Springer-Lehrbuch
Das Zweite – kompakt Herausgeber Klaus-Peter Schaps Oliver Kessler Ulrich Fetzner
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Springer-Lehrbuch
Das Zweite – kompakt Herausgeber Klaus-Peter Schaps Oliver Kessler Ulrich Fetzner
Weitere Titel dieser Reihe: Grundlagen 978-3-540-46344-3 Innere Medizin 978-3-540-46350-4 Chirurgie – Orthopädie –Urologie 978-3-540-46335-1 Gynäkologie – Pädiatrie 978-3-540-46347-4 Allgemeinmedizin – Anästhesie – Arbeits- und Sozialmedizin – Rechtsmedizin 978-3-540-46333-7 Querschnittsbereiche 978-3-540-46357-3 Gesundheitsstörungen 978-3-540-46339-9 Das Zweite – kompakt (Set) 978-3-540-69558-5
J. Bremer, H. Wiendl
Neurologie E. N. Cho, H. Thieme
Psychiatrie V. Kollenbaum
Psychosomatik Mit 48 größtenteils farbigen Abbildungen und 38 Tabellen
123
Reihenherausgeber Dr. med. Klaus-Peter Schaps Rostocker-Str. 21 26388 Wilhelmshaven
Dr. med. Oliver Kessler Leisibüelstr. 128 CH-8708 Männedorf
Ulrich Fetzner Von-Lobdeburg-Str. 4 97688 Bad Kissingen
ISBN-13 978-3-540-46353-5 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2007 Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Peter Bergmann, Heidelberg Projektmanagement: Axel Treiber, Heidelberg Lektorat: Dr. med. Monika Merz, Leimen, Ursula Illig, Stockdorf Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg SPIN 11885528 Gedruckt auf säurefreiem Papier
15/2117 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Das Hammerexamen: die letzte große Hürde vor dem Traumberuf »Arzt«. So mag es all jenen vorkommen, die sich kurz vor dem Hammerexamen befinden. Der gesamte klinische Stoff – und noch dazu im PJ – wie soll das gehen? Daher hat sich der Springer Medizin Verlag entschlossen, eine neue Repetitorien-Reihe ins Leben zu rufen. Ideal für das Lernen auf die 2. Ärztliche Prüfung hin – gerade während des PJ – und für das kurze Repetieren vor dem Examen bieten die 9 Bände alle Krankheitsbilder und die Gesundheitsstörungen des aktuellen Gegenstandskataloges. Das Besondere daran: Die Krankheitsbilder, die in den ersten 8 Bänden behandelt werden, werden nach wie vor nach Fächern geordnet angeboten – ganz so, wie es jeder Student aus dem klinischen Studienabschnitt kennt. In Lerntexten, die größtenteils von Studenten und jungen Assistenzärzten verfasst und von Fachärzten der jeweiligen Disziplinen gegengelesen wurden, wird all das noch mal kurz wiederholt, was in der 2. Ärztlichen Prüfung angewandt werden soll. Nach jedem GK-Krankheitsbild findet sich eine Zusammenfassung für das schnelle Repetieren an den Tagen unmittelbar vor dem Examen. Für grafische Lerner stellen große Übersichtsschaubilder, die »Mindmaps«, komplexe Sachverhalte übersichtlich dar. Der 9. Band enthält die Gesundheitsstörungen: Jede Gesundheitsstörung wird durch einen Fall lebendig gemacht und vom Leitsymptom ausgehend die Differentialdiagnose entwickelt. Zusätzlich finden sich am Ende jeder Gesundheitsstörung noch eine Wiederholung der häufigsten Krankheitsbilder, die diese Störung hervorrufen, eine grafische Darstellung der Differentialdiagnostik und einige Fragen zur Selbstprüfung. »GK2 Das Zweite – kompakt« ist die ideale Reihe, um sich das Grundwissen anzueignen, das man zum Lösen der Probeexamina in schwarzer oder gelber Reihe und natürlich zum Bestehen der 2. ÄP benötigt. Allen Mitwirkenden, den Herausgebern, Herrn Dr. Schaps, Herrn Dr. Kessler und Herrn Fetzner, allen Autoren und Fachärzten und auch allen studentischen Testlesern sei an dieser Stelle von Seiten des Springer Medizin Verlags noch einmal sehr herzlich für Ihre Mitarbeit am Entstehen dieses Projektes gedankt. Wir hoffen alle sehr, den Studenten mit diesem Werk eine echte »erste Hilfe« zum Bestehen des »Hammerexamens« an die Hand gegeben zu haben. Auszüge aus Vorabrezensionen: »Aufgrund der oben genannten Aspekte finde ich das neue Konzept hervorragend!! Der GK wird erfüllt; ich kann systematisch vorgehen und gleichzeitig verknüpfen, wiederholen und die neue Fragestellung üben. Von dem Arbeitsbuch-Charakter des letzten Bandes »Gesundheitsstörungen« halte ich sehr viel. Der Platz für eigene Notizen, ein einprägsames Bild und die 2-Farbigkeit setzen das sehr gut um.« »Das Konzept ist vernünftig und schlüssig. Auch die Aufteilung der Themen ist meiner Meinung nach gelungen. … Die Sprache finde ich sehr gut getroffen, … das Lesen fällt leicht, was das Arbeiten mit dem Text angenehm gestaltet. … Auch das Layout der einzelnen Seiten wirkt übersichtlich, nicht voll gepackt und ist durch Absätze, Tabellen und die farbliche Gestaltung ansprechend und übersichtlich.« Springer Medizin Verlag Heidelberg im Sommer 2007
Das Zweite – kompakt: Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Leitsystem: Schnelle Orientierung über alle Kapitel
Mindmap: Grafische Übersicht komplexer Sachverhalte
Inhaltliche Struktur: Klare Gliederung durch alle Kapitel
Übersichten: Wichtige Fakten werden übersichtlich dargestellt
Zahlreiche Abbildungen veranschaulichen komplizierte und komplexe Sachverhalte
Navigation: Seitenzahl und Kapitelnummer für die schnelle Orientierung
Tabellen: Klare Übersicht der wichtigsten Fakten
Aufzählungen: Lerninhalte übersichtlich präsentiert
Wichtig Zentrale Informationen auf einen Blick
In Kürze: Wiederholung der wichtigsten Fakten zu jedem Krankheitsbild zum schnellen Repetieren kurz vor dem Examen
Cave: Vorsicht! Bei falschem Vorgehen Gefahr für den Patienten
VIII
Mitarbeiterverzeichnis J. Bremer
H. Thieme
Platten-Str. 10 Zimmer 1710 CH-8032 Zürich
Dr. Dr. Kaiserslauterner Str. 35 66123 Saarbrücken
E. N. Cho
H. Wiendl
Universitätsstr. 1 Zimmer 17602 40225 Düsseldorf
Prof. Dr. med. Universität Würzburg Neurologische Klinik Josef-Scheider-Str. 11 97080 Würzburg
V. Kollenbaum Prof. Dr. Dr. Fachklinik Heiligenfeld GmbH Euerdorfer-Str. 4–6 97688 Bad Kissingen
IX
Gegenstandskatalog Teil 1: Gesundheitsstörungen 7 Band Gesundheitsstörungen Teil 2: Krankheitsbilder A00-A09
Infektiöse Darmkrankheiten,
2
A15-A19
Tuberkulose
3
A20-A28
Bestimmte bakterielle Zoonosen
A20
Pest
7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin,7 Band Querschnittsbereiche
A22
Anthrax [Milzbrand]
7 Band Grundlagen, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
A23
Brucellose
7 Band Grundlagen
A27
Leptospirose
7 Band Grundlagen
A30-A49
Sonstige bakterielle Krankheiten
A31
Infektion durch sonstige Mykobakterien
7 Band Grundlagen
A32
Listeriose
7 Band Grundlagen
A35
Sonstiger Tetanus, (Wundstarrkrampf )
7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche
A36
Diphtherie
7 Band Grundlagen, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Querschnittsbereiche
A37
Keuchhusten
7 Band Grundlagen, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Querschnittsbereiche
A38
Scharlach
7 Band Grundlagen, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Querschnittsbereiche
A39
Meningokokkeninfektion
7 Band Grundlagen
A40
Streptokokkensepsis
7 Band Grundlagen, Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
A41
Sonstige Sepsis
4
(z.B. Salmonellenenteritis, Lebensmittelvergiftung durch Staphylokokken, Enteritis durch Rotaviren)
7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin
1
7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
(z.B. Sepsis durch Staphylococcus aureus, Systemic inflammatory response syndrome [SIRS])
7 Band Querschnittsbereiche
A42
Aktinomykose
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen
A46
Erysipel [Wundrose]
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen
A48
Sonstige bakterielle Krankheiten, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Gasbrand, Legionellose, Toxisches Schocksyndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen
A49
Bakterielle Infektion nicht näher bezeichneter Lokalisation
(z.B. Helicobacter-Infektion)
7 Band Grundlagen
5
A50-A64
Infektionen, die vorwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragen werden
(z.B. Syphilis, Gonokokkeninfektion, Chlamydienkrankheiten, Ulcus molle [venereum], Infektionen des Anogenitalbereiches durch Herpesviren [Herpes simplex], Condylomata acuminata, Trichomoniasis)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
6
A65-A69
Sonstige Spirochätenkrankheiten
A69
Sonstige Spirochäteninfektionen (z.B. Lyme-Krankheit)
7
A70-A74
Sonstige Krankheiten durch Chlamydien
(z.B. Infektion durch Chlamydia psittaci, Trachom)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen
8
A75-A79
Rickettsiosen
(z.B. Zeckenbissfieber, Q-Fieber)
7 Band Grundlagen
9
A80-A89
Virusinfektionen des Zentralnervensystems
A80
Akute Poliomyelitis [Spinale Kinderlähmung]
A81
Atypische Virus-Infektionen des Zentralnervensystems
A82
Tollwut [Rabies]
A84
Virusenzephalitis, durch Zecken übertragen
10
A90-A99
Durch Arthropoden übertragene Viruskrankheiten und virale hämorrhagische Fieber
7 Band Grundlagen
11
B00-B09
Virusinfektionen, die durch Haut- und Schleimhautläsionen gekennzeichnet sind
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.4.1.3 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkoloige, Pädiatrie
7 Band Grundlagen
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche (z.B. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.4.4.1 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Querschnittsbereiche
(z.B. FSME)
(z.B. Herpesenzephalitis, Varizellen, Zoster, Masern, Röteln, Viruswarzen, Mollusca contagiosa, Dreitagefieber, Ringelröteln)
7 Band Grundlagen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.4.1.4 7 Band Querschnittsbereiche
X
Gegenstandskatalog
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
12
B15-B19
Virushepatitis
13
B20-B24
HIV-Krankheit [Humane ImmundefizienzViruskrankheit]
B20
Infektiöse und parasitäre Krankheiten infolge HIV-Krankheit [Humane ImmundefizienzViruskrankheit]
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen
B24
Nicht näher bezeichnete HIV-Krankheit [Humane Immundefizienz-Viruskrankheit]
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen
14
B25-B34
Sonstige Viruskrankheiten
B25
Zytomegalie
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B26
Mumps
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B27
Infektiöse Mononukleose
7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B30
Viruskonjunktivitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
B35-B49
Mykosen
B35
Dermatophytose [Tinea]
B36
Sonstige oberflächliche Mykosen
B37
Kandidose
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Grundlagen 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
B44
Aspergillose
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
B45
Kryptokokkose
7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
16
B50-B64
Protozoenkrankheiten
17
B65-B83
Helminthosen
15
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Grundlagen (z.B. Pityriasis versicolor)
(z.B. Malaria, Leishmaniose, Toxoplasmose, Pneumozystose)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
B65
Schistosomiasis [Bilharziose]
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Grundlagen
B67
Echinokokkose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
B68
Taeniasis
7 Band Grundlagen
B69
Zystizerkose
7 Band Grundlagen
B77
Askaridose
7 Band Grundlagen
B80
Enterobiasis
7 Band Grundlagen
B85-B89
Pedikulose [Läusebefall], Akarinose [Milbenbefall] und sonstiger Parasitenbefall der Haut
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
B85
Pedikulose [Läusebefall] und Phthiriasis [Filzläusebefall]
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B86
Skabies
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Grundlagen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
19
C00-C14
Bösartige Neubildungen der Lippe, der Mundhöhle und des Pharynx
20
C15-C26
Bösartige Neubildungen der Verdauungsorgane
C15
Bösartige Neubildung des Ösophagus
7 Band Innere Medizin
C16
Bösartige Neubildung des Magens
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C17
Bösartige Neubildung des Dünndarmes
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C18
Bösartige Neubildung des Kolons
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Urologie 7 Band Grundlagen 7 Band Innere Medizin
C19
Bösartige Neubildung am Rektosigmoid, Übergang
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C20
Bösartige Neubildung des Rektums
7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
18
(z.B. Bösartige Neubildung der Parotis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
XI Gegenstandskatalog
C21
Bösartige Neubildung des Anus und des Analkanals
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C22
Bösartige Neubildung der Leber und der intrahepatischen Gallengänge
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C23
Bösartige Neubildung der Gallenblase
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C24
Bösartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile der Gallenwege
C25
Bösartige Neubildung des Pankreas
C30-C39
Bösartige Neubildungen der Atmungsorgane und sonstiger intrathorakaler Organe
C32
Bösartige Neubildung des Larynx
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
C33
Bösartige Neubildung der Trachea
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
C34
Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
C40-C41
Bösartige Neubildungen des Knochens und des Gelenkknorpels
C40
Bösartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels der Extremitäten
(z.B. Osteosarkom des Femurs)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
C41
Bösartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels sonstiger und nicht näher bezeichneter Lokalisationen
(z.B. Chondrosarkom, Ewing-Sarkom des Beckens)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
C43-C44
Melanom und sonstige bösartige Neubildungen der Haut
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
C43
Bösartiges Melanom der Haut
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
C44
Sonstige bösartige Neubildungen der Haut
(z.B. Basalzellenkarzinom, Plattenepithelkarzinom)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
24
C45-C49
Bösartige Neubildungen des mesothelialen Gewebes und des Weichteilgewebes
(z.B. Pleuramesotheliom, Kaposi-Sarkom, Liposarkom)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopäadie, Urologie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin
25
C50
Bösartige Neubildung der Brustdrüse [Mamma]
26
C51-C58
Bösartige Neubildungen der weiblichen Genitalorgane
21
22
23
(z.B. Gallenwegskarzinom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Grundlagen
C51
Bösartige Neubildung der Vulva
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C52
Bösartige Neubildung der Vagina
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C53
Bösartige Neubildung der Cervix uteri
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C54
Bösartige Neubildung des Corpus uteri
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C56
Bösartige Neubildung des Ovars
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C57
Bösartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter weiblicher Genitalorgane
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
27
C60-C63
Bösartige Neubildungen der männlichen Genitalorgane
(z.B. Peniskarzinom, Prostatakarzinom, Hodenmalignom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
28
C64-C68
Bösartige Neubildungen der Harnorgane
(z.B. Nierenzellkarzinom, Wilms-Tumor, Urothelkarzinom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Innere Medizin 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
29
C69-C72
Bösartige Neubildungen des Auges, des Gehirns und sonstiger Teile des Zentralnervensystems
C69
Bösartige Neubildung des Auges und der Augenanhangsgebilde
(z.B. Retinoblastom, Aderhautmelanom)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
C71
Bösartige Neubildung des Gehirns
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.5.4 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
C72
Bösartige Neubildung des Rückenmarkes, der Hirnnerven und anderer Teile des Zentralnervensystems
7 Band Chirurgie, Urologie
C73-C75
Bösartige Neubildungen der Schilddrüse und sonstiger endokriner Drüsen
C73
Bösartige Neubildung der Schilddrüse
C74
Bösartige Neubildung der Nebenniere
(z.B. Neuroblastom, Phäochromozytom)
7 Band Innere Medizin
31
C76-C80
Bösartige Neubildungen ungenau bezeichneter, sekundärer und nicht näher bezeichneter Lokalisationen
(z.B. Metastasen, Paraneoplastisches Syndrom)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.5.4.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin
32
C81-C96
Bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes
C81
Hodgkin-Krankheit [Lymphogranulomatose]
7 Band Innere Medizin
C82
Follikuläres [noduläres] Non-HodgkinLymphom
7 Band Innere Medizin
30
7 Band Innere Medizin
XII
33
34
35
Gegenstandskatalog
7 Band Innere Medizin
C83
Diffuses Non-Hodgkin-Lymphom
C84
Periphere und kutane T-Zell-Lymphome
C90
Plasmozytom und bösartige PlasmazellenNeubildungen
7 Band Innere Medizin
C91
Lymphatische Leukämie
7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
C92
Myeloische Leukämie
7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
C96
Sonstige und nicht näher bezeichnete bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes
D00-D09
In-situ-Neubildungen
D00
Carcinoma in situ der Mundhöhle, des Ösophagus und des Magens
D04
Carcinoma in situ der Haut
D10-D36
Gutartige Neubildungen
D12
(z.B. Mycosis fungoides)
(z.B. Abt-Letterer-Siwe-Krankheit)
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. M. Bowen)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
Gutartige Neubildung des Kolons, des Rektums, des Analkanals und des Anus
(z.B. Polyposis coli)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chrirugie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen
D13
Gutartige Neubildung sonstiger und ungenau bezeichneter Teile des Verdauungssystems
(z.B. Gutartige Tumoren der Leber)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
D14
Gutartige Neubildung des Mittelohres und des Atmungssystems
(z.B. Adenomatöse Polypen)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
D16
gutartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels
(z.B. Osteochondrom, Osteoid-Osteom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
D17
Gutartige Neubildung des Fettgewebes
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
D18
Hämangiom und Lymphangiom
7 Band Innere Medizin 7 Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
D21
Sonstige gutartige Neubildungen des Bindegewebes und anderer Weichteilgewebe
D22
Melanozytennävus
D25
Leiomyom des Uterus
D32
Gutartige Neubildung der Meningen
(z.B. Meningeom)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.5.4 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
D33
Gutartige Neubildung des Gehirns und anderer Teile des Zentralnervensystems
(z.B. Akustikusneurinom)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.5.4.1
D35
Gutartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter endokriner Drüsen
D37-D48
Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens
D44
Neubildung unsicheren oder unbekannten Verhaltens der endokrinen Drüsen
(z.B. Hautfibrome)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Innere Medizin
(z.B. »Inzidentalome« [Nebenniere, Hypophyse], Kraniopharyngeom)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin
D46
Myelodysplastische Syndrome
D47
Sonstige Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes
D50-D53
Alimentäre Anämien
D50
Eisenmangelanämie
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche
D51
Vitamin-B12-Mangelanämie
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche
D52
Folsäure-Mangelanämie
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche
37
D55-D59
Hämolytische Anämien
(z.B. Hereditäre Sphärozytose, Autoimmunhämolytische Anämien)
7 Band Innere Medizin
38
D60-D64
Aplastische und sonstige Anämien
(z.B. Akute Blutungsanämie, Tumoranämie)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
39
D65-D69
Koagulopathien, Purpura und sonstige hämorrhagische Diathesen
(z.B. Disseminierte intravasale Gerinnung, Hämophilie A, Willebrand-Jürgens-Syndrom, Allergische Vaskulitis)
7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
40
D70-D77
Sonstige Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe
(z.B. Agranulozytose, Methämoglobinämie, Hypersplenismus, sekundäre Polyglobulie)
7 Band Innere Medizin
41
D80-D90
Bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
D83
Variabler Immundefekt [common variable immunodeficiency]
D84
Sonstige Immundefekte
D86
Sarkoidose
36
(z.B. Myelofibrose)
7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche (z.B. Hereditäres Quincke-Ödem)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
XIII Gegenstandskatalog
42 43
D90
Immunkompromittierung nach Bestrahlung, Chemotherapie und sonstigen immunsuppressiven Maßnahmen
E00-E07
Krankheiten der Schilddrüse
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin (z.B. Endemische Struma, Hypothyreose, Hyperthyreose, Thyreoiditis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
E10-E14
Diabetes mellitus
E10
Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-1-Diabetes]
7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin
E11
Nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-2-Diabetes]
7 Band Innere Medizin
E14
Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus
44
E15-E16
Sonstige Störungen der Blutglukose-Regulation und der inneren Sekretion des Pankreas
45
E20-E35
Krankheiten sonstiger endokriner Drüsen
E21
Hyperparathyreoidismus und sonstige Krankheiten der Nebenschilddrüse
E23
Unterfunktion und andere Störungen der Hypophyse
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen (z.B. Hypoglykämie)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.3, 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Innere Medizin
(z.B. Hypopituitarismus, Diabetes insipidus)
7 Band Innere Medizin 7 Band Innere Medizin
E24
Cushing-Syndrom
E25
Adrenogenitale Störungen
E26
Hyperaldosteronismus
(z.B. Conn-Syndrom)
7 Band Innere Medizin
E27
Sonstige Krankheiten der Nebenniere
(z.B. Nebennierenrinden-Insuffizienz)
7 Band Innere Medizin
E28
Ovarielle Dysfunktion
E29
Testikuläre Dysfunktion
E30
Pubertätsstörungen, anderenorts nicht klassifiziert
E31
Polyglanduläre Dysfunktion
E34
Sonstige endokrine Störungen
46
E40-E46
Mangelernährung
47
E50-E64
Sonstige alimentäre Mangelzustände
48
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Pubertas praecox, Pubertas tarda)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Innere Medizin
(z.B. Karzinoid-Syndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche
(z.B. Vitamin-D-Mangel)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche
E65-E68
Adipositas und sonstige Überernährung
E66
Adipositas
E70-E90
Stoffwechselstörungen
E70
Störungen des Stoffwechsels aromatischer Aminosäuren
E78
Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
E79
Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels
7 Band Innere Medizin
E80
Störungen des Porphyrin- und Bilirubinstoffwechsels
7 Band Innere Medizin
E83
Störungen des Mineralstoffwechsels
E84
Zystische Fibrose
F00-F09
Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
F00
Demenz bei Alzheimer-Krankheit
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.1, Kap. 2.4.2, 7 Band Querschnittsbereiche
F01
Vaskuläre Demenz
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.3. 7 Band Querschnittsbereiche
F02
Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
F05
Delir, nicht durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingt
F06
Andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit
(z.B. Organische Halluzinose)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.2.1.2
F07
Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns
(z.B. Organische Persönlichkeitsstörung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.2.1.3
51
F10-F19
Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
(z.B. Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Opioide und Cannabinoide, Entzugssyndrom mit Delir)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.7.1., Kap. 2.7.2., Kap. 2.7.5., Kap. 2.7.1.4., 7 Band Querschnittsbereiche
52
F20-F29
Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
F20
Schizophrenie
7 Band Grundlagen, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.8.1
F22
Anhaltende wahnhafte Störungen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.8.3
F25
Schizoaffektive Störungen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.8.2
49
50
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Phenylketonurie)
(z.B. Hämochromatose)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. bei Creutzfeldt-Jacob-Krankheit, HIV-Krankheit)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.4., Kap. 1.4.4.1., Kap. 2.4.3., Kap. 2.4.4., Kap. 2.4.5. 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psycosomatik 7 Kap. 2.2.1.1
XIV
53
54
55
56
Gegenstandskatalog
F30-F39
Affektive Störungen
F31
Bipolare affektive Störung
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.9.5
F32
Depressive Episode
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.6.1., Kap. 2.9.1
F33
Rezidivierende depressive Störung
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.9.2
F34
Anhaltende affektive Störungen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.9.3
F40-F48
Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F40
Phobische Störungen
F41
Andere Angststörungen
F42
Zwangsstörung
F43
Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen
F44
Dissoziative Störungen [Konversionsstörungen]
F45
Somatoforme Störungen
F50-F59
Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
F50
Essstörungen
F51
Nichtorganische Schlafstörungen
F52
Sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit
F54
Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
F60-F69
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F60
Spezifische Persönlichkeitsstörungen
57
F70-F79
Intelligenzminderung
58
F80-F89
Entwicklungsstörungen
59
F90-F98
Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.7.1 (z.B. Panikstörung, Generalisierte Angststörung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.7.3., Kap. 3.7.2., 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.11
(z.B. Akute Belastungsreaktion, Posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörungen)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.8.1., Kap. 3.8.3., Kap. 3.8.2 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.10
(z.B. Hypochrondrische Störung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.2
(z.B. Anorexia nervosa, Bulimia nervosa)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.3.1., Kap. 3.3.2., Kap. 2.5.1., Kap. 2.5.2 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.4., 7 Band Querschnittsbereiche
(z.B. Erektile Dysfunktion)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.5.1, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.12
(z.B. Dissoziale Persönlichkeitsstörung, Emotional instabile Persönlichkeitsstörung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.9.1., Kap. 3.9.2
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.3 (z.B. des Sprechens und der Sprache, schulischer Fertigkeiten; Frühkindlicher Autismus)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10. 4., Kap. 2.10.5, Kap. 2.10.6.1
F90
Hyperkinetische Störungen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.2.1
F91
Störungen des Sozialverhaltens
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.9
F93
Emotionale Störungen des Kindesalters
F94
Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.8 (z.B. Elektiver Mutismus)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.4 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.2.2
F95
Ticstörungen
F98
Andere Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
(z.B. Nichtorganische Enuresis)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.7.1
60
G00-G09
Entzündliche Krankheiten des Zentralnervensystems
(z.B. Meningitis, Enzephalitis, Myelitis, Enzephalomyelitis, Intrakranielle und intraspinale Abszesse und Granulome)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.4
61
G10-G13
Systematrophien, die vorwiegend das Zentralnervensystem betreffen
G10
Chorea Huntington
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.2., 7 Band Grundlagen
G11
Hereditäre Ataxie
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.5.
G12
Spinale Muskelatrophie und verwandte Syndrome
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.4.2
G20-G26
Extrapyramidale Krankheiten und Bewegungsstörungen
G20
Primäres Parkinson-Syndrom
G21
Sekundäres Parkinson-Syndrom
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.1 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2
62
63
G23
Sonstige degenerative Krankheiten der Basalganglien
G24
Dystonie
G25
Sonstige extrapyramidale Krankheiten und Bewegungsstörungen
G30-G32
Sonstige degenerative Krankheiten des Nervensystems
G30
Alzheimer-Krankheit
(z.B. Demenz mit Lewy-Körperchen bei Parkinson-Syndrom)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.2., Kap. 1.6.2.1
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.2 (z.B. Restless-Legs-Syndrom)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.2
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.1., 7 Band Querschnittsbereiche
XV Gegenstandskatalog
64
65
66
67
68
69
70
71
G35-G37
Demyelinisierende Krankheiten des Zentralnervensystems
G35
Multiple Sklerose [Encephalomyelitis disseminata]
G40-G47
Episodische und paroxysmale Krankheiten des Nervensystems
G40
Epilepsie
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Grundlagen, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.8
G41
Status epilepticus
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.8.1
G43
Migräne
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.9.2
G44
Sonstige Kopfschmerzsyndrome
G45
Zerebrale transitorische Ischämie und verwandte Syndrome
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.1.1
G46
Zerebrale Gefäßsyndrome bei zerebrovaskulären Krankheiten
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2., 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.6
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.1
(z.B. Cluster-Kopfschmerz, Vasomotorischer Kopfschmerz, Spannungskopfschmerz, Chronischer posttraumatischer Kopfschmerz, Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.9.3., Kap. 1.9.1., Kap. 1.9.4
G47
Schlafstörungen
G50-G59
Krankheiten von Nerven, Nervenwurzeln und Nervenplexus
G50
Krankheiten des N. trigeminus [V. Hirnnerv]
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.4.1., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G51
Krankheiten des N. facialis [VII. Hirnnerv]
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.4.2
G52
Krankheiten sonstiger Hirnnerven
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.4.3
G54
Krankheiten von Nervenwurzeln und Nervenplexus
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.1., Kap. 1.10.2
G56
Mononeuropathien der oberen Extremität
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.5., 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G57
Mononeuropathien der unteren Extremität
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.6
G60-G64
Polyneuropathien und sonstige Krankheiten des peripheren Nervensystems
G61
Polyneuritis
G62
Sonstige Polyneuropathien
(z.B. Alkoholneuropathie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.3
G63
Polyneuropathie bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
(z.B. Diabetische Polyneuropathie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.3
G70-G73
Krankheiten im Bereich der neuromuskulären Synapse und des Muskels
G70
Myasthenia gravis und sonstige neuromuskuläre Krankheiten
G71
Primäre Myopathien
(z.B. Muskeldystrophien, Myotone Syndrome)
7 Band Grundlagen, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.11.2., Kap. 1.11.1
G72
Sonstige Myopathien
(z.B. Arzneimittelinduzierte Myopathie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.11.3.2., 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
G80-G83
Zerebrale Lähmung und sonstige Lähmungssyndrome
G80
Infantile Zerebralparese
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
G81
Hemiparese und Hemiplegie
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.1.2.2
G82
Paraparese und Paraplegie, Tetraparese und Tetraplegie
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.1.2.2., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G83
Sonstige Lähmungssyndrome
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.3
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.11.3.1
(z.B. Cauda-equina-Syndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.3.2
G90-G99
Sonstige Krankheiten des Nervensystems
G90
Krankheiten des autonomen Nervensystems
(z.B. Multisystem-Atrophie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.1
G91
Hydrozephalus
(z.B. Normaldruckhydozephalus)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.5.2., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G95
Sonstige Krankheiten des Rückenmarkes
(z.B. Syringomyelie)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.6.6.3., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
H00-H06
Affektionen des Augenlides, des Tränenapparates und der Orbita
H00
Hordeolum und Chalazion
H02
Sonstige Affektionen des Augenlides
H04
Affektionen des Tränenapparates
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. Ektropium, Entropium, Ptosis)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
XVI
72
73
74
75
Gegenstandskatalog
H10-H13
Affektionen der Konjunktiva
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H10
Konjunktivitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H15-H22
Affektionen der Sklera, der Hornhaut, der Iris und des Ziliarkörpers
H15
Affektionen der Sklera
H16
Keratitis
H18
Sonstige Affektionen der Hornhaut
H20
Iridozyklitis
H22
Affektionen der Iris und des Ziliarkörpers bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
H25-H28
Affektionen der Linse
H25
Cataracta senilis
H26
Sonstige Kataraktformen
(z.B. Skleritis, Episkleritis)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
(z.B. Keratokonus)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
(z.B. Iridozyklitis bei Zoster, bei Spondylitis ankylopoetica)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, (z.B. Cataracta traumatica)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
H30-H36
Affektionen der Aderhaut und der Netzhaut
H30
Chorioretinitis
H32
Chorioretinale Affektionen bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
H33
Netzhautablösung und Netzhautriss
H34
Netzhautgefäßverschluss
H35
Sonstige Affektionen der Netzhaut
(z.B. Hypertensive Retinopathie, Retinopathia praematurorum, Altersbedingte Makuladegeneration [AMD], Retinopathia pigmentosa)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H36
Affektionen der Netzhaut bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
(z.B. Diabetische Retinopathie, Atherosklerotische Retinopathie)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
76
H40-H42
Glaukom
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnittsbereiche
77
H43-H45
Affektionen des Glaskörpers und des Augapfels
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO,
H43
Affektionen des Glaskörpers
(z.B. Glaskörperblutung)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H44
Affektionen des Augapfels
(z.B. Endophthalmitis, Intraokularer Fremdkörper)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
78
79
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. bei Toxoplasmose)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H46-H48
Affektionen des N. opticus und der Sehbahn
H46
Neuritis nervi optici
H47
Sonstige Affektionen des N. opticus [II. Hirnnerv] und der Sehbahn
(z.B. Anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION), arteriosklerotisch)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H48
Affektionen des N. opticus [II. Hirnnerv] und der Sehbahn bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
(z.B. bei Multipler Sklerose)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H49-H52
Affektionen der Augenmuskeln, Störungen der Blickbewegungen sowie Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehler
H49
Strabismus paralyticus
H50
Sonstiger Strabismus
H52
Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehler
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. Strabismus concomitans)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
80
H53-H54
Sehstörungen und Blindheit
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
81
H60-H62
Krankheiten des äußeren Ohres
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H60
Otitis externa
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H65-H75
Krankheiten des Mittelohres und des Warzenfortsatzes
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H65
Nichteitrige Otitis media
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H66
Eitrige und nicht näher bezeichnete Otitis media
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H68
Entzündung und Verschluß der Tuba auditiva
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H70
Mastoiditis und verwandte Zustände
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H71
Cholesteatom des Mittelohres
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H72
Trommelfellperforation
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H80-H83
Krankheiten des Innenohres
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H80
Otosklerose
H81
Störungen der Vestibularfunktion
(z.B. Ménière-Krankheit)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H83
Sonstige Krankheiten des Innenohres
(z.B. Lärmschwerhörigkeit)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeit- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
(z.B. Angeborene Taubheit)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
82
83
84
H90-H95
Sonstige Krankheiten des Ohres
H90
Hörverlust durch Schalleitungs- oder Schallempfindungsstörung
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
XVII Gegenstandskatalog
H91
Sonstiger Hörverlust
(z.B. Altersschwerhörigkeit)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Innere Medizin
85
I00-I02
Akutes rheumatisches Fieber
86
I05-I09
Chronische rheumatische Herzkrankheiten
I05
Rheumatische Mitralklappenkrankheiten
I06
Rheumatische Aortenklappenkrankheiten
I10-I15
Hypertonie [Hochdruckkrankheit]
I10
Essentielle (primäre) Hypertonie
7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin 7 Band Querschnittsbereiche
I11
Hypertensive Herzkrankheit
7 Band Innere Medizin
I12
Hypertensive Nierenkrankheit
7 Band Innere Medizin
I15
Sekundäre Hypertonie
7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen
87
88
89
90
91
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I20-I25
Ischämische Herzkrankheiten
I20
Angina pectoris
7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I21
Akuter Myokardinfarkt
7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
I22
Rezidivierender Myokardinfarkt
7 Band Innere Medizin
I25
Chronische ischämische Herzkrankheit
7 Band Innere Medizin
I26-I28
Pulmonale Herzkrankheit und Krankheiten des Lungenkreislaufes
I26
Lungenembolie
I27
Sonstige pulmonale Herzkrankheiten
I30-I52
Sonstige Formen der Herzkrankheit
7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Cor pulmonale)
7 Band Innere Medizin 7 Band Innere Medizin
I30
Akute Perikarditis
I31
Sonstige Krankheiten des Perikards
I34
Nichtrheumatische Mitralklappenkrankheiten
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I35
Nichtrheumatische Aortenklappenkrankheiten
7 Band Innere Medizin
I38
Endokarditis, Herzklappe nicht näher bezeichnet
7 Band Innere Medizin
I39
Endokarditis und Herzklappenkrankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
7 Band Innere Medizin
I40
Akute Myokarditis
7 Band Innere Medizin
I41
Myokarditis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
7 Band Innere Medizin
I42
Kardiomyopathie
7 Band Innere Medizin
I44
Atrioventrikulärer Block und Linksschenkelblock
7 Band Innere Medizin
I45
Sonstige kardiale Erregungsleitungsstörungen
(z.B. Rechtsschenkelblock, PräexitationsSyndrom)
7 Band Innere Medizin
(z.B. Plötzlicher Herztod)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
I46
Herzstillstand
I47
Herzstillstand
I48
Vorhofflattern und Vorhofflimmern
I49
Sonstige kardiale Arrhythmien
(z.B. Chronische Perikarditis)
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Innere Medizin (z.B. Kammerflimmern, Sick-SinusSyndrom)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Innere Medizin
I50
Herzinsuffizienz
I60-I69
Zerebrovaskuläre Krankheiten
I60
Subarachnoidalblutung
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.3.3., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I61
Intrazerebrale Blutung
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.3.4., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I62
Sonstige nichttraumatische intrakranielle Blutung
I63
Hirninfarkt
I65
Verschluss und Stenose präzerebraler Arterien ohne resultierenden Hirninfarkt
I66
Verschluss und Stenose zerebraler Arterien ohne resultierenden Hirninfarkt
I67
Sonstige zerebrovaskuläre Krankheiten
I69
Folgen einer zerebrovaskulären Krankheit
(z.B. Spontane subarachnoidale Blutung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.3.3 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.1
(z.B. Basilaristhrombose)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.1.2 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Hirnatherosklerose, Hirnvenenthrombose)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.2., Kap. 1.2.4., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2
XVIII
92
93
Gegenstandskatalog
I70-I79
Krankheiten der Arterien, Arteriolen und Kapillaren
I70
Atherosklerose
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche
I71
Aortenaneurysma und -dissektion
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
I72
Sonstiges Aneurysma
(z.B. Aneurysma der A. carotis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
I73
Sonstige periphere Gefäßkrankheiten
(z.B. Raynaud-Syndrom, Thrombangiitis obliterans, Claudicatio intermittens)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
I74
Arterielle Embolie und Thrombose
I80-I89
Krankheiten der Venen, der Lymphgefäße und der Lymphknoten, anderenorts nicht klassifiziert
I80
Phlebitis und Thrombophlebitis
7 Band Innere Medizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
I81
Pfortaderthrombose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
I82
Sonstige venöse Embolie und Thrombose
(z.B. Thrombophilie wie Protein-S-Mangel, Protein-C-Mangel, APC-Resistenz)
7 Band Innere Medizin
I83
Varizen der unteren Extremitäten
(z.B. Ulcus cruris venosum)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I84
Hämorrhoiden
I85
Ösophagusvarizen
I86
Varizen sonstiger Lokalisationen
(z.B. Magenvarizen, Varikozele)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
I87
Sonstige Venenkrankheiten
(z.B. Postthrombotisches Syndrom, Venöse Insuffizienz)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Innere Medizin
I88
Unspezifische Lymphadenitis
I89
Sonstige nichtinfektiöse Krankheiten der Lymphgefäße und Lymphknoten
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. Lymphödem)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Innere Medizin
J00-J06
Akute Infektionen der oberen Atemwege
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J00
Akute Rhinopharyngitis [Erkältungsschnupfen]
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J01
Akute Sinusitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J02
Akute Pharyngitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J03
Akute Tonsillitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J04
Akute Laryngitis und Tracheitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J05
Akute obstruktive Laryngitis [Krupp] und Epiglottitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
J06
Akute Infektionen an mehreren oder nicht näher bezeichneten Lokalisationen der oberen Atemwege
95
J10-J18
Grippe und Pneumonie
96
J20-J22
Sonstige akute Infektionen der unteren Atemwege
J20
Akute Bronchitis
J21
Akute Bronchiolitis
94
97
98
(z.B. Grippaler Infekt)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin (z.B. RSV-Infektion)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Grundlagen
J30-J39
Sonstige Krankheiten der oberen Atemwege
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J30
Vasomotorische und allergische Rhinopathie
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J31
Chronische Rhinitis, Rhinopharyngitis und Pharyngitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J32
Chronische Sinusitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J33
Nasenpolyp
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J34
Sonstige Krankheiten der Nase und der Nasennebenhöhlen
J35
Chronische Krankheiten der Gaumen- und Rachenmandeln
J38
Krankheiten der Stimmlippen und des Kehlkopfes, anderenorts nicht klassifiziert
J40-J47
Chronische Krankheiten der unteren Atemwege
J41
Einfache und schleimig-eitrige chronische Bronchitis
J43
Emphysem
J44
Sonstige chronische obstruktive Lungenkrankheit
(z.B. Nasenfurunkel)
7 Band Chirurgie, Orthopädie,Urologie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. Stimmlippenknötchen)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Innere Medizin 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen (z.B. COPD)
7 Band Innere Medizin
XIX Gegenstandskatalog
99
100
J45
Asthma bronchiale
7 Band Innere Medizin
J46
Status asthmaticus
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Innere Medizin
J47
Bronchiektasen
7 Band Innere Medizin
J60-J70
Lungenkrankheiten durch exogene Substanzen
J61
Pneumokoniose durch Asbest und sonstige anorganische Fasern
(Asbestose)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Innere Medizin
J62
Pneumokoniose durch Quarzstaub
(z.B. Silikose)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
J67
Allergische Alveolitis durch organischen Staub
(z.B. Farmerlunge)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
J80-J84
Sonstige Krankheiten der Atmungsorgane, die hauptsächlich das Interstitium betreffen
J81
Lungenödem
J84
Sonstige interstitielle Lungenkrankheiten
101
J85-J86
Purulente und nekrotisierende Krankheitszustände der unteren Atemwege
J86
Pyothorax
102
J90-J94
Sonstige Krankheiten der Pleura
103
104
105
106
107
108
109
7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Grundlagen (z.B. Hamman-Rich-Syndrom)
7 Band Innere Medizin
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Pleuraerguss, anderenorts nicht klassifiziert Pleuraerguß bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
7 Band Innere Medizin
J93
Pneumothorax
7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
J95-J99
Sonstige Krankheiten des Atmungssystems
J98
Sonstige Krankheiten der Atemwege
K00-K14
Krankheiten der Mundhöhle, der Speicheldrüsen und der Kiefer
K10 K11
(z.B. Exsudative Pleuritis)
7 Band Innere Medizin
J90 J91
(z.B. Atelektase, Interstitielles Emphysem, Mediastinitis)
7 Band Innere Medizin
Sonstige Krankheiten der Kiefer
(z.B. Kieferosteomyelitis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Krankheiten der Speicheldrüsen
(z.B. Sialolithiasis)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
K12
Stomatitis und verwandte Krankheiten
(z.B. Rezidivierende orale Aphthen)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
K13
Sonstige Krankheiten der Lippe und der Mundschleimhaut
(z.B. Cheilitis, Leukoplakie)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
K20-K31
Krankheiten des Ösophagus, des Magens und des Duodenums
K20
Ösophagitis
7 Band Innere Medizin
K21
Gastroösophageale Refluxkrankheit
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
K22
Sonstige Krankheiten des Ösophagus
K25
Ulcus ventriculi
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
K26
Ulcus duodeni
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbetis- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
K29
Gastritis und Duodenitis
7 Band Innere Medizin
K30
Dyspepsie
7 Band Querschnittsbereiche
K35-K38
Krankheiten der Appendix
K35
Akute Appendizitis
K40-K46
Hernien
(z.B. Erworbene Divertikel, Mallory-WeissSyndrom, Perforation)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthiopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K40
Hernia inguinalis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K41
Hernia femoralis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K42
Hernia umbilicalis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K43
Hernia ventralis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K44
Hernia diaphragmatica
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K50-K52
Nichtinfektiöse Enteritis und Kolitis
K50
Crohn-Krankheit [Enteritis regionalis] [Morbus Crohn]
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Urologie
K51
Colitis ulcerosa
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K55-K63
Sonstige Krankheiten des Darmes
K55
Gefäßkrankheiten des Darmes
(z.B. Mesenterialinfarkt, Ischämische Kolitis)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie
XX
110
111
Gegenstandskatalog
Paralytischer Ileus und mechanischer Ileus ohne Hernie
K57
Divertikulose des Darmes
7 Band Innere Medizin, 7 Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Urologie
K58
Reizdarmsyndrom
7 Band Innere Medizin
K60
Fissur und Fistel in der Anal- und Rektalregion
7 Band Innere Medizin
K61
Abszess in der Anal- und Rektalregion
K62
Sonstige Krankheiten des Anus und des Rektums
(z.B. Analpolyp, Analprolaps)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
K63
Sonstige Krankheiten des Darmes
(z.B. Darmabszess, Darmfistel)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
K65-K67
Krankheiten des Peritoneums
K65
Peritonitis
(z.B. Invagination, Bridenileus)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K56
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K70-K77
Krankheiten der Leber
K70
Alkoholische Leberkrankheit
7 Band Innere Medizin
K71
Toxische Leberkrankheit
7 Band Innere Medizin
K72
Leberversagen, anderenorts nicht klassifiziert
7 Band Innere Medizin
K74
Fibrose und Zirrhose der Leber
7 Band Grundlagen, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,Urologie, 7 Band Innere Medizin
K75
Sonstige entzündliche Leberkrankheiten
(z.B. Leberabszess, Autoimmune Hepatitis)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K76
Sonstige Krankheiten der Leber
(z.B. Fettleber)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
K80-K87
Krankheiten der Gallenblase, der Gallenwege und des Pankreas
K80
Cholelithiasis
K81
Cholezystitis
K83
Sonstige Krankheiten der Gallenwege
K85
Akute Pankreatitis
K86
Sonstige Krankheiten des Pankreas
113
K90-K93
Sonstige Krankheiten des Verdauungssystems
K90
Intestinale Malabsorption
114
L00-L08
Infektionen der Haut und der Unterhaut
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO,
L00
Staphylococcal scalded skin syndrome [SSS-Syndrom]
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO7 Band Grundlagen
L01
Impetigo
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L02
Hautabszess, Furunkel und Karbunkel
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L03
Phlegmone
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L04
Akute Lymphadenitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L05
Pilonidalzyste
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L08
Sonstige lokale Infektionen der Haut und der Unterhaut
112
115
116
117
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Gallengangsverschluss)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädiee, Urologie
(z.B. Chronische Pankreatitis)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Zöliakie)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. Pyodermie, Erythrasma)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L10-L14
Bullöse Dermatosen
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L10
Pemphiguskrankheiten
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L12
Pemphigoidkrankheiten
L13
Sonstige bullöse Dermatosen
L20-L30
Dermatitis und Ekzem
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L20
Atopisches [endogenes] Ekzem
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L21
Seborrhoisches Ekzem
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L22
Windeldermatitis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
L23
Allergische Kontaktdermatitis
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L24
Toxische Kontaktdermatitis
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L27
Dermatitis durch oral, enteral oder parenteral aufgenommene Substanzen
(z.B. Arzneimittelexanthem)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L30
Sonstige Dermatitis
(z.B. Nummuläres Ekzem)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L40-L45
Papulosquamöse Hautkrankheiten
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L40
Psoriasis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L41
Parapsoriasis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L42
Pityriasis rosea
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L43
Lichen ruber planus
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. Dermatitis herpetiformis Duhring)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
XXI Gegenstandskatalog
118
119
120
121
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L50-L54
Urtikaria und Erythem
L50
Urtikaria
L51
Erythema exsudativum multiforme
L52
Erythema nodosum
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L55-L59
Krankheiten der Haut und der Unterhaut durch Strahleneinwirkung
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L55
Dermatitis solaris acuta
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnittsbereiche
L56
Sonstige akute Hautveränderungen durch Ultraviolettstrahlen
(z.B. Polymorphe Lichtdermatose)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnittsbereiche
L57
Hautveränderungen durch chronische Exposition gegenüber nichtionisierender Strahlung
(z.B. Aktinische Keratose)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnittsbereiche
L60-L75
Krankheiten der Hautanhangsgebilde
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L60
Krankheiten der Nägel
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L63
Alopecia areata
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L64
Alopecia androgenetica
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L70
Akne
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. Toxische epidermale Nekrolyse)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO,
L71
Rosazea
L72
Follikuläre Zysten der Haut und der Unterhaut
(z.B. Atherom)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L73
Sonstige Krankheiten der Haarfollikel
(z.B. Hidradenitis suppurativa)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnittsbereiche
L80-L99
Sonstige Krankheiten der Haut und der Unterhaut
L80
Vitiligo
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L82
Seborrhoische Keratose
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L83
Acanthosis nigricans
L85
Sonstige Epidermisverdickung
L88
Pyoderma gangraenosum
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L89
Dekubitalgeschwür
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L90
Atrophische Hautkrankheiten
(z.B. Lichen sclerosus et atrophicus, Narben, Striae cutis atrophicae)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L92
Granulomatöse Krankheiten der Haut und der Unterhaut
(z.B. Granuloma anulare, Nekrobiosis lipoidica)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L93
Lupus erythematodes
L94
Sonstige lokalisierte Krankheiten des Bindegewebes
M00-M03
Infektiöse Arthropathien
M00
Eitrige Arthritis
M01
Direkte Gelenkinfektionen bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
(z.B. Arthritis bei Lyme-Krankheit)
7 Band Innere Medizin
M02
Reaktive Arthritiden
(z.B. Reiter-Krankheit)
7 Band Innere Medizin
M03
Postinfektiöse und Reaktive Arthritiden bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
123
M05-M14
Entzündliche Polyarthropathien
124
M15-M19
Arthrose
M15
Polyarthrose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M16
Koxarthrose [Arthrose des Hüftgelenkes]
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M17
Gonarthrose [Arthrose des Kniegelenkes]
M19
Sonstige Arthrose
M20-M25
Sonstige Gelenkkrankheiten
M20
122
125
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. Cornu cutaneum, Akrale Hyperkeratosen)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. Sclerodermia circumscripta)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie , Urologie (z.B. Chronische Polyarthritis, Arthritis psoriatica, Juvenile Arthritis, Gicht, Begleitarthropathien)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Omarthrose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Erworbene Deformitäten der Finger und Zehen
(z.B. Hallux valgus)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M21
Sonstige erworbene Deformitäten der Extremitäten
(z.B. Fallhand)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M22
Krankheiten der Patella
M23
Binnenschädigung des Kniegelenkes [internal derangement]
(z.B. Meniskusschädigung)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M24
Sonstige näher bezeichnete Gelenkschädigungen
(z.B. Freier Gelenkkörper)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M25
Sonstige Gelenkkrankheiten, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Hämarthros, Gelenkinstabilität, Gelenksteife)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
XXII
126
127
128
129
130
131
132
133
134
Gegenstandskatalog
M30-M36
Systemkrankheiten des Bindegewebes
M30
Panarteriitis nodosa und verwandte Zustände
(z.B. Kawasaki-Krankheit)
7 Band Innere Medizin 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
M31
Sonstige nekrotisierende Vaskulopathien
(z.B. Hypersensitivitätsangiitis, Riesenzellarteriitis)
7 Band Innere Medizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
M32
Systemischer Lupus erythematodes
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
M33
Dermatomyositis-Polymyositis
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
M34
Systemische Sklerose
M35
Sonstige Krankheiten mit Systembeteiligung des Bindegewebes
M40-M43
Deformitäten der Wirbelsäule und des Rückens
M40
Kyphose und Lordose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M41
Skoliose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M42
Osteochondrose der Wirbelsäule
M43
Sonstige Deformitäten der Wirbelsäule und des Rückens
M45-M49
Spondylopathien
M45
Spondylitis ankylosans
M46
Sonstige entzündliche Spondylopathien
M47
Spondylose
M48
Sonstige Spondylopathien
M50-M54
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens
M50 M51
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO (z.B. Polymyalgia rheumatica)
7 Band Innere Medizin
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Spondylolisthesis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Spondylodiszitis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Lumbale Spinalstenose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Zervikale Bandscheibenschäden
(z.B. zervikale Myelopathie)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Sonstige Bandscheibenschäden
(z.B. Lumbaler Bandscheibenvorfall)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M53
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Zervikobrachial-Syndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M54
Rückenschmerzen
(z.B. Lumboischialgie)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M60-M63
Krankheiten der Muskeln
M60
Myositis
7 Band Innere Medizin
M61
Kalzifikation und Ossifikation von Muskeln
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M65-M68
Krankheiten der Synovialis und der Sehnen
M65
Synovitis und Tenosynovitis
M70-M79
Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes
M70
Krankheiten des Weichteilgewebes im Zusammenhang mit Beanspruchung, Überbeanspruchung und Druck
(z.B. Schnellender Finger)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Bursitis praepatellaris)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
M72
Fibromatosen
(z.B. Nekrotisierende Fasziitis)
7 Band Grundlagen, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M75
Schulterläsionen
(z.B. Läsionen der Rotatorenmanschette)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M76
Enthesopathien der unteren Extremität mit Ausnahme des Fußes
(z.B. Tractus-iliotibialis-Syndrom)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M77
Sonstige Enthesopathien
(z.B. Epicondylitis radialis humeri)
7 Band Chirurgie, Orthopädie und, Urologie
M79
Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Fibromyalgie, Neuralgie)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.1.2.4., Kap. 1.10.4.1., Kap. 1.10.4.3
M80-M85
Veränderungen der Knochendichte und -struktur
M80
Osteoporose mit pathologischer Fraktur
M81
Osteoporose ohne pathologische Fraktur
M85
Sonstige Veränderungen der Knochendichte und -struktur
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Querschnittsbereiche 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Querschnittsbereiche (z.B. Knochenzyste)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M86-M90
Sonstige Osteopathien
M86
Osteomyelitis
M87
Knochennekrose
M88
Osteodystrophia deformans [Paget-Krankheit]
M89
Sonstige Knochenkrankheiten
(z.B. Komplexes regionales Schmerzsyndrom)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.1.2.4
135
M91-M94
Chondropathien
(z.B. M. Perthes, Osteochondrosis dissecans
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
136
M95-M99
Sonstige Krankheiten des Muskel-SkelettSystems und des Bindegewebes
M99
Biomechanische Funktionsstörungen, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Knöcherne Stenose des Spinalkanals, Stenose des Spinalkanals durch Bandscheiben)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Idiopathische aseptische Knochennekrose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
XXIII Gegenstandskatalog
137
138
139
140
141
142
143
144
145
N00-N08
Glomeruläre Krankheiten
N00
Akutes nephritisches Syndrom
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N01
Rapid-progressives nephritisches Syndrom
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N02
Rezidivierende und persistierende Hämaturie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N03
Chronisches nephritisches Syndrom
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N04
Nephrotisches Syndrom
7 Band Chirurgie, Orthopädie Urologie, 7 Band Innere Medizin
N10-N16
Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten
N10
Akute tubulointerstitielle Nephritis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N11
Chronische tubulointerstitielle Nephritis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N13
Obstruktive Uropathie und Refluxuropathie
N15
Sonstige tubulointerstitielle Nierenkrankheiten
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Nierenkarbunkel, Paranephritis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N17-N19
Niereninsuffizienz
N17
Akutes Nierenversagen
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
N18
Chronische Niereninsuffizienz
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
N20-N23
Urolithiasis
N20
Nieren- und Ureterstein
N21
Stein in den unteren Harnwegen
N25-N29
Sonstige Krankheiten der Niere und des Ureters
N26
Schrumpfniere, nicht näher bezeichnet
N28
Sonstige Krankheiten der Niere und des Ureters, anderenorts nicht klassifiziert
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie (z.B. Blasenstein)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin (z.B. Niereninfarkt)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N30-N39
Sonstige Krankheiten des Harnsystems
N30
Zystitis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N31
Neuromuskuläre Dysfunktion der Harnblase, anderenorts nicht klassifiziert
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N32
Sonstige Krankheiten der Harnblase
N34
Urethritis und urethrales Syndrom
N35
Harnröhrenstriktur
N39
Sonstige Krankheiten des Harnsystems
(z.B. Blasenhalsobstruktion)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Stressinkontinenz, Urgeinkontinenz, Harnwegsinfektion, Urosepsis)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
N40-N51
Krankheiten der männlichen Genitalorgane
N40
Prostatahyperplasie
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N41
Entzündliche Krankheiten der Prostata
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N43
Hydrozele und Spermatozele
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N44
Hodentorsion und Hydatidentorsion
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N45
Orchitis und Epididymitis
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N46
Sterilität beim Mann
7 Band Chirurgie, Orthopädie und Urologie
N47
Vorhauthypertrophie, Phimose und Paraphimose
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N48
Sonstige Krankheiten des Penis
(z.B. Balanoposthitis, Priapismus, Impotenz organischen Usprungs, Penisfraktur)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N49
Entzündliche Krankheiten der männlichen Genitalorgane, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Fournier-Gangrän)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
(z.B. Fibrozystische Mastopathie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N60-N64
Krankheiten der Mamma [Brustdrüse]
N60
Gutartige Mammadysplasie
N61
Entzündliche Krankheiten der Mamma [Brustdrüse]
N70-N77
Entzündliche Krankheiten der weiblichen Beckenorgane
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N70
Salpingitis und Oophoritis
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N71
Entzündliche Krankheit des Uterus, ausgenommen der Zervix
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N72
Entzündliche Krankheit der Cervix uteri
N73
Sonstige entzündliche Krankheiten im weiblichen Becken
N75
Krankheiten der Bartholin-Drüsen
N76
Sonstige entzündliche Krankheit der Vagina und Vulva
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie (z.B. Parametritis, Pelveoperitonitis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. Akute Kolpitis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
XXIV
146
147
148
N80-N98
Gegenstandskatalog
Nichtentzündliche Krankheiten des weiblichen Genitaltraktes 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N80
Endometriose
N81
Genitalprolaps bei der Frau
N85
Sonstige nichtentzündliche Krankheiten des Uterus, ausgenommen der Zervix
N86
Erosion und Ektropium der Cervix uteri
N87
Dysplasie der Cervix uteri
N89
Sonstige nichtentzündliche Krankheiten der Vagina
(z.B. Hochgradige Dysplasie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N90
Sonstige nichtentzündliche Krankheiten der Vulva und des Perineums
(z.B. Atrophie der Vulva)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N91
Ausgebliebene, zu schwache oder zu seltene Menstruation
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N92
Zu starke, zu häufige oder unregelmäßige Menstruation
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N94
Schmerz und andere Zustände im Zusammenhang mit den weiblichen Genitalorganen und dem Menstruationszyklus
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie (z.B. Glanduläre Hyperplasie, Adenomatöse Hyperplasie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
(z.B. Dyspareunie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N95
Klimakterische Störungen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N97
Sterilität der Frau
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O00-O08
Schwangerschaft mit abortivem Ausgang
O00
Extrauteringravidität
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O01
Blasenmole
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O03
Spontanabort
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O10-O16
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie während der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes
O14
Gestationshypertonie [schwangerschaftsinduziert] mit bedeutsamer Proteinurie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O15
Eklampsie
O20-O29
Sonstige Krankheiten der Mutter, die vorwiegend mit der Schwangerschaft verbunden sind
O20
Blutung in der Frühschwangerschaft
O24
Diabetes mellitus in der Schwangerschaft
O26
Betreuung der Mutter bei sonstigen Zuständen, die vorwiegend mit der Schwangerschaft verbunden sind
(z.B. Übermäßige Gewichtszunahme, Herpes gestationis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
150
O30-O48
Betreuung der Mutter im Hinblick auf den Feten und die Amnionhöhle sowie mögliche Entbindungskomplikationen
(z.B. Mehrlingsschwangerschaft, Übertragene Schwangerschaft, Polyhydramnion)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
151
O60-O75
Komplikationen bei Wehentätigkeit und Entbindung
(z.B. Abnorme Wehentätigkeit, Geburtshindernis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
152
O85-O92
Komplikationen, die vorwiegend im Wochenbett auftreten
O91
Infektionen der Mamma [Brustdrüse] im Zusammenhang mit der Gestation
153
O95-O99
Sonstige Krankheitszustände während der Gestationsperiode, die anderenorts nicht klassifiziert sind
(z.B. Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft, Schwangerschaftsdermatosen)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
154
P00-P04
Schädigung des Feten und Neugeborenen durch mütterliche Faktoren und durch Komplikationen bei Schwangerschaft, Wehentätigkeit und Entbindung
(z.B. Schädigung des Kindes durch Placenta praevia)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
155
P05-P08
Störungen im Zusammenhang mit der Schwangerschaftsdauer und dem fetalen Wachstum
P05
Intrauterine Mangelentwicklung und fetale Mangelernährung
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P07
Störungen im Zusammenhang mit kurzer Schwangerschaftsdauer und niedrigem Geburtsgewicht, anderenorts nicht klassifiziert
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
156
P10-P15
Geburtstrauma
157
P20-P29
Krankheiten des Atmungs- und Herz-Kreislaufsystems, die für die Perinatalperiode spezifisch sind
(z.B. Intrauterine Hypoxie, Atemnot-Syndrom und Aspirationssyndrome beim Neugeborenen, Angeborene Pneumonie, Bronchopulmonale Dysplasie bei Frühgeburtlichkeit, Herzrhythmusstörung beim Neugeborenen, Persistierender Fetalkreislauf )
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
158
P35-P39
Infektionen, die für die Perinatalperiode spezifisch sind
(z.B. Angeborene Sepsis
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
149
(z.B. Drohender Abort)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
XXV Gegenstandskatalog
159
160
161
162
P50-P61
Hämorrhagische und hämatologische Krankheiten beim Feten und Neugeborenen
P53
Hämorrhagische Krankheit beim Feten und Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P55
Hämolytische Krankheit beim Feten und Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P57
Kernikterus
P59
Neugeborenenikterus durch sonstige und nicht näher bezeichnete Ursachen
P70-P74
Transitorische endokrine und Stoffwechselstörungen, die für den Feten und das Neugeborene spezifisch sind
P70
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie (z.B. Hyperbilirubinämie bei Frühgeburtlichkeit)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Transitorische Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels, die für den Feten und das Neugeborene spezifisch sind
(z.B. Syndrom des Kindes einer diabetischen Mutter)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Grundlagen
P74
Sonstige transitorische Störungen des Elektrolythaushaltes und des Stoffwechsels beim Neugeborenen
(z.B. Dehydratation beim Neugeborenen)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P75-P78
Krankheiten des Verdauungssystems beim Feten und Neugeborenen
P75
Mekoniumileus
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
P77
Enterocolitis necroticans beim Feten und Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
P90-P96
Sonstige Störungen, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben
P90
Krämpfe beim Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.8
P91
Sonstige zerebrale Störungen beim Neugeborenen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P92
Ernährungsprobleme beim Neugeborenen
Q00-Q07
Angeborene Fehlbildungen des Nervensystems
Q05
Spina bifida
Q07
Sonstige angeborene Fehlbildungen des Nervensystems
(z.B. Arnold-Chiari-Syndrom)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.6.4
164
Q10-Q18
Angeborene Fehlbildungen des Auges, des Ohres, des Gesichtes und des Halses
(z.B. Angeborene Fehlbildungen des Tränenapparats)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
165
Q20-Q28
Angeborene Fehlbildungen des Kreislaufsystems
(z.B. Transposition der großen Gefäße, Septumdefekte, Klappenstenosen und Klappeninsuffizienzen, Hypoplastisches Linksherzsyndrom, Offener Ductus Botalli, Aortenisthmusstenose, LungenvenenFehleinmündungen, Hirngefäßaneurysma)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
166
Q30-Q34
Angeborene Fehlbildungen des Atmungssystems
Q30
Angeborene Fehlbildungen der Nase
(z.B. Choanalatresie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
163
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.6.2
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
167
Q35-Q37
Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte
168
Q38-Q45
Sonstige angeborene Fehlbildungen des Verdauungssystems
Q39
Angeborene Fehlbildungen des Ösophagus
(z.B. Ösophagusatresie, Ösophagusdivertikeln)
7 Band Chirurgie, Orthopädi, Urologie, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q40
Sonstige angeborene Fehlbildungen des oberen Verdauungstraktes
(z.B. Angeborene hypertrophische Pylorusstenose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Gynäkologie, Pädiatire
Q43
Sonstige angeborene Fehlbildungen des Darmes
(z.B. Meckel-Divertikel, HirschsprungKrankheit)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q50-Q56
Angeborene Fehlbildungen der Genitalorgane
Q51
Angeborene Fehlbildungen des Uterus und der Cervix uteri
(z.B. Uterusaplasie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q52
Sonstige angeborene Fehlbildungen der weiblichen Genitalorgane
(z.B. Hymenalatresie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q53
Nondescensus testis
Q54
Hypospadie
Q55
Sonstige angeborene Fehlbildungen der männlichen Genitalorgane
(z.B. Pendelhoden)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q60-Q64
Angeborene Fehlbildungen des Harnsystems
(z.B. Nierenzyste, Zystische Nierenkrankheit, Nierenbecken-Abgangsstenose, Megaureter, Ektope Niere, Epispadie, Harnblasenekstrophie)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
169
170
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
XXVI
171
172
Gegenstandskatalog
Q65-Q79
Angeborene Fehlbildungen und Deformitäten des Muskel-Skelett-Systems
Q65
Angeborene Deformitäten der Hüfte
(z.B. Hüftdysplasie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q66
Angeborene Deformitäten der Füße
(z.B. Pes equinovarus congenitus)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q67
Angeborene Muskel-Skelett-Deformitäten des Kopfes, des Gesichtes, der Wirbelsäule und des Thorax
(z.B. Angeborene Skoliose)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q71
Reduktionsdefekte der oberen Extremität
(z.B. Spalthand)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q72
Reduktionsdefekte der unteren Extremität
(z.B. Spaltfuß)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q73
Reduktionsdefekte nicht näher bezeichneter Extremität (en)
(z.B. Dysmelie, Phokomelie)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q75
Sonstige angeborene Fehlbildungen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen
(z.B. Kraniosynostose)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q76
Angeborene Fehlbildungen der Wirbelsäule und des knöchernen Thorax
(z.B. Spina bifida occulta, Angeborene Kyphose)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.6.2., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q78
Sonstige Osteochondrodysplasien
(z.B. Osteogenesis imperfecta)
7 Band Grundlagen, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q79
Angeborene Fehlbildungen des Muskel-Skelett-Systems, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Omphalozele, Gastroschisis)
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q80-Q89
Sonstige angeborene Fehlbildungen
Q80
Ichthyosis congenita
Q82
Sonstige angeborene Fehlbildungen der Haut
(z.B. Mastozytosen, Angeborener nichtneoplastischer Nävus)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
Q85
Phakomatosen, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Neurofibromatose)
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.6.1
Q86
Angeborene Fehlbildungssyndrome durch bekannte äußere Ursachen, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Alkohol-Embryopathie [mit Dysmorphien])
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
173
Q90-Q99
Chromosomenanomalien, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Down-Syndrom, Turner-Syndrom, Klinefelter-Syndrom, Syndrom des fragilen X-Chromosoms)
7 Band Grundlagen
174
R95-R99
Ungenau bezeichnete und unbekannte Todesursachen
R95
Plötzlicher Kindstod
S00-S09
Verletzungen des Kopfes
175
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin (z.B. Schädel-Hirn-Trauma)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.3.1, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
176
S10-S1
Verletzungen des Halses
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
177
S20-S29
Verletzungen des Thorax
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
178
S30-S39
Verletzungen des Abdomens, der Lumbosakralgegend, der Lendenwirbelsäule und des Beckens
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
179
S40-S49
Verletzungen der Schulter und des Oberarmes
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
180
S50-S59
Verletzungen des Ellenbogens und des Unterarmes
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
181
S60-S69
Verletzungen des Handgelenkes und der Hand
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
182
S70-S79
Verletzungen der Hüfte und des Oberschenkels
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
183
S80-S89
Verletzungen des Knies und des Unterschenkels
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
184
S90-S99
Verletzungen der Knöchelregion und des Fußes
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
185
T00-T07
Verletzungen mit Beteiligung mehrerer Körperregionen
186
T08-T14
Verletzungen nicht näher bezeichneter Teile des Rumpfes, der Extremitäten oder anderer Körperregionen
(z.B. Wirbelsäulenfraktur, Rückenmarksverletzung ohne Höhenbezeichnung)
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.3.2., 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie
187
T15-T19
Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung
(z.B. Fremdkörper in den Atemwegen)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche
188
T20-T32
Verbrennungen oder Verätzungen
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeitsund Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche
189
T33-T35
Erfrierungen
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
190
T36-T50
Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Grundlagen, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
191
T51-T65
Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Grundlagen
XXVII Gegenstandskatalog
192
T66-T78
Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen
T67
Schäden durch Hitze und Sonnenlicht
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
T68
Hypothermie
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
T69
Sonstige Schäden durch niedrige Temperatur
T71
Erstickung
T74
Missbrauch von Personen
(z.B. Kindesmisshandlung)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.1
T75
Schäden durch sonstige äußere Ursachen
(z.B. Ertrinken, Schäden durch elektrischen Strom)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
T78
Unerwünschte Nebenwirkungen, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Anaphylaktischer Schock, Angioneurotisches Ödem, Kuhmilchproteinintoleranz)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, 7 Band Innere Medizin
T79
Bestimmte Frühkomplikationen eines Traumas, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Luftembolie, Schock, Kompartmentsyndrom)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
193
T80-T88
Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen und medizinischer Behandlung, anderenorts nicht klassifiziert
(z.B. Septikämie, Transfusionsreaktion)
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Grundlagen
194
U00-U49
Vorläufige Zuordnungen für Krankheiten mit unklarer Ätiologie
195
U04
Schweres akutes respiratorisches Syndrom [SARS]
196
U80-U85
Infektionserreger mit Resistenzen gegen bestimmte Antibiotika oder Chemotherapeutika
U80
Erreger mit bestimmten Antibiotikaresistenzen, die besondere therapeutische oder hygienische Maßnahmen erfordern
7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche
U82
Mykobakterien mit Resistenz gegen Antituberkulotika (Erstrangmedikamente)
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Grundlagen
197
V01-X59
Unfälle
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
198
X60-X84
Vorsätzliche Selbstbeschädigung
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.11., 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
199
X85-Y09
Tätlicher Angriff
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
(z.B. Frostbeulen)
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
7 Band Grundlagen
XXIX
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3 1.3.1 1.3.2 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.6 1.6.1 1.6.2 1.6.3 1.6.4 1.6.5 1.6.6 1.7 1.8 1.8.1 1.9 1.9.1
Neurologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 J. Bremer, H. Wiendl Neurologische Untersuchung . . . . . . . 3 Psychischer Befund . . . . . . . . . . . . . . 3 Neurologischer Befund . . . . . . . . . . . . 3 Apparative Diagnostik . . . . . . . . . . . . 13 Liquorpunktion und -diagnostik . . . . . . 15 Muskel- und Nervenbiopsie . . . . . . . . . 16 Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark . . . . . . . . . . . . . . . 16 Schlaganfall (Hirninfarkt, zerebrale Blutung) . . . . . . . . . . . . . . . 16 Hirnatheriosklerose . . . . . . . . . . . . . . 21 Intrakranielle Blutungen . . . . . . . . . . . 24 Hirnvenen-, Sinusvenenthrombose (SVT) 29 Neurotraumatologie . . . . . . . . . . . . . 30 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) . . . . . . . . . 30 Rückenmarksverletzungen, Cauda-equina-Syndrom . . . . . . . . . . . 31 Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Meningitis, Enzephalitis . . . . . . . . . . . 33 Nichteitrige Meningoenzephalitiden . . . 38 Lyme-Borreliose, Neuroborreliose . . . . . 39 Neurosyphilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Intrakranielle und intraspinale Abszesse 44 Raumforderungen im ZNS . . . . . . . . . 45 Hydrozephalus . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Normaldruckhydrozephalus (NPH) . . . . 45 Hirnödem, erhöhter intrakranieller Druck (ICP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Intrakranielle Tumoren . . . . . . . . . . . . 47 Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Multiple Sklerose (MS) . . . . . . . . . . . . 53 Degenerative, atrophische ZNS-Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . 57 Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Degenerative Erkrankungen mit Leitsymptomen Schwäche, Muskelatrophie . 66 Degenerative Erkrankungen mit Leitsymptom Ataxie . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Fehlbildungen von Gehirn und Rückenmark . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Infantile Zerebralparese . . . . . . . . . . 70 Epilepsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Status epilepticus . . . . . . . . . . . . . . . 75 Kopfschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Spannungskopfschmerz (SK) . . . . . . . . 76
1.9.2 1.9.3 1.9.4 1.10 1.10.1 1.10.2 1.10.3 1.10.4 1.10.5 1.10.6 1.11 1.11.1 1.11.2 1.11.3
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.5 2.5.1 2.5.2 2.6 2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.8 2.8.1
Migräne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cluster-Kopfschmerz . . . . . . . . . . . Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz Erkrankungen des peripheren Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . Spinale radikuläre Syndrome . . . . . . Plexusparese . . . . . . . . . . . . . . . . Polyneuropathie, Polyneuritis . . . . . Hirnnerven . . . . . . . . . . . . . . . . . Mononeuropathien der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mononeuropathien der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muskelkrankheiten . . . . . . . . . . . . Myotone Syndrome . . . . . . . . . . . . Muskeldystrophien . . . . . . . . . . . . Neuromuskuläre Erkrankungen . . . .
. . . . . .
77 78 78
. . . . .
. . . . .
81 81 82 84 87
. .
90
. . . . .
94 96 96 98 99
. . . . .
Psychiatrie, Psychotherapie . . . . . . . 103 E. N. Cho, H. Thieme Anamnese, Befunde, Therapie . . . . . . 105 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Körperlich begründbare psychische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Syndromatische Erscheinungsformen exogener Psychosen . . . . . . . . . . . . . 119 Hypoglykämie . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen . . . . . . . . . . 126 Demenz als gemeinsames Leitsymptom 126 Demenz bei Alzheimer-Krankheit . . . . . 128 Demenz bei HIV-assoziierter Enzephalopathie . . . . . . . . . . . . . . . 129 Demenz bei Creutzfeldt-JakobErkrankung (CJE) . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Demenz bei Morbus Parkinson . . . . . . . 130 Esstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . 132 Bulimia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Missbrauch, Abhängigkeit . . . . . . . . . 134 Alkoholismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Opioide (Morphintyp) . . . . . . . . . . . . 140 Cannabinoide, Marihuana . . . . . . . . . 140 Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung . . . . 143 Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
XXX
2.8.2 2.8.3 2.9 2.9.1 2.9.2 2.9.3 2.9.4 2.9.5 2.10 2.10.1 2.10.2 2.10.3 2.10.4 2.10.5 2.10.6 2.10.7 2.10.8 2.10.9 2.11
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.3
Inhaltsverzeichnis
Schizoaffektive Störung . . . . . . . . . Anhaltende wahnhafte Störung . . . . Affektive Erkrankungen . . . . . . . . . Depressive Störung . . . . . . . . . . . . Rezidivierende depressive Störung . . Anhaltende affektive Störung . . . . . Manie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bipolare Störung . . . . . . . . . . . . . . Psychiatrische Aspekte im Kinderund Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . Kindesmisshandlung . . . . . . . . . . . Störungen der Motorik und Psychomotorik . . . . . . . . . . . . Intelligenzminderung . . . . . . . . . . Störungen des Sprechens und der Sprache . . . . . . . . . . . . . . Störungen im Zusammenhang mit schulischen Leistungen . . . . . . . Tiefgreifende Entwicklungsstörungen Psychogene Störungen . . . . . . . . . Emotionale Störungen im Kindesund Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . Störungen des Sozialverhaltens . . . . Vorsätzliche Selbstbeschädigung . .
Psychosomatik . . . . . . . . . . . V. Kollenbaum Definition, Diagnostik, Therapie Definition . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . Somatoforme Störungen . . . . . Störungen des Essenverhaltens
. . . . . . . .
. . . . . . . .
147 147 149 149 150 151 151 152
. . 154 . . 154 . . 155 . . 157 . . 158 . . 158 . . 160 . . 161 . . 162 . . 162 . . 164
. . . . . 165 . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
166 166 166 166 168 171
3.3.1 3.3.2 3.4 3.5 3.5.1 3.6 3.6.1 3.7 3.7.1 3.7.2 3.7.3 3.8 3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.9 3.9.1 3.9.2 3.10 3.11 3.12
Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . . . . Bulimia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . Nichtorganische Schlafstörungen . . . Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erektile Dysfunktion nicht durch organische Störungen/Krankheit bedingt . . Affektive Störungen . . . . . . . . . . . . Depressive Episode . . . . . . . . . . . . . Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . Phobische Störung . . . . . . . . . . . . . Generalisierte Angststörung . . . . . . . Panikstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akute Belastungsreaktion . . . . . . . . . Anpassungsstörung . . . . . . . . . . . . . Posttraumatische Belastungsstörung . . Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . Dissoziale Persönlichkeitsstörung . . . . Emotional instabile Persönlichkeitsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dissoziative Störungen, Konversionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwangstörung . . . . . . . . . . . . . . . . Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten . . . . . . . .
. 171 . 173 . 176 . 177 . . . . . . .
178 181 181 182 182 184 185
. . . . . .
187 187 189 189 192 192
. 193 . 194 . 195
. 197
Farbabbildungen zu Kapitel 1: Neurologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
1 Neurologie J. Bremer, H. Wiendl 1.1
Neurologische Untersuchung –3
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5
Psychischer Befund –3 Neurologischer Befund –3 Apparative Diagnostik –13 Liquorpunktion und -diagnostik –15 Muskel- und Nervenbiopsie –16
1.2
Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4
Schlaganfall (Hirninfarkt, zerebrale Blutung) –16 Hirnatheriosklerose –21 Intrakranielle Blutungen –24 Hirnvenen-, Sinusvenenthrombose (SVT) –29
–16
1.3
Neurotraumatologie –30
1.3.1 1.3.2
Schädel-Hirn-Trauma (SHT) –30 Rückenmarksverletzungen, Cauda-equina-Syndrom
1.4
Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems –33
1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5
Meningitis, Enzephalitis –33 Nichteitrige Meningoenzephalitiden –38 Lyme-Borreliose, Neuroborreliose –39 Neurosyphilis –41 Intrakranielle und intraspinale Abszesse –44
–31
1.5
Raumforderungen im ZNS
1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4
Hydrozephalus –45 Normaldruckhydrozephalus (NPH) –45 Hirnödem, erhöhter intrakranieller Druck (ICP) –46 Intrakranielle Tumoren –47
–45
1.6
Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
1.6.1 1.6.2 1.6.3 1.6.4 1.6.5 1.6.6
Multiple Sklerose (MS) –53 Degenerative, atrophische ZNS-Erkrankungen –57 Demenz –62 Degenerative Erkrankungen mit Leitsymptomen Schwäche, Muskelatrophie Degenerative Erkrankungen mit Leitsymptom Ataxie –67 Fehlbildungen von Gehirn und Rückenmark –68
1.7
Infantile Zerebralparese –70
–53
–66
1.8
Epilepsie
1.8.1
Status epilepticus –75
–71
1.9
Kopfschmerzen –76
1.9.1 1.9.2 1.9.3 1.9.4
Spannungskopfschmerz (SK) –76 Migräne –77 Cluster-Kopfschmerz –78 Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz –78
1.10 Erkrankungen des peripheren Nervensystems 1.10.1 1.10.2 1.10.3 1.10.4 1.10.5 1.10.6
Spinale radikuläre Syndrome –81 Plexusparese –82 Polyneuropathie, Polyneuritis –84 Hirnnerven –87 Mononeuropathien der oberen Extremität –90 Mononeuropathien der unteren Extremität –94
1.11 Muskelkrankheiten
–96
1.11.1 Myotone Syndrome –96 1.11.2 Muskeldystrophien –98 1.11.3 Neuromuskuläre Erkrankungen
–99
–81
3 1.1 · Neurologische Untersuchung
1.1
Neurologische Untersuchung
1.1.1 Psychischer Befund Im Anamnesegespräch sollte orientierend der psychische Status erfasst werden: 4 Bewusstsein 4 Orientierung (zu Zeit, Ort, Situation und Person) 4 Aufmerksamkeit und Gedächtnis (amnestische Funktion) 4 Affektivität 4 Antrieb 1.1.2 Neurologischer Befund 1.1.2.1 Kopf und Hirnnerven Der Kopf sollte auf erkenn- oder tastbare Läsionen, Kalottenklopfschmerz, Schmerzen bei Druck auf Austrittspunkte der Trigeminusäste, Beweglichkeit der HWS, Meningismus untersucht werden (. Tab. 1.1). 1.1.2.2 Motorik Bei der Untersuchung achtet man auf: 4 Lähmungen: Haltungsbesonderheiten, Schonung bestimmter Körperteile oder Kraftminderung 4 Muskuläre Atrophien
1
4 Muskeltonus-Anomalien: Hypertonus (Rigor, Spastik), Hypotonus 4 Unwillkürliche Spontanbewegungen: Tremor, Bewegungsunruhe 4 Muskelfaszikulationen: unwillkürliche sichtbare Muskelzuckungen ohne Bewegungseffekt, v. a. bei Schädigung des Vorderhorns im Rückenmark Reflexe Man unterscheidet physiologische von pathologischen Reflexen sowie Eigen- und Fremdreflexe. Muskeleigenreflexe (MER, . Tab. 1.2) sind Eigenreflexe, die auf »Lebhaftigkeit« untersucht werden. Sie sollten an Armen und Beinen etwa gleich lebhaft sein. Normalerweise sind MER seitengleich auslösbar. > Pathologische Reflexe sind Fremdreflexe, die bei Läsion des 1. motorischen Neurons oder der Pyramidenbahn auftreten und als Pyramidenbahnzeichen bezeichnet werden.
Normalerweise werden sie durch inhibitorische Innervation unterdrückt. Dazu gehören die Reflexe der Babinski-Gruppe, die alle die gleiche Reflexantwort auslösen: tonische Dorsalbewegung der großen Zehe und spreizende Plantarflexion der übrigen Zehen »Fächerphänomen«.
. Tab. 1.1. Hirnnerven Hirnnerv
Funktionstestung durch Untersuchung von
Symptome bei Funktionsstörung
I Nn. olfactorii
4 Geruchssinn
4 Hyp- oder Anosmie
II N. opticus
4 Gesichtsfeld 4 Visus 4 Spiegelung des Augenhintergrundes
4 Gesichtsfeldausfälle, Visusminderung, afferente Störung der Pupillomotorik 4 Evtl. Veränderungen am Augenhintergrund
III N. oculomotorius
4 Okulo- und Pupillomotorik
4 4 4 4 4 4 4
IV N. trochlearis
4 Okulomotorik
4 Primärstellung des Bulbus nach innen oben, stärker bei Kopfneigung zur betroffenen Seite (Bielschowsky-Phänomen) 4 Schräg und übereinander stehende Doppelbilder 4 Kompensatorische Neigung und Drehung des Kopfes zur gesunden Seite 4 Doppelbilder sind bei Blick nach innen unten am stärksten
Ptosis Beim Geradeausblick Bulbusabweichung nach unten außen Einschränkung der Bulbusbeweglichkeit nach innen, oben und unten Schrägstehende Doppelbilder besonders bei Blick nach innen oben Nahakkomodation gestört Mydriasis Absolute Pupillenstarre
4
1
Kapitel 1 · Neurologie
. Tab. 1.1 (Fortsetzung) Hirnnerv
Funktionstestung durch Untersuchung von
Symptome bei Funktionsstörung
V N. trigeminus
4 Sensibilität, Kaumuskulatur, Korneal- und Masseterreflex
4 4 4 4
Sensibilitätsausfälle Ausfall des Kornealreflexes Ausfall/Schwäche der Kaumuskulatur veränderter Masseterreflexes
VI N. abducens
4 Okulomotorik
4 4 4 4
Beim Gradeausblick diskretes Abweichen des Bulbus nach innen Bei Blick zur betroffenen Seite: Abduktionsdefizit Nebeneinanderstehende Doppelbilder Kompensatorische Drehung des Kopfes zur Gegenseite
VII N. facialis
4 Mimische Gesichtsmuskulatur 4 Geschmack (vordere 2/3 der Zunge) 4 Schirmer-Test
4 Abhängig vom Ort der Läsion 4 Zentrale Läsion: Lähmung der kontralateralen oralen mimischen Muskulatur, oft inkomplette Lähmung, da Stirnmuskulatur doppelseitig innerviert ist 4 Periphere Läsion: abhängig vom Ort der Läsion homolaterale Symptome: 4 N. petrosus major: gestörte Tränensekretion, pathologischer SchirmerTest 4 N. stapedius: Hyperakusis 4 Chorda tympani: Ageusie der vorderen 2/3 der Zunge; gestörte Speichelsekretion 4 Paresen der mimischen Muskulatur
VIII N. vestibulocochlearis
4 Gleichgewicht 4 Nystagmus (FrenzelBrille) 4 Hören
4 4 4 4
IX N. glossopharyngeus
4 Geschmack (hinteres 1/3 der Zunge, v. a. bitter) 4 Würgereflex afferent
4 Ageusie, abgeschwächter Würgereflex, Kulissenphänomen, leichte Dysphagie, Störung der Speichelsekretion aus der Parotis, Anästhesie und Analgesie (hinteres Zungendrittel, obere Pharynxschleimhaut, Tonsillen)
X N. vagus
4 Würgereflex efferent
4 4 4 4
XI N. accessorius
4 Anheben der Schultern und Kopfdrehung gegen den Widerstand
4 M. trapezius: Atrophie, Schultertiefstand 4 M. sternocleidomastoideus: Schwäche beim Kopfdrehen zur Gegenseite
XII N. hypoglossus
4 Zungenmuskulatur
4 Abweichen zur kranken Seite beim Herausstrecken der Zunge, ggf. Atrophie und Faszikulieren der Zunge
Systematischer Schwindel Pathologischer Nystagmus Oszillopsien Peripher-vestibuläre Störung meist starke Übelkeit, Erbrechen, Untererregbarkeit in der kalorischen Nystagmusprüfung 4 Hirnstammläsion: Übelkeit und Erbrachen oft geringer, normale thermische Labyrintherregbarkeit, oft mit weiteren neurologischen Ausfällen kombiniert 4 Hypakusis bei Innenohrschwerhörigkeit 4 Tinnitus
Abschwächung des Würgereflexes, Dysphagie Einseitig: Heiserkeit, näselnde Sprache, Kulissenphänomen Beidseitiger Ausfall: Aphonie, Atemnot Vegetativ: Tachykardie (rechter N. vagus), Arrhythmie (linker N. vagus)
Optokinetischer Reflex: physiologischer optokinetischer Nystagmus, vestibulo-okulärer Reflex (VOR) und okulozephaler Reflex = OCR (Puppenaugenphänomen, beruht auf dem VOR, physiologisch bis zum 10. Lebenstag
1
5 1.1 · Neurologische Untersuchung
. Tab. 1.2. Muskeleigenreflexe Reflex
Peripherer Nerv
Masseterreflex
N. trigeminus (V3)
Bizepssehnenreflex (BSR)
N. musculo cutaneus
C5–C6
Brachioradialisreflex (BRR, auch als Radiusperiostreflex, RPR, bezeichnet)
N. radialis
C5–C6
Trizepssehnenreflex (TSR)
N. radialis
C6–C7
Trömner-Reflex (Fingerbeugereflex)
N. medianus und N. ulnaris
C7–C8
Adduktorenreflex (ADR)
N. obturatorius
L2–L4
Patellarsehnenreflex (PSR; Synonym: Quadriceps-femoris-Sehnenreflex)
N. femoralis
(L2) L3–L4
Tibialis-posterior-Reflex (TPR)
N. tibialis
L5
Achillessehnenreflex (ASR; Synonym: Triceps-surae-Reflex)
N. tibialis
S1–S2
Rossolimo-Reflex
N. tibialis
S1–S2
Auslösende Reize sind: 4 Babinski-Reflex: Bestreichen des lateralen Fußsohlenrandes (. Abb. 1.1) 4 Chaddock-Reflex: Bestreichen des lateralen Fußrückens (geeignet bei empfindlichen Menschen) 4 Gordon-Reflex: Kneten der Wade 4 Oppenheim-Reflex: kräftiges Bestreichen der Tibiavorderkante von proximal nach distal Hemi-, Tetra- und Paraplegie, Hemi-, Tetraund Paraparese Definition. Bezeichnungen von Symptomen. Parese = Minderung bzw. Paralyse oder Plegie = Ausfall der muskulären Kraft. Lähmung einer gesamten Körperhälfte = Hemiparese/-plegie; beider Beine = Paraparese/-plegie
Segment
oder aller 4 Extremitäten = Tetraparese/-plegie. Eine sensible Lähmung kann auch aus Parese bezeichnet werden. Ätiopathogenese. Typische Verteilungsmuster bei Lä-
sion im zentralen Nervensystem, z. B. durch Trauma, Blutung, Ischämie, Tumor oder Entzündung: 4 Hemisymptomatik tritt typischerweise bei einem Prozess im Gehirn auf. Ist das Großhirn betroffen (z. B. Mediainfarkt) ist die kontralaterale Körperhälfte gelähmt. 4 Tetrasymptomatik deutet auf Läsion im Rückenmark (Querschnittslähmung) oberhalb oder auf Höhe der Segmente des Plexus brachialis oder im Hirnstamm hin. 4 Parasymptomatik deutet auf eine Rückenmarksläsion unterhalb der Höhe der Segmente des Plexus brachialis bzw. auf einen Prozess der die Beine versorgenden Nervenfasern hin, wie beim Mantelkantensyndrom, z. B. bei Meningeom. Auch periphere Nervenläsionen können ursächlich sein, z. B. Tetraparese bei Guillain-Barré-Syndrom, Paraparese bei Läsion der Cauda equina. Symptomatik. Siehe oben. Die Lähmung ist bei zentra-
ler Läsion in der Regel spastisch, bei peripherer Lähmung schlaff (. Tab. 1.3). Diagnostik. Anamnese, Befund (Arm- und Beinhaltever-
such dienen der Erkennung diskreter zentraler Paresen). Wichtig ist die Abklärung der ursächlichen Erkrankung. . Abb. 1.1. Positiver Babinski-Reflex mit dorsaler Extension der linken Großzehe und angedeuteter Spreizung der kleinen Zehen, besonders deutlich zwischen dem 2. und 3. Strahl
Therapie. Abhängig von der Grundkrankheit, ggf. ope-
rative Dekompression, ggf. symptomatische Therapie.
6
1
Kapitel 1 · Neurologie
. Tab. 1.3. Unterscheidung von zentraler und peripherer Lähmung Zentrale (»spastische«) Lähmung
Periphere (»schlaffe«) Lähmung
Lokalisation der Schädigung
1. motorisches Neuron (Motorkortex oder Pyramidenbahn) bis zu den 2. motorischen Neuronen der Hirnnervenkerne bzw. in den Vorderhörnern des Rückenmarks (exklusive des 2. Neurons selbst)
2. motorisches Neuron im Vorderhorn des Rückenmarks, vordere Wurzel, peripherer Nerv bis zur motorischen Endplatte
Verteilungsmuster der Lähmung
Hemiparese, Paraparese, Tetraparese/-plegie
Lähmungen, deren Verteilung einem Segment, einem Plexus oder einem peripheren Nerven zuzuordnen ist
Ruhetonus der Muskulatur
Eine zentrale Läsion verursacht akut eine schlaffe Lähmung, die später meist hyperton-spastisch wird (bei Läsion von Zerebellum oder zerebellärer Bahnen auch hypoton)
Hypoton
Muskeleigenreflexe
Gesteigert
Abgeschwächt oder erloschen
Muskelatrophie
Nein, evtl. geringe Atrophie
Ja
Pyramidenbahnzeichen (z. B. Babinski-Zeichen)
Positiv
Negativ
In Kürze Lähmungen Hemiparese/-plegie; Tetraparese/-plegie, Paraparese
4 Symptomatik: Parese = Minderung; Plegie = Ausfall der muskulären Kraft. Lähmung einer gesamten Körperhälfte = Hemiparese/-plegie; beider Beine = Paraparese/plegie oder aller 4 Extremitäten = Tetraparese/-plegie 4 Ätiologie: Typische Verteilungsmuster bei ZNS-Läsion. Hemisymptomatik v. a. bei Prozess im Gehirn; Tetrasymptomatik bei Läsion im Rückenmark (Querschnittslähmung); Parasymptomatik bei Rückenmarkläsion unterhalb der Höhe der Segmente des Plexus brachialis bzw. Läsion der die Beine versorgenden Nervenfasern (z. B. Mantelkantensyndrom) 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Identifizierung der Ursache 4 Therapie: abhängig von der Grundkrankheit
1.1.2.3 Koordination und Artikulation 1.1.2.4 Sensibilität Man unterscheidet Oberflächen- und Tiefensensibilität: Zur Oberflächensensibilität zählen: 4 Schmerzsinn (Algesie) 4 Temperatursinn (Thermästhesie) 4 Tastsinn (Ästhesie) Zur Tiefensensibilität zählen: 4 Lagesinn (Gelenklagesinn) 4 Bewegungssinn und Kraftsinn 4 Vibrationsempfinden (Pallästhesie)
Wichtig sind die anamnestische Erfassung spontaner Schmerzen, sensibler Ausfälle (Taubheit) oder Reizstörungen (Kribbeln oder Ameisenlaufen). Komplexe sensible Leistungen: räumliches Auflösungsvermögen (Zweipunkt-Diskrimination, Dermolexie) Dermatom = sensibel versorgtes Hautareal mit Bezug zum Rückenmarkssegment und zugehörigen Spinalnerven. Kenntnis der Dermatome kann wichtig sein für die Lokalisation einer Läsion (. Tab. 1.4, . Abb. 1.2, . Abb. 1.3).
7 1.1 · Neurologische Untersuchung
1
. Tab. 1.4. Dermatome Segment
Hautareal
C3/4
Schulterbereich
C5
Lateraler Schulterbereich über dem M. deltoideus
C6
Radialseite von Ober- und Unterarm bis zum Daumen
C7
Zwischen C6 und C8 bis zum 2. bis 4. Finger ziehend
C8
Ulnarseite von Ober- und Unterarm bis zum Kleinfinger
L3
Vom Trochanter major über die Streckseite zur Innenseite des Oberschenkels bis zum Knie
L4
Von der Außenseite des Oberschenkels über die Patellaregion zum Unterschenkel vorne innen bis zum inneren Fußrand
L5
Von oberhalb des Knies am lateralen Kondylus beginnend über den Unterschenkel vorne außen bis zur Großzehe
S1
Von dorsal am Oberschenkel über den Unterschenkel hinten außen über den Außenknöchel zur Kleinzehe
. Abb. 1.2. Radikuläre und periphere Innervation der Haut in der Ventralansicht und in der Dorsalansicht
Pathologisch sind: 4 Störungen der Algesie: Hyperalgesie, Hyp- und Analgesie 5 Kausalgie: brennender Dauerschmerz mit Hyperpathie und Allodynie (durch Kurzschlüsse zwischen sensiblen und vegetativen Fasern bei unvollständiger Nervenläsion) 5 Hyperpathie: Überempfindlichkeit für sensible Reize bei gleichzeitig erhöhter Reizschwelle, nach Verletzung peripherer Nerven oder bei Thalamusläsion 5 Allodynie: Schmerzauslösung durch Reize, die normalerweise keinen Schmerz verursachen z. B. Berührung 5 Neuralgie: neuralgiformer, d. h. einschießender, brennender oder stechender Schmerz 4 Störungen der Thermästhesie: Thermohyp- oder -anästhesie, Kältehyperpathie (Überempfindlichkeit auf Kälte) 4 Störungen der Ästhesie 5 Parästhesie: spontane Missempfindung wie Kribbeln, Brennen, Ameisenlaufen 5 Dysästhesie: ein Reiz wird als eine andere Qualität wahrgenommen 5 Hyper-, Hyp- oder Anästhesie 5 Astereognosie: taktiles Erkennen von Gegenständen ist trotz intaktem Druck- und Berührungsempfinden gestört (zentrale Läsion) 4 Störungen der Pallästhesie: Pallhyp- oder -anästhesie 4 Dissoziierte Empfindungsstörung: gestörtes Schmerz- und Temperaturempfinden bei erhaltenem Druck- und Berührungsempfinden
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Kapitel 1 · Neurologie
1
. Abb. 1.3. Periphere sensible Versorgung des Kopfes, zentrale sensible Versorgung des Kopfes
Ursachen dissoziierter Empfindungsstörungen: 4 Brown-Séquard-Syndrom 4 Syringomyelie 4 A.-spinalis-anterior-Syndrom = ischämische Schädigung vorderer Rückenmarkanteile (Commissura ant. und Tractus spinothalamicus) auf Höhe und unterhalb der Läsion, Hinterstränge bleiben intakt 5 Unterhalb der Läsion dissoziierte Empfindungsstörung und anfangs schlaffe später spastische Parese 5 Auf Höhe der Läsion dissoziierte Empfindungsstörung und schlaffe Parese sowie Blasen- und Mastdarmlähmung, Priapismus
Schmerzentstehung ist dabei ein anderer als der, wo er wahrgenommen wird (übertragener Schmerz). Bei den neuropathischen Schmerzen unterscheidet man neuralgiforme Schmerzen, Sympathalgien wie CRPS und Deafferenzierungsschmerzen. 5 Neuralgiforme Schmerzen entstehen bei Nervenkompression oder -infiltration z. B. durch Karzinome. CRPS tritt u. a. nach distaler Radiusfraktur auf. Die Pathogenese ist nicht vollständig geklärt. 5 Deafferenzierungsschmerzen entstehen durch komplette Durchtrennung von Nerven. Symptomatik. Neuralgiforme Schmerzen sind bren-
Schmerzen inkl. »complex regional pain syndrome« (CRPS) Synonym. Für CRPS: sympathische Reflexdystrophie, sympathische Algodystrophie, Sudeck-Syndrom. Definition. Schmerz ist eine komplexe Sinneswahrneh-
mung unterschiedlicher Qualität, die in der Regel als unangenehm empfunden wird. Sie entsteht durch Reizung von Nozizeptoren bei Gewebeschädigung oder durch eine Nervenläsion (neuropathischer Schmerz). Ätiopathogenese. Differenziert wird in:
4 Nozizeptorschmerzen entstehen durch direkte Gewebeschädigung und nachfolgende Reizung von Nozizeptoren. 4 Neuropathischer Schmerz entsteht im zentralen oder peripheren Nervensystem. Der Ort der
nend, scharf und einschießend und werden in das Versorgungsgebiet eines Nerven projiziert. Sympathalgien/CRPS: Schmerzen können keinem spezifischen Nerven zugeordnet werden, Mitbeteiligung sympathischer Nervenfasern bewirkt Durchblutungsstörungen, Veränderung der Schweißneigung, Haut-, Nagel- und Haarwachstumsveränderungen, Kausalgien und Hyperalgesien. Verlauf der CRPS in 3 Stadien: 4 Akute entzündliche Schwellung: 0–3 Monate, starker Schmerz, vermehrten Nagel- und Haarwachstum 4 Dystrophie: 3–6 Monate 4 Atrophie: 6–12 Monate = Endstadium: Atrophie der Muskeln, Knochen, Fibrose und Ausbildung von Kontrakturen, Blaufärbung, Kältegefühl
9 1.1 · Neurologische Untersuchung
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Der Verlauf ist individuell unterschiedlich, eine spontane Totalremission möglich.
Epidemiologie. 0,6–4% der Bevölkerung, überwiegend
Diagnostik. Anamnese, Befund, Identifizierung der Ursache/Ausmaß der Schädigung.
Symptomatik. Diagnosekriterien des ACR (American
Therapie. Die Therapie, insbesondere chronischer Schmerzen ist schwierig, sie sollte dann interdisziplinär erfolgen. Optionen: konservative (Physio-, Psycho- und medikamentöse Therapie) und operative Maßnahmen (Dekompression eines Nerven, Schmerzpumpen). Bei CRPS symptomatische Therapie: 4 Physiotherapie: in der Phase der akuten Entzündung Ruhigstellung der betroffenen Extremität, Lymphdrainage, später aktive Übungen 4 Medikamentöse Schmerztherapie: trizyklische Antidepressiva, Kalziumkanalblocker, periphere Analgetika (NSAIDS: Aspirin, Paracetamol) oder Opioide (Morphin). Kalzitonin (Nasenspray) kann den Verlauf positiv beeinflussen 4 Lokale Anwendung von steroidhaltiger Salbe oder DMSO 4 Blockade des sympathischen Ganglion stellatum (innerhalb der ersten 6 Monate)
Fibromyalgie Definition. Multifokales Schmerzsyndrom mit typischen schmerzhaften Druckpunkten (»tender points«) sowie vegetativen und funktionellen Beschwerden.
Frauen.
College of Rheumatology): 4 Schmerz in mindestens 3 Körperregionen über mindestens 3 Monate 4 Mindestens 11 schmerzhafte von 18 getesteten »tender points« 4 Vegetative Symptome: kalte Akren, Hyperhidrosis, Tremor, Mundtrockenheit 4 Funktionelle Beschwerden: Schlafstörungen, Globusgefühl, Abgeschlagenheit, Atem- und Herzbeschwerden, gastrointestinale Beschwerden, Dysmenorrhö, Dysurie Diagnostik. Anamnese, Befund (Diagnosekriterien), normale Laborwerte, Ausschluss anderer Ursachen für die Symptome. Therapie. Multimodale symptomatische Therapie:
Physio-, Sport- und physikalische Therapie, psychologische Begleittherapie, Entspannungsübungen, medikamentöse Therapie mit Antidepressiva, Antikonvulsiva. Bis zu 50% der Betroffenen profitieren von Ernährungsumstellung. ! Cave Medikamentenmissbrauch bei unkontrollierter Analgetika-Einnahme.
Ätiopathogenese. Unbekannt. In Kürze Schmerzsyndrome Fibromyalgie
4 Symptomatik: Diagnosekriterien: Schmerzen in Muskeln, Sehnen und Sehnenansätzen mindestens 3 Monate sowie »tender points«; begleitend vegetative und funktionelle Symptome 4 Ätiologie: unklar 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Ausschluss rheumatischer Erkrankungen, Borreliose etc. 4 Therapie: multimodal symptomatisch
CRPS
4 Symptomatik: Schmerzen, sympathische Dysregulation mit Vasokonstriktion und Durchblutungsstörungen, Veränderung der Schweißneigung, Haut-, Nagel- und Haarwachstumsveränderungen. Verlauf in 3 Stadien: 5 Akute entzündliche Schwellung 5 Dystrophie 5 Atrophie 4 Ätiopathogenese: nach Trauma mit oder ohne Nervenläsion, oft nach distaler Radiusfraktur (früher M. Sudeck) 4 Diagnostik: Anamnese, Befund 4 Therapie: symptomatisch: Physiotherapie, kontrollierte medikamentöse Schmerztherapie, lokale Anwendung von steroidhaltiger Salbe oder DMSO, Blockade des sympathischen Ganglion stellatum
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Kapitel 1 · Neurologie
1.1.2.5 Vegetative Funktion Dazu gehören: 4 Schweißdrüsensekretion, Vasomotorik, Piloarrektion 4 Miktion, Defäkation, Genitalfunktion, Verdauung 4 Herzfrequenzregulation und -variabilität 4 Pupillomotorik, Tränen- und Speicheldrüsensekretion Peripheres Horner-Syndrom 4 Trias: Ptosis, Miosis, Enophthalmus 4 Bei Wurzelläsion von Th3 oder darunter bzw. bei Läsion des Grenzstrangs zwischen Ganglion stellatum und Ganglion cervicale sup. zusätzlich ipsilaterale Schweißsekretionsstörung im Gesicht 4 Bei Läsion des Ganglion stellatum Schweißsekretionsstörung im Gesichts, an Hals und Arm 4 Keine Schweißsekretionsstörungen bei Läsion der Vorderwurzeln C8–Th2 vor Erreichen des Grenzstrangs 4 Bei Grenzstrangläsion kaudal des Ganglion stellatum Schweißsekretionsstörungen des oberen Körperviertels ohne Horner-Syndrom
Zentrales Horner-Syndrom 4 Läsion zwischen Hypothalamus und Seitenhörnern im Rückenmark, fast immer mit Schweißsekretionsstörungen
1.1.2.6 Neuropsychologische Syndrome Störungen komplexer neuropsychischer Funktionen, die oft kombiniert auftreten und auf kortikale Funktionsstörungen hindeuten. Aphasie (. Tab. 1.5), Apraxie (Störung der Ausführung willkürlicher, zielgerichteter und geordneter Bewegungen bei erhaltener Motorik und Koordination, v. a. bei parietaler Läsion), Akalkulie, Agnosie (Störung des Erkennens bei erhaltener Funktion der jeweiligen Sinnesorgane), Alexie, Agraphie. Neglect: Störung der Aufmerksamkeit auf Reize trotz erhaltener Wahrnehmung (. Abb. 1.4). Wird ein Reiz auf beiden Seiten gleichzeitig dargebotenen, wird er auf der betroffenen Seite nicht wahrgenommen, wohl aber wenn die Reizung nur auf dieser Seite erfolgt. Man unterscheidet sensiblen, visuellen, auditorischen und
. Tab. 1.5. Aphasien Motorische Aphasie (Broca-Aphasie) Schädigung posterior-inferior im Frontallappen der dominante Hemisphäre (meist links)
Sensorische Aphasie (Wernicke-Aphasie) Schädigung posterior-superior im Temporallappen der dominanten Hemisphäre
Amnestische Aphasie Ausgedehnte Schädigung temporo-parietal
Sprachproduktion
Nicht-flüssig, vermehrte Sprachanstengung
Flüssig
Meist flüssig
Artikulation
Oft dysarthrisch
Oft ungestört
Oft ungestört
Satzbau
Agrammatismus mit Telegrammstil der Sätze
Paragrammatismus (grammatikalisch fehlerhafte Sätze)
Kaum gestört
Wortfindung
Eng begrenztes Vokabular, kaum semantische Paraphasien
Viele semantische Paraphasien = Benutzung von existierenden aber falsch verwendeten Wörtern.
Wortfindungsstörungen mit Ersatzstrategien (Umschreibungen)
Lautbildung
Viele phonematische Paraphasien = Lautverwechslungen
Viele phonematische Paraphasien + Neologismen = neue Wortschöpfungen, bis zur Unverständlichkeit = Jargon
Wenig phonematische Paraphasien
Srachverständnis
Gering gestört
Stark gestört
Gering gestört
Nachsprechen
Gestört
Gestört
Intakt
Globale Aphasie: Störung von Sprachverständnis sowie -produktion. Oft werden nur einzelne Worte gesprochen, es bestehen ausgeprägte Paraphasien oder Neologismen. Verbale Kommunikation ist kaum möglich. Leitungsaphasie: Sonderform mit Störung insbesondere des Nachsprechens und Schreibens eines Diktats
11 1.1 · Neurologische Untersuchung
1
4 Nackenbeugezeichen (Signe de Lhermitte): Kribbel-Parästhesien der Hände und elektrisierende Schmerzen entlang der Wirbelsäule evtl. bis in die Extremitäten bei Beugung des Kopfes (z. B. bei Meningismus oder multipler Sklerose). Nervendehnungszeichen: 4 Lasègue-Zeichen: Das gestreckte Bein des Patienten wird langsam passiv angehoben. Das Zeichen ist positiv, wenn der Patient dabei unter 70° bzw. seitendifferent einen homolateralen lumbalen und ins Bein ausstrahlenden Schmerz spürt. Dies weist auf eine Läsion der Spinalnervenwurzeln L4–S1 hin. 4 Ist dieser Test bei zusätzlicher Dorsalflexion im Fuß auffällig, spricht man von positivem Bragard-Gowers-Zeichen. 4 Umgekehrtes Lasègue-Zeichen: Wird in Bauchlage getestet, bei Überstreckung in der Hüfte wird der N. femoralis gedehnt. Dabei auftretende sakrale Schmerzen weisen auf Läsion der Spinalnervenwurzeln L2–L4 hin. 4 Gekreuztes Lasègue-Zeichen: Beschreibt Schmerzen bei Prüfung des Lasègue-Zeichens in der kontralateralen Hüfte. . Abb. 1.4. Vernachlässigung einer (hier der linken) Raumhälfte beim Abzeichnen oder freien Zeichnen einer Blume. (Aus Poeck 1989)
motorischen Neglect. Die Mitte eines vorgehaltenen Gegenstands wird oft nicht mittig, sondern kontralateral zur Seite des Neglects angegeben. Wird der Patient aufgefordert, ein Bild zu beschreiben oder abzumalen, wird eine Seite vernachlässigt. Die ursächliche Läsion liegt meist rechts-, seltener linksparietal. 1.1.2.7 Meningismus und Nervendehnungszeichen Meningismus: Schmerzen und Gegenspannen im Nacken (Nackensteife) bei passiver Beugung des Patientenkopfes als Hinweis auf eine meningeale Reizung (Meningitis, Meningoenzephalitis, Subarachnoidalblutung, Sonnenstich, evtl. nach Liquorpunktion). Nervendehnungstests können dabei positiv sein. Dehnungstests der Meningen: Bei Reizung oder Schädigung von Meningen oder mit ihnen verbundener Spinalnervenwurzeln führt die passive Dehnungen zu typischer Schonhaltung zur Schmerzlinderung: 4 Brudzinski-Zeichen: Bei Beugung des Kopfes werden Hüfte- und Kniegelenk gebeugt. 4 Kernig-Zeichen: Bei Beugung im Hüftgelenk kann der Patient das Kniegelenk nicht gestreckt halten.
