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Der Werwolf von Manila von Jory Sherman Vorwort Caridad wartete nahe der Straße auf einer kleinen Lichtung, die in e...
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Der Werwolf von Manila von Jory Sherman Vorwort Caridad wartete nahe der Straße auf einer kleinen Lichtung, die in einiger Entfernung von ihrem Dorf gelegen war. Sie stand hinter einer Piniengruppe, von wo aus sie nicht gesehen werden konnte. Von hier aus konnte sie die gewundene Straße ein ganzes Stück lang verfolgen, doch es tat sich nichts auf ihr, und das beunruhigte sie. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Dunkelheit anbrach. Wo waren Paco und sein Freund, den er mitbringen wollte? Sie sollten schon längst hier sein. Die Schatten wurden bereits länger. Sie war ein kleines, schlankes Mädchen von fünfzehn Jahren mit glänzendem schwarzen Haar, strahlenden braunen Augen und brauner Haut. Die flache Nase zeugte von ihrem malaysischen Erbe. Sie war eine Tagalog, wurde aber von einer Familie der Ilongots erzogen, einem Bergstamm der Kopfjäger. Caridad wollte die Berge verlassen und mit Paco nach Baguio gehen. Paco arbeitete in den Minen von Luzon. Während einer Reise mit ihrer Pflegemutter dorthin hatte sie ihn kennengelernt. Sie waren sofort ineinander verliebt gewesen. Jetzt hatte sie für Paco und seinen Freund, den Professor, Informationen über die Ilongots, die sie gegen ihren Willen gefangenhielten. Immer wieder schaute sie auf ihre Habseligkeiten, die sie mitgenommen hatte. Sie besaß außer dem Kleid, das sie trug, nur noch die Hose, die Paco ihr in Manila gekauft hatte und durch einen Missionar heimlich zustecken ließ, außerdem einen Fächer, einen Badestein, den Kalamansi, und die Hälfte einer Kokosnußschale, mit der sie den Boden ihrer Hütte zu putzen pflegte. Das war alles, was sie besaß - außer ihrer Liebe zu Paco und dem Wunsch, so bald wie möglich dieses grauenhafte Dorf zu verlassen, wo die Geheimnisse so entsetzlich waren, daß man sie nicht mehr beschreiben konnte.
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Sie hatte sie Paco gegenüber einmal andeutungsweise erwähnt. Sofort versprach er, seinen Freund herzubringen und ihr zur Flucht zu verhelfen. Paco liebte sie und wollte sie heiraten. Sie war noch immer eine Jungfrau, denn Paco war sehr zärtlich und verständnisvoll zu ihr. Er war nicht wie die anderen, älteren Männer im Dorf, die sie mit ihren schmutzigen Blicken und Bemerkungen verfolgten. Paco hatte sie immer wieder beschworen, ihr Dorf zu verlassen. Stets hatte sie Angst gehabt vor der Flucht, doch jetzt fürchtete sie mehr zu bleiben. In der letzten Zeit verschwanden Menschen aus ihrem Dorf. Teile von ihnen fand man in den Pinienwäldern, oder streunende Hunde brachten sie ins Dorf. Die Menschen scheuten sich, die Hunde zu schlagen, die möglicherweise Dämonen, also Aswangs, waren. Caridad murmelte leise Pacos Namen, als ob sie ihn damit schneller herbringen könnte. Sie wurde nervös und begann zu zittern. Sie war froh, daß sie den Kalamansi mitgenommen hatte, der Zauberkräfte enthalten sollte. Es hieß, wenn man ihn über sich rieb, könnte man den Aswang damit von sich fernhalten. Die Sonne ging unter, als Caridad ihr Bündel öffnete und den Kalamansi herausholte. Sie umklammerte ihn, er war ihr einziger Schutz. Es wurde kalt, und Caridad hatte ihren Umhang nicht mitgenommen. Zitternd berührte sie den herzförmigen Anhänger an der dünnen goldenen Halskette, den Paco ihr geschenkt hatte. Wo blieb nur Paco? Die Sonne war inzwischen untergegangen, und die Dunkelheit legte sich über die Berge. * Fünf Meilen von Caridads Platz entfernt trottete ein großer Hund den Waldweg entlang. Seine Zunge hing aus dem Maul. Unter seinem verfilzten, verwahrlosten Fell zeichneten sich die Rippen ab. Es war ein dürrer Hund, pechschwarz mit einem weißen Fleck auf der Brust. Das eine Auge war blau, das andere braun. Der Hund blieb mitten im Dorf stehen, senkte den Kopf und schnüffelte. Er roch getrockneten Fisch und geröstetes Schweinefleisch. Er bewegte sich auf eine der abgelegenen
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Hütten zu. Und einen Augenblick später war der Hund verschwunden. Geflüster ging von Hütte zu Hütte, dann wurden Fenster und Türen verschlossen und Kerzen angezündet. Der Mann stand in der Hütte. Seine Muskeln spielten unter der nackten, glänzenden Haut. Er tauchte seine Hände in die Milch einer Kokosnuß und rieb damit den Körper ein. Die Milch sollte ihn dazu befähigen, wie der Wind in den Wald hineinzustreichen und wieder heraus und über die Häusergiebel zu gleiten. Die Hauptpersonen des Romans: Russell Chillders - Die Aswangs von Manila sind seine Gegner. Gefährlich sind sie deshalb, weil sie mal Mensch, mal Dämon und auch einmal Werwolf sind. Felix Bulatao - Er kennt die Sitten und Gebräuche seiner Landsleute - aber wozu sie fähig sind, ist auch für ihn neu. Laura Littlefawn - Für Chili ist sie ein ideales Medium, doch im Dschungel von Manila versagen ihre Fähigkeiten, denn den Tod kann sie nicht voraussehen. Caridad - Sie wird das erste Opfer eines Aswangs, und ihr Tod wirft viele Rätsel auf. Paco - Er will Caridads Mörder fangen, doch damit gerät er in den Mittelpunkt geheimnisvoller Ereignisse. Als er sich umdrehte, um die Kerze auszublasen, leuchtete in seinem blauen Auge das Licht, während das braune sich verdunkelte. Sein Gesicht schien dadurch aus zwei verschiedenen Hälften zu bestehen. * Caridad hörte das Rauschen des Windes in den schwarzen Bäumen. Sie hob den Blick zu dem kalten Sternenhimmel und hoffte, daß bald der Mond sein Licht spenden würde. Plötzlich brach das Rauschen ab, und eine eigentümliche Spannung bemächtigte sich der Natur. Caridad lauschte. War es doch der Wind, oder näherte sich ihr ein schnüffelndes Tier? Mit einemmal wußte Caridad, daß es nicht der Wind war. Sie preßte eine Hand an ihre Kehle, mit der anderen knetete sie den Kalamansi. Sie schloß die Augen. Plötzlich erstarb das Geräusch.
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Als sie die Augen wieder öffnete, war der Mond aufgegangen. Und jetzt sah sie ihn. Sein Körper stank faulig, seine Haut glänzte im Mondlicht. Er schien nur ein Auge zu haben, denn hier fing sich das Mondlicht und wurde zu Caridad herübergestrahlt. Das andere Auge war nur ein dunkles Loch. Er stand kaum zwei Meter entfernt. Caridad hob die Hand mit dem Kalamansi, doch der Mann, lachte nur. Da fiel ihr der Kalamansi aus der Hand. Das Mädchen wurde starr vor Angst, als der Mann auf es zutrat. Während sie ihn entsetzt anstarrte, ging mit seinem Gesicht eine Verwandlung vor. Lange Haare sprossen aus der Gesichtshaut, die Augen begannen zu glühen, die Nägel wuchsen zu scharfen Krallen, die Lippen wurden zu Lefzen und entblößten das Wolfsgebiß. Der Aswang stieß ein Knurren aus und sprang dann fauchend auf das Mädchen zu. Sie kämpfte gegen ihn an, rang nach Atem. Doch er packte sie noch fester und drückte sie zu Boden. Plötzlich fühlte sie sich von einem dunklen Feuer gepackt. Ihr Widerstand wurde geschwächt. Sie verkrampfte sich noch einmal, als seine Krallen das Leben aus ihr preßten. Licht und Dunkel kämpften gegeneinander, bis nur noch die Dunkelheit übrigblieb. Da krochen die Lichtfinger eines Jeeps über Caridads Körper. „Aswang!“ schrie Paco Plasabas, als er das Blut an der Kreatur sah. Felix Bulatao, der Professor neben ihm, riß ungläubig die Augen auf. Wie Paco hatte er noch nie einen Aswang gesehen, er kannte ihn nur vom Hörensagen. Mit kreischenden Bremsen kam der Wagen zum Stehen. Paco schien das Blut in den Adern zu gefrieren, denn jetzt sah er, womit die Kreatur sich beschäftigt hatte. Er packte die Taschenlampe und sprang aus dem Wagen, gefolgt von dem Professor. Er schaltete das Licht ein und strahlte es in die Bäume. Da war das Biest verschwunden. Die beiden Männer gingen zu der leblosen Caridad, deren nackter geschundener Körper in einer grotesken Krümmung dalag. Paco drehte den Kopf weg und kämpfte gegen die Tränen an. „Es tut mir leid“, murmelte der Professor, „das war Caridad, nehme ich an.“
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Paco nickte. „Ich wünschte, wir könnten diesen Aswang kriegen. Ich möchte ihn töten. Aber - aber das ist unmöglich. Mein Gott, es gibt niemanden, der das schafft!“ „Kommen Sie“, sagte Bulatao, „setzen Sie sich in den Jeep. Ich werde sie auf den Rücksitz legen.“ Er breitete das zerrissene Kleid über Caridads Leiche, hob sie vorsichtig hoch und legte sie in den Fond des Wagens. Dann setzte er sich neben Paco. „Fahren Sie uns zurück“, bat er ruhig. „Wir können hier nichts mehr tun.“ Paco weinte. „Ich will den Aswang“, schluchzte er. „Ich will ihn tot. Kann mir denn niemand helfen?“ Bulatao sagte: „Ich kenne jemanden. Ich weiß, wer uns helfen kann, diesen Aswang zu finden.“ * Das Telefon klingelte auf dem Nachttisch. Eine braungebrannte Hand kroch unter der Bettdecke hervor und tastete nach dem Hörer. Dann verschwand die Hand mit dem Hörer wieder unter der Decke. „Hm, ja“, murmelte eine verschlafene Stimme in die Sprechmuschel. „Ist dort Doktor Russell Chillders? Hier ist ein Gespräch für Sie aus Übersee.“ Chili tauchte unter der Decke auf und setzte sich im Bett aufrecht. Ein Blick auf den Wecker sagte ihm, daß es vier Uhr morgens war. „Ich bin Chillders“, sagte er. „Von wo kommt der Anruf?“ „Manila, Sir“, sagte die Telefonistin und verband. „Sprechen Sie jetzt.“ „Hallo, Doktor Chillders?“ rief eine Stimme. „Ja.“ „Guten Morgen, Doktor. Hier ist Felix Bulatao aus Manila. Sie erinnern sich sicher an unseren Briefwechsel. Er betraf die Mythologie der Philippinischen Inseln.“ „Ich erinnere mich, Professor. Aber wir haben jetzt vier Uhr morgens.“ „Deswegen rufe ich Sie auch nicht an. Einige Mitarbeiter von mir
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haben im Interesse der Gerechtigkeit und Wissenschaft eine Kollekte veranstaltet. Äh, das Ergebnis war die Summe von fünftausend Dollar. Sie können also hierher fliegen und ein paar seltsame Vorfälle untersuchen. Ich kann Ihnen leider nur so viel am Telefon sagen, daß es bei diesen Vorfällen um eine jener Kreaturen geht, von denen ich Ihnen damals schrieb, den Aswang. Ich glaube, Sie nennen das den Werwolf.“ Chili schaltete die Nachttischlampe an, holte sich Notizblock und Bleistift vom Nachttisch und sagte: „Sagen Sie mir, was Sie können, Professor. Ich habe was zum Schreiben.“ „Gut. Es handelt sich um einen ziemlich tragischen Vorfall. Ein junges Mädchen wurde vor zwei Nächten in den Bergen von einem Aswang angegriffen und getötet. Ihr Freund ist ein Freund von mir, der mir bei einigen Untersuchungen bei den Stämmen behilflich war. Ich glaube, daß man den Aswang finden und schadlos machen kann. Doch ich muß Sie warnen. Es ist wahrscheinlich gefährlich.“ „Geben Sie mir Ihre Nummer, Professor. Meine Sekretärin, Mistreß Maude Ryerson, wird Sie morgen früh anrufen. Dann können Sie mit ihr die Bedingungen besprechen. Ich werde noch meine Assistentin mitbringen, Laura Littlefawn. Wir werden mit dem nächsten Flugzeug kommen. Unterkunft und so weiter werden Sie regeln.“ Bulatao gab Chili seine Nummer. „Noch was, Doktor Chillders. Vielleicht bringen Sie besser noch eine kleine Waffe mit und Munition. Wir werden uns meistens in gefährlichen Gegenden aufhalten.“ „In den Bergen?“ „Und in Manila.“ * „Haben Sie die Buchungen vorgenommen?“ fragte Chili und blinzelte Laura zu, als Maude in die Küche geflattert kam. „Natürlich habe ich das“, antwortete Maude. „Wo wären Sie, wenn ich nicht wäre. Ah, hier duftet es ja herrlich. Ich könnte sofort loslegen mit Essen.“ Maude liebte Chilis Essen, und nicht nur, weil sie dadurch schlank blieb, denn Chili war Vegetarier. Er war immer bedacht, daß seine Nahrung sehr schmackhaft, aber ausgewogen war.
