hypotonie und Tachypnoe auf. Im Blutbild kommt es zur Leukozytose oder zur Leukopenie, die Entzündungswerte steigen an, die Gerinnungssituation gerät außer Kontrolle. Dies kann zur disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) führen. Es kommt zur Laktazidose und im septischen Schock zur Funktionsstörung von vielen Organsystemen. Diagnostik. Klinik, körperliche Untersuchung, kli-
nisches Labor, bildgebende Verfahren (Sonographie, Röntgen, CT, MRT), insbesondere aber der kulturelle Erregernachweis aus Blut, Wundabstrich und Urin. Therapie. Therapeutisch muss nach Möglichkeit umge-
hend eine Herdsanierung durch Punktion oder chirurgische Intervention erfolgen. Nach Abnahme mehrer Blutkulturen wird eine kalkulierte parenterale antibiotische Therapie entsprechend dem zu erwartendem Erregerspektrum gegeben, die später nach Antibiogramm umgestellt werden kann.
106
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
. Abb. 4.1. Pathogenese und Verlauf der Sepsis
4
! Cave Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr muss geachtet werden.
Durch eine Leckage der Gefäßendothelien kommt es zu Flüssigkeitverlusten ins Interstitium. Zum Teil kann es nötig werden, mehr als 10 l kristalliner Lösungen zu infundieren. Dies verbessert die Prognose der Patienten entscheidend. Bei Hb-Abfall kommen auch Erythrozytenkonzentrate zum Einsatz. Die adjuvante Gabe von Immunglobulinen wird derzeit nur beim streptokokkenbedingten toxischen Schocksyndrom empfohlen. Zur Verhinderung einer Verbrauchskoagulopathie werden niedermolekulare Heparine gegeben. Bei schweren Verläufen müssen die Patienten intensivmedizinisch überwacht werden. Kommt es zum Organversagen können invasive Nierenersatzverfahren, invasive und nichtinvasive Beatmung oder parenterale Ernährung notwendig werden. 4.1.3.6
Toxisches Schocksyndrom (TSS) Definition. Intoxikation mit Exotoxinen von Staphylococcus aureus oder Streptokokken, die zu Fieber, Schocksymptomatik und schließlich Multiorganversagen führen.
mit dem Tampon in die Scheide und können sich dort unter sehr guten Bedingungen vermehren. Das Toxin gelangt über die Schleimhaut in den Kreislauf. Extrem saugfähige Tampons wurden in Deutschland kaum verkauft, daher ist das Krankheitsbild hierzulande im Zusammenhang mit der Monatshygiene recht selten. Als Eintrittspforte können aber auch Wunden jeglicher Art dienen. Streptokokkensyndrom (STSS) Auch im Zusammenhang mit Streptokokkeninfektionen kann eine ähnliche Symptomatik, die lebensgefährliche nekrotisierende Fasziitis, auftreten. Als Risikogruppen für ein Streptokokkenschocksyndrom (STSS) gelten Immunsupprimierte, Patienten mit Durchblutungsstörungen und Diabetiker. Das Krankheitsbild beginnt oft mit Fieber und einem kleinfleckigen diffusen Exanthem und kann zum Multiorganversagen führen.
Symptomatik. Gelangt das Toxin in den Kreislauf,
kommt es zu Symptomen wie Hypotonie, Desorientiertheit, Fieber, feinfleckigem Exanthem (zum Teil mit palmarer Hautschuppung), gastrointestinaler Symptomatik, septischem Schock bis hin zur disseminierten intravasalen Gerinnung. Therapie. Die Eintrittspforte muss umgehend saniert
Ätiopathogenese. TSS wurde in den USA häufig im
Zusammenhang mit der Benutzung von extrem saugfähigen Tampons beobachtet. Die Bakterien gelangen
werden (Tampon entfernen, Abszesse chirurgisch entlasten). Als Antibiose können Cephalosporine der dritten Generation gegeben werden.
107 4.1 · Infektiologie
4
Symptomatik. Die Klinik verläuft bei allen Erregern . Tab. 4.8. Erregerspektrum nach Sepsisform. (Nach Hahn et al. 2004) Sepsisform
Erreger
Urosepsis
4 Escherichia coli 4 Andere Enterobakterien 4 Seltener Pseudomonas spp.
Venenkathetersepsis
4 Staphylococcus aureus 4 Koagulase-negative Streptokokken 4 (Candida)
Postoperative Wundsepsis
4 Staphylococcus aureus 4 Pyogene Streptokokken 4 Enterobakterien
Sepsis bei Cholangitis
4 4 4 4
Escherichia coli Andere Enterobakterien Enterokokken Anaerobier (Bacteroides, Kokken)
Puerperalsepsis Septischer Abort
4 4 4 4
Pyogene Streptokokken Staphylococcus aureus Enterobakterien Anaerobier
Sepsis bei Pneumonie Sepsis bei Lungenabszess
4 4 4 4 4
Streptococcus pneumoniae Klebsiellen Anaerobier Staphylococcus aureus Nokardien (bei Immunsuppression)
Sepsis der Enteritis
4 4 4 4
Salmonellen Campylobacter Yersinien Aeromonas hydrophila
gleich, in den meisten Fällen vor allem bei Kindern asymptomatisch. Unterschieden werden: 4 Prodromalstadium: Wenige Tage nach der Infektion können grippale Symptome, gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Druckschmerz über der Leber, selten Diarrhö) imponieren. Bei der Hepatitis B kann es durch Immunkomplexbildung zu Arthralgien und einem Exanthem kommen. 4 Hepatitis: Während in den meisten Fällen (Erwachsene >2/3, Kinder >9/10) anikterische Verläufe resultieren, kann es zur Dunkelfärbung des Urins, Entfärbung des Stuhls, Skleren-/Hautikterus und Juckreiz kommen (ikterischer Verlauf). Manchmal tritt auch eine Hepato-(spleno)-megalie oder Lymphknotenschwellung hinzu. Mögliche Komplikationen sind: 4 In etwa 5% der Fälle kommt es zum starken Anstieg von Bilirubin und Cholestaseparametern. Diese cholestatische Verlaufsform hat meist eine günstige Prognose. 4 Bei der protrahiert verlaufenden oder rezidivierenden Hepatitis (länger als 3 Monate bestehende Transaminasenerhöhung) ist das Risiko zur Entwicklung einer chronischen Verlaufsform dagegen erhöht. 4 Sehr selten ist die fulminante Hepatitis mit Ikterus, Gerinnungs- und Bewusstseinsstörungen. Diese Form ist insbesondere bei Schwangeren mit Hepatitis E gefürchtet. Diagnostik. Laborchemisch findet sich eine Transami-
nasenerhöhung bis 3.000 U/l, bei ikterischem Verlauf eine Bilirubinerhöhung sowie bei cholestischem Verlauf eine Erhöhung von γ-GT und alkalischer Phosphatase. Differenzialdiagnose. Leberentzündung bei anderen In-
4.1.3.7 Virushepatitiden Akute Hepatitis Definition. Akute Entzündung des Lebergewebes durch hepatotrope Viren. Ätiopathogenese. Hepatitis-A- bis -E-Viren verursachen eine diffuse, nichteitrige Leberentzündung. Da die Viren verschiedenen Virusfamilien angehören, besteht keine Kreuzimmunität. Während Hepatitis-A- und -EViren (HAV, HEV) fäkal-oral übertragen werden, können sich Infektionen mit HBV und HCV über Blutprodukte, sexuell oder perinatal verbreiten. Das HDV ist allein nicht replikationsfähig und tritt nur als Koinfektion oder Superinfektion einer Hepatitis-B-Virus-Infektion auf.
fektionserregern wie Epstein-Barr- oder Zytomegalievirus, bei Immunsuppression auch Herpes-simplex- oder Varizella-zoster-Virus. Manchmal auch Transaminasenanstieg bei Arbovirosen (Gelbfieber, Dengue), bakteriellen (Bruzellose, Leptospirose) oder parasitären (Malaria, Bilharziose, Echinokokkose) Infektionen. Häufig sind unerwünschte Arzneimittelwirkungen oder Alkohol Ursache einer Hepatitis. Selten dagegen sind autoimmune Prozesse, primär biliäre Zirrhose oder Tumoren. Therapie. Hepatitis A und E werden rein symptoma-
tisch behandelt, ebenso zunächst eine akute Hepatitis B. Bei der Therapie der akuten Hepatitis C wird hochdosiert Interferon-α appliziert. Der frühzeitige Therapiebeginn kann die Wahrscheinlichkeit einer Chronifizierung vermindern.
108
4
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
Chronische Hepatitis Ätiopathogenese. Während die Hepatitis A und E immer ausheilen, können bei der Hepatitis B resp. B/D und C chronische Verläufe auftreten. Unterschieden werden dabei: 4 Asymptomatischer Virusträger (Carrier) mit guter Prognose 4 Chronische Hepatitis mit geringer entzündlicher Aktivität und guter Prognose 4 Chronische Hepatitis mit hoher entzündlicher Aktivität und Gefahr der Entwicklung von Leberzirrhose und primärem Leberzellkarzinom, insbesondere bei Kokarzinogenen Therapie. Hepatitis A und E werden rein symptoma-
tisch behandelt. Bei chronischer Hepatitis B wird Interferon-α eingesetzt. Nukleosidanaloga wie Lamivudin sind im Vergleich zur Interferontherapie besser verträglich und führen somit auch seltener zu Therapieabbrüchen. Da eine Hepatitis D immer eine HepatitisB-Virus-Infektion voraussetzt, ist eine spezifische Hepatitis-B-Therapie auch gegen Hepatitis D wirksam. Bei der chronischen Hepatitis C wird eine Kombination aus Ribavirin und pegyliertem Interferon-α (bis zu 48 Wochen) gegeben. Der anhaltende Therapieerfolg ist je nach Hepatitis-C-Virus-Typ unterschiedlich und liegt im durchschnittlich um 50%. 4.1.3.8
Gastroenteritis
Diagnostik. Wichtigste diagnostische Maßnahme ist
nach der ausführlichen Anamnese die Stuhluntersuchung auf pathogene Keime und bei länger andauernden Beschwerden auch auf Parasiten. Nach Tropenoder Auslandsaufenthalten muss das diagnostische Spektrum entsprechend erweitert werden. Sofern die Klinik des Patienten und die Laborerreichbarkeit es zulassen, kann eine Frischstuhluntersuchung versucht werden. Als bildgebende Verfahren kommen Sonographie des Abdomens, untere und obere Intestinoskopie mit Histologiegewinnung, ggf. auch MRT- oder CT-Untersuchung zum Einsatz. Bei fieberhaften Verläufen sollten auch Blutkulturen abgenommen werden. Infektionsserologische Untersuchungen sind nur bei länger andauernden Beschwerden sinnvoll. Differenzialdiagnose. Differenzialdiagnostisch sind bei
längeren Verläufen neben tumorösen Erkrankungen und Somatisierungsstörungen unbedingt chronisch entzündliche Darmerkrankungen abzuklären. Therapie. Symptomatische Maßnahmen mit Flüssig-
keitsersatz, Regulation von Elektrolythaushalt, Nahrungskarenz mit anschließendem vorsichtigen Kostaufbau. ! Cave Die Gabe von Antibiotika kann zu einer Verlängerung der Erregerausscheidung führen. Antibiotika werden daher nur bei schweren klinischen Verläufen gegeben.
Definition. Durch unterschiedliche Erreger verursachte
Infektionskrankheit des Magen-Darm-Traktes.
4.1.3.9
Harnwegsinfektionen
Definition. Durch Aszension von Keimen über die Ätiopathogenese. Ätiologisch stehen virale Erreger wie Noro- oder Rotaviren im Vordergrund, jedoch verursachen auch Bakterien und/oder deren Toxine, Pilze und Parasiten eine Infektion des Magen-Darm-Trakts (. Abb. 4.2). Differenzialdiagnostisch sind bei längeren Verläufen neben tumorösen Erkrankungen und Somatisierungsstörungen unbedingt chronisch entzündliche Darmerkrankungen abzuklären. Symptomatik. Leitsymptome sind Übelkeit, Erbrechen,
Appetitlosigkeit, abdominelle Schmerzen, Diarrhö und manchmal Fieber. Selten kann eine ausgeprägte Gastroenteritis auch als akutes Abdomen imponieren. ! Cave Insbesondere kleine Kinder und alte Menschen sind durch den teils massiven Flüssigkeitsverlust vital gefährdet.
Harnwege oder seltener durch hämatogene Streuung können Infektionen der Nieren und der ableitenden Harnwege entstehen. Ätiopathogenese. Harnwegsinfektionen betreffen Frauen aufgrund der anatomischen Gegebenheiten wesentlich häufiger als Männer. Im Alter nehmen sie sowohl bei Männern als auch bei Frauen an Häufigkeit zu. Bei wiederholt auftretenden Harnwegsinfektionen muss nach prädisponierenden Faktoren gesucht werden, z. B. Steinleiden, vesikouretraler Reflux, Blasenfunktionsstörungen, Obstruktion der Harmwege, Diabetes mellitus, Gicht, Analgetikaabusus, Exsikkose, Immunschwäche, Einbringen von Fremdmaterial in die Harmwege (Blasenkatheter). Je nach Lokalisation werden Urethritis, Zystitis oder Pyelonephritis unterschieden. Meist handelt es sich um eine Infektion durch aufsteigende Darmkeime (>75% E. coli). Im Zusammenhang mit nosokomialen Infektionen werden aber auch
109 4.1 · Infektiologie
4
. Abb. 4.2. Flussdiagramm für das diagnostische Vorgehen bei gastrointestinalen Infektionen
andere Keime wie Staphylokokken und Pseudomonas aeruginosa regelmäßig nachgewiesen. Junge Frauen leiden nach Geschlechtsverkehr gelegentlich an der sog. Honeymoon-Zystitis, vielfach durch Staphylococcus saprophyticus hervorgerufen. Eine postkoitale Miktion kann das Risiko einer Zystitis senken.
läufen können Fieber, Flankenschmerz, abdominelle Schmerzen und allgemeines Krankheitsgefühl hinzukommen. Zudem kann es zu einer Mikro- oder Makrohämaturie kommen.
Symptomatik. Die Infektion der Harnwege kann
Diagnostik. Im Urinstatus ist die Ausscheidung von
asymptomatisch verlaufen und wird dann nur als Zufallsbefund entdeckt. Bei symptomatischen Harnwegsinfektionen leiden die Patienten an Dysurie (Schmerzen beim Wasserlassen), Pollakisurie (häufiger Harndrang, ohne dass die Urinmenge zunimmt) und Nykturie (nächtliches Wasserlassen). Bei schweren Ver-
weißen und evtl. auch von roten Blutzellen erhöht. Nitrat im Urin findet sich bei vielen bakteriellen Harnwegsinfektionen. Im Urinsediment sind bei Mitbeteiligung der Niere Zylinder nachweisbar. Ab einer Keimausscheidung von 105/ml Mittelstrahlurin liegt eine signifikante Bakteriurie vor. Ein Erregernachweis mit Anti-
! Cave Als Komplikation ist eine Urosepsis gefürchtet.
110
4
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
biogramm ist besonders bei rezidivierend auftretenden Harnwegsinfekten anzustreben. Hierbei ist eine möglicht kontaminationsarme Probenentnahme notwendig. In Einzelfällen kann es notwendig sein, den Urin mittels Einmalkatheterismus oder durch Blasenpunktion zu gewinnen. Als bildgebende Untersuchung hat die Sonographie den höchsten Stellenwert. Je nach Fragestellung wird ein i.v. Urogramm oder radiologische Schnittbilddiagnostik eingesetzt. Differenzialdiagnose. Nicht alle Harnwegsinfektionen sind durch Darmbakterien verursacht. Gelingt keine Anzucht von Keimen, muss insbesondere bei geschwächter Immunlage des Patienten eine Urogenitaltuberkulose oder eine virale Zystitis, z. B. durch Adenoviren in Erwägung gezogen werden. Bei ent-
sprechender Anamnese ist auch eine Blasenbilharziose denkbar. Therapie. Der einfache Harnwegsinfekt wird antibio-
tisch mit Gyrasehemmern oder Aminopenicillinen behandelt. Komplizierte Harnwegsinfektionen sollten stationär abgeklärt und behandelt werden. > Unkomplizierte Harnwegsinfektionen kommen nur bei Patienten mit unauffälligem Harntrakt vor, die zudem keine komplizierenden Faktoren wie Diabetes mellitus aufweisen.
Um Harnwegsinfekte zu verhindern, sollte neben hygienischen Maßnahmen auf eine ausreichende Trinkmenge und der Witterung angepasste Kleidung geachtet werden.
In Kürze Klinische Infektiologie HIV-Infektion
4 Symptomatik: akutes retrovirales Syndrom (ARS), klinische Latenzphase, generalisierte Lymphadenopathie, AIDS 4 Ätiologie: HI-Virus-I (weltweit), HI-Virus-2 (v. a. Afrika) 4 Diagnostik: Infektionsserologie, RT-PCR, CD-4-Count 4 Therapie: HAART
Sepsis, SIRS (»systemic inflammatory response syndrome«)
4 Symptomatik: Hyper- (>38,0°C) oder Hypothermie (<36°C), Tachypnoe (>20/min; paCO2 <32 mmHg), Tachykardie (>90/min), Leukozytose (>12.000/μl) oder Leukopenie (<4000/ μl). Bei schwerer Sepsis: Veränderungen des mentalen Status (Somnolenz, Verwirrtheit, Lethargie), Laktazidose, Hypoxämie, Oligurie, Hypotention (systolisch <90 mmHg, diastolisch <40 mmHg) 4 Ätiologie: systemische Entzündungsreaktion mit nichtinfektiöser oder infektiöser (Sepsis) Ursache 4 Diagnostik: Routinelabor, Blutkulturen, Bildgebung 4 Therapie: ursächliche Therapie (Ausschaltung und Behandlung des Sepsisherdes), ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Antibiose
Toxisches Schocksyndrom
4 4 4 4
Virushepatitiden
4 Symptomatik: Prodomalstadium mit grippalen Beschwerden, Übelkeit, lokalem Druckschmerz, evtl. Arthralgien, Exanthem. Später ikterischer Verlauf (Urin dunkel, Stuhl hell, Skleren-/Hautikterus, Juckreiz, evtl. Hepatosplenomegalie, Juckreiz) oder meist anikterischer Verlauf 4 Ätiologie: Hepatitis-A, -B-, -C-, -D-, -E-Virus. Begleithepatitiden durch andere Viren, v. a. CMV, EBV 4 Diagnostik: Routinelabor (Leberwerte, Blutbild, CRP), Infektionsserologie, Virusdirektnachweis (PCR, Immunhistologie im Leberbioptat) 4 Therapie: Hepatitis A und E nur symptomatisch. Hepatitis B/D zusätzlich Lamivudin oder Interferon-α bei chronischer Infektion. Hepatitis C Kombination aus Ribavirin und Interferon-α; frühzeitiger Therapiebeginn
Symptomatik: Fieber, Schock, Multiorganversagen Ätiologie: Intoxikation mit Exotoxinen von Staphylococcus aureus oder Streptokokken Diagnostik: Toxin- und Erregernachweis Therapie: Sanierung des Infektionsherdes, Antibiose, intensivmedizinische Maßnahmen
111 4.1 · Infektiologie
4.1.4
Tropenmedizinische Krankheitsbilder
Therapie. Da die Erkrankung meist selbstlimitierend
4.1.4.1
Reisediarrhö Definition. Zusammenfassung von Durchfallerkrankungen unabhängig vom Erreger, die bei Reisenden in tropische oder subtropische Regionen auftreten. Ätiopathogenese. Die Reisediarrhö stellt das weitaus
häufigste reisemedizinische Problem dar. An ihr leidet nahezu jeder zweite Fernreisende, jeder fünfte wird dadurch bettlägrig. Im Gegensatz zu den im Inland erworbenen Durchfallerkrankungen sind relativ gesehen bakterielle im Verhältnis zu viralen und parasitären Infektionen häufiger. Häufigste Erreger sind: 4 Enterotoxische Escherichia coli (ETEC): ca. 40% aller Reisediarrhöfälle 4 Campylobacter 4 Shigellen 4 Salmonellen 4 Vibrionen 4 Rotaviren 4 Hepatitis A und E 4 Helminthen 4 Amöben 4 Lamblien > Zur Prophylaxe der Reisediarrhö hat sich folgenderLeitsatz bewährt: »Cook it, boil it, peel it – or leave it!«
Symptomatik. In über 90% der Fälle beginnt eine Durchfallerkrankung in den ersten zwei Wochen der Reise. Die Patienten leiden ca. 3 bis 5 Tage an weichen bis wässrigen Stühlen. Diagnostik. Ein Erregernachweis gelingt selten.
4
ist, reicht in der Regel eine rein symptomatische Therapie mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr und Elektrolytausgleich aus. Das WHO-Rezept zur Selbstbehandlung von Reisedurchfall: Für einen Liter orale Rehydratationslösung benötigt man: 4 1000 ml sauberes, abgekochtes oder entkeimtes Wasser 4 3,5 g Natriumchlorid (ca. ½ Teelöffel) 4 1,5 g Kaliumchlorid (ca ¼ Teelöffel) 4 2,5 g Natriumbikarbonat (ca ¼ Teelöffel Backpulver) 4 20 g Glukose (2 Esslöffel) Alternativ helfen auch Cola, Salzstangen und täglich 2 Bananen. 4.1.4.2
Malaria Definition. Durch Plasmodien hervorgerufene fieberhafte, systemische Erkrankung. Ätiopathogenese. Die Plasmodien werden durch den
Stich einer weiblichen Anophelesmücke auf den Menschen übertragen. Der Lebenszyklus der Erreger teilt sich in einen geschlechtlichen und einen ungeschlechtlichen Reproduktionszyklus. Der geschlechtliche läuft innerhalb der Mücke, der ungeschlechtliche innerhalb des Menschen ab. Es werden 4 verschiedene humanpathogene Plasmodienarten unterschieden (. Tab. 4.9). Werden Erythrozyten von P. falciparum befallen, heften sie sich an Gefäßendothelien an. Dies führt zu einer Minderperfusion des Gewebes, was zu Komplikationen wie Bewusstseinsstörungen oder Lungenödem führen kann. Bei anderen Plasmodienarten ist eine Gefäßendotheladhäsion der Erythrozyten in dem Maß nicht beschrieben.
. Tab. 4.9. Die verschiedenen Malariaformen und ihre Erreger Erreger
Malariaform
Inkubationszeit
Besonderheiten und Prognose
Plasmodium malariae
Malaria quartana: Fieberschübe im Abstand von 3 Tagen
2–8 Wochen
Meist blande Verläufe
Plasmodium vivax Plasmodium ovale
Malaria tertiana: Fieberschübe im Abstand von 2 Tagen
2 Wochen bis über ein Jahr
Rezidive nach Monaten bis Jahren durch in der Leber persistierende Hypnozoiten möglich
Plasmodium falciparum
Malaria tropica: unregelmäßiger Fieberverlauf
1–4 Wochen, selten länger
Führt zum Tode oder heilt definitiv aus Adhäsion an Gefäßwände o Mikrozirkulationsstörungen
112
4
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
Epidemiologie. Malaria ist nach der Tuberkulose die zweithäufigste Infektionskrankheit. Von den weltweit infizierten 500 Millionen Menschen leben über 90% in Afrika. In Deutschland werden pro Jahr ca. 1000 Fälle bekannt. Meist handelt es sich um aus den Endemiegebieten zurückkommende Touristen.
in der der Patient infiziert worden ist. So wird z. B. eine Kombination aus Artesunate und Mefloquine zur Behandlung einer Malaria in Thailand eingesetzt. Diese hocheffektive Kombination wird gut vertragen und hat seit ihrer Einführung zu einem Rückgang der Mefloquinresistenzen in Thailand geführt.
Symptomatik. Typisch für eine Malariaerkrankung sind hohe, rhythmische Fieberschübe gefolgt von Schüttelfrost. Meist leiden die Patienten an Kopf- und Gliederschmerzen, Gastrointestinal-Symptomatik, Hepatosplenomegalie, hämolytischer Anämie, Hypoglykämie, Leukozytopenie und Thrombozytopenie. Bei Malaria tropica kommen auch Krankheitsverläufe mit nur subfebrilen Temperaturen vor.
4.1.4.3
> Bei Reisenden aus Malariaendemiegebieten ist jede fieberhafte Erkrankung zunächst malariaverdächtig.
Der klassische Fieberkurvenverlauf kann durch eine Mischinfektion von unterschiedlich schnell heranreifenden Plasmodiengenerationen atypische Verlaufsformen annehmen. Als Komplikationen sind besonders bei der Malaria tropica Nierenversagen, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma und kardiopulmonale Manifestationsformen gefürchtet. Diagnostik. Diagnostiziert wird eine Malaria durch Mi-
kroskopie von Blutausstrichen. Bei niedriger Parasitämie ist eine Anreicherung notwendig (dicker Tropfen). Nur durch mehrmalige negative Mikroskopieergebnisse (2–3 Proben, an 2 aufeinander folgenden Tagen) kann eine Malaria mit relativer Sicherheit ausgeschlossen werden. Therapie. Durch das Auftreten von multiresistenten
Plasmodienstämmen in den meisten Endemiegebieten stellt die Behandlung einer Malaria ein immer größer werdendes Problem dar. Bis ca. 15 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg war eine Malariabehandlung mit einem Aminochinolione wie Primaquin als Monotherapie mit großem Erfolg möglich, dann traten aber erste Resistenzen in Asien und Brasilien auf. Heute werden zur Malariatherapie zwei bis drei Antimalariamittel (Atovaquon plus Proguanil oder Artemether plus Lumefantrin) kombiniert. Dadurch wird die Therapie effizienter, die Therapiedauer reduziert und Komplikationen seltener. Weiterhin wird die Gefahr gemindert, dass unter der Therapie Erregersubpopulationen überleben, die gegen ein Antimalariamittel resistent sind. Um die beste fallspezifische Wirkstoffkombination herauszufinden, ist die genaue Kenntnis der Region notwendig,
Beispiel für durch Arthropoden übertragene Viruserkrankungen
> Verdacht, Erkrankung und Tod an viralem hämorrhagischem Fieber sind meldepflichtig.
Gelbfiebervirus-Infektion Definition. Das Gelbfiebervirus (RNA-Virus der Familie Flaviviridae) wird durch verschiedene Stechmückenarten, u. a. Aedes aegypti, möglicherweise auch durch Zecken übertragen. Ätiopathogenese. Man unterscheidet bei identischer
Klinik die urbane von der sylvatischen (Dschungel-) Form: 4 Bei der sylvatischen Form besteht ein stabiler Biozyklus zwischen verschiedenen Moskitospezies und Affen als Hauptreservoir. Der Mensch wird nur zufällig infiziert. 4 Dagegen hat sich beim urbanen Gelbfieber ein Zyklus zwischen Menschen und Stechmücken ausgebildet. In der Stadt dienen oft alte Autoreifen und andere kleine Wasserreservoire als Brutstädten der Stechmücken. Die Blutgruppe 0 scheint bei beiden Formen die Virusübertragung zu begünstigen, wogegen Blutgruppe B einen relativen Schutz darstellt. Gelbfieber gehört zu den impfpräventablen Erkrankungen. Nur von der WHO zugelassene Gelbfieber-Impfstellen dürfen den attenuierten Lebendimpfstoff subkutan applizieren und die bei Einreise in Endemiegebiete meist vorgeschriebene Impfung bestätigen. Eine Auffrischung wird etwa alle 10 Jahre empfohlen, wobei wahrscheinlich ein längerer Impfschutz besteht. Kontraindiziert ist die gut wirksame und sichere Vakzination bei Immunsupprimierten, Hühnereiweißallergikern, Schwangeren sowie Kindern unter 6 Monaten. Im Endemiegebiet können Repellenzien (z. B. Autan) das Risiko einer Übertragung vermindern. Dagegen ist eine Sanierung der Brutplätze zur Eindämmung der Überträger deutlich schwieriger. Epidemiologie. Die Erkrankung ist an tropische Kli-
mazonen gebunden (Gelbfiebergürtel). Risikogebiete sind v. a. das tropische Afrika sowie tropisches Mit-
113 4.1 · Infektiologie
tel- und Südamerika. In Asien ist die Erkrankung selten. Epidemien traten wiederholt an der afrikanischen Westküste auf. Symptomatik. Die Erkrankung variiert von inapparenten/milden bis hin zu schweren/letalen Verläufen. Nach einer kurzen Inkubationszeit von 3–6 Tagen beginnen grippale Beschwerden mit plötzlichem Fieber, Kopfschmerzen, Konjunktivitis, Myalgien und gastrointestinalen Beschwerden. Bei leichten Verläufen klingen die Symptome nach wenigen Tagen folgenlos ab. Hohes Fieber, heftige Lumbosakralschmerzen und Muskelbeschwerden können neben Zahnfleisch-/Nasenbluten Zeichen einer schweren Gelbfiebererkrankung (»breakbone fever«) sein. Meist tritt eine relative Bradykardie auf. Das Virus verteilt sich nach kurzer Vermehrung in den Lymphknoten praktisch in allen Körperorganen. Nach einer kurzfristigen Beschwerdebesserung (»period of calm«) mit Entfieberung kann es zu einem erneuten heftigen Aufflammen der Infektion mit Ikterus und Blutungen (Petechien, Hämatemesis, Meläna) kommen. Bei Nierenbeteiligung wird Albuminurie und Oligurie beobachtet. > Wird die ikterische Phase erreicht, so beträgt die Letalität 20–60%.
Weitere Einblutungen in Organe und Schleimhäute, Kreislaufdysregulation und Anurie können nach etwa 10 Tagen zum Tode führen. Bei überstandener Erkrankung resultiert eine langwährende Immunität, teils mit Kreuzimmunität zu anderen Flaviviridae. Diagnostik. Bei Patienten mit entsprechender Anam-
nese (zeitnaher Aufenthalt im Endemiegebiet ohne Gelbfieber-Impfung), Fieber und Ikterus muss die Verdachtsdiagnose virales hämorrhagisches Fieber ausgeschlossen werden. Ein Erregerdirektnachweis aus dem Serum ist bei Speziallaboratorien möglich. Meist erfolgte der serologische Nachweis von Antikörpern mittels Immunfluoreszenz, ELISA, Hämagglutinationshemmverfahren oder Komplementbindungsreaktion. Therapie. Bei schweren Verläufen sind neben sympto-
matischen auch intensivmedizinische Verfahren bei möglichem Multiorganversagen wichtig.
4
Atiopathogenese. Das Dengue-Virus (RNA-Virus der
Familie Flaviviridae) wird ausschließlich durch AedesArten, v. a. Aedes aegypti, in tropischen und subtropischen Regionen übertragen. Hyperendemiegebiet ist Südostasien. In Deutschland liegt die Zahl der eingeschleppten Infektion bei über 1000 Fällen pro Jahr. Verdacht, Erkrankung und Tod an viralem hämorrhagischem Fieber sind meldepflichtig. Sinnvoll ist der Versuch einer Stichprophylaxe durch Repellenzien (z. B. AUTAN), Moskitonetze und Kontrolle der Überträger (Insektizidkampagnen). Eine Impfung steht nicht zur Verfügung. Symptomatik. Beim klassischen Verlauf treten nach kurzer Inkubationszeit von wenigen Tagen Kopfschmerzen, hohes Fieber, Muskel- und Gelenkbeschwerden sowie eine Lymphadenopathie auf. Oft sieht man ein kurz andauerndes, sich vom Stamm zum Gesicht und den Extremitäten ausbreitendes, später schuppendes Exanthem. Eine Begleithepatitis tritt regelmäßig auf. Das Fieber fällt nach 5–6 Tage meist kurz ab, um dann als biphasischer Verlauf oft erneut und typischerweise stärker anzusteigen. Bei langsamer Rekonvaleszenz ist die Erkrankung meist selbstlimitierend. ! Cave Neben dieser klassischen Manifestation kann es auch zu schweren Verläufen kommen: Dengue-hämorrhagisches Fieber und Dengue-Schocksyndrom.
Dabei treten nach wenigen Tagen zusätzlich Hämorrhagien (Petechien, Ekchymosen, Schleimhautblutungen etc.) hinzu. Das Schockstadium mit häufig letalem Ausgang erreicht etwa ein Drittel der Patienten mit Dengue-hämorrhagischem Fieber. Betroffen sind dabei vor allem Kinder zwischen 2 und 7 Jahren nach überstandenem Dengue-Fieber (Zweitinfektion mit heterologem Subtyp). Diagnostik. Im Routinelabor finden sich unspezifische
Zeichen eines viralen Infektes und oft einer Begleithepatitis. Die Infektionsserologie ist etwa ab dem 5. Krankheitstag positiv, wobei Kreuzreaktionen zu anderen Flaviviren beachtet werden müssen. Auch eine RT-PCR zum Nachweis der viralen RNA ist möglich. Eine Virusanzucht kann nur in Laboratorien ab der Stufe BSL3 (»bio safety level«) erfolgen.
> Eine kausale Therapie gibt es nicht.
Therapie. Neben supportiven Maßnahmen mit Flüssig-
Denguevirus-Infektion Definition. Durch Moskitos übertragene systemische Viruserkrankung.
keitssubstitution sind insbesondere beim hämorrhagischen Verlauf je nach Stadium intensivmedizinische Maßnahmen notwendig. Hierbei sollte auf jeden Fall
114
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
> Eine kausale Therapie steht nicht zur Verfügung.
muster, ELISA) können aber E. histolytica von dem klinisch nicht relevanten Zwilling differenzieren. Neben der Labordiagnostik helfen bei extraintestinalen Formen bildgebende Verfahren wie Sonographie oder CT.
4.1.4.4
Therapie. Mittel der Wahl ist Metronidazol. Eine chi-
auf die Gabe von ASS verzichtet werden, da dies zu einer vermehrten Blutungsneigung führen kann.
4
Weitere wichtige tropenmedizinische Krankheitsbilder Amöbenruhr Definition. Durch den Parasiten Entamoeba histolytica verursachte Durchfallerkrankung. Ätiopathogenese. Der Erreger Entamoeba histolytica
ist weltweit verbreitet, kommt aber schwerpunktmäßig in tropischen und subtropischen Gebieten mit niedrigen hygienischen Standards (Afrika, Südamerika, Mexiko, Asien) vor. In Deutschland handelt es sich in der Regel um aus endemischen Gebieten importierte Infektionen. Die Infektion erfolgt über die orale Aufnahme der unbeweglichen Zysten von Entamoeba histolytica. Im Dünndarm erfolgt die Exzystierung und Entwicklung zu einkernigen, amöboid-beweglichen und teilungsfähigen Trophozoiten (Minutaformen), die im Verlauf die Oberfläche der Kolonschleimhaut kolonialisieren. Während der Darmpassage entstehen wiederum die vierkernigen, infektiösen Zystenstadien, die mit dem Stuhl ausgeschieden werden und in der Umwelt lange infektiös bleiben. Manchmal dringen die Protozoen aber auch in die Mukosa ein, können Erythrozyten phagozytieren (Magnaformen) und schwere Krankheitsbilder verursachen. Aus der Magnaform bilden sich keine infektiösen Zysten.
rurgische Therapie bei Amöbenabszess oder Amöbom sollte sorgfältig abgewogen werden. ! Cave Metronidazol ist in der Schwangerschaft kontraindiziert.
Cholera Definition. Durch Vibrio cholerae verursachte akut ver-
laufende Durchfallerkrankung. Ätiopathogenese. Der Erreger Vibrio cholerae ist ins-
Symptomatik. Wird lediglich die Kolonschleimhaut besiedelt, resultieren blande Verläufe mit mäßigen Diarrhöen. Nach Invasion der Erreger in die Mukosa (Magnaformen) und Ulzeration kann sich eine schwere Amöbenruhr entwickeln, die mit heftigen Bauchkrämpfen, blutigen (himbeergeleeartigen) Diarrhöen und in zwei von fünf Fällen mit Fieber einhergeht. Meist sind die Beschwerden nach einigen Tagen bis Wochen auch ohne spezifische Therapie selbstlimitierend. Komplikationen sind größere Darmblutungen, toxisches Megakolon oder granulomatöse Entzündungsreaktionen (Amöbom), teils mit Ileussymptomatik. Eine hämatogene Aussaat kann zu Amöbenabszessen führen. Die häufigste extraintestinale Manifestation ist dabei der Amöbenleberabszess.
besondere in Asien und Lateinamerika verbreitet. Allerdings wird er seit den 70er-Jahren auch in Europa und Afrika beobachtet. Bei niedrigen hygienischen Standards kann es zu epidemischen Ausbrüchen kommen. Weiterhin begünstigen große Bevölkerungsdichten, hohe Luftfeuchtigkeit, temporärer Salzgehalt des Wassers (Überschwemmungen) und eine nichtimmune Population eine Epidemie. Cholerafälle in Deutschland sind meist importierte Erkrankungen. Der hauptsächliche Transmissionsweg läuft über die Aufnahme des Bakteriums mit kontamiertem Wasser oder Nahrung. Häufig verläuft die Infektion inapparent, wobei das Verhältnis von manifesten zu subklinischen Verläufen auch vom Serotyp abhängt. Normalerweise wird Vibrio cholerae durch die Magensäure inaktiviert, jedoch kann bei großen Erregermengen diese Barriere durchbrochen werden. Dann kommt es zur lokalen Vermehrung von Vibrio im Darmlumen. Selten invadieren Erreger in das Epithel und führen hämatogen zur Bakteriämie. Als Pathogenitätsfaktoren spielen Endo- und Exotoxine eine Rolle, die durch Aktivierung der Adenylatzyklase zu Verlust von Wasser und Elektrolyten führen. Die beste Prävention erfolgt durch eine gute Trinkwasser- und Nahrungsmittelhygiene. Parenterale und orale Vakzine sind zwar verfügbar, bieten aber nur einen relativ kurzen und unzuverlässigen Schutz. Sie sind daher oft nicht als Reiseimpfung vorgeschrieben, können aber bei Reisen in epidemischen Regionen und Krisengebiete von Nutzen sein.
Diagnostik. Die Diagnose wird bei intestinaler Amöbi-
Symptomatik. Klinisch imponieren neben gastrointes-
asis über den Erregernachweis aus Stuhlproben gestellt. In der mikroskopischen Stuhldiagnostik ist der Erreger nicht von der apathogenen Amöbe Entamoeba dispar zu unterscheiden. Weiterführende Tests (Isoenzym-
tinalen Beschwerden mit Erbrechen v. a. die massiven, sog. reiswasserartigen Diarrhöen, die in der Folge zu Elektrolytverschiebungen, Wadenkrämpfen, Exsikkose, Bewusstseinsstörungen und Nierenversagen führen
115 4.1 · Infektiologie
und unbehandelt in bis zu 60% tödlich verlaufen. Unter adäquater Behandlung ist die Letalität mit unter 1% deutlich geringer. Diagnostik. Epidemisches Auftreten von schweren Di-
arrhöen ist in endemischen Gebieten auf Cholera verdächtig. Der Erreger lässt sich direkt aus dem Stuhl oder Erbrochenem mittels Dunkelfeld- oder Phasenkontrastmikroskopie identifizieren. Darüber hinaus ist eine Kultivierung möglich.
4
Therapie. Die kutane Leishmaniose hat eine hohe Spon-
tanheilungstendenz. Die Läsionen können lokal infiltriert werden. Die beiden anderen Verlaufsformen werden mit 5-wertigen Antimonpräparaten (Pentostam, Glucantime) behandelt. Schistosomiasis (Bilharziose) Definition. Durch Pärchenegel hervorgerufene Infekti-
on v. a. des Urogenitaltraktes. Ätiopathogenese. Die Schistosomen gehören zur den
Therapie. Wichtigste therapeutische Maßnahme ist die
Substitution von Wasser und Elektrolyten. Der Einsatz von Antibiotika wird kontrovers beurteilt. Sollen Antibiotika zum Einsatz kommen, wären z. B. Gyrasehemmer geeignet. Leishmaniose Definition. Durch verschiedene Leishmanien verur-
sachte lokale oder systemische Infektionen Ätiopathogenese. Bei Leishmanien handelt es sich um im Menschen intrazellulär in Phagozyten lebende Eukaryoten, die durch den Stich der weiblichen Sandmücke übertragen werden. Sie kommen in tropischen und subtropischen Gebieten der Erde, besonders im Mittelmeerraum und Ostafrika vor. Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Kutane Leishmaniose oder Orientbeule (L. tropica, L. major, L. aethiopica, L. mexicana oder L. brasiliense): Die lokale Infektion an der Einstichstelle führt zur Geschwürbildung, die langsam mit Narbenbildung spontan abheilt. 4 Viszerale Leishmaniose oder Kala-Azar (L. donovani): Befall von Leber, Milz, Lymphknoten, Knochenmark und Lymphknoten führt zur Hepatosplenomegalie, Fieberschüben und Hypergammaglobulinämie. Es kommt zu dunkler Pigmentierung und zu Papeln der Haut sowie zur Leukopenie und Anämie. Unbehandelt tödlicher Verlauf. Reaktivierungen sind im Zusammenhang mit HIV möglich. 4 Mukokutane Leishmaniose (L. brasiliense): Die Primärläsionen sind der kutanen Leishmaniose ähnlich. Spätrezidive im Übergangsbereich zwischen Haut und Schleimhaut in der Nasen- und Oropharynxregion können zu einer Verstümmelung des gesamten Gesichtsschädels führen. Diagnostik. Die Diagnostik erfolgt durch Mikroskopie
von durch Biopsie oder Punktion gewonnenem Material (Haut, Knochenmark).
Trematoden (Saugwürmer), nehmen dort aber eine Sonderstellung ein. Sie sind zweigeschlechtlich und leben im Geflecht von Mesenterial- oder Blasenvenen. Die Arten (v. a. S. mansoni, S. hämatobium, S. japonicum, S. intercalatum, S. mekongi) unterscheiden sich sowohl durch die Adultwürmern als auch durch die mit dem Stuhl oder Urin ausgeschiedenen Eiern (im Gegensatz zu anderen Trematoden ohne Operkulum) voneinander. Verbleiben die Eier im Gewebe, verursachen sie dort chronische Entzündungsreaktionen. Gelangen die ausgeschiedenen Eier in das Wasser von Tümpeln oder Bewässerungskanälen, schlüpfen die Mirazidien und erreichen so ihren Zwischenwirt Süßwasserschnecke. Aus den Schnecken werden dann große Mengen Zerkarien freigesetzt. Die Infektion des Menschen erfolgt im Süßwasser über das aktive Eindringen der Gabelschwanzlarven (Zerkarien) durch die intakte Haut. Dabei verlieren sie ihren Gabelschwanz und sterben entweder in der Haut ab (Zerkariendermatitis) oder gelangen hämatogen in Herz, Lunge oder Leber. Nach Reifung zu Adultwürmern im Pfortadersystem wandern sie zu ihren spezifischen Venengeflechten und leben dort im Mittel 5–8 Jahre in Dauerkopulation (Pärchenegel). Etwa 200–300 Mio. Menschen sind weltweit infiziert. Präventiv kommt der Gesundheitserziehung zur Verminderung der Verschmutzung der Gewässer mit Stuhl und Urin, dem Aufstellen von Toiletten in endemischen Gebieten sowie der Expositionsprophylaxe durch Meiden von zerkarienhaltigem Süßwasser eine wichtige Bedeutung zu. Daneben werden Molluskizide zur Schneckenbekämpfung eingesetzt. Symptomatik. Durch die Penetration der Zerkarien
kommt es innerhalb von 24 h zu allergienähnlichen Symptomen (Zerkariendermatitis, »swimmers itch«) mit Juckreiz und makulopapulösem Exanthem, das etwa 3 Tage anhält. Die akute Schistosomiasis (Bilharziose) mit systemischen allergischen Erscheinungen macht sich durch Fieber (Katayama-Fieber), Urtikaria, Exanthem, Eosinophilie, gastrointestinale Beschwerden und sel-
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4
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
tener einer Lymphadenopathie bemerkbar. Diese akute Form kann Tage bis Wochen andauern und letal verlaufen. Mit der Eiablage beginnt die chronische Schistosomiasis. Die im Gewebe verbleibenden Eier induzieren zunächst eine Granulombildung, die eine zunehmende Fibrosierung dieser Bereiche (Leber: periportale Tonpfeifenstielfibrose, Darm: Ulzerationen/Diarrhö, Harnblase: Polypen/Blutungen/Schrumpfblase/Inkontinenz, Nieren, Genitaltrakt: Polypen/Sterilität, Lungen: pul-
monale Hypertension, ZNS: Krampfanfälle/Lähmungen) zur Folge hat. Diagnostik. Die Diagnose erfolgt nach Verdacht aus
Anamnese und Klinik durch den Nachweis der Eier aus Stuhl, Urin oder Gewebe. Zudem stehen Antikörpernachweistests zur Verfügung. Therapie. Therapeutikum der Wahl ist Praziquantel. Es
hat eine Heilungsrate von ca. 80%, daher ist eine Therapiekontrolle erforderlich.
In Kürze Tropenmedizinische Krankheitsbilder Malaria
4 Symptomatik: Fieberschübe, Schüttelfrost, ggf. Kopf-/Gliederschmerzen, Gastrointestinalsymptomatik, Hepatosplenomegalie, hämolytische Anämie, Hypoglykämie, Leukozytopenie, Thrombozytopenie 4 Ätiologie: Übertragung von Plasmodien (P. malariae, P. vivax, P. ovale, P. falciparum) durch Stich der Anophelesmücke 4 Diagnostik: Blutausstriche, dicker Tropfen 4 Therapie: Kombinationstherapie von Antimalariamitteln
Durch Arthropoden übertragene Viruserkrankungen GelbfiebervirusInfektion
4 Symptomatik: unspezifische Symptome mit hohem Fieber, nach Remissionsphase erneutes Aufflammen, später dann Stadium der Leberschädigung 4 Ätiologie: Gelbfiebervirus (RNA-Virus aus der Familie der Flaviridae) 4 Diagnostik: Klinik, RNA-Nachweis 4 Therapie: Isolation, symptomatische Behandlung, Therapieversuch mit Ribavirin
DenguevirusInfektion
4 Symptomatik: Stadium 1: grippeähnliche Symptome. Stadium 2: erneuter Fieberschub, Erythem, Exanthem. Stadium 3: Abklingen der Symptome über einen Zeitraum von bis zu mehreren Wochen 4 Ätiologie: 4 Serotypen des Denguevirus, RNA-Virus der Familie der ARBO-Viren 4 Diagnostik: Klinik, Routinelabor, Nachweis von Virusbestandteilen oder RNA, Serologie nach 3–6 Tagen positiv 4 Therapie: symptomatisch, ggf. intensivmedizinische Maßnahmen. Kein ASS!
Weitere tropenmedizinische Krankheitsbilder Leishmaniose
4 Symptomatik: unterschiedlich, kutane und viszerale Formen 4 Ätiologie: intrazellulär in Phagozyten lebende Eukaryoten, die durch den Stich der weiblichen Sandmücke übertragen werden 4 Diagnostik: Erregernachweis durch Mikroskopie der Haut- oder Knochenmarksbiopsie, ggf. auch PCR oder Anzucht 4 Therapie: kutane Leishmaniose Spontanheilungstendenz, bei anderen Verlaufsformen 5-wertige Antimonpräparate (Pentostam, Glucantime)
Schistosomiasis (Bilharziose)
4 Symptomatik: Allgemeinstadium: Zerkariendermatitis, Fieber, Katayama-Syndrom. Organstadium: Blasenbilharziose (Hämaturie), Darmbilharziose (Bauchschmerzen) 4 Ätiologie: Schistosomen. Infektion durch Hautkontakt mit Zerkarien verunreinigtem Wasser 4 Diagnostik: Anamnese, Klinik, Nachweis der Eier im Urin oder Stuhl, Antikörpernachweis 4 Therapie: Praziquantel, Therapiekontrolle!
117 4.2 · Immunologie
4.2
Immunologie
4.2.1.2
Zelluläre Immunabwehr
Definition. Die Immunologie befasst sich mit der Erfor-
Träger der zellulären Immunabwehr
schung der Abwehrmechanismen des Organismus gegen körperfremde Substanzen und Erreger sowie mit deren Fehlfunktionen. Ein weites Feld nimmt heute die Erforschung und Behandlung von Allergien und Autoimmunerkrankungen ein. Der englische Arzt Edwart Jenner (1749–1823) gilt als Begründer der Immunologie. Er benutzte als erster Kuhpockenviren, um gegen Pocken zu impfen.
4 Polymorphkernige Granulozyten – Neutrophile: 50–60% der Leukozyten; Phagozytose, Eiterbildung – Basophile: <1% der Leukozyten; im Gewebe als Mastzellen; Parasitenabwehr und allergische Sofortreaktion durch IgE-vermittelte Degranulation – Eosinophile: 2–3% der Leukozyten; Parasitenabwehr; Gesamtzahl bei Allergien erhöht 4 Lymphozyten – T-Lymphozyten (CD3): – T-Helferzellen (CD4): Helferfunktion durch Zytokinausschüttung – Zytotoxische-T-Zellen (CD8): Spezifische Lyse virusbefallener Zellen und Tumorzellen – Regulatorische T-Zellen (CD4 und CD25): Regulation durch Immunsuppression – B-Lymphozyten: Vorläuferzellen von Plasmazellen; 1010 verschiedene spezifische B-ZellKlone; Antikörperproduktion durch Plasmazellen – Natürliche Killer-Zellen: unspezifische Lyse abnormer Zellen 4 Zellen des mononukleären phagozytären Systems – Monozyten/Makrophagen: Phagozytose und Antigenpräsentation
4.2.1
4.2.1.1
Anatomie und Physiologie des Immunsystems
Natürliche und adaptative Immunität Schon bei der Geburt ist der menschliche Körper nicht schutzlos den Attacken von Krankheitserregern ausgesetzt. Er besitzt eine sog. Basisabwehr. Eine erste Abwehrstufe bietet die natürliche Resistenz. Alle Körperoberflächen, stellen eine physikalische Barriere dar und verhindern so das Eindringen von Erregern in den Organismus (Säureschutzmantel der Haut, Schleimproduktion und Flimmerepithelien der respiratorischen Schleimhäute, Darmschleimhaut und Darmperistaltik). Die nächste Abwehrebene bilden die phagozytierenden Granulozyten und Monozyten. Diese besitzen die Fähigkeit, Muster von Erregerbausteinen zu erkennen, diese zu phagozytieren und abzutöten. Natural-Killer-Zellen (NK-Zellen) erkennen Tumorzellen mit spezifischen Rezeptoren und können diese so lysieren. Das Komplementsystem kann ebenfalls durch bestimmte mikrobielle Bestandteile aktiviert werden und ist in der Lage, Bakterien zu lysieren und Viren zu neutralisieren. Interferone und Interleukine sowie Akute-Phase-Proteine spielen ebenfalls in der natürlichen, nichtadaptiven Immunabwehr eine wesentliche Rolle. Bei jedem Erregerkontakt adaptiert sich das Immunsystem an die in der Umgebung vorkommenden Erreger. Nach einem Erstkontakt baut der Organismus eine Immunität auf, die verhindert, dass eine Erkrankung nochmals durchgemacht werden muss (spezifische bzw. adaptive Immunität).
4
Granulozyten Die Granulozyten machen ca. 60% der weißen Blutzellen im peripheren Blutbild aus. Sie werden im Knochenmark gebildet und haben eine Lebensdauer von 2–3 Tagen. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der unspezifischen Abwehr. Nach dem Färbeverhalten ihrer Granula in der Färbung nach Giemsa, einer Mischung aus Methylenblau und Eosin, werden sie in neutrophile, basophile und eosinophile Granulozyten eingeteilt. So färben sich basische Zellgranula durch das saure Eosin rot und saure Zellgranula mit dem basischen Methylenblau an. Haben die Zellen einen etwa gleich großen Anteil an basischen und sauren Zellgranula, färben sie sich schwach rosa und werden als Neutrophile bezeichnet. Neutrophile Sie machen ca. 50–60% der Leukozyten aus. Als junger neutrophiler Granulozyt ist ihr Zellkern stabförmig, später wird er segmentiert. Alte Neutrophile haben einen hypersegmentierten Zellkern. Ihre Aufgabe ist es, körperfremdes Material zu phagozytieren und mit Hil-
118
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
fe ihrer lytischer Enzyme, die sich in den primären sauren Granula befinden, zu zerstören. Phagozytiertes Material wird in Phagosomen eingeschlossen. Diese vereinigen sich mit den Lysosomen zu sekundären Granula. In ihnen werden die lytischen Enzyme aktiviert und lysieren das phagozytierte Material.
4
Basophile Ihr Anteil an den Leukozyten im Blutausstrich beträgt unter 1%. Ihre Granula enthalten hautsächlich Histamin, Leukotriene und Heparin. Treten sie aus der Blutbahn in das Gewebe über, werden sie als Mastzellen bezeichnet. Sie spielen bei der Infektabwehr von Parasiten und in der allergischen Sofortreaktion eine wesentliche Rolle. Die Ausschüttung ihrer Granula wird durch membranständige Antikörper der Klasse IgE vermittelt. Eosinophile 2–3% aller Leukozyten im Blutausstrich sind eosinophile Granulozyten. Ihre Granula beinhalten basische Enzyme, die sie per Exozytose an die Umgebung abgeben können. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Parasitenabwehr. Chemotaktische Reize können aktive, zielgerichtete amöboide Bewegungen beeinflussen. Ähnlich den Basophilen ist ihre Aktivierung IgE-vermittelt. Ist ein Parasit mit IgE besetzt, können die Eosinophilen sich an ihn heften und geben den toxischen Inhalt ihrer Granula direkt auf die Oberfläche des Parasiten ab. Bei allergischen Erkrankungen ist ihre Gesamtzahl wesentlich erhöht; dies wird als Indikator für das Vorhandensein einer Krankheit aus dem allergischen Formenkreis gewertet. Die Wirkung ihrer basischen Enzyme schädigt zum Beispiel beim Asthma bronchiale die Lungenepithelien. T-Lymphozyten Lymphozyten Im Differenzialblutbild haben alle Lymphozyten eine ähnliche Morphologie. Sie sind kleiner als Granulozyten und habe im Verhältnis zu ihrem Plasmavolumen einen sehr großen Zellkern. Sie werden nach dem primären Organ, in dem sie reifen, in B- und T-Zellen eingeteilt. Die B-Lymphozytenreifung wurde erstmalig bei Vögeln in der Bursa Fabricii entdeckt und beschrieben. Menschen fehlt dieses Organ. Die Reifung der B-Zellen findet hier in der fetalen Leber und im Knochenmark statt. T-Lymphozyten reifen im Thymus. Nur ca. 10% der im Thymus heranwachsenden T-Zellen verlassen das Organ als immunkompetente TLymphozyten. Zur Unterscheidung der einzelnen Lymphozytensubpopulationen bedient man sich bestimmter Oberflächenmoleküle, den »clusters of differenziation« (CD).
Gemeinsamer Oberflächenmarker aller T-Lymphozyten im peripheren Blut ist CD3. Durch weitere CD-Moleküle werden die in Subpopulationen eingeteilt, die verschiedene Aufgaben innerhalb der Immunreaktion wahrnehmen. Zu diesen Aufgaben zählen: 4 Tumorüberwachung 4 Abtötung virusinfizierter Zellen 4 Regulation und Stimulation der zellulären Immunantwort 4 Helferfunktion der humoralen Immunantwort 4 Aktivierung von Granulozyten und Makrophagen CD4-T-Helferzellen T-Helferzellen sezernieren bestimmte Zytokine. Durch IL-2 werden andere T-Zellen, durch IL-4 B-Zellen zu Wachstum und Differenzierung angeregt. IL-5 ist ein weiterer Differenzierungsfaktor für B-Zellen. Makrophagen werden von T-Helferzellen mittels IFN-γ aktiviert. T-Helferzellen steuern durch die Kombination der Ausschüttung bestimmter Botenstoffe, welche Art Antikörper von B-Zellen gebildet werden. Sie werden aufgrund ihres unterschiedlichen Sekretionsmusters von Botenstoffen in TH1- und TH2-Zellen eingeteilt. TH1Zellen sezernieren IL-2 und IFN-γ, dies regt B-Zellen zur Produktion von IgG an. Eine Kombination von IL4, IL-5 und IL-10, welche durch TH2-Tellen sezerniert werden, führt zur IgE-Produktion. Die zelluläre Immunantwort wird durch die Interaktion von T-Helferzellen mit antigenpräsentierenden Zellen immer weiter ausgebaut. Antigene werden von den o. g. Zellen mit MHC (»major histocompatibility complex«)-Molekülen der Klasse II präsentiert. Gleichzeitig werden T-Helferzellen durch die Zytokine der antigenpräsentierenden Zellen aktiviert. Durch diese Interaktion werden die T-Helferzellen aktiviert und die o. g. Signalkaskade gestartet, welche die zelluläre Immunantwort steuert. CD8-T-Lymphozyten Diese bezeichnet man als zytotoxische T-Zellen. Ihre Aufgabe ist die Zerstörung von durch sie spezifisch erkannten virusbefallenen Zellen und Tumorzellen. Sie sind hauptverantwortlich für die Abstoßung von transplantierten Organen. Regulatorische T-Zellen Sie haben die Aufgabe, die Immunreaktion zu unterdrücken. Auf ihrer Oberfläche exprimieren sie CD4 und CD25. Natürliche Killer-Zellen (NK-Zellen) Die Aufgabe großer granulozytärer Lymphozyten ist auch, virusbefallene Zellen oder Tumorzellen zu zerstö-
119 4.2 · Immunologie
ren. Die Fähigkeit, Tumorzellen zu erkennen, ist im Gegensatz zu den zytotoxischen T-Zellen von einer vorherigen Immunisierung unabhängig, also natürlich vorhanden. Virusbefallene Zellen können von NK-Zellen nicht direkt detektiert werden. Dafür bedienen sich NK-Zellen Rezeptoren, die den Fc-Teil der IgG-Antikörper erfassen können. Binden IgG-Antikörper an die Oberfläche einer virusbefallenen Zelle, wird diese für NK-Zellen opsoniert und somit sichtbar. Nun können NK-Zellen abnorme Zellen lysieren. Diesen Vorgang bezeichnet man als Antikörper-abhängige zellvermittelte Zytotoxizität. B-Lymphozyten B-Lymphozyten sind die Vorläuferzellen von antikörperproduzierenden Plasmazellen. Sie tragen an ihrer Oberfläche Immunglobuline, die spezifische Antigene erkennen. Bindet ein B-Lymphozyt an ein Antigen und wird er zudem von T-Helferzellen zur Antikörperproduktion angeregt, wandert er zu Keimzentren in Lymphknoten oder der Milz, wo er sich zur Plasmazelle differenziert. Zellen des mononukleären phagozytären Systems Wandert ein Blutmonozyt aus dem Gefäßsystem in ein entsprechendes Gewebe ein, differenziert er zum Gewebsmakrophagen. Diese findet man in allen Teilen des Körpers, z. B. in der Leber, im lymphatischen Gewebe oder in serösen Höhlen. Sie können innerhalb des Gewebes durch amöboide Bewegung frei umherwandern. Blutmonozyten haben einen bohnenförmigen Zellkern, einen gut ausgebildeten Golgi-Apparat und viele Lysosomen. Als Gewebsmakrophagen unterscheiden sie sich später zwar deutlich durch ihre Morphologie, haben aber die gleichen Aufgaben. Nach Phagozytose von Fremdmaterial wird dieses verdaut und in Fragmenten an MHC-Molekülen Helfer-T-Zellen präsentiert. Zur Phagozytose und Antigenpräsentation sind nicht allein Monozyten und Gewebsmakrophagen befähigt. Auch die Langerhanszellen der Haut und die dendritischen Zellen der sekundären Lymphorgane, BLymphozyten und einige Endothelzellen interagieren auf diese Weise mit T-Helferzellen. 4.2.1.3
Humorale Immunabwehr, Antikörper
Grundlagen der Antikörperproduktion Genetische Vielfalt der B-Vorläuferzellen Bereits vor einem Antigenkontakt stehen dem Organismus ca. 1010 verschiedene B-Zell-Klone unterschiedlicher Spezifität zur Verfügung. Diese Vielfalt entsteht während der Embryonalentwicklung (Diversifizierung). Jeder dieser Klone kann nur einen spezifischen Antikörper produzieren. Möglich ist dies durch die unterschiedliche Kombination von einzelnen Genabschnitten sowohl auf RNA- als aber auch auf DNA-Ebene. Der Grundsatz, dass
4
ein Gen ein Peptid kodiert, gilt im Falle der Antikörperproduktion nicht. Diese B-Zell-Klone tragen membranständig Rezeptoren (IgD) für ihr spezifisches Antigen. Klonale Selektionstheorie nach Burnet Beim Antigenkontakt beginnt ein spezifischer B-ZellKlon zu proliferieren und Antikörper zu produzieren. Beim Zweitkontakt mit einem Antigen steht eine wesentlich höhere Zahl von spezifischen B-Zellen zur Verfügung. Damit ist die Immunantwort beim Zweitkontrakt um vieles stärker als beim erstmaligen Kontakt mit einem Antigen. Zellklone, deren Antikörper sich gegen körpereigene Strukturen richten würden, werden unterdrückt. Somit ist eine Toleranz gegen körpereigene Strukturen gewährleistet. Aufbau, Struktur und Funktion von Antikörpern Antikörper (. Abb. 4.3) bestehen aus zwei identischen leichten Ketten (L-Ketten) und zwei identischen schweren Ketten (H-Ketten). Diese sind durch Disulfidbrücken miteinander verbunden. Es gibt zwei verschiedene Formen von L-Ketten (κ, λ) und 5 verschieden Formen von H-Ketten (γ, μ, α, ε, δ), die noch weiter in Subklassen unterteilt werden. Die H-Ketten bestimmen die Zugehörigkeit zu einer Antikörperklasse. Sowohl L- als auch HKetten haben eine variable Region, die mit der jeweils gegenüberliegenden Kette die Antigenbindungsstelle bildet. Die Antikörperbindungsstellen sind durch die oben beschriebene Diversität höchst unterschiedlich und hochspezifisch für ihr jeweiliges Antigen. Eine Gelenkregion ermöglicht den Antikörpern, unterschiedlich voneinander entfernte Antigene gleichzeitig zu binden. Durch das Enzym Papain können IgG-Antikörper experimentell in drei Teile gespalten werden. Zwei davon sind identisch und binden das passende Antigen. Sie werden als Fab-Fragment (»fragment antigen binding«) bezeichnet. Das dritte Fragment bindet kein Antigen und ist bei allen IgG-Antikörpern gleich. Da es leicht auskristallisiert wird es als Fc-Stück bezeichnet (»fragment crystallizable«). Dieses vermittelt beim intakten Antikörper bestimmte biologische Funktionen. So wird durch Fc-Stücke von IgG und IgM das Komplementsystem aktiviert; das Fc-Stück von IgE bindet an Basophile und Mastzellen. IgG IgG macht ca. 75% der vorhandenen Antikörper aus. Man kann sie nicht nur im Blut, sondern auch in anderen Körperflüssigkeiten, z. B. in serösen Höhlen und Sekreten finden. Sie haben die Grundstruktur eines Y und ein Molekulargewicht von 150 kD. Sie sind verantwortlich für die Sekundärantwort des humoralen Immunsystems. IgG-Antikörper sind plazentagängig.
120
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
4
. Abb. 4.3. Antikörper: Grundstruktur und Domänen
IgM Sie bestehen aus 5 identischen Untereinheiten, die durch eine Joining-Kette miteinander verbunden sind. Die einzelnen Untereinheiten ähneln in Ihrer Struktur IgG-Antikörpern. IgM hat ein Molekulargewicht von 970 kD. Sie machen ca. 10% der Immunglobuline aus. Sie treten bei der Primärantwort als erstes in Erscheinung. Ein plötzlicher IgM-Anstieg ist ein infektionsserologischer Hinweis auf eine Erstinfektion oder einen akuten Schub einer chronischen Infektion mit einem bestimmten Erreger. Einzelne Untereinheiten vom IgM kommen membrangebunden auf B-Lymphozyten vor und dienen ihnen als Antigenrezeptor. IgA Sie kommen sowohl als Dimer (380 kD) als auch als Monomer (150 kD) vor. Ihr Anteil im Serum beträgt ca. 15%. Ihre wichtigste biologische Aufgabe ist es jedoch, als sekretorische Antikörper in den Luftwegen, im Magen-Darmtrakt und den Harnwegen das Eindringen von Krankheitserregern in den Organismus zu verhindern. Als Bestandteil der Muttermilch schützen sie den Magen-Darm-Trakt des Neugeborenen vor Infektionen.
IgD Ihr Anteil ist mit ca. 1% der Serumantikörper sehr klein. Sie haben ein Molekulargewicht von 180 kD. Sie dienen B-Zellen als membranständige Antigenrezeptoren, werden daher kaum sezerniert und im freien Plasma relativ schell abgebaut. IgE IgE-Antikörper sind im Serum kaum nachweisbar. Ihr Molekulargewicht beträgt 190 kD. Basophile, Mastzellen und Eosinophile haben einen Rezeptor mit hoher Affinität zum Fc-Stück von IgE an ihrer Zelloberfläche. IgE spielt somit bei der allergischen Sofortreaktion und bei der Parasitenabwehr eine wichtige Rolle. Antigen und Antikörperbindung Als Antigen bezeichnet man alle Moleküle, die mit dem Immunsystem interagieren und eine Reaktion auslösen können. Meist handelt es sich um Proteine oder Kohlenhydrate. Antikörper erkennen sehr kleine Oberflächenmoleküle, bestehend aus 6–8 Aminosäuren oder Zuckermolekülen (Epitope). Eine Reaktion des Immunsystems wird aber nur ausgelöst, wenn das Epitop
121 4.2 · Immunologie
an ein größeres Molekül gebunden ist. Ist dies nicht der Fall, kann es zwar an Antikörper binden, eine Reaktion des Immunsystems unterbleibt jedoch. Das Antigen wird dann als Hapten bezeichnet. Haptene können zu Vollantigenen werden, wenn sie sich an große Moleküle, z. B. Albumin, anlagern. Die Bindung von Antikörpern an Antigene ist chemisch betrachtet eine kovalente Bindung. Antikörper können also wieder abdiffundieren. Ändert sich der pH-Wert der Umgebung oder die Ionendichte, kann die Antigen-Antikörper-Bindung wieder aufgebrochen werden. Folgen der Antigen-Antikörper-Interaktion Durch die Bindung von Antikörpern können sowohl Toxine (z. B. Diphtherietoxin) oder auch Viren neutralisiert werden. Viren können zudem mittels Antikörpern zu Immunkomplexen verklumpen. Bakterien werden für phagozytierende Zellen opsonisiert. Virusbefallene Zellen können nach Antikörperbindung durch einen antikörpervermittelten Start des Komplementsystems oder mittels der zellvermittelten Zytotoxizität lysiert werden. Durch Bindung von Allergenen an membranständiges IgE werden Mastzellen zur Degranulation angeregt und somit die allergische Sofortreaktion eingeleitet. 4.2.1.4
Humorale Immunabwehr, Komplementsystem Das Komplementsystem ist ein wesentlicher Bestandteil der angeborenen Immunabwehr. Seine Aktivierung führt zur Lyse von Bakterien und Zellen, zur Neutralisation von Viren und zur Initiierung einer Entzündungsreaktion. Vorstufen der an der Komplementreaktion beteiligten Enzyme werden in der Leber gebildet. Diese zirkulieren dann, ähnlich den Gerinnungsfaktoren, im Plasma und werden durch enzymatische Spaltung aktiviert. Zur Aktivierung der Komplementreaktion stehen 2 Wege zur Verfügung, die auf eine gemeinsame Endstrecke führen (. Abb. 4.4): 4 Klassischer Aktivierungsweg: Beteiligt sind die Komplementfaktoren C1, C4, C2, C3. Der Faktor C1 wird durch die Bindung an zwei Ig-Fc-Stücke aktiviert und spaltet die beiden Komplementfaktoren C2 und C4 in C2a und C2b sowie C4a und C4b. C2b und C4b lagern sich zusammen. Dieser C2bC4b-Komplex spaltet C3 in C3a und C3b, daher wird er als die C3-Konvertase des klassischen Weges bezeichnet. Von den abdiffundierenden kleinen Fragmenten C2a, C4a und C3a wirken C3a und C4a als Anaphylaxietoxin, allerdings wirkt C4a nur sehr schwach. Anaphylaxietoxine bewirken eine Degranulation von
4
Mastzellen. Nun bildet sich ein C4bC2bC3b-Komplex der in der Lage ist, C5 zu spalten. Dieser Komplex führt auch zu einer Opsonierung des beladenen Fremdpartikels für Neutrophile und Makrophagen und somit zu Phagozytose. Spaltet er C5, wird der terminale Effektorweg eingeleitet. 4 Alternativer Aktivierungsweg: Beteiligt sind die Komponenten C3, die Faktoren B, D, I, H und Properdin. Aktiviert wird nicht durch Antikörper, sondern durch mikrobielle Bestandteile wie Zellwandbestandteile von Hefen oder Lipopolysacchariden der Enterobakterien. C3 ist im Serum instabil und zerfällt spontan in C3b-Äquivalent (C3b’). Hierbei wird kein C3a frei. C3b-Äquivalent bindet sich locker an B und legt so dessen spaltbare Stelle frei. Faktor B kann so durch Faktor-D in Ba und Bb gespalten werden. Der nun entstandenen C3b’BbKomplex kann nun C3 und C5 spalten. Dies läuft im Plasma ständig ab, wird aber unter der Kontrolle der Faktoren I und H laufend gehemmt. Dazu muss H den Faktor Bb aus der Verbindung mit C3b’ verdrängen. Hierdurch kann C3b’ durch den Faktor I durch enzymatische Spaltung inaktiviert werden. Einige mikrobielle Substanzen können das natürlich anfallende C3b´so binden und stabilisieren, dass H nicht mehr binden kann. Somit kann es nun ungehemmt das aktive Enzym C3b’Bb bilden. Diese wird durch den Faktor P stabilisiert und kann nun seinerseits neues C3b aus C3 abspalten. Es wird daher als die C3-Konvertase des alternativen Weges bezeichnet. Die nun unkontrollierte C3 Spaltung leitet den gemeinsamen Effektorweg ein. 4 Gemeinsamer terminaler Effektorweg: Ziel des terminalen Effektorweges ist die Bildung eines Membran-Angriffskomplexes (MAC, »membran attack complex«). Beide C3-Konvertasen spalten C3 in C3a und C3b. Lagert sich nun C3b an eine der beiden C3-Konvertasen an, entstehen Enzymkomplexe aus 3 Bausteinen, C3bBbC3b oder C4a2b3b. Beide Komplexe sind in der Lage C5 in C5a und C5b zu spalten. C5b lagert sich der Zellmembran an und verbindet sich mit den Faktoren C6 und C7. Der sich nun anlagernde Faktor C8 durchstößt die Zellmembran, was schon zur Zytolyse führen kann. Allerdings ist dieser Komplex noch relativ ineffektiv. Wenn nun aber der C5b678Komplex C9 zu polymerisiert entsteht durch PolyC9 neben der Position des C5b678-Komplexes der die gesamte Zellmembran durchstoßende MAC. Er hat einen Außendurchmesser von 20 nm und einen Innendurchmesser von 10 nm. Nun können Na++-Ionen in die Zelle einströmen und so zur Zerstörung führen.
122
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
4
. Abb. 4.4. Klassischer Weg und Effektorsequenz
4.2.2
Antigenpräsentation, Regulation der Immunantwort
Alle Körperzellen präsentieren gebunden an MHCMoleküle (»major histocompatible complex«, Haupthistokompatibilitätskomplex) Zellbestandteile und Zellprodukte an ihrer Oberfläche. Haupthistokompatibilitätskomplex Der »major histocompatible complex« (MHC)) besteht aus mehreren zu einem Genkomplex zusammengefassten Genen. Es handelt sich dabei um Leitmoleküle der Antigenerkennung. Unterschieden werden: 4 MHC-Klasse-I-Moleküle: Werden von allen Körperzellen exprimiert. Beim Menschen als HLA-Antigene bezeichnet. Starke Transplantatantigene. 4 MHC-Klasse-II-Moleküle: Werden von Monozyten, Makrophagen, B-Tellen, einigen T-Zellen und einigen Endothelzellen exprimiert. Dienen der Antigenpräsentation.
Kompetente Immunzellen sind so in der Lage, zwischen körperfremd und körpereigen zu unterscheiden (. Abb. 4.5). Wird ein Krankheitserreger durch zur Phagozytose befähigte Zellen aufgenommen, werden Pep-
. Abb. 4.5. T- Lymphozytendifferenzierung
tidbestandteile des abgetöteten Erregers an der Oberfläche der Zellen präsentiert. Ebenso werden auf von Viren infizierten Zellen Virusbestandteile an der Zelloberfläche präsentiert. T-Lymphozyten erkennen ausschließlich Peptidantigene im Zusammenhang mit den MHC. Antigenpräsentation auf MHC der Klasse II führt zur Aktivierung von T-Helferlymphozyten, die über Zytokine andere Immunzellen aktivieren. Durch IL-2 werden andere T-Zellen, durch IL-4B-Zellen zu Wachstum und Differenzierung angeregt. IL-5 ist ein weiterer Differenzierungsfaktor für B-Zellen. Makrophagen werden von T-Helferzellen mittels IFN-γ aktiviert. Je nach Menge
123 4.2 · Immunologie
des präsentierten Antigens differenzieren sich die TH0Helferzellen entweder zu TH1- oder TH2-Helferzellen. Durch große Mengen eines Antigens differenzieren sie sich zu TH1-Zellen, welche B-Lymphozyten zur Produktion von IgG-Antikörpern anregen. Wird nur eine geringe Menge eines Antigens von phagozytierenden Zellen präsentiert, differenzieren sich die T-Helferzellen zu TH2-Zellen. Durch diese werden B-Zellen zur IgE-Produktion angeregt. Ein Überschießen der Immunreaktion wird durch regulatorische T-Lymphozyten verhindert. Zudem sind zytotoxische T-Zellen in der Lage, eine Apoptose in aktivierten T-Lymphozyten einzuleiten. TH1- und TH2Zellen können sich gegenseitig blockieren. 4.2.3
Abwehr von Krankheitserregern
Abwehrmechanismen 4 Abwehr von Viren – Intrazelluläre Viren: IFN und zytotoxische TZellen – Extrazelluläre Viren: Antikörper und Komplement 4 Bakterielle Abwehr – Toxinneutralisation durch Antikörper – Bakterienlyse durch Komplement – Phagozytose Antikörper-opsonisierter Bakterien – Latente Infektion bei intrazellulär lebenden Bakterien 4 Parasitenabwehr – Intrazellulär lebende Parasiten sind relativ vor der Reaktion des Immunsystems geschützt – Antigenvariation schützt vor Antikörperbindung
4.2.3.1 Abwehr von Viren Intrazellulär Da Viren über keinen eigenen Stoffwechsel verfügen, sind sie bei der Vermehrung auf Wirtszellen angewiesen. Die humorale Immunantwort kann die intrazellulär befindlichen Viren nicht bekämpfen. Die intrazelluläre Phase der Virusreplikation wird durch Interferon (IFN) und zytotoxische T-Zellen beeinflusst. Virusbefallene Zellen produzieren IFN-α und IFN-β. Durch diese werden wirtseigene Enzyme aktiviert, die die virale DNA- und RNA-Replikation blockieren. Dadurch wird die Virusreplikation in den umgebenden Zellen gehemmt. Zudem können virusbefallene Zellen durch zytotoxische T-Zellen erkannt und zerstört werden.
4
Sind virusbefallene Zellen durch Antikörper opsonisiert, sind auch Makrophagen in der Lage, diese Zellen zu lysieren. Extrazellulär Freie Viren werden durch spezifische Antikörper gebunden. Antikörperbeladene Viren sind nicht mehr in der Lage, an ihre Zielstrukturen zu binden. Durch die Antikörperbeladung kommt es zudem zur Komplementaktivierung und somit zur Viruslyse. Die Antikörperbindung von Viren führt zum Teil auch zur Immunkomplexbildung. 4.2.3.2 Abwehr von Bakterien Toxinbildner Viele Bakterien sind in das Lage, Exotoxine in ihre Umgebung zu sezernieren. Diese Toxine sind stark immunogen. Es kommt zur Bildung von spezifischen Antikörpern, welche die Toxine neutralisieren können. Durch eine Impfung mit Toxoid kann man sich z. B. vor der Wirkung des Exotoxins von Clostridium tetani oder des von Corynebacterium diphtheriae schützen. Bakterielle Endotoxine sind Bestandteil der bakteriellen Zellwand. Diese werden sowohl durch spezifische Antikörper als auch durch die zelluläre Immunreaktion bekämpft. Intrazelluläre Bakterien Intrazellulär lebende Bakterien sind vor der humoralen Immunantwort relativ geschützt. Sie vermehren sich meist in Zellen des mononukleären phagozytischen Systems, aber auch in anderen Zelllinien. So vermehrt sich z. B. Mycobacterium leprae in Makrophagen, Endothelien und Schwann-Zellen. Befallene Zellen exprimieren an MHC-II-Molekülen Bakterienbestandteile. Diese werden von T-Zellen erkannt. Durch die nun folgende Zytokinausschüttung der aktivierten T-Zellen werden Phagozyten angelockt und aktiviert. Da nur Immunzellen höherer Kompetenz fähig sind, die Erreger zu zerstören, kommt es zu einem Gleichgewicht zwischen Immunreaktion und Erregervermehrung, was zur Granulombildung und somit in eine latent verlaufende Infektion führt. Extrazelluläre Bakterien Diese sind in der Lage, sich innerhalb eines Organismus zu vermehren. Das Krankheitsbild wird nicht allein durch die von ihnen produzierten Toxine, sondern durch die Bakterien selbst vermittelt. Eine Infektion wird sowohl durch spezifische Antikörper, durch die Komplementreaktion als auch durch die zelluläre Immunreaktion kontrolliert. Gegen einige Bakterien müssen eine
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Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
Reihe unterschiedlicher Antikörper gebildet werden, um eine adäquate Immunantwort zu erreichen. > Extrazelluläre Bakterien sind klassische Eitererreger.
4
Dieser entsteht durch eine Aufnahme von extrazellulären Bakterien in Phagozyten. Einige Bakterien haben Überlebensstrategien entwickelt, mit denen sie sich durch Spaltung der Antikörper oder Exprimierung bestimmter Oberflächenstrukturen vor einer Phagozytose schützen.
Symptomatik. Klinisch steht bei Neugeborenen zu-
nächst der Hypoparathyreodismus mit Hypokalzämie zunächst im Vordergrund. Später kommt es zu schweren Verläufen verschiedener (v. a. viraler) Infektionen mit hoher Letalität im frühen Kindesalter. Diagnostik. Nachweis des Gendefektes als Ursache des
T-Zellmangels. Therapie. Symptomatische Therapie. Gegebenenfalls
Thymus- oder Knochenmarkstransplantation. 4.2.3.3 Abwehr von Parasiten Intrazellulär Mit dem Befall von Zellen, die zu keiner Immunantwort fähig sind, haben einige Parasiten Strategien entwickelt, der Infektabwehr zu entgehen. So schützen sich Malariaplasmodien, indem sie Erythrozyten befallen. Außerhalb der Zellen sind sie dagegen der Immunreaktion zugänglich. Extrazellulär Extrazellulär lebende Parasiten werden durch die zelluläre Immunantwort, hauptsächlich durch basophile und eosinophile Granulozyten angegriffen. Einige, wie zum Beispiel Trypanosoma rhodesiense, sind der Lage, der Immunreaktion durch eine Antigenvariation zu entgehen. 4.2.4
Angeborene Immundefekte
4.2.4.1
Zelluläre Immundefekte
Definition. Bei angeborenen zellulären Immundefekten
ist die Bildung, Differenzierung und die Funktion von T-Zellen eingeschränkt. Symptomatik. Infektionen durch Viren, Pilze oder Mykobakterien treten häufiger auf und nehmen einen schwereren Verlauf.
DiGeorge-Syndrom Definition. Durch genetisch bedingte Thymusaplasie verursachter T-Zellmangel.
4.2.4.2
Humorale Immundefekte
Definition. Bei humoralen Immundefekten ist die Bil-
dung bestimmter Antikörper gestört. Symptomatik. Besonders bakterielle Infektionen werden begünstigt. Bruton-Agammaglobulinämie Durch einen X-chromosomal vererbten Gendefekt fehlen den betroffenen Jungen reife B-Lymphozyten. Es kann nur sehr wenig IgG und kein IgA oder IgM produziert werden. So kommt es zu schweren bakteriellen Infektionen. Die fehlenden Immunglobuline müssen substituiert werden. Trotz Therapie bleibt die Prognose ungünstig. Limitierend wirkt hierbei eine infektbedingte chronische Lungenerkrankung. Isolierter IgA-Mangel Mit einer Inzidenz von 1:500 ist dies der häufigste angeborene Immundefekt. Die Vererbung ist entweder autosomalrezessiv oder dominant. Häufig handelt es sich aber auch um eine Spontanmutation. Der IgA-Mangel bleibt oft symptomlos, es kann aber gehäuft zu respiratorischen Infekten kommen. Therapeutisch beschränkt man sich auf symptomatische Maßnahmen. Eine IgA-Substitution ist wegen der Gefahr einer anaphylaktischen Reaktion nicht möglich.
Common variable immunodeficiency (CVID) Synonym. »Late onset hypogammaglobulinemia«. Definition. Angeborener B-Zelldefekt mit Antikörper-
mangel. Ätiopathogenese. Das DiGeorge-Syndrom spielt bei
angeborenen T-Zell-Defekten im klinischen Alltag die wichtigste Rolle. Durch eine Deletion auf Chromosom 22 kommt es zu einer gestörten Ausbildung der 3. und 4. Schlundtasche. Daher sind der Thymus und die Nebenschilddrüsen nur unzureichend angelegt oder fehlen ganz. Durch die dadurch gestörte T-Zell-Reifung kommt es zu Mängeln in der T-Zellfunktion mit Defekten sowohl in der zellulären Immunreaktion als auch in der T-Zell-abhängigen Antikörperproduktion.
Ätiopathogenese. Der Vererbungsmodus ist nicht be-
kannt. Durch eine Funktionsstörung der B-Zellen kommt es zu einer Hypogammaglobulinämie. Symptomatik. Ein erster Manifestationsgipfel liegt zwi-
schen dem 1. und 5. Lebensjahr. Häufig tritt die Erkrankung aber erst in der Pubertät durch gehäufte Infekte in Erscheinung.
125 4.2 · Immunologie
! Cave Das Risiko einer Malignomentstehung ist um den Faktor 50 erhöht.
Diagnostik. Nachweis des obligaten IgG-Mangels bei
meist normaler B-Zellart. IgA und IgM können ebenfalls erniedrigt sein.
4
fischen allergenbindenden Antikörpern gefahndet werden und somit eine Allergie gegen bestimmte Antigene exakt bestimmt werden. Zur endgültigen Diagnose ist bei vielen Autoimmunerkrankungen eine histologische Begutachtung von Biopsiematerial unabdingbar. Gelegentlich sind hierzu auch immunhistochemische Spezialfärbungen notwendig.
Therapie. Behandelt wird zunächst symptomatisch, im
Bedarfsfall auch durch Immunglobulingabe. 4.2.6 4.2.5
Immunmodulation, Immuntherapie
Labordiagnose des Immunstatus
Bei Verdacht auf eine Störung der Immunabwehr oder eine Reaktion des Immunsystems auf eine Infektion können oft schon einfache Standardverfahren im Routinelabor wichtige Fragen beantworten: 4 Differenzialblutbild 5 Leukozytenzahl, Anteil an Lymphozyten, Neutrophilen, Basophilen, Eosinophilen 5 Rechts- oder Linksverschiebung innerhalb der Granulozytenpopulation 5 Blasten im Blutausstrich 5 Thrombozytenzahl 4 Serumelektrophorese 5 Eiweißmangel, Leberfunktionsstörung, Immunglobulinmangel, monoklonale Gammopathie 4 HIV-Test 5 Erworbene Immunschwäche Mit weiterführender Diagnostik können die zelluläre oder humorale Immunlage abgeklärt werden: 4 Leukozytendifferenzierung: CD4-T-Lymphozytenmangel, Mangel an Lymphozyten einer anderen Subpopulation 4 Knochenmarkspunktion: Bildungsstörung der Blutzellen, Erkrankung aus dem hämato-onkologischen Formenkreis 4 Quantitative Bestimmung der Immunglobuline mittels Immunfixation: Mangel an Antikörpern einer bestimmten Antikörperklasse, monoklonale Gammopathie 4 Bestimmung der Komplementfaktoren: Störung im Komplementsystem Zur Diagnostik der verschiedensten Autoimmunerkrankungen kann gezielt nach bestimmten Autoantikörpern oder nach Gendefekten gesucht werden. Mit einem RIST (Radio-Immuno-Sorbens-Test) kann die Gesamt-IgE-Menge bestimmt werden. Mit dem aufwendigeren und auch wesentlich teureren RAST (Radio-Allergo-Sorbens-Test) kann nach spezi-
4.2.6.1 Immunsuppressiva Kortikosteroide Etwa 1% der Genexpression wird durch Glukokortikoide gesteuert. Diese binden an intrazelluläre Rezeptoren, was zur Transkription eines bestimmten Genabschnitts führt. Da glukokortikoidbindende Rezeptoren in fast allen Körperzellen exprimiert werden, haben Glukokortikoide ein breites Spektrum erwünschter, aber auch unerwünschter Wirkungen. So wird z. B. die Produktion von an der Immunreaktion beteiligten Botenstoffen wie Interleukinen und TNF-α unterdrückt. > Insgesamt kommt es zu einer Suppression der Immunantwort.
Das Nebenwirkungsspektrum umfasst neben z. B. Wasserretention, Gewichtszunahme, diabetogener Stoffwechsellage auch immer die Gefahr einer durch die Immunsuppression begünstigten Infektion. Zytotoxische Medikamente Substanzen wie Cyclophosphamid, Methotrexat oder Azathioprin sind Zellgifte, die mit der DNA-Synthese interagieren und die Zellteilung verhindern. Am stärksten wirkt sich dies bei sich schnell teilenden Geweben aus. Deshalb bewirken Zytostatika nicht nur eine Immunsuppression, sondern auch eine Schädigung der Darmschleimhaut, der Hämatopoese und des Haarbestands. Um die Nebenwirkungen zu vermindern, werden Zytostatika fast immer mit anderen Immunsuppressivaklassen kombiniert. Ciclosporin, Tacrolimus, Rapamycin Diese Substanzen wurden aus Bakterien oder Pilzen isoliert. Sie binden an als Immunophiline bezeichnete Proteine. Durch Bildung von Komplexen mit diesen Proteinen interagieren sie mit Faktoren, die für die klonale Lymphozytenexpansion wichtig sind. Sie sind heute als eine relativ untoxische Alternative zu den zytostatischen Medikamenten einsetzbar.
126
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
> Ciclosporin, Tacrolimus und Rapamycin bewirken durch die Interaktion mit den Signalwegen innerhalb der T-Zellen eine Immunsuppression.
4
4.2.6.2 Immuntherapie mit Antikörpern Zur Herstellung von Antilymphozyten-Antikörpern werden Pferden humane Lymphozytenantigene geimpft und gebildete Antikörper aus dem Pferdeserum gewonnen. Diese Antikörper führen beim Menschen nicht nur zur Zerstörung der Lymphozyten, die ursächlich für eine Autoimmunerkrankung sind, sondern schädigen die gesamte Lymphozytenpopulation. ! Cave Pferdeantikörper sind beim Menschen stark immunogen, was durch eine Immunkomplexbildung zur Serumkrankheit führen kann.
Durch monoklonale Antikörper werden humane Zielzellen entweder direkt zerstört oder es kommt zur Funktionsbehinderung bestimmter Zielstrukturen, ohne die Zellen direkt zu schädigen. So werden z. B. Lymphozyten durch eine Blockade von Integrinen daran gehindert, aus dem Gefäßsystem in das Interstitium überzutreten. Antikörper können zudem zu einer Opsonisierung von Zellen für Monozyten und Makrophagen führen. Dieses Prinzip versucht man sich auch in der Behandlung maligner Tumoren zu Nutze zu machen, indem bestimmte Oberflächenstrukturen, die sonst vom Immunsystem nicht als körperfremd erkannt werden, durch Antikörper markiert und damit der Immunantwort zugänglich gemacht werden. Durch eine Bindung bestimmter Zytostatika oder Radioisotope an tumorspezifische Antikörper können diese mit hoher Spezifität in Tumorgewebe eingeschleust werden. 4.2.6.3 Immuntherapie mit Zytokinen Bei der Behandlung von Hepatitis B und C, Haarzellleukämie, CML oder T-Zell-Lymphomen werden Interfe-
rone eingesetzt. Diese lösen intra- und extrazellulären Wirkungen aus. Es kommt durch eine Immunmodulation zu antiproliferativen und antiviralen Effekten. Interferone wirken nicht direkt antiviral, sondern interagieren mit intrazellulären Faktoren der RNS- und Proteinbiosynthese, die antivirale Effekte haben. Häufige Nebenwirkungen sind Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, Leukopenie und Thrombozythämie. Vor dem therapeutischen Einsatz von Interferonen müssen schwere Autoimmunerkrankungen ausgeschlossen werden, da es unter der Interferontherapie zu einer Verschlechterung der Erkrankung kommen kann. Als weitere Zytokine sind Proliferationsfaktoren der Hämato- und Granulopoese im Einsatz: 4 Erythropoetin steigert die Erythrozyten- und Thrombozytenproduktion des Knochenmarks. 4 Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor (GCSF) und Granulozyten-Makrophagen-Koloniestimulierender Faktor (GM-CSF) werden bei Neutropenie eingesetzt, um durch eine vermehrte Granulozyten- und Makrophagenproduktion ein Infektionsrisiko zu vermindern. 4.2.6.4 Desensibilisierung mit Antigenen Kommt der Organismus mit nur geringen Dosen eines Allergens in Kontakt, folgt eine Differenzierung von CD4-Zellen vom TH0-Typ zu Zellen vom TH2-Typ. Diese stimulieren B-Zellen zur Produktion von spezifischen IgE-Antikörpern. Ist die Antigenmenge dagegen höher, erfolgt eine Differenzierung von TH0-Zellen zu Zellen vom TH1-Typ, die B-Zellen zur IgG-Produktion anregen. Dies macht man sich bei der Desensibilisierungstherapie zunutze, indem ein Antigen in ansteigender Dosierung injiziert wird. 4.2.6.5 Immunglobulinsubstitution Bei angeborenem oder erworbenem Immunglobulinmangel können zur Infektabwehr aus Blutspenden gewonnene Antikörper substituiert werden.
In Kürze Angeborene Immundefekte Common variable immunodeficiency
4 Symptomatik: erster Manifestationsgipfel zwischen 1. und 5. Lebensjahr. Auftreten häufig erst in der Pubertät durch gehäufte Infekte. Malignomenstehungsrisiko 50-fach erhöht 4 Ätiologie: Vererbungsmodus nicht bekannt. durch Funktionsstörung der B-Zellen kommt es zur Hypogammaglobulinämie 4 Diagnostik: Nachweis des obligaten IgG-Mangels bei meist normaler B-Zellzahl 4 Therapie: symptomatische Behandlung der auftretenden Infektionen
127 4.2 · Immunologie
4.2.7
Autoimmunerkrankungen
4.2.7.2 Vaskulitiden Morbus Wegener
Die genaue Ätiologie ist bei den meisten Autoimmunerkrankungen noch weitestgehend unbekannt. Bei vielen Erkrankungen aus diesem Formenkreis scheint aber eine genetische Disposition eine bedeutende Rolle zu spielen.
Synonym. Wegenersche Granulomatose.
4.2.7.1
Epidemiologie. Prävalenz: 5/100.000.
Gelenk, Muskel, Bindegewebserkrankungen Rheumatoide Arthritis (RA) Definition. Chronisch entzündliche Systemerkrankung mit Synovialitis, Arthritis, Bursitis und Tendovaginitis. Ätiopathogenese. Bei rund 70% der an einer RA lei-
denden Patienten kann das HLA-Gen DR 4 nachweisen werden. Meist beginnt diese Systemerkrankung um das vierte Lebensjahrzehnt.
4
Definition. Vaskulitis, die zu ulzerierenden Granulo-
men innerhalb des Respirationstraktes (Nase, Nasennebenhöhlen, Oropharynx, Lunge) und der Nieren führt.
Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Lokal begrenztes Stadium ohne Nierenbeteiligung und systemische Vaskulitis, mit chronischer Rhinitis, Ulzerationen im Oropharynx und Lungenrundherden. 4 Vaskulitisches Generalisierungsstadium mit zusätzlich alveolärer Hämatopnoe, Glomerulonephritis, Fieber und ZNS-Syndromen. Diagnostik. Im Labor findet man eine beschleunigte
leiden an einer rheumatoiden Arthritis (RA). Frauen sind 3- bis 4-mal häufiger betroffen als Männer.
BSG, CRP-Anstieg, Erythrozyturie, Anstieg der Retentionsparameter, Leukozytose, Thrombozytose, c-ANCA und PR3-ANCA (50–95%).
Symptomatik. Die RA beginnt oft mit unspezifischen
Therapie. Behandelt wird immunsuppressiv. Im Ge-
Allgemeinsymptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, subfebrilen Temperaturen und Myalgien. Durch die Entzündungsreaktion in den Gelenken kommt es im Endstadium zum Funktionsverlust und zur Fehlstellung der Gelenke.
neralisierungsstadium sind hohe Kortisondosen (1 mg/kg KG/Tag) in Kombination mit Cyclophosphamid notwendig. Im Remissionsstadium kann die Kortisondosis reduziert und Cyclophosphamid gegen besser verträgliche Immunsuppressiva wie Methotrexat ausgetauscht werden.
Epidemiologie. Etwa 1% der erwachsenen Bevölkerung
Diagnostik. Im Labor ist die Blutsenkung oft be-
schleunigt, CRP erhöht, Serumeisen erniedrigt und Kupfer im Serum erhöht. Rheumafaktoren (Antikörper gegen das Fc-Stück von IgG) sind in ca. 40% der Fälle positiv. Sonographisch lassen sich in den Gelenke Ergüsse und Panusbildung nachweisen. Erst bei weiter fortschreitender RA werden die Gelenkveränderungen radiologisch sichtbare (Stadium I: gelenknahe Osteoporose bis Stadium IV: Gelenkzerstörung und -deformation) Therapie. Die Behandlung umfasst physikalische Therapie, Physiotherapie, NSAR, Glukokortikoide und sog. Basistherapeutika (Methotrexat, Hydroxychloroquin, Goldsalze). Weitere Erkrankungen. Psoriasisarthritis, seronegative Spondylarthritiden, ankylosierende Spondylitis. Postinfektiöse Erkrankungen. Reaktive Arthritis, Rei-
ter-Syndrom.
Weitere Erkrankungen. Churg-Strauss-Syndrom, mi-
kroangiopathische Panarteriitis, Panarteriitis nodosa, Kawasaki-Syndrom, Riesenzellarteriitis, Takayasu-Arteriitis. 4.2.7.3 Neurologische Erkrankungen Multiple Sklerose (MS) Definition. Schubförmig oder chronisch-progredient verlaufende Entmarkungskrankheit des Zentralnervensystems. Ätiopathogenese. Die genaue Ursache der MS ist
weiterhin unklar. Sowohl genetische als auch Umweltfaktoren werden diskutiert. Autoaggressive T-Zellen lösen eine Entzündungsreaktion aus, die zu einer Schädigung der Markscheiden durch Plaqueablagerung führt. Die Plaques sind in unterschiedlicher Größe im ZNS (Sehnerven, Balken, Hirnstamm, Kleinhirn, Pyramidenbahnen) und in den Hintersträngen des Rückenmarks verteilt.
128
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
Epidemiologie. Eine der häufigsten organischen
Nervensystemerkrankungen, Prävalenz: 30–60/ 100.000 Einwohnern. Die MS kommt in der weißen Bevölkerung auf der Nordhalbkugel mit größer werdendem Abstand zum Äquator mit zunehmender Häufigkeit vor.
4.2.7.5 Endokrinologische Erkrankungen Diabetes mellitus Definition. Absoluter Insulinmangel durch immunologisch bedingte Zerstörung der Inselzellen im Pankreas (Diabetes mellitus Typ 1). Auch der relative Insulinmangel beim Diabetes mellitus Typ 2 ist in seltenen Fällen immunogen bedingt.
Symptomatik. Der Krankheitsverlauf ist entweder
4
schubweise und/oder chronisch fortschreitend und beginnt in der Regel zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Die Patienten leiden je nach befallenen Regionen an Sehstörungen, motorischen Syndromen, Sprech-, Sensibilitäts-, Blasen-, Kleinhirnfunktionsstörungen, aber auch psychischen Veränderungen.
Diabetes mellitus Typ II Auch der relative Insulinmangel beim Diabetes mellitus Typ 2 ist in seltenen Fällen immunogen bedingt. Beispielsweise können Anti-Insulinrezeptor-Antikörper die Wirkung von Insulin an den Zielzellen verhindern.
Weitere Erkrankungen. Morbus Basedow, chronische Diagnostik. Anamnese, Klinik, bildgebende Verfahren
(MRT), Liquordiagnostik (intrathekale Erhöhung des IgG), elektrophysiologische Untersuchungen (visuell evozierte Potenziale). Therapie. Im akuten Schub wird hochdosiert mit Kortison, gelegentlich auch mit Zytostatika behandelt. Prophylaktisch kommen Azathioprin, Interferon, Kopolymer und Immunglobuline zum Einsatz.
4.2.7.4 Gastrointestinale Erkrankungen Morbus Crohn Definition. Diskontinuierliche Entzündung der tiefen Wandschichten des gesamten Gastrointestinaltraktes. Ätiopathogenese. Die genaue Ätiologie ist unbekannt. Häufig manifestiert sich die Erkrankung im terminalen Ileum und im proximalen Kolon, sie kann aber den gesamten Gastrointestinaltrakt betreffen.
lymphozytäre Thyreoiditis (Hashimoto). 4.2.7.6 Augenerkrankungen Arteriitis temporalis Definition. Granulomatöse Arteriitis. Ätiopathogenese. Riesenzellarteriitis, die neben der
Arteria temporalis auch die A. ophthalmica, die Aa. ciliares breves posteriores, die A. centralis retinae sowie den proximalen Anteil der A. vertebralis befallen kann. Epidemiologie. Meist sind die Patienten älter als 60 Jah-
re, die Inzidenz beträgt ca. 3/100.000/Jahr. Frauen erkranken etwas häufiger als Männer. Symptomatik. Die meisten Patienten berichten über
stärkste Kopfschmerzen, die sich durch Kaubewegungen verstärken. Auch eine einseitige Sehbehinderung bis hin zur Erblindung ist typisch. Zudem ist der Bereich der A. temporalis extrem druckempfindliche.
Epidemiologie. Inzidenz: ca. 3/100.000/Jahr. Diagnostik. Histologie aus einer Biopsie der A. tempoSymptomatik. Die Patienten leiden an abdominellen
ralis.
Schmerzen und Diarrhöen. Es kann auch zu Mitbeteiligung von Haut, Augen, Gelenken und der Leber kommen.
Therapie. Schon bei Verdacht auf eine Arteriitis tempo-
Diagnostik. Anamnese, Klinik, Endoskopie und Histologie, radiologischer Befund. Therapie. Diätetische Maßnahmen, Mesalazin und
ralis muss mit einer hochdosierten Kortisontherapie begonnen werden. ! Cave Die Gefahr einer Erblindung auf dem betroffenen Auge ist ohne Therapie groß.
Kortikosteroide. Weitere Erkrankungen. Colitis ulcerosa, Typ-A-Gastritis, Nahrungsmittelallergie, Autoimmunhepatitis.
4.2.7.7 Hämatologische Erkrankungen Plasmozytom Synonym. Multiples Myelom. Definition. Aggressives B-Zell-Lymphom mit diffuser
Infiltration des Knochenmarks.
129 4.2 · Immunologie
Ätiopathogenese. Durch die übermäßige Immunglobulinproduktion kommt es entweder zur monoklonalen Gammopathie oder, beim Bence-Jones-Plasmozytom zur ungehemmten Produktion von κ- oder λ-Ketten. Diese werden vermehrt im Urin ausgeschieden. Durch das Auftreten von Plasmazellnestern im Knochenmark entstehen osteolytische Herden, die sich meist im Schädelknochen (Lochschädel), in den Rippen und im Beckenbereich nachweisen lassen.
4
Symptomatik. Die Symptome wie Mikrohämaturie
und Proteinurie ähneln denen anderer Glomerulonephritiden. Diagnostik. Klinik, Nierenbiopsie. Therapie. Symptomatische Behandlung, entsprechend
der ausgeschiedenen Eiweißmenge. Weitere Erkrankungen. Akute postinfektiöse Glomeru-
Epidemiologie. Inzidenz von 3/100.000/Jahr, zumeist
lonephritis, Nierenbeteiligung bei Vaskulitiden.
bei Patienten jenseits des 40. Lebensjahres. Symptomatik. Die anfänglichen Symptome sind eher un-
spezifisch, so berichten die Patienten über Abgeschlagenheit und Schwäche. Bei ausgeprägtem Knochenmarksbefall entwickeln sich Anämie, Leukopenie und Thrombozytopenie mit entsprechenden Folgeerscheinungen. Durch eine Zerstörung der Knochenstruktur kommt es ähnlich dem Bild einer Osteoporose zu Knochenbrüchen. Durch die auftretende Hyperkalzämie treten Muskelschwäche und Nierenschäden hinzu. Letztere beruhen auch auf den Ablagerungen von Leichtketten (κ- oder λKetten) im Tubulussystem der Nieren. Folge ist dann eine erhöhte Eiweißausscheidung über die Niere, letztendlich kommt es zum Funktionsverlust der Nieren. Diagnostik. In den Laboruntersuchungen ist eine ex-
trem beschleunigte BSG (Sturzsenkung), Proteinurie (Bence-Jones-Proteinurie), ein vermehrtes Gesamteiweiß mit entsprechend veränderter Eiweißelektrophorese, eine Hyperkalzämie sowie eine Anämie auffällig.
4.2.7.9 Hauterkrankungen Hereditäres Quincke-Ödem Definition. Akut auftretendes Angioödem. Ätiopathogenese. Das seltene hereditäre Quincke-
Ödem wird durch eine Störung im Komplementsystem ausgelöst, bei der es zu einer mangelnden Aktivität des C1-Esterase-Inhibitors kommt. Dieser Defekt wird bei einigen malignen Lymphomen beobachtet. Symptomatik. Es kommt spontan oder nach Traumen
zu umschriebenen Schwellungen tiefer Gewebeanteile der Haut, besonders im Gesicht und im Bereich der Schleimhäute. Quaddeln und Juckreiz fehlen. ! Cave Kommt es beim Quincke-Ödem zu einer Mitbeteiligung der oberen Luftwege, droht erhebliche Erstickungsgefahr.
Diagnostik. Nachweis des C1-Esterase-Mangels. Therapie. Verschiedene kurative und palliative Chemo-
therapieansätze, lokale Bestrahlung. Weitere Erkrankungen. HCLL, ALL, Hodgkin-Lym-
phome, Non-Hodgkin-Lymphome, M. Waldenström, angeborene oder erworbene Immunschwäche, autoimmunhämolytische Anämien. 4.2.7.8 Nierenerkrankungen IgA-Nephropathie Synonym. Morbus Berger. Definition. Mesangioforme Glomerulonephritis durch
IgA-Ablagerungen. Ätiopathogenese. Die Ätiologie ist unbekannt. Epidemiologie. Die IgA-Nephritis ist mit einem Anteil von 15–40% die häufigste Form der primären idiopathischen Glomerulopathien.
Therapie. Behandelt wird das akute hereditäre Quincke-Ödem mit FFP und C1-Inhibitor-Konzentrat. Prophylaktisch wird das Androgen Danazol eingesetzt. Weitere Erkrankungen. Allergische Hautreaktion,
Pemphigus vulgaris, Dermatitis herpetiformis Duhring. 4.2.7.10 Generalisierte Erkrankungen Sarkoidose (M. Boeck) Definition. Granulomatöse Systemerkrankung unklarer Ätiologie, die die sich in über 90% der Fälle in der Lunge manifestiert. Mit Löfgren-Syndrom wird die akute Verlaufsform der Sarkoidose mit der typischen Trias aus Sprunggelenksschwellungen, Erythema nodosum und einer bihilären Lymphknotenschwellung bezeichnet. Epidemiologie. Prävalenz: 50/100.000.
130
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
Symptomatik. Die chronische Sarkoidose ist oft symp-
Diagnostik. Im Labor sind BSG, Gammaglobuline, IgG,
tomfrei und wird als reiner Zufallsbefund entdeckt.
Kalzium, ACE, IL-2 und Neopterin erhöht. Die Diagnose wird durch das Lymphozytenverhältnis in der bronchoalveolären Lavage (BAL) sowie durch Histologie von transbronchial oder mediastinoskopisch gewonnenem Lymphknotenmaterial gesichert.
> Typisch ist die oft große Diskrepanz zwischen ausgeprägtem Lungenbefund und subjektiver Beschwerdefreiheit.
4
Die Sarkoidose kann sich auch an den Augen (25%), der Parotis, den Knochen, dem Nervensystem, dem Herz sowie der Leber, Milz und Muskulatur manifestieren. Als Komplikation sind eine respiratorische Insuffizienz und ein Cor pulmonale gefürchtet.
Therapie. Die Spontanheilungstendenz ist relativ hoch.
Bei komplizierten Verläufen kommen Glukokortikoide zum Einsatz. Weitere Erkrankungen. Lupus erythemathodes, Poly-
myositis, Dermatomyositis.
In Kürze Autoimmunerkrankungen Heriditäres QuinckeÖdem
4 4 4 4
Symptomatik: Ödemattacken durch unkontrollierte Komplementaktivierung Ätiologie: Mangel an C1-Esterase-Inhibitor Diagnostik: Nachweis des C1-Esterase-Inhibitor-Mangels Therapie: Antihistaminika und Kortikoide sind wirkungslos. Prophylaxe mit Danazol, Akuttherapie mit FFP und C1-Inhibitor-Konzentrat
Sarkoidose
4 4 4 4
Symptomatik: oft symptomlos, selten Löfgren-Syndrom Ätiologie: granulomatöse Systemerkrankung unklarer Ätiologie Diagnostik: Röntgen der Lunge, BAL Therapie: oft nicht notwendig, ggf. Glukokortikoide
4.2.8
Allergie
4.2.8.1
Grundlagen
Definition. Als Allergie bezeichnet man eine Erkran-
kung, die als Folge einer Immunantwort auf ein für den Organismus sonst ungefährliches Antigen auftritt. Krankheiten aus dem allergischen Formenkreis spielen heute in den Industrienationen eine bedeutende Rolle. Zwar sind lebensgefährliche Anaphylaxiereaktionen immer noch recht selten, aber ungefähr jeder Zweite in Nordamerika und Europa zeigt allergische Reaktionen auf ein oder mehrere Umweltantigene. Nicht alle Umweltantigene sind gleichermaßen in der Lage, Allergien auszulösen. Das ideale Allergen ist ein kleines, gut lösliches Protein mit enzymatischer Aktivität, das in geringen Dosen in der Umwelt gebunden an trockenen Trägerpartikeln vorkommt und sowohl in der Umwelt als auch im Organismus relativ stabil ist. > Die Prädisposition zur Entwicklung von Allergien wie Asthma und Heuschnupfen wird als Atopie bezeichnet.
Entsprechende Genabschnitte wurden auf Chromosom 5 und 11 gefunden. Die genaue Ätiologie der allergischen Krankheiten ist bislang noch weitestgehend unbekannt. Entscheidenden Einfluss scheinen jedoch zusammen mit der genetischen Prädisposition die Umweltbedingungen zu spielen. Eine frühe Infektion mit Hepatitis A, primärer Tuberkulose sowie frühe Kolonisation des Darms mit symbiotischen Darmbakterien scheinen protektiv vor Allergien zu wirken. Ebenso kommen in Gesellschaften, in denen Wurmerkrankungen endemisch sind, Allergien wesentlich seltener vor. 4.2.8.2 Allergische Reaktionstypen Generell werden eine Sofortreaktion und eine verzögerte Reaktion des Immunsystems unterschieden: 4 Die Sofortreaktion ist direkt histamin- und prostaglandinvermittelt und zeigt eine Permeabilitätsänderung des Gewebes und eine Kontraktion glatter Muskulatur. Sie tritt ca. 30 min nach Allergenexposition auf. Folge ist eine Obstruktions- und Hypersekretionssymptomatik in den Atemwegen
131 4.2 · Immunologie
oder auch eine übermäßige Flüssigkeitssekretion im Magen-Darm-Trakt, welche Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö nach sich zieht. 4 Die Spätreaktion, die 6–8 h nach Allergenexposition auftritt, ist eine Reaktion auf die Freisetzung von Mediatoren wie Prostaglandinen und Leukotrienen. Diese induzieren eine zelluläre Entzündungsreaktion (Leukozyten, eosinophile Granulozyten, T-Lymphozyten) in den jeweilig betroffenen Körperregionen. Nach Coombs und Gell werden 4 Typen der allergischen Reaktion definiert (. Tab. 4.10). 4.2.8.3 Allergische Erkrankungen Allergisches Asthma Eine der häufigsten allergischen Krankheiten bei Atopikern ist das allergische Asthma. Die auslösenden Allergene verursachen die bekannte Obstruktion und Hypersekretion des Bronchialbaums und unterhalten zudem eine chronische Entzündungsreaktion in den Atemwegen. Kontaktdermatitis Bei der Kontaktdermatitis handelt es sich um eine allergische Reaktion vom verzögerten Typ. Niedermolekulare Reizstoffe wie Nickelsalze reagieren mit körpereigenen Proteinen und werden so erst durch eine »Verfremdung« der Proteine zum Allergen. Nach Prä-
4
sentation durch Langerhanszellen werden T-Zellen induziert, welche in der Haut die allergische Reaktion unterhalten. 4.2.8.4 Therapie Prävention Allergenkarenz ist die effektivste Möglichkeit, Patienten vor Symptomen ihrer Erkrankung zu schützen. Dies ist leider meist nur bedingt möglich. Einen präventiven Ansatz verfolgt man beim Einsatz von Mastzellstabilisatoren wie Cromoglycinsäure oder durch die Gabe von Omalizumab, welches die Bindung von IgE an seine Effektorzellen verhindert. Eine weitere Möglichkeit der Prävention von Allergien stellt die Hyposensibilisierungstherapie dar. Hyposensibilisierungstherapie Eine Möglichkeit der Behandlung von Allergien stellt die Hyposensibilisierungstherapie dar. Kommt der Organismus mit nur geringen Dosen eines Allergens in Kontakt, folgt eine Differenzierung von CD4-Zellen vom TH0-Typ zu Zellen vom TH2-Typ. Diese stimulieren B-Zellen zur Produktion von spezifischen IgE-Antikörpern. Bei der Hyposensibilisierung wird dem Patienten das Allergen in ansteigender Dosis s.c. injiziert. Wird nun der Körper höheren Dosen des Allergens ausgesetzt, so differenzieren sich die CD4-Zellen vom TH0-Typ nicht zu Zellen vom TH2-Typ, sondern zu solchen vom TH1-Typ. Diese stimulieren B-Zellen nicht
. Tab. 4.10. Allergietypen nach Coombs und Gell Typ I Anaphylaktischer Reaktionstyp
Typ II Zytotoxischer Reaktionstyp
Typ III Immunkomplextyp
Typ IV Verzögerter Typ
Vermittler
IgE
IgG (und IgM)
IgG
T-Zellen
Antigen
Lösliches Antigen
Zell- oder Matrixassoziiertes Antigen
Lösliches Antigen
Lösliches Antigen
Mechanismen
Mastzellaktivierung o Ausschüttung von Histamin u. a. Mediatorensubstanzen
Spezielle Bindung von Antikörpern an Oberflächenantigen o Aktivierung sekundärer Abwehrmechanismen (Komplement/zelluläre Abwehr)
Entstehung von schwerlöslichen und schwer abbaubaren Immunkomplexen im Lymphraum und im Serum o Komplementaktivierung
Aktivierung von Makrophagen und T-Zellen
Beispiele
Heuschnupfen, Asthma, Nesselsucht, Überempfindlichkeit bei Nahrungsmitteln, Insektenstichen und Arzneimitteln, anaphylaktischer Schock
Autoaggressive hämolytische Anämie, Hashimoto-Thyreoiditis, Transfusionszwischenfälle
Serumkrankheit, Arthusreaktion
Kontaktdermatitis, Tuberkulinreaktion, zahlreiche Autoimmunerkrankungen
132
Kapitel 4 · Infektiologie, Immunologie
zur Produktion von IgE-Antikörpern sondern zu IgGAntikörpern. Auf diese Weise versucht man die Produktion von IgE zu supprimieren, um so die Allergiesymptomatik abzuschwächen. Symptomatische Therapie
4
Bei Allergien vom Soforttyp werden Antihistaminika eingesetzt, die die H1-Rezeptoren blockieren. Bronchokonstriktion bei allergischem Asthma begegnet man mit bronchodilatierenden Substanzen. Um die Spätfolgen der chronischen Entzündungsreaktionen zu bekämpfen, bedient man sich topischer und auch systemischer Kortikoide. 4.2.9
Transplantationsimmunologie
Definition. Bei einer Transplantation handelt es sich um eine Übertragung von Gewebe, Zellen oder ganzen Organen. Unterschieden werden: 4 Autologe Transplantation: Übertragung von körpereigenem Material, z. B. Spalthautübertragung 4 Isogene Transplantation: Organübertragung zwischen genetisch identischen Individuen, z. B. Organtransplantation von einem eineiigen Zwilling auf den anderen 4 Allogene Transplantation: Organübertragung zwischen genetisch verschieden Individuen einer Spezies, z. B. Transplantation einer Spenderniere zwischen nichtverwandten Individuen 4 Heterogene Transplantation oder Xenotransplantation: Organübertragung zwischen Individuen verschiedener Spezies, z. B. Organtransplantation zwischen Ratten und Mäusen
4.2.9.1 Abstoßungsreaktionen Die Immunreaktion des Körpers richtet sich bei einer Transplantatabstoßung gegen die Humanen Leukozyten Antigene (HLA), die von allen Körperzellen exprimiert werden. Transplantierte Organe mit fremden HLA werden von CD4-TH1-Zellen und CD8-T-Zellen erkannt. Dadurch wird eine Entzündungsreaktion eingeleitet, welche schlussendlich die Zerstörung des Transplantats zu Folge hat. Daher versucht man Organe mit möglichst guter HLA Übereinstimmung zwischen Spender und Empfänger zu transplantieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass Spender und Empfänger zufällig
das gleiche HLA-Profil haben, liegt – außer bei isogener Transplantation – bei 10-6. 4.2.9.2 Knochenmarkstransplantation Bei der Transplantation von Knochenmark werden Zellen übertragen, die sich zu einem kompetenten Immunsystem entwickeln. Es besteht hierbei nicht nur die Gefahr, dass das Transplantat abgestoßen wird, sondern auch, dass sich mittransplantierte immunkompetente Zellen gegen den Empfängerorganismus richten (»graft versus host disease«, GVH). Um dies zu verhindern, wird beim Empfänger das gesamte Immunsystem mittels Chemotherapie und Strahlentherapie zerstört. Vom gewonnenen Spendermaterial werden die Stammzellen isoliert und auf den Empfänger übertragen. Es ist jedoch nur schwer möglich, alle immunkompetenten Zellen von den Stammzellen zu trennen, daher kommt es regelmäßig zu einer leichten GVH, die im Regelfall aber beherrschbar bleibt. Klinisch wird die GVH in eine akute und eine chronische Krankheit eingeteilt: 4 Die akute GVH tritt bis 100 Tage nach der Transplantation auf und führt zu einer Schädigung der Haut, Darm und Leber. Dies äußert sich als Exanthem, Enteritis und Hepatitis. 4 Die chronische Form einer GVH tritt später als 100 Tage nach der Transplantation auf. Sie verläuft ähnlich einer Kollagenose. Es kommt zu einer SiccaSymptomatik, zu papulösen Exanthemen und Schleimhautveränderungen wie bei Lichen ruber mucosae. Beide Verlaufsformen werden immunsuppressiv behandelt. 4.2.9.3 Maßnahmen Durch Testung von Spender- und Empfängerlymphozyten werden HLA-Profile ermittelt und Antigenformeln aufgestellt. Man versucht Organe von Spendern auf Empfänger mit passendem HLA-Profil zu transplantieren. Dies ist aber aufgrund der o. g. Diversität der HLA-Antigene nur eingeschränkt möglich. Daher ist man auf Immunsuppression angewiesen. Zunächst bediente man sich der Ganzkörperstrahlentherapie, um das Immunsystem zurückzudrängen. Heute stehen eine Reihe immunsuppressiver Medikamente zur Verfügung, die die Prognosen von Transplantationspatienten im Laufe der Zeit weiter verbessert haben.
5 Klinische Umweltmedizin W. Kroukis, K.-P. Schaps
5.1
Einführung –134
5.2
Umweltbedingte Erkrankungen
5.2.1 5.2.2
Multiple-chemical-sensitivity-Syndrom (MCS) –136 Sick-building-Syndrom (SBS) –136
5.3
Methoden in der Umweltmedizin
5.4
Probleme in der Umweltmedizin –138
5.4.1 5.4.2
Grenzwerte –139 Analysen im biologischen Material
5.5
Haut und Umwelt –141
5.5.1 5.5.2 5.5.3
UV-Strahlung –143 Photokarzinogenese –145 Chemische Kanzerogenese –147
5.6
Lunge und Umwelt –149
5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4
Außenluftschadstoffe –150 Innenluftschadstoffe –151 Luftverschmutzung am Arbeitsplatz Allergien –151
5.7
Umweltbelastung Lärm
5.7.1 5.7.2
Auswirkungen von Lärm –153 Lärmbekämpfung –154
–152
–134
–137
–140
–151
134
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
Definition. Die klinische Umweltmedizin befasst sich
5
mit den gesundheits- und krankheitsbestimmenden Aspekten der Mensch-Umweltbeziehungen. Als zentraler Fachgegenstand gelten anthropogene Umweltveränderungen und deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Im Mittelpunkt stehen die Erforschung und Prävention umweltbedingter Gesundheitsrisiken und Gesundheitsstörungen sowie die Beratung und Betreuung von Personen mit gesundheitlichen Beschwerden oder auffälligen Befunden, die von den Betroffenen selbst oder ärztlicherseits mit Umweltfaktoren in Verbindung gebracht werden. 5.1
Einführung
Umweltbezogene Gesundheitsstörungen werden von umweltmedizinischen Ambulanzen (UMA) und Beratungsstellen (UMEB) sowie niedergelassenen Ärzten in altersgemischten Patientenkollektiven, reinen Erwachsenen- und reinen Kinderkollektiven beobachtet. Die patientenorientierte Umweltmedizin ist mit diversen Schwierigkeiten bei der zuverlässigen Expositions- und Wirkungserfassung sowie mit fehlenden wissenschaftlich fundierten Ursachen-Wirkungs-Modellen, Fehldiagnosen, Fehlattributionen (Fehleinschätzung eines Merkmals einer Substanz) und Fehlleitungen konfrontiert. > Ein funktionsfähiges umweltmedizinisches Beratungs- und Betreuungsangebot im niedergelassenen Bereich zur primärärztlichen umweltmedizinischen Basisversorgung sowie an Universitäten und/oder im öffentlichen Gesundheitsdienst für umweltmedizinische Problemfälle ist erforderlich.
Bausteine umweltmedizinischer Beratung sind nach wie vor Anamnese, körperliche Untersuchung, Differen-
zialdiagnostik, Human-Biomonitoring und Ortsbegehung mit Umweltmonitoring unter Berücksichtigung geschlechts-spezifischer Aspekte. Eine einheitliche Basisdokumentation und gesundheitswissenschaftliche Versorgungsanalysen helfen bei der Optimierung umweltmedizinischer Versorgung. Die vielfältigen Einflüsse der Umwelt auf die Gesundheit des Menschen fordern eine Differenzierung der verschiedenen zugehörigen Problembereiche (. Abb. 5.1), durch deren Klassifizierung eine gezielte Prävention, Diagnosestellung und Therapie von Erkrankungen aufgrund von Umweltfaktoren geschehen kann. Die wichtigsten Problembereiche sind: 4 Wasser: Trinkwasser, Grundwasser, Abwässer etc. 4 Luft: Außenluft, Innenluft, Smog, Nikotin, Asbest etc. 4 Lärm: Schlafstörungen, Kommunikationsstörungen, Tinnitus etc. 4 Strahlungen: UV-A, UV-B, UV-C, Elektrosmog, Radioaktivität etc. 4 Klima: Treibhauseffekt, Waldsterben, Ozonloch etc. 4 Boden: Nitratbelastungen, Düngemittel, Klärschlamm etc. 5.2
Umweltbedingte Erkrankungen
Abhängig von der Wahrscheinlichkeit ihrer umweltbedingten Ätiologie werden diese Erkrankungen eingeteilt (. Tab. 5.1). Minamata-Krankheit Minimata ist eine Meeresbucht in Japan, bei der durch Einleitung von quecksilberhaltigen Abwässern aus chemischen Fabriken Muscheln und Fische so stark mit (Methyl-) Quecksilber angereichert wurden, dass in der ganzen Gegend charakteristische Krankheitserscheinungen auftraten 6
. Tab. 5.1. Ätiologie umweltbedingter Erkrankungen, Beispiele Erkrankungen mit sicherer Umweltätiologie
Erkrankungen mit wahrscheinlicher Umweltätiologie
Erkrankungen mit vermutlicher Umweltätiologie
Erkrankungen mit fraglicher Umweltätiologie
Akute Intoxikation (z. B. Londoner Smog, Minamata-Krankheit)
Spätfolgen akuter Intoxikationen und Strahlenschäden
Sick-building-Syndrom (SBS)
Multiple-chemical-sensitivity-Syndrom (MCS)
Akute Strahlenschäden (z. B. Hiroshima, Tschernobyl)
Innenohrschwerhörigkeit durch Freizeitlärm
Lungenkrebs bei Passivrauchern
Chronic-fatigue-Syndrom (CFS)
Holzschutzmittelsyndrom
135 5.2 · Umweltbedingte Erkrankungen
. Abb. 5.1. Mindmap Klinische Umweltmedizin
5
136
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
(1952/53–1960) mit zum Teil tödlichem Ausgang. Symptome waren Taubheit von Lippen und Gliedmaßen, Einschränkung des Sehvermögens, schwankender Gang, Lähmungen. Die Minimata-Krankheit zeigte erstmals die Gefährlichkeit von Quecksilber in der Umwelt.
5
Formen der Expositionen und mögliche Folgeschäden sind: 4 Strahlung: Tumorentstehung 4 Natürliche Stoffe und chemisch hergestellte: Allergien, Tumoren, Multiple-chemical-sensitivity-Syndrom, Sick-building-Syndrom 4 Lärmbelastung: Schlafstörungen, Leistungsminderung, psychische Störungen
Symptomatik. Typische Symptome sind:
4 4 4 4 4 4
Kopfschmerzen Gliederschmerzen Erschöpfung Kreislauf und Verdauungsbeschwerden Geruchsempfindungsstörungen Depressionen, Angst, Atemnot, Übelkeit, Schwindel, Schlafstörungen, Augenbrennen, Juckreiz u. a.
Therapie. Meidung der Noxe, Umwelthygiene.
5.2.2 Sick-building-Syndrom (SBS) Definition. Symptomenkomplex, welcher in einem
Ein Klärungsbedarf bezüglich der Ätiologie umweltbedingter Erkrankungen findet sich bei Gesundheitsstörungen durch elektromagnetische Felder, bei chronischen Organerkrankungen, verschiedenen Krebserkrankungen wie etwa der Leukämie und bei Reproduktionsstörungen. 5.2.1 Multiple-chemical-sensitivity-
Syndrom (MCS) Synonym. »Idiopathic environmental intolerances«
(IEI, WHO 1996). Definition. Beim MCS handelt es sich um ein umwelt-
assoziiertes unspezifisches Beschwerdebild für dessen Entwicklung synthetische chemische Stoffe aus der Umwelt verantwortlich gemacht werden. Ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Umweltexposition muss vorliegen. Ätiopathogenese. Zur Ätiologie werden derzeit mehre-
re Hypothesen diskutiert. Eine durch psychischen Stress ausgelöste Überempfindlichkeitsreaktion, deren Symptome durch Exposition gegenüber Umweltchemikalien im Niedrigdosisbereich ausgelöst werden, ist eine der möglichen Ursachen. Reaktionen auf Chemikalien im Niedrigdosisbereich auf rein biologischer bzw. psychophysiologischer Basis ist ebenfalls ein häufig diskutierter Faktor. Ebenso wird erwogen, dass es sich beim MCS um ein soziales Phänomen handeln könnte, als auch um eine Fehldiagnose. Nach Empfehlungen des Umweltrats gehören zum Forschungsbedarf beim MCS eine zuverlässige Patientendokumentation sowie die Objektivierung der Umweltexposition. Außerdem epidemiologische Studien zur Inzidenz und Prävalenz als auch zu Einflussfaktoren wie etwa dem Lebensstil.
deutlichen Zusammenhang mit dem Aufenthalt in Gebäuden besteht, wobei sich nach Verlassen des Gebäudes am Feierabend oder auch am Wochenende die Symptomatik schnell bessert. > Das SBS ist in den USA bereits als Krankheit anerkannt.