Opisthotonus: Krampfartige Überstreckung von Kopf, Nacken- und Rückenmuskulatur, v. a. bei Meningitis und Tetanus. 1.1.2.8 Untersuchung bei quantitativen Bewusstseinsstörungen Quantitative Bewusstseinsstörungen 4 Benommenheit: wach, aber verlangsamte Reaktion 4 Somnolenz: schläfriger Zustand, durch äußere Reize noch voll erweckbar 4 Sopor: schlafähnlicher Zustand, durch äußere Reize nicht mehr voll erweckbar; nur stärkste Stimuli wie Schmerzreize können verzögerte, aber gezielte Abwehrreaktionen auslösen. 4 Koma: unerweckbarer Patient, Augen meist geschlossen: – Leichtes Koma: – I: gezielte Abwehrreaktion auf Schmerzreize – II: konstant ungezielte Abwehrreaktion auf Schmerzreize – Tiefes Koma: – III: ungezielte Abwehrreaktion auf Schmerzreize; vestibulo-okulärer Reflex 6
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Kapitel 1 · Neurologie
und okulozephaler Reflex pathologisch, evtl. Beuge- und Strecksynergismen, Pupillen variabel – IV: keine Schmerzreaktion, Pupillen weit und reaktionslos
Mögliche Ursachen: 4 Kortikale Hypoxie nach Reanimation bei Herzund Atemstillstand, Narkosezwischenfall 4 Isolierte Hirnstammläsionen bei Ischämie, Blutung, Kompression etc. 4 Metabolische Enzephalopathie (diabetisch, hepatisch, urämisch) 4 Intoxikation (Alkohol) 4 Enzephalitis 4 SVT 4 Trauma 4 Raumforderung mit erhöhtem Hirndruck Kriterien zur Beurteilung des komatösen Patienten: 4 Bewusstsein 4 Körpermotorik 4 Pupillen (Größe, Symmetrie, Reaktion) 4 Bulbusstellung und Okulomotorik 4 Kreislauf und Atmung Die Glasgow Coma Scale (GCS) dient der standardisierten Untersuchung der Bewusstseinslage und umfasst Beurteilung von Augenöffnen sowie der besten motorischen und verbalen Reaktion. Apallisches Syndrom Ausfall der Funktion des zerebralen Kortex (Ausfall des Bewusstseins) bei erhaltenem Aktivierungssystem der Formatio reticularis (erhaltene Wachheit, Coma vigile). Augen können schlafähnlich geschlossen oder offen sein, es fehlen jedoch Blickkontakt und Reaktion auf verbale und Schmerzreize. Typisch sind generalisierte Tonuserhöhung, fehlende Willkürmotorik, orale Automatismen (Schnauz- und Saugreaktion), vegetative Enthemmung mit Tachykardie, Hyperpnoe, vermehrtem Schwitzen und gesteigertem Stoffwechsel. Locked-in-Syndrom Durch bilaterale Schädigung der ventralen Pons fallen kortikobulbäre und kortikonukleäre Bahnen sowie Teile der Formatio reticularis aus. Symptome: Tetraparese, Ausfall fast aller Hirnnerven und aller Hirnstammreflexe. Erhaltene Willkürbewegungen sind Lidbewegungen, evtl. vertikale Augenbewegungen und Atemfunktion. Durch intakte dorsale Brückenanteile
und intaktes Mittelhirn sind Bewusstsein und Wachheit voll erhalten. Hirntod Irreversibel erloschene Gesamtfunktion des Groß-, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Durch kontrollierte Beatmung kann die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten werden. Dem Hirntod geht eine akute schwere primäre Hirnschädigung (Trauma, Blutung, Infarkt, Tumor etc.) oder eine sekundäre Hirnschädigung (z.B. Hypoxie durch kardial bedingten Kreislaufstillstand, lang dauernden Schock) voraus. Ausgeschlossen werden müssen andere Ursachen der Symptome wie Intoxikation/ Medikamentenwirkung, neuromuskuläre Blockade, Unterkühlung, endokrine, metabolische oder entzündliche Erkrankungen. Diagnosestellung erfordert: 4 Feststellung der oben genannten Vorerkrankungen 4 Feststellung der klinischen Symptome: Bewusstlosigkeit (Koma – ohne Augenöffnung und ohne andere zerebrale Reaktion auf wiederholte adäquate Schmerzreize), Hirnstamm-Areflexie (Lichtstarre mittel- bis maximal weite Pupillen, Fehlen von Vestibularisfunktion OCR, kalorische Vestibularisprüfung, des Kornealreflexes, von Reaktionen auf Schmerzreize im Trigeminusbereich und des Pharyngeal- und Trachealreflexes), Atemstillstand (Apnoe) 4 Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome Der Ausfall der Spontanatmung muss im Apnoe-Test festgestellt werden. Ein zentraler Atemstillstand liegt vor, wenn beim zuvor kardiopulmonal gesunden Menschen bei einem paCO2 von 60 mmHg keine Eigenatmung einsetzt. > Die Erfüllung der Voraussetzungen und alle geforderten klinischen Symptome müssen übereinstimmend und unabhängig von 2 qualifizierten Ärzten festgestellt und dokumentiert werden.
Bei primären supratentoriellen oder sekundären Hirnschädigungen muss die Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome nachgewiesen werden. Dies erfolgt entweder durch klinische Beobachtung über eine bestimmte Zeit: 4 ab dem 3. Lebensjahr bei primärer Hirnschädigung mindestens 12 h, 4 bei sekundärer Hirnschädigung mindestens 3 Tage,
13 1.1 · Neurologische Untersuchung
oder durch ergänzende Untersuchungen ohne weitere Beobachtungszeit: 4 Null-Linien-EEG über mindestens 30 min, 4 zerebraler Zirkulationsstillstand in Dopplersonographie, Angiographie bzw. Perfusionsszintigraphie. Bei primärer infratentorieller Hirnschädigung kann der Hirntod immer erst durch ein Null-Linien-EEG oder durch Nachweis des zerebralen Zirkulationsstillstandes festgestellt werden. 1.1.3 Apparative Diagnostik 1.1.3.1 Bildgebende Verfahren 4 Röntgen 5 Röntgen-Nativaufnahme 5 Röntgenaufnahme nach Stenvers/Schüller 5 Myelographie 5 Zerebrale Angiographie: zunehmend als arterielle DSA, digitale Subtraktionsangiographie 5 Ggf. interventionelle Verfahren (AneurysmaCoiling, Stentimplantation) 4 Computertomographie (CT) 5 Nativ-CT 5 CT mit Kontrastmittel (KM) 5 CT-Angiographie 5 Myelo-CT 4 Kernspintomographie (MRT, Magnetresonanztomographie, NMR, »nuclear magnetic resonance«) 5 MR-Angiographie 4 Ultraschall 5 Dopplersonographie (hirnversorgende Arterien) 5 Transkranielle Dopplersonographie (intrakranielle Gefäße) 5 B-Mode-Sonographie 5 Farbkodierte Duplex-Sonographie (FKDS, Kombination aus Dopplersonographie und B-Bild) 4 Liquorszintigraphie (Injektion von 169YtterbiumDTPA, Liquorfistel) 4 Knochenszintigraphie 1.1.3.2 Neurophysiologische Methoden Elektroneurographie (ENG) Die Messung der sensiblen und motorischen Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) dient der Objektivierung und Lokalisation von Störungen der Nervenleitung. Schädigung der Myelinscheide vermindert v. a. die NLG. Primär axonale Schädigung beeinflusst die NLG oft nur wenig, verringert aber die Amplitude des
1
Potenzials. So genannte F-Wellen und H-Reflexe sind wichtig in der Diagnostik proximaler peripherer Nervenläsionen. Die transkranielle Magnetstimulation dient der Messung der Leitfähigkeit im Tractus corticospinalis und in peripheren Nerven inkl. motorischer Hirnnerven. Gemessen werden motorisch evozierte Potenziale (MEP). Die zentrale motorische Leitzeit kann daraus abgeleitet werden. Sie dient z. B. der Frühdiagnostik von multipler Sklerose, amyotrophischer Lateralsklerose. Elektromyographie (EMG) Untersuchung der elektrischen Aktivität der Muskulatur. Eine in den Muskel eingestochene konzentrische Nadelelektrode dient der Ableitung von Potenzialschwankungen, die durch Aktivierung motorischer Einheiten entstehen. Beurteilt werden: Einstich- und Spontanaktivität, Potenziale motorischer Einheiten, maximale Willküraktivität. Stimulations-EMG (Ermüdungstest-EMG): Repetitive Reizung führt bei Myasthenia gravis zu Amplitudenabnahme (Dekrement), bei Pseudomyasthenie zu vorübergehender Amplitudenzunahmen (Inkrement). Pathologische Einstichaktivität mit myotoner Entladungsserie ist typisch bei Myotonien (Sturzkampfbombergeräusch). Evozierte Potenziale (EP) EEG-Veränderungen nach Reizapplikation, VEP (nach visueller Stimulation), SEP (nach sensibler), AEP (nach akustischer Stimulation). Elektroenzephalographie (EEG) Messung der elektrischen Aktivität der Hirnrinde mittels auf der Schädeldecke lokalisierter Oberflächenelektroden, v. a. in der Epilepsiediagnostik, aber auch bei Intoxikation, Enzephalitis, Stoffwechselerkrankungen, Trauma, intraoperativ als Monitoring, differenzialdiagnostisch bei Koma und zum Hirntodnachweis. Vermutlich entsprechen kortikale Spannungsschwankungen synchronisierten postsynaptischen Potenzialen in größeren Nervenzellverbänden. Der Spannungsverlauf dieser Summenpotenziale wird in der EEGKurve über die Zeit aufgezeichnet. Beurteilt werden: 4 Amplitude 4 Frequenz 4 Wellenform 4 Lokalisation pathologischer Potenziale Pathologische Befunde (. Abb. 1.5, . Abb. 1.6) sind: 4 Herdbefunde: kortikale Funktionsstörung über einem umschriebenen Hirnareal als fokale Verlangsamung der Grundaktivität 4 Allgemeinveränderungen: Verlangsamung oder Beschleunigung der Grundaktivität
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Kapitel 1 · Neurologie
1
a
b
. Abb. 1.5a, b. Ten-twenty-System. a Schemazeichnung, b EEG-Haube zur Ableitung
a
b . Abb. 1.6a, b. a EEG- Ableitung bei Absence bei Pyknolepsie. Spike-and-wave-Komplexe über allen Regionen. b Staus
myoklonischer Anfälle. Fast kontinuierliches, generalisiertes Polyspike-wave-Muster
15 1.1 · Neurologische Untersuchung
4 Epilepsiespezifische Potenziale: steile und spitze Wellen (»sharp waves«, »spikes«, »polyspikes«), Spitzen mit langsamer Nachschwankung (»spike waves«). Evtl. werden diese erst durch Provokation wie Hyperventilation, Stimulation durch Flackerlicht (Photostimulation), Schlafen nach vorangegangenem Schlafentzug erkennbar. 1.1.4 Liquorpunktion und -diagnostik Indikation bei Verdacht auf: 4 Entzündlichen Prozess: Meningitis, Enzephalitis, Multiple Sklerose, Guillain-Barré-Syndrom, Kollagenose 4 Subarachnoidalblutung 4 Meningeosis leucaemica oder carcinomatosa Kontraindikationen sind: 4 Hirndrucksteigerung: Gefahr der unteren Einklemmung durch postpunktionellen Druckabfall. Eine beim Augenspiegeln festgestellte Stauungspapille kann auf erhöhten Hirndruck hin-
1
weisen, entwickelt sich aber meist erst im Verlauf von Tagen, ein erhöhter Hirndruck sollte daher mittels Bildgebung ausgeschlossen werden. 4 Blutungsneigung: Quick, PTT und Thrombozytenzahl kontrollieren 4 Infektion an der Punktionsstelle Durchführung: Liquorgewinnung erfolgt über eine Liquorpunktion, meist als Lumbalpunktion mittels langer Hohlnadel mit Mandrin meist zwischen dem 3./4. oder 4./5. Lendenwirbeldornfortsatzes. Merke: In Höhe der Beckenkämme liegt LWK 4. Mögliche Komplikationen: 4 Postpunktionelles Syndrom: Liquorunterdruck durch Liquorverlust an der Punktionsstelle bewirkt Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Tinnitus, Meningismus und orthostatische Beschwerden 4 Selten: Infektionen an der Punktionsstelle bzw. im Liquorraum 4 Blutungen Zur Diagnostik . Tab. 1.6.
. Tab. 1.6. Liquordiagnostik Normwerte
Pathologische Befunde
Äußerer Aspekt
Klar, pH 7,3 Spezifisches Gewicht = 1,003–1,009 g/cm3
Trübe oder eitrig bei Meningitis Rot bei frischer Blutung Xanthochrom (gelb) bei älterer Blutung
Liquordruck
15–25 cm H2O im Sitzen, 6–20 cm H2O im Liegen
Queckenstedt-Versuch: bei intakter Liquorpassage kommt es bei Abdrücken der Vv. jugulares zur Druckerhöhung
Eiweiß
15–45 mg/dl Albumin bis 35 mg/dl IgG bis 4 mg/dl
Eine Erhöhung hat unterschiedliche Ursachen. Ob eine Schrankenstörung oder autochthone IgG-Produktion vorliegt, kann man mit dem Reiber-Schema beurteilen (. Abb. 1.7). Die Pandy-Reaktion dient dem orientierenden Nachweis erhöhten Liquoreiweißes
Zellzahl
0/3–12/3 Zellen, d. h. bis 4/µl Lymphozyten und Monozyten
Pleozytose (erhöhte Zellzahl) z. B. bei Entzündungen
Glukose
2,7–4,8 mmol/l = 45–80 mg/dl, etwas >50% des Blutzuckers
Erniedrigt bei bakterieller Meningitis
Laktat
Normal bis 2 mmol/l
Erhöht durch Verstoffwechselung von Liquor-Glukose, z. B. bei bakterieller Meningitis
Elektrophorese mit isoelektrischer Fokussierung
Oligoklonale Banden: bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen im ZNS gebildete oligoklonale IgG-Proteine (MS, chronische Infektionen)
Mikrobiologische Untersuchung
Nachweis von Bakterien, Viren und Pilzen
Histo-pathologische Untersuchung
Nachweis von Tumorzellen
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Kapitel 1 · Neurologie
1.2
1
Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
1.2.1 Schlaganfall
(Hirninfarkt, zerebrale Blutung) Synonym. Apoplex, zerebraler Insult, apoplektischer
Insult (. Abb. 1.8).
. Abb. 1.7. Graphische Darstellung des Eiweißquotienten (Reiber-Schema)
Eiweißerhöhungen im Liquor: Die intakte BlutHirn-Schranke lässt keine hochmolekularen Eiweiße durch, wohl aber eine gestörte. Isolierte Erhöhung von Liquor-Ig bei normalem Albumin deutet auf eine »autochthone« Ig-Produktion innerhalb der intakten BlutHirn-Schranke hin. Die Beurteilung erfolgt unter Berücksichtigung der Eiweißkonzentration im Serum mittels: Eiweißquotienten = [IgG-Liquor/IgG-Serum]/ [Albumin-Liquor/Albumin-Serum] Zur Darstellung verwendet man das Reiber-Schema (. Abb. 1.7). Blut kann artifiziell durch Punktion in den Liquor gelangen. Die 3-Gläser-Probe zeigt einen abnehmenden Blutgehalt in 3 nacheinander abgenommen Liquorproben. Freies Hämoglobin wird bei artifizieller Blutbeimengung nicht gefunden. Nach Zentrifugation ist der Überstand klar, bei Subarachnoidalblutung hingegen xanthochrom. Außerdem können nach Blutung Siderophagen nachgewiesen werden. 1.1.5 Muskel- und Nervenbiopsie 4 Muskelbiopsie: Differenzierung neurogener, entzündlicher und nichtentzündlicher Muskelveränderungen 4 Nervenbiopsie: meist vom rein sensiblen N. suralis lateralis
Definition. Akutes oder subakutes Auftreten von zentralen neurologischen Defiziten durch zerebrale Durchblutungsstörungen. Ursache kann eine zerebrale Ischämie (85% der Fälle) oder eine Blutung (5–15% der Fälle) sein.
1.2.1.1 Zerebrale Ischämie mit transitorischer Ischämie oder Hirninfarkt) Definition. Sauerstoffminderversorgung des Hirngewebes mit Funktionsverlust. Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind:
4 Arteriosklerose mit Makro- oder Mikroangiopathie 4 Thrombembolie (20–30% der Fälle) Ursprung des Thrombus: 5 Herz: Vorhofflimmern, Herzwandaneurysmen, Herzinfarkt, Mitral- und Aortenklappenvitien, mechanische Kunstklappen, Klappenvegetationen bei bakterieller Endokarditis, Herzkatheter-Manipulationen, Vorhofmyxom 5 Arteriosklerose der A. carotis interna (oft Karotisgabel) oder des Aortenbogens, arterio-arteriell-embolische Verschleppung von Plaqueanteilen 5 Venöse Thrombose mit paradoxer Embolie: Bei PFO (persistierendes offenes Foramen ovale) oder Vorhofseptumdefekt kann bei Rechts-Links-Shunt auf Vorhofebene ein venöser Thrombus embolisch statt in den Lungenkreislauf (Lungenembolie) in den arteriellen Kreislauf (arterielle Embolie) gelangen. Risikofaktoren für venöse Thrombosen (Virchow Trias): – Verminderte Blutflussgeschwindigkeit – Gefäßwandschaden – Veränderung der Blutzusammensetzung: Hyperkoagulabilität bei Polyglobulie, Polyzythämie, APC-Resistenz, ATIII-Mangel, Protein-C- oder -S-Mangel oder hormonellen Veränderungen 4 Aneurysma dissecans/Gefäßdissektion, z. B. posttraumatisch: SHT, HWS-Distorsion, nach chi-
17 1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
. Abb. 1.8. Mindmap Schlaganfall
1
18
1 4 4 1. 2.
Kapitel 1 · Neurologie
ropraktischer Manipulation, bei fibromuskulärer Dysplasie Vaskulitis Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom Moya-Moya-Syndrom: progressive Stenosierung beider Karotiden CADASIL: zerebrale-autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie
Epidemiologie. Lebenszeitprävalenz 15%, dritthäufigs-
te Todesursache, Inzidenz: 55–64 Jahre: 300/100.000/ Jahr; 65–74 Jahre: 800/100.000/Jahr. Symptomatik. Abhängig vom betroffenen Hirnareal.
störung im Raum (abhängig von der dominanten Hemisphäre) 4 A. vertebralis, A. basilaris (Hirnstammischämie) 4 Lakunäre Infarkte: rein motorische oder rein sensible Ausfälle, evtl. auch sensomotorische Hemiparesen, ataktische Hemiparese oder Dysarthrie mit Feinmotorikstörung der Hand (»dysarthria clumsy hand syndrome«) Einteilung nach der zeitlichen Dauer: 4 Transitorische Ausfälle: 5 TIA (transitorische ischämische Attacke): Dauer der Ausfälle einige Minuten bis maximal 24 h. Amaurosis fugax: kurze meist einseitige Erblindung, Leitsymptom einer ipsilateralen Stenose der A. carotis interna
> Die Einschätzung des initialen Schweregrad (NIH Stroke Scale, NIHSS) ist wichtig für Therapieentscheidung und Prognoseeinschätzung.
! Cave
Einteilung nach der Lokalisation: 4 Territorialinfarkt: Embolisch bedingter Gefäßverschluss; betroffen ist das gesamte Versorgungsgebiet des Gefäßes. 4 Grenzzoneninfarkt: hämodynamisch bedingte Minderversorgung bei Makroangiopathie. Im Endstromgebiet, wo Gefäßversorgungsgebiete aneinandergrenzen, kommt es zu einem Perfusionsdefizit »letzte Wiese«. 4 Lakunärer Infarkt: Mikroangiopathisch (hypertensive Arteriosklerose, M. Binswanger, CADASIL), Endarterienverschlüsse führen zu kleinen subkortikalen ischämischen Infarkten. Betroffen sind häufig Capsula interna, Basalganglien, Pons und Thalamus.
5 (P)RIND (prolongiertes, reversibles neurologisches Defizit): Dauer der vollständig reversiblen Ausfälle >24 h (nicht mehr gebräuchlicher Begriff) 4 Permanente Ausfälle: 5 Kompletter Hirninfarkt: nicht oder nur partiell rückbildungsfähiges ischämisches neurologisches Defizit 5 Progredienter Hirninfarkt: neurologische Defizite nehmen im Verlauf von Stunden oder Tagen weiter zu 5 In der Regel spricht man bei Symptomdauer >24 h heute von »vollendetem Insult«
Ausfallserscheinungen: 4 A. cerebri anterior: kontralaterale beinbetonte Hemiparese/-hypästhesie, Inkontinenz, Antriebsstörung bis zum akinetischen Mutismus 4 A. cerebri media: kontralaterale Mono- oder Hemiparese, initial schlaff, später spastisch (positives Babinski-Zeichen), oft brachiofazial betonte, sensible kontralaterale Ausfälle/Hemihypästhesie, Aphasie/Dysarthrie, Neglect, Anosognosie, Dyslexie/-graphie (wenn dominante Hemisphäre betroffen ist), kontralaterale homonyme Hemianopsie, Kopf und Augen sind der ischämischen Hirnseite zugewandt (»Herdblick«) 4 A. cerebri posterior: kontralaterale homoyme Hemianopsie, Hemihypästhesie, Lese-/Rechenstörung, visuelle Agnosie, Neglect oder Orientierungs-
Bei 40% der Patienten mit TIA kommt es innerhalb von 5 Jahren zum kompletten Hirninfarkt.
Komplikationen: 4 Hirnödem, Steigerung des intrakraniellen Drucks mit Einklemmungsgefahr 4 Einblutung ins Infarktareal 4 Epileptischer Anfall 4 Depression 4 Durch Immobilisation: Dekubitus, Beinvenenthrombose und Lungenembolie, Harnwegsinfekte, Aspirationspneumonie 4 Rezidiv Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Akutphase: präklinisch keine sichere Differenzierung zwischen Schlaganfallsubtypen möglich 5 CT: Ausschluss einer Blutung (. Abb. 1.9) 5 Routinelabor (Blutbild, Gerinnung, Elektrolyte, Blutzucker, Nierenwerte), EKG, Pulsoxymetrie, Thoraxröntgen
19 1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
1
. Abb. 1.9a–d. a Kraniales CT, axial, alter Posteriorinfarkt links. Man erkennt eine scharf abgegrenzte hypodense Läsion im Stromgebiet der linken A. cerebri posterior. b Kraniales MRT in Diffusionswichtung, axial. Frischer Mediainfarkt rechts. c Kraniales MRT, T2, axial: Hyperdense Läsion bei frischem Mediainfarkt rechts. d Kraniales CT in Diffusionswichtung, axial. Im Bereich der A. cerebri media links demarkiert sich ein Infarkt, erkennbar als hypodense Läsion. Die Grenze zum umgebenden Hirngewebe ist noch unscharf, da es sich um einen frischen Infarkt handelt. (Klinik und Hochschulambulanz für Radiologie und Nuklearmedizin an der Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin, Leiter: Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
a
b
c
5 Ggf. CMRT in Diffusionswichtung (. Abb. 1.9): sensitivere Detektion einer zerebralen Ischämie, Unterscheidung irreversibel geschädigten Gewebes von evtl. durch Lyse zu rettendem Gewebe, sog. Penumbra 4 Ursachenabklärung als Basis für Sekundärprävention: 5 Labor: Kardiovaskuläre Risikofaktoren, Blutzucker, HbA1c, Cholesterin, Homozystein, BSG, ggf. Vaskulitisdiagnostik, Schildrüsenfunktionsparameter, Gerinnungsdiagnostik 5 EKG: Sinusrhythmus, Ischämie-Zeichen 5 Langzeit-EKG: Herzrhythmusstörungen (intermittierendes Vorhofflimmern) 5 Blutdruckmessung: evtl. über 24 h, an den Armen im Seitenvergleich
d
5 FKDS: hirnversorgende Arterien (Stenosen) 5 Dopplersonographie der Karotiden und der A. supratrochlearis (Stenosen, Flussumkehr in der A. supratrochlearis) 5 Transthorakale bzw. transösophageale Echokardiographie (kardiale Emboliequelle, PFO, Herzwandaneurysma, Klappenvitien) 5 Ggf. MR-Angiographie: arterielle Dissektion, Vaskulitis 5 Konventionelle Angiographie als selektive intraarterielle DSA: Vermessung von Stenosen, Zugang für intraarterielle Thrombolyse Therapie. Wenn möglich sollte schnellstmöglich die Unterbringung auf einer Stroke Unit erfolgen: 4 Überwachung/Therapie von:
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1
Kapitel 1 · Neurologie
5 Neurologischem Status 5 Vitalfunktionen: Kreislauf, O2-Sättigung, Atmung 5 Herzrhythmusstörungen 5 Blutzucker (80–120 mg%, bei Diabetikern 80– 200 mg%) 5 Körpertemperatur, ggf. Infektsuche/-behandlung 5 Flüssigkeits-/Elektrolythaushalt 5 Blutdruck Blutdruck Die Autoregulation des zerebralen Blutflusses kann in Infarktarealen aufgehoben sein, Blutdruckabfälle sind deshalb zu vermeiden. Oft ist der Blutdruck von Schlaganfallpatienten erhöht. Bei vorbestehender arterieller Hypertonie sind Werte von 180/100–105 mmHg tolerabel, sonst von 160–180/90–100 mmHg. Besteht gleichzeitig ein akuter Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, akutes Nierenversagen, akute hypertensive Enzephalopathie, vor Thrombolyse oder bei Werten >220/>120 mmHg muss der Blutdruck medikamentös vorsichtig auf ≤160/100 mmHg gesenkt werden, z. B. mit Urapidil, Clonodin (zentrale Senkung des Sympathikotonus/α2-Rezeptorstimulation), reine Vasodilatatoren sind zu vermeiden! > Die Thrombolyse sollte möglichst rasch beginnen, »time is brain«.
4 Rekanalisierende Therapie/Thrombolyse: 5 Intravenöse Lyse mit rtPA (»Recombinant-tissue«-Gewebeplasminogenaktivator) innerhalb von 3 h nach Symptombeginn 5 Intraarterielle Lyse mit pro-Urokinase oder rtPA bei proximalen Verschlüssen der A. cerebri media innerhalb von 6 h bzw. mit Urokinase oder rtPA bei akuten Basilarisverschlüssen ! Cave Lyse mit rtPA darf nicht bei Schlaganfällen, die beim Aufwachen festgestellt wurden und nicht mit Streptokinase durchgeführt werden! Keine Thrombolyse bei erhöhter Blutungsneigung (Gerinnungsstörung, nach Trauma oder Operation). 4 Prophylaxe von Komplikationen
5 Tiefe Beinvenenthrombose, Lungenembolie: niedermolekulares Heparin s.c., Frühmobilisation 5 Aspirationspneumonie: Nasensonde, Frühmobilisation 5 Dekubitalgeschwüre: Frühmobilisation 4 Ggf. Therapie eines Hirnödems
4 Rehabilitation nach Abschluss der Akutbehand-
lung oft sinnvoll und wichtig: frühe Krankengymnastik, Logopädie, Ergotherapie 4 Sekundärprophylaxe 5 ASS (100–300 mg/Tag), alternativ Clopidogrel (1×75 mg/Tag) oder ASS und Dipyridamol 5 Vollheparinisierung in Akutphase bei Emboliequelle mit erhöhtem Rezidivrisiko (Vorhofflimmern) oder arterieller Dissektion, später Antikoagulation mit Cumarinen (INR 2–3; bei mechanischer Herzklappe/Klappendefekt: INR 3,5–4,5; bei Kontraindikation: 300 mg ASS/Tag) 5 Therapie bzw. Ausschaltung von Risikofaktoren: Einstellung von Blutdruck und Blutzucker, Senkung von LDL-Cholesterin, falls möglich Rauchen aufgeben, Therapie einer Vaskulitis 5 Karotis-TEA (Thrombendarteriektomie): Starke Senkung des Rezidivrisikos bei >70%iger symptomatischer extrakranieller Karotisstenose, kein Benefit bei Stenose <50% 5 Stent-Implantation: Erfolgsrate ähnlich der Karotis-TEA; auch bei Stenose der A. vertebralis möglich 5 Katheterinterventioneller Verschluss bei PFO/Vorhofseptumaneurysma und Kontraindikation für orale Antikoagulation bzw. Rezidiv unter oraler Antikoagulation Eine extrakranielle Bypass-Operation zwischen der A. temporalis superficialis und der A. cerebri media ist nur in seltenen Fällen, z. B. bei langstreckigem Verschluss oder Moya-Moya-Syndrom indiziert. Ob die Senkung von Homozystein bei Homozysteinämie durch Gabe von Vitaminen der B-Gruppe und Folsäure das Schlaganfallrisiko senkt, ist fraglich. Prognose. Überlebensrate abhängig vom Ausmaß der Schädigung, Klinikletalität bis 20%. Ein Jahr überleben 80% der initial Bewusstseinsklaren, 50% der Bewusstseinsgetrübten und 20% der Komatösen. > Unter den Überlebenden werden 1/3 »wieder hergestellt«, 1/3 lebt mit Einschränkungen im Alltag, 1/3 wird pflegebedürftig.
Häufige Todesursachen der Patienten sind Herz- oder ein weiterer Hirninfarkt. 1.2.1.1 Hirnstammischämien, Basilaristhrombose Definition. Sauerstoffminderversorgung des Hirnstamms bzw. thrombotischer Verschluss der A. basilaris mit Ischämie versorgter Hirnareale.
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21 1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
Ätiopathogenese. 7 Kap. 1.2.1.1.
1.2.2 Hirnatheriosklerose
Symptomatik. Abhängig von der Lokalisation:
Definition. Arteriosklerose: Erkrankung der Arterien
4 Bewusstseinsstörungen 4 Blickparesen 4 Hemiplegia alterans: ipsilaterale Hirnnervenlähmungen bei Läsion der Kerngebiete und kontralaterale motorische/sensible Ausfälle bei Läsion entsprechender Bahnen (. Tab. 1.7). 4 Drehschwindel 4 Nystagmus 4 Erbrechen
mit Ablagerungen von Fetten, Thromben, Bindegewebe und Kalk in den Gefäßwänden.
Diagnostik/Therapie. 7 Kap. 1.2.1.1. Subclavian-Steal-Syndrom Bei Stenose oder Verschluss der A. subclavia vor Abgang der A. vertebralis kann es durch Flussumkehr in der A. vertebralis zu Blutentzug im Hirnstamm kommen. Arbeit mit dem ipsilateralen Arm kann eine Hirnstammsymptomatik mit Schwindel, Sehstörungen, plötzlichem Hinfallen ohne Bewusstlosigkeit, amnestischer Lücke (»drop attack«) oder Ataxie auslösen. Der Arm ist schnell ermüdbar, belastungsabhängige treten Schmerzen auf. Diagnostik: Anamnese, Befund, Pulsuntersuchung (abgeschwächter Radialispuls im Seitenvergleich), Seitendifferenz des Blutdrucks über 20 mmHg, Faustschlussprobe (Symptomprovokation), Stenosegeräusch über der A. subclavia, FKDS und Angiographie. Therapie: interventionelle Ballondilatation (PTA) oder Stent, Karotis-Subclavia-Bypass-OperationnurbeischwererSymptomatik.
Ätiopathogenese. Meist liegt der Arteriosklerose eine Atherosklerose zugrunde. Initial kommt es dabei zu einem Endothelsschaden. LDL-Cholesterin dringt in die Gefäßwand ein, das von Makrophagen phagozytiert wird, die dadurch zu Schaumzellen werden. Aus Makrophagen im Atherom freigesetzte Wachstumsfaktoren und Zytokine stimulieren glatte Muskelzellen, die proliferieren und in die Intima einwandern. Es bilden sich fibröse Plaques, es kommt zu Bindegewebsbildung und weiteren Lipidablagerungen, der Prozess wird irreversibel. Durch Thrombozytenaggregation und Mikrothrombenbildung oder durch Blutung in das atheromatöse Plaque hinein (und dadurch Anschwellung) kann es zu einem Gefäßverschluss kommen. Wichtigste Risikofaktoren: arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Rauchen, Hypercholesterinämie, Hyperlipidämie, familiäres Risiko, besonders bei Betroffensein von Verwandten 1. Grades vor dem 66. Lebensjahr, hohes Alter, männliches Geschlecht. Symptomatik. Der Verlauf ist in der Regel langsam
und über Jahre und Jahrzehnte symptomlos. Gefäßlumeneinengung kann zu Ischämie der Hirnareale im Versorgungsgebiet führen, die asymptomatisch sein kann oder zu transienten Ischämien bzw. Hirninfarkt führt.
. Tab. 1.7. Alterans-Syndrome Syndrom
Lokalisation
Ipsilateral
Kontralateral
Weber
Mittelhirnfuß
Parese des N. oculomotorius
Hemiparese
Parinaud
Vierhügel-Region
Vertikale Blickparese und Konvergenzlähmung, oft gleichzeitig Okulomotoriuslähmung
Millard-Gubler
Kaudale Brückenhaube
Fazialisparese
Hemiparese
Wallenberg
Dorsolateraler Medullaoblongata-Verschluss der PICA (A. cerebelli inferior post.)
4 Spontannystagmus, Drehschwindel 4 N. IX-, N. X-Parese mit Stimmbandparese/Heiserkeit, Rachenhinterwand- und Gaumensegelparese, Kulissen-Phänomen 4 Zentrales Horner-Syndrom 4 Ataxie 4 Ausfall des N. trigeminus (Analgesie etc.) 4 Übelkeit und Erbrechen, Hypakusis 4 Ausfall der Tiefensensibilität
Dissoziierte Empfindungsstörung ab Hals abwärts Keine motorische Hemiparese
Jackson
Medulla oblongata
Hypoglossusparese
Hemiparese
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1
Kapitel 1 · Neurologie
23 1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
Diagnostik. Anamnese, Befund, Beurteilung der Steno-
se mittels FKDS oder Angiographie (. Abb. 1.10). Identifizierung der Risikofaktoren. > Da in der Regel auch extrazerebrale Gefäße betroffen sind, ist die Untersuchung dieser, v. a. der Koronargefäße (EKG, ggf. Belastungs-EKG, Koronarangiographie) und der peripheren Gefäße (peripherer Gefäßstatus) wichtig.
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Therapie. Konsequente Therapie von Risikofaktoren, falls beeinflussbar! Oft sind ausreichende Bewegung, gesunde kalorienarme Ernährung und ggf. medikamentöse Therapie von Risikofaktoren bzw. prophylaktische Thrombozytenaggregationshemmung sinnvoll. Je nach Grad der Stenose und Konsequenzen evtl. operatives Vorgehen (Karotis-TEA bzw. Stent-Implantation – siehe Therapie der zerebralen Ischämie). Extrakranielle Manifestationen der Arteriosklerose sind zu berücksichtigen.
In Kürze Hirnatherosklerose, zerebrale Ischämie, Hirninfarkt, Basilaristhrombose Hirnarteriosklerose mit Makro- oder Mikroangiopathie
4 Symptomatik: Eine Hirnarteriosklerose kann asymptomatisch sein, zu transitorischen Ischämien oder Infarkten führen. Symptomatik bei Infarkt ist abhängig von der betroffenen Hirnregion: – Territorialinfarkt (embolisch): betroffen ist ein arterielles Stromgebiet: A. cerebri anterior und media (oft sensomotorische Hemiparese, je nach Seite: Aphasien oder Neglect), A. cerebri post. (homonyme Hemianopsie) oder A. vertebralis/A. basilaris (Hirnstamminfarkte mit Alterans-Syndromen) – Grenzzoneninfarkt: hämodynamisch bedingte Minderversorgung durch Makroangiopathie im Endstromgebiet – Lakunäre Infarkt (mikroangiopathisch): oft rein motorische oder rein sensible aber auch Hemiparesen 4 Einteilung nach Dauer: – TIA = transitorische ischämische Attacke (Minuten bis maximal 24 h) – (P)RIND = (prolongiertes) reversibles neurologisches Defizit; Dauer der vollständig reversiblen Ausfälle >24 h – Permanente Ausfälle bei komplettem oder progredientem Hirninfarkt – Basilaristhrombose: Bewusstseinsstörungen, Blickparesen, Hemiplegia alterans, Drehschwindel, Nystagmus, Erbrechen
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. Abb. 1.10. a Darstellung eines geringfügig arteriosklerotischen A.-carotis-interna-Abgangs durch verschiedene Methoden. Oben Strömungsmessung durch gepulste Dopplersonographie mit Frequenzanalyse. Normale Frequenzspektren in der Karotisbifurkation (oben links), im Bulbus caroticus (oben Mitte) und in der distalen A. carotis interna. Die leichte Störung des Frequenzspektrums im Bulbus caroticus (oben rechts) ist an dieser Stelle nicht pathologisch. Mitte links Die Strukturdarsellung der Gefäßwand im Ultraschall-B-Bild zeigt mehrere nichtstenosierende Plaques und flache Nischen. Mitte rechts Die eingeblendete farbkodierte Strömungsinformation (»Farbduplex«) zeigt ein weitgehend normales Strömungsmuster mit kleinen Rezirkulationszonen in Wandnischen. Unten Die digitale Substraktionsangiographie (DSA) lässt entsprechend nur leichte Wandunregelmäßigkeiten der A. carotis interna erkennen. b Darstellung einer 70–80%igen ateriosklerotischen A.-carotis-interna-Abgangsstenose durch verschiedene Methoden: Oben Strömungsmessung durch gepulste Dopplersonographie mit Frequenzanalyse. Vorwiegend diastolisch reduzierte Strömungsgeschwindigkeit in der distalen A. carotis communis (oben links). Hochgradige Strömungsbeschleunigung mit über 500 cm/s Spitzengeschwindigkeit in der A.-carotis-interna-Stenose (oben Mitte links). Unmittelbar poststenostisch immer noch hohe Spitzengeschwindigkeit. Gleichzeitig Zeichen starker Verwirbelung mit Frequenzverdichtung um die Nullinie (oben Mitte rechts). Weiter stromabwärts langsamere, verwirbelte Strömung (oben rechts). Meherer cm distal der Stenose geglättete, aber reduzierte Strömung mit abgeflachtem systolischen Anstieg. Man beachte, dass gegenüber Abb. 1b die Frequenz- bzw. Geschwindigkeitsskala verändert wurde. Mitte links Die Strukturdarstelllung der Gefäßwand im Ultraschall-B-Bild zeigt echoarme Wandveränderungen, in denen das Restlumen nicht klar abgrenzbar ist. Mitte rechts Durch die farbkodierte Strömungsinformation werden Strombahnverengung, Strömungsbeschleunigung und poststenotische Verwibelung nicht genau, aber übersichtlich dargestellt. Unten DSA der Stenose, die eine genaue Beurteilung auch des weiteren Gefäßverlaufs erlaubt. (R. Winter, Heidelberg) (7 Farbtafelteil)
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Kapitel 1 · Neurologie
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4 Ätiologie: Risikofaktoren sind arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Rauchen, Hypercholesterinämie, Dyslipidämie, familiäres Risiko, hohes Alter, männliches Geschlecht. Thrombembolien aus: – Herz: Vorhofflimmern, Endokarditis – Hirnversorgenden Gefäßen: arteriosklerotisch Plaques – Venöses System: paradoxe Embolie bei persistierendem Foramen ovale oder Vorhofseptumdefekt – Weitere Ursachen: – Gefäßdissektion – Vaskulitis 4 Diagnostik: ggf. CMRT in Diffusionswichtung (frühere und sensitiveren Detektion einer zerebralen Ischämie); CCT zeigt ein Infarkt erst nach etwa 6 h (akut wichtig zur Abgrenzung einer Blutung). Ursachenabklärung: – Labor: Erfassung kardiovaskulärer Risikofaktoren – EKG und Langzeit-EKG – Blutdruckmessung – Dopplersonographie der hirnversorgenden Arterien – Transthorakale/transösophageale Echokardiographie – Ggf. MR-Angiographie oder konventionelle Angiographie 4 Therapie: Überwachung/Kontrolle der Vitalparameter; Prophylaxe/Therapie von Komplikationen; Thrombolyse möglichst schnell – i.v. bis 3 h nach Symptombeginn, intraarteriell innerhalb von 6 h oder bei Basilarisverschluss; Sekundärprophylaxe
1.2.3 Intrakranielle Blutungen Definition. Unterschieden werden Epidural-, Subdural-,
1.2.3.1 Epiduralblutung Definition. Blutung zwischen Schädelkalotte und Dura mater.
Subarachnoidal- oder intrazerebrale Blutung. Ätiopathogenese. Differenziert wird:
4 Traumatisch: in abnehmender Häufigkeit subdural, epidural, subarachnoidal, intraparenchymatös 4 Spontan: 5 Arteriosklerose 5 Arterieller Hypertonie 5 Angiom 5 Aneurysma 5 Gerinnungsstörung: Hämophilie, Antikoagulation 5 Tumorblutung 5 Vaskulitis Komplikationen:
4 Hydrocephalus occlusus oder malresorptivus 4 Hirndrucksteigerung und untere Einklemmung 4 Zerebraler Vasospasmus 2–3 Tage nach Trauma bzw. Aneurysmablutung Diagnostik. (Fremd-)Anamnese, Befund, evtl. Röntgen (Fraktur?), Nativ-CT zeigt am sensitivsten eine Blutung.
Ätiopathogenese. Häufig SHT mit temporaler Schädelfraktur und Riss der A. meningea media, seltener venöse Blutung oder Blutung aus dem Frakturspalt. Epidemiologie. Meist jüngere Patienten, M>W. Symptomatik. Kurzzeitige Bewusstlosigkeit, dann minuten- bis stundenlanges symptomfreies Intervall (ca. 1/3 der Patienten). Erst danach tritt durch die gehirnkomprimierende Blutmasse eine sekundäre Bewusstlosigkeit auf. ! Cave Start Sowohl initiale Bewusstlosigkeit als auch freies Intervall können fehlen.
Weitere Symptome: 4 Kontralaterale Paresen 4 Homolaterale Pupillenerweiterung 4 Augenbewegungsstörungen bei Läsion des N. oculomotorius und N. abducens 4 Evtl. epileptische Anfälle
25 1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
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Diagnostik. CT: hyperdense, scharf abgegrenzte linsen-
förmige, bikonvexe Raumforderung, da die Dura an den Schädelnähten fixiert ist und die Blutung diese nicht überschreitet. Therapie. Sofortige Operation mit Trepanation und Hämatom-Entlastung. Im peripheren Krankenhaus evtl. Kröhnlein-Bohrung (Entlastungslöcher vor und hinter dem Ohr auf der betroffenen Seite in der Höhe der Augenbrauen). Prognose. Umso besser je schneller die Entlastung erfolgt, Letalität 30%.
1.2.3.2 Subduralblutung Definition. Blutung zwischen Dura mater und Arachnoidea, akut oder chronisch. Ätiopathogenese. Unterschieden werden:
4 Akut: starkes SHT mit Zerreißen der Brückenvenen zwischen Gehirnoberfläche und venösen Sinus 4 Chronisch: meist durch ein leichtes SHT; prädisponierend sind hohes Alter, Alkoholismus, Gerinnungsstörungen, oft ist kein Trauma eruierbar
. Abb. 1.11. Häufigste Prädilektionsstellen für sakkuläre Aneurysmen am Circulus arteriosus willisii und an den Aufzweigungsstellen der großen pialen Arterien
Ätiopathogenese. Ursächlich sind: Symptomatik. Typisch sind bei:
4 Akuter Blutung: oft initiale Bewusstlosigkeit, verbunden mit schwerer Hirnsubstanzschädigung. Klinisch: Pupillenstörungen, Halbseitensymptomatik, epileptische Anfälle, Kopfschmerzen, psychische Veränderungen 4 Chronischer Blutung: zwischen einer initialen Bewusstseinsstörung und dem Auftreten von Symptomen kann ein freies Intervall von Tagen bis Monaten bestehen Diagnostik. Das CT zeigt bei:
4 Akuter Blutung: sichelförmige oder plankonvexe Hyperdensität 4 Chronischer Blutung: abhängig vom Alter der Blutung erst hyperdens, später iso- bis hypodens
4 80% angeborene Aneurysmen (. Abb. 1.11) basaler Hirnarterien, in abnehmender Häufigkeit R. communicans anterior/A. cerebri anterior, A. carotis interna, A. cerebri media, A. basilaris/Vertebralarterien; in 4–6% der Fälle gleichzeitig Zystennieren 4 5% arteriovenöse Fehlbildungen: Angiome 4 Traumatisch 4 Dissektion intrakranieller Arterien 4 Selten arteriosklerotische oder mykotische Aneurysmen, Vaskulitiden, Gerinnungsstörungen, Sinusvenenthrombose, Gefäßarrosion durch Tumoren, hämorrhagische Diathese In 10–15% der Fälle wird keine Blutungsquelle gefunden. In 5–20% positive Familienanamnese, weitere Risikofaktoren: arterielle Hypertonie, Rauchen, Hypercholesterinämie, Drogen, evtl. Kontrazeptiva.
Therapie. Operative Entlastung (Kraniotomie); bei chronischer Blutung Bohrlochkraniotomie und Drainage, bei kleinem Hämatom ist eine konservative Behandlung möglich.
> Die Aneurysmaruptur erfolgt oft ohne vorheriges Ereignis oder tritt seltener nach Pressakt, Heben von Lasten oder Koitus auf.
Prognose. Letalität bei akuter Blutung bis 90%; bei
Epidemiologie. 10/100.000/Jahr. Vor dem 40. Lebens-
chronischer <10%.
jahr häufiger bei Männern, nach dem 50. Lebensjahr häufiger bei Frauen, insgesamt v. a. in der 5. bis 6. Dekade. SAB wird von manchen Autoren als Ursache von 3% der Schlaganfällen genannt.
1.2.3.3 Subarachnoidalblutung (SAB) Definition. Blutung in den Subarachnoidalraum.
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Kapitel 1 · Neurologie
Symptomatik. Leitsymptome sind:
4 Akut einsetzende okzipitalnuchale oder diffuse Kopf- und Nackenschmerzen: plötzlicher Vernichtungskopfschmerz, »so schlimm wie noch nie« 4 Akute Bewusstseinsstörung 4 Nackensteife, Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu und Atemstörungen evtl. erst nach Stunden 50% der Patienten haben keinen explosionsartigen Kopfschmerz, sondern über Minuten stärker werdende Kopfschmerzen. 1/4 der Patienten mit Aneurysmablutung hat Tage bis Wochen zuvor ein kleines Aneurysmaleck (»minor leak«, Warnblutung) mit plötzlichen Kopfschmerzen und geringer Nackensteifigkeit. Wird dies erkannt, kann die operative Sanierung erfolgen, oft ist das CT aber unauffällig. Mögliche Komplikationen: 4 Rezidivblutung (Letalität 50–70%), höchstes Risiko am 1. Tag, insgesamt 50% in den ersten 6 Monaten 4 In 15–20% der Fälle Hydrozephalus bei Verschluss des Aquädukts, Austrittsstellen des IV. Ventrikels bzw. bei Verklebung der Pacchioni-Granulationen 4 In 30–70% der Fälle Vasospasmus der basalen Hirnarterien (evtl. mit Infarkt) ab 3. bis 5. Tag nach SAB, Dauer bis zu 4 Wochen. Hypovolämie, Hyponatriämie, zu niedriger Blutdruck können Vasospasmen begünstigen. 4 In 25% der Fälle Hyponatriämie im Verlauf 4 Epileptische Anfälle akut selten, bis 30% im Verlauf 4 Kardiale Komplikation (Arrhythmien) Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Nativ-CT sichert fast immer die Diagnose (. Abb. 1.12) 4 Lumbalpunktion bei negativer Bildgebung: Wasserklarer, unauffälliger Liquor schließt eine SAB in den letzten 2–3 Wochen aus. 12 h nach Blutungsbeginn ist der Liquor durch Blutabbauprodukte xanthochrom verfärbt. Xanthochromie ist ca. 2 Wochen, Ferritin und Siderophagen 3–4 Wochen im Liquor nachweisbar 4 Katheterangiographie in DSA-Technik: höchste Nachweisgenauigkeit eines Aneurysmas 4 CT-/MR-Angiographie: Planung einer endovaskulären Therapie. 4 Transkranielle Dopplersonographie: Beurteilung eines Vasospasmus Therapie. Überwachung auf Intensivstation.
4 Allgemeinmaßnahmen: Bettruhe, milde Laxanzien (Vermeidung von Pressen beim Stuhlgang), 3 l/ Tag isotone Flüssigkeit mit positiver Flüssigkeitsbilanz von 750 ml/Tag, Thromboseprophylaxe
. Abb. 1.12. Kraniales CT, axial. Hyperdensität im Bereich der Fossa interpeduncularis bei Subarachnoidalblutung. (Klinik und Hochschulambulanz für Radiologie und Nuklearmedizin an der Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin, Leiter: Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
! Cave Vasospasmus erhöht das Operationsrisiko, deshalb sollte die operative Clippung oder die endovaskuläre Therapie innerhalb der ersten 3 Tage erfolgen.
4 Aneurysma-Operation: Operatives Clippung (Clip am Hals des Aneurysmas) 5 Frühzeitige Operation (Tag 1–3): Indikationen: guter klinischer Zustand, evtl. bei geringem Operationsrisiko auch bei schlechterem klinischen Zustand 5 Spätoperation nach 10–12 Tagen bzw. nach dopplersonographisch festgestelltem Abflauen des Vasospasmus > Frühzeitige operative Clippung kann eine Nachblutung am sichersten verhindern.
4 Endovaskulärer Aneurysmaverschluss Aneurysma-Coiling: über arterielle Mikrokatheter platzierte Platinspiralen führen zur Thrombosierung des Aneurysmas. Indikationen: 5 Aneurysmalokalisation mit hohem chirurgischen Risiko, z. B. Basilariskopfaneurysma 5 Schlechterer klinischer Zustand 5 Rezidivblutung in der Vasospasmusphase 5 Allgemein hohes Operationsrisiko
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4 Ggf. ventrikuläre Liquordrainage bei Hydrozephalus 4 Behandlung bei Vasospasmus: prophylaktisch positive Flüssigkeitsbilanz, Hypervolämie, Vermeidung hypotensiver Blutdruckwerte und niedriger Natriumwerte, Nimodipin (Kalziumantagonist) für 2–3 Wochen. Hypertensive hypervolämische Hämodilution (Triple-H-Therapie) wird unter Intensivüberwachung durchgeführt. Bei frühem Behandlungsbeginn können sich ischämische Symptome dauerhaft zurückbilden. Die Therapie ist nur bei ausgeschaltetem Aneurysma durchführbar. > In den ersten 10 Tagen sollte täglich eine transkranielle Dopplersonographie der basalen Hirnarterien zur frühzeitigen Erkennung eines Vasospasmus erfolgen.
Prognose. Letalität im 1. Monat >40%, 15–20% der
Patienten versterben vor Erreichen des Krankenhauses: 4 Schlechtere Prognose bei Aneurysmen im hinteren Hirnversorgungsgebiet und großen Mengen subarachnoidalen Bluts in Zisternen und Ventrikeln 4 Die Letalität beträgt 13% bei initial wachen Patienten, 75% bei initial komatösen Patienten 4 Bei 1/3 der überlebenden Patienten bleibendes neurologisches Defizit 4 Neuropsychologische Defizite persistieren v. a. bei Patienten mit linksseitigem Mediaaneurysma, intraventrikulärem Blut und Hydrozephalus 1.2.3.4 Intrazerebrale Blutungen (ICB) Definition. Blutung im Gehirn, intraparenchymatöse Massenblutungen (ca. 15% der Schlaganfälle) oder intraventrikuläre Blutungen. Ätiopathogenese. Risikofaktoren sind:
4 4 4 4 4 4
Arterielle Hypertonie Amyloidangiopathie Hohes Alter Rauchen Alkohol Sympathomimetische Drogen: Amphetamine, Kokain, Crack 4 Gerinnungsstörungen/Antikoagulation Einteilung nach der Lokalisation: 4 Großhirnblutungen: lobär parietal, temporal, frontal oder okzipital 4 Stammganglienblutungen: häufigste Lokalisation 4 Hirnstammblutungen: Pons, Mesenzephalon, Medulla oblongata
4 Kleinhirnblutungen: Kleinhirnwurm
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Kleinhirnhemisphären,
Spontane (primäre) ICB: Meist hypertensiv bedingt, ursächlich Ruptur eines arteriellen Gefäßes. Lokalisation v. a. in den tiefen Regionen der Hemisphären, Basalganglien und Thalamus. In der Umgebung der Blutung können sich durch Verminderung des zerebralen Perfusionsdruck und Hirnödem sekundär Ischämien entwickeln. Sekundäre ICB: 4 1/4 bei vaskulärer Malformationen: arteriovenöse Malformationen, Aneurysmen, Kavernome, Durafisteln 4 Vaskulitis 4 Moya-Moya-Syndrom 4 1–2%/Jahr unter Marcumartherapie 4 1/1000/Jahr unter ASS-Therapie 4 Unter Thrombolyse 10 mal häufigeres Auftreten als spontan 4 Hereditäre Gerinnungsstörung 4 Tumoren, SVT, Trauma, Eklampsie 4 Leukämie Epidemiologie. Inzidenz steigend im Alter, ethnische Unterschiede, häufiger in Japan. Symptomatik. Meist tritt die Blutung abrupt auf. An-
fangs kommt es bei Ausbreitung des Hämatoms zur Progredienz neurologischer Ausfälle. Neben fokalneurologischen Ausfällen (lokalisationsabhängig) manifestieren sich Symptome des erhöhten intrakraniellen Drucks (Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen) und Bewusstseinsstörungen. Blutungen in der hinteren Schädelgruppe können rasch eine Hirnstammkompression und Hydrocephalus occlusus bewirken. Anfälle und vegetative Störungen können auftreten. Diagnostik. Anamnese, Befund, Nativ-CT, evtl. Röntgen, Angiographie, Liquorpunktion. Therapie. Rasche Klinikeinweisung, Überwachung
der Vitalfunktionen auf Stroke Unit oder Intensivstation: 4 Senkung des Blutdrucks bei Werten diastolisch >120 mmHg oder arterieller Mitteldruck >130 mmHg senkt das Nachblutungsrisiko > Cave Forcierte Blutdrucksenkung vermeiden, um den Perfusionsdruck aufrechtzuerhalten (systolisch nicht <160 mmHg).
28
1
Kapitel 1 · Neurologie
4 Schnellstmögliche Korrektur von Gerinnungsstörungen 4 Bei erhöhtem ICP: Oberkörper hochlagern, kontrollierte Hyperventilation, Osmotherapie, Barbituratnarkose 4 Operative Therapie: 5 Beseitigung der Blutungsquelle 5 Ventrikeldrainage bei intraventrikulärer Beteiligung und Liquorabflussstörung 5 Hämatomevakuation bei Kleinhirnblutung (Hirnstammkompression), evtl. bei mittelgroßen Hämatomen und mittelschwerer klinischer Symptomatik, v. a. bei zunehmender Bewusstseinstrübung oder bildgebend zunehmender Raumforderung mit Verschiebung der Mittellinie
Hämatome <10 ml haben meist ohne Operation eine gute Prognose. Bei initial komatösen Patienten sowie bei großen linkshirnigen Blutungen oder solitären Hirnstammund Thalamusblutungen wird aufgrund der schlechten Prognose meist keine Hämatomausräumung mehr durchgeführt. Prognose. Schlechter als beim Hirninfarkt: 30-Tage-
Letalität 20–56%, bei initialem Koma Letalität bis 60%; insgesamt abhängig von Blutungslokalisation und -größe. > 1/3 sterben, 1/3 zeigen schwere, 1/3 leichte oder keine Behinderungen.
In Kürze Intrakranielle Blutungen Epiduralblutung
4 Symptomatik: initial oft kurze Bewusstlosigkeit, symptomfreies Intervall, sekundäre Bewusstlosigkeit. Kontralaterale Paresen, homolateral: Mydriasis, Augenbewegungsstörungen, evtl. epileptische Anfälle 4 Ätiologie: Blutung aus A. meningea media zwischen Schädelkalotte und Dura mater bei SHT 4 Diagnostik: CCT: hyperdense, scharf abgegrenzte linsenförmige, konvexe Raumforderung, ggf. Fraktur 4 Therapie: operative Entlastung
Akute und chronische Subduralblutung
4 4 4 4
Subarachnoidalblutung
4 Symptomatik: akuter Kopf- und Nackenschmerz, akute Bewusstseinsstörung, Nackensteife, Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu, Atemstörungen 4 Komplikationen: Rezidivblutung, Hydrozephalus, Vasospasmus der basalen Hirnarterien, Hyponatriämie, epileptische Anfälle im Verlauf, Herzrhythmusstörungen 4 Ätiologie: Blutung in den Subarachnoidalraum, oft im Bereich der basalen Zisternen (bei angeborenem Aneurysma) 4 Diagnostik: CCT: Hyperdensitäten der äußeren Liquorräume. Lumbalpunktion: xanthochromer Liquor, Ferritin, Siderophagen. Aneurysmasuche mit Katheterangiographie oder CT-/MR-Angiographie. Transkranielle Dopplersonographie (Vasospasmus?) 4 Therapie: Überwachung auf Intensivstation, operatives Aneurysma-Clipping, interventionell-radiologisch: endovaskulärer Aneurysmaverschluss mittels Aneurysma-Coiling
6
Symptomatik: Akut: oft initiale Bewusstlosigkeit, ggf. neurologische Defizite Chronisch: oft langes symptomfreies Intervall Ätiologie: Blutung aus Brückenvenen nach SHT zwischen Dura mater und Arachnoidea 4 Diagnostik: CCT: akut: sichelförmige, plankonvexe Hyperdensität, chronisch: altersabhängig erst hyperdens, später iso-/hypodens 4 Therapie: operative Entlastung, bei kleinem Hämatom konservative Behandlung möglich
29 1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
Intrazerebrale Blutung (ICB)
1
4 Symptomatik: Akuter Beginn, progrediente neurologische Ausfälle (Hämatomausdehnung), Symptome des erhöhten intrakraniellen Drucks, Bewusstseinsstörungen 4 Ätiologie: spontane (primäre) ICB: Meist hypertensiv bedingt, Ruptur eines arteriellen Gefäßes, Lokalisation v. a. Basalganglien und Thalamus 4 Diagnostik: Nativ-CT, Angiographie (Blutungsquelle), Liquordiagnostik 4 Therapie: Überwachung auf Stroke Unit oder Intensivstation. Korrektur von Gerinnungsstörungen. Operative Beseitigung der Blutungsquelle, Ventrikeldrainage bei intraventrikulärer Blutung mit Liquorabflussstörung, evtl. Hämatomevakuation. Sekundärprophylaxe
1.2.4 Hirnvenen-, Sinusvenenthrombose
(SVT) Definition. Thrombose intrakranieller Sinus- und
Hirnvenen. Ätiopathogenese. Unterschieden werden septische
und blande SVT. Ursachen können sein: 4 Blande SVT 5 Hyperkoagulabilität des Blutes: – Orale Kontrazeptiva: alleiniger ätiologischer Faktor in 10% der Fälle – Andere Medikamente wie Kortikosteroide – Hereditäre Gerinnungsstörungen wie Faktor-V-Leiden-Mutation mit APC-Resistenz: 10–25% der Fälle – Kollagenose, Vaskulitis – Hämatologische Erkrankungen: Polyzythämie, Sichelzellanämie – Postpartal oder in der Schwangerschaft – Paraneoplastisch – Schwere Dehydratation 5 Venöse Stase: abflussbehindernde Tumoren, ZVK, Herzinsuffizienz 4 Septische SVT (seltener) 5 Infektiös/septische Thrombophlebitis – Fortgeleitet bei Gesichtsfurunkel, Otitis media/Mastoiditis oder Meningitis – Bei Bakteriämie im Rahmen eines generalisierten Infekts – Liquorfistel nach SHT 4 Idiopathisch (25%) Epidemiologie. 1:100.000/Jahr, oft <40 Jahre, Altergipfel 3. bis 4. Lebensjahrzehnt, W>M, SVT wird von manchen Autoren als Ursache von 1% der Schlaganfällen genannt. Symptomatik. Bei 1/3 der Fälle ist der Krankheitsbeginn akut, bei 1/3 subakut, bei 1/3 chronisch.
4 Kopfschmerzen: häufigstes, oft erstes/einziges Symptom 4 Symptome der Hirndrucksteigerung: Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen 4 Bewusstseinsstörung, Desorientierung, Stauungspapille (Differenzialdiagnose: Pseudotumor cerebri) 4 Fieber, Nackensteifigkeit 4 Organische Psychose 4 Fokale und sekundär-generalisierte epileptische Anfälle 4 Fokale neurologische Defizite je nach Lokalisation 5 Sinus cavernosus: Augenmuskellähmung (Hirnnerven III, IV, V, VI), Protrusio bulbi (pulsierender Exophthalmus), Chemosis (Bindehautödem des Auges), Papillenödem 5 Sinus transversus: Hirnnerven IX, X, XI 5 Sinus sagittalis sup.: Kopfschmerzen, Stauungspapillen, epileptische Anfälle, motorische Defizite und Vigilanzminderung, Miktionsstörungen 5 V. cerebri magna: hämorrhagische Infarzierung der Stammganglien beidseits, Folge: schweres amnestisches Syndrom 5 Kortikale Venen: fokale neurologische Ausfälle, epileptische Anfälle Mögliche Komplikationen: 4 Hirndruckanstieg mit Einklemmung 4 Langzeitfolgen: Kopfschmerzen, Epilepsie Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Labor: D-Dimere (sensitiv, aber unspezifisch), erhöhte BSG, Leukozytose, ggf. spezifische Labordiagnostik zur Thrombophilie- und Vaskulitisdiagnostik 4 Liquor (in 50% normal): Schrankenstörung, Pleozytose, Erythrozyten, Xanthochromie, erhöhter Eröffnungsdruck. Ausschluss einer Infektion/Begleitmeningitis 4 EEG: Allgemeinveränderungen, Herdbefund
30
1
Kapitel 1 · Neurologie
Neurotraumatologie
4 Zum Nachweis der Blutung und ggf. der Blutungsquelle (Tumor) sind CT und MRT mit Angiographie (Venographie) gleichwertig, das Nativ-CT zeigt ggf. Stauungsblutungen, unter KM-Gabe sieht man manchmal das »empty triangle sign« (kontrastmittelumspülter Thrombus)
1.3
Therapie.
Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen:
4 Initial Vollheparinisierung (PTT: 80–100 s) für 2–3 Wochen, überlappende Umstellung auf orale Antikoagulation mindestens 6 Monate (INR: 2,3–3,5), bei Thrombophilie lebenslang 4 Bei septischer Thrombose: chirurgische Herdsanierung, Antibiotika 4 Ultima Ratio bei Progredienz der klinischen Symptomatik unter ausreichender Antikoagulation: lokale Thrombolyse in erfahrenen neuroradiologischen Zentren 4 Symptomatische Therapie bei Hirnödem, epileptischen Anfällen, Schmerz (kein ASS)
4 Stumpfe Gewalt: Schlag, Sturz, Anprall bei Unfällen, meist geschlossenes SHT 4 Scharfe Gewalt: Schuss, Pfählungsverletzung, offenes SHT
Prognose.
4 4 4 4
Akutsterblichkeit 14% Etwa 1/3 der Überlebenden sind beschwerdefrei 1/3 haben kognitive Einschränkungen 6% sind pflegebedürftig In Kürze Hirnvenen-, Sinusvenenthrombose
4 Symptomatik: häufig Kopfschmerzen 4 Ätiologie: blande SVT (Hyperkoagulabilität des Blutes, venöse Stase), septische SVT (Thrombophlebitis: fortgeleitet, bei Bakteriämie, Liquorfistel nach SHT), 25% idiopathisch 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Labor, evtl. Liquordiagnostik, EEG, wichtig sind CMRT/CCT mit Venographie 4 Therapie: initial Vollheparinisierung, überlappend orale Antikoagulation, bei septischer Thrombose chirurgische Herdsanierung und Antibiose
1.3.1 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Definition. Schädelverletzungen mit Gehirnbeteili-
gung.
Einteilung:
4 Nach Schweregrad neurologischer Ausfälle (Augenöffnen, sprachliche und motorische Reaktionen/Glasgow Coma Scale; Dauer einer Bewusstseinsstörung und Amnesie) in leichtes, mittelschweres und schweres SHT 4 Abhängig von der Eröffnung des Liquorraums in offenes SHT mit Durchtrennung der Dura mater und geschlossenes SHT ohne Durchtrennung 4 Nach Art der Hirnschädigung: 5 Schädelprellung: Schädeltrauma ohne Hirntrauma, Differenzialdiagnose zum SHT: keine Bewusstseinsstörung, keine neurologischen Symptome, ggf. Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit 5 Commotio cerebri: Gehirnerschütterung ohne pathoanatomische Veränderungen 5 Contusio cerebri: Hirnprellung immer mit pathoanatomisch fassbaren Gewebeschädigungen, Stoßherd durch den Anprall (Coup) und Gegenstoß und Rindenanprall auf der anderen Seite des Gehirns (Contrecoup) 5 Compressio cerebri: Hirnquetschung, Hirnkompression durch Hämatom oder Ödem Epidemiologie. 200.000/Jahr. Bis zum 45. Lebensjahr häufigste Todesursache in Deutschland. Symptomatik. Differenziert werden:
4 Leichtes SHT 5 Kurze Bewusstlosigkeit bzw. Veränderung der Bewusstseinslage (posttraumatischer Dämmerzustand) bis zu 15 min 5 Erinnerungslücke (retro-/anterograde Amnesie, Bewusstlosigkeit) bis 24 h 5 GCS 14–15 5 Keine fokalen neurologischen Defizite 5 Vorübergehend Kopfschmerz, Nackenschmerz/-steife, Übelkeit/Erbrechen, Schwindel, orthostatische Dysregulation, distale Hy-
31 1.3 · Neurotraumatologie
perhidrose, Tremor, Licht-/Geräuschempfindlichkeit, Geruchs-/Geschmacksstörungen, neurasthenisches Syndrom (depressive Verstimmung, Schlafstörungen, Leistungsminderung, Reizbarkeit) 4 Mittelschweres SHT 5 Bewusstlosigkeit bis 24 h 5 GCS initial 9–13 4 Schweres SHT 5 Bewusstlosigkeit >24 h 5 GCS initial 3–8 Mögliche Komplikationen: 4 Traumatische Hämatome/Blutungen 4 Hirnödem 4 Epileptische Anfälle 4 Hydrozephalus 4 Elektrolytstörungen 4 Bei offenem SHT: Liquorfisteln, Meningitis, Enzephalitis, Hirnabszess 4 Bei leichtem SHT: in 10–20% der Fälle chronisch posttraumatisches Syndrom (bis zu 3‒6 Monaten persistierende zervikozephale Schmerzen, fakultativ vegetative Symptome, neurasthenisches Syndrom) Diagnostik. Anamnese, Befund (GCS, Suche nach wei-
teren Verletzungen). 4 Überwachung der Vitalparameter 4 Labor: Blutbild, Gerinnung, Elektrolyte, Blutzucker, Leber- und Nierenfunktionsparameter, CK, BGA, Blutgruppe, Urinstatus, ggf. Ursachenabklärung (Alkoholspiegel, Drogenscreening) 4 Bildgebung: Nachweis/Ausschluss von Fraktur, Blutung, Parenchymschädigung 5 Leichtes SHT ohne Risikofaktoren, GCS=15: Schädelröntgen 5 Leichtes SHT mit Risikofaktoren (Alter >60, Gerinnungsstörungen, Fraktur, neurologische Defizite) CCT durchführen! 5 Ggf. Röntgen der HWS, Karotis-Dopplersonographie 5 Bei schwerem SHT Ganzkörper-CT (Polytrauma-CT) 5 Evtl. CMRT, bei Verdacht auf arterielle Dissektion MR-Angiographie 4 EEG 4 EP in Postakutphase zur Prognoseerstellung 4 Ggf. HNO- und augenärztliche Untersuchung > Beim leichten SHT ohne Komplikationen ist das CCT in der Regel ohne pathologischen Herdbefund.
1
Therapie. Abhängig vom Schweregrad:
4 Leichtes SHT: 5 Stationäre Überwachung mindestens 24 h (Ausschluss sekundärer Traumafolgen, bei Risikopatienten, zur Ursachenabklärung) 5 Medikamentöse Therapie von Schmerzen, Schwindel, Übelkeit 4 Schweres SHT: zusätzlich: 5 Intensivstation, Intubation, kontrollierte Beatmung, Überwachung der Vitalparameter 5 Bei Verdacht auf erhöhten Hirndruck: Messung mit intraventrikulärer Hirndrucksonde (ICPSonde) ! Cave Ein erhöhter ICP ist behandlungsbedürftig, wenn er >5 min 20–25 mmHg übersteigt oder der zerebrale Perfusionsdruck (= mittlerer arterieller Blutdruck – ICP) unter 70 mmHg fällt.
4 Antibiotikaschutz bei offenem SHT 4 Evtl. operative Maßnahmen bei Weichteilverletzungen, dekompressive Kraniotomie und ggf. Hämatomausräumung, bei Schädelbasisfraktur > Eine Felsenbeinlängsfraktur mit otogener Liquorrhö muss nicht, eine Liquorfistel bei frontobasaler Fraktur muss operativ verschlossen werden.
4 Rehabilitation: Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie so früh wie möglich 4 Bei chronisch posttraumatischem Syndrom: psychosomatische/psychiatrische Therapie, soziotherapeutische Maßnahmen, trizyklische Antidepressiva, Entspannungsübungen, Physiotherapie Prognose. Schlechter je niedriger der initiale GCS-
Wert, je länger die Bewusstlosigkeit und je älter der Patient. 40% der Patienten versterben, 20% bleiben schwerst behindert, 20% mittelgradig behindert und 20% erholen sich gut. 1.3.2 Rückenmarksverletzungen,
Cauda-equina-Syndrom Definition. Primär mechanisch oder sekundär ischä-
misch bedingte Rückenmark- bzw. Cauda-equinaLäsion. Ätiopathogenese. Ursachen können sein:
4 Traumatisch: stumpfes Trauma, Luxation, instabile Wirbelkörperfraktur, Elektrotrauma, ionisieren-
32
1
Kapitel 1 · Neurologie
de Strahlen (Tumorbestrahlung >40 Gy), chiropraktische Therapie. 4 Nichttraumatisch, z. B. vaskulär, entzündlich, metabolisch, neoplastisch Epidemiologie. Traumatisch: 1–3/100.000/Jahr, M>W. Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Commotio spinalis: Erschütterung des Rückenmarks, innerhalb von Stunden komplett reversibel 4 Contusio spinalis: mit Substanzschädigung, verbleiben können motorische Lähmungen, Sensibilitätsausfälle, Blasen- und Mastdarmstörungen, im Extremfall komplette Zerreißung des Rückenmarks 4 Compressio spinalis Querschnittlähmungen sind Folge einer Schädigung von Rückenmark/Cauda equina: 4 Einteilung nach dem Verlauf: 5 Akute Querschittslähmung mit schlaffer Lähmung und Überlaufblase (Phase des spinalen Schocks, Tage bis Wochen) 5 Bei bleibender Querschnittslähmung entwickelt sich im Verlauf eine Spastik (nicht bei Cauda-equina-Syndrom, da periphere Läsion) 4 Einteilung nach neurologischen Ausfällen (lokalisationsabhängig): 5 Motorisch: spastische Para- bzw. Tetraplegie mit spinalen Automatismen (unwillkürliche Beuge- oder Strecksynergismen), Pyramidenbahnzeichen, gesteigerte Reflexe. Schlaffe Paraparese bei Caudaläsion, schlaffe Parese/Plegie während des spinalen Schocks 5 Sensibel: spinales sensibles Niveau, d. h. unterhalb eines bestimmten Dermatoms (entsprechend der Höhe der Läsion) bestehen Hypästhesie und Hypalgesie, darüber ist die Ästhesie normal 5 Vegetativ: neurogene Blasenlähmung (abhängig von Läsionshöhe Überlaufblase oder Reflexblase), Sexualdysfunktion, Herz-KreislaufDysregulation Rückenmarksyndrome: 4 Anterior-cord-Syndrom: Verletzung der vorderen 2/3 des Rückenmarks mit motorischen Ausfällen und dissoziierter Empfindungsstörung (ähnlich dem A.spinalis-anterior-Syndrom), schlechte Prognose 4 Brown-Séquard-Syndrom: halbseitige Querschnittslähmung 5 Unterhalb der Läsion: – Ipsilaterale Störung der Tiefensensibilität und spastische Parese
– Kontralaterale Störung von Schmerz- und Temperaturempfinden bei erhaltenem Druck- und Berührungsempfinden (dissoziierte Empfindungsstörung) 5 Auf Höhe der Läsion kommt es zu ipsilateraler Aufhebung aller sensiblen Qualitäten und schlaffer Parese 4 Central-cord-Syndrom: Verletzung des zentralen Rückenmarks oft im HWS-Bereich mit Ausfällen im Armbereich, meist gute Erholung (Stehen und Gehen möglich) 4 Conus-medullaris-Syndrom: unterer Teil des Rückenmarks mit Lähmung der Mm. glutei, Reithosenanästhesie, Blasen- und Mastdarmstörung 4 Cauda-equina-Syndrom: Nervenfasern L2–S5 kaudal des Rückenmarks mit schlaffen Paresen, Sensibilitätsstörungen der Beine, Blasen- und Mastdarmlähmung Mögliche Komplikationen: 4 Dekubitus 4 Blasen- und Niereninfektionen, Urosepsis 4 Autonome Dysreflexie: Bei Rückenmarkläsion oberhalb von Th 6 werden supraspinale vegetative Kontrollzentren abgetrennt, Folge ist eine Überreaktion des spinalen sympathischen Nervensystems: Reize in Darm oder Blase lösen anfallsartig hypertone Krisen aus 4 Posttraumatische Syringomyelie in ca. 5% der Fälle bis zu Jahrzehnten nach der Läsion 4 Heterotope Ossifikation: Periartikuläre Knochenneubildung bei tetraplegischen Patienten v. a. im Hüft-Bereich, Therapie: Bestrahlung, Indometacin, evtl. operativ 4 Gelenkkontrakturen Diagnostik. Anamnese, Befund (gemäß ASIA, Ameri-
can Spinal Injury Association). 4 Atem-, Blasen-, Mastdarm-, Sexualfunktion, Sudomotorik, kardiovaskuläre Funktionen, Extremitätendurchblutung, Körpertemperatur 4 Röntgen, CT, MRT, selten Myelographie (bei Verdacht auf Wurzelausrisse, ggf. Suche nach weiteren Verletzungen) 4 Elektrophysiologie 4 Differenzialdiagnostische Abklärung bei nichttraumatischer Querschnittlähmung Therapie. Erstversorgung, intensivmedizinische Über-
wachung: 4 Sicherung der Vitalfunktionen 4 Engmaschige Kontrolle neurologischer Ausfälle, GCS
33 1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
4 Achsengerechte Lagerung 4 Ggf. operative Dekompression, Wirbelkörperstabilisierung bei instabiler Fraktur 4 Sonst konservative Therapie und Prophylaxe von Komplikationen 4 Bei Blasenstörung: Katheterisierung oder besser suprapubische Ableitung
4 4 4 4 4 4
1
Darmentleerungen Methylprednisolon bei traumatischer Schädigung Frühzeitige Rehabilitation Ggf. antispastische medikamentöse Therapie Bei therapierefraktärer Spastik: Baclofenpumpe Bei fokaler Spastik: Injektion von Botulinumtoxin
In Kürze Neurotraumatologie
1.4
Schädel-HirnTrauma (SHT)
4 Symptomatik: je nach Schweregrad Bewusstseinsstörungen, ggf. Übelkeit, Erbrechen, neurologische Defizite 4 Ätiologie: Verletzung von Schädel und Gehirn durch stumpfe oder scharfe Gewalt 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Labor, Bildgebung 4 Therapie: abhängig vom Schweregrad, 24-h-Überwachung oder Intensivmedizinische Überwachung und Therapie von Komplikationen, ggf. operative Versorgung
Rückenmarksverletzung, Cauda-equinaSyndrom
4 Symptomatik: Querschnittlähmung: – Akut: schlaffe sensomotorische Lähmung und vegetative Ausfälle, Überlaufblase – Im Verlauf Spastik – Cauda-equina-Syndrom: schlaffe Paraparese, Blasen- und Mastdarmlähmung 4 Ätiologie: Trauma, Tumor, Ischämie, Blutung, Entzündung 4 Diagnostik. Anamnese, Befund, Bildgebung, Elektrophysiologie, Labor, Differenzialdiagnostische Abklärung bei nichttraumatischer Ursache 4 Therapie: Erstversorgung, intensivmedizinische Überwachung, ggf. operative Dekompression, Wirbelkörperstabilisierung; konservative Therapie und Prophylaxe von Komplikationen, frühzeitige Rehabilitation
Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
1.4.1 Meningitis, Enzephalitis 1.4.1.1 Bakterielle Meningitis Synonym. Eitrige Meningitis. Definition. Entzündung der Hirn- und Rückenmarkhäute durch bakterielle Infektion. Ätiopathogenese. Die Übertragung kann erfolgen
über: 4 Tröpfcheninfektion (Meningokokken) 4 Hämatogen (Pneumokokken-Pneumonie) 4 Per continuitatem (Otitis, Mastoiditid, Sinusitis) 4 Direkt bei offenem SHT, nach neurochirurgischen Operationen > Das Erregerspektrum ist abhängig vom Patientenalter und Begleiterkrankungen. Ein erhöhtes Risiko für Meningokokkenmeningitis besteht nach Splenektomie.
Erwachsene: 4 Streptococcus pneumoniae 4 Neisseria meningitidis, in Deutschland 75% Serogruppe B, 25% C 4 Listerien <5% der Fälle, meist ältere Patienten, bei Abwehrschwäche 4 Staphylokokken, v. a. bei offenem SHT 4 Gramnegativen Enterobakterien, Pseudomonas aeruginosa <10% der Fälle Kinder: 4 Meningokokken 4 Haemophilus influenzae, selten seit Einführung der HiB-Impfung 4 Pneumokokken Neugeborene: 4 Gruppe B-Streptokokken (Streptococcus agalactiae) 4 E. coli 4 Listerien
34
1
Kapitel 1 · Neurologie
Epidemiologie. 3–10/100.000/Jahr, 80% Säuglinge und
Kleinkinder. Symptomatik. Typisch sind:
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Prodromi: grippeähnliche Beschwerden Kopfschmerzen Meningismus Hohes Fieber Übelkeit, Erbrechen Lichtscheue Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen Epileptische Anfälle Hirnnervenbeteiligungen (ca. 10%) Evtl. Hautexanthem 5 Meningokokkenmeningitis: Oft plötzlicher Krankheitsbeginn mit Petechien oder Purpura der Haut. In 10% der Fälle große petechiale Hautblutungen, Verbrauchskoagulopathie, Kreislaufversagen (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom) 5 Septische Endokarditis mit Osler-Knötchen an Fingern und Zehen
! Cave Bei Säuglingen fehlt der Meningismus oft, unspezifische Symptome wie Trinkfaulheit stehen im Vordergrund.
Komplikationen (bei etwa 50% der Erwachsenen, meist in der 1. Woche): 4 Hirnödem 4 Hydrozephalus (Liquorresorptionsstörung) 4 Sinusvenenthrombose 4 Infarkte (evtl. hämorrhagisch transformiert) bei zerebraler Vaskulitis, bei septisch-embolischer Herdenzephalitis oder Stauungsinfarkten bei SVT 4 Intrazerebrale Blutung 4 Hirnabszess (Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken) 4 Epileptische Anfälle 4 Hörstörungen(Labyrinthitis)/Vestibulopathie 4 Extrakranielle Komplikationen (septischer Schock mit Verbrauchskoagulopathie, ARDS) 4 Elektrolytstörungen (Hyponatriämie, SIADH) Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Labor: Entzündungsparameter, d. h. Leukozytose, CRP, PCT (Prokalzitonin, spricht für eine bakterielle, gegen eine virale Meningitis), Blutkulturen sind in etwa 50% der Fälle positiv 4 Liquordiagnostik, . Tab. 1.8. 4 CCT/CMRT: KM-Anreicherung in den Meningen, evtl. Ursache der Meningitis darstellbar 4 HNO-Untersuchung (Otitis o. ä.?)
Therapie. Initiale Antibiotikawahl bei unbekanntem Erreger: 4 Ceftriaxon und Ampicilin: Patienten ohne Grundkrankheit (Ampicillin wirkt auch gegen Listerien, Cephalosporine alleine nicht!) 4 Ceftriaxon und Fosfomycin bei HNO-Infektion oder offenem SHT (Fosfomycin wirkt gegen Staphylokokken) 4 Ceftriaxon, Fosfomycin und Gentamycin: nosokomiale Infektion (Staphylokokken und gramnegative Enterobakterien wie Pseudomonas aeruginosa) 4 Ceftriaxon + Fosfomycin + Ampicillin bei Immundefizienz 4 Penicillin G i.v.: Verdacht auf Meningikokkenmeningitis > Besteht bei Bewusstseinsstörung oder fokal neurologischem Defizit der Verdacht auf Meningitis, wird sofort nach Abnahme der Blutkulturen antibiotisch behandelt. Dann erfolgen CCT (Ausschluss erhöhten intrakraniellen Drucks) und Lumbalpunktion. Bestehen keine Bewusstseinsstörungen oder fokal neurologischen Defizite wird die Lumbalpunktion vor Beginn der antibiotischen Therapie durchgeführt.
Falls notwendig muss später nach Antibiogramm auf eine gezielte antibiotische Therapie umgestellt werden. Dauer der Antibiotikatherapie: 4 Unkompliziert verlaufende Meningitis bei Haemophilus influenzae oder Meningokokken: 7–10 Tage 4 Pneumokokkenmeningitis: 10–14 Tage 4 Listerien oder gramnegativen Enterobakterien: meist >3 Wochen In der ersten Woche ist die Unterbringung auf einer Intensivstation sinnvoll. Ggf. muss die operative Sanierung einer Infektionsquelle erfolgen. Meldepflicht und Prophylaxe 4 Meningokokken: 5 Meldepflicht bei Meningitis oder Sepsis (Verdacht, Erkrankung, Tod) und dem Erregernachweis 5 Isolierung bei Verdacht bis 24 h nach Beginn der Antibiotikatherapie 5 Hygienemaßnahmen des Personals 5 Frühe Chemoprophylaxe für enge Kontaktpersonen bis 10 Tage nach Exposition (Rifampicin, Ciprofloxacin oder Ceftriaxon) 5 Meningokokken-Impfung: für alle Kleinkinder ab dem vollendeten 12. Lebensmonat (gegen Sero-
35 1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
1
. Tab. 1.8. Liquordiagnostik bei Meningitis Aspekt
Bakterielle Meningitis
Virale Meningitis
Tuberkulöse Meningitis
Aussehen
Eitrig-trüb
Klar
Klar mit Spinngewebsgerinnseln
Zellzahl/µl
4 Meist >1000 – einige tausend 4 Zellzahlen <1000 zum Krankheitsbeginn, unter Antibiose, bei fulminantem Verlauf oder Abwehrschwäche möglich.
25–1000 – oft einige hundert, bei chronischem Verlauf fehlt die Liquorpleozytose oft oder ist gering
50–300
Zellart
Granulozytäre Pleozytose
Überwiegend mononukleäre Zellen
Lymphozytäre Pleozytose
Glukose
4 Meist <30 mg/dl 4 Liquor-Serum-Glukose-Quotient <0,3
normal
Vermindert <30 mg/dl
Eiweiß
4 Erhöht 4 Schwere Blut-LiquorSchrankenstörung
Leichter Anstieg oder normal
Erhöht
Laktat
Meist >3,5 mmol/l
Leichter Anstieg oder normal
Erhöht
Mikrobiologische Untersuchung
4 Mikroskopie nach Gram-Färbung (z. B. gramnegative Diplokokken o Meningokokken), Methylenblau-Färbung 4 Latexagglutinationstest zum Nachweis bakterieller Antigene 4 PCR 4 Kulturelle Anzüchtung
4 PCR 4 Nachweis viraler Antigene 4 Bei chronischen Infektionen Nachweis intrathekaler Antikörperproduktion
4 PCR 4 Ziehl-Neelsen-Färbung (negatives Ergebnis schließt Infektion nicht aus) 4 Kultureller Erregernachweis (mindestens 1–2 Wochen)
gruppe C) sowie bei Reisen in Endemiegebiete (Meningitis-Gürtel Afrikas, v. a. gegen Serogruppe A), bei Ausbrüchen und bei Personen mit Immundefekten (Aplenie) empfohlen 4 Haemophilus influenza, Listeria monocytogenes, Pneumokokken 5 Meldepflicht bei direktem Nachweis von Haemophilus influenzae oder Listeria monocytogenes im Liquor oder Blut 5 Impfung gegen Pneumokokken und Haemophilus influenzae Typ B für alle Kinder empfohlen
Prognose. Höchste Letalität bei Pneumokokken- und
Listerienmeningitiden (20–40%), Meningokokkenmeningitiden (3–10%). Neurologische Ausfälle verbleiben in etwa 1/3 der Fälle. 1.4.1.2 Virale lymphozytäre Meningitis und (Meningo-)Enzephalitis Definition. Entzündung der Hirnhäute (Meningitis) oder des Hirnparenchyms (Enzephalitis) im Rahmen einer Virusinfektion.
Ätiopathogenese. Virale Meningitiden treten bei ver-
schiedenen Virusinfektionen auf. 4 Häufige Erreger viraler Enzephalitiden: 5 Herpes-simplex-Virus (HSV-1, HSV-2) und Zytomegalie-Virus (CMV) 5 Enteroviren: Poliomyelitis-, ECHO- und Coxsackie-Virus 5 Arbovirus = Arthropode-borne (meist durch Insekten übertragen): FSME und japanische Enzephalitis 4 Parainfektiöse/immunvermittelte Enzephalitis im Rahmen viraler Allgemeinerkrankungen: Mumps, Masern, Röteln, Varizella-Zoster-Virus (VZV) 4 Postvakzinale Enzephalitis: Risiko 1/300.000– 500.000 nach Tollwut-, Masern-, Pertussis- oder FSME-Impfungen Epidemiologie. In Deutschland: 3/100.000/Jahr virale Meningoenzephalitiden und Enzephalitiden. Symptomatik. Die Virusmeningitis ist meist harmlos,
auch viele Virusenzephalitiden haben eine gute Prog-
36
1
Kapitel 1 · Neurologie
nose, selbst wenn sie als akute Krankheitsbilder hoch dramatisch in Erscheinung treten können.
Intervall vor Einsetzen der neurologischen Beschwerden (und ein negativer Erregernachweis).
> Die HSV-Enzephalitis hat dagegen unerkannt und unbehandelt eine Letalität von mindestens 70%, unbehandelt Überlebende behalten schwere Defekte zurück.
Diagnostik. Zur Diagnostik gehören:
Tollwut (Rabies) endet letal, da eine spezifische Therapie fehlt. Virale Meningitis: 4 Kopfschmerz 4 Fieber 4 Übelkeit und Erbrechen 4 Meningitische Reizsymptome 4 Überempfindlichkeit gegenüber Licht und lauten Geräuschen 4 Die akute Symptomatik klingt auch ohne Therapie nach Tagen bis wenigen Wochen ab
4 Labor: meist unauffällige oder geringfügig erhöhte Entzündungsparameter, relative Lymphozytose, Virusnachweis, PCR/Serologie (Liquordiagnostik: . Tab. 1.8) 4 Bildgebung: cCT/cMRT 4 EEG (Verlangsamung des Grundrhythmus, Herdbefunde?) Therapie. Einige Viren können spezifisch antiviral therapiert werden, z. B. HSV-Enzephalitis. Passive Immunisierung, z. B. bei Rabiesinfektion. Kontrolle von Vitalparametern, Temperatur und Elektrolyten, Therapie und Prophylaxe von Hirnödem, Epilepsie, Thrombembolie. ! Cave
Akute virale Meningoenzephalitis: Oft im Anschluss an 4 eine Allgemeinerkrankung (Mumps, Masern, Röteln, Windpocken, Exanthema subitum, Ringelröteln), 4 eine Gastroenteritis (Enteroviren) oder 4 ein katarrhalisches Prodromalstadium (HSV-Enzephalitis, FSME). 4 Beginn der Symptomatik meist mit Fieber, Kopfschmerzen und meningitischen Reizsymptomen ! Cave Verhaltensauffälligkeiten, Verwirrtheit, Desorientiertheit, Bewusstseinseinschränkungen, neurologische Herdsymptome und epileptische Anfälle im Verlauf weisen auf eine Beteiligung des Hirnparenchyms hin!
Chronische virale Enzephalitiden manifestieren sich langsam progredient mit Persönlichkeitsveränderungen, pseudodemenziellem Syndrom und neurologischen Ausfällen. Die Varizellenenzephalitis manifestiert sich 4–8 Tage nach den Hauteffloreszenzen, häufig treten zerebelläre Symptome auf. Eine Zosterenzephalitis als Komplikation eines Herpes zoster betrifft meist Personen mit einem Immundefekt, z. B. Leukämie-Kranke. Tage bis Wochen nach Auftreten der kutanen Bläschen kommt es zu Symptomen der Enzephalitis, meist ist der Verlauf weniger schwer als die HSV-1-Enzephalitis. Für eine parainfektiöse/postvakzinale Ursache sprechen eine Infektion oder Impfung in den vorausgegangenen 1–4 Wochen, meist gefolgt von einem freien
Prophylaktisch wird eine generelle aktive Immunisierung (Mumps, Masern, Röteln, Varizellen, Poliomyelitis) bzw. bei Reisen bzw. Aufenthalt in Endemiegebieten oder bei exponierten Berufsgruppen (FSME, Tollwut) empfohlen.
1.4.1.3 Herpes-simplex-Enzephalitis Definition. Entzündung des Gehirns durch Herpessimplex-Virus. Ätiopathogenese. Akute nekrotisierende Enzephalitis nahezu immer durch HSV-Typ 1 bedingt. HSV-Typ 2 kann eine meist gutartige Meningitis verursachen. Neugeborenen jedoch können an einer hämorrhagischnekrotisierenden Enzephalitis erkranken. Epidemiologie. 1,5–4/1.000.000 Einwohner, kein gehäuftes Auftreten bei rekurrierendem Herpes labialis. Symptomatik. Verlauf in 3–5 Phasen:
4 Grippales Vorstadium (Kopfschmerz, Fieber), dann oft kurzzeitige Besserung 4 Wernicke-Aphasie, wenn dominante Hemisphäre betroffen, und Hemiparese 4 Psychotische Episoden (Verwirrtheit, Geruchshalluzinationen) 4 Epileptische Anfälle (initial komplex-fokal, sekundär Generalisierung möglich) 4 Zunehmende Bewusstseinsstörung bis Koma > Leitsymptome: Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörung, Fieber.
37 1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
Diagnostik. Zur Diagnostik gehören:
4 Anamnese, Befund 4 Liquor: lymphozytäre Pleozytose im Allgemeinen <300/µl, leichte Eiweißerhöhung bei normaler Liquorglukose. In etwa 5% der Fälle kann die Zellzahl zunächst normal sein. Die Diagnosesicherung erfolgt zunächst durch die Liquor-PCR, ab Ende der 2. Woche auch durch Nachweis der intrathekalen Antikörperproduktion 4 MRT: Früh mediotemporo-basale Hyperintensitäten in T2- und FLAIR-Wichtung 4 CCT: Kann anfangs normal sein 4 EEG: Herdbefund im Temporallappen Therapie. Kontrolle von Vitalparametern, Temperatur,
Elektrolyten, Therapie und Prophylaxe von Hirnödem, Epilepsie, Thrombembolie. ! Cave Gabe von Aciclovir i.v. sofort schon bei Verdacht!
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Prognose. Letalität ohne Behandlung mindestens 70%, bei rechtzeitigem Therapiebeginn Letalität 20% (. Abb. 1.13). Zytomegalievirus (CMV)-Enzephalitis Infektionen verlaufen in der Regel inapparent, 50–60% der Erwachsenen in Europa sind CMV-seropositiv. Bei Immundefizienz, z. B. AIDS oder nach Knochenmarkstransplantation kann es durch Virusreaktivierung zu Enzephalitis, oft zusammen mit Hepatitis, Myokarditis und Pneumonie kommen. Therapie: Ganciclovir i.v., Foscarnet oder Cidofovir i.v. Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) Erreger sind Masernvirusmutanten, etwa 5 SSPE-Fälle/1.000.000 Masern-Erkrankungen treten auf. Betroffen ist die weiße und graue Substanz (Panenzephalitis). Die Erkrankung tritt fast nur im Kindes- und Jugendalter, öfter bei Jungen auf. Nach langen Inkubationszeiten (durchschnittlich 8 Jahre) kommt es zur chronisch-
. Abb. 1.13. Klinische, apparative und liquordiagnostische Befunde bei der Herpes-simplex-Enzephalitis. (Nach Hacke u. Zeumer 1985)
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Kapitel 1 · Neurologie
progredienten Symptomatik mit psychischen Veränderungen (demenzielle Symptomatik, Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen), neurologischen Ausfällen, Myoklonien, Rigor, Hyperkinesen, vegetativen Symptomen (Hyperthermie, Tachykardie), Coma vigile und Tod nach 1–2 Jahren. Diagnostik: Liquor (Nachweis einer intrathekalen Antikörperproduktion gegen Masernviren bzw. SSPE-Antigen), EEG (Radermecker-Komplexe) und CCT (rasch progrediente Hirnatrophie)Therapie: Nur symptomatisch.
1.4.1.4 Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) Definition. Entzündung von Hirnhäuten/Hirnparenchym durch FSME-Virus. Ätiopathogenese. Erreger: FSME-Virus aus der Familie der Flavi-Viren (RNA-Viren). Übertragung erfolgt durch Zeckenbisse, natürliches Reservoir sind v. a. Mäuse. Endemiegebiete sind Süddeutschland (BadenWürttemberg, Bayern, Südhessen), Österreich, Osteuropa, Russland (bis zu 5% der Zecken sind dort Virusträger). Epidemiologie. In Deutschland 150–250 Erkrankun-
gen/Jahr. Erkrankungsgipfel Juni bis August. Symptomatik. Nach einer mittleren Inkubationszeit von 10 Tagen kommt es in 10–30% der Fälle zu: 4 1. Prodromalphase: Grippeähnlich mit Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen 4 Fieberfreies Intervall von 2–5 Tagen 4 Bei 10% der Erkrankten 2. Fieberanstieg (50% mit Meningitis, 40% mit Meningenzephalitis/Enzephalitis, 10% mit Myelitis)
1.4.2 Nichteitrige
Meningoenzephalitiden Ätiopathogenese. Auftreten bei:
4 Infektionen mit bestimmten bakteriellen Erregern: 5 Spirochäten: Neurolues, Neuroborreliose 5 Mykobakterien: Neurotuberkulose 5 Bruzellen, Nokardien, intrazelluläre Erregern wie Bartonellen, Rickettsien, Mykoplasmen (Mycoplasma pneumoniae) 4 Protozoen: Toxoplasma gondii, Trypanosomen, zerebraler Malaria bei Plasmodium falciparum 4 Nematodenlarven: eosinophile Meningitis bzw. Meningoenzephalitis 1.4.2.1 Tuberkulöse Meningitis Definition. Entzündung der Hirnhäute bei Infektion mit Mycobacterium tuberculosis. Ätiopathogenese. Selten im Rahmen einer septischen Streuung bei Organtuberkulose, hämatogen bei Miliartuberkulose (v. a. bei Kindern). Weltweit ist 1/3 der Menschheit mit Tbc infiziert und 2 Mio. Menschen sterben jährlich daran. 5–10% (bei HIV-Infektion mehr) der Infizierten erkranken oder werden infektiös. In Südostasien ist die Inzidenz am höchsten. Die Infektion erfolgt meist aerogen von Mensch zu Mensch, Erreger gelangen in die Lunge. Problematisch sind multiresistente (mindestens gegen Isoniazid und Rifampicin resistente) Erreger. Symptomatik. Befallen ist v. a. die Hirnbasis. Anfangs
Diagnostik. Entzündungsparameter im Blut (mit Leu-
meist schleichender Verlauf mit subfebrilen Temperaturen, Reizbarkeit, Leistungsminderung, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen. Aufgrund der basalen Lokalisation sind Hirnnervenausfälle (N. oculomotorius, N. abducens, N. fazialis u. a.) typisch. Weitere Symptome: Meningismus, Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheit, epileptische Anfälle oder radikuläre Symptome bei spinalen Läsionen. Der Verlauf kann subakut oder chronisch sein.
kozytose). Serologie: Im Verlauf Antikörper in Blut und Liquor.
Diagnostik. Anamnese, Befund.
> 70–90% der Fälle verlaufen asymptomatisch.
Therapie. Symptomatisch. > Expositionsprophylaxe und aktive Immunisierung bei Risikopersonen (Forstarbeiter in Endemiegebieten).
Prognose. Letalität 1%. Die Meningitis heilt in der Re-
gel folgenlos aus, bei Enzephalitis oder Myelitis in 10–30% Defektheilungen mit neurologischen Defiziten. Nach der Infektion besteht meist lebenslange Immunität.
4 EEG: Allgemeinveränderungen, evtl. Herdbefund 4 cMRT: basale KM-Aufnahme von Meningen und verdickten Hirnnerven, Tuberkulom, Abszess, Hydrozephalus, fragliche Vaskulitiszeichen, Infarkte 4 Thoraxröntgen: Lungentuberkulose, Miliartuberkulose 4 Liquordiagnostik: lymphomonozytäre Pleozytose (selten >1000/µl), Proteinerhöhung, Glukose erniedrigt, mikrobiologische Untersuchungen (ZiehlNeelsen-Färbung, säurefeste Stäbchen), Kultur über 6–8 Wochen, PCR innerhalb weniger Tage
39 1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
Therapie. Standardtherapie: 2 Monate 4er-Kombinati-
on (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid, Ethambutol), dann weitere 10 Monate 2er-Kombination (Isoniazid, Rifampicin). Vitamin B6 zur Prophylaxe einer medikamentös induzierten Polyneuropathie, evtl. initial ergänzend Glukokortikoide. 1.4.2.2 Toxoplasmose Definition. ZNS-Befall bei Infektion mit dem Protozoon Toxoplasma gondii. Ätiopathogenese. Wird der Zwischenwirt (Mensch,
Schwein, Maus, Schaf, Rind) infiziert, bilden sich infektiöse Zysten in inneren Organen und Muskulatur, im Endwirt (Katze) entstehen infektiöse Oozysten. Die Übertragung erfolgt durch Verzehr von zystenhaltigem rohen Fleisch oder Kontakt mit oozytenhaltigem Katzenkot. Epidemiologie. 50% der Erwachsenen in Deutschland sind latent infiziert; pro Jahr gibt es ca. 20 Fälle einer konnatalen Toxoplasmose. Symptomatik. Bei 1% der Immunkompetenten führt die Toxoplasmose zu einem grippeähnlichen Krankheitsbild (Fieber, Myalgien), Lymphknotenschwellung, seltener Iridozyklitis und Chorioretinitis. Im ZNS persistieren die Erreger als Bradyzoiten lebenslang und verursachen keine Symptome. Bei Immunsupprimierten kann es zur Reaktivierung mit schwerem Verlauf kommen: ZNS-Toxoplasmose, septische Streuung in Leber, Lungen, Milz, Herz. ! Cave Bei Erstinfektion der Mutter während der Schwangerschaft (v. a. 2. und 3. Trimenon) kann es zur diaplazentaren Infektion und Schädigung des Kindes kommen: Abort, Frühgeburt, Enzephalitis mit den Folgen Hydrozephalus, Chorioretinitis, zerebrale Verkalkungen, Krampfneigung, geistige Retardierung, Hepatosplenomegalie und Ikterus.
Der Toxoplasma-Antikörper-Suchtest bei Schwangeren ist laut Mutterschaftsrichtlinien nur bei begründetem Verdacht durchzuführen und wird nur dann von der Krankenkasse bezahlt. Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Labor: 5 Erregernachweis in Blut, ggf. im Liquor mit PCR 5 Nachweis von IgG-Antikörpern früher im Sabin-Feldmann Test, jetzt mittels indirekten Im-
1
munfluoreszenztest. Ab 2 bis 6–8 Wochen nach Infektion sind die Titer besonders hoch (>1:1000), später sinken sie ab und persistieren meist lebenslang bei ca. 1:64, ein signifikanter Titeranstieg beweist die frische Infektion. 5 Nachweis von IgM-Antikörpern bei frischer Infektion und konnataler Toxoplasmose, eine IgM-Bildung kann bei Immunschwäche ausbleiben. 4 CCT, MRT: bei fetaler Infektion multiple Verkalkungen, bei AIDS ringförmige Kontrastmittelanreicherungen > Erregernachweis bei konnataler Toxoplasmose ist nichtnamentlich meldepflichtig.
Therapie. Pyrimethamin plus Folsäure (Prophylaxe hämatologischer Nebenwirkungen) und Sulfadiazin oder Spiramycin (bei Allergie oder bis zur 16. SSW), bei ZNS-Befall Atovaquon. Bei HIV-Infektion wird Cotrimoxazol dauerhaft als Primärprophylaxe bei einer CD4+-Zellzahl <200/µl (schützt auch vor Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie) oder als Sekundärprophylaxe gegeben.
1.4.3 Lyme-Borreliose, Neuroborreliose Definition. Generalisierte Erkrankung bei Infektion mit Borrelien (Borrelia burgdorferi sensu stricto, afzelii oder garinii). Neuroborreliose: Beteiligung des Nervensystems. Ätiopathogenese. Übertragung in Europa meist durch Zecken (Ixodes ricinus), Übertragungswahrscheinlichkeit nimmt mit der Verweildauer der Zecke am Körper zu. Durchseuchungsrate der Zecken: 10–30%, in Endemiegebieten führen 1–3% der Zeckenstiche zur Infektion. Epidemiologie. In der gemäßigten Klimazone der
Nordhalbkugel endemisch. Nach Zeckenstichen erkranken in Deutschland ca. 20.000/Jahr an Borreliose, saisonale Häufung im Sommer und Herbst. Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Stadium 1: Einige Tage bis 4 Wochen nach Infektion 5 Kopfschmerz, evtl. Fieber, Arthralgie, Myalgie 5 Erythema (chronicum) migrans: sich zentrifugal ausbreitendes Erythem meist an der Zeckenbissstelle 4 Stadium 2: Bis Monate nach der Infektion, Tage bis Wochen nach Erstmanifestation. Disseminierte In-
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Kapitel 1 · Neurologie
fektion mit Befall von Nervensystem, Gelenken und Herz 5 Meningitis fast nur bei Kindern 5 Meningoenzephalitis 5 (Garin-Bujadoux-)Bannwarth-Syndrom (Meningoradikuloneuritis): Neben dem Erythema migrans in Europa häufigste Manifestation einer akuten Borreliose – Radikulitis mit segmentalen Schmerzen wechselnder Lokalisation, nachts verstärkt, schlechtes Ansprechen auf herkömmliche Analgetika – Meist nach 1–4 Wochen neurologische Ausfälle: oft asymmetrische periphere Paresen, seltener Sensibilitätsstörungen (Reizerscheinungen, Taubheit) – Promptes Ansprechen auf Antibiotika ist typisch – Über die Hälfte der Patienten hat Hirnnervenausfälle (häufig auch bilaterale Fazialisparese) – Meist vollständige Rückbildung in 1–2 Monaten – Residuen oder Defektheilungen mit Fazialissynkinesien in ca. 5% der Fälle 5 Karditis mit Reizleitungsstörungen, Myokarditis, Perikarditis 5 Arthralgien und Myalgien, selten Arthritis und Myositis 5 Lymphadenosis cutis benigna: halbkugelige Tumoren v. a. an Mamillen, im Genitalbereich und an den Ohrläppchen 4 Stadium 3: Selten nach Monaten bis Jahren, späte bzw. chronische Manifestation, oft ohne vorhergehende Krankheitszeichen 5 Haut: Acrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer 5 Neuroborreliose: – Chronische Meningitis – Myelitis – Enzephalitis – Polyneuropathie/Polyneuritis (häufig zusammen mit der Acrodermatitis chronica atrophicans), Hirnnervenlähmungen – Selten Mononeuritis multiplex oder Plexusneuritis 5 Lyme-Arthritis v. a. großer Gelenke 5 Chronisch dilatative Kardiomyopathie Einteilung der Neuroborreliose: 4 >90% der Fälle akute Infektion mit Symptomdauer <6 Monate meist als Meningoradikuloneuritis
4 <10% der Fälle chronische Infektion mit schleichender Symptomentwicklung und Dauer >6 Monate 4 Eine Beteiligung des ZNS ist bei der Neuroborreliose eher selten und kann betreffen: 5 Rückenmark: Myelitis, meist chronisch Verlauf (Blasenstörung, spastischer und ataktischer Gangstörung, Paresen) 5 Gehirn: Enzephalitis, meist chronisch, Borrelien-induzierte zerebrale Vaskulitis Eine Borrelien-induzierte Myositis ist sehr selten. Diagnostik. Anamnese (Zeckenbiss, Aufenthalt in Endemiegebieten, Erythema migrans, Lymphadenosis cutis benigna), Befund, Labor (Entzündungsparameter). 4 Liquor: 5 Lymphomonozytäre Liquorpleozytose (bei aktueller Krankheitsaktivität), Schrankenstörung, Nachweis oligoklonaler Banden. Glukose und Laktat kaum verändert, Protein im Liquor leicht erhöht 5 Serologie: Nachweis Borrelien-spezifischer intrathekaler Antikörperproduktion: Liquor/Serum-Index – Ab der 2. Krankheitswoche, nach 2–3 Monaten bei Neuroborreliose fast immer nachweisbar – Antikörper, auch IgM können lange nach abgelaufener Entzündung nachweisbar bleiben, so dass nur die gleichzeitige Liquor-Pleozytose für eine aktive Infektion spricht – PCR: Nachweis von Borrelien-DNA im Liquor bei ca. ¼ der Patienten mit akuter Neuroborreliose 4 Serodiagnostik: 5 Suchtest (Enzym-Immuno-Assay -EIA) 5 Anschließend Bestätigungstest (Western-Blot) Therapie.
4 Antibiotisch: bei Bannwarth-Syndrom, Erythema chronicum migrans, lymphomonozytärer Pleozytose im Liquor und Nachweis einer spezifischen intrathekalen Antikörperproduktion: 5 Doxycyclin ist Mittel der Wahl bei Erythema chronicum migrans 5 Ceftriaxon ist Mittel der Wahl bei Neuroborreliose (liquorgängig, lange HWZ) Bei unspezifischen Allgemeinbeschwerden (Müdigkeit, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen), aber normalem neurologischen Untersuchungs- und Liquorbefund und lediglich positivem Borrelien-Titer im Serum be-
41 1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
steht keine klare Indikation. Therapiedauer bei akuten Neuroborreliose mindestens 2, bei der chronischen 3 Wochen. Der Therapieerfolg wird am Rückgang neurologischer Symptome und Normalisierung der LiquorPleozytose beurteilt. 4 Prophylaxe: Eine durchgemachte, klinische Borreliose schützt nicht vor Reinfektionen. Repellents (Insektenabwehrmittel) wehren Zecken schlecht ab. Polyvalente OspC- bzw. OspA-Impfstoffe für Europa sind in Entwicklung. 5 Expositionsprophylaxe 5 Möglichst rasches Entfernen einer Zecke (Pinzette, Zeckenzange), Hautdesinfektion 5 Patientenaufklärung über Symptome bei Infektion > Eine routinemäßige antibiotische Prophylaxe nach Zeckenbiss wird in Deutschland nicht empfohlen.
1.4.4 Neurosyphilis Synonym. Neurolues. Definition. Spätform der Lues mit Befall des ZNS. Ätiopathogenese. Erreger: Treponema pallidum. Einzi-
ger Wirt ist der Mensch. Die Erkrankung ist weltweit verbreitet. Die Infektion erfolgt beim Geschlechtsverkehr oder diaplazentar bzw. im Geburtskanal (Lues connata). Epidemiologie. Inzidenz der Syphilis in Deutschland ist steigend: >2/100.000/Jahr. typisches Erkrankungsalter: 20. bis 40. Lebensjahr, M>W, Neurosyphilis in ca. 7% der Fälle. Symptomatik. Inkubationszeit: 2–4 Wochen. Verlauf in 3 Stadien: 4 Primäraffekt: Ulcus durum 4 Sekundärstadium: Condylomata in Anal-/Genitalregion 4 Tertiärstadium: Organmanifestation: gummatöse/ granulomatöse Syphilis, kardiovaskuläre Beteiligung, Neurosyphilis
Mögliche neurologische Symptome: 4 Im Sekundärstadium: frühluische Meningitis (Lues cerebrospinalis) 4 Im Tertiärstadium: leichte Meningitis, Hirnnervenbeteiligung (N. VIII, VII und III), Polyradikulitis, selten vaskuläre Hirnstammsyndrome > Die eigentliche Neurosyphilis tritt mit einer Latenz von 4–40 Jahren im Tertiärstadium auf.
