Yvonne Rebecca Ingler-Detken Doing Gender auf der politischen Bühne Europas
Yvonne Rebecca Ingler-Detken
Doing Gende...
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Yvonne Rebecca Ingler-Detken Doing Gender auf der politischen Bühne Europas
Yvonne Rebecca Ingler-Detken
Doing Gender auf der politischen Bühne Europas Politikerinnen und ihre Überwindung der „Fremdheit in der Politik“
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universitaet DuisburgEssen Tag der mündlichen Prüfung: 19.11.2007 Referentin: Prof. Dr. Heidrun Hoppe, Universitaet Duisburg-Essen Korreferent: Prof. Dr. Eckart Pankoke, Universitaet Duisburg-Essen
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15909-6
Danksagung Besonderer Dank für die fachliche Betreuung und kontinuierliche Motivation gilt meiner Erstgutachterin Frau Prof. Dr. Heidrun Hoppe sowie meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Eckart Pankoke, der im Jahr 2007 verstorben ist. Diese Studie ist an der Universität Duisburg-Essen im Rahmen des DFGGraduiertenkollegs „Europäische Gesellschaft“ entstanden. Ihrem Leiter, Herrn Prof. Dr. Wilfried Loth, gilt ebenfalls mein Dank. Bei der methodischen Ausrichtung hat mich das ZUMA (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen) in Mannheim ausführlich beraten. Das Herzstück dieser Studie bilden die Interviews mit den befragten Parlamentarierinnen und Parlamentariern, deren Interviewbereitschaft, Offenheit und das entgegen gebrachte Vertrauen diese Arbeit ermöglicht hat. Ferner möchte ich meinen Eltern Annegret und Dr. Norbert Ingler für Ihre vielfältige Unterstützung, gerade in der Endphase der Arbeit, danken. Meine Kinder Maximilian David und Julia Caroline haben mir immer wieder gezeigt, was wirklich wichtig ist.
Inhaltsverzeichnis 1 2
Einführung .................................................................................................. 10 Problemstellung und Forschungsperspektive.............................................. 16 2.1 Aspekte der Entwicklung politischer Rechte von Frauen..................... 16 2.2 Zur Geschlechtergleichstellung in Schweden, Deutschland, Griechenland und Polen ....................................................................... 20 2.3 Geschlechterforschung - Geschlechterverhältnisse .............................. 25 2.3.1 Geschlecht, Geschlechterverhältnisse und Doing Gender .......... 25 2.3.2 Frauen in der Politik.................................................................... 35 2.3.3 Einflussfaktoren auf die politische Repräsentation von Frauen .. 45 3 Empirische Untersuchung - methodische Aspekte ..................................... 56 3.1 Ziele und Wahl der Methode ................................................................ 56 3.2 Auswahl der untersuchten Länder ........................................................ 59 3.3 Länderkurzvorstellungen...................................................................... 60 3.3.1 Schweden - ein Vorbild für Europa ............................................ 60 3.3.2 Deutschland - auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft................................................................................. 63 3.3.3 Griechenland - Entwicklungstendenzen in der patriarchalischen Gesellschaft..................................................... 66 3.3.4 Polen - Geschlechtergleichstellung zwischen Katholizismus und Sozialismus .......................................................................... 71 3.4 Auswahl der Untersuchungsgruppe...................................................... 76 3.5 Interviewleitfaden................................................................................. 79 3.6 Pretest, Transkription und Gesprächssituation ..................................... 84 3.7 Auswertungskategorien ........................................................................ 86 3.8 Reflexion der qualitativen Untersuchung ........................................... 102 4 Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern............................... 106 4.1 Dramaturgie der politischen Bühne .................................................... 106 4.2 Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen ....................................... 122 4.3 Selbstbild der Politikerinnen und Politiker......................................... 131 4.4 Doing Gender in Politics .................................................................... 140 4.5 Gender Equality in den vier EU-Staaten - subjektive Beurteilungen . 147 5 Doing Gender: Beurteilung der Interviewergebnisse................................ 156 5.1 Geschlechterstereotypen und ihre Veränderung ................................. 156 5.2 Relevanz der Frauensolidarität ........................................................... 162 5.3 Geschlechtsübergreifende Typen von Selbstbildern........................... 165
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Inhaltsverzeichnis
5.4 Dualistisches und differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses 168 5.5 Niveaus der Gender Equality.............................................................. 174 6 Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa .................................... 176 6.1 Politische Karrieretypen und Karrieremuster für Frauen in der Politik 176 6.2 Voraussetzung für den politischen Erfolg von Frauen - Optimierung der Structural Opportunities ............................................................... 184 6.3 Europa: von der Wiege der Demokratie zur Vorreiterin der Gender Equality .............................................................................................. 188 7 Doing Gender auf der politischen Bühne Europas - ein Kurzresümee ..... 193 Literatur ............................................................................................................ 200
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8:
Der deutsche Interviewleitfaden ............................................. 81 Konzentrische Kreise ............................................................ 103 Eigenschaften von Politikerinnen und Politikern.................. 147 Katalysatorwirkung der Frauensolidarität............................. 164 Individuelle Kompetenzen, die von erfolgreichen Politikerinnen genannt werden.............................................. 167 Karrierebausteine - Karrieremuster....................................... 183 Wie werden Frauen politisch erfolgreich? ............................ 187 Auswirkungen der Einführung der Frauenquote im Wahlrecht des Europäischen Parlamentes............................. 191
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5:
Frauenanteil im nationalen Parlament und im Europäischen Parlament ................................................................................ 25 Weibliches und männliches Verständnis von Politik nach Birgit Meyer ................................................................... 41 Einführung des Wahlrechtes für Frauen und Männer in ausgewählten Ländern ............................................................ 47 Frauenanteil im polnischen Parlament 1970 bis 2005............. 74 Interviewte Politikerinnen und Politiker ................................. 78
1 Einführung Das Thema dieser wissenschaftlichen Studie „Doing Gender auf der politischen Bühne Europas - Politikerinnen und ihre Überwindung der ‚Fremdheit in der Politik’“ greift ein gleichermaßen aktuelles wie altes Problem auf. In den europäischen Ländern ist das Frauenwahlrecht noch keine hundert Jahre alt.1 Als die Frauen das Wahlrecht erhielten, wollten sie politischen Einfluss, Erfolg und Macht erreichen. Allerdings trafen sie in der Politik auf lange gewachsene männliche Strukturen und Netzwerke, so dass sie in der institutionalisierten Politik wie Fremdkörper waren, die sich in den männerbündischen Strukturen zurechtfinden mussten. Bärbel Schöler-Macher stellte in ihrer Untersuchung „Die Fremdheit in der Politik“ (1994) fest, dass Frauen in der bundesdeutschen Politik noch in den 90er Jahren in der Politik etwas Fremdes und Nachrangiges darstellen (Schöler-Macher 1994: 12). Diesen Gedanken griff Birgit Meyer in ihrem Buch „Männerbund Politik“ (Meyer 1997) auf. Auch sie befragte deutsche Politikerinnen und ein Ergebnis dieser Untersuchung lautete, dass Politik ein Männerberuf war und ist und von Männerfreundschaften dominiert wird. Doch ist diese Analyse noch gültig? Der Titel der vorliegenden Untersuchung spricht in Anspielung an die Thesen von Schöler-Macher von der Überwindung der „Fremdheit in der Politik“. Auf den ersten Blick zeigt sich heute in einigen Ländern Europas, neben den skandinavischen Ländern auch in Deutschland, ein verändertes Bild zu dem von Schöler-Macher und Meyer gezeichneten: in mehreren Parlamenten und Regierungen beträgt der Anteil der Politikerinnen2 dreißig und mehr Prozent. Gerade im Europäischen Parlament bzw. der Europäischen Kommission sind einige Machtpositionen - wie Kommissar/in, Fraktionsvorstände oder Ausschussvorsitze - mit Frauen besetzt. Aber auch unter den Parlamentarierinnen und Parlamentariern ist der Frauenanteil - verglichen mit dem einiger nationaler Parlamente - recht hoch. Wodurch sind diese Entwicklungen zu erklären? Haben Frauen die Fremdheit in der Politik überwunden und sich an das männliche Politiksystem angepasst? Oder haben sie neue, auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Strukturen geschaffen? Fördert die Europäische Union 1 In den meisten Mitgliedstaaten der EU haben die Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Wahlrecht erlangt. Erst nach dem 2. Weltkrieg erlangten die Frauen 1945 in Ungarn, Italien, Slowenien und Rumänien, 1948 in Belgien, 1949 in Griechenland, 1960 in Zypern und zuletzt 1976 in Portugal das Wahlrecht. 2 Im Folgenden werden die Begriffe weiblicher Politiker, Politikerin oder Politikerinnen bzw. männlicher Politiker oder Politiker (für männliche Politiker im Singular und Plural) gemäß der neueren Literatur synonym verwendet. Ist von weiblichen und männlichen Politikern im Plural die Rede, wird auch die Formulierung Politikerinnen und Politiker verwandt. Die Schriftvariation „PolitikerInnen“, die ebenfalls mehrere weibliche und männliche Politiker im Plural umfasst, wird auf Grund der Gefahr der Verwechslung mit dem Begriff „Politikerinnen“ vermieden.
Einführung
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- dieses gegenüber den Nationalstaaten relativ junge politische Konstrukt - die gleichberechtigte politische Repräsentation von Frauen und Männern in besonderer Weise? Diese Fragen beantwortet die vorliegende Arbeit. Die Europäische Union (EU) als neues politisches Konstrukt „sui generis“ stellt in vielfacher Weise einen Sonderfall dar, auch in Bezug auf die gleichberechtigte politische Beteiligung von Frauen und Männern. Seit 1952 ist die Vorläuferinstitution der Europäischen Union mit einem Parlament ausgestattet, das zunächst nur wenig politischen Einfluss hatte und seine Mitglieder aus den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten rekrutierte. Zudem waren die EGKS (Europäische Gesellschaft für Kohle und Stahl) und die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) nur auf wirtschaftliche Zusammenarbeit fokussiert. Soziale Ziele standen bis zum Vertrag von Maastricht und mit Gründung der EG (Europäische Gemeinschaft) nicht auf der Agenda. Des Weiteren kann der politische, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Einfluss, den die Europäische Union heute auf die Nationalstaaten ausübt, nicht mit der Zeit vor Maastricht verglichen werden. Als 1979 die ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament (EP) stattfanden, brachten diese ein erstaunliches Ergebnis: Durchweg waren Frauen wesentlich besser repräsentiert als in den nationalen Parlamenten ihrer Heimatländer (vgl. Randzio-Plath 1980: 27 ff). Über die Ursachen dieses weiblichen Wahlerfolges wurde viel spekuliert. Ein Grund hierfür könnte in der geringen Bedeutung gelegen haben, die das Europäische Parlament zum damaligen Zeitpunkt inne hatte.3 Die männlichen Politiker waren nicht sehr interessiert daran, Mitglieder dieses damals wenig einflussreichen Parlamentes zu werden. Auf diese Weise konnten die Politikerinnen an Macht und Einfluss gewinnen. Zugleich fiel es den männlichen Politikern später schwerer, untereinander ihre Kontakte zu knüpfen, oder, um mit einem Begriff Birgit Meyers zu sprechen, ihre männerbündischen Strukturen zu bilden. Erst der Vertrag von Maastricht (1992) stärkte die Macht des Europäischen Parlaments. Zur Zeit der ersten Europawahl (1979) aber erschien den männlichen Politikern ein Sitz in einem noch unbedeutenden Europäischen Parlament als wenig attraktiv (vgl. Randzio-Plath 1980: 31). Seit dem Vertrag von Amsterdam (1997) hat sich das Europäische Parlament zu einer einflussreichen Institution entwickelt, die in vielen Bereichen gegenüber dem Rat der Europäischen Union4 gleichberechtigt ist und zunehmend 3 Ein Blick auf die Besetzung von Führungspositionen in europäischen Wirtschaftsunternehmen oder in Universitäten bestätigt dieses Bild. Mittlerweile sind Frauen auf den unteren und mittleren Ebenen gut vertreten, aber je höher die Stellung ist, desto weniger Frauen kann man auf der entsprechenden Ebene finden. 4 Der Europäische Rat wird in verschiedenen Publikationen und im mündlichen Sprachgebrauch auch „Ministerrat“ oder „Europäischer Ministerrat“ genannt.
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Einführung
Kompetenzen erlangt hat. Aus diesem Grund ist es für viele Politikerinnen und Politiker zu einem begehrten Arbeitsplatz mit großen Einflussmöglichkeiten geworden. Allerdings stoßen bei den Europawahlen zwei gesellschaftspolitische Tendenzen aufeinander: auf der einen Seite hat die politische Repräsentation von Frauen in den vergangenen zwanzig Jahren in ganz Europa zugenommen und Frauen hatten einige Wahlperioden lang die Möglichkeit, ihre eigenen Netzwerke und Einflussfelder aufzubauen. Auf der anderen Seite ist die Konkurrenz zwischen weiblichen und männlichen Politikern mit der Zunahme der Bedeutung des Europäischen Parlaments gewachsen. Für fast jedes Land gilt, dass prozentual mehr Frauen einen Sitz im EP haben als im nationalen Parlament. Ist das Europäische Parlament ein Hort geschlechterpolitischer Gleichberechtigung?5 Diese Aussage ist zu generell und muss für die verschiedenen Mitgliedstaaten differenziert werden, denn die politische Repräsentation von Frauen ist sowohl auf nationaler, als auch auf europäischer Ebene höchst unterschiedlich und in den meisten Ländern sind Frauen (noch) nicht gleichberechtigt vertreten. Ganz grob kann man in Bezug auf die politische Repräsentation von Frauen in der Europäischen Union eine Nord-Süd-Differenz feststellen. Eine interviewte Politikerin sagte: „Je weiter man nach Süden kommt, desto neidischer schaut man nach Norden.“ Im Zuge der Osterweiterung im Mai 2004 ist es zudem zu einem West-Ost-Gefälle gekommen (Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.) 2000: 27). Aktuell reicht die Repräsentation von Frauen im Europäischen Parlament von den Spitzenreitern mit 58% (Schweden) und 44% (Frankreich) bis zu den Unterrepräsentierten mit 13% (Polen) und 0% (Malta und Zypern). Deutschland liegt mit 31% weiblichen Abgeordneten im Mittelfeld. Auffallend ist, dass die Griechinnen bei der Europawahl von 2005 mit 29% gegenüber der von 2000 mit 16% deutlich aufgeholt haben, wohingegen die Finninnen mit jetzt nunmehr 36% von der Führungsposition ins Mittelfeld abgerutscht sind. Insgesamt ist die politische Repräsentation von Frauen auf europäischer Ebene in den mittel- und osteuropäischen Staaten eher schlecht. Es gibt mit Ungarn (33% weibliche Abgeordnete) und Lettland (22%) aber auch positive Ausnahmen. Auf nationaler Ebene liegen die Schwedinnen mit 45% vor den Däninnen (37%); am unteren Ende der Skala stehen Griechenland (2004: 14% und 2000: 6%), Frankreich (12%) und Italien (10%). Diese Daten zeigen, dass trotz formaler Gleichberechtigung die beiden Geschlechter ungleichen Erfolg dabei haben, ein politisches Mandat zu erlangen. Die individuelle Führungsauswahl der Parteien ist nicht nur ein individueller Aufstiegserfolg, sondern ein Prozess des Handelns von Personen im Kontext 5 Wenn in dieser Arbeit von „Gleichberechtigung“ gesprochen wird, meint dies die Gleichberechtigung der Geschlechter, nicht die Gleichberechtigung hinsichtlich anderer sozial-kultureller Merkmale wie Alter oder Beruf.
Einführung
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sozialstruktureller und organisatorischer Möglichkeiten. Die vorliegende Arbeit soll diese Aspekte aufgreifen und analysieren sowie die Structural Opportunities für politische Karrieren von Frauen6 herausarbeiten (vgl. Herzog 1975: 44). Für die Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union ist auch die Frage der Geschlechterdemokratie7 von zentraler, aber häufig nicht wahrgenommener Bedeutung. Die Europäische Union wird von vielen Seiten hinsichtlich ihrer demokratischen Defizite kritisiert, die bisher nicht verwirklichte Geschlechterdemokratie wird jedoch meist übersehen. Die aktuellen Entwicklungen in der EU wie das politische Instrument des Gender-Mainstreaming8 und die recht hohe Repräsentation von Frauen im Europäischen Parlament zeigen, dass sich gerade in der EU viele Politikerinnen und Politiker sowie Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dieses Defizits bewusst sind. Die Europäische Kommission nennt als Ziel eine „gleich starke“ Vertretung der Geschlechter und verwendet Gleichstellung und Gleichberechtigung sogar als Kriterien für die Entwicklung der EU-Außenbeziehungen sowie für die Entwicklungspolitik: Voraussetzung für die volle Verwirklichung der Demokratie ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt am Wirtschaftsleben, an Entscheidungsprozessen, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben und an der Zivilgesellschaft beteiligt und in allen Bereichen gleich stark vertreten sind. [...] Die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter ist ein wesentlicher Aspekt in den Außenbeziehungen der Europäischen Union und in ihrer Politik der Entwicklungszusammenarbeit (Europäische Kommission (Hrsg.) 2000: 3).
Obwohl die Europäische Einigung voranschreitet und 2004 und 2007 insgesamt zwölf ost- und südeuropäische Länder der Europäischen Union beigetreten sind, fehlen bisher Studien, wie Beate Hoecker betont, die sich aus soziologischer Sicht mit dem Thema der Gender Equality und der politischen Repräsentation von Frauen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vergleichend beschäftigen (vgl. Hoecker (a) 1998: 9). Auch in dem 2004 erschienenen grundlegenden „Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung“ fehlt ein Beitrag zur politischen Repräsentation von Frauen (vgl. Becker/Kortendiek 6
Vgl. Kap. 6.1. Die Herstellung von Geschlechterdemokratie wird als u.a. durch die Methode des Gender Mainstreamings zu erreichendes Ziel angesehen. Sie meint die vollkommene Gleichberechtigung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen. 8 Im Rahmen des Gender Mainstreamings, 1999 verankert im Vertrag von Amsterdam, sollen geschlechterbezogene Sichtweisen in alle Handlungsfelder und Entscheidungen einbezogen werden, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Die Umsetzung des Gender Mainstreamings soll als Top-Down-Prozess erfolgen, d.h. der Wille der Führungsebenen aller gesellschaftlichen Bereiche soll auf allen unteren Ebenen unterstützt und durchgesetzt werden (Vgl. Jansen/Röming/Rhode (Hrsg.) 2003: 7 ff). 7
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Einführung
2004). - Die vorliegende Studie, die sowohl soziologische als auch politikwissenschaftliche Forschungsansätze berücksichtigt, versucht Teile dieser Forschungslücke zu schließen. Als qualitative Untersuchung kann sie zudem Hinweise auf weiteren Forschungsbedarf geben. Da das o.g. Themenfeld ein sehr weites ist, können nicht alle relevanten und interessanten Forschungsfragen berücksichtigt werden. Vielmehr erfolgt eine bewusste Fokussierung auf die Untersuchung der Leithypothese: Frauen haben die Fremdheit in der Politik überwunden! Im konstruktivistischen Ansatz wird „Geschlecht“ nicht als etwas, das Menschen haben oder sind, angesehen, sondern als etwas, das sie tun. Damit wird der Prozess der Herstellung von Geschlechtlichkeit als soziale Konstruktions- und Interaktionsarbeit ins Blickfeld gerückt. Wenn man Geschlecht nicht als biologische Ausstattung eines Menschen erfasst, sondern als kulturell produzierte Differenz, ist es bedeutsam, danach zu fragen, wie Geschlechterdifferenzen immer wieder erzeugt oder nivelliert werden und wie die Akteurinnen und Akteure an ihrer Herstellung beteiligt sind (vgl. Gildemeister 2004: 132 ff). Die vorliegende Untersuchung gibt Aufschluss darüber, wie weibliche und männliche Politiker verschiedener Länder, in denen die Gleichstellung der Geschlechter unterschiedlich weit vorangeschritten ist, das „Doing Gender“ praktizieren und zu welchem Grad sie die Fremdheit in der Politik überwunden haben. Es wird bewiesen, dass die gesellschaftlichen Gegebenheiten der unterschiedlichen untersuchten Länder verantwortlich für den Grad der Überwindung der Fremdheit in der Politik sind. Zudem wird herausgearbeitet, welche Structural Opportunities die politische Repräsentation von Frauen fördern. In der vorliegenden Studie kann nachgewiesen werden, dass für Politikerinnen und Politiker unterschiedliche Regeln gelten und dass von ihnen ein unterschiedliches Verhalten erwartet wird. Des Weiteren wird herausgearbeitet, unter welchen Voraussetzungen Politikerinnen und Politiker sich untereinander solidarisch oder konkurrierend verhalten. Ob die Fremdheit in der Politik überwunden wurde, lässt sich auch anhand der Eigenschaften und Kompetenzen feststellen, die die Politikerinnen sich selbst und ihren Kolleginnen und Kollegen zuschreiben. Auch diese werden im Folgenden dargestellt. Zudem wird Einfluss der Europäischen Union auf die Verwirklichung der Gender Equality und die Überwindung der weiblichen Fremdheit in der Politik analysiert. Bezug nehmend auf die klassischen politischen Karrieretypen (Herzog 1975: 108 ff) werden Karrierebausteine erarbeitet, aus denen die politischen Karrieren von Parlamentarierinnen sich aufbauend zusammensetzen. Diese Arbeit erläutert auf der Grundlage der Interviews, wie die Lage der Gender Equality in den untersuchten Ländern aussieht, wie Geschlechterunterschiede erzeugt werden und wie sich beides auf die politische Repräsentation
Einführung
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von Frauen und Männern auswirkt. Hierbei werden gängige Darstellungen und Veröffentlichungen der Europäischen Union zur Gender Equality durch die subjektiven Aussagen der befragten Politikerinnen und Politiker ergänzt und Differenzen aufgezeigt. Die interviewten Politikerinnen und Politiker sind als Expertinnen und Experten wichtige Informationsquellen. Auf diese Weise wird ein Einblick in die Gesellschaften der jeweiligen Länder, bezogen auf die für die Durchsetzung der Geschlechterdemokratie entscheidenden Structural Opportunities für politische Karrieren von Frauen, gegeben. Um diese Forschungsziele zu erreichen sowie weiteren Forschungsbedarf aufzuzeigen, wurde ein qualitativer Forschungsansatz gewählt. Insgesamt wurden mit 15 Politikerinnen und sechs Politikern aus Schweden, Deutschland, Griechenland und Polen zumeist in Brüssel und Warschau leitfadengestützte Interviews durchgeführt.9 Alle Politikerinnen und Politiker gehörten zum Zeitpunkt der Untersuchung dem Europäischen Parlament an, abgesehen von den polnischen Politikerinnen und Politikern, deren Beitritt zur EU zum Zeitpunkt der Befragung gerade bevorstand.10 Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel. Nach der Einführung werden in Kapitel 2 die Problemstellung und die Forschungsperspektive entfaltet und es erfolgt ein Auffächern der Fragestellungen. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Begründung der verwendeten qualitativen Methode, der Auswahl der Untersuchungsländer und der Untersuchungsgruppe, der Erarbeitung des Interviewleitfadens und der Auswertungskategorien sowie der Darstellung des Ablaufs und der Reflexion der durchgeführten empirischen Untersuchung. Die ausgewählte Darstellung einiger Interviewauszüge und erste Analyse erfolgt in Kapitel 4. Kapitel 5 bündelt und interpretiert die Interviewergebnisse vor dem Hintergrund der leitenden Hypothese der Überwindung der Fremdheit in der Politik und der Perspektive des Doing Gender für Politikerinnen/Parlamentarierinnen. In Kapitel 6 werden Karrieremuster von Politikerinnen reflektiert und mit Blick auf die Zukunft perspektivisch gesellschaftliche und individuelle Voraussetzungen für den politischen Erfolg von Frauen präzisiert. Abgeschlossen wird diese sozialwissenschaftliche Studie in Kapitel 7 durch eine kurze zusammenfassende Reflexion.
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Vgl. die ausführliche Darstellung der Methode und Begründung des Samples in Kapitel 3. Die interviewten polnischen Politikerinnen und Politiker gehörten dem Sejm, dem nationalen Parlament Polens, an. 10
2 Problemstellung und Forschungsperspektive 2.1 Aspekte der Entwicklung politischer Rechte von Frauen Die Dichotomisierung der europäischen Gesellschaften in einen privaten, d.h. weiblichen, und öffentlichen, d.h. männlichen Aufgabenbereich ist das Produkt historisch-gesellschaftlicher Entwicklungen und keinesfalls naturgegeben. Um die gegenwärtige Situation von Frauen in der Politik zu verstehen, wird in diesem Kontext ein Blick auf die Geschichte der politischen Repräsentation von Frauen bzw. ihres Ausschlusses aus dem öffentlichen Leben, beginnend mit dem Mittelalter, gerichtet (vgl. Ingler-Detken 2005). Folgt man mittelalterlichen Quellen, genossen Frauen und Männer in vielen deutschen Städten Standesgleichheit, bürgerliche Freiheit und hatten selbstständig Ämter mit öffentlich-rechtlichem Charakter inne. Die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Situation von Frauen war allerdings je nach Stand ausgesprochen differenziert. Neben den Rechten, die Frauen im Mittelalter inne hatten, war ihnen - mit Ausnahmen - der Zugang zu Bildung versperrt und sie wurden vom Erbrecht ausgeschlossen. Eine Stadtbürgerin konnte als Witwe, Ehefrau oder durch ihr Gewerbe eigenständige Bürgerrechte erwerben: Geschlecht war demnach in der ständisch differenzierten Gesellschaft des Mittelalters kein primärer gesellschaftlicher Platzanweiser des Wirtschafts- und Soziallebens. Die Mechanismen sozialer Schließung und Schichtung verliefen im Mittelalter nicht primär entlang der Linie „Geschlecht“, sondern entlang der Linien „Besitz“ und „Stand“. Die spätere Rechtlosigkeit von Frauen kann demnach nicht als historisches Erbe angesehen werden, sondern muss als Produkt politischer Herrschaftsstrategien beurteilt werden (vgl. Ennen 1984: 94 ff). Die Rechte der mittelalterlichen Stadtbürgerinnen und -bürger verloren jedoch während der neuzeitlichen Staatenbildung in Europa an Bedeutung. Die absolutistischen Regime führten das Modell der landesweiten Untertänigkeit unter einen absoluten Herrscher ein und lösten dadurch das ständisch differenzierte Gesellschaftsmodell ab. Für Frauen hatte dieser Aspekt der neuzeitlichen Staatenbildung vor allem negative Folgen. Die Vertragstheoretiker John Locke, Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau thematisierten die Gegensatzpaare Naturzustand vs. Vertragsgesellschaft, Staat vs. Familien, Männer vs. Frauen, zeichneten in diesem Kontext jedoch ein unterschiedliches Frauenbild. Thomas Hobbes Theorie vom Leviathan zeigt ein negatives Menschenbild. Der Mensch sei egoistisch (homo homini lupus est) und nur durch die Unterwerfung unter den absoluten Herrscher, den Leviathan, könne er gezähmt werden. Für Hobbes bedeutet Herrschaft die „Herrschaft des Mannes“. Er ist der Überzeugung, dass zwischen Frauen und Männern ein Unterschied an Stärke und Klugheit besteht.
Aspekte der Entwicklung politischer Rechte von Frauen
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Dies zeigt eine abwertende Einstellung gegenüber Frauen. Obwohl er nicht ausdrücklich ausschließt, dass Frauen dem Gesellschaftsvertrag beitreten können, liegt dieser Aussage implizit die Vorstellung zu Grunde, dass Frauen auf Grund dieser mangelnden Wesensmerkmale nicht zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft werden können (vgl. Hobbes 1651/1984: 156 f.). Das Menschenbild John Lockes ist von gegenseitiger Hilfe und Erhaltung geprägt; der Naturzustand beruhe auf Freiheit und Gleichheit aller Menschen, selbstverständlich auch in Bezug auf Frauen. Allerdings ist Lockes Staatstheorie auf einen Staat der männlichen Eigentümer reduziert: nur männliche Eigentümer sind Vollbürger und nur sie können als Vertreter ins Parlament gewählt werden (vgl. Locke 1690/1977). Jean-Jacques Rousseau ordnet die Frauen dem Volk bzw. den Untertanen zu, die in das private und nicht in das politisch-öffentliche System eingebunden sind. Nur Männer, die ihren öffentlichen und privaten Verpflichtungen nachgehen, zählt er zu den Bürgern eines Staates. Die Geschlechtsgebundenheit der Aufgabenverteilung sowie die Trennung von privat-weiblicher und öffentlichmännlicher Sphäre zeigt sich bei Rousseau besonders deutlich (vgl. Rousseau 1769/1998: 16 ff). Zudem ist er der Überzeugung, dass die Frauen die Differenz zwischen den Geschlechtern erkennen und akzeptieren würden. Seyla Benhabib und Linda Nicholson haben sich mit dieser Entwicklung auseinandergesetzt und festgestellt, dass mit der Entstehung der modernen Nationalstaaten ein einschneidender Schritt auf dem Weg zur Entfamilialisierung der Politik geleistet wurde, die mit der Unterwerfung auch der bürgerlichen Frau unter die männliche Fürsorge und Macht einherging (Benhabib/Nicholson 1987: 529). Bis zur Neuzeit war Macht meist familiengebunden; nun ging sie von der Familie auf den Staat über, so dass die Familie an Einfluss einbüßte und zu dem entpolitisierten Verwandtschaftsverhältnis wurde, welches wir heute kennen. Mit der Entmachtung der Familien ging die Trennung zwischen dem männlichpolitischen und dem weiblich-privaten Bereich einher, dessen Konsequenzen für das Geschlechterverhältnis heute noch aktuell sind. Diese einschneidenden gesellschaftspolitischen Veränderungen blieben nicht ohne Kritik von Frauenseite. Im 17. und 18. Jahrhundert meldeten sich Vorläuferinnen der modernen Frauenbewegungen zu Wort. Sie kritisierten, dass Frauen aus dem Konzept der Menschheit ausgeschlossen wurden und dass die neuen bürgerlich-revolutionären Konzepte „Freiheit und Gleichheit“ Konzepte von Männern für Männer waren. Als Beginn der feministischen Theoriebildung wird die 1792 publizierte Schrift der englischen Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft „The Vindication of the Rights of Women“ angesehen. Trotz verschiedener Ansätze der Unterdrückung und Formen der Ungleichheit ist es ist nie gelungen, Frauen völlig aus dem politischen Leben herauszuhalten. Ihr offizieller Ausschluss aus dem öffentlich-politischen Leben führte kei-
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Problemstellung und Forschungsperspektive
neswegs dazu, dass Frauen unpolitisch wurden Im 18. und 19. Jahrhundert waren sie bei den Aufständen und Kriegen immer in irgendeiner Form involviert. In Frankreich beteiligten sie sich z. B. beim Sturz des Ancien Régimes und marschierten am 5. Oktober 1789 nach Versaille. In Paris sammelten sie Unterschriften für die Bestrafung der Kornwucherer und für die Einrichtung revolutionärer Gerichte und nahmen als Tribünengäste an den Debatten des Nationalkonvents teil. Frauen begannen, die Begrenzung auf den privaten Bereich zu überwinden und sich den öffentlichen Bereich zurückzuerobern. Im Rahmen der Französischen Revolution verbessert sich die Lage der Frauen. Es wurde ein Gesetz über die Gleichheit der Erbteile zwischen Töchtern und Söhnen verabschiedet, das eine wahrhafte Revolution auf dem Weg zur Geschlechtergleichheit darstellt. Des Weiteren wurde die Zuteilung der Gemeindeländereien nach der Anzahl der Köpfe einer Dorfgemeinschaft gerecht aufgeteilt. Hierbei wurden Frauen gleichberechtigt behandelt. Der Kampf um Beteiligung an den öffentlich-politischen Institutionen blieb jedoch ein schwieriges Unterfangen. Frauen hatten nur in seltenen Fällen ein politisches Mitspracherecht und gründeten ihre eigenen politischen Clubs, wie z.B. den Club des Citoyennes republicaines revolutionnaires. Aus heutiger Sicht kann man diese Clubs als Vorläufer von Netzwerken politischer Frauen bezeichnen. Die radikalen Ansichten dieser Frauen stießen jedoch weder beim bürgerlichen Konvent, noch bei den linken Revolutionären auf Verständnis, und so mussten sich die Mitglieder des Clubs gegen Diffamierungen wehren. Das Wahlrecht wurde mit der Verfassung von 1791 nur Männern verliehen, und alle Frauen, selbst die, die vor der Revolution auf Grund ihrer Herkunft oder ihres Besitzes wählen durften, wurden vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Die Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts forderten politische Rechte für Frauen ein. Die radikale französische Frauenbewegung Union des Femmes und der Club de l’Emancipation des Femmes wollten grundsätzlich gleiche Rechte für Frauen und Männer, Zugang zu allen Berufen und Ämtern in der Politik und Justiz, das Recht auf eigenen Besitz, den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit und die Zulassung zum allgemeinen Wahlrecht erreichen. Ihnen wurde die gleiche Ablehnung entgegengebracht wie ihren Vorkämpferinnen zur Zeit der Französischen Revolution. Dies führte dazu, dass im Juni 1848 ein Gesetz erlassen wurde, das Frauen die Mitgliedschaft in politischen Clubs untersagte (vgl. Grubitsch/Lagpacan 1980: 108 ff). Darauf kam es in verschiedenen europäischen Städten zu Aufständen der Arbeiterinnen und radikalen bürgerlichen Frauen. Doch die Männer erhörten ihre Forderungen nicht und sie durften nicht mit den Parlamenten verhandeln.
Aspekte der Entwicklung politischer Rechte von Frauen
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Gleichwohl konnten die Frauenbewegungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts wichtige Erfolge verzeichnen. In Deutschland trat 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft, das Frauen die unbeschränkte Geschäfts- und Prozessfähigkeit sicherte, allerdings immer noch kein Wahlrecht ermöglichte. Als ersten Schritt forderte der Allgemeine Deutsche Frauenverein zunächst nur das kommunale Wahlrecht für Frauen; 1907 verabschiedete der Bund Deutscher Frauenvereine dann ein Programm, in dem er das allgemeine aktive und passive politische Wahlrecht für Frauen forderte. Die Parteien standen den politischen Forderungen der Frauen jedoch weiterhin ablehnend gegenüber (Greven-Aschoff 1981: 290). Einschneidende Veränderungen in Deutschland gab es erst nach dem Ersten Weltkrieg: die politischen Bürgerrechte wurden auf die gesamte erwachsene Bevölkerung ausgedehnt. Deshalb erlangten die Frauen 1918 das allgemeine Wahlrecht. Die politischen Forderungen der Frauen waren in allen Ländern Europas zu hören. Aber einige Länder, wie Frankreich, Italien und Belgien verliehen Frauen erst nach dem Zweiten Weltkrieg gleiche Rechte. In das britische Oberhaus durften Frauen sogar erst ab 1957 einziehen. Dieser exemplarische historische Abriss verdeutlicht insbesondere folgende Aspekte: Aufzählung Die Dichotomisierung der europäischen Gesellschaften in einen öffentlichmännlichen und einen privat-weiblichen Bereich ist nicht nur eine historisch übermittelte Tatsache, sondern eine politische Konstruktion, deren Ziel es war, Frauen aus dem politisch-öffentlichen Leben auszuschließen. Die europäischen Staaten zeigen zwar bezogen auf die Konstruktion des dichotomen Geschlechterverhältnisses ein recht homogenes Bild, allerdings gibt es national gesehen jedoch unterschiedliche Schwierigkeiten und Geschwindigkeiten bei der Durchsetzung der politischen Rechte für Frauen. Es fällt auf, dass Frauen durch große soziale Umwälzungen nur marginal in den für sie entscheidenden Bereichen Gleichberechtigung und politische Partizipation profitieren konnten. Überaus deutlich wird auch, dass die Frauen ihre Hoffnungen nicht auf Theoretiker und männliche Politiker setzen konnten, sondern dass sie für ihre politischen Rechte selbst kämpfen mussten und für ihren zunehmenden Erfolg in den europäischen Gesellschaften des vorletzten Jahrhunderts selbst verantwortlich waren. Der Blick auf die historische Entwicklung zeigt aber auch, dass die Zweiteilung der europäischen Gesellschaften ein politisch-soziales Konstrukt ist, das dekonstruiert werden kann. Frauen waren lange Zeit von der institutionalisierten Politik ausgeschlossen, und als sie endlich wieder mitregieren konnten, hatten sie mit der Fremdheit in der Politik zu kämpfen.
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Problemstellung und Forschungsperspektive
2.2 Zur Geschlechtergleichstellung in Schweden, Deutschland, Griechenland und Polen 2.2 Geschlechtergleichstellung Beate Hoecker betont in ihrem „Handbuch politische Partizipation von Frauen in Europa“, dass es für den unterschiedlichen Stand der politischen Repräsentation von Frauen in den europäischen Staaten keine monokausale Erklärung, sondern vielmehr eine nationale Mischung aus verschiedenen Einflussfaktoren gebe. Im folgenden Abschnitt wird kurz auf die politische Kultur, die politische Repräsentation und die gesellschaftliche Stellung von Frauen in den vier europäischen Mitgliedstaaten eingegangen, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Als Gründe für die unterschiedlich hohe parlamentarische Repräsentation von Frauen gibt Hoecker die Faktoren Zeitpunkt der Einführung des Frauenwahlrechts, Frauenerwerbstätigkeit, Wahlsystem und Quotensystem der Parteien 11 sowie allgemeiner die politische Kultur an (Hoecker 1998 (b), 394 ff). Wie erwähnt, wurden für die vorliegende Studie Politikerinnen und Politiker des Europäischen Parlamentes aus den Ländern Schweden, Deutschland und Griechenland sowie aus Polen befragt. 12 Diese Länder wurden ausgewählt, weil in ihnen die politische Repräsentation von Frauen sehr unterschiedlich ist und das gesamte Spektrum der Verwirklichung der Gender Equality abgedeckt wird (vgl. Ingler-Detken: 2005). Schweden Viele Untersuchungen haben sich mit der Analyse der Gründe für den Erfolg der gleichberechtigten politischen Repräsentation von Frauen und Männern und der Geschlechterdemokratie in den skandinavischen Ländern auf fast allen politischen Ebenen beschäftigt. Anne Philipps sieht die Hauptgründe für das hohe Niveau der Frauenrepräsentation in Schweden vor allem in drei Faktoren (Philipps 1995). Wie Hoecker betont sie zum Ersten, dass das proportionale Repräsentationssystem Frauen eine bessere Beteiligung an der Macht bietet und zum Zweiten die Frauenorganisationen innerhalb der Parteien eine starke Position inne haben. Der dritte Faktor unterscheidet Philipps von Hoecker: zum Dritten sei die Sozialdemokratie interessierter an der Lage der Frau als die liberale Demokratie und mache dieses Thema zu einem öffentlichen Anliegen. Bezogen auf das erste Argument muss man einschränken, dass auch in anderen EU-Ländern das Verhältniswahlrecht herrscht, das die Kandidatur von Frauen im Vergleich zum Mehrheitswahlrecht nicht behindert. Es kann somit nicht als der ausschlaggebende Grund für gleichberechtigte Repräsentation von 11 12
Ausführlich wird dieser Zusammenhang in Kapitel 3.2 dargestellt. Vgl. auch Kap. „Empirische Untersuchung - methodische Aspekte“.
Geschlechtergleichstellung
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Frauen in Schweden angesehen werden. Der Hauptgrund für die heute fast gleichberechtigte politische Beteiligung von Frauen auf allen politischen Ebenen ist in der Einführung der Quotenregelung in den siebziger Jahren sowie einer starken Frauenbewegung zu finden. Den Anstoß für diese Entwicklungen gaben die Frauenorganisationen der sozialdemokratischen Parteien. Die Sozialdemokraten haben sich bereits in den 50er und 60er Jahren für höhere Aufwendungen für Sozialleistungen eingesetzt und generell mehr Einfluss auf Frauen- und Familienpolitik genommen als Parteien in anderen Ländern Europas, in denen diese Themen weniger dem politischen als vielmehr dem privaten, vorpolitischen Bereich zugeordnet werden. Momentan verfügen in Schweden alle Parteien über ein Quotierungssystem. Außer der Freiheitlichen Partei, die eine Quoteregelung von 40% eingeführt hat, liegen die Quoten bei 50%. Deshalb stellen im schwedischen Parlament Riksdagen Frauen 47% der Abgeordneten (2006). Dies ist eine Zunahme um 2% im Vergleich zur Wahl 2002. Aus diesen Besonderheiten der schwedischen Gesellschaft kann man schließen, dass die Aufhebung der scharfen Trennung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich sowie die Thematisierung der politischen Benachteiligung von Frauen sich positiv auf die Gleichstellung der Geschlechter und auf die politische Repräsentation von Frauen ausgewirkt hat. In der schwedischen Regierung sind die Sitze gleichmäßig verteilt: ihr gehören zehn Männer und zehn Frauen an. Im Europäischen Parlament sind nach der Europawahl von 2004 von den 19 schwedischen Abgeordneten 11 Frauen, was bedeutet, dass die Quote von 50% sogar überschritten wurde. Deutschland Die politische Repräsentation von Frauen in Deutschland zeigt mittlerweile ein recht positives Bild. Im derzeitigen 16. Deutschen Bundestag, der 2005 gewählt wurde, liegt der Frauenanteil bei knapp 32% (15. Deutscher Bundestag: 34%). Der Frauenanteil der Parteien ist recht unterschiedlich und reicht von 57% (Bündnis 90/Die Grünen) bis 20% (CDU/CSU). Fünf Mitglieder der 15köpfigen Bundesregierung sind Frauen. Dies entspricht einem Frauenanteil von 33%. In der letzten Bundesregierung lag der Frauenanteil des Kabinetts noch bei 43%. Aber erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland steht seit 2005 eine Frau an der Spitze der Bundesregierung: Dr. Angela Merkel (CDU/CSU). In Deutschland ist das vermehrte Interesse von Frauen an Beteiligung in institutionalisierter Politik eng mit dem Aufkommen von Bürgerbewegungen und der Gründung der Partei der Grünen sowie der zunehmenden höheren Bildung
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von Frauen in den 70er und 80er Jahren geknüpft. Zuvor war die Öffentlichkeit in Deutschland der Meinung, dass Frauen nicht an Politik interessiert seien, und ihnen wurde der vorpolitische Raum zugeordnet. Um Frauen vermehrt in die Politik zu integrieren, führten verschiedene Parteien Maßnahmen der Frauenförderung ein, wie z. B. die Quote oder das Reißverschlussverfahren bei der Vergabe von Listenplätzen. Hinsichtlich der Wirksamkeit dieser positiven Maßnahmen zur Frauenförderung ist für die Parteien zu sagen, dass die Grünen, die PDS und die SPD durchaus große Erfolge auf allen politischen Ebenen hinsichtlich der Integration von Frauen in die Politik verzeichnen können. Allerdings zogen nach der Europawahl 2004 von den 99 deutschen Abgeordneten nur 31 Frauen ins Europäische Parlament. Dies heißt, dass nicht einmal ein Drittel der deutschen Europaabgeordneten weiblichen Geschlechts waren, also noch weniger als der schon relativ geringe Frauenanteil von knapp 33% im 15. Deutschen Bundestag. Griechenland Die politische Repräsentation von Frauen in Griechenland ist gering. Kennzeichnend für die politische Kultur Griechenlands ist ihre Vielschichtigkeit und ihre Widersprüchlichkeit, da sie traditionelle und moderne Elemente verbindet (vgl. Maloutas 1998: 144 ff). Frauen erhielten das Wahlrecht im Jahr 1952. Es war jedoch für Frauen schwierig, in diesem patriarchalisch orientierten Land ihr politisches Recht aktiv durchzusetzen. Bis 1961 erlangten nur insgesamt acht Frauen ein politisches Mandat im nationalen Parlament (Vouli). Diese erste Phase des Frauenwahlrechts hat das Politikerinnenbild geprägt. Zu dieser Zeit waren die Politikerinnen entweder linke Frauen, die sich ganz der Politik verschrieben haben, Frauen, die aus „politischen Familien“ stammen, vor allem sogenannte „politische Witwen“ oder in der Öffentlichkeit bekannte Frauen wie Schauspielerinnen oder Journalistinnen. Frauen, die nicht aus gesellschaftlich bekannten „politischen Familien“ stammten, hatten kaum eine Chance, gewählt zu werden. 1981 übernahm die sozialistische Partei PASOK die Regierung. Sie setzte sich für eine Annäherung Griechenlands an die EU sowie für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Die Tatsache, dass Frauenthemen auf der politischen Tagesordnung standen, veränderte das Verhalten und die Einstellungen der Frauen dauerhaft und hatte - wie in Deutschland - auch Auswirkungen auf ihr Wahlverhalten. Während die griechischen Frauen zuvor eher konservativ wählten, stimmten sie nun sozialistisch. Von 1981 bis 1989 gab es in dem 300 Abgeordnete zählenden Parlament einen konstanten Anteil von 13 Frauen. Ein recht großer Einschnitt in die politische Kultur Griechenlands war das Jahr 1989, weil dort zum ersten Mal eine ökologische Partei ins Parlament einzog, die zudem noch von einer Frau geführt wurde. Dora Bakoyanni war die Tochter des Parteivorsitzenden der Neuen Demokratie und erhielt ihr Mandat von ihrem Mann, der kurz
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zuvor von Terroristen ermordet wurde. Im Jahr 1991 wurden zum ersten Mal in der griechischen Geschichte zwei Frauen zu Vorsitzenden ihrer Parteien gewählt. Insgesamt erhöhte sich 1989 der Anteil von weiblichen Abgeordneten auf 20. Der Anteil der weiblichen Abgeordneten hat sich seit der letzten Wahl (2000) von 9% auf jetzt 14% (2004) verbessert. Die meisten Politikerinnen sind Professorinnen oder Rechtsanwältinnen oder stammen aus politischen bzw. gesellschaftlich bekannten Familien. In der griechischen Regierung waren und sind Frauen ebenfalls nur gering vertreten. Die erste Ministerin (Kulturministerin) war 1981 Melina Merkouri, die sich sehr für die Rechte der Frauen engagierte. Die bis ins 21. Jahrhundert hineinreichende fast ausschließliche Präsenz von Männern im politischen Raum illustriert den tiefgreifenden androzentrischen Charakter des politischen Systems in Griechenland. Die Einbeziehung von ‚außergewöhnlichen’ Frauen in den politischen Raum diente häufig nur als Alibi für die Fortsetzung eines patriarchalischen Politikverständnisses. Während der letzten Jahre lag der Frauenanteil auch in der griechischen Regierung nie höher als 12%. Lediglich im Europäischen Parlament zeigt Griechenland eine steigende Repräsentation von Frauen: im Jahr 1994 waren 8% der Abgeordneten Frauen, 1998 waren es 16% und seit 2004 sind es immerhin schon 27% (7 von 24). Neuere Entwicklungen deuten darauf hin, dass sich die Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der politischen Partizipation und des politischen Interesses langsam verringern. Neben der fortschreitenden Modernisierung der griechischen Gesellschaft ist ein Grund hierfür die Frauenbewegung Griechenlands. Sie hat es geschafft, dass die Frage der Gleichstellung der Geschlechter ein durchaus diskutierter und akzeptierter Aspekt der griechischen, traditionell androzentrischen Gesellschaft ist. Polen Die Situation der Frauen in Polen muss, wie in allen Staaten Mittel- und Osteuropas, vor dem Hintergrund der kommunistischen Herrschaft und der Phase der Transformation betrachtet werden. Theoretisch waren alle kommunistischen Regierungen ideologisch dem Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter verpflichtet (vgl. Europäisches Parlament (Hrsg.) 1996: 5 ff). Die politische Beteiligung der Frauen ist für die Zeit des Kommunismus mit differenziertem Blick zu beurteilen. Zum einen sicherte die Einführung von Quoten in den mittel- und osteuropäischen Ländern den Frauen einen Anteil von um die 30% in den nationalen Parlamenten, zum anderen spielten die Frauen, wenn es um die tatsächliche Ausübung politischer Macht ging, jedoch eine sehr untergeordnete Rolle. Es gab demnach eine Diskrepanz zwischen der nach außen dargestellten Gleichberechtigung der Geschlechter und der wirklichen Machtverteilung zwischen Frauen und Männern. Frauen, die sich in den osteuropäischen Ländern
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jenseits der kommunistischen Partei in einer Frauenbewegung engagierten und für den Feminismus interessierten, wurden kritisch beäugt und diffamiert. Zu den angeführten Gründen gegen den Feminismus zählten insbesondere, dass er ein „ideologischer Import des Kapitalismus“ sei, dass er auf Grund der großen Beteiligung von intellektuellen Frauen elitär sei und dass er den Machthunger der Frauen symbolisiere. Nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft haben die Regierungen es versäumt, Frauenfragen auf die politische Tagesordnung zu setzen, da es keine Frauenorganisationen der Parteien gab, die sich für das Thema Gleichberechtigung und Geschlechterdemokratie hätten einsetzen können. Zudem wurde in den Zeiten der ökonomischen Unsicherheit der Ruf nach einer Rückkehr zu den konventionellen Geschlechterrollen laut. Auch heute noch verhindert dieser Einfluss die Auseinandersetzung mit Ideologien insgesamt, vor allem mit dem Sozialismus, der ideologisch ja die Gleichberechtigung und die Befreiung der Frau vertrat. Diese Zusammenhänge müssen bedacht werden, wenn man das Fehlen einer starken Frauenbewegung in Mittel- und Osteuropa moniert. Insgesamt lässt sich in Polen eine Rückkehr zu traditionellen Werten feststellen. Eine Ursache dafür kann in der Tatsache liegen, dass die Regierungen das sozialistische Konzept des Wohlfahrtsstaates aufgegeben haben. Der Staat überträgt die Befriedigung der Bedürfnisse auf seine Bürger, so dass es - wie in den Risikogesellschaften der westlichen Mitgliedstaaten der EU - zu einer eher individualisierten Lebensweise kommt, in der jeder für sich selbst verantwortlich ist. Der Frauenanteil im polnischen Parlament Sejm hat sich seit der Wahl 1997 (12%) im Vergleich zur Wahl 2001 fast verdoppelt (20%).13 Bei der Wahl 2005 blieb der Anteil der weiblichen Abgeordneten Frauen bei 20%. Dieser Anstieg und die Stabilisierung sind auf die Einführung von Frauenwahlkoalitionen sowie von Quoten einzelner Parteien zurückzuführen. Allerdings zeigt die politische Repräsentation der polnischen Frauen im 2004 gewählten Europäischen Parlament ein ernüchternderes Bild: von den 54 polnischen Abgeordneten sind nur 7 weiblich. Dies entspricht einem prozentualen Anteil von 12 %. Eine Besonderheit dieser Arbeit besteht darin, dass einerseits die Situationen in den „alten“ EU-Mitgliedstaaten analysiert werden, andererseits wird auch mit Blick auf die 2004 und 2007 erfolgte Osterweiterung der EU mit Polen ein neu beigetretenes Land einbezogen. Wie dieser kurze Überblick verdeutlicht, ist die politische Repräsentation von Frauen in den genannten EU-Staaten sehr unterschiedlich: sie reicht von 13
Dies entspricht in etwa dem Frauenanteil zur Zeit des Sozialismus. Der Rückgang des Frauenanteils nach dem Zusammenbruch des Regimes ist in der Abschaffung der Quoten und in der höheren Bedeutung, die den Parlamentsmandaten beigemessen wird, zu suchen.
Geschlechterforschung - Geschlechterverhältnisse
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einer gleichberechtigten Repräsentation (in Schweden) über eine mittlere Repräsentation (in Deutschland) bis zu einer niedrigen Repräsentation (in Griechenland und Polen). Folgende Abbildung stellt den prozentualen Anteil von Frauen in den nationalen Parlamenten der untersuchten europäischen Mitgliedstaaten sowie im Europäischen Parlament dar. Tabelle 1: Frauenanteil im nationalen Parlament und im Europäischen Parlament
Land Schweden Deutschland Griechenland Polen
Frauenanteil im nationalen Parlament in % (letzte Wahl) 45% (2002) 47% (2006) 34% (2002) 32% (2005) 9% (2000) 14% (2004) 12% (1997) 20% (2005)
Frauenanteil im Europäischen Parlament in % (letzte Wahl) 58% (2004) 31% (2004) 8% (1994) 27% (2004) 12% (2004)
2.3 Geschlechterforschung - Geschlechterverhältnisse 2.3.1 Geschlecht, Geschlechterverhältnisse und Doing Gender Es gibt zahlreiche Konzepte, die die kulturelle und soziale Konstruktion von Geschlecht erklären wollen. Unser Alltagswissen geht wie selbstverständlich vom natürlichen Vorhandensein zweier Geschlechter aus: dem weiblichen und dem männlichen. Das Geschlecht eines Menschen wird bei der Geburt anhand seiner Genitalien bestimmt. Der Mensch selbst hat keinen Einfluss auf seine Geschlechtszugehörigkeit. Zum Alltagswissen gehört auch, das Handeln von Menschen immer im Licht ihres Geschlechtes zu beurteilen. Die Zweigeschlechtlichkeit erscheint so „richtig, wie die Annahme, dass dies zu allen Zeiten so war und auch in anderen Kulturen nicht anders ist“ (Wetterer 2004: 122). Diese Zweigeschlechtlichkeit wurde bis Anfang der 1990er Jahre in der westdeutschen, europäischen und amerikanischen Frauenforschung vorausgesetzt: es existieren zwei Geschlechter, deren soziale, politische und wirtschaftliche Chancen ungleich verteilt waren und sind (vgl. Engler 1999: 107).
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Da die vorliegende Studie sich mit Fragen der Geschlechtergleichstellung sowie des Doing Gender beschäftigt, liegt ein relevanter theoretischer Ausgangspunkt in der modernen Theorie des Feminismus und der Geschlechtersoziologie. Im Folgenden sollen ausgewählte Definitionen den Blickwinkel der Arbeit klären und verdeutlichen, vor welchem geschlechtertheoretischen Hintergrund der Interviewleitfaden entstanden sowie die Auswertung der Interviews mit den Politikerinnen und Politikern erfolgt ist. Ein exkursartiger Abriss über die Entstehung der Frauen- und Geschlechterforschung soll zunächst Schlaglichter auf die theoretische Entwicklung dieses Wissenschaftszweiges werfen, darauf folgt die Darstellung der Geschlechtertheorien, die für die vorliegende Studie von Bedeutung sind. Das Interesse für die Analyse der Rolle der Frau in modernen und früheren Gesellschaften entstand mit der ersten Frauenbewegung im späten 19. Jahrhundert. Die zweite Frauenbewegung hatte in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ihren Ursprung in der Studenten- und Bürgerrechtsbewegung in den USA. Es entwickelten sich innerhalb dieser Bewegungen eigene Frauengruppen, da die Frauen ihre Interessen von den Männern nicht genug berücksichtigt sahen. So entstand zunächst eine „vorpolitische“ Bewegung, die ab Mitte der 70er Jahre in den USA und in Europa Einfluss auf die Wissenschaft, besonders die Sozialwissenschaften, nahm. Die Wissenschaftlerinnen kritisierten an der ihrer Meinung nach androzentrischen Wissenschaft, dass in ihr Frauen nicht als eigenständige Menschen vorkommen, sondern immer „mitgemeint“ oder als Anhängsel der Männer verstanden werden. Vor allem Historikerinnen und Soziologinnen versuchten in der Wissenschaft das Thema „Frau - Frauenrolle“ einzuführen. Während Historikerinnen die Rolle der Frau, die meist durch männliche Machthaber oder patriarchale Strukturen dominiert wurde, beschrieben und analysierten, setzten sich die Soziologinnen mit der Situation von Frauen in den gegenwärtigen Gesellschaften auseinander. In diesem wissenschaftlichen Kontext entstanden verschiedene Schulen und Traditionen. Wichtig für die Wissenschaftlerinnen war es, den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung und Ausbeutung der Frauen sowohl in den modernen Industrieländern als auch in den Ländern der sog. Dritten Welt sowie dem modernen globalen kapitalistischen Wirtschaftssystem aufzudecken. Man kann die verschiedenen theoretischen Strömungen der Frauen- und Geschlechterforschung in drei Gruppen aufteilen: in eine makrotheoretisch, eine mikrotheoretisch und eine integrativ orientierte Richtung. Die Defizit-These geht davon aus, dass die Männer der Maßstab sind, an dem Frauen gemessen werden. Im Vergleich zu Männern seien Frauen in ihren Qualifikationen defizitär und hätten somit nicht die gleichen Chancen wie Männer, beruflich erfolgreich zu sein. Dieser Forschungsansatz setzte sich mit der
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Frage auseinander, wie Frauen und Mädchen verstärkt unterstützt und in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden können. Als politisches Instrument diente hierbei die Frauenförderung, die Frauen Mut zum Erfolg machen und ihr Machtbewusstsein fördern sollte. Auch die Einführung der Quotenregelung in der Politik, eine konkrete Maßnahme der Frauenförderung, entstand mit Unterstützung der Defizit-These. Im Folgenden interessierte die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen der Differenz-Theorie vor allem, worin sich Männer und Frauen unterscheiden, wo die Unterschiede zwischen den zwei Geschlechtern liegen. Frauen wurden nicht mehr als defizitär, sondern im Vergleich zu Männern einfach als anders betrachtet. Unter der Fragestellung „weiblicher Zugang zur Politik“ sollte z.B. geklärt werden, worin und auf welche Weise sich die politische Betätigung von Frauen und Männern unterscheiden und welche Inhaltsfelder Frauen und Männer präferieren. Insgesamt wurden Eigenschaften und Verhaltensweisen einer Person auf ihre Geschlechtszugehörigkeit zurückgeführt. Auch der Differenzansatz geht von der Zweigeschlechtlichkeit der Menschen aus. Dabei wurden die Unterschiede, die innerhalb der Geschlechter existieren, jedoch weitgehend ausgeklammert. Wissenschaftlerinnen, die die Situation von Frauen erforschen, müssen nach Maria Mies die „doppelte Bewusstseins- und Seinslage der Frauen im Wissenschaftsbetrieb“ reflektieren, also über ihre eigenen Rollenzusammenhänge und Konfliktsituationen nachdenken. Einerseits forschen die weiblichen Wissenschaftlerinnen über die Unterdrückung von Frauen, andererseits sind sie möglicherweise selbst als Minderheit in einer Männerdomäne von Unterdrückung betroffen. Mies fordert deshalb, theoretische und praktische Forschung zu betreiben, mit Hilfe derer die Unterdrückung von Frauen aufgehoben werden kann (vgl. Mies 1984: 7 ff). Eine „emanzipatorische Wissenschaft“ soll sich ihrer Meinung nach mit den Problemen von Frauen weltweit beschäftigen und analysieren, wie die Unterdrückung und Benachteiligung aufgehoben werden kann und somit als aktionistische Forschung bewusst Stellung beziehen. In den Anfängen der Frauenforschung sah man Frauen durchweg als unterdrückt und ausgebeutet an. Diese Sichtweise wurde erst später weiter differenziert. Wissenschaftlerinnen, die einer feministisch-marxistischen Richtung folgen, bewerten die Unterdrückung von Frauen als eine besondere Form von Unterdrückung, die das „wesentliche Strukturmerkmal des Weltkapitalismus“ darstelle. Zu diesen Wissenschaftlerinnen kann die Sozialwissenschaftlerin Ursula Beer gezählt werden. Sie weist darauf hin, dass das Geschlechterverhältnis das grundlegende soziale Verhältnis ist, ohne das die Unterscheidung von Lohnarbeit und Kapital nicht möglich wäre (vgl. Beer 1991: 259 ff). Frauen und Männer seien auf Grund ihrer unterschiedlichen Körper und ihrer unterschiedlichen Wahrneh-
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mung ihres Geschlechts nie gleichgestellt. Kapitalistische Gesellschaften sind nach Beer immer auch patriarchale Gesellschaften, in denen den Männern fast selbstverständlich eine beruflich höhere Stellung zuteil wird. Momentan diagnostiziert Beer für die modernen Industriegesellschaften jedoch gewisse Auflösungstendenzen hinsichtlich ihrer patriarchalen Struktur. Dies zeigt sich ihrer Meinung nach besonders im Bereich der Berufs- und Einkommensstruktur sowie innerhalb der Familie, da Frauen immer häufiger das Thema unbezahlte Familienarbeit problematisieren. Der Bielefelder Ansatz der Analyse der Geschlechterverhältnisse beschäftigt sich ebenfalls mit der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern. Zum Bielefelder Ansatz, der Ende der 1970er Jahre an der Universität Bielefeld entwickelt wurde, gehören u.a. die Soziologinnen Maria Mies, Veronika BennholdtThomsen und Claudia von Welhof. Der Bielefelder Ansatz behielt seinen Namen, auch wenn heute keine der Soziologinnen mehr in Bielefeld tätig ist. - Wie Beer beschreiben auch die Bielefelder Wissenschaftlerinnen, dass Kapitalismus und Patriarchat eng zusammen gehören. Sie analysieren, dass es eine geschlechtliche Arbeitsteilung gibt, die ihren Ursprung in der unterschiedlichen Verfasstheit von Frauen und Männern hat. Kritik üben die „Bielefelderinnen“ an der alltäglichen Meinung, Frauen seien für das Zwischenmenschliche und Emotionale zuständig und körperlich nur wenig belastbar, wohingegen Männer rational und körperlich belastbar seien. Somit würden Männer im produktiven Bereich und Frauen im reproduktiven Sektor arbeiten. - Die Bielefelder Forscherinnen weisen darauf hin, dass die Erfindung dieser Unterscheidung ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert ist. Für sie ist die Unterscheidung zwischen Lohn- und Hausarbeit eine Hierarchisierung, die eng mit einer dichotomen Zuordnung von Frau und Mann zusammenhängt. Männer würden der Kultur, Frauen der Natur zugeordnet. Demgegenüber erklären die Bielefelderinnen, Frauen seien, da sie gebären und nähren könnten, die eigentlich produktiven Menschen. Männer hingegen schaffen nichts Neues. Eine Hauptthese des Bielefelder Ansatzes wurde in dem Buch „Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit“ (von Welhof/BennholdtThomsen/Mies 1988: 188) ausgearbeitet. Sie besteht darin, dass Frauen und Kolonien die gemeinsame Eigenschaft haben, als Naturreserven von männlichen Kapitalisten ausgebeutet zu werden. Frauen und Kolonien seien ein Produkt der männlichen Kapitalisten und Patriarchen. Wie sich die Kolonialherren Länder, Naturreserven und Völker angeeignet und unterworfen haben, so erfanden sie ihre eigene kleine Kolonie in ihren Familien. Das Bürgertum habe auf dieser Grundlage die soziale und geschlechtliche Arbeitsteilung eingeführt. Die Familie sei zum privaten, der Beruf und Politik zum öffentlichen Territorium erklärt worden und Frauen würden aus ihm ausgegrenzt. Genauso wie unterworfene
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kolonialisierte Länder würden die Frauen in der Familie praktisch kostenlos arbeiten und damit auch das kapitalistische System stützen. - Die Bielefelder Wissenschaftlerinnen greifen die Analysen Wallersteins auf. Der amerikanische Soziologe Emmanuel Wallerstein hat eine kritische Weltsystem-Analyse entwickelt, die davon ausgeht, dass dem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem alle Staaten der Welt angehören. Verschiedene Staaten sind strukturell oder ökonomisch eng aneinander gebunden, aber auf ein gemeinsames politisches System sind die Staaten nicht angewiesen. Wallerstein stellt die These auf, dass Frauen und ethnische Minderheiten an dem kapitalistischen Weltsystem nicht beteiligt werden (Wallerstein 1990: 45). Gemeint ist, dass Frauen und ethnische Minderheiten nicht von den ökonomischen Globalisierungsprozessen profitieren, sondern - weltweit gesehen - zu den Verlierern der Globalisierung gehören. Die Bielefelderinnen ergänzen, dass der Weltmarkt sowohl auf der internationalen, als auch auf der geschlechtlichen Arbeitsteilung beruht. Sie stellen fest, dass sich in allen Gesellschaften der Prozess der patriarchalen Kolonialisierung wiederholt, d.h. die Länder der sog. Dritten Welt würden von den führenden Industrieländern die geschlechtliche Zuordnung der öffentlichen und privaten Sphäre sowie die Hausfrauisierung der Frauen übernehmen. Ein Aufbrechen dieser Strukturen kann nach Ansicht des Bielefelder Ansatzes nur erreicht werden, wenn sich eine neue international orientierte feministische Politik herausbildet. Der Hannoveraner Ansatz der Frauen- und Geschlechterforschung wurde von Regina Becker-Schmidt und Gudrun-Axeli Knapp entwickelt. BeckerSchmidt hat den Begriff der doppelten Vergesellschaftung von Frauen eingeführt (Becker-Schmidt 1987: 18). Mit dem Begriff „doppelte Vergesellschaftung“ ist gemeint, dass Frauen in der Regel in zwei soziale Zusammenhänge eingebunden sind: Familie und Beruf. Becker-Schmidt betont, dass Frauen durch die Erledigung von unentgeltlicher Familien- und Hausarbeit und bezahlter Berufsarbeit mehr Selbstbewusstsein erlagen und sich gegen männliche Bevormundung auflehnen. Zudem erwerben sie Kompetenzen in zwei Lebensbereichen: in der Familie und dem Beruf. Negativ hingegen wirken sich Zeit- und Konkurrenzdruck sowie psychische Beanspruchung aus. Becker-Schmidt problematisiert die Vergesellschaftung von Frauen im Modernisierungsprozess. Ihrer Meinung nach müssten Männer „noch viel lernen, wenn sie dazu beitragen wollen, die sozialen Missstände im Geschlechterverhältnis zu beseitigen, die sie auf ihrem Weg in die Moderne hinterlassen haben“ (Becker-Schmidt 2004: 65). Eine weitere These ist, dass Frauen in das (kapitalistische) Gesellschaftssystem und ein männliches, patriarchales System integriert sind. Sie schildert eine Untersuchung über Frauen in Computerlabors, die in den USA schon in den 40er Jahren in diesem anspruchsvollen Arbeitssektor gearbeitet haben. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges
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strömten aber immer mehr Männer in diese Labors und die Frauen wurden entlassen: Die Verdrängung der Frauen aus den oberen Etagen der Computer-Labors macht etwas Generelles deutlich: Sobald Frauen die Grenzen überschreiten, die männlich definierte Berufsfelder markieren, können wir gegen sie gerichtete Ausgrenzungsmechanismen beobachten (Becker-Schmidt 1992: 77).