Ätiopathogenese. Als auslösende Faktoren gelten:
4 Verteilung von Bakterien und Pilzsporen durch die Klimaanlage 4 Innenraumschadstoffe in der Luft 4 Klimaanlagenbedingte Temperaturschwankungen und Zugluft 4 Durch Ventilatoren bedingte Schallbelastungen im Niederfrequenzbereich > Auf eine mit objektiven Messungen gesicherte Ursache lässt sich die Symptomatik nicht zurückführen.
Im Allgemeinen werden der systematische Einsatz synthetischer Materialien bei der Innenausstattung und der verminderte Luftaustausch zur Energieeinsparungen aus den 60er- und 70er-Jahren verantwortlich gemacht, welche die Innenraumluft deutlich beeinflussten. Regionale Unterschiede möglicher Ursachen von SBS Dazu zählen: 4 Unzureichende Lüftung (Region N,S,W) 4 Außenluftverunreinigungen (Region N) 4 Mikrobielle Belastungen (Region N,S,W) 4 Reinigungsmittel (Region N,W) 4 Kopierer (Region N,S) 4 Tabakrauch (Region N,W) 4 Baumaterialien (Region N,S,W) 4 Pestizide (Region N) 4 RLT-Anlagen (N,S,G) 6
5
137 5.3 · Methoden in der Umweltmedizin
4 Teppichböden und Fußbodenbeläge aus Kunststoff (Region S) 4 Fehlende persönliche Einflussnahme (z. B. fixierte Fenster – Region S,G) 4 Großraumbüros (Region G)
manifestierendes Krankheitsbild) zu verstehen. Es kennzeichnet vielmehr einen Komplex unspezifischer Symptome, ohne dass eine eindeutige Krankheit oder pathologische Parameter diagnostiziert werden könnten.
Symptomatik. Typische Symptome sind: Region: N = Nordamerika, S = Skandinavien, G = Großbritannien, W = Schweiz, Deutschland, Österreich, Niederlande
Differenzialdiagnose. Erkrankungen, Befindlichkeitsstörungen, Leistungsminderung, Konzentrationsschwäche sind nur eine kleine Auswahl dessen, was dem Aufenthalt in Räumen zugeschrieben und von einer ganzen Zahl epidemiologischer Studien bestätigt wurde und wird. Mehrere Begriffe zur Beschreibung dieser Auswirkungen des Innenraums auf den Menschen haben einige Verwirrung angerichtet. Bezeichnungen wie »building disease«, »building illness syndrome«, »building related illness«, »tight building syndrome«, »stuffy office syndrome« oder »office illness« wurden benutzt, um nahezu identische Beschwerde- und Symptomenkomplexe zu beschreiben. Building related illness (BRI) 1992 hat sich eine Arbeitsgruppe der NATO/CCMS (NATO Committee on the Challenges of Moderne Society) der Terminologie angenommen und zwei Gruppen gebäudebedingter Reaktionen des Menschen definiert: 4 BRI beschreibt alle Krankheiten im klassischen Sinn, die durch das Gebäude und seine spezifischen Bedingungen hervorgerufen werden können. Beispiele sind Infektionen (pneumonische Legionellose, Pontiac-Fieber als akute selbst-limitierende, nicht-pneumonische Form der Legionellose), maligne Krankheiten (Radon, Asbest) und Allergien (Milben, Schimmel). 4 SBS hingegen ist nicht als medizinischer Fachbegriff (Syndrom = ein sich stets mit gleichen Krankheitszeichen 6
4 4 4 4
Brennende Augen Schleimhautirritationen Infekte der oberen Atemwege Konzentrationsschwäche, olfaktorische und gustatorische Missempfindungen 4 Müdigkeit u. v. m. Diagnostik. Zur Diagnostik, . Tab. 5.2.
Methoden in der Umweltmedizin
5.3
Die mangelnde Qualitätssicherung (QS) im Bereich der Umweltmedizin ist inzwischen zu einem beträchtlichen Problem geworden. Zahlreiche sog. umweltmedizinische Beratungsbüros bzw. mobile Umweltambulanzen treten mit wissenschaftlich unhaltbaren Versprechungen an die Öffentlichkeit, bieten nichtqualitätsgesicherte Leistungen und interpretieren Messergebnisse und Gesundheitsbeschwerden ohne ärztlichen Sachverstand. > Umweltmedizinische Umgebungsuntersuchungen stellen hinsichtlich der Indikationsstellung, der Durchführung und der Interpretation selbst für seriöse Einrichtungen ein ernsthaftes und oftmals ungelöstes Qualitätssicherungsproblem dar.
In Fachkreisen sind die diesbezüglichen Defizite zu einem zentralen Thema geworden. Die Situation ist überdies durch ein Auseinanderdriften von zögerlich beginnenden QS-Aktivitäten geprägt: Die Entwick-
. Tab. 5.2. Vorgehen bei Verdacht auf Sick-building-Syndrom (SBS) Stufe
Aktivität
Methode
Verantwortliche
1
Übersicht über Art und Umfang der Beschwerden erlangen
Gespräche, Fragebögen
Betriebsarzt
2
Technische Charakteristika des Gebäude bestimmen
Inspektion von Gebäuden und RLT*-Anlage mit Fehlerkorrektur
Bau- und RLT*Fachleute
3
Messungen von Schadstoffen, Klimaparametern und anderen physikalischen Größen
Chemische, biologische und physikalische Analytik
Umwelttoxikologen
4
Erfassen des Gesundheitszustandes der Beschäftigten
Medizinische Diagnostik
Hausärzte
Aus: Schweiz Med Forum, 2003 RLT = Raumlufttechnik)
138
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
lung vollzieht sich unkoordiniert in verschiedensten Arbeitsgruppen, Ausschüssen, Fachgesellschaften und Institutionen.
5
Biomonitoring Ähnliche Verhältnisse herrschen beim sog. Expositions-Biomonitoring, d. h. bei der Untersuchung von Fremdstoffen und Fremdstoffmetaboliten in biologischem Material. Das sog. Effekt-Biomonitoring, d. h. die Untersuchung von Effektmarkern, z. B. von DNAund Proteinaddukten (Substanzen, die besonders an DNA oder Proteine binden) in biologischem Material, ist in der Umweltmedizin noch wenig verbreitet. Anders als in der konventionellen klinischen Chemie haben wir es bei der Analyse von Umweltschadstoffen mit spurenanalytischen Verfahren und daher mit einer erheblichen analytischen Unsicherheit zu tun. Nur ein Teil der Laboratorien beteiligt sich an einer angemessenen externen Qualitätssicherung. Hinzu kommt, dass neben den im Prinzip wissenschaftlich akzeptierten, wenn auch in der Anwendung häufig mangelhaft qualitätsgesicherten Verfahren eine Vielzahl wissenschaftlich grenzwertiger Methoden, z. B. Hg-Bestimmung im Speichel oder Hg-Bestimmung im Urin nach DMPS-Mobilisation (Mobilisation der gespeicherten, toxischen Schwermetalle wie Quecksilber, Blei, Cadmium, Kupfer aus dem Gewebe mittels des Komplexbildners DMPS [2,3-Dimercapto-propan-1sulfonat] und dessen Ausscheidung im Urin), und ein kaum überschaubares alternativ- und paramedizinisches Angebot zur angeblichen Bestimmung von korporalen Schadstoffbelastungen existiert. Diagnostische Methoden Das Spektrum reicht von den üblichen labormedizinischen Verfahren, wie z. B. bestimmten immunologischen Untersuchungen, bis hin zu aufwendigen apparativen Verfahren, etwa der SPECT-Diagnostik (Singlephotonemissionscomputertomographie) bei neurotoxikologischen Fragestellungen. Das hierbei auftretende QS-Problem betrifft die Indikationsstellung und die Befundinterpretation. Mehr noch als in den oben genannten Bereichen ist die umweltmedizinische Diagnostik durch unkonventionelle Methoden (Provokations-Neutralisations-Technik, Bioresonanz, Elektroakupunktur nach Voll etc.) gekennzeichnet. Die diagnostische Qualitätssicherung ist dadurch in Frage gestellt. Sonstiges QS-Aspekte treten außerdem im Bereich der umweltmedizinischen Beratung sowie im Hinblick auf Methoden der bevölkerungsbezogenen Umweltmedizin in
Erscheinung. Man denke etwa an die Planung, Durchführung und Auswertung umweltepidemiologischer Studien (einschließlich Monitoring- und Survey-Projekten) oder an das weite Feld der Risikokommunikation und des Risikomanagements. 5.4
Probleme in der Umweltmedizin Human-Biomonitoring 4 Einsatzgebiete – In der Umwelttoxikologie/Umweltmedizin und Umweltepidemiologie – Gängiges Instrumentarium bei der Abschätzung der tatsächlich aufgenommenen Schadstoffmengen und des damit verbundenen Gesundheitsrisikos sowohl bei Einzelnen als auch Bevölkerungsgruppen – Zur Expositionskontrolle von Einzelpersonen, um nach ergriffenen Maßnahmen eine Minderung der inneren Exposition zu belegen – Zur Beobachtung der Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf die menschliche Gesundheit (Beobachtung von Entwicklungstrends bestimmter Schadstoffe, z. B. Blei im Blut) in bestimmten Regionen über bestimmte Zeitintervalle 4 Effektmonitoring: besonderer Stellenwert bei der Bewertung des Gesundheits- bzw. Krebsrisikos genotoxischer bzw. kanzerogener Schadstoffe (z. B. aromatische Amine) 4 Biologische Materialien – In der Regel Blut und Urin, im Einzelfall aber auch Ausatemluft (z. B. Perchlorethylen) und Speichel – Bei speziellen Fragestellungen auch Muttermilch, Haare, Zähne und Nägel und sehr selten Material aus invasiven oder nichtinvasiven Eingriffen, z. B. Fettgewebe, abgeschilferte Zellen der Mundschleimhaut, Zellen des Nieren- und Blasenepithels)
Die eher unspezifischen Beschwerden und ihr Auftreten als Reaktionen auf Chemikalien im Niedrigdosisbereich (. Tab. 5.3) sind nur einige Ursachen dafür, warum ein Nachweis einer Unschädlichkeit eines Stoffes praktisch nicht zu führen ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass die unklaren Expositionsverhältnisse oft lange zurückliegen und selten adäquate Referenzwerte vorhanden sind.
139 5.4 · Probleme in der Umweltmedizin
. Tab. 5.3. Dosis-Wirkungs-Beziehung Dosis
Schaden
Beispiel
Hohe Dosis
Akuter/chronischer Schaden
Umweltkatastrophe
Mittlere bis kleine Dosis
Langzeitschaden
Berufserkrankung
Sehr kleine Dosis
Langzeitschäden???
Umweltmedizinische Erkrankung
5
(DFG) für einzelne Substanzen, nicht für Schadstoffgemische 4 TRK-Wert, technische Richtkonzentration: ermittelt vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AfG) für krebserzeugende und erbgutveränderte Gefahrstoffe 4 MIK-Wert, maximale Immissionskonzentration: ermittelt vom Verein deutscher Ingenieure (VDI) als Grenzwerte für Verunreinigungen der Luft in der Umgebung technischer Anlagen Beispiele für Untersuchungsmatrices für das Ambient-Monitoring Staub. Staub ist ein ubiquitär vorkommendes, heterogenes
> Unspezifische Beschwerden, Reaktionen im Niedrigdosisbereich und unklare Expositionsverhältnisse tragen zu mangelnden Forschungsergebnissen bei.
5.4.1 Grenzwerte Definition. Mit Grenzwert wird ein Toleranzwert von Schadstoffen in Wasser, Luft und Nahrung, basierend auf dem ADI-Wert der WHO/FAO (World Health Organisation/Food and Agriculture Organisation) bezeichnet. Der ADI-Wert (»acceptable daily intake«, in Deutschland ATD, annehmbare Tagesdosis) gibt die Dosismenge einer Fremdsubstanz in mg an, welche pro Tag pro Kg Körpergewicht schadlos aufgenommen werden kann. Dabei stützt sich der ADI-Wert auf den Noel-Wert unter Berücksichtigung des Nahrungsverzehrs und eines Sicherheitsfaktors. Der Noel-Wert (»no observed effect level«) entspricht der Dosis ohne erkennbare Wirkung. Probleme ergeben sich, weil
4 zwischen Exposition und Auswirkung teilweise sehr lange Zeiträume liegen, 4 der Begriff Wirkung ist nicht ausreichend definiert ist, 4 die Individualität und Variabilität biologischer Systeme nicht berücksichtigt wird, 4 die Möglichkeit potenzierender Wirkungen besteht, 4 die Übertragbarkeit der Exploration aus dem Tierversuch fraglich ist. Ambient-Monitoring Definition. Mess- und Kontrollstrategien zur Bestimmung von Schadstoffen in Wasser, Boden, Luft. Als Grenzwerte für Gefahrstoffe dienen: 4 MAK-Wert, maximal Arbeitsplatzkonzentration: ermittelt von der Deutschen Forschungsgesellschaft
Partikelgemisch von einer Größe unter 2 mm. Man unterscheidet Grobstaub (Größe: 100–200 μm, kurze Verweilzeit) von Feinstaub (Größe: unter 5 μm, lange Verweilzeit). Die Partikel sind sowohl organisch als auch anorganisch Partikeln. Außer dem natürlichen Vorkommen von Staub wird er auch von Menschen verursacht, etwa durch Abrieb von Baumaterialien und Textilien sowie durch Industrie, Verkehr u. a. Probleme in der Analytik von Staub sind u. a.: 4 Keine standardisierte analytischen Verfahren 4 Kein Bezug zur Schadstoffkonzentration in der Raumluft 4 Alter des Staubes 4 Unterschiedliche Konzentrationen des Schadstoffes im Hausstaub innerhalb eines Raumes Der Schadstoffnachweis aus Staubproben im Ambient-Monitoring ist ungeeignet. Materialproben. Die Verwendung von Materialproben im Rahmen eines Schadstoffnachweises kann problematisch sein aufgrund: 4 Fehlender Bezugsgröße (Gewicht, Größe) 4 Fraglicher Art und Ort der Probenentnahme 4 Fehlender wissenschaftlich begründbarer Grenzwerte 4 Meist unbekannter Freisetzung aus dem Material Der Schadstoffnachweis aus Materialproben kann aufgrund fehlender Bezugsgrößen und Grenzwerte ungeeignet sein. Luft. Beim Schadstoffnachweis aus der Luft gilt folgendes zu beachten: 4 Individuelle Faktoren werden nicht erfasst. 4 Grenzwerte auf wissenschaftlicher Basis liegen größtenteils vor. 4 Geeignete und standardisierte Messverfahren. 4 Zeitliche Schwankungen der Luftkonzentrationen können mit einbezogen werden. 6
140
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
4 Der Fremdstoff muss in der Luft bei Umgebungstemperatur in relevanter Konzentration vorliegen und sich dort gleichmäßig verteilen Der Schadstoffnachweis aus der Luft ist für das Ziel einer Gruppenprävention geeignet. Aussagen über individuelle Belastungen sind aber nicht ohne weiteres möglich
5
Biomonitoring Definition. Messung eines Arbeitsstoffes, seiner Metaboliten und/oder seiner Wirkung direkt im exponierten Organismus. Unterschieden werden: 4 Belastungsmonitoring: Messungen der Fremdstoffkonzentration bzw. deren Metaboliten in Materialien wie Zähne, Blut und Urin 4 Effektmonitoring: Messung von biologischen Parametern, die auf Belastungen von Schad- bzw. Fremdstoffen reagieren 4 Suszeptibilitätsmonitoring: Messen von modulierenden Eigenschaften bestimmter Gene auf den Metabolismus Als Grenzwerte dient der BAT-Wert (biologischer Arbeitsstoff-Toleranz-Wert), d. h. die beim Menschen höchstzulässige Toleranz eines Arbeitsstoffes bzw. seiner Metaboliten oder die dadurch ausgelöste Abweichung eines biologischen Indikators von seiner Norm, die im Allgemeinen die Gesundheit des Beschäftigten auch dann nicht beeinträchtigt, wenn sie durch Einflüsse des Arbeitsplatzes regelhaft erzielt werden. Voraussetzungen für das Biomonitoring sind: 4 Aufnahme des Stoffes in den Organismus 4 Verfügbarkeit der zu untersuchenden Matrix (z. B. Blut 4 Zuverlässige Analyseverfahren 4 Qualitätssicherungsmaßnahmen 4 Toxikologische Bewertungsparallelen (Referenzwert, Grenzwert u. a.) Grenzen des Biomonitorings
Ergebnisse des Biomonitoring sind nur Momentaufnahmen, begründet u. a. in der biologischen Halbwertszeit des zu untersuchenden Materials. Hinzu kommen die derzeit noch fehlenden Grenzwerte vieler umweltmedizinisch relevanter Stoffe sowie nicht vorhandene adäquate Analysemethoden. Schadstoffe, die nicht oder in nur sehr geringem Ausmaß in den Organismus aufgenommen werden sind ebenfalls ungeeignet für das Biomonitoring auch wegen des Umstandes, dass aus dem Befund nicht auf die Quelle der Belastung geschlossen werden kann.
5.4.2 Analysen im biologischen Material Untersuchungsmatrices sind: 4 Blut, Plasma, Serum 4 Urin 4 Gewebe (Haare, Zähne etc) Bei Analysen von biologischen Material werden grundsätzlich unterschieden: 4 Präanalytische Phase: Gewinnung der Probe, Transport und Lagerung, Vorbereitung des analytischen Systems 4 Analytische Phase: Aufbereitung der Probe wird aufbereitet, umgehende Messung 4 Postanalytische Phase: Bewertung Bei der Auswahl des Probematerials gilt grundsätzlich zu klären, ob die analytischen Voraussetzungen für den angeblichen Schadstoff im Untersuchungsmaterial in adäquater Qualität vorhanden sind. Weiterhin muss eine genügende Aussagekraft des Schadstoffgehalts im Material für den gesamten Organismus bestehen und eine ausreichende Zumutbarkeit für den Probanden hinsichtlich der Materialentnahme gegeben sein. Haaranalyse Vorteile in der präanalytische Phase 4 Probenentnahme – Kein Arzt erforderlich – Nicht invasiv – Ohne Belastung für den Patienten 4 Lagerung und Transport – Problemloser Ablauf – Keine Veränderung der Probe
Nachteile in der präanalytische Phase 4 Probenentnahme (keine definierte Probengewinnung) 4 Kontamination (Haarpflegeprodukte wie z. B. Shampoos, Bleichmittel etc.) 4 Probenvorbereitung (ohne Standardverfahren)
Vorteile in der analytische Phase 4 Schadstoffspektrum (primär anorganische Substanzen) 4 Konzentration (meist höher als im Urin oder Blut)
Nachteile in der analytische Phase 4 Analyseverfahren (keine Standardisierung bzgl. Probenaufschluss und Messung) 4 Qualitätssicherung (keine Referenzmaterialien, keine externe Qualitätssicherung)
141 5.5 · Haut und Umwelt
Bei der medizinischen Bewertung in der postanalytischen Phase ist zu beachten: 4 Unbekannter Einfluss der Haarfarbe und Haarstruktur sowie der Wachstumsgeschwindigkeit auf die Schadstoffaufnahme und Schadstoffkonzentration 4 Fehlende Norm- und Referenzwerte für umweltmedizinische Substanzen 4 Uneinheitliche Angaben über Referenzwerte in der Literatur 4 Fehlende Grenzwerte umweltmedizinischer Substanzen 4 Keine Aussagen über aktuelle Schadstoffbelastung möglich 4 Unbekannter Zusammenhang zwischen Schadstoffbelastung im Haar und der Schadstoffbelastung im Zielorgan ! Cave Die Haaranalytik zum individuellen Schadstoffnachweis ist ungeeignet. Sie bleibt speziellen Fragestellungen, z. B. dem Nachweis chronischen Drogenabusus in der Rechtsmedizin vorbehalten.
Bewertung mit Hilfe von Biomonitoring-Werten Die Kommission Human-Biomonitoring des Umweltbundesamtes erarbeitet kontinuierlich Wertsetzungen für umweltmedizinisch relevante Fremdstoffe. Es han-
delt sich hierbei um die sog. HBM-I- und HBM-IIWerte, die ein Drei-Bereiche-System der Bewertung bzw. der zu ergreifenden Maßnahmen gegeneinander abgrenzt (. Abb. 5.2, . Tab. 5.4). 5.5
Haut und Umwelt
Die Haut ist die äußere Grenzfläche des menschlichen Körpers zur Umwelt. Damit ist sie einer breiteren und weniger selektierten Palette von Einwirkungen ausgesetzt als die inneren Grenzflächen. Ihre Funktion besteht in der Abwehr schädlicher physikalischer, chemischer und mikrobiologischer Einwirkungen um physiologisch notwendige Austauschfunktionen und Sinneseindrücke zu ermöglichen. Schadstoffe aus der Luft lagern sich an die Haut an. Sie vermischen sich mit Make-up-Resten, Talg und Zellschlacken und produzieren u. U. weitere Schadstoffe, die in die Epidermis eindringen und sich in ihr verteilen und ansammeln. Das natürliche Selbstreinigungssystem der Haut kann dadurch überlastetet werden. Die gesunde Haut verfügt über wirksame Mittel zum Schutz und zur Abwehr von äußeren Aggressionen, die für den Organismus gefährlich sind. Die Zellatmung gehört zu den wichtigsten Selbstschutz- und Antischadstoff-Systemen der Haut: Sie trägt dazu bei,
. Tab. 5.4. Human-Biomonitoring (HBM) Substanz
Probenmaterial
Personengruppe
HBM-I-Wert
HBM-II-Wert
Blei
10 ml Vollblut
Kinder (<12 Jahren)
100 μg/l
150 μg/l
Frauen im gebärfähigen Alter (13–45 Jahre)
≥100 μg/l
≥150 μg/l
Übrige Personen
150 μg/l
250 μg/l
Cadmium
Vollblut
Cadmium
20 ml Morgenurin
5
Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht sinnvoll ableitbar Personen <25 Jahren
1 μg/g Kreatinin
3 μg/g Kreatini
Personen >25 Jahren
2 μg/g Kreatinin
5 μg/g Kreatinin
Quecksilber
10 ml Vollblut
Allgemeinbevölkerung
5 μg/l
15 μg/l
Quecksilber
20 ml Morgenurin
Allgemeinbevölkerung
5 μg/g Kreatinin bzw. 7 mg/l
20 μg/g Kreatinin bzw. 25 μg/l
Pentachlorphenol (PCP)
2 ml Serum
Allgemeinbevölkerung
40 μg/l
70 μg/l
Pentachlorphenol (PCP)
5 ml Morgenurin
Allgemeinbevölkerung
20 μg/g Kreatinin bzw. 25 μg/l
30 μg/g Kreatinin bzw. 40 mg/l
142
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
5
. Abb. 5.2. Drei-Bereiche-System
Schadstoffe und freie Radikale abzutransportieren, die im Rahmen des Zellstoffwechsels oder durch Umweltbelastungen entstanden sind. Diese natürlichen Prozesse reichen aber nicht immer aus, um eine Barrierefunktion für die Epidermis darzustellen, entweder weil die Belastungen von außen zu massiv sind oder weil der Hautzustand nicht optimal ist. Ursachen dafür können sein: 4 Zu wenig oder zu viel Feuchtigkeit 4 Lichtbedingte Belastungen Hauterkrankungen durch physiko-chemische Einwirkung 4 Erfrierungen 4 Verbrennungen, Verbrühungen 4 (UV-)Lichtschäden, Strahlenschäden, z. B. Radiodermatitis 4 Physikalische und chemische Kanzerogenese 4 Verätzungen 4 Akute und irritative Dermatitiden 4 Kumulativ-toxische Ekzeme 4 Allergisches Kontaktekzem 4 Proteinkontaktdermatitis, Urtikaria 4 Allergische Hautreaktionen bei systemischer Exposition wie Arzneimittelexanthem, allergische Urtikaria, Quincke-Ödeme
Schwerpunkte dabei sind 4 Die umweltbedingte Kanzerogenese der Haut 4 Hautkrankheiten und Hautreizungen durch Innenraumfaktoren 4 Körperpflegeprodukte und Textilien, die dermatologisch und allergologisch von besonderer Bedeutung sind
4 4 4 4
Austrocknung, Risse Gewebealterung Physische Schäden (Abschürfungen, Verletzung) Veränderter pH durch Säuren/Basen
Zu den umweltbedingten Hauterkrankungen im weiteren Sinne zählen alle durch physiko-chemische und alle durch mikrobiologische Einwirkungen verursachten Hauterkrankungen.
4 Exazerbationen anlagebedingter bzw. vorbestehender Hauterkrankungen
Hauterkrankungen durch mikrobielle Einwirkungen 4 Virale Hautinfektionen, z. B. Warzen, kutane Manifestationen bei Herpes simplex, Herpes Zoster, Röteln, Masern 4 Bakterielle Hautinfektionen wie Furunkel, Erysipel 4 Hauttuberkulose bzw. kutane Manifestationen bei Lues 4 Mykotische Hautinfektionen wie bei Pityriasis versicolor, Tinea corporis, Nagelmykosen, Soor
Konsequenzen gestörter Integrität der Haut können sein: 4 Freisetzung von präformierter (Interleukin-α) und neu synthetisierter (Interleukin-β, Tumornekrosefaktor-α, Interleukin-6) Entzündungsmediatoren sowie chemotaktischer Faktoren (Interleukin-8)
143 5.5 · Haut und Umwelt
4 Einwanderung von Entzündungszellen und Freisetzung von weiteren Entzündungsmediatoren und gewebetoxischen Produkten 4 Gewebeumbau und -neubildung mit Restitutio ad integrum, Fibrose, Narbenbildung, Defektheilung
Obwohl UV-C-Strahlen die kürzesten sind, stellen sie dennoch keine so gravierende Gefahr dar, denn sie werden größtenteils in der intakten Ozonschicht abgefangen und kommen somit gar nicht erst bis an unsere Haut. > Die Intensität der UV-Bestrahlung ändert sich abhängig von Jahres- und Tageszeit, Bewölkung, Ozonschicht und geographischer Lage. Sie steigt alle 1000 m um etwa 20%.
5.5.1 UV-Strahlung Sonnenstrahlung setzt sich zusammen aus den Elementen 4 Infrarotstrahlung, 4 Sichtbare Strahlung 4 Ultraviolette Strahlung (. Tab. 5.5, . Abb. 5.3) Der Anteil der auf der Erde auftreffenden Sonnenstrahlung liegt zwar nur bei etwa 6%, ist aber ausreichend um massive Hautschädigungen zu verursachen. > Strahlung mit kurzer Wellenlänge (UV-B) ist energiereicher und von höherer potenzieller biologischer Wirksamkeit.
. Tab. 5.5. Bereiche der UV-Strahlen (ultraviolette Strahlen) UVBereich
Wellenlänge (nm)
Absorption durch Ozonschicht
UV-A
320–400, langwellig
Kaum
UV-B
280–320, kurzwellig
90%
UV-C
100–280, extrem kurzwellig
100%
. Abb. 5.3. Lichtspektrum
5
Durch Streustrahlen, z. B. an der Wasseroberfläche oder im Schnee, wird die Intensität der UV-Strahlung gesteigert. Auf Inseln ist sie wegen der reinen Luft besonders stark. UV-A-Strahlung Die UV-A-Strahlung dringt am weitesten in den Körper ein, bis in die Unterhaut. Dort kann sie die Gewebefasern schädigen, die Haut altert vorzeitig. Die Bräunung setzt binnen kurzer Zeit ein, ist dann aber nach wenigen Stunden kaum noch sichtbar. Die Haut baut bei Bestrahlung durch UV-A-Strahlung im Gegensatz zur UV-BStrahlung eine Schutzschicht (Pigmentierung) auf. Daher hinterlässt sie auch keine sichtbaren Schäden, ihre Auswirkungen bleiben lange Zeit unbemerkt. Unumstritten ist jedoch, dass auch UV-A-Strahlen in hohem Maße unsere Haut gefährden. Wirkungen der UV-A Strahlung auf die Haut 4 Sofortige, kurzfristige Bräune 4 Sonnenallergie, lichtbedingte Hautausschläge 4 Bildung von Falten, Hautalterung 4 Erhöhte Krebsgefahr UV-B-Strahlung UV-B-Strahlen bewirken auch Bräunung der Haut und lassen Vitamin D entstehen. Sie erreichen die Pigment-
144
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
zellen enthaltende Basalzellschicht der Haut. UV-BStrahlung ist ebenfalls für Sonnenbrand und Hautkrebs verantwortlich. Ein großer Teil dieser Strahlung wird von der Ozonschicht abgewehrt. Da diese jedoch immer dünner wird, gelangen mehr UV-B-Strahlen auf die Erde.
5
Lichtschwiele Die oberste Hautschicht (Hornhaut, Stratum corneum) schützt den Körper vor der Sonnenstrahlung. Nimmt die Sonneneinwirkung auf die Haut zu, wird die Hornhaut dicker. Dieser Vorgang wird vom UV-B-Anteil des Lichts gefördert, innerhalb von 2–3 Wochen bildet sich die sog. Lichtschwiele. Sie reflektiert, filtert und streut das Sonnenlicht. Die Hautverdickung verbessert den Eigenschutz der Haut um das Vierfache, d. h. dieser Vorgang entspricht der Anwendung eines Sonnenschutzpräparates mit dem Schutzfaktor 4.
Wirkungen der UV-B Strahlung auf die Haut 4 Langsame aber anhaltende Bräunung (Hautpigmentierung durch Melanin) 4 Aufbau einer Schutzschicht (Lichtschwiele) 4 Sonnenbrand 4 Hautkrebs als Spätfolge
! Cave Sonnenbrände im Kindesalter sind für die Krebsentstehung von besonderer Bedeutung. Sonnenbrand schadet der Haut auch noch nach Jahren durch kumulative Effekte und kann zur UV-Karzinogenese der Haut führen.
Weitere Folgen einer regelmäßigen Sonneneinstrahlung über Jahre sind grobporige Haut, Mitesserbildung sowie Nachlassen der Hautelastizität und Faltenbildung. Sonnenallergie Synonym. Lichturtikaria, photoallergische Urtikaria. Definition. Durch Lichtstrahlen induzierte urtikarielle Hautreaktion des Erwachsenenalters, insbesondere an sonst lichtgeschützten Bereichen. Ätiopathogenese. Unklar. Symptomatik. Kurz nach der Bestrahlung auftretendes,
bis Stunden anhaltendes Brennen, Rötung, Juckreiz und Quaddeln. Bei großflächiger Ausdehnung können Kopfschmerzen, Herz-Kreislaufbeschwerden bis hin zum Schock auftreten. Therapie. Lichtschutz.
UV-C-Strahlung Die kurzwellige UV-C-Strahlung dringt am wenigsten in die Haut ein, kann aber zu Verbrennungen führen und ist absolut lebensfeindlich. Sie wird von der Ozonschicht abgehalten.
Polymorphe Lichtdermatose (PMD, PLE) Synonym. Lichtexzem, Ekzema solare, Sommerprurigo, Lupus-erythematodes-artige Lichtdermatose. Definition. Durch Sonnenbestrahlung hervorgerufene
Dermatitis solaris acuta Synonym. Sonnenbrand, Dermatitis photoelectrica, Erythema solaris, UV-Erythem. Definition. Akuter Strahlenschaden mit Verbrennun-
gen 1., seltener 2. Grades mit Blasenbildung. Ätiopathogenese. Die dermale Entzündung wird durch
Mediatoren, ausgehend von der primär epidermalen Schädigung induziert. Zumeist tritt die Dermatitis solaris acuta erst 3–6 h nach dem Sonnenbaden auf. Der Körper kann oftmals die Defekte wieder reparieren. Das sog. Gedächtnis der Haut registriert dennoch jeden Sonnenbrand und alle extremen Sonnenexpositionen. Auch ohne sichtbare Hautreizungen, wie etwa den Sonnenbrand, schädigen die Sonnenstrahlen auf Dauer. Der Repair-Mechanismus der Haut sollte nicht überfordert werden. Es ist unbestritten, dass durch Sonnenbrände die Entstehung von Hautkrebs (Basaliom, Spinaliom, Melanom) gefördert wird.
vielgestaltige Hautveränderungen. Ätiopathogenese. Unklar, wahrscheinlich verantwort-
lich für diese Hauterscheinungen ist die UV-A-Strahlung. Durch sie entstehen in der Haut reaktive Sauerstoffverbindungen (Radikale). Die gesunde Haut enthält eine Vielzahl von Schutzmechanismen, um diese Verbindungen abzufangen und zu neutralisieren. Bei Menschen, die unter PMD leiden, scheinen diese Schutzmechanismen zu versagen. Es kommt zu einer verstärkten Immunreaktion. Betroffen sind vorwiegend junge Frauen. Symptomatik. Die Erscheinungsformen sind sehr un-
terschiedlich, d. h. ekzematös, plaqueartig, urtikariell, erythematös. Betroffen sind vor allem Ausschnitt, Schultern, Nacken, Streckseiten der Arme. Oftmals verschwindet der Ausschlag nach einigen Wochen der Sonnengewöhnung. Diagnostik. Photoprovokation, Photopatch-Test.
145 5.5 · Haut und Umwelt
Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Lichtschutz, Lokaltherapie mittels Antioxidanzien, Glukokortikoide 4 Ernährungsumstellung: viel Tomaten, Omega-3Fettsäuren, Betacarotin, Nikotinsäureamid
5
4 Antimalariamittel: Chloroquin 4 Ultima Ratio: Immunsuppressiva (Azathioprin, Ciclosporin A) 4 Prävention: Lichttherapie (UV-B-Therapie)
In Kürze Hauterkrankungen durch UV-Strahlung Dermatitis solaris acuta (Sonnenbrand)
4 Symptomatik: Rötung, Brennen, ggf. Blasenbildung 4 Ätiologie: Verbrennung 1. Grades nach übermäßiger UV-Exposition abhängig vom Hauttyp, Sonnenstrahlenintensität, -dauer. Besondere Gefährdung von Personen mit heller Haut, rotblonden Haaren, blauen Augen, Sommersprossen 4 Diagnostik: Anamnese, Klinik 4 Therapie: kühlende Lokalbehandlung mit Eis, Lotionen, Schüttelmixturen
Polymorphe Lichtdermatose (PMD)
4 Symptomatik: stark variabel, ekzematös, plaque-artig, urtikariell, erythematös 4 Ätiologie: unklar, wahrscheinlich Erzeugung reaktiver Sauerstoffradikale durch UVA-Strahlung 4 Diagnostik: Photoprovokation, Photopatch-Test 4 Therapie: Lichtschutz, Ernährungsumstellung, Antimalariamittel, Immunsuppressiva, präventiv Lichttherapie
5.5.2 Photokarzinogenese Die Wirkung solarer UV-Bestrahlung auf die menschliche Haut ist dosisabhängig. Aufgrund der manifesten Soforteffekte wie Lichtentzündung, Sonnenbrand u. ä. wird sie als minimale Erythemdosis (MED) oder deren Vielfaches festgehalten. Von größerer Bedeutung aber sind die Späteffekte, wie Effekte am dermalen Bindegewebe, z. B. aktinische Elastose, welche nach einer Latenzzeit von einigen Jahren auftreten und an besonders lichtexponierten Hautstellen zu finden sein kann. Sie sind progredient und imitieren eine vorzeitige Hautalterung. Von besonderer Bedeutung ist die Photokarzinogenese der Epidermis. Sie wird nach Jahren bis Jahrzehnten mit multiplen Präkanzerosen und Tumoren manifest. Aktinische Keratose Synonym. Keratosis solaris, senile Keratose, Lichtkeratose. Definition. Präkanzerose in Bereichen hoher Lichtex-
position. Ätiopathogenese. Betroffen sind vor allem hellhäutige
Menschen mit der Neigung zum Sonnenbrand. Keratosen entstehen nach jahrelanger erhöhter Sonneneinstrahlung auf bereits degenerativ veränderter Altershaut.
> 20–25% der aktinischen Keratosen gehen in ein Plattenepithelkarzinom über.
Symptomatik. Betroffen sind vor allem Stirn, Glatze,
Nase, Handrücken. Unterschieden werden erythematische, keratotische oder pigmentierte Formen. Therapie. Bei einzelnen Keratosen Exzision oder Kryo-
therapie, bei zahlreichen lokale Chemotherapie mit 5Fluoruracil. Basaliom Synonym. Basalzellkrebs. Definition. Semimaligner, von der basalen Epidermis
ausgehender Hauttumor. Ätiopathogenese. Als semimaligner Hauttumor
wächst das Basaliom lokal destruierend auch in tiefere Gewebsschichten eindringend, Metastasen werden hingegen nur äußerst selten beobachtet. Das Basaliom entsteht vor allem bei älteren Erwachsenen auf lichtexponierten Arealen, seltener auch nach Arsenexposition. Oft bildet sich der Tumor auf klinisch gesunder Haut, der Handrücken ist selten betroffen. Verantwortlich für die Entstehung eines Basalioms ist weniger die Zahl der Sonnenbrände als vielmehr der kumulative Lichtschaden der Haut, der sich im Laufe
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Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
von Jahrzehnten ansammelnde sog. Gedächtnislichtschaden. Gefährdet sind deshalb insbesondere Menschen, die sich beruflich viel im Freien aufhalten, wie Bauarbeiter oder Landwirte, aber auch Sonnenbadende im Urlaub ohne angemessenen Sonnenschutz, Skifahrer, Bergsteiger, Wassersportler und Solariumbesucher. Hellhäutige, blonde oder rothaarige Personen haben höheres Basaliomrisiko als Menschen mit dunkler Hautfarbe, da bei diesen das körpereigene Pigment in den höher gelegenen Schichten der Oberhaut einen Teil der UV-Strahlung davon abhält, in die Basalzellschicht vorzudringen und dort die Erbsubstanz zu schädigen. Der Zeitabstand zwischen der Hautschädigung durch UV-Strahlung und dem Auftreten eines mit bloßem Auge sichtbaren Basalioms liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von etwa 10–35 Jahren.
Im Bereich der Genitalhaut oder -schleimhaut ist das Spinaliom hauptsächlich durch Viren oder durch chronische Entzündungen bedingt. Epidemiologie. In Deutschland muss jedes Jahr mehr
als 25.000 Neuerkrankungen gerechnet werden. Die zu beobachtende Häufigkeitszunahme des Spinalioms beruht zum einen auf der höheren Lebenserwartung, zum anderem auf einer gesteigerten Sonnenexposition großer Bevölkerungsgruppen im Zuge geänderten Freizeitverhaltens, die durch die Anwendung von Sonnenschutzmitteln zusätzlich erhöht wird. Symptomatik. Der Übergang von einer aktinischen
Keratose in ein Spinaliom ist klinisch fließend. Typisch ist eine raue Verhärtung mit festem, wultigem Rand und späterer zentraler Exulzeration und Blutung. Lymphknotenmetastasen sind bereits in diesem Stadium häufig.
Epidemiologie. Das Basaliom ist der häufigste Haut-
tumor.
Diagnostik. Histologischer Nachweis.
Symptomatik. Häufigste Lokalisation ist der Kopf, ins-
Therapie. Exzision, Kryotherapie, Radiatio, Chemothera-
besondere der zentrofaziale Bereich (ca. 80% der Basaliome), Haaransatz, retroaurikulär, Ohrmuschel und untere Gesichtshälfte. Typisch ist eine glasig knotige Veränderung mit zentraler Einsenkung und Teleangiektasien sowie perlschnurartigem Randwall, aber auch pigmentierte, sklerodermiforme, keloidähnliche, zystische Formen oder multiple Rumpfhautbasaliome sind möglich. Das Basaliom wächst nur sehr langsam und ulzeriert im fortgeschrittenerem Stadium.
pie, Immuntherapie, Laser, photodynamische Therapie.
Diagnostik. Histologischer Nachweis. Therapie. Exzision im Gesunden. Im frühen Stadium
Malignes Melanom Synonym. Schwarzer Hautkrebs. Definition. Maligner, frühzeitig metastasierender, von
den Melanozyten ausgehender Hauttumor. Ätiopathogenese. Sowohl die mittelwellige UV-B
Strahlung (280–320 mm) als auch die langwellige UVA Strahlung (320–400 mm) tragen zum Entstehen von epithelialen Hautmalignomen und malignen Melanomen bei.
und bei nicht multiplem Befall gute Prognose. Spinaliom Synonym. Plattenepithelkarzinom der Haut, Stachelzellkrebs. Definition. Maligner Tumor der Haut. Ätiopathogenese. Betroffen sind vorwiegend Männer ab dem 60. Lebensjahr mit hellem Hauttyp, aber auch immunsupprimierte und niereninsuffiziente Menschen. Das Spinaliom entwickelt sich unter dem Einfluss von Sonneneinstrahlung, oft auf bereits lichtgeschädigter Haut. > Über 90% der Spinaliome befinden sich im Gesicht.
Xeroderma pigmentosum Der kausale Zusammenhang zwischen dem gehäuften Auftreten von malignen Melanomen und einer UV-B-Exposition der menschlichen Haut wird eindrucksvoll durch Patienten mit Xeroderma pigmentosum belegt. Bei diesen Patienten lässt sich ein Defekt in der Exzisionsreparatur UVinduzierter DNA-Schäden nachweisen. Dies hat zur Folge, dass bei ihnen das Melanomrisiko um den Faktor 1000 erhöht ist.
Anders als beim Basaliom und Spinaliom, deren Entstehung von einer über viele Jahre aufgenommenen UVGesamtdosis abhängt, scheinen beim malignen Melanom kurze, intensive UV-Belastungen die Ursache zu sein. Den höchsten Risikofaktor stellt die Anzahl der (am gesamten Körper) vorhandenen Pigmentmale dar.
147 5.5 · Haut und Umwelt
Menschen mit mehr als 40 Pigmentmalen oder atypischen Pigmentmalen tragen ein 7- bis 15-fach höheres Risiko, am malignen Melanom zu erkranken. Sonnenbrände in der Kindheit und Jugend erhöhen das Risiko um das Zwei- bis Dreifache. Neben der UV-Bestrahlung spielt auch die genetische Veranlagung eine Rolle. Personen mit hellem Hauttyp (insbesondere Hauttyp I und II), mit rötlichen bzw. blonden Haaren, mit Neigung zu Sommersprossen, Sonnenflecken oder einem familiären malignen Melanom haben, je nach Kombination der Risikofaktoren, ein mehr als 100-fach erhöhtes Risiko. Epidemiologie. Das maligne Melanom gehört derzeit in Mitteleuropa noch zu den seltenen malignen Tumoren und macht etwa 1,5–2,5% aller malignen Neubildungen aus. Jedoch war in den letzten Jahrzehnten weltweit vor allem bei der hellhäutigen Bevölkerung eine beachtliche Zunahme der Häufigkeit zu verzeichnen. Derzeit geht man von einer Verdoppelung der Erkrankungsrate alle 10 Jahre aus. Besonders häufig erkranken Menschen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren am malignen Melanom.
5
Doch auch zwanzigjährige Patienten sind aufgrund des geänderten Sonnenverhaltens heute keine Seltenheit mehr. Symptomatik. Maligne Melanome können harmlosen
Pigmentmalen ähneln. Bei genauen Untersuchung nach der ABCD-Regel (A = Asymmetrie, B = Begrenzung unregelmäßig, C = Color/Farbe, D = Durchmesser >5 mm) können sie aber als bösartig erkannt werden. Sie treten zu 80% an normalerweise bekleideten Körperstellen auf und können auch am behaarten Kopf, unter Finger- und Fußnägeln oder an den Fußsohlen entstehen. Diagnostik. Exzision verdächtiger Pigmentmale, histo-
logische Untersuchung. Therapie. Die Behandlung richtet sich nach der Tumor-
dicke (Stadieneinteilung nach TNM-Klassifikation): 4 Exzision mit regelmäßigen Nachuntersuchungen 4 Kotherapie bei Resttumor: Radiatio 4 Kotherapie bei Metastasen: Interferon-α, Chemotherapie, Radiatio
In Kürze Photokarzinogenese Aktinische Keratose
4 Symptomatik: erythematische, keratotische, pigmentierte Formen an Stirn, Glatze, Nase, Handrücken 4 Ätiologie: chronische Sonnenstrahlenexposition, Präkanzerose 4 Diagnostik: Histologie 4 Therapie: Exzision, Kryotherapie, bei multiplen Läsionen lokal 5-Fluoruracil
5.5.3 Chemische Kanzerogenese Keine toxische Wirkung belastet eine Substanz so sehr wie das Stigma krebserzeugend. Das liegt an der schlechten Heilbarkeit, dem hohen Leidensdruck einer Krebserkrankung, aber auch an der schleichenden, manchmal über 2–3 Jahrzehnten andauernden Entwicklung der Erkrankung. > Die meisten Kanzerogene besitzen keinen wirkungsfreien Konzentrationsbereich (Schwellenwert), kleinste Dosen können sich in ihrer Wirkung summieren.
Ein Tumor entsteht aus einer einzigen Zelle, deren Wachstum gestört ist und die durch körpereigene Mechanismen nicht vernichtet wird. Dieser Schaden kann durch ein einziges Molekül angerichtet worden sein. Bei
Stoffen mit einer Wirkschwelle ist jedoch unterhalb dieser keine Wirkung zu erwarten. Die Ursachen für die Krebsentstehung beim Menschen liegen überwiegend in der Einwirkung äußerer Faktoren. In erster Linie sind dies Chemikalien, energiereiche Strahlung und bestimmte Viren. Mechanismus der Krebsentstehung
Bei Krebs sind das Wachstum und die Kontrolle von Körperzellen gestört. Ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Gesamtorganismus teilen sich die Zellen und führen schließlich zu dessen Zerstörung und Untergang. Die Veränderung des genetischen Materials der Krebszellen wird bei jeder Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben. Fehler beim Kopieren oder bei der Weitergabe der Kopie der DNA (Desoxyribonukleinsäure, DNS) führen zu Mutationen.
148
5
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
Der Übergang von einer gesunden Zelle in eine Krebszelle und deren Wachstum zu einem Tumor ist ein mehrstufiger Prozess: 4 Initiation: Irreversible Veränderung des genetischen Materials, die an die Tochterzellen weitergegeben wird, d. h. Mutation des Genoms, die binnen Stunden bis Tage vollzogen ist. Die Initiation reicht jedoch nicht für eine Tumorentstehung aus. 4 Promotion: Stimulation des Zellwachstums durch Eingriffe in die Signalkette. Damit aus einer initiierten Zelle ein präneoplastischer Herd entsteht, muss die Wirkung des Promotors über Wochen und Monate anhalten. 4 Progression: Nach der Entstehung gutartiger Tumoren durch Initiation und Promotion, wird deren Umwandlung in die maligne Form als Progression bezeichnet. Dabei nehmen die Wachstumsautonomie und das Metastasierungspotenzial zu, wobei dieser Prozess, der durch weitere Mutationen und andere Vorgänge begünstigt wird, über Monate und Jahre andauert. Initiatoren Unterschieden werden: 4 Gentoxische Kanzerogene: Reagieren mit Bestandteilen der Zelle, insbesondere der DNA und sind mutagen. 5 Direkte Kanzerogene: Substanzen, die ohne metabolische Aktivierung aktiv sind, z. B. halogenierte Substanzen, Nitrosamide und Nitrosoharnstoff. Diese Substanzen sind chemisch reaktiv (elektrophil) und reagieren spontan mit Strukturen der Zelle, insbesondere der DNA, wobei sie DNA-Addukte bilden. Sie kommen in der Natur nicht vor, sondern finden Verwendung in der chemischen Industrie als KrebsChemotherapeutika, Desinfektionsmittel oder Insektizide. Sie sind in erster Linie lokal wirksam (Haut, Lunge). 5 Indirekte Kanzerogene: Substanzen, die erst nach metabolischer Aktivierung kanzerogen wirksam werden. Dazu gehören die meisten der gentoxischen Kanzerogene. Sie sind überwiegend systemisch, den gesamten Organismus betreffend kanzerogen wirksam, und umfassen sowohl synthetische als auch natürliche Stoffe wie aromatische Amine, N-Nitrosoverbindungen, Nitroalkyl-verbindungen, halogenierte Kohlenwasserstoffe, Mykotoxine (Aflatoxin), Safrol (Campherbaum, Muskat, Fenchelholzbaum), Senecio-Alkaloide (Korbblütler mit mehr als 200 Arten), Inhaltsstoffe im Adlerfarn, Aristolochiasäure (Osterluzei). Eine Ausnahme
stellen die PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) dar, die direkt Hauttumoren induzieren. 4 Nicht-gentoxische (epigenetische) Kanzerogene: Substanzen, für die eine DNA-Reaktion nicht nachweisbar ist und deren Kanzerogenität auf anderen biologischen Wirkungen beruht, z. B. Zytotoxizität, chronische Entzündungsreaktionen und Tumorpromotion. Solche Stoffe finden sich in erster Linie im Bereich der Umwelttoxikologie wie Dioxine, Phthalate, Dichlormethan, Saccharin, butyliertes Hydroxyanisol (Antioxidans in Lebensmitteln wie Kuchen oder Rinderbrühe), Asbest. Zytotoxizität Zytotoxische Stoffe führen zu einem Zelluntergang. Dadurch wird das betroffene Organ bzw. Gewebe angeregt, durch vermehrte Zellteilung (gesteigerte Zellproliferation) den entstandenen Schaden zu reparieren. Durch eine gesteigerte Zellneubildung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine initiierte Zelle schneller vermehrt wird. Ein lang andauernder Wundreiz kann somit nach einer gewissen Zeit zu einem Tumor führen.
Promotoren Das Phänomen der Tumorpromotion wurde im Zusammenhang mit chronischen Entzündungen und Wundheilung entdeckt. Als Tumorpromotoren werden Substanzen definiert, die selber nicht kanzerogen sind, aber die Krebsinzidenz nach Exposition gegenüber kanzerogenen (initiierenden) Substanzen erhöhen. Sie erhöhen die Anzahl der Tumoren pro Organismus oder verkürzen die Latenzzeit der Kanzerogenese. Diese Wirkung tritt auf, wenn sie nach einem initiierenden Kanzerogen wiederholt appliziert werden. Tumorpromotoren sind weder elektrophil noch reagieren sie mit der DNA. Sie werden nicht metabolisch aktiviert. Tumorpromotion Der Begriff ist rein beschreibend definiert, da die zugrunde liegenden Mechanismen sehr vielfältig und zum Teil noch unbekannt sind. Das Phänomen scheint reversibel und abhängig von einer Schwellendosis zu sein, die jedoch sehr niedrig liegen kann. Tumorpromotoren können jedoch natürlich auch spontan initiierte Zellen (Sonnenlicht, Hintergrundstrahlung) promovieren. Zu den Tumorpromotoren gehören Phorbolester und andere Croton-Inhaltsstoffe (Wolfsmilchgewächs), Phenobarbital, chlorierte Kohlenwasserstoffe (DDT und andere Organochlor-Pestizide), polychlorierte und -bromierte Biphenyle (PCB), polychlorierte Dibenzo-p-dioxine und -furane (TCDD/F), butyliertes Hydroxyanisol und -toluol (BAH/BHT).
149 5.6 · Lunge und Umwelt
Fremdkörper- oder Festkörperkanzerogenese Zu dieser Substanzgruppe gehören neben Asbest auch künstliche Mineralfasern, Steinwolle, Glaswolle, Keramikfasern, kristallines Silizium sowie andere Partikel wie Ruß, Titandioxid, Zeolith, Talkum. Diese Substanzen verursachen Tumoren in unterschiedlichen Geweben des Respirationstraktes. > Meistens geht diesen Tumoren eine chronische Entzündung voraus.
Komplette, inkomplette Kanzerogene Viele chemische Kanzerogene können sowohl initiierend als auch promovierend wirken. Sie werden daher als vollständige oder komplette Kanzerogene bezeichnet, z. B. PAK, Nitrosamine, aromatische Amine. Im Gegensatz dazu besitzen unvollständige oder inkomplette Kanzerogene meist nur initiierende Wirkung, wie Methylnitrosoharnstoff, Ethylnitrosoharnstoff. Einige Stoffe können in einem Organ vollständig kanzerogen wirken, in anderen dagegen nur initiierend (Cis-Platin, Lungentumoren bei der Maus, nach Behandlung mit Crotonöl auch Hauttumoren). Ko-, Anti- und Synkanzerogenese Einige Fremdstoffe und bestimmte Vorgänge im Körper können, ohne selber kanzerogen zu sein, die Empfindlichkeit gegenüber initiierenden Substanzen erhöhen (Kokanzerogene) oder abschwächen (Antikanzerogene). Bei der Synkanzerogenese wird die Wirkung eines Kanzerogens durch ein weiteres verstärkt, wobei die Reihenfolge der Einwirkung beliebig ist. Ko- und Synkanzerogenese sind nicht mit der Tumorpromotion zu verwechseln, die erst nach der Initiation stattfindet. Mechanismen der Krebsentstehung An Beispielen sollen zwei Mechanismen der Krebsentstehung dargestellt werden: 4 Tumorpromotion, komplette Karzinogenese: Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) entstehen meist durch unvollständige Verbrennung, insbesondere von Holz, Kohle und Mineralölprodukten. Sie sind in vielen Verkehrsabgasen enthalten, im Tabakrauch sowie in gebratenen, gegrillten oder geräucherten Lebensmitteln. PAK bestehen aus maximal 6 kondensierten, meist aromatischen Ringen. Aufgenommen werden PAK sowohl inhalativ, adsorbiert an die Partikelfraktion der Luft, als auch oral über Nahrung. Das Benzo(a)pyren ist der Vertreter mit der höchsten kanzerogenen Potenz. Nur die PAK haben 6
5
eindeutig kanzerogene Eigenschaften, die ein bestimmtes Strukturelement aufweisen, eine Einbuchtung oder die sog. Bay-Region. 4 Mehrstufenmodell, Tumorinitiation, partielle Karzinogenese: Im Mehrstufenmodell der Kanzerogenese haben PAK die Bedeutung von Initiatoren. Bei geringen, noch keinen Krebs auslösenden Dosen bewirken sie dauerhafte Veränderungen an der DNA durch gentoxische Effekte. Nach anschließender Promotion kommt es zur Tumorbildung. Das eigentliche Kanzerogen stellt jedoch nicht das Benzo[a]pyren selber dar. Die gentoxische Komponente ist ein Stoffwechselprodukt des Benzo[a]pyrens, das im Körper entsteht, das 7,8-Diol-9,10-Epoxid. Die in den Körper gelangten PAK werden von einem Enzymsystem, dem Zytochrom P450, dessen Aufgabe die Entgiftung von körperfremden Substanzen ist, verstoffwechselt. Die für die PAK zuständigen Vertreter dieses Enzymsystems befinden sich in großen Mengen in der Leber, aber auch in der Lunge und in der Haut. Diese Enzyme führen jeweils ein Sauerstoffatom in die körperfremde Substanz ein. Es findet also eine sog. Giftung der PAK durch körpereigene Vorgänge statt. Das ultimative Kanzerogen entsteht durch eine Epoxidierung an der Position 7,8. Dieses Epoxid öffnet sich entweder spontan oder unter dem Einfluss anderer Enzyme, unter Anlagerung von einem Molekül Wasser, zu dem entsprechenden 7,8Diol. Dieses wird erneut von den Zytochrom-P450-Enzymen epoxidiert. Ein Epoxid an der Position 9,10 ist besonders stabil, jedoch, wie alle Epoxide, weiterhin sehr reaktiv. Das ultimative Kanzerogen 7,8-Diol-9,10Epoxid reagiert mit der DNA und setzt so die gentoxischen Schäden, die im weiteren Verlauf zu einer Entartung der Zelle führen können. Auch wenn Krebs in der Regel an jedem Ort des Körpers entstehen kann, führen PAK insbesondere zu Tumoren an Stellen, an denen relativ viele der Zytochrom-P450-Enzyme lokalisiert sind (Leber, Lunge, Haut). Dabei muss nicht immer eine Aufnahme in den Körper erfolgen. Teerprodukte, die auf die äußere Haut gelangen, können Tumoren auslösen, ohne vorher in den Organismus aufgenommen worden zu sein
5.6
Lunge und Umwelt
Da die Lunge in ständigem Kontakt mit der Außenwelt steht stellen Verunreinigungen der Luft in erster Linie eine Bedrohung für die Atmungsorgane dar. Täglich werden 10.000–20.000 l Luft ein- und ausgeatmet. Mit etwa 90 m2 besitzt die Lunge eine sehr große Oberfläche. Unterschiedlichste Schadstoffe finden sich in der Außen- und Innenluft sowie an vielen Arbeitsplätzen.
150
5.6.1
5
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
Außenluftschadstoffe
Die Smog-Katastrophe in London 1952 zeigte schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen von Luftverschmutzung. Unter ungünstigen meteorologischen Bedingungen kam es bei dichtem Nebel zu einer extremen Anhäufung von Luftschadstoffen (SO2, Rauch). Der Zusammenhang mit Todesfällen war eindeutig. In den letzten Jahren hat die Luftverschmutzung glücklicherweise deutlich an Bedeutung als Risikofaktor für Lungen- und Atemwegserkrankungen verloren. Eine Absenkung von SO2 und Schwebstaub, den wichtigsten Verursachern des Wintersmogs, konnte erreicht. 5.6.1.1 Ozon Ozon (O3) ist eine Verbindung aus drei Sauerstoffatomen. Es entsteht durch die Reaktion von molekularem mit atomarem Sauerstoff und ist chemisch sehr reaktiv. Ozon greift viele andere Stoffe an und kann deshalb Menschen, Pflanzen und Materialien, z. B. Kunststoffe, Metalle schädigen. Unsere Lufthülle ist nach dem Magnetfeld der Erde ein wichtiges Schutzschild für die Biosphäre, z. B. vor der UV-Strahlung. Ozon kommt in der Stratosphäre vor und verhindert somit das Eindringen kurzwelliger UV-Strahlen. Jedoch wird durch halogenierte Kohlenwasserstoffverbindungen (FCKW) dieses schützende Ozon zerstört. Das schädliche bodennahe Ozon entsteht durch die Einwirkung von UV-Strahlen aus Stickstoffdioxid, das aus Autoabgasen stammt. Hohe Ozonkonzentrationen werden also bei Sonneneinstrahlung und starkem Autoverkehr beobachtet. Dabei liegen Spitzenwerte nicht immer in städtischen Ballungsräumen, sondern auch in sog. Reinluftgebieten. > Hauptzielorgan von Ozon ist der Atemtrakt.
Da Ozon wenig wasserlöslich ist, kann es bis in die Bronchiolen und Alveolen vordringen. Akute Wirkungen sind: 4 Ozon und Begleitstoffe können Befindlichkeitsstörungen wie Reizungen der Atemwege, Husten, Kopfschmerz, Atembeschwerden oder Tränenreiz auslösen. 4 Zu beobachten sind auch Veränderungen der Lungenfunktion, Erhöhung der bronchialen Reaktionsbereitschaft, Reduzierung der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie entzündliche Reaktionen der oberen und unteren Atemwege. 4 Auch eine Zunahme der Häufigkeit von Asthmaanfällen sowie eine Steigerung der allergischen Reaktionsbereitschaft werden im Zusammenhang mit Ozonexpositionen genannt.
> Das gasförmige Ozon reizt die Schleimhäute. Konzentrationen über 200 μg/m3 Luft können Augentränen, Wundgefühl im Hals und in der Brust, Reizhusten, Schwindel und Kopfschmerzen hervorrufen.
Die Ozonkiller wie beispielsweise FCKW werden immer stärker reduziert, die Wechselwirkung mit dem Sonnenwind (dem Raumwetter) zusehends besser untersucht. In der EU sind 3 Schwellenwerte für den Gesundheitsschutz festgelegt: 4 110 μg/m3 (Mittelwert über 8 h): Oberhalb dieser Konzentration können sich erste Symptome bemerkbar machen. 4 180 μg/m3 (Einstunden-Mittelwert): Empfindliche Personen sollen besonders am Nachmittag starke körperliche Belastungen im Freien vermeiden. 4 ab 360 μg/m3: Warnung der gesamten Bevölkerung durch Auslösen vom sog. Ozonalarm. Die individuelle Reaktion auf Ozon ist jedoch sehr unterschiedlich. Die individuelle Reaktion auf Ozon ist sehr unterschiedlich, jedoch ist besonders bei gesteigerter Atmung mit unerwünschten Effekten zu rechnen. Da Kinder im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht ein größeres Atemminutenvolumen haben als Erwachsene sind sie besonders bei intensiver Bewegung im Freien stärker gefährdet. Auch Asthmatiker gelten als potenziell gefährdet. 5.6.1.2 Weitere Außenluftschadstoffe Nicht nur direkt über die Luft sondern auch vom Magen-Darm-Trakt aufgenommene Stoffe gelangen über den Blutstrom in die Lunge. Luft ist ein Gasgemisch und wird durch Rauch, Ruß, Staub, Aerosole, Dämpfe und Geruchsstoffe ständig verändert. Durch die Verbrennung fossiler Brennstoffen wird ein Großteil der Luftschadstoffe erzeugt. Dabei sind Kraft- und Heizwerke, Industrie und Haushalte und vor allem der Kraftfahrzeugverkehr Quellen dieser gas- oder partikelförmigen Verunreinigungen. Die wichtigsten Außenluftschadstoffe neben Ozon sind Smog, Stickstoffoxide, Schwefeldioxid und saure Aerosole. Natürliche Quellen wie Windabrieb, Vulkane und Blütenpollen sind wenig beeinflussbar. > Ob ein Schadstoff wirklich als schädlich anzusehen ist, hängt u. a. ab von der Konzentration, der Dauer der Einwirkung und vom momentanen Zustand der Abwehrmechanismen in der Lunge.
151 5.6 · Lunge und Umwelt
5.6.2 Innenluftschadstoffe Innenluft wird an erster Stelle durch die brennende Zigarette verunreinigt. Zigarettenrauch ist ein kompliziertes Gemisch. Der Hauptstromrauch entsteht durch das Einziehen der Luft in die brennende Zigarette und betrifft vor allem den Raucher. Der Nebenstromrauch wird bei Temperaturen von ungefähr 600°C durch das Glimmen der Zigarette gebildet und ist für das Passivrauchen von Bedeutung. Es konnten bisher mehr als 4000 verschiedene Stoffe aus dem Zigarettenrauch isoliert werden. Die meisten dieser Stoffe sind gesundheitsschädlich. Man schätzt, dass etwa 43 Stoffe Krebs auslösen können. Bei Rauchern treten Gesundheitsschäden auf, die zunächst noch rückbildungsfähig sind. Wird weiter geraucht, kommt es zu dauerhaften Schäden vor allem an den Bronchien und der Lunge, am Herzen und an den Gefäßen. Tabakrauch erhöht das Risiko für Lungen-, Kehlkopf-, Mundhöhlen- und Speiseröhrenkrebs. Personen, die häufig Tabakrauch ausgesetzt sind (Passivraucher), haben wahrscheinlich ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Lungenkrebs. Rauchen in der Schwangerschaft ist eine der häufigsten Ursachen für Fehlgeburt, Missbildungen und plötzlichen Kindstod. Rauchen in der Schwangerschaft begünstigt auch die spätere Entwicklung von Asthma beim Kind. Kinder rauchender Eltern haben ein erhöhtes Risiko, an Asthma zu erkranken. Tabakrauch in der Umgebungsluft ist darüber hinaus eine Geruchsbelästigung und auch eine Beeinträchtigung, weil der Rauch die Schleimhäute reizt. 5.6.3 Luftverschmutzung am Arbeitsplatz Bis zu 10% der Atemwegs- und Lungenerkrankungen gehen teilweise oder ausschließlich auf berufliche Einwirkungen zurück. > Mehr als ein Drittel aller anerkannten Berufskrankheiten entfällt auf Erkrankungen der Lunge.
Dabei ist ein langfristiger intensiver Kontakt mit reizenden Gasen, Stäuben und Dämpfen am Arbeitsplatz für die Schädigung der Atemwege und der Lunge ursächlich. Unbestritten ist die Verstärkung der Wirkung dieser Schadstoffe, wenn zusätzlich noch geraucht wird. Zu den Arbeitsplätzen mit der stärksten Staubbelastung gehören: 4 Bergbau unter Tage (Quarzstaub, Gefahr der Silikose) 4 Steinbrüche (Granit, Sandstein, Kalk) 4 Glasindustrie (Schamott, Schleifkörper)
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4 Asbestverarbeitende Betriebe (Gefahr der Asbestose, Pleuramesotheliom) 4 Metallurgische Betriebe (Formsand, Schamott) 4 Keramische Industrie (Steingut, Porzellan) 4 Textilindustrie 4 Betriebe mit Umgang von Rohbaumwolle oder Isoliermaterialien 4 Landwirtschaft (Futtermittel, Getreidekörner, Mineraldünger, Desinfektionsmittel, Pestizide) Eine starke Rauchbelastung entsteht beim Schweißen. Weitere Reizgase, die arbeitsmedizinisch eine Rolle spielen, sind NO2, O3 und Chlorgas. Zur Krankheitsverhütung ist daher eine Beachtung der Vorschriften der Berufsgenossenschaften besonders wichtig. Auch die Grenzwerte für gefährliche Arbeitsstoffe müssen zwingend eingehalten werden. > In gewissen Abständen sollten Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen Messungen der Lungenfunktion beinhalten.
5.6.4 Allergien Zu den häufigsten krankheitsauslösenden Allergenen des Atemtrakts gehören die Pollen windbestäubender Pflanzen, Tierhaare, Hausstaubmilben und Pilze. Eine verstärkte Inhalation der vorab genannten Außenluftschadstoffe oder von Tabakrauch kann zu einer chronischen Entzündung der Atemwege führen, die dann der Entwicklung einer allergischen Erkrankung Vorschub leistet. Allergene können dadurch leichter in die vorgeschädigte Schleimhaut eindringen. Die Entwicklung umweltbedingter Allergien unterliegt vielen Einflüssen, wobei sicherlich erbliche Ursachen und Umwelteinflüsse zusammenwirken. Das Risiko ist erhöht, wenn beide Elternteile Allergiker sind. Die Häufigkeit allergischer Erkrankungen ist in modernen Industriestaaten heutzutage höher als in Ländern mit geringerer industrieller Entwicklung. Das Auftreten von Allergien in städtischen Regionen wird häufiger beobachtet als in bäuerlicher Umgebung. > Früher Keimkontakt (Spielen im Dreck) scheint eine gewisse schützende Wirkung gegen Allergien zu haben.
Mit einer höheren Allergie-Wahrscheinlichkeit verbunden sind daneben Rauchen der Mutter in der Schwangerschaft oder Innenraumfaktoren wie Feuchtigkeit, Temperatur, Teppichboden, Lüftungs- und Reinigungsverhalten.
152
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
5.6.4.1 Asthma Asthma ist im Kindesalter inzwischen die häufigste chronische Krankheit. Jedes 10. Kind leidet in Deutschland darunter, in Australien sogar jedes 6. Kind. Die Asthmahäufigkeit nimmt allerdings auch in den Ländern der Dritten Welt zu. Mindestens ein Drittel der Kinder behalten Asthma im Erwachsenenalter. Allergien im Kindesalter sind häufige Ursachen von Asthma. 5.6.4.2
5
Ätiopathogenese. Mykosemitbefall von Haut, Schleim-
häuten, Lunge, Ohr. Symptomatik. Befällt v. a. abwehrgeschwächte Patien-
ten, Übertragung erfolgt aerogen. Diagnostik. Nachweis von Pilzhyphen im Sputum oder
Biopsiematerial, Erregernachweis in Kultur, AntigenAntikörpernachweis.
Aspergillose
Synonym. Aspergillusmykose.
Therapie. Amphotericin B.
Definition. Mykose, durch Aspergillus-Spezies hervor-
gerufene Granulome. In Kürze Lunge und Umwelt Aspergillose
5.7
4 Symptomatik: Befall der Lunge, Haut, Mukosa 4 Ätiologie: durch Aspergillus-Spezies hervorgerufene, aerogen übertragene und durch typische Granulome (Aspergillome) gekennzeichnete Mykose 4 Diagnostik: Pilzhyphen im Sputum, Biopsiematerial; kultureller Erregernachweis, Antigenoder Antikörpernachweis 4 Therapie: Antimykotikum Amphotericin B
Umweltbelastung Lärm
Für viele Menschen ist Lärm das größte Umweltproblem. Etwa 80% der Deutschen fühlen sich durch den Lärm des Straßenverkehrs belästigt, ca. 50% durch Fluglärm, 30% von Nachbarschaftslärm und rund 20% durch Industrie- und Gewerbelärm. > Lärm als ein ernst zu nehmender Stressfaktor kann zu erheblichen Gesundheitsbelastungen führen.
Laut Gesetzgeber ist Lärm Schall (Geräusch), der Nachbarn oder Dritte stören (gefährden, erheblich benachteiligen oder erheblich belästigen) kann oder stören würde. Dabei entsteht Schall durch Schwingungen einer Schallquelle, die Schwankungen im Luftdruck bewirken, welche dann vom Ohr wahrgenommen werden. Somit beinhaltet Lärm eine subjektive Bewertung, während Schall als ein objektiv erfassbares physikalisches Ereignis anzusehen ist. Akustisch messbare Größen sind der Schalldruck p (Größe der Luftdruckschwankungen; Einheit N/m2) und die Frequenz f (Anzahl der Luftdruckschwankungen pro Sekunde; Einheit Hz).
> Je größer der Schalldruck bei gleicher Frequenz, desto lauter ist die Schallempfindung. Je größer die Frequenz ist, desto höher ist die Schallempfindung.
Als Maß für die Lautstärke eines Geräusches hat man wegen des großen Druckunterschiedes von 6 Zehnerpotenzen zwischen Hörschwelle und Schmerzgrenze, den Schalldruckpegel Lp eingeführt, der in Dezibel (dB) angegeben wird. Im logarithmischen Aufbau der Dezibelskala entspricht eine Pegelerhöhung um 6 dB einer Verdoppelung des Schalldruckpegels. Dabei beginnt die Hörschwelle bei 0 dB, die Schmerzgrenze bei 120– 130 dB. Da das menschliche Ohr nicht für alle Frequenzen (16 Hz–16 kHz) gleich empfindlich ist werden hohe und tiefe Töne vergleichsweise leiser wahrgenommen als Töne mittlerer Frequenz (1 kHz–5 kHz). Bei normaler Unterhaltung liegt der Schalldruckpegel zwischen 40–60 dB(A), bei starkem Stadtverkehr bei 80 dB(A). Presslufthammer und Musikanlagen (Diskotheken, Konzerte) erreichen bis zu 120 dB(A). Die Schmerzgrenze von 130 dB(A) wird in 100 m Entfernung von Düsentriebwerken erreicht.
153 5.7 · Umweltbelastung Lärm
5.7.1
Auswirkungen von Lärm
5
Therapie. Dauerschaden nach Aufgabe der Lärmarbeit,
keine Progredienz. 5.7.1.1
Lärmschwerhörigkeit Synonym. Chronisches Lärmtrauma. Definition. Schädigung des Innenohrs infolge einer an-
dauernden Lärmbelastung. Ätiopathogenese. Extrem hohe Schallpegel (Einzelereignisse von mehr als 140 dB) können zur Schädigung des Innenohres führen, ebenso wie kontinuierliches Einwirken von Beurteilungspegeln über 85 dB (A) das Gehör dauerhaft schädigen können. Die Sinneshärchen (Zilien) werden durch die Schallüberlastung irreparabel zerstört. Ab einer bestimmten Anzahl von funktionsunfähigen Zilien kommt es zur messbaren Hörschwellenverschiebung nach oben. Die Hörfähigkeit für hohe Töne nimmt ab und bei weiterer Belastung dann auch die für tiefe Töne. > Diese direkte Lärmwirkung auf das Hörorgan ist unumstritten und seit Jahren als Berufskrankheit anerkannt.
Auch zu laute Musikeinwirkung kann zu Gehörschäden führen. Bei Musikhören über Kopfhörer werden Mittelungspegel von 110 dB(A) erreicht und bei einer OpenAir-Veranstaltung hat das Münchner Umweltschutzreferat im Besuchersektor Pegel bis zu 115 dB(A) in der Nähe der Lautsprecher gemessen. Eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsamts belegt, dass bei einem Viertel der Untersuchten das Hörvermögen deutlich und dauerhaft beeinträchtigt war. Es bestand ein signifikanter Zusammenhang zwischen Gehörschäden und überlautem Musikkonsum. Zusätzlich wurde von der Kommission SOZIAKUSIS (Verlust der Hörfähigkeit hauptsächlich aufgrund von Lärmbelastung und zivilisationsbedingten Belastungen des Gehörs) des Umweltbundesamtes, unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Musikhörgewohnheiten der Jugendlichen, eine Risikoabschätzung der Auswirkungen auf das Gehör erstellt. > Danach führt ein Dauerschallpegel von 85 dB(A) bei einer täglicher Expositionszeit von 8 h bei 5% nach 10 Jahren zu einem Hörverlust von 30 dB bei 3 kHz. 94 dB(A) bei 1 h Expositionszeit pro Tag führen zu dem gleichen Ergebnis.
Symptomatik. Innenohrschwerhörigkeit, positives Re-
cruitmentzeichen, Ohrgeräusche im 4-kHz-Bereich. Diagnostik. Tonaudiogramm, Langenbeck-Test, Sprach-
audiogramm.
5.7.1.2 Extraaurale Wirkungen Etwa 50% der Bevölkerung der alten Bundesländer sind tagsüber mit Geräuschpegeln von über 55 dB(A), über 6% mit Geräuschpegeln über 70 dB(A) durch Straßenverkehrslärm belastet. Bei rund 30% liegt am Tag eine Belastung von über 60 dB(A) durch Straßenlärm vor, wobei der Pegel in der hälfte der Zeit größer als 65 dB(A) ist. Über 30% der Bevölkerung der alten Bundesländer sind nachts mit Dauerschallpegeln über 50 dB(A) durch den Straßenverkehr belastet. Die Spaltöffnung der Fenster an einer Straße kann zu einem Maximalpegel von 50–60 dB(A) im Innenraum führen. Lärm wirkt als psychosozialer und emotionaler Stressor und kann unspezifische Reaktionen hervorrufen, die sich aus der Erregung des autonomen Teils des vegetativen Nervensystems erklären. Diese Reaktionen können schon bei Schalldruckpegeln wesentlich unterhalb 85 dB (A) auftreten. Dauerhafte Lärmbelastung beeinflusst die physischen (Erwerbsfähigkeit, Sprachverständnis, Unbehaglichkeitsschwelle) als auch psychischen Regulationsmechanismen des menschlichen Organismus. Allgemeine Störungen Ab einem Dauerschallpegel von 40 dB(A) kann es zu einem Gefühl der Belästigung und der Verärgerung kommen. Die psychosozialen Lärmwirkungen hängen von der körperlichen und seelischen Verfassung des Betroffenen ab, vom Zeitpunkt und Ort der Immission und der Einstellung zum Geräusch oder dem Verursacher. Sie können die Lebensqualität mindern und Verhaltensänderungen provozieren. Anwohner stark befahrener Straßen und Flughafenanrainer führen z. B. kürzere Telefonate, schließen häufiger das Fenster und nutzen ihre Balkone, Terrassen und Gärten seltener. Kommunikationsstörungen Ist der Umweltlärm lauter als das gesprochene Wort, ist das Gespräch beendet oder zumindest gestört. Wenn der Außendauerschallpegel 70 dB(A) erreicht, ist in Innenräumen der Geräuschpegel normalerweise so hoch, dass bei offenem Fenster keine ungestörte Kommunikation mehr möglich ist. Besonders lästig wird die Störung bei Einwegkommunikation (Rundfunk, Fernsehen) empfunden, wenn Informationen verloren gehen. Die akustische Kommunikationsfähigkeit ist zudem entscheidend für den Spracherwerb, für Lernprozesse und für die schulische Wissensvermittlung.
154
5
Kapitel 5 · Klinische Umweltmedizin
Schlafstörungen Gleichmäßige, andauernde Lärmpegel von über 30 dB(A) können bereits zu Schlafstörungen führen. Ab Maximalpegeln von 50 - 60 dB(A) zeigen sich beim schlafenden Menschen Stressreaktionen, die zur vermehrten Ausscheidung von Stresshormonen (z. B. Kortisol) führen. Chronische Kortisolerhöhungen können das Risiko für Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigern. Mit steigenden Dauerschallpegeln nimmt die Traumschlafzeit ab, und die Einschlafzeit, sowie die Anzahl und die Gesamtzeit der Wachphasen nehmen zu. Die Schlafqualität wird subjektiv schlechter beurteilt und die physische und psychische Verfassung, die Leistung, die Konzentration und das Immunsystem können beeinträchtigt werden. Andere gesundheitlichen Auswirkungen Der Organismus reagiert auch im wachen Zustand auf Lärm mit vegetativen Funktionsänderungen. Schallbelastungen über 60 dB oder relevante Signale wie Knallen lösen typische Stressreaktionen im Körper aus, z. B. Beschleunigung der Herzfrequenz, Verengung der peripheren Blutgefäße mit Blutdrucksteigerung, vermehrter Freisetzung von Stresshormonen, Erweiterung der Pupillen. Das Ausmaß der Funktionsänderungen nimmt mit dem Schalldruckpegel der einwirkenden Geräusche zu. Kurzfristiger Lärmstress beeinflusst die Gesundheit nicht. Länger einwirkender Lärm kann jedoch eine chronische Schädigung des Herz-KreislaufSystems zur Folge haben. Eine empirische Studie des Umweltbundesamtes (Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene) hat ergeben, dass das Herzinfarktrisiko signifikant und kontinuierlich mit der subjektiv empfundenen Arbeitslärmbelastung ansteigt. Wissenschaftler der Universität Hamburg, aus den USA und Schweden haben bei Untersuchungen von fluglärmbelasteten Kindern am neuen Münchener Flughafen, im Gegensatz zu einer unbelasteten Kontrollgruppe, eine Steigerung der Blutdruckwerte sowie eine Zunahme von Stresshormonen im nächtlichen Urin gemessen. 5.7.2 Lärmbekämpfung Die 3 grundlegenden Konzepte zur Lärmminderung sind: 4 Senkung der Emission 4 Beschränkung der Schallausbreitung 4 Verringerung der Immission
Trotz der Bemühungen zur Lärmbekämpfung bleibt die Zahl der Lärmbelästigten konstant hoch, u. a. weil die Zahl der Lärmquellen rasant zunimmt, obwohl die gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Folgen der Lärmbelastung erheblich sind und trotz gewaltiger Investitionen in Lärm-Bekämpfungsmaßnahmen. Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) Bei Industrie- und Gewerbelärm wird versucht, durch Überarbeitung der Gesetzeslage eine Minderung der Lärmeinwirkungen zu erzielen. Zum umfassenderen Schutz der Nachbarschaft wurde deshalb eine Novelle der TALärm beschlossen. Dabei soll die Gesamtimmission, die auf den Betroffenen einwirkt, stärker berücksichtigt werden. Zusätzlich werden die Regelungen auch auf nicht genehmigungspflichtige Anlagen ausgedehnt. Außerdem sollen differenzierte Beurteilungskriterien bei lauten Einzelereignissen sowie frühmorgens und abends die Betroffenen besser schützen. Für seltene Lärmereignisse sieht die Novelle Lärmpegel vor, die nicht überschritten werden dürfen. So wurden die EG-Geräuschgrenzwert 1996 für PKW von 77 dB(A) auf 74 dB(A) gesenkt. Dies entspricht einer Halbierung der Schalleistung und bedeutet, dass 2 PKW der neuen Generation zusammen nur noch so laut sind wie ein alter PKW. Durch immer mehr PKW wird dieser Fortschritt jedoch relativiert. Außerdem steigt die Fahrleistung im Straßenverkehr, neben den Faktoren Geschwindigkeit und Art der Fahrzeuge die wichtigste Größe zur Ermittlung der Lärmemissionen. Neben dem Aspekt der Vekehrsverlagerung steht daher die Verkehrsvermeidung im Vordergrund. Durch Verhaltensänderungen lassen sich beim Straßenlärm lokal schon spürbare Lärmminderungen erzielen. Ebenso gibt es bei den Flugbewegungen in den letzten Jahren eine Steigerung. Durch die Festlegung von Grenzwerten konnten die Lärmemissionen zwar deutlich gemindert werden. Hat die Lärmfläche innerhalb der 85 dB(A)Lärmkontur einer alten Boing beim Start noch 14,25 km2 betragen, so ist sie bei einen neuen Airbus nur mehr 1,55 km2 (etwa ein Zehntel) so groß. Zusätzlich sollen wirtschaftliche Instrumente wie lärmabhängige Landegebühren und Nachtflugbeschränkungen die Entwicklung und den Einsatz lärmärmerer Flugzeuge unterstützen. Trotzdem nehmen die Lärmwirkungen zu, obwohl die physikalisch messbaren Schalldrücke stagnieren oder sogar leicht abnehmen, vermutlich weil weniger Ruhepausen verbleiben. Der effektivste Lärmschutz ist auch beim Fluglärm die Verringerung von Einzelereignissen durch Vermeidung beispielsweise von Kurzstreckenflügen.
155 5.7 · Umweltbelastung Lärm
In Kürze Umweltbelastung Lärm Lärmschwerhörigkeit
4 Symptomatik: Innenohrschwerhörigkeit, positives Recruitmentzeichen, Ohrgeräusche 4 Ätiologie: Einzelereignisse (mehr als 140 dB) bzw. Dauereinwirkung (über 85 dB) von Lärm 4 Diagnostik: Audiogramm, Langenbeck-Test 4 Therapie: Dauerschaden, bei Lärmreduktion keine Progredienz
5
6 Medizin des Alterns und des alten Menschen M. Jamour
6.1
Individuelles Altern –158
6.2
Demographischer Wandel, demographische Alterung –158
6.3
Krankheitsmanifestation, Krankheitsfolgen im Alter –159
6.4
Geriatrische Syndrome –161
6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.4.7 6.4.8 6.4.9
Exsikkose, Störungen im Elektrolythaushalt –161 Dysphagie, Malnutrition –162 Dekubitalgeschwüre –164 Inkontinenz –164 Stürze, posturale Instabilität, Gangstörungen –166 Immobilität, Sarkopenie –167 Kognitive Beeinträchtigung und Delirien –169 Sehbehinderungen, Altersschwerhörigkeit –170 Iatrogene Schäden –171
6.5
Häufige Krankheitsbilder im Alter
6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.5.5 6.5.6 6.5.7 6.5.8 6.5.9
Herzinsuffizienz –173 Schlaganfall –173 Arterielle Hypertonie, Vorhofflimmern Diabetes mellitus –177 Pneumonie, Harnwegsinfekt –178 Osteoporose –178 Morbus Parkinson –179 Demenz –181 Depression –183
–173
6.6
Geriatrisches Management
6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4
Geriatrische Versorgungsstrukturen –185 Geriatrisches Assessment –185 Interdisziplinäres Team –186 Geriatrische Rehabilitation –188
6.7
Spezielle Aspekte im Alter –189
6.7.1 6.7.2 6.7.3
Gesundheitsförderung im Alter –189 Pflegebedürftigkeit, Pflegeversicherung –190 Behandlung unheilbar Kranker, Palliativmedizin, Behandlung Sterbender
–176
–185
–191
158
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
6.1
Individuelles Altern
Altern beschreibt eine der Zeit unterworfene Veränderung des Individuums und beginnt bereits mit der Entstehung des Organismus. Bestimmte Abläufe sind hierbei genetisch vorprogrammiert, andere wiederum von Umwelteinflüssen abhängig.
6
Telomer-Theorie Menschen altern unterschiedlich schnell. Die maximal erreichbare Lebensspanne wird dadurch begrenzt, dass Körperzellen nur eine begrenzte Anzahl von Teilungen durchlaufen können. Diese Anzahl ist für jede Spezies genetisch festgelegt und korreliert nach der Telomer-Theorie mit jenen Endabschnitten menschlicher Chromosomen (Telomere), die sich bei jeder Zellteilung gleichmäßig verkürzen. Sind alle DNA-Abschnitte der Telomere aufgebraucht, stirbt die Zelle. Neben dem genetisch determinierten Alterungsprogramm können äußere Einflüsse wie Genuss- und Umweltgifte, Strahlen etc. das Altern beschleunigen, insbesondere dann, wenn körpereigene Reparatur- und Schutzmechanismen versagen.
Auf Organebene können physiologische Altersveränderungen unterschieden werden: 4 Funktionsminderung ohne erkennbare Strukturveränderung, z. B. Abnahme der Nervenleitgeschwindigkeit 4 Funktionsminderung bei gleichzeitiger Strukturveränderung, z. B. Korrelation der Nierenfunktion mit abnehmender Zahl der Nephrone 4 Völliger Funktionsverlust, z. B. Hörverlust für höhere Frequenzen Physiologische Altersveränderungen beinhalten ferner eine verringerte Adaptationsfähigkeit von Organsystemen unter Belastungen. Normale Belastungen werden noch gut bewältigt, Leistungsgrenzen jedoch schneller erreicht. Bei Überschreitung der maximalen Funktionsreserve kommt es zur Dekompensation, z. B. kardiale Dekompensation im Rahmen eines pulmonalen Infektes. > Physiologische Altersveränderungen sind nicht nur interindividuell, sondern auch intraindividuell variabel, d.h. einzelne Organsysteme können unterschiedlich starke Altersveränderungen aufweisen.
Schließlich gibt es auch eine historische Variabilität der Altersveränderungen: der 75-Jährige ist heute biologisch jünger als der 75-Jährige vor 30 Jahren.
Altern in soziologischer und psychologischer Sicht In soziologischer Hinsicht steht dem Altern mit Einbußen in der körperlichen Leistungsfähigkeit die These eines soziokulturell erfolgreichen Alterns gegenüber. Gestützt wird diese These durch die Fähigkeit von Individuen, lebenslang zu lernen und gelernte Verhaltensweisen und Erfahrungen weiterzugeben. In psychologischer Hinsicht stehen sich bei der Beschreibung des Alterns das Defizitmodell und das Kompetenzmodell gegenüber. Das Defizitmodell beschreibt hauptsächlich den Rückzug der Älteren aus dem Erwerbsleben und anderen sozialen Funktionen als Folge von Beeinträchtigungen durch das Altern. Demgegenüber betont das Kompetenzmodell die individuelle Fähigkeit, das eigene Altern aktiv zu gestalten. Altern wird dabei als zunehmende Erweiterung und Ausdifferenzierung einer Person aufgrund erfolgreicher Integration von Erfahrungen verstanden. Persönliche Kompetenz drückt sich hier im verfügbaren Handlungspotenzial trotz eventueller körperlicher Einschränkungen aus. Das Kompetenzmodell beschreibt also eine erfolgreich erworbene Strategie in der Auseinandersetzung mit dem Altern, wobei sich der Erfolg an persönlichen Werten und Zielen, der Selbstbestimmung und Autonomie im Alter sowie persönlicher Zufriedenheit misst.
6.2
Demographischer Wandel, demographische Alterung
Mit dem demographischen Wandel wird eine Bevölkerungsentwicklung beschrieben, die durch eine relative Zunahme der über 60-Jährigen und einer relativen Abnahme der unter 20-Jährigen gekennzeichnet ist. Diese Entwicklung hat bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingesetzt und schreitet über den heutigen Tag hinaus kontinuierlich fort. Die wesentlichsten Ursachen für den demographischen Wandel sind die Zunahme der Lebenserwartung und ein starker Rückgang der Geburtenraten. Beide Phänomene sind konstant in den industrialisierten Gesellschaften zu beobachten und beruhen auf dem dramatischen Rückgang der Kinder- und Säuglingssterblichkeit, dem technologischen Fortschritt in der Medizin und den Verbesserungen der ökonomischen Lebensverhältnisse. Neben den Prozentanteilen der Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung liefert vor allem der Altenquotient der Bevölkerung ein gutes Maß für den Grad der sog. demographischen Alterung einer Gesellschaft. Darunter wird die Anzahl der über 60-Jährigen, die auf 100 Menschen im Alter zwischen 20 und 60 Jahre kommen verstanden. Lag der Altenquotient im Jahr 1998 noch bei 38, wird dieser wegen des Wachstums der über 60-Jährigen und der Schrumpfung der 20- bis 60-Jähri-
159 6.3 · Krankheitsmanifestation, Krankheitsfolgen im Alter
gen bis zum Jahr 2050 auf 92 angestiegen sein (Anstieg um den Faktor 2,4). Für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet dies eine enorme Herausforderung, deren Dimension zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor weit unterschätzt wird. Insbesondere die Zahl der Hochbetagten (80 Jahre und älter) wird dramatisch ansteigen und sich bis zum Jahr 2050 etwa verdreifachen. Da insbesondere die Hochbetagten von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit betroffen sind, wird der Behinderungsprävention künftig stärker als bisher eine hohe Bedeutung zukommen müssen. Bislang sind jedoch Programme zur Gesundheitsförderung im Alter nur modellhaft verwirklicht. Angesichts der dargestellten demographischen Situation scheint ein Paradigmenwechsel in der Medizin möglich, die der Verringerung der Morbidität gegenüber der Verringerung der Mortalität einen höheren Stellenwert zuschreibt. > Nicht die absolute Lebenserwartung, sondern die aktive und behinderungsfreie Lebenserwartung wird das gesundheitliche Niveau einer Gesellschaft widerspiegeln: »add life to years, but not just years to life«.
6.3
Krankheitsmanifestation, Krankheitsfolgen im Alter
Krankheiten im Alter präsentieren sich oft in einer Art und Weise, die nicht den Beschreibungen eines medizinischen Lehrbuches entsprechen. Ein bekanntes Beispiel ist der stumme Myokardinfarkt, der gerade beim alten Menschen lediglich mit unspezifischen Symptomen wie Unwohlsein, Übelkeit oder Verwirrtheit einhergeht. Auch die oft bestehende Multimedikation trägt dazu bei, dass typische Krankheitssymptome verschleiert werden. Aber nicht nur Akuterkrankungen, sondern vor allem chronische Erkrankungen und die bestehende Multimorbidität bewirken, dass das klinische Erscheinungsbild beim älteren Menschen vorwiegend von Syndromen wie Immobilität, Stürze, Inkontinenz, Verwirrtheit, kognitive Beeinträchtigung etc. geprägt ist. Diesen Syndromen ist gemeinsam, dass sie typischerweise die Selbstständigkeit des älteren Menschen bedrohen und auch als Ausdruck einer Gebrechlichkeit gewertet werden können. Man spricht daher auch von den geriatrischen Syndromen. Wesensmerkmal der geriatrischen Syndrome ist, dass sie auf ganz verschiedene medizinische Ursachen fußen, in enger Wechselwirkung mit den sie verursachenden Krankheiten stehen (. Abb. 6.1) und im Sinne einer funktionellen Endstrecke die körperliche, psychi-
6
sche und soziale Integrität des alten Menschen in Mitleidenschaft ziehen. Altersphysiologische Veränderungen und Akuterkrankungen begünstigen das Auftreten von geriatrischen Syndromen, indem sie einerseits zu einer herabgesetzten Funktionsreserve und andererseits zu einer erhöhten Organbeanspruchung führen und damit die kritische Schwelle einer Organdekompensation drastisch verringern. Die wichtigsten geriatrischen Syndrome sind: 4 Exsikkose und Störungen im Elektrolythaushalt 4 Dysphagie und Malnutrition 4 Dekubitalgeschwüre 4 Harn- und Stuhlinkontinenz 4 Stürze, posturale Instabilität und Gangstörungen 4 Immobilität und Sarkopenie 4 Kognitive Beeinträchtigung, Delirien 4 Sehbehinderungen und Altersschwerhörigkeit 4 Iatrogene Schäden Je nach Ausprägung und Anzahl der geriatrischen Syndrome kann beim Einzelnen die funktionelle Kompetenz zur Ausführung von Alltagsaktivitäten (»activities of daily living«) in sehr unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigt sein und dementsprechend zu alltagsrelevanten Behinderungen und zu Abhängigkeit von fremder Hilfe führen. Die Berücksichtigung dieser für den Einzelnen entscheidenden Krankheitsfolgen kennzeichnet die Arbeitsweise der Geriatrie, die die Wiederherstellung der Alltagskompetenz in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellt und auch den Umgang mit bleibenden Behinderungen mittels geeigneter Kompensationsstrategien (z. B. durch Hilfsmittel) einübt und ermöglicht. Auch aus der Sicht der alten Menschen wird deren Alltag letztlich weit mehr durch funktionelle Defizite als durch lang bestehende Krankheiten geprägt.
Aktivitäten des täglichen Lebens (»activities of daily living«, ADL) 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 6
Essen und Schlucken Handhabung von Besteck Trinken aus einem Gefäß Waschen Zähne putzen und Kämmen Baden, Duschen Ankleiden, Auskleiden Toilettengang Blasenentleerung Stuhlkontrolle Seitwärtsdrehen im Bett
160
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
6
. Abb. 6.1. Beziehungsgeflecht zwischen Krankheiten und geriatrischen Syndromen (vereinfachte Darstellung)
161 6.4 · Geriatrische Syndrome
4 4 4 4 4 4 4 4 4
Aufrichten aus dem Liegen Aufsitzen an der Bettkante Bett-/Rollstuhltransfer Aufstehen Stehen mit Festhalten Freies Stehen Gehen mit Hilfsmittel Freies Gehen Treppensteigen
Die Geriatrie geht über das biomedizinische Modell der konventionellen Medizin hinaus und umfasst auch Dimensionen wie Lebensqualität, Aufrechterhaltung bzw. Wiedergewinn von Alltagsfähigkeiten und selbstständige Lebensführung (biopsychosoziales Modell). Nur dieses biopsychosoziale Modell liefert dem Mediziner ein erweitertes Verständnis von Krankheit, gewährleistet eine adäquate medizinische Betreuung im ganzheitlichen Sinne und wird der Lebenssituation alter Menschen gerecht. Heilung im engeren Sinne (Restitutio ad integrum) und Mortalitätssenkung sind dagegen in der Geriatrie nicht die entscheidenden Erfolgskriterien. > Neben dem Management der Multimedikation und der Multimorbidität stehen die Eindämmung geriatrischer Syndrome und der daraus resultierende Zugewinn an Lebensqualität ganz im Vordergrund.
6
basierte Daten zur medizinischen Betreuung hochbetagter Menschen vorliegen. Gewonnene Daten, die bei den unter 75-Jährigen erhoben wurden, lassen sich auf geriatrische Patienten nur bedingt übertragen. So müssen vor dem Hintergrund einer veränderten Pharmakokinetik im Alter (eingeschränkte Nierenfunktion, verändertes Körperverteilungsvolumen etc.) entsprechende Vorkehrungen bei der Dosisfindung (»start low, go slow«) vorgenommen werden. Nur so lassen sich präventiv iatrogen induzierte Medikamentenintoxikationen verhindern. Trotz der genannten Einschränkungen ist die evidenzbasierte Medizin auch in der Geriatrie für eine rational begründete Therapie unverzichtbar. Die Ausweitung der evidenzbasierten Medizin auf geriatrische Fragestellungen stellt eine der medizinischen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte dar.
6.4
Geriatrische Syndrome
6.4.1 Exsikkose, Störungen im
Elektrolythaushalt Epidemiologie. Zahlreiche Erkrankungen können
beim älteren Menschen den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt beeinträchtigen. Insbesondere Dehydratation und Hyponatriämie finden sich beim geriatrischen Patienten häufig. Dehydratation Symptomatik. Klinische Zeichen sind ein herabgesetz-
Evidenzbasierte Medizin Zweifelsfrei hat das biomedizinische Modell mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Krankheiten zu einem großen Fortschritt in der Medizin beigetragen und eine evidenzbasierte Medizin hervorgebracht, die die Vermeidung oder Heilung einzelner Krankheiten erfolgreich ermöglicht hat. Ihre Effektivität ist besonders dann groß, wenn eine Krankheit als einzige Störung bei einem Patienten auftritt. Die Mehrzahl der stationären Patienten ist jedoch mittlerweile betagt und weist mehrere behandlungsbedürftige Erkrankungen auf. Evidenz unter den Bedingungen der Multimorbidität stößt an ihre Grenzen und erfordert oft ärztliches Handeln auf der Basis von klinischer Erfahrung sowie vor allem die sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen und ihrer Wechselwirkungen unter gleichzeitiger Berücksichtigung der individuellen Situation des Patienten. Ein derzeitiges Manko in der Arzneimitteltherapie ist, dass mit Ausnahme einiger weniger Studien aus dem kardiovaskulären Bereich bislang nur unzureichend evidenz6
ter Hautturgor, trockene Schleimhäute, Tachykardie, orthostatische Hypotonie sowie Störungen der kognitiven Funktion. Ein prärenales Nierenversagen kann der Exsikkose folgen, insbesondere bei vorbestehender chronischer Nierenerkrankung. Ätiopathogenese. Ursächlich für den Flüssigkeitsman-
gel sind meist eine reduzierte Flüssigkeitszufuhr, fieberhafte Erkrankungen, ein entgleister Diabetes mellitus, eine forcierte Diuretikatherapie sowie Erbrechen und Diarrhö. Diagnostik. Typische Laborzeichen einer Exsikkose
sind ein Anstieg des Hämatokrits, des Serumnatriums und der Nierenretentionsparameter. Hyponatriämie Ätiopathogenese. Im Alter zählen zu den Ursachen:
4 Der renale diuretikainduzierte und der gastrointestinale Natriumverlust durch rezidivierendes Erbrechen und Diarrhö. Typischerweise ist hierbei die extrazelluläre Flüssigkeit verringert.
162
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
4 Die relative Hyponatriämie bei erhöhter extrazellulärer Flüssigkeit, die bei Krankheitszuständen mit gesteigerter Aldosteronproduktion zu beobachten ist. Chronische Herzinsuffizienz, nephrotisches Syndrom und dekompensierte Leberzirrhose gehen mit dieser Form einher. 4 Eine dritte häufige Ursache im Alter ist das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH). Dabei kommt es zu erhöhten ADH-Ausschüttungen im Rahmen von ZNS-Erkrankungen, Lungenerkrankungen sowie als Folge bestimmter Medikamentenexposition (z. B. Carbamazepin, SSRI).
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Husten Verschleimung Oraler Speichelaustritt Nahrungsreste im Mund Rezidivierendes Fieber Häufige Atemwegsinfekte Gewichtsabnahme Fehl- und Mangelernährung Essensverweigerung Exsikkose Erstickungsanfälle
Diagnostik. Zur erweiterten Diagnostik steht die Video-
6
Therapie. Die Therapie des SIADH besteht in Flüssig-
keitsrestriktion und Behandlung der Grunderkrankung. 6.4.2 Dysphagie, Malnutrition Dysphagie Ätiopathogenese. Die Schluckstörungen stehen meist im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Morbus Alzheimer, treten aber auch als Folge eines Schlaganfalls auf. Pathophysiologisch findet sich bei der neurogenen Dysphagie nach Schlaganfall ein spät einsetzender Schluckreflex, Lähmungen im Bereich von Rachen- und Kehlkopfmuskulatur sowie Sensibilitätsstörungen im Bereich des Pharynx. Liegt eine Störung bzw. Ausfall des Hustenreflexes vor, kommt es zum Phänomen der stillen Aspiration. Laut dem Deutschen Institut für Ernährungsmedizin (2001) sterben in Deutschland ca. 50.000 Schlaganfallpatienten jährlich aufgrund einer aspirationsbedingten Lungenentzündung. Ein Grund hierfür ist, dass 40–68% aller Aspirationen still verlaufen, d. h. keine klinische Symptomatik bei fehlendem Schutzreflex aufweisen und deshalb nicht rechtzeitig diagnostiziert werden. ! Cave Das Pneumonierisiko bei stillen Aspirationen ist etwa 6-mal höher ist als bei symptomatischen Aspirationen.
Epidemiologie. Die Dysphagie ist im Alter ein häufiges
Syndrom. Etwa 5 Mio. Menschen leiden in Deutschland an Schluckstörungen. Bei den über 60-Jährigen ist jeder 7. bis 8. davon betroffen. In Pflegeheimen finden sich bei 30–55% aller Heimbewohner Schluckstörungen. Symptomatik. Klinische Hinweise sind:
4 Häufiges Räuspern 4 Belegte Stimme
kinematographie zur Verfügung, bei der unter Röntgendurchleuchtung pathologische Mechanismen der Schlucktriggerung und der Schlucksequenz gut objektiviert werden können. Der Nachweis einer stillen Aspiration sowie die Einstufung des Schweregrades einer Dysphagie sind durch die Videokinematographie gut möglich und erlauben auch eine Entscheidung über die Notwendigkeit einer enteralen bzw. parenteralen Ernährung. Malnutrition Definition. In der Geriatrie meist eine Kombination von Eiweiß- und Energiemangel, sog. Protein-EnergieMalnutrition. Davon abzugrenzen ist der reine Eiweißmangel (Kwashiorkor) und der reine Energiemangel (Marasmus). Ätiopathogenese. Die prognostische Relevanz der Mal-
nutrition liegt in einer Erhöhung der Morbidität und Mortalität. Grundsätzlich zeigen ältere Menschen bereits aus alternsphysiologischen Gründen ein herabgesetztes Verlangen nach Nahrung. Begünstigt wird dies vor allem durch eine verringerte Geruchs- und Geschmackswahrnehmung und gelegentlich auch durch eine verringerte Darmmotilität. Eine klinisch manifeste Malnutrition hat jedoch meist zusätzliche medizinische Ursachen. Das Leitsymptom ist hier eine länger bestehende Inappetenz, oft der Ausgangspunkt eines Teufelskreislaufs, der zu Antriebsarmut, Kraftverlust, Immobilität und weiterer Zunahme der Inappetenz führt (. Abb. 6.2). Die im Alter häufigsten medizinischen Ursachen einer Malnutrition sind: 4 Gastrointestinale Affektionen (chronische Diarrhöe, peptische Ulzera, atrophische Gastritis, Stenosen im Gastrointestinaltrakt) 4 Chronische Infekte 4 Karzinome 4 Neurogene Dysphagie (Apoplex, Morbus Parkinson, Demenz) 4 Depression
163 6.4 · Geriatrische Syndrome
6
. Abb. 6.2. Kreislauf der Mangelernährung
Weitere Faktoren, die eine Malnutrition begünstigen, sind: 4 Kaubeschwerden und erneuerungsbedürftige Zahnprothesen 4 Inappetenz als Folge unerwünschter Arzneimittelwirkungen 4 Chronische Schmerzen 4 Fehlende Bewegung 4 Psychische Belastungssituationen mit Angst vor Abhängigkeit und Behinderung 4 Fehlende soziale Unterstützung bei der Nahrungsmittelbeschaffung 4 Schwierigkeiten bei der Zubereitung des Essens 4 Einseitige Lebensmittelauswahl 4 Armut 4 Einsamkeit
Von elementarer Bedeutung sind eine konsequente Kalorienzufuhr und die Aufhebung unnötiger restriktiver Diätvorschriften. Alarmierend sind BMI-Werte unter 20kg/m2 und Serumalbuminwerte unter 3,5 g/dl.
In der klinischen Praxis ist oft entscheidend, dass die Ursache einer Inappetenz identifiziert wird. Nicht selten sind Medikamentenüberdosierungen die Hauptursache einer iatrogenen Inappetenz (z. B. Digitalisintoxikation). Umgekehrt können Medikamente im Rahmen der spezifischen Behandlung einer Depression oder chronischer Schmerzen die Appetitlosigkeit beseitigen und einen ungewollten Gewichtsverlust oft abwenden.
Symptomatik. Die Folgen einer Malnutrition im Alter
> Die kausale Behandlung der Grunderkrankung ist also immer ein wesentlicher Eckpfeiler des Malnutritionsmanagements.
! Cave Werden diese Grenzwerte unterschritten, besteht die Gefahr einer Sarkopenie (Atrophie der Skelettmuskulatur), deren Folgen weitreichend sind und über eine Abnahme der Muskelkraft und Zunahme des Sturz- und Frakturrisikos die Gefahr der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit drastisch erhöhen (7 Kap. 6.4.5, 7 Kap. 6.4.6).
Epidemiologie. Malnutrition findet sich bei 27–65%
aller institutionalisierten älteren Patienten.
sind mannigfaltig und beinhalten: 4 Allgemeine Schwäche 4 Verlust an Muskelmasse (Sarkopenie) 4 Immobilität 4 Verlangsamte Rekonvaleszenz 4 Herabgesetzte Lymphozytenaktivität mit erhöhter Infektanfälligkeit 4 Anämie 4 Beeinträchtigte Wundheilung 4 Erhöhtes Dekubitusrisiko 4 Erhöhtes Sturz- und Frakturrisiko 4 Längere Krankenhausaufenthalte
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Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
Diagnostik. Als geeignetes Maß für den Schweregrad einer Malnutrition lassen sich der Body-Mass-Index (BMI), der Gewichtsverlauf und das Serumalbumin heranziehen. Ergänzend kommen strukturierte Assessmentverfahren in Form von Fragebögen zum Einsatz (z. B. Mini-Nutritional-Assessment), die eine gute Abschätzung der bestehenden Malnutrition bzw. des Malnutritionsrisikos erlauben.
Diagnostik. Dekubiti werden durch Inspektion diag-
nostiziert. Therapie. Die Therapie besteht in lokaler Wundbe-
handlung mit Nekrosenabtragung und Aufrechterhaltung eines feuchten Wundmilieus. ! Cave Eine lokale Antibiotikabehandlung ist obsolet.
6.4.3 Dekubitalgeschwüre Definition. Als Folge eines definierten Drucks auf eine
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umschriebene Fläche auftretende ischämische Schädigung der Haut und des Subkutangewebes, die bei längerer zeitlicher Exposition zum Gewebsuntergang (Nekrose) führt.
Die orale Antibiose ist der systemischen Infektausbreitung mit Bakteriämie, Sepsis, Osteomyelitis und Wundinfektion vorbehalten. 6.4.4 Inkontinenz Harninkontinenz
Ätiopathogenese. Ein externer Druck, der den Kapillar-
Definition. Zustand des unfreiwilligen Harnabgangs
druck um mehr als 32 mmHg überschreitet, führt nachweislich zu einer verringerten Blutzufuhr des betroffenen Gewebes und zu den genannten Schädigungen. Risikofaktoren für die Entstehung sind: 4 Hohes Alter (80 Jahre und älter) 4 Verwirrtheit mit daraus resultierender Mobilitätseinschränkung 4 Akut und chronisch bedingte Immobilität aufgrund körperlicher Erkrankungen, Lähmungen, Bewegungsstörungen und Frakturen 4 Harn- und Stuhlinkontinenz 4 Niedriger systemischer Blutdruck und herabgesetzte periphere Zirkulation 4 Malnutrition 4 Reduzierter Gesundheitszustand 4 Nikotingenuss 4 Schmerzen 4 Kollagenosen 4 Diabetes mellitus 4 Periphere Ödeme 4 Kortikosteroide und zytotoxische Medikamente
mit daraus resultierenden sozialen und hygienischen Problemen (International Continence Society).
Symptomatik. Dekubiti führen zu lokalen Schmerzen, Rötung, Haut- und Gewebsdefekten. Durch sekundäre Infektionen können schwer heilende Wunden entstehen. Prädilektionsstellen sind insbesondere: 4 Sakrum 4 Fersen 4 Sitzbein 4 Malleoli 4 Trochanterregion der Hüften > Typisch für Dekubitalgeschwüre ist deren Neigung zu sekundären Infektionen.
Ätiopathogenese. Harninkontinenz erfordert eine ge-
naue diagnostische Abklärung, damit eine wirksame Behandlung etabliert werden kann. > Die Harninkontinenz ist ein Symptom und nicht eine Diagnose. Pathophysiologie der Miktion Die normale Miktion wird im Wesentlichen vom Blasenmuskel (Detrusor) und dem urethralen Sphinkterapparat reguliert. Die nervale Steuerung des Detrusors erfolgt vornehmlich von den parasympathischen Nerven der Segmente S2 bis S4. Darüber hinaus unterliegt der Detrusor einer übergeordneten zentralen Steuerung, an der Parietallappen, Frontallappen, Thalamus und Basalganglien beteiligt sind und im Sinne einer Inhibierung den Zeitpunkt der Blasenentleerung beeinflussen. Das pontine Miktionszentrum koordiniert alle diese zentralen Einflüsse.
Eine Reihe alternsphysiologischer Veränderungen begünstigt das Auftreten der Harninkontinenz: 4 Die Detrusorüberaktivität nimmt mit dem Alter zu. 4 Die Fähigkeit zum Aufschub der Blasenentleerung nimmt ab. 4 Die Blasenkapazität nimmt ab und führt zu häufigeren Miktionen. 4 Bei Männern begünstigt das Auftreten einer Prostatahyperplasie die Obstruktion des Harnabflusses. 4 Eine reduzierte Detrusorkontraktilität führt zu einem reduzierten Urinfluss.
165 6.4 · Geriatrische Syndrome
4 Die Restharnmenge nimmt nach Blasenentleerung zu. 4 Veränderungen in der glatten Muskulatur der Harnblase (muskuläre und axonale Degeneration) führen zu Detrusorüberaktivität und verminderter Kontraktilität. 4 Niedrige Östrogenspiegel begünstigen die Atrophie des Urethraepithels und eine Urethritis und damit Stressinkontinenz und/oder Irritationen bei der Miktion. Ungeachtet dieser Faktoren erfordert die Aufrechterhaltung der Kontinenz eine Reihe von funktionellen Fähigkeiten zur Beherrschung des Toilettenganges. Dazu gehört ein ausreichendes Maß an erhaltener Mobilität, Feinmotorik und Kognition. Häufig ist die Inkontinenz mit einer Reihe von Erkrankungen assoziiert. Zu nennen sind hier insbesondere Schlaganfälle, Herzinsuffizienz, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen, Übergewicht, Obstipation, Depression, Demenz, Diabetes mellitus und Morbus Parkinson. Unterschieden werden: 4 Dranginkontinenz: Ursache ist eine Detrusorüberaktivität, bei älteren Menschen die führende Ursache einer Harninkontinenz. Die Detrusorüberaktivität resultiert oft aus einer insuffizienten oder fehlenden zentralen Inhibition, kann aber auch sekundär aufgrund lokaler Blasenirritationen im Rahmen eines Infektes, eines Harnsteinleidens oder eines tumorösen Geschehens verursacht werden. 4 Stressinkontinenz: Ursache ist das Versagen des Sphinkterapparates, bei Männern oft nach transurethraler Resektion der Prostata, bei Frauen aufgrund einer Beckenbodenschwäche mit daraus resultierender Beeinträchtigung des Verschlussapparates. 4 Überlaufinkontinenz: Ursache ist eine herabgesetzte Detrusorkontraktilität oder eine Obstruktion des Harnabflusses. Bei Männern oft bei der benignen Prostatahyperplasie, beim Prostatakarzinom und bei der Urethrastriktur. Weitere Ursachen sind die neurogen bedingten Blasenentleerungsstörungen (z. B. bei Rückenmarksverletzungen, autonomer Neuropathie, Diabetes mellitus etc.) und der Harnverhalt als Folge einer unerwünschten Arzneimittelwirkung (z. B. Pharmaka mit anticholinerger Wirkung). 4 Funktionelle Inkontinenz: Unfähigkeit, die Blasenentleerung trotz adäquater Kontrolle der Miktion zu managen. Sie beruht meist auf Einschränkungen in der Mobilität, aber auch auf feinmotorische und/oder kognitive Handicaps beim An- und Auskleiden.
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Epidemiologie. Etwa 15–30% der älteren Bevölkerung
sind betroffen, bei Pflegeheimbewohnern steigt dieser Anteil auf über 50%. Symptomatik. Die Klinik ist abhängig von der Form:
4 Dranginkontinenz: imperativer Harndrang mit mäßigen bis großen Mengen unfreiwilligen Urinabgangs, häufige Toilettengänge, Nykturie 4 Stressinkontinenz: typischerweise Abgang kleinerer Urinmengen bei erhöhtem intraabdominalen Druck (Husten, Lachen etc.) 4 Überlaufinkontinenz: Abgang kleiner tröpfelnder Urinmengen bei Nachweis großer Restharnmengen in der Harnblase Diagnostik. Meist kann eine akkurate Diagnose auf der
Basis einer systematischen Anamnese und einer umfassenden klinischen Untersuchung gestellt werden. > Die Harninkontinenz ist weitgehend ein tabuisiertes Gesundheitsproblem.
Manche ältere Menschen betrachten die Harninkontinenz als normale Alterserscheinung, was den Zugang zu diesem geriatrischen Syndrom erschweren kann. Neben der körperlichen Untersuchung, die auch eine rektale Untersuchung einschließen sollte, gehören die Urinuntersuchung, die Restharnbestimmung und die Bestimmung der Nierenretentionsparameter zur Basisdiagnostik. Hilfreich sind ferner Miktionsprotokolle. Urodynamische Untersuchungen sind meist nur dann indiziert, wenn die Ursache der Harninkontinenz unklar bleibt. Therapie. Die Dranginkontinenz kann bei kognitiv
intakten Patienten sehr gut durch strukturiertes Toilettentraining beeinflusst werden. Das Toilettentraining beinhaltet die Blasenentleerung zu festen Zeiten, anfangs in kürzeren, später in längeren Zeitintervallen. Bei kognitiv eingeschränkten Patienten ist der sog. aufgeforderte Toilettengang die Verhaltenstherapie der Wahl. Zur medikamentösen Behandlung stehen verschiedene Spasmolytika (z. B. Tolterodine, Trospiumchlorid etc.) zur Auswahl. Die anticholinergen Nebenwirkungen dieser Medikamente können ihren Einsatz jedoch limitieren. Insbesondere müssen Patienten unter dieser Therapie regelmäßig auf eine Restharnbildung gescreent werden. Die Stressinkontinenz bessert sich üblicherweise auf regelmäßiges Beckenbodentraining. Eine funktionelle Elektrotherapie sowie lokale Östrogenapplikationen sind zusätzliche therapeutische Optionen. In einigen Fällen sind spezielle, minimal-invasive Operatio-
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Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
nen zur Beseitigung der Stressinkontinenz auch bei geriatrischen Patienten durchaus hilfreich. Die Überlaufinkontinenz erfordert die Behandlung der zugrunde liegenden Ursache, z. B. die Beseitigung eines mechanischen Abflusshindernisses. Bei der benignen Prostatahyperplasie ist oft eine transurethrale Prostataresektion die Therapie der Wahl. In leichteren Fällen ist die medikamentöse Therapie mit α1-Blocker und 5α-Reduktaseinhibitoren hilfreich. Eine Detrusorhypokontraktilität mit Restharnbildung macht eine Katheterisierung erforderlich, damit der Gefahr aszendierender Harnwegsinfekte und einer Druckschädigung der Nieren vorgebeugt wird.
6.4.5 Stürze, posturale Instabilität,
Stuhlinkontinenz
> Der Sturz ist die fünfthäufigste Todesursache bei den über 65-Jährigen (statistisches Bundesamt).
Definition. Unfähigkeit, den Stuhl bis zur gewünschten
Gangstörungen Stürze, posturale Instabilität Definition. Posturale Instabilität: Instabilität der Körperhaltung in aufrecht stehender Position. Ätiopathogenese. Stürze sind ein geriatrischer Notfall,
da sie zu Frakturen führen können. Nach einem Sturz liegen ältere Menschen oft längere Zeit hilflos auf dem Boden, es entwickeln sich Komplikationen wie Exsikkose, Dekubitus, Rhabdomyolyse, Hypothermie und Pneumonie.
Defäkation zurückzuhalten. Ätiopathogenese. Die häufigste Ursache der Stuhlin-
kontinenz im Alter ist die Stuhlimpaktation (große Stuhlvolumina im Rektum), die auf eine herabgesetzte Sensibilität im Rektum zurückzuführen ist und z. B. bei Diabetes mellitus oder entzündlichen Darmerkrankungen auftritt. Pathophysiologie der Stuhlimpaktation Pathophysiologisch liegt dem Verlust der Rektumsensibilität eine Unterbrechung des Reflexbogens zwischen Rektum und Cauda equina zugrunde. Hierbei besteht eine Degeneration des N. pudendus als Folge einer langjährigen Obstipation mit habituellem Pressen und Tiefertreten des Beckenbodens.
Weitere Ursachen für eine Stuhlinkontinenz sind Rückenmarkserkrankungen mit Nervenwurzelkompression, Tumorerkrankungen, Folgezustände nach Abdominaloperationen und zentralnervöse Ursachen bei Wegfall inhibierender Einflüsse auf den Defäkationsreflex, z. B. bei fortgeschrittener Demenz oder Schlaganfall. Auch die Anwendung von Laxanzien kann zur Stuhlinkontinenz führen. Daneben fördern Erkrankungen mit Diarrhöen das Auftreten einer Stuhlinkontinenz. Diagnostik. Die körperliche Untersuchung erfordert eine digital rektale Untersuchung mit Funktionsprüfung des Sphinkters und der Schleimhautsensibilität. Zur weiteren Diagnostik gehören Abdomenleeraufnahme, Sonographie des kleinen Beckens und Abdomens und eine Prokto-, Rekto-, Sigmoido- oder Koloskopie. Therapie. Die Therapie richtet sich nach der zugrunde
liegenden Ursache.
40–50% der einmal gestürzten Personen entwickeln Ängste vor einem erneuten Sturz und vermeiden daher alltägliche Aktivitäten wie Einkaufen oder Spaziergänge. Daraus entsteht ein Teufelskreislauf aus Inaktivität, Rückzug, Kraft- und Mobilitätsverlust, welcher wiederum weitere Stürze begünstigt. Typischerweise treten Stürze überwiegend zu Tageszeiten und im Rahmen alltäglicher Aktivitäten wie Aufstehen, Gehen und Treppensteigen auf. Bei Pflegeheimbewohnern sind hingegen öfters nächtliche Stürze zu beobachten, die im kausalen Zusammenhang mit nächtlichen Toilettengängen und der Einnahme von Psychopharmaka stehen. Ferner sind extrinsische Faktoren wie Stolperfallen oder rutschige Böden am Auftreten von Stürzen mitbeteiligt. Nur ca. 5% der Stürze werden dagegen durch Synkopen verursacht. Pathogenetisch ist der Sturz das Resultat einer posturalen Instabilität. Herabgesetzte Reaktionsfähigkeit und verringerte Muskelkraft tragen zu dieser wesentlich bei. Eine erhaltene Sehfähigkeit, eine intakte Propriozeption, eine ausreichende Gelenkbeweglichkeit, eine normale vestibuläre Funktion und eine intakte zentralen Koordination muss vorhanden sein, damit die Aufrechterhaltung der posturalen Kontrolle nicht nur bei beabsichtigten, sondern auch bei unvorhergesehenen Veränderungen der Körperposition (z. B. beim Stolpern oder Stoßen) gewährleistet ist. Beim gesunden Menschen ist das posturale Bewegungsprogramm sehr schnell. Es wird automatisch und unwillkürlich gestartet. Im Alter sind dagegen die am Körpergleichgewicht beteiligten Systeme durch Begleiterkrankungen mehr oder minder beeinträchtigt, so dass die posturalen Reaktionen manchmal nicht mehr ausreichen, wenn der Körper aus dem Gleichgewicht gerät. Folge ist ein Sturz. Zu den wichtigsten Risikofaktoren für Stürze zählen neben zunehmendem Alter insbesondere
167 6.4 · Geriatrische Syndrome
4 Kognitive Beeinträchtigungen mit Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen 4 Depressionen 4 Sehbehinderungen 4 Dranginkontinenz 4 Orthostatische Dysregulation 4 Polyneuropathie 4 Sarkopenie bzw. funktionelles Kraftdefizit 4 Gleichgewichtsstörungen 4 Ganginstabilität 4 Einnahme von Psychopharmaka 4 Alkohol 4 Multimedikation 4 Neuromuskuläre Dysfunktionen (Schlaganfall, Morbus Parkinson) 4 Hüft- und Kniegelenksarthrosen Unter den Medikamenten tragen insbesondere Antidepressiva, Tranquilizer, Antihypertensiva und Neuroleptika zur Begünstigung von Stürzen bei. Epidemiologie. Die Inzidenz an Stürzen nimmt mit
dem Alter zu. Jeder dritte ältere Mensch ab dem 65. Lebensjahr erleidet mindestens einmal jährlich einen Sturz. Diagnostik. Eie klinische Untersuchung zur Einschät-
zung des Sturzrisikos umfasst die Erhebung eines neurologischen Status, die klinische Untersuchung des Gangbildes, die Objektivierung der funktionellen Kraft an den unteren Extremitäten sowie einen Balance- und einen Sehtest. Prävention. Aus den gewonnenen Ergebnissen leiten
sich die individuellen Maßnahmen einer Sturzprävention ab: 4 Bewegungsprogramme zur Verbesserung von Kraft und Balance 4 Beseitigung von Sehstörungen, Dranginkontinenz und Orthostase 4 Einsatz sicheren Schuhwerks 4 Umgebungsanpassung des Wohnraumes 4 Vermeidung sturzbegünstigender Medikamente Wo Stürze nicht verhinderbar sind, kommen protektive Maßnahmen zur Frakturverhütung, wie z. B. der Einsatz von Hüftprotektoren in Frage. Synkopen bedürfen auch im höheren Alter einer internistisch-neurologischen Abklärung und spezifischen Therapie. Dies gilt insbesondere für gut behandelbare Erkrankungen wie Bradyarrhythmien, hochgradige Aortenstenose, hypersensitiver Karotissinus, Epilepsie).
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> Der Sturz ist das häufigste Unfallereignis bei älteren Menschen. Stürze sind aber nicht schicksalhaft. Etwa 50% der Stürze sind durch ein geeignetes sturzpräventives Maßnahmepaket verhinderbar.
Gangstörungen Ätiopathogenese. Gehen ist eine wichtige Determi-
nante der Selbstständigkeit im Alter. Gangstörungen sind ein maßgeblicher Risikofaktor für Stürze. > Jedem zweiten Sturz liegt eine Ganginstabilität zugrunde.
Ermöglicht wird das Gehen durch ein komplexes Zusammenspiel aus Gelenkbewegungen, selektiv gesteuerter Muskelaktivität und Positionswahrnehmung. Zahlreiche Erkrankungen und Behinderungen können dieses Zusammenspiel empfindlich stören. Für den geriatrischen Patienten ist typisch, dass die bei ihm beobachteten Gangstörungen in der Regel multifaktorieller Genese sind und entsprechend einen multimodalen Therapieansatz erfordern. Beispielhaft seien als Ursachen für Gangstörungen im Alter die Sensibilitätsstörung bei Polyneuropathie, die Hemiparese nach Schlaganfall, die Knie- und Hüftgelenksarthrose, der Morbus Parkinson, der Normaldruckhydrozephalus und die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) genannt. Epidemiologie. Während 6% der 65- bis 69-Jährigen
eine Gehhilfe benötigen, kann dieser Anteil bei den über 85-Jährigen mit 38% beziffert werden. 27% der älteren Bevölkerung sind im Gehen so stark eingeschränkt, dass ihre Gehgeschwindigkeit nicht dazu ausreicht, um noch rechtzeitig in der Ampelgrünphase eine Straße zu überqueren. 6.4.6 Immobilität, Sarkopenie Immobilität Definition. Verlust der selbstständigen Fortbewegungsfähigkeit sowie das Unvermögen, seine Körperlage in liegender Position zu verändern. Ätiopathogenese. Unterschieden werden:
4 Chronische Immobilität: Permanente irreversible Bettlägerigkeit. 4 Chronische Immobilisierung: Der Patient ist aufgrund einer längeren Erkrankung über einen langen Zeitraum (z. B. 2–3 Monate) immobilisiert und dadurch zunehmend geschwächt. 4 Akute Immobilisierung: Infolge eines Akutereignisses (z. B. akute obere gastrointestinale Blutung
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Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
mit anschließender Intensivbehandlung) auftretende Schwächung und Kraftminderung, die bei vorbestehend herabgesetzter Funktionsreserve eine plötzliche Immobilität bewirkt.