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Unterschieden werden: 4 Meningovaskuläre Neurosyphilis (Lues cerebrospinalis) 5 Meningitische Variante mit Kopfschmerzen, Hirnnervenläsionen, Optikusschädigung, selten Hydrozephalusentwicklung 5 Vaskulitische Variante mit zerebraler oder spinaler Minderperfusion bzw. Infarkten und neurologischen Defiziten 4 Progressive Paralyse: Befall der grauen Substanz und Demyelinisierungen (chronische luische Enzephalitis) 5 Psychische Symptome wie Persönlichkeitsveränderungen, psychotische z. B. schizophreniforme Episoden 5 Dysarthrie 5 Pupillenstörungen 5 Demenz 5 Harn- und Stuhlinkontinenz 4 Tabes dorsalis: Läsion der Hinterstränge und -wurzeln 5 MER-Ausfall der unteren Extremitäten 5 Pallanästhesie 5 Pupillenstörungen (Argyll-Robertson-Zeichen der Pupille, Störung der Lichtreaktion bei erhaltener Konvergenzreaktion) 5 Lanzinierende Schmerzen (einschießend, v. a. in die Beine) 5 Gangataxie 5 Überstreckbarkeit der Knie- und Hüftgelenke 5 Deafferenzierte Blase 5 Tabische Optikusatrophie 5 Schmerzlose Arthropathie 5 Keine Spastik Diagnostik. Anamnese, Befund (chronisch-progredi-
enter Verlauf einer neurologisch-psychiatrischen Symptomatik mit phasenweiser Veränderung). 4 Liquor: gemischtzellige oder mononukleäre Pleozytose, Schrankenstörung mit autochtoner Antikörperproduktion (intrathekaler, Liquor/SerumIndex) 4 Dunkelfeldmikroskopie: Primär- und Sekundärstadium, heute geringe Bedeutung 4 Erregerkultivierung mit mikrobiologischen Standardmethoden nicht möglich. 4 PCR: hohe Sensitivität und Spezifität 4 Serologie: Serokonversion nach 14–40 Tagen, zunächst IgM-Antikörper, später auch IgG nachweisbar 4 Serologische Tests 5 TPHA-Test (Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest): Suchtest, 4–5 Wochen nach In-
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Kapitel 1 · Neurologie
fektion positiv, bleibt lebenslang positiv, falsch positiv z. B. bei Borreliose 5 FTA-ABS-Test (Fluoreszenz-Treponema-Antikörper-Absorptionstest): Bestätigungsreaktion bei positivem TPHA-Test, 3–4 Wochen nach Infektion positiv, bleibt lebenslang positiv 5 Beide Tests beruhen auf dem Nachweis Treponemen-spezifischer Antikörper, falsch-positive Ergebnisse kommen selten vor, z. B. im Rahmen von Autoimmunkrankheiten. Der Nachweis Treponemen-spezifischer IgM-Antikörper spricht für das Vorhandensein von Erregern und zeigt Behandlungsbedarf an. 5 CMF-Test (Cardiolipinmikroflockungstest) und VDRL-Test (Veneral-Disease-ResearchLaboratory-Slide-Test): Nachweis von unspezifischen Reaginen, die z. B. mit Cardiolipin reagieren und etwa 5 Wochen nach der Infektion auftreten. Der Test ist unspezifisch bei einigen viralen und bakteriellen Erkrankungen sowie bei Kollagenosen positiv. Er dient der Beurteilung der Krankheitsaktivität. 4 MRT: Ischämie, Hydrozephalus, Gumma?, Ausschluss anderer Krankheiten 4 EEG bei epileptischen Anfällen, evozierte Potenziale und ophthalmologische Untersuchung bei Tabes dorsalis
Therapie. Behandlungsbedarf besteht bei positivem Ausfall einer Lipoidantikörperreaktion (VDRL-Test) bzw. Nachweis Treponemen-spezifischer IgM-Antikörper im Serum. ! Cave Bei aktiver Neurosyphilis im Tertiärstadium können der VDRL-Test und selten auch der IgM-ELISA negativ sein. Dann wird die Behandlungsbedürftigkeit in Abhängigkeit von Liquorbefund (Pleozytose und hoher TPPA-Titer) sowie klinischer Progredienz abgeschätzt.
Mittel der 1. Wahl: Penicillin G i.v. in kristalloider Lösung über mindestens 14 Tage. Alternativ: tägliche i.v. Gabe von 2 g Ceftriaxon für 10–14 Tage. Ggf. symptomatische Therapie epileptischer Anfälle, lanzierender Schmerzen, psychotischer Episoden. Jarisch-Herxheimer-Reaktion Tritt 12–24 h nach Beginn der Antibiotikatherapie, v. a. bei Primär- und Sekundärsyphilis auf, wenn durch Erregerzerfall Endotoxine frei werden. Bei Neurosyphilis tritt sie nur in 1–2% der Fälle auf. Symptome: Fieber, Tachykardie, Blutdruckveränderungen, epileptische Anfälle und neurologische Ausfälle, die symptomatisch behandelt werden. Wichtig ist die Überwachung, das Antibiotikum muss weitergegeben werden.
In Kürze Entzündliche Erkrankungen des ZNS Bakterielle Meningitis
Tuberkulöse Meningitis
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4 Symptomatik: grippeähnliche Prodromi, Kopfschmerzen, Meningismus, hohes Fieber Übelkeit, Erbrechen, Photo- und Phonophobie, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen, epileptische Anfälle, Hirnnervenbeteiligung 4 Ätiologie: Infektion mit Pneumokokken, Meningokokken, Staphylokokken, gramnegative Enterokokken, Listerien, Haemophilus influenzae 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Liquor: eitrig, stark erhöhte Zellzahl, granulozytäre Pleozytose, Eiweiß und Laktat erhöht, Glukose vermindert; Erregernachweis im Liquor und ggf. Im Blut (Blutkulturen), Infektfokussuche, CCT/CMRT: KM-Anreicherung in den Meningen, Röntgen-Thorax (Pneumonie?) 4 Therapie: Antibiotika 4 Symptomatik: oft schleichender Beginn mit unspezifischen Beschwerden, subfebrilen Temperaturen, Kopfschmerzen. Oft Befall der Hirnbasis mit Hirnnervenausfällen, Meningismus, Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheit, epileptische Anfälle 4 Ätiologie: Mycobacterium tuberculosis, meist hämatogene Streuung bei Lungen-Tbc oder im Rahmen einer Miliar-Tbc 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Liquor: Spinngewebsgerinnsel, lymphozytäre Pleozytose, Glukose vermindert, Eiweiß und Laktat erhöht, PCR, Ziehl-Neelsen-Färbung, kultureller Erregernachweis, CCT/CMRT: KM-Anreicherung meist in den basalen Meningen, evtl. Tuberkulom, Vaskulitis, Infarkte, Röntgenthorax (Tbc?) 4 Therapie: 2 Monate Kombination Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid, Ethambutol; dann weitere 10 Monate Isoniazid, Rifampicin
43 1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
Virale lymphozytäre Meningitis/Meningoenzephalitis, HerpessimplexEnzephalitis
4 Symptomatik: 4 Virusmeningitis (oft harmlos): Kopfschmerz, Fieber, Übelkeit und Erbrechen, Photo- und Phonophobie, Meningismus. 4 HSV-Enzephalitis: Leitsymptome Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörung, Fieber. 3–5 Phasen: grippeähnliches Vorstadium, Wernicke-Aphasie, psychotische Episoden, epileptische Anfälle, Bewusstseinsstörung bis Koma 4 Akute virale Meningoenzephalitis: Verhaltensauffälligkeiten, Desorientiertheit, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen, neurologische Herdsymptome, epileptische Anfälle 4 Chronische virale Enzephalitiden: langsam progrediente Persönlichkeitsveränderungen, demenzielles Syndrom, neurologische Ausfälle 4 FSME: 70–90% asymptomatisch, Inkubationszeit ca. 10 Tage, grippeähnliche Prodromalphase, fieberfreies Intervall von 2–5 Tagen, in 10% der Fälle 2. Fieberanstieg mit Meningitis, (Meningo-)Enzephalitis oder Myelitis 4 Ätiologie: virale Meningitis bei vielen Virusinfektionen. Erreger virale Enzephalitiden: HSV-1, HSV-2, CMV, Enteroviren (Poliomyelitis u. a.), Arboviren (FSME, die durch Zecken in Endemiegebieten übertragen werden kann). 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Liquor: klar, mononukleäre Pleozytose, Eiweiß und Laktat normal oder leicht erhöht, PCR, Nachweis viraler Antigene, bei chronischen Infektionen Nachweis intrathekaler Antikörperproduktion, Erregernachweis (Liquor, Blut, Stuhl), Serologie, Bildgebung (CCT; CMRT: KM-Anreicherung in den Meningen), bei HSV-Enzephalitis im MRT (T2- und FLAIR-Wichtung) mediotemporo-basale Hyperintensitäten, EEG 4 Therapie: symptomatisch, z. B. antikonvulsive und Hirnödemtherapie. Spezifische antivirale Therapie, z. B. bei HSV-Enzephalitis mit Aciclovir i.v.
Neurosyphilis
4 Symptomatik: Manifestationsformen der Neurosyphilis: 4 Meningovaskuläre Neurosyphilis = Lues cerebrospinalis: Meningitisch oder Vaskulitisch 4 Progressive Paralyse: chronische luische Enzephalitis mit Persönlichkeitsveränderungen, schizophreniforme Episoden, Demenz 4 Tabes dorsalis: MER-Ausfall, Pallanästhesie, Argyll-Robertson-Zeichen der Pupillen, lanzinierende Schmerzen, Gangataxie, deafferenzierte Blase, Optikusatrophie, schmerzlose Arthropathie 4 Ätiologie: Infektion mit Treponema pallidum, Neurolues ist Spätform der Lues mit ZNSBefall 4 Diagnostik: Serologie: TPHA-Test (Suchtest), FTA-ABS-Test (Bestätigungstest). Treponemen-spezifische IgM-Antikörper (Vorhandensein von Erregern, Behandlungsbedarf ), CMF- und VDRL-Test (unspezifisch zur Beurteilung der Krankheitsaktivität) 4 Therapie: Penicillin G oder Ceftriaxon i.v.
Neuroborreliose
4 Symptomatik: Borreliose ist eine in Stadien verlaufende systemische Erkrankung mit Allgemeinsymptomen und Symptomen an Haut, Herz, Gelenken und Nervensystem. 4 Manifestationen der Neuroborreliose: 4 Bannwarth-Syndrom = Meningoradikuloneuritis 4 Hirnnervenausfälle, oft (bilaterale) Fazialisparese 4 Polyneuropathie/Polyneuritis 4 Selten Mononeuritis multiplex oder Plexusneuritis 4 Ätiologie: Übertragung von Borrelien durch Zecken 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Liquor: lymphomonozytäre Liquorpleozytose (bei aktueller Krankheitsaktivität), Nachweis oligoklonaler Banden. Glukose und Laktat kaum verändert, Protein leicht erhöht; Nachweis der Borrelien-spezifischen intrathekalen Antikörperproduktion (Liquor/Serum-Index!). Serodiagnostik: Suchtest (EIA), Bestätigungstest (Western Blot). Labor: Entzündungsparameter im Blut 4 Therapie: Ceftriaxon
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Kapitel 1 · Neurologie
1.4.4.1 Humane spongiforme Enzephalopathie (HSE), Creutzfeldt-Jakob-Krankung (CJK) Definition. Prionenerkrankungen. Ätiopathogenese. Infektion vermutlich durch die fehlgefaltete Form eines körpereigenen Proteins (PrionProtein PrPc). Unter Einfluss des infektiösen, β-Faltblattstruktur-reichen, fehlgefalteten Prion-Proteins (PrPsc) faltet sich PrPc zu PrPsc um, das aggregiert und unlösliche Amyloid-Plaques bildet. Es kommt zu spongiformen Veränderungen im ZNS, astrozytärer Gliose, Neuronenverlust. Prionenerkrankungen des Menschen können spontan auftreten (sporadisch) oder familiär-hereditär bzw. übertragen (Kannibalismus, iatrogen, kontaminierte Nahrungsmittel) sein. Die Inkubationszeit beträgt Monate bis Jahre, der Verlauf ist progredient. > Es gibt keine kausale Therapie und keine Impfungen. Alle HSE verlaufen tödlich. Verdacht, Erkrankung und Tod sind meldepflichtig.
Hereditäre HSE können durch Mutationen im Prionproteingen ausgelöst werden. Die Familienanamnese ist trotzdem oft negativ (Neumutation). Die neue Variante der CJK (vCJK) wird vermutlich durch Verzehr von Fleisch von an boviner spongiformer Enzephalopathie (BSE) erkrankten Rindern übertragen. Die meisten an vCJK Erkrankten haben einen bestimmten Genotyp (homozygot für Methionin an Kodon 129 des Prion-Proteins). Insgesamt gehören BSE, CJK und vCJK zu den übertragbaren spongiformen Enzephalopathien. Sporadische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit Epidemiologie. 1: 1 Mio. Erkrankungen/Jahr, häufigste HSE, Durchschnittsalter 65 Jahre. Symptomatik.
4 Rasch fortschreitende Demenz 4 Myoklonien 4 Evtl. zerebelläre, extrapyramidale Symptome und Pyramidenbahnzeichen 4 Mediane Überlebenszeit 6 Monate Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 »Startle response«: Myoklonien werde typischerweise durch laute Geräusche oder Berührungen ausgelöst 4 EEG: oft »periodic sharp and slow waves complexes« (PSWCs), periodische bi- und triphasische Komplexe mit einer Frequenz um 1/s
4 Liquor: erhöhte neuronenspezifische Enolase (NSE) als unspezifisches Zeichen des Neuronenuntergangs, erhöhtes Protein 14-3-3, sonst Normalbefund. 4 MRT (T2): hyperintense Läsionen in den Basalganglien Familiär-hereditäre Prionerkrankungen Unterschieden werden: 4 Familiäre Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung 4 Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS) 4 Letale familiäre Insomnie (FFI) Die familiäre CJK tritt früher auf (um das 50. Lebensjahr), dauert länger und periodische EEG-Veränderungen sind seltener, sie kann oft nicht von der sporadischen unterschieden werden. Beim GSS steht eine langsam progrediente Gangataxie im Vordergrund. Erst im Verlauf kommt es zur Demenz. Bei der FFI treten typischerweise Schlaf- und autonome Störungen auf. Iatrogen übertragene Creutzfeldt-Jakob-Krankheit Die Übertragung erfolgt bei: 4 Direktem Kontakt mit infektiösem Gewebe (Übertragung von Dura oder Cornea) 4 Gabe von Hypophysenhormonen 4 Kontaminierten Operationsgeräten Neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) Erstmals 1996 in Großbritannien aufgetretene Variante der CJK, die sich in jüngerem Alter manifestiert (Median 29 Jahre), länger dauert (Median 14 Monate) und früh im Verlauf psychiatrische Auffälligkeiten (Depression, Angst, Apathie, Rückzug und Wahn) hervorruft. Später treten neurologische Auffälligkeiten wie Sprach- und Koordinationsstörungen, schmerzhafte Dysästhesien, Gangataxie und Demenz hinzu. Bis 03/2005 sind v. a. in Großbritannien 154 Fälle aufgetreten. Vereinzelte Fälle wurden auch in anderen europäischen Ländern, Kanada und den USA berichtet. Im EEG sind keine PSWCs nachweisbar, das MRT zeigt in 80% Auffälligkeiten im Pulvinar des Thalamus. Histologisch sind nicht die CJK typischen Veränderungen, sondern floride Plaques nachweisbar.
1.4.5 Intrakranielle und intraspinale
Abszesse Definition. Abszess: Ansammlung von Eiter in einem durch Gewebeeinschmelzung entstandenen, nicht vorgebildeten Gewebehohlraum.
45 1.5 · Raumforderungen im ZNS
1
Ätiopathogenese. Offenes SHT, fortgeleitet bei Entzündungen im HNO-Bereich (Otitis, Mastoiditis etc.), hämatogen, Erreger: oft Staphylokokken, Streptokokken, E. coli.
4 Hydrocephalus e vacuo: Vergrößerung der Liquorräume durch primär hirnatrophischen Prozess bei normalem Hirndruck 4 Normaldruckhydrozephalus
Symptomatik. Abhängig von Lokalisation und Größe: zerebrale Herdsymptome (fokales neurologisches Defizit, epileptische Anfälle) und Zeichen der Hirndrucksteigerung mit Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, ggf. Bewusstseinstrübung, oft afebril.
Symptomatik. Abhängig vom Alter und von der Geschwindigkeit der intrakraniellen Drucksteigerung Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, psychische Veränderungen (Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen). Bei Säuglingen und Kleinkindern vor Verschluss der Schädelnähte nimmt der Kopfumfang bis zum Wasserkopf zu, Schädelnähte klaffen, Fontanellen sind gespannt. Die Pupillen zeigen das Sonnenuntergangszeichen (Pupillen sind nach unten gerichtet und verschwinden unter dem Unterlid). Ohne Therapie können Spastik, Nystagmus, motorische und geistige Retardierung auftreten.
Diagnostik. Anamnese, Befund, Labor: Entzündungsparameter, Blutkulturen, Infektfokussuche (Pneumonie, HNO-ärztliche Untersuchung, Endokarditis?), Immundefizienz, ggf. Punktion und Erregergewinnung aus dem Abszess, Liquordiagnostik, Bildgebung (CCT, CMRT).
! Cave Therapie. Antibiotische Therapie je nach Erreger, symp-
tomatische Therapie, neurochirurgische Versorgung (Drainage), Behandlung des ggf. vorliegenden Erregerherdes (Endokarditis etc.).
Nach Verschluss der Schädelnähte nimmt der Kopfumfang nicht mehr zu, der ICP steigt, es kann zu Einklemmung, Koma und Tod kommen.
Diagnostik. Anamnese, Befund.
1.5
Raumforderungen im ZNS
1.5.1 Hydrozephalus Definition. Erweiterung der liquorhaltigen Räume des Gehirns als: 4 Hydrocephalus internus: Vergrößerung der Ventrikelräume (innere Liquorräume) 4 Hydrocephalus externus: Vergrößerung der äußeren Liquorräume 4 Hydrocephalus communicans: Vergrößerung der inneren und äußeren Liquorräume
4 Augenspiegelung (Stauungspapille) 4 Bei Säuglingen Kopfumfangsmessung im Verlauf 4 CCT, CMRT, Sonographie bei noch offenen Fontanellen, Liquorszintigraphie 4 EEG 4 Liquordruckmessung Therapie. Therapie der Grundkrankheit. Liquorablei-
tung mittels Katheter vom Seitenventrikel in den rechten Herzvorhof (ventrikulo-atrialer Shunt) oder ins Peritoneum (ventrikulo-peritonealer Shunt). 1.5.2 Normaldruckhydrozephalus (NPH)
Ätiopathogenese. Angeboren oder erworben. Eintei-
lung: 4 Hydrocephalus occlusus: Verschlusshydrozephalus durch Abflussstörung im Ventrikelsystem: Blockade der Foramina, Aquäduktstenose bei Tumor, Ventrikelblutung, Entzündung, Arnold-ChiariMalformation 4 Hydrocephalus malresorptivus/aresorptivus: Resorptionsstörung des Liquors durch Verklebung der Granulationes arachnoidales nach SAB, eitriger Meningitis, Meningeosis carcinomatosa, postoperativ 4 Hydrocephalus hypersecretorius: vermehrte Liquorproduktion (entzündlicher, toxischer Reiz, Plexuspapillom)
Definition. Ventrikelerweiterung bei normalem Li-
quordruck und kommunizierenden Liquorräumen plus typische Symptomatik. Ätiopathogenese. Diskutiert wird die Diffusion von
Liquor durch die Ventrikelwände (Liquordiapedese) und periventrikuläre Ödembildung, Reduktion der Blutversorgung und Läsionen im periventrikulären Marklager. Häufig haben Betroffene eine arterielle Hypertonie. Symptomatik. Der Verlauf ist langsam progredient.
4 Gangstörung: häufigstes Symptom variabler Ausprägung mit Gangunsicherheit, frontaler Abasie/
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1
Kapitel 1 · Neurologie
Astasie mit Gleichgewichtsstörungen, kleinschrittigem, breitbasigem Gang, Starthemmung und Schwierigkeiten beim Umdrehen 4 kognitive Defizite: subkortikale Demenz mit Antriebsmangel, Verlangsamung, affektive Indifferenz, amnestischen Funktionsstörungen; Fragen werden häufig zwar verzögert, aber korrekt beantwortet; selten massive kognitive Störungen 4 Harninkontinenz: meist Dranginkontinenz > Typische Trias: Gangstörung, kognitive Defizite, Harninkontinenz.
Diagnostik. Vorliegen von mindestens 2 Symptomen der Trias sowie im CT/MRT nachweisbare Erweiterung der Hirnventrikel (alle Ventrikel gleichermaßen; enger Subarachnoidalraum) trotz kommunizierender Liquorräume. 4 CCT: überproportional große Seitenventrikel mit Ballonierung der Vorderhörner und ausgerundeten Temporalhörnern bei in der Regel fehlender kortikaler Atrophie, frontal betonte periventrikuläre Hypodensitäten 4 CMRT in T2-Wichtung: periventrikuläre Signalanhebungen (Liquordiapedese) 4 Lumbalpunktion mit Druckmessung: 5 Normaler Liquordruck 5 Ausschluss von Meningitis oder Sperrliquor (erhöhtes Liquoreiweiß bei spinalem raumfordernden Prozess) 5 Besserung der Klinik, v. a. der Gangstörung nach Entnahme von 30–50 ml Liquor Therapie. Intermittierende therapeutische Liquor-
punktionen. Ggf. Shunt-Implantation (ventrikulo-atrial oder ventrikulo-peritoneal). 1.5.3 Hirnödem, erhöhter intrakranieller
Druck (ICP)
gen energieabhängiger zellulären Pumpen bewirkt. 4 Interstitielles Hirnödem durch vermehrten Einstrom von Liquor cerebrospinalis in das Interstitium > Der Hirndruck steigt direkt durch das Ödem sowie durch die hypoxiebedingte Azidose mit nachfolgender hirndrucksteigernder Vasodilatation. Der zerebrale Perfusionsdruck sinkt und die Hypoxie wird verstärkt (Circulus vitiosus).
Raumfordernde Prozesse (Tumor, Blutung, Abszess) erhöhen direkt den Hirndruck, der zusätzlich durch ein v. a. bei malignen Tumoren auftretendes perifokales Ödem verstärkt wird. ! Cave Nach Hirninfarkt kann sich nach etwa 1–2 Tagen ein Hirnödem entwickeln, insbesondere bei jüngeren Patienten und kompletten Mediainfarkten drohen Einklemmung und Tod.
Auch Liquorabflussbehinderungen können einen erhöhten ICP bewirken. Symptomatik. Typisch sind:
4 Kopfschmerzen, v. a. morgens, verstärkt bei Valsalvamanövern 4 Erbrechen mit oder ohne Übelkeit 4 »Cushing-Reflex«: reflektorische Hypertonie zur Aufrechterhaltung der zerebralen Perfusion bei gesteigertem Hirndruck, gelegentlich mit Bradykardie 4 Sehstörungen: Stauungspapille bei chronischem Hirndruck, Vergrößerung des blinden Flecks, Abduzensparese, gestörte Pupillomotorik 4 Bewusstseinsminderung bis zum Koma ! Cave Ist der Hirndruck auf die Höhe des arteriellen Blutdrucks angestiegen, sistiert die zerebrale Durchblutung. Massenverschiebungen können Herniationen von Gehirnteilen und Einklemmungssyndrome bewirken.
Definition. Hirnödem: vermehrte Einlagerung von
Wasser in das Gehirn. Ätiopathogenese. Differenziert wird:
4 Vasogenes Hirnödem: extrazellulär lokalisiert bei Störung der Blut-Hirn-Schranke (z. B. um Tumoren), vermehrtem intravasalem Blutvolumen (gestörte Autoregulation der zerebralen Durchblutung), osmotischen Störungen (Hyponatriämie, SIADH) 4 Zytotoxisches Hirnödem: intrazellulär lokalisiert bei Hypoxie, Intoxikation, metabolisch verursachten intrazellulären Energiemangel, der ein Versa-
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 4 4 4 4
Stauungspapille, erst nach einigen Tagen Gesichtsfeldausfälle EEG: Herdbefund oder Allgemeinveränderungen CCT Invasive Hirndruckmessung erforderlich, wenn klinische Verlaufskontrollen nicht möglich sind (sedierter Patient).
47 1.5 · Raumforderungen im ZNS
! Cave Die Lumbalpunktion ist kontraindiziert.
Therapie. Grundversorgung bei erhöhtem ICP:
4 Oberkörperhochlagerung (30°) 4 Ausreichende Oxygenierung, ggf. Intubation, leichte Hyperventilation 4 Stabilisierung des Blutdrucks, ggf. Volumensubstitution, Katecholamine 4 Schmerzbehandlung, Sedierung 4 Normalisierung der Körpertemperatur 4 Therapie metabolischer Störungen (Glukose, Natrium) Bei Auftreten klinischer oder neuroradiologsicher Zeichen eines erhöhten ICP: 4 Osmotherapie: Glycerol, Mannitol, Hyper-HAES 4 keine hypotonen und glukosehaltigen Lösungen als Flüssigkeitsersatz 4 kurz wirksame Barbiturate wie Thiopental als Bolus verabreicht können den Hirndruck senken (CAVE Blutdruckabfälle, EEG-Kontrolle nötig) 4 Tris-hydroxymethyl-aminomethan (THAM) Pufferlösungen statt Barbituratbehandlung
1
4 Hyperventilation (meist nur kurzfristiger Effekt) 4 Kortikosteroide bei vasogenem Hirnödem (primäre Hirntumoren, Metastasen, Lymphome, spinale Trauma), unwirksam bei postischämischem Hirnödem. Operative Verfahren: 4 Entfernung eines raumfordernden Prozesses 4 Dekompressive Kraniektomie (Trepanation) zur Druckentlastung geschwollenen Hirngewebes und Verbesserung der zerebralen Perfusion, bei Kleinhirninfarkten mit drohender Hirnstammkompression und Hemisphäreninfarkten 4 Ventrikeldrainage und Liquorableitung, bei Kleinhirninfarkt mit Verschlusshydrozephalus durch Aquäduktkompression 1.5.4 Intrakranielle Tumoren Definition. ZNS-Tumoren (. Tab. 1.9) werden nach der
embryonalen Abstammung der malignen Zellen eingeteilt.
ZNS-Tumoren 4 Neuroepitheliale Tumoren – Astrozytäre Tumoren: Astrozytom, Glioblastom – Oligodendrogliale Tumoren: Oligodendrogliom – Mischgliome: Oligoastrozytom – Ependymale Tumoren: Ependymom – Tumoren des Plexus choroideus: Plexuspapillom, Plexuskarzinom – Neuroblastäre Tumoren: Olfaktoriusneuroblastom, Neuroblastome der Nebenniere und des sympathischen Nervensystems – Pinealisparenchym-Tumoren: Pineozytom, Pineoblastom – Embryonale Tumoren: Medulloblastom, Neuroblastom 4 Tumoren peripherer Nerven – Schwannom (Neurilemmom, Neurinom) – Neurofibrom – Tumoren meningothelialer Zellen: Menigeom 4 Mesenchymale, nichtmeningotheliale Tumoren wie Lipom, Lipo- und Fibrosarkom, malignes fibröses Histiozytom 4 Lymphome und hämatopoetische Neoplasien 4 Keimzelltumoren: Germinom, Embryonales Karzinom, Dottersack-Tumor, Chorion-Karzinom, Teratom 4 Tumoren der Sella-Region: Kraniopharyngeom 4 Metastasen
Ätiopathogenese. Die Ätiologie der meisten Hirntumoren ist unbekannt. Strahlentherapie und bestimmte Erbkrankheiten (z. B. Neurofibromatose) können das Risiko für die Entstehung eines Hirntumors erhöhen.
Epidemiologie. Inzidenz primärer intrakranieller Tumoren: 1:10.000/Jahr. Erster Häufigkeitsgipfel im 1. Lebensjahrzehnt, Abfall zwischen dem 15. und 24. Lebensjahr, dann kontinuierlicher Anstieg, 2. Gipfel zwi-
48
1
Kapitel 1 · Neurologie
. Tab. 1.9. Intrakranielle neuroepitheliale und meningeale Tumoren Tumor
WHOGrad
Alter, Geschlecht
Lokalisation
Bildgebung
Prognose
Pilozytisches Astrozytom
I
Beide Geschlechter, v. a. bei Kindern bis 20. Lebensjahr
Meist infratentoriell
Scharf abgegrenzt, häufig Zysten, kräftig KM aufnehmend, im CT oft hypodens, im MRT in T1 leicht hypointens, in T2 hyperintens
Geringe Tendenz zur Proliferation und fast keine zur malignen Transformation; Heilung durch Operation möglich
Fibrilläres, gemistozystisches und protoplasmatisches Astrozytom
II
Astrozytome II–III 25% der intrakraniellen Tumoren Gipfel 30. bis 40. Lebensjahr, M>W
Vor allem Großhirn-hemisphären
CT: homogen hypo- bis isodens, oft unscharf abgrenzbar, meist keine KM Aufnahme, kein Ödem, in 10% Verkalkung MRT: T1 homogen, leicht hypointens, keine KMAufnahme, T2 homogen hyperintens
Fibrilläres, gemistozystisches und protoplasmatisches Astrozytom
Anaplastisches Astrozytom
III
Überlebenszeit 2–5 Jahre, maligne Transformation zum Glioblastom möglich
Glioblastoma multiforme (GBM)
IV
15% der intrakraniellen Tumoren Mittleres Alter 53 Jahre, M>W
CT: inhomogen hypodens, inhomogene randständige, fleckförmige KM-Aufnahme, perifokales Ödem, z. T. Zysten MRT: T1 inhomogen hypointens, KM-Aufnahme wie im CT, T2: inhomogen hyperintens
Meningeom
I
1/5 der intrakraniellen Tumoren: von der Arachnoidea ausgehend; meist benigner Tumor (WHO-Grad I), seltener anaplastisches M. (WHO-Grad III) Gipfel: 6. bis 7. Dekade, W:M = 3:2
Dura-assoziiert 90% intrakraniell: Falx, parasagittal, Konvexität, Olfaktoriusrinne, Keilbein, hintere Schädelgrube Selten spinal, dann v. a. thorakal
CT: nativ meist scharf abgegrenzt hyperdens, Verkalkungen, intensive homogene KM-Aufnahme, Duraassoziation, ossäre osteoplastische Auftreibungen MRT: T1 und T2 hyperintens, in T1 heterogenes KM-Enhancement, Verkalkungen
Grad I: Heilung durch Operation möglich (20% über 20 Jahre) Grad III: Überlebenszeit <2 Jahre
Ependymom
II–III
Meist Kinder oder Erwachsene im 20. bis 30. Lebensjahr
60% infratentoriell, spinal häufigster neuroepithelialer Tumor
CT: iso-hyperdens, oft zystisch und Verkalkungen, irreguläres KM-Enhancement MRT: T1: hypointens, T2: hyperintens
Frühe Metastasierung, 5-Jahres-Überlebensrate bis 50%
Medulloblastom
IV
70% Kinder (5. bis 9. Lebensjahr) M>W
Oft Dach des IV. Ventrikels, Metastasen im Subarachnoidalraum, Spinalkanal
CT: homogen, leicht hyperdens, z. T. Blutungen, Zysten, kräftige KMAufnahme MRT: hypointens, z. T. zystisch, starke KM-Aufnahme, evtl. Hydrozephalus, T2: isointens
5-Jahres-Überlebensrate bis 60%
Hoch maligne, rasche Progression, mittlere Überlebenszeit bis 1 Jahr
49 1.5 · Raumforderungen im ZNS
schen 60 und 75 Jahren. 15% der primären ZNS Tumoren sind spinal lokalisiert. Bei Erwachsenen überwiegen supratentorielle Tumore: Gliome, Meningeome, Metastasen; bei Kindern infratentorielle Tumore (unterhalb des Tentorium cerebelli): pilozytisches Astrozytom, Medulloblastom, Ependymom. > Nach den Leukämien sind ZNS-Tumoren bei Kindern die häufigsten Tumorerkrankungen.
Symptomatik. Typisch sind:
4 Hirndruckzeichen: 5 Kopfschmerzen 5 Übelkeit, Erbrechen, v. a. morgens, Nüchternerbrechen 5 Singultus 5 Vigilanzstörungen 5 Zeichen drohender Einklemmung 4 Epileptische Anfälle 4 Wesens- und Verhaltensänderungen: Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit, Affektveränderung, Dysphorie 4 Fokale neurologische Ausfälle je nach Lokalisation
a . Abb. 1.14a, b. a Kraniales MRT, T1, axial mit KM: Man erkennt eine hyperintense, KM-aufnehmende Raumforderung im Bereich des Tentorium cerebri. b Kraniales MRT, T2, axial mit KM: Die Raumforderung stellt sich hier nahezu isointens zum Hirnparenchym dar. Gut erkennbar ist das hyperintense perifokale Hirnödem, das die eigentliche Raumforderung umgibt. In beiden Abbildungen ist die Läsion scharf begrenzt. Sie
1
Spezielle Symptome von Meningeomen, abhängig von der Lokalisation: 4 Einseitige Parese oder Paraparese der Beine 4 Geruchsstörung, Hör- oder Sehstörungen 4 Foster-Kennedy-Syndrom: ipsilaterale Optikusatrophie, kontralaterale Stauungspapille, bei Keilbeinflügelmeningeom 4 Querschnittlähmung bei spinaler Lokalisation Komplikationen: Durch raumfordernde Wirkung des
Tumors und des perifokalen Ödems: 4 Massenverschiebung und Einklemmung 4 Durchblutungs- und Liquorzirkulationsstörungen: Infarkte bzw. Hydrozephalus Diagnostik. Anamnese, Befund, Erfassung von Tumor-
progression und Therapiefolgen. 4 CMRT (. Abb. 1.14, . Abb. 1.15) mit KM (1. Wahl) oder CCT (Operationsplanung, unruhige Patienten, Therapieüberwachung, meist bessere Verfügbarkeit), ggf. zerebrale Angiographie (Operationsplanung, präoperative Embolisierung tumorversorgender Gefäße) 4 Bei Metastasen (Diagnostik des Primärtumors)
b ist duraassoziiert lokalisiert. Es kommt zur Kompression des umgebenden Hirnparenchyms sowie der Hinterhörner der Seitenventrikel. Die Sulci sind okzipital verstrichen. (Klinik und Hochschulambulanz für Radiologie und Nuklearmedizin an der Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin, Leiter: Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
50
Kapitel 1 · Neurologie
1
b
a
. Abb. 1.15a–c. Glioblastom rechts. a Kraniales MRT, axial, T1: Hypodenser Herd rechts, Zeichen der Raumforderung: Kompression der Ventrikel, verstrichene Gyri und Sulci, Mittellinienverlagerung. b Kraniales MRT, axial, T1 nach der Kontrastmittelgabe (KM) sieht man eine ringförmige KM-Aufnahme. In der Umgebung grenzt sich eine Hypodensität ab, als
4 EEG 4 Liquordiagnostik ! Cave Prinzipiell sollte jeder Tumor histologisch untersucht werden!
Gewebe wird entweder durch stereotaktische Serienbiopsie (ungünstige Lokalisation, multiple Läsionen, schlechter Allgemeinzustand) oder offene Tumorresektion gewonnen.
c Zeichen eines perifokalen Hirnödems. c Kraniales MRT, axial, T2-Flair-Sequenz: Das Glioblastom stellt sich hyperdens dar. (Klinik und Hochschulambulanz für Radiologie und Nuklearmedizin an der Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin, Leiter: Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
1.5.4.1 Akustikusneurinom Definition. Neurinom des N. vestibularis. Ätiopathogenese. Langsam und verdrängend wachsender Schwannzell-Tumor, bei Neurofibromatose Typ 2 auch beidseitig. Epidemiologie. 1:100.000/Jahr, häufigstes Neurinom, Altersgipfel 4. bis 6. Dekade. Symptomatik. Langsame Entwicklung von Symptomen:
Symptomatische Behandlung: 4 Perifokales, postoperatives Hirnödem: präoperativ Steroide (z. B. 4×4 mg Dexamethason), nach Operation ausschleichen 4 Antikonvulsive Therapie: empfohlen bei epileptischem Anfall als Erstmanifestation, präoperativ und bis 3 Monate nach Operation 4 Antiemetika, Sedativa, Opiate
4 Progrediente, meist schrittweise einseitige Hörminderung im Hochtonbereich, in >70% Erstsymptom 4 Selten Hörsturz 4 Tinnitus 4 Gestörte Vestibularisfunktion: Schwindel, Gleichgewichtsstörung, Fallneigung 4 Bei Druck auf Pons oder Kleinhirn: Ataxie, Nystagmus, evtl. kontralaterale Pyramidenbahnzeichen 4 Kopfschmerz 4 Hyp- oder Parästhesien im Versorgungsbereich des N. trigeminus, ipsilaterale Fazialisparese, Ausfälle kaudaler Hirnnerven 4 Bei großen Tumoren: Zwangshaltung des Kopfes zur erkrankten Seite, Hirndruckzeichen durch Liquorstopp
Menigeom: Operative Tumorentfernung, postoperative Bestrahlung bei inkompletter Entfernung, Rezidiv oder anaplastischem Meningeom.
Diagnostik. Anamnese, Befund (inkl. Gleichgewichtsprüfung: vestibuläre Untererregbarkeit der betroffenen Seite).
Therapie. Chemotherapie ist abgesehen von einigen Aus-
nahmen (Lymphom) von untergeordneter Bedeutung. > Therapie der Wahl bei primären Hirntumoren: Operation mit möglichst vollständiger Resektion und primärer oder postoperativer Strahlentherapie.
51 1.5 · Raumforderungen im ZNS
4 Bildgebung: 5 CMRT (Methode der Wahl): in T1 scharf abgegrenzt, hypo- bis isointens, z. T. Zysten, evtl. Aufweitung des Meatus acusticus internus, inhomogene KM-Aufnahme, in T2 heterogen hyperintens 5 CCT: meist isodens, kräftige KM-Anreicherung, scharf abgegrenzt, evtl. Aufweitung des Meatus acusticus internus 5 Röntgen nach Stenvers 4 AEP (BERA): Verlängerung der Leitzeit, Latenzverlängerung der frühen Potenziale 4 Audiogramm: Hochtonschwerhörigkeit 4 Liquordiagnostik: Eiweißerhöhung
tumor.
Therapie. Ältere Patienten ohne oder mit nur
> Cave
1
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Primärtumorsuche 4 CMRT mit KM (sensitiver), CCT (runde, meist hypo-/isodense Raumforderung mit perifokalem Ödem, homogene oder bei zentraler Nekrose ringförmige KM-Aufnahme, DD Abszess) 4 Bei unbekanntem Primärtumor: Histologie (stereotaktische Biopsie bei multiplen Metastasen oder offener Operation) 4 Liquordiagnostik: Ausschluss einer Meningeosis carcinomatosa Therapie. Die Therapie richtet sich nach dem Primär-
wenigen Symptomen: klinische und bildgebende Kontrolle. Unter 65 Jahre: operative Entfernung. Alternative, v. a. bei kleineren Tumoren: gezielte Radiotherapie.
Hirnmetastasen kleinzelliger Bronchialkarzinome, Keimzelltumoren oder Lymphomen sind meist strahlen- und chemosensitiv, neigen zu disseminierter Aussaat und sollten nicht operativ angegangen werden.
1.5.4.2 Hirnmetastasen Ätiopathogenese. Häufigkeit von zerebralen Metastasen bei einzelnen Tumorarten: malignes Melanom und kleinzelliges Bronchialkarzinom 45%, nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom 30%, Mamma- und Nierenzellkarzinom 20%.
4 Strahlentherapie, meist Ganzhirnbestrahlung (wichtigste therapeutische Maßnahme zur Verbesserung der neurologischen Symptomatik und Verlängerung der Überlebenszeit) 4 Palliative Operation: Entfernung nur singulärer Metastasen 4 Chemotherapie: geringe Bedeutung, viele zerebral metastasierende Tumoren (Nierenzellkarzinome, maligne Melanome, nichtkleinzellige Bronchialkarzinome) sind primär chemotherapieresistent 4 Radiochirurgie: Vor allem bei nicht operationsfähigen Patienten, Größe bis 3 cm. Zunehmend Bedeutung erlangt die perkutane stereotaktische Applikation hoher Strahlendosen mittels Linearbeschleuniger oder Gamma-knife 4 Symptomatisch: antiödematöse Therapie (Kortikosteroide), evtl. hyperosmolare Pharmaka, kontrollierte Hyperventilation, externe Liquordrainage, antikonvulsive Therapie, Analgetika
> Insgesamt haben >20% aller Patienten mit systemischen Malignomen zerebrale Metastasen.
Häufigkeitsverteilung von Primärtumoren beim Vorliegen zerebraler Metastasen: 4 Bronchialkarzinom: 40–60% 4 Mammakarzinom: 20% 4 Malignes Melanom: 10–15% 4 Nierenzellkarzinom: 5% 4 Unbekannte Primärtumoren: 10–20% zerebrale Erstmanifestation, 5% bleiben unbekannt 4 Gastrointestinale Karzinome: 5% Die Metastasierung erfolgt meist hämatogen, seltener per continuitatem. Symptomatik. Typisch sind:
4 4 4 4 4 4 4
Kopfschmerz Hemiparese Wesensveränderung Krampfanfälle Hirnnervenparesen Hirndruckzeichen Tumoreinblutungen
Prognose. Mediane Überlebenszeit:
4 Bei supportiver Therapie: 1–3 Monate 4 Nach Strahlentherapie: 3–6 Monate 4 Nach Resektion singulärer Metastasen und anschließender Bestrahlung: bis 21 Monate Meningeosis neoplastica Metastatische Ausbreitung von Tumorzellen im Subarachnoidalraum bei ca. 10% maligner Erkrankungen als Zeichen systemischer Disseminierung mit infauster Prognose (oft bei Mamma-, Bronchialkarzinom, malignem Melanom,
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Kapitel 1 · Neurologie
Lymphom, Leukämie oder auch bei primären Hirntumoren: Germinomen, Medulloblastomen). Typische Symptome sind Hirndruckzeichen, Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, Hirnnervenparesen, bei spinalen Läsionen radikuläre Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Paresen, Blasen- und Mastdarmstörungen. Die Diagnostik beruht auf CMRT/spinalem MRT (oft weite Ventrikel, KM-Anreicherung entlang der Ventrikelwände), Liquordiagnostik (mo-
derate Pleozytose, erhöhtes Protein und Laktat, erhöhter Liquordruck, Nachweis von Tumorzellen gelingt nicht immer!). Therapie: Strahlentherapie, systemische und intrathekale Chemotherapie. Klinische Kontrollen und supportive Behandlung (Dexamethason) sind wichtig. Ohne Therapie mediane Überlebenszeit bei soliden Tumoren von 6–8 Wochen, mit Therapie 2–8 Monate, etwas günstigere Prognose bei lymphohämatopoetischen Tumorerkrankungen.
In Kürze Raumforderungen im ZNS Hydrozephalus
4 Symptomatik: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, psychische Veränderungen, vor Verschluss der Schädelnähte Kopfumfangszunahme (sog. Wasserkopf ) 4 Ätiologie: Abflussstörung im Ventrikelsystem, Resorptionsstörung des Liquors, vermehrte Liquorproduktion 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Augenspiegelung (Stauungspapille?), Säuglinge: Kopfumfangsmessung im Verlauf, Bildgebung: CCT, CMRT, Sonographie bei noch nicht verschlossenen Fontanellen, Liquorszintigraphie, EEG, Liquordruckmessung 4 Therapie: ggf. Behandlung einer Grundkrankheit, Liquorableitung
Normaldruckhydrozephalus (NPH)
4 Symptomatik: Trias: Gangstörung, kognitive Defizite, Harninkontinenz 4 Ätiologie: unklar, evtl. Liquordiapedese, periventrikuläre Ödembildung 4 Diagnostik: Klinik, Hirnventrikelerweiterung und periventrikuläre Liquordiapedese in CT/ MRT, Liquorentnahme bessert typischerweise die Symptome. 4 Therapie: intermittierende therapeutische Liquorpunktionen, evtl. operative Implantation eines Shunts
Hirnödem
4 Symptomatik: Kopfschmerzen, Erbrechen, Übelkeit, Sehstörungen: Bewusstseinsminderung, ggf. Einklemmungssyndrome 4 Ätiologie: 4 Vasogen: extrazellulär lokalisiertes Ödem durch Störung der Blut-Hirn-Schranke 4 Zytotoxisch: intrazellulär lokalisiertes Ödem durch intrazellulären Energiemangel (z. B. Hypoxie) 4 Interstitiell: Liquorübertritt ins Interstitium 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Stauungspapille, CCT, ggf. invasive Hirndruckmessung 4 Therapie: Oberkörperhochlagerung, Oxygenierung, leichte Hyperventilation, Stabilisierung des systemischen Blutdrucks, Normalisierung von Körpertemperatur, Glukose, Natrium 4 Medikamentös: Osmotherapie, kurz wirksame Barbiturate, Kortikosteroide zur Behandlung des vasogenen Hirnödems 4 Operativ: dekompressive Kraniektomie, Ventrikeldrainage und Liquorableitung
Hirntumoren (Meningeom, Gliom, Metastase)
4 Symptomatik: Hirndruckzeichen, Singultus, Vigilanzstörungen, symptomatische epileptische Anfälle, Wesens- und Verhaltensänderungen, fokale neurologische Ausfälle 4 Ätiologie: primär intrazerebrale gliale und meningeale Tumoren bzw. Metastasen primär extrakranieller Tumoren 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Bildgebung: CMRT mit KM (Bildgebung der 1. Wahl) oder CCT, Suche nach/Staging von Primärtumoren, EEG, Liquordiagnostik, Biopsie und histologische Untersuchung 4 Therapie: bei primärem Hirntumor möglichst vollständige Resektion und primäre oder postoperative Strahlentherapie, bei Metastasen abhängig vom Primärtumor, Größe, Anzahl und Lokalisation Operation, Bestrahlung, Chemotherapie. Symptomatische Therapie von Hirnödem, epileptischen Anfällen, Übelkeit
6
53 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
Akustikusneurinom
1.6
1
4 Symptomatik: progrediente Hörminderung, Tinnitus, gestörte Vestibularisfunktion mit Schwindel, Kopfschmerzen 4 Ätiologie: Schwannom 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, CCT/CMRT, AEP, Audiogramm, Gleichgewichtsprüfung, Eiweißerhöhung im Liquor 4 Therapie: bei Patienten <65 Jahre operative Entfernung
Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
1.6.1 Multiple Sklerose (MS) Synonym. Encephalomyelitis disseminata (. Abb. 1.16).
Definition. Chronisch entzündliche demyelinisierende ZNS-Erkrankung. Ätiopathogenese. T-Zell- und Antikörper-vermittelte autoimmunologische Prozesse gegen Antigene im Myelin führen zur Demyelinisierung und Zerstörung der Oligodendrozyten. Entmarkungsherde werden durch Neuroglia ersetzt (Sklerose). Herde liegen oft periventrikulär, im Kleinhirn, Hirnstamm, N. opticus und im Rückenmark. Familiäre Häufung in 10% der Fälle. Assoziation mit Histokompatibilitätsantigen HLA-DR2. Bestimmte Virusinfektionen (Ebstein-Barr-Virus) werden unter Erkrankten häufiger gefunden. Epidemiologie. In Deutschland leben ca. 100.000–
120.000 MS-Kranke, weltweit ca. 1 Mio. W:M = 3:2. Häufiger tritt MS in der weißen Bevölkerung und äquatorfern, auf der Nordhalbkugel und in Australien auf. Bei Auswanderung aus dem Geburtsland vor dem 15. Lebensjahr entspricht das individuelle Erkrankungsrisiko dem des Ziellands. Bei Auswanderung nach dem 15. Lebensjahr dem des Herkunftslands. Symptomatik. Beginn meist zwischen 20.-40. Lebensjahr. Verlaufsformen: 4 Schubförmig remittierend: Schübe mit Remission (komplett/inkomplett) 4 Schubförmig mit sekundärer Progredienz: zunächst schubförmig, später progrediente Beschwerden (mit oder ohne aufgelagerte Schübe; ohne Therapie bei ca. 40% der Patienten nach 10 Jahren) 4 Primär chronisch progredient: zunehmende Symptomatik ohne Remission, mit oder ohne aufgelagerte Schübe
> Schub: Neuauftreten oder Reaktivierung von subjektiv berichteten oder in der Untersuchung objektivierbaren klinischen Ausfällen und Symptomen, die mindestens 24 h anhalten.
Schübe treten mit einem Zeitintervall von 30 Tagen zu vorausgegangenen Schüben auf. Sie dürfen nicht durch Änderungen der Körpertemperatur (Uhthoff-Phänomen) oder im Rahmen von Infektionen erklärbar sein. Kurzdauernde Paroxysmen müssen von Schüben abgegrenzt werden. Frühsymptome: 4 Sensibilitätsstörungen (1/3 der Fälle) 4 Retrobulbärneuritis mit plötzlicher Sehverschlechterung, vermindertem Farberkennen, Zentralskotom, Schmerzen bei Bulbusbewegungen (1/3 der Fälle) > 45–80% der Patienten mit einer Retrobulbärneuritis entwickeln innerhalb von 15 Jahren eine mulitple Sklerose.
Im Verlauf häufige Symptome: 4 Motorisch: spastische Paresen, Myoklonien 4 Sensibel: positives Lhermitte-Zeichen, Par- und Hypästhesien, Allodynie, fehlende Bauchhautreflexe 4 Zerebellär: Ataxie, Nystagmus, Intentionstremor, Dysdiadochokinese, Dysarthrie 4 Augen: Neuritis N. optici (v. a. Retrobulbärneuritis), temporale Papillenabblassung, Augenmuskelparesen mit Doppelbildern, internukleäre Ophthalmoplegie 4 Vegetativ: Dranginkontinenz, Mastdarmstörungen, sexuelle Funktionsstörungen 4 Psychisch: Dysphorie, inadäquate Euphorie, Depression, Fatigue (pathologische Ermüdbarkeit), emotionale Labilität, Demenz Depressive Symptome kommen bei bis zu 50% der MSPatienten vor, das Suizidrisiko ist erhöht. Klinische Symptomenkomplexe: 4 Charcot-Trias: Nystagmus, Intentionstremor, skandierte Sprache
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Kapitel 1 · Neurologie
1
. Abb. 1.16. Mindmap Multiple Sklerose
55 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
4 Trias von Marburg: Paraspastik, Erlöschen der Bauchhautreflexe, temporale Papillenabblassung Mögliche Komplikationen: Infektion, Thrombose und Lungenembolie, Dekubitus. Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Visusprüfung, Augenspiegelung 4 Pathologische Leitungsverzögerung evozierter Potenziale oder in der transkraniellen Magnetstimulation (VEP, Tibialis- und Medianus-SEP, MEP und AEP) 4 CMRT/spinales MRT mit Kontrastmittel: hyperintense Herde anfangs nur in der T1-Wichtung mit Kontrastmittel, später auch in der nativen T2Wichtung. Lokalisation möglich im gesamten ZNS, häufig periventrikulär oder subkortikal. Typisch sind auch Läsionen im Balken, infratentoriell und spinal (. Abb. 1.17) 4 Liquordiagnostik: 5 Oligoklonale IgG-Banden im Liquor sind in 95% der Fälle positiv 5 Intrathekale IgG-Synthese (in 85%), d. h. IgG ist im Liquor erhöht, im Serum aber nicht nachweisbar 5 Evtl. lymphoplasmazelluläre Pleozytose 10–150 Zellen/µl 5 Eiweiß ist oft normal oder gering erhöht > Die Diagnose MS lässt sich im Allgemeinen stellen, wenn klinisch oder in der Bildgebung eine zeitliche und räumliche Dissemination MS-typischer Läsionen nachweisbar sind.
a
b
. Abb. 1.17a–c. a Kraniales MRT, T2, axial: Man erkennt mehrere hyperintense Läsionen im Marklager bei zerebraler MS. b Kraniales MRT, T1 vor Kontrastmittelgabe (KM): Hypointense Läsionen bei alten Herden einer MS. c Kraniales MRT, T1 vor KM-Gabe: KM-aufnehmende Läsion periventrikulär rechts
1
International anerkannt sind die Kriterien nach McDonald (2001). Die Diagnose MS kann bereits gestellt werden, wenn 4 nach einem 1. Krankheitsschub mit mindestens einer objektivierbaren klinischen Läsion der Liquor MS-typische Veränderungen zeigt, 4 das MRT mindestens 2 für MS charakteristische Läsionen zeigt und sich im Verlaufs-MRT (≥3 Monate nach dem 1. Schub) eine neue KM-aufnehmende oder T2-hyperintense Läsion darstellt. Differenzialdiagnose. Chronisch-infektiöse Erkrankungen (Neuro-Lues, Borreliose), Kollagenose, Vaskulitis, Sarkoidose, metabolische Erkrankungen wie Vitamin-B12-Mangel, Sonderformen entzündlich-demyelinisierender Erkrankungen. Therapie. Unterschieden wird:
4 Schubtherapie: 5 Hochdosiert Methylprednisolon 1 g i.v. (3 Tage) oder 500 mg i.v. (5 Tage) 5 Bei unzureichender Besserung Methylprednisolon oral ausschleichen 5 Ggf. Wiederholung 5 Wenn keine Besserung erfolgt und bei klinisch schwerem Schub evtl. Plasmapherese oder früher Beginn einer immunsuppressiven Therapie z. B. mit Mitoxantron 4 Verlaufsmodifizierende (immunmodulatorische) Therapie bei schubförmigen Verlauf: 5 Möglichst früh
c bei Schrankenstörung hier bedingt durch einen frischen Herd bei zerebraler MS. (Klinik und Hochschulambulanz für Radiologie und Nuklearmedizin an der Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin, Leiter: Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
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Kapitel 1 · Neurologie
5 Ziel: Reduktion der Anzahl und Dauer der Schübe – Rekombinantes Interferon (IFN)-β-1-a (i.m. Injektionen) oder -b; s.c. Injektionen. Oft initial grippale Nebenwirkung, lokale Reizung an Einstichstelle, relative Kontraindikation ist Depressionsverstärkung, passagere Verstärkung einer Spastik, Absetzen bei Kinderwunsch wegen möglicher Aborte. – Copaxone (Copolymer-1, syn. Glatirameracetat): s.c. Injektionen; wirkt erst nach etwa 6 Monaten, im Allgemeinen gut verträglich). – Alternativen: Azathioprin (oral), Immunglobuline (z. B. in Schwangerschaft und Stillzeit), Cyclophosphamid (i.v.), Mitoxantron (i.v., evtl. kumulative Kardiotoxizität, Höchstdosis beachten), additiv bei unzureichender Wirkung der Monotherapie die intermittierende Kortikosteroid-Pulstherapie. 4 Sekundär progrediente MS: IFN-Präparat, Mitoxantron, bei Zeichen entzündlicher Krankheitsaktivität sinnvoll (rasche Progression, aufgelagerte Schübe, kontrastmittelanreichernde Herde im MRI). 4 Primär progrediente MS: keine gesicherte Therapie bekannt, evtl. Glukokortikoidstoßtherapie oder Mitoxantron (bei rascher Progression) 4 Weitere Therapieoptionen: 5 Physiotherapie 5 Einsatz von Hilfsmitteln (Orthesen, Rollstuhl) 5 Symptomatische medikamentöse Therapie von: – Spastik: Baclofen, Dantrolen, Tizanidin, Tetrazepam, Memantin, Botulinumtoxin
– Myoklonien: Clonazepam, Valproinsäure – Intentionstremor: Betablocker, Antiepileptika (Propanolol/Primidom, Carbamazepin, Clonazepam) – Fatigue: Modafinil, Amantadin – Paroxysmen: Carbamazepin, ggf. trizyklische Antidepressiva, Valproat – Schmerzen – Depressiver Symptomatik – Harnwegsinfekt: Antibiose, bei rezidivierenden Infekten Harnansäuerung (Methionin) – Imperativer Harndrang: Oxybutynin (dämpft Detrusor) unter Restharnkontrollen, bei Obstruktion intermittierende Einmalkatheterisierung, suprapubische Blasenfistel Prognose. Ungünstig bei:
4 Erkrankungsalter >40 Jahre, männliches Geschlecht 4 Initial hoher Entzündungsaktivität (Schubfrequenz, MRT-Läsionen) 4 Polysymptomatischem Beginn (pyramidale oder zerebelläre Systeme, psychoorganische Auffälligkeiten) 4 Anhaltenden Defiziten, geringer Remission 4 Progredientem im Vergleich zum schubförmigen Verlauf Nach 20 Jahren Krankheit leben noch etwa 3/4, nach 30 Jahren noch 2/3.
In Kürze Demyelinisierende ZNS-Erkrankung Multiple Sklerose (MS)
4 Symptomatik: Frühsymptome: Sensibilitätsstörungen, Retrobulbärneuritis. Je nach Lokalisation der Läsionen motorische, sensible, zerebelläre, ophthalmologische, vegetative und psychische Symptome 4 Ätiologie: chronisch disseminierte entzündliche ZNS-Erkrankung mit Demyelinisierung durch autoimmunologische Prozesse 4 Diagnostik: zeitliche und räumliche Dissemination MS-typischer Läsionen in Klinik, Bildgebung, augenärztlicher Untersuchung, Elektrophysiologie, Liquordiagnostik 4 Therapie: – Schubtherapie: hochdosiert Methylprednisolon – Verlaufsmodifizierende Therapie bei schubförmigen Verlauf: Frühzeitig mit IFN β-1-a oder -b oder Copaxone – Sekundär progrediente MS: IFN, Mitoxantron – Primär progrediente MS: keine gesicherte Therapie – Symptomatische medikamentöse Therapie – Physiotherapie – Hilfsmittel (Orthesen, Rollstuhl)
57 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
1.6.2 Degenerative, atrophische ZNS-
Erkrankungen Einteilung nach Lokalisation der Schädigung 4 Diffuse Hirnatrophien – generalisierte Atrophie bei Morbus Alzheimer – subkortikale Atrophie bei Morbus Binswanger 4 Systematrophien – Frontalhirn: Pick-Krankheit – Stammganglien: extrapyramidale Syndrome wie Parkinson-Syndrom, Chorea Huntington, Dystonie – Pyramidenbahn, Vorderhornzellen: amyotrophe Lateralsklerose – Kleinhirn, spinozerebellare Bahnen: Friedreich-Ataxie, Refsum-Krankheit u. a. Heredoataxien 4 Multisystematrophien
1.6.2.1 Extrapyramidale Syndrome, Multisystematrophie Parkinson-Syndrom (PS) Synonym. Paralysis agitans. Definition. Progredienter Untergang melaninhaltiger
nigrostriataler dopaminerger Nervenzellen, v. a. in der Substantia nigra, mit resultierendem Ungleichgewicht der Transmitter Dopamin und Azetylcholin und Dopaminmangel im Striatum. Ätiopathogenese. Meist sporadisch, selten hereditär
auftretende Erkrankung. Unterschieden werden: 4 Idiopathisches Parkinson-Syndrom (Morbus Parkinson) 4 Sekundäres/symptomatisches Parkinson-Syndrom 4 Atypisches Parkinson-Syndrom (bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen) Ursachen des sekundären/symptomatischen PS: 4 Intoxikation (Mangan, CO, MPTP in synthetischen Drogen) 4 Multiple Traumata (Boxer) 4 Postenzephalitisch (Encephalitis lethargica sive epidemica, HIV-Enzephalopathie) 4 Subkortikale vaskuläre/arteriosklerotische Enzephalopathie 4 Metabolische Ursachen (Morbus Wilson) 4 Unerwünschte Arzneimittelwirkung:
1
5 Neuroleptika (D2-Rezeptor-Antagonisten), Kalziumantagonisten (Flunarizin), α-MethylDopa 5 Reserpin, Antiemetika (Metoclopramid) Epidemiologie. In Deutschland: 100–200/100.000, >65. Lebensjahr: 1.800/100.000. Symptomatik. Parkinson-Syndrom ist definiert als hypokinetisch-hypertones extrapyramidal-motorisches Syndrom mit: 4 Hypo- oder Akinese: Bewegungsverlangsamung bis -unfähigkeit, Hemmung von Bewegungsstart oder -stopp
sowie mindestens einem der folgenden Symptome: 4 Rigor 4 Ruhetremor 4 Posturale Instabilität (Haltungsstörungen) Fakultative Begleitsymptome: 4 Störungen der Sensibilität und Sensorik: Dysästhesien, Schmerzen, Geruchsstörungen, Verminderung des Farbensehens 4 Vegetative Störungen: orthostatische Hypotonie, Obstipation, Seborrhö (Salbengesicht), Schwitzen, Temperaturregulations- und Miktionsstörungen 4 Psychische Symptome: Depression, Angststörung 4 Neuropsychologische Symptome: Frontalhirnfunktionsstörungen, Verlangsamung der Denkabläufe (Bradyphrenie), Schlafstörungen 4 Demenzieller Abbau Hypo- oder Akinese: Hypomimie (Maskengesicht), seltener Lidschlag, leises wenig modelliertes Sprechen, verminderte Mitbewegungen der Arme beim Laufen, reduzierte Finger- und Fußgeschicklichkeit, Bradydiadochokinese, Mikrographie, leicht vornübergebeugtes, kleinschrittiges, schlurfendes Gangbild, Camptocornia (extremes Vornüberbeugen), Freezing (kurze völlige Unbeweglichkeit beim Gehen). Axiale Akinese (Probleme beim Umdrehen im Bett). Hypersalivation. Rigor: Subjektives Steifigkeitsgefühl. Zahnradphänomen (ruckartigen Nachlassen des Widerstands bei passiver Bewegung). Hebt man den Kopf des liegenden Patienten vom Kissen hoch und lässt ihn plötzlich los, fällt der Kopf bei erhöhtem Rigor nicht oder nur langsam zurück (psychisches Kopfkissen). Ruhetremor: distal betont, grobschlägig (Frequenz 4–6 Hz), nimmt bei Bewegungen ab: Pillendrehen, Geldzählen an der oberen Extremität, Rabbit-Phänomen des Kiefers.
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Kapitel 1 · Neurologie
Für idiopathisches PS sprechen: 4 Ruhetremor 4 Einseitiger Beginn, persistierende Asymmetrie im Verlauf 4 Positives Ansprechen auf L-DOPA, Ruhetremor evtl. nicht gebessert
1
Der L-Dopa-Test kann in Zweifelsfällen diagnostisch genutzt werden. Klinische Parameter werden vor und nach Medikamenteneinnahme verglichen, Symptomverbesserung zeigt L-Dopa-Sensitivität an. Zur Abgrenzung des symptomatischen PS und möglicher Differenzialdiagnosen: 4 Anamnese: Medikamente, Schlaganfälle, Trauma etc. 4 Bildgebung 4 Vor dem 50. Lebensjahr Ausschluss eines M. Wilson 4 Evtl. SPECT Untersuchung mit Bestimmung der Dichte dopaminerger D2 Rezeptoren auf striatalen Neuronen, die bei MSA, nicht aber beim Morbus Parkinson vermindert sein kann.
a
b . Abb. 1.18. a Typische Körperhaltung bei ParkinsonSyndrom. b Längere Schriftprobe mit Mikrographie bei Parkinson-Syndrom
Durch gestörte Stellreflexe kommt es zu Retro-, Pro- oder Lateropulsionstendenzen mit Fallneigung und Stürzen. Haltungsstörungen wie Flexion in HWS und BWS kommen vor (. Abb. 1.18). Fakultative Symptome treten beim idiopathischen PS meist spät auf. Sie können auch Folge der medikamentösen Therapie sein. ! Cave Die akinetische Krise, die akute Bewegungsunfähigkeit trotz dopaminerger Therapie über 48 h anhaltend, ist ein lebensbedrohlicher Zustand mit Rigor, Hyperthermie, Hyperhidrosis und Exsikkose.
Diagnostik. Klinische Diagnosestellung. Zur Quantifizierung der Symptome dienen verschiedene Skalen.
Gegen idiopathisches PS sprechen: 4 Rasche Progrdienz 4 Früh im Verlauf: 5 Autonome Störungen: orthostatische Hypotension, Synkopen, Impotenz, verringerte genitale Empfindlichkeit, Urininkontinenz oder -retention, Anhidrose 5 Zerebelläre Symptome 5 Pyramidenbahnzeichen 5 Supranukleärer vertikaler Blickparese 5 Gangstörungen (Stürze) 5 Frühe und schwere Demenz, Fluktuation der kognitiven Funktionen 5 Halluzinationen 5 Sprech- und Schluckstörungen 5 Myoklonien Differenzialdiagnose. Essenzieller Tremor, Normaldruckhydrozephalus, subkortikale vaskuläre Enzephalopathie. Therapie. Die medikamentöse Therapie ist indiziert bei Beeinträchtigung des Berufs-, Alltags- oder Soziallebens oder der allgemeinen Lebensqualität. > L-Dopa ist das wirksamste Medikament bei idiopathischem PS.
4 L-Dopa (Levo-Dopa) plus Decarboxylase-Inhibitor wirkt v. a. gegen Akinese und Rigor. Bei >70-
59 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
4
4 4 4
4
4
Jährigen ist L-Dopa Monotherapie die 1. Wahl; kein Einfluss auf die Krankheitsprogression, nach einigen Jahren Therapiekomplikationen. Dopaminagonisten wirken v. a. gegen Akinese und Rigor, Mittel der Wahl in der Monotherapie bei <70Jährigen. Bei Versagen der Monotherapie Kombination mit möglichst geringer L-Dopa-Dosis. COMT-Inhibitor Entacapone: Hemmt den Dopaminabbau, wirksam in der Behandlung von Fluktuationen, nicht in der Monotherapie eingesetzt. MAO-B-Hemmer Selegilin: Hemmt den Dopamin-Abbau; gering wirksam in der symptomatischen Therapie im frühen Stadium. Glutamat-Rezeptor-Antagonist Amantadin: Schwache Dopamin-freisetzende und anticholinerge Wirkung, nicht-kompetitive Hemmung von NMDA Rezeptoren. Rascher Wirkungseintritt, aber schwächer wirksam als L-Dopa. Wirkt v. a. bei Akinese und Rigor. Alternatives Monotherapeutikum bei milder Symptomatik, Wirkungsverlust nach einigen Monaten, i.v. bei akinetischer Krise. Wenn nach ausreichender Besserung der Akinese und Rigor der Tremor noch therapiebedürftig ist, zusätzlich Anticholinergika, NMDA-Antagonist Budipin oder Betablocker. Sinnvoll sind eine proteinarme Diät und Einnahme von L-Dopa in zeitlichem Abstand von den Mahlzeiten. Eine proteinreiche Nahrung kann den L-DopaPlasmaspiegel und die zerebrale Verfügbarkeit reduzieren. Die Gabe von Domperidon kann die Resorption und gastrointestinale Motilität verbessern.
Therapiekomplikationen 4 Hypokinetische Wirkungsfluktuationen 5 Wearing off/End-of-dose-Akinese: häufig und früh auftretend, Nachlassen der Medikamentenwirkung ca. 4–6 h Einnahme 5 On-off: rascher Wirkungsverlust mit oder ohne zeitlichen Bezug zur Medikamenteneinnahme. Die Beweglichkeit kann ähnlich schnell wieder eintreten 5 Freezing: plötzliche Blockade des Gehens, Unfähigkeit der Ganginitiierung 4 Hyperkinetische Fluktuationen 5 ON-Dyskinesien: meist choreatische nicht schmerzhafte Dyskinesien, bei relativ guter Beweglichkeit im ON auftretend (»Peak-dose«-Dyskinesien, Plateau-Dyskinesien, sistieren mit Beginn der Off-Phase) 5 OFF-Dyskinesien: bei niedriger dopaminerger Stimulation im OFF, meist schmerzhaft, häufig »Early-morning«-Dystonie 5 Biphasische Dyskinesien: zu Beginn oder am Ende einer On-Phase, oft dystone oder ballistische
1
Dyskinesien, repetitive unangenehm empfundene Bewegungen von Armen und Beinen
Weitere Therapieansätze: 4 Stereotaktische Verfahren beim idiopathischen PS: 5 Tiefenhirnstimulation: Stimulation des Nucleus subthalamicus über stereotaktisch implantierte Elektroden, wirkt auf alle vier Hauptsymptome des PS. Ein Stimulator unter dem Schlüsselbein ist reversibel und individuell anpassbar. 4 Physiotherapie 4 Logopädie 4 Antidepressive Therapie Therapie der akinetischen Krise 4 Identifizierung, Beseitigung des Auslösers: Resorptionsstörungen, Einnahmefehler, Einnahme von Neuroleptika, Dehydrierung, Infektion 4 Allgemeine Maßnahmen: Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich, Fiebersenkung, ausreichende Kalorienzufuhr, Thrombose-, Dekubitus- und Pneumonieprophylaxe 4 Medikamentöse Durchbrechung der akinetischen Krise mit: 5 Amantadin i.v. 5 L-Dopa und Dopaminagonisten oral oder per Magensonde 5 Apomorphin s.c. unter intensivmedizinischen Bedingungen 5 Evtl. Dantrolen bei erheblicher Erhöhung der Kreatinkinase Prognose. Pflegebedürftigkeit nach ca. 20 Jahren, unter
optimaler Therapie annähernd normale Lebenserwartung. Weitere degenerative Systemerkrankungen mit hyperton-hypokinetischem Syndrom sog. Parkinson plus Erkrankungen (Parkinson-Symptome plus zusätzliche Symptome). Die medikamentöse Behandlung hat häufig nur geringe Wirksamkeit und sollte mit Physio-, Ergo- und logopädischer Therapie kombiniert werden: 4 Multisystematrophie (MSA) 4 Zelluntergang in bestimmten Kerngebieten des ZNS führt zu einer olivo-ponto-zerebellären Atrophie, striatonigraler Degeneration, Shy-Drager-Syndrom oder Mischformen 4 Leitsymptome, die je nach Form unterschiedlich akzentuiert sind: 5 Autonom: orthostatische Hypotonie, Blasendysfunktion (Inkontinenz oder unvollständige Entleerung) und sexuelle Funktionsstörung
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Kapitel 1 · Neurologie
4 motorisch: Parkinson-Syndrom ohne oder mit geringem Ansprechen auf L-Dopa 4 zerebelläre Dysfunktion: Gang- und Extremitätenataxie, Dysarthrie, Blickrichtungsnystagmus 4 Pyramidenbahnzeichen 4 Progressive supranukleäre Blickparese (syn. SteeleRichardson-Olszewski-Syndrom) 4 Kortikobasale Degeneration 4 Demenz mit Lewy-Körperchen
1.6.2.2 Extrapyramidale Erkrankungen mit hyperkinetischem Syndrom
Abbrechen sozialer Kontakte, Verwahrlosung, psychiatrische Störungen wie Depression. 10% juvenile Form: oft vom Vater vererbt, früher Beginn, klinisch v. a. Rigor und Akinese. Diagnostik. (Familien-)Anamnese (Mediamente?), Befund: 4 Ausschluss einer symptomatischen Chorea: Hyperthyreose, M. Wilson, Lupus erythematodes 4 Molekulargenetischer Nachweis der Mutation 4 Bildgebung: Nucleus-caudatum-Atrophie bei Chorea Huntington
Syndrom mit Hyperkinesien und muskulärem Hypotonus
Therapie. Symptomatisch.
Bei den Hyperkinesien unterscheidet man: 4 Choreatische Bewegungsstörungen 4 Athetotische Bewegungsstörungen 4 Ballistische Bewegungsstörungen 4 Dystone Bewegungsstörungen
Prognose. Tod im Mittel nach 15–18 Jahren.
Choreatische Bewegungen sind gekennzeichnet durch unwillkürliche, plötzliche, schnelle, unregelmäßige Bewegungen, die diskret wie Verlegenheitsbewegungen erscheinen oder massiv sein können. Sie treten ein- (Hemichorea) oder beidseitig auf, die Intensität nimmt bei Stress und Anspannung zu und sistieren weitgehend im Schlaf und in Narkose.
Chorea Huntington Synonym. Chorea major. Definition. Autosomal-dominant vererbte extrapyramidale Erkrankung mit hyperkinetischem Syndrom. Ätiopathogenese. CAG-Repeat-Expansion im Hun-
tington-Gen auf Chromosom 4. Je größer die Zahl der Repeats, desto früher der Beginn und desto schwerer der Verlauf. Ein progressiver Neuronenverlust in den Basalganglien, v. a. des Nucleus caudatus, führt zum Transmitterungleichgewicht mit Überwiegen der Dopaminwirkung.
Weitere Formen der Chorea: 4 Chorea minor (Sydenham): Häufigste Form, v. a. bei Mädchen im Schulalter. Heilt nach etwa 1–6 Monaten ohne Residuen aus. Tritt im Rahmen des rheumatischen Fiebers mit Latenz nach Streptokokkeninfektion (Angina tonsillaris) auf, ursächlich sind kreuzreagierende Antikörper. Therapie: Penicillin 4 Chorea gravidarum: reversible Form im 3. bis 5. Schwangerschaftsmonat, evtl. auch nach Einnahme von hormonalen Kontrazeptiva 4 Senile Chorea: vaskulär, z. B. nach Hirninfarkt 4 Symptomatische Chorea: medikamentös, toxisch, bei Lupus erythematodes oder anderer erblicher Erkrankungen (Morbus Wilson). Behandlung der Grundkrankheit
Restless-legs-Syndrom (RLS) Definition. Syndrom der unruhigen Beine. Ätiopathogenese. Evtl. Störung dopaminerger und opioiderger Neurotransmittersysteme, oft familiäre Häufung. Symptomatisch bei Urämie, rheumatischer Polyarthritis, Eisenmangelanämie, in der Schwangerschaft, Polyneuropathien und Morbus Parkinson. Epidemiologie. 5–10% der Bevölkerung. Symptomatik. Typisch sind:
Epidemiologie. 3–7/100.000 in Westeuropa, Erkran-
kungsbeginn: 1. bis 7. Lebensjahrzehnt, oft 30.-50. Lebensjahr. Symptomatik. Beginn als extrapyramidales Syndrom mit Hyperkinesen und Hypotonie der Muskulatur; zunächst Unruhe, Umsetzen in Verlegenheitsgesten, später Behinderung koordinierter Bewegungen. Progrediente Demenz, Persönlichkeitsänderungen (Reizbarkeit,
4 In Ruhe, v. a. abends und nachts, unangenehme Dys- oder Parästhesien der Beine, seltener auch der Arme, verbunden mit erheblichem Bewegungsdrang und motorischer Unruhe 4 Besserung durch Bewegung oder Aktivität 4 Ein- und Durchschlafstörungen 4 Tagesmüdigkeit 4 Periodische Beinbewegungen (»periodic limb movements«. PLM)
61 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
Diagnostik. Wichtig ist die Abgrenzung eines sekundären RLS. Dazu dienen neurologischer Untersuchungsbefund, ENG und EMG (bei primärem RLS regelrecht) sowie Labor: Ausschluss von Niereninsuffizienz, Eisenmangel, Elektrolytstörungen. Bei diagnostischer Unsicherheit Polysomnographie mit Videoüberwachung. Therapie. Bei ausgeprägten Beschwerden/Schlafstö-
rungen L-DOPA plus Benserazid (primäres und urämischen RLS, rascher Wirkungsbeginn). Bei unzureichender Wirkung Umsetzen auf Dopaminagonisten. In symptomatischen Fällen Behandlung der Grunderkrankung. RLS-verstärkende Medikamente ggf. absetzen. Athetosen Unwillkürliche, langsame, distal betonte, wurmförmige Bewegungen. Zellverluste, v. a. im Striatum und subthalamischen Kernen durch perinatalen Hirnschaden (O2Mangel), verursachen eine beidseitige Athetose. Eine zerebrovaskuläre Insuffizienz kann zur kontralateraler Hemiathetose führen. Bizarre Stellungen der mimischer Muskulatur oder der Hände (Subluxationsstellung der Interphalangealgelenke, Bajonett-Finger-Stellung). Kombinationen mit choreatischen Bewegungsstörungen kommen vor. Ballismus Blitzartige, schleudernde, weit ausfahrende Bewegungen. Läsion im Nucleus subthalamicus bzw. seiner Verbindungen zum Thalamus. Häufig liegt ein fokaler Hirninfarkt zugrunde, seltener eine Raumforderung. Ein beidseitiger Ballismus tritt bei Icterus gravis neonatorum oder degenerativen Erkrankungen auf. Beid- oder einseitig (Hemiballismus) auftretend, v. a. die proximalen Extremitäten betreffend.
Dystonie Definition. Fehlerhafter Spannungszustand (Tonus)
der Muskulatur. Unterschieden wird die fokale, segmentale, multifokale bzw. generalisierte Dystonie. Ätiopathogenese. Zugrunde liegt der Erkrankung
eine Funktionsstörung der Basalganglien. Differenziert wird zwischen einer primären (idiopathisch
1
oder hereditär, klinisch und vermutlich genetisch heterogen) und einer sekundären (symptomatisch bei Grunderkrankung oder Medikamenteneinnahme) Form. Epidemiologie. >40/100.000. Am häufigsten idiopathische fokale oder segmentale Dystonien mit gutartigem Verlauf ohne wesentliche Progressionsneigung und oft gutem Ansprechen auf lokale Botulinumtoxin-Injektion. Beginn meist zwischen 30. bis 50. Lebensjahr. Symptomatik. Typisch sind länger anhaltende unwillkürliche Kontraktionen der quergestreiften Muskulatur mit repetitiven Bewegungen, abnormen Haltungen oder bizarren Fehlstellungen von Körperteilen. Auftreten können: 4 Oromandibuläre Dystonie 4 Zervikale Dystonie (Torticollis spasmodicus) 4 Schreibkrampf (Graphospasmus) 4 Laryngeale Dystonie (spasmodische Dysphonie) 4 Meige-Syndrom: oromandibuläre Dystonie und Blepharospasmus (Lidkrampf) 4 Tardive Dystonien sind medikamentös (insbesondere durch Neuroleptika) ausgelöst
Bei der idiopathischen Form fehlen in der Regel weitere neurologische Defizite. Diagnostik. Anamnese, Befund, Ausschluss sekundärer Form (Stoffwechselstörungen, v. a. beim Auftreten im Kindes- oder Jugendalter). Therapie. Je nach Symptomatik:
4 L-Dopa-sensitive Form: L-Dopa und Decarboxylasehemmer 4 Fokale Dystonien: lokale Injektion von Botulinumtoxin 4 Segmentale, generalisierte Dystonien: Anticholinergika, bei besonders störenden Fokalsymptomen lokale Botulinumtoxin-Injektion Therapierefraktäre Fälle: Chirurgische Behandlungsverfahren, peripher denervierende Verfahren, stereotaktische Operationsverfahren bei generalisierten Dystonien.
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Kapitel 1 · Neurologie
In Kürze
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Degenerative Erkrankungen des ZNS ParkinsonSyndrom (PS)
4 Symptomatik: Hypo- oder Akinese und Rigor, Ruhetremor oder posturale Instabilität 4 Ätiologie: progredienter Untergang melaninhaltiger nigrostriataler dopaminerger Nervenzellen v. a. in der Substantia nigra, überwiegend sporadisch 4 Diagnostik: klinisch 4 Therapie: – Medikamentös: L-Dopa (Levo-Dopa) plus Decarboxylase-Inhibitor, Dopaminagonisten, COMT-Inhibitor, MAO-B-Hemmer, Glutamat-Rezeptor-Antagonisten – Stereotaktische Verfahren beim idiopathischen PS, Physiotherapie, Logopädie, ggf. antidepressive Therapie
Chorea Huntington
4 Symptomatik: Hyperkinesen und Hypotonie der Muskulatur, progrediente Demenz, Persönlichkeitsänderungen, psychiatrische Störungen 4 Ätiologie: autosomal-dominant, CAG-Repeat-Expansion im Huntingtin-Gen, progressiver Neuronenverlust v. a. im Nucleus caudatus 4 Diagnostik: Befund, Ausschluss einer symptomatischen Chorea, molekulargenetisch (PCR), Bildgebung: Nucleus-caudatum-Atrophie 4 Therapie: symptomatisch
Multisystematrophien
4 Symptomatik: autonome Funktionsstörung, Parkinson-Syndrom mit fehlendem oder geringem Ansprechen auf L-Dopa, zerebelläre Dysfunktion, Pyramidenbahnzeichen 4 Ätiologie: neurodegenerative Erkrankung 4 Diagnostik: Anamnese, Befund; Abgrenzung vom M. Parkinson, geringes Ansprechen auf L-Dopa, evtl. Bildgebung 4 Therapie: v. a. symptomatische Therapie
Restless-legsSyndrom (RLS)
4 Symptomatik: abends und nachts auftretende Dys- oder Parästhesien meist der Beine verbunden mit erheblichem Bewegungsdrang und motorischer Unruhe; Ein- und Durchschlafstörungen, Tagesmüdigkeit 4 Ätiologie: evtl. durch Störung dopaminerger und opioiderger Neurotransmittersysteme, oft familiäre Häufung; z. T. sekundär symptomatisches RLS z. B. bei Urämie 4 Diagnostik: primäres RLS: normaler neurologischer Befund, Ausschluss eines sekundären RLS; evtl. Polysomnographie 4 Therapie: evtl. L-DOPA plus Benserazid
1.6.3 Demenz Definition. Erworbener Abbau intellektueller und kog-
nitiver Fähigkeiten, insbesondere des Gedächtnisses. Dagegen sind mentale Retardierung und Oligophrenie angeboren. Ätiopathogenese. Unterschieden werden:
4 4 4 4
Alzheimer-Demenz (AD) Vaskuläre Demenz Demenz vom Frontalhirn-Typ = Pick-Komplex Demenz mit Lewy-Körperchen bei ParkinsonSyndrom 4 Demenzen bei anderen Erkrankungen: Multisystemerkrankungen, Chorea Huntington, CJK, HIV-
Infektion, Neurolues, metabolische, endokrine, bei intrazerebralen Raumforderungen, paraneoplastisch, mechanisch (Dementia pugilistica, Boxerenzephalopathie, nach Schädel-Hirn-Trauma) > Die 3 häufigsten Ursachen für eine Demenz sind Morbus Alzheimer (60%), vaskuläre Demenz (10–20%) und Demenz durch Alkoholkonsum.
Epidemiologie. In Deutschland >1 Mio. Demenzkranke. Diagnostik. Klinische Diagnose! Diagnosekriterien sind:
4 Gedächtnisstörungen 4 Zusätzlich Beeinträchtigung von mindestens 2 kognitiven Bereichen: Orientierung, abstraktes Den-
63 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
ken, Urteilsfähigkeit, Persönlichkeit, Verhalten, Aphasien, Apraxien, Agnosien 4 Nachweis/Ausschluss einer organischen Erkrankung: CCT/CMRT, EEG, Labor- und Liquordiagnostik (kardiovaskuläre Risikofaktoren, Avitaminose, Hyperkalzämie, Schilddrüsenstörung, Borreliose, Lues), Doppleruntersuchung der Hirngefäße, EKG 4 Psychometrische Tests wie MMST (Mini-MentalStatus, standardisierter Kurztest, prüft Orientierung, mnestische und neuropsychologische Funktionen), DemTect u. a. 4 Evtl. SPECT (zerebrale Perfusion), FDG-PET (zerebraler Glukosestoffwechsel) Differenzialdiagnose. Pseudodemenzen bei Depressi-
on, Schizophrenie, Delir mit gestörter Bewusstseinslage, angeborene Störungen.
1
dächtnisstörungen, Aphasie, Apraxie. Aktivität, Kompetenz und Leistungsniveau im sozialen und beruflichen Alltagsleben sind beeinträchtigt. Evtl. depressive Beschwerden. Antrieb, Vigilanz, psychomotorisches Tempo und Persönlichkeit bleiben lange erhalten. Spät kommt es zum Abbau aller höheren Hirnleistungen, Mutismus und Inkontinenz. Motorik und Sensorik sind relativ resistent. > Typisch sind multiple kognitive Defizite, frühe fokale Symptome sind nicht typisch.
Diagnostik. Klinische Ausschlussdiagnose, beweisend
ist die Histopathologie. Für Morbus Alzheimer sprechen: keine Hinweis auf andere Demenzursachen, progrediente parietotemporal-betonte Hirnatrophie in der Bildgebung, unauffälliger Liquorbefund, evtl. unspezifische EEG-Veränderungen.
Therapie. Mitbetreuung von Angehörigen und Pflege-
personal.
Therapie. Evtl. medikamentöse Therapie:
1.6.3.1 Morbus Alzheimer Definition. degenerative Hirnerkrankung mit progredienter Demenz.
4 4 4 4
Ätiopathogenese. Meist multifaktoriell, d. h. genetische Faktoren (familiäre Häufung) und Umweltfaktoren (Ernährung) sind bedeutsam. Selten autosomal-dominant vererbt mit Erkrankungsbeginn um das 40. Lebensjahr. Risikofaktoren: positive Familienanamnese, DownSyndrom, Apolipoprotein-E-Genotyp (e4-Allel) Morphologische Veränderungen: 4 Parietotemporale Hirnatrophie 4 Histopathologisch: 5 β-Amyloid-Plaques (unphysiologisch gespaltene, aggregierte Stücken des β-Amyloid-Precursor-Proteins) in kortikalen Amyloidplaques und perivaskulär 5 Aggregation von hyperphosphoryliertem TauProtein zu intrazellulären helikalen Neurofibrillenbündeln (Tangels) in den Neuronen. 5 Degeneration von Axonen assoziiert mit neuritischen Plaques 5 Neuronenverluste, v. a. der großen Pyramidenneurone 5 Azetylcholinmangel unter Beteiligung des Nucleus basalis Meynert
Cholinesterasehemmer Antioxidanzien: Vitamin E, Selegilin Glutamat-Antagonist Memantin Evtl. Statine, Gingko biloba (Wirksamkeit in Studien unterschiedlich beurteilt) 4 Bei Depression MAO-B-Hemmer, SSRI ! Cave Keine klassischen tri- oder tetrazyklische Antidepressiva wegen anticholinerger Nebenwirkung.
Prognose. Dauer der Erkrankung meist 9–12 Jahre.
1.6.3.2 Demenz mit Lewy-Körperchen Definition. Demenz mit histopathologischem Nachweis von Lewy-Körperchen. Ätiopathogenese. Histopathologie:
4 Eosinophile Einschlusskörperchen (Lewy-Körperchen) aus abnorm phosphorylierten Neurofilament-Proteinen, Ubiquitin, D-Synuklein in Neuronen in der Hirnrinde (Lewy-Körperchen gibt es in geringerer Zahl in der Substantia nigra auch beim M. Parkinson) 4 Diffuse senile Plaques 4 Neuritische Degeneration im Hippokampus Epidemiologie. Erkrankungsbeginn 60–68 Lebensjahr,
Epidemiologie. Meist nach dem 65, selten vor dem
M>W.
50. Lebensjahr, W:M = 2:1. Symptomatik. Schleichender Beginn, progredienter
Abbau kognitiver Fähigkeiten. In der Frühphase Ge-
Symptomatik. Kombination kortikaler Demenz mit LDopa-sensitiven Parkinsonsymptomen. Typisch sind Fluktuationen (ausgeprägte Variabilität von Aufmerk-
64
1
Kapitel 1 · Neurologie
samkeit und Wachheit) und gestörte räumlich-konstruktive Leistungen.
Symptomatik. Unterschieden werden:
ringere temporale Atrophie als beim M. Alzheimer.
4 Subkortikale Demenz: Verlangsamung gedanklicher Abläufe, psychomotorische Verlangsamung, Aufmerksamkeitsstörungen, emotionale und Stimmungsveränderungen (Depression, Antriebsmangel, Apathie oder Reizbarkeit) 4 Kortikale Demenz: umschriebene neuropsychologische Syndrome (Aphasie, Apraxie, Dyslexie, Orientierungsstörungen) oder generelle kognitive Defizite (Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörungen)
Therapie. Symptomatisch, ggf. Therapie von Parkinsonsymptomen. Patienten können auf Neuroleptika empfindlich reagieren.
Häufiger als beim Morbus Alzheimer psychiatrische Begleitsymptome wie Depression, emotionale Labilität und Persönlichkeitsveränderungen.
Frontotemporale Lobäratrophien/Pick-Komplex Frontotemporal betonte Hirnatrophie, der die typische Alzheimer-Histopathologie fehlt, z. T. finden sich typische neuronale, argyrophile Einschlüsse, aufgrund derer die Bezeichnung Pick-Komplex verwendet wird. Typisch ist ein schleichender Beginn vor dem 65. Lebensjahr und langsame Progredienz. Im Gegensatz zur AD stehen Persönlichkeits-, Verhaltensänderungen und Sprachstörungen im Vordergrund, Gedächtnisstörungen eher im Hintergrund. Die familiäre Häufung ist häufiger als bei AD.
Diagnostik. Anamnese (vaskuläre Risikofaktoren, TIA,
> Im Vordergrund stehen visuelle Halluzinationen und motorische Parkinsonsymptome.
Evtl. systematisierter Wahn, nichtvisuelle Halluzinationen, Synkopen, wiederholte Stürze. Diagnostik. Klinische Diagnose; in der Bildgebung ge-
1.6.3.3 Vaskuläre Demenz Definition. Demenz infolge von Gefäßveränderungen. Ätiopathogenese. Einteilung:
4 Multiinfarktdemenz: mehrere umschriebene kortikale Infarkte 4 Multiple lakunäre Infarkte (Status lacunaris) mit subkortikaler Demenz 4 Binswanger-Erkrankung: Subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie mit diffusen Marklagerveränderungen und subkortikaler Demenz, oft weitere neurologische und vegetative Defizite wie Inkontinenz, Gangstörung. Stufenweise Verschlechterung ist typisch, tritt v. a. bei arterieller Hypertonie auf (hypertensive Enzephalopathie) 4 Mischformen 4 Intrazerebrale Hämatome 4 CADASIL (zerebrale autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie) Epidemiologie. Zweithäufigste Ursache einer Demenz,
M>W.
Hirninfarkt) und Befund (demenzielles Syndrom, ggf. neurologische Defizite). > Für die Diagnose ist der zeitliche Zusammenhang zur zerebrovaskulären Störung wichtig, etwa Auftreten eines demenziellen Syndroms zusammen mit einem Hirninfarkt oder TIA. Schrittweise oder abrupte Verschlechterung spricht für eine vaskuläre Demenz. Oft treten früh Stürze, Gangstörungen und Inkontinenz auf.
4 Bildgebung: Zeichen zerebraler Ischämien wie Lakunen, Infarkte oder subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie 4 EEG: evtl. fokale Veränderungen 4 Ggf. kardiologische Zusatzuntersuchungen (kardiovaskuläre Erkrankung?) 4 Erfassung zerebrovaskulärer Risikofaktoren Therapie. Behandlung der zerebrovaskulären Grunder-
krankung/Risikofaktoren. Evtl. medikamentöse Therapie mit Ginko biloba, Pentoxyphyllin. Therapie von Begleiterkrankungen und Folgen (medikamentös, Physiotherapie etc.). 1.6.3.4 Demenz bei HIV-Enzephalopathie Definition. Subakut bis chronisch progredient verlau-
fende subkortikale Demenz bei HIV-Infektion. Epidemiologie. 10–20% der HIV-Infizierten im fortge-
schrittenen Stadium. Symptomatik. Konzentrations- und Gedächtnisstö-
rungen, psychomotorische Verlangsamung, leichte kognitive Störungen bis Demenz, Mutismus, Antriebsminderung, sozialer Rückzug, depressive Symptomatik, Motorische Störungen bis zur spastischen Tetraparese
65 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
(Feinmotorik, extrapyramidale oder zerebelläre Störungen). Diagnostik. Zur Diagnostik gehören:
4 Nachweis einer HIV-Infektion 4 MRT: T2-Hyperintensitäten in der tiefen weißen Substanz und in den Basalganglien, globale kortikale Atrophie 4 EEG: unspezifisch, oft Verlangsamung des Grundrhythmus 4 Evtl. EP 4 Liquordiagnostik: Leichte entzündliche (lymphozytäre) Veränderungen. Nachweis der HI-
1
Viruslast, Ausschluss/Nachweis einer opportunistischen Infektion mittels PCR: JC-Virus(progressive multifokale Leukenzephalopathie) oder CMV Therapie. HAART mit liquorgängigen Substanzen: Azidothymidin oder Stavudin als Kombinationspartner. Symptomatische Therapie, ggf. Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik, ggf. Therapie von opportunistischen Infektionen. Prognose. Ohne Therapie Überlebenszeit nach Diag-
nose nur 5–6 Monate.
In Kürze Demenz. Die Diagnose Demenz wird klinisch gestellt! Diagnosekriterien: Gedächtnisstörungen + zusätzlich Beeinträchtigung von mindestens 2 kognitiven Bereichen Morbus Alzheimer
4 Symptomatik: schleichender Beginn, progredienter Abbau kognitiver Fähigkeiten, Gedächtnisstörungen, früh Aphasie und Apraxie; Beeinträchtigung vom sozialen und beruflichen Alltagsleben. 4 Ätiologie: meist multifaktoriell, selten autosomal-dominant vererbt 4 Diagnostik: histopathologische Diagnose; klinische Hinweise: keine andere Ursache nachweisbar, progrediente parietotemporal betonte Hirnatrophie in der Bildgebung 4 Therapie: medikamentös evtl. Cholinesterasehemmer, Antioxidanzien, Glutamat-Antagonisten
Vaskuläre Demenz
4 Symptomatik: Subkortikale Demenz: Verlangsamung gedanklicher Abläufe, psychomotorische Verlangsamung, Aufmerksamkeitsstörungen, emotionale und Stimmungsveränderungen 4 Kortikale Demenz: umschriebene neuropsychologische Syndrome oder generelle kognitive Defizite 4 Ätiologie: kortikale Infarkte (Multiinfarktdemenz), multiple lakunäre Infarkte (Status lacunaris), Binswangersche Erkrankung (hypertensive Enzephalopathie) 4 Diagnostik: Ausschluss anderer Demenzursachen. Oft zeitlicher Zusammenhang zu einer zerebrovaskulären Störung bzw. schrittweise oder abrupte Verschlechterung. Erfassung zerebrovaskulärer Risikofaktoren, Zeichen zerebraler Ischämien in der Bildgebung, EEG: evtl. fokale Veränderungen, EKG, Langzeit-EKG, Echokardiographie, RR-Messungen, Gefäßdoppler 4 Therapie: Ausschaltung kardiovaskulärer Risikofaktoren, Sekundärprophylaxe
Demenz mit LewyKörperchen
4 Symptomatik: Kombination kortikaler Demenz mit L-Dopa-sensitiven Parkinsonsymptomen, Fluktuationen, gestörte räumlich-konstruktive Leistungen, visuelle Halluzinationen 4 Ätiologie: neurodegenerative Erkrankung 4 Diagnostik: klinische Diagnose 4 Therapie: Therapie von Parkinsonsymptomen
Demenz bei HIV
4 Symptomatik: Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, psychomotorische Verlangsamung, leichte kognitive Störungen bis Demenz, Mutismus, Antriebsminderung, sozialer Rückzug, depressive Symptomatik, Motorische Störungen 4 Ätiologie: HIV-Infektion im fortgeschrittenen Stadium 4 Diagnostik: HIV-Diagnostik, MRT: Hyperintensitäten in T2, EEG mit unspezifischen Veränderungen, Ausschluss einer opportunistischen Infektion 4 Therapie: Therapie der HIV-Infektion (HAART) inkl. opportunistischer Infektionen
66
1
Kapitel 1 · Neurologie
1.6.4 Degenerative Erkrankungen mit
Ätiopathogenese. Überwiegend sporadisch, seltener autosomal-dominant erblich, selten Mutationen im Gen einer Superoxiddismutase oder im Alsingen.
4 Frühzeitige Aufklärung von Patient und Angehörigen 4 Physio- und Ergotherapie, Logopädie, orthopädische Hilfsmittel 4 Pneumonieprophylaxe 4 Psychische Unterstützung 4 Symptomatische medikamentöse Therapie bei Schmerzen, Spastik, Depression etc. 4 Bei chronisch respiratorischer Insuffizienz Heimbeatmung, Mukolytika, ausreichend Flüssigkeitszufuhr
Epidemiologie. 2/100.000/Jahr, Beginn oft um das
Prognose. Progrediente Paresen, nach 3–5 Jahren Tod
60. Lebensjahr.
durch Ateminsuffizienz.
Leitsymptom Schwäche, Muskelatrophie 1.6.4.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) Definition. Degenerative Erkrankung des 1. und 2. motorischen Neurons.
Symptomatik. Anfangs oft distal betonte Muskelschwä-
1.6.4.2 Spinale Muskelatrophie
che/-atrophie (Handmuskeln, Fußheber). Bulbäre Symptome zu Beginn bedeuten eine schlechte Prognose, im Verlauf sind sie häufig. Die Symptomatik kann einseitig beginnen (hemiplegische Variante).
Definition. Degenerative Erkrankung des 2. motori-
schen Neurons. Ätiopathogenese. Erblich oder sporadisch, im Ver-
gleich zur ALS häufiger hereditär. > Zeichen der Schädigung des 1. Motoneurons und der Pyramidenbahn (gesteigerte MER und Spastik) treten typischerweise zusammen mit Zeichen der Schädigung des 2. Motoneurons (Muskelschwäche, -atrophie, schlaffe Lähmung, Krämpfe, Faszikulationen) auf.
Oft gesteigerte emotionale Labilität, pathologisches Weinen und Lachen. Harnblasen- und Analsphinkter sowie okulomotorische Hirnnervenkerne sind selten betroffen. > Sensible Störungen sind in der Regel nicht vorhanden.
Epidemiologie. 1:5000–1:10.000. Symptomatik. Langsam progrediente periphere Muskellähmung und -atrophie, Faszikulationen der Muskeln, erloschene MER, keine Pyramidenbahnzeichen. Bulbäre Störungen wie Kau- und Schluckstörungen, Dysarthrie, Heiserkeit, Fazialisparese, Zungen- und Augenlidfaszikulationen. Sensible oder vegetative Störungen fehlen. Sekundär können durch Fehlhaltungen Skelettanomalien auftreten.
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Bildgebung: Ausschluss einer Myelopathie 4 EMG: Riesenpotenziale (Aussprossen der α-Motoneuronen im Rückenmark auf bereits untergegangene Neurone, dadurch vergrößerte motorische Einheiten), Fibrillationen 4 NLG: meist normal, ggf. geringe Verzögerung der motorischen NLG 4 Muskelbiopsie bei atypischem Krankheitsbild: neurogene Muskelatrophie 4 Bei Ateminsuffizienz Bestimmung von Vitalkapazität, Blutgasen 4 Liquordiagnostik: oft Eiweißerhöhung 4 Evtl. MEP: Erhöhung der zentral-motorischen Leitzeit (Leitzeit im Tractus cerebrospinalis). Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Medikamentös: neuroprotektives Riluzol (Rilutek) hemmt die Glutamat-Ausschüttung, verbessert die Überlebenszeit
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 4 4 4
EMG: neurogene Muskelatrophie NLG: meist Normalbefund Labor: CK nicht oder leicht erhöht Muskelbiopsie: neurogene Muskelatrophie.
Therapie. Krankengymnastik, Hilfsmittel, Selbsthilfe-
gruppen. Spastische Spinalparalyse Seltene, überwiegend erbliche degenerative Erkrankung des 1. motorischen Neurons mit Degeneration der Pyramidenbahn, geringe Degeneration der spinozerebellären Bahnen sowie der Hinterstränge. Es kommt zu langsam progredienter spastischer Paraparese, meist mit geringen sensiblen und vegetativen Symptomen. Die Therapie ist symptomatisch.
67 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
1
In Kürze Degenerative Erkrankungen mit Leitsymptom Muskelschwäche und -atrophie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
4 Symptomatik: Zeichen der Schädigung des 1. Motoneurons (gesteigerte MER und Spastik) und des 2. Motoneurons (Muskelschwäche, -atrophie, schlaffe Lähmung, Krämpfe, Faszikulationen), keine sensiblen Störungen 4 Ätiologie: überwiegend sporadische degenerative Erkrankung, seltener autosomaldominant erblich 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Bildgebung, EMG: Riesenpotenziale, Fibrillationen, erhöhte zentral-motorische Leitzeit 4 Therapie: neuroprotektives Riluzol, Aufklärung, Physiotherapie, symptomatische Therapie
Spinale Muskelatrophie
4 Symptomatik: langsam progrediente periphere Muskellähmung und -atrophie, Faszikulationen, Ausfall von MER, keine Pyramidenbahnzeichen 4 Ätiologie: degenerative Erkrankung des 2. Motoneurons 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, EMG und Muskelbiopsie: Zeichen einer neurogenen Muskelatrophie 4 Therapie: symptomatisch
1.6.5 Degenerative Erkrankungen mit
Leitsymptom Ataxie Definition. Ataxie: Störung der Koordination von Be-
wegungsabläufen aufgrund von Asynergie (gestörtes Zusammenspiel von Agonisten und Antagonisten) und Dysmetrie (gestörte Abmessung von Zielbewegungen).
1.6.5.1 Friedreich-Ataxie Ätiopathogenese. Autosomal-rezessiv vererbte Mutation im Fataxin-Gen (GAA-Repeat-Expansion, gestörter Einbau von Eisen in Atmungsketten-Enzyme). Degeneration von langen spinalen Bahnen (spinozerebellären Bahnen, Hintersträngen, evtl. Pyramidenbahn) sowie Nucleus dentatus und axonale Neuropathie. Epidemiologie. 1:30.000, häufigste erbliche Ataxie.
Ätiopathogenese. Nach dem Ort der Läsion unter-
scheidet man zerebelläre, afferente (spinale Ataxie oder Läsion peripherer Nerven) und vestibuläre Ataxie. Ätiologisch werden unterschieden: 4 Hereditäre Ataxie (Friedreich-Ataxie) 4 Nichterblich degenerative Ataxie 4 Erworbene symptomatische Ataxie. Symptomatik. Zeichen der Ataxie:
4 4 4 4 4 4 4 4
Stand-, Gang- und Rumpfataxie Gestörte Zielbewegungen Tremor Gestörte Feinmotorik Dysdiadochokinese Pathologisches Rebound-Phänomen Dysarthrie, Dysarthrophonie Megalographie (verzitterte, übernormal große Schrift) 4 Gestörte Okulomotorik: Nystagmus, Oszillopsien, sakkadierte (ruckartige) Augenbewegungen beim Hin- und Herblicken
Symptomatik. Beginn vor dem 25. Lebensjahr mit progressiver Ataxie, Areflexie der unteren Extremitäten und Dysarthrie. Zusätzlich evtl. distale atrophische Paresen, Hohlfuß, Kyphoskoliose, Hinterstrangsensibilitäts-Störungen, Okulomotorikstörungen, Optikusatrophie, Schwerhörigkeit, Schwindel, Demenz, Kardiomyopathie, kardiale Reizleitungsstörungen, in 10% Diabetes mellitus. Diagnostik. Familienanamnese, Befund.
4 MRT: Atrophie des zervikalen Rückenmarks, keine wesentliche Kleinhirnatrophie 4 ENG: axonale Neuropathie 4 Kardiologische Untersuchung, Ausschluss eines Diabetes mellitus 4 Molekulargenetische Diagnostik Therapie. Symptomatisch, genetische Beratung. Prognose. Gehunfähigkeit nach 15, Tod nach 35 Jahren.
68
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Kapitel 1 · Neurologie
Weitere hereditäre Ataxien 4 Ataxia teleangiectatica (Louis-Bar-Syndrom): Seltene autosomal-rezessiv vererbt mit Mutation im DNA-Reparatur-System. Beginn in der Kindheit mit: Augenbewegungsstörungen (Frühsymptom), Ataxie, okulokutane Teleangiektasien, Pigmentflecken, PNP, kombiniertem Immundefekt (Immunglobulinmangel und Störung der zellvermittelten Immunität) mit Sinusitiden, bronchopulmonalen Infekten, Bronchiektasen, respiratorischer Insuffizienz, 10- bis 20%-iges Leukämie- bzw. Lymphom- sowie erhöhtes Mammakarzinomrisiko. Zur Diagnostik gehören Anamnese, Befund, CMRT, ENG, erhöhtes α-Fetoprotein im Serum, In-vitroTest: erhöhte Strahlensensitivität von Lymphozyten, molekulargenetische Diagnostik. Die Therapie umfasst symptomatische Maßnahmen sowie eine genetische Beratung. 4 Dominant vererbte spinozerebelläre Ataxien (SCA, Nonne-Marie-Krankheit): Verschiedene genetische Subtypen, z. T. wurden CAG- oder CGT-Repeat-Expan-
sionen identifiziert; Beginn meist mit 30–50 Jahren: zunehmende Gang- und Standataxie, muskuläre Hypotonie, Dysdiadochokinese, Dysarthrie (Löwenstimme), Dysphagie, gestörte Okulomotorik, Faszikulationen, Hyperreflexie, choreatischen Bewegungsstörungen. Bei SCA3 (Machado-Joseph-Krankheit, häufigste Form) zusätzlich PNP und Demenz. 4 Sporadische degenerative Ataxie bei Multisystematrophie (MSA) 4 Kleinhirndegeneration durch chronischen Alkoholismus: Stand- und Gangataxie stehen imVordergrund. Neben der toxischen Alkoholwirkung wird auch die begleitende Malnutrition (Vitamin-B1-Mangel) als Ursache diskutiert. 4 Paraneoplastische Kleinhirndegeneration: Autoimmunvermittelte zerebelläre Degeneration, Symptome gehen der Tumorentdeckung oft vorraus. Beispiele: kleinzelliges Bronchialkarzinom (Anti-Hu-Antikörper), Ovarial- und Mammakarzinom (Anti-Yo bei gynäkologischen Tumoren), Lymphom (Anti-Tr beim M. Hodgkin).
In Kürze Hereditäre Ataxien Friedreich-Ataxie
4 Symptomatik: vor dem 25. Lebensjahr beginnende progressive Ataxie, Areflexie der unteren Extremitäten und Dysarthrie, distale atrophische Paresen 4 Ätiologie: autosomal-rezessiv vererbte Mutation im Fataxin-Gen 4 Diagnostik: (Familien-)Anamnese, Befund, MRT, ENG: axonale Neuropathie, kardiologische und endokrinologische Untersuchung, molekulargenetische Diagnostik 4 Therapie: symptomatisch, genetische Beratung
1.6.6 Fehlbildungen von Gehirn
und Rückenmark 1.6.6.1 Neurofibromatose Definition. Neurokutanes Syndrom (Phakomatose): Fehlbildung aller 3 Keimblätter in der Embryogenese mit ektodermalen bzw. mesenchymalen Tumoren sowie kongenitalen Gefäßveränderungen an Haut, Augen und ZNS. Unterschieden werden: 4 Typ 1(NF 1): peripherer Typ, RecklinghausenKrankheit 4 Typ 2 (NF 2): zentraler Typ
Symptomatik. Typisch sind:
4 ZNS: NF1: mentale Retardierung, Optikus-/Chiasmagliome; NF2: uni- oder bilaterale Akustikusneurinome, Meningeome 4 Augen: Lisch-Knötchen (Irishamartome) bei NF1 4 Haut: multiple Neurofibrome (maligne Transformation in 5%), Pigmentanomalien: Café-au-laitFlecken, axilläre und inguinale Lentigines 4 Bei NF1 auch Phäochromozytom, Knochenanomalien, Skoliose, gehäuft Hypertonie Diagnostik. (Familien-)Anamnese, Befund, ggf. Bild-
gebung zum Nachweis der Tumoren. Ätiopathogenese. Autosomal-dominant erbliche
Mutation oder Neumutation in Tumorsuppressorgenen Neurofibromin (NF1) bzw. Merlin/Schwannomin (NF2).
Therapie. Gegebenenfalls chirurgische Tumorentfer-
Epidemiologie. NF1: 1:3000, NF2: 1:35.000.
Definition. Dysraphische Fehlbildungen: Störungen in
nung, Chemotherapie. 1.6.6.2 Spina bifida der frühen Embryonalentwicklung mit mangelhafter
69 1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
1
Rückenmark- oder Gehirnanlage bzw. Hemmung des Schließungsprozesses der Neuralplatten.
nal, meist im HWS- oder BWS-Bereich bzw. Syringobulbie in der Medulla oblongata.