Becker-Schmidt und Knapp sind der Auffassung, dass der Begriff des Patriarchats das Geschlechterverhältnis in den gegenwärtigen Gesellschaften nicht ausreichend beschreiben kann. Vielmehr ist der Begriff der Geschlechterdifferenz geeignet, der die Unterschiede zwischen den Geschlechter in Relation zueinander beschreibt. Die vergessene Differenz ist ein wesentliches Merkmal des Hannoveraner Ansatzes und unterscheidet sie von der Bielefelder Schule. Die Soziologin und Sozialpsychologin Knapp hat in ihrem gleichnamigen Aufsatz auf die „Vergessene Differenz“ unter den Frauen hingewiesen. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die meist nicht berücksichtigte Differenz innerhalb der Gruppe der Frauen und auch der Männer, die für die Analyse der Geschlechterdifferenz von Bedeutung ist (vgl. Knapp 1988: 12 ff). Die Beschäftigung mit den Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern hat die verschiedenartigen Lebensformen von Frauen, gerade auch im internationalen Vergleich, in den Hintergrund rücken lassen. Knapp kritisiert, dass sich in der Frauenforschung klare Freund-Feind-Bilder erkennen ließen, die Ausdruck eines Differenzierungstabus seien (Knapp 1988: 16). Knapp plädiert für eine Begrifflichkeit, die Differenzierung erlaubt und eine Wissenschaft, die „die Differenz zwischen Frauen ernst nimmt und ihre Ähnlichkeit“ (Knapp 1988: 24). Die amerikanische Soziologin und Politologin Nancy Fraser übt in ihren Schriften Kritik am postindustriellen Wohlfahrtsstaat, der Männer begünstige und Frauen benachteilige (vgl. Fraser 1994: 239 ff). Als Lösung dieser Differenzen kommt nach Fraser die vermehrte politische Repräsentation von Frauen in Frage. Sie geht davon aus, dass Frauen diese dazu nutzen könnten, konstruktiv Kritik zu üben und den Staat umzubauen. Hierzu müssten die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in die öffentliche Diskussion eingebracht werden. Auch die deutsche Wissenschaftlerin Birgit Sauer beschäftigt sich mit diesem Thema. Sie stellt die These auf, dass durch eine Inklusion von Frauen in die Politik nicht notwendig die geschlechterspezifischen Merkmale der politischen Institutionen verschwinden (vgl. Sauer 2002: 123 ff). Allerdings würden durch die vermehrte Teilnahme an Politik die bisher zur Privatheit gezwungenen Bedürfnisse von Frauen in der politischen Öffentlichkeit platziert. So könnten die betroffenen Frauen sich emanzipieren und aus Marginalisierungsformen befrei-
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en, indem sie sich gegenüber staatlichen Diskursen und männerbündischen Strukturen behaupten. Neben den vorgestellten meist makrotheoretischen Ansätzen der Geschlechtersoziologie haben mikrotheoretische Untersuchungen große Bedeutung erlangt. Diese stellen in Anlehnung an Simone de Beauvoirs Formulierung „Man kommt nicht als Frau auf die Welt, man wird es“ (de Beauvoir 1951/1992) fest, dass das Geschlecht eines Menschen durch Sozialisation bestimmt wird. Die Mikrosoziologie lehnt die Annahme angeborener und kulturübergreifender Geschlechtsunterschiede ab. Sie greift hierbei auf die Ethnologie zurück, die Gesellschaften beobachtet hat, die mehr als ein Geschlecht kennen und die eine umgekehrte Rollenzuschreibung (Frauen stark - Männer schwach) haben. Die nordamerikanische Ethnologin Margaret Mead hat in den 1930er Jahren Gesellschaften in der Südsee beobachtet und festgestellt, dass diese den Geschlechtern andere Eigenschaften zuordnen und mehrere Geschlechter als nur männlich - weiblich kennen (vgl. Mead 1958: 51 ff). Dies zeigt, dass Geschlecht keine biologische, sondern eine soziale Kategorie ist. Die neuere soziologische Richtung der Geschlechterforschung fokussiert sich nicht allein auf die Frau als Untersuchungsgegenstand, sondern wendet sich dem Geschlechterverhältnis bzw. den Geschlechterverhältnissen zwischen Frauen und Männern zu. Bei der Erforschung des Geschlechterverhältnisses bzw. der Geschlechterverhältnisse ist es von besonderer Bedeutung, dass makro- und mikrotheoretische Ansätze integriert werden. Geschlechterverhältnisse sind nach diesem Ansatz nicht nur durch historisch fundierte und sozialstrukturell manifestierte Ungleichheiten gekennzeichnet, sondern auch durch biographisch und kulturell beeinflussbare Emotionen, Erwartungen und Stereotype. Insofern ist eine Integration von makro- und mikrotheoretischen Analysen sinnvoll. In den 1980er Jahren hat die aus den USA stammende Soziologin Carol Hagemann-White biologische Zuschreibungen der Geschlechter analysiert und festgestellt, dass diese einer Überprüfung nicht standhalten. Bezogen auf das Gewicht und die Größe eines Menschen sind die Unterschiede innerhalb der biologischen Geschlechter größer als zwischen den Geschlechtern. Sie geht von der Null-Hypothese aus, die besagt, dass es keine Zweigeschlechtlichkeit gibt, sondern nur unterschiedliche kulturelle Konstruktionen. In den westlichen Gesellschaften sei die Entwicklung einer Ich-Identität ohne die eindeutige Zuweisung zu einem der beiden Geschlechter nicht möglich, wie Studien mit Transsexuellen ergeben (vgl. Hagemann-White 1984: 29 ff). Regine Gildemeister hat die Untersuchungen von Hagemann-White rezipiert und spricht ebenfalls von der sozialen Konstruktion von Geschlechtlichkeit (vgl. Gildemeister 1988: 486 ff). Das Verhältnis der Geschlechter zueinander sowie die Zuordnung von Eigenschaften zu einem Geschlecht und die Ge-
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schlechtszugehörigkeit seien - wie bereits angesprochen - nicht eindeutig, nicht naturhaft und nicht unveränderlich (vgl. Gildemeister 1992 (a): 232 f). Die Geschlechterdifferenz kann nicht als gegeben betrachtet werden, sondern wird permanent und in Interaktion hergestellt. Gildemeister fordert die Wissenschaft auf, genau zu untersuchen, wie das Phänomen der Geschlechterdifferenz hervorgebracht wird, und nicht dabei zu verweilen, wie Geschlechterdifferenzen zu Unterschieden im sozialen Handeln führen (vgl. Gildemeister 1992 (a): 235). - Die mikrotheoretische Soziologie betrachtet Frauen und Männer als gleichwertige Konstrukteure ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Allerdings haben die Männer eine größere Definitionsmacht, so dass ihre Konstruktionen die Gesellschaft stärker beeinflussen als die der Frauen. Gemeinsam mit Angelika Wetterer kritisiert Gildemeister das politische Instrument der Frauenförderung, die die dichotome Geschlechterdifferenz ihrer Meinung nach weiter stabilisiert (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992 (b): 201 ff). Eine Soziologin, die sich besonders für die Beschäftigung mit der Geschlechter- und eben nicht Frauenforschung einsetzt, ist Helga Bilden. Sie tritt dafür ein, das Geschlechterverhältnis nicht als universelle Kategorie einzustufen, sondern seine Wandelbarkeit zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang erweitert Bilden Becks Individualisierungsthese um das Theorem, dass Männer und Frauen „multiple Identitäten“ ausbilden. Ulrich Beck spricht im Rahmen seiner These von der zunehmenden Individualisierung in der Risikogesellschaft mittels der freien Planbarkeit von Biographien, unabhängig von der Klasse, in die ein Individuum eingeordnet werden kann. In verschiedenen Gesellschaftszusammenhängen haben nach Bilden Frauen und Männer verschiedene Rollen inne, die sich wieder gegenseitig beeinflussen, so dass nicht von einem statischen Geschlechterverhältnis, sondern einem wandel- und beeinflussbaren gesprochen werden muss. Unter Geschlechterverhältnis wird im Anschluss an Bilden keine universelle Kategorie verstanden, sondern es wird davon ausgegangen, dass wir unsere Wirklichkeit andauernd in sozialen Praktiken produzieren (vgl. Bilden 1989: 19 ff). Aus diesem Grund soll im Folgenden auch von Geschlechterverhältnissen im Plural gesprochen werden. Geschlechterverhältnisse sind nichts Statisches, sondern die Hierarchien und Beziehungen zwischen Frauen und Männern werden immer wieder neu definiert und festgelegt. Bilden erweitert die Perspektive der „sozialen Konstruktion von Geschlechtlichkeit“, die von Carol Hagemann-White und Regine Gildemeister in Deutschland populär gemacht wurde, um den wichtigen Hinweis, dass Veränderungsmöglichkeiten der Geschlechterverhältnisse eng mit der Frage der Macht und der materiellen Ressourcen zusammenhängen (vgl. Hagemann-White 1984: 291). Als Weiterentwicklung der Differenz-Theorie kann die Sex-Gender-Theorie angesehen werden. Die aus dem Englischen entlehnten Begriffe verdeutlichen,
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dass es neben dem biologischen Geschlecht eines Menschen (sex) auch ein soziales Geschlecht (gender) gibt. Die Sex-Gender-Theorie betrachtet wie die Differenztheorie Geschlecht als soziale Konstruktion. Insofern wird die Zweigeschlechtlichkeit der Wirklichkeit neu definiert. Frauen und Männer entwickeln im Rahmen der soziologischen Bezüge ihres Geschlechtes ihre Persönlichkeit. Mit Hilfe des Gender, der „kulturellen Interpretation des biologischen Körpers“, wird dem Individuum durch seine Geschlechtsidentität ermöglicht, eine Geschlechterrolle wahrzunehmen. Auf diese Weise kann jeder Mensch sozusagen seine eigene Position in der Geschlechterordnung wählen (vgl. Krause 2003: 25). - Als Kritik wird der Sex-Gender-Theorie entgegengebracht, dass das biologische Geschlecht und das kulturelle Geschlecht sich wechselseitig konstituieren: das eine kann nicht ohne das andere gedacht werden, beide sind gleich ursprünglich. Der theoretische Ansatz des Doing-Gender setzt einen anderen Schwerpunkt als die Sex-Gender-Theorie: er fragt nicht nach Geschlechtsunterschieden, sondern nach der Rekonstruktion von Prozessen der Geschlechterunterscheidung (vgl. Wetterer 2004: 122 ff). Doing Gender geht ebenfalls von der sozialen Konstruktion von Geschlecht aus und ist mittlerweile in der Wissenschaft geteilter Konsens. Die zentrale Frage lautet, wie Frauen und Männer zu verschiedenen und voneinander unterscheidbaren Gesellschaftsmitgliedern werden und zugleich das Wissen miteinander teilen, dass dies natürlich, normal und selbstverständlich ist. [...] Es geht [...] um die Analyse der sozialen Prozesse, die zwei Geschlechter hervorbringt, und um die Rekonstruktion der Zweigeschlechtlichkeit (Wetterer 2004: 123).
Die Autorinnen West/Zimmermann haben im Rahmen einer mikrosoziologischen Studie festgestellt, dass das vorgegebene System der Zweigeschlechtlichkeit den Individuen keine Wahl lässt, außerhalb ihrer eigenen Geschlechtskategorien zu handeln (vgl. West/Zimmermann 1987: 137 ff). West/Zimmermann erläutern in diesem Kontext zur Theorie des „Doing Gender“: jede Geste, jede Aussage, die Stimme und die Kleidung signalisieren Geschlecht. Die Menschen haben keine andere Möglichkeit, als entweder als Frau oder als Mann zu handeln. Die Wissenschaftlerinnen resümieren: „Doing gender ist unavoidable“. Einen bedeutenden Einfluss, folgt man dem Doing-Gender-Ansatz, hat insbesondere die Arbeitsteilung auf die Geschlechterkonstruktion. In vielfältigen Studien wurde herausgearbeitet, dass im 18. Jahrhundert mit der „Erfindung“ der bürgerlichen Familie auch die Einteilung in eine häuslich-private Frauen- und eine beruflich-öffentliche Männerwelt stattfand. Diese Veränderung und Polarisierung der Geschlechter wird mit dem Begriff „doing gender while doing work“ gekennzeichnet: berufliche Tätigkeit und Geschlechtscharakter stehen in wech-
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Problemstellung und Forschungsperspektive
selseitiger Verbindung zueinander. Angelika Wetterer weist darauf hin, dass heute in der Forschung umstritten ist, ob es auf der Grundlage aktuell sich entwickelnder Arbeitsteilung zu einer De-Institutionalisierung oder Neutralisierung der Geschlechterdifferenz kommt. Anders als früher sei die Reproduktion geschlechtlicher Differenzierung heute in hohem Maße kontextabhängig und angewiesen darauf, im ‚doing gender’ realisiert und relevant gemacht zu werden. Zudem sei es bereichsweise zu einer Neutralisierung der Differenz gekommen, der ein ‚undoing gender’ korrespondiere (Wetterer 2004: 128).
Mittlerweile wissenschaftlicher Konsens, wurde der Doing-Gender-Ansatz anfangs in der Wissenschaft jedoch nicht ungeteilt übernommen. Kritikerinnen wiesen auf die bedeutende Rolle des Körpers hin. Ihrer Meinung nach erleben sich die Individuen als Menschen mit einem Geschlecht. West/Zimmermann haben diese Kritik aufgenommen und ihre Begriff Sex und Gender um die soziale Zuordnung zu einem Geschlecht erweitert, die sex category. Bei der Geburt wird einem Menschen auf Grund der Genitalien ein Geschlecht, weiblich oder männlich, zugewiesen. Dieses körperliche Geschlecht wird „sex“ genannt und beruht auf sozial vereinbarten biologischen Kriterien. Die soziale Zuordnung zu einem Geschlecht, die die Autorinnen sex category nennen, beruht zwar auf dem biologischen Geschlecht. Im sozialen Alltag jedoch unterstellen die Menschen einander ihr biologisches Geschlecht auf Grund von Handlungen oder Erscheinungsbilder eines Menschen. Es kann also sein, dass ein Mensch zwar die körperlichen Merkmale eines Geschlechts besitzt, aber im Alltag dem anderen Geschlecht auf Grund seines Verhaltens und Aussehens zugeordnet wird. Wichtig ist hierbei, dass die Individuen ihre sex category wählen können. Als gender wird weiterhin das soziale Geschlecht bezeichnet: es beinhaltet das soziale Handeln eines Menschen entsprechend seiner sex category (vgl. West/Zimmermann 1987: 127). Wie stark und allgegenwärtig das Denken in zweigeschlechtlichen Theorien ist, zeigt die Tatsache, dass Forscherinnen auch aktuell an der Dichotomie der Geschlechter festhalten (vgl. Kap. 2.3.2). Wetterer weist darauf hin, dass gegenwärtige Forschungsfragen untersuchen, welchen Einfluss die Integration der Frauen in den Berufsbereich auf die Geschlechterverhältnisse und die Reproduktionsweisen der Zweigeschlechtlichkeit hat. Neben der oben angesprochenen De-Institutionalisierungs- und Neutralisierungs-These gebe es andere Ansätze, die von einer wachsenden Unterscheidung zwischen theoretischem Diskurs und sozialer Praxis sowie zwischen verändertem Selbstverständnis und institutionalisierten Reproduktionsweisen sprechen. Verschiedene wissenschaftliche Studien würden auf die widersprüchliche
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Gleichzeitigkeit von Prozessen der Ent-Geschlechtlichung und der ReVergeschlechtlichung hingewiesen (Wetterer 2004: 128). Welche Funktion haben diese - in komprimierter Form - vorgestellten Theorien der Frauen- und Geschlechterforschung für die vorliegende Studie? Die Kurzdarstellung relevanter Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung ist notwendig zum Verständnis und zur Formung des theoretischen Hintergrundes. Im Rahmen der Fragestellung der Arbeit bieten die dargestellten Ansätze der Geschlechterforschung zudem die Grundlage für den Interviewleitfaden und die Auswertungskategorien. Zu welchen Auswertungsfragen die Koppelung der dargestellten Theorien mit dem Thema der Studie geführt hat, wird in Kapitel 3.7 deutlich: die genannten Überlegungen führten zu den Auswertungskategorien „Dramaturgie der politischen Bühne“, „Selbstbild der Politikerinnen und Politiker“ und „Doing Gender in Politics“.
2.3.2 Frauen in der Politik Die Funktion des folgenden Unterkapitels liegt darin, die vorliegende Studie in einen größeren Zusammenhang der Forschung zum Thema „Frauen und Männer in der Politik“ zu stellen. Es dient, wie das vorherige Kapitel, dazu, für die Leitfragen- und Kategorienerstellung (vgl. Kap. 3.7) nutzbar zu sein und den Leser mit dem Stand dieses Forschungszweiges vertraut zu machen. Das Interesse der Wissenschaft an politisch tätigen und einflussreichen Frauen in Deutschland hat seit dem Zweiten Weltkrieg ständig zugenommen und erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt in den siebziger Jahren. Eine der ersten Untersuchungen zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 1956.14 Die politischen Umbrüche in den sechziger Jahren und das Aufkommen der neueren Frauenbewegung mobilisierte nicht nur das Interesse vieler Frauen für öffentliche und politische Belange, sondern motivierte auch die vermehrte wissenschaftliche und journalistische Auseinandersetzung mit dem Thema Frauenrepräsentation. Zunächst wurden in der Politik tätige Frauen jedoch nur aus der Opfer- und Defizitperspektive betrachtet: Genügen diese Frauen den Maßstäben, die Männer in diesem Bereich gesetzt haben? Verfügen sie über die gleichen Kenntnisse, Interessen, Netzwerke und Machtpotentiale wie Männer in vergleichbaren Positionen? Seit Ende der achtziger und verstärkt in den neunziger Jahren hat sich die Sichtweise jedoch gewandelt. Ohne die gesellschaftliche Perspektive zu vernachlässigen, werden der politische Erfolg bzw. Misserfolg von Frauen sowie die Gleichstellungs- und Repräsentationsdefizite in Deutschland heute in differen14
Bremme: Die politische Rolle der Frau in Deutschland. Göttingen 1956
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zierter Weise analysiert. Die zunehmende Etablierung der Frauen- und Geschlechterforschung an deutschen Universitäten sowie die Sensibilisierung für dieses Thema hat seitdem zu einer Vielzahl von Veröffentlichungen in einem breiten Spektrum geführt.15 Insofern ist das Forschungsfeld „Frauenrepräsentation“ anerkannt und gilt als erschlossen. Gleichwohl ist weiterer Forschungsbedarf auf Grund neuer Fragestellungen und Perspektiven angezeigt. Ein Wegweiser für die moderne wissenschaftliche Auseinandersetzung, allerdings mit journalistisch-appellativem Charakter, war die 1980 publizierte Studie „Lasst uns endlich mitregieren! Wege von Frauen in die Politik“ von Christa Randzio-Plath16. Der durchdachte Ansatz von Randzio-Plath gilt auch heute noch als vorbildhaft für Veröffentlichungen, die nicht nur die Wissenschaft erreichen, sondern auch in der Öffentlichkeit verstärkt diskutiert werden. Randzio-Plath beginnt mit der Interpretation empirischer Befunde zum Frauenanteil in den verschiedenen Parlamenten und gelangt über Interviews mit Politikerinnen, Beurteilungen der Frauenpolitik der verschiedenen Parteien sowie unter Einbeziehung von Porträts politisch machtvoller Frauen zur Formulierung von Beurteilungen und Forderungen. Randzio-Plath, von 1989 bis 2004 Abgeordnete des Europäischen Parlamentes, bezeichnet die erste Europawahl als „Frauenwahl“: Den historischen Charakter der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament unterstrichen die Hoffnungen und das Engagement von Frauen über die Grenzen hinweg - in europäischen Frauenvereinigungen und Politikzirkeln, im europäischen Bündnis von Teilen der Frauenbewegung [...] und bei den Wahlentscheidungen. Die Wahlen zum Europäischen Parlament haben die Stellung der Frau in der europäischen Gesellschaft herausgehoben. Der Wahl ging eine außerordentliche Mobilisierung aller Frauen in allen Mitgliedsländern voraus (Randzio-Plath 1980: 27).
Allerdings zeugen eine hohe Wahlbeteiligung von Frauen und eine große Anzahl weiblicher Abgeordneter noch nicht von einem generellen Umbruch im politischen Bewusstsein. Das Europäische Parlament bot jedoch als junges Parlament, in dem es noch keine traditionellen Karrieremuster gab, Frauen die Chance hier politisch Karriere zu machen. Randzio-Plath spricht von der Notwenigkeit, dass Frauen ihre Fremdheit in der Politik überwinden. Frauen haben gelernt, dass die politische Emanzipation keine Freizeitbeschäftigung mit Lustgewinn ist, sondern zunächst ein Opfergang [...]. Sie haben sich aber noch zu wenig dagegen gewehrt, Wasserträger der Männer in der Politik zu sein. Sie müssen über eigene Anstrengungen ihre Gastrollen in der Männerwelt Politik in Hauptrollen eintauschen. [...] Ein Bewusstseinswandel bei Männern ist genauso notwenig 15 16
Vgl. u.a. Handbuch zur Frauen- und Geschlechterforschung von Becker/Kortendiek 2004. Frau Randzio-Plath ist 2006 Professorin an der Universität Hamburg.
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wie bei Frauen, damit Frauen keine Gastarbeiter in der Männerwelt sind (RandzioPlath 1980: 9).
Eine Frau, die es geschafft hat, diese Fremdheit zu überwinden, sich in dieser Männerwelt durchzusetzen und erste Regierungschefin von Großbritannien, der ältesten westeuropäischen Demokratie, zu werden, ist Margaret Thatcher. Randzio-Plath beschreibt, wie Thatcher nach ihrer Wahl von der männlichen Presse behandelt wurde: Margaret Thatcher erlebt als Frau eine unfaire Presse. Es gibt mehr Geschichten über sie als Hausfrau als über die Politikerin Margaret Thatcher. [...] Die Medien kommentierten hämisch ihre puderfarbene Kleidung und wollten ihren Wahlsieg nicht glauben. Anders als männliche Politiker muss sich die Spitzenpolitikerin spöttische und höhnische Bemerkungen, ironische Äußerungen und beißende Kritik einer überwiegend männlichen Presse an ihrer Amtsführung und dem Erfolg oder Misserfolg ihrer Politik gefallen lassen [...]. Typisch für Margaret Thatcher sind die kurzen und direkten Antworten, die viele Journalisten enttäuschen. Sie sind an die Antworten von Männern gewöhnt, die anders als ihre - so Margaret Thatcher - in langen und schwammigen Erklärungen münden (Randzio-Plath 1980: 128 f.).
Randzio-Plath stellt heraus, dass Frauen in der Politik nicht notwendig seien, weil sie Politik menschlicher machten, sondern weil sie die Demokratie stabilisierten und der breiten Masse der Bevölkerung ein politisch bewusstes Leben ermöglichten. Zudem prägten Frauen die zukünftigen Generationen, weil sie überwiegend für die Erziehung von Kindern verantwortlich seien (vgl. RandzioPlath 1980: 173 f.). Randzio-Plaths Studie hat gezeigt, dass tiefer gehende Interviews mit Politikerinnen einen wichtigen Zugang – sowohl für die interessierte Öffentlichkeit, als auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung – bieten. Exemplarisch ist an dieser Stelle auf zwei bemerkenswerte Publikationen hinzuweisen, die jedoch einen unterschiedlichen Anspruch haben. Inge Volk hat 1992 Gespräche mit verschiedenen erfolgreichen Politikerinnen zum Thema „weibliche Politik“ geführt. Sie wollte herausfinden, ob weibliche Qualitäten wie Einfühlungsvermögen und Flexibilität Frauen in der Politik helfen oder sie behindern oder ob sie männliches Verhalten kopieren, um an die Macht zu kommen. Jedes Interview begann mit der gleichen Frage „Gibt es eine weibliche Politik?“. Die Antworten waren so unterschiedlich wie die Politikerinnen, die befragt wurden. Volk kommt zum Schluss: Ja, es gibt eine weibliche Politik. Frauen können und müssen Eigenschaften wie Sensibilität, Einfühlungsvermögen, Emotionalität, ihre größerer Basisnahme in die Politik einbringen, denn wenn – so Carola von Braun [eine der interviewten Politi-
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Problemstellung und Forschungsperspektive kerinnen, YRID] - „dieser Globus noch eine Chance haben will, muss sich das weibliche Prinzip durchsetzen, also der ganzheitliche Ansatz“ (Volk 1992: 7).
Eine besondere Tiefenstruktur hat auch das 2002 veröffentlichte Gespräch zwischen den Politikerinnen Eva Rühmkorf und Ute Vogt mit dem selbstbewussten Anspruch „Wir sind die Besseren“ (Rühmkorf/Vogt 2002). Bemerkenswert im Kontext der vorliegenden Studie ist das Kapitel „Alle Macht den Frauen“. Vogt berichtet, wie sich ihr Meinungswechsel von einer Quotengegnerin zu einer Quotenbefürworterin vollzogen hat. Sie war zunächst gegen die Quote, weil sie ja eine hohe Parteiposition erreicht habe und sie sich somit sagte, wer gut sei, könne das auch erreichen. Außerdem werde man von den Männern in der Politik akzeptiert, wenn man sich so verhielte wie sie und gegen die Quote argumentierte (Rühmkorf/Vogt 2002: 90 f.). Im Laufe der Zeit stellte sie aber fest, dass sie zwar durchsetzungsfähig sei, aber die Männer sie nicht einbezogen und nicht großzügig waren, wenn es um Macht und Einfluss ging. Aus diesem Grund wurde sie zu einer Befürworterin der Quote. Auch heute noch kämen nicht genug Frauen in Führungspositionen. Ihre Partei (SPD) und die Gesellschaft wären jedoch in Bezug auf Gleichberechtigung ohne Quote nie so weit gekommen, wie sie es jetzt sind. Die jüngere Politikerin Vogt (Jahrgang 1964) stellt jedoch auch heraus, dass es einen Generationenkonflikt zwischen den Frauen der Frauenbewegung der 1970er Jahre und den jungen Frauen geben würde. Sie kritisiert deren jammervolles Auftreten. Ihre Gesprächspartnerin Rühmkorf (Jahrgang 1935) antwortet: Gleichzeitig finde ich gut, dass es diese Klageweiber kaum noch gibt. Wir hatten das noch, es war auch berechtigt und notwendig. Aber quer durch die Generationen ist inzwischen ein neues Selbstbewusstsein entstanden, und das hängt mit der Quotierung zusammen. Im Übrigen auch mit Auswirkungen auf Bereiche, wo die Quotierung gar nicht verankert ist. Es gibt überall mehr Frauen, sie können auf Ergebnisse verweisen, statt nur Ansprüche einzuklagen (Rühmkorf/Vogt 2002: 94).
Diesen Aspekt betont auch Vogt. Sie habe zwar von der Einführung der Quote persönlich profitiert, denn ohne diese hätte ihr Ortsverein sie als junge Frau nicht an die Spitze der Kommunalwahlliste gesetzt, aber als sie in den Bundestag kam, habe sie gesagt, sie mache alles, nur nicht den Ausschuss für Frauen, Jugend und Familie. Sie habe es immer wichtig gefunden, dass man die Themen, in denen man wirklich was zu sagen hat, beherrscht. Frauen sollten ihre Chancen nutzen. Wenn sie in gute Positionen kämen, bräuchten sie keine Debatten mehr über Gleichberechtigung zu führen. Rühmkorf bestätigt Vogts Einstellung. Frauen sollten sich weigern, Frauenpolitik zu machen, nur weil sie Frauen sind. Gleichzeitig kritisiert sie aber, dass der Themenbereich Frauen, Familie, Soziales und
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Gesundheit als weiches Politikfeld dargestellt würde, nur weil sie nicht mit Macht verbunden seien. Es sei eine Diskriminierung, Frauen in diesen Themenbereich abzuschieben, und zudem habe es für Frauen lange Zeit keine anderen Chancen in der Politik gegeben. Neben der Quote betont Rühmkorf die für alle Berufsfelder geltende Solidarität unter Frauen. Viele Frauen der älteren Generation förderten ganz zielstrebig junge Frauen (vgl. Rühmkorf/Vogt: 101 ff). Abschließend schildert Vogt die Erfahrung, dass gerade die konservativen Parteien Schwierigkeiten hätten, eine jüngere Frau auf gleicher Augenhöhe anzunehmen. Dies sei auch Angela Merkels großes Problem, dass man die klassischen autoritär verfestigten Strukturen nicht aufgebrochen bekäme (vgl. Rühmkorf/Vogt 2002: 109).17 Grundlegende wissenschaftliche Studien über Frauen in der Politik, die wichtige Anknüpfungspunkte für die vorliegende Studie über „Doing Gender auf der europäischen Bühne“ bieten, wurden in den 1990er Jahren veröffentlicht. Die bereits erwähnte Studie von Bärbel Schöler-Macher thematisierte 1994 „Die Fremdheit in der Politik“ (Schöler-Macher 1994) und Birgit Meyer setzte sich 1997 mit dem Problemfeld „Frauen und Männerbund“ auseinander (Meyer 1997). „Frauen mit Macht“ lautet die Studie, die Barbara Schaeffer-Hegel 1995 über erfolgreiche weibliche Politikerinnen in der „Männerwelt Politik“ veröffentlichte (Schaeffer-Hegel 1995). In den großen Kontext der „Parlamentskultur des Deutschen Bundestages in den neunziger Jahren“ hat Sabine Lemke-Müller 1999 eine Analyse der „Perzeption der Geschlechterverhältnisse“ eingebettet (LemkeMüller 1999). Schöler-Macher analysiert in ihrer Studie den männlichen Charakter der Politik. Männer hätten das heutige politische System wesentlich nach ihren Interessen und Lebenserfahrungen geformt und sie hätten somit für die Politikerinnen als „Newcomer“ Vorbildfunktion (Schöler-Macher 1994: 103). Auf der Grundlage von Interviews mit männlichen Politikern erarbeitete sie ein professionelles Profil eines Politikers, dass sich aus folgenden Merkmalen zusammensetzt:
ein hohes Maß an Kampfbereitschaft die Fähigkeit und Lust zur Selbstinszenierung die Bereitschaft und Fähigkeit zu optimaler Nutzung von Machtchancen die Überzeugung vernünftig zu handeln den Rücken frei haben von Alltagsdingen.
17 Frau Dr. Merkel ist seit September 2005 die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und damit die erste Frau in einem der beiden höchsten Staatsämter. Zudem ist sie als promovierte Physikerin hoch qualifiziert.
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Schöler-Macher betont, dass Politikerinnen gerade mit diesen Merkmalen die meisten Schwierigkeiten haben. Das, was Männern typisch und erforderlich für die Ausübung des politischen Berufs erscheint, ist für sie anscheinend gleichzeitig das, was sie als typisch für Männer ansehen. Also z. B.: Es ist wichtig, sich in der Politik zu streiten und zu kämpfen, und Männer sind nun mal Kämpfer (zumindest eher als Frauen). Das Selbstverständnis männlicher Politiker basiert somit auf der Auffassung, dass die Männer quasi eine „natürliche“ Eignung für diese Handwerk haben (Schöler-Macher 1994: 111).
Auf diese Weise, so Schöler-Macher, stabilisieren die Männer ihr Bezugssystem untereinander. Da Frauen nur männliche Vorbilder haben, orientierten sie sich an den stereotypen Rollenerwartungen der Männer. In Bezug auf Frauenleitbilder stellt Schöler-Macher anhand ihrer Interviews mit weiblichen Politikerinnen einen entscheidenden Unterschied zwischen den konservativen und den sozialdemokratischen Parteien fest: Die CDU-Politikerinnen setzten stärker auf ihren Einzelkämpferinnen-Status, wohingegen die SPD-Politikerinnen sich stärker auf Frauensolidarität beriefen. Birgit Meyer stellt in ihrem Aufsatz „Die ‘unpolitische’ Frau“ die Frage, ob Frauen ein anderes Politikverständnis haben als Männer (Meyer 1992). Sie hat elf weiblich-männliche Kontrastpaare zum Verständnis von Politik konstruiert, die sie in einer Tabelle gegenüberstellt.
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Tabelle 2: Weibliches und männliches Verständnis von Politik nach Birgit Meyer Weibliches Verständnis von Politik
Männliches Verständnis von Politik
egalitäre Orientierung
hierarchische Orientierung
Flexibilität
Rigidität
kommunikatives Machtverständnis
strategisches Machtverständnis
prozessorientiertes Denken
zielorientiertes Denken
Personenbezogenheit
Sachbezogenheit
kooperatives Verhalten
konkurrentes Verhalten
Alltagswissen
Expertenwissen
Betroffenheit
Abstraktheit
Kontextbezogenheit
Prinzipienorientierung
Kompetenzorientierung
Karriereplanung
Querdenken (Vernetzen)
Ressortdenken
Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist eine solche komplexe Verhaltensmuster vereinfachende tabellarische Gegenüberstellung kritisch zu beurteilen. Beispielsweise beinhaltet ein „strategisches Machtverständnis“ notwendigerweise kommunikative Kompetenzen und damit ein „kommunikatives Machtverständnis“, das in dieser Tabelle eher den Politikerinnen zugeschrieben wird. Ebenfalls sind weitere vereinfachende geschlechtsbezogene Gegenüberstellungen wie Flexibilität versus Rigidität oder Prozessorientierung versus Zielorientierung fragwürdig. Gleichwohl zeigt Meyers Tabelle, mit welchen Gegenüberstellungen und Begriffen das Problemfeld eines weiblichen bzw. männlichen Politikverständnisses in den 90er Jahren erörtert wurde. In ihrer Studie „Frauen im Männerbund“ kommt Meyer schließlich zu dem Schluss, dass es zwar keinen typisch weiblichen Politik- und Führungsstil gebe, aber Frauen in politischen Führungspositionen einen starken Bezug zur praxis- und personenbezogenen Alltagspolitik hätten (vgl. Meyer 1997: 358). Das Ergebnis der Studie von Schaeffer-Hegel (1995) besteht darin, dass Frauen sich nach wie vor auf eine andere Art als Männer für politische (Spitzen-) Ämter legitimieren müssen. Sie unterlägen besonderen Anforderungen, die an
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ihre politischen Kompetenzen und Qualitäten gestellt würden. Weil Frauen buchstäblich immer noch ein Fremdkörper in der politischen Arena darstellten, seien insbesondere die Erwartungen hinsichtlich ihrer Weiblichkeit widersprüchlich. Auf der ‚offiziellen’ Seite sei die Partizipation von Frauen nicht mehr rechtfertigungsbedürftig, sondern gelte als wünschenswertes Ziel. Auf der Seite der gesellschaftlichen Wünsche, Bilder und Vorstellungen jedoch sei Weiblichkeit auf der politischen Bühne ein ungewohnter, irritierender, störender und gar abgelehnter Faktor. Dies deutet Schaeffer-Hegel als Reflex auf den langen Ausschuss von Frauen aus der Sphäre der Politik. Die öffentliche Wahrnehmung von Politikerinnen, die immer noch Ausnahmen darstellen, ist untrennbar mit der Wahrnehmung ihres Geschlechts verbunden. So erfährt die Präsenz von Frauen auf der politischen Bühne eine starke symbolische Aufladung. Die einzelne Politikerin muss, ob sie will oder nicht, immer auch und immer noch den Beweis für die Politikfähigkeit ihres Geschlechts erbringen (SchaefferHegel 1995: 304).
Auch Lemke-Müller beschäftigt sich mit der Frage, ob und in welcher Hinsicht Parlamentarierinnen auf Grund ihres Erfahrungshintergrundes ein anderes Selbst- und Politikverständnis mitbringen als Männer (vgl. Lemke-Müller 1999: 115). Sie stellt fest, dass die parlamentarischen Entscheidungsprozesse keine eindeutigen Interessengegensätze zwischen weiblichen und männlichen Abgeordneten zuließen. Eine Ausnahme stellten jedoch Fragen dar, die Frauen auf Grund ihres Geschlechts besonders tangierten: Vermutlich resultiert die erhöhte Sensibilität von Frauen nicht zuletzt aus ihrem eigenen Minderheitsstatus als politisch Handelnde, der sie für die Probleme einer dauerhaften Unterlegenheit und Machtlosigkeit empfänglicher macht (Lemke-Müller 1999: 319).
Zudem seien Frauen weniger als Männer in Seilschaften eingebunden. LemkeMüller arbeitet ebenfalls heraus, dass Frauen leichter in prestigeträchtige Positionen gelangen als in Ämter, die diese Machtpositionen bereitstellen. Das heißt, die Macht über die Verteilung der Spitzenpositionen bleibt weiterhin in Männerhand (vgl. Lemke-Müller 1999: 347). Einen bedeutenden Beitrag für die aktuelle Frauenforschung mit Blick auf die Partizipation von Frauen in der Politik hat Beate Hoecker geleistet. An dieser Stelle sei exemplarisch auf ihr didaktisch aufbereitetes Lern- und Arbeitsbuch „Frauen, Männer und die Politik“ von 1999 hingewiesen, in welchem sie die Problemstellung in die größeren Zusammenhänge Gleichberechtigung und Geschlechterpolitik einordnet (Hoecker 1998). Mit Blick auf die europäische Per-
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spektive hat Hoecker 1998 als Herausgeberin mit dem „Handbuch politische Partizipation von Frauen in Europa“ das Fundament für Länder vergleichende Untersuchungen gelegt. Expertinnen und Experten aus den verschiedenen EUStaaten haben die politische Partizipationssituation fundiert beschrieben und bewertet (Hoecker 1998 (c)). Das Resümee Hoeckers vermittelt den bedeutenden Zusammenhang zwischen einer egalitären politischen Kultur und der aktiven Gleichstellungspolitik: Die Frage danach, was die Staaten mit einem traditionell hohen Frauenanteil in Parlament und Regierung allen anderen europäischen Staaten voraushaben, lässt sich mit der egalitären politischen Kultur klar beantworten. […] Die elementare „Leidenschaft für Gleichheit und Gerechtigkeit“ der nordischen Bevölkerung erstreckt sich zudem nicht nur auf die politische Sphäre, sondern auch auf den gesellschaftlichen Bereich, wofür die durchgängig hohe Frauenerwerbsquote dieser Staaten ein Beleg ist. Die egalitäre Grundhaltung ist folglich mitverantwortlich für eine aktive Gleichstellungspolitik, die sich auf Männer und Frauen bezieht und letztlich eine Demokratisierung der Gesellschaft zum Ziel hat (Hoecker 1998 (c): 394 f.).
Mit dem 2004 erschienenen 2. Band ihres Handbuchs richtete Hoecker zusammen mit Gesine Fuchs den Focus auf die neuen Beitrittsstaaten der EU (Hoecker/Fuchs: 2004). Mit der Frage „Why so few?“ setzen sich die Herausgeberinnen mit der besonderen Problematik der Marginalität von Frauen in der Politik in den neuen Beitrittsstaaten der Europäischen Union auseinander. Systematisch differenzieren sie drei Aspekte, die für Marginalität entscheidend sind: die politische Kultur, sozialstrukturelle und institutionelle Faktoren. Unter der politischen Kultur eines Landes verstehen die Autorinnen im Anschluss an Almond und Verba (1963) die subjektive Dimension der Gesamtheit aller politisch relevanten Meinungen, Einstellungen und Werte der Mitglieder einer Nation, die im Rahmen der politischen Sozialisation geprägt und übermittelt werden (vgl. Hoecker/Fuchs 2004: 13). Die Autorinnen unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen egalitären oder traditionellen politischen Kulturen. Zu den sozialstrukturellen Faktoren zählen die Autorinnen insbesondere Bildung und Berufstätigkeit sowie die persönliche Lebenssituation. Eine hohe Frauenerwerbsquote geht in der Regel einher mit einer hohen parlamentarischen Repräsentanz, weil soziale Einrichtungen außerfamiliäres Engagement von Frauen, sei es nun in der Politik oder im Beruf, ermöglichen (vgl. Hoecker/Fuchs 2004: 14). Zu den institutionellen Faktoren, die die Beteiligung von Frauen in der Politik beeinflussen, gehören das Wahl- und das Parteiensystem eines Landes. Ein Verhältniswahlrecht sowie der politische Wille der Parteien, gute Listenplätze an Frauen zu vergeben, haben ebenfalls erheblichen Einfluss auf den Erfolg von Frauen in der Politik (vgl. Hoecker/Fuchs 2004: 15).
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Da die vorliegende Studie sich mit Frauen und Männern in der Politik beschäftigt, kommt der angelsächsischen Differenzierung des Begriffes „Politik“ in Policy, Politics und Polity eine wesentliche Bedeutung zu (vgl. Rohe 1994: 61 ff). Vereinfacht gesagt bedeutet „Policy“ die inhaltliche Dimension der Politik. Bezogen auf das Thema der Studie geht es hierbei um die Diskussion der Quoteneinführung in Parlamenten, um Gesetzesentwürfe, die die Gleichstellung von Frau und Mann garantieren sollen oder um die Einführung der neuen Elternzeit.18 Der Begriff „Politics“ wird als Regierungskunst bezeichnet und meint das Zustandekommen politischer Entscheidungen im Bereich der Policy. Es geht um die Frage, welche politische Gruppe über wie viel Macht verfügt, welche Interessengruppe wie Einfluss auf eine Entscheidung nimmt, aber auch um die Auseinandersetzung um politische Macht. Die vorliegende Studie beschäftigt sich im Rahmen der Politics-Dimension mit den Geschlechterverhältnissen auf den verschiedenen politischen Bühnen (Doing Gender) sowie Netzwerken von Politikern und Politikerinnen. Geht es um die Quotenregelung, bedeutet Politics das Aushandeln von Entscheidungen zwischen den verschiedenen Parteien und Interessengruppen. „Polity“ umfasst den Handlungsrahmen, in dem Politics und Policy sich abspielen, also das Verfassungssystem, die politischen Institutionen, das Prinzip der Gewaltenteilung und die Organisation des Staates. Auch diese Dimension ist für die vorliegende Studie bedeutsam, da es bei der Erreichung der Gender Equality nicht nur um die Fragen der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Politik geht, sondern auch um eine dauerhafte Sicherung der Demokratie und die Erreichung einer geschlechtergleichberechtigten Beteiligung in allen politischen und staatlichen Organen. Hierbei ist die europäische Ebene von besonderer Bedeutung, da die im Europäischen Parlament verabschiedeten Richtlinien den Rahmen für die nationale Politik bilden. Eine fortschrittliche Gleichstellungspolitik auf europäischer Ebene führt (fast) automatisch zu positiven Auswirkungen auf die nationale Situation der Gender Equality. Im Sinne der Handlungsforschung besteht neben den genannten Schwerpunkten dieser Arbeit ein zentrales Anliegen darin, für die Verwirklichung der Geschlechterdemokratie einzutreten, auf Geschlechterungleichheiten aufmerksam zu machen und realistische Lösungsperspektiven für die Problematik der ungleichen politischen Repräsentation von Frauen zu erarbeiten.19 18 In Deutschland hat sich die Große Koalition 2005 auf eine neue Regelung bei der Elternzeit geeinigt, die die Elternzeit der Väter fördern soll. Wechseln sich die Partner bei der Elternzeit ab, so erhalten sie z.B. zwölf Monate lang 67 Prozent des durch die Kindererziehung entfallenden Einkommens bis zu einem festgesetzten Höchstsatz. Weitere zwei Monate kommen als Bonus hinzu, wenn beide Ehepartner mindestens zwei Monate vom Job pausieren. 19 Das Oberthema des Graduiertenkollegs an der Universität Duisburg-Essen, im Rahmen dessen diese Studie entstanden ist, lautete „Europäische Gesellschaft“. In diesem Zusammenhang richtet die vorliegende Arbeit den Blick auf die erweiterte Europäische Union mit 27 Mitgliedstaaten und fragt
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Zu welchen Auswertungskategorien der dargestellte Forschungsstand zum Thema „Frauen und Männer in der Politik“ in Bezug auf das Thema der Studie geführt hat, wird in Kapitel 3.7 dargestellt.
2.3.3 Einflussfaktoren auf die politische Repräsentation von Frauen Die Überwindung der Fremdheit in der Politik kann Frauen nur gelingen, wenn sie, wie oben erwähnt, ausreichend politisch repräsentiert sind. Die politische Repräsentation von Frauen ist ein wesentlicher Aspekt der Geschlechtergleichstellung. Im Folgenden werden ausführlicher weitere ausgewählte Bestandteile der Gender Equality aufgezeigt, um darzustellen, welche Faktoren die Überwindung der Fremdheit in der Politik ermöglichen können. Seit vielen Jahren haben sich die Staaten Europas und die Europäische Union die Verbesserung der Geschlechtergleichberechtigung auf ihre Fahnen geschrieben. Die Europäische Kommission der EU erstellt seit 2003 einen jährlichen Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Partnerschaft, in der Familie und im Beruf gibt es relevante wissenschaftliche Untersuchungen, die existierende Problemfelder, aber auch Fortschritte aufzeigen. Auch nationale Forschungseinrichtungen stellen Daten zur Geschlechtergleichstellung zusammen und analysieren die Entwicklung der gesellschaftlichen Veränderungen. Exemplarisch für Deutschland sei an dieser Stelle auf die aktuelle Studie der Hans-BöcklerStiftung hingewiesen (Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg): 2005). Von besonderem Interesse für die Beantwortung der Fragestellung dieser Studie ist der Prozess der Gleichberechtigung von Frauen in der Politik, der sich in ihrer politischen Repräsentation in den Parlamenten der europäischen Demokratien manifestiert und zweifelsfrei erfassen lässt. Aus diesem Grund ist die Beschäftigung mit der politischen Kultur eines Landes und den Anfängen der politischen Repräsentation von Frauen von Bedeutung, denn viele Ursachen für die auch heute noch nicht gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der Politik liegen in der Entwicklung ihrer politischen Repräsentation und in der politischen Kultur eines Landes. Wie bereits in Kapitel 2.2 erwähnt, betont Beate Hoecker, dass es jedoch keine monokausale Erklärung für den unterschiedlichen Stand der politischen Repräsentation von Frauen in Europa gibt, sondern vielmehr die jeweilige nationale demnach, wie Geschlechterdemokratie in den Mitgliedstaaten bisher verwirklicht ist, welchen Einfluss die Institutionen der Europäischen Union auf das Ziel der Gender Equality haben und welche gesellschaftspolitischen Veränderungen in Richtung modernerer Gesellschaften durch die verstärkte Repräsentation von Frauen in politischen Gremien erreicht werden können.
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Mischung aus verschiedenen Einflussfaktoren entscheidend sei. Für die unterschiedlich hohe parlamentarische Repräsentanz von Frauen in den verschiedenen Ländern gibt sie die Faktoren Zeitpunkt der Einführung des Frauenwahlrechts, Frauenerwerbstätigkeit, Wahlsystem und Quotensystem der Parteien sowie die politische Kultur an (Hoecker (b) 1998: 394). Eine hohe parlamentarische Repräsentanz von Frauen geht nach Hoecker in der Regel einher mit einer frühen oder mittleren Einführung des Frauenwahlrechts, mit einer eher egalitären an Gleichberechtigung orientierten politischen Kultur, mit einem Verhältniswahlrecht und Quoten für öffentliche Kandidaturen sowie einer hohen Frauenerwerbsquote. Typisch für die mittlere parlamentarische Repräsentanz von Frauen ist eine zeitlich mittlere Einführung des Frauenwahlrechts, eine eher patriarchale politische Kultur, ein Verhältniswahlrecht und Parteiquoten sowie eine mittlere oder niedrige Frauenerwerbsquote. Für die niedrige Repräsentanz von Frauen in Parlamenten gelten nach Hoecker folgende Faktoren als charakteristisch: eine späte Einführung des Frauenwahlrechts, eine eher patriarchale politische Kultur, ein Verhältnis- oder Mehrheitswahlrecht sowie überwiegend Parteiquoten und eine Frauenerwerbsquote, die eher mittel oder niedrig ist. Die folgenden Aspekte sind bei der Beurteilung der Gender Equality eines Landes von Bedeutung. Politische Kultur Die politische Kultur eines Landes ist nur schwer zu beschreiben und der Begriff der politischen Kultur ist kaum präzise abzugrenzen. Ein Teil der politischen Kultur eines Landes spiegelt sich jedoch in der „Alltagskultur“, insbesondere in den verankerten Einstellungen gegenüber der Rolle von Frauen in der Gesellschaft sowie im politischen Leben. In diesem Kontext kann man die Gegenpole einer egalitären politischen Kultur einer patriarchalischen politischen Kultur einander gegenüberstellen. Die nordeuropäischen Staaten Norwegen, Finnland, Dänemark und Schweden zeichnen sich durch ihr Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit aus, die eine egalitäre politische Kultur ausmachen (vgl. Rubart 1998: 353). Ob diese Leidenschaft für Gleichheit und Gerechtigkeit auch von den interviewten schwedischen weiblichen und männlichen Politikern geteilt und ob die schwedische Gesellschaft als gerecht im Bereich der Gender Equality empfunden wird, zeigt die Analyse der Interviews. Eine egalitäre politische Kultur ist in der Regel mit starken Frauenorganisationen innerhalb und außerhalb von Parteien verknüpft. Zudem muss Gender Equality ein gesellschaftliches Thema sein, deren ständiger Prozess in den Medien, den staatlichen Institutionen und den Familien, aber auch in den Betrieben diskutiert wird. Eine patriarchale politische Kultur, wie sie nach einer Umfrage des Eurobarometer aus dem Jahr 1987 vor allem in Luxemburg, Belgien, Portugal und Griechenland vorliegt, ist durch ein traditionelles Frauenbild gekennzeichnet (vgl.
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Hoecker 1995: 13). Die übrigen Staaten gelten eher als Zwischenstufen einer egalitären und partiarchalen politischen Kultur. Wollen Frauen die Fremdheit in der Politik überwinden, muss die politische Kultur ihres Heimatlandes sich in Richtung einer egalitären politischen Kultur ändern, d.h. vor allem muss Gender Equality muss zu einem öffentlich bedeutsamen Thema werden und darf nicht nur eine Randgruppe interessieren und in den Parteien muss es einflussreiche Frauenorganisationen geben. Teil der politischen Kultur eines Landes ist die Einführung des Frauenwahlrechts. Auch hier gibt es zwischen den europäischen Ländern enorme Unterschiede, wie folgende Übersicht exemplarisch zeigt.
Tabelle 3: Einführung des Wahlrechtes für Frauen und Männer in ausgewählten Ländern Land
Allgemeines Wahlrecht
Allgemeines Wahlrecht
für Männer
für Frauen
Frankreich
1848
1944
Deutschland
1849
1918
Finnland
1906
1906
Schweden
1919
1919
Griechenland
1877
1952
Polen
1918
1918
Portugal
1910
1976
Je länger in einem Land Frauen die Möglichkeit haben, sich aktiv politisch zu beteiligen, desto mehr Erfahrungen konnten sie auf dem Gebiet der Politik sammeln. Für eine Reihe von europäischen Ländern gilt, dass auf Grund der relativ kurzen Zeit, die Frauen sich aktiv in die Staatspolitik einbringen können, im ursprünglichen Männerberuf „Politik“ immer noch formelle und informelle Regeln und Kommunikationsformen gelten, die Frauen fremd sind. Dieser Aspekt wurde auch von einigen interviewten Politikerinnen als eine Schwierigkeit ihres Bestehens in der Politik genannt. Alle skandinavischen Staaten - mit Ausnahme von Norwegen - haben Frauen und Männer zeitgleich die Teilnahme an Wahlen ermöglicht. Hier haben also Frauen sich gleichzeitig mit den Männern in das
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Problemstellung und Forschungsperspektive
politische Feld einarbeiten können, gleichzeitig Netzwerke bilden und die Politik gestalten können. Anders sieht die Situation in den übrigen Mitgliedstaaten aus, wo Frauen nachträglich die formellen und informellen Regeln der Politik erlernen mussten, erst später eigenen Netzwerke formieren und nur mühsam Einfluss auf die Politik nehmen konnten. Bildung Neben diesen soziokulturellen Besonderheiten ist auch die Bildung ein wichtiger Teil der politischen Kultur, die den Zugang von Frauen zur Politik beeinflusst. Mit steigendem Bildungsniveau verringern sich die unterschiedlichen Interessen von Frauen und Männern in Bezug auf Politik, d.h. je höher eine Frau gebildet ist, desto mehr ist sie an Politik interessiert (vgl. Fuchs/Hoecker 2004: 4). Gerade vor dem Hintergrund, dass in den meisten Mitgliedstaaten der Anteil von Mädchen an höherer Bildung stetig steigt und in einigen Ländern die Mädchen den größeren Teil der Abiturienten ausmachen, stimmt diese Erkenntnis für die Zukunft der politischen Repräsentation von Frauen hoffnungsvoll. Ein ähnliches Bild lässt sich für den Bereich der Erwerbstätigkeit ausmachen. Mit zunehmender Erwerbstätigkeit steigt bei Frauen und bei Männern das Interesse an Politik (vgl. Fuchs/Hoecker 2004: 4). Eine gute Bildung für den Großteil der Mädchen und Frauen kann demnach als Voraussetzung für die Überwindung der Fremdheit in der Politik angesehen werden. Erwerbstätigkeit Die skandinavischen Staaten weisen nicht nur einen fast gleichberechtigten Stand in Bezug auf die politische Vertretung von Frauen auf, sondern zeichnen sich auch durch eine hohe Erwerbsquote von Frauen aus. Dies lässt darauf schließen, dass diese Länder Familien ein geeignetes Kinderbetreuungssystem bieten und zudem Frauen durch ihre berufliche Tätigkeit über Kompetenzen verfügen, die ihnen auch in der Politik helfen. Die Länder hingegen, deren Frauenerwerbsquote niedrig ist, haben meist nur geringen Anteil von Frauen in den Parlamenten. Eine Ausnahme bilden Großbritannien und Portugal. Die geringe politische Beteiligung von Frauen in Großbritannien trotz einer hohen Frauenerwerbsquote hat jedoch ihre Ursache nicht in der patriarchalen politischen Kultur, sondern in einer institutionellen Besonderheit: dem Wahlsystem. Wahlsystem Das in Großbritannien praktizierte Mehrheitswahlsystem benachteiligt die Kandidatur und die Wahl von Frauen, wohingegen dies bei dem in den meisten Ländern vorherrschende Verhältniswahlrecht nicht der Fall ist. Die Gründe hierfür
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liegen zum Einen darin, dass Parteilisten, von denen die Kandidaten im Verhältniswahlrecht „gezogen“ werden, quotiert und gesellschaftlich ausgeglichen aufgestellt werden können. D.h. eine Partei kann festlegen, wie viele Frauen und Männer, welche geographischen Gebiete, welche Berufs- und Interessengruppen usw. auf der Liste repräsentiert sein sollen. Zum Anderen gehen Stimmen der Wählerinnen und Wähler, die den zweitstärksten Kandidaten bzw. die zweitstärkste Kandidatin gewählt haben, nicht einfach verloren wie beim Mehrheitswahlrecht. Das Problem des Mehrheitswahlrechts liegt vor allem darin, dass der Kandidat, der auch nur eine Stimme mehr als der andere bekommen hat, den Sitz im Parlament zugesprochen bekommt. Tritt also ein Mann von der Partei X gegen eine Frau von der Partei Y an und unterliegt die Frau mit nur einer Stimme, kommt sie nicht ins Parlament. Beim Verhältniswahlrecht hingegen werden die Ergebnisse beider Parteien berücksichtigt und je nach Anteil können beide Parteien Kandidaten von der Liste ziehen und ins Parlament schicken. Insofern hätte die Frau von der Partei Y eine gute Chance ins Parlament zu kommen - allerdings unter der Voraussetzung, dass sie einen guten Listenplatz hat. Die EULänder, die ein Mehrheitswahlsystem haben, Frankreich, Irland und Großbritannien, zeichnen sich alle durch einen sehr niedrigen Anteil von Frauen im Parlament aus. Zur Überwindung der Fremdheit in der Politik muss das Wahlsystem nach dem Verhältniswahlrecht funktionieren. Politischer Wille zur Gender Equality Wie das Beispiel zeigt, ist jedoch nicht nur das Wahlsystem von Bedeutung, sondern vor allem der politische Wille, Frauen einen Sitz in einem Parlament zu geben. Parteien können selbstständig entscheiden, wie hoch ihre Frauenquote ausfallen soll, welche Listenplätze mit Frauen besetzt werden sollen und wie verbindlich die Quote überhaupt ist. Der politische Wille ist natürlich stark von der politischen Kultur eines Landes geprägt, d.h. insbesondere, ob diese eher egalitär oder patriarchisch ausgebildet ist, aber auch von der Tradition und dem Selbstverständnis einer Partei. Beate Hoecker sagt zum Zusammenhang zwischen Quote und Tradition einer Partei: Da eine solche positive Diskriminierung der weiblichen Parteimitglieder die Kandidaturchancen der männlichen Mitglieder eindeutig schmälert, ist es nicht verwunderlich, dass europaweit die konservativen Parteien dieser Praxis eher ablehnend gegenüberstehen, während sich die Parteien des linken Spektrums in dieser Frage wesentlich aufgeschlossener zeigen. Über die Implementierung von Quoten entscheidet somit in erster Linie die Parteiideologie, über ihren Erfolg letztlich das Wahlergebnis (Hoecker 1995: 391).
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Problemstellung und Forschungsperspektive
Wenn von Repräsentation von Frauen in der Politik gesprochen wird, wird häufig der Unterschied zwischen der qualitativen und der quantitativen Beteiligung von Frauen an der Politik übersehen. So hat z.B. Margret Thatcher als Premierministerin Großbritanniens die Geschicke ihres Landes „mit eiserner Hand“ geführt, während die Anzahl von Frauen im Parlament nicht sehr groß war. Aus diesem Grund wird im Folgenden zwischen der quantitativen und der qualitativen Repräsentation von Frauen in der Politik unterschieden.20 Nur wenn Frauen im Bereich der politischen Repräsentation Frauen dauerhaft quantitativ und qualitativ annähernd gleichberechtigt vertreten sind, kann man von Geschlechterdemokratie sprechen. Quoten Die Einführung von Frauenquoten in den 1980er Jahren hatte zum Ziel, die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Politik, aber auch bei der Besetzung von Arbeitsplätzen vor allem im öffentlichen Dienst, zu fördern. Hintergrund der Einführung der Frauenquote war die Annahme, dass Frauen nicht entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung repräsentiert sind und sie zudem nicht die gleiche Chance wie männliche Politiker haben, ihre Interessen durchzusetzen. Kritik wurde an der Frauenquote vor allem dahingehend geübt, dass sie, statt die Ursachen für die nicht gleichberechtigte politische Repräsentation zu beheben, Diskriminierungen konserviere. Schwierigkeiten entstanden zudem durch den negativ besetzten Begriff „Quotenfrau“, der unterstellte, eine Politikerin habe eine Position nicht auf Grund ihrer Leistung, sondern auf Grund der Frauenquote bekommen. Die Frauenquote kann auf unterschiedliche Weise durchgesetzt werden. Das Reißverschlusssystem, bei dem Wahllisten abwechselnd mit Frauen und Männern paritätisch besetzt werden, ist die weitreichendste Realisation der Frauenquote. Wenn allerdings eine Quotenregelung lediglich besagt, auf einer Wahlliste sollen 30% der Kandidaten Frauen sein, und diese dann die unteren Plätze erhalten, wird die Frauenquote ad absurdum geführt. Achtet man nur auf die quantitative Beteiligung von Frauen in politischen Gremien, so sind Frauenquoten ein Fortschritt. Nimmt man Kriterien der Emanzipation zur Hand, erkennt man überaus deutlich das „Elend“ solcher Hilfskonstruktionen für eine angemessene politische Partizipation und Repräsentation von Frauen. Frauen können nicht um jeden Listenplatz kämpfen, sondern müssen auf festgelegten Positionen gegeneinander kandidieren und laufen so Gefahr, sich
20 Die quantitative Repräsentation meint die zahlenmäßige Vertretung von Frauen in Parlamenten, die qualitative Repräsentation umfasst die Vertretung von Frauen in einflussreichen Schlüsselpositionen in der Politik, beispielsweise in der Regierung, als Staatssekretärin oder als Vorsitzende, gesellschaftlich relevanter Verbände.
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gegeneinander ausspielen zu lassen und wiederum vom Wohlwollen der Männerzirkel abhängig zu sein. Das Europäische Parlament wollte auf Initiative des „Ausschusses für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter“ 2006 eine Quotenregelung einführen. Diese besagte, dass 40% der Listenplätze für die Wahl zum Europäischen Parlament mit Frauen besetzt sein müssen. Bei der Abstimmung sprach sich jedoch die Mehrheit der konservativen Abgeordneten gegen diese Regelung aus, so dass die Richtlinie nicht umgesetzt, sondern lediglich ein Appell an die Parteien der EU-Mitgliedstaaten abgegeben wurde.