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Zahlreiche Erkrankungen begünstigen das Auftreten einer Immobilität: 4 Degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates, z. B. Coxarthrose, Gonarthrose, Spinalkanalstenose 4 Akute internistische Erkrankungen, z. B. Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt, respiratorische Insuffizienz 4 Entzündliche Erkrankungen, z. B. chronische Polyarthritis, Polymyalgia rheumatica 4 Periphere arterielle Verschlusskrankheit 4 Zustand nach Schlaganfall 4 Morbus Parkinson 4 Adipositas Ferner wird das Auftreten einer Immobilität durch andere geriatrische Syndrome, vor allem Malnutrition mit konsekutiver Sarkopenie, rezidivierende Stürze, posturale Instabilität und Sehbehinderungen begünstigt. Nicht zuletzt tragen auch soziale Faktoren wie Isolation oder überfürsorgliche Pflege zur Entstehung von Immobilität bei. Generell bestehen zahlreiche Wechselwirkungen zwischen Immobilität, akuten Erkrankungen und Komplikationen, die sich gegenseitig verstärken können und ein enges Geflecht bilden. Zu den wichtigsten Folgen und Komplikationen der Immobilität zählen: 4 Muskelatrophie 4 Kontrakturen 4 Schmerzen 4 Inaktivitätsosteoporose 4 Dekubitus 4 Pneumonie 4 Thrombosen und Embolien 4 Abnahme der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit Therapie. Behandelt werden müssen die auslösenden
Erkrankungen sowie zugrunde liegende Risikofaktoren. Vermeidung von Bettruhe und frühe Mobilisation sind bei jedem älteren Menschen im stationären Sektor indiziert. Das Training der motorischen Grundfähigkeiten (Kraft, Balance, Beweglichkeit, Ausdauer) fördert die Alltagsmobilität. Insbesondere die Einübung der Transfers, die Koordination im Stehen und das dynamische Gehen sind Kernbestandteile einer altersadaptierten Physiotherapie.
> Eine erfolgreiche Mobilisierung ist jedoch nur möglich, wenn gleichzeitig eine effiziente Schmerztherapie und die Sicherstellung einer ausreichenden Ernährung gewährleistet sind.
Um eine sichere Fortbewegung zu ermöglichen, bedarf es oft einer adäquaten und vom Patienten akzeptierten Versorgung mit einer Gehhilfe. Sarkopenie Definition. Altersabhängige Abnahme der Muskelmasse und der Muskelkraft. Ätiopathogenese. Die Sarkopenie ist oft mit einer Os-
teoporose vergesellschaftet und einer der Hauptgründe für körperliche Gebrechlichkeit im Alter. Das Ausmaß der Sarkopenie ist zum einen von der ursprünglichen Muskelmasse und zum anderen von deren jährlichen Reduktion abhängig. Durchschnittlich lässt sich ab dem 60. Lebensjahr eine Verringerung der Muskelmasse von 1–1,5% pro Jahr beobachten. Bei den Hochbetagten ist das Phänomen der Sarkopenie ausgeprägter und mit einem jährlichen Muskelverlust von etwa 3–4% verbunden. Faktoren wie Unterernährung, körperliche Inaktivität, Entzündungen und chronische Erkrankungen können diesen Vorgang weiter beschleunigen und innerhalb kürzester Zeit zu einer Hilfs- und Pflegebedürftigkeit führen. > Von entscheidender Bedeutung ist, die im Alter unabwendbare und individuell stark schwankende Sarkopenie soweit in Grenzen zu halten, dass daraus kein Krankheitscharakter wird und ein unabhängiges Leben weiterhin möglich ist.
Therapie. Die einzige sinnvolle Behandlung und Prä-
vention der Sarkopenie besteht derzeit in der Überwindung der körperlichen Inaktivität als wesentlichem ätiopathogenetischen Faktor. Dies kann beispielsweise durch sportliche Betätigung geschehen, bei der jedoch im Gegensatz zum weit verbreiteten Ausdauertraining der Fokus mehr auf ein regelmäßig durchgeführtes Krafttraining liegen muss. Wissenschaftliche Untersuchungen haben mittlerweile eindrucksvoll belegt, dass das Krafttraining gerade bei älteren und gebrechlichen Menschen sehr effektiv ist und zur Besserung funktioneller Fähigkeiten sowie zur Reduktion der Sturzinzidenz führt. Wesentlich dabei ist, dass es sich um ein Hypertrophietraining mit Verbesserung der Maximalkraft und Kraftausdauer handelt.
169 6.4 · Geriatrische Syndrome
6.4.7 Kognitive Beeinträchtigung
und Delirien Verwirrtheitszustände Im deutschsprachigen Raum wird der Begriff Verwirrtheitszustand häufig synonym mit Delir benutzt, wobei der Begriff Verwirrtheitszustand in der Regel dann verwendet wird, wenn keine Halluzinationen oder kein Wahn besteht. Insbesondere bei kurzzeitig, vorwiegend nachts auftretenden Phasen von Desorientiertheit und Bettflüchtigkeit findet der Begriff Verwirrtheit im klinischen Alltag Gebrauch. > In der psychiatrischen Diagnosesymptomatik existieren keine operationalisierten Kriterien für den Begriff Verwirrtheitszustand, so dass dieser besser gemieden werden sollte.
Kognitive Beeinträchtigung Definition. Störungen höherer kortikaler Funktionen wie z. B. Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprachvermögen, Denken, Handlungs- und Planungskompetenz sowie Orientierungsvermögen (Abweichung von der Altersnorm). Epidemiologie. Kognitive Beeinträchtigungen sind bei älteren Menschen sehr häufig zu beobachten. 40% der über 65-jährigen hospitalisierten Patienten bieten kognitive Beeinträchtigungen. Diagnostik. Die Abklärung kognitiver Beeinträchtigungen erfolgt in 4 Schritten: 4 Detektion durch ein geeignetes Screeninginstrument, z. B. Mini-Mental-State-Examination, DemTect oder Brief-Alzheimer-Screen 4 Erfassung einer Demenz, eines Delirs oder einer anderen psychiatrischen Erkrankung und deren differenzialdiagnostische Abgrenzung 4 Ätiopathogenetische Zuordnung der Demenz bzw. des Delirs 4 Behandlung der zugrunde liegenden Ursachen und aggravierenden Faktoren sowie Etablierung eines umfassenden Maßnahmepakets unter Einbeziehung der Angehörigen > Das bloße Erfassen der Orientierungsfähigkeit nach Zeit, Ort und Person ist als kognitives Screening unzureichend.
Im stationären Bereich liegt bei einer kognitiven Beeinträchtigung nicht selten eine Kombination aus Demenz und Delir vor, da die Demenz ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Delirs darstellt. Differenzialdiagnos-
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tisch muss auch eine schwere Depression in Betracht gezogen werden. Delir Definition. Alle akuten psychischen Störungen, die eine
organische Ursache haben und mit einer Bewusstseinstrübung und kognitiven Störungen einhergehen. Ätiopathogenese. Häufige Risikofaktoren für die Ent-
stehung eines Delirs beim älteren Menschen sind: 4 Hohes Alter 4 Vorbestehende Demenz 4 Parkinson-Syndrom 4 Dauertherapie mit anticholinergen und dopaminergen Medikamenten 4 Sensorische Beeinträchtigungen (Seh- und Hörstörungen) 4 Schwere körperliche Erkrankungen (Infektionen, Frakturen) 4 Narkose 4 Herzoperationen 4 Hypoxische Zustände, z. B. kardiales Low-outputSyndrom 4 Anämie 4 Fieber 4 Blutzuckerentgleisungen 4 Schmerzen 4 Malnutrition 4 Hypotonie 4 Elektrolytentgleisungen, vor allem Hypo- und Hypernatriämie 4 Urämie 4 Alkohol- bzw. Benzodiazepinabhängigkeit (plötzlicher Entzug) 4 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen (z. B. Bettgitter, Körperfixierungen) 4 Harnverhalt ! Cave Entscheidend ist, dass das Delir immer als eine lebensbedrohliche Erkrankung anzusehen ist und dem Delir oft schwere metabolische Störungen zugrunde liegen.
In der Geriatrie ist stets an eine Exsikkose, an Elektrolytentgleisungen, an Infekte sowie an unerwünschte Arzneimittelwirkungen (vor allem bei Anticholinergika) als Ursache eines Delirs zu denken. Symptomatik. Zu den kognitiven Störungen zählen vor
allem: 4 Die Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit zu richten und zu halten
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Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
4 Fehlwahrnehmungen wie Illusionen und Halluzinationen (meist optisch) 4 Beeinträchtigung des abstrakten Denkens und der Einsicht (mit oder ohne Wahn) 4 Inkohärente Sprache 4 Merkfähigkeitsstörungen und Desorientiertheit hinsichtlich Zeit, Ort und Person
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Typisch für das Delir sind begleitende psychomotorische Störungen mit Erregungszuständen, erhöhte Irritierbarkeit durch äußere Reize, veränderter Redefluss und verstärkte Schreckreaktion. Oft bestehen vegetative Zeichen wie Tachykardie oder Schweißausbrüche und nicht selten ausgeprägte Störungen des Schlaf-WachRhythmus. Pathognomonisch ist die nächtliche Verschlechterung der Symptome. Das Delir zeigt eine stark wechselnde Symptomatik im Tagesverlauf und setzt plötzlich ein. Hypoaktives Delirs Diese Sonderform ist in prognostischer Hinsicht besonders problematisch, da es bei älteren Patienten häufig nicht erkannt und dementsprechend nicht therapiert wird. Hypoaktive Delire treten besonders bei Medikamentenüberdosierungen auf und äußern sich in einer scheinbaren Bewegungsarmut und in der fehlenden Kontaktaufnahme des Patienten mit dem Untersucher. Halluzinationen und Desorientiertheit werden erst durch Befragung deutlich, vegetative Zeichen fehlen meist.
Diagnostik. Da dem Delir oft metabolische Störungen
Prävention. In kontrollierten Studien konnte nachge-
wiesen werden, dass geeignete pflegerische Maßnahmen die Prävalenz eines Delirs bei geriatrischen Patienten um 40–50% verringern können. Zu diesen Maßnahmen zählen: 4 Versorgung mit Hörgerät und Sehhilfen 4 Adäquate Ernährung und Vermeidung einer Dehydratation 4 O2-Gabe 4 Suffiziente Schmerztherapie und rasche Mobilisierung 4 Vermeidung von Lärm und Ortswechsel sowie ruhige Umgebung (Schlaf) 4 Gewährleistung einer Reorientierung durch Anbringung von Uhren, Kalender und Stundenplan im Patientenzimmer 4 Emotionale Zuwendung der Pflegeperson, konstante Pflegepersonen 4 Aufbau einer vertrauten Atmosphäre (Familienfotos, Angehörige) 4 Einfache verbale Hinweise auf Ort, Zeit und Situation 4 Angenehme Musik 4 Angemessene Beleuchtung auch nachts (Sturzvermeidung) 4 Absetzen unnötiger, potenziell delirogener Medikamente 4 Entfernung unnötiger Katheter (z. B. Blasenkatheter)
zugrunde liegen, sollte immer auch eine genaue internistische und neurologische Abklärung erfolgen.
6.4.8 Sehbehinderungen,
Therapie. Ein optimales Delirmanagement besteht in
Sehbehinderungen können im Alter akut oder chronisch progredient auftreten. Beide Verlaufsformen können durch eine genaue Anamneseerhebung gut voneinander differenziert werden.
der Behandlung der zugrunde liegenden Ursache bzw. Grunderkrankung, der Minimierung delirogener Medikamente und der Umsetzung delirpräventiver pflegerischer Maßnahmen, einschließlich Vermeidung von Freiheitseinschränkungen (z. B. durchgezogene Bettgitter, Fixierungen). Die Häufigkeit von postoperativen Delirzuständen spiegelt die Versorgungsqualität einer operativen Abteilung wieder. ! Cave Der Einsatz von Neuroleptika stellt nur eine symptomatische Maßnahme dar, die aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen einer strengen Indikationsstellung bedarf.
Bei älteren Patienten sollten Neuroleptika grundsätzlich einschleichend aufdosiert werden, damit das Risiko extrapyramidaler Nebenwirkungen begrenzt wird.
Altersschwerhörigkeit
Akute Sehbehinderungen Ätiopathogenese. Ursachen für einen plötzlichen Sehverlust im Alter sind: 4 Arteriitis temporalis 4 Ischämische Optikusneuritis 4 Zentralarterienverschluss 4 Zentralvenenverschluss 4 Netzhautablösung 4 Amaurosis fugax 4 Glaskörpereinblutung 4 Akutes Glaukom 4 Schlaganfall 4 Migräne
171 6.4 · Geriatrische Syndrome
! Cave Insbesondere das akute Glaukom, die Netzhautablösung und die Arteriitis temporalis erfordern eine umgehende Diagnosestellung und sofortige Behandlung, damit das Sehvermögen erhalten werden kann.
Chronische Sehbehinderungen Ätiopathogenese. Die häufigsten Ursachen für einen chronisch progredienten Sehverlust im Alter sind: 4 Chronisches Weitwinkelglaukom 4 Seniler Katarakt 4 Diabetische Retinopathie 4 Senile Makuladegeneration > Diese Augenerkrankungen erfordern eine regelmäßige Betreuung durch den Augenarzt, da sie teilweise mit gutem Erfolg behandelt werden können.
Altersschwerhörigkeit Ätiopathogenese. Pathophysiologisch liegt dem progressiven Hörverlust im Alter meist eine Degeneration des Innenohrs sowie der peripheren und zentralen Hörbahnen zugrunde. Weitere Ursachen für einen Hörverlust bei älteren Menschen sind: 4 Zerumen und Fremdkörper im externen Gehörgang 4 Mittel- und Innenohrentzündung 4 Morbus Menière 4 Iatrogene Hörschäden nach Gabe von Aminoglykosiden und Schleifendiuretika 4 Ossäre Transformationen des Innenohrs, z. B. beim Morbus Paget 4 Otosklerose Epidemiologie. Bei den über 75-Jährigen ist etwa jeder Dritte von einer Altersschwerhörigkeit betroffen. Symptomatik. Die psychosozialen Auswirkungen der
Altersschwerhörigkeit werden von der Umwelt meist unterschätzt. > Ältere Menschen mit Hörbehinderung leiden oft an Einsamkeit und Depressionen.
Diagnostik. Klinik, Audiometrie. Therapie. Eine kurative Therapie der Altersschwerhörigkeit existiert nicht. Die Versorgung mit einem Hörgerät stellt lediglich eine palliative Maßnahme dar.
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6.4.9 Iatrogene Schäden Ätiopathogenese. Iatrogene Schäden als Folge einer
inadäquaten Pharmakotherapie sind ein ernstes Problem. Ältere Menschen sind aufgrund der pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Besonderheiten im Alter und dem höheren Interaktionsrisiko (Multimedikation) viel vulnerabler und gefährdeter. Besonders problematisch sind für ältere Menschen unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Diuretika, Digoxin, ACE-Hemmer, nichtsteroidale Antirheumatika, Antiaggreganzien und Psychopharmaka spielen in diesem Zusammenhang die größte Rolle. Aber auch die durch die Multimorbidität verursachte Multimedikation trägt zu diesem Phänomen bei, da mit ihr das Risiko klinisch relevanter Arzneimittelinteraktionen steigt. So gehen 3 Medikamente nur drei, vier Medikamente bereits sechs und fünf Medikamente schließlich zehn Interaktionen ein. Bei 10 Medikamenten sind potenziell 45 Interaktionen möglich. Ferner besteht ein reziproker Zusammenhang zwischen der Anzahl verordneter Medikamente und der Patientencompliance. Mit jedem zusätzlich verordneten Arzneimittel sinkt die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Arzneimitteleinnahme. > Angesichts der Tatsache, dass ältere Menschen die Hauptkonsumenten verschreibungspflichtiger Medikamente sind (ca. ein Drittel aller über 75-Jährigen nehmen dauerhaft vier oder mehr Medikamente ein), muss der geriatrischen Pharmakologie ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden.
Leider geschieht dies in der täglichen Praxis oft nur unzureichend. So sind Medikamentenüberdosierungen besonders beim geriatrischen Patienten keine Seltenheit. Sowohl die Pharmakokinetik aus auch die Pharmakodynamik werden durch den Alterungsprozess signifikant beeinflusst: 4 So führen die reduzierte Körperflüssigkeit und der höhere relative Anteil an Körperfett im Alter bei vielen Medikamenten zu höheren Plasmaspiegeln und längeren Halbwertzeiten. 4 Darüber hinaus kann es im Rahmen von Akuterkrankungen aufgrund einer reduzierten Proteinbindungskapazität zu einer erhöhten Bioverfügbarkeit zahlreicher Medikamente kommen. 4 Ein anderer möglicher Mechanismus für eine erhöhte Bioverfügbarkeit von Medikamenten ist die verminderte Leberenzymaktivität im Alter. 4 Maßgeblich ist schließlich die im Alter reduzierte Eliminationsfähigkeit nierengängiger Medikamente. Dies beruht auf eine herabgesetzte glomeruläre Filtrationsrate (GFR), die altersbedingt zwi-
172
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
schen dem 20. und 90. Lebensjahr um mehr als 50% abnimmt. Die renale Eliminationsrate hängt darüber hinaus vom renalen Plasmafluss und der Zahl funktionsfähiger Nephrone ab. > Die Pharmakotherapie im höheren Alter ist eine besondere Herausforderung, die stets eine kritische Abwägung von Nutzen und Schaden eines Medikamentes verlangt.
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Wichtige Merksätze zur Pharmakotherapie im Alter: 4 Ist das Medikament wirklich indiziert? 4 Kann das Medikamentenregime vereinfacht werden? 4 Kann die Anzahl einzunehmender Medikamente verringert werden? 4 Retardierte und einmal täglich zu verabreichende Medikamente sollten bevorzugt werden. 4 Starte in einer niedrigen Dosierung und steigere die Dosis allmählich bis zum gewünschten klinischen Effekt (»start low – go slow«). Epidemiologie. Iatrogene Schäden sind bei älteren Men-
schen besonders häufig und in der Mehrzahl der Fälle auf eine inadäquate Pharmakotherapie zurückzuführen. So konnte in der Berliner Altersstudie eine erhebliche Prävalenz an Fehlmedikation (17%) und Untermedikation (24%) nachgewiesen werden. Unerwünschte Arz-
neimittelwirkungen sind bei den über 65-Jährigen für jede 4. bis 5. stationäre Aufnahme verantwortlich. Es gibt Schätzungen, dass in Deutschland jährlich bis zu 20.000 Patienten an Pharmaka sterben und 7% aller Todesfälle in mehr oder weniger kausalem Zusammenhang mit einer Arzneimitteleinnahme stehen. Diagnostik. Für die Einschätzung der renalen Elimina-
tionsfähigkeit ist wesentlich, dass das Serumkreatinin kein guter Indikator für die renale Funktion darstellt, denn aufgrund der deutlich reduzierten Muskelmasse im hohen Alter findet sich trotz deutlich eingeschränkter Nierenfunktion oft noch ein normaler Serumkreatininwert. Es empfiehlt sich daher bei allen geriatrischen Patienten eine Abschätzung der Kreatinin-Clearance bzw. der GFR, z. B. mit Hilfe der Cockcroft-Formel bzw. der MDRD-Formel erfolgen. Diese leisten unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Körpergewicht, Körpergröße und Serumkreatinin wertvolle Dienste bei der Anpassung der Medikamentendosis. Der Vorgang der Medikamenteneinnahme sollte stets überprüft werden. Viele ältere Patienten sind aufgrund von Sehstörungen, kognitiver Beeinträchtigung und feinmotorischer Behinderung nicht mehr in der Lage, ihre Medikamente adäquat einzunehmen. Auch dieser Umstand fördert eine reduzierte Patientencompliance und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer vermeidbaren Organdekompensation.
In Kürze Geriatrische Syndrome Dekubitalgeschwüre
4 Symptomatik: Schmerzen lokal, Rötung, Haut-/Gewebsdefekte, durch sekundäre Infektionen Entstehung schwer heilender Wunden 4 Ätiologie: länger anhaltender Druck auf bestimmte Hautregionen als Folge von Immobilität 4 Diagnostik: Inspektion 4 Therapie: lokale Wundbehandlung, Nekrosenabtragung, Schaffung feuchten Wundmilieus, orale Antibiose bei systemischer Infektion
Altersschwerhörigkeit
4 Symptomatik: Beeinträchtigung im Hörverständnis und in der Konversation bis hin zur Taubheit 4 Ätiologie: Degeneration des Innenohrs sowie der peripheren und zentralen Hörbahnen 4 Diagnostik: klinisch, Audiometrie 4 Therapie: keine kurative Therapie möglich, palliativ Versorgung mit Hörgerät
173 6.5 · Häufige Krankheitsbilder im Alter
6.5
Häufige Krankheitsbilder im Alter
6.5.1 Herzinsuffizienz
6
> Linksventrikuläre Hypertrophie, diastolische Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern bilden somit eine pathophysiologische Einheit und eine klassische klinische Trias, die im höheren Lebensalter oft zu beobachten ist.
Ätiopathogenese. Das klinische Erscheinungsbild der
Herzinsuffizienz wird beim älteren Menschen durch das Vorliegen struktureller Herzerkrankungen und durch altersassoziierte Veränderungen der kardiovaskulären Systems determiniert. Zu den wichtigsten strukturellen Herzerkrankungen im höheren Lebensalter zählen: 4 Koronare Herzkrankheit 4 Hypertensive Herzerkrankung 4 Aortenklappenstenose 4 Degenerationen des Reizleitungssystems Diese Erkrankungen verursachen eine linksventrikuläre Dysfunktion, die im Falle einer akuten Dekompensation zu den klassischen Symptomen eines Linksherzversagens mit Dyspnoe, Lungenödem, Zyanose und peripherer Vasokonstriktion führt. Bei älteren Menschen überlappen sich hierbei oft systolische und diastolische Funktionsstörungen des linken Ventrikels. Dies ist unter anderem auch auf altersassoziierte Veränderungen der kardiovaskulären Systems zurückzuführen, die zwar per se zu keiner klinisch fassbaren Herzerkrankung führen, aber die Reservekapazität des Herzens und damit die Schwelle für eine klinische Symptomatik herabsetzen. Unter den altersassoziierten Veränderungen des kardiovaskulären Systems ist neben einer Abnahme der Herzfrequenzreserve besonders die Entstehung einer diastolischen Herzinsuffizienz hervorzuheben. Diese entwickelt sich als Folge einer altersabhängigen Zunahme der linksventrikulären Muskelmasse und Wanddicke, die ihrerseits eine zunehmende Steifigkeit des linken Ventrikels und eine daraus resultierenden Erhöhung des enddiastolischen Druckes verursacht. Die herabgesetzte diastolische Dehnbarkeit des linken Ventrikels bewirkt schließlich eine Abnahme des Schlagvolumens und damit eine Abnahme der Herzleistung trotz erhaltener systolischer Funktion. Zudem bewirkt ein erhöhter enddiastolischer Druck im linken Ventrikel einer Vergrößerung des linken Vorhofes, wodurch das Auftreten eines Vorhofflimmerns begünstigt wird. Kommt es zu einem tachykarden Vorhofflimmern verringert sich die diastolische Füllungszeit des linken Ventrikels. Die Kammerfüllung ist dann nicht mehr ausreichend und ein kardiales Rückwärtsversagen mit Lungenödem ist die Folge.
Bei 30–50% der älteren, wegen einer Herzinsuffizienz behandelten Patienten findet sich eine normale systolische Funktion des linken Ventrikels, ein Indiz für eine im Vordergrund stehende diastolische Herzinsuffizienz. Epidemiologie. Die Prävalenz der akuten und chroni-
schen Herzinsuffizienz zeigt eine deutliche Abhängigkeit vom Alter. Angesichts der demographischen Entwicklung ist damit zu rechnen, dass sich die Zahl der Herzinsuffizienzpatienten in den kommenden drei Jahrzehnten verdoppeln wird. Therapie. Wesentlich für die geriatrische Betreuung ist
die Erkenntnis, dass Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz durch aggravierende Faktoren wie Infektionen, Schilddrüsenerkrankungen, Anämie, Arrhythmien, Hypo- oder Hypertension sowie Einnahme von nichtsteroidalen Antiphlogistika sehr leicht in eine akute kardiale Dekompensieren geraten können. Dies unterstreicht die Bedeutung einer suffizienten Mitbehandlung der Komorbidität im Rahmen der Herzinsuffizienztherapie, deren Ziel beim älteren Menschen in erster Linie eine günstige Beeinflussung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität ist. Auch ältere Patienten müssen zu einem optimalen Körpergewicht und zur Vermeidung exzessiver Flüssigkeitsingestion angehalten werden. In medikamentöser Hinsicht unterscheidet sich die Therapie der Herzinsuffizienz nicht grundsätzlich von der beim jüngeren Patienten. 6.5.2 Schlaganfall Ätiopathogenese. Ein Merkmal für den Schlaganfall
im hohen Alter ist, dass er im Vergleich zu jüngeren Menschen oft ein Zweit- oder Drittereignis darstellt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer wirksamen Rezidivprophylaxe gerade beim geriatrischen Schlaganfallpatienten. > Etwa 80% aller Schlaganfälle sind auf Hirninfarkte zurückzuführen. Die zweithäufigste Ursache von Schlaganfällen sind Hirnblutungen (intrazerebrale Blutungen, Subarachnoidalblutungen).
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Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
Die wichtigsten pathophysiologischen Mechanismen bei einem Hirninfarkt sind: 4 Makroangiopathie (Atherothrombose) 4 Mikroangiopathie 4 Embolie (kardiogen oder arterio-arteriell) Seltenere Ursachen eines Hirninfarktes sind: 4 Dissektion 4 Vaskulitis 4 Spasmen 4 Gerinnungsstörungen
6
Unter Makroangiopathie wird ein atherothrombotischer Verschluss eines großen Hirngefäßes verstanden. Auslöser ist die Ruptur einer atherosklerotischen Plaque, die zur Ausbildung eines wandständigen Thrombus mit der Folge einer Gefäßokklusion führt. Die meisten Hirninfarkte ereignen sich im Versorgungsgebiet der Arteria cerebri media. Hirninfarkte im anterioren und posterioren Stromgebiet sind deutlich seltener. Der Mikroangiopathie liegen Gefäßverschlüsse der kleinen subkortikal gelegenen Arteriolen zugrunde. Als wichtigste Risikofaktoren für die Entwicklung einer Mikroangiopathie sind der Diabetes mellitus und die arterielle Hypertonie zu nennen. Der embolische Hirninfarkt ereignet sich als Folge einer Thromboembolie, deren Ursprung meist das Herz ist. Dort bildet sich bei chronischem Vorhofflimmern oft ein Thrombus aus, der konsekutiv über die arterielle Strombahn ins Gehirn verschleppt werden kann. Die Aorta und die Karotiden stellen einen weiteren Ausgangspunkt für arterio-arterielle Embolien dar. Hierbei lösen sich wandständige Thromben und/oder Plaques ab, die im Rahmen einer Atherosklerose entstanden sind. Eine Vielzahl von Schlaganfällen wäre auch heute noch vermeidbar, wenn gerade bei älteren Patienten die Möglichkeiten einer wirksamen Sekundärprävention konsequent umgesetzt würden. Tatsache hingegen ist, dass vor allem ältere Patienten diesbezüglich unterversorgt sind und oft eine insuffiziente Blutdruckbehandlung, eine unzureichende Antikoagulation und eine ungenügende Stoffwechselkontrolle aufweisen. Um dieses Defizit zu verringern, bedarf es einem verstärkten Problembewusstsein in der Öffentlichkeit. So besteht nach wie vor bei vielen Bürgern Unkenntnis über das Krankheitsbild Schlaganfall. Etwa 40% der Bevölkerung vermag weder ein einziges Symptom noch einen einzigen Schlaganfallrisikofaktor zu benennen. Dabei gilt: Je älter, desto ahnungsloser. Epidemiologie. Jährlich erleiden in Deutschland ca. 250.000 Menschen einen Schlaganfall.
> Nach dem Herzinfarkt und den Krebsleiden steht der Schlaganfall damit an dritter Stelle in der Todesursachenstatistik.
Die Häufigkeit von Schlaganfällen zeigt eine starke Altersabhängigkeit. So nimmt die Schlaganfallinzidenz mit jeder Lebensdekade deutlich zu. Mehr als drei Viertel aller Schlaganfallpatienten sind älter als 75 Jahre. Heutzutage sterben ca. 20% der Betroffenen innerhalb der ersten 30 Tage nach dem Akutereignis. Bei den Überlebenden bildet sich die neurologische Symptomatik soweit zurück, dass etwa 40% ohne alltagsrelevante Behinderung leben können. Ebenfalls 40% der Überlebenden behalten jedoch deutliche Einschränkungen in der Alltagskompetenz zurück. Etwa 20% aller überlebenden Schlaganfallpatienten bleiben permanent pflegebedürftig. Das Schlaganfallrezidivrisiko liegt im ersten Jahr bei etwa 5% und kumulativ nach 5 Jahren bei etwa 25–40%. Symptomatik. Die Symptomatik ist vom Ausmaß und
der Lokalisation des Verschlusses abhängig: 4 Klassische Symptome eines großen Mediainsultes sind das akute Auftreten einer brachiofazial betonten Hemiplegie, Sensibilitäts- und Wahrnehmungsstörungen sowie Störungen der Sprache und der Sprechfunktion (Aphasie und Dysarthrie). Nicht selten beobachtet man komplexe neuropsychologische Syndrome wie beispielsweise die Ausbildung eines Hemineglekts, eines Pusher-Syndroms oder apraktische Störungen. 4 Der posteriore Insult bietet als Leitsymptom Gesichtsfeldausfälle. 4 Sehstörungen mit Doppelbildern weisen dagegen auf einen Insult im Hirnstammbereich hin. 4 Führende Symptome bei einem klassischen Insult im anterioren Stromgebiet sind vor allem eine beinbetonte Hemiparese mit typischer Gangstörung sowie eine neu aufgetretene Harninkontinenz. 4 Bei einem zerebralen Insult auf dem Boden einer Mikroangiopathie kommt es zur Ausbildung sog. lakunärer Syndrome, die klinisch als rein motorische oder rein sensible Ausfälle imponieren oder in Form ataktischer Störungsbilder in Erscheinung treten. Unter den bleibenden Krankheitsfolgen dominieren vor allem Mobilitätseinschränkungen als Folge von Paresen, oft verbunden mit Stand- und Gangunfähigkeit. Weitere schwerwiegende Folgezustände nach Schlaganfall betreffen die Kommunikationsfähigkeit (Sprachstörungen) und die Ausbildung einer sog. PoststrokeDepression. Aber auch kognitive Defizite nach abgelaufenem Schlaganfall können die Alltagskompetenz
175 6.5 · Häufige Krankheitsbilder im Alter
6
erheblich einschränken, z. B. aufgrund von Störungen in der Aufmerksamkeit, im Kurzzeitgedächtnis und im räumlich-konstruktiven Leistungsvermögen.
und ein kontinuierliches Monitoring der vitalen Parameter durchgeführt sowie Maßnahmen zur Sekundärprävention eingeleitet werden.
Diagnostik. In der bildgebenden Diagnostik weisen die
> Nach derzeitigem Wissensstand ist die Überlegenheit der Stroke Units vor allem darauf zurückzuführen, dass die frühe Mobilisation, die Überwachung der Vitalfunktionen, die Vermeidung von Sekundärkomplikationen und das Teamkonzept messbare Auswirkungen auf die Mortalität und auf den Grad der Pflegebedürftigkeit hat.
lakunären Läsionen einen Durchmesser von weniger als 1,5 cm auf. Therapie. Der Schlaganfall ist ein Notfall, der eine sofortige Therapie erfordert. ! Cave Mit jeder Minute, die ungenutzt verstreicht, erleidet das Gehirn einen zusätzlichen Schaden: »time is brain«.
Zu den Basistherapiemaßnahmen mit günstiger Beeinflussung der Prognose zählen: 4 Hochnormale Blutdruckeinstellung 4 Normaler Blutzuckerspiegel (Normoglykämie) 4 Fieberfreiheit (Normothermie) 4 Sauerstoffzufuhr (optimale Oxygenierung) 4 Thromboseprophylaxe 4 Flüssigkeitsbilanz (Hydratation) Eine spezifische Schlaganfalltherapie durch Thrombolyse ist eine Option, wenn die Therapie im Zeitfenster der ersten drei Stunden nach Einsetzen der neurologischen Symptomatik durchgeführt werden kann und ferner keine Kontraindikationen für diese spezifische Therapie vorliegen. Speziell beim geriatrischen Schlaganfallpatienten sind beide Bedingungen in der Praxis oft nicht gleichzeitig erfüllt. Um die Prognose von Schlaganfallpatienten zu verbessern wurden in verschiedenen Ländern Stroke Units mit unterschiedlichem Behandlungsansatz aufgebaut. Die Stroke Unit nach skandinavischem und angelsächsischem Vorbild vereinen Akutbehandlung und Rehabilitation gleichermaßen in einem multidisziplinären Teamansatz. Nachweislich ist diese Form der Stroke Unit in prognostischer Hinsicht wirksam und kann sowohl die Sterblichkeit als auch den Grad der körperlichen Behinderung im Vergleich zu einer Standardbehandlung signifikant verringern. Die Stroke Units nach deutschem Muster legen ihren Schwerpunkt hingegen in einer schnellstmöglichen Diagnostik zur Identifizierung der Schlaganfallursache mit einer ggf. daran anschließenden Lysetherapie. Die Verweildauer in einer deutschen Stroke Unit ist dementsprechend kurz, da nach Abschluss der Diagnostik und Akuttherapie der Patient in eine geeignete weiterbehandelnde Klinik verlegt wird. Beiden Stroke-Unit-Konzepten ist gemeinsam, dass sofortige Basistherapiemaßnahmen
Für die ambulante Weiterbetreuung von Schlaganfallpatienten ist wesentlich, dass auch nach der Akutbehandlung bzw. der Entlassung aus der Rehabilitationsklinik eine ärztliche, pflegerische und therapeutische Weiterbetreuung gewährleistet bleibt. Weiter gilt es im ambulanten Bereich einem Schlaganfallrezidiv vorzubeugen. Dazu gehört die wirksame Eindämmung bzw. Behandlung folgender Risikofaktoren: 4 Arterielle Hypertonie 4 Diabetes mellitus 4 Nikotinabusus 4 Vorhofflimmern 4 Hypercholesterinämie 4 Bewegungsmangel 4 Adipositas 4 Alkoholmissbrauch Aber auch das Umfeld von Schlaganfallpatienten bedarf einer umfassenden Betreuung. Dazu gehören u. a. die Aufklärung der betroffenen Angehörigen und deren Kompetenzförderung durch Schulungsmaßnahmen, die folgende Aspekte umfasst: 4 Einblick in das Krankheitsbild Schlaganfall 4 Schlaganfallbedingte neuropsychologische Störungen 4 Umgang mit Schluck- und Sprachstörungen 4 Hilfe beim Pflegen im Umgang mit Inkontinenz 4 Mehr Sicherheit bei Transfer und Lagerung immobiler Patienten 4 Möglichkeiten der Hilfsmittelversorgung 4 Rechtliche und finanzielle Fragen sowie Entlastungsangebote 4 Schlaganfallbedingte Verhaltens- und Stimmungsveränderungen Für eine kompetente Beratung von betroffenen Angehörigen bringt ein multiprofessionell zusammengesetztes Rehabilitationsteam die besten Voraussetzungen mit. Hier arbeiten Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen, Sozialarbeiter und Diätassistenten Hand in Hand zusammen,
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Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
um die Wiedererlangung der Selbstständigkeit im Alltag beim Rehabilitanden zu fördern und durch Training von Ersatzstrategien bleibende Behinderungen bestmöglich zu kompensieren.
hat sich der Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonist Losartan gegenüber dem Betablocker Atenolol bei äquipotenter Blutdrucksenkung hinsichtlich der Schlaganfallreduktion als überlegen erwiesen.
6.5.3 Arterielle Hypertonie,
Ätiopathogenese. In der Regel liegt dem Vorhofflim-
Vorhofflimmern
Vorhofflimmern
6
Arterielle Hypertonie Definition. Laut WHO sobald der systolische Blutdruckwert 140 mmHg und/oder der diastolische Blutdruckwert 90 mmHg übersteigt. Diese Definition ist altersunabhängig. Ätiopathogenese. Während in den ersten sieben Lebensdekaden in den westlichen Gesellschaften der mittlere systolische und diastolische Blutdruck zunimmt, kommt es jenseits des 70. Lebensjahres bei weiterer Zunahme des systolischen Blutdruckes gleichzeitig wieder zu einer Abnahme des diastolischen Blutdruckes. Ursache hierfür ist in erster Linie eine zunehmende Versteifung der arteriellen Gefäßwand. Typisch für den älteren Patienten ist daher eine isolierte systolische Hypertonie (ISH) mit systolischen Blutdruckwerten über 160 mmHg bei gleichzeitig normalen diastolischen Blutdruckwerten. > Ein Anstieg des systolischen Blutdrucks um 10 mmHg führt zu einer 26%-igen Erhöhung der Gesamtsterblichkeit und zu einer 22%-igen Erhöhung des Schlaganfallrisikos.
Therapie. In mehreren kontrollierten Interventionsstu-
dien konnte auch bei älteren Patienten der Nutzen einer antihypertensiven Therapie mehrfach belegt werden. Im Mittel war bei diesen Studien neben einer signifikanten Mortalitätssenkung eine ca. 30%-ige Reduktion aller kardiovaskulären Endpunkte und eine ca. 40%-ige Schlaganfallreduktion erzielt worden. Fasst man alle Ergebnisse zusammen, so besteht kein Zweifel, dass auch beim geriatrischen Patienten eine konsequente antihypertensive Therapie indiziert ist. ! Cave Allerdings sollte eine Blutdrucksenkung unter 140 mmHg nicht forciert werden, damit ein ausreichender zerebraler Blutfluss gewährleistet bleibt.
Die Auswahl des Antihypertensivums ist individuell und orientiert sich an der Verträglichkeit und am Vorliegen gleichzeitig bestehender Erkrankungen. Bei Hypertoniepatienten mit linksventrikulärer Hypertrophie
mern eine strukturelle Herzerkrankung ischämischer, hypertensiver oder valvulärer Genese zugrunde. Aber auch eine altersassoziierte diastolische Funktionsstörung des linken Ventrikels kann über die kompensatorische Vergrößerung des linken Vorhofes zu einem Vorhofflimmern führen (7 Kap. 6.5.1). Thyreotoxikose, Hypokaliämien und systemische Infektionen begünstigen das Auftreten eines Vorhofflimmerns und sind im klinischen Alltag als Komorbiditäts- bzw. Triggerfaktor stets in die Behandlung miteinzubeziehen. Die negativen Folgen von Vorhofflimmern sind zum einen auf eine Verschlechterung der hämodynamischen Situation und zum anderen auf das erhöhte Thromboembolierisiko zurückzuführen. Im Hinblick auf die Hämodynamik kommt es zu einer signifikanten Einschränkung der Herzleistung, die sich bei körperlicher Beanspruchung bemerkbar macht und die Lebensqualität empfindlich beeinträchtigen kann. Die Restaurierung und Aufrechterhaltung des Sinusrhythmus auf elektrischem oder medikamentösem Wege ist in diesen Fällen vor allem dann eine sinnvolle therapeutische Maßnahme, wenn dadurch eine deutliche Symptomverbesserung erhofft werden kann. In prognostischer Hinsicht kommt nach derzeitiger Datenlage der Aufrechterhaltung des Sinusrhythmus jedoch keine Bedeutung zu, da sie gegenüber der Frequenzkontrolle bei permanentem Vorhofflimmern keinen Überlebensvorteil bietet. ! Cave Allerdings entwickelt der geriatrische Patient aufgrund seiner herabgesetzten kardialen Funktionsreserve bei tachykardem Vorhofflimmern rasch das klinische Bild eines Linksherzversagens, sodass im klinischen Alltag der Frequenzkontrolle die höchste Priorität einzuräumen ist.
Hinsichtlich des Thromboembolierisikos wird die Gefährlichkeit eines chronischen Vorhofflimmerns speziell bei älteren Patienten nach wie vor unterschätzt. In der Framingham-Studie war das Schlaganfallrisiko bei Patienten mit Vorhofflimmern 5,6-mal höher als bei Patienten mit Sinusrhythmus. Allerdings ist das Schlaganfallrisiko stark altersabhängig. So ist bei 85-Jährigen Patienten mit Vorhofflimmern das Schlaganfallrisiko 50-mal höher als bei 50-jährigen Patienten mit Vorhof-
177 6.5 · Häufige Krankheitsbilder im Alter
flimmern. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer wirksamen Schlaganfallprophylaxe gerade im höheren Lebensalter. > Bestehen zusätzlich noch weitere Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Hypertonie, linksventrikuläre Dysfunktion und zurückliegende TIA, ist das individuelle Schlaganfallrisiko zum Teil so drastisch erhöht, dass es deutlich über 20% pro Jahr beträgt.
Epidemiologie. Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung im Erwachsenenalter. Mehr als 1 Mio. Menschen sind in Deutschland betroffen. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, ein Vorhofflimmern zu entwickeln. Bei den über 70-Jährigen liegt die Prävalenz bei 9%. Therapie. Die effektivste Form der Risikoreduktion
thromboembolischer Ereignisse ist derzeit nach wie vor eine Antikoagulation mit Cumarinderivaten (z. B. Marcumar). Hierunter lassen sich knapp 70% aller emboliebedingten Schlaganfälle bei Vorhofflimmern vermeiden. Der angestrebte INR-Zielwert muss hierbei zwischen 2,0 und 3,0 liegen. > In diesem optimalen Zielbereich ist ein angemessener Thromboembolieschutz bei gleichzeitig geringem Blutungsrisiko gewährleistet.
Trotz der bewiesenen Effektivität einer Antikoagulation bei Vorhofflimmern werden nur 15–45% des betroffenen Personenkreises antikoaguliert. Bei den älteren Patienten ist diese Quote meist noch deutlich niedriger, obwohl diese Population den größten Nutzen von einer Antikoagulation hätte. Als Erklärung müssen relative Kontraindikationen wie z. B. Sturzneigung, kognitive Beeinträchtigung und schlechte Compliance herangezogen werden. Diese Faktoren beeinflussen das Handeln des Arztes, wobei hierbei das Nutzen-Risiko-Verhältnis leider oft falsch eingeschätzt wird. So werden die Probleme infolge eines Sturzes bei älteren Patienten mit Vorhofflimmern fälschlicherweise überschätzt, dagegen das Risiko eines Schlaganfalls deutlich unterschätzt. In einer Studie konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Patienten beinahe täglich stürzen müssten, damit der Nutzen einer Antikoagulation durch den Schaden aufgewogen wird. > Die relative Risikoreduktion eines Schlaganfalls bei Vorhofflimmern unter einer Therapie mit Aspirin lässt sich mit etwa 20–35% beziffern und ist damit der Antikoagulation mit Cumarinderivaten deutlich unterlegen.
6
6.5.4 Diabetes mellitus Ätiopathogenese. Das Auftreten eines Diabetes melli-
tus ist altersabhängig, da mit zunehmendem Alter eine Abnahme der Insulinsekretion und eine Zunahme der Insulinresistenz zu beobachten ist. Symptomatik. Ein langjähriger Diabetes mellitus führt
über Mikroangiopathie und Makroangiopathie zu einer generalisierten Angiosklerose mit Beteilung von Herz, Nieren, Augen und Gehirn und damit zu diabetischen Spätschäden mit multipler Organbeteiligung. Im Vordergrund stehen vor allem: 4 Klinische Manifestation einer koronaren Herzerkrankung mit chronischer Herzinsuffizienz 4 Entstehung einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit 4 Entwicklung einer diabetischen Nephropathie und Retinopathie 4 Apoplektische Insulte Zusätzlich tragen die diabetische Polyneuropathie und die Ausbildung einer vaskulären Demenz dazu bei, dass auch bei Diabetikern gehäuft Ganginstabilität und Stürze zu beobachten sind. Störungen des autonomen Nervensystems begünstigen das Auftreten von Blasenentleerungsstörungen und Harninkontinenz. > Fasst man alle Folgeerkrankungen zusammen, wird daraus leicht verständlich, dass die großen geriatrischen Riesen Immobilität, Inkontinenz, intellektueller Abbau und Instabilität häufig den Funktionszustand von Diabetikern widerspiegeln.
Aufgrund der Sehstörungen und der kognitiven Beeinträchtigungen besteht bei geriatrischen Diabetikern meist ein Hilfebedarf bei den Blutzuckerselbstkontrollen und bei der Handhabung des Insulins, woraus eine Abhängigkeit von fremder Hilfe resultiert. Eine typische Komplikation des Altersdiabetes ist der diabetische Fuß. Dabei handelt es sich um Fußulzera an typischen Prädilektionsstellen, deren Entstehung aufgrund einer fortgeschrittenen Polyneuropathie und fehlender Fußinspektion oft nicht frühzeitig erkannt wird. Therapie. Generell sind auch beim älteren Diabetiker
angepasste Ernährung, Bewegungstherapie und der individuelle Einsatz blutzuckerregulierender Medikamente notwendig. Da eine Reihe von älteren Patienten an einer Malnutrition leiden, sind allerdings die üblichen Ernährungsempfehlungen für Diabetiker in der Geriatrie nicht immer sinnvoll umsetzbar. Dies
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Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
muss in der Diabetikerschulung entsprechend berücksichtigt werden. > Wichtig ist ein Diabetesmanagement, das sich an die häuslichen Gegebenheiten orientiert und die Verbesserung der Lebensqualität zum Ziel hat.
Die Frage nach einer intensivierten Insulintherapie muss vor dem Hintergrund der individuellen Ressourcen beantwortet werden. Meist ist eine einfache Form der Insulintherapie bei geriatrischen Patienten vorzuziehen und so zu gestalten, dass das Hypoglykämierisiko möglichst gering ist.
6
! Cave Da viele ältere Diabetiker eine relevante Nierenfunktionseinschränkung aufweisen, muss der Einsatz von Sulfonylharnstoffen als kritisch betrachtet werden.
Deren Kumulation bei Niereninsuffizienz erhöht die akute Gefahr einer Hypoglykämie wesentlich, so dass ihr Einsatz möglichst vermieden werden sollte. Die wesentlichen therapeutischen Grundprinzipien zur Behandlung des diabetischen Fußes bestehen aus: 4 Druckentlastung (z. B. durch geeignete Entlastungsorthesen) 4 Wundversorgung 4 Gute Stoffwechseleinstellung 4 Antibiotika 4 Gegebenenfalls gefäßrekanalisierende Interventionen
ristisch. Erstsymptome sind nicht selten das plötzliche Auftreten einer Verwirrtheit bei Exsikkose oder eine kardiale Dekompensation. Harnwegsinfekt Ätiopathogenese. Harnwegsinfekte sind insbesondere
bei institutionalisierten älteren Personen häufig anzutreffen. Infektbegünstigende Faktoren sind Immobilität, reduzierte Flüssigkeitsaufnahme, Obstipation, Restharnbildung und Katheterversorgung. Symptomatik. Auch beim Harnwegsinfekt kann Ver-
wirrtheit unter Umständen das einzige wegweisende Symptom eines behandlungsbedürfigen Infektes darstellen. Diagnostik. Eine Urinuntersuchung mit Teststreifen
ermöglicht den Nachweis von Leukozyten und Nitrit. Mit dem Anlegen einer Urinkultur gelingt die Keimdifferenzierung. Therapie. Kommt es zu einer Algurie, Dysurie oder neu
aufgetretenen Harninkontinenz, ist eine antibiotische Therapie indiziert. Neben einer gezielten Antibiotikatherapie sind die Beseitigung einer Restharnbildung sowie die Gewährleistung einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr von essenzieller Bedeutung. Prädisponierende Faktoren wie Prostatahypertrophie, Steinleiden oder Tumoren müssen entsprechend mitbehandelt werden. 6.5.6 Osteoporose
6.5.5 Pneumonie, Harnwegsinfekt
Definition. Laut WHO systemische Skeletterkrankung,
> Die häufigsten Ursachen für fieberhafte Episoden im Alter sind Pneumonien und Harnwegsinfekte.
die durch niedrige Knochenmasse und durch Störung der Mikroarchitektur des Knochengewebes charakterisiert ist. Daraus resultiert eine erhöhte Knochenbrüchigkeit mit steigendem Frakturrisiko.
Pneumonie Ätiopathogenese. Die häufigsten Erreger von Pneumonien beim älteren Menschen sind grampositive Kokken. Atypische Pneumonien dürfen jedoch nicht übersehen werden und sind differenzialdiagnostisch stets in Betracht zu ziehen. Dies gilt auch für Aspirationspneumonien, die besonders bei Erkrankungen mit Schluckstörungen erwogen werden müssen. Speziell Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben oder an neurodegenerativen Erkrankungen wie dem Parkinson-Syndrom oder einer Alzheimer-Krankheit leiden, sind in dieser Hinsicht stark gefährdet. Symptomatik. Die klinische Manifestation der Pneumonie ist beim geriatrischen Patienten oft uncharakte-
Ätiopathogenese. Üblicherweise befinden sich beim
jüngeren Menschen kontinuierliche Knochenreabsorption sowie Knochenneubildung im Gleichgewicht. Beim osteoporotischen Patienten ist die Mineralisierung des Knochens signifikant vermindert. Generell beobachtet man nach dem 40. Lebensjahr durchschnittlich einen Knochenverlust von ca. 1% pro Jahr. Dieser Knochenverlust läuft jedoch bei Frauen nach der Menopause für die Dauer von 10 Jahren beschleunigt ab und führt zu einem jährlichen Substanzverlust von 3– 5%. Eine 50-jährige Frau weist deshalb ein 40%iges Lebenszeitrisiko für eine oder mehrere osteoporotische Frakturen auf. Im Gegensatz hierzu liegt dieses Lebenszeitrisiko für Männer bei etwa 12–15%.
179 6.5 · Häufige Krankheitsbilder im Alter
Die wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren für das Auftreten einer osteoporotischen Fraktur sind: 4 Niedriges Körpergewicht 4 Insuffiziente Grundversorgung mit Kalzium und Vitamin D 4 Nikotingenuss 4 Nachweisbar erniedrigte Knochendichte 4 Dauertherapie mit mehr als 7,5 mg/Tag Steroide (Prednisolonäquivalent) Weitere nicht beeinflussbare Risikofaktoren sind: 4 Alter 4 Postmenopausaler Status 4 Positive Familienanamnese mit maternaler Hüftfraktur > Längere Immobilisation führt immer zur Knochenatrophie und damit ebenfalls zu einem erhöhten Frakturrisiko.
Epidemiologie. In Deutschland sind etwa 6 Mio. Men-
schen von einer Osteoporose betroffen. 85% der Erkrankten sind Frauen und 2/3 von ihnen sind älter als 80 Jahre. > Damit übersteigt die Prävalenz der osteoporotischen Frakturen bei Frauen bei weitem die Häufigkeit von Herzinfarkt, Schlaganfall und Brustkrebs.
Die häufigste Manifestation der Osteoporose ist die Wirbelkörperfraktur, gefolgt von der Hüftfraktur und der Radiusfraktur. Allerdings sind die Prävalenzraten altersabhängig. So dominiert bei den jüngeren Älteren die Radiusfraktur, während die Hochbetagten (80 Jahre und älter) vor allem eine hüftgelenksnahe Oberschenkelfraktur erleiden. Gemäß den Zahlen der European Foundation of Osteoporosis lag die jährliche Inzidenz an Hüftfrakturen in der EU im Jahre 2000 bei etwa 400.000. > Der Ausblick auf die Inzidenz in den nächsten 50 Jahren prognostiziert jedoch für das Jahr 2050 etwa 1 Mio. Hüftfrakturen jährlich und damit einen stark wachsenden Ressourcenverbrauch für diese Erkrankung.
Schon jetzt verursachen Oberschenkelfrakturen jährlich allein in Deutschland Behandlungskosten von etwa 3 Milliarden €. Der größte Anteil dieser Kosten entfällt auf die Operation und Rehabilitation.
6
Etwa 20% aller Patienten mit einer hüftgelenksnahen Fraktur müssen nach der Krankenhausbehandlung in ein Pflegeheim eingewiesen werden. Diagnostik. Die Knochendichte kann mit Hilfe einer
Osteodensitometrie zuverlässig ermittelt werden. Knochendichtemessung Per Definition spricht man von einer Osteoporose, wenn die Knochendichtemessung einen T-Score von minus 2,5 unterschreitet. Dies entspricht einer negativen Abweichung von mehr als 2,5 Standardabweichungen gegenüber der Altersnorm. Das Frakturrisiko steigt mit der Abnahme der Knochendichte und verdoppelt sich mit jeder Standardabweichung. Der Vorhersagewert der Knochendichte für das EreignisFrakturistdamitvergleichbarmitdemVorhersagewert des Bluthochdrucks für das Ereignis Schlaganfall.
Therapie. Die Osteodensitometrie ist auch die Methode
der Wahl zur Kontrolle der Therapieeffektivität, beispielsweise im Rahmen einer spezifischen Osteoporosetherapie mit Bisphosphonaten oder Strontiumranelat. Die Basistherapie besteht aus Kalzium (1000 mg täglich) und Vitamin D (800 IE täglich). Derzeit ist die Osteoporose in Deutschland nach wie vor eine unterdiagnostizierte und untertherapierte Krankheit. Bisherige Schätzungen gehen davon aus, dass nur 20% aller betroffenen Osteoporose-Patienten diagnostiziert und behandelt werden, und dies meist erst nach Eintreten der ersten Fraktur. Nur durch Aufklärung, gesunder Lebensführung und konsequenter Behandlung der Osteoporose können die individuell und gesundheitsökonomisch schwerwiegenden Folgen dieser Volkskrankheit eingedämmt werden. Gelingt dies nicht, droht für viele Betroffene eine Patientenkarriere, die durch chronische Schmerzen, Immobilität, soziale Isolation, Depression und Hilfs- und Pflegebedürftigkeit charakterisiert ist. 6.5.7 Morbus Parkinson Synonym. Idiopatisches Parkinson-Syndrom (IPS). Definition. Der Morbus Parkinson ist durch die klini-
schen Leitsymptome Ruhetremor, Rigor, Bradykinesie und posturale Instabilität gekennzeichnet. Ätiopathogenese. Pathogenetisch liegt der Erkrankung
> 50% aller Hüftfrakturpatienten bleiben funktionell beeinträchtigt, benötigen also häusliche Pflege aufgrund einer Hilfsbedürftigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens oder verlieren gar ihre Gehfähigkeit.
ein Dopaminmangel im Corpus striatum und in den Basalganglien zugrunde, welcher letztlich zu einer Imbalance zwischen den Neurotransmittern Dopamin und Azetylcholin führt.
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Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
Differenzialdiagnostisch müssen abgegrenzt werden: 4 Multisystematrophie (MSA) 4 Lewy-Körper-Erkrankung (DLB) 4 Progressive supranukleäre Paralyse (PSP) 4 Kortikobasale Degeneration (CBD) 4 Pseudo-Parkinson-Syndrome 4 Normaldruckhydrozephalus (NPH) 4 Subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) 4 Sekundäre Parkinson-Syndrome (z. B. medikamentös, toxisch, infektiös, traumatisch induziert)
6
Epidemiologie. In der westlichen Welt sind etwa 2%
aller über 70-jährigen betroffen. Symptomatik. Der Ruhetremor ist bei etwa einem
Drittel aller betroffenen Patienten nicht vorhanden und kann die Diagnosestellung erschweren. Üblicherweise tritt der Ruhetremor zunächst unilateral in Erscheinung, kann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt auch bilateral beobachtet werden. Rigor ist bei allen Parkinsonformen nachweisbar. Sein Auftreten ist gewöhnlich bilateral und symmetrisch und verursacht bei der mitbetroffenen Nackenmuskulatur eine charakteristische gebeugte Oberkörperhaltung. Auch die Bradykinesie bzw. Hypokinesie tritt gewöhnlich bilateral und symmetrisch auf und beschreibt den verlangsamten Ablauf dynamischer Bewegungen. Typisch ist hierbei die erschwerte Bewegungsinitiierung. Die posturale Instabilität resultiert aus einer Störung der Stellreflexe und führt bei 90% aller Patienten mit IPS zu mindestens einem Sturz pro Jahr. Weitere typische Symptome des Morbus Parkinson sind: 4 Hypomimie und Salbengesicht 4 Dysarthrie und monotone Sprachmelodie 4 Herabgesetztes Augenzwinkern 4 Dysphagie mit erschwerter Schlucktriggerung 4 Mikrographie 4 Posturale Hypotonie 4 Herabgesetzte Rumpfmobilität 4 Kleinschrittiges Gangbild 4 Fehlender Armschwung beim Gehen 4 Depression 4 Kognitive Beeinträchtigung Therapie. Das Management der Parkinsonschen Er-
krankung ist eine multidisziplinäre Herausforderung und beinhaltet neben medikamentöser Therapie auch physiotherapeutische, ergotherapeutische und logopädische Maßnahmen.
Beim geriatrischen Patienten ist die Einleitung einer medikamentösen Behandlung mit L-Dopa zunächst die Therapie der Wahl, zumal es auf alle klinischen Manifestationen des Morbus Parkinson einen günstigen Effekt bewirken kann. > Wird unter einer L-Dopa-Gabe keine klinische Verbesserung beobachtet, muss die Diagnose in Zweifel gezogen werden.
Mögliche Nebenwirkungen einer L-Dopa-Therapie sind Übelkeit, Erbrechen, posturale Hypotonie, Verwirrtheit und Dyskinesien. Weitere Probleme entstehen im späteren Krankheitsverlauf durch Wirkungsfluktuationen. Dazu zählen: 4 Wearing-off-Phänomene = akinetische Phasen am Ende der Wirksamkeit einer Einzeldosis 4 On-off-Phänomene = plötzlicher Wechsel zwischen Akinesie mit Rigor einerseits (Off-Phase) und guter Mobilität andererseits (On-Phase) 4 Peak-dose-Dyskinesien = ausgeprägte Bewegungsunruhe mit drehenden und schraubenden Bewegungen der Extremitäten und des Rumpfes bei zu hohem Dopaminspiegel am Rezeptor 4 Off-Phase-Dyskinesien = schmerzhafte Dystonien besonders der Füße bei zu niedrigem Dopaminspiegel (meist nächtlich oder frühmorgendlich) Eine Alternative oder Ergänzung der L-Dopa-Therapie ist durch den Einsatz der sog. Dopaminagonisten gegeben. Sie aktivieren direkt die Dopaminrezeptoren und verursachen im Gegensatz zu L-Dopa weniger häufig Dyskinesien. Allerdings können sie die Neigung zur Orthostase-Reaktionen und zu psychotischen Episoden verstärken. Beim geriatrischen Patienten kommen sie vornehmlich als Add-on-Therapie in Frage, um höhere L-Dopa-Dosen zu vermeiden und damit den Langzeitnebenwirkungen von L-Dopa vorzubeugen. Weitere medikamentöse Therapieoptionen beinhalten den Einsatz von COMT-Hemmer, MAO-BHemmer, Amantadin und Anticholinergika. Die COMT-Hemmer verlängern die Wirkungsdauer von L-Dopa. Anticholinergika können den Ruhetremor und den Rigor günstig beeinflussen, sind jedoch beim geriatrischen Patienten aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen meist obsolet. Die Physiotherapie zielt beim IPS insbesondere auf eine Verbesserung der Rumpfmobilität und posturalen Stabilität. Ergotherapeutische Maßnahmen kommen zum Einsatz, um die feinmotorischen Fähigkeiten zu verbessern. Darüber hinaus werden in der Ergotherapie mit verschiedenen Hilfsmitteln Kompensationsstrategien eingeübt, die dem Erhalt der Selbstständig-
181 6.5 · Häufige Krankheitsbilder im Alter
keit in den Aktivitäten des täglichen Lebens dienen. Die Logopädie kann durch Sprechtherapie die Artikulation fördern und durch funktionelle Behandlungstechniken die nicht selten beeinträchtigte Schluckfähigkeit verbessern. 6.5.8 Demenz Definition. Verlust erworbener intellektueller Fähig-
keiten aufgrund einer organischen Hirnerkrankung. Wesentlich für die Definition einer Demenz ist, dass die Symptomatik seit mindestens 6 Monaten besteht und folgende Kriterien erfüllt: 4 Nachweis einer Abnahme der Gedächtnisleistung, die verbales und nonverbales Material betrifft 4 Abnahme anderer kognitiver Fähigkeiten, z. B. Verminderung des Denkvermögens und der Urteilsfähigkeit 4 Verminderung der Affektkontrolle und des Antriebs mit Auswirkungen auf das Sozialverhalten 4 Ausschluss eines Delirs Ätiopathogenese. Meist handelt es sich bei der De-
menz im Alter um einen chronisch-progredienten und irreversiblen Prozess eines hirnorganischen Abbaus. Demenzen können jedoch auch als Folge einmaliger Ereignisse wie einem Schädel-Hirn-Trauma oder einer schweren Enzephalitis auftreten. Aus therapeutischer Sicht ist wichtig, dass die selteneren, aber reversiblen Ursachen einer Demenz nicht übersehen werden. Dazu zählen z. B. die demenziellen Syndrome aufgrund eines Vitamin-B12-Mangels, einer Hypothyreose und eines Normaldruckhydrozephalus. Die häufigsten irreversiblen Demenzformen im Alter sind: 4 Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) 4 Vaskuläre Demenz (VD) 4 Demenz vom Mischtyp 4 Lewy-Körper-Demenz 4 Demenz bei idiopathischem Parkinson-Syndrom 4 Frontotemporale Demenz 4 Demenz bei chronischem Alkoholismus Epidemiologie. Angesichts der demographischen Veränderungen muss bis zum Jahr 2050 mit einer Verdreifachung an Demenzerkrankungen gerechnet werden. Schon heute leiden in Deutschland etwa 700.000 Menschen an einer Alzheimer-Krankheit. Pro Jahr kommt es etwa zu 100 000 Neuerkrankungen. Diagnostik. Die exakte Diagnosestellung einer Demenz
erfordert oft eine akkurate Erhebung der Krankenge-
6
schichte, meist mit Hilfe einer Fremdanamnese. Diese beinhaltet eine zeitliche Einordnung des Symptombeginns, das Ausmaß der Progression, die Beeinträchtigung funktioneller Fähigkeiten einschließlich Alltagskompetenz, die Erfassung von Verhaltensstörungen und die Erhebung risikorelevanter Informationen (z. B. Autofahren). Der Anamnese schließt sich eine gründliche körperliche Untersuchung an, die neben neurologischen und kardiovaskulären Aspekten vor allem die mentale und emotionale Situation beleuchtet. Ergänzende Laboruntersuchungen beinhalten vor allem die Bestimmung folgender Parameter: 4 Serumelektrolyte 4 Nierenretentionsparameter 4 Leberfunktionsparameter 4 Kleines Blutbild und Entzündungsparameter 4 Schilddrüsenfunktion 4 Vitamin-B12-Spiegel Die weiterführende Diagnostik besteht vor allem aus neuroradiologischen Untersuchungsmethoden und einer neuropsychologischen Exploration. Mit Hilfe der kranialen Computertomographie und dem MRI-Scan kann neben dem Ausschluss eines Normaldruckhydrozephalus das Ausmaß vaskulärer Schädigungen und umschriebener Hirnatrophien objektiviert werden. Die neuropsychologische Untersuchung liefert einen tieferen Einblick in Art und Ausmaß des hirnorganischen Abbaus. Sie vermittelt ein detailliertes Bild über den Schweregrad der Demenz und liefert Hinweise für das Vorliegen atypischer Demenzformen. Bewährte neuropsychologische Testbatterien sind: 4 CERAD-Testbatterie 4 ADAS Cog 4 CAMDEX Weitere ergänzende Untersuchungen (Liquorentnahme, Lues-Serologie, Vaskulitisdiagnostik, EEG etc.) sind bestimmten Fragestellungen vorbehalten. Therapie. Die Demenzen spielen in gesundheitspoliti-
scher Hinsicht eine enorme Rolle. Vier Fünftel aller Demenzkranken werden in der Familie betreut. Die derzeitigen Kosten für die Behandlung und Pflege Demenzerkrankter kann in Deutschland mit ca. 15 Milliarden € pro Jahr beziffert werden. Dabei überwiegen bereits bei der mittelschweren Demenz die Kosten der stationären Pflege. Vor diesem Hintergrund muss die Behandlung der Demenz so früh wie möglich beginnen. Eine nihilistische Grundhaltung ist aufgrund der mittlerweile vorliegenden Evidenz medikamentöser Behandlungsstrategien nicht mehr zu rechtfertigen.
182
6
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
Neben einer medikamentösen Therapie im Frühstadium gehört jedoch auch die Beratung und Unterstützung der pflegenden Angehörigen in ein umfassendes Behandlungskonzept, wodurch das Verbleiben der betroffenen Patienten im vertrauten Umfeld gefördert werden kann.
schreiten gekennzeichnet. Zuerst treten Gedächtnisund Orientierungsstörungen auf, dem im fortgeschrittenen Stadium Sprach- und Erkennungsstörungen sowie Störungen der zweckbezogenen Motorik folgen. Im terminalen Stadium besteht Harn- und Stuhlinkontinenz, Gangunfähigkeit und Bettlägrigkeit.
> Derzeit gilt bereits die Verzögerung des Krankheitsverlaufes als therapeutischer Erfolg.
Diagnostik. Ihre sichere Diagnose gelingt nur post
Die Ziele der Demenztherapie sind stadienabhängig: 4 Bei leichter Demenz steht die Verbesserung und Stabilisierung der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Erhalt der Selbstversorgungsfähigkeit im Vordergrund. 4 Bei der fortgeschrittenen Demenz sind Maßnahmen der körperlichen Aktivierung und der Pflegeerleichterung von großer Bedeutung.
> Im klinischen Alltag ist die Demenz vom AlzheimerTyp daher immer eine Verdachts- bzw. Ausschlussdiagnose.
Aufgrund der Antriebslosigkeit demenzerkrankter Personen ist stets auf eine bedarfgerechte Ernährung und Flüssigkeitszufuhr zu achten. Generell gilt, dass Überforderungen bei Demenzerkrankten vermieden und das Selbstwertgefühl gestärkt werden sollten. Kurze und einfache Sätze, feste Gewohnheiten (Tagesstruktur) und Orientierungshilfen sind ebenso von Bedeutung wie eine geduldige, verständnisvolle Haltung. Bei neuropsychiatrischen Begleitsymptomen wie Wahnvorstellungen, Aggressionen und Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus ist unter Abwägung von Nutzen und Risiken eine symptomatische Pharmakotherapie mit geeigneten Neuroleptika möglich. Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) Ätiopathogenese. Die Alzheimer-Krankheit ist durch
eine Reihe neuropathologischer Befunde charakterisiert. Makroskopisch imponiert eine meist hippokampal, temporal und frontal am stärksten ausgeprägte Hirnatrophie mit Verschmächtigung der Hirnrinde und Aufweitung der Sulci. Mikroskopisch findet sich eine Rarifizierung von Neuronen, Verringerung der Dendriten und Synapsenzahl und typischerweise senile Plaques mit Einlagerung eines Polypeptids (β-Amyloid). Die Ätiologie der Alzheimerkrankheit ist bis heute noch nicht ausreichend geklärt. Nur in wenigen Fällen findet sich eine genetische Disposition. Ihre sichere Diagnose gelingt nur post mortem. Im klinischen Alltag ist die Demenz vom Alzheimer-Typ daher immer eine Verdachts- bzw. Ausschlussdiagnose.
mortem.
Therapie. Im frühen Stadium besteht eine medikamen-
töse Therapieoption mit Azetylcholinesterasehemmer (z. B. Donepezil, Rivastigmin, Galantamin). Für die fortgeschrittene Alzheimer-Demenz ist der Glutamatantagonist Memantin zugelassen. Vaskuläre Demenz Definition. Unter vaskuläre Demenz sind alle Demenz-
formen subsumiert, bei denen zerebrovaskuläre Schädigungen im Vordergrund stehen. Ätiopathogenese. Darunter zählen die Multiinfarktde-
menz, die Demenz als Folge eines strategischen Territorialinfarktes und die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE). Die zuletzt genannte Form weist lakunäre Infarkte und multiple Marklagerveränderungen auf und wurde früher auch als Demenz vom Binswanger-Typ bezeichnet. Pathophysiologisch liegt dieser vaskulären Demenzform eine Mikroangiopathie der subkortikal gelegenen Arteriolen mit Ablagerungen von Hyalin in den Gefäßwänden zugrunde. In der Folge kommt es zu einer Verminderung des Stoffaustausches und damit zu einer verringerten metabolischen Versorgung der perivaskulären Gebiete. Symptomatik. Klinisch imponiert die vaskuläre De-
menz durch abrupte und stufenartige Verschlechterungen des kognitiven Gesamtbildes. Es finden sich nicht selten anamnestische Hinweise auf leichtere oder schwerere Apoplexien mit den entsprechend dazugehörigen neurologischen Ausfällen. Im Gegensatz zur Alzheimer-Krankheit entwickeln Patienten mit vaskulärer Demenz oft Gangstörungen, bevor erste Symptome einer kognitiven Beeinträchtigung festgestellt werden können. Therapie. Die Behandlung beinhaltet das Management
Symptomatik. Diese Demenz ist durch einen schlei-
chenden Krankheitsbeginn und ein langsames Fort-
der kardiovaskulären Risikofaktoren, worunter nicht nur eine Stabilisierung, sondern manchmal auch eine
183 6.5 · Häufige Krankheitsbilder im Alter
Verbesserung der kognitiven Situation beobachtet werden kann (fluktuierender Verlauf). Demenz mit Lewy-Körperchen und Demenz bei Parkinson-Syndrom Ätiopathogenese. Bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom (IPS) findet sich in 20–30% aller Fälle bei längerem und schwererem Krankheitsverlauf ein demenzieller Abbau. Wie bei der Demenz vom Alzheimer-Typ wird auch hier eine cholinerge Störung als Ursache der Demenz zugrunde gelegt. Bei der Lewy-Körper-Demenz finden sich neuropathologisch eosinophile Einschlusskörperchen, sog. Lewy-Körperchen. Epidemiologie. Die Lewy-Körper-Demenz wird nach der Alzheimer-Krankheit als zweithäufigste degenerative Ursache einer Demenz beschrieben. Symptomatik. Klinisch imponiert die Lewy-KörperDemenz durch das frühe Auftreten extrapyramidaler Bewegungsstörungen ohne Tremor und Rigor. Im Gegensatz zum IPS liegen das Auftreten der Demenz und das Auftreten von Bewegungsstörungen weniger als 12 Monate auseinander. Die demenzielle bzw. kognitive Symptomatik ist häufig fluktuierend. Pathognomonisch sind visuelle Halluzinationen. Unter einer Behandlung mit Neuroleptika kommt es zu einer deutlichen Verschlechterung der extrapyramidalen Bewegungsstörungen bis hin zu einer akuten Parkinson-Krise. Therapie. Bei IPS konnte eine leichte Verzögerung des
kognitiven Abbaus in einer kontrollierten Studie für das Medikament Rivastigmin belegt werden. Bei der LewyKörperchen-Demenz kommt es unter Behandlung mit Neuroleptika zur deutlichen Verschlechterung der extrapyramidalen Bewegungsstörungen bis hin zur akuten Parkinson-Krise. 6.5.9 Depression Ätiopathogenese. Depressionen verlaufen häufig chronisch und/oder rezidivierend und sind gehäuft bei Patienten mit chronischen Schmerzen, nach Schlaganfall und vor allem bei Heimbewohnern zu beobachten. Als belastende Lebensereignisse im Alter finden sich oft: 4 Verlust der Selbstständigkeit infolge körperlicher Erkrankungen und damit Abhängigkeit von Dritten 4 Mangelnder sozialer Rückhalt, Vereinsamung sowie Verlust von Angehörigen und Freunden
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4 Eintritt in den Ruhestand und damit verbundener Rollenwechsel, Verlust von Ansehen und Macht sowie mangelnde Vorbereitung auf das Alter 4 Soziale Entwurzelung, z. B. Umzug in eine kleinere Wohnung oder in ein Senioren- oder Pflegeheim 4 Finanzielle Sorgen 4 Negative Lebensbilanz Epidemiologie. In Deutschland leiden ca. 2,5 Mio. Men-
schen an depressiven Störungen. Etwa 9% der über 70jährigen sind davon betroffen (Berliner Altersstudie). Diagnostik. Die Verdachtsdiagnose einer Depression
wird dann gestellt, wenn mindestens 5 der folgenden Symptome über einen Zeitraum von 2 oder mehr Wochen bestehen: 4 Depressive, gedrückte Stimmungslage 4 Gewichtsverlust/Zunahme oder verminderter/gesteigerter Appetit 4 Schlaflosigkeit/vermehrter Schlaf 4 Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung 4 Müdigkeit oder Energieverlust 4 Gefühle von Wertlosigkeit oder Schuldgefühle 4 Konzentrationsschwierigkeiten/verringerte Entscheidungsfähigkeit 4 Suizidgedanken > Mindestens eine der beiden erstgenannten Symptome muss für die Diagnosestellung der Depression vorhanden sein.
Die Diagnosestellung der Altersdepression ist oft dadurch erschwert, dass Depressionen im höheren Alter oligosymptomatisch sind. Öfters findet sich weniger eine niedergeschlagene Stimmung, sondern eher eine dysphorische Reizbarkeit. Stärkere Klagen über abnehmende Leistungsfähigkeit sowie zunehmende Ermüdbarkeit und Energielosigkeit werden fälschlicherweise körperlich interpretiert. Denkhemmungen, Konzentrationsstörungen und Gedächtnisstörungen führen irrtümlicherweise zur Fehldiagnose einer beginnenden Demenz. Suizidgedanken werden im Alter seltener spontan geäußert. > Die Altersdepression gehört zu den unterdiagnostizierten Erkrankungen, da viele Krankheitssymptome wie Schlaflosigkeit oder Appetitmangel als natürliche Altersfolge oder als Begleitumstände internistischer Erkrankungen gewertet werden.
Therapie. Die individuellen und gesellschaftlichen Fol-
gen einer unbehandelten Depression im Alter sind erheblich:
184
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
4 4 4 4
Verlust an Lebensqualität Soziale Isolation Vermeidbare Pflegeheimeinweisung Unterernährung und damit erhöhte Krankheitsanfälligkeit 4 Erhöhte Sterblichkeit 4 Unnötige Folgekosten
6
In einer WHO-Studie konnte in den 90-er Jahren eindrucksvoll belegt werden, dass sich die Depression in jene Krankheitsbilder einreiht, die häufig untertherapiert oder fehltherapiert werden. Besonders ältere Menschen sind von diesem Missstand betroffen. Mittlerweile steht neben der antidepressiven Pharmakotherapie eine Reihe von anderen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die gerade auch im höheren Alter zu einer wirksamen Verminderung der depressiven Symptomatik führen können. Dazu zählen vor allem eine verhaltensorientierte Psychotherapie, regelmäßige Bewegungstherapie sowie Maßnahmen der sozialen Reintegration. > Wichtig sind im Rahmen der Therapie neben der Stimmungsaufhellung und Antriebssteigerung vor allem auch die Bewältigung von Verlusterlebnissen, Schuldgefühlen und körperlichen Behinderungen sowie die Erarbeitung von Zukunftsperspektiven.
Dies unterstreicht die Bedeutung der Psychotherapie innerhalb der Geriatrie, wobei festzuhalten ist, dass speziell auf diesem Gebiet eine dramatische Unterversorgung in Deutschland zu beklagen ist. Hinsichtlich der antidepressiven Pharmakotherapie ist festzustellen, dass etwa 70–80% aller Betroffenen
positiv ansprechen, wobei nicht immer der erste Behandlungsversuch zum Erfolg führt. Zum Einsatz kommen heutzutage in der Geriatrie vor allem die nebenwirkungsarmen SSRI (selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer), aber auch dual wirkende Antidepressiva wie z. B. Mirtazapin. Trizyklische Antidepressiva sollten bei älteren Menschen besser vermieden werden, da sie aufgrund ihrer nicht unerheblichen anticholinergen Effekte zu klinisch relevanten Nebenwirkungen (Tachykardien, kognitive Verschlechterung, Harnverhalt etc.) führen können. Differenzialdiagnostisch muss bedacht werden, dass organische Erkrankungen, wie z. B. Schilddrüsenfehlfunktionen das Vollbild einer Depression verursachen können, so dass vor Einleitung einer antidepressiven Pharmakotherapie endokrinologische Fehlfunktionen ausgeschlossen werden müssen. Grundsätzlich wird eine antidepressive Pharmakotherapie mit einer niedrigen Startdosis unter allmählicher Dosissteigerung vorgenommen. Bei deutlicher Besserung oder Heilung der Depression wird die antidepressiv wirksame Dosis für mindestens 6 Monate beibehalten. Bei rezidivierenden Episoden ist eine Dauerbehandlung für mindestens zwei Jahre oder lebenslang vorzunehmen. Nicht selten sind auch die Angehörigen von depressiven Patienten stark mitbetroffen. Sie müssen in die Behandlung mit einbezogen werden. Wesentlich bei der Betreuung depressiv Erkrankter ist eine lückenlose Information über den Behandlungsplan, die Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen einer antidepressiven Pharmakotherapie und vor allem die Betonung der guten Therapiemöglichkeiten und guten Prognose.
In Kürze Häufige Krankheitsbilder im Alter Osteoporose
4 Symptomatik: Rückenschmerzen, Rückgang der Körpergröße um mehr als 4 cm, Frakturen nach Bagatelltraumen 4 Ätiologie: idiopathisch (primär) oder sekundär (z. B. unter Kortisondauertherapie) 4 Diagnostik: Osteodensitometrie 4 Therapie: Vitamin D, Kalzium, Bisphosphonate, Strontiumranelat, Bewegungstherapie
Morbus Parkinson
4 4 4 4
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Symptomatik: Rigor, Bradykinesie, Tremor, posturale Instabilität Ätiologie: idiopathisch Diagnostik: Klinik, SPECT Therapie: Pharmakotherapie, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie
185 6.6 · Geriatrisches Management
6.6
Demenz bei AlzheimerKrankheit
4 Symptomatik: progredienter Abbau höherer kortikaler Funktionen (z. B. Gedächtnis, Orientierung, Handlungsplanung) mit konsekutivem Verlust der Alltagskompetenz 4 Ätiologie: unklar 4 Diagnostik: Klinik, neurophysiologische Testung, NMR, Liquoruntersuchung fakultativ 4 Therapie: Azetylcholinesterasehemmer (Progressionshemmung), Soziotherapie
Vaskuläre Demenz
4 Symptomatik: progredienter Abbau höherer kortikaler Funktionen (z. B. Gedächtnis, Orientierung, Handlungsplanung) mit konsekutivem Verlust der Alltagskompetenz 4 Ätiologie: zerebrale Mikro- und/oder Makroangiopathie 4 Diagnostik: Klinik, neuropsychologische Testung, NMR 4 Therapie: Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren (Progressionshemmung)
Demenz bei ParkinsonSyndrom
4 Symptomatik: progredienter Abbau höherer kortikaler Funktionen (z. B. Gedächtnis, Orientierung, Handlungsplanung) mit konsekutivem Verlust der Alltagskompetenz 4 Ätiologie: idiopathisch 4 Diagnostik: Klinik, neuropsychologische Testung, NMR, SPECT 4 Therapie: Rivastigmin (Progressionshemmung), Soziotherapie
Geriatrisches Management
6.6.1 Geriatrische Versorgungsstrukturen Geriatrische Versorgungsstrukturen bestehen in Deutschland auf breiter Fläche erst seit den 90er-Jahren. Startschuss für diese Entwicklung war vor allem der im Gesundheitsreformgesetz 1989 formulierte Grundsatz »Rehabilitation vor Pflege«, der zur Ausbildung unterschiedlicher landesspezifischer Geriatriekonzepte führte. Dementsprechend ist die geriatrische Versorgungslandschaft in Deutschland regional unterschiedlich organisiert. So findet geriatrische Versorgung sowohl im akutmedizinischen Sektor im Sinne einer Krankenhausbehandlung nach § 108/109 SGB V, aber auch im rehabilitativen Sektor nach § 111 SGB V statt. Akutgeriatrien und geriatrische Rehabilitation sind derzeit die dominierenden geriatrischen Versorgungsformen in Deutschland. Eine relativ neue Entwicklung ist die vereinzelt etablierte ambulante geriatrische Rehabilitation. Der Patientenzugang erfolgt in den Akutgeriatrien entweder über hausärztliche Einweisung oder per Direktverlegung aus anderen Krankenhausabteilungen. Die Durchführung einer ambulanten oder stationären geriatrischen Rehabilitationsmaßnahme bedarf einer Kostenübernahmeerklärung durch den Kostenträger. Diese wird über spezielle Anmeldebögen, die neben Diagnosen und angestrebten Rehabilitationszielen auch Angaben zur Selbstversorgung beinhalten, beantragt. Von der stationären geriatrischen Rehabilitation nach § 111 SGB V ist die geriatrische Frührehabilitation ab-
6
zugrenzen, die seit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches IX (2001) Teil der akutstationären Behandlung ist. 6.6.2 Geriatrisches Assessment Definition. Multidimensionaler, interdisziplinärer, dia-
gnostischer Prozess zur systematischen Erfassung der medizinischen, psychosozialen und funktionellen Fähigkeiten und Probleme gebrechlicher älterer Personen, um damit einen umfassenden Plan für die weitere Therapie und Betreuung zu entwickeln. Das geriatrische Assessment beinhaltet: 4 Detaillierte Anamnese 4 Einsatz standardisierter Fragebögen 4 Durchführung geeigneter Leistungstests zur Funktionsbeurteilung (z. B. Kognition und Mobilität) Integraler Bestandteil des geriatrischen Assessments ist eine standardisierte Bewertung der Alltagskompetenz, die sich sowohl auf die Basisaktivitäten des täglichen Lebens (z. B. Ankleiden, Waschen, Toilettengang) als auch auf die instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (z. B. Umgang mit Medikamenten, Benutzung öffentlicher Transportmittel, Telefonieren oder Umgang mit Finanzen) bezieht. > Ziele des geriatrischen Assessments sind also nicht nur die in der Organmedizin übliche Erhebung der Krankengeschichte, sondern vor allem auch die strukturierte Erfassung funktioneller Defizite und die Selbsthilfefähigkeit älterer Patienten.
186
6
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
Damit berücksichtigt das geriatrische Assessment die Erfassung von Krankheitsfolgen auf den Ebenen der Behinderung (Fähigkeitsstörung) und sozialen Beeinträchtigung (Handicap). Das geriatrische Assessment wird somit dem biopsychosozialen Modell der Krankheitsbetrachtung gerecht und liefert das Fundament für den Aufbau einer gezielten funktionsorientierten Rehabilitationsplanung. In zahlreichen Studien aus den 80er- und 90er-Jahren konnte mit der Methode des geriatrischen Assessments ein vermindertes Mortalitätsrisiko, eine verringerte Rehospitalisationsrate, weniger Pflegeheimaufnahmen sowie deutliche Verbesserungen im Bereich von Kognition und körperlicher Funktion nachgewiesen werden. Damit trägt das geriatrische Assessment zu einer Verringerung der Morbidität und zu einer Abnahme von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit bei und ist ein wesentlicher Beitrag zur Kosteneffizienz im Gesundheitswesen. An ein geriatrisches Assessment ist besonders dann zu denken, wenn die Person zwei oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllt: 4 Älter als 70 Jahre 4 Abhängigkeit von fremder Hilfe in den Basisaktivitäten des täglichen Lebens (ADL) 4 Hilfebedarf in den instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL) 4 Rezidivierende Stürze 4 Inkontinenz 4 Mehr als 2 Krankenhausaufenthalte pro Jahr 4 Einpersonenhaushalt Die erwähnten Assessmentverfahren stellen nur eine Auswahl dar (. Tab. 6.1). Auf die Erläuterung und Interpretation der Assessmentverfahren und ihrer Ergebnisse kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Die Ergebnisse des geriatrischen Assessments sind immer im Kontext zur sozialen Lebenssituation zu bewerten. Wohnraum und Anbindung an die Familie, Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Einkaufsmöglichkeiten, Sicherheitsrisiken und ambulante Hilfsdienste bestimmen wesentlich mit, ob und in welchem Ausmaß funktionelle Defizite bzw. Fähigkeitsstörungen zu einer Behinderung werden. Im Rahmen der geriatrischen Rehabilitation werden die Assessmentergebnisse in den regelmäßig stattfindenden Teambesprechungen erörtert und daraus die weiteren Rehabilitationsziele abgeleitet. Auch erlaubt eine Reihe der genannten Assessmentverfahren im Verlauf ein gutes Monitoring zur Bewertung des Rehabilitationserfolgs. Die Methode des geriatrischen Assessments ist aus dem Rehabilitationsprozess nicht mehr wegzudenken und zwischenzeitlich zu einer Kernkompetenz des geriatrischen Teams geworden.
Ausschlusskriterien für ein geriatrisches Assessment sind klinisch instabile Patienten, Intensivpflichtigkeit, terminale Erkrankungen, das Delir sowie eine schwere Demenz (. Abb. 6.3). 6.6.3 Interdisziplinäres Team In der Geriatrie hat sich die Arbeit in einem multiprofessionellen Team bestehend aus Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Sozialarbeitern, Ernährungsberatern und Neuropsychologen am besten bewährt. Nur durch die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Professionen gelingt es, die häufig komplexe Problematik alter gebrechlicher Personen in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zu behandeln.
. Tab. 6.1. Geriatrische Assessmentverfahren Aktivitäten des täglichen Lebens
4 Barthel-Index 4 IADL-Status nach Lawton und Brody
Mobilität
4 Timed-up-and-go-Test 4 Short Physical Performance Battery (nach Guralnik) 4 Performance Oriented Mobility Assessment (Tinetti-Test) 4 Ten-Meter-Walk 4 Six-Minute-Walk 4 Nine-Hole-Peg-Test
Kognition
4 Mini-Mental-State-Examination (MMSE) 4 MMBLIND (MMSE-Version für Sehbehinderte) 4 Brief-Alzheimer-Screen (BAS) 4 DemTect 4 Syndrom-Kurztest (SKT) 4 Trail-Making-Test A & B 4 Clock-Completion-Test (CCT) 4 Global Deterioration-Scale
Emotion
4 Geriatrische Depressionsskala (GDS) 4 Hamilton Depression Scale (HAMD)
Ernährungsstatus
4 Mini-Nutritional-Assessment (MNA)
Dekubitusrisiko
4 Braden-Scale 4 Norton-Skala
Sturzrisiko
4 Stratify-Score (nach Oliver) 4 Handkraft (Dynamometrie)
187 6.6 · Geriatrisches Management
6
. Abb. 6.3. Kriterien für die Patientenauswahl zur Durchführung eines umfassenden Assessments
Der Arzt leitet das Rehabilitationsteam und koordiniert alle Behandlungsabläufe. Bei den täglichen Visiten überzeigt er sich vom Gesundheitszustand der Patienten und entscheidet über notwendige Untersuchungen oder Änderungen der altersspezifischen Medikation. Auf der Grundlage des geriatrischen Assessments wird durch den Arzt regelmäßig der Rehabilitationsverlauf überprüft und das individuelle Behandlungskonzept innerhalb des geriatrischen Teams reflektiert. Daraus resultiert schließlich eine flexible Therapieplanung, die auf die psychische und physische Verfassung des Patienten abgestimmt ist. Im Rahmen des geriatrischen Konsils obliegt es dem Geriater, die Ärzte in den Akutkliniken sowie die niedergelassenen Kollegen in Fragen der Rehabilitationsbedürftigkeit und Rehabilitationsfähigkeit zu beraten. Die Pflegekräfte betreuen die Patienten 24 h am Tag und in der Nacht und bestimmen wie keine andere Berufsgruppe das Milieu, die Grundstimmung und die Rehabilitationsatmosphäre. Krankenschwestern und AltenpflegerInnen arbeiten in der Geriatrie gleichberechtigt zusammen und beeinflussen in wesentlichem Maße, ob sich der Patient angenommen fühlt und die Kraft für die Wiedererlangung einer selbstständigen Lebensführung aufbringt. Zuhören, Trösten, Mut zusprechen und Anspornen sind entscheidende Aspekte einer rehabilitationsfördernden Umgebung und nicht selten der Schlüssel zum Rehabilitationserfolg. In fachlicher Hinsicht steht die therapeutisch-aktivierende Pflege im Vordergrund. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Patient in den Aktivitäten des tägli-
chen Lebens (z. B. bei der Körperpflege) aktiv mitbeteiligt und von der Pflege nur in den Teilfunktionen Hilfe erfährt, in denen die Selbstversorgung nicht oder noch nicht gewährleistet ist. Bei der aktivierenden Pflege erfahren Patienten also Hilfe zur Selbsthilfe, damit sie letztlich unter Eigenverantwortung die größtmögliche Selbstständigkeit wiedererlangen. Von den Pflegekräften verlangt das Konzept der aktivierenden Pflege viel Fingerspitzengefühl bei der Beurteilung der individuellen Patientenressourcen. Nur dadurch wird gewährleistet, dass Förderung möglich, aber Überforderung vermieden wird. Schließlich sind es insbesondere die Pflegekräfte, die bei fortbestehendem Hilfebedarf die pflegenden Angehörigen schulen. Die Physiotherapie fördert die Wiedererlangung und Erhaltung komplexer motorischer Funktionen, die für die Mobilität und individuelle Gestaltung des Alltags erforderlich sind. Komplexe motorische Funktionen sind beispielsweise das Aufstehen und das Gehen, beides alltagsrelevante Fähigkeiten, die ein ausreichendes Maß an Koordination, Kraft, Beweglichkeit und Schnelligkeit erfordern. Vor allem Balancetraining und Krafttraining spielen im geriatrischen Behandlungsplan eine große Rolle, nicht zuletzt wegen ihrer großen Bedeutung in der Sturzprävention. Ferner setzt der Physiotherapeut indikationsspezifische Behandlungstechniken ein. Schließlich kommt auch der Anwendung physikalischer Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu, da sie wesentlich zur Schmerzlinderung, Tonusregulierung und Durchblutungsverbesserung beiträgt.
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6
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
Die Ergotherapie unterstützt den Patienten bei der Wiederherstellung der körperlichen, psychischen und kognitiven Integrität im Rahmen alltagspraktischer Handlungen. Wasch- und Anziehtraining, Strategien zur Kompensation von Gedächtnisdefiziten, Übungen zur Verbesserung handwerklicher Geschicklichkeiten sowie der Umgang mit Hilfsmitteln und die Rollstuhlanpassung seien hier beispielhaft erwähnt. In der Schlaganfallrehabilitation arbeitet der Ergotherapeut gezielt an der Verbesserung schlaganfallspezifischer Störungsbilder (z. B. Apraxien, Hemineglekt und andere Wahrnehmungs- und Sensibilitätsstörungen). Die Logopädie umfasst die Diagnostik und Behandlung von Stimm-, Sprech- und Sprachstörungen, die in der Geriatrie meist im Zusammenhang mit einem Schlaganfall oder einem Parkinson-Syndrom beobachtet werden. Therapeutisches Ziel ist die Verbesserung und Wiederherstellung der Kommunikationsfähigkeit. Ein weiterer Behandlungsschwerpunkt der Logopädie ist die Therapie von Schluckstörungen, die im gesamten interdisziplinären Team koordiniert und abgestimmt wird. Die Ernährungsberatung arbeitet in der Geriatrie schwerpunktmäßig am Risikomanagement der Malnutrition. Dieses beinhaltet unter anderem die Erstellung individueller Speisepläne, die Gewährleistung einer optimalen Kalorienzufuhr, die Kontrolle spezieller Kostformen und die Schulung von Patienten und Angehörigen. Die Neuropsychologie leistet ihren Beitrag in der verfeinerten Diagnostik von Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörungen nach stattgehabtem Schlaganfall. Ein weiteres Tätigkeitsfeld ist die Objektivierung und Schweregradbestimmung einer Demenz und die Einschätzung der Fahreignung nach erworbener hirnorganischer Schädigung. In Abstimmung mit dem Gerontopsychiater wird die Entscheidungsfähigkeit, Urteilsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit eines Patienten beurteilt und ggf. die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung angeregt. Der Sozialdienst verfolgt schließlich an der Nahtstelle zwischen Krankenhaus und häuslichem Umfeld das Ziel einer sozialen Reintegration und organisiert die dazu notwendigen Maßnahmen. Dazu gehören neben der sozialrechtlichen Beratung von Angehörigen vor allem auch die Organisation ambulanter Hilfsdienste, die Vermittlung geeigneter Pflegeeinrichtungen und die Unterstützung bei der Anschaffung von Pflegehilfsmitteln. In bestimmten Situationen (alleinstehende Personen, pflegebedürftige Partner, demenzieller Abbau, Mangelernährung und Wundversorgung etc.) muss der Sozialdienst seiner Aufgabe in besonderer Weise gerecht werden, damit sog. Drehtüreffekte (Rehospitalisationen) vermieden werden.
Das wichtigste Teammitglied ist schließlich der Patient selbst. Er bestimmt seine individuellen Bedürfnisse, die persönlichen Rehabilitationsziele und damit in entscheidender Weise auch die Rehabilitationsplanung. Von seinem Willen und seiner Motivation hängt in sehr starkem Ausmaß schließlich der Rehabilitationserfolg ab. > Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die geriatrische Teamarbeit unter Einbeziehung von Patient und Angehörigen eine sehr effektive Strategie zur Minimierung von Krankheitsfolgen darstellt.
6.6.4 Geriatrische Rehabilitation Wesentliche Teilaspekte der geriatrischen Rehabilitation (z. B. geriatrisches Assessment, Bewegungstherapie, Sturzprävention) haben sich in einer Reihe von wissenschaftlichen Studien als wirksam erwiesen und genügen dem Anspruch einer evidenzbasierten Medizin. Geriatrische Rehabilitation ist kosteneffizient, wenn Pflegebedürftigkeit abgewendet bzw. verringert und eine Heimunterbringung vermieden wird. Die individuelle Rehabilitationsdauer muss sich allerdings an dem Schweregrad der funktionellen Einschränkungen und dem vorhandenen Reha-Potenzial des betroffenen Patienten orientieren. > Geriatrische Rehabilitation ist dann indiziert, wenn bei älteren Menschen aufgrund einer Akuterkrankung oder einer Verschlechterung eines chronischen Krankheitsbildes die selbstständige Lebensführung nicht mehr möglich ist und dauerhafte Pflegebedürftigkeit droht.
Typische Indikationen für eine geriatrische Rehabilitation sind daher: 4 Folgezustand nach akutem Schlaganfall 4 Sturzbedingte Frakturen 4 Diabetische Spätschäden, z. B. Amputationen 4 Neurologische Erkrankungen, z. B. Morbus Parkinson 4 Folgezustand nach kardiopulmonalen Erkrankungen, z. B. Lungenembolie, Myokardinfarkt und dekompensierte Herzinsuffizienz 4 Verzögerte Rekonvaleszenz nach längerer Behandlungsdauer internistischer Erkrankungen, z. B. Pneumonie 4 Verzögerte Rekonvaleszenz nach größeren operativen Eingriffen Eine wesentliche Voraussetzung für den Zugang zu einer geriatrischen Rehabilitationsmaßnahme ist die
189 6.7 · Spezielle Aspekte im Alter
Feststellung einer positiven Rehabilitationsprognose. Dazu gehört das Vorliegen einer Rehabilitationsbedürftigkeit, einer Rehabilitationsfähigkeit und einer Rehabilitationsmotivation. Rehabilitationsbedürftigkeit besteht dann, wenn als Folge einer krankheitsbedingten Schädigung Fähigkeitsstörungen aufgetreten sind, die den Patienten in seiner Alltagskompetenz, Selbstständigkeit und Gestaltungsmöglichkeit soweit einschränken, dass die menschlichen Grundbedürfnisse tangiert sind. Dazu zählen vor allem der Verlust von 4 Selbstständigkeit beim Essen und Trinken 4 Selbstständigkeit in der persönlichen Hygiene 4 Selbstständigkeit in der Mobilität 4 Selbstständigkeit in der Kommunikation 4 Selbstständige Gestaltung einer angemessenen Beschäftigung 4 Selbstständigkeit in der Gestaltung und Aufrechterhaltung der sozialen Integration Daraus leiten sich konkrete Rehabilitationsziele ab, die im Wesentlichen darin bestehen, dass frühzeitig alltagsrelevante Fähigkeitsstörungen beseitigt oder vermindert werden. Auch die Vermeidung einer Verschlimmerung bereits manifest eingetretener Beeinträchtigungen kann ein Rehabilitationsziel darstellen. Wichtige Beispiele alltagsrelevanter Rehabilitationsziele sind: 4 Erreichen/Verbesserung der Stehfähigkeit 4 Erreichen/Verbesserung des Bett/Rollstuhltransfers 4 Erreichen der passiven Rollstuhlmobilität 4 Erreichen/Verbesserung der aktiven Rollstuhlmobilität 4 Beherrschung des Toilettenganges 4 Beherrschung/Verbesserung der persönlichen Hygiene 4 Selbstständigkeit/Verbesserung in der Nahrungsaufnahme 4 Wiederherstellung/Verbesserung des Schluckaktes 4 Selbstständigkeit/Verbesserung im An- und Auskleiden 4 Gehfähigkeit über mehrere Treppenstufen 4 Gehfähigkeit innerhalb und außerhalb der Wohnung 4 Verbesserung der Armfunktion/Feinmotorik 4 Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit Der Begriff der Rehabilitationsfähigkeit bezieht sich auf die somatische und psychische Verfassung des Rehabilitanden, die im Hinblick auf Kognition und Belastbarkeit ausreichend gut sein muss, damit die Teilnahme an geeigneten Rehabilitations- und Trainingsmaßnahmen möglich ist. Dazu gehört, dass der Rehabilitand
6
mehrmals täglich an Therapien teilnehmen kann und damit eine ausreichende Behandlungsintensität gewährleistet ist. Im Einzelnen erfordert Rehabilitationsfähigkeit: 4 Vitale Stabilität 4 Prozedurale Lernfähigkeit 4 Rehabilitationsbereitschaft (Kooperation und Motivation) 4 Gesicherte Versorgung mit Flüssigkeit, Nahrung und Medikamenten 4 Ausschluss einer präfinalen Erkrankung mit absehbar kurzer Prognose 4 Ausschluss therapierefraktärer Verhaltensstörungen mit besonderem Aufsichtsbedarf (Weglauftendenz, unkontrollierbare Lärmentwicklung, Aggressivität, Selbst- oder Fremdgefährdung) Generell gilt, dass geriatrische Rehabilitation möglichst wohnortnah erfolgen sollte, damit die Angehörigen in den Rehabilitationsprozess miteinbezogen werden können. Meist wirkt es sich günstig aus, wenn die Rehabilitation älterer Menschen durch vertraute Menschen positiv begleitet wird. Ein wesentlicher Baustein des Rehabilitationserfolgs basiert auf Erkenntnisse der Trainingslehre. Repetives Üben motorischer Grundfähigkeiten wie z. B. Kraft, Ausdauer und Balance zeigt gerade auch bei den Hochbetagten in verhältnismäßig kurzer Zeit enorme Erfolge und führt beim Rehabilitanden zu einer positiven Verstärkung der Rehabilitationsmotivation. Nicht selten bedarf es trotz deutlicher Fortschritte im stationären Rehabilitationsverlauf einer Fortführung der Therapie unter ambulanten Bedingungen, damit die funktionellen Fähigkeiten weiter erhalten und ausgebaut werden können. Fehlen poststationäre Therapieangebote, droht bei einem Teil der geriatrischen Patienten wieder eine funktionelle Verschlechterung mit nachteiliger Auswirkung auf die Alltagskompetenz. 6.7
Spezielle Aspekte im Alter
6.7.1 Gesundheitsförderung im Alter Definition. Beim älteren Menschen in erster Linie Ausbau
vorhandener Funktionsreserven, die Wiedererlangung verloren gegangener Fähigkeiten und die psychosoziale Reintegration trotz körperlicher Einschränkungen. Damit umfasst Gesundheitsförderung im Alter Maßnahmen der primären, sekundären und tertiären Prävention (. Abb. 6.4). Speziell in der Geriatrie haben sich dabei der multidimensionale und interdisziplinäre Ansatz besonders bewährt (7 Kap. 6.6). Ein Beispiel für
190
Kapitel 6 · Medizin des Alterns und des alten Menschen
6
. Abb. 6.4. Präventironsstrategien und deren Ansatzpunkte im Entstehungsprozess von Beeinträchtigungen. (Mod. nach Verbrugge u. Jette 1994)
Gesundheitsförderung im Alter ist das Modell der präventiven Hausbesuche, die auf den Erhalt der Selbstständigkeit abzielen und mit Hilfe eines multidimensionalen Assessments eine risikoorientierte Beratung vor dem Hintergrund des individuellen Lebensumfeldes ermöglichen. 6.7.2 Pflegebedürftigkeit,
Pflegeversicherung Definition. Pflegebedürftig sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer für voraussichtlich mindestens 6 Monate in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Diese Definition der Pflegebedürftigkeit findet sich im § 14 des Sozialgesetzbuches SGB XI wieder. Ist davon auszugehen, dass ein solcher Tatbestand vorliegt, kann bei der zuständigen Pflegekasse durch jeden Bürger oder dessen Angehörige ein Antrag auf Feststellung von Pflegebedürftigkeit gestellt werden. Durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) wird nach eingehender Begutachtung und gemäß den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem 11. Buch des SGB die entsprechende Pflegestufe festgestellt.
> Wesentlich ist, dass Pflegebedürftigkeit gemäß der genannten Richtlinien keinen unveränderbaren Zustand darstellt, sondern einen Prozess widerspiegelt, der durch präventive, therapeutische und rehabilitative Maßnahmen sowie durch aktivierende Pflege beeinflussbar ist.
Nach den derzeit geltenden Richtlinien unterscheidet man drei Pflegestufen: 4 Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige): In mindestens zwei der drei Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität ist täglich Hilfe erforderlich. Ferner besteht mehrfach wöchentlich ein Unterstützungsbedarf in der Hauswirtschaft. Der Gesamtzeitaufwand im Tagesdurchschnitt muss mindestens 90 min betragen. Dabei müssen mehr als die Hälfte (mehr als 45 min) auf die Grundpflege entfallen. 4 Pflegestufe II (schwer Pflegebedürftige): Hier ist nun in Körperpflege, Ernährung und Mobilität mindestens 3-mal täglich zu verschiedenen Tageszeiten Hilfe erforderlich. Zusammen mit dem notwendigen Unterstützungsbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung muss der tägliche Zeitaufwand mindestens drei Stunden betragen, davon mindestens zwei Stunden auf die Grundpflege. 4 Pflegestufe III (schwerst Pflegebedürftige): Schwerst Pflegebedürftige sind Personen, die bei der Körperpflege, Ernährung und Mobilität täglich rund um die Uhr, also auch nachts, Hilfe benötigen.
191 6.7 · Spezielle Aspekte im Alter
Zusammen mit dem notwendigen Unterstützungsbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung muss der Zeitaufwand mindestens fünf Stunden betragen, davon mindestens vier Stunden im Bereich der Grundpflege. Sofern die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und die Pflegebedürftigkeit durch den MDK festgestellt wurde, können pflegebedürftige Personen und deren Pflegepersonen folgende Leistungen erhalten: 4 Leistungen bei häuslicher Pflege (Sach- und/oder Geldleistungen) 4 Ersatz und Verhinderungspflege 4 Pflegehilfsmittel 4 Tages- und Nachtpflege 4 Kurzzeitpflege 4 Vollstationäre Pflege 4 Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen Die Höhe der bewilligten Sach- und Geldleistungen ist von der festgestellten Pflegestufe abhängig. 6.7.3 Behandlung unheilbar Kranker,
Palliativmedizin, Behandlung Sterbender Geriatrie fühlt sich vor allem der Verbesserung der Lebensqualität verpflichtet. Dazu zählt nicht nur die Gewährleistung eines würdevollen Alterns, sondern auch die Ermöglichung eines würdevollen Sterbens. Im letzteren Sinne ist Geriatrie immer auch palliative Medizin, die in der »Todesnähe« vor allem die Kontrolle von Schmerzen und die Integration der psychischen, sozialen und seelsorgerischen Bedürfnisse des Patienten im Auge hat. Die zentralen Elemente palliativer Medizin in der Geriatrie sind: 4 Ganzheitliche Behandlung durch einen mehrdimensionalen Ansatz im interdisziplinären Team 4 Aktive Behandlung zur Gewährleistung physischer, psychischer, sozialer und spiritueller Bedürfnisse 4 Schmerz- und Symptomkontrolle, z. B. Angst, Atemnot, Erbrechen
6
4 Ausrichtung aller Handlungen an der Lebensqualität 5 Diagnostische Maßnahmen unter Beachtung therapeutischer Konsequenzen 5 Therapeutische Beeinflussung geriatrischer Syndrome 5 Beachtung des Patientenwillens (Selbstbestimmung) 4 Sicherstellung eines »sozialen Netzwerkes« durch Einbezug der Angehörigen 4 Akzeptanz des Todes als einen Teil des Lebens Im Rahmen des Schmerzmanagements ist wesentlich, dass den Schmerzangaben von kommunikativ oder kognitiv eingeschränkten Patienten Glauben geschenkt bzw. diese mit der nötigen Sensibilität befragt und beobachtet werden. > Palliativmedizin in der Geriatrie bedeutet eine aktive ganzheitliche Behandlung hochaltriger Menschen, deren Leiden nicht auf kurative Behandlung anspricht, aber alle Elemente der Altersmedizin einsetzt, um die bestmögliche Lebensqualität für die Patienten und deren Familien zu erreichen.
Befragt man Menschen über ihren bevorzugten Sterbeort, so wünschen sich die meisten Personen einen Tod im häuslichen Umfeld unter Begleitung der eigenen Familie oder Freunde. Dem steht entgegen, dass derzeit 70% der älteren Menschen in Krankenhäusern oder Pflegeheimen versterben. Zur Wahrung der eigenen Autonomie und Patientenrechte besteht die Möglichkeit einer Patientenverfügung. Patientenverfügungen sind schriftliche oder mündliche Willensäußerungen eines entscheidungsfähigen Patienten, der seine zukünftige medizinische Behandlung für den Fall der Äußerungsunfähigkeit festlegt. Mit der Patientenverfügung kann also bestimmt werden, ob und in welchem Umfang bei einer Person in bestimmten Krankheitssituationen medizinische Maßnahmen ergriffen oder unterlassen werden sollen (z. B. künstliche Ernährung, künstliche Beatmung etc.). Wer eine Patientenverfügung treffen möchte, sollte diese jedoch in regelmäßigen Abständen (z. B. jährlich) aktualisieren, da sich Veränderungen in den eigenen Wertvorstellungen auch im geäußerten Patientenwillen niederschlagen können.
7 Notfallmedizin U.P. Herrmann, A. Ehrt 7.1
Einführung
–194
7.2
Notfallmedizinische Diagnostik
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5
Anamnese –194 Klinische Untersuchung –196 Apparative Untersuchungsmöglichkeiten Monitoring –198 Todesfeststellung –198
–194
7.3
Notfallmedizinische Basisfertigkeiten
7.3.1 7.3.2 7.3.3
Rettung –199 Triage –199 Lagerung –199
7.4
Sicherung der Atemwege, Intubation, Beatmung
7.4.1 7.4.2 7.4.3
Sicherung der Atemwege Beatmung –203 Intubation –204
7.5
Medikamentenapplikation –206
7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4
Zugänge –206 Häufig benötigte Notfallmedikamente –207 Infusionstherapie –207 Narkose –210
7.6
Kardiopulmonale Reanimation
–197
–199
–210
7.7
Vitalfunktionsstörungen –212
7.7.1 7.7.2 7.7.3 7.7.4
Störungen der Atmung –212 Störungen der Herz-Kreislauf-Funktion –215 Störungen des Bewusstseins –221 Störungen der Homöostase –224
7.8
Neuropsychiatrische Notfälle
–225
7.9
Notfallmedizin bei Schwangeren und Kindern
7.9.1 7.9.2
Notfälle in der Schwangerschaft Pädiatrische Notfälle –228
7.10 Traumatologische Notfälle
–227
–227
–230
7.10.1 Versorgung –230 7.10.2 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) –231 7.10.3 Wirbelsäulenverletzung, Rückenmarksverletzung –231 7.10.4 Thoraxtrauma –232 7.10.5 Ertrinken, Beinaheertrinken –232 7.10.6 Verbrennung –232 7.10.7 Erfrierung, Unterkühlung –233 7.10.8 Insolation –234 7.10.9 Elektrounfälle, Schäden durch elektrischen Strom –234 7.10.10 Verätzungen –234
7.11 Intoxikationen
–234
–203
–203
194
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Unter Notfallmedizin wird insbesondere der präklinische Teil der Versorgung verstanden, also die medizinische Versorgung des Patienten, bevor er das Krankenhaus erreicht. Es handelt sich dabei um die (An-)Behandlung von akuten, lebensbedrohenden Erkrankungen/Situationen.
Einführung
7.1
Definition. Ein Notfall ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, das eine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit des Patienten bedeutet. Vitale Funktionen (Herz-Kreislauf, Atmung, Hirnfunktion) sind durch Verletzung oder akute Erkrankung bedroht, gestört oder ausgefallen.
7
> Vitalfunktionen: Herz-Kreislauf-System, Atmung, Hirnfunktion
Der optimale Ablauf der Hilfeleistung in einer Notfallsituation verläuft nach der sog. Rettungskette: 4 Sofortmaßnahmen durch Laien bzw. Ersthelfer 4 Notruf 4 Erste Hilfe 4 Medizinische Erstversorgung durch den Rettungsdienst (Rettungssanitäter, Rettungsassistent, Notarzt) 4 Schonender Transport 4 Fachbehandlung in entsprechend geeigneter und nächstliegender Klinik
Definitionen aus DIN 13050 Der Rettungsdienst ist eine öffentliche Aufgabe der Gesundheitsvorsorge und der Gefahrenabwehr; er gliedert sich in Notfallrettung und Krankentransport. Notfallrettung ist organisierte Hilfe, die in ärztlicher Verantwortlichkeit erfolgt und die Aufgabe hat, bei Notfallpatienten am Notfallort lebensrettende Maßnahmen durchzuführen, ihre Transportfähigkeit herzustellen und diese Patienten unter Aufrechterhaltung der Transportfähigkeit und Vermeidung weiterer Schäden in eine geeignete Gesundheitseinrichtung/Krankenhaus zu befördern.
Um das Gesundheitssystem nicht unnötig zu belasten, sollte jeder Arzt die Unterschiede der möglichen Versorgung und Transportmittel kennen. Notfallmedizin bedeutet, möglichst schnell die Situation zu erkennen und zu überschauen. Dann muss zügig dafür gesorgt werden, dass die Vitalfunktionen des Patienten aufrechterhalten oder wieder hergestellt werden. Es muss mit geringer Ausstattung, teils durch Improvisation, schnell und effizient gehandelt werden. Der notfallmäßige Ablauf am Patienten verläuft primär immer nach dem gleichen Schema: 4 Inspektion des Patienten und der Umgebung 4 Anamnese (evtl. nur Fremdanamnese möglich) 4 Klinische Untersuchung 4 Notfallmaßnahmen 4 Abtransport zur weiteren Versorgung in der entsprechenden Fachklinik 7.2
Inhalte eines Notrufs (W-Fragen) 4 4 4 4 4 4
Wer setzt den Notruf ab? Wo ist der Notfall? Wie viele Patienten? Welche Art der Erkrankung/Verletzung? Welche Fahrzeuge werden benötigt? Zusatzinfo: Hausarzt, anderer Arzt vor Ort
Mögliche Einsatzfahrzeuge/Rettungsmittel im Rettungsdienst sind (. Tab. 7.1): 4 RTW: ReTtungsWagen 4 NEF: NotarztEinsatzFahrzeug (Transport des Patienten ist im NEF nicht möglich, dient nur als Notarztzubringer) 4 NAW: NotArztWagen (= RTW mit Notarzt) 4 ITW: IntensivTransportWagen 4 RTH: ReTtungsHubschrauber 4 ITH: IntensivTransportHubschrauber
Notfallmedizinische Diagnostik
7.2.1 Anamnese Die Anamnese in einer Notfallsituation muss kurz, knapp und symptomorientiert erhoben werden. Der Patient muss im Gespräch so geführt werden, dass er dem Helfer nur die essenziellen Informationen gibt. Die erste Inspektion muss auch das Umfeld umfassen: 4 Wie wird der Patient vorgefunden (sitzend, liegend, auf dem Fußboden etc.)? 4 Wie sieht die Umgebung aus (umgeworfene Möbel, herumliegende Medikamentenschachteln, Alkoholflaschen, Nadeln etc.)? 4 Wie riecht es im Raum? 4 Wie ist das optische Erscheinungsbild des Patienten (zyanotisch, dyspnoisch, blass, schweißnass, hochroter Kopf, ängstlich, panisch etc.)? Gezielte, systematische Fragen liefern wichtige Informationen:
195 7.2 · Notfallmedizinische Diagnostik
7
. Tab. 7.1. Transportmittel im Rettungsdienst Transportmittel
Besatzung
Ausstattung
Transport
RTW (Rettungswagen)
Mindestens 1 Rettungsassistent mit geeignetem Fahrer (Einweisung in Blaulichtfahrten etc.)
Notfallkoffer (Erwachsene/Kinder), EKG mit Pulsoxymetrie, Beatmungsplatte, Absaugung, Perfusoren, Medikamente (je nach Organisation unterschiedlich), Trage, Schaufeltrage, Schienensysteme (für jede Art von Fraktur)
Patiententransport möglich
NEF (Notarzteinsatzfahrzeug)
Notarzt mit Fahrer
Notfallkoffer (Erwachsene/Kinder), EKG mit Pulsoxymetrie, Sauerstoff, Absaugung, Medikamente (für jede Art von Notfall)
Patiententransport nicht möglich
NAW (Notarztwagen)
Notarzt plus RTW-Besatzung
Notfallkoffer (Erwachsene/Kinder), EKG mit Pulsoxymetrie, Beatmungsplatte, Absaugung, Perfusoren, Medikamente (für jede Art von Notfall), Trage, Schaufeltrage, Schienensysteme (für jede Art von Fraktur)
Patiententransport möglich
ITW (Intensivtransportwagen)
Notarzt mit Zusatzausbildung und RTW-Besatzung)
Notfallkoffer (Erwachsene/Kinder), EKG mit Pulsoxymetrie, Beatmungsplatte, Absaugung, Perfusoren, Medikamente (für jede Art von Notfall), Trage, Schaufeltrage, Schienensysteme (für jede Art von Fraktur)
Patiententransport möglich
RTH (Rettungshubschrauber)
Notarzt, Rettungsassistent, Flugbesatzung
Notfallkoffer (Erwachsene/Kinder), EKG mit Pulsoxymetrie, Beatmungsplatte, Absaugung, Perfusoren, Medikamente (für jede Art von Notfall), Trage, Schienensysteme (für jede Art von Fraktur)
Patiententransport möglich
ITH (Intensivtransporthubschrauber)
Notarzt mit Zusatzausbildung, sonst wie RTH
Notfallkoffer (Erwachsene/Kinder), EKG mit Pulsoxymetrie, Beatmungsplatte, Absaugung, Perfusoren, Medikamente (für jede Art von Notfall), Trage, Schienensysteme (für jede Art von Fraktur)
Patiententransport möglich
KTW (Krankentransportwagen)
Mindestens ein Rettungssanitäter mit geeignetem Fahrer
Notfallkoffer, Sauerstoff, Absaugung, Medikamente (sehr geringe Menge und Auswahl), Trage, Tragestuhl (je nach Fahrzeugmodell)
Patiententransport möglich
KTW: nur für den Transport stabiler Patienten gedacht, z. B. immobiler Patienten vom Altenheim zur Arztpraxis, Verlegung von Krankenhaus zu Krankenhaus etc., zumeist kleineres Auto, mit wenig Platz zum Arbeiten und mit geringerer Ausstattung, nur für unverhoffte Notfallsituationen während des Transportes ausgestattet.
4 Art und Dauer der Symptome 4 Schmerzen: Lokalisation, Ausstrahlung, wie sind sie (stechend, ziehend, drückend, brennend), Dauer bzw. Verlauf (permanent, intervallartig, kolikartig etc.) 4 Erstmaliges Auftreten 4 Kurz und knapp die Krankenvorgeschichte, ggf. alte Entlassungsbriefe aus Kliniken prüfen (sofern vorhanden) 4 Dauermedikation (Tablettenplan) 4 Allergien
> Während der Patient die notwendigen Informationen mitteilt, können parallel die Vitalwerte überprüft werden (Blutdruck/Puls).
Ist der Patient bewusstlos oder somnolent, ggf. auch nur verwirrt, muss sofort gehandelt werden: Die Vitalwerte (Puls, Blutdruck, Atmung) sind zu überprüfen, ggf. muss der Patient in die stabile Seitenlage gebracht und mit der Beatmung oder sogar Reanimation begonnen werden.
196
7
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Von Angehörigen, Nachbarn, Passanten etc. muss Auskunft über den bisherigen Gesundheits-/Krankheitszustand bzw. über den Unfallhergang (Fremdanamnese) eingeholt werden. Alte Arztbriefe und Medikamentenlisten oder Medikamentenschachteln (sofern vorhanden) sollten nach Möglichkeit immer mit in die Klinik genommen werden, um dort ein schnelles und effizientes Arbeiten zu unterstützen.
Augen/Pupillen bzw. der Pupillenlichtreaktion notwendig. Dabei sollte sowohl die direkte als auch die indirekte Pupillenreaktion getestet werden. Weiterhin sollte die Augen- und Gesichtsmotorik getestet werden (Backen aufblasen, Stirn runzeln, Zähne fest zusammenbeißen lassen). Die neurologischen Ausfällen oder Störungen müssen im Seitenvergleich getestet werden! Hierbei sollte nach und nach die Kraft und die Sensibilität geprüft werden.
7.2.2 Klinische Untersuchung
Neurologische Grad-Einteilung der Kraft 4 0 = Keine Muskelaktivität 4 1 = Sichtbare Muskelkontraktion ohne Bewegungseffekt 4 2 = Bewegung unter Ausschaltung der Schwerkraft 4 3 = Bewegung gegen die Schwerkraft 4 4 = Bewegung gegen Widerstand 4 5 = Normale Muskelkraft
Bereits während der Anamneseerhebung kann mit der klinischen Untersuchung begonnen werden: 4 Inspektion des Patienten: Aussehen (zyanotische Haut, blass, hochrot, schweißnass, offensichtliche Verletzungen etc.) 4 Überprüfung der Vitalwerte (Puls, Blutdruck) und der Atmung bzw. Sauerstoffsättigung Danach beginnt die symptomorientierte Untersuchung. Trotz Atemnot ist es oft auch in Notfallsituationen notwendig, in relativer Ruhe die Lungen auszukultieren und zu entscheiden, ob die Sauerstoffgabe über eine Nasensonde ausreicht, ob mehr Sauerstoff benötigt wird, d. h. eine Maske einzusetzen ist, oder ob der Patient sogar intubiert und beatmet werden muss. Bei Herzbeschwerden bzw. retrosternalen Schmerzen sollten EKG-Elektroden angelegt werden, damit schnell und effizient die Herzfrequenz und Regelmäßigkeit des Rhythmus abgelesen werden. Danach ist zu bestimmen um welche Rhythmusart es sich handelt, ob ein Herzschrittmacher vorhanden ist etc. Bei Bauchschmerzen muss das Abdomen vorsichtig und systematisch abgehört und abgetastet werden. Mit der Auskultation sollten Qualität und Quantität der Darmgeräusche über allen 4 Quadranten erfasst werden. Beim Palpieren ist zu klären, ob der Bauch weich oder gespannt ist, ob als Peritonitiszeichen eine generalisierte Abwehrspannung (brettharter Bauch) vorhanden ist. Auch auf pathologische Resistenzen ist zu achten (Raumforderungen, vergrößerte Leber etc.). Zu klären ist auch ob Schmerzen, dauerhaft oder nur auf Druck auslösbar sind und in welchem abdominellen Quadranten sich die Schmerzen befinden. Bei Narben beurteilt man das Aussehen (reizlos, gerötet, entzündet etc.). Sinnvollerweise wird erst auskultiert, da durch die Palpation reflektorische Darmgeräusche ausgelöst werden können. Bei Patienten, die Kopfschmerzen angeben, bewusstseinsgetrübt sind oder neurologische Ausfälle (z. B. Halbseitenlähmung) haben, ist die Prüfung der
Bei Prellungen, Zerrungen oder Frakturverdacht müssen die Sensibilität und die Motorik, auch der angrenzenden Gelenke, im Seitenvergleich geprüft werden. Dabei sollte die aktive, d. h. der Patient bewegt selbst, und die passive, d. h. das medizinische Personal prüft vorsichtig, Beweglichkeit getestet werden. ! Cave Bei Verletzungen oder möglichen Verletzungen der Wirbelsäule darf die Motorik nicht überprüft werden, sondern nur die Sensibilität.
Auch bei Luxationen ist Vorsicht geboten! Sofern keine sensiblen Ausfälle vorhanden sind, darf die Luxation nicht reponiert werden (Ausnahme Sprunggelenke), sondern ist die betroffene Extremität in Schienen zu lagern. Wenn sensible Ausfälle vorhanden sind, muss das Risiko einer sofortigen Reposition ohne Bildgebung genau abwogen werden. Eine ausreichende Analgesie des Patienten sowie eine Röntgenkontrolle vor und nach der Reposition sind unbedingt anzuraten. Im Zweifelsfall ist nach dem Prinzip »load and go« zu verfahren, d. h. die Luxation ist ausreichend zu schienen und der Patient schonend direkt in eine Fachklinik zu bringen. ! Cave Bei jeder Reposition können Nerven und Gefäße geschädigt, durchtrennt bzw. abgerissen werden! Massive, evtl. nicht sichtbare Blutungen können die Folge sein und z. B. zum Kompartmentsyndrom führen.
Bei offenen Verletzungen muss die Wunde vorsichtig inspiziert werden. Primär sind Größe und Tiefe der Wunde, sowie der mögliche Blutverlust abzuschätzen.
197 7.2 · Notfallmedizinische Diagnostik
Sichtbare penetrierende Fremdkörper sind steril abzudecken, vorsichtig zu verbinden und in der Klinik unter optimalen Bedingungen zu entfernen. Auch bei offenen Verletzungen muss die Sensibilität sofort geprüft werden, insbesondere bei tiefen Wunden. Bei Nervenbeteiligung sollte der Patient in einer Klinik mit Unfall- und neurochirurgischer Fachabteilung versorgt werden. ! Cave Bei sofortiger Entfernung von Fremdkörpern können starke Blutungen auftreten, die außerhalb der Klinik den Patienten gefährden.
7.2.3 Apparative
Untersuchungsmöglichkeiten In der Notfallmedizin stehen dem Arzt im Gegensatz zur Klinik nur wenige Apparate zur Verfügung. Neben Stethoskop und Blutdruckmanschette sind ein Defibrillator mit eingebautem EKG und externem Schrittmacher, ein Pulsoxymeter und ein Blutzuckermessgerät verfügbar. Blutdruckmanschette und Stethoskop ermöglichen die schnelle und vor allem unblutige Messung des Blutdruckes nach Scipione Riva-Rocci (RR).
7
Bei der Benutzung des Pulsoxymeters muss der Patient immer auch unabhängig vom Gerät beurteilt werden. Falsche Werte kann das Pulsoxymeter anzeigen bei: 4 Kohlenmonoxidvergiftung: Kohlenmonoxid hat das gleiche Absorptionsspektrum wie Sauerstoff und das Gerät zeigt in dem Fall bis zu 100% an, obwohl der Patient an massivem Sauerstoffmangel leidet. 4 Anämie 4 Feuchten, nassen oder kalten Fingern 4 Künstlichen oder verdickten Fingernägeln 4 Dunkler Hautfarbe 4 Dunklem oder dick aufgetragenem Nagellack ! Cave Alle Messwerte sollten durch Aussehen und Symptome des Patienten auf Plausibilität überprüft werden.
Ein Patient mit rosigen Lippen, normaler Atemfrequenz und Atemtiefe, der angibt, er bekomme genug Luft kann keine Sauerstoffsättigung von 60% haben. > Eine elementare Aufgabe der Notfallmedizin ist es, eine Sauerstoffmangelversorgung des Patienten zu vermeiden.
! Cave Ein Patient, der normalerweise Blutdruckwerte im hypertonen Bereich hat, kann durch Werte im Normbereich gefährdet sein.