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Deswegen bevorzugte er es, sein Essen selbst zusammenzustellen und zuzubereiten. Laura, die vor dem Abflug in sein Haus gekommen war, half ihm dabei. Laura war heute wieder aufregend schön mit ihrer olivfarbenen Haut, ihrem glänzenden rabenschwarzen Haar und den dunkelblauen Augen. Maude verstand nicht, weshalb ein Mann von zweiunddreißig, der genügend Geld hatte, um sich eine Frau zu leisten, nicht so eine hübsche Frau wie Laura Littlefawn heiratete, die erst sechsundzwanzig war. Maude strich sich das graue Haar zurück und lugte in die Töpfe. „Soll ich den Tisch decken?“ „Das schaffen wir schon, Maude“, sagte Chili, „wenn Sie uns nur die Liste vorlesen würden…“ „Ich werde den Tisch decken“, verkündete Laura und unterdrückte ihr Lachen. Sie liebte diese zwei Menschen, die sie stets anregten. Sie selbst lebte in Atlanta, in einem Apartment, das Chili noch nie gesehen hatte. Sie hatte ihn nie dorthin eingeladen, und er hatte nie danach gefragt. Er respektierte ihr Privatleben, und sie das seine. Laura war eine Halbsioux. Als Medium hatte sie Chili schon bei zahlreichen Fällen geholfen. Chili untersuchte psychische Phänomene. Er verstand es auch, sich auf telepathischem Weg mit Laura zu verständigen. Das hatte ihm schon oft das Leben gerettet, ihn aber auch in verdammt peinliche Situationen gebracht. Laura liebte Chili, obwohl sie es ihm nie deutlich gesagt hatte, doch er wußte es. Und Laura wußte, daß er sie auf seine besondere Art liebte. „… dann fliegen Sie nonstop nach San Francisco, nehmen dort die Maschine nach Hawaii und steigen dort in die Maschine nach Manila. Doktor Felix Bulatao wird Sie dort abholen. Ich habe Ihnen sicherheitshalber alles aufgeschrieben. Bulatao, ein herrlicher Name, klingt so exotisch. Übrigens, er läßt Sie noch vielmals um Verzeihung bitten wegen seiner nächtlichen Störung. Ich hoffe nur, daß Professor Bulatao Sie nicht in den dunklen Dschungel mitnimmt. Laura, Sie passen doch auf, daß Doktor Chillders nirgendwo hingeht, wo es Schlangen und Skorpione gibt. Ich habe Ihnen Ihre hohen Stiefel eingepackt und die Pistolentasche zurechtgelegt. Die Koffer sind gepackt. Vergessen Sie nicht, Ihr Gepäck versichern zu lassen, wenn Sie am Flughafen sind. Und schließen Sie auch für sich eine Versicherung ab, aber setzen Sie mich ja nicht als Begünstigte ein. Das gibt mir
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ein schauriges Gefühl…“ „Maude, können wir jetzt essen?“ fragte Chili und verteilte den Salat, während Laura den Tee über das selbstgemachte Eis in den Dessertgläsern goß. Chili blickte Laura an, die tief in seinem Innern die Sehnsucht weckte. Wenn Maude jetzt nicht da wäre, würde er Laura an sich ziehen. Laura hätte nichts dagegen - wenn es nicht weiter ging. Laura hielt sich ganz hübsch unter Kontrolle. Er wußte, daß Laura ein tiefes Gefühl für ihn empfand, wie er für sie. Sie waren sich auch einige Male ziemlich nahe gekommen, aber Chili hatte stets das Gefühl, daß Laura mehr wollte. Sie wußte von den anderen Frauen, und Chili ahnte, daß sie eifersüchtig war. Eines Tages, wußte Chili, würde er Laura nicht mehr widerstehen können. „Chili, du starrst“, sagte Laura. Chili kam in die Wirklichkeit zurück. „Oh, ja.“ Maude bemerkte den Blick zwischen ihnen und meinte: „Ihr habt den Honig vergessen.“ * Während Chili mit Laura und Maude zu Mittag aß, war es auf den Philippinen zwei Uhr nachts. Eine alte Frau mit ledriger Runzelhaut saß am Küchentisch ihres kleinen Häuschens in Cavite. Die mit tiefen Schnitten durchzogenen Lippen entblößten hin und wieder die wenigen gelben Zähne. Die gesamte Einrichtung des Hauses war spartanisch: Bett, Stuhl, Tisch, Couch. Die nackten Wände wirkten ungemütlich. Die alte Frau rauchte eine Zigarette, wobei das glühende Ende des Stäbchens in ihrem Mund steckte, wie es hierzulande Sitte war. In dem zerbeulten, fleckigen Gefäß wurde der Tee schon kalt, denn die Frau kümmerte sich nur um ihre ausgebleichten, abgegriffenen Karten. Sie kümmerte sich nicht darum, als die Tür aufging. Sie drehte sich noch nicht einmal nach dem Besucher um. Die vierzig Watt der nackten Glühbirne über ihr spendeten auch nur so viel Licht, daß sie in unmittelbarer Nähe des Tisches etwas sehen konnte. Jetzt patschten nackte Füße über den Holzboden. Dann setzte sich ein Mann der Frau gegenüber auf den Stuhl. Für einen Filippino war er außergewöhnlich dunkelhäutig. Das flache runde
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Gesicht wurde beherrscht von hohen Backenknochen, einer hohen Stirn und einer plattgedrückten Nase. Um die kleinen braunen Schweinchenaugen zogen sich rote Höfe von geplatzten Äderchen. Der Mann war klein, untersetzt und muskulös. Er trug eine dschungelgrüne Militärkleidung, Militärstiefel, eine .45er Automatik in der Hüfthalfter und ein langes scharfes Messer mit lederbezogenem Griff. Er roch nach altem Schweiß. Er saß nur da und betrachtete schweigend die alte Frau. Sie nahm die Karten, mischte sie und legte sie vor dem Filippino auf den Tisch. „Was sagen die Karten?“ wollte er wissen. Die alte Frau nahm eine Karte weg, zögerte und legte sie zurück. Der Mann beugte sich argwöhnisch vor. Die Frau verschob jetzt die Karten zu Kreisen, dann reihenförmig. Sie setzte sich zurück, wechselte die Position der Zigarette in ihrem Mund, nahm einen tiefen Zug und legte sie wieder in die alte Lage. „Jemand kommt. Jemand Gefährliches. Groß, dunkel. Ein Amerikaner. Er kommt nach Manila, nach Baguio, in die Berge. Er ist ein Jäger. Er wird begleitet von einer Hexe. Indianerin. Sie treffen sich mit dem Jungen und mit einem älteren Mann, einem Lehrer. Sie sind alle hinter dir her. Sie möchten den Aswang töten. Dich! Lauf! Versteck dich!“ „Warum hast du die Karten verschoben?“ „Ich dachte, ich hätte einen Fehler gemacht.“ „Vielleicht machst du jetzt einen Fehler. Was können diese Leute schon erreichen? Können sie fliegen? Töten sie Hunde? Kennen sie die Macht des Aswang? Nein, du hast dich geirrt, alte Frau. Ich bin enttäuscht. Du bist zu alt. Du kannst die Karten nicht mehr lesen. Du hast einen Fehler gemacht.“ Sie schaute zu ihm auf. „Nein, Maning. Ich habe keinen Fehler gemacht. Du darfst nicht mehr in die Berge zurückgehen. Ich sehe - ich sehe - Knochen, Blut, Tod… Ich sehe…“ Sie konnte nichts mehr sagen. Manolo - „Maning“ - zog schnell sein Messer. Er packte die Frau an den Haaren und erstach sie. Manolo Kahapon steckte sein Messer zurück, verließ die Hütte und trat in die mondlose Nacht hinaus. *
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Als der Jet zur Landung ansetzte, schimmerte Manila in der Sonne, als ob es seinem Ruf als Perle des Pazifik gerecht werden wollte. Die Passagiere der ersten Klasse durften zuerst die Maschine verlassen. Unter ihnen waren Chili und Laura. Als der Zoll sie anstandslos passieren ließ, war Chili doch froh, denn er hätte keine Lust gehabt, zu erklären, weshalb er seine Waffen mitgenommen hatte. „Willkommen auf den Philippinen“, sagte jemand in einer Gruppe von lächelnden braunen Gesichtern. Felix Bulatao kam auf Chili und Laura zu und streckte ihnen die Hand hin. „Doktor Chillders, ich bin Felix Bulatao.“ „Nennen Sie mich Chili, bitte, Professor. Das ist meine Assistentin, Laura Littlefawn.“ „Ich bin Laura. Freut mich, Sie kennenzulernen, Professor.“ „Felix, bitte.“ Bulatao führte die beiden Ankömmlinge durch das Flughafengebäude und hinaus auf den Parkplatz. Endlich standen sie vor einem Fiat, der seine schönsten Tage schon hinter sich hatte. „Sie waren noch nie in Manila?“ fragte Bulatao, während er durch den Verkehr fuhr, der Chili und Laura wie ein Alptraum vorkam. „Nein, das ist unser erster Besuch“, sagte Chili. „Dann können Sie während der Fahrt gleich etwas von der Stadt sehen. Inzwischen haben sich in der Sache ein paar Entwicklungen ergeben, doch davon reden wir später. Ich habe einen Scheck für Sie ausstellen lassen über fünftausend Dollar. Wenn Ihre Forderungen höher sind, lassen Sie es mich bitte wissen.“ „Gut“, sagte Chili. „Sie sprechen gut unsere Sprache, Felix“, fand Laura. „Es ist die offizielle Sprache.“ Manila schien vor Menschen überzuquellen. Die Kleidung war farbenprächtig. Immer wieder sah man Frauen mit langen fließenden Gewändern mit weiten Ärmeln. Die Männer trugen Hemden und braune Hosen. Bulatao fuhr den Mac-Arthur Boulevard entlang, von wo aus man die Blaue Bucht, Luneta Park und die großen Hotels überblicken konnte. „Ich habe Ihnen die Armenviertel nicht gezeigt. Es leben einfach zu viele Menschen in Manila. Das Verbrechen ist ein großes
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Problem hier, obwohl es nachgelassen hat, seit der Präsident das Kriegsrecht erlassen hat. In Manila zu leben bedeutet trotzdem noch, dem Tod nahe zu sein. Die Zivilisation hat in mancher Hinsicht die Inseln zerstört.“ Der Verkehr hatte deutlich nachgelassen, als sie aufs Land hinausfuhren und schließlich vor Bulataos Haus hielten. Es war ein bescheidenes, aber hübsches Haus mit einem Ziegeldach nach spanischem Muster. Bulatao parkte seinen Wagen in der Einfahrt. Ein Stück weiter stand ein Jeep, in dem ein junger Mann wartete. „Paco ist schon da. Er wird uns in die Berge fahren. Kommen Sie herein. Wir wollen zusammen reden. Möchten Sie ein Bad nehmen und sich umziehen?“ Chili und Laura verneinten. Paco kletterte aus dem Jeep und wurde mit Chili und Laura bekanntgemacht. Auf Laura machte er einen traurigen Eindruck. Er war noch keine Zwanzig, schlank, aber muskulös, hatte hohe Backenknochen und eine spanische Nase. Er trug olivfarbene Kleidung, die ein wenig zu groß für ihn schien. Als die vier das Gepäck hineintrugen, wurden sie von Felicing, einem jungen Mädchen, begrüßt. Die ungefähr Sechzehnjährige war einfach gekleidet und trug keine Schuhe. Das Haus war größtenteils mit Bambus- und Rattanmöbeln eingerichtet. Bücherregale und Gemälde wechselten sich ab. Dann zeigte der Professor mit einigem Stolz seine Sammlung von Kunstgegenständen der Eingeborenen, wie Töpferware und Messer. Er besaß sogar einige alte Pistolen, die Chilis Aufmerksamkeit erregten. Chili und Laura erfuhren, daß sie die Nacht nicht hier verbringen würden, sondern heute noch ihre Reise fortsetzen wollten. Felicing schlief außerhalb des Hauses, erklärte ihnen der Professor. „Möchten Sie mal unser Eingeborenenbier probieren?“ fragte Bulatao, und als Chili und Laura begeistert zustimmten, nickte er Paco lachend zu, der in die Küche verschwand. „Ist Paco der Junge, dessen Freundin ermordet wurde?“ wollte Chili wissen. „Ja, und er ist sehr unglücklich. Ihr Begräbnis war gestern. Es verlief in aller Stille, da ihre Eltern unbekannt sind. Sie stammte aus Cavite, wurde aber in frühester Jugend von dort gestohlen.“
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Als Paco das Bier brachte, warnte Bulatao: „Trinken Sie nicht zuviel, denn dieses Bier ist bedeutend stärker als das, welches in Ihrem Land gebraut wird. Ein, zwei Flaschen jedoch können Sie sicher vertragen.“ Paco nahm als letzter eine Flasche und setzte sich damit in eine Ecke. „Sehr gut“, lobte Chili nach dem ersten tiefen Schluck. „Aber Sie sprachen vorhin von neuen Entwicklungen.“ Bulatao setzte sein Bierglas ab und sagte: „Gestern erhielt ich einen Anruf von der Polizei. Sie behauptete, einen Fall zu bearbeiten, bei dem Hexerei im Spiel sei. Ich bin ihr Berater für solche Fälle. Ich werde Ihnen gleich ein paar Fotos zeigen, die die Polizei mir gab. Da Sie, Laura, mediale Begabungen besitzen, könnte es sein, daß Sie etwas bei diesen Fotos empfinden. Doch zuerst muß ich Ihnen ein paar Angaben machen. Eine Frau wurde vor zwei Nächten in Cavite ermordet. Cavite ist ein kleines Dorf auf der anderen Seite der Manila-Bucht. Es war eine alte Frau, eine Hexe, die allein lebte. Allem Anschein nach hatte sie, kurz bevor sie ermordet wurde, jemandem die Zukunft geweissagt. Ein Nachbar, der die Frau als Hexe kannte, fand ihre Leiche am nächsten Morgen. Laut Angaben des Pathologen wurde sie zwischen zwei und drei Uhr nachts ermordet. Ich fuhr nach Cavite und sprach mit den Beamten. Dabei sah ich die Fotos. Glücklicherweise wurden die Karten während des Verbrechens nicht zerstört, sondern nur blutdurchtränkt, so daß man noch sehen konnte, welche Zukunft gelesen worden war.“ „Wie wurde sie getötet?“ fragte Chili. „Die Kehle wurde ihr durchgeschnitten.“ „Wer war sie?“ wollte Chili wissen. „Die Schwester der Frau, die Caridad ,adoptiert’ hat, Pacos Freundin, die getötet wurde.“ „Und glauben Sie, daß es eine Verbindung zwischen den beiden Morden gibt?“ fragte Laura. „Ja, das glaube ich. Und ich glaube, daß die Frau deswegen getötet wurde, weil die Spur zu ihr führen könnte, weil man sie vielleicht zum Sprechen bringen könnte.“ „Wieso?“ fragte Chili. „Ich verstehe mich im Kartenlesen. Meine Mutter hat mich einiges über Okkultismus gelehrt. Und die Karten der ermordeten Frau verrieten, daß ein Flugzeug von einer fernen Insel oder
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einem Kontinent kommen würde. Zwei Menschen, ein großer dunkler Mann und ein Kind - oder eine Frau - indianischer Abstammung, würden kommen. Und zwar bald. Der große Mann sollte die Person töten, der die Zukunft gelesen wurde. Die Karten verrieten Anzeichen von Knochen und Blut. Aber es bestand auch Gefahr für den Fremden. Die Karten wurden verschoben, um die Interpretation unklar zu machen.“ „Sie glauben, Chili ist der Fremde, und ich bin die Indianerin?“ fragte Laura. „Haben Sie nicht indianisches Blut? Ihre Erscheinung, bis auf die Augen, deutet darauf hin.“ „Ich bin eine Halbsioux“, sagte Laura. „Dann stimmt es. Ich glaube, der Mörder wurde vor Ihnen gewarnt. Und er ist gefährlich. So, wie die Karten auf dem Tisch lagen, würde ich sagen, daß er ein Aswang sein könnte.“ „Der Aswang ist die Kreatur, die Pacos Freundin getötet haben könnte, nicht wahr?“ fragte Chili. Paco sprang auf. „Er hat sie getötet. Ich habe ihn gesehen. Er war ein Aswang. Er war…“ Bulatao hatte sich erhoben, um Paco zu beruhigen. Er sprach auf Tagalog auf ihn ein. Kurz darauf setzte sich Paco wieder, doch seine Augen glühten vor Haß und Entschlossenheit. Chili bemerkte die Heftigkeit in Paco und war auf der Hut. Wenn ein Mann sich von seinem Ärger mitreißen ließ, dann wußte man nie, wohin das führte. Er selbst war vorsichtig mit seinem Ärger. Er war ein Mann, der sich gern unter Kontrolle hatte. Und deswegen lebte er noch. „Wir beide sahen ihn“, erklärte Felix ruhig. „Ich glaube, es war ein Aswang. Noch nie habe ich so eine Kreatur gesehen. Er beschäftigte sich mit der Leiche des armen Mädchens. Er war entweder ein kranker Mensch oder ein Dämon. Und dann verschwand er. Kein Wesen mit nur einem Funken Menschlichkeit könnte das getan haben.“ „Ich muß mehr über den Aswang erfahren, wenn ich helfen soll“, meinte Chili. „Ich werde Ihnen ein paar Bücher geben, und wir können dann darüber sprechen“, versprach Felix. „Sie haben von Bildern gesprochen“, erinnerte Chili. Bulatao stand auf. „Ich werde sie holen. Aber sie sind schrecklich. Vielleicht will Laura sie nicht sehen.“
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„Ich werde sie mir ansehen“, sagte Laura. „Vielleicht kann ich etwas fühlen, das uns weiterhilft.“ Bulatao kam nach ein paar Sekunden mit einem Stoß Fotos zurück. Es waren schlechte Aufnahmen, aber die aufgenommenen Gegenstände waren deutlich zu erkennen. Laura ging Foto für Foto durch, verzog bei einem das Gesicht, schaute aber trotzdem tapfer darauf. Dann gab sie den Stoß - bis auf eine Aufnahme Bulatao zurück. Laura lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und hielt das Foto mit dem Kopf der toten Frau in Händen. Dann schloß sie die Augen. Ihre Hand hob sich zur Kehle, dann fuhr der Mittelfinger quer darüber hinweg. „Ich kann die Frau sehen, wie sie war. Sie raucht. Ein Mann ist da. Er trägt eine Art Militäruniform. Er steht auf und zieht ein Messer. Es ist lang. Es sieht aus wie ein Bajonett. Er arbeitet sehr schnell damit. Dann…“ „Was dann, Laura?“ fragte Chili. „Ich - ich weiß nicht. Er - verschwindet einfach. Oder - er verändert sich. Er geht in die Nacht. Er - er wird wie die Nacht.“ Sie öffnete die Augen und starrte Chili an. „Ist das alles?“ fragte er. „Da - da ist noch etwas. Ich sehe es nicht ganz. Es sind Buchstaben. Ein Wort. Ein Name oder so etwas.“ „Versuch’s!“ „Es ist ein Wort, das ich - nicht verstehe. Moment… Nein, ich dachte, es stünde mit dem Mann in Verbindung, aber vielleicht bedeutet es nur, wann der Mord geschah…“ „Wie heißt das Wort?“ fragte Chili. „Gestern“, sagte sie. „Nur das Wort gestern.“ * Chili schaute Bulatao, dann Paco an. Beide zuckten verwirrt mit den Schultern. „Tut mir leid“, entschuldigte Laura sich, als sie das Foto zurückgab. „Mehr war es nicht. Hilft das irgendwie?“ „Vielleicht“, meinte Felix. „Natürlich tragen hier viele Menschen Militärkleidung.“ „Ich würde mich jetzt gern frisch machen und umziehen“, sagte Laura und erhob sich.