Gender Mainstreaming Mit diesem sperrigen und in der Öffentlichkeit nur schwer zu vermittelnden Begriff wird das moderne politische Instrument für das Ziel der Geschlechtergleichstellung bezeichnet. Unter Gender Mainstreaming wird im Anschluss an den Europäischen Rat die Reorganisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluation der Implementation der Geschlechterperspektive in alle Politikbereiche verstanden (Gesetz: EGS-MS (98) 2. Mai 1998). Gender Mainstreaming (GM) bezeichnet somit ein politisches Instrument, um die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern zu erreichen. Es ist neben der positiven Förderung von Frauen, z. B. durch Quoten, die wichtigste Strategie, um die Geschlechtergleichstellung zu fördern. Im Rahmen des Gender Mainstreamings wird davon ausgegangen, dass Politik (policy) niemals neutral gegenüber dem sozialen Geschlecht ist, dass also alle politischen Maßnahmen und Entscheidungen niemals geschlechtsneutral sind. Im Rahmen des Gender Mainstreamings soll eine bewusste Reflexion der Auswirkungen von Entscheidungen auf Frauen und Männer erreicht werden. GM ist Teil der Grundsatzpolitik und nicht mehr nur eines Randbereichs der Politik. Ziel ist es, die systematische Einbeziehung der jeweiligen Situation von Frauen und Männern in alle politischen Handlungsfelder bei der Planung, Durchführung und Maßnahmen zu verwirklichen (Ehrhardt 2003: 14). Die Dimension der Geschlechtergleichstellung muss in allen Politikbereichen berücksichtigt werden, um Geschlechtergleichstellung zu erreichen und um negative Konsequenzen von politischen Entscheidungen im Gender-Bereich zu vermeiden. Das erste Mal wurde Gender Mainstreaming im Dritten Aktionsplan für Chancengleichheit der EU (1991-1995) definiert und erläutert, aber es gab im Laufe der Jahre keinen Fortschritt bei der Durchsetzung der Ziele. Auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 wurde Gender Mainstreaming zur Schlüsselkategorie bei der Durchsetzung eines neuen Instrumentes der Gleichstellungspolitik. Als die Europäische Kommission 1996 das Thema wieder auf die Tagesordnung
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Problemstellung und Forschungsperspektive
setzte, wurden erste Fortschritte erzielt und das Thema in verschiedene Politikbereiche, wie Beschäftigung und Forschung, eingebunden. Hierbei war und ist eine enge Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten erforderlich. 1997 wurden im Rahmen des Amsterdamer Vertrages alle Staaten dazu verpflichtet, das Gender Mainstreaming-Prinzip in ihre Politik aufzunehmen. Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte 1998 den Amsterdamer Vertrag, der 1999 in Kraft trat. Auf Bundesebene wurde 2000 eine interministerielle Steuerungsgruppe zur Implementierung des Ansatzes in die Arbeit aller Ressorts gebildet. Ziel der Steuerungsgruppe ist die Verankerung des Prinzips in der Bundespolitik, die Erarbeitung von Kriterienkatalogen, die Entwicklung von Handbüchern, Checklisten und Prüfkatalogen für die gesamte Bundesverwaltung und die Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte. [...] Verschiedene Länder und Kommunen beginnen mit der Verankerung des Gender Mainstreaming-Konzeptes in ihre Arbeit, und inzwischen haben fast alle Bundesländer entsprechende Kabinettsbeschlüsse (Ehrhardt 2003: 15).
Notwendig zu erwähnen ist, dass die Europäischen Organe die Durchsetzung des Konzeptes dadurch kontrollieren, dass sie die EU-Förderprogramme seit 1999 bei der Mittelvergabe an die Einhaltung des Gender Mainstreamings binden. Das Neue am Prinzip des Gender Mainstreamings liegt in seiner Fokussierung auf beide Geschlechter, nicht nur einseitig auf Frauen. Theoretisch liegt ihm die Annahme zu Grunde, dass es keine Frauenpolitik ohne Männerpolitik geben kann, und dass eine einseitige Förderung von Frauen nicht zu langfristigen Erfolgen im Beruf oder auf politischer Ebene führen kann, da das gesellschaftliche Umfeld, d.h. andere institutionelle Ebenen, nicht verändert werden. Gender Mainstreaming beachtet die Förderung beider Geschlechter und will Ungerechtigkeiten sukzessiv beheben. Dieses politische Instrument kann Frauen helfen, die Fremdheit in der Politik zu überwinden. Seit von Gender Mainstreaming gesprochen wird, fällt in Bezug auf das politische Engagement von Frauen und ihre politische Repräsentation auch der Begriff Structural Opportunities. Unter Structural Opportunities werden gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Gegebenheiten verstanden, die es Frauen ermöglichen bzw. sie daran hindern, politisch tätig zu werden. Im Folgenden werden die Structural Opportunities, die Einfluss auf den Zugang von Frauen in gehobene politische Ämter haben, in Anlehnung an Herzog und Jessop dargestellt (vgl. Herzog 1975/Jessop 1995). Hierbei ist wichtig zu beachten, dass die Structural Opportunities eng miteinan21 der verflochten sind und sich teilweise gegenseitig bedingen. 21
Eine weitergehende, auf der Grundlage der Interviews entstandene Darstellung der Structural Opportunities, die die politische Repräsentation von Frauen fördern, findet sich in Kapitel 6.2.
Geschlechterforschung - Geschlechterverhältnisse
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Auf der gesellschaftlichen Ebene liegt der Fokus vor allem auf dem Anteil von Frauen und Männern an Bildung, der Möglichkeit zur Teilung der Elternzeit, dem Zugang zu Teilzeitarbeit für Frauen und Männer sowie dem Umfang staatlicher Betreuungseinrichtungen für Kinder. Eine gleichberechtigte Gesellschaft zeigt sich in der gleichmäßigen Verteilung von Pflichten und Aufgaben. Väter werden nur bereit sein, Erziehungsaufgaben zu übernehmen, wenn ihnen ein Recht auf Teilzeitarbeit, ohne große Nachteile für ihre berufliche Karriere, zugesprochen wird. Die Einbeziehung der Männer in Erziehungs- und Familienarbeit muss staatlich gefördert und gesellschaftlich positiv verstärkt werden. Muss Kinderbetreuung jedoch privat organisiert werden, steht sie der Berufstätigkeit beider Elternteile auf Grund des Organisationsaufwandes und wegen der hohen Kosten im Wege. Eine Voraussetzung für den beruflichen Erfolg von Frauen, sei es im privatwirtschaftlichen, öffentlichen oder politischen Bereich, liegt demnach nicht nur im Erreichen höherer Bildungsabschlüsse, sondern auch in der Bereitstellung familienfreundlicher, an Geschlechtergleichstellung orientierten gesellschaftlichen Bedingungen.
Auf der politischen Ebene sind das Vorhandensein von Quoten für Frauen auf Parteilisten sowie von Quoten für die Besetzung von Schlüsselfunktionen innerhalb der Partei (z.B. Vorstand) und die Durchsetzung des Gender Mainstreamings von Bedeutung.
Im Bereich der Wirtschaft liegt der Blick auf dem Anteil von Frauen an allen vorhandenen Arbeitsplätzen (Frauenerwerbsquote) sowie auf der Möglichkeit zur Teilzeitarbeit für Frauen und Männer, dem tatsächlichen Anteil von Frauen und Männern in Teilzeitbeschäftigung sowie der Anteil von Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen, etwa als Abteilungsleiterinnen, Vorstände oder Aufsichtsräte.
Verankerung der Gender Equality in den EU-Institutionen Seit 1957 ist die Gleichstellung von Frauen und Männern im EU-Vertrag verankert. Da die Unterrepräsentation der Frauen in allen Bereichen auch von der Europäischen Kommission als schwerwiegendes Demokratiedefizit erkannt wurde, betreiben die Mitgliedstaaten, die EWR-Staaten22 und die Bewerberländer eine Politik zur Förderung der Gleichstellung (vgl. Europäische Kommission (Hrsg.) 2000: 5 f.). Die Europäische Kommission legt alle vier Jahre eine Rah22 Zu den Europäischen Wirtschaftraum (EWR)-Staaten gehören neben den 25 Mitgliedstaaten der EU Island, Lichtenstein und Norwegen. Die EWR-Staaten bilden seit 1994 räumlich einen gemeinsamen Binnenmarkt.
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Problemstellung und Forschungsperspektive
menstrategie für die Verwirklichung der Gleichstellung vor, in der sie Ziele und Möglichkeiten zur Verwirklichung dieser formuliert. In der Europäischen Kommission (2004-2009) sind von den 25 Kommissaren 7 Frauen (knapp ein Drittel). Sie stammen aus Schweden, Luxemburg, Litauen, Polen, Österreich, den Niederlanden und Dänemark und haben keinesfalls nur traditionell weibliche Politikfelder inne.23 Das Problem der unverwirklichten Geschlechterdemokratie wird von den Institutionen der Europäischen Union sehr ernst genommen. Dies äußert sich z.B. darin, dass die EU ihre eigenen Institutionen kritisch in Bezug auf die Geschlechtergleichstellung beurteilt und aktive Frauenförderung betreibt. In der Rahmenstrategie aus dem Jahre 2000 urteilt die Kommission, dass die ausgewogene Beteiligung von Frauen und Männern am politischen Entscheidungsprozess hinter den Erwartungen von 1996 zurück geblieben sei (vgl. Europäische Kommission (Hrsg.) 2000: 8). Ein von der Kommission formuliertes operatives Ziel lautet: „Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in politischen Entscheidungsprozessen“ (Europäische Kommission (Hrsg.) 2000: 9). Eine Maßnahme zur Verwirklichung dieses Ziels wurde wie folgt formuliert: Förderung der Entwicklung von Netzwerken von Frauen, die auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene in ein politisches Amt gewählt wurden; Förderung von Networking zwischen den Parlamentarischen Ausschüssen für Chancengleichheit von Frauen und Männern in den EU-Mitgliedstaaten und beim Europäischen Parlament. [...] Sensibilisierung von Bürgerinnen und Bürgern für die Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in gewählten öffentlichen Gremien und in den Strukturen der politischen Parteien sowie Ermutigung von Frauen, sich politisch zu betätigen, insbesondere mit Blick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 (Europäische Kommission (Hrsg.) 2000: 9).
Neben dem erwähnten Konzept des Gender Mainstreamings sieht es die Europäische Kommission als notwendig an, spezifische Frauenfördermaßnahmen durchzuführen und finanziell zu unterstützen. Um die Fremdheit in der Politik zu überwinden, helfen Quoten und andere Frauenfördermaßnahmen.
23 Die weiblichen Kommissarinnen heißen Margot Wallström (Schweden, Vizepräsidentin und internationale Beziehungen), Viviane Reding (Luxemburg, Informationsgesellschaft und Medien), Danuta Hübner (Polen, Regionalpolitik), Dalia Grybauskaite (Litauen, Finanzpolitik und Haushalt), Neelie Kroes (Niederlande, Wettbewerb), Benita Ferrero-Waldner (Österreich, Außenbeziehungen) und Mariann Fischer Boel (Dänemark, Landwirtschaft). In der letzten Kommission vor der EUOsterweiterung, in der die großen Mitgliedstaaten noch zwei Kommissare stellten, gab es mit Michaele Scheyer, die für den Haushalt zuständig war, auch eine deutsche Kommissarin.
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Ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Gender Equality ist das 2007 gegründete Gender Institut. Dieses von der Europäischen Union finanzierte Institut soll u.a. Studien zum Thema erstellen und die Öffentlichkeit über Fragen der Geschlechtergleichstellung informieren. Auf diese Weise würde das Thema wieder mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. In den Sozialwissenschaften wird heute die gleichberechtigte Situation des Geschlechterverhältnisses als ein wesentliches Merkmal für die Modernität einer Gesellschaft angesehen (Treibel 1994: 269). Der Umkehrschluss lautet: eine Gesellschaft, die durch die Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen statt durch egalitäre Beziehungen zwischen den Geschlechtern gekennzeichnet ist, kann nicht als modern bezeichnet werden. Möchte die EU ein modernes supranationales Konstrukt sein, muss sie die Durchsetzung der Gender Equality in allen Mitgliedstaaten fördern und einfordern.
3 Empirische Untersuchung - methodische Aspekte 3.1 Ziele und Wahl der Methode Was sind die Ziele der vorliegenden Studie? - Das Ziel der Studie liegt in der Bestätigung oder Widerlegung der Hypothese, dass Frauen die Fremdheit in der Politik überwunden haben.24 Um diese Hypothese bestätigen oder widerlegen zu können, müssen eine Reihe von Fragen beantwortet werden. Frauen können die Fremdheit in der Politik nur überwinden, wenn sie in der Politik nicht mit geschlechterstereotypen Zuschreibungen konfrontiert werden, die ihnen den Zugang zu wichtigen Parteiämtern und Mandaten versperren. In diesem Zusammenhang ist die Erörterung der Frage von Bedeutung, wie Geschlechterdifferenzen im Feld der Politik immer wieder erzeugt werden bzw. inwieweit es einen Nivellierungsprozess gibt. Die historisch bedingte Fremdheit in der Politik von Frauen liegt vor allem darin, dass Politik sich an männlichen Strukturen orientiert und von männlichen Netzwerken dominiert wird. Prägnant formuliert: die Politik funktioniert nach männlichen Spielregeln und Frauen kennen diese nicht. Sollten Frauen die Fremdheit in der Politik also überwunden haben, müsste in den Interviews deutlich werden, dass sie entweder die männlichen Spielregeln erlernt haben oder dass sie die Möglichkeit hatten, neue Spielregeln aufzustellen. Die Fremdheit in der Politik zu überwinden, heißt auch, dass die quantitative Repräsentation von Frauen in Parlamenten sich deutlich über die 30Prozentmarke hinaus entwickelt. Die quantitative Zunahme von Frauen in der Politik erleichtert es ihnen, gemeinsam solidarisch ihre Interessen durchzusetzen. Aber verhalten sich Politikerinnen untereinander automatisch solidarisch? Oder gibt es auch eine große Konkurrenz zwischen ihnen? Erfahren sie Solidarität gar von männlicher Seite? Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das Individuum. Besonders interessant ist deshalb auf der individuellen Ebene die Frage, wie die Politikerinnen sich selbst und ihre politische Karriere darstellen. Haben sie das Gefühl in der Politik akzeptiert und einflussreich zu sein? Welche persönlichen Eigenschaften und gesellschaftlichen Faktoren waren für ihre politische Karriere von Bedeutung? Für die Untersuchung der Überwindung der Fremdheit in der Politik ist es zudem wichtig, den Stand der Gender Equality in den untersuchten Mitgliedstaaten darzustellen und mit den Erfahrungen der Politikerinnen und Politiker zu ergänzen. Perspektivisch sollen am Ende der Studie Karrierebausteine, individuelle Karrierevoraussetzungen und gesellschaftliche Structural Opportunities
24
Vgl. die Erläuterungen zu dem von Schöler-Macher aufgestellten Begriff in Kap. 1 und 2.3.2.
Ziele und Wahl der Methode
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erarbeitet werden, die die weibliche Überwindung der Fremdheit in der Politik in den europäischen Ländern fördert. Bei der Durchsicht und Analyse der vorliegenden Literatur25 in diesem Problemfeld fielen zwei Mängel ins Auge. Erstens berücksichtigen die meisten Studien in ihrem methodischen Vorgehen keine männliche Vergleichsgruppe, obwohl diese Forderung von der Geschlechterforschung seit Längerem erhoben wird. Wie wichtig der Interviewvergleich zwischen weiblichen und männlichen Politikern ist, wurde nach der Durchführung der ersten Interviews mit einem männlichen Abgeordneten deutlich. Birgit Meyer beschreibt in diesem Kontext die Motivation von Politikerinnen politisch tätig zu werden wie folgt: „Eine vielleicht typisch weibliche Motivation für die politische Arbeit26 war die mütterliche Attitüde ’wenn ich gebraucht werde, dann bin ich da!’“ (Meyer 1997: 228). Schon das erste Interview mit einer Politikerin aus Deutschland bestätigte Meyers Aussage. Die Abgeordnete beschrieb, dass ihre Parteikolleginnen gemeint hätten, sie solle sich auf den frei werdenden Listenplatz bewerben, und obwohl sie selbst unsicher gewesen sie, habe sie sich dann verpflichtet gefühlt, dies zu tun. Das zweite Interview wurde mit einem schwedischen männlichen Abgeordneten geführt. Dieser antwortete auf die Frage, wie er ins Europäische Parlament gekommen sei, dass er gefragt worden sei und er habe es als seine Pflicht angesehen, nicht „nein“ zu sagen! Auch diese Aussage kann als „mütterliche Attitüde“ gewertet werden: „Wenn ich gebraucht werde, bin ich da!“ Vor dem Hintergrund des Interviews mit dem schwedischen Abgeordneten muss z.B. Meyers Aussage neu betrachtet werden. Dieses Beispiel zeigt die Relevanz der Befragung einer männlichen Vergleichsgruppe. Wenn nur Frauen untersucht werden, besteht die Gefahr, bestimmte Aussagen vorschnell als typisch weiblich zu kennzeichnen. Hat man aber eine männliche Vergleichsgruppe, so werden, wenn auch männliche Politiker diese Aussagen tätigen, geschlechterstereotype Zuschreibungen leichter vermieden. Der zweite Mangel besteht darin, dass sich die in Deutschland veröffentlichten Untersuchungen zumeist auf politisch tätige Frauen in Deutschland beschränken. Da aber die Europäische Union durch die Vorbildfunktion der skandinavischen Staaten und ihre Politik des Gender Mainstreamings Einfluss auf die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen EU-Ländern hat und die Europäische Einigung durch die Osterweiterung der EU 2004 und 2007 weiter vorangeschritten ist, wird ein Blick über die Grenzen des eigenen Landes und der bisherigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union notwendig. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind im gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bereich durch eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten, aber auch durch 25 26
Vgl. Kap. 2.3.2 Hervorhebung im Original
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
viele Unterschiede gekennzeichnet. Bisher gibt es noch keine Untersuchung, die die Erfahrungen und Einschätzungen von Politikerinnen und Politikern über Ländergrenzen hinweg vergleicht. Bisherige Studien untersuchen lediglich die Situation von Politikern und/oder Politikerinnen des eigenen Landes. Da der länderübergreifende Vergleich von Politikerinnen und Politikern noch nicht theoretisch erschlossen ist, wird das Forschungsinteresse dieser Arbeit auf die Entdeckung theoretisch interessanter Befunde gerichtet, „die eine gesellschaftliche Realität aufschließen“ (Schöler-Macher 1994: 45). Dies kann in einem ersten Zugriff nur mit Hilfe qualitativer Verfahren erreicht werden. Qualitative Forschung trägt dazu bei, die Tiefenstruktur eines Problemfelds zu ergründen, um daraus Schlüsse und Konsequenzen zu ziehen. Auch Ellen Krause betont in ihrem Werk zur aktuellen Frauenforschung die Vorteile qualitativer Forschung in diesem diffizilen Kontext: Qualitative Interviews werden aus mindestens zwei Gründen gegenüber quantitativen Erhebungen bevorzugt: Im Interview gelingt es, die Erforschten aktiv einzubeziehen und ernst zu nehmen. Bei der qualitativen Herangehensweise können Hintergründe entdeckt werden, die von der Forscherin oder dem Forscher zunächst nicht erwartet wurden (Krause 2003: 24).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die Forschungsziele dieser Studie gerade mit einem qualitativen Ansatz verwirklichen lassen, bei dem es nach Lamnek darum geht, „die Prozesse zu rekonstruieren, durch die die soziale Wirklichkeit in ihrer sinnhaften Strukturierung hergestellt wird“ (Lamnek 1988: 41). Welche qualitative Methode ist die beste zur Erreichung der Forschungsziele? - Für die Analyse der Überwindung der Fremdheit in der Politik im europäischen Vergleich verspricht insbesondere die Analyse von Interviews eine relevante wissenschaftliche Perspektive. Aus der Vielzahl qualitativer Verfahren wurde unter Berücksichtigung des Forschungsinteresses die Methode des teilstandardisierten Interviews ausgewählt. Beim teilstandardisierten Interview gibt es einen Interview-Leitfaden, der alle Themen des Interviews abdeckt. Im Unterschied zum standardisierten Interview lässt das teilstandardisierte Interview den interviewten Personen aber die Möglichkeit, eigene Schwerpunkte zu verdeutlichen und das Gespräch in eine eigene Richtung zu lenken (vgl. Hopf 2000: 351). Zudem ist der Interviewer in der Lage, auf Gesprächsimpulse zu reagieren, an bestimmten Stellen nachzuhaken und die Reihenfolge der Interviewfragen situativ zu bestimmen. Um jedoch die gewonnenen Daten vergleichen zu können, ist es bei der Durchführung der Interviews wichtig, dass alle Fragen beantwortet und bestimmte Kriterien berücksichtigt werden. Die Wahl der Methode des teilstandardisierten qualitativen Interviews ist weiterhin damit zu begründen, dass in diesem transnationalen Feld m.E. zum
Auswahl der untersuchten Länder
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ersten Mal eine Untersuchung in diesem Problemfeld durchgeführt wird, die die Aussagen von Politikerinnen und Politikern, genauer von Parlamentarierinnen und Parlamentariern verschiedener Länder vergleicht. Nur ein qualitativer Ansatz kann hier sinnvoll einen ersten empirischen Zugriff ermöglichen. Die Methode des Einzelinterviews war der des Gruppeninterviews vorzuziehen, da der Interviewer beim Einzelinterview leichter Nachfragen stellen und die Anonymität der Interviewten gewahrt werden kann. Gerade wenn es um persönliche, auch verletzende Erfahrungen in der Politik geht, ist damit zu rechnen, dass die Politikerinnen und Politiker im Einzelinterview ehrlicher antworten als in einem Gruppeninterview. Ein Gruppeninterview würde in einer Folgeuntersuchung Sinn machen, da dort Ergebnisse dieser Untersuchung diskutiert und zudem mit Hilfe mehrerer Beobachter z.B. die Körpersprachen der Politikerinnen und Politiker analysiert werden könnten.
3.2 Auswahl der untersuchten Länder Welche Länder sind geeignete „Untersuchungsobjekte“, um die Ziele der Studie zu erreichen? - Die Auswahl der Länder Schweden, Deutschland, Griechenland und Polen ist durch die Berücksichtigung einer Reihe von Kriterien entstanden.27 Das erste Auswahlkriterium bestand darin, Länder zu untersuchen, die sich hinsichtlich ihrer Verwirklichung der Geschlechterdemokratie unterscheiden. Unter Geschlechterdemokratie wird nicht nur der Aspekt der Gleichheit von Frauen und Männern, sondern auch die reziproke Anerkennung und Würde sowie Verfahren des demokratischen Interessensausgleichs zwischen den Geschlechtern impliziert. Mit Gender Equality (Geschlechtergleichstellung) sind nicht nur die theoretisch gleichen Rechte von Frau und Mann gemeint, sondern vor allem die praktische Umsetzung dieser. Gelebte Gender Equality beinhaltet, dass Frauen nicht nur theoretisch Zugang zu hohen Positionen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Forschung haben, sondern auch in der Realität dort vertreten sind. Analog gilt für Männer, dass diese nicht nur theoretisch Elternzeit in Anspruch nehmen und Hausarbeit verrichten können, sondern auch praktisch von diesem Recht bzw. dieser Verpflichtung Gebrauch machen. Wie eng gesellschaftlichpolitische Strukturen, wie z.B. die finanzielle Wertschätzung verschiedener Arbeiten, und das Verhalten der Individuen miteinander verknüpft sind, zeigt die Tatsache, dass in den meisten europäischen Mitgliedstaaten eine finanzielle Versorgungslücke entsteht, wenn der (i.d.R. besser verdienende) Vater die Elternzeit übernimmt. Auch das neue Gesetz zum Elterngeld in Deutschland gibt Vätern 27
Zur Begründung, warum der Schwerpunkt auf die Länder Schweden, Deutschland, Griechenland und Polen gelegt wurde, vergleiche auch Kapitel 2.2.
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nur geringe Anreize selbst im Beruf für die Kindererziehung zu pausieren, sondern stabilisiert die geschlechtsspezifische Rollenverteilung in der Familie. Das zweite Auswahlkriterium war, dass die untersuchten Länder eine möglichst breite Streuung im Bereich der politischen Repräsentation von Frauen im nationalen Parlament und im Europäischen Parlament aufzeigen sollten. Es sollten Länder verglichen werden, deren Frauenanteil in den Parlamenten sehr hoch, sehr niedrig und in der Mitte anzusiedeln sind. Die Berücksichtigung des Frauenanteils beider Parlamente ist wichtig, weil es Länder wie z.B. Griechenland gibt, die eine hohe Repräsentation von Frauen im Europaparlament aufzeigen, wohingegen sich dies in den nationalen Parlamenten jedoch nicht feststellen lässt. Das dritte Auswahlkriterium beinhaltete, nicht nur die „alten“ Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu untersuchen, sondern auch einen neuen Mitgliedstaat. Die 2004 und 2007 beigetretenen osteuropäischen Staaten haben große politische und gesellschaftliche Umbrüche durchlaufen. Offensichtlich wird der Geschlechterdemokratie bisher noch keine große Bedeutung beigemessen, denn die Vertretung der Frauen in den nationalen Parlamenten liegt deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.
3.3 Länderkurzvorstellungen 3.3.1 Schweden - ein Vorbild für Europa Nimmt man die veröffentlichten Zahlen als Grundlage, so ist in allen skandinavischen Ländern die Geschlechtergleichberechtigung heute fast verwirklicht. Bezogen auf die politische Vertretung von Frauen sind die Unterschiede zwischen den skandinavischen Ländern zwar nicht sehr gravierend, aber im Detail vorhanden. Im Vergleich zu Dänemark und Finnland schneidet die politische Vertretung der Schwedinnen auf allen politischen Ebenen immer ein bisschen besser ab.28 Das Wahlrecht erhielten die Schwedinnen zeitgleich mit den Männern 1919. Im Europäischen Parlament sind nach der Wahl 2004 von den 19 schwedischen Europaparlamentariern 11 Frauen. Dies entspricht einer Quote von über 58%. Im Riksdagen, dem schwedischen nationalen Parlament, sind von den 349 Abgeordneten (2006) insgesamt 164 Frauen (47%). Damit liegt Schweden europaweit an der Spitze, gefolgt von Dänemark mit einem Frauenanteil von 38% (2001) und Finnland mit 38% (2003).29 Wie wichtig das Thema Gender Equality 28
Aus diesem Grund wurde in dieser Arbeit der Schwerpunkt auf Schweden gesetzt. Seit 2000 hat Finnland mit Tarja Kaarina Halonen ein weibliches Staatsoberhaupt. Sie wurde 2006 für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. 29
Länderkurzvorstellungen
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in Schweden ist, zeigt die Tatsache, dass sich immer wieder Frauenbewegungen bilden, die drohen, eine eigene Frauenpartei zu bilden, sollten ihre politischen Forderungen nicht beachtet werden. Diese Drohungen werden von den Parteien ernst genommen, so dass Frauen gute Listenplätze und einflussreiche Positionen innehaben. In jeder Partei gibt es eine Frauenorganisation, die als Sprungbrett für Frauen dient und ihnen die Möglichkeiten gibt, politische Erfahrungen zu sammeln (vgl. Bergqvist 1998: 328). Zudem hat Schweden eine Gleichstellungsministerin, deren Aufgabe darin besteht, Gender Equality und Gender Mainstreaming ressortübergreifend zu fördern und Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen. Eine Reihe von Untersuchungen hat sich mit den Gründen für die Realisierung der Geschlechterdemokratie in den skandinavischen Ländern auf fast allen politischen Ebenen beschäftigt. Anne Philipps sieht die Hauptgründe für das hohe Niveau der Frauenrepräsentation in Schweden vor allem in drei Faktoren (vgl. Philipps 1995: 145). Erstens bietet das proportionale Repräsentationssystem Frauen eine bessere Beteiligung an der Macht, zweitens haben die Frauenorganisationen innerhalb der Parteien eine starke Position und drittens sei die Sozialdemokratie interessierter an der Lage der Frau als die liberale Demokratie und mache dieses Thema zu einem öffentlichen Anliegen. Bezogen auf das erste Argument muss man einschränken, dass, wie ausgeführt, auch in anderen EULändern das Verhältniswahlrecht herrscht, das die Kandidaturen von Frauen im Vergleich zum Mehrheitswahlrecht nicht behindert. Das Verhältniswahlrecht kann demnach nicht als der ausschlaggebende Grund für gleichberechtigte Repräsentation von Frauen in Schweden angesehen werden, sondern nur als ein gesellschaftlicher Bestandteil für die politische Gleichstellung von Frauen, da in den anderen Ländern mit Verhältniswahlrecht die Gleichstellung nicht so weit vorangeschritten ist. Der Grund für die heute fast gleichberechtigte politische Beteiligung von Frauen auf allen politischen Ebenen ist in der Einführung der Quotenregelung in den siebziger Jahren zu finden. Anstoß für diese Entwicklungen gaben die Frauenabteilungen der sozialdemokratischen Parteien. Zeitgleich entstand in Schweden eine aktive Frauenbewegung. Die herrschenden sozialdemokratischen Parteien hatten nach dem Krieg hohe Aufwendungen für Sozialleistungen aufgebracht und generell mehr Einfluss auf Frauen- und Familienpolitik genommen als Parteien in anderen Ländern Europas, in denen diese Themen weniger dem politischen als vielmehr dem privaten, vorpolitischen Bereich zugeordnet werden (vgl. Philipps 1995: 141). Momentan verfügen in Schweden alle Parteien über ein Quotierungssystem: 50% der Listenplätze müssen mit Frauen besetzt werden, bei einer Partei gilt eine Quote von 40%. Man kann daraus schließen, dass sich die Aufhebung der scharfen Trennung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich sowie die Thematisierung
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der politischen Benachteiligung von Frauen positiv auf die Gleichstellung der Geschlechter und auf die politische Repräsentation von Frauen ausgewirkt hat. Heute sind die Sitze in der Regierung gleichmäßig verteilt: ihr gehören zehn Frauen und zehn Männer an. Die Gesetze zur Elternzeit in Schweden lauten „Code of Parenthood“ und „Parental Leave Act“. Diese Gesetze vermitteln den Wert der geteilten Verantwortung für die Kinder und den Haushalt von Frau und Mann. Vergleicht man allerdings die Struktur der Frauenarbeit und die traditionelle Rollenteilung von Frau und Mann, so unterscheiden sich die skandinavischen Länder nur unwesentlich von den anderen westlichen Ländern: Frauen sind primär für die Kinderbetreuung zuständig, arbeiten meistens halbtags und ihre Tätigkeiten sind durchschnittlich schlechter bezahlt als die der Männer. Insgesamt sind 73% der Frauen berufstätig, 55% arbeiten Vollzeit, 41% halbtags. Von Arbeitslosigkeit sind 8% betroffen. Über einen höheren Bildungsabschluss verfügen 68% der Frauen. Zwar ist die staatliche Kinderbetreuung besser als in den anderen Ländern ausgebaut, aber dennoch stehen nur Kapazitäten für ein Drittel der Schulkinder zur Verfügung. Gender Mainstreaming Das auf europäischer Ebene initiierte Ziel des Gender Mainstreamings fordert, das Thema der Gleichstellung von Frau und Mann in alle Politikbereiche einzuführen sowie auf die Geschlechterunterschiede im Bereich des politischen, ökonomischen und kulturellen Bereichs aufmerksam zu machen und diese zu überwinden. Schweden ist ein Land, dass sich nicht erst durch die Bestrebungen des Gender Mainstreamings in Richtung Geschlechtergleichstellung entwickelte. Vielmehr entsprach die Gesetzgebung und die politische Praxis in Schweden bereits in den meisten Fällen den aufgestellten Forderungen. Seit 1994 veröffentlicht die schwedische Regierung jährlich einen Bericht über die Fortschritte im Bereich der Gender Equality. Sie unterstützt aktiv die Berufstätigkeit von Frauen und möchte in allen politischen und sozialen Bereichen eine zahlenmäßig ausgeglichene Partizipation erreichen. Seit 2002 hat die schwedische Regierung eine zahlenmäßige Gleichheit in allen Abteilungen der Zentralregierung erreicht. Im Jahr 1999 lag der Frauenanteil in den von der Regierung kontrollierten Unternehmen bei 28%. Das größte Problem vor dem die schwedische Gesellschaft steht, ist die noch nicht erreichte gleichberechtigte Vertretung von Frauen im beruflichen Bereich, speziell in höheren Positionen. Um diese zu fördern, arbeitet die Regierung mit den regionalen Behörden zusammen.
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3.3.2 Deutschland - auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft In Deutschland waren bis ins 20. Jahrhundert Frauen von der Politik faktisch ausgeschlossen. Sie besaßen weder das passive noch das aktive Wahlrecht (vgl. Ernst/Herbst 1997: 370 f.). Das „Preußische Vereinsgesetz“, das von 1850 bis 1908 galt, verbot es Frauen, politische Vereine zu gründen oder an politischen Versammlungen teilzunehmen. Trotz des Verbots organisierten sich Frauen weiterhin, indem sie immer wieder neue Vereine mit neuen Namen und an anderen Orten gründeten. Ein Beispiel hierfür ist der „Deutsche Verein für Frauenstimmrecht“, der zur Jahrhundertwende von bekannten Vertreterinnen des radikalen Flügels der Frauenbewegung gegründet wurde. Die Forderung der Frauen nach dem Wahlrecht und damit nach der Beteiligung an der Staatsmacht stieß auf heftigen Widerstand seitens der bürgerlichen und konservativen Parteien (vgl. Eulers 1991: 23 ff). Als erste politische Partei integrierte die SPD in ihrem Erfurter Programm von 1891 die gleichberechtigte Möglichkeit für Frauen und Männer, sich als Kandidaten aufstellen und wählen zu lassen (vgl. Seeland 2003: 2). Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches und dem Ausruf der Weimarer Republik 1918 führte der Rat der Volksbeauftragten das gleiche, allgemeine und direkte Wahlrecht für alle weiblichen und männlichen Bürger ein, die älter als zwanzig Jahre alt sind. Bei den ersten Wahlen im Januar 1919 kandidierten 310 Frauen für die Nationalversammlung, von denen 41 gewählt wurden. Dies entsprach bei 423 Abgeordneten insgesamt einem Anteil von fast 10%. In der Zeit der Weimarer Republik lag der Frauenanteil zwischen 8% (1920) und knapp 4% (1933). Nach dem 2. Weltkrieg wurde 1945 die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Grundgesetz verankert. Vor allem Elisabeth Selbert, eine von vier weiblichen Mitgliedern des siebzigköpfigen Parlamentarischen Rates, setzte sich hierfür ein und überzeugte ihre männlichen und weiblichen Kollegen (vgl. Hoecker 1998 (a): 34-38). Artikel 3 (2) des Grundgesetzes lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. 1994 wurde er um den Satz ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Bis die erste Frau jedoch Teil der Regierung wurde, vergingen über vierzig Jahre. Die erste Ministerin war Elisabeth Schwarzhaupt von der CDU, die von 1961 bis 1966 das Amt der Gesundheitsministerin inne hatte. Jahrzehntelang war die Öffentlichkeit in Deutschland der Meinung, dass Frauen nicht an Politik interessiert seien. Ihnen wurde der vorpolitische Raum zugeordnet. Bis in die späten 1970er Jahre präferierten Frauen als Wählerinnen konservative Parteien. Mit dem Aufkommen von Bürgerbewegungen und der Partei „Die Grünen“ sowie wegen der vermehrten höheren Bildung von Frauen verschob sich ihre parteipolitische Präferenz nach links. Durch die Einführung der Quoten innerhalb
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der Parteien wurden Frauen nicht nur stärker an der Mitarbeit in Parteien interessiert, sondern bekamen auch die Möglichkeit politische Macht auszuüben. Im 2005 gewählten 16. Deutschen Bundestag sind von 613 Abgeordneten insgesamt 195 Frauen. Der Frauenanteil liegt prozentual bei knapp 32 % und somit etwas niedriger als im 15. Deutschen Bundestag mit knapp 34%. Den höchsten Frauenanteil hat die Partei „Die Grünen“, die mit 29 Frauen über die Hälfte ihrer Mandate mit Frauen besetzte (57%). Es folgen die Partei Die Linkspartei mit einem Frauenanteil von 46% (26 Frauen), die SPD mit einem Frauenanteil von 36% und die FDP mit 25%. Den niedrigsten Frauenanteil hat die CDU/CSU mit knapp 20%. Von den 15 Mitgliedern des Kabinetts sind derzeit fünf Frauen (33%). Dieser Frauenanteil liegt um 10% niedriger als im letzten Deutschen Bundestag. Bei den Parteien FDP, SPD und CDU/CSU lässt sich ein leichter Rückgang des Frauenanteils feststellen. Trotz dieses Abwärtstrends der politischen Repräsentation von Frauen hat erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Frau, Frau Dr. Angela Merkel, als Bundeskanzlerin das zweithöchste Staatsamt der Bundesrepublik inne. Ein Weg, Frauen stärker in die Politik einzubinden, ist die Quote oder das Reißverschlusssystem. In Deutschland gibt es keine gesetzliche Regelung dazu, welchen Anteil Frauen in Parteifunktionen und Parlamenten haben sollen, sondern diese sind den einzelnen politischen Parteien selbst überlassen. Die SPD hat 1988 ein flexibles Quotensystem eingeführt. Es besagt, dass bei Wahlen innerhalb der Partei 33,3% der Kandidaten Frauen sein müssen. Seit 1994 gilt hier eine Quote von 40%: 40% aller Parteiämter müssen von Frauen übernommen werden. Für Wahllisten und für Parlamentsmandate jedoch wurden niedrigere, aber sukzessiv ansteigende Quoten vereinbart: für 1988 wurde eine Quote von 25%, für 1994 33,3% und für 1998 eine Quote von 40% anvisiert. Innerhalb der Parteigremien hat die SPD diese Quoten erreicht, allerdings konnte die Quotierung nicht für alle Parlamente und die Regierung eingelöst werden. Bei den Parteien „Bündnis 90/Die Grünen“ und PDS gelten sowohl eine Quote von 50%, als auch das Reißverschlusssystem bei der Besetzung von Listenplätzen. Innerhalb der Partei sowie für die Abgeordnetenmandate haben „Die Grünen“ ihr Ziel erreicht. Mängel gibt es allerdings noch in Bezug auf die Verteilung von weiblichen und männlichen Abgeordneten innerhalb der Regierung. Die PDS hat bei vielen Wahlen ihre Frauenquote übertroffen (vgl. Seeland 2003: 4). Im Jahre 1996 hat die CDU das sog. Quorum eingeführt. Es besagt, dass 30% der Parteiämter und der Plätze auf den Wahllisten von Frauen belegt sein müssen. Obwohl die CDU seit 2000 mit Frau Dr. Merkel eine weibliche Parteivorsitzende hat, ist das Ziel der Beteiligung von Frauen an Parteiämtern und
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Wahllisten zu 30% bisher noch nicht erreicht worden. Die CSU sowie die FDP haben bisher kein Quotensystem eingeführt. Um die Situation von Frauen in Deutschland genauer zu erfassen, werden auf nationaler und föderaler Ebene statistische Daten zur Beteiligung von Frauen an Politik gesammelt und aufbereitet. Der Deutsche Frauenrat, der Dachverband der Frauenorganisationen, unterstützt auf der Länder-Ebene Frauen in Entscheidungsprozessen.30 Die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und Männern an politischen Entscheidungen ist das wichtigste Ziel der nationalen Strategie zur Durchsetzung der Forderungen der Weltfrauenkonferenz 1995 in Bejing. Gesetze sollen an das Gleichberechtigungsziel angepasst werden, statistische Daten sollen erhoben und auf das Problem der zu geringen Partizipation von Frauen in der Politik aufmerksam gemacht werden. Zudem sollen Frauen durch Mentorenprogramme besser unterstützt werden, um in Führungspositionen zu gelangen (vgl. Hoecker 1998 (a): 5). Gender Mainstreaming Im Juni 1999 übernahm die Bundesregierung das Konzept des Gender Mainstreamings. Im Juli 2000 wurde Gender Mainstreaming Teil des Regierungsprogramms „Moderner Staat – moderne Verwaltung“. Das zuständige Ministerium ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) stieß eine Reihe von Pilotprojekten an. Die verschiedenen Bundesländer verwirklichen das Konzept des Gender Mainstreamings auf unterschiedliche Weise und unterschiedlich intensiv (vgl. www.db-decision.de/ GenderMainstreaming/germany.html: 2). Sie bieten Seminare für Mitarbeiter von Ministerien an oder richten Forschungszentren ein, die Untersuchungen im Bereich Gleichstellung durchführen. Hierbei tun sich vor allem die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Thüringen, Niedersachsen, MecklenburgVorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt hervor. Die Bundesregierung will das Gender Mainstreaming schrittweise in die Verwaltung etablieren. Der Implementierungsprozess, der unter Federführung des BMFSFJ steht, besteht aus verschiedenen Bausteinen, bei denen es um Sensibilisierungsmaßnahmen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesverwaltung, Arbeitshilfen, Checklisten und Pilotprojekte zur Gender Equality geht. Zum Umsetzungsstand erklärt das zuständige Ministerium 2004: Der Frauenanteil in den Gremien im Einflussbereich des Bundes ist niedrig. Eine signifikante Steigerung ist notwendig, um das Ziel des Bundesgremienbesetzungsgesetzes zu erfüllen und den politischen Vorgaben der Europäischen Union zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Artikel 2 und 3 des Amsterdamer Ver30
www.deutscherfrauenrat.de
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte trages nachzukommen. […] Die durchschnittliche Steigerung des Frauenanteils in den Gremien habe noch nicht einmal einen Prozentpunkt pro Jahr betragen und müsse somit deutlich gesteigert werden, um in absehbarer Zeit die von der EU geforderte Mindestbeteiligung von 40 Prozent Frauen zu erreichen. Nach Angaben der Bundesregierung lag der Frauenanteil der Gremienmitglieder im Jahr 2001 bei 15,9 Prozent. Der Anteil der Gremien ohne Frauen habe 1990 noch 53,2 Prozent betragen und sei bis 2001 auf 21,4 Prozent gefallen. […] Die Wirkung des Gesetzes soll nach dem Willen der Regierung dadurch verbessert werden, dass die Berufung in Gremien ebenso wie Wiederberufungen und Nachbesetzungen frühzeitig durch eine Gremienbesetzungsplanung vorbereitet werden. Da die Berufung oder Entsendung in ein Gremium häufig an eine bestimmte Funktion gekoppelt ist, sei als Voraussetzung für eine genügend große Zahl weiblicher Gremienmitglieder schon im Vorfeld die Personalpolitik gefordert, entsprechend Referatsleiter-, Unterabteilungs/Gruppenleiter- und Abteilungsleisterstellen mit Frauen zu besetzen (http://www.gendermainstreaming.net/gm/Bundesregierung/umsetzungsstand.html, 2004).
Diese Ausführungen machen deutlich, dass das Thema Gender Equality auf Grund des Einflusses der Europäischen Union in den deutschen Ministerien ein wichtiges Steuerungselement geworden ist. Insgesamt ist aber die Durchsetzung der Gender-Mainstreaming-Strategie ein langfristiger Prozess über mehrere Jahrzehnte, auch wenn vereinzelte Erfolge schneller sichtbar werden.
3.3.3 Griechenland - Entwicklungstendenzen in der patriarchalischen Gesellschaft Kennzeichnend für die politische Kultur Griechenlands, die traditionelle mit modernen Elementen verbindet, sind ihre Vielschichtigkeit und auch ihre Widersprüchlichkeit (vgl. Maloutas 1998: 144 ff). Die politische Kultur des heutigen Griechenlands hat ihre geschichtlichen Wurzeln in der türkischen Herrschaft. Mitte des letzten Jahrhunderts kam es zu einem Bürgerkrieg, der das kulturelle und politische System Griechenlands bis heute prägt. Die Liberalisierung des politischen Systems Griechenlands erfolgte 1974 nach dem Ende der sieben Jahre andauernden Diktatur31. Männer erhielten das Wahlrecht bereits im Jahr 1877, Frauen erst 1952. Bis dahin waren sie vom öffentlichen Leben in Griechenland ausgeschlossen. Für die Frauen waren die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine wichtige Dekade. Schon seit Mitte der 70er Jahre gab es eine sehr dynamische Frauenbewegung und als dann 1981 die PASOK, eine sozialistische 31
Die griechische Militärdiktatur „Junta“ herrschte von 1967 bis 1974.
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Partei, die Regierung übernahm, setzte sie sich für eine Annäherung Griechenlands an die EU sowie für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Wichtige gesetzliche Maßnahmen zur Gleichstellung von Frau und Mann wurden erlassen. Auch wenn diese Maßnahmen die tief verwurzelte Ausbeutung und Unterdrückung der Frauen nicht beenden konnten, so verbesserten sie doch - gemeinsam mit einer sozialstaatlichen Absicherung - die Situation der weiblichen Bevölkerung. Zum ersten Mal in der politischen Kultur Griechenlands entstand eine Vision einer Gesellschaft, [...] in der die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht mehr nur ein subversiver oder gar absurder Slogan ist, sondern zu einem allgemein anerkannten Wert wird (Maloutas 1998: 147).
Die Tatsache, dass Frauenthemen auf der politischen Tagesordnung standen, veränderte das Verhalten und die Einstellungen der Frauen dauerhaft und hatte auch Auswirkungen auf ihr Wahlverhalten: hatten sie zuvor eher konservativ gewählt, honorierten sie 1985 die Arbeit der PASOK und stimmten sozialistisch ab. Bis in die heutige Zeit wird von den älteren Griechen politische Macht weiterhin als männliches Privileg betrachtet. In der Altersgruppe zwischen 65 und 69 Jahren kann man nach Maloutas die stärksten Geschlechtsunterschiede hinsichtlich des politischen Interesses erkennen. Nur 36% der Frauen, aber 77% der Männer dieses Alters bezeichnen sich als mäßig bis stark politisch interessiert. Im modernen Griechenland sind die jungen Frauen politisch eher links orientiert, junge Männer eher konservativ, ältere Frauen eher konservativ und ältere Männer eher links. Im Allgemeinen interessieren sich Frauen weniger für den formellen politischen Prozess und für das politische System als Männer. Neuere Entwicklungen deuten darauf hin, dass sich die Geschlechtsunterschiede hinsichtlich politischer Partizipation und politischen Interesses aber verringern. Die Frauenbewegung Griechenlands, die in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Gleichstellung der Geschlechter vorangetrieben hat, ist heute keine kämpferische Bewegung mehr. Es gibt jedoch auch heute noch Seminare, Tagungen und spezielle Zeitschriften, die die Kategorie „Geschlecht“ und das Thema der Gleichberechtigung von Frau und Mann in den Mittelpunkt rücken. Die Frage der Gleichstellung der Geschlechter ist somit ein durchaus diskutierter und akzeptierter Aspekt der griechischen Gesellschaft. Im Jahr 1991 wurden bemerkenswerterweise zum ersten Mal in der griechischen Geschichte zwei Frauen zu Vorsitzenden ihrer Parteien gewählt, der KKE (Kommunistische Partei) und der Linskoalition Synaspismos. Auffallend ist,
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dass die Presse scharf über das Aussehen der beiden Parteivorsitzenden urteilte.32 Die Synaspismos hat in ihrem Zentralkomitee einen quotierten Frauenanteil von einem Drittel. Diese Quote findet auch in allen legislativen Gremien der Partei Anwendung. Eine wichtige Neuerung der 1990er Jahre war die Gründung eines parteiübergreifenden Frauenkomitees (1993), das heute „Politische Frauenvereinigung“ heißt. Das Frauenkomitee setzt sich aus Politikerinnen aller Parteien zusammen und hatte zunächst die Aufgabe, weibliche Kandidaten bei den Europawahlen 1994 zu unterstützen. Die Arbeit des Komitees bezeichnet Maloutas als erfolgreich: auf den griechischen Wahllisten wurden 107 männliche und 43 weibliche Kandidaten nominiert. Die Autorin bemängelt, dass keine Informationen zu innerparteilichen Rekrutierungsprozessen, der Rolle der Geschlechter bei politischen Entscheidungsprozessen und den Diskussionsstand über die Quotenregelungen vorliegen (vgl. Maloutas 1998: 156). Hierzu lagen allerdings auf der European Database einige Informationen zur Quotierung vor: seit dem Ende der 1980er Jahre haben die großen Parteien formell Quoten oder ein proportionales Repräsentationssystem eingeführt. Da es aber keine positive Förderung für Frauen gibt, fehlen weibliche Kandidatinnen, so dass die Quoten unerfüllt bleiben. Zudem sind die Wahlkampagnen für den einzelnen Kandidaten bzw. die einzelne Kandidatin sehr kostspielig und kompetitiv.33 Therefore, these systems are not implemented in practice, because no women are available. [...] Thus, those eventuelly elected will be those who habe more money or other financially support and secure better publicity through the mass media (vgl: http://www.db-decision.de/CoRe/Greece.htm: 2).
Während heute die Geschlechtsunterschiede im Wahlverhalten in Griechenland gering sind, gibt es ein massives Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern in der politischen Kultur. Griechenland ist der EU-Mitgliedstaat mit dem geringsten Frauenanteil im Parlament (6,3%). Bis 1961 erlangten nur acht Frauen ein politisches Mandat im nationalen Parlament. Diese erste Phase des Frauenwahlrechts hat das Politikerinnenbild geprägt. Entweder waren die Politikerin32 Eine Reihe von Politikerinnen aller Nationalitäten berichteten auch in den Interviews der vorliegenden Studie von solchen Erfahrungen mit der Presse. Hier zeigt sich eine Ungleichbehandlung von männlichen Politikern und weiblichen Politikerinnen seitens der Medien, da nur vereinzelt die Kleidung oder das Aussehen von männlichen Politikern thematisiert wird. 33 In diesem Kontext wird die These von Carol Hagemann-White und Regine Gildemeister bestätigt, die darauf hingewiesen haben, dass die Veränderungsmöglichkeiten der Geschlechterverhältnisse eng mit der Frage der Macht und den materiellen Ressourcen zusammen hängen.
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nen linke Frauen, die sich ganz der Politik verschrieben haben, oft sogar fanatisch oder militant, oder Frauen, die aus politischen Familien stammen, vor allem sogenannte ‚politische Witwen’, die das politische Amt ihres verstorbenen Ehemannes sozusagen geerbt haben. Die erste Wahl nach dem Fall der Diktatur im Jahr 1974 brachte nur sieben Frauen ins Parlament. Diese Frauen stammten fast alle aus Politikerfamilien, eine war Schauspielerin, eine Journalistin. Damit wurde das traditionelle Politikerinnenbild erneuert, da Frauen, die nicht aus einflussreichen gesellschaftlichen Milieus stammten, keine Chance hatten, gewählt zu werden. Von 1981 bis 1989 gab es einen konstanten Anteil von 13 Frauen im griechischen Parlament. Erst 1989 erhöhte sich der Anteil von weiblichen Abgeordneten auf 20. Ein recht großer Einschnitt in die politische Kultur Griechenlands war das Jahr 1989, weil dort zum ersten Mal eine ökologische Partei ins Parlament einzog, die zudem noch von einer Frau geführt wurde. Dora Bakoyanni war die Tochter des Parteivorsitzenden der „Neuen Demokratie“ und erhielt ihr Mandat von ihrem Mann, der kurz zuvor von Terroristen ermordet wurde. Das Ergebnis der Parlamentswahl im Jahr 2004 zeigt aus Sicht der Geschlechterdemokratie zwar ein leicht verbessertes, aber im Vergleich zu anderen EU-Staaten doch rückständiges Bild: nur 14% der Abgeordneten sind weiblich (2000: 9%). Auffallend ist die überdurchschnittlich hohe berufliche Qualifikation der griechischen Parlamentarierinnen. In der griechischen Regierung waren und sind Frauen ebenfalls nur gering vertreten. In der Zeit vor der Diktatur gab es eine Ministerin, danach für einen Zeitraum von 25 Jahren gar keine, bis 1981 Melina Merkouri Kulturministerin wurde. Es hatte symbolische Bedeutung, dass sich in der ‚ökumenischen’ Regierung von 1989, die ein breites politisches und gesellschaftliche Spektrum repräsentieren sollte, eine einzige Frau befand. Die ‚Universalität’ der Männer illustrierte den tiefgreifenden androzentrischen Charakter des politischen Systems in Griechenland, der sich durch die fallweise Einbeziehung bestimmter Frauen in die Entscheidungszentren nicht wirklich verändert hatte. Diese ‚außergewöhnlichen’ Frauen dienten nur als Alibi für den politischen Ausschluss der Frauen (Maloutas 1998: 160).
Während der letzten Jahre lag der Frauenanteil der griechischen Regierung nie höher als 12%. Die weiblichen Minister waren meist mit den Ressorts Soziales, Kultur, Erziehung und Justiz betraut. Einzige Ausnahme stellt eine Entwicklungsministerin dar, deren Ressort traditionell als besonders wichtig erachtet wird. Für das Europäische Parlament zeigt sich jedoch ein anderes Bild: im Jahr 1994 waren 8% der Abgeordneten Frauen, im Jahr 1998 waren es 16%. Im Eu-
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ropäischen Parlament von 2004 sind von 24 Parlamentariern aus Griechenland sieben Frauen. Es gibt somit eine positive Entwicklung zu verzeichnen, denn dies entspricht einem Frauenanteil von 29%. Während sich die politische Repräsentation von Frauen auf nationaler Ebene nur leicht verbessert hat, hat sie sich auf europäischer Ebene gut verbessert. Anhand dieser Entwicklung kann man erkennen, welchen positiven Einfluss die Europäische Union auf die politische Repräsentation von Frauen hat.34 Der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahre führte in Griechenland zu einer Verringerung des Anteils der bäuerlichen Bevölkerung, der verstärkten Berufstätigkeit von Frauen, einer Annäherung an die gleiche Entlohnung der Arbeit von Frauen und Männern, einer Verringerung geschlechtstypischer Berufswahl sowie insgesamt zu einer Veränderung weiblicher Lebensstile. Die heutige griechische Gesellschaft ist gekennzeichnet durch eine Symbiose traditioneller und moderner Werte und Einstellungen. Auch heute noch „bemerkenswert ist [...] der extrem patriarchale Charakter der politischen Kultur“ (Maloutas 1998: 149). Derzeit sind in Griechenland 50% der Frauen berufstätig, davon 37% ganztags, 11% halbtags und 17% sind arbeitslos. Im gehobenen Management sind 6% Frauen vertreten.
Gender Mainstreaming Im Rahmen der Durchsetzung des Gender Mainstreamings in Griechenland wurde im Jahre 2000 ein interministerielles Komitee eingesetzt, das für die Koordinierung der Aktionen zur Geschlechtergleichstellung der verschiedenen Ministe35 rien zuständig ist . Das Generalsekretariat für Gleichstellung hat seitdem verschiedene Aktionen zur Geschlechtergleichstellung durchgeführt. Es gab mehrere Seminare und Tagungen zu frauen- und gleichstellungsspezifischen Themen, so z.B. eine Konferenz mit dem Titel „Mainstreaming“, die das Generalsekretariat für Geschlechtergleichstellung des Ministeriums für Inneres, Öffentliche Verwaltung und Dezentralisation in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Rat im September 1999 durchgeführt hat. Zudem gab es Bestrebungen, möglichst viele Berufsgruppen anzusprechen und auf das Thema aufmerksam zu machen, wie z.B. auf der Konferenz „Gender Equality and the role of teachers“. Besonders die Gewerkschaften haben sich sehr für eine breitere Öffentlichkeit des Themas Geschlechtergleichstellung stark gemacht. Das Generalsekretariat für 34 Die Autorin Maria Pantelidou Maloutas weist darauf hin, dass die griechischen EuropaParlamentarierinnen für ihre Tätigkeit ausgewählt wurden, weil sie sich schon in anderen Bereichen einen Namen gemacht hatten bzw. man sie mit diesem Mandat für ihr bisheriges Engagement entschädigen wollte. 35 Vgl.: http://www.db-decision.de/GenderMainstreaming/greece.html, 09.01.2003: 1 ff.
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Geschlechtergleichstellung hat Aktionen geplant und realisiert, um die Öffentlichkeit und die Parteien über die Quotenstrategie zu informieren. Des Weiteren wurden Untersuchungen, die sich mit den Zugangsschwierigkeiten von Frauen im Bereich der Politik und im Beruf beschäftigen, durchgeführt, verschiedene Konferenzen zum Thema veranstaltet, eine Studie über mögliche Diskriminierungen von Frauen durch das politische System verfasst sowie regelmäßige Berichte über die Rolle und den Status der Frauen in Parteien, der öffentlichen Verwaltung und Gewerkschaften sowie über die Wirkung positiver Maßnahmen, 36 um den Frauenanteil in diesen Bereichen zu fördern, veröffentlicht. Mittlerweile haben fast alle Berufsvereinigungen einen Frauenflügel, der die Durchsetzung der Geschlechtergleichstellung auf der NGO-Ebene sichert. Während im Bereich des öffentlichen Dienstes große Anstrengungen gemacht wurden, um eine Aufspaltung des Arbeitsmarktes in weibliche und männliche Berufe abzuschwächen, und die Regierung ebenfalls eine politische Vorgehensweise verfolgt, um Frauen stärker auf der Entscheidungsebene einzubinden, ist die Einbindung von Frauen in höhere Ebenen in der Industrie weiterhin nur sehr gering.
3.3.4 Polen - Geschlechtergleichstellung zwischen Katholizismus und Sozialismus Die Situation der Frauen in Mittel- und Osteuropa muss vor dem Hintergrund der kommunistischen Herrschaft und der heutigen Phase der Transformation betrachtet werden.37 Die Generaldirektion Wissenschaft stellt heraus, dass die kommunistischen Regierungen nach dem Ende des 2. Weltkrieges den westlichen kapitalistischen Ländern beweisen wollten, dass ihre Ideologie das geeignete Mittel zur Befreiung des Menschen sei. Alle kommunistischen Regierungen waren ideologisch dem Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter verpflichtet. Kurz gefasst besagt diese, Frauen seien sowohl im öffentlichen Bereich als Arbeiterinnen als auch im privaten Bereich von den Kapitalisten unterdrückt. Diese ideologische Botschaft konnten die kommunistischen Regierungen den Frauen lange Zeit erfolgreich übermitteln. Nach einigen Jahren stellten diese jedoch fest, dass sie 36
Vgl. http://www.db-decision.de/CoRe/Greece.htm: 4. Grundlage der folgenden Ausführungen zu Polen ist ein von der Generaldirektion (GD) Wissenschaft verfasstes Dokument des Europäischen Parlaments (vgl. Europäisches Parlament (Hrsg.) 1996: 5 ff).
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vor allem als billige Arbeitskraft das Überleben des Regimes sicherten. Im beruflichen Bereich waren sie eher von Entlassungen betroffen und mussten vor allem arbeiten gehen, um ihren Familien einen akzeptablen Lebensstandard zu sichern, da das Einkommen des Ehemannes meistens nicht ausreichte: Die Frauen arbeiteten nicht in dem Streben nach wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unabhängigkeit; sie kamen vielmehr in ideologischer und wirtschaftlicher Hinsicht ihrer Pflicht zu arbeiten nach. Für die Gleichberechtigung von Mann und Frau war es gemäß der kommunistischen Ideologie nicht wichtig, ob eine Frau den Vorsitz einer politischen Partei innehaben oder Geschäftsführerin einer Fabrik sein konnte, sondern ob eine Frau in der Lage war, einen Traktor zu fahren der einen Kran zu bedienen (Europäisches Parlament 1996: 15).
Die politische Beteiligung der Frauen ist diesem Bericht nach mit zweierlei Maß zu messen. Zum einen sicherte die Einführung von Quoten in den mittel- und osteuropäischen Ländern den Frauen einen Anteil von ca. 30% in den nationalen Parlamenten, zum anderen spielten die Frauen, wenn es um die tatsächliche Ausübung politischer Macht ging, eine sehr untergeordnete Rolle. Allein die physische Anwesenheit von Frauen in Parlamenten sagt nichts über ihre politische Einflussnahme aus (vgl. Europäisches Parlament 1996: 15). Neben der rein quantitativen Anzahl von Frauen in den nationalen Parlamenten ist die Anzahl von Frauen auf den höheren politischen Entscheidungsebenen für die Einschätzung der Bedeutung von Frauen im politischen Bereich von Bedeutung. In Bezug auf die kommunistischen Staaten, aber auch für die westlichen Länder, lässt sich feststellen, dass mit zunehmender Bedeutung der politischen Entscheidungsebene die Anzahl von Frauen sinkt. Im Dokument des Europäischen Parlamentes heißt es über die schwierige Situation von Frauen in den kommunistischen Ländern: Für die kommunistischen Regimes war es unbedingt notwendig, der nationalen und internationalen Öffentlichkeit gegenüber, was die Frauen angeht, ein gewisses Maß an Übereinstimmung mit ihrer ideologischen Plattform zu demonstrieren. Die Probleme der Frauen wurden als direkte Folge des Kapitalismus betrachtet, so dass die Frauen im Ostblock keine vergleichbaren Schwierigkeiten hätten oder haben würden; die Statistiken waren dazu da, das zu belegen, und die Regierungen erwiesen sich in dieser Hinsicht als außerordentlich produktiv. Trotz des hohen Maßes an Kontrolle wurde in einigen Ländern weiblicher Aktivismus an der Basis sichtbar, und zwar im ehemaligen Jugoslawien und in Polen. Frauen stießen jedoch auf ernsthafte Hindernisse, denn die kommunistischen Staaten betrachteten den Feminismus politisch, gesellschaftlich und kulturell als Bedrohung (vgl. Europäisches Parlament 1996: 16).
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Zu den angeführten Gründen gegen den Feminismus zählten, dass er ein ideologischer Import des Kapitalismus sei, dass er auf Grund der großen Beteiligung von intellektuellen Frauen elitär sei, und dass er den Machthunger der Frauen symbolisiere (vgl. Rhoodie 1989: 299). Eine negative Einstellung zum Feminismus haben auch die meisten interviewten Politikerinnen aus Polen geäußert. Nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft haben die Regierungen es versäumt, Frauenfragen auf die politische Tagesordnung zu setzen. Da die entstehenden Gesellschaften Schwierigkeiten haben, nationale Identität neu zu definieren, sind starke nationalistische und religiöse Kräfte durchaus erfolgreich bei der Gestaltung des Reformergebnisses; es ist eine Debatte mit direkten Folgen für die gesellschaftliche Rolle der Frau entbrannt. Der Streit führte zu dem allgemeinen Ruf nach einer Rückkehr zu den konventionellen Geschlechterrollen (Europäisches Parlament 1996: 25).
Wie konservativ das Frauenbild in den sich etablierenden ehemaligen Ostblockstaaten heute ist, zeigt auch folgendes Ereignis: Auf der Weltfrauenkonferenz, die 1995 in Peking stattfand, sagte der stellvertretende polnische Ministerpräsident Luczak, dass die Frauen die Hauptstütze dessen seien, was gut, schön und liebenswert sei, und stellte eine enge Verbindung der Rolle der Frau mit der katholischen Kirche her. Formal gesehen garantiert der rechtliche Status der Frau in der polnischen Gesetzgebung den Frauen heute gleiche Rechte. In allen Bereichen des öffentlichen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens haben Frauen die gleichen Rechte wie Männer. Dies gilt auch für die gleiche Entlohnung von gleicher Arbeit. Aber die moderne Gesellschaft Polens ist durch eine Rückkehr zu traditionellen Werten gekennzeichnet. Ein Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass die Regierungen das Konzept des Wohlfahrtsstaates aufgegeben haben. Der Staat überträgt die Befriedigung der Bedürfnisse auf seine Bürger, so dass es zu einer eher individualisierten Lebensweise kommt, in der jeder in zunehmender Weise für sich selbst verantwortlich ist. Die im Sozialismus z.B. üblichen kostenlosen Kindergärten und -krippen wurden aus wirtschaftlichen Gründen abgeschafft. Nur wenige Familien können sich die hohen Gebühren für externe Kinderbetreuung leisten. Die Folgen dieser Entwicklung sind nicht geschlechtsneutral: immer mehr Frauen kehren in die traditionelle Hausfrauenrolle zurück. Frauen in Polen sind heute mit vielen Dilemmata konfrontiert, die aber auch westliche Frauen kennen. Wenn sie ihre Situation im Sinn von Gender Equality verbessern wollen, werden sie mit unterschiedlichen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Anforderungen konfrontiert, die ihre Entfaltung verhindern (vgl. Europäisches Parlament 1996: 26 ff).