Im Falle einer akuten, massiven Blutung im Bereich der Extremitäten kann nach Auflage steriler Kompressen mit Hilfe der Blutdruckmanschette ein wirkungsvoller Druckverband angelegt werden. Das Stethoskop ermöglicht die exakte Blutdruckmessung, die Beurteilung der Atmung und Darmtätigkeit. Auch ist das Stethoskop sehr hilfreich, wenn z. B. Kinder einen Gegenstand verschluckt haben und die ungefähre Lage des Gegenstandes festgestellt werden soll. Liegt der Gegenstand sehr tief, ist nur eine Lungenhälfte beeinträchtigt; liegt er höher, weisen beide Lungenhälften Funktionsstörungen auf. Mit dem Stethoskop können Spannungspneumothorax, Pneumothorax oder Atelektasen einer oder beider Lungenflügel diagnostiziert werden. Es wird beim Intubieren verwandt zur Lagebestimmung des Tubus (Trachea, Ösophagus). Bei abdomineller Problematik kann man mit Hilfe des Stethoskops zumindest ermittelt werden, ob die Peristaltik in allen 4 Quadranten vorhanden, lebhaft oder spärlich ist, oder ob sie in einem Bereich vollständig fehlt. Zur Anwendung und Handhabung des EKG bzw. Defibrillators 7 Kap. 7.2.4.
Aus diesem Grund führt jedes Rettungsdienstfahrzeug einen Notfallrespirator mit. Dieser ist zumeist auf eine sog. Beatmungsplatte montiert und verfügt häufig über 2 getrennte Funktionseinheiten: 4 Durch die Inhalationseinheit kann kontinuierlich Sauerstoff über eine Inhalationsmaske oder Nasenbrille/-sonde appliziert werden, wobei der Flow (Gasfluss) entweder stufenlos oder in vordefinierten Stufen regulierbar ist. 4 Die gängigen Beatmungsgeräte sind halboffene Systeme, d. h. eine Rückatmung der ausgeatmeten Luft wird durch die Ventilsteuerung des Patientenanschlussstücks verhindert. In der Regel verfügen sie nur über die Möglichkeit einer volumenkontrollierten Beatmung. Das bedeutet, man definiert das Volumen eines Atemzuges, entweder direkt oder als Quotient aus Atemminutenvolumen und Atemfrequenz. Dabei ist es wichtig, dass alle Geräte über eine Druckbegrenzung verfügen, welche frei wählbar ist und der Vermeidung von Überdruckschäden der Lunge dient. Wird die eingestellte Druckgrenze erreicht, bricht das Gerät den Atemzug ab und löst den technisch vorgeschriebenen sog. Stenosealarm aus. Lässt sich dagegen kein Druck im System aufbauen, wird der sog. Diskonnektionsalarm aktiviert. Zusätzlich muss bei zu niedrigem Betriebsdruck der
198
Kapitel 7 · Notfallmedizin
versorgenden Sauerstoffflasche Alarm ausgelöst werden. (Die drei Alarme sind nach Medizinproduktegesetz vorgeschrieben und müssen sowohl akustisch als auch optisch melden.) Neben den Einstellungsgrößen Atemfrequenz, Atemzugvolumen bzw. Atemminutenvolumen und Druckgrenze kann zudem noch die verabreichte Sauerstoffkonzentration eingestellt werden (100% Sauerstoff, Standardeinstellung in der Notfallmedizin bzw. 50% der Einatemluft aus der Flasche und 50% aus der Umluft, wobei die Einatemluft des Patienten dann, bei normaler Umgebungsluft, über 60,5% Sauerstoff verfügt).
. Tab. 7.2. Wichtige EKG-Normgrößen EKG-Abschnitt
Dauer in s
Amplitude in mV
P-Welle
0,05–0,10
0,1–0,3
PQ-Zeit (Beginn P bis Beginn Q)
HF 100: <0,16 HF 60: <0,20
– –
Q-Zacke
<0,04
<¼ R
QRS-Komplex
0,06–0,10
R: 0,6–2,6
T-Welle
7
Modernere Notfallrespiratoren verfügen auch über die Möglichkeit der druckkontrollierten Beatmung bzw. ermöglichen auch eine assistierte Beatmung. Weitere Bestandteile der Beatmungsplatte sind die Sauerstoffversorgung (zumeist 2 l-Flasche) und ein Zuführungssystem, welches mittels Druckminderer den Druck in der Sauerstoffflasche auf Gerätebetriebsdruck reduziert. Zudem ist eine Anschlussmöglichkeit an das Bordsauerstoffnetz des RTW vorhanden. Die Blutzuckermessung ist eine schnelle und sichere Möglichkeit eine häufige Ursache für eine Bewusstseinsstörung bzw. Bewusstlosigkeit (Hypoglykämie) zu verifizieren.
QT-Strecke (Beginn Q bis Ende T)
1/8–2/3 R/S HF 100: 0,30 HF 60: 0,40
– –
HF = Herzfrequenz
Bei der EKG-Diagnostik sind Fehlerquellen, z. B. Muskelzittern, Wechselstrom, lockere Elektroden, Wackelkontakt, Niedervoltage (abnorm kleine Amplituden der QRS-Komplexe im EKG), falsche Ableitung zu beachten (. Tab. 7.2). ! Cave
Rechtslage Bei jeder Blutzuckermessung, beim Legen einer Braunüle oder bei einer Blutabnahme handelt es sich im rechtlichen Sinne um eine Körperverletzung, da es invasive Maßnahmen sind. Eigentlich sind deshalb vorab eine Aufklärung über Risiken und Nutzen der Maßnahme sowie das Einholen des Einverständnisses notwendig. In Notfallsituationen, in denen der Patient bewusstlos oder »unzurechnungsfähig« ist, geht man von seinem stillschweigenden Einverständnis aus.
7.2.4 Monitoring Das Monitoring eines Patienten ermöglicht 4 die ununterbrochene Überwachung der Vitalfunktionen, 4 die zügige Registrierung einer Zustandsverschlechterung, 4 die Überprüfung einer Maßnahme (Reanimation, Medikamente etc.) auf Erfolg. Präklinisch ist die Kombination von Pulsoxymetrie und EKG und Blutdruckmessung am hilfreichsten, da sie sowohl über die Herzaktion, die Herzfrequenz, die Kreislaufsituation als auch die Sauerstoffsättigung Auskunft gibt.
Eine falsche EKG-Diagnostik kann für den Patienten zu fatalen Folgen aufgrund einer falschen Therapie führen.
7.2.5 Todesfeststellung Die Feststellung des Todes und die Leichenschau sind ärztliche Tätigkeiten.
Sichere Todeszeichen 4 Totenflecken (Livores) erscheinen 30 min bis 1 h nach Eintritt des Todes 4 Leichenstarre (Rigor mortis) beginnt meist 4– 12 h nach Eintritt des Todes an den Unterkiefer-, Hals- und Nackenmuskeln, steigt abwärts und verschwindet nach 1–6 Tagen bei Eintritt der Fäulnis in derselben Reihenfolge wieder 4 Fäulnis und Verwesung beginnen 1–6 Tage nach Eintritt des Todes, abhängig von Temperatur, Ort etc. 4 Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind (z. B. Kopfabtrennung) 6
199 7.3 · Notfallmedizinische Basisfertigkeiten
Unsichere Todeszeichen 4 4 4 4 4 4 4
Bewusstlosigkeit Atemstillstand Pulslosigkeit Weite, lichtstarre Pupillen Reflexlosigkeit Hypothermie Null-Linien-EKG
Bei folgenden Notfällen sollte die Möglichkeit des Scheintodes (Vita reducta, minima) bedacht werden (BEACHTEN): 4 Badeunfall/Unterkühlung 4 Elektrizität 4 Alkoholvergiftung 4 Coma/CO-Vergiftung 4 Hirnblutung 4 Trauma 4 Epilepsie 4 Narkotika-/Schlafmittelvergiftung > Im Rahmen notfallmedizinischer Diagnostik müssen mit minimalen Möglichkeiten oft weitreichende Entscheidungen getroffen werden.
In der Notfallmedizin wird immer symptomorientiert vorgegangen, d. h. Anamnese, klinische Untersuchung und Maßnahmen richten sich nach den angegebenen Symptomen. Es muss dabei abgewogen werden, ob die angegebenen Vorerkrankungen mit dem aktuellen Ereignis etwas zu tun haben oder nicht. 7.3
Notfallmedizinische Basisfertigkeiten
7.3.1 Rettung Definition. Rettung: Sicherstellung von Verletzten. Bergung: Sicherstellung von Toten. > Eigenschutz geht immer vor, kein Patient hat von einem verletzten oder toten Retter einen Nutzen.
Im Zweifelsfall sollte immer auf Polizei oder Feuerwehr gewartet werden, damit diese die Rettung absichern können. Wann immer möglich, muss der Patient an einen arbeitstechnisch günstigen Ort gebracht werden, Helfer und Patient profitiert davon. Die häufigste zur Rettung eingesetzte Technik ist der Rautek-Rettungsgriff (. Abb. 7.1).
7
Nach Herstellung einer stabilen Situation für den Patienten wird der Patient in den Rettungswagen bzw. ins Krankenhaus verbracht: 4 Der Patient läuft selbst. 4 Der Patient wird transportiert mit Hilfe 5 eines Tragestuhls, 5 eines Bergetuches, 5 einer Schaufeltrage (. Abb. 7.2), 5 eines Aufsatzes der Trage und einer Drehleiter, 5 eines Rettungshubschraubers. 7.3.2 Triage Definition. Sichtung, Sortierung und Versorgung von
Patienten abhängig von ihrem Verletzungsgrad bei Großschadensereignissen, wenn einer Vielzahl von Verletzten nur eine begrenzte Anzahl an Helfern gegenübersteht. Dafür sind Sichtungskategorien definiert: 4 Behandlungspriorität: unmittelbare vitale Bedrohung, lebensrettende Sofortmaßnahmen unmittelbar notwendig, Patient nicht transportfähig 4 Transportpriorität: frühestmöglicher Transport nach Stabilisierung, z. B. zur operativen Versorgung 4 Leichtverletzte: verzögerte, minimale Therapie bzw. aufgeschobener Transport 4 Tote: im Katastrophenschutz (KatS) u. U. auch abwartende palliative Behandlung Sterbender 7.3.3 Lagerung Zunächst ist der Patient, unter Beachtung des Eigenschutzes so schonend wie möglich aus einer Gefahrenzone zu retten. Erst danach kann mit der Behandlung und Lagerung begonnen werden. Eine gute Lagerung vermindert z. B. Schmerzen oder bewahrt den Patienten vor möglicher Aspiration. Gegebenenfalls ist die richtige Lagerung wichtig, um Gewebe zu schützen bzw. zu retten, z. B. bei der Extremitätentieflagerung bei akutem peripherem arteriellem Verschluss. Oftmals lagert der Patient sich intuitiv bestmöglich, z. B. bei akuter Atemnot wird sich kein Patient flach legen. Stets sollte, sofern möglich, auf Patientenwünsche Rücksicht genommen werden. Unterschieden werden: 4 Stabile Seitenlage: bei Bewusstlosigkeit mit ausreichender Spontanatmung, Ausnahme: HWS-Verletzung (. Abb. 7.3) 4 Oberkörperhochlagerung 5 45°–90° erhöht: bei Atemnot zusätzlicher Einsatz der Atemhilfsmuskulatur (das Zwerchfell
200
Kapitel 7 · Notfallmedizin
7
. Abb. 7.1. Rautek-Griff. Der Helfer greift von hinten unter beiden Achseln des Patienten hindurch und umfasst mit beiden Händen einen quer über den Thorax abgewinkelten Arm des Patienten. Der Patient wird auf den Oberschenkeln des Helfers abgestützt und kann von diesem, rückwärts
gehend, über kurze Strecken transportiert werden. Aufgrund schwerwiegender Komplikationsmöglichkeiten (Armoder Rippenfrakturen) darf der Rautek-Griff nur dann angewandt werden, wenn andere, sicherere Transportformen unmöglich sind
201 7.3 · Notfallmedizinische Basisfertigkeiten
. Abb. 7.2. Schaufeltrage. Die Trage lässt sich in der Mitte der Längsachse auseinander nehmen und wieder zusammensetzen
. Abb. 7.3. Durchführung der stabilen Seitenlagerung
7
202
7
Kapitel 7 · Notfallmedizin
tritt tiefer, Druck der Bauchorgange auf die Lunge verringert sich) 5 45°–90° erhöht plus herabhängende Beine: bei Lungenödem (die Lunge wird entlastet, da der Lungenkreislauf entlastet wird) 5 45°–90° erhöht und Lagerung auf verletzter Seite: Thoraxtrauma (die verletzte Thoraxseite wird so ruhig gestellt, es führt zur Schmerzlinderung und die Atmung der unverletzten Seite wird erleichtert/verbessert) 5 30° erhöht: bei kardiogenem Schock, hypertensiver Krise, Schädel-Hirn-Trauma (Hirndruck, zentral-venöser Druck werden gesenkt) 4 Schocklagerung: Hochlagerung der Beine 45°–90° je nach Schockstärke, bei kardiogenem Schock kontraindiziert (Autotransfusion, dadurch Durchblutungserhöhung lebenswichtiger Organe, . Abb. 7.4)
. Abb. 7.4a–c. Schocklagerung. a Hochlegen oder Hochhalten der Beine. b Kopftieflagerung bei 15° (Trendelenburg-Lagerung) c Schocklagerung in Seitenlage
4 Extremitätenhochlagerung: bei akutem peripherem Venenverschluss, peripherer Blutung (Verminderung der Durchblutung) 4 Extremitätentieflagerung: bei akutem peripherem Arterienverschluss (Erhöhung der Durchblutung) 4 Knierolle: bei akutem Abdomen, Adominaltraumen (Entspannung der Bauchdecke) 4 Bauchlagerung: bei Gesichtsschädeltraumen Kissen oder ähnliches unter die Brust legen (Schmerzvermeidung, Blut und Sekret können so frei ablaufen) 4 Linksseitenlage: bei Vena-cava-Kompressionssyndrom, manche Schwangere bevorzugen allerdings die rechte Seite! (unbeschwerter Blutfluss der Vena cava) 4 Lagerung nach Fritsch: bei vaginalen Blutungen, Rückenlage mit steriler Scheidenvorlage und überkreuzten Beinen (Infektionsschutz, schnelles Erkennen massiver Blutungen)
203 7.4 · Sicherung der Atemwege, Intubation, Beatmung
7
4 Ruhigstellung: bei Verdacht auf und tatsächlichen knöchernen bzw. die Extremitäten betreffenden Verletzungen mittels Verband, Polster, Schienen oder Vakuummatratze. Offene Wunden müssen zuerst versorgt und steril abgedeckt werden 7.4
Sicherung der Atemwege, Intubation, Beatmung
Beeinträchtigungen der Atmung können durch Störungen der oberen Luftwege (Nase, Rachen) oder der unteren Luftwege (Kehlkopf, Trachea, Bronchialsystem/ Lunge) entstehen (7 Kap. 7.7.1). 7.4.1 Sicherung der Atemwege Das Freimachen bzw. Freihalten der Atemwege kann in Notfallsituationen häufig schwierig bzw. unmöglich sein. In vielen Fällen reichen einfach und schnell durchzuführende Maßnahmen wie das Einlegen eines Guedel-Tubus bzw. der Esmarch-Handgriff aus, jedoch können Frakturen, eingeschränkte Lagerungsmöglickeiten, aber auch mangelnde Erfahrung die Situation komplizieren. Zur Sicherung der Atemwege dient primär das Öffnen des Patientenmundes (Zangengriff) und das manuelle Ausräumen bzw. Absaugen mit Absaugkatheter und Absaugpumpe. > Beim digitalen Ausräumen der Mundhöhle dürfen auch beim bewusstlosen Patienten weder Handschuhe noch Beißschutz vergessen werden.
Zum Freimachen der Atemwege dient auch der Esmarch-Heiberg-Handgriff. Hierbei wird der Unterkiefer bei rekliniertem Kopf so vorgeschoben, dass die untere Zahnreihe vor die obere kommt, womit eine Glossoptose (Zurückfallen des Zungengrundes) verhindert wird. ! Cave Bei Ausübung des Esmarch-Heiberg-Handgriffes nicht die Karotis abdrücken.
Etwas tieferliegende Fremdkörper lassen sich möglicherweise mit Hilfe einer Magill-Zange entfernen. Dies sollte jedoch nur unter laryngoskopischer Sicht versucht werden, um ein tieferes Abrutschen des Fremdkörpers zu vermeiden. Schläge mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter können ebenso hilfreich sein wie die Anwendung des sog. Heimlich-Manövers (Druckstöße in den Oberbauch), bei dem jedoch die Gefahr ernsthafter Verletzungen innerer Organe (z. B. Leber, Milz) besteht (. Abb. 7.5).
. Abb. 7.5a,b. Heimlich-Handgriff. a Beim bewusstseinsklaren Patienten im Stehen, b beim liegenden Patienten
7.4.2 Beatmung Zu den Verfahren den Patienten zu beatmen, d. h. ihm von außen Luft bzw. Sauerstoff zuzuführen bzw. seine verminderte Atmung zu unterstützen, gehören: 4 Mund-zu-Mund-Beatmung 4 Mund-zu-Nase-Beatmung 4 Maske-Beutelbeatmung 4 Maschinelle Beatmung (Maske, Intubation) Dem Patienten darf weder zu schnell noch zu viel Luft zugeführt werden, um das Risiko einer Aspiration zu vermindern.
204
Kapitel 7 · Notfallmedizin
7.4.3 Intubation
! Cave Die Beatmung sollte immer unter Absaugbereitschaft erfolgen, da es bei Überblähung des Magens zum Erbrechen mit der Gefahr der Aspiration kommen kann.
Durch ein möglichst dicht sitzendes System kann der Patient bestmöglich oxygeniert werden.
Die Intubation kann erfolgen mittels 4 Oropharyngealtubus (Guedel-Tubus, Life-wayTubus, . Abb. 7.6) 4 Nasopharyngealtubus (Wendl-Tubus, . Abb. 7.7) 4 Larynxmaske (. Abb. 7.8) 4 Endotrachealtubus
a
b
7
. Abb. 7.6a,b. Guedel-Tubus. a Der Tubus wird zunächst so in den geöffneten Mund eingeführt, dass die konkave Seite nach oben zur Nase zeigt. b Nach einigen cm (beim Erwachse-
a
nen etwa 5 cm) wird der Tubus um 180° gedreht und bis zum Anschlag vorgeschoben. Jetzt weist die konkave Seite nach unten und untertunnelt die Zunge
b
. Abb. 7.7. Wendl-Tubus: Der Tubus wird unter vorsichtigem Drehen und sanftem Druck durch ein Nasenloch in den Rachen vorgeschoben
205 7.4 · Sicherung der Atemwege, Intubation, Beatmung
a
b
c
d
7
. Abb. 7.8a–d. Verwendung der Larynxmaske. a Larynxmaske, b Einführen der Larynxmaske, c Anschluss des Beatmungsbeutels, d Lage der Larynxmaske im Hypopharynx
> Der Endotrachealtubus ist der einzige Tubus, der einen sicheren Makro-Aspirationsschutz bietet.
Oro- und Nasopharyngealtuben benötigen außer Gleitgel keine weiteren Hilfsmittel. Zur endotrachealen Intubation wird benötigt: 4 Der Tubus selbst 4 Laryngoskop 4 Blockungsspritze 4 Führungsstab (Mandrin) 4 Magill-Zange 4 Absauganlage 4 Stethoskop
4 4 4 4 4
Guedel-Tubus oder zumindest Beißkeil Fixiermaterial Lidocaingel Beatmungsbeutel mit Maske Narkotikum
Die ausreichende Oxygenierung jedes Patienten ist extrem wichtig zum Erhalt sämtlicher Organfunktionen. Sie kann im geringsten Fall mit Freimachung der Atemwege und im Extremfall mit Intubation und Beatmung erreicht werden. Mangelnde Sauerstoffsättigung wird schnell sichtbar durch Zyanose der Lippen und der Finger- und Zehenspitzen (periphere Zyanose) bzw. Zunge
206
Kapitel 7 · Notfallmedizin
und Mundschleimhäute (zentrale Zyanose). Die Rekapillarisierung ist hierbei aufgrund einer beginnenden Zentralisierung des Kreislaufs vermindert. Die apparative Sauerstoffsättigung sollte nach Möglichkeit immer über 90% liegen, um eine Minderversorgung des Gehirns zu vermeiden. 7.5
Medikamentenapplikation
7.5.1 Zugänge
7
Die im Notfall genutzten invasiven Zugänge sind mit abnehmender Häufigkeit periphervenös, intraossär, zentralvenös, intramuskulär, subkutan. Daneben bestehen nicht-invasive Applikationsmöglichkeiten: 4 Endobronchial: bronchialwirksame Sprays wie Fenoterol und Reproterol, (Bronchienerweiterung), Dexamethason und Budesonid (antiexsudativ, -inflammatorisch, -proliferativ, immunsuppressiv), Adrenalin ( zur kardiopulmonalen Reanimation) 4 Per os: bei oralen Vergiftungen, z. B. Kohle zur Giftbindung, Simethicon zur Verhinderung von Schaumbildung 4 Sublingual: Glyceroltrinitrat-Spray oder Kapseln (O2-Verbrauchsenkung, Gefäßerweiterung) 4 Rektal: vor allem bei Kindern Diazepam und Chloralhydrat (sedierend, krampflösend), Paracetamol (analgetisch, antipyretisch) 4 Nasal: vor allem bei Kindern Midazolam (sedierend, antikonvulsiv) Periphervenöser Zugang Beim Legen eines periphervenösen Zugangs sollte immer von distal begonnen werden, d. h. erst den Zugang am Handrücken versuchen zu legen, dann am Unterarm, dann in der Ellenbeuge. > Gerade in einer Notfallsituation muss der periphervenöse Zugang auch am Fuß des Patienten in Betracht gezogen werden.
Zum Legen wird benötigt: 4 Venenverweilkanüle 4 Stauschlauch, Blutdruckmanschette oder Gummihandschuh 4 Desinfektionsmittel 4 Tupfer 4 Pflaster 4 Vorbereitete Infusion
Venenverweilkanülen (Durchmesser in Gauge) 4 blau: 22 G, Durchflussrate wässrige Infusion: 31 ml/min 4 rosa: 20 G, Durchflussrate wässrige Infusion: 54 ml/min 4 grün: 18 G, Durchflussrate wässrige Infusion: 80 ml/ min 4 weiß: 17 G, Durchflussrate wässrige Infusion: 125 ml/ min 4 grau: 16 G, Durchflussrate wässrige Infusion: 180 ml/ min 4 braun/orange: 14 G, Durchflussrate wässrige Infusion: 270 ml/min
Zentralvenöser Zugang (ZVK) Der ZVK endet direkt in der V. cava superior vor dem rechten Vorhof. Im Notfall sollte er nur gelegt werden, wenn kein peripherer Zugang möglich ist, z. B. bei Verbrennungen, traumatisierten Extremitäten, Schock. Der Zugang erfolgt über die V. basilica, V. subclavia, V. jugularis externa oder V. jugularis interna. Zum Legen wird benötigt: 4 Katheterset 4 Desinfektionsmittel 4 Sterile Tupfer 4 Sterile Handschuhe 4 Steriles Lochtuch 4 Lokalanästhetikum 4 Nahtmaterial 4 Fixiermaterial 4 Vorbereitete Infusion Zur Durchführung wird unter möglichst sterilen Bedingungen ein Plastikkatheter in die Einmündung der oberen Hohlvene in den rechten Vorhof eingeführt. Die Punktionsstelle wird betäubt und der Katheter nach Punktion der Vene per Seldinger-Technik eingeführt. Der ZVK wird mittels Naht fixiert. Erst wird über jeden Schenkel Blut aspiriert, danach mit isotoner Kochsalzlösung gespült. Bei der Seldinger-Technik wird mit einer Stahlkanüle punktiert und über diese ein sog. Seldinger-Draht eingeführt und die Stahlkanüle über den Draht entfernt. Über den Seldinger-Draht wird dann die Kunststoffkanüle vorgeschoben und der Draht danach entfernt. ! Cave Die korrekte Lage des ZVK muss radiologisch kontrolliert werden.
Mögliche Komplikationen sind: 4 Arterielle Fehlpunktion 4 Verletzung des Plexus brachialis 4 Verletzung der Lymphgefäße 4 Pneumothorax
207 7.5 · Medikamentenapplikation
4 4 4 4 4 4 4
Luftembolie Verletzung des Halssympathikus Herzrhythmusstörungen Infektionen Thrombosierung Katheterembolie Myokardperforation
Intraossärer Zugang Der intraossäre Zugang wird vor allem bei Kindern, jedoch weniger bei Neugeborenen gewählt. Zum Legen wird benötigt: 4 Intraossäre Punktionskanüle 4 Desinfektionsmittel 4 Sterile Tupfer 4 Sterile Handschuhe 4 Eventuell Spritze mit Lokalanästhetikum 4 Knierolle Die Aspiration von Blut bzw. Knochenmarksbestandteilen ist im Schock nicht immer möglich. ! Cave Präklinisch gelegte intraossäre Kanülen sollten wegen der sehr hohen Infektionsgefahr erst wieder in der Klinik entfernt werden.
7.5.2 Häufig benötigte
Notfallmedikamente Zu Wirkstoffen, Indikationen und Dosierungen häufig benötigter Notfallmedikamenten . Tab. 7.3. 7.5.3 Infusionstherapie Zur Anwendung kommen: 4 Vollelektrolytlösung (VEL) kristalloid (z. B. Ringer-Lösung, Jonosteril, Sterofundin): dient dem Ausgleich von Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten verschiedener Genese (z. B. Blutungen, Verbrennungen, Durchfälle etc), hat allerdings nur eine kurze Volumenwirkdauer. Die Dosierung erfolgt abhängig vom Ausmaß des Volumenmangels und der Kreislaufverhältnisse, wobei auf Grunderkrankungen wie Herzinsuffizienz Rücksicht genommen werden muss. 4 Volumenersatzmittel, kolloidal (z. B. HAES-steril): dienen zum Ausgleich von Blut- und Plasmaverlusten, beim Volumenmangelschock und bei Störungen der Mikrozirkulation. Dosierung je nach Verlust bis zu 50 ml/kg KG/Tag sowie zusätzlich Vollelektrolytlösung etwa im Verhältnis 2:1.
. Tab. 7.3. Häufig benötigte Notfallmedikamente Wirkstoff
Indikationen
Dosierung (70 kg KG Standardpatient)
Azetylsalizylsäure
Herzinfarkt
500 mg i.v.
Adrenalin
Herz-Kreislauf-Stillstand
1 mg alle 3 min i.v.
Anaphylaxie
0,1-mg-weise i.v. titriert
Symptomatische Bradykardie
2–10 μg/min
Symptomatische Bradykardie
0,5–1 mg i.v.
Asystolie
3 mg einmalig i.v.
Butylscopolamin
Koliken
20–40 mg i.v.
Cimetidin
Anaphylaxie
200–400 mg i.v.
Clemastin
Anaphylaxie
1–2 mg i.v.
Dexamethason
Anaphylaxie
100 mg i.v.
Diazepam
Krampfanfall
10–20 mg i.v.
Sedierung
5–10 mg i.v.
Anaphylaxie
4–8 mg i.v.
Atropin
Dimetinden
6
7
208
Kapitel 7 · Notfallmedizin
. Tab. 7.3 (Fortsetzung) Wirkstoff
Indikationen
Dosierung (70 kg KG Standardpatient)
Dobutamin
Low-output-Syndrom
8–40 mg/h i.v.
Kardiogener Schock
8–40 mg/h i.v.
Low-output-Syndrom
8–40 mg/h i.v.
Kardiogener Schock
8–40 mg/h i.v.
Supraventrikuläre Tachykardie
Initial: 35 mg i.v. Erhalt: 210 mg/h i.v.
Hypertensive Krise
Initial: 35 mg i.v. Erhalt: 210 mg/h i.v.
Orthostatische Dysregulation
2–10 mg i.v. (verdünnt)
Hypotonie
2–10 mg i.v. (verdünnt)
Kurznarkose
10–20 mg i.v.
Narkoseeinleitung
10–20 mg i.v.
Fenoterol i.v.
Notfalltokolyse
0,05–0,25 mg/h i.v.
Fenoterol Spray
Asthma bronchiale
1–2 Hübe à 0,2 mg
Fentanyl
Analgesie
0,05–0,1 mg i.v.
Narkose
0,25–0,5 mg i.v.
Herzinsuffizienz
20–80 mg i.v.
Lungenödem
20–80 mg i.v.
Glukose
Hypoglykämie
8–16 i.v. (unverdünnt)
Glyzeroltrinitrat sublingual
Angina pectoris
1–2 Hübe à 0,4 mg
Herzinfarkt
1–2 Hübe à 0,4 mg
Hypertonus
1–2 Hübe à 0,4 mg
Linksherzinsuffizienz
1–2 Hübe à 0,4 mg
Hypertensive Krise mit kardiogener Dekompensation
2–12mg/h i.v.
Herzinfarkt
2–12mg/h i.v.
Instabile Angina pectoris
2–12mg/h i.v.
Haloperidol
Akute psychotische Syndrome
5–10 mg i.v.
Heparin
Thrombose
5000–10.000 IE i.v.
Embolie
5000–10.000 IE i.v.
Akuter Herzinfarkt
5000–10.000 IE i.v.
Dopamin
Esmolol
7
Etilefrin
Etomidat
Furosemid
Glyzeroltrinitrat i.v.
6
209 7.5 · Medikamentenapplikation
. Tab. 7.3 (Fortsetzung) Wirkstoff
Indikationen
Dosierung (70 kg KG Standardpatient)
Ketamin (Racemat)
Analgesie
15–35 mg i.v.
Narkose
35–140 mg i.v.
Analgesie
8–15 mg i.v.
Narkose
35–70 mg i.v.
Lorazepam
Krampfanfall
2 mg über 1 min i.v. (verdünnt)
Magnesiumsulfat
(Prä-)Eklampsie
1–3 g i.v.
Torsade de pointes
1,25 g i.v.
Ventrikuläre Tachykardie
0,5–1 g i.v.
Herzinfarkt
0,5–1 g i.v.
Analgesie
0,7–2 g i.v. als Kurzinfusion
Koliken
0,7–2 g i.v. als Kurzinfusion
Rückenmarkstrauma
2 i.v. als Kurzinfusion
Anaphylaxie
250–500 mg i.v.
Sedierung
1–5 mg i.v.
Narkoseeinleitung
5–10 mg i.v.
Krampfanfall
5–10 mg i.v.
Morphin
Analgesie
3–5 mg i.v.
Nitrendipin
Hypertensive Krise
5 mg p.o.
Noradrenalin
Therapieresistenter Blutdruckabfall
0,06–0,40 mg/h i.v.
Reproterol
Asthma bronchiale
0,09 mg i.v.
Bronchospasmen
0,09 mg i.v.
Reteplase
Thrombolyse
10 U über 1–2 min i.v.
Suxamethonium
Muskelrelaxation
70–140 mg i.v.
Tenecteplase
Thrombolyse
8000 U über 1–2 min i.v.
Theophyllin
Asthmaanfall
Ohne Theophyllin-Vormedikation 350 mg i.v. als Kurzinfusion Mit Theophyllin-Vormedikation 140– 210 mg i.v. als Kurzinfusion
Thiopental
Narkoseeinleitung
300–400 mg i.v.
Urapidil
Hypertensive Krise
10–50 mg i.v.
Ketamin S (+)
Metamizol
Methylprednisolon
Midazolam
7
210
Kapitel 7 · Notfallmedizin
4 Volumenersatzmittel, hyperosmolar (z. B. HyperHAES, 7,2% NaCl): bei akuten schweren (traumatisch/hämorrhagischen) Hypovolämien bzw. beim Volumenmangelschock zu verwenden. Einmalige Bolusgabe von 4 ml/kg KG als Druckinfusion, sollte 8 ml/kg KG nicht überschreiten, da Hämolysegefahr und die Gefahr einer Hypernatriämie besteht. Nach Bolusgabe wird mit kristalloidem oder kolloidem Volumenersatzmittel stabilisiert.
von Kammerflimmern), respiratorisch (z. B. verlegte Atemwege, nach Bolusgeschehen) oder zerebral (z. B. apoplektischer Insult, Intoxikation, Stoffwechselstörungen) sein. Wegen der Gefahr einer Organschädigung muss bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand sofort gehandelt werden. Bereits nach 3–5 min ohne ausreichende Sauerstoffzufuhr beginnt die irreversible Schädigung des Gehirns, nach 20–25 min die des Herzmuskels.
! Cave
Symptomatik. Der Herz-Kreislaufstillstand ist an sofor-
Grundsätzlich keine Mischung von Infusionslösungen.
7.5.4 Narkose
7
Bei einer Narkose soll eine reversible Bewusstlosigkeit (Hypnose), Schmerzlosigkeit (Analgesie), Verminderung der Reflexaktivität (Hyporeflexie) und eine Muskelrelaxierung hervorgerufen werden. ! Cave Ein Notfallpatient gilt nie als nüchtern.
Da davon ausgegangen werden muss, dass der Notfallpatient nicht nüchtern ist, muss die Narkoseeinleitung in Notfallsituationen immer zügig ablaufen und unter ständigem Monitoring, Absaugbereitschaft und Maßnahmen zur Aspirationsprophylaxe (Verzicht auf Maskenbeatmung, Oberkörperhochlagerung, Magensonde etc.). Um eine Überblähung des Magens zu vermeiden, sollte auf die Zwischenbeatmung zwischen Einleitung der Narkose und Intubation verzichtet werden. Daher ist es ratsam vorher, wenn möglich, ausreichend zu präoxygenieren. Sobald der Patient schläft wird durch den Sellick-Handgriff (Druck auf den Kehlkopf) der Ösophagus manuell komprimiert um das Risiko einer Aspiration weiter zu minimieren. Falls vorhanden folgt nun die Gabe eines kurzwirksamen Muskelrelaxans (z. B. Succinylcholin). Bei ausreichender Narkosetiefe bzw. Relaxation kann die die zügige endotracheale Intubation durchgeführt werden. 7.6
Kardiopulmonale Reanimation
Herz-Kreislauf-Stillstand Synonym. Herzstillstand. Definition. Aussetzen der mechanischen Herztätigkeit. Ätiopathogenese. Ursachen für einen Herz-Kreislauf-
Stillstand können kardial (z. B. plötzliches Auftreten
tiger Pulslosigkeit zu erkennen. 10–20 s danach erfolgt die Bewusstlosigkeit, ggf. mit Muskeltonusverlust. Nach 30–60 s setzt der Atemstillstand ein, sofern er nicht die Ursache des Herz-Kreislaufstillstandes ist. Nach ca. 60–90 s (jedoch nicht obligat) weiten sich die Pupillen, werden lichtstarr und können entrunden. Diagnostik. Der vermutete Herz-Kreislauf-Stillstand
sollte immer durch Tasten der A. carotis verifiziert werden, jedoch niemals auf beiden Seiten gleichzeitig, da sonst die Durchblutung des Gehirns gestört wird! Bei Kindern wird nach der A. brachialis getastet, da diese leichter zu tasten ist als die A. carotis aufgrund der leicht variierenden Anatomie bei Kindern (z. B. Kehlkopf höher als bei Erwachsenen). > Bis zum Eintreten des Hirntodes oder sog. sicherer Todeszeichen (Totenflecken, Leichenstarre, Fäulnis, Verwesung) bezeichnet man diesen Zustand als klinischen Tod, welcher u. U. reversibel ist.
Therapie. Das primäre Vorgehen beim Herzstillstand
ist unabhängig von der Ursache gleich.
ABCD-Regel der Reanimation 4 4 4 4
Atemwege freimachen Beatmung Circulation Defibrillation/Drugs
Kontraindikationen für die kardiopulmonale Reanimation sind: 4 Der zwingend erforderliche Eigenschutz ist nicht gewährleistet. 4 Der Karotispuls ist bei ausreichender Frequenz gut tastbar. 4 Verletzungen des Patienten, die mit dem Leben nicht vereinbar sind (z. B. Abtrennung des Kopfes vom Rumpf) liegen vor. 4 Sichere Todeszeichen.
211 7.6 · Kardiopulmonale Reanimation
7
Die Unterlassung bzw. der Abbruch von Reanimationsmaßnahmen kann, falls keine sicheren Todeszeichen vorhanden sind, nur durch den Arzt erwogen werden: 4 nach ausreichend langen, ordnungsgemäß durchgeführten, aber erfolglosen Reanimationsversuchen, 4 bei bekanntem Grundleiden im Endstadium, 4 beim Hirntod.
Komplikationen der Reanimation können entstehen 4 durch Thoraxkompressionen, z. B. Brustbein- und Rippenserienfrakturen, Pneumo- und Hämatothorax, Leber- und Milzverletzungen, Schädigung der abdominellen Hohlorgane und der Lunge, 4 oder bei der Venenpunktion, Medikamentengabe, Intubation oder Defibrillation.
Die Effektivität der Reanimation zeigt sich in 4 ansteigenden endexspiratorischen Kohlendioxidkonzentrationen, 4 tastbaren Karotis- bzw. Femoralispulsen, 4 sofern messbar, Anstieg der arteriellen Sauerstoffsättigung, 4 evtl. Normalisierung der Hautfarbe.
Die Prognose ist abhängig von: 4 Reanimationsdauer 4 Grund- und Begleiterkrankungen 4 Rettungskette und Rettungsdienstsystem 4 Verzögerung und Effizienz der Laienhilfe 4 Notfallgeschehen (z. B. Polytrauma, Kammerflimmern oder Asystolie)
Durchführung der Reanimation 4 Feststellung des Atemstillstandes (keine Brustkorbbewegungen beim Auflegen der Hand auf den Brustkorb zu spüren), Atemwege freimachen und freihalten (Beatmung), Feststellung des HerzKreislauf-Stillstandes, (z. B. mittels EKG). 4 Den Patienten flach auf einer harten Unterlage auf dem Rücken lagern, damit der auf den Brustkorb ausgeübte Druck am Herzen ankommt (das Herz komprimiert werden kann) und nicht nur der gesamte Körper nach unten gedrückt wird. 4 Patientenoberkörper entkleiden (Aufschneiden jeglicher Kleidung). 4 Ein Helfer oberhalb des Kopfes, zweiter Helfer auf Schulterhöhe neben dem Patienten. 4 Druckpunktsuche: Übergang des mittleren zum unteren Sternumdrittels. 4 Bei der Herzdruckmassage sollten sich die Schultern direkt über dem Brustbein befinden, sodass mit durchgestreckten Armen senkrecht gedrückt werden kann. Dabei sollte man mit seinem eigenem Körpergewicht drücken, nicht nur aus den Armen heraus, um effizient und mit weniger Ermüdung zu arbeiten. 4 Das Brustbein ca. 2/3 des sagittalen Patientendurchmessers eindrücken, d. h. gleichlanges und
Die Defibrillation ist indiziert bei Kammerflimmern und pulsloser ventrikulärer Tachykardie. ! Cave Die Defibrillation ist bei Asystolie nicht indiziert, da sie zur Erhöhung des Parasympathikotonus und damit zur Manifestation der Asystolie führen kann.
gleichmäßiges Eindrücken und Entlasten (1:1), sinusförmige Bewegung. Hände nicht vom Druckpunkt wegnehmen, sonst erneutes Aufsuchen des Druckpunktes. 4 Komplikationen wie z. B. Rippenfrakturen haben für die Weiterführung der Thoraxkompression keine Konsequenz. 4 Die Thoraxkompressionen dürfen nur zur (Masken-) Beatmung/Behebung von Atemwegskomplikationen oder nach Maßgabe eines Algorithmus (z. B. Frühdefibrillation) KURZ unterbrochen und erst beendet werden, wenn Lebenszeichen (z. B. Spontanatmung, Bewegungen, Husten, Karotispuls) festgestellt werden oder sich der verantwortliche Arzt zum Abbruch entscheidet. Ist der Patient nicht intubiert, erfolgt die Beatmung im Verhältnis zum Drücken 2:30 (sowohl Ein- als auch Zwei-Helfer-Methode). Ist der Patient intubiert, wird unabhängig von der Beatmung gedrückt. Es sollte eine Atemfrequenz von 14–20/min angestrebt werden und 100/min gedrückt werden. Durch ausreichende Drucktiefe wird ein optimales Herzzeitvolumen erreicht.
Wirkung der Defibrillation Die Wirkung beruht auf einer zeitgleichen Erregung (Depolarisation) der unkoordiniert flimmernden Herzmuskelzellen (Myokardfasern). Folge ist die gemeinsame Erregungsrückbildung (Repolarisation) aller Zellen und damit die Möglichkeit, dass die Zellen wieder unter Führung des physiologischen Schrittmachers (Sinusknoten) regelmäßig erregt werden können (synchronisierte Myokardaktion).
212
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Als erforderliche Defibrillationsenergie wird eingesetzt: 4 Erste Defibrillation: Erwachsene 360 J, Kinder 2 J/ kg KG 4 Zweite und weitere Defibrillationen: Erwachsene 360 J, Kinder 4 J/kg KG
Durchführung der Defibrillation 4 EKG-Defibrillatoreneinheit einschalten. 4 Elektrodengel auf die Paddles auftragen (sonst Gefahr von Hautverbrennungen beim Patienten!). 4 Paddles anlegen, Anpressdruck ca. 10 kg, auf gleichmäßige Kontaktflächen achten! 4 Rhythmusdiagnose (Indikation bei Kammerflimmern/PVT). 4 Energie einstellen, Paddles aufladen, Datenschreiber einschalten. 4 Sicherheitsabstand zum Patienten einhalten! Auf Sicherheitsabstand der Umstehenden achten! Defibrillation ankündigen und auslösen.
7
> Bei Schrittmacherpatienten dürfen die Elektroden nicht direkt über dem Schrittmacheraggregat aufgelegt werden. Defibrillation von Patienten mit internem Defibrillator Bei Versagen des internen Defibrillators benötigt der Patient eine externe, konventionelle Defibrillation. Diese erfolgt anterior-posterior (eine Elektrode vorne über dem Herzen, eine auf dem Rücken unterhalb des linken Schul6
terblattes), d. h. Rechtsseitenlage des Patienten während der Defibrillation.
Folgende Medikamente werden bei der kardiopulmonalen Reanimation eingesetzt: 4 Adrenalin: α-sympathomimetisch bedingte periphere Vasokonstriktion mit Steigerung des arteriellen Druckes. Daraus resultierende Verbesserung der Koronar- und Zerebralperfusion. Die betamimetischen Wirkungen sind eher unerwünscht. 4 Amiodaron: (Klasse-IIb-)Antiarrhythmikum der Wahl bei therapieresistentem Kammerflimmern. 4 Atropin: Parasympatholyse und damit Vagusblockade. 4 Lidocain: Nutzen ist nicht belegt! Es scheint die Defibrillationsschwelle zu erhöhen und somit die erfolgreiche Therapie des Kammerflimmerns zu erschweren. 4 Vasopressin: potenter Vasokonstriktor ohne die kritische rhythmogene Wirkung. > Es gibt Hinweise, dass nur die Kombination von Adrenalin und Vasopressin zum entscheidenden Erfolg führen.
Natriumhydrogenkarbonat (NaHCO3) bewirkt eine Pufferung saurer Valenzen durch Bindung von H+-Ionen. Nebenwirkungen sind CO2-Anstieg, intrazelluläre Azidose, Myokarddepression, Hirnödem, Alkalose. > Natriumhydrogenkarbonat sollte während der Reanimation keine Verwendung mehr finden und ggf. erst nach der Reanimation nach gezielter Blutgasanalyse eingesetzt werden.
In Kürze Kardiopulmonale Reanimation Herz-Kreislauf-Stillstand
7.7
4 4 4 4
Symptomatik: Aussetzen mechanischer Herztätigkeit Ätiologie: kardial, respiratorisch oder zerebral Diagnostik: EKG Therapie: kardiopulmonale Reanimation
Vitalfunktionsstörungen
7.7.1 Störungen der Atmung Unabhängig von der Ursache einer Atemnot sollte schnellst möglichst die Sauerstoffversorgung wieder sichergestellt werden, notfalls durch Intubation und Beatmung! Um die Ursache der Atemnot zu bestimmen, muss
der Patient genau inspiziert bzw. auskultiert werden sowie eine kurze, aber präzise Anamnese erhoben werden. Atemwiderstand Der Luftwiderstand einer Röhre ist umgekehrt proportional zur vierten Potenz des Durchmessers (Hagen-Poiseuille). Das bedeutet, dass schon eine geringe Abnahme des 6
213 7.7 · Vitalfunktionsstörungen
Durchmessers (Stenosierung, Bronchokonstriktion, Verlegung) beispielsweise der Luftröhre, eine starke Erhöhung des Atemwiderstandes zur Folge hat. Die Atemarbeit wird somit erschwert.
Ätiopathogenese. Ursachen für Atmungsstörungen können sein: 4 Verengung der Atemwege, hervorgerufen durch Obstruktion, wie bei: 5 Zurückgefallener, erschlaffter Zunge 5 Aspiration von festen Fremdkörpern (Bolus) oder flüssigen Stoffen (Sekret, Erbrochenes, Blut) 5 Schwellungen der Atemwege, z. B. bei Infektionskrankheiten, Insektenstich, Verbrühung, Verätzung oder Tumoren 5 Bronchospasmus, z. B. Asthma bronchiale 4 Behinderung der Atemmechanik, hervorgerufen durch Restriktion, wie bei: 5 Brustkorbverletzung 5 Störungen im Bereich des Pleuraspaltes, z. B. Pneumothorax, Hämatothorax, Infiltrat bei Entzündungen 5 Belastung des Brustkorbes, z. B. Einklemmung, Schocklage 5 Verlust der Retraktionskraft 4 Behinderung des Gasaustausches in der Lunge, wie bei: 5 Diffusionsstörung, z. B. Lungenödem 5 Durchblutungsstörung, z. B. Lungenembolie 4 Störungen der Atemsteuerung (Atemzentrum im Gehirn), wie bei: 5 Sauerstoffmangel 5 Schädel-Hirn-/Hals-Wirbelsäulen-Trauma 5 Vergiftung, Infektion 5 Störung im Säure-Basen-Haushalt 4 Störungen des Sauerstofftransportes (innere Atmung), wie bei: 5 Giften 5 Anämie 4 Veränderung der Atemluft (Gaszusammensetzung), wie bei: 5 Herabgesetztem Sauerstoffanteil in der Atemluft 4 Lähmung der Atemmuskulatur, wie bei: 5 Muskelrelaxanzien, Giften 5 Schädigung des Nervus phrenicus Symptomatik. Ab einer O2-Sättigung (im gesamten Körper) von ca. 66% tritt eine zentrale Zyanose auf, d. h. ca. 3–5 g ungesättigtes Hämoglobin pro dl Blut bei einem Hb von 15 g/dl.
7
! Cave Bei Kohlenmonoxidvergiftung fehlt meist die Zyanose und das Pulsoxymeter zeigt bis zu 100%(fälschlicherweise Sauerstoffsättigung) an, da Kohlenmonoxid das gleiche Absorptionsspektrum hat wie Sauerstoff.
Unterschiedliche Atembewegungen bzw. Atemgeräusche geben meist schon einen Hinweis darauf, welche Art von Atemstörung vorliegt. Die Atembewegung ist verändert bei: 4 Gasaustauschstörungen der Lunge 4 Anstrengung 4 Erhöhtem O2-Bedarf Dazu gehören: 4 Kussmaulatmung (vertieft und beschleunigt) (bei Azidose) 4 Zentrale Atemstörungen wie Cheyne-Stokes- oder Biot-Atmung 4 Schnappatmung (niederfrequente Atembewegung des Mundes ohne adäquate Thoraxbewegung) (bei Herz-Kreislauf-Stillstand!) 4 Inverse Atmung: Schaukelatmung; Vorwölbung der Bauchdecke bei Einatmung bei gleichzeitiger Einziehung des Thorax und umgekehrt (bei Atemwegsverlegung!) 4 Paradoxe Atmung: Thoraxeinziehung bei Ein- und -vorwölbung bei Ausatmung (bei Rippenserienfraktur und instabilem Thorax) Veränderte Atemgeräusche ohne Stethoskop (normal = leises Strömungsgeräusch) sind 4 Fehlendes Atemgeräusch, wie bei Atemstillstand 4 Pfeifend (spastisch) bei Ausatmung (verlängert), wie bei Asthma bronchiale 4 Stridor (ziehend-pfeifend-schnarchendes Geräusch) bei Atemwegsverlegung, als: 5 Inspiratorischer Stridor durch Verlegung der oberen Atemwege (Epiglottis) 5 Exspiratorischer Stridor durch Verlegung der unteren Atemwege (Bronchospasmus) 4 Feines Rasseln, wie bei: 5 Lungenödem 5 Lungenentzündung 4 Grobes Rasseln, wie bei: 5 Flüssigkeit in Rachen bzw. Trachea 5 Sonstiger Aspiration Veränderte Atemgeräusche mit Stethoskop (normal = vesikulär, leises Strömungsgeräusch beidseits und gleich) sind 4 Einseitiges Atemgeräusch, wie bei: 5 Pneumothorax
214
Kapitel 7 · Notfallmedizin
5 Spannungspneumothorax 5 Falscher Tubuslage (zu tief) 4 Trockene Rasselgeräusche (Giemen, Brummen, Pfeifen) bei Ausatmung, wie bei: 5 Asthma bronchiale 5 Bronchitis 4 Feuchte Rasselgeräusche 5 Feinblasig, nicht klingend, z. B. Lungenstauung 5 Feinblasig, klingend, z. B. Lungenentzündung 5 Grobblasig, z. B. Flüssigkeit oder Schleim in den Bronchien oder Lungenödem
nungspneumothorax muss eine Thoraxdrainage angelegt werden. Thoraxdrainage Thoraxdrainagen sind Plastikschläuche unterschiedlichen Durchmessers, die mittels stumpfer Präparation durch einen Zwischenrippenraum in die Thoraxhöhle eingelegt werden, um aus dieser Luft oder Flüssigkeiten abzuleiten. Die Punktion kann von ventral oder lateral erfolgen. Im Anschluss wird die Drainage an ein Ventilsystem angeschlossen (Heimlichventil, Wasserschlosssystem).
! Cave
7
Veränderte Perkussion der Lunge (normal = sonorer Klopfschall), z. B.: 5 Hypersonor, wie bei Pneumothorax 5 Gedämpft, wie bei Pleuraerguss, Lungenentzündung, Hämatothorax Auftreten von Hautknistern: 5 Hals/Thorax: Hautemphysem, z. B. bei Lungenverletzung oder Pneumothorax 5 Alle Lokalisationen: Gasansammlung unter der Haut, z. B. Gasbrand
Die Anlage einer Thoraxdrainage mittels Metalltrokar ist aufgrund des erhöhten Verletzungsrisikos innerer Organe obsolet.
Status asthmaticus Definition. Über Stunden und länger anhaltender schwerer Asthmaanfall Obstruktion und respiratorische globale Insuffizienz. Ätiopathogenese. Überstarke Reaktion der chronisch
entzündeten Bronchien.
Therapie. Bei allen Störungen der Atmung müssen un-
Symptomatik. Quälender Husten, Tachypnoe, Zyanose,
abhängig von der Ursache 4 die Atemwege frei gemacht und gesichert werden, 4 Sauerstoff gegeben, ggf. intubiert werden.
evtl. Bewusstseinsstörungen, Tachykardie mit evtl. Rhythmusstörungen, Unruhe. Diagnostik. Blutgasanalyse.
Ist der Patient bei Bewusstsein, hilft aufrechtes Sitzen und Unterstützung durch die Atemhilfsmuskulatur. Beim bewusstlosen Patienten ist die stabile Seitenlage die Position der Wahl. Bei Pneumothorax bzw. Span-
Therapie. Sauerstoffgabe, Theophyllin, β2-Sympathomimetika, Kortikosteroide, Parasympatholytika, evtl. Intubation und Beatmung.
In Kürze Störungen der Atmung Fremdkörper in den Atemwegen
4 4 4 4
Pneumothorax
4 Symptomatik: plötzlich eintretende massive Atemnot 4 Ätiologie: z. B. durch ein Trauma entstanden, oder auch bei jungen Leuten z. B. bei sportlicher Anstrengung 4 Diagnostik: Röntgen, Auskultation, Perkussion, Sonographie 4 Therapie: Analgetika, Sauerstoff, evtl. Pleurodese
6
Symptomatik: Atemnot Ätiologie: Obstruktion durch Verlegung Diagnostik: Anamnese, Laryngoskopie, Bronchoskopie Therapie: Entfernung des Fremdkörpers
215 7.7 · Vitalfunktionsstörungen
Status asthmaticus
7
4 Symptomatik: quälender Husten, Tachypnoe, Tachykardie (Rhythmusstörungen), Unruhe, Zyanose, Bewusstseinsstörungen 4 Ätiologie: überstarke Reaktion der chronisch entzündeten Bronchien 4 Diagnostik: Blutgasanalyse 4 Therapie: Sauerstoff, Theophyllin, β2-Sympathomimetika, Kortikosteroide, Parasympatholytika, evtl. Intubation, Beatmung
7.7.2 Störungen der Herz-Kreislauf-
Funktion Bei Störungen der Herz-Kreislauf-Funktion sind die Gefahren für den Patienten abzuschätzen. So ist Vorhofflimmern oder manche Arrhythmie für den Patienten zwar unangenehm, aber oft nicht lebensbedrohlich. Meist hilft schon ruhige Zusprache, bis die komplette Diagnostik in der Klinik durchgeführt ist und die Ursache behoben bzw. das Symptom medikamentös eingestellt ist. Bei lebensbedrohlichen Störungen muss natürlich sofort, schnell und effizient gehandelt werden. So muss bei Verdacht auf Mykardinfarkt der Patient immobilisiert werden, da jede noch so geringe Anstrengung den Sauerstoffbedarf des Herzens erhöht und es somit u. U. weiter schädigt. Bei allen Schockformen kommt es auf die schnelle und richtige Lagerung und schnelle Behandlung an.
tombesserung in Ruhe oder nach Gabe von Nitropräparaten 4 Instabile AP: Erstmanifestation der Symptome, Zunahme der Beschwerden bei stabiler AP oder in Ruhe bzw. bei geringer Belastung auftretend 4 Prinzmetal-AP: AP-Beschwerden in Ruhe aufgrund eines koronaren Gefäßspasmus Symptomatik. Thorakaler Druck oder Schmerz mit
Ausstrahlung meist retrosternal, Oberbauch, linker Arm, Kiefer, Hals oder Rücken. Die Anfallsdauer liegt unter 20 min. Diagnostik. Im EKG erkennbare ST-Streckensenkun-
gen und/oder T-Negativierung als mögliches Ischämiezeichen. Therapie. Vitalwertkontrolle inkl. EKG, Immobilisation
Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, die zu Notfallsituationen führen können 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Angina pectoris Akuter Myokardinfarkt Herzinsuffizienz (Kardiales) Lungenödem Hypertonie bzw. hypertensive Krise Kollaps/Synkopen Hypotonie Schockzustände Herzbeuteltamponade Aortenaneurysma-Ruptur Lungenembolie Arterielle bzw. venöse Gefäßverschlüsse Kammerflimmern Vorhofflimmern Vorhofflattern Arrhythmien
des Patienten, Sauerstoffgabe. Bei RR-Werten systolisch über 100 mgHg kann Nitrolingual-Spray eingesetzt werden, AP ist Nitro-sensibel. Neben Glyzeroltrinitrat können Morphin, ggf. Diazepam, Azetylsalizylsäure, ggf. Heparin, ggf. β-Blocker eingesetzt werden. ! Cave Bei AP-Beschwerden und bei Verdacht auf Myokardinfarkt i.m. Injektionen unbedingt vermeiden.
Vorangegangene Intramuskuläre Injektionen verbieten eine Lysetherapie, da es dann zu ausgedehnten intramuskulären Blutungen kommen kann. Akuter Myokardinfarkt Symptomatik. Thorakaler Druck oder Schmerz mit Ausstrahlung retrosternal, Oberbauch, linker Arm, Kiefer, Hals und/oder Rücken. > Die Schmerzen beim Myokardinfarkt lassen nach Gabe von Nitrospray nicht nach.
Angina pectoris (AP) Definition. Unterschieden werden: 4 Stabile AP: durch körperliche Anstrengung ausgelöste, anfallsweise auftretende Beschwerden; Symp-
Weitere Symptome sind Todesangst, Übelkeit, Erbrechen, Dyspnoe, Zyanose, kaltschweißige und blasse Haut.
216
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Diagnostik. Im EKG sind ST-Streckenhebungen in
mindestens zwei Ableitungen (im 12-Kanal-EKG) und in den gegenüberliegenden Ableitungen ST-Streckensenkungen zu sehen.
erstoffgabe. Medikamente: Diuretika (z. B. Furosemid), Vasodilatatoren (z. B. Glyzeroltrinitrat), ggf. Analgetika (z. B. Morphin), ggf. Benzodiazepine (z. B. Diazepam). Hypertonie, hypertensive Krise
Therapie. Immobilisation des Patienten, da Bewegung
Definition. Hypertensive Krise: Blutdruckanstieg auf
den Sauerstoffverbrauch des Herzens erhöht, was wiederum Rhythmusstörungen auslösen kann.
Werte über 230/120 mmHg. Auftreten meist bei bekannter Hypertonie.
! Cave
Symptomatik. Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörun-
Ständige Reanimationsbereitschaft!
Bei kardiogenem Schock keine Schocklage durchführen! Konsequente Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe. Medikamente: Glyzeroltrinitrat, Morphin, ggf. Diazepam, Azetylsalizylsäure, ggf. Heparin, ggf. β-Blocker.
7
Herzinsuffizienz Symptomatik. Dyspnoe, evtl. Zyanose, Unruhe, Angst, Schwächegefühl, Blässe, Kühle, evtl. feuchte Extremitäten, Arrhythmie, Blutdruckabfall, evtl. kardiogener Schock. 4 Spezielle Symptomatik bei Rechtsherzinsuffizienz: gestaute Halsvenen, Ödeme, Aszites, bei chronischer Rechtsherzinsuffizienz Oberbauchsymptomatik (Stauungsgastritis) 4 Spezielle Symptomatik bei Linksherzinsuffizienz: Lungenstauung, Lungenödem, Husten, Asthma cardiale, Nykturie
gen, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfälle, bei akutem Linksherzversagen Dyspnoe, evtl. Zyanose. Angina-pectoris-Anfall, Nasenbluten. Diagnostik. Blutdruck erhöht, Herzfrequenz normal bis
erhöht. Auskultatorisch bei Linksherzversagen Lungenödem mit feuchten Rasselgeräuschen. Therapie. Oberkörperhochlagerung mit herabhängen-
den Beinen, nur bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, konsequente Vitalwertüberwachung, Sauerstoffgabe, Blutdrucksenkung. Medikamente: Antihypertonika (z. B. Urapidil), ggf. Glyzeroltrinitrat. Schockzustände Hypovolämischer Schock (akute Blutungsanämie) Definition. Kreislaufinsuffizienz durch absolute Verminderung der zirkulierenden Blutmenge.
Diagnostik. Feuchte Rasselgeräusche, evtl. exspiratori-
Ätiopathogenese. Ursache kann ein Blutverlust durch
scher Stridor, evtl. RR-Abfall, Pulsanstieg, O2-Sättigungs-Abfall, evtl. Zeichen eines Myokardinfarkts laborchemisch/elektrokardiographisch, Herzrhythmusstörungen.
innere oder äußere Blutungen sowie ein Plasma- oder Flüssigkeitsverlust durch Verbrennungen, Durchfälle oder Erbrechen sein. Symptomatik. Unruhe, Blässe, Kaltschweißigkeit, Zya-
Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe. Medikamente: Vasodilatatoren (z.B. Glyzeroltrinitrat), (Schleifen-)Diuretika (z. B. Furosemid), ggf. Katecholamine (z. B. Dopamin).
nose, Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit, schnelle, flache Atmung, kaum tastbarer Puls, kollabierte Halsvenen, Nagelbettprobe (Drücken der Fingerkuppe und Beurteilung der Rekapillarisierung) verlangsamt, evtl. sichtbare Blutungsquellen, Oligurie.
Therapie. Oberkörperhochlagerung, konsequente
(Kardiales) Lungenödem
Diagnostik. Zunehmende Tachykardie, Blutdruckab-
Symptomatik. Unruhe, Kaltschweißigkeit, Angst, hoch-
fall, Abfall der Blutdruckamplituden.
gradige Atemnot, Husten, meist hörbare Rassel- und Brodelgeräusche, evtl. Zyanose, Blässe.
Therapie. Blutungsstillung (Druckverband), Volumen-
Diagnostik. Giemen, Spastik, exspiratorischer Stridor,
später Rasselgeräusche, evtl. Blutdruck-Abfall, Herzfrequenz-Anstieg und O2-Sättigungsabfall. Therapie. Oberkörperhochlagerung, Beine tief, sog. un-
blutiger Aderlass, konsequente Vitalwertkontrolle, Sau-
gabe, Flachlagerung mit Hochlagern der Beine, bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, konsequente Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe, evtl. Intubation und Beatmung. Medikamente: ggf. Analgetika (z. B. Ketamin), ggf. Benzodiazepine (z. B. Diazepam), ggf. Narkoseeinleitung (z. B. Ketamin), ggf. Sympathomimetika (z. B. Noradrenalin).
217 7.7 · Vitalfunktionsstörungen
Kardiogener Schock Definition. Akute Kreislaufinsuffizienz durch myokardiales Pumpversagen.
7
Serotonin und Bradykinin und dadurch bedingter Kreislaufinsuffizienz. Ätiopathogenese. Ursachen sind jegliche allergische
Ätiopathogenese. Zu den Ursachen zählen akuter My-
okardinfarkt, dekompensierte Herzinsuffizienz, Kardiomyopathie, Herzrhythmusstörungen, Herzklappenfehler, Myokarditis, medikamentöse Falschdosierung, Lungenembolie, Herzbeuteltamponade. Symptomatik. Blässe, Kaltschweißigkeit, Atemnot, Zy-
anose, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, gestaute Halsvenen bei insuffizienter Pumpleistung des rechten Herzen, Ödeme (vor allem Beine), Lungenödem, Arrhythmie, Nagelbettprobe verlangsamt.
Reaktionen, wie Medikamente, Lebensmittel, Insektenstiche etc.) Symptomatik. Juckreiz, Rötung oder ähnliche Hautre-
aktionen, Schwindel, Schüttelfrost, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Dyspnoe durch z. B. Larynxödem, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Kreislaufstillstand. Diagnostik. Blutdruckabfall, Herzfrequenzanstieg, gute
Anamnese. Therapie. Vitalwertkontrolle, Flachlagerung mit Hoch-
Diagnostik. Blutdruckabfall, auskultatorisch feuchte
Rasselgeräusche. Therapie. Oberkörperhochlagerung! Beine tief, Sauer-
stoffgabe, Vitalwertkontrolle, unblutiger Aderlass. Medikamente: Katecholamine (z. B. Adrenalin und/oder Dobutamin), (Schleifen-)Diuretika (z. B. Furosemid), ggf. Analgetika (z. B. Morphin). Septischer Schock Definition. Kreislaufinsuffizienz infolge einer generalisierten Entzündungsreaktion aufgrund einer Infektion (z. B. Bakterien, Pilze).
lagern der Beine (stabile Seitenlage bei Bewusstlosigkeit), Sauerstoffgabe, evtl. Intubation, Kühlung der Schwellungen, Volumengabe. Medikamente (je nach Schweregrad des Schocks): Antihistaminika (z. B. Dimetinden und Cimetidin), Kortikosteroide (z. B. Prednisolon), Adrenalin oder β-Mimetika (z. B. Fenoterol). Neurogener Schock Definition. Störungen des ZNS bedingen eine periphere Gefäßerweiterung und damit einen relativen Volumenmangel. Ätiopathogenese. Mögliche Ursache sind SHT, intrakra-
nieller Druckanstieg, Sonnenstich, starke Schmerzen. Ätiopathogenese. Zu den möglichen Ursachen zählen
Harnwegs- oder Gallenwegsinfektion, septischer Abort, Katheterinfektion (auch durch Venenverweilkanülen und ZVK), Tracheostoma.
Symptomatik. Bewusstseinsstörungen bis zur Bewusst-
losigkeit, Blässe, Kaltschweißigkeit. Diagnostik. Blutdruckabfall, Herzfrequenzanstieg.
Symptomatik. Die Trias Hyperventilation, Tachykardie
und hyperdyname Kreislaufsituation sind wegweisend. Daneben können auftreten überwärmte, gerötete, trockene Haut, Fieber, Schüttelfrost als Zeichen des hyperdynamen Stadiums, kalte, zyanotische evtl. marmorierte Haut, Bewusstseinseinschränkungen bis zur Bewusstlosigkeit, Oligurie.
Therapie. Vitalwertkontrolle, Flachlagerung mit Hoch-
lagerung der Beine, Sauerstoffgabe, Volumengabe. Medikamente: α-Sympathomimetika (z. B. Etilefrin), Antihypotonika (z. B. Cafedrin und Theodrenalin). Herzbeuteltamponade Definition. Flüssigkeitsansammlung im Perikard, die
Diagnostik. Vitalwerte (Blutdruckabfall, Herzfrequenz-
die Herzaktion behindert.
anstieg), Temperaturmessung. Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind Folgen eiTherapie. Vitalwertkontrolle, Wärmeregulierung, Sau-
erstoffgabe, Volumensubstitution. Medikamente: Katecholamine (z. B. Noradrenalin). Anaphylaktischer Schock Definition. Akut lebensbedrohliche Antigen-Antikörper-Reaktion mit massiver Freisetzung von Histamin,
nes Herzinfarktes, Trauma oder Entzündungen des Herzbeutels verursacht. Folge kann ein kardiogener Schock sein. Symptomatik. Petechien, Jugularvenenstauung, evtl.
Prellmarken im Thoraxbereich, Dyspnoe, ggf. mit Zyanose bis hin zur Bewusstlosigkeit.
218
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Diagnostik. Blutdruckabfall, Herzfrequenzanstieg,
Therapie. Oberkörperhochlagerung, bei Schock Flach-
Kaltschweißigkeit, palpatorisch Pulsus paradoxus.
lagerung mit Beinhochlagerung, bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe, evtl. unblutiger Aderlass. Medikamente: Analgetika (z. B. Morphin), Antikoagulanzien (z. B. Heparin), ggf. Benzodiazepine (z. B. Diazepam.
Therapie. Flachlagerung, bei Bewusstlosigkeit stabile
Seitenlage, Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe, Volumengabe, ggf. Wundversorgung. Medikamente: Je nach Symptomatik Behandlung wie kardiogener Schock bzw. Herzinsuffizienz. ! Cave Mögliche Fremdkörper müssen bei der notfallmäßigen Wundversorgung belassen werden.
7
Aortenaneurysmaruptur, Aortenaneurysmadissektion Definition. Ruptur einer umschriebenen Aussackung der Gefäßwandschichten bei Aneurysma verum (Ausweitung aller Gefäßwandschichten) bzw. Einblutung zwischen die Gefäßwandschichten bei Aneurysma dissecans.
! Cave Morphin und Diazepam können eine Atemdepression verursachen.
Gefäßverschlüsse Arterielle Gefäßverschlüsse Symptomatik. Plötzlich einsetzende starke Schmerzen bei akutem Verschluss, Blässe der betroffenen Extremität mit Taubheitsgefühl und Sensibilitätsstörungen, Pulslosigkeit und Bewegungsstörungen. Diagnostik. Pulslosigkeit der Extremität, Temperatur-
unterschiede der Extremitäten (betroffene Extremität kälter), evtl. Schocksymptomatik.
Symptomatik. Bei gedeckter Ruptur plötzliche Bauch-
und/oder Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in Flanke und Leiste, starker Blutverlust. Bei freier Ruptur akute Schmerzen, Blutverlust in freie Bauchhöhle, massiver Schock mit Gefahr der Verblutung.
Therapie. Ruhigstellung und Tieflagerung der be-
troffenen Extremität, Vitalwertkontrolle. Medikamente: Analgetika (z. B. Piritramid), Antikoagulanzien (z. B. Heparin), ggf. Benzodiazepine (z. B. Diazepam).
Diagnostik. Akuter Blutdruckabfall mit Herzfrequenz-
steigerung. Therapie. Sofortige Operationsindikation, Volumenga-
be. Schnellstmöglicher Transport in die Klinik!
Venöse Gefäßverschlüsse Symptomatik. Spannungsgefühl und Muskelschmerzen der betroffenen Extremität (selten sind die Arme betroffen), Verlust der Hautfältelung durch massives Anschwellen, Schüttelfrost.
Lungenembolie, Luftembolie Definition. Verschluss einer Lungenarterie durch
Diagnostik. Temperaturunterschied der Extremitäten
Thrombembolus der Bein- oder Beckenvenen bzw. Eindringen von ungefähr 50–100 ml Luft in den venösen Kreislauf.
(betroffene Extremität wärmer), Herzfrequenz-Steigerung, starker Druckschmerz der Extremität. Therapie. Absolute Ruhigstellung des Patienten, auf gar
Ätiopathogenese. Folge der Lungenembolie ist ein
Druckanstieg im kleinen Kreislauf mit akuter Rechtsherzbelastung und Hypoxämie. Luftzufuhr in den venösen Kreislauf in suizidaler Absicht oder z. B. bei Thoraxtraumen.
keinen Fall selbstständig gehen lassen! Hochlagerung bzw. mindestens Flachlagerung (0°-Stellung) der betroffenen Extremität, Vitalwertkontrolle. Medikamente: Antikoagulanzien (z. B. Heparin), ggf. Analgetika (z. B. Piritramid).
Symptomatik. Dyspnoe mit Husten und evtl. Zyanose,
Kammerflimmern
Schweißausbruch, thorakale Schmerzen, Halsvenenstauung, eventuelle Bewusstlosigkeit bis hin zum Kreislaufstillstand.
Definition. Ineffektivität der Ventrikelmyokardtätigkeit
und dadurch fehlende Pumpfunktion. Symptomatik. Kammerflimmern führt innerhalb von
Diagnostik. Blutdruck-Abfall, Herzfrequenz-Anstieg,
Sauerstoffsättigungsabfall, evtl. Zeichen der Rechtsherzbelastung im EKG.
10–15 min zur Asystolie.
219 7.7 · Vitalfunktionsstörungen
Diagnostik. Im EKG hochfrequente Flimmerwellen
(200–500/min), kein typischer QRS-Komplex, T- oder P-Wellen sichtbar.
7
meist nur Überleitung jeder 2. oder 3. Flatterwelle im AV-Knoten. Ätiopathogenese. Ursachen sind organische Herzer-
Therapie. Defibrillation und Reanimation. Medika-
mente: Amiodaron, Lidocain. Vorhofflimmern Definition. Anfallsweise oder chronisch auftretende Arrhythmieform mit hämodynamisch unwirksamen Vorhofaktionen. Ätiopathogenese. Durch die lange Refraktärzeit des AVKnotens wird nicht jede Erregung auf die Kammer weitergeleitet und führt daher zur Arrhythmie. Vorhofflimmern tritt gehäuft bei arterieller Hypertonie, rheumatischen Herzerkrankungen, Mitralklappenfehlern oder KHK auf. Symptomatik. Möglicherweise peripheres Pulsdefizit, Zeichen klinischer Instabilität, abhängig von der Herzauswurfleistung. > Bei Vorhofflimmern besteht eine erhöhte Gefahr der Thromboemboliebildung und Herzinsuffizienz.
Therapie. Bei akutem Vorhofflimmern Maßnahmen
nur bei hämodynamischer Insuffizienz, je nach Arrhythmiemuster. Vitalwertkontrolle inkl. EKG, Oberkörperhochlagerung, Sauerstoffgabe, venöser Zugang, bei Bradykardie Atropingabe. Medikamente: Unter anderem Digitoxin, Digoxin, z. B. Verapamil.
krankung (z. B. KHK), Herzinfarkt oder Herzklappenveränderungen. Symptomatik. Subjektives Gefühl des Herzrasens. Therapie. Medikamentöse Einstellung, bei hämodyna-
mischer Insuffizienz Versuch der Kardioversion (synchronisierter elektrischer Schock gleichzeitig mit einer R-Zacke ausgelöst). Medikamente: Unter anderem Digitoxin, Digoxin, z. B. Verapamil. Arrhythmie Definition. Herzrhythmusstörung mit Erregungsleitung- oder -bildungsstörung. Ätiopathogenese. Ursächlich können sein organische
Herzerkrankungen, z. B. Herzinfarkt, Hypertonie, Mitral- und Aortenklappenfehler, Perikarditis. ! Cave Die Gefahr der Thrombembolie und Herzinsuffizienz ist erhöht.
Symptomatik. Evtl. peripheres Pulsdefizit, Zeichen kli-
nischer Instabilität, abhängig von der Herzauswurfleistung. Therapie. Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe, evtl. Kar-
Vorhofflattern Definition. Kreisende Erregung auf Vorhofebene, dadurch typische Flatterwellen (Sägezahnmuster) und
dioversion, evtl. Schrittmacher. Medikamente: Verapamil.
In Kürze Störungen der Herz-Kreislauf-Funktion Angina pectoris
4 Symptomatik: thorakaler Druck oder Schmerz mit Ausstrahlung 4 Diagnostik: EKG ST-Streckensenkungen und/oder T-Negativierung 4 Therapie: Vitalwertkontrolle inkl. EKG, Immobilisation, Sauerstoffgabe, NitrolingualSpray, Morphin, ggf. Diazepam, Azetylsalizylsäure, ggf. Heparin, ggf. β-Blocker
Akuter Myokardinfarkt
4 Symptomatik: thorakaler Druck oder Schmerz mit Ausstrahlung, Todesangst, Übelkeit, Erbrechen, Dyspnoe, Zyanose, kaltschweißige und blasse Haut 4 Diagnostik: EKG ST-Streckenhebungen in mindestens 2 Ableitungen und in gegenüberliegenden Ableitungen ST-Streckensenkungen 4 Therapie: Immobilisation, Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe, Medikamente
6
220
7
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Kardiales Lungenödem
4 Symptomatik: Unruhe, Kaltschweißigkeit, Angst, hochgradige Atemnot, Husten, Rasselund Brodelgeräusche, evtl. Zyanose, Blässe 4 Diagnostik: Auskultation, evtl. Blutdruckabfall, Herzfrequenzanstieg und O2-Sättigungsabfall 4 Therapie: Oberkörperhochlagerung, Beine tief, konsequente Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe, Medikamente
Hypertonie, hypertensive Krise
4 Symptomatik: Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfälle bei akutem Linksherzversagen, Dyspnoe, evtl. Zyanose, Angina-pectoris-Anfall, Nasenbluten 4 Diagnostik: RR erhöht, Herzfrequenz normal bis erhöht, auskultatorisch bei Linksherzversagen Lungenödem mit feuchten Rasselgeräuschen 4 Therapie: Oberkörperhochlagerung mit herabhängenden Beinen, nur bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, konsequente Vitalwertüberwachung, Sauerstoffgabe, Blutdrucksenkung, Medikamente
Hypovolämischer Schock, akute Blutungsanämie
4 Symptomatik: Unruhe, Blässe, Kaltschweißigkeit, Zyanose, Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit, schnelle, flache Atmung, kaum tastbarer Puls, evtl. sichtbare Blutungsquellen, Oligurie 4 Ätiologie: Blutverlust durch innere oder äußere Blutungen, Plasma- oder Flüssigkeitsverlust durch Verbrennungen, Durchfälle oder Erbrechen 4 Diagnostik: Tachykardie, Blutdruckabfall, Abfall der Blutdruckamplituden 4 Therapie: Blutungsstillung, Volumengabe, Flachlagerung mit Beinhochlagerung, bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, konsequente Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe, evtl. Intubation, Beatmung, Medikamente
Anaphylaktischer Schock
4 Symptomatik: Juckreiz, Rötung oder ähnliche Hautreaktionen, Schwindel, Schüttelfrost, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Dyspnoe, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Kreislaufstillstand 4 Ätiologie: allergische Reaktionen 4 Diagnostik: Blutdruckabfall, Herzfrequenzanstieg, Anamnese 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, Flachlagerung mit Beinhochlagerung, Sauerstoffgabe, evtl. Intubation, Kühlung der Schwellungen, Volumengabe, Medikamente
Aortenaneurysmaruptur, -dissektion
4 Symptomatik: bei gedeckter Ruptur plötzliche Bauch- und/oder Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in Flanke und Leiste, starker Blutverlust, Bei freier Ruptur akute Schmerzen, Blutverlust in freie Bauchhöhle, massiver Schock 4 Diagnostik: akuter Blutdruckabfall mit Herzfrequenzsteigerung 4 Therapie: sofortige Operationsindikation, Volumengabe
Lungenembolie
4 Symptomatik: Dyspnoe mit Husten und evtl. Zyanose, Schweißausbruch, thorakale Schmerzen, Halsvenenstauung, evtl. Bewusstlosigkeit, bis hin zum Kreislaufstillstand 4 Ätiologie: Druckanstieg im kleinen Kreislauf mit akuter Rechtsherzbelastung und Hypoxämie. Luftzufuhr in den venösen Kreislauf in suizidaler Absicht oder z. B. bei Thoraxtraumen 4 Diagnostik: Blutdruckabfall, Herzfrequenzanstieg, Sauerstoffsättigungsabfall, evtl. Zeichen der Rechtsherzbelastung im EKG 4 Therapie: Oberkörperhochlagerung, bei Schock Flachlagerung mit Beinhochlagerung, bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, Vitalwertkontrolle, Sauerstoffgabe, evtl. unblutiger Aderlass, Medikamente
6
221 7.7 · Vitalfunktionsstörungen
Kammerflimmern
4 Symptomatik: Kammerflimmern führt innerhalb von 10–15 min zu Asystolie 4 Diagnostik: hochfrequente Flimmerwellen (200–500/min), kein typischer QRS-Komplex, T- oder P-Wellen sichtbar 4 Therapie: Defibrillation, Reanimation, Medikamente
Vorhofflimmern
4 Symptomatik: peripheres Pulsdefizit, Zeichen klinischer Instabilität 4 Ätiologie: nicht jede Erregung wird auf die Kammer weitergeleitet und führt daher zur Arrhythmie, gehäuft bei arterieller Hypertonie, rheumatischen Herzerkrankungen, Mitralklappenfehlern, KHK 4 Diagnostik: EKG 4 Therapie: Vitalwertkontrolle inkl. EKG, Oberkörperhochlagerung, Sauerstoffgabe, venöser Zugang, bei Bradykardie Atropingabe, Medikamente
Vorhofflattern
4 Symptomatik: subjektives Gefühl des Herzrasens 4 Ätiologie: organische Herzerkrankung, z. B. KHK, Herzinfarkt oder Herzklappenveränderungen 4 Diagnostik: EKG 4 Therapie: medikamentöse Einstellung, bei hämodynamischer Insuffizienz Versuch der Kardioversion, Medikamente
7.7.3 Störungen des Bewusstseins Sobald das Bewusstsein eines Patienten gestört ist, muss zügig die Ursache geklärt werden. Eine kurzdauernde Bewusstseinsstörung nach einem generalisierten epileptischen Anfall ist beispielsweise normal und bedenkenlos, wohingegen Bewusstseinsstörungen nach Unfällen für den Patienten lebensbedrohlich sein können (Gehirnblutungen).
. Tab. 7.4. Glasgow Coma Scale Parameter
Punkte
Augen öffnen
Spontan Auf Aufforderung Auf Schmerzreiz Nicht
4 3 2 1
Verbale Reaktion
Orientiert Verwirrt Inadäquat Unverständlich Keine
5 4 3 2 1
Motorische Reaktion
Gezielt auf Aufforderung Gezielt auf Schmerzreiz Ungezielt auf Schmerzreiz Beugemechanismen Streckmechanismen Keine
6 5 4 3 2 1
7
Bewusstsein bedeutet orientiert zu sein zu: 4 Raum 4 Zeit 4 Ort 4 Situation 4 Person Bewusstseinsstörungen werden in verschiedene Stadien eingeteilt: 4 Somnolenz: Schläfrigkeit und der Patient ist erweckbar 4 Sopor: Patient ist nur auf starken Schmerzreiz erweckbar 4 Koma: tiefe Bewusstlosigkeit, Patient nicht durch Schmerzreize erweckbar Zur schnellen Beurteilung dient die Glasgow Coma Scale (. Tab. 7.4). > Bei Bewusstlosen muss durchgeführt werden: 4 Kontinuierliche Überwachung und Sicherung der Vitalfunktionen 4 EKG 4 Blutzuckertest 4 Entkleidung des Patienten und Suche nach Verletzungen 4 GCS-Wert kleiner 8 ist eine zwingende Indikation zur Intubation
Eine gute Anamnese, z. B. durch Angehörige, Passanten etc., kann Hinweise auf die Ursache der Bewusstlosig-
222
7
Kapitel 7 · Notfallmedizin
keit geben, ebenso wie die Umgebung des Patienten (Tablettenschachteln, Alkohol, Abschiedsbrief etc.) Mögliche Ursachen für Bewusstseinsstörungen können sein: 4 Intoxikation 4 Apoplektischer Insult 4 Hyperglykämie 4 Hypoglykämie 4 Krampfanfälle/Epilepsie 4 Synkope
Symptomatik. Langsame Entwicklung, Durstgefühl,
Apoplektischer Insult Definition. Funktionsausfall einer umschriebenen Hirnregion. Unterschieden werden: 4 TIA (transitorische ischämische Attacke): maximal 24 h anhaltende Symptomatik 4 PRIND (prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit): Symptomatikrückbildung innerhalb von 1 Tag bis 3 Wochen 4 Apoplexie: dauerhafte neurologische Ausfälle
Hypoglykämie Definition. Bewusstseinseintrübung durch Absinken des Blutzuckerspiegels unter 60mg/dl.
Ätiopathogenese. Ursache kann sein:
Diagnostik. Blutzuckertest.
4 Zerebrale Ischämie: thrombotisch oder embolisch bedingte Minderdurchblutung, 4 Blutung: intrazerebral (hypertone Massenblutung, Aneurysmaruptur, Gerinnungsstörung), subarachnoidal (Aneurysmaruptur) 4 Zerebrale venöse Abflussstörung Symptomatik. Die Symptomatik richtet sich nach der
Ursache: 4 Zerebrale Ischämie: motorisches und/oder sensibles Defizit, zunehmende Bewusstseinseintrübung, Cheyne-Stokes-Atmung, Pupillenerweiterung 4 Blutung: plötzliche starke Kopfschmerzen, Schweißausbruch, Übelkeit, Meningismus und häufig Krampfanfälle 4 Zerebrale venöse Abflussstörung: langsame Symptomatik, frühzeitig Kopfschmerzen
Polyurie, Blutzucker über 300mg/dl, vertiefte Atmung, Tachykardie, normaler bis hypertoner Blutdruck, Azetongeruch, herabgesetzter Hautturgor, schlaffer Muskeltonus, Somnolenz bis hin zum Koma. Diagnostik. Blutzuckertest. Therapie. Infusionstherapie (Elektrolytlösung, gezielte
Infusionstherapie).
Symptomatik. Plötzlicher Eintritt, akuter Erregungszu-
stand mit Unruhe, Zittern und Schwitzen, Heißhunger, Bauch- und Kopfschmerzen, Schwächegefühl, normale bis tiefe Atmung, Tachykardie, Blutdruck normal bis hyperton, Somnolenz bis hin zum Koma.
Therapie. Zuckerzufuhr oral oder bei Bewusstlosigkeit
i.v. 10 g Glukose (entspricht 25 ml Glukose 40%) steigern den Serumblutzucker um 100 mg/dl. ! Cave Glukose hat eine schädigende Wirkung auf die Gefäßwand, daher i.v. Verabreichung nur unter laufender Infusion und sehr langsam!
Krampfanfälle, Epilepsie Definition. Funktionsstörungen des Gehirns durch exzessive elektrische Entladung von Nervenzellen des ZNS. Status epilepticus: Anfall länger als 30 min oder Anfälle, die sich in sehr kurzen Abständen wiederholen, ohne dass der Patient zwischenzeitlich das Bewusstsein wiedererlangt.
Zur allgemeinen Symptomatik zählen plötzlich auftretende Halbseitenstörungen (sensibel und/oder motorisch), Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle, pathologische Reflexe.
Ätiopathogenese. Unterschieden werden generalisier-
Therapie. Nur Blutdrücke über 220 mmHg systolisch
Petit-mal-Anfälle 4 Blitz-Nick-Salaam-Anfälle: wenige Sekunden dauernde Vorwärtsbewegung des Kopfes mit Abspreizen der Arme, meist 1. bis 3. Lebensjahr 4 Myoklonisch-astatische Anfälle: klonische Zuckungen mit plötzlichem Hinstürzen, meist 4. und 5. Lebensjahr 6
bzw. 120 mmHg diastolisch sollten korrigiert werden, damit die Sauerstoffversorgung des Gehirns gewährleistet bleibt. Medikamente: Sauerstoff. Hyperglykämie, diabetisches Koma Definition. Anstieg des Blutzuckerspiegels mit mögli-
cherweise nachfolgender Bewusstseinstrübung.
te Krampfanfälle, bei denen der ganze Körper betroffen ist (Grand-mal-Anfall, Absencen) von fokalen, auf eine Körperregion begrenzte Anfällen.
223 7.7 · Vitalfunktionsstörungen
4 Pyknoleptische Absenzen: wenige Sekunden dauernde scheinbar geistige Abwesenheit mit Rückwärtsneigen des Kopfes 4 Impulsiv-petit-mal-Anfälle: klonische Zuckungen an Armen und Schultern für wenige Sekunden ohne Bewusstlosigkeit, meist 14. bis 17. Lebensjahr Fokale Krampfanfälle 4 Jackson-Anfälle: sich von einem Körperteil ausbreitende Sensibilitäts- und Bewegungsstörungen im Sinne eines Krampfgeschehens, meist von distal nach proximal; in der Regel ist nur eine Körperhälfte betroffen; meist direkter Hinweis auf eine entsprechende Hirnschädigung
Symptomatik. Beginn des Grand-mal-Anfalls evtl. mit
fokalem Krampfgeschehen, plötzliches Auftreten, Bewusstlosigkeit, evtl. weite, lichtstarre Pupillen, tonischklonische Krämpfe, Zyanose, evtl. Atemstillstand, Tachykardie, Hypertonie, Schwitzen, evtl. Zungenbiss, Einnässen, Einkoten, nach dem Anfall Benommenheit, Desorientiertheit, meist Nachschlaf (terminaler Schlaf). > Den Patienten nach einem Krampfanfall regelmäßig wecken, um seine Bewusstseinslage abzuklären.
Therapie. Beim Grand-mal-Anfall Verletzungsschutz (Beißschutz aber nicht erzwingen und immer auf die eigenen Finger achten), Blutzucker testen, nach Möglichkeit einen intravenösen Zugang legen und medikamentös versuchen den Anfall zu durchbrechen. Medikamente: Benzodiazepine (z. B. Lorazepam oder Diazepam), ggf. Narkose (z. B. Thiopental-Natrium).
Synkope Definition. Plötzliche Ohnmacht; meist kurzdauernde
Bewusstseinsstörung mit oder ohne Sturz durch Blutverteilungsstörungen. Ätiopathogenese. Unterschieden werden:
4 Vasovagale Synkope: starke Emotionen (Blutsehen, Ekel, Schreck, Angst, Schmerz), Hitze oder Kälte sowie akute Vagusreizung (Pleurapunktion, Kolik) können innerhalb von Sekunden zu einem akuten Blutdruck- und Herzfrequenzabfall führen 4 Orthostatische Dysregulation: körperliches Unvermögen, sofort durch Gefäßwiderstandsanpassung auf Lageänderungen des Körpers zu reagieren, so bedingter Blutdruckabfall 4 Pressorische Synkope: Reizung der Druckrezeptoren mit reflektorischem Blutdruck- und Herzfrequenzabfall bei Stuhl- oder Harnpressen oder Valsalva-Pressversuch 4 Kardiale Synkope: Adams-Stokes-Anfall (AVBlock, Carotis-Sinus-Syndrom, ventrikuläre Tachykardie etc.) 4 Metabolische Synkope: Hypoglykämie, Hypokapnie bei Hyperventilationssyndrom 4 Zerebrale Synkope: Epilepsie, TIA, PRIND, Apoplex, intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma 4 Vena-cava-Kompressionssyndrom (7 Kap. 7.9.1) 4 Hitzekollaps/Hitzeohnmacht Therapie. Schocklagerung, Beruhigung, Vitalwertkont-
rollen. Medikamente: Sympathomimetika (z. B. Etilefrin oder Theodrenalin und Cafedrin).
In Kürze Störungen des Bewusstseins Apoplektischer Insult
4 Symptomatik: plötzlich auftretende Halbseitenstörungen, Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle, pathologische Reflexe 4 Ätiologie: zerebrale Ischämie, Blutung, zerebrale venöse Abflussstörung 4 Diagnostik: CT/MRT, neurologische Untersuchung 4 Therapie: nur Blutdrücke über 220 mmHg systolisch bzw. 120 mmHg diastolisch korrigieren, Medikamente
Hyperglykämie
4 Symptomatik: langsame Entwicklung, Durstgefühl, Polyurie, Blutzucker über 300 mg/dl, vertiefte Atmung, Tachykardie, normaler bis hypertoner Blutdruck, Azetongeruch, herabgesetzter Hautturgor, schlaffer Muskeltonus, Somnolenz bis hin zum Koma 4 Diagnostik: Blutzuckertest 4 Therapie: Infusionstherapie
6
7
224
7
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Hypoglykämie
4 Symptomatik: akuter Erregungszustand mit Unruhe, Zittern und Schwitzen, Heißhunger, Bauch- und Kopfschmerzen, Schwächegefühl, normale bis tiefe Atmung, Tachykardie, Blutdruck normal bis hyperton, Somnolenz bis hin zum Koma 4 Diagnostik: Blutzuckertest 4 Therapie: Zuckerzufuhr oral oder bei Bewusstlosigkeit
Krampfanfälle, Epilepsie
4 Symptomatik: plötzliches auftreten, Bewusstlosigkeit, evtl. weite, lichtstarre Pupillen, tonisch-klonische Krämpfe, Zyanose, evtl. Atemstillstand, Tachykardie, Hypertonie, Schwitzen, evtl. Zungenbiss, Einnässen, Einkoten, nach dem Anfall Benommenheit, Desorientiertheit, meist Nachschlaf 4 Ätiologie: unterschieden werden generalisierte Krampfanfälle, bei denen der ganze Körper betroffen ist (Grand-mal-Anfall,, Absencen) von fokalen, auf eine Körperregion begrenzte Anfälle 4 Diagnostik: cCT, MRT, EEG 4 Therapie: beim Grand-mal-Anfall Verletzungsschutz, Blutzuckertest, nach Möglichkeit intravenöser Zugang, Medikamente
7.7.4 Störungen der Homöostase Störungen der Homöostase sind fast immer gut zu erkennen und zu beheben. Sie sollten allerdings nur unter laborchemische Kontrolle und engmaschiger Kontrolle der Vitalwerte behoben werden. Wasser-Elektrolyt-Haushalt Dehydratation Definition. Wassermengenabfall, Flüssigkeitsverlust sowie daraus resultierende Exsikkose und Schock. Ätiopathogenese. Unterschieden wird:
4 Isotone Dehydratation: Der Elektrolytverlust entspricht dem Wasserverlust, d. h. es liegt ein Verlust isotoner Körperflüssigkeiten vor, der osmotische Druck bleibt aber normal. Mögliche Ursachen sind Erbrechen, Durchfälle, forcierte Diurese, Blutverlust, Verbrennungen, ungenügende Flüssigkeitsund Elektrolytaufnahme, Nebenniereninsuffizienz. 4 Hypotone Dehydratation: Der Elektrolytverlust ist höher als der Wasserverlust, daraus resultierend Dehydratation im Extrazellularraum (EZR) bei Ödembildung im Intrazellularraum (IZR), der osmotische Druck ist erniedrigt. Mögliche Ursachen sind die gleichen wie bei der isotonen Dehydratation, jedoch meist im Zustand der Kompensation oder bei Infusionen, die viel »freies« Wasser enthalten (z. B. Glukose 5%). 4 Hypertone Dehydratation: Wasserdefizit aus IZR und EZR; osmotischer Druck erhöht. Mögliche Ursachen sind mangelhafte Wasserzufuhr, Was-
serverluste durch Schwitzen, Erbrechen, Durchfall, Hyperglykämie, Diabetes insipidus, Salzwasserertrinken. Symptomatik. Schlechter Allgemeinzustand, Schwäche,
Durst, Übelkeit, Unruhe, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, stehende Hautfalten, eingefallene Augen, fehlende Halsvenenfüllung, Schock. Therapie. Infundieren von Vollelektrolytlösungen, ggf.
Volumenersatz, kontrollierter Elektrolytausgleich. Hyperhydratation Definition. Erhöhung der Wassermenge im Körper. Ätiopathogenese. Unterschieden wird:
4 Isotone Hyperhydratation: isotone Flüssigkeitszunahme im EZR bei normalem osmotischem Druck. Mögliche Ursachen sind Herzinsuffizienz, nephrotisches Syndrom, dekompensierte Leberzirrhose, Infusion großer Mengen isotoner Lösungen, Niereninsuffizienz, Hyperaldosteronismus. 4 Hypotone Hyperhydratation: Wasserzufuhr ist größer als Elektrolytzufuhr, d. h. es liegt ein Verdünnung vor, EZR und IZR sind betroffen, der osmotische Druck ist erniedrigt. Mögliche Ursachen sind Süßwasserertrinken, Trinken von destilliertem Wasser (Hämolyse!, vermehrter Abbau bzw. Zerfall der Erythrozyten mit daraus folgender Anämie), intensive Magenspülung. 4 Hypertone Hyperhydratation: die Elektrolytzufuhr übersteigt die Wasserzufuhr, daraus resultierende Hyperhydratation im EZR bei Dehydratation
225 7.8 · Neuropsychiatrische Notfälle
im IZR, der osmotische Druck ist erhöht. Mögliche Ursachen sind Salzwasserertrinken, Conn-Syndrom (primärer Hyperaldosteronismus), Infusion hypertoner Lösungen. Symptomatik. Gewichtszunahme, Ödeme der Extremitäten, Lungenödem, Hirnödem, gespannte Haut mit fehlender Hautfältelung, Bluthochdruck, Hirndrucksymptome. Therapie. Diuretikatherapie.
Säure-Basen-Haushalt Alkalose Definition. Alkalose pH>7,45 (Azidose pH>7,35). Ätiopathogenese. Unterschieden werden:
4 Respiratorische Ursachen: verminderte Kohlendioxidkonzentration im Blut durch verstärkte Abatmung (Hyperventilation) 4 Metabolische Ursachen: Erbrechen, Hyperaldosteronismus, Vergiftungen, iatrogen Auslöser, z. B. Diuretikatherapie (Hypokaliämie) oder Überdosierung von Natriumhydrogenkarbonat, Laktat und Citrat Symptomatik. Unruhe, Bewusstseinsstörungen bis Be-
wusstlosigkeit, Blässe, evtl. Zyanose, Blutdruckabfall, Puls evtl. bradykard, tachykard oder arrhythmisch, vorausgehendes starkes Erbrechen. Therapie. Bei respiratorischer Ursache den Patienten in
eine Tüte atmen lassen und vor allem beruhigen! Bei metabolischer Ursache medikamentöse Therapie erst nach Blutgasanalyse unter kontrollierten Bedingungen in der Klinik.
7
! Cave Azidosekorrektur nicht ohne Blutgasanalyse! Bei zu schnellem Ausgleich einer metabolischen Azidose mit Natriumhydrogenkarbonat besteht die Gefahr der Hypokaliämie und der Entwicklung eines Hirnödems.
7.8
Neuropsychiatrische Notfälle
Es gibt ein paar wenige Maßnahmen, die bei neuropsychiatrischen Notfällen sehr einfach, aber umso effektiver sind: den Patienten überzeugend ernstnehmen, beruhigend mit dem Patienten reden, den Patienten nie aus den Augen lassen und den eigenen Schutz immer im Kopf behalten. Eventuell kann vor Ort Diazepam zur kurzfristigen Beruhigung des Patienten eingesetzt werden, ansonsten kann man medikamentös in der Notfallsituation wenig erreichen, da die meisten Psychopharmaka Tage bis Wochen bis zum effektiven Wirkeintritt brauchen. Akute Angst Definition. Empfindungs- und Verhaltenssituation aus Ungewissheit und Anspannung, die durch eine eingetretene oder erwartete Bedrohung (z. B. Schmerz, Verlust, Tod) hervorgerufen wird. Symptomatik. Realangst, Blutdruckanstieg, Tachykar-
die, Schweißausbrüche, schnelle und tiefe Atmung, Schwindel, Blässe (Gefäßreaktion), Mundtrockenheit, Muskelanspannung. Therapie. Beruhigung durch Zuspruch, Vitalwertkont-
rolle, ggf. Diazepam, ggf. Haloperidol. Akuter Erregungszustand, Panikstörung
Azidose
Definition. Zustand gesteigerter Funktionen auf geis-
Definition. Azidose pH>7,35 (Alkalose pH>7,45).
tig-seelischer oder auch motorischer Ebene bzw. plötzliche Angstanfälle, ohne dass objektiv gesehen eine reale Gefahr besteht.
Ätiopathogenese. Unterschieden werden:
4 Respiratorische Ursache: erhöhte Kohlendioxidkonzentration im Blut durch Ateminsuffizienz 4 Metabolische Ursache: Minderversorgung des Gewebes mit Sauerstoff, z. B. durch Schock oder HerzKreislauf-Stillstand; vermehrte Bildung von Kohlendioxid und Säuren, z. B. beim diabetischen Koma oder bei längerem Hungern; Niereninsuffizienz/versagen; Durchfall, Gallen- und Bauchspeicheldrüsenfisteln; Hyperkaliämie; Vergiftungen
Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind akute psy-
chische Belastungssituationen, Psychosen, Manien etc. Symptomatik. Unruhe, psychomotorische Erregung,
Antriebssteigerung, Aggressivität, Euphorie, Panik, Verwirrtheit, Wut, Tachykardie evtl. Arrhythmie, Blutdruckanstieg, Schwitzen. Therapie. Beruhigung, Vitalwertkontrolle, evtl. Sedie-
Therapie. Sauerstoffgabe, ggf. Hyperventilation beim
beatmeten Patienten.
rung. Medikamente: ggf. Diazepam, ggf. Haloperidol, evtl. Narkoseeinleitung.
226
Kapitel 7 · Notfallmedizin
! Cave Immer auf Eigenschutz achten!
Ggf. Behandlung nur in Anwesenheit der Polizei, da die Patienten sich oftmals nicht krank fühlen, und auch kein Einsehen haben, dass sie Hilfe brauchen. Dadurch kann die vorhandene Aggressivität noch weiter gesteigert werden. Verwirrtheit, organische Halluzinose Definition. Bewusstseinsstörung, die sich als eine Kombination von Denkstörungen, Erinnerungsverfälschung und Desorientiertheit beschreiben lässt und z. B. im Rahmen organischer Psychosen wie Alzheimer-Erkrankung auftritt.
7
Stupor Beim Stupor lässt der Patient weder seelische noch körperliche Aktivität erkennen bei meist klarem Bewusstsein. Erste Maßnahmen sind die Vitalwertkontrolle, bei Verdacht auf Schizophrenie ggf. Gabe von Haloperidol.
Hyperventilationssyndrom Synonym. Tetanie. Definition. Spannungs- bzw. Krampfzustand der Mus-
kulatur und/oder Synkope durch Hyperventilation meist bei psychischer Belastung, z. B. Aufregung, seelische Konflikte). Symptomatik. Unruhe, schnelle tiefe Atmung, vom Pa-
Therapie. Vitalwertkontrolle, Blutzuckerkontrolle, Pati-
tient subjektiv empfundene Atemnot. Kribbeln bzw. Taubheitsgefühl, beginnend im Lippenbereich und den distalen Extremitäten, proximal aufsteigend, Pfötchenstellung, evtl. Karpfenmund, Synkope oder funktionelle Herzbeschwerden, Blässe, Schwitzen, Reflexüberaktivität, Tachykardie, Blutdruck normal bis erhöht, Chvostek-Zeichen positiv (beim Beklopfen der mittleren Wange auftretende Zuckungen).
ent nicht unbeaufsichtigt lassen. Medikamente: ggf. Benzodiazepine, Neuroleptika.
Therapie. Beruhigung, störende Stressfaktoren versu-
Symptomatik. Räumliche und zeitliche Orientierungs-
störungen, Unruhe, schlecht verständliche oder zusammenhanglose Sprache, Unfähigkeit, sich geordnet zu unterhalten, Störungen des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit sowie Konzentrationsstörungen.
Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Opioide und Cannabinoide, Entzugssyndrom mit Delir Definition. Zustand im Rahmen von Alkoholismus und Drogenentzug, sowie bei akuten organischen Psychosen. Symptomatik. Bewusstseins- und Orientierungsstö-
rungen, Halluzinationen, vegetative Störungen wie Schwitzen, Tachykardie, Hypertonie, Zittern, motorische Unruhe. Therapie. Vitalwertkontrolle, Patient nicht alleine las-
sen, Sauerstoffgabe. Der Eigenschutz muss an erster Stelle stehen. Medikamente: bei Entzugsdelir ggf. Clonidin. Der Eigenschutz muss an erster Stelle stehen.
chen zu entfernen, Atemkommandos, zur Not den Patienten rückatmen (in eine Tüte atmen) lassen und ihm somit das fehlende Kohlendioxid zukommen lassen, Medikamente nur in äußerst schweren Fällen. Suizidalität, vorsätzliche Selbstbeschädigung Definition. Äußern, Androhen oder absichtliches
Durchführen von Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die eigene Gesundheit zu schädigen, das eigene Leben zu verkürzen oder zu beenden. Symptomatik. Sofern die Suizidmaßnahmen nicht
durchgeführt wurden: Depressive Verstimmung, Angst, Trauer, Wut, Aktivität, Nervosität, Aggression, Entspannung, abnorme Gelassenheit. Therapie.Vorhandene Verletzungen versorgen, Zu-
spruch. ! Cave Bei Alkoholismus oder Drogenentzug kann der Patient ganz plötzlich und völlig unerwartet reagieren, u. a. sehr aggressiv.
> Den Patienten ernst nehmen und vor Selbstgefährdung schützen (Einweisung in eine geschlossene Psychiatrie), dabei aber den Eigenschutz niemals vergessen!
227 7.9 · Notfallmedizin bei Schwangeren und Kindern
7
In Kürze Neuropsychiatrische Notfälle
7.9
Panikstörung
4 Symptomatik: Unruhe, psychomotorische Erregung, Antriebssteigerung, Aggressivität, Euphorie, Panik, Verwirrtheit, Wut Tachykardie, evtl. Arrhythmie, Blutdruckanstieg, Schwitzen 4 Ätiologie: akute psychische Belastungssituationen, Psychosen, Manien 4 Therapie: Beruhigung, Vitalwertkontrolle, evtl. Sedierung, Medikamente
Organische Halluzinose
4 Symptomatik: räumliche und zeitliche Orientierungsstörungen, Unruhe, schlecht verständliche oder zusammenhanglose Sprache, Unfähigkeit, sich geordnet zu unterhalten, Störungen des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit sowie Konzentrationsstörungen 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, Blutzuckerkontrolle, Patient beaufsichtigen, Medikamente
Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Opioide und Cannabinoide, Entzugssyndrom mit Delir
4 Symptomatik: Bewusstseins- und Orientierungsstörungen, Halluzinationen, vegetative Störungen wie Schwitzen, Tachykardie, Hypertonie, Zittern, motorische Unruhe 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, Patient nicht alleine lassen, Sauerstoffgabe, Eigenschutz absolut wichtig, Medikamente
Suizidalität, vorsätzliche Selbstbeschädigung
4 Symptomatik: depressive Verstimmung, Angst, Trauer, Wut, Aktivität, Nervosität, Aggression, Entspannung, abnorme Gelassenheit 4 Therapie: vorhandene Verletzungen versorgen, Zuspruch
Notfallmedizin bei Schwangeren und Kindern
Sowohl bei Schwangeren als auch bei pädiatrischen Notfällen sind immer mindestens 2 Patienten zu betreuen (Eltern und Kind). Die Beruhigung der Patienten ist hilfreich und wichtig! 7.9.1 Notfälle in der Schwangerschaft EPH-Gestose, Eklampsie Definition. EPH-Gestose: Krankheitsbild, das nur in einer Schwangerschaft auftritt (Gestationstoxikose) und durch die Trias Ödeme (»edema«, E), Eiweißausscheidung im Urin (Proteinurie, P) und Bluthochdruck (Hypertonie, H) gekennzeichnet ist. Eklampsie: Krampfanfälle als schwerstes Stadium einer Gestose. Ätiopathogenese. Folgende Stadien der EPH-Gestose
werden unterschieden: 4 Stadium I: Auftreten eines der Leitsymptome 4 Stadium II: Auftreten von zwei oder drei Leitsymptomen
4 Stadium III: sog. Präeklampsie (drohende Eklampsie), alle Leitsymptome in voller Ausprägung mit drohendem tonisch-klonischem Krampfanfall 4 Stadium IV: Eklampsie, wiederkehrende tonischklonische Krampfanfälle von ca. 1 min Die EPH tritt in der Schwangerschaft unvermittelt auf. > Die Eklampsie gefährdet sowohl Mutter als auch Kind.
Mögliche Komplikationen der Eklampsie sind: 4 Tod des Kindes, in bis zu 50% der Fälle 4 Tod der Mutter, in bis zu 5% der Fälle 4 Lungenödem der Mutter 4 Schock der Mutter 4 Blutungen der Mutter Symptomatik. Anzeichen der Präeklampsie können sein
Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen, Sehstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Bewusstseinstrübung, Unruhe, Tachykardie, Reflexüberempfindlichkeit. Therapie. Vitalwertkontrolle, Beruhigung, schonende
Behandlung (das ungeborene Kind wird mitbehandelt).
228
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Die Behandlung der Eklampsie entspricht der anderer Krampfanfälle (7 Kap. 7.7.3). Medikamente: Magnesiumsulfat, ggf. Antikonvulsiva, Benzodiazepine (z. B. Diazepam), ggf. Antihypertonika bei exzessiv hohen Blutdruckwerten (z. B. Dihydralazin).
7
HELLP-Syndrom Eine besonders schwere Form der EPH-Gestose ist das HELLP-(hemolysis, elevated liver enzymes, low platelet count, Hämolyse, Anstieg der Transaminasen, Thrombozytopenie) Syndrom, das sich innerhalb von Stunden entwickeln kann. Typische Beschwerden sind gastrointestinale Beschwerden, Schmerzen im rechten Oberbauch, Leberschwellung, Übelkeit, Erbrechen. Mögliche Komplikationen sind akutes Nierenversagen, Lungenödem, intrauterine Asphyxie, Hirnblutung, subkapsuläre Leberblutung, Leberruptur. Überwiegend betroffen sind Erstgebärende. Das HELLP6
Syndrom tritt im letzten Schwangerschaftsdrittel auf. Medikamentös wird wie bei der EPH-Gestose behandelt.
Vena-cava-Kompressionssyndrom Definition. In Rückenlage der Schwangeren kann es Im letzten Drittel zum Abdrücken der V. cava inferior durch die Gebärmutter kommen. Symptomatik. Schwindel, Schwächegefühl, Übelkeit,
Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit, Blässe, Zyanose, kalter Schweiß, kühle Extremitäten, keine Halsvenenstauung, Schocksymptomatik (relativer Volumenmangelschock durch Verminderung des venösen Blutrückstroms zum Herzen). Therapie. Lagerung auf die linke Seite, Vitalwertkontrolle, Ausschluss anderer Ursachen für die Symptomatik. Zu Notfällen bei der Geburt 7 Kap. Gynäkologie
7.9.2 Pädiatrische Notfälle
Reanimation 4 Neugeborene – Indikation: Herzfrequenz unter 60/min. – Druckpunkt: Mittleres Sternumdrittel Verbindungslinie der Brustwarzen, 1 Querfinger in Richtung Bauch; daneben 2 Finger aufsetzen oder Brustkorb umgreifen (mit den Daumen komprimieren). – Verhältnis Beatmung:Kompression 1:3 4 Säuglinge – Indikation: Herzfrequenz unter 60/min – Druckpunkt: Mittleres Sternumdrittel Verbindungslinie der Brustwarzen, 1 Querfinger in Richtung Bauch; daneben 2–3 Finger aufsetzen – Verhältnis Beatmung:Kompression 1:5
Aspiration, Bolusgeschehen Definition. Aspiration: Einatmen fester oder flüssiger Stoffe in die Atemwege. Bolusgeschehen: Verlegung der Atemwege durch einen Fremdkörper. Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind:
4 Bei der Geburt: Mekoniumaspiration, vor allem bei übertragenen Neugeborenen 4 Postnatal: Aspiration von Nahrungsmitteln, z. B. Milch; häufig bei Erbrechen in Rückenlage, Puder 4 Säuglinge, Kleinkinder: Aspiration fester Nahrungsbestandteile, kleinerer fester Gegenstände, z. B. Spielzeug
4 Kinder, 1–8 Jahre – Indikation: fehlende Zeichen der Zirkulation. – Druckpunkt: untere Brustbeinhälfte; dort 1 Handballen aufsetzen. – Verhältnis Beatmung:Kompression 1:5 4 Kinder über 8 Jahre – Indikation: fehlende Zeichen der Zirkulation – Druckpunkt: untere Brustbeinhälfte; dort beide Handballen übereinander legen – Verhältnis Beatmung:Kompression 2:30 Drucktiefe: Der Brustkorb soll jeweils zu einem Drittel eingedrückt werden, das entspricht beim Säugling 2 cm, beim Kind 3–4 cm und beim Erwachsenen 4–5 cm
Symptomatik. Akute Atemnot, evtl. Atemstillstand,
Blässe, evtl. Zyanose, Sauerstoffsättigungsabfall, Tachykardie, evtl. einseitige oder fehlende Atembewegung, fehlendes Atemgeräusch, Stridor, inverse Atmung, Brustkorbeinziehungen, Nasenflügeln, Giemen, Würgen, Keuchen, plötzliches Husten, Heiserkeit, Trinkunlust, Unruhe, evtl. Bewusstseinsstörungen, Schwäche, evtl. Fieber, intensiver Speichelfluss. Therapie. Freimachen bzw. Freihalten der Atemwege
durch gezielte Mundraum-/Rachenkontrolle, Schlag zwischen die Schulterblätter (durchaus auch in Kopf-
229 7.9 · Notfallmedizin bei Schwangeren und Kindern
7
tieflage), danach Oberkörperhochlagerung, Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung, Vitalwertkontrolle.
mehrter Speichelfluss, Heiserkeit, schweres Erkrankungsbild, evtl. Bewusstseinsstörungen.
! Cave
Therapie. Beruhigung, evtl. Sauerstoffgabe bzw. Beat-
Vorsicht bei Racheninspektion, da es bei Kindern reflektorisch zum Herzstillstand kommen kann.
Pseudokrupp Synonym. Laryngitis subglottica. Definition. Entzündung der unteren Atemwege im Be-
mung, Vitalwertkontrolle. Kehlkopf und Rachen sollten nicht inspiziert werden. ! Cave Bei Mund-Rachen-Inspektion muss immer mit reflektorischem Herz- oder Atemstillstand gerechnet werden.
reich des Kehlkopfes unterhalb der Glottis. Ätiopathogenese. Die Atemnotanfälle treten gehäuft
abends bzw. nachts, bevorzugt im Herbst und fast ausschließlich bei Kindern zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr auf. Begünstigend wirken Umweltfaktoren wie Wetterumschwung, Umweltverschmutzung. Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist der in Zusammenhang mit Diphtherie auftretende Krupp (echter Krupp) sowie die Epiglottitis.
Fieberkrampf Definition. Krampfanfall durch zu raschen und zu hohen Temperaturanstieg. Ätiopathogenese. Fieberkrämpfe treten meist bei Kin-
dern zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 6. Lebensjahr auf. Symptomatik. Bewusstseinsstörungen, tonisch-kloni-
sche Krämpfe, evtl. Zungenbiss, Einnässen. Symptomatik. Angst, bellender Husten, Heiserkeit, in-
spiratorischer Stridor, Zyanose, evtl. interkostale oder sternale Einziehungen, evtl. Bewusstseinsstörungen. !Cave Schluckstörungen treten beim Pseudokrupp nicht auf.
Therapie. Im Vordergrund steht zunächst der Schutz
des Patienten vor Verletzung und die Fiebersenkung. Deshalb kalte Wickel, medikamentöse Temperatursenkung (z. B. Paracetamol), wenn die Krampfdauer 2 min überschreitet rektal Diazepam. Sauerstoffgabe, Vitalwertkontrolle, bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage.
Therapie. Beruhigung, kaltes Wasser trinken lassen,
Dehydratation
feuchte Luft einatmen lassen, ggf. Sauerstoffgabe, Vitalwertkontrolle. Medikamente: Kortikoide (z. B. Prednisolon rektal), Antipyretika (z. B. Paracetamol rectal), ggf. Adrenalin inhalativ.
Ätiopathogenese. Erbrechen, Durchfälle, z. B. bei
Akute Epiglottitis Definition. Kehldeckelentzündung durch Infektion mit Haemophilus influenzae Typ B.
Darminfektion, Infektionen, z. B. Pneumonie, Blutverlust, Verbrennung, Diabetes mellitus bzw. insipidus, adrenogenitales Syndrom, unzureichende Flüssigkeitsaufnahme. Symptomatik. Erbrechen, Oligurie, Durchfall, Schwä-
Ätiopathogenese. Die Epiglottitis tritt ganzjährig auf, vermehrt bei Kindern zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr.
che, Fieber, Unruhe, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, schnelle flache Atmung, Schocksymptomatik, eingesunkene Augen, eingesunkene Fontanelle, stehende Hautfalten, trockene Schleimhäute, Petechien, kalte Extremitäten.
Symptomatik. Fieber bis 40°C, Halsschmerzen, Hals-
Therapie. Vitalwertkontrolle, Rehydratation mit Elek-
schwellung, Obstruktion der oberen Luftwege, ver-
trolytlösungen nach WHO Schema.
230
Kapitel 7 · Notfallmedizin
In Kürze Notfallmedizin bei Schwangeren und Kindern Eklampsie
4 Symptomatik: Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen, Sehstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Bewusstseinstrübung, Unruhe, Tachykardie, Reflexüberempfindlichkeit 4 Diagnostik: Stadium I: Auftreten eines der Leitsymptome. Stadium II: Auftreten von zwei oder drei Leitsymptomen. Stadium III: sog. Präeklampsie, alle Leitsymptome in voller Ausprägung mit drohendem tonisch-klonischem Krampfanfall. Stadium IV: Eklampsie, wiederkehrende tonisch-klonische Krampfanfälle von ca. 1 min 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, Beruhigung, schonende Behandlung, Behandlung der Eklampsie entspricht der anderer Krampfanfälle, Medikamente
Pseudokrupp
4 Symptomatik: Angst, bellender Husten, Heiserkeit, inspiratorischer Stridor, Zyanose, evtl. interkostale oder sternale Einziehungen, evtl. Bewusstseinsstörungen 4 Ätiologie: Atemnotanfälle abends bzw. nachts, bevorzugt im Herbst und fast ausschließlich bei Kindern zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr, Umweltverschmutzung 4 Therapie: Beruhigung, kaltes Wasser trinken lassen, feuchte Luft einatmen lassen, ggf. Sauerstoffgabe, Vitalwertkontrolle, Medikamente
Aspiration, Bolusgeschehen
4 Symptomatik: akute Atemnot, evtl. Atemstillstand, Blässe, evtl. Zyanose, Sauerstoffsättigungsabfall, Tachykardie, evtl. einseitige oder fehlende Atembewegung, fehlendes Atemgeräusch, Stridor, inverse Atmung, Brustkorbeinziehungen, Nasenflügeln, Giemen, Würgen, Keuchen, plötzliches Husten, Heiserkeit, Trinkunlust, Unruhe, evtl. Bewusstseinsstörungen, Schwäche, evtl. Fieber, intensiver Speichelfluss 4 Ätiologie: bei der Geburt: Mekoniumaspiration, vor allem bei übertragenen Neugeborenen. Postnatal: Aspiration von Nahrungsmitteln, z. B. Milch. Häufig bei Erbrechen in Rückenlage, Puder. Säuglinge, Kleinkinder: Aspiration fester Nahrungsbestandteile, kleinerer fester Gegenstände, z. B. Spielzeug 4 Therapie: Freimachen bzw. Freihalten der Atemwege, Schlag zwischen die Schulterblätter, danach Oberkörperhochlagerung, Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung, Vitalwertkontrolle
7
7.10
Traumatologische Notfälle
7.10.1 Versorgung Schienung Schienung, meist der Extremitäten, dient der Ruhigstellung, bewirkt aber auch oftmals schon eine Schmerzlinderung. Die verletzte Extremität ist somit beispielsweise vor Anstößen oder ruckartigen bzw. falschen Bewegungen geschützt. Nicht nur Frakturen, auch Bänderrisse und Luxationen sollten geschient werden. Außerhalb der Klinik stehen Vakuumschienen (für Kinder bedingt einsetzbar) oder Samsplint (gut für erwachsene Arme und Füße und für Kinderextremitäten einsetzbar) zur Verfügung.
Samsplint Samsplint sind Schienen, die ganz individuell angepasst bzw. verformt werden können. Sie sind röntgendurchlässig, desinfizierbar und klein zusammen zu rollen und somit sehr leicht und platzsparend.
Zur Stabilisierung der Halswirbelsäule steht das sog. Stiffneck zur Verfügung, zur Stabilisierung der restlichen Wirbelsäule und des Beckens eine Vakuummatratze. > In einer Notfallsituation kann prinzipiell alles zur Stabilisierung benutzt werden, was sich dafür eignet. Schienung in der Klinik In der Klinik gibt es noch weitere Möglichkeiten der Immobilisation, wie Protheraschiene (thermoplastisch verform6
231 7.10 · Traumatologische Notfälle
bare Schiene), Volkmann-Schiene (Lagerungsschiene) oder einfache Gipslonguetten.
7
7.10.2 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Definition. Schädelverletzung mit Beteiligung des Hirns.
Frakturversorgung Unterschieden werden: 4 Sichere Frakturzeichen 5 Abnorme Stellung 5 Abnorme Beweglichkeit 5 Krepitation 5 sichtbare Knochen bei offenen Frakturen 4 Unsichere Frakturzeichen 5 Starke Schmerzen 5 Hämatome 5 Massive Schwellung 5 Funktionsstörungen Daneben werden offene und geschlossene Frakturen unterschieden. > Besteht auch nur der Verdacht auf eine Fraktur, muss die entsprechende Region vorsichtig behandelt werden.
Nach Prüfung der Sensibilität und soweit möglich der Motorik wird eine Schieneangelegt. Offene Frakturen zuvor steril abgedeckt, die Schiene sollte nicht auf die Wunde aufgelegt werden. Wundversorgung, Blutstillung Kleinere Blutungen können meist mit Auflage einer sterilen Kompresse und Anlage eines normalen Verbandes gestoppt werden. Größere, stark blutende Wunden werden primär durch einen sterilen Druckverband versorgt. Es muss darauf geachtet werden, dass er die Blutung stillt, aber den venösen Rückstrom nicht behindert. Zusätzlich zum Druckverband sollte eine verletzte Extremität hochgelagert werden, um die Durchblutung dieser und den Blutverlust auf ein Minimum zu senken. Gelingt die Blutstillung nicht, kann im Notfall auch eine verletzte Extremität abgebunden werden. Genau festgehalten werden muss, zu welcher Uhrzeit mit dem Abbinden begonnen wurde. ! Cave Einschneidende Gegenstände dürfen zum Abbinden nicht verwendet werden, das Gefäß sollte nicht direkt mit einer Gefäßklemme abgeklemmt werden, um Nekrosen zu vermeiden.
Ätiopathogenese. Unterschieden wird das:
4 Offene SHT: Verletzung der Dura mater; Verbindung des Liquorraumes nach außen 4 Geschlossene SHT: ohne Eröffnung der Dura mater ! Cave Bei offenem SHT besteht eine erhöhte Infektionsgefahr mit Folgeerkrankungen wie z. B. Meningitis oder Enzephalitis.
Den Schweregrad der Verletzung berücksichtigt folgende Einteilung: 4 SHT Grad I: Commotio cerebri; Bewusstseinsstörungen bis zu 10–15 min, retrograde Amnesie, vegetative Symptome wie Übelkeit und Erbrechen 4 SHT Grad II: Contusio cerebri; Bewusstseinsstörungen bis zu 24 h, vegetative und neurologische Symptomatik bis zu 2–3 Wochen 4 SHT Grad III: Bewusstlosigkeit über mehr als 24 h, neurologische Ausfallserscheinungen über mehr als 3 Wochen Symptomatik. Prellmarken, ggf. instabiler knöcherner
Schädel, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Kopfschmerz, Schwindel, Amnesie, Übelkeit, Erbrechen, Unruhe, Atemstörungen, evtl. Anisokorie, evtl. Krämpfe, evtl. sichtbare Hirnmasse, Liquoraustritt, Sprachstörungen, Sehstörungen, Lähmungen oder Gefühlsstörungen, Tachykardie, evtl. Arrhythmie. > Bei Schädelbasisfraktur zusätzlich Blutung oder Liquorausfluss aus Nase, Ohren und/oder Mund, Monokel-/Brillenhämatom.
Therapie. Vitalwertkontrolle, Bodycheck, Stiffneck-
Anlage, Oberkörperhochlage auf 30°, bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, offene Schädelverletzungen steril abdecken, Atem- und Pupillenkontrolle, Sauerstoffgabe. Medikamente: Analgetika (z. B. Piritramid), ggf. Benzodiazepine (z. B. Midazolam bei Krampfanfall Diazepam), ggf. Narkose (z. B. Etomidat) 7.10.3 Wirbelsäulenverletzung,
Rückenmarksverletzung Sinnvoll ist es die Blutdruckmanschette über den systolischen Blutdruck aufzupumpen. Die weitere Versorgung erfolgt in der Klinik durch Chirurgen und Anästhesisten.
Definition. Prellung (Schleudertrauma) oder Fraktur
der Wirbelsäule bzw. Commotio, Kontusion oder Kompression des Rückenmarks.
232
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Symptomatik. Schmerzen (Druck- und Klopfschmerz über der Wirbelsäule), Nackensteifigkeit bei HWS-Beteiligung, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, unwillkürlicher Harn- und Stuhlabgang, Blutdruckabfall, Tachykardie, evtl. Bradykardie bei spinalem Schock, Atemstörungen bei hohem Querschnitt, ggf. Querschnittssymptomatik, d. h. ein- oder beidseitige motorische und sensorischen Ausfälle bis zur Höhe des verletzten Rückenmarkssegments.
Therapie. Lagerung auf verletzte Seite, Oberkörper-
hochlagerung, Vitalwertkontrolle, sofortige Entlastung bei Spannungspneumothorax, bei Verdacht auf Hämato- bzw. Pneumothorax Entlastung durch Legen einer Thoraxdrainage erwägen, großzügige Indikation zur Beatmung und Intubation, Sauerstoffgabe. Medikamente: Analgetika (z. B. Piritramid oder Ketamin). 7.10.5 Ertrinken, Beinaheertrinken
Therapie. Vitalwertkontrolle, Lagerung und Transport
in Vakuummatratze, ggf. Beatmung und Intubation. Transport in geeignetes Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie. Medikamente: Analgetika (z. B. Piritramid), ggf. Benzodiazepine (z. B. Midazolam).
7
! Cave Die Ruhigstellung muss schon beim Verdacht auf eine Wirbelsäulenverletzung (Erhärtung des Verdachts durch Kontrolle der Extremitätenmotorik und -sensibilität) erfolgen, bei Verdacht auf HWS-Beteiligung ist eine Stiffneck-Anlage zwingend.
7.10.4 Thoraxtrauma Definition. Verletzung des Brustkorbs mit beispielswei-
se Rippenserienfrakturen, Lungenkontusion, Lungenriss, Pneumothorax, Spannungspneumothorax, Hämatothorax, Herzkontusion, Herzbeuteltamponade, Ruptur großer Gefäße, Tracheal- oder Bronchusabriss. Symptomatik. Je nach Verletzung:
4 Prellmarken, Druckschmerz 4 Blasenbildung im Wundbereich (Hinweis auf offenes penetrierendes Trauma) 4 Atemnot (schnelle, flache Atmung), bei zunehmender Atemnot Verdacht auf Spannungspneumothorax 4 Asymmetrische Atembewegungen, evtl. paradoxe Atmung als Zeichen des instabilen Thorax (fehlende Thoraxbewegung bis hin zu Thoraxeinziehung bei Einatmung), z. B. bei Rippenserienfrakturen 4 Aufgehobenes Atemgeräusch (oft nur einseitig) bei Pneumothorax (zusätzlich hypersonorer Klopfschall) oder Hämatothorax (zusätzlich gedämpfter Klopfschall) 4 Prallgefüllte Halsvenen (bei Spannungspneumothorax und Herzbeuteltamponade) 4 Hautemphysem mit Hautknistern (bei Tracheal-/ Bronchusabriss oder Platzen einer Emphysemblase) 4 (Blut-)Husten, Blässe bis Zyanose, evtl. Schocksymptomatik
Symptomatik. Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlo-
sigkeit, Atemstörungen bis Atemstillstand, evtl. Rasselgeräusche als Hinweis auf ein Lungenödem, evtl. HerzKreislauf-Stillstand (Kammerflimmern), Zyanose, kalte Haut, Unterkühlung. ! Cave Eigenschutz nicht vergessen!