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„In Ordnung. Hat jemand Hunger?“ fragte Felix. „Ich dachte, wir könnten hier etwas essen, nach Einbruch der Dunkelheit losfahren und die Nacht in Baguio, in meinem Haus, verbringen. Am Morgen wollen wir dann versuchen, das Dorf zu finden. Während der Nacht noch dorthin zu fahren, könnte gefährlich werden.“ „Ja, wir könnten etwas essen“, meinte Chili. „Ich kenne Ihre Vorliebe für vegetarisches Essen und habe mich darauf eingerichtet.“ „Das ist sehr lieb von Ihnen. Aber Sie hätten sich keine Umstände zu machen brauchen. Ich bringe mir nämlich immer meinen Vorrat mit. Und ich esse sogar gelegentlich Fleisch.“ „Aber nur das von Tieren, die Sie selbst geschossen haben.“ Dadurch kamen sie auf Chilis Lieblingsthema: Waffen. Chili und Felix unterhielten sich und betrachteten Felix’ Waffensammlung, während Laura sich zuerst umzog, dann Felicing in der Küche half, und Paco alles für die Abfahrt vorbereitete. Chili erfuhr, daß jeder in dieser Gegend bewaffnet war, da man nie sicher vor Überfällen war, und er bemerkte, daß jedes Fenster vergittert war. „Was ist das für ein Schmuck, den Ihre Freundin trägt?“ fragte Paco. „Er ist sehr schön.“ „Es ist indianischer Schmuck“, erklärte Chili. „Türkis und Silber. Gewöhnlich trägt sie noch einen Thunderbird um den Hals. Er ist ein Glücksbringer.“ „Wir hier glauben auch an Glücksbringer“, erwiderte der Professor. In diesem Augenblick betrat Laura das Zimmer. Die Männer starrten sie entzückt an. Sie hatte sich umgezogen und trug einen enganliegenden Hosenanzug, der ihre Figur vortrefflich betonte. „Das Essen ist fertig“, verkündete Laura, und sie setzten sich zu Tisch. * Die Fahrt im Jeep war ziemlich ungemütlich. Chili und Felix saßen auf dem Rücksitz, während sich Laura und Felicing auf den Beifahrersitz drängten. Zuerst herrschte reger Verkehr. Vor Baguio wurde es dann ruhiger. Laura glaubte, noch nie so eine schwarze Nacht gesehen zu haben, und fürchtete jedesmal, wenn Paco in ein Schlagloch
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geriet, daß ihre Knochen brechen würden. Man fühlte den Dschungel um sich, doch als die Straße in die Berge hinaufführte, wurde es kälter und frischer. Chili gewöhnte sich gerade an die Schüttelei, als die Straße vor ihnen explodierte. Der Jeep blieb ruckartig stehen und warf damit jeden Insassen vor. Pacos Brust knallte gegen das Steuer, Chili flog vor und krachte mit dem Kopf gegen Pacos Kopf. Laura und Felicing wurden vom Wagen geworfen, wodurch ihnen ein Flug durch die Windschutzscheibe erspart blieb. Felix wurde auf den Vordersitz geschleudert. Chili sprang mit gezogener Waffe aus dem Jeep. Er duckte sich sofort, als Kugeln um seinen Kopf pfiffen. „Laura“, befahl er, „kriech mit Felicing unter den Wagen. Felix, legen Sie sich hin.“ Er schob Paco in Deckung und kroch zur Straßenseite. Da sah er vorn die Gestalt. Der Mann war olivfarben gekleidet und trug ein Gewehr. Er bemerkte Chili und zielte. Da hob Chili seine Pistole und drückte ab. Eine Staubfontäne erhob sich vor den Füßen des Mannes. In seinem Gesicht war deutlich die Überraschung zu erkennen. Er feuerte einmal in die Luft, dann verschwand er im Gebüsch. „Was ist denn los?“ rief Laura. Felix stöhnte nur bei der unbequemen Lage im Jeep. „Bleibt in Deckung“, befahl Chili. Ein zweiter Mann lief über die Straße. Er hielt sein Gewehr in Hüfthöhe und feuerte. Chili jagte den Mann mit ein paar Salven. Wie viele sind noch da? fragte Chili sich, während er in den Dschungel glitt. Vorsichtig umstrich er die Stelle, an der er die beiden Männer gesehen hatte. Waren es Soldaten? Oder Guerrillas? Wahrscheinlich Rebellen, denn er hatte keine Befehle gehört. Da fand er den Mörser. Es mußte ein Zwei-Mann-Job gewesen sein. Chili kehrte im Bogen zum Jeep zurück. Er lud seine Waffe nach und war froh, daß die Angreifer verschwunden waren. Paco erhob sich, und Felix versuchte, aus dem Jeep zu kriechen. „Alles in Ordnung?“ fragte Chili. „Wir sind fast in die Luft geflogen“, sagte Laura.
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„Ja, fast“, stimmte Chili zu. „Kommt, wir fahren weiter.“ „Nun haben Sie schon Bekanntschaft gemacht mit den Guerrillas“, sagte Felix. „Glauben Sie, daß wir das Ziel waren?“ „Nein, die tun das immer. Damit halten sie die Leute in Angst und Schrecken.“ „Und es gelingt ihnen“, meinte Laura. „In den Wagen, und Köpfe runter. Paco, fahren Sie möglichst schnell“, bat Chili, der sich diesmal mit schußbereiter Pistole auf den Beifahrersitz setzte. * Bulataos Haus in Baguio war eigentlich eine große Hütte, gebaut aus Bambus und Rattan. Es war bequem, aber bescheiden eingerichtet. Paco parkte den Wagen vor der Eingangsveranda. „Paco lebt auch hier mit seiner Familie, aber er bleibt heute nacht bei uns“, erklärte Felix. Elektrizität wurde von einem Generator auf der Rückseite des Hauses erzeugt. Es gab zwei große und ein kleines Schlafzimmer. Paco wollte im Wohnzimmer schlafen, da er das Bett nicht gewöhnt war. Bei sich zu Hause schliefe er auf einer Matte, erklärte er, da seine Eltern arm seien. „Wir können hier nicht vegetarisch frühstücken“, bedauerte Felix, „aber wir können Eier und Wurst zum Frühstück haben. Paco wird früh aufstehen. Er weiß, wo er diese Dinge bekommt.“ „Ich gehe gleich ins Bett“, verkündete Laura. „Die Bergluft macht müde.“ Felix zeigte ihr ihr Zimmer und erklärte ihr, daß sich die Toilette hinter dem Haus in einer kleinen Hütte befand. Als Felix zurückkam, unterhielten sich Chili und Paco gerade. „Sie hätten diese Guerrillas töten können, nicht wahr?“ fragte Felix. Chili nickte. „Warum haben Sie es nicht getan?“ fragte Felix. „Ich wünsche, Sie hätten es getan“, fügte Paco hinzu. „Vielleicht waren sie aus dem Dorf, in dem Caridad lebte.“ „Tut mir leid, Paco“, erklärte Chili. „Ich weiß, daß Sie sie liebten. Der Überfall vorhin hatte nichts mit ihrem Tod zu tun. Ich töte nicht gern Menschen. Es ist nur nötig, wenn das eigene
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Leben in Gefahr ist. Jene Männer waren ohnehin überrascht, daß jemand zurückgeschossen hat. Vielleicht kämpfen sie für etwas, aber sie waren keine guten Soldaten. Sie sind davongelaufen.“ Paco blickte Chili dankbar an. Dann sagte er: „Sie war ein schönes Mädchen, und sie hatte Angst. Sie wollte weglaufen in jener Nacht, als der Aswang sie tötete.“ „Glauben Sie, wir können den Aswang finden? Wissen Sie, wo wir suchen müssen?“ „Der Aswang wird schwer zu finden sein. Der gehende Aswang kann in allen Tierformen erscheinen, aber immer nur in der männlichen Ausgabe - bis auf den südlichen Malakat.“ „War jener Aswang männlich? Konnten Sie das sehen?“ „Er war männlich. Er - er hat Caridad vergewaltigt, bevor er sie tötete.“ „Was können Sie mir noch über ihn erzählen?“ fragte Chili nach einer Pause. „Der Aswang schläft bei Tag und muß bei Nacht umherstreifen. Wenn ein Aswang nachts nicht wandern und jagen kann, wird er krank. Sie ernähren sich von Menschen. Kein Filippino wird nachts allein draußen sein. Man sagt, wenn man den richtigen Namen des Aswang kennt und ihn ausspricht, hört er sofort auf zu jagen, und man kann ihn töten.“ „Stimmt das, Felix?“ „So sagt es der Aberglaube. Aber jetzt ist es schon spät. Wir sollten zu Bett gehen.“ „Und morgen müssen wir alle Knoblauch bei uns tragen und Kreuze“, sagte Paco. „Und Gewehre“, ergänzte Felix. „Kann man einen Aswang mit einer Kugel töten?“ fragte Chili. „Ich weiß es nicht“, gestand Felix. „Ich weiß noch nicht einmal, ob jemand schon einmal einen Aswang getötet hat.“ Chili mied Pacos durchdringenden Blick. Aber zum erstenmal ahnte er, auf was er sich da eingelassen hatte. * Ramon Plasabas warf einen nervösen Blick um die Hütte. Unter seinem kurzgeschnittenen dünnen Haar standen seine Ohren stark ab. Die tiefliegenden Augen lagen eng beieinander. Sein Körper war dünn, aber zäh von der harten Arbeit.
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Immer wieder stand er von seinem Stuhl auf und prüfte, ob das Fenster auch gut geschlossen war. Maria, seine Frau, beobachtete ihn. Im Gegensatz zu ihm war sie groß und korpulent. Die grauen Augen hatte sie von ihrem portugiesischen Vater geerbt. Die Haut war heller als die ihres Mannes, und aufgrund ihres grauen Haares schätzte man sie auf ein höheres Alter. Was Paco an seinen Eltern so besonders liebte, war, daß sie trotz des harten Lebens noch Humor besaßen. Ramon hatte einmal davon geträumt, Bildhauer zu werden, doch die Armut hatte ihn zu einer anderen Arbeit gezwungen. Seine einst schöne Frau war jetzt fett geworden und hatte geschwollene Beine bekommen. „Horch“, flüsterte Ramon. „Da ist es wieder. Hörst du es?“ Maria nickte, wobei sich die Falten in ihrem Gesicht vertieften. Ramon bekreuzigte sich und blickte zu dem Kruzifix über dem Kopfteil des Bettes. Das Geräusch erinnerte an das Schlagen von ledrigen Flügeln. Es klang, als ob eine riesige Fledermaus die Hütte umkreisen würde. Sie hörten das Geräusch stets für ein paar Minuten, dann verschwand es und kehrte schließlich zurück. „Ich wünschte, Paco wäre hier“, sagte die Frau. „Vielleicht sucht der Aswang Paco.“ „Dann bin ich froh, daß Paco nicht hier ist.“ „Er wird am Morgen kommen.“ „Du mußt beim Morgengrauen zur Hütte des Professors laufen und Paco warnen. Er darf nicht herkommen.“ „Ja, das mache ich. Ich bin sicher, daß dieser Aswang auch Caridad getötet hat.“ Maria nahm das Kruzifix von der Wand und küßte es. Sie begann zu beten. „Horch“, sagte Ramon wieder. Das schlagende Geräusch verschwand, und Maria hörte auf zu beten. „Vielleicht kommt es nicht mehr zurück“, hoffte sie. Doch ihr Wunsch ging nicht in Erfüllung. Immer wieder flatterte das Biest über ihrem Dach und verschwand dann wieder für ein paar Minuten. Plötzlich ruckten die Köpfe der beiden Menschen hoch, denn jetzt war das monströse Flügelschlagen vor dem
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Schlafzimmerfenster zu hören. Hin und wieder hörte man, wie die Flügelspitzen gegen die Hauswand kratzten. Ramon erhob sich, doch Maria klammerte sich sofort an ihn. „Geh weg!“ schrie die Frau zum Fenster hin. „Sohn einer Hure“, knurrte Ramon mit pochendem Herzen. „Nicht, Ramon.“ „Geh jetzt“, rief der Mann zum Fenster. Da hörten sie plötzlich, wie sich Krallen an das Fenster klammerten. Maria konnte den Zustand nicht länger ertragen. Sie warf sich aufs Bett und bedeckte den Kopf mit ihren dicken Armen. Das Kratzen am Fenster wurde immer beharrlicher. Ramon stellte sich in die Mitte des Raumes dem Fenster gegenüber. Er hörte, wie sich die scharfen Krallen ins Holz bohrten und daran rüttelten. Er stand klein und schmächtig da, doch Marias Angst gab ihm Mut. Er wollte sie beschützen, auch wenn er dafür sein Leben geben mußte. Plötzlich schien ein heftiger Wind die Hütte zu erschüttern. Der Boden bewegte sich unter Ramons Füßen, so daß er sich breitbeinig hinstellen mußte, um das Gleichgewicht zu halten. Immer schneller und wütender schlugen die Flügel, und immer lauter wurde das Scharren an der Holzwand. Maria stöhnte und schluchzte, daß sie jeden Tag zur Messe gehen wolle, wenn nur dieser Aswang endlich verschwand. Sie betete und verfluchte den Satan und seine Dämonen, bis ihr keine Worte mehr blieben und sie nur noch haltlos weinen konnte. Plötzlich flog das Gitter vor dem Fenster auf. Maria kreischte ins Bettuch hinein. Ramon hob den Arm, zum Schlag bereit. Er wartete darauf, daß das Biest durchs offene Fenster ins Zimmer flog. Dann wollte er es mit der Kante einer Kokosnußschale in Stücke schlagen. Er schaute in die Nacht hinaus. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. „Komm schon, du Sohn einer Hure“, knurrte er. Doch es herrschte nur Schweigen. Zögernd trat Ramon ans Fenster. Es war windstill draußen, und es war nichts zu hören. Marias Weinen erstarb, denn auch sie horchte jetzt auf die Stille in dem Zimmer. Sie drehte sich auf dem Bett um und konnte es nicht fassen. Irgendwie waren sie gerettet worden, und sie wußte nicht, wie.
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Sie setzte sich auf und flüsterte: „Er ist weg.“ Ramon nickte. Sein Körper zitterte unter der Nachwirkung der Spannung. Er kämpfte um Mut, als er sich aufrichtete und näher ans Fenster trat. Maria beobachtete ihn und seufzte erleichtert. Dann war es totenstill im Raum, als Ramon durch das offene Fenster in die Dunkelheit starrte. Die Welt draußen war so schwarz, daß Ramon noch nicht einmal die Bäume erkennen konnte. Es war, als ob nichts geschehen wäre. Erst jetzt senkte er seine Kokosnußschale. Dann streckte er den Kopf durchs Fenster und suchte nach dem Gitter. Es lag draußen auf dem Boden. Jetzt gab es keine Möglichkeit, das Fenster zu schließen. Er fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Nichts“, keuchte er endlich. „Ist das Gitter kaputt?“ „Es liegt draußen. Ich werde es morgen früh reparieren.“ „Ramon, ich habe Angst. Es könnte etwas durchs Fenster kommen.“ „Vielleicht kommt er nicht mehr zurück“, sagte Ramon und trat vom Fenster weg. „Ich werde eine Decke vor das Fenster hängen“, erklärte Maria, erhob sich vom Bett und ging zu ihrer Holztruhe hinüber, in der sie die Leinentücher aufbewahrte. Sie holte eine von Motten zerfressene Pferdedecke heraus, schüttelte sie aus und brachte sie zum Fenster. „Du mußt sie annageln, Ramon.“ „Ja, ich hole den Hammer und ein paar Nägel.“ Als die Decke angenagelt war, fühlte Maria sich weniger ängstlich. Wenigstens mußte sie nicht mehr in das schwarze Loch hinausstarren. „Du warst sehr tapfer, Mann“, sagte sie zu Ramon. „Ich weiß, du hättest es getötet. Es hatte Angst vor dir.“ „Ja, ich glaube, ich habe es verscheucht“, sagte er und warf sich vor Stolz in die Brust. „Ich hätte die Kreatur in hundert Stücke geschlagen. Vielleicht hatte es Angst vor der Kokosnußschale.“ „Ich bin zufrieden. Du hast uns das Leben gerettet. Meine Gebete wurden erhört.“ Ramon wollte nichts von den Gebeten hören. Er stolzierte im Zimmer herum und dachte über all seine Handlungen nach. Er hatte wirklich tapfer gehandelt. Er hatte seine Nußschale genommen und sich bereitgehalten, den Dämon zu töten, falls er
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versuchen wollte, durchs Fenster zu kommen. Nein, eigentlich hatte er die Initiative ergriffen und den Kampf gegen die Kreatur eröffnet. Er hatte mit seiner Waffe nach ihm geschlagen. Er hatte den Angriff begonnen, und der Aswang war wie ein Feigling davongeflogen. „Tut mir leid, daß es weggelaufen ist“, plusterte er sich auf. „Ich hätte es lieber zum Kampf herausgefordert. Ich war bereit. Ich hätte das Licht gelöscht. Ha! Hast du gesehen, wie es davongeflogen ist, Maria? Ich wünschte, es hätte irgend etwas versucht.“ „Nicht! Sprich nicht so, Ramon. Danke den Heiligen und der Mutter Gottes, daß es uns nicht erwischt hat. Du kannst einen Aswang nicht mit einer Nußschale besiegen. Er kann dich töten, bevor du ihn nur berührst.“ „Ach so?“ meinte Ramon und postierte sich grinsend vor Maria. „Es hatte Angst vor mir. Es ist weggelaufen. Das kannst du nicht leugnen, oder? Ich sage dir, Frau, es hatte keine Chance gegen mich, und das wußte es. Ich will ja nicht prahlen, aber du siehst selbst, was passiert ist. Ich habe den Aswang abgewehrt, weil ich keine Angst vor ihm hatte.“ „Ja, ja, Ramon. Natürlich. Du bist sehr tapfer, und ich bin stolz auf dich. Reden wir nicht mehr davon. Laß uns zu Bett gehen und…“ Da klopfte es plötzlich an die Tür. „Papa!“ Verwirrt drehte sich Ramon um. Maria fuhr vom Bett hoch. „Das ist Paco!“ sagte sie. „Paco ist schon hier.“ „Jetzt? Ich hörte den Jeep gar nicht kommen.“ „Papa!“ „Öffne die Tür, Ramon“, sagte Maria. „Hörst du nicht? Es ist Paco. Er will herein.“ Ramon ging zur Tür, nachdem er die Nußschale weggelegt hatte, und zögerte ein wenig. „Mach auf“, befahl seine Frau noch einmal. Er zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür. Da griff etwas nach seiner Schulter und riß ihm das Hemd vom Leib. Bevor er begriff, was geschah, wurde er von den Füßen geschleudert. Er fühlte sich durch die Dunkelheit ins All gerissen. Er konnte nichts sehen, und es ging alles so schnell, daß er noch nicht einmal Zeit hatte zu schreien und Maria zu warnen.
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Da Ramons Körper die Tür blockierte, konnte Maria nicht sehen, was geschah. Zuerst war Ramon noch da, dann war er verschwunden. Maria glaubte schließlich etwas zu hören. „Ramon? Ist es Paco? Paco, was tust du hier?“ Ramon sah das Gesicht, als es sich über ihn beugte. Er sah das lange fliegende Haar, fühlte es gegen sein Gesicht schlagen. Er wollte schreien, aber die Haare erstickten jeden Laut. Dann spürte er an seinem Hals einen Biß. Der Schmerz dauerte nur einen Augenblick… Maria stand vom Bett auf und watschelte zur Tür. „Ramon? Paco?“ Sie lugte hinaus und schaute dann zu Boden. Sie sah, was von ihrem Mann übriggeblieben war. Wie eine zerrissene Puppe lag er vor der Hütte. Maria schrie, bis sie bewußtlos zu Boden sackte. Keiner ihrer Nachbarn verließ seine Hütte, um sich um die Frau zu kümmern. Sie blieb liegen, bis im Morgengrauen Paco kam. * Paco wußte sofort, daß es sein Vater war. Seine Mutter sah er erst ein paar Sekunden später, als er zu seinem Vater lief. Für einen Augenblick glaubte er, daß seine Mutter auch tot sei. Vorsichtig hob er die schwere Frau hoch. Chili stand da und blickte auf die Überreste von Pacos Vater nieder. Chili war früh aufgestanden und hatte sich entschieden, Paco zum Haus seiner Eltern zu begleiten. Die beiden waren noch vor Morgengrauen aufgebrochen. Chili war froh, daß er mitgekommen war, obwohl ihm der Anblick des toten Mannes Übelkeit verursachte. Auch Chili wußte sofort, daß es sich um Pacos Vater handelte. Er hörte, wie Paco mit seiner Mutter sprach. Paco hatte seine Mutter aufs Bett gelegt und reichte ihr eine Schale Wasser. Ihr Gesicht war schmutzig von Tränen und Bodenstaub. Chili konnte nichts verstehen vom Gespräch der beiden, nur hin und wieder fing er das Wort „Aswang“ auf. Chili zog die Decke vom Fenster und legte sie über die Leiche von Pacos Vater. Zuvor warf er noch einen genaueren Blick auf den toten Körper. Ihm fiel auf, daß das Fleisch des toten Mannes seltsam bleich wirkte, als ob alles Blut aus ihm gesogen worden
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wäre. Wenn Felix Bulatao nur hier wäre. Ihm könnte er eine Menge Fragen stellen. Nachdem er die Leiche bedeckt hatte, ging Chili ins Haus zurück. „Kann ich irgend etwas tun?“ fragte er Paco, der geweint hatte. „Nein. Danke, daß Sie meinen Vater zugedeckt haben. Ich werde meine Mutter zu meiner Schwester bringen. Sie lebt nicht weit von hier. Dann werde ich die Polizei benachrichtigen.“ „Soll ich hier warten?“ „Ja, bitte. Ich werde nach Professor Bulatao und Laura schicken. Wir können uns hier treffen.“ „Es tut mir leid, Paco. Sagen Sie auch Ihrer Mutter mein aufrichtiges Beileid.“ Paco sprach mit seiner Mutter auf Tagalog. Schluchzend antwortete sie. „Ich habe ihr gesagt, wer Sie sind und was Sie sagten. Sie dankt Ihnen. Sie muß mit meiner Schwester Alicing reden. Meine Mutter fürchtet, sie würde auch sterben. Sie spricht ständig von ihrem kranken Herzen.“ Chili ahnte, daß das Herz der Frau gebrochen war. Er half Paco, sie in den Jeep zu bringen. Die Frau blieb dort sitzen, während Paco an die Türen der umstehenden Hütten schlug und die Leute herausrief. Nach ein paar Sekunden öffneten sich Fenster und Türen, und die Menschen strömten aus den Hütten. Alles lief durcheinander, doch keiner warf auch nur einen Blick auf die Leiche. Während Paco mit den Leuten sprach, ging Chili um die Hütte, hob das Gitter auf und betrachtete die tiefen Einkerbungen am Fenster. Warum ausgerechnet dieses Fenster? Es gab fünf Fenster in dieser Zwei-Zimmer-Hütte, aber das war das einzige Fenster, das angegriffen wurde. Warum war die Kreatur nicht durch das Fenster geflogen, nachdem es das Gitter losgerissen hatte? Er hätte gern Pacos Mutter ein paar Fragen gestellt, aber er wußte, daß er ihr das in ihrem augenblicklichen Zustand nicht zumuten durfte. Chili machte sich auch Sorgen um Paco. Er hatte innerhalb kurzer Zeit zuerst seine Verlobte, dann seinen Vater verloren. Er fragte sich, ob der Junge stark genug war, diese Schocks zu verkraften. Er hatte auch keine Ahnung, wie die Filippinos über den Tod dachten. Paco kehrte mit der Polizei zurück. Er erklärte den Beamten die
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Situation. Chili bemerkte, wie die Männer hin und wieder in seine Richtung nickten. Die beiden jungen Sanitäter warteten inzwischen verschlafen bei ihrem Wagen. Paco hatte sich ungeheuer in der Gewalt, fand Chili. Er war nicht aufgeregt, und ihn riß der Schmerz auch nicht mit. Er ging zur Leiche seines Vaters und zog die Decke weg, so daß die Beamten einen Blick auf den Toten werfen konnten. Chili hörte dabei wieder das Wort „Aswang“. Danach führte Paco die Polizisten zu dem Fenster, dessen Rahmen völlig zerkratzt war. Einer der Beamten schrieb ein paar Bemerkungen in sein Notizbuch. Kurz darauf kamen Felix und Laura in dem Fiat an. Felicing hatte sich nicht wohl gefühlt und war zu Hause geblieben. Ein kleiner Junge war bei den beiden, der offenbar die Nachricht überbracht hatte. Laura eilte zu Chili, während Felix zur Leiche ging und mit Paco und den Polizisten sprach. „Chili, was ist los? Ist das Pacos Vater? War es wirklich ein Aswang?“ fragte sie leise. „Ich weiß nicht, Laura. Ich glaube, keiner weiß Bescheid - bis auf Pacos Mutter. Sie war hier, als Paco und ich ankamen. Paco hat sie zu seiner Schwester gebracht.“ Daraufhin erzählte er ihr alles, was er wußte. „Armer Paco“, flüsterte Laura. Felix, der die Polizisten zu kennen schien, sprach ausführlich mit ihnen. Dann untersuchten die drei die Leiche. Ein Polizist holte von seinem Jeep eine Kamera und begann, die Leiche und das zerkratzte Fenster von allen Seiten zu fotografieren. Danach fuhren die Beamten davon. Felix rief Chili und Laura ins Haus. „Paco möchte Ihnen erzählen, was er von seiner Mutter weiß. Unsere Fahrt zu dem Dorf, in dem Caridad lebte, verschieben wir bis nach der Beerdigung. Im Haus von Pacos Schwester wird heute nacht Totenwache gehalten. Die Schwester wird Ihnen gefallen. Ihr Mann, Geraldo Aptos, arbeitet für die große Mine.“ „Wie lange dauert die Totenwache?“ fragte Laura. „Drei Tage“, antwortete Felix. Sie hörten Paco aufmerksam zu, der ihnen alles verriet, was seine Mutter ihm erzählt hatte. Offensichtlich hatte sie ihn jede Kleinigkeit wissen lassen. Als der junge Mann geendet hatte, blickte Chili ihn bewundernd an. Er brauchte sich um Paco keine
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Sorgen mehr zu machen. Er konnte einiges vertragen. „Was halten Sie davon?“ fragte Chili Felix. „Mir erscheint es offensichtlich, daß etwas oder jemand letzte Nacht zur Hütte kam. Alles deutet auf einen Aswang hin.“ „Dann glauben Sie, daß Pacos Vater von einer übernatürlichen Kreatur getötet wurde?“ „Ja. Ich habe um eine Autopsie gebeten. Ramons Gesichtsfarbe läßt mich vermuten, daß er auch erstickt ist - wie Caridad. Man fand lange schwarze Haare in ihrer Luftröhre und in ihrer Lunge.“ Paco verzog das Gesicht. „Tut mir leid, Paco. Vielleicht gehen Sie lieber zu Alicing.“ „Nein, ich will es wissen. Ich weiß, daß der Aswang meinen Vater und meine Verlobte getötet hat. Das kann ich nicht ändern.“ „Glauben Sie, es war dieselbe Kreatur?“ fragte Chili. Paco nickte. „Diese Spezies der Aswang fällt unter die Kategorie der Eingeweidesauger“, erklärte Felix. „Beide Opfer lassen darauf schließen. Vielleicht sollte ich Ihnen mehr darüber erzählen.“ „Es riecht hier“, sagte Paco plötzlich, der gegen seine zusammengerollte Schlafmatte gelehnt saß. „Es beweist, daß ein Aswang hier war.“ „Ein Aswang riecht faulig“, erklärte Felix. „Der Großteil der Eingeweidesauger ist weiblich. Hier haben wir es jedoch offensichtlich mit einem männlichen Vertreter zu tun. Nun, die Kreatur kann ihren Unterleib abtrennen und Flügel aus den Armen wachsen lassen. Der Aswang kann mit und ohne magische Hilfe fliegen. Diese besteht aus Hühnermist, der in Kokosnußöl aufgelöst und mit Menschenfleisch und Menschenblut vermischt wurde. Diese Mischung wird in einem Bambusbehälter aufbewahrt. Wenn der Aswang zum Fliegen bereit ist, geht er in eine ungestörte Ecke des Hauses, taucht seine rechte Hand in die übelriechende Mischung und beginnt diese von der Spitze seines linken kleinen Fingers über seinen Arm, seine Schulter, die linke Seite des Körpers, die Außenseite des linken Beins bis zum kleinen Fußzeh zu streichen. Danach beschmiert er mit der linken Hand die rechte Seite seines Körpers.“ „Wie wird man ein Aswang?“ wollte Chili wissen. „Wird man so geboren?“ „Das ist eine gute Frage“, meinte Felix. „Laut Francis X. Lynch
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gibt es vier Arten, ein Aswang oder Eingeweidesauger zu werden. Erstens durch persönliche Anstrengung, zweitens durch Übertragung der übernatürlichen Kraft, drittens durch Verseuchung und viertens durch Vererbung.“ „Können Sie uns diese Punkte näher erklären?“ bat Chili. „Bei der persönlichen Anstrengung muß man ein befruchtetes Hühnerei gegen den Bauch halten und festbinden. Nach einiger Zeit wandert das Huhn vom Ei in den Bauch der Person, die dann in der Lage ist, den charakteristischen Dämonenschrei auszustoßen. Eine andere Möglichkeit ist, zwei befruchtete Eier in der Nacht nach Karfreitag auf den Friedhof zu tragen. Man muß warten, bis Vollmond herrscht, muß die Augen schließen, muß jeweils ein Ei unter eine Achsel legen und dreimal geheime Worte sagen. Wenn die Eier im Magen der Person verschwinden, wird sie ein Aswang. Das muß sie jedes Jahr tun, um es zu bleiben.“ „Klingt ja sehr primitiv“, fand Laura.
„Das glauben eben unsere Leute“, antwortete Felix.
Paco, der den Raum verlassen hatte, kam mit vier Tassen
dampfenden Tees zurück und verteilte sie. „Was ist mit der zweiten Möglichkeit?“ wollte Chili wissen. „Die bekannteste Methode der Machtübertragung geschieht durch einen sterbenden Dämon. Ein Aswang stirbt nicht gern, ohne seine geheimen Kräfte weitergegeben zu haben. Wenn er stirbt, ruft er denjenigen, von dem er weiß, daß er ein Aswang werden möchte, und preßt seinen Mund auf den seines Nachfolgers, damit das Huhn von seinem Magen in den des Neulings übergehen kann. Die dritte Möglichkeit ist eben die der Infektion. Ein Aswang mischt seinen Speichel oder ein Stück Menschenfleisch unter das Essen einer Person, die dann auch ein Aswang wird.“ Laura schüttelte sich vor Ekel. „Ein Aswang kann schließlich seine Hexenkraft auch durch Vererbung durch sieben Generationen weitergeben. Der Aswang gibt das Leben aus seinem Kopf.“ „Gibt es eine Möglichkeit, den Aswang zu fangen oder zu töten?“ fragte Paco, wobei er Chili anstarrte. „Ich weiß nicht“, antwortete Felix. „Von einem Fall habe ich einmal gelesen. Ein alter Mann aus Naga soll drei große Steine und drei lange Nägel gesammelt haben. Er soll die Steine in einem Kreis gelegt haben. Als er dann den Ruf des Aswang, das
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,Kakak! Kakak!’ hörte, soll er das apostolische Glaubensbekenntnis aufgesagt haben. An der Stelle, an der die Römer Christus ans Kreuz nagelten, soll er einen der Steine aufgehoben und mit ihm einen Nagel in die Erde geschlagen haben. Der Aswang mußte dadurch herunterkommen und sich auf die Steine setzen, wo der Mann ihn töten konnte.“ „Aber die eigentliche Art des Tötens wurde nicht erwähnt“, sagte Chili. „Nein.“ Während der darauffolgenden Pause sprang Paco plötzlich auf. „Der Geruch wird stärker. Riechen Sie nichts?“ fragte er. „Ich rieche es“, sagte Laura, und Chili nickte. „Es kommt aus meiner Schlafmatte“, sagte Paco. „Ich verstehe das nicht. Ich halte sie immer sauber. Mutter würde so einen Geruch niemals in ihrer Hütte dulden.“ Während Paco die Bänder seiner eingerollten Matte löste, schauten ihm die anderen zu. Er rollte die Matte auf. Da sprang Laura auf und hielt sich den Magen. Auch Chili stand auf und starrte auf die Matte hinunter. Paco lief zur Tür, riß sie auf und stürzte nach draußen, wo er sich übergab. „Was ist das?“ fragte Laura angewidert. „Ich würde sagen, das sind die Eingeweide von Pacos Vater“, sagte Chili. * Alle Möbel waren aus der Mitte des Raumes weggeschoben worden. Die Menschen saßen nebeneinander an den Wänden, hielten Papierteller in den Händen und Bierflaschen. Andere tranken Cola oder Rum. Die Wangen der Frauen waren rotgeschminkt. Sie trugen teure blumenbedruckte Kleider. Alle Altersstufen waren vertreten. Einige blieben nur kurz, um ihren Respekt zu zeigen, und gingen dann zum Spielen hinaus. Paco, Alicing, Maria und der Rest der Familie standen in der Küche und bereiteten Getränke und Essen für die Gäste vor. Chili, Laura und Felix saßen im Wohnzimmer bei den Gästen und aßen gegrilltes Schweinefleisch, Reis und Spezialitäten dieses Landes. Felicing hatte sich noch nicht wohl genug gefühlt, um bei der
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Feier mitzumachen. Auf Chili und Laura wirkte der Abend wie ein unwirklicher Traum. Die Menschen hier akzeptierten sie sofort und führten seltsame und interessante Gespräche mit ihnen. Sie stopften sich voll Essen und lachten über die einzelnen Darbietungen von einigen Gästen. Paco drängte sich an die beiden und flüsterte: „Ich bin bald fertig, dann können wir gehen. Sie müssen nicht drinnen warten. Ich treffe Sie draußen.“ Chili und Laura nickten. Nachdem Paco gegangen war, beugte Felix sich zu ihnen. „Wir werden einer nach dem anderen hinausgehen“, sagte er. „Sie gehen zuerst, und ich verabschiede mich dann auch in Ihrem Namen von der Familie.“ Laura ging als erste hinaus in die Sommernacht, die von bunten Laternen erhellt wurde. Bald danach kam auch Chili heraus. „Na, Laura, was hältst du von einer Filippino-Totenwache?“ „Also darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet. Welch wunderbare Menschen. Aber ich habe keine Ahnung, um was es eigentlich geht.“ „Ich weiß, was du meinst“, sagte Chili. „Unsere Vorstellung von Trauer fehlt.“ „Das ist es! Jeder hier wirkt so glücklich, als ob eine Party für die Person abgehalten werden würde, die starb, und als ob diese Person ganz aus der Nähe zusehen würde.“ „Vielleicht tut sie das auch.“ Immer wieder strömten Menschen an ihnen vorbei. „Während der zwei Stunden, die wir hier sitzen, müssen doch über tausend Menschen hergekommen sein“, schätzte Laura. „Mindestens“, meinte Chili. „Felix sagte mir, daß die Totenwache deswegen drei Tage dauern müsse, weil man erst Botschaften an die entfernten Verwandten schicken muß.“ Kurz darauf kam Felix heraus. „Kommen Sie, gehen wir ein wenig spazieren. Paco wird in einer halben Stunde nachkommen.“ Sie wanderten den Pfad entlang. Immer wieder mußte Felix Menschen, die er kannte, durch ein Wort oder eine Geste begrüßen. „Sie scheinen keine Angst zu haben vor Dämonen“, fand Laura. „Sie haben Angst. Aber sie glauben, daß Lachen und Licht den Aswang fernhält“, erklärte Felix. „Außerdem liegt die Sicherheit in
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der Mehrzahl.“ „Sind alle Totenwachen so?“ fragte Chili, während er in den dunklen Sternenhimmel hochblickte. „Ja, auf den Inseln wird so das Leid verarbeitet. Die Familie ist die ganze Nacht über damit beschäftigt, Freunde zu begrüßen und für sie zu kochen. Dadurch werden ihre Gedanken von dem Verlust des geliebten Menschen abgelenkt. Die Menschen kommen, lachen, scherzen, plaudern, betrinken sich und essen eine Menge. Sie helfen der Familie, den Tod zu ertragen.“ „Das ist eine hübsche Idee“, meinte Laura. „Das finden wir auch. Was tun Sie in Ihrem Land?“ Chili lachte bitter. „Wir raufen uns die Haare, wir schlagen uns an die Brust und üben uns in einem uralten Ritual, das die Familie mit noch mehr Leid belädt. Wir wissen nicht, wie wir mit dem Tod fertig werden sollen. Wir fürchten ihn und tun doch alles, um uns langsam zu töten. Und wenn jemand stirbt, sind wir am Boden zerstört.“ „Sie sagten, die Zeremonien seien uralt“, hakte Felix nach. „Wie meinen Sie das?“ „Oh, die Zeremonien sind durchaus religiös“, erklärte Chili. „Ich meine, die Angewohnheit der traurigen Beerdigung ist eine heidnische Praxis. Die zurückbleibende Familie muß sich mit einer Menge unnötiger Qual belasten. Mit der Versicherung, mit dem Bestattungsinstitut, mit der kirchlichen Feier, mit dem Nachlaßgericht.“ „Vielleicht können wir hier mit dem Tod auch nicht so ganz fertigwerden, wie Sie glauben, aber wir denken mehr an die zurückbleibenden Lebenden als an den Toten. Wir versuchen vor allen Dingen, ihnen zu helfen.“ „Was geschieht als nächstes?“ fragte Chili. „Paco wird nicht hierbleiben. Die Familie weiß, was er vorhat, und heißt sein Vorhaben gut. In drei Tagen jedoch muß er zurück sein, denn da findet die Beerdigung statt. Ja, so etwas gibt es auch bei uns, aber bis dahin hat die Familie den Tod akzeptiert.“ * Paco fuhr langsam zu Felix’ Haus zurück. Hier wurde alles eingepackt für die Reise des kommenden Tages, dann zog sich jeder zurück. Als Chili und Felix sich trennten, informierte Felix
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ihn: „Ich bekam den Autopsiebericht. Ramon Plasabas erstickte. Auch bei ihm wurden Haare in den Atemwegen gefunden.“ „Wie bei Caridad“, meinte Chili nachdenklich. Dann gingen auch die beiden Männer schlafen. * Noch bevor die Sonne aufging, befanden sie sich auf der Straße in die Berge. Als sie die Höhe erreicht hatten, blieb Paco stehen, um Chili und Laura noch einen Blick auf die Stadt aus dieser Perspektive zu ermöglichen. „Dort drüben“, sagte Felix und zeigte mit dem Finger, „ist eine der größten Goldminen von Südostasien. Dort arbeitet Geraldo. Manchmal arbeitet auch Paco dort. Die Mine wird von Benguet Consolidated geführt.“ „Gibt es nur Gold hier?“ fragte Chili. „Nein, wir haben auch reiche Vorkommen an Kupfer, Chrom und Nickel. Übrigens, ich habe Felicing heute morgen noch gar nicht gesehen. Sie etwa?“ „Sie fühlte sich gestern abend besser“, sagte Laura. „Hm“, meinte Felix, nachdem sie alle wieder im Jeep saßen, „vielleicht hat sie noch geschlafen. Diese Ilocanos sind doch faule Typen!“ * „Wir fahren nach Cawayan“, erklärte Felix, als sie die Berge erreicht hatten. „Es liegt ungefähr sechzig Meilen südwestlich von Baguio.“ „Warum dorthin?“ wollte Chili wissen. „Es liegt in der Nähe des Dorfes, in dem Caridad lebte. Ich kenne dort einen Mann, der uns helfen wird.“ Ein paar Meilen vor Cawayan trafen sie farbenfroh gekleidete Menschen. „Wer sind diese Menschen?“ fragte Chili wieder. „Ilongots“, sagte Felix. „Dieser Stamm bewohnt seit Jahrhunderten schon diese Region.“ Paco warf Laura einen Blick zu und fügte grinsend hinzu: „Sie sind Kopfjäger.“ Der Dschungel wurde immer dichter um das Dorf.
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„Gibt es auch hier Guerilleros?“ fragte Chili. „Ja. Und man nimmt an, daß der nächste große Schlag von hier kommt. Es ist ein wildes, primitives Land, aber es ist gut gelegen“, erklärte Felix. Paco fuhr in die Mitte des Dorfes und stellte den Motor ab. Hier gab es nur sieben oder acht Hütten. Die Menschen saßen im Freien um ein Feuer, beäugten kurz die Neuankömmlinge und widmeten sich dann wieder dem Kochtopf über der Feuerstelle. „Guten Morgen“, grüßte Felix laut in ihrer Sprache. Lediglich ein Brummen war die Antwort. Während die vier Gäste nähertraten, sah Chili, daß die Menschen sehr klein waren. „Wir haben Essen für euch“, verkündete Felix, während Paco den Kühlbehälter auf die Erde setzte. Einer aus der Eingeborenengruppe erhob sich. „Tausend Dank.“ Jetzt strömten die Bewohner aus ihren Hütten zu dem Mann mit dem Kühlbehälter. Der begann, den gefrorenen Fisch aus dem Behälter zu nehmen und zu verteilen. Von Felix erfuhren Chili und Laura, daß diese Bewohner sehr froh seien über dieses Essen, da Fisch eine Seltenheit hierzulande sei, jedoch gern gegessen werde. „Ich wollte den Häuptling sehen, aber Ray Quito ist nicht mehr hier. Ray war ein hartgesottener Straßenjunge aus Manila, der dann Missionar wurde. Vor ein paar Jahren wollten die Ilongots den Kopf seiner Frau. Ich glaube, er hat diejenigen bekehrt, die ihn haben wollten. Ah, da kommt ja der neue Häuptling.“ Ein Mann, mit einem Kopfverband versehen und barfüßig, kam aus einer Hütte. Ihm folgten zwei junge Frauen mit nackten Brüsten. Ihre primitive Schönheit beeindruckte Laura sehr. Auch der Mann war für den westlichen Geschmack hübsch. „Sein Name ist Ingo“, flüsterte Paco Chili und Laura zu, während Felix auf den Häuptling zuging, um ihn zu begrüßen. „Felix freut sich, ihn zu sehen. Ingo möchte wissen, was Felix hier tut.“ Nachdem die Vorstellung geschehen war, zog Ingo die Fremden von den Eingeborenen zurück und sprach jetzt Englisch. Felix erklärte ihm, weshalb sie hierher gekommen waren und daß sie für ein paar Tage im Dschungel bleiben wollten. „Sehr schlecht“, fand Ingo. „Viele Gorilla jetzt in Dschungel. Polizei sucht, nicht findet.“ Ingos Akzent und seine Wortwahl fand Laura einfach hinreißend.
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„Ihr bleibt Nacht“, fuhr Ingo fort. „Geht früh. Dorf fünf Kilometer hier. Zu. Nacht nicht gut. Geht Aswang, Tag Gorilla.“ Mit Gorilla meinte er natürlich die Guerilleros. „Wir werden heute jagen“, sagte Felix, „und das Dorf suchen. In der Nacht kommen wir zurück.“ „Ich gehe euch dort“, bot Ingo sich an. „Fallen im Dschungel. Gorilla, Fallen, Polizei. Töten.“ Er machte eine Bewegung über seine Kehle. „Mancher Weg schlecht.“ „Er möchte uns das Dorf zeigen“, übersetzte Felix. „Wir beobachten es heute und kommen vor Einbruch der Dunkelheit zurück.“ Felix sprach mit Ingo, der daraufhin in seine Hütte trottete und kurz darauf mit einer Nußschale zurückkehrte. Man drückte sich gemeinsam in den Jeep, und die Fahrt ging los. Unterwegs zeigte Paco die Stelle, an der sie Caridad gefunden hatten. Doch sie fuhren weiter. Dann hatten sie das Ende der Straße erreicht und stiegen aus. Man konnte den Pfad nicht genau erkennen, aber Ingo führte die kleine Gruppe sicher an. Der Marsch durch den Dschungel wurde von Affengeschrei und Vogelgezwitscher begleitet. Einmal hing in ihrer unmittelbaren Nähe eine dicke Python vom Baum. Dann wurde es wieder ruhig. Ingo blieb stehen und zeigte auf eine Falle. Dann kniete er sich hin und zog an einer Wurzel, woraufhin sich die Erde bewegte. Er zog ein Geflecht von Pflanzen und Lianen zur Seite und gab damit den Blick auf ein Loch frei, in dem tief unten auf Bambuspfählen Schrumpfköpfe steckten. Der Marsch ging weiter, bis Ingo wieder stehenblieb. Er bedeutete den anderen stehenzubleiben und warf seine Nußschale. Für einen Augenblick blitzten scharfe Messerschneiden in der Sonne auf. „Wenn wir hier durchgegangen wären“, sagte Chili, „hätten wir die Messerfeder ausgelöst und wären in Stücke geschnitten worden.“ Die Wanderung dauerte noch eine ganze Weile, bis Ingo erneut stehenblieb. Er deutete voraus und zeigte auf nur schwer erkennbare grüne Hüttendächer. Ingo und Felix sprachen kurz miteinander, dann kehrte Ingo in sein Dorf zurück. „Wir müssen dicht beieinander bleiben“, flüsterte Felix. „Wenn wir näher ans Dorf herankriechen, können wir besser sehen. Ingo sagt, es sei größer als Cawayan. Wenn wir uns dort verteilen,
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können wir gut beobachten.“ „Wonach suchen wir?“ fragte Chili. „Nach seltsamem Benehmen. Nach Fremden. Nach ungewöhnlichen Beschäftigungen. Großen Hunden, dem Alltagstreiben, der Anzahl der Männer und Frauen. Wenn wir wieder beim Jeep sind, vergleichen wir unsere Beobachtungen.“ Vorsichtig krochen die vier Menschen vor, verteilten sich und blieben ruhig liegen. Von seinem Beobachtungspunkt aus konnte Chili eine Menge sehen. Ihm fiel sofort auf, daß die Menschen Angst hatten. Die Kinder spielten nicht und waren ruhig. Keiner von den Erwachsenen lachte oder redete. Und Männer waren eigentlich nicht zu sehen. Es gab auch keine Hunde, keine Katzen, überhaupt kein Vieh. Wie konnte das nur sein? Es war doch ein großes Dorf, das sich ernähren mußte. Die Menschen bewegten sich steif wie gehorsame Puppen, als ob sie Befehlen gehorchten. Was, zum Teufel, war da nur los? Dann sah Chili etwas zu seiner Linken. Das, was ihm auffiel, war ein Mann. Er trug grüne Dschungelkleidung und eine Automatikwaffe. Chili überlegte, was an dem Mann so seltsam war. Dann wußte er es. Der Mann beobachtete nicht das Dorf. Er starrte in der entgegengesetzten Richtung von Chili in den Dschungel. * Als sie sich zum Mittagessen wieder beim Jeep trafen, erzählte Chili den anderen, was er gesehen hatte. Felix und Paco wurden ganz aufgeregt. Felix fand die beiden jungen Männer, die Ingo als Wache beim Jeep aufgestellt hatte, ebenfalls eigentümlich nervös. „Irgend etwas geht hier vor“, meinte Felix. „Irgend etwas Großes. Wenn Guerilleros in die Ilongot-Dörfer eindringen, gibt es Schwierigkeiten.“ „Würde Ingo davon wissen?“ fragte Chili. Paco verteilte die Sandwiches, die Felix zubereitet hatte. „Ingo müßte davon wissen“, meinte Felix. „Und das beunruhigt mich. Er stellt sich freundlich, aber es ist möglich, daß er den Guerilleros nur einen Dienst erweist. Es wäre besser, wenn wir
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auf dem Rückmarsch vorsichtig sind. Die Fallen könnten ersetzt oder andere hinzugefügt worden sein.“ Chili hielt das für eine Spekulation. Er überlegte, ob Ingo von vornherein gewußt hatte, wo sich die Fallen befanden, oder ob er tatsächlich so scharfe Augen hatte. Er hätte sie doch sehr leicht in eine Falle laufen lassen können. Als die vier Menschen ihre einfache Mahlzeit beendet hatten, beschlossen sie, daß nur Chili und Paco, der sich im Dschungel gut auskannte, sich wieder auf die Lauer legen sollten, während Felix und Laura beim Jeep blieben. Man wollte in Schichten arbeiten. Chili und Paco versprachen, vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein. Felix vermutete außerdem, daß Ingo ein Fest für sie vorbereitet hatte. Chili und Paco marschierten los. Als sie das Dorf erreicht hatten, blieben sie eng beieinander. Sie hatten diesmal für den Marsch länger gebraucht, da sie besonders auf Fallen geachtet hatten, die jedoch glücklicherweise nicht vorhanden waren. Sie umkreisten das Dorf, bis sie einen umgestürzten Baum gefunden hatten, der von Gestrüpp überwuchert war. Von hier aus hatten sie einen guten Überblick über das Dorf, ohne selbst gesehen werden zu können. Es war ziemlich ruhig im Dorf. Offenbar schliefen die meisten Menschen. Doch als eine Stunde vergangen war, trat eine Frau aus einer der Hütten und schlenderte mit einem Holzkübel über den Dorfplatz. „Da“, flüsterte Paco, „das ist die alte Frau, die Caridad aufzog.“ „Sind Sie sicher?“ Paco nickte. Beide Männer beobachteten die Frau, wie sie im Wald verschwand. Nach einer halben Stunde kam sie zurück, gefolgt von einem großen mageren schwarzen Hund, dessen Zunge weit aus dem Maul hing. Der Hund hatte einen seltsamen Gang. Chili blickte zu Paco, der fasziniert den Hund anstarrte. „Was ist, Paco?“ fragte Chili. „Der Hund. Das könnte ein Aswang sein.“ Chili blickte wieder auf den Hund, der der Frau in die Hütte folgte. „Woher wollen Sie das wissen?“ „Ich vermute es nur. Er ist so groß und bewegt sich so eigenartig.“
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Für Chili war es ein ganz gewöhnlicher Hund, an dem nichts Übernatürliches war. „Caridad hat nie von einem Hund in ihrer Hütte erzählt“, fuhr Paco fort. „Doch es sieht so aus, als ob der Hund dort leben würde.“ Vielleicht hat der Junge doch ein untrügliches Gefühl, überlegte Chili. Er wollte gerade etwas sagen, als Männer in grüner Dschungelkleidung und Stahlhelmen aus dem Dschungel strömten. Sie waren bewaffnet und wirkten völlig verschwitzt. Sie schwatzten durcheinander, doch Chili konnte kein Wort verstehen. „In welcher Sprache sprechen sie?“ fragte er Paco. „Ich vermute, es ist Caviteno.“ „Wird dieser Dialekt nicht dort gesprochen, wo die alte Wahrsagerin ermordet wurde?“ Paco blickte Chili überrascht an und nickte. Die Soldaten wurden von den Frauen begrüßt und verschwanden mit ihnen in den Hütten. Es wurde wieder still im Dorf. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Sonne unterging. „Wir müssen bald gehen“, mahnte Chili. „Schauen Sie!“ flüsterte Paco. „Dort!“ Ein Mann erschien in der Tür der Hütte, durch die vorhin die Frau und der Hund verschwunden waren. Doch weder Chili noch Paco hatten einen Mann in die Hütte gehen sehen. Der Mann war mit einem Khaki-Anzug bekleidet und stand jetzt breitbeinig da. Eine Pistole steckte in der rechten Seite seines Gürtels und links ein Messer mit einem lederbezogenen Griff. Chili konnte sein Gesicht nicht genau sehen, aber selbst auf diese Entfernung wirkte der Mann bedrohlich. Der Mann schaute sich im Dorf um, wobei er jede Ecke prüfte. Dann, als er in Chilis und Pacos Richtung blickte, verharrte sein Kopf plötzlich. Chili fühlte den brennenden Blick auf sich, obwohl er wußte, daß er unmöglich gesehen werden konnte. Trotzdem wichen Chili und Paco instinktiv zurück. „Wir gehen besser zurück“, schlug Paco vor. Chili nickte und kroch hinter dem umgestürzten Baum hervor. Erst nach einiger Entfernung wagte er es aufzustehen. Dann rannten die beiden Männer los. Sie hetzten förmlich den Pfad zurück. Plötzlich blieb Chili stehen und blickte zurück. Was er sah, ließ
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das Blut in seinen Adern gefrieren. „Paco! Schauen Sie!“ Der junge Mann blieb stehen und drehte sich ebenfalls um. Da sah auch er es. Der große schwarze Hund folgte ihnen. * Laura war in der Nähe des Jeeps die Straße entlangspaziert. Sie überblickte die grüne Natur und schaute dann zur Sonne, die schon ziemlich tief am Himmel stand. Felix schnarchte unter dem Baum, unter dem sie gesessen und sich unterhalten hatten. Plötzlich fühlte Laura eine Gefahr. Sofort rannte sie zu Felix und schüttelte ihn wach. „Felix! Irgend etwas stimmt nicht. Ich fühle es. Ich…“ Felix schüttelte die Schläfrigkeit von sich und sprang auf. „Was ist es?“ fragte er ein wenig verwirrt. „Gefahr. Ich kann es nicht beschreiben. Das Gefühl hat mich plötzlich befallen.“ Felix zog sofort seine Pistole. „Ist es unten auf dem Pfad, wo Chili und Paco sind?“ „Ich weiß nicht… Ja, vielleicht.“ Sie legte ihre Fingerspitzen an die Schläfen und versuchte sich zu konzentrieren. Dabei schloß sie die Augen. „Sie laufen. Ich kann zwei Männer sehen. Ich glaube, Chili und Paco. Sie rennen. Nein, sie werden gejagt. Etwas jagt sie. Ich weiß nicht was, aber die beiden schauen sich immer wieder um. In der Hand der einen Person glänzt etwas. Vielleicht eine Pistole. Jetzt sind sie verschwunden. Ich habe sie verloren; Felix!“ „Schnell, setzen Sie sich in den Jeep. Ich laufe den Pfad entlang. Unter dem Beifahrersitz befindet sich eine Automatikpistole. Können Sie schießen?“ Laura nickte. In diesem Augenblick stürzte Paco aus dem Dschungel. Er hielt seine 38er in der Hand. Eine Sekunde später erschien auch Chili. Auch er hielt eine Waffe in der Hand. Als er Felix und Laura erreicht hatte, blieb er plötzlich stehen, drehte sich um und warf sich zu Boden. Er zielte in den Dschungel auf die Stelle, an der er gerade herausgekommen war. Dann hörten sie alle das Geräusch. Gräser raschelten und
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Zweige knackten. Dann näherte sich etwas hechelnd und knurrend. Chili legte den Finger an den Hahn seiner Pistole und wartete. Fauchend sprang der riesige Hund aus dem Dschungel ins Freie. Fletschend zeigte er seine weißen Fangzähne. Das Tier bewegte sich direkt auf Chili zu. Laura schrie. Paco hob zitternd seine Pistole. Chili sah ein Gewirr von Pfoten, Zähnen und Haaren, aber er bewahrte kühles Blut. Seine Pistole zuckte in seiner Hand, als er abdrückte. Chili rollte sich schnell zur Seite. Der Hund landete unverletzt ein paar Zentimeter neben ihm. Paco feuerte, doch leider daneben. Felix’ Kugel flog direkt vor der Schnauze des Hundes vorbei. Chili sprang auf und duckte sich hinter dem Jeep. Er sah von hier aus, wie der Hund die Straße entlangraste. Chili stellte sich breitbeinig auf und zielte mit beiden Händen. Er hielt den Atem an, während er zwei Schüsse abgab. Danach feuerte er noch einmal. Er sah das Haar des Hundes fliegen und schoß erneut zweimal. Obwohl man deutlich hören konnte, daß die Kugeln in das Fleisch des Hundes drangen, zuckte das Tier noch nicht einmal. „Sie haben ihn erwischt!“ rief Paco begeistert. Schnell wechselte Chili das Magazin aus. Dann jagte er hinter dem Hund her. Der jedoch machte einen Satz zur Seite und verschwand im Dschungel. „Er ist entwischt“, knurrte Felix wütend. „Der kommt nicht weit“, meinte Paco. „Ich habe mindestens drei Kugeln treffen sehen.“ Chili durchsuchte die Stelle, an der der Hund verschwunden war. Nirgendwo war Blut zu sehen. Er steckte seine Pistole zurück und ging zu den anderen. „Sie müssen ihn knapp verfehlt haben“, meinte Felix. Laura war aus dem Jeep geklettert und eilte erleichtert auf Chili zu. „Nein“, erwiderte Chili ruhig. „Ich habe ihn jedesmal getroffen. Als ich das erstemal schoß, verbrannte ich die Haare auf seiner Brust.“ „Wie bitte?“ fragte Laura überrascht. Felix und Paco blickten entsetzt drein. „Ich habe den Hund aus einer Entfernung von einem halben
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Meter getroffen. Er hätte sofort tot sein müssen. Danach habe ich ihm vier Kugeln in den Rücken gejagt. Ich sah, wie die Kugeln viermal seine Haare teilten.“ „Dann wird er doch sterben, oder?“ fragte Laura ahnungsvoll. „Es hat ja noch nicht einmal gezuckt“, erwiderte Chili. „Aswang“, flüsterte Felix, dem plötzlich der Schweiß auf der Stirn stand. Laura drückte sich in Chilis Arme. Die Nacht brach herein. * Es war stockfinster, als die vier Menschen nach Cawayan gelangten. Ein großes Feuer war auf dem Dorfplatz entfacht worden. Orangefarbene Flammen schossen in die Höhe und verstreuten immer wieder funkelnde Funkenregen. Das Holz krachte und knackte in der Glut. Ingo, der seine Gäste begrüßte, schien überhaupt nicht überrascht, sie wiederzusehen. Er fragte sie auch nicht nach ihren Erlebnissen, was gar nichts bedeuten mußte. Chili mochte Ingo. Er war ein Mann, der mit beiden Beinen auf der Erde stand. Paco, Felix und Ingo unterhielten sich auf Tagalog. Chili erfuhr, daß eine Hütte für sie freigemacht worden war. Man bot den Fremden an, Ingos Gäste zu sein und mit ihm und seiner Familie zu speisen. Sie setzten sich mit Ingo, seiner Frau Lenang und seinen Söhnen Sacda und Gageng in die große Hütte. Die Dorfbewohner aßen draußen, doch einige blieben in der Nähe der Hütte. Lenang, eine bemerkenswert hübsche Frau, sprach nur selten und bediente dafür mit Gagengs Hilfe. Das Essen war für Chili und Laura zwar fremdartig, aber es schmeckte. Chili ließ durch Felix erklären, daß er kein Fleisch esse, und bediente sich dafür mit Gemüse, Reis und gebackenem Obst. Es war ein fröhliches, gastfreundschaftliches Abendessen. Als sie fertig gespeist hatten, trug Lenang mit ihren Söhnen das Geschirr hinaus, während Ingo seine Pfeife in Brand setzte. Felix zündete sich eine Zigarette an und kam sofort zur Sache. „Ein Aswang hat Pacos Verlobte getötet“, sagte er, „und der Amerikaner fragt, ob es eine Möglichkeit gibt, einen Aswang zu töten.“
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„Das ist sehr schwer“, übersetzte Felix Ingos Antwort. „Chili hat heute auf einen Aswang geschossen, der die Gestalt eines großen Hundes hatte.“ „Und der Aswang starb natürlich nicht. Wenn man einen Aswang in einer tierischen Form angreifen will, muß man mit einem Messer oder einer Kugel seinen Schwanz verletzen. Der Aswang muß dadurch sofort menschliche Gestalt annehmen. Dann kann man ihn mit einem Bambusstab oder mit Holzkugeln töten. Danach muß man die Kreatur in zwei Teile schneiden und je einen Teil auf einer Seite des Flusses begraben, damit die beiden Teile nicht mehr zusammenkommen können.“ Lenang brachte Kokosschalen herein, in denen Kerzen brannten. „Kann ein Aswang menschliche Stimmen imitieren?“ stellte Paco plötzlich die überraschende Frage. Ingo nickte. „Es heißt, daß ein Aswang sowohl das Auge, als auch das Ohr täuschen kann.“ „Warum fragen Sie, Paco?“ wollte Felix wissen. „Da ist etwas, was meine Mutter mir erzählt hat. Ich hatte es ganz vergessen, aber jetzt erinnere ich mich wieder daran. Sie sagte mir, daß in der Nacht, als mein Vater getötet wurde, sie beide meine Stimme draußen gehört hatten, die ,Papa, Papa’ gerufen habe. Mein Vater hätte die Tür nicht geöffnet, wenn er nicht geglaubt hätte, daß ich es sei. Ich vermute nun, daß der Aswang ihn getäuscht hat. Ist so etwas möglich?“ Ingo schaute den Jungen lange an. Dabei weiteten sich seine Augen und entspannten sich wieder. Das ist eine bejahende Geste unter den Filippinos. Fluchend schlug Paco die Faust auf den Boden. Tränen stiegen in seine Augen. Die anderen warteten respektvoll, bis er sich wieder beruhigt hatte. Chinesischer Wein wurde gereicht, Ingo stand auf und verkündete: „Es ist vorbei. Jeder wird sich jetzt betrinken.“ „Danke“, sagte Chili in Ingos Sprache. Felix und Paco lachten, und Felix meinte: „Sie lernen schnell, Chili.“ Felix verabschiedete sich von Ingo im Namen aller und ging mit seinen Kameraden in die vorbereitete Hütte. Inzwischen waren Matten für sie ausgerollt und die Fenster verschlossen worden. „Es ist gut zu wissen, daß ich mich morgen nicht rasieren muß“, sagte Chili grinsend. „Das ist einer der Vorteile des Dschungels.“
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„Mögen Sie unseren Dschungel?“ fragte Felix. „O ja. Ich mag Land, in dem die Zivilisation nicht über Wege, markierte Bäume und eine verbeulte Dose Bohnen hinausgeht. Ich mag Land, in dem die Blätter der Bäume noch nie mit chemischen Mitteln behandelt wurden.“ Felix lächelte verständnisvoll, während Laura mit geübten Fingern ihr Haar pflegte. Als sie die Blicke der Männer auf sich fühlte, lächelte sie jeden freundlich an. Als sie das Haar glattstrich, verjüngte sich ihr Gesicht, und sie sah aus wie ein Kind. „Mesitza“, sagte Chili, während er sie anblickte. „Ja, sie ist eine wunderschöne junge Frau“, pflichtete Felix ihm bei. „Vielleicht sollte ich Sie noch mehr Worte lehren. Sie lernen wirklich schnell.“ Laura blies die Kerze neben ihrer Matte aus. Sie legte sich hin, wobei sie den Kopf in den Armen barg und die Knie anzog. „Bei anderen Dingen lernt er sehr langsam“, murmelte sie so leise, daß niemand sie hören konnte. * Wie immer genoß es Felicing, wenn der Professor nicht zu Hause war und sie machen konnte, was sie wollte. Dann schlief sie lange, frühstückte gemütlich und blätterte in den Zeitschriften, die der Professor von Manila mitbrachte. Felicing war ein schüchternes Mädchen. Sie hatte keine Freunde und sprach nur selten mit jemandem. Heute hatte sie beschlossen, einen Schaufensterbummel zu machen. Sie blieb vor der Auslage eines Ladens stehen und betrachtete das wunderschöne amerikanische Kleid. Es war über und über mit Blumen bedruckt. Selbst an der hölzernen Puppe im Schaufenster wirkte das Kleid hübsch. Felicing betrachtete lange Zeit das Kleid und fragte sich insgeheim, wie sie wohl darin aussehen würde. Sie hätte ja das nötige Geld, um es zu kaufen. Sie gab nur wenig aus, obwohl der Professor sie gut bezahlte. Den größten Teil ihres Geldes schickte sie zu ihrer Familie nach Iloilo. Felicing betrachtete ihr Spiegelbild in der Glasscheibe. Sie sah die plattgedrückte Nase, die zu kleine Brust und entschied sich gegen den Kauf des Kleides.
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Sie wollte sich gerade wegdrehen, als neben ihr ein anderes Gesicht erschien. Es war ein so wunderschönes Gesicht, daß Felicing den Atem anhielt. Und das Gesicht lächelte sie auch noch an. Der freundliche Blick der hinreißenden Frau ließ das Mädchen schwach und hilflos werden. Trotzdem schaffte sie es, sich umzudrehen und der Frau ins Gesicht zu blicken. Für Felicings Geschmack war die Frau ein wenig zu stark parfümiert, doch ihr Gesicht war jetzt noch schöner als im Spiegelbild. „Das ist ein schönes Kleid“, sagte die Frau. „Ich sehe, daß du es bewunderst.“ Felicing nickte schüchtern. „Ich glaube, du würdest hübsch darin aussehen. Du bist ein sehr hübsches junges Mädchen.“ „O nein“, protestierte Felicing verlegen. „Möchtest du gern schön sein? So wie ich?“ fragte die Frau mit tiefer Stimme. „Das würde doch nicht gelingen. Ich habe nicht das Gesicht wie Sie“, sagte Felicing traurig. „Ja, ich bin eine Mesitza - und noch mehr. Ich möchte, daß du heimgehst und daran denkst, schön zu sein. Ich werde heute abend kommen und dir das Kleid bringen. Ich möchte dich schön machen.“ Felicing riß überrascht die Augen auf. „Warte auf mich. Ich bin kurz vor Einbruch der Dunkelheit bei dir.“ „Wissen Sie, wo ich wohne?“ „Ich weiß es“, sagte die schöne Frau. „Aber - aber…“, begann Felicing, doch bevor sie noch etwas sagen konnte, streiften die Lippen der schönen Frau ihre Wangen. Felicing schloß unsicher die Augen. Hatte die Frau sie wirklich geküßt? Diese schöne Frau? Sie, das häßliche Mädchen? Felicing schlug die Augen auf und schaute sich um. Doch die Frau war verschwunden. Mit wildklopfendem Herzen eilte Felicing nach Hause. Sie blickte zur Sonne, die noch nicht einmal den Zenit erreicht hatte. Felicing hatte heute nachmittag ja noch so viel zu tun. Wie die Frau es von ihr erwartete, mußte Felicing daran denken, sich schön zu machen. Doch zuerst mußte das Haus in Ordnung gebracht werden. Das junge Mädchen wischte Staub, putzte, schrubbte und reinigte
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alles, was ihr in die Hände kam. Sie war glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie zweifelte nicht an dem Edelmut der Frau, und sie argwöhnte auch nicht die Tatsache, daß die Frau ihren Wohnort kannte. Nachdem das Haus endlich blitzte und blinkte, nahm Felicing ein langes Bad und wusch sich die Haare. Danach stand sie unschlüssig vor dem Schrank. Als sie ihre Wahl endlich getroffen hatte, puderte sie ihr Gesicht, legte etwas Lippenrot auf und bespritzte sich mit Eau de Toilette. Sie setzte sich ins Wohnzimmer und wartete. Hin und wieder stand sie auf und schaute aus dem Fenster. Die Sonne verschwand langsam im Westen, und die Wolken färbten sich rot. Da plötzlich klopfte es an die Tür. Felicing fühlte ihre Knie schwach werden vor Aufregung. Als sie dann die schöne Frau vor sich sah, die diesmal noch hinreißender aussah, machte ihr Herz vor Freude einen Sprung. Felicing ließ die Dame eintreten und schloß die Tür hinter ihr. Die Besucherin war mit einem großen Geschenkkarton und mit einer Tüte beladen. „Dieser Karton ist für dich“, sagte die schöne Dame und ging mit der Tüte in die Küche. „Ich möchte gern, daß du es gleich anprobierst.“ Felicing öffnete die Schachtel und sah das hübsche Kleid aus der Auslage darin. Obwohl sie überglücklich war, wollte sie protestieren, doch die Frau winkte ab. „Ich weiß noch nicht einmal Ihren Namen“, sagte Felicing. „Der ist auch unwichtig. Aber du kannst mich Charing nennen. Und nun lauf. Ich möchte sehen, wie hübsch du bist.“ Während Felicing in ihr Zimmer lief, packte Charing die Tüte in der Küche aus und begann das Essen vorzubereiten. Nach ein paar Minuten kam Felicing mit dem neuen Kleid in die Küche. „Ich hatte recht“, rief die Besucherin. „Du siehst wunderschön aus. Schau mal, Felicing, ich habe für uns etwas zu essen gekauft. Magst du ein Entenei?“ „O ja“, rief Felicing begeistert. Die beiden Frauen setzten sich an den Tisch und begannen zu essen. Felicing achtete darauf, daß sie ihr neues Kleid nicht bekleckerte. Sie war überglücklich. Als das Mädchen die Spitze des rohen Enteneis öffnete, bot sie Charing einen Schluck an. „Gut, aber nur einen kleinen“, sagte sie, nahm jedoch keinen
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Schluck, sondern ließ nur ihren Speichel in das Ei tropfen, ohne daß Felicing etwas bemerkte. Das junge Mädchen trank gierig das Ei leer, schaute ihren Gast genießerisch an und sagte: „Danke, Charing. Danke für alles.“ Nach dem Abendessen gingen die beiden Frauen ins Wohnzimmer hinüber. „Ich muß jetzt gehen“, verkündete Charing, „aber zuerst noch einen Kuß.“ Sie nahm Felicing in die Arme und drückte ihre Lippen auf die des jungen Mädchens. Die Frau hustete leicht und öffnete ihren Mund. Sie zwang damit auch Felicing, ihren Mund zu öffnen. Das Huhn erreichte über Felicings Mund ihren Bauch. Da ließ Charing das Mädchen los und schaute es eindringlich an. Entsetzt erkannte Felicing ihr Schicksal und riß die Augen auf. „Sie - Sie sind ein Aswang!“ keuchte Felicing. „Und du bist es jetzt auch“, sagte Charing ruhig. „Du mußt bald deinen Hunger an den Eingeweiden der Indianerin stillen. Der Amerikaner, den sie Chili nennen, gehört mir.“ Felicing wußte mit entsetzlicher Gewißheit, daß die Frau recht hatte. Obwohl sie gerade gegessen hatte, fühlte sie den Hunger in sich. Doch es war ein Hunger nach Blut. * Der Schrei des Kindes weckte sie alle. Felix erhob sich von seiner Ruhematte und rieb sich verschlafen die Augen. Im Dorf wurde es laut. Paco war aufgesprungen, und auch Chili und Laura standen auf. Ingo rief zu ihnen hinein: „Kommt raus, schnell!“ Kaum hatte Felix Ingos Ruf übersetzt, hetzten Chili und Laura aus der Hütte, gefolgt von den beiden anderen. Draußen fanden sie eine Gruppe von Dorfbewohnern vor, die wild gestikulierend durcheinanderredeten. Einige zeigten auf eine Stelle auf dem Boden vor der Tür der Hütte. Das Kind, das vorhin den Schrei ausgestoßen hatte, war ein achtjähriger Junge, in dessen verweinten Augen noch immer das Entsetzen lag. Irgendwie schafften es Felix und Ingo, die Gruppe zu beruhigen und in ihre Hütten zurückzutreiben. Die Morgendämmerung zog
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gerade von Osten hoch. „Schauen Sie sich das an, Chili“, bat Felix und zeigte auf einen Stein vor der Hütte. „Der Junge sagte, er habe vor ein paar Minuten einen großen schwarzen Hund zu dieser Hütte gehen sehen. Das hier erbrach er auf den Stein. Dann rannte der Hund weg. Es war derselbe, den wir gestern gesehen haben. Er hatte einen weißen Fleck auf der Brust.“ Chili hob nachdenklich die fünf Gegenstände auf, die auf dem Stein vor der Hütte lagen. Er blickte Laura an. „Erkennst du sie wieder?“ „Sie sehen aus wie Erdkugeln, nur härter“, meinte Laura. „Sind sie aus Metall?“ „Es sind die Patronen aus meiner Waffe“, erklärte Chili. „Und sie sind nur ganz gering abgeflacht, so als ob sie nur durch etwas Weiches geschlagen wären. Es befindet sich kein Blut an ihnen. Sie sind zwar feucht, aber es ist kein Blut. Vielleicht Speichel.“ Ingo beobachtete Chili. Obwohl er nur sehr wenig verstand, fühlte er doch, daß Chili keine Angst hatte. Er schien auch die Gegenstände in seiner Hand zu kennen. „Felix, stimmt das mit der Mythologie des Aswang überein? Können Kugeln in seinen Körper eindringen, ohne ihn zu verletzen? Und kann der Körper die Kugeln später wieder aussondern?“ „Ich weiß es nicht“, gestand Felix. „Aber ich muß dem Jungen glauben.“ „Den letzten Beweis habe ich natürlich nicht, daß das hier die Kugeln aus meiner Waffe sind, dazu müßten sie erst untersucht werden. Aber wenn man bedenkt, daß wohl keiner der Eingeborenen es wagen würde, auf einen Aswang zu schießen, und dann noch genau fünf Kugeln, dann wächst die Wahrscheinlichkeit, daß das die Patronen aus meiner Waffe sind. Das wiederum würde beweisen, daß etwas Übernatürliches am Werk ist.“ Felix übersetzte einen Teil von dem, was Chili sagte, und Ingo nickte traurig. Felix schob die Patronen in seine Hemdtasche und blickte sich um. Es war still geworden in dem Dorf. Und jetzt kamen nach und nach die Dorfbewohner aus ihren Hütten. Die Eingeborenen trugen Bündel bei sich. „Was ist denn hier los?“ fragte Chili Felix.
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„Die Dorfbewohner ziehen aus. Sie haben Angst. Sie befürchten, daß der Aswang ihre Babys oder sie selbst auffrißt. Ich habe Ingo zwar gesagt, daß der Aswang nicht hinter ihnen her ist, aber er sagte, daß es noch einen anderen Grund für ihren Wegzug gäbe, den er mir allerdings nicht verraten wollte.“ „Er hat Angst vor einem Mann namens Maning“, sagte Paco. Bei der Erwähnung dieses Namens legte sich ein Schatten über Ingos Gesicht. Seine ansonsten so weichen Züge wurden hart wie Stein. Ingo begann wieder mit Felix zu sprechen. Felix hörte schweigend zu. Als Ingo dann fertiggeredet hatte, drehte er sich um und eilte zu seiner Hütte. „Was hat er gesagt?“ wollte Chili wissen. „Der Junge wurde mit der Botschaft zu unserer Hütte geschickt, daß es unsicher sei, noch länger im Dorf zu bleiben. Es scheint, daß ein Läufer vom anderen Dorf vor Morgengrauen mit der Nachricht hergelaufen ist, daß die New People’s Army neue Überfälle plane und die Berge von den Ilongots und Igorots räumen wolle. Der Führer der NPA ist Maning - oder Manolo. Ingo sagte, daß er uns eigentlich gar nicht so viel verraten sollte, aber daß er nicht will, daß unser Blut an seinen Händen klebt.“ „Dann sitzen wir in Schwierigkeiten“, stellte Chili fest. „Ja. Und ich glaube, daß wir nicht mehr viel Zeit haben. In einer halben Stunde wird dieses Dorf geräumt sein. Ich vermute, daß die NPA es als Angriffsbasis nutzen will.“ „Wen wollen sie denn angreifen?“ Felix zuckte mit den Schultern. Auch Paco schüttelte den Kopf. „Ich halte das für äußerst ungewöhnlich“, fand Chili. „Auf mich wirkt das wie eine Serie von geplanten Rebellionsbewegungen.“ „Vielleicht“, meinte Felix, dem der Schweiß plötzlich auf der Stirn stand. Chili merkte, daß er nervös war. Auch Paco war ungewöhnlich wortkarg. „Also gehen wir auch“, schlug Chili vor. „Aber zuvor möchte ich noch einmal einen Blick auf das Dorf werfen, das wir gestern gesehen haben.“ „Unter diesen Umständen ist das sicher kein weiser Plan“, meinte Felix. „Geben Sie mir eine Stunde und fünfzehn Minuten, Felix. Ich werde allein gehen.“ Die vier stiegen in den Jeep, doch Paco wartete, bis das Dorf
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sich geleert hatte. Dann ließ er den Motor an und startete den Wagen mit einem Satz. Eine Staubfontäne erhob sich hinter den Rädern, der den vieren das Leben rettete, da eine halbe Sekunde später eine Gewehrkugel auf die Stelle gefeuert wurde, an der der Jeep gestanden hatte. Chili zog sofort seine Pistole. Die Dorflichtung füllte sich jetzt mit Guerrillas, die alle auf den Jeep feuerten. Chili jagte vier Schüsse nach hinten, während Paco sich duckend das Gaspedal durchdrückte. Felix und Laura verkrochen sich hinten im Wagen. Der Jeep jagte wie ein aufgeschrecktes Tier aus der Lichtung, dabei riß Paco das Steuer immer abwechselnd nach rechts und links, um eine möglichst unruhige Zielscheibe abzugeben. Wieder schoß Chili und sah, wie die Männer diesmal in Deckung gingen. Paco jagte den Wagen auf Höchstgeschwindigkeit über holprige Wege aus der Sicht der Guerilleros. Chili hatte noch rechtzeitig das Gesicht des Anführers erkannt. Es war der Mann, den sie einen Tag zuvor in dem verlassenen Dorf gesehen hatten. Chili klopfte Paco auf die Schulter und gab ihm ein Zeichen. Daraufhin drückte Paco so abrupt auf das Bremspedal, daß die Passagiere alle nach vorn geworfen wurden. Während Paco die Zündung abstellte, grinste er übers ganze Gesicht. Chili schaffte ein gezwungenes Lachen. Er wunderte sich über die Tatsache, daß keiner von ihnen von dem Gerüttel einen Dachschaden bekommen hatte. „Ich weiß eigentlich nicht, was nun gefährlicher war“, meinte Laura stöhnend. „Mit Paco zu fahren oder Zielscheibe für die Guerilleros zu spielen.“ Paco und Felix lachten. „Für ihn spricht, daß er uns rausgeholt hat“, meinte Chili. „Wo haben Sie nur fahren gelernt, Paco? In der Kampfschule?“ „Auf der Schule in Manila“, erklärte Paco stolz, während Chili seine Pistole nachlud. „Was hast du vor?“ fragte Laura. „Du willst doch nicht in den Dschungel zurück?“ „Doch. Aber ich möchte zuerst, daß ihr alle außer Gefahr seid. Da die Guerilleros jetzt unterwegs sind, könnten wir etwas über das Dorf erfahren. Paco, Sie wollen doch noch immer den Aswang finden, der Ihre Freundin und Ihren Vater getötet hat?“
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Paco nickte. „Und ich werde mit Ihnen gehen.“ „Können wir irgendwo den Jeep verstecken, damit Sie, Felix, und Laura in Sicherheit sind, während Paco und ich noch einmal zum Dorf gehen?“ „Wir können ihn an derselben Stelle wie gestern verstecken.“ „Und wir können ihn so wenden, daß er später beim Wegfahren geradeaus auf die Straße gelangt“, meinte Paco. „Ich kenne die Stelle.“ „Gut.“ Chili schaute Paco von der Seite an. „Aber fahren Sie langsam. Stellen Sie sich vor, Sie fahren in einer Parade.“ „Ich werde nur im ersten Gang fahren“, versprach Paco grinsend, fuhr ein Stück zurück und bog dann in den Dschungel ab. Als er die Stelle von gestern gefunden hatte, wendete er den Wagen und fuhr ihn rückwärts in ein schützendes Gebüsch. Danach verwischte er zusammen mit Felix und Chili mit Hilfe einiger Zweige die Fahrspuren. „Verhaltet euch ruhig“, bat Chili dann Felix und Laura. „Wenn es Schwierigkeiten gibt, haut ab von hier. Paco und ich werden uns schon nach Baguio durchschlagen. Wir werden versuchen, nicht länger als eineinhalb Stunden wegzubleiben. Kommen Sie, Paco, wir nehmen uns etwas zum Essen mit. Überprüfen Sie Ihre Pistole. Ich hoffe, die Guerilleros glauben nicht, daß wir so dumm sind und zurückgefahren sind. Wenn sie uns suchen, dann sicher auf der Hauptstraße.“ Die beiden Männer versorgten sich mit Sandwiches und marschierten los. Chili hoffte, daß er mit seiner Vermutung recht hatte und die Guerilleros das Dorf ohne Wachen zurückgelassen hatten. Er wollte in die Hütte eindringen, in der er den Rebellenführer gesehen hatte. Chili sah den blauen Himmel zwischen den Wipfeln der Bäume, die ihm jetzt bekannt vorkamen. Plötzlich fühlte Chili, wie der Boden unter seinen Füßen versank. Während es ihm noch durch den Kopf schoß, daß er in eine Falle geraten war, warf er sich nach vorn und drehte seinen Körper zur Seite. Trotzdem sackte Chili in die Falle, doch durch die Körperdrehung war er an den Rand der Falle geraten, wo er sich nun mit den Händen verzweifelt an Lianen festzuhalten versuchte. Seine Füße waren nur noch Zentimeter von den vergifteten Bambusspitzen entfernt. Paco rannte herbei und packte Chilis Hand. Mit aller Macht
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zerrte er Chili hoch, fiel dabei nach hinten und zog somit seinen Freund bis zur Hälfte aus der Senke. Chili schaffte es, sich hochzuziehen und aus der Falle herauszuklettern. „Danke“, keuchte Chili, als er wieder auf den Beinen stand. „Es wäre ein schmerzhafter Tod geworden“, erwiderte Paco. Von jetzt an schaute Chili nicht mehr zum Himmel hinauf, sondern beobachtete aufmerksam den Weg vor sich. Endlich hatten sie das Dorf erreicht. Es war still hier - zu still. Chili begann geduckt die Lichtung zu umkreisen, bis er eine Stelle fand, von der aus man die bewußte Hütte wie alle anderen gut überblicken konnte. Er winkte Paco zu sich und flüsterte: „Ich möchte, daß Sie mir Deckung geben. Ich möchte einen Blick in die Hütte dort drüben werfen. Wenn Sie jemanden kommen sehen, der gefährlich werden könnte, schießen Sie einmal. Sollten wir getrennt werden, laufen Sie zum Jeep zurück und warten dort eine halbe Stunde. Sollte ich dann noch immer nicht da sein, fahren Sie nach Baguio.“ „Aber…“ „Kein Aber. Passen Sie auf.“ Chili verschwand im Gebüsch. Kurz darauf bemerkte Paco eine Bewegung im Dorf. Caridads alte Pflegemutter kam aus einer der Hütten. Ein Mann in Dschungelkleidung und mit einer .45er Automatik in der Hüfthalfter begleitete sie. Paco erkannte ihn sofort. Es war der Mann, den sie gerade zuvor gesehen hatten - der Führer der Guerrilleros. * Chili versteckte sich in einem Gebüsch hinter der Hütte. Auch er sah die alte Frau und den Rebellenführer. Seine Gedanken jagten sich, während er die Waffe schußbereit hielt und wartete. Die beiden schlenderten über den Dorfplatz. Der Mann zündete eine Zigarette an und reichte sie der Frau. Sie zog daran, bis die Spitze rot erglühte, dann steckte sie die Zigarette mit dem glühenden Ende in den Mund, während der Mann eine zweite Zigarette anzündete und sie auf die konventionelle Art rauchte. Die beiden schienen sich zu unterhalten, doch Chili konnte nicht
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verstehen, was sie sagten. Chili verfluchte sein Pech. Er saß hier fest und konnte nicht in die Hütte gelangen, außer er kroch durch das rückwärtige Fenster. Doch das konnte laut werden. Er schob sich ein Stück vor und behielt die beiden Dorfbewohner im Auge. Jetzt traten nach und nach die anderen Bewohner aus ihren Hütten. Chili fragte sich, warum sie sich vorher so ruhig verhalten hatten. Und warum war der Rebellenführer wieder hier? Wie hatte er das in so kurzer Zeit schaffen können? Er wirkte auch nicht müde, sondern frisch und ruhig. Chili war froh, daß Paco sich ruhig verhielt. Wenn er jetzt einen Warnschuß abgegeben hätte, steckten sie beide in Schwierigkeiten. Eine Gruppe von Frauen und Kindern kochte etwas in einem großen Topf. Hin und wieder rührte einer von ihnen darin herum. Chilis Blick glitt weiter durch das Dorf. Die Menschen hier wirkten gelassen. Jetzt warf der Guerillero seinen Zigarettenstummel auf die Erde und drückte ihn mit der Schuhspitze aus. Aus zusammengekniffenen Augen warf er einen prüfenden Blick durch das Dorf und winkte der alten Frau zu. Dann schritt er über den Dorfplatz, ohne sich noch einmal umzudrehen. Keiner der Dorfbewohner beachtete ihn. Der Mann betrat rechts von Chili den Dschungel und verschwand. Chili hatte noch nicht einmal das Rascheln eines Blattes oder Grashalmes oder das Knacken eines Zweiges gehört. Der Mann bewegte sich wie eine Katze. Chili wartete lange, bevor er sich an die Hütte heranschob. Die alte Frau war inzwischen zu der Gruppe um den Kochtopf herum gegangen. Ganz langsam schob sich Chili um die Hütte herum, ließ dabei aber nie die Gruppe aus den Augen. Er mußte die Deckung der Hütte verlassen, um zur Tür zu gelangen. Er legte eine Hand auf die Pistole, um sie nicht in der Sonne aufblitzen zu lassen. Um durch die Bewegung nicht aufzufallen, drückte er sich millimeterweise bis zur Tür und tauchte dann nach einer scheinbaren Ewigkeit in das dunkle Innere der Hütte. Vorsichtig zog er seine Stiefel aus und stellte sie neben die Tür. Dann schlich er durch die beiden kleinen Zimmer. Doch es gab nicht viel zu sehen. Dafür roch es um so stärker. Überall lagen Knochen von Hühnern und Schweinen, dazwischen verstreut
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Eierschalen. Doch den stärksten Geruch strömte eine irdene Schale aus, die auf einem kleinen Tisch stand. In der Schale befand sich eine dunkle dicke Masse. Er schaffte es, den kleinen Topf in seine Tasche zu stecken. Er wollte später Felix und Paco fragen, was sich darin befand. Danach kniete er sich hin und untersuchte den Boden. Er hob mehrere schwarze Haare hoch und steckte auch sie in eine Tasche. Dann fand er Fetzen von blutigem Stoff. Auch den verwahrte er in einer seiner Taschen. Jetzt wurde es langsam Zeit, die Hütte zu verlassen. Doch hinauszukommen war schwerer, als hereinzugelangen. Vorsichtig lugte Chili aus der Tür. Er zog seine Schuhe an, duckte sich und wartete einen günstigen Zeitpunkt ab. Dann schlich er langsam aus der Tür und um die Hütte herum. Aufatmend tauchte er im Dschungel unter. Als er Paco erreichte, nickte er ihm zu. Plötzlich begann die Gruppe der Frauen und Kinder um den Kochtopf herum etwas zu rufen. Die beiden Männer starrten alarmiert zu der Gruppe hinüber. Und was Chili jetzt sah, drehte ihm fast den Magen um. Zwei Frauen hoben eine rosafarbene Kreatur aus dem kochenden Wasser. Chili drehte sich angewidert weg. „Was, zum Teufel, ist denn das, Paco?“ stöhnte er. „Ein Affenbaby“, sagte Paco. „Nichts wie weg hier“, murmelte Chili. * Laura hörte als erste die Geräusche. Es klang wie ein dumpfes Rattern. Felix, der schlummernd an einen Baum gelehnt saß, fuhr alarmiert hoch. „Was ist das?“ fragte Laura. „Es klingt wie Schüsse. Als ob viele Leute schießen würden.“ Er hatte recht. Das Trommelfeuer nahm zu. Laura fühlte für einen Augenblick die Angst in sich hochsteigen, doch dann merkte sie, daß die Schüsse aus der anderen Richtung kamen, also nicht aus der Gegend, in der Chili und Paco sich aufhielten. Felix stand auf und legte die Hand auf den Griff seiner Pistole.
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„Sie feuern in einiger Entfernung“, meinte er. „Das ist seltsam.“ Man hörte immer wieder, wie die Gewehrschüsse von großen Geschützen beantwortet wurden. Laura zog den Reißverschluß ihres Hosenanzugs auf und ließ Luft über ihre naßgeschwitzte Haut streichen. Sie fragte sich, was dort vorn auf der Straße vor sich ging und ob Chili ebenfalls die Schüsse hören konnte. Sie versuchte, Schwingungen von Chili aufzunehmen, doch ohne Erfolg. Kaum hatte sie den Reißverschluß wieder hochgezogen, als Chili und Paco aus dem Dschungel tauchten. Erschreckt fuhren Felix und Laura hoch. „Schon gut. Wir sind’s nur“, beruhigte Chili. „Gott sei Dank“, stöhnte Laura. „Was ist dort unten los?“ wollte Chili wissen. „Das geht schon eine Weile so“, sagte Felix. „Wir wissen auch nicht, was es ist. Haben Sie etwas im Dorf gefunden?“ „Nicht viel. Wir sahen den Guerilla-Führer. Er ist weggegangen. Daraufhin bin ich in die Hütte gegangen, in der wir ihn gestern gesehen haben. Ich habe ein paar Dinge mitgenommen, über die wir sprechen können, wenn wir wieder in Baguio sind.“ „Falls wir wieder nach Baguio zurück können“, meinte Laura. „Und was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?“ fragte Paco. „Vielleicht sollten wir warten, bis die Schießerei zu Ende ist“, schlug Felix vor. Chili nickte. Also warteten die vier, bis die Schüsse nur noch vereinzelt fielen und schließlich ganz verstummten. „Wir müssen zur Beerdigung von Pacos Vater zurückfahren“, sagte Chili. „Ich schlage vor, wir fahren ganz vorsichtig, so daß wir jederzeit aus dem Jeep und in den Dschungel springen können. Wir sollten auch unsere Waffen schußbereit halten. Ist jeder damit einverstanden?“ Alle nickten. „Dann fahren wir los“, sagte er und setzte sich, nachdem Felix und Laura auf den Rücksitz geklettert waren, neben Paco auf den Beifahrersitz. Paco fuhr langsam die Straße entlang. Bald begann die drückende Stille an ihren Nerven zu zerren. Nirgendwo war ein Lebenszeichen zu entdecken. Die Hitze schien sich wie eine Decke über sie zu legen, die ihnen fast die Luft zum Atmen nahm. Die Straße wand sich in engen Kurven durch den Dschungel.
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Dadurch verkürzte sich die Sichtlinie vor ihnen. Der Wagen schien wie von selbst zu fahren. Paco mußte nur leicht mit der linken Hand das Steuerrad bewegen, während er die Rechte stets auf seiner Waffe liegen ließ. Nach der letzten Kurve gelangte der Jeep auf eine weite Strecke durch ein Tal. Jetzt sahen sie die anderen Jeeps und die durcheinanderliegenden Leichen von Polizisten. Paco trat sofort aufs Bremspedal und stellte den Motor ab. Entsetzt und fasziniert starrten alle auf die Szene vor sich. Um den ersten Jeep lagen fünf schwerbewaffnete Polizisten. Der Mann auf dem Fahrersitz hatte ein Loch in der Stirn. Der Anblick war entsetzlich. „Was für Männer sind das?“ fragte Chili. „PC. Philippinische Constablers.“ „Sie wurden offenbar überrascht“, meinte Chili. „Der Fahrer schien als erster gestorben zu sein, und zwar noch während er fuhr. Die anderen müssen dann das Feuer erwidert haben, doch sie hatten nie eine wirkliche Chance.“ „Was willst du damit sagen, Chili?“ wollte Laura wissen. „Daß hier zu gründlich gearbeitet wurde. Ich sehe überhaupt keine Guerilla-Leiche. Diese Männer wurden entweder aus taktischen Gründen oder zur Warnung erschossen. Ihre Gegner hätten diese schweren Geschütze gar nicht nötig gehabt. Sie wollten sie nur benutzen. Sie wollten jemandem zeigen, wie wirkungsvoll ihre Waffen sind - und daß sie sie im Überfluß besitzen.“ „Was meinst du mit deiner letzten Vermutung?“ fragte Laura. „Schau, jede Guerilla-Gruppe würde die Jeeps zum eigenen Nutzen behalten haben. Sie hätten außerdem den Polizisten ihre Uniformen und Waffen weggenommen. Doch diese Leute hier sind vollständig bewaffnet, und die Jeeps sind unbrauchbar gemacht.“ „Sie meinen, die Guerilleros wollen damit sagen, daß sie die Jeeps und Waffen nicht brauchen“, schloß Felix. „Sieht ganz so aus. Ich finde, das ist eine ganz klare Botschaft, und jede Untersuchungskommission wird das auch so sehen. Was meinen Sie, Felix und Paco? Arbeitet die NPA auf diese Weise? Stehen ihnen genügend Geldmittel zur Verfügung? Verüben sie ihre Angriffe immer auf diese Weise? Warum überhaupt sind die PC hier heraufgekommen?“
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Felix schaute bekümmert drein. Dann sagte er langsam: „Sie haben recht. So geht die NPA gewöhnlich nicht vor. Es sieht ganz so aus, als ob diese Männer in eine Falle gelockt und dann absichtlich unnötig grausam abgeschlachtet worden wären. Die Guerilleros haben nie genügend Geld für Uniformen und Munition. Sie würden besonders nicht die Jeeps zerstört haben. Auf den Philippinen hat der Jeep die gleiche Bedeutung wie das Pferd im Wilden Westen des neunzehnten Jahrhunderts.“ „Chili, können wir jetzt gehen?“ fragte Laura mit zitternder Stimme. Dabei glitzerten ihre blauen Augen, so daß Chili sofort Bescheid wußte. „Ja, wir gehen besser“, meinte Chili. „Sonst legt man uns vielleicht noch zu dem Haufen dort.“ Die vier wollten gerade wieder losfahren, als ein markerschütternder Schrei aus dem ersten Überfallenen Jeep sie in der Bewegung erstarren ließ. „Einer von ihnen lebt noch!“ rief Laura. Paco rannte zum Jeep los, Chili folgte ihm. Der Verletzte befand sich an der Grenze des Bewußtseins. Paco und Chili knieten sich neben ihn. Der Mann preßte flüsternd unter Schmerzen Worte in Tagalog hervor. Er versuchte seinen Atem zu dosieren, der immer kürzer wurde. „Er sagt“, übersetzte Paco, „daß viele NPA da waren. Er sah ihren Führer. Er erkannte ihn von der Beschreibung, die sie alle besaßen. Maning Kahapon. Er sagt, daß die NPA - er nennt sie Huks - als nächstes nach Gaguio gehen. Er wiederholte dann noch etwas ein paarmal: Zwei mal zwei.“ Der PC hustete und keuchte. „Dali“, stöhnte er noch, dann sackte sein Kopf zur Seite. Chili legte zwei Finger an seine Halsschlagader und schüttelte den Kopf. „Er ist tot. Was war das letzte Wort, das er gesagt hat, Paco?“ „Er sagte: Schnell!“ * Kurz vor Baguio stießen sie auf einen Polizei-Jeep. Die Wagen hielten an, und die Polizisten sprangen mit schußbereiten Waffen von ihrem Wagen. Auch Paco und Felix stiegen aus.
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Laura und Chili beobachteten, wie die beiden mit den Polizisten sprachen. Sie gestikulierten dabei wild in der Luft herum. Zweimal wollten die Beamten sich Laura und Chili nähern, doch jedesmal hielt Felix sie mit lauten Argumenten zurück. Nach einer scheinbaren Ewigkeit stiegen die Beamten endlich wieder in ihren Wagen und fuhren weiter. Paco und Felix kletterten in den Jeep. „Sie wollten uns zuerst nicht glauben“, sagte Felix. „Sie haben alle unsere Namen aufgeschrieben. Sie haben noch keine Alarmmeldung aus Baguio. Es sollen nur ein paar Jeeps losgefahren sein, um einen Streit zwischen Igorol-Stämmen zu untersuchen.“ „Ein falscher Alarm also“, meinte Chili. „Ja. Und der Anrufer war sehr gerissen.“ Paco startete den Wagen, fuhr gemächlich durch Baguio und weiter zu Felix’ Haus. Das Leben in der Stadt schien normal zu verlaufen. „Was werden die PC tun, wenn sie ihre Freunde so abgeschlachtet finden?“ fragte Chili. „Sie werden das Militär rufen, den Dschungel durchkämmen und nichts finden. Es werden ein paar Schüsse fallen und kleine Kämpfe stattfinden. Es war immer so.“ „Und das wissen die Guerilleros. Vielleicht gibt es einen gewichtigeren Grund für ihr Manöver. Würden sie mit diesem Gemetzel nicht von ihrem wirklichen Ziel ablenken wollen, das vielleicht in einiger Entfernung liegt?“ „Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ja, das ist möglich. Hier leben viele Öffentlichkeitsvertreter. Die Marcos würden Baguio verteidigen.“ „Ich habe ein so komisches Gefühl, seit wir am Schlachtfeld waren“, meldete Laura sich zu Wort. „Es ist ein starkes Gefühl der Gefahr. Für uns alle. Aber es ist alles so verwirrend. Ich kann den Sinn nicht sehen.“ „Warum gehst du es nicht langsam durch?“ fragte Chili. „Vielleicht kann ich helfen.“ „Ich werde es versuchen.“ Laura schloß die Augen und hielt sich an der Rückenlehne des Vordersitzes fest. Paco drosselte die Geschwindigkeit, so daß sie besser hören konnten. „Gewehre, Messer. Ich höre Geräusche. Dinge fliegen. Mechanische Dinge, auch menschliche. Licht und Dunkelheit wechseln sich ab. Die
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Flügel hören sich an wie Propeller, und die Soldaten sehen alle gleich aus. Sie verwandeln sich ständig in Vögel und andere Tiere. Hier fühle ich die Gefahr, aber das sagt mir nichts. Da sind auch Frauen. Ich kann ihre Gesichter nicht sehen. Das macht sie so gefährlich. Ich weiß nur, daß sie Frauen sind - oder…“ Sie öffnete die Augen. „Tut mir leid. Es ist nicht klar genug.“ „Es war schon gut, Laura. Wir werden später darüber sprechen.“ Nachdenklich drehte Chili sich nach vorn. Es war Nachmittag, als Paco vor Felix’ Haus hielt. Alles schien normal. Felicing war nicht da. Felix vermutete, daß sie einkaufen ging. Nachdem man den Wagen ausgeladen hatte, fuhr Paco zu seiner Schwester, um sich nach der Beerdigung zu erkundigen. Vor Einbruch der Dunkelheit wollte er wieder da sein. Im Haus war es angenehm kühl. „Wenn Sie mich zum größten Markt der Stadt fahren oder mir den Weg erklären, würde ich mich gern um das heutige Abendessen kümmern“, erklärte Chili. Felix hob überrascht die Brauen. „Er ist ein guter Koch, Felix“, sagte Laura lachend. „Aber wenn Sie Fleischliebhaber sind, werden Sie vergeblich nach einem Stück Fleisch suchen.“ „Sie werden gar nicht bemerken, daß kein Fleisch drin ist“, versprach Chili. „Abgemacht“, sagte Felix. „Kommen Sie, ich fahre Sie mit dem Fiat.“ „Ich bleibe hier und mache mich frisch, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, sagte Laura. „Gehen Sie beide nur einkaufen. Ich bin auch für die Gleichberechtigung des Mannes.“ * Kaum waren die Männer gegangen, schlüpfte Laura aus ihrem feuchten Hosenanzug. Sie ließ Wasser in die Wanne einlaufen, wusch sich und blieb dann im Wasser liegen. Das Radio verkündete gerade die Uhrzeit, als in Lauras Gedankenwelt Bilder aufzutauchen begannen. Wie neblige Schatten glitten sie aus den Winkeln ihres Unterbewußtseins heraus. Sie waren mit Flügeln, einem Klumpfuß, Hörnern und einem Schwanz ausgestattet. Die Nebel flossen zusammen wie geschmolzenes Wachs und wurden zu einem Dämon, der Lauras
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Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte. Dann wieder rannten die Schatten wie erschreckte Elfen davon und verschwanden. Sie versuchten, ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken auf etwas, das aus ihrem Verstand hervortrat. Und dann sah sie ihn. Er war menschlich, aber erschreckender und furchtbarer als die grotesken Kreaturen, die ihr das Unterbewußtsein vorgegaukelt hatte. Er war ein Filippino in Guerillakleidung. Er trug ein Bajonett in der Hand. Innerhalb von Sekundenbruchteilen wechselte er sein Aussehen ein paarmal. Er wurde zum Hund, zur Fledermaus, zum Falken, zur Katze. Laura war nicht in der Lage die Augen zu öffnen. Sie fühlte, wie Eiseskälte über ihre Haut kroch. Dann hörte sie plötzlich die Stimme des Radiosprechers, der endlich ihre Gedanken unterbrach. Laura riß die Augen auf. Sie hörte, wie der Sprecher wieder die Zeit ansagte. Fünf Minuten also hatte sie in der Wanne gelegen und diese schrecklichen Bilder gesehen. Und dabei war es ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Lauras Nerven waren angespannt. Sie war alarmiert. Sie hatte etwas gesehen, das in der Zukunft stattfinden würde. Aber das alles ergab keinen Sinn. Den Mann hatte sie wiedererkannt. Sie war sich sicher, daß es derselbe Mann war, der die Wahrsagerin getötet hatte. Und er wollte wieder töten. Plötzlich erschreckte ein Geräusch die junge Frau, die in der Wanne hochfuhr, daß das Wasser über den Rand schwappte. Das war die Haustür gewesen. Und sie hatte noch nicht einmal die Badezimmertür geschlossen. „Chili? Felix? Seid ihr es? Ich bin in der Wanne und habe vergessen, die Tür zu schließen.“ Keine Antwort. Jemand stellte das Radio ab. „Wer ist da?“ rief Laura wieder und suchte wie wahnsinnig im Badezimmer nach einem Gegenstand, den sie als Waffe gebrauchen könnte. „Kommt schon, spielt nicht mit mir herum! Bist du es, Chili? Felix?“ Wieder herrschte nur Stille. Aber es hatte doch jemand das Radio ausgeschaltet, oder war die Sendung nur gestört? Sie
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suchte so verzweifelt nach einer vernünftigen Erklärung, doch die gab es nicht, außer daß jemand mit ihr in der Hütte war, den sie nicht kannte. Sie mußte aus der Wanne heraus. Sie mußte sich verstecken, sich schützen. So leise wie möglich erhob sie sich aus der Wanne und wickelte das Handtuch um sich. Während sie sich neben der Wanne schnell abtrocknete, überlegte sie, ob sie durchs Badezimmerfenster klettern sollte. Doch da sah sie, daß ein Gitter davor angebracht war. Sollte sie die Tür zuknallen und sich einsperren? Aber dann war sie eine Gefangene und hatte keine Möglichkeit zu fliehen. Sollte sie in Chilis Zimmer laufen und seine Pistole holen? Da hörte sie, wie irgendwo in der Hütte eine Bodenplanke knarrte. Es schien aus dem Wohnzimmer zu kommen. Laura wartete. Es knarrte wieder. Sie konnte einfach nicht hier herumstehen und darauf warten, daß etwas geschah. Sie mußte etwas tun, auch wenn sie dabei den kürzeren zog. Aber wo sollte sie hinlaufen? Es hatte keinen Sinn. Sie mußte eine Entscheidung treffen. Also bewegte sie sich zuerst vorsichtig, dann kühner zur Tür und verließ das Badezimmer. Sie schaute nach rechts und links in den Gang, doch da war niemand zu sehen. Jetzt trieb sie die Angst an