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Die folgende Tabelle zeigt den Anteil der im Parlament vertretenen Frauen in Polen (vgl. Janu 1994: 49 und eigene Recherche). Tabelle 4: Frauenanteil im polnischen Parlament 1970 bis 2005 Jahr
1970
1985
1997
2005
Frauenanteil im polnischen Parlament
14%
20 %
12 %
20%
In den letzten sozialistischen Parlamenten (vor 1989) waren um die 20% der Abgeordneten Frauen, seit 2005 sind im Sejm 20% (2001: 20%) und im Senat 12% (2001: 13%) Frauen vertreten. In der Regierung Polens ist seit 2005 nur ein (2001: 2) Ministerposten von 16 mit einer Frau besetzt. Diese in eine positive Richtung weisende Entwicklung führen Fuchs/Hoecker und auf die seit 2000 in Polen (und Rumänien, der Slowakei, Slowenien und Estland) entstandenen Frauenwahlkomitees zurück, die zur Nominierung und zur Wahl von Kandidatinnen unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit aufruft (Fuchs/Hoecker 2004: 14). Die Idee beruht auf dem Einfluss, den die Zivilgesellschaft auf die Parteien ausüben kann. Die Frauenwahlkomitees forderten die Parteien auf, Quotenregelungen für die Listengestaltung einzuführen und mehr Frauen für die Mitarbeit zu gewinnen. Zudem wurden alle Wählerinnen und Wähler motiviert, Frauen zu wählen. In Polen führte dies zu einer Steigerung von 13% (1997) auf 20% bei der Wahl von 2001. Zudem haben vor den Wahlen 2001 auf Druck von NichtRegierungs-Organisationen (NGOs) sowie weiblichen Parteimitgliedern haben drei politische Parteien eine 30-Prozent-Quote eingeführt: die SLD (Allianz der demokratischen Linken), die UP (Arbeitervereinigung) und die „Union der Freiheit“. Allerdings wurde nicht die Reihenfolge der weiblichen und männlichen Kandidaten auf der Liste festgelegt (Siemiemska 2004, 2 ff), so dass die Gefahr besteht, dass Frauen nur die schlechten, unteren Listenplätze besetzen können. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2004, bei denen die polnischen Bürgerinnen und Bürger zum ersten Mal ihre Stimme abgeben konnten, sind von den 54 Abgeordnetenmandaten 7 mit Frauen besetzt worden (13%). Die Gründe für die Diskrepanzen zwischen der politischen Repräsentation von Frauen vor dem demokratischen Wandel Polens und nach dem demokratischen Wandel Polens liegen in zwei Aspekten. Zum einen sind die von den kommunistischen Parteien verhängten Quoten abgeschafft worden, zum anderen wird den Parlamentsmandaten heute eine andere, höhere Bedeutung beigemessen als noch zu
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Zeiten des Sozialismus. Insofern setzt sich hier die o.g. Aussage fort: je größer der Einfluss einer politischen Ebene ist, desto geringer fällt die Repräsentation von Frauen aus. Während der kommunistischen Herrschaft wurde es oft als inkonsequent abgetan, als Abgeordnete/r im Parlament vertreten zu sein, zumal man davon ausging, in dieser Position ohnehin keinen wirklichen Einfluss auf die Regierungsentscheidungen nehmen zu können. [...] Heutzutage gilt ein Abgeordnetenposten im nationalen Parlament als einflussreiche Position [...]. Vor diesem Hintergrund werden eher Männer als Frauen auf die Parteilisten gesetzt (Europäisches Parlament 1996: 38).
Zusammenfassend lässt sich zur Situation der Frauen in Mittel- und Osteuropa feststellen, dass während des Kommunismus ihre Gleichberechtigung nicht durch politische Einflussnahme deutlich wurde, sondern Quoten ihre - rein physische Vertretung - sichern sollte. Es gab demnach eine Diskrepanz zwischen der Gleichberechtigung de jure und de facto. Diese frustrierenden Erfahrungen können als Grund dafür angesehen werden, dass die Entwicklung einer starken Frauenbewegung in der modernen Gesellschaft Polens sowie in den anderen Staaten Mittel- und Ost-Europas bisher stagniert. Der Grund hierfür mag in der generellen Ablehnung von Ideologien liegen, da auch der Kommunismus ideologisch die Gleichberechtigung und die Befreiung der Frau vertrat. Der Bericht des Europäischen Parlamentes kommt zu dem Schluss, dass Feminismus und Gender Equality die Frauen an die Ideologien der Vergangenheit erinnern, und da diese heute abgelehnt werden, werde auch der Feminismus abgelehnt (vgl. Europäisches Parlament 1996: 19). Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen der mittelund ost-europäischen Staaten fiel auf, dass Geschlechterfragen oder Gender Mainstreaming keine Rolle spielte. Wenn die Kandidaten die Übernahme des „gender aquis“ hinauszögerten oder ihn vorübergehend gar verweigerten, war der Tadel, sehr milde und kurz […] (Fuchs/Hoecker 2004: 12).
Nach der Erweiterung sind zwar alle Richtlinien in nationales Recht überführt worden, aber sie werden nicht umgesetzt. Geschlechtergleichstellung spielte demnach bei der Erweiterung der EU keine wichtige Rolle. Auch beim Europäischen Konvent (Verfassungskonvent) von 2002/2003, dessen Ziel es war, einen Vertragsentwurf über eine Verfassung für Europa zu erarbeiten, und der aus Regierungs- und Parlamentsvertretern der europäischen Mitgliedstaaten und der damaligen zehn Beitrittsländer und –kandidaten sowie Vertretern des Europäischen Parlamentes und der Europäischen Kommission bestand, wurde erst durch die Lobbyarbeit von Frauenorganisationen der Stand des Amsterdamer Vertrages
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
für die Geschlechtergleichstellung übernommen.38 Fuchs/Hoecker kommen zu dem resignativen Schluss: „Nichts ist selbstverständlich, nichts ist dauerhaft erreicht“ (Fuchs/Hoecker 2004: 12). Positiv ist jedoch, dass im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eine Politisierung der Frauenorganisationen in den osteuropäischen Ländern stattgefunden hat. In Polen gibt es nach Ansicht von Fuchs/Hoecker starke Ansätze zu einer Gleichstellungspolitik, die in Entwürfen zu einem Gleichstellungsgesetz und in der Formierung überparteilicher Frauengruppen im Parlament besteht.
3.4 Auswahl der Untersuchungsgruppe Im Interesse der Vergleichbarkeit der gewonnenen Daten wurden im Rahmen dieser Arbeit nur Abgeordnete einer politischen Ebene befragt, nämlich des Europäischen Parlaments. Der Vorteil der Fokussierung auf das Europäische Parlament bzw. für Polen das nationale Parlament, liegt methodisch in der größeren Vergleichbarkeit der gewonnenen Daten sowie auf der inhaltlichen Ebene in der Konzentration der Untersuchung auf politisch bereits erfolgreiche Frauen, die Erfahrungen in der „Männerwelt“ Politik haben. Frauen, die Abgeordnete im Europäischen Parlament sind, haben, sofern sie keine Seiteneinsteiger in die Politik sind, in der Regel eine Vielzahl von politischen Ebenen durchlaufen. Häufig haben sie sich zunächst lokalpolitisch engagiert, wurden innerhalb ihrer Partei gefördert, haben sich vielen Abstimmungen gestellt, wurden abgelehnt, wurden gewählt, sind „machtpolitischen Spielchen“ ausgesetzt gewesen oder haben diese selbst gespielt. Sind sie Seiteneinsteigerinnen in die Politik gewesen, so mussten sie sich bereits in einem beruflichen Umfeld behaupten und gegen weibliche und männliche Konkurrenten im Beruf und der Politik durchsetzen. Der Vorteil der Befragung einer Abgeordneten des Europäischen Parlamentes liegt demnach darin, dass sie aus ihrer jetzigen Position heraus auf ihre politische Sozialisation, ihre parteipolitische Entwicklung und ihren politischen Werdegang zurückblicken kann. Die Berücksichtigung einer männlichen Vergleichsgruppe ist notwendig, da es zur Betrachtung des Doing Gender von wesentlicher Bedeutung ist, beide Geschlechter zu befragen. Die Analyse der Aussagen von Frauen und Männern bietet die Möglichkeit beide miteinander zu vergleichen und so Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszufiltern. Auf diese Weise wird dem voreiligen ge38 Auffallend ist, dass es sich beim Europäischen Konvent 2002/2003, da es keine Frauenquote gab, zu 84% um „Verfassungsväter“ handelte. Deutschland entsandte sechs männliche Politiker als Vertreter und eine Politikerin als Vertreterin des Europäischen Parlamentes.
Auswahl der Untersuchungsgruppe
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schlechterstereotypen Zuschreiben von Verhaltensweisen oder Einstellungen entgegengewirkt. Die interviewten weiblichen und männlichen Abgeordneten bilden kein repräsentatives Sample, sondern eine begründete Auswahl einzelner Fälle. Die zu befragenden Politikerinnen und Politiker sollten über ausreichende Erfahrungen im Umgang mit politischen Strukturen institutionalisierter Politik verfügen und der politischen Elite angehören. Dies war dadurch gewährleistet, dass die Befragten aktuell ein Abgeordnetenmandat inne hatten. Somit konnten sie über ihren politischen Aufstieg und ihren professionellen politischen Alltag berichten. Da die vorliegende Untersuchung ländervergleichend angelegt ist, macht es besonderen Sinn, Abgeordnete des Europäischen Parlamentes zu befragen, da sie nicht nur Erfahrungen mit institutionalisierter Politik einer hohen politischen Ebene haben, sondern auch die Situation der Gleichstellung in ihrem Land auf Grund ihrer Zusammenarbeit in länderübergreifenden Fraktionen besser beurteilen können. Um eine größere Varianz der Ergebnisse zu erreichen, wurde der Partei-Hintergrund sowie das Alter der befragten Abgeordneten gemischt, d.h. es wurde junge und ältere Politikerinnen und Politiker aus sozialistischen/sozialdemokratischen, liberalen und konservativen Parteien befragt. Da auch das Bild über den Stand der Gender Equality in den ausgewählten Mitgliedstaaten vervollständigt werden sollte, war es von Vorteil, wenn die befragten weiblichen und männlichen Politiker Mitglieder im Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter waren. Die Mitgliedschaft in diesem Ausschuss war aber nicht Voraussetzung für eine Befragung. Dennoch sind etwa die Hälfte der befragten Abgeordneten aktuell dort Mitglied oder waren es zu einem früheren Zeitpunkt. Gemeinsam ist jedoch allen Interviewten, dass sie sich mit Frauen- und Gleichstellungspolitik beschäftigen bzw. sich dafür interessieren. Bei der Interviewanfrage wurde das Thema des Interviews angegeben; so hätten Abgeordnete, die sich für das Thema Gleichstellung und Geschlechterdemokratie nicht interessieren, den Interviewwunsch ablehnen können. Da in der vorliegenden Untersuchung weibliche Abgeordnete im Mittelpunkt stehen und die befragten männlichen Abgeordneten „nur“ als Vergleichsgruppe dienen, wurde der Schlüssel 3:1 gewählt, d.h. pro Land sollten mindestens drei Politikerinnen des Europäischen Parlamentes und ein Politiker befragt werden. Dieser Schlüssel konnte allerdings nicht streng eingehalten werden. Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass die Interviewtermine von Deutschland aus vereinbart wurden. Um sicher zu gehen, dass wirklich drei Frauen und ein Mann pro Land befragt werden konnten, wurden meist etwas mehr Termine vereinbart, als nötig waren. Vor Ort in Brüssel und Warschau stellte sich dann heraus, dass alle Politikerinnen und Politiker zur vereinbarten Zeit, wenn auch teilweise nur kurz, zur Verfügung standen. Lediglich für Griechenland konnte
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
ein Interview mit einem Politiker, aber nur zwei Interviews mit Politikerinnen geführt werden: sie zählten allerdings zu den ausführlichsten Interviews. Insgesamt wurden 21 Personen interviewt, davon 15 Frauen und 6 Männer. Alle Interviews wurden transkribiert und bei der Auswertung berücksichtigt. Folgende Tabelle zeigt eine Übersicht über Alter, Geschlecht, Herkunftsland, Anzahl und politische Ausrichtung der interviewten Abgeordneten. Der Buchstabe „F“ bei der Abkürzung „SF1“ steht für Frau, der Buchstabe „M“ korrespondierend für Mann.39 Weitere Angaben wie Familienstand, Kinder, erlernter Beruf wurden zwar erhoben, können aber aus Gründen der Anonymität nicht angeführt werden.
Tabelle 5: Interviewte Politikerinnen und Politiker Schweden Abkürzung Geschlecht Alter SF1 SF2 SF3 SM1
weiblich weiblich weiblich männlich
30-40 50-60 40-50 50-60
Partei/Fraktion im Europäischen Parlament ALDE (liberal) PES (links, Mitte) GUE/NGL (links, grün) ALDE (liberal)
Deutschland DF1 DF2 DF3 DF4 DF5 DM1
weiblich weiblich weiblich weiblich weiblich männlich
30-40 20-30 30-40 40-50 50-60 30-40
EPP-ED (konservativ) Greens/EVA (links, grün) GUE/NGL (links, sozialistisch) PES (links, Mitte) EPP-ED (konservativ) PES (links, Mitte)
Griechenland GF1 weiblich GF2 weiblich GM1 männlich
40-50 50-60 50-60
PES (links, Mitte) PES (links, Mitte) EPP-ED (konservativ)
39 Die „Partei bzw. der politischen Gruppe im EP“ enthält neben dem Namen der Fraktion, z.B. „EVP“ auch eine Erläuterung „konservativ“. So wird anhand bekannter Begriffe die politische Ausrichtung der Politikerin/des Politikers erläutert.
Interviewleitfaden Polen PF1 PF2 PF3 PF4 PF5 PM1 PM2 PM3
weiblich weiblich weiblich weiblich weiblich männlich männlich männlich
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60-70 50-60 50-60 30-40 60-70 50-60 20-30 40-50
Familienpartei (konservativ) Civic Platform (konservativ) SLD (links, sozialistisch) SLD (links, sozialistisch) Civic Platform (konservativ) parteilos Civic Platform (konservativ) SLD (links, sozialistisch)
3.5 Interviewleitfaden Welcher Interviewleitfaden ist geeignet, um die Überprüfung der in Kapitel 1 aufgestellten These, dass Frauen die Fremdheit in der Politik überwunden haben, zu beantworten? - Zur Erstellung des Interviewleitfadens ist es zunächst sinnvoll, sich noch einmal die mit der These verknüpften Fragestellungen der Studie zu vergegenwärtigen. Denn im Sinne der Theorie geleiteten Interpretation der Interviews muss die Fragestellung differenziert und ein kriterienorientierter Fragebogen erarbeitet werden (vgl. Mayring 2003: 50). In der vorliegenden Studie geht es um die Untersuchung der Fragen, welche Verhaltensregeln für Politikerinnen und Politiker in der Politik gelten, mit welchen Verhaltenserwartungen sie konfrontiert werden und ob und wie Politikerinnen konkurrierendes und solidarisches Verhalten von ihren Kolleginnen und Kollegen erlebt haben, welches Selbstbild die Befragten von sich haben und wie sie die Geschlechterverhältnisse in ihrem Land beurteilen. Wie bereits erläutert, können Frauen die Fremdheit in der Politik nur überwinden, wenn sie nicht mit geschlechterstereotypen Verhaltensregeln und Verhaltenserwartung konfrontiert werden bzw. lernen mit ihnen umzugehen. Zu Geschlechterstereotypen gehören z.B. Aussagen wie „Frauen haben keine Ahnung von Außenpolitik und sollten sich deshalb besser im Ausschuss Soziale Angelegenheiten statt Auswärtige Angelegenheiten engagieren“ oder die Erfahrung, dass Frauen demonstrativ nicht zugehört wird oder dass sie in Gespräche nicht einbezogen werden. Zu den Geschlechterstereotypen gehört es auch, dass männliche Politiker es begrüßen und fördern, wenn Frauen sich mit „traditionell weiblichen“ Themen wie Familien- oder Bildungspolitik beschäftigen. Was passiert, wenn Frauen in typisch männliche Politikbereiche vordringen? Welche Voraussetzungen müssen sie mitbringen, um dort zu bestehen? Wer unterstützt sie? Wer verhindert dieses Vorstoßen? Generell können Frauen die Fremdheit in der Politik nur überwinden, wenn sie sich gegenseitig stärken und
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
solidarisch untereinander verhalten. Unter welchen Umständen und mit welcher Motivation unterstützen auch Politiker ihre weiblichen Kolleginnen? Die Politikerinnen und Politiker zeigen in ihren Aussagen Erkenntnisse darüber, wie Geschlechterdifferenzen in der Politik hergestellt werden.40 Im Selbstbild sowie in der Beschreibung ihres politischen Werdeganges stellen die Politikerinnen und Politiker ihre Motivation für die Beschäftigung mit der Politik sowie Hindernisse und Katalysatoren ihrer politischen Karriere dar. Hier werden direkt und indirekt Eigenschaften deutlich, die eine Politikerin oder ein Politiker haben muss, um politisch erfolgreich zu sein. Diese Überlegungen führten vier Themenkomplexen41, aus denen der Interviewleitfaden bestand:
Weg in die Politik Verhaltensregeln, Verhaltenserwartungen und Konkurrenz- bzw. Kooperationserfahren auf der politischen Bühne Selbstbild Einschätzung der Geschlechterverhältnisse
Die vier Themenkomplexe dienten dazu, dem Interviewleitfaden (vgl. Abbildung 6), der die konzeptionelle Basis für die Durchführung der Gespräche bildete, eine Struktur zu geben. Die eingerückten Zeilen stellen Unterfragen bzw. weitere Gesprächsimpulse dar, die gegeben werden konnten, wenn der Interviewpartner die Frage nicht verstand oder wenn die Fragen sollten näher erläutert werden mussten. Häufig wurden Fragen spontan umformuliert, um sie dem Gesprächskontext anzupassen.
40 Dies führte bei der Erstellung der Auswertungskategorien zu der Kategorie „Doing Gender in Politics“. 41 Die vier Themenkomplexe korrespondieren nur teilweise mit den Auswertungskategorien, da es sinnvoll erschien, den Fragebogen auf Grund der kommunikativen Anforderungen an ein Interview anders aufzubauen als die Auswertung. So erhält der Themenkomplex „Weg in die Politik“ beispielsweise keine eigene Auswertungskategorie, da die dort gemachten Aussagen größtenteils Aussagen über das Selbstbild der Befragten waren sowie über Konkurrenz- und Kooperation in der Politik sowie Verhaltensregeln und -erwartungen berichteten.
Interviewleitfaden Abbildung 1:
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Der deutsche Interviewleitfaden
Interviewleitfaden Themenkomplex 1: Weg in die Politik Wie sah Ihr Weg in die Politik aus? Wann und wodurch entdeckten Sie Ihr Interesse für Politik? Haben Ihre Eltern Sie motiviert, sich politisch zu engagieren? Waren Ihre Eltern selbst politisch tätig? Wann haben Sie ihr erstes politisches Mandat übernommen? Wann sind Sie ins Europäische Parlament gekommen?
Themenkomplex 2: Verhaltensregeln, Verhaltenserwartungen und Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen auf der politischen Bühne Welche Erwartungen und Motivationen hatten Sie, als Sie in die Politik gingen? Welche Ihrer Erwartungen und Motivationen haben sich bestätigt, welche nicht? Wie sah Ihr politischer Werdegang aus? Haben sich Ihre politischen Interessengebiete verschoben? Gibt es Ihrer Meinung nach männliche Netzwerke in der Politik, von denen Frauen ausgeschlossen sind, und wie beurteilen Sie diese? Wie steht es um die Frauensolidarität über Parteigrenzen hinweg? Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Parteikolleginnen und –kollegen? Inwiefern waren bzw. sind Sie auf aktive Förderung und Unterstützung oder Wohlwollen Ihrer männlichen Parteikollegen angewiesen? Welche Eigenschaften müssen Frauen, welche Männer haben, um politisch erfolgreich zu sein? Glauben Sie, Frauen haben es in der Politik generell schwerer sich durchzusetzen als Männer?
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
Sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede von Männern und Frauen in der Politik Ihrer Meinung nach eher historisch oder biologisch motiviert? Worin liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Politikerinnen und Politikern? Wie sieht Ihrer Meinung nach das Politikverständnis von Frauen, wie das von Männern aus? Werden weibliche Abgeordnete von Männern eher akzeptiert, wenn sie sich mit Frauen- und Gleichstellungspolitik beschäftigen als mit eher traditionell männlichen Politikbereichen wie Außen- oder Sicherheitspolitik? Wie reagieren Kolleginnen und Kollegen auf Männer, die sich mit Frauen- und Gleichstellungspolitik beschäftigen?
Themenkomplex 3: Selbstbild Wie verhalten Sie sich in Konfliktsituationen? Wie würden Sie Ihren politischen Stil beschreiben? Gab es für Sie einen Zwang zur Anpassung an männliche Lebens- und Arbeitsformen und wie sind Sie damit umgegangen? Auf was mussten Sie auf Grund Ihres Berufes verzichten?
Wie haben Sie Ihr Privatleben organisiert? Wer ist bei Ihnen für die Kinderbetreuung und den Haushalt zuständig? Wie erreichen Sie eine Balance zwischen Beruf und Privatleben?
Pretest, Transkription und Gesprächssituation
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Themenkomplex 4: Einschätzung der Geschlechterverhältnisse Beschreiben Sie die Situation der Frauen in Ihrem Heimatland. Wie steht es dort um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern? Wie beurteilen Sie die Gleichberechtigung im Europäischen Parlament? Haben weibliche Politiker die gleichen Chancen z.B. Ausschussvorsitzende zu werden wie Männer? Wie schätzen Sie die Entwicklung der Gender Equality in den neuen Mitgliedstaaten ein? Worin liegen Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse für eine gleichberechtigte politische Beteiligung von Frauen und wie könnten diese beseitigt werden? Was ist Ihre Meinung zu institutionell-politischen Maßnahmen der Frauenförderung? Wie beurteilen Sie die Quote? Worin liegen Ihrer Meinung nach die Erfolge und Gefahren der institutionellpolitischen Frauenförderung? Stellen Sie sich Ihren Idealstaat vor. Wie ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern, speziell im politischen Bereich? Wie sieht die politische Repräsentation von Frauen und Männern aus? Wie ist die Kinderbetreuung organisiert?
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
3.6 Pretest, Transkription und Gesprächssituation Um den erarbeiteten Interviewleitfaden auf seine Qualität, den erforderlichen Zeitaufwand und die Frageimpulse zu prüfen, wurde ein Pretest (vgl. Diekmann 2001: 492) durchgeführt. Hierbei war es wichtig, den Fragebogen auf Deutsch und Englisch zu testen sowie eine Politikerin und einen Politiker aus verschiedenen Ländern zu befragen. Der Pretest umfasste zwei Interviews: mit einer deutschen und einem schwedischen Abgeordneten des Europäischen Parlamentes. Um die aufbauend aus der Fragestellung und dem Interviewleitfaden erarbeiteten Auswertungskategorien (vgl. Kap. 3.7) zu prüfen, wurden die beiden Interviews vollständig transkribiert und den Auswertungskategorien zugeordnet. Der Pretest zeigte, dass der Interviewleitfaden insgesamt geeignet war, die Politikerinnen und Politiker ohne Manipulation über das Reden zum gewünschten Thema zu bringen. Zwei Fragen wurden verständlicher formuliert und die Reihenfolge der Fragen wurde ebenfalls leicht umgestellt. Wie wurden die Interviews transkribiert? - Alle Interviews wurden sorgfältig transkribiert. Da in den Sozialwissenschaften bisher keine einheitlichen Transkriptionsregeln gelten, muss man als Wissenschaftler von Fall zu Fall entscheiden, welche für die Arbeit am sinnvollsten sind (vgl. Kuckartz 1999: 58). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit fiel die Entscheidung für eine Übertragung der Interviewaufnahme in normales Schriftdeutsch (vgl. Mayring 1997: 65) bzw. Schriftenglisch, wobei in leicht veränderter Form die Transkriptionsregeln nach Hoffmann-Riem angewendet wurden.42 Vervollständigten die Interviewten einen Satz nicht, so wurden drei Punkte gesetzt, um dies zu verdeutlichen: „And in industry there is... Swedish industry is based on very old big companies.” (SF1). Die gesprochene Sprache wurde zur besseren Lesbarkeit leicht geglättet, d.h. Füllwörter (wie „Äh“, „ähm“, „well“ oder „you see“), falsche grammatische Formen, dialektale Färbungen oder Satzbaufehler wurden meist berichtigt, natürlich ohne den Inhalt der Interviews zu verändern.43 Die zugesicherte Anonymität der befragten Politikerinnen und Politiker wurde gewahrt, indem Städte- und
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Bsp. wurden die Regeln für gedehntes Sprechen (hier schreibt man das Wort mit jeweils einer Leertaste zwischen den Buchstaben), für Betonung (diese wird durch Unterstreichung kenntlich gemacht) oder für Ereignisse (dies setzt man in runde, nicht eckige Klammern) nicht verwandt. Der Grund hierfür liegt in einer früheren Überlegung, das Computersystem Winmax bei der Auswertung zu verwenden, das diese besonderen Schreibweisen nicht erkennt. 43 Die sprachliche Glättung erfolgte erst nach der wortwörtlichen Transkription. Alle ursprünglichen Transkriptionsversionen sind jederzeit abrufbar.
Pretest, Transkription und Gesprächssituation
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Eigennamen in der Regeln durch Klammern44 sowie die Namen der Interviewten durch Abkürzungen ersetzt wurden.45 Bei der Auswertung der Interviews wurde die Anregung empirischer Sozialforscher aufgegriffen und eine zweite Person hat die Interview mitausgewertet (vgl. Diekmann 2001: 492).46 Die Vorteile dieses Vorgehens lagen darin, dass unklare Interviewpassagen mit einer weiteren Person diskutiert werden konnten, um den „Tunnelblick“, den ein Forscher für sein Forschungsfeld entwickeln kann, durch den Austausch mit einer weiteren Person zu mildern. Die Kontaktaufnahme mit den Abgeordneten, die nach den (in 3.4) genannten Kriterien geeignet erschienen, erfolgte zunächst telefonisch. Die meisten baten um eine schriftliche Anfrage per Email. In den Emails wurde das Thema des Interviews genannt und den Abgeordneten Anonymität zugesichert. Schon nach den ersten Gesprächen wurde deutlich, wie wichtig der Faktor Anonymität war. Die Abgeordneten erzählten Anekdoten, berichteten aber auch über konfliktreiche Beispiele aus ihrem beruflichen Alltag, was sie sicherlich nicht getan hätten, wenn später nachvollzogen werden könnte, welche Person bestimmte Bewertungen geliefert hat. Alle Interviews wurden auf Kassette aufgenommen, um sie transkribieren zu können. Den Interviewort haben die Abgeordneten selbst bestimmt. In der Anfrage wurde lediglich herausgestellt, dass die Länge des Interviews nicht genau vorhersehbar und es deshalb ungünstig sei, das Interview zeitlich eng zwischen zwei Termine zu legen. Zwanzig Interviews fanden in den Abgeordnetenbüros in Brüssel, Warschau und Berlin statt. Ein Interview wurde in der Privatwohnung einer Politikerin in ihrem Heimatwahlkreis in Deutschland geführt. Die Dauer der Interviews variierte zwischen 25 Minuten und 90 Minuten. Auf Grund der knapp bemessenen Zeit, die Abgeordneten zur Verfügung steht, und der Interviewdauer von durchschnittlich einer Stunde kann ein wirkliches Interesse der Befragten an dem Thema unterstellt werden. Die Interviewatmosphäre war sehr unterschiedlich. Diese Eindrücke wurden jeweils direkt nach den Interviews auf Band gesprochen. Neben der Gesprächsatmosphäre wurden auch die Terminierung und der Ort, eventuelle Störungen des Gesprächs und sonstige Besonderheiten festgehalten. Alle Gespräche fanden in einer angenehmen und professionellen Atmosphäre statt, wozu die Einbettung des Gesprächs in den beruflichen Alltag beitrug. 44
[Eigenname], [Städtename] „DF1“ steht z.B. für deutsche Politikerin Nr. 1 oder „PM3“ für polnischer Politiker Nr.3, wobei die Zahlen zufällig gewählt wurden. Die Abkürzungen „S“ stehen für Schweden und „G“ für Griechenland. 46 Hierbei handelte es sich um einen Kollegen, ebenfalls Lehrer für das Fach Sozialwissenschaften an einem Gymnasium. 45
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
Insgesamt war es bei der Datenerhebung hilfreich, dass die Autorin während des Studiums als Praktikantin in den Semesterferien mehrmals beim Europäischen Parlament gearbeitet hat. Deshalb war der Arbeitsalltag der Abgeordneten nichts Unbekanntes und Vorkenntnisse über die dort üblichen Umgangsformen waren vorhanden, außerdem war es leichter, sich in den unübersichtlichen Gebäuden zurechtzufinden. Die in anderen Untersuchungen geschilderte Gefahr des zu geringen Abstandes zwischen Interviewer und Interviewten (vgl. Schöler-Macher 1994: 50) wurde in dieser Untersuchung nicht festgestellt, da die Rollen der Interviewerin (Doktorandin) und der Interviewten (Politikerin/Politiker) eindeutig und unterschiedlich waren und innerhalb des Gespräches eine klare Rollenzuweisung stattfand. Die Interviewsprachen waren Englisch und Deutsch. Da sechs deutsche Politikerinnen und Politiker interviewt wurden und auch zwei polnische Politiker Deutsch sprachen, wurden von den insgesamt 21 Interviews 13 auf Englisch und acht auf Deutsch geführt. Da Englisch die Umgangssprache im Europäischen Parlament ist, war es für die Interviewten und die Interviewerin in den meisten Fällen kein Problem das Interview auf Englisch zu führen. Auf Grund des Umstandes, dass die interviewten weiblichen und männlichen Politiker meist sehr ausführlich auf die Fragen antworteten, war es notwendig aktiv zuzuhören, um eine produktive Kommunikationssituation zu erhalten. Hierzu gehörte zustimmendes Nicken oder entsprechende kurze verbale Äußerungen. Um den Gesprächspartnern eine kleine Pause zu gönnen, wurden in einigen Fällen die Fragen besonders ausführlich gestellt und mit Hilfe von Nachfassungen oder Bezug auf das zuvor Gesagte eingeleitet. Manchmal, wenn die Politikerinnen oder Politiker zu weit abschweiften, war es nötig, die Gesprächspartner wieder auf das ursprüngliche Ziel der Fragen hinzuleiten.
3.7 Auswertungskategorien Das sorgfältig transkribierte Interviewmaterial wurde zunächst mehrmals sorgfältig gelesen. Ausgehend vom Interviewleitfaden wurden fünf Auswertungskategorien gebildet:
Dramaturgie der politischen Bühne Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen Selbstbild der Politikerinnen und Politiker Doing Gender in Politics Gender Equality in den vier Ländern
Auswertungskategorien
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Auf welcher theoretischen Grundlage sind diese Kategorien entstanden? - Im Folgenden wird kurz anhand ausgewählter soziologischer Theorien dargestellt, wie die Auswertungskategorien theoriegeleitet definiert wurden.
Auswertungskategorie: Dramaturgie der politischen Bühne
Der amerikanische Soziologe Erving Goffman hat sich mit dem Verhalten von Menschen in alltäglichen Situationen beschäftigt. Sein Ansatz ist eine Synthese von traditionellem Symbolischen Interaktionismus und Ethnomethodologie. In seinem Hauptwerk „Wir spielen alle Theater“ beschreibt Goffman, dass die Menschen in ihrem Handeln einer Dramaturgie folgen. Sie spielen verschiedene Rollen und drücken sich in der Darstellung ihrer Rolle auf den verschiedenen Bühnen des Alltags aus (Goffman 1996). Seine Begrifflichkeit hat er der Theatersprache entlehnt. Zur Rolle eines Menschen gehören sowohl sein Verhalten in einer Situation, als auch seine persönliche Fassade. Diese besteht u.a. aus seiner Kleidung, seinem Gang und seinen Gesten. Die Darstellerinnen und Darsteller inszenieren nach Goffman die Wirklichkeit und stellen ihre (inszenierten) Gefühle, ihren (inszenierten) Status und ihre (inszenierte) Rolle dar. Die Wirklichkeit besteht seiner Meinung nach aus verschiedenen privaten und öffentlichen Bühnen, für die unterschiedliche und spezifische Regeln gelten. Für die mikrosoziologische Geschlechtertheorie ist Goffmans Theorie von Bedeutung, weil er davon ausgeht, dass alle Menschen sich selbst inszenieren und das biologische Geschlecht hierbei zunächst keine Rolle spielt. Goffman hat verschiedene öffentliche Inszenierungen von Frauen und Männern untersucht und festgestellt, dass die Menschen sich als Frauen oder als Männer darstellen (vgl. Goffman 1996: 19 ff). Goffman spricht im Kontext seiner klassischen Geschlechtertheorie von einem Arrangement der Geschlechter sowie von einem Code, der als Grundlage aller menschlichen Interaktionen fungiert. Das Geschlecht dient in modernen Industriegesellschaften, und offenbar auch in allen anderen, als Grundlage eines zentralen Codes, demgemäß soziale Interaktionen und soziale Strukturen aufgebaut sind; ein Code, der auch die Vorstellungen der Einzelnen von ihrer grundlegenden menschlichen Natur entscheidend prägt (Goffman 1994/2001: 105).
Ein besonderes Anliegen Goffmans ist nicht die Frage nach den „sozialen Konsequenzen der angeborenen Geschlechtsunterschiede“, sondern das Problem, wie die geschlechtlichen Unterschiede „als Garanten für unsere sozialen Arrangements geltend gemacht wurden (und werden)“ (Goffman 1994/2001: 107). Auf
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
einen weiteren Aspekt, der im Kontext dieser Arbeit über Frauen auf der politischen Bühne zu beachten ist, weist Kotthoff in ihrem Nachwort zu Goffman hin: Goffman weiterdenkend können wir sagen, dass das Problem vieler Männer und mancher Frauen mit der Akzeptanz von Frauen in hohen beruflichen Positionen nicht einfach nur mit mangelnder Anerkennung der Frauen zu tun hat, sondern mit den Fundamenten ihrer eigenen Geschlechtsidentität. Gleich- oder höhergestellte Frauen verändern die gesamte Interaktionsordnung. Die Chirurgin lässt den Chirurgen weniger männlich erscheinen und sich selbst weniger weiblich, denn beide sind in ihrer Gegenwart der Rituale der Bestätigung von Geschlechtsidentitäten zum Teil beraubt (Kotthoff in Goffman 1994/2001: 167 f.).
Kotthoff spricht in diesem Zusammenhang mit Hinweis auf Gildemeister/Wetterer von einer Sexuierung von Berufen und einer Zuweisung von prestigelosen Berufen an Frauen. Fast zeitgleich mit Erving Goffman hat Ralf Dahrendorf mit dem Homo Sociologicus den Rollenbegriff geprägt (Dahrendorf 1959/2006: Homo Sociologicus). Der Mensch ist seiner Meinung nach ein Träger der gesellschaftlich vorgeformten Rollen. Soziale Rollen eines Menschen bestehen aus zwei wesentlichen Aspekten: aus der Verfestigung von Normen im Rahmen einer Handlung und aus den Erwartungen der Gesellschaft an das Individuum. Mit Normen sind in diesem Zusammenhang die (ungeschriebenen) Regeln und Standards gemeint, die die Gesellschaft an das Individuum heranträgt. Soziale Normen werden im Sozialisierungsprozess erworben und internalisiert. Man unterscheidet klassisch zwischen Muss-, Kann-, und Soll-Normen (vgl. Dahrendorf 1959/2006: 78 ff). Muss-Normen stellen Gesetze dar, Soll-Normen sind Bräuche und Sitten und Kann-Normen soziale Gewohnheiten. Im Rahmen der Geschlechterforschung sind alle drei Normarten wichtig. Anhand der gesetzlichen Normen kann man erkennen, ob ein Land rechtlich die Gleichstellung der Geschlechter beachtet. Allerdings ist die Erfüllung der Muss-Normen keine Garantie für die tatsächliche Gender Equality eines Landes, wie die Beispiele aus den europäischen Mitgliedstaaten zeigen. Wesentlicher sind die Kann- und Soll-Nomen, da anhand der Regeln, Gewohnheiten und Sitten, wie z.B. die Aufteilung der Familienarbeit, das Verhältnis zwischen Frauen und Männern erst wirklich deutlich wird. Die Ethnomethodologie geht davon aus, dass es keine von der Situation trennbaren allgemeinen Normen gibt. Vielmehr werden Normen in der Handlung generiert und selektiv angewandt. Soziale Rollen tragen dazu bei, dass das Rollen spielende Individuum und die mithandelnde Gesellschaft wissen, wie eine Handlung ablaufen wird. Das Verhalten wird somit vorhersehbar, dauerhaft und verlässlich.
Auswertungskategorien
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Des Weiteren wird zwischen der sozialen Position, die statisch ist, und dem Rollenhandeln, das dynamisch ist, unterschieden. Intra- und Interrollenkonflikte (vgl. Dahrendorf 1959/2006: 82 f.) beeinflussen das Rollenhandeln in sozialen Zusammenhängen. Es gibt zwei verschiedene Ansätze der Rollentheorie. Die eine, zu der Dahrendorf gehört, geht davon aus, dass die Gesellschaft die Ansprüche an eine Rolle formuliert. Die andere, zu der Goffman zu zählen ist, hat eher das Individuum im Blick und stellt die These auf, dass das Individuum die Fremdrollen der Gesellschaft zu seinen Eigenrollen macht und so seine personale Identität gegenüber der Gesellschaft behauptet. Welche Funktion haben die vorgestellten Theorien für die Auswertungskategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“ und die Beantwortung der These, dass Frauen die Fremdheit in der Politik überwunden haben? Goffmans Ansatz, dass die Individuen auf den verschiedenen Bühnen des Alltags unterschiedliche Rollen verkörpern, lässt die Frage entstehen, in welcher Rolle bzw. in welchen Rollen sich die befragten Politikerinnen und Politiker aus den vier untersuchten Ländern präsentieren. Welchem „Drehbuch“ müssen die Politikerinnen und Politiker folgen, wollen sie auf der politischen Bühne bestehen? Konkret heißt dies, welche Verhaltens- und Rollenerwartungen werden an die befragten Politikerinnen und Politiker gestellt? Gibt es für die verschiedenen politischen Bühnen der verschiedenen Länder unterschiedliche Dramaturgien für Frauen und Männer? Was passiert nach der Erfahrung der Befragten bei Nichterfüllung der Rolle? Ist die Rolle einer Politikerin grundsätzlich eine andere als die eines Politikers? Wenn Frauen die Fremdheit in der Politik überwinden wollen, müssen sie geschlechterstereotype Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln erkennen und lernen, mit ihnen umzugehen. Das Europäische Parlament ist ein Ort kultureller Verschmelzung. Hier treffen Menschen aller europäischen Mitgliedstaaten aufeinander und bringen die kulturellen Traditionen ihrer Heimatländer mit. Aus diesem Grund werden an die Politikerinnen und Politiker im Europäischen Parlament unterschiedliche Rollenerwartungen herangetragen: die ihrer Heimatländer und die ihrer Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Mitgliedstaaten. Bezogen auf die Gleichstellung der Geschlechter lässt sich die Frage stellen, inwieweit die fortschrittlichen Rollenerwartungen der skandinavischen Mitgliedstaaten an das Geschlechterverhältnis dazu führen, dass die Politikerinnen und Politiker aus hierarchischpatriarchischen Gesellschaften sich diesen Rollenerwartungen anpassen? Einfluss auf die Dramaturgie der politischen Bühne nimmt vor allen die Einführung von Frauenquoten, da sie die Wahlmöglichkeiten von Frauen steuern. Die Dramaturgie wird geändert, wenn die Parteien festlegen, dass 30, 40 oder 50% der Listenplätze mit Frauen besetzt werden müssen. Die von Dahrendorf eingeführte Unterscheidung zwischen Muss-, Kann- und Soll-Normen führt
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bezogen auf die vorangegangenen Überlegungen zu der Frage, ob sich neben der quantitativen Zahl auch die Soll-Normen (Bräuche und Sitten) ändern, wenn mehr Frauen in der Politik sind, ob gleich- oder höhergestellte Frauen in der Politik die Rituale der Interaktionsordnung ändern und ob sich politisch erfolgreiche Frauen in ihrer Geschlechtsidentität beeinflusst fühlen, weil sie sich in einem (ehemals) männlichen Berufs- und Interaktionsfeld durchsetzen müssen. Die in Kapitel 2.3.1 und 2.3.2 dargestellten Ansätze der Geschlechtertheorie und zu Frauen in der Politik haben ebenfalls Einfluss auf die Konstruktion der Auswertungskategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“. Mit welchen Verhaltenserwartungen werden die Politikerinnen und Politiker auf Grund ihrer sex category konfrontiert? Wie bereits dargestellt, beeinflusst die Einführung von Frauenquoten und des Reissverschlusssystems die Dramaturgie der politischen Bühne, indem Frauen eine bestimmte quantitative Beteiligung zugesichert wird. Wie aber beurteilen die befragten Politikerinnen und Politiker die Frauenförderung und Frauenquote und können Politikerinnen ihre Bedürfnisse bei einer vermehrten politischen Beteiligung besser artikulieren? Berichten die Politikerinnen aus Schweden und Deutschland, also Ländern, in denen die Geschlechtergleichstellung weiter vorangeschritten ist, seltener von geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen an sie als die polnischen und griechischen Politikerinnen? Wie wurden nun diese aus der Theorie abgeleiteten Fragen und Überlegungen zur Kategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“ bei der Interviewanalyse angewandt? Immer, wenn die Befragten etwas über die Rolle(n) der Politikerinnen und Politiker sagen und von Verhaltenserwartungen an Politikerinnen und Politiker sprechen, wurden diese Aussagen der Kategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“ zugeordnet. Zu dieser Kategorie gehörten ebenfalls die Berichte über die Erfahrungen der Politikerinnen und Politiker in der Politik, (verallgemeinernde) Äußerungen über Typen von Politikerinnen und Politikern sowie Berichte über Erwartungen von außen (der Medien, der Bürger etc.) an die Politikerinnen und Politiker. Ebenfalls der Kategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“ wurden alle Beschreibungen von Unterschieden zwischen dem Verhalten von Politikerinnen und Politikern sowie Schilderungen von Arbeitsabläufen der EUInstitutionen zugeordnet. Auch Beschreibungen von Netzwerken und Absprachen, von Abläufen politischer Karrieren und parteiinterner Rekrutierungs-, Nominierungs- und Wahlverfahren sowie von für Politikerinnen und Politiker geltende Normen wurden dieser Kategorie zugeordnet.47
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Diese aufgestellten Aspekte dienten bei der Auswertung der Interviews als Kodierleitfaden.
Auswertungskategorien
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Beispiel aus dem Interview mit DM1: „Ich will das mal auf den einfachen Satz bringen: Männer halten länger aus. Wenn abends nach der Sitzung noch zusammengesessen wird, das – in Anführungsstrichen – „gemütliche Beisammensein“, was ja nicht nur dazu dient, Nahrung aufzunehmen, sondern man spricht ja weiter über kommende Dinge, ob das nun personelle Fragen sind oder inhaltliche Fragen. Und da hab ich einfach, das ist wirklich nur eine Beobachtung, die Feststellung gemacht, dass Männer da einfach länger sitzen und länger noch über diese Dinge diskutieren und Frauen noch etwas anderes machen. Ich weiß jetzt nicht was, aber die sind dann oft nicht mehr dabei. Und viele Entscheidungen werden schon außerhalb der offiziellen Sitzungen in eine Richtung gebracht. [...] Ich sag das jetzt nur mal so pauschalisiert, von der Größenordnung her sitzen dann eher fünf Männer und eine Frau da, als dass es mal umgekehrt ist. Ich habe aber umgekehrt die Erfahrung gemacht, wenn fünf Frauen und ein Mann da sitzen, dass dann diese Dinge, von denen ich gerade gesprochen habe, gar nicht so besprochen werden. Das, was man im politischen Bereich „Kungeln“ nennt, und das ist für jeden, der dabei ist, nicht unwesentlich, das machen Männer zumindest intensiver, glaube ich, als Frauen. Und das zeigt sich dann, glaube ich, auch an den Entscheidungen.“ (DM1)48
Auswertungskategorie: Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen
Während die vorangegangene Kategorie sich mit eher generellen (geschlechterstereotypen) Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln in der Politik befasst, stehen in dieser Auswertungskategorie bestimmte Erfahrungen im Mittelpunkt des Interesses: die Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen der Politikerinnen und Politiker. Welche theoretischen Überlegungen liegen dieser Auswertungskategorie zu Grunde? - Der amerikanische Soziologe George Caspar Homans (1919-1989) gilt als der Begründer der soziologischen Verhaltenstheorie. Homans geht davon aus, dass Menschen sich, genau wie Tiere, in vergleichbaren Situationen immer gleich verhalten. Sie reagieren auf Reize von außen und lernen auf Grund von Erfahrungen. Menschen halten an ihrem Verhalten fest, wenn sie dafür belohnt werden. Wird ein Verhalten nicht belohnt, wird es gelöscht (Homans 1972: 62 ff). Menschliches Verhalten beruht demnach auf dem KostenNutzen-Kalkül. Wenn es eine Handlungsalternative für ein Individuum gibt, 48 Dieses Zitat ist ein Ankerbeispiel für die Auswertungskategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“. Auch die folgenden Interviewzitate dienen jeweils als Ankerbeispiele für ihre Auswertungskategorie.
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überlegt es sich, welchen Nutzen die verschiedenen Handlungen ihm bringen werden. Nach diesen Überlegungen entscheidet es sich für die ihm nützlicher erscheinende Handlungsalternative. Läuft die Situation dann so ab, wie das Individuum es erwartet hat, hat es seinen Nutzen durch seine Handlung maximiert. Homans sieht die Individuen als rationale Akteure an. Das Handeln von Individuen ist ein Tauschgeschäft, bei dem Menschen sowohl materielle als auch immaterielle Güter austauschen (vgl. Homans 1968: 121 ff). Das Hauptinteresse des Menschen liegt seiner Meinung nach darin, den persönlichen Nutzen zu maximieren.49 Besonders wichtig ist für das Individuum die Steigerung seiner Anerkennung und seines Images. Durch Konkurrenzsituationen, bei denen Menschen die gleichen Aktivitäten verrichten, jedoch nur einer belohnt werden kann, kommt es zur Feindseligkeit und zur Aggression. In Konkurrenzsituationen gibt es aber nach Homans auch die Möglichkeit der Kooperation, die angewandt wird, wenn die Gesamtbelohnung größer ist als die Einzelbelohnung. Diese wichtigen verhaltenstheoretischen Aspekte sollen bei der Analyse der Interviews Beachtung finden. Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen sind ein wesentlicher Aspekt der Dramaturgie des politischen Handelns. Ohne Konkurrenz der Politikerinnen und Politiker untereinander gibt es keine Politik. Konkurrenz ist gerade in der Politik Alltag: man konkurriert um Mehrheiten, Überzeugungen und Medienpräsenz. Gleichzeitig müssen Politikerinnen und Politiker miteinander kooperieren: nur mit Hilfe von Netzwerken und Absprachen lassen sich Mehrheiten organisieren und politische Vorhaben durchsetzen. Inwieweit artikulieren die interviewten Politikerinnen und Politiker, dass sie ihr politisches Handeln nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül abwägen? Nach dem Motto: „Ich unterstütze dich bei der Abstimmung zum Gesetzentwurf x, wenn du mich bei der Abstimmung zu meinem unterstützt.“ Werden Kooperationsentscheidungen unter dem Gesichtpunkt der Gesamtbelohnung - z.B. Gesichtswahrung durch den bestmöglichen Kompromiss - gefällt? Bezogen auf die Situation von Frauen in der Politik heißt dies, dass sie in direkter Konkurrenz z.B. um Anerkennung innerhalb ihrer Partei oder den Vorsitz für einen bestimmten Ausschuss zu den männlichen Abgeordneten, aber auch untereinander stehen. Die Einführung von Frauenquoten hat die Konkurrenzsituation verzerrt. Jetzt konkurrieren weibliche Politikerinnen nicht mehr gegen männliche Politiker, sondern gegen andere Frauen. Gleichzeitig haben sie aber durch die Sicherheit der Quote eine höhere Wahrscheinlichkeit, gewählt zu werden. Eine wesentliche Frage, die im Rahmen dieser Studie beantwortet werden soll, besteht darin, ob und wann in dieser Konkurrenzsituation überhaupt kooperatives Verhalten beobachtbar ist 49 Homans ist ein früher Vertreter der „Rational Choice“ Theorie, die verschiedene Ansätze der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beinhaltet. Moderne Vertreter sind Hartmut Esser und James Coleman.
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und von den befragten Politikerinnen genannt wird. Nach Homans Theorie dürften Frauen sich untereinander nur solidarisch verhalten, wenn diese Solidarität ihnen einen größeren Gesamtnutzen bringt als der Einzelnutzen. Wie stark ist die Solidarität der Politikerinnen untereinander und gibt es Unterschiede zwischen den Ländern? Homans zeichnet das Bild eines eher rational und egoistisch handelnden Individuums. Altruistisches Verhalten wird somit ausgeschlossen. Sein Mensch ist ein Homo Oeconomicus. Können Politikerinnen und Politiker auch ein „Homo Solidaricus“ sein? Wie wurden nun diese aus der Theorie abgeleiteten Fragen zur Kategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“ bei der Interviewanalyse angewandt? Alle Aussagen in den Interviews, die von Erfahrungen mit Solidarität, Kooperation und Konkurrenz zwischen den Politikerinnen und Politikern berichten, wurden der Kategorie „Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen“ zugewiesen. Hierbei wird unter Solidarität ein kooperierendes Verhalten verstanden, das explizit in den gleichen inneren Überzeugungen begründet ist, wobei Kooperation auch zwischen zwei Personen stattfinden kann, die grundsätzlich nur wenige inhaltliche Berührungspunkte haben, aber in diesem einen konkreten politischen Fall kooperieren. (Informelle) Frauennetzwerke haben zum erklärten Ziel, die Solidarität der Politikerinnen untereinander zu fördern. (Offizielle) Gleichstellungs- bzw. Frauenpolitik soll die Chancen der politischen Repräsentation von Frauen fördern. Wie die befragten Politikerinnen und Politiker diese PolicyBereiche beurteilen, wurde ebenfalls dieser Kategorie zugeordnet. Da Netzwerke auch Teil der Dramaturgie der Politik sind (Politics), ging es bei der Zuordnung entsprechender Aussagen nicht um das Vorhandensein solcher Netzwerke, sondern um die Erfahrungen, die die Politikerinnen und Politiker in ihnen sammeln.50 Beispiel aus dem Interview mit PF3: “Because very often women have problems with cooperation. I think it is a normal situation in politics. I hope but on the high level women have reached the same point of view and they were for all women in all countries. The differences between men and women in politics are not based on substance though I say there is no, simply, there is no gender solidarity. Everyone is acting on political and so bases and not on this or that gender solidarity.” (PF3)
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Diese aufgestellten Aspekte dienten bei der Auswertung der Interviews als Kodierleitfaden.
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte Auswertungskategorie: Selbstbild der Politikerinnen und Politiker
Im Rahmen der Beantwortung der These, dass die Politikerinnen die Fremdheit in der Politik überwunden haben, ist die Frage nach dem Selbstbild der Politikerinnen und Politiker bedeutsam. Die befragten Politikerinnen und Politiker verfügen alle über ein Abgeordnetenmandat einer hohen politischen Ebene und können somit, wie bereits dargestellt, als politisch erfolgreich gelten. Zur Beantwortung der These und Weiterentwicklung des Gedankens stellt sich nun die Frage, welche Eigenschaften erfolgreiche Politikerinnen und Politiker mitbringen müssen sowie welche Besonderheiten ihre Lebensläufe aufzeigen. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck bezeichnet die gegenwärtigen westlichen Gesellschaften als Risikogesellschaft, in der die Individualisierung ein neue Qualität erlangt hat. Er stellt die These auf, dass die klassischen Fragen der Soziologie durch die gegenwärtigen ökologischen Probleme an Bedeutung verloren hätten. Die Risikogesellschaft zeichnet sich seiner Meinung nach dadurch aus, dass sie selbst geschaffenen Vernichtungsmöglichkeiten gegenübersteht. Nach Beck ist die gegenwärtige Gesellschaft nicht nur mit überschaubaren Risiken, sondern auch mit Großgefahren konfrontiert. Neben den wachsenden Risiken und Gefahren sind die gegenwärtigen westlichen Gesellschaften durch eben eine neue Qualität von Individualisierung gekennzeichnet, die sich in der Pluralisierung der Lebensstile zeigt: Biographien sind immer weniger Planbiographien. Grundanforderungen an den modernen Menschen sind Mobilität und Flexibilität. Familiäre Bindungen werden nicht mehr so eng bewertet, und eine offensive Selbstdarstellung ist Voraussetzung für den beruflichen Aufstieg. Menschen werden aus hergebrachten Lebensformen und Traditionen freigesetzt. Vor allem die Steigerung des Lebensstandards und die zunehmende Bildung und Erwerbsbeteiligung von Frauen führt zu dem Wunsch auf ein selbstbestimmtes Leben. Elisabeth Beck-Gernsheim hat anschaulich bezeigt, vor welchen paradoxen Anforderungen gerade Frauen stehen. War früher der Kinderwunsch ein natürlicher Teil der Frauenbiographie, wird er in der individualisierten Gesellschaft problematisiert und analysiert. Individualisierung meint jedoch nicht nur die Befreiung des Einzelnen, sondern auch eine neue Form der Vergesellschaftung. Die traditionalen Gesellschaften erzeugten „Normalbiographien“. Die individualisierte Gesellschaft erzeugt eine Bastel- oder Wahlbiographie, in der der Einzelne zum Konstrukteur seiner Biographie, Identität und Netzwerke wird (vgl. Beck 1986: 121 ff). Individualisierung führt zu einer paradoxen Einbindung des Individuums in die Gesellschaft. Es steht unter dem Zwang ein eigenes Leben zu führen, stellt aber die Bedingungen hierfür nicht selbst her, sondern diese werden von der Gesellschaft angeboten. Die zwei Seiten der Individualisierung liegen demnach zum einen in der Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen wie Klasse,
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Stand, Geschlechtsrollen und Familie und zum anderen in neuen Anforderungen und Zwängen der Gesellschaft an das Individuum, das in einem bestimmten institutionellen Rahmen wie z.B. dem Rentenrecht, selbst Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen muss, wo früher keine Wahlmöglichkeiten bestanden (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1990: 11 ff). Nach Beck sind besonders Frauen von der Individualisierung der Gesellschaften betroffen. In seinem grundlegenden Werk „Risikogesellschaft“ wirft Ulrich Beck einen Blick auf die Geschlechterverhältnisse und kritisiert, dass diese seiner Meinung nach mit der Entstehung der Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert etabliert wurden (vgl. Beck 1986: 176 ff). Auch er bezeichnet die Hausfrauentätigkeit als Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft und betont wie Elisabeth Beck-Gernsheim, dass gerade im Geschlechterverhältnis die Widersprüche der Moderne deutlich werden (vgl. Beck-Gernsheim 1980). Während im 19. Jahrhundert die moderne Industriegesellschaft entsteht, wird in Bezug auf die Stellung der Frauen eher eine Gegenmodernisierung erreicht, da Frauen auf Tätigkeiten in der Familie und im Haushalt festgeschrieben werden. Eng mit der Individualisierungstheorie ist die Theorie des Wertewandels geknüpft. Ronald Inglehart stellte in seinen Untersuchungen fest, dass ältere Generationen eher materialistischen Werten und jüngere, deutlich nach dem 2. Weltkrieg aufgewachsene Generationen eher postmaterialistischen Werten anhängen. Welchen Wertvorstellungen ein Individuum folgt, beruht stark auf den Bedingungen, die in seiner Jugendzeit vorherrschten. Unter materialistischen Werten versteht Inglehart physiologische Bedürfnisse wie physische und wirtschaftliche Sicherheit, zu postmaterialistischen Werten werden soziale Bedürfnisse wie Selbstverwirklichung, Zugehörigkeit und Achtung gezählt (vgl. Inglehart 1977). Das steigende Bildungsniveau hat dazu geführt, dass das Individuum sich vermehrt mit Politik auseinandersetzt. Dies führt nach Inglehart zu Veränderungen in der Gesellschaft, indem die Individuen gerade nationale politische Institutionen hinterfragen und es zu einer Ausweitung der politischen Partizipation verschiedenster Bevölkerungs- und Lobbygruppen kommt (vgl. Inglehart 1977: 92 ff). Welche Bedeutung haben die Überlegungen von Beck und Beck-Gernsheim für die Kategorie „Selbstbild der Politikerinnen und Politiker“? Die befragten Politikerinnen und Politiker sind politisch erfolgreich: sie verfügen über ein Abgeordnetenmandat im Europäischen Parlament bzw. polnischen Parlament. Welche Eigenschaften schreiben die Politikerinnen und Politiker sich selbst zu? Gibt es ein bestimmte Typen von Selbstbildern? Thematisieren sie die auftretenden Schwierigkeiten durch die räumliche Trennung von Freunden und Familie? Sind ihre Biographien Bastel- oder Wahlbiographien? Es soll untersucht werden, welche Individualisierungstendenzen die Lebensläufe aller Politikerinnen und
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Politiker aus den untersuchten Ländern aufzeigen. Sind sie geschieden, sind die Politikerinnen kinderlos? Zudem soll unter Bezug auf Ingleharts Analyse der gesellschaftlichen Veränderungen im Postmaterialismus die Motivation für das politische Engagement und die Abgeordnetentätigkeit in den Blick genommen werden. Warum haben die Politikerinnen und Politiker ihr politisches Engagement aufgenommen? Was waren die Auslöser? Liegen sie in der Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Entwicklungen oder in dem Willen etwas mitzubestimmen oder im Folgen eines Vorbildes? Welche Aspekte bestimmen sie als karrierefördernd? Weiterhin soll in der Analyse der Interviews nach „Widersprüchen der Moderne“ recherchiert werden, d.h. ob die Politikerinnen und Politiker die verschiedenen geschlechtsspezifischen Anforderungen und Zuschreibungen sowie die paradoxen Anforderungen an sie bemerken bzw. diese selbst konstruieren. Die Auswertungskategorie „Selbstbild der Politikerinnen und Politiker“ zeigt eine enge Verbindung mit der „Dramaturgie der politischen Bühne“.51 Bei der Analyse der „Selbstbilder“ sind ebenfalls die in Kapitel 2.3.1 und 2.3.2 dargestellten Theorien zur Geschlechterforschung und Analysen zu Frauen in der Politik berücksichtigt worden. Ein Ausgangspunkt ist die Hypothese, dass Geschlechterdifferenzen permanent sozial und interaktiv konstruiert werden. Mit Hilfe der Interviews ist zu erkennen, inwieweit die Politikerinnen und Politiker ihre Rolle als weibliche Politikerin oder männlicher Politiker konstruieren. Wie konstruieren die Politikerinnen und Politiker ihre soziale Rolle als weibliche Politikerin oder als männlicher Politiker? Spielt bei ihrer Selbstbeschreibung die Tatsache, dass sie einem biologischen Geschlecht angehören, eine Rolle? Oder übergehen die befragten Abgeordneten dies? Um der „vergessenen Differenz“ (vgl. Knapp 1988: 12) gerecht zu werden, ist zu thematisieren, welche Differenzen es innerhalb der weiblichen und männlichen Gruppe in der Selbstdarstellung gibt und worin ihre Ursachen liegen könnten. Zeigen die Aussagen zum Selbstbild, dass den Politikerinnen und Politikern die soziale Konstruktion von Geschlecht bewusst ist? Im Hinblick auf die von Helga Bilden beschriebene Notwendigkeit, dass Frauen und Männer „multiple Identitäten“ ausbilden (Bilden 1989), d.h. verschiedene Rollen in verschiedenen sozialen Zusammenhängen inne haben, ist der Blick darauf zu richten, ob die befragten Politikerinnen und Politiker von diesen verschiedenen Rollen berichten.52 Wie wurden nun diese aus der Theorie abgeleiteten Fragen zur Kategorie „Selbstbild der Politikerinnen und Politiker“ bei der Interviewanalyse angewandt? 51 Diese Überschneidungen werden in der Abbildung 7 „Konzentrische Kreise“ sowie der Reflexion der empirischen Untersuchung problematisiert. 52 Hier gibt es Überschneidungen zur Auswertungskategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“, vgl. Kap. 3.9 und Abbildung 7.
Auswertungskategorien
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Diese Kategorie beinhaltet Aussagen der Politikerinnen und Politiker über sich selbst. Natürlich enthält jede Aussage zugleich Aussagen über die Persönlichkeit des Individuums, aber in diesem kategoriellen Zusammenhang sollen keine verstecken Selbstaussagen herausgefiltert werden, sondern vielmehr nur die Selbstbeschreibungen zugeordnet werden, die explizit die eigenen Gefühle, Verhaltensweisen und Einstellungen wiedergeben. Hierzu gehören auch Aussagen über den persönlichen und politischen Werdegang, über Vorbilder, über Vorlieben, über Charaktereigenschaften sowie über die Herkunftsfamilie. Die Auswertung wurde in drei Schritten vorgenommen: Mit welchen Eigenschaften bzw. typischen Verhaltensweisen beschreiben sich die Politikerinnen? Welche Motivation liegt ihrem politischen Engagement zu Grunde? Welche Individualisierungstendenzen zeigen ihre Biographien?53 Beispiel aus dem Interview mit GF1: “I fight for what I believe, because I’m passionate. And if I believe that something is right, I fight to death for that. Without taking into consideration the political or economical cost. Well, it’s the character. I’m a very risky person. I’m very straight. And I don’t think very much, when I talk in public I say my truth, you know. And I’m so much convinced that women should be successful, in gaining gender equality that this makes me very passionate. I’m honest. And I think even if people do not like you at least, if they think you are honest and strongly believe what you are fighting for you get support.” (GF1)
Auswertungskategorie: Doing Gender in Politics
Bei der Erstellung dieser Auswertungskategorie waren vor allem die in Kapitel 2.3.1 und 2.3.2 dargestellten Ansätze zur Geschlechtertheorie und zu Frauen in der Politik von Bedeutung. „Doing gender is unavoidable“ (West/Zimmermann 1987): auch in der Politik können Politikerinnen und Politiker nicht anders, als sich in ihrem Verhalten und ihren Aussagen als Frau oder Mann darzustellen bzw. von ihren Kolleginnen und Kollegen als Frau oder Mann erkannt zu werden. Die Arbeitsteilung im 18. Jahrhundert hat die Dichotomie der Geschlechter verstärkt: „Doing gender while doing work“. Gleichzeitig sind Frauen heute in dem traditionell männlichen Arbeitsfeld Politik mehr oder weniger zahlreich vertreten. Eine wichtige Frage ist nun, wie Doing Gender in der (ehemals) männlich dominierten Politik funktioniert. Zur Beantwortung dieser Frage wird im 53
Diese aufgestellten Aspekte dienten bei der Auswertung der Interviews als Kodierleitfaden.