Therapie. Vitalwertkontrolle, Mund-/Rachenraum frei-
machen bzw. freihalten, evtl. Absaugen, nasse/kalte Kleidung entfernen, Patient langsam und gezielt erwärmen, großzügige Indikation zu Beatmung und Intubation, Sauerstoffgabe. Im Falle der Reanimation bedenken, dass sich durch die bestehende Hypothermie die Hypoxietoleranz der Organe vergrößert, d. h. eine längere Reanimation sinnvoll ist. ! Cave »Nobody is dead, until he’s warm and dead«.
7.10.6 Verbrennung Definition. Grad I: epidermale Schädigung. Grad II:
dermale Schädigung, Grad III: subdermale Schädigung, Grad IV: zusätzliche Schädigung. Ätiopathogenese. Das Ausmaß der Schädigung ist abhängig von Temperatur und Einwirkdauer. Abhängig von der Grad-Einteilung gilt: 4 Grad I: Betroffen ist nur die Oberhaut, eine Regeneration ist vollständig möglich ohne größere Eingriffe. 4 Grad II: Oberhaut und Lederhaut sind geschädigt oder teilzerstört, eine Regeneration ist mit einem längeren Heilungsprozess möglich, evtl. entstehen Narben. 4 Grad III: Hier liegt eine völlige Zerstörung des Hautgewebes ohne Regernationsmöglichkeit vor, eine spätere Hauttransplantation wird nötig sein. 4 Grad IV: Hierbei handelt es sich um die Zerstörung tieferliegender Strukturen (Muskeln, Bänder etc.).
233 7.10 · Traumatologische Notfälle
Die Abschätzung der Flächenausdehnung der verbrannten Areale erfolgt bei Erwachsenen nach der 9er-Regel: 4 9% Kopf 4 9% jeder Arm 4 9% jeder Oberschenkel 4 9% jeder Unterschenkel 4 2×9% vorderer Rumpf 4 2×9% hinterer Rumpf 4 1% Genitalregion Bei Kindern sieht die prozentuale Verteilung anders aus: 4 18% Kopf 4 9% jeder Arm 4 13,5% jedes Bein 4 18% vorderer Rumpf 4 18% hinterer Rumpf 4 1% Genitalregion Symptomatik. Zu erwarten sind bei
4 Grad I: Rötung, Schwellung, Schmerz 4 Grad II: Rötung, Schwellung, Schmerz, Blasenbildung 4 Grad III und IV: grau-weiße Nekrosen, evtl. tiefrote lederartige Verhärtung der Haut, ausgebrannte oder verkohlte Haut, fehlendes Schmerzempfinden
7
Symptomatik. Blasse, kalte, evtl. gefrorene Haut, Bewe-
gungsunfähigkeit, starke Schmerzen, im fortgeschritteneren Stadium Nachlassen bzw. Aufhören der Schmerzen, Gefühlsstörungen in Form von Beeinträchtigungen der Sensibilität. Unterschieden wird klinisch: 4 Grad I: Blässe oder Rötung, Schwellung, Schmerzen 4 Grad II: blau-rote Haut, Blasenbildung (sog. Frostbeulen), heftige Schmerzen 4 Grad III: irreversible Gewebszerstörung, Nekrosen, blutige Blasen, Schmerzfreiheit, Mumifikation 4 Grad IV (häufiger in Amerika und Skandinavien): Gangrän oder die Totalvereisung einer ganzen Extremität Therapie. Vitalwertkontrolle, Patient in warme Umge-
bung bringen (z. B. in den RTW), evtl. Strahler, Heizdecken, etc. benutzen, betroffene Stellen steril abdecken. Medikamente: Analgetika (z. B. Piritramid). Unterkühlung Synonym. Hypothermie. Definition. Erniedrigung der Körperkerntemperatur
ohne Gewebsschäden.
Therapie. Kleidung entfernen (verklebte oder ver-
Symptomatik. Erniedrigte Körperkerntemperatur, kalte,
schmolzene Kleidung bzw. Fremdkörper in der Wunde belassen), Kühlung mit lauwarmem Wasser (nur bei kleinflächigen Verbrennungen), sterile Wundabdeckung, Temperaturkontrolle (Gefahr der Auskühlung), Vitalwertkontrolle, großzügige Indikation für Beatmung und Intubation v. a. bei Verdacht auf Inhalationstrauma, Flüssigkeitsausgleich, medikamentöse Therapie, abhängig vom Ausmaß Transport in ein Verbrennungszentrum! Medikamente: Analgetika (z. B. Piritramid oder Ketamin), ggf. Benzodiazepine (z. B. Diazepam).
blass-zyanotische Haut, Müdigkeit, paradoxe Reaktionen (Patient entkleidet sich, da ihm zu warm ist): 4 Grad I (37–34°C): Phase der Erregungssteigerung; Patient bewusstseinsklar, Blutdruck und Puls erniedrigt, Kältezittern, Schmerzen, Haut blass und kalt 4 Grad II (34–30°C): Phase der Erregungsabnahme; Somnolenz, keine Schmerzen, Muskelstarre, Bradykardie, Arrhythmie, RR erniedrigt, arrhythmische Atmung, <33°C Bewusstseinsstörungen 4 Grad III (30–27°C): Phase der Lähmung; Koma, kaum tastbarer Puls, absolute Arrhythmie, Atemfrequenz und Atemtiefe nehmen ab, Apnoephasen, keine Reflexe, <30°C Bewusstlosigkeit 4 Grad IV (<27°C): Phase des Scheintodes
! Cave Die Kühlung sollte wegen der Gefahr eine Unterkühlung immer unter Beachtung der Gesamtumstände wie Größe/Lage des verbrannten Areals, Alter und Zeitspanne der vorausgegangenen Kühlung mit lauwarmem Wasser und nicht zu lange (maximal 10 min) stattfinden.
7.10.7 Erfrierung, Unterkühlung Erfrierung Definition. Schädigung von Gewebe durch Kälteein-
wirkung.
Therapie. Vitalwertkontrolle, rumpfferne Extremitä-
tenlagerung, um weitere zentrale Unterkühlung zu vermeiden, auch sonstige weitere Auskühlung vermeiden (Decke etc.). ! Cave Den Patienten nicht bewegen, nicht warmreiben etc., da die Herztätigkeit durch das kältere Blut aus den Extremitäten gestört werden kann.
234
Kapitel 7 · Notfallmedizin
Wenn keine Bewusstseinsstörungen vorliegen ggf. warme Flüssigkeiten verabreichen (keinen Alkohol). Medikamente: vorgewärmte isotone Infusion
Speichelfluss, Heiserkeit, Übelkeit, Magenkrämpfe, blutiges Erbrechen, blutige Durchfälle. Evtl. Schock, Krämpfe, Ateminsuffizienz.
> Reanimationspflichtige Patienten müssen so lange reanimiert werden, bis die normale Körpertemperatur erreicht ist.
! Cave
7.10.8
Insolation
Eigenschutz nicht vergessen (Handschuhe, evtl. Maske etc.)!
Therapie. Vitalwertkontrolle, kontaminierte Kleidung
entfernen, gröbere Partikel entfernen, kontaminierte Stellen ausgiebig mit Wasser spülen.
Synonym. Sonnenstich. ! Cave Definition. Unmittelbare lang andauernde Sonnenein-
strahlung auf den unbedeckten Kopf und Nacken, die zu Reizung der Hirnhäute und Hirnödem führt.
7
Symptomatik. Kopfschmerzen, hochroter Kopf, Menin-
gismus, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Schwindel, Ohrensausen, Unruhe, Tachykardie Therapie. Vitalwertkontrolle, kühle Umgebung, Kopf-
kühlung, Oberkörperhochlagerung. Medikamente: ggf. Bezodiazepine (z. B. Diazepam).
Augen niemals zur Nase hin ausspülen, sondern immer von der Nase weg, um das zweite Auge nicht ebenfalls zu gefährden. Kein Erbrechen induzieren wegen der Gefahr der erneuten Verätzung und Perforation des Ösophagus.
Keine Gabe von Mitteln wie z. B. Milch oder andere Substanzen, die eine chemische Reaktion eingehen können, ggf. Schocktherapie, evtl. medikamentöse Behandlung (z. B. Kohletabletten) bzw. Antidottherapie. 7.11
7.10.9
Elektrounfälle, Schäden durch elektrischen Strom
Symptomatik. Herzrhythmusstörungen, Kammerflim-
mern, Verkrampfung der Atemmuskulatur mit Atemstörungen und Atemstillstand, Bewusstseinsstörungen, Erregung der Muskulatur, durch entstandene toxische Eiweißzerfallsprodukte Nierenschädigung, Vergiftungserscheinungen, Verbrennungen, ggf. Netzhautschädigung, Verkohlungen. ! Cave
Ätiopathogenese. Die häufigste Intoxikation ist die
Ethanolvergiftung, welche leider auch schon bei Kindern vermehrt auftritt. Wie bei allen anderen Vergiftungen sollten auch hier die Vitalwerte kontrolliert werden und auch der Blutzucker gemessen und bei Hypoglykämie Glukose nach Bedarf gegeben werden. Symptomatik. Leitsymptom der Intoxikation ist die un-
klare Bewusstseinstörung. Therapie. Zunächst sollte sichergestellt werden, dass die
Schon bei Näherung an den Patienten den Eigenschutz nicht vergessen bzw. missachten! Sicherstellen, dass die Stromquelle ausgeschalten ist.
Therapie. Stromquelle ausschalten, Vitalwertkontrolle, Behandlung der Herzrhythmusstörungen und Verbrennungen, großzügige Analgesie. Medikamente: Analgetika (z. B. Morphin), ggf. Benzodiazepine (z. B. Diazepam)
7.10.10
Intoxikationen
Verätzungen
Giftaufnahme bzw. der Kontakt zum Gift unterbrochen wird, wobei aber der Eigenschutz im Vordergrund steht. Die Vitalwerte des Patienten sind regelmäßig zu kontrollieren, ggf. wieder herzustellen. Nach Möglichkeit sollte herausgefunden werden, um welches Gift es sich handelt, damit in der Klinik möglichst schnell das entsprechende Antidot (. Tab. 7.5) verabreicht werden kann. Bei Ethanolvergiftungen muss der Blutzuckerwert gemessen und bei Hypoglykämie Glukose nach Bedarf gegeben werden. ! Cave
Symptomatik. Schmerzen, Hautveränderungen wie
weißer, gelbbrauner, schwarzer Ätzschorf, Schwellung, Rötung. Bei Verätzung des oberen Verdauungstraktes
Wenn keine Atmung vorhanden ist, muss beatmet werden, auch ohne Herz-Kreislauf-Stillstand! Kein Puls ist ein unsicheres Zeichen, sicher ist das EKG.
235 7.11 · Intoxikationen
. Tab. 7.5. Die häufigsten Vergiftungen und deren Antidot Gift
Antidot
Paracetamol
Azetylzystein
Phosphorsäureester
Atropin, Obidoximchlorid
Carbamate
Atropin
Andere Parasympathomimetika
Atropin
Neuroleptika
Biperiden
Nikotin
Biperiden
Organische Phosphorverbindungen
Biperiden
Kalziumantagonisten
Kalzium(glukonat)
Flusssäureverätzung
Kalzium(glukonat)
Reizstoffinhalation
Dexamethason
Methanol
Ethanol
Benzodiazepine
Flumazenil
Giftverbindungen
Kohle
Opiate
Naloxon
Thiophosphorsäureester
Obidoximchlorid
Atropin
Physostigmin
Phenothiazine
Physostigmin
Tri- und tetrazyklische Antidepressiva
Physostigmin
Nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien
Pyridostigminbromid
Schaumbildende Substanzen (Tenside)
Simethicon
Nitrate, Nitrite
Toloniumchlorid
Aromatische Amine
Toloniumchlorid
4-DMAP
Toloniumchlorid
7
236
Kapitel 7 · Notfallmedizin
In Kürze Traumatologische Notfälle
7
Schädel-HirnTrauma (SHT)
4 Symptomatik: Prellmarken, ggf. instabiler knöcherner Schädel, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Kopfschmerz, Schwindel, Amnesie, Übelkeit, Erbrechen, Unruhe, Atemstörungen, evtl. Anisikorie, evtl. Krämpfe, evtl. sichtbare Hirnmasse, Liquoraustritt, Sprachstörungen, Sehstörungen, Lähmungen oder Gefühlsstörungen, Tachykardie, evtl. Arrhythmie 4 Ätiologie: offenes SHT: Verletzung der Dura mater, Verbindung des Liquorraums nach außen. Geschlossenes SHT: ohne Eröffnung der Dura mater 4 Diagnostik: cCT, MRT 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, Bodycheck, Stiffneck-Anlage, Oberkörperhochlagerung auf 30°, bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, offene Schädelverletzungen steril abdecken, Atem- und Pupillenkontrolle, Sauerstoffgabe, Medikamente
Wirbelsäulen-, Rückenmarksverletzung
4 Symptomatik: Schmerzen (Druck- und Klopfschmerz über der Wirbelsäule), Nackensteifigkeit bei HWS-Beteiligung, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, unwillkürlicher Harn- und Stuhlabgang, Blutdruckabfall, Tachykardie, evtl. Bradykardie bei spinalem Schock, Atemstörungen bei hohem Querschnitt, ggf. Querschnittsymptomatik, d. h. ein- oder beidseitiger motorische und sensorische Ausfälle bis zur Höhe des verletzten Rückenmarkssegmentes 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, Lagerung und Transport in Vakuummatratze, ggf. Beatmung und Intubation
Thoraxtrauma
4 Symptomatik: Prellmarken, Druckschmerz, Blasenbildung im Wundbereich, Atemnot, bei zunehmender Atemnot Verdacht auf Spannungspneumothorax, asymmetrische Atembewegungen, evtl. paradoxe Atmung als Zeichen des instabilen Thorax, aufgehobenes Atemgeräusch, bei Pneumothorax, oder Hämatothorax, prallgefüllte Halsvenen, Hautknistern, (Blut-)Husten, Blässe bis Zyanose, evtl. Schocksymptomatik 4 Therapie: Lagerung auf verletzte Seite, Oberkörperhochlagerung, Vitalwertkontrolle, sofortige Entlastung bei Spannungspneumothorax, bei Verdacht auf Hämato- bzw. Pneumothorax Entlastung durch Legen einer Thoraxdrainage erwägen, großzügige Indikation zur Beatmung und Intubation, Sauerstoffgabe. Medikamente.
Ertrinken
4 Symptomatik: Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Atemstörungen bis Atemstillstand, evtl. Rasselgeräusche als Hinweis auf ein Lungenödem, evtl. Herz-KreislaufStillstand (Kammerflimmern), Zyanose, kalte Haut, Unterkühlung 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, Mund-/Rachenraum freimachen bzw. freihalten, evtl. Absaugen, nasse/kalte Kleidung entfernen, langsam/gezielt erwärmen, großzügige Indikation zu Beatmung und Intubation, Sauerstoffgabe
Verbrennung
4 Symptomatik: Grad I: Rötung, Schwellung, Schmerz. Grad II: Rötung, Schwellung, Schmerz, Blasenbildung. Grad III und IV: grau-weiße Nekrosen, evtl. tiefrote lederartige Verhärtung der Haut, ausgebrannte oder verkohlte Haut, fehlendes Schmerzempfinden 4 Ätiologie: Grad I: epidermale Schädigung. Grad II: dermale Schädigung. Grad III: subdermale Schädigung. Grad IV: zusätzliche Schädigung 4 Therapie: Kleidung entfernen, Kühlung mit lauwarmem Wasser, sterile Wundabdeckung, Temperaturkontrolle, Vitalwertkontrolle, großzügige Indikation für Beatmung und Intubation v. a. bei Verdacht auf Inhalationstrauma, Flüssigkeitsausgleich, medikamentöse Therapie
6
237 7.11 · Intoxikationen
Erfrieren
4 Symptomatik: blasse, kalte, evtl. gefrorene Haut, Bewegungsunfähigkeit, starke Schmerzen, im fortgeschrittenen Stadium Nachlassen bzw. Aufhören der Schmerzen, Gefühlsstörungen 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, Patient in warme Umgebung bringen, evtl. Strahler, Heizdecken, betroffene Stellen steril abdecken, Medikamente
Unterkühlung (Hypothermie)
4 Symptomatik: erniedrigte Körperkerntemperatur, kalte, blass-zyanotische Haut, Müdigkeit, paradoxe Reaktionen 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, rumpfferne Extremitätenlagerung
Insolation
4 Symptomatik: Kopfschmerzen, hochroter Kopf, Meningismus, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Schwindel, Ohrensausen, Unruhe, Tachykardie 4 Ätiologie: unmittelbare, lang andauernde Sonneneinstrahlung auf den unbedeckten Kopf und Nacken, die zu Reizung der Hirnhäute und Hirnödem führt 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, kühle Umgebung, Kopfkühlung, Oberkörperhochlagerung. Medikamente
Schäden durch elektrischen Strom
4 Symptomatik: Herzrhythmusstörungen, Kammerflimmern, Verkrampfung der Atemmuskulatur mit Atemstörungen und Atemstillstand, Bewusstseinsstörungen, Erregung der Muskulatur, Nierenschädigungen, Vergiftungserscheinungen, Verbrennungen, ggf. Netzhautschädigung, Verkohlungen 4 Therapie: Stromquelle ausschalten, Vitalwertkontrolle, Behandlung der Herzrhythmusstörungen und Verbrennungen, großzügige Analgesie, Medikamente
Verätzungen
4 Symptomatik: Schmerzen, Hautveränderungen wie weißer, gelbbrauner, schwarzer Ätzschorf, Schwellung, Rötung. Speichelfluss, Heiserkeit, Übelkeit, Magenkrämpfe, blutiges Erbrechen, blutige Durchfälle, evtl. Schock, Krämpfe, Ateminsuffizienz 4 Therapie: Vitalwertkontrolle, kontaminierte Kleidung entfernen, gröbere Partikel entfernen, kontaminierte Stellen ausgiebig mit Wasser spülen
Intoxikationen
4 Symptomatik: Leitsymptom der Intoxikation ist die unklare Bewusstseinsstörung 4 Ätiologie: zu große Zufuhr eines schädlichen Stoffes 4 Therapie: Kontakt zum Gift unterbrechen, Vitalwertkontrolle, möglichst schnell entsprechendes Antidot
7
8 Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie S. Wohlmann 8.1
Allgemeine klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie –240
8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4 8.1.5 8.1.6 8.1.7 8.1.8 8.1.9 8.1.10
Prinzip der Arzneimitteltherapie –240 Quellen der Arzneimittelinformation –240 Plazeboeffekt –240 Entwicklung, klinische Prüfung, Zulassung, Überwachung –241 Pharmakogenetik –242 Therapiebesonderheiten spezieller Patientengruppen –243 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) –243 Arzneimittelwechselwirkungen (WW) –245 Grundlagen des Rezeptierens –245 Arzneimittelrechtliches –247
8.2
Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie –248
8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6
Therapie von Ödemen –248 Tumortherapie –250 Immunsuppressive, immunmodulatorische Therapie –255 Therapie gastrointestinaler Erkrankungen –258 Schmerztherapie –260 Therapie mit Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmern, Thrombolytika –261 8.2.7 Antiemese –266 8.2.8 Therapieoptionen bei allergischen Reaktionen –267 8.2.9 Therapie der Schlafstörungen –268 8.2.10 Antiinfektiöse Therapie –270 8.2.11 Lifestyle-Drugs –279
240
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Unabhängig vom Fachgebiet benötigt jeder Arzt grundlegende und spezielle Kenntnisse der Arzneimitteltherapie. Der Arzneimitteleinsatz ist enorm. Im Jahr 2005 wurden allein bei den gesetzlichen Krankenkassen 25,39 Mrd. Euro in Deutschland für Arzneimittel ausgegeben. 8.1
Allgemeine klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
kung eines Arzneimittels als primären Endpunkt zu erfassen, bedient man sich sog. Surrogatparameter zur Therapiesteuerung (z. B. Resistenzprüfung auf Antibiotika). Unter Noncompliance wird die nicht vorschriftsgemäße Arzneimitteleinnahme durch den Patienten verstanden. Sie steigt u. a. bei unzureichender Therapieerläuterung durch den Arzt sowie bei komplizierten Einnahmeschemata. > Nonresponse: ungenügendes Ansprechen des Patienten auf die Therapie
Definitionen
8
4 Arzneimittel (AM): Einzelarzneistoffe oder Kombinationen, die dazu bestimmt sind, Krankheiten bei Mensch und Tier zu heilen, zu lindern, zu erkennen (Diagnostika) oder zu verhindern (z. B. Impfstoffe). 4 Homöopathika: Stoffe, die in ungleich höherer Dosierung als verabreicht bei gesunden Menschen Symptome hervorrufen, die sie bei Kranken lindern sollen (besondere Therapieform). 4 Qualität: Produkteigenschaft, die sich aus der streng überwachten Herstellung ergeben muss. 4 Wirksamkeit: Parameter für zu erreichende Heilung, Besserung, Linderung oder Prophylaxe einer Substanz (klinische Prüfungen). 4 Unbedenklichkeit: Ein Arzneistoff gilt als unbedenklich, wenn bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht mit solchen Nebenwirkungen gerechnet werden muss, die das Risiko hinsichtlich des erhofften Therapieerfolges unvertretbar hoch erscheinen lassen.
8.1.1 Prinzip der Arzneimitteltherapie Ziel der Arzneimitteltherapie ist es, eine diagnostizierte Erkrankung mit geeigneten Wirkstoffen zu behandeln (Diagnose vor Therapie). > Grundprinzip der Verschreibungspraxis sollte sein, so wenige AM wie möglich einzusetzen und so wenige Wirkstoffe wie möglich gleichzeitig (Kombinationspräparate) zu verabreichen, um Unverträglichkeiten und Arzneimittelwechselwirkungen so gering wie möglich zu halten.
Als Surrogate-Marker werden primäre Endpunkte, die für den Patienten bedeutungsvolle Ereignisse darstellen (z. B. Tod) bezeichnet. Da es oft nicht möglich ist, die Wir-
Ein wichtiger Aspekt ist der Arzneimittelmissbrauch durch Patienten. Der Arzt muss im Hinblick darauf den Patienten einschätzen und den Arzneimitteleinsatz entsprechend abwägen. 8.1.2 Quellen der Arzneimittelinformation Ärzte müssen sich unabhängig informieren und auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse sein, u. a. durch: 4 Fachinformationen 4 Weitgehend neutrale Fachzeitschriften 4 Unabhängige Fortbildungen 4 Eigene Therapieerfahrungen Aus der Vielzahl der Arzneimitteleigenschaften muss für den Patienten ein sinnvolles Verhältnis aus Nutzen und Risiko abgewogen werden. Nicht alles, was wissenschaftlich signifikant ist, ist auch klinisch relevant, also für das Leben des Patienten von Bedeutung. Jeder Arzt muss ein eigenes überschaubares Spektrum an Medikamenten entwickeln, das er perfekt kennt (u. a. Anwendung, Wirkungen, Wechselwirkungen, Nebenwirkungen), letztendlich auf eigene Erfahrungswerte zurückgreifen und Bewährtes verwenden. Der Patient ist immer individuell zu sehen, die Therapie eines Krankheitsbildes kann bei verschiedenen Patienten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. 8.1.3 Plazeboeffekt Definition. Effekt, der nicht auf pharmakologischen
Wirkungen basiert. Substanzen ohne pharmakodynamische Wirkung, sog. Plazebos, können eine Besserung, evtl. sogar Heilung hervorrufen. Dieser Effekt ist von der Erkrankungsart, der Persönlichkeit des Patienten und der Suggestivkraft des Arztes (Autorität, Kompetenz, Behandlungssituation) abhängig.
241 8.1 · Allgemeine klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
> Bei jedem Arzneimittel spielt der Plazeboeffekt eine große Rolle. Erst nach Abzug des Plazeboeffektes und Abzug des natürlichen Krankheitsverlaufs, erhält man die eigentliche Wirkung eines Medikaments.
Plazebos vermögen neben günstigen Effekten sogar Nebenwirkungen auszulösen. Die Häufigkeit dieser Nebenwirkungen ist von der Befragung des Arztes in diese Richtung, dem Misstrauen und der Selbstbeobachtung des Patienten abhängig. 8.1.4 Entwicklung, klinische Prüfung,
Zulassung, Überwachung Ziel der Entwicklung neuer Wirkstoffe ist es, therapeutische Möglichkeiten zu verbessern. Von der Synthese einer neuen Substanz bis zur Zulassung als AM müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden. Diese Prozedur kann Jahre dauern und verursacht enorme Kosten. Nur ein geringer Teil der Substanzen erfüllt alle Kriterien und wird als AM zugelassen. Differenziert werden präklinische und klinische Prüfung. Präklinische Prüfung Präklinisch erfolgt ein erstes pharmakologisches Screening (to screen = aussieben). Stoffe, die sich bei diesen Untersuchungen als erfolgversprechend erweisen und denen keine akute Toxizität nachgewiesen werden kann, werden intensiveren pharmakologischen Prüfungen unterzogen, um u. a. Folgendes zu bestimmen:
8
4 Hauptwirkung, Wirkungsspektrum (qualitativ, quantitativ) 4 Nebenwirkungen 4 Angriffspunkt, Wirkmechanismus 4 Beeinflussung verschiedener Organfunktionen 4 Verträglichkeit 4 Toxizität Anschließend wird die Pharmakokinetik am Tier ermittelt. Es werden Teratogenitäts-, Mutagenitätstests und Untersuchungen auf chronische Toxizität durchgeführt. > Eine Prüfung am Menschen darf nur folgen, wenn die Tierversuche erfolgreich verlaufen sind, die Substanz zur therapeutischen bzw. diagnostischen Anwendung geeignet ist, und Vorteile zu bereits bekannten Verbindungen bestehen.
Etwa 10 von 10.000 Wirkstoffen gelangen in die klinische Prüfung. Tierversuche Obwohl Tierversuche nur bedingt auf den Menschen übertragbar sind, ist die Parallele zwischen Mensch und Tier meist wesentlich besser als angenommen, insbesondere wenn es sich um Substanzen handelt, die Organfunktionen beeinflussen.
Klinische Prüfung Unterteilt werden 4 Phasen (I–IV, . Tab. 8.1). Erst, wenn eine Substanz die Kriterien der einen Phase erfüllt, wird sie für die folgende zugelassen.
. Tab. 8.1. Phasen I–III der klinischen Prüfung Phase
Probanden
Ziel
Phase I
Erste Anwendung am Menschen, meist gesunde Probanden mittleren Alters
4 Verträglichkeitskontrolle 4 Untersuchung, ob pharmakodynamische Effekte im Tierversuch auch beim Menschen auftreten 4 Eventuell Beobachtung neuer pharmakodynamischer Effekte 4 Humanpharmakokinetische Untersuchungen 4 Dosierungsrichtlinien für anschließende klinische Prüfung
Phase II
Begrenzte Zahl (50–300), meist stationäre Patienten, für deren Therapie die Prüfsubstanz vorgesehen ist
4 Untersuchung der Hauptwirkung 4 Prüfung auf relative Ungefährlichkeit 4 Ermittlung der endgültigen Dosierung
Phase III
Große Patientenzahl (>1000)
4 Nachweis der Wirksamkeit 4 Nachweis der Unbedenklichkeit 4 Vergleich mit anderen Medikamenten
Studien der Phase III werden entweder gegen eine sog. Plazebotherapie oder die bisher wirksamste Arzneimitteltherapie (Goldstandard) durchgeführt.
242
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Nach Beendigung der Phase III werden sämtliche Unterlagen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorgelegt. Nach einer positiven Bewertung werden die Zulassung und die Erlaubnis für das In-Verkehr-Bringen des Pharmakons erteilt. Diese Zulassung bezieht sich auf 5 Jahre (Bundesrepublik). Jeder neue Wirkstoff auf dem Markt unterliegt in diesen ersten 5 Jahren der Verschreibungspflicht. Danach wird über eine Verlängerung der Zulassung, bzw. eine Freistellung von der Verschreibungspflicht entschieden. Nach der Zulassung werden in Phase IV alle Erfahrungen mit dem neuen Wirkstoff gesammelt (Ärzten und Apothekern stehen Formulare zu Verfügung, womit u. a. Probleme gemeldet werden können bzw. müssen).
8
> Kenntnisse über Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erhält man oft erst nach Langzeitbeobachtungen.
Bei chronischen Erkrankungen kann erst in dieser Phase eine Aussage über den Einfluss auf Lebensqualität und -verlängerung gemacht werden. Toxische Spätschäden treten u. U. erst nach Jahren auf. Es werden auch Erkenntnisse zusammengetragen, die sich aus der Anwendung des Pharmakons bei speziellen Patientengruppen ergeben (z. B. alte Menschen, Dialysepa-
tienten). Aufgabe ist auch der Wirksamkeitsnachweis des Arzneimittels bei neuen Indikationen. Methoden klinischer Prüfungen Zum Vergleich klinischer Prüfmethoden, . Tab. 8.2. 8.1.5 Pharmakogenetik Dieses Gebiet befasst sich mit der genetischen Variabilität des Arzneimittelstoffwechsels und der Arzneiwirkungen und umfasst 2 Hauptgebiete: 4 Ererbte Determiniertheit bestimmter pharmakologischer Wirkungen 4 Mutagene Wirkungen von AM Einzelpersonen und verschiedene Bevölkerungsgruppen reagieren unterschiedlich auf Substanzen. Diese pharmakodynamischen bzw. -kinetischen Unterschiede sind genetisch festgelegt und können auf Enzymmangel, -überschuss oder Polymorphismus (genetische Unterschiede, die zum normalen Gen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1% auftreten) bestimmter Enzyme beruhen. > Genetisch bedingte pharmakodynamische und -kinetische Differenzen äußern sich meist in unterschiedlichen Nebenwirkungen, nicht in verschiedenen Wirkstärken.
. Tab. 8.2. Vergleich einiger klinischer Prüfmethoden Methode
Ablauf, Voraussetzungen
Kontrollierte klinische Studien
4 Vergleich der Prüfsubstanz mit Plazebo oder bisher bewährtestem Medikament 4 Gruppen müssen in jeder Hinsicht vergleichbar sein 4 Probanden müssen zufällig verteilt sein 4 Vergleichspräparat darf sich äußerlich nicht vom Verum unterscheiden 4 Ärzte und Patienten dürfen nicht wissen, welcher Gruppe sie angehören (doppelter Blindversuch)
Sehr großer Aufwand
Kohortenstudien
4 Patientenbeobachtung über langen Zeitraum 4 Vergleich dieser Patienten mit einer Gruppe (Kohorte) derselben Erkrankung, aber unterschiedlicher Therapie 4 Erfassen von Haupt- und Nebenwirkungen im Vergleich zur Kontrollgruppe
Nicht gut standardisiert, damit eingeschränkte Vergleichbarkeit, großer Aufwand
Fallkontrollstudien
4 Prüfung, ob bestimmte Erscheinungen Folgen einer Arzneimitteltherapie sind 4 Finden von Kontrollpatienten, die diese bestimmte Erscheinung nicht aufweisen 4 Vergleich, ob das bestimmte Pharmakon in der Fallgruppe häufiger angewandt wurde
Schwer ein vergleichbares Kollektiv zu erstellen (bzgl. Alter, Geschlecht, Größe), oft große Unsicherheit
1
Nachteile 1
Plazebopräparate sind nur vertretbar, wenn deren Einsatz nicht zum Nachteil des Patienten ist.
243 8.1 · Allgemeine klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8
. Tab. 8.3. Auswahl einiger Enzympolymorphismen, die am Arzneistoffmetabolismus beteiligt sind Polymorphismus
Häufigkeit
Auswirkung
Arzneistoffbeispiele
Gegenmaßnahmen
N-Azetyltransferase
50–60% langsame Azetylierer
Langsame Azetylierer entwickeln bei Isoniazid toxische Effekte und Neuropathie
Isoniazid, Hydralazin, Sulfonamide, Nitrazepam
Bestimmung des Azetylatorstatus, evtl. Arzneimittelersatz, bei Isoniazid individuelle Gestaltung
Thiopurinmethyltransferase
10% reduzierte Aktivität, < 1% keine Aktivität
Verminderter Purinabbau, erhöhter Plasmaspiegel, Gefahr einer toxischen Knochenmarksschädigung
Azathioprin, Mercaptopurin
Vorherige Bestimmung der Enzymaktivität, evtl. Dosisreduzierung (bis 90%)
Zytochrom P450-Isoenzym 2D6
Etwa 8% der Europäer sind langsame Metabolisierer
Erhöhter Plasmaspiegel, stärkere Nebenwirkungen
Metoprolol, Desipramin
Bestimmung des Metabolisierungsstatus
Pharmakokinetische Genvarianten Menschen, die durch eine genetische Veränderung, ein AM langsamer abbauen, werden langsame Metabolisierer genannt (. Tab. 8.3). Als Folge können auch vermehrt toxische Effekte auftreten.
> Dosierungsangaben sind nicht absolut, sondern beziehen sich nur auf die Mehrzahl der Versuchspopulation!
8.1.6 Pharmakodynamische Genvarianten Der Plasmaspiegel des Wirkstoffs bleibt gleich, aber der biologische Effekt ändert sich. Ein Beispiel sind die Genvarianten der β-adrenergen Rezeptoren. Die Hypertoniebehandlung mit Metoprolol ist bei Patienten, die an Position 389 des β1-Rezeptors ein Arginin statt einem Glycin tragen, effektiver. Eine Genuntersuchung vor der Arzneitherapie ist besonders dann indiziert, wenn Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite oder mit langer Halbwertszeit nach einem festen Dosisplan appliziert werden. Neugeborene, insbesondere Frühgeborene, deren Leber noch unvollständig mit Enzymen ausgestattet ist und eine unzureichende renale Eliminierung haben, können durch AM-Einsatz stark gefährdet werden (z. B. Chloramphenicol, Sulfonamide). Auch ältere Patienten mit verminderter Nierenfunktion und verlangsamtem Metabolismus in der Leber benötigen eine individuelle Dosierung, um u. a. Nebenwirkungen zu reduzieren. > Die Eliminationsgeschwindigkeit eines Wirkstoffes hängt stark von der Leber- und Nierenfunktion ab.
Jede Störung der Elimination führt zu einer Erhöhung des Blutspiegels. Folgen sind längere Wirksamkeit, evtl. Kumulation (= langsam zunehmende Plasma- und Gewebekonzentration durch stetige Substanzzufuhr) und toxische Effekte.
Therapiebesonderheiten spezieller Patientengruppen
Grundsätzlich muss bei allen Krankheitsbildern oder besonderen Situationen mit einem veränderten Arzneistoffmetabolismus gerechnet werden (. Tab. 8.4). > Bei den in . Tab. 8.4 genannten Patientengruppen gilt grundsätzlich, dass der Arzneimitteleinsatz auf das absolut Notwendige beschränkt werden muss. Pharmaka, bei denen kaum Langzeiterfahrungswerte vorliegen, sollten nicht angewandt werden.
8.1.7
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)
Bei allen AM muss auch mit Nebenwirkungen gerechnet werden. > Es muss stets zwischen dem Benefit der Behandlung und dem Nebenwirkungsrisiko abgewogen werden.
UAW können auf unterschiedlichen Mechanismen beruhen und hängen von Dosis und Anwendung ab. 8.1.7.1 Toxische UAW Können bei jedem Menschen, wenn die Dosis nur groß genug ist, auftreten. Toxische UAW können u. a. durch
244
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.4. Auswahl wichtiger Patientengruppen im Hinblick auf den Arzneimetabolismus
8
Patientengruppe
Auswirkungen
Eventuelle Folgen
Maßnahmen
Relativ/absolut kontraindizierte Arzneimittel
Niereninsuffiziente Patienten (besonders im hohen Alter)
Renal eliminierte Substanzen werden langsamer ausgeschieden
Zunahme der Nebenwirkungen, Toxizität, Wirkungsverlust des Arzneimittels
Dosisminimierung durch Bestimmung der Kreatininclearance
Ampicillin, Atenolol, Captopril, Digoxin, Lithium
Lebererkrankte Patienten
Biliär eliminierte Substanzen werden langsamer ausgeschieden
Zunahme der Wirkung, Toxizität
Dosisanpassung schwer möglich, strenge Indikation, klinische Überwachung der Arzneitherapie, Ersatz durch renal eliminierte Substanzen
Desipramin, Diltiazem, Fentanyl, Lidocain, Metoprolol, Naloxon, Pethidin, Verapamil
Gravidität
Fast alle Substanzen passieren die Plazenta
Embryo-, fetotoxische, teratogene Wirkungen
Arzneimittelgabe nur bei absolut notwendiger Indikation (besonders in Frühphase), Selbstmedikation vermeiden
Captopril, Losartan, Tetrazykline, Lithium
Stillzeit
Fast alle Substanzen gehen in die Muttermilch über
Kumulation beim Kind durch dessen unreife Metabolisierung
Arzneimittelgabe streng abwägen, bevorzugt Medikamente mit kurzer Halbwertszeit verabreichen, evtl. Abstillen
Metamizol, Morphin, Erythromycin, Androgene
eine übersteigerte Hauptwirkung verursacht werden (z. B. führen Antidiabetika bei Überdosierung zu einer Hypoglykämie). Sie sind also dosisabhängig und beruhen oft auf dem gleichen Mechanismus wie die erwünschte Wirkung oder aber auf einer weiteren Wirkung, z. B. Atemdepression bei Opiaten bei analgetischer Hauptwirkung. 8.1.7.2 Allergie
! Cave Idiosynkrasie und Allergie sind nicht gleichzusetzen.
8.1.7.3
UAW aufgrund von sekundären Wirkungen Diese werden eigentlich nur in Folge der Hauptwirkung ausgelöst. Auch Superinfektionen, bzw. Infektionswandel nach Antibiotika zählen zu sekundären Wirkungen.
Allergische Reaktionen
Definition. Antigen-Antikörper-Reaktion bei verän-
derter Reaktionslage des Organismus gegen bestimmte Substanzen (Allergene), meist unabhängig von Dosis und Therapiedauer. Auch ohne vorherige Exposition gegen den Stoff können allergische Reaktionen auftreten, da oft bereits die Exposition mit einer verwandten Substanz ausreicht. Allergische UAW können Minuten oder Stunden später auftreten. Pseudoallergische Reaktionen
8.1.7.4 UAW bei Arzneimittelabhängigkeit Einige Pharmaka haben als Nebenwirkung einen euphorisierenden Effekt, was zu einer Abhängigkeit führen kann. Laut WHO ist Arzneimittelabhängigkeit ein Zustand von psychischer und/oder physischer Abhängigkeit von einem AM, das ständig appliziert wird. Gewöhnung bzw. Toleranzerhöhung darf nicht hiermit verwechselt werden. > Toleranzerhöhung ist eine notwendige Dosissteigerung wegen Nachlassens der Wirkung nach wiederholter Gabe.
Definition. Weisen einen ähnlichen Verlauf wie allergi-
sche Reaktionen auf, beruhen jedoch nicht auf AntigenAntikörper-Reaktionen. Idiosynkrasie
8.1.7.5 Spezifische UAW Arzneimittelinduzierte Myopathie Definition. Durch Medikamente verursachte Muskelerkrankungen, z. B. Statine.
Definition. Angeborene Überempfindlichkeit gegen
bestimmte Stoffe bereits beim ersten Kontakt, Enzymdefekte können zu einer Idiosynkrasie führen.
Symptomatik. Schwäche der Muskulatur, in der Regel
der quergestreiften Skelettmuskulatur.
245 8.1 · Allgemeine klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8
Diagnostik. Ein klinischer Verdacht kann u. a. durch Elektromyographie erhärtet und in einer Muskelbiopsie bestätigt werden.
Symptomatik. Kopfschmerz, meist permanent, dumpf,
Therapie. Absetzen des Arzneimittels (Nutzen-Risiko-
Diagnostik. Anamnese und Differenzialdiagnose be-
Abwägung), Verringerung des Muskeltonus.
züglich entzündlicher Erkrankungen des ZNS, Spannungs-, Clusterkopfschmerz, Migräne.
Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz Definition. Kopfschmerzen durch jahrelangen, regelmäßigen und täglichen Medikamentenabusus bzw. deren Entzug, z. B. Analgetika, Nitrate.
chronisch, häufig nachts. Oft in Begleitung von Übelkeit, Licht- und Geräuschempfindlichkeit.
Therapie. Medikamentenentzug evtl. stationär, abhän-
gig von Patientencompliance.
In Kürze Spezifische unerwünschte Arzneimittelwirkungen Arzneimittelinduzierte Myopathie
4 4 4 4
Symptomatik: Muskelschwäche Ätiologie: Medikamenteneinnahme Diagnostik: Anamnese, evtl. Elektromyographie Therapie: Absetzen des Arzneimittels
Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz
4 4 4 4
Symptomatik: meist täglicher Kopfschmerz Ätiologie: Medikamentenabusus bzw. -entzug Diagnostik: Anamnese, Differenzialdiagnose Therapie: Medikamentenentzug
8.1.7.6 Erfassen von Arzneimittelrisiken Ein großes Problem sind neue Pharmaka, da noch kaum Erfahrungswerte vorliegen. Die Überwachung der AM, die auf dem Markt sind, nennt man Pharmakovigilanz. Da die Meldung UAW nicht gesetzlich festgelegt ist, spielt die freiwillige Mitwirkung, besonders der täglich verschreibenden Ärzte eine große Rolle. BfArM Um diese UAW zu erfassen wurde u. a. vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Berichtsbogen für alle AM entwickelt. Es werden patientenbezogene Daten, Grunderkrankung, Art und Verlauf der UAW, das evtl. damit zusammenhängende AM und andere eingenommene AM erfasst.
Der Stufenplan des AMG (Arzneimittelgesetz) regelt die Maßnahmen. Diese können von Änderungen der Gebrauchsinformation bis zum Widerruf der Zulassung reichen. 8.1.8
Arzneimittelwechselwirkungen (WW)
Pharmakodynamik und- kinetik eines Arzneistoffes können auch durch andere Pharmaka (oder auch Lebensmittel) beeinflusst werden:
4 Pharmakodynamische WW: Durch Angriff am gleichen Rezeptor, Organ oder Regelkreis kann es zur Wirkungsabschwächung (Antagonismus) oder -verstärkung (Synergismus, z. B. überproportionale Hemmung der Erregungsausbreitung im Herzen bei paralleler Verabreichung von β-Blockern und Antiarrhythmika). 4 PharmakokinetischeWW: Diese WW beruhen auf Veränderung der Resorption, der Verteilung, des Metabolismus oder der Elimination des AM (. Tab. 8.5). Dazu gehören auch die pharmazeutischen WW, die außerhalb des Organismus auftreten (z. B. Inkompatibilität in Infusionslösungen). > Lebensbedrohliche WW sind meist auf wenige Pharmaka reduziert (z. B. Herzglykoside, orale Antikoagulanzien, Antihypertonika, Zytostatika).
Im Wesentlichen sind es AM mit geringer therapeutischer Breite. 8.1.9
Grundlagen des Rezeptierens
Das Rezept ist die schriftliche Anweisung des Arztes für den Apotheker zur Abgabe eines AM an den behandelten Patienten. Für Patienten der gesetzlichen Kranken-
246
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.5. Beispiele pharmakokinetischer Wechselwirkungen Veränderung
Pharmaka
Auswirkung
Verminderte Resorption
Digoxin und adsorbierende Antazida
Digoxin wird teils an adsorbierende Oberfläche gebunden und kann nicht mehr enteral resorbiert werden
Beschleunigter hepatischer Abbau nach Enzyminduktion
Tuberkulostatikum Rifampicin als Enzyminduktor und Östrogene
Östrogene der oralen Kontrazeptiva werden zu schnell abgebaut, um eine Konzeption zu verhindern
Verzögerter Metabolismus durch WW an den abbauenden Enzymen (Enzyminhibition)
Terfenadin und ein anderes Substrat, das auch über das gleiche Isoenzym (CYP 3A4) der P450-Oxidase abgebaut wird1
Verzögerter Abbau, arrhythmogene Wirkspiegel und Vergiftung mit dem H1Antihistaminikum Terfenadin
Konkurrenz um Eiweißbindungen
Phenprocoumon und Sulfonamide
Erhöhte Konzentration von freiem Phenprocoumon, Blutungsneigung steigt
Konkurrenz um renale Ausscheidungsmechanismen
Sulfonylharnstoffe und Phenylbutazon
Aktive Sekretion der Sulfonylharnstoffe im proximalen Tubulus wird gehemmt, erhöhte Konzentration der Antidiabetika
8 1
Auch Naturstoffe können eine Enzyminhibition verursachen (z. B. Grapefruitsaft).
. Tab. 8.6. Angaben eines Kassen- und Privatrezeptes Kassenrezept
Privatrezept
4 Name, Sitz des Kostenträgers 4 Name, Geburtsdatum, evtl. Anschrift des Patienten 4 Eventuell Markierung der Befreiung von der Zuzahlung ( Kinder, einkommensschwache Mitglieder) 4 Kassennummer 4 Versichertennummer 4 Versichertenstatus 4 Gültigkeit der Versichertenkarte 4 Datum der Rezeptausstellung1 4 Rp. als Rezepteinleitung 4 Bezeichnung des AM, Darreichungsform, Dosisstärke, Abgabemenge 4 Eventuell Signatur 4 Name, Anschrift, Berufsbezeichnung, Vertragsarztnummer des ausstellenden Arztes 4 Eigenhändige Unterschrift des Arztes
4 4 4 4
1 2
Name, Anschrift des Patienten Datum der Rezeptausstellung2 Rp. als Rezepteinleitung Bezeichnung des AM, Darreichungsform, Dosisstärke, Abgabemenge 4 Eventuell Signatur 4 Name, Anschrift, Berufsbezeichnung, Vertragsarztnummer des ausstellenden Arztes 4 Eigenhändige Unterschrift des Arztes
Ab Ausstellungsdatum 1 Monat gültig. Privatrezepte sind 3 Monate einlösbar.
versicherungen und für Betäubungsmittelverordnungen sind vorgedruckte Rezeptformulare festgelegt. Privatrezepte benötigen kein Formblatt (. Tab. 8.6). Kassenrezepte enthalten ein Aut-idem-Kästchen. Wenn der Arzt dieses Feld angekreuzt hat, darf die Apotheke nur genau das aufgeschriebene Präparat aushändigen, es ist nicht möglich den Hersteller auszutauschen.
Die Rezeptausstellung muss gewissenhaft erfolgen, da der Arzt die rechtliche Verantwortung und evtl. Konsequenzen trägt. Prinzipiell ist der Arzt frei in der Auswahl seiner Therapie. Es steht ihm zu, AM auch außerhalb ihrer zugelassenen Indikation einzusetzen. In diesem Fall geht die Gefährdungshaftung auf den Arzt über, da der Hersteller nur bei bestimmungsgemäßem Gebrauch für seine Produkte haftet.
247 8.1 · Allgemeine klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
4 Unterschieden werden verschreibungspflichtige, apothekenpflichtige und freiverkäufliche AM: Verschreibungspflichtige AM dürfen nur nach Rezeptvorlage an den Patienten ausgehändigt werden. Es handelt sich um Präparate, die unter ärztlicher Kontrolle angewandt werden sollen, da sie auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gesundheitsschädlich sein können. Ferner gehören Medikamente dazu, deren Missbrauchsrate groß ist (z. B. BtM). 4 Apothekenpflichtige AM dürfen wie verschreibungspflichtige Medikamente in der Regel nur in der Apotheke beliefert werden, eine Verordnung durch einen Arzt ist jedoch nicht notwendig. Freiverkäufliche AM z. B. Heilwässer, Pflanzen, Desinfektionsmittel kann man ohne Rezept beziehen. Sie können im Einzelhandel in Verkehr gebracht werden, wenn die nötige Sachkenntnis vorliegt. Betäubungsmittel (BtM) Substanzen, die ein hohes Abhängigkeitsrisiko aufweisen, unterliegen zum Schutz des Patienten bestimmten Verschreibungsgrundsätzen. Besonderheiten von BtM-Rezepten: 4 BtM-Formulare sind beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) zu beziehen. 4 BtM müssen zu Dokumentationszwecken (Aufbewahrung von 3 Jahren) auf einem 3-teiligen BtMRezept verordnet werden (Teil III verbleibt beim Arzt, Teil II dient der Abrechnung mit der Krankenversicherung, Teil I verbleibt in der Apotheke). 4 Für BtM sind Verschreibungshöchstmengen festgelegt. 4 Signatur des Arztes muss auf dem Rezept stehen. 4 Kennzeichnung mit »A« bei Überschreitung der Höchstmenge, des Verschreibungszeitraums von 30 Tagen. 4 Kennzeichnung mit »S« bei Substitutionsbehandlungen. 4 Kennzeichnung mit »N« bei Nachreichung eines BtM-Rezeptes im Falle eines Notfalls. 4 Das BtM-Rezept ist ab dem Ausstellungsdatum nur 7 Tage gültig. 8.1.10
Arzneimittelrechtliches
Nachzulassung Das Arzneimittelgesetz von 1978 regelt das Verfahren für die Zulassung von Medikamenten. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des AM müssen vom Hersteller
8
nachgewiesen werden. Davor mussten neue Medikamente nur registriert werden. Für diese Präparate sieht das Gesetz eine sog. Nachzulassung vor. Bis zum Ablauf dieser Übergangsregel dürfen diese Medikamente weiter verkauft werden. So sind im Moment auf dem Markt AM, die das Zulassungsverfahren absolviert haben, und Präparate, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit noch nicht belegt sind. Generika Nach Ablauf des Patentschutzes des Erstanmelders können andere Hersteller Medikamente mit demselben Inhaltsstoff auf den Markt bringen. Hierfür ist meist eine vereinfachte, auf den Ersthersteller bezugnehmende Zulassung ausreichend. Die Zweitanmelderpatente sind folglich wesentlich günstiger, die Präparate können wesentlich billiger als das Original verkauft werden. Die daraus resultierende Vielzahl an praktisch inhaltsgleichen Medikamenten macht den Arzneimittelmarkt noch unüberschaubarer. Generika Echte Generika sind streng genommen nur Präparate, die unter dem Internationalen Freinamen mit Herstellerangabe im Handel sind. Sie zeichnen sich durch gleichen Wirkstoff (inklusive Salzform) Darreichungsform, Applikationsweg, Dosierung und Indikation aus. Diese Produkte machen den Markt transparenter.
Kombinationspräparate Es gibt nur wenige Aspekte, die Kombinationspräparate (mehrere Wirkstoffe in einer Darreichungsform, z. B. Azetylsalizylsäure und Vitamin C) befürworten. Einige Krankheitsbilder sind mit kombinierten Wirkstoffen optimaler zu behandeln (z. B. Hypertonie, M. Parkinson). Man könnte argumentieren, dass eine kombinierte Tablette zuverlässiger eingenommen wird (bessere Compliance). Nachteile fixer Kombinationspräparate: 4 Individuelle Dosisanpassung ist schwer möglich. 4 Wirkstoffe haben oft unterschiedliche Kinetik und damit verschiedene Wirkungsdauern. 4 Eine Zuordnung von Wirkungen und Nebenwirkungen zu den jeweiligen Wirkstoffen ist erschwert. 4 Das Unverträglichkeitsrisiko steigt mit der Zahl der Komponenten. 4 Bewährte Substanzen wie Paracetamol werden oft mit weniger wirksamen Substanzen (z. B. Koffein, Vitamin C) kombiniert, um den Verkaufspreis zu erhöhen.
248
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Rote Liste Die sog. Rote Liste ist ein Verzeichnis von Fertigarzneimitteln und erscheint jährlich. AM-Hersteller sind nicht gezwungen, ihre Präparate in die Rote Liste aufnehmen zu 6
lassen, so dass nicht alle Medikamente des AM-Marktes aufgeführt sind. Trotzdem ist dieses Nachschlagewerk überfüllt (im Vergleich zu dem AM-Angebot vergleichbarer Staaten) und für den Therapeuten unüberschaubar.
In Kürze Grundlagen des Rezeptierens Arzneimittelrechtliches
4 Medikamente bedürfen einer Zulassung bezüglich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Präparate, die vor dieser Gesetzesverordnung auf den Markt gekommen sind, benötigen eine Nachzulassung, sie sind jedoch weiter verkehrsfähig 4 Erstanmelder erhalten einen Patentschutz auf ihr Arzneimittel. Nach Ablauf des Patentes können andere Hersteller sog. Generika mit demselben Inhaltsstoff, aber zu anderen Preisen auf den Markt bringen
Kassenrezept
4 Vorgedrucktes Rezeptformular 4 Durch Ankreuzen des Aut-idem-Kästchens kann der Arzt einen Präparateaustausch ausschließen 4 1 Monat gültig
Privatrezept
4 Kein Formblatt nötig 4 3 Monate gültig
Betäubungsmittelrezept
4 Spezielle 3-teilige Rezeptformulare vom BfAM (1 Teil für Arzt, 1 Teil für Apotheke, 1 Teil zur Verrechnung mit Krankenversicherung) 4 Für BtM sind Verschreibungshöchstmengen festgelegt 4 »A« : Überschreitung der Höchstmenge innerhalb von 30 Tagen 4 »S«: Substitutionsbehandlung 4 »N«: Nachreichung des Rezeptes im Notfall
8
8.2
Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Ätiopathogenese. Entstehung durch isoosmotische
8.2.1 Therapie von Ödemen
Vergrößerung des interstitiellen Flüssigkeitsraumes. Ödeme sind ein Symptom, die verschiedene Erkrankungen begleiten. Unterschieden werden lokale (z. B. kardial bedingtes Stauungsödem, Hirnödem) und generalisierte Formen. Bei generalisierten Ödemen ist das Plasmavolumen normal oder sogar vermindert. Der Na+-Bestand bestimmt die Größe des extrazellulären Raumes. Da die Niere wichtigstes Organ für die Regulation der Na+-Konzentration ist, kommt der Niere eine große Bedeutung im Rahmen der Ödempathogenese und Therapie zu. Für eine positive Na+-Bilanz muss zusätzlich eine Störung des Flüssigkeitsaustausches zwischen intravasalen und interstitiellen Raum vorliegen.
Definition. Schwellung aufgrund von Flüssigkeitsan-
! Cave
Aus Gründen der Redundanz und des beschränkten Umfangs des Repetitoriums werden die klassischen klinisch-pharmakologische Themen wie Arzneimitteltherapie des Diabetes, der arteriellen Hypertonie etc. in den Kapiteln des jeweiligen Fachgebietes abgehandelt. Nachfolgend werden fächerübergreifende, pharmakotherapeutische Themen besprochen, die aber nicht minder praxisrelevant sind!
sammlungen in Gewebsspalten.
Auch Pharmaka, z. B. Glukokortikoide, nichtsteroidale Antirheumatika, Antihypertensiva können Flüssigkeitsretention und Ödembildung auslösen.
249 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Therapie. Allgemeine Maßnahmen sind:
4 Tägliche Bestimmung des Körpergewichtes zur Erfolgskontrolle 4 Bettruhe zur Erleichterung der Ödemausschwemmung (z. B. bei Herzinsuffizienz, orthostatischen Ödemen) 4 Kochsalzarme Diät (maximal 5–6 g Kochsalz/Tag) 4 Vermeiden von übermäßigem Trinken 4 Vermeiden von Infusionen Ziel der Behandlung mit Diuretika (. Tab. 8.7) ist eine Flüssigkeits- und Elektrolytelimination (v. a. Na+, Cl–, HCO3–). Durch vermehrte renale Flüssigkeitsausscheidung nimmt das Plasmavolumen mit Anstieg des kolloidosmotischen Druckes ab, der Rückstrom von interstitieller Flüssigkeit in das Kapillarsystem wird erleichtert. Xanthinderivate, Carboanhydrasehemmer Xanthinderivate (z. B. Theophyllin) haben als Diuretika keine Bedeutung mehr, da sie zu kurz und zu schwach wirksam sind. Carboanhydratasehemmer wie Acetazolamid 6
werden als Diuretika nur noch selten verabreicht, vielmehr bei der Glaukombehandlung oder zur Prophylaxe der Höhenkrankheit.
Osmotisch wirkende Diuretika wie Mannitol können bei leichten Ödemen als Infusion verabreicht werden. > Die Behandlung richtet sich zunächst und vor allem nach der Grunderkrankung (. Tab. 8.8).
Zu den Ödemformen, bei denen Diuretika nicht bzw. eingeschränkt indiziert sind, gehören: 4 Chronisch-venöse Insuffizienz (Behandlung mit Kompressionsstrümpfen) 4 Lymphödem (indiziert sind physikalische Maßnahmen, z. B. Lymphdrainage) 4 Schwangerschaftsödem, da Gefahr einer Störung der uteroplazentaren Durchblutung;. Diuretika nur bei vorliegender Herz- oder Niereninsuffizienz indiziert 4 Angineurotisches Ödem (im akuten Notfall Gabe eines C1-Esterase-Inibitors)
. Tab. 8.7. Diuretika Wirkstoffklasse
Arzneistoffbeispiel
Mittlere Dosis
Wirkungsdauer
Nebenwirkungen
Thiaziddiuretika
Hydrochlorothiazid (z. B. Esidrix)
25–75 mg/Tag
6–12 h
Xipamid (z. B. Aquaphor)
10–40 mg/Tag
12–24 h
Hypokaliämie (bei 20–40%), Hypomagnesiämie, Abnahme der Glukosetoleranz, Anstieg des Harnsäurespiegels im Plasma, Arzneimittelexantheme
Furosmid (z. B. Lasix)
40–80 mg/Tag3
4–6 h
Piretanid (z. B. Arelix)
3–6 mg/Tag3
4–6 h
Torasemid (z. B. Unat)
5–10 mg/Tag3
6–12 h
Triamteren (z. B. Dytide H5)
50–100 mg/Tag
7–9 h
Amilorid (z. B. Moduretik5)
5–10 mg/Tag
24 h
Spironolacton (z. B. Aldactone)
50–200 mg/Tag
48–72 h
Schleifendiuretika1,2
Kaliumsparende Diuretika4
Aldosteronantagonisten6 1 2 3 4 5 6
8
Hypokaliämie (bei 20–40%), Hypomagnesiämie, Hyponatriämie, Abnahme der Glukosetoleranz, Anstieg des Harnsäurespiegels im Plasma, Arzneimittelexantheme, Thrombenbildung, Hörstörungen
Hyperkaliämie, Erbrechen, Wadenkrämpfe, Exantheme, Pruritis
Hyperkaliämie, Gynäkomastie, Potenzstörungen, Dys-, Amenorrhö
Auch bei stark eingeschränkter glomerulärer Filtrationsrate wirken Schleifendiuretika oft noch diuresesteigernd. Bei kochsalzreicher Kost lösen Schleifendiuretika einen Rebound-Effekt aus! Hochdosierte Gabe bei verminderter glomerulärer Filtrationsrate! Bei niereninsuffizienten Patienten kann eine Hyperkaliämie lebensgefährlich sein – laufende Kontrolle der Plasmawerte! Kombinationspräparate Aldosteronantagonisten sind bei Ödemen indiziert, wenn andere Diuretika aufgrund eines Hyperaldosteronismus nicht ausreichend wirken.
250
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.8. Arten von Ödemen und therapeutische Maßnahmen Ödemart
Mögliche (medikamentöse) Therapie
Kardiales Ödem
4 4 4 4
Nephritisches Ödem
4 Schleifendiuretika
Hepatisches Ödem
4 Schleifendiuretika (meist nicht ausreichend) 4 Aldosteronantagonisten
Medikamenteninduziertes Ödem
4 Absetzen des Pharmakons 4 Kochsalzrestriktion (diuretikainduziertes Ödem) 4 Kombination direkte Vasodilatoren, Diuretika und β-Rezeptorantagonisten (antihypertensivainduziertes Ödem)
Lungen- und Hirnödem bei Höhenkrankheit
4 Verlassen der Höhe 4 O2- und NO-Inhalation 4 Furosemid (i.v.)
Hirnödem
4 Dexamethason (i.v.) 4 Mannitollösung (i.v.) 4 Furosemid (i.v.)1
Ideoplastisches Ödem
4 Salzarme Diät 4 Spironolacton niedrig dosiert (Ausnahme)
8
1
Thiaziddiuretika Schleifendiuretika (falls Thiaziddiuretika nicht ausreichend) Kombination mit kaliumsparenden Diuretika (bei Hypokaliämiegefahr) Aldosteronantagonisten (bei sekundärem Hyperaldosteronismus, bzw. fortgeschrittener Herzinsuffizienz)
Bei intrakranieller Blutung ist eine diuretische Therapie nicht indiziert – Gefahr der Nachblutung durch Druckentlastung.
Ödeme können paradoxerweise auf Diuretikamissbrauch (Circulus vitiosus) basieren. Thiazid- und Schleifendiuretika können einen sekundären Hyperaldosteronismus mit Hypokaliämie verursachen, Absetzen des Diuretikums kann eine erneute Ödembildung auslösen. 8.2.2
Tumortherapie
8.2.2.1 Grundzüge Grundlegende Behandlungsarten der Tumortherapie sind: 4 Chirurgische Eingriffe 4 Strahlentherapeutische Anwendungen 4 Pharmakotherapeutische Maßnahmen Chemotherapie ist die klassische medikamentöse Tumorbehandlung. Hierbei wird besonders bei stark proliferierenden Tumoren, die häufig größere Empfindlichkeit des malignen gegenüber dem normalen Gewebe ausgenutzt. Daneben hat sich die Immuntherapie mit monoklonalen Antikörpern, die Behandlung mit Signaltransduktionshemmern und Hormonen manifestiert.
> Häufig ist eine einzelne Therapiemaßnahme nicht ausreichend. Bei einer adjuvanten Therapie werden Arzneimittel verabreicht, die die Wirkung eines anderen Heilmittels unterstützen.
Vor jeder Pharmakotherapie müssen einige Faktoren geklärt sein, u. a.: 4 Art der Tumorentität 4 Umfang der Tumorausbreitung 4 Körperliche, psychische und soziale Verfassung des Patienten 4 Eventuelle Begleiterkrankungen Das Ziel der Behandlung muss festgelegt werden, d. h. kurative Absicht mit kompletter Remission des Tumors oder palliative Therapie zur Lebensverlängerung bzw. Verbesserung der Lebensqualität. > Ein großes Problem der pharmakologischen Tumortherapie ist die Resistenz gegenüber dem eingesetzten Wirkstoff.
Es gibt eine Vielzahl von Resistenzmechanismen (z. B. aktiver Auswärtstransport von AM aus den Tumorzel-
251 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
len oder beschleunigte enzymatische Inaktivierung des Wirkstoffs in den Tumorzellen). Die Behandlung erfolgt prinzipiell nach wissenschaftlich begründeten Schemata und Behandlungszyklen.
> Um die Nebenwirkungen bei gleichem antiproliferativen Potenzial möglichst gering zu halten, wird häufig eine Polychemotherapie angewandt.
Die Zytostatikatherapie wird in bestimmten Abständen wiederholt. Die Dosierung ist in ihren Maximaldosen jeweils festgelegt, oft pro kg Körpergewicht oder pro m2 Körperfläche angegeben.
> Bei intravasaler Applikation ist ein zuverlässiger Venenzugang, z. B. Port entscheidend.
Besonders gewebstoxische Wirkstoffe (z. B. Doxorubicin) müssen langsam i. v. verabreicht werden, ein Zytostatika-Notfallset sollte vorhanden sein. Neben der internistischen Tumorbehandlung ist eine supportive Therapie von Bedeutung: 4 Ausreichende Hydrierung vor der Chemotherapie, um ein Tumorlysesyndrom (potenziell lebensbedrohlicher Zustand, der beim raschen Zerfall von Tumoren auftreten kann) zu verhindern. 4 Gegebenenfalls Urinalkalisierung mit z. B. Natriumbikarbonat 4 Verabreichung von Allopurinol bei Tumoren mit hoher Zellzahl und schnellem Verfall 4 Glukokortikoide (z. B. Prednison) aufgrund ihrer antiödematösen und antiemetischen Wirkung 4 5-HT3-Serotoninantagonisten (z. B. Ondansetron) zur Antiemese 4 Psychiatrische/psychologische Betreuung 8.2.2.2 Zytostatika Chemisch definierte Wirkstoffe, die das Wachstum der Tumorzellen stärker hemmen als das gesunder Zellen. Wirkprinzip ist die Blockade des Zellteilungszyklus, schnell proliferierende Gewebe können somit besser inhibiert werden als solche, die sich von normalen Zellen bzgl. des Wachstums nur wenig unterscheiden. Mögliche Nebenwirkungen sind: 4 Gastrointestinale Beschwerden 4 Haarausfall 4 Hämatotoxizität 4 Mutagenität
! Cave Die Maximaldosen dürfen nicht überschritten werden, höhere Dosen können letal sein.
Antimetabolite Zu gängigen Antimetaboliten . Tab. 8.9. Alkylanzien Cyclophosphamid Indikationen sind Mamma-, Ovarial-, Bronchialkarzinom, Lymphom, Leukämie. Zur Konditionierung des Patienten vor Knochenmarktransplantionen werden hohe Dosen verabreicht. Neben der myelotoxischen Wirkung, wird auch die immunsuppressive Wirkung genutzt. Die häufigste Nebenwirkung, die hämorrhagische Zystitis, kann durch Hydrierung und Gabe von Mesna (hydrophile Thiolverbindung) reduziert werden. ! Cave Cyclophosphamid kann akut kardiotoxisch wirken.
Cisplatin, Carboplatin, Oxaliplatin Zu Indikationen und Nebenwirkungen, . Tab. 8.10. Mitosehemmstoffe Vincaalkaloide Typische Vertreter sind Vincristin und Vinblastin, die beide in Immergrünarten vorkommen. Vincristin wird besonders bei lymphatischen Tumoren in Kombination angewandt. Vincristin ist gering knochenmarksto-
. Tab. 8.9. Beispiele gängiger Antimetaboliten Wirkstoffgruppe
Beispiel
Indikationsbeispiele
Folsäureanalogon
Methotrexat1 (Lantarel)
Akute Leukämie, Lymphom, Mammakarzinom, Osteosarkom, nichtneoplastische Erkrankungen
Purinanaloga
6-Mercaptopurin (Purinethol)
Akute lymphatische Leukämie
Pyrimidinanaloga
5-Fluorouracil2 (Neofluor)
Gastrointestinale Karzinome, HNO-Tumor, Mammakarzinom
1 2
8
Zur Begrenzung der Wirkungsdauer Einsatz des Antidots Folinsäure. Nebenwirkungen: Knochenmarkshemmung (Bolusapplikation), Mukositis (Dauerinfusion), kardiotoxisch!
252
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.10. Cisplatin, Carboplatin, Oxaliplatin Wirkstoff
Indikation
Nebenwirkungen
Cisplatin
Breites Spektrum solider Karzinome, u. a. Hodentumor
Nephro-, ototoxisch
Carboplatin
Oxaliplatin (Eloxatin)
1
8
Thrombo-, Neutropenie Metastasierendes kolorektales Karzinom1
Neuropathie
Kombination mit 5-Fluorouracil und Folinsäure.
xisch, fördert jedoch periphere Neuropathien (Dosisbegrenzung). Vinblastin wird bei zahlreichen soliden Tumoren eingesetzt und ist weniger neuro-, jedoch stärker myelotoxisch. Taxane Paclitaxel weist ein breites Wirkungsspektrum auf, u. a. Ovarial-, Bronchial- und Mammakarzinome. Taxane können als Nebenwirkungen anaphylaktische Reaktionen auslösen, die jedoch durch entsprechende Prämedikation steuerbar sind. Topoisomerasehemmstoffe Zu Indikationen . Tab. 8.11. Zytostatisch wirksame Antibiotika Hierzu zählen einige Anthrazykline: 4 Doxorubicin (bei zahlreichen Tumoren, auch Sarkomen und Lymphomen) 4 Daunorubicin (u. a. bei akuter Leukämie) 4 Epirubicin (u. a. bei gynäkologischen Tumoren) 4 Idarubicin (u. a. bei multiplen Myelomen, akuter Leukämie)
Idarubicin kann im Gegensatz zu den anderen Anthrazyklinen auch oral verabreicht werden. Als Nebenwirkungen sind insbesondere Kardiotoxizität und Gewebsnekrosen zu nennen. L-Asparaginase L-Asparaginase spaltet L-Asparagin. Tumorzellen, denen die Fähigkeit einer ausreichenden L-Asparaginsynthese fehlt, reagieren sensitiv auf den nach Asparaginaseapplikation eintretenden L-Asparaginmangel. Es kommt zur Hemmung der Proteinsynthese und zum Zelltod. L-Asparaginase findet u. a. bei der akuten lymphatischen Leukämie (z. B. Non-Hodgkin-Lymphome im Kindesalter) Anwendung. Gerinnungsstörungen, neurologische Störungen, Hyperglykämie, Pankreatitis und schwere Leberschäden zählen zu den Nebenwirkungen.
8.2.2.3 Zytokine Die Nebenwirkungen von Zellhormonen sind, obwohl es sich um biologische Substanzen handelt, nicht zu unterschätzen (. Tab. 8.12). 8.2.2.4 Monoklonale Antikörper Zu Indikationen und Nebenwirkungen . Tab. 8.13. > Die effektive Antikörperdosis ist von der Zahl der Zielantigene und somit von der Tumorlast (»load«) des Patienten abhängig.
Heutzutage werden Antikörper überwiegend humanisiert, d. h. mit menschlichen Aminosäuresequenzen hergestellt, um Probleme bei der Immunisierung zu reduzieren und die Halbwertszeiten zu verlängern. 8.2.2.5
Signaltransduktionshemmer (. Tab. 8.14) 8.2.2.6 Hormone und Hormonantagonisten Diese Substanzen können einerseits antiproliferativ und andererseits zur supportiven Therapie eingesetzt werden. Prostata-, Mamma- und Endometriumkarzi-
. Tab. 8.11. Topoisomerase-I- und Topoisomerase-II-Hemmstoffe Substanzbeispiele TopoisomeraseI-Hemmstoffe TopoisomeraseII-Hemmstoffe 1
Hämatotoxisch!
Indikationen
Irinotecan (Campto)
Kolon-, Rektumkarzinom
Topotecan1 (Hycamtin)
Ovarialkarzinom, kleinzelliges Bronchialkarzinom
Etoposid (Vepesid)
Hämatologische Tumoren, Bronchial-, Ovarialkarzinom, Keimzelltumoren
253 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8
. Tab. 8.12. Zytokine Zytokine
Indikation
Nebenwirkungen
Interferon-α, Interferon-β
Chronische myeloische Leukämie, Nierenzellkarzinom, malignes Melanom
Fieber, Abgeschlagenheit, Muskelschmerzen1
Interleukin-22
Nierenzellkarzinom
Flüssigkeitsretention mit prärenalem Nierenversagen und Lungenödem, peripheren Ödemen3
1
2 3
Einschleichende Dosierung, abendliche Applikation und gleichzeitige Einnahme von Paracetamol oder NSAR zur Reduktion der Nebenwirkungen. Oft in Kombination mit Interferonen eingesetzt. Als Gegenmaßnahme erfolgt die Gabe von 5%iger Albuminlösung und gleichzeitiger diuretischer Behandlung.
. Tab. 8.13. Monoklonale Antikörper Antikörper
Indikation
Nebenwirkungen
Rituximab
Indolente Non-Hodgkin-Lymphome, Posttransplantationslymphom
Fieber, Schüttelfrost1
Alemtuzumab
B-chronisch lymphatische Leukämie, Lymphome vom T-Zell-Typ
Fieber, Schüttelfrost, Kreislaufreaktionen, bei langer Gabe Erhöhung der Infektneigung2
Trastuzumab
Metastasierendes Mammakarzinom3
Kardiotoxizität
radionuklidgekoppelte Antikörper
Lymphome, vor Knochenmarkstransplantationen
Knochenmarktoxizität
Chemotherapeutikagekoppelte Antikörper
Akute myeloische Leukämie
Lebertoxizität
1 2
3
Kortikosteroide können zur Reduktion der Nebenwirkungen verabreicht werden. Prophylaktisch ist eine Antibiotikabegleittherapie sinnvoll. Virologische Kontrollen, besonders in Bezug auf eine Zytomegalovirusinfektion. Oft kombiniert mit einer Chemotherapie.
. Tab. 8.14. Signaltransduktionshemmer Wirkstoff
Indikation
Nebenwirkungen
Imatinib
Philadelphia-Chromosom-positive chronische myeloische Leukämie, gastrointestinale Stromazelltumoren
Relativ geringe Nebenwirkungen. Leberenzymerhöhungen
Gefitinib
Nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom
Bortezomib
Multiples Myelom
nome sind z. B. hormonabhängig. Anwendung finden (. Tab. 8.15): 4 Physiologische Hormone 4 Hormonanaloga 4 Hormonantagonisten 4 Hemmstoffe der Hormonsynthese
Neuropathien, Diarrhö
Man unterscheidet: 4 Ablative Ausscheidung der Hormonproduktion 4 Additive Gabe gegengeschlechtlicher Hormone 4 Kompetitive Behandlung mit Hormonantagonisten
254
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.15. Hormone und Hormonantagonisten Klasse
Beispiele
Indikation
Gonadotropin-releasingHormon-Analoga
Buserelin, Goserelin
Fortgeschrittenes Prostata- und Mammakarzinom
Antiöstrogene
Tamoxifen
Hormonrezeptorpositives Mammakarzinom1, zur palliativen Behandlung metastasierender Mammakarzinome
Aromatasehemmer
Anastrozol, Formestan
Fortgeschrittenes Mammakarzinom bei postmenopausalen Frauen
Gestagene
Megestrolacetat
Palliativbehandlung von Mamma- und Endometriumkarzinom
Antiandrogene
Cyproteronacetat, Flutamid
Palliative Therapie des fortgeschrittenen Prostatakarzinom
1
Achtung: Zunahme der Häufigkeit des Endometriumkarzinoms, bei deutlicher Reduktion der Wahrscheinlichkeit des kontralateralen Mammakarzinoms.
8 Glukokortikoide werden in der medikamentösen Tumorbehandlung vielseitig eingesetzt. Zum einen weisen sie antiproliferative Wirkung bei einigen Tumoren (z. B. Leukämie, Lymphome) auf, zum anderen haben sie eine antiemetische Wirkung. Auch finden sie Einsatz bei tumorbedingten Schwellungen (z. B. Hirnödeme). 8.2.2.7 Retinolsäure Der Einsatz von Retinolsäure ist indiziert bei akuter Promyelozytenleukämie.
Mögliche Nebenwirkungen sind Thrombosen oder Atemnotsyndrom. Thalidomid Thalidomid (als Contergan in Verruf geraten, bei Frauen im gebärfähigen Alter strenge Kontraindikation!) weist immunmodulierende und antiangiogenetische Wirkungen auf, die besonders bei Patienten mit rezidivierten Plasmazelltumoren nützlich sind. Als Nebenwirkungen treten periphere Polyneuropathie und Müdigkeit auf.
> Als Monotherapie ist Retinolsäure meist nicht kurativ. In Kombination mit einer Chemotherapie erhält man jedoch Effizienz. In Kürze Tumortherapie Klasse
Unterklasse
Beispiel
Indikationen
Zytostatika
Antimetabolite
Methotrexat
Akute Leukämie, Lymphom, Mammakarzinom, Osteosarkom, nichtneoplastische Erkrankungen
Alkylanzien
Cyclophosphamid
Mamma-, Ovarial-, Bronchialkarzinom, Lymphom, Leukämie
Mitosehemmstoffe
Vincristin
Besonders bei lymphatischen Tumoren
Topoisomerasehemmstoffe
Irinotecan
Kolon-, Rektumkarzinom
Zytostatisch wirksame Antibiotika
Doxorubicin
Bei zahlreichen Tumoren, auch bei Sarkomen und Lymphomen
6
255 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Zytokine
Interleukin-2
Nierenzellkarzinom
Monoklonale Antikörper
Rituximab
Indolente Non-Hodgkin-Lymphome, Posttransplantationslymphom
Signaltransduktionshemmer
Imatinib
Philadelphia-Chromosom-positive chronische myeloische Leukämie, gastrointestinale Stromazelltumoren
Hormone und Hormonantagonisten
Tamoxifen
Hormonrezeptorpositives Mammakarzinom1, zur palliativen Behandlung metastasierender Mammakarzinome
Retinolsäure
8.2.3
Immunsuppressive, immunmodulatorische Therapie
Aufgabe des Immunsystems ist es, Fremdstoffe, die in den Organismus eingedrungen sind, zu erkennen und unschädlich zu machen. Lymphozyten reagieren mit Antigenen, wodurch eine spezifische Immunantwort ausgelöst wird. Die Elimination der Antigene erfolgt durch Aktivierung humoraler oder zellulärer Mechanismen, die sich oft als Entzündung äußern. Indikationen zur immunsuppressiven/-modulatorischen Therapie: 4 Allergien, Autoimmunerkrankungen (Kontrolle des Immunsystems ist gestört, Immunreaktionen richten sich gegen den Körper) 4 Ärztliche Eingriffe, nach denen Immunreaktionen unerwünscht sind (z. B. Transplantationen) 4 Chronisch entzündliche Erkrankungen 4 Immundefekterkrankungen (falls Immunreaktionen keinen ausreichenden Schutz bieten) 4 Als Immunstimulation (bei schwer beherrschbaren oder malignen Tumoren zur Stärkung der Abwehrleistung) 8.2.3.1 Immunsuppressive Therapie Ziel der Immunsuppression ist das Ausschalten der Lymphozytentätigkeit. Lymphozytenklone Nur ein geringer Teil der Lymphozyten, sog. spezifische Lymphozytenklone, sind an Immunreaktionen beteiligt. Die ideale Immunsuppression bestünde somit in einer gezielten Ausschaltung dieser Klone. Aufgrund der großen Lymphozytenvielfalt mit mehr als 108 verschiedenen Rezeptoren ist ein gezielter Angriff jedoch nicht möglich.
8
Akute Promyelozytenleukämie
Ein Teil der Immunsuppressiva (. Tab. 8.16) sind Zytostatika, die u. a. auch auf Lymphozyten zytotoxisch wirken. Modernere Substanzen und Glukokortikoide wirken nicht zytotoxisch, sie hemmen die Vermehrung oder Aktivierung von Lymphozyten. ! Cave Bei allen immunsuppressiven Substanzen ist die Wahrscheinlichkeit des iatrogenen Auftretens von Malignomen und lymphoproliferativen Erkrankungen erhöht.
Die Therapie mit Ciclosporin oder Tacrolimus muss unter stetiger Kontrolle der Blutkonzentration erfolgen, da Bioverfügbarkeit und Metabolisierung unsicher sind. Sirolismus Sirolimus weist große strukturelle Ähnlichkeit mit Tacrolimus auf. Es wirkt jedoch nicht als Calcineurininhibitor. Die Serin-/Threonin-Kinase mTOR wird gehemmt, dadurch wird die Zellproliferation blockiert. Zusätzlich wird Tumorwachstum und Angiogenese gehemmt. Initial wird Sirolimus in Kombination mit Ciclosporin und Glukokortikoiden appliziert. Vorteil gegenüber Ciclosporin und Tacrolimus ist die fehlende Nephro- und Neurotoxizität.
8.2.3.2
Therapie mit Mediatoren des Immunsystems Physiologische Mediatoren des Immunsystems können als Immunmodulatoren vielseitig therapeutisch angewandt werden: 4 Substitution bei Immundefekterkrankungen 4 Steigerung der körpereigenen Abwehr gegen Infektionserreger oder maligne Tumore 4 Beeinflussung pathologischer Immunreaktionen, die zu Erkrankungen führen
256
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.16. Wichtige Immunsuppressiva Wirkstoff
Mittlere Tagesdosis
Nebenwirkungen
Cyclophosphamid (z. B. Endoxan)
2–10 mg/kg
Knochenmarkdepression, Thrombozytopenie, reversibler Haarausfall, ZNS-Funktionsstörungen, Stomatitis, Gastroenteritis. Durch die Anreicherung toxischer Metaboliten kann es zu therapieresistenter hämorrhagischer Zystitis kommen (Gegenmaßnahme: Mesna prophylaktisch)
Azathioprin (z. B. Imurek)
1,5–3 mg/kg
Knochenmarkschädigungen, Nausea, Erbrechen, Anorexie
Methotrexat (z. B. Methotrexat Lederle)
0,1 mg/kg
Knochenmarkdepression, Leberschäden, Magenulzeration, hämorrhagische Enteritis, Nierenschädigungen
Muromonab-CD31 (z. B. Orthoclone OKT3)
5 mg
»Zytokin-Freisetzungs-Syndrom« (grippeähnliche Beschwerden bis hin zu schockähnlichen Reaktionen), reversible neuro-psychiatrische Erscheinungen
Prednison (z. B. Decortin)
Initial bis zu 1 mg/ kg, dann Dosisreduktion
Abhängig von Dosis und Behandlungsdauer; Osteoporose, Wachstumsstörungen bei Kindern, Manifestierung bzw. Entgleisung eines Diabetes mellitus
Ciclosporin (z. B. Sandimmun)
4–8 mg/kg
Nieren-, Leberfunktionsstörungen, Tremor, Hypertrichose, Hypertrophie der Gingiva
Tacrolimus2 (z. B. Prograf )
0,1–0,2 mg/kg
Reversible Nierenfunktionsstörungen, zentralnervöse Störungen, Hyperlipidämie, Hypercholesterinämie, Hyperglykämie, Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, Leuko-, Thrombopenie
8
1 2
Bei Abstoßungskrisen nach Organtransplantationen (bes. Nach Lebertransplantation). Tacrolimus ist 50- bis 100-fach potenter als Ciclosporin!
Immunglobuline, spezielle Antikörperpräparationen Man verwendet v. a. IgG-Präparate, die natives und somit biologisch aktives Immunglobulin mit sämtlichen regelmäßig vorkommenden Antikörpern enthalten. ! Cave Bei i.v. Applikation besteht die Gefahr von anaphylaktoiden Reaktionen, da durch unvermeidliche Denaturierungsartefakte bei der Aufreinigung neben Monomeren auch polymere Aggregate vorkommen. Standard-IgG darf nur i.m. verabreicht werden!
Eine ausreichende Menge an passiv zugeführten Antikörpern wirkt, falls ihre Struktur erhalten ist, wie natürlich gebildete. Indikationen. Zu nennen sind:
4 Antikörpermangelzustände 4 Bakterielle Infektionen (Kombination mit Antibiotika) 4 Prophylaxe gegen Viruserkrankungen bzw. Risikoexpositionen
4 Einige Autoimmunerkrankungen wie aplastische Anämie, idiopathische Thrombozytopenie (i.v. hochdosiert) Nebenwirkungen. Möglich sind lokale Irritationen
(i.m.), Überempfindlichkeitsreaktionen, anaphylaktische Schockreaktionen. Zytokine Sie steuern die Differenzierung der Zellen des Immunsystems, regulieren ihre Aktivierung und sind für viele Effektorfunktionen verantwortlich. Wichtige Zytokine sind Interferone, Interleukine, Chemokine, Tumornekrosefaktoren, koloniestimulierende Faktoren. Interferone Interferone sind (Glyko-)Proteine, die Zellen vor Vireninfektion schützen (. Tab. 8.17). Zusätzlich wirken sie antiproliferativ und sind an Differenzierung und Aktivierungsvorgängen von Zellen des Immunsystems beteiligt.
257 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8
. Tab. 8.17. Indikationsspektrum von Interferonen Klasse
Indikationen
Interferon-α
Chronisch akute Hepatitis B und C, Haarzellenleukämie, chronisch myeloische Leukämie, kutanes T-ZellLymphom, Lymphome, malignes Melanom, Nierenzellkarzinom, Kaposi-Sarkom bei AIDS-Patienten
Interferon-β
Schwere Viruserkrankungen (z. B. Varizellen- und Zoster-Infektionen), Herpes-simplex-Keratitis, Nasopharynxkarzinom
Interferon-β-1a, Interferon-β-1b
Schubförmige multiple Sklerose
Interferon-γ-1b
Chronische Granulomatose
. Tab. 8.18. Indikation und Nebenwirkungen von koloniestimulierenden Faktoren CSF
Indikationen
Nebenwirkungen
Granulozyten-CSF (G-CSF)
Neutropenien
Knochenschmerzen, Splenomegalie, Hautrötungen
Granulozyten-MonozytenCSF (GM-CSF)
Neutropenien
Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Anorexie, Müdigkeit, Knochenschmerzen, Hautjucken, periphere Ödeme, Parästhesien, Myalgien
Erythropoetin
Anämien
Hypertonie, Anstieg der Thrombozytenzahl, grippeähnliche Symptome
Interleukin-2
Immundefekte, metastasierendes Nierenkarzinom
Kapillar-Leck-Syndrom mit Flüssigkeitseinlagerungen
Tumornekrosefaktor (TNF)
Peritonealkarzinose
Nebenwirkungen. Möglich sind grippeähnliche Symp-
tome wie Fieber, Müdigkeit, Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, passagere Leukopenie, Anstieg von Lebertransaminasen, Somnolenz. Koloniestimulierende Faktoren (CSF) Die Differenzierung von Zellen des Immunsystems, von Erythrozyten und Thrombozyten aus hämatopoetischen Stammzellen erfolgt mittels spezifischer Glykoproteine, sog. koloniestimulierende Faktoren (. Tab. 8.18). Hemmung von Zytokinen Zytokine spielen u. a. auch eine große pathophysiologische Rolle bei chronisch entzündlichen Erkrankungen, z. B. Morbus Crohn. Die Therapie mit Glukokortikoiden beruht bei solchen Krankheitsbildern vor allem auf der Hemmung der Zytokinsynthese. Neuere Wirkstoffe blockieren direkt die Wirkung einzelner proinflammatorischer Zytokine: 4 Infliximab, Adalimumab: Antikörper gegen TNF-α, z. B. bei Morbus Crohn, rheumatoider Arthritis
4 Etanercept: Blockade der Wirkung von TNF-α und TNF-β, z. B. bei aktiver rheumatoider Arthritis 4 Anakinra: kompetitive Hemmung von Interleukin1α und -1β, z. B. bei rheumatoider Arthritis in Kombination mit Methotrexat Immunstimulanzien Der Einsatz von Immunstimulanzien ist umstritten. Es werden Wirkstoffe eingesetzt, gegen die die körpereigene Abwehr verstärkt werden soll. Sie besitzen keine Antigenverwandtschaft mit den Krankheitserregern. Die gesteigerte Abwehr gegen Infektionserreger und Tumoren könnte nur über eine allgemeine Steigerung von Reaktionen des Immunsystems erreicht werden. Es besteht die Gefahr, dass auch physiologisch unterdrückte Immunreaktionen manifest werden, Autoimmunreaktionen oder chronisch entzündliche Krankheiten entstehen. Der therapeutische Nutzen von Immunmodulatoren ist durch klinische Studien nicht ausreichend belegt, es gibt jedoch gesicherte Kenntnisse über unerwünschte Wirkungen.
258
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Therapie gastrointestinaler Erkrankungen
8.2.4
! Cave
8.2.4.1
Funktionelle Obstipation Definition. Verminderte Stuhlfrequenz, erschwerte Stuhlentleerung und harte Stuhlkonsistenz über wenigstens 12 Wochen innerhalb der letzten 12 Monate ohne Vorliegen einer mechanischen Obstruktion im Darm. Ätiopathogenese. Es gibt verschiedene Ursachen, die eine sekundäre Form der funktionellen Obstipation hervorrufen, u. a. metabolische Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus), neurologische Erkrankungen, Schädigung der Darmmuskulatur, Medikamenteneinnahme. Bei der wesentlich häufigeren primären funktionellen Verstopfung ist die Ursache nicht bekannt.
8
Alle Abführmittel können bei chronischer Anwendung durch enterale Elektrolyt- und Wasserverluste zu Störungen des Elektrolythaushaltes und Exsikkose führen.
Prokinetika wie Metoclopramid oder Domperidon spielen bei der Therapie der funktionellen Obstipation eine untergeordnete Rolle, da ihre motilitätsfördernde Wirkung sich im Wesentlichen auf Ösophagus und Magen beschränkt. 8.2.4.2
Diarrhö
Definition. Anstieg des Stuhlgewichts auf mehr als
250 g/Tag, meist kombiniert mit gesteigerter Stuhlfrequenz und flüssiger Konsistenz. Laut WHO spricht man von einer Diarrhö, wenn 3 oder mehr lockere bis wässrige Stühle innerhalb von 24 h auftreten.
Therapie. Die Behandlung erfolgt vor allem empi-
risch. Initial wird eine Diät mit Steigerung der Ballaststoffzufuhr auf mindestens 20–30 g/Tag empfohlen (Weizenkleie, Leinsamen, Methylzellulose). Die Wirkung setzt verzögert nach 12–72 h ein. Völlegefühl und Flatulenz können als unerwünschte Wirkungen auftreten. ! Cave Bei der Ballaststoffzufuhr ist auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr, sonst eine Ileusgefahr besteht.
Ist die Ernährungsumstellung nicht ausreichend, finden oft Laxanzien (. Tab. 8.19) Anwendung.
Ätiopathogenese. Bei einer akuten Diarrhö, die meist
durch infektiöse Noxen entsteht, tritt der Durchfall innerhalb von 14 Tagen nach Beginn einer Erkrankung auf, eine persistierende Diarrhö dauert mindestens 14 Tage an. Unterschieden werden: 4 Osmotische Diarrhöen: Wasserretention durch nicht resorbierte osmotisch aktive Stoffe 4 Sekretorische Diarrhöen: intestinale Wasser- und Elektrolytsekretion, 4 Durch Schädigung der Darmmukosa bedingte Durchfälle 4 Durch gesteigerte intestinale Motilität verursachte Diarrhöen
. Tab. 8.19. Auflistung verschiedener Laxanzien Klasse
Beispiele
Wirkungeintritt
Nebenwirkungen
Osmotisch wirksame Laxanzien
Laktose, Laktulose, Polyethylenglycol
Nach ca. 24–48 h
Abdominalschmerzen, Übelkeit, Flatulenz
Osmotisch wirksame salinische Laxanzien1
Bitter-, Glaubersalz
Nach etwa 0,5–3 h
Stimulierende Laxanzien
Bisacodyl, Natriumpicosulfat, Rizinusöl2
Nach ca. 6–12 h
Stuhlerweichende Laxanzien
Paraffinöl3, Glycerol
1
2 3
Magenbeschwerden, Abdominalkrämpfe
Beeinträchtigung der Absorption fettlöslicher Vitamine und Arzneistoffe
Aufgrund partieller Resorption und dem Exsikkoserisiko bei Einnahme hypertoner Lösungen sind diese Substanzen umstritten. Rizinusöl wird nur noch in Ausnahmesituationen, z. B. präoperativ verwendet. Für den Dauergebrauch ungeeignet (Nebenwirkungsspektrum).
259 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
> Dauert der Durchfall länger als 3 Tage oder ist blutig, ist ein Arztbesuch indiziert.
8.2.4.4
8
Laktoseintoleranz
Synonym. Milchzuckerintoleranz.
Bei einer Dauer von >2–3 Wochen spricht man von einer chronischen Diarrhö.
Definition. Unverträglichkeit gegenüber dem in der
Therapie. Die primäre Therapie akuter Durchfälle er-
Ätiopathogenese. Ursache ist ein Mangel oder Fehlen
folgt durch orale Rehydratation mit isotonen GlukoseElektrolyt-Lösungen. Die von der WHO empfohlene Lösung bei Durchfallerkrankungen besteht aus 20 g Glukose, 3,5 g NaCl, 3 g Natriumcitrat und 1,5 g KCl gelöst in 1 l Wasser. Um die Stuhlfrequenz zu reduzieren, kann das peripher wirksame Opioid Loperamid mit einer Tagesdosis von 4–12 mg verabreicht werden. Nebenwirkungen können in Form von Obstipation und Benommenheit auftreten. Der Einsatz von Adsorbenzien (z. B. medizinische Kohle), Darmantiseptika oder Bakteriensuspensionen ist klinisch nicht evident. Bei schweren Verlaufsformen der akuten Diarrhö (hohes Fieber, Exsikkose oder blutiger Durchfall) werden Antiinfektiva (u. a. Ciprofloxacin) gegebenenfalls nach vorheriger Erregerbestimmung eingesetzt. Eine parenterale Rehydratation mit einer Ringer-LaktatLösung mit einem Zusatz von 10–20 mmol/l Kalium kann indiziert sein. Die Behandlung der chronischen Diarrhö richtet sich vorerst nach der Grunderkrankung. Zur symptomatischen Therapie können Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr und Loperamidgabe erfolgen.
des Milchzucker spaltenden Enzyms Laktase. Die Laktose kann somit nur unvollständig bzw. gar nicht gespalten werden. Sie gelangt in tiefere Darmabschnitte, wo sie von Bakterien verstoffwechselt wird. Die Laktoseintoleranz kann genetisch bedingt sein, sie kann aber auch vorübergehend nach z. B. Magen-Darm-Infekten oder Infektionen mit Parasiten auftreten.
8.2.4.3
Dyspepsie Definition. Chronische bzw. wiederkehrende Schmerzen über mindestens 3 Monaten im Bereich des oberen Abdomens bei Ausschluss einer organischen Erkrankung durch klinische, biochemische, endoskopische oder sonographische Befunde. Ätiopathogenese. Funktionelle Dyspepsie ist die häu-
figste Ursache für obere gastrointestinale Beschwerden. Die Ätiologie ist unklar, mögliche Ursachen können Hyperazidität, Helicobacter-pylori-Infektion, Speisenunverträglichkeit oder psychische Störungen sein.
Milch enthaltenen Zucker Laktose.
Epidemiologie. Etwa 10–15% der deutschen Bevölke-
rung sind betroffen, in Afrika mehr als 90%. Symptomatik. Typisch sind Bauchschmerzen, Darm-
krämpfe, Völlegefühl, Blähungen, Übelkeit oder Diarrhö. ! Cave Die Symptome bei Gluten-, Fruktose-, Histaminintoleranz und Reizdarmsyndrom ähneln denen einer Milchzuckerunverträglichkeit. Abgegrenzt werden muss auch die Milcheiweißallergie (7 Kap. 8.2.4.5).
Therapie. Laktosearme bzw. laktosefreie Diät, wobei
die verträgliche Laktosemenge individuell bestimmt werden muss. ! Cave Eine milcharme bzw. milchfreie Ernährung birgt die Gefahr einer Kalziumunterversorgung (Knochen!), besonders bei Kindern. Eine ausreichende Kalziumzufuhr, evtl. medikamentös muss gewährleistet sein.
Das fehlende Laktaseenzym kann auch durch Medikamente zugeführt werden (Lactrase), wobei das Präparat dann zu jeder milchzuckerhaltigen Mahlzeit eingenommen werden muss. 8.2.4.5
Kuhmilchproteinintoleranz
Synonym. Milcheiweißallergie. Symptomatik. Typisch sind Völle-, Druck- und vorzei-
tiges Sättigungsgefühl, Blähungen, Sodbrennen und Übelkeit.
Definition. Allergische Reaktion auf Kuhmilcheiweiß,
Therapie. Die Therapie erfolgt empirisch. Ernährungs-
Ätiopathogenese. Kuhmilchspezifisches Molkenei-
umstellung, Bewegung. Bei vorwiegend säuretypischen Beschwerden Einsatz säurehemmender Pharmaka (z. B. Omeprazol), bei motilitätsbedingten Beschwerden vorwiegend Prokinetika (z. B. Metoclopramid).
weiß.
besonders im 1. Lebensjahr.
Symptomatik. Sodbrennen, Gastritis, Darmkrämpfe,
Darmentzündung, Blähungen.
260
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Diagnostik. Blutanalyse mit Ermittlung des sog. IgE-
Therapie. Verzicht auf Kuhmilchprodukte, alternativ
Wertes (Allergie-Antikörper im Blut).
Ziegen-, Stuten-, Hafer-, Reis-, und Kokosmilch. Oft auch allergische Reaktionen auf Sojaprodukte.
In Kürze Gastrointestinale Erkrankungen Dyspepsie
4 Symptomatik: Völle-, Druckgefühl, Blähungen, Sodbrennen 4 Ätiologie: unklar, mögliche Ursachen Hyperazidität, Helicobacter-pylori-Infektion, Lebensmittelunverträglichkeit 4 Diagnostik: Ausschluss anderer Ursachen 4 Therapie: Ernährungsumstellung, Bewegung, evtl. säurehemmende Medikamente, Prokinetika
Kuhmilchproteinintoleranz
4 4 4 4
Symptomatik: gastrointestinale Beschwerden Ätiologie: Unverträglichkeit des kuhmilchspezifischen Molkeneiweiß Diagnostik: Blutanalyse Therapie: Verzicht auf Kuhmilch
8 8.2.5
Schmerztherapie . Tab. 8.20. Analgetikagruppen
Eine erfolgreiche Analgetikabehandlung (. Tab. 8.20) setzt eine Analyse voraus bezüglich 4 Schmerzdauer, 4 Schmerzsymptomatik 4 Schmerztyp Eine Schmerztherapie ist immer eine Individualtherapie: Analgetikum, Applikationsform, Dosierung und Dosierungsintervall müssen auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden. ! Schmerzprophylaxe ist besser als Schmerztherapie.
Bei Operationen sollte bereits vor Auftreten von Schmerzen ausreichend Analgetika verabreicht werden. Chronische Schmerzen, insbesondere Tumorschmerzen, sollten nach einem festen Behandlungsplan ausreichend hoch dosiert und in regelmäßigen Abständen behandelt werden. 8.2.5.1 Postoperative Schmerztherapie Die Wahl des Analgetikums ist von der Schmerzintensität und der Schwere des Eingriffs abhängig. Schmerzen nach kleinen chirurgischen Eingriffen werden oft mit antipyretischen Schmerzmitteln erfolgreich behandelt. Nach mittleren und großen chirurgischen Eingriffen werden schwach wirksame (z. B. Tramadol) bzw. stark wirksame Opioide (z. B. Morphin, Fentanyl) verabreicht. Antipyretische Schmerzmittel können zusätzlich gegeben werden.
Analgetikaklasse
Schmerztyp
Nichtopioidanalgetika
Pathophysiologische Nozizeptorschmerzen entzündlicher Genese, z. B. Kopf-, Gelenkschmerzen
Opioidanalgetika
Traumatische, postoperative und Tumorschmerzen
Trizyklische Antidepressiva, Antiepileptika
Neuropathische Schmerzen
Triptane
Migräneschmerzen
> Die Kombination von schwach und stark wirksamen Analgetika ist nicht sinnvoll.
Bei kolikartigen Beschwerden können zusätzlich Spasmolytika, bei Nervenschmerzen Antikonvulsiva oder Antidepressiva gegeben werden. Patientenkontrollierte Analgesie (PCA)
Der Patient appliziert sich selbst kleine Analgetikamengen über spezielle Spritzenpumpen. Eine sinnvolle Alternative zur Verhinderung von starken Schmerzzuständen, insbesondere bei der postoperativen Schmerzbehandlung, in der Geburtshilfe und in der Tumorschmerztherapie. Geeignete Wirkstoffe sind z. B. Tramadol, Morphin (Dosierungen bis 0,1 mg intra-
261 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8
. Tab. 8.21. Dosierung wichtiger Analgetika in der Tumorschmerztherapie Wirkstoffgruppe
Wirkstoff
Dosierung
Antipyretische Analgetika
Ibuprofen
3×600–800 mg (p.o.)
Diclofenac
2–3×100 mg (p.o.)
Celecoxib
1–2×100–200 mg (p.o.)
Metamizol
4–6×500–1000 mg (p.o.)
Paracetamol
4–6×500–1000 mg (p.o.)
Tramadol
2×100 mg (p.o.)
Dihydrokodein
2×60 mg (p.o.)
Tilidin
2×100 mg (p.o.)
Morphin
2×30 mg (p.o.)
Levomethadon
2–3×2,5–5 mg (p.o.)
Buprenorphin
3×0,2 mg (p.o.) 0,8–1,2 mg (transdermal)
Fentanyl
0,6–1,2 mg (transdermal)
Schwach wirksame Opioide
Stark wirksame Opioide
thekal möglich) oder Piritramid. Eine elektrische Pumpe regelt Intervalle und Maximaldosen. Periduralanalgesie Injektion bzw. Infusion einer Kombination aus Lokalanästhetikum und starkem Opioid in den Periduralraum. Diese Applikation ist auch als patientenkontrollierte Analgesie möglich. Daneben ist auch eine intrathekale Analgesie mit Morphin möglich (unter kontinuierlicher Atemkontrolle!), z. B. als postoperative bzw. intraoperative Schmerztherapie bei großen viszeralchirurgischen, thoraxchirurgischen Eingriffen und in der Geburtshilfe. Schmerztherapie in der Notfallmedizin Von Bedeutung sind Unfallverletzungen und Myokardinfarkte. Morphin (5 mg) ist das Mittel der Wahl zur Schmerzbekämpfung beim Myokardinfarkt, bei Bedarf wiederholte Gaben von 2 mg und evtl. zusätzlich Midazolam 0,05–0,1 mg. Bei akuten traumatischen Schmerzen eignet sich Fentanyl (0,1 mg) in Kombination mit S-Ketamin (kaum atemdepressiv).
Stufenplan der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Therapie von Tumorschmerzen (. Tab. 8.21): 4 1. Stufe: nichtopioides Schmerzmittel (z. B. Ibuprofen, Diclofenac, Celecoxib, Paracetamol) allein oder mit einem Koanalgetikum 4 2. Stufe: schwaches Opioid (z. B. Tramadol, Dihydrokodein) allein oder in Kombination mit einem nichtopioiden Analgetikum und/oder einem adjuvanten Wirkstoff 4 3. Stufe: starkes Opioid (z. B. Morphin, Levomethadon, Buprenorphin) in Kombination mit einem nichtopioiden Schmerzmittel und/oder einem Koanalgetikum.
8.2.5.2
8.2.5.3
Medikamentöse Tumorschmerztherapie Die Behandlung von Tumorschmerzen richtet sich im Einzelnen nach der pathophysiologischen Schmerzursache.
Koanalgetika sind z. B. Antikonvulsiva oder Antidepressiva bei Nervenschmerzen oder Kalzitonin und Pamidronsäure bei Knochenmetastasen. 8.2.6
Therapie mit Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmern, Thrombolytika
8.2.6.1
Hyperkoagulabilität
Definition. Vermehrte Gerinnbarkeit des Blutes. Ätiopathogenese. Bei atherosklerotischen Gefäßwand-
veränderungen ist das Hämostasegleichgewicht in
262
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Richtung Hyperkoagulabilität verschoben. Grundlage ist eine endotheliale Dysfunktion mit reduzierter Bildung von antithrombotischen, fibrinolytischen und vasodilatierenden Faktoren. Die Thromboseentstehung wird gefördert. Ein erhöhtes Risiko arterieller Thrombosen besteht u. a. bei: 4 Fortgeschrittenen Stadien der Atherosklerose 4 Lipidstoffwechselstörungen 4 Diabetes mellitus Die wichtigsten Komplikationen akuter thromboembolischer arterieller Gefäßverschlüsse sind Myokardinfarkt und Schlaganfall, bei peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen Extremitätenischämie. Tiefe Venenthrombosen sind mögliche Komplikatio-
8
nen größerer Operationen sowie stärkerer Verletzungen, insbesondere im Zusammenhang mit längerer Bettlägerigkeit oder Immobilisation von Extremitäten. Die Lungenembolie stellt hier eine lebensbedrohliche Komplikation dar. Therapie. Neben Hemmstoffen der Thrombozyten-
funktion und Hemmstoffen der plasmatischen Gerinnungssysteme kommen bei der Akutbehandlung Aktivatoren der Fibrinolyse zum Einsatz, die die Rekanalisation von Gefäßverschlüssen und Thrombusauflösung bewirken (. Tab. 8.22). 4 Hemmung der Thrombozytenfunktion (. Tab. 8.23) 4 Hemmung der plasmatischen Gerinnungssysteme: Entscheidend für die Aktivierung der plasmatischen Gerinnung ist die Bildung von Thrombin mit anschließender Umwandlung von Fibrinogen
zu Fibrin. Ansätze zur Hemmung der Thrombinaktivierung (. Tab. 8.24): 5 Indirekter Thrombinantagonismus durch Aktivierung des Thrombininhibitors Antithrombin und Hemmung der Thrombinbildung durch Heparin. Heparin sollte wegen der Gefahr der Entstehung ausgedehnter Hämatome nicht i.m., sondern i.v. oder tief s.c. verabreicht werden. Mögliche Nebenwirkungen sind Blutungen, reversibler Haarausfall, Osteoporose, Thrombozytopenie und Verfälschung von Labortest, z. B. Blutsenkung, Erythrozytenresistenz. 5 Direkter Thrombinantagonismus durch Bindung von Hirudin an die Fibrinogenbindestelle von Thrombin, wodurch dessen Wirkung blockiert wird. 5 Blockade der Synthese von Gerinnungsfaktoren durch Vitamin-K-Antagonisten. 4 Hemmung der Biosynthese von Gerinnungsfaktoren: Heute relevante orale Antikoagulanzien sind Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin und Phenprocoumon (. Tab. 8.25). Eine klinisch relevante Blutgerinnungshemmung tritt ein, wenn die im Blut zirkulierende Menge aktiver Faktoren um mindestens 10% reduziert ist. Indikationen sind: 5 Prophylaxe und Therapie venöser Thrombosen 5 Prävention einer kardialen Embolie bei Vorhofflimmern 5 Künstliche Herzklappenprothesen 5 Prophylaxe einer Lungenembolie 5 Angeborene Gerinnungsdefekte 5 Sekundärprävention des Schlaganfalls und des Myokardinfarktes
. Tab. 8.22. Therapie der Hyperkoagulabilität Angriffspunkt
Substanzbeispiel
Indikationen
Hemmung der Thrombozytenfunktion
Azetylsalizylsäure
Sekundärprophylaxe des Myokardinfarktes, Prävention akuter atherothrombotischer Syndrome
Hemmung der plasmatischen Gerinnungssysteme
Heparin
Verbrauchskoagulopathie, Thromboseprophylaxe, -therapie, Lungenembolie
Hirudin
Prophylaxe tiefer Beinvenenthrombosen nach Hüft- oder Kniegelenksersatzoperationen, heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II
Phenprocoumon
Prophylaxe und Therapie venöser Thrombosen, Prävention einer kardialen Embolie bei Vorhofflimmern, künstliche Herzklappenprothesen, Prophylaxe einer Lungenembolie, angeborene Gerinnungsdefekte, Sekundärprävention des Schlaganfalls und des Myokardinfarktes
Hemmung der Biosynthese von Gerinnungsfaktoren
263 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Die Wirkungskontrolle einer oralen Antikoagulanzientherapie erfolgt durch Bestimmung des Prothrombins (Thromboplastinzeit nach Quick, INR). Die Thromboplastinzeit sollte abhängig von der jeweiligen Indikation 15–40% der Norm betragen. Aufgrund der verschiedenen Thromboplastinpräparate wird heute anstatt der Angabe des sog. Quick-Wertes in % die »International Normalized Ratio« (INR) bevorzugt, die auf ein standardisiertes
Thromboplastinpräparat normiert ist. Ein INRWert zwischen 1,6 und 4,5 ist je nach Indikation im Normbereich. Mögliche Nebenwirkungen sind vor allem Blutungen, die trotz korrekt eingestellter Thromboplastinzeit auftreten können. Zahlreiche Arzneimittelinteraktionen können auftreten, die die Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten verstärken (z. B. ASS) oder vermindern (z. B. Barbiturate).
. Tab. 8.23. Wichtige Eigenschaften von Thrombozytenfunktionshemmern Wirkstoff
Indikationen
Dosierung
Nebenwirkungen
Azetylsalizylsäure
Sekundärprophylaxe des Myokardinfarktes, Prävention akuter atherothrombotischer Syndrome
75–300 mg/Tag
Verlängerung der Blutungszeit1, Schleimhautreizung im MagenDarm-Trakt
Clopidogrel
Atherothrombotische Ereignisse2
75 mg/Tag
Verlängerung der Blutungszeit1
Abciximab
Katheterintervention bei akutem Koronarsyndrom
0,25 mg/kg i.v., dann 0,125 μg/kg/min für 12 h
Verlängerung der Blutungszeit1,3
1 2 3
8
Nach Absetzen der Substanz noch 4–5 Tage später nachweisbar, Vorsicht bei operativen Eingriffen! In Kombination mit ASS zur Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse nach z. B. koronaren Stentimplantationen. Zur Reduktion der Blutungsrate muss die Dosis des gleichzeitig verabreichten Heparins reduziert werden.
. Tab. 8.24. Substanzen zur Hemmung der Thrombinaktivierung Indikationen/Dosierung
Besonderheiten
Heparin
4 Thromboseprophylaxe, internistische Indikation: 2- bis 3-mal 5000– 7500 I.E./Tag s.c. 4 Thromboseprophylaxe, chirurgische Indikation: 5000 I.E. 10 h und 2 h präoperativ, 5000 I.E. alle 6–8 h postoperativ über 8–10 Tage 4 Thromboseprophylaxe: 250–300 I.E./kg/24 h i.v. 4 Thrombosetherapie: 300–600 I.E./kg/24 h i.v. 4 Verbrauchskoagulopathie: 150–200 I.E./kg/24 h i.v. 4 Schwere Lungenembolie: bis 1000 I.E./kg/24 h i.v. 4 Kinder: etwa 20 I.E./kg/h i.v.
Keine systemische Wirkung bei kutaner, auch großflächiger Anwendung, Aus Gelgrundlagen können messbare Mengen kutan penetrieren, um bei einigen Indikationen, z. B. entzündlichen Venenerkrankungen einen günstigen Effekt auszuüben
Hirudin
4 Prophylaxe tiefer Beinvenenthrombosen nach Hüft- oder Kniegelenksersatzoperationen 4 Heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II
Wirkung im Gegensatz zu Heparin unabhängig von Antithrombin, aktiviert auch Thrombin im Thrombus
. Tab. 8.25. Dosierung und pharmakodynamische Daten Wirkstoff
Dosierung
Spitzeneffekt nach Gabe
Wirkungsdauer
Phenprocoumon (Marcumar)
6–18 mg/Tag
48–72 h
4–7 (–14) Tage
Warfarin (Coumadin)
15–20 mg/Tag
36–72 h
4–6 Tage
264
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8.2.6.2
Hypokoagulabilität
Definition. Hypokoagulabilität des Blutes liegt vor,
wenn ein Gerinnungsfaktor auf unter 20% der Norm reduziert ist. Ätiopathogenese. Eine verminderte Gerinnungsfähigkeit des Blutes kann beruhen auf: 4 Mangel an funktionsfähigen Thrombozyten 4 Mangel an plasmatischen Gerinnungsfaktoren 4 Mangel an Vitamin K 4 Zu starker Umsatz von Gerinnungsfaktoren 4 Inaktivierung von Gerinnungsfaktoren
8
Thrombozytär bedingte Hypokoagubilität kann bedingt sein durch eine Hemmung der Thrombopoese, einen erhöhten Thrombozytenumsatz oder eine Thrombozytopathie. Plasmatisch bedingte Hypokoagubilität kann angeboren oder z. B. durch Vitamin-KMangel erworben sein. Therapie. Besonders in Notfällen muss bei hereditä-
rer oder irreversibler erworbener Hypokoagubilität eine Substitutionstherapie durchgeführt werden (. Tab. 8.26).
Für keinen der klinisch relevanten Thrombozytenfunktionshemmer liegt ein spezifisches Antidot vor. Bei dringenden Operationen kann man bei Patienten, die z. B. unter einer Behandlung mit ASS stehen, eine symptomatische Therapie mit Desmopressin versuchen. Die Dosierung beträgt 0,3 μg/kg i.v. über 20–30 min. Der Wirkungseffekt ist 1–2 h nach der Verabreichung maximal und bis etwa 4 h nach Substanzgabe nachweisbar. Vitamin K1 wirkt als Kofaktor der Bildung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X. > Indiziert ist Vitamin K1 nur bei vorliegendem VitaminK-Mangel bzw. bei Neugeborenen (. Tab. 8.27).
Einige Stunden nach der Einnahme beginnen die Werte für die Thromboplastinaktivität dosisabhängig zu steigen, nach ca. 24–48 h kann die Blutgerinnungsfähigkeit nahezu normalisiert sein. Die Applikation erfolgt fast immer oral. Bei i.v. Gabe kann es zu Blutdruckabfall und schweren allergischen Reaktionen kommen. Heparin besitzt eine größere Affinität zu bestimmten Polybasen, z. B. Protamin, als zu den Gerinnungsfaktoren. Somit kann durch eine ausreichende Menge an Polybasen die Heparinwirkung aufgehoben werden.
. Tab. 8.26. Mögliche Substitutionsbehandlungen Ursache
Therapie
Thrombozytopenie
Infusion frischer Plättchenkonzentrate nach Austestung der Thrombozytenantigene, evtl. zusätzlich Thrombopoetin
Mangel an Gerinnungsfaktoren
Injektion von Konzentraten virusinaktivierter Gerinnungsfaktoren
Mangel an Fibrinogen
Cohn-Fraktion I bzw. frisch gefrorenes Plasma
Hyperheparinämie mit lebensbedrohlicher Blutung
Neutralisierung des Heparins
Verbrauchskoagulopathie1
Hemmung der intravasalen Gerinnung, Behandlung der Ursache
1
Häufigste erworbene Gerinnungsstörung.
. Tab. 8.27. Dosierung von Vitamin K Indikation
Dosierung
Prophylaxe bei Neugeborenen
1–2 mg p.o. am 1., zwischen dem 4. und 6. Tag und nach 4 Wochen
Schwangere, die Antikonvulsiva oder Tuberkulostatika einnehmen
10–20 mg p.o. oder 2–5 mg parenteral 2 Tage bis einige Stunden vor der Entbindung
Übrige Indikationen
Initial 10–20 mg parenteral, zur Erhaltung 1–10 mg1
1
Bei Kumarinvergiftungen bis zu 60 mg.
265 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Protamin muss i.v. verabreicht werden und wird nach Wirkung dosiert. Bei Heparinüberdosierung gilt in der Regel, dass 1 E Protamin die Wirkung von 1 I.E. neutralisiert. ! Cave Protamin sollte nur in abgestimmten Dosen zum Heparin gegeben werden, da bei vollständiger Neutralisation des Heparins Thrombosegefahr besteht oder bei Protaminüberdosierung die Fibrinolyse aktiviert werden kann.
8.2.6.3 Fibrinolyse Die lokale Blutgerinnung ist mit der Bildung des Thrombozyten-Fibrin-Thrombus abgeschlossen. Auflösung bzw. Rekanalisierung bereits bestehender Thromben erfolgt durch die endogene Fibrinolyse oder durch exogene Plasminaktivatoren. Für die Fibrinolyse ist aktives Plasmin notwendig. Die Umwandlung von Plasminogen zu Plasmin ist der entscheidende Prozess der Fibrinolyse und erfolgt durch die 2 natürlichen Plasminogenaktivatoren Urokinase und Gewebeplasminogenaktivator. Streptokinase, Urokinase, Alteplase und Tenecteplase sind als Plasminogenaktivatoren in klinischem Gebrauch (. Tab. 8.28). Tenecteplase ist eine gentechnisch modifizierte Mutante, um die Fibrinspezifität zu verbessern, die Plasmahalbwertszeit zu verlängern, eine Therapie als einmaligen Bolus zu ermöglichen und eine verlängerte Wirksamkeit zu erzielen. Die Indikation zur medikamentösen Fibrinolyse besteht bei: 4 Akuter Herzinfarkt 4 Lungenembolie 4 Eventueller akuter Verschlüssen der Extremitätenarterien 4 Frische Thrombosen der tiefen Venen der Extremitäten und des Beckens, wenn eine Thrombektomie nicht möglich ist Alteplase, Streptokinase In klinischen Studien haben sich verschiedene Thrombolytika als annährend gleichwertig herausgestellt. 4 Bei Alteplase wurden jedoch Vorteile in Bezug auf zerebrale Blutungen nachgewiesen. Die parallele Verabreichung von ASS ist unbedingt für die Aufrechterhaltung einer erfolgreichen Reperfusion notwendig. 4 Streptokinase wird meist nur noch aus Kostengründen angewandt und sollte z. B. bei Patienten unter 50 Jahren, ausgedehntem Vorwandinfarkt, reanimierten Patienten und allergischer Diathese nicht verabreicht werden, aufgrund der negativen Nutzen-RisikoVerteilung.
8
. Tab. 8.28. Dosierungen gebräuchlicher Fibrinolytika Wirkstoff
Dosierung
Streptokinase
1,5-mal 106 I.E.
Urokinase
3-mal 106 I.E.
Alteplase
80–150 mg
Tenecteplase
0,5 mg/kg als i.v. Bolus
> Alle Fibrinolytika müssen intravenös appliziert werden, da sie ansonsten zu schnell inaktiviert werden. Die initiale Streptokinasedosis muss so hoch sein, dass die in jedem menschlichen Serum vorhandene Antistreptokinase überwunden wird.
Die Therapiekontrolle bei der Langzeitthrombolyse erfolgt initial mittels der Thrombinzeit, die auf das 2bis 3-fache verlängert sein soll. Steigt die Thrombinzeit zu stark, muss die Streptokinasedosis erhöht werden, um mehr Aktivator und weniger Plasmin zu erzielen. Eine abgebrochene Streptokinasebehandlung kann z. B. mit Urokinase oder Alteplase fortgeführt werden. Nach Beendigung jeder thrombolytischen Therapie besteht eine vorübergehende Thrombosegefahr, der durch Verabreichung von Heparin und anschließender VitaminK-Antagonistengabe entgegengewirkt werden kann. Mögliche Nebenwirkungen sind Blutungen und allergische Reaktionen. ! Cave Fibrinolytika sind u. a. bei schweren hämorrhagischen Diathesen, manifesten oder kurz zurückliegenden Blutungen, Behandlungen mit Vitamin-K-Antagonisten, therapieresistenter Hypertonie, Streptokokkensepsis, Endocarditis lenta und zerebraler Hämorrhagie kontraindiziert.
8.2.6.4 Hyperfibrinolyse Plasminenbildung in der Blutbahn führt zu Aktivierung der Fibrinolyse. Bei Hyperfibrinolyse durch Auftreten größerer Mengen Plasmin oder anderer Proteasen im Blut kann es zu schwerwiegenden Blutungen kommen, die 4 auf Verminderung der Thrombozytenaggregation, 4 auf der Spaltung der Gerinnungsfaktoren I, V und VIII und 4 auf den gerinnungshemmenden Eigenschaften der anfallenden Fibrinogen- und Fibrinspaltprodukten beruhen.
266
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.29. Dosierungen Wirkstoff
Dosierung
Tranexamsäure
Initial 500 mg i.v., anschließend 250 mg/h als Infusion bzw. 500–2000 mg/Tag p.o.
p-Aminomethylbenzoesäure
50–150 mg i.v. bzw. 300–600 mg/Tag p.o.
Aprotinin
Initial 500.000 K.I.E., anschließend 100.000 K.I.E./h i.v. bis zum Blutungsstillstand
Therapeutisch von Bedeutung sind Tranexamsäure, p-Aminomethylbenzoesäure und Aprotinin, die die Umwandlung von Plasminogen in Plasmin hemmen (. Tab. 8.29). ! Cave
8
Vor der Applikation von Fibrinolsyehemmstoffen ist differenzialdiagnostisch eine Verbrauchskoagulopathie auszuschließen (Thrombinzeit, Thrombozytenzahl), da ansonsten die Fibrinablagerung im Bereich der Mikrozirkulation lebensbedrohlich vermehrt werden kann.
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Magenerkrankungen Gallenblasenaffektionen Chronische Pankreatitis Urämie Hepatisches Koma Hirndrucksteigerung Akute Infektionen Reiseübelkeit Gravidität Chemotherapie Strahlenbehandlung
! Cave
! Cave Bei Niereninsuffizienz besteht Kumulationsgefahr.
Vorsicht bei der medikamentösen Behandlung von Schwangerschaftserbrechen, eine potenzielle fruchtschädigende Wirkung darf nicht außer Acht gelassen werden (. Tab. 8.30).
8.2.7 Antiemese Erbrechen ist ein häufiges und unspezifisches Symptom. Ursachen können sein:
Die Folgen des Erbrechens hängen von der Häufigkeit ab. Bei anhaltendem Erbrechen kann es zu Störungen des Wasser- und Elektrolytstoffwechsels mit hypo-
. Tab. 8.30. Antiemetika Wirkstoffklasse
Arzneistoff
Indikationen
Dosierung
H1-Antihistaminika1
Dimenhydrinat (z. B. Vomex)
Kinetosen
50–100 mg
Chlorphenoxamin
30–60 mg
Meclozin (z. B. Postadoxin)
25–50 mg
Phenothiazine
Triflupromazin
Hyperemesis gravidarum, zentralbedingtes Erbrechen
10–20 mg
Benzamid- und Benzimidazolonderivate1
Metoclopramid (z. B. Paspertin)
Nausea, Erbrechen
10–20 mg
Bromoprid
10 mg
Domperidon (z. B. Motilium) 5-HT3-Antagonisten
Granisetron (z. B. Kevatril) Ondansetron (z. B. Zofran)
10–20 mg Erbrechen durch Zytostatika oder Bestrahlung2
Tropisetron (z. B. Navoban) 1 2
Bei Kinetosen nicht ausreichend wirksam. Auch in Kombination mit Glukokortikoiden (z. B. Dexamethason).
3 mg 8 mg 5 mg
267 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
chlorämischer Alkalose, Oligurie, Exsikkose, Temperaturerhöhung und evtl. Koma kommen.
Therapieoptionen bei allergischen Reaktionen
8.2.8
IgE-vermittelte allergische Reaktionen sind mit Histaminfreisetzung und Entstehung anderer Mediatoren aus Mastzellen verbunden. Zu den Folgen zählen 4 Erschlaffung der Gefäßmuskulatur, z. B. anaphylaktischer Schock 4 Erhöhung der Gefäßpermeabilität, z. B. Ödeme 4 Kontraktion der Bronchialmuskulatur, z. B. Asthma bronchiale 4 Anregung der Darmmuskulatur, z. B. Diarrhö Zur allgemeinen Therapie allergischer Reaktionen . Tab. 8.31. 8.2.8.1
Symptomatik. Oft handelt es sich um einen einzelnen
Herd (v. a. an Extremitäten und Genitalbereich), der meist 1–2 Wochen nach Exposition auftritt und sich häufig innerhalb 1–2 Wochen nach Absetzen zurückbildet. Die Schwere der Hautreaktion kann sich von Akneinduktion, phototoxischen Reaktionen bis hin zu lebensbedrohlichen Formen wie generalisierter Urtikaria mit Anaphylaxie erstrecken. Diagnostik. Klärung der Medikamenteneinnahme,
Hauttests (z. B. Prick-, Epikutantest) können nur bedingt weiterhelfen. > Ein Allergiepass muss angelegt werden.
Therapie. Sofortiges Absetzen des Arzneimittels, ggf.
Ansetzen eines Medikamentes aus einer anderen Wirkstoffgruppe (Kreuzreaktionen). Symptomatische Therapie je nach klinisch vorherrschendem Symptom.
Arzneimittelexanthem
Definition. Allergische Hautreaktion, durch zahlreiche
Medikamente wie Antibiotika (z. B. Tetrazykline, Penicilline) und NSAR ausgelöst.