Ätiopathogenese. Genetisch, mechanisch, infektiös, alimentär (Folsäuremangel) oder toxisch (Valproat) intrauterine Schädigungen. Unterschieden werden: 4 Spina bifida totalis: vollständige Spaltung von Wirbelsäule und Rückenmark, nicht mit dem Leben vereinbar 4 Spina bifida partialis: Teilspaltung als 5 Meningozele: Protrusion von Dura und Arachnoidea bei normaler Lage vom Rückenmark im Spinalkanal 5 Meningomyelozele: Protrusion von Rückenmark oder Cauda equina mit den Meningen durch knöchernen Defekt. Je nach Läsionshöhe unterschiedliche motorische und sensible Ausfällen (Lähmung von Beinen, Blase, Mastdarm) 5 Myelozele: Protrusion von Rückenmark oder Cauda equina durch knöchernen und meningealen Defekt 4 Spina bifida aperta: offene Form mit Freiliegen vom Rückenmark 4 Spina bifida cystica: Defekt unter intakter Haut 4 Spina bifida occulta: äußerlich nicht sichtbarer knöcherner Schließungsdefekt bei normaler Lage von Rückenmark und Meningen, meist lumbosakral. Weitgehend normale Anlage und Funktion von Rückenmark und Weichteilen über dem Defekt, äußerlich oft abnorme Behaarung, Pigmentierung und Grübchenbildung 4 Tethered cord: Adhäsion von Rückenmark oder Nervenwurzeln/Filum terminale am Spinalkanal. Durch relatives Höhertreten vom Rückenmark während des Wachstums kommt es zu Traktionsläsionen
Symptomatik. Manifestation meist im 2. oder 3. Le-
Symptomatik. Abhängig von der Schädigung:
4 Spina bifida occulta: häufig asymptomatisch 4 Spina bifida partialis: oft sensomotorische Querschnittssymptomatik, neurogene Blasenstörung Diagnostik. Anamnese, Befund, Bildgebung. Therapie. Offene Spina bifida: operativer Verschluss
innerhalb von 24–36 h, orthopädische Behandlung sekundärer Deformitäten. Prophylaxe. Gabe von Folsäure bereits vor der Konzeption und in der (Früh-)Schwangerschaft. 1.6.6.3
Syringomyelie
Definition. Dysraphische Störung mit Höhlenbildung
im Rückenmark oft parazentral neben dem Zentralka-
bensjahrzehnt durch Druckschädigung des Tractus spinothalamicus sowie der Pyramidenbahn. Hinterstränge bleiben häufig intakt. Diffuser Schulter-ArmSchmerz, trophische Störungen mit Mutilationen der Finger. Thoraxdeformität und Kyphoskoliose im Verlauf durch die Paresen der Rückenmuskulatur. 4 Horner-Syndrom: Ptosis, Miosis (und Enophthalmus) bei Sympathikus-Läsion im Rückenmark-Seitenhorn 4 Unterhalb der Läsion dissoziierte Empfindungsstörung und spastische Parese 4 Auf Höhe der Läsion je nach Lokalisation unterschiedliche Kombinationen von Empfindungsstörungen (alle sensiblen Qualitäten bei Läsion der Hinterwurzeln oder dissoziierte Empfindungsstörung bei Druck auf die Commissura ant.) und schlaffen Paresen 4 Bei Syringobulbie: Nystagmus, dissoziierte Sensibilitätsstörungen des Gesichts und motorische Hirnnervenausfälle Diagnostik. Anamnese, Befund, Bildgebung (spinales
CT/MRT): Lokalisation und Ausdehnung. Therapie. Evtl. neurochirurgische Drainage.
1.6.6.4 (Arnold-)Chiari-Malformation Definition. Komplexe kraniozervikale embryonale Fehlbildung. Ätiopathogenese. Kaudalverlagerung von Kleinhirn und Hirnstamm mit Aquäduktstenosen (Liquorabflussstörungen und Hydrozephalus); oft assoziiert mit Spina bifida oder Syringomyelie. Unterschieden werden: 4 Chiari I: Herniation der zerebellären Tonsillen und/oder der Medulla oblongata durch das erweiterte Foramen magnum 4 Chiari II: Kleinhirnhypoplasie, zystische Erweiterung des 4. Ventrikels, Erweiterung der hinteren Schädelgrube 4 Chiari III: Kombination aus Chiari II und einer okzipitalen oder hochzervikalen Enzephalozele Epidemiologie. 1:25.000. Symptomatik. Neugeborene können durch Hydrozephalus oder Meningomyelozele auffallen. Weitere Symptome können durch Schädigung von Kleinhirn,
70
1
Kapitel 1 · Neurologie
kaudalen Hirnnerven, oberen Zervikalnerven (Daumenballenatrophie) und Hirnstamm (Atem-, Herzrhythmusstörungen) entstehen, evtl. Nacken- od. Hinterkopfschmerzen.
Diagnostik. Anamnese, Befund, CMRT, Schädelsonogra-
phie, SEP des N. medianus, AEP, Polysomnographie. Therapie. Gegebenenfalls Operation.
In Kürze Fehlbildungen von Gehirn und Rückenmark
1.7
Neurofibromatose
4 Symptomatik: mentale Retardierung, Optikus-/Chiasmagliome, Akustikusneurinome, Meningeome; Lisch-Knötchen der Iris, Neurofibrome, Café-au-lait-Flecken, axilläre und inguinale Lentigines, ggf. Phäochromozytom, Knochenanomalien, Skoliose, gehäuft Hypertonie 4 Ätiologie: Phakomatose, autosomal-dominant erblich, oft Neumutation 4 Diagnostik: Familienanamnese, ggf. Tumorsuche 4 Therapie: ggf. Tumorentfernung/Chemotherapie
Spina bifida
4 Symptomatik: Spina bifida occulta: häufig asymptomatisch; Spina bifida partialis: oft sensomotorische Querschnittssymptomatik, neurogene Blasenstörung 4 Ätiologie: dysraphische Fehlbildungen bei genetischer, mechanischer, infektiöser, alimentärer (Folsäuremangel) oder toxischer (Valproat) intrauterine Schädigung 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Bildgebung 4 Therapie: bei offener Spina bifida operativer Verschluss, ggf. orthopädische Versorgung
Arnold-ChiariSyndrom
4 Symptomatik: Hydrozephalus, Meningomyelozele, Symptome durch Schädigung von Kleinhirn, Hirnstamm, kaudalen Hirnnerven, oberen Zervikalnerven Hirnstamm 4 Ätiologie: kraniozervikale embryonale Fehlbildung mit Kaudalverlagerung von Kleinhirn und Hirnstamm 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, CMRT, Schädelsonographie, SEP des N. medianus, AEP, Polysomnographie 4 Therapie: ggf. Operation
Infantile Zerebralparese
Definition. prä-, peri- oder postnatal erworbener Hirn-
schaden. Ätiopathogenese. Ursachen können sein:
4 Ischämie: Anoxie, Asphyxie des Feten/Neugeborenen 4 intrazerebrale Blutung 4 Kernikterus 4 Infektion 4 Traumatisch 4 Toxisch Epidemiologie. Prävalenz: 9/100.000. Symptomatik. Neugeborene können durch reduzierte Spontanbewegungen, Opisthotonus oder verzögerte
motorische Entwicklung auffallen. Entsteht die Schädigung pränatal, kann schon bei der Geburt ein einseitiger Wachstumsrückstand der gelähmten Extremität auffallen. Morbus Little: Häufigste Form mit beinbetonter Tetra- oder Paraparese, Adduktionsspasmus und Spitzfußstellung. Extrapyramidale Hyperkinesien (Athetose oder Choreoathetose bei Kernikterus), zerebelläre Symptome, Augenbewegungsstörungen, Epilepsie, Hörstörungen und geistige Behinderung oder Teilleistungsstörungen können hinzukommen. Diagnostik. Anamnese, Befund. Therapie. Früher Beginn einer Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage.
71 1.8 · Epilepsie
1
In Kürze Infantile Zerebralparese
1.8
4 Symptomatik: mögliche Symptome beim Neugeborenen: Reduzierte Spontanbewegungen, Opisthotonus, verzögerte motorische Entwicklung. Morbus Little: häufigste Form mit beinbetonter Tetra- oder Paraparese 4 Ätiopathogenese: prä-, peri- oder postnatal erworbener Hirnschaden (durch z. B. Ischämie, Kernikterus etc.) 4 Diagnostik: Anamnese, Befund 4 Therapie: Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage
Epilepsie
Definition. Erkrankung mit rezidivierenden oft spon-
tan auftretenden epileptischen Anfällen. Ätiopathogenese. Paroxysmale, rhythmische, abnorm synchrone Entladung einer kortikalen Neuronengruppe, regional begrenzt oder generalisiert. Unterschieden werden: 4 Idiopathische Epilepsie bei vermuteter oder nachgewiesener genetischer Disposition, überwiegend primär generalisiert mit altersgebundenem Beginn meist bis zum 20. Lebensjahr. 4 Kryptogene Epilepsien vermutlich symptomatisch, die Ursache ist aber nicht nachweisbar 4 Symptomatische Epilepsie als Ausdruck einer Grunderkrankung, beginnt meist fokal, Ursachen: 5 Tumor, erhöhter Hirndruck, SHT, Infektion 5 Zerebrovaskuläre Prozesse wie Ischämien, Blutungen 5 Hirnatrophische Prozesse (Ammonshornsklerose) 5 Metabolische Störung 5 Schwangerschaft (Eklampsie) 5 Toxisch: Alkohol, Medikamente 5 Drogen-/Medikamentenentzug: Alkohol, Benzodiazepine, Barbiturate 5 Perinataler Hirnschaden 5 Fehlbildungen, Gefäßmalformationen, Phakomatosen > Beginnt die Erkrankung nach dem 30. Lebensjahr, besteht immer der Verdacht auf symptomatische Epilepsie.
Epidemiologie. Epilepsie: 0,5–1% der Bevölkerung, 5% haben einmal in ihrem Leben einen epileptischen Anfall. Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Fokale Anfälle: Beginn lokal, überwiegend symptomatisch
5 Einfache fokale/partielle Anfälle von umschriebenem Hirnareal ausgehend, keine Bewusstseinsstörung – Somatosensible, sensorische, psychische Symptome: subjektiv Sehstörungen, Kribbelgefühl, Übelkeit, Angst, erlebte Gedanken und Bilder (déjà vu). Symptome sind oft hinweisend auf die Lokalisation des Herdes – Motorisch: tonisch oder klonisch, oft unwillkürliche rhythmische Zuckungen oder Versteifungen einer Körperregion oder -hälfte, postiktal evtl. Parese (Todd-Lähmung) – Jackson-Anfall: fokale Anfälle mit Ausbreitung von distal nach proximal (»march of convulsion«), sensible bzw. motorische EEG: Spikes – Versivanfall: frontal generiert. Mit typischer tonischer Wendebewegung von Augen, Kopf, evtl. auch Schulter und Arm (Fechterstellung) zur Gegenseite des Herdes – Sensomotorisch,Rolando-Epilepsie(benigne Epilepsie des Kindesalters): 10% der kindlichen Epilepsien. Beginn im 3.–13. Lebensjahr mit guter Prognose (Meist Sistieren nach der Pubertät), familiäre Häufung, M>W, vorwiegend nächtliche fokale Krämpfe mit einseitigen Parästhesien und tonischer Verziehung oder tonisch-klonischer Zuckung im Gesichtsbereich, Sprachunfähigkeit, Speichelfluss, kann generalisieren, EEG: zentrotemporaler »Sharp-wave«-Fokus – Epilepsia partialis continua (Kozhevnikov-Syndrom): fast kontinuierliche rhythmische muskuläre Zuckungen eines Körperbezirks, über Stunden, Tage oder sogar Jahre bestehend, kann auch im Schlaf persistieren 5 Komplex fokale Anfälle (psychomotorischer Anfall, Temporallappenepilepsie) mit Bewusstseinsstörungen und stadienhaftem Ablauf – Oft Beginn mit Aura (sensorische, autonome oder psychische Erscheinungen)
72
1
Kapitel 1 · Neurologie
– Bewusstseinsstörung, psychomotorische Verlangsamung, Desorientiertheit – Dämmerattacke/Dämmerzustand (scheinbar geordnetes Ausführen komplexer Handlungen oder Handlungsfolgen) – Unwillkürliche motorische Erscheinungen: oroalimentäres Kauen und Schlucken, andere Sterotypien wie nestelnde Bewegungen, Gestikulieren oder Erstarrung – anschließend >1 min lange Reorientierungsphase (postiktale Verwirrtheit, Amnesie) 5 Fokale Anfälle mit sekundärer Generalisation: von einem Fokus ausgehend, im Verlauf Generalisierung 4 Generalisierte Anfälle 5 Grand mal Anfall: Leitsymptom ist der generalisierte tonisch-klonische Anfall (Grandmal-Anfälle können auch nur tonisch oder nur klonisch ablaufen) – Mit oder ohne Aura – Oft Initialschrei – Plötzliches Hinstürzen mit großem Verletzungsrisiko – 20–30 s dauernde tonische Phase mit Verkrampfung der Muskulatur (Kopfhaltung gebeugt oder opisthoton, oft gebeugte Arme und gestreckte Beine) und Zungenbiss – Oft Apnoe, das Gesicht ist erst blass, dann zyanotisch – Generalisierte, oft seitengleiche Kloni (Zuckungen der Arme und Beine) – Speichelfluss, Einnässen, Einkoten, lichtstarre Pupillen – Gesamtdauer 1–2 min – Amnesie ca. 10 min – Terminalschlaf – Aufwachepilepsie: Grand mal nur in der Aufwachphase – Schlafepilepsie: nur nachts, aus dem Schlaf heraus, berufliche und soziale Karriere meist unbehindert 5 Petit-mal-Anfall – Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe (BNS, WestSyndrom, »propulsiv petit mal«): meist zerebrale Vorschädigung, wie perinataler Hirnschaden, tuberöse Sklerose, Phenylketonurie, deshalb oft zusätzliche neurologische Ausfälle und Entwicklungsrückstand, Prognose dann eher schlecht. Beginn fast immer im Säuglingsalter. Anfälle v. a. morgens nach dem Erwachen. Ein Blitzkrampf äußert sich durch kurz dauernde Zuckung wie ein Blitz durch den Körper mit rascher Beugung von
Kopfes und Rumpfes, Auseinanderbreiten und Beugen der Arme, Anziehen der Beine. Neigung zum Auftreten in Serien (20–30 Anfälle hintereinander mit kurzen Pausen) – Astatische Anfälle: plötzlicher Sturz ohne Vorboten – Atonisch-astatischer Anfall: Erschlaffung der Rumpf- und Standmuskulatur – Tonisch-astatischer Anfall: Muskelverkrampfung – Myoklonisch-astatischer Anfall: blitzartige kurze Verkrampfung, danach Sturz – Lennox-Gastaut-Syndrom: myoklonischastatische Anfälle, häufig symptomatisch (bei Hirnschaden), Auftreten im Alter von 2–8 Jahren, M>W, oft nach dem Erwachen. Die Prognose ist schlecht, etwa 20% der Patienten hatten zuvor ein WestSyndrom – Juvenile myoklonische Epilepsie (»impulsiv petit mal«): meist idiopathisch bei 10- bis 20-Jährigen mit guter Prognose, oft nach dem Erwachen, 2–3 s unsystematische Zuckungen, z. B. der oberen Extremität ohne wesentliche Bewusstseinseinschränkung 5 Absencenepilepsie: kurze, bis 30 s lange Bewusstseinspause, teilweise zusätzlich motorische Entäußerungen – Absencenepilepsie des früheren Schulalters (Pyknolepsie): Beginn mit 2‒8 Jahren, täglich bis 100 Absencen. Kinder können durch kurze Bewusstseinspausen (Innehalten der gerade durchgeführten Tätigkeit, Hans guck in die Luft) auffallen. Gute Prognose, bei ungenügender Behandlung evtl. später Grand-mal-Anfälle – Absencenepilepsie des Jugendalters: Beginn mit 9–15 Jahren, viel seltener Absencen, häufig Grand-mal-Anfälle Mögliche Komplikationen: 4 Status epilepticus 4 Morphologische Veränderungen, iktogene Hypoxie, Ammonshornsklerose 4 Epileptische Wesensveränderungen: psychomotorische Verlangsamung, Umständlichkeit im Denken und Handeln, enechetisches (klebriges) Wesen, Demenz 4 Verletzungen durch Stürze, Wirbelkörperfrakturen 4 Nebenwirkungen der Antiepileptika 4 Suizid
73 1.8 · Epilepsie
Diagnostik. (Fremd-)Anamnese ist bei erstmaligem
Auftreten eines epileptischen Anfalls oder zu Beginn einer Epilepsie oft entscheidend für die Einordnung. Bei bekannter Epilepsie ist sie wichtig zur Erkennung von Unterschieden zu vorangegangen Anfällen und Auslösern. Sie umfasst: Zeitpunkt des Auftretens, Dauer, betroffene Körperregion, Reihenfolge der aufgetretenen Phänomene (Prodromi, Aura, Bewusstseinsstörung, Amnesie, sensorische, motorische, vegetative Entäußerungen, postiktale Lähmungen, Sprachstörungen, Desorientiertheit, Folgen wie lateraler Zungenbiss, Einnässen, Einkoten, Verletzungen), Identifizierung von Provokationsmechanismen: Schlafentzug, Hyperventilation, Alkohol (Exzesse, Abusus, Entzug), Drogenkonsum, Medikamente, Menstruation, Stress, Computerspielen/ Musterprovokation/Flackerlicht; Familienanamnese, Gehirnerkrankung, internistische Erkrankung. Ausschluss/Nachweis einer symptomatischen Genese bei Erstanfall oder bei Veränderung der klinischen Symptomatik: 4 CMRT, meist sensitiver als CCT 4 Liquordiagnostik 4 Labor: Blutbild, harnpflichtige Substanzen, Lebertransaminasen, Elektrolyte, Schilddrüsenhormone, CK, BSG, CRP, Vitamin B1, B6, B12, Folsäure, Blutzucker, Drogen- und Medikamentenscreening EEG: Ruhe-Wach-EEG, ggf. Provokation durch Hyperventilation, Fotostimulation, Schlafentzugs-EEG, mobiles Langzeit-EEG, simultane Video-EEG-Doppelbildaufzeichnung. Epilepsietypische Potenziale und Herdbefunde liefern Hinweise auf Ursprung und Art der Anfälle, während des Anfalls sind sie meist im OberflächenEEG nachweisbar. ! Cave Im Intervall zwischen epileptischen Anfällen ist das EEG in 30% normal. Andererseits haben 10% der Menschen ohne Epilepsie Krampfpotenziale im EEG. Die Diagnose wird deshalb in der Regel auf der Grundlage der Anfallsanamnese gestellt.
4 Grand-mal-Anfall 5 Klonische Anfälle/Phase: Im Anfall Spitzen (10/s oder schneller) und langsame Wellen im Wechsel, gelegentlich auch »Spike-wave«-Muster; im Intervall unterschiedliche Befunde. Bei primär generalisierten Epilepsien häufig kurze Paroxysmen von »Spike-and-wave«- oder »Poly-spike-and-wave«-Entladungen. 5 Tonische Anfälle/Phase: Im Anfall Folge von bilateral-symmetrischen kleinamplitudigen,
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rhythmischen 10–12–15/s Spitzen; im Intervall unterschiedliche Befunde. 4 Petit-mal-Anfall: 5 Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe: Hypsarrhythmie (langsame, unregelmäßige Wellen, eingelagerte epileptische Potenziale wechselnder Lokalisation und Häufigkeit auch im Intervall) 5 Lennox-Gastaut-Syndrom: 2/s »spike wave« 5 Juvenile myoklonische Epilepsie (»impulsiv petit mal«): »poly-spikes-and-waves« 4 Absencenepilepsie 5 Absencenepilepsie des frühen Schulalters: 3/s »Spike-wave«-Muster 5 Absencenepilepsie des Jugendalters: »Spikewave«-Entladungen schneller als 3/s > Die Diagnose Epilepsie ergibt sich in der Regel erst nach Auftreten mehrerer epileptischer Anfälle.
Ein einzelner epileptischer Anfall wird als Gelegenheitsanfall bezeichnet, er bedeutet ein hohes Risiko, dass sich eine Epilepsie entwickelt. Differenzialdiagnosen 4 Synkopen: Oft kardiovaskulärer Genese. 4 Psychogene (dissoziative) Anfälle: Können in affektiv belastenden Situationen auftreten, typisch sind eine extreme ventral-konvexe Flexion des Körpers (»arc de cercle«), Zuckungen und Tremor. Patienten sind oft nicht ansprechbar, der Zustand kann Stunden lang anhalten. Das EEG ist unauffällig. 4 TIA 4 Narkolepsie oder »drop attacks« 4 Transiente globale Amnesie (TGA): Unklare Ätiologie, vermutet wird eine passagere Funktionsstörung mediobasaler Temporallappenanteile. Inzidenz: 5– 10/100.000/Jahr, meist 50. bis 70. Lebensjahr. Es kommt plötzlich zu einer 1–24 h anhaltenden Gedächtnisstörung. Bei einigen Patienten lässt sich ein Auslöser wie z. B. körperliche Anstrengung feststellen. Während der Attacke tritt eine anterograde Amnesie auf, neue Informationen werden nur noch für einige Sekunden behalten. Die Orientierung zu Zeit und Situation ist gestört, die zur Person jedoch nicht. Die Betroffenen wirken ratlos und beunruhigt, stellen wiederholt die gleiche Frage. Es besteht auch eine retrograde Amnesie in Bezug auf die jüngere Vergangenheit. Komplexe Tätigkeiten wie Kochen, Autofahren und Kartenspielen können weiterhin verrichtet werden. Unspezifische Begleitsymptome wie Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen können vorkommen. Weitere neurologische Defizite und Bewusstseinstörungen fehlen. Diagnostisch ist der Ausschluss einer anderen Ursache (Intoxikation,
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Kapitel 1 · Neurologie
Trauma, Enzephalitis, Epilepsie) entscheidend. CMRT, CCT und EEG sollten Normalbefunde ergeben. 4 Fieberkrämpfe: 2–5% aller Kinder haben im Alter von 6 Monaten bis 4 Jahren bei Fieber derartige, meist generalisierte epileptische Anfälle, bei 1/3 treten 2 oder mehr Fieberkrämpfe auf. Unterschieden werden einfache und komplizierte Fieberkrämpfe, typisch sind: 5 Familiäres Auftreten einer Epilepsie 5 Mehrmaliges Auftreten während eines Infekts 5 Dauer >15 min 5 Fokale Anfälle 5 Zerebrale Vorschädigung 5 Hypersonore Aktivität im Intervall-EEG 4% der Kinder mit Fieberkrämpfen erkranken später an Epilepsie. Das Risiko ist höher bei komplizierten Krämpfen. Fieberkrämpfe treten familiär gehäuft auf. Todesfälle sind extrem selten, Folgeschäden nicht zu erwarten. Vor allem bei Säuglingen muss an Meningitis gedacht werden. 4 Respiratorische Affektkrämpfe (Wutkrämpfe):Treten bei ca. 3% der Kleinkinder auf und haben kein organisches Korrelat. Nach einem emotionalen Auslöser kommt es zu einem initialen Schrei, Atemanhalten, Zyanose und möglicherweise Bewusstlosigkeit. Auch klonisches Krampfen kann auftreten. Sie dauern weniger als 1 min. 4 Pavor nocturnus: Nachtangst bei Kleinkindern, die zum Aufwachen führt.
Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Beratung, Aufklärung, Ausschalten von Provokationsmaßnahmen, Vorsichtsmaßnahmen (Vermeidung gefährlicher Situationen bei Arbeit oder Freizeit, Autofahrverbot/Richtlinien zur Fahrtauglichkeit) 4 Bei symptomatischer Epilepsie Behandlung der Grundkrankheit 4 Die medikamentöse Therapie beruht auf Hemmung der neuronalen Erregung durch 5 Hemmung exzitatorischer Potenziale 5 oder Erregung inhibitorischer Potenziale durch direkte Interaktion mit neuronalen Rezeptoren oder Kanälen 5 oder Beeinflussung von Neurotransmittern. > Behandlungsziel ist Anfallsfreiheit, die bei fokalen Epilepsien in etwa 60% der Fälle und bei idiopathisch generalisierten Epilepsien in ca. 80% medikamentös erreicht wird.
Einige antikonvulsive Medikamente haben stark beeinträchtigende Nebenwirkungen. Begonnen wird die Therapie meist nach dem 2. oder 3. tonisch-klonischen
Anfall zunächst als Monotherapie, da das Wiederholungsrisiko mit 50% innerhalb eines Jahres hoch ist. Wenn selten Anfälle auftreten (<1- bis 2-mal pro Jahr), die Anfälle wenig belastend sind oder der Patient keine Medikation wünscht, kann auch bei mehrmaligem Auftreten darauf verzichtet werden. > Der Anfallstyp bestimmt wesentlich die Auswahl der Antikonvulsiva.
4 Bei symptomatischen und kryptogenen fokalen Epilepsien: 5 Klassische Medikamente: Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Valproinsäure 5 Neuere Medikamente: Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Topiramat, als Kombinationstherapie Tiagabin und Levetiracetam, Benzodiazepine, bevorzugt Clobazam 4 Erste Wahl bei Rolando-Epilepsie: Sultiam 4 Idiopathische Epilepsie mit generalisierten Anfällen: 5 Ersttherapie: Monotherapie mit Valproinsäure, bei Absencen alternativ Monotherapie mit Ethosuximid 5 Alternativ: Monotherapie mit Lamotrigin oder Topiramat 5 Bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation: Phenobarbital 5 Bei BNS-Krämpfen: ACTH oder Glukokortikoide ! Cave Bei Kombinationstherapie können sich Nebenwirkungen durch Medikamenteninteraktion v. a. klassischer Antikonvulsiva verstärken.
4 Epilepsiechirurgie: bei pharmakoresistenter fokaler Epilepsie 4 Vagusnervstimulator bei Pharmakoresistenz und Unmöglichkeit der Epilepsiechirurgie. Im Brustbereich wird ein Stimulationsgerät von der Größe eines Herzschrittmachers implantiert, das alle 5 min den linken N. vagus stimuliert. Die Wirksamkeit entwickelt sich erst im Laufe der Zeit. Therapieende: langsames Ausschleichen des Antiepileptikums bei chronischer Epilepsie frühestens nach mindestens einjähriger Anfallsfreiheit. Lag einem 1. epileptischen Anfall eine therapierte und ausgeheilte Ursache zugrunde, kann nach 6–12 Monaten ein Absetzversuch erfolgen.
75 1.8 · Epilepsie
1.8.1 Status epilepticus Definition. Epileptischer Anfall mit einer Dauer von >5 min bei generalisiert tonisch-klonischen Anfällen bzw. >20–30 min bei fokalen Anfällen und Absencen oder Abfolge von einzelnen epileptischen Anfällen in kurzen Abständen mit oben genannter Mindestdauer, zwischen denen klinisch oder elektroenzephalographisch keine vollständige Restitution erfolgt, z. B. das Bewusstsein nicht wiedererlangt wird. Atiopathogenese. Status generalisiert tonisch-klonischer Anfälle: Häufigster Status epilepticus mit einer Letalität von 20%. Häufigste Ursache ist das Absinken des Antikonvulsivaspiegels bei bekannter Epilepsie, meistens symptomatische Anfälle. Diagnostik. (Fremd-)Anamnese, Befund, EEG, Liquor-
diagnostik, weitere ätiologische Diagnostik. Therapie. Der Status epilepticus ist ein akut behandlungsbedürftiger neurologischer Notfall. Ein Status fokaler Anfälle und von Absencen ist nicht per se lebensbedrohlich, sollte aber ebenfalls unterbrochen werden. Bei bekannter Epilepsie sollte unmittelbar nach Blutentnahme zur Bestimmung des Serumspiegels des Antiepileptikums die Therapie eingeleitet werden.
Allgemeinmaßnahmen: 4 Lagerung zum Schutz vor Verletzungen während des Anfalls, bei postiktaler Bewusstseinstrübung stabile Seitenlage 4 Freihalten der Atemwege 4 Überwachung der Vitalfunktionen, ggf. Gabe von Sauerstoff 4 Bei symptomatischem Status epilepticus Behandlung der Ursache (Thiamin bei alkoholinduziertem Status, Glukose bei Hypoglykämie, Absetzen prokonvulsiver Medikamente) > Gummikeile zwischen Ober-/Unterkiefer und Fixierung der Extremitäten können die Verletzungsgefahr erhöhen!
Medikamentöse antikonvulsive i.v. Therapie: 4 Benzodiazepin (Lorazepam 4–8 mg, Diazepam 20–50 mg, Clonazepam 3–6 mg) 4 2. Schritt (ggf. parallel über einen separaten i.v. Zugang): Phenytoin oder Valproat i.v. 4 bei Versagen der Benzodiazepin- und Phenytointherapie intensivmedizinische Überwachung, eine Phenobarbital-Narkose kann versucht werden 4 Bei Versagen von Phenobarbital: Thiopental, Propofol, Midazolam unter EEG-Monitoring oder Valproat 4 Langfristig: Etablieren einer Dauermedikation
In Kürze Epilepsie Epilepsie
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1
4 Symptomatik: FOKALE Anfälle beginnen lokal und sind überwiegend symptomatisch: 5 Einfache fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörungen 5 Komplex fokale Anfälle: stadienhafter Verlauf: Aura, Bewusstseinsstörung, Sterotypien, Reorientierungsphase. 5 Fokale Anfälle können sekundär generalisieren 5 Generalisierte Anfälle: – Grand-mal-Anfälle meist generalisierte tonisch-klonische Anfälle mit oder ohne Aura – Petit-mal-Anfälle: Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe (BNS) = West-Syndrom = »propulsiv petit mal«, astatische Anfälle, juvenile myoklonische Epilepsie = »impulsiv petit mal« und Absencenepilepsie 4 Ätiologie: rezidivierend auftretende epileptische Anfälle, idiopathisch bei vermuteter oder nachgewiesener genetischer Disposition oder symptomatisch als Ausdruck einer identifizierbaren Grunderkrankung 4 Diagnostik: Eigen- und Fremdanamnese, Befund (evtl. neurologische Defizite bei symptomatischer Epilepsie, Zungenbiss?), Ausschluss einer symptomatischen Epilepsie (Labor, Bildgebung, Liquor), EEG (Epilepsietypische Potenzialen und Herdbefunde) 4 Therapie: Aufklärung, Vermeidung von Provokationsmechanismen, bei symptomatischer Epilepsie Behandlung der Grundkrankheit, medikamentöse Therapie, seltener: Epilepsiechirurgie, Vagusnervstimulation
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Kapitel 1 · Neurologie
Status epilepticus
1.9
4 Symptomatik: >5 min andauernder generalisiert tonisch-klonischen Anfall bzw. >20–30 min dauernder fokaler Anfall/Abscence oder Abfolge einzelner epileptischer Anfälle >5 bzw. 20– 30 min ohne vollständige Restitution 4 Ätiologie: s. Epilepsie 4 Diagnostik: Fremdanamnese, Befund, EEG, Liquordiagnostik, weitere ätiologische Diagnostik, ggf. Medikamenten-Serumspiegel bestimmen 4 Therapie: Lagerung zum Schutz vor Verletzungen, Überwachung der Vitalfunktionen, ggf. Behandlung der Ursache, Medikamentöse antikonvulsive i.v. Therapie (stufenweise), langfristig: Dauermedikation
Kopfschmerzen
Primäre Kopfschmerzen: 4 Spannungskopfschmerz 4 Migräne 4 Cluster-Kopfschmerz 4 Hirnnervenerkrankungen mit Schmerzen im Kopfbereich 5 Trigeminusneuralgie 5 atypischer Gesichtsschmerz 5 Zosterneuralgie Sekundärere Kopfschmerzen können Symptom einer neurologischen oder nicht-neurologischen Erkrankung sein Neurologische Erkrankungen: 4 Dissektion hirnversorgender Arterien 4 SVT 4 Erhöhter intrakranieller Druck 4 intrakranielle Blutung 4 Meningitis, Enzephalitis 4 Arteriitis temporalis 4 Tolosa-Hunt-Syndrom: Granulomatöse Entzündung im Sinus cavernosus oder im Bereich der Fissura orbitalis superior, die zu episodischen, einseitigen orbitalen Schmerzen und Lähmung okulomotorischer Nerven führen kann. Schmerzen sistieren typischerweise innerhalb von 72 h nach Beginn der Kortikosteroidtherapie, Entzündungsparameter (BSG) sind erhöht. 4 Optikusneuritis
1.9.1 Spannungskopfschmerz (SK) Synonym. Früher vasomotorischer Kopfschmerz. Definition. Primärer Kopfschmerz mit typischer Symp-
tomatik. Unterschieden werden episodischer (<180 Tage pro Jahr, hält 30 min bis 7 Tage an) und chronischer SK (mindestens 15 Tage im Monat über mindestens 6 Monate). Ätiopathogenese. Unklar, familiäre Häufung. Epidemiologie. Episodischer SK bei >90% aller Men-
schen einmal im Leben. Chronischer SK 3% der Bevölkerung, W>M. Symptomatik. Schmerzen haben leichte bis mittlere Intensität, sind dumpf oder drückend, oft bilateral oder holozephal lokalisiert (ein Band, das um den Kopf geschnürt ist, Gefühl, nicht klar denken zu können). Aktivität führt in der Regel nicht zur Schmerzzunahme. Keine Übelkeit, evtl. Photo- oder Phonophobie. ! Cave Bei Patienten mit chronischem Spannungskopfschmerz kommt es gehäuft zu Analgetikaabusus, Angst, depressiven Symptomen, Schlafstörungen.
Diagnostik. Fehlen von neurologischen Ausfällen, Ausschluss symptomatischer Kopfschmerzen. Therapie. Die Behandlung umfasst bei:
Nichtneurologische Krankheitsbilder: 4 Arterieller Hypertonus, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Infekt, Sinusitis, Glaukom etc. 4 Iatrogen (postpunktioneller Kopfschmerz, nach Liquorpunktion) 4 Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz (unerwünschte Medikamentennebenwirkung, bei Schmerzmittelabusus)
4 Episodischem SK: symptomatische Therapie (ASS, Paracetamol, Ibuprofen, Metamizol) 4 Chronischem SK: 5 Entspannungsübungen, Stressbewältigungstraining (z. B. progressive Muskelentspannung nach Jacobsen), regelmäßiger SchlafWach-Rhythmus, Führen eines KopfschmerzKalenders
77 1.9 · Kopfschmerzen
5 Prophylaktische Therapie: Kombination von o. g. Allgemeinmaßnahmen mit trizyklischen Antidepressiva, z. B. Amitriptylin (Wirkung unabhängig von antidepressivem Effekt, bereits bei geringerer Dosierung), Mittel der 2. Wahl: Valproinsäure ! Cave Therapie mit Schmerzmitteln wegen der Gefahr des Analgetikaabusus begrenzen!
1.9.2 Migräne
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Symptomatik. Attackenweise, starke, oft einseitige pul-
sierend-pochende Kopfschmerzen, die bei körperlicher Aktivität zunehmen. 1/3 der Patienten hat jedoch holokranielle Kopfschmerzen. Bei einseitigen Attacken kann die betroffene Seite von Mal zu Mal wechseln. Attacken-Dauer: 4–72 h. Vegetative Symptome: 4 Appetitlosigkeit 4 Übelkeit 4 Erbrechen 4 Lichtscheu, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit Diagnostik. Anamnese, Befund, Kopfschmerzkalender,
Definition. Primärer Kopfschmerz mit typischer Symp-
tomatik. Ätiopathogenese. Pathophysiologisches Korrelat des Schmerzes ist vermutlich eine trigeminovaskuläre Reaktion mit steriler neurogene Entzündung, bei der u. a. serotoninerge Rezeptoren eine Rolle spielen. An der Entstehung der Aura-Symptome scheint eine »cortical spreading depression« beteiligt zu sein (Exzitation von kortikalen Neuronen und anschließend sich ausbreitende Depolarisationswelle). Unterschieden werden: 4 Einfache Migräne (ohne Aura) 4 Klassische Migräne (mit Aura) 4 Komplizierte Migräne mit neurologischen Ausfällen bis zu 7 Tage (oder bildgebend ischämische Läsion ohne Nachweis einer anderen Ursache) 4 Ophthalmoplegische Migräne mit Störung der Okulomotorik 4 Status migraenosus bis zu 72 h, trotz Behandlung geht eine Attacke in die andere über, Exsikkose kann Folge des Erbrechens sein
Aura = vegetativen Symptomen und Kopfschmerzen vorausgehende neurologische Symptome, häufig visuelle Aura mit Flimmern als heller leicht oszillierender Zackenkranz (Fortifikation), der von der Mitte nach peripher wandert und ein Skotom nach sich zieht. Die neurologischen Ausfall-/Reizerscheinungen einer Aura sistieren im Allgemeinen innerhalb von 60 min vollständig. Sehr selten kann die Aura auch ohne Kopfschmerzen auftreten. ! Cave Patientinnen mit Migräne, insbesondere bei gleichzeitigem Rauchen und Einnahme hormoneller Kontrazeptiva, haben ein erhöhtes Hirninfarktrisiko.
Epidemiologie. 6–8% der Männer, 12–14% der Frauen,
v. a. im mittleren Lebensalter. Bis 30% aller Frauen haben im Leben mindestens einmal Migräne.
evtl. Herdbefund im EEG während einer Attacke, Ausschluss sekundärer Kopfschmerzen, v. a. erstmaligem Auftreten der Migräne nach dem 40 Lebensjahr oder Häufung von Auren. Therapie. Abhängig von der Art der Attacke:
4 Akute Migräne-Attacke: 5 Reizabschirmung im abgedunkelten, geräuscharmen Raum 5 Kombination von Analgetikum (ASS, Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac, evtl. Metaminzol) und Antiemetikum (Metoclopramid, Domperidon) 4 Mittelschwere, schwere Attacken: 5 1. Wahl: Serotonin-(5-HT-1B/1D)-RezeptorAgonisten: Triptane (Sumatriptan, Wirkung bei s.c. Gabe nach 10 min, Applikation auch als Nasenspray oder Zäpfchen) wirken oral nach 30–60 min, bei langer Migräneattacke evtl. erneute Gabe von Triptanen nötig. 5 Reservesubstanz: Mutterkornalkaloide (Ergotaminzäpfchen bzw Dihydroergotamin, DHE parenteral) ! Cave Triptane oder Mutterkornalkaloide wegen der Gefahr einer Erhöhung der Attackenfrequenz bzw. dem Auftreten von medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen nicht häufiger als 12 Tage im Monat einnehmen.
Migräneprophylaxe: Reduktion von Häufigkeit, Schwere und Dauer der Attacken, Prophylaxe des medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes (Kopfschmerztagebuch) Indikationen: 4 Mind. 3 Attacken pro Monat 4 Attackendauer >48 h 4 Komplizierte Migräne mit manifesten neurologischen Ausfällen >7 Tage anhaltend
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Kapitel 1 · Neurologie
4 Starker Leidensdruck 4 Unverträglichkeit der Akuttherapie Eingesetzt werden als: 4 Mittel der 1. Wahl 5 Betablocker Metoprolol und Propranolol (auch in der Schwangerschaft) 5 Kalziumantagonist Flunarizin 5 Valproinsäure 4 Mittel der 2. Wahl 5 Nichtsteroidale Antirheumatika (ASS, Naproxen) 5 Amitriptylin (trizyklisches Antidepressivum) bei gleichzeitigen Spannungskopfschmerzen, chronischen Schmerzen oder Depression 5 Lisurid (Dopaminagonist) 5 Pizotifen und Methysergid (Serotoninantagonisten), Methysergid darf wegen der Gefahr von Retroperitoneal- und Lungenfibrosen nicht länger als 3–6 Monate gegeben werden. 5 DHE 5 Magnesium (umstrittene Wirksamkeit) 4 Zusätzlich nicht-medikamentöse Verfahren: Verhaltenstherapie, Ausdauersport 1.9.3 Cluster-Kopfschmerz Synonym. Bing-Horton-Kopfschmerz, Horton-Neuralgie, Erythroprosopalgie. Definition. Primärer Kopfschmerz mit typischer Symp-
8-mal täglich auf und dauern 15–180 min Typische Trigger: Aufenthalt in großen Höhen (Flug), Alkohol, Nitroglyzerin, Histamin oder Glutamat (chinesisches Essen, Geschmacksverstärker in Fertiggerichten). Oft besteht eine Bewegungsunruhe während der Attacken. Der Kopfschmerz tritt überwiegend episodisch mit langen symptomfreien Phasen auf. Episoden häufen sich im Frühjahr und Herbst. Diagnostik. Anamnese, Befund. Differenzialdiagnose. Sekundäre Kopfschmerzen, v. a. Glaukomanfall, Sinusitis, Karotisdissektion. Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Inhalation von 100%-igem Sauerstoff: 7 l/min, über Gesichtsmaske bis 15 min 4 Sumatriptan 6 mg s.c., 20 mg nasal 4 Dihydroergotamin s.c. oder i.m. 4 Intranasal Lidocain Zur Prophylaxe werden eingesetzt: 4 Verapamil 4 Methysergid bis 6 Monate 4 Lithium (Serumspiegel 0,6–0,8 mmol/l) 4 Kurzzeitig und additiv Prednison 4 Ergotamin-Suppositorien abends zur Kurzprophylaxe 1.9.4 Arzneimittelinduzierter
Kopfschmerz
tomatik. Ätiopathogenese. Diskutiert wird eine trigeminovas-
kuläre Reaktion mit Vasodilatation und Aktivierung parasympathischer Nerven im Hypothalamus.
Definition. Kopfschmerzen nach langfristiger, häufiger Einnahme von Arzneimitteln, v. a. Analgetika-(Kombinationspräparate): mindestens 15 Tage/Monat, >3 Monate, mindestens 100 Tabletten Analgetikum pro Monat.
Epidemiologie. 10/100.000/Jahr, M>W. Ätiopathogenese. Andere Kopfschmerzformen könSymptomatik. Attackenartiges Auftreten eines streng
einseitigen, sehr starken orbitalen, supraorbitalen (als ob das Auge herausgedrückt wird) oder temporalen Kopfschmerzes. Ipsilaterale vegetative Symptome: 4 Konjunktivale Injektion 4 Lakrimation 4 Rhinorrhö 4 Schwitzen im Gesicht 4 Miosis, Ptosis Attacken treten gehäuft nachts, besonders am frühen Morgen oder kurz nach dem Einschlafen, alle 2 Tage bis
nen zum Analgetikaabusus verleiten und eine Chronifizierung der Schmerzen bewirken. Symptomatik. Oft dumpfer, drückender oder pulsie-
render Kopfschmerz, kann von Übelkeit, Kältegefühl oder Schwindel begleitet sein. Therapie. Nach Aufklärung Absetzen aller Schmerzmittel, Behandlung der Entzugssymptome. Schmerzen bessern sich meist innerhalb eines Monats. Bei zusätzlichen primären Kopfschmerzen entsprechende Prophylaxe in Kombination mit Verhaltenstherapie.
79 1.9 · Kopfschmerzen
1
Arteriitis temporalis Horton Synonym: Riesenzellarteriitis, Arteriitis cranialis. Häufigste systemische Vaskulitis der mittelgroßen und großen Arterien, v. a. der extrakraniellen Äste der A. carotis externa und kleinen Augenarterien. Prävalenz: 15–30/100.000, W>M. Diagnosekriterien des ACR (American College of Rheumatology) sind: 4 Alter >50 Jahre 4 Neuauftreten lokalisierter Kopfschmerzen 4 Druckdolenz und Pulsabschwächung der Temporalarterien 4 BSG >50 mm in der 1. Stunde 4 Histologischer Nachweis einer Vaskulitis in der Temporalarterienbiopsie
4 Ist die Augenmuskulatur beteiligt, kann es zu Augenbewegungsschmerzen, Doppelbildern und Ptosis kommen. 4 Ischämische Störungen des ZNS sind selten. 4 Das PNS kann in Form einer Mononeuritis multiplex betroffen sein. 4 Die A. temporalis ist druckdolent, der Puls abgeschwächt, es bestehen eine seitendifferente Rötung, Verdickung, Verhärtung und Schlängelung 4 Die Hälfte der Patienten erkrankt außerdem an Polymyalgia rheumatica mit bilateralen Schmerzen in Schultergürtel- und Beckengürtelmuskulatur, Muskelsteifigkeit, Druckschmerzempfindlichkeit der Oberarme, Gewichtsverlust, Allgemeinsymptomen.
Sind mindestens 3 Kriterien erfüllt, liegt mit einer Spezifität und Sensitivität von >90% eine Arteriitis temporalis vor. Weitere Symptome: 4 Allgemeinsymptome 4 Kopfschmerzen sind meist erstes Symptom, oft einseitig, pulsierend, frontotemporal und verstärken sich durch Husten und Kopfbewegung 4 Pathognomonisch sind Kauschmerzen durch Ischämie der Kaumuskulatur (Claudicatio masticatoria) 4 Visusverlust durch oder Zentralarterienverschluss oder anteriore ischämische Optikusneuropathie, Vorläufer kann eine Amaurosis fugax sein. 4 Ein ophthalmologischer Befund inkl. Fundoskopie sollte immer erhoben werden.
Labor: BSG-Erhöhung in 95% der Fälle, CRP ist guter Verlaufparameter und in >90% erhöht. Häufig besteht eine normo- oder leicht hypochrome Anämie, die AP ist oft erhöht, die CK in der Regel normal. Temporalarterienbiopsie: Immer vorher Dopplersonographie der A. carotis und ihrer extrakraniellen Äste (bei einer hochgradigen Stenose der A. carotis interna kann die zerebrale Blutversorgung über die Temporalarterien erfolgen). Farbduplex kann außerdem Arteriitis-typische Befunde liefern. Falsch negative Befunde bei Temporalarterienbiopsie sind häufig, v. a. unter Kortisonbehandlung. Bei dringendem Verdacht sollte sofort Prednison oder Prednisolon gegeben werden: 40–60 mg Prednison/Tag für ca. 1 Monat, dann langsame Dosisreduktion. Meist ist eine Behandlung über mindestens 2 Jahre notwendig.
In Kürze Kopfschmerz Spannungskopfschmerz (SK)
4 Symptomatik: beidseits, drückend oder beengend, nicht pulsierend, leichte bis mittlere Intensität, keine Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten, keine Übelkeit/Erbrechen, evtl. Photophobie oder Phonophobie 4 Ätiologie: unklar, familiäre Häufung 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Ausschluss sekundärer Kopfschmerzen 4 Therapie: episodischer SK: Analgetika, chronischer SK: Entspannungsübungen, Stressbewältigungstraining, Kopfschmerzkalender, begrenzte symptomatische medikamentöse Analgetikatherapie
Migräne
4 Symptomatik: 4–72 h lang einseitige, pulsierende Kopfschmerzen, Verstärkung durch körperliche Aktivitäten, Übelkeit/Erbrechen, Photophobie, Phonophobie, evtl. mit Aura 4 Ätiologie: trigeminovaskuläre Reaktion mit steriler neurogener Entzündung, »cortical spreading depression« führt vermutlich zu Aura-Symptomen. 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Ausschluss sekundärer Kopfschmerzen 4 Therapie: Reizabschirmung, bei leichten bis mittelschweren Attacken Analgetikum + Antiemetikum, bei mittelschweren bis schweren Attacken Triptane; Prophylaxe: Betablocker, Flunarizin, Valproinsäure
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80
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Kapitel 1 · Neurologie
ClusterKopfschmerz
4 Symptomatik: Attacken starker einseitiger Kopfschmerzen, 15–180 min, bis 8-mal täglich. Ipsilaterale konjunktivale Injektion, Tränen, nasale Kongestion, Rhinorrhö, Lidödem, Schwitzen, Horner-Trias 4 Ätiologie: trigeminovaskuläre Reaktion, Aktivierung parasympathischer Nerven im Hypothalamus 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Ausschluss sekundärer Kopfschmerzen 4 Therapie: Inhalation von 100%-igem Sauerstoff, Sumatriptan, Dihydroergotamin, intranasal Lidocain; Prophylaxe Verapamil, Methysergid, Lithium
Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz
4 4 4 4
Symptomatik: dumpfe drückend oder pulsierender Kopfschmerzen, vegetative Symptome Ätiologie: langfristige, häufige Einnahme von Analgetika-Kombinationspräparaten Diagnostik: Anamnese, Ausschluss primärer und sekundärer Kopfschmerzen Therapie: Absetzen aller Schmerzmittel, Behandlung der Entzugssymptome
Schwindel Synonym: Vertigo. Subjektive Empfindung mit Störungen der Orientierung des Körpers im Raum. Häufiges Symptom; Prävalenz: 20–30%, bei >80-Jährigen fast 40%. Nach der subjektiven Wahrnehmung unterscheidet man systematischen (meist vestibulär ausgelöst) und unsystematischen Schwindel (z. B. durch Kreislaufstörungen/Orthostase oder psychogen). Ein systematischer Schwindel ist ein Dreh-, Schwank- oder Liftschwindel, ein unsystematischer Schwindel eher ein Benommenheitsgefühl ohne Bewegungsillusion der Umwelt oder des eigenen Körpers. Liegt ein systematischer (vestibulärer) Schwindel vor, ist die Unterscheidung zwischen peripherem (bei peripherer Läsion) und zentralem vestibulären Schwindel (bei zentraler Läsion) wichtig. Bei peripher vestibulärer Schädigung können andere Innenohrfunktionen (Hören) beeinträchtigt sein. Bei zentralem vestibulärem Schwindel können weitere fokale neurologische Symptome auftreten. Nach dem Auslösemechanismus unterscheidet man Lagerungsschwindel (z. B. benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel), orthostatischer Schwindel (Benommenheitsgefühl mit Schwarzwerden vor den Augen beim Aufrichten) und phobischer Schwankschwindel. Nach der Dauer wird differenziert zwischen Attacken(z. B. benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, orthostatischer Schwindel) und Dauerschwindel (z. B. bei Vestibularisausfall). Peripherer vestibulärer Schwindel 4 systematischer Schwindel: Dreh-, Schwank- oder Liftschwindel 4 evtl. Lateropulsion und Taumelgefühl 4 oft begleitender Nystagmus und Oszillopsien 4 Hören kann beeinträchtigt sein (Tinnitus oder Schwerhörigkeit)
Lokalisation der Schädigung: 4 Innenohr 5 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (siehe unten) 5 Vestibularisausfall, Labyrinthitis, Neuronitis vestibularis, Morbus Menière, Perilymphfistel (7 Kap. HNO) 4 N. vestibularis (z. B. Vestibularisparoxysmie durch neurovaskuläre Kompression) Zentraler vestibulärer Schwindel Die Ursache liegt zentral: Meist Läsion vestibulärer Bahnen (Hirnstamm, Vestibulozerebellum, Thalamus/vestibulärer Kortex). Je nach Lokalisation treten zusätzlich Symptome wie Gang- und Standataxie, Hirnnervenausfälle, Nystagmus auf. Schwindel als Symptom bei internistischen Erkrankungen meist unsystematischer Schwindel verbunden mit Schwarzwerden vor den Augen, Benommenheit, Schweißausbrüchen, Kollaps. Ursachen: meist Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Elektrolytstörungen, Anämie, Medikamente. Psychogener Schwindel/somatoformer Schwindel Schwindel kommt bei psychischen Erkrankungen (Angststörung, phobische, affektive, dissoziative und somatoforme Störung). Oft äußert er sich als diffuser Schwindel mit Benommenheits- und Leeregefühl im Kopf, subjektive Gangunsicherheit. Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV) Betrifft oft ältere Menschen: 1/3 der >70-Jährigen hatte ihn schon mal. 50% der Fälle sind degenerativ oder idiopathisch, symptomatische Fälle durch Schädeltrauma oder Neuritis vestibularis kommen vor. Bei Kanalolithiasis können sich traumatisch oder spontan Partikel des Utrikuluso-
81 1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
tolithen ablösen und Konglomerate im hinteren, vertikalen Bogengang (selten im horizontalen Bogengang) bilden. Bei Kopflagewechsel (Hinlegen, Aufrichten oder Umdrehen im Bett) bewegen sich die Partikel im Kanal und verursachen eine Auslenkung der Cupula. Es kommt zu etwa 30 s dauernden Drehschwindelattacken, Nystagmus und Oszillopsien (Scheinbewegungen der Umwelt), evtl. Übelkeit. Zentrale Hirnstammzeichen fehlen. Attacken schwächen bei wiederholtem Lagewechsel ab. Diagnostisch hilft das Lagerungsmanöver: Der Patient wird auf das betroffene Ohr gelegt, wobei der Kopf um 45° zum »gesunden Ohr« gedreht wird. Nach kurzer Latenz tritt ein etwa halbminütiger, erschöpflicher nach unten gerichteter, rotierender Nystagmus auf. Beim Aufrichten kehren sich Drehschwindel und Nystagmusrichtung um. Therapeutisch ist das physikalische Befreiungsmanöver fast immer erfolgreich: Lagerungsmanöver nach Semont oder Epley. Manchmal ist eine begleitende medikamentöse Therapie nötig. Die Beschwerden klingen meist nach Wochen bis Monaten ab, können in 30% der unbehandelten Fälle jedoch persistieren. Basilarismigräne/vestibuläre Migräne Wiederholtes Auftreten reversibler Attacken mit unterschiedlicher Kombination von Schwindel, Sehstörungen, Stand- und Gangataxie, anderen Hirnstammausfällen zusammen mit meist okzipital betontem Kopfschmerz (Basilarismigräne).
1.10
Erkrankungen des peripheren Nervensystems
Dazu gehören Läsion von: 4 Spinalnervenwurzeln 4 Plexus 4 peripheren Nerven 1.10.1 Spinale radikuläre Syndrome Definition. peripheres neurologisches Defizit durch
Spinalnervenwurzelläsion. Ätiopathogenese. Mechanische Kompression der Spinalnervenwurzel: 4 Bandscheibenvorfall: Protrusion einer Bandscheibe oder Prolaps des Nucleus pulposus durch den Anulus fibrosus 4 Knöcherne Degeneration 4 Tumoren: extradural (Knochenmetastasen, Knochentumoren), extramedullär-intradural (Neuri-
1
nome, Meningeome), intramedullär (Ependymome, Gliome) 4 Epiduralblutung Weitere Ursachen: 4 Entzündungen: Abszesse, Borreliose, Zoster, rheumatische Erkrankungen 4 metabolische Erkrankungen wie Diabetes mellitus 4 Trauma: Wirbelkörperfrakturen, Wurzelausrisse 4 Angeborene Spinalkanalstenosen: Kompression von Nervenwurzeln/Rückenmark 4 Zervikale Myelopathie: Schädigung des zervikalen Rückenmark durch chronisch degenerative, traumatische oder angeborene Spinalkanaleinengung, Folge Pyramidenbahn-Läsion > Bandscheibenvorfälle treten meist lumbal (L5 >S1), seltener zervikal (C6–C8) auf.
Unterschieden werden laterale (Einengung des Foramen intervertebrale) von medialen (Einengung des Spinalkanals) Bandscheibenvorfällen. Epidemiologie. Bandscheibenvorfälle sind häufig und treten meist im mittleren und höheren Alter auf. Symptomatik. Typisch sind
4 Schmerzen und sensible Ausfälle oder Reizerscheinungen im entsprechenden Dermatom (Ischialgie, dermatomorientierter Schmerz im Versorgungsbereich des N. ischiadicus bei Läsion des Nerven bzw. seiner Wurzeln) 4 Hypalgesie: bei monoradikulärer Läsion meist deutlicher ausgeprägt als Hypästhesie (geringere Überlappung der Dermatome) 4 Schlaffe Paresen, Reflexabschwächung oder -ausfall Typisch beim Bandscheibenvorfall: 4 Lokaler Schmerz im entsprechenden Wirbelsäulenabschnitt, Bewegungseinschränkung, Fehlhaltung, paravertebraler Hartspann, Klopf- oder Druckschmerz der Wirbelsäule. 4 Positive Nervendehnungszeichen: Lasègue-, Bragard-Zeichen, umgekehrter Lasègue 4 Verstärkung der Schmerzen beim Husten, Niesen oder Pressen (Erhöhung des intraspinalen Druckes) Wurzelausrisse: Radikuläres Defizit, oft mit Deafferenzierungsschmerzen bei Mitschädigung des Hinterhorns oder Tractus spinothalamicus. Lumbalkanalstenosen: Chronische lumbale Schmerzen, neurogene Claudicatio intemittens (beim Gehen treten zunehmend ischialgieforme Schmerzen
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1
Kapitel 1 · Neurologie
dorsal an einem oder beiden Beinen auf), auch sensomotorische Ausfälle. Lordosierung der LWS (Bergabgehen verstärkt die Symptomatik). Kyphosierung (Vornüberbeugen, Radfahren), Hinlegen oder Hinsetzen bessert die Beschwerden. Stehenbleiben ändert die Schmerzen im Gegensatz zur vaskulären Claudicatio intermittens nicht. Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 LWS-Nativröntgen in 3 bzw. HWS-Nativröntgen in 4 Ebenen, spinales CT oder MRT, ggf. Myelographie 4 Labor: Entzündungszeichen, Glukose, HBA1c (diabetische Radikulopathie), evtl. Serologie und Liquordiagnostik (Borreliose, Herpes zoster, Meningeosis carcinomatosa, Polyradikulitis) 4 Restharnbestimmung 4 EMG (subklinische motorische Ausfälle), sensible ENG in Zweifelsfällen zur Abgrenzung peripherer Nervenläsionen Differenzialdiagnose. Pseudoradikuläre Schmerzen sind Schmerzprojektionen in die Extremitäten ohne segmentale Begrenzung, meist nicht distaler als Ellenbogen- bzw. Kniegelenk. Meist gehen sie von Wirbelgelenken aus. Therapie. Abhängig von der Grundkrankheit. Therapie beim Bandscheibenvorfall: 4 Konservativ 5 Entlastung, Ruhigstellung, Halskrawatte für wenige Tage, im LWS-Bereich Stufenbett 5 physikalische und Physiotherapie 5 Analgesie (Vermeidung von Schmerzchronifizierung durch Fehlhaltung, möglichst kurz NSAR) 5 Myotonolytika (Tetrazepam) 5 Trizyklische Antidepressiva bei chronischen Schmerzen 5 Lokale epidurale Kortikosteroidgabe (Wurzelblockade) bei Therapieresistenz 4 Operativ 5 Operationsindikationen – Akuter medialer Prolaps mit Zeichen der Rückenmarkkompression, polyradikuläre sensomotorische Ausfälle – Lateraler Prolaps mit progredienten oder funktionell bedeutsamen motorische Ausfällen ohne Rückbildungstendenz und aktiver Denervierung im EMG oder therapieresistente starke Schmerzen 5 Vorgehen – mikrochirurgisch offene Operation zur Entfernung des prolabierten Bandscheibengewebes
– Ggf. interkorporelle Spondylodese zum Ausgleich der Höhenminderung – Lumbal auch minimal invasive (perkutan endoskopische) Verfahren – Ggf. Erweiterung der Foramina intervertebralia, Laminektomie (Entfernung eines Wirbelbogenteils bei Wirbelkanalstenose) ! Cave Das Cauda-Syndrom bei medialem, lumbalem Prolaps mit Miktionsstörungen, Beeinträchtigung des Analreflexes, Reithosenhypästhesie ist ein neurochirurgischer Notfall.
1.10.2 Plexusparese Definition. Peripheres neurologisches Defizit durch Läsion einer Nervenplexus. Ätiopathogenese. Ursächlich sind:
4 Trauma: Unfälle (Motorradfahren, Arbeit), Geburtstrauma (obere > untere Armplexusläsion, Lageanomalie, Zangengeburt) 4 Kompression: Rucksacklähmung, Koma/Lagerung bei Operation, anatomische Engen (Thoracic-outlet-Syndrom), Hämatom nach arterieller Punktion, Aneurysmen, retroperitoneale Blutung, Abszess 4 Tumoröse Plexusinfiltration: oft Schmerzen und andere Zeichen der Tumorinfiltration, z. B. Horner-Syndrom bei Pancoast-Tumor 4 Radiogen: meist >1 Jahr Latenz nach Bestrahlungstherapie, oft Schmerzen. Symptomatik. Schmerzen, Paresen, Sensibilitäts-
störungen, verbunden mit vegetativen Funktionsstörungen: 4 Obere Armplexusläsion (Duchenne-Erb) C5–C6 5 Motorische Ausfälle: Abduktoren und Außenrotatoren der Schulter, Ellenbogenbeuger, M. supinator (die Hand wird einwärts gedreht gehalten). 5 Sensible Ausfälle: Schulteraußenseite bis radialer Unterarm 4 Mittlere Armplexusläsion C7 5 Motorische Ausfälle: M. triceps brachii, M. pectoralis, lange Fingerbeuger 5 Sensible Ausfälle: mittlere Finger 4 Untere Armplexusläsion (Déjerine-Klumpke) C8–Th1 5 Motorische Ausfälle: v. a. kleiner Handmuskeln, evtl. auch langer Fingerbeuger (Krallenstellung) sowie Handbeuger
83 1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
5 Sensible Ausfälle: ulnar an Hand und Unterarm 5 Wenn proximaler Anteil der Th1-Wurzel betroffen, Horner-Syndrom Bei weiter proximal lokalisierten Armplexusläsionen (Faszikelläsion) Kombination der o. g. Symptome. Neuralgische Schulteramyotrophie (neuralgische Myatrophie) Einseitige Entzündung von Nerven des Plexus brachialis, vermutlich immunologisch nach Impfungen, Infektionen, Lymphomen oder bei i.v. Drogenabusus. Typisch sind akut einsetzende Schmerzen im Schulter- und Oberarmbereich v. a. nachts. Schmerzen sistieren nach einigen Tagen, dann treten Paresen auf, deren Verteilungsmuster der Läsion eines peripheren Nerven- oder Plexus entspricht. Sensibilitätsstörungen sind gering. Gute Prognose, meist monophasischer Verlauf.
Diagnostik. Anamnese, Befund, Elektrophysiologie,
Abklärung der Ursache: Bildgebung, Labor. 4 Abgrenzung der unterer Armplexusläsion zur N.ulnaris-Läsion bzw. der oberen Armplexusläsion
1
zur N.-axillaris- oder Rotatorenmanschetten-Läsion oft schwierig 4 Bei Wurzelläsionen C8–Th2: Horner-Sydrom, unterhalb Th2 auch Schweißsekretionsstörungen 4 Bei Faszikelläsion: Sensibilitätsstörungen und Schweißsekretionsstörungen > Wegweisend für die Diagnostik sind Verteilungsmuster der neurologischen Defizite und Beteiligung des vegetativen Nervensystems.
Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Armlagerung, Physiotherapie, Analgetika 4 Operative Dekompression: Bei Kompression mit neurologischen Ausfällen, Durchblutungsstörungen oder therapieresistenten Schmerzen. Druckläsionen erholen sich meist gut. Ggf. Tumorbehandlung, Hämatomausräumung, Abszessdrainage 4 Neurolyse, Nerveninterposition: Wenn keine Reinnervation erfolgt, innerhalb der ersten 6 Monate bei oberer Armplexusläsion 4 Ersatzoperation auch später möglich: Verlagerung der Ansätze intakter Muskeln, die die Funktion paretischer Muskeln übernehmen
In Kürze Krankheiten von Nervenwurzeln und -plexus Spinale radikuläre Syndrome
4 Symptomatik: Schmerzen, schlaffe Paresen, Sensibilitäts- und vegetative Störungen 4 Ätiologie: mechanische Kompression (Bandscheibenvorfall, Tumor, Blutung), Entzündungen (Abszess), metabolische Erkrankungen, Trauma, angeborene oder erworbene Spinalkanalstenose 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Bildgebung (Nativröntgen, spinales CT oder MRT, ggf. Myelographie), Labor, evtl. Serologie und Liquordiagnostik, Restharnbestimmung, Elektrophysiologie 4 Therapie: Bandscheibenvorfall: konservativ (Entlastung, Ruhigstellung, physikalische Therapie, Physiotherapie, Analgesie, Myotonolytika, trizyklische Antidepressiva bei chronischen Schmerzen, lokale epidurale Kortikosteroidgabe); ggf. operative Dekompression
Plexusparese
4 Symptomatik: Schmerzen, schlaffe Paresen, Sensibilitätsstörungen und vegetative Funktionsstörungen 4 Ätiologie: Trauma (Unfall, Geburtstrauma), Kompression (Operationslagerung, anatomische Engen, Hämatom, Abszess etc.), tumoröse Plexusinfiltration, Bestrahlung, neuralgische Schulteramyotrophie 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, Abklärung der Ursache: Bildgebung, Labor 4 Therapie: 4 Konservativ: Lagerung, Physiotherapie, ggf. Analgetika 4 Operation: Dekompression, Beseitigung von Tumor, Hämatom, Abszessdrainage, ggf. Neurolyse, Nerveninterposition, Ersatzoperation
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Kapitel 1 · Neurologie
1.10.3 Polyneuropathie, Polyneuritis
4 Elektrophysiologisch: demyelinisierend oder axonal 4 Nach Dauer: akut/chronisch
Definition. Die Polyneuropathie (PNP) ist eine generali-
sierte Erkrankungen des peripheren Nervensystems, d. h. der außerhalb des ZNS liegenden motorischen, sensiblen und autonomen Nerven inkl. ihrer Hüllstrukturen.
> Häufigste Ursachen einer PNP in Deutschland sind Diabetes mellitus und Alkohol.
Symptomatik. Typisch sind: Ätiopathogenese. PNP ist ein Syndrom, dem verschie-
dene Ursachen (systemische Grunderkrankung, Einwirken einer Noxe) zugrunde liegen können. Die Ursachenabklärung ist daher wichtig. Die Neuritis ist eine immunvermittelte oder infektiöse entzündliche Erkrankung des PNS mit demyelinisierender oder axonaler Schädigung. Betroffen sind ein Nerv (Mononeuritis), mehrere Nerven (Polyneuritis) oder Nervenwurzeln (Polyradikulitis) Einteilung (. Tab. 1.10): 4 Motorisch/sensibel/autonom/sensomotorisch 4 Verteilung: distal/proximal, symmetrisch/asymmetrisch
4 Sensible Reiz- und Ausfallserscheinungen: Kribbeln, Ameisenlaufen, Wärme- und Kälteparästhesien, oft strumpf- bzw. handschuhförmige Hyp-, An- oder Parästhesie bzw. Hyp- oder Analgesie, anfangs sind oft Pallästhesie und Lagesinn betroffen 4 Motorische Reiz- und Ausfallerscheinungen: Muskelzuckungen, schlaffe, atrophische Paresen, Reflexabschwächung oder -ausfall, oft v. a. ASR 4 Autonome Ausfallserscheinungen: Pupillenstörungen, trophische Störungen der Haut (z. B. Ulzera), Hypo- oder Anhidrosis, orthostatische Hypotension, Ruhetachykardie, fehlende respiratorische Arrhythmie, Miktions- oder Defäkationsstörun-
. Tab. 1.10. Ätiologische Einteilung der Neuropathien und Neuritiden Erkrankung
Ätiopathogenese
Metabolische Neuropathie
Diabetes mellitus, Urämie, Leberzirrhose, Gicht, Hypothyreose, Akromegalie, Hyperlipidämie Diabetes mellitus: direkte Stoffwechselstörung der Nerven sowie Nervenschädigung durch diabetische Mikroangiopathie der Vasa nervorum
Ernährungsbedingte Neuropathie
Mangel-, Fehlernährung oder Resorptionsstörung, z. B. Vitamin B12 + Myelopathie = funikuläre Myelinose und Mangel an Vitamin B1
Toxische Neuropathie
Alkohol, Triarylphosphat aus Mineralölen, Blei, Arsen, Thallium, Schwefelkohlenstoff, Medikamente: Isoniazid, Statine, Zytostatika (Cisplatin, Vincristin und Vinblastin), antiretrovirale Substanzen, IFN-α Alkohol und der Metabolit Acetaldehyd schädigen die Nerven vermutlich direkt, weiterhin kommt bei Alkoholkranken oft eine Mangelernährung vor
Immunvermittelte Neuritis
Guillain-Barré-Syndrom (GBS) Chronische inflammatorische demyelinisierende PNP (CIDP)
Hereditäre Neuropathie
Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HSMN), z. B. Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung, Refsum, Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen (HNPP), bei Porphyrie, primärer Amyloidose und Lipidspeicherkrankheiten
Infektiöse Neuritis
Bakteriell: Borreliose, Lepra, Diphtherie, Bruzellose, Botulismus, Typhus und Paratyphus, Fleckfieber Viral: HIV, Mumps, Mononucleosis infectiosa
Bei nicht neoplastischer Grunderkrankung
Neuritis bei Kollagenose, Vaskulitis, Sarkoidose »Critical-illness«-Neuropathie bei Patienten mit Sepsis/Multiorganversagen, v. a. nach langer Beatmung
Neuropathie im Rahmen einer neoplastischen Erkrankung
Paraproteinämisch bei monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS) oder lymphoproliferativen Erkrankungen: Plasmozytom, Morbus Waldenström, B-Zell-Lymphom, CLL
85 1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
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gen, Gastroparese, Diarrhö, Obstipation, erektile Dysfunktion, fehlender Schmerz bei Koronarischämie, fehlendes Gefühl der Blasenfüllung, Arthround Osteopathien Der Verlauf ist diagnostisch richtungsweisend: 4 Bis 4 Wochen: akut (z. B. GBS) 4 4–8 Wochen: subakut 4 Länger als 8 Wochen: chronisch Verteilungstyp: 4 Distal symmetrisch 5 Mit Sensibilitätsstörungen: Reflexabschwächung/-verlust, zuerst oft ASR; z. B. bei alkoholtoxischer, urämischer und oft bei diabetischer PNP 5 Mit sensomotorischen Störungen: z. B. GBS, akute intermittierende Porphyrie, hereditäre motorische und sensible Neuropathien 5 Mit ausgeprägten autonomen Symptomen: z. B. Amyloid-PNP, diabetische autonome Neuropathie 4 Asymmetrische Manifestationstypen 5 Mononeuropathia multiplex (Ausfälle entsprechen dem Versorgungsmuster einzelner Nerven) Ursächlich ist meist eine Vaskulopathie z. B. Mikroangiopathie bei Diabetes mellitus, Panarteriitis nodosa oder Lupus erythematodes 5 Schwerpunkt-PNP mit zusätzlich symmetrischen, distal betonten Ausfällen z. B. vaskulitische Neuropathie, BorrelioseNeuropathie, Zoster-Neuritis, neuralgische Neuritis 4 Proximal, z. B. Plexusneuritis, proximale diabetische Neuropathie 4 Proximal und distal, z. B. GBS, Porphyrie
a
b
Oft beginnt die Erkrankung an der unteren Extremität (distal-symmetrisch) und ist langsam progredient. Bei der diabetischen PNP (typischerweise axonal und demyelinisierend) stehen meist sensible Reizerscheinungen (Brennen, Schmerzen, »burning feet«) im Vordergrund, neben der häufigen distal-symmetrischen Form mit anfangs v. a. abgeschwächtem ASR und Pallhypästhesie gibt es auch asymmetrische, proximale Formen (diabetische Amyotrophie) und Mononeuropathien. Oft sind Hirnnerven (III, VI, VII) und auch vegetative Nerven (cave: stumme Myokardischämien) betroffen. Bei alkoholtoxischer PNP (axonal betont) stehen oft Schmerzen im Vordergrund, Muskelkrämpfe sind häufig. Die Verteilung ist in der Regel distal-symmetrisch.
. Abb. 1.19. a Deutliche Unterschenkelatrophie und beidseitiger Hohlfluß bei einem 40-jährigen Mann mit HMSN, Typ I. b Hohlfuß bei HMSN. (A. Ferbert, Kassel)
Bei der »Critical-illness«-Neuropathie überwiegen motorische Ausfälle, meist beginnt sie mit symmetrischen Paresen an der unteren Extremität. Unter den HMSN ist Typ I (Charcot-Marie-ToothKrankheit; demyelinisierend, . Abb. 1.19) der häufigste. Es entwickeln sich zunächst Hohlfüße, im Verlauf Atrophie der Unterschenkelmuskulatur bei erhaltener Oberschenkelmuskulatur (Storchenbeine), später auch der distalen oberen Extremität. Der Verlauf ist langsam progredient. Die Sensibilität ist später und geringer betroffen als die Motorik.
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Kapitel 1 · Neurologie
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Elektrophysiologie 5 Nachweis und Bestimmung des Verteilungstyps 5 Nachweis einer subklinischen Mitbeteiligung von klinisch nicht-betroffenen Faserqualitäten 5 Unterscheidung zwischen axonaler (Axonschädigung) und demyelinisierender (Myelinschädigung) PNP mit Einschränkungen möglich 5 Zu den axonalen PNP gehören v. a. die toxischen (auch alkoholtoxische), z. T. HMSN, paraneoplastische PNP. In der ENG sind die Amplituden der Muskel- und Nervenaktionspotenziale erniedrigt, die NLG ist normal. Die EMG zeigt frühzeitig Denervierungszeichen (positive Wellen, Fibrillationen) und neurogen veränderte Potenziale 5 Zu den demyelinisierenden PNP gehören: GBS (z. T. auch axonal), z. T. HMSN und PNP bei Dysproteinämie. ENG: deutliche Verzögerung der NLG und der distal motorischen Latenz 4 Zum Nachweis/Ausschluss zugrunde liegender Erkrankungen: Labor und Bildgebung; evtl. Nervenbiopsie bei schwerer oder progredienter PNP unklarer Genese 4 Molekulardiagnostik bei hereditären Formen > 10–20% der Fälle bleiben ätiologisch ungeklärt.
Therapie. Behebung der Ursache/Behandlung der Grundkrankheit: 4 Entfernung der Noxe 4 Ggf. Antidot bei Intoxikation 4 Substitution bei Vitamin-Mangel 4 Diabeteseinstellung 4 Behandlung einer Infektionskrankheit 4 Schmerzen bei diabetischer PNP zusätzlich symptomatisch u. a. mit Carbamazepin, Gabapentin und Thioctsäure; weiterhin Neuroleptika und trizyklische Antidepressiva 4 Krankengymnastik Guillain-Barré-Syndrom (Polyradikulitis) Vermutlich autoimmunologische Genese (Antikörper u. a. gegen Myelinbestandteile), oft 1–3 Wochen nach respiratorischen oder gastrointestinalen Infektionen durch Viren oder Bakterien, z. B. Campylobacter jejuni. Meist verläuft ein GBS als akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (AIDP). Die Häufigkeit liegt bei 1– 2/100.000/Jahr. Die Erkrankung beginnt oft mit Parästhesien, Taubheit und/oder Schmerzen im Rücken oder in den Muskeln. Dazu
kommen schlaffe, meist symmetrische, innerhalb von Tagen (manchmal Stunden) aufsteigende Paresen, die meist in den Beinen beginnen und zu Atemlähmung führen können, sowie Myalgien, Gang- und Standataxie durch gestörte Tiefensensibilität und Hirnnervenausfälle (in 50% Fazialisparese). Autonome Störungen sind häufigste Todesursache: Tachy- oder Bradyarrhythmie, Hyper- oder Hypotonie, ADH-Mangel oder SIADH mit Hyponatriämie. Selten ist eine zentrale enzephalitische Mitbeteiligung. Das Symptommaximum wird nach ca. 2 Wochen erreicht. Sonderformen sind das Miller-Fisher-Syndrom mit Ophthalmoplegie, Ataxie, Areflexie sowie die (Pan-)Dysautonomie mit fast ausschließlicher Beteiligung des vegetativen Nervensystems. Die Diagnostik umfasst Anamnese, Befund, Liquor-Eiweißerhöhung >1 g/l (kann initial gering erhöht sein) bei normaler oder leicht erhöhter Zellzahl (bis 50/µl), sog. zytoalbuminäre Dissoziation. Elektrophysiologische Untersuchungen (können anfangs noch normal sein): 4 Neurographie: verlängerte F-Wellen-Latenz, H-Reflexe reduziert, verlängerte distale motorische Latenz, verlangsamte Nervenleitfähigkeit 4 EMG: Erst nach 2–3 Wochen ist pathologische Spontanaktivität nachweisbar. 4 EKG (Rhythmusstörungen?) Therapeutisch eingesetzt werden Immunglobuline oder Plasmapherese bei mäßig schwerem bis schwerem Verlauf (Gehstrecke<5 m, rasche Progression, deutliche Atem-/ Schluckstörung; bei maximal 2 Wochen Krankheitsdauer). Die symptomatische Behandlung umfasst: 4 Überwachung der Vitalfunktionen, insbesondere Herzfrequenz, Blutdruck, Vitalkapazität 4 Thromboseprophylaxe, Dekubitusprophylaxe, Physiotherapie, ggf. Schmerztherapie 4 Beatmung bei Abfall der Vitalkapazität auf 25% des Normwertes oder <20 ml/kg KG 4 Therapie von Herzrhythmusstörungen und Hypo- oder Hypertonie Nach Erreichen des Beschwerdemaximums erfolgt die Rückbildung der Symptome in umgekehrter Reihenfolge des Auftretens. Meist bleibt keine wesentliche Behinderung bestehen, schwere Defektzustände sind möglich, Letalität 5%. CIDP (chronische inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie) Unterscheidet sich vom GBS im Wesentlichen über die >8 Wochen lange Progredienz. Therapie: Kortikosteroide und Immunglobuline.
87 1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
1
In Kürze Polyneuropathie, Polyneuritis
4 Symptomatik: sensible und motorische Reiz- und Ausfallserscheinungen: Parästhesien, oft strumpf- bzw. handschuhförmige Hyp-, An- oder Parästhesie/-algesie, anfangs sind oft Pallästhesie und Lagesinn betroffen, schlaffe, atrophische Paresen, Reflexabschwächung oder -ausfall, oft v. a. ASR, autonome Ausfallserscheinungen: trophische Störungen der Haut Hypo- oder Anhidrosis etc. 4 Ätiologie: häufigste Ursachen in Deutschland: Diabetes mellitus und Alkohol, weitere Ursachen: genetisch, Vitaminmangel, Medikamentennebenwirkung, bei monoklonaler Gammopathie oder lymphoproliferativen Erkrankungen. Neuritiden sind entzündliche Neuropathien ausgelöst durch Infektionen oder immunvermittelt (z. B. Guillain-BarréSyndrom) 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, Nachweis/Ausschluss zugrunde liegender Erkrankungen 4 Therapie: Behandlung der Grundkrankheit, KG, symptomatische Therapie
1.10.4 Hirnnerven 1.10.4.1 Trigeminusneuralgie Definition. Neuralgie: brennender, scharfer und einschießender Schmerz mit Projektion in das Versorgungsgebiet eines Nerven.
tomatischen Trigeminusneuralgien meist nicht, dafür besteht oft ein sensibles Defizit. Diagnostik. Anamnese, Befund, ggf. kraniales MRT,
konventionelle Angiographie bei geplanter JannettaOperation.
Ätiopathogenese. Differenziert werden:
Differenzialdiagnose. Glossopharyngeus-Neuralgie
4 Idiopathische Trigeminusneuralgie: In 70–100% wird intraoperativ ein pathologischer Gefäß-NervKontakt gefunden: Kompression des Nerven durch A. cerebelli superior, seltener pontine Venen oder A. cerebelli inferior anterior (im eigentlichen Sinne auch symptomatisch) 4 Symptomatische Trigeminusneuralgie: Bei MS, Raumforderungen der hinteren/mittleren Schädelgrube (Akustikusneurinom, Meningeom, Metastasen), Angiome, Hirnstammischämien
(seltener als Trigeminusneuralgie, bevorzugte Schmerzlokalisation: Ohr, Tonsille, Larynx und Zunge, Trigger ist oft das Schlucken), Karotisdissektion, atypischer Gesichtsschmerz.
Epidemiologie. 3–6:100.000/Jahr. Beginn der idiopathischen meist nach dem 40. Lebensjahr. Inzidenz mit dem Lebensalter zunehmend, W>M. Patienten mit symptomatischer Trigeminusneuralgie sind meist jünger. Symptomatik. Blitzartig einschießender, heftiger, elektrisierender und stechender, sehr starker Schmerz im Versorgungsgebiet v. a. der Trigeminusäste V2 und V3. Die Attacken dauern Sekunden bis zu 2 min, treten spontan oder getriggert nach einem Reiz (Berührung, Kauen, Sprechen, Schlucken, Zähneputzen) auf; Evtl. reflektorisches Zucken der Gesichtsmuskulatur (Tic douloureux) sowie autonome Reaktionen (Gesichtsrötung, Augentränen). Bei idiopathischen Trigeminusneuralgien besteht zwischen den Attacken Beschwerdefreiheit, bei symp-
Therapie. Abhängig von der Ätiologie:
4 Idiopathische Trigeminusneuralgie 5 Konservative Monotherapie 1. Wahl: Carbamazepin, Oxcarbazepin. 2. Wahl: Lamotrigin, Gabapentin, Baclofen 5 Chirurgische Therapie bei Erfolglosigkeit oder Unverträglichkeit der konservativen Behandlung – Perkutane Verfahren im oder am Ganglion Gasseri (Thermokoagulation, Glyzerinrhizolyse, Ballonkompression), frühe Erfolgsrate über 90% (bei älteren Patienten in reduziertem Allgemeinzustand) – Mikrovaskuläre Dekompression des N. trigeminus im Kleinhirnbrückenwinkel (Jannetta-Operation): Beseitigung des Kontaktes zwischen Gefäß und Nerv durch Einfügen eines kleinen Stücks Teflon – Radiochirurgische Behandlung mit Gamma-knife oder Linearbeschleuniger bei Blutungsneigung
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Kapitel 1 · Neurologie
4 Symptomatische Trigeminusneuralgie: Behandlung der Grundkrankheit Prognose. Schwer voraussagbar, Schmerzepisoden
können jahrelang anhalten, spontane Remissionen kommen vor. 1.10.4.2 Periphere Fazialisparese
Bei gleichzeitiger Gesichts-, Lippen- und Zungenschwellung, v. a. bei familiärer Häufung kann ein Melkersson-Rosenthal-Syndrom vorliegen (Lingua plicata, rezidivierende ödematöse Gesichts- und Mundschleimhautschwellung, später Cheilitis granulomatosa). Bei einigen Tumoren (z. B. Akustikusneurinom) entwickelt sich die Parese langsam progredient.
Definition. Schädigung des N. facialis mit je nach Loka-
lisation der Schädigung auftretender schlaffer Lähmung aller oder einiger vom N. facialis innervierten Muskeln, ggf. Verminderung von Tränensekretion und Geschmack. Ätiopathogenese. Läsion des N. facialis oder des Fazialiskerns im Hirnstamm: 4 Oft Nervenentzündung mit schwellungsbedingter Kompression 4 Meist idiopathisch (möglicherweise lokale Reaktivierung einer latenten HSV-Typ-1-Infektion im Ganglion geniculi) 4 Infektionen: Borreliose, Zoster oticus, andere Viruskrankheiten 4 Sarkoidose 4 Läsionen der Fazialiskerne im Hirnstamm: multiple Sklerose, Hirnstammischämie 4 Trauma, Felsenbeinfrakturen 4 Nervenkompression bei Parotistumor, Akustikusneurinom, Tumor im Schädelbasis-Bereich.
Erhöhte Inzidenz bei Schwangerschaft, Diabetes mellitus und Bluthochdruck. Symptomatik. Bei der idiopathischen Parese entwickelt sich innerhalb von Stunden bis Tagen eine meist einseitige Schwäche oder Lähmung der Gesichtsmuskeln. Oft treten einige Tage vor der Parese ohrnahe Schmerzen und Sensibilitätsminderung im Wangenbereich der betroffenen Seite auf.
Diagnostik. Anamnese, Befund (. Abb. 1.20). ! Cave Ausfälle weiterer Hirnnerven können auf Lokalisation eines Hirnstamminfarktes hinweisen.
4 Labor: Entzündungsparameter, Ausschluss eines Diabetes mellitus, Serologie (VZV, HSV, Borrelien, FSME) 4 CCT (Schädelfraktur), CCT/CMRT (Hirnstamminfarkt, Tumor) 4 Fazialisneurographie: zwecks Prognose und Lokalisation der Nervenläsion Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Operation bei Trauma/Tumor 4 Verhütung von Sekundärschäden der Kornea (Uhrglasverband, Augensalbe, künstliche Tränen) 4 Medikamentöse Therapie 5 Prednison/Methylprednisolon möglichst innerhalb der ersten 7 Tage 5 Zoster oticus: Prednison, Aciclovir 5 Otitis media: Antibiotika, abschwellende Nasentropfen, Prednison, Parazentese 4 Aktive Bewegungsübungen der Gesichtsmuskeln 4 Bei unvollständiger Restitution evtl. BotulinumInjektionen, Goldgewichtimplantate in die Augenlider
> Im Gegensatz zur zentralen Parese ist die Stirnmuskulatur bei peripherer Parese mitbetroffen.
Beim inkompletten Augenschluss wird der Bulbus nach oben und innen gedreht (Bell-Zeichen). Verminderte Tränensekretion, Hyperakusis und Geschmackstörung weisen auf eine Schädigung im Felsenbeinbereich hin. Auftreten in Frühjahrs- und Sommermonaten, Zeckenbiss oder Erythema migrans: Ausschluss einer Borreliose. Schmerzhafte Bläschen am Ohr und auf dem Trommelfell weisen auf einen Zoster oticus hin.
a
b
. Abb. 1.20. Fazialisparese. a periphere Fazialisparese links. b zentrale Fazialisparese links
89 1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
Prognose. Meist Spontanremission bei idiopathischer
Parese, in 80% komplette Erholung, beginnende Besserung innerhalb von 3 Wochen.
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5 Zoster ophthalmicus: Befall des 1. Trigeminusastes birgt die Gefahr der Korneaschädigung und Erblindung. Bläschen an der Nasenspitze sind wegweisend!
Herpes zoster (Gürtelrose), Zosterneuralgie Ätiopathogenese. Akuter Herpes zoster: Reaktivierung von nach Windpocken in den sensiblen Ganglien persistierenden Varizella-Zoster-Viren durch Abwehrschwäche, Trauma, Stress oder Sonneneinwirkung; oft in höherem Lebensalter.
Mögliche Komplikationen: beidseitiger Befall, Zoster generalisatus (generalisierter Befall mit Beteiligung innerer Organe – Pneumonie, Hepatitis bei Abwehrschwäche), Zoster haemorrhagicus (hämorrhagische Transformation der Bläschen), Meningitis, Myelitis, Enzephalitis.
Epidemiologie. Inzidenz: 100–200/100.000/Jahr.
! Cave
Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Zosterneuralgie: Bezeichnet neuropathische Schmerzen. Man unterscheidet die akute Zosterneuralgie, d. h. Schmerzen bei akutem Herpes zoster und postzosterische Neuralgie (bei 10–70% der Patienten), d. h. Schmerzen, die mindestens 6 Monate nach Abheilen der akuten Effloreszenzen bestehen bleiben. Bei älteren oder abwehrgeschwächten Menschen sowie bei vorbestehender PNP tritt häufiger eine postzosterische Neuralgie auf. 4 Akuter Herpes zoster: Allgemeinsymptome (Fieber, Abgeschlagenheit), kurze, einschießende, neuralgiforme Schmerzattacken im entsprechenden Dermatom meist bevor Effloreszenzen auftreten; Sensibilitätsstörungen (Hypästhesie und -algesie, Analgesie, Par- und Dysästhesien, manchmal Juckreiz). In 5% der Fälle segmentale motorische Ausfälle. 4 Hauteffloreszenzen: Erythem und gruppierte herpetiforme Bläschen, meist einseitiger Befall am häufigsten thorakal, der bei segmentaler Ausbreitung am Stamm wie ein halber Gürtel (Gürtelrose) imponiert. 4 Sonderformen: 5 Zoster oticus: Befall des N. facialis mit Fazialisparese sowie heftigen Schmerzen im Ohrbereich (Ramsay-Hunt-Syndrom), Bläschen am Ohr, im Gehörgang oder auf dem Trommelfell
Herpes zoster ist ansteckend (geringer als Windpocken), Kontakt zu nicht immunisierten Schwangeren, Immunsupprimierten meiden bis 3 Tage nach Einleitung einer Aciclovirbehandlung!
Der Herpes zoster heilt meist innerhalb von 2–3 Wochen narbenfrei ab. Die Schmerzen einer Postzoster-Neuralgie sind andauernd brennend-bohrend, neuralgiform oder entsprechen einer Allodynie. Diagnostik. Liquordiagnostik; Augen- und HNO-ärzt-
liche Untersuchung. Therapie. Analgetika zur Behandlung der Akutschmer-
zen. Frühzeitige medikamentöse virostatische Therapie z. B. mit Aciclovir bei akutem Herpes zoster (Alter >50 Jahre, Zoster im Kopf-Hals-Bereich, schwerem Zoster am Stamm (z. B. hämorrhagische Transformation, mehrere Segmente betroffen), bei Immundefizienten, bei florider Dermatitis atopica und Ekzemen) Medikamentöse Therapie der Zosterneuralgie: individuelle Erprobung und Dosisfindung von Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opioidanalgetika, wochenlanger Anwendung von Capsaicin-Creme (reversibler Funktionsverlust der Nozizeptoren) Lidocain-Creme oder -Pflaster, transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS), Sympathikusblockaden bei akuter Zosterneuralgie, intrathekale Glukokortikoide.
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Kapitel 1 · Neurologie
In Kürze Hirnnervenerkrankungen Trigeminusneuralgie
4 Symptomatik: spontaner oder durch Trigger ausgelöster neuralgiformer Schmerz im Versorgungsgebiet der Trigeminusäste (V2, V3), evtl. Tic douloureux, autonome Reaktionen 4 Ätiologie: idiopathisch: häufig Kompression durch A. cerebelli superior; symptomatisch: bei MS oder Raumforderungen 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, CMRT 4 Therapie: idiopathische Trigeminusneuralgie: 1. Wahl konservativ mit Carbamazepin, Oxcarbazepin, evtl. chirurgische Therapie (Jannetta-Operation, Thermokoagulation des Ganglion Gasseri); symptomatische Trigeminusneuralgie: Behandlung der Grundkrankheit
Periphere Fazialisparese
4 Symptomatik: Lähmung der mimischen Gesichtsmuskeln mit Bell-Zeichen, bei Schädigung im Felsenbeinbereich: verminderte Tränensekretion, Hyperakusis, Geschmackstörung 4 Ätiologie: meist idiopathisch, Infektion (Borreliose, Zoster oticus), Sarkoidose, Trauma, Nervenkompression Tumorerkrankung, erhöhte Inzidenz bei Schwangerschaft, Bluthochdruck und Diabetes mellitus 4 Diagnostik: Anamnese, Befund (Ausschluss einer zentralen Parese!). Ausschluss von Infektion, Trauma, Tumor, evtl. Fazialisneurographie 4 Therapie: Operation bei Trauma/Tumor, Verhütung von Sekundärschäden (Uhrglasverband, Augensalbe, künstliche Tränen), medikamentöse Therapie: Prednison/Methylprednisolon möglichst frühzeitig, Bewegungsübungen der Gesichtsmuskeln, spezifische Therapie bei Zoster oticus, Otitis media
1.10.5 Mononeuropathien der oberen
Extremität Definition. Schädigung einzelner peripherer Nerven. Ätiopathogenese. Ursachen sind:
Diagnostik. Anamnese, Befund, EMG, NLG, evtl. Bild-
gebung. Differenzialdiagnose. Radikuläre Läsion: Da die Mus-
keln durch mehr als ein Rückenmarksegment innerviert werden (außer Kennmuskeln) sind Paresen und Muskelatrophien hier geringer ausgeprägt. Im Extremitätenbereich sind vegetative Fasern nicht mitbetroffen.
4 Druckeinwirkung (falsche Lagerung bei Narkose, Engpass-Syndrome, Kallusbildung nach Frakturen, Kompartmentsyndrom, weichteilgewebige Raumforderungen wie Hämatom und Abszess, schlechte Gipsanlage) 4 Trauma (Zug, Zerrung, Quetschung des Nerven; Durchtrennung bei Stich- oder Schnittverletzungen; Zerreißung bei Frakturen) 4 Iatrogen (Injektion oder Bestrahlung) 4 Toxisch 4 Infektiös 4 Ischämisch
Versorgungsgebiet.
Symptomatik. Typisch sind:
Ätiopathogenese. Spezielle Ursachen:
4 Schlaffe motorische Paresen, abgeschwächte oder erloschene MER, später sichtbare Atrophien 4 Sensible Ausfälle, Schmerzen, Dys- und Parästhesien 4 Vegetative Störungen: trophische Störungen, Schweißsekretionsstörung
4 Chronische Ulnarisneuropathie am Ellenbogen: Zweithäufigste nichttraumatische Mononeuropathie; durch chronisch progrediente mechanische Schädigung des N. ulnaris im Bereich des Ellenbogens unter dem M. flexor carpi ulnaris (Kubitaltunnel), in der Ulnarisrinne oder bei Valgusfehlstel-
Therapie. Konservativ: Ruhigstellung, Schienung, Elek-
trostimulation, Hilfsmittel (Orthesen), medikamentöser Therapieversuch von Parästhesien (α-Liponsäure, Carbamazepin). Operationen sind indiziert bei schweren Nervenläsionen oder Engpass-Syndromen. 1.10.5.1 Läsion des Nervus ulnaris (C8–Th1) Definition. Schädigung des N. ulnaris mit Ausfällen im
91 1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
1
lung nach Frakturen (posttraumatische UlnarisSpätlähmung) 4 Syndrom der Guyon-Loge (Läsion des R. profundus im Bereich des Handgelenks) 4 Nervenkompression bei Hyperextension, z. B. beim Radfahren Insgesamt häufigste periphere Nervenläsion. Symptomatik. Typisch sind:
4 Sensible Ausfälle: 5 Palmar: Kleinfinger, ulnare Hälfte des Ringfingers, ulnare Handinnenfläche (R. superficialis), Kleinfingerballen, angrenzendes Handgelenk (R. plamaris) 5 Dorsal: Finger V und IV, z. T. III (Anastomosen vom N. medianus, Martin-Gruber-Anastomose), ulnarer Handrücken (R. dorsalis manus) 4 Motorische Ausfälle: M. flexor carpi ulnaris, M. flexor dig. prof. (Finger IV und V), Mm. interossei, ulnare Mm. lumbricales III–IV (Beugung im Grundgelenk, Streckung in den Mittel- und Endgelenken); M. adductor pollicis, M. abductor und M. opponens dig. IV 4 Syndrom der Guyon-Loge: nur Ulnaris-innervierte Handmuskeln betroffen, Innervation der proximalen Muskulatur und Sensibilität im Bereich des R. superficialis bleibt intakt > Resultierende Haltung: Krallenstellung der Finger (insbesondere IV, V), überstreckte Grundphalangen, Beugung der Mittel- und Endphalangen.
Diagnostik.
4 Fromnent-Zeichen: Beim Versuch, ein Blatt Papier zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten und dem Untersucher aus der Hand zu ziehen, wird bei Parese des M. adductor pollicis ersatzweise im Daumen maximal gebeugt (M. flexor pollicis longus) 4 Eingeschränkte Nasenstüberbewegung: abgeschwächtes Schnippsen des Mittelfingers gegen die Handfläche des Untersuchers 4 Hoffmann-Tinel-Zeichen: bei chronischer Schädigung positiv
a
b . Abb. 1.21a,b. a Froment-Zeichen links bei Drucklähmung des N. ulnaris im Sulcus ulnaris nach Ellenbogenfraktur (A. Ferbert, Kassel). b Muskelatrophien bei Sulcus-ulnaris-Syndrom. Nach operativer Dekompression des Nerven trat nur eine geringfügige Besserung der Motorik ein, während die sensiblen Reizsymptome aussetzten. (A. Ferbert, Kassel)
1.10.5.2 Läsion des Nervus medianus (C5–Th1) Definition. Schädigung des N. medianus mit Ausfällen im Versorgungsgebiet. Ätiopathogenese. Spezielle Ursachen:
4 Trauma: Humerusfraktur, Luxation, Krückenlähmung, Druckläsion bei Liegen des Kopfes des Partners im Schlaf auf dem Oberarm 4 Proximal des Handgelenks: Pronator-teres-Syndrom (Kompression zwischen den beiden Köpfen des Muskels) 4 Druckläsion in der Hohlhand bei Werkzeuggebrauch 4 Karpaltunnelsyndrom
Differenzialdiagnose. C8-Läsion: Zusätzlich Parese des
Symptomatik. Typisch sind.
M. triceps brachii, TSR-Abschwächung, EMG der paravertebralen Muskulatur; vegetative Innervation bleibt intakt (. Abb. 1.21a,b).
4 Sensible Ausfälle: 5 Palmar: Finger I bis radiale Hälfte Finger II 5 Dorsal: Endglieder Finger II–III 4 Motorische Ausfälle: 5 Radiale Flexoren am Unterarm, M. pronator teres und quadratus (Pronationsschwäche),
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Kapitel 1 · Neurologie
M. flexor carpi radialis (Ulnarabduktionsstellung) 5 M. abductor pollicis brevis, M. opponens (fehlende Daumenopposition, sog. Affenhand, Thenaratrophie), Mm. lumbricales I und II, Caput superficiale des M. flexor pollicis brevis 5 N.-interosseus-ant.-Syndrom (Kiloh-NevinSyndrom, rein motorische Ausfälle mit Lähmung des M. flexor pollicis longus und digitorum profundus II und des M. pronator quadratus) 5 Komplette Lähmung bei Läsion am Oberarm oder Ellenbogenbereich Diagnostik. Anamnese, Befund:
4 Schwurhand: Bei Faustschluss werden nur die Finger IV und V gebeugt, da vom N. ulnaris innerviert. 4 Flaschenzeichen: Beim Versuch, eine Flasche zu umgreifen, kann die Hand wegen mangelhafter Innervation des M. abductor pollicis brevis nicht ausreichend geöffnet werden, zwischen Finger I und II kann kein »O« geformt werden (. Abb. 1.22). Differenzialdiagnose. Radikuläre Läsionen:
4 C6, C7: auch Sensibilitätsstörungen in den radialen Fingern, bei C6 besteht eine M.-biceps-brachi-Parese, bei C7 M.-triceps- und M.-brachioradialis-Parese und TSR-Abschwächung 4 C8, Th1: auch Daumenballenatrophie Karpaltunnelsyndrom (KTS) 10% aller Menschen betroffen, meist nach dem 30. Lebensjahr, W:M = 2:1. Ursache: chronische Druckschädigung des N. medianus im Karpaltunnel zwischen Handwurzelknochen und dem Retinaculum flexorum, durch Einengung des Tunnels oder Volumenzunahme des Tunnelinhaltes.
In ca. 10% lässt sich eine Ursache finden: posttraumatisch, belastungsinduziert (Polsterer oder Arbeiten mit stark vibrierenden Maschinen), rheumatische Erkrankung, Flüssigkeitsretention in der Schwangerschaft, endokrine Störungen wie Diabetes mellitus, Hypothyreose, Akromegalie, Hyper- und Hypoparathyreoidismus, Amyloidose, Mukopolysacharidose, Gicht, chronische Niereninsuffizienz sowie anatomische Varianten.
Typische Symptome sind: 4 Parästhesien: Kribbeln, Stechen, v. a. Finger I–III, auch ulnar 4 Brachialgia paraesthetica nocturna: Beschwerden auch proximal des Handgelenks mit Ausbreitung bis zur Schulter, Symptomatik v. a. nachts oder bei fixierter Beuge- oder Streckstellung der Hand, Schütteln der Hand führt zur Besserung. 4 Im fortgeschritteneren Stadium Hypästhesien, Parese und Atrophie der laterale Daumenballenmuskulatur 4 Keine Schwurhand (distale Läsion) 4 Evtl. trophische Störungen und Hyp- oder Anhidrose Zur Diagnostik gehören positiver Phalen-Test (maximale Flexion im Handgelenk für eine Minute löst Parästhesien aus), Hoffmann-Tinel-Zeichen (Perkussion des Hautareals über dem geschädigten N. medianus kann ein elektrisierendes Gefühl auslösen), sensible Neurographie, Bestimmung der distalen motorischen Latenzzeit des N. medianus. Die Behandlung beruht bei leichteren Fällen, jungen Patienten und in der Schwangerschaft auf Schonung, nächtlicher Schienung, Reduktion manueller Beanspruchung, evtl. Glukokortikoidgabe. Die operative Therapie mit offener oder endoskopischer Durchtrennung des Retinaculum flexorum ist indiziert bei Versagen konservativer Maßnahmen, funktionell behindernden sensomotorischen Ausfallserscheinungen, bei akutem und rasch progredientem Verlauf.
1.10.5.3 Läsion des Nervus radialis (C5–C8) Definition. Schädigung des N. radialis mit Ausfällen im Versorgungsgebiet. Ätiopathogenese. Differenziert werden:
. Abb. 1.22. Medianuslähmung. Ausgedehnte Muskelatrophien der medianusversorgten Thenarmuskulatur, besonders des M. abductor pollicis brevis, bei einem Patienten mit Karpaltunnelsyndrom
4 Proximale Läsion: Humerusschaftfraktur, Krückenlähmung in der Axilla, Parkbanklähmung. 4 Mittlere Läsion: Supinator-Syndrom, Radiusköpfchenluxation, Radiusfraktur 4 Distale Läsion: Arbeiten mit der Schere oder Halten einer Farbpalette, enge Handschellen oder Armbänder, Shunt-Operation 4 Blei-Intoxikation
93 1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
Symptomatik. Typisch sind.
4 Sensible Ausfälle: 5 Dorsal radial am Unterarm und Handgelenk, dorsal Finger I, II und radial III (II, III ohne Endglieder) 5 Autonomes Areal: dorsale Daumenwurzelregion 5 Chiralgia paraesthetica: Sensibilitätsstörungen und Schmerzen dorsal an der 1. Zwischenfingerfalte bei Läsion des R. superficialis 4 Motorische Ausfälle: 5 M. triceps brachi (Läsion Axilla, proximaler Oberarm), M. brachioradialis (Läsion bis Oberarm), M. supinator, M. abductor pollicis longus, Fingerextensoren (bis Unterarm), Handgelenksextensoren (bis distaler Oberarm bzw. proximaler Unterarm), 5 Mangelhafte Streckung im Ellenbogen (M. triceps brachi)
1
5 Ausfall M. brachioradialis und Extensoren am Unterarm mit Fallhand und Fallfinger bei Läsion im Oberarmbereich, nur Fallfinger bei Läsion im Unterarmbereich 5 Supinator-Syndrom: Druckläsion des rein motorischen R. profundus des N. radialis bei Durchtritt durch den M. supinator; Sensibilitätsstörungen fehlen. Der M. extensor carpi radialis bleibt innerviert (inkomplette Fallhand), ulnare partielle Fallhand und Fallfinger, Radialwendung der Hand bei Versuch der Streckung Diagnostik. Anamnese, Befund. Differenzialdiagnose. C6-Läsion: Parese des M. biceps
brachii.
In Kürze Mononeuropathien der oberen Extremität N. ulnaris
4 Symptomatik: sensibel: palmar: Kleinfinger, ulnare Hälfte des Ringfingers, ulnare Handinnenfläche, Kleinfingerballen, angrenzendes Handgelenk; dorsal: Finger V und IV, z. T. III, ulnarer Handrücken. Motorisch: Beugung im Grundgelenk, Streckung in den Mittel- und Endgelenken, Krallenstellung der Finger 4 Ätiologie: chronisch progrediente mechanische Schädigung, Syndrom der Guyon-Loge, Kompression bei Hyperextension, Trauma 4 Diagnostik: Anamnese, Befund: Fromnent-Zeichen, eingeschränkte Nasenstüberbewegung, Hoffmann-Tinel-Zeichen bei chronischer Schädigung positiv; Elektrophysiologie, ggf. Bildgebung 4 Therapie: ggf. chirurgische Dekompression, Physiotherapie
N. medianus
4 Symptomatik: sensibel: palmar: Finger I bis radiale Hälfte Finger II, dorsal: Endglieder Finger II und III. Motorisch: Pronationsschwäche, Ulnarabduktionsstellung, fehlende Daumenopposition, sog. Affenhand, Thenaratrophie. Nervus-interosseus-ant.-Syndrom: rein motorisch 4 Ätiologie: Trauma (Fraktur, Luxation etc.), Kompression (Karpaltunnelsyndrom, Pronator-teres-Syndrom) 4 Diagnostik: Anamnese, Befund: Schwurhand, Flaschenzeichen; Elektrophysiologie, ggf. Bildgebung 4 Therapie: ggf. chirurgische Dekompression, Physiotherapie
N. radialis
4 Symptomatik: sensibel: dorsal radial am Unterarm und Handgelenk, dorsal Finger I–III (III nur radial). Motorisch: mangelhafte Streckung im Ellenbogen, Fallhand, Fallfinger, ggf. rein motorische Lähmung bei Supinator-Syndrom 4 Ätiologie: Humerusschaftfraktur, Krücken- oder Parkbanklähmung, Supinator-Syndrom, Radiusköpfchenluxation, Radiusfraktur, Blei-Intoxikation u. a. 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, ggf. Bildgebung 4 Therapie: ggf. chirurgische Dekompression, Physiotherapie
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Kapitel 1 · Neurologie
1.10.6 Mononeuropathien der unteren
Extremität Meralgia paraesthetica Kompression des N. cutaneus femoris lateralis am Durchtritt durchdasLeistenbandbeirascherGewichtszunahme,Schwangerschaft, engen Hosen (Jeanskrankheit), Korsett etc. Iatrogene Verletzung bei Spongiosaentnahme oder Hüftoperation. M>W, v. a. im mittleren Alter, in 10% beidseitig. Symptome: 4 Brennende Schmerzen, Missempfindungen in handtellergroßem Areal an der Vorder- und Außenseite des Oberschenkels, Provokation durch Hüftstreckung 4 Druckschmerz an der Durchtrittsstelle durch das Leistenband (2 Querfinger medial der Spina iliaca ant. sup.) 4 Positives umgekehrtes Lasègue-Zeichen Die Rate an Spontanremissionen ist hoch, konservative Therapie meist erfolgreich: Vermeidung von Streckbelastung in der Hüfte, Lokalanästhetika, lokale Glukokortikoidtherapie. Differenzialdiagnostik: radikuläre L3-Läsion: zusätzliche Abschwächung des PSR, Sensibilitätsstörungen können die Mittellinie überschreiten.
1.10.6.1 Läsion des Nervus femoralis (L1–L4) Definition. Schädigung des N. femoralis mit Ausfällen im Versorgungsgebiet-
sam. Das Knie gibt beim Gehen nach, knickt ein und wird übertrieben überstreckt. Das Treppensteigen ist besonders erschwert oder unmöglich. Der PSR ist abgeschwächt. Die Patella steht im Stehen tief. Eine Schonhaltung bei retroperitonealer Raumforderung (Außenrotation, Flexion, Abduktion in der Hüfte) ist typisch. Differenzialdiagnose. L4-Läsion: Zusätzlich Fußheberschwäche (M. tibialis ant.). L3-Läsion: Keine Sensibilitätsstörungen im Bereich des N. saphenus. Therapie. Abhängig von der Ursache; Physiotherapie, ggf. operative Dekompression/Neurolyse.
1.10.6.2 Läsion des Nervus ischiadicus (L4–S3) Definition. Schädigung des N. ischiadicus mit Ausfällen im Versorgungsgebiet. Ätiopathogenese. Ursächlich sind:
4 Druckeinwirkung: falsche Lagerung bei Narkose, weichteilgewebige Raumforderungen: Hämatom, Abszess 4 Trauma 4 Iatrogen 4 Toxisch 4 Infektiös 4 Ischämisch Symptomatik. Typisch sind:
Ätiopathogenese. Ursächlich sind:
4 Retroperitoneale Einblutung unter Marcumartherapie 4 Retroperitoneale Raumforderungen (Fibrose etc.) 4 Diabetische Mononeuropathie 4 Neuralgische Beckengürtelamyotrophie (analog zur neuralgischen Schulteramyotrophie) 4 Druckschädigung des sensiblen N. saphenus im Canalis adductorius oder Schädigung bei Phlebitis der V. saphena magna. 4 Iatrogen nach Operationen der (Hüfte), Angiographien (Punktion der A. femoralis), Bestrahlung Symptomatik. Typisch sind:
4 Motorische Ausfälle: M. iliopsoas (Hüftbeugung), M. quadriceps femoris (Kniestreckung), M. sartorius, M. pectineus 4 Sensible Ausfälle: Oberschenkelvorderseite, N.-saphenus-Innervationsgebiet: Unterschenkel-Innenseite, medialer Fußrand Die Läsion liegt meist distal des M. iliopsoas, motorisch ist v. a. die Parese des M. quadriceps femoris bedeut-
4 Motorische Ausfälle: ischiokrurale Muskulatur, alle Muskeln am Unterschenkel und Fuß, Kniebeugung ist nur noch durch den M. sartorius und den M. gracilis möglich, bei intakter Innervation der Gesäßmuskeln und der Adduktoren ist Gehen trotzdem möglich 4 Sensible Ausfälle: vor Aufteilung in N. peroneus und tibialis unten am Gesäß, Oberschenkelrückseite Diagnostik. Anamnese, Befund, Elektrophysiologie,
Bildgebung. Therapie. Abhängig von der Ursache; Physiotherapie, ggf. operative Dekompression/Neurolyse.
1.10.6.3 Läsion des Nervus peroneus (L4–S2) Definition. Schädigung des N. peroneus mit Ausfällen im Versorgungsgebiet. Ätiopathogenese. Oft Druck oder Dehnung in Höhe des Fibulaköpfchens (Sitzen mit überschlagenen Beinen, »crossed legs palsy«), Unterschenkelgipsschiene,
95 1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
Fraktur des Fibulaköpfchens etc. Isolierte Läsionen des distalen N. peronaeus profundus im sog. vorderen Tarsaltunnel oder des N. peronaeus superficialis sind möglich. > Peronaeuslähmung ist der häufigste periphere Nervenschaden am Bein.