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
Rahmen dieser Auswertungskategorie auf die Aussagen der Politikerinnen und Politiker über gemeinsame und unterschiedliche Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften fokussiert. Gibt es Unterschiede im Doing Gender auf den politischen Bühnen der verschiedenen europäischen Mitgliedstaaten? Folgen die Politikerinnen und Politiker in ihren Verhaltens- und Charakterzuschreibungen eher der Idee von dualistischen Geschlechterbildern oder von einem differenzierterem Geschlechterverhältnis? Gibt es Unterschiede zwischen den Ländern oder der Parteizugehörigkeit? Oder sind im Sinne der „vergessenen Differenz“ keine Gemeinsamkeiten innerhalb der Gruppe der Politikerinnen erkennbar, da die jeweiligen Einstellungen zum Geschlechterverhältnis höchst unterschiedlich sind? Während es bei der Auswertungskategorie „Selbstbild der Politikerinnen und Politiker“ um Beschreibungen der eigenen Persönlichkeit und bei der Auswertungskategorie „Dramaturgie der politischen Bühne“ um (geschlechterstereotype) Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln an die befragten Politikerinnen und Politiker geht, stehen in der Kategorie „Doing Gender in Politics“ die Zuschreibungen, die die Politikerinnen und Politiker selbst tätigen, im Fokus. Schöler-Macher und Meyer erarbeiten beide das Profil eines männlichen Politikers.54 Im Rahmen dieser Auswertungskategorie soll analysiert werden, inwieweit die befragten weiblichen Politikerinnen ihren männlichen Kollegen die von Schöler-Macher und Meyer aufgestellten Merkmale und Eigenschaften wie „Kampfbereitschaft“, „Selbstinszenierung“, „hierarchische Orientierung“ und „konkurrentes Verhalten“ zuschreiben bzw. mit welchen Eigenschaften die männlichen Politiker sich selbst beschreiben. Wie oben dargestellt55 konstruiert Meyer auch Merkmale eines weiblichen Verständnisses von Politik. Es soll untersucht werden, inwiefern männliche Politiker ihren weiblichen Kolleginnen Eigenschaften wie „Betroffenheit“, „kooperatives Verhalten“ oder „Personenbezogenheit“ zusprechen bzw. inwiefern die weiblichen Politikerinnen sich selbst mit diesen Eigenschaften beschreiben. Wie wurden nun diese aus der Theorie abgeleiteten Fragen zur Kategorie „Doing Gender in Politics“ bei der Interviewanalyse angewandt? Immer wenn die befragten Politikerinnen und Politiker Aussagen über das Verhalten und die Charaktereigenschaften ihrer Kolleginnen und Kollegen trafen, wurden diese der Auswertungskategorie „Doing Gender in Politics“ zugeordnet.56 Beispiel aus dem Interview mit PF2 : 54
Vgl. Kap. 2.3.2. Vgl. Kap. 2.3.2. 56 Diese aufgestellten Aspekte dienten bei der Auswertung der Interviews als Kodierleitfaden. 55
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“Due to the fact that women may sometimes be iron inside but outside they are the more willing to compromise and therefore they may simple archive more than man. Because I think that politics is based on compromises. […] As I have already mentioned the differences between men and women in politics are not based on substance though I say there is no, simply, there is no gender solidarity. Everyone is acting on political bases and not on this or that gender solidarity. I simple say that among women it is more soft, more gentle, more gentle kind of politics. But that is just a form, not a substance.” (PF2)
Auswertungskategorie: Gender Equality in den vier Ländern
Wie bereits dargestellt, ist die Geschlechtergleichstellung in den vier untersuchten Ländern Schweden, Deutschland, Griechenland und Schweden sehr unterschiedlich.57 Robert Selman hat fünf kommunikative Entwicklungsniveaus von Verhandlungen erarbeitet (Selman 1984: 124 ff) mit Hilfe derer sich das Niveau des differenzierten Verhandlungsstands im Bereich der Gender Equality in den untersuchten Ländern bestimmen lässt. Selman hat seine Ausführungen zunächst nur auf interpersonale Verhandlungen angewendet. Er unterscheidet fünf Niveaus. Das niedrigste Niveau 0 beschreibt Verhandlungen über materielle Ziele durch Gewalt oder Flucht. Übertragen auf den Stand der Gender Equality bedeutet dies den Zustand vor der Einführung des Frauenwahlrechts, als Frauen, die sich für dieses Menschenrecht einsetzten, verhaftet und misshandelt wurden. Niveau 1 beinhaltet Verhandlungen über die Kontrolle der Situation durch einseitige Machtausübung. Im Bereich der Geschlechtergleichstellung bedeutet dies z.B. die Unterwerfung der Frau unter den Willen des Mannes, der aber nur - im Gegensatz zu Niveau 0 - droht, bei ausbleibender Unterwerfung Gewalt anzuwenden. Den Wünschen und Bedürfnissen der Frau wird von Seiten des Mannes keine Bedeutung beigemessen. Verhandlungen um Einflussnahme durch Überredung kennzeichnen das Niveau 2. Hierzu gehören im Bereich der Gender Equality z. B. das Aushandeln von ersten Eckpunkten zwischen verschiedenen Interessengruppen. Frauenverbände werden zwar noch verunglimpft, gleichzeitig aber durchaus ernst genommen. Es geht bei diesen kooperierenden Verhandlungen nur um die Durchsetzung des eigenen Interesses. Eine Weiterentwicklung stellt das Niveau 3 dar, da es bei den Verhandlungen um gegenseitig befriedigende Ziele in Vordergrund stehen. Wenn es bei einer Verhandlung z.B. um verbesserte gesetzliche Regelungen geht und dabei die Verhandlungspartner ein für alle Seiten befriedigendes Ergebnis anstreben, statt den eigenen Willen, die eigenen 57
Vgl. Kap. 2.2 und 3.3.
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Position durchzusetzen, ist Niveau 3 erreicht. Niveau 4 bezeichnet das Ideal der Verhandlung. Beide Verhandlungspartner wollen nicht nur ein befriedigendes Ergebnis für beide Seiten erzielen, sondern werben für ein tieferes Verständnis der eigenen Bedürfnisse und teilen ihre Gedanken dem anderen mit. Es kann auch zum flexiblen Rollentausch mit dem Anderen kommen. Bezogen auf Gender Equality bedeutet dies, dass Frauen und Männer sich z.B. gleichermaßen für Geschlechterdemokratie einsetzen und Probleme ehrlich diskutiert und gelöst werden. Selmans Theorie ist für die Fragestellung der Studie von Bedeutung, weil die untersuchten Länder sich auf Grundlage seiner Überlegungen in Bezug auf den Stand der Gender Equality den kommunikativen Entwicklungsniveaus zuordnen lassen. Wie in Kapitel 2.3.2 dargestellt, ist ein Ergebnis der Forschung von Beate Hoecker, dass die nationale politische Kultur bisher ein von der Wissenschaft unterschätzter Faktor ist, der sich als „wichtigster Prädikator für die politische Partizipation und Repräsentation von Frauen“ herauskristallisiert (Hoecker 1998: 394). Diese Überlegung wurden zum Anlass genommen, um zu untersuchen, ob die befragten Politikerinnen der vier Länder ähnliche Erfahrungen gemacht haben und inwiefern es Unterschiede zwischen den verschiedenen politischen Kulturen der Länder gibt. Die interviewten Politikerinnen und Politiker haben auf Grund ihrer beruflichen internationalen Tätigkeit gute Vergleichsmöglichkeiten zwischen der Situation der Geschlechtergleichstellung in ihrem Heimatland und im Europäischen Parlament bzw. den anderen europäischen Mitgliedstaaten. Zudem war bzw. ist ein Teil von ihnen Mitglied im Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter. Diese Erfahrungen machen sie quasi zu Expertinnen und Experten für die Gender Equality in ihrem Land. Ihre Beschreibungen und Beobachtungen ermöglichen eine Innensicht der Länder, die kaum eine offizielle Darstellung leisten kann. Deshalb werden alle Aussagen, in denen die Interviewten die Situation der Geschlechtergleichstellung in ihrem Land beschreiben oder beurteilen, dieser Kategorie zugeordnet.58 Beispiel aus dem Interview mit SM1: “When I was a young politician it was impossible to organise a seminar or whatever, a debate, a panel, whatever, with only men. And it’s very odd for me to see that down here [in the European Parliament, YRID] it’s very normal. And even, and that’s I think is an European influence for perhaps the younger women have
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Diese aufgestellten Aspekte dienten bei der Auswertung der Interviews als Kodierleitfaden.
Auswertungskategorien
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said, okay, we have reached equality. But even in Sweden nowadays you could see panels with only men.” (SM1)
Wie wurden die Interviews ausgewertet? Die Interviews in mehreren Schritten nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Mit Hilfe dieser Methode ist es nicht nur möglich, den Inhalt des Materials auszuwerten, sondern auch latente Sinngehalte und formale Aspekte zu beobachten (vgl. Mayring 2000: 469). Im Anschluss an die ausführliche qualitative Inhaltsanalyse gab es eine komprimierte Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. Zunächst wurde jedes Interview mit Hilfe des Kodierleitfadens auf entsprechende Passagen, die sich mit Themen der fünf Auswertungskategorien beschäftigen, durchsucht. Hierbei wurde zunächst nach Aussagen zum Selbstbild der Politikerinnen und Politiker in allen deutschen Interviews mit Politikerinnen recherchiert, dann in allen schwedischen, griechischen und polnischen. Nun wurden nacheinander nach dem gleichen Schema die übrigen Auswertungskategorien bearbeitet. Das jeweilige Interview wurde mehrmals in der Papierversion gelesen. Nach mehrmaliger Lektüre wurden entsprechende Textpassagen markiert und dann mit Hilfe des Computers kopiert und der Kategorie zugeordnet. So entstand nach und nach passend zu jeder Kategorie eine Zusammenstellung von Textpassagen aus allen Interviews mit Politikerinnen. Nach der Zusammenstellung der Textpassagen wurde jede Auswertungskategorie mehrmals gründlich gelesen. Zunächst wurden stichwortartig die wichtigsten Aussagen jedes Interviews am Rand festgehalten. Jedes Interview wurde wie ein Einzelfall bearbeitet. Dann wurde nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Interviews aller Politikerinnen gesucht und die Ergebnisse ebenfalls stichwortartig notiert. Nach dem gleichen Vorgehen wurden nun die Interviews mit den Politikern bearbeitet. Schließlich wurden die Interviews der Politikerinnen mit denen der Politiker kontrastiert. Schöler-Macher stellt heraus, warum die Analyse von Einzelfällen wichtig ist: In der Rekonstruktion der Erfahrungen von Politikerinnen lassen sich die ‚scheinbar unauffälligen Verwerfungen des Alltags’ und ‚kleinen Brüche der Lebenswelt’ verfolgen, [...] denen man [...] nur ‚detailversessen’ mit einer Analyse des Einzelfalls auf die Spur kommt (Schöler-Macher 1994: 58).
Mit Hilfe der Einzelfallanalyse im Sinne der soziologischen Hermeneutik lassen sich Strukturen unterhalb der Einstellungsäußerungen feststellen. Hierbei kommt es vor allem auf eine Analyse der Sprach- und Wortwahl sowie des Kontextes einer Aussage an, um unterhalb der Ebene der offensichtlichen Einstellungen
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
subjektive Intentionen der Politikerinnen und Politiker zu rekonstruieren. Der Blick wurde auf „das Typische im Individuellen“ gerichtet. Bude spricht in diesem Zusammenhang von dem Paradoxon der „individuellen Allgemeinheit des einzelnen Falls“ (vgl. Bude: 84 ff). Bei der Einzelfallanalyse kommt es nicht darauf an, wie häufig eine bestimmte Aussage auftaucht, sondern wie der innere Zusammenhang dieser konstruiert wird.
3.8 Reflexion der qualitativen Untersuchung Zusammenfassend ist die Durchführung der Leitfaden gestützten Interviews positiv zu bewerten. Dennoch soll an dieser Stelle auf einige Schwierigkeiten bei der Durchführung eingegangen werden. Von den insgesamt 21 Interviews wurden 14 Interviews nicht in der Muttersprache der Politikerinnen und Politiker, sondern auf Englisch bzw. Deutsch, geführt. Auch wenn die Fremdsprache gut beherrscht wird, was in den meisten Fällen gegeben war, können doch nicht immer alle Nuancen einer Aussage so deutlich werden, wie dies in der Muttersprache der Fall wäre. Auch wenn die große Sprachkompetenz der meisten Befragten dieses Problem minimierte, so muss doch bei der Auswertung schwer verstehbarer Aussagen berücksichtigt werden, dass es sich eventuell nicht um die Muttersprache der Person handelt. Bei der Durchführung einiger weniger Interviews konnten aus Zeitgründen nicht alle Themen angesprochen werden. Um die Interviews vergleichen zu können, ist es aber von Bedeutung, dass alle Themenbereiche abgedeckt werden. Dieser Aspekt stellte sich aber bei der Auswertung als wenig unproblematisch heraus, da es zu jeder Auswertungskategorie viele geeignete Interviewpassagen gab. Ein weiteres Problem, mit dem eine qualitative Studie sich immer auseinandersetzen muss, ist die Tatsache der eindeutigen Zuordnung der Interviewäußerung zu einer Kategorie. Auch in der vorliegenden Studie ist es teilweise zu Überschneidungen gekommen, wie das folgende Beispiel aus dem Interview mit DF1 zeigt: „Ich denke mir, dass durchaus Netzwerke von Frauen ein Stück weit stärker werden müssen. Nur, es ist so, dass Männer eher dann zusammensitzen. Und ich habe also wirklich auch die Erfahrung gemacht, das hat schon in der Kommunalpolitik angefangen, dass man als Frau dann doch lange aushalten muss. Und dann ganz einfach auch bis zum Schluss dableiben muss, obwohl das für Frauen dann ein Stück weit auch schwieriger ist. Gerade weil sie vielleicht dann andere Verpflichtungen haben oder sie wollen wieder nach Hause, weil sie vielleicht zu
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den Kindern oder wo auch immer hinwollen. [...] Ich bin dann manchmal wirklich ganz bewusst dageblieben und habe gedacht, nein, jetzt bleibst du hier und guckst, was die jetzt da wieder aushandeln. Und habe sie aber dann auch ganz konkret darauf angesprochen, warum sie denn jetzt nicht das Thema Politik inhaltlich ruhen lassen, jetzt hier an der Theke oder beim Zusammenkungeln [...], sondern weiterverhandeln. Und dass dann da manchmal doch Dinge zur Sprache kamen, gerade was auch Personalentscheidungen und so etwas angeht, wo ich ihnen dann oft ganz knallhart gesagt habe: mein Gott, wir saßen eben alle zusammen, die Sitzung ist geschlossen, warum macht ihr das jetzt hier? Da wird dann natürlich ganz komisch geguckt, weil man kann doch über die Dinge reden, aber dann habe ich festgestellt, es ist wirklich gut, Sitzfleisch zu haben und ganz einfach hier sitzen zu bleiben, um da nicht wirklich wesentliche Dinge zu verpassen.“ (DF1) Das angeführte Zitat wurde den Kategorien „Dramaturgie der politischen Bühne“ und „Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen“ zugeordnet, weil die Politikerin hier detailliert der Ablauf von männlichen Verhaltensmustern im kommunalpolitischen Bereich beschreibt und gleichzeitig von Konkurrenzerfahrungen zwischen weiblichen und männlichen Politikern berichtet. Abbildung 2:
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Konzentrische Kreise
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Empirische Untersuchung - methodische Aspekte
Die Abbildung verdeutlicht, dass die Auswertung der gleichen Textstelle je nach Zuordnung mit einem anderen Schwerpunkt erfolgt. Anhand des Beispiels aus dem Interview mit der Politikerin DF1 lässt sich gut verdeutlichen, wie eng die Auswertungskategorien miteinander verknüpft sind. Wurden die Kriterien einer qualitativen Studie bei der Durchführung beachtet? - Bei der Auswertung der Interviews nach der regel- und theoriegeleiteten Systematik der qualitativen Inhaltsanalyse müssen einige Kriterien beachtet werden. So müssen die Interviews z.B. in ihren Kommunikationszusammenhang eingebettet verstanden werden, d.h. es muss klar sein, wer Sender und Empfänger sind, worin die Merkmale des Interviews (z.B. Syntax, Semantik, nonverbaler Kontext) bestehen und was der Gegenstand der Interviews ist. Die Auswertung lässt sich an den Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität (vgl. Dieckmann 2001: 216 ff) messen. Objektivität liegt vor, wenn zwei Anwender mit dem gleichen Messinstrument jeweils übereinstimmende Resultate erzielen. Bezogen auf die Durchführung einer qualitativen Untersuchung mit Interviews sind die Durchführungsobjektivität und die Auswertungsobjektivität von besonderer Bedeutung. Die Durchführungsobjektivität besteht darin, dass zwei Interviewer auf die gleichen Fragen die gleichen Antworten erhalten. Die Auswertungsobjektivität stellt sicher, dass zwei Personen bei der Auswertung des gleichen Materials zu den gleichen Ergebnissen kommen. Die methodischen Voraussetzungen und inhaltlichen Anforderungen an teilstandardisierte Interviews wurden entsprechend der Durchführungs- und Auswertungsobjektivität geprüft und beachtet. Unter der Reliabilität werden die Zuverlässigkeit eines Messinstrumentes und die Reproduzierbarkeit von Testergebnissen verstanden. - Die Zuverlässigkeit des Fragebogens wurde mit Hilfe des Pretests festgestellt. Dass die Testergebnisse theoretisch reproduzierbar sind, bedeutet für die vorliegende Untersuchung, dass die befragten Politikerinnen und Politiker bei einem anderen Interview zu ähnlichen Fragen die gleichen Antworten geben würden. Hier ist innerhalb der vorliegenden Untersuchung der Faktor „Authentizität“ von Bedeutung. Da den Interviewten Anonymität zugesichert wurde, wird davon ausgegangen, dass die Politikerinnen und Politiker die Fragen ehrlich und ohne Ängste beantwortet haben. Validität ist das wichtigste der genannten Messinstrumente. Sie gibt den Grad der Genauigkeit an, mit dem der Test das misst, was er messen soll. Inhaltsvalidität meint, dass die Auswahl von Items die zu messende Eigenschaft in hohem Maße repräsentieren müssen. Unter Konstruktvalidität versteht man, dass „das von einem Messinstrument erfasste Konstrukt mit möglichst vielen anderen Variablen in theoretisch begründbaren Zusammenhängen steht und hieraus
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Hypothesen ableitbar sind, die einer empirischen Prüfung standhalten“ (Diekmann 2001: 224). Neben Reliabilität, Validität und Objektivität ist das Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit von Bedeutung. Hierbei ist die Dokumentation des Forschungsprozesses wichtig, da somit „die Studie im Licht ihrer eigenen Kriterien“ (Steinke 2000: 326) beurteilt werden kann. Ebenfalls muss der gesamte Forschungsprozess des qualitativen Vorgehens hinsichtlich der Fragestellung, der Methodenwahl, der Transkriptionsregeln, der Auswahl des Samples, der methodischen Einzelentscheidungen im Kontext der gesamten Untersuchung und der Bewertungskriterien einer Überprüfung seiner Angemessenheit standhalten (vgl. Steinke 2000: 326 ff). - In der vorliegenden Untersuchung sind diese Maßstäbe dahingehend berücksichtigt worden, dass jeder Schritt des Forschungsprozesses schriftlich festgehalten wurde und überarbeitete Fassungen auch in ihrer ursprünglichen Form immer wieder abrufbar blieben.
4 Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern 4.1 Dramaturgie der politischen Bühne Mit welchen (geschlechterstereotypen) Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln werden Politikerinnen und Politiker konfrontiert? Von geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln berichten Politikerinnen, aber auch Politiker, aller Länder. Wie eine Reihe von Interviewäußerungen zeigen, werden die Politikerinnen vor allem in traditionell männlichen Politikbereichen wie der Außenpolitik mit geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln konfrontiert. So betont die jüngere Politikerin PF 4, dass Politikerinnen in Polen sich mit eher weichen politischen Themen beschäftigen, wie Familie und Bildung. Sie hingegen engagiere sich in der Außenpolitik. Als sie sich in einer Sitzung im Parlament zu Wort meldet, durchbricht sie die Verhaltenserwartungen. Die männlichen Politiker sind überrascht und reserviert, nicht nur, weil sie als einzige anwesende Frau das Wort ergreift, sondern auch weil sie Kompetenz und Detailwissen zeigt: “When our foreign minister was presenting in parliament thesis connected with polish international affairs I was the only women who said something, who commented this expose. So it is a kind of example that there are questions, topics for men and for women.” “Question: How do male politicians usually react if you say something about foreign affairs?” “Well, I got some bravo. Only men were at that time listening to me in the parliament. But you know the comments were like: she said something, she is wise, she said something important. Yes, that was like something they discovered that I could say something. And after that they asked me what I was doing before. And I said I was dealing with some questions connected with foreign affairs. They were surprised, really.” (PF4) Mit Goffman gesprochen hat PF4 ihre Rolle neu inszeniert und durch ihr Verhalten die Interaktionsordnung dieses Ausschusses verändert: ihre männlichen Kollegen sind erstaunt, dass sie als Frau sich mit Außenpolitik auskennt. Aber nicht nur die Polinnen berichten von Stereotypen. Auch in Deutschland sieht die unge-
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schriebene Dramaturgie der Politik - wie in Polen - vor, dass Männer sich eher im außenpolitischen und wirtschaftlichen Bereich und Frauen in sogenannten „weichen“ Politikbereichen engagieren. Obwohl Frauen in der Politik, wenn auch nicht in der Außenpolitik, etwa ein Drittel der Abgeordneten stellen, besteht offensichtlich die Norm, sie arrogant zu behandeln: „[Im] Auswärtige[n] Ausschuss sind Frauen absolut in der Minderheit. Es gibt ja auch so eine Aura im Auswärtigen Ausschuss. Als ich da rein kam, als Präsidentin, sonst hätte ich nie eine Chance gehabt, in meinem Alter und als Frau auch da nur annähernd akzeptiert zu werden, weil das ist der Elefantenfriedhof, da sitzen alle ehemaligen Minister und wichtigen Leute, die älteren Herren und jeder ist wichtig. Die strahlen es auch aus. [...] Da ist mir aufgefallen, als ich da gesprochen hab, klar ich hab einen gewissen Respekt, weil ich Präsidentin bin, aber als ich mich dann gleich in der ersten Sitzung gemeldet hab, ich bin neu dazugekommen und da merkte ich erst einmal, da war ein gewisser Geräuschpegel, ganz typisch, wenn Frauen reden und plötzlich hörte das auf, als sie merkten, die hat ja was zu sagen, die weiß ja Aktuelleres als unser Außenminister, weil sie kommt gerade aus Israel und Palästina.“ (DF3) Erst als die Politikerin etwas sagt, was selbst der Minister nicht wusste, wird ihr Aufmerksamkeit geschenkt. Die Politikerin DF3 geht davon aus, dass ihre männlichen Kollegen einem Mann von vornherein zugehört hätten, sie als Frau hingegen hat offensichtlich erst beweisen müssen, dass ihre Ausführungen Qualität haben, bevor sie Gehör findet. Andererseits erwähnt keine der schwedischen Politikerinnen geschlechterstereotype Verhaltenserwartungen. In der schwedischen Gesellschaft scheint die erreichte Gender Equality zur Zurückdrängung von Geschlechterstereotypen geführt zu haben.59 Infolgedessen berichtet die junge schwedische Politikerin SF1 nicht von geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen an sie in Schweden, sondern von der Arroganz, mit der sie im männlich dominierten Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlamentes behandelt wird: “So you have to proove that you know something, that you have to be quite pushy, you have to be there and present and active. But if you are, it doesn’t really matter where you come from. Except in the foreign affairs committee where it is heavily male dominated, where many people have been for ages. They know each other. And they think it’s quite warm there. I think they think it is 59 Bemerkenswerterweise berichten der Politiker SM1 und die Politikerin SF3 von den stereotypen Rollenerwartungen der Medien an sie in ihrer Rolle als Politiker/Politikerin. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um geschlechterstereotype Rollenerwartungen.
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quite cute that a woman takes an interest in defence matters. And there is a big pattern, I think. But there sometimes I feel extremely frustrated. Because you can see that they think like this: little girl, leave those foreign affairs trust, you can do, but you will write studies, softer spoken, you know.” (SF1) Die gleichen Erfahrungen hat eine Kollegin der deutschen Politikerin DF4 gemacht: „[Weiblicher Eigenname] ist Vorsitzende im [...]ausschuss, die ist bei den ganzen Verhandlungen [...] meistens die einzige Frau. [...] Und sie hat gesagt, das war für sie damals unendlich schwer. Da war der Vorsitzende im [...]ausschuss ein Mann, und die Verhandlungspartner bei der Kommission und dem Rat waren überall nur Männer. Und da hat sie einen wahnsinnig schweren Stand gehabt, wo sie deutlich gespürt hat, dass sie jetzt so behandelt wird, wie sie behandelt wird, weil sie eine Frau ist. Und sie sagte, das war manchmal so unter der Gürtellinie, dass sie es manchmal fast nicht ausgehalten hat. Aber sie hat es durchgekämpft und die Nachfolgerin dann hat es wieder ein Stück weit leichter gehabt.“ Auch die junge deutsche Politikerin DF1 berichtet von geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen: „Oder dass man bei Themen, für die man sich interessiert hat - das war zum Beispiel bei mir auch die Bau- und Umweltpolitik - dass man so gefragt hat, was willst du denn als Frau da drinnen, das ist doch eher eine Männerdomäne.“ (DF1) Aber nicht nur Politikerinnen, auch Politiker werden mit geschlechterstereotypen Verhaltensregeln konfrontiert. Auf welche Schwierigkeiten und Beleidigungen Männer stoßen können, die sich für Gender Equality engagieren, stellt der schwedische Abgeordnete SM1 dar: “You have to have a carrot60 and have to have stick. And if the procedures here in this parliament, in the European institutions, are not dramatically changing in the coming years. […]. Perhaps you will need more sticks as carrots. And my colleague […] and me, we after the convent was formed with all this men, very skilful of course. We asked: where are the women?[…] And we made an appeal to all our colleagues. We started within the Swedish group. And all male Swedish 60
carrot and stick = Zuckerbrot und Peitsche
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members signed it with us. And then we sent up the appeal to all male colleagues. […] And I must say, many very positive remarks from my male colleagues, very many. But also very dumb ones as well, very dumb ones. And someone, I didn’t know who because the reply was so stupid, saying that he ought to be operated to change sex. So that he could change the statistics and so on. This is so stupid. And they are really members here! So some of the colleagues, perhaps not the majority, but even a large minority I would say from many of the member countries, they do not realise this because they think it’s not a problem. Because everything is about competence of course. And they don’t want anything to change. They got frightened for mentioning any forms of demands and trying to enhance women in more progressive manners.” (SM1) Diese Auszüge aus den Interviews zeigen exemplarisch, mit welchen geschlechterstereotypen Verhaltenerwartungen Politikerinnen, aber auch Politiker, in ihren Heimatländern und im Europäischen Parlament konfrontiert werden: Politikerinnen sollen sich eher in „typisch weiblichen“ Politikbereichen engagieren, Politiker werden beleidigt, wenn sie sich für Gender Equality engagieren. Das Europäische Parlament als Ort kultureller Verschmelzung führt nach den Erfahrungen der Politikerinnen bisher nicht umfassend zu einer Übernahme der geschlechtergerechten Normen der skandinavischen Staaten.61 Offensichtlich haben Politikerinnen es besonders schwer, wenn sie sich in traditionell männlichen Politikbereichen bewegen. Man kann folgern, dass Politikerinnen die Überwindung der Fremdheit in der Politik besonders in Politikbereichen schwer fällt, in denen traditionell eher wenige Frauen zu finden sind. Die männlichen Politiker reagieren in ihrer Domäne zunächst mit Arroganz, später, wenn die Politikerinnen ihr Fachwissen, sozusagen die Rechtfertigung für ihre Anwesenheit, unter Beweis gestellt haben, mit Akzeptanz auf ihre weiblichen Kolleginnen.
Wie gehen Politikerinnen mit diesen geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen und Verhaltensnormen um? Die Politikerin DF3 ist der Überzeugung, dass Politikerinnen nicht ihr Licht unter den Scheffel stellen, sondern selbstbewusst agieren sollten. Die Basis für die Übernahme der Rolle einer selbstbewussten Politikerin ist die fachliche Kompetenz, die nicht nur Voraussetzung für Anerkennung, Würdigung und Rollenakzeptanz, sondern auch für Einflussnahme auf Entscheidungen ist. Wie 61 Dennoch haben die skandinavischen Staaten jedoch offensichtlich für einzelne Politikerinnen eine Vorbildfunktion sowie Einfluss auf die Gesetzgebung zur Gender Equality, wie später noch deutlich wird.
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oben dargestellt, führt die fachliche Kompetenz von Politikerinnen zu einer Veränderung der Verhaltensnormen der männlichen Politiker: aus Arroganz wird Akzeptanz. Diese sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber offensichtlich nicht. Wenn also Politiker regelmäßig die Erfahrung machen, dass Politikerinnen Fachwissen einbringen, ändern sich auch ihre Verhaltenserwartungen und Verhaltensnormen. Was aber sollten Frauen tun, um geschlechterstereotype Verhaltenserwartungen und -regeln zu überwinden? Die Politikerin DF3, die auf Grund ihres Alters nicht der Rollenerwartung an eine „typische, gestandene“ Politikerin entspricht, äußert sich über „das Geheimnis des Aufstiegs vieler Frauen“: „Deshalb sage ich immer: mit Selbstverständlichkeit agieren und nicht sagen: Ich bin hier als Frau und jung bin ich auch noch oder so. Oder Ossi, das kommt ja auch noch dazu, sondern selbstverständlich auch gar nicht Bezug nehmen auf irgend etwas, sondern das ist das, das ist die einzige Chance, die wir haben. Das ist sicherlich auch das Geheimnis des Aufstiegs vieler Frauen, dass sie vielleicht auch ein Stück besser waren und die Leistung einfach hingelegt haben.“ (DF3) Die Bedeutung des Fachwissens betont auch die Politikerin DF5: „Es hängt wirklich davon ab, wie professionell eine Frau sich einbringen kann. Ein Ärztin, die sich qualifiziert zu medizinischen Fragen, Zwischenfragen äußern kann, hat wahrscheinlich überhaupt keine Probleme akzeptiert zu werden [...]. Nur es ist halt leider so, dass in der Regel für die Frau, die noch Zeit hat, sich politisch zu engagieren, das sind leider wenige, die in ganz anderen Bereichen beruflich qualifiziert sind, das dann etwas schwieriger. Aber eine Architektin im Planungsausschuss oder im Bauausschuss! Nur, wenn Frauen aus Prinzip sagen, ich will kein Frauenthema, dann wird es schwierig. Dann fangen sie auch an zu labern. Ich habe immer gesagt, es kein Problem, wenn sich die Frauen da einbringen, wo sie Erfahrung mitbringen und das ist halt, wenn sie aus der Familie kommen, im Zweifelsfalle die Schulpolitik. [...] Man sollte nach Möglichkeit Frauen, die in anderen Bereichen etwas einbringen können, da auch zum Zug kommen lassen. Das ist auch meine Erfahrung. Das ist bei den Männern tendenziell anders. Manchmal kommen die mit einem Halbwissen weiter, aber in der Qualität nein. Bei einer fachlich qualifizierten Frau sind auch Männer mit Halbwissen unterlegen. Nur eine Frau mit Halbwissen und ein Mann mit Halbwissen, da hat der Mann meistens noch einen Vorteil. Ich sehe da keinen Grund für.“ (DF5)
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Kompetenz und Qualifikation sind die entscheidenden Kriterien, um als Politikerin in der Männerwelt der europäischen Politik anzukommen, um Anerkennung zu finden. Offenbar gelten diese fachlichen Kriterien, die z.B. ein Studium und eine entsprechende Berufstätigkeit beinhalten, nicht in diesem Maße für die männlichen Abgeordneten. Denn diese kommen nach Meinung dieser Politikerin mit einem „Halbwissen“ durchaus weiter. Allerdings habe „Halbwissen“ gegenüber fachlicher Qualifikation letztlich keine Chance. Die Politikerin DF5 macht die wichtige Beobachtung, dass Frauen häufig in „frauentypischen Berufsfeldern“ tätig sind und deshalb auch dort eher die Chance erhalten, sich politisch zu engagieren. Wenn Frauen allerdings in einem traditionell eher „männlichen“ Politikfeld agieren wollen, werden sie nur akzeptiert, wenn sie dort über Fachwissen verfügen und sich dann engagieren. Neben Fachwissen schein eine weitere Lösungsmöglichkeit zur Überwindung der geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen das Stärken der eigenen Netzwerke zu sein: „Ich denke mir, dass durchaus Netzwerke von Frauen ein Stück weit stärker werden müssen. Nur, es ist so, dass Männer eher dann zusammensitzen. Und ich habe also wirklich auch die Erfahrung gemacht, das hat schon in der Kommunalpolitik angefangen, dass man als Frau dann doch lange aushalten muss. Und dann ganz einfach auch bis zum Schluss dableiben muss, obwohl das für Frauen dann ein Stück weit auch schwieriger ist. Gerade weil sie vielleicht dann andere Verpflichtungen haben oder sie wollen wieder nach Hause, weil sie vielleicht zu den Kindern oder wo auch immer hinwollen. [...] Ich bin dann manchmal wirklich ganz bewusst dageblieben und habe gedacht, nein, jetzt bleibst du hier und guckst, was die jetzt da wieder aushandeln. Und habe sie aber dann auch ganz konkret darauf angesprochen, warum sie denn jetzt nicht das Thema Politik inhaltlich ruhen lassen, jetzt hier an der Theke oder beim Zusammenkungeln [...], sondern weiterverhandeln. Und dass dann da manchmal doch Dinge zur Sprache kamen, gerade was auch Personalentscheidungen und so etwas angeht, wo ich ihnen dann oft ganz knallhart gesagt habe: mein Gott, wir saßen eben alle zusammen, die Sitzung ist geschlossen, warum macht ihr das jetzt hier? Da wird dann natürlich ganz komisch geguckt, weil man kann doch über die Dinge reden, aber dann habe ich festgestellt, es ist wirklich gut, Sitzfleisch zu haben und ganz einfach hier sitzen zu bleiben, um da nicht wirklich wesentliche Dinge zu verpassen.“ (DF1) Mit den metaphorischen Alltagsbegriffen „Sitzfleisch“ und „Thekenpolitik“ lassen sich zwei nicht zu unterschätzende Hürden und geschlechterstereotype Verhaltensregeln für Politikerinnen umreißen. Politikerinnen, die ihre Abgeord-
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netentätigkeit mit familiären Aufgaben in Kongruenz bringen müssen, die sich auf eine Sitzung vorbereitet und dort engagiert haben, widerspricht es zutiefst, wenn im Anschluss an Sitzungen bzw. Verhandlungen „nachpolitisiert“ wird. „Sitzfleisch“ scheint nicht für alle Politikerinnen die geeignete Lösung zu sein, um diese Verhaltensweisen aufzubrechen. Die meisten geben an, dass Politikerinnen nach anderen Wegen, z.B. eigenen Netzwerke, suchen müssen, um Verabredungen zu treffen und Mehrheiten zu gewinnen. Wie Frauen ihre eigenen Netzwerke stärken, indem sie von ihren weiblichen Kolleginnen aus Skandinavien lernen, berichtet die deutsche Abgeordnete DF4: „[...] aber von der Methode her haben wir viel gelernt von den skandinavischen Schwestern. Es war, ein Beispiel herausgegriffen, in Finnland wohl üblich, dass - ob es in der Wirtschaft oder in der Politik war - normalerweise die Entscheidungen in der Sauna debattiert wurden. Da es aber natürlich geschlechtergetrennte Saunagänge gab, haben die Männer das unter sich ausgemacht in der Sauna und die Frauen waren außen vor. Die Frauen, die Politikerinnen, die Bankerinnen haben dann gesagt, wir müssen uns aber auch mit hier einklinken und haben sich auch organisiert in der Sauna.“ (DF4) Diese Politikerin betont, dass einerseits Entscheidungen aus den männlichen Netzwerken herausgeholt werden müssen, andererseits die Frauen sich aber auch Strategien ausdenken müssen, wie sie selbst Netzwerke bilden können. Anhand dieses Interviewzitats wird ebenfalls die Vorbildfunktion der skandinavischen Staaten deutlich. Offensichtlich werden positive Beispiele von den Politikerinnen anderer Länder adaptiert, aber auch, wie die Erfahrung von SF1 im Auswärtigen Ausschuss zeigt, die traditionellen Rollenbilder anderer Mitgliedstaaten übernommen. Von vergleichbaren Erfahrungen wie DF4 berichtet der Politiker DM1: „Ich will das mal auf den einfachen Satz bringen: Männer halten länger aus. Wenn abends nach der Sitzung noch zusammengesessen wird, das - in Anführungsstrichen - ‚gemütliche Beisammensein’, was ja nicht nur dazu dient, Nahrung aufzunehmen, sondern man spricht ja weiter über kommende Dinge, ob das nun personelle Fragen sind oder inhaltliche Fragen. Und da hab ich einfach, das ist wirklich nur eine Beobachtung, die Feststellung gemacht, dass Männer da einfach länger sitzen und länger noch über diese Dinge diskutieren und Frauen noch etwas anderes machen. Ich weiß jetzt nicht was, aber die sind dann oft nicht mehr dabei. Und viele Entscheidungen werden schon außerhalb der offiziellen Sitzungen in eine Richtung gebracht. [...] Ich sag das jetzt nur mal so pauschalisiert, von der Größenordnung her sitzen dann eher fünf Männer und eine Frau da, als dass es mal umgekehrt ist. Ich habe aber umgekehrt auch die
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Erfahrung gemacht, wenn fünf Frauen und ein Mann da sitzen, dass dann diese Dinge, von denen ich gerade gesprochen habe, gar nicht so besprochen werden. Das, was man im politischen Bereich „Kungeln“ nennt, und das ist für jeden, der dabei ist, nicht unwesentlich, das machen Männer zumindest intensiver, glaube ich, als Frauen. Und das zeigt sich dann, glaube ich, auch an den Entscheidungen.“ (DM1) Beachtenswert sind die Erfahrungen und Beobachtungen der beiden deutschen Politiker DF4 und DM1 in mehrerer Hinsicht. Im Hinblick auf die traditionellen Rollenerwartungen wird z.B. von den Männern erwartet, dass sie nach den offiziellen Sitzungen noch zusammen bleiben, wohingegen von den Frauen erwartet wird, dass sie „nach Hause“ gehen. Es gibt demnach für Frauen und Männer unterschiedliche Normsetzungen. Frauen nehmen offensichtlich ihre anderen Rollen, die sie außer der politischen haben, ebenso engagiert wahr und verweilen nach Parteisitzungen nicht. Aber wie die Politikerin DF1 berichtet, können Frauen auch dieses politische Ritual durchbrechen, indem sie bleiben, wenn sie beobachten, dass wichtige Entscheidungen außerhalb der Sitzungen getroffen werden. Indem sie sich an männliche Normen anpassen, verändern sie ihr Rollenverhalten, inszenieren ihre Rolle neu und beeinflussen damit langfristig auch die Verhaltenserwartungen an Politikerinnen und somit die Dramaturgie der politischen Bühne. Die Beobachtungen des Politikers DM1 zeigen jedoch, dass Frauen, selbst wenn sie nach den Sitzungen noch bleiben, gar nicht unbedingt „mitkungeln“. Woran liegt das? Zum Einen könnte es daran liegen, dass Frauen die Verfahrensweisen des „Kungelns“ gar nicht kennen, da sie auf Grund ihres Ausschlusses aus dem öffentlichen Bereich „Politik“ lange Zeit keine Erfahrungen mit diesen Verhaltensweisen sammeln konnten und diese heute noch nicht verinnerlicht haben. Zum Anderen könnte der Grund darin liegen, dass Frauen sich dieser männlichen Verhaltensweise, die sie selbst nicht schätzen, nicht anpassen wollen, besonders, wenn nur wenige andere Frauen anwesend sind.
Welchen Einfluss haben Frauenquoten auf geschlechterstereotype Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln? Eine viel diskutierte und von vielen Parteien praktizierte Lösung zur vermehrten politischen Beteiligung von Frauen ist die Einführung einer Frauenquote sowie
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von bestimmten Verfahren wie dem Reißverschlusssystem bei der Besetzung von Positionen.62 Die deutsche Politikerin DF4 stellt in ihren Aussagen heraus, dass der quantitative Anteil der Frauen in der Politik eine wichtige Rolle spiele, denn Politiker nähmen die Forderungen von Frauen ernst, wenn sie merkten, dass diese 30% der Abgeordneten stellten: „Aber es liegt auch an uns, wie wir die Männer in die Pflicht nehmen. Bei dem jetzigen Kommissar […], der zuständig ist, der hat eben auch gemerkt, dass er da mit dem Thema, wenn er das ernst nimmt, in einem Parlament, wo 30% Frauen sind, ihre Anliegen berücksichtigen muss. Und er nimmt diese Anliegen ernst, so dass er da auch Erfolge und Zustimmung bekommt. Insofern denke ich, das ist oft ein Fehler von Frauen, dass wir unser Licht zu sehr unter den Scheffel stellen und wir nicht die berechtigten Anliegen dann auch offensiv vorbringen. Das ist unsere Aufgabe, weil freiwillig werden auch Männer sich nicht von ihren Posten trennen. Das ist ja auch für sie bequem. Da haben wir doch auf der europäischen Ebene gute Erfolge erzielt, Frauen in Führungspositionen zu holen und wieder eine öffentliche Diskussion anzustoßen, warum das vielleicht gerade noch in der Wirtschaft sehr nachbesserungsbedürftig ist. Das kann man aber nicht alleine machen im stillen Kämmerlein. Da braucht man dann auch politische Macht, die organisiert sein will.“ (DF4) Die in Deutschland und Schweden schon seit vielen Jahren praktizierte Anwendung von Frauenquoten wurde in Griechenland erst vor relativ kurzer Zeit eingeführt. Im Folgenden schildert die Politikerin GF2 eindringlich, welche Auswirkungen ein potenzielles Eindringen der Frauen in den männlichen Machtbereich Politik in Griechenland hatte: “So three years ago we had a new law issued by a woman. […] It says that at least one third of the candidates for the elections must be women. You can not imagine what happened. How many reacted, especially men are saying: ‘We can not find so many women, we can not find a woman.’ But the governmental system was a very positive measure. Of course there is a law that we have in the elected bodies we have one third. But, anyway, we have discovered, the more women are candidates the more women are elected. Because in old times they used to say, oh let’s have a few women, so you can be sure you are elected. But we discovered that this was a trap, you know. Because men do not want. I don’t know any Greek politician, except the Foreign Minister, Georgios Papandreu, 62
Vgl. Kap. 2.3.3.
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who [...] came out first, because his mother is a feminist. And he said the women should have 50% of the positions.” (GF2) Die zentrale These lautet: Je mehr Frauen kandidieren, desto mehr Frauen werden gewählt. Und je mehr Frauen politisch repräsentiert sind, desto weniger können sie unterdrückt werden, und desto besser können sie im Rahmen der „balance of power“ ihre eigenen Interessen durchsetzen: “To make difference, you know, in politics it is the balance of power. And the members count and the members make the difference. To make a difference from the part of women we must have a critical mass of women in the decision making process. And the critical mass has been discovered to be not less than one third. Otherwise, if it is a woman as I have been throughout my life, you know, to be the only one in a body of 20 men, it’s very difficult to change the situation. It’s very, very difficult. And I have to follow the mainstream. Otherwise I’ve been marginalised. But when we have a critical mass, which is not less than one third, then we can make a difference. Because women have different priorities than men, thinking in a different way.” (GF2) Zur “balance of power” zwischen den Geschlechtern gehört nach dieser Meinung ein Frauenanteil von mehr als einem Drittel in den politischen Entscheidungsprozessen. Sonst würde die Gefahr bestehen, dass die vereinzelten weiblichen Abgeordneten dem Mainstream/Malestream folgen müssten, um nicht marginalisiert zu werden. Dies ist ebenfalls ein wichtiger Gedanke, der auf der Notwendigkeit eines gesetzlich festgelegten Frauenanteils hinweist, um die männlich dominierte Politik aufzubrechen. Je mehr Frauen jedoch Spitzenpositionen erreichen, desto frauenfreundlicher wird das Klima, berichtet die Griechin GF2. Auf den ersten Blick könnte man dies für eine Binsenweisheit halten, aber wenn man bedenkt, wie wenige Frauen in der Politik „on the top“ sind, erkennt man die Relevanz dieser These. Die Normen ändern sich und Geschlechterstereotypen werden zurückgedrängt, wenn mehr Frauen in der Politik vertreten sind: “It is very good to have woman at the top. They change the job for men. So we will not be the exception of the rule. Because we are so few, we are the exception of the rule. Men are everywhere. […] We started at the beginning of the 20th century. Women fought for political rights. The right to vote. If we consider, we must be very happy for the progress we have made. But we still have a long way to go. It’s very difficult to get a generation without stereotypes. The stereotypes are very strong, very strong. The conditioning is very strong. For men and
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women. Women themselves are not conscious. But they have the same rights as men.” (GF2) Diese Erfahrung hat auch die deutsche Politikerin DF4 gemacht: „Also, ich bin da unverhohlen eine Befürworterin der Quotierungsregelung, weil ich denke, in ein System, das relativ fest gefügt ist, lange gewachsen ist und sich über Jahrzehnte entwickeln konnte, von Männern für ihre Bedürfnisse mehr oder weniger entwickelt wurde, das es da schwer ist, als Einzelne etwas zu verändern. Natürlich, es ist möglich, es ist nicht unmöglich, aber es ist unheimlich Kraft raubend. Wie jetzt das Beispiel mit dem Haushalt, mit der ersten Kollegin, die den Haushalt gemacht hat. Das ging schier über ihre Grenzen. Und dann ist es fast von Individuen nicht zu erwarten. Aber wenn sie dann ein Gremium haben, wo 30, 40 Prozent Frauen auch dahinter stehen, dann verändert sich das Klima, dann verändert sich die Sprache. [...] Zum Beispiel, dass Männer gern blöde Witze machen über Frauen. [...] Was hat sich die arme Frau [Eigenname] anhören müssen über ihr Aussehen. [...] Bei uns [...] würde das nicht so möglich sein. Denn, wenn da im Parteivorstand 30 bis 40 Prozent Frauen drin sitzen, und es macht sich jemand lustig über die Haare von Frau [Eigenname], dann haben die sofort nicht nur von Einer die spitzen Bemerkungen, von der einen Betroffenen, die ja dann gehemmt ist, sich zu äußern, sondern dann haben sie sofort die anderen Frauen auch am Hals. Das wagen die Männer dann nicht mehr so. Deswegen ändert sich das Klima. Auch mit unseren Themen. Wenn wir hier am Anfang das Thema mit dem Kindergarten angesprochen haben, das fanden die Männer unmöglich. Vor allem die Haushälter fanden das unmöglich. Sollen sie jetzt da Geld aufwenden für einen Kindergarten? Wir sind ein Parlament! Wir machen ernsthafte Politik! Aber da hatten wir damals eine Britin als Quästorin und die hat da unbeirrt gekämpft mit der Unterstützung des Frauenausschusses, und wir haben es durchgesetzt. Wie gesagt, das hat auch gut zwei Jahre gedauert, aber wir haben es durchgesetzt. Und heute ist es eine Selbstverständlichkeit und wird nicht mehr in Frage gestellt. Aber es sind auch nicht Felder für ein für allemal gewonnen und man könnte sich jetzt zurücklehnen und sagen, jetzt ist Gleichstellung erreicht, wir haben Gender-Mainstreaming-Prinzip und jetzt läuft das schon. Das ist eben auch nicht der Fall. Wir haben gemerkt bei dem Konvent über die Zukunft Europas, da haben die Mitgliedsländer die Konventmitglieder benannt und schwuppsdiwupps haben wir wieder einen Konvent, wo [...] nur 12 Prozent Frauen drin sind. Es ist unglaublich! Und auch Deutschland hat drei Mitglieder benannt: drei Männer!“ (DF4)
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Die Politikerin DF4 hält es für wichtig, mit Hilfe der Frauenquote mehr Frauen als Entscheidungsträgerinnen in die Politik zu bringen, und ist der Überzeugung, dass sich mit einer höheren Beteiligung von Frauen nicht nur die Themen in der Politik, sondern auch das Verhalten von Männern gegenüber Frauen ändert. Das Beispiel des Europäischen Konventes zeigt, dass eine politische Beteiligung von Frauen nach wie vor noch nicht selbstverständlich ist. Es zeigt des Weiteren, wie wichtig neben dem Gender Mainstreaming spezielle Instrumente zur Frauenförderung sind, wie insbesondere die Quotenregelung im politischen Sektor. Wie wichtig es ist, Frauenförderung nicht nur als rein prozentuales Vorgehen zu begreifen, sondern Frauen die Chance zu geben, sich in der Öffentlichkeit darzustellen, betont die griechische Politikerin GF1: “We have a law that says that one third of the list must be placed by women. But this doesn’t mean that they will be voted. I am in the list. But now we have to find mechanisms for the women to be known in public. To give an opportunity for the voters to know the specific person. Because if you have a list you try to find if you know anyone. If he is an actor […] if he has any contact with politics, this doesn’t mind. He is well known. He has awareness, he is easily recognised. So you must find a mechanism give opportunity to the women to present themselves. So the public is informed about them. Because they don’t have the crucial post from the work field, but it gives them the opportunity to be known from the work field. Sometimes it happens. But it’s not the rule. This is the rule for the men. […]” (GF1) “Question: What do you think must be done to improve the representation of women in Greece?” “To give the opportunity to the women to take also serious crucial post at a national level. So they will become known to the public. So they will be elected. Public will choose them, woman instead of a men. Now they have more opportunities to have an idea, a picture usually for men. Of course the men have the crucial posts, but give the opportunity to the public to know about, to learn them, to see them in TV, to read about women in newspapers. So if women are also known they have more possibilities also to be chosen.” (GF1) Offensichtlich spielt neben der zugesicherten Repräsentation von Frauen auf einer Liste die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit eine entscheidende Rolle, um die politische Repräsentation von Frauen zu fördern, damit der Bekanntheitsgrad von Politikerinnen gesteigert werden kann. Allein eine Quotierung der Listenplätze reicht offensichtlich nicht, wenn die Wähler keine Chance haben, sich für
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Politikerinnen zu entscheiden können, da sie sie nicht kennen. Die griechische Politikerin GF1 fordert, dass Politikerinnen ihre Zurückhaltung und Ängste gegenüber den Medien überwinden und die Chancen der modernen Mediengesellschaft nutzen müssen. Dies hat auch Konsequenzen auf den Prozess der beruflichen und politischen Sozialisation, denn den Umgang mit den Medien und ihrer Macht kann man nicht in der Theorie lernen. Gleichzeitig müssen sie aber auch von den Medien die Chance bekommen, sich und ihre Themen darzustellen. Hier wird der Kreislauf der gleichberechtigten Repräsentation deutlich: sind mehr Frauen in der Politik, gibt es mehr potentielle Gesprächspartnerinnen und Expertinnen, die die Chance haben, sich in den Medien zu repräsentieren. Dies führt dazu, dass sie besser bekannt werden und somit - je nach Land - einen höheren Listenplatz bekommen oder von den Wählern verstärkt direkt gewählt werden könnten. Wären mehr Frauen in der Politik repräsentiert, hätten gleichzeitig die Medien mehr Möglichkeiten auch weibliche Expertinnen einzuladen. Die Frauenquote ist als dramaturgisches Element, das die Politik gerechter machen soll, in den männlichen Machtbereich Politik getreten. Für die männlichen Politiker bedeutet sie jedoch eine faktische Verringerung ihrer Macht und ihrer Chancen, erfolgreich zu kandidieren. Die interviewten männlichen Politiker beurteilen die Frauenquote sehr unterschiedlich. Bemerkenswerterweise äußert sich der deutsche Politiker DM1 kritischer als anderen interviewten männlichen Politiker: „[...] aufgrund von Quotierungsvorschriften und Zeitgeist und all solchen Dingen, was Männern in meiner Altersgruppe manchmal auch Schwierigkeiten macht. Also bei mir jetzt konkret kann man das nicht nachweisen, weil ich ja jetzt hier bin, aber das ist schon manchmal problematisch, dass man für neue Positionen auf der einen Seite völlig zu Recht, natürlich, auf eine Gruppe guckt, die noch nicht so repräsentiert ist wie sie es sein sollte, also Frauen, und dass man dann in dieser Gruppe der Frauen auch danach guckt, wer hat denn eine Perspektive, und dann ist man bei jüngeren Frauen. Und jüngere Frauen, wenn nur eine Position zu besetzen ist und es tritt eine junge Frau gegen einen jungen Mann an, dann ist es zur Zeit so, dass die junge Frau wesentlich größere Chancen hat in den Parteien. Jedenfalls kann ich das für meine Partei so sagen, das ist schlichtweg so. Ich weiß, dass das bei 30- bis 40-jährigen Männern manchmal schon zu Unmut führt, dass wir diesen Trend so haben. Also das ist bestimmt nicht so extrem wie Schweden, das verfolge ich auch so ein bisschen hier über Kollegen, wie das da ist. So extrem ist es bei uns nicht. Aber so einen Trend in die Richtung gibt es schon.“ (DM1)
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Die Erfahrungen des Politikers DM1 spiegeln wider, dass durch die Einführung der Quote, die die ursprüngliche Ungerechtigkeit der politischen Benachteiligung von Frauen beheben sollte, nunmehr Nachteile für die männlichen Politiker entstehen und diese sich plötzlich in der Rolle des Schwächeren wiederfinden. Maßnahmen der einseitigen positiven Förderung einer bestimmten Gruppe, hier der Frauen, zeigen zwar für diese Gruppe einen gewissen Erfolg, haben aber ein janusköpfiges Gesicht. Die individuellen Fälle, die der deutsche Politiker schildert, mögen zwar den einzelnen männlichen Politiker frustrieren, gleichzeitig führt die Quote aber natürlich zu einer zumindest gleichmäßigeren Verteilung der politischen Macht zwischen den Geschlechtern und somit zu mehr Gerechtigkeit. Wenn männliche Parlamentarier ein Quotensystem in Bezug zu einem nicht definierbaren „Zeitgeist“ setzen, bedeutet dies eine deutliche Herabwürdigung des Ansatzes des Gender Mainstreamings. Zum Prozess der Geschlechtergleichberechtigung gehört auch die Politik. Wenn man die Gleichberechtigung in Bezug auf Parlamentssitze will, d.h. eine prozentual ausgeglichene Besetzung der Parlamentssitze mit Frauen und Männern, dann ist in der aktuellen Situation ein Quotensystem ein wirksames Instrument. Wer den Prozess der Gleichberechtigung in der Politik aufhalten will, wird sich mit allen Argumenten und Mitteln gegen ein Quotensystem wehren. Den Einzelnen mag die Quote benachteiligen, im Großen und Ganzen führt sie jedoch zu mehr Gerechtigkeit. Dies hat der polnischen Politiker PM 3 erkannt: „Frage: Halten Sie denn so ein Quotensystem überhaupt für sinnvoll?“ „Ich glaube, heute ja. Aber ich glaube in Zukunft, wissen Sie, am wichtigsten ist Fleiß und Intelligenz. Das ist wichtig. Und ich glaube, die Frauen in Polen in den nächsten Jahren werden eine größere Rolle spielen als heute. Deshalb, dieser Prozess ist schon. Und ich glaube, diese Quoten – ja, okay, aber am wichtigsten ist gleiche Möglichkeiten für Frauen und Männer in der Praxis.“ (PM3) Aber nicht alle befragten polnischen Politikerinnen und Politiker beurteilen die Frauenquote positiv. Auf Grund ihrer historischen Erfahrungen stehen einige polnische Politikerinnen und Politiker der Frauenquote eher kritisch gegenüber. Sie sind der Überzeugung, dass Qualität und nicht Quote die politische Karriere von Frauen und Männern bestimmen sollten. In den Interviews wird aber deutlich, dass sie erkennen, dass Frauen schlechtere Chancen besitzen, politisch repräsentiert zu werden, und die Quote ihnen helfen kann, die Fremdheit in der Politik zu überwinden. Die Europäische Union, speziell die skandinavischen Länder, haben eine Vorbildfunktion für Polen, wie auch der Interviewauszug von PF 5 zeigt:
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“Frankly spoken in general I’m absolutely against the quota system. But I also see that it does have a positive effect in countries like Scandinavia for example. But I am in favour of the natural system of absorbing women into politics through their duties in political parties. And I think that the political parties can or should make a certain, lets say, increase of the motivation of women coming into politics by giving them some preferences on the lists for elections or something. But that is how far I would go.” (PF5) Frauennetzwerke, die sich entwickeln, wenn der prozentuale Anteil der Politikerinnen weiter zunimmt, werden dazu beitragen, auch den Politikstil zu verändern. Aber nicht nur die Themen und der Politikstil haben sich durch die Frauenquote geändert, sondern es wurden auch Politikerinnen mit Familie eine vermehrte Chance gegeben, politisch Karriere zu machen: „Ob es fifty-fifty sein muss, das will ich mal hinten anstellen, aber normale Überflieger kommen immer durch, egal ob Männer oder Frauen. Frauen haben es ein bisschen schwerer. [...] Man muss sich ja nur die Spitzen der Parteien angucken: die Mehrzahl der führenden Frauen haben auf Familie verzichtet - im Gegensatz zu der Mehrzahl der männlichen Kollegen. Und das will ich nicht, das ist nicht normal. Und in der Wirtschaft noch viel schlimmer als in der Politik. Diese Gesellschaft will ich nicht, und deshalb bin ich dafür den Frauen diese strukturellen Nachteile tendenziell zumindest zum Teil auch abzubauen. Wir hätten eine Gesellschaft ohne Familie. Entweder ohne Beteiligung von Frauen oder angemessene Zahl von Frauen ohne Familie. Diese Gesellschaft will ich nicht.“ (DF5 ) Die Aussagen von DF5 zeigen deutlich, dass sie die Norm ablehnt, dass Frauen, die politisch erfolgreich sind, in der Regel keine Familie haben, Männer hingegen schon. Die in Politik und Wirtschaft herrschenden Normen sehen also auch heute noch vor, dass Frauen sich primär um Familie kümmern, d.h. auf den privaten Bereich fokussiert sind, wohingegen die Männer sich auf den öffentlichen Bereich konzentrieren. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass auch eine vermehrte Beteiligung der Männer an Haus- und Familienarbeit eine Voraussetzung dafür ist, dass Frauen sich stärker nach außen richten, ihre eigene Karriere verfolgen können und somit das Geschlechterverhältnis gerechter wird. Die Argumentation der Politikerin DF5 müsste also ergänzt werden: „Überflieger“ kommen immer durch bzw. haben beste Chancen - wenn/weil sie ein Mann sind. Überfliegerinnen kommen nur durch, wenn sie Entlastung bei der Haus- und Familienarbeit haben und wenn ihre Chancen auf eine beruflich-politisch Karriere durch Quoten und den bewussten Willen der Parteien und Institutionen zur
Dramaturgie der politischen Bühne
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Frauenförderung gestärkt werden. Wenn erfolgreiche Frauen in der Politik, wie es hier heißt, auf eine Familie verzichten, Männer dies in der Regel aber nicht tun, so ist dies auch ein Hinweis auf noch zu verbessernde Structural Opportunities für Frauen und auf noch nicht erfolgte notwendige Verhaltensänderungen von Frauen und Männern. Familienverzicht darf nicht das Opfer sein, das die Gesellschaft von politisch engagierten Frauen erwartet. Denn gerade ihre familiären Erfahrungen, die Politikerinnen in die Politik mitbringen, können dazu beitragen, politischen Umgang und Prozesse zu verändern. Zudem verfügen sie über besondere Kompetenzen, die ihnen im politischen Alltag helfen können. Allerdings sind komplexe gesellschaftliche Entwicklungen und Konsequenzen notwendig, damit sich politisches Engagement und politische Aufgaben in verantwortlichen politischen Rollen und Positionen mit einer Familie verbinden lassen. Allerdings verwandelt sich die Durchsetzung einer Frauenquote von 30 oder mehr Prozent in eine Farce, wenn viele politische Entscheidungen weiterhin in männlichen Netzwerken getroffen werden, wie eine Reihe von Politikerinnen und Politiker berichten. Aus diesem Grund ist neben der Einführung von Quoten ein Bewusstseinswandel für die Notwendigkeit der gleichberechtigten politischen Beteiligung von Frauen und Männern von wesentlicher Bedeutung. Die Politikerin GF2 möchte diesen „Bewusstseinswandel“ vertraglich in einem „Gender Contract“ manifestieren. Sie empfindet die geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen als sehr stark und ist der Überzeugung, dass dies der einzige Weg ist, geschlechterstereotype Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln zu überwinden sowie eine gleichberechtigte politische Beteiligung von Männern und Frauen zu erreichen: “And men are loosing their power. And they become defensive towards women’s demands. And they can not see they have an inability to see women as equals. All the men, all, even without exception, you know. Deep inside they think women are inferior. They are the privileged sex. And they have the right to battle the war. And we are the outsiders, the invaders. And they are free. And they react in a manner that is not proper. Of course there are some good men, some sensitised men, special among the younger men. But they are very few. The dominated model is not collapsed yet. They dominate the roles, what men do and what women do. So some women find it very difficult to combine all these roles. To work outside, but all the responsibility for the household and a family. This is very unfair. And men have all the time. That is a different division of time. Men have all the time to do whatever they want. But it’s not the same for women. And this is not fair. This is not fair. That’s why we want a new contract with men. But they don’t want even to debate, to have an open dialogue. I say we should have a new social contract, a new gender contract, which says that we share equally
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and fairly all the rights and all the responsibilities in the private sphere and in the public sphere. This means that we share the political power, will decide together, will design the future together. And also in a household we take care of the children together. […] And I like what I’m doing here. I like it very much. Sometimes I get support. In the European Parliament the climate is in favour for women’s rights. Sometimes we have difficulties within the parliament as well. It’s not ideal. It’s not a paradise. But, anyway, it’s better than it is in my country, in Greece.” (GF2)
4.2 Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen Gibt es Frauensolidarität in der politischen Konkurrenz? Die Erfahrungen der Politikerinnen mit Frauensolidarität sind sehr unterschiedlich und abhängig vom Herkunftsland. Die Politikerinnen aus Polen, also einem ehemalig sozialistischen Land mit einer patriarchalischen Tradition, haben keine oder nur wenige Erfahrungen mit Solidarität unter Frauen gemacht. Als Grund hierfür wird genannt, dass es insgesamt nur wenige Frauen in der Politik gibt. Dies führt aber nicht dazu, dass diese Frauen sich gerade auf Grund ihrer besonderen (Außenseiter-) Rolle zusammenschließen und versuchen untereinander solidarisch zu sein, um sich gegenseitig zu helfen. Sondern im Gegenteil: da sie so wenige in einem Heer von Männern sind, glauben sie, es habe keinen Sinn sich zu solidarisieren. Es besteht eine große Rivalität zwischen ihnen. Zudem ist der politische Bereich traditionell ein männlicher Machtbereich, so dass sie sich Helfer und Vorbilder unter Männern suchen. Beispielhaft sollen zwei Interviewzitate der polnischen Politikerinnen PF5 und PF2 angeführt werden: “They don’t believe in a solidarity between women in general. Women do nothing for women. This is due to the fact that there are not many women active in politics and that the proportions are smaller. And there is also a stereotype according to which the whole society was brought up that politics is a male dominant sphere of activity. And somehow maybe women also believe in that. And that’s why they not stick together.” (PF5) Gleiches schildert auch die Politikerin PF2:
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“The differences between men and women in politics are not based on substance though I say there is no, simply, there is no gender solidarity. Everyone is acting on political and so bases and not on this or that gender solidarity.” (PF2) PF2 betont eine neue Perspektive der mangelnden Solidarität unter Frauen: Frauen kooperieren miteinander, wenn es inhaltliche Gründe gibt, und nicht nur, weil sie Frauen sind. Frauensolidarität wird von den polnischen Frauen nicht als wichtig erachtet. Die sich hier verbergende Problematik besteht darin, dass nur dann viele Frauen in der Politik zu finden sind, wenn es u.a. eine Frauenquote und starke Frauenverbände innerhalb der Parteien gibt. Eine große Anzahl von Politikerinnen führt dazu, dass diese Solidarität unter Frauen als wichtig erachten. In einer Weiterentwicklung der Gesellschaft führt dies auch generell zu einer hohen Solidarität unter den Frauen wie in den skandinavischen Staaten. Es hat sich als wichtig herausgestellt, dass Frauen selbst – wie z.B. in den skandinavischen Staaten - das Thema Gleichberechtigung ernst nehmen. Wie die historischen Entwicklungen zeigen, haben viele Männer zunächst kein Interesse daran, das Thema zu unterstützen, da sie um den Verlust ihres Machtbereichs, egal ob in der Politik oder in der Familie, fürchten. Über die Bedeutung der Geschlechtergleichstellung in Polen berichtet die polnische Politikerin PF 4: “Equality is a subject which comes back from time to time. Now we are working on a bill of equal status here in parliament [Sejm, YRID]. But I can say that there is a no friendly enviroment, athmosphere connected with it. Because I think that polish society nowadays still is rather a traditional society. And sometimes even here you can see from our collegues, men, that it is not a serious problem, not a topic, it is not worth concerned. Because what is very needed in Poland is a strong womens lobby. And I can’t see it now. I can’t see what I can call a solidarity among women. So I can say like a conclusion that there are a lot of situations that women themselves don’t want to help themselves. Because there are only some. I hope that the European Union will influence us and will make a dialog, a social dialog in society. But now it is a lack of it. […] I think it’s very clear that women in Poland are descriminated. But you know if we don’t have a lobby, a strong lobby nothing will happen. […] Because men are not the group interested in changings. So, that’s our will, our idea how to change it.” (PF4) Diese polnische Politikerin beklagt wie die Politikerin PF5, dass es zu wenig Frauen und keine Frauenverbände (Women’s Lobby) in der Politik gibt. Sie hofft auf den positiven Einfluss der Europäischen Union: das „gleichberechtigtere“
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Verhältnis der Geschlechter dort könnte den sozialen Dialog auch in Polen anstoßen. Insgesamt beschreiben die interviewten polnischen Politikerinnen ein düsteres Bild der Frauensolidarität in Polen. Die Erfahrungen der deutschen Politikerin DF 5 können als Erklärung für die heutige Situation in den neuen Mitgliedstaaten dienen: „Das ist so: je enger das Feld, desto härter die Konkurrenz und je härter die Konkurrenz, desto schwerer ist es, solidarisch zu sein. [...] Wir haben im Westen über die Jahrzehnte hinweg daran gearbeitet. Das sah vor 30, 40 Jahren auch anders aus. Vielleicht auch zum Teil auch vor 20 Jahren. Jetzt haben wir die Chancen für Frauen mit einer weit größeren Selbstverständlichkeit als Jahrzehnte zuvor und wenn die Chancen selbstverständlicher sind, dann sind sie auch größer und dann ist der Konkurrenzdruck nicht so hart. Bis dahin, dass sich in einigen westeuropäischen Ländern sogar eine Frauenquote durchgesetzt hat. In dem Maße, in dem eine Frauenquote praktiziert wird, sind wirklich auch die Chancen für Frauen gewachsen und wesentlich gewachsen. Dann kann man auch leichter solidarisch sein und von daher haben es die Frauen im Osten, wo halt die Demokratie auch gerade geweckt wird, schwieriger als wie die Frauen im Westen, die einige Jahrzehnte weiter sind. Es wird hoffentlich bei den Frauen im Osten auch bald so sein.“ (DF5) Bezogen auf die Theorie der Nutzenmaximierung von Homans kann für die polnischen Politikerinnen festgestellt werden, dass ihr persönlicher Nutzen, also z.B. die Kandidatur um einen aussichtsreichen Listenplatz oder der Erfolg eines politischen Vorschlags, nicht wächst, wenn sie mit anderen Frauen kooperieren, sondern wenn sie gegeneinander konkurrieren. Auf Grund der zahlenmäßigen Unterlegenheit der in der polnischen Politik tätigen Frauen, der fehlenden Vorbilder sowie der traditionellen und noch immer männlich geprägten politischen Bühne stehen Frauen in großer Konkurrenz zueinander. Die interviewten griechischen Politikerinnen haben Erfahrungen mit Frauensolidarität gemacht. Die Politikerin GF1 berichtet: “Of course I have experiences with solidarity. But I have also the opposite experience. Because on one hand women want to fight for the same rights. But between them is not always solidarity. There is also a competition. Because we don’t have the same chances. This makes us a little bit more competitive even with the men. So in the years to come perhaps we have to work a little bit on our relationships. It’s not always solidarity.” (GF1)
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Diese Abgeordnete sieht den Ursprung für diese Konkurrenz, genau wie die polnischen Politikerinnen und die deutsche Politikerin DF5, in der Tatsache, dass es nur so wenige Frauen in der Politik gibt und sie nicht die gleichen Chancen haben wie Männer. Da es keine feststehende Quote gibt und sie Schwierigkeiten haben, von den männlichen Politikern akzeptiert zu werden, sind sie der Überzeugung, dass solidarisches Handeln mit anderen Frauen ihnen keinen Nutzen bringt, weil sie nicht nur mit den Männern, sondern auch untereinander in Konkurrenz stehen. Ihre geringeren Chancen als Frauen in der Politik erfolgreich zu sein, lässt sie mehr an ihren Eigennutzen denken, und dieser ist offensichtlich mal mit mehr eher solidarischem und mal mit eher konkurrentem Verhalten zu anderen Politikerinnen zu vergrößern. Die Interviews mit den griechischen Politikerinnen zeugen insgesamt von einer größeren Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die politische Repräsentation von Frauen als in Polen. Zwar ist Frauensolidarität in Griechenland kein durchgängiges Verhalten, aber im Gegensatz zu den polnischen Politikerinnen sind sich die Griechinnen offensichtlich bewusst, dass sie nur gemeinsam für die Rechte der Geschlechtergleichstellung kämpfen können und deshalb solidarisch sein müssen. Die deutschen Politikerinnen zeichnen ein positives Bild von der Frauensolidarität. Die Politikerin DF 1 beschreibt, wie sie auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen ihre Einstellung zur Frauenpolitik geändert hat: „Als ich angefangen habe, mich politisch zu engagieren, hab ich natürlich gedacht, wofür braucht man eine extra Frauenpolitik? Und hab mich dann eigentlich auch gefragt, warum gibt es eigentlich die Frauenvereinigungen dann auch in den Parteien? Ist das überhaupt noch zeitgemäß? Weil ich als junge Frau eigentlich gedacht habe, dass das Thema sich doch in meiner Generation erledigt hat. Bis ich dann angefangen hab, mich politisch zu engagieren. Da hab ich festgestellt, dass es sich nicht erledigt hat, sondern dass Frauen es ein Stück weit doch noch schwerer haben und oft auch sehr viel besser sein müssen oder mehr leisten müssen und vor allen Dingen auch einen langen Atem haben müssen.“ (DF1) Über die Unterstützung durch die Männer berichtet sie: „Ich muss aber auch dazu sagen, ich hab aber auch, Gott sei Dank am Anfang, und das waren dann Männer gewesen, die dann aber doch, wenn man die Leistung brachte, mich dann aber an entscheidender Stelle unterstützt haben.“ (DF1)
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Hier und auch in vielen anderen Interviews wird deutlich, dass Männer Frauen unterstützen, wenn sie merken, dass Frauen ihre politischen Aufgabe ernst nehmen und in ihrem Bereich Wissen zeigen. Frauen hingegen unterstützen Frauen auch auf Grund der Solidarität untereinander, wie die Politikerin DF 5 herausstellt: „Für mich war das dann so, die Frauenverbände oder auch Frauenunion, [...], das sind so Frauen, die treffen sich dann vielleicht nachmittags zum Kaffee trinken oder machen irgendwelche kulturellen Besichtigungen. Und dann hab ich festgestellt, dass da so ganz andere Frauen drin waren. [...] Da war eine Frau, die hatte Physik studiert, Mathematik, war Privatdozentin. Da dachte ich, die Frau muss sich doch eigentlich überhaupt gar nicht um die Dinge kümmern, oder warum macht die das eigentlich? Was sind ihre Beweggründe? Und da hab ich dann auch festgestellt, dass auch solche Frauen es schwer hatten, und dass es gar nicht grundlos ist, für Gleichberechtigung zu kämpfen. Oder dass es wichtig ist, dass auch Frauen, die dann wie sie den Sprung geschafft haben, für Frauen dann wieder kämpfen und die Frauen dann unterstützen. Und die Unterstützung dann bei meinen Kandidaturen waren von der Frauenunion also wirklich enorm gewesen. Und da hab ich dann auch wirklich Frauensolidarität erlebt. Nicht bei allen Frauen. Aber das ist klar. Aber zum Großteil hatte ich dann doch immer die Unterstützung von denen gehabt. Und was dann auch bei vielen Schritten – es kommen ja immer mal wieder Rückschläge – ermutigend ist.“ (DF5) Anhand der Erfahrungen der Politikerin DF1 kann man gut erkennen, dass Frauensolidarität zu einer vermehrten politischen Beteiligung von Frauen führt, da ihre Kandidaturen größere Chancen haben und ihr Selbstbewusstsein und ihr Mut gestärkt werden: „Und dann bin ich auch nominiert worden in meinem Kreis für die Europa-Liste. Und ich hab dann auf einem Platz kandidiert - also die ersten drei Plätze da haben diejenigen wiederkandidiert, die schon drin waren - dann hab ich probiert, zumindest auf den ersten Nachrückerplatz zu kommen. Und da bin ich dann auch hingekommen. [...] Und, wie gesagt, ich hab halt versucht, so weit wie möglich nach vorne hin zu kommen, hatte da auch eine Gegenkandidatur von einem Mann gehabt auf dem vierten Platz. Und das war dann schon am Anfang, wo ich dann dachte, na ja, rentiert es sich da jetzt vielleicht unbedingt in die Kandidatur reinzugehen, oder sollst du den Platz 6, den dir die Partei anbietet, nehmen [...]? Und dann hab ich aber auch durch die Unterstützung von der Frauenunion gedacht, man muss als Frau natürlich auch ein Stück weit kämpfen,
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muss dann auch mal Mut haben, auch mal in eine Gegenkandidatur dann reinzugehen. Und es hat ja auch geklappt. Und vor allen Dingen habe ich gedacht, man kann ja nicht immer sagen, es sind zu wenig Frauen da. Oder warum kandidieren keine Frauen? Und wenn dann der Wind einem ins Gesicht bläst, oder es kommt dann auch ein anderer Druck, wenn man dann gleich sagt: Nein, jetzt mach ich es doch lieber nicht. Weil, ich denke, dann sollte man auch schon wirklich als Frau auch den Mut haben, das mal durchzuziehen. Weil alleine nur davon reden bringt uns natürlich dann auch keinen Schritt weiter.“ (DF1) Im Gegensatz zu den Erfahrungen der polnischen Politikerinnen, die weitgehend auf sich allein gestellt sind und keine Erfahrungen mit Frauensolidarität haben, zeigt das Beispiel der deutschen Politikerinnen, dass eine vermehrte politische Beteiligung zu mehr Frauensolidarität führt und umgekehrt. Es besteht also ein kausaler Zusammenhang zwischen der Anzahl an Politikerinnen und der wechselseitigen Unterstützung der Frauen untereinander. Der persönliche Nutzen der Frauen wird dabei nur indirekt vergrößert, wenn sie miteinander solidarisch sind. Es geht primär um das gegenseitige Einverständnis und Versprechen, sich füreinander einzusetzen, sollte eine von ihnen in eine Lage kommen, in der sie diese Unterstützung braucht. Es kann aber sein, dass eine Reihe von Frauen andere unterstützt, ohne jemals selbst Unterstützung zu brauchen. Bei der Frauensolidarität geht es also nicht nur um die persönliche Nutzenmaximierung, sondern auch - und vielleicht vor allem - um das Handeln in der Überzeugung eine richtige Ideologie zu unterstützen. Das Theorem der Nutzenmaximierung Homans lässt sich erweitern: neben der Maximierung des persönlichen Nutzens kann als Hauptmotivation des Handelns eines Individuums auch die Unterstützung einer Ideologie zu Grunde liegen. Mit Hilfe der Erfahrungen der Politikerin DF4 kann man aber auch erkennen, dass Frauensolidarität nicht bedeutet, dass Frauen nicht gegeneinander konkurrieren: „Interessanterweise war es dann so, dass ich auf der untersten Ebene, auf der lokalen Ebene, eine weitere Mitbewerberin hatte. Und die andere Mitbewerberin hatte im ersten Durchgang die Mehrheit. Die hatte eine Stimme Mehrheit. Und ich hab mich dann aber trotzdem nicht unterkriegen lassen, sondern hab mich weiter beworben und dann waren auch sehr gute männliche Mitbewerber da. Und dann letztendlich, nach vielen Durchgängen, ging ich als Siegerin hervor und bin [...] ins Europäische Parlament gewählt worden.“ (DF4) Die Politikerin beschreibt ihre Erfahrungen der Gegenkandidatur einer anderen Frau mit Vokabeln aus dem Bereich des Krieges: kämpfen, sich nicht unterkriegen lassen, siegen. Das zeigt, dass diese Art der Konkurrenzsituationen als etwas
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Existenzielles und Kriegerisches, also eher männlich konnotiertes, empfunden wird. Die Unterstützung durch Frauen führt also dazu, dass diese sich in als bedrohlich empfundene Konkurrenzsituationen begeben und dort typisch „männliche“, kriegsähnliche Erfahrungen sammeln. Frauensolidarität stärkt somit Frauen den Rücken, auf männlichen (Kampf-)Feldern zu agieren und erfolgreich zu sein. In den genannten Beispielen führt Frauensolidarität nicht dazu, dass Politik sanfter wird. Vielmehr müssen Frauen, die in der Politik erfolgreich sein wollen, zunächst männliche Verhaltensweisen adaptieren, um dann später, von innen heraus, Geschlechterstereotypen zu ändern. Als die Politikerin DF4 ihre als schwierig empfundene Kandidatur erfolgreich gemeistert und ihr Mandat erreicht hat, konnte sie in ihrer Politik „weibliche“ Akzente setzen und sich für Gleichstellungspolitik einsetzen: „Also es war schon die Gleichstellungspolitik, die für mich immer Motor war, um politische Arbeit auch aufzunehmen. Mir hat es unheimlich gestunken, dass viele der politischen Gremien hauptsächlich mit etwas betagten Herren besetzt waren, sag ich mal vorsichtig. Ich wollte da anderen Schwung reinbringen. Und ich bin immer noch derselben Überzeugung, dass eine lebendige Demokratie eigentlich alle Bevölkerungsschichten braucht und ich hatte schon dann auch das Selbstbewusstsein, dass ich als eine junge Mutter in dieser Gesellschaft etwas beizutragen habe. Es war sicher am Anfang schwierig, die internationale Arbeit. Die Strukturen zu durchschauen war also sehr anstrengend. Aber ich habe auch immer viel Hilfe erfahren, gerade von vielen Frauen, die doch die Solidarität nicht nur als Worthülse benutzen.[...] sonst wäre es sicher als Einzelkämpferin für mich nicht möglich gewesen.“ (DF4) Neben der Solidarität der Politikerinnen untereinander existiert eine weitere Möglichkeit, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, nämlich Zutritt zu den „richtigen“ Netzwerken zu erlangen.