. Tab. 8.31. Antiallergische Therapie Wirkstoffgruppe
Arzneistoff
Indikationen
Anmerkungen
Mastzellstabilisatoren
Cromoglycinsäure, Nedocromil
Prophylaxe von Heuschnupfen, allergischem Asthma, Nahrungsmittelallergien
Chronische Anwendung, lokale Applikation an Augenbindehaut, Nasen- und Darmschleimhaut, zur Inhalation
H1-Antihistaminika
Loratadin, Cetirizin
Heuschnupfen
Meist orale Gabe
α-Sympathomimetika
Naphazolin, Oxymetazolin, Tetryzolin
Heuschnupfen
Lokale Anwendung an Bindehaut und Nasenschleimhaut1
anaphylaktischer Schock
Parenterale Gabe
Adrenalin β2-Sympathomimetika
Terbutalin, Fenoterol, Salbutamol
Asthma bronchiale
Meist lokal per Inhalation, im Notfall parenteral2
Methylxanthine
Theophyllin3
Asthma bronchiale
Zur Prophylaxe p.o., im Akutfall parenteral
Parasympatholytika
Ipratropium
Asthma bronchiale
Per Inhalation, evtl. lokal
Glukokortikoide4
Beclometason, Budesonid, Fluticason
Heuschnupfen, Asthma bronchiale, anaphylaktischer Schock
Per Inhalation
1 2
3 4
8
Aufgrund der Gefahr der Schleimhautschädigung nur kurzfristige Anwendung! Bei Akuttherapie kurzwirksame β2-Sympathomimetika, da schnelle Wirkung erforderlich. Bei Patienten mit chronischem frühmorgendlichem Asthma abends Verabreichung langwirksamer β2-Sympathomimetika. Geringe therapeutische Breite! Um die Bildung eines Mundsoors zu vermeiden, ist die Verwendung eines Spacers zur Wirkstoffverneblung vor der Inhalation bzw. die Ausspülung nach der Anwendung der Mund sinnvoll.
268
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
In Kürze Allergische Reaktionen Arzneimittelexanthem
4 Symptomatik: meist zwischen 7. und 12. Behandlungstag allergische Haut- und Schleimhautveränderungen 4 Diagnostik: Anamnese bezüglich Medikamenteneinnahme 4 Therapie: sofortiges Absetzen des auslösenden Arzneimittels, symptomatische Therapie je nach Erscheinungsform des Exanthems
8.2.9
Therapie der Schlafstörungen
8.2.9.1
Schlafstörungen
Mangel an Schlafquantität oder -qualität.
> Ein gutes Hypnotikum sollte bei guter Wirksamkeit die zyklischen Schlafphasen nicht stören, möglichst frei von Nebenwirkungen sein und nicht zu Toleranz und Abhängigkeit führen. Hinsichtlich dieser Kriterien gibt es noch keinen idealen Wirkstoff.
> Die Hyposomnie wird als eigenständige Krankheit angesehen, wenn sie trotz Wegfall der auslösenden Faktoren weiter besteht bzw. in keinem angemessenen Verhältnis zu den auslösenden Faktoren steht.
Eine medikamentöse Therapie bei chronischen, vorbehandelten Schlafstörungen ist mit besonderer Vorsicht durchzuführen, um die Entwicklung von Abhängigkeiten zu vermeiden.
Ätiopathogenese. Das Auftreten von Schlafstörungen ist abhängig von Alter, physischer und psychischer Belastung, Hormonstatus und vom Lebensrhythmus (z. B. berufliche Tätigkeit). Durch- und Einschlafstörungen zählen zu den häufigsten Problemen.
! Cave
Definition. Unter Schlafstörungen versteht man einen
8
Schlafphasen Unterschieden werden Non-REM-Schlaf und REM-Schlaf (»rapid eye movements«). Ca. 75% der Schlafzeit werden im Non-REM-Schlaf verbracht. Diese Zeit ist durch tieferen Schlaf charakterisiert. Hingegen treten in der REM-Phase schnelle Augenbewegungen und Träume auf, Pulsschlag und Frequenz sind erhöht. Die ungestörte Entwicklung und der zyklische Ablauf der beiden Schlafphasen sind für das Erfüllen der Schlaffunktionen entscheidend.
Ursachen von Schlafstörungen: 4 Exogene Faktoren, z. B. Lärm 4 Organische Faktoren, z. B. Schmerzen 4 Psychische Faktoren, z. B. Depression, Angstzustände 4 Pharmakogene Faktoren, z. B. durch Einnahme von Methylxanthinen 4 Entzug, z. B. von Benzodiazepinen Therapie. Erste Priorität der Therapie ist eine Beseiti-
gung der Ursachen, z. B. Schlafhygiene. Eine intermittierende Einnahme von Schlafmitteln wird als sinnvoll angesehen.
Der Einsatz von Barbituraten als hervorragende Hypnotika wird als obsolet angesehen, da sie z. B. im Vergleich zu den Benzodiazepinen ein höheres Intoxikationsrisiko (Suizidgefahr!) und ein größeres Abhängigkeitspotenzial haben.
Zur Verfügung stehen folgende Wirkstoffe: 4 Benzodiazepine (z. B. Flunitrazepam): Je nach Wirkdauer werden Benzodiazepine als Ein- oder Durchschlafmittel eingesetzt. Die Dosierung sollte möglichst niedrig sein (. Tab. 8.32). Die Dosis sollte bereits in der ersten Woche reduziert bzw. die Dosierungsintervalle vergrößert werden, da bereits nach wenigen Wochen Toleranz und Abhängigkeit entwickelt werden können. Zur Vermeidung von unkontrolliertem Verhalten sollten Benzodiazepin direkt vor dem Schlafengehen eingenommen werden. Die Therapie sollte nicht länger als 3 Wochen andauern. Das Absetzen sollte nach einem Dauergebrauch ausschleichend erfolgen, da nach abruptem Abbruch Entzugserscheinungen auftreten können. Mögliche Nebenwirkungen sind ein »hangover« mit Ataxien und Koordinationsprobleme, Reduktion der alveolären Ventilation, Gedächtnisstörungen, paradoxe Wirkungen.
269 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8
. Tab. 8.32. Dosis und pharmakologische Daten verschiedener Benzodiazepine Typ
Beispiel
Dosierung
Zeit bis zur maximalen Plasmakonzentration
Halbwertszeit
Kurzwirkend
Triazolam (Halcion)
0,25 mg1
0,7–2,3 h
2,0–3,5 h
Mittellangwirkend
Temazepam (Planum)
10–20 mg
20–40 min
10–14 h
Langwirkend
Flunitrazepam (Rohypnol)
1 mg
1h
10–13 h
1
Bei älteren Patienten 0,125 mg.
! Cave
der Dosis und der Anwendungsvorschriften können schwere zentrale Nebenwirkungen vermieden werden. 5 Die hypnotische, anxiolytische, muskelrelaxierende und antikonvulsive Wirkung von Zopiclon ähnelt der Wirkung kurzwirkender Benzodiazepine. Eine schnelle Toleranzentwicklung ist möglich.
Bereits nach einmaliger Einnahme von kurzwirksamen Benzodiazepinen kann die »rebound insomnia« (Rückfall von Schlafstörungen) schon am frühen Morgen auftreten, Angsterscheinungen tagsüber können sich bemerkbar machen.
4 Zolpidem, Zopiclon: Substanzen, die wie Benzodiazepine agonistisch am GABA-A-Rezeptor angreifen (. Tab. 8.33). Beide Wirkstoffe können leichte Gedächtnisstörungen hervorrufen. Zopiclon soll Patienten mit psychischen Erkrankungen nicht gegeben werden, da es zu Übererregbarkeit kommen kann. 5 Zolpidem ist ein kurzwirksames Hypnotikum und wird oft bei Einschlafproblemen verabreicht. Es verstärkt das vierte Schlafstadium, die REM-Phase wird nicht beeinflusst. Toleranzentwicklung und Entzugserscheinungen wurden bislang kaum beobachtet. Bei Einalten
> Großer Vorteil beider Wirkstoffe gegenüber Benzodiazepinen ist die fehlende »rebound insomnia«, die Patienten fühlen sich am nächsten Morgen fit.
4 H1-Rezeptor-Antagonisten: Hier macht man die Nebenwirkung zur Hauptwirkung! Die REMSchlafphasen werden verkürzt. Diphenhydramin und Doxylamin sind als Einzelpräparate und in Kombination im Handel (. Tab. 8.34). Sie sind apothekenpflichtig, unterliegen aber nicht der Verschreibungspflicht.
. Tab. 8.33. Dosierung und pharmakologische Daten von Zolpidem und Zopiclon Wirkstoff
Zeit bis zur maximalen Plasmakonzentration
Halbwertszeit
Zolpidem (z. B. Stilnox)
1
10 mg
0,5–3 h
2–3 h
Zopiclon (z. B. Ximovan)
7,5 mg
1–2,5 h
5h
1
Dosis
Bei älteren Patienten 5 mg.
. Tab. 8.34. Dosierung und pharmakologische Daten von Diphenhydramin und Doxylamin Wirkstoff
Dosis
Zeit bis zum Wirkungseintritt
Halbwertszeit
Diphenhydramin (Vivinox stark)
25–50 mg
15–30 min
5–8 h
Doxylamin (Hoggar N)
25–50 mg
30 min
9–10 h
270
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.35. Dosierung und pharmakologische Daten von Chloralhydrat Wirkstoff
Dosis
Zeit bis zum Wirkungseintritt
Halbwertszeit
Chloralhydrat (Chloraldurat)
250–500 mg (p.o.) 600 mg (rektal)
30 min
4h
. Tab. 8.36. Antiinfektiva der ersten Wahl im ärztlichen Praxisalltag
8
Wirkstoff
Anwendung
Penicillin V (Phenoxymethylpenicillin)
Streptokokkenangina, Erysipel, Scharlach, Zahninfektionen
Amoxicillin
Atemwegsinfektionen (akute Exazerbation der chronischen Bronchitis, Otitis media, Sinusitis), bei β-Laktamase-bildenden Bakterien in Kombination mit Clavulansäure
Clarithromycin, Roxithromycin, Azithromycin
Atemwegsinfektionen (akute Exazerbation der chronischen Bronchitis, Otitis media, Sinusitis), ambulant erworbene Pneumonie, Keuchhusten
Doxycyclin
Nicht-gonorrhische Urethritis
Cotrimoxazol
Harnwegsinfektionen, Salmonellosen
4 Chloralhydrat: Mildes Schlafmittel, das auch bei älteren Patienten geeignet ist, da es die Schlafphasen kaum beeinflusst und nur sehr selten paradoxe Reaktionen auslöst (. Tab. 8.35). Zu den unerwünschten Wirkungen zählen v. a. kardiale Störungen, lokal führt es zu starken Reizungen. Bei langer Anwendungsdauer kann eine Gewöhnung auftreten. Phytopharmaka, Neuroleptika, Antidepressiva 4 Verschiedene Phytopharmaka wie Baldrian und Hopfen werden häufig als Schlafmittel angewandt. Ihr großer Vorteil sind die meist fehlenden Nebenwirkungen. 4 Neuroleptika können bei psychotisch bedingten Schlafproblemen oder bei älteren Patienten mit starken Unruhezuständen indiziert sein. 4 Depressive Verstimmungen gehen meist mit Schlafproblemen einher, so dass Antidepressiva mit dämpfenden und schlafanstoßenden Wirkungen bei dieser Art der Schlafstörungen erfolgreich eingesetzt werden können.
8.2.10
Antiinfektiöse Therapie
Behandlung bakterieller, viraler und Pilzerkrankungen mit z. B. oralen, intravenösen oder topischen Medikamenten.
8.2.10.1 Bakterielle Erkrankungen Die korrekte Indikationsstellung ist für eine erfolgreiche Therapie bakterieller Krankheiten Voraussetzung (. Tab. 8.36). Grundlegend sind die klinische Situation, die Dringlichkeit, die Verdachtsdiagnose und das Resultat mikrobiologischer Untersuchungen. ! Cave Fieber und andere uncharakteristische Symptome müssen nicht zwingend bakteriellen Ursprungs sein.
Ist eine Behandlung notwendig bevor die Ergebnisse der Erregerdiagnostik vorliegen, wird eine sog. kalkulierte antimikrobielle Chemotherapie durchgeführt. Ist der Infektionserreger bekannt können mit der gezielten Chemotherapie hochwirksame Antibiotika mit schmalem Wirkspektrum eingesetzt werden. Wichtige Therapierichtlinien sind: 4 Bei leichten Infektionen orale Behandlung 4 Sequenzialtherapie bei mittelschweren bis schweren Infektionen: parenteral beginnen, nach 1–3 Tagen auf p.o. umstellen 4 Parenterale Behandlung bei schweren bis lebensbedrohlichen Infektionen mittels Breitspektrumantibiotika (bakterizider Wirkung), nach kalkulierter Therapie ausgewählt 4 Nach obligatem Erregernachweis und Antibiogramm Wechsel auf gezielte Behandlung
271 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Zu den möglichen Nebenwirkungen gehört die Ausbreitung resistenter mikrobieller Populationen, sie führt zum Nachlassen der Antibiotikawirksamkeit. Auch die massive inflammatorische Reaktion durch bakterielle Lyse und Endotoxinfreisetzung bei der Behandlung mit bakteriziden Antibiotika gehört zu den biologischen Nebenwirkungen. Typische Symptome sind Temperaturanstieg, Tachykardie, evtl. Organbeteiligung bis hin zum Endotoxinschock. > Allergische unerwünschte Wirkungen wie Sofortreaktionen vom anaphylaktischen Typ, beschleunigte allergische Reaktionen und allergische Spätreaktionen limitieren oftmals die Antibiotikaauswahl.
Bei einer natürlichen Resistenz hat das Antibiotikum bei einer bestimmten Erregerart keine Wirksamkeit, der Erreger gehört nicht zum Wirkspektrum des Antibiotikums. Eine sekundäre Resistenz hingegen entsteht erst durch eine Therapie. Kreuz- bzw. Parallelresistenzen liegen oft bei pharmakologisch oder chemisch verwandten Antibiotika vor. ! Cave Angesichts der häufigen Resistenzentwicklung und Allergisierung sollten systemisch angewandte Antibiotika nur in Ausnahmen lokal verabreicht werden.
Ein persistenter Erreger überlebt eine Antibiotikatherapie, entwickelt jedoch keine Resistenz. > Kombinationen von Chemotherapeutika können zur Vergrößerung des Spektrums und zur Vermeidung schneller Resistenzentwicklungen sinnvoll sein. Teilweise konnten auch synergistische Effekte nachgewiesen werden, z. B. Penicillin und β-LaktamaseInhibitor Clavulansäure.
Bei der Behandlung immungeschwächter Patienten kann bereits eine leichte Infektion gravierende Folgen haben. Meist werden Kombinationen verabreicht, um das Erregerspektrum weitgehend abzudecken, z. B. β-Laktamantibiotika und Aminoglykoside für grampositiven und -negativen Bereich. ! Cave Bei bestehender Niereninsuffizienz müssen renal ausgeschiedene Chemotherapeutika niedriger dosiert werden bzw. die Dosisintervalle verlängert werden, um vermehrt auftretende Nebenwirkungen zu vermeiden.
Therapie mit β-Laktamantibiotika Hierzu gehören: 4 Penicilline 4 Cephalosporine 4 Carbapeneme 4 Monobactame Die zahlreichen β-Laktamantibiotika unterscheiden sich im antibakteriellen Wirkspektrum und in der Pharmakokinetik. Penicilline
Penicilline haben eine bakterizide Wirkung auf proliferierende Keime (. Tab. 8.37). ! Cave Alle Formen einer Penicillinallergie, von leichten allergischen Reaktionen bis hin zu tödlich verlaufenden Schocks, können auftreten! Aufgrund der hohen Allergisierungsrate sollen Penicilline nicht lokal angewendet werden.
. Tab. 8.37. Übersicht gängiger Penicilline Wirkstoff Penicillin G Penicillin V
1
Amoxicillin Ampicillin
1 2 3
2
8
Indikation
Dosierung
Infektionen mit Streptokokken, Meningokokken, Pneumokokken, Gonokokken
3–4×2 ME/Tag i.v.
Besonders bei Infektionen mit gramnegativen Erregern, H. influenzae, Enterokokken3
3–0,5 ME/Tag p.o. 3–4×0,5–1 g/Tag 3–4×1 g/Tag p.o. 3×0,5–5 g/Tag i.v.
Aufgrund der geringen Plasmakonzentration nur bei leichteren ambulanten Infektionen indiziert. Gastrointestinal besser verträglich als Ampicillin. In Kombination mit β-Laktamaseinhibitoren auch gegen Staphylokokken und gramnegative Bakterien wirksam.
272
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Cephalosporine Aufgrund ihres breiten Wirkspektrums zählen sie zu den am häufigsten eingesetzten Antibiotika im Krankenhausbereich (. Tab. 8.38). Enterokokken, Listerien und methicillinresistente Staphylokokken sind jedoch resistent. Sie wirken bakterizid auf proliferierende Keime, teilweise sind sie oral wirksam. Zu den möglichen Nebenwirkungen gehören: 4 Allergien (in 5–10% der Fälle besteht Kreuzallergie zu Penicillinen) 4 Gastrointestinale Störungen sowohl nach peroraler als auch nach parenteraler Applikation 4 Hypoprothrombinämie 4 Leberfunktionsstörungen
8
Carbapenem, Monobactame Imipenem und Meropenem sind stark bakterizid wirksam gegen eine Vielzahl grampositiver und -negativer Keime (. Tab. 8.39). Mögliche Nebenwirkungen sind bei: 4 Carbapeneme: 5 Gefahr der Sekundärinfektion infolge einer Selektion von resistenten Mikroorganismen 5 Allergien (auch Kreuzallergien mit Penicillinen) 5 Gastrointestinale Beschwerden 4 Monobactamen:
5 Hautreaktionen 5 Gastrointestinale Störungen Therapie mit Tetrazyklinen Aufgrund ihrer guten Bioverfügbarkeit werden vor allem Doxycyclin und Minocyclin eingesetzt, Doxycyclin kann auch i.v. verabreicht werden (0,1–0,2 g/Tag). Ihre Wirkung ist bakteriostatisch gegen eine Vielzahl grampositiver und -negativer Erreger wie Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken, Chlamydien, Legionellen und Mykoplasmen. ! Cave Tetrazykline können bei zahlreichen klinisch relevanten Infektionen nicht mehr verabreicht werden, da eine hohe Resistenzrate besteht.
Tetrazykline sind Mittel der ersten Wahl bei: 4 Borrelien 4 Rickettsien 4 Bartonellen 4 Bruzellen 4 Chlamydien 4 Helicobacter pylori 4 Burkholderia 4 Vibrionen 4 Rosacea
. Tab. 8.38. Übersicht gängiger Cephalosporine Wirkstoff
Erreger
Dosierung
Cefazolin
Grampositive Erreger außer Enterokokken, methicillinresistente S. aureus und S epidermis
3–4 g/Tag i.v.
Cefuroxim
Insbesondere gramnegative Erreger, E. coli, Klebsiella, Proteus, H. influenzae, Moraxella catarrhalis
3×1–2 g/Tag i.v.
Cefotaxim
Insbesondere Enterobacteriaceae
2×1–2 g/Tag i.v.
Cefepim
Aerob gramnegative Bakterien
2×1–2 g/Tag i.v.
. Tab. 8.39. Übersicht gängiger Carbapeneme, Monobactame Wirkstoff 1
Imipenem
Indikation
Dosierung
Nosokomiale Infektionen als Reserveantibiotika
3–4×0,5–1 g/Tag i.v.
Meropenem Aztreonam 1
4×0,5–1 g/Tag i.v. Infektionen mit Enterobactericeae
3–4×2 g/Tag i.v.
In Kombination mit Cilestatin kann die Entstehung nephrotoxischer Metaboliten reduziert werden.
273 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
Mögliche Nebenwirkungen sind: 4 Gastrointestinale Beschwerden 4 Einlagerung in Knochen und Zähne (Störungen des Knochenwachstums, Gelbfärbung der Zähne) 4 Photodermatose ! Cave Keine Verabreichung von Tetrazyklinen an Schwangere, Stillende und Kinder unter 8 Jahren.
Therapie mit Makrolidantibiotika Typische Vertreter sind: 4 Erythromycin 4 Roxithromycin 4 Clarithromycin 4 Azithromycin Sie wirken bakteriostatisch und abhängig von Keim und Konzentration bakterizid. Ihr Wirkspektrum umfasst v. a. grampositive Stäbchen, Kokken, Bordetellen, Mykoplasmen, Legionellen, Spirochäten, Corynebakterien, H. pylori und Aktinomyzeten. Indiziert sind sie bei ambulant erworbenen Pneumonien und Exerbationen chronischer Bronchitiden, Keuchhusten und Legionellosen. Bei bestehender Penicillinallergie können sie als Alternative bei Scharlach, Erysipel und Diphtherie eingesetzt werden. Mögliche Nebenwirkungen sind: 4 Gastrointestinale Beschwerden 4 Allergische Hauterscheinungen 4 Ohrensausen (dosisabhängig)
Therapie mit Clindamycin, Vancomycin, Teicoplanin, Fosfomycin, Quinupristin/ Dalfopristin Die Substanzen wirken hauptsächlich bei grampositiven Bakterien, eingesetzt werden sie meist gegen Staphylokokken und bei Penicillinallergie (. Tab. 8.40). Therapie mit Aminoglykosiden Hierzu gehören u. a.: 4 Streptomycin 4 Gentamycin 4 Neomycin 4 Kanamycin Indikationen sind: 4 Pyelonephritis 4 Sepsis 4 Peritonitis 4 Endokarditis 4 Pneumonie 4 Meningitis 4 Osteomyelitis durch gramnegative Erreger Aminoglykoside werden meist mit Penicillinen oder Cephalosporinen kombiniert. > Aufgrund der geringen therapeutischen Breite sollten Aminoglykoside nur eingesetzt werden, wenn die Erreger gegen besser verträgliche Antibiotika resistent sind bzw. bei lebensbedrohlichen Infektionen.
Die Therapie erfolgt aufgrund der meist lebensbedrohlichen Infektionen und der Notwendigkeit der Therapiebeobachtungin der Klinik.
. Tab. 8.40. Therapie mit Clindamycin, Vancomycin, Teicoplanin, Fosfomycin, Quinupristin/Dalfopristin Arzneistoff
Beschreibung
Indikationen
Clindamycin
Bakteriostatisch und in Abhängigkeit von der Konzentration am Wirkort und der Empfindlichkeit der Erreger auf proliferierende Keime bakterizid, besonders wirksam gegen Staphylokokken, Anaerobier und Protozoen, partielle Kreuzresistenz mit Makrolidantibiotika
Infektionen mit Aerobier und Staphylokokken bei Erythromycinresistenz, staphylokokkenbedingte Osteomyelitis, ZNS-Toxoplasmose bei AIDS
Vancomycin, Teicoplanin
Bakterizid gegen grampositive Erreger wie Enterokokken, Pneumokokken, Clostridium difficile
Schwere Staphylokokkeninfektionen, pseudomembranöse Kolitis
Fosfomycin
Bakterizides Breitspektrumantibiotikum
Reserveantibiotikum
Quinupristin, Dalfopristin1
Wirksam gegen Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken
Reserveantibiotikum
1
Als Kombinationspräparate im Handel.
8
274
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
! Cave Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Oto- und Nephrotoxizität.
Häufigkeit und Schweregrad der Nebenwirkungen sind u. a. davon abhängig, wie oft und wie lange das Antibiotikum eingenommen wird. Einmalgaben erwiesen sich als günstiger als fraktionierte Verabreichungen der Tagesdosis. Die Therapiedauer sollte maximal 5 Tage betragen. Zur Kontrolle sollen vor und während der Behandlung die Kreatinin-Clearance überprüft und ein Audiogramm erstellt werden.
8
Therapie mit Fluorchinolonen (Gyrasehemmern) In Abhängigkeit von der Dosis haben die Gyrasehemmer (. Tab. 8.41) eine bakterizide Wirkung. Resistenzen nehmen immer mehr zu. Mögliche Nebenwirkungen sind: 4 Gastrointestinale Beschwerden 4 Störungen des ZNS, z. B. Kopfschmerzen, Schwindel, Halluzinationen 4 Phototoxische Reaktionen 4 Tendopathien (Kombination mit Glukokortikoiden erhöht das Risiko) ! Cave Gyrasehemmer haben eine toxische Wirkung auf die Entwicklung des Gelenk- und Epiphysenknorpels, sie sind daher bei Kindern und Jugendlichen kontraindiziert.
Therapie mit Metronidazol Metronidazol wirkt gegen Protozoen (z. B. Trichomonas vaginalis, Entamoeba histolytica) und ist schnell
bakterizid wirksam gegen anaerobe Bakterien, z. B. Bacteroides, anaerobe Kokken, Clostridien. Aufgrund der guten Penetrationseigenschaft ist Metronidazol indiziert bei: 4 Gehirnabszesse 4 Anaerobier-Meningitis 4 Intraabdominelle Abszesse 4 Peritonitiden 4 Gynäkologische Infektionen 4 Anaerobierinfektionen des Knochens und der Gelenke Mögliche Nebenwirkungen sind: 4 Gastroinestinale Beschwerden 4 Reaktionen des Nervensystems Bei gleichzeitigem Alkoholkonsum kann es zum sog. Antabus-Syndrom (auftretendes Azetaldehydsyndrom, Alkoholintoleranz) kommen. > Die Behandlungsdauer sollte höchstens 10 Tage betragen.
Therapie mit Sulfonamiden Sulfonamide sind aufgrund der Resistenzentwicklung als Einzelpräparate nicht mehr ausreichend antibakteriell wirksam und werden heute in Kombination mit Trimethoprim verabreicht (Sulfamethoxazol und Trimethoprim, z. B. Cotrimoxazol)). Als Monotherapeutika werden sie nur noch bei der Behandlung der Nokardiose (Infektion mit Nocardia) eingesetzt. Cotrimoxazol wird überwiegend zur Behandlung von Harnwegsinfektionen, als Alternativpräparat bei Salmonellen- und Shigelleninfektionen und zur Pro-
. Tab. 8.41. Übersicht gängiger Fluorchinolone Arzneistoff
Indikationen
Ciprofloxacin (z. B. Ciprobay)
Infektionen v. a. mit Enterobakterien und H. influenzae. Pseudomonas aeruginosa, Harnwegsinfektionen, Infektionen der Atemwege, Haut-, Weichteil- und Knocheninfektionen, Sepsis, typhöse Salmonellenerkrankungen, Shigelleninfektionen, Cholera
Norfloxacin (z. B. Norflosal)
Infektionen insbesondere mit gramnegativen Erregern. Harnwegsinfektionen, bakterielle Enteritis, Gonorrhö, Prostatitis
Ofloxacin (z. B. Tarivid)
Infektionen v. a. mit Enterobakterien und H. influenzae. Harnwegsinfektionen, Infektionen der Atemwege, Haut-, Weichteil- und Knocheninfektionen, Sepsis
Levofloxacin (z. B. Tavanic)
Wie Ofloxacin; zusätzlich verbesserte Wirkung gegen grampositive Erreger, Pneumokokkeninfektionen
Moxifloxacin (z. B. Avalox)
Infektionen mit grampositiven Erregern, besonders Pneumokokken, M. tuberculosis. Atemwegsinfektionen, Infektionen durch Anaerobier
275 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
phylaxe und Therapie einer Pneumocystis-cariniiPneumonie bei AIDS-Patienten angewandt. Mögliche Nebenwirkungen sind: 4 Allergische Reaktionen 4 Gastrointestinale Störungen In vereinzelten Fällen kann es in Folge eines Folatmangels zu reversiblen Thrombozytopenien, hyperchromen, makrozytären Anämien und Leukopenien kommen, die selten bis zur reversiblen Agranulozytose führen können. Besonders bei AIDS-Patienten ist die Unverträglichkeitsrate sehr groß. Therapie mit Chloramphenicol Das Wirkspektrum umfasst grampositive und -negative Bakterien sowie Rickettsien, Spirochäten und Chlamydien. Jedoch liegen bei zahlreichen klinisch relevanten Erregern Resistenzen vor. ! Cave Bedeutendste Nebenwirkung ist die Knochenmarkstoxizität, so dass die Therapie mit Chloramphenicol auf wenige Krankheitsbilder beschränkt sein sollte. Chloramphenicol ist nie Mittel der ersten Wahl (. Tab. 8.42).
8.2.10.2 Therapie der Tuberkulose Grundsätzlich erfolgt die medikamentöse Behandlung von Infektionen mit Mycobacterium tuberculosis mit einer Kombination von 3 oder 4 Chemotherapeutika, die unterschiedliche Wirkmechanismen aufweisen, um eine Resistenzentwicklung zu verhindern. Beim Einsatz von vier Wirkstoffen reduziert sich die Quote an Rückfällen. Die Auswahl der Wirkstoffe sollte nach Empfindlichkeit des jeweiligen Mykobakterien-Stammes erfolgen. Falls noch kein Antibiogramm vorliegt, wird mit einer empirischen Behandlung begonnen. > Im Allgemeinen wird jedes Antituberkulotikum nur 1-mal pro Tag verabreicht und nach Körpergewicht dosiert (. Tab. 8.43). Die Therapie dauert 6 oder 9 Monate.
Die Prognose der tuberkulösen Meningitis ist ungünstig, da nur wenige Antituberkulotika die Blut-HirnSchranke passieren können. Eine bewährte Therapie ist die hochdosierte Gabe der Erstrangmedikamente Isoniazid, Rifampicin und Pyrazinamid über 2 Monate, anschließend Isoniazid und Rifampicin für ein weiteres Jahr. Die Dosierung erfolgt bei Erwachsenen in Abhän-
. Tab. 8.42. Einsatz von Chloramphenicol als Reserveantibiotikum Erkrankung
Voraussetzung
Typhus, invasive Salmonellosen
Resistenz gegenüber andere Antiinfektiva
Meningitis durch Pneumokokken, Meningokokken, H. influenzae
Penicillinallergie, intraokuläre Infektionen, Rickettsiosen bei Kindern unter 8 Jahren
Gehirnabszesse, Melioidosis
Anfangsbehandlung
. Tab. 8.43. Dosierung verschiedener Tuberkulostatika Arzneistoff
Dosis (täglich)
Dosis (2-mal/Woche)
Nebenwirkungen
Isoniazid
5–10 mg/kg
15 mg/kg
Periphere Polyneuropathien, zentrale Störungen, Allergien, Obstipation, Leberfunktionsstörungen
Rifampicin
8–12 mg/kg
8–12 mg/kg
Gastrointestinale Beschwerden, Leberfunktionsstörungen
Pyrazinamid
30–35 mg/kg
50–60 mg/kg
Reversible Hyperurikämie
Ethambutol
20–25 mg/kg
40–50 mg/kg
Irreversible Schäden des N. opticus (selten)
Streptomycin
15–20 mg/kg
15–20 mg/kg
Rifabutin
4–6 mg/kg
Gastrointestinale und hämatotoxische Störungen
Protionamid
5–7,5 mg/kg
Schwindel, gastrointestinale Störungen, Transaminaseanstieg
1
1
8
Ototoxische Wirkungen
Aufgrund des Antagonismus zu Vitamin B6 ist eine Zufuhr von 10 mg Vitamin B6/Tag bes. bei Diabetikern und Alkoholikern indiziert.
276
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
. Tab. 8.44. Chemotherapeutika zur antiviralen Behandlung Wirkstoff
Indikationen
Dosis
Nebenwirkungen
Herpesinfektionen
3×5–10 mg/kg i.v. 5×0,2–0,8 g p.o.
Kristallurie
Ganciclovir (z. B. Cymeven)
Infektionen mit Zytomegalieviren
7,5–15 mg/kg i.v.
Hämatotoxizität
Ribavirin (z. B. Virazole)
Infektionen mit RS-Viren, Hepatitis-C-Viren
2% als Aerosol 2×500 mg p.o.
Bronchospasmen, Hämatotoxizität
Oseltamivir (z. B. Tamiflu)
Infektionen mit Influenzaviren A und B2
2×75 mg p.o.
Gastrointestinale Beschwerden
Zidovudin (z. B. Retrovir)
HIV-Infektionen3
2×250 mg
Gastrointestinale Beschwerden, Hämatotoxizität
Lamivudin (z. B. Epivir)
2×150 mg
Gastrointestinale Beschwerden
Indinavir (z. B. Crixivan)
3×800 mg
Fettstoffwechselstörungen, Kristallurie
Aciclovir (z. B. Zovirax)
1
8
2
3
1
Penciclovir als erfolgreiche Alternative bei Lippenherpes. Die wichtigste Maßnahme ist die jährliche Schutzimpfung von Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko (ältere Personen, Menschen mit chronischen Erkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus). Um rasche Resistenzentwicklung unter einer Monotherapie zu vermeiden, wird grundsätzlich eine Kombinationstherapie durchgeführt.
gigkeit vom Körpergewicht, bei Kindern abhängig von der Körperoberfläche. Probleme der Tuberkolosetherpapie Die Inzidenz der Tuberkulose ist in den letzten Jahren weltweit gestiegen. Ein großes Problem ist die Multiresistenz der Mykobakterien. Neben einer entsprechenden Testung und der kontrollierten Arzneimitteleinnahme, ist eine strikte Isolierung der Patienten, Schutz des Pflegepersonals, Therapiebeginn in der Klinik mit 5 Tuberkulostatika und Einbezug zusätzlich wirksamer Mittel notwendig. Wenn aufgrund von Resistenzen eine oder mehrere Erstrangmedikamente nicht über den gesamten Therapiezeitraum gegeben werden können, verlängert sich oft die Gesamttherapiedauer.
8.2.10.3
Therapie von Virusinfektionen mit Chemotherapeutika Viren besitzen keinen eigenen Stoffwechsel, sie lassen sich von der befallenen Zelle vermehren. Um therapeutisch die Virusvermehrung gezielt zu hemmen, müssen diese Stoffwechselvorgänge in den infizierten Zellen blockiert werden (. Tab. 8.44). Grippaler Infekt (Erkältung) Definition. Akute Infektionskrankheit der Atemwege.
Ätiopathogenese. Auslöser sind in erster Linie Viren
(Rhinoviren, RSV, Coronaviren), manchmal zusätzlich auch Bakterien. Die Erreger sind alle an die Epithelien der leicht zugänglichen Atemwege angepasst. Symptome wie Husten ermöglichen den Viren sehr einfach zu einem neuen Wirt zu gelangen (Tröpfcheninfektion). Symptomatik. Ablauf in zeitlichen Phasen von ca.
1 Woche von Halskratzen, -schmerzen, Rhinitis, über Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber bis hin zu trockenem Reishusten, der im weiteren Verlauf in einen festsitzenden Husten übergehen kann. Diagnostik. Rein klinisch, d. h. aufgrund der Symp-
tome und einer körperlichen Untersuchung. Differenzialdiagnostisch gilt es, eine echte Influenza A, B oder C und eine Parainfluenza abzugrenzen. Therapie. Ruhe, Flüssigkeitszufuhr p.o., Inhalation zur
Befeuchtung der Schleimhäute, kurzzeitig abschwellende Nasensprays (besonders bei Säuglingen um die Sauerstoffzufuhr zu sichern), schmerz- und fiebersenkende Medikamente, z. B. Paracetamol. > Antibiotika wirken lediglich bei bakteriellen Infektionen (Sekundärinfektionen) mit gelblich-grünlichem Auswurf.
277 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8
In Kürze Virale Infektionen 4 Symptomatik: Halsschmerzen, Rhinitis, Kopf-/Gliederschmerzen, Fieber, Husten 4 Ätiologie: Viren 4 Diagnostik: Symptomdiagnostik, körperliche Untersuchung, differenzialdiagnostische Abgrenzung zur echten Influenza 4 Therapie: Ruhe, Flüssigkeitszufuhr p.o., Nasenspray, schmerz- und fiebersenkende Medikamente
Grippaler Infekt
8.2.10.4 Therapie von Mykosen Systemische Mykosen Die häufigsten Erreger sind: 4 Candida albicans 4 Aspergillus niger 4 Pseudallescheria boydii Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus und Immunschwächen müssen berücksichtigt werden. Arzneimittel wie Antibiotika, Zytostatika und Glukokortikoide können die Entstehung von systemischen Mykosen fördern. Zu Indikationen und Nebenwirkungen der Antimykotika . Tab. 8.45. Oberflächenmykosen Gängige Indikationen einer topischen Behandlung von Mykosen in der Dermatologie sind u. a.:
4 4 4 4
Kandidiasis Dermatophytosen Tinea versicolor Tinea pedis
> Vor der Therapie lokaler Mykosen, insbesondere Nagelmykosen, muss die Diagnose mikrobiologisch feststehen.
Bei Nagelmykosen ist Terbinafin indiziert. Zu den häufigsten Schleimhautmykosen gehört der Soor durch Candida albicans, der mit Nystatin oft lokal therapiert werden kann. Vulvovaginale Kandidiasis wird meist mit einem Azol-Antimykotikum (z. B. Clotrimazol, Miconazol) behandelt.
. Tab. 8.45. Antimykotika Arzneistoff
Indikationen
Nebenwirkungen
Kryptokokkose, Kandidosen, Sporotrichose, Histoplasmose, Kokzidioidomykose, Blastomykose, Aspergillose
Fieber, Schüttelfrost, gastrointestinale Beschwerden, Anorexie, neurotoxische Reaktionen, Nierenschädigungen
Flucytosin2
Kryptokokkose, Kandidosen, Aspergillose
Allergische Reaktionen, Leukopenien, Thrombozytopenien, gastrointestinale Störungen
Ketoconazol3
Sporotrichose, Blastomykose, Pseudoellescheriasis
Nausea, Juckreiz, Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden
Miconazol3
Pseudoellescheriasis
Fluconazol3
Kryptokokkose, Kandidosen, Histoplasmose, Kokzidioidomykose
Itraconazol3
Kryptokokkose, Histoplasmose, Aspergillose, Pseudoellescheriasis
Amphotericin B
1 2 3
1
Sehr toxisch, daher ist eine strenge Indikationsstellung und klinische Überwachung notwendig! Rasche Resistenzentwicklung während der Behandlung, daher nur in Kombination mit Amphotericin B. Hemmung der Cytochrom-P450-abhängigen Monooxygenase, so dass sie zu zahlreichen Interaktionen mit anderen hepatisch eliminierten Substanzen führen können.
278
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8.2.10.5
Therapie von Erkrankungen durch Protozoen Amöbiasis, Trichomoniasis, Giardiasis Zur Therapie . Tab. 8.46. Malaria > Die verschiedenen Malariaformen und die unterschiedliche Resistenz in den Verbreitungsgebieten stellt ein großes Problem bei der Malariaprophylaxe und -therapie dar (. Tab. 8.47).
8
In Gebieten ohne Chloroquinresistenz wird als Prophylaxe Chloroquin empfohlen. In den anderen Gebieten stehen Mefloquin, Doxycyclin oder Chloroquin/Proguanil zur Verfügung. Für die Stand-by-Therapie in Notfällen ist Mefloquin geeignet. Für die Therapie der Malaria in Endemiegebieten ohne Chloroquinresistenz ist Chloroquin immer noch Mittel der Wahl. Alternativen sind Chininsulfat, Doxycyclin, Mefloquin, Halofantrin. Zur Nachbehandlung eignet sich Primaquin mit 15 mg/Tag über 2 Wochen.
Toxoplasmose Die Erkrankung, hervorgerufen von dem Parasit Toxoplasma gondii, wird meist mit einer Kombination von Pyrimethamin und Sulfonamiden behandelt. Die Therapie dauert 2 Wochen. Bei Hirntoxoplasmose kann auch eine hochdosierte Therapie mit Clindamycin durchgeführt werden. > Wegen der hohen Rezidivneigung ist eine Rezidivprophylaxe mit Pyrimethamin, Cotrimoxazol oder Clindamycin angezeigt. Toxoplasmose und AIDS Bei AIDS-Patienten ist die Pneumocystis-carinii-Pneumonie eine lebensgefährliche Sekundärinfektion. Als Therapeutikum wird Cotrimoxazol hochdosiert verabreicht, bei leichteren Verlaufsformen kann auch Atovaquon gegeben werden. Bei schweren Formen hingegen ist eine adjuvante Glukokortikoidgabe notwendig.
. Tab. 8.46. Therapie und Dosierung Erkrankung
Erreger
Arzneistoff 1
Dosierung 2
Amöbiasis
Entamoeba histolytica
Trichomoniasis
Trichomonaden
3×250 mg/Tag über 10 Tage
Giardiasis
Giardia lamblia
3×250 mg/Tag über 7 Tage
1
2
Metronidazol
3×750 mg/Tag über 5–10 Tage
Nur ein Teil der Erreger ist pathogen. Ein frühes Stadium mit gastrointestinaler Lokalisation verläuft meist symptomlos. Bei Befall der Darmwand mit einhergehender Kolitis und Dysenterie kann eine Ausbreitung über die Blutbahn erfolgen und zum Zystenstadium mit Abszessen führen. Als Alternative Tinidazol.
. Tab. 8.47. Therapie der Malaria Wirkstoff
Dosierung
Nebenwirkungen
Chloroquin
0,6 g und nach 6, 24, 48 h 0,3 g
Sehstörungen, Kopfschmerzen, gastrointestinale Störungen
Chininsulfat plus Doxycyclin
0,1 g alle 12 h über 7 Tage
Tinnitus, Schwindel, Sehstörungen
Mefloquin
0,75 g, nach 6 h 0,5 g und nach 12 h 0,25 g
Gastrointestinale Beschwerden, Schwindel, neuropsychiatrische Störungen
Halofantrin1
4×0,5 g alle 6 h (Wiederholung nach einer Woche)
Gastrointestinale Störungen, neurotoxische Reaktionen, Nausea
1
Aufgrund der arrhythmogenen Wirkung, kann es bei hohen Plasmaspiegeln zu lebensbedrohlichen ventrikulären Arrhythmien kommen!
279 8.2 · Spezielle klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
8
. Tab. 8.48. Anthelminthika Wurmart Nematoden (Fadenwürmer)
Wirkstoff Spulwürmer
Mebendazol, Albendazol, Pyrantel
Madenwürmer
Mebendazol, Pyrvinium
Hakenwürmer
Mebendazol, Albendazol
Filarien
Diethylcarbamazin
Trichiuren
Mebendazol, Albendazol
Zestoden (Bandwürmer) Trematoden (Saugwürmer)
Nidosamid, Praziquantel Schistosomen, Paragonymus, Clonorchis
Praziquantel
Onchocerca
Ivermectin
8.2.10.6 Therapie von Wurmerkrankungen Die bei uns am verbreitetsten Parasiten sind Spul-, Maden- und Bandwürmer (. Tab. 8.48). 8.2.11
Lifestyle-Drugs
Lifestyle-Drugs sind Arzneimittel, die die Lebensqualität und das individuelle Wohlbefinden steigern und gegen Symptome gerichtete sind, die nicht die Definition von Krankheit erfüllen oder gegen Gesundheitsstörungen wirken, die auch ohne Arzneimittel therapiert werden könnten. Es gibt eine Vielzahl von derartigen Präparaten auf dem Markt. Sie sind häufig umstritten, da ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit oft fraglich und das Abhängigkeits- und Missbrauchsrisiko meist sehr hoch ist. 8.2.11.1
Therapie. Es fungieren einige Substanzen als Haar-
wuchsmittel, die eigentlich bei anderen Indikationen Anwendung finden: Finasterid ist ursprünglich ein Medikament zur Behandlung der Prostatahypertrophie. Die Dosierung bei der Therapie der androgenetischen Alopezie (z. B. Propecia) beträgt 1 mg/Tag. ! Cave Der Wirkstoff Finasterid ist zur Behandlung von Frauen nicht zugelassen.
Minoxidil wurde einst nur als Blutdruckpräparat eingesetzt. Zur Behandlung der Alopezie (z. B. Regaine) werden Frauen maximal 40 mg/Tag lokal und Männern maximal 100 mg/Tag lokal verabreicht. Die Anwendungsdauer beträgt mindestens 8 Wochen.
Alopezie
Definition. Folge eines Haarausfalls. Zustand mit ab-
8.2.11.2
Appetitzügler (Anorektika)
norm schütternem Haupthaar oder haarlosen Hautbezirken (Glatze).
> Die Einnahme von Appetitzüglern kann zur Abhängigkeit führen, ihr therapeutischer Nutzen ist fragwürdig.
Ätiopathogenese. Häufigste Ursache ist das Steroid-
hormon Dihydrotestosteron (DHT). Ist in der Kopfhaut viel DHT vorhanden und liegt eine ererbte Überempfindlichkeit dafür vor, wird die Wachstumsphase des Haares verkürzt. Diagnostik. Um die Ursache des Haarausfalls abzuklä-
ren, können Bluttests (z. B. Blutbild, Blutsenkung, Schilddrüsen- und Nierenfunktionsparameter) durchgeführt werden.
Durch Verringerung des Hungergefühls und des Appetits soll die Nahrungsaufnahme herabgesetzt werden. Die Wirkung hält jedoch meist nur kurz an. Sibutramin (z. B. Reductil), ein NoradrenalinSerotonin-Wiederaufnahmehemmer, wurde ursprünglich als Antidepressivum entwickelt. Orlistat (z. B. Xenical) zählt nicht zu den Appetitzüglern, da die Wirkung auf einem anderen Prinzip beruht. Es ist ein Lipasehemmer und reduziert die Fett-
280
Kapitel 8 · Klinische Pharmakologie, Pharmakotherapie
resorption (ca. 30% der Fette werden mit dem Stuhl ausgeschieden). Es kann zur Unterstützung einer Reduktionsdiät eingesetzt werden. Die Dosierung beträgt 120 mg direkt vor, während oder bis zu einer h nach den Hauptmahlzeiten. Als Nebenwirkungen können Fettstühle, häufige Defäkation und unfreiwilliger Stuhlabgang auftreten.
Die Resorption fettlöslicher Vitamine ist eingeschränkt – eine ausreichende Vitaminzufuhr ist notwendig.
Beide Substanzen sind bei einem Body-Mass-Index >30 kg/m2 zugelassen.
Diagnostik. Körperliche Untersuchung, Labor (z. B.
Therapie. Der Wirkmechanismus von Sildenafil (z. B.
Viagra) beruht auf einer Hemmung der Phosphodiesterase vom Typ 5. Die Dosierung beträgt 50 mg p.o. ca. 1 h vor sexueller Aktivität. Zu häufigen Nebenwirkungen zählen Kopfschmerzen, Flush, Dyspepsie, Sehstörungen und Schwindel.
Erektile Dysfunktion
Definition. Man spricht von einer erektilen Dysfunkti-
8
arterieller Einstrom in die Schwellkörper oder verstärkter venöser Abstrom, zu geringe Testosteronproduktion, Querschnittslähmung sowie psychogene und durch Arzneimittel bedingte Störungen sein.
Blutbild, Hormonstatus). Per Ultraschall können evtl. Verletzungen festgestellt werden.
! Cave
8.2.11.3
Ätiopathogenese. Ursachen können u. a. verringerter
on, wenn über einen gewissen Zeitraum in der Mehrzahl der Versuche es nicht gelingt, ein für ein befriedigendes Sexualleben ausreichende Erektion des Penis zu erzielen bzw. beizubehalten
! Cave Die gleichzeitige Einnahme von Nitraten oder anderen NO-Donatoren ist aufgrund der verstärkten NO-Wirkung kontraindiziert – Gefahr erheblicher, u. U. tödlicher Nebenwirkungen wie z. B. schwerer Blutdruckabfall!
In Kürze Lifestyle-Drugs Alopezie
4 Symptomatik: sichtbare Lichtung des Kopfhaares 4 Ätiologie: genetische Voraussetzungen, Überproduktion des Steroidhormons, Dihydrotestosteron 4 Diagnostik: Bluttests, z. B. Blutbild, Schilddrüsen-/Nierenfunktionsparameter 4 Therapie: Finasterid (Mann), Minoxidil (Mann/Frau)
Erektile Dysfunktion
4 Symptomatik: unzureichende bzw. fehlende Erektion, die einen normalen Geschlechtsverkehr unmöglich macht 4 Ätiologie: z. B. verringerter arterieller Einstrom in die Schwellkörper bzw. verstärkter venöser Abstrom, Rückenmarksschädigungen, Medikamenteneinnahme, psychische Störungen 4 Diagnostik: körperliche Untersuchung, Labor, Ultraschall 4 Therapie: Gabe von Phosphodiesterase-5-Hemmstoffen, z. B. Sildenafil
9 Prävention und Gesundheitsförderung F.-Ch. Vogeler 9.1
Grundlagenaspekte der Prävention und Gesundheitsförderung
9.1.1 9.1.2
Gesundheitliche Prävention –282 Gesundheitsförderung –282
9.2
Prävention von onkologischen Erkrankungen –283
9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4
Krebsmortalität –283 Primärprävention –283 Sekundärprävention –283 Tertiärprävention –284
9.3
Prävention von Zivilisationskrankheiten –284
9.3.1 9.3.2 9.3.3
Internistische Erkrankungen –284 Allergien –286 Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats
9.4
Prävention von Infektionserkrankungen –287
9.4.1 9.4.2 9.4.3
Infektionsschutzgesetz (IfSG) Prophylaxe –288 Schutzimpfungen –288
–282
–287
–288
9.5
Prävention im Kinder- und Jugendalter –289
9.5.1 9.5.2
Kinder- und Jugenduntersuchungen –289 Unfallverhütung bei Kindern –289
9.6
Prävention im Erwachsenalter –290
9.6.1 9.6.2 9.6.3 9.6.4
Gesundheits-Check-up –290 Zahnvorsorge –290 Frauen und Prävention –290 Prävention im Alter –291
9.7
Prävention in der Sozialmedizin –291
9.7.1 9.7.2
Sucht –291 Stress –293
9.8
Prävention in der Arbeitsmedizin –293
9.8.1 9.8.2 9.8.3
Arbeitsschutzvorschriften –294 Unfallverhütungsvorschrift Betriebsärzte (UVV) Betriebliche Gesundheitsförderung –294
9.9
Evaluationsmethoden der Prävention und Gesundheitsförderung –294
9.9.1 9.9.2 9.9.3 9.9.4 9.9.5 9.9.6
Qualitätszirkel –294 Zertifizierung nach der ISO-9000-Familie –294 Total Quality Management (TQM) –295 European Foundation for Quality Management (EFQM) –295 Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus (KTQ) –295 Ausblick –295
–294
282
Kapitel 9 · Prävention und Gesundheitsförderung
9.1
Grundlagenaspekte der Prävention und Gesundheitsförderung
> Angestrebt wird der Ausbau der Prävention zu einer eigenständigen Säule in der gesundheitlichen Versorgung.
9.1.1 Gesundheitliche Prävention Prävention (lat. praevenire = zuvorkommen)soll gesundheitliche Schäden durch gezielte Maßnahmen verhindern, weniger wahrscheinlich machen oder ihren Eintritt verzögern. Prävention setzt an den Faktoren an, die durch Vorbeugung beeinflussbar sind. Dies betrifft insbesondere den Lebensstil, Ernährung, Bewegung, den Umgang mit Stress und Suchtmitteln sowie Infektionsrisiken und Unfälle. Prävention ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die sowohl in der Verantwortung des Einzelnen als auch bei gesellschaftlichen Institutionen und beim Staat liegt.
Prävention = Krankheitsverhütung
9
4 Primärprävention: spezifische Aktivitäten vor Eintritt einer fassbaren Schädigung, Vermeidung auslösender oder vorhandener Ursachen. Gesundheitspolitisches Ziel: Inzidenzrate (Neuerkrankungsrate) senken. 4 Sekundärprävention: Maßnahmen zur Entdeckung klinisch symptomloser Krankheitsfrühstadien (Gesundheitscheck, Vorsorgeuntersuchungen) und ihre erfolgreiche Frühtherapie. Gesundheitspolitisches Ziel: Inzidenzsenkung manifester oder fortgeschrittener Erkrankungen. 4 Tertiärprävention: wirksame Behandlung einer symptomatisch gewordenen Erkrankung, Verhütung einer Verschlimmerung und bleibender Funktionsverluste. Gesundheitspolitisches Ziel: Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit soweit wie möglich, Inzidenzsenkung bleibender Einbußen und Behinderungen.
Bei der Planung, Entwicklung und Durchführung von Maßnahmen zur gesundheitlichen Prävention werden folgende Kriterien berücksichtigt: 4 Zielgruppenorientierung 4 Wirksamkeit 4 »Gender Mainstreaming« (Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu verwirklichen) 4 Stärkung der Eigenverantwortung 4 Kompetenzförderung 4 Kooperation und Vernetzung 4 Nachhaltigkeit 4 Qualitätssicherung
Folglich wurde sie neben weiteren zusätzlichen Schwerpunkten wie Public Health, Ethik, Humangenetik und Gesundheitsökonomie in der neuen ärztlichen Approbationsordnung fest verankert und somit der hohe Stellenwert bekräftigt. Ebenso soll das Präventionsgesetz zur Stärkung beitragen, es beinhaltet die Neuregelung der primären Prävention. Ziele des Präventionsgesetzes: 4 Verbesserung von Kooperation und Koordination 4 Verbesserung der Qualität 4 Formulierung der Präventionsziele 4 Verpflichtung von Bund und Ländern ihrer Verantwortung gerecht zu werden 4 Verpflichtung der sozialen Präventionsträger (gesetzliche Krankenversicherungen, gesetzliche Rentenversicherung und gesetzliche Unfallversicherung sowie Pflegeversicherung) zur Finanzierung der Prävention 4 Gründung einer Stiftung zur Präventions- und Gesundheitsförderung, die Modellprojekte und bundesweite Kampagnen fördert sowie Qualitätsstandards der Präventionsziele erarbeitet 9.1.2 Gesundheitsförderung Der Aufgabenbereich der Gesundheitsförderung liegt im Aufbau gesundheitlicher Ressourcen und gesundheitsförderlichen Strukturen, insbesondere in der Lebens- und Arbeitswelt. Es kann als Prozess verstanden werden, den Menschen zu verantwortungsbewussten Entscheidung hinsichtlich seiner Gesundheit zu befähigen. Ursprünglich wurde das Konzept der Gesundheitsförderung von der WHO 1986 entwickelt (zusammengefasst in der so genannten Ottawa-Charta) und in nachfolgenden Jahren weiter spezifiziert. Das Konzept enthält drei grundlegende Handlungsstrategien und fünf zentrale Handlungsbereiche. 4 Handlungsstrategien: 5 Anwaltschaft für die Gesundheit: Akteure des Gesundheitswesens treten aktiv für die Gesundheitsförderung ein 5 Befähigen und Ermöglichen: Stärkung von Kompetenz und Selbstbestimmungsrecht über die eigene Gesundheit (Empowerment) 5 Vermitteln und Vernetzen: aktive Kooperation der Akteure des Gesundheitswesens
283 9.2 · Prävention von onkologischen Erkrankungen
4 Handlungsfelder: 5 Aufbau eines Versorgungssystems, dass sich stärker auf die Gesundheitsförderung konzentriert 5 Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik
9
5 Entwicklung persönlicher Kompetenzen 5 Unterstützung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen 4 Schaffung gesundheitsfördernde Lebenswelten
In Kürze Grundlagen
9.2
Prävention
Verhinderung von gesundheitlichen Schäden durch gezielte Maßnahmen
Gesundheitsförderung
Befähigung der Bevölkerung zu verantwortungsbewussten Entscheidungen hinsichtlich der Gesundheit
Prävention von onkologischen Erkrankungen
9.2.1 Krebsmortalität Onkologische Erkrankungen sind die zweithäufigste Todesursache nach den kardiovaskulären Erkrankungen. In Deutschland gibt es jährlich über 340.000 onkologische Neuerkrankungen. Bei der Prävention sind regionale Unterschiede in der Häufigkeit des Auftretens der verschieden Krebsarten zu berücksichtigen, um Gebiete mit erhöhtem Risiko zu identifizieren und Ursachenforschung zu ermöglichen. Seit 1961 besteht im östlichen Teil Deutschlands eine flächendeckende Krebsregistrierung. Per gesetzliche Regelung wurde 1995 eine vollständige, flächendeckende Krebsregiestierung für das gesamte Bundesland beschlossen. Zuvor wurde ein solches westliches Register nur in den Regionen Hamburg und Saarland gepflegt. > Bis 1995 wurden nur 5% der westdeutschen Gesamtbevölkerung in einem Krebsregister geführt, repräsentiert durch die Regionen Hamburg und Saarland.
Der Wissenstand über die onkologischen Präventionsmöglichkeiten hat sich in den letzten 10–15 Jahren beträchtlich erweitert. Es ist sowohl ein Rückgang in der Krebsmortalität zu verzeichnen als auch eine sinkende Inzidenz. Beides hinweisend für eine verbesserte Diagnostik und Therapie, sowie eine greifende Reduzierung der Risikofaktoren durch Präventionsprogramme (Beispiel: Bronchialkarzinom, Zervixkarzinom). Dennoch ist das Potenzial zur Vermeidung noch nicht ausgeschöpft und der aktuelle Forschungstand ließe deutlich kleinere Zahlen zu, als es tatsächlich der Fall ist.
Am Beispiel der onkologischen Erkrankungen sollen die Präventionsarten (7 Kap. 9.1.1) exemplarisch dargestellt werden. 9.2.2 Primärprävention Die Primärprävention ist zu einem auf der Ebene des Gesundheitsverhalten und zum anderen auf der Ebene der genetischen Disposition (Beispiel: BRCA1-Gen bei Ovarialkarzinom, Mammakarzinom, Darmtumore) möglich. Beeinflussung des Zigarettenkonsum, Alkoholkonsums, Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, Expositionsvermeidung von Karzinogenen, Maßnahmen zur Senkung der Schadstoffbelastung sowie Schutzimpfungen (Hepatitisviren, Papillomaviren) bieten ein großes Präventionspotenzial. Beispiele für Risikofaktoren onkologischer Erkrankungen: 4 Rauchen 4 Ernährungsgewohnheiten 4 Alkoholkonsum 4 Berufliche Expositionen 4 Genetische Faktoren 4 Schadstoffbelastung der Umwelt 4 Infektionen 4 Ionisierende Strahlung 4 Medikamente 9.2.3 Sekundärprävention Geeignete Früherkennungsmaßnahmen klinisch symptomloser Krankheitsfrühstadien haben nachweislich zu einer deutlichen Senkung der Sterblichkeit beitragen können, insbesondere durch effektive Screeningmethoden zur Früherkennung von Mammakarzinom, Zervix-
284
Kapitel 9 · Prävention und Gesundheitsförderung
. Tab. 9.1. Früherkennung
9
Untersuchung
Alter
Geschlecht
Häufigkeit
Anmerkung
Genitaluntersuchung
Ab 20. Lebensjahr
Frauen
Jährlich
Gezielte Anamnese Inspektion Zervix Abstrich mit Zytologie Gynäkologische Tastuntersuchung
Brust- und Hautuntersuchung
Ab 30. Lebensjahr
Frauen
Jährlich
Gezielte Anamnese Inspektion und Abtasten der Brust, und regionären Lymphknoten Anleitung zur Selbstuntersuchung
Prostata- und Genitaluntersuchung
Ab 45. Lebensjahr
Männer
Jährlich
Gezielte Anamnese Inspektion und Abtastender äußeren Geschlechtsorgane Abtasten Prostata Tastuntersuchung der regionären Lymphknoten
Hautuntersuchung
Ab 45. Lebensjahr
Männer
Jährlich
In Verbindung mit der Untersuchung der Genitalien und Prostata
Dickdarm- und Rektumuntersuchung
Ab 50. Lebensjahr
Frauen und Männer
Jährlich
Gezielte Beratung Tastuntersuchung des Rektums Haemoccult-Test
Mammographie-Screening
Ab 50. bis 69. Lebensjahr
Frauen
Alle zwei Jahre, im 40. Lebensjahr einmalige Mammographie als Basis für spätere Vergleichsaufnahmen
Information Mammographie
Darmspieglung
Ab 55. Lebensjahr
Frauen und Männer
2 Untersuchungen im Abstand von 10 Jahren
Gezielte Beratung Zwei Spiegelungen im Abstand von 2 Jahren oder Haemoccult-Test alle 2 Jahre
karzinom und Melanom der Haut. Die effektive Senkung der Darmkrebssterblichkeit durch die Anwendung des Okkultbluttests und endoskopischer Verfahren zeichnet sich ab (. Tab. 9.1). 9.2.4
Tertiärprävention
Neben der Rezidivprophylaxe und Maßnahmen zur Rehabilitation ist bei den onkologischen Erkrankungen die Prävention der psychischen Komorbiditäten ein wichtiger Bestandteil der Tertiärprävention. 30% aller Krebspatienten entwickeln im Verlauf psychosomatische Beschwerden, insbesondere sind davon junge Krebspatienten, Patienten mit geringem sozialen »Backup« und niedrigem Einkommen sowie infauster Prognose betroffen. Psychoonkologische Erkrankungen werden im klinischen Alltag nur zu 5% erkannt, fördern jedoch das
Risikoverhalten und die Suizidbereitschaft seitens des Patienten, vermindern die Compliance und schränken die Lebensqualität weiter ein. Psychoonkologische Konsildienste und Beratungsstellen stellen eine effektive Präventionsmöglichkeit der psychischen Begleiterkrankungen bei Tumorpatienten da. 9.3
Prävention von Zivilisationskrankheiten
9.3.1
Internistische Erkrankungen
9.3.1.1 Herz-Kreislauf Über 19 Mio. Menschen sterben jährlich weltweit an den Folgen von kardiovaskulären Erkrankungen. In Deutschland sind es jährlich ca. 400.000 Menschen, aufgrund der demographischen Entwicklung ist von einem Anstieg auszugehen. Ohne wirksame präven-
285 9.3 · Prävention von Zivilisationskrankheiten
tive Maßnahmen wird die Herzinfarkthäufigkeit in Deutschland von ca. 280.000 Fälle pro Jahr auf über 340.000 im Jahr 2010 ansteigen. > Kardiovaskulärer Erkrankungen sind Beispiele für vermeidbare chronische Krankheiten.
Fortschritte in der Früherkennung des Herzinfarkts sowie eine Anpassung des Gesundheits-Check-Ups ermöglichen eine Verbesserung der Risikobeurteilung und frühzeitigen Interventionen. 9.3.1.2 Ernährung Der Lebensstil sowie die Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten tragen maßgeblich zu dem Gesundheitszustand bei. Zu einer gesundheitsfördernden Lebensführung gehören ausreichende Bewegung, ausgewogene Ernährung und eine positive Stressbewältigung. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) veröffentlicht in regelmäßigen Abständen, orientiert am aktuellen Wissensstand Vorgaben für eine gesunde Ernährung. Ansatzpunkte der Prävention können sein: 4 Anregungen zu einer ausgewogene und gesunde Ernährungsweise 4 Anpassung des Lebensmittelangebots an die veränderten Anforderungen 4 Entwicklung von Standards für das Verpflegungsangebot in Gemeinschaftseinrichtungen 4 Entwicklung von Standards in der Ernährungserziehung 4 Beseitigung der Wissensdefizite bei Verbrauchern 4 Beginn der Ernährungserziehung im Kindes- und Jugendalter 4 Verbesserung der Lebensmittelkennzeichnung 4 Prüfung der Werbeaussagen 9.3.1.3 Übergewicht In Deutschland sind ca. 37 Mio. Erwachsene und 2 Mio. Kinder und Jugendliche übergewichtig oder adipös, als Folge einer hohen Energiezufuhr und eines niedrigen Energieverbrauches. 30% der Erwachsenen in der Bundesrepublik sind zu wenig körperlich aktiv. Leitlinien zur Prävention und Therapie der Adipositas werden beispielsweise herausgegeben von der Deutschen Adipositas Gesellschaft sowie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. Das Ausmaß der Adipositas wird durch den BMI (Körpergewicht kg/[Körpergröße m]2) erfasst: 4 Präadipositas: 25–29,9 BMI 4 Adipositas I: 30–34,9 BMI 4 Adipositas II: 35–39,9 BMI 4 Adipositasi III: ≥40 BMI
9
Nach neuren Erkenntnissen korrelieren jedoch nicht der BMI mit dem Risiko für Folgekrankheiten, sondern die abdominelle Fettverteilung. Die Beurteilung der viszeralen Fettdepots erfolgt über die Messung des Taillenumfanges: Frauen: >80 cm erhöht, >88 cm deutlich erhöht; Männer: >94 cm erhöht, >102 cm deutlich erhöht. > Die Adipositas ist maßgeblich beteiligt an der Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 sowie Rücken- und Gelenkschmerzen.
Als besonders riskant gilt die stammbetonte Adipositas; die viszerale Fettmasse korreliert eng mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Komplikationen. Präventionskernpunkte sind: 4 Ernährungsbildung 4 Ernährungsaufklärung 4 Ernährungsinformation Zur Realisierung dieser Kernpunkte ist ein Aktionsplan hilfreich, der konkrete Ziele, Handlungsfelder und Maßnahmen festgelegt, um das Ernährungs- und Bewegungsverhalten nachhaltig zu verbessern. Durch den Föderalismus in der Bundesrepublik sind einige Ansatzpunkte eines solchen Aktionsplans allein länderspezifisch (v. a. schulische bzw. ausbildungsbetreffende Maßnahmen). Andere Zielsetzungen können hingegen nur auf Bundesebene angegangen werden, z. B. Gesetze; Kennzeichnungsvorschriften. Beispiele für Ansatzpunkte der nationalen Prävention sind: 4 Präventionsmaßnahmen auf Länderebene: 5 Präventionskampagnen, wie: – Jeden Tag 3000 Schritte, Aufforderung an die Bevölkerung zur Bewegung – OptiSTART, Ernährungsprogramm – »Wer richtig isst, ist besser drauf«, Ernährungsprogramm 5 Integration von Bewegungsangeboten in Ganztagsschulen 5 Förderung des Breitensports 4 Präventionsmaßnahmen auf Bundesebene 5 Reduzierung der Umsatzsteuer für Schulverpflegung 5 Kennzeichnungsvorschriften von Lebensmitteln, damit Verbraucher eine verbesserte Informationen erhalten, insbesondere für Kindernahrungsmitteln (Beispiel: Ein Kindermilchdrink mit der Aufschrift: »Trägt zur gesunden Ernährung des Kindes bei« enthält auf 1 l 55 Stück Würfelzucker! 1 l Cola mit 35 Stück Würfelzucker erscheint dagegen wie ein Diätgetränk.)
286
Kapitel 9 · Prävention und Gesundheitsförderung
> Insbesondere gilt es dem zunehmenden Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen und dem damit verbundenen Krankheitsrisiko mit nachhaltigen Veränderungen des Lebensstils entgegenzuwirken.
Eine gesunde Ernährung und die optimale Nutzung körperlicher Bewegungsangebote werden im Wesentlichen Kinder aus sozialstärkeren Bevölkerungsschichten ermöglicht. Daher zeigt der Aktionsplan Konzepte auf, wie die notwendigen Kenntnisse und Verhaltensweisen auch Kindern aus sozial schwachen Familien und Familien mit Migrationshintergrund vermittelt werden kann. > Besonders bei der Adipositasbehandlung ist die Tertiärprävention wichtig, die beim Wechsel aus dem äußerst intensiven Betreuungsverhältnis der Klinik in das normale soziale Umfeld greift.
9
Diese Betreuungslücke kann z. B. durch innovative, tragbare, computerbasierende Diät-Begleiter geschlossen werden, so dass erreichte Ernährungs-LifestyleVeränderungen über den Klinikaufenthalt hinaus erhalten bleiben. Am Beispiel der Problematik des Übergewichtes kann exemplarisch gezeigt werden, wie Präventionskonzepte nicht nur auf nationaler sondern auch auf internationaler Ebene eine wichtige Bedeutung haben. So hat die EU z. B. das Grünbuch vorgelegt, welches die Förderung einer gesunder Ernährung und körperlicher Bewegung in europäischen Dimensionen erläutert, um Übergewicht sowie Adipositas und die chronischen Folgekrankheiten zu verhindern. Der Aktionsplan der EU sieht bis 2020 vor: 4 Stopp der Zunahme des Übergewichts bei Kindern 4 Generelle Verringerung des Übergewichts 4 Verankerung des gesunder Lebensweisen als gesellschaftlichen Wert 4 Vermittlung von Wissen über Ernährung und Bewegung, diese möglichst früh zu beginnen und lebenslang fortsetzen 4 Schaffung von Strukturen, die einen gesunden Lebensstil ermöglichen 9.3.1.4 Diabetes mellitus Typ 2 Der Diabetes mellitus Typ 2 zählt zu den häufigsten und teuersten chronischen Krankheiten. Mehr als 5 Mio. Deutsche sind derzeit an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt. Eine komplexe Interaktion zwischen genetischer Veranlagung und Lebensstil führt zu der Krankheitsentstehung. Die Lebensstilfaktoren, welche eine Manifestation fördern bzw. beschleuni-
gen sind insbesondere falsche Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel. Es ist mit einer Dunkelziffer in Millionhöhe zu rechnen, da der Diabetes mellitus Typ 2 zu Beginn häufig symptomfrei verläuft und erst nach jahrlanger Verzögerung erkannt wird. Da die Prognose entscheidend vom der Entwicklung mikro- und makroangiopathischen Folgekomplikationen (kardiovaskuläre Ereignisse wie Myokardinfarkt, Schlaganfall, periphere arterielle Durchblutungsstörungen, Nierenerkrankungen) und dem Vorliegen begleitender Risikofaktoren bestimmt wird, liegt das große Präventionspotenzial in Früherkennungsprogramme des Diabetes mellitus Typ 2. 9.3.2
Allergien
Die Verhinderung der Entstehung von Allergien ist ein wichtiges Ziel der medizinischen/hygienischen Vorsorge. Primärprävention umfasst die Verminderung bzw. die Beseitigung ursächlicher oder prädisponierender Umwelt- und Arbeitsplatzfaktoren. Die Zielgruppen der Sekundärprävention sind Personen mit frühen Krankheitszeichen (Hyperreagibiltät bei nachgewiesener Sensibilisierung) und sensibilisierte noch symptomlose Personen. Ziel der Sekundärprävention sind die Verhinderungen einer manifesten Erkrankung sowie eines Symptomwechsels (z. B. Entwicklung von einer Rhinitis allergica zum Asthma bronchiale). Zu den Maßnahmen zählen die Vermeidung klinische relevanter Allergene und toxisch-irrativer Substanze, Beratung, Pharmakoprophylaxe und spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung). Ansatzpunkte der Prävention können sein: 4 Beseitigung ursächlichen Umweltfaktoren, 4 Überprüfung der Luftqualität, 4 Beseitigung von Innenraumschadstoffe 4 Still-Empfehlung zur Prävention atopischer Erkrankungen 4 Empfehlung von hypoallergene Säuglingsnahrung bei Risikokindern 4 Kampagne zur Sensibilisierung von Raucherfamilien, dass passives Rauchen das Asthmarisiko bei Kindern erhöht > Asthma bronchial ist bei Kindern in Raucherfamilien um den Faktor 2,0–2,5 häufiger als in NichtraucherFamilien.
287 9.4 · Prävention von Infektionserkrankungen
9.3.3 Erkrankungen des Stütz- und
Bewegungsapparats Bei der erwerbstätigen Bevölkerung liegt die Prävalenz der Rückenbeschwerden bei 50%. Akute Schmerzsymptomatik klingt in 80–90% der Fälle innerhalb von 6 Wochen ab. Sozioökonomisch haben allerdings die 10%, die in chronifizierte Beschwerden übergehen eine große Bedeutung. Sie verursachen bis zu 90% aller lumbalen Rückprobleme. Dabei entsteht der größte Kostenanteil durch die Arbeitsunfähigkeit und entfällt nicht auf die medizinische Abklärungsdiagnositk oder Therapiekosten. Oftmals bleibt die Pathogenese unklar. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass degenerative Ver-
9
änderungen bei Menschen mit und ohne Beschwerden gleich sind und die allgemeine Fitness sowie die muskuläre Balance die wesentlichen protektiven Faktoren darstellen. Psychische und soziale Aspekte spielen bei der Chronifizierung der Beschwerdesymptomatik eine wichtige Rolle. Ansatzpunkte der Prävention können sein: 4 Stärkung der allgemeinen Fitness 4 Sensibilisierung der Bevölkerung 4 Aufbau der muskulären Balance 4 Haltungstraining 4 Kampagnen, z. B. Aktion »Rückhalt Deutschland«, »Fit am PC«
In Kürze Prävention Prävention onkologischer Erkrankungen
Prävention von Zivilisationserkrankungen 4 Internistische Erkrankungen 4 Allergien 4 Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates
9.4
Prävention von Infektionserkrankungen
Impfungen zählen zu den bedeutendsten und wirksamsten präventiven Maßnahmen, die der Medizin zur Verfügung stehen. Zum einen ist es Ziel der Impfung die Geimpften vor Infektionskrankheiten zu schützen, zum anderen stellt die Impfung gleichzeitig ein Schutz der Allgemeinbevölkerung dar. > Die Elimination der Masern durch Impfprogramme ist seit 1984 ein erklärtes gesundheitspolitisches Ziel der WHO.
Auf Grund günstigerer Lebensbedingungen und leistungsfähigerer Gesundheitssysteme sind Infektionskrankheiten in den westlichen Ländern wesentlich weniger bedrohlich als in weniger entwickelten Regionen. Durch die Erreichung hoher Durchimpfungsraten können Infektionsketten unterbrochen und einzelne Krankheitserreger völlig verdrängen werden. Trotz äußerst potenter Impfstoffe sind die Ergebnisse der Infektionsprophylaxe suboptimal. Eine
Beeinflussung von Risikofaktoren, Früherkennungsmaßnahmen, Rezidivprophylaxe
Gesundheits-Check-Ups (vor allem kardiovaskulärer Status, Diabetes-Früherkennung) Verminderung/Beseitigung prädisponierender Umwelt-/Arbeitsplatzfaktoren Sensibilisierung, Stärkung allgemeiner Fitness
große Rolle spielt hierbei die Impfmüdigkeit bzw. Impfkomplikationsbedenken. Wichtige Aufgabe des Arztes ist es die Impfbereitschaft zu fördern und für die Grundimmunisierung bei Säuglingen und Kleinkindern sowie regelmäßige Auffrischimpfungen Sorge zu tragen. Folgende Infektionsarten werden unterschieden: 4 Endogene Infektion: Infektion bei geschwächtem Immunsystem oder Immunsuppression durch die körpereigene, normalerweise völlig harmlose Flora in Form eines Erregereinbruchs 4 Exogene Infektion: durch Infektionserreger aus der Umgebung, z. B. Tröpfcheninfektion über Aerosole in der Luft, Kontaktinfektion, Schmierinfektionen) 4 Iatrogene Infektion: durch unbeabsichtigtes Einbringen von Krankheitserregern 4 Emerging infections: Bedeutung von neuen Infektionen, deren Prävalenz stetig zugenommen haben und zur weltweiten Bedrohung geworden sind, z. B. HIV 4 Reemerging infections: Infektionen, deren Inzidenz lange rückläufig waren, die aber inzwischen wieder häufiger auftreten, z. B. Tuberkulose
288
Kapitel 9 · Prävention und Gesundheitsförderung
> Infektionskrankheiten sind für ein Viertel aller Todesfälle verantwortlich (WHO 2002). Weltweit sind sie damit die häufigste Todesursache.
9.4.1 Infektionsschutzgesetz (IfSG)
9
Das Infektionsschutzgesetz regelt, welche Infektionskrankheiten bei Verdacht, Erkrankung oder Tod meldepflichtig sind und welche positiven labordiagnostischen Erregernachweise dem Gesundheitsamt weiter übermittelt werden müssen. Zur Meldung verpflichtet sind im Allgemeinen der behandelnde Arzt, Krankenhäuser und Labore. Ursprünglich war das IfSG Länderhoheit, jedoch erschien eine bundesrechtliche Regelung sinnvoll, da Infektionen und Seuchen sich schnell über Landesgrenzen hinaus verbreiten können. Im § 6 des Infektionsschutzgesetzes sind meldepflichtige Infektionskrankheiten verzeichnet, in § 7 des Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Erreger: 4 Meldepflichtige Krankheiten nach § 6, IfSG 5 Botulismus 5 Cholera 5 Diphtherie 5 Humane spongioforme Enzephalitis 5 Akute Virushepatitis 5 Enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom 4 Virusbedingtes hämorrhagisches Fieber 5 Masern 4 Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis 5 Milzbrand 5 Poliomyelitis 5 Pest 5 Tollwut 5 Tuberkulose 5 Typhus 4 Meldepflichtige Erreger nach § 7, IfSG 5 FSME-Virus 5 Clostridium botulinum 5 Ebola-Virus 5 Treponema pallidum 5 Echinococcus 5 Hanta-Virus 5 Legionella spec.
9.4.2 Prophylaxe Mögliche prophylaktische Maßnahmen sind: 4 Schutzimpfungen: 7 Kap. 9.4.3 4 Expositionsprophylaxe: Maßnahmen, die Umwelt bzw. Umgebung so beeinflussen, dass ein Infektionsrisiko minimiert oder ausgeschlossen werden kann, z. B. Trinkwasseraufbereitung, Lebensmittelüberwachung, Isolierung von Infizierten 4 Chemoprophylaxe: prophylaktische Einnahme von Medikamenten, um eine mögliche Verbreitung des Erregers zu verhindern, z. B. Chininpräparate in Malaria-Endemiegebieten, Antibiotika bei Meningokokkenexposition, Neuraminidasehemmer bei Influenza 4 Postexpositionsprophylaxe: medikamentöse Behandlung oder Impfung nach Erregerkontakt zur Verhinderung oder Milderung der Infektionserkrankung 9.4.3 Schutzimpfungen Unterschieden werden: 4 Regelimpfung: Impfungen die jedes Kind nach der STIKO erhalten soll. Betrifft Säuglinge, Kinder, Jugendliche, z. B.: 5 Hepatitis B 5 Diphtherie 5 Tetanus 5 Poliomyelitis 5 Haemophilus influenzae 5 Pertussis 5 Pneumokokken 5 Masern, Mumps, Röteln 5 Varizellen 5 Bei Mädchen Humanes Papillomavirus 4 Auffrischimpfung: Impfungen, die aufgefrischt bzw. bei fehlender Grundimpfung nachgeholt werden sollen. Betrifft Erwachsene, Jugendliche, z. B.: 5 Diphtherie 5 Poliomyelitis 5 Tetanus 4 Indikationsimpfung: Impfungen bei erhöhter Gefährdung und bestimmter Alters- oder Risikogruppe. Betrifft Kinder, Jugendliche, Erwachsene, z. B.: 5 Influenza 5 Pneumokokken 5 FSME 5 Hepatitis A und B 5 Tollwut 5 Meningokokken
289 9.5 · Prävention im Kinder- und Jugendalter
4 Reiseimpfung: Verhütung und Bekämpfung nichteinheimischer Infektionskrankheiten. Betrifft Kinder, Jugendliche, Erwachsene, z. B.: 5 Gelbfieber 5 Typhus 5 Cholera 5 Tollwut
9
4 Motivation für eine ausgewogene Ernährung durch Vermittlung von hauswirtschaftlichen Kompetenzen bei Schüler 4 Stressbewältigungsprogramme 4 Förderung der Elternkompetenz 9.5.1 Kinder- und
Jugenduntersuchungen 9.5
Prävention im Kinder- und Jugendalter
Bei Kindern und Jugendlichen kann die Prägung gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen entscheidend den späteren Gesundheitszustand beeinflussen. Die Aspekte mangelnde Bewegung, falsche Ernährung und Stress beeinflussen sich gegenseitig und bewirken langfristig bei Kindern die Ausbildung von Zivilisationskrankheiten im späteren Alter. Daher muss gerade im Kindes- und Jugendalter die Prävention dem ganzheitlichen gesundheitlichen Anspruch gerecht werden und Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung, Bewegung, Stressabbau und Kompetenzentwicklung beinhalten. > Settingkonzept: Interventionsort, an dem Zielgruppe erreicht werden kann.
Ansatzpunkte der Prävention können sein: 4 Außerfamiliäre Unterstützungssysteme (Hotlines, Beratung) 4 Förderung der Bewegung durch Einrichtung von familienfreundliche Angebote in Schwimmbäder, Sporteinrichtung 4 Förderung einer gesunden Ernährung in KiTAs durch gemeinschaftliches Kochen
Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt eine Reihe von Früherkennungs- Vorsorgemaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen. Nach der Geburt wird den Eltern das Untersuchungsheft mit der genauen Auflistung der U-Untersuchungen ausgehändigt (. Tab. 9.2). Bis zum Alter von 18 Jahren sind Kinder und Jugendliche von der Praxisgebühr sowie der Rezeptzuzahlung befreit. Tendenziell werden die U-Untersuchungen in Deutschland ab dem 2. Lebensjahr des Kindes weniger wahrgenommen, so dass häufig Entwicklungsstörungen vor der Einschulung nicht erkannt werden können. Durch Informationen und Projekte, z. B. »Ich geh zur U! Und Du?«, will man die Steigerung der Inanspruchnahme insbesondere der U7–U9 erreichen. Weitere Präventionsansätze sind die Sensibilisierung und Motivation der Eltern sowie die Koordination der Ärzte, Kindergärten, Jugendämtern und des öffentlichen Gesundheitsdienst. 9.5.2 Unfallverhütung bei Kindern Unfälle sind die häufigste Todesursache bei Kindern über einem 1 Jahr und Jugendlichen in Deutschland sowie in Europa. Jedes Jahr verunglücken in Deutsch-
. Tab. 9.2. Früherkennungsvorsorgeuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen Untersuchung
Definition
Prüfung, Untersuchungsinhalte
U-Untersuchung
Früherkennungsmaßnahmen bei Kindern in den ersten 6 Lebensjahren, insgesamt 9 Untersuchungen (U1–U9), Überprüfung der körperlichen wie geistigen Entwicklung des Kindes
4 4 4 4
J-Untersuchung
Jugendliche zwischen dem 13. und 14. Lebensjahr
4 Auffällige seelische Entwicklungs- Verhaltensstörungen 4 Gesundheitsgefährdendes Verhalten (Drogenkonsum, Rauchen) 4 Schulleitstunksprobleme 4 Körperliche Entwicklung 4 Erkrankungen der Hals-Brust-Bauchorgane
Störungen der Neugeborenperiode Angeborene Stoffwechselstörungen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen Überprüfung von Sinnes-, Atmungs- und Verdauungsorgane sowie Zähnen 4 Überprüfung Skelett und Muskulatur
290
Kapitel 9 · Prävention und Gesundheitsförderung
land fast 2 Mio. Kinder bei einem Unfall, so dass sie ärztlicher Behandlung bedürfen. > Schätzungsweise 60% dieser Unfälle sind vermeidbar, wobei Stürze die häufigsten Unfallmechanismen darstellen, z. B. vom Wickeltische, Kinderbett, Spielplatzgeräten.
Eine altersgruppenbezogene Datenanalyse zeigt, dass zielgruppenbezogene Präventionsmaßnahmen wichtig sind. Bei Kleinkindern muss das häusliche Unfallgeschehen im Fokus stehen, bei Schulkindern der Freizeitund Sportunfall. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kindersicherheit erarbeitet praktische strategische Maßnahmen zur Unfallverhütung und Präventionsprojekte.
In Kürze Kindes und Jugendalter
9.6
Prävention von Infektionskrankheiten
Schutzimpfungen, Infektionsschutzgesetz
Prävention im Kindes- und Jugendalter
Prägung für gesundheitliche Verhaltensweisen
Prävention im Erwachsenalter
9.6.1 Gesundheits-Check-up
9
Ab dem Alter von 35 Jahren können Frauen und Männer alle 2 Jahre die Leistungen des Gesundheits-Checkup in Anspruch nehmen. Zielsetzung ist die Früherkennung der häufig auftretenden kardiovaskulären Erkrankungen sowie des Diabetes mellitus. Die Leistungen umfassen: 4 Anamnese, mit dem Fokus auf der Erstellung des Risikoprofils 4 körperliche Untersuchung 4 Blutbild inkl. Gesamtcholesterin und Glukose 4 Urinuntersuchung 4 Beratung über die Ergebnisse Die erhobenen Daten werden vom Zentralinstitut der kassenärztlichen Versorgungen ausgewertet. 9.6.2 Zahnvorsorge Die Zahnvorsorgeuntersuchungen können ab dem 18. Lebensjahr bei Männern und Frauen einmal innerhalb eines Kalenderjahres erfolgen. Sie beinhalten: 4 Einschätzung des Kariesrisikos 4 Beratung über die Mundhygiene 4 Inspektion der Mundhöhle 4 Motivation zur Prophylaxe Die Untersuchungen werden im Rahmen der Bonusheft-Konzepte durchgeführt.
9.6.3 Frauen und Prävention Zahlreiche nationale und internationale Untersuchungen weisen darauf hin, dass geschlechtsspezifische Belange der Frau im Auftreten und in der Häufigkeit von Erkrankungen nicht hinreichend berücksichtigt werden. »Gender Mainstreaming« (frauenspezifische Gesundheitsaspekte) umfasst: 4 Unterschiedliches Krankheitsspektrum 4 Andere Arbeits- und Lebensbedingungen 4 Unterschiedliche körperliche/biologische Konstitutionen Daher muss die gesundheitliche Vorsorge sich stärker an dem Bedarf von Frauen ausrichten. Es besteht die Forderung nach der Intensivierung der geschlechterdifferenzierten Gesundheitsvorsorge. So wird z. B. die Diagnose Depression bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern gestellt, daher sind differenzierte Präventionsansätzen zur Erhaltung der seelischen Gesundheit notwendig. Insbesondere die zweite Lebenshälfte der Frau sollte in der Gestaltung der Präventionsansätze mehr berücksichtigt werden. Wichtige Aspekte der Frauengesundheit: 4 Veränderungen der zweiten Lebenshälfte 4 Schwangerschaft und Geburt 4 Wechseljahre 4 Brustkrebs 4 Gesundheitliche Folgen von häuslicher Gewalt 4 Essstörungen 4 Osteoporose
291 9.7 · Prävention in der Sozialmedizin
9.6.4
Prävention im Alter
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels mit einem zunehmenden Anteil ältere Menschen wird die Prävention im Alter immer wichtiger. In Deutschland sind derzeit 25% der Bevölkerung älter als 60 Jahre. Frühzeitige lebensbegleitende Maßnahmen der Gesundheitsförderung können zum Erhalt der Selbstständigkeit und zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit beitragen. Im Unterschied zu ersten Lebenshälfte sind Erkrankungen in der zweiten Lebenshälfte oftmals chronischer, irreversible und mit dauerhaften Einschränkungen von Körperfunktionen verbunden. Häufige gesundheitliche Probleme der zweiten Lebenshälfte sind: 5 Arthrose 5 Demenz 5 M. Parkinson 5 Koronare Herzkrankheit (KHK) 5 Immobilität 5 Einschränkung der Wahrnehmung 5 Stürze 5 Diabetes mellitus 5 Inkontinenz 5 Karzinome 5 Glaukom 5 Arteriosklerose 5 Osteoporose 5 COPD 5 Arterielle Hypertonie 5 Autoimmunerkrankungen 5 Rheumatoide Arthritis Gesund alt zu werden und eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu erhalten, ist eine Herausforderung an die Eigenverantwortung sowie an die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Angebote. Hierfür existieren überprüfte und praxisorientierte geriatrische Präventionsstrategien. ! Cave Gesundheitliche Probleme der zweiten Lebenshälfte sollten nicht ohne weiteres als altersmäßig normal eingestuft werden, da sie vielfach therapierbar sind.
Ansatzpunkte der Prävention sind: 4 Umgebungsbezogene Maßnahmen, die zur Erhaltung der Selbstständigkeit beitragen (altengerechte Gestaltung der eignen Wohnung, Beseitigung von Barrieren, Einbau technische Hilfen) 4 Medizinische Hilfen 4 Vorsorgeuntersuchungen
9
4 Trainingsmaßnahmen (körperliches Training, kognitives Training) 4 Hüftprotektoren zum Schutz von Hüft und Oberschenkelhalsfrakturen 4 Kampagnen zur Übermittlung eines positiven Alterbildes 4 Ausgewogene Ernährung und Flüssigkeitszufuhr 4 Förderung einer aktivierenden rehabilitativen Pflege 4 Etablierung der präventiven Hausbesuches 9.7
Prävention in der Sozialmedizin
9.7.1
Sucht
Die Reduzierung der gesundheitlichen, sozialen und volkswirtschaftlichen Schäden durch Suchtmittelkonsum stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Chancen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und auf Verwirklichung eigener Lebensentwürfe werden durch Konsum legaler und illegaler Drogen massiv eingeschränkt. Zentrale Zielsetzung moderner Suchtprävention: 4 Vermeidung/Hinauszögern des Einstieges in den Konsum 4 Früherkennung und Frühintervention bei Konsumverhalten 4 Verringerung von Missbrauch und Sucht 4 Zielgruppen systematisch in ihren Lebenswelten ansprechen 5 Kinder und Jugendliche in der Freizeit, Familie, Schule 5 Erwachsen über den Arbeitsplatz und das Gesundheitswesen > Drogen- und Suchtprobleme stellen in Deutschland kein Problem von Randgruppen dar: Über 9 Mio. suchtkranke Menschen leben in der Bundesrepublik.
Durch Früherkennung und Frühintervention bei bereits riskantem Konsumverhalten, kann die Entstehung einer Suchterkrankung verhindert werden. 9.7.1.1 Alkohol Mehr als 10 Mio. Menschen konsumieren in Deutschland Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. 1,6 Mio. gelten als alkoholabhängig, wovon sich nur etwa 10% einer Therapie unterziehen. 20% der Jugendlichen im Alter von 12–25 Jahren trinken regelmäßig Alkohol. Volkwirtschaftliche Kosten alkoholbezogener Krankheiten werden auf mehr als 20 Mrd.€ pro Jahr geschätzt.
292
Kapitel 9 · Prävention und Gesundheitsförderung
> Jährlich sterben ca. 42.000 Personen direkt durch Alkoholmissbrauch oder indirekt durch alkoholbedingte Unfälle.
9
Alkoholbedingte Schäden zu reduzieren liegt in der Verantwortung der Gesellschaft und der Politik. Aufklärungskampagnen sind ebenso nötig wie gesetzliche Beschränkungen, um eine Reduzierung und die Förderung der Abstinenzmotivation insbesondere in relevanten Situationen (z. B. Schwangerschaft, Straßenverkehr, Arbeitsplatz sowie in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten) zu erreichen. Unterschieden werden: 4 Alpha-Trinker: Konflikttrinker, Konsum unter seelischer Belastung 4 Beta-Trinker: Gelegenheitstrinker, Konsum häufig bei gesellschaftlichen Anlässen 4 Gamma-Trinker: ausgeprägte psychische Abhängigkeit mit Kontrollverlust 4 Delta-Trinker: kontinuierlich überhöhte Alkoholmengen, ohne Kontrollverlust 4 Epsilon-Trinker: mehrtägige Alkoholexzesse mit Kontrollverlust, erhaltene Abstinenzfähigkeit Mögliche Ansatzpunkte der Prävention sind: 4 Landes- bzw. kommunale Ebene: 5 Informationen erhöhen Sensibilität für das Thema 5 Überprüfung der Einhaltung der Jugendschutzgesetzes 5 Präventionskampagnen: »Bist Du stärker als Alkohol?«, »Hart am Limit« 4 Strukturelle und gesetzliche Maßnahmen auf Bundesebene: 5 Alkoholverbot für Fahranfänger/-innen (jeder dritte Autounfall passiert unter Alkoholeinfluss im Alter zwischen 18 und 24 Jahren) 5 Sondersteuer auf Alkoholpops 9.7.1.2 Rauchen Der Tabakkonsum ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in der Deutschland, 33% der Erwachsenen rauchen. Das durchschnittliche Einstiegsalter in den Zigarettenkonsum liegt bei etwa 13 Jahren. Jährlich sterben an den direkten Folgen des Rauches etwa 140.000 Menschen. Hinzu kommen nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums rund 3300 Nichtraucherinnen und Nichtraucher, die durch die Folgen des Passivrauchens sterben. Durch die föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland liegt der Gesundheitsschutz sowohl beim Bund als auch bei den Ländern. Der Bund hat ein grundsätzliches Rauchverbot in allen öffentlichen Ein-
richtungen und im öffentlichen Personenverkehr aussprechen. Weitere wirksame Regelungen fallen in die Zuständigkeitsbereiche der jeweiligen Länder (z. B. Rauchverbot in der Gastronomie) und können daher innerhalb der Bundesrepublik variieren. Mögliche Ansatzpunkte der Prävention sind: 4 Werbeeinschränkungen 4 Preissignale, Erhöhung der Tabaksteuer als wirksame Maßnahme 4 Multimodaler Ansatz der Tabakentwöhnung bei jugendlichen Rauchern (ärztliche Grundversorgung, Internet) 4 Nichtraucherschutz in der Gastronomie 4 Rauchfreie Krankenhäuser 4 Rauchfrei am Arbeitsplatz 4 Rauchfrei-Kampagne die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführt wird, um Nichtraucher vor dem Einstieg in das Rauchen zu bewahren und vor Passivrauchen zu schützen sowie Raucher beim Aufhören zu unterstützen. > Durch das Zusammenwirken von Prävention und gesetzlichen Maßnahmen konnte erreicht werden, dass die Raucherquote in der Altersgruppe der 12- bis 17Jährigen erstmals seit Jahren von 28% im Jahr 2001 auf 23% im Jahr 2004 sank.
9.7.1.3 Drogenkonsum Beim illegalen Drogenkonsum spielt Cannabis die Hauptrolle. Über ein Viertel der Jugendlichen in Deutschland hat Cannabis mindestens einmal ausprobiert. Während es bei der Mehrzahl beim Probierkonsum blieb, stellen die regelmäßigen und häufigsten Cannabiskonsumenten die eigentliche Risikogruppe dar. Rund 2 Mio. vor allem junge Menschen konsumieren in Deutschland regelmäßig Cannabis, etwa 400.000 von ihnen weisen einen missbräuchlichen oder abhängigen Konsum auf. Im Vergleich dazu andere illegale Drogen in Deutschland nur in geringem Ausmaß konsumiert. Schätzungen liegen bei 250.000–300.000 Konsumenten illegaler Drogen ohne Cannabis, 175.000 Personen gelten als abhängig. Mögliche Ansatzpunkte der Prävention: 4 Programme der Frühintervention bei Drogenkonsumenten, die zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind 4 Kampagnen 5 Realize it, Tagebuchformat zur Einschätzung und Reduktion des eigenen Cannabiskonsum und Beratung 5 Incant, Beratung cannabisabhängige Jugendliche und deren Familien
293 9.8 · Prävention in der Arbeitsmedizin
5 Candis, eine individuelle ausstiegsorientierte Therapie 5 Quit the shit, internetgestützte Ausstiegs- und Informationsangebote 9.7.2 Stress Psychosozialer Stress stellt einen bedeutsamen Auslösefaktor für sozialmedizinisch relevante Erkrankungen, wie kardiovaskuläre, muskuloskelettale, immunologische und psychosomatische dar. Bereits im Kindes- und Jugendalter lassen sich vielfältige Symptomatiken auffinden, die mit Stress in Zusammenhang gebracht werden können. Bei der Prävention chronischer Stressbelastung werden 3 Ebenen unterschieden, 4 die personale, 4 die interpersonelle und 4 die strukturelle (. Tab. 9.3). Die 3 Säulen der Prävention chronischer Stressbelastung sind: 4 Verbesserung der individuellen Stressbewältigung durch Stressbewältigungstraining 4 Instrumentelles Stressmanagement durch Veränderung der Arbeitsabläufe 4 Kognitives Stressmanagement durch Änderung persönlicher Motive, Einstellung und Bewertung Wesentliche Elemente des Trainings zur Stärkung der Bewältigungskompetenz bei Stressorexposition auf personaler und interpersoneller Ebene sind: 4 Aufklärung über Zusammenhänge zwischen chronischer Stressbelastung und Gesundheit 4 Sensibilisierung gegenüber belastenden Situationen und eigenen Reaktionen (verbesserte Selbstbeobachtung) 4 Einübung von Entspannungstechniken (z. B. progressive Muskelrelaxation)
9
4 Einüben von Techniken des Zeit- und Störungsmanagements während der Arbeit 4 Bewertung von Leistungsmotivation und Einstellungen zur Arbeit 4 Stärkung von Kompetenzen der Selbstbehauptung und des Umgangs mit Ärger 4 Verbesserung des Führungsverhaltens bzw. des prosozialen Verhaltens 9.8
Prävention in der Arbeitsmedizin
Die Arbeitswelt ist auch heute noch gekennzeichnet durch arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren, die Gesundheitsbeeinträchtigungen, Erkrankungen oder Unfälle verursachen, mit verursachen bzw. eine außerberuflich erworbene Erkrankung oder gesundheitliche Disposition ungünstig beeinflussen können. Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben ist es die Aufgabe des Arbeitgebers, Maßnahmen einzuleiten, die eine sichere Arbeit ermöglichen. Der Präventionsauftrag reicht von der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufserkrankungen über die Vermeidung arbeitsbedingter Gefahren bis hin zur menschlichengerechten Gestaltung des Arbeitsplatzes. Darüber hinaus gilt es Einschränkungen der Erwerbsfähigkeiten vorzubeugen: 4 Primäre Prävention: Unfallverhütung, Arbeitsschutzvorschriften 4 Sekundäre Prävention: biomechanische und psychosoziale Entlastungen am Arbeitsplatz 4 Tertiäre Prävention: Berufsgenossenschaft, Rente Die Beschäftigen sind aufgefordert ihr Verhalten am Arbeitsplatz den Bedingungen anzupassen, unnötige Gefahren und Belastungen zu vermeiden sowie an den Präventionsmaßnahmen aktiv teilzunehmen.
. Tab. 9.3. Ebenen der Prävention chronischer Stressbelastung Ebene
Fokus
Inhalte
Personelle
Individuum
Information, Motivation, Aufklärung, Verhaltensänderung des Individuums
Interpersonelle
Gruppe, z. B. Familie, Arbeitsteam
Gruppendynamisch wirksame Prozesse werden zur Verstärkung von Einstellungen und Verhaltensweisen genutzt
Strukturelle
Organisation
Verhältnispräventive Maßnahmen, z. B. die Einführung neuer Gesetze (Verbesserung des Arbeitsschutzgesetzes)
294
Kapitel 9 · Prävention und Gesundheitsförderung
9.8.1 Arbeitsschutzvorschriften Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen und dabei eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben. Prinzipiell ist demnach jeder Betrieb mit Angestellten verpflichtet Betriebsärzte und Fachkräfte für die Arbeitssicherheit zu stellen. 9.8.2 Unfallverhütungsvorschrift
Betriebsärzte (UVV)
9
Der Unternehmer muss die betriebsärztliche Betreuung der Mitarbeiter entsprechend den gesetzlichen Regelungen garantieren: 4 Verhältnisprävention: Gestaltung eines gesundheitsförderlichen Umfeldes und eines gesundheitsförderlichen Arbeitsplatzes unter Beachtung der Wissenschaft und Ergonomie 4 Verhaltensprävention: Verstehen und Umsetzen von Regeln bzw. Verhaltensweisen am Arbeitsplatz, die eine Gefährdung mindern oder nicht entstehen lassen 4 Arbeitsmedizinische Vorsorge: Durchführung von Untersuchungen mit der Aufgabe Aussagen zur Eignung für eine bestimmte Tätigkeitsanforderungen zu machen, bestehende Einschränkungen zu erkennen (bereits im Sinne der sekundären Prävention) Vorsorgeuntersuchungen 4 sind mit oder ohne spezifische Ermächtigung möglich, 4 vom Staat oder dem Unfallversicherungsträger vorgeschrieben, 4 vom Arbeitgeber verlangt, 4 auf Wunsch des Arbeitnehmers sowie 4 aus eigenem Ermessen wahrzunehmen. Die Betriebärzte übernehmen die Vorsorgeuntersuchungen, arbeitsmedizinische Beurteilung sowie die gesundheitliche Beratung. Die häufigsten Vorsorgeuntersuchungen sind: 4 Lärm (G 20) 4 Kältearbeit (G 21) 4 Säureschäden für Zähne (G 22) 4 Obstruktive Atemwegserkrankungen (G 23) 4 Hauterkrankung (mit Ausnahme von Hautkrebs) (G 24) 4 Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten (G 25) 4 Atemschutzgeräte (G 26) 4 Hitzearbeiten (G 30)
4 4 4 4
Arbeitsaufenthalt im Ausland (G 35) Bildschirmarbeitsplätze (G 37) Schweißrauche (G 39) Arbeiten mit Absturzgefahr (G 41)
9.8.3 Betriebliche Gesundheitsförderung Zur betrieblichen Gesundheitsförderung gehören u. a. die Einrichtung von Arbeitskreisen, die bestrebt sind Maßnahmen des Betriebes zu verbessern und zu fördern. Diesen Gremien können dabei auf bereits bestehende Strukturen (Arbeitsschutzausschuss) und die Beratungsfunktion des Arbeitsmediziner/Betriebsarzt zurückgreifen. Beispiele für die betriebliche Gesundheitsförderung sind: 4 Vorbeugung und Reduzierung arbeitsbedingter Belastung 4 Maßnahmen zur Haltungsverbesserung und Bewegungsschulung – 30% aller Arbeitsunfähigkeitstage sind Folgen von Muskel- und Skeletterkrankungen 4 Bedarfsgerechte, ausgewogenen Betriebsverpflegung 4 Förderung der individuellen Kompetenzen zur Stressbewältigung am Arbeitsplatz 4 Rauchverbote im Betrieb 9.9
Evaluationsmethoden der Prävention und Gesundheitsförderung
9.9.1 Qualitätszirkel Ärztliche Qualitätszirkel sind freiwillig gegründete Foren für einen kontinuierlichen interkollegialen Erfahrungsaustausch, der problembezogen, systematisch und zielgerichtet ist. Die gleichberechtigte Diskussion der Teilnehmer hat die gegenseitige Supervision zum Ziel. Kollegiale Arbeitsgruppen, moderiert durch eine speziell geschulte Person, machen den Kern der Qualitätszirkel-Idee aus. 9.9.2 Zertifizierung nach
der ISO-9000-Familie Angelehnt an den Demming-Zyklus (»plan, do, check, act«) soll der prozessorientierte Ansatz der Leistungsverbesserung dienen. Der Zyklus besteht aus 4 Elementen: 4 Plan-Prozess muss vor der Umsetzung komplett geplant sein
295 9.9 · Evaluationsmethoden der Prävention und Gesundheitsförderung
4 Do-Umsetzung des Prozesses 4 Check-Überprüfung des Prozessablaufes 4 Act-Abweichungen von der Prozessplanung abgestellt werden
9
von Partnerschaften sowie Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. 9.9.5 Kooperation für Transparenz und
Qualität im Krankenhaus (KTQ) 9.9.3 Total Quality Management (TQM) Nicht nur die Organisation an sich, sondern auch die Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit wird in diesen Ansätzen berücksichtigt. Es soll eine ganzheitliche Problemlösung gefunden werden und sich in Ansätzen anderer Modelle widerspiegeln. Der breite und komplexe Ansatz stellt für viele Institutionen eine große Anfanghürde dar, insbesondere vor dem Hintergrund der Professionalisierung und des wirtschaftlichen Drucks. 9.9.4 European Foundation for Quality
Management (EFQM) Das EFQM-Modell der »Excellenze« ist definiert als überragende Vorgehensweise bei der Leitung einer Organisation. Das Modell beruht auf 8 Eckpfeilern: Ergebnisorientierung, Kundenorientierung, Führung und Zielkonsequenz, Management mit Prozessen und Fakten, Mitarbeiterentwicklung und -Beteiligung, kontinuierliches Lernen, Innovation und Verbesserung, Aufbau
Das erste krankenhausbezogene Verfahren die KTQGmbH wird von der Bundesärztekammer, den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Hartmannbund (Verband Ärzte Deutschlands) und dem Deutschen Pflegerat getragen. Das KTQ-Modell basiert auf dem TQM-Ansatz und berücksichtigt das Modell der amerikanischen Joint Commission of Accreditation of Healthcare Organizations (JCAHO). Im ersten Schritt steht eine Selbstbewertung, danach ist die Zertifikatsvergabe nach einer Fremdbewertung durch eine bei der KTQ akkreditierte Zertifizierungsstelle möglich. 9.9.6 Ausblick Erst im Laufe der nächsten Jahrzehnte wird sich eine evaluierte und überschaubare Qualitätsmanagementstruktur entwickeln und die verschiedenen Modelle werden miteinander interagieren. Die zurzeit praktizierten Modelle sind teilweise miteinander kompatibel.
In Kürze Erwachsenenalter Prävention im Erwachsenenalter
Gesundheits-Check-Up, Früherkennung kardiovaskulärere Erkrankung und Diabetes mellitus
Prävention im Alter
Gesund zu altern, lange aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
Prävention in der Sozialmedizin
Moderne Suchtprävention, chronische Stressbelastung reduzieren
Prävention in der Arbeitsmedizin
Arbeitsschutzvorschriften, Unfallverhütungsvorschrift, betriebliche Gesundheitsförderung
Evaluationsmethoden der Prävention und Gesundheitsförderung
Qualitätszirkel, Zertifizierung
10 Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz N. Paquet
10.1 Bildgebende Verfahren
–298
10.1.1 Grundlagen –298 10.1.2 Organsystembezogene bildgebende Verfahren 10.1.3 Interventionelle Verfahren –349
–303
10.2 Strahlenbehandlung –355 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5 10.2.6
Grundlagen der Strahlenbiologie –355 Strahlensensibilität der Zellen und Organe –355 Strahlenschäden –355 Prinzipien der Strahlentherapie –356 Anwendung bei benignen Erkrankungen, Schmerztherapie –357 Nuklearmedizinische Radioiodtherapie –357
10.3 Strahlenschutz –357 10.3.1 Strahlenrisiko –358 10.3.2 Strahlenschutz in der Medizin –358 10.3.3 Besonderheiten bei Schwangeren, im Kindesalter
–358
298
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
Über 100 Jahre nach Entdeckung der Röntgenstrahlen entwickelt sich dieses Teilgebiet der Medizin nach wie vor rasant und umfasst alle bildgebenden Verfahren zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken. 10.1
Bildgebende Verfahren
10.1.1
Grundlagen
10.1.1.1 Strahlenphysik Ionisierende Strahlung wird unterschieden in Teilchenstrahlung und Wellenstrahlung. Teilchenstrahlung hat eine Ladung und Masse, Wellenstrahlung hat keine Masse und keine Ladung (. Tab. 10.1). Eigenschaften der Röntgenstrahlung sind: 4 Schwächungseffekt (Intensitätsabnahme) 4 Photographischer Effekt (Schwärzung von Filmen) 4 Ionisationseffekt (Ladungserzeugung) 4 Luminiszenzeffekt (Anregung von Leuchtstoffen) 4 Biologischer Effekt (Strahlenschutz) 4 Halbleitereffekt (Nachweis von Strahlung)
10
Schwächung von Röntgenstrahlung erfolgt durch: 4 Streuung 5 Klassische Streuung 5 Compton-Effekt (ein Photon wird gestreut): im menschlichen Gewebe der dominierende Prozess, dominierende biologische Strahlenwirkung (. Abb. 10.1) 4 Absorption 5 Photoeffekt (ein Photon wird absorbiert): abhängig von der Ordnungszahl, z. B. Bleischutz 10.1.1.2 Konventionelle Röntgendiagnostik Zu den Kenngrößen des Röntgenbildes zählen: 4 Optische Dichte 4 Auflösungsvermögen 4 Bildkontrast 4 Bildrauschen 4 Bildempfängerdosis
. Tab. 10.1. Ionisierende Strahlung Teilchenstrahlung
Wellenstrahlung
Elektronenstrahlung
Röntgenstrahlung
Betastrahlung (β): Elektron/ Positron
Gammastrahlung (γ)
Alphastrahlung (α): doppelt positiv geladene Heliumkerne Protonenstrahlung Neutronenstrahlung
rung, . Abb. 10.2). Durch eine angelegte Röhrenspannung fließen hochenergetische Elektronen von der Kathode zur Anode, Interaktion auf atomarer Ebene führt zur Emission von Röntgenstrahlen. Die beschleunigten Elektronen werden im Anodenmaterial gebremst, deshalb wird die Röntgenstrahlung auch Bremsstrahlung genannt. Bei der Projektionsdarstellung mittels Röntgenstrahlung (Projektionsradiographie) wird der zu untersuchende Körperteil des Patienten aus einer Richtung mit Röntgenstrahlung durchstrahlt. Auf der Ge-
. Abb. 10.1. Compton-Effekt
Qualitätsparameter sind: 4 Rechtfertigende Indikation 4 Standard Projektion 4 Einblendung 4 Filter (Reduktion der Streustrahlung, Aufhärtung der Strahlung) 4 Film Fokus Abstand 4 Streustrahlenraster, Belichtungsautomatik Die Röntgenröhre ist eine Hochvakuumröhre mit einer Glühkathode und einer Anode (Wolfram-Legie-
. Abb. 10.2. Aufbau der Röntgenröhre
10
299 10.1 · Bildgebende Verfahren
genseite wird die abgeschwächte Strahlung mittels Film in ein Bild umgewandelt. Gewebe hoher Dichte (z. B. Knochen) schwächen die Röntgenstrahlen mehr als Gewebe niedriger Dichte (z. B. Lunge). 10.1.1.3 Durchleuchtung Durchleuchtung ist die kontinuierliche Betrachtung von Abläufen im Körper des Menschen mittels Röntgenstrahlung. Anwendungsgebiete sind: 4 Kolonkontrasteinlauf 4 Ösophagusbreischluck 4 Magen-Darm-Passage 4 Dünndarmdarstellung nach Sellink 4 Tränenwegsdarstellung 4 Intraoperative Darstellung (Achsstellung von Knochenbrüchen, Protheseneinbau) 4 Defäkographie 4 Fistulographie Als Kontrastmittel werden verwandt: 4 Jodhaltiges Kontrastmittel: Monokontrast, wasserlöslich 4 Bariumsulfathaltige Suspension: Doppelkontrast, wasserunlöslich 4 Gastrografin 10.1.1.4 Computertomographie Die Computertomographie (CT) ermöglicht die Schnittbilddarstellung des Körpers in dünnen Schichten mittels Röntgenstrahlung. Minimale Dichteunterschiede des Körpers werden mit Hilfe aus verschiedenen Richtungen aufgenommener Röntgenaufnahmen dreidimensional bildlich dargestellt. Die jeweilige Dichte (physikalisch genauer der jeweilige Schwächungskoeffizient) wird in der CT in Grauwerten wiedergegeben und auf der Hounsfield-Skala (HE, . Tab. 10.2) dargestellt.
. Tab. 10.2. HE-Dichte Knochenkompakta
250–1000 HE
Knochenspongiosa
30–230 HE
Leber
60–70 HE
Pankreas
30–50 HE
Niere
20–40 HE
Wasser
0 HE
Fettgewebe
–65 bis –100 HE (minus!)
Blut (geronnen)
Etwa 80 HE
Als Kontrastmittel wird intravenös oder oral bzw. rektal appliziertes Jod verwandt. Die Aussagekraft der Untersuchung wird dadurch wesentlich erhöht. Kontraindikationen jodhaltiger CT-Kontrastmittel sind: 4 Jodallergie 4 Hyperthyreose 4 Nephropathie 4 Metforminhaltige Medikamente 10.1.1.5 Magnetresonanztomographie Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist ein bildgebendes strahlenfreies Verfahren zur Darstellung von Strukturen des Körpers mittels Schnittbildern basierend auf der Kernspinresonanz von Atomkernen in einem Magnetfeld. Die unterschiedlichen Körpergewebe werden durch starke Magnetfelder angeregt und die Molekülbewegungen über Computer gemessen (. Tab. 10.3, . Abb. 10.3). Kontraindikationen bestehen bei: 4 Herzschrittmacher 4 Granatsplitter 4 Cochleaimplantat 4 Magnetische Gefäßclips 4 Schwangerschaft (relative Kontraindikation, vitale Indikation für Mutter oder Kind notwendig) 4 Implantierte Insulinpumpen 4 Platzangst
. Tab. 10.3. Magnetresonanzverhalten verschiedener Gewebe Signalintensität
T1-Wichtung
T2-Wichtung
Knochen
Schwarz
Schwarz
Fett
Weiß
Hellgrau
Muskel
Mittelgrau
Dunkelgrau
Flüssigkeit (Wasser)
Dunkelgrau
Weiß
Knorpel
Weiß
Dunkelgrau
Arterie
Dunkelgrau
Dunkelgrau
Vene
Mittelgrau
Weiß
Knochenmark: Fettmark
Weiß
Hellgrau
Knochenmark: Infiltration
Dunkelgrau
Variabel
300
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.3. T1- und T2-Wichtung am Beispiel des Kniegelenkes
Als Kontrastmittel werden verwandt: 4 Gadolinium (paramagnetisch) 4 Mangan (Leberkontrastmittel) 4 Wasser
10
10.1.1.6 Nuklearmedizin Szintigraphie Die Szintigraphie ist ein bildgebendes Verfahren bei dem sich im Untersuchungsorgan radioaktiv markierte Stoffe (Gammastrahler) anreichern, die mittels einer Gammakamera als Szintigramm abgebildet werden. Lunge Erfassung von Gammastrahlung nach i.v. Applikation oder Inhalation von Radiopharmaka (. Abb. 10.4): 4 Perfusionsszintigraphie 5 Radiopharmakon: 99mTechnetium 5 Sensitivität für verschlossene Gefäße: ca. 90% 4 Ventilationsszintigraphie 5 Radiopharmaka: 133Xenon, 81Krypton, 99mTechnetium 5 Sichtbarmachung eines Ventilationsdefektes Knochen Die Mehrphasen-Skelettszintigraphie unterteilt sich in: 4 Perfusionsphase (Scans direkt nach Injektion) 4 Blutpoolphase (Aufnahmen nach 2–5 min) 4 Spätaufnahmen (Mineralisationsphase; Bilder nach 2– 5 h, evtl. zusätzlich nach 24 h) Als Tracer (künstlich hergestelltes, radioaktives Medikament, das nach Applikation in den menschlichen Körper Stoffwechselprozesse sichtbar macht) dient z. B. Bisphosphonat, markiert mit 99mTechnetium. Anwendungsgebiete sind: 4 Tumoren 4 Knochenmetastasen (. Abb. 10.5)
. Abb. 10.4. Perfusions-/Ventilationsszintigraphie bei Lungenembolie
301 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
. Abb. 10.5. Knochenszintigraphie einer Skelettmetastase
4 4 4 4 4 4
Frakturen Arthritis Osteomyelitis Avaskuläre Osteonekrose Morbus Sudeck Knocheninfarkt
Schilddrüse Indikationen sind: 4 Differenzialdiagnose tastbarer Knoten oder sonographisch sichtbarer Raumforderungen 4 Morbus Basedow 4 Funktionelle Autonomie 4 Nachweis und Lokalisation von dystopen Schilddrüsengewebe 4 Differenzialdiagnose Restgewebe/Lokalrezidiv bei differenzierten Schilddrüsenkarzinom
Anwendungsgebiete sind: 4 Schilddrüsenkarzinomrezidiv 4 Differenzialdiagnose chronische Pankreatitis/Pankreaskarzinom 4 Lymphknotenstaging und Fernmetastasen bei Ösophaguskarzinomen 4 Metastasen bei unbekanntem Primärtumor (CUPSyndrom, »cancer of unknown primary«) 4 Lymphknotenstaging und Rezidivdiagnostik bei Kopf-Hals-Tumoren 4 Malignes Melanom
Als Tracer verwandt werden: 4 99mTc-Pertechnetat 4 123J-Jodid (nur bei speziellen Fragestellungen) Positronenemissionstomographie (PET) Die Positronenemissionstomographie (PET) basiert auf der Bildgebung einer inkorporierten radioaktiv markierten Substanz und deren Stoffwechsel. Im Gegensatz zur herkömmlichen Szintigraphie verwendet die PET Nuklide, die Positronen emittieren. Tumoren und/oder Metastasen haben einen erhöhten Stoffwechsel und grenzen sich so im tomographischen Bild vom gesunden Gewebe ab (. Abb. 10.6).
. Abb. 10.6. PET einer Lymphknotenmetastase bei Bronchialkarzinom
302
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
Single-Photonen-Emissionscomputertomographie (SPECT) Die Single-Photonen-Emissionscomputertomographie (SPECT) basiert als bildgebendes Verfahren auch auf der Verteilung eines Radiopharmakons. Mittels der Szintigraphietechnik wird jedoch eine dreidimensionale Darstellung entwickelt. Als Tracer dient z. B. 99mTechnetium. Beurteilt werden können die Funktionen verschiedener Organe, z. B. Stoffwechselvorgänge. Anwendungsgebiete sind: 4 Herz: Perfusion des Myokards 4 Knochen: Entzündungen, Knochenmetastasen, Tumoren 4 Gehirn: M. Alzheimer, M. Parkinson, Phäochromozytom 10.1.1.7 Sonographie Die Sonographie verwendet zur Darstellung Ultraschall, wobei energiereiche Schallwellen durch Körpergewebe, Arterien, Venen und Knochen in unterschiedlicher Art reflektiert werden (. Abb. 10.7).
10
> Bei der Sonographie entsteht keine Strahlenbelastung.
Brightness modulation (B-Mode) Bei diesem Verfahren wird die Information der Echointensität in ein Helligkeitssignal umgewandelt. Die Amplitude des Echos bestimmt den Grauwert eines Pixels auf dem Monitor.
. Abb. 10.7. Sonographie am Beispiel der Cholezystolithiasis
Farbduplex Gemessen wird die Fließgeschwindigkeit des Blutflusses mit Hilfe eines Dopplereffektes. ! Cave Die Farbe gibt die Richtung des Blutflusses an und nicht, ob es sich bei dem Gefäß um eine Arterie oder Vene handelt.