Symptomatik. Typisch sind:
4 N. peronaeus profundus: Paresen der Fuß- und Zehenheber, inkl. der Fußmuskeln auf dem Fußrücken (Fallfuß, Steppergang, Gefahr der Spitzfußkontraktur). Die Sensibilität ist im 1. Zehenzwischenraum gemindert. 4 N. peronaeus superficialis: Parese der Fußpronation (Mm. peronaei, keine Elevation des lateralen Fußrandes), meist inkomplette Sensibilitätsstörung des Fußrückens und seitlich am Unterschenkel. Differenzialdiagnose. L5-Läsion: Zusätzlich Hüftab-
duktoren- und M.-tibialis-posterior-Parese, TPR abgeschwächt. Rein motorische Ausfälle bei Dystrophia myotonica, amyotrophe Lateralsklerose, spinaler Muskelatrophie. ! Cave Insbesondere nach einer Fraktur an ein Kompartmentsyndrom denken! Ggf. muss frühzeitig die Faszienspaltung erfolgen.
1
5 Bei ausbleibender Reinnervation Dekompression, Neurolyse, mikrochirurgische Nervennaht mit End-zu-End-Anastomose oder autologes Nerventransplantat. 5 Bei traumatischer Läsion mit glatter NervenDurchtrennung primäre End-zu-End-Anastomose bis zu 3 Wochen nach dem Trauma. 5 Bei persistierender Fußheberparese kann die M.-tibialis-posterior-Sehne vor die Sprunggelenksachse verlegt werden. 1.10.6.4 Läsion des Nervus tibialis (L4–S3) Definition. Schädigung des N. tibialis mit Ausfällen im Versorgungsgebiet. Ätiopathogenese. Tibiafraktur, Tarsaltunnelsyndrom. Symptomatik. Typisch sind:
4 Motorische Ausfalle: M. triceps surae, M. plantaris, kleine Fußmuskeln der Fußsohle (Störung der Kniebeugung und Plantarflexion von Fuß und Zehen, Zehenspitzengang ist nicht möglich, sog. Bügeleisengang mit Schleifen des Fußes am Boden, da Abrollen nicht möglich). Im Verlauf Krallenstellung der Zehen. Durch Ausfall des M. tibialis post. ist die Fußsupination gestört, es kommt zur Pronationsstellung. 4 Sensible Ausfälle (N. suralis): Ferse, Fußsohle. Diagnostik. Anamnese, Befund, Elektrophysiologie,
Bildgebung. Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Konservativ: Krankengymnastik, Spitzfußprophylaxe. 4 Operativ:
Therapie. abhängig von der Ursache; Physiotherapie,
ggf. operative Dekompression/Neurolyse, Versorgung einer Fraktur.
In Kürze Mononeuropathien der unteren Extremität N. femoralis
4 Symptomatik: motorische Ausfälle: Hüftbeugung, Kniestreckung. Sensible Ausfälle: Oberschenkelvorderseite, Unterschenkel-Innenseite, medialer Fußrand 4 Ätiologie: retroperitoneale Einblutung/Raumforderung, diabetische Mononeuropathie, neuralgische Beckengürtelamyotrophie, Druckschädigung, Phlebitis der V. saphena magna, iatrogen nach Operation, Punktion der A. femoralis, Bestrahlung 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, Bildgebung 4 Therapie: abhängig von der Ursache; Physiotherapie, ggf. operative Dekompression, Neurolyse, Nervennaht oder -transplantation, Frakturversorgung
N. ischiadicus
4 Symptomatik: – Motorische Ausfälle: ischiokrurale Muskulatur, alle Muskeln am Unterschenkel und Fuß, Kniebeugung ist nur noch durch den M. sartorius und den M. gracilis möglich, bei intakter Innervation der Gesäßmuskeln und der Adduktoren ist Gehen trotzdem möglich
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96
Kapitel 1 · Neurologie
1
– Sensible Ausfälle: bei Läsion vor Aufteilung in N. peronaeus und tibialis: unten am Gesäß, Oberschenkelrückseite 4 Ätiologie: Druckeinwirkung (Lagerung bei Narkose, Raumforderungen: Hämatom, Abszess), Trauma, toxisch, infektiös, ischämisch 4 Diagnostik: 7 N. femoralis 4 Therapie: 7 N. femoralis N. peronaeus
4 Symptomatik: N. peronaeus profundus: Fallfuß, Steppergang, Gefahr der Spitzfußkontraktur, Sensibilität im 1. Zehenzwischenraum gemindert; N. peronaeus superficialis: Parese der Fußpronation, meist inkomplette Sensibilitätsstörung des Fußrückens und seitlich am Unterschenkel 4 Ätiologie: Druck oder Dehnung in Höhe des Fibulaköpfchens, Unterschenkelgipsschiene, Fraktur des Fibulaköpfchens, isolierte Läsionen des distalen N. peronaeus profundus im vorderen Tarsaltunnel, Kompartmentsyndrom 4 Diagnostik: 7 N. femoralis 4 Therapie: 7 N. femoralis, Spitzfußprophylaxe
N. tibialis
4 Symptomatik: motorisch: Störung der Kniebeugung und Plantarflexion, Zehenspitzengang unmöglich, Bügeleisengang, Krallenstellung der Zehen, Pronationsstellung, sensible Ausfälle: Ferse, Fußsohle 4 Ätiologie: Tibiafraktur, Tarsaltunnelsyndrom 4 Diagnostik: 7 N. femoralis 4 Therapie: 7 N. femoralis
1.11
Muskelkrankheiten
1.11.1 Myotone Syndrome 1.11.1.1 Myotone Dystrophien Myotone Dystrophie Typ 1 Synonym. Curschmann-Steinert-Erkrankung. Definition. Autosomal-dominant vererbte, multisystemische Erkrankung mit muskulären und extramuskulären Symptomen. Ätiopathogenese. CTG-Repeat-Expansion im Dystrophia-myotonica-Proteinkinase-Gen. Bei kurzer Repeat-Expansion ist die klinische Symptomatik meist nur mild ausgeprägt, je länger die Repeat-Expansion, desto schwerer das klinische Bild und die mentale Beeinträchtigung. Typisch ist die Antizipation: Früheres Manifestationsalters und zunehmende Schwere der Symptomatik in nachfolgenden Generationen. Epidemiologie. 55:100.000, häufigste Muskeldystrophie bei Erwachsenen in Europa. Symptomatik. Typisch sind:
4 Muskuläre Symptome: 5 Zunächst distale, später auch proximale Schwäche und Atrophie der Extremitätenmuskulatur
5 Beteiligung der mimischen Muskulatur (myopathische Fazies), pharyngealen Muskulatur (näselndes Sprechen), Kaumuskulatur und Halsbeugemuskulatur 5 Myotonie, v. a. im Bereich der Hände und Beine, selten schwerwiegend (werden daher von Patienten oft nicht spontan berichtet) 5 Selten Muskelschmerzen 5 Kardiale Beteiligung (Herzrhythmusstörungen bei 90%, AV-Block, Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz bei 10%) 5 Dilatation und verminderte Motilität des Gastrointestinaltraktes 4 Extramuskuläre Symptome: 5 Katarakt: polychromatische, sog. bunte Einschlüsse in der hinteren Linsenkapsel (myotone, »Christbaumschmuck-Katarakt«) 5 Innenohrschwerhörigkeit 5 Hypogonadismus, v. a. bei Männern (Atrophie der Tubuli seminiferi, primärer Hypogonadismus) 5 Stirnglatze 5 Diabetes mellitus durch Insulinresistenz 5 Schilddrüsenerkrankung 5 Kognitive Einschränkung, Dissimulationsneigung 5 Persönlichkeitsveränderung mit Vernachlässigungstendenzen und sozialem Rückzug
97 1.11 · Muskelkrankheiten
5 Tagesmüdigkeit bei vielen Patienten mit und ohne Schlaf-Apnoe-Syndrom 5 Gelegentlich periphere Neuropathie
1
Epidemiologie. Typ Thomsen 1:400.000, Typ Becker
1:25.000. Symptomatik. Typisch sind für:
! Hauptsymptome: 4 Distal betonte, progrediente Muskelschwäche/atrophie 4 Myotonie: verzögerte Muskelerschlaffung, empfunden als Muskelsteife 4 In 75% der Fälle Katarakt
Die Symptomatik beginnt meist im 15. bis 30. Lebensjahr (adulte Form). Eine schwere, kongenitale Sonderform fällt oft schon vor der Geburt auf (Polyhydramnion infolge einer Schluckschwäche). Postpartal kommt es zum Floppy-infant-Syndrom mit Trinkschwäche, offen stehendem Mund, hohem Gaumen und psychomotorischer Entwicklungsretardierung. Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Labor: CK (mäßig erhöht), Transaminasen und γGT of leicht erhöht, Abklärung endokriner Störungen: Blutzucker, HbA1c, Schilddrüsenparameter, ggf. Geschlechtshormone 4 EMG: myotone Entladungsserien (Entladungsserien z. B. im Perkussionstest »Sturzkampfbombergeräusch«) und Myopathie-typische Veränderungen 4 Augenärztliche Spaltlampenuntersuchung (Katarakt) 4 Molekulargenetischer Nachweis 4 EKG Therapie. Physio- und Ergotherapie, Logopädie. Ggf.
symptomatische Therapie endokriner Störungen, Kataraktoperation, Herzschrittmacher. Prognose. Progredienter Verlauf, Lebenserwartung oft auf 50–60 Jahre verkürzt, Herzrhythmusstörungen sind oft limitierend.
1.11.1.2 Nichtdystrophe Myotonien: Myotonia congenita Thomsen und Becker Definition. Ionenkanalkrankheiten mit Übererregbarkeit (Myotonie: Störung der Erschlaffung des Muskels/ Relaxationsstörung) und Untererregbarkeit (Störung der Muskelkontraktion und transiente Schwäche/ schlaffe Lähmung). Ätiopathogenese. Autosomal-dominant (Myotonia
congenita Thomsen) oder autosomal-rezessiv vererbte (Myotonia congenita Becker) Mutation in Chloridkanälen.
4 Beide Typen 5 Myotonie: Störung der Muskelerschlaffung 5 Warm-up-Phänomen: Abnahme der myotonen Symptomatik durch wiederholte Bewegungen 4 Typ Thomsen 5 Manifestation im Kleinkindalter mit Kontrakturen der Wadenmuskulatur, Spitzfußneigung, häufigem Hinfallen, ungeschicktem Greifen 5 Betroffene wirken oft athletisch 5 Frauen sind meist leichter betroffen 4 Typ Becker 5 Beginn 5. bis 8. Lebensjahr 5 Myotonie in den Armmuskeln häufig stärker ausgeprägt als in den Beinmuskeln 5 Gelegentlich Achillessehnenkontrakturen oder Kontrakturen in Ellbogen- und Schultergelenk 5 Passagere Störung der Muskelkontraktion mit transienter Schwäche 5 Disproportionierte Figur mit schmächtiger Hals-, Schulter- und Armmuskulatur und hypertropher Bein- und Glutealmuskulatur 5 Lordose der Wirbelsäule > Beide Formen sind nicht kaliumempfindlich und werden nicht durch Kälte beeinflusst.
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Faustschlussmyotonie 4 Perkussionsmyotonie der Zungen- oder Extremitätenmuskulatur 4 Lid-lag 4 Bei Typ Becker transiente Parese mit Abnahme der Kraft bei wiederholten Muskelkontraktionen 4 EMG-Untersuchung (myotone Salven) 4 Labor: CK (maximal 2-fach erhöht) und Transaminasen 4 Evtl. molekulargenetische Diagnostik Therapie. Antimyotone medikamentöse Therapie bei Beeinträchtigung im sozialen oder beruflichen Alltag mit Lokalanästhetika/Antiarrhythmika. 1. Wahl: Mexiletin (vor Therapiebeginn (Langzeit-)EKG). Prognose. Nicht progredient. Weitere Ionenkanalkrankheiten 4 Paramyotonia congenita (Eulenburg): In Kälte zunehmende Myotonie mit nachfolgend über mehrere Stunden anhaltende Schwäche. Betroffen sind v. a. Augen-
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1
Kapitel 1 · Neurologie
muskeln, Gesicht, Hals, obere distale Extremitäten. Paradoxe Myotonie: Zunahme der Myotonie durch repetitive Bewegungen/körperliche Aktivität, Atrophien oder eine persistierende Muskelschwäche entwickeln sich im Verlauf nicht. Symptome bestehen von der Geburt an und sind in Wärme gering oder fehlen. 4 Hyperkaliämische periodische Lähmung (Adynamia episodica hereditaria) 4 Hypokaliämische periodische Lähmung
Diagnostik. Anamnese, Befund.
1.11.2 Muskeldystrophien
Therapie. Symptomatisch, Physiotherapie, ggf. Orthe-
1.11.2.1 Muskeldystrophie Typ Duchenne Definition. X-chromosomal-rezessiv vererbte Muskeldystrophie.
4 Paresen, kein Faszikulieren, MER bleiben lange erhalten 4 EMG: myopathisch verändert 4 Muskelbiopsie: unregelmäßige Faserdurchmesser, zentral liegende Kerne, Bindegewebs- und Fettgewebsvermehrung 4 Labor: erhöhte CK, Überträgerinnen haben in 2/3 der Fälle erhöhte CK-Werte 4 Molekulargenetische Diagnostik
sen oder operative Korrektur von Kontrakturen, Behandlung von Atemwegsinfekten, Heimbeatmung. Prognose. Meist sterben Betroffene im Alter von 20 Jahren an Herz- und Ateminsuffizienz.
Ätiopathogenese. Mutationen im Dystrophin-Gen. Epidemiologie. 1:3500 Männer, fast nur Männer. Symptomatik. Beginn meist bis zum 3. Lebensjahr mit progressiver Dystrophie der proximalen Muskulatur, v. a. der Beckengürtelmuskulatur (schlaffe Paresen). Charakteristisch sind: 4 Pseudohypertrophie der Waden (Gnomenwaden) durch Binde- und Fettwebszunahme 4 Wespentaille 4 Watschelgang 4 Positives Trendelenburg-Zeichen 4 Gowers-Manöwer: Betroffene nehmen beim Aufrichten die Arme zur Hilfe und stützen sich an sich selbst ab (Hochklettern an sich selbst)
Mit etwa 12 Jahren besteht Rollstuhlabhängigkeit, es kommt zu Flexionskontrakturen, Lendenlordose und Skoliose. In 1/3 der Fälle tritt eine milde mentale Retardierung auf. Oft sind Herzmuskel (dilatative Kardiomyopathie) und glatte Muskulatur mitbetroffen. Keine sensiblen oder vegetativen Störungen, keine Faszikulationen.
Muskeldystrophie Typ Becker-Kiener X-chromosomal-rezessiv vererbte Mutation im DystrophinGen, 1:20.000 Männer. Beginn: 5. bis 20. Lebensjahr, der Verlauf ist gutartiger als bei Typ Duchenne, die Lebenserwartung nur gering verkürzt (Tod in der 5. bis 6. Lebensdekade), der Intellekt ist normal. Muskeldystrophie Typ Emery-Dreifuss X-chromosomal-rezessiv vererbte Mutation des EmerinGens. Beginn: 5. bis 10. Lebensjahr an Oberarmmuskeln, Fußhebern, Rückenmuskulatur. Es treten Kardiomyopathie, geistige Retardierung und Kontrakturen auf. Autosomal-dominant vererbte Muskeldystrophien 4 Fazioskapulohumerale Form: Beginn 2. bis 3. Lebensjahrzehnt im Gesicht »Facies myopathica« mit leicht offenem Mund und Lippenvorstülpung (»Tapirmund«) sowie Scapula alata 4 Okulopharyngeale Form: betrifft Lidheber, Schlundmuskulatur und äußere Augenmuskeln
In Kürze Muskelkrankheiten Myotone Dystrophie Typ 1
6
4 Symptomatik: Beginn meist 15. bis 30. Lebensjahr. Distal betonte, progrediente Muskelschwäche und -atrophie, Myotonie. Häufig kardiale Beteiligung, Katarakt, Innenohrschwerhörigkeit, endokrine Erkrankungen, Kognitive Einschränkungen, Persönlichkeitsveränderung 4 Ätiologie: autosomal-dominant vererbte multisystemische Erkrankung, CTGRepeat-Expansion im Dystrophia-myotonica-Proteinkinase- Gen
99 1.11 · Muskelkrankheiten
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4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Labor: CK (mäßig erhöht), Transaminasen und GGT oft leicht erhöht, endokrine Störungen?, EMG: myotone Entladungsserien und Myopathie-typische Veränderungen, Spaltlampe (Katarakt?), molekulargenetische Diagnostik, EKG 4 Therapie: Physio-, Ergotherapie und Logopädie, ggf. Therapie endokriner Störungen, Kataraktoperation, Herzschrittmacher Myotonia congenita Thomsen, Myotonia congenita Becker
4 Symptomatik: Myotonie, Warm-up-Phänomen, athletisches Aussehen, bei Typ Becker transiente Paresen 4 Ätiologie: Mutation von Chloridkanälen 4 Diagnostik: Anamnese, Befund: Faustschluss- und Perkussionsmyotonie, Lid-lag, EMG: myotone Salven, Labor: CK (maximal 2-fach) und Transaminasen erhöht, evtl. molekulargenetische Diagnostik 4 Therapie: ggf. antimyotone medikamentöse Therapie mit Mexiletin
Muskeldystrophie Typ Duchenne
4 Symptomatik: Beginn meist bis zum 3. Lebensjahr mit schlaffen Paresen, v. a. der Beckengürtelmuskulatur, »Gnomenwaden«, Wespentaille, Watschelgang, positives Trendelenburg-Zeichen, Gowers-Manöwer, mentale Retardierung, Beteiligung von Herz- und glatter Muskulatur, Tod meist bis zum 20. Lebensjahr 4 Ätiologie: Mutationen im Dystrophin-Gen 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Paresen, kein Faszikulieren, MER lange erhalten, EMG und Muskelbiopsie: myopathisch verändert, Labor: erhöhte CK, molekulargenetische Diagnostik 4 Therapie: symptomatisch, Physiotherapie, ggf. Orthesen oder operative Korrektur von Kontrakturen, Behandlung von Atemwegsinfekten, Heimbeatmung
1.11.3 Neuromuskuläre Erkrankungen 1.11.3.1 Myasthenia gravis pseudoparalytica Definition. Autoimmunerkrankung mit Verlust nikotinerger Azetylcholinrezeptoren (AChR) an der motorischen Endplatte, das Endplattenpotenzial erreicht die Schwelle zur Depolarisation der Muskelmembran nicht immer. Ätiopathogenese. Autoantikörper gegen AChR lassen sich bei generalisierter Myasthenie in >80%, bei okulärer in 50% der Fälle nachweisen (serumpositive Myasthenie). Seltener sind Antikörper gegen Muskel-spezifische Rezeptor-Tyrosinkinase (MuSK, positiv bei 50–75% der Patienten mit serumnegativer Myasthenie) und weitere Antigene der Skelettmuskulatur. > In 75% Thymushyperplasie (Thymitis mit lymphofollikulärer Hyperplasie) als Ausdruck eines aktiven immunologischen Prozesses. In 10–15% der Fälle besteht ein Thymom.
Neonatalen Myasthenie: durch plazentagängige Autoantikörper der Mutter ausgelöste myasthene Symptome
bei einem Kind, bildet sich nach einigen Wochen zurück. Weitere Autoimmunerkrankungen (Schilddrüsenerkrankungen, andere Endokrinopathien) können assoziiert sein. Verschlechterung einer Myasthenia gravis bei: 4 Infektion 4 Muskelrelaxanzien vom Kurare-Typ 4 Benzodiazepinen 4 Antibiotika (Aminoglykoside, Gyrasehemmer, Makrolide, Ketolide) 4 Antirheumatika (D-Penicillamin, Chloroquin) Epidemiologie. Prävalenz: 3–10:100.000, W>M (W oft
20. bis 40. Lebensjahr; M oft >50 Jahre) Symptomatik. Oft beginnt die Erkrankung als okuläre Myasthenie an den äußeren Augenmuskeln mit transienten, fluktuierenden Doppelbildern und Ptosis. In 10% der Fälle bleibt die Erkrankung okulär. Häufig entwickelt sich innerhalb von 2 Jahren eine generalisierte Myasthenie (. Abb. 1.23a,b).
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Kapitel 1 · Neurologie
1 4 4
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b . Abb. 1.23a,b. Okuläre Myasthenie mit leichter Ptose und Schwäche des M. rectus superior auf dem linken Auge vor (a) und nach (b) Tensilontest. Man erkennt, dass die Ptose deutlich zurückgegangen ist und das linke Auge weiter nach oben gewandt werden kann
von 5 Reizen mit 2–3 Hz) führt zu einer pathologischen Abnahme (Dekrement) der Amplitude der Muskelsummenpotenziale Einzelfaser-EMG: Dispersion der Aktionspotenzial einer motorischen Einheit (Jitter-Phänomen) Tensilon-Test: Injektion von Edrophonium (Azetylcholinesterasehemmer) verzögert den Abbau von Azetylcholin. Die muskuläre Schwäche wird für einige Minuten reduziert, eine Ptosis kann kurz verschwinden (Atropin als Antidot bereithalten und bei muskarinen Nebenwirkungen (Bradykardie, Hypotonie, Bronchospasmus) injizieren) Labor: CK meist normal, Autoantikörpernachweis Antikörper gegen Azetylcholinrezeptoren korrelieren mit dem klinischen Verlauf und können zur längerfristigen Therapiekontrolle herangezogen werden. Thorax-CT mit Kontrastmittel und ggf. MRT (Thymom)
Lambert-Eaton-Syndrom Antikörpervermittelte Zerstörung präsynaptischer Kalziumkanäle führt zu reduzierter Azetylcholinsekretion an cholinergen Synapsen motorischer und vegetativer Nerven. 2/3 der Betroffenen haben ein kleinzelliges Bronchialkarzinom, weiterhin besteht eine Assoziation zu Autoimmunerkrankungen wie z. B. perniziöse Anämie, Sjögren-Syndrom, Hypo- oder Hyperthyreose. Im EMG-Ermüdungstest Amplitudenzunahme (Inkrement).
Therapie. Die Behandlung umfasst: > Typisch ist die abnorme, meist bilateral symmetrische Ermüdbarkeit der Muskulatur verschiedener Körperregionen.
Symptome nehmen bei Belastung und im Tagesverlauf zu und bessern sich nach Ruhepausen. ! Cave Myasthene Krise kann durch respiratorische Insuffizienz mit Aspirationsgefahr lebensbedrohlich sein.
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Quantifizierung der Muskelschwäche 4 Klinische Tests: Arm-, Bein-, und Kopfhalteversuche, Messung der Vitalkapazität, Einschätzung des Kauens und Schluckens, Lidschluss, Doppellbilder beim Blick zur Seite, zunehmende Ptose beim Blick nach oben (Simpson-Test). Zahlenreihensprechen (zunehmend verwaschene Sprache) 4 EMG-Ermüdungstest (Stimulations-EMG): supramaximale, repetitive Nervenstimulation (Serie
4 Symptomatisch: Cholinesterase-Inhibitoren, z. B. Pyridostigmin 4 Immunsuppressiv: anfangs einschleichend Glukokortikoide, nach Symptom-Rückbildung schrittweise Reduktion auf Erhaltungsdosis. Bei zusätzlicher Gabe von Azathioprin, evtl. Ciclosporin A, Mykophenolat Mofetil oder Cyclophosphamid können Steroide reduziert werden 4 Thymektomie: 5 Bei Thymom: Operation 5 Generalisierte, serumpositive Myasthenie: frühe Operation bei jungen Patienten, keine Operation bei älteren Patienten über 60–65 Jahren 5 Bei rein okulären Symptomen ohne Hinweis auf Thymom zurückhaltende Indikationsstellung 5 Seronegative Patienten haben selten pathologische Thymusbefunde und profitieren wenig von einer Thymektomie Myasthene Krise: Atemwege freihalten, Sauerstoffzufuhr sichern, intensivmedizinische Überwachung, ggf. Intubation, Antibiose, Cholinesterase-Inhibitoren i.v.
101 1.11 · Muskelkrankheiten
Plasmapherese oder Immunadsorption zur Entfernung von Autoantikörper. Bei Kontraindikation Gabe hochdosierter Immunglobuline. ! Cave Unter i.v. Gabe von Cholinesterase-Inhibitoren kann eine cholinerge Krise entstehen.
Symptome der cholinergen Krise: 4 Glatte Muskulatur: Miosis, abdominelle und epigastrische Krämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Harndrang 4 Kardial: AV-Block, Bradykardie 4 Gesteigerte Drüsensekretion: Bronchialsekretion, Tränenlaufen, Hypersalivation, Schwitzen 4 Skelettmuskuläre Spasmen und Faszikulationen bzw. Depolarisationsblock mit Muskelschwäche 4 ZNS-Symptome außer bei Pyridostigmin: Reizbarkeit, Unruhe, Krampfanfälle, Koma Nach mehrjähriger stabiler Remission können Immunsuppressiva langsam reduziert werden, bei abruptem Absetzen können myasthene Symptome wieder auftreten und zu einer myasthenen Krise führen. Oft ist die lebenslange immunsuppressive Therapie erforderlich. Myositis Erworbene entzündliche Muskelerkrankungen: 4 Autoimmunmyositis 4 Bei Kollagenose »Overlap-Syndrom« 4 Bei anderen Systemerkrankungen, z. B. granulomatöse Myositis bei Sarkoidose 4 Erregerbedingte Myositis 5 Protozoen und Helminthen: Toxoplasmose, Trichinose, Zystizerkose 5 Bakterien: Borreliose, Tbc, Bruzellen, Staphylokokken 5 Viren: HIV, Coxsackie, Influenza Autoimmunmyositiden 4 Polymyositis (PM) 4 Dermatomyositis (DM) 4 Sporadische oder hereditäre Einschlusskörpermyositis (»inclusion body myositis«, IBM) Vermutlich sind T-Zell- (PM) bzw. Antikörper-vermittelte (DM) Autoimmunprozesse beteiligt. Bei der IBM wird ein ähnlicher degenerativer Prozess wie beim Morbus Alzheimer mit Akkumulation pathologischer Proteinfibrillen und sekundärer Entzündungsreaktion diskutiert. Paraneoplastisches Auftreten: Relatives Malignomrisiko bei DM etwa 4 (keine speziellen Tumorarten), bei PM etwa 2 (v. a. Non-Hodgkin-Lymphom, Lungen- und Blasenkarzi-
1
nom). Die Myositis kann dem Tumornachweis um Jahre vorausgehen, man sollte daher bei DM und PM immer aufTumorsuche gehen. IBM ist in 20% der Fälle mit anderen Autoimmunerkrankungen, nicht jedoch mit Malignomen assoziiert. Leitsymptom ist die Muskelschwäche. Bei DM und PM weitgehend symmetrisch und v. a. proximal, bei IBM früh auch distale Muskeln, v. a. Fußextensoren und Fingerflexoren, evtl. asymmetrisch betroffen. Schluck-, Atem- und Nackenmuskulatur können mitbeteiligt sein. Ca. 50% der Patienten leiden an Myalgien oder Arthralgien. Gelegentlich kommt es zu einem Raynaud-Syndrom (PM, DM), zu kardialer oder pulmonaler Beteiligung. Sensibilität und Muskeleigenreflexe bleiben erhalten. Hautveränderungen bei der DM: 4 Rote oder lilafarbene Erytheme im Gesicht v. a. periorbital, Wangen 4 De- und Hyperpigmentierungen 4 Gottron-Zeichen: schuppige Erosionen an den Fingerknöcheln 4 Keinig-Zeichen: schmerzhafte erweiterte Kapillaren an der Basis der Fingernägel 4 »Mechanikerhände«: raue Haut an Handflächen und Fingern 4 Subkutane Verkalkungen 4 Evtl. auch intestinale Ulzerationen Diagnostik: Anamnese, Befund, Tumorsuche, Elektrophysiologie, Muskelbiopsie. Therapie bei PM und DM: Immunsuppression mit Kortikosteroiden, in der Langzeittherapie oft in Kombination mit Immunsuppressiva wie Azathioprin. Bei Therapieresistenz Versuch mit intravenösen Immunglobulinen. IBM ist weitgehend therapieresistent. Immunglobulin-Infusionen können versucht werden. Bei paraneoplastischen Myositiden Behandlung des Grundleidens.
1.11.3.2 Arzneimittelinduzierte Myopathie Definition. Myopathie als unerwünschte Arzneimittelwirkung. Ätiopathogenese. Direkt toxische Wirkung auf den
Muskel oder immunvermittelter Muskelschaden; auslösende Medikamente können sein: Glukokortikoide, Zidovudin, Chloroquin, Colchizin, Betablocker, Ciclosporin, Vincristin und mit Rhabdomyolyse durch Fibrate, Statine, Amphetamine, Kokain, Heroin, Barbiturate. Symptomatik. Verlauf akut oder chronisch; unterschiedliche Symptomatik mit Schmerzen, Muskelschwäche/-atrophie; ggf. bei Rhabdomyolyse Symptome und Komplikationen durch akutes Nierenversagen.
102
1
Kapitel 1 · Neurologie
Diagnostik. Anamnese (Medikamente?), Befund, Elek-
trophysiologie, Muskelbiopsie. Therapie. Absetzen des auslösenden Medikaments, symptomatische Therapie, Physiotherapie, Glukokortikoide bei Immunvermittelter Genese.
Weitere Ursachen toxischer Myopathien Übermäßiger Alkoholkonsum, endokrine Erkrankungen: Cushing-Syndrom, Morbus Addison, Akromegalie, Hypophyseninsuffizienz, Hypo- und Hyperthyreose, Hypo- und Hyperparathyreoidismus.
In Kürze Neuromuskuläre Erkrankungen Myasthenia gravis
4 Symptomatik: bilateral symmetrische Ermüdbarkeit der Muskulatur, zunehmende Symptome im Tagesverlauf/nach Belastung, Beginn oft mit okulären Symptomen (Doppelbilder und Ptosis) 4 Ätiologie: oft Autoantikörper-vermittelter Verlust nikotinerger Azetylcholin-Rezeptoren (AChR) an der motorischen Endplatte. In ¾ der Fälle besteht eine Thymushyperplasie (Thymitis mit lymphofollikulärer Hyperplasie), bei 10–15% der Fälle ein Thymom, Assoziation mit Autoimmunerkrankungen 4 Diagnostik: Anamese, Befund, klinische Tests: Simpson-Test, Zahlenreihensprechen 4 Dekrement im EMG-Ermüdungstest, Tensilon-Test, Labor: CK in der Regel normal, Nachweis von Autoantikörpernachweis, Thorax-CT mit KM und ggf. MRT (Thymom?) 4 Therapie: Cholinesterase-Inhibitoren, Immunsuppressiva, ggf. Thymektomie
Arzneimittelinduzierte Myopathie
4 4 4 4
Symptomatik: Muskelschwäche, -schmerzen und/oder -atrophien Ätiologie: Medikamentennebenwirkung, direkt toxische Wirkung oder immunvermittelt Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, Muskelbiopsie Therapie: Absetzen auslösender Medikamente, Glukokortikoide bei immunvermittelter Genese, symptomatische Therapie, Physiotherapie
2 Psychiatrie, Psychotherapie E. N. Cho, H. Thieme 2.1
Anamnese, Befund, Therapie –105
2.1.1 2.1.2 2.1.3
Anamnese –105 Befund –106 Therapie –112
2.2
Körperlich begründbare psychische Störungen
2.2.1
Syndromatische Erscheinungsformen exogener Psychosen
2.3
Hypoglykämie –124
2.4
Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen –126
2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5
Demenz als gemeinsames Leitsymptom –126 Demenz bei Alzheimer-Krankheit –128 Demenz bei HIV-assoziierter Enzephalopathie –129 Demenz bei Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (CJE) –130 Demenz bei Morbus Parkinson –130
2.5
Esstörungen –132
2.5.1 2.5.2
Anorexia nervosa –132 Bulimia nervosa –132
2.6
Schlafstörungen –133
2.7
Missbrauch, Abhängigkeit
2.7.1 2.7.2 2.7.3
Alkoholismus –134 Opioide (Morphintyp) –140 Cannabinoide, Marihuana –140
2.8
Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung –143
2.8.1 2.8.2 2.8.3
Schizophrenie –143 Schizoaffektive Störung –147 Anhaltende wahnhafte Störung
2.9
Affektive Erkrankungen
2.9.1 2.9.2 2.9.3 2.9.4 2.9.5
Depressive Störung –149 Rezidivierende depressive Störung –150 Anhaltende affektive Störung –151 Manie –151 Bipolare Störung –152
–134
–147
–149
–119 –119
2.10 Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter –154 2.10.1 2.10.2 2.10.3 2.10.4 2.10.5 2.10.6 2.10.7 2.10.8 2.10.9
Kindesmisshandlung –154 Störungen der Motorik und Psychomotorik –155 Intelligenzminderung –157 Störungen des Sprechens und der Sprache –158 Störungen im Zusammenhang mit schulischen Leistungen Tiefgreifende Entwicklungsstörungen –160 Psychogene Störungen –161 Emotionale Störungen im Kindes- und Jugendalter –162 Störungen des Sozialverhaltens –162
2.11 Vorsätzliche Selbstbeschädigung
–164
–158
105 2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
Definition. Die Psychiatrie ist ein medizinisches Fachgebiet, das sich mit der Psyche und Psychopathologie beschäftigt, sich auch psychologischer Erkenntnisse bedient und als biologisch-naturwissenschaftliches Fach eng mit der Inneren Medizin und Neurologie verknüpft ist.
2.1
4 4
Anamnese, Befund, Therapie
2.1.1 Anamnese
4 4
Allgemeine Untersuchungshinweise 4 Ruhiges, sicheres Auftreten des Untersuchers 4 Räumliche Distanz zum Patienten halten (plötzliche aggressive Reaktionen, potenzielle Waffen entfernen) 4 Patient nicht bedrängen, kurze einfache Fragen 4 Keine Kritik äußern 4 Keine passiven Suggestivfragen (Patient spürt Erwartung des Arztes) 4 Keine aktiven Suggestivfragen (Nur bei klarem Sachverhalt, wie Alkoholabhängigkeit, direkt nachfragen)
2
5 Prämorbide Persönlichkeitseigenschaften (pedantisch, niedergestimmt, hypochondrisch, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt) Somatische Anamnese (frühere Erkrankungen, Therapien) Psychiatrische, psychotherapeutische psychosomatische Anamnese (aktuelle Beschwerden, Auslöser, Krankheitskonzept, Erwartungen an die Therapie, ggf. frühere psychiatrische, psychosomatische Erkrankungen) Konfliktklärung (intrapsychische Konflikte, Belastungssituationen, Auslöser, . Tab. 2.1) Medikamentenanamnese (evtl. Rausch-/Suchtmittel)
> AIDS, Herzinsuffizienz, Schilddrüsenüberfunktion, Exsikkose (v. a. beim älteren Menschen) u. v. a. Erkrankungen können psychische Störungen verursachen.
Die Krankengeschichte wird nicht chronologisch erhoben, sondern nach Schwerpunkten gegliedert (Anamnesenmosaik). Explizit gefragt werden muss nach psychiatrischen Erkrankungen, Suizidversuchen, Suchtkrankheiten, Kriminalität etc. ! Cave
Als systematisches Vorgehen empfiehlt sich: 4 Familienanamnese (Stammbaum, soziale und berufliche Situation, Erbkrankheiten, Suizidversuche, Suchtkrankheiten, Kriminalität, Familienklima, Charakterisierung von Eltern, Großeltern und anderer) 4 Lebensgeschichte des Patienten 5 Äußere Lebensgeschichte: Geburtsort, Lebensraum, Geschwisterstellung, Schwangerschaftsund Geburtsbesonderheiten, Kindergarten, schulische Ausbildung (Lehre, Studium), berufliche Entwicklung, Partnerschaft, Heirat, Kinder, wirtschaftliche Situation, Wohnverhältnisse 5 Innere Lebensgeschichte: Subjektive Schilderung von frühkindlicher Entwicklung (erste Erinnerungen, Neurotizismen in der Kindheit wie Kontaktstörungen, Bezugspersonen, Erziehungsstil der Eltern, Geschlechtsrolle, sexuelle Entwicklung, Kinder und deren Entwicklung, Sozialkontakte, Freunde, Religion, Weltanschauung, Freizeitaktivitäten (Hobbies, Steckenpferde, individuelle Interessen) 4 Primärpersönlichkeit 5 Persönlichkeitsstruktur (schizoid, depressiv, hysterisch, histrionisch)
In jeder psychiatrischen Exploration muss die Suizidalität erfragt werden.
Das Suizid-Risiko kann abhängig von der Erkrankung, wie bei Depression, Chorea Huntington, Epilepsie (5fach erhöht) oder der Medikation erhöht sein.
. Tab. 2.1. Konfliktarten Art
Charakterisierung
Normale Konflikte
Entschärfung oder Lösung durch Aussprachen, Interessenausgleich oder Kompromisse möglich
Antinomische Konflikte
Unaufhebbare Gegensätze der Impulse und Bedürfnisse (z. B. Zölibat)
Tragische Konflikte
Unaufhebbare Gegensätze in existenziellen Bereichen (z. B. Gesundheit)
Neurotische Konflikte
Reaktion auf Situationen mit unangepassten Verhaltensweisen, die der Mensch in der Jugend erworben hat
Häufige Konfliktbereiche: Verluste durch Tod oder Trennung, Partnerwahl, Bindungsverhalten, Beziehung zu eigenen Kindern, Herkunftsfamilie, Arbeitsbereich, Besitz, soziokultureller Bereich
106
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
> Viel wichtiger als in anderen medizinischen Bereichen ist die Fähigkeit der empathischen Einfühlung.
2
Aus den emotionalen Reaktionen des Untersuchers im Gesprächsverlauf wird Einblick in das Beziehungsverhalten des Patienten gewonnen (Wahrnehmung der Übertragung beim Patienten und Gegenübertragung beim Untersucher). Abhängig davon, ob ein Patient 4 motiviert (freiwillig) für eine Therapie, 4 abwehrend (gezwungenermaßen) oder 4 psychisch schwerkrank (unkooperativ, stuporös) ist, muss das sog. »Untersuchungssetting« modifiziert werden.
2.1.2
Befund
2.1.2.1 Somatischer Befund Körperliche, internistische und neurologische Untersuchung (Abgrenzung funktioneller Störungen), Labor (Psychosyndrom bei postoperativer Elektrolytentgleisung), Röntgen, EEG (Epilepsie), EKG, CCT, Kernspintomographie, PET. 2.1.2.2 Psychischer Befund Psychopathologie des Patienten (. Tab. 2.2), äußeres Erscheinungsbild, Sprechverhalten, Sprache. Subjektives Krankheitsgefühl, Krankheitseinsicht, Leidensdruck und Krankheitsgewinn u.v.a. spielen eine wichtige Rolle.
. Tab. 2.2. Psychopathologische Befunde Störung
Mögliche Befunde
Exploration/Hinweise
Bewusstseinslage (Benommenheit, Somnolenz, Sopor, Koma)
4 Bewusstseinsverminderung, -einengung, -verschiebung
4 Reagiert der Patient auf Ansprache, Schmerzreize, Aufforderung?
Orientierung (falsch informiert, verwirrt, desorientiert)
4 Falsche Angaben zu Zeit, Ort, Person, Situation
4 Namen, Datum, Ort erfragen
Auffassung und Gedächtnis (verlangsamt, fehlend)
4 Auffassungsstörung 4 Konzentrationsstörung 4 Störung des Gedächtnisses (Konfubalationen, antero-/retrograde Amnesie) 4 Paramnesien
4 Nachsprechenlassen von Zahlenreihen 4 Nacherzählen von Fabeln (lückenhafte Erzählungen? Konfabulationen? Perserveration?) 4 Befolgt Patient Anweisungen? 4 Patient soll sich von Beginn bis Ende der Untersuchung drei Worte merken 4 Versteht er reale/abstrakte Gedankeninhalte?
Formale Denkstörungen (Tempo, Inhalt und Denkziel)
4 Gehemmt, verlangsamt, umständlich, eingeengt 4 Perseveration, Ideenflucht, Vorbeireden 4 Gesperrt, zerfahren, inkohärentes Denken
4 Sprechgeschwindigkeit, Ausdrucksweise, Sprache und Gesprächsführung 4 Ist das Gesagte logisch/zusammenhängend? 4 Unterbrechungen des Gedankenablaufs
Wahn (Beziehungs-, Verfolgung-, Eifersuchts-, Größen-, Verarmungsund hypochondrischer Wahn)
4 4 4 4
4 Hört der Patient Stimmen, erhält er in irgendeiner Form Botschaften? 4 Geht mit seinem Körper etwas Eigenartiges vor? 4 Sieht er Absonderliches?
Befürchtungen, Zwang
4 Hypochondrie 4 Phobie (Agora-, Klaustro, Akrophobie) 4 Zwangsdenken (Zwangsideen, -vorstellungen, -gedanken, -fragen, -grübeln, -erinnerungen, -befürchtungen) 4 Zwangshandlungen (Zähl-, Waschzwang)
Wahnstimmung Wahnwahrnehmung Wahneinfall Systematisierter Wahn
4 Gibt es Gedanken, die der Patient immer wieder denken muss, auch wenn sie ihm unsinnig vorkommen? 4 Hat er vor manchen Dingen besondere Angst? Fürchtet er sich davor, krank zu sein?
107 2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
. Tab. 2.2 (Fortsetzung) Störung
Mögliche Befunde
Exploration/Hinweise
Wahrnehmung
4 Halluzinationen (optisch, akustisch, olfaktorisch) 4 Illusionen
4 Wendet sich der Patient lauschend ab? 4 Werden abwehrende Handbewegungen sichtbar?
Stimmungen, Affektivität, affektive Resonanz
4 Depressiv, bedrückt, Gefühl der Gefühllosigkeit 4 Affektarmut 4 Misstrauisch, dys-/euphorisch 4 Affektlabil/-inkontinent/-starr 4 Ambivalent
4 Ansprechen eventueller Suizidgedanken? 4 Zukunftsvorstellungen? 4 Private/berufliche Pläne?
Antrieb
4 Antriebsarm, gehemmt, Mutismus, stuporös 4 Logorrhö, antriebsgesteigert, motorisch unruhig 4 Stereotypien. Automatismen
4 Fallen dem Patienten alltägliche Tätigkeiten schwer? 4 Unternimmt er überdurchschnittlich viel? Ist er innerlich unruhig?
Ich-Erleben
4 Depersonalisation, Derealisation 4 Gedankenausbreitung, -entzug-, enteignung, -eingebung 4 Fremdbeeinflussung 4 Transitivismus (Patient schreibt seine Erlebnisse anderen zu)
4 Gibt es aus Sicht des Patienten Veränderungen an sich/seiner Umgebung? 4 Ist er der Ansicht, dass seine Gedanken beeinflusst werden?
> Simulation (Vortäuschung einer Krankheit) und Dissimulation (Vortäuschung von Gesundheit, Leugnung von Krankheit), Selbstbeschädigung(stendenzen) und
Suizidalität(srisiko) müssen bereits im Erstinterview eruiert werden.
Glossar zu psychischen Elementarfunktionen und deren Störungen 4 Bewusstsein/Vigilanz (quantitative oder qualitative Störungen): Vigilanz (Wachheit) als Voraussetzung für reflektierendes Bewusstsein, d. h. das Wissen um die Beziehung zwischen Bewusstseinsinhalten (Erleben, Erinnerung, Vorstellung, Denken) und dem Ich, dem etwas bewusst ist. Meist organische Ursache (hirnorganische Störung, Intoxikationen, Allgemeinerkrankungen, SchädelHirn-Trauma, präfinal)! – Quantitative Störung: Benommenheit, Somnolenz (abnorme Schläfrigkeit), Sopor (Betäubung), Koma (Bewusstlosigkeit). Beispiele: Dämmerzustand bei Epilepsie, Intoxikationen, Hirntraumen, Rausch, Enzephalitis, später Amnesie. – Qualitative Störung: Veränderung des Bewusstseins, Trübung/Verwirrtheit, Einengung (traumhafte Verkleinerung des Bewusstseinsfeldes), Verschiebung (abnorme Helligkeit des 6
Bewusstseinsfeldes). Beispiele: Delir, schwere halluzinatorische Psychosen. 4 Aufmerksamkeit/Gedächtnis: Aufmerksamkeitsund Konzentrationsstörungen, Auffassungsstörungen, Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen. Beispiele: physiologische Müdigkeit, organisches Psychosyndrom; Aphasie, exogene Störung. 4 Orientierungsstörungen (Zeit, Ort, Situation, in Bezug auf die eigene Person). Bei körperlich bedingten psychischen Störungen. 4 Wahrnehmungsstörungen: – Quantitative Störungen (fehlerhafte Wahrnehmung aufgrund von verminderter Wahrnehmungsfähigkeit). Beispiele: Bei körperlich bedingten psychischen Störungen, zerebrovaskulären Erkrankungen, visueller Hemineglect (optischer Ausfall einer Seite). Bei psychotischer Personenverkennung (Capgras-Syndrom: eine bekannte Person wird für deren Doppelgänger gehalten).
2
108
2
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
– Qualitative Störungen (veränderte Wahrnehmung ohne entsprechende Sinnesreize: Illusionen (Wahrnehmungsgegenstand ist vorhanden), Dysästhesien (veränderte unangenehme Wahrnehmungen auf der Körperoberfläche, z. B. bei Berührung). – Makropsie, Mikrosie, Metamorphopsie – Zönästhesien: bei neurotischen Störungen, bei Überforderung – (Pseudo-)Halluzinationen (Wahrnehmungsgegenstand ist nicht vorhanden): – Akustisch: Schizophrenie, Alkoholhalluzinose – Optisch: Alkoholdelir – Olfaktorisch und gustatorisch: bei epileptischer Aura, manchmal Initialsymptom einer Schizophrenie – Haptisch (taktil): Dermatozoenwahn, Delir, Kokainpsychose – Leibhalluzinationen (Beeinflussungserlebnisse durch Apparate, Hypnose, Strahlung): Schizophrenie 4 Formale Denkstörungen (subjektive oder objektive Veränderung des normalen Denkvorgangs, z. B. unlogisches Denken): – Hemmung (subjektive Erschwerung) des Denkens und Sperrung des Denkens (Gedankenabreißen) – Verlangsamung (objektiv wahrgenommene Verzögerung), Gegensatz Beschleunigung – Perserveration: an einem Thema »klebend« (inhaltlich) oder Verbigeration (verbal) – Umständlichkeit (Weitschweifigkeit) und Vorbeireden – Begriffsverschiebung: Konkretismus (Begriffe werden nur wörtlich verstanden), Symboldenken (Begriffe werden nur metaphorisch verstanden) – Begriffszerfall: Begriffe werden nicht exakt eingesetzt (Relativismus) – Kontamination: unlogische Wortneubildungen, bei Schizophrenie (Schizophasie) – Zerfahrenheit: dissoziierter Gedankengang, nur bei guter Kenntnis des Patienten verstehbar, bis zum unverständlichen »Wortsalat« – Inkohärenz: Zerfahrenheit mit qualitativer Bewusstseinsstörung, z. B. bei exogenen Psychosen vom amentiellen Typ – Ideenflüchtiges/sprunghaftes Denken (leichte Ablenkbarkeit) – Logorrhö: unkontrollierter Redefluss 6
– Gedankendrängen: übermäßiger Druck vieler oder ständig wiederkehrender Gedanken 4 Inhaltliche Denkstörungen: – Wahn: irrige, im Widerspruch zur Realität stehende Überzeugung mit unmittelbarer persönlicher Evidenz (Wahngewissheit), gleichzeitig besteht kein Bedürfnis nach Ergründung dieser Fehlbeurteilung (z. B. Querulantenwahn: uneinsichtiger, selbstgerechter Kampf ums Recht, der sich vom ursprünglichen Gegner auf die ganze Gesellschaft ausweitet); Cotard-Syndrom/nihilistischer Wahn; symbiontischer Wahn/Folie-a-deux: ein dem Erkrankten Nahestehender partizipiert an dessen Wahnerleben) – Überwertige Ideen: sind nichtwahnhafte, aber inhaltlich als Komplex fest miteinander verbundene Gedanken, die in unangemessener Weise die Person beherrschen – Zwang: Auftreten von als ichfremd erlebten, nicht unterdrückbaren Vorstellungen und Handlungsimpulsen, die als unsinnig erkannt werden – Phobien: unangemessene Angst vor Personen, Lebewesen, Situationen oder Gegenständen 4 Störungen der Affektivität (zusammenfassende Bezeichnung für Gefühle, Affekte (kurz dauernde umschriebene Gefühlwallungen, z. B. Wut) und Stimmungen): – Affektlabilität: Schwankungen mit raschem Wechsel – Affektinkontinenz: fehlende Beherrschung von Affektäußerungen (bei zerebralen Abbauprozessen) – Stimmungslabilität: Stimmungswechsel und Beeinflussbarkeit je nach Denkinhalt – Depressivität: Niedergeschlagenheit – Euphorie, Hypomanie, Manie – Dysphorie: gereizte Verstimmtheit – Affektverflachung: mangelnde Ansprechbarkeit des Gefühls – Apathie: Gefühllosigkeit, Teilnahmslosigkeit – Torpidität: Stumpfheit, Unansprechbarkeit bei Schwachsinnigen (bei Intelligenzminderung) – Ambivalenz: meist quälende Koexistenz gegensätzlicher Gefühle – Vitalstörungen – Angst – Phobie 4 Antrieb (vom Willen weitgehend unabhängig wirkende Kraft, verantwortlich für die Bewegung aller
109 2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
seelischen Leistungen bezüglich Tempo, Initiative, Aufmerksamkeit, Tatkraft): – Antriebsstörungen (Steigerung oder Verminderung): Antriebsschwäche/-mangel, Hemmung, Beschäftigungsdrang, Mutismus (Nichtsprechen über längere Zeit bei intakten Sprechorganen und Sprachfähigkeit) – Trieb: vitale Lebensbedürfnisse wie Nahrungstrieb, Sexualtrieb etc. (Triebhandlung: gerichtete Handlung zur Erreichung eines bestimmten Triebziels) – Drang: ungerichtetes, nach Entladung drängendes Gefühl innerer Unruhe wie Poriomanie (Fugue, Weglaufen), Pyromanie, Kleptomanie etc., oft bei zerebral Geschädigten/Anfallskranken 4 Störungen des Ich-Erlebens: Störungen des Einheitserlebens des Ichs (der Meinhaftigkeit); Veränderung der Ich-Umweltgrenze: größere Durchlässigkeit bis hin zum Verlust oder (meist sekundär) Autismus (Abschottung) – Autismus: Isolierung des Ichs, Sichzurückziehen in eine eigene innere Welt – Doppelte Persönlichkeit (doppeltes Bewusstsein): hintereinander auftretende Zustände unterschiedlichen Bewusstseins (bei multipler Persönlichkeit meist ohne Kenntnis der einen von der anderen Form)
– Entfremdungserlebnisse: Depersonalisation (abnorme Gefühle der Veränderung des Körpers, das Handeln wird als mechanisch/automatisch erlebt) und Derealisation (Erlebnis der abnorm veränderten Umwelt) – Beeinflussungserlebnisse: Gedankenentzug, ausbreitung; Gefühl, dass das Erleben von außen »gemacht« wird) – Transitivismus: Projektion eigenen Krankseins auf andere 4 Psychomotorische Störungen: Hyperkinese, Akinese/Hypokinese, Katalepsie (starres Verharren in einmal eingenommener Körperhaltung), Stupor, Stereotypien, Manierismen (Manieriertheit: sonderbare Gestik und Mimik), Faxen (albern wirkendes Grimassieren), Raptus (ungeordneter Bewegungssturm) 4 Minderung der Intelligenz: – Angeboren (Oligophrenie) – Erworben (Demenz): – Pseudodebilität: Vortäuschung von Schwachsinn (ähnlich dem Ganser-Syndrom: bewusstseinsnahes Vortäuschen von intellektuellen Fähigkeiten) – Depressive Pseudodemenz: scheinbare »Verblödung« mit Hemmung kognitiver Funktionen bei schweren Depressionen im Alter (v. a. subjektiv), gute Prognose, wenn kein Übergang in eine Demenz erfolgt
. Tab. 2.3. Prüfungen einzelner Teilleistungen Test
2
Indikation/Befund
Prüfungsinhalt
Persönlichkeitsdiagnostik Thematischer Apperzeptionstest (TAT)
Tiefenpsychologische Interviews bei nichtpsychotischen Störungen als Ergänzung, geben Einblick in das Konfliktverhalten des Patienten
Zu einer schemenhaften Bilderreihe soll eine Geschichte erzählt werden, die erklärt, wie es zu der dargestellten Situation kam und wie es weitergeht
Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI)
Hervorstechende Persönlichkeitseigenschaften werden erfasst (v. a. für Gruppenuntersuchungen). Objektivität ist ausreichend gewährleistet. Fragen, die mit »weiß ich nicht«, »richtig« oder »falsch« beantwortet werden
Fragengruppen zusammengefasst zu Skalen (Depression, Schizophrenie, Hypochondrie, Hysterie, Psychopathie, Paranoia, Psychasthenie, Hypomanie, Maskulinität/ Femininität, soziale Introvertiertheit), aus deren Punktzahl ein Testprofil gezeichnet wird
Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI)
Als Verlaufskontrolle (z. B. bei neurotischen Störungen), ermöglicht Beurteilung des aktuellen Befindens und der Persönlichkeitseigenarten. Ausreichende Trennschärfe, zufriedenstellende Validität
Ähnlich MMPI, Skalen für Lebenszufriedenheit, soziale Orientierung, Leistungsorientierung, Gehemmtheit, Erregbarkeit, Aggressivität, Beanspruchung, körperliche Beschwerden, Gesundheitssorgen, Offenheit, Extraversion, Emotionalität
110
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.3 (Fortsetzung) Test
2
Indikation/Befund
Prüfungsinhalt
Unterscheidung hirngeschädigter Patienten in aphasische und nichtaphasische Patienten und in verschiedene Aphasieformen. Reliabilität und Validität sind zufriedenstellend
Besteht aus sechs Untertests: 4 Spontansprache: semistandardisiertes Interview, Beurteilung von Kommunikationsverhalten, Artikulation, Prosodie, automatisierte Sprache (semantische, phonematische und syntaktische Struktur 4 Token-Test: Patient zeigt und ordnet unterschiedliche, farbige geometrische Formen nach Anweisung; als Maß Schweregrad der Störung 4 Nachsprechen: Patient spricht Laute, einsilbige Wörter, Lehn- und Fremdworte, zusammengesetzte Wörter und Sätze nach 4 Schriftsprache: Patient liest laut, nach dem Diktat setzt er Laute, Wörter und Sätze zusammen, schreibt nach Diktat 4 Benennen: Objekte, Farben, Situationen und Handlungen (durch einfache/zusammengesetzte Nomina, Sätze) 4 Sprachverständnis: Überprüfung des auditiven und des Leseverständnisses für Worte und Sätze. Selektive Prüfung der Erinnerung zur Quantifizierung der verbalen Lern- und Gedächtnisleistung. Bei Störungen der Sprachrezeption, -expression und ungenügenden Deutschkenntnissen nicht anwendbar. Dient als Screening-Verfahren zur Aufdeckung verbaler mnestischer Verluste nach Hirnverletzungen. Objektiver Test mit guter Reliabilität und Validität. Bildungs- und altersabhängige Bewertung 4 Nach 5 Durchgängen <5 Worte: Beeinträchtigung des verbalen Lernens 4 Nach 15 min unter 3–4 Worte: unterdurchschnittliches verbales Gedächtnis
Sprachdiagnostik Aachener Aphasie-Test
Gedächtnisprüfung und Demenzdiagnostik Memo-Test
Erstdiagnostik, Verlaufskontrolle unter Therapie. Im ersten Durchgang werden 10 Worte vorgesprochen, die erinnert werden sollen. In den folgenden 3 Durchgängen werden die nicht erinnerten Worte vorgesprochen. Nach 15 min erneutes Abfragen
Globale Einschätzung des Demenzschweregrades, Abstufung kognitiver Störungen, um von gesunden Älteren bis hin zu schwerer Alzheimer-Demenz zu differenzieren (Orientierungsprüfung, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Zahlenverständnis, Sprache)
Mini-MentalState (MMS)
Beurteilung der Selbstständigkeit im alltäglichen Leben, Erstdiagnostik, Verlaufskontrolle unter Therapie, Bewertung anhand Skala
Beurteilung neurologischer und psychiatrischer Störungen zur Unterscheidung zwischen vaskulärer und degenerativer Demenz, Abstufung kognitiver Störungen, um von gesunden Älteren bis hin zu schwerer AlzheimerDemenz zu differenzieren
Global DeteriorationScale (GDS)
Beurteilung der Selbstständigkeit im alltäglichen Leben, Erstdiagnostik, Verlaufskontrolle unter Therapie, Bewertung anhand Skala
Fragen nach täglichen Handlungen, z. B. Körperpflege, Haushalt, Hilfsbedürftigkeit, Beurteilung neurologischer und psychiatrischer Störungen zur Unterscheidung zwischen vaskulärer und degenerativer Demenz
111 2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
2
. Tab. 2.3 (Fortsetzung) Test
Indikation/Befund
Prüfungsinhalt
HachinskiIschämie-Skala
Beobachtung und Beurteilung des Verhaltens unter Zeitdruck. Gedächtnis, Auffassung und Merkfähigkeit werden untersucht. Bestimmung des Intelligenzquotienten (normal 80–120), Beurteilung der Selbstständigkeit im alltäglichen Leben
Fragen nach täglichen Handlungen, z. B. Körperpflege, Haushalt, Hilfsbedürftigkeit
Activities of Daily Living (ADL)
Rückschlüsse auf logisch-kombinatorisches Denken, räumliches Vorstellungsvermögen, Unterscheiden und Vergleichen, Beobachtung und Beurteilung des Verhaltens unter Zeitdruck, Gedächtnis, Auffassung und Merkfähigkeit werden untersucht. Bestimmung des Intelligenzquotienten (normal 80–120)
Allgemeinwissen, rechnerisches Denken, Finden von Gemeinsamkeiten, Definition von Begriffen, Zuordnung von Zahlen zu bestimmten Symbolen, Bilder zur sinnvollen Geschichte ordnen, Ergänzen unvollständiger Bilder unter Zeitdruck, Legen von Mosaiken und Figuren unter Zeitdruck, Verständnis, Reproduktion
Prüfung der Arbeitsintelligenz HAWIE (für Erwachsene) und HAWIK (für Kinder) HamburgerWechsler-Intelligenztest
Messung kognitiver Leitungs- und Verarbeitungsgeschwindigkeit (z. B. nach Hirnschäden) bei motorischer Intaktheit des Schreibarms und visuellen Funktionen und Ausschluss einer Aphasie. Objektiver Test mit guter Realiabilität und Validität, Rückschlüsse auf logisch-kombinatorisches Denken, räumliches Vorstellungsvermögen, Unterscheiden und Vergleichen
Lücken in geometrischen Figuren müssen ausgefüllt werden, Test wird ohne Sprache ausgeführt, daher auch für fremdsprachige Personen geeignet
Progressiver Matrizentest von Raven
Prüfung visueller Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, organisch bedingte Leistungseinbußen werden erfasst. Alterabhängige Normwerte, Messung kognitiver Leistungs- und Verarbeitungsgeschwindigkeit (z. B. nach Hirnschäden), bei motorischer Intaktheit des Schreibarms und visuellen Funktionen und Ausschluss einer Aphasie. Objektiver Test mit guter Reliabilität und Validität
Auf Din-A4-Matrizen zufällig verteilte Zahlen von 1–90 sollen so schnell wie möglich in aufsteigender Reihenfolge miteinander verbunden werden (Zeit wird gestoppt)
Prüfung der Aufmerksamkeit
Prüfung visueller Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, organisch bedingte Leistungseinbußen werden erfasst: Altersabhängige Normwerte, Messung kognitiver Leistungs- und Verarbeitungsgeschwindigkeit (z. B. nach Hirnschäden), bei motorischer Intaktheit des Schreibarms und visuellen Funktionen und Ausschluss einer Aphasie. Objektiver Test mit guter Reliabilität und Validität
Spezielle Buchstabenkombinationen sollen markiert werden unter Zeitdruck; Test ist relativ unabhängig von Intelligenz und Bildungseinflüssen. Auf Din-A4-Matrizen zufällig verteilte Zahlen von 1–90 sollen so schnell wie möglich in aufsteigender Reihenfolge miteinander verbunden werden (Zeit wird gestoppt)
Zahlenverbindungstest (ZVT)
Prüfung visueller Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, organisch bedingte Leistungseinbußen werden erfasst, altersabhängige Normwerte
Spezielle Buchstabenkombinationen sollen markiert werden unter Zeitdruck; Test ist relativ unabhängig von Intelligenz und Bildungseinflüssen
112
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.4. Tests zur Verlaufs- und Therapiekontrolle bei Depression sowie zur Erfassung eines chronischen Alkoholabusus
2
Test
Indikation/Befund
Prüfungsinhalt
Hamilton-DepressionsSkala (HAMD)
Verlaufs- und Therapiekontrolle bei Depression Score: ab 10 Punkte leichte, ab 20 Punkte mittelschwere, ab 30 Punkte schwere Depression
Schwere der depressiven Symptome (Niedergeschlagenheit, Schuldgefühl, Suizidalität, Schlafstörungen, Antriebsverhalten, Angst, Zwänge, Vitalstörungen) auf einer 3- bis 5-fach gestaffelten Skala
Münchner-Alkoholismustest (MALT)
Erfassen eines chronischen Alkoholabusus Score: bei 6–10 Punkten Alkoholgefährdung, ab 11 Punkten Alkoholismus
Mit »trifft zu/trifft nicht zu« wird eine Liste mit Symptomen, die auf einen chronischen Alkoholkonsum hinweisen, von Patient und Untersucher beurteilt, wobei die Beurteilung des Untersuchers bei der Auswertung mehr berücksichtigt wird
Trierer Alkoholismusinventar (TAI)
Erfassung und Einschätzung des Schweregrades eines chronischen Alkoholkonsums
Trinkgewohnheiten und -folgeerscheinungen werden vom Patienten beurteilt Skalen umfassen: Schweregrad, soziales Trinken, Motive, süchtiges Trinken, Schädigung, Partnerprobleme durch den Alkoholabusus oder als Ursache
Zur Befunderhebung werden klinisch-psychologische Testfragen, psychologische Testverfahren herangezogen. (. Tab. 2.3 und 2.4). Beurteilung der Befunde Folgendes Schema zur Diagnosefindung hat sich bewährt: 4 Feststellung des psychopathologischen Befundes 4 Herausbildung von psychiatrischen Syndromen anhand von unspezifischen Symptomenkomplexen 4 Darstellung der Syndrome nach psychopathologischen Kriterien 4 Syndrombestimmung durch Leitsymptome (besonders hervorstechend) und Versuch die prämorbide Persönlichkeit, den Krankheitsverlauf und ätiologisch relevante Befunde einzuschließen (Interpretation mit ätiologischen Vermutungen) 4 Versuch einer diagnostischen Beurteilung
Aus Datenschutzgründen nur Weitergabe von aggregierten (Verschlüsselung bzw. zweckmäßige Zusammenstellung nur benötigter Informationen) Daten. Krankenkassen, Sozialämter etc. benötigen Krankheitsbefund, nicht aber biographische, oft sehr persönliche Details. Fakten über namentlich genannte Dritte möglichst nicht weitergeben.
2.1.3
Therapie
2.1.3.1 Psychotherapie Im Erstgespräch wird versucht, einen Zusammenhang zwischen der Symptomatik/Störung des Patienten und Details seiner Biographie herzustellen, d. h. seine Störung auf dem Hintergrund seiner bisherigen Entwicklung sichtbar und zumindest ansatzweise auch verstehbar werden zu lassen. Anamnesegespräch Geachtet wird auf: 4 Beobachtung des szenischen Arrangements (wie inszeniert der Patient das Gespräch, wie erlebt er sein therapeutisches Gegenüber, welche Ängste/Erwartungen überträgt er auf den Arzt, welche Themen spricht er an, was verschweigt er, wie stellen sich Aktivität/Passivität zwischen den Gesprächspartnern her usw.) 4 Bisherige Entwicklung (frühe Lebensbedingungen, subjektives Erleben der wichtigsten Beziehungspersonen, frühkindliche/spätere Traumatisierungen wie Verluste, (früh-)kindliche Symptome wie Enuresis). 4 Versuch einer gemeinsamen abschließenden Überlegung (keine Deutung!) 4 Nach mehreren Sitzungen/Stunden Frage nach Indikation für Psychotherapie oder anderen Verfahren > Die Indikation zur Psychotherapie wird abhängig von Motivation, intellektueller und selbstkritischer Reflexionsfähigkeit gestellt.
113 2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
Vorgeschlagen werden sollte die am wenigsten eingreifende Therapiemethode. Prognostisch ungünstig sind mangelnde Frustrationstoleranz, Tendenzen zur Verwahrlosung, Komorbidität, Abhängigkeit, psychotische Störungen und starker sekundärer Krankheitsgewinn. Es muss darauf geachtet werden, den Patienten nicht zu überfordern und Abwehr/Widerstand nicht noch zu vergrößern. Einzige Kontraindikation zur Psychotherapie ist ein klagender Patient mit starkem Leidensdruck, der sich aber nicht mit den angebotenen Methoden helfen lassen will. Psychodynamische Therapien Die Psychoanalyse ist, als psychodynamische Therapie (andere: Individualpsychologie, Verhaltenstherapie,
2
Tiefenpsychologie) mit der umfassendsten Persönlichkeitstheorie, ein mittel- bis langfristiges Verfahren (. Tab. 2.5): 4 Unbewusste Vorgänge und deren komplexe Bearbeitungsvorgänge sollen im Dialog von Therapeut und Patient gefördert werden. 4 Freie Assoziation, Analyse von Träumen und Berücksichtigung aktueller Gefühle/Problemstellungen des Patienten sowie Beobachtung der Interaktion (Beziehung, die der Patient zum Therapeuten aufbaut). Therapeut und Patient bemühen sich um Verstehen problematischer Lebensbereiche und deren mögliche (frühere) Entwicklungsbedingungen sowie um Veränderung. Dieser Prozess wird überwiegend durch verbale Interpretationen und Deutungen bewirkt.
. Tab. 2.5. Psychotherapie-, Entspannungsverfahren, körperorientierte Verfahren Therapieform
Voraussetzungen/Indikationen
Besonderheiten
Psychoanalyse
4 Relative Ich-Stabilität, Kohärenz 4 Reflexionsfähigkeit, Introspektion 4 Bereitschaft, einen emotional intensiven Therapieprozess über lange Zeit durchzuhalten
Nur ambulant, intensiv (3–4 h/Woche)
Für Patienten mit gravierenden Lebensproblemen und lang anhaltenden, die Persönlichkeit umfassend betreffenden Störungen Abgeleitete modifizierte Therapien
Arbeit an frühen Störungsanteilen, aktuellen Problemen des Patienten, seinem Selbstkonzept und dessen Störungen. Auftretende Übertragungen und Abwehrmechanismen werden bearbeitet
4 Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien
Neurosen, bei rigider Abwehr, wenn mit verbal-introspektiven Methoden der Tiefenpsychologie der Patient nur schwer erreicht wird
4 Katathym-imaginative Psychotherapie (KIP; katathymes Bilderleben)
Nur aktueller Hauptkonflikt wird bearbeitet oder nach Abklingen akuter Konflikte, die rasche psychotherapeutische Hilfe benötigen. In besonderen Dringlichkeitsund Krisensituationen, z. B. nach Suizidversuchen. Hilfe beim Verbalisieren aktueller Emotionen. Danach Neuorientierung und Strategien zur Distanzierung
Mittel- bis längerfristige Therapien; Patient und Therapeut sitzen sich gegenüber
Im induzierten Tagtraum (»Bilder« mit bestimmten Standardmotiven) finden sich optische Projektionen, die unbewusste und bewusste Zustände bildhaft-symbolisch darstellen, tiefenpsychologische Nachbearbeitung
Kurzpsychotherapien
Wenige Stunden bis 25 h. Übertragungsaspekte werden wahrgenommen, aber nicht in dem Umfang besprochen wie in längerfristigen Therapien
Notfall-Psychotherapie
1 bis ca. 6 Sitzungen. Kombination mit Psychopharmaka (z. B. sedierende) sinnvoll und hilfreich
114
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.5 (Fortsetzung)
2
Therapieform
Voraussetzungen/Indikationen
Besonderheiten
Gesprächspsychotherapie (klientenzentrierte Psychotherapie)
Breites Indikationsspektrum, z. B. Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Im Fokus steht die Förderung der Selbstwertschätzung des Patienten (Abnahme von Inkongruenz durch Selbstkonzeptveränderung).
Mittlere Dauer 70 h bis 2 Jahre
Verhaltenstherapie
Lerntheorien (operante und instrumentelle Konditionierung nach Pawlow) dienen der Ausbildung eines bestimmten Verhaltens 4 Systematische Desensibilisierung: Im entspannten Zustand wird auftretende Angst »reziprok gehemmt« (Gegenkonditionierung)
Sukzessive Konfrontation mit angstauslösenden Situationen. Vorbereitend Erlernen eines Entspannungsverfahrens (z. B. progressive Muskelentspannung nach Jacobson)
4 Angstbewältigungstraining: Aufkommende Angst wird durch Erlernen von Entspannung kontrolliert und reduziert
Frühzeitiges Erkennen von Spannung und Erregung wird erlernt
4 Graduiertes Expositionsmanagement (Habituation)
Direkte aufsteigende Konfrontation mit der angstauslösenden Situation oder dem angstauslösenden Subjekt/Objekt, nachdem eine Hierachisierung der einzelnen Angstreize vorgenommen wurde
4 Reizüberflutung (»Flooding«)
Der Patient wird so lange der Angstsituation ausgesetzt, bis die Angst abnimmt
4 Aversionstherapie: Bildung bedingter Reflexe durch negative Verstärkung (z. B. Strafreize) 4 Modelllernen: Lernen am Verhalten einer Person oder eines Symbols (Modell), wenn neue Fertigkeiten nicht allein aufgrund von Instruktionen lernen können 4 Selbstsicherheitstraining/Rollenspiele: Abbau sozialer Ängste, Förderung sozialer Fertigkeiten und positiver Selbstwahrnehmung 4 Problemlösetraining: Für Patienten, die zu impulsiven oder unüberlegten Reaktionen neigen 4 Selbstkontrolle: Erlernen von Selbststeuerung (Selbstmanagementtherapie)
Mittels Problemformulierung, Erarbeiten von Alternativen und Auswahl jener mit dem günstigsten Ergebnis
4 Kognitive Therapien: z. B. Einwirken auf sog. kognitive Triade der Depression nach Beck: negative Selbsteinschätzung, subjektive Überforderung durch die Umwelt, negative Zukunftsvorstellungen
Zukünftige Probleme sollen selbstgesteuert analysiert, beeinflusst und dauerhaft verändert werden (z. B. durch Selbstbeobachtung, Selbstverstärkung, Verhaltensverträge). Abbau von krankmachenden Denkprozessen, Vorstellungen, Erwartungen. Durch Änderung von Denkmustern kommt es zu Änderungen des Verhaltens
115 2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
2
. Tab. 2.5 (Fortsetzung) Therapieform
Voraussetzungen/Indikationen
Besonderheiten
Entspannungsverfahren
Autogenes Training: Nach Johannes Heinrich Schultz (1884–1970) ein Verfahren zur konzentrativen (Selbst-)Entspannung. Indiziert bei psychovegetativen Irritationen, Erschöpfungszuständen, Angst- und Unruhezuständen, Schlafstörungen
Erfolgt durch körpergerichtete Übungen zu Ruhe und Schwere, Erleben und Wärme und Übungen zur Regulation bestimmter Organe (Herz) bzw. vegetativer Funktionen (Atmung). Effekte: Entspannung, Beruhigung, Selbstkontrolle, Schmerzbekämpfung, Verbesserung des Körpergefühls
Progressive Muskelentspannung nach E. Jacobson bei psychosomatischen Störungen
Praktische Übungen der Gliedmaßen und ihren einzelnen muskulären Anteilen
Hypnose: Durch Suggestion herbeigeführter schlafähnlicher Zustand mit Bewusstseinseinengung und besonderen (positiv affektiven und identifizierenden) Kontakt zum Hypnotiseur. Die Bewusstseinseinsenkung fördert außerdem regressive Prozesse (Passivität, Hingabe). Bei positiver Suggestibilität und bestimmten psychosomatischen Erkrankungen (z. B. Herzphobie, Asthma). Einzelbehandlung ist zu bevorzugen
Mittels der Fixationsmethode (ein kleiner Gegenstand wird möglichst nah fixiert, es treten Ermüdungserscheinungen auf, der Fixationsgegenstand wird undeutlich, begleitende monotonisierende Verbalsuggestionen wie Wärme, Ruhe, zunehmende Müdigkeit und Schläfrigkeit führen in einen hypnotischen Zustand Cave: Kontraindiziert bei Patienten mit Psychosen und Vergewaltigungstraumata in der Vorgeschichte
Konzentrative Bewegungstherapie (KBT): Körperbezogene Übungen unter Einschluss der Atmung mit dem Ziel »Anspüren« des eigenen Körpers und damit eine Verbesserung des Körpererlebens zu erreichen, in vier Hauptpositionen (liegen, sitzen, stehen, gehen). Bei funktionellen und psychosomatischen Beschwerden (auch bei Neurosen, Körperschemastörungen, bei Neigung zum Intellektualisieren)
Das Spüren des Körpers im Raum und das Erspüren einzelner Körperfunktionen gehen über Entspannungstechniken hinaus. Meist stationär und in Gruppen praktiziert in Kombination mit anderen (z. B. verbalen) Therapien
Funktionelle Entspannung: von Marianne Fuchs entwickeltes kombiniertes Verfahren bestehend aus autogenem Training und konzentrativer Selbstentspannung sowie angestrebte Selbstregulation gestörter Funktionen
Verfahren ohne feste Regeln. Ziel ist eine verbesserte Selbstwahrnehmung über leibliche Zustandsänderungen
Körperorientierte Verfahren
> Die Selbsterkenntnis des Patienten, d. h. die Erkenntnis seines eigenen Anteils an der Aufrechterhaltung seiner Störung kann schmerzhaft, verunsichernd und kränkend sein und wird deshalb immer wieder behindert.
Im therapeutischen Prozess können zunächst erwünschte Übertragungen früherer (meist familiärer) Gefühlskonstellationen hinderlich sein, wenn der Patient lange an ihnen festhält. Die Aufdeckung des inne-
ren Dramas des Patienten kann zu unbewussten Solidaritätskonflikten mit früheren wichtigen Bezugspersonen führen (unsichtbare Bindungen) und ihn an der Lösung seiner neurotischen Fixierungen hindern. Der Therapeut sollte nicht direkt aktiv werden, sondern im Hintergrund bleiben, die Projektion des Patienten ermöglichen, aber sich nicht in Gefühlsverstrickungen einlassen.
116
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.6. Antidepressiva
2
Stoffgruppe
Beispiel und Dosis
Wirkung und Indikation
Phytopharmaka
Johanniskrautextrakt, Hyperikum, (z. B. Jarsin)
Bei leichter und mittelschwerer Depression
Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer)
Tranylcypromin (z. B. Jatrosom), irreversibler MAO-Hemmer
Stark antriebssteigernd, auch bei Therapieresistenz, tyraminarme Diät notwendig!
Moclobemid (z. B. Aurorix), reversibler MAO-Hemmer
Antriebssteigernd, auch bei sozialer Phobie
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
Fluoxetin (z. B. Fluctin)
Antriebssteigernd, auch bei Zwangs- und Panikstörung, prämenstruellem Syndrom, Bulimie
Trizyklika (unspezifische Noradrenalin- und SerotoninWiederaufnahmehemmer)
Amitriptylin (z. B. Saroten)
Akut sedierend, anticholinerg
Doxepin (z. B. Aponal)
Sedierend, auch bei Entzug
Trimipramin (z. B. Stangyl)
Sedierend, auch bei Wahn oder zum Schlafen
Clomipramin (z. B. Anafranil)
Antriebssteigernd, auch bei Angst- und Zwangsstörungen
Tetrazyklika
Maprotilin (z. B. Ludiomil)
Sedierend, mäßig anticholinerg
Spezifische Noradrenalin- (und Serotonin-) Wiederaufnahmehemmer
Mirtazapin (z. B. Remergil)
Sedierend auch bei Wahn oder zum Schlafen
Nefazodon (z. B. Nefadar)
Sedierend
Verhaltenstherapie Leitet sich aus der experimentellen der Psychologie ab (. Tab. 2.5). Den verschiedenen Verfahren gemeinsam ist eine naturwissenschaftlich-behavioristische Orientierung mit dem Ziel, erwünschte Verhaltensweisen aufzubauen und unerwünschte Verhaltensweisen zu eliminieren. Somit liefern die Lerntheorien das Grundgerüst, auf dessen Prinzipien die Verhaltenstherapie aufbaut. Die Konzepte innerhalb der klinischen Psychiatrie, auch innerhalb der Tiefenpsychologie, werden von manchen Verhaltenstherapeuten abgelehnt, da sie das zu ändernde Verhalten als das Problem des Patienten ansehen. Dieses Problem wird als erlernte Reaktion verstanden und wird damit zum Ziel der therapeutischen Bemühungen. Psychopharmaka Zur Wirkung und Indikation der Psychopharmaka . Tab. 2.6 bis . Tab. 2.9 sowie . Abb. 2.1.
. Tab. 2.7. Neuroleptika Substanzgruppe
Substanz (Handelsname)
Benzamide
Amisulprid (z. B. Solian) Sulpirid (z. B. Dogmatil)
Benzisoxazol
Risperidon (z. B. Risperdal)
Butyrophenone
Benperidol (z. B. Glianimon) Haloperidol (z. B. Haldol)
Dibenzodiazepin
Clozapin Olanzapin
Phenozthiazine
Levomepromazin (z. B. Neurocil) Perazin (z. B. Taxilan)
Thioxanthene
Chlorprotixen (z. B. Truxal) Clopenthixol (z. B. Ciatyl)
2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
. Abb. 2.1. Mindmap Unerwünschte Wirkungen von trizyklischen Antidepressiva
117
2
118
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.8. Phasenprophylaktika
2
Substanz
Besonderheiten
Indikationen
Lithium
Lebensbedrohliche Lithiumintoxikation durch Störungen des Wasserhaushaltes (z. B. Diarrhö, Diuretikaeinnahme); langsames Ausschleichen, sonst treten vermehrt manische Syndrome oder auch Depressionen auf
4 4 4 4
Carbamazepin
Hämatotoxische Nebenwirkung (reversible Leukozytopenie): daher nicht mit Clozapin kombinieren!; bei zu schneller Aufdosierung nach 1–2 Wochen Exanthem (häufig Stamm und Extremitäten) möglich, welches in ein lebensbedrohliches Lyell-Syndrom übergehen kann, Umsetzungsversuch auf ein anderes Carbamazepinpräparat, bei Vergrößerung des Exanthems: sofort absetzen! Ausschleichen!
4 Phasenprophylaxe bipolarer Störungen 4 Fokale Epilepsien
Valproinsäure
Weniger sedierend als andere Antiepileptika; Cave: schwere Hepatitis mit tödlichem Leberkoma möglich (Transaminasen engmaschig kontrollieren); Reye-Syndrom (Lebernekrose), Tremor (behandelbar mit E-Blockern), fetale Neuralrohrdefekte, Intoxikation, Thrombozytopenie, Gerinnungsstörungen, Leukopenie; Ausschleichen!
Antiepileptikum der 1. Wahl bei Absencen (ab dem 10. Lebensjahr), Aufwach-Grand-Mal, atonische, myoklonisch-astatische, tonische und myoklonische Anfällen und LennoxGastaut-Syndrom
Lamotrigin
HWZ-Halbierung bei Kombination mit Carbamazepin/Phenytoin; HWZ-Verdoppelung bei Kombination mit Valproinsäure; allergische Reaktionen, Doppelbilder, Ataxie, Nystagmus, Schwindel, gastrointestinale Beschwerden; regelmäßige Kontrollen von Transaminasen, Kreatinin, Elektrolyten und Blutbild; Ausschleichen!
Antiepileptikum der 2. Wahl
Therapie akuter Manien Rezidivprophylaxe affektiver Störungen Phasenprophylaxe bei bipolaren Störungen Augmentation: additive Gabe zu Antidepressiva oder Neuroleptika, zu deren Wirkungsverstärkung
. Tab. 2.9. Anxiolytika, Sedativa und Hypnotika Substanz(gruppe)
Besonderheiten
Indikationen
Benzodiazepine
Schnell wirksam, gut verträglich, wegen kurzer Wirkdauer und daher gute Steuerbarkeit ist Mittel der Wahl Lorazepam (z. B. Tavor), auch als sublingual resorbierbares »Epidet-Plättchen« (Wirkungseintritt innerhalb von Minuten)
4 4 4 4 4
Bupiron
Zum Beispiel Bespar
Angstzustände
β-Rezeptorenblocker mit anxiolytischer Wirkung
Verstärkter kardiodepressiver Effekt von Antiarrhythmika, Kalziumantagonisten vom Verapamil/Diltiazem-Typ; verstärkte RR-Senkung bei zentral wirkenden Antihypertensiva: z. B. Reserpin, Methyldopa, Clonidin
Angstzustände, Somatische Auswirkungen psychischer Erregung
Opipramol
Zum Beispiel Insidon
Depression, Angst-, Unruhe-, Spannungszustände
Psychiatrische Erregungszustände Angstzustände Mutismus Akute Suizidalität Helfen bei schizophrenen Psychosen Neuroleptika zu sparen (Reduktion des Risikos von Spätdyskinesien)
119 2.2 · Körperlich begründbare psychische Störungen
2
. Tab. 2.9 (Fortsetzung) Substanz(gruppe)
Besonderheiten
Indikationen
Chloralhydrat
Zum Beispiel Chloraldurat, ähnlich Ethylalkohol, Abhängigkeitspotenzial, zeitlich kontrolliert und begrenzt einsetzen
Hypnotikum
Zolpidem
Zum Beispiel Stilnox, geringeres Abhängigkeitspotenzial als Benzodiazepine; cave bei Schwangerschaft und Stillzeit
Schlafstörungen
Zopliclon
Zum Beispiel Ximovan
Schlafstörungen
Barbiturate
Durch Enzyminduktion Verminderung des Serumspiegels von oralen Antikonzeptiva, Cumarin-Derivate, Kortikosteroide, Phenytoin, Digitoxin, Chloramphenicol; mit Alkohol gegenseitige Wirkungsverstärkung; Valproinsäure erhöht Barbituratspiegel um bis zu 40%; erhöhte Methotrexat-Toxizität
Einsatz mit verschiedensten Indikationen, Wirkung: sedierend, schlafinduzierend, anxiolytisch, antiaggressiv, antikonvulsiv, muskelrelaxierend
2.2
Körperlich begründbare psychische Störungen
Synonym. Exogene Psychosen. Differenzialdiagnose. Abzugrenzen sind:
4 Hirntumor (Temporallappentumor: olfaktorischgustatorische Halluzinationen/schizophreniforme Psychosen) 4 Hirnabszess, Hirnverletzung 4 Infektionen (Meningoenzephalitis, Typhus abdominalis) 4 Herzerkrankungen 4 Stoffwechselerkrankungen (Leberzirrhose: portokavale Anastomosen, portokavaler Shunt, portokavale Enzephalopathie) 4 Akute intermittierende Porphyrie 4 Vitamin-B12-Mangel (funikuläre Myelose, Schädigungen des N. opticus, Perniziosa) 4 Thiamin/Vitamin-B1-Mangel (Beriberi, WernickeEnzephalopathie) 4 Medikamentenwirkung (z. B. Komplikation bei Therapie mit Anti-Parkinson-Präparaten: L-Dopa) 4 Intoxikation psychotropen Substanzen wie Meskalin, LSD, Psilocybin 4 Endokrine Störungen: 5 Hypothyreose (wenn angeboren: geistige Behinderung; Apathie, Depression, Kälteüberempfindlichkeit) 5 Hyperthyreose (Unruhe, Agitiertheit, Reizbarkeit, Hitzeüberempfindlichkeit, auch Depression)
5 Cushing-Syndrom (Überproduktion von ACTH oder Kortisol, z. B. bei basophilem Adenom des HVL, weil Kortisonbehandlung: Antriebsminderung, Verstimmung, Schlafstörungen, endogeniforme Psychosen) 5 Morbus Addison (Nebennierenrindenatrophie: Ermüdbarkeit, Depression) Prognose. Bei exogenen Psychosen häufig kurz dauernder Verlauf mit Reversibilität und günstiger Prognose! > Chronifizierung und Übergang in irreversibles organisches Psychosyndrom sind möglich.
2.2.1
Syndromatische Erscheinungsformen exogener Psychosen
Definition. Psychische Störungen mit allgemein feh-
lender Produktivität, sodass sie nicht die Wertigkeit von Psychosen erlangen. Primär keine Bewusstseinstrübung, keine Bewusstseinsminderung; oft chronische, irreversible Verläufe, auch als akutes reversibles Syndrom. 2.2.1.1
Delir, nicht durch Alkohol und andere psychotrope Substanzen bedingt Definition. Akute reversible Psychose mit Bewusstseinsstörung und Sinnestäuschungen nicht durch Alkohol und andere psychotrope Substanzen bedingt (z. B. Amphetamine, Nikotin, Cannabis) bedingt (Alkoholdelir, Delirium tremens 7 Kap. 2.7.1.5).
120
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
Ätiopathogenese. Ursachen sind:
2
4 Medikamentenintoxikation: Komplikation bei Neuroleptika- und Antidepressivagabe und/oder Anti-Parkinson-Mitteln (Anticholinergika, L-Dopa), auch bei plötzlichem Benzodiazepinentzug 4 Infektionskrankheiten, Urämie 4 Traumata (Schädel-Hirn-Trauma mit Substanzschädigung) Symptomatik.
4 Obligate Symptome 5 Wechselnde Bewusstseinslage (Somnolenz, Sopor), Verwirrtheit, Desorientiertheit; Aufmerksamkeit-, Auffassungs-, Immediatgedächtnisstörung (Speicherung unmittelbar zuvor aufgenommener Sinneseindrücke oder intrapsychischer Wahrnehmungen) 5 Inkohärentes (zerfahrenes) Denken 5 Wahrnehmungsstörungen (optische, szenische, gelegentlich haptische, akustische Halluzinationen, Illusionen) 5 Vegetative Störungen (adrenergsympathikotone Überregulation: Pulsbeschleunigung, Schwitzen, Tremor, allgemeine psychomotorische Unruhe, Schlafstörungen (Schlafumkehr: nachts unruhig, tagsüber schläfrig) 5 Reizbarkeit, Angst, leichte Ablenkbarkeit, erhöhte Suggestibilität (Lesen von einem leeren Blatt Papier) 4 Spezifische Symptome 5 Delir durch Anticholinergika: Zusätzlich Mydriasis, Anhidrose, verminderte Peristaltik, Harnretention, Tachykardie, Tachypnoe, Ataxie, Tremor Mögliche Komplikation des Alkoholentzugsdelir: Wernicke-Enzephalopathie, Korsakow-Syndrom. Diagnostik. Klinik: immer Überprüfung von Bewusstseinslage, Puls, Blutdruck, Temperatur und EKG-Kontrolle (Arrhythmien, tachy- oder bradykarde Rhythmusstörungen, Blockbildner). Fremdanamnestisch müssen Anfälle, Medikamente und Dosis erfragt werden. ! Cave Bei Bewusstseinsstörung und/oder vegetativen Symptomen weitere Behandlung auf der Wach-/Intensivstation.
Labor: Kreatinin, Elektrolyte (Hyponatriämie, Hypokaliämie), Blutzucker, Blutbild (Leukozytose), Hämoglobin, Leberenzyme (γ-GT erhöht bei Alkoholfett-
leber; GOT stark erhöht, GPT erhöht bei Fettleberhepatitis), Gerinnung (Quick erniedrigt bei Leberschäden), CK, Amylase, Lipase, NH3 , Alkohol- und Medikamentenspiegel, Serum und Urinproben (Drogenscreening). Im Röntgenthorax auf Pneumonie, Rippenserienfraktur (nach Sturz), Pneumothorax (Hypoxie) achten. Bei Verdacht auf Meningitis ist eine Liquorpunktion indiziert. Bei Verdacht auf eine intrakranielle Blutung, Hirnödem, Hirntumor oder Ischämie ein CCT veranlassen. ! Cave Wegen der oft ausgeprägten vegetativen Symptome regelmäßige EKG- und Blutdruckkontrollen!
Differenzialdiagnose. Malignes neuroleptisches Syn-
drom (Muskelsteifigkeit, Hyperthermie und Stupor als Neuroleptikanebenwirkung), maligne Hyperthermie, fieberhafte Infektionen, Herzrhythmusstörungen anderer Genese (paroxysmale supraventrikuläre oder Reentry-Tachykardie), akute Vewirrtheitszustände nach Schädel-Hirn-Trauma oder bei Exsikkose, Schizophrenie, Demenz. Therapie. Zu allgemeinen Maßnahmen . Tab. 2.10. ! Cave Haloperidol senkt die Krampfschwelle, besitzt aber keine sedierende Wirkung, daher Kombination mit Diazepam nach Bedarf (z. B. 5–10 mg i.v.)!
Zur Therapie des Delirs, das durch Alkoholentzug, Drogen, Hypnotika ausgelöst wird, 7 Kap. 2.7.1.5. Therapie bei kardiopulmonalen Vorerkrankungen: 4 Vorzugsweise Benzodiazepine (antikonvulsiv, hypnotisch), wie Diazepam (z. B. Valium) mehrmals täglich p.o. oder i.v. bis zur Symptomfreiheit maximal 1 mg), ab dem 2. Tag Dosisreduktion. Alternativ Chlordiazepoxid (z. B. Librium) mehrmals täglich p.o. bis zur Symptomfreiheit, ab dem 2. Tag Dosisreduktion. Alternativ Clorazepat (z. B. Tranxilium), Intensive Überwachung nötig 4 Ausschleichen über 5–7 Tage 4 Bei starker psychotischer Symptomatik Haloperidol (z. B. Haldol) bis 10–15 mg i.v. täglich 4 Bei schwerem Delir mit Hypertonie vor Gabe von Clonidin (z. B. Catapresan) über Perfusor, Ausschleichen wegen Rebound-Phänomen, kontraindiziert bei bradykarder Herzrhythmusstörung, AV-Block und Sick-Sinus-Syndrom
121 2.2 · Körperlich begründbare psychische Störungen
2
. Tab. 2.10. Allgemeine therapeutische Maßnahmen beim Delir Symptom
Therapeutische Maßnahmen
Prädelir
Stationäre Aufnahme, Monitoring der Vitalfunktionen. Wenn keine stationäre Aufnahme möglich ist: Haloperidol (z. B. Haldol) 5–10 mg i.m. oder i.v., zügig Krankenhaustransport
Krampfanfall
Diazepam (z. B. Valium) 10 mg i.v., alternativ Clonzepam (z. B. Rivotril) 2 mg i.v.
Abweichende Vitalparameter, Elektrolyte, Flüssigkeitsmenge
Korrektur entsprechender Mangelerscheinungen, 2500–4500 ml Flüssigkeit täglich, auf ausreichende Kalorienzufuhr achten. Häufig Hypokaliämie. Langsamer Ausgleich einer Hyponatriämie
NH3-Erhöhung
Laktulose (z. B. Laevilac, Bifiteral), 3–5 Esslöffel täglich
Hyperthermie
Eisbeutel, Wadenwickel
! Cave Bei gleichzeitigem Benzodiazepinabusus ist Therapie mit Benzodiazepinen unwirksam! Bei älteren Patienten paradoxe Wirkung und Atemdepression beachten!
Prognose. Das Prädelir klingt nach 5–7 Tagen ab oder entwickelt sich zum Delir. Schlafstörungen können nach Abklingen des Prädelirs noch über Monate fortbestehen. Das Delir hält 4–10 Tage ohne Therapie an und klingt mit Terminalschlaf ab. ! Cave Unbehandelt besteht eine Letalität von 15–30%, behandelt von 1–5%. Häufigste Todesursache ist Kammerflimmern.
Symptomatik. Akustische (Prototyp: Alkoholhalluzinose), optische oder haptische Halluzinationen. Keine Bewusstseinsstörung! Inhaltliche Denkstörungen (Wahn). Diagnostik. Toxikologische Untersuchungen (Blut,
Urin). EEG: Allgemeinveränderung, Herdbefund, Krampfpotenziale. CCT/MRT: Lakunäre Infarkte, Raumforderung. Differenzialdiagnose. Physiologische hypnagoge (beim
Einschlafen) oder hypnopompe (beim Aufwachen) Halluzinationen, Delir (wechselnde Bewusstseinslage, Desorientiertheit, vegetative Störungen), Schizophrenie (meist akustische Halluzinationen). Therapie. Behandlung der Grunderkrankung im Vor-
2.2.1.2
Organisch bedingte Halluzinose Definition. Zustand fortlaufender Sinnestäuschungen ohne entsprechenden Außenreiz bei erhaltener Bewusstseinshelligkeit und Orientiertheit. Ätiopathogenese. Häufigste Ursachen:
4 Akustischer Halluzinose: Alkoholabhängigkeit 4 Optischer Halluzinose: Intoxikation mit Halluzinogenen (LSD), Funktionsstörungen des Okzipitallappens 4 Haptischer (taktile) Halluzinose: Intoxikation mit Amphetaminen, Epilepsie mit Krampfanfallsherden temporal oder okzipital, sensorische Deprivation bei Blindheit oder Taubheit, degenerative und/ oder ischämische Veränderungen, raumfordernde Prozesse, Radiojodtherapie bei Hyperthyreose, sehr selten: Charles-Bonnet-Syndrom (bei Sehverschlechterung Entstehung von visuellen Trugwahrnehmungen)
dergrund. Ggf. 5 mg Diazepam p.o./i.m., Haloperidol 5 mg p.o./i.m. oder alternativ Pipamperon-HCL (z. B. Dipiperon) 80–160 mg p.o. Bei Alkoholabusus Entzug. Besteht gleichzeitig quälende Angst Gabe von Chlordiazepoxid (z. B. Librium) 25–100 mg p.o., eventuell nach 4 h wiederholen. Alternativ Haloperidol 2–10 mg p.o. Prognose. Chronische Verläufe bei Dermatozoenwahn (taktile Halluzinose: kleine Tiere wie Käfer oder Würmer krabbeln auf der Haut).
2.2.1.3
Organische Persönlichkeitsstörung Definition. Psychische Störungen, denen eine (meist) körperliche Erkrankung zugrunde liegt, die das Gehirn direkt (morphologisch fassbar) oder indirekt (in der Regel funktionell, neurochemisch, neurophysiologisch auf dem Umweg über Kreislauf oder Stoffwechsel) in Mitleidenschaft zieht.
122
2
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
Ätiopathogenese. Organische psychische Störungen sind ätiologisch unspezifisch. Ein Rückschluss vom psychopathologischen Bild auf die Art der Schädigung ist nicht möglich. Das Gehirn reagiert auf die verschiedenen Krankheitsursachen mit einer begrenzten Anzahl von Syndromen. Mögliche Krankheitsursachen: 4 Schädel-Hirn-Traumen 4 Hirneigene Erkrankungen (z. B. degenerative Erkrankungen, Entzündungen, Geschwülste, Gefäßerkrankungen) 4 Intoxikationen (Medikamente, Alkohol, Drogen, gewerbliche Vergiftungen mit Blei, anderen Schwermetallen, Kohlenmonoxid) 4 Infektiöse Allgemeinerkrankungen (z. B. Pneumonie, Sepsis) 4 Innere Erkrankungen: Herz-Kreislauferkrankungen, Anämie (zerebrale Hypoxie), Leberkrankheiten, Niereninsuffizienz, Avitaminosen, endokrine Störungen (z. B. Diabetes mellitus, Über- oder Unterfunktion von Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Addison-Erkrankung, chronische Hypophyseninsuffizienz) Symptomatik. Differenziert werden:
4 Akute organische Persönlichkeitsstörungen: Akuter Beginn, fluktuierender (vorübergehender, reversibler) Verlauf von Bewusstseinsstörung (Leitsymptom), Störung der kognitiven Fähigkeiten, der Psychomotorik und Affektivität. 5 Quantitative Bewusstseinsstörungen (Bewusstseinstrübungen): quantitative Herabsetzung der Wachheit in Schweregraden: – Leichte Verhangenheit – Somnolenz (Schläfrigkeit) – Sopor (weckbar durch heftiges Ansprechen, auf Schmerzreize gezielte Abwehrbewegungen) – Koma (tiefe Bewusstlosigkeit, auf Schmerzreize unkontrollierte Abwehrbewegungen oder keine Reaktion) 5 Qualitative Bewusstseinsstörungen (Bewusstseinsveränderungen): Desintegration der psychischen Abläufe bei: – Dämmerzustand – Traumhaftem Erleben – Einengung im Affekt 5 Weitere Symptome: – Desorientiertheit – Kognitive Störungen – Wahrnehmungsstörung (z. B. Halluzinationen) – Psychomotorische Störungen (z. B. agitiert)
– Affektive Störungen (z. B. Angst) – Vegetative Störungen (z. B. Schweiß) 4 Die typischen Symptome der chronischen organischen Persönlichkeitsstörungen sind die Verluste der kognitiven Fähigkeiten (Gedächtnis, Orientierung, Urteilsfähigkeit etc.) und organische Persönlichkeitsveränderung. Es besteht keine Bewusstseinstrübung. Nach Psychopathologie und Schweregrad werden unterschieden: 5 Chronische pseudoneurasthenische Syndrom (Hirnleistungsschwäche): Vorkommen bei zerebralen Gefäßerkrankungen, nach Schädel-Hirn-Traumen und Hirnentzündungen, als erstes Stadium eines dementiven Prozesses. Symptome sind eine gesteigerte emotionale Labilität und Erregbarkeit, Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsschwäche, abnorme Erschöpfbarkeit und vegetativ-vasomotorische Störungen. 5 OrganischePersönlichkeitsveränderung (Wesensveränderung): Bei der echten Wesensänderung treten persönlichkeitsfremde Verhaltensweisen auf mit Verlust von Takt und moralischen Wertungen. 5 Demenz: Erworbene Persönlichkeitsveränderungen mit Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses, des abstrakten Denkens und Urteilsvermögens und höhere kortikaler Leistungen (Aphasie, Apraxie u. a.) Diagnostik. Die Diagnose einer organischen psy-
chischen Störung ist an folgende Kriterien gebunden: 4 Meist Nachweis eines belangvollen Körperbefundes 4 Im Verlauf weitgehende zeitliche Parallelität von körperlicher Erkrankung und Psychose 4 Vorhandensein bestimmter typischer Symptome (v. a. kognitive Störungen, Bewusstseinsstörungen und Störungen der Gefühlswelt und Wahrnehmung) 4 Genaue (auch Fremd-)Anamnese (Veränderung des Leistungsniveaus, des Verhaltens, der Persönlichkeit etc.) 4 Internistische und neurologische Untersuchung 4 Labor: Urinstatus, Blutbild, Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin, Leberfunktionsparameter, Eiweißelektrophorese, Cholesterin, Triglyzeride, Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest, Schilddrüsenhormone, Vitamin B12, Folsäure, Liquor 4 Apparative Untersuchungen: EKG, EEG, Thoraxröntgen, CCT oder MRT, Doppler-Sonographie, evtl. SPECT und PET
123 2.2 · Körperlich begründbare psychische Störungen
Therapie. Die Behandlung umfasst bei:
4 Akuter organischer Persönlichkeitsstörung: 5 Allgemeine Maßnahmen: – Soweit möglich Behandlung der Grundkrankheit – Überwachung von Herz-Kreislaufsystem, Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt – Zuverlässige pflegerische Überwachung (z. B. Blasenentleerung, Freihalten der Atemwege) – Bei Selbst- und Fremdgefährdung Einweisung in eine psychiatrische Klinik 5 Medikamentöse Therapie: – Bei Erregung, Agitiertheit, starker Angst (Suizidgefahr!): Tranquilizer (Benzodiazepine), z. B. Diazepam, 10–20 mg, ggf. parenteral – Bei stärkerer Ausprägung niederpotente Neuroleptika, z. B. 50–100 mg Chlorproxthixen oder Levomepromazin. Auch Haloperidol oder Risperidon, ggf. parenteral 4 Chronischer organischer Persönlichkeitsstörung: 5 Körperliche Behandlung wie bei akuter organischer Persönlichkeitsstörung, zusätzlich Versuch mit Nootropika, z. B. Dihydroergotoxin, Piracetam, Pyritinol, Nimodipin 5 Supportive Psychotherapie, Verhaltenstherapie, Hirnleistungstraining 5 Ggf. rechtzeitige Mobilisierung von Hilfe für den Patienten und seine ihn betreuenden Angehörigen, um eine Dekompensation des sozialen Netzes möglichst zu verhindern und den (Alters-)Patienten in seinem Milieu zu halten Prognose. In der Regel mit der Grundkrankheit rückbildungsfähig, abhängig vom Schweregrad der akuten organischen Persönlichkeitsstörung ist der Übergang in eine chronische organische Psychose/Persönlichkeitsstörung möglich. Das Querschnittsbild erlaubt keine sichere Prognose. 4 Amentielles Syndrom: Typische Symptome sind Ratlosigkeit, verworrenes, inkohärentes Denken, Bewusstseinstrübung, keine eindeutige produktive Symptomatik. 4 Depressives Syndrom: Auftreten bei Schlaganfall, Morbus Parkinson, Hypothyreose, raumfordernden intrakraniellen, frontalen Prozessen, Pankreaskarzinom, Kortisontherapie. Bei exogenen Psychosen häufig mit depressivem Wahn und Symptomen wie Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen kombiniert. 6
2
4 Expansiv-maniformes Syndrom: Auftreten bei progressiver Paralyse, fieberhaften Infektionen, Fleckfieber nach der Entfieberung, nach Schädel-Hirn-Trauma, nach Einnahme von Weckaminen (z. B. Ecstasy). Typische Symptomatik ist Megalomanie mit Selbstüberschätzung einhergehend, Größenideen, -wahn, oft mit Konfabulationen. Infolge Hirnschädigung Veränderungen von Euphorie, Passivität, Reversibilität möglich. Bei chronischem Alkoholismus nach Wernicke-Enzephalopathie, nach CO-Vergiftung, nach schwerem Schädeltrauma 4 Demenz: Meist im höheren Alter auftretender, aus organischer Ursache entstehender, progredienter, meist irreversibler, mnestischer und intellektueller Abbau der Persönlichkeit, verbunden mit Wesensänderungen und schwerer Behinderung sozialer Funktionen (erworbene »Verblödung«). Im Unterschied zur primären Intelligenzminderung (Oligophrenie) bei mittlerem Schweregrad der Demenz noch Fragmente früheren Wissens. Insbesondere bei vaskulären degenerativen Erkrankungen, bei Pickscher oder Alzheimerscher Erkrankung, Chorea Huntington, Vitamin B12-Mangel. Im ärztlichen Gespräch oft lange Zeit gut erhaltene Fassade und guter affektiver Rapport. Deshalb gezielte Fragen (Orientierung, Merkfähigkeit, Rechenvermögen). 4 Hirnlokales Psychosyndrom (nach Bleuler): Durch lokale Schädigung der Hirnsubstanz hervorgerufene Störung. Bei Strinhirnkonvexitätssyndrom Abulie (Willenslähmung), Antriebsmangel, beim Orbitalhirnsyndrom mit Enthemmung und Euphorie, bei Hirntumoren, Morbus Pick, Enzephalitis, in Anfangsstadien von Chorea Huntington. Zur Symptomatik gehören Störungen des Antriebs, der Einzeltriebe, der Stimmung. In der Regel keine intellektuellen Ausfälle, jedoch Entdifferenzierung der Persönlichkeit (z. B. Störungen des Taktgefühls). Keine produktiv-psychotischen Symptome und keine Bewusstseinsstörungen. Häufig existiert keine Korrelation zwischen Morphologie und Psychopathologie. Es sind keine sicheren Rückschlüsse in eine der beiden Richtungen möglich. Die Differenzialdiagnose gegenüber neurotischen Störungen ist oft schwierig. Zur Therapie 7 Kap. 2.2.1.3 (organische Persönlichkeitsstörung).
124
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
In Kürze Körperlich begründbare psychische Störungen (exogene Psychosen)
2
2.3
Delir, nicht durch Alkohol und andere psychotrope Substanzen bedingt
4 Symptomatik: Bewusstseinsstörung, Desorientiertheit, Halluzinationen, illusionäre Verkennung, psychomotorische Unruhe, grobschlägiger Tremor, vegetativ-vasomotorische Symptome 4 Ätiologie: hochfieberhafte Erkrankungen, Intoxikationen, zerebrale Gefäßprozesse 4 Diagnostik: Psychostatus, Klinik, Labor, Vorerkrankungen, EEG, CCT, MRT 4 Therapie: Flüssigkeit, Elektrolytsubstitution, stationäre Aufnahme, Grunderkrankung behandeln
Organisch bedingte Halluzinose
4 Symptomatik: Trugwahrnehmungen 4 Ätiologie: Alkohol, Halluzinogene, Radioiodidtherapie, Sehstörungen, endokrine Störungen 4 Diagnostik: Labor, EEG, CCT, MRT 4 Therapie: Grunderkrankung behandeln
Organische Persönlichkeitsstörung
4 Symptomatik: Bewusstseinsstörungen, pseudneurastenisches Syndrom, Persönlichkeitsveränderungen, Demenz 4 Ätiologie: Organerkrankungen, Intoxikationen, Infektionen, Schädel-Hirn-Traumen 4 Diagnostik: Körperbefund, (Fremd-)Anamnese, Psycho-/Neurostatus, Labor, CCT, MRT, EEG 4 Therapie: Grunderkrankung behandeln, Psychotherapie, Flüssigkeits-/Elektrolytsubstitution, Benzodiazepine, Neuroleptika, Nootropika
Hypoglykämie
Synonym. Unterzucker. Definition. Glukosegehalt im kapillären Blut unter 50 mg/dl, bei Diabetikern auch höher. Ätiopathogenese. Hypoglykämie ist keine selbständige Krankheit, sondern ein Zustand, der von vielen verschiedenen Grunderkrankungen ausgelöst werden kann. > Bei plötzlich auftretenden unklaren neurologischen oder psychiatrischen Symptomen immer an eine Hypoglykämie denken und den Blutzucker bestimmen!
Unterschieden werden: 4 Nüchternhypoglykämie: Ursachen können Insulinome, extrapankreatische Tumoren (Leberzellkarzinom), seltener paraneoplastische Sekretion insulinähnlicher Peptide (IGF II), schwere Leber-
erkrankungen (verminderte Glukoneogenese und Glukoseabgabe), Urämie (Substratmangel für Glukoneogenese), Insuffizienz von NNR oder HVL (Ausfall kontrainsulinärer Hormone), sehr selten β-Zellhyperplasie in den ersten Lebensjahren (Nesidioblastose) durch Mutation des Sulfonylharnstoffrezeptors, Glykogenosen, renaler Hypoglykämie (renaler Diabetes mellitus) und Neugeborenenhypoglykämie bei diabetischer Mutter sein. 4 Reaktive (postprandiale) Hypoglykämie: Auftreten im Anfangsstadium eines Diabetes mellitus, bei Magenentleerungsstörungen infolge autonomer Neuropathie eines Diabetikers, Dumping-Spätsyndrom nach Magenresektion, reaktive Hypoglykämien bei vegetativer Labilität (verstärkter Vagotonus) und seltene erbliche Defekte (Leucin-Überempfindlichkeit, Fruktoseintoleranz). 4 Exogene Hypoglykämie: 5 Überdosierung von Insulin oder Sulfonylharnstoffen: Relative Überdosierung infolge Änderung der Nahrungszufuhr bei Erkrankung
125 2.3 · Hypoglykämie
und gleichbleibender Antidiabetikadosierung, Interaktionen mit anderen, blutzuckersenkenden Medikamenten (Sulfonamide, nichtsteroidale Antirheumatika, Betablocker, ACE-Hemmer), starke körperliche Belastung, Alkoholgenuss (Alkohol hemmt die Glukoneogenese) oft in Kombination mit Nahrungskarenz. 5 Hypoglycaemia factitia: Absolute Überdosierung, Insulininjektion oder Einnahme von Sulfonylharnstoffen akzidentiell, in suizidaler oder krimineller Absicht, bei Psychose. Typischerweise völlig regelloses Auftreten, unabhängig von Mahlzeiten. Betroffene sind oft in Heilberufen tätig oder Angehörige von Diabetikern. Symptomatik. . Tab. 2.11.
Bei häufigen Hypoglykämien sinkt die Hypoglykämiewahrnehmung. > Bei schwerer Neuropathie können die autonomen Symptome abgeschwächt sein oder fehlen!
2
oder Proinsulin i. S. (hoch bei Insulinom, normal bei Einnahme von Sulfonylharnstoffen) können hilfreich sein. Späthypoglykämien sind mit OGTT (oraler Glukosetoleranztest) über 5 h objektivierbar. Differenzialdiagnose. Psychosen, Epilepsie, Schlagan-
fall. Therapie. Beseitigung der kausalen Ursache. Bei
leichter Hypoglykämie (mit vorhandenem Bewusstsein) Gabe von 5–20 g Glukose (Dextrose, Traubenzucker) oral. Oligosaccharid-Getränke (Obstsäfte, Cola) sind auch geeignet, sofern nicht mit Acarbose (α-Glukosidasehemmer) therapiert wurde. Liegt eine schwere Hypoglykämie vor, werden 25–100ml 40%-ige Glukose i.v.verabreicht, evtl. nach 20 min wiederholen oder anschließend 5%-ige Glukose per infusionem, bis zu einem Blutzucker von ca. 200 mg/dl. > Wenn kein venöser Zugang möglich ist, der Patient aggressiv oder durch Laien versorgt wird: 1 mg Glukagon i.m. oder s.c. (z. B. Gluca Gen Hypokit).
Diagnostik. Blutglukose-Bestimmung, bei Spontan-
hypoglykämien von Nicht-Diabetikern Seruminsulin, C-Peptid oder im 72h-Hungerversuch (Fastentest) Bestimmung des Insulin-/Glukose-Quotienten während einer Hypoglykämie. > Insulin und C-Peptid zeigen bei endogener Sekretion einen parallelen Anstieg, bei Hypoglykämie infolge exogener Insulinzufuhr (Hypoglycaemia factitia) ist das C-Peptid erniedrigt!
Insulin und C-Peptid sind bei Einnahme von Sulfonylharnstoffen erhöht. Nachweis von Glibenclamid i. S.
Dadurch steigt die endogene Glukoseproduktion. Glukagon wirkt nicht bei Erschöpfung der Glykogenreserve. Nach dem Erwachen sofort Glukose oral oder i.v. weiter zuführen unter Blutzuckerkontrolle. Reaktive Hypoglykämien werden bei vegetativer Labilität versorgt mit kohlenhydratarmer, fett- und eiweißreicher Kost in Form vieler kleiner Mahlzeiten, dazu Gabe von Parasympatholytika. > Präventiv müssen Diabetiker geschult werden und erlernen auf Frühsymptome einer Hypoglykämie zu achten.
. Tab. 2.11. Klinische Phasen einer Hypoglykämie Phasen
Klinische Symptome
Autonome Reaktionen 4 Parasympathikoton 4 Sympathikoton
4 Heißhunger, Übelkeit, Erbrechen, Schwäche 4 Unruhe, Schwitzen, Tachykardie, Tremor, Hypertonus, Mydriasis
Zentralnervöse = neuroglukopenische Reaktionen
Kopfschmerzen, endokrines Psychosyndrom (Verstimmung, Reizbarkeit, Konzentrationsschwäche, Verwirrtheit), Koordinationsstörungen, primitive Automatismen (Grimassieren, Greifen, Schmatzen), Konvulsionen, fokale Zeichen (Hemiplegien, Aphasien, Doppelbildersehen), hypoglykämischer Schock = hypoglykämisches Koma, Somnolenz, zentrale Atem- und Kreislaufstörungen
126
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
In Kürze Hypoglykämie
2
2.4
4 Symptomatik: Heißhunger, Schwindel, Übelkeit, Tachykardie, Tremor, Schwitzen, Hypertonus, Mydriasis, primitive Automatismen, fokale Zeichen 4 Ätiologie: Insulin-/Sulfonylharnstoff-Überdosierung, Dumping-Spätsyndrom, endokrine Erkrankungen 4 Diagnostik: Blutglukose-Bestimmung, bei Spontanhypoglykämien von Nicht-Diabetikern Seruminsulin, C-Peptid oder im 72-h-Hungerversuch (Fastentest) Bestimmung des Insulin-/Glukose-Quotienten während einer Hypoglykämie, OGTT (oraler Glukosebelastungstest) 4 Therapie: leichte Hypoglykämie: 5–20 g Glukose (Dextrose, Traubenzucker) oral. Schwere Hypoglykämie: 25–100 ml 40%-ige Glukose i.v.
Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen
2.4.1 Demenz als gemeinsames
Leitsymptom Definition. Organisch bedingte, meist progrediente und nicht reversible Minderung der in früheren Lebensabschnitten erworbenen intellektuellen Fähigkeiten. Ätiopathogenese. 50–60% Morbus Alzheimer, 15–20%
vaskuläre Demenz, 15% Mischformen beider Krankheiten. Seltenere Demenzursachen 4 Chronische hepatische Enzephalopathie (erhöhte Transaminasen und Albumin im Serum) 4 Urämie (deutlich erhöhtes Kreatinin und Harnstoff im Serum) 4 Vitamin-B12-Mangel (Blutbild: Anämie, erhöhtes MCV, MCH, MCHC. Magensaftanalyse, Schilling-Test) 4 Zustand nach zerebraler Hypoxie (CT: Aufhebung der Mark-Rindengrenze) 4 Schädel-Hirn-Trauma (selten nach schweren oder rezidivierenden Traumen: Dementia pugilistica, Boxerdemenz. CT: Kontusionsblutung, Coup- und Contrecoup-Herde) 4 Neurolues, progressive Paralyse (TPHA, VDRL, LiquorSerologie, CCT: multiple Infarkte, Penicillingabe!) 4 Multiple Sklerose (schubförmiger Verlauf, Paresen, Ataxie, Blasenstörung. Liquor: oligoklonale Banden, MRT: Demyelinisierung 4 Myoklonische Epilepsie (EEG: Paroxysmen) 4 Chorea Huntington (Familienanamnese, Gendiagnostik) 4 Morbus Wilson (Athetose, Hepatomegalie, Kayser-Fleischer-Korneal-Ring. Kupferionen, Coeruloplasmin sind im Serum und Urin erhöht) 6
4 Zerebelläre Herodoataxie (Ataxie, spastische Paresen. CT: Kleinhirnatrophie, positive Familienanamnese) 4 Spastische Spinalparalyse 4 Phakomatosen (Anfälle, Café-au-lait-Flecken. CT/MRT: Raumforderung) 4 Lipidspeicherkrankheiten (Ataxie, Myoklonien, Erblindung, Spastik. Leberbiopsie) 4 Lupus erythematodes (ANA, Anti-dsDNS im Serum) 4 Intoxikation (Schwermetalle, Medikamente wie Brom, Disulfiram) 4 Depression (kontinuierlich bestehend, daneben kognitive und affektive Störungen, die unter medikamentöser Therapie abklingen)
Epidemiologie. Etwa 5–10% der über 65-Jährigen sind
betroffen, davon ca. 65% durch Morbus Alzheimer und ca. 10% durch vaskuläre Demenz. Symptomatik. Zu Leitsymptome der Demenz . Tab. 2.12.
Typische Begleitsymptome sind: 4 Schlafstörungen 4 Paranoid-halluzinatorische Symptome und Erregtheit 4 Inkontinenz 4 Depressive Verstimmung (bei Persistenz) 4 Elektrolytstörungen, Vitaminmangel Differenzialdiagnose. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen einer Demenz sind: 4 Tumor (v. a. frontobasale Hirntumoren) 4 Normaldruckhydrozephalus 4 Benigne Altersvergesslichkeit (mit/ohne chronischer Depression) 4 Subdurales Hämatom (auch nach Bagatelltrauma) 4 Hypothyreose
127 2.4 · Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen
2
. Tab. 2.12. Leitsymptome der Demenz Symptom
Beispiel
Verstärkte Vergesslichkeit
Schlüssel oder andere Gegenstände werden häufiger als gewohnt verlegt, Fragen wiederholen sich, der Herd wird angelassen
Orientierungsstörungen
Tag, Monat, Jahr können nicht benannt werden, früher bekannte Orte werden nicht erinnert, Zuordnung von Namen zu Personen geht verloren
Sprachstörungen
Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden, zu verstehen, was gemeint ist, sich selbst verständlich zu machen. Umschreibungen häufen sich
Gefühlsstörungen
Leichte Euphorie, Depressivität und auch Aggressivität können auftreten. Häufig werden diese Gefühle als »Böswilligkeit« oder »wahre Gefühle« von Fremden verkannt
Wahnvorstellungen
Kranke können sich bestohlen fühlen, wenn sie vergessen, wohin sie ihre Gegenstände gelegt haben
Erhaltene Fassade
Die vorhandenen Fähigkeiten werden genutzt, um die Beschwerden zu überspielen: die äußere Fassade ist sehr lange intakt
Neuropsychologische Auffälligkeiten
Agnosie, Apraxie, Aphasie (amnestisch und sensorisch mit Konfabulationen, Perserverationen, Paraphasien), später Agraphie, Alexie
Denkstörungen
Verlangsamung, Konzentrationsschwäche
Organisch bedingte psychische Störungen
Zum Beispiel Delir, häufig durch interkurrente Infektionen oder Medikamentenumstellung ausgelöst
Neurologische Symptome
Extrapyramidal-motorische Störungen (z. B. Parkinson-Syndrom mit Rigor, Akinese, Ruhetremor), träge Pupillenreaktion auf Licht, vertikale Blickparese und Gesichtsausfälle, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Auftreten von Primitivreflexen (Greif-, Schnauz- und Saugreflexe), Pyramidenbahnsymptome, später Blasen- und Darmentleerungsstörungen
Weitere Symptome
Motorische Unruhe, Umherlaufen, Halluzinationen, Unsicherheit, Interesselosigkeit, fehlende Organisation von Körperpflege und Kleidung, Persönlichkeitsveränderungen
Diagnostik. Zur Diagnostik gehören:
4 Labor, zum Ausschluss organischer Ursachen: Blutbild, BSG, Blutzucker, Gesamtprotein, Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte, Cholesterin, Triglyzeride, T3, T4, TSH, Transaminasen, Vitamin B12, Folsäure, Ammoniak, TPHA-Test, Medikamentenspiegel, evtl. HIV-Test und ANA-Titer (antinukleäre Antikörper positiv beim systemischen Lupus erythematodes: bei ZNS-Beteiligung Psychosen/ Krampfanfälle) 4 CT: Atrophie, vaskulär bedingte Infarkte (lakunäre Infarkte), Raumforderungen, Hinweise auf Hypoxie, Normaldruckhydrozephalus, subdurales Hämatom 4 Blutdruckkontrollen: Hypertonus-Abklärung bei wiederholt hohen Werten durch 24-h-RR-Messung (Prüfung auf Vorliegen eines sekundären Hypertonus bei fehlendem nächtlichem Blutdruckabfall) 4 Dopplersono: Stenosen, Plaques
4 EKG/Langzeit-EKG: Überprüfung von Rhythmusstörungen, Infarktzeichen 4 Herzecho (ggf. transösophageal durchgeführt): Emboliequellen, Klappenfehler 4 Liquorpunktion, bei Verdacht auf entzündliche Genese: Eiweißerhöhung (Schrankenstörung), Zellzahlerhöhung (v. a. bei unter 60-Jährigen). Antikörper, oligoklonale Bande, Verbesserung der Symptomatik nach Lumbalpunktion bei Normaldruckhydrozephalus 4 Des Weiteren: 5 EEG: Herdbefunde, anfallstypische Potenziale 5 Thoraxröntgen in zwei Ebenen: Obligat, Anhalt für Tumor, Metastasen 5 MRT: Bei unklaren CCT-Befunden, entzündlichen Veränderungen, Raumforderungen zur Diagnosesicherung 5 Unter Umständen SPECT, PET: Beurteilung der Durchblutung und des Stoffwechsels
128
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.13. Therapie der Begleitsymptome
2
Begleitsymptom
Therapie
Bemerkungen
Schlafstörung
Patienten tagsüber wach halten (Beschäftigungstherapie, Gymnastik, häufige Ansprache); zur Nacht Promethazin (z. B. Atosil), auch Trazadon (z. B. Thombran), alternativ Pipamperon (z. B. Dipiperon-Saft) oder Melperon (z. B. Eunerpan-Saft). Ggf. lomethiazol (z. B. Distraneurin) p.o.
Im Gegensatz zu Benzodiazepinen und Barbituraten keine paradoxe Wirkung. Cave: Gefahr der Abhängigkeit! Immer abends Blutdruckkontrolle, da oft ein RR-Abfall für Einschlaf- bzw. Durchschlafstörung verantwortlich ist
Paranoid-halluzinatorische Symptome und Erregtheit
Pipamperon (z. B. Dipiperon-Saft) p.o., Haloperidol (z. B. Haldol) p.o.
Dosierung insgesamt möglichst niedrig halten, regelmäßige Wirksamkeitskontrolle, rasches Absetzen bei Symptombesserung. Cave: Keine Benzodiazepine wegen paradoxer Wirkung, verlängerter HWZ, Abhängigkeit, Zunahme kognitiver Störungen, vorzeitigem Auftreten von Inkontinenz und Stürzen
Inkontinenz
Initial Blasentraining, um schwere Inkontinenz hinauszuzögern. Insgesamt medikamentös kaum beeinflussbar
Regelmäßige Urinkontrolle auf Harnwegsinfekte
Depressive Verstimmung (bei Persistenz)
Moclobemid (z. B. Aurorix)
Nebenwirkungen und Kontraindikationen: Bei Apathie und Hypersomnie Desipramin (z. B. Pertofran), bei starker Unruhe Trazodon (z. B. Thombran) oder Mianserin (z. B. Tolvin)
Elektrolyte und Vitamine
Ggf. Substitution
Regelmäßige Kontrollen
Das Krankheitsausmaß wird durch psychometrische Testverfahren bestimmt: Mini-Mental-Status-Test, Aufmerksamkeitstests, Benton-Test, Global-DeteriorationScale (Maß zur Schweregradbestimmung). Therapie. Förderung verbliebener Leistungsreserven durch Hirnleistungstraining: Stationär regelmäßige Gedächtnis- und Konzentrationsübungen, die dem Leistungsniveau des Patienten angepasst werden, häuslich helfen Beteiligung an hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, anregende Gespräche, Beschäftigung mit der eigenen Biografie (z. B. mittels Familienalben). > Keine Konfrontation mit kognitiven Defiziten, die Selbstständigkeit sollte weitgehend erhalten werden (Beibehaltung der gewohnten Umgebung, Strukturierung des Tagesablaufes).
Weitere therapeutische Möglichkeiten . Tab. 2.13. > Jeder 10. Demenzfall ist therapierbar! Behandelbare Demenzursachen ausschließen!
2.4.2 Demenz bei Alzheimer-Krankheit Definition. Klinisch kennzeichnend sind Zeichen ei-
ner Demenz bei relativ erhaltenen Persönlichkeitsmerkmalen mit Beibehaltung der sozialen Umgangsformen. Ätiopathogenenese. Kortikale neuronale Degene-
ration vor allem der Frontal-, Temporal- und Parietalregion mit Gliose, extrazellulären senilen Plaques, intrazellulären Fibrillen. Befall mehrerer Transmittersysteme, insbesondere des cholinergen Systems. In 5% der Fälle Nachweis eines genetischer Einflusses. Risikofaktoren sind: 4 Alter 4 Positive Familienanamnese 4 Vorliegen der Allelkonfiguration APO-ε4 auf Chromosom 19 (3- bis 6-fach erhöhtes Risiko, späte Manifestation) 4 Alter der Mutter bei Geburt (>32 Jahre) 4 Schädel-Hirn-Trauma in der Anamnese
129 2.4 · Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen
Epidemiologie. Beginn der Erkrankung vor dem
65. Lebensjahr. 45% der über 60-Jährigen sind betroffen. 50–60% der Demenz-Erkrankten haben einen Morbus Alzheimer. Symptomatik. Typisch für die Alzheimer-Demenz ist
ihr langsamer Beginn und progredienter Verlauf. Diagnostik.
4 EEG: verlangsamter Grundrhythmus (4–8/s) mit eingelagerten langsamen Wellen 4 Liquor: Eiweißerhöhung (Schrankenstörung) 4 CT: Bei fortgeschrittenen Stadien innere und äußere Atrophie 4 SPECT: Abnahme der frontoparietalen und temporalen Hirndurchblutung. Außerdem liegt ein verminderter frontoparietaler und temporaler Glukosestoffwechsel vor > Die Alzheimer-Krankheit kann nur neuropathologisch endgültig sicher diagnostiziert werden.
2
2.4.3 Demenz bei HIV-assoziierter
Enzephalopathie Definition. Die HIV-assoziierte Enzephalopathie (HAE) zählt zu den AIDS-Indikatorkrankheiten (»AIDS-defining illness«, ADI) und kann als Demenz in Erscheinung treten. Ätiopathogenese. Aufgrund der Immuninsuffizienz erhöhte Anfälligkeit für opportunistische Infektionen und Immunregulationsstörung. Die häufigsten Erreger zeigt . Tab. 2.15. Epidemiologie. 30% aller AIDS-Patienten sind be-
troffen. Symptomatik. Konzentrations-, Gedächtnisstörungen,
motorische Verlangsamung, psychische Veränderungen und Dementiakomplex (metabolische Enzephalopathie bei AIDS). Diagnostik. Frühdiagnose mit psychomentalen Testverfahren. Die HAE tritt meist erst bei CD4-Zellzahlen
Therapie. . Tab. 2.14.
. Tab. 2.14. Spezielle Medikation der Alzheimer-Krankheit Substanz
Besonderheiten
Nebenwirkungen/Kontraindikationen
Nootropika (Piracetam, z. B. Nootrop)
Begrenzte Wirkung bei kognitiven Störungen
Geringe Nebenwirkungen: selten psychomotorische Unruhe, Schwindel, selten Erniedrigung der Krampfschwelle, depressive Verstimmung; ggf. mit Acetylcholinvorstufen (z. B. Lecithin) kombinieren
Nimodipin (z. B. Nimotop)
Alternativ oder in Kombination mit Nootropika
Nebenwirkungen: Schwitzen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Blutdrucksenkung, Extrasystolen
Cholinesterasehemmer (Tetrahydroaminoacridin, z. B. Cognex)
Nur unter engmaschiger Kontrolle!
Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Bradykardie, erhöhte Leberenzyme (Kontrolle alle 1–2 Wochen!) Kontraindikationen: Wirkstoff-Überempfindlichkeit, Vorsicht bei gastrointestinalem Ulkus, Asthma bronchiale, Leberfunktionsstörung
Memantin (z. B. Akatinol-Memantine)
Versuch bei unspezifischen Verhaltensstörungen im Alltag
Nebenwirkungen: Schwindel, Unruhe, Müdigkeit, Kopfdruck, Übelkeit
. Tab. 2.15. Häufige Erreger einer HIV-assoziierten Enzephalopathie Erreger (Klinik, Häufigkeit))
Diagnose
Therapie
Toxoplasma gondii (Enzephalitis, 30%)
Klinik, CT, MRT
Clindamycin + Pyrimethamin + Leukovorin
Papovavirus (JC-Virus) (Progressive multifokale Leukoenzephalopathie, 5%)
Neurologische Symptomatik (bis zur Demenz), CT, MRT (zerebrale Entmarkung)
HAART (hochreaktive antiretrovirale Therapie)
130
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
<200/μl auf, kann aber auch bei normaler CD4-Zellzahl vorliegen. Im MRT/CT kann eine frontotemporale Gehirnatrophie hinweisend sein. Serologie, EEG.
2
Therapie. . Tab. 2.15.
2.4.4 Demenz bei Creutzfeldt-Jakob-
Erkrankung (CJE)
zunehmen. Histologisch findet sich in Rinde, Stammganglien und Vorderhorn des Rückenmarkes ein Status spongiosus Therapie. Keine kausale Therapie bekannt. Psychosoziale Unterstützung der Erkrankten und Familie. Wegen Gefahr der Übertragung Desinfektion der bei dem Patienten verwendeten Geräte. Vernichtung der Gegenstände, die mit Liquor oder Gehirngewebe in Berührung gekommen sind.
Definition. Progrediente Demenz aufgrund einer spon-
giösen Enzephalopathie.
2.4.5 Demenz bei Morbus Parkinson
Ätiopathogenese. Unterschieden werden:
4 Spordische Form: Inzidenz 1:1.000.000, Erkrankungsgipfel zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr 4 Familiäre Form: 5 Genetische CJD-Erkrankung 5 Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS) 5 Letale familiäre Insomnie (FFI) 4 Iatrogene Form: Übertragung im Rahmen von operativen Eingriffen (infektiöse Dura oder Cornea) oder durch Gabe von Wachstumshormon 4 Neue Variante der CJD: Durch Genuss von Fleisch an boviner Enzephalopathie erkrankter Rinder (sog. Rinderwahnsinn, BSE). Erkrankungsgipfel im 3. Lebensjahrzehnt Symptomatik. Initial zeigen sich uncharakteristische psychische Symptome, später dementieller Abbau, Alexie, Aphasie, Visusverlust, Okulomotorikstörungen, zentrale Paresen, extrapyramidale Störungen, Ataxie, Myoklonien, epileptische Anfälle. Diagnostik. Die Diagnostik umfasst:
4 Psychopathologische und körperliche Untersuchung 4 Neurostatus: GSS (zerebelläre Ataxie und spastische Paraparese), FFI (progressive Insomnie und autonome Dysregulation) 4 EEG: Periodische bi- und triphasische Komplexe, sog. »Sharp-wave«-Komplexe (PSWC) bei der sporadischen Form 4 MRT: Hyperintensitäten in den Basalganglien bei der sporadischen Form oder im posterioren Thalamus (»pulvinar sign«) bei der neuen Variante 4 Liquor: Pleozytose (Protein 14-3-3, TAU, NSE, S100 4 Biopsie: Diagnosesicherung und um Hygienemaßnahmen (Desinfektion der verwendeten Geräte/Instrumente, Entsorgung von Gegenständen, die mit Blut/Liquor in Kontakt gekommen sind) ggf. vor-
Definition. Selten wirkliche demenzielle Entwicklung. Aspontanität, Bradyphrenität (möglicherweise nur akinesebedingt), Depression können Demenz vortäuschen. Ätiopathogenese. Unklare Degeneration von melaninhaltigen, Dopamin-produzierenden Zellen in der Substantia nigra mit konsekutivem Dopaminmangel in den Stammganglien. Diskutiert wird neurotoxische Wirkung von Glutamat oder freien Sauerstoffradikalen. Epidemiologie. Prävalenz bei 100–200/100.000 Ein-
wohner, Neuerkrankungen treten mit 20/100.000/Jahr auf. Das Manifestationsalter liegt zwischen dem 40. bis 60. Lebensjahr. Symptomatik. Typische Trias: Rigor, Tremor und Aki-
nese. Maskengesicht, gebeugter Oberkörper, Nichtmitschwingen der Arme beim Gehen, kleinschrittiger und schlurfender Gang. Psychische Veränderungen sind Aspontaneität, Depression und selten Demenz. Diagnostik. Apomorphintest, psychologische Testver-
fahren. Therapie. Die Therapie umfasst:
4 Medikamentös: 5 Bei hypokinetisch-rigidem Typ: L-Dopa und Decarboxylasehemmer (Benserazid oder Carbidopa), Dopaminagonisten (z. B. Lisurid), MAO-B-(Selegilin), COMT-Hemmer (mit LDopa), Amantadin (parenteral bei akinetischer Krise) 5 Bei Tremordominanztyp: Anticholinergika (z. B. Biperidin, Benzatropin), Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin), Beta-Blocker, trizyklische Antidepressiva, Dopaminagonisten (z. B. Bromocriptin), Antikonvulsiva (z. B.
131 2.4 · Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen
Primidon), atypische Antipsychotika (z. B. Clozapin) 4 Neurochirurgisch: operative stereotaktische Behandlung, Transplantation neuronaler Zellen, tiefe elektrische Hirnstimulation
2
4 Psychiatrisch: begleitende Psychotherapie, Psychoeduktion, Selbsthilfegruppe 4 Physikalisch/Ergotherapie: Krankengymnastik, Massagen, Beschäftigungstherapie
In Kürze Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen Demenz als gemeinsames Leitsymptom
4 Symptomatik: Vergesslichkeit, Orientierungsstörungen, Sprachstörungen, Gefühlsstörungen, Wahnvorstellungen, erhaltene Fassade, neuropsychologische Auffälligkeiten, Denkstörungen, neurologische Ausfälle 4 Ätiologie: häufigste Formen: M. Alzheimer, vaskuläre Demenz 4 Diagnostik: Labor, CT, Blutdruckkontrolle, Dopplersono, EKG, Herzecho, Liquorpunktion, EEG, Thoraxröntgen, MRT (SPECT, PET) 4 Therapie: Hirnleistungstraining
Demenz bei AlzheimerKrankheit
4 4 4 4
Demenz bei HIV-assoziierter Enzephalopathie
4 Symptomatik: Dementia-Komplex, Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, motorische Verlangsamung, psychische Veränderungen 4 Ätiologie: opportunistische Infektionen (Toxoplasma gondii, Papovavirus) 4 Diagnostik: psychomentale Tests, MRT/CT, Serologie, EEG 4 Therapie: Clindamycin + Pyrimethamin + Leukovorin, HAART
Demenz bei CreutzfeldtJacob-Erkrankung
4 Symptomatik: Demenz, Depression, Angstsymptome, paranoid-halluzinatorische Symptome, Ataxie, Myoklonien, extrapyramidale Störungen, Pyramidenbahnzeichen, Dysästhesien 4 Ätiologie: sporadisch, familiär, iatrogen, BSE 4 Diagnostik: Psychopathologie, Neurostatus, Liquor, MRT, EEG 4 Therapie: keine kausale Therapie, psychosoziale Unterstützung
Demenz bei Morbus Parkinson
4 Symptomatik: Rigor, Tremor, Akinese, Apathie, Verwirrtheit, Bradyphrenie (Denkverlangsamung), kleinschrittiger Gang, Mikrographie, Speichelfluss, Schwitzen 4 Ätiologie: Dopaminmangel durch Systematrophie der Substantia nigra und Globus pallidus mit Nervenzelldegeneration 4 Diagnostik: Klinik, Neurostatus, CCT, EEG, Labor, Liquor (Entzündung?) 4 Therapie: Medikamente abhängig von hypokinetisch-rigidem bzw. Tremordominanztyp. Neurochirurgie, Psychotherapie, Ergotherapie, Krankengymnastik, Massagen
Symptomatik: langsamer Beginn, progredienter Verlauf Ätiologie: kortikale neuronale Degeneration, Gliose, Plaques, Fibrillen Diagnostik: EEG, Liquor, CT, SPECT Therapie: Nootropika, Nimodipin, Cholinesterasehemmer, Memantin
132
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
2.5
Esstörungen
2.5.1 Anorexia nervosa
2
Differenzialdiagnose. Konsumierende Tumorerkrankung, endokrine Störung, Magen-Darm-Erkrankungen, affektive, depressive und schizophrene Störungen, Zwangsstörungen,
Synonym. Magersucht. Therapie. Psychotherapie (verschiedene Formen) und Definition. Schwere Störung des Essverhaltens mit be-
drohlich werdender Abmagerung bis zur Kachexie.
sorgfältige Kontrolle des somatischen Zustandes. In lebensbedrohlichen Zuständen: Sondenernährung.
Ätiopathogenese. Psychodynamisch liegt eine Störung der psychosexuellen Entwicklung vor mit einer Ablehnung der eigenen Geschlechtsrolle. Ambivalenz kennzeichnet die Einstellung zum eigenen Körper, Sexualität wird auch abgelehnt; die Beziehung zu primären Bezugspersonen (Vater, Mutter) ist oft gestört; auch als Reaktion auf Essgewohnheiten im sozialen Umfeld.
Prognose. Das Vollbild der Anorexie hat eine Mortalitätsrate von 10%, 40% der Krankheitsfälle chronifizieren. Manchmal Wechsel in eine andere Symptomatik (z. B. Medikamentensucht). Somatische Komplikationen (auch Infektionen), Psychosen und Suizid tragen mit der Kachexie zur hohen Mortalität bei.
Epidemiologie. 1% der Frauen während der Adoleszenz (unter 0,1% der Männer). Verhältnis Männer zu Frauen beträgt 1:20. Familiäre Häufung. Anorektische Erscheinungen finden sich vorübergehend bei vielen Jugendlichen.
2.5.2 Bulimia nervosa
Symptomatik. Folgende Symptome sind anamnestisch
relevant: 4 Angst vor Gewichtszunahme 4 Selbstinduzierte Gewichtsreduktion 4 Körpergewicht mehr als 15% unter dem Normalgewicht (Broca-Formel: Normalgewicht = Körpergröße – 100) 4 Vermeidung hochkalorischer Nahrungsmittel 4 Körperschemastörung: Gefühl zu dick zu sein 4 Exzessive körperliche Aktivitäten (z. B. Marathonläufe) Unterschieden wird: 4 Asketisch (passiv): ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsreduktion 4 Bulimisch (aktiv): mit Heißhungerattacken, Erbrechen, Abführen Typisch sind jugendliches Alter, ritualisiertes Essverhalten, selbst ausgelöstes Erbrechen und Abführen, Auslassen von Mahlzeiten, Verwendung von Diuretika, Isolierung (u. a. Kontaktstörungen), hohes Leistungsideal, geringer Leidensdruck sowie sekundär endokrine Störungen (erhöhte Kortisolsekretion, erhöhte LH- und GH-Ausschüttung, Amenorrhö; trockene Haut). Diagnostik. Klinische Untersuchung.
Synonym. Ochsenhunger, Ess-Brech-Sucht. Definition. Häufige Anfälle von Heißhunger mit großer
Nahrungsaufnahme (Fressanfälle) mit anschließendem, selbstinduziertem Erbrechen. Ätiopathogenese. Problematisch ist die Akzeptanz der eigenen Geschlechtsrolle bzw. der eigenen Attraktivität mit einer unbewussten Orientierung am gesellschaftlichen Schönheitsideal. Psychodynamisch herrschen narzisstische Spannungen mit einem Gefühl der inneren Leere und gleichzeitiger Suche nach Geborgenheit und Selbstwertgefühl vor. Epidemiologie. Häufigkeitsgipfel zwischen dem 20. und
30. Lebensjahr. 95% sind Frauen. 1–5% der weiblichen Bevölkerung sind betroffen. Symptomatik. Typische Symptome sind:
4 Angst, zu dick zu sein 4 Fressattacken, danach depressive Verarbeitung, Schuld- und Schamgefühle 4 Ständige Beschäftigung mit Nahrung 4 Setzen einer Gewichtsgrenze 4 Zeitweilig Diät 4 Verwendung von Laxanzien und Diuretika 4 Größerer Leidensdruck und Krankheitseinsicht als bei Anorexie 4 Zusätzlich: Selbstbeschädigungen, Suizidversuche und Amenorrhö 4 Körperschemastörung
! Cave Vitale Bedrohung bei Kachexie (unter 50% des Sollgewichts)!
Diagnostik. Klinische Untersuchung. Zahnschmelzab-
bau, Karies, Parotitis, Ösophagitis und Elektrolytstö-
133 2.6 · Schlafstörungen
rungen (Hypokaliämie) können auf eine Bulimie hinweisen. > Unspezifische einzelne auffällige Befunde (z. B. Hypokaliämie, erhöhte Triglyzeride) können bei jungen Frauen auf eine Essstörung hinweisen.
Differenzialdiagnose. Störungen des oberen Gastroin-
testinaltrakts mit wiederholtem Erbrechen, organische Hirnstörungen (z. B. traumatisch), Persönlichkeitsstörungen.
2
Therapie. Psychotherapie (z. B. analytisch orientiert, Verhaltenstherapie), Selbsthilfegruppen (z. B. OA = Overeaters Anonymous). Prognose. Jeweils ein Drittel wird geheilt, erfährt eine Symptomverbesserung und chronifiziert oder zeigt eine Symptomverschlechterung nach 6- bis 12-monatiger Therapie. Außer in Extremfällen (Ösophagus-, Magenperforation, sekundäre Depression mit Suizid) kein letaler Ausgang.
In Kürze Essstörungen
2.6
Anorexia nervosa
4 Symptomatik: Nahrungsrestriktion, Kachexie, exzessiver Sport, Amenorrhö, trockene Haut 4 Ätiologie: Körperschemastörung, Störung der psychosexuellen Entwicklung mit Ablehnung der eigenen Geschlechtsrolle 4 Diagnostik: Anamnese, Klinik 4 Therapie: Psychotherapie, Sondenernährung bei lebensbedrohlicher Kachexie
Bulimia nervosa
4 4 4 4
Symptomatik: Karies, Parotitis, Ösophagitis, Elektrolytstörungen Ätiologie: Körperschemastörung, Selbstwertstörung Diagnostik: Klinik (Zähne, Elektrolyte) Therapie: Psychotherapie, Selbsthilfegruppen
Schlafstörungen
Definition. Mangel an Dauer (Insomnie) und/oder Qualität des Schlafes (Dysomnie, Parasomnie) mit Leistungsminderung und Befindlichkeitsstörungen. Ätiopathogenese. Organische Schlafstörungen:
4 Hypersomnien bei Klinefelter-Syndrom, bei Narkolepsie (mit Schlafattacken, kataplektischen Anfällen, Schlaflähmung, hypnagogen Halluzinationen), bei periodischen Myoklonien oder Restlesslegs-Syndrom 4 Hyposomnien z. B. bei Schlafapnoe 4 Nicht krankheitsbedingt: Schlafstörung infolge Überstimulation durch abendliche Erlebnisreize, Stimulanzieneinnahme (Koffein!) oder unter psychischem Stress 4 Krankheitsbedingt 5 Erlebnisreaktion und Belastungsstörung, neurotische Anpassungsstörung 5 Alkohol-, Medikamentenmissbrauch 5 Depression 5 Hirnfunktionsstörungen
5 Kleine-Levin-Syndrom, sog. Hypersomnie (Schlafsucht), Bulimie-Syndrom Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Dysomnien: Insomnie (Schlafmangel), Hypersomnie mit verlängertem Nachtschlaf, die Narkolepsie mit imperativen Einschlafattacken sowie Apnoesyndrome und Störungen, die durch die zirkadiane Rhythmikbedingt sind (Jet-lag, Schichtarbeit) 4 Parasomnien: Schlafwandeln (Somnambulismus) Pavor nocturnus (Aufwachstörung meistens bei Kindern mit Schreien und Erregung) sowie nächtliche Albträume) 4 Schlafstörungen bei Begleiterkrankungen: psychiatrische Erkrankungen, organische Erkrankungen Diagnostik. Anamnese (Schlafverhalten, Medikamente, Alkohol, Stress, Genussmittel), körperlicher Befund, EEG (Polysomnographie im Schlaflabor), EKG, Thoraxröntgen. Therapie. Schlafhygiene, Therapie der Grunderkran-
kung, Entspannungsübungen, kognitive Verhaltens-
134
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
therapie, Phytopharmaka (Baldrian, Hopfen, Melisse, Passionsblume), sedierende Antidepressiva (z. B. Trimipramin), schwachpotente Antipsychotika (z. B. Pro-
2
methazin), Antihistaminikum, Melatonin (bei Jet-lag), Benzodiazepine über 2 bis maxiaml 4 Wochen, Zalephon zur Schlafeinleitung, Lichttherapie.
In Kürze Schlafstörungen
2.7
4 Symptomatik: Durchschlaf-, Einschlafstörung, Mangelschlaf, Narkolepsie, Aufwachstörung, Schläfrigkeit, Schlafwandeln 4 Ätiologie: intrinsisch, extrinsisch, organisch, psychisch, toxisch, medikamentös 4 Diagnostik: Anamnese, EEG, Schlaflabor 4 Therapie: Schlafhygiene, Psychotherapie, Entspannungsübungen, Medikamente
Missbrauch, Abhängigkeit Substanzabhängigkeit
Definition. Unterschieden wird zwischen:
4 Missbrauch: Schädlicher, übermäßiger oder unzweckmäßiger Substanzgebrauch ohne dass eine Abhängigkeit besteht, d. h. Missbrauch als Vorstufe! 4 Abhängigkeit: Nach WHO-Definition unwiderstehlicher Drang, ein Suchtmittel einzunehmen, um entweder ein Gefühl des Wohlbefindens zu erzielen oder Missempfindungen auszuschalten. Kontrollverlust, körperliche Entzugserscheinungen (Entzugssyndrom, Besserung durch Zufuhr des Suchtmittels), eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit der Substanz, Toleranzentwicklung (Dosissteigerung) kennzeichnen das Verhalten. 4 Süchtige Fehlhaltung: Auch süchtige Verhaltensweisen, wie Kaufsucht, Spielsucht etc.
Mindestens drei der folgenden Symptome sollten während eines Jahres vorliegen: 4 Eingeschränkte Kontrollfähigkeit/Kontrollverlust von Beginn, Substanzverbrauch und Beendigung des Substanzkonsums 4 Zwanghafter Konsumwunsch der Substanz (Craving: psychische Abhängigkeit) 4 Körperliches Entzugssyndrom und Substanzeinnahme, um Entzugssymptome zu lindern 4 Toleranzentwicklung: Dosissteigerung, um eine gleiche Wirkung zu erzeugen wie zuvor mit einer niedrigeren Dosis 4 Vernachlässigung anderer Interessen und Hobbys 4 Fortsetzung des Substanzgebrauchs trotz nachgewiesener sozialer, körperlicher und psychischer Schäden
Ätiopathogenese. Es wird eine multifaktorielle Gene-
se für die Entstehung von Missbrauch (Abusus) und Abhängigkeit in Interaktion mit Persönlichkeit (Disposition und Entwicklung), Umwelt (Sozialfeld und Gesellschaft, z. B. Gruppenzwang) und Droge (Angebot, Erreichbarkeit, Wirkung) vermutet. Symptomatik. Akute Intoxikationen, Entzugssyndro-
me (Craving) und exogene Psychosen sind allgemeine Hinweise auf einen Substanzabusus. Bei chronischem Missbrauch zeigen sich Wesensveränderungen (Fremdanamnese!). Beschaffungskriminalität und eine Polytoxikomanie (Mehrfachsubstanzabhängigkeit) treten oft sekundär auf. Das Suchtpotenzial für z. B. Heroin ist sehr hoch, d. h. praktisch alle Konsumenten werden innerhalb kürzester Zeit abhängig. Alkohol hat ein niedriges Suchtpotenzial, dennoch entwickeln 5% aller Menschen, die Alkohol trinken, eine Alkoholsucht.
2.7.1 Alkoholismus Definition. Andauernder, suchtmäßiger Konsum von
Alkohol. WHO-Definition: Chronische Verhaltensstörung, die bestimmt wird durch exzessives Trinken von Alkohol über das sozial übliche Maß hinaus, unter anderem mit Folge körperlicher und psychischer Abhängigkeit. Ätiopathogenese. Die Psychoanalyse nimmt starke
orale Anteile in der Persönlichkeit an (geringe Frustrationstoleranz). > Präventiv entscheidend ist die Früherkennung (. Tab. 2.16).
Die Alkoholtoleranz ist herabgesetzt bei Epilepsie, Hepatopathie, neuroleptischer Therapie, Ermüdung, Hirn-
135 2.7 · Missbrauch, Abhängigkeit
2
. Tab. 2.16. Phasen nach Jellinek. Symptome nach Stadium der Alkoholabhängigkeit Stadium
Merkmale
Präalkoholische Phase
4 Spannungsreduktion durch Alkohol 4 Häufiges Trinken 4 Leichte Toleranzerhöhung
Prodromalphase
4 Erleichterungstrinken (gierig!) 4 Toleranzerhöhung 4 Gedächtnislücken (Palimpset = Verblassen alter Erinnerungen, Erinnerungslücken, Black-out, »Filmriss«) 4 Heimliches Trinken mit Schuldgefühlen 4 Dauerndes Denken an Alkohol, aber Vermeidung von Gesprächen über Alkohol
Kritische Phase
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Nach Trinkbeginn: Kontrollverlust Ausreden, Alibis, Rationalisierung Aggression und Schuldgefühle (Zerknirschung) Nach Perioden von Abstinenz stets Rückfälle Trinksystem (nicht vor bestimmten Stunden!) gelockert Interesseneinengung, Verlust von Sozialbezügen Toleranzverminderung Zittern und morgendliches Trinken Mangelhafte Ernährung Libido- und Potenzverlust (evtl. Eifersucht)
Chronische Phase
4 4 4 4 4 4 4 4 4
Verlängerte Räusche Ethischer Abbau Fehlbeurteilung der eigenen Lage Trinken mit Alkoholikern (»unter Stand«) Trinken als Besessenheit Angstzustände, Zittern Auftreten von Psychosen Toleranzverlust Erklärungssystem versagt – Niederlage zugegeben – Behandlungsansatz!
gefäßsklerose, nach Hirntraumen und bei Alkoholikern in der chronischen Phase. Potenzierung der Alkoholwirkung erfolgt durch Barbiturate, Tranquilizer, Neuroleptika, Antidepressiva. Unterschieden werden verschiedene Typen (. Tab. 2.17).
20%. Jeweils 50% aller Straftaten (Aggressionsdelikte!) und Selbstmordversuche geschehen unter Beteiligung von Alkohol. Risikofaktor für Leberzirrhose ist Alkohol ab 60 g pro Tag für Männer ab; für Frauen ab 40 g Alkohol pro Tag. Symptomatik. Psychisch zeigt der Alkoholiker in der
Epidemiologie. Neben den neurotischen (psycho-
genen) Störungen in Europa die weitverbreiteste psychische Störung! > 2–3 Millionen (3% der Erwachsenen) in der BRD sind alkoholabhängig, etwa die gleiche Anzahl sind gefährdet, d. h. insgesamt sind 6–10 Millionen direkt oder indirekt (z. B. Angehörige) betroffen.
Zurzeit besteht ein Männer-Frauen-Verhältnis von 4:1. 30% der psychiatrischen Krankenhausaufnahmen sind Alkoholiker, in Allgemeinkrankenhäusern sind es 10–
Regel passiv abhängige Persönlichkeitszüge mit depressiver Verstimmung und Affektlabilität. Schon im Erstgespräch werden oft eine Distanzlosigkeit (Wesensänderung) und eine latente Gereiztheit spürbar, die unter einer Gefälligkeitshaltung durchschimmern. Häufig hat sich schon ein psychoorganisches Syndrom entwickelt. Eine Fremdanamnese kann sehr hilfreich sein. An Alkoholmissbrauch sollte gedacht werden bei: 4 Gastritis mit Erbrechen und Übelkeit 4 Leberschädigung (Fettleber, Leberzirrhose) mit Erhöhung von γ-GT, GOT, GPT, alkalische Phosphatase, CDT (Carbohydrat-defizientes Transferrin)
136
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.17. Formen des Alkoholismus nach Jellinek
2
Art des Alkoholismus
Typisierung und Kontrolle
Abhängigkeit und Klinik (Folgen)
Alphatypus
Konflikttrinker ohne Kontrollverlust
Nur psychisch, Abstinenz möglich; Übergang zum Gammatyp möglich; keine Spätfolgen
Betatypus
Gelegenheitstrinker ohne Kontrollverlust
Keine Abhängigkeit; Übergang in Epsilontyp möglich
Gammatypus
Suchttrinker mit Kontrollverlust, aber abstinenzfähig
Erst psychisch, dann auch physisch; Toleranzentwicklung, soziale Spätfolgen
Deltatypus
Gewohnheitstrinker ohne Kontrollverlust, nicht abstinenzfähig
Physisch, Spiegeltrinker ohne Rausch
Epsilontypus
Episodischer Trinker (»Quartalstrinker«) mit Kontrollverlust, aber abstinenzfähig
Psychisch; »Dipsomanie«, teilweise als larvierte Depression anzusehen, Tendenz zum Übergang in Gammatypus
[Gamma-, Delta- und Epsilontypus kennzeichnen die Alkoholkrankheit im engeren Sinne mit seelischen, körperlichen und sozialen Schädigungen und Abhängigkeit.
Folgen eines chronischen Alkoholabusus können sein: 4 Erhöhung der MCV (Makrozyten) 4 Pankreatitis 4 Herzmuskel-Erkrankungen 4 Akute Myopathie 4 Neurologische Störungen: Polyneuropathie (Gangstörungen, Sensibilitätsstörungen) 4 Krampfanfälle 4 Zieve-Syndrom (akutes hämolytisches Syndrom, Leberzirrhose oder Pankreatitis)
Prognose. Abhängig von der Ausgangspopulation. Dauerabstinenz wird bei 30–60% erreicht, aber starke Selektion. Nach dem körperlichen Entzug erhalten nur 10% eine stationäre Kurztherapie, bei einem noch geringeren Anteil zu langfristiger Entwöhnung. Unbehandelt verkürzte Lebenszeit und hohe Suizidrate. Rezidivgefährdung besteht lebenslang, höchstes Rückfallrisiko innerhalb des 1. Jahres.
Zum klinischen Bild des chronischen Alkoholikers
Symptomatik. Typisch ist eine zerebelläre Symptoma-
. Abb. 2.2.
tik mit Ataxie, Dysarthrie, Koordinationsstörungen beim Sprechen, Gehen, Schreiben; Blickrichtungsnystagmus). Vegetative Reaktionen sind erweiterte Hautgefäße, Mydriasis und eine Pulsbeschleunigung. Enthemmung, Euphorisierung, Urteilsschwäche und Selbstüberschätzung zählen zur Bandbreite der psychischen Symptome.
Diagnostik. Klinisch wegweisend sind eine rötliche,
aufgedunsene Gesichtshaut mit Tränensäcken, Teleangiektasien und eine belegte Zunge. Ein Foetor ex ore ist oft stark ausgeprägt. Unverzichtbar ist die Bestimmung von Blutspiegel und/oder Atemalkohol (bis 1,5‰ leichter, bis 2,5‰ mittelschwerer Rausch).
2.7.1.1
Einfacher Rausch
Definition. Passagere Alkoholvergiftung.
! Cave Differenzialdiagnose. Durch Alkohol bedingte, psych-
Bei depressiver Symptomatik besteht die Gefahr der Suizidalität!
iatrische Krankheitsbilder können als akute Intoxikationen oder als metalkoholische Psychosen auftreten. Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die Depression, bei der es hin und wieder beim Versuch einer Selbstheilung zu einem sekundären Alkoholmissbrauch kommt.
Allgemein treten Konzentrations-, Merkfähigkeits-, Orientierungs- und Bewusstseinsstörungen auf. Für die Zeit des Rausches ist oft eine (partielle) Amnesie (Blackout) gegeben.
Therapie. Sie erfolgt als Stufentherapie (. Tab. 2.18).
Diagnostik. Klinische Untersuchung.
2.7 · Missbrauch, Abhängigkeit
. Abb. 2.2. Mindmap Körperliche Störungen bei Alkoholismus
137
2
138
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.18. Therapie des Alkoholismus: Entzug und Entwöhnung sind 2 voneinander abgrenzbare Phasen
2
Phase
Maßnahmen
Entzug
Körperlicher Entzug (I) mit Carbamazepin, evtl. Distraneurin (nur stationäre Anwendung) über 10 Tage, maximal 2 Wochen. Cave: Suchtgefahr!, Clonidin (stationär); unmittelbar danach Motivations(gruppen)behandlung (Entzug II) als Vorbereitung zur Entwöhnung (Dauer: 2–3 Wochen)
Entwöhnung
Ziel ist Abstinenz, d. h. kein Alkohol oder verarbeiteter Alkohol (cave: Arzneimittel!); zunächst stationär, dann ambulante Therapie
Psychotherapeutische (stationäre) Behandlung
Intensive Gruppenbehandlung nach psychoanalytischem oder verhaltenstherapeutischen Prinzipien: Erlernen von Frustrationstoleranz, Aufgabe der Ersatzbefriedigungsfunktion der Droge, Unterstützung von Autonomiebestrebungen, Festlegen einer Tages- bzw. Wochenstruktur, Behandlungsdauer in Spezialkliniken bis 3 Monate; langfristige Teilnahme an Selbsthilfegruppen (Guttempler, Blaukreuz, Anonyme Alkoholiker), später Einbeziehung von Angehörigen
Medikamentöse Therapie
Noch im Erprobungsstadium: Mittel zur Reduktion des Trinkverlangens (Anticraving), z. B. Acamprosat (Campral) (Nebenwirkungen: Hauterscheinungen, gastrointestinale Symptome (Diarrhö); Prinzip der Alkoholmeidung durch Angst vor Unverträglichkeitsreaktionen mit dem Medikament Disulfiram (Antabus), nur bei motivierten Patienten unter ständiger ärztlicher Kontrolle (cave: bei Überdosierung Leberschädigung, Psychosegefahr, Krampfanfälle, deshalb kein Trinkversuch)
Therapie. Bei Erregung u. U. Neuroleptikagabe, sonst ist meist keine Therapie nötig.
2.7.1.2
Komplizierter Rausch
Definition. Stadium der Alkoholintoxikation zwischen
Symptomatik. Desorientiertheit (Situationsverken-
nung), Personenverkennung, Wahrnehmungsstörungen (Halluzinationen), schwere Erregung, sinnlose Gewalttaten, Terminalschlaf und Erinnerungslücken (15 min bis Stunden)
einfachem und pathologischem Rausch. Therapie. Wie beim komplizierten Rausch 7 Kap.2.7.1.2. Symptomatik. Die Symptomatik ist stärker ausgeprägt
als beim einfachen Rausch, hinzu kommen Erregung und Bewusstseinstrübung, öfter auch eine Amnesie, vor allem bei Oligophrenen und hirnorganisch Kranken.
2.7.1.4
Entzugssyndrom Synonym. Abstinenzsyndrom. Definition. Körperliche oder/und psychische Beschwer-
Therapie. Sedierung mit Neuroleptika wie Haloperidol
den bei Entzug von psychotropen Substanzen.
(z. B. Haldol), Chorprothixen (z. B. Truxal), Promethazin (z. B. Atosil), evtl. Diazepam (z. B. Valium) langsam i.v.
Symptomatik. Bei Abhängigen finden sich nach länge-
2.7.1.3
ren Trinkpausen meist zunächst vegetative Symptome (feuchte Hände!).
Pathologischer Rausch
Definition. Der pathologische Rausch ist eine alkohol-
bedingte symptomatische Psychose (Dämmerzustand).
Therapie. Carbamazepin. Ein protrahierter Entzug ist prognostisch ungünstig.
2.7.1.5 Ätiopathogenese. Bei Hirntraumatikern, Epileptikern,
chronischen Alkoholikern; psychoreaktiv bei abnormen Persönlichkeiten auftretend. > Bei Alkoholunverträglichkeit genügt nur eine minimale Alkoholmenge, um einen pathologischen Rausch zu provozieren.
Delirium tremens
Synonym. Alkoholdelir. Definition. Tritt einige Tage nach Entzug als Entzugsdelir (akute organische Psychose mit quantitativer und qualitativer Bewusstseinsstörung, Orientierungsstörungen, Halluzinationen und vegetativen Dysregulationen) oder (selten) als Kontinuitätsdelir auf.
139 2.7 · Missbrauch, Abhängigkeit
Ätiopathogenese. Das Delirium tremens ist auch durch Anticholinergika (Anti-Parkinson-Mittel, Antidepressiva), Neuroleptika, Spasmolytika provozierbar. Unbehandelt kann das Delir 3 bis maximal 20 Tage andauern. Früher nahm das Delir oft einen letalen Ausgang. Symptomatik. Als Prodromi (subdelirantes Syndrom)
gelten Schlafstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Angst, Unruhe (nächtliche Verwirrtheit), Zittern, Schwitzen, Tachykardie, Fieber, Durchfall (vegetatives Entzugssyndrom), Muskelwogen (besonders mimisches Beben). Das Vollbild eines Delirium tremens ist gekennzeichnet durch Bewusstseinstrübung, Störung von Aufmerksamkeit, Auffassung und Immediatgedächnisstörung, Desorientiertheit, Beschäftigungsdrang, motorische Unruhe, Schreckhaftigkeit, Nesteln, gesteigerte Suggestibilität (z. B. Ablesen von einem weißen Blatt), inkohärentes Denken, Konfabulationen, Personenverkennungen, optische und szenische Halluzinationen, Akoasmen. Therapie. Behandelt werden kann mit:
4 Clomethiazol (z. B. Distraneurin) auch im beginnenden Delir möglichst oral, da gute Resorption, nur unter Intensivbeobachtung Infusionen (vermehrte Bronchialsekretion!). 4 Clonidin (Catapresan): nur unter Intensivbedingungen. Bei starker paranoider Symptomatik Kombination mit Neuroleptika (z. B. Haloperidol), Nachteil: Erniedrigung der Krampfschwelle. 4 Carbamezepin zur Anfallsprophylaxe und im Subdelir (schweres Entzugsyndrom; u. U. Vermeidung des Volldelirs) geben. Herz- und Kreislaufstützung gegebenenfalls. Vitamin-B1-Gaben. Eine genaue Beobachtung (Intensivstation) ist indiziert. ! Cave
Symptomatik. Vorherrschend sind akustische Halluzinationen. Syndromatisch sind alle Übergänge zu Delir und Schizophrenie möglich. Die Dauer beträgt Stunden bis maximal 6 Monate. Stimmenhören in dialogischer und kommentierender Form (bedrohlich, Beschimpfungen, Sprechchöre, »Über-Ich«), (Verfolgungs-)Wahn, Angst, durch das Erleben der Patienten erklärbare Handlungen (z. B. Aggressivität gegen vermeintliche Personen), keine Bewusstseinsstörung, Orientierung erhalten, zeitweilige Krankheitseinsicht. Differenzialdiagnose. Dauert eine Alkoholhalluzinose länger als 6 Monate an, Schizophrenie ausschließen. Therapie. Neuroleptika, Abstinenz. Alkoholischer Eifersuchtswahn Durch Impotenz des Alkoholikers und Ablehnung der Partnerin/Ehefrau bedingte seltene Wahnentwicklung. Öfter bei Männern auftretend. Typisch sind groteske Beschuldigungen ohne Krankheitseinsicht. Therapeutisch sind Alkoholabstinenz und (danach) Psychotherapie anzuvisieren.
2.7.1.7
Alkoholisches Korsakow-Syndrom
Synonym. Amnestisches Durchgangssyndrom Definition. Tritt bei Hrinschädigungen verschiedenster Art auf, am häufigsten bei alkoholtoxischen Hirnschäden. Ätiopathogenese. Häufig im Anschluss an Alkoholdelir, an Wernicke-Enzephalopathie oder chronisch-progredient auftretend; bei 3–5% der Alkoholiker; auch nach Monaten noch Besserung möglich, aber auch ungünstige, irreversible Verläufe sind möglich. Symptomatik. Typisch ist die Symptomen-Trias:
Clomethiazol nach etwa 10 Tagen ausschleichend absetzen: Gefahr der Abhängigkeit! Beim abrupten Absetzen: Gefahr von Entzugserscheinungen (Krampfanfall)! Außerdem: Atemdepression, Blutdruckabfall! Keine Alkoholinfusionen (auch aus ethischen Erwägungen) alternativ zu Distraneurin!
2.7.1.6
2
4 Merkfähigkeitsstörungen 4 Desorientiertheit 4 Konfabulationen Hinzu kommt oft flach euphorische Stimmung, Passivität, Auffassungsstörungen, das Kurzzeitgedächtnis ist am stärksten betroffen, Immediatgedächtnis bleibt erhalten.
Alkoholhalluzinose
Definition. Paranoid-halluzinatorische Psychose, die
während chronischen Trinkens, häufiger nach Alkoholexzessen auftritt. Epidemiologie. Relativ seltenes Krankheitsbild.
Diagnostik. Psychostatus, Alkoholanamnese, Klinik, neurologische Untersuchung, CCT. Therapie. Versuch mit Vitamin-B-Komplex, insbesondere Vitamin B1 wird gegeben.
140
2
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
2.7.1.8
Wernicke-Enzephalopathie Synonym. Polioencephalopathia haemorrhagica superior Wernicke.
(in Hustenmitteln), Pethidin (Dolantin), Methadon (Polamidon), Buprenorphin (Temgesic), Tramadol (Tramal) etc.
Definition. Lebensbedrohlicher Zustand infolge Gefäß-
Symptomatik. Typisch sind:
läsionen mit Blutungen im Gehirn. Schwerste Alkoholfolgeerkrankung.
4 Kurz nach der Einnahme: Stimulation, Euphorisierung, Sistieren von Missbefinden, Reaktionsverlangsamung, Rückzug auf das innere Erleben, Abkapselung, Analgesie, hypnogen 4 Nach wenigen Tagen: Gewöhnung mit Dosis-/Toleranzsteigerung und Abhängigkeit mit chronischer Intoxikation, Tonuserhöhung des Parasympathikus (Bradykardie, Blutdruckabfall, Müdigkeit, Miosis), Haarausfall, Stimmungslabilität, Beschaffungskriminalität, Prostitution, Erschleichung von Kleinkrediten, soziale Deprivation, fahle Haut 4 Intoxikation: Enthemmung, Apathie, Ataxie, undeutliche Sprache, Miosis, Vigilanzstörung 4 Entzugserscheinungen (sympathikotone Reaktion): Mydriasis, Schwitzen, Naselaufen, Zittern, Muskelkrämpfe, Tachykardie, Blutdruck- und Temperaturanstieg, Erbrechen, Schlaflosigkeit, Erregungszustände, Drogenhunger (Craving), symptomatische Psychosen (selten), neonatales Abstinenzsyndrom bei Neugeborenen opiatabhängiger Mütter
Ätiopathogenese. Infolge Thiaminmngels, bei Magen-
erkrankungen, Mangelernährung, schweren Infektionskrankheiten etc. Neuropathologisch: bei Blutungen und Gefäßläsionen im Thalamus, den Corpora mamillaria, der Gegend des Aquädukts und des 3. und 4. Ventrikels sowie im Zerebellum vorhanden. Symptomatik. Auffassungs- und Gedächtnisstörungen, Desorientiertheit, Bewusstseinsstörungen (Delir), Vigilanzstörung, Erregungszustände; Augenmuskellähmungen, Pupillenstörungen (Miosis), horizontaler Blickrichtungsnystagmus, zerebelläre Ataxie (Gangataxie), zentralvegetative Störungen (Hypersomnie). ! Cave Die Wernicke-Enzephalopathie muss bei jedem Alkoholiker bedacht werden. Sie ist lebensbedrohlich.
Diagnostik. Psychostatus, Alkoholanamnese, Klinik, neurologische Untersuchung, CCT. Differenzialdiagnose. Korsakow-Syndrom (klinisch oft schwer unterscheidbar, Übergang möglich).
> Mydriasis bei Anoxie nach schwerer Überdosierung mit Opioiden!
Therapie. Vitamin-B1-Gabe (sofort hohe Dosen, dann 100 mg i.v. pro Tag).
Mögliche Komplikationen: Intoxikation (als psychogene Fehlreaktion, als Suizidversuch, als Überdosierung aus Unwissenheit), Spritzeninfektion mit Hepatitis-B-Viren oder HIV.
! Cave
Diagnostik. Trunkenheit ohne Alkohol, vegetative Er-
Keine Glukosegabe vor Vitamin-B1-Gabe wegen Gefahr der Laktatazidose!
Prognose. Die Letalität beträgt 10–20% trotz Therapie.
regungserscheinungen, Einstiche (Hautläsionen), psychische Auffälligkeit (nervös-gereizt, vernachlässigt)
Definition. Starke psychische und körperliche Abhän-
Therapie. Schwere des Entzugs entsprechend der Schwere der Abhängigkeit und Konzentration des Mittels (Reinheitsgrad). Dauer 2 Wochen und länger, Maximum nach zwei Tagen (. Tab. 2.19). Provokation von Entzugssyndromen durch Morphinantagonisten (Daptazile, Lorfan, Narlorphin, Naloxon).
gigkeit bei Missbrauch. Besonders beim Heroin können bereits 2–3 Injektionen abhängig machen (hohes Suchtpotenzial).
2.7.3
Ätiopathogenese. Hierzu gehören: Opium, Morphium hydrochloricum (Alkaloid des Opiums), synthetische Suchtmittel (austauschbar, Kreuztoleranz): Diacetylmorphin (Heroin), Hydromorphon (Dilaudid), Codein
Definition. Psychotrope Droge mit psychischem Suchtpotenzial (nicht körperlich) und langer Halbwertszeit, sodass Kumulationseffekte zu protrahierten Rauschzuständen und verstärkter Symptomatik führen.
2.7.2
Opioide (Morphintyp)
Cannabinoide, Marihuana
141 2.7 · Missbrauch, Abhängigkeit
2
. Tab. 2.19. Therapie von Störungen durch Opioide Stadium
Therapie
Akute Morphinintoxikation mit Bewusstlosigkeit und Atemdepression
Keine Magenspülung, keine Flüssigkeit! Atemwege freihalten. Morphinantagonisten Naloxon (Narcanti£) i.v. 0,2 mg bis zum Wirkungseintritt. Bei Verwendung Beachtung möglicher Suchtpotenz! Ferner Gabe von Tierkohle und Natriumsulfat.
Im Entzug
Niedrigpotente Neuroleptika; Antidepressiva z. B. Doxepin (Aponal); Clonidin (Paracepan), internistische Überwachung!
Zur Entwöhnung
Möglichst drogenfreie Entwöhnung in Behandlungsketten mehrerer Einrichtungen im Verbund mit Psycho- und Soziotherapie; Langzeitbehandlung erforderlich. Für Konsumenten, die noch nicht zur Entwöhnung bereit sind stehen »Drogenkonsumräume« mit hygienischen Bedingungen zur Verfügung. Methadon-Ersatzbehandlung von Entzugserscheinungen der Opiatabhängigen; zwar Gefahr der Suchtstabilisierung sowie der Weitergabe des Suchtpräparates; aber Verringerung des Infektionsrisikos durch Nadeln! Überbrückungsbehandlung! Entkriminalisierung! Zunehmend häufigere Anwendung! Plasmahalbwertszeit von L-Methadon länger als bei Morphin
Ätiopathogenese. Die aktive Substanz ist Tetrahdrocannabinol (THC). In anderen Kulturen hat Haschisch eine ähnliche Funktion wie Alkohol im europäischen Raum. > Haschisch kann Einstiegsdroge sein, hat aber ein wesentlich geringeres Suchtpotenzial als Opioide.
Symptomatik. Typisch sind:
4 Gastrointestinaltrakt: Übelkeit, Erbrechen, Appetitsteigerung, Mundtrockenheit 4 Auge: Konjunktivitis, Mydriasis 4 Tachykardie, Ataxie, Blässe, Schwindel, Fieber 4 ZNS: Halluzinationen, Erregungszustände, Somnolenz, Panikreaktionen, Suizidtendenzen, Depersonalisationserlebnisse, gehobene Stimmung, euphorisch, albern, friedliche, Wahrnehmungsstörungen (akustische und Farbwahrnehmungen intensiver etc., illusionäre Verkennungen), Realitätsveränderungen, Gefühl der Irrealität, Denkstörungen, Verschiebung der Zeit-/Raumdimension 4 Bei Intoxikation: paranoide Gedanken, optische (Pseudo-)Halluzinationen (Formen und Farben), vegetative Störungen (Schwindel, Tränenfluss, Schwitzen, Erbrechen, Übelkeit, Tachykardie, Pupillenerweiterung), Horrortrip mit Angst (sehr selten!); Nachhallzustände (Echophänomene, Flashback) tage- bis wochenlang (bei Anhalten: Differenzialdiagnose Schizophrenie); Wesensänderung bei chronischer Einnahme: adynames Syndrom mit Apathie, Rückzug, evtl. Verwahrlosung Diagnostik. Nachweis im Urin bis. Zu 10 Tagen nach
Einnahme möglich (EMIT-Test).
Therapie. Beruhigendes Gespräch. Bei stärkerer Angst-
reaktion 5–10 mg Diazepam (z. B. Valium) p.o. oder i.v. Neuroleptika. Tranquilizer (Benzodiazepine) Die Wirkung umfasst Anxiolyse, Sedierung, Euphorisierung, Schlafstörungen, psychische und körperliche Abhängigkeit, bei längerfristiger Anwendung Dysphorie, Muskelschwäche, Mundtrockenheit, amnestische Störungen. Tranquilizer dürfen als Schlafmittel nicht länger als 3 Wochen verschrieben werden, wegen der Gefahr der iatrogenen Abhängigkeit! Auch in niedriger Dosis ist eine Niedrig-Dosis-Abhängigkeit nicht selten. Schlaflosigkeit kann als Rebound-Effekt beim Absetzen resultieren. Diagnostisch erfolgt der Nachweis von Benzodiazepinmetaboliten im Urin/Serum. Zur Therapie gehört: 4 Bei akuter Intoxikation, wachem Patienten: Induziertes Erbrechen oder Magenspülung, danach Kohle und Abführmaßnahmen. 4 Bei bewusstlosem Patienten: Flumazenil (z. B. Anexate) initial 0,2 mg = 2 ml i.v., 0,1 mg/min. bis Patient wach ist. Intoxikationserscheinungen möglich, deshalb weitere Überwachung trotz subjektiven Wohlbefindens notwendig. Die Dosis muss bei Leberinsuffizienz reduziert werden, bei Kindern unter 15 Jahren, in Schwangerschaft und Stillzeit strenge Indikationsstellung. Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen, RR- und Frequenzanschwankungen, epileptische Anfälle (selten). 4 Im Entzug: Carbamazepin, bei Bedarf zusätzlich niedrigpotente Neuroleptika. Häufig prolongierte Entzüge über viele Wochen. 6
142
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
4 Entzugserscheinungen: Angstzustände, depressive Verstimmung, Suizidimpulse; Zittern, motorische Unruhe; Schlafstörungen; manchmal Delir und Anfälle.
2
Kokain Die Wirkung umfasst keine Toleranzsteigerung, fehlender körperlicher Entzug, nur psychische Abhängigkeit, maniforme Erregung, Rededrang, sexuelle Enthemmung, euphorische (oder ängstliche) Verstimmung (Kokainschwips), anschließend Apathie, Depression, Sympathikusreaktion, Kokainpsychosen (Delir mit euphorisch/ängstlicher Verstimmung), Kokainwahnsinn (fahrige Betriebsamkeit, Angst, (Verfolgungs-)Wahn und (taktile) Halluzinationen), langfristig Wesensänderung (organisches Psychosyndrom), Impotenz, Dermatozoenwahn, sonstige chronische Psychosen. Therapeutisch ist ein prolongierter Entzug möglich mit Müdigkeit, Unruhe, Angst, Traurigkeit, bei Intoxikationen Gabe von Diazepam, Neuroleptika, bei Blutdrucksteigerung Betablocker. Crack Entspricht mit Bikarbonat (Backpulver) versetztem Kokain. Beim Inhalieren des Rauchs sofortiger »Kick«. Mögliche Folgen sind Psychosen, schwere Kreislaufregulationsstörungen, u. U. Todesfälle. Stimulanzien (Psychotonika) Dazu gehören Weckamine, Amphetamine (Speed) wie Methamphetamin (Pervitin), MDMA (3,4-Methylendioxymetamphetamin, Ecstasy) in der Technoszene und als Appetitzügler weitverbreitet (z. T. rezeptfrei), in der Kinderpsychiatrie bei hyperkinetischem Syndrom angewandt; Verwendung bei Narkolepsie. Typisch sind Antriebssteigerung, Enthemmung, psychische keine körperliche Abhängigkeit, rasche Gewöhnung und Dosissteigerung, geringeres Schlafbedürfnis, akute paranoid-halluzinatorische Psychosen (Angst, Verfolgungswahn, haptische Halluzi-
nationen, Mikrohalluzinationen, ähnlich wie bei Kokainpsychosen, Schlafstörungen (REM-Deprivation, deshalb werden häufig abends Hypnotika, morgens Stimulanzien genommen). Beim Missbrauch von MDMA kommt es zum Flüssigkeitsverlust, Kreislaufversagen (Todesfälle!). Therapeutisch werden bei Psychosen hochpotente Neuroleptika, bei Schlafstörungen niedrigpotente Neuroleptika verabreicht. Symptome beim prolongierten Entzug sind Müdigkeit, Angeschlagenheit, Verstimmung, Angst. Sedativa, Hypnotika, Halluzinogene (Phantastika, Dysleptika) Dazu gehören LSD (Lysergsäurediäthylamid), Psilocybin, Meskalin, Ketamin (Narkotikum), Phencyclidin (Angel Dust, Crystal). Die Wirkung umfasst vegetative Symptome; psychedelische Zustände, meist optische (Pseudo-)Halluzinationen, Depersonalisation, sog. Horrortrips mit Angst, Aggressionen (mögliche Selbst- und Fremdgefährdung), Nachhallpsychosen (Echopsychosen, Flashbacks). Ausgeschlossen werden sollte eine Schizophrenie, der Übergang ist möglich. Therapeutisch werden eingesetzt: 4 Beim Horrortrip: Diazepam, dämpfende Neuroleptika, ruhiges Gespräch 4 Bei prolongiertem Verlauf von LSD-Psychosen: Neuroleptika 4 Nach Phencylidin: Physostigmin 4 Bei Nachhallzuständen: psychotherapeutisches Gespräch Flüchtige Lösungsmittel/Schnüffelstoffe Umfasst das Einatmen von Lösungs- und Reinigungsmitteln (Ether, Chloroform, Azeton, Pattexverdünner etc.), auch Holzleim. Führt zu Intoxikationen mit Rauschzustand und Euphorie, ggf. Ataxie, verwaschene Sprache, Tremor, Bewusstseinsstörungen, Apathie, Aggressivität, Verwirrtheit, kein Entzugssyndrom. Bei chronischem Missbrauch treten irreversible zerebrale Schäden auf.
In Kürze Missbrauch und Abhängigkeit Alkoholismus
5 5 5 5
Symptomatik: Gereiztheit, organische Folgeerkrankungen Ätiologie: Alkoholabusus Diagnostik: Anamnese, Blutalkoholspiegel, körperlicher Befund, Labor Therapie: Stufentherapie (Entzug, Entwöhnung, Psychotherapie, Medikamente
Störungen durch Opioide (Morphintyp)
5 5 5 5
Symptomatik: psychische und körperliche Abhängigkeit Ätiologie: Opium, Morphium, Codein, Pethidin, Tramadol Diagnostik: Einstiche, psychische Auffälligkeiten Therapie: Entzugstherapie
Störungen durch Cannabinoide, Marihuana
5 5 5 5
Symptomatik: psychische, nicht körperliche Abhängigkeit Ätiologie: Tetrahydrocannabinol (THC) Diagnostik: Urinnachweis (EMIT-Test) Therapie: Gesprächstherapie, Diazepam
143 2.8 · Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung
2.8
Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung
2.8.1 Schizophrenie Definition. Schizophrenien (»Spaltungsirresein«) zäh-
len zur Gruppe der endogenen Psychosen. Die gesamte Persönlichkeit ist betroffen und psychopathologisch gekennzeichnet durch Auffälligkeiten des Denkens, der Wahrnehmung und der Affektivität. Der Verlauf kann kontinuierlich oder episodisch (schub- oder wellenförmig) erfolgen, der Patient weist einen deutlichen Mangel an Krankheitseinsicht auf. Ätiopathogenese. Derzeit wird von einer multikau-
salen Pathogenese ausgegangen. Zu den psychogenen Auslösefaktoren zählen ein Ich-Entwicklungsdefizit (Ich-Schwäche, Persistieren der Mutter-Kind-Symbiose, »broken home«) und eine gestörte familiäre Kommunikation (Entwertung, Überprotektion, Rollendiffusion). Eine prämorbide Persönlichkeit ist z. B. ein asthenisch-schizoider Typus mit Distanziertheit, Reserviertheit, geringem emotionalen Kontakt, hoher Empfindlichkeit und Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen. Komplexe Dysbalancen mehrerer Transmittersysteme zählen zu den kausalen Ursachen. Auslösende äußere Faktoren können belastende und entlastende Lebensereignisse sein. Unspezifische Frühwarnzeichen können Hinweise auf eine erneute Krankheitsepisode sein, welche die meisten Patienten an sich wahrnehmen können. Durch gezielte Intervention kann eine akute Phase abgewendet werden. Es ist sinnvoll nach einer Erstmanifestation einen Krisenplan herauszuarbeiten und Strategien festzulegen, wie der Patient sich ggf. zu verhalten hat (Stressreduktion, Aufsuchen des behandelnden Arztes). Häufige Frühwarnzeichen können sein: Nervosität; Anspannung, innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Geräusch-, Licht-, Lärmempfindlichkeit, Abgeschlagenheit, Gereiztheit, Misstrauen, unbestimmte Angst, Niedergeschlagenheit und sozialer Rückzug. Epidemiologie. Die Jahresinzidenz liegt bei 0,03– 0,06%, das Lebenszeitrisiko beträgt ca. 1% der Bevölkerung. Die Prävalenzrate liegt bei 0,5–1% und ist weltweit etwa gleich und unabhängig vom soziokulturellen Hintergrund. Es lässt sich keine Abhängigkeit vom sozialen Status feststellen. Der Häufigkeitsgipfel findet sich zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr (bei Männern 15. bis 24. Lebensjahr, bei Frauen 25. bis 34. Lebensjahr, Frauen erkranken im Schnitt 5 Jahre
2
später). Ca. 2% sind im Kindesalter betroffen, ca. 20% nach dem 40. Lebensjahr als sog. Spätschizophrenie. 90% erkranken vor dem 30. Lebensjahr. Symptomatik. Nach Eugen Bleuler (1911) unterschei-
det man Grundsymptome und akzessorische Symptome (. Tab. 2.20), die passager und komplizierend den Verlauf der Schizophrenie bestimmen können. Der Beginn ist akut oder schleichend. Faktorenanalytisch ergeben sich drei Symptomengruppen: 4 Positivsymptomatik: produktive Symptomatik mit Wahn und Halluzinationen 4 Negativsymptomatik: affektiver Rückzug, Ausdruckverarmung, Antriebsarmut 4 Desorganisierte Symptomgruppe: formale Denkstörungen, Inkongruenz von Denken und Handeln Hinweise auf ein affektives Syndrom liegen vor bei depressiver oder maniformer Symptomatik. Zu den Formen schizophrener Psychosen . Tab. 2.21. Katatoner Stupor Der katatone Stupor ist als Erstarren, Angst, Schrecken und Ratlosigkeit etwa infolge halluzinatorischer bzw. wahnhafter Erlebnisse zu deuten. Die motorische Aktivität bei der katatonen Erregung wird als Möglichkeit verstanden, sich selbst zu spüren. Sie kann Wochen bis Monate, unbehandelt bis zu Jahren dauern. Der Katatone nimmt wahr und hat keine Amnesie!
Diagnostik. Bei der klinischen Untersuchung finden sich Störungen der Feinmotorik (»neurological soft signs«, »clumsiness« der Körperbewegungen) bei etwa der Hälfte der Schizophrenen und Angehörigen ersten Grades. Kennzeichnend ist eine Sakkadierung der langsamen Augenfolgebewegungen. Im CCT/MRT können Atrophien frontal, frontotemporal, im limbischen System und eine Erweiterung des III. Ventrikels sowie der Seitenventrikel sichtbar werden. Die Diagnose erfolgt nach klinischen Kriterien nach Ausschluss von körperlich begründbaren psychischen Störungen. Mindestens ein eindeutiges Symptom der Grundsymptome 1–4 der folgenden Liste oder mindestens zwei Symptome der Symptomgruppen 5–8 müssen mindestens einen Monat bestanden haben. 1. Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung 2. Kontroll- und Beeinflussungswahn; Gefühl des Gemachten; Wahnwahrnehmungen
144
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.20. Grundsymptome und akzessorische Symptome der Schizophrenie Grundsymptome
2
Formale Denkstörungen
Assoziationsstörungen, Zerfahrenheit, Begriffszerfall, Kontamination, Begriffszerfall (Konkretismus, Symbolismus), Sperrung des Denkens oder Gedankenabreißen
Affektstörungen
Parathymie (inadäquater Affekt bezogen auf den Gedankeninhalt; Affekt bzw. Erleben entsprechen nicht dem Affektausdruck), Ambivalenz (beziehungsloses Nebeneinanderbestehen, unvereinbare Erlebnisqualitäten, Entscheidungsunfähigkeit), Stimmungsinstabilität, Ratlosigkeit, die erlebte Gefühlsverarmung, depressive Verstimmungen, auch ekstatische Stimmung mit Glücksgefühl und Entrücktheit, Schuld- und Versündigungsgefühl, Trema (Lampenfieber)
Ich-Störungen
Desintegration von Denken, Fühlen, Wollen, Handeln
Autismus
Rückzug aus der Wirklichkeit, überwiegendes Binnenleben, auch sekundär nach negativen Umwelterfahrungen
Entfremdungserlebnisse
Depersonalisation, Derealisation (eher unspezifisch), Verlust der Meinhaftigkeit (Gefühl, das eigene Ich verloren zu haben), häufig verbunden mit dem Erleben des von außen Gemachten und der Beeinflussung von Fühlen, Wollen und Denken
Akzessorische Symptome Wahn
Verfolgung, Beeinträchtigung, Kontrolle, Vergiftung, die aber auch Berufung und Größe), Apophänie (Offenbarung)
Halluzinationen
Stimmen, Apokalyptik (Weltuntergang)
Katatone Symptome
Motorik- und Antriebsstörungen: Stupor, Mutismus, psychomotorische Unruhe und katatone Erregungszustände, die Haltungs- und Bewegungsstereotypien, Negativismus und Befehlsautomatie
3. Dialogische oder kommentierende Stimmen; Stimmen aus einem Körperglied 4. Bizarrer, völlig »unrealistischer Wahn« 5. Sonstige anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, welche von Wahn oder überwertigen Ideen begleitet werden können 6. Gedankenabreißen, Zerfahrenheit, Danebenreden, Neologismen 7. Katatone Symptome 8. Negative Symptome wie Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte, gefolgt von sozialem Rückzug Differenzialdiagnose. Enzephalitis (Lumbalpunktion),
malignes neuroleptisches Syndrom.
möglich ist. Halluzinatorisches Verhalten darf angesprochen werden. 4 Unruhige, aggressive Patienten sollten in einem beruhigenden Gespräch aus ihrer Erregung zurückgeholt werden. Hilfe holen bei Gefahr, gegebenenfalls wird mit Gewalt mediziert und im Bett mit Bauchgurt bzw. an Händen und Füßen fixiert. Genaue rechtliche Vorgehensweise und Dokumentation in Erfahrung bringen! Dies erfolgt immer als ärztliche Anordnung und muss mit exakten Zeitangaben dokumentiert werden! Dem Patienten ist zu erklären, weshalb man so vorgehen musste. 4 Insgesamt ist zum Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung wichtig, dem Patienten die Möglichkeit zu lassen, Nähe und Distanz selbst zu bestimmen.
Therapie. Umgang mit schizophrenen Patienten:
4 Wahnhaften Patienten zuhören, aber wenige Fragen stellen. Der Patient mit seinem Wahn sollte akzeptiert werden, aber nicht so tun als ob man Wahninhalte für die Realität hält. Erst später sollte geprüft werden, ob eine Distanzierung zum Wahn
In Abhängigkeit vom aktuellen Befinden, Begleiterkrankungen (depressive Symptomatik) und Verlauf der Erkrankung (Rezidiv, Therapieresistenz) werden Neuroleptika in unterschiedlicher Dosierung und Darreichungsform gegeben (. Tab. 2.22 und . Tab. 2.23).
145 2.8 · Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung
2
. Tab. 2.21. Formen schizophrener Psychosen Form
Manifestationsalter
Symptome
Besonderheiten
Hebephrenie
Beginn in der Adoleszenzzeit bzw. im frühen Erwachsenenalter
Leistungsknick; auffällige Symptome: läppische Gestimmtheit, Affektindolenz, Grimassieren, Faxen, Manierismen; Rückzug, Beziehungslosigkeit, auch Enthemmung; abschweifend, verfahren, konfus, häufig Wahnvorstellungen
In den Vorstadien wird oft eine Beschäftigung mit Themen wie Religion, Philosophie, Esoterik, Parapsychologie beobachtet
Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie
Erkrankungsgipfel liegt um das 4. Lebensjahrzehnt; häufigste Form schizophrener Psychosen
Vor allem schizoide, sensitive Persönlichkeiten sind betroffen. Akoasmen, Körperhalluzinationen. Nach abklingendem Schub tritt eine allmähliche Distanzierung von den Wahninhalten ein, häufig mit erheblicher Ambivalenz gegenüber dem Wahn
Persönlichkeit bleibt überwiegend intakt
Schizophrenia simplex
Seltene Diagnose; prognostisch ist ein ungünstiger Verlauf die Regel
Im Vordergrund stehen ein Antriebsdefizit, Initiativeverlust und ein Mangel an Vitalität und Aktivität. Charakteristisch ist ein Knick in der Lebensentwicklung. Häufig wird ein Übergang in einen Residualzustand beobachtet.
Keine auffälligen produktiven Symptome vorhanden
Katatone Formen; febrile (perniziöse) Katatonie (seltene, lebensbedrohliche Sonderform): mit Erregung oder häufiger Stupor hohes Fieber, Kreislaufstörungen und Exsikkose
Beginnt im frühen Erwachsenenalter mit häufig plötzlicher Manifestation; Prognose ist eher günstig
Erstarren mit Katalepsie (Haltungsverharren), Haltungsstereotypien und Mutismus sind typische Erscheinungsbilder katatoner Formen. Die katatone Erregung ist gekennzeichnet durch Toben, Schreien, Bewegungssturm mit starker motorischer Aktivität, Aggressivität, Selbst- und Fremdgefährdung. 4 Echopraxie (spiegelbildliche Wiederholungen von Handlungen des Gegenübers) 4 Echolalie (lalein gr. sprechen); Sprachstereotypien 4 Aktiver und passiver Negativismus (tut das Gegenteil oder nichts bei Aufforderungen)
Die Feststellung der wächsernen Biegsamkeit (Flexibilitas cerea) und der kataleptischen Starre erfolgt durch das Hochheben einer Extremität oder auch des Kopfes (»orreiller psychique« – psychisches Kissen) mit anschließender Beibehaltung dieser Stellung. Bei erfolgloser Behandlung mit Neuroleptikainfusion Indikation für Elektrokrampftherapie! Flüssigkeitszufuhr!
Vielfältige Koenästhesien (Leibgefühlsstörungen, wie Nichtvorhandensein von Organen) und Körperhalluzinationen (z. B. Elektrisiertwerden am Genitale, Verfaulen der Leber) sind typisch
Ausgeprägt ist das Kriterium des von außen Gemachten (durch fremde Mächte etc.)
Negativsymptomatik (Affektverflachung, verminderte Aktivität, mangelnde Körperpflege etc.)
Zusätzlich subjektive Basisstörungen (nach Huber), wie erlebte Denkstörungen, Ordnungsverlust, Einfallsverarmung, Verständnisbeeinträchtigung und Blockierungen
Koenästhetische Form (Huber 1957)
Schizophrenes Residuum
Chronisches Stadium nach früherer akuter schizophrener Episode
146
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.22. Wichtigste Neuroleptika zur Behandlung von Symptomen schizophrener Psychosen
2
Wirkstoffgruppe
Niederpotent/hochpotent
Freiname (Handelsname)
Phenothiazine
Niederpotent: sedierend, vegetative Begleiterscheinungen
Levomepromazin (z. B. Neurocil), Perazin (z. B. Taxilan)
Höher- bis hochpotent: antipsychotisch; extrapyramidale Nebenwirkungen
Chlorperphenazin (z. B. Decentan), Fluphenazin (z. B. Lyogen, z. B. Dapotum)
Thioxantene
Hochpotent
Flupentixol (z. B. Fluanxol), Clopentixol (z. B. Ciatye)
Butyrophenonderivate
Hochpotent: antipsychotisch; außerordentliche extrapyramidale Nebenwirkungen
Haloperidol (z. B. Haldol), Benperidol (z. B. Glianimon)
»Atypische” Neuroleptika
Nieder- bis mittelpotent: geringe extrapyramidale Nebenwirkungen
Bei Therapieresistenz: Clozapin (z. B. Leponex)
Höher- bis hochpotent: kaum extrapyramidale Nebenwirkungen
Zotepin (z. B. Nipolept), Olanzapin (z. B. Zyprexa), Amisulprid (z. B. Solian), Risperidon (z. B. Risperdal)
. Tab. 2.23. Therapieschema Symptom/Zustand
Niederpotent/hochpotent
Freiname (Handelsname)
Akute Psychose
Hochpotente Neuroleptika (initial bevorzugt: atypische Neuroleptika
Clozapin (z. B. Leponex); Chlorperphenazin (z. B. Decentan), Fluphenazin (z. B. Lyogen, z. B. Dapotum)
Zusätzliche Spannungs- und Erregungszustände
Nur für kurze Zeit: Benzodiazepine (Tranquilizer)
Diazepam (z. B. Valium)
Katatoner Stupor
Infusionen mit hochpotenten Neuroleptika (evtl. Clozapin zusätzlich)
Nach akuter Erstmanifestation
(Depot-)Neuroleptikum für einige Monate
Fluphenazin (z. B. Lyogen, z. B. Dapotum) oder Flupentixol (z. B. Fluanxol)
Nach Zweitmanifestation
1–2 Jahre Weiterbehandlung, nach mehrfachen Rezidiven mit einer Dauermedikation eines Depotneuroleptikums; bei zuverlässigen Patienten können orale (stark- bis mittel)potente Neuroleptika gegeben werden, hierbei ist neueren atypischen Neuroleptika der Vorzug zu geben (evtl. Clozapin)
Fluphenazin (z. B. Lyogen, z. B. Dapotum) oder Flupentixol (z. B. Fluanxol) als Depotneuroleptikum Bei zuverlässigen Patienten: Zotepin (z. B. Nipolept), Olanzapin (z. B. Zyprexa), Amisulprid (z. B. Solian), Risperidon (z. B. Risperdal); Clozapin (z. B. Leponex)
Febrile Katatonie, medikamentöse schwer beherrschbare hochgradige Unruhe und Verwirrtheit (»Delirium acutum«)
Lebensrettend: Elektrokrampftherapie (s. unten)
Interaktionen mit anderen Medikamenten sind zu beachten, so können Anti-Parkinson-Mittel mit zentraler anticholinerger Wirkung die neuroleptische Potenz verringern, Koffein kann die Wirkung von Neuroleptika herabsetzen.
! Cave Glaukom und Prostatahyperplasie sind Kontraindikationen für eine Neuroleptikatherapie, Herzreizleitungsstörungen beachten!
147 2.8 · Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung
Hochpotente Butyrophenone oder Phenothiazine können zur Ausprägung von Früh-, insbesondere aber von Spätdystonien oder -dyskinesien führen. Antiparkinsonmittel verstärken die Ausbildung von Spätdyskinesien, welche nur schwer therapierbar sind.
2
> Medikation, unterstützende Psychotherapie und strukturierende Soziotherapie gelten in Kombination als erfolgversprechende Rezidivprophylaxe.
2.8.2 Schizoaffektive Störung
! Cave Clozapin-Anwendung nur unter engmaschiger Blutbildkontrolle wegen erhöhter Agranulozytosegefahr.
Synonym. Schizoaffektive Psychosen, Mischpsychosen, atypische endogene Psychosen.
Bei febriler Katatonie und medikamentös schwer beherrschbaren Zuständen hochgradiger Unruhe und Verwirrtheit (Delirium acutum) kann die Elektrokrampftherapie lebensrettend sein. Sie erfolgt in Kurznarkose, Muskelrelaxation und mit O2-Beatmung. Die Risiken entsprechen der einer Kurznarkose. Vorübergehend kommen Gedächtnisstörungen vor, es wurde jedoch keine Substanzschädigung nachgewiesen.
wie bei Manie (7 Kap. 2.9.4) oder wie bei Depression/ Melancholie. Zusätzlich sind Symptome der schizophrenen Psychose vorhanden.
! Cave
Diagnostik. Die Abgrenzung gegen Schizophrenie und
Elektrokrampftherapie: Somatische Voruntersuchungen sind notwendig, beachte vor allem den Hirndruck!
Im Rahmen einer Psychotherapie und Sozialtherapie/ Rehabilitation sind stützende Gespräche indiziert, um isolatorischen Tendenzen entgegenzuwirken. Es sollte eine Psychoedukation erfolgen mit Aufklärung über Krankheitserscheinungen und Therapie und anschließender Übungsphase und Realitätstraining. Dazu gehören auch eine Verhaltenstherapie, kognitives Training mit computergesteuerten Lernprogrammen, Musiktherapie, Ergotherapie ebenso wie Angehörigenarbeit und Familientherapie. Behandlungsinstitutionen, wie Tageskliniken, therapeutische Wohngemeinschaften und Patientenclubs, sollten möglichst gemeindenah gelegen sein. Wichtig ist eine vertrauensvolle Beziehung zum Patienten, in der der Patient lernen kann, die Dosis seiner vielen nebenwirkungsreichen Medikamente entsprechend seiner Symptomwahrnehmungen zu variieren.
Definition. Zählt zu den endogenen Psychosen, zeigt Symptome sowohl aus dem schizophrenen als auch aus dem manisch-depressiven Formenkreis. Symptomatik. Entweder zeigt sich eine Symptomatik
affektive Störungen ist ein diagnostisches Problem, es gibt keine klare Definition. Zykloide Psychosen (nicht auf äußeren Einflüssen beruhende schwere psychische Störung) sind eine Sonderform schizoaffektiver Psychosen. Therapie. Neuroleptikagabe bei schizomanischen und -depressiven Phasen. Bei letzterem sollten außerdem Antidepressiva gegeben und eine stützende Psychotherapie erfolgen, bei Therapieresistenz sollte eine Elektrokrampftherapie erwogen werden. In symptomfreien Zeiten kommt eine Phasenprophylaxe mit Carbamazepin und Lithium zum Einsatz, unter Umständen zweigleisig mit (Depot-)Neuroleptika. Prognose. Der Verlauf ähnelt demjenigen der bipolarer Psychosen und ist phasenhaft. Im Intervall entwickelt sich ein Restitutio ad intgegrum. In der Regel ist kein Residuum und Persönlichkeitsdefekt zu erwarten. Langfristig gesehen ist die Prognose günstig.
2.8.3 Anhaltende wahnhafte Störung
! Cave Überforderung durch therapeutische Maßnahmen kann zu Suizidalität führen. Daher ist eine langsame Belastungssteigerung durch Patient und Therapeut vorsichtig auszuloten.
Definition. Wahnentwicklung ohne begleitende pro-
duktive Symptome wie Halluzinationen und ohne tiefgreifende Persönlichkeitsveränderung. Ätiopathogenese. Die Ursache lässt sich oft nicht nach-
Prognose. Ein Drittel heilt folgenlos ab, ein Drittel re-
zidiviert mit leichtem Residuum und ein Drittel hat beträchtliche bis schwere Dauerdefekte. Mit zunehmendem Alter tritt eine Tendenz zur Schwächung und Milderung der Erkrankung ein.
weisen. Symptomatik. Chronische, nichtschizophrene parano-
ide Psychosen mit Paramnesien und Sinnestäuschungen gehören dazu (. Tab. 2.24).
148
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.24. Formen von Wahnentwicklung
2
Form
Charakterisierung
Paranoia
Ein nichtschizophrener chronischer systematischer Wahn, der sich auf Eifersucht, Verfolgung, Beeinträchtigung etc. bezieht
Sensitiver Beziehungswahn (Kretschmer)
Er entwickelt sich aus dem Zusammentreffen von Charakter (sensitiver Persönlichkeitsstruktur), Erlebnis (persönliche Niederlage) und sozialem Milieu. Aus dem Primärerlebens der peinlichen Kränkung und der Minderwertigkeit entsteht die Gewissheit, von allen betrachtet, gekannt und verachtet zu werden. Es handelt sich um die Negativvariante des Größenwahns und ist schwer vom Begriff der »Paranoia« abzugrenzen. Frauen sind häufiger betroffen mit einem Beginn ab dem 40. Lebensjahr. Ein Teil der Fälle geht in eine Schizophrenie über. Die Prognose ist nicht primär ungünstig bei frühzeitigem Beginn der Therapie
Querulantenwahn (Paranoia querulans)
Psychopathologisch handelt es sich um einen Übergang von einer überwertigen Idee zum systematisierten Wahn. Die prämorbide Persönlichkeitsstruktur ist starrsinnig, rechthaberisch, häufig nachdrücklich und kampfeslustig. Auslöser ist eine wirkliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit. Häufig folgt jahrelanges Prozessieren mit schlüssiger Argumentation. Der Verlauf ist im Allgemeinen ungünstig und therapeutisch schwer beeinflussbar
Eigengeruchsparanoia
Entweder als isolierter eingebildeter Wahrnehmunswahn von unangenehmen Gerüchen (z. B. Fäkalgeruch) oder als Symptom ihm Rahmen schizophrener Psychosen
Dysmorphophobie
Wahn: Aufgrund eines vermeintlichen oder tatsächlichen Körperfehlers von anderen Menschen abschätzig beurteilt zu werden. Plastische Chirurgen sollten einen Psychiater hinzuziehen. Folgen der Wahnentwicklung: depressive Verstimmungen, suizidale Handlungen, psychotische Dekompensation, gelegentliches Symptom bei Beginn einer Schizophrenie
Dermatozoenwahn
Gewissheit, dass am Körper kleine Tierchen (Parasiten, Würmer) vorhanden sind (Missempfindugen, taktile Halluzinationen). Psychiater werden gemieden, stattdessen werden Dermatologen und Hygieniker aufgesucht. Vorwiegend ältere Frauen mit psychoorganischen Erkrankungen (v. a. Demenz) sind betroffen
(Prä)seniler Beeinträchtigungswahn/Kontaktmangelparanoid
Im Alter auftretender Wahn (mit demenziellen Prozessen), bei vereinsamten Personen und nach Verlust des Kontakts zur Umwelt. Er kann jahrelang verborgen bleiben
Wahnentwicklung bei Schwerhörigen
Ähnlich wie beim Kontaktmangelparanoid auch nach Hörverlust. Vergleichbare Störungen entwickeln sich in sprachfremder Umgebung sowie in sensorisch-deprivierender Situation
Induzierte wahnhafte Störung (symbiotischer Wahn, »folie à deux«)
Ein nichtwahnhafter Partner oder die Familie (Gruppe) eines Primärerkrankten (Induktor) übernimmt dessen Wahnsymptomatik. Typischerweise besteht ein enge symbioseähnliche Verbindung mit der Familie oder dem Partner bei gleichzeitiger Abkapselung gegenüber der Außenwelt (»encapsulated unit«). Die Primärerkrankung ist oft eine paranoide Schizophrenie. Erfolgreiche Therapie des Induktors korreliert mit Gesundung der Induzierten. Differenzialdiagnostisch muss ein konformer Wahn abgegrenzt werden: unabhängige, individuelle Erkrankung aber zusammenwachsende Ausformung zu einer Wahnsymptomatik
Diagnostik. Anamnese, Psychostatus. Differenzialdiagnose. Spät auftretende, rein wahnhafte,
chronisch verlaufende Schizophrenie (Paraphrenie, schwierige Abgrenzung).
Therapie. Häufig fehlt eine Behandlungsbereitschaft
von Seiten des Patienten, die Therapie ist dann schwierig mit ungewissem Ausgang. Eine guter Beziehungsaufbau und u. U. eine sozialtherapeutische Betreuung kommen eine große Bedeutung zu. Zusätzlich ist die Gabe von Neuroleptika und/oder Antidepressiva indiziert.
149 2.9 · Affektive Erkrankungen
2
In Kürze Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
2.9
Schizophrenie
4 Symptomatik: Grundsymptome (formale Denkstörungen, Affektstörungen, Ich-Störungen, Autismus, Entfremdungserlebnisse), akzessorische Symptome (Wahn, Halluzinationen, katatone Symptome) 4 Ätiologie: multikausal 4 Diagnostik: Klinik, CCT/MRT 4 Therapie: Psychotherapie, Neuroleptika, Sozialtherapie, Elektrokrampftherapie
Anhaltende wahnhafte Störung
4 4 4 4
Symptomatik: paranoide Psychosen, Paramnesien, Sinnestäuschungen Ätiologie: unbekannt Diagnostik: Anamnese, Psychostatus Therapie: Soziotherapie, Neuroleptika/Antidepressiva
Schizoaffektive Störung
4 4 4 4
Symptomatik: Manie, Depression/Melancholie Ätiologie: multikausal Diagnostik: keine klare Abgrenzung zu Schizophrenie und affektiven Störungen Therapie: Neuroleptika/Antidepressiva, Elektrokrampftherapie, Cabamazepin, Lithium
Affektive Erkrankungen
2.9.1 Depressive Störung Synonym. Depressive Episode. Definition. Herabsetzung der Stimmung ohne ersicht-
lichen Anlass. Ätiopathogenese. Genetische Prädispositionsgene und Assoziationsbefunde (Serotonin-Transporter-Gen, Catecholamin-O-Methyltransferase-Gen) werden angenommen. Monoaminhypothese: Balancestörung der biogenen Amine im ZNS (Serotonin, Noradrenalin, Dopamin) ist Mitauslöser von Depressionen (und Manien). Gedrosselte (bei Manien gesteigerte) monoaminerge Neurotransmission, Neurotransmittermangel im synaptischen Spalt, Dysfunktionen prä- und postsynaptischer Rezeptoren. Endokrine Störungen sind gehäuft bei schwerer Depression (Hochregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebenrinden-Achse: Hyperkortisolismus, Dexamethason-Hemmtest pathologisch). Bei depressiver Episode (»major depression«) mit melancholischer Symptomatik, oft sog. Typus melancholicus (Tellenbach), ist die prämorbide Persönlichkeit gekennzeichnet durch: Überangepasstheit, Zwanghaftigkeit, ausgeprägter Ordnungsliebe, Autoritätskonflikte.
Auslöser können sein: körperliche Erkrankungen, hormonelle Störungen, Operationen, Abmagerungskuren, Wochenbett, Klimakterium; Konflikte, Einsamkeit/Vereinsamung, Kränkungen, Umzug, Entlastung. Präventiv wirkt allgemein die Vermeidung von traumatischen Erlebnissen in der Kindheit, emotionale Kühle, Abwendung oder Abwesenheit signifikanter Bezugspersonen, Arbeitslosigkeit, sozialer Verelendung und Isolation. Symptomatisch betroffen sind (. Tab. 2.25): 4 Affektivität: Traurigkeit, Bedrücktheit bis zu Gefühlen innerer Leere, Gefühllosigkeit, Sinn- und Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Resignation, Insuffizienz, eigene Wertlosigkeit, Unfähigkeit zur Freude und Verlust, häufig quälende Unruhe/ Angst, Tagesschwankungen (Morgentief und abendliche Besserung) von Stimmung und Antrieb sind typisch für melancholischen Subtyp, aber auch Aggressivität gegenüber anderen und sich (Suizidgefahr!). 4 Antrieb: Der Antrieb ist gehemmt (gehemmte Depression): Energielosigkeit; Initiativeverlust, erhöhte Ermüd- und Erschöpfbarkeit; Arbeitsunfähigkeit), bis hin zum depressiven Stupor (kaum Reaktionen auf Ansprache, kaum Bewegung). Der Antrieb kann aber auch gesteigert (agitierte Depression) sein. Typisch ist eine innere oder/und Symptomatik.
150
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.25. Spezielle Formen der depressiven Episode Melancholische Depression
Freudlosigkeit, innere Leere, Appetitlosigkeit, Insuffizienz- und Schuldgefühle, Schlafstörungen
Psychotische Depression
Stimmungskongruente (synthyme) Symptome: (Pseudo)Wahn und stimmungsinkongruente (parathyme) Symptome: Eingebung, Wahn, Halluzinationen
Atypische Depression
Atypisch, weil affektive Reagibilität und Modulationsfähigkeit erhalten, Appetit ist untypischerweise gesteigert, gesteigerte Schlaffähigkeit, bleierne Gliederschwere, hohe Kränkbarkeit, oft mit neurotischer Komponente
Kurzfristige rezidivierende depressive Störung
Weniger als 2 Wochen, oft nur 3 Tage anhaltend oder stundenlang mit erheblichem Schweregrad und Suizidgefährdung!
Saisonale Depression
Jahreszeitliche Gebundenheit (Herbst/Winter) mit Besserung bzw. Remission im Frühling
2
motorisch geäußerte Unruhe mit deutlich geäußerter Verzweiflung. 4 Denken: Denkhemmung (verlangsamt, einförmig). Inhaltlich herrschen vor depressiver Wahn mit Schuld- und Versündigung, Verarmung (existenzielle Angst), hypochondrischer Krankheitswahn (irrationale Sorge um eigene Gesundheit), nihilistischer Wahn (Cotard-Syndrom): Vernichtung (Familie, Existenz, Welt). Zwangsgedanken können eine führende Rolle spielen (anakastische Depression), auch Tötungsimpulse. 4 Kognitive Leistungen: Pseudodemenz, quälende Unfähigkeit zu Aufmerksamkeit, Konzentration, Auffassung, Lernen. 4 Vitalstörungen, vegetative Symptome: Schlafstörungen; Libidoverlust; Erschöpfung; körperliche Missempfindungen; Übelkeit, Obstipation; Zoenästhesien (Stromgefühl); Gewichtsabnahme. > Pathologisches Weinen bezeichnet hingegen eine psychische Störung aufgrund einer erworbenen Schädigung des Gehirns.
len Kortex, anteriorem Zingulum und Amygdala und einen verminderten Blutfluss im orbitofrontalen Kortex, z. T. bestehen diese Veränderungen auch im symptomfreien Intervall. Strukturell zeigt sich eine Volumenminderung der Frontal- und Parietallappen, des Hippokampus sowie der Basalganglien. Eine neuropsychologische Testung ergibt verminderte kognitive Leistungen. Chronobiologisch zeigt sich eine verkürzt REM-Schlaf-Latenz mit einem insgesamt erhöhten REM-Anteil am Schlaf und vermindertem Tiefschlafanteil. Differenzialdiagnose. Depressive Verstimmungen bei
Schizophrenien, depressiv-organisches Psychosyndrom; Depression aufgrund somatischer Grunderkrankungen (z. B. Hypothyreose), pharmakogene Depression. Therapie. Psychotherapeutische und pharmakologische Maßnahmen stehen an erster Stelle (. Tab. 2.26).
2.9.2 Rezidivierende depressive Weitere Depressionen Einige klinisch relevante Konstellationen erfordern eine speziell abgestimmte Therapie, jedoch rechtfertigen sie nicht die Einordnung in eine spezielle Depressionsform. 4 Postpartale Depression 4 Erschöpfungsdepression 4 Somatisierte, larvierte Depression (verschoben in körperliche Beschwerden) 4 Involutionsdepression (Erstmanifestation zwischen dem 45. bis 65. Lebensjahr) 4 Depression im Senium (nach dem 65. Lebensjahr)
Diagnostik. Eine funktionelle Bildgebung (PET) zeigt
vermehrten Blutfluss im lateralen inferioren präfronta-
Störung Definition. Ähnelt der depressiven Episode, jedoch entfallen die melancholische Depression und psychotische Symptome. Wiederkehrende anhaltende depressive Störung von 2 Jahren Dauer ohne längere Unterbrechung von 2 Monaten. Ätiopathogenese. 7 Kap. 2.9.1. Symptomatik. 7 Kap. 2.9.1. Diagnostik. 2 Jahre Dauer ohne längere Unterbrechung der Symptomatik von 2 Monaten.
151 2.9 · Affektive Erkrankungen
2
. Tab. 2.26. Therapeutische Maßnahmen bei depressiver Symptomatik Antidepressiva
Selektive Serotonin- bzw. Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer oder trizyklische Antidepressiva; bei Versagen: Kombination von genannten Medikamenten und/oder Augmentation mit Lithiumsalzen oder T3/T4. Eventuell Monoaminooxidasehemmer (2. Wahl). Bei psychotischen Symptomen: zusätzlich Neuroleptika. Rezidivprophylaxe: Dauermedikation mit Antidepressiva; u. U. sind Lithiumsalze wirksam
Elektrokrampftherapie (EKT)
Bei Versagen nach zwei aufeinander abgestimmten psychotherapeutischen und pharmakologischen Therapien. Hochwirksam bei depressiven Episoden mit melancholischem Subtypus (besonders bei synthymen Wahn)
Schlafentzug (Wachtherapie)
Totaler oder partieller Schlafentzug (2. Nachthälfte) mit meist nur kurz anhaltender Milderung depressiver Episoden
Lichttherapie
Bei Winterdepression: Applikation von sehr hellem Licht (bevorzugt morgens) für 1–2 h/Tag über 1–3 Wochen mit raschem Eintritt von Besserung (innerhalb von 3–4 Tage)
Supportive Psychotherapie
Gezielte Unterstützung von persönlichen Ressourcen
Kognitive Psychotherapie nach Beck
Abbau negativer Kognitionen (Kognitive Triade: negative Sicht von sich selbst, der Umwelt und der Zukunft)
Interpersonale Psychotherapie nach Klerman und Weissman (IPT)
Fokussierte Kurztherapie, in der das Krankheitskonzept und die mit der depressiven Symptomatik zusammenhängenden zwischenmenschlichen Probleme bearbeitet werden
Psychodynamische Psychotherapie
Ungelöste und pathologische, teilweise auch unbewusste Konflikte werden herausgearbeitet und Lösungsstrategien erarbeitet
Differenzialdiagnose. Depressive Episode, depressive Reaktion, organische Depressionsformen. Therapie. Wie bei depressiven Episoden mit einer qualifizierten Psychotherapie (wirksam: psychodynamisch, kognitiv und interpersonell). Die Angehörigen stehen unter großem Leidendruck vor allem bei Chronifizierung und bedürfen einer Mitbehandlung.
Ätiopathogenese/Symptomatik/Diagnostik/Therapie. 7 Kap. 2.9.1.
2.9.4 Manie Definition. Manische (griech. Mania: Begeisterung, Besessenheit, Raserei) Psychose meist ohne subjektives Krankheitsgefühl.
Prognose. Die persistierende depressive Episode ist
eine Chronifizierung aufgrund von Fehldiagnosen und damit der fehlenden Einleitung intensiver antidepressiver Therapie (auch EKT). In 20% der Fälle bildet sich depressiver Residualzustand aus, der in seiner Symptomatik der Dysthymie gleicht. Hier ist die Prognose ungünstig. 2.9.3 Anhaltende affektive Störung Definition. Anhaltende affektive Störungen sind die
Dysthymie (dauerhaft leicht depressive Stimmung) und die Zyklothymie (dauerhaft zwischen leicht depressiv und leicht gehoben wechselnde Stimmung).
Ätiopathogenese. 7 Kap. 2.9.1. Symptomatik. Betroffen sind:
4 Affektivität: gehobene Stimmung, selbstüberschätzend, gereizt, aggressiv, distanzlos 4 Antrieb: gesteigert, (psychomotorische) Erregung, enthemmt, promiskuitiv, Umsetzen von Größenideen in Taten, initiale Leistungssteigerung schwenkt um durch fehlende Zielorientiertheit und Fokussierung 4 Denken: formal handelt es sich um eine Ideenflucht (beschleunigtes Denken, ständig neue Einfälle, dabei sprunghaft und ablenkbar), Extremform: verworrene Manie; inhaltlich: Größenwahn
152
2
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
und Wahnbildungen mit Beobachtungs- und Verfolgungsthematik 4 Kognitive Leistungen: subjektiv eher gesteigert, objektiv z. T. ausgeprägte Aufmerksamkeitsmangel und fehlende Konzentrationsfähigkeit, die teilweise persistieren; erschwertes Lernen 4 Vitalsymptome: Schlafstörungen (z. T. nicht quälendes extremes Schlafdefizit); gesteigerte Libido/ Potenz; eventuell Gewichtsabnahme (ohne Appetitstörung)
4 Bipolar-II-Störung. Zusätzliches Auftreten von
hypomanen Episoden, erhöhte Suizidgefahr. Zyklothymia Persistierende, mit bipolarer Symptomatik einhergehende Erkrankung. Jedoch liegen nur subdepressive oder hypomane Symptomkonstellationen vor. Diagnose nur bei Mindestdauer von 2 Jahren ohne Symptomfreiheit über 2 Monaten.
Diagnostik. 7 Kap. 2.9.1 > Hypomanie. Kurz dauernde Variante (mindesten vier Tage) der Manie mit geringerer Ausprägung. Häufige Nichtbeachtung und Bagatellisierung mit medizinischen und forensischen Konsequenzen.
! Cave Bei allen Bipolaren Störungen ist die Suizidgefahr erhöht, hypomane Episoden dürfen nicht unterschätzt werden.
Diagnostik. Fremdanamnese einholen. Die Psychopathologie ist eindrucksvoll und daher meist eindeutig.
Differenzialdiagnose. Hypomanie, Manie, organische
Differenzialdignose. Bei psychotischen Symptomen
und substanzbedingte Störungen. Schizoaffektive Psychosen, Schizophrenien (oft erst im Verlauf abzugrenzen.)
schwierige Abgrenzung von schizoaffektiven und schizophrenen Psychosen. Schizomanische Störung. Hyperthyme Persönlichkeit als dauerhaftes Merkmal. Somatische Erkrankungen können manische Symptome hervorrufen. Therapie. Oft ist eine stationäre Aufnahme (nach dem psychiatrischen Krankengesetz) erforderlich. Die somatische Therapie erfolgt stimmungsstabilisierend (Lithium, Valproat oder/und (Ox-)Carbamazepin) und hochpotent neuroleptisch. Eine Psychotherapie ist häufig schwierig.
2.9.5 Bipolare Störung Synonym. Bipolare affektive Störung Definition. Manische und depressive Symptomatik im phasenhaften Wechsel, ggf. mit symptomfreien Intervallen.
Therapie. Im Vordergrund steht die Behandlung der manischen oder depressiven Akutsymptomatik. In den USA ist Standard, eine Stimmungsstabilisierung zu erreichen und zu erhalten durch Gabe von Lithiumsalzen und/oder Valproat/(Ox-)Carbamazepin (Antiepileptika: bei ungenügender Stabilität oder erneutem Auftreten von Phasen), ggf. Lamotrigin (bei Neigung zu depressiven Phasen). Bei ungenügendem Therapieanschlag Gabe von Antidepressiva (bei bestehender Stimmungsinstabilität) bzw. hochpotenten Neuroleptika (atypische vor typischen). Atypische Neuroleptika wie Clozapin und Olanzapin wirken vorteilhaft stimmungsstabilisierend. Ein Nachteil könnte jedoch eine unzureichende Besserung der Akutsymptomatik sein mit entsprechender Gefährdung. > Langzeitprophylaxe dringend notwendig mit Lithiumsalzen, ggf. zusätzliche Medikation bei schwerpunktmäßigen Phasen.
4 Bipolar-I-Störung: Möglicher Substanzmiss-
Wenn die medikamentöse Therapie versagt, wird EKT (Elektrokrampftherapie) angewandt. Bestanden mindestens 4 affektive Episoden innerhalb der letzten 12 Monate (»rapid cyclings«, begünstigend sind hohe Phasenhäufigkeit, lang andauernde Behandlung mit Antidepressiva, weibliches Geschlecht, Menopause, Hyperthyreose, Stimulanzien und Alkoholmissbrauch), kann mit Valproat eine gute Wirkung erzielt werden. In beiden Fällen stimmungsstabilisierende Therapie anschließen.
brauch, Komorbidität mit Persönlichkeitsstörungen sind häufig. Die Bagatellisierungsneigung ist ausgeprägt.
Prognose. Im Verlauf können sich schwerwiegende Krankheitszustände entwickeln.
Ätiopathogenese. 7 Kap. 2.9.1. Bei der prämorbiden Persönlichkeit handelt es sich oft um eine hyperthyme Persönlichkeit mit meist guter Stimmung, Antriebsreichtum mit mangelnder Fokussierung und wenig emotionaler Tiefe und Selbstkritik. Symptomatik. Unterschieden werden:
153 2.9 · Affektive Erkrankungen
In Kürze Affektive Erkrankungen Depressive Störung
4 Symptomatik: Typus melancholicus (Tellenbach), prämorbide Persönlichkeit gekennzeichnet durch Überangepasstheit, Zwanghaftigkeit, ausgeprägte Ordnungsliebe, Autoritätskonflikte 4 Ätiologie: vermutlich genetische Prädispositionsgene und Assoziationsbefunde (Serotonin-Transporter-Gen, Catecholamin-O-Methyltransferase-Gen). Monoaminhypothese. Endokrine Störungen gehäuft bei schwerer Depression (Hochregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebenrinden-Achse: Hyperkortisolismus, Dexamethason-Hemmtest pathologisch). Mögliche Auslöser: körperliche Erkrankungen, hormonelle Störungen, Operationen, Abmagerungskuren, Wochenbett, Klimakterium, Konflikte, Einsamkeit/Vereinsamung, Kränkungen, Umzug, Entlastung. 4 Diagnostik: Funktionelle Bildgebung (PET): vermehrter Blutfluss im lateralen inferioren präfrontalen Kortex, anteriorem Zingulum, Amygdala sowie verminderten Blutfluss im orbitofrontalen Kortex, z. T. auch im symptomfreien Intervall. Strukturell Volumenminderung der Frontal- und Parietallappen, des Hippokampus sowie der Basalganglien. Neurophysiologische Testung: verminderte kognitive Leistungen. Chronobiologisch: verkürzte REMSchlaf-Latenz mit insgesamt erhöhtem REM-Anteil am Schlaf und vermindertem Tiefschlafanteil 4 Therapie: Antidepressiva, Elektrokrampftherapie, Schlafentzug, Lichttherapie, Psychotherapie
Rezidivierende depressive Störung
4 Symptomatik: wie depressive Störung 4 Ätiologie: wie depressive Störung 4 Diagnostik: 2 Jahre Dauer ohne längere Unterbrechung der Symptomatik von 2 Monaten, wie depressive Störung 4 Therapie: Wie bei depressiven Episoden mit qualifizierter Psychotherapie (wirksam: psychodynamisch, kognitiv, interpersonell). Großer Leidensdruck der Angehörigen bei v. a. bei Chronifizierung, deshalb Mitbehandlung
Anhaltende affektive Störung
4 Symptomatik: Dysthymie (dauerhaft leicht depressive Stimmung), Zyklothymie (dauerhaft zwischen leicht depressiv und leicht gehoben wechselnde Stimmung) 4 Ätiologie: wie depressive Störung 4 Diagnostik: wie depressive Störung 4 Therapie: wie depressive Störung
Bipolare affektive Störung
4 Symptomatik: Bipolar-I-Störung: Möglicher Substanzmissbrauch, häufig Komorbidität mit Persönlichkeitsstörung, ausgeprägte Bagatellisierungsneigung 4 Ätiologie: prämorbide Persönlichkeit: oft hyperthyme Persönlichkeit mit meist guter Stimmung, Antriebsreichtum mit mangelnder Fokussierung, wenig emotionaler Tiefe und Selbstkritik. 4 Diagnostik: wie depressive Störung 4 Therapie: Lithiumsalze und/oder Valproat/(Ox-)Carbamazepin (Antiepileptikum: bei ungenügender Stabilität oder erneutem Auftreten von Phasen), ggf. Lamotrigin (bei Neigung zu depressiven Phasen); ggf. Antidepressiva (bei bestehender Stimmungsinstabilität) bzw. hochpotente Neuroleptika
2
2
154
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
2.10
Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
2.10.1 Kindesmisshandlung
Krankenhäusern oder Erwartungen der Eltern gegenüber dem Kind, welche unrealistisch der altersunangemessen sind. Überprüft werden sollte eine Beschuldigung der Verletzung des Kindes gegen die Eltern.
Definition. Strafbare Handlungen, die sich auf körper-
liche bzw. schwer wiegende Gefährdungen der körperlichen Gesundheit eines Kindes erstrecken und von Eltern oder Erziehungsberechtigten ausgeführt bzw. zugelassen werden.
Therapie. Schutz des Kindes, therapeutische Arbeit
Ätiopathogenese. Entwicklungsbeeinträchtigungen
Prognose. Gefahr besteht durch eine Wiederholung, Todesfolge und Generationenkreislauf. Entwicklungsbeeinträchtigungen, Intelligenzminderungen, schwere emotionale Störungen, autodestruktive Handlungen und mangelnde Impulssteuerung können die Folgen sein.
oder psychische Störungen der Eltern oder aktuelle belastende Lebensumstände bei den Eltern (dadurch Überforderung durch Erziehungsaufgaben). Zum Teil sind misshandelnde Eltern selber Opfer von Misshandlungen gewesen. Risikofaktoren beim Kind sind eine Behinderung, Krankheit, Frühgeburt, Unehelichkeit, Stiefkind oder zurückgekehrtes Heimkind, sowie ungünstige Temperamentsmerkmale. Epidemiologie. Hohe Dunkelziffer (1:15–20) Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Battered-child-Syndrom: Schwerste Form der Kindesmisshandlung mit subduralem Hämatom, Frakturen der langen Röhrenknochen und Weichteilschwellungen. Hinweise auf Misshandlung: Unterernährung, striemenförmige Hautveränderungen, Blutergüsse, Verbrennungsmale, zahlreiche Narben, multiple Knochenbrüche in unterschiedlichen Heilungsstadien, subperiostale Blutungen und subdurale Hämatome. Die Kinder sind in ihrem Verhalten häufig ängstlich, überangepasst, verschüchtert, suchen bei Eltern wenig Schutz. 4 Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom: Mütter erfinden oder erzeugen bei ihrem Kind (Stellvertreter) körperliche Symptome. 4 Kindesvernachlässigung: Entbehrung von Nahrung, Kleidung und Unterkunft; Mangel an emotionaler Zuwendung. Diagnostik. Anamnestisch hinweisend können eine unerklärliche Verzögerung einer Behandlungseinleitung nach einer Verletzung sein, eine nicht plausible oder widersprüchliche Anamnese und/oder eine mit den körperlichen Symptomen nicht vereinbare Anamnese. Eine Anamnese mit Verdacht auf wiederholte Verletzungen und/oder eine Beschuldigung der Geschwister oder Dritter durch die Eltern für die Verletzung ist verdächtig. Wegweisend können ferner sein: eine Behauptung, das Kind habe sich selbst verletzt, eine Vorstellung bei zahlreichen Ärzten oder
(z. B. Sozialarbeit, Beratung, Training) mit Eltern und Familie, Psychotherapie und Entwicklungsförderung. Gegebenenfalls Fremdunterbringung des Kindes.
Sexueller Missbrauch Erzwungener sexueller Kontakt zwischen Kind und Erwachsenen. Unterschieden werden: 4 Zurschaustellung von sexuellen Akten, Pornographie und/oder Exhibitionismus 4 Berührung der Genitalien oder Aufforderung zur Berührung der Genitalien des Erwachsenen 4 Sexueller Verkehr 4 Vergewaltigung Präventiv wirken Förderung der Unabhängigkeit und Stärke von Kindern, unsichere Kinder sind ideale Opfer. Kinder sollen lernen, zwischen guten und schlechten bzw. merkwürdigen Berührungen zu unterscheiden und letztere abzuweisen, Nein zu sagen und Grenzen auch gegenüber Erwachsenen zu ziehen, adäquate Geheimnisse von unheimlichen Heimlichkeiten zu unterscheiden und sie mitzuteilen. Die unmittelbaren Auswirkungen von sexuellem Missbrauch sind unspezifisch. Körperliche Symptome können genitale oder rektale Verletzungen, Fremdkörper in Urethral-, Genital- und/oder Rektalmündungen, Körperverletzungen an Brüsten, Gesäß, Schenkeln oder Unterleib, Geschlechtskrankheiten (Pilzinfektionen), rezidivierende Harnwegsinfekte sowie eine Schwangerschaft sein. Auffälliges Verhalten in Form von altersunangemessenen sexuellen Aktivitäten einschließlich exhibitionistischem Verhalten, ausgeprägte sexuelle Neugierde, zwanghafte Masturbation, Jugendlichen-Prostitution. Außerdem Trennungsängste, regressives Verhalten, depressive Verstimmung, Schlaf- und Beziehungsstörungen, Nachlassen der Schulleistungen, unangemessenes Verhalten gegenüber Männern, übermäßig angepasstes Verhalten, Weglaufen, Delinquenz, pseudoreifes Verhalten, fehlender Kontakt zu 6
155 2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
Gleichaltrigen und Veränderungen hinsichtlich der Schulanwesenheit. Die Dunkelziffer ist hoch. Bei Prävalenzerhebungen gaben 2% (Frauen : Männer: 3–4:1) an, im Kindesalter von Erwachsenen zu vaginalem, analem oder oralem Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Bis zu 12% der Frauen berichteten über Exhibitionistenkontakte, verbale Belästigung, pornographische Stimulation. Unterschieden werden: 4 Regressive Täter: am häufigsten, primäre sexuelle Orientierung auf Erwachsene gerichtet, aufgrund leichterer Verfügbarkeit von Kindern, nichtsexueller Probleme, Problemen mit erwachsenen Sexualpartnern Rückgriff auf Kinder (Ersatzobjekttäter) 4 Fixierte Täter: primär sexuelle Orientierung auf Kinder aus, durch Erwachsene nicht oder kaum erregbar (klassische Pädophile) 4 Soziopathische Täter: mangelnde Empathie für das Opfer, ggf. sadistische Vorlieben, Sexualität dient ihm zur Unterdrückung (sadistischer Typ)
2
vität, Hyperaktivität, Reizhunger, Stimmungsschwankungen, geringe Frustrationstoleranz, häufige Unfälle durch Nichterkennen von Gefahrenquellen. Sekundär Anpassungsprobleme, Schulschwierigkeiten, dissoziales Verhalten, sekundäre Neurotisierung. Diagnostik. Verhaltensbeobachtung v. a. mit anderen,
Fragebogen nach Conners für Eltern und Lehrer, Familienanamnese (unruhige Familienverhältnisse), prä-, peri- oder postnatale Entwicklung. Differenzialdiagnose. Hyperaktivität (normale Rei-
fungsvariante, Folge eines Sozialisationsdefizites), hirnorganisches Psychosyndrom, Oligophrenie, psychogene Hyperaktivität (emotionale Spannungen, chronische Konflikte, Angst, Depressionen), Deprivationssyndrom, Psychosen, akute und chronische Intoxikation (z. B. Blei). Therapie. Psychotherapie, Psychostimulanzien (Am-
Zur Therapie gehören Krisenintervention, Beratung unter Einbezug der Eltern, Einzel- und Gruppenpsychiatrie, Fremdunterbringung, Präventionsprogramm. Eine Traumatisierung hinsichtlich emotionaler Reaktionen, psychischer Funktionen, Beziehungsfähigkeit, sexueller Entwicklung und sozialer Funktionen ist häufig. Es findet sich eine erhöhte Rate psychischer Störungen mit hoher Persistenz (Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Suizidalität, sexuelle Störungen). Prognostisch besonders ungünstig ist der Täter in der Familie, genitaler Verkehr, Einsatz von Gewalt, fehlende Unterstützung durch die Familie.
2.10.2
Störungen der Motorik und Psychomotorik
2.10.2.1
Hyperkinetisches Syndrom (HKS)
Definition. Leichte Ablenkbarkeit und geringes Durch-
haltevermögen, sowie leicht aufbrausendes Wesen mit der Neigung zum Handeln ohne nachzudenken, häufig auch in Kombination mit Hyperaktivität (ADHS). Ätiopathogenese. Unklar. Epidemiologie. Meist Beginn vor dem 6. Lebensjahr, Jungen : Mädchen = 3–9:1. Symptomatik. Wahrnehmungsstörungen, Aufmerk-
samkeitsstörungen, Irritierbarkeit, motorische Akti-
phetamine, Methylpheniat, z. B. Ritalin mit paradoxer Wirkung, keine Suchtgefahr, evtl. Appetitstörungen, Einschlafstörung, daher keine abendliche Einnahme, vermindertes Größenwachstum, Tics, Stereotypien (Absetzen!), hoher Blutdruck möglich, Elterntraining, Verhaltenstherapie. 2.10.2.2
Tic-Störung Definition. Der Tic (franz. das Zucken der Glieder, der Tick im Sinne von wunderliche Angewohnheit) bezeichnet eine rasche, unwillkürliche, unregelmäßig wiederkehrende motorische Entladung in einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen. Auffallend wird ein Tic durch teilweise heftige körperliche Bewegungen oder Lautäußerungen. Ätiopathogenese. Angenommen wird eine hereditäre Störung in den Basalganglien. Seltener sind organische Tics als Folge einer generellen Hirnschädigung (z. B. Enzephalitis) oder einer Läsion der Basalganglien (des striatopallidären System). Zunehmend wird die striatofrontale Dysfunktion für die Entstehung von Tics verantwortlich gemacht, was erklären würde, dass die TicStörung eine häufige Komorbidität von ADHS darstellt. Der Tic-Patient kann sowohl den Zeitpunkt des Auftretens als auch den des Verschwindens des Tics nicht kontrollieren. Tics beginnen zumeist im Alter von 7–12 Jahren mehrheitlich bei Jungen. Die schwerste und deshalb eindrücklichste Verlaufsform wird nach dem Erstbeschreiber, dem französischem Neurologen Georges Gilles de la Tourette als sog. Tourette-Syndrom bezeichnet.
156
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
Symptomatik. Man unterscheidet:
2
4 die primäre, idiopathische Tic-Störung (Ursache noch unbekannt) 4 von der sekundären, symptomatischen Tic-Störung (Ursache bekannt).
Als Sonderformen mit anderer Ursache gilt der Tic douloureux (franz. der schmerzhafte Tic): ein heftiger, kurzer und sich oft wiederholender Schmerzanfall mit Gesichtszuckungen bei Trigeminusneuralgie. Diagnostik. Anamnese, Beobachtung.
Nach Ausprägungs- und Schweregrad werden 4 Subtypen von Tics, die besonders im kopf- und Schulterbereich auftreten, unterschieden: 4 Einfache motorische Tics, z. B. Stirnrunzeln, Augenblinzeln, ruckartige Kopfbewegungen, Hochziehen der Augenbrauen, Schulterzucken, Grimassieren 4 Einfache vokale Tics, z. B. Räuspern, mit der Zunge schnalzen, Hüsteln, Schmatzen, Grunzen 4 Komplexe motorische Tics, z. B. Springen, Berühren anderer Leute oder Gegenstände, Körperverdrehungen, Kopropraxie (Ausführen obszöner Gesten), selbstverletzendes Verhalten 4 Komplexe vokale Tics, z. B. Herausschleudern von zusammenhanglosen Wörtern und kurzen Sätzen, Koprolalie (Ausstoßen obszöner Worte), Echolalie (Wiederholung von gehörten Lauten und Wortfetzen), Palilalie (Wiederholung von gerade selbst gesprochenen Worten)
Therapie. Bei geringgradiger Beeinträchtigung können neben einer umfassenden Aufklärung und Beratung der Bezugspersonen (bei betroffenen Kindern v. a. Eltern und Lehrpersonal) die Psychotherapie und Verhaltenstherapie gute Erfolge erzielen. Eine pharmakologische Behandlung ist indiziert bei lang anhaltender Symptomatik (>12 Monate), vokalen Tics, psychiatrischen Begleiterkrankungen und dem Vollbild des Gilles-de-laTourette-Syndroms. Mittel der Wahl sind hochpotente Neuroleptika aus der Klasse der Dopamin-Rezeptorblocker (z. B. Tiaprid, Pimozid, Haloperidol) sowie bei entsprechender Begleitsymptomatik Antidepressiva (v. a. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer). Prognose. Bei leichteren Verlaufsformen hören die Tics in der Regel zu Beginn des Erwachsenenalters auf. Bei schweren Verlaufsformen bleiben die Symptome auch im Erwachsenenalter bestehen, oft jedoch in abgeschwächter Form.
In Kürze Kindesmisshandlung, Störungen der Motorik und Psychomotorik Kindesmisshandlung
6
4 Symptomatik: – Battered-child-Syndrom: subdurales Hämatom, Frakturen der langen Röhrenknochen, Weichteilschwellungen – Hinweise auf Misshandlung: Unterernährung, striemenförmige Hautveränderungen, Blutergüsse, Verbrennungsmale, zahlreiche Narben, multiple Knochenbrüche in unterschiedlichen Heilungsstadien, subperiostale Blutungen, subdurale Hämatome. Kindliches Verhalten oft ängstlich, überangepasst, verschüchtert, suchen bei Eltern wenig Schutz – Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom: Mütter erfinden oder erzeugen beim Kind (Stellvertreter) körperliche Symptome – Kindesvernachlässigung: Entbehrung von Nahrung, Kleidung, Unterkunft; Mangel an emotionaler Zuwendung 4 Ätiologie: Entwicklungsbeeinträchtigungen, psychische Störungen der Eltern, aktuell belastende Lebensumstände der Eltern 4 Diagnostik: widersprüchliche Anamnese, Beschuldigung der Verletzung des Kindes gegen die Eltern prüfen 4 Therapie: Schutz des Kindes, therapeutische Arbeit (z. B. Sozialarbeit, Beratung, Training) mit Eltern und Familie, Psychotherapie, Entwicklungsförderung, ggf. Fremdunterbringung des Kindes
157 2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
Hyperkinetisches Syndrom (HKS)
4 Symptomatik: leichte Ablenkbarkeit, geringes Durchhaltevermögen, leicht aufbrausendes Wesen, Neigung zum Handeln ohne Nachzudenken 4 Ätiologie: unklar 4 Diagnostik: Verhaltensbeobachtung v. a. mit anderen, Fragebogen nach Conners für Eltern und Lehrer, Familienanamnese (unruhige Familienverhältnisse), prä-, peroder postnatale Entwicklung 4 Therapie: Psychotherapie, Psychostimulanzien, Elterntraining, Verhaltenstherapie
Tic-Störungen
4 Symptomatik: – einfache motorische Tics, z. B. Stirnrunzeln, Augenblinzeln, ruckartige Kopfbewegungen, Hochziehen der Augenbrauen, Schulterzucken, Grimassieren – einfache vokale Tics, z. B. Räuspern, mit der Zunge schnalzen, Hüsteln, Schmatzen, Grunzen – komplexe motorische Tics, z. B. Springen, Berühren anderer Leute oder Gegenstände, Körperverdrehungen, Kopropraxie (Ausführen obszöner Gesten), selbstverletzendes Verhalten – komplexe vokale Tics, z. B. Herausschleudern von zusammenhanglosen Wörtern und kurzen Sätzen, Koprolalie (Ausstoßen obszöner Worte), Echolalie (Wiederholung von gehörten Lauten und Wortfetzen), Palilalie (Wiederholung von gerade selbst gesprochenen Worten 4 Ätiologie: hereditäre Störung der Basalganglien, Hirnschädigung (z. B. Enzephalitis), Läsion der Basalganglien (des striatopallidären Systems), striatofrontale Dysfunktion 4 Diagnostik: Anamnese, Beobachtung 4 Therapie: Aufklärung, Beratung der Bezugspersonen, Psychotherapie, Verhaltenstherapie. Pharmakologische Behandlung indiziert bei lang anhaltender Symptomatik (>12 Monate), vokalen Tics, psychiatrischen Begleiterkrankungen, dem Vollbild des Gilles-de-la-Tourette-Syndroms. Mittel der Wahl: hochpotente Neuroleptika aus der Klasse der Dopamin-Rezeptorblocker (z. B. Tiaprid, Pimozid, Haloperidol), ggf. Antidepressiva (v. a. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer)
2.10.3 Intelligenzminderung Synonym. Oligophrenie. Definition. Unterdurchschnittliche Intelligenz bzw. geistige Behinderung und dadurch Beeinträchtigung des adaptiven Verhaltens. Ätiopathogenese. Meist Ursachen nicht klärbar. Bei leichten Formen beträchtliche Umwelteinflüsse (z. B. Vernachlässigung), bei schweren Formen sind organische Ursachen (Chromosomenstörungen, Stoffwechselstörungen) bekannt. Präventiv können humangenetische Beratung und Frühdiagnostik (Phenylketonurie, Neugeborenenhypothyreose) wirken.
2
Formen der Intelligenzverminderung 4 Chromosomenschädigungen: (Langdon-)Down-Syndrom (Mongolismus) und Cri-du-chat-Syndrom betreffen die Autosomen. Ullrich-Turner(XO)-Syndrom, Klinefelter-Syndrom, xyy-Syndrom und Marker-X-Syndrom (Syndrom des fragilen X-Chromosoms) zählen zu Gonosomen-Störungen 4 Stoffwechselstörungen: Phenylketonurie, Galaktosämie, Morbus Gaucher, Niemann-Pick-Krankheit, TaySachs-Erkrankung 4 Exogene Schädigungen: pränatal (Embryopathie), perinatal (Sauerstoffmangel, Hirnblutungen) und postnatal (Erythroblastose, Infekte)
Epidemiologie. Insgesamt 5% der Bevölkerung haben
eine Intelligenzminderung. Symptomatik. Leichte Anpassungsstörungen bis zu
schwersten pflegebedürftigen Zuständen, motorischen Stereotypien, ohne Spracherwerb und Inkontinenz.
158
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
. Tab. 2.27. Intelligenzminderung nach der ICD-10-Klassifikation
2
Intelligenzminderung
IQ
Bezeichnung
Grenzbereich
70–84
Lernbehinderung
Leicht
50–69
Oligophrenie I. Grades (Debilität)
Mittelgradig
35–49
Schwer
20–34
Oligophrenie II. Grades (Imbezillität)
Schwerst
1–19
Oligophrenie III. Grades (Idiotie)
Diagnostik. Bestimmung des IQ mit HAWIK (Ham-
burg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder), Binet-Simon-Test oder TBGB (Testbatterie für geistig behinderte Kinder, . Tab. 2.27). Therapie. Die Therapie umfasst Frühförderung, Heilpädagogik, Vermeidung von Sekundärschädigungen, Diät bei Stoffwechselerkrankungen, Förderung in Sonderkindergärten, Sonderschulen, später beschützende Werkstätten. Nur in schweren Fällen und bei ungeeigneter familiärer Umwelt Heimunterbringung. Verhaltenstherapie zur Entwicklung lebenspraktischer Fertigkeiten, zum Aufbau eines kommunikativen sozialen Verhaltens.
Ätiopathogenese. Bei den Sprachentwicklungsstörungen fehlt die Sprachentwicklung oder ist verzögert ab dem 2,5. bis 3. Lebensjahr bei Vorliegen einer Minderbegabung. Im Einschulungsalter sind 3–4% betroffen (Jungen 2- bis 3-mal häufiger). Bei den Sprechstörungen handelt es sich um »Werkzeugstörungen«. Hierzu gehören das Stammeln, Poltern, Stottern und die psychogenen Sprechstörungen. Symptomatik. Typisch sind:
4 Stottern (Balbuties): Störung des Redeflusses, Singen meist nicht beeinträchtigt 4 Poltern (Tachyphemie): Störung des Sprechablaufs 4 Dysarthrie: kloßige, verwaschene, verlangsamte Sprache 4 Mutismus: Sprechverweigerung meist im Vorschulalter (elektiv: in Belastungssituationen, bei Fremden; total: Verstummen bei Psychosen, als hysterische Reaktion, nach schwerem Trauma) 4 Dyslalie (Stammeln): fehlerhafte Lautbildung (Phonembildung, physiologisch mit 2–4 Jahren, Konsonantenaustausch 4 Dysgrammatismus, Agrammatismus: bis zum 4. Lebensjahr Teil der normalen Entwicklung, grammatisch entstellte Sprache 4 Hörstummheit (Audimutitas): nach dem 3. Lebensjahr weiter bestehende Stummheit (motorisch: bei Sprachverständnis, sensorisch: mit Sprachverständnisschwierigkeiten) Diagnostik. Klinisch meist keine Unterscheidung mög-
2.10.4 Störungen des Sprechens
und der Sprache Definition. Unterschieden werden Sprechstörungen (Stottern, Poltern, Dysarthrie, Mutismus) von Sprachentwicklungsstörungen (Dyslalie, Dysgrammatismus, Agrammatismus, Hörstummheit). Unterschieden werden: 4 Mutismus: Patient ist stumm geworden 4 Audimutitas: Patient hat noch nie gesprochen (frühkindlicher Hirnschaden; Hörvermögen intakt) 4 Taubstummheit: Surdomutitas, Hörvermögen fehlt, keine akustisch evozierten Potenziale Sprachabbau- und Sprachverlustsyndrom 4 Wortfindungsstörungen 4 Motorische (Broca) oder sensorische (Wernicke-) Aphasie: meist durch Schädigung kortikaler Zentren Verlust vorhandener Sprachfähigkeit 4 Dysphasie: abgeschwächte oder gebesserte Aphasie
lich. Therapie. Logopädie; Förderung von Sprache durch Sinneswahrnehmung, Gefühlserfahrung in sprachmotivierender Situation, psychotherapeutische Elemente, Vermeidung negativer Verstärkungen, Vermeidung von sekundärer Verhaltensstörungen und Prävention von späterem Schulversagen.
2.10.5 Störungen im Zusammenhang
mit schulischen Leistungen Teilleistungsschwächen Umschriebene Leistungsausfälle bei durchschnittlicher oder überdurchschnittlicher Intelligenz: 4 Wahrnehmungsstörungen (Störungen der sensorischen Integration wie der Lokalisation taktiler Reize, Rechts-Links-Diskrimination, Position im Raum) 4 Störungen der visuomotorischen Koordination (Störungen der Raumlage und räumlicher Beziehungen 6
159 2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
von Figur-Grund-Wahrnehmung, Unterscheidung von wesentlichen und unwesentlichen Reizen und der Wahrnehmungskonstanz/Wiedererkennen)
2
Symptomatik. Schwächen vor allem in der Mengen-
lehre. Diagnostik. Klassengestufte Rechentests.
2.10.5.1
Legasthenie Definition. Lese-Rechtschreib-Schwäche ohne Einschränkung der Intelligenz.
Therapie. Einübung von Rechenoperationen (Lernen
Ätiopathogenese. Meist bildet sich ein Schwerpunkt
2.10.5.3
im Lesen oder Schreiben. Epidemiologie. 3–7% der Grundschulkinder (Jungen
am Computer). Psychotherapie, Elternberatung. Weitere Störungen Definition. Verschiedenartige Störungen, die jede für sich zu einer Beeinträchtigung der Schulleistung führen kann.
häufiger) sind betroffen. Epidemiologie. 20% aller Grundschüler sind betroffen. Symptomatik. Bestimmte Buchstabenkonstellationen
werden nicht erfasst, die simultane Gestalterfassung fehlt. Buchstaben werden vertauscht, Worte oder Wortteile verdreht. Außerdem werden Silben ausgelassen oder hinzugefügt. Begleitend können auditive oder optische Wahrnehmungsdefizite, Sprachentwicklungsstörungen und Sprechstörungen auftreten, ferner emotionale Störungen und dissoziales Verhalten. Therapie. Frühzeitige gezielte Trainingsprogramme mit möglichst Verbleib im Klassenverband. Prognose. Langfristig bleibt oft eine Rechtschreibschwäche bestehen.
2.10.5.2
Rechenschwäche
Symptomatik. Dazu gehören:
4 Lern- und Leistungsstörungen: Konzentrationsstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Sprachentwicklungsstörungen 4 Schulphobie: Trennungsangst bei oft übervorsorglicher Mutter; Befürchtung der Muter könnte etwas zustoßen; Persistenz der Mutter-Kind-Symbiose; häufig somatische Beschwerden 4 Schulangst: traumatische Erlebnisse in der Schule oder eigene physische oder psychische Insuffizienz. Vermeidungsverhalten und Rückzug 4 Schuleschwänzen: Schule wird negativ erlebt. Lustbetonte Verhaltensweisen werden bevorzugt. Es liegt keine Angst vor; dissoziales Verhalten; Vernachlässigung; Identitätsprobleme
Synonym. Dyskalkulie. Therapie. Die Behandlung umfasst: Definition. Ohne Hirnfunktionsstörung auftretende
Schwäche im abstrakten Denken und räumlichen Vorstellungsvermögen.
4 Zusätzlichen Unterricht, ggf. Umschulung bei intellektueller Leistungsunfähigkeit 4 Familienpsychotherapie bei Schulphobie 4 Psychotherapeutische Gespräche bei Schulangst 4 Pädagogische Maßnahmen bei Schuleschwänzen
In Kürze Intelligenzminderung, Störungen des Sprechens und der Sprache, Störungen im Zusammenhang mit schulischen Leistungen Intelligenzminderung 4 Symptomatik: leichte Anpassungsstörungen bis schwerste pflegebedürftige Zustände, motorische Stereotypien, ohne Spracherwerb und Inkontinenz 4 Ätiologie: meist unklar, Chromosomenstörungen, Stoffwechselstörungen 4 Diagnostik: Bestimmung des IQ mit HAWIK (Hamburger-Wechsler-Intelligenztest für Kinder), Binet-Simon-Test, TBGB (Testbatterie für geistig behinderte Kinder), Anamnese 4 Therapie: Frühförderung, Heilpädagogik, Vermeidung von Sekundärschädigungen, Diät bei Stoffwechselerkrankungen, Förderung in Sonderkindergärten, Sonderschulen, später beschützende Werkstätten. In schweren Fällen Heimunterbringung. Verhaltenstherapie zur Entwicklung lebenspraktischer Fertigkeiten, zum Aufbau eines 6 kommunikativen sozialen Verhaltens
160
2
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
Störungen des Sprechens und der Sprache
4 Symptomatik: Stottern (Balbuties, Störung des Redeflusses, Singen meist nicht beeinträchtigt), Poltern (Tachyphemie, Störung des Sprechablaufs), Dysarthrie (kloßige, verwaschene, verlangsamte Sprache), Mutismus (Sprechverweigerung meist im Vorschulalter, elektiv: in Belastungssituationen, bei Fremden bzw. total: bei Psychosen, als hysterische Reaktion, nach schwerem Trauma), Dyslalie (Stammeln, fehlerhafte Laut(Phonem-)bildung, physiologisch mit 2–4 Jahren, Konsonantenaustausch), Dysgrammatismus/Agrammatismus (bis zum 4. Lebensjahr Teil der normalen Entwicklung, grammatisch entstellte Sprache), Hörstummheit (Audimutitas, nach dem 3. Lebensjahr weiter bestehende Stummheit, motorisch: bei Sprachverständnis, sensorisch: mit Sprachverständnisschwierigkeiten) 4 Ätiologie: Sprachentwicklungsstörungen: Sprachentwicklung fehlt, ist verzögert ab dem 2,5. bis 3. Lebensjahr bei Vorliegen einer Minderbegabung. Im Einschulungsalter 3–4%betroffen, Jungen 2- bis 3-mal häufiger 4 Diagnostik: Anamnese, Sprachtests 4 Therapie: Logopädie, Förderung der Sprache durch Sinneswahrnehmung, Gefühlserfahrung in sprachmotivierender Situation
Legasthenie
4 Symptomatik: Lese- und/oder Schreibschwäche, begleitend auditive, optische Wahrnehmungsdefizite, Sprachentwicklungsstörungen und Sprechstörungen auftreten, ferner emotionale Störungen, dissoziales Verhalten. 4 Ätiologie: 3–7% der Grundschulkinder, Jungen häufiger 4 Diagnostik: Lese-, Schreibschwäche 4 Therapie: frühzeitige gezielte Trainingsprogramme, möglichst Verbleib im Klassenverband
Dyskalkulie
4 Symptomatik: ohne Hirnfunktionsstörung auftretende Schwäche im abstrakten Denken und räumlichen Vorstellungsvermögen 4 Ätiologie: Leistungsstörung 4 Diagnostik: abgestufte Rechentests 4 Therapie: Einüben von Rechenoperationen, Psychotherapie, Elternberatung
2.10.6
Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
2.10.6.1
Frühkindlicher Autismus nach Kanner Definition. Schwere Störung emotionaler und motorischer Entwicklung mit starker Abkapselung der Kinder. Ätiopathogenese. Polygenetische Veranlagung. Epidemiologie. 2–4:10.000. Jungen sind 3-mal häufiger
betroffen. Symptomatik. Typisch sind:
4 Beginn vor dem 30. Lebensmonat 4 Kontaktstörung: Kein soziales Lächeln, keine Reaktion auf Zuwendung der Mutter, Kinder starr und emotionslos mit Spielstörungen
4 Mangel an Mimik und Gestik 4 Verhaltensrituale, (verbale) Handlungsstereotypien, zwanghafte Phänomene 4 Wahrnehmungsstörung (Wahrnehmungsintegration ist beeinträchtigt: vestibulär-kinästhetischtaktil, taktil-visuell, visuell-auditiv) 4 Motorische Koordinationsschwäche 4 Intellektueller Rückstand 4 Sprachentwicklungsstörung und -retardierung 4 Echolalie 4 Sprachverständnisstörung 4 Starke Abkapselung 4 Defizientes Ich-Bewusstsein, pronominale Umkehr (»ich« wird zu »du« und umgekehrt) 4 Bevorzugung von Nahrezeptoren (Mund, Riechen, Tasten) 4 Heftige und panikartige Reaktionen bei Veränderungen
161 2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
Bei 75% der Patienten besteht zusätzlich eine Intelligenzminderung. Im Jugendalter sind epileptische Anfälle möglich. > Bei autistischer Entwicklung und geistiger Beeinträchtigung in über 30% Grand-mal-Epilepsie.
Diagnostik. Früherkennungszeichen: Keine oder selektive Reaktion auf akustische und visuelle Reize. Ausbleiben des Lächelns nach dem 3. Lebensmonat, des Arm-Austreckens nach dem 6. Lebensmonat und des Nachnamens nach dem 10. Lebensmonat. Ungewöhnlich ruhiges Verhalten oder lang andauernde unerklärliche Erregungs-, Schrei- oder Weinphasen.
2
Desintegrative Störung des Kindesalters (Dementia infantilis, Heller-Syndrom) Im 3. und 4. Lebensjahr eintretender Rückschritt erreichter Entwicklungsstufen mit Sprachverlust, Verhaltensdesintegration, neurologischen Symptomen, Wesensänderung. Differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden müssen psychogener Autismus bei Deprivation, somatogener Autismus bei Oligophrenie, Pseudoautismus bei blinden und gehörlosen Kindern. Häufig schlechte Prognose.
2.10.7
Psychogene Störungen
Definition. Störungen aufgrund gestörter Primärbezie-
hung, vor allem im 1. Lebensjahr. Differenzialdiagnose. Taubheit, Oligophrenie, Rötel-
Therapie. Verhaltenstherapie, ggf. Heilpädagogik,
Nichtorganische Enuresis Definition. Einnässen bei Kindern über 4 Jahren ohne organische Ursache.
Sprachheilbehandlung, Musiktherapie; Aufbau sozialer Kontakte und sprachlicher Fähigkeiten, Elternberatungs- und Betreuungsarbeit auch zur Krankheitsbewältigung (Selbsthilfegruppen für Eltern); Neuroleptika eventuell bei motorischer Unruhe und Affektdurchbrüchen
Ätiopathogenese. Üblicherweise sind Kinder im 3. Lebensjahr trocken. Zu den Ursachen der Enuresis zählen Regression bei Trennung von Bezugsperson, Geburt eines Geschwisterkindes, zu früh erzwungene Reinlichkeitserziehung.
nembryopathie.
Prognose. Oft lebenslange Behinderung. Günstig sind
gute allgemeine Lern- und Leistungsmöglichkeiten und Sprachaneignung nach dem 5. Lebensjahr. Autistische Psychopathie nach Asperger Autismus wird erst im Kleinkindalter deutlich. Auffällige frühe sprachliche und späte motorische Entwicklung. Kennzeichnend sind motorische Ungeschicklichkeit, repetitive stereotype Verhaltensmuster, Sprache mit Wortschöpfungen, zusätzlich Sonderinteressen und Spezialkenntnisse, Kommunikationsstörungen. Betroffen sind fast nur Knaben, der Vater ist häufig autistisch-schizoid. Zur Behandlung gehören Verhaltenstherapie, motorisches Training, Psychotherapie, Musiktherapie, Familientherapie. Die Prognose ist günstiger als beim frühkindlichen Autismus. Rett-Syndrom Tritt bei Mädchen nach scheinbar normaler früher Entwicklung auf, Beginn liegt zwischen dem 7. und 24. Lebensmonat. Kennzeichnend sind der Verlust erworbener sprachliche und manueller Fähigkeiten, langsames Wachstum des Kopfes, Ataxie, stereotype windend-wringende Händewaschbewegungen, exzessives Sabbern und Bespeicheln der Hände und ein leeres soziales Lächeln. Die Prognose ist ungünstig. 6
2.10.7.1
> Die Enuresis tritt familiär gehäuft auf, insbesondere bei zwanghaften Erziehungsmaßnahmen.
In ca. 20% der Fälle liegt eine organische Ursache vor (Entwicklungsrückstand, Anomalie der ableitenden Harnwege). Symptomatik. Unterschieden werden:
4 Enuresis persistens: noch nie trocken (Enuresis nocturna, Bettnässen) 4 Enuresis acquisata: sekundäre Enuresis nach Trockenheit von etwa 1 Jahr 4 Enuresis diurna (Hosennässen): mehrmals täglich Therapie. Blasentraining, Verhaltenstherapie. Prognose. Meist günstig. Enkopresis Einkoten bei Kindern über 4 Jahren (Sauberkeit üblicherweise im 3. Lebensjahr). Betroffen sind 1,5% der Kinder zwischen dem 7. bis 9. Lebensjahr. Die Störung tritt 10-mal seltener als Enuresis auf, häufiger bei Jungen. Ätiologisch stehen psychogene Faktoren (Verlusterlebnisse; Übergefügigkeit gegenüber dominanter, fordernder Mutter, Furcht vor allzu fordernder Sauberkeitserziehung, Aggressionshemmung, pathologische Familieninteraktionsmuster) im Vordergrund. Therapeutisch werden Psychotherapie, Verhaltenstherapie eingesetzt.
162
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
In Kürze Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, psychogene Störungen
2
Frühkindlicher Autismus
4 Symptomatik: Kontaktstörung, Mangel an Mimik und Gestik, Verhaltensrituale, (verbale) Handlungsstereotypien, zwanghafte Phänomene, Wahrnehmungsstörung, motorische Koordinationsschwäche, intellektueller Rückstand, Sprachentwicklungsstörung, starke Abkapselung, defizientes Ich-Bewusstsein, pronominale Umkehr, Bevorzugung von Nahrezeptoren, epileptische Anfälle 4 Ätiologie: polygenetische Veranlagung 4 Diagnostik: Auftreten vor dem 30. Lebensmonat, Fremdanamnese 4 Therapie: Verhaltenstherapie, ggf. Heilpädagogik, Sprachheilbehandlung, Musiktherapie, Aufbau sozialer Kontakte, sprachlicher Fähigkeiten, ElternberatungsBetreuungsarbeit (Selbsthilfegruppen), Neuroleptika evtl. bei motorischer Unruhe und Affektausbrüchen
Nichtorganische Enuresis
4 Symptomatik: Enuresis persistens, Enuresis acquisata, Enuresis diurna 4 Ätiologie: Regression bei Trennung von Bezugspersonen, Geburt eines Geschwisterkindes, zu früh erzwungene Reinlichkeitserziehung 4 Diagnostik: Anamnese 4 Therapie: Blasentraining, Verhaltenstherapie
2.10.8 Emotionale Störungen
im Kindes- und Jugendalter Definition. Gruppe von Störungen, bei der Angst durch bestimmte, im Allgemeinen ungefährliche Objekte, die sich außerhalb der Person befinden, hervorgerufen werden. Sie stellen eine Verstärkung normaler Entwicklungen dar.
therapie, Einbeziehung der Familie/Familientherapie, Pharmakotherapie. 2.10.9 Störungen des Sozialverhaltens Definition. Dissozialität, Verwahrlosung und Delinquenz als untaugliche Reaktion auf Probleme und Konflikte.
Ätiopathogenese. Konfliktbehaftete Situationen, z. B.
Trennung.
> Es handelt es sich nicht um eine psychiatrische Erkrankung.
Epidemiologie. Angststörungen treten sehr häufig im
Laufe der Entwicklung auf. Die Häufigkeit von Trennungsängsten wird auf 1–4% geschätzt. Symptomatik. Emotionale Störung mit Trennungsangst, phobischer Störung, Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters, Geschwisterrivalität (. Tab. 2.28). Diagnostik. Anamnese, Analyse des Verhaltens Therapie. Informationsvermittlung über Angststörungen für Eltern und Kinder (Psychoedukation), Rücksprache/Beratung mit Schule und Hausarzt, verhaltensorientierte Interventionen, psychodynamische Psycho-
Epidemiologie. Jungen neigen zu Eigentumsdelikten.
Bei Mädchen überwiegen Herumtreiben, oft wechselnde Sexualpartner und Prostitution. Symptomatik. Destruktives Verhalten, Lügen, Diebstahl, Aggression, Wutausbrüche, Beziehungsabbrüche, Süchte. Therapie. Milieubeeinflussung, Familientherapie, pädagogische Maßnahmen. Prognose. Da Therapie oft erzwungen wird, ist das Gelingen von der Compliance und Komorbidität/Schwere der Begleiterkrankungen abhängig.
163 2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
. Tab. 2.28. Emotionale Störungen im Kindes- und Jugendalter Störung
Spezielle hinweisende Symptome
Therapie
Depressive Verstimmungen
Spielhemmung; regressive Symptome: Nägelkauen, Daumenlutschen, Naschsucht, Enuresis, Enkopresis; Vorwürfe, Klagen
Angststörungen
Trennungsangst (Kleinkind), zwangsähnliche Rituale bei Schulkindern zur Vermeidung von Angst (Schulkind) Physiologisch: Achtmonatsangst: (Fremdeln, Xenophobiereaktion)
Verhaltenstherapie
Phobien
Zoophobien (Vorschule)
Systematische Desensibilisierung
Zwangsstörungen
Ritualbildung
Verhaltenstherapie
Hysterie, dissoziative Störungen
Bei Kindern häufig Dämmerzustände mit Drang zum Davonlaufen
Analytisch orientierte Psychotherapie, Familientherapie, evtl. Antidepressiva
Psychoreaktive Störungen (akute Belastungsreaktionen oder andauernde Anpassungsreaktionen)
Zusammenhang mit psychischem Trauma oder Belastung (Battered-child-Syndrom); Symptomdauer je kürzer, desto jünger das Kind
Psycho-, Familientherapie
Pubertäts- und Reifungskrisen in der Adoleszenz
Besonders: Sexual- und Bindungsprobleme, Leistungsfragen, Berufsfindungsprobleme Suizid bei über 15-jährigen männlichen Jugendlichen eine der häufigsten Todesursachen, Suizidversuche öfter von Mädchen (Intoxikation), Kinder sind immer mehr betroffen
Psycho-, Familientherapie
In Kürze Emotionale Störungen im Kindes- und Jugendalter, Störungen des Sozialverhaltens Emotionale Störungen im Kindes- und Jugendalter
4 Symptomatik: Trennungsangst, phobische Störung, Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalter, Geschwisterrivalität 4 Ätiologie: Konflikte 4 Diagnostik: Anamnese, Verhaltensanalyse 4 Therapie: Informationsvermittlung für Eltern und Kinder (Psychoedukation), Rücksprache/Beratung mit Schule und Hausarzt, verhaltensorientierte Interventionen, psychodynamische Psychotherapie, Einbeziehung der Familie/Familientherapie, Pharmakotherapie
Störungen des Sozialverhaltens
4 Symptomatik: destruktives Verhalten, Lügen, Diebstahl, Aggression, Wutausbrüche, Beziehungsabbrüche, Süchte 4 Ätiologie: Familienprobleme, Konflikte 4 Diagnostik: Dissozialisation, Verwahrlosung, Delinquenz als untaugliche Reaktion auf Probleme und Konflikte 4 Therapie: Milieubeeinflussung, Familientherapie, pädagogische Maßnahmen
2
164
Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie
2.11
Vorsätzliche Selbstbeschädigung
Symptomatik. Verletzungen, Symptome der Grund-
krankheit. Definition. Neigung zur Selbstverletzung.
2
Diagnostik. Anamnese, körperlicher Befund, PsyÄtiopathogenese. Autoaggressivität (Münchhausen-
chostatus.
Syndrom), schwere Persönlichkeitsstörungen, Suizidalität, Psychosen.
Therapie. Behandlung der Grundkrankheit.
In Kürze Vorsätzliche Selbstbeschädigung
4 4 4 4
Symptomatik: körperliche Verletzung unklarer Genese Ätiologie: Suizidalität, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen Diagnostik: Anamnese, körperlicher Befund, Psychostatus Therapie: kausal, symptomatisch
3 Psychosomatik V. Kollenbaum 3.1
Definition, Diagnostik, Therapie
3.1.1 3.1.2 3.1.3
Definition –166 Diagnostik –166 Therapie –166
3.2
Somatoforme Störungen –168
–166
3.3
Störungen des Essenverhaltens –171
3.3.1 3.3.2
Anorexia nervosa –171 Bulimia nervosa –173
3.4
Nichtorganische Schlafstörungen –176
3.5
Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen –177
3.5.1
Erektile Dysfunktion nicht durch organische Störungen/Krankheit bedingt
3.6
Affektive Störungen
3.6.1
Depressive Episode
–181
–181
3.7
Angststörungen –182
3.7.1 3.7.2 3.7.3
Phobische Störung –182 Generalisierte Angststörung –184 Panikstörung –185
3.8
Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen
3.8.1 3.8.2 3.8.3
Akute Belastungsreaktion –187 Anpassungsstörung –189 Posttraumatische Belastungsstörung –189
3.9
Persönlichkeitsstörungen
3.9.1 3.9.2
Dissoziale Persönlichkeitsstörung –192 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung
–192 –193
3.10 Dissoziative Störungen, Konversionsstörungen 3.11 Zwangstörung
–187
–194
–195
3.12 Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten –197
–178
166
Kapitel 3 · Psychosomatik
3.1
Definition, Diagnostik, Therapie
3.1.1 Definition
3
> Psychosomatische Störungen gehören zu den häufigsten Krankheitsbildern, mit denen Ärzte aller Fachrichtungen konfrontiert werden.
Psychosomatische Medizin (PM) beschäftigt sich zum einen mit der Interaktion körperlicher und psychischer Prozesse und deren Störungen. Nach anderer Auffassung ist Psychosomatik gekennzeichnet durch eine ganzheitliche Sichtweise, welche die gesamte Medizin durchziehen sollte (. Abb. 3.1). Die Bundesärztekammer definiert als Aufgabengebiet der Psychosomatik »Krankheiten und Leidenszustände, an deren Verursachung psychosoziale und psychosomatische Faktoren einschließlich dadurch bedingter körperlich-seelischer Wechselwirkungen maßgeblich beteiligt sind« (2004). So werden auch die Auswirkungen körperlicher Erkrankungen (gravierende chronische Krankheiten, Unfälle) über psychosoziale oder psychosomatische Faktoren zum Gegenstand des Fachgebietes. Im Folgenden werden als Gegenstand der Psychosomatischen Medizin Erkrankungen/Störungsbilder verstanden, 4 die durch psychosoziale Faktoren wesentlich mitbedingt sind und körperliche Auswirkungen aufweisen (Angst, Depressive Verstimmung, Essstörungen); 4 für deren Aufrechterhaltung oder Verlauf psychische und Verhaltensfaktoren eine bedeutsame Rolle spielen (EHT, KHK, chronische Rückenschmerzen); 4 bei denen psychische Symptome durch die somatopsychischen Auswirkungen einer körperlichen Erkrankung zu erklären sind (Anpassungsstörungen, Angst, Depression bei tiefgreifenden Erkrankungen wie Krebserkrankungen, systemische Erkrankungen, Verletzungsfolgen). Risikofaktoren. Man geht heute davon aus, dass eine
erworbene oder angeborene Vulnerabilität einerseits, sowie eine die Kompensationsfähigkeit des individuellen Organismus überfordernde Belastung andererseits zur Entwicklung eines entsprechenden Störungsbildes beitragen (Diathese-Stress-Modell). > Die Bemühungen einer Zuordnung bestimmter Persönlichkeitstypen oder auch bestimmter Konfliktarten zu spezifischen Störungsbildern haben sich als relativ fruchtlos erwiesen.
3.1.2 Diagnostik Das Gespräch mit dem Patienten (psychosomatische Anamnese) ist von tragender Bedeutung. Ziel ist die Erfassung ätiopathogenetisch bedeutsamer Einflussfaktoren für die vorliegende Störung. In der Regel werden dazu sehr detaillierte Beschreibungen der Patienten erfordert. Zusätzlich werden testdiagnostische Verfahren eingesetzt, die 4 als Screening-Verfahren einen ökonomischeren Einsatz des (aufwendigen) Interviews erlauben, 4 vergleichend eine annähernde Quantifizierung (Ausprägungsgrad) eines Befundes ermöglichen, 4 durch objektivierte Befunde die theoriegeleitete Falldarstellung ergänzen. Die Auswahl und Anwendung diagnostischer Verfahren ist in der PM stark von der Schule des Therapeuten geprägt. Ziel der Diagnostik ist es, eine für die jeweilige Schule typische Arbeitshypothese zu bilden, welche die für die Behandlung erforderlichen Schritte plausibel macht. Tiefenpsychologisch arbeitende Therapeuten sprechen hier meist von Psychodynamik, lerntheoretisch orientierte von Verhaltensanalyse. 3.1.3 Therapie Unter dem Begriff Psychotherapie werden verschiedene Behandlungsmethoden verstanden. Basis ist eine tragfähige, vertrauensvolle Beziehung (Arbeitsbündnis) zwischen dem Therapeuten (Arzt, Psychologe) und dem Patienten. Die Behandlung kann verbale und nonverbale Interventionen enthalten und bewusste oder dem Bewusstsein nicht zugängliche Bereiche in Erleben und Verhalten des Patienten ansprechen. > Von Seiten des Therapeuten ist Psychotherapie bewusst gestaltete Kommunikation.
Psychotherapie 4 dient der Veränderung von belastenden (krankmachenden) Einflussfaktoren und Verhaltensmustern, 4 wird auf der Basis gemeinsam festgelegter Behandlungsziele durchgeführt, 4 beinhaltet die Vermittlung neuer emotionaler Erfahrungen und emotionaler, kognitiver und motorischer Fertigkeiten (Kompetenzen). In der Psychosomatischen Medizin herrschen zur Zeit zwei Systeme (Schulen) vor, auf deren Grundlage Arbeitshypothesen über psychosomatische Störungsbil-
167 3.1 · Definition, Diagnostik, Therapie
. Abb. 3.1. Mindmap Psychosomatik
3
168
3
Kapitel 3 · Psychosomatik
der entwickelt werden: Tiefenpsychologie und Lerntheorie. In der Psychoanalyse haben sich zahlreiche Strömungen entwickelt, denen die Vorstellung eines strukturierten psychischen Apparates (Ich, Über-Ich, Es) gemeinsam ist, der durch frühkindliche Erfahrungen und ungelöste (und zusätzlich unbewusste) Konflikte zu Lösungsversuchen (Neurosen) kommt. Darin wird die Grundlage für psychosomatische Störungen gesehen. Psychodynamisch arbeitende Therapeuten legen besonderes Gewicht auf die biographische Anamnese, das Verständnis von Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen und die Erarbeitung eines psychodynamischen Fallkonzepts. Unter dem Einfluss der Lerntheorien hat sich andererseits die Verhaltenstherapie und die Verhaltensmedizin entwickelt, die psychosomatische Störungen als Effekte problematischer Lernprozesse ansehen. > Vor allem operante Konditionierungen (Lernen am Erfolg) werden als Paradigma für viele psychosomatische Störungen postuliert.
Lerntheoretisch orientierte Therapeuten werden eine Verhaltensanalyse (Mikroanalyse als S-O-R-K-C-Modell, Makroanalyse zur Berücksichtigung von Funktionalitäten) zur Erarbeitung einer Arbeitshypothese anstreben. Die Sprache beider Systeme unterscheidet sich erheblich, obwohl selbstverständlich häufig ähnliche Phänomene beschrieben werden. Da der Blickwinkel sich unterscheidet, kann die Ergänzung der jeweils anderen Schule klinisch sehr fruchtbar genutzt werden. > Eine Verschmelzung der Theoriegebäude ist bislang nicht gelungen.
Die Psychotherapie lässt sich auch nach dem Setting klassifizieren. So kann sie einzeln oder in Gruppe, als Paartherapie oder als Familientherapie durchgeführt werden. Auch die Zeitdauer, sowohl die Dauer einer Sitzung wie auch die Zahl der Sitzungen über die Zeit, kann variieren. Eine als Kurzzeit- (bis 25 h) oder Langzeittherapie (50 h) konzipierte Behandlung ist gegenwärtig in der niedergelassenen Praxis der Regelfall. Kennzeichnend für psychosomatisches Arbeiten ist der hohe Stellenwert, den die Supervision für die Behandlung besitzt. ! Cave Auch über die Aus- oder Weiterbildungszeit hinaus ist eine Zweitsicht durch einen erfahrenen Therapeuten für eine zielführende Behandlung dringend geboten.
Anders als in der übrigen Medizin wird die eigene Persönlichkeit massiv in den Therapieprozess einbezogen. Daher ist eine Klärung von Verstrickungen immer wieder hilfreich. Gleichzeitig fördert die Supervision das Verständnis des »Falles«, so dass eine wirksame Behandlung zügiger entwickelt und beibehalten werden kann. Diesem Ziel dienen auch Balint-Gruppen (Interaktionelle Fallarbeit, IFA-Gruppen in der Verhaltenstherapie), die als besonderes Supervisionskonzept angesehen werden können. Wo nötig oder förderlich wird eine zusätzliche, selten auch alleinige, medikamentöse Therapie durchgeführt. 3.2
Somatoforme Störungen
Definition. Körperliche Symptome, für die keine organische Ursache gefunden werden können. Unterschieden werden 4 Somatisierungsstörung 4 Hypochondrische Störung 4 Somatoforme autonome Funktionsstörung > Hypochondrie: Überdauernde, geradezu zwanghafte Besorgnis, an einer ernsthaften Erkrankung zu leiden.
Ätiopathogenese. Es wird davon ausgegangen, dass sich die körperlichen Symptome als unbewusster Lösungsversuch eines psychischen, nicht aushaltbaren inneren Konfliktes herausbilden. Wesentlich ist eine damit einhergehende starke emotionale Erregung, die zur Symptombildung führt. Die Störung wird als interaktives Phänomen biologischer, sozialer und lebensgeschichtlicher Einflüsse gesehen. In retrospektiven Studien fielen vermehrte Krankheitserfahrungen bei Familienangehörigen auf. Lerntheoretisch wird daher Modelllernen als möglicher Faktor angenommen, der durch operante Bedingungen (Entlastung von aversiv erlebten Pflichten oder Aufgaben, Schonungsverhalten) unterstützt wird.
Bei der hypochondrischen Störung sind die Wahrnehmung und die Bewertung der Wahrnehmung verzerrt. Sekundär sind meist auch zwischenmenschliche Beziehungen betroffen. Operante Mechanismen (vermehrte Aufmerksamkeit durch Angehörige oder medizinische Institutionen) können erklären, warum die Störung einer Behandlung lange widersteht. Hypochondrisches Verhalten wird auch als dysfunktionaler Lösungsversuch bei primär gestörtem Bindungsverhalten gesehen.
169 3.2 · Somatoforme Störungen
Prävention Ein hohes Chronifizierungsrisiko unterstreicht die Bedeutung präventiver Maßnahmen. Dazu gehören 4 die erworbene (biologische) Vulnerabilität vermeiden oder lindern (Förderung einer gesunden Entwicklung junger Menschen, Vermeidung von Traumatisierungen bzw. Neurotisierungen), 4 die (psychische) Bewältigungskapazität der Individuen fördern (Entwicklung von Kompetenzen zur Bewältigung von Beanspruchungssituationen, ohne dass es zur Überforderung und Erkrankung kommt, Fähigkeiten, unbewusste Konflikte zu erkennen und konstruktiv anzugehen ohne in ein neurotisches Verarbeitungsmuster zu geraten), 4 Verhinderung vermeidbarer Überforderungen in der Organisation gesellschaftlicher Prozesse. Schlüssige Konzepte, in denen Präventionsmöglichkeiten umgesetzt werden, gibt es bislang kaum. Psychische Komorbidität bei organischen Erkrankungen Mit allen schwerwiegenden oder chronischen Erkrankungen können sich psychische Störungen verbinden. Wird die organische Erkrankung als Anlass für die Entwicklung der psychischen Störung angesehen, liegt eine Anpassungsstörung vor. So kommt es im Rahmen eines Myokardinfarkts nicht selten zur Entwicklung einer depressiven Störung, welche gleichzeitig einen Risikoindikator für den weiteren Verlauf der koronaren Herzerkrankung darstellt. Bei onkologischen Erkrankungen kommt es etwa bei einem Drittel der Betroffenen zu behandlungsbedürftigen psychischen Symptomen, am häufigsten sind dies Depressivität und Angst. Weitere Beispiele für organische Erkrankungen mit häufiger psychischer Begleitsymptomatik sind atopisches Ekzem, Urtikaria, chronische Lumbalschmerzen, Polymyalgie oder andere chronische Schmerzerkrankungen. Einige dieser Erkrankungen wurden schon früh mit psychosomatischen Konzepten in Verbindung gebracht und gehören traditionell zu den klassischen Erkrankungen der Psychosomatik (»Holy Seven«). Dazu werden gerechnet Asthma bronchiale, Chronische Polyarthritis, Colitis ulcerosa, essenzielle Hypertonie, Hyperthyreose, Neurodermitis und Ulcus duodeni. Dies ist jedoch lediglich von historischer Bedeutung.
3
> Der Anteil psychosomatischer Störungen in Allgemeinarztpraxen liegt bei mindestens 20–30%.
Auch in Kliniken finden sich bis zu 30% Patienten mit behandlungsbedürftigen somatoformen Störungen, die jedoch oft nicht erkannt und unbehandelt behandelt bleiben. Für die Hypochondrie wird eine Häufigkeit von 1–3% angegeben. Bei der Hypochondrie gibt es keine Geschlechtsunterschiede, sonst sind Frauen häufiger betroffen. Störungen nehmen mit dem Alter tendenziell zu. Symptomatik. Häufigste Symptome sind Kopf- und
Rückenschmerzen, Beschwerden des Gastrointestinaltraktes (Colon irritabile, Globus, Dyspepsie, Aerophagie, Schluckstörung, Diarrhö, Obstipation), HerzKreislaufbeschwerden (Herzneurose) und Urogenitalsystem (Dysurie, Pruritus, Dyspareunie, erektile Dysfunktion). Die vorherrschende Symptomatik kann im Verlauf wechseln oder durch weitere Symptome ergänzt werden. Die Patienten sind jedoch meist fixiert auf eine körperliche Erklärung für ihre Beschwerden und erwirken häufig sehr weitgehende diagnostische, teils auch therapeutische Eingriffe. > Die Patienten haben meist sehr viele Arztbesuchen hinter sich, darunter oft auch viele Spezialisten (»doctor shopping«).
Bei der Hypochondrie werden ungewohnte oder auch gewöhnliche Körpersignale als Beweis einer ernsthaften Erkrankung interpretiert. Die Überzeugung kann in ihrer Intensität stark variieren, bis hin zum wahnhaften Erleben (Psychose). Diagnostik. Eine Somatisierungsstörung liegt vor, wenn vielfältige körperliche Beschwerden mit mindestens 6 Symptomen aus 2 Organgruppen bestehen, über 2 Jahre persistieren und nicht körperlich bedingt sind. > Kennzeichnend ist das Bedürfnis nach einer somatischen Genese.
Eine somatoforme Störung liegt nicht vor, wenn die Beschwerden lediglich während einer Schizophrenie, einer Depression oder im Rahmen einer Panikstörung bestehen.
Epidemiologie. Die Zahlenangaben schwanken erheb-
lich. Die Lebenszeitprävalenz für behandlungsbedürftige psychosomatische Störungen wird in westlichen Ländern mit 10–15% angenommen.
Differenzialdiagnose. Besonders wichtig ist die Abgrenzung gegenüber depressiven Störungen, bei denen auch funktionelle Körperbeschwerden und Schmerzen ohne organisches Korrelat auftreten.
170
3
Kapitel 3 · Psychosomatik
> Meist ist eine somatoforme Störung vergesellschaftet mit einer weiteren psychischen Störung.
Alle geäußerten Beschwerden müssen ernst genommen werden.
Komorbiditäten bestehen mit Depression, Suchterkrankungen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Persönlichkeitsstörungen. Die Hypochondrie weist eine häufige Komorbidität zu generalisierter Angststörung, Zwangsstörung, Panikstörung und depressiven Störungen auf.
! Cave
Therapie. Im Vordergrund einer psychotherapeu-
tischen Behandlung steht die Vermittlung eines für den Patienten plausiblen Krankheitsmodells, das die Entwicklung einer ausreichenden Motivation für die Behandlung erlaubt. Erst im zweiten Schritt ist die Bearbeitung der zugrunde liegenden Mechanismen möglich. Motivation zur Therapie Patienten sind häufig frustriert durch den Satz »Sie sind kerngesund, Sie haben nichts« und dann wenig bereit, sich auf eine psychotherapeutische Behandlung einzulassen. Daraus entwickelt sich gelegentlich die Überzeugung, für verrückt gehalten zu werden und dass der Untersucher die Beschwerden als eingebildet ansieht. Die Schonungshaltung steigert sich oft dahingehend, dass die Patienten schon ganz auf eine Berentung eingestellt sind und eine wirksame Behandlung nicht mehr erwarten.
Vorhandensein der Beschwerden nicht anzweifeln, keine Sätze wie: »Das kann gar nicht sein, dass Sie solche Schmerzen haben«.
Die Patienten kommen mit einer meist primär auf die körperliche Symptomatik bezogenen Motivation in die Behandlung. Zur Bearbeitung der psychischen Hintergründe der Beschwerden ist der schrittweise Aufbau einer weitergehenden Motivation erforderlich. Ausgangspunkt dafür kann nur das jeweils schon vorhandene Behandlungsmotiv sein. Im Rahmen einer Nachsorge ist es vor allem in der ersten Zeit nach einer wirksamen Therapie sinnvoll, in größeren Zeitabständen die Umsetzung der neu erlernten Verhaltensweisen oder Erkenntnisgewinne zu überprüfen. Prognose. Unbehandelt kann es durch die zahlreichen diagnostischen Maßnahmen zur Überbewertung von Zufallsbefunden kommen, zu bleibenden Folgen nach diagnostischen Eingriffen oder therapeutischen Versuchen (Verwachsungen nach Laparotomie). Bei adäquater und frühzeitiger psychotherapeutischer Behandlung ist die Prognose gut.
In Kürze Somatoforme Störungen Somatoforme Störung (allgemein)
4 Symptomatik: Patienten meist auf organische Ursache fixiert, Symptomatik kann variieren 4 Ätiologie: Unbewusster Lösungsversuch eines früheren Konfliktes? Modelllernen? 4 Diagnostik: detaillierte Anamnese, Funktionalität der Beschwerden, sekundärer Krankheitsgewinn 4 Therapie: ausreichende Motivation, plausibles individuelles Krankheitsmodell, dann Behandlung mit gutem Erfolg möglich
Hypochondrische Störung
4 Symptomatik: fast zwanghafte Besorgnis an einer ernsten Erkrankung zu leiden 4 Ätiologie: verzerrte Bewertung von Wahrnehmungen 4 Diagnostik: detaillierte Anamnese, Funktionalität der Beschwerden, sekundärer Krankheitsgewinn 4 Therapie: Funktionalität der Störung berücksichtigen
171 3.3 · Störungen des Essenverhaltens
3.3
Störungen des Essenverhaltens
3.3.1 Anorexia nervosa Synonym. Magersucht. Definition. Die Weigerung, das für Alter und Körper-
größe minimal-normale Körpergewicht zu halten, und eine willentliche Regulation über das Essverhalten kennzeichnen dieses Störungsbild. > Die Erkrankung tritt überwiegend bei heranwachsenden und jungen Frauen auf und ist sehr ernst zu nehmen.
Ätiopathogenese. Ein einheitliches, empirisch belegtes Modell gibt es nicht (. Abb. 3.2). Die meisten Forscher stimmen darin überein, dass ein multidimensionaler Ansatz am ehesten zur Erklärung der Ätiopathogenese geeignet ist. Ätiopathogenese der Anorexia nervosa 4 Genetische Faktoren: Aus Zwillingsstudien lässt sich schließen, dass diesen bei der Anorexia nervosa, im Gegensatz zur Bulimie, eine Bedeutung zukommt. 6
3
4 Idealtypus des (Frauen-)Körpers: Dieses in den Medien propagierte Schlankheitsideal ist für die meisten Frauen nicht erreichbar, veranlasst jedoch wiederholte Diätbemühungen, die zu einer Essstörung beitragen können. 4 Lernerfahrungen: Unter lerntheoretischem Aspekt sind klinisch schwierige Bedingungen in der Herkunftsfamilie auffällig (problematische Identifizierung mit einem Elternteil), Rigidität, Überbehütung, Konfliktvermeidung, wechselnde Koalitionsbildung), die dazu führen, dass Nahrungsverweigerung als Druckmittel eingesetzt wird. Der Erfolg durch Machtzuwachs und vermehrte Aufmerksamkeit zementiert dann das problematische Verhalten. 4 Körperschemastörungen: Störung der eigenen Körperwahrnehmung hinsichtlich Gewicht, Größe oder Form sind im Hinblick auf ihren ätiologische Bedeutung ungeklärt. Kennzeichnend für die Aufrechterhaltung der Erkrankung sind dysfunktionale Kognitionen, also (teils unausgesprochene) Überzeugungen, die das Verhalten bestimmen. Dazu gehören: 4 Selektive Abstraktion (»Ich bin besonders gut, wenn ich dünn bin.«). 6
. Abb. 3.2. Zusammenfassendes Störungsmodell für Anorexia nervosa und Bulimie. (Aus Margraf 2003)
172
3
Kapitel 3 · Psychosomatik
4 Übergeneralisierung (»Fleisch macht fett, deshalb esse ich jetzt kein Fleisch mehr.«). 4 Übertreibung (»Wenn ich jetzt nur noch etwas zunehme, sehe ich aus wie eine Wurst in der Pelle und kann mich nirgends mehr sehen lassen.«) 4 Dichotomes Denken (»Ich muss jetzt die Kontrolle über das Essen behalten, oder ich verliere sie für immer und werde fett.«) 4 Personalisierung (»Ich merke doch, wie die Leute sich lustig machen, weil ich fett aussehe.«), 4 Magisches Denken (»Jedes Stück Schokolade, das ich esse, verwandelt sich sofort in Fettpolster.«). In Kombination mit schwierigen Bedingungen in der Familie und den oben beschriebenen kognitiven Defiziten können seelischen Belastungen, Traumatisierungen oder Überforderungen (Verlusterlebnisse, sexuelle Übergriffe) zur Überforderung der individuellen Bewältigungsmöglichkeiten führen. Ereignisse, die für andere Personen verarbeitbar sind (wie körperliche Veränderungen durch die Pubertät), reichen dann zur Auslösung der Störung, die durch sekundären Krankheitsgewinn oder entsprechende Lernerfahrung (Nahrungsverweigerung als Druckmittel) stabilisiert wird.
Gezielte und spezifische Präventionsmaßnahmen sind nicht bekannt. Epidemiologie. Am weitaus häufigsten ist die Störung
bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen; jedoch können heranwachsende Jungen und junge Männer, Kinder vor der Pubertät und Frauen bis zur Menopause ebenfalls betroffen sein. > Ca. 1% der jungen Frauen zwischen 14 und 21 Jahren sind von der Magersucht (Anorexia nervosa) betroffen.
Inzwischen ist bekannt, dass auch ca. 1% der Männer zwischen 14 und 25 Jahren an einer Essstörung leiden. Symptomatik. Charakteristisch ist die Befürchtung oder Vorstellung, übermäßig dick zu sein und einen schlaff wirkenden Körper zu haben. Daraus resultiert ein ständiges Bemühen, das Gewicht durch eingeschränkte Nahrungsauswahl zu reduzieren, sich in erheblichem Maß körperlich zu betätigen und andere Maßnahmen zur Verringerung des Körpergewichts zu ergreifen (selbstinduziertes Erbrechen 7 Kap. 3.3.1, Einnahme von Abführmitteln, Appetitzüglern und Diuretika). Diese Maßnahmen beherrschen Gedanken, Gefühle und Verhalten der Betroffenen.
Es liegt in der Regel eine Unterernährung unterschiedlichen Schweregrades vor, die sekundär zu endokrinen und metabolischen Veränderungen und zu körperlichen Funktionsstörungen führt: 4 Amenorrhö bei postmenarchalen Frauen (Aussetzen von mindestens 3 aufeinander folgenden Menstruationszyklen). 4 Finger- und Zehenspitzen sind oft schlecht durchblutet und kühl (Akrozyanose). 4 Blutdruck und Körpertemperatur sind typischerweise erniedrigt. Letzteres kann zum Wiederauftreten der Lanugobehaarung führen. 4 Schlafprobleme und depressive Störungen treten häufig im Gefolge der Fehlernährung auf. Die Sorge um die vermeintliche Körperfülle wird mit schwindendem Körpergewicht nicht etwa geringer; eher nimmt die Befürchtung, dick zu werden, paradoxerweise zu. Das mit dem Untergewicht verbundene körperliche Risiko wird in der Regel geleugnet. Unterschieden werden 2 Typen der Anorexia nervosa: 4 Restriktiver Typus: Alleinige Reduktion der Nahrungsaufnahme. 4 Binge-Eating-Typus/Purging-Typus: Ausgeprägte Essanfälle, Purging-Verhalten oder beides. (Purging bezeichnet alle Maßnahmen, die darauf zielen, die Nahrung schnellstmöglich wieder aus dem Körper zu entfernen). Bei dieser zweiten Gruppe kann sich die Störung aus einer Bulimie heraus entwickeln, sie weist meist zu Beginn der Erkrankung ein höheres Körpergewicht auf und ist durch eine höhere Komorbidität (affektive Störungen, Zwangssymptome, Substanzabusus, Persönlichkeitsstörungen) belastet. Im Vordergrund steht das Bedürfnis nach einem extrem niedrigen Körpergewicht. Diagnostik. Das Körpergewicht liegt 15% unter dem Normalgewicht. Das entspricht etwa einem BodyMass-Index (BMI) von 17,5 oder weniger. Der wesentlichste Bestandteil der Diagnostik ist eine detaillierte Exploration, in der Hintergrund und Ausprägung des Essverhaltens erhoben werden. Erkennbar muss sein, dass die Gewichtsverminderung selbst induziert wurde und die Selbstwahrnehmung im Hinblick auf den eigenen Körper in der oben beschriebenen Weise verzerrt ist. Typisch ist weiterhin eine ausgeprägte Störung des Hormonhaushalts (Hypothalamus-Hypophyse-Gonaden-Achse) mit Amenorrhö bei Frauen und Potenzverlust bei Männern.
173 3.3 · Störungen des Essenverhaltens
> Anorektische Frauen können unter hormoneller Antikonzeption oft sehr viel länger vaginale Blutungen aufweisen.
Gleichzeitig besteht bei stark anorektischen Patientinnen eine Überfunktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse mit Abschwächung der zirkadianen Rhythmik des Kortisolspiegels.
3
Medikamentöse Behandlungsversuche sind bislang ohne überzeugende Erfolge verlaufen. Prognose. In einem Viertel der Fälle besteht die Anorexia nervosa auch nach Therapie weiter fort. ! Cave In 10% der Fälle endet die Erkrankung tödlich.
Differenzialdiagnose. Organische Störungen, die mit einer Gewichtsverminderung einhergehen. Bulimia nervosa: Anorektische Frauen haben im Allgemeinen keine Fressattacken, keine Gier nach Essen oder den Zwang, große Mengen zu verschlingen. Allerdings gibt es Übergänge zwischen verschiedenen Formen von Essstörungen.
In einem Viertel der Fälle chronifiziert die Erkrankung. 2/3 der Patienten können von der Behandlung profitieren und zeigen eine Besserung bis hin zu völliger Heilung der Störung.
Therapie. In der Therapie kommen oft Behandlungsansätze aus sehr unterschiedlichen theoretischen Bezugsrahmen zum Einsatz. Von großer Wichtigkeit sind Motivationsstrategien, um Betroffene einerseits zur Psychotherapie zu motivieren und andererseits in der Therapie zu halten. Auch in der ambulanten Behandlung sollte der Aufbau eines gesunden Essverhaltens betont und eine Gewichtszunahme mit Reduktion körperlicher Risiken angestrebt werden.
Synonym. Ess-Brech-Sucht.
! Cave
Ätiopathogenese. Ein einheitliches, empirisch belegtes
3.3.2 Bulimia nervosa
Definition. Wiederholte Anfälle von Heißhunger und
eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts charakterisieren dieses Störungsbild. Dazu gehört ein Verhaltensmuster von Essanfällen (Verzehr von erheblichen Nahrungsmengen innerhalb eines Zeitraums von 2 h) und Erbrechen oder Gebrauch von Abführmitteln.
Eine alleinige Diätberatung wird im Regelfall unzureichend sein.
Modell gibt es auch für die Entstehung der Bulimia nervosa nicht.
Eine stationäre Therapie spielt in der Behandlung der Anorexia nervosa eine größere Rolle als bei anderen Essstörungen, wobei strukturierte Therapieprogramme angewandt werden sollten, die eine Normalisierung des Essverhaltens mit Gewichtszunahme und eine Änderung der Einstellung zu Gewicht und Figur zum Ziel haben. Es wird eine durchschnittliche wöchentliche Gewichtszunahme von 500–1000 g empfohlen. Vermieden werden sollten sehr rigide, unflexible und strafende Programme. Viel Wert ist auf die Kontrolle körperlicher Komplikationen und Risiken zu legen. Einrichtungen mit ausgewiesener Erfahrung bei der stationären Therapie der Anorexia nervosa sollten bevorzugt werden. Es ist auch in der stationären Behandlung sinnvoll, Angehörige in die Therapie einzubeziehen, um den oft schwierigen Übergang zur ambulanten Therapie zu erleichtern. Eine unfreiwillige Unterbringung sollte möglichst vermieden werden. Im Anschluss an die stationäre Phase wird eine zumindest 12-monatige ambulante Nachbehandlung empfohlen. Zur Stabilisierung von Behandlungseffekten kann die Teilnahme in einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein.
Lerntheoretisch werden die Abhängigkeit des Selbstwertes von Gewicht und Figur sowie die Wichtigkeit der Kontrolle über die Nahrungsaufnahme als zentrale dysfunktionale Überzeugung angesehen. Bei vielen Patientinnen wird die negative Selbstbewertung als Teil der eigenen Identität erlebt. Eine solche Selbstwahrnehmung behindert Veränderung in einem weiten Lebensbereich. Strikte Diätregeln, die nahezu unmöglich eingehalten werden können, prägen das Verhalten. Durch den ständigen Hungerzustand und durch den ständigen Wunsch nach kontrollierter Nahrungsaufnahme werden Essanfälle begünstigt. Diese ziehen dann wieder kompensatorisches Verhalten wie Erbrechen oder Laxanzieneinnahme nach sich und führen zu erneutem Streben nach strikter Diät. Die Patienten sind oft von pathologischem Perfektionismus gekennzeichnet, der mit einer Überbewertung des Erreichens hoher persönlicher Standards und Ziele einhergeht. Gleichzeitig bewirkt eine übersteigerte selbstkritische Haltung ständige Unzufriedenheit mit eigenen Leistungen. Kennzeichnend sind weiterhin ähnliche dysfunktionale Kognitionen
174
3
Kapitel 3 · Psychosomatik
wie sie auch bei der Anorexia nervosa (7 Kap. 3.3.1) anzutreffen sind. Unter tiefenpsychologischem Aspekt liegt häufig ein narzisstisch-depressiver Kernkonflikt vor. Die dazu gehörenden Persönlichkeitsstrukturen liegen allerdings nicht bei allen Bulimikerinnen vor. Mangelndes Selbstwertgefühl ist fassadenhaft überdeckt von äußerer Stärke und Pseudoautonomie. Viele Patientinnen haben große Schwierigkeiten, angemessen mit Emotionen umzugehen. Eine Verminderung der rigiden Diätregeln wird bei diesen Patientinnen allein nicht ausreichen, um Essanfälle zu regulieren. > Neben Essanfällen zeigen diese Patientinnen häufig selbstverletzendes Verhalten oder Substanzmissbrauch.
Als Risikofaktoren sind ebenso wie bei der Anorexia nervosa ein soziokulturell vorgegebenes Schlankheitsmodell und problematische Bedingungen in der Familie (Verstrickung, rigides Erziehungsverhalten, Missbrauchserfahrungen, Traumatisierungen, aber auch Überbehütung, Konfliktvermeidung, wechselnde Koalitionsbildung) anzusehen. Zu den biologischen Faktoren, die zur Entstehung beitragen können, wird ein veränderter Set point gerechnet, eine Art Sollwertverstellung des Normalgewichts, die mit Zeichen von Mangelernährung bei statistischem Normalgewicht einhergeht. Es werden auch Störungen der Regulation von Hunger und Sättigung und neurodendokrine Veränderungen vor allem im serotonergen System diskutiert. Als Auslöser können Spannungen in der Familie oder veränderte Rollenerwartungen in der späten Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter wirken bzw. die Erkrankung aufrechterhalten. Im Bereich psychosozialer auslösender Faktoren fallen kritische Lebenssituationen wie Trennung, Verlust, neue Leistungsanforderungen auf. Die kognitive Beeinträchtigung durch die ständige gedankliche Beschäftigung mit Nahrung könnte eine Art dysfunktionalen Bewältigungsversuch für das Lebensereignis darstellen, der allerdings mit erheblichen Nachteilen erkauft wird. Klare und gesicherte Vorstellungen für eine gezielte Prävention der Bulimie existieren nicht. Epidemiologie. Insbesondere junge Frauen der Alters-
gruppe von 15–30 Jahren sind betroffen, ca. 2‒3% der Frauen dieser Altersgruppe sind erkrankt. Symptomatik. Typisch ist ein Kontrollverlust während
der Essattacke, es wird deutlich mehr gegessen als von
gesunden Vergleichspersonen. Wiederholtes selbstinduziertes Erbrechen kann zu Komplikationen (Elektrolytstörungen, Karies) führen. Auch Fasten, Sport oder Abführmittel werden von den Patienten eingesetzt, um das Körpergewicht zu kontrollieren. Die übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht ähnelt der Anorexia nervosa. > Eine Bulimia nervosa kann im Verlauf einer Anorexia nervosa, bei Normalgewicht oder Übergewicht auftreten.
Die vorhandenen Störungen werden von den Betroffenen oft geleugnet. Die Patientinnen unternehmen dann große Anstrengungen vor ihrer Umgebung, einschließlich nahen Angehörigen, die Krankheit zu verbergen, was oft über erstaunlich lange Zeiträume gelingt. Unterschieden werden 2 Typen der Bulimia nervosa: 4 Purging-Typus (Erbrechen oder Missbrauch von Laxanzien, Diuretika, Klistiere) 4 Nicht-Purging-Typus (andere gegensteuernde Maßnahmen wie Fasten, übermäßige körperliche Betätigung) Diagnostik. Die Diagnose ist nur durch eine detaillierte
Exploration zu stellen. Das Körpergewicht kann normal, erhöht oder erniedrigt sein. Die Essattacken müssen über mindestens 3 Monate durchschnittlich 2-mal/ Woche nachweisbar sein. Die Fressanfälle sind charakterisiert durch: 4 Essen einer Nahrungsmenge, die eindeutig größer ist, als die, die die meisten Menschen in einem ähnlichen Zeitraum essen würden 4 Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen während des Fressanfalls Die Fressanfälle treten gemeinsam mit mindestens 3 der folgenden Symptome auf: 4 Wesentlich schneller essen als normal 4 Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl 4 Essen großer Nahrungsmengen, wenn man sich körperlich nicht hungrig fühlt 4 Alleine essen aus Verlegenheit über die Menge, die man isst 4 Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit oder große Schuldgefühle nach dem übermäßigen Essen. > Die Patientinnen leiden deutlich unter ihrer Erkrankung.
175 3.3 · Störungen des Essenverhaltens
Differenzialdiagnose. Binge-Eating-Störung (alle typi-
schen Symptome einer Bulimie bis auf das unangemessene Kompensationsverhalten, purging mit Erbrechen, Abführen usw.). Persönlichkeitsstörungen können zusätzlich auftreten. Sonstige Essstörung (nicht alle Kriterien der Bulimie erfüllt). Therapie. Initial kommt eine antidepressive Medika-
tion mit einem selektiven Serotonin-WiederaufnahmeHemmer (SSRI, vor allem Fluoxetin) in Frage. Günstige Effekte sind in der Regel bereits nach kurzer Einnahmezeit zu beobachten, die Langzeiteffekte sind jedoch ungewiss. Alternativ kann ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Selbsthilfe-Programm unter Anleitung angeboten werden. Ist nach wenigen Wochen kein Therapieerfolg zu verzeichnen, sind intensivere psychotherapeutische Ansätze nötig. > Ein Therapieerfolg kann in der Regel erst nach 8–12 Monaten erwartet werden kann. Alle psychotherapeutischen Ansätze haben nur einen geringen Effekt auf das Körpergewicht.
Die Wirksamkeit bei der Behandlung von Erwachsenen mit Bulimia nervosa ist für die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT, nach Fairburn) am besten nachgewiesen. Üblicherweise wird eine Kurzzeittherapie von 16‒
3
20 Sitzungen in ambulanter Einzeltherapie über einen Zeitraum von 4‒5 Monaten angeboten. Auch Gruppentherapie hat sich als wirksam erwiesen. Bei ambulanter Behandlung sind im ersten Monat 2 Therapiesitzungen pro Woche sinnvoll, um vor allem bei Patientinnen mit sehr chaotischem Essverhalten initial eine gewisse Stabilisierung zu erzielen sowie eine therapeutische Beziehung aufzubauen. Die KVT fokussiert vor allem die aufrechterhaltenden Mechanismen der Essstörung, ihr Schwerpunkt liegt in der Gegenwart und Zukunft. Tiefenpsychologisch orientierte Behandlungen gehen davon aus, dass die Bulimie einen psychosomatischen Lösungsversuch eines neurotischen Konfliktes darstellt. Die Behandlung setzt daher bei diesen Konflikten und Defiziten an und wird auf der Übertragungsebene die Zuwendungswünsche und Abhängigkeitsängste der Patientinnen beachten. Im Vordergrund stehen Stärkung des Selbstwertgefühls, Bearbeitung der Pseudoautonomie, Abgrenzungsfähigkeit, Umgang mit negativen Affekten. In schweren Fällen ist eine stationäre Behandlung mit anschließend ambulanter Weiterbehandlung zur Sicherung des Therapieerfolges dringend erforderlich. Auch nach einer ambulanten Therapie kann der Besuch einer Selbsthilfegruppe sinnvoll sein. Prognose. Auch bei guter Psychotherapie kann nur eine Remissionsrate von 40‒50% erwartet werden.
In Kürze Essstörungen Anorexia nervosa
4 Symptomatik: willentliche Reduktion des Körpergewichtes durch Regulation des Essverhaltens unterhalb minimal-normaler Werte, tödlicher Ausgang möglich 4 Ätiologie: Zusammenwirkung von genetischen, gesellschaftlichen, biographischen Ursachen 4 Diagnostik: eigener Körper wird als zu dick erlebt (auch bei groteskem Untergewicht), selbstinduzierte Gewichtsreduktion, gestörter Hormonhaushalt 4 Therapie: Motivation, Kombination einsichts- und handlungsorientierter Ansätze mit körperpsychotherapeutischem Vorgehen
Bulimia nervosa
4 Symptomatik: meist Heißhungerattacken mit Kontrollverlust während des Essens (ungewöhnliche Mengen), anschließende Maßnahmen, die Nahrungszufuhr rückgängig zu machen (z. B. Erbrechen) 4 Ätiologie: Selbstabwertung (oft biographisch bedingt bei invalidierenden Erfahrungen), narzisstisch-depressiver Kernkonflikt. 4 Diagnostik: Essattacken ca. 2-mal/Woche über mindestens 3 Monate, Verheimlichungstendenz, Ekelgefühl vor sich selbst 4 Therapie: kognitive Verhaltenstherapie (KVT), initial auch SSRI, in schweren Fällen stationäre Therapie mit anschließender ambulanter Weiterbehandlung, Stabilisierung ggf. in Selbsthilfegruppe und weitere Maßnahmen. Erfolg erst nach Monaten bei ca. nur 50%
176
Kapitel 3 · Psychosomatik
3.4
Nichtorganische Schlafstörungen
Definition. Veränderungen des Schlafverhaltens oder
Schlaferlebens, die einen Leidenszustand hervorrufen.
3
Ätiopathogenese. Häufig werden Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen genannt, die mit Verminderung der als subjektiv nötig angesehenen Schlafmenge (Insomnie, besser: Hyposomnie) einhergehen. Ein vollständiger Verlust der Schlaffähigkeit tritt praktisch nur im Zusammenhang mit hirnorganischen Veränderungen auf. Bei den chronifizierten primären Schlafstörungen sind in sehr starkem Maße Lernprozesse und Teufelskreise der Symptomerwartung beteiligt, so dass ein lerntheoretisch gut erklärbarer Anteil der SymptomAufrechterhaltung vorliegt. Dieser wird nach kurzer Zeit unabhängig von möglicherweise ursprünglich zugrunde liegenden Konflikt- oder Spannungssituationen wirksam. Die Grundelemente einer psychotherapeutischen Behandlung von Schlafstörungen sind auch präventiv wirksam.
4 bei unwillkürlichen motorischen Reaktionen während des Schlafes (periodische Beinbewegungen, Restless-leg-Syndrom), 4 bei unüberwindlichen Müdigkeitsattacken am Tag (Narkolepsie), sollte an die Weiterleitung des Patienten an ein von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) auf Qualität überprüftes und akkreditiertes Schlaflabor gedacht werden. > Zu Schlafstörungen werden auch Schlafwandeln, Pavor nocturnus (Nachtangst) und Albträume gezählt.
Diagnostik. Die Diagnose einer gesundheitsrelevanten
Schlafstörung setzt voraus, dass die Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen seit mehr als einem Monat an mindestens 4 von 7 Tagen auftreten und zu einer Einschränkung der Befindlichkeit und des (subjektiv erlebten oder objektiven) Leistungsvermögens am nächsten Tag führen. Differenzialdiagnose. Schlafproblematik infolge einer
Epidemiologie. Die Häufigkeit relevanter Schlafstörun-
gen wird auf über 5% in der Bevölkerung geschätzt. Durchschlafprobleme stellen möglicherweise die am weitest verbreiteten psychosomatischen Erkrankung dar.
anderen Erkrankung (Schilddrüsenfehlfunktionen oder andere endokrine Störungen, Magen-Darm-Geschwüre, depressive Störung u. a.). Therapie. Schlafstörungen sind häufig, sehr beeinträch-
> Etwa die Hälfte der Patienten in einer Allgemeinarztpraxis haben Probleme mit ihrem Schlaf, davon nimmt ein Fünftel regelmäßig verschreibungspflichtige Schlafmittel ein.
tigend, aber oft nur unzureichend behandelt. Medikamentöse Maßnahmen können im Sinne einer Krisenintervention sinnvoll sein. ! Cave
Schlafmittelabhängigkeit (meist Benzodiazepine) ist ein häufiges sekundäres, oft iatrogenes Problem. Ein zu abrupter Entzug kann eine ernste Entzugssymptomatik nach sich ziehen. Wenn ein Absetzversuch ohne psychotherapeutische Begleitung unternommen wird, ist bei hoher Ausgangsdosis zunächst eine Reduktion der Tagesdosis und dann über mehrere Tage eine Einnahme nur noch an jedem zweiten Abend zu empfehlen, bevor die Medikation vollständig beendet wird. Dazu kommen in jedem Fall Maßnahmen der allgemeinen Schlafhygiene (möglichst regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, keine schlafbehindernden Nahrungsmittel vor dem Zu-Bett-Gehen, ausreichende körperliche Betätigung, kein Verweilen im Bett bei Schlaflosigkeit u. a.). Symptomatik. Typisch sind Einschlafstörungen und Durchschlafstörungen. Besonders beim Vorliegen 4 eines chronifizierten Schlafmittelabusus, 4 bei nächtlichen Atemstillständen (Apnoen),
Die medikamentöse Therapie muss auf einen Zeitraum von höchstens 3 Wochen begrenzt bleiben und vom Behandler explizit beendet werden.
Psychotherapeutische Maßnahmen sind insbesondere indiziert bei primärer Insomnie. Ist die Schlafstörung Ausdruck aktueller oder aktualisierter Konflikte, wird eine wirksame Behandlung deren Beseitigung voraussetzen. Häufig sind jedoch keine bedeutsamen Konflikte erkennbar, während mehrere Hinweise auf ungünstige Lebensführung und Schlafkultur bestehen. Vor dem Erkunden unbewusster Konflikte sollte die Aufklärung über gesundes Schlafverhalten (Verbesserung der Schlafhygiene) stehen. Eine assoziative Verknüpfung der Schlafumgebung mit Ruhe und Entspannung sollte etabliert werden (Stimuluskontrolle).
177 3.5 · Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen
Schlafhygiene Obwohl ein zu sehr am Symptom orientiertes Vorgehen zu Misserfolgen führen kann, muss vor einer ausschließlichen Konzentration auf dahinter liegende Ursachen genauso gewarnt werden. Chronifizierte Ein- und Durchschlafprobleme entwickeln über den Teufelskreis der Erwartungsangst eine Eigendynamik, die auch nach dem Beheben der ursprünglichen Probleme die Schlafstörung aufrechterhält. Die konsequente Anwendung lerntheoretischer Erkenntnisse hilft, schlafförderndes Verhalten zu erwerben. So haben Fernseher und Telefon im Schlafzimmer nichts zu suchen. Der Schlafsuchende sollte, wenn es ihm nach ca. 30 Minuten nicht gelungen ist einzuschlafen, wieder aufstehen und das Schlafzimmer verlassen. Er sollte dann einer aktiven Beschäftigung nachgehen (nicht Fernsehen) und erst dann erneut zu Bett gehen, wenn er sich müde fühlt. Sofern sich der Schlaf auch dann nicht innerhalb einer halben Stunde einstellt, ist die Prozedur zu wiederholen. Auf 6
3
diese Weise wird eine Verknüpfung der Schlafumgebung mit Nervosität, Angst oder Ärger vermieden bzw. wieder abgebaut.
Entspannungsverfahren (autogenes Training, progressive Muskelentspannung) helfen allein bei länger bestehenden Schlafstörungen nicht weiter, sind aber unterstützend geeignet. Hilfreich ist es auch, den Patienten standardisierte Empfehlungen (z. B. der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, DGSM) an die Hand zu geben. Prognose. Patienten äußern oft die Befürchtung, der durch die Therapie erlebte Schlafmangel könne schädliche Folgen haben. Wichtig ist, die Patienten zur konsequenten Umsetzung des Behandlungsprinzips zu motivieren. Nach kurzer Zeit stellt sich in der Regel bei diesem Vorgehen eine deutliche Besserung des Schlafverhaltens ein, die eine langfristige Besserung des Befindens bewirkt.
In Kürze Nichtorganische Schlafstörungen Nichtorganische Schlafstörung
3.5
4 Symptomatik: Ein- oder Durchschlafstörungen, als Leidenszustand empfunden 4 Ätiologie: Spannungssituationen, ungünstige Lernprozesse 4 Diagnostik: Ein- oder Durchschlafstörungen seit mehr als einem Monat an mindestens 4 von 7 Tagen mit Befindlichkeits- und Leistungseinschränkungen, in Zweifelsfällen Schlaflabor 4 Therapie: Schlafhygiene, Bearbeitung zugrunde liegender Konflikte, Medikamente nur zur Krisenintervention
Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen
Definition. Störungen des sexuellen Erlebens und Ver-
haltens durch Beeinträchtigung von Appetenz, sexueller Erregung oder Orgasmusfähigkeit. Auch Schmerzen im Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr, die nicht auf organische Bedingungen zurückführbar sind, gehören zu den sexuellen Funktionsstörungen. Ätiopathogenese. Sowohl lerntheoretisch als auch psychodynamisch wird Angst eine hohe Bedeutung zugesprochen. Von verhaltenstherapeutischer Seite wird die sich durch den sog. Selbstverstärkungsmechanismus aufbauende Versagensangst betont (durch mehrere vergebliche und enttäuschende Erfahrungen gelernte negative Reaktion mit anschließendem Vermeidungsverhalten), während sie sich aus tiefenpsychologischer Sicht als das Ergebnis eines Konflikts von angstauslö-
senden Triebimpulsen und deren Abwehr und der daraus resultierenden Stabilisierung des psychischen Gleichgewichts darstellt. Unabhängig von diesen Modellbildungen wird angenommen, dass auf unterschiedlichen Ebenen wirksame Faktoren interagieren müssen, um eine Funktionsstörung zu bewirken. Danach wirken sich auf dem Boden einer entsprechenden Disposition tiefer liegende, ätiologisch wirksame Faktoren (intrapsychische Konflikte, partnerschaftliche Probleme, »life events«) dann aus, wenn unmittelbare Ursachen (Fehlerwartungen, übermäßige Kontrollbedürfnisse, Versagensangst) situativ mit ihnen zusammenwirken und unerwünschte psychophysiologische Effekte zeigen. Angst beeinträchtigt durch starke Hemmung des autonomen Nervensystems die adäquate sexuelle und somit auch die entsprechende physiologische Erregung. Außerdem stört Angst die kognitiven und emotionalen
178
Kapitel 3 · Psychosomatik
Empfindungen, die zur Entstehung sexueller Erregung nötig sind. > Ein entspanntes Einlassen auf sexuelle Aktivität ist unter ängstlicher Anspannung kaum möglich.
3
Ähnliche Einflüsse scheinen Ärger, Feindseligkeit und Unterlegenheitsgefühle gegenüber Partner oder Partnerin zu spielen. Im Folgenden wird die erektile Dysfunktion exemplarisch näher beschrieben. 3.5.1 Erektile Dysfunktion nicht durch
organische Störungen/Krankheit bedingt Selbstverstärkendes Geschehen Bei einem Patienten mit vorliegendem Alkoholabusus kommt es aufgrund der Intoxikation zu einer unvollständigen Erektion. Obwohl dies primär Effekt des Alkohols ist, kann das Gefühl entstehen, durch sexuelle Unzulänglichkeit versagt zu haben. Unsicherheit bezüglich der eigenen sexuellen Potenz ist die Folge: »Wird es das nächste Mal gehen? Versage ich wieder?« Es entsteht eine Fokussierung auf den nächsten Koitus mit Gedanken wie: »Ist meine Erektion stark genug? Wird sie lange genug andauern?« Womöglich trinkt sich der Mann vorher mittels Alkohol Mut an, oder versucht, durch Alkohol entspannter zu werden, was neben der verstärkten Selbstbeobachtung und den beginnenden Zweifeln an der eigenen Potenz die physiologische Reaktion weiter erschwert. Nach einigen Misserfolgen und eventuell negativen Reaktionen seitens der Partnerin können sich so schnell ein stabiles Vermeidungsverhalten und ausgeprägte Versagensängste einstellen.
Definition. Funktionelle, d. h. primär psychisch bedingte Erektionsstörung. Ätiopathogenese. Unterschieden wird zwischen prädisponierenden oder auslösenden Bedingungen sowie aufrechterhaltenden Faktoren: 4 Prädisponierend können sein allgemeine Gehemmtheit, Partnerschaftskonflikte, dysthyme Stimmungslagen, Probleme der Geschlechtsidentität, Stress, psychosexuelle Traumata, falsche Vorstellungen oder Unwissenheit über Sexualität. Hingegen erlegen viele Menschen entsprechende Probleme, ohne eine Sexualstörung zu entwickeln. Häufig ist erst das gemeinsame Auftreten mehrerer dieser Faktoren entscheidend für die Pathogenese.
4 Aufrechterhaltende Bedingungen, wie die Angst, sexuell zu versagen, sind meist notwendig, um eine länger andauernde funktionelle Störung auszuprägen. Möglichkeiten zur Prävention liegen im Bereich der Psychoedukation und Wissensvermittlung. Wissensvermittlung über Sexualverhalten Trotz breiter Diskussion über Sexualität in der Öffentlichkeit ist diese meist nicht aufklärend, sondern sensationslüstern und auf Deviationen abzielend, insbesondere in den Medien. Die Durchschnittsbevölkerung ist eher »pseudo-aufgeklärt«, ihre Sexualbildung ist angefüllt mit Idealvorstellungen und Mythen. Verzerrte Vorstellungen oder mangelndes Wissen über die »nötige« Penisgröße, die Wichtigkeit der Gleichzeitigkeit der Orgasmen, irrige Vorstellungen über die Erregungskurve der Frau, die Koitushäufigkeit, mangelnde Zärtlichkeit durch Penisfixierung beim Mann etc. können Versagensängste stabilisieren. Wichtig ist neben umfassender, objektiver Aufklärung, die Förderung der Kommunikation zwischen den Sexualpartnern bezüglich etwa des sexuellen Erlebens, des vom anderen erwünschten Sexualverhaltens, Abneigungen und Präferenzen bezüglich bestimmter Praktiken usw. Eine differenzierte Betrachtung und Diskussion über vermeintliche Normen und die Informationen über das tatsächlich durchschnittliche Sexualverhalten können wesentlich zur Entmythologisierung und somit zur Entlastung und Angstreduktion beitragen.
Epidemiologie. Prinzipiell ist bei Untersuchungen zur
Häufigkeit funktioneller Sexualstörungen von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, da der Problembereich bei vielen Männern stark schambesetzt ist. Zusammenfassend zeigen Untersuchungen: 4 Sexuelle Funktionsstörungen bei Männern sind ein häufiges Problem und bedürfen bei jeder Anamnese der Erhebung. 4 Erektionsstörungen nehmen mit dem Alter deutlich zu. Das Thema Sexualität sollte bei älteren Patienten angesprochen werden, um entlastend und präventiv zu wirken. 4 Sexualtherapeuten werden primär wegen Erektionsproblemen und Ejaculatio praecox aufgesucht. In den letzten Jahren nehmen Appetenzstörungen bei Männern zu, was eventuell mit dem veränderten sexuellen Selbstverständnis und dem resultierenden veränderten Verhalten der Partnerinnen zu erklären wäre. Symptomatik. Unterschieden wird zwischen
4 Störungen der sexuellen Appetenz (deutliche und anhaltende Minderung des sexuellen Verlangens)
179 3.5 · Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen
4 Störungen der Erregung (Störungen in Bezug auf zum Geschlechtsverkehr nötige Dauer und Stärke der Erektion, Schmerzen bei dessen Ausführung, Dyspareunie) 4 Orgasmusstörungen (Ejaculatio praecox, Anorgasmie, Ejaculatio ohne Orgasmusgefühl) 4 Störungen der postkoitalen Entspannung (Missempfindungen im Genitalbereich, postkoitale Depression, Gereiztheit, Weinkrämpfe, Schlafstörungen Diagnostik. Formale Beschreibungskriterien sind zur
Diagnose ebenso wichtig wie inhaltliche Elemente: 4 Frequenz der Störung (immer oder gelegentlich) 4 Situativen Faktoren (wo, wie, mit wem, welche Lebensbelastungen, Stressoren etc.) 4 Chronologischer Verlauf (seit wann, Schwankungen) 4 Schweregrad (keinerlei/geringe/gerade noch ausreichende Erektion, lange Erregungs- oder Refraktärzeit, subjektiver Leidensdruck) Wichtig ist die Unterscheidung zwischen primärer (seit Anbeginn der sexuellen Aktivität bestehender) und sekundärer Störung (erworbene Störung). Letztere sind meist hinsichtlich auslösender und aufrechterhaltender Bedingungen besser analysierbar und in der Therapie leichter zugänglich. Weiter ist die Situationsabhängigkeit ein wichtiges Kriterium, um entscheiden zu können, ob es sich um eine vorwiegend psychogenetische oder eher körperliche (oder bereits stark chronifizierte und generalisierte) Problematik handelt. Die Partnerabhängigkeit ist ein weiterer Hinweis darauf, ob es sich um ein partnerschaftsspezifisches und somit beziehungsrelevantes Geschehen handelt, für dessen Therapie der Partner unverzichtbar wäre. Differenzialdiagnose. Auszuschließen sind
4 Körperliche Erkrankungen: Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Störungen (insbesondere Hypertonie), neurologische Erkrankungen (Multiple Sklerose, Polyneuropathien, Temporallappenschädigungen), urologische Erkrankungen (vor allem der Prostata) 4 Pharmakanebenwirkungen 4 Komorbide psychische Störungen (Depressionen, Alkoholabhängigkeit) Bei Nebenwirkungen von Pharmaka hilft oft schon eine Veränderung der Medikation oder eine Neueinstellung, um die sexuelle Dysfunktion zu beheben. Häufig haben sich aber schon nach kurzer Dysfunktion die psychi-
3
schen Mechanismen der Versagensangst eingestellt, sodass die Störung persistiert, obwohl der Auslösefaktor (die Medikation) bereits entzogen wurde. Therapie. Entsprechend der multifaktoriellen Genese
der erektilen Dysfunktion kommt ein breites Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten in Frage. Der Patient oder besser das Paar sollten in der Wahl der therapeutischen Maßnahmen einbezogen werden. Von somatischer Seite bietet sich die Anwendung oral applizierbarer Medikamente mit zentraler (z. B. Yohimbin) oder peripherer (PDE-5-Hemmer wie Sildenafil [Viagra], Tadalafil [Cialis] Wirkung an. Auch die lokale Gabe von Medikamenten (intrakavernöse Autoinjektion von Prostaglandin E1 oder speziellen Kombinationspräparaten; intraurethrales Prostaglandin E1) kann in Frage kommen. Auch Vakuum-Erektionshilfen oder Penisprothesen stehen als Behandlungsoption zur Verfügung. Psychosoziale Interventionen reichen von einfachen Beratungen über Paar-Sexualtherapie bis hin zur umfassenden speziellen psychotherapeutischen Behandlung zugrunde liegender Problembereiche. Hat eine Sexualberatung (primär Psychoedukation, Paarberatung, Kommunikationsförderung) nach einigen Sitzungen keine Besserung initiiert, sollte der Patient einer qualifizierten Psychotherapie zugeführt werden. > Die sehr häufig zu beobachtende Interdependenz sexueller und partnerschaftlicher Probleme hat dazu geführt, dass gegenwärtig sexualtherapeutische Intervention und Therapie meist eng mit paartherapeutischen Elementen verbunden ist.
Die sexualtherapeutische Therapie besteht aus einer Sequenz aufeinander aufbauender Verhaltensübungen. Sie werden vor- und nachbesprochen und im häuslichen Bereich durchgeführt. Es wird mit dem sog. Sensualitätstraining (»sensate focus«) begonnen, es folgen Petting-Übungen ohne/mit Orgasmus, Einführung des Penis ohne/mit Bewegung usw. bis hin zum nicht mehr durch Anweisungen beschränkten Koitus. Über graduierte Stufen wird das sexuelle Verhalten wieder aufgebaut und eingeübt. Begleitend werden die einzel- und paartherapeutischen Elemente der Therapie durchgeführt: Kommunikationstraining, Probleme der körperbezogenen Akzeptanz und des Selbstwertgefühls, Stressmanagement, Konflikte in der Partnerschaft, Fragen der gemeinsamen Lebensplanung etc. Aufgrund der Interdependenz von sexuellen und partnerschaftlichen Störungen kann es sein, dass das
180
Kapitel 3 · Psychosomatik
sexualtherapeutische Vorgehen nicht durchgeführt werden kann, bevor grundlegende partnerschaftliche Themen bearbeitet wurden.
3
Behandlungsziele Die positive Modifikation dysfunktionaler Selbstverstärkungsmechanismen der Versagensangst ist (zumindest beim lerntheoretisch begründeten therapeutischen Vorgehen) von entscheidender Bedeutung; alle begleitenden Faktoren, die hier hinderlich sind (Vermeidungsverhalten, situativ hinderliche Bedingungen, Konflikte in der Partnerschaft etc.) müssen selbstverständlich vorher oder begleitend ebenfalls therapeutisch behandelt werden. Bei Männern ohne Partnerin sind andere Faktoren wesentlich: hier stehen Informationsvermittlung und kognitive Umstrukturierungen bezüglich Partnerschaft und Sexualität, Abbau von Beziehungsängsten, Bearbeitung eines negativen Selbstwertgefühls und Reduktion von Selbstunsicherheit sowie der Erwerb sozialer Kompetenzen in Hinsicht auf die Partnersuche im Vordergrund.
Bei der Rezidivprophylaxe ist ein effektives Selbstmanagement mit graduierten posttherapeutischen Interventionen zu vermitteln. > Insbesondere der schnell einsetzende Selbstverstärkungsmechanismus der Versagensangst sollte in aller Transparenz dem Patienten (und seiner Partnerin) bewusst sein.
Die Notwendigkeit der offenen Kommunikation über das Wiederauftreten von Störungen und der Rückgriff auf erlernte Modifikatoren sollten klar besprochen worden sein. Ebenfalls wichtig ist es (bei in Partnerschaften
auftretenden Störungen), ein hohes Maß von Aufmerksamkeit bezüglich begleitender oder konfundierender Faktoren (situative Bedingungen, Partnerschaftskonflikte, Stressoren etc.) zu installieren, damit zügig auf solche Faktoren reagiert wird und bei defizitärer Selbstbewältigung frühzeitig wieder externe Hilfe in Anspruch genommen wird, bevor es zu einer erneuten, sich selbst verstärkenden Lernerfahrung mit eventueller Resignation kommt. Prognose. Insgesamt sind die Erfolgsquoten von 50‒ 80% im Vergleich mit der Behandlung anderer psychischer Störungen erfreulich, wobei die einzelnen Störungsbilder unterschiedliche Prognosen aufweisen. Prognose verschiedener Sexualstörungen Bei der Ejaculatio praecox sind die Behandlungserfolge besonders gut, die Resultate bei primären Erektionsstörungen und gestörter Appetenz liegen darunter. Ungünstig sind konfundierte und/oder co-morbide Störungen (generelle Ängstlichkeit, Chronifizierung der Störung, mangelnde Autonomie des Mannes vom Elternhaus, psychiatrische Störungen).
Als prognostisch valide Indikatoren erweisen sich: 4 Güte der Partnerschaft, also die Dimension der liebevollen, akzeptierenden und co-operativen Bindung bis hin zu deren Gegenteil 4 Art der Störung 4 Grad der Therapiemotivation und der Compliance 4 Vorhandensein weiterer psychischer Störungen 4 Erfolg, der bis zur dritten (!) Therapiesitzung zu erzielen ist
In Kürze Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen Erektile Dysfunktion nicht durch organische Störung/ Krankheit bedingt
4 Symptomatik: unzureichende Erektion ohne organische Ursache 4 Ätiologie: Angst oder Anspannung in der Folge biographisch erklärter Konflikte oder als Ergebnis ungünstiger Konditionierungen 4 Diagnostik: nach Ausschluss organischer Ursachen ist die genaue Erhebung situativer Bedingungen und der Partnerschaftsdynamik erforderlich. 4 Therapie: möglichst kausaler Ansatz, Prognose insgesamt gut, aber abhängig von Begleitfaktoren
181 3.6 · Affektive Störungen
3.6
Affektive Störungen
Definition. Kennzeichnend für diese Störungsgruppe sind Abweichungen von Stimmung und Antrieb gegenüber einem (unscharf abgegrenzten) Normalbereich: 4 Manische Symptome machen sich mit gehobener oder reizbarer Stimmung und einer Antriebssteigerung über eine bestimmte Zeit hin bemerkbar. 4 Depressive Symptome sind von Bedrücktheit, Niedergeschlagenheit, evtl. Gleichgültigkeit und häufig Antriebsverminderung geprägt (7 Psychiatrie).
3
pressiven Erkrankung. In der Allgemeinarztpraxis ist bei mehr als 10% der Patienten mit einer aktuellen depressiven Erkrankung. Bislang wird allenfalls jeder 10. davon im Hinblick auf die depressive Störung behandelt. In den letzten Jahren nehmen depressive Störungen bei jungen Erwachsenen zu, während früher von einem Erkrankungsgipfel bei Personen über 45 Jahren ausgegangen wurde. Vor allem bei Jüngeren sind Frauen annähernd doppelt so häufig betroffen wie Männer. Symptomatik. Eine depressive Störung wirkt sich auf
3.6.1 Depressive Episode
körperlicher, emotionaler und kognitiver Ebene aus und unterscheidet sich von einer vorübergehenden Niedergeschlagenheit.
Definition. Einmalig auftretende Depression.
4 Rezidivierende Depression: wiederholt auftretende, wieder völlig abklingende Depression 4 Dysthyme Störung: sich immer verstärkende, nie völlig abklingende Depression Ätiopathogenese. Für die Entstehung depressiver Stö-
rungen sind genetische Prädisposition, biographische und sozioökonomische Faktoren bedeutsam. Auf der Ebene des cerebralen Stoffwechsels fällt vor allem ein Mangel an Serotonin auf (7 Psychiatrie). Tiefenpsychologische Schulen betonen die zentrale Bedeutung von frühen Verlust-, Verunsicherungsoder Enttäuschungserlebnissen, die zu einem Grundkonflikt zwischen Bindungswunsch und Autonomiestrebungen führen. Lerntheoretisch orientierte Ansätze betonen die Wirkung depressionsfördernder Kognitionen (eindimensional, absolutistisch, generalisierend, invariant, undifferenziert) sowie den Einfluss von Verstärkerverlust-Erlebnissen (Trennungen, Verluste, sozialer Abstieg) oder erlernter Hilflosigkeit. Nicht selten steht die Depression in Zusammenhang mit einem Ereignis, einer Ereigniskombination im Leben des Betroffenen. Eine depressive Störung kann auch durch eine körperliche Erkrankung oder durch Medikamenteneinnahme hervorgerufen werden. Als präventiv wirksam ist eine ausgeglichene Gestaltung der Lebensführung mit selbstwertstabilisierenden Kognitionen und einem angemessenen Anspruchsniveau anzusehen. Da genetische Faktoren in unterschiedlichem Ausmaß zur Störung beitragen, dürfte der Beitrag exogener Faktoren allerdings unterschiedlich bedeutsam sein. Epidemiologie. Etwa 6,5 Millionen Menschen (8% der Bevölkerung) leiden in Deutschland an einer de-
> Die depressive Störung ist weder ein Zeichen persönlicher Schwäche noch ein Zustand, der durch einen Willensakt beendet werden kann.
Häufig ist das Bild weniger von offensichtlicher Traurigkeit geprägt als vielmehr von Nihilismus, Interessenverlust und innerer Leere. Antriebs-, Lust-, Freud-, Interessen-, Mutlosigkeit und weitere Defiziterscheinungen stehen häufig im Vordergrund. Meist lassen sich begleitend Schlafstörungen und Appetitmangel beobachten. Die Patienten fühlen sich in der Regel energielos, besonders morgens (Morgentief), während abends eine leichte Stimmungsverbesserung erlebt wird. Psychomotorisch fällt oft eine geringe Mimik und allgemeine Starre auf. > Depressive Erkrankungen sind häufig, sie beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit und verursachen nicht nur bei den Betroffenen Schmerzen und Leiden. Sie können sowohl das Leben der erkrankten Person als auch das Familienleben zerstören. Depressive Erkrankungen werden erschreckend oft nicht erkannt.
Depressive Störungen kommen in verschiedenen Formen vor, unterschieden werden sie nach Schweregrad, Verlauf und zusätzlichen, beeinflussenden Faktoren (Alter, Auslöser u. a.). Manisch-depressive Erkrankung Bei der manisch-depressiven Erkrankung (bipolare Störung), treten neben ausgeprägten Tiefs auch ausgeprägte Hochs auf. In diesen manischen Hochphasen ist der Betroffene oft überaktiv und ausgesprochen redselig. Die Manie beeinflusst häufig das Denken, die Urteilsfähigkeit und das Sozialverhalten auf eine Weise, die zu schweren Problemen und peinlichen Situationen führen kann.
182
Kapitel 3 · Psychosomatik
Die Bewertung des Schweregrades der Depression anhand der Anzahl und Art der Symptome korreliert keineswegs immer mit dem subjektiven Leiden des Betroffenen.
3
> Affektive Störungen begegnen dem Arzt in allen Bereichen der Medizin, sind oft schwerwiegende Beeinträchtigungen und beeinflussen die therapeutische Beziehung – besonders, wenn sie unerkannt bleiben.
Diagnostik. Entscheidend ist die oben beschriebene Symptomatik auf psychischer und psychomotorischer Ebene. Körpermissempfindungen und Vitalfunktionen sind anamnestisch zu erheben. Testpsychologische Befunde können die Diagnose erhärten und, insbesondere für eine Verlaufsdiagnostik wichtig, quantifizieren. Differenzialdiagnose. Pharmakogene oder organisch
begründete depressive Erscheinungsbilder, depressive Symptomatik bei Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung.
falls wirksam, jedoch von einer höheren Rückfallrate nach Beendigung der Medikamenteneinnahme gekennzeichnet. Eine Kombination von Psychotherapie und Medikation ist bei schwereren Erscheinungsformen sinnvoll. In besonderen Situationen können auch weitere Maßnahmen (Schlafentzug, Lichttherapie) zur Anwendung kommen. > Den meisten Menschen mit depressiver Erkrankung kann geholfen werden: Die Depression ist eine behandelbare Krankheit.
Prognose. Der Verlauf ist abhängig von der Form der Depression und vielen weiteren Faktoren. Vollständige Remissionen, Rezidive und chronifizierter Verlauf (10‒ 15%) sind möglich. Die Häufigkeit von Suiziden wird unter depressiven Patienten auf 15% geschätzt. Es ist daher eine wichtige Aufgabe des Arztes, diese Gefahr im Blick zu behalten und gegebenenfalls präventiv zu handeln. ! Cave
Therapie. Psychotherapie hat eine nachgewiesene Wir-
Suizidales Verhalten ist ein Notsignal, das in jedem Fall ernst genommen werden muss.
kung in der Behandlung der Depression. Besonders gut untersucht sind kognitive Verhaltenstherapie und interpersonelle Psychotherapie. Eine medikamentöse Therapie (trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer [SSRI] u. a.) ist eben-
Depressive Störungen erhöhen das Risiko für koronare Herzkrankheit, Infektionen, allergische und andere Erkrankungen. Der Mechanismus für diesen Zusammenhang ist ungeklärt.
In Kürze Affektive Störungen Depressive Episode
3.7
4 Symptomatik: Symptome auf körperlicher, emotionaler, kognitiver Ebene; Vitalitätsverlust: Traurigkeit, aber auch Antriebs-, Lust-, Interessen-, Mutlosigkeit 4 Ätiologie: genetische Faktoren, ungünstige Kognitionen, biographische Einflüsse (Verstärkerverlust, unbewusste Konflikte), Störungen im Neurotransmittersystem (Serotoninmangel) 4 Diagnostik: klinische Symptomatik, ggf. ergänzt durch Testdiagnostik 4 Therapie: Medikamente (Trizyklika, SSRI), Psychotherapie, Kombination beider Maßnahmen
Angststörungen
3.7.1 Phobische Störung Definition. Gerichtete, an ein normalerweise ungefähr-
liches Objekt, d. h. einen Gegenstand oder eine spezifische Situation gebundene Ängste, die nicht durch Vernunft erklärt oder beseitigt werden können. Die Angst ist unverhältnismäßig, ichdyston (als wesens-
fremd erlebt) und dem bewussten Willen entzogen. Es werden Agoraphobie, soziale Phobie und andere isolierte Phobien unterschieden. Ätiopathogenese. Tiefenpsychologisch handelt es meist sich um den Abwehrmechanismus der Verschiebung bei einem unbewussten Konflikt. Dabei werden innere, angstbesetzte Impulse durch äußere Objekte symbolisiert und übernehmen dadurch eine Funktion,
183 3.7 · Angststörungen
die das psychische System in seinem Konflikt zwischen Bedürfnis (Impuls) und Überich-Verbot entlastet. Menschen mit phobischen Störungen haben oft auch eine histrionische (u. a. gekennzeichnet durch sich in den Mittelpunkt rückendes, theatralisches Verhalten) oder zwanghafte Persönlichkeitsstruktur. Bei zwanghaften Charakteren handelt es sich häufig um aggressive Impulse, die abgewehrt werden, bei histrionischen dagegen häufig um sexuelle Impulse. In lerntheoretischer Sicht spielen negative Vorerfahrungen mit dem auslösenden Objekt eine Rolle (Klassische Konditionierung). Im weiteren Verlauf, insbesondere bei Chronifizierung, spielen dysfunktionale und auch fehlende Lernprozesse eine zentrale Rolle. Insofern können Phobien als Weigerung aufgefasst werden, neue und korrigierende Erfahrungen zu machen. Bei der Aufrechterhaltung des Störungsbildes haben auch sekundäre negative Erwartungen und ein dadurch erhöhtes Stressniveau einen starken Einfluss. Zur Prävention ist eine konsequente und angemessene Konfrontation mit im phobischen Sinne ängstigenden Reizen und den dahinter liegenden Grundängsten unumgänglich, da das Vermeidungsverhalten eine notwendige Bedingung zur Entstehung einer phobischen Störung darstellt. Mit gutem Erfolg kommen Expositionstechniken aus dem verhaltenstherapeutischen Repertoire zur Anwendung. Epidemiologie. In der Gesamtbevölkerung treten Pho-
bien mit 5–10% auf, erreichen jedoch nur zu einem kleinen Teil ein schweres klinisches Ausmaß. Frauen sind häufiger betroffen (Agoraphobie, Angst vor öffentlichen Plätzen: 80–90%). Bei den sozialen Phobien ist das Geschlechterverhältnis in etwa gleich. Die Hälfte aller phobischen Erkrankungen sind Agoraphobien, diese übertreffen die anderen phobischen Störungen auch meist an Schweregrad und Ausmaß. Sie entstehen zumeist im dritten Lebensjahrzehnt, wohingegen isolierte Phobien im Kindesalter entstehen und dann zum Teil persistieren oder später wiederauftauchen. Soziale Phobien entstehen überwiegend in der Adoleszenz. Es überwiegen insgesamt chronische Verläufe, spontane Rückbildungen sind eher selten.
3
ten. Sekundäre Ängste beziehen sich häufig auf Kontrollverlust, Verrücktwerden, Sterben. Die angstauslösenden Situationen werden zunehmend gemieden, wodurch die Angst reduziert wird. Nach tiefenpsychologischem Verständnis sind Abwehr und Ichstärke besser entwickelt als bei anderen Angstkrankheiten. Durch das Vermeidungsverhalten wird die Symptomatik jedoch verstärkt und stabilisiert, was ohne Behandlung zu einer schnellen und oft lang anhaltenden Chronifizierung führt. > Der Leidensdruck hängt von der Vermeidbarkeit des Objektes und von den daraus resultierenden Einschränkungen des täglichen Lebens ab.
Bei der Agoraphobie stehen Ängste vor offenen Plätzen, Menschenmengen und alleinigem Fernreisen im Vordergrund, in schweren Fällen auch davor, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Betroffene sind häufig über Jahre ans Haus gebunden. Die soziale Phobie bezieht sich auf die prüfende Betrachtung durch andere Menschen im Einzelkontakt oder in kleinen Gruppen. Sie ist entweder klar abgegrenzt auf Sprechen oder Essen in der Öffentlichkeit oder auf das Zusammentreffen mit dem anderen Geschlecht, oder sie ist unbestimmt in sozialen Situationen außerhalb der Familie. Befürchtet wird Aufmerksamkeit mit der Folge von Beschämung. Es werden häufig sekundäre Beschwerden wie Erröten oder Blasendrang irrtümlich als Ursache angesehen. Isolierte Phobien sind Ängste vor spezifischen Situationen (Höhe, Dunkelheit), Gegenständen oder Tieren (Blut, Schlangen). Diagnostik. Da leichte Formen von Angststörungen
sehr häufig sind, werden nur Ängste von erheblicher Relevanz als Gesundheitsstörung diagnostiziert. Banale und daher subklinische Alltagsphobien werden außer Acht gelassen. Die Symptome müssen deutlich und anhaltend und dabei ichdyston sein. Es müssen psychische und vegetative Symptome gegeben sein. Außerdem muss eine deutliche psychische Belastung durch die Symptome und/oder das Vermeidungsverhalten gegeben sein.
Symptomatik. In der realen oder vorgestellten Kon-
frontation mit dem angstauslösenden Objekt entstehen neben der eigentlichen Angst zahlreiche körperliche angstäquivalente vegetative Erscheinungen wie Herzklopfen, Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern, Enge in der Brust, Atembeschwerden, Schwindel, Schwäche, Ohnmacht. Zusätzlich können dissoziative Symptome erscheinen (Derealisation, Depersonalisation). Es können in diesem Zusammenhang Panikattacken auftre-
Differenzialdiagnose. Angst bei organischen oderschizophrenen Erkrankungen, generalisierte Angst (7 Kap. 3.7.2), Persönlichkeitsstörung: Durch Vermeidung wird keine Angstfreiheit erreicht. Hypochondrische Erkrankungen: Ängste vor körperlicher Erkrankung, die nicht auf bestimmte Erkrankungsvorstellungen begrenzt sind. Panikattacken (7 Kap. 3.7.3). Angst bei Zwangserkrankung.
184
Kapitel 3 · Psychosomatik
Therapie. Bei tiefenpsychologisch orientiertem Vorge-
3
hen hat sich als hilfreich erwiesen, rigide Überich-Inhalte als Ursache der vorherrschenden innerpsychischen Konflikte aufzuspüren, bestehende Phantasien über mögliche Bestrafungen oder negative Konsequenzen des unerwünschten Verhaltens durchzuarbeiten und – falls möglich – bei gruppentherapeutischem Setting eine Realitätsüberprüfung einzuleiten. Daraufhin wären die Entstehungsbedingungen der häufig unbewussten Befürchtungen zu erforschen und explizit zu würdigen, um sich erst dann den bislang abgewehrten Impulsen und Wünschen zuzuwenden, diesen Raum zu geben und sie gegebenenfalls trainierend einzuüben. Im weiteren Verlauf ist es notwendig, die Patienten bei der Übernahme von Verantwortung und Management sowohl der krankmachenden als auch der heilsamen Prozesse zu unterstützen und auch zu fordern. Auch sollte neben der Aufarbeitung der zugrunde liegenden psychodynamischen Konflikte unbedingt eine gründliche Aufklärung über Zusammenhänge zwischen Symptomatik, Vermeidungsverhalten und bestehenden kognitiven Verzerrungen stattfinden. Dies ist auch beim verhaltenstherapeutischen Vorgehen als Vorbereitung für eine Expositionsbehandlung zu empfehlen. Die vorherige Umwandlung dysfunktionaler Kognitionen sollte eingeübt und vollzogen werden. Die Konfrontation mit dem auslösenden Objekt sollte nach Möglichkeit während der Therapie möglichst häufig real oder mental stattfinden, in der Intensität und Rangfolge der Exposition entsprechend angepasst (und ggf. in den psychodynamischen Prozess miteinbezogen) werden. Für eine erfolgreiche Exposition ist es bedeutsam, dass ein Abflauen der zunächst ansteigenden Angstintensität erlebbar wird. Da der dafür erforderliche Zeitraum interindividuell unterschiedlich ist, sollte die Behandlungsdauer der Expositionssitzungen daher entsprechend flexibel eingeplant werden. > Die Expositionsbehandlung hat sich in vielen Studien als wirkungsvolle Therapietechnik erwiesen.
Häufig müssen Betroffene und Angehörige bezüglich eines angemessenen Helferverhaltens wie auch bezüglich zu erwartender Rückfälle geschult oder zumindest informiert werden. Nachsorge Vor allem bei stationärer Erstbehandlung, aber auch bei ambulanter Vorbehandlung, sollte dringend eine ambulante Nach- oder Weiterbehandlung angestrebt werden, um eine konsequente Umsetzung und Weiterverfolgung 6
der neuen Verhaltensweisen und Denkmuster bei zusätzlicher Belastung durch evtl. pathogene häusliche Umfelder und erhöhte familiäre und/oder berufliche Anforderungen zu gewährleisten. Zu empfehlen sind darüber hinaus Vernetzung mit anderen Betroffenen zur Stärkung der Motivation und des Durchhaltevermögens (Selbsthilfegruppe, Internet) und weitere, eigenständige Psychoedukation durch vertiefende Laienliteratur.
Prognose. Bei konsequenter und angemessener Konfrontation mit dem angstauslösenden Reiz, gleichzeitiger Aufarbeitung der biografischen Hintergründe, insbesondere der unbewussten inneren Konflikte, und Einübung gesünderer Verhaltensweisen ist von einem guten Behandlungsergebnis mit guten Chancen für langfristige Ausheilung auszugehen. Rückfälle sollten miteinberechnet und konsequent in die (Selbst-)Behandlung einbezogen werden. Bei Komorbidität verschlechtert sich die Prognose. > Phobien sind häufig und quälend, aber gut behandelbar.
3.7.2 Generalisierte Angststörung Definition. Bei der generalisierten Angststörung handelt es sich um eine in zahlreichen Situationen auftretende Ängstlichkeit, die sich mitunter an Kleinigkeiten entzündet. Zusätzlich kann es zur übermäßigen und überdauernden Sorge um alle möglichen Lebensbereiche kommen, die von außen kaum nachvollziehbar ist. Ätiopathogenese. Menschen, die unter sozialem Druck
stehen oder vermehrten realen Gefahren ausgesetzt sind, entwickeln häufiger eine generalisierte Angststörung als andere. Generalisierte Angststörungen kommen häufiger in städtischer als in ländlicher Umgebung vor. Kriege, politische Unterdrückung, Modernisierungsmaßnahmen und ähnliches können zu einem erhöhten Auftreten beitragen. Ein niedriger sozioökonomischer Status ist ein zusätzlicher Risikofaktor. Zusätzlich kommen individuelle Bedingungen zum Zuge, die je nach theoretischer Ausrichtung unterschiedlich konzipiert sind. Aus tiefenpsychologischer Sicht werden Triebimpulse, die meist sexuelle oder aggressive Tendenz haben, durch die Ich-Funktion an ihrem Ausdruck gehindert. Dies erfolgt jedoch unbewusst, so dass die Angst, die mit der Realisierung des Triebimpulses oder mit einer phantasierten Bestrafung zusammenhängen kann, in ihrer Herkunft und Bedeutung ebenfalls unbe-
185 3.7 · Angststörungen
wusst bleibt. Lediglich die physiologischen Erscheinungen und der Affekt der Angst werden spürbar. Da es kein auslösendes Objekt gibt, kann die Angst nicht vermieden werden und in allen möglichen Situationen auftreten. In lerntheoretisch fundierter Sicht spielt es eine Rolle, dass Patienten bedrohliche Ereignisse als nicht kontrollierbar wahrnehmen. Kontrollverlust und resultierende Hilflosigkeit sind damit zentrale Merkmale der generalisierten Angst. Zusätzliche Merkmale von Patienten mit generalisierten Angststörungen betreffen katastrophisierende Kognitionen, die auch unbedeutenden Ereignissen eine potenzielle Gefährlichkeit zuschreiben. Ein weiterer kognitiver Ansatz geht davon aus, dass durch die Konzentration auf Sorgen die Verarbeitung der unangenehmen emotionalen Inhalte vermieden wird. Dadurch wird dieses Verhalten, sich Sorgen zu machen, aufrechterhalten. Entsprechend diesen Annahmen über die Ätiopathogenese müssten sozialtherapeutische Maßnahmen sowie günstige entwicklungspsychologische Bedingungen präventiv wirken. Gesicherte Erkenntnisse aus Interventionsstudien sind dazu jedoch nicht vorhanden. Epidemiologie. Die Lebenszeitprävalenz der generali-
sierten Angststörung wird mit etwa 5% in der Allgemeinbevölkerung angegeben. Die Störung tritt bei Frauen etwa doppelt so häufig auf wie bei Männern. Der Beginn liegt oft bereits in der Adoleszenz oder in jungen Erwachsenenjahren. Symptomatik. Außer Angst und Sorge treten häufig Konzentrationsprobleme und Ruhelosigkeit auf. Die Patienten sind leicht gereizt, schnell ermüdbar und leiten oft unter starken Muskelverspannungen. Auch Schlafstörungen gehören häufig dazu. In der Regel kann, wenn auch mit Schwierigkeiten, ein geregeltes berufliches und soziales Leben dennoch geführt werden. Diagnostik. Eine generalisierte und anhaltende Angst,
die mit Anspannung und Besorgnis über Ereignisse einhergeht, die für Dritte unerheblich erscheinen, wird als generalisierte Angststörung diagnostiziert, wenn sie über einen Zeitraum von 6 Monaten oder mehr besteht.
3
bewusstseinsfähig zu machen und sich diesen Konflikten zu stellen. Im lerntheoretischen Behandlungsansatz werden 2 Strategien verfolgt: 4 Identifizierung und Veränderung dysfunktionaler Kognitionen (Katastrophisierungen, Übergeneralisierungen) 4 Verbesserte Bewältigung von Belastungssituationen durch kognitive Neustrukturierung Ein dritter Behandlungsansatz, der die biologische Grundlage von Angststörungen betont, lässt sich mit den bisher genannten Möglichkeiten gut verbinden und besteht in der Anwendung einer Entspannungstechnik und/oder in der Verordnung von Medikamenten: 4 Benzodiazepine, kurzfristig günstige angstlösende Effekte, langfristig droht Abhängigkeit 4 Antidepressiva (angstlösende Wirkung) Abgesehen von den Nebenwirkungen dieser Substanzen ist eine alleinige Behandlung mit Medikamenten dadurch beeinträchtigt, dass nach Absetzen des Medikamentes die Angststörung in der Regel wieder auftritt. Dieser Aspekt ist auch für die Nachsorge wichtig. So ist die Aufnahme mit angstinkompatibler Aktivitäten (positiv wahrgenommene Tätigkeiten, die einen Zugewinn an sozialen Verstärkern mit sich bringen) von Bedeutung. Dabei werden Ressourcen aktiviert, die Lebensqualität wird gefördert. Dies zu etablieren gelingt in vielen Fällen erst in einer psychotherapeutischen Behandlung. Prognose. Unbehandelt bleibt eine generalisierte
Angststörung in der Regel bestehen. Es zeigen sich lediglich Schwankungen in der Schwere der Symptomatik. Vor allem beim Vorliegen psychischer Komorbiditäten ist mit einer Spontanremission nicht zu rechnen. Durch psychotherapeutische Behandlung ist eine deutliche Linderung der Beschwerden bis hin zur Beschwerdefreiheit zu erwarten. Mitunter sind auch nach abgeschlossener Therapie gelegentliche Sitzungen zur Auffrischung der Bewältigungsstrategien erforderlich. 3.7.3 Panikstörung Definition. Unterschieden werden:
Differenzialdiagnose. Hypochondrie: Hypochondri-
sche Ängste werden durch den Einfluss des Behandlers situativ nur wenig gemindert. Depressive Störung. Therapie. Aus tiefenpsychologischer Sicht ist die Behandlung darauf gerichtet, die verdrängten Konflikte
4 Panikattacke: spontanes Auftreten akuter Angst, ohne dass eine reale Gefahr vorhanden ist, Dauer begrenzt (Minuten bis wenige Stunden) 4 Panikstörung: wiederholtes Auftreten solcher Panikanfälle kombiniert mit körperlichen Symptomen
186
Kapitel 3 · Psychosomatik
3
. Abb. 3.3. Das psychophysiologische Modell des Paniksyndroms. (Aus Margraf 2003)
Ätiopathogenese. Die Panikstörung (. Abb. 3.3) weist eine familiäre Häufung auf und zeigt auch in Zwillingsstudien eine genetische Komponente. Es gibt Hinweise auf eine übermäßige noradrenerge Aktivität. Bei Patienten mit Panikstörungen wurde beobachtet, dass an sich harmlose körperliche Empfindungen zu einer übermäßigen Beunruhigung führen und die Aufmerksamkeit auf die Körperempfindungen intensiviert wird. Gleichzeitig werden Bewertungen der Körpersymptome vorgenommen, die angststeigernd wirken und weitere Körpersymptome produzieren. Da das Geschehen als unbeeinflussbar erlebt wird, kommt es zu Angst vor Kontrollverlust, was weiter zu einer Steigerung der körperlichen Symptome führt. Maßnahmen zur gezielten Prävention der Panikstörung sind nicht untersucht. Epidemiologie. Für die Panikstörung wird eine Lebenszeitprävalenz von 2,4% angegeben. Der Beginn der Störung liegt meist im jungen Erwachsenenalter, Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Symptomatik. Eine Panikattacke beginnt plötzlich und erreicht innerhalb von wenigen Minuten ein hohes Niveau. Sie hält mindestens einige Minuten an und ist begleitet von körperlichen Symptomen und meist auch kognitiven Besonderheiten. Zu den körperlichen Erscheinungen können gehören Herzklopfen, Schweißausbrüche, Zittern oder Mundtrockenheit. Auch Atem- oder Brustbeschwerden, ein Beklemmungsgefühl oder Übelkeit, Schwindel oder Benommenheit können auftreten. Häufig wird eine Angst vor Kontrollverlust, die Angst zu Sterben oder Verrückt zu werden erlebt.
Diagnostik. Wiederholte Panikanfälle, die in der Regel
spontan auftreten und keine spezifischen Auslösersituationen aufweisen, sprechen für eine Panikstörung. Die einzelnen Panikanfälle dürfen nicht in Folge einer körperlichen oder psychischen anderen Störung auftreten. Die einzelne Panikattacke ist gekennzeichnet als intensive Angst oder intensives Missbehagen, das abrupt beginnt und mindestens einige Minuten lang anhält. Innerhalb weniger Minuten wird ein hohes Maß an Intensität erreicht und es sind mindestens vier weitere Symptome vorhanden, die problematisch bewerteten Körperwahrnehmungen entsprechen und gegebenenfalls auch von Kontrollverlustängsten begleitet sind. > Für die Unterscheidung von anderen Angststörungen ist es wichtig, dass Panikstörungen ohne reproduzierbaren Auslöser auftreten.
Panikanfälle können zusammen mit anderen, z. B. phobischen Störungen auftreten. Da keine spezifische Auslösesituation vorliegt, fürchten die Patienten den Panikanfall selbst oder beschreiben eine Angst vor der Angst. Das Vorliegen somatischer Erkrankungen schließt eine Panikstörung nicht aus. Therapie. Für die Behandlung der Panikstörung in einem lerntheoretisch orientierten Ansatz ist die Vermittlung eines plausiblen Störungsmodells grundlegend. Darauf aufbauend kann die ungünstige Bewertung körperlicher Symptome durch kognitive Neustrukturierung korrigiert werden. In einer folgenden Phase können die neu erworbenen Kognitionen unter provozierten Körperwahrnehmungen erprobt werden. Von besonderer Bedeutung ist die Einbeziehung einer
187 3.8 · Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen
Rückfallprophylaxe, die unter anderem auch die kognitive Verarbeitung gelegentlich wieder auftretender Panikattacken beinhaltet. Unterstützend kann in die Behandlung mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer oder einem trizyklischen Antidepressivum vorgenommen werden.
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Prognose. Eine unbehandelte Panikstörung kommt
nur sehr selten spontan zur Remission. Auch unter einer adäquaten psychotherapeutischen Behandlung kann es zum Wiederauftreten einzelner Panikattacken kommen. Diese sind meist schwächer und für die Betroffenen leichter zu handhaben.
In Kürze Angststörungen
3.8
Phobische Störung
4 Symptomatik: emotionale, kognitive, vegetative Angstzeichen, auf ein normalerweise ungefährliches Objekt gerichtete Angst, Auslöser klar. 4 Ätiologie: unbewusste Konflikte, Konditionierungsprozesse 4 Diagnostik: reversible Angst mit identifizierbarem Auslöser 4 Therapie: Exposition (verhaltenstherapeutisch), Bearbeitung unbewusster Konflikte (tiefenpsychologisch). Kombination möglich, Prognose gut
Generalisierte Angststörung
4 Symptomatik: in zahlreichen Situationen auftretende Angst ohne klare Auslöser (Kleinigkeiten) 4 Ätiologie: unbewusste Triebimpulse, die an ihrem Ausdruck gehindert werden; dysfunktionale Kognitionen, Kontrollverlust 4 Diagnostik: wiederholte Anspannung und Besorgnis, für Dritte nicht adäquat, mehr als 6 Monate lang auftretend. 4 Therapie: Bewusstmachen der Konflikte, kognitive Neustrukturierung. Unterstützung durch Antidepressiva möglich.
Panikstörung
4 Symptomatik: plötzlicher Beginn, heftigste Angst, körperliche Symptome, kein Auslöser 4 Ätiologie: genetische Komponente wahrscheinlich, dysfunktionale Bewertung von Körperwahrnehmungen 4 Diagnostik: anfallsartig auftretende Angst ohne wohl definierten Auslöser 4 Therapie: kognitive Neustrukturierung der Bewertung von Körperwahrnehmungen. Unterstützend Antidepressiva möglich
Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen
3.8.1 Akute Belastungsreaktion Definition. Veränderung des Verhaltens und Erlebens, die innerhalb von einem Monat in Folge eines traumatischen Ereignisses auftreten und von 2 Tagen bis zu einem Monat andauern kann. Das traumatische Ereignis beinhaltet das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit der eigenen oder der einer anderen, auch nahe stehenden Person, einhergeht.
Ätiopathogenese. Bei der akuten Belastungsreaktion
werden die wichtigsten Überlegungen zu deren Entstehung im Zusammenhang mit den Dissoziationssymptomen angestellt, die Teil der Diagnose sind. Es wird davon ausgegangen, dass Dissoziationen ein primärer Copingmechanismus sind, um mit traumatischen Erfahrungen umzugehen. Die unangenehmen emotionalen Konsequenzen der traumatischen Ereignisse werden minimiert, indem die Wahrnehmung dieser Erfahrungen eingeschränkt wird, was sich in Wahrnehmungsveränderungen, Gedächtnisstörungen oder emotionaler Losgelöstheit äußert. Zur effektiven Prävention der akuten Belastungsreaktion gehört die Stärkung des Selbstwirksamkeitserlebens und das Ausbilden positiver Einstellungen, die die Fähigkeit geben, das Leben mit dem Gefühl von Stärke, Kontrolle und Engagement zu leben (»hardi-
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Kapitel 3 · Psychosomatik
ness«). Ebenfalls präventiv wirksam ist das soziale Unterstützungssystem, in dem ein Mensch sich bewegt. Je stärker dieses ist, desto weniger gefährdet ist ein Traumaopfer, eine akute Belastungsreaktion zu entwickeln. Grundlegend präventiv wirksam ist außerdem noch eine intakte Kindheit ohne Armut, ohne Familienangehörige mit psychischen Störungen, ohne Misshandlung, Missbrauch, Katastrophen bzw. ohne geschiedene Eltern. Epidemiologie. Die Häufigkeit des Auftretens einer akuten Belastungsreaktion schwankt in Abhängigkeit von der Art des traumatischen Ereignisses zwischen 10 und 16%. Frauen haben ein ca. 2-mal so hohes Risiko wie Männer. Etwa 20% aller Frauen, die einem traumatischen Ereignis ausgesetzt waren, entwickeln eine akute Belastungsstörung. Jedes traumatische Ereignis kann eine Belastungsstörung verursachen. Nach Vergewaltigung, kriegerischen Handlungen, Vernachlässigung, körperlicher Gewalt und Naturkatastrophen ist die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung höher. Symptomatik. Bei der akuten Belastungsreaktion ent-
wickelt die Person als Reaktion auf das traumatische Ereignis, auf das sie währenddessen oder danach mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagierte, dissoziative Symptome, d. h. subjektive Gefühle emotionaler Taubheit, Losgelöstheit, das Fehlen einer normalen emotionalen Reaktionsfähigkeit, Beeinträchtigung der bewussten Wahrnehmung der Umwelt und des Gedächtnisses, hier insbesondere Schwierigkeiten, sich an bestimmte Details des traumatischen Ereignisses zu erinnern. Des Weiteren leidet die betroffene Person an einem deutlichen Freud- und Interessenverlust und hat häufig Schuldgefühle und Konzentrationsschwierigkeiten. Außerdem liegt mindestens ein Symptom aus den Bereichen anhaltenden Wiedererlebens (Intrusionen), Vermeidung und erhöhter Erregung (»arousal«) vor, die auch zu den Symptomclustern der posttraumatischen Belastungsstörung gehören. Diagnostik. Die Diagnose setzt voraus, dass die Symp-
tome innerhalb eines Monats nach dem traumatischen Ereignis auftreten, mindestens 2 Tage bis höchstens 4 Wochen dauern und zu einer Einschränkung der Befindlichkeit oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen. Differenzialdiagnose. Psychische Störung auf Grund eines medizinischen Krankheitsfaktors (z. B. Kopfverletzung). Substanzinduzierte Störung (z. B. Alkoholintoxikation).
Therapie. Psychotherapeutische Maßnahmen sollten sobald als möglich nach dem traumatischen Ereignis einsetzen. Wesentlicher Bestandteil des Vorgehens ist zunächst die Aufklärung des Patienten über die Symptome als Reaktion auf das traumatische Ereignis. Als nächster Schritt werden Angstmanagementfähigkeiten ausgebildet (Muskelentspannungstraining). Im Rahmen kognitiver Therapie werden dysfunktionale Gedanken und Glaubenssätze in Bezug auf das traumatische Ereignis herausgearbeitet und umstrukturiert. Danach erfolgt die Traumakonfrontation, in dem der Patient die Erinnerungen und Gefühle in Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis zunächst in sensu, später in vivo konfrontiert. Neuere Ansätze psychotherapeutischen Vorgehens zur Behandlung von Traumafolgen beziehen die körperlichen Reaktionen bzw. die Deregulationssymptome des autonomen Nervensystems stärker mit ein. Dabei werden die Symptome als das Ergebnis einer hochaktivierten, unvollständigen biologischen Antwort auf die Bedrohung durch das traumatische Ereignis angesehen. Es kommt zu einer Überladung im autonomen Nervensystem, die vor allen Dingen durch ressourcenorientiertes, körperorientiertes, kleinschrittiges Vorgehen behandelt wird (»somatic experiencing«). Des Weiteren hat sich der Einsatz imaginativer Stabilisierungsverfahren (nach Reddemann) und die Methode des »Eye Movement Desensitization and Reprocessing« (EMDR) bewährt. Eine pharmakologische Begleittherapie ist adjuvant bei Symptomen wie Depression, Angst, Psychose, emotionaler Instabilität. Vor allem werden mittelpotente Neuroleptika und Antidepressiva eingesetzt, mit Benzodiazepin sollte wegen der Suchtgefahr zurückhaltend umgegangen werden. Eine Behandlung mit Antikonvulsiva kann im Einzelfall sinnvoll sein. Nach stationärer Behandlung haben sich Nachsorgegespräche, 2– Wochen nach Entlassung als sinnvoll erwiesen. Ebenfalls hat sich nachbetreuende Hilfen durch Selbsthilfegruppen, Regionalgruppen etc. bewährt. Prognose. Die Behandlung ist schwierig und nicht immer vollständig erfolgreich. Eine erfolgreiche Behandlung ist möglich, aber eine relativ große Zahl der Patienten profitiert nur unvollständig. Es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Sich-Aufgeben während des Traumas und schlechtem Ansprechen auf Konfrontationstherapie. Weiteren Forschungen zufolge hängt auch die Aktivierung von Furcht positiv und die Aktivierung von Ärger negativ mit dem Therapieerfolg zusammen. Ein weiterer möglicher Prädiktor für schlechten Therapieerfolg ist ausgeprägte Dissoziation. Erste Ergebnisse beim Vorgehen mit körperorien-
189 3.8 · Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen
tierten Verfahren geben Anlass zu begründeter Hoffnung auf verbesserte Ergebnisse. 3.8.2 Anpassungsstörung Definition. Zeitlich begrenzte Störung, die sich auf konkrete Ereignisse beziehen lässt und nicht in schwere depressive oder posttraumatische Bilder einmündet. > Ohne auslösende Situation, z. B. ein schwerwiegendes Lebensereignis, kann diese Diagnose nicht gestellt werden.
Ätiopathogenese. Ähnlich wie bei der posttrauma-
tischen Belastungsstörung (7 Kap. 3.8.3) wird angenommen, dass es neben dem auslösenden Ereignis andere Bedingungen geben muss, die die Entwicklung einer Anpassungsstörung ermöglichen. > Es handelt sich bei den auslösenden Ereignissen definitionsgemäß um solche, die keinen katastrophalen oder aus der normalen Vorstellungswelt herausfallenden Charakter haben und die normalerweise von der Mehrzahl der Betroffenen ohne Entwicklung einer Störung bewältigt werden können.
Schwere Erkrankungen, Trennung, Verlusterlebnisse u. a. können als Beispiele für solche Auslöser dienen. Zur Prävention dürften die Stärkung des Selbstwirksamkeitserlebens und das Ausbilden von Problemlösefertigkeiten beitragen. Ebenfalls präventiv wirksam ist die Fähigkeit zum Einwerben sozialer Unterstützung. Epidemiologie. Angaben zur Häufigkeit einer Anpas-
sungsstörung fehlen. Entsprechend dem Auslöser (z. B. Krebserkrankung) liegen spezifische Zahlen vor, die jedoch erheblich variieren (10–30%). Bei Gruppen psychiatrischer Patienten werden Anpassungsstörungen beispielsweise bei 5‒28% der Patienten festgestellt.
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Diagnostik. In Abgrenzung von normalen psychischen Reaktionen auf Belastungen ist bei der Anpassungsstörung eine erhebliche Beeinträchtigung der beruflichen und/oder sozialen Leistungsfähigkeit zu beobachten. Die Symptome müssen innerhalb eines Monats nach Beginn der Belastung auftreten und dürfen nicht länger als 2 Jahre nach dem Ende der Belastung persistieren. Differenzialdiagnose. Depressive Störungen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, somatoforme und dissoziative Störungen, selten Persönlichkeitsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens. Therapie. Zur kurzfristigen Kupierung einer Krise kann medikamentös (Benzodiazepine) behandelt werden. Tiefenpsychologische Kurztherapien oder kognitiv-behaviorale Verfahren lassen eine nachhaltig verbesserte Fähigkeit zur Bewältigung der Belastungssituation erwarten und werden üblicherweise zur Behandlung eingesetzt. Wesentlich sind oftmals eine Neubewertung der Situation und eine Aktivierung vorhandener Ressourcen. In schwereren Fällen können abgewandelte Vorgehensweisen wie bei der Behandlung von Traumafolgen zum Einsatz kommen. Ambulante Nachsorgegespräche im Anschluss an eine stationäre Behandlung 2–4 Wochen nach Entlassung, haben sich bewährt, ebenso wie die nachbetreuenden Hilfen von Selbsthilfegruppen, Regionalgruppen etc. Prognose. Die Prognose ist meist günstig, jedoch lässt das Auftreten einer Anpassungsstörung erwarten, dass auch weitere Belastungssituationen krisenhaft erlebt werden. ! Cave Frühes Auftreten bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ist ein Signal zu erhöhter Wachsamkeit bzw. verstärkten Bemühungen zur Sekundär- und Tertiärprävention.
Symptomatik. Bei der Anpassungsstörung entwickelt
die Person innerhalb eines Monats nach einem psychosozial belastenden Ereignis eine Reaktion, die meist durch depressive oder ängstliche Tönung gekennzeichnet ist. Aber auch andere oder unspezifischere emotionale Reaktionen (Besorgnis, Ärger, Anspannung, Regression) sind möglich. Mitunter kann die Störung auch auf eine Veränderung des Sozialverhaltens beschränkt bleiben oder es kann zum Auftreten somatoformer oder dissoziativer Symptome kommen.
3.8.3 Posttraumatische Belastungsstörung Definition. Veränderung des Verhaltens und Erlebens frühestens einen Monat bis meistens sechs Monate nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses für die Dauer von mindestens einem Monat. Das traumatische Ereignis beinhaltet das direkte, persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer
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Kapitel 3 · Psychosomatik
anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit, der eigenen oder der einer anderen, insbesondere einer nahe stehenden Person einhergeht. Klinisch resultiert eine Angstreaktion, die durch eine Vielzahl von externen und internen an das Trauma erinnernden Stimuli ausgelöst werden kann. Ätiopathogenese. Pathophysiologisch kommt es offensichtlich zu einer unvollkommenen Verarbeitung der traumaassoziierten Reize, indem die Einordnung und Bewertung des Traumas angesichts der Heftigkeit der Ereignisse nicht stattfindet, sondern die Ereignisse vom Bewusstsein abgespalten werden. Biologisch geht dies mit erhöhter Aktivierung des Katecholaminsystems bei gleichzeitiger Abschwächung der Nebennierenrindenaktivität einher. Bei den bildgebenden Verfahren fallen eine Atrophie des Hippokampus und eine funktionelle Hyperreagibilität der Amygdala auf. Nicht alle Personen entwickeln nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses diese Störung. Vor allem Personen mit gehäuften Stresserfahrungen in der Kindheit scheinen über eine Schädigung des orbitalen Cortex praefrontalis (verringerte Bewältigungskompetenz) sowie des Hippokampus (Einbußen im deklarativen Gedächtnis) empfänglich für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Zur effektiven Prävention gehört die Stärkung des Selbstwirksamkeitserlebens und das Ausbilden positiver Einstellungen, die die Fähigkeit geben, das Leben mit dem Gefühl von Stärke, Kontrolle und Engagement zu leben (»hardiness«). Ebenfalls präventiv wirksam ist das soziale Unterstützungssystem, in dem ein Mensch sich bewegt. Je stärker dieses ist, desto weniger gefährdet ist ein Traumaopfer eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln. Grundlegend präventiv wirksam ist zudem eine intakte Kindheit ohne Armut, ohne Familienangehörige mit psychischen Störungen, ohne Misshandlung, Missbrauch, Katastrophen bzw. ohne geschiedene Eltern. Epidemiologie. Die Häufigkeit wird mit etwa 9,2% an-
gegeben, wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer (3,0 versus 6,2%), obwohl Männer häufiger einem traumatischen Ereignis ausgesetzt sind. Dies liegt u. a. daran, dass Frauen im Vergleich zu Männer signifikant häufiger Opfer einer Art Trauma werden, das mit hoher Wahrscheinlichkeit eine posttraumatische Belastungsstörung zur Folge hat, wie z. B. eine Vergewaltigung. Symptomatik. Die betroffene Person entwickelt eine
verzögerte oder protrahierte Reaktion auf das trauma-
tische Ereignis, auf das sie währenddessen oder danach mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagierte. Kennzeichnend sind: 4 Dissoziative Zustände 4 Intrusionen (Symptome von anhaltendem Wiedererleben, Flashbacks, Wiederholungsträume) 4 Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind 4 Abgeflachte, allgemeine Reagibilität (emotionale Taubheit, Teilnahmslosigkeit) 4 Anhaltende, erhöhte Erregung (Schlafstörungen, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit) Biologisch geht dies mit erhöhter Aktivierung des Katecholaminsystems bei gleichzeitiger Abschwächung der Nebennierenrindenaktivität einher. Bei den bildgebenden Verfahren fallen eine Atrophie des Hippokampus und eine funktionelle Hyperreagibilität der Amygdala auf. Diagnostik. Die Diagnose einer posttraumatischen Be-
lastungsstörung setzt voraus, dass die Symptome nach einem Monat für die Dauer von meistens 6 Monaten nach dem traumatischen Ereignis auftreten und zu einer Einschränkung der Befindlichkeit oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen. Ein verzögerter Beginn ist möglich, bei dem die Symptome erst sechs Monate oder später nach dem traumatischen Ereignis auftreten. Differenzialdiagnose. Anpassungsstörung (kein le-
bensbedrohlicher Belastungsfaktor, sondern z. B. Trennung vom Partner, Wohnungswechsel). Affektive oder andere Angststörungen (auch Symptome von Vermeidung, Empfindungslosigkeit, erhöhtem Arousalvorkommen). Akute Belastungsreaktion (kürzere Dauer und früheres Eintreten der Beschwerden). Zwangsstörung (wiederkehrende aufdringliche Gedanken, die aber als unangemessen empfunden werden und nicht im Zusammenhang mit einem erlebten traumatischen Ereignis stehen). Therapie. Zu den initialen Maßnahmen gehört die Herstellung einer sicheren Umgebung und Vermittlung eines plausiblen und akzeptablen Störungsmodells. Bevor eine Konfrontation mit den traumaauslösenden Ereignissen stattfinden kann, sind stabilisierende Maßnahmen erforderlich. Dazu gehören Entspannungsverfahren, Distanzierungstechniken, imaginative Verfahren sowie evtl. eine pharmakotherapeutische Unterstützung (vorzugsweise mit SSRI).
191 3.8 · Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen
Die Traumabearbeitung kann nach ausreichender Stabilisierung als dosierte Konfrontation mit dem auslösenden Ereignis in Angriff genommen werden. Ziel ist die Durcharbeitung und Integration unter geschützten therapeutischen Bedingungen. Neben psychotherapeutischer Behandlung ist eine angemessene soziale Unterstützung (Einbeziehung von Angehörigen, Opferhilfsorganisationen, berufliche Rehabilitation) zu organisieren. Auch für die Behandlung der posttraumatischen Belastungsreaktion werden Maßnahmen eines ressourcenorientierten, körperorientierten, kleinschrittigen Vorgehens gewählt, wie sie unter der akuten Belastungsreaktion (7 Kap. 3.8.1) beschrieben sind. Wichtig ist stets, dass die einzelnen Maßnahmen in einen Gesamtbehandlungsplan eingebettet sind. Im Fall einer stationären Behandlung sind ambulante Nachsorgegespräche, 2–4 Wochen nach Entlassung sinnvoll. Auch die die Vermittlung nachbetreuender Hilfen wie Selbsthilfegruppen, Regionalgruppen etc. hat sich bewährt.
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Traumata können Ausgangspunkt für eine Einstellungsveränderung auf höheren Ebenen (spirituelle Entwicklung, transpersonale Orientierung, Sinnfragen, existentielle Dimension des Traumas) werden. Es wird dann zwischen dem Leben vor und nach dem Trauma strikt unterschieden. Im günstigen Fall entwickelt sich daraus eine persönliche Reifung. Prognose. Bei etwa einem Drittel der Patienten mit
posttraumatischer Belastungsstörung muss ohne Behandlung mit einer Chronifizierung gerechnet werden. Das Risiko für einen chronischen Verlauf steigt dabei mit dem Schweregrad der anfänglichen Symptome. Meistens kommt es parallel oder zeitversetzt zur posttraumatischen Belastungsstörung zu weiteren psychischen Störungen (vor allem Angst, Depression, Sucht, Somatisierung). Sowohl verhaltenstherapeutisch-kognitive als auch psychodynamische Therapien führen zu einer Reduktion der spezifischen Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung.
In Kürze Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen Akute Belastungsreaktion
4 Symptomatik: dissoziative Symptome, Erinnerungslücken, Interessenverlust, Konzentrationsschwierigkeiten, Intrusionen 4 Ätiologie: Dissoziation als Schutzmechanismus, anschließend unvollständige Verarbeitung der Erlebnisinhalte 4 Diagnostik: innerhalb von einem Monat nach traumatischem Ereignis auftretende Störung mit einer Dauer von 2 Tagen bis zu 1 Monat 4 Therapie: Konfrontation mit dem Trauma nach Erarbeiten stabilisierender Strategien, imaginative Verfahren, EMDR, adjuvant Medikamente (Neuroleptika, Antidepressiva)
Anpassungsstörung
4 Symptomatik: psychische Reaktion, meist depressiv oder ängstlich getönt. 4 Ätiologie: Überforderung der Bewältigungskapazität 4 Diagnostik: zeitlich begrenzte psychische Störung nach einem gravierenden, jedoch nicht katastrophalen Geschehen 4 Therapie: Stärkung der Bewältigungskompetenz (»coping«)
Posttraumatische Belastungsstörung
4 Symptomatik: Intrusionen, Vermeidungsverhalten, verminderte allgemeine Reagibilität, erhöhte Erregung 4 Ätiologie: unvollständige Verarbeitung eines überwältigenden Reizes 4 Diagnostik: mindestens einen Monat lang anhaltende Störung, die ein bis sechs Monate nach einem lebensbedrohlichem Ereignis einsetzt 4 Therapie: zunächst Stabilisierung, dann allmählich Konfrontation mit den Erinnerungen, Verarbeitung und Überwindung des Vermeidungsverhaltens
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Kapitel 3 · Psychosomatik
3.9
Persönlichkeitsstörungen
Definition. Unterschieden werden:
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4 Persönlichkeitszüge: Überdauernde Muster des Erlebens und Verhaltens. 4 Persönlichkeitsstörungen: Extreme und unflexible, im sozialen Kontext problematische Ausprägungen von Persönlichkeitszügen. Die bisher übliche Klassifizierung zeigt Überschneidungen, sodass sich oftmals keine »reinen« Bilder präsentieren. Meist sind auch Komorbiditäten mit anderen Störungen vorhanden. 4 Persönlichkeitsstil: Akzentuierter Persönlichkeitszug, der nicht den Kriterien einer Persönlichkeitsstörung entspricht. Bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen wird es daher häufig als erheblicher Erfolg bezeichnet, wenn es gelingt, die Symptomatik so weit abzuschwächen, dass lediglich ein Persönlichkeitsstil festzustellen ist.
> Üblicherweise wird keine Reue für die angerichteten Schäden empfunden. Komorbidität besteht vor allem zum Substanzmissbrauch.
Das Verhalten erscheint durch aversive Reize wie Strafandrohung und Bestrafung kaum änderungsfähig. Es besteht eine geringe Frustrationstoleranz und eine hohe Gewaltbereitschaft, eine Neigung, andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisierungen für das Verhalten anzubieten, durch das der betreffende Patient in einen Konflikt mit der Gesellschaft geraten ist. Diagnostik. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung ist wesentlich durch Verhaltensauffälligkeiten (unerlaubtes Fehlen in der Schule, Diebstahl, Zerstörung von Eigentum, Brandstiftung, habituelles Lügen, Weglaufen von Zuhause) gekennzeichnet. Diese treten bereits vor Vollendung des 15. Lebensjahres auf; die Verhaltensauffälligkeiten werden auch im Erwachsenenalter fortgesetzt.
3.9.1 Dissoziale Persönlichkeitsstörung
> 40% der Kinder, die ursprünglich die beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten gezeigt haben, münden später in einen normalen Entwicklungsgang.
Definition. Kennzeichnend ist eine erhebliche Diskrepanz zwischen den im kulturellen Umfeld geltenden sozialen Normen und dem Verhalten. Typischerweise wird sozialen Pflichten nicht nachkommen, Gefühle für Mitmenschen lassen sich nicht erkennen.
Differenzialdiagnose. Soziopathie, Psychopathie, Bor-
derline-Persönlichkeitsstörung (besonders Männer). Therapie. Eine primäre Behandlungsmotivation be-
Ätiopathogenese. Fehlende emotionale Wärme sowie
inkonsistente oder fehlende Maßnahmen zur Erziehung eines Kindes begünstigen bei diesem das Auftreten einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Zusätzlich müssen jedoch weitere Faktoren wirksam werden, zu denen auch genetische Einflüsse gehören. Bestrafungen oder ein schlechtes Gewissen lassen kaum Verhaltensveränderungen erkennen. Das Angstniveau ist auffällig niedrig und bewirkt entsprechend kaum Vermeidungsverhalten. Epidemiologie. Die Störung kommt bei niedrigeren sozialen Schichten häufiger vor, insgesamt liegt die Häufigkeit bei etwa 3% der Männer sowie 1% der Frauen. Symptomatik. Die dissoziale Persönlichkeit fällt durch
verantwortungsloses und antisoziales Verhalten auf. Auffälligkeiten bestehen am Arbeitsplatz, der meist nur für kurze Zeit innegehalten wird, bei Auseinandersetzungen, die häufig mit körperlicher Aggression einhergehen, Rücksichtslosigkeit bis zur Gesetzesübertretung sowie häufig Schulden.
steht meist nicht. Personen, die zur Behandlung kommen, präsentieren primär andere Probleme (z. B. Drogenabusus), befinden sich oftmals in Justizvollzugsanstalten oder haben nach der Haftentlassung eine Auflage erhalten, sich zur Psychotherapie zu melden. Die Therapie zielt darauf ab, bestehende Defizite im Bereich der Impulskontrollstörung, der Handlungssteuerung, der emotionalen Wahrnehmung und der Empathie aufzuarbeiten. Die Erfahrungen mit somatischen Behandlungsversuchen (Medikamente, neurochriurgische Eingriffe, Elektrokrampftherapie) sind ebenfalls überwiegend enttäuschend. Prognose. Die Prognose ist im Allgemeinen nicht günstig. Allerdings mildern sich die Symptome in der zweiten Lebenshälfte häufig ab, ohne dass bekannt ist, worauf dieser Effekt zurückzuführen ist.
193 3.9 · Persönlichkeitsstörungen
3.9.2 Emotional instabile
Persönlichkeitsstörung Definition. Schwerwiegende psychische Störung, auch
als Borderline-Persönlichkeitsstörung bezeichnet, die mit einer anhaltenden und übergreifenden Persönlichkeitsveränderung einhergeht. Unterschieden wird der impulsive vom Borderline-Typ. Ätiopathogenese. In der Entstehung spielen Lerner-
fahrungen in wichtigen frühen Beziehungen eine grundlegende Rolle. Modelle wie die Objektbeziehungstheorie (Kernberg) und das Konzept der Bindungsstörung im Kindesalter können helfen, die frühen Beziehungserfahrungen in ihren Erscheinungen und Auswirkungen zu verstehen. Häufig lassen sich schwere Traumatisierungen in der Kindheit erheben (sexuelle und körperliche Gewalterfahrungen, Vernachlässigung, Verlust eines Elternteils). Möglicherweise spielt eine Veranlagung zu intensivem emotionalen Erleben eine zusätzliche Rolle. Für alle Bereiche der Prävention (Primär-, Sekundär-, Tertiärprävention) spielen sowohl Psychoedukation wie auch ambulante, teilstationäre oder stationäre Psychotherapie neben einer medikamentösen Therapie eine Rolle. Epidemiologie. Die Prävalenz wird auf ca. 2% in der
Allgemeinbevölkerung, auf ca. 10% bei ambulanten und ca. 20% bei stationären psychiatrischen Patienten geschätzt. In klinischen Populationen mit Persönlichkeitsstörungen liegt sie im Bereich von 30–60%. Die Störung tritt überwiegend bei Frauen (ca. 75%) auf und scheint unabhängig von geographischer oder kultureller Herkunft. Dagegen ist die Störung bei erstgradigen biologischen Verwandten fünfmal häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Symptomatik. Das typische Merkmal ist eine Instabili-
tät in den Bereichen Emotionen, Beziehungen und Selbstbild. Dies hat zur Folge, dass es häufig zu Impulsivität oder Affektlabilität, Beziehungsabbrüchen und einer Identitätsstörung bzw. einem Gefühl der inneren Leere kommt. Daneben tritt oft zusätzlich autodestruktives Verhalten auf. > Die Störung führt zu großen Einschränkungen der persönlichen Lebensführung in den Bereichen zwischenmenschliche Beziehungen und Beruf.
Beim impulsiven Typ herrscht die Tendenz vor, die eigenen Impulse auszuagieren, ohne die damit verbundenen Konsequenzen zu berücksichtigen, z. B. in Form
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von Glücksspielen, unverantwortlichen Geldausgaben, Fressanfällen, Substanzmissbrauch, risikoreichem Sexualverhalten oder rücksichtslosem Fahren. Die Stimmung wirkt wechselnd und ist von Launen geprägt. Weitere Persönlichkeitszüge sind die mangelnde Fähigkeit zur Vorausplanung und intensive Ärgerreaktionen, die besonders dann zum Ausbruch kommen, wenn impulsive Handlungen von anderen kritisiert oder behindert werden. Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung bemühen sich verzweifelt, tatsächliches oder erwartetes Verlassenwerden zu vermeiden. Selbstbild und Geschlechtsidentität sind unklar und gestört. Beziehungen sind ebenso intensiv wie unbeständig. Es kommt oft zu Suiziddrohungen oder selbstschädigenden Handlungen. Diagnostik. Zur Diagnosefindung stehen das diagnos-
tische Gespräch (Eigen-/Fremdanamnese), Fragebögen, strukturierte Interviews und Checklisten zur Persönlichkeitsdiagnostik zur Verfügung. Differenzialdiagnose. Histrionische Persönlichkeits-
störung, affektive Störungen (Depression, Manie, Bipolare Störung), akute bzw. posttraumatische Belastungsstörung/Anpassungsstörung, Substanzmissbrauch/abhängigkeit oder selbstverletzendes Verhalten im Zusammenhang mit anderen psychischen Störungen, vorübergehende Identitätsstörungen und Sinnkrisen (differenzialdiagnostische Herausforderung bei jungen Erwachsenen). Therapie. Die Behandlung beinhaltet Psychotherapie
(inkl. Psychoedukation) und oft eine zusätzliche medikamentöse Therapie (SSRI). Beides kann ambulant, teiltstationär oder stationär durchgeführt werden. Im ambulanten Setting hat sich eine eher niederfrequente und eher strukturbildende Behandlung bewährt. Gängige Therapieansätze sind die nach Linehan (dialektisch-behaviorale Psychotherapie) oder nach Kernberg (Übertragungsfokussierte Psychotherapie). Die Therapie ist oft durch schwankende Compliance gekennzeichnet und, mehr als bei anderen Störungen von Therapieabbruch bedroht, weswegen sich von Beginn an ein Therapievertrag empfiehlt. Damit kann auch das Auftreten selbstschädigender Impulse gemindert werden (vollendete Suizide kommen immerhin bei 8–10% der Betroffenen vor). Die Behandlung ist komplex und langwierig. In der Nachsorge sollte die Therapie durch ausreichende Beratung (Sozialberatung, Berufsberatung), begrenzte telefonische Nachkontakte durch den vormals behandelnden Therapeuten nach Ent-
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Kapitel 3 · Psychosomatik
lassung aus der stationären Behandlung und (bei Eignung) Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe ergänzt werden.
pieerfolge bestehen oft in einer graduellen Besserung der Symptomatik, die Behandlung gehört in die Hände erfahrener Therapeuten.
Prognose. Die Prognose ist bei schweren Ausprägungen
> Wesentlich für eine günstige Prognose ist eine andauernde und regelmäßige Psychotherapie.
der Persönlichkeitsstörungen eher ungünstig, TheraIn Kürze Persönlichkeitsstörungen Dissoziale Persönlichkeitsstörung
4 Symptomatik: impulsives Verhalten ohne die Interessen und Rechte anderer zu berücksichtigen; kaum Angst, fast keine Empathie, häufig delinquent 4 Ätiologie: genetische Einflüsse, problematische Bedingungen während der Kindheit 4 Diagnostik: Symptomatik im Verlauf, ggf. ergänzt durch strukturiertes Interview und Testdiagnostik 4 Therapie: aufgrund mangelnder Motivation schwierig
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung 4 Impulsiver Typ 4 Borderline-Typ
4 Symptomatik: Instabilität in Emotionen, Beziehungen und Selbstbild. Beziehungsabbrüche, autodestruktives Verhalten 4 Ätiologie: schwere Störung des Bindungsverhaltens durch problematische frühe Beziehungserfahrungen 4 Diagnostik: Anamnese, Fragebögen, strukturiertes Interview, Checklisten zur Persönlichkeitsdiagnostik 4 Therapie: übertragungsfokussierte Psychotherapie, dialektisch-behaviorale Psychotherapie, lange Behandlungszeiten, schwankende Compliance
3.10
Dissoziative Störungen, Konversionsstörungen
Definition. Störungen, die neurologischen Erkrankungen ähneln, ohne dass eine körperliche neurologische oder sonstige organische Ursache aufgedeckt werden könnte. Ätiopathogenese. Die ursprünglich von Freud als Konversionssymptomatik geprägte Vorstellung ging von der Theorie aus, dass die Energie eines verdrängten Triebanspruchs in sensomotorische Funktionen hineinwirke und damit Funktionsstörungen verursache. Modernere Konzepte gehen von einem Zusammenwirken genetischer, kultureller und entwicklungspsychologischer Einflussfaktoren aus. Zu den biographischen Faktoren gehören während der Kindheit erlebter sexueller Übergriffe, erlernter familiärer Krankheitsmodelle sowie ein sehr organ-medizinisch orientierter Gesundheitsbegriff. Diese Einflussfaktoren werden durch kritische Lebensereignisse als auslösende Faktoren sowie aufrechterhaltende Faktoren zusätzlich beeinflusst. Abgesehen von allgemeinen Maßnahmen zur Psychohygiene sind keine spezifischen präventiven Maßnahmen bekannt.
Epidemiologie. Präzise Daten über Prävalenz und Inzi-
denz dissoziativer Störungen und von Konversionsstörung liegen nicht vor. Es scheint, dass auch unter dem Einfluss des kulturellen Wandels die Häufigkeit dieser Störungen nicht konstant bleibt. Symptomatik. Häufig prägen motorische Phänomene (Bewegungs-, Haltungs- und Koordinationsstörungen, Lähmungen) das klinische Bild. Es kann aber auch zu krampfartigen Anfällen oder Sensibilitätsstörungen kommen. > Die Symptome entsprechen den Vorstellungen des Patienten von Funktionszusammenhängen im Körper und nicht so sehr anatomischen oder physiologischen Gegebenheiten.
Diagnostik. Beim Vorliegen von Bewegungsstörungen
folgen diese häufig einem ähnlichen Muster. Andererseits sind die Merkmale organischer Bewegungsstörungen davon deutlich unterschieden. Der Nachweis einer vorangehenden psychischen Belastung unterstützt die Diagnose, ist jedoch nicht pathognomonisch, da auch organische Erkrankungen in der Folge psychischer Belastungen auftreten können.
195 3.11 · Zwangstörung
Differenzialdiagnose. Neurologisch bedingte Erkran-
kungen, Simulationen oder Aggravationen einer blanden Symptomatik. > Es existieren keine klaren Kriterien, die es erlauben würden, eine Konversionssymptomatik von einer Simulation sicher abzugrenzen. Gegebenenfalls können Symptomvalidierungstests einen Verdacht entkräften oder unterstützen.
Therapie. Soweit beim Patienten ein entsprechendes Störungsmodell plausibel gemacht werden konnte, kann eine unmittelbare Beeinflussung der Symptomatik durch eine kognitiv-behaviorale Psychotherapie angegangen werden. Dabei ist insbesondere die Berücksichtigung auslösender und aufrechterhaltender Bedingungen von Bedeutung. Unter tiefenpsychologischem Aspekt würde die Bearbeitung des unbewuss-
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ten Konfliktes im Vordergrund stehen und die Symptomatik nach dessen Auflösen überflüssig machen. Eine Stabilisierung nach erfolgter psychotherapeutischer Behandlung kann durch niederfrequente Behandlungssitzungen angestrebt werden. Prognose. Studien an Patienten mit dissoziativen Störungen zeigen, dass bei der Hälfte der Patienten auch Jahre nach der Diagnosestellung eine entsprechende Symptomatik nachweisbar ist. Das Problem dieser Patienten ist vor allem die weitere und vergebliche Inanspruchnahme des Gesundheitssystems. Durch psychotherapeutische Behandlung werden deutlich günstigere Bedingungen geschaffen, ohne jedoch bei allen Patienten Symptomfreiheit zu erzielen. Ein günstiges stabiles soziales Umfeld sowie ein psychosomatisches Verständnis in der Störung stellen günstige Prognosefaktoren dar.
In Kürze Dissoziative und Konversionsstörungen Dissoziative und Konversionsstörungen
3.11
4 Symptomatik: motorische Phänomene, krampfartige Anfälle, Sensibilitätsstörungen, die neurologischen Erkrankungen ähneln, jedoch ohne organische Ursache bestehen 4 Ätiologie: vermutlich Zusammenwirken genetischer, kultureller und biographischer Einflüsse 4 Diagnostik: die Störungen entsprechen laientheoretischen Funktionszusammenhängen 4 Therapie: tiefenpsychologische Erarbeitung des zugrunde liegenden Konfliktes, verhaltenstherapeutisches Umlernen unter Berücksichtigung aufrechterhaltender Bedingungen (Funktionalität)
Zwangstörung
Synonym. Anankastisches Syndrom. Definition. Als charakteristische Leitsymptome sind
definiert: 4 Zwangsgedanken: Gedanken, Bilder oder Impulse, die sich gegen den Willen des Betroffenen aufdrängen, als lästig oder beunruhigend erlebt werden und in der Phantasie oft wie Taten gewertet werden. Auch als Gegenmaßnahme dazu gedachte Gedanken sind den Zwangsgedanken zuzurechnen. 4 Zwangshandlungen: Objektiv überflüssige Handlungen, deren Unterlassung extreme Beunruhigung auslöst. Ätiopathogenese. Psychodynamische Erklärungen
sehen die Zwangssymptomatik als Lösungsversuch, der
ängstigende Es-Impulse in ihrer Wirkung eindämmen soll, als Abwehrmaßnahmen, die in den meisten Fällen als Isolation (z. B. als fremd erlebte Zwangsgedanken), Ungeschehenmachen (z. B. Waschzwang) oder Reaktionsbildung (übertriebene Moral zur Abwehr von sexuellen Impulsen) imponieren. Ursprünglich wurde postuliert, dass der Ursprung des unbewussten Konfliktes stets in der analen Entwicklungsphase zu suchen sei. Lerntheoretiker gehen häufig davon aus, dass ein zufällig in einer spannungsgeladenen Situation gezeigtes Verhalten wie Händewaschen zu einer Reduktion der dabei erlebten aversiven Gefühle (negative Verstärkung) führt und damit operant konditioniert wird. Von kognitiver Seite wird der Aspekt hinzugefügt, dass eine Selbstverurteilung wegen nicht-akzeptierbarer Gedanken und eine verzerrte Bewertung der erwarteten Konsequenzen eine große Rolle spielen.
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Kapitel 3 · Psychosomatik
Alle Zwänge: 4 können eine magische Komponente beinhalten, 4 können eine der subjektiv effektivsten CopingStrategien für primäre Depressionen im Sinne einer Ablenkung von negativer Befindlichkeit darstellen, 4 können durch ein Streben nach 100%-iger Sicherheit mitbedingt sein. Epidemiologie. Zwangsstörungen stellen die vierthäu-
figste psychische Störung dar, etwa 1–2% der Bevölkerung sind betroffen, Männer etwa gleich häufig wie Frauen. Die Erkrankung beginnt in etwa der Hälfte der Fälle vor dem 20. Lebensjahr.
4 Persönlichkeitsstörungen (ängstlich-vermeidende, dependente, Borderline-Persönlichkeitsstörungen) 4 Tics 4 Essstörungen 4 Hypochondrie Diagnostik. Drei Fragen erfassen 80% der Zwangsstö-
rungen: 4 Müssen Sie sich immer wieder die Hände waschen? 4 Müssen Sie alles mehrmals kontrollieren? 4 Haben Sie (evtl. unsinnige) Gedanken, die sie belasten und die sie nicht loswerden können? Differenzialdiagnose. Anankastische oder zwanghafte
Symptomatik. Typische Zwangsgedanken sind mit der
Persönlichkeit des Betroffenen nicht vereinbar. Sie werden als unbehaglich bis bedrohlich erlebt und haben oft aggressive oder sexuelle Inhalte. Sie stellen sich wie von selbst oder bei geringsten Anlässen ein und sind mit Willenskraft nicht abzustellen (Intrusionen). Die Patienten haben Sorge, ihre Gedanken in Taten umzusetzen, ja sie nehmen die Existenz des Gedankens oft als Beweis für die drohende Handlung (beispielsweise wird der Gedanke, einen anderen mit einem Messer verletzen zu können oder zu wollen, als Beleg für die eigene Gefährlichkeit und Schlechtheit gewertet). Unter den Zwangshandlungen stechen Kontrollund Waschzwänge besonders häufig hervor. Letztere können verbunden sein mit der Angst vor Ansteckung oder Verunreinigung. Wiederholungszwänge, Zählzwänge oder zwanghaftes Ordnen bestimmter Gegenstände haben oft den Charakter magischer Rituale, die eine vorgestellte Gefahr abwenden helfen sollen. > Meist zeigt die Störung einen chronischen Verlauf.
Zu den häufigsten Zwängen gehören: 4 Wasch- und Säuberungszwänge 4 Kontroll- und Ordnungszwänge 4 Zähl- und Wiederholungszwänge 4 Berühr- und Sprechzwänge Es besteht eine hohe Komorbidität von 30–50%, insbesondere mit: 4 Affektiven Störungen 4 Angststörungen
Persönlichkeitsstörung, Schizophrenie, Depression, Angststörung. Neurologische Erkrankungen wie Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, bilaterale Nekrose des Nucleus pallidus, Sydenham-Chorea, substanzinduzierte Zwänge durch Gabe dopaminerger Substanzen. Therapie. Als psychotherapeutische Behandlung der
Zwangsstörung hat die Verhaltenstherapie besondere Bedeutung erlangt. Das Behandlungsprinzip besteht darin, den Patienten mit der Situation zu konfrontieren, die Zwangssymptome auslöst ohne dass die Zwangshandlungen ausgeführt werden (Reaktionsverhinderung). Unter Einbeziehung kognitiver Therapieansätze (Selbstinstruktionstraining) lernt der Patient, den Zwängen zu widerstehen, und in der Folge verlieren sich diese oder schwächen sich ab. Das Prinzip entspricht der Expositionsbehandlung bei Phobien. Die Besserungsraten liegen zwischen 50 und 70%. Parallel zur Verhaltenstherapie hat sich die psychopharmakologische Behandlung mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI) etabliert, die in vergleichbarem Ausmaß zu Besserungen der Symptomatik führt. Die Kombination von Verhaltenstherapie und SSRI ist der Monotherapie in ihrer Wirksamkeit überlegen. Darüber hinaus vermindert sie das Risiko einer Symptomexazerbation nach Absetzen des Psychopharmakons. Deutlichen Vorteil scheint die Kombinationstherapie bei gleichzeitigem Vorliegen einer depressiven Komorbidität zu erbringen. In der Nachsorge kann dem Patienten geholfen werden durch konkrete Übungen, die erworbene Fähigkeiten festigen und Sicherheit stiften.
197 3.12 · Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren
3
In Kürze Zwangsstörungen Zwangsstörung
3.12
4 Symptomatik: als unbehaglich oder bedrohlich erlebte Gedanken, Bilder, Impulse. Objektiv überflüssige Handlungen, deren Unterlassen erhebliche Angst und Unruhe auslöst. 4 Ätiologie: Abwehrmaßnahme gegen nicht bewusstseinsfähige Impulse, Ergebnis ungünstiger Lernvorgänge auf dem Boden einer genetischen Prädisposition 4 Diagnostik: Frage nach Händewaschen, Kontrollwunsch, belastenden Gedanken 4 Therapie: Exposition und Reaktionsverhinderung, ggf. unterstützende Pharmakotherapie (SSRI)
Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
Beispiele für organische Erkrankungen mit häufiger psychischer Begleitsymptomatik sind atopisches Ekzem, Urtikaria, mukomembranöse Kolitis, chronische Lumbalschmerzen, Polymyalgie, andere chronische Schmerzerkrankungen und viele weitere. Einige dieser Erkrankungen wurden schon früh mit psychosomatischen Konzepten in Verbindung gebracht und gehören traditionell zu den klassischen Erkrankungen der Psychosomatik (»Holy Seven«). Dazu werden gerechnet Asthma bronchiale, chronische Polyarthritis, Colitis ulcerosa, essenzielle Hypertonie, Hyperthyreose, Neurodermitis und Ulcus duodeni. Dies ist jedoch eher von historischer Bedeutung. Definition. Faktoren und Verhaltenseinflüsse, die für
andere klassifizierte körperliche Krankheiten bedeutsam sind.
Ätiopathogenese. Es handelt sich um sehr unterschiedliche Krankheitsbilder, für die eine einheitliche Ätiopathogenese nicht existiert. Für die meisten dieser Störungen wird jedoch im Kern eine Verursachung durch dysfunktionale Belastungsverarbeitung bzw. missglückte Anpassung an Umgebungsanforderungen angenommen. Biologische, psychische und soziale Einflussfaktoren sind miteinander verflochten und beeinflussen sich gegenseitig. Dies ist die Grundlage des bio-psychosozialen Krankheitsmodells, das den Unterschied zu einem einfaktoriellen Ursache-Wirkungsprinzip betont. Als etwas spezifischeres Modell wird lässt sich das Diathese-Stress-Modell (. Abb. 3.4) verstehen. Es besagt, dass eine Veranlagung (vorhandene Organschwäche, Diathese) in Kombination mit einer starken Beanspruchung zu einer zunächst funktionellen psychosomatischen Störung führt, die durch anhaltende Wirkung morphologische Veränderungen nach sich zieht und zu einer Organschädigung führt, die von einem bestimmten Moment an nicht mehr reversibel ist. Die tiefenpsychologische Zusatzannahme geht davon aus, dass frühe
. Abb. 3.4. Diathese-Stress-Modell chronischer Schmerzen. (Aus Ehlert 2003)
198
3
Kapitel 3 · Psychosomatik
Konfliktsituationen zu einer Organschwächung führen oder zu einer besonderen Bereitschaft, mit diesem Organ zu reagieren. Einige tiefenpsychologische Schulen vermuten sogar eine Art Organsprache, die dem zugrunde liegenden Konflikt Gehör verschaffen will. Diese Annahmen sind empirisch nicht belegt, können aber u. U. einen therapeutischen Prozess günstig beeinflussen. Zu den Faktoren, die begünstigend auf die Entstehung der Störung wirken, je nach zugrunde gelegter Theorie genetische Besonderheiten, Vorerkrankungen, Traumata und frühkindliche Konflikte. Es handelt sich jedoch in allen Fällen um Hypothesen, die einer weiteren Überprüfung bedürfen. Ausgehend von dem Diathese-Stress-Modell liegen Möglichkeiten zur Vorbeugung psychosomatischer Erkrankungen einerseits in der Verbesserung individueller Belastungsverarbeitung (Stressbewältigung, soziale Unterstützung), andererseits in Maßnahmen zur Reduktion vermeidbarer Belastungen (Lärmreduktion, Ergonomie, Arbeitsorganisation, Pausen usw.). Epidemiologie. Verhaltensfaktoren bei somatischen Störungen werden außerordentlich häufig beobachtet. Da bisher keine Einigkeit darüber besteht, welche quantitative Rolle die unterschiedlichen Einflüsse auf das Zustandekommen der jeweiligen Störung besteht, gibt es sehr unterschiedliche Zahlenangaben zu Prävalenz und Inzidenz. > Da für die Mehrzahl der häufigen Krankheiten, besonders der sog. Zivilisationskrankheiten, Verhaltenseinflüsse nachgewiesen sind oder wahrscheinlich gemacht wurden, sind Krankheiten ohne Verhaltensfaktoren eher die Ausnahme!
Schätzungen über die Häufigkeit funktioneller psychosomatischer Erkrankungen in der Bevölkerung liegen bei 10–20%. Symptomatik. Die psychischen Störungen sind oft we-
nig eindrucksvoll, meist lang anhaltend (wie alltägliche Sorgen, emotionale Konflikte, ängstliche Erwartung)
und nicht auf den ersten Blick als behandlungsbedürftig erkennbar. > Den Betroffenen ist der Zusammenhang zwischen diesen Störungen und den sehr viel stärker imponierenden körperlichen Beschwerden in der Regel nicht unmittelbar zugänglich, meist wird er sogar als abwegig zurückgewiesen.
Diagnostik. Neben klinische Interviews können Frage-
bogen zur Erfassung von Stressbelastung und -verarbeitung hilfreich sein. Es ist keine gute Praxis, erst an begleitende Verhaltensfaktoren zu denken, wenn die somatische Therapie unzureichend wirkt. Differenzialdiagnose. Zu warnen ist vor einer Überbe-
tonung der Verhaltensfaktoren, die zu einer Vernachlässigung der körperlichen Seite der Behandlung führt. Die Vorstellung, dass psychosomatische Krankheiten ausschließlich mit psychotherapeutischen Methoden zu behandeln seien oder dass es sich bei der Psychotherapie um die kausale und damit »einzig relevante« Therapie handle, führt leicht zu unnötig langem Leiden und therapeutischen Misserfolgen. Therapie. Erst eine genaue Analyse der individuellen Verhaltensfaktoren kann eine zielführende Therapie ermöglichen. Häufig werden jedoch Maßnahmen hilfreich sein, die zu einer verbesserten Belastungsverarbeitung führen. Dazu gehören aus verhaltenstherapeutischer Sicht in der Regel Entspannungsverfahren in Kombination mit Stressbewältigungstrainings. Diese können auch einen direkten Einfluss auf körperliche Prozesse nehmen (vegetative Stabilisierung). Dazu können auch andere Komponenten wie Selbstsicherheitstraining, Problemlösetechniken und anderes kommen. Ferner sind sekundäre oder komorbide psychische Störungen zu berücksichtigen. In jedem Fall sind psychoedukative Maßnahmen (Informationsvermittlung, Schulung) hilfreich, die auf das konkrete Verhalten abzielen und den Verlauf der Erkrankung günstig beeinflussen helfen.
In Kürze Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderorts klassifizierten Krankheiten Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderorts klassifizierten Krankheiten
4 Symptomatik: körperliche Beschwerden dominieren vordergründig 4 Ätiologie: oft dysfunktionale Belastungsverarbeitung 4 Diagnostik: klinische Interviews, ausführliche Anamnese, Verhaltensbeobachtung, Tagebuch zur Identifikation individueller Fehlanpassung an Anforderungssituationen 4 Therapie: entsprechend den diagnostizierten individuellen Verhaltensfaktoren, oft unter Einbeziehung von Entspannungsverfahren und kognitiver Neubewertung (Stressbewältigung)
199
Farbabbildungen zu Kapitel 1: Neurologie
. Abb. 1.10. a Darstellung eines geringfügig arteriosklerotischen A.-carotis-interna-Abgangs durch verschiedene Methoden. Oben Strömungsmessung durch gepulste Dopplersonographie mit Frequenzanalyse. Normale Frequenzspektren in der Karotisbifurkation (oben links), im Bulbus caroticus (oben Mitte) und in der distalen A. carotis interna. Sie leichte Störung des Frequenzspektrums im Bulbus caroticus (oben rechts) ist an dieser Stelle nit pathologisch. Mitte links Die Strukturdarsellung der Gefäßwand im Ultraschall-B-Bild zeigt mehrere nichtstenosierende Plaques und flache Nischen. Mitte rechts Die eingeblendete farbkodierte Strömungsinformation (»Farbduplex«) zeigt ein weitgehend normales Strömungsmuster mit kleinen Rezirkulationszonen in Wandnischen. Unten Die digitale Substraktionsangiographie (DSA) läßt entsprechend nur leichte Wandunregelmäßigkeiten der A. carotis interna erkennen.
200
. Abb. 1.10. b Darstellung einer 70–80%igen ateriosklerotischen A.-carotis-interna-Abgangsstenose durch verschiedene Methoden: Oben Strömungsmessung durch gepulste Dopplersonographie mit Frequenzanalyse. Vorwiegend diastolisch reduzierte Strömungsgeschwindigkeit in der distalen A. carotis communis (oben links). Hochgradige Strömungsbeschleunigung mit über 500 cm/s Spitzengeschwindigkeit in der A.-carotis-interna-Sternose (oben Mitte links). Unmittelbar poststenostisch immer noch hohe Spitzengeschwindigkeit. Gleichzeitig Zeichen starker Verwirbelung mit Frequenzverdichtung um die Nullinie (oben Mitte rechts). Weiter stromabwärts langsamere, verwirbelt Strömung (oben rechts). Meherer cm distal der Stenose geglättete, aber reduzierte Strömung mit abgeflachtem systolischen Anstieg. Man beachte, daß gegenüber Abb. 1b die Frequenz- bzw. Geschwindigkeitsskala verändert wurde. Mitte links Die Strukturdarstelllung der Gefäßwand im Ultraschall-B-Bild zeigt echoarme Wandveränderungen, in denen das Restlumen nicht klar abgrenzbar ist. Mitte rechts Durch die farbkodierte Strömungsinformation werden Strombahnverengung, Störumungsbeschleunigung und poststenotische Verwibelung nicht genau, aber übersichtlich dargestellt. Unten DSA der Stenose, die eine genaue Beurteilung auch des weiteren Gefäßverlaufs erlaubt. (R. Winter, Heidelberg)
201
A–B
Sachverzeichnis A Aachener Aphasie-Test 110 Abhängigkeit, Definition 134 Absenceepilepsie 72, 73 Abstinenzsyndrom, neonatales 140 Abszess – intrakranieller 44, 45 – intraspinaler 44, 45 Achillessehnenreflex 5 Acitivites of Daily Living 111 Adduktorenreflex 5 Adynamia episodica hereditaria 98 Affektkrampf, respiratorischer 73 Affektstörung 108, 149 Agnosie 10 Agoraphobie 182, 183 Agrammatismus 158 Agraphie 10 Akalkulie 10 Akinese 57, 59, 109 – axiale 57 akinetische Krise Akustikusneurinom 50, 51 Alexie 10 Alkoholhalluzinose 139 Alkoholismus 134–140 – Diagnostik 135 – Formen 135 – körperliche Störungen 137 – Phasen 134 – Symptomatik 134 Allodynie 7 Alterans-Syndrome 21 Alzheimer-Demenz 63, 128, 129 Amantadin 59, 130 Amaurosis fugax 18, 79 Ambivalenz 108 amentielles Syndrom 123 Amnesie, transiente globale 73 Amyloidangiopathie 27 Amyloid-Plaques 44 Analgesie 7 Anamnese – psychiatrische 105, 106 – psychosomatische 166 Anamnesemosaik 105 Aneurysma dissecans 16
Aneurysma-Clippung 26 Aneurysma-Coiling 26 Anfall – astatischer 72 – epileptischer 29, 36, 71, 72 – fokaler 71, 72 – generalisierter 72 – myoklonischer 72 – psychogener 73 – tonischer 73 Angststörung 163, 182–187 – generalisierte 184, 185 Anorexia nervosa 132, 171–173 – Ätiopathogenese 171 – Symptomatik 172 – Therapie 173 Anosmie 3 Anpassungsstörung 168, 189 Anterior-cord-Syndrom 32 Anticholinergika 130 Antidepressiva 63, 116, 151 – trizyklische 116, 117 Antikoagulation 20 Antikonvulsiva 75, 130 Antiphospholipid-AntikörperSyndrom 18 Antriebsstörung 108, 109, 149 Anxiolytika 118 apallisches Syndrom 12 Apathie 108 Aphasie 10 – globale 10 Apomorphintest 130 Apoplex 7 Schlaganfall Appetenz, sexuelle 178 Apraxie 10 Arbeitsintelligenz 111 Armhalteversuch 5 Armplexusläsion 82 Arnold-Chiari-Malformation 69, 70 Arovirus 35 Arteria-spinalis-anterior-Syndrom 8 Arteriitis temporalis Horton 79 Arteriosklerose 16 Asperger-Syndrom 161 Astereognosie 7 Astrozytom – anaplastisches 48
– fibrilläres 48 – pilozysisches 48 Ataxia teleangiectatica 68 Ataxie 67, 68 – degenerative 68 – spinozerebelläre 68 – vestibuläre 67 – zerebelläre 67 Audimutitas 158 Aufmerksamkeitsprüfung 111 Aufmerksamkeitsstörung 107 Aufwachsepilepsie 72 Autismus 109 – frühkindlicher 160, 161 Autoimmunmyositis 101
B Babinski-Reflex 3, 4 Balint-Gruppe 168 Bandscheibenvorfall 82 Bannwarth-Syndrom 40 Barbiturate 119 Basilarismigräne 81 Basilaristhrombose 20, 21 Battered-child-Syndrom 154 Becker-Kiener-Muskeldystrophie 98 Beinhalteversuch 5 Belastungsreaktion, akute 187, 188 Belastungsstörung, posttraumatische 189–191 Bell-Zeichen 88 Benzodiazepine 118 – Missbrauch 141 Beschaffungskriminalität 134 Bewegungstherapie 115 Bewusstseinslage 11, 106 Bewusstseinsstörung 11, 29, 36, 107 Beziehungswahn 148 binge eating 172, 175 Bing-Horton-Kopfschmerz 78 Binswanger-Erkrankung 64 Bizepssehnenreflex 5 Blickparese, progressive supranukleäre 60 Blitz-Nick-Salaam-Krampf 72
202
Sachverzeichnis
Blutung – epidurale 24, 25 – intrakranielle 24 – intrazerebrale 27, 28 – subdurale 25 Borderline-Persönlichkeitsstörung 193 Borreliose – 7 Lyme-Borreliose – 7 Neuroborreliose Brachialgia paraesthetica nocturna 92 Brachioradialisreflex 5 Bragard-Gowers-Zeichen 11, 81 Broca-Aphasie 158 Brown-Séquard-Syndrom 8, 32 Brudzinski-Zeichen 11 Bulimia nervosa 132, 173–175 – Ätiopathogenese 173, 174 – Diagnostik 174 – Symptomatik 174 – Therapie 175 Bupiron 118
C Cannabis 140, 141 Capgras-Syndrom 107 Carbamazepin 118, 139 Cauda-equina-Syndrom 32 Central-cord-Syndrom 32 Cephalosporine 34 Chaddock-Reflex 5 Charcot-Marie-Tooth-Krankheit 85 Chloralhydrat 119 cholinerge Krise 101 Chorea – gravidarum 60 – Huntington 60 – minor 60 – senile 60 Cialis 179 Clomethiazol 139 Clonidin 139 Clozapin 131 Cluster-Kopfschmerz 78 CMF-Test 42 Commotio – cerebri 30 – spinalis 32
Compressio – cerebri 30 – spinalis 32 COMT-Hemmer 59, 130 Contusio cerebri – cerebri 30 – spinalis 32 Conus-medullaris-Syndrom 32 Coxsackie-Virus 35 Crack 142 Craving 134 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 44 – Demenz 130 – familiäre 44 – iatrogen übertragene 44 – vCJK 44 Critical-illness-Neuropathie 85 CRPS 8
D Dauerschwindel 80 Deafferenzierungsschmerz 8 Debilität 158 Decarboxylasehemmer 130 Degeneration, kortikobasale 60 Delir – medikamentös bedingtes 119, 120 – Therapie 120, 121 – traumatisch bedingtes 120 Delirium – acutum 146 – tremens 138 Dementia – infantilis 161 – pugilistica 62 Demenz 62–65, 109, 122, 123, 126–131 – Alzheimer 63, 128, 129 – Ätiopathogenese 62, 126 – Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung 130 – Diagnostik 62, 63, 127 – HIV-assozierte Enzephalopathie 64, 65, 129, 130 – kortikale 64 – Leitsymptome 127 – mit Lewy-Körperchen 60, 63, 64 – Parkinson 130, 131 – subkortikale 64
– Symptomatik 126 – Therapie 128 – vaskuläre 62 Denken – dichotomes 172 – magisches 172 Denkhemmung 150 Denkstörung 150 – formale 106, 108 – inhaltliche 108 Depersonalisation 107 Depression 149, 150 – agitierte 149 – anakastische 150 – larvierte 150 – melancholische 150 – portpartale 150 – postkoitale 179 – Therapie 151 depressive Episode 149, 181, 182 – persistierende 151 – rezidivierende 150 depressives Syndrom 123 Derealisation 107 Dermatom 6, 7 Dermatomyositis 101 Dermatozoenwahn 148 Diathese-Stress-Modell 197 Diplopie 3 Dopaminagonisten 59 Dopaminantagonisten 130 Druck, intrakranieller 7 Hirndruck Duchenne-Muskeldystrophie 98 Dysarthrie 67, 158 Dysarthrophonie 67 Dysästhesie 7 Dysfunktion, erektile 178 Dysgrammatismus 158 Dyskalkulie 159 Dyskinesie 59 Dyslalie 158 Dysmorphophobie 148 Dysomnie 133 Dysphasie 158 Dystonie 61 – laryngeale 61 – oromandibuläre 61 – tardive 61 – zervikale 61 Dystrophie, myotone 96, 97
203 Sachverzeichnis
E ECHO-Virus 35 Eifersuchtswahn, alkoholischer 139 Eigenreflexe 3, 5 Einschlusskörpermyositis 101 Elektroenzephalographie 13 Elektrokrampftherapie 147, 151 Elektromyographie 13 Elektroneurographie 13 Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie 98 EMG-Ermüdungstest 100 Empfindungsstörung, dissoziierte 7, 8 Endokarditits, septische 34 Entspannungstherapie 115 Entzugsdelir 138 Entzugssyndrom 134, 138 Enuresis 161 Enzephalitis – hämorrhagisch nekrotisierende 36 – postvakzinale 36 – virale 35, 36 Enzephalopathie – HIV-assoziierte 64, 65, 129, 130 – humane spongiforme 44 – spongiforme 44 Ependymom 48 Epiduralblutung 24, 25 Epilepsie 71–76 – Diagnostik 73 – idiopathische 71, 74 – juvenile myoklonische 72 – kryptogene 71 – Operation 74 – pharmakoresistente 74 – rolandische 71, 74 – symptomatische 71 – Therapie 74, 75 Ermüdungs-EMG 13 Erythema migrans 39, 40 Ess-Brech-Sucht 7 Bulimia nervosa Essstörungen 132, 133, 171 Euphorie 108 extrapyramidales Syndrom 57
F Fallneigung 58 Familienanamnese, psychiatrische 105 Faszikelläsion 83 Faszikulation 3 Fazialisparese 88 Feinmotorik, gestörte 67 Fibromyalgie 9 Fieberkrampf 73 Fingerbeugerreflex 5 Freiburger Persönlichkeitsinventar 109 Fremdreflexe 3, 5 Fressanfall 174 Friedreich-Ataxie 67 Fromnent-Zeichen 91 Frühsommer-Meningoenzephalitis 38 FSME 38 FTA-ABS-Test 42 Funktionsstörung, sexuelle 177–180
G Gangataxie 67 Ganglion-stellatum-Blockade 9 Garin-Bujadoux-BannwarthSyndrom 40 Gedächtnisprüfung 110 Gedächtnisstörung 107 Gegenübrtragung 106 Gerstmann-Sträussler-ScheinkerSyndrom 44, 130 Gesprächstherapie 114 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom 196 Glasgow Coma Scale 12, 31 Glioblastom 48 Gliose, astrozytäre 44 Global Deterioriation Scale 110 Gnomenwade 98 Gordon-Reflex 5 Grand-mal-Anfall 73 Grenzzoneninfarkt 18 Größenwahn 151 Großhirnblutung 27 Guillain-Barré-Syndrom 84, 86 Gürtelrose 89
B–H
H Hachinski-Ischämie-Skale 111 Haemophilus influenzae 33, Halluzinogene 142 Halluzinose, organisch bedingte 121 Hamilton-Depressions-Skala 112 Hämodilution, hypertensive hypervolämische 27 HAWIE 111 HAWIK 111 Hebephrenie 145 Heller-Syndrom 161 Hemiparese 21 – Definition 5 Hemiplegia alterans 21 Hemiplegie, Definition 5 Heparinisierung 20 Herpes zoster 89 Herpes-simplex-Enzephalitis 36, 37 Herpes-simplex-Virus 35, 36 Hirnatherosklerose 21, 23 Hirndruck, erhöhter 27, 46 – Therapie 47 Hirnentzündung 7 Enzephalitis Hirnhautentzündung 7 Meningitis Hirninfarkt 16 Hirnleistungsschwäche 122 Hirnmetastase 51 Hirnnerven – Funktionsausfall 3, 4 – Untersuchung 3, 4 Hirnödem 46 – interstitielles 46 – postoperatives 50 – Therapie 47 – vasogenes 46 – zytotoxisches 46 Hirnstammblutung 27 Hirnstammischämie 20, 21 Hirnstimulation, elektrische 59, 131 Hirntod 12, 13 Hirnvenenthrombose 29 HIV-Enzephalopathie 64, 65, 129, 130 Hoffmann-Tinel-Zeichen 91, 92 Horner-Syndrom 10 Hörstummheit 158
204
Sachverzeichnis
Hydrocephalus 45, 46 – communicans 45 – e vacuo 45 – externus 45 – hypersecretorius 45 – internus 45 – malresorptivus 45 – occlusus 45 Hyperalgesie 7 Hyperkinese 109 hyperkinetisches Syndrom 155 Hyperkoagulabilität 29 Hyperpathie 7 Hypersomnie 133 Hyperventilation 47 Hypoalgesie 7 Hypochondrie 168, 169 Hypoglycaemia factitia 125 Hypoglykämie 124, 125 – exogene 124 – postprandiale 124 Hypokinese 57, 109 Hypomanie 108 Hyposmie 3 Hyposomnie 133 Hysterie 163
I Ich-Erleben 107 – gestörtes 109 Ideenflucht 151 Idiotie 158 Imbezillität 158 Infarkt, lakunärer 18, 64 Inkohärenz 108 Insomnie, letale familiäre 44, 130 Insult, zerebraler 7 Schlaganfall Intelligenzminderung 109, 157, 158 Intentionstremor 53 Ionenkanalkrankheiten 97, 98 Ischämie – transitorische 16 – zerebrale 16
J Jackson-Anfall 71 Jackson-Syndrom 21
Jannetta-Operation 87 Jarisch-Herxheimer-Reaktion 42
K Karotis-TEA 20 Karpaltunnelsyndrom 92 Katalepsie 109 katathymes Bilderleben 113 Katatonie, febrile 146 Kernig-Zeichen 11 Kindesmissbrauch, sexueller 154, 155 Kindesmisshandlung 154, 155 Kindesvernachlässigung 154 Kleinhirnblutung 27 Kleinhirndegeneration 68 Kokain 142 Koma 11, 12, 106 Konfliktarten 105 Kontinuitätsdelir 138 Konversionsstörung 194, 195 Kopfschmerz 76–80 – arzneimittelinduzierter 78, 79 – primärer 76 – psychosomatischer 168 – sekundärer 76 – Sinusvenenthrombose 29 Körperschemastörung 132, 171 Korsakow-Syndrom 139 Kozhevnikov-Syndrom 71
L Lagerungsschwindel 80, 81 Lähmung – 7 Parese – hyperkaliämische periodische 98 – hypokaliämische periodische 98 – periphere 6 – zentrale 6 Lambert-Eaton-Syndrom 100 Lamotrigin 118 Lasègue-Zeichen 11, 81 – gekreuztes 11 – umgekehrtes 11, 81 Lateralsklerose, amyotrophe 66 Laxanzienmissbrauch 174 L-Dopa 58, 130
L-Dopa-Test 58 Legasthenie 159 Leitungsaphasie 10 Lennox-Gastaut-Syndrom 73 Lernbehinderung 158 Lernstörung 159 Lerntheorie 116, 168 Lese-Rechtschreib-Schwäche 159 Lhermitte-Zeichen 11 Lichttherapie 151 Liquordiagnostik 15, 16 Liquordrainage, ventrikuläre 27 Liquorfistel 29 Liquorpunktion 15 Liquorszintigraphie 13 Listeria monocytogenes 35 Lithium 118 Lobäratrophie, frontotemporale 64 Locked-in-Syndrom 12 Logorrhö 108 Lösungsmittelmissbrauch 142 Lues cerebrospinalis 41 Lumbalkanalstenose 81 Lumbalpunktion 26 Lyme-Arthritis 40 Lyme-Borreliose 39–41 Lyse – intraarterielle 20 – intravenöse 20
M Magersucht 7 Anorexia nervosa Magnetstimulation, transkranielle 13 Manie 151, 152 MAO-Hemmer 59, 116 Marburg-Trias 55 Marihuana 140, 141 Maskengesicht 57 Masseter-Reflex 5 Medikamentenanamnese 105 Medulloblastom 48 Meige-Syndrom 61 Melkersson-Rosenthal-Syndrom 88 Memantin 129 Memo-Test 110 Meningeom 48–50 Meningeosis neoplastica 51 Meningismus 11, 33–36
205 Sachverzeichnis
Meningitis – Ätiologie 33 – bakterielle 33, 34 – Diagnostik 34, 35 – Meldepflicht 34 – Symptomatik 34 – Therapie 34 – tuberkulöse 38 – virale 35, 36 Meningoenzephalitis – nichteitrige 38 – virale 35, 36 Meningokokkenimpfung 34 Meningokokkenmeningitis Meningomyelozele 69 Meningozele 69 Meralgia paraesthecia 94 Migräne 77, 78 – vestibuläre 81 Millard-Gubler-Syndrom 21 Mini-Mental-State 110 Minnesota Multiphasic Personality Inventory 109 Missbrauch – Definition 134 – sexueller 154, 155 Monoaminooxidasehemmer 59, 116 Mononeuropathia multiplex 85 Morbus – Alzheimer 63 – Little 70 – Parkinson 130, 131 Motorik – Störungen 155, 156 – Untersuchung 3 Moya-Moya-Syndrom 18 Multiinfarktdemenz 64 multiple Sklerose 53–56 – Diagnostik 55 – Symptomatik 53 – Therapie 55, 56 Multisystematrophie 59, 68 Münchhausen-StellvertreterSyndrom 154 Münchhausen-Syndrom 164 Münchner Alkoholismustest 112 Muskelatrophie, spinale 66 Muskelbiopsie 16 Muskeldystrophie 98 – fazioskapulohumerale 98 – okulopharyngeale 98 Muskelfaszikulation 3 Mutismus 158
myasthene Krise 100 Myasthenia gravis 99 Myasthenie – neonatale 99 – okuläre 99, 100 – serumpositive 99 Myatrophie, neuralgische 83 Mycobacterium tuberculosis 38 Mydriasis 3 Myopathie – arzneimittelinduzierte 101 – toxische 101, 102 Myositis 101 – Borrelien-induzierte 40 Myotonia congenita 97 Myotonie – dystrophe 96, 97 – nichtdystrophe 97
N Nackenbeugerzeichen 11 Narkolepsie 73 Neglect 10, 11 Neisseria meningitidis 33 Nervenbiopsie 16 Nervendehnungszeichen 11 Nervus – facialis, Parese 88 – femoralis, Läsion 94 – ischiadicus, Läsion 94 – medianus, Läsion 91, 92 – peroneus, Läsion 94, 95 – radialis, Läsion 92, 93 – tibialis, Läsion 95 – trigeminus, Neuralgie 87 – ulnaris, Läsion 90, 91 Neuralgie 7 Neuritis – immunvermittelte 84 – infektiöse 84 Neuroborreliose 39, 40 Neurofibromatose 68 Neuroleptika 116, 146 Neuropathie – ernährungsbedingte 84 – hereditäre 84 – metabolische 84 – toxische 84 Neurosyphilis 41, 42 Nimodipin 129
H–P
Nonne-Marie-Krankheit 68 Nootropika 129 Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer 116 Normaldruckhydrozephalus 45, 46 Nozizeptor 8 Nüchternhypoglykämie 124
O Oberflächensensibilität 6 Okulomotorik 3 – gestörte 67 Oligophrenie 109, 158 Opioidabhängigkeit 140 Opioidintoxikation 140 Opipramol 118 Oppenheim-Reflex 5 Orgasmusstörung 179 Orientierung 106 Orientierungsstörung 107 Osler-Knötchen 34 Oszillopsie 67
P Pallästhesie 7 Panenzephalitis, subakute sklerosierende 37, 38 Panikattacke 185 Panikstörung 185–187 Papovavirus 129 Paralyse – Definition 5 – progressive 41 Paramyotonia congenita 97, 98 Paranoia 148 Paraparese, Definition 5 Paraphasie 10 Paraplegie, Definition 5 Parasomnie 133 Parästhesie 7 Parese, Definition 5 Parinaud-Syndrom 21 Parkinson-Demenz 130, 131 Parkinson-Syndrom 57 Patellarsehnenreflex 5 Pavor nocturnus 176 Perseveration 108
206
Sachverzeichnis
Persönlichkeitsstörung 192–194 – dissoziale 192 – emotional instabile 193 – organische 121, 122 Persönlichkeitsstruktur 105 Petit-mal-Anfall 72, 73 Phalen-Test 92 Phenothiazine 146, 147 Phobie 182–184 – isolierte 182, 183 – soziale 182, 183 – Therapie 184 Pick-Komplex 64 Plexusparese 82 Pneumokokkenmeningitis Poliomyelitis-Virus 35 Poltern 158 Polymyositis 101 Polyneuritis 84–86 Polyneuropathie 84–86 – diabetische 85 Polyradikulitis 86 Polyradikuloneuropathie, chronische inflammatorische demyelinisierende 86 Polytoxikomanie 134 Polytrauma 30 Postzoster-Neuralgie 89 Potenzial, evoziertes 13 Prion 44 Progressiver Matrizentest von Raven 111 Pseudodebilität 109 Pseudodemenz 109, 150 Psychoanalyse 113 Psychopharmaka 116 Psychose – akute 146 – endogene 147 – exogene 119–123, 134 – organische 29 – symptomatische 138 Psychosomatik, Definition 166 Psychosomatische Medizin 166 Psychosyndrom, hirnlokales 123 Psychotherapie 112, 113 – Definition 166 – Indikationen 112 – interpersonale 151 – katathym-imaginative 113 – kognitive 151 – Kontraindikationen 113 – psychodynamische 151, 168
– Setting 168 – Supervision 168 – supportive 151 – tiefenpsychologische 113 Ptosis 3 Pupillenerweiterung, homolaterale 24 Pupillenstarre 3
Q Querschnittlähmung 32
R Rausch – einfacher 136 – komplizierter 138 – pathologischer 138 Rechenschwäche 159 Reiber-Schema 16 Relativismus 108 Restless-legs-Syndrom 60, 61 Retrobulbärneuritis 53 Rett-Syndrom 161 Rigor 57 Rolando-Epilepsie 71, 74 Rossolimo-Reflex 5 rtPA 20 Rückenmarksverletzungen 31, 32 Rückenmarksyndrome 32 Ruhetremor 57 Rumpfataxie 67
S Schädel-Hirn-Trauma 30, 31 – Liquorfistel 29 Schädelprellung 30 Schizophrenie 143–147 – Ätiopathogenese 143 – Diagnostik 143, 144 – katatone 145 – paranoid-halluzinaotirsche 145 – Symptomatik 143 – Therapie 144, 147
Schlafentzug 151 Schlafepilepsie 72 Schlafhygiene 176, 177 Schlafmittelabhängigkeit 176 Schlafstörungen 133, 134, 176, 177 Schlafwandeln 176 Schlaganfall 16–21 – Diagnostik 18, 19 – Rehabilitation 20 – Sekundärprophylaxe 20 – Therapie 19, 20 Schmerz 8, 9 – chronischer 9 – Diathese-Stress-Modell 197 – Therapie 9 – neuralgiformer 8 – neuropathischer 8 Schmerzsyndrom, komplexes regionales 8, 9 Schmerztherapie 9 Schnüffelstoffe 142 Schreibkrampf 61 Schulangst 159 Schulteramyotrophie, neuralgische 83 Schwankschwindel 80 Schwindel 80 – orthostatischer 80 – psychogener 80 – vestibulärer 80 Sedativa, Missbrauch 142 Selbstbeschädigung 164 Sensibilität 6, 7 Sensualitätstraining 179 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, selektive 116 Setting 168 Sexualstörung 177–180 Sexualtherapie 179, 180 Sinusvenenthrombose 29 Sklerose, multiple 7 multiple Sklerose Soazialverhalten, gestörtes 162 Somnolenz 11, 106 Sopor 11, 106 Spannungskopfschmerz 76 Spina bifida 68, 69 Spinalparalyse, spastische 66 Sprachstörung 158 Sprachverlustsyndrom 158 Sprechstörung 158 Stammeln 158 Stammganglienblutung 27
207 Sachverzeichnis
Standataxie 67 Status – epilepticus 72, 75 – psychischer 3 Stent-Implantation 20 Stimulanzien, Missbrauch 142 Stimulations-EMG 13 Störung – affektive 181, 182 – anhaltende 151 – bipolare 152, 181 – depressive 149, 150 – dissoziative 163, 194, 195 – emotionale 162, 163 – hypochondrische 168 – psychogene 161, 162 – psychosomatische, Definition 166 – schizoaffektive 147 – somatoforme 168–170 – Sozialverhalten 162 – wahnhafte 147, 148 Stottern 158 Stupor – depressiver 149 – katatoner 143, 146 Subarachnoidalblutung 25, 26 Subclavian-Steal-Syndrom 21 Subduralblutung 25 Supervision 168 Supinatorsyndrom 93 Sympathalgie 8 Syndrom – amentielles 123 – apallisches 12 – chronisch posttraumatisches 30 – depressives 123 – expansiv-maniformes 123 – extrapyramidales 57 – hyperkinetisches 155 Synkope 73 Syringobulbie 69 Syringomyelie 8, 69
T Tabes dorsalis 41 Tadalafil 179 Taubstummheit 158 Teilleistungen, Prüfung 109, 110 Teilleistungsschwäche 158 Tensilon-Test 100
Territorialinfarkt 18 Tethered-cord-Syndrom 69 Tetraparese, Definition 5 Tetraplegie, Definition 5 Thematischer Apperzeptionstest 109 Thrombendarteriektomie 20 Thrombolyse 20 Thrombophlebitis, infektiöse 29 Thymektomie 100 TIA 18 Tic 155, 156 Tiefenhirnstimulation 59, 131 Tiefenpsychologie 168 Tiefensensibilität 6 Toleranzentwicklung 134 Torpidität 108 Toxoplasma gondii 129 Toxoplasmose 39 TPHA-Test 41 Tranquilizer 141 Transitivismus 107 transitorische ischämie Attacke 18 Treponema pallidum 41 Trierer Alkoholismusinventar 112 Trigeminusneuralgie 87 Trizepssehnenreflex 5 Trömner-Reflex 5
U Übertragung 106 Untersuchung – Hirnnerven 3 – Motorik 3 – neurologische 3–16 – psychiatrische 105–112
V Vagusnervstimulation 74 Valproinsäure 118 Varizellenenzephalitis 36 Vasospasmus 27 VDRL-Test 42 Verhaltenstherapie 114, 116, 168 Versivanfall 71 Viagra 179 Vigilanz 107 Virchow-Trias 16
P–Z
W Wahn 106, 147, 148 – symbiotischer 148 Wahrnehmungsstörung 107, 108, 158, 160 Wallenberg-Syndrom 21 Weber-Syndrom 21 Wernicke-Aphasie 36, 158 Wernicke-Enzephalopathie 140 Wortfindungsstörung 158
X Xanthochromie 26
Y Yohimbin 179
Z Zahlenverbindungstest 111 Zerebralparese, infantile 70 ZNS-Tumoren 47–52 – Diagnostik 49, 50 – Symptomatik 49 – Therapie 50 Zolpidem 119 Zopliclon 119 Zoster – ophthalmicus 89 – oticus 88, 89 Zosterenzephalitis 36 Zosterneuralgie 89 Zwangsgedanke 195, 196 Zwangshandlung 195, 196 Zwangsstörung 163, 195, 196 Zyklothymie 152 Zytomegalievirus 35, 37 Zytomegalievirus-Enzephalitis 37