Wie funktionieren männliche Netzwerke? Die Interviews mit den schwedischen Politikerinnen und Politikern zeigen, dass es auch in Schweden männliche und weibliche Netzwerke gibt und die Integration von Frauen in männliche Netzwerke sowohl in der Politik, als auch in der Wirtschaft nicht selbstverständlich zu sein scheint. Die schwedische Politikerin SF2 betont, dass es für Politikerinnen sogar gefährlich sein kann, sich in rein weibliche Netzwerke einzubringen, weil dadurch ihr Engagement von Männern weniger anerkannt würde:
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“Question: You talked about network in politics. Are there net works of man to which women have no entry? What is your experience towards this?” “You can work yourself in those networks if you make yourself necessary for men. That they loose power still on the way. For women to work as a chairman, it was a very nice time. I liked it very much. Of course it is much more responsibility. I think I liked it a lot but it is dangerous for women to work with female networks.” (SF2) “Question: Why?” “Of course I learned a lot but I probably hurt myself more than I would have not doing it because you create a situation where men don’t take you that seriously as if you do the same work in a male organisation.” (SF2) Frustrierende Erfahrungen mit männlichen Netzwerken in der Politik schildert die schwedische Politikerin SF 3: “Most men say: ‘Oh yes, yes, it’s very important what you say and it’s very very good and especially in women’s issues as a whole, extremely important.’ And then: nothing happens. And they go on, have chats at some place else together. And when it comes to official, I mean to decision making, it seems to me that very many decisions are already taken at some other places. So they just meet to confirm. That’s very, very typical.” (SF3) Aber auch in der Wirtschaft gibt es männliche Netzwerke. Die schwedische Politik ist sich der bestehenden Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern in der Wirtschaft bewusst und will durch finanzielle Anreize diese dazu ermutigen und ggf. durch die Einführung von Quoten dazu zwingen, ihre Netzwerke für mehr Frauen zu öffnen: “And there is a discussion, we have a minister for equalities. And she has said that if nothing happens in industry she will put a law on quotas which is of course extremely drastic. Because it doesn’t improve. And in industry there is... Swedish industry is based on very old big companies. And there are several smaller who have been…But Volvo, SKF, ABB, Eriksson - very old companies. And they are extremely male dominated. And men know men. And they say, well, we can’t find enough qualified women. Which is of course a lie, maybe not a lie, a lie is very hard, very tough word, but it’s ridiculous. Of course there are competent women. But maybe not in their generation, maybe not in their class net-
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work. You have to be a bit wider in your recruiting process. So that is a big problem. […] I mean the industry has a lot of networks, of course on European bases. And without having the statistics in my head you probably have somewhere male networks which will include them. They meet persons and they are generally male dominated.” (SF1) Dass es aber nicht nur auf höchsten Entscheidungsebenen in Politik (und Wirtschaft) männlich dominierte Netzwerke gibt, verdeutlicht der bereits angeführte Interviewauszug mit der Politikerin DF1 (vgl. Kap. 4.1). Ihre Erfahrungen zeigen, dass Frauen auch auf unteren Parteiebenen mit männlichen Netzwerken konfrontiert werden. Ihre Reaktion könnte zum Einen darin bestehen, sich männlichen Verhaltensweisen anzupassen, wie z.B. nach den offiziellen Sitzungen noch „mit in die Kneipe“ zu gehen, um zu erfahren, worüber sich die Männer unterhalten, und durch dieses Wissen Entscheidungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Andererseits aber müssen Frauen dieses Männerspiel nicht mitspielen, sondern können die Regeln brechen, in dem sie den Männern ihr Verhalten vor Augen führen und dieses in Frage stellen. Kritik zu üben und somit eine Verhaltensänderung zu erreichen, kann jedoch nur gelingen, wenn die Politikerin nicht alleine steht, sondern andere Kolleginnen als Verbündete hat. Insofern unterstützen die Erfahrungen der Politikerin DF1 die Aussagen anderer Politikerinnen, die sagen, dass sich mit einer zunehmenden Beteiligung von Frauen in der Politik die Atmosphäre ändert. Die oben zitierte Beurteilung von SF3 verdeutlicht, dass es auch in Schweden männliche Netzwerke gibt, die die Infiltrationen von Frauen verhindern. Selbst in dem Land, in dem die Gleichberechtigung der Geschlechter am weitesten fortgeschritten ist, werden politische Vorentscheidungen ohne Beteiligung von Frauen getroffen. Es scheint, dass auch eine Frauenquote und gleichberechtigte Beteiligung von Frauen kein Garant dafür ist, dass die männlich dominierten informellen Netzwerke aufgeweicht werden. Zwei deutsche Politikerinnen stellen in ihren Interviews heraus, dass sie auch von männlichen Kollegen unterstützt wurden und auch Zugang zu männlichen Netzwerken bekommen: „Ich muss aber auch dazu sagen, ich hab aber auch, Gott sei Dank am Anfang, und das waren dann Männer gewesen, die dann aber doch, wenn man die Leistung brachte, mich dann aber auch doch an entscheidender Stelle unterstützt haben, wenn die Leistung kam.“ (DF1) „Im gesellschaftlichen Bereich, in der Politik kenne ich Netzwerke von Männern, aber ich hab bisher keins getroffen, wo ich das Gefühl hatte, wenn eine Frau da wirklich rein wollte, das hätte sie nicht auch gekonnt, weil das letztlich das de-
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mokratische Prinzip ist. Für das Netzwerk ist es wichtig, was bringt der, der da rein kommt, politisch mit an Mehrheitsfähigkeit, an Themenschwerpunkten und so was. Das ist also sehr funktional und sehr professionell ausgerichtet. Was bringt er mit für den Zweck, den wir haben wollen. Es gibt in dem Sinne keine tradierten Netzwerke, die sich am Geschlecht orientieren. Das habe ich nicht kennen gelernt.“ (DF5) Die Politikerin DF1 begründet ihre Unterstützung durch männliche Politiker mit ihrer Leistungsfähigkeit. Bei der Unterstützung weiblicher Politikerinnen durch männliche Politiker liegt der Nutzen für die Männer in ihrem Fachwissen und nicht - wie bei der Unterstützung durch weibliche Politikerinnen - in der Unterstützung einer bestimmten Ideologie. Insgesamt zeigen die Interviews bezogen auf Polen und Griechenland, dass es mehr Frauen in der Politik geben muss, damit die Rivalität unter ihnen überwunden und in Solidarität verwandelt werden kann. Fehlen weibliche Vorbilder, orientieren sich die Politikerinnen an den männlichen Politikern. Für diese Länder ist die Einführung einer Quotenregelung von großer Bedeutung. In Deutschland und Schweden unterstützen Frauenverbände innerhalb der Parteien und Lobbygruppen die Solidarität der Frauen untereinander. Die Einführung von Quoten öffnete nicht nur einer größeren Anzahl von Frauen den Weg in die Politik, sondern förderte auch die Solidarität sowie die Vorbildfunktion von Frauen. Die aus ideellen Gründen praktizierte Solidarität der Frauen untereinander fördert den Mut von Frauen auch gegen Männer zu kandidieren und führt zu einem veränderten Klima in der Politik. Von Männern können Frauen weniger aus ideellen Gründen Solidarität erwarten, obwohl der schwedische Politiker auch davon berichtet. Politiker unterstützen ihre Kolleginnen vielmehr auf Grund ihrer Leistungen.
4.3 Selbstbild der Politikerinnen und Politiker Mit welchen Eigenschaften bzw. typischen Verhaltensweisen beschreiben sich die Politikerinnen und Politiker? Welche Motivation liegt ihrem politischen Engagement zu Grunde? Bei der Durchsicht der 21 Interviews fiel ins Auge, dass die Politikerinnen und Politiker sich und die Motivation ihres politischen Engagements immer wieder mit den gleichen Eigenschaften beschrieben. Es lag auf der Hand, länderübergreifend verschiedene Typen von Selbstbildern zusammenzufassen.
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern Die Helferin/der Helfer
Dieser Politikerinnen-/Politikertypus ist am häufigsten zu finden. Beispielhaft sollen einige Interviewauszüge angeführt werden. Die polnische Politikerin PF1, die erst spät, nach ihrer Pensionierung, angefangen hat, sich mit Politik zu beschäftigen und ihr politisches Interesse von ihrem Mann übernommen hat, sagt über ihre politischen Aufgabengebiete, dass sie an allem interessiert sei, was mit Menschen zu tun habe. Angefangen von einem neu zu bauenden Einkaufszentrum bis zu einer vor der Schließung stehenden Schiffswerft. Der Mensch steht ausdrücklich im Mittelpunkt ihrer politischen Tätigkeit: “I like to help people especially when I can solve their problems and to help people who are already excommunicated out of the society or who have problems. I can care with them, because their success is my success.” (PF1) Das politische Interesse der Politikerin PF5 stammt aus der Umbruchszeit der Solidarnosc63, da sie nicht aus einer politischen Familie stammt. Die Motivation für ihr politisches Engagement lag damals darin, dem Staatspräsidenten Lech Walesa zu helfen: “I first got interested in politics in 1980, the first wave of Solidarity. I was then a journalist and this, for journalists generally speaking, was a breeze of some new air and a new world. And that is why I not only decided to be a journalist, to be a prisoner who is writing about politics but there is also some help to be personally involved with it. […] The main expectation for me in 1990 was first of all of course to be around the Prime Minister and help him, be with him. Because we knew then that the changes that were going on are very important, very dramatic and revolutionary here. And that it is better for the people of the whole society not to stand next to them and just witness them but also take an active part in them. And that was my main motivation.” (PF5) In dem Interview mit der Politikerin PF3 stehen die Begriffe Ehrlichkeit („Honesty“) und Hilfe für Andere im Mittelpunkt: “I’m interested in the social work because I have been social active all time. From the younger times, from study. I was a social activist in my university and 63
Solidanosc: polnische Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung, die unter der Führung von Mitbegründer Lech Walesa 1989 die Abkehr vom Kommunismus einleitete. 1990 wurde Walesa zum Staatspräsidenten gewählt.
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the other institutions. I was very active ten years ago when we had the transformation times. […] All the time I would like to help other people. […] All time the most important thing for me was honesty and solidarity and to work for other people. And the people were very often glad about my activity. I dream about a better world, believe me.” (PF3) Neben weiteren Politikerinnen, unter anderem auch der deutschen Politikerin mit Migrationshintergrund DF2, kann auch ein Politiker dieser Kategorie zugeordnet werden. Der polnische Politiker PM1 repräsentiert die deutsche Minderheit in Polen und stammt aus einer politischen Familie. Selbst erst spät politisch aktiv geworden, bestimmt seine Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit in Polen sein politisches Denken und Handeln. „Ich war ziemlich entfernt von Politik und solchen Sachen. Von Beruf bin ich Tierarzt. Ich habe eine gute Arbeit gehabt. [...] Nach längeren Diskussionen war ein Standpunkt von sagen wir mal 20 oder 30 Leute, die damals die Spitze der Bewegung [Bewegung der deutschen Minderheit] waren, der Kandidat muss einer sein, der trägt den Namen [Eigenname], aber nicht mein Vater. In diesem Falle der nächste war ich. [...] Das war kein Traum oder eine Erwartung von mir, endlich werde ich in der Politik sein, umgekehrt. Also diese ein oder zwei Monate kann ich hier ein Spielchen machen und dann werde ich wieder der ruhige Tierarzt sein.“ (PM1) Die Politikerin DF2 glaubt, dass ihr politisches Engagement für die Menschen mit Migrationshintergrund eine wichtige Rolle spielt, das es ihnen zeigt, dass ihre Interessen vertreten sind: „Da ich ja eine ausländische Herkunft hab, stehe ich nicht nur für meine Partei da. Sondern auch viele ausländische Mitbürger, die in Deutschland leben. Sie sehen einen hier [im Europäischen Parlament] und sagen immer: ‚Mensch, die vertritt uns ja hier.’“ (DF2) Helfen steht insofern im Fokus der politischen Tätigkeit von DF2 und PM1, als dass sie der jeweiligen Minderheit, der sie angehören, helfen wollen, politisch Gehör zu finden und dies die Motivation ihres politischen Engagements ist. Zudem wollte PM1 seiner Partei aus einer Personalkrise helfen. Bei DF2 und PM1 nimmt diese Tatsache der Andersartigkeit in ihrem Selbstbild eine herausragende Stellung ein. Die Motivation Zu, beide können nicht den anderen Kategorien zugeordnet werden.
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern Die Kämpferin/ der Kämpfer
“I’m a fighter. That means that if it’s a difficult situation I’m not trying to hide. I will take the responsibility to have a decision. Even if it’s a cost out of it. I want to keep my believes what I think is right. So I don’t handle a situation in a way that I will to keep my post. I explore myself in dangers. If I can say so. I take the risks.” (GF1) “I fight for what I believe, because I’m passionate. And if I believe that something is right, I fight to death for that. Without taking into consideration the political or economical cost. Well, it’s the character. I’m a very risky person. I’m very straight. And I don’t think very much, when I talk in public I say my truth, you know. And I’m so much convinced that women should be successful, in gaining gender equality that this makes me very passionate. I’m honest. And I think even if people do not like you at least, if they think you are honest and strongly believe what you are fighting for you get support.” (GF2) Beide interviewten griechischen Politikerinnen zeichnen von sich ein sehr selbstbewusstes, fast hartes, vielleicht an männlichen Vorbildern orientiertes Bild ihrer Eigenschaften. Sie bezeichnen sich als Politikerinnen, die sich in Problemsituationen nicht verstecken, sondern die Verantwortung übernehmen, wenn sie von etwas überzeugt sind, auch wenn sie dabei Blessuren davontragen. Auf der beruflichen, öffentlichen Seite zeichnet GF1 von sich ein starkes, mutiges, ja fast aggressives Bild, auf der anderen, privaten Seite stellt sie sich jedoch selbst als Mutter dar, die unter der Abwesenheit von zu Hause leidet. Vielleicht ist diese Bipolarität, die Verhaltensdifferenzierung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich, typisch für Frauen, die in einem männlich dominierten Umfeld arbeiten, aber gleichzeitig Verantwortung für ihre Familie übernehmen und somit Ausdruck der doppelten Vergesellschaftung von Frauen. Wie in Kapitel 4.1 dargestellt, beschreibt die deutsche Politikerin DF4 ihre politische Tätigkeit mit vielen kämpferischen Begriffen. Sie kann ebenfalls als „Kämpferin“ bezeichnet werden, auch wenn sie zur Kandidatur erst überredet werden musste: „Wir hatten eine weibliche Vorgängerin, eine Abgeordnete damals, die gesagt hat, sie wird nicht wieder kandidieren aus persönlichen Gründen und wir sollten uns doch nach einer Nachfolgerin umsehen. Ich war nicht der Meinung, dass ich das sein sollte, aber meine Mitstreiterinnen waren der Meinung, ich soll mich da bewerben. Und das hab ich dann gemacht nach einiger Überzeugung, weil ich hab dann gedacht, auf der einen Seite kämpfe ich für Quotierung, dass Frauen
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stärker vertreten sind, und dann kommt eine Möglichkeit auf mich persönlich zu stellen und dann kneif ich. Das konnte ich dann mit meinem Selbstverständnis von Politik nicht vereinbaren. Und dann hab ich mich bereit erklärt, aber dann nicht halbherzig, sondern dann hab ich auch gekämpft.“ (DF4) Wie bei der Politikerin DF1 geht es auch bei der Kandidatur von DF4 um ein größeres Ziel: nicht nur von einer höheren Beteiligung von Frauen in der Politik zu reden, sondern auch ein Vorbild zu sein und für ein politisches Mandat zu kämpfen. Während drei deutsche Politikerinnen (DF3, DF4 und DF5) dem Typus der Kämpferin entsprechen, trifft dieser Typus auf keine der schwedischen oder polnischen Politikerinnen zu. Von den interviewten männlichen Politikern lässt sich nur der griechische Politiker diesem Typus zuordnen, allerdings mit Abstrichen, da er sich selbst primär als “Businessman“ und weniger als Politiker sieht: “I am more like a businessman and less than a politician. […] I’m still an active businessman. So whether I stay in politics or not makes no difference to my business. I still work as a businessman. That is where I make my money. But politics in the level of the European Parliament is a challenge. And if it is proposed to me once again, I will not refuse it “ (GM1). Der Grund für die Betonung des Ursprungsberufes, den auch der Politiker PM1 zeigt, könnte in der Unsicherheit des Politikerdaseins liegen. Von allen interviewten Politikerinnen und Politikern betont nur die deutsche Politikerin DF2, dass sie nicht für immer Politikerinnen sein möchte. Für das Selbstbild der männlichen Politiker PM1 und GM1 scheint es von größerer Bedeutung zu sein, dass sie im Falle einer Wahlniederlage ohne Probleme in ihren Ursprungsberuf wechseln können. Der griechische Abgeordnete wurde dem Typus „Kämpfer“ zugeordnet, weil er als Motivation Politiker zu werden, angibt, er habe sich der Herausforderung stellen wollen: “It was a challenge. I never seen out to new challenges. And also a real businessman always criticise politicians. So I decided to go on the side of politicians to see if the critic all the years was quite actual or not and to see what a businessman can do as a politician.” (GM1)
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern Die Berufene/ der Berufene
Dem Typus die/der Berufene wurden eine Politikerin, SF1, und zwei Politiker, SM1 und PF3 zugeordnet. Die schwedische Politiker SF1 berichtet über die Motivation ihres politischen Interesses: „Maybe because I really believe in this [sie meint ihren Beruf als Politikerin, YRID]. [...] I have a sort of passion for it and some vocation. I want to contribute to make it better. And that probably I show it when I go out to talk to people. They can see, maybe, we don’t agree with you, but you have some passion. And I think people want passion in politics. [...] And I have a great passion for European Politics. And I think it’s really like Christmas to take part of it.“ (SF1) Eine schwedische Abgeordnete stellt sich selbst als „Politik-Workaholic“ dar: “When I’m here, why shouldn’t I work? I always worked a lot. In all my jobs. I’m a hard working person. And I think it has more to do with personality. And the fact, that I feel a sort of responsibility towards the people who elect me. And I had quite a lot of people, who put a cross in front of my name, who bonded me to be here. So I feel a sort of maybe idealistic or responsibility.” (SF1) Eine gesteigerte Berufung, ja fast Abhängigkeit von Politik, lassen die Interviewaussagen des Politikers SM1 erkennen. Trotzdem zögert er zunächst, als er Kandidat für das Europäische Parlament werden soll: “So then I tried to be very active on the local arena. And then after a couple of years I was a candidate to the Riksdagen, our national parliament. […] And there I had a mandate for one period. It was too short I think. And I was thrown out by the voters the next time. And I think that was a bit unfair, but democracy is like that. […] And I get back to local policy trying to rescue myself, to preserve whatever it was and tried to get a new chance in 1998. And then I failed at that time as well. And then I said that enough is enough. So then I quit almost everything. And then the election to the European Parliament came up. And there were some people who wanted me to run. And I said, no, I don’t think so. I have commitment to my family because I started rather late. […] And they are rather small children, they are now 9 and 13.[…] And I said to her [my wife, YRID] that now it’s my obligation to take care of our family, and take care of the children and do what I can do. And we agreed on this. And of course it was not the most favourable decision according to my political life. Because I was once politician, it’s a sort of poison you can not get rid of it. […] So I was run-
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ning to the European Parliament for fun, because I thought, okay, this was the last one I’ve thought. At that time I made 13 different election campaigns, 13.” (SM1) Auch der polnische Politiker PM3 stellt seine Berufung für die politische Tätigkeit in den Mittelpunkt seines Selbstbildes. Sein ursprünglicher Beruf, Rechtsanwalt, ist in den Hintergrund getreten und die Politik bestimmt sein Leben: „Heute bin ich im Parlament, heute bin ich schon professioneller Politiker. Und fühle mich sehr gut. Es ist mein Leben, es ist meine Welt. [...] Wissen Sie, polnische Politiker haben einen sehr kleinen Verdienst. Zum Beispiel, wenn ich als Rechtsanwalt arbeite, würde ich viel, viel mehr verdienen. Aber ich bin hier. Ich bin beruflich in der Politik. Ich bin Mitglied des Parlaments. Deshalb, weil ich will. Für mich ist es mein Leben. Mein Gefühl. Ich fühle mich heute gut.“ (PM3)
Die Kompromissorientierte/ der Kompromissorientierte
Dieser Politikerinnen/Politiker-Typus ist nicht nur orientiert an Kompromissen, sondern legt in seinem Selbstbild viel Wert auf die Bedeutung der Kommunikation. Der deutsche Politiker DM1 erläutert: „Ich versuche immer, bevor ich in eine konfliktreiche Situation hineingehe, auszuloten, warum der Konflikt entsteht, wo die Motivation des Gegners liegt und versuche eigentlich immer schon im Vorfeld, über Gespräche oder andere Arten der Kommunikation, Lösungen zu finden, die diesen Konflikt nicht eskalieren lassen. Also ich hab in meiner eigenen politischen Tätigkeit vielleicht ein oder zwei Situationen erlebt, wo es wirklich gekracht hat. Und in fast allen Situationen für die ich Verantwortung hatte, konnte ich es irgendwie hinkriegen, dass es nicht eskalierte und dass man sich entweder friedlich einigen konnte, dass man einen Kompromiss gefunden hat, oder aber dass die unterlegene Seite, wenn kein Kompromiss zustande kam, dabei nicht das Gesicht verloren hat. Das ist, glaube ich, auch immer entscheidend.“ (DM1) Es ist schwierig einzuschätzen, ob dieses Verhalten, nach Motivationen zu suchen, Kompromisse einzugehen, Konfrontationen zu verhindern, nicht eigentlich als typisch weibliches Verhalten in der Politik beschrieben werden könnte. Hier gibt es Parallelen zu vielen Interviews mit Politikerinnen. Als wichtigste Eigenschaften eines Politikers nennt DM1:
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern
„Zuhören können und reden können. […] Ich gründe meine Arbeit jedenfalls darin viel zuzuhören. Das macht ja auch nicht jeder. Aber ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Das ist auch eine Frage der Persönlichkeit, ob man das macht oder nicht oder ob man das auch für wichtig hält. Vielleicht irre ich mich ja auch, und ich kann gar nicht gut zuhören. Ich glaub’s einfach.“ (DM1) Die kommunikativen Verhaltensweisen „zuhören und reden können“, die der Politikers DM1 als wesentlich für eine politische Tätigkeit erachtet, werden ebenfalls als eher „typisch weibliche“ Eigenschaften bezeichnet. Insofern ist es interessant zu sehen, dass der Politiker DM1 sich diese selbst zuschreibt. Die folgenden zwei Interviewauszüge mit den Politikerinnen SF2 und DF1 zeugen ebenfalls von ihrem Willen zum Dialog und Streben nach Ausgleich und Kompromissen: “I try to be with everybody in the same way. I don’t like it too much looking upstairs and downstairs and I try to do the same thing to everyone and I work with. I have a clear point of view and the key in politics cannot be so small and you must be able to combine different people and make something out of it.” (SF2) „Ich mache es dann erst mal so, [...] wenn es um unterschiedliche Sichtweisen von Dingen gibt, dass ich diejenigen oder denjenigen direkt anspreche, weil ich denke, die direkte Ansprache ist besser, als da hintenrum solche Dinge zu regeln. Und ich denke, wenn man dann da offen und ehrlich diese Dinge direkt anspricht, fährt man besser. Weil es natürlich auch ein Stück weit fairer ist.“ (DF1). Zusammenfassend lassen sich bei den Befragten drei Motive für die politische Tätigkeit differenzieren:
Motivation auf Grund einer politischen Umbruchsituation Motivation auf Grund familiärer Vorbilder Motivation aus Wunsch nach Selbstverwirklichung
Gerade die Motivation der politischen Tätigkeit als Wunsch nach Selbstverwirklichung, was von Politikerinnen und Politiker aus allen untersuchten Ländern geäußert wird, kann als typisch für postmaterialistische Gesellschaften gelten. Inglehart hat in seiner Theorie des Wertewandels auf die Relevanz des Strebens nach Selbstverwirklichung als Kennzeichen moderner Gesellschaften hingewiesen (vgl. Inglehart 1977: 92 ff). Des Weiteren ist der Wunsch nach Partizipation
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in einer gesellschaftlichen-politischen Umbruchsituation - vor allem für die Politikerinnen und Politiker aus Ostdeutschland und Polen - als Motivation nennen. Die Motivation, aus einer politischen Familie zu stammen und ein familiäres Vorbild zu haben und deshalb Politik als Herausforderung, als Aufgaben- und Arbeitsfeld zu betrachten, ist vor allem bei den deutschen, aber auch polnischen Politikerinnen und Politikern zu finden.
Welche Individualisierungstendenzen zeigen die Biographien der interviewten Politikerinnen und Politiker? Die Biografien der Politikerinnen und Politiker zeigen in vielfacher Hinsicht Individualisierungstendenzen auf, ihr Leben ist von Mobilität und Flexibilität gekennzeichnet. Häufig leben sie von ihrer Familie und ihren Freunden unter der Woche getrennt, da diese ihrer Heimatregion geblieben ist, während sie nach Brüssel (bzw. Warschau) gezogen sind. Beispielhaft soll in diesem Zusammenhang ein Interviewauszug mit der griechischen Politikerin GF1 angeführt werden. Sie schildert, dass es für sie eine schwierige Entscheidung war, das Mandat für das Europäische Parlament anzunehmen, da sie zwei Rollen miteinander vereinbaren musste, die Rolle als Politikerin, in die man Hoffnung setzt, und die als verantwortungsvolle Mutter mit einem 11jährigen Kind: “I want to be honest. It was a very, very hard decision for me. On one hand it was a big honour to be in the European Parliament. On the other hand I’m divorced. I have one child, a boy, 11 years old. And it was very difficult for me to think that I have to leave him behind. Because it’s no way to take him here. Every week I have to go back to Greece.” (GF1) Die Familienrolle, insbesondere die Mutterrolle mit jüngeren Kindern, führt nach klassischem Rollenverständnis zu erheblichen Einschränkungen und Behinderungen in Bezug auf die Entwicklung einer politischen Karriere. Während die männlichen Europaparlamentarier von dem in vielen europäischen Ländern (noch) vorherrschenden klassischen Rollenverständnis von Frauen- und Männerrollen profitieren, weil sie sich um das Wohl der Familie keine Sorgen machen müssen, sondern dieses von der Frau sichergestellt wird, wird bei den Europaparlamentarierinnen ein Höchstmaß an Flexibilität vorausgesetzt. Für die männlichen Politiker stellt sich seltener die Frage, ob sie auch am Wochenende an einer Besprechung oder Konferenz in Brüssel oder Straßburg teilnehmen können. Sie nehmen diese Termine einfach wahr. Die griechische Abgeordnete hat Schuldgefühle, wenn sie sich nicht zumindest am Wochenende um ihr Kind kümmern
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kann. Der schwedische Politiker SM1 hatte bei seiner Kandidatur für das Europäische Parlament die gleichen Bedenken wie die Griechin GF1, da er mit seiner Frau, die eine hohe berufliche Position inne hat, vereinbart hatte, sich um die Familie zu kümmern, während sie „Karriere macht“. Sie entscheiden sich aber dann dafür, dass er seine neue Aufgabe, die ihn zeitlich und räumlich sehr von seiner Familie entfernt, annimmt. Dieses gleichberechtigte Rollenverständnis, das der schwedische Politiker und seine Frau offensichtlich haben, würde umgekehrt für eine Europaparlamentarierin bedeuten, dass sie mit einem Mann zusammenlebt, der ihr den Rücken zu Hause freihält und der letztlich zur Übernahme der Familienaufgaben bereit ist. Von den interviewten männlichen Politikern haben alle Kinder. Gleichfalls haben alle älteren Politikerinnen Kinder, wohingegen die jüngeren (unter 40jährigen) mit Ausnahme der Polin PF4 keine Kinder haben. Vier Politikerinnen sind geschieden, aber keiner der interviewten Politiker. Fast alle Frauen thematisieren die schwierige Vereinbarkeit von Privatleben/Familie und Abgeordnetentätigkeit und machen auf Hindernisse in der Organisation und Kombination beider Rollen aufmerksam, wohingegen bei den männlichen Abgeordneten nur der Schwede von diesen Problemen spricht und Sensibilität zeigt sowie von persönlichen Erfahrungen berichtet.
4.4 Doing Gender in Politics Mit welchen Eigenschaften und Verhaltensweisen beschreiben die Politikerinnen und Politiker ihre Kolleginnen und Kollegen? Alle befragten 21 Politikerinnen und Politikern berichten von Unterschieden im Verhalten und in den Eigenschaften von Politikerinnen und Politikern. Allerdings haben sie ein unterschiedliches Bild des Geschlechterverhältnisses. Einige, Politikerinnen wie Politiker, schreiben Frauen in der Politik grundsätzlich positivere Eigenschaften zu als Männern. Dies wird dualistisches Bild des Geschlechterverhältnisses genannt. Frauen und Männern zeichnen sich dieser Einstellung nach durch unterschiedliche, konträre Verhaltensweisen und Eigenschaften aus. Die Politikerinnen ordnen ihren Kolleginnen eindeutig positive, ihren männlichen Kollegen eindeutig negative Eigenschaften zu (Frauen loyal – Männer aggressiv), während die Politiker ihren Kollegen Rationalität und Stärke, ihren Kolleginnen Emotionalität und Schwäche zusprechen. Die meisten Politikerinnen und Politiker jedoch akzentuieren, dass Frauen und Männer gleiche und unterschiedliche Verhaltensweisen und Eigenschaften inne haben, abhängig
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jeweils von der Individualität sowie von den gesellschaftlichen Bedingungen. 64 Dies wird das differenzierte Bild des Geschlechterverhältnisses genannt. Im Folgenden sollen nun ausgewählte Interviewauszüge verdeutlichen, wie die Politikerinnen und Politiker Doing Gender praktizieren, indem sie einem dualistischen oder differenzierten Bild des Geschlechterverhältnisses folgen.
„Politikerinnen sind friedvoll - Politiker karriereorientiert“: das dualistische Bild des Geschlechterverhältnisses Für die Politikerinnen und Politiker, die einem dualistischen Bild des Geschlechterverhältnisses folgen, besteht das Doing Gender darin, den Politikerinnen und Politikern eindeutig unterschiedliche Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen zuzuordnen. Hierbei werden Politikerinnen idealisiert und Politiker meist negativ dargestellt. Die beiden Politikerinnen, die eindeutig einem dualistischen Bild des Geschlechterverhältnisses folgen, kommen aus Griechenland und Polen, also Ländern, in denen die Gender Equality noch nicht sehr weit vorangeschritten ist und Frauen in der Politik nur wenig repräsentiert sind.65 Die griechische Abgeordnete GF2 ist der Überzeugung, dass Politikerinnen kompromissfähiger und friedvoller seien als Politiker: “If we let them, women would solve in the best way the problems in the Middle East. The problems in the Middle East would be solved. Men have problems to be conciliate. Because they don’t know how to compromise. Because they think it’s a shame to compromise. It’s not so male. Their maleness would be questioned, you know, if they compromise. But we know, we could not have solutions to problems with that compromises. Well, this is women’s job. That was they were doing within the family, so many centuries, that we know the job, you know, we always try to conciliate. And in the family that was the role of women. So we have qualities, female qualities that I have been excluded from. Because women, they are not present during the negotiations. And men are trying to solve problems by violence. You could not solve a problem by violence, by war. And that’s 64 Die Unterscheidung in dualistisch und differenziert stellt keine Wertung der Überzeugung der interviewten Politikerinnen und Politiker dar. 65 Allerdings war die Zuordnung der Aussagen der Politikerinnen und Politiker zum dualistischen oder differenzierten Bild nicht immer einfach. So spricht die Politikerin PF3 bspw. Von „men often think about the use of their private positions“, also “often”, nicht “always“. Auch bei einigen männlichen Politikern, die letztlich dem differenzierten Bild des Geschlechterverhältnisses zugeordnet wurden, konnten Ansätze des dualistischen Bildes gefunden werden. Allerdings überwogen letztlich insgesamt die Aussagen, die auf ein differenziertes Bild schließen lassen.
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern
why I strongly believe, but I will not be alive, about 50 years or 100 years, this century, that women will take the power that belongs to them.” (GF2) Auch die polnische Politikerin PF3 zeichnet ein idealisiertes Frauenbild: “Men very often think about the use of their private positions. They often think of their private interests but not very often of the city and the country. And in political discussions it gets clear that they often chance their opinion. Before elections they have one opinion and now after one year their opinion changed. Men are seldom interested in social problems or the situation of the people. But woman are more honest, feel responsible and don’t change their opinion. I think in Poland we believe that woman are more honest and loyal. But I think it is better that women go every day, every hour, eyery time on their own foot. I think this is the most important thing. And that they don’t want to throw their word away.” (PF3) Von Männern skizziert PF3 das Bild machtbesessener Egoisten. Frauen seien ehrlicher und weniger egoistisch, fühlten sich verantwortungsbewusster und seien weniger opportunistisch.
„Die Unterschiede sind individuell“: das differenzierte Bild des Geschlechterverhältnisses Die meisten Politikerinnen und Politiker äußern ein differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses. Die griechische Politikerin GF1 stellt heraus, dass Frauen und Männer einen unterschiedlichen Zugang zum politischen Handeln haben. Sie spricht von zwei Wegen, die sie für nützlich hält und die sich ergänzen: “I think they act in a different way. If I can say so. It’s more the way that the women are thinking: It has to do more with the quality of their life. And it’s centralised to the person. Men have, in general, a different way of thinking. They think about members, tactics, policies. I mean they take decision to the correct direction, I don’t evaluate. I’m trying to explain the whole thinking. We start from the person and do create our position, political position. I think that they start from the goal. I think, if I can say so, this is the main characteristic. And I think that we have to keep this. Because both ways are useful. Women have to keep theirs. Whatever we decide, we decide for the quality of life, of each person. If you are from here or there, it’s no difference for me. We have to keep this way
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to think for the human being. Wherever he was born. Whatever language he speaks or in whatever culture he or she lives.” (GF1) “Question: And do the men have to change them” “No, I said that regularly both are useful. It’s a way that we act in life. And in some things we act the same way, in others we act differently. I don’t know if some differences have to do with the gender. And this keeps some characteristics. We are more sensitive. And I think that in our days feelings are useful in politics. Emotions help in decisions. If you are very much emotionally you loose the correct decision. But to keep this type of thinking is useful in our days.” (GF1) Die griechische Politikerin GF1 betont, dass Frauen eher emotional und ganzheitlich denken und handeln, wohingegen Männer eher zielorientiert seien. Sie betont, sie sei sich aber nicht sicher, ob diese Denk- und Verhaltensweisen mit dem Geschlecht zusammenhängen. Sie spricht in diesem Zusammenhang von „Gender“, dem sozialen Geschlecht. Allerdings ist es nicht ganz klar, ob sie das soziale Geschlecht oder das natürliche meint. Wenn sie bewusst Gender benutzt, heißt dies, sie glaubt, dass die natürlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht so groß seien, sondern dass die oben beschriebenen Unterschiede durch eine Prägung durch die Umwelt entstanden sind. Die deutsche Politikerin DF3 wägt ab und stellt heraus, dass Frauen nicht automatisch die „besseren Politiker“ sind, aber dass ihre Anwesenheit in der Politik hilft, diese sachlicher und pragmatischer zu machen. „Frage: Gibt es Ihrer Meinung im politischen Verhalten und in der politischen Kommunikation Unterschiede zwischen Männern und Frauen?“ „Aber heftige, glaube ich. Ich sage nicht, dass Frauen per se die Besseren sind oder die bessere Politik machen, aber es ist erwiesen und ich habe es ja jetzt in zwölf Jahren Praxis erlebt, dass da, wo Frauen halbwegs adäquat präsentiert sind, der Anteil von klassischen Schau- und Hahnenkämpfen etwas geringer ist, als wenn die Männer unter sich sind. Ich glaube auch, dass Frauen eine größere Offenheit mitbringen, starre Strukturen, sprich Fraktionsgrenzen, im Stück aufzubrechen […].“ (DF3) Die Politikerin DF3 vertritt die Überzeugung, dass Politiker untereinander um Positionen kämpfen („Hahnenkämpfe“) und die Anwesenheit von Frauen dieses Verhalten verändert.
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Die schwedische Abgeordnete SF1 schildert allerdings in einer Interviewpassage, dass Politikerinnen sich auf der politischen Bühne anders verhalten als ihre männlichen Kollegen, nämlich unterordnend und schüchtern: “There is a different way to communicate. There is a different way of management. Not valid for each individual, but very general. […]I think that we as women sometimes have a problem that we don’t demand the same authority and place. We are more excusing ourselves, saying: Well, I would be very brief Mr. Chairman and before a man talking for 25 minutes, you know.” (SF1) Die polnische Politikerin PF2 betont, dass sich kaum Unterschiede zwischen Frauen in Männern in der Substanz der Politik, dafür aber im Verhalten feststellen ließen: “Due to the fact that women may sometimes be iron inside but outside they are the more willing to compromise and therefore they may simple archive more than man. Because I think that politics is based on compromises. […] The differences between men and women in politics are not based on substance though I say there is no, simply, there is no gender solidarity. Everyone is acting on political bases and not on this or that gender solidarity. I simple say that among women it is more soft, more gentle, more gentle kind of politics. But that is just a form, not a substance.” (PF2) Der deutsche Politiker DM1 zeigt ein differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses, denn er sagt, Generalisierungen und Parallelen für alle Männer oder alle Frauen in der Politik seien schwer zu ziehen. Er zeigt aber eine idealisierte Vorstellung von weiblichen Politikerinnen, denn sie seien inhaltlich an Politik interessierter als Männer: „Aber es ist für mich immer sehr schwer das zu pauschalisieren. […] Sowohl die Männer als auch die Frauen sind so unterschiedlich. Und wenn man jetzt mal hier konkrete Beispiele aus dem Parlament nimmt, ich weiß nicht inwieweit man das dann verwerten kann, aber eine [Eigenname1] ist wenig vergleichbar mit Frau [Eigenname2]. Und ein [Eigenname3] ist wenig vergleichbar mit einem [Eigenname4]. Die sind ganz anders. Die kommen aus unterschiedlichen Regionen und haben auch eine andere Geschichte mit sich gebracht, haben eine unterschiedliche Ausbildung, unterschiedliche Sozialisation. Und da gibt es keine Parallelen, die man jetzt für alle Männer ziehen könnte und Parallelen, die man dann für alle Frauen ziehen könnte. […] Ich mache schon die Erfahrung, dass es etwas sachorientierter zugeht je mehr Frauen an Diskussionen teilnehmen.[…]
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Denn wenn Frauen, oder sagen wir es mal so: Frauen sind nie nur durch Zufall oder selten nur durch Zufall in der Politik. Sondern das sind immer Frauen, die sichtlich inhaltliche Anliegen haben, die sie dann auch intensiv verfolgen, während es bei den Männern schon einen größeren Teil gibt, die das als Karriere sehen, ohne ein inhaltliches Anliegen. Und dann sind sie natürlich auch in bestimmten Dossiers, die sie bearbeiten sollen, vielleicht gar nicht so engagiert, weil für sie die Auseinandersetzung mit einem Thema nur Mittel zum Zweck ist, während bei vielen Frauen – also wie gesagt immer mit der Einschränkung, dass man nicht alles verallgemeinern kann – die inhaltlich gute Beschäftigung mit einem Thema dazu geführt hat, dass sie dann auch ein Mandat bekommen haben. Und der Mann wollte vielleicht erst mal das Mandat und dann gucken, was er inhaltlich machen kann.“ (DM1) Dies ist eine interessante Beobachtung, weil Frauen doch eher Emotionalität zugeschrieben wird. Verhalten sie sich sachorientiert, weil es von ihnen erwartet wird? Oder sind sie besonders professionell, weil sie besser sein müssen als die Männer, um Erfolg zu haben? – Der Politiker DM1 sieht den Grund hierfür darin, dass Frauen selten oder nie durch Zufall in der Politik seien, sondern dass sie immer inhaltliche Anliegen hätten, die sie dann intensiv verfolgten. Die Männer hingegen sähen Politik eher als „Karriere ohne ein inhaltliches Anliegen“. Seine Ausführungen unterstützen die Beobachtungen von GF1: Männer dächten an Taktiken, an ihr Ziel - und damit weniger an politische Inhalte. Der polnische Politiker PM1 beschreibt sehr offen die polnische Tradition, dass nur Männer sich mit Politik beschäftigen: „Wenn es um uns Deutsche in Polen, deutsche Oberschlesier geht, war die Tradition immer, dass mit der Politik sich die Männer beschäftigt haben. Also in unseren Reihen haben wir natürlich auch Kandidatinnen aufgestellt, aber in der Wirklichkeit haben die Frauen wenige Chancen gehabt.“ (PM1) „Frage: Woran liegt das?“ „Verbunden mit der Tradition der Bevölkerung, der Wählerschaft. […] Auch hier in der polnischen Mentalität war es so, dass die Männer sich mehr als Politiker sehen, als die Frauen. Aber die Frauen sind in manchen Bereichen der politischen Tätigkeit besser als die Männer. Sagen wir einmal zum Beispiel im sozialen Bereich. […] Und die Antwort von mir ist natürlich: Frauen in der Politik, ja, aber unter dieser Bedingung, dass sich die Frauen für die Politik interessieren.“ (PM1)
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern
Seine Partei habe zwar „natürlich“ auch Kandidatinnen aufgestellt, aber in Wirklichkeit hätten die Frauen nur wenig Chancen gehabt. Dabei räumt er aber ein, dass Frauen in bestimmten Bereichen, wie der Sozial- oder Erziehungspolitik, besser seien als die Männer. Für ihn ist wichtig, dass Frauen in die Politik gehen, die sich für Politik interessieren. Diese unterschiedlichen Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften ihrer Kolleginnen und Kollegen, von denen die befragten Politikerinnen und Politiker berichten, zeigen, dass Frauen offensichtlich einen anderen Erfahrungshorizont und kollegialere Verhaltensweisen als ihre männlichen Kollegen mitbringen. Insgesamt kann man sagen, dass die meisten Politiker, vor allem die jungen, Frauen wie Männer, ein eher differenzierteres, mehrdimensionales Bild des Geschlechterverhältnisses haben. Sie betonen, dass es individuelle Unterschiede innerhalb der Geschlechter gibt. Man kann demnach nicht resümieren, dass Politikerinnen und Politiker bestimmter Länder oder bestimmter politischer Richtungen ein dualistisches oder differenziertes Geschlechterverständnis verinnerlichen. Vielmehr gibt es individuelle Unterschiede zwischen den befragten Politikerinnen und Politikern. Auffällig ist, dass einige männliche Politiker aus den patriarchalischen Ländern Griechenland und Polen die Schwierigkeiten von Frauen in der Politik negieren. Zudem zeigen die männlichen Politiker aus Polen und Griechenland insgesamt ein eher klassisches Frauenbild: Frauen interessierten sich meist nicht für Politik, wenn, dann für „Frauenthemen“. Abschließend zeigt folgende Abbildung, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen die Politikerinnen und Politiker ihrem eigenen und dem jeweils anderen Geschlecht zuschreiben:66
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Ein Vergleich dieser mit den von Schöler-Macher und Meyer aufgestellten Eigenschaften und Verhaltensweisen von Politikerinnen und Politikern erfolgt in Kapitel 5.
Gender Equality in den vier EU-Staaten - subjektive Beurteilungen Abbildung 3:
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Eigenschaften von Politikerinnen und Politikern
Politikerinnen vom anderen Geschlecht zugeschriebene Eigenschaft vom eigenen Geschlecht zugeschriebene Eigenschaft
sachorientierter als Politiker haben inhaltliche Anliegen sehen sich seltener als Politiker loyal friedvoll eisenhart innen kompromissbereit nach außen offener: brechen starre Strukturen wie Fraktionsgrenzen auf fordern nicht den gleichen Raum und die gleiche Zeit wie Männer entschuldigen sich
Politiker
weniger kompromissorientiert denken an ihre Karriere ändern ihre Meinung seltener an sozialen Problemen interessiert sehen Politik als Karriere sehen sich mehr als Politiker
4.5 Gender Equality in den vier EU-Staaten - subjektive Beurteilungen Die wichtigste These lautet, dass man im Europäischen Parlament kompetente Frauen für alle politischen Gebiete findet - wenn man will. Der schwedische Politiker SM1 betont, dass es wichtig ist, nach kompetenten Frauen zu suchen. Auch wenn sie bei der Besetzung einer Arbeitsgruppe z.B. nicht direkt zu finden seien, gibt es sie, und es hängt vom politischen Willen der Parteien bzw. Fraktionen ab, ob in diesen Ausschüssen auch Frauen zu finden sind. Insofern können auf Europäischer Ebene frauenspezifische Maßnahmen nicht nur in den Mitgliedstaaten, sondern auch im Europäischen Parlament dazu führen, dass Frauen stärker repräsentiert werden, auch wenn dadurch, wie von DM1 aufgezeigt, Männer scheinbar benachteiligt werden. In Wirklichkeit sind männliche Politiker in Bezug auf Gender Equality selbst bei einer entsprechenden Frauenquote weiterhin überrepräsentiert.
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern
“It was impossible to organise a seminar with only men” - Schweden Die Gleichberechtigung der Geschlechter in Schweden ist, folgt man den offiziellen Daten und der Stellungnahme von SM1, sehr weit vorangeschritten. Dass dieses Ziel erreicht wurde, hängt mit der Einführung eines Quoten- und Reißverschluss-Systems bei der Besetzung von Listenplätzen, Ausschüssen und offiziellen Gremien zusammen: „I think it’s good to have some sort of aims, targets (Quotenregelung, Reißverschluss-System, YRID). And when I was a young politician, it was impossible to organise a seminar, a debate or a panel with only men. And it’s very odd for me to see that down here (im Europäischen Parlament, YRID) it’s very normal.”(SM1) Die Interviews der schwedischen Politikerinnen und Politiker decken sich zum Großteil mit den gängigen Darstellungen der Gender Equality in Schweden. Allerdings machen einige Aussagen deutlich, dass selbst in einem Land wie Schweden die Gleichstellung der Geschlechter kein gesichertes Ziel ist, sondern dass diese weiterhin angestrebt werden muss. Der Politiker SM1 berichtet sogar von einer tendenziellen Rückentwicklung. Früher hätte es keinen Ausschuss oder kein Seminar gegeben, dem nur Männer angehörten. Auch gebe es in Schweden Fälle sexueller Belästigung in der Politik, was dazu geführt habe, dass junge Politikerinnen das Parlament verlassen hätten, weil es ihrer Meinung nach zu männlich dominiert war. “When I was a young politician it was impossible to organise a seminar or whatever, a debate, a panel, whatever, with only men. And it’s very odd for me to see that down here [in the European Parliament, YRID] it’s very normal. And even, and that’s I think is an European influence for perhaps the younger women have said, okay, we have reached equality. But even in Sweden nowadays you could see panels with only man. […] My experience is that if you are digging deep enough, you will always find a competent woman, in whatever field it is. You don’t know the names by heart. And you don’t have them here in the front row, but they are there. And you have to search.” (SM1) Auf eine andere Problematik weist die Politikerin SF2 hin. Sie kritisiert, dass in Folge einer „Unter-40-Orientierung“ junge Frauen ins Parlament kämen, die nicht vorbereitet wären und von den Medien auf Grund ihrer Unwissenheit und geringen Bildung vorgeführt würden.
Gender Equality in den vier EU-Staaten - subjektive Beurteilungen
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„On one hand you have in Sweden politicians who are prefered when they are young and under 40. On the other hand for example one picture of the daily life: there was on television a young woman coming into parliament who was interviewed. But she did not know what to do then. What are they going to do? I don’t know really. They have no education. They say I haven’t studied anything, I am unemployed and I don’t know how to work with. And they are going into parliament and have no real idea! They say I’m going to find a brochure how parliament is and I was coming to work in defence. I think they don’t know anything about defence. And that was the evaluation for quite a while in the media. If you can imagine it didn’t exactly strengthen the situation for women and if you want to have women in politics you have to have women with knowledge.” (SF2) Die Forderung nach „women with knowledge“ ist sicherlich nachvollziehbar. Andererseits ist dies in Verbindung mit Forderungen nach einem zeitlich unbegrenzten Engagement eine klassische Variante der Ausgrenzung von Frauen. Man denke an die typische Polemik „Wo gibt es denn die (jungen) Frauen, die hochgebildet, mit politischem Sachverstand sowie mit Herz und Zeit sich auf die politische Bühne trauen?“ - An dieser Stelle ist festzuhalten, dass in den modernen Gesellschaften das Bildungsniveau von Frauen erheblich gestiegen ist und deshalb auch das Interesse an Politik wachsen wird. Insbesondere, wenn es weibliche Vorbilder gibt. Die Interviews mit den schwedischen Abgeordneten verdeutlichen insgesamt zum einen eine große Sensibilität für das Thema Gender Equality, aber zeigen zum anderen auch Schwierigkeiten und Brüche auf, mit denen selbst die moderne, gleichberechtigte schwedische Gesellschaft zu kämpfen hat.
„Wer hat Dir das aufgeschrieben?“ – Deutschland Die Interviews mit den deutschen Politikerinnen und Politikern geben Auskunft darüber, dass es zwar deutliche Fortschritte im Bereich der Gender Equality gibt, aber noch einige männliche Machtbereiche bestehen, in denen Frauen weiterhin als nicht akzeptierte Eindringlinge behandelt werden. So haben z.B. einige Parteien das Quoten- oder Reißverschlusssystem eingeführt und damit gezielt die politische Repräsentation von Frauen gefördert. Dennoch erreichen Frauen nicht immer politische Führungspositionen und, selbst wenn dies geschieht, müssen sie sich gegen männlich-ignorantes Verhalten behaupten. Ein Beispiel schildert die Abgeordnete DF3 aus ihrer Zeit im Bundestag:
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern
„Ich würde das jedem einmal empfehlen intensiv Protokolle zu studieren, da haben wir das Hauptthema Zwischenrufe. Die sind, bis auf ganz wenige Ausnahmen, absolut männlich dominiert. Ich meine, das Parlament lebt letztendlich von Zwischenrufen, aber eine bestimmte Art von Zwischenrufen, die ich sage einmal etwas Diskriminierendes haben, so nach dem Motto: „Wer hat Dir das aufgeschrieben?“ – Auch dieses „Du“ – oder „Das glauben Sie doch selbst nicht.“ Das ist ein Ruf, der eher Frauen gilt als Männern. […] ich bin neu dazugekommen und da merkte ich erst einmal, da war ein gewisser Geräuschpegel, ganz typisch wenn Frauen reden und plötzlich hörte das auf als sie merkten, die hat ja was zu sagen […].“ (DF1) Eine weitere wichtige Beobachtung ist, dass es in Deutschland - bezogen auf die Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen - erhebliche Unterschiede zwischen den Generationen gibt. Nach den Erfahrungen der deutschen Abgeordneten scheint die Geschlechtergleichstellung bei der jüngeren Generation relativ breit akzeptiert zu sein, wohingegen die ältere Generation diese eher skeptisch betrachtet. Dieser Aspekt zeigt, dass es eine längere Zeit braucht, bis Geschlechterdemokratie zur Normalität wird. Die Politikerin DF1 schildert ihre Erfahrungen: „Bei meiner Generation ist es irgendwo schon ein Stück weit normal geworden, obwohl es durchaus auch schon mal auf das eine oder andere Problem gibt, aber man stößt bis jetzt nicht bei meiner Generation auf dieses Problem, sondern dann eher noch bei der älteren, wo es nicht so selbstverständlich ist. Aber da bei Frauen wie bei Männern, das muss ich jetzt auch dazu sagen.“ (DF1) Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch der Politiker DM1: „Gut, in der Gesellschaft erlebe ich eine stillschweigende Akzeptanz, also es wird sozusagen akzeptiert, dass Frauen mehr und mehr in bestimmte Positionen hineinkommen. Aber es wird nicht wirklich unterstützt. Es traut sich ja kaum noch jemand wirklich dagegen zu begehren, weil die Argumente natürlich einfach erdrückend sind. Aber ich kenne auch im familiären Umfeld beispielsweise durchaus viele, die sagen, na ja, das muss ja jetzt wohl alles so sein, aber wirklich toll finde ich das nicht. Und ich glaube, das ist auch eine Generationenfrage.“ (DM1) Eine notwendige und wichtige Investition in die Zukunft ist im Rahmen der Sozialisation die Erziehung zur Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen. Wachsen sie mit neuen Rollenbildern, vielen unterschiedlichen weiblichen und
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männlichen Vorbildern auf und sehen sie in der Familie und der Öffentlichkeit, was Gender Equality bedeutet, dann lernen sie, Geschlechterstereotypen zu überwinden und ein gleichberechtigtes Leben zu führen.