10.1.1.8
Kontrastmittel
Röntgen. Verwandt werden:
4 Bariumsulfat (7 Kap. 10.1.1.3) 4 Jod, z. B. Ausscheidungsurographie, Phlebographie, Arteriographie 4 Gastrografin CT. Verwandt wird Jod, intravenös oder oral/rektal ap-
pliziert. Die Aussagekraft der Untersuchung erhöht sich dadurch wesentlich. Kontraindikationen jodhaltiger CT-Kontrastmittel sind: 4 Jodallergie 4 Hyperthyreose 4 Nephropathie 4 Metforminhaltige Medikamente MRT. Verwandt werden:
4 Gadolinium (paramagnetisch) 4 Mangan (Leberkontrastmittel) 4 Wasser
303 10.1 · Bildgebende Verfahren
10.1.2
Organsystembezogene bildgebende Verfahren
10.1.2.1 Bewegungsapparat Wirbelsäule Bandscheibenvorfall Typische Befunde: 4 CT/MRT 5 Vorwölbung von Bandscheibenmaterial über die Wirbelkörperhinterkante; bei Bandscheibenprotusion <5 mm, bei Bandscheibenvorfall >5 mm 5 Lokalisation: median, mediolateral, lateral bis intraforaminär 5 Kontakt bzw. Perlottierung des Duralsacks 5 Nach kranial oder kaudal umgeschlagener Sequester 5 Kontakt zur Nervenwurzel, Verlagerung der Nervenwurzel, Anhebung der Nervenwurzel 5 MRT Methode der Wahl Wirbelkörperfraktur Unterschieden werden: 4 Kompressionsfraktur, Sinterungsfraktur, Impressionsfraktur 4 Berstungsfraktur (. Abb. 10.8) 4 Luxationsfraktur 4 Distraktionsfraktur Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Frakturspalt 5 Wirbelkörperhöhenminderung 4 CT 5 Frakturspalt 5 3D-Darstellung der Fraktur 5 Paravertebrales Hämatom
. Abb. 10.8. Wirbelkörper-Berstungsfraktur
10
4 MRT 5 Knochenmarködem in wassergewichteten Sequenzen 5 Frakturlinie bei T1-Wichtung 5 Eventuelle Myelonkompression 5 Intraspinale Blutung Extremitäten Distale Radiusfraktur Unterschieden werden: 4 Monteggia: proximale Ulnafraktur und luxiertes Radiusköpfchen 4 Galeazzi: Radiusfraktur im distalen Drittel und luxiertes Ulnaköpfchen 4 Smith: distale Radiusköpfchenfraktur loco typico, nach palmar abgekippt 4 Colles: distale Radiusköpfchenfraktur loco typico, nach dorsal abgekippt (. Abb. 10.9) Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Frakturspalt 4 CT 5 Frakturspalt 5 3D-Darstellung der Fraktur 4 MRT 5 Knochenmarködem in wassergewichteten Sequenzen 5 Frakturlinie bei T1-Wichtung 5 Weichteilhämatom Kahnbeinfraktur Die Kahnbeinfraktur ist am häufigsten in der Taille des Os scaphoideum lokalisiert (. Abb. 10.10). Bei unklarem Befund muss die Röntgenaufnahme nach 2 Wochen wiederholt werden, alternativ eine MRT bzw. Szintigraphie durchgeführt werden. Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Frakturspalt 4 CT 5 Frakturspalt 5 3D-Darstellung der Fraktur 4 MRT 5 Knochenmarködem in wassergewichteten Sequenzen 5 Frakturlinie bei T1-Wichtung 5 Avaskuläre Nekrose 4 Szintigraphie 5 Nuklidanreicherung im Os scaphoideum
304
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.9. Extraartikuläre CollesFraktur
10
– Typ I: <30° – Typ II: 30°–70°, häufig 50° – Typ III: >70° 5 Mögliche Komplikationen sind: – Sekundäre Koxarthrose – Hüftkopfnekrose – Pseudarthrose 4 Laterale Schenkelhalsfraktur 5 Frakturspalt extraartikulär nahe des Trochantermassivs 5 Typische Befunde – Röntgen: Frakturverlauf, Stellung/Achse – CT: bei unklarem Röntgenbefund, zur Operationsplanung, Bestimmung der freien Fragmente bei Trümmerbrüchen
. Abb. 10.10. Skaphoidfraktur
Schenkelhalsfraktur Unterschieden werden: 4 Mediale Schenkelhalsfraktur: 5 Frakturspalt intraartikulär 5 Pauwels-Klassifikation – Entsprechend dem Winkel der Frakturlinie bezogen auf die Femurkopf-Horizontale
Tibiakopffraktur Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Frakturverlauf 5 Absenkung des Tibiaplateaus 5 Gelenkerguss 4 CT 5 Bei unklarem Röntgenbefund 5 Zur Operationsplanung 5 Knöcherner Bandausriss 5 Bestimmung der freien Fragmente bei Trümmerbrüchen
305 10.1 · Bildgebende Verfahren
Kalkaneusfraktur Ursachen können sein: 4 Autounfall 4 Sturz aus großer Höhe 4 Stressfraktur bei Sportlern Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Abflachung des Tuber-Gelenk-Winkels (Böhler-Winkel) 5 Frakturlinie 4 CT 5 Bestimmung des Frakturtyps und der freien Fragmente bei Trümmerbrüchen 5 Beteiligte Gelenke 4 MRT 5 Bei unklaren Röntgen-/CT-Befunden 5 Deutlich sichtbares Knochenmarködem Stress-/Ermüdungsbruch Typische Befunde: 4 MRT 5 Methode der Wahl (. Abb. 10.11) 5 Periostale Reaktion mit Knochenmarködem bei T2-Wichtung/wassergewichteter Sequenz 5 Hypointense Frakturlinie, sichtbar in allen Sequenzen 4 Szintigraphie 5 Hohe Sensitivität 5 Vermehrte Traceraufnahme in der Frakturregion 4 Röntgen/CT 5 Niedrige Sensitivität (bis zu 3/4 der Frakturen werden nicht entdeckt) 5 Unterbrechung der Balkenstruktur der Spongiosa 5 Periostreaktion 5 Kallusbildung und Sklerose (erst in späten Stadien sichtbar)
Knochentumoren Unterschieden werden nach der Lodwick-Klassifikation, einer morphologischen Einteilung von Osteolysen im Röntgen korrellierend zum Agressivitätsgrad (. Tab. 10.4): 4 I A: geographisch mit Randsklerose 4 I B: geographisch ohne Randsklerose/mit Kortikalisvorwölbung 4 I C: geographisch mit Kortikalispenetration 4 II: mottenfraßartig 4 III: permeativ
. Abb. 10.11. Tibiaplateaustressfraktur: parallel zum Gelenkspalt verlaufende Linie
. Tab. 10.4. Knochentumoren Typ
Benigne
Maligne
Osteogen
Osteom, Osteid-Osteom
Osteosarkom
Chondrogen
Chondrom, Osteochondrom
Chondrosarkom
Medullogen
10
Ewing-Sarkom, Myelom
306
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
In Kürze Bildgebende Diagnostik des Bewegungsapparates Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Akutes Trauma mit Verdacht auf Fraktur
Röntgen in 2 Ebenen, ggf. weiteren Ebenen
Bei unklarem Röntgenbefund Schnittbildverfahren: 4 CT: 3D, Frakturnachweis 4 MRT: Knochenmarködem
Chronischer Schaden
MRT
CT
10.1.2.2 Ösophagus Ösophagusdivertikel Unterschieden werden: 4 Zenker-Divertikel: zervikal auf Höhe des KilianDreiecks, 75% aller Divertikel (. Abb. 10.12) 4 Traktionsdivertikel: auf Höhe der Trachealbifurkation 4 Epiphrenisches Divertikel: knapp oberhalb des Zwerchfells
10
Diagnostische Methode der Wahl sind Ösophagusbreischluck bzw. CT/MRT. Ziel der Untersuchung ist die Größen- und Lagebestimmung. Typische Befunde:
4 Ösophagusbreischluck 5 Mit Kontrastmittel gefüllte Ausstülpung des Ösophagus, v. a. gut sichtbar im seitlichen Strahlengang 5 Luft- bzw. Flüssigkeitsspiegel 4 CT/MRT 5 Aussackung der Schleimhaut des Schlundes mit Luft- bzw. Flüssigkeitsspiegel 5 Kontakt zum Hypopharynx, teilweise mit Luft gefüllte Öffnung Ösophaguskarzinom Ziel der Untersuchung ist die Bestimmung von Lokalisation, Ausdehnung und Metastasierung (. Abb. 10.13). Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Endoskopie 4 Ösophagusbreischluck 4 CT 4 Endosonographie Typische Befunde: 4 Lumeneinengung 4 Irreguläre Wandkonturen 4 Wandverdickung 4 Stenose Hiatushernie Unterschieden werden: 4 Axiale Hernie 4 Paraösophageale Hernie (. Abb. 10.14) Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Endoskopie 4 Ösophagusbreischluck Typischer Befund: 4 Magenschleimhautrelief im Thorax
. Abb. 10.12. Zenker Divertikel
307 10.1 · Bildgebende Verfahren
10.1.2.3 Magen-Darm-Trakt Pneumoperitoneum Ursachen für die Ansammlung von freier Luft im Peritoneum können sein: 4 Spontane Perforationen 5 Peptische Ulzera 5 Divertikulitis 5 Darmischämie
10
5 Toxisches Megakolon 5 Darmobstruktion, z. B. Tumor, Volvulus 4 Iatrogen 5 Laparatomie 5 Laparaskopie, Hysteroskopie 5 Peritonealdialyse 5 Komplikation bei Biopsie/Polypenabtragung 4 Weitere Ursachen 5 Pneumatosis intestinalis 5 Lufteinstrom durch das innere Genital bei Frauen Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Abdomenübersicht im Stehen 4 Abdomen in Seitenlage 4 CT Typische Befunde: 4 Röntgen: Luftsichel unter dem Zwerchfell (. Abb. 10.15) 4 CT: Luft (schwarz) außerhalb des Gastrointestinaltraktes
. Abb. 10.13. Zirkuläres Tumorwachstum des Ösophaguskarzinoms
. Abb. 10.14. Paraösophageale Hernie (kontrastmittelgefüllter Ösophagus neben der Hernie)
Magenkarzinom Typische Befunde: 4 Röntgen (Magen-Darm-Passage, MDP) 5 Lumeneinengung 5 Unterbrechung des Faltenreliefs 5 Starre Wandkontur 4 CT (. Abb. 10.16): 5 Füllung des Magenlumens notwendig, z. B. mit Wasser 5 Kräftige Magenwandverdickung 5 Teilweise unregelmäßige Innenkonturen 5 Fettgewebsinfiltration 5 Geringe Kontrastmittelanreicherung
. Abb. 10.15. Luftsichel unter dem Zwerchfell
308
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.16. Magenkarzinom an der kleinen Kurvatur
10
. Abb. 10.17. Untere Gastrointestinalblutung aus der A. mesenterica inferior
Gastrointestinale Blutung Mögliche Ursachen sind: 4 Magen- oder Doudenalulzera 4 Ösophagusvarizen 4 Tumoren 4 Colitis ulcerosa 4 Kolondivertikel 4 Kolorektales Karzinom 4 Gefäßdysplasien Typische Befunde: 4 CT 5 Darmwandverdickung mit vermehrter Kontrastmittelanreicherung 5 Kontrastmittelaustritt aus einem Gefäß (dünne Schichtführung) in das Darmlumen 5 Gefäßveränderungen, z. B. pseudoaneurysmatische Aussackung 4 Angiographie 5 Kontrastmittelaustritt aus einem Gefäß (. Abb. 10.17) 5 Interventionelle Blutstillung möglich Meckel-Divertikel Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Längliches Divertikel im Ileum 5 Echoreiche innere Wand 5 Echoarme äußere Wand 4 Szintigraphie 5 Kleines fleckiges Areal mit erhöhter Aktivität 5 Anreicherung von 99mTechnetium in der ektopen Magenschleimhaut (deshalb auch teilweise falsch-negativ bei Meckel-Divertikel ohne Magenschleimhaut; . Abb. 10.18)
. Abb. 10.18. Meckel-Divertikel: Szintigraphie mit 99mTechnetium
Invagination Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Sichtbare Kokarde, sog. Schießscheibenphänomen im Querschnitt 5 Parallel verlaufende Darmwände im Längsschnitt 5 Fehlende Peristaltik 5 Verdickung der Darmwand Kolonkarzinom Typische Befunde: 4 CT/MRT 5 Kolonwandverdickung mit teils kräftiger Kontrastmittelanreicherung
309 10.1 · Bildgebende Verfahren
5 Lumeneinengung (»apple core sign«, Zeichen des abgebissenen Apfels, . Abb. 10.19) 5 Exophytisches Wachstum 5 Organüberschreitendes Wachstum mit Weichteilinfiltration 5 Nekrosen
10
Weitere Untersuchungsmethoden: 4 Koloskopie 4 Endosonographie Rektumkarzinom Typische Befunde: 4 CT/MRT 5 Kolonwandverdickung (hypointens bei T1Wichtung, . Abb. 10.20) 5 Lumeneinengung 5 Exophytisches Wachstum 5 Organüberschreitendes Wachstum mit Weichteilinfiltration 5 Nekrosen Weitere Untersuchungsmethoden: 4 Koloskopie 4 Endosonographie
. Abb. 10.19. Typisches »apple core sign« (Zeichen des abgebissenen Apfels) bei stenosierendem Kolonkarzinom im Colon descendens und Zweitkarzinom im Colon transversum
. Abb. 10.20. Rektumkarzinom mit typischer Wandverdickung
Morbus Crohn Typische Befunde: 4 Kolonkontrasteinlauf 5 Pflastersteinrelief (. Abb. 10.21) 5 Verlust der Haustrierung 5 Wechsel von gesunden und kranken Darmabschnitten 5 Schleimhautunregelmäßigkeiten bei Ulcerationen 4 MRT 5 Darmwandverdickung mit sichtbarer Schichtung der Wand 5 Kontrastmittelanreicherung der Wand und des umgebenden Weichteilgewebes
310
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.22. Stenosen bei Morbus Crohn
10 . Abb. 10.21. Pflastersteinrelief bei Colitis ulcerosa
5 Umgebungsödem (vermehrte peritoneale Flüssigkeit) 5 3D-Darstellung von Strikturen, Abszessen und Fisteln 4 CT 5 Darmwandverdickung 5 Teils kräftige Kontrastmittelanreicherung der Wand 5 Aufgrund der Strahlenbelastung bei den meist jungen Patienten weniger genutzt Mögliche Komplikation: 4 Toxisches Megakolon Colitis ulcerosa Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Verdickte Darmwand, die stark durchblutet wird (Farbdoppler-Sonographie) 5 Stenosen (. Abb. 10.22) 5 Verringerte Peristaltik 4 Kolonkontrasteinlauf 5 Verlust der Haustrierung, sog. Fahrradschlauchphänomen
5 Schleimhautgranulome und Ulcerationen 5 Verlust der Haustrierung 4 CT 5 Darmwandverdickung 5 Teils kräftige Kontrastmittelanreicherung der Wand 5 3D-Darstellung der langstreckigen Stenosen 5 Anwendung meist nur bei Verdacht auf Perforation wegen der Strahlenbelastung Sigmadivertikulitis Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Verdicktes echoarmes Sigma 5 Divertikel (echoarm) 5 Druckschmerz bei Druck mit dem Schallkopf auf die Entzündungsregion 4 CT 5 Verdickte Kolonwand und Lumeneinengung (. Abb. 10.23) 5 Streifig verdichtetes umgebendes Fettgewebe und perisigmoidale Flüssigkeit 5 Verdickung der Faszien 5 kräftige Kontrastmittelanreicherung der Wand Mögliche Komplikationen sind: 4 Intramurale und perikolische Abszesse 4 Blasenfistel 4 Perforation mit freier Luft
311 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
. Abb. 10.23. Akute Sigmadivertikulitis mit Wandverdickung (Pfeilspitzen) und gedeckter Perforation mit freier Luft extraluminal (schwarze Pfeile)
Appendizitis Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Verdickung der Appendix mit Sichtbarkeit der Wandschichtung 5 Druckschmerz beim McBurney- und LanzPunkt bei Druck mit dem Schallkopf auf die Entzündungsregion 5 Keine Luft in der Appendix (Luft intraluminal spricht gegen eine Entzündung) 5 Verstärkte Durchblutung (Farbdoppler) 5 Kotstein in der Appendix 4 CT 5 Verdickung der Appendix (. Abb. 10.24) 5 Streifig verdichtetes umgebendes Fettgewebe und vermehrte Flüssigkeit 5 Kontrastmittelanreicherung 5 Freie Luft bei Perforation 4 MRT 5 Verdickung der Appendix 5 Streifig verdichtetes umgebendes Fettgewebe und vermehrte Flüssigkeit 5 Kräftige Kontrastmittelanreicherung 5 Perforation
. Abb. 10.24. Appendizitis mit beginnender Perforation
312
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
5 Aus Strahlenschutzgründen bei jungen Patienten/Schwangeren dem CT vorzuziehen 10.1.2.4 Pankreas Akute Pankreatitis Typische Befunde: 4 Sonographie 5 peripankreatische Flüssigkeit 5 Pankreasschwellung mit diffusem Binnensignal 5 Konsekutiver Pleuraerguss rechtsseitig 4 CT 5 Auftreibung der Bauchspeicheldrüse und peripankreatische Flüssigkeit (. Abb. 10.25) 5 Einblutungen und Nekrosen, keine Perfusion nach i.v. Kontrastmittelgabe 5 Intrapankreatische Luft (gasbildende Bakterien)
10
Chronische Pankreatitis Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Inhomogenes, teils atrophes Parenchym 5 Pankreasgangerweiterung 4 CT 5 Pankreasatrophie 5 Erweiterung des Pankreasganges 5 Binnenverkalkungen (. Abb. 10.26) 5 Pseudozysten 4 MRT 5 Abnehmende Signalintensität des Parenchyms bei T1-Wichtung 5 Hyperintensitäten bei T2-Wichtung in nekrotischen und entzündeten Anteilen 5 Verminderte Kontrastmittelaufnahme bei Fibrose
. Abb. 10.25. Akute Pankreatitis mit Pankreasnekrosen und peripancreatischer Flüssigkeit
5 Pseudozysten 5 Erweiterung des Pankreasganges Mögliche Komplikationen sind: 4 Milzvenenthrombose 4 Ausbildung von Pseudoaneurysmata mit Blutungen Seröses Zystadenom Typische Befunde: 4 CT 5 Multizystische intrapancreatische Struktur, glatt begrenzt (. Abb. 10.27) 5 Binnenzysten meist nur bei sehr dünnen Schnitten und i.v. Kontrastmittelgabe identifizierbar 4 MRT 5 In der MRCP gute Darstellung der multiplen Zysten 5 Keine Verbindung mit dem Ductus pancreaticus
. Abb. 10.26. Chronische Pankreatitis mit Verkalkungen
. Abb. 10.27. Multiple Zysten bei serösem Zystadenom
313 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
Duktales Adenokarzinom Typische Befunde: 4 CT 5 Erweiterung des Ductus pancreaticus und seiner Seitenäste (. Abb. 10.28) 5 Kleine intraduktale Kontrastmittel-anreichernde Knoten 4 MRT 5 Erweiterung des Ductus pancreaticus und seiner Seitenäste 5 Kleine intraduktale zystische Knoten bei T2Wichtung 5 Gangobstruktion und intraduktale Schleimpfröpfe 10.1.2.5 Leber Leberzyste Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Echofreie kugelige Raumforderung 5 Kräftige dorsale Schallverstärkung 4 CT 5 Scharf abgrenzbare, rundliche Raumforderung ohne Umgebungsödem und ohne Kontrastmittelanreicherung mit nahezu wasseräquivalenten Dichtewerten (. Abb. 10.29) 4 MRT 4 Scharf abgrenzbare, rundliche Raumforderung, stark hyperintens bei T2-Wichtung, deutlich hypointens bei T1-Wichtung Hämamgiom Typische Befunde: 4 CT 5 Lobulierte kräftig Kontrastmittel-aufnehmende Raumforderung 5 Aog. irisblendenartige Kontrastmittelanreicherung (von außen nach innen zunehmende Kontrastmittelaufnahme 4 MRT 5 Homogen hypointense Läsion bei T1-Wichtung 5 Nach i.v. Kontrastmittelgabe typische rasche intensive Anreicherung von außen nach innen zunehmend (. Abb. 10.30) Fokal noduläre Hyperplasie Typische Befunde: 4 CT 5 Kräftige noduläre Kontrastierung in der arteriellen Phase 5 Rasche Kontrastmittelauswaschung 5 Kontrastierung der zentralen Narbe in der Spätphase (. Abb. 10.31)
. Abb. 10.28. Gallengangserweiterung bei Pankreaskopftumor
. Abb. 10.29. Leberzyste im rechten Leberlappen ohne Kontrastmittelanreicherung
. Abb. 10.30. Typische, anfangs zirkulär randständige Kontrastmittelaufnahme bei einem Riesenhämangiom
314
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.31. Typische Pseudokapsel und zentrale Narbe bei fokal nodulärer Hyperplasie
10
. Abb. 10.32. Adenomatosis hepatis: zahlreiche hypervaskularisierte Adenome, teils mit hypodensem zentralem Nabel
4 MRT 5 Bei T1-Wichtung iso- bis hypointense, bei T2Wichtung iso- bis gering hyperintense knotige, glatt abgrenzbare Raumforderung 5 Zentrale Narbe und typische Pseudokapsel 5 Homogene frühe Kontrastierung bis auf die Narbe, diese kontrastiert sich später Leberadenom Typische Befunde: 4 CT 5 Gute Abgrenzbarkeit nur bei Blutungen 5 Nativ hyperdense, glatt abgrenzbare hypervaskularisierte Raumforderung 5 Kräftige homogene Kontrastmittelanreicherung in der arteriellen Phase, teils mit hypodensem zentralem Nabel (. Abb. 10.32) 4 MRT 5 Hyperintense Raumforderung bei T1- und T2-Wichtung, da stark fetthaltig (teilweise Kapsel) 5 Kräftige homogene Kontrastmittelanreicherung sowie rasche Auswaschung 5 Keine Anreicherung bei Gabe eines leberzellspezifischen Kontrastmittels Hepatozelluläres Karzinom Typische Befunde: 4 MRT 5 Nativ irreguläre hypodense Raumforderung 5 Randständige Kontrastmittelanreicherung 5 Zentrale Nekrosen, hypodens 5 Gefäßinfiltration und Lymphknotenmetastasen (. Abb. 10.33)
. Abb. 10.33. Zentrales hepatozelluläres Karzinom
4 MRT 5 Homogen hypointense Raumforderung bei T1Wichtung, hyperintens bei T2-Wichtung 5 Starke Kontrastmittelanreicherung und Auswaschung bei dynamischer MRT-Untersuchung Lebermetastasen Typische Befunde: 4 CT 5 Nativ häufig isointens zum Leberparenchym und schwer abgrenzbar 5 Nach i.v. Kontrastmittelgabe je nach Vaskularisierungsgrad sehr schnelle bis deutlich verzögerte Kontrastmittelaufnahme, teilweise nur randständig bei zentraler Nekrose (. Abb. 10.34)
315 10.1 · Bildgebende Verfahren
. Abb. 10.34. Multiple hypervaskularisierte Lebermetastasen
10
. Abb. 10.36. Multiple Gallensteine
5 Druckschmerz bei Druck mit dem Schallkopf auf die Gallenblase 5 Gallensteine und pericholezystische freie Flüssigkeit 4 CT/MRT 5 Gallenblasenwandverdickung, Gallensteine und pericholezystische freie Flüssigkeit (. Abb. 10.35) 5 Teilweise Luft in der Gallenblasenwand bei bakteriellen Infektionen 5 Deutlich vermehrte Kontrastmittelaufnahme der Wand
. Abb. 10.35. Akute Cholezystitis mit Dreischichtung der Gallenblasenwand und pericholezystischer Flüssigkeit
4 MRT 5 Bei T1-Wichtung hypo- bis isointense, bei T2Wichtung hyperintense Raumforderung 5 Je nach Vaskularisierungsgrad sehr schnelle bis deutlich verzögerte Kontrastmittelaufnahme, leberspezifisches Kontrastmittel reichert nur im gesunden Lebergewebe an, die Metastasen demarkieren sich; ebenso gallengängige Kontrastmittel reichern nur im gesunden Lebergewebe an. 10.1.2.6 Gallenblase Akute Cholezystitis Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Deutliche Verdickung der Gallenblasenwand mit Demarkierung der Wandschichtung
Mögliche Komplikationen sind: 4 Pericholezystische freie Luft bei Perforation 4 Pericholezystischer Abszess in der Leberpforte 4 Luft im Gallenblasenlumen und in den Gallenwegen bei Perforation in den Darm Cholelithiasis Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Rundliche bewegliche Fremdkörper in der Gallenblase mit dorsaler Schallauslöschung 5 Bei Steinen im Gallengang teilweise Gallenaufstau 4 CT 5 Überwiegend kalkhaltige Konkremente in der Gallenblase und/oder den Gallenwegen (. Abb. 10.36) 5 Teilweise Gallenaufstau 4 MRCP (Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie) 5 Aussparungen in der Gallenblase, den Gallengängen bzw. im Pankreasgang 5 Teilweise Gallenaufstau
316
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
Eine Sonderform ist die Porzellangallenblase, d. h. ein großer solitärer, die Gallenblase ausfüllender Stein. Primär sklerosierende Cholangitis Typische Befunde: 4 CT/MRT 5 Deutliche Verdickung der Gallenwegswand bis hin zur Striktur 5 Es wechseln sich normale und eingeengte Abschnitte ab 5 Vermehrte Kontrastmittelanreicherung 4 MRCP 4 Wandirregularitäten und Enge der Gallenwege bis hin zur Striktur
10
Gallenblasenkarzinom Typische Befunde: 4 CT/MRT 5 Teils polypenartige Raumforderung der Gallenblasenwand mit Wandverbreiterung und geringer Kontrastmittelanreicherung cherung 5 Leberinfiltration (. Abb. 10.37) und Lymphadenopathie 4 Sonographie 5 Irreguläre, nicht bewegliche, echoarme Raumforderung der Gallenblasenwand ohne Schallschatten, teilweise Ausdehnung bis in die Leber
. Abb. 10.38. In der ERCP sichtbare intrahepatische Cholestase
4 MRT mit MRCP/ERCP 5 Obstruktion des Gallengangslumens mit proximaler Dilatation (. Abb. 10.38) 5 Späte Anreicherung nach i.v. Kontrastmittelgabe 5 Bei Gabe von leberspezifischem Kontrastmittel deutliche Abgrenzbarkeit vom Leberparenchym Als Sonderform ist der Klatskin-Tumor im proximalen Drittel (Leberhilus) lokalisiert.
Cholangioläres Gallengangskarzinom Typische Befunde: 4 Dünnschicht-CT mit 3D-Rekonstruktionen 5 Intraluminale Raumforderung in den Gallenwegen, meist nur sichtbar bei Aufstau. 5 Gallengangsobstruktion 5 Leber- und Gefäßinfiltration
10.1.2.7 Milz Milzruptur Typische Befunde: 4 CT 5 Subkapsuläre hyperdense Einblutungen nativ 5 Kapsel- und Parenchymeinriss, perisplenisches Hämatom (. Abb. 10.39)
. Abb. 10.37. Die Leber infiltrierendes Gallenblasenkarzinom, nebenbefundlich Gallensteine
. Abb. 10.39. Milzruptur mit Fragmentation und perisplenischem Hämatom und perihepatische Flüssigkeit
317 10.1 · Bildgebende Verfahren
5 Nicht perfundierte Mitanteile nach i.v. Kontrastmittelgabe 4 Sonographie 5 Inhomogenes Echosignal (echoreich bei frischer Blutung)
5 Lazerationen der normalerweise glatten Oberfläche 5 Perisplenische freie Flüssigkeit
In Kürze Bildgebende Diagnostik des Gastrointestinaltraktes Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Ösophagus-Divertikel
Breischluck
CT/MRT
Ösophaguskarzinom
Endoskopie/Endosonographie
Breischluck/CT
Hiatushernie
Endoskopie
Breischluck/Röntgen
Pneumoperitoneum
CT
Röntgen-Abdomen im Stehen/in Seitenlage
Magenkarzinom
Gastroskopie
CT/Röntgen
Gastrointestinale Blutung
Gastroskopie
Angiographie/CT
Meckel-Divertikel
Szintigraphie
Sonographie
Invagination
Sonographie
Kolonkarzinom
Koloskopie/Endosonographie
CT/MRT
Rektumkarzinom
Rektoskopie/Endosonographie
CT/MRT
Morbus Crohn
MRT
CT/Röntgen
Colitis ulcerosa
Sonographie/MRT
CT/Röntgen
Sigmadivertikulitis
Sonographie
CT
Appendizitis
Sonographie
CT/MRT
Akute Pankreatitis
Sonographie
CT/MRT
Chronische Pankreatitis
Sonographie
CT/MRT
Seröses Zystadenom
CT/MRT
Sonographie
Duktales Adenokarzinom
MRT
CT
Leberzyste
Sonographie
MRT/CT
Hämangiom
Sonographie/MRT
CT
Fokal noduläre Hyperplasie
Sonographie/MRT
CT
Leberadenom
MRT
CT/Sonographie
6
10
318
10
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
Hepatozelluläres Karzinom
MRT
CT/Sonographie
Lebermetastasen
MRT
CT/Sonographie
Akute Cholezystitis
Sonographie/CT
Cholelithiasis
Sonographie/MRT mit MRCP
CT/Röntgen
PSC
ERCP/MRT mit MRCP
CT
Gallenblasenkarzinom
Sonographie/MRT
CT
Cholangioläres Gallengangskarzinom
MRT mit MRCP/ERCP
CT
Milzruptur
CT/Sonographie
10.1.2.8 Thorax Kardialer Normalbefund Konturen der Herzsilhouette: 4 Rechter Herdrand 5 V. cava superior 5 Aorta ascendens 5 Rechter Vorhof 5 V. cava inferior 4 Linker Herdrand 5 Aorta descendens 5 A. pulmonalis 5 Linker Vorhof 5 Linker Ventrikel
Atelektase Radiologische Zeichen der Volumenabnahme einer Lunge bzw. eines Lungenanteils sind: 4 Lokale Transparenzminderung 4 Fehlendes Pneumobronchogramm 4 Verschiebung der interlobären Septierung 4 Mediastinalverlagerung
Herz-Thorax-Quotient: Ab einem Herzdurchmesser um mehr als die Hälfte des der Thoraxdurchmessers, auf Höhe der Zwechfellrezessus gemessen, spricht man von einer Kardiomegalie.
Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Röntgen 4 CT
Rundherd Häufige Ursachen: 4 Mamillenschatten 4 Harmartom 4 Tuberkulom 4 Abgekapselter Interlobärerguss 4 Bronchialkarzinom 4 Lungenmetastasen Diagnostische Methoden der Wahl: 4 Röntgen 4 CT ! Cave Kleine (kleiner 5 mm) intrapulmonale Rundherde sind meist nur im CT, nicht im konventionellen Röntgen zu sehen.
Unterschieden werden: 4 Obstruktionsatelektase: Schleim, Fremdkörper, Tumor 4 Kontraktionsatelektase: Narbe, Fibrose, Tuberkulose 4 Kompressionsatelektase: Erguss, Pneumothorax
Pleuraerguss Radiologische Zeichen: 4 Verschattung des Zwerchfell-Rippen-Winkels (. Abb. 10.40) 4 Erweiterter Pleuraspalt 4 Kompressionsbedingte Lungenatelektase 4 Verbreiterung der Interlobärsepten Diagnostische Methoden der Wahl: 4 Röntgen 4 Sonographie 4 CT Pneumothorax Unterschieden werden: 4 Spontanpneumothorax (bei großen Menschen) 4 Traumatischer Pneumothorax 4 Emphysempneumothorax
319 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
. Abb. 10.41. Ventraler Pneumothorax bei Rippenfraktur
. Abb. 10.40. Pleuraerguss rechts und freie Luft bei Pneumoperitoneum
Radiologische Zeichen: 4 Viszerale Pleura als dünne Linie sichtbar (. Abb. 10.41) 4 Lungengefäße nicht bis an die Thoraxwand nachweisbar 4 Kollabierte Lunge 4 Mediastinalverlagerung Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Röntgen (Aufnahme in Exspiration) 4 CT Emphysem Unterschieden werden: 4 Bullös 4 Panlobulär 4 Zentrilobulär Radiologische Zeichen: 4 Abgeflachtes Zwerchfell 4 Vergrößerter Retrosternalraum 4 Erweiterte Interkostalräume 4 Periphere Gefäßrarifizierung 4 Hypertransparente Parenchymbereiche 4 Verdickte Bronchialwände 4 Bullae (. Abb. 10.42) Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 HR-CT (»high resolution computer tomographie«, CT mit sehr dünner, 1-2 mm Schichtung und hoher Ortsauflösung) 4 Röntgen
. Abb. 10.42. Panlobuläres Emphysem mit Bullae und verdickten Bronchialwänden (Pfeile)
10.1.2.9 Lunge Bronchialkarzinom Unterschieden werden: 4 Zentral 4 Peripher 4 Bronchoalveolär Radiologische Zeichen: 4 Zentral 5 Einseitige hiläre Raumforderung 5 Endobronchiales Tumorwachstum
320
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.44. Multiple Lungenmetastasen und nebenbefundlich Spontanpneumothorax . Abb. 10.43. Peripheres Bronchialkarzinom
10
5 Hiläre Lymphadenopathie 5 Poststenotische Pneumonie 4 Peripher 5 Intrapulmunale Verschattung mit irregulärer Struktur (. Abb. 10.43) 5 Radiäre Ausläufer (Corona radiata) 5 Dünner weichteildicher Tumorausläufer zur Pleura (Pleurafinger) 5 Einseitige exzentrische Einkerbung der Außenkontur des Rundherdes an der Einmündung von Gefäßen (Rigler-Nabel-Zeichen) 5 Einschmelzungen 4 Bronchoalveolär 5 Solitärer Rundherd oder über die gesamte Lunge verteilte Rundherde Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Röntgen Lungenmetastasen Primärtumoren sind häufig Mammakarzinom, Hodentumoren, Schilddrüsenkarzinom, Nierenkarzinom, malignes Melanom, Prostatakarzinom, Osteosarkom oder Chondrosarkom. Radiologische Zeichen: 4 Singulärer oder multiple Lungenrundherde (. Abb. 10.44) 4 Kontakt zu den Lungengefäßen 4 Lymphangiosis carcinomatosa Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Röntgen, MRT
. Abb. 10.45. Lymphagiosis carcinomatosa
Lymphangiosis carcinomatosa Radiologische Zeichen: 4 Verdickung der Interlobär- und Interlobulärsepten (. Abb. 10.45) 4 Peribronchovaskuläre Zeichnungsvermehrung 4 Zentrolobuläre perlschnurartige Mikronoduli 4 Begleitender Pleuraerguss Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Röntgen Tuberkulose Radiologische Zeichen: 4 Subpleuraler Primärkomplex 4 Umgebungslyphangitis 4 Hiläre Lymphadenopathie 4 Sich verzweigende intrapulmonale Knötchen (»tree in bud«) 4 Multiple Mikronoduli bei der Miliärtuberkulose 4 Kavernenbildung (. Abb. 10.46) mit/ohne Luft-/ Flüssigkeitsspiegel
321 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
. Abb. 10.47. Lobärpneumonie
. Abb. 10.46. Lungentuberkulose mit zentraler Höhlenbildung
Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Röntgen Pneumonie Unterschieden werden: 4 Bronchopneumonie 4 Lobärpneumonie 4 Interstitielle Pneumonie Radiologische Zeichen: 4 Bronchopneumonie 5 Fleckige bis rundliche Infiltrate 5 Pleuraerguss, Abszess, Pleuraempyem 4 Lobärpneumonie 5 Flächiges, auf das Lungensegment begrenztes Infiltrat (. Abb. 10.47) 5 Positives Pneumobrochnogramm 4 Interstitielle Pneumonie 5 Retikuläre Zeichnungsvermehrung 5 Diffuse Infiltrate 5 Lymphadenopathie Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Röntgen 4 CT Aspergillose Radiologische Zeichen: 4 Rundlicher lageabhängiger Pilzball mit Höhlenbildung 4 Einschmelzungen (. Abb. 10.48)
. Abb. 10.48. Aspergillom (nekrotischer Herd mit Randsaum)
Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Durchleuchtung (der »Ball« bewegt sich) Bronchiektasien Radiologische Zeichen: 4 Brochialwandverdickung und -erweiterung (sog. »tram lines«, sichtbare verdickte Bronchialwände, . Abb. 10.49) 4 Gefangene Luft (»air trapping«) 4 Siegelring-Zeichen (die Brochialwände sind breiter als die Lungenarterien) Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 HR-CT 4 Röntgen
322
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.50. Kardiales Stauungsödem
. Abb. 10.49. Bronchiektasien
10
Kardiogenes Lungenödem Radiologische Zeichen: 4 Kranialisation der Lungengefäße (der Durchmesser der Gefäße im Oberlappen übersteigt den der Gefäße im Unterlappen) 4 Streifige pulmonale Verdichtungen (. Abb. 10.50) 4 Peribronchiale Manschetten 4 Septale Linien 5 Kerley A: selten, 1 mm dünn, über 2 cm lang, apikal 5 Kerley B: häufig, basal lateral, bis 2 cm lang, horizontal verlaufend 5 Kerley C: sehr selten, netzartig, polygonal Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Röntgen Morbus Wegener Radiologische Zeichen: 4 Einzelner Rundherd oder multiple, teils einschmelzende Lungenrundherde (. Abb. 10.51) 4 Diffuse interstitielle Lungenverdichtungen 4 Bronchienverdickung 4 Lungenfibrose Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Röntgen
. Abb. 10.51. Morbus Wegener mit multiplen, teils einschmelzenden Lungenrundherden
Sarkoidose Unterschieden werden: 4 Stadium I: beidseitige hiläre/mediastinale Lymphadenopathie 4 Stadium II: beidseitige hiläre/mediastinale Lymphadenopathie und feinretikuläre noduläre Lungenveränderungen 4 Stadium III: grobretikuläre Pulmopathie bis hin zur Lungenfibrose
323 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
Radiologische Zeichen: 4 Symmetrische hiläre Lymphadenopathie 4 Interstitielle noduläre pulmonale Infiltrate (. Abb. 10.52) Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Röntgen 4 CT Silikose Radiologische Zeichen: 4 Hilusvergrößerung mit eierschalenartigen Verkalkungen (. Abb. 10.53) 4 Lungenemphysem und Schwielenbildung 4 Noduläre und retikuläre Lungenparenchymverdichtungen in beiden Lungen Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Röntgen
. Abb. 10.52. Sarkoidose mit hilärer Raumforderung und nodulären Lungenveränderungen
Asbestose Radiologische Zeichen: 4 Pleurale Verkalkungen (sog. Tafelberge) (. Abb. 10.54) 4 Lungenfibrose 4 Pleuraerguss Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Röntgen Lungenembolie Radiologische Zeichen: 4 Umschriebene Minderdurchblutung 4 Einseitige Hilusvergrößerung 4 Kalibersprünge der Pulmonalarterien 4 Sichtbare Kontrastmittelaussparung, teilweise mit Umfließungsphänomen (. Abb. 10.55)
. Abb. 10.53. Eierschalensilikose
Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 CT 4 Ventilations-/Perfusionsszintigraphie 4 Pulmonalis-Angiographie 10.1.2.10 Herz Kardiomegalie Bei der Kardiomegalie liegt eine Verbreiterung des Herz-Thorax-Quotienten auf mehr als 50% vor. Radiologische Zeichen: 4 Dorsalverlagerung des Ösophagus 4 Verkleinerung des Retrosternalraumes 4 Verlagerung der Herzspitze 4 Elongation der Aorta
. Abb. 10.54. Pleuraplaques bei Asbestose
Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Transthorakale Echokardiographie 4 Röntgen 4 MRT
324
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.55. Thromben in beiden Pulmonalarterien bei Lungenembolie
10
Herzklappenerkrankungen Unterschieden werden: 4 Mitralstenose 4 Aortenstenose 4 Mitralinsuffizienz 4 Aorteninsuffizienz Typische Befunde: 4 Mitralstenose 5 Sonographie – Hypertrophie des linken Vorhofs – verkleinerter Durchmesser der Mitralklappenöffnungsfläche – Verdickung der Mitralsegel – Erhöhte Blutflussgeschwindigkeit beim Einstrom in den linken Ventrikel 4 Röntgen – Mitral konfiguriertes Herz mit prominentem Vorhofschatten links und verstrichener Herzschatten und eingeengtem Retrokardialraum 5 MRT/CT – Erweiterter linker Vorhof und Myokardverdickung 4 Aortenstenose 5 Sonographie – Verdickte Aortenklappen, teilweise verkalkt – Wandverdickung des linken Ventrikels – Strömungsturbulenzen 5 Röntgen – Erweiterung und Verdickung des linken Ventrikels (. Abb. 10.56) 5 MRT/CT – Linksventrikuläre Wandverdickung
4 Mitralinsuffizienz 5 Sonographie – Hypertrophie der linken Kammer und des linken Vorhofs – Verkalkung der Mitralklappensegel – Teilweise gerissene Chordae tendineae/Papillarmuskeln 5 Röntgen – Breitbasig verbreiterte Herzsilhouette – Schmale Aorta 5 MRT/CT – Vergrößerter linker Ventrikel und linkes Atrium
. Abb. 10.56. Aortenstenose
325 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Transthorakale Echokardiographie 4 MRT 4 Röntgen
. Abb. 10.57. Dilatative Kardiomyopathie
4 Aorteninsuffizienz 5 Sonographie – Teilweise Aortenklappenruptur/-perforation – Dilatation des linken Ventrikels – Rückstrom von Blut aus der Aorta in die linke Kammer 5 Röntgen – Aortal konfiguriertes Herz mit tiefer Herzbucht, Vergrößerung des linken Ventrikels und Aortenelongation 5 MRT/CT – Kontrastmittelrückstrom aus der Aorta in die linke Kammer – Erweiterung des linken Ventrikels Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Transthorakale Echokardiographie 4 Röntgen 4 MRT Kardiomyopathie Typische Befunde: 4 Vergrößerter Herz-Thorax-Quotient 4 Erhöhung des enddiastolischen Volumenindexes 4 Ersatz des Myokards durch fibröses Gewebe/Fettgewebe 4 Ventrikeldilatation (. Abb. 10.57)
10.1.2.11 Gefäßsystem Aortendissektion Typische Befunde: 4 Transösphageale Echokardiographie 5 Sichtbare Dissektionsmembran 5 Aneurysmatische Erweiterung der Aorta 5 Erweiterter linker Ventrikel 5 Eventuell Aortenklappen- und Koronararterienbeteiligung 4 CT/MRT 5 Sichtbare Dissektionsmembran, Aneurysmatische Erweiterung der Aorta, erweiterter linker Ventrikel 5 Sichtbare Ausdehnung, teilweise bis in die Bauch-/Beckenaorta 5 Mögliche Komplikationen wie Ischämie (Darm, Niere) Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 MRT-Angiographie 4 Transösphageale Echokardiographie 4 CT-Angiographie 4 DSA (digitale Subtraktionsangiographie, . Abb. 10.58) Leriche-Syndrom Häufigste Ursache des Leriche-Syndroms ist eine Arteriosklerose. Typische Befunde: 4 Verschluss der infrarenalen Aorta incl. Bifurkation und der Aa. iliacae communes 4 Kollateralenbildung über lumbale Arterien, Bauchwandarterien und die A. mesenterica inferior über die A. iliaca interna oder A. profunda femoris Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 MRT-Angiographie (. Abb. 10.59) 4 CT-Angiographie 4 Angiographie (DSA) Aortenaneurysma Unterschieden werden: 4 Aneurysma verum 4 Aneurysma dissecans 4 Aneurysma spurium Die Klassifikation nach Stanford differenziert: 4 Typ A: Riss kranial der Arteria coronaria dextra 4 Typ B: Riss distal der linken Arteria subclavia
326
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
10
. Abb. 10.58. Aortendissektion mit sichtbarer Dissektionsmembran (Pfeile)
. Abb. 10.59. Leriche-Syndrom
Typische Befunde: 4 Aufweitung des Gefäßlumens 4 Riss in der Gefäßwand 4 Sichtbare Dissektionsmembran (. Abb. 10.60) 4 Teilweise Thrombenbildung Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Transösophageale Echokardiographie 4 CT 4 MRT 4 Angiographie (DSA) Beinvenenthrombose Typische Befunde: 4 Sonographie: aufgeweitetes Lumen, ortsständige Binnenechos, fehlende Kompressibilität, fehlendes Strömungssignal in der FarbdopplerSonographie 4 Phlebographie: Kontrastmittelaussparung in einer tiefen Beinvene mit sog. Radiergummiphänomen (Auf dem Röntgenbild sieht das Gefäß aus, als hätte
. Abb. 10.60. Aortenbogenaneurysma
327 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
man dort mit dem Radiergummi das Kontrastmittel ausradiert), teilweise feiner Kontrastmittelsaum (. Abb. 10.61) 4 CT/MRT: sichtbare Kontrastmittelaussparung mit Umfließungsphänomen (das Kontrastmittel umspült den Thrombus) Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Farbdoppler-Sonographie 4 Phlebographie 4 CT/MRT
. Abb. 10.61. Beinvenenthrombose mit Kontrastmittelaussparung in den proximalen Unterschenkelvenen bis hin zur V. poplitea
In Kürze Bildgebende Diagnostik des Thorax Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Rundherd
CT
Röntgen
Atelektase
Röntgen
CT
Pleuraerguss
Röntgen
CT
Pneumothorax
Röntgen
CT
Emphysem
HR-CT
Röntgen
Bronchialkarzinom
CT
Röntgen
Lungenmetastasen
CT
Röntgen; MRT
6
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10
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
Lymphangiosis carcinomatosa
CT
Röntgen
Tuberkulose
CT
Röntgen
Pneumonie
Röntgen
CT
Aspergillose
CT
Durchleuchtung
Bronchiektasien
HR-CT
Röntgen
Kardiogenes Lungenödem
Röntgen
CT
Morbus Wegener
CT
Röntgen
Sarkoidose
Röntgen
CT
Silikose
CT
Röntgen
Asbestose
CT
Röntgen
Lungenembolie
CT
Ventilations-/Perfusionsszintigraphie Pulmonalis-Angiographie
Kardiomegalie
Transthorakale Echokardiographie
MRT
Herzklappenerkankungen
Transthorakale Echokardiographie
MRT
Kardiomyopathie
Transthorakale Echokardiographie
MRT
Aortendissektion
MRT-Angiographie Transösphageale Echokardiographie
CT-Angiographie
Leriche Syndrom
MRT-Angiographie
CT-Angiographie Angiographie (DSA)
Aortenaneurysma
Transösophageale Echokardiographie MRT
CT-Angiographie Angiographie (DSA)
Beinvenenthrombose
Farbdoppler-Sonographie Phlebographie
CT/MRT
10.1.2.12 Schilddrüse Struma Diagnostische Methoden der Wahl sind: 4 Sonographie 4 Szintigraphie 4 Ergänzend CT/MRT Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Vergrößerung 5 Inhomogenes Binnensignal
5 Echoarme und echoreiche Knoten 5 Eierschalenartige Verkalkungen 4 CT 5 Retrosternale Raumforderung 5 Eierschalenartige Verkalkungen 4 MRT 5 Inhomogenes MR-Signal (Einblutungen) 5 Klar abgrenzbare Organkapsel 5 Kompression der Luftröhre (Säbelscheidentrachea) 5 Verlagerung der Halsgefäße
329 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
In Kürze Bildgebende Diagnostik der Schilddrüse Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Struma
Sonographie, Szintigraphie
MRT/CT
10.1.2.13 Hals Parapharyngealer Abszess Typische Befunde: 4 CT 5 Inhomogene Flüssigkeits- und Luftansammlung (teilweise Spiegelbildung) in den parapharyngealen Weichteilen mit raumfordernder Wirkung (. Abb. 10.62) 5 Randständige Kontrastmittelaufnahme 5 Dichteanhebung des Fettgewebes 5 Umgebungsödem 4 MRT 5 Perifokale Kontrastmittelanreicherung 5 Diffuse parapharyngeale Signalinhomogenitäten bei T2-Wichtung Mundboden Karzinom Tpische Befunde: 4 CT 5 Infiltration der Mundbodenmuskulatur mit Asymmetrien und Aufhebung der perimuskulären Fettsäume (. Abb. 10.63) 5 Nekrosen 5 Unterkieferinfiltration 5 Mäßige Kontrastmittelanreicherung
4 MRT 5 Infiltration der Mundbodenmuskulatur 5 Infiltration des Knochenmarks 5 Gadolinium-Kontrastmittelaufnahme (gut sichtbar in fettsupprimierten Sequenzen) Laterale Halszyste Der lateralen Halszyste liegt eine Fehlbildung der Kiemenbögen zugrunde. Typische Befunde: 4 CT 5 Zystische, scharf abgrenzbare Raumforderung lateral der Nerven-Gefäß-Scheide 5 Verlagerung der Glandula submandibularis nach ventral und des M. sternocleidomastoideus nach dorsal 5 Selten Einblutungen 4 MRT 5 Glatt begrenzte Raumforderung im lateralen Halsdreieck, hypointens bei T1-Wichtung, hyperintens bei T2-Wichtung (. Abb. 10.64) 5 Kontrastmittelanreicherung der Wand, keine Binnenanreicherung
. Abb. 10.63. Mundbodenkarzinom links mit Aufhebung des perimuskulären Fettsaums um den M. geniohyoideus . Abb. 10.62. Ausgedehnter parapharyngealer Abszess mit Lufteinschlüssen und Mittellinienverlagerung
330
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.65. Jugularisvenenthrombose links
. Abb. 10.64. Laterale Halszyste
10
. Abb. 10.66. Diagnostische Strategie am Hals
Jugularisvenenthrombose Typische Befunde: 4 CT 5 Deutlich im Kaliber vergrößerte Vene 5 Zentrale Dichteminderung (Thrombus) 5 Randständiges Kontrastmittel-Umfließungsphänomen (. Abb. 10.65)
4 MRT 5 Fehlendes Flusssignal in der MR-Angiographie 5 Intravenöse Raumforderung mit blutabbauspezifischem MR-Signal
331 10.1 · Bildgebende Verfahren
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In Kürze Bildgebende Diagnostik des Halses Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Parapharyngealer Abszess
MRT/CT
Sonographie
Mundbodenkarzinom
MRT/CT
Sonographie
Laterale Halszyste
MRT/CT
Sonographie
Jugularisvenenthrombose
Doppler-Sonographie
CT/MRT
10.1.2.14 Weibliche Genitalorgane Ovarialkarzinom Typische Befunde: 4 Transvaginale Sonographie 5 Zystische ovarielle Raumforderung (>4 cm), teilweise mit soliden Anteilen 5 Aszites 4 MRT 5 Zystische ovarielle Raumforderung (>4 cm), teilweise mit soliden Anteilen (. Abb. 10.67) 5 Deutliche Kontrastmittelanreicherung in den soliden Anteilen 5 Umgebungsinfiltration 5 Wandverdickung und Septierung des Ovars
Endometriumkarzinom des Uterus Typische Befunde: 4 Transvaginale Sonographie 5 Verdicktes echoreiches Endometrium 5 Unscharfe Abgrenzung 5 Zystische Proliferationen 5 Umgebungsinfiltration 4 MRT 5 Deutliche Endometriumverbreiterung 5 Lobulierte Raumforderung, signalreich bei T2Wichtung (. Abb. 10.68) 5 Deutlicher Signalanstieg nach Kontrastmittelgabe
Diagnostische Methode der Wahl: 4 MRT
. Abb. 10.67. Bilaterales Ovarialkarzinom (seröse zystische und nekrotische Anteile)
. Abb. 10.68. Endometriumkarzinom (hyperintenser, das Uteruslumen ausfüllender Tumor)
332
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.70. Zervixkarzinom (hyperintenser Tumor mit Infiltration des Zervixstomas) . Abb. 10.69. Uterusleiomyom
10
Uterus myomatosus/Leiomyom Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Glatt begrenzte Raumforderung 5 Homogen echoarm 5 Echofrei bei flüssigen Anteilen 5 Dorsaler Schallschatten bei Verkalkungen 4 MRT 5 Rundliche, glatt begrenzte Raumforderung (. Abb. 10.69) 5 Homogenes MR-Signal 5 Pseudokapsel Zervixkarzinom Typische Befunde: 4 MRT 5 Signalreicher Tumor in der Cervix uteri (. Abb. 10.70)
5 Polypöse, exophytische Ausdehnung 5 Irreguläre Weichgewebsinfiltration 5 Nekrosen Teratom Typische Befunde: 4 Transvaginale Sonographie 5 Zystische Raumforderung 5 Deutliche Kapsel 5 Fett-/Flüssigkeitsspiegel 5 Solide Anteile (Zähne, Haare) 4 CT/MRT 5 Nachweis von Fett (Dichte/Signal), typisch für das Teratom 5 Solide Anteile (Zähne, Haare) 5 Teilweise Kontrastmittelanreichung
In Kürze Bildgebende Diagnostik der weiblichen Genitalorgane Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Ovarialkarzinom
MRT
Transvaginale Sonographie, CT
Endometriumkarzinom des Uterus
transvaginale Sonographie
MRT
6
333 10.1 · Bildgebende Verfahren
Uterus myomatosus/Leiomyom
Sonographie
MRT
Zervixkarzinom
MRT
Sonographie/CT
Teratom
Transvaginale Sonographie
MRT/CT
10.1.2.15 Nieren, ableitende Harnwege, männliche Genitalorgane Nierenzellkarzinom Typische Befunde: 4 CT 5 Solide Raumforderung in der Nierenrinde 5 Teilweise nekrotische, zystische und fetthaltige Anteile 5 Pseudokapsel 5 Kräftige Kontrastmittelanreicherung 5 Kavazapfen als Zeichen des Einwachsen des Tumors in die V. cava inferior (. Abb. 10.71) 4 MRT 5 Meist hypo- bis isointens 5 Pseudokapsel 5 Deutliche Kontrastmittelaufnahme 5 Kavazapfen als Zeichen des Einwachsen des Tumors in die V. cava inferior 4 Sonographie 5 Binnenstruktur unregelmäßig hyper-/hypoechogen mit unterschiedlichen Anteilen 5 Gefäßreich (hohe Flussgeschwindigkeiten bei Duplex)
. Abb. 10.71. Ausgedehntes Nierenzellkarzinom mit Kavathrombus
10
4 Ausscheidungsurogramm 5 Einengung des Nierenbeckenkelchsystems 5 Eventuell Abflussbehinderung Akute Pyelonephritis Typische Befunde: 4 CT/MRT 5 Nierenschwellung und Ödem (. Abb. 10.72) 5 Teilweise aufgehobener Mark-Rinden-Kontrast 5 Verzögerter nephrogaphischer Effekt 5 Perirenale Flüssigkeit 4 Sonographie 5 Nierenschwellung 5 Inhomogenes Echosignal 4 Ausscheidungsurogramm 5 Einengung der Nierenkelche 5 Verzögerter nephrographischer Effekt 5 Eventuell Papillennekrosen Urolithiasis Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Schattengebende Konkremente in Projekten auf die Nieren/den Harnleiter 4 CT (nativ, low dose) 5 Hyperdense Struktur im Verlauf der harnableitenden Wege (. Abb. 10.73) 4 Sonographie 5 Echostarkes Signal mit dorsalem Schallschatten
. Abb. 10.72. Fokale Nephritis rechts
334
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.73. Nierenbeckenstein zentral, nebenbefundlich Pyelonephritis
Diagnostische Methode der Wahl: 4 CT
10
Hydronephrose Ursache kann eine angeborene Fehlbildung am Übergang vom Nierenbecken zum Ureter sein. Typische Befunde: 4 MRT 5 Erweitertes, ballonartig aufgedehntes Nierenbeckenkelchsystem (. Abb. 10.74) 5 Eventuell sichtbares komprimierendes Gefäß als Ursache 5 Verstärkter nephrogaphischer Effekt 5 Verschmälerter Parenchymsaum 4 Ausscheidungsurogramm 5 Erweitertes, ballonartig aufgedehntes Nierenbeckenkelchsystem 5 Kaum kontrastierter Ureter
. Abb. 10.74. Aufgestautes Nierenbecken
Diagnostische Methode der Wahl: 4 MRT Morbus Ormond (retroperitoneale Fibrose) Typische Befunde: 4 MRT/CT 5 Retroperitoneale Gewebsvermehrung (signalarm bei T1- und T2-Wichtung 5 Ausdehnung von der LWS bis zu den Nieren 5 Eventuell Kontrastmittelaufnahme bei entzündlicher Aktivität 5 Ummauerung der Ureteren und der Aorta (. Abb. 10.75) 5 Eventuell Harnstau und Verlagerung der Ureteren
. Abb. 10.75. Ummauerung der Ureteren und der Aorta durch fibrotisches Gewebe
4 Sonographie 5 Retroperitoneale Gewebsvermehrung (hypoechogen) 5 Eventuell Harnstau Ureter duplex, Ureter fissus Typische Befunde: 4 Ausscheidungsurogramm 5 Ureter duplex
335 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
– 2 separate Nierenbeckenkelchsysteme und Ureteren – Ektope Harnblasenmündung eines Ureters – Der Ureter des oberen Nierenbeckenkelchsystems mündet in das untere Harnblasenostium 5 Ureter fissus – 2 separate Nierenbeckenkelchsysteme – Gemeinsamer unterer Ureterstamm – Unterschiedliche Höhe der Uretergabelung (. Abb. 10.76) Niereninfarkt Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Fehlender Blutfluss im Nierenparenchym (Duplex-Sonographie) 4 CT 5 Örtlich fehlender nephrographischer Effekt 5 Keine Kontrastmittelaufnahme Diagnostische Methode der Wahl: 4 Sonographie
. Abb. 10.76. Ureter duplex links und Ureter fissus rechts
Nierenzysten Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Echofreie Läsion mit dorsaler Schallverstärkung 5 Keine sichtbare Wand 4 CT 5 Hypodense Läsion 5 Dichte nativ <20 HE (. Abb. 10.77) 5 Keine signifikante Kontrastmittelaufnahme (Dichteanstieg <15 HE) 5 Hyperdenser Inhalt (Kalk, Einblutungen), dann Verlaufskontrolle notwendig 5 Häufig nur geringe Überschreitung der Außenkontur (weniger als ein Drittel) Prostatakarzinom Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Transrektal 5 Asymmetrische Größenzunahme der peripheren Zone 5 Schlechte Abgrenzbarkeit 4 MRT 5 Hyperintense Raumforderung intraprostatisch 5 Schlechte Abgrenzbarkeit der Prostatabinnenzonen 5 Infiltration des periprostatischen Fettgewebes, der Samenbläschen und des Rektums (. Abb. 10.78)
. Abb. 10.77. Nierenzysten beidseits
Blasenkarzinom Typische Befunde: 4 Ausscheidungsurogramm 5 Abflussbehinderung 5 Intraluminale Raumforderung 4 CT (Spätaufnahmen)/MRT 5 Wandverdickung 5 Intraluminale polypöse Raumforderung (. Abb. 10.79) 5 Weichteilinfitration (im fortgeschrittenen Stadium)
336
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.78. Infiltration des periprostatischen Fettgewebes und der Samenbläschen
. Abb. 10.80. Blasenruptur
10
. Abb. 10.81. Hodentumor (scharf abgrenzbare Region niedrigerer Echodichte) . Abb. 10.79. Blasenkarzinom
337 10.1 · Bildgebende Verfahren
Blasendivertikel Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Kontrastgefüllte Ausstülpung der Harnblasenwand in den Spätbildern des Ausscheidungsurogramms 4 Sonographie 5 Ausstülpung der Harnblasenwand mit echoleerem Binnenmuster Blasenruptur Ursache traumatisch, z. B. Verkehrunfall, iatrogen. Typische Befunde: 4 CT mit Kontrastmittel 5 Riss in der Harnblasenwand 5 In der Spätphase Kontrastmittelaustritt in die perivesikalen Weichteile/nach intraperitoneal (Douglas-Raum)
10
5 Perivesikale Flüssigkeit (teilweise blutäquivalente Dichtewerte) 4 Zystographie 5 Extraluminales Kontrastmittel (. Abb. 10.80) 5 Eindellung der Harnblase Hodentumor Typische Befunde: 4 Sonographie 5 Fokale intratestikuläre Läsion, korrelierend mit dem Tastbefund 5 Irreguläre Binnenstruktur (Verkalkungen, Nekrosen) in Vergleich zum homogenen Hodenparenchym (. Abb. 10.81)
In Kürze Bildgebende Diagnostik der Nieren, ableitenden Harnwege, männlichen Geschlechtsorgane Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Nierenzellkarzinom
Sonographie/MRT/CT
Urogramm
Akute Pyelonephritis
Sonographie/MRT/CT
Urogramm
Urolithiasis (Nierensteine)
CT/Sonographie
Röntgen
Hydronephrose
MRT
Urogramm
Morbus Ormond (retroperitoneale Fibrose)
MRT
Sonographie
Ureter duplex/fissus
Urogramm
CT
Niereninfarkt
Sonographie
CT
Nierenzysten
Sonographie
CT/MRT
Prostatakarzinom
Sonographie
MRT
Blasenkarzinom
Zystoskopie
CT mit Kontrastmittel/MRT
Blasendivertikel
Sonographie
CT/MRT
Blasenruptur
CT mit Kontrastmittel
Zystographie
Hodentumor
Sonographie
MRT
338
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
10.1.2.16 Hals, Nasen, Ohren Otitis media Typische Befunde: 4 CT 5 Hypodense Verschattung des Tympanons 5 Teilweise Ausdehnung auf die Warzenfortsatzzellen (. Abb. 10.82) 4 MRT 5 Bei T2-Wichtung hyperintense Flüssigkeit im Mittelohr 5 Komplikation: Meningitis
Sinusitis Typische Befunde: 4 CT 5 Polsterartige bis polypöse Schleimhautschwellungen in den Nasennebenhöhlen 5 Luft-Flüssigkeits-Spiegel
Felsenbeinfraktur Typische Befunde: 4 CT 5 Irregulär längs oder quer verlaufende glatt abgrenzbare Linie, die die Suturen kreuzt (. Abb. 10.83) 5 Flüssigkeitsspiegel im Tympanon/den Mastoidzellen, teilweise Luft
10
. Abb. 10.84. Infiltrierendes Cholesteatom
. Abb. 10.82. Weichteilverschattung des Mittelohr als Zeichen einer Otitis media
. Abb. 10.83. Schematische Darstellung der Felsenbeinfraktur
. Abb. 10.85. Zentrolaterale Mittelgesichtsfraktur
339 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
4 MRT 5 Signalarme Raumforderung ohne wesentliche Kontrastmittelaufnahme (. Abb. 10.84)
Mögliche Komplikationen sind: 4 Orbitale Phlegmone 4 Abszess 4 Sinusvenenthrombose Cholesteatom Typische Befunde: 4 CT 5 Knöcherne Arrosionen/Destruktionen im äußeren Gehörgang/im Mittelohr sowie der Gehörknöchelchen 5 Teilweise Ausdehnung bis nach intrakraniell 5 Zeichen einer Otitis media
Mittelgesichtsfraktur Typische Befunde: 4 CT (koronare Schichtführung): 5 Irregulär verlaufende glatt abgrenzbare Linie 5 Hämatosinus 5 Stufenbildung (. Abb. 10.85) 5 Lufteinschlüsse in den Weichteilen
In Kürze Bildgebende Diagnostik von Hals, Nase, Ohren Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Otitis media
CT
MRT/Röntgen
Felsenbein Fraktur
CT
Röntgen
Sinusitis
CT
Röntgen
Cholesteatom
CT
MRT
Mittelgesichtsfraktur
CT
Röntgen
10.1.2.17 Auge Endokrine Orbitopathie Typische Befunde: 4 CT/MRT 5 Verdickung der Augenmuskulatur 5 Exophthalmus 5 Hypertrophie des retroorbitalen Fettkörpers Optikusneuritis Typische Befunde: 4 MRT 5 Hypertrophie des Sehnerven 5 Kontrastmittelaufnahme des Sehnerven intraorbital und im Canalis opticus Retinoblastom Typische Befunde: 4 CT 5 Verkalkte intraokuläre Raumforderung 4 MRT 5 Raumforderung im Bulbus oculi 5 Flaue bis deutliche Kontrastmittelaufnahme (. Abb. 10.86)
. Abb. 10.86. Retinoblastom des linken Auges
340
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
In Kürze Bildgebende Diagnostik des Auges
10
Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Endokrine Orbitopathie
MRT
CT
Optikusneuritis
MRT
Retinoblastom
MRT
CT
10.1.2.18 Gehirn Traumatische Läsionen Epidurales Hämatom Ursache ist meist eine arterielle Blutung der A. menigea media. Typische Befunde: 4 CT 5 Hyperdense, semikonvex halbmondförmig dem Gehirn aufliegende Raumforderung 5 Keine Überschreitung der Schädelnahtgrenzen, Begrenzung durch die Suturen 5 Mittellinienverlagerung 5 Hirnschwellung 5 Liquorstau 5 Kalottenfraktur Für ein MRT besteht keine Indikation. Subdurales Hämatom, chronisch subdurales Hämatom Ursache ist meist eine venöse Blutung. Typische Befunde: 4 CT 5 Hyperdense, konkav sichelförmig dem Gehirn aufliegende Raumforderung (. Abb. 10.87) 5 Überschreitung der Schädelnahtgrenzen 5 Mittellinienverlagerung 5 Hirnschwellung 5 Liquorabflussbehinderung 4 MRT 5 In der Akutdiagnostik dem CT unterlegen 5 Sinnvoll zur Bestimmung des Alters der Blutung Subarachnoidale Blutung Typische Befunde: 4 CT 5 Streifige Hyperdensitäten in den Sulci, am häufigsten parietal 5 Keine Mittellinienverlagerung
. Abb. 10.87. Subdurales Hämatom
4 MRT 5 Hyperintensitäten in den Sulci bei T2- und Flair-Wichtung (»fluid attenuated inversion recovery«, ermöglicht die Differenzierung von freier und gewebsgebundener Flüssigkeit) 5 Blutnachweis in den basalen Zisternen Hirnkontusion Typische Befunde: 4 CT 5 Anfangs hypodense, später hyperdense Raumforderung mit hypodensem Radsaum (perifokales Ödem) (. Abb. 10.88) 5 Hirnschwellung mit Verstreichung der Sulci 5 Mittellinienverlagerung
341 10.1 · Bildgebende Verfahren
. Abb. 10.88. Contusio cerebri
. Abb. 10.89. Meningeom im Kleinhirn (rechts)
5 Coup (am Ort des Traumas) und Contrecoup (gegenüberliegende Seite der Schädelkalotte) 5 Einengung der inneren Liquorräume mit Liquorstau 4 MRT 5 Sehr empfindlich für ältere Blutungen (typische sog. Suszeptibilitätsartefakte bei T2-Wichtung aufgrund der Hämoglobinabbauprodukte)
4 MRT 5 Zystische inhomogene Raumforderung 5 Inhomogene Kontrastmittelaufnahme
Tumoren Hypophysenadenom Typische Befunde: 4 CT 5 Selläre isodense Rauforderung 5 Anhebung der basalen Hirnstrukturen 5 Pelottierung des Sinus sphenoidalis 4 MRT 5 Inhomogenes MR-Signal 5 Verlagerung des Hypophysenstiels 5 Kontakt zum Chiasma opticum Kraniopharyngeom Typische Befunde: 4 CT 5 Selläre isodense bis hypodense zystische Rauforderung 5 Bei Kindern und Jugendlichen häufig Verkalkungen, bei Erwachsenen selten
10
Meningeom Typische Befunde: 4 CT 5 Nativ isodenser Tumor 5 Teils Binnenverkalkungen, teils vollständig verkalkt 5 Kräftige homogene Kontrastmittelaufnahme (viele Blutgefäße, d. h. Möglichkeit der Embolisation) 4 MRT 5 Nativ isointenser Tumor 5 Suszeptibiliätätsartefakte bedingt durch Kalk 5 Kräftige homogene Kontrastmittelaufnahme (. Abb. 10.89) 5 Breitbasige Lage und sog. füßchenartige Anheftungen an der Kalotte/den Hirnhäuten Gliom Typische Befunde: 4 CT 5 Hypodense Raumforderung mit Umgebungsödem 5 Seitenventrikelverlagerung
342
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.90. Vestibularisschwannom im Bereich von Kleinhirn brückenwinkel und innerem Gehörgang (axiliaves kontrastmittel-verstärktes T1w-MRF-Bild)
10
5 Liquorabflussbehinderung 5 Teilweise Einblutungen 4 MRT 5 Zystische hypointense und solide iso- bis hyperintense Anteile 5 Randständige deutliche Kontrastmittelaufnahme 5 Umgebungsödem Akustikusschwannom, Akustikusneurinom Typische Befunde: 4 CT 5 Aufweitung des inneren Gehörgangs 5 Kontrastmittelaufnahme im Kleinhirnbrückenwinkel 4 MRT (koronare Schichtführung) 5 Nativ isointenser Tumor 5 Deutlich Kontrastmittel-anreichernde Raumforderug im Kleinhirnbrückenwinkel/Labyrinth 5 Teilweise Suszeptibiliätätsartefakte bedingt durch Einblutungen (. Abb. 10.90) Diagnostische Methode der Wahl ist: 4 MRT Astrozytom Typische Befunde: 4 CT 5 Hypodense Raumforderung 5 Perifokales Ödem 5 Keine Kontrastmittelaufnahme 4 MRT 5 Inhomogene Raumforderung (unterschiedliche Tumoranteile) (. Abb. 10.91) 5 Keine Kontrastmittelaufnahme
. Abb. 10.91. Ausgedehntes Astrozytom im Pedunculus cerebelli
Glioblastom Typische Befunde: 4 CT 5 Hypodense Raumforderung mit Umgebungsödem 5 Seitenventrikelverlagerung 5 Liquorabflussbehinderung 5 Teilweise Einblutungen 4 MRT 5 Hypointense und solide iso- bis hyperintense Anteile 5 Randständige deutliche Kontrastmittelaufnahme (. Abb. 10.92) 5 Deutliches Umgebungsödem, teilweise mit Mittellinienüberschreitung (Infiltration des Ventrikelsystems) 5 Kontakt zu den Hirnhäuten (Infiltration) Metastasen Typische Befunde: 4 CT 5 Mehrere Raumforderungen unterschiedlicher Lokalisation (. Abb. 10.93) 5 Einblutungen 5 Perifokales Ödem 5 Knochenmetastasen
343 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
. Abb. 10.92. Glioblastom mit typischem ringförmigem Enhancement nach Kontrastmittelgabe
. Abb. 10.93. Multiple Hirnmetastasen
. Abb. 10.94. Mediainfarkt
4 MRT 5 Lage bevorzugt an der Mark-Rinden-Grenze 5 Deutliche Kontrastmittelaufnahme 5 Variables MR-Signal, abhängig vom Primärtumor 5 Teilweise zentrale Nekrosen
5 Verstreichen der Hirnfurchen 5 Vedichtete Arteria cerebri media 4 MRT 5 Hypointenses Areal 5 Perfusionsstörung, sichtbar in speziellen diffusionsgewichteten MRT-Sequenzen 5 Perifokales Ödem 5 Keine Flussauslöschung im betroffenen Gefäß 5 Verminderte Mark-Rinden-Differenzierbarkeit
Schlaganfall Typische Befunde: 4 CT 5 Hypodenses Areal (bei Mediainfarkt, . Abb. 10.94)
344
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
Atrophie Multiple Sklerose Typische Befunde: 4 CT 5 Bei ausgeprägten Befunden hypodense MSPlaques 5 Kontrastmittelaufnahme 4 MRT (sagittale Schichtführung) 5 Punkt- bis streifenförmige Hyperintensitäten im Balken (hakenkammförmig) 5 Fleckige Hyperintensitäten periventrikulär sowie in Hirnstamm und Kleinhirn 5 Hypointense Demyelinisierungen 5 Kontrastmittelaufnahme als Zeichen einer Schrankenstörung Diagnostische Methode der Wahl ist: 4 MRT
10
Morbus Alzheimer Typische Befunde: 4 MRT 5 Volumenminderung des Temporallappens insbesondere des Hippocampus Morbus Wilson Typische Befunde: 4 CT 5 Hypodenser Nucleus caudatus 5 Hyperdenses Putamen (Metallablagerungen) 4 MRT 5 Hyperintensitäten bei T2-Wichtung und Hypointensitäten bei T1-Wichtung u. a. in Nucleus caudatus, Putamen, Nucleus ruber und Pallidum
5 Hypodense Raumforderung 5 Kontrastmittelaufnahme 5 Multiple teils ringförmige, teils knotenförmige Verkalkungen 4 MRT 5 Hyperintensitäten bei T2-Wichtung und Hypo- bis Isointensitäten bei T1-Wichtung in Basalganglien, subkortikalem Marklager und Hirnrinde 5 Ringförmige Kontrastmittelaufnahme (zentrale Nekrose) 5 Teilweise Ödem Neurotuberkulose Typische Befunde: 4 MRT 5 Meningeale und/oder parenchymale bei T2Wichtung hypo- bis isointense und bei T1Wichtung isointense Läsionen mit homogener Kontrastmittelaufnahme 5 Hirnödem Herpesenzephalitis Typische Befunde: 4 MRT 5 Hyperintensitäten bei T2-Wichtung im Temporallappen (. Abb. 10.95) 5 Girlandenförmige Kontrastmittelaufnahme 5 Einblutungen an der Mark-Rinden-Grenze
Morbus Pick Typische Befunde: 4 CT/MRT 5 Frontotemporale Hirnsubstanzminderung, insbesondere des ersten 1/3 des Gyrus frontalis superior Infektionen Creutzfeldt-Jacob-Krankheit Typische Befunde: 4 MRT 5 Hyperintensitäten bei T2-Wichtung und bei Flair-Wichtung im Striatum und im Thalamus Toxoplasmose Typische Befunde: 4 CT
. Abb. 10.95. Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis
345 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
Entzündungen Hirnabszess Typische Befunde: 4 MRT 5 Zentrale Hyperintensitäten bei T2-Wichtung 5 ringförmige Kontrastmittelaufnahme (. Abb. 10.96) 5 Kapsel 5 Satellitenherde 5 Perifokales Ödem Meningitis Typische Befunde: 4 CT 5 Teilweise Hyperdensitäten in den basalen Zisternen (Pus) 4 MRT 5 Vermehre Kontrastmittelanreicherung der Meningen 5 Hyperintensitäten subdural/subarachnoidal (Eiter)
. Abb. 10.96. Hirnabszess temporal
In Kürze Bildgebende Diagnsotik des Gehirns Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Epidurales Hämatom
CT
Subdurales Hämatom/chronisches subdurales Hämatom
CT
MRT
Subarachnoidale Blutung
CT
MRT
Hirnkontusion
CT/MRT
Hypophysenadenom
MRT
CT
Kraniopharyngeom
MRT
CT
Meningeom
MRT/CT
Gliom
MRT
CT
Akustikusschwannom/-neurinom
MRT
CT
Astrozytom
MRT
CT
Glioblastom
MRT
CT
Metastasen
MRT
CT
Schlaganfall
MRT
CT
Multiple Sklerose
MRT
CT
6
Methode der 2. Wahl
346
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
Morbus Alzheimer
MRT
Morbus Wilson
MRT
CT
Morbus Pick
MRT
CT
Creutzfeldt-Jacob-Krankheit
MRT
Toxoplasmose
MRT
CT
Neurotuberkulose
MRT
CT
Herpesenzephalitis
MRT
CT
Hirnabszess
MRT
CT
Meningitis
MRT
CT
10.1.2.19 Mamma Zur Beurteilung der Dichte des Brustdrüsenparenchyms in der Mammographie sowie zur Einschätzung der Dignität einer Läsion . Tab. 10.5, . Tab. 10.6.
10 . Tab. 10.5. Einteilung des Brustdrüsenparenchyms für die Mammographie ACR
Befund
Diagnostische Sicherheit
Typ I
Lipomatös
Sehr hoch
Typ II
Fibroglandulär
Hoch
Typ III
Inhomogen dicht
Eingeschränkt
Typ IV
Extrem dicht
Limitiert
ACR = American College of Radiology, Reston, VA
Zyste Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Glatt begrenzter Herd 4 Sonographie (. Abb. 10.97) 5 Echofreie Läsion 5 Glatte Randkonturen 5 Deutliche dorsale Schallverstärkung 4 MRT 5 Bei T2-Wichtung hyperintense, scharf abgrenzbarer Herd 5 Keine Kontrastmittelanreicherung Fibroadenom Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Glatt begrenzter Herd mit homogener Binnentextur
. Tab. 10.6. Einteilung zur Einschätzung der Dignität einer Läsion und Procedere BI-RADS
Befund
Procedere
Karzinomwahrscheinlichkeit
1
Kein Befund, weder benigne noch maligne
Keine Kontrolle
0%
2
Sicher benigner Befund
Keine Kontrolle
0%
3
Wahrscheinlich benigner Befund
Kontrolle
1–2%
4
Unklarer, wahrscheinlich maligner Befund
Biopsie
20–30%
5
Malignomtypischer Befund
Therapie
Etwa 90%
BI-RADS = Breast Imaging Reporting and Data System, 2003
347 10.1 · Bildgebende Verfahren
. Abb. 10.97. Mehrere typische Zysten
. Abb. 10.98. Fibroadenom
4 Sonographie (. Abb. 10.98) 5 Glatt begrenzter Herd mit homogenem Binnenecho 5 Echoarm mit geringer dorsaler Schallverstärkung 5 Unauffälliges Umgebungsgewebe Lipom Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Fettäquivalenter ovaler Herd 5 Scharfe Randbegrenzung bei dünner Kapsel (. Abb. 10.99) 4 Sonographie 5 Homogener ovaler Herd 5 Unauffällige Umgebung 5 Keine dorsale Schallverstärkung Plasmazellmastitis Typische Befunde: 4 Röntgen 5 Lanzetten- bzw. lanzenspitzenartige Verkalkungen (. Abb. 10.100) 4 Sonographie 5 Kein Befund Mammakarzinom Klinische Zeichen sind: 4 Tastbare Verhärtung 4 Mamma-Assymmetrie 4 Kutisverdickung 4 Retraktion 4 Lokalisierte Schmerzen
. Abb. 10.99. Lipom
Unterschieden werden: 4 Duktal 4 Lobulär 4 Papillär 4 Medullär 4 Muzinös 4 Tubulär 4 Inflammatorisch 4 Mischfomen
10
348
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.100. Typische Verkalkungen bei Zustand nach Plasmazellmastitis
10
. Abb. 10.101. Duktales Mammakarzinom (knollig wachsend), nebenbefundlich verkalktes Fibroadenom
Typische Befunde: 4 Mammographie 5 Polymorpher gruppierter Mikrokalk, regional oder diffus angeordnet 5 Weichgewebsherd mit irregulärer Begrenzung (. Abb. 10.101) 4 Sonographie (. Abb. 10.102) 5 Irregulärer Herd 5 Dorsale Schallauslöschung 5 Unterbrechung umgebender Strukturen 4 MRT 5 Irregulär begrenzter Herd (. Abb. 10.103) 5 Kräftige initale Kontrastmittelanreicherung in der Kontrastmitteldynamik mit Plateau/ Wash-out . Abb. 10.102. Mammkarzinom sonograpisch (vermehrte Echongenität im das echoarme Zentrum, Schallschatten)
. Abb. 10.103. Kontrastmittelanreicherndes Mammakarzinom in der MRT
349 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
In Kürze Bildgebende Diagnostik der Mamma Krankheitsbild
Methode der 1. Wahl
Methode der 2. Wahl
Zyste
Sonographie
MRT
Fibroadenom
Mammogaphie + Sonographie
MRt
Lipom
Mammogaphie + Sonographie
Karzinom
Mammogaphie + Sonographie
10.1.3
Interventionelle Verfahren
10.1.3.1
Bildgesteuerte Punktion
Definition. Gezieltes Anstechen von Organen oder Ge-
fäßen mittels einer Kanüle (Hohlnadel) zur Entnahme von Körperflüssigkeit oder Gewebe (Biopsie). Bildgebende Verfahren: 4 Ultraschall (Sonographie) 4 Röntgen 4 Computertomographie Anwendungsgebiete sind: 4 Knochenmarkpunktion 4 Hämarthros Punktion nach Sportverletzungen 4 Ovarialzystenpunktion 4 Leberpunktion 4 Lumbalpunktion (Liquorpunktion) 4 Pleurapunktion 10.1.3.2
Spülung
Definition. Antientzündliche Behandlung infizierter
Hohlorgane. Anwendungsbereiche sind: 4 Intraperitoneale Spülung bei bakterieller Peritonitis mit Antibiotika 4 Nasennebenhöhlenspülung bei chronischer Sinusitis 4 Arthroskopische Spülung zur Behandlung infizierter Gelenke 4 Spinale Empyeme Mögliche Kontraindikationen: 4 Lebensbedrohender Infekt 4 Phlegmonöse Ausbreitung. 10.1.3.3
Drainage Definition. Ableitung krankhafter oder vermehrter natürlicher Körperflüssigkeiten aus dem Körper.
MRT
Anwendungsgebiete sind: 4 Ableitung von Wundflüssigkeiten aus dem Bauchraum nach Operationen (Redon-Drainage) 4 Ableitungsdrainage bei Abszessen mit intermittierenden Spülungen (Abszess-Drainage) 4 Ableitungsdrainage von Luft oder Flüssigkeit aus der Pleurahöhle (Bülau-Drainage) 4 Ableitungsdrainage von Peritonealabszessen (SpülSaug-Drainage) 10.1.3.4
Ablation
Definition. Operative Verödung bzw. Zerstörung von
Körpergewebe. Anwendungsverfahren sind: 4 Hochfrequenz-Wechselstrom bei Herzrhythmusstörungen 4 HIFU-Ablation bei Prostatakarzinom (HIFU = hochenergetischer fokussierter Ultraschall) 4 Thermoablation bei Leberkrebs 4 Laserinduzierte Thermoablation bei Lungentumoren (. Abb. 10.104) 4 Perkutane Radiofrequenzablation von Nierenkarzinomen 10.1.3.5 Zugänge Intravenöser Zugang Materialen: 4 Braunüle (Verweilkanüle) 4 Butterfly Zweck: 4 Blutentnahme 4 Intravenöse Gabe von Medikamenten Mögliche Komplikationen: 4 Pflasterallergie 4 Haut- und Gewebsnekrose bei paravenöser Instillation
350
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
! Cave In der Regel werden keine Medikamente über einen arteriellen Zugang appliziert. Ausnahmen sind z. B. Reanimation, Koronarangiographie und Intensivbehandlung.
10.1.3.6 Katheter Materialen: 4 Latex 4 Kunststoff 4 Silikon 4 Glas 4 Metall
. Abb. 10.104. Laserinduzierte Thermotherapie einer Lungenmetastase
4 Lokale Thrombophlebitis 4 Sepsis
10
Arterieller Zugang Zweck: 4 Intravasale Blutdruckmessung 4 Entnahme von arteriellem Blut Mögliche Komplikationen: 4 Ausbildung eines Aneurysma spurium bei arterieller Punktion 4 Luftembolie 4 Sepsis
Katheter werden zur Untersuchung oder Therapie von Hohlorganen wie kardiovaskuläres System, Urogenitaltraktes, Magen-Darm-Traktes verwandt: 4 Seldinger-Katheter 4 Zentralvenenkatheter 4 Blasenkatheter 4 Peritonealkatheter 4 Pulmonaliskatheter 10.1.3.7
Rekanalisation
Definition. Wiederherstellung der Durchgängigkeit ei-
nes obliterierten Hohlorgans bzw. eines verschlossenen Gefäßes. Anwendungsgebiete sind: 4 Angioplastie/Thrombarteriektomie bei Blutgefäßen 4 Eileiterrekanalisation durch Stenosenresektion und End-zu-End-Anastomose der Schleimhaut 4 Samenleiterrekanalisation durch Epididymo-Vasostomie
. Abb. 10.105. 3D-Rekonstruktion einer Kalkaneustrümmerfraktur vor (links) und nach (rechts) plattenosteosynthetischer Versorgung und Wiederherstellung des Tubergelenkwinkels
351 10.1 · Bildgebende Verfahren
10.1.3.8
Dreidimensionale Rekonstruktion (3D-Rekonstruktion) Definition. Darstellung einzelner Organsysteme bzw. Organe als plastische Bilder (. Abb. 10.105). Verglichen mit Schnittbildern werden krankhafte Veränderungen so wesentlich anschaulicher dargestellt. Zur Herstellung von dreidimensionalen Ansichten ist eine spezielle Untersuchungstechnik nötig, die multiplanaren Reformationen (MPR) und die MaximumIntensitäts-Projektion (MIP). 10.1.3.9
Perkutane transluminale Angioplastie (PTA) Definition. Interventionelles transluminales Verfahren zur Aufdehnung oder Rekanalisation von verengten oder verschlossenen Blutgefäßen mittels Ballondilatation, Laser oder Thrombektomiekatheter (. Abb. 10.106). Mögliche Komplikationen: 4 Kontrastmittelallergie 4 Infektionen (Sepsis, Endokarditis) 4 Blutung 4 Gefäßperforation
a
4 Thrombose, Embolie 4 Teilweiser oder vollständiger Verlust der behandelten Extremität bis hin zur Amputation 10.1.3.10 Stent Definition. Implantierter Drahtgeflechtzylinder, der
mittels Gefäßschienung Hohlräume offen hält wie z. B. Arterien (. Abb. 10.107), Venen, das Gallengangssystem, den Ösophagus oder die Trachea. Stent-Graft ist ein Drahtgittergeflecht, das zusätzlich mit einem Gewebe ausgekleidet ist, z. B. Gore-Tex. Anwendungsverfahren in der Kardiologie: 4 Schwach radioaktive Stents 4 Mit Medikamenten beschichtete Stents 4 Mit Antikörpern beschichtete Stents, die durch die Beschichtung vermehrt Endothelzellen anlagern und einwachsen lassen 10.1.3.11 Lyse Definition. Auflösung eines Blutgerinnsels mittels Gabe
von blutgerinnungsauflösend und -hemmenden Medikamenten.
b
. Abb. 10.106 a,b. 2,5 cm langer Verschluss der A. femoralis superficialis rechts (a), nach Rekanalisation erfolgreiche Stentimplantation (b)
10
. Abb. 10.107. Karotis-Stent
352
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.108. Partieller A.-cerebri-media-Verschluss, der rekanalisiert werden konnte
4 4 4 4 4
10
Anwendungsbereiche sind: Ischämischer Hirninfarkt (. Abb. 10.108) Akuter Herzinfarkt Ischämie der unteren Extremität Lungenembolie Stenosen und Verschlüsse der supraaortalen Gefäße
10.1.3.12 Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Stent-Shunt (TIPSS) Definition. Anlage zur Behandlung des Endstadiums der Leberzirrhose bei Pfortaderhochdruck (. Abb. 10.109). Indikationen sind: 4 Chronisch rezidivierende nicht mittels endoskopischer Sklerosetherapie beherrschbare Varizenblutung 4 Massive konservativ nicht therapierbare Aszitesbildung im Abdomen 4 Manifestes hepatorenales Syndrom Mögliche Kontraindikationen: 4 Tumoröse Infiltrationen der großen Lebergefäße 4 Akute Rechtsherzinsuffizienz mit erhöhtem rechtsventrikulärem Druck 4 Hepatische Enzephalopathie in den klinischen Stadien 3 bis 4 4 Akutes oder subakutes Leberversagen 4 Septische Krankheitsbilder 10.1.3.13 Coiling Definition. Interventionelles Verfahren zur Behand-
lung von Hirngefäßaneurysmen mittels einer Platinspirale. Zweck des Coiling ist das Ausstopfen und Abdichten des Aneurysmas mit Beseitigung des Blutungsrisikos einer Subarachnoidalblutung (SAB, . Abb. 10.110)
. Abb. 10.109. Reintervention eines intrahepatischen Stentshunt (TIPSS) mit intraluminalem Endograft nach Stenose
4 4 4 4 4 4 4 4 4
Mögliche Komplikationen: Gefäßverschluss des Trägers Aneurysmaperforation Thromboembolie Ruptur und Dislokation von Spiralen Rezidivblutung Arterielle Dissektion Gefäßspasmen Coil-Migration Coil-Ruptur
353 10.1 · Bildgebende Verfahren
10
. Abb. 10.111. Superselektive Chemoembolisierung des Lebertumors über den liegenden Katheder
. Abb. 10.110. Vollständig gecoiltes Basilariskopfaneurysma, regulär perfundierte A. basilaris, A. cerebelli posterior inferior und A. cerebelli superior
10.1.3.14 Chemoembolisation Definition. Kombination der Gabe eines Chemotherapeutikums mit gleichzeitiger gezielter vorübergehender Embolie von Arterien (. Abb. 10.111). Das Verfahren wird zur Behandlung hepatozellulärer Karzinome und Lebermetastasen verwandt, da Lebermalignome nahezu ausschließlich arteriell versorgt werden, während das Leberparenchym portalvenös versorgt wird Zweck: 4 Hypoxie (Abzuschneiden des Tumors von der Sauerstoffversorgung) 4 Längere Wirkungszeit für das Chemotherapeutikum (hohe Zytostatikakonzentration) Zur Gefäßembolie werden verwandt: 4 Lipidschäume 4 Gelschäume 4 Alkoholschäume 4 Acylate 4 Kollagen Als Zytostatika werden eingesetzt: 4 Fluorouracil 4 Mitomycin
4 Cisplatin 4 Doxorubicin 4 Epirubicin Mögliche Nebenwirkungen: 4 Brennender Oberbauchschmerz 4 Übelkeit 4 Erbrechen 4 Fieber 4 Erhöhung der Leberwerte im Labor Mögliche Komplikationen: 4 Leberinfarkt 4 Tumorruptur 4 Leberabszess 4 Leberversagen 4 Cholezystitis 4 Gastrointestinale Blutungen 4 Pankreatitis 10.1.3.15 Portimplantation Definition. Operativer Einbau eines kleinen Behälters mit Reservoirkammer meist subkutan pektoral. Eine Membran dient als Infektionsbarriere. Der Schlauch führt über eine oberflächliche Vene (meist die V. cephalica) zur V. cava superior. Somit besteht die Möglichkeit der perkutanen Befüllung. Indikationen sind: 4 Chemotherapie 4 Längerfristige parenterale Ernährung
354
10
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.112a–c. Vertebroplastie bei höhergradiger osteoporotischer Wirbelkörperfraktur. a Einführen der Kanüle. b Ab-
setzen des Knochenzements. c Kontrolle des Ergebnisses in sagittaler CT-Rekonstruktion
10.1.3.16 Vertebroplastie Definition. Stabilisierung eines zusammengebrochenen bzw. zerstörten Wirbelkörpers durch Einspritzung von Knochenzement. Der Eingriff erfolgt bei der perkutanen Vertebroplastie über einen Zugang durch die Haut und wird mit Hilfe bildgebender Verfahren, wie z. B. der CT unter Röntgendurchleuchtung kontrolliert gesteuert (. Abb. 10.112). Indikationen sind: 4 Schmerzhafte, osteoporotische Fraktur mit erfolglosem konservativem Therapieversuch 4 Schmerzhafte, nichtosteoporotische, akut traumatische Fraktur, die nicht operativ behandelt werden muss 4 Schmerzhafte Osteolyse bei malignen oder benignen Tumoren (Hämangiome, multiples Myelom, Metastase) 4 Adjuvante peri-/intraoperative Stabilisierung durch Vertebroplastie im Rahmen operativ stabilisierender Maßnahmen
4 Tumorausdehnung in den Epiduralraum mit Spinalkanaleinengung 4 Behandlung von mehr als 3 Wirbelkörperhöhen in einer Sitzung 4 Manifeste bakterielle Infektion des Patienten 4 Osteoplastische Metastasen 4 Bekannte Allergie gegenüber einer der für die Prozedur notwendigen Komponenten
Relative Kontraindikationen sind: 4 Patienten unter 60 Jahren 4 Vorwölbung bzw. ein partieller oder gar kompletter Verlust der Wirbelkörperhinterkante (bedarf der besonderen interdisziplinären Evaluation) 4 Radikuläre Symptomatik in dem zu therapierenden Segment, außer im Zusammenhang mit dekomprimierenden Maßnahmen
Als absolute Kontraindikationen gelten: 4 Asymptomatische, stabile Wirbelkörperfraktur 4 Prophylaktische Vertebroplastie 4 Therapierefraktäre Koagulopathie oder hämorrhagische Diathese 10.1.3.17 Periradikuläre Injektionstherapie (PRT) Definition. Applikation von Medikamenten unter CTSichtkontrolle an die irritierte Nervenwurzel im Rahmen einer Schmerztherapie. Dies bewirkt eine Schmerzblockade und Abschwellen des Nerven. Bei der Mehrzahl der Patienten ist nach wiederholten Behandlungen wird eine deutliche Beschwerdelinderung erreicht. Mögliche Komplikationen: 4 Kleiner Bluterguss/Blutung im Bereich des Nadeleinstichs 4 Lokale Entzündung 4 Medikamentennebenwirkungen 4 Kopfschmerzen
355 10.2 · Strahlenbehandlung
10
In Kürze Interventionelle Verfahren Verfahren
Technik
Typisches Anwendungsgebiet
Bildgesteuerte Punktion
Sonographie, Röntgen, CT
Leberpunktion
Spülung
Operativ
Bakterielle Peritonitis
Drainage
Sonographie, Röntgen, CT
Bauchhöhlenabszess
Ablation
CT, Sonographie
Lebermetastasen
perkutane transluminale Angioplastie
Angiographie
Arterielle Stenose der unteren Extremität
Stent
Angiographie
Koronarstenose
Lyse
Angiographie
Schlaganfall
TIPSS
Angiographie
Pfortaderhochdruck
Coiling
Angiographie
Hirnarteirenaneurysma
Chemoembolisation
CT, Angiographie
Lebertumore
PRT
CT
Radikuläres Nervenreizsyndrom
Vertebroplastie
Röntgen, CT
Schmerzhafte osteoporotische Wirbelkörpersinterungsfraktur
10.2
Strahlenbehandlung
10.2.2 Strahlensensibilität der Zellen
und Organe 10.2.1 Grundlagen der Strahlenbiologie Die Strahlenbiologie befasst sich mit der Wirkung ionisierender und nicht-ionisierender Strahlung auf den Organismus. Unterschieden werden 3 Phasen: 4 Physikalische Phase: Interaktionen der Strahlung mit dem jeweiligen Atom des bestrahlten Gewebes 4 Chemische Phase: Reaktion der angeregten Atome untereinander, Bildung von freien Radikalen, z. B. Wasserstoffperoxid 4 Biologische Phase: Enzymreaktionen, z. B. Reparatur von DNA-Schäden
Strahlensensibilität bezeichnet die Empfindlichkeit von Zellen gegenüber den Wirkungen radioaktiver Strahlung. Sich schnell teilende Zellen sind besonderes strahlenempfindlich. Gewebe mit einer niedrigen Teilungsrate sind weniger strahlensensibel (. Tab. 10.7). 10.2.3 Strahlenschäden Strahlung bewirkt durch biochemische Vorgänge Veränderungen der DNA: 4 Verluste von DNA-Basen 4 Zerstörung von Sauerstoffbindungen 4 Einzelstrangbrüche 4 Doppelstrangbrüche 4 Zerstörung von Wasserstoffbrückenbindungen 4 Aufbruch von DNA-Protein-Vernetzungen
356
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Tab. 10.7 Strahlensensibiltät einzelner Organe
10
Organ
Kritische Dosis in Gray
Muskulatur
Etwa 50 Gray
Zentrales Nervensystem
Etwa 50 Gray
Lunge
Etwa 40 Gray
Parechymatöse Oberbauchorgane (Leber, Niere, Nebenniere, Pankreas)
Etwa 35–40 Gray
Haut
Etwa 8 Gray
Schleimhäute des Magen-Darm-Traktes
Etwa 4–40 Gray
Hoden, Ovarien
Etwa 1,8–2 Gray
Knochenmark
Etwa 1,0 Gray
Lymphatisches System (Milz, Thymus, Lymphknoten)
Etwa 0,5 Gray
Ein Teil dieser Schäden wird durch körpereigene Enzyme repariert, teilweise resultieren hieraus jedoch Punktmutationen, Genmutationen oder Chromosomenmutationen. 10.2.4
Prinzipien der Strahlentherapie
Unterschieden werden: 4 konventionelltherapie: perkutane Hochvolttherapie mit ultraharter Photonen- oder Elektronenstrahlung 4 Brachytherapie: (intrakavitär, sog. AfterloadingTherapie): Behandlung mit umschlossenen Radionukliden (intrakavitär), Einbringung von radioaktiven sog. Seeds in das Organ, sog. AfterloadingTherapie, z. B. bei Prostatakarzinom 10.2.4.1 Planung, Dosisverteilung Um möglichst nur das Tumorgewebe zu bestrahlen und um hier eine möglichst hohe Dosis zu erreichen sowie das umliegende gesunde Gewebe zu schonen, ist eine Planung mittels CT/MRT notwendig. Dies geschieht an einem hochleistungsfähigen Computer, der anschließend das Bestrahlungsfeld berechnet (. Abb. 10.113). Fraktionierte Bestrahlung Bei der Fraktionierung macht man sich die Eigenschaft von Tumorzellen zunutze, dass diese in der Regel eine
. Abb. 10.113. Bestrahlungsfeld für paraaortale Lymphknotenmetastasen (7 Farbtafelteil)
schlechtere Reparaturfähigkeit für DNA-Schäden als normale Zellen aufweisen. Hierbei wird die Gesamtdosis auf tägliche kleine Einzeldosen aufgeteilt. Damit kann die Gesamtdosis auf ein Vielfaches gesteigert werden; was ein einem deutlich verstärktem strahlentherapeutischem Effekt resultiert. Akzelerierte Bestrahlung Unter Akzelerierung versteht man die Aufteilung der Strahlenbehandlung auf mehrere Fraktionen pro Tag. Daraus resultiert eine bessere Chance auf Heilung, da man so der Selektion strahlenresistenter Zellpopulationen innerhalb des Tumors entgegenwirkt, insbesondere bei schnell wachsenden Tumoren. Jedoch führt die Behandlung auch zu verstärkten Nebenwirkungen am Normalgewebe. 10.2.4.2
Nebenwirkungen der Strahlentherapie Mögliche Nebenwirkungen sind: 4 Diarrhö 4 Dermatitis 4 Erythem 4 Leukopenie 4 Stomatitis und Pharyngitis 10.2.4.3 Strahlenresistenz von Tumoren Die Strahlenresistenz von Tumoren kann verschiedene Ursachen haben (. Tab. 10.8). 10.2.4.4
Komplikationen nach Radiatio, Radiochemotherapie Mögliche Komplikationen sind: 4 Myelosuppression 4 Alopezie 4 Nephrotoxizitä
357 10.3 · Strahlenschutz
10
. Tab. 10.8. Strahlenresistenz
4 4 4 4 4 4
Ursache
Therapeutische Abhilfe
Tumorvolumen
Operation, Chemotherapie, lokale Strahlenerhöhung, Gabe von medikamentösen Radiosensitizern, Hyperthermie (therapeutische Überwärmung führt zu höherer Empfindlichkeit gegenüber Strahlung)
Tumorhypoxie
Hyperbare Sauerstofftherapie: Bei Anwesenheit von Sauerstoff sind alle Gewebe doppelt bis dreifach strahlensensibler als in Anoxie (sog. Sauerstoffeffekt), deshalb nimmt in hypoxischem Tumorgewebe die Strahlenwirkung ab
Intrinsische Resistenz
Kombinierte Radio-Chemotherapie
Hepatotoxizität Kardiomyopathie Lungenfibrose Azoospermie/Ovarialinsuffizienz Phlebitiden Hautnekrosen
Die Therapie von Komplikationen beruht auf: 4 Stimulation der Granulopoese mit G-CSF 4 Expositionsprophylaxe zum Schutz vor Infektionen 4 Pflege von Katheter und intravenösem Zugang
sengewebe und von iodspeichernden Metastasen aufgenommen, die einen höheren Stoffwechsel haben und so das Jod vermehrt aufnehmen. Hier sendet das radioaktive Iod Betastrahlung aus, die zum Zelltod führt Die Reichweite der Betastrahlung im Gewebe beträgt nur wenige Millimeter, so dass die Therapie gezielt unter weitgehender Schonung des umliegenden gesunden Gewebes angewendet werden kann. Anwendungsgebiete sind: 4 Hyperthyreose 4 Schilddrüsenkarzinom
10.2.5 Anwendung bei benignen
10.3
Strahlenschutz
Erkrankungen, Schmerztherapie Auch bei benignen Erkrankungen und in der Schmerzbehandlung findet die Strahlentherapie Anwendung: 4 Schmerzhafte degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates wie der Fersensporn, die Periarthropathia humeroscapularis und Epicondylopathia humeri radialis 4 Behandlung der durch endokrine Orbitopathie resultierenden Protusio bulbi bei Morbus Basedow 4 Prophylaxe einer Gynäkomastie beim Mann vor Hormonbehandlung bei Prostatakarzinom. 4 Vermeidung periartikulären Verkalkungen nach Hüft-TEP 4 Behandlung hyperproliferativer Erkrankungen wie der Dupuytrenschen Kontraktur oder der Induratio penis plastica 10.2.6 Nuklearmedizinische
Radioiodtherapie Radioiodtherapie bezeichnet die Behandlung der Schilddrüse mittels eines radioaktiven Iodisotopes (131Iod). Das radioaktive Iod wird dabei vom Schilddrü-
Energiedosis 4 Auf die Materie übertragene Energie bzw. Masse der bestrahlten Materie 4 SI-Einheit: Gray (Gy), 1 Gy = 1 Joule/Kg, 1 Gy = 1000 mGy, 1 mGy = 1000 μGy Ionendosis 4 In Luft erzeugte elektrische Ladung bzw. Masse der bestrahlten Luft 4 SI-Einheit: Coulumb (C)/Kilogramm (kg), historische Einheit: Röntgen (R) Qualitiätsfaktor Q 4 Wichtungsfaktor zur Ermittlung der Äquivalentdosis 4 Berücksichtigt die Einflüsse der Strahlungsart und Strahlungsenergie auf die biologische Wirkung Äquivalentdosis 4 Äquivalentdosis = Qualitiätsfaktor × Gewebe – Energiedosis 4 SI-Einheit: Sievert (SV) = 1 Joule/Kg 6
358
Kapitel 10 · Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
Dosisleistung 4 Dosisleistung (Dosisrate, Strahlungspegel/-intensität) = Dosis/Zeit 4 Einheiten: Gy/s; Sv/s Aufenthaltszeit 4 Aufenthaltszeit = Dosis (μSv)/Dosisleistung (μSv/h) 4 Wichtiger Parameter zur Bestimmung der Strahlenexposition am Arbeitsplatz
10.3.1
Strahlenrisiko
Definition. Die Wahrscheinlichkeit, mit der eine be-
10
stimmte Bevölkerungsgruppe, die ionisierender oder anderer energiereicher Strahlung ausgesetzt wurde, an den Folgen dieser zusätzlichen Strahlenbelastung erkrankt oder stirbt. Krebserkrankungen sind die häufigste Folge einer überhöhten Strahlenexposition sowohl natürlichen als auch künstlichen Ursprungs. Natürliche Strahlenexposition: 4 Kosmische Strahlung 4 Höhenstrahlung/Terrestrische Strahlung 4 Natürliche Radioaktivität (z. B. Kalium 40K) 4 Radioaktive Gesteine 4 Radon (radioaktives Edelgas) 4 Nahrungsaufnahme natürlicher radioaktiver Stoffe Strahlenexposition durch künstliche Quellen: 4 Röntgendiagnostik (Röntgen, CT) 4 Nuklearmedizin 4 Ableitung radioaktiver Stoffe aus kerntechnischen Anlagen (innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte)
4 4 4 4
Gesetzlich geregelt werden u. a.: Einsatz von Röntgenanlagen Qualitätssicherung Qualitätsanforderungen Fachkunde im Strahlenschutz (5 Jahre gültig)
10.3.2
Strahlenschutz in der Medizin
10.3.2.1 Strahlenschutz für den Patienten Folgende Maßnahmen dienen dem Schutz des Patienten vor Strahlen: 4 Kritische Indikationsstellung, ggf. alternative Untersuchungsmethoden (Sonographie/MRT) 4 Patientenlagerung 4 Einblendung und Zentrierung des Röntgenstrahls 4 Verwendung neuer Röntgenfolien 5 Erhöhte Röntgenstrahlenabsorption 5 Verbesserter Wirkungsgrad 5 Vergleichbare Auflösung bei niedriger Dosis 5 Verkürzte Belichtungszeit 5 Erhöhter Bildkontrast 4 Streustrahlenraster 4 Gonadenschutz 10.3.2.2 Strahlenschutz für das Personal Zum Schutz des Personals vor Strahlen sollte beachtet werden: 4 Größtmöglicher Abstand 4 Abschirmung 4 Kürzestmöglicher Aufenthalt 4 Rechtfertigung der Strahlenanwendung 4 Schutzbekleidung > Die 4A-Grundregel des Stahlenschutzes: Abstand, Abschirmung, Aufenthalt, Anwendung
Besonderheiten bei Schwangeren, im Kindesalter
Der Jahresgrenzwert der effektiven Dosis liegt bei 20 mSv/Jahr. Die Organdosis (Dosis ab der Schäden an bestimmten Organen zu erwarten sind) liegt in der Summe bei: 4 150 mSv für Augenlinse, innere Organe 4 500 mSv für Haut, Hände, Füße 4 50 mSv für Keindrüsen, Gebärmutter, Knochenmark 4 300 mSv für Schilddrüse
10.3.3
Die Deutsche Röntgenverordnung regelt gesetzlich den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen und wurde zuletzt novelliert am 30.4.2003. Ziel ist es jede unnötige Strahlenexposition für Mensch und Umwelt zu vermeiden.
> 4 Grenzwert für Schwangere (Fetaldosis, Uterusdosis) = 2 mSv/Monat 4 Grenzwert für Jugendliche unter 18 Jahren: 1 mSv/Jahr
Vor der Anwendung von Röntgenstrahlung müssen immer alternative Untersuchungsverfahren geprüft werden: 4 Sonographie 4 MRT, ggf. bei Kindern unter Sedierung/Anösthesie wegen der langen Untersuchungsdauer
359 10.3 · Strahlenschutz
In Kürze Wichtige physikalische Einheiten Physikalische Größe:
SI-Einheit
Energiedosis
Gray (Gy)
Ionendosis
Coulumb (C)/Kilogramm (kg)
Äquivalentdosis
Sievert (SV)
4 Jahresgrenzwert der effektiven Dosis: 20 mSv/Jahr 4 4A-Grundregel des Stahlenschutzes: Abstand, Abschirmung, Aufenthalt, Anwendung
10
11 Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren N. Paquet, U. Fetzner
11.1 Rehabilitation
–362
11.1.1 Allgemeines –362 11.1.2 Spezielle Verfahren –365
11.2 Physikalische Medizin
–369
11.2.1 Allgemeines –369 11.2.2 Spezielle Therapie –371
11.3 Naturheilverfahren
–378
11.3.1 Allgemeines –378 11.3.2 Spezielle Verfahren –380
362
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
Aufgrund der in den letzten Jahren durchgeführten Gesundheits- und Arbeitsmarktreformen ist die Rehabilitation nach wie vor von herausragender Bedeutung, um Patienten möglichst rasch wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren. Gerade die Physikalische Medizin hilft mit ihren Therapieangeboten, dieses Ziel zu effizient zu erreichen. Wegen der großen Nachfrage seitens der Patienten sollte jeder Arzt über Grundkenntnisse der Naturheilverfahren verfügen. 11.1
Rehabilitation
11.1.1 Allgemeines Unter Rehabilitation (lat. rehabilitatio: Wiederherstellung) versteht man im Gesundheitswesen alle Maßnahmen, die eine Wiedereingliederung des Patienten in Familie, Gesellschaft und Berufsleben zum Ziel haben. Diese Maßnahmen sollen es dem Patienten ermöglichen, besser mit krankheitsbedingten Problemen fertig zu werden. Unterschieden werden soziale, berufliche und medizinische Rehabilitation.
11
Berufliche Rehabilitation Ziel der beruflichen Rehabilitation ist die Erhaltung, Besserung, Herstellung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Patienten entsprechend seiner Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung von Eignung, Neigung und bisheriger Tätigkeit. Die schulische bzw. berufliche Rehabilitation umfasst alle Maßnahmen, die bei Kindern und Jugendlichen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht oder einer weiterführenden Schule üblicherweise erreichbare Bildung ermöglichen. Bei Erwachsenen sind dies: 4 Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme sowie Eingliederungshilfen an Arbeitgeber 4 Berufsfindung und Arbeitserprobung 4 Berufsvorbereitung 4 Berufliche Anpassung 4 Fortbildung, Ausbildung und Umschulung einschließlich eines zur Teilnahme an diesen Maßnahmen erforderlichen schulischen Abschlusses 4 Sonstige Hilfen der Arbeits- und Berufsförderung, um Patienten eine angemessene und geeignete Erwerbs- und Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder in einer Werkstatt für Behinderte zu ermöglichen Berufliche Rehabilitation kann als Bestandteil der medizinisch-beruflichen Rehabilitation (Krankengym-
nastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie, Beschäftigungstherapie, Belastungserprobung und Arbeitstherapie) in den Einrichtungen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation, zwischen der Akutbehandlung und Erstversorgung und der beruflichen Rehabilitation, erfolgen oder bei Berufsbildungswerken bzw. Berufsförderungswerken. Medizinische Rehabilitation Die medizinische Rehabilitation ist eine spezielle Behandlungsform (ambulant oder stationär), bei der die Verbesserung des Krankheitsmanagements und damit der Langzeitverlauf der chronischen Krankheit im Vordergrund steht (im Gegensatz zur Akutkrankenhausbehandlung). Ziel der medizinischen Rehabilitation ist die Ausheilung der Erkrankung bzw. der Unfallfolge, die optimale Wiederherstellung der Gesundheit sowie die Vermeidung oder Milderung von Pflegebedürftigkeit. Zu den Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, bei Krankheiten mit der Akutbehandlung beginnend, zählen u. a. 4 die ärztliche Behandlung, 4 Arzneimittel, 4 Heilmittel einschließlich Krankengymnastik und Ergotherapie, 4 orthopädische und andere Hilfsmittel, 4 Belastungserprobung und Arbeitstherapie. Stationäre Rehabilitation. Medizinische Reha-Maß-
nahmen können stationär in Krankenhäusern, Kurund Spezialeinrichtungen durchgeführt werden. Die Maßnahme dauert in der Regel 3 Wochen und kann nach 4 Jahren wiederholt werden. In medizinisch dringend erforderlichen Fällen sind eine Verlängerung der Maßnahme und auch eine frühere Wiederholung möglich. Ambulante Rehabilitation. Eine Reha-Maßnahme
kann auch wohnortnah in ambulanter Form in dafür qualifizierten Einrichtungen durchgeführt werden. In diesem Fall trägt die Krankenkasse nur einen Teil der Kosten. Soziale Rehabilitation Die soziale Rehabilitation hat die Gewährleistung eines angemessenen Platzes des Patienten in der Gesellschaft zum Ziel. Konkrete Maßnahmen der sozialen Rehabilitation sind z. B. Hilfen zur Ermöglichung und Erleichterung der Verständigung mit der Umwelt, Hilfen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der körperlichen und geistigen Beweglichkeit sowie des seelischen Gleichgewichts, Hilfen zur Ermöglichung
363 11.1 · Rehabilitation
und Erleichterung der Besorgung des Haushaltes, Hilfen zur Verbesserung der wohnungsmäßigen Unterbringung und Hilfen zur Freizeitgestaltung und zur sonstigen Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Soziale Rehabilitation ist wegen der Tendenz zur Ausgrenzung und Stigmatisierung der Betroffenen besonders wichtig; Rehabilitation kranker Menschen kann insbesondere erfolgen durch Aktivitäten der Beziehungspflege, des sozialen Trainings, der Lebensbegleitung und der Milieugestaltung. > Die Rehabilitation hat Vorrang vor der Rente, d. h. es erfolgt erst dann eine Rentenleistung, wenn geklärt ist, dass sich durch Rehabilitationsleistungen eine Berufs- oder Erwerbsfähigkeit nicht (wieder-)herstellen lässt.
11.1.1.1 Gesetzliche Regelungen Gesetzliche Grundlage der Rehabilitation ist das neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) »Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen«. 4 Das SGB IX unterstützt den Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Selbstbestimmung, indem es die behinderten Menschen in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellt. 4 Die Zusammenfassung des Rechts der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen in einem eigenen Buch des Sozialgesetzbuches macht es behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen leichter, sich im geltenden Recht zurecht zu finden. Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dient als länder- und fachübergreifende einheitliche Sprache zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren einer Person. In Deutschland wurde die Gestaltung des SGB IX wesentlich durch die Vorläuferfassungen der ICF beeinflusst. Zuständigkeiten der Sozialversicherungsträger Die Krankenversicherung erbringt für ihre (berenteten) Versicherten medizinische Leistungen zur Rehabilitation. Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sind Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, Seekasse, Angestellten- und Arbeiterersatzkassen, Bundesknappschaft sowie landwirtschaftliche Krankenkassen. Die Rentenversicherung ist für die medizinische und für die berufliche Rückführung ihrer (berufstäti-
11
gen) Versicherten zuständig. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Landesversicherungsanstalten, Bundesknappschaft, landwirtschaftliche Alterskassen, Bundesbahnversicherungsanstalt sowie die Seekasse sind Träger der Rentenversicherung. Die Unfallversicherung ist bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten für medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation verantwortlich. Unfallversicherungsträger sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften sowie die sog. Eigenunfallversicherungsträger des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Die Träger der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden übernehmen für ihre Leistungsberechtigten medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation. Träger der sozialen Entschädigung sind Landesversorgungs-, Versorgungsämter sowie Haupt- und Fürsorgestellen. Die Bundesanstalt für Arbeit mit ihren Landesarbeits- und Arbeitsämtern übernehmen Leistungen der beruflichen Wiederherstellung, soweit hierfür kein anderer Träger verantwortlich ist. Die Sozialhilfe, für die hauptsächlich die Sozialämter der Städte und Gemeinden zuständig sind, tritt bei allen Bereichen der Rehabilitation ein. Allerdings nur dann, wenn keiner der Träger zuständig ist. Organisation, Träger und Strukturen der Rehabilitation in Deutschland Für die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen sind unterschiedliche Rehabilitationsträger zuständig. Im Einzelnen sind dies: 4 Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (medizinische Leistungen) 4 Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (medizinische und berufsfördernde Leistungen) 4 Bundesanstalt für Arbeit (berufsfördernde Leistungen) 4 Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (medizinische, schulisch/pädagogische, berufsfördernde Leistungen und soziale Eingliederung 4 Träger der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden, Kriegsopferversorgung (medizinische, schulisch/pädagogische, berufsfördernde Leistungen und soziale Eingliederung) 4 Träger der Sozialhilfe, ggf. Jugendhilfe (medizinische, schulisch/pädagogische, berufsfördernde Leistungen und soziale Eingliederung) Die Zuständigkeitsregelungen der Reha-Träger sind schwer nachvollziehbar. Damit diesem daraus keine Nachteile entstehen, sind die einzelnen Reha-Träger zur Zusammenarbeit verpflichtet. Dies bedeutet, dass ein Antrag auf Rehabilitation unabhängig von
364
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
der Art der beantragten Maßnahme bei jedem der Reha-Träger gestellt werden kann. Zu empfehlen ist jedoch eine Antragstellung bei dem Reha-Träger, der vermutlich die Reha-Maßnahme finanzieren wird. 11.1.1.2
Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit Die Rehabilitationsbedürftigkeit und -fähigkeit im Einzelfall muss vom primär behandelnden Arzt festgestellt werden. Eine enge Kooperation der Antragsteller mit den Kostenträgern und mit dem medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) ist sinnvoll und notwendig, die die Kostengutsprache erteilen. Gesetzlich gefordert wird eine positive Rehabilitationsprognose, bei der ein Rehabilitationserfolg von den durchzuführenden Maßnahmen möglich erscheint. Vom Rehabilitanden wird erwartet, dass er in der Lage ist, das Angebot aktiver und passiver therapeutischer Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung über die Form der zu erbringenden Leistung (stationär, teilstationär, ambulant) ist abhängig von der Motivation, Mobilität und Compliance des Patienten, der psycho-physischen Belastbarkeit, dem sozialen Umfeld, den beruflichen Perspektiven und den zu erwartenden Komplikationen.
11
11.1.1.3 Rehabilitationsziele Unter Rehabilitationszielen versteht man die Ergebnisse, die der Patient am Ende der Behandlung erreichen soll. Allgemein sollen Patienten in einer Situation, in der ihre berufliche und/oder soziale Integration gefährdet ist, auf der Grundlage des durch medikamentöse, verhaltenstherapeutische und chirurgische Behandlungsverfahren erzielten Behandlungserfolgs dazu befähigen werden, ihre Krankheit im positiven Sinne zu bewältigen. Außerdem soll ihnen zu einem positiven Selbstkonzept und einem gesunden Selbstbewusstsein verholfen werden. Des Weiteren müssen sie in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Möglichkeiten und Grenzen realistisch einzuschätzen, und sie müssen darauf aufbauend befähigt werden, ihr berufliches und soziales Leben entsprechend ihren eigenen beruflichen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu gestalten.
Rehabilitationsziele in der Psychosomatik 4 Förderung der Kognition (Wahrnehmung, Vorstellungskraft, Urteilskraft, Bewertungsvermögen) 4 Erwerb bzw. die Wiedererlangung von Fähigkeiten zur selbstständigen Lebensgestaltung, damit der Selbstsicherheit 4 Veränderung des inneren Erlebens (Gefühle, Selbstwert) 4 Förderung der sozialen Kontaktfähigkeit 4 Förderung der Krankheitseinsicht und der Akzeptanz erforderlicher therapeutischer Behandlungsmaßnahmen
11.1.1.4
Behandlungsplan, interdisziplinäre Zusammenarbeit Die Beurteilung der medizinischen Rehabilitation und der Behandlungsplan werden individuell für jeden Patienten von einem Facharzt für Rehabilitationsmedizin vorgelegt. Dieser übernimmt die Koordination der Rehabilitation und erstellt einen interdisziplinären und interprofessionellen Behandlungsplan zusammen mit dem Patienten. Der Plan wird interdisziplinär durchgeführt, weil die Krankheit oft die Kenntnisse mehrerer Fachärzte verlangt. Beteiligt sind meist die Gebiete Orthopädie, Neurologie, Innere Medizin, Traumatologie und Radiologie. Auch muss der Facharzt als Koordinator die interprofessionelle Leitung der Rehabilitation übernehmen und die verschiedenen Maßnahmen des Behandlungsplans wie Physiotherapie, Massage, Psychologie und/oder Schuhtechnik planen. Der Reha-Behandlungsplan folgt bestimmten Indikationen. Haltungs- und Bewegungsapparat werden untersucht und dann werden Bewegungseinschränkungen bzw. Behinderungen nach dem SASPK Modell (SASPK-Modell bezüglich der Problembereiche Somatik, Aktivitäten des täglichen Lebens, sozialer Kontext, Psyche und Kommunikation) inventarisiert. Für eine erfolgreiche Rehabilitation ist ein qualifiziertes Team aus Ärzten, Therapeuten verschiedener Berufsgruppen und Beratern notwendig. Als Therapeuten wären hier vor allen die Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten zu nennen. Das wichtigste ist hierbei die Kommunikation der verschiedenen Gruppen untereinander, um ein optimales Behandlungsergebnis zu erreichen.
365 11.1 · Rehabilitation
11
In Kürze Grundlagen der Rehabilitation Gesetzliche Grundlage
§ 9 des SGB. Kostenträger der Rehabilitation sind Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Sozialhilfe und die Träger der sozialen Entschädigung
Kostenträger
Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Sozialhilfe, Träger der sozialen Entschädigung
Berufliche Rehabilitation
Erhaltung, Besserung, Herstellung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Patienten
Medizinische Rehabilitation
Verbesserung des Krankheitsmanagements
Soziale Rehabilitation
Gewährleistung eines angemessenen Platzes des Patienten in der Gesellschaft.
Zugang zur Rehabilitation
Primär behandelnder Arzt
Einschätzung der Rehabilitationsbedürftigkeit, -fähigkeit
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK)
11.1.2
Spezielle Verfahren
11.1.2.1 Frührehabilitation Unterschieden werden: 4 Frührehabilitation 4 Postakute Rehabilitation 4 Spätrehabilitation Unter Frührehabilitation wird die Behandlung eines oft bewusstseinsgestörten Patienten mit eingeschränkter Kooperationsfähigkeit, hohem pflegerischen Aufwand und Notwendigkeit einer pflegerischen und rehabilitativen Einzelbetreuung verstanden. Frührehabilitation bezieht sich somit im engeren Sinne nicht auf den Zeitpunkt der Therapie nach der Schädigung, sondern auf den Schweregrad der Funktionsstörung, der mittels Skalen zur Erfassung des Ausmaßes der Schädigung und der Pflegebedürftigkeit (z. B. Barthel-Index, »Functional Impairment Measurement«, FIM) abgeschätzt wird. Sie umfasst eine individuell angepasste, fachübergreifende (multimodale) Diagnostik und Therapie von Funktionsstörungen (z. B. Antriebs-, Denk- und Kommunikationsstörungen, Lähmungen). 11.1.2.2 Beweglichkeit, Belastbarkeit Nach einer Verletzung oder Operation ist die Wiederherstellung, Erhaltung und Verbesserung der Funktionen des Bewegungsapparates erklärtes Ziel. Dabei bedeutet
normale Funktion bei weitgehender Schmerzfreiheit, normaler Beweglichkeit und normaler Belastbarkeit. Anzustreben sind folgende Therapieziele: 4 Muskelkräftigung der Extremitäten 4 Förderung des Bewegungsausmaßes der Gelenke 4 Förderung der Koordination (obere und untere Extremitäten, Auge–Hand) 4 Förderung der Ausdauer und Belastbarkeit des Patienten, z. B. durch zusätzliches Auflegen von Gewichten bei der Physiotherapie. 4 Steigerung des Selbstwertgefühles durch das Stärkung des Selbstwertgefühles Rehabilitationskonzept nach einer Bandscheibenoperation 4 In den ersten 2 Wochen relative Ruhe einhalten, die äußere Wunde heilen lassen, nur im Falle von Lähmungen Krankengymnastik (gezielt auf die Lähmung). 4 In den nächsten 4 Wochen die innere Wunde heilen lassen, daneben leichte häusliche Aktivitäten, viel Bewegung. 4 Danach Beginn eines gezielten und intensiven Trainings der Wirbelsäule, am besten als EAP (erweiterte ambulante Physiotherapie). Je nach Beruf und Arbeitszeit kann die Physiotherapie parallel zur Berufstätigkeit erfolgen. 4 Falls der Patient es wünscht, kann die Physiotherapie in eine Dauereinrichtung, den Reha-Sport im Rahmen einer Sportgruppe überführt werden.
366
11
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
11.1.2.3 Schmerzbewältigung Neben körperlichen Ursachen spielen bei Schmerzpatienten besonders auch persönlichkeitsabhängige psychische, emotionale und soziale Einflussfaktoren eine Rolle. Schmerztherapeuten vertreten die Ansicht, dass bei Patienten, die zu starken Ängsten neigen, die Hinwendung aller Aufmerksamkeit auf den Schmerz zu einer körperlichen Fixierung und Verstärkung der Beschwerden führt. Die Maßnahmen, die sich auf die Schmerzbewältigung positiv auswirken können, lassen sich einteilen in: 4 Psychosoziale und physiologische Therapieziele 5 Einbeziehung der Familie und des sozialen Umfelds in den Umgang mit der Krankheit 5 Den Patienten selbst für den Umgang mit dem Rückenschmerz verantwortlich machen; er soll erkennen, dass Angst und Depression durch Schonung verstärkt werden 5 Schmerzbewältigung und nachfolgende aktive Funktionsverbesserung 5 Ablenkung und Motivation durch Schaffung einer positiven Grundeinstellung zum Leben 5 Schulung von Körperwahrnehmungs- und Entspannungsfähigkeit 4 Wirkmechanismen der Bewegung in Bezug auf Schmerz: Bewegung kann vom Schmerz ablenken und somit helfen, den Schmerz besser zu bewältigen. Die Patienten lernen durch Training, trotz Schmerzen etwas leisten zu können, und können diese Erfahrung in den Alltag übertragen.Die positive Beeinflussung von Bewegung auf Schmerzen beruht wahrscheinlich auf mehreren Faktoren: 5 Psychosoziale Unterstützung, insbesondere durch die positive Gruppendynamik innerhalb der Trainingsgruppe. Die Teilnehmer können sich in Gesprächskreisen über ihre Sorgen und Ängste austauschen. 5 Stimulation der Bewegungsrezeptoren: Kann sich hemmend auf die Schmerzwahrnehmung auswirken. Die Patienten erleben, dass Bewegung und Aktivität Schmerz lindern kann. 5 Aufbrechen des Schonverhaltens: Die Verstärkung des Schmerzes durch Schonverhalten und Inaktivität wird verhindert. 5 Emotionale Aufrichtung: Körperliches Training lenkt von Schmerz ab und wirkt antidepressiv. Durch das positive Erleben der eigenen körperlichen Fähigkeiten wird der Patient emotional aufgerichtet und stabilisiert. 5 Normalisierung des Schlafverhaltens: Training und Bewegung bewirken eine angenehme Ermüdung. Das bei Schmerzen oft gestörte Schlafverhalten kann sich dadurch normalisieren.
5 Eigenverantwortliches Handeln: Der Patient hat das Gefühl, den Schmerz durch eigenverantwortliches Verhalten kontrollieren und beherrschen zu können. Dies führt zu einem positiven Effekt auf Selbstbewusstsein und Schmerzbewältigung. 5 Wohlbefinden und Entspannung: Das Erleben von Wohlbefinden, Entspannung und Schmerzminderung nach dem Training wirkt sich positiv auf den Patienten aus. 11.1.2.4 Alltagsbewältigungstraining Das Alltagsbewältigungstraining umfasst: 4 Krankheitsbewältigungstraining 4 Tipps zur allgemeinen Lebensführung bei einer Erkrankung 4 Ernährungsberatung 4 Bewältigungstraining von Begleitkrankheiten Alltagsbewältigungstraining bei multipler Sklerose 4 Kochen von Mahlzeiten immer in größeren Mengen und dann einen Teil einfrieren. Das erspart viel Arbeit, da für eine spätere Mahlzeit bereits vorgekocht wurde. 4 Einkäufe immer in demselben Supermarkt oder Lebensmittelladen machen. Dort sind die Warensortimente immer am gleichen Ort zu finden. Dies erspart Sucherei und vereinfacht die Erinnerung. 4 Verwendung von Post-its an passenden Orten, z. B. auf den Badezimmerspiegel, um sich an einen Termin zu erinnern. 4 Pünktliche Einnahme von Medikamenten: Um sich an die Einnahme der Medikamente am Morgen zu erinnern, wird die Medikamentenpackung am Vorabend in die Hausschuhe gelegt.
11.1.2.5 Sozialberatung Sozialberatung soll helfen, lebenspraktische Probleme zu lösen, mit denen der Patient in seinem Alltag überfordert ist. Sozialberatung ist ein wesentlicher Teil der Therapie, wenn psychosoziale Faktoren bei der Entstehung oder Bewältigung von Krankheiten eine wichtige Rolle spielen. Dabei können Fragen der Integration oder Re-Integration in das normale Leben, die Anpassung an eine Lebensform außerhalb der üblichen sozialen Standards (z. B. bei einer Behinderung), die Inanspruchnahme sozialrechtlich garantierter Leistungen, die Verbesserung sozialer und/oder gesundheitlicher Chancengleichheit sowie schwierige persönliche Entscheidungen im Vordergrund stehen. Dies wird sichergestellt durch eine individuelle Sozialberatung durch Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagogen, einschließlich Hilfe bei Anträgen und Kontakten mit Ämtern.
367 11.1 · Rehabilitation
11.1.2.6 Ernährungsberatung Indikationen sind: 4 Diabetes mellitus 4 Koronare Herzkrankheit 4 Asthma bronchiale 4 Hyperlipidämie 4 Gicht 4 Laktoseintoleranz, Zöliakie 4 Niereninsuffizienz bei Dialysepatienten Ziel der Ernährungsberatung ist die Umstellung auf eine gesunde Mischkost. Diese besteht aus viele Kohlehydrate und Ballaststoffe, ist dabei fettarm und ausgewogen an Eiweiß, Vitaminen und Mineralien. Mittels eines vom Patienten ehrlich auszufüllenden Ernährungsprotokolls werden die Nahrungsgewohnheiten, die zeitliche Verteilung der Mahlzeiten und die Art und Menge der aufgenommenen Nahrungsmittel ermittelt. Basierend auf diesen Angaben erarbeitet die Ernährungsberatung gemeinsam mit dem Patienten einen im Alltag umsetzbaren Ernährungsplan. Für die Ausprägung und das Fortschreiten ernährungsabhängiger Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen verantwortliche Nahrungsmittelinhaltsstoffe werden über den Ernährungsplan so eingeschränkt, dass eine verbesserte Stoffwechsellage erreicht oder die Symptomatik des Erkrankungszustandes abgemildert werden kann. 11.1.2.7 Ergotherapie Die Ergotherapie (Beschäftigungstherapie) ist eine Heilmethode, die Aktivitäten für Patienten gezielt auswählt. Das Aktiv-Sein besitzt dann eine heilende Wirkung. Eingesetzt wird sie bei gesundheitlich geschädigten Menschen mit motorisch-funktionellen, sensomotorisch-perzeptiven, neuropsychologischen oder psychosozialen Störungen. Die ergotherapeutische Behandlung umfasst handwerkliche, gestalterische sowie spielerische Übungen. Einen sehr wichtigen Bereich stellt das Üben alltagstypischer Tätigkeiten dar. Durch Verbesserung, Wiederherstellung oder Kompensation der beeinträchtigten Fähigkeiten soll dem Patienten eine möglichst große Selbstständigkeit und Handlungsfreiheit im Alltag ermöglicht werden. Neben geeigneten Übungen soll auch der Einsatz von Hilfsmitteln dazu beitragen, dass die verbleibenden Fähigkeiten angepasst werden und so ein Optimum an Rehabilitation erreicht wird. Indikationen sind: 4 Zustand nach Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabusus 4 Zustand nach Malignomen 4 Psychiatrische Erkrankungen
11
4 Zustand nach Apoplex 4 Entwicklungsverzögerung bei Kindern 11.1.2.8 Klinische Verfahren Unfallchirurgie, Orthopädie Die Rehabilitation in der Unfallchirurgie und Orthopädie ist integraler Bestandteil der Therapie und wird durchgeführt nach: 4 Operativ versorgten Gelenkersatz 4 Korrekturosteotomien am Skelettsystem 4 Amputationen 4 Bandscheibenvorfällen 4 Operativer Versorgung von Knochenbrüchen Ziel ist das Erlernen ergonomischer Bewegungsabläufe, die Stärkung und Kräftigung der Muskulatur und somit die Verkürzung der stationären Verweildauer. Erreicht werden diese Ziele mittels physiotherapeutischer Übungen (7 Kap. 11.2.2) und im Bewegungsbad. Durch die Auftriebskraft ist hier auch ein Teilbelastungstraining möglich. Durch den Reibungswiderstand des Wassers ist eine schnellere Kräftigung der Muskulatur möglich. Die Wassertemperatur trägt auch zur Entspannung der Muskulatur und somit zum Trainingserfolg bei. Weiterhin wichtig für den Therapieerfolg ist propriozeptives Training, das die Propriozeption des Gelenks möglichst schnell verbessert, um es funktionell zu stabilisieren. Herz-Thorax-Gefäß-Chrurgie, Kardiologie Indikationen sind: 4 Zustand nach Myokardinfarkt 4 Koronare Herzkrankheit 4 Bypass-Operation (ACVB-Operation) 4 PTCA (koronare Ballondilatation) mit und ohne Stent 4 Chronische Angina pectoris 4 Herzklappenerkrankungen 4 Herzmuskelerkrankungen 4 Arterielle Hypertonie 4 Chronische Herzinsuffizienz 4 Zustand nach Schrittmacherimplantationen, Zustand nach AICD-Implantation (Defibrillator) In der Herz-Thorax-Gefäß-Chirurgie und Kardiologie wird die Rehabilitation durch ein qualifiziertes, interdisziplinäres Team aus Ärzten, Physiotherapeuten, Ernährungsberatern und Psychologen durchgeführt. Aufbauend auf den Befunden der ärztlichen und therapeutischen Eingangsuntersuchung sowie den Vorbefunden aus dem Akutkrankenhaus wird für jeden Patienten unter Berücksichtigung seines individuellen Krankheitsverlaufes sein Rehabilitationsprogramm entwickelt.
368
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
Unter therapeutischer Überwachung wird wieder mit körperlicher Belastung begonnen, damit jeder Patient seine persönliche Belastungsgrenze kennen lernt und das Einhalten dieser Grenzen übt. Die Durchführung der Bewegungsprogramme erfolgt unter ärztlicher und sporttherapeutischer Kontrolle. Die Therapie besteht aus: 4 Intensiver medizinischer Betreuung 4 Ärztlichen und therapeutischen Einzelgesprächen 4 Psychologischer Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung und -verarbeitung 4 Bewegungstherapie 4 Koronarsport (pulskontrolliertes Fahrradergometertraining, Herz-Kreislauf-Gymnastik, Schwimmen, Walking; . Abb. 11.1) 4 Entspannungsübungen 4 Seminare zum Umgang mit Stressbelastungen 4 Seminare zur herzgesunden Ernährung 4 Sozialberatung
11
Tumorchirurgie, Onkologie Die Rehabilitation nach onkologischer Therapie besteht aus: 4 Ernährungsberatung 4 Allgemeine Gymnastik, Bewegungsbad 4 Walking, Ergometertraining zur Steigerung der Ausdauerleistung und Beweglichkeit 4 Lymphdrainage zur Therapie bzw. Vorbeugung von Lymphödemen 4 Informationsveranstaltungen und Schulungen über Nachsorgeempfehlungen und Krankheitsverständnis 4 Entspannungsübungen, psychologische Beratung 4 Sozialberatung für Fragen der privaten, beruflichen und finanziellen Versorgung Transplantation Die Rehabilitation erfolgt in spezialisierten Kliniken durch ein qualifiziertes interdisziplinäres Team aus Ärzten, Physiotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeitern und anderen Berufsgruppen und wird durchgeführt nach Transplantation von: 4 Herz 4 Lunge 4 Niere 4 Leber 4 Bauchspeicheldrüse Die Therapie besteht aus: 4 Gezielter beschwerdebezogener Krankengymnastik 4 Informationsveranstaltungen und Schulungen über Ernährung und Nachsorge 4 Entspannungsübungen
. Abb. 11.1. Pulskontrolliertes Fahrradergometertraining in der kardiologischen Rehabilitation
4 Psychologische Gruppen- und Einzelgespräche zur Unterstützung in der Krankheitsverarbeitung 4 Sozialberatung für Fragen der privaten, beruflichen und finanziellen Versorgung Neurochirurgie, Neurologie Auch die Rehabilitation von Patienten aus der Neurochirurgie und Neurologie erfolgt durch ein qualifiziertes, interdisziplinäres Team aus Ärzten, Pflege, Physiotherapeuten, Neuropsychologen, Ergotherapeuten und Logopäden und richtet sich dabei nach dem individuellen Behandlungsbedarf. Besondere Bedeutung kommt der Frührehabilitation (7 Kap. 11.1.2.1) und der medizinischen Trainingstherapie zu. Indikationen sind: 4 Apoplex 4 Hirn-, Rückenmarks- oder Nervenverletzungen 4 Operationen an Gehirn und Rückenmark (z. B. Tumoren, Bandscheibenvorfall) 4 Entzündlichen Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems wie multiple Sklerose bzw. Guillain-Barré-Syndrom 4 Degenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson 4 Anderen Erkrankungen des Nervensystems (z. B. Polyneuropathien, Myopathien, chronische Schmerzzustände)
369 11.2 · Physikalische Medizin
11
In Kürze Spezielle Verfahren der Rehabilitation Frührehabilitation
Bezieht sich nicht auf den Zeitpunkt der Therapie nach der Schädigung, sondern auf den Schweregrad der Funktionsstörung, z. B. bewusstseinsgestörter Patient mit eingeschränkter Kooperationsfähigkeit
Beweglichkeit, Belastbarkeit
Ziel ist normale Funktion bei weitgehender Schmerzfreiheit, normaler Beweglichkeit und normaler Belastbarkeit
Schmerzbewältigungstraining
Dient der Entkopplung des Teufelskreises zwischen Schmerz und zunehmender körperlicher und geistiger Immobilität
Sozialberatung
Soll eine Reintegration des Patienten in Familie, Beruf und Gesellschaft ermöglichen
Ernährungsberatung
Dient der primären und sekundären Prävention von Erkrankungen, welche durch die Ernährung beeinflusst werden können
Ergotherapie (Beschäftigungstherapie)
Arbeitet am Erhalt oder Wiedererlangen der größtmöglichen Selbstständigkeit durch Beschäftigungs- und Arbeitstherapie
Klinische Verfahren Unfallchirurgie, Orthopädie
Physiotherapie, Bewegungsbad, propriozeptives Training
Herz-Thorax-Gefäßchirurgie, Kardiologie
Koronarsport, Bewegungstherapie, Seminare zu Stressbewältigung und Ernährung
Tumorchirurgie
Beratung über Nachsorge, Sozialberatung
Transplantation
Beratung über Nachsorge, Sozialberatung, Ernährungsberatung
Neurochirurgie, Neurologie
Frührehabilitation, medizinische Trainingstherapie, Ergotherapie, Logopädie
11.2
Physikalische Medizin
11.2.1
Allgemeines
Die Physikalische und Rehabilitative Medizin umfasst 4 die sekundäre Prävention, 4 die Erkennung und fachbezogene Diagnostik sowie 4 die Behandlung und Rehabilitation von Krankheiten, Schädigungen und deren Folgen (. Tab. 11.1). Sie arbeitet mit den Methoden 4 der physikalischen Therapie, 4 der manuellen Therapie, 4 der Naturheilverfahren, 4 der Balneotherapie 4 sowie die Gestaltung des Rehabilitationsplans.
Sie ist eine therapeutisch orientierte Fachrichtung, die verschiedene Techniken (z. B. Massage und Bewegung) und Anwendungen (z. B. Wärme, elektrischer Strom) nutzt. Hierdurch sollen die Selbstheilungskräfte des Körpers gefördert werden. 11.2.1.1 Wirkprinzipien Die Wirkung der physikalischen Therapie beruht darauf, dass physiologische Reaktionen, Regulationen und Adaptationsvorgänge optimiert werden. Durch Reize, die die Wirkverfahren der Physikalischen Therapie setzen, werden biologischen Antworten ausgelöst. Diese führen zu Reaktionen im Körper, welche im Organismus, also letztendlich auf zellulärer und molekularer Ebene umgesetzt werden. Diese kausale Verknüpfung wird auch als Reiz-Reaktions-Geschehen bezeichnet.
370
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
. Tab. 11.1. Auswahl der häufigsten Indikationen für die Physikalische und Rehabilitative Medizin
11
Erkrankungen des Bewegungsapparates
Wirbelsäulenbeschwerden, psychosomatischer Rückenschmerz, Rheumatologische Erkrankungen, Osteoporose, Arthrose-/Gelenkbeschwerden, Nacken- und Schulterbeschwerden, Zustand nach Wirbelsäulen- und Gelenkoperationen
Atemwegserkrankungen
Erkrankungen der oberen Luftwege, chronische Bronchitis, Asthma bronchiale, Lungenfibrose
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Hypotonie, Hypertonie, arterielle Verschlusskrankheit, funktionelle Herzbeschwerden, koronare Herzkrankheit (KHK)
Neurologische Erkrankungen
Kopfschmerzen, Migräne, Halbseitenlähmung nach Schlaganfall, Sprachstörungen nach Schlaganfall, zentrale Bewegungsstörungen
Gynäkologische Erkrankungen
Beschwerden bei der Periode, klimakterische Beschwerden
Erkrankungen der Verdauungsorgane
Chronische Verstopfung, funktionelle Darmstörungen, chronische Darmerkrankungen, gestörte Funktion des Gallensystems, chronische Gallenentzündung
Nach Malignomen
Armlymphödem nach Mammakarzinom, Beinlymphödem nach Unterleibskarzinom oder Prostataoperation, Harninkontinenz nach Unterleibskarzinom, Dyspnoe nach Lungenkarzinom
Urologische Beschwerden
Harninkontinenz, Gebärmuttersenkung, Schwäche der Beckenbodenmuskulatur
Bei der Reaktionstherapie werden durch differente physikalisch-therapeutische Reize unterschiedliche Rezeptoren erregt. Nach Art des Reizes sprechen Thermo-, Druck-, Berührungs-, Chemo- oder Photorezeptoren an. Über Nervenzellen werden diese Erregungen als Folge von Aktionspotenzialen fortgeleitet und der Organismus damit zu einer physiologischen Reaktion angeregt. Die ausgelösten Reaktionen können lokal begrenzt ablaufen (z. B. örtliche Durchblutungsveränderungen) oder auch den gesamten Organismus betreffen (z. B. durch Erhöhung der Körpertemperatur). Angewendet wird die Reaktionstherapie z. B. bei Massage und Hydrotherapie. Die Regulationstherapie nutzt das Vorhandensein von Regelkreisen, welche auf nerval-reflektorischem oder hormonellem Weg erfolgen. Die Physikalische Therapie versucht, durch wiederholte Reize ein besseres Ansprechen physiologischer Regelungen zu bewirken (z. B. Gegenregulation bei thermischen Reizen). Die vegetative Innervation benutzt dabei unterschiedliche Reflexbögen (kutiviszerale, viszerokutane, viszeromotorische und viszeroviszerale Reflexe). Nur eine regelmäßig wiederholte Beanspruchung der Regulationen bewirkt eine Steigerung der Selbstordnungsleistung und dadurch eine verbesserte Regulationsqualität mit Optimierung der Funktionen. Funktionsabweichungen können damit in Richtung einer Normalisierung geregelt werden. Genutzt wird die
Regulationstherapie z. B. bei Krankengymnastik und Ergotherapie. Bei der Adaptationstherapie macht sich die Physikalische Medizin die physiologische Adaptation zu Nutze, wenn Reize wiederholt auf Zellen oder ein Organsystem einwirken. Die Adaptation stellt dabei die Anpassungsleistung an einen veränderten Regulationsbedarf dar, z. B.: 4 Größere Auswurfleistung des Herzens bei regelmäßiger körperlicher Anstrengung im Koronarsport 4 Kompensatorische Hypertrophie einzelner gesunder Muskeln infolge erhöhter Beanspruchung nach traumatischem Ausfall anderer Anteile der Muskulatur durch Krankengymnastik 4 Verbesserte Hautdurchblutung durch Hydro- und Thermotherapie 4 Auftreten einer Polyglobulie bei latentem Sauerstoffmangel im Höhenklima im Rahmen der Klimatherapie 11.2.1.2 Therapieplanung Die Therapieplanung der Physikalischen Therapie erfolgt durch den Arzt. Er erstellt ein Gesamtkonzept zielgerichteter An-/Verordnungen von aufeinander abgestimmten und an den Schäden und Funktionsdefiziten orientierten physikalischen Therapiemaßnahmen. Die Therapieplanung erfolgt individuell für jeden Patienten, wird dokumentiert und laufend aktualisiert.
371 11.2 · Physikalische Medizin
4 4 4 4 4 4 4
Angewandte Verfahren sind hierbei: Krankengymnastik Ergotherapie Manuelle Therapie Massagetherapie Elektrotherapie Wärme- und Kältetherapie Hydrotherapie und Balneotherapie
11.2.1.3 Komplexbehandlung Unter Komplexbehandlung versteht man die intensive Kombination verschiedener therapeutischer Anwendungen: Physiotherapie und Krankengymnastik, Ergotherapie und manuelle Medizin. Sie hat zum Ziel, innerhalb kurzer Zeit möglichst große Behandlungsfortschritte zu erreichen. Es hat sich herausgestellt, dass vor allem die Intensität der Behandlungen für das Ausmaß der Wirkung verantwortlich ist. Die Grundidee besteht aus 2 Komponenten. Auf der einen Seite bewegen sich viele Patienten nicht ausreichend, weil dies für sie wegen einer erhöhten Muskelsteifigkeit oder Schwergängigkeit der Gelenke zu mühsam ist. Darum wird die manuelle Medizin angewandt, um die Mechanik der Muskeln und Gelenke zu verbessern. Die Physiotherapeuten versuchen dann in Zusammenarbeit mit den Ärzten aus der verbesserten Bewegungsmöglichkeit für den Patienten eine verbesserte Bewegungsfähigkeit herzustellen. Techniken der Manuellen Medizin 4 Atlastherapie: Diese Impulstherapie besteht aus einer Serie von mehreren schmerzlosen, kurzen Fingerdruckimpulsen auf den ersten Halswirbel (Atlas) und damit auf die wichtigen Nervenzentren des oberen Nackens. Dadurch werden Reflexe im Körper ausgelöst, die besonders die Muskelspannung und die Steuerung des unwillkürlichen Nervensystems günstig beeinflussen sollen. 4 Chirotherapie: Bei der Chirotherapie wird mit einem kurzen, schmerzlosen Ruck das Bewegungsgleichgewicht von Gelenken und Muskeln wiederhergestellt. Gelegentlich hört man ein Knacken. Das Knackgeräusch ist nicht schädlich, denn die Manipulation der Gelenke wird besonders sanft angewandt. Die Techniken der Chirotherapie sollen jedoch nur von speziell ausgebildeten Ärzten ausgeführt werden. 4 Myofasziale Lösung: Hierbei handelt es sich um eine Dehnung, bei der ein vorsichtiger und gefühlvoller Druck auf das Gewebe solange ausgeübt wird, bis es nachgibt und sich lockert (sich löst), denn Muskel und Faszie bilden eine funktionell untrennbare Einheit. Die eine Struktur kann nicht ohne die andere funktionieren und umgekehrt. Faszien enthalten ein dichtes Netz 6
11
feinster Nervenendigungen und glatter Muskelfasern. Ähnlich wie die Muskeln sind auch sie ein Sinnesorgan im Sinne der Eigenwahrnehmung des Körpers. Dieses myofasziale System ist durch spezielle Handgrifftechniken risikolos beeinflussbar.
11.2.2
Spezielle Therapie
11.2.2.1 Krankengymnastik, Physiotherapie Die krankengymnastische Behandlung hat folgende Ziele: 4 Kräftigung der geschwächten Muskulatur 4 Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit 4 Beseitigung von Schmerzen und schmerzhaften Muskelverspannungen 4 Erreichen eines möglichst normalen Gangbilds und einer ausreichenden Dauerbelastung Je nach Alter des Patienten, seines Trainingszustands, der Art des Vorerkrankung bzw. Art und Verlauf und des postoperativen Zustands wird die Krankengymnastik individuell angepasst. Krankengymnastische Behandlungen dienen nicht nur der Kräftigung der Muskulatur am primär betroffenen Gelenk, sondern sollen das gesamte Muskelsystem trainieren, das über die Nachbargelenke zieht und die Wirbelsäule stabilisiert. In der Klinik werden die Übungen sowohl in Gruppenals auch in Einzeltherapie durchgeführt. Krankengymnastik ist auch auf ein Ausdauertraining abgestellt. Nach der Therapie sollen die Übungen zu Hause weiter fortgeführt werden. In den Einzeltherapien geht es vor allem um die Kräftigung der Muskulatur im Bereich des primär betroffenen Gelenkes, z. B. Hüfte nach Hüft-TEP. Diese Therapieform wird vom Therapeuten ganz individuell auf den Zustand des Patienten angepasst. Aktive Übungen haben den Vorrang vor passiven Maßnahmen. Es gilt der Grundsatz, dass keine Übung Schmerzen verursachen darf (. Abb. 11.2). Übliche Techniken sind: 4 Krankengymnastik mit Thera-Band, Pezziball oder Gewichten 4 Krankengymnastik im thermalen Bewegungsbad 4 Gehstützentraining bei noch verordneter Teilbelastung 4 Üben des Treppensteigens 11.2.2.2 Bewegungstherapie Atemtherapie Die Atemtherapie dient dazu, eine ggf. vor allem postoperativ bestehende Atemnot durch die Mobilisierung des Brustkorbes zu verringern und gleichzeitig die Vitalka-
372
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
4 Vorbeugend sowie vor und nach Operationen zur Verbesserung der Lungenfunktion Bewegungsübungen am Schlingentisch Der Schlingentisch ist eine Konstruktion, bei welcher der Patient mit Hilfe der Schwerelosigkeit am ganzen Körper oder an bestimmten Körperteilen behandelt werden kann (. Abb. 11.3). Einzelne Körperteile werden mit Hilfe von speziellen Seilzügen, höhenverstellbaren Schlingen und daran hängenden Gewichten aufgehängt. Je nach Art der Aufhängung können Bewegungen erleichtert oder erschwert, Zug oder Druck auf ein Gelenk gegeben und Muskeln gedehnt oder gekräftigt werden. Für den Therapeuten bedeutet der Schlingentisch eine Kraftersparnis, weil er die zu behandelnden Körperteile des Patienten nicht halten muss. Anwendungsgebiete sind: 4 Kniegelenkarthrose 4 Hüftgelenkarthrose 4 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen (M. Scheuermann, M. Bechterew) 4 Periphere Lähmungserscheinungen
11
. Abb. 11.2. Kräftigungsübung im Rahmen der Physiotherapie
Zu den relativen Kontraindikationen zählen: 4 Großflächige Hautverletzungen 4 Verbrennungen 4 Ekzeme
pazität zu verbessern. Die Ablösung und der Transport von abgelagerten Sekreten sollen angeregt werden, die Atemarbeit soll durch die Lockerung von Haut, Bindegewebe und Muskulatur des Rumpfes erleichtert werden. Indikationen sind: 4 Therapeutisch 4 Obstruktive und restriktive Lungenerkrankungen 4 Psychophysische Störungen 4 Wirbelsäulenerkrankungen (Skoliosen, M. Bechterew)
Gangschulung Ziel der Gangschulung ist das Erreichen bzw. Erhalten eines physiologisch harmonischen Gangbildes oder das Vermeiden sekundärer Erkrankungen, die aufgrund von abnormen Bewegungsmustern auftreten können. Der Gangschulung kann eine genaue Ganganalyse vorausgehen, bei der sowohl Fußstellung, -belastung, Abrollbewegungen, Schrittlängen und Rhythmus, die Stellung von Knie, Hüfte, Becken, Rumpf, Schultern, Ellenbogen, Armschwung und Muskelfunktion untersucht werden.
. Abb. 11.3. Modell eines Schlingentisches
373 11.2 · Physikalische Medizin
Haltungsschulung Hierbei handelt es sich um eine spezielle Therapie zur Behandlung von Funktionsstörungen des Bewegungsapparates, die besonderen Wert auf die richtige Körperhaltung legt. Daraus haben sich Übungsprogramme zur Bewältigung von alltäglichen motorischen Anforderungen (Sitzen, Stehen, Gehen, Alltagsbewegungen) abgeleitet, mit denen alle Regionen des Körpers optimal belastet werden sollen. Mit der Haltungsschulung soll Bewegungsstörungen, die durch schlechte Haltung entstehen können, vorgebeugt werden. Wichtig ist dabei, die Übungen in das alltägliche Leben und den Beruf zu integrieren. Stemmübungen nach Brunkow Diese Bewegungstherapie ermöglicht es, Muskelungleichgewichte mittels isometrischer Muskelspannungen auszugleichen. Prinzip der Therapie ist, die Extremitäten in bestimmten Haltungen einzustellen und Hand und Füße an einem Widerstand (Wand, Bett, Körper) einzustemmen. Beugende und streckende Muskeln sowie Gelenke werden gleichmäßig belastet und die Muskelspannung in den Rumpf fortgeleitet. Dadurch wird eine positive Ganzkörperspannung erzeugt, die die geschwächte Muskeln wieder aufbaut und Durchblutungsstörungen positiv beeinflusst. Anwendungsgebiete sind: 4 Bandscheibenerkrankungen 4 Periphere Lähmungen 4 Multiple Sklerose ! Cave Nicht angewendet werden sollte die Therapie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da dort infolge der Anspannung ein Blutdruckanstieg, eine Erhöhung des Druckes im Brustkorb oder Muskelkrämpfe auftreten können.
Medizinische Trainingstherapie Bei der Medizinischen Trainingstherapie (MTT) ist das Therapiemittel die Bewegung bzw. der Einsatz von Bewegungsabläufen. Damit kann vor allem die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Bewegungssystems wiederhergestellt werden. Parallel dazu werden auch Funktionsverbesserungen von Kreislauf, Atmung, Nervensystem und Stoffwechsel ausgelöst. Die MTT ruft dadurch eine Anpassungsreaktion des Körpers hervor. Bewegungsbad Durch den Auftrieb im Wasser kann die Beweglichkeit des Gelenkes verbessert werden. Die Wärme des Wassers lockert verspannte Muskulatur, Übungen gegen den Wasserwiderstand führen zu einer Kräftigung der geschwächten Muskulatur.
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! Cave Für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mit Lungenerkrankungen, nach Lungenembolien und Thrombosen und Patienten mit starken Krampfaderbildungen an den Beinen ist Krankengymnastik im Bewegungsbad wegen der Gefahr von Komplikationen (Thrombosen) nur unter bestimmten Umständen geeignet. Dies gilt auch für Patienten, bei denen die Operationsnarbe oder das operierte Gelenk noch einen starken Reizzustand aufweisen.
11.2.2.3 Niederfrequenzelektrotherapie Zur Niederfrequenzelektrotherapie gehören elektrotherapeutische Verfahren, bei denen ein stetig fließender oder ein relativ langsam gepulster Strom zum Einsatz kommt. Das Wirkprinzip der Niederfrequenztherapie beruht auf der Wanderung von Ionen. Diese werden durch die angelegte Spannung in der wässrigen Lösung im Körpergewebe erzeugt. Dadurch werden Schmerzen gelindert, die Durchblutung gefördert, die Nervenleitfähigkeit und der Stoffwechsel angeregt. Anwendungsgebiete sind: 4 Angioneuropathie 4 Endangiitis obliterans 4 Morbus Raynaud 4 Angiospasmen 4 Erfrierungen 4 Dysästhesien nach Operationen Zu den Kontraindikationen zählen. 4 Metallische Fremdkörper 4 Akute eitrige Prozesse 4 Bösartige Tumore 4 Blutungen oder Blutungsgefahr 4 Hautverletzungen in Elektrodennähe 4 Parallele Strahlentherapiebehandlung 11.2.2.4 Massage Klassische Massage Die klassische Massage kann alleine oder in Kombination mit anderen Behandlungsformen der Physikalischen Medizin angewandt werden. Unterschieden werden Ganzkörper- und Teilmassagen. Dazu gehören Rücken-, Schulter- und Nacken-, Arm-, Bein-, Becken-, Bauch-, Brustkorb-, Hand- und Fuß-, Gesichts- und Kopfmassage. Das primäre Anwendungsgebiet sind Symptome, die durch den Muskel-Sehnen-Apparat hervorgerufen wurden. Da die Griffe über die Haut ausgeführt werden, kommt es auch zu einer reflektorischen Beeinflussung durch Reizung der entsprechenden Hautzonen (. Tab. 11.2). Die Stärke der Griffe und der Druck auf die Haut muss dabei immer der Erkrankung, dem Alter
374
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
. Tab. 11.2. Klassische Grifftechniken
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Streichen (Effleurage)
Streichungen werden mit beiden Händen durchgeführt, wobei bei parallelen Streichungen die Hände im Wechsel gegeneinander auf der Haut verschoben und bei Drückungen die Hände auf die Haut gelegt und dabei Druck auf das Gewebe ausgeübt wird. Durch die großflächige Anwendung wird der Rückstrom des venösen Blutes und der Lymphflüssigkeit angeregt
Kneten und Walken (Petrissage)
Als Knetungen werden S-förmige Knetbewegungen einer Muskelgruppe von distalen zu proximalen Körperregionen bezeichnet. Die einzelnen Muskelgruppen werden mit Daumen und Fingerkuppen umfasst und im Wechsel geknetet. Knetungen lösen Muskelverspannungen und verbessern die periphere Durchblutung
Klopfen (Tapotement)
Beim Klopfen werden Muskeln und Muskelgruppen mit der Kleinfingerseite der Hand mit relativ hoher Frequenz beklopft. Dies hat eine muskelentspannende Wirkung
Reiben (Friktion)
Die Friktion ist eine Muskelbehandlung. Friktioniert wird in kleinen Kreisen mit relativ kräftigem Druck, wodurch ein deutlicher Reiz gesetzt wird. Dadurch wird das Gewebe erwärmt und Gewebsverklebungen gelöst
Erschüttern (Vibration)
Schnelle und feine Handbewegungen, meist auf bestimmten Triggerpunkten der Muskulatur, lösen eine Entspannung aus. Erschütterungen werden mit den Fingerkuppen oder der Handfläche durchgeführt. Im Bauchraum kann sie Magen- und Darmkrämpfe lösen helfen
und der körperlichen Disposition des Patienten angepasst werden. Anwendungsgebiete sind: 4 Erkrankungen des Bewegungsapparates 4 Wirbelsäulensyndrome 4 Arthrosen 4 Rheumatische Erkrankungen 4 Zustände nach Verletzungen/Operationen 4 Muskelverspannungen und Muskelkater 4 Atemwegserkrankungen 4 Durchblutungsstörungen, Arteriosklerose 4 Verstopfung, funktionelle Leber-Galle-Störungen 4 Klimakterische Beschwerden 4 Menstruationsbeschwerden 4 Lähmungen, Krämpfe, Neuralgien, Sensibilitätsstörungen 4 Generalisierte Schmerzzustände 4 Stress, Depressionen, psychosomatische Störungen Mögliche Kontraindikationen sind: 4 Lokale Entzündungen von Haut, Unterhaut und Muskulatur 4 Tumoren 4 Fieberhafte Erkrankungen 4 Frischer Herzinfarkt 4 Akute Verletzungen und Knochenbrüchen Bindegewebsmassage Mit der Bindegewebsmassage können Verklebungen der Unterhaut gelöst werden und über Reflexwege Einfluss auf vegetative Regulationsmechanismen genom-
men werden. Bindegewebsmassagen können angezeigt sein bei: 4 Erkrankungen des Bewegungsapparates 4 Erkrankungen der Haut 4 Erkrankungen der inneren Organe 4 Gefäßerkrankungen (Migräne) 4 Neurologischen Störungen 4 Allgemein bei Überbelastung (Stress) Fußreflexzonenmassage Grundlage für die Fußreflexzonenmassage ist die Annahme, dass alle Organe des Körpers in bestimmten Regionen der Fußsohle abgebildet sind. Durch eine Druckmassage der entsprechenden Areale sollen die verschiedensten Krankheitsbilder beeinflusst werden. Die Fußreflexzonenmassage soll die psychische Verfassung verbessern, einen gesunden Schlaf bringen und die Verdauung fördern sowie die unterschiedlichsten Krankheitssymptome (Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen) zum Abklingen bringen. In wissenschaftlichen Studien konnte die Wirksamkeit bis jetzt nur vereinzelt belegt werden. Unterwasserdruckstrahlmassage Die Unterwassermassage nützt den Auftrieb des menschlichen Körpers im warmen Wasser und die massierende Wirkung der Düsen-Drucksstrahlen zur Entspannung der Muskulatur aus. Der Massagestrahl kann entweder gerade oder in zickzackförmigen Linien, oder Kreisen über die zu massierenden Körperstellen geführt, aber auch punktförmig eingesetzt werden.
375 11.2 · Physikalische Medizin
Anwendungsgebiete sind: 4 Muskelverspannungen 4 Arthrosen (Arthrose des Handgelenks, Arthrose des Kniegelenks, Arthrose des Hüftgelenks) 4 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Mögliche Kontraindikationen: 4 Herz-Kreislauf-Schwäche 4 Bluthochdruck 4 Schwere arterielle Verschlusskrankheit 4 Frische Thrombose 4 Schwangere ab dem 4. Monat ! Cave An Knochenvorsprüngen, Kniekehle, Achselhöhle, Genitalbereich oder der weibliche Brust sollte der Strahl nicht angewendet werden.
11.2.2.5 Hydrotherapie Kneipp-Therapie Die Kneipp-Therapie besteht aus Kneippgüssen und Wassertreten. Der Kneipp-Guss ist die Anwendung eines fast drucklosen gebundenen Wasserstrahles, der sich wie ein Mantel auf der begossenen Körperregion ausbreitet. Mit Güssen kann Wasseranwendung sehr differenziert und die Reizstärke von mild bis relativ stark gesteigert werden. Das Wassertreten trainiert die Gefäße und setzt einen starken thermischen Reiz. So soll Krankheiten vorgebeugt werden. Anwendungsgebiete sind: 4 Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen 4 Vegetativ-nervale Funktionsstörungen 4 Genesungsphase nach schweren Erkrankungen 4 Abhärtung und allgemeinen Leistungssteigerung Hydrogalvanische Anwendungen Durch Voll- oder Teilbäder unter zusätzlicher Verwendung galvanischen Stromes (= Gleichstrom), können die Hautgefäße erweitert und Schmerzen gelindert werden. Hydrogalvanische Bäder kombinieren die Wirkungen der Hydrotherapie mit den Wirkungen des galvanischen Stromes. Durch den Auftrieb werden Körper und Gelenke entlastet, die Muskeln und Nerven können sich entspannen, Wasserwärme und galvanischer Strom bewirken eine bessere Durchblutung und Schmerzlinderung. Jodbäder Die Wirkung ist insbesondere blutdrucksenkend und negativ-chronotrop. Anwendungsgebiete sind: 4 Arterielle Durchblutungsstörungen, besonders jene des Auges 4 Arteriosklerose
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4 Bluthochdruck 4 Schilddrüsenunterfunktion ! Cave Jodbäder dürfen bei einer Schilddrüsenüberfunktion oder allergischen Reaktionen auf Jod nicht angewendet werden.
Kochsalzbäder Kochsalzbäder finden in Sole- und Seebädern Anwendung. Hier wird der hohe Kochsalzgehalt des Wassers zu therapeutischen Zwecken verwendet. Anwendungsgebiete sind: 4 Bronchitis 4 Lungenemphysem 4 Asthma bronchiale 4 Chronische Entzündungen 4 Kinder mit schwachem Immunsystem Kohlensäurebad Zu den Wirkungen zählen: 4 Abnahme der Herzfrequenz 4 Verbesserung der Hautdurchblutung 4 Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks Anwendungsgebiete sind: 4 Funktionelle Durchblutungsstörungen, wie das Raynaud-Syndrom, bei dem Finger und Hände besonders stark auf Kälte reagieren 4 Organisch bedingte arterielle Durchblutungsstörungen 4 Chronische, schlecht heilende Wunden, nach Verbrennungen 4 Sedierung, Beruhigung bei psychosomatischen Erkrankungen 4 Bluthochdruck Zu den Kontraindikationen zählen: 4 Herzschwäche, Lungenschwäche 4 Akute fieberhafte Erkrankungen 4 Krebserkrankungen Radonbäder Radon ist ein Edelgas und strahlungsaktiv. Heilquellen können entweder Radiumsalze oder das Edelgas Radon enthalten, das beim Zerfall von Radium entsteht. Radium besitzt eine Halbwertszeit von 3,8 Tagen und wird bei Trink- und Bäderkuren durch die Strahlungsenergie wirksam. Da Radon weniger wasser- als fettlöslich ist, hat es eine deutlich ausgeprägtere Wirkung auf das Rückenmark, Gehirn, Nebennierenrinde, Leber, Milz, peripheren Nerven und dem Knochenmark. Radonbäder
376
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
haben eine anregende Wirkung und gelten als Jungbrunnen. Anwendungsgebiete sind: 4 Rheumatische und degenerative Gelenkerkrankungen 4 Altersbeschwerden und Schwächezustände 4 Erkrankungen endokriner Drüsen, z. B. klimakterische Beschwerden, Menstruationsstörungen 4 Hautkrankheiten, z. B. Psoriasis, Ekzeme
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11.2.2.6 Hochfrequenztherapie Unterschieden werden (. Tab. 11.3): 4 Kurzwellentherapie 5 Kondensatorfeldmethode: Kurzwellen erzeugen durch Kondensatschwingkreise ein elektrisches Feld. Der zu behandelnde Körperteil liegt zwischen 2 Plattenelektroden und ist damit Teil des gesamten Stromkreises im elektrischen Feld. In der Fettschicht unter der Haut entsteht der größte Wärmeeffekt. Tiefere Regionen werden schlechter erreicht. 5 Spulenfeldmethode: Eine als Elektrode ausgeformt Induktionsspule erzeugt ein hochfrequentes magnetisches Feld. Die elektromagnetischen Wellen dringen tief in das Körpergewebe (Muskeln, Bindegewebe) und erwärmen dieses besser als die Haut- und Unterhautfettregion. 4 Dezimeterwelle (Ultrahochfrequenz): Dezimeterwellen haben die größte Tiefenwirkung und erreichen eine gute Erwärmung. Die elektromagnetischen Wellen im Ultrahochfrequenzbereich werden bevorzugt von wasserhaltigen Geweben absorbiert. Deshalb ist diese Methode für die Behandlung innerer Organe, größerer Gelenke und Muskelschichten besonders geeignet. 4 Mikrowelle: Der Effekt der Behandlung ist eine oberflächennahe Erwärmung, es wird aber eine geringe Wirkung in der Tiefe des Körpers erreicht. Bei allen Erkrankungen des Bewegungsapparates oder innerer Organe, bei denen eine Wärmebehandlung angezeigt ist, kann auch eine Therapie mit hochfrequenten Strömen eingesetzt werden, z. B. bei: 4 Degenerativen Gelenkerkrankungen (Arthrose der Hand- und Fingergelenke, Arthrose des Hüftgelenks, Arthrose des Kniegelenks) 4 Wirbelsäulensyndromen 4 Muskelschmerzen 4 Sehnen(scheiden)entzündungen 4 Chronischer Adnexitis (z. B. Eileiterentzündung) 4 Versuchsweise auch bei chronischer Bronchitis
. Tab. 11.3. Methoden und Ort der besten Wirkung der Hochfrequenztherapie Kondensatorfeldmethode
Unterhautfettschicht
Spulenfeldmethode
Muskeln, Bindegewebe
Dezimeterwelle
Innere Organe, größere Gelenke und Muskelschichten
Mikrowelle
Haut
Mögliche Kontraindikationen sind: 4 Patienten mit Herzschrittmachern 4 Gestörte Sensibilität, akute Entzündungen oder floride Tumoren 4 Schwangerschaft, starke Periodenblutung 11.2.2.7 Wärmetherapie, Kältetherapie Die Haut weist sowohl Kälte- als auch Wärmerezeptoren auf. Die größte Rezeptorendichte befindet sich im Gesicht, die geringste auf der Haut an Armen und Beinen. Bei Kälte ziehen sich die Gefäße zusammen, Wärme hingegen erweitert sie. Wärme regt die Schweißdrüsen an, Kälte wiederum löst Muskelzittern aus. Damit soll Wärme erzeugt werden. Diese Regulationsprozesse des Körpers werden in der Wärme- und Kältetherapie therapeutisch genutzt. Wärmetherapie Durch Wärme wird der Stoffwechsel im Körper angeregt. Bei einer Erwärmung der Körpertemperatur um 1°C steigt der Puls um 15–20 Schläge/min. Der Transport von Sauerstoff, Nährstoffen, Antikörpern und der Abtransport von Stoffwechselprodukten werden gefördert. So wurden nach der Wärmetherapie z. B. erhöhte Kortisolwerte und vermehrte weiße Blutkörperchen nachgewiesen. Damit können geschwächte Abwehrkräfte mobilisiert werden. Langandauernde Wärme wirkt schmerzlindernd, muskelentspannend, verbessert die Dehnfähigkeit des Gewebes und die Regenerationsfähigkeit des Körpers. Indikationen sind: 4 Chronische Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates (Arthrose der Hand- und Fingergelenke, Arthrose des Kniegelenks, Arthrose des Hüftgelenks) 4 Wirbelsäulensyndrome 4 Morbus Bechterew 4 Muskuläre Verspannungen 4 Unruhe- und Erregungszustände bei psychischen Krankheiten
377 11.2 · Physikalische Medizin
Zu den Kontraindikationen zählen: 4 Akut entzündliche Schüben bei Gelenkentzündungen 4 Herz- und Kreislaufschwäche 4 Kurzatmigkeit 4 Hochfiebernde Infekte 4 Fortgeschrittene Tumorerkrankungen bei kachektischen Patienten Kältetherapie Kälte dämpft Entzündungen aller Art, weil durch eine verringerte Körpertemperatur die Aktivität der Entzündungsmediatoren gehemmt wird. Der Flüssigkeitsaustritt aus Blut- und Lymphgefäßen verringert sich bei Kälte, die Gefäße verengen sich und die Haut wird spärlicher durchblutet. Weil die Reflexe des Nervensystems generell herabgesetzt sind, nimmt auch die Schmerzempfindung unter der Haut, beispielsweise in den Gelenken und Muskeln ab. Kurzzeitig regen Kältereize die Muskelaktivität an, die Muskelspannung steigt. Lang andauernde Kältereize vermindern die Muskelaktivität, die Muskelspannung wird gesenkt und Verkrampfungen aufgelockert.
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Anwendungsgebiete sind: 4 Zustand nach Operationen 4 Bänder-, Gelenks- und Muskelverletzungen wie Verstauchungen, Prellungen oder Quetschungen 4 Verschleißbedingten Gelenks- und Wirbelsäulenerkrankungen 4 Spastische Muskelverspannungen 4 Arthrosen 4 Autoimmunerkrankungen 4 Bindegewebserkrankungen 4 Fiebersenkung Mögliche Kontraindikationen: 4 Erkrankungen der Herzkranzgefäße 4 Hypotonie 4 Systemische Sklerodermie 4 Morbus Raynaud 4 Trophische Störungen (Durchblutungsstörungen) 4 Anorexie 4 Hypothyreose 4 Eisenmangel 4 Tumorerkrankungen
In Kürze Physikalische Therapie Wirkung der Verfahren
Beruhen auf Reaktion, Regulation, Adaptation
Therapieplanung
Erfolgt durch den Arzt
Komplexbehandlung
Intensive Anwendung verschiedener therapeutischer Verfahren, um möglichst große Behandlungsfortschritte zu erreichen
Krankengymnastik
Ziele: 4 Kräftigung der geschwächten Muskulatur 4 Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit 4 Beseitigung von Schmerzen, schmerzhaften Muskelverspannungen
Bewegungstherapie
Methoden: Atemtherapie, Bewegungsübungen am Schlingentisch, Gangschulung, Haltungsschulung, Stemmübungen nach Brunkow, Medizinische Trainingstherapie (MTT), Bewegungsbad.
Massage
Verfahren: 4 Klassische Massage 4 Bindegewebsmassage 4 Fußreflexzonenmassage 4 Unterwasserdruckstrahlmassage
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Grifftechniken der klassischen Massage: 4 Streichen (Effleurage) 4 Kneten und Walken (Petrissage) 4 Klopfen (Tapotement) 4 Reiben (Friktion) 4 Erschüttern (Vibration)
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Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
Hydrotherapie
Verfahren: 4 Kneipptherapie (Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen, vegetativ-nervale Funktionsstörungen) 4 Hydrogalvanische Anwendungen (Muskelentspannung, Schmerzlinderung) 4 Jodbäder (Herz-Kreislauf-Erkrankungen) 4 Kochsalzbäder (Lungenerkrankungen) 4 Kohlensäurebad (Durchblutungsstörungen) 4 Radonbäder (Gelenkerkrankungen, Altersbeschwerden)
Wärmetherapie
Wirkungen: schmerzlindernd, muskelentspannend, Anregung der Immunabwehr
Kältetherapie
Wirkungen: Dämpfung der Entzündungsreaktion, Lockerung der Muskelverkrampfungen
11.3
Naturheilverfahren
11.3.1 Allgemeines Als Naturheilverfahren werden in der Medizin Methoden bezeichnet, die versuchen, durch den Einsatz natürlicher Mittel die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen (. Tab. 11.4). Die Definition der Naturheilkunde Ende des 19. Jahrhundert als die Lehre von der
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Heilung der Krankheiten ohne ärztliches Zutun ist so heute nicht mehr haltbar, da zahlreiche Ärzte Naturheilverfahren anwenden oder sich sogar auf Alternative Medizin spezialisiert haben. Der Anwendung von Naturheilverfahren liegt ein ganzheitliches Medizinverständnis zugrunde, welches ressourcenorientiert und auf gleichrangige Gewichtung von Körper, Geist und Natur bedacht ist. Im Rahmen der individualisierten und multimodalen Behandlungs-
. Tab. 11.4. Übersicht über die Naturheilverfahren Wissenschaftlich anerkannte Therapieformen
Umstrittene Therapieverfahren
Akupunktur 4 Einstechen der Nadel in die Akupunkturpunkte 4 Moxibustion
Neuraltherapie 4 Örtlich wirksame Betäubungsmittel zur Beeinflussung übergeordneter Regelkreise
Entspannungstechniken 4 Biofeedback 4 Entspannen mit Aromen 4 Mentales Training 4 Meditation und Yoga
Ausleitende Verfahren 4 Schröpfen 4 Blutegeltherapie
Ernährungstherapie 4 Pflanzliche Frischkost 4 Lebensmittel aus dem biologischen Anbau 4 Beachtung des Säure-Basen-Haushalts
Eigenbluttherapie 4 Konventionelle Eigenbluttherapie 4 Potenziertes Eigenblut 4 Hämatogene Oxydationstherapie
Symbioselenkung/mikrobiologische Therapie 4 Wiederherstellen der normalen Mikroorganismenflora Balneotherapie 4 Trinkkuren 4 Moor und Schlamm 4 Hydrotherapie, medizinische Bäder 4 Kneipp-Kur Phytotherapie 4 Aus Pflanzen hergestellte Medikamente
379 11.3 · Naturheilverfahren
konzeption werden physiologische und psychologische Regulationsmechanismen genutzt. Therapieziele sind die Anregung der Selbstheilungskräfte durch naturgegebene Einwirkungen einschließlich gezielter unspezifischer und spezifischer systemischer und lokaler Reize sowie die Anleitung und Förderung zur Übernahme von Eigenverantwortung durch den Patienten. 11.3.1.1 Wirkprinzipien Die Wirkungsweise medizinischer Therapien der Naturheilverfahren ist historisch den folgenden 4 Prinzipien zuzuordnen: 4 Elimination (Beseitigung von Krankem) 5 Vermeiden, z. B. von Giften, Allergenen 5 Schonung, z. B. körperliche Ruhe, Ernährungsprogramme 5 Ausleiten, z. B. auch Fasten 5 Kühlen, z. B. bei entzündlichen Prozessen 5 Manuelle Medizin, z. B. Lösen von Blockierungen 4 Substitution (Ersatz von Fehlendem und Krankem) 5 Verschiedene Ernährungsprogramme 5 Milde Trainingsbehandlungen 5 Heliotherapie (Bildung von Vitamin D in der Haut) 5 Wärmezufuhr 5 Aspekte der Phytotherapie 4 Direktion (Lenkung, z. B. pharmakologisch von Körperfunktionen) 5 Reflektorisch wirkende Maßnahmen (Wärme, Kälte, Massage, diverse hautreizende Verfahren) 5 Akupunktur 5 Neuraltherapie 5 Phytotherapie 5 Therapeutische Lokalanästhesie 4 Stimulation (durch Reize erzeugte Reaktionen) 5 Hydrotherapie, Balneologie 5 Klimatherapie 5 Bewegungstherapie 5 Aspekte des Fastens, Rohkost 5 Heliotherapie (Sonnenbrand) 5 Homöopathie 5 Aspekte der Phytotherapie Die ersten drei Prinzipien gelten für die Schulmedizin, wie für die anerkannten Verfahren der Naturheilkunde. 11.3.1.2 Homöopathie Der Begriff Homöopathie wird als Synonym für alle möglichen alternativen Heilmethoden oder Naturheilverfahren verwendet. Viele aus Pflanzen hergestellte
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Arzneistoffe werden umgangssprachlich als homöopathisch bezeichnet. > Homöopathie und Naturheilverfahren sind jedoch zwei vollkommen unterschiedliche Therapiekomzepte.
Homöopathie ist eine umstrittene medizinische Methode, die im 18. Jahrhundert von dem Arzt Samuel Hahnemann entwickelt wurde. Sie gehört nach dem Arzneimittelgesetz von 1976 zu den sog. besonderen Therapierichtungen. Ihre Mittel dürfen im Gegensatz zu normalen Medikamenten ohne Wirksamkeitsnachweis, allein durch Registrierung, auf den Markt gebracht werden. Hahnemann setzt auf das Ähnlichkeitsprinzip (»similia similibus curentur«, Simile-Prinzip der Homöopathie), wonach sich Krankheiten mit Arzneien, die beim Gesunden ähnliche Symptome erzeugen, auslöschen lassen. Um die Anwendungsbereiche homöopathischer Präparate zu erkennen, wurden u. a. Versuche an Gesunden vorgenommen. Die entstehenden Symptome gäben Auskunft darüber, bei welchen Krankheiten das getestete Mittel angewandt werden soll. Die Auswahl eines homöopathischen Mittels richtet sich nach den allgemeinen, den lokalen, den Leitund den Gemütssymptomen des Patienten. Dieses wird dann meist als Globuli (Rohrzuckerkugel), Dilution (Lösung) oder Tabuletta (Milchzuckertablette) verabreicht. Diese enthalten homöopathische Hochpotenzen (Potenzierungsverfahren). Durch Verdünnung der Ursubstanz sowie durch »Reiben und Schütteln« sollen sich laut Hahnemann die »latenten«, und »wie schlafend« verborgenen »dynamischen Kräfte« entwickeln. Dies könne so weit gehen, dass nur eine extrem starke »geistige Kraft« übrig bleibe. Bei einer Arzneianwendung solle dann diese »künstliche« Kraft als »rechte Gabe« so gewählt werden, dass sie die »natürliche« Krankheit nur wenig an Stärke übersteigt, um den Kranken möglichst wenig zu belasten. In der Homöopathie werden häufig Verdünnungstinkturen verwendet. Obwohl eine Verdünnung von D26 (entspricht 1:1026) dem Auflösen eines einzigen Tropfens in allen Weltmeeren entspricht und schon bei Verdünnungen von D23 (1:1023) in einem Medizinfläschchen kein einziges Molekül der Urtinktur mehr vorhanden sein dürfte, werden Verdünnungen von 1:1030 (D30) und mehr verwendet. Eine glaubhafte und nachprüfbare Erklärung, warum derart hohe Verdünnungen wirksam sein sollen, konnten Homöopathen bisher nicht geben. Auch in sauber durchgeführten klinischen Studien konnte nicht reproduzierbar nachgewiesen werden, dass homöopathische Medikamente in hohen Verdünnungen eine über den Plazebo-Effekt hinausgehende Wirksamkeit haben.
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11.3.2
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
Spezielle Verfahren
11.3.2.1 Akupunktur, Akupressur Das chinesische Wort für Akupunktur besteht aus 2 Teilworten, die die Hauptanwendung der Akupunktur beschreiben, nämlich dem Einstechen der Nadel in die Akupunkturpunkte und dem Erwärmen (Moxibustion) der Punkte (. Abb. 11.4). Die Akupunktur gehört zu den Umsteuerungs- und Regulationstherapien. Noch älter als die Akupunktur ist die Akupressur. Hier werden die Punkte mit Hilfe der Fingerkuppen massiert.
. Abb. 11.4. Akupunktur des Ohres. Repräsentanz des Körpers auf der Ohrmuschel
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Als Hauptindikation für eine Akupunkturbehandlung gelten chronische Schmerzen, v. a. wenn kein morphologischer Befund (z. B. Tumor) vorliegt. Aber auch die Linderung von Beschwerden bei Pollinosis (Heuschnupfen), Tinnitus und die Anwendung in der Gynäkologie zur Geburtsvorbereitung, und Regelbeschwerden sind Indikationen, bei denen die Akupunkturbehandlung erfolgversprechend ist. Weitere Indikationen sind: 4 Erkrankungen des Atmungssystems (z. B. akute Nasennebenhöhlenentzündung) 4 Gastrointestinale Störungen (z. B. chronischen Magengeschwüren)
381 11.3 · Naturheilverfahren
4 Bronchialasthma 4 Neurologische Störungen (z. B. nach Schlaganfällen) 4 Augenerkrankungen (z. B. zentrale Retinitis) 4 Muskuloskelettale Erkrankungen (z. B. Zervikobrachialsyndrom) 4 Akupunktur-Anästhesie bei kleineren Eingriffen z. B. Zahnbehandlungen 4 Erkrankungen im Mundbereich (z. B. Zahnschmerz, Schmerzen nach Extraktionen, Gingivitis) 4 Übelkeit nach Chemotherapie; Übelkeit während der Schwangerschaft; Übelkeit nach Operationen Seltene Komplikationen können sein: 4 Organverletzungen wie z. B. ein Pneumothorax (selten) durch eine unbeabsichtigte Verletzung der Lunge 4 Beim Arbeiten mit unsterilen Nadeln – wie dies z. B. in China selbst oft der Fall ist – Infektionskrankheiten wie Hepatitis B, C und auch AIDS. Allerdings ist die Infektionsgefahr deutlich geringer als bei Kanülen – die Haut scheint gegenüber massiven Stahlnadeln eine höhere Keimresistenz zu besitzen bzw. kann durch das Kanülenlumen eine größere Menge potenziell kontaminierten Blutes übertragen werden. 11.3.2.2 Atemtherapie Die Atemtherapie ist eine ganzheitliche Körpertherapiemethode. Im Mittelpunkt steht dabei die Konzentration auf den eigenen Atem in seinem natürlichen Rhythmus, ohne diesen willentlich zu beeinflussen. Mit der Vertiefung und Verbesserung der Atmung gelingt es, körperliche und seelische Störungen nachhaltig zu beeinflussen, häufig auch zu beheben. Die Atemtherapie ist bei Kindern und Erwachsenen, in Gruppenarbeit oder Einzelbehandlungen anwendbar. Sie wird bevorzugt im Liegen durchgeführt und kann auch durch die Anwendung von ätherischen Ölen auf der Haut unterstützt werden. Es werden auch Meridianpunkte berücksichtigt, welche reflektorisch den Atem vertiefen. Solche atemzwingenden Punkte befinden sich sowohl am Rücken als auch auf der Vorderseite und der Körperseite. Die Atemmassage erhöht die Elastizität der gesamten Rumpfmuskulatur: Verspannungen (Hypertonus) lösen sich, Unterspannungen (Hypotonus) werden tonisiert. Die neu gewonnene gute Spannung (Eutonus) führt zu erhöhter und koordinierter Elastizität und zu Wohlbefinden. Rückenschmerzen z. B. können gelindert werden oder lösen sich auf. Der Atem kommt zu optimalen Bedingungen.
4 4 4 4 4 4 4
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Hauptanwendungsgebiete sind: Atemprobleme Rückenprobleme Alle Formen von Verspannungen Kopfschmerzen Depressive Verstimmungen Ängsten Sinnkrisen
11.3.2.3 Entspannungstechniken Entspannungstechniken werden bei verschieden Krankheitsbildern zur Rehabilitation und Therapie eingesetzt: 4 Muskelverspannungen, Muskelkrämpfe 4 Akute und chronische Schmerzen 4 Migräne, Cluster-Kopfschmerz 4 Hypertonie 4 Status nach Magen-Darm-Operationen 4 Psychiatrische und psychosomatische Erkrankungen > Jeder Patient muss die für ihn am besten geeignete und praktizierbare Methode persönlich herausfinden und regelmäßig üben, um sie anschließend in Belastungssituationen erfolgreich anwenden zu können.
Biofeedback Die Biofeedback-Methode bedient sich der Ableitung geeigneter physiologischer Parameter (Hautwiderstand, Körpertemperatur, Muskelspannung, Puls, Gefäßausdehnung), die als genaue Indikatoren für das Ausmaß der Entspannung gelten. Sie wird heute häufig vom Computer unterstützt. Beim Training mit dem Biofeedback-Gerät kann sich der Übende laufend die aktuellen Werte dieser Parameter (z. B. über einen Bildschirm) informieren. Über die kontinuierliche Wahrnehmung der aktuellen Körperreaktionen können diese auch beeinflusst werden. Entspannung mit Aromen Die Verwendung von Düften und pflanzlichen Essenzen ist so alt wie die Menschheit selbst. Ursprünglich dienten Räucherungen mit ausgewählten Pflanzen dem spirituellen Zweck, sie den Göttern als Opfergabe zu bieten. Die Herstellung von Duftölen und Salben aus gestampften Blüten ist jedoch auch schon vor der Antike bekannt gewesen. Schnell lernten die Menschen, die entspannende und gleichzeitig belebende Wirkung der Duftaromen zu schätzen, und entdeckten früh die medizinischen Verwendungsmöglichkeiten der pflanzlichen Essenzen.
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Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
! Cave Aromen sind potenziell allergen und können einen Asthmaanfall auslösen.
Farbtherapie Die Farbtherapie und Farblichttherapie beruht auf der Annahme, dass Farben einen positiven Einfluss auf unser Wohlbefinden haben können. Ihre Anhänger behaupten, dass sie auch spezifische Wirkungen auf das Nervensystem, die Hormon- und Drüsenaktivitäten hervorrufen können. Wissenschaftliche Belege sind dafür keine vorhanden. Feldenkrais Die Feldenkrais-Methode geht von der Einheit von Körper und Psyche aus. Hinter den Bewegungsmustern und Körperhaltungen stehen unsere Lebensmuster und geistigen Einstellungen. Das Erscheinungsbild eines Menschen, sein Auftreten und seine Körperhaltung sind Ausdruck seines subjektiven Selbstbildes. Ist dieses Bild negativ, dann ist die geistige und körperliche Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
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Mentales Training Das mentale Training nimmt sich zum Ziel, die Realität in Abhängigkeit von den eigenen Wünschen »mental« neu zu gestalten. Durch entsprechendes Training sollen bestehende Gedankenabläufe und Vorstellungen bewusst beeinflusst und verändert werden. Das Ziel des mentalen Trainings ist letztlich das positive Denken. Meditation Meditationen sind uralte überlieferte Techniken der Bewusstseins- und Selbstfindung. Bei einer tiefen Meditation kommt es zu einem Gefühl der Zeitlosigkeit und das Bewusstsein löst sich vom konstanten Gedankenfluss. Meditation bedeutet, sich selbst und das eigene Bewusstsein zu erfahren, es zu leiten und zu einer erweiterten Perspektive zu gelangen. Yoga Mit Yoga soll ein Zustand der inneren Einheit und Harmonie erreicht werden. Yoga lebt durch die Praxis und durch den Einzelnen. Jeder kann und darf seine persönlichen Erfahrungen machen und seinen eigenen Weg finden. Besonders wichtig für den Schüler ist in jeder Hinsicht der Yogalehrer, welcher dem Übenden stets mit Rat und gutem Willen zur Seite steht. Yoga folgt einem systematisch gegliederten und zielgerichteten Aufbau. 11.3.2.4 Ernährungstherapie Die Ernährungstherapie stellt die Basis eines naturheilkundlichen Behandlungsansatzes dar. Im Mittelpunkt
steht die Aussage Nahrung soll Heilmittel sein. Wenn Ernährungstherapie als Naturheilverfahren verstanden wird, dann kommt es auf die optimale Zusammensetzung der Nahrung an, die auf den gesamten Organismus einwirken soll. Im Sinne einer naturheilkundlichen Ernährungstherapie kommt es auf die Beachtung der Lebensmittelqualität sowie auf die Bewertung des Gesundheitswertes des Lebensmittels an. Die pflanzliche Frischkost spielt die eine Hauptrolle. Rückstände und Verunreinigung in Lebensmitteln sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Lebensmittel aus dem biologischen Anbau haben den Vorzug. Die Ernährungstherapie im naturheilkundlichen Sinne bezieht vor allem die Beachtung des Säure-Basen-Haushalts ein. Sie möchte über die Ernährung auf den Säure-BasenHaushalt einwirken entsprechend dem Grundsatz: »Basisch ist das Leben. Sauer ist der Tod«. Hierbei werden säurebildende Nahrungsmittel gemieden wie Zitrusfrüchte pure Fruchtsäfte, Nikotin, Kaffe, schwarzer Tee und Schweinefleisch. Aus naturheilkundlicher Sicht ist als Idealkost eine vollwertige Grunddiät zu verstehen. Eine vernünftige ausgewogene, wohlschmeckende Ernährungsform, die einen positiven Einfluss auf den Gesamtorganismus und seine Grundfunktionen ausübt. Bei bestimmten Erkrankungen kann diese vollwertige Grunddiät durch Änderungen oder Ergänzungen spezifisch ergänzt oder abgewandelt werden. Hauptanwendungsgebiete sind: 4 Adipositas 4 Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes (Obstipation, chronisch-entzündlich Darmerkrankungen) 4 Hauterkrankungen 11.3.2.5
Symbioselenkung, mikrobiologische Therapie Der Mensch lebt mit einer Vielzahl von Mikroorganismen (z. B. Bakterien) in einer natürlichen und engen Lebensgemeinschaft. Die Mikroorganismen besiedeln alle Schleimhäute, so auch den Darm. Da zum Leben sowohl der Mensch auf die Mikroorganismen als auch die Mikroorganismen auf den Menschen angewiesen sind, spricht man von einer Symbiose dieser beiden. Diese Symbiose ist, da sie schädigenden Umwelteinflüssen, Fehlernährung, Missbrauch von Medikamenten sowie schädigender Lebensweise usw. ausgesetzt ist, störanfällig. Die so entstehende Dysbiose (gestörte Symbiose) bildet häufig die Grundlage von akuten, meist aber chronischen Erkrankungen. Da die Krankheitsursache, die gestörte Symbiose, meistens nicht erkannt wird, ist auch keine Therapie der Ursache möglich.
383 11.3 · Naturheilverfahren
Durch die Symbioselenkung (oder mikrobiologische Therapie) wird die Symbiose zwischen Mikroorganismen und Mensch wiederhergestellt. Durch das Wiederherstellen der normalen Mikroorganismenflora im Darm ist eine echte Kausaltherapie, also ein Wiedererreichen der Gesundheit durch das Beseitigen von Krankheitsursachen möglich. Hauptanwendungsgebiete sind: 4 Akute und chronische Infekte und Erkrankungen der oberen Luftwege, z. B. Nasennebenhöhlenentzündung, Bronchitis 4 Hauterkrankungen 4 Harnwegsinfekte 4 Störungen im Magen-Darm-Bereich 4 Allergien 11.3.2.6 Ausleitende Verfahren Unter ausleitenden Verfahren versteht man: 4 Aderlass 4 Schröpfen 4 Blutegeltherapie Der Effekt ausleitender Verfahren wird auf den Wirkungsmechanismus der unspezifischen Reiztherapie zurückgeführt, bei denen äußere Hautreize auf innere Organe einwirken. Dadurch werden Organfunktionen angeregt sowie das Immunsystem stimuliert. Den Organen wird dabei Blut zugeführt und nicht, wie ursprünglich im Altertum angenommen, entzogen. Aderlass Aderlass Bis ins 18. Jahrhundert wurden Patienten bei allen möglichen Beschwerden zur Ader gelassen. Mit diesem Verfahren sollten kranke Organe entlastet oder der Körper von krankmachenden Giften befreit werden. Die moderne Medizin hat diese Methode sehr stark eingeschränkt.
Beim Aderlass werden dem Patienten pro Behandlung zwischen 50 und 500 ml Blut entnommen. Dieser Vorgang dauert eine halbe Stunde und sollte unbedingt im Liegen erfolgen. Danach erhält der Patient in gleicher Menge eine Infusion mit physiologischer Kochsalzlösung. > Heute wird der Aderlass nur noch bei 2 seltenen Blutkrankheiten medizinisch eingesetzt, der Polyzythämie und der Eisenspeicherkrankheit. Für diese Erkrankungen gibt es bislang noch keine anderen wirksamen Therapien.
Ein Aderlass kann zu Schwindelanfällen oder zu einer vorübergehenden Kreislaufschwäche führen. Wird ein
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Patient zu häufig zur Ader gelassen, wird der Körper unnötig geschwächt. Der Plasmaersatz, den manche Therapeuten nach dem Aderlass per Infusion geben, kann einen schweren allergischen Schock auslösen. Kontraindikationen sind: 4 Herzrhythmusstörungen 4 Kreislaufschwäche 4 Niedriger Blutdruck 4 Durchfall 4 Allgemeine Abgeschlagenheit 4 Blutarmut 4 Durchblutungsstörungen im Gehirn und Blutgerinnungsstörungen Auch während der Menstruation sollte man auf diese Behandlung verzichten. Schröpfen Schröpfen Schröpfen ist eine Jahrtausend alte Heilmethode, die in den verschiedensten Kulturkreisen eingesetzt wurde. Sie wurde vor allem in den indischen und südamerikanischen Kulturkreisen beschrieben. Im klassischen Griechenland symbolisierte die Schröpfglocke sogar den Ärztestand.
Bei diesem Verfahren werden mehrere Schröpfglocken auf den Rücken des Patienten platziert. Das Schröpfen von Blut wird vorwiegend bei Durchblutungsstörungen, Verhärtungen in der Haut und im Unterhautfettgewebe, Muskelschmerzen, Verspannungen, chronischem Kopfweh, Rückenschmerzen, rheumatischen Beschwerden, Asthma, Tuberkulose und Tinnitus angewendet. Blutegeltherapie Medizinische Blutegel sind Süßwasser-Ringelwürmer. Da ihr Speichel die blutgerinnungshemmende Sustanz Hirudin enthält, werden sie schon seit Jahrhunderten für die Behandlung von verschiedenen Leiden eingesetzt. Das Hirudin, das über die Saugwunde in das Blut des Patienten gelangt, wirkt blutgerinnungs- und entzündungshemmend. Außerdem soll es eine antibakterielle Wirkung haben. Der Biss erzeugt eine Wunde in Form eines dreistrahligen Sternes. Sie blutet noch etwa 24 h nach. Empfohlen wird die Egeltherapie bei Venenentzündungen mit Thrombosen, Stauungen in Venen und Lymphgefäßen, rheumatischen Entzündungen, Abszessen und Furunkeln, Migräne und Nebenhöhlenentzündungen. Generell können Blutegel während einer Behandlung Krankheitskeime aufnehmen und diese auf andere Patienten übertragen. Deshalb sollten Blutegel nur einmalig verwendet werden. An den Bissstellen kön-
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Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
nen bei empfindlichen Patienten Allergien auftreten. Vor allem bei Personen, die an einer Blutgerinnungsstörung leiden, besteht die Gefahr einer verlängerten Nachblutung. > Bei Blutarmut und Erschöpfungszuständen sowie an Krampfaderknoten dürfen keine Blutegel angewendet werden.
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11.3.2.7 Neuraltherapie Die Neuraltherapie entstammt der Schulmedizin und versteht sich als ganzheitliche Regulationstherapie. Ziel der neuraltherapeutischen Behandlung ist es, gestörte Regelsysteme auf verschiedenen physiologischen Ebenen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Im gesunden Körper finden ununterbrochen und unbemerkt vom Bewusstsein Abstimmungsvorgänge statt, die alle Organe, Muskeln, Nerven, das Bindegewebe und die Haut steuern. Das körpereigene Regelsystem ist in der Lage kleine und kaum spürbare Funktionsstörungen auszugleichen. Viele kleine Störungen können die körpereigene Selbstregulierung entgleisen lassen und machen sich z. B. als Schmerzen bemerkbar. Die ganzheitliche Sichtweise der Neuraltherapie geht davon aus, dass beispielsweise schadhafte Zähne, chronische Entzündungen von Nebenhöhlen und Organen wie z. B. Mandeln sowie Narben als Störfelder oder Herde in Betracht kommen, die in anderen Teilen des Körpers Schmerzen verursachen können. Die Neuraltherapie arbeitet mit örtlich wirksamen Betäubungsmitteln, z. B. mit Lidocain. Die Wirkung beruht dabei nicht auf der direkten betäubenden Wirkung des Mittels, sondern darauf, dass übergeordnete Regelkreise des Körpers beeinflusst werden. Die vorübergehende Ausschaltung verursachender Faktoren, z. B. von Narben (Herd- Störfeldgeschehen) durch gezielte Injektionen kleiner Mengen des örtlichen Betäubungsmittels schafft die Voraussetzung entgleiste Regelvorgänge zu normalisieren oder zu verbessern. Spontane Beschwerdefreiheit (Sekundenphänomen nach Huneke) bzw. anhaltende Besserung von Funktionsstörungen und Schmerzen sind in diesem Zusammenhang als Ergebnis der wiederhergestellten oder verbesserten Mechanismen der körpereigenen Regulation zu betrachten. Indikationen können sein: 4 Kopf: migräneartiger Kopfschmerz, Nackenkopfschmerz 4 Ohr: entzündliche Erkrankungen des Ohres, Tinnitus 4 Erkrankungen im Zahn-Kieferbereich 4 Funktionelle Herz- oder Atmungsbeschwerden (Herzrhythmusstörungen, Herzrasen, Reizhusten, Störungen beim Durchatmen)
4 Bauch: Magen- und Darmbeschwerden (Gastritis, Leber-Galle-Beschwerden, Störungen der Bauchspeicheldrüse, Verdauungsbeschwerden) 4 Harnwege: Entzündungen oder Reizzustände 4 Geschlechtsorgane: Funktionsstörungen oder entzündliche Erkrankungen 4 Erkrankungen des Bewegungsapparates: Schmerzen und Bewegungseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule, (Hexenschuss, Ischias, Peitschenschlagsyndrom) und der Gelenke (Schulter-, Ellbogen, Hüft-, Kniegelenksbeschwerden etc.) beschwerdelindernde Wirkung bei Arthrosen oder bei Zuständen als Folge entzündlicher Gelenkserkrankungen, Beschwerden nach Amputationen 4 Vegetative Funktionsstörungen: Störung der Schweißsekretion, Durchblutungsstörungen, Störungen des Wärmehaushaltes, Schlafstörungen 4 Schilddrüsenfunktionsstörungen 4 Wundheilungsstörungen, gestört verheilende Narben Kontraindikationen sind: 4 Erbkrankheiten, psychogene Erkrankungen, Systemerkrankungen, bösartige Tumoren und irreversible Schäden sind durch Neuraltherapie nicht zu beeinflussen 4 Überempfindlichkeit gegenüber dem örtlichen Betäubungsmittel 4 Herzrhythmus- und Überleitungsstörungen (AVBlock Grad II und III), schwerere Formen von Herzmuskelschwäche 11.3.2.8 Balneotherapie Unter Balneotherapie, auch Bädertherapie genannt, versteht man eine Kurtherapie über mehrere Wochen, bei der verschiedene Anwendungen eingesetzt werden (. Abb. 11.5). Angewendete Verfahren sind dabei 4 Heilwasser (Trinkkuren) 4 Heilpeloiden (Moor und Schlamm) 4 Wasser (Hydrotherapie, medizinische Bäder) 4 Kälte und Wärme (Kneipp-Kur) 4 Inhalationen 4 Umstellung der Ernährung Auch das Klima des Kurortes spielt für die Genesung eine wichtige Rolle (z. B. Klimatherapie an der Küste). Nicht zu unterschätzen sind außerdem die günstigen Wirkungen des im Vergleich zum Alltag veränderten Tagesrhythmus und des Millieuwechsels auf das Wohlbefinden. Die Anwendungen haben nicht nur einen kurierenden Effekt. Körper und Seele werden gleichermaßen aufgebaut.
385 11.3 · Naturheilverfahren
11
operierten Patienten angewendet. Kneipp-Güsse dienen zur allgemeinen Abhärtung und zum Gefäßtraining. Kontraindikationen für die Balneotherapie sind: 4 Thrombose 4 Thrombophlebitis 4 Bösartige hämatologische Erkrankungen 4 Bronchialasthma 4 Tuberkulose 4 Bösartige Tumorleiden 4 Hypertonie 4 Kreislaufstörungen in Verbindung mit Herzinsuffizienz 4 Angina pectoris 4 Hyperthyreoidismus 4 Endometritis
. Abb. 11.5. Trinkkur als Anwendungsbeispiel in der Balneotherapie
Die stationär in einem Kurort durchgeführte balneologische Kur dauert in der Regel 3–4 Wochen. Sie dient der Rehabilitation nach einer Krankheit, kann aber auch bei chronischen Leiden oder psychischer Belastung hilfreich sein. Neben stationären Kuren in einer Klinik werden viele Anwendungen auch ambulant angeboten. Die Hydro- und Balneotherapie bietet vielfältige Anwendungsgebiete für orthopädische und neurologische Erkrankungen. Hauptziele sind Schmerzlinderung, Durchblutungsförderung und Entspannung. Diese Wirkweisen werden durch spezielle Zusätze in Volloder Teilbädern erreicht. Indikationen für die Hydrotherapie sind: 4 Rheumatismus 4 Chronische Entzündungs- und degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates und des Knochenbaus (Arthritis, Arthrose, Spondylose, Spondylitis, Diskopathie, Bandscheibenvorfall) Die Wärmetherapie wird durch Fango, Heißluft und Rotlicht verabreicht und bewirkt dabei eine Senkung von Blutdruck und Lockerung von Muskelverspannungen. Retterspitzumschläge und Kryocuff werden zur Abschwellung und Entzündungshemmung bei frisch
11.3.2.9 Eigenbluttherapie Die Eigenbluttherapie ist eine Reiz- und Umstimmungstherapie, bei der etwa 0,1 ml bis maximal 5,0 ml entnommenes Venenblut wieder injiziert wird. Dies geschieht entweder direkt in die Haut (intrakutan), unter die Haut (subkutan) oder über die am häufigsten verwendete Methode in den Gesäßmuskel (intramuskulär). Durch den kurzen Aufenthalt außerhalb des Körpers erfahren bestimmte Stoffe im Blut eine geringfügige Veränderung, so ist die Lehrmeinung der Vertreter dieser Therapie. Die Immunabwehr erkennt diese dann als Fremdkörper, welche eine intensive Stimulation der körpereigenen Abwehrkräfte verursachen und damit die Selbstheilungsfähigkeit des Organismus wiederherstellt. Um die Wirksamkeit zu erhöhen, werden dem Blut teilweise homöopathisch aufbereitete Präparate beigemischt. ! Cave Wie bei vielen naturheilkundlichen Therapien können sich die Beschwerden am Anfang der Behandlung zunächst verstärken. Diese sog. Erstreaktion ist meist ein Zeichen, dass die Behandlung Wirkung zeigt.
Folgende Varianten der Eigenblutbehandlung können durchgeführt werden: 4 Konventionelle Eigenbluttherapie: Das Blut wird mit einer Spritze der Vene entnommen und sofort wieder in den Muskel injiziert. Oft werden auch homöopathische oder pflanzliche Mittel noch in die Spritze eingebracht, das dann zusammen mit dem Blut verabreicht wird. 4 Potenziertes Eigenblut: Das entnommene Blut wird nach homöopathischen Regeln potenziert, d. h. verdünnt und dann in bestimmten Abständen eingenommen.
386
Kapitel 11 · Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren
4 Hämatogene Oxidationstherapie: Das Blut wird mit hochkonzentriertem Sauerstoff angereichert und über die Vene zurückgegeben. 4 Sauerstoff- oder Ozontherapie: Das Blut wird mit einem Ozon-Sauerstoff-Gemisch versetzt und zurück in den Muskel gespritzt. 4 Havlicek-Verfahren: Das Blut wird mit einer Verweilkanüle und Schlauch entnommen. Der Schlauch wird an einer UV-Lampe vorbeigeführt und über den gleichen Weg zurückgespritzt. Die häufigsten Anwendungsgebiete sind: 4 Allergische Erkrankungen, wie Heuschnupfen und Asthma bronchiale 4 Chronische Entzündungen, wie Bronchitis 4 Degenerative Prozesse, z. B. rheumatische Erkrankungen 4 Hauterkrankungen, wie Neurodermitis, Ekzeme, Akne Auch angewendet wird die Eigenbluttherapie bei: 4 Infektionen 4 Durchblutungsstörungen 4 Immunschwäche 4 Schlafstörungen 4 Hormonelle Störungen
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11.3.2.10 Phytotherapie Die Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) verwendet nur ganze Pflanzen (z. B. Kräuter) und deren Teile (z. B. Wurzeln, Blätter, Blüten) zu Heilzwecken. Diese werden auf verschiedenste Art und Weise verabreicht. Mögliche Darreichungsformen sind u. a. das Dekokt (lat.: die
Auskochung) der Kaltwasserauszug, der Aufguss, die Pulverisierung oder das Frischkraut. Sie ist in Deutschland eine anerkannte besondere Therapieform im Sinne des Sozialgesetzbuches. Seit 1978 bekennt sich der deutsche Gesetzgeber im Arzneimittelgesetz zum Wissenschaftspluralismus der Medizin. Beim Aufguss wird eine bestimmte Menge eines Heilkrautes mit kochendem Wasser übergossen und 10–15 min abgedeckt ziehen gelassen. Es entsteht ein sog. Kräutertee. Es können auch zerstoßene Früchte, wie z. B. Kümmel oder Fenchel werden. Während der Abkochung werden die Pflanzenteile in kaltem Wasser angesetzt, zum Kochen gebracht und ca. 5–10 min abgekocht. Danach wird, wie beim Aufguss, abgegossen. Für die Abkochung wird normalerweise eine kleinere Menge Kraut als beim Aufguss benutzt. Der Kaltwasserauszug verwendet zerkleinerte Pflanzenteile. Diese werden mit kaltem bis lauwarmen Wasser übergossen und mehrere Stunden stehen gelassen und anschließend abgeseiht. Anwendungsgebiete sind: 4 Blähungen (Meteorismus), z. B. Fenchel, Pfefferminze, Kümmel 4 Schlaf- und Beruhigungsmittel, z. B. Baldrian, Zitronenmelisse, Hopfen 4 Hyperlipidämie, z. B. Knoblauch 4 Herzinsuffizienz NYHA I, z. B. Weißdorn 4 Substanzen zur Förderung der Darmentleerung, z. B. Rizinusöl, Leinsamen, Flohsamenschalen 4 Benigne Prostatahyperplasie, z. B. Kürbissamen, Sägepalmenfrüchte
In Kürze Naturheilverfahren Homöopathie
Umstrittene Heilmethode, arbeitet u. a. nach dem Simile-Prinzip, mit hochverdünnten Mitteln; meist als Globuli verabreicht
Akupunktur
Verwendet das Einstechen von Nadeln in bestimmte Punkte der Körpers als Regulationsreiz; häufigste Indikation: chronische Schmerzen
Atemtherapie
Entspannungsmethode bei vielen verschiedenen, hauptsächlich psychosomatischen Indikationen
Entspannungstechniken
Biofeedback, Entspannen mit Aromen, Entspannungsmassage, Farbtherapie, Feldenkrais, mentales Training, Meditation, Yoga. Jeder Patient muss die für ihn am besten geeignete Methode selbst herausfinden und regelmäßig üben, um sie anschließend in Stresssituationen anwenden zu können.
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387 11.3 · Naturheilverfahren
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Ernährungstherapie
Durch eine vorwiegend basische und pflanzliche Ernährung den Gesundheitszustand verbessern und Krankheiten vorbeugen.
Symbioselenkung
Durch Stärkung der Darmflora den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden positiv beeinflussen
Aderlass, Schröpfen, Blutegeltherapie
Ausleitenden Verfahren, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen nur nach genauer Indikationsstellung anzuwenden
Neuraltherapie
Örtlich wirksame Betäubungsmittel, die Wirkung beruht nicht auf der direkten Betäubung, sondern auf der Beeinflussung übergeordneter Regelkreise des Körpers, anzuwenden bei verschiedenen Krankheitsbildern
Balneotherapie, Bädertherapie
Angewendete Verfahren sind Heilwasser, Moor und Schlamm, medizinische Bäder, Kälte und Wärme, Inhalationen, Umstellung der Ernährung, anzuwenden bei verschiedenen Krankheitsbildern
Eigenbluttherapie
Soll der Stimulation der Abwehrkräfte des Körpers dienen, das entnommene Blut kann im entnommenen Zustand, potenziert oder mit Sauerstoff angereichert wieder appliziert werden, anzuwenden bei Heuschnupfen, Asthma bronchiale, Neurodermitis
Phytotherapie
Verwendet pflanzliche Ausgüsse, Abkochungen und Kaltwasserentzüge zu Heilzwecken, Anwendungsgebiete sind u. a. Schlafstörungen, Meteorismus, benigne Prostatahyperplasie
12 Klinisch-pathologische Konferenz 7 Band Grundlagen 7 Kapitel 3: Pathologie
391
Farbabbildung zu Kapitel 10: Bildgebende Verfahren, Strahlenbehandlung, Strahlenschutz
. Abb. 10.113. Bestrahlungsfeld für paraaortale Lymphknotenmetastasen
393
A
Sachverzeichnis A Ablation 349 Absence, pyknoleptische 223 Abstoßungsreaktion 132 Abszess, parapharyngealer 329 Adaptationstherapie 370 Adenokarzinom, duktales 313 Aderlass 30, 383 ADI-Wert 139 Adrenalin 213 AIDS 105, 278 Aktivitäten des täglichen Lebens 159, 185 Akupressur 380, 381 Akupunktur 25, 378, 380, 381 Akustikusneurinom 342 Akustikusschwannom 342 akutes retrovirales Syndrom 104 Aldosteronantagonisten 249 Algorithmus 18 Alkalose 225 – metabolische 225 – respiratorische 225 Alkoholsucht 291, 292 Alkylanzien 251 Allergie – Definition 130 – Klassifikation 131 – Medikamente 244 – Prävention 286 – Reaktionstypen 130, 131 – Therapie 267 – umweltbedingte 151, 152 Alltagsaktivitäten 159, 185 Alltagsbewältigung 366 Alopezie 279 Altenpfleger 187 Alteplase 265 Alter, Krankheitsfolgen 159 Altern, individuelles 158 Alternativhypothese 15 Altersschwerhörigkeit 171 Altersveränderungen, physiologische 158 Altersversicherung 62 Alterung, demographische 158, 159 Ambient-Monitoring 139
Aminoglykoside 273 Amiodaron 212 Amöbenruhr 114 Amöbiasis 278 Amoxicillin 271 Amphotericin B 277 Ampicillin 271 Analgesie, patientenkontrollierte 260 Analgetika 260 – antipyretische 261 Anamnese, notfallmedizinische 194, 195 Angina pectoris 215 Angioödem, akutes 129 Angioplastie 350 – perkutane transluminale 351 Angst, akute 225 Animismus 36 Anorektika 279 Anthelminthika 279 Anthrazykline 252 Anthropologie 45 Antiandrogene 254 Antibiotikaresistenz 88, 90 Antibiotikatherapie – kalkulierte 88 – perioperative 89 – Schwangerschaft 89 – sequenzielle 88 Antidepressiva, trizyklische 260 Antiemese 266, 267 Antigen 120 Antigenpräsentation 122, 123 Antihistaminika 132, 266, 267 Antikanzerogenese 149 Antikörper 119, 120 – monoklonale 126, 250, 252, 253 – Struktur 119 Antikörperbindung 121 Antilymphozyten-Antikörper 126 Antimalariamittel 112 Antimetabolite 251 Antimykotika 277 Antiöstrogene 254 Antituberkulotika 103 Aortenaneurysma 325 Aortenaneurysmadissektion 218 Aortenaneurysmaruptur 218
Aortendissektion 218, 325 Aorteninsuffizienz 325 Aortenstenose 324 Apoplex 343 A-posteriori-Wahrscheinlichkeit 9 Appendizitis 311 Appetitzügler 279 Aprotinin 266 Äquivalentdosis 357 Arbeitsförderung 71 Arbeitsmedizin, Prävention 291, 292 Arbeitsplatzkonzentration, maximale 139 Arbeitsschutzvorschriften 294 Arbeitsunfall 69 Aromatasehemmer 254 Aromatherapie 381 Arrhythmie 219 Arteriitis temporalis 128 Arthritis, rheumatoide 127 Arzneimittel – allergische Reaktionen 244 – apothekenpflichtige 247 – Definition 240 – Elimination 243 – Entwicklung 241 – Festbetrag 79 – freiverkäufliche 247 – klinische Prüfung 241, 242 – Kombinationspräparate 247 – Nachzulassung 247 – Plazeboeffekt 240, 241 – präklinische Prüfung 241 – Rezeptieren 245, 246 – verschreibungspflichtige 247 – Wechselwirkungen 245, 246 – Zuzahlung 79 Arzneimittelabhängigkeit 244 Arzneimittelexanthem 267 Arzneimittelgesetz 56, 245 Arzneimittelinteraktion 171 Arzneimittelüberdosierung 171 Arzneimittelversorgung 78, 79 Arzneimittelwirkungen, unerwünschte 171, 243, 244 Ärztekammer 74 Asbest 149, 151 Asbestose 323 Asklepios-Kult 27
394
Sachverzeichnis
Aspergillose 152, 321 Aspiration 228 Assessment, geriatrisches 185, 186 Asthma bronchiale 130, 152, 267 – allergisches 131 – DMP 83 Astromedizin 30 Astrozytom 342 Atelektase 318 Atemgeräusche 213, 214 – aufgehobene 232 Atemnot 196 Atemtherapie 371, 372, 381 Atemwege – Freimachen 203 – Fremdkörper 203 – Sicherung 203 – Verengung 213 Atemwiderstand 212 Atlastherapie 371 Atmung – inverse 213 – paradoxe 213 Atmungsstörungen 212–215 – Ätiologie 213 Atopie 130 Auffrischimpfung 288 ausleitende Verfahren 378, 383 Ausscheidungsurogramm 333–335 Auswurf 97 Aut-idem-Kästchen 246 Autoimmunerkrankungen 125–130 Averroes 29 Ayurveda 24 Azetylsalizylsäure 262 Azidose 225 – metabolische 225 – respiratorische 225
B Bacon, Francis 35 Baglivi, Giorgia 26 Bakterien – Abwehr 123 – extrazelluläre 123 – intrazelluläre 123 Bakterientoxin 123 Bakteriologie 38 Ballaststoffe 258
Balneotherapie 378, 384 Bandscheibenvorfall 303 Banting, Frederick 40 Basaliom 145, 146 Basophile 118 BAT-Wert 140 Bauchlagerung 202 Bauchschmerzen 196 Bayes-Theorem 9, 16 Beatmung 203 Beatmungsgerät 197 Beatmungsplatte 197 Befruchtung, künstliche 41, 42, 52 Begleitvariablen 6 Behring, Emil von 40 Beinvenenthrombose 326 Belastungsmonitoring 140 Belegarzt 77 Benzodiazepine 269 Bernoulli-Versuch 9 Berufskrankheit 69 Best, Charles Herbert 40 Bestrahlung – 7 a. Strahlentherapie – akzelerierte 356 – fraktionierte 356 Bestrahlungsfeld 356 Betäubungsmittel 247 Betreuung 55 Bewegungsbad 367, 373 Bewegungstherapie 371, 372 Bewusstseinsstörungen 221–223 Bias 11 Bilharziose 115, 30 Billroth, Theodor 39 Bindegewebsmassage 374 Binominalverteilung 10 Bioethik 50 Biofeedback 378, 381 Biometrie, medizinische 6–16 Biomonitoring 138, 140, 141 biopsychosoziales Modell 160 Biostatistik 6 Blasendivertikel 337 Blasenkarzinom 335 Blasenruptur 337 Bleibelastung 142 Bleuler, Paul Eugen 38 Blitz-Nick-Salaam-Anfall 222 Blutdruckabfall, akuter 218 Blutdruckmanschette 197 Blutegeltherapie 378, 383 Blutstillung 231
Blutung – gastrointestinale 308 – subarachnoidale 340, 352 Blutungsanämie, akute 216 Blutzuckermessung 198 B-Lymphozyten 119 B-Mode-Sonographie 302 Body-Mass-Index 285 Bolusgeschehen 228 Box-Whisker-Plot 12 Brachytherapie 356 Bradykinesie 180 Brillenhämatom 231 Bronchialkarzinom 319, 320 Bronchiektasie 321 Bronchopneumonie 321 Brownianismus 37 Brudzinski-Zeichen 100 Brustkrebs, DMP 83 Bruton-Agammaglobulinämie 124 building related illness
C C1-Esterase 129 Cadmiumbelastung 142 Cannabis 292 Carbapenem 272 Carboanhydrasehemmer 249 Carboplatin 252 CD4-Helferzellen 118 CD8-T-Lymphozyten 118 Celsus 28 Cephalosporine 272 Chain, Ernst Boris 41 Chancenverhältnis 4 Chemoembolisation 353 Chemoprophylaxe 288 Chemotherapie 250 – antiinfektiöse 88 – antimikrobielle 270 – gezielte 270 – kalkulierte 270 Chirotherapie 371 Chloralhydrat 270 Chloramphenicol 274 Chloroquin 278 Cholangitis, primär sklerosierende 316 Cholelithiasis 315 Cholera 33, 114, 115
395 Sachverzeichnis
Cholesteatom 339 Cholezystitis, akute 315 Chromosomenmutation 356 Chronic-fatigue-Syndrom 134 Ciclosporin 125, 126, 255 Ciprofloxacin 274 Cisplatin 252 Clindamycin 273 Clusteranalyse 11 Cockcroft-Formel 172 Coiling 352 Colitis ulcerosa 310 common variable immunodeficiency 124 Compton-Effekt 298 Computertomographie 299 Confounder 4 Contusio cerebri 340, 341 COPD, DMP 83 Cotrimoxazol 274 Creutzfeldt-Jacob-Krankheit 344 CVID 124 Cyclophosphamid 251
D Dalfopristin 273 Darmmilzbrand 93 D-Arzt-Verfahren 70 Datenbank 18, 19 Datenerhebung 4, 5 Datenschutz 5 Datensicherheit 19 Datenverarbeitung 17 Daunorubicin 252 Defibrillation 211, 212 – Durchführung 212 Defibrillator 197 – interner 212 Dehydratation 161, 224 – bei Kindern 229 Deklaration von Helsinki und Tokio 44, 56 Dekubitalgeschwür 164 Delir 169, 170 – hypoaktives 170 Demenz 181–183 – Alzheimer-Typ 181, 182 – Lewy-Körperchen 183 – Parkinson-Syndrom 183 – vaskuläre 182
Demming-Zyklus 294 demographischer Wandel 158, 159 Denguefieber 113 Depression 183, 184 Dermatitis – herpetiformis Duhring 129 – solaris acuta 144 Descartes, René 35 Desensibilisierung 126 Desmopressin 264 Diabetes mellitus 128, 177, 178 – DMP 83 – Prävention 286 diabetischer Fuß 177, 178 Diagnoseschlüssel 20 Diagnostik – genetische 52 – notfallmedizinische 194–199 Diarrhö 97, 258, 259 – chronische 259 Diätetik, antike 27 Differenzialblutbild 125 Diphenhydramin 269 Diphtherieimpfung 96 Disease-Management-Programme 83, 84 Diskriminanzanalyse 10, 11 Diskurides 28 Diuretika 249 – kaliumsparende 249 – osmotisch wirksame 249 DMP 83, 84 Dokumentation, medizinische 20 Domagk, Gerhard 40 Domperidon 258 Dopamin 180 Doppelblind-Versuch 14 Dosisleistung 358 Doxorubicin 252 Doxycyclin 272 Doxylamin 269 Drainage 349 Dranginkontinenz 165 Drogenabhängigkeit, Infektion 90 Drogenkonsum 292 Durchfall 7 Diarrhö Durchleuchtung 299 DVKA 66, 67 Dysfunktion, erektile 280 Dyspepsie 259 Dysphagie 162
A–E
E Echokardiographie – transösophageale 325, 326 – transthorakale 323 Effekt-Biomonitoring 138 Effizienz 10 Ehrlich, Paul 40 Eigenbluttherapie 378, 385 Eileiterrekanalisation 350 Einfachblind-Versuch 14 Einflussgröße 6, 14 Einthoven, Willem 39 Einwilligungsfähigkeit 5, 51, 56 Eisenspeicherkrankheit 383 Eizellspende 52 EKG-Diagnostik 198 Eklampsie 227 Ekzema solare 144 Elektrolythaushalt 225 Elektrotherapie 373 Elektrounfall 234 Eliminationsfähigkeit, reduzierte 171 Embryonenforschung 53 Embryonenschutzgesetz 52 Embryospende 52 emerging infection 93, 287 Empfängnisverhütung, Geschichte 41 Emphysem 319 Empyem, spinales 349 Endemie 93 Endokarditisprophylaxe 89 Endometriumkarzinom 331 Endotoxin, bakterielles 123 Energiedosis 357 Enterokokken, glykopeptidresistente 90 Entspannungstherapie 378, 381 Entzugsdelir 226 Entzugssyndrom 226 Enzephalitis, virale 344 Eosinophile 118 EPG-Gestose 227 Epidemie 31, 92 Epidemiologie 2–5 – analytische 2 – Definition 2 – deskriptive 2 Epiglottitis, akute 229 Epilepsie 222 Epirubicin 252
396
Sachverzeichnis
Epitop 120 Erasistratos 27 Erfrierung 233 Ergebnisqualität 5 Ergotherapie 188, 367 Erkältung 276 Erkrankungen, umweltbedingte 134, 136, 137 Ermüdungsbruch 305 Ernährungsberatung 188, 367 Ernährungstherapie 378, 382 Erreger, meldepflichtige 288 Erregungszustand, akuter 225 Ertrinken 232 Erwartungstreue 10 Erwerbsfähigkeit 362 Erythropoetin 126, 257 ESBL 90 Ethik 48–58 Ethikkommission 56 European Foundation for Quality Management 295 Europlant 41 Euthanasie 55 evidenzbasierte Medizin 19 Exanthem 98 Exhaustivität 10 Exotoxin, bakterielles 123 Exponentialverteilung 10 Expositions-Biomonitoring 138 Expositionsprophylaxe 288 Extremitätenhochlagerung 202 Extremitätentieflagerung 202
F Faktorenanalyse 11 Fall-Kontroll-Studie 12 Fallkontrollstudie 242 Farbduplex-Sonographie 302 Farbtherapie 382 FCKW 150 Fehler – systematischer 11 – zufälliger 12 Fehlerarten 15, 16 Fehlmedikation 172 Feinstaub 139 Feldenkrais-Therapie 382 Felsenbeinfraktur 338 Fibrinolyse 265
Fibroadenom 345 Fibrose, retroperitoneale 334 Fieber 96 Fieberkrampf 229 Fleming, Alexander 40 Florey, Howard Walter 40 Fluconazol 277 Fluorchinolone 274 Folin, Otto 40 Folsäureanaloga 251 Fosfomycin 273 Fracastoro, Girolamo 35 Frakturversorgung 231 Frakturzeichen 231 Frauengesundheit 290 Fremdkörperkanzerogenese 149 Fritsch-Lagerung 202 Früherkennungsvorsorgeuntersuchung 289 Frührehabilitation 365 – geriatrische 185 Fusionsinhibitoren 105 Fußreflexzonenmassage 374
G Galen von Pergamon 28 Gallenblasenkarzinom 316 Gallengangskarzinom, cholangioläres 316 Gammakamera 300 Gangschulung 372 Gangstörungen 167 Gastroenteritis 108 Gastrointestinaltrakt, bildgebende Diagnostik 317, 318 Gauss-Verteilung 9 G-CSF 126 Gefahrenklasse 69 Gefäßverschluss – arterieller 218 – venöser 218 Gelbfieber 112, 113 Gemeinschaftspraxis 77 Generika 247 Genetik 53 Genfer Ärztegelöbnis 44, 49 Genommutation 356 geriatrische Syndrome 159–172 geriatrisches Assessment 185, 186 Gerinnungsstörungen 264
Gesundheitsamt 72 Gesundheitsbegriff 45, 46 Gesundheitsberichterstattung 4 Gesundheits-Check-up 290 Gesundheitsdienst, öffentlicher 72 Gesundheitsförderung 282 – Alter 189, 190 – betriebliche 294 Gesundheitsökonomie 80–84 Gesundheitsstörungen, umweltbezogene 134 Gesundheitsvorsorge, öffentliche 57 Gesundheitswesen 60–72 – Kostenbegrenzung 82, 83 – Kostenentwicklung 81, 82 Giardiasis 278 Glasgow Coma Scale 221 Gleichwahrscheinlichkeitsmodell 9 Gliom 341, 342 Glisson, Francis 36 Glukokortikoide 125 Goldstandard 14 graft versus host disease 132 Grand-mal-Anfall 222, 223 Granulomatose, Wegenersche 127 Granulozyten 117 Granulozyten-koloniestimulierende Faktoren 126, 257 Granulozyten-Monozyten-koloniestimulierende Faktoren 257 Griesinger, Wilhelm 38 grippaler Infekt 276 Gruber, Max von 40 Gyrasehemmer 274
H H1-Rezeptor-Antagonisten 269 Haaranalyse 140, 141 Haller, Albrecht von 37 Halluzinose, organische 226 Halszyste, laterale 329 Haltungsschulung 373 Hämangiom 313 Hämatom – epidurales 340 – subdurales 340 Handlungstheorie 45, 47 Hapten 121 Harninkontinenz 164, 165
397 Sachverzeichnis
Harnwegsinfekt 108–110, 178 Hartmann-Bund 75 Harvey, William 35 Häufigkeit 7, 8 Häufigkeitsverteilung 8 Haupthistokompatibilitätskomplex 122 Hauptkomponentenanalyse 11 Hauptkrebs 146, 147 Hausarztmodell 86 Hauterkrankungen, umweltbedingte 142–144 Hautknistern 214, 232 Hautmilzbrand 93 Havlicek-Verfahren 386 Hazardwert 16 Heilmittel 78 Heilpeloide 384 Heimlich-Manöver 203 HELLP-Syndrom 228 Hemmkonzentration, minimale 88 Heparin 262, 263 Hepatitis – A 108 – akute 107 – B 92, 108 – C 108 – chronische 108 – Diagnostik 107 – fulminante 107 – rezidivierende 107 – Therapie 107, 108 – virale 107, 108 hepatozelluläres Karzinom 314 Herophilos 27 Herpesenzephalitis 344 Herzbeuteltamponade 217, 218, 232 Herzinsuffizienz 173, 216 Herzklappenerkrankungen 324 Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Prävention 284–286 Herz-Kreislauf-Funktion, Störungen 215–220 Herz-Kreislauf-Stillstand 210 Herzrhythmusstörungen 219 Herzsilhouette 318 Herz-Thorax-Quotient 318 – vergrößerter 323, 325 Heuschnupfen 130 Hiatushernie 306 HIFU-Ablation 349 Hildegard von Bingen 29
Hilfsmittel 78 Hippokrates 27 Hirnabszess 345 Hirninfarkt 174 Hirnkontusion 340, 341 Hirnödem 250 Hirudin 262, 263 HIV-Infektion – Diagnostik 105 – Klassifikation 104 – opportunistische Erkrankungen 91 – Postexpositionsprophylaxe 92 – Symptomatik 104, 105 – Therapie 105 Hochfrequenztherapie 376 Hodentumor 337 Höhenkrankheit 250 Holzschutzmittelsyndrom 134 Homöopathie 379 Homöopathika 240 Homöostasestörungen 224 Honeymoon-Zystitis 109 Honorarverteilungsmaßstab 73 Hooke 36 Hormonantagonisten 254 Hounsfield-Skala 299 5-HT3-Antagonisten 266 Hufeland, Christoph William 37 Hüftprotektor 167 Human-Biomonitoring 138, 141 Husten 97 Hydronephrose 334 Hydrotherapie 375, 378, 385 Hyperfibrinolye 265, 266 Hyperglykämie 222 Hyperhydratation 224 Hyperkoagulabilität 261, 262 Hyperplasie, fokal noduläre 313 hypertensive Krise 216 Hyperthyreose 357 Hypertonie 216 – arterielle 176 – isolierte systolische 176 Hyperventilationssyndrom 226 Hypoglykämie 222 Hypokoagulabilität 264 Hyponatriämie 161, 162 Hypophysenadenom 341 Hyposensibilisierungstherapie 131 Hypothermie 233 Hypothese 15
I ICD-System 20 ICF 363 Idarubicin 252 Idiosynkrasie 244 Ig 7 Immunglobuline IgA-Mangel, isolierter 124 IgA-Nephropathie 129 Ikterus 97, 98 Immobilität 167, 168 Immunabwehr – humorale 121 – von Bakterien 123 – von Parasiten 124 – von Viren 123 – zelluläre 117 Immundefekt – angeborener 124 – humoraler 124 – zellulärer 124 Immunfixation 125 Immunglobuline 256 – A 120 – D 120 – E 120 – G 119 – M 120 – Substitution 126 Immunisierung – aktive 94 – passive 94 Immunität – adaptive 117 – natürliche 117 – spezifische 117 Immunmodulatoren 255, 256 Immunologie 117–132 Immunstatus, Diagnostik 125 Immunstimulanzien 257 Immunsuppression 91, 125, 255 Immunsuppressiva 125, 256 Immunsystem – Sofortreaktion 130 – Spätreaktion 131 Immuntherapie 250 – mit Antikörpern 126 – mit Zytokinen 126 Impfkalender 95 Impfung 94–96 Impulsiv-petit-mal-Anfall 223 Inappetenz, iatrogene 163
E–I
398
Sachverzeichnis
Indikationsimpfung 288 Indikationsregelung 52 Infektiologie 87–116 – allgemeine 88–96 – klinische 99–116 Infektion – endogene 287 – exogene 287 – nosokomiale 88, 91, 92 Infektionskrankheiten – meldepflichtige 288 – Prävention 287 Infektionsschutzgesetz 03, 288 Influenzaimpfung 96 Informatik, medizinische 17–20 informed consent 5, 51 Infusionstherapie 207, 208 Inhalationseinheit 197 Injektionstherapie, periradikuläre 354 Inkontinenz 164, 165 – funktionelle 165 Insolation 234 Instabilität, posturale 166, 167, 180 Insuffizienz, chronisch-venöse 249 Insult, apoplektischer 222 Intensivpatienten, Infektion 90 Interferon 126, 256, 257 Interleukin-2 257 Intervallprävalenz 2 Intervallschätzung 16 Intervallskala 7 Intoxikation 234–237 Intubation 204, 205 – endotracheale 205 Invagination 308 Invaliditätsversicherung 62 In-vitro-Fertilisation 52 Inzidenz 2 Ionendosis 357 Itraconazol 277
J Jodbad 375 Jugularisvenenthrombose 330
K Kahnbeinfraktur 303 Kala-Azar 115 Kalkaneusfraktur 305 Kältetherapie 377 Kammerflimmern 218 Kanzerogene – chemische 147, 148 – epigenetische 148 – gentoxische 148 – unvollständige 149 – vollständige 149 Kaplan-Meier-Schätzer 16 Kardiomegalie 323 Kardiomyopathie 325 Karzinogenese – chemische 147, 148 – UV-bedingte 145 Karzinom, hepatozelluläres 314 kassenärztliche Vereinigung 72, 73 Katheter 350 Kausalität 10 Keratose, aktinische 145 Kernig-Zeichen 100 Ketoconazol 277 Killerzellen, natürliche 117–119 Klatskin-Tumor 316 Klonen – reproduktives 53 – therapeutisches 53 Klostermedizin 28 Kneipp-Therapie 375, 378, 384 Knierolle 202 Knochendichtemessung 179 Knochenmarkspunktion 125 Knochenmarkstransplantation 132 Knochentumoren, Diagnostik 305 Koch, Robert 38 Kochsalzbad 375 kognitive Beeinträchtigung 169 Kohlensäurebad 375 Kohortenstudie 242 Kokanzerogene 149 Kolitis, antibiotikaassoziierte 89, 90 koloniestimulierende Faktoren 257 Kolonkarzinom 308 Kolonkontrasteinlauf 309, 310 Koma 221 Koma, diabetisches 222 Komplementsystem 121 Komplexbehandlung 371
Konfidenzintervall 16 Konjugatimpfstoff 94 Konsistenz 10 Kontaktdermatitis 131 Kontrastmittel – Computertomographie 299, 302 – Magnetresonanztomographie 300, 302 – Röntgendiagnostik 299, 302 Kopfschmerz 98 – arzneimittelinduzierte 245 koronare Herzkrankheit, DMP 83 Korrelation 10 – negative 118 Kortikosteroide 125 Krafft-Ebing, Richard von 38 Kraft, Überprüfung 196 Krampfanfall 222 – fokaler 223 Kraniopharyngeom 341 Krankengymnastik 371 Krankenhausarzt 75, 76 Krankenhausbehandlung 76–78 Krankenversicherung 363 – gesetzliche 63–68 – private 67–69 Krankheiten, meldepflichtige 288 Krankheitsbegriff 46 Krebs – Früherkennung 284 – Primärprävention 283 – Sekundärprävention 283, 284 – Tertiärprävention 284 Krebsmortalität 283 Krebsregister 4 Kryotherapie 377 Kuhmilchproteinintoleranz 259 Kurzwellentherapie 376 Kussmaulatmung 213
L Lageparameter 8 Lagerung 199, 200 β-Laktamantibiotika 271 Laktoseintoleranz 259 lakunäres Syndrom 174 Lärmbelastung 152–154 Lärmschwerhörigkeit 153 Lasègue-Zeichen 100
399 Sachverzeichnis
L-Asparaginase 252 Laxanzien 258 Lead-time-Bias 4 Lebendimpfstoff 94 Lebendspende 53 Lebenserwartung 3 Leberadenom 314 Leberinsuffizienz 89 Lebermetastasen 314, 315 Leberzyste 313 Leewenhoek 36 Leihmutterschaft 52 Leiomyom 332 Leishmaniose 115 Leriche-Syndrom 325 Leukotriene 131 Leukozytendifferenzierung 125 Levofloxacin 274 Lichtdermatose, polymorphe 144 Lichturtikaria 144 Lidocain 212 Liebig, Justus von 38 Lifestyle-Drugs 279 Linksherzinsuffizienz 216 Linksseitenlage 202 Liquorausfluss 231 Lister, Josef 39 Literaturrecherche 18, 19 Lobärpneumonie 321 Lochschädel 129 Lodwick-Klassifikation 305 Löfgren-Syndrom 129 Logopädie 188 Lues 32, 33 Luftembolie 218 Luftverschmutzung 150, 151 Lungenembolie 218, 323 Lungenemphysem 319 Lungenerkrankungen, umweltbedingte 149–151 Lungenkarzinom 319, 320 Lungenmetastasen 320 Lungenmilzbrand 93 Lungenödem 216, 250 – kardiogenes 322 Lungenperkussion 214 Lungentuberkulose 33, 34, 320 Lymphadenopathie, generalisierte 104 Lymphangiosis carcinomatosa 320 Lymphknotenschwellung 97, 98 Lymphödem 249 Lymphozyten 118
Lymphozytenklone 255 Lyse 351, 352
M Magenkarzinom 307 Magnetismus 37 Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie 315, 316 Magnetresonanztomographie 299, 300 Makroangiopathie 174 Makrolidantibiotika 273 MAK-Wert 139 Malaria 111, 112 – quartana 111 – tertiana 111 – tropica 111, 112 Malgendie, François 37 Malnutrition 162, 163 Malpighi 36 Mammadiagnostik 346–348 Mammakarzinom 347, 348 – DMP 83 Mammalipom 347 Mammographie 345, 348 manuelle Medizin 371 Marburger Bund 75 Massage 373–375 Maximum-Intensitäts-Projektion 351 MDK 65, 190 MDRD-Formel 172 Meckel-Divertikel 308 Mediainsult 174 Median 8 Mediation 382 Medizin – ägyptische 24 – Antike 25, 27, 28 – Aufklärung 35, 36 – chinesische 25 – evidenzbasierte 19, 160 – Geschichte 23–51 – indische 24 – islamisch-arabiche 29 – 20. Jahrhundert 39–42 – magische 24 – manuelle 371 – Mittelalter 28–30 – moderne 37, 38
I–M
– nationalsozialistische 42, 43 – physikalische 369–377 – Renaissance 34, 35 – Theorie 45 Medizinethik 48–58 medizinische Trainingstherapie 373 Medizinischer Dienst der Krankenversicherung 65, 190 medizinisches Versorgungszentrum 84, 86 Medizinmann 24 Medizinproduktegesetz 56 Mefloquin 278 Megakolon, toxisches 310 Melanom, malignes 146, 147 Meldepflicht – Erreger 288 – Krankheiten 288 Mendel, Gregor 40 Mendel-Mantoux-Test 103 Meningeom 341 Meningismus 100 Meningitis 99, 100, 345 – bakterielle 99, 100 – Liquordiagnostik 101 – Meningokokken 99 – tuberkulöse 275 – virale 100 Meningoenzephalitis 99 Meningokokkenmeningitis 99 Menschenversuch 44, 56 mentales Training 382 Merkmal, diskretes 8 Merkmalsausprägung 6 Merkmalsträger 6 Mesmerismus 37 Meta-Analyse 14 Metoclopramid 258 Miconazol 277 Mikroangiopathie 174 mikrobiologische Therapie 382 Mikrowellentherapie 376 Mikrozensus 4 MIK-Wert 139 Milzbrand 92, 93 Milzruptur 316 Minamata-Krankheit 134 Minocyclin 272 Minoxidil 279 Mitosehemmstoffe 251, 252 Mitralinsuffizienz 324 Mitralstenose 324 Mitscherlich, Alexander 44
400
Sachverzeichnis
Mittelgesichtsfraktur 339 Mittelwert 8 Modalwert 8 Monobactame 272 Morbidität 2 Morbus – Alzheimer 344 – Bechterew 376 – Berger 129 – Boeck 129, 130 – Crohn 128, 309 – Ormond 334 – Parkinson 179, 180 – Pick 344 – Reiter 98 – Wegener 127, 322 – Wilson 344 Morgagni 36 Morgan, Thomas Hunt 40 Mortalität 2 Moxibustion 378, 380 Moxifloxacin 274 MRSA 90 Müller, Johannes von 38 Multiple Sklerose 127, 128, 344 Multiple-chemical-sensitivitySyndrom 134, 136 Mundbodenkarzinom 329 Mutation, strahlenbedingte 356 Myelom, multiples 128, 129 Mykose 277 Myobacterium tuberculosis 33 myofasziale Lösung 371 Myokardinfarkt, akuter 215, 216 Myopathie, arzneimittelinduzierte 244, 245
N Nachtschweiß 98 Nagelmykose 277 Narkose 210 Nasennebenhöhlenspülung 349 Nationalsozialismus 42, 43 Natriumhydrogenkarbonat 212 Natural-Killer-Zellen 117–119 Naturheilbewegung 46 Naturheilverfahren 378–386 Neuraltherapie 378, 384 Neurochirurgie, Rehabilitation 368 Neurologie, Rehabilitation 368
Neuropsychologie 188 Neurotuberkulose 344 Neutrophile 117 Nichtopioidanalgetika 260 Niederfrequenzelektrotherapie 373 Niereninfarkt 335 Niereninsuffizienz 89 Nierenzellkarzinom 333 Nierenzyste 335 NK-Zellen 117–119 Noel-Wert 139 Nominalskala 7 Noncompliance 240 Norfloxacin 274 Normalverteilung 9 Notarzteinsatzfahrzeug 194 Notarztwagen 194 Notfälle – Definition 194 – neuropsychiatrische 225, 226 – pädiatrische 228, 229 – traumatologische 230–234 Notfallmedikamente 207–209 Notfallmedizin 193–237 – apparative Untersuchung 197, 198 – Basisfertigkeiten 199–202 – Diagnostik 194–198 – Medikamentenapplikation 206–210 – Schwangere 227 Notfallrespirator 197 Notruf 194 Nullhypothese 15 numbers needed to treat 15 Nystatin 277
O Oberkörperhochlagerung 199, 202 Obstipation, funktionelle 258 Odds ratio 4 Ödem – angineurotisches 249 – hepatisches 250 – idioplastisches 250 – kardiales 250 – nephritisches 250 – Therapie 248–250 Ofloxacin 274
Ohnmacht, plötzliche 223 Ohrakupunktur 380 Opioidanalgetika 260, 261 Optikusneuritis 339 Orbitopathie, endokrine 339 Ordinalskala 7 Organdosis 358 Organspende, postmortale 54 Orientbeule 115 Orlistat 279 Ösophagusbreischluck 306 Ösophagusdivertikel 306 Ösophaguskarzinom 306 Osteoporose 178, 179 Otitis media 338 Ovarialkarzinom 331 Oxaliplatin 252 Oxidationstherapie, hämatogene 378, 386 Ozon 150 Ozontherapie 386
P Paclitaxel 252 Palliativmedizin 191 Pandemie 93 Panikstörung 225 Pankreatitis – akute 312 – chronische 312 Papain 119 Paracelsus 35 Parasiten, Abwehr 124 Paré, Ambrosius 35 Parkinson-Demenz 183 Parkinson-Syndrom 179, 180 Pasteur, Louis 38 Patient-Arzt-Beziehung 51 Patientenautonomie 51, 57 Patientenverfügung 55, 191 Pemphigus vulgaris 129 Penicilline 271 Pentachlorphenol 142 Perfusionsszintigraphie 300 Periduralanalgesie 261 Perkussion 214 Pest 31, 32 Petit-mal-Anfall 222 Pettenkofer, Max von 38 Pflanzentherapie 7 Phytotherapie
401 Sachverzeichnis
Pflege, therapeutisch-aktivierende 187 Pflegebedürftigkeit 67, 190 Pflegemanagement 79, 80 Pflegestufe 67, 190 Pflegeversicherung 67, 68, 190 Pharmakogenetik 242, 243 Pharmakokinetik 241 Pharmakologie, klinische 239–280 Pharmakotherapie 248–280 Pharmakovigilanz 245 Phenothiazine 266 Phenprocoumon 262, 263 Phlebographie 326 Photokarzinogenese 144 physikalische Medizin 369–377 Physiotherapie 187, 371 Phytotherapie 378, 386 Plasmazellmastitis 347 Plasmodien 111 Plasmozytom 128, 129 Plazeboeffekt 24, 56, 240, 241 Pleuraerguss 318 Pleuramesotheliom 151 Plinius der Ältere 28 Pneumocystis-carinii-Pneumonie 104 Pneumonie 100, 101, 178, 321 – Diagnostik 101 – interstitielle 321 – Pneumocystis carinii 104 – Therapie 101, 102 Pneumoperitoneum 307 Pneumothorax 232, 318 Poliomyelitisimpfung 96 Polymorphismus 242, 243 Polyzythämie 383 Portimplantation 353 Porzellangallenblase 316 Positronenemissionstomographie 301 Postexpositionsprophylaxe 288 – HBV 92 – HIV 92 Präimplantationsdiagnostik 53 Prävalenz 2 Prävention 190 – Allergien 286 – Alter 291 – Arbeitsmedizin 293, 294 – Definition 282 – Diabetes mellitus 286 – Erwachsene 290
– Evaluation 294, 295 – Infektionskrankheiten 287 – Kinder- und Jugendalter 289 – onkologische 283 – Sozialmedizin 291–293 – Sucht 291, 292 – Zivilisationskrankheiten 284–286 Praxisgemeinschaft 77 Präzision 18 Primaquin 278 Primärprävention 282 Primärtuberkulose 102 Prinzmetal-Angina 215 Proguanil 278 Projektionsradiographie 298 Prokinetika 258 Prostaglandine 131 Prostatakarzinom 335, 349 Protease-Inhibitoren 105 Prozessqualität 5 Pseudokrupp 229 Public Health 57 Pulsooxymetrie 197 Punktion, bildgesteuerte 349 Punktmutation 356 Punktprävalenz 2 Pupillenlichtreaktion 196 Purinanaloga 251 Pyelonephritis, akute 333 Pyremethamin 278 Pyrimidinanaloga 251 Pyrogene 96
Q Qualitätskontrolle 5 Qualitätssicherung 5 Qualitätszirkel, ärztlicher 294 Quantile 2, 8 Quartilabstand 8 Quecksilberbelastung 142 Quincke-Ödem 129 Quinpristin 273
R Radio-Allergo-Sorbens-Test 125 Radiochemotherapie 356 Radiofrequenzablation 349
M–R
Radio-Immuno-Sorbens-Test 125 Radioiodtherapie 357 Radiusfraktur 303 Radonbad 375, 376 Randomisierung 14 Rapamycin 125, 40 Rassenhygiene 43 RAST 125 Ratioskala 7 Rauchen 292 Rautek-Rettungsgriff 199 Reaktionstherapie 370 Reanimation – ABDC-Regel 210 – Durchführung 211 – kardiopulmonale 210–212 – Kinder 228 – Komplikationen 211 – Neugeborene 228 – Säuglinge 228 Recall 18 Recall-Bias 14 Rechtsherzinsuffizienz 216 Record-linkage-Verfahren 5 reemerging infection 287 Referenzbereich 2 Regelimpfung 288 Regressionsanalyse 16 Regulationstherapie 370 Rehabilitation 362–369 – ambulante 362 – berufliche 362 – Definition 362 – geriatrische 185, 188, 189 – Herz-Thorax-Gefäß-Chirurgie 367 – Kardiologie 367 – medizinische 362 – Neurochirurgie 368 – Neurologie 368 – Onkologie 368 – Orthopädie 367 – soziale 362 – stationäre 362 – Transplantationsmedizin 368 – Unfallchirurgie 367 Rehabilitationsbedürftigkeit 189, 364 Rehabilitationserfolg, Bewertung 186 Rehabilitationsfähigkeit 189, 364 Rehabilitationsprognose 189 Rehabilitationziele 364 Reisediarrhö 111
402
Sachverzeichnis
Reiseimpfung 289 Rekanalisation 350 Rekonstruktion, dreidimensionale 351 Rektumkarzinom 308 Reliabilität 11 Rentenversicherung 69, 70, 363 Reproduktionsmedizin, ethische Aspekte 52 Retinoblastom 339 Retinolsäure 254 Retortenbaby 42 retrieval 18 Rettung 199 Rettungsdienst 80, 194 – Transportmittel 194, 195 Rettungshubschrauber 194 Rettungskette 194 Rettungswagen 194 Reverse-Transskriptase-Inhibitoren 105 Rezept 245 246 Rheumatismus 385 Rigor 180 Rippenfraktur 232 Risiko – relatives 3, 14 – zuschreibbares 3, 4 Risikofaktor 3 Risikoindikator 3 Risikoreduktion 14, 15 Risikostudie 3 RIST 125 Röntgen, Wilhelm Conrad 39 Röntgendiagnostik 298 – Bewegungsapparat 303 Röntgenstrahlung 298 Röntgenverordnung 358 Rote Liste 248 Rötelnimpfung 96 Rückenmarksverletzung 231, 232 Ruhetremor 180 Rundherd 318
S Sachleistung 64 Samenleiterrekanalisation 350 Samsplint 230 Sarkoidose 129, 130, 322, 323 Sarkopenie 163, 168
SASPK-Modell 364 Sauerstofftherapie 386 Schädel-Hirn-Trauma 231 – geschlossenes 231 – offenes 231 Schamane 24 Scheintod 199 Schenkelhalsfraktur 304 Schienung 230 Schilddrüsenkarzinom 357 Schistosomiasis 115, 116 – akute 115 – chronische 116 Schlafstörungen 154 – Ätiologie 268 – Therapie 268–270 Schlaganfall 173–175, 222, 343 Schleifendiuretika 249 Schlingentisch 372 Schluckstörungen 162 Schmerzmanagement 191 Schmerztherapie 260, 261, 366 – Notfallmedizin 261 – patientenkontrollierte 260 – postoperative 260 – Tumortherapie 261 – WHO-Stufenplan 261 Schnappatmung 213 Schock – hypovolämischer 216 – kardiogener 217 – neurogener 217 – septischer 217 Schocklagerung 202 Schocksyndrom, toxisches 106 Schocktherapie 42 Schröpfen 378, 383 Schutzimpfung 288, 289 Schwangerschaft – Antibiotikatherapie 89 – ethische Aspekte 51 Schweigepflicht, ärztliche 20 Sehbehinderung 170, 171 Seitenlage, stabile 199 Sekundärprävention 282 Selbstbeschädigung, vorsätzliche 226 Selbstheilungskräfte 369, 379 Seldinger-Technik 206 Semmelweis, Ignaz Philipp 38 Sepsis 105, 106 – Erregerspektrum 107 Sequenzialtherapie 88
Serumelektrophorese 125 Seuchenhygiene 92, 93 Sibutramin 279 Sicherstellungsauftrag 73 Sicherung der Atemwege 203 Sick-building-Syndrom 134, 136 Sigmadivertikulitis 310 Signaltransduktionshemmer 250, 252, 253 Signalverarbeitung 17 Signifikanz 15 Signifikanzniveau 15 Sildenafil 280 Silikose 323 Single-Photonen-Emissionscomputertomographie 302 Sinusitis 338, 339 SIRS 105 Skalenniveau 6, 7 Skelettszintigraphie 300 Sklerose, multiple 344 SNOWMED-System 21 Sofortreaktion 130 Solidarpathologie 36 Somnolenz 221 Sonnenallergie 144 Sonnenbrand 144 Sonnenstich 234 Sonographie 302 Sopor 221 Sozialberatung 366 Sozialdienst 188 Sozialgesetzbuch 63, 363 Sozialhilfe 363 Sozialmedizin, Prävention 291–293 Sozialversicherung 63–72 Spätreaktion 131 Spezifität 11 Spinaliom 146 Spulenfeldmethode 376 Spülung – athroskopische 349 – intraperitoneale 349 Stahl, Georg Ernst 36 Stammzellen 52, 53 Stammzellgesetz 53 Standardabweichung 8, 9, 16 Staphylococcus aureus, Methicillinresistente 90 Statistik, multivariate 10, 11 Status – asthmaticus 214 – epilepticus 222
403 Sachverzeichnis
Stemmübungen nach Brunkow 373 Stent 351 Stent-Graft 351 Stent-Shunt, transjugulärer intrahepatischer portosystemischer 352 Sterbebegleitung 55 Sterbehilfe 54 – aktive 5 Sterben, würdevolles 191 Sterbetafel 3 Stethoskop 197 Stichprobe 11 Störungen, psychische 226 Strahlenexposition 358 Strahlenrisiko 358 Strahlenschäden 355, 356 – akute 134, 135 Strahlenschutz 357, 358 Strahlensensibilität 355 Strahlentherapie 355–357 – Nebenwirkungen 356 – Schwangerschaft 358 Strahlung – ionisierende 298, 355 – nicht-ionisierende 355 Stratifizierung 14 Streptokinase 265 Streptokokkensyndrom 106 Stress 293 Stressfraktur 305 Stressinkontinenz 165 Streudiagramm 12 Streuungsparameter 8 Stromunfall 234 Strukturqualität 5 Struma 328 Studie – prospektive 14 – retrospektive 12 Studie, Typen 13 Stuhlimpaktation 166 Stuhlinkontinenz 166 Stupor 226 Subarachnoidalblutung 340, 352 Suchtprävention 291, 292 Suizidalität 226 Sulfonamide 274, 275, 278 Surrogate-Marker 240 Symbioselenkung 382 Synkanzerogenese 149 Synkope 167, 223 Syphilis 32, 33
systemic inflammatory response syndrom 105 Szintigraphie 300
T Tacrolimus 40, 125, 255 Taxane 252 Teicoplanin 273 Telemedizin 19 Telomer-Theorie 158 Tenecteplase 265 Teratom 332 Tertiärprävention 282 Test, diagnostischer 11, 12 Tetanusimpfung 96 Tetrazykline 272 Thalidomid 254 Thermoablation 349 Thiaziddiuretika 249 Thoraxdrainage 214 Thoraxtrauma 232 Thrombarteriektomie 350 Thromboembolie 176 Thrombolyse 175 Thrombolytika 262 Thrombozytenaggregationshemmer 262, 263 Tibiakopffraktu 304 Tierversuch 57 TIPSS 352 T-Lymphozyten 118, 123, 131 TMN-System 20 Todesfeststellung 198 Todesursachenregister 4 Todeszeichen – sichere 198 – unsichere 199 Topoisomerasehemmstoffe 252 Total Quality Management 295 Totimpfstoff 94 toxisches Schocksyndrom 106 Toxoplasmose 278, 344 Tracer 300 Trainingstherapie, medizinische 373 Tranexamsäure 266 Transplantation – Abstoßungsreaktion 132 – allogene 132 – autologe 132 – Geschichte 41
R–U
– heterogene 132 – isogene 132 – Rehabilitation 368 Transplantationsimmunologie 132 Transplantationsmedizin 53, 54 Transplantationspatienten, Infektion 91 Treponema pallidum 33 Triage 199 Trichomoniasis 278 Triptane 260 TRK-Wert 139 Tropenmedizin 111–116 Tuberkulose 33, 34, 102, 103, 275, 320 – Diagnostik 103, 320 – extrapulmonale 103 – postprimäre 103 – primäre 102, 103 – Therapie 103, 275 Tuberkulostatika 275 Tumornekrosefaktor 257 Tumorpromotion 148, 149 Tumortherapie 250–254 – kurative 250 – palliative 250 T-Zellen, regulatorische 118
U Übergewicht 285 Überlaufinkontinenz 165, 166 Überlebenszeitanalyse 16 Umkehrisolation 91 Umweltmedizin 134–154 – Definition 134 – Methoden 137, 138 Unfallverhütung 289, 290 Unfallverhütungsvorschrift 294 Unfallversicherung 363 – gesetzliche 69 Unfallversicherungsgesetz 62 Unterkühlung 233 Untermedikation 172 Unterwasserdruckstrahlmassage 374 Ureter – duplex 334 – fissus 335 Urokinase 265 Urolithiasis 333 Urosepsis 109
404
Sachverzeichnis
Uterus myomatosus 332 UV-Strahlung 143, 144
V Vakuummatratze 230 Vakuumschiene 230 Validität 11 Vancomycin 273 Varianz 8, 10 Variationskoeffizient 9 Vaskulitis 127 Vasopressin 212 Vena-cava-Kompessionssyndrom 228 Venenthrombose – Bein 326 – Hals 330 Venenverweilkanüle 206 Ventilationsszintigraphie 300 Verätzung 234 Verbrauchskoagulopathie 264 Verbrennung 232, 233 Vergiftung 7 Intoxikation Verhaltensstörungen 226 Verschlüsselung 20 Versicherungsfreiheit 65 Versorgung, integrierte 84, 85 Versuch – therapeutischer 56 – wissenschaftlicher 56 Vertebroplastie 354 Verwirrtheit 169, 226 Vesalius, Andreas 35 Vibrio cholerae 33 Videokinematographie 162 Vincaalkaloide 251, 252 Virchow, Rudolf 38 Virchow-Bund 75
Virushepatitis 107, 108 Virustatika 276 Vitalfunktionen – Störungen 212–224 – Überprüfung 196 Vitalismus 36, 37 Vitamin K, Gerinnungsstörung 264 Vitamin-K-Antagonisten 262 Vollelektrolytlösung 207 Volumenersatzmittel 207, 210 Vorhofflattern 219 Vorhofflimmern 174, 176, 177, 219 Vorsorgeuntersuchungen, arbeitsmedizinische 294
W Wahrscheinlichkeit 9 – bedingte 9 Warfarin 263 Wärmetherapie 376 Wasserhaushalt 224, 225 Wells, Horace 39 Wert, prädiktiver 11 Wirbelkörperfraktur 179, 303 Wirbelsäulenverletzung 231, 232 Wirtschaftlichkeitsgebot 64, 65 Wissenschaftstheorie 45 Wöhler, Friedrich 38 Wundversorgung 231
X Xanthinderivate 249 Xenotransplantation 132 Xeroderma pigmentosum 146
Y Yersinia pestis 32 Yoga 382
Z Zahnvorsorge 290 Zertifizierung nach ISO-9000 294 Zervixkarzinom 332 Zielgröße 6, 14 Zitation 19 Zolpidem 269 Zopiclon 269 Zufallsvariable 9 Zugang – arterieller 350 – interossärer 207 – intravenöser 349 – periphervenöser 206 – zentralvenöser 206 Zulassung, kassenärztliche 76 Zwangsbehandlung 55 Zweigpraxis 77 Zystadenom, seröses 312 Zystographie 337 Zytokine 126, 252, 253, 256 – Hemmung 257 Zytostatika 251 Zytotoxizität 148 – Antikörper-abhängige 119