“Don’t forget that Greece is still a traditional society” - Griechenland Die Interviews mit den griechischen Politikerinnen und dem griechischen Politiker zeigen, dass die Veröffentlichungen zum Thema Geschlechtergleichstellung in Griechenland mit den persönlichen Erfahrungen der Politikerinnen und Politiker übereinstimmen. Die Politikerinnen und Politiker betonten, dass Griechenland eine traditionelle Gesellschaft ist, wie der Interviewauszug mit GF1 zeigt: “Don’t forget that Greece is still a traditional society. Which means that family counts a lot. And this is the base of Greek society that family has a big weight, has a lot of respect in our society. This means that a lot of influence is given to the family, to raising the kids in the best possible way, taking care of the kid’s education. And normally it is the responsibility more of the mother than of the father. So if the father is working and the mother is working. And the mother has also to raise the kids. Much more than the father.” (GF1) Die Traditionalität der griechischen Gesellschaft besteht darin, dass die Dichotomie in einen männlich-öffentlichen und weiblich-privaten Bereich weiterhin stark bestimmend ist. Frauen sind für Haushalt und Familie verantwortlich, Männer für die finanzielle Absicherung und die Politik. Diese klassische Zweiteilung haben viele europäische Gesellschaften angefangen zu überwinden, in Griechenland ist sie jedoch weiterhin präsent. Die traditionelle Einstellung der griechischen Gesellschaft zeigt auch folgende Aussage des Politikers GM1: “Question: What can you tell me, in your point of view, what is the situation of women in Greece now?” “Oh, they are very pretty. They always take very good care of themselves and their appearances, their looks. And they try to be very coquette. They are gaining more and more big part in the social life, in the economic life in Greece. Last years I saw a lot of problems to once getting be equal. What I’m trying to say is that sometimes they are more equal than the men. Men start getting sometimes inferior treat with the ladies. But this is more than welcome for us. I think that Greece is a good country for women. Of course better in the big cities. Of course it is harder in small towns, in small societies. But the Greek ladies are emanci-
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Die Interviews mit den Politikerinnen und Politikern
pated. They are... most of them are working. Girls are more in the universities than boys. The number of girls of university students is more than boys. And they have a good time.” (GM1) Es gibt in Griechenland offensichtlich Unterschiede zwischen der Situation auf dem Land und in der Stadt. Während in der Stadt Frauen die Möglichkeit haben, am sozialen und ökonomischen Leben teilzunehmen, ist es für sie auf dem Land sehr viel schwieriger. Typisch für eine traditionelle Gesellschaft, die anfängt die Dichotomie zu überwinden, ist der Vorwurf, dass manchmal Frauen gleicher seien als Männer und bevorzugt würden. Über die Richtigkeit dieser Aussage kann diskutiert werden. Sie zeigt aber, dass ein grundsätzliches Unbehagen über diese Veränderungen besteht und dies Ängste bei den Männer auslöst. Dennoch äußert sich die Politikerin GF1 verhalten optimistisch, was die Situation der Geschlechtergleichstellung in ihrem Land betrifft: “Some years ago they didn’t want the women on the work field. Now they need the women in the work field. But because today we have the competition and we need everyone to have a job. And also for life decisions and for pleasure and for equality. And so to give a job to a woman now it’s easy. […]” (GF1) “Question: Do you think something is changing now in Greece?” “Yes. Yes. For sure. Because there are a lot of discussions, organisations in this field. And if we see how many women, feminists in universities are a little bit higher. It is not only the quantity but also the quality.” (GF1) Wie wichtig es für Griechenland ist, Frauenförderung nicht nur als rein prozentuales Vorgehen zu begreifen, sondern Frauen die Chance zu geben, sich in der Öffentlichkeit darzustellen, betont die griechische Politikerin GF1: “We have a law that says that one third of the list must be placed by women. But this doesn’t mean that they will be voted. I am in the list. But now we have to find mechanisms for the women to be known in public. To give an opportunity for the voters to know the specific person. Because if you have a list you try to find if you know anyone. If he is an actor […] if he has any contact with politics, this doesn’t mind. He is well known. He has awareness, he is easily recognised. So you must find a mechanism give opportunity to the women to present themselves. So the public is informed about them. Because they don’t have the crucial post from the work field, but it gives them the opportunity to be known from the work
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field. Sometimes it happens. But it’s not the rule. This is the rule for the men. […]” (GF1) “Question: What do you think must be done to improve the representation of women in Greece?” “To give the opportunity to the women to take also serious crucial post at a national level. So they will become known to the public. So they will be elected. Public will choose them, woman instead of a men. Now they have more opportunities to have an idea, a picture usually for men. Of course the men have the crucial posts, but give the opportunity to the public to know about, to learn them, to see them in TV, to read about women in newspapers. So if women are also known they have more possibilities also to be chosen.” (GF1) Wichtig ist für die Gender Equality Griechenlands, dass es auf zivilgesellschaftlicher Seite einen Anstoß in diese Richtung gibt, d.h. dass die Gleichstellung der Geschlechter zum Thema wird. Die griechische Gesellschaft scheint sich gerade am Anfang dieser Transformation zu befinden, wie die sehr guten Ergebnisse für Frauen bei der Europawahl 2004 und die schlechten Ergebnisse bei der Nationalwahl 2004 zeigen.
“Equality is a subject which comes back from time to time” – Polen Polen hingegen befindet sich noch am Anfang der Transformation von einer traditionellen dichotomen Gesellschaft zu einer modernen Gesellschaft und gerade im Bereich der Gender Equality hat Polen mit dem kommunistischen Erbe zu kämpfen. Die polnische Abgeordnete PF5 berichtet darüber, dass zu kommunistischer Zeit die Rollenerwartungen an Frauen und Männer in Bezug auf Emanzipation widersprüchlich gewesen seien. Die Emanzipation sei zu einer Karikatur degradiert worden, weil der einflussreiche rechte Flügel der kommunistischen Partei Polens die öffentlich propagierte Emanzipation unterlief und eine positive Sicht der Hausfrauenrolle gezielt förderte: “Because during the communist times emancipation was wanted, but in real life it was only a caricature of what it was supposed to be in the first place. So that is why very often the right wing forces decided to go away from this model. And they began to see the role of a woman only at home, household role. And then of course that has started to change again. And in my opinion it is more or less balanced today. The friendly speaking without problems say that women today
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are not very much different from what they are in other European countries. For instance they will get a job, but they will be less paid than men. And of course for me it is important and unsatisfactory that not as many women are active in public life as I would want them to be.” (PF5) Nach dem Systemwechsel zur Demokratie haben Frauen nun die Chance, ihre eigene individuelle Balance zwischen Ausbildung, Berufstätigkeit, Karrierewünschen, Familienplanung und Haushalt auszuloten. In diesem Handlungsfeld sieht die polnische Abgeordnete PF5 heute keine gravierenden Unterschiede mehr zur Lage von Frauen in anderen europäischen Staaten. Die Probleme, dass Frauen im Schnitt weniger Lohn als Männer erhalten und dass Frauen aus familiären Gründen sich weniger in der Öffentlichkeit und damit auch in der Politik engagieren würden, seien nicht nur auf Polen begrenzt. Während es in Griechenland aber bereits Ansätze einer positiven Einstellung zur Gender Equality gibt, haben Frauen in Polen weiterhin mit starken geschlechterstereotypen Erwartungen zu kämpfen. Es herrscht eine Meinung vor, Frauen gehörten ins Haus und sollten für möglichst viele Kinder sorgen, wie das Zitat mit PF4 verdeutlicht: “We had a campaign to close Kindergarden. You know the former government was offering some kind of pro family policy. It was about leaving women at home and the great model of family should be two plus four, five, six and more. It was a offer from the former government. And in consequence they wanted also to close Kindergardens. […] Equality is a subject which comes back from time to time. Now we are working on a bill of equal status here in parliament. But I can say that there is a no friendly enviroment, athmosphere connected with it. Because I think that polish society nowadays of course there are some changes but it is rather a traditional society. And sometimes even here you can see from our collegues, men, that it is not a serious problem, not a topic, it is not worth concerned. […] I hope that the European Union will influence us and will make a dialogue, a social dialogue in society. But it is a lack of it now.” (PF4) Natürlich engagieren sich die weiblichen Abgeordneten Polens für Geschlechtergleichstellung, doch auf Grund der Traditionalität der polnischen Gesellschaft haben sie mit offensiver Diskriminierung zu kämpfen. Ihre männlichen Kollegen halten das Thema Gender Equality für nicht wichtig und sehen keinen Verbesserungsbedarf in diesem Bereich. Deutlich wird auch, dass die polnischen Frauen auf den positiven Einfluss der Europäischen Union hoffen. Vor allem setzen sie auf den Anstoß eines Dialoges über Geschlechtergleichstellung. Aber auch die Vorbildfunktion, die die anderen EU-Staaten für die polnische Gesellschaft einnehmen können, ist von Bedeutung. Denn wenn die polnischen Frauen und
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Männer erkennen, dass Geschlechtergleichstellung eine wichtige Vorraussetzung für die Sicherung der Demokratie ist und Vorteile für beide Geschlechter mit sich bringt, werden sie sich gemeinsam für dieses Ziel engagieren.
„Hoppla, da ist ja wirklich was passiert“ - EU-Institutionen Die Einführung und Umsetzung des Gender Mainstreamings sowie die Sensibilisierung für Gender Equality und die historisch bedingte bessere Ausgangslage für Frauen in der Europäischen Union führen dazu, dass mehr Frauen in Spitzenpositionen der EU zu finden sind. Von einer besonderen Situation berichtet die Politikerin DF4: „Und im Jahr 2001 im Haushaltsverfahren gab es wieder eine weibliche Berichterstatterin. Dann hatten wir sogar eine Situation, dass alle drei Institutionen durch Frauen vertreten waren. Bei der Unterzeichnung im Plenum hatten wir Nicole Fontaine als Präsidentin des Europäischen Parlamentes, Frau Schreyer war die Haushaltskommissarin bei der Kommission und die finnische Ratspräsidentin, die finnische Finanzministerin war, war auch weiblich. Und das war wirklich ein Novum, dass alle drei Institutionen durch Frauen vertreten waren in so einem harten Bereich. Und ich denke, das sind schon wichtige Meilensteine. Und es hätte fast niemand gemerkt! Und da hab ich mich so ganz außerhalb der Regeln eigentlich zu Wort gemeldet im Plenum und hab gesagt, ich möchte da jetzt mal drauf hinweisen, dass das jetzt eigentlich ein historischer Moment ist. Erst war Frau Fontaine etwas unwirsch und sagte, es gehört jetzt eigentlich nicht in den Rahmen. Aber als ich dann gesagt hab, was hier passiert war, war sie doch überrascht. Und dann hab ich Szenenapplaus gekriegt, weil dann auch die Männer gemerkt haben: oh, hoppla! Da ist ja wirklich was passiert!“ (DF4) Insgesamt zeigen die Interviews mit allen weiblichen und männlichen Abgeordneten in diesem Themenbereich, dass es immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, dass Frauen in politischen Machtpositionen zu finden sind. Gesellschaften aber, die Sensibilität für das Thema Gender Equality entwickelt haben - wie Schweden und Deutschland -, können in Zukunft große Fortschritte hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft machen. Allerdings besteht auch in diesen Staaten die Gefahr, dass Gender Equality nur in offiziellen Verlautbarungen akzeptiert und gefördert wird, in der politischen Wirklichkeit aber die wichtigsten Entscheidungen weiterhin von „Männerzirkeln“ ausgehandelt werden.
5 Doing Gender: Beurteilung der Interviewergebnisse Haben Politikerinnen ihre Fremdheit in der Politik überwunden? Wie wird Doing Gender auf der europäischen Bühne praktiziert? - Die Analyse der Interviews in Kapitel 4 zeigt, dass zwar einerseits keine allgemeingültigen Aussagen über alle weiblichen oder alle männlichen bzw. alle schwedischen, deutschen, griechischen oder polnischen Politikerinnen und Politiker gemacht werden können. Andererseits lassen sich dennoch Tendenzen in Bezug auf bestimmte Einstellungen feststellen. Einige zusammenfassende Aussagen und Beurteilungen zu den Bereichen Gender Equality und Doing Gender sollen gleichwohl gewagt werden.
5.1 Geschlechterstereotypen und ihre Veränderung Politik ist ein seit vielen Jahrhunderten von männlichen Regeln und Rollen dominiertes Handlungssystem innerhalb der Gesellschaft, das aus rollentheoretischem Blickwinkel als „Bühne“ aufgefasst werden kann (vgl. Goffman 1969). Politikerinnen müssen heute die schwierige Aufgabe bewältigen, in diesem Männerbereich zu agieren, ihre eigene Rolle zu finden. Dabei können sie sich nur an wenigen weiblichen Vorbildern orientieren. Gleichzeitig verunsichert eine zunehmend geschlechtergleichberechtigte Gesellschaft auch die männlichen Politiker. Auch sie können sich nicht an männlichen Vorbildern orientieren, die Gender Equality im häuslichen und öffentlichen Bereich gelebt haben. Dies führt nicht nur bei den Politikerinnen, sondern auch bei den Politikern zur Irritation (vgl. Kotthoff in Goffman 1994/2001: 167 f.). Die Analyse der Interviews hat gezeigt, dass an Politikerinnen wie Politiker von außen geschlechterstereotype Verhaltenserwartungen herangetragen werden. Bestimmend für die Verhaltenserwartungen an sie ist ihre sex category (vgl. West/Zimmermann 1987: 137 ff). Es überrascht nicht, dass besonders die interviewten polnischen und griechischen Politikerinnen von stereotypen Rollenerwartungen an Frauen allgemein berichten.67 Diese liegen im privaten Bereich in der unterstellten und als quasi natürlich aufgefassten alleinigen Zuständigkeit der Frauen für Familie, Haushalt und Kinder. Im öffentlich-politischen Bereich ist die Zuständigkeit der Frauen auf bestimmte Politikfelder wie Familie, Kinder und Jugend, Gesundheit und Bildung beschränkt. Teilweise leiden die betroffenen Parlamentarierinnen unter diesen Stereotypen, teilweise beurteilen sie diese aber auch als positiv, da Frauen und Männer 67
Vgl. Interviewauszüge Kap. 4.1.
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nun mal unterschiedlich seien und nur durch diese klare Trennung in einen weiblichen und einen männlichen Bereich ein Zusammenleben möglich sei.68 In den Interviews mit den griechischen und polnischen Politikerinnen wird deutlich, dass sie in ihren Ländersichtweisen sozusagen Normverletzerinnen sind. Die Politikerinnen, die jüngere Kinder haben, leiden unter einem schlechten Gewissen, da sie nach traditioneller Sicht nicht genug Zeit für ihre Familie aufzuwenden. Es wird aber in den Interviews ebenfalls deutlich, dass sie sich bewusst nach reiflicher Überlegung zu diesem politischen Mandat entschlossen haben und stolz auf ihr erreichtes politisches Ziel sind. Aber auch Frauen aus Schweden und Deutschland berichten von Geschlechterstereotypen im politischen Bereich. Frauen sind in bestimmten Politikfeldern wie der Außen- und Verteidigungspolitik, auch in der Finanz- und Wirtschaftspolitik weiterhin „Aliens“ und werden als solche behandelt. Gerade hier scheint es für Frauen schwer zu sein, sich durchzusetzen. Gleichzeitig zeigen die interviewten Politikerinnen aller Länder aber auch einen gewissen Ehrgeiz und sie sind stolz auf ihr Wissen, so dass sie sich nicht so leicht einschüchtern und marginalisieren lassen. Sehr unter den unterschiedlichen Rollenerwartungen scheinen die interviewten Politikerinnen und Politiker nicht zu leiden. Sie werden offensichtlich erst zur Belastung, wenn man glaubt, ihnen nicht mehr standzuhalten, wie das Beispiel des schwedischen Politikers zeigt. Er berichtet ausführlich, mit welch divergierenden und widersprüchlichen Rollenerwartungen er kämpfen muss, und zeigt dadurch Rollendistanz. Inter- bzw. Intrarollenkonflikte (vgl. Dahrendorf 1959/2006: 82 f.) spielen in den Interviews keine große Rolle. Dies lässt darauf schließen, dass die interviewten Politikerinnen und Politiker über genug Ambiguitätstoleranz verfügen, um Rollenkonflikte auszuhalten, oder Verdrängungsmechanismen eingesetzt haben, so dass diese Konflikte verleugnet werden. So berichtet die Politikerin SF2 von den Schwierigkeiten, der Mutter- und Familienrolle in Verbindung mit der Erwartung, der politischen Rolle gerecht werden zu müssen. Es geht hierbei aber weniger um die unterschiedlichen Ansprüche, als vielmehr um Schwierigkeiten bei der Organisation des Alltags, wobei die Ansprüche natürlich die Organisation des Alltags steuern. Im konkreten Fall beschreibt die Politikerin, wie sie über Monate mit ihrem Sohn mittags im Auto ein Sandwich aß, nur um ihn zu sehen, da sich in ihrem politischen Leben ein Termin an den anderen reihte und sonst keine Zeit blieb. Glücklich sei sie dabei nicht gewesen, gibt sie offen zu, und ihrem Kind sei sie nicht gerecht geworden. Auch die polnische Politikerin PF4 berichtet von den ambivalenten Gefühlen, ihr kleines Kind nur am Wochenende sehen zu können. Von männlichen Politikern
68
Vgl. bspw. die Interviewauszüge mit GF1 in 4.4.
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waren - mit Ausnahme des schwedischen Politikers SM1 - solche Aussagen nicht zu hören. Die Hauptgefahr stereotyper Verhaltenserwartungen in der Politik liegt darin, dass sie das Bezugssystem der Männer untereinander stabilisieren (vgl. Schöler-Macher 1994: 254). Persönlichkeit und Individualität der Politikerinnen und Politiker werden zu Gunsten eines einheitlichen „Politikroboters“ zurückgedrängt. Da Politikerinnen und Politiker jedoch unterschiedliche Personengruppen repräsentieren, wäre es wichtig, dass Politikerinnen und Politiker nicht einem stereotypen Bild entsprechen müssen. Eine Paradoxie zeigt sich im Zusammenhang mit der Frage nach der Authentizität von Politikerinnen und Politikern. Zum einen wird von Politikerinnen und Politikern verlangt, authentisch zu sein, um überzeugend zu wirken. Dies bedeutet aber auch, Schwäche zu zeigen und bestimmten Stereotypen, auch Geschlechterstereotypen, nicht zu entsprechen. Zum anderen wird von Politikerinnen und Politikern aber erwartet, selbstbewusst und souverän zu agieren. Diese paradoxe Situation erzeugt Spannungen und bedeutet Schwierigkeiten für Politikerinnen und Politiker, mit denen umzugehen sie lernen müssen. Wesentliche Normen in der Politik sind entstanden, als die Politik noch ein rein männlicher Machtbereich war. Vielleicht berichten deshalb Politikerinnen aller Länder von der Erfahrung, arrogant von ihren männlichen Kollegen behandelt zu werden. Dieses Verhalten wollen sich die Politikerinnen aber keinesfalls gefallen lassen, sondern sie geben in den Interviews Lösungsvorschläge in Form veränderter Handlungsnormen an: Frauen dürften sich nicht verunsichern lassen, sondern müssten Stärke, Leistung und Selbstbewusstsein zeigen - dann würden sie von den männlichen Politikern akzeptiert. In den Interviews berichten Politikerinnen sowohl von den Politikern, die Frauen wie Eindringlinge in ihren Machtbereich behandeln, als auch von veränderten Normen einiger männlicher Kollegen. Denn einige haben zugunsten einer Frau bewusst bei einer Kandidatur zurückgesteckt - aus ideellen Gründen, um Frauen an Politik zu beteiligen. Ist dieses Verhalten ein Silberstreif am Horizont der Einsicht in die Notwendigkeit, Frauen an der Macht zu beteiligen? Mit Sicherheit unterstreicht dieses Beispiel, dass Männer ihr Verhalten ändern, wenn Frauen begründet mehr Macht fordern. In vielen Interviews wird eine Anpassung der Politikerinnen an männliche Lebens- und Arbeitsformen, wie z. B. lange Sitzungsabende und Arbeitsessen, deutlich. Diese sind kaum mit den Öffnungszeiten von Kindergärten und Schulen, dem Familienleben und den Erwartungen des Freundeskreises in Einklang zu bringen, aber Politikerinnen können und wollen ihnen auch nicht fern bleiben, wenn sie politische Macht auf sich vereinen wollen. Hier stehen Politikerinnen, aber auch Politiker mit Familienverantwortung, vor konfliktreichen Entschei-
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dungen zwischen der Erfüllung von Familien- und Berufsaufgaben. Nur gute Organisation, ein verlässlicher Partner und die Überzeugung, richtig zu handeln, können dieses Spannungsfeld abschwächen. Die Tatsache, dass bis auf die genannte Ausnahme die Politikerinnen die Problematik der Vereinbarkeit von Familien- und Privatleben mit dem politischen Mandat erwähnen, zeigt die prägende doppelte Vergesellschaftung der Frauen. Die meisten Männer sind von den „privaten Pflichten“, ja einem Privatleben bzw. dem Familienalltag befreit, wohingegen von den Frauen die Vereinbarkeit von beidem verlangt wird. Auffallend ist, dass Frauen, die männliche Verhaltensnormen wie Durchsetzungsvermögen und Kompromisslosigkeit zeigen, von Politikerinnen und Politikern ausgesprochen negativ beschrieben werden. Die Notwendigkeit diese Verhaltensweisen zu zeigen, die die Politikerinnen vielleicht von ihren männlichen Kollegen kopiert haben, um sich damit auf der politischen Bühne Respekt zu verschaffen, besteht nicht mehr, wenn Frauen mindestens ein Drittel der Abgeordneten stellen. Diese „kritische Masse“ führt dazu, dass Frauen durch Netzwerkbildung und Solidarität ihre Anliegen durchsetzen können, ohne sich männlichen Verhaltensnormen anpassen zu müssen. Die Bedeutung einer gleichberechtigten politischen Beteiligung von Frauen in den Parlamenten ist groß, da Frauen nur in der Lage sind, ihren Ansichten und Forderungen genug Nachdruck zu verleihen, wenn sie in den Entscheidungsinstanzen zahlreich präsent sind. Wie oben angeführt, gibt allerdings allein die Präsenz von Frauen in der Politik noch nicht allzuviel Aufschluss über ihre politische Einflussnahme. Ist die Anzahl von Frauen in den Parlamenten jedoch gering, kann das passieren, was Kjellauf Petterson die Geiselrolle nennt (vgl. Pettersen 1992: 54). Er stellt fest, dass bei einer geringen Beteiligung von Frauen diese Ausnahmefrauen in eine „Geiselrolle“ zurückfallen, die darin bestünde, dass sie zunächst von den Männern ignoriert würden, schließlich aufgäben, ihre eigene Meinung zu vertreten und sich dann der Meinung der Mehrheit anschlössen. Um dieses resignative Verhalten von Frauen in der Politik zu verhindern, ist es wichtig, dass ein größerer Anteil der Politiktreibenden weiblich ist. Gleichzeitig ändern Politiker ihr abwertendes Verhalten Frauen gegenüber, wenn diese 30 und mehr Prozent der Abgeordneten stellen, da sie mit Widerstand und Kritik rechnen müssen und das Abstimmungsverhalten von Politikerinnen zu einem neuen relevanten Querschnittsfaktor in politischen Entscheidungsprozessen wird. Anhand der Interviewanalyse wird deutlich, dass sich nicht nur das Verhalten männlicher Politiker ändert, sondern auch die behandelten Themen, da Frauen ab einem Anteil von 30% ihre Interessen gemeinsam durchsetzen können - wenn sie solidarisch sind. In der Literatur wird - u. a. von Gildemeister und Wetterer - häufig kritisiert, dass die Frauenquote die Dichotomie der Gesellschaft stabilisiert. In keinem Interview wurde diese Wirkung der Frauenquote thematisiert. Für die inter-
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viewten Politikerinnen und Politiker stehen die positiven Konsequenzen der Quoteneinführung im Mittelpunkt, weniger die Tatsache, dass eine Quote die Unterschiede zwischen Frauen und Männern manifestiert und Frauen in die Position der unterstützenswerten Hilflosen drängt. Allerdings darf der Januskopf der Quote nicht übersehen werden. Auf der einen Seite führt die Frauenquote tatsächlich rein quantitativ zu einer größeren Beteiligung von Frauen an der Politik. Gleichzeitig haben Frauen nur die Möglichkeit gegeneinander anzutreten, d.h. wenn jeder zweite oder dritte Listenplatz ein sog. „Frauenplatz“ ist, konkurrieren die Politikerinnen untereinander anstatt wie selbstverständlich auch mit den Politikern. Zudem führt eine durch die Quote eingeführte Frauenförderung bei Politikern zu Missmut, da diese sich benachteiligt fühlen, denn anstatt die Notwendigkeit der Gender Equality einzusehen, würde Zwang durch gesetzliche Vorschriften ausgeübt werden. Eine weitere Gefahr liegt darin, dass der Männerbund die Politikerinnen als „Verschiebungsmasse“ nutzen könnte, d.h. je nach Machtverhältnissen und Wahlsystem könnte bestimmt werden, wer ein Mandat bekommt. Politiker (und Politikerinnen) sind an ihrem persönlichen Machterhalt interessiert. Dass Männer freiwillig auf Kandidaturen (ob zugunsten einer Frau oder eines Mannes) verzichten, mag passieren. Einige Politikerinnen berichten davon, auch ein Politiker. Aber dieses Verhalten ist die Ausnahme, keineswegs die Regel. Um Frauen zunächst einmal die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme an Politik zu eröffnen, erscheint eine Quote von zunächst 30, später 40 und im Idealfall 50% unabdingbar. Zudem versprechen sich einige Politikerinnen von der Quote, dass die Politik verständlicher und bürgernäher wird und Frauen, statt sich als Einzelkämpferinnen behaupten zu müssen, als Teamspielerinnen Erfolg haben. Erst wenn gesellschaftliche Strukturen und Einstellungen sich soweit geändert haben, dass das biologische Geschlecht keine Rolle mehr spielt, könnte die Quote unnötig werden. Auffällig ist insbesondere die Kritik der Feministinnen an der Quote, die nicht als Chance zur weiblichen Teilhabe an der Macht erkannt wird. Alice Schwarzer hat in einem programmatischen Text aus den 80er Jahren die subtilen Mechanismen der von Männern dominierten Quotierung kritisiert: „Wir fordern die Hälfte der Welt? Kein Problem. Sie gewähren uns eine Quote, auf die sie Frauen ihrer Gnade setzen und nach ihrer Pfeife tanzen lassen.“ (Schwarzer 2004: 404). - Gegen Quoten sprechen sich vor allem die befragten Politikerinnen und Politiker aus Polen aus. Die Vorbehalte gegen die Quote stammen aus der Zeit des Kommunismus. Die gegen die Quote angeführten Gründe lauten, dass Frauen keine besondere Unterstützung benötigten, sondern dass ganz gerecht der oder die Bessere die Position bekäme. Zudem wird unterstellt, dass die Quote Frauen den Zutritt in den Machtbereich Politik ermöglicht, die kein Interesse an Politik haben und keine höhere Bildung oder Ausbil-
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dung, wie z.B. ein Studium, besitzen. Dieser Behauptung kann man nicht nur ein fehlendes Bewusstsein für Fragen der Gender Equality entnehmen, sondern insbesondere die Angst vor dem Machtverlust der Männer sowie stereotype Vorurteile gegen Frauen. Das Motto der Frauenförderung durch Quotierung muss deshalb lauten: Es geht nicht um theoretische Macht, sondern um geteilte Macht. Tenor der Interviews ist, dass eine vermehrte politische Beteiligung von Frauen zu einer „sanfteren“ Art der Politik führen würde, da männliche Politiker weniger Möglichkeiten hätten, ihre „Hahnenkämpfe“ auszutragen. Was heißt dies genau? Frauen könnten die Politik kommunikativer, kompromissorientierter und rücksichtsvoller machen. Männer hingegen seien primär an ihrem eigenen Fortkommen interessiert, gingen deshalb gerne in die Offensive, um Durchsetzungskraft und rhetorische Fähigkeiten zu demonstrieren. Die vermehrte politische Partizipation von Frauen würde zudem dazu führen, dass Politiker die Belange von Frauen nicht mehr ignorieren könnten. Allerdings scheint dies eine idealisierte Sicht zu sein, denn natürlich können Männer ihre „Machtspiele und Machtspielchen“ weiter verfolgen, nur werden sie dies nicht mehr in den offiziellen Sitzungen tun, wenn Frauen dort ein Drittel der Abgeordneten stellen. Diese „Hahnenkämpfe“ werden auf die Treffen nach den Sitzungen, auf Zusammenkünfte in Netzwerken und zu Treffen mit Lobbyisten verschoben. So entsteht vielleicht der Eindruck, dass eine vermehrte politische Beteiligung von Frauen zu einer sanfteren Art der Politik führen könnte, wobei allerdings die Gefahr impliziert ist, dass konfliktgeladene Machtrangeleien der Politiker nur auf eine andere Ebene transferiert werden. Eine Tatsache ist jedoch auch, dass Politikerinnen die Bedeutung informeller Netzwerke ebenfalls erkennen und begonnen haben, eigene zu gründen. Diese Solidarität der Frauen untereinander führt nicht nur zu einer Stärkung des Selbstbewusstseins der einzelnen Politikerin, sondern auch zu einer Stärkung des Auftretens aller Frauen. In Parlamenten, in denen Frauen 30 und mehr Prozent der Abgeordneten stellen, bekommt Gender Equality ein größeres Gewicht. Insofern kann Meyers Aussage, Politik sei weiterhin ein Männerberuf und werde von Männerfreundschaften dominiert (Meyer 1997), vorsichtig revidiert werden. In der Perspektive der zunehmenden Repräsentation von Frauen in der Politik könnte eine Änderung der Verhaltensnormen nicht nur darin liegen, dass Frauen von ihren männlichen Kollegen lernen, wie man z.B. eigene Netzwerke bildet und pflegt, sondern auch die Männer von ihren weiblichen Kolleginnen eine kollegialere, teamorientiertere Form politischen Handelns übernehmen. Eine vermehrte Partizipation von Frauen in der Politik schafft jedoch nicht nur veränderte Verhaltensweisen der Politiker, sondern führt auch bei ihnen zu neuen, anderen Normen, die Einfluss auf Politik allgemein haben (können). Die Erfahrungen der interviewten Politikerinnen haben gezeigt, dass Frauen z.B. Frakti-
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onsgrenzen schneller und leichter überwinden, wenn es dem Thema bzw. der Sache dient. Dieses Verhalten könnte Vorbildcharakter für europäische Politik haben. Ab einer Beteiligung von Frauen von etwa 30% sind Frauen auch weniger gezwungen, sich an männliche Normen, wie z.B. das Kungeln nach offiziellen Sitzungen, anzupassen. Sie können männliche Rituale durchbrechen und eigene schaffen, wie z. B. Sitzungen zu familienfreundlichen Zeiten stattfinden und männliches arrogantes Verhalten auflaufen zu lassen. Wenn Kotthoff (Kotthoff in Goffman 1994/2001: 167 f.) mit Hinweis auf Gildemeister/Wetterer von einer Sexuierung von Berufen und einer Zuweisung von prestigelosen Berufen an Frauen spricht, kann diesem Prozess durch eine vermehrte Beteiligung von Frauen in der Politik entgegen gewirkt werden, denn ein größerer Frauenanteil würde zu einer De-Sexuierung dieses Berufsfeldes führen. Die Interviews zeigen, dass Politikerinnen sich eher nicht in ihrer Geschlechtsidentität dadurch beeinträchtigt fühlen, dass sie sich in einem ehemals männlichen Berufsfeld durchsetzen müssen. Die enge Zusammenarbeit der Politikerinnen und Politiker aus den verschiedenen europäischen Mitgliedstaaten hat zwei Seiten. Zum einen führt sie auf gesetzlicher Ebene dazu, dass die fortschrittlichen Geschlechterverhältnisse der skandinavischen Staaten Einfluss auf die Gesetzgebung der Europäischen Union hat. Dieser modernen Gesetzgebung stehen allerdings auf alltäglicher Seite die Erfahrungen der skandinavischen Politikerinnen gegenüber, dass an sie von Seiten ihrer nicht-skandinavischen Kollegen im Europäischen Parlament geschlechterstereotype Verhaltenserwartungen gestellt werden. Insgesamt überwiegt aber die Vorbildfunktion der skandinavischen Staaten: So sind z.B. nach dem Vorbild der männlichen „Saunanetzwerke“ in den skandinavischen Staaten die ersten rein weiblichen Netzwerke von Frauen entstanden, die als Vorbild für andere fraktionsübergreifende Netzwerke im Europäischen Parlament dienten. Zudem wirkt auch das moderne, gleichberechtigte Geschlechterverhältnis bis in die einzelnen Mitgliedstaaten hinein, so dass die nordeuropäischen Staaten zu einem konkreten Vorbild werden. Zwar ändert sich die politische Kultur eines Landes nur langsam, aber auf Grund der engen Zusammenarbeit der europäischen Mitgliedstaaten in allen europäischen Institutionen können die skandinavischen Staaten ein sichtbares Vorbild sein.
5.2 Relevanz der Frauensolidarität Die Auswertung der Interviews hat gezeigt, dass die Erfahrungen der Politikerinnen und Politiker mit Kooperation und Konkurrenz sehr unterschiedlich
Relevanz der Frauensolidarität
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sind.69 Hier zieht sich ein markanter Schnitt zwischen den patriarchalischen und den eher an der Geschlechtergleichberechtigung orientierten Ländern, wie bei kaum einem anderen Thema dieser Arbeit. Die interviewten Politikerinnen Polens und Griechenlands haben keine Erfahrung mit Frauensolidarität gemacht, weil es in diesen Länder insgesamt zu wenig Frauen in der Politik gibt und Gender Equality insgesamt nur gering ausgeprägt ist. Sie können keine Allianzen schmieden, da es sich, mit dem KostenNutzen-Kalkül Homans betrachtet, nicht lohnt, mit anderen Frauen solidarisch zu sein. Die befragten Politikerinnen berichten von einer großen Rivalität untereinander.70 Somit gehen Frauen eher mit Männern Allianzen ein und wählen diese zum Vorbild. Für Polen und Griechenland wird das Homans-Theorem der Nutzenorientierung (vgl. Homans 1968: 62 ff) bestätigt. Im Unterschied zu Polen sind sich die Politikerinnen Griechenlands offensichtlich der Bedeutung der Frauensolidarität bewusst, auch wenn sie diese auf Grund der wenigen Politikerinnen selten erlebt haben. In Deutschland gibt es den Interviews zu Folge ein hohes Maß an Solidarität der Frauen untereinander. Die Politikerinnen berichten darüber, dass Frauen sich vor allem aus ideellen Gründen unterstützen. Von männlichen Politikern hingegen erhalten sie nur aus fachlichen Gründen Unterstützung, d.h. wenn dieser Prozess den Männern Nutzen bringt. Ein kausaler Zusammenhang wird sichtbar: gibt es eine größere Zahl von Frauen in der Politik, haben sie durch gemeinsames Handeln einen größeren Gesamtnutzen als durch ihr Handeln als Einzelkämpferinnen. Gleichzeitig führt mehr Solidarität der Politikerinnen untereinander zu einem größeren Selbstbewusstsein, einer besseren Durchsetzung der gemeinsamen Interessen, stärkeren weiblichen Netzwerken und parallel auch zu einer wachsenden Anzahl von Frauen im politischen Bereich. Man kann von einer Katalysatorwirkung der Solidarität sprechen (vgl. Abbildung 9). Dieser Prozess hat in Schweden zu einer fast geschlechtergleichberechtigten Gesellschaft geführt.71
69
Vgl. Kap. 4.2. Vgl. Kap. 4.1, Zitate von PF5, PF4 und GF1. 71 Aus diesem Grund kommt der Frauensolidarität dort auch keine herausragende Bedeutung mehr zu wie z.B. in Deutschland. 70
164
Abbildung 4:
Doing Gender: Beurteilung der Interviewergebnisse
Katalysatorwirkung der Frauensolidarität
Wenn es um die Solidarität zwischen Frauen geht, muss Homans Theorem der Nutzenmaximierung differenziert werden. Nutzenmaximierung im politischen Bereich bedeutet im Rahmen der hier gewählten Fragestellung, dass Politikerinnen dann von Politikern akzeptiert und unterstützt werden, wenn sie gute Leistungen bringen und so zum persönlichen Nutzen des jeweiligen Politikers oder allgemein zum Nutzen des Netzwerkes beitragen. Bei der Solidarität zwischen Frauen hingegen steht nicht primär die Steigerung des persönlichen Nutzens im Mittelpunkt, sondern Frauen unterstützen einander auch, wenn ihr persönlicher Nutzen dadurch nicht gesteigert wird. Hierbei geht es dann um eine ideelle Unterstützung, die vielleicht später einmal zu einem persönlichen Nutzen führen kann. Ideelle Gründe zur Unterstützung können natürlich ebenfalls bei männlichen Politikern vorhanden sein, davon sprechen die interviewten Politikerinnen jedoch nicht. Frauen hingegen unterstützen sich im Rahmen formeller und informeller Netzwerke auch, wenn sie von einander höchstens indirekt und auf lange Sicht einen persönlichen Nutzen erwarten können. Dieser Prozess kann transferierter Nutzen genannt werden. Das Theorem der Nutzenmaximierung Homans muss demnach angepasst werden: neben der Maximierung des persönlichen Nutzens kann als Hauptmotivation des Handelns eines Individuums auch die Unterstützung einer Ideologie zu Grunde liegen.
Geschlechtsübergreifende Typen von Selbstbildern
165
Die Ergebnisse zeigen, dass Frauensolidarität in der Politik möglich ist: Politikerinnen und Politiker können nicht nur ein Homanscher Homo Oeconomicus, sondern auch ein Homo Solidaricus sein. Allerdings mit Einschränkungen: Je weniger Frauen im politischen Bereich zu finden sind, d.h. je deutlicher der öffentliche Raum männlich besetzt ist, desto weniger Solidarität gewähren die Frauen sich untereinander. Die Interviews verdeutlichen auch, dass Frauen das Thema Solidarität ernst nehmen müssen, um die Katalysatorwirkung der Frauensolidarität zu nutzen. Daneben sind flankierende Maßnahmen wie die Durchsetzung des Gender Mainstreamings und von Frauenquoten sowie die Stärkung von Frauenorganisationen zur Bewusstseinsveränderung von Bedeutung und dürfen gerade in den neuen Mitgliedstaaten der EU nicht vernachlässigt werden.
5.3 Geschlechtsübergreifende Typen von Selbstbildern Die Lebensläufe der interviewten Politikerinnen und Politiker zeigen deutliche Individualisierungstendenzen, die Beck als wesentliches Merkmal der modernen Risikogesellschaften benennt, auf (vgl. Beck 1986). Viele leben von ihren Familien und Freunden unter der Woche getrennt, da die Familie für die Dauer des Mandats am Heimatort, der meist gleichzeitig auch der Heimatwahlkreis ist, bleibt. Einige Politikerinnen und Politiker berichten offen über die Probleme, die ihr Abgeordnetendasein für ihr Privatleben bedeuten. Individualisierungstendenzen zeigen sich auch darin, dass einige Politikerinnen geschieden sind. Die von Beck beobachtete Pluralisierung der Lebensstile lässt sich auch für die Politikerinnen und Politiker feststellen. Die Frage, ob die Biografien der Politikerinnen und Politiker eher als Bastel- oder Wahlbiografien bezeichnet werden können, ist nur schwer für alle untersuchten Länder zu beantworten. Die Interviews machen aber deutlich, dass politische Karrieren nicht plan- und vorhersehbar sind. Weniger als die Herkunft bestimmen jedoch die intrinsische Motivation, das Selbstbewusstsein, die Authentizität, das Fachwissen und gerade für Frauen die Structural Opportunities72 und die Frauenquote den politischen Erfolg. Individualisierungstendenzen zeigen sich auch in den aufgestellten Typen von Selbstbildern.73 Es konnte kein Typus herausgearbeitet werden, der nur auf weibliche oder nur auf männliche Politiker zutrifft. Vielmehr sind geschlechtsübergreifende Typen von Selbstbildern zu finden. Der Grund hierfür liegt wahrscheinlich in der Tatsache, dass Politikerinnen in die männlich dominierte Sphäre der Politik eingetreten sind, die dort herrschenden Verhaltensnormen übernommen und diese wiederum ihr Selbstbild beeinflusst haben. Allerdings ist der 72 73
Vgl. Kap. 6.2. Vgl. Kap. 4.3.
166
Doing Gender: Beurteilung der Interviewergebnisse
Typ der Helferin/des Helfers stärker unter den Frauen zu finden. Sie sagen über sich, sie seien vor allem Politikerinnen geworden, um anderen Menschen zu helfen. Der Ursprung dieses Selbstbildes könnte in der traditionellen Fokussierung der Frauen auf den familiären Bereich liegen, in dem das Sorgen, Helfen und für andere da sein eine wichtige Rolle spielen. Gleichfalls ist der Typus der Kämpferin/des Kämpfers sozusagen das männliche Gegenstück, wenngleich auch einige Politikerinnen diesem Typus zugeordnet wurden: in der Politik geht es darum, hart und kämpferisch zu sein. In dieser Sphäre kann nur Bestehen, wer sich diesem männlichen Verhalten anpasst. Da die befragten Politikerinnen sich höchst unterschiedlich darstellen, kann im Hinblick auf die Berücksichtigung der „vergessenen Differenz“ (vgl. Knapp 1988: 12) resümiert werden, dass die Unterschiede zwischen den Typen von Selbstbildern größer sind als zwischen den Geschlechtern. Als Motivation für das politische Engagement nennen die Politikerinnen und Politiker im Wesentlichen drei verschiedene Motive: die Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen Entwicklungen, die Orientierung an familiären Vorbildern sowie den Wunsch nach Selbstbestimmung. So lässt sich bei den interviewten Politikerinnen und Politikern eine Orientierung an eher postmaterialistischen Werten erkennen, denn das Streben nach Selbstverwirklichung und das Engagement für bestimmte soziale oder ideelle Ziele sind meist Ursache für das politische Engagement gewesen.74 Ingleharts Hypothese (vgl. 1989: 92 ff), dass vermehrte Bildung zu einem steigenden politischen Interesse und zu einer Ausweitung der Partizipation verschiedener Bevölkerungsgruppen kommt, trifft auf die Untersuchungsgruppe zu. Allerdings mit der Einschränkung, dass Frauen trotz gleich hoher oder höherer Bildungsabschlüsse weiterhin seltener politisch repräsentiert sind.75 Die Analyse der Interviews hat ergeben, dass drei individuelle Kompetenzen in fast allen Interviews mit Politikerinnen als Voraussetzung für eine politische Tätigkeit genannt werden:
74
Vgl. Kap. 4.3. Mit Blick auf den Mikrozensus 2004 stellt die Politikerin Ursula von der Leyen fest, dass bei den 30- bis 44-Jährigen die Frauen „genauso gut oder besser ausgebildet“ sind als Männer, aber in Führungspositionen seien kaum Frauen mit Kindern anzutreffen. Ein fatales Signal: „Wer an Entscheidungsprozessen teilhaben will und Führungsansprüche nicht per se ausschließt, der verzichte besser auf Kinder“ (von der Leyen in Illner 2005: 119).
75
Geschlechtsübergreifende Typen von Selbstbildern Abbildung 5:
167
Individuelle Kompetenzen, die von erfolgreichen Politikerinnen genannt werden
Welche individuellen Kompetenzen benennen alle Politikerinnen als unabdingbar für ihre politische Tätigkeit?
Selbstbewusstsein: Selbstbewusstes kommunikatives Handeln
Authentizität:
Fachwissen:
Authentische Selbstdarstellung und Kommunikationskompetenz
Kompetenz zur fachlich fundierten sachgerechten Kommunikation
Selbstbewusstsein ist im politischen Bereich wichtig, um überzeugend zu wirken, Mehrheiten zu finden und den eigenen Überzeugungen nach zu handeln. Authentizität ist eng mit dem Merkmal Selbstbewusstsein verknüpft, denn wenn eine Politiker ihrer eigenen Überzeugung nach handelt, wirkt sie nicht nur selbstbewusst, sondern handelt auch authentisch. Die wichtigste Kompetenz stellt jedoch das Fachwissen dar. Sie macht die Politikerinnen unangreifbar und nützlich für die diversen politischen Netzwerke. In den Selbstbildern der Politikerinnen und Politiker spielt die Tatsache, einem biologischen Geschlecht anzugehören, für die Politikerinnen eine wichtige Rolle. Hierbei thematisieren sie - neben geschlechterstereotypen Verhaltenserwartungen und Verhaltensregeln - vor allem die Schwierigkeiten der Vereinbarung ihrer Familienaufgaben und ihres politischen Engagements.76 Insofern führen die im Zeitalter der Risikogesellschaft dominierenden Grundanforderungen an den modernen Menschen, Mobilität und Flexibilität, besonders für Politike-
76
Vgl. Kap. 4.1.
168
Doing Gender: Beurteilung der Interviewergebnisse
rinnen zu enormen inneren Konflikten77. Die multiplen Identitäten (vgl. Bilden 1989), die Politikerinnen ausbilden müssen, stellen für sie eine große Belastung dar. Die Interviews mit den Politikern lassen, bis auf das mit dem schwedischen Politiker SM1, nicht den Schluss zu, dass sie den Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgesetzt sind. Insofern kann Beck-Gernsheims These, dass gerade im Geschlechterverhältnis die Widersprüche der Moderne deutlich werden (vgl. Beck-Gernsheim 1980), bestätigt werden. Politikerinnen fühlen sich weiterhin stärker dem privat-häuslichen Leben verpflichtet als ihre männlichen Kollegen. Die von Beck-Gernsheim problematisierten paradoxen Anforderungen an Frauen zeigen sich auch in den Interviews mit den Politikerinnen.78 Es wird deutlich, dass einige Frauen die widersprüchlichen Erwartungen stark spüren und thematisieren, andere hingegen diese nicht als Belastung empfinden. Für viele Politikerinnen verschärfen sich die Anforderungen, wenn sie eine Familie haben. Entweder sie haben keine Kinder, dann können sie ihre Karriere verfolgen wie ein Mann. Oder sie haben Familien, dann kämpfen sie, wie oben ausgeführt, mit ihrem schlechten Gewissen und müssen die Vereinbarkeit der Aufgabengebiete Familie und Politik organisieren. Sie sind dann nicht nur mit den Schwierigkeiten als Frau, die in einem ursprünglich männlichen Machtbereich tätig ist, konfrontiert, sondern auch mit den Anforderungen Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. In einigen Interviews zeigen sich die widersprüchlichen Erwartungen sehr deutlich in der Beschreibung der beiden Bereiche. Wenn es um die Familie geht, wählen die Frauen sehr gefühlvolle Worte und beschreiben ihre Emotionen, wenn es um die politische Tätigkeit geht, wählen sie kriegerische, aggressive Worte.79 Dies ist Ausdruck der doppelten Vergesellschaftung von Frauen.
5.4 Dualistisches und differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses In Kapitel 4.4 wurde eine Übersicht erarbeitet, die Eigenschaften und Verhaltensweisen nennt, die Politikerinnen und Politiker ihrem eigenen und dem ande-
77
Vgl. bspw. die Interviews mit PF4 und GF1. Die in Kapitel 5.1 aufgezeigten Paradoxien, die die verschiedenen Anforderungen an die Politikerinnen und Politiker hervorrufen, lassen sich auch auf das Geschlechterverhältnis transferieren: auf der einen Seite werden in vielen Interviews der Studie Geschlechterdifferenzen zwar nicht als unüberwindbar, aber als realitätsbestimmend erkannt. Auf der anderen Seite spielt die Tatsache, einem biologischen und sozialen Geschlecht anzugehören, für die Politikerinnen immer eine Rolle. Bei den männlichen Politikern hingegen wird dieses - bezeichnenderweise - nur von dem schwedischen Politiker thematisiert. 79 Vgl. bspw. das Interview mit GF1. 78
Dualistisches und differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses
169
ren Geschlecht zuschreiben.80 Vergleicht man die in den Interviews von den Politikerinnen und Politikern genannten Eigenschaften und Verhaltensweisen ihres Berufsstandes mit dem von Schöler-Macher aufgestellten Profil eines männlichen Politikers81, das für Politikerinnen ihrer Meinung nach eine Vorbildfunktion hat (Schöler-Macher 1994: 103), und berücksichtigt auch die in Kapitel 4.3 erarbeiteten Typen von Selbstbildern der Politikerinnen und Politiker, so erkennt man eine Reihe von Übereinstimmung. Politikern wird in der vorliegenden Studie vom eigenen Geschlecht wie auch von Politikerinnen Karriereorientierung unterstellt. Diese Eigenschaft wird auch von Schöler-Macher genannt: Männer hätten die Bereitschaft und Fähigkeit zur optimalen Nutzung von Machtchancen. Schöler-Macher ordnet Politikern auch ein hohes Maß an Kampfbereitschaft zu. Dieses Merkmal wird zwar in o.g. Übersicht weder für Politiker noch für Politikerinnen genannt, aber die Analyse des Selbstbildes hat ergeben, dass einige Politikerinnen und Politiker sich selbst als „Kämpfer/Kämpferin“ darstellen. In der vorliegenden Studie wird die Fähigkeit und Lust zur Selbstinszenierung als wesentliche Eigenschaft einer Politikerin bzw. eines Politikers nicht genannt. Allerdings weisen einige Politikerinnen und Politiker auf die Rolle der Medien hin, die bei der Bildung und Reproduktion von Geschlechter- und Politikerstereotypen sowie bei der Förderung der eignen Bekanntheit eine wichtige Funktion haben. Zudem betonen alle Politikerinnen die Bedeutung des Selbstbewusstseins. Die Überzeugung, vernünftig zu handeln, wurde in der vorliegenden Studie eher Politikerinnen unterstellt, indem gesagt wurde, sie seien sachorientierter. Männlichen Politikern wird von ihren weiblichen und männlichen Kollegen primär eine große Karriereorientierung, weniger ein Sachinteresse, zugeschrieben. Nach Schöler-Macher haben Politiker zudem den Rücken frei von Alltagsdingen. Dieses Merkmal wird in der vorliegenden Studie nicht ausdrücklich als Eigenschaft eines Politikers oder einer Politikerin genannt. Das Abkömmlichkeits- und Vereinbarkeitsproblem spielt vor allem beim Einstieg in die Politik bzw. bei der Übernahme einer Abgeordnetentätigkeit eine Rolle. Da die interviewten Politikerinnen und Politiker bereits Abgeordnete des Europäischen Parlamentes bzw. des Sejm sind, haben sie diese Schwierigkeiten bei der Organisation des Alltags jetzt gelöst und thematisieren nun vor allem ihr schlechtes Gewissen, den verschiedenen Aufgaben nicht gerecht zu werden. Mit Blick auf die interviewten weiblichen Politikerinnen muss SchölerMachers Bild um den Wunsch nach Authentizität, die Überzeugung, richtig zu handeln, und den Willen, anderen Menschen durch die politische Tätigkeit zu helfen, differenziert und ergänzt werden, denn diese drei Aspekte tauchen fast durchgängig in allen Interviews mit Politikerinnen auf. Sie betonen, dass es ih80 81
Vgl. Abb. 6. Vgl. Kap. 2.3.2
170
Doing Gender: Beurteilung der Interviewergebnisse
nen nicht nur um ihre eigene politische Karriere geht, sondern vor allem um die Hilfe für andere Menschen. Auf die interviewten männlichen Politiker trifft das von Schöler-Macher beschriebene Bild des professionellen männlichen Abgeordneten weitgehend - mit Ausnahme des schwedischen Abgeordneten - zu. Ergänzt werden sollte in der Selbstdarstellung der Politiker jedoch die Betonung der kommunikativen Fähigkeiten, um im politischen Alltag in der modernen Mediengesellschaft den vielschichtigen Anforderungen und Herausforderungen gewachsen zu sein. Die von Meyer aufgestellten Kontrastpaare eines weiblichen und eines männlichen Verständnisses von Politik82 (Meyer 1992) könnten im Hinblick auf die Eigenschaften und Verhaltensweisen, die Politikerinnen und Politiker dem eigenen und dem anderen Geschlecht zuschreiben, übernommen werden. Allerdings zeigen die Selbstbilder der Politikerinnen und Politiker ein anderes, sehr viel differenzierteres und geschlechterübergreifendes Bild, so dass auf einen weiteren Vergleich an dieser Stelle verzichtet wird. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass Meyer einem weiblichen Verständnis von Politik „Alltagswissen“ zuordnet, einem männlichen „Expertenwissen“. Die Analyse der Verhaltens- und Eigenschaftszuschreibungen sowie des Selbstbildes widerspricht dieser Zuordnung, denn Politikerinnen schreiben sich selbst ein großes Fachwissen zu und ihnen wird auch von außen eine hohe Sachorientierung unterstellt. Der Begriff des „Alltagswissens“ hingegen spielt keine Rolle. Die Antwort auf die Frage, wie in den untersuchten Mitgliedstaaten Doing Gender praktiziert wird, kann zwar auf der Grundlage der Interviews nicht umfassend beantwortet werden, dennoch können einige Erklärungsansätze erarbeitet werden. Obwohl nicht immer ganz trennscharf möglich, konnten die interviewten weiblichen und männlichen Abgeordneten in zwei Gruppen eingeteilt werden: diejenigen, die einem dualistischen Bild des Geschlechterverhältnisses folgen und diejenigen, die einem differenzierten Bild des Geschlechterverhältnisses folgen.83 Die Gruppe „dualistisch“ ist sehr viel kleiner und besteht aus zwei Politikerinnen (PF3 und GF2). Diese Politikerinnen praktizieren Doing Gender, indem sie Politikerinnen und Politikern eindeutig unterschiedliche Verhaltensweisen und Eigenschaften zuordnen. Hierbei werden Frauen idealisiert und Männer mit negativen Eigenschaften versehen.84 Eine Reihe anderer Politikerinnen und Politiker zeigen ebenfalls Ansätze eines dualistischen Bildes des Geschlechterverhältnisses, wurden aber auf Grund der Uneindeutigkeit nicht dieser 82
Vgl. Kap. 2.3.2. Wie bereits erwähnt, stellen dualistisch und differenziert keine Wertungen dar; vgl. Definition Kap. 4.4. 84 Vgl. Interviewauszüge in 4.4. 83
Dualistisches und differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses
171
Gruppe zugeordnet, da sie an anderer Stelle ihrer Interviews die Tatsache betonen, dass es schwierig sei, allgemeingültige Aussagen über Politikerinnen und Politiker zu treffen und man bestimmte Aussagen nicht pauschalieren könne85. Hiermit sprechen sie die in der Literatur thematisierte vergessene Differenz (vgl. Knapp 1988) innerhalb der Gruppe der Frauen und der Männer an und zeigen, dass diese Differenz nicht mehr als vergessen, sondern als bewusst bezeichnet werden kann. Dennoch spiegeln ihre Erfahrungen sowie ihre Denkgewohnheiten aber offensichtlich die Zweiteilung der (politischen) Welt. So beklagen z.B. viele Politikerinnen, an Geschlechterstereotypen gemessen zu werden, vor allem was ihr Tätigkeitsfeld und ihr Verhalten in der Politik betrifft.86 Im Rahmen von „doing gender while doing work“ (West/Zimmermann 1987) kann man feststellen, dass die Interviewergebnisse momentan eher auf eine Festigung der Geschlechterdifferenzen und weniger auf eine Neutralisierung, auf ein „undoing gender“, hindeuten. Die meisten Abgeordneten konnten der Gruppe „differenziert“ zugeschrieben werden. Auch sie treffen stellenweise Aussagen, die eher in ein dualistisches Bild des Geschlechterverhältnisses passen, aber relativieren, wie oben genannt, ihre Aussagen bewusst. Sie konstruieren das Geschlechterverhältnis, in dem sie dualistische Eigenschaften relativieren und Verhaltensweisen individualisieren. Diese Form des Doing Genders ist vor allem für Deutschland und Schweden erkennbar. Den meisten Politikerinnen aus Schweden und Deutschland scheint bewusst zu sein, dass Geschlechterdifferenzen permanent durch Handeln bestimmt werden. Während sie Geschlechterdifferenzen als Relation der Geschlechter zueinander verstehen und sich somit der Konstruktion von Geschlecht und Geschlechterdifferenzen bewusst sind, kann man dies für die meisten interviewten Politiker nicht sagen. Vor allem die griechischen und polnischen Politiker lassen starke Ansätze eines dualistischen Verständnisses des Geschlechterverhältnisses erkennen. Sie verstehen zwar auch das Geschlechterverhältnis als Relation zueinander, zeigen aber durch ihre Negierung der Schwierigkeiten von Frauen in der Politik, dass sie dieses Geschlechterverhältnis nicht hinterfragen und für naturgegeben, also nicht veränderbar, halten. Aber auch die Polinnen und Griechinnen akzeptieren die Zweiteilung der Welt. Sie glauben, dass es - naturgegeben - zwei Geschlechter und deshalb auch unterschiedliche Verhaltens- und Beurteilungsweisen gibt. Ihnen fehlt das Bewusstsein für die soziale Konstruktion - und damit mögliche Dekonstruktion - von Geschlecht. Zudem lässt sich die paradoxe Situation erkennen, dass auf der einen Seite die Politikerinnen und Politiker aus Griechenland und Polen Ansätze einer größeren Sensibilität für Doing Gender, d.h. 85 86
Vgl. z.B. Kap. 4.4, Interviewauszug mit DM1. Vgl. Kap. 4.1.
172
Doing Gender: Beurteilung der Interviewergebnisse
die Herstellung von Geschlechterdifferenzen, entwickeln und sich beginnen für Gender Equality einzusetzen, auf der anderen Seite aber selbst Geschlechterstereotypen äußern und in einer nach Geschlechtern aufgeteilten Welt agieren. Diese Brüche bzw. die Paradoxien sind Symptome für die Umbruchsphase, in der sich die Geschlechterverhältnisse derzeit befinden. Wetterer (2004: 128) spricht von der widersprüchlichen Gleichzeitigkeit von Prozessen der EntGeschlechtlichung und der Re-Vergeschlechtlichung. Die Interviewanalyse hat gezeigt, dass es demnach eine enge Verbindung zwischen dem Stand der Gender Equality in dem Land und dem Bild des Geschlechterverhältnisses der Politikerinnen und Politiker gibt. Hierbei gilt: je weiter die Gender Equality in einem Land verwirklicht ist, desto eher wird Geschlecht als soziale Konstruktion aufgefasst und desto eher haben die Politikerinnen und Politiker ein differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses. Je weniger Gender Equality in einem Land erreicht wurde, desto eher werden Unterschiede zwischen den Geschlechtern als natürlich und unveränderbar aufgefasst und desto eher folgen die Politikerinnen und Politiker einem dualistischen Bild des Geschlechterverhältnisses. Übertragen auf die untersuchten Länder ergeben sich folgende Entwicklungslinien: In Schweden ist man auf dem besten Weg, die sozialen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu überwinden. In den Interviews ist eine Abkehr von Stereotypen und geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen erkennbar. Zudem spielt das Thema Gender Equality in der Politik und den Medien eine wichtige Rolle, denn Gender Equality ist eine grundsätzliche Voraussetzung für die politische Partizipation von Frauen. In Deutschland ist dieser Prozess zwar in Gang gekommen und erste Erfolge werden sichtbar, aber dennoch wird Doing Gender vor allem durch geschlechtsstereotype Zuschreibungen und unzureichende gesellschaftliche Strukturen bestimmt, die - nicht nur politisch engagierten Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren. Zwar wächst die Akzeptanz und quantitative Zahl nicht nur von Frauen in führenden und höchsten politischen Positionen - die 2005 gewählte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ist ein Symbol hierfür - , sondern auch von Paaren, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Partner verwirklichen, aber hier gibt es wesentliche individuelle Unterschiede. In Griechenland greifen die Individuen im Rahmen des Doing Gender (noch) stark auf Stereotype zurück. Es herrscht eine klassische tradierte Rollenzuschreibung und eine Zweiteilung der Welt in eine weiblichhäusliche und männlich-öffentliche. Die Politikerinnen haben ein eher idealisiertes Bild von Frauen, dem interviewten griechischen Politiker fehlt das Bewusstsein für Fragen der Gender Equality. Zwar gibt es auch in Griechenland politisch erfolgreiche Frauen: sie sind Ausnahme und Vorbild zugleich. Gleiches gilt für Polen: der weithin männlich dominierte Staat hat Einfluss auf das Denken und Handeln politisch tätiger Frauen und Männer. Geschlechterstereotypen werden
Dualistisches und differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses
173
verfestigt, nicht diskutiert oder überwunden. Die interviewten männlichen Politiker leugnen Probleme der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Die polnischen Politikerinnen sind auf Grund ihrer Sonderstellung Einzelkämpferinnen, und da ihnen weibliche Vorbilder fehlen, orientieren sie sich an männlichen. Die interviewten Politikerinnen aus den verschiedenen Ländern haben zumeist am Anfang ihrer politischen Karriere - die Erfahrung gemacht, dass Weiblichkeit als ein ungewohnter und irritierender Faktor auf der politischen Bühne wahrgenommen wird. Auf Grund mangelnder Erfahrung und fehlender Vorbilder reagierten die meisten Männer zunächst ablehnend-abwartend auf das Eindringen einer Frau in ihr politisches Feld. Als Faustregel gilt: je weniger weit die Geschlechtergleichstellung in einem Land vorangeschritten ist, mit desto mehr Schwierigkeiten sahen sich die Frauen konfrontiert, desto hilfreicher wären auch weibliche Netzwerke gewesen, die aber vor allem in Ländern existieren, in denen Gender Equality weiter vorangeschritten ist. In Zukunft werden besonders die Frauen Polens und Griechenlands von den Entwicklungen innerhalb der EU im Bereich der Gender Equality profitieren, da ihnen weibliche Vorbilder geboten werden, was zur einer Überwindung der Fremdheit in der Politik beitragen kann. Zudem fordert das Konzept des Gender Mainstreamings, dass die Dimension Geschlecht bei allen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden muss. Dies führt zu einem verstärkten Problembewusstsein und einer zunehmenden Sensibilisierung der Bevölkerung. Hierbei wird den Medien die wichtige Aufgabe zuteil, stereotype Geschlechterverhältnisse als veränderbar und sozial konstruiert zu vermitteln. Weiblichkeit wird dann, wie bereits in Schweden und teilweise in Deutschland erreicht, zu einem normalen Faktor auf der politischen Bühne. Frauen können aktiv am Doing Gender mitwirken, indem sie jeweils nach sozialer Umgebung, Situation und Persönlichkeit verschiedene Verhaltensweisen und Formen der Selbstdarstellung wählen: sie können Mitglied in einer Arbeitsgruppe zur Außenpolitik werden, in dem sie durch Fachwissen und selbstbewusstes Auftreten überzeugen, sie können Vorsitzende eines Ausschusses werden, indem sie Solidarität von weiblichen und männlichen Kollegen erfahren, sie können eine andere Frau in ihrer Kandidatur unterstützen, ohne direkt davon zu profitieren, sie können ihre männlichen Kollegen von der Notwendigkeit überzeugen, gemeinsam die Geschlechtergleichberechtigung zu fördern, sie können machohaftes oder gar sexistisches Verhalten von Seiten männlicher Politiker mit rhetorischem Geschick und sachlicher Distanz zurückweisen und sie können durch zunehmende Erfahrung ihre Selbstdarstellung in den Medien weiter verbessern. Zusammenfassend kann man sagen, dass Frauen begonnen haben die Fremdheit in der Politik zu überwinden. Allerdings haben sie sich hierbei eher an das männliche Politiksystem angepasst und beginnen erst langsam von innen
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Doing Gender: Beurteilung der Interviewergebnisse
heraus eigene, auf weibliche (und männliche) Bedürfnisse abgestimmte Strukturen, wie die Einrichtung eines Kindergartens für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Europäischen Parlamentes, zu schaffen. Die Europäische Union hat diese Entwicklungen in vielfacher Hinsicht durch die Vorbildfunktion der skandinavischen Staaten, einen starken Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter und eine innovative Gesetzgebung initiiert. Gender Equality ist in der EU nicht nur in Strategiepapieren und Förderprogrammen ein Thema, sondern wird auch durch Gesetze der verschiedenen Politikfelder - wie Beschäftigung, Bezahlung oder Sicherung sozialer Standards gesichert. Hierbei spielt das Europäische Parlament eine wichtige Rolle, da es im EP eine große Anzahl von Parlamentarierinnen, auch in entscheidenden Positionen, gibt. Allerdings ist das Thema Gender Equality anderen Themen wie Wirtschaft, Erweiterung, Landwirtschaft, Wettbewerb, Handel, Außenbeziehungen oder Industrie eindeutig nachgeordnet. Die Zunahme von Parlamentarierinnen und Kommissarinnen auch in diesen Politikfeldern führt jedoch indirekt auch zu einer Förderung der Geschlechtergleichstellung. Gender Equality wurde 2005 dem Kommissar Vladimir Spidla, also nicht einer Politikerin, zugeordnet, der die Kommissionsabteilung Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit leitet. In Verbindung mit dem Ausschuss des Europäischen Parlamentes für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter ist so Gender Equality ein durchaus wahrgenommenes Thema. Kritisch muss jedoch betrachtet werden, dass bei den erfolgten Erweiterungen der Europäischen Union 2005 und 2007 die Chance verpasst wurde, die Verwirklichung der Geschlechtergleichstellung zu einem den Beitritt bestimmenden Aspekt zu machen. Auch bei der Diskussion um die - gescheiterte - europäische Verfassung spielten die Fragen der Gender Equality keine Rolle. So orientierte sich die Europäische Union meist an den niedrigsten Standards. Die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern an der Demokratie wurde weder erwähnt, noch als anzustrebendes Ziel festgeschrieben. Auch quantitativ wurden Frauen in dem Verfassungsausschuss nur gering beteiligt, da den Mitgliedstaaten bei der Entsendung von Verhandlungspartnern keine Quotenvorgaben gemacht wurden.
5.5 Niveaus der Gender Equality Im Zusammenhang mit der Analyse von Selmans kommunikativen Entwicklungsniveaus (Selman 1984: 124 ff) haben die Interviews gezeigt, dass die untersuchten Länder sich bezogen auf Gender Equality auf höchst unterschiedlichen Niveaus befinden. Die griechischen und polnischen Gesellschaften können nach Selman der Entwicklungsstufe 2 zugeordnet werden. Die Frauenorganisationen
Niveaus der Gender Equality
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in diesen Ländern haben zwar noch keinen großen Einfluss, werden aber durchaus wahrgenommen und können erste Erfolge erzielen. Insgesamt sind diese Länder aber weiterhin von der Dichotomie des Geschlechterverhältnisses geprägt. Deutschland befindet sich etwa auf Niveau 3, das durch die wechselseitig als befriedigend empfundene Aushandlung von Kompromissen gekennzeichnet ist. Frauenorganisationen sind vorhanden, aber nicht ausgesprochen stark, und auch einige Männer haben erkannt, dass Gleichberechtigung ein entscheidender Faktor für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft darstellt. Schweden befindet sich in einer Übergangsphase von Niveau 3 zu Niveau 4. Es gibt Ansätze, die auf das Niveau 4, das ein tieferes Verständnis der anderen Seite beinhaltet, schließen lassen, z.B. darin, dass Frauen wie Männer sich entschieden für Gender Equality einsetzen. Gleichzeitig zeigen aber die Interviews mit den schwedischen Politikerinnen und Politikern, dass auch in Schweden männliche Machtbereiche weiterhin existieren und Frauen für ihre Gleichberechtigung kämpfen müssen. Inwieweit Frauen Chancen haben in ihren Ländern Schlüsselpositionen der politischen Macht zu erlangen, hängt sowohl von der jeweiligen nationalen politischen Kultur, als auch von ihrer Einstellung ihrer Partei zur Gender Equality und der dort herrschenden Frauenquote, ihrem Selbstbewusstsein und ihrer fachlichen Kompetenz ab. Weiterhin haben weibliche Netzwerke und weibliche Vorbilder einen großen Einfluss, weil Frauen durch diese Unterstützung aktiv gefördert werden können und weil so ihr Selbstbewusstsein für den Auftritt auf der politischen Bühne gestärkt wird. Im Gegensatz zu Beate Hoecker (Hoecker 1998 (c): 394) lautet ein wichtiges Ergebnis der vorliegenden Studie, dass die nationale politische Kultur ein wichtiger, aber nicht der wichtigste Prädikator für die politische Partizipation und Repräsentation von Frauen ist.
6 Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa Die Interviewergebnisse haben gezeigt, dass Frauen in den meisten europäischen Mitgliedstaaten zwar kein Fremdkörper mehr in der Politik, aber dennoch weiterhin deutlich unterrepräsentiert sind. Insofern wird die eingangs aufgestellte Hypothese bejaht, allerdings mit Einschränkungen (vgl. Kap. 5.4). Im Folgenden stellen sich nun auf der Grundlage der Erkenntnisse aus den Interviews und im Hinblick auf die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der Politik eine Reihe von weiterführenden Fragen: Was ist zu tun, um Frauen eine gleichberechtigte politische Beteiligung von Frauen zu ermöglichen? Wie verbessert man die Chancen für politisches Engagement von Frauen? Wie entstehen und verlaufen politische Karrieren von Frauen? Was befördert und behindert ihre Karrieren? Welche individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten müssen Frauen mitbringen, um eine politische Karriere machen zu können? Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen (Structural Opportunities) müssen geschaffen werden, damit mehr Frauen politisch erfolgreich werden? Welchen Einfluss kann die Europäische Union, besonders das Europäische Parlament auf die Repräsentation von Frauen ausüben? - Bevor diese Fragen erörtert werden, soll an dieser Stelle ein Blick auf Untersuchungen geworfen werden, die die Karrieremöglichkeiten und –typen von Politikerinnen und Politikern beschreiben, um fundierte Vergleichsaspekte zu den Interviews der vorliegenden Studie zu gewinnen.
6.1 Politische Karrieretypen und Karrieremuster für Frauen in der Politik Wenn nach den Bedingungen für den politischen Aufstieg von Frauen gefragt wird, ist es von Bedeutung auch einen Blick auf politische Karrieretypen und muster zu werfen. Eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat sich in Deutschland mit der Typologisierung von Karrieren weiblicher und männlicher Politiker beschäftigt. Einige wichtige Studien, wie die von Mechtild Fülles87 und Dietrich Herzog88, die die Grundlage jüngerer Forschungsprojekte89 bilden, stammen aus der Zeit Ende der 60er Jahre. Herzog90 definiert Karriere 87
Vgl.: Fülles, Mechtild: Frauen in Partei und Parlament. Köln 1969. Vgl.: Herzog, Dietrich: Politische Karrieren. Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen. Opladen 1975. 89 Vgl. u.a.: Hoecker, Beate: Frauen in der Politik. Opladen 1987; Holl, Stefan: Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg. Kehl/Rhein 1989 und Rebensdorf, Hilke: Frauen im Bundestag - anders als Männer? In: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.): Eliten in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1990. 90 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Herzog, Dietrich: Politische Karrieren. Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen. Opladen 1975. 88
Politische Karrieretypen und Karrieremuster für Frauen in der Politik
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als eine Sequenz von Positionen, die ein Individuum sukzessiv durchläuft. Gewöhnlich sind die unterschiedlichen Positionen hierarchisch aufeinander aufgebaut, was das Einkommen, den Einfluss und das Prestige betrifft. Politikerinnen und Politiker treffen die Entscheidung für eine neue politische Position auf der Grundlage persönlicher Vorlieben und sozialer und politischer Strukturbedingungen. Da jeder Positionswechsel mit einem Lernprozess einhergeht, kann jede neue Position, jede Karrierestufe demnach als ein weiterer Qualifikationsbereich angesehen werden (vgl. Herzog 1975: 44 f). Jede Karriere hat nach Herzog einen persönlichen und einen strukturellen Teil. Es reicht für eine Politikerin/ einen Politiker nicht, die richtigen Vorkenntnisse und Kontakte zu haben, sie bzw. er muss auch noch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und die entsprechenden persönlichen Eigenschaften mitbringen. Allerdings haben nicht alle Mitglieder einer Gesellschaft gleich gute Möglichkeiten politisch erfolgreich zu werden, wie Herzog - allerdings ohne auf das Merkmal Geschlecht einzugehen und es im Blick zu haben - schon vor gut dreißig Jahren betont hat: Wichtig ist nun die grundlegende theoretische Voraussetzung, dass Karrieren nicht jeweils individuell völlig verschiedenartig ablaufen können. Vielmehr sind sie bedingt durch die Möglichkeiten, die das gesellschaftlich-politische System bietet. Die anglo-amerikanische Forschung spricht in diesem Sinne von structural opportunities. Die institutionellen und organisatorischen Strukturen einer Gesell-schaft einschließlich ihrer formalen und informalen (gewohnheitsmäßigen) Regeln für Aufstiegs- und Auswahlprozesse lassen nur eine begrenzte Anzahl von Karriereverläufen zu und schließen andere Möglichkeiten aus (Herzog 1975 : 44).
Herzog hat Karrieren von Politikern (und einigen wenigen Politikerinnen) nachgezeichnet und verschiedene Karrieretypen entwickelt, die er Standardkarriere, politischen Karriere und Seiteneinsteigerkarriere nennt:
Die Standardkarriere oder Ochsentour
Die Standardkarriere eines Politikers (und einer Politikerin)91 besteht nach Herzog in einem längerfristigen, kontinuierlichen und langsamen Aufstieg. Sie ist der am häufigsten vorkommende Karrieretyp. Zunächst etabliert sich der Politiker (oder die Politikerin) in einem Beruf. Dies ist für die Person sehr wichtig. Parallel dazu engagiert sie sich in der Politik. Dieses ist jedoch dem beruflichen 91 Da Herzog nur 12 Politikerinnen und 111 Politiker befragt hat, aber postuliert, seine Ergebnisse hätten für beide Geschlechter Gültigkeit, wird der weibliche Begriff hier in Klammern gesetzt.
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Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa
Fortkommen eindeutig nachgeordnet. Ist die Phase der beruflichen Etablierung abgeschlossen, gewinnt die Politik an Bedeutung. Ist eine hohe Ebene der politischen Etablierung erreicht, die meistens aus der Übernahme eines Landtags- oder Bundestagsmandats besteht, wird die erste (berufliche) Karriere durch die zweite (politische) Karriere abgelöst. Herzog bezeichnet diesen Karrieretyp auch als „Ochsentour“ (Herzog 1975: 221) und charakterisiert damit den oft mühsamen Aufstieg in der Partei, bei dem sich der Politiker (die Politikerin) hocharbeiten und gegen viele Parteikollegen und -kolleginnen durchsetzen muss. Er geht davon aus, dass ca. 60% der Politiker - er unterscheidet hier nicht zwischen dem Anteil der Frauen und der Männer - diesem Karrieretypus entsprechen. Bezogen auf die spezifische Lebenssituation von Frauen ist die Standardkarriere als realistische Karrieremöglichkeit für Frauen kritisch zu betrachten. Geht man davon aus, dass Frauen ihren Beruf ausüben, hauptverantwortlich für Familien- und Hausarbeit sind und sich gleichzeitig in einer Partei engagieren, um dort die sog. „Ochsentour“ mitzumachen, so erscheint dieser Karriereweg beinahe nicht verwirklichbar. - Aus diesem Grund ist nur eine der interviewten Politikerinnen (GF2) eindeutig diesem Karrieretyp zuzuordnen. Sie hat sich neben ihrem Beruf zunächst kommunalpolitisch und teilweise auch gewerkschaftlich engagiert, ist langsam die politische Karriereleiter aufgestiegen und erst mit der Übernahme des Europaparlamentsmandats hat sie ihre berufliche Karriere ruhen lassen. Sie ist kinderlos.
Die politische Karriere
Die politische Karriere zeichnet sich durch eine lebensgeschichtlich frühe Orientierung auf die politische Tätigkeit aus. Diese Konzentration auf Politik erfolgt nach Herzog meist während oder kurz nach der Ausbildungsphase. Der Politiker übt seinen ursprünglichen Beruf - wenn überhaupt - nur sehr kurzzeitig aus. Die politische Karriere ist, auch im eigenen Selbstverständnis, der eigentliche Beruf, so dass Studium oder erlernter Beruf demgegenüber eine untergeordnete Rolle spielen und eher von formaler Bedeutung sind. Die materielle Versorgung erfolgt von Beginn an meist vollständig über die politische Tätigkeit. Hierzu zählt Herzog auch die Tätigkeit eines Politikerassistenten/einer Politikerassistentin sowie eines oder einer Parteiangestellten (Herzog 1975: 224). Die politische Karriere stellt für Frauen eine realisierbarere Möglichkeit dar, politisch erfolgreich zu werden. Allerdings ist das frühe politische Engagement, da es zeitgleich mit der beruflichen Ausbildungsphase beginnt, schwierig zur organisieren. Dies gilt natürlich für Frauen wie Männer, allerdings müssen letz-
Politische Karrieretypen und Karrieremuster für Frauen in der Politik
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tere traditionell weniger Familien- und Hausarbeit verrichten, so dass ihnen die Organisation weniger schwer fallen dürfte. Eine Reihe der interviewten Politikerinnen (z.B. SF2, SF3, DF1, DF5, PF4) konnten diesem Karrieretyp zugeordnet werden, denn sie haben sich meist neben der Haus- und Familienarbeit (fast alle haben Kinder) politisch engagiert und sind langsam politisch erfolgreicher geworden. Die Schwierigkeit der Zuordnung zu diesem Karrieretyp besteht darin, dass die parallel zu leistende Haus- und Familienarbeit eigentlich auch als Beruf bezeichnet werden könnte. Somit wären die Politikerinnen eher der Standardkarriere zuzuordnen. Gleichzeitig erfolgte die materielle Versorgung bei diesen interviewten Politikerinnen eher nicht über die politische Tätigkeit, sondern über die Berufstätigkeit des Partners. Anhand dieses Beispiels zeigt sich die Schwierigkeit und nur bedingte Anwendbarkeit der Karrieretypen Herzogs auf die politischen Karrieren von Frauen.
Die Seiteneinsteigerkarriere
Die Seiteneinsteigerkarriere bezeichnet keine politische Karriere im klassischen Sinne, sondern vielmehr einen Positionssprung von einer gesellschaftlichen (beruflichen) Führungsposition in eine politische Führungsposition. Der Politiker (die Politikerin) hat keine innerparteiliche Bewährungsphase wie bei den anderen beiden Karrieretypen durchlaufen, sondern steigt innerhalb kurzer Zeit schnell auf. Herzog betont, dass dieser Sprung nur in Ausnahmefällen gestattet wird. Ist die politische Karriere zu Ende, beispielsweise durch einen Regierungswechsel, wechselt die Person meist problemlos in ihren ursprünglichen Beruf zurück. Die Motivation für das politische Engagement durch einen Seiteneinstieg sieht Herzog in der Rekrutierung „von Fachleuten aus privaten Berufen oder einflussreichen Personen aus Verbänden und Institutionen, die die ‚Ochsentour’ scheuen oder aus beruflichen Gründen dazu nicht in der Lage sind“ (Herzog 1975: 219 ff). In einer neueren Untersuchung hat Herzog festgestellt, dass dieser Karrieretyp immer weniger stark vertreten ist. Nur noch 10% der Politikerinnen und Politiker seien der Seiteneinsteigerkarriere zuzuordnen (Herzog 1990: 41). Bernhardt, die Autorin einer aktuelleren Studie, aber betont die Bedeutung der Seiteneinsteigerkarriere für Frauen: Aus Führungspositionen vor allem in konfessionellen oder karitativen Organisationen heraus - der ehemals typischen Frauendomäne - fand ein direkter Wechsel in ein erstes Parteiamt auf höherer Ebene statt. Die Kariere innerhalb eines Verbandes ‘ersetzt’ in diesen Fällen die Bewährung in der politischen Basisorganisation (Bernhardt 2000: 19).
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Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa
Ein wesentliches Indiz der Seiteneinsteigerkarriere ist die berufliche Spezialisierung der Politikerinnen und Politiker. Hier könnte eine Chance für Frauen bestehen, da sie nicht - wie bei den anderen Karrieretypen - berufliches und politisches Engagement und eventuell auch noch Familienaufgaben kombinieren müssen. Vielmehr sind sie Spezialistinnen in bestimmten Fachgebieten und können dann die Chance nutzen, eine hohe politische Position zu bekleiden. Allerdings ist diese Karrieremöglichkeit von zwei Faktoren abhängig. Zum einen müssen genügend Frauen in entsprechend hohen beruflichen Positionen vorhanden sein, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Zum anderen müssen die Führungsebenen der Parteien eine Frau und nicht einen Mann für eine hohe politische Position auswählen. Die Quotierung spielt somit eine wichtige Rolle bei der Frauenförderung. Bernhardt kommt zu dem Schluss, dass „letztlich trotz empirischer Diskriminierung von Frauen keine Hinweise auf typisch weibliche Muster politischer Karrieren zu finden sind“ (Bernhardt 2000: 27).92 Sie resümiert: Die Befunde aus allgemeinen, die Dimension des Geschlechts nicht gesondert berücksichtigenden Studien (‚das Männliche ist das Allgemeine’) zu politischen Karrieren treffen in der Zwischenzeit mehrheitlich auch für Karrieren von Frauen in der Politik zu: Parlamentarierinnen haben überwiegend eine akademische Ausbildung genossen, sich beruflich qualifiziert, rekrutieren sich eher aus politiknahen Berufen, haben das Abkömmlichkeitsproblem individuell gelöst und sich in der Mehrheit sowohl parteilich als auch auf kommunaler Ebene profiliert und bewährt (Bernhardt 2000: 25).
Dieser Aussage von Bernhard kann auf der Grundlage der vorliegenden Analyseergebnisse der Interviews allerdings widersprochen werden, denn die Voraussetzungen, die Frauen offensichtlich für eine politische Karriere mitbringen müssen, unterscheiden sich schon sehr von denen der Männer. Die Karriereverläufe der interviewten Politikerinnen zeigen die besondere Bedeutung der Seiteneinsteigerkarriere. Relativ viele Frauen (bspw. SF1, DF3, GF1, PF5, PF2, PF3) sind aus hohen beruflichen, meist akademischen Berufen in das Europäische Parlament bzw. den Sejm gekommen, und zwar aus allen untersuchten Ländern. Betrachtet man die klassischen - in den 60er Jahren anhand der Biographien männlicher deutscher Politiker entwickelten - Karrieretypen Standardkarriere, politische Karriere und Seiteneinsteigerkarriere und setzt sie in Bezug zu den vorliegenden Interviews, so wird deutlich, dass diese nicht adäquat die Berufswege der interviewten Politikerinnen und Politiker dieser Studie beschreiben. 92 Mit empirischer Diskriminierung meint sie die Tatsache, dass Frauen seltener Gegenstand von Untersuchungen zu Karriereverläufen sind.
Politische Karrieretypen und Karrieremuster für Frauen in der Politik
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Die Karrieretypologien, die Herzog aufgestellt hat, hatten ihre Gültigkeit für die von ihm untersuchte Gruppe. So kommt er z.B. zu dem Schluss, dass Heirat und Familiengründung keinen gravierenden Einfluss auf die Entwicklung von politischen Lebensläufen haben (Herzog 1975: 162). Auf die von ihm untersuchte, vorwiegend männliche Untersuchungsgruppe lässt sich diese Feststellung anwenden, aber diese Aussage und andere Ergebnisse auf die in dieser Studie untersuchten europäischen Länder mit ihrem sehr differenzierten Stand der Gender Equality, speziell auf die politischen Karrieren von Frauen zu transferieren, ist nur bedingt möglich. Die Gründe hierfür liegen in der Internationalität der Untersuchungsgruppe und der Tatsache, dass heute mehr Frauen in der Politik zu finden sind als vor 30 Jahren, so dass das Männliche nicht mehr als das Allgemeine bezeichnet werden kann. Hinzu kommt, dass formal-beschreibende Karrieretypen die Vielfältigkeit der Berufswege und Qualifikationen von Politikerinnen aus verschiedenen europäischen Ländern nicht ausreichend erfassen können. Nicht die Frage, welchem Karrieretyp der politische Erfolg der Politikerinnen und Politiker entspricht, ist bedeutsam, sondern die Frage, welche Faktoren und Kompetenzen den Aufstieg ermöglicht haben.93 Daraus können zudem Handlungsempfehlungen zur Förderung der politischen Repräsentation von Frauen entwickelt werden. Dennoch hat Herzogs Untersuchung über Berufspolitik in Grundzügen immer noch Relevanz, ist aber durch weitere Forschungen in Gender-Perspektive vor allem von Hoecker, Penrose, Schöler-Macher, Schwarting und Berhardt, weiterentwickelt worden (vgl. Frantz 2005: 48 f.). Die Ergebnisse dieser Studien bestehen u.a. darin, dass die strukturell ungünstigen Bedingungen Frauen von der Karriere einer Berufspolitikerin abhalten: Diese [strukturellen] Restriktionen erklären, warum der politischen Klasse allgemein und der politischen Elite im Besonderen so wenig Frauen angehören: Politikkarrieren passen nicht zu weiblichen Sozialisationsprozessen, nicht zu weiblichen Berufsbiographien und nicht zu den weiblichen Familienbiographien. Hinzu kommt als schwerwiegendes Hindernis - quasi als Summe der genannten Hindernisse -, dass der Aufstieg von Frauen in der Politik häufig scheitert, weil sie nur selten die dazu notwendige Hausmacht in den Parteien herstellen können (Frantz 2005: 49 f.).
Diese strukturellen Restriktionen, die Structural Opportunities, sind in den untersuchten Ländern dieser Studie sehr unterschiedlich und haben großen Einfluss auf die unterschiedlichen Chancen von Frauen an Politik teilzunehmen (vgl. Kap. 6.2). Die Analyse der Interviews (vgl. Kap. 4) hat ergeben, dass Politikerinnen aller Länder drei Qualifikationen nennen, die sie brauchen, um erfolgrei93
Vgl. Abb. 10: Individuelle Kompetenzen.
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Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa
che Politikerinnen sein zu können. Hierzu gehören vor allem die fachliche Qualifikation und die damit verbundenen Kompetenzen. Frauen können sich durch hohes Fachwissen in ihren Parteien sozusagen unersetzbar machen, sich die Anerkennung der Männer sichern und sich dadurch gegen männliche Konkurrenz durchsetzen. Aber die fachliche Qualifikation reicht nicht aus. Mindestens ebenso wichtig sind soziale und emotionale Kompetenzen, die Frauen die Möglichkeit geben, mit anderen zusammen zu arbeiten, Allianzen zu schmieden, Solidarität zu üben und ihren Wählerinnen und Wählern, Kolleginnen und Kollegen sowie Konkurrentinnen und Konkurrenten gegenüber Empathie zu zeigen. Von Bedeutung für den politischen Erfolg ist auch, dass sie je nach Heimatland über ein großes Sendungsbewusstsein oder ein großes Bedürfnis der Hilfsbereitschaft verfügen. Dies hilft ihnen, die Motivation auch in anstrengenden und wenig erfolgreichen Phasen aufrecht zu erhalten. Bündelt man die bisherigen Überlegungen, so ist einerseits festzuhalten, dass die klassischen Karrieretypologien unter Bezug auf die interviewten Politikerinnen nur bedingt greifen, andererseits aber klar umrissene Kompetenzen zu erkennen sind, die weibliche Karrieren in der Politik fördern. Diese Kompetenzen lassen sich in verschiedene Karrierebausteine integrieren, die man in ihrer Gesamtheit und wegen ihrer unterschiedlichen Zusammensetzungsmöglichkeiten als weibliche Karrieremuster bezeichnen kann. Sie stellen eine Idee dar, wie man Karrieren von Politikerinnen beschreiben könnte. An dieser Stelle wird zwischen den folgenden sechs Karrierebausteinen differenziert:
Politische Karrieretypen und Karrieremuster für Frauen in der Politik Abbildung 6:
Karrierebausteine – Karrieremuster
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Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa
Die genannten Bausteine stehen in reziproker Beziehung zueinander, wenn man die vorliegenden Interviews mit den Parlamentarierinnen betrachtet. Wie bei politischen Karrieren manchmal zu sehen ist, spielt noch ein siebter Baustein eine Rolle, der allerdings nur schwer zu fassen ist. Man könnte ihn „Glück Zufall - Beziehung“ nennen und er bedeutet, dass die Politikerinnen zur rechten Zeit am rechten Ort sein müssen, um politisch erfolgreich zu sein. Die Sichtung der Interviews zeigt, dass bei den befragten Parlamentarierinnen nicht jeweils alle Bausteine eine auf das Individuum bezogene zentralere Bedeutung haben. In allen Interviews wurden jedoch berufliche und politikfachliche Kompetenzen thematisiert. Wenn man das Sendungsbewusstsein und das Selbstbewusstsein der politisch engagierten Frauen der individuellen Kompetenz zurechnet, erhält man ein deutliches Signal dafür, dass die Befragten ihre Karriere mit ihren Kompetenzen in Verbindung sehen.
6.2 Optimierung der Structural Opportunities Herzog hat die Bedeutung der Structural Opportunities für die politischen Karriere hervorgehoben. Aber welche Strukturen sind geeignet, besonders das politische Fortkommen von Frauen zu fördern? Zunächst einmal müssen besondere Structural Opportunities geschaffen werden, die Frauen die Vereinbarkeit von Beruf, hierunter wird auch das Engagement in der Politik verstanden, und Familie erleichtern. Auch Bob Jessop betont die Bedeutung der Structural Opportunities für weibliche und männliche Politiker: Der Staat bietet bestimmten Gruppen mehr Chancen, ihre Interessen zu organisieren und zu verfolgen als anderen. Aus dieser Perspektive muß dem relationalen Charakter staatlicher Macht sowie der unsteten staatlichen Fähigkeit zur Projektion staatlicher Macht auf gesellschaftliche Bereiche außerhalb der institutionellen Grenzen des Staates mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. [...] Vor diesem theoretischen Hintergrund muß in Betracht gezogen werden, dass der Staat (unter anderem) in bezug auf die Geschlechterverhältnisse ‚strategisch selektiv’ konstituiert ist und dass es mittels ‚struktureller Kopplung’ mit den anderen institutionellen Ordnungen der Gesellschaft verzahnt ist. Es sei hinzugefügt, dass der Staat in Hinsicht auf die Geschlechterverhältnisse – abgesehen von der strategischen Selektivität – ohnehin immer schon strukturell selektiv konstituiert ist, d.h. dass Institutionen und Ressourcen für bestimmte politische Kräfte besser zugänglich und verwertbar sind als für andere (Jessop 1997: 258).94
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Rechtschreibung und Hervorhebungen wie im Original.
Optimierung der Structural Opportunities
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Jessop kritisiert, dass die geschlechtsspezifische Verfasstheit der formalen Basis, die organisatorisch-ideologischen Grundlagen sowie der gegenwärtigen Ausgestaltung der politischen Repräsentation von Frauen für die meisten Länder noch nicht ausreichend erforscht sind (Jessop 1997: 286 ff). Die vorliegende Studie kann hierauf einige Antworten geben: Die Verbesserung der Structural Opportunities meint zum einen die Verbesserung und Erweiterung von qualitativ hochwertigen und finanziell attraktiven Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie die am besten gesetzlich verpflichtende - Einbeziehung der Väter in die Haus- und Familienarbeit. Die Rolle der Medien, die ein gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis vermitteln können, ist von besonderer Bedeutung. Medien können helfen, Geschlechterstereotypen zu überwinden, statt diese zu produzieren, und Frauen und Mädchen wie Männern und Jungen Vorbilder bieten. Die Vorbildfunktion spielt insgesamt eine bedeutende Rolle. Damit Frauen sich gegenseitig als Vorbilder dienen können, müssen sie rein quantitativ angemessen repräsentiert werden, wie die Politikerinnen in den Interviews immer wieder betonen (vgl. Kap. 4.2). Eine Quote von mindestens 30 Prozent in politischen Gremien würde aber nicht nur zur Förderung der Vorbildfunktion der Frauen dienen, sondern auch Frauen zu einem bedeutenden politischen Faktor machen, da sie bei der Bildung von Mehrheiten nicht übergangen werden können. Zudem stärkt eine Beteiligung der Frauen von mindestens 30 Prozent die Solidarität untereinander. Da die Solidarität der Frauen untereinander ebenfalls ein wichtiger Erfolgsfaktor mit Katalysatorwirkung (vgl. Abb. 9) für die vermehrte Repräsentation von Frauen ist, sollte diese ebenfalls gefördert werden. Dies gelingt durch eine Verstärkung der Frauenverbände innerhalb der Parteien und NGOs. Nur wenn Frauen selbst das Thema Gender Equality ernst nehmen und als wichtig erachten, wird es zu einem gesellschaftlich relevanten Thema und auch Männer werden es als notwendig erachten, für Gender Equality einzutreten und Macht zu teilen. Zu den wirksamsten Structural Opportunities, die die Repräsentation von Frauen positiv beeinflussen, zählt - wie bereits erwähnt und von den Politikerinnen immer wieder hervorgehoben - in besonderem Maße die Quote. Diese wird zwar in der Frauen- und Geschlechterforschung auch kritisch diskutiert, da sie Geschlechterunterschiede manifestiere, aber sie garantiert, dass Frauen zu 30 oder mehr Prozent an politischen Gremien beteiligt werden. Der Vorteil liegt vor allem darin, dass Frauen so zu einem normalen Faktor in der Politik werden und auf diese Weise die Fremdheit überwinden lernen. Zudem werden Frauen zu Vorbildern für andere Frauen und können auf Grund ihrer quantitativen Zahl Entscheidungen in ihrem Sinne beeinflussen. Sind Frauen einmal Normalität im politischen Alltag, kann wieder über eine Abschaffung der Quoten nachgedacht werden. Die schwedischen und skandinavischen Gesellschaften insgesamt wären
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Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa
heute im Bereich Gender Equality, gerade im Rahmen der Repräsentation von Frauen in der Politik, nicht so weit vorangeschritten, hätte es nicht innerhalb der Parteien eine Quotenregelung gegeben. Kritisch ist jedoch auch für die skandinavischen Gesellschaften anzumerken, dass Politikerinnen meist hoch qualifiziert und professionelle Ganztagspolitikerinnen sind (Philipps 1995: 147) und nicht alle Frauen Zugang zu politischer Macht haben. Bildung, Fachwissen und Ehrgeiz bzw. Sendungsbewusstsein sind offensichtlich gerade bei Frauen entscheidende Faktoren, um politisch erfolgreich zu sein. In allen europäischen Mitgliedstaaten könnte der Staat durch eine entsprechende europäische Richtlinie eine Vorbildfunktion für die Wirtschaft einnehmen, indem staatliche Positionen gleichberechtigt mit Frauen und Männern besetzt und Frauen aktiv gefördert werden. Dies würde dazu führen, dass Frauen ihre Fähigkeiten zeigen könnten. So würden sie wiederum zu Vorbildern für andere Frauen, Mädchen der folgenden Generation sowie nicht-staatliche Unternehmen werden. Auch würde Frauen der Wechsel von einem staatlichen in ein privates Unternehmen leichter fallen. All dies muss von entsprechenden Kinderbetreuungseinrichtungen flankiert werden, soll für Frauen und Männer die für die Gender Equality notwendige Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich sein.95 Wichtig ist, dass eine Strategie zur Vergrößerung des Frauenanteils in der Politik auf die Gegebenheiten des Landes abgestimmt werden muss. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die verschiedenen Aktionsbereiche:
95 Ursula von der Leyen, die deutsche Familienministerin, betont in ihrem Buch „Wir müssen unser Land für die Frauen verändern“ die rückblickend entscheidende Rolle der Quote für die Steigerung des Frauenanteils in der Politik. Auf Grund starrer hierarchischer Strukturen fordert sie die Einführung einer Frauenquote für die Wissenschaft. Für die Wirtschaft hält sie eine Frauenquote nicht für notwendig, da der demographische Wandel dazu führen wird, dass Unternehmen Frauen einstellen würden. Die Frage sei allerdings, ob diese Frauen (und Männer) noch Kinder haben würden (vgl. von Welser/von der Leyen 2007: 159).
Optimierung der Structural Opportunities Abbildung 7:
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Wie werden Frauen politisch erfolgreich?
Wie werden Frauen politisch erfolgreich? Individuelle Ebene: • Selbstbewusstsein • Fachwissen • Sendungsbewusstsein
Gesellschaftliche Ebene: Geeignete Structural Opportunities: • neue Rollenvorbilder für Frauen und Männer • Einbeziehung der Väter in die Haus- und Familienarbeit • hochwertige, verfügbare und preiswerte Kinderbetreuung • gleicher Anteil von Frauen und Männern an Bildung • Teilung der Elternzeit zwischen den Eltern • Berufsorientierung für Mädchen in den Sektoren: Technik, Informatik, Naturwissenschaften
Politische Ebene:
Ökonomische Ebene:
Geeignete Structural Opportunities:
Geeignete Structural Opportunities:
• Quoten (von 40% oder 50%) für Frauen in allen Parlamenten • Quoten (von 40% oder 50%) für Frauen in allen Parteien • paritätische Besetzung von Schlüsselfunktionen innerhalb der Parteien • Stärkung der Frauenverbände der Parteien • Stärkung der Frauenverbände der NGOs • Förderung von Frauen in politiknahen Berufen
• höherer Anteil von Frauen in Führungspositionen von Unternehmen und im mittleren Management • Möglichkeiten für Teilzeitarbeit von Frauen und Männern in anspruchsvollen Berufsfeldern • gleicher Lohn für gleiche Arbeit • Betriebskindergärten und finanzielle Förderung der Kinderbetreuung durch Wirtschaft und Staat
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Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa
6.3 Europa: von der Wiege der Demokratie zur Vorreiterin der Gender Equality Welche Funktion kann die Europäische Union bei der Überwindung der Fremdheit in der Politik für Frauen haben? - Europa gilt als die Wiege der Demokratie sowie der Menschen- und Bürgerrechte. Geschichtlich betrachtet wurde jedoch mit den Frauen ein Großteil der Bevölkerung von der Teilhabe an der politischen Macht und der gesellschaftlichen Mitbestimmung ausgeschlossen. Umso wichtiger ist die Rolle der Europäischen Union für die Durchsetzung der Gender Equality heute einzuschätzen. Die chancenreiche und perspektivische Rolle der EU wird in der Wissenschaft diskutiert. Heidrun Hoppe weist darauf hin, dass ein vielschichtiger Prozess in Gang gesetzt wurde, durch den Gender Equality ins europäische Bewusstsein rückt und der Konsequenzen erfordert: Neue Gleichbehandlungsrichtlinien etwa der EU und Urteile des Europäischen Gerichtshofes zur Chancengleichheit bedeuten einen Schub für die Neuordnung des Geschlechterverhältnisses. Der Amsterdamer Vertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer aktiven Gleichstellungspolitik nach dem Prinzip des GenderMainstreaming (Hoppe 2004: 6).
Geschlechtergleichstellung ist ein grundlegendes Element der Demokratie. Länder, in denen nur wenig Frauen in den Parlamenten politisch repräsentiert sind, können nicht als wirklich demokratisch bezeichnet werden, da in ihnen - aus welchen Gründen auch immer - die Hälfte der Bevölkerung an der Teilhabe an politischer Macht gehindert ist. Nur eine geschlechtergerechte Gesellschaft ist eine demokratische Gesellschaft. Wann aber ist Geschlechterdemokratie erreicht? Geschlechterdemokratie ist dann erreicht, wenn Männer und Frauen dauerhaft gleichberechtigt an politischen Entscheidungen und an gesellschaftlichen Ressourcen teilhaben, wenn also Frauen in politischen Schlüsselpositionen, in Aufsichtsräten und Betriebsleitungen gleich stark vertreten sind wie Männer und sich Männer wiederum in gleicher Weise an Haus- und Familienarbeit beteiligen wie Frauen. Ziel von Geschlechterdemokratie ist also eine Neugewichtung von Betreuungs- und Erwerbsarbeit, verbunden mit dem Abbau hegemonialer Männlichkeitsmuster (Hoppe 2004: 5).
Die Europaabgeordnete Christa Randzio-Plath stellt in ihrem 1980 erschienenen, grundlegenden Buch heraus, dass Frauen in der Politik nicht notwendig seien, weil sie Politik menschlicher machten, sondern weil sie die Demokratie stabilisierten und der breiten Masse der Bevölkerung ein politisch bewusstes Leben
Europa: von der Wiege der Demokratie zur Vorreiterin der Gender Equality 189 ermöglichten. Da Frauen größtenteils für die Erziehung der Kinder verantwortlich sind, prägen sie das demokratische und geschlechtergerechte Bewusstsein der zukünftigen Generationen (vgl. Randzio-Plath 1980: 173 f.). Wie erwähnt, übt die Tatsache, dass Frauen selbst Politikerinnen werden, eine große Vorbildfunktion auf Kinder und Jugendliche aus. Es beeinflusst selbstverständlich auch ihr Bewusstsein und ihr Verhalten, da diese weiblichen Vorbilder in der Politik eine eigene politische Tätigkeit als selbstverständlich und realisierbar erscheinen lassen. Die Europäische Union und speziell das Europäische Parlament spielten bei der Entwicklung der Gender Equality und gerade bei der Erweiterung der politischen Rechte und Repräsentationsmöglichkeiten für Frauen eine besondere Rolle. Die Europäische Union als politisch weltweit einmaliges Konstrukt ermöglichte Frauen die historisch einzigartige Chance, Mitglieder eines jungen Parlamentes zu werden, in dem es noch keine traditionellen Karrieremuster gab und neue Normen und Regeln geschaffen werden konnten. So eröffnete sich Frauen die Chance hier politische Karriere zu machen. Männern schien dieses machtlose, neue Konstrukt als Arbeitsplatz nicht attraktiv genug zu sein. Im Europäischen Parlament gab es noch keine männlichen Netzwerke, zudem versprach hier Mitglied zu werden wenig Prestige für die nationale politische Bühne. Aus diesen Gründen errangen Frauen bei der ersten Europawahl 1979 fast 30% der Sitze und erlangten somit ein neues Selbstbewusstsein, wie Randzio-Plath schildert: Frauen haben gelernt, dass die politische Emanzipation keine Freizeitbeschäftigung mit Lustgewinn ist, sondern zunächst ein Opfergang [...]. Sie haben sich aber noch zu wenig dagegen gewehrt, Wasserträger der Männer in der Politik zu sei. Sie müssen über eigene Anstrengungen ihre Gastrollen in der Männerwelt Politik in Hauptrollen eintauschen. [...] Ein Bewusstseinswandel bei Männern ist genauso notwendig wie bei Frauen, damit Frauen keine Gastarbeiter in der Männerwelt sind (RandzioPlath 1980: 9).
Das Europäische Parlament kann heute als Signal an alle EU-Staaten und darüber hinaus dafür stehen, dass Gleichberechtigung der Geschlechter funktioniert, dass Politik sich verändern kann und Gender Equality an Akzeptanz in der Europäischen Bevölkerung gewinnt. Auf Grund der Bedeutung und der Einmaligkeit, die das Europäische Parlament besitzt, muss das Europäische Parlament eine langfristige Strategie zur Festigung der gleichberechtigten politischen Repräsentation von Frauen und Männern entwickeln. Das Europäische Parlament müsste verpflichtend über einen Zeitraum von 15 Jahren, d.h. drei Europawahlen, sukzessive eine Quote von 50:50 einführen. Hierbei würde ein Stufensystem, das alle fünf Jahre verschärft wird, den Übergang erleichtern. Beginnend mit einer Quote von 30:70, weiterführend mit einer Quote von 40:60, die der Gleichbe-
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Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa
rechtigung schon sehr nahe kommt, könnte dann nach 15 Jahren eine für alle europäischen Mitgliedstaaten einheitliche und verbindliche Quote von 50:50 durchgesetzt werden. Diese Quote würde zeigen, dass ein neues Denken eingesetzt hat, und hätte Auswirkungen auf alle nationalen Parlamente. Es würde eine neue Diskussion um Gleichberechtigung angestoßen werden, die Einfluss auf viele andere gesellschaftliche und ökonomische Bereiche hätte. Insofern wird die These von Sauer (2002: 123 ff), die emanzipatorische Erwartungen an eine vermehrte politische Partizipation knüpft, bestätigt. Wenn Gender Equality in der Politik funktioniert, wenn neu über Familienrollen, die Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht und über Stereotype nachgedacht wird, kann dies auch in der Wirtschaft, in der Berufswelt, auch in Bezug auf Führungspositionen zum Umdenken führen. Weibliche Vorbilder würden Mädchen und Frauen die Möglichkeit geben, für sich selbst ebenfalls die Entscheidung zu treffen, sich in der Politik zu engagieren. Gleichzeitig würden männliche Vorbilder Jungen und Männern die Möglichkeit geben, für sich die Entscheidung zu treffen, Familienaufgaben wahrzunehmen und geschlechterstereotypes Verhalten zu überwinden.
Europa: von der Wiege der Demokratie zur Vorreiterin der Gender Equality 191 Abbildung 8:
Auswirkungen der Einführung der Frauenquote im Wahlrecht des Europäischen Parlamentes
Auswirkungen der Einführung der Frauenquote im Wahlrecht des Europäischen Parlamentes 30 %
40 %
50 %
der EPAbgeordneten eines Landes müssen Frauen sein
der EP- Abgeordneten eines Landes müssen Frauen sein Abgeordneten
der EPAbgeordneten eines Landes müssen Frauen sein
Wahl 2009
Wahl 2014
Wahl 2019
das Prinzip der Gender Equality ist in einem relevanten politischen Sektor vorbildhaft und beispielgebend verankert Gender Equality und die geschlechtergerechte politische Repräsentation werden in das öffentliche „europäische“ Bewusstsein gebracht und in den Medien diskutiert Konsequenzen für die Parteien, insbesondere die Parteiarbeit und die Nachwuchsförderung Auswirkungen auf die Programme der Parteien hohe Motivation für politisch interessierte und engagierte Frauen positiver Einfluss auf die Besetzung der anderen politischen Positionen in der EU Veränderung von Geschlechterstereotypen Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten von Frauen und Männern Gender Equality wird den nationalen Parlamenten zu einem wichtigen Thema
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Ausblick: Bessere Chancen für Frauen in Europa
Wer dies für überzogene Forderungen hält, dem sei gesagt, dass der Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlamentes europaweit eine Besetzung der Listenplätze von Parteien in paritätischer Weise von mindestens 40% und höchstens 60% fordert. Dieser Vorschlag wird an die Verpflichtung der Mitgliedstaaten geknüpft, die Parteienfinanzierung an das Erreichen der paritätischen Ziele zu binden (vgl. Europäisches Parlament 2006: 13). In diesem Zusammenhang wird das 2007 gegründete „Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen“ an Bedeutung gewinnen. Es soll die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten bei der Förderung der Gender Equality und der Bekämpfung der Diskriminierung, z.B. durch Instrumente des Gender Mainstreamings, unterstützten. Eine weitere Aufgabe liegt in der Bereitstellung von Forschungsdaten sowie in der Eröffnung einer öffentlichen Bibliothek. Zudem werden Konferenzen, Informationskampagnen und Seminare organisiert, damit die Öffentlichkeit für Gleichstellungsfragen sensibilisiert wird. Das Institut erfüllt eine wichtige Aufgabe innerhalb der Europäischen Union, da es die Bedeutung der Gender Equality nach innen, d.h. zu den anderen Europäischen Institutionen transportiert, und nach außen, indem es die Bevölkerung und die Medien auf Probleme der Gender Equality aufmerksam macht. Den weitreichendsten Gedanken zur Verwirklichung der Geschlechterdemokratie hat in den Interviews die griechische Abgeordnete GF2 geäußert (vgl. Kap. 4.1). Sie fordert einen Vertrag zwischen Frauen und Männern, der das Geschlechterverhältnis neu definieren soll. In ihm sollen Frauen und Männer vereinbaren, dass sie gleichberechtigt und fair alle Rechte und Verantwortungen im privaten und öffentlichen Bereich teilen. Dieser Vertrag enthält auch eine Vereinbarung über gleichberechtigt geteilte politische Macht, so dass die Zukunft gemeinsam gestaltet werden kann. Dieser Gender-Contract könnte von den Abgeordneten des Europäischen Parlamentes ausgearbeitet werden. Die Einführung der Frauenquote im Wahlrecht des Europäischen Parlamentes könnte Teil des Gender-Contracts sein. Die Ausarbeitung würde zu weitreichenden Diskussionen zwischen den Abgeordneten, aber auch in den Mitgliedstaaten führen. So würde das Thema Gender Equality und Doing Gender zu einem in den Medien diskutierten Thema, das auch von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird. Ein neues Nachdenken über die Geschlechterverhältnisse, das Auswirkungen auf den familiär-privaten und beruflich-öffentlichen Bereich hätte, würde auf diese Weise eingeleitet werden. Der Impuls für diesen Gender Contract müsste von Frauen und Männern gemeinsam ausgehen und könnte seinen Ursprung im Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter haben. Frauen müssten sich fraktions- und länderübergreifend für seine Verwirklichung engagieren.
7 Doing Gender auf der politischen Bühne Europas ein Kurzresümee Die Idee zu dieser Arbeit, die den Titel „Doing Gender auf der politischen Bühne Europas - Politikerinnen und ihre Überwindung der ‚Fremdheit in der Politik’“ trägt, beruht auf eigenen Beobachtungen, die ich während meines Praktikums beim Europäischen Parlament gesammelt habe. Neben der Internationalität und der produktiven Arbeitsatmosphäre faszinierte die gleichberechtigte Verteilung der Abgeordnetenmandate unter Frauen und Männern bei den skandinavischen Ländern sowie die insgesamt recht hohe Zahl von Politikerinnen, die entscheidende Positionen einnahmen. Auch unter den deutschen Abgeordneten gab es eine relativ große Anzahl von Frauen, die zudem selbstbewusst und einflussreich innerhalb ihrer politischen Gruppe agierten. Dennoch fiel auch auf, dass gerade für die südeuropäischen Länder Frauen deutlich unterrepräsentiert waren. Diese Erfahrungen führten zur Idee, als Problemfeld der Dissertation, die im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Europäische Gesellschaft“ an der Universität Duisburg-Essen entstanden ist, die politische Repräsentation von Frauen in Europa zu wählen. Nach der Lektüre der Literatur zum Thema stellte sich die Frage, ob Frauen weiterhin Fremdkörper in der Politik sind, wie eine Wissenschaftlerin96 feststellte, zumal die subjektiven Erfahrungen in Brüssel ein durchaus anderes Bild zeigten. Aus diesem Grund durchziehen diese Arbeit als roter Faden die eingangs formulierten Fragestellungen, inwieweit Frauen inzwischen die Fremdheit in der Politik überwunden haben, wie Geschlechterdifferenzen in der Politik erzeugt werden und welche Faktoren die politische Repräsentation von Frauen auf ein gleichberechtigtes Niveau bringen können. Wieso ist gerade die Europäische Union, und insbesondere das Europäische Parlament, ein geeignetes Untersuchungsfeld, um diese Problemstellung zu untersuchen? Historisch betrachtet ist die Dichotomisierung der europäischen Gesellschaften in einen öffentlich-männlichen und privat-weiblichen Bereich eine politische Konstruktion, deren Ziel es war, Frauen aus dem politisch-öffentlichen Leben auszuschließen. Diese Konstruktion der Geschlechterverhältnisse kann und muss jedoch dekonstruiert werden, denn Geschlechterungleichheit widerspricht (Geschlechter-)Demokratie. Bezogen auf Deutschland problematisieren Becker-Schmidt/Knapp die Dysfunktionalität der traditionellen Geschlechterverhältnisse und deshalb die Notwendigkeit einer Entwicklung zur Geschlechterdemokratie: 96
Schöler-Macher 1994: Die Fremdheit in der Politik.
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Doing Gender auf der politischen Bühne Europas - ein Kurzresümee Geschlechterungleichheit widerspricht Geschlechterdemokratie, einem im Grundgesetz formulierten Anspruch unserer Gesellschaft. Konflikte sind unvermeidlich. Soziale Entwicklungen zugunsten von Frauen, die diesem Anspruch folgen, tangieren männliche Ansprüche auf Vorrangstellung. Im Wechsel von Angriff und Verteidigung entstehen Risse in diesem Herrschaftsgefüge, die sich auf Dauer nicht kitten lassen. Ein traditionelles Geschlechterverhältnis kann zudem angesichts sozialer Dynamiken gesellschaftlich dysfunktional werden, und zwischen einzelnen Geschlechterarrangements können Diskrepanzen entstehen (Becker-Schmidt/Knapp 2000: 49).
Die Europäische Union ist ein besonders interessantes Untersuchungsfeld, da die europäischen Mitgliedstaaten in der Dekonstruktion der Dichotomisierung ihrer Gesellschaften unterschiedlich weit vorangeschritten sind. Zudem hat die Europäische Union selbst es auf Grund ihrer Besonderheiten vielen Frauen ermöglicht, politische Machtpositionen zu erreichen. Dennoch wird auf der Grundlage der Interviewanalyse klar, dass diese Macht fragil ist und Geschlechterstereotypen in der Politik weiterhin existieren. Das Europäische Parlament galt lange Zeit als unwichtig und erschien vielen einflussreichen, machtbewussten männlichen Politikern als Arbeitsstätte nicht attraktiv. Dies ermöglichte Frauen innerhalb der Europäischen Institutionen Fuß zu fassen, Machtpositionen zu besetzen und eigene informelle und formelle Netzwerke zu bilden. Da der Prozess der Entwicklung von Geschlechterdemokratie in den skandinavischen Ländern bereits in Gang gesetzt und recht weit vorangeschritten ist, übten die skandinavischen Staaten mit ihrem Beitritt in den 90er Jahren eine Vorbildfunktion auf die anderen europäischen Mitgliedstaaten aus, indem Frauen dort selbstverständlich politisch wichtige Positionen inne haben. Besonders auf die südeuropäischen Staaten sowie die 2005 und 2007 neu beigetretenen mittel- und osteuropäischen Staaten hat das gleichberechtigte Geschlechterverhältnis positive Auswirkungen. Trotzdem ist in vielen europäischen Ländern die Repräsentation von Frauen und Männern nicht gleichberechtigt und meist sind Frauen auf nationaler Ebene schlechter als auf europäischer Ebene repräsentiert. Inzwischen ist das seit 1979 direkt gewählte Europäische Parlament neben der Europäischen Kommission zu einer mächtigen Institution gewachsen und somit zu einem begehrten, einflussreichen Arbeitsplatz für Politikerinnen und Politiker geworden. Für die Studie wurden vier europäische Mitgliedstaaten ausgewählt, die bezogen auf die Geschlechtergleichstellung unterschiedlich weit vorangeschritten sind. Schweden gilt europa- und weltweit als das fortschrittlichste Land im Bereich der Gender Equality, Deutschland repräsentiert das Mittelfeld, Griechenland das Ende der „Skala der Gleichberechtigung“, ebenso wie Polen als Repräsentant für die neu beigetretenen mittel- und osteuropäischen Staaten gelten kann. Insgesamt wurden 21 Abgeordnete des Europäischen Parlamentes inter-
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viewt, davon 15 Frauen und 6 Männer, um die Antworten miteinander vergleichen zu können, sowohl im Sinne eines Vergleichs zwischen verschiedenen Staaten, als auch in Bezug auf die beiden Geschlechter. Um die gestellten Fragen zu beantworten sowie im Sinne der Handlungsforschung Strategien zur Förderung der politischen Repräsentation von Frauen zu entwickeln, wurde ein qualitativer Forschungsansatz mit leitfadengestützten Interviews gewählt. Es wurde ein Fragebogen entwickelt, der anhand von fünf Kategorien auf der Grundlage sozialwissenschaftlicher Theorien ausgewertet wurde. Die Auswertungskategorien lauteten: Dramaturgie der politischen Bühne, Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen, Selbstbild der Politikerinnen und Politiker, Doing Gender in Politics und Gender Equality in den vier EUStaaten. Die Interviews wurden auf Englisch und Deutsch an mehreren Orten, nämlich in Brüssel, Warschau und Berlin geführt. Wie in Kapitel 3 deutlich wurde (vgl. die Abbildung 7 Konzentrische Kreise), ließen sich in den Interviews die einzelnen Themenbereiche nicht immer trennscharf differenzieren, da der eine Aspekt den anderen berührt oder einschließt. Gleichwohl werden in Kapitel 4 in systematischen Arbeitsschritten exemplarisch ausgewählte Interviewaussagen der weiblichen und männlichen Europaabgeordneten analysiert, um zu allen Themenbereichen ein Gesamtbild zu erhalten. In Kapitel 5 wurde die in Kapitel 4 initiierte Interpretation der Interviews auf der Grundlage soziologischer Theorien, besonders zur Geschlechterforschung, vertieft. Im Folgenden werden die erarbeiten Ergebnisse kurz dargestellt: Die Analyse der Aussagen zur „Dramaturgie der politischen Bühne“ - nach einem Begriff von Goffman - und zur Konfrontation mit (geschlechterstereotypen) Rollenerwartungen ergibt ein differenziertes Bild. Als Gemeinsamkeiten lassen sich an dieser Stelle festhalten, dass weiterhin geschlechtsstereotype Rollenerwartungen im Politik-Sektor dominieren, dass Parlamentarierinnen, unabhängig aus welchen Mitgliedstaaten, mit männlicher Arroganz zu kämpfen haben, wenn sie in traditionell „männliche Politikfelder“ vordringen, dass männliche Netzwerke die Dramaturgie bestimmen und dass die politische Bühne hohe Professionalität erfordert, wodurch gerade für Frauen erhebliche Anforderungen hinsichtlich der Vereinbarkeit der beiden Pole Politik als Beruf und Familienleben entstehen. Die befragten Politikerinnen haben die Zusammenhänge erkannt und sprechen von „weiblichen Netzwerken“ in der Politik, wodurch sukzessive eine Gegenmacht zur Männerdominanz erwächst. Ein Gender-Contract - inklusive der Realisation von Gender-Balance - sind für die befragten Parlamentarierinnen eine „reale Vision“, um die herrschende Dramaturgie neu zu gestalten. Die Analyse der Konkurrenz- und Kooperationserfahrungen der Parlamentarierinnen und Parlamentarier hat ein unterschiedliches Bild für die verschiede-
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nen untersuchten Länder ergeben. Je weiter die Gender Equality in einem Land vorangeschritten ist, als desto wichtiger erkennen die Politikerinnen die Bedeutung von Frauensolidarität. Homans Theorem der Nutzenmaximierung muss zudem differenziert werden, wenn es um Solidarität zwischen Politikerinnen und Politikern auf der politischen Bühne geht: Politikerinnen werden von ihren männlichen Kollegen meist dann unterstützt, wenn sie durch ihr Wissen zu deren persönlichen Nutzenmaximierung beitragen. Von ihren weiblichen Kolleginnen werden sie hingegen auch unterstützt, wenn diese höchstens einen transferierten Nutzen erwarten können. Zu einem „Homo Solidaricus“ kann eine Politikerin nur werden, wenn genug weibliche Kolleginnen in der Politik zu finden sind, mit denen sie solidarisch handeln kann. Fehlen weibliche Vorbilder, orientieren sich die Politikerinnen am Konkurrenzverhalten ihrer männlichen Kollegen. Die Interviewanalyse hat gezeigt: gibt es eine größere Anzahl von Frauen in der Politik, gibt es mehr Frauensolidarität. Insofern kann von der Katalysatorwirkung der Frauensolidarität gesprochen werden (vgl. Abb. 9). Eine klare Quotenregelung in den Parlamenten könnte die Rivalität zwischen weiblichen und männlichen Bewerbern mildern. Im Rahmen der Auswertung der Selbstbilder der Politikerinnen und Politiker wird deutlich, dass es geschlechts- und länderübergreifende Typen von Selbstbildern gibt. Es wurden vier Typen herausgearbeitet: die Helferin/der Helfer, die Kämpferin/der Kämpfer, die Berufene/der Berufene und die Kompromissorientierte/der Kompromissorientierte. Als Motivation für ihre politische Tätigkeit nennen die Politikerinnen und Politiker drei Hauptaspekte: Motivation auf Grund einer politischen Umbruchsituation, Orientierung an familiären Vorbildern und Motivation aus dem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Diese Motivationen lassen sich teilweise bestimmten Typen von Selbstbildern oder Herkunftsländern zuordnen. So nennen z.B. die Schwedin SF1 und der Schwede SM1 als Motivation für ihren politischen Beruf den Wunsch nach Selbstverwirklichung und sind dem Typen „die Berufene/der Berufene“ zuzuordnen. Allerdings war auf der Grundlage der Interviews kein eindeutiges Bild erkennbar. Als individuelle Kompetenzen müssen die Politikerinnen für ihre Abgeordnetentätigkeit vor allem Selbstbewusstsein, Authentizität und Fachwissen mitbringen. Bestimmend für ihr Selbstbild ist die Tatsache, einem biologischen Geschlecht anzugehören. Für die männlichen Politiker ist dies unbedeutend. Im Zeitalter der „Risikogesellschaft“ lösen aber die verschiedenen Anforderungen, denen gerade Politikerinnen ausgesetzt sind, innere Konflikte aus. Allerdings werden die divergierenden Anforderungen von den Politikerinnen unterschiedlich stark wahrgenommen bzw. in den Interviews geäußert. „Doing Gender in Politics“ wird von den Politikerinnen und Politikern auf zwei Arten praktiziert: eine Gruppe folgt einem eher dualistischen, auf eindeutig
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unterschiedlichen Charaktereigenschaften von Politikerinnen und Politikern beruhenden Bild des Geschlechterverhältnisses, die andere Gruppe hat eher ein differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses, das daraus besteht, Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften zu individualisieren und dualistische Eigenschaften zu relativieren. Je weiter die Gender Equality in einem Land verwirklicht ist, desto eher wird Geschlecht als soziale Konstruktion aufgefasst und desto eher haben die Politikerinnen und Politiker ein differenziertes Bild des Geschlechterverhältnisses. Je weniger Geschlechtergleichstellung in einem Land erreicht ist, desto eher werden Unterschiede zwischen den Geschlechtern als natürlich und unüberwindbar verstanden und desto eher folgen die Politikerinnen und Politiker einem dualistischen Bild des Geschlechterverhältnisses. Da sich die Gender Equality in den untersuchten Staaten auf sehr unterschiedlichen Niveaus befindet, kann es für die verschiedenen Länder keine einheitliche Strategie geben, wie politische Gleichberechtigung in Zukunft verwirklicht werden kann. In Polen ist der Anstoß eines Dialogs über Geschlechtergleichstellung, die weitere Unterstützung von Frauenwahlbündnissen sowie die Vorbildfunktion politisch erfolgreicher und kompetenter Frauen aus anderen EUStaaten von Bedeutung, um die patriarchalen Denkstrukturen aufzubrechen. Auch für Griechenland wäre der Aufbau von Frauenwahlbündnissen eine Idee. Gerade die griechische Gesellschaft scheint ebenfalls der Unterstützung durch die Europäische Union, besonders durch die Gesetzgebung zur Gleichstellung von Frauen und Männern und die Durchsetzung des Gender Mainstreamings zu bedürfen. Geeignete Mittel wären auch die Einführung einer Frauenquote und des Reißverschlusssystems für die Parteien. Hier könnte ebenfalls die Europäische Union zum Initiator und Vorbild werden, indem verpflichtende, sukzessive Frauenquoten für alle EU-Staaten eingeführt werden. Auch die Frauen in Deutschland würden von einer europaweiten Frauenquote für alle Parlamente deutlich profitieren. In Deutschland müsste zudem die Verwirklichung der Gender Equality zu einem in den Medien diskutierten Thema werden, um (wieder) ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Da die politische Geschlechtergleichstellung in Schweden nahezu verwirklicht ist, wäre es für die schwedische Gesellschaft ein zukunftsweisendes Signal, Quoten für die Wirtschaft und Wissenschaft einzuführen. Kapitel 6 nimmt den Doing-Gender-Prozess, der sich in den Interviews spiegelt, aus verschiedenen Perspektiven in den Blick. Aus der Analyse der Interviews lassen sich sechs Karrierebausteine filtern, die man in ihrem Zusammenspiel als Karrieremuster (vgl. Abb. 11) bezeichnen kann. Diese Karrierebausteine stehen in Zusammenhang mit der Frage nach den geeigneten Structural Opportunities, mit denen eine vermehrte politische Repräsentation von Frauen erreicht werden kann. Entsprechend der Tradition des Integrationsfachs Sozial-
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wissenschaften werden neben der Ebene der individuellen Kompetenz die drei Ebenen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft differenziert. Auf diese Weise kann verdeutlicht werden, dass alle Bereiche zusammenhängen und dass das Eine nicht ohne Veränderungen auf den anderen Ebenen vorangeht. Im Mittelpunkt steht aber sicherlich die Bedeutung einer Quotierung für Frauen in allen Parlamenten. - Im Kontext dieser Studie wurde immer klarer, welche Relevanz eine hohe Quote für Politikerinnen besitzt. Erfolgreiche Politikerinnen sind auch Vorbilder für die nachwachsende Mädchengeneration. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Vor allem die Europäische Union besitzt die große Chance, diesen Prozess der Gender Equality im Bereich der Politik erheblich zu beschleunigen, wenn sie sich zu einer Quote durchringt und die Quotierung auch von allen aktuell 27 Mitgliedstaaten einfordert. Diese Quote könnte weitreichende Wirkungen in alle Bereiche der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft haben, in denen Frauen weiterhin unterrepräsentiert und benachteiligt sind. Ein GenderContract würde dazu führen, dass Gender Equality zu einem relevanten Thema in den Medien würde. Somit könnte neu über die Geschlechterverhältnisse nachgedacht werden, was Auswirkung auf den familiär-privaten und den beruflichöffentlichen Bereich hätte. Deshalb stehen nun die EU-Parlamentarierinnen vor der bedeutenden Aufgabe, den Gedanken der Gender Equality im eigenen Haus, d.h. im Europäischen Parlament und in den vielen europäischen Gremien und Institutionen bis hin zur Europäischen Kommission und der Präsidentschaft, sukzessive umzusetzen. Dass dies nicht ohne die männlichen Abgeordneten und Politiker geht, liegt auf der Hand. Man muss auch davon ausgehen, dass dieses hohe Ziel der konkreten Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit in allen Politikfeldern von vielen Seiten offen oder subtil mit allen möglichen politischen Schachzügen behindert oder bekämpft wird. Entscheidend ist, dass das Bewusstsein unter politisch tätigen Frauen und Männern in der EU dafür vorhanden ist und auch die Erkenntnis, dass ihr Handeln Maßstäbe für Gender Equality und Gender Mainstreaming in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union setzt. Wie die Ergebnisse zeigen, kann die eingangs aufgestellte These, dass Frauen ihre „Fremdheit in der Politik“ überwunden haben, teilweise bestätigt werden. Mit Blick auf die Zukunft muss sie differenziert werden: Frauen können ihre „Fremdheit in der Politik“ überwinden, wenn Gender Equality zu einem wichtigen Faktor innerhalb der Politik der Europäischen Union und in den Köpfen von Frauen und Männern wird. Die deutsche Europaparlamentarierin Christa Randzio-Plath sagte über die Notwendigkeit des politischen Engagements von Frauen:
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Wenn Frauen dazu berufen sind, ‚Utopien bewohnbar zu machen’ (Sarah Kirsch), dann müssen sie zu ‚Schmetterlingen aus Stahl’ (Mahatma Gandhi) werden. Die Befreiung der Frau muss gleichzeitig Suche nach Gleichheit, nach Macht und nach Veränderung der Machtstrukturen sein, damit der Aufbruch der Frau, das ‚Ereignis und die Hoffnung des Jahrhunderts’ (Erich Fromm), Frauen endlich mitregieren lässt. Frauen wissen, dass die Befreiung der Frauen im Übermaß ihre eigene Aufgabe und Arbeit ist. Wenn die Männer nicht unter starken politischen Druck gesetzt werden, werden sie politische Macht nicht teilen. Das Mitregieren kommt nicht von allein und wird Frauen nicht geschenkt (Randzio-Plath 1980: 174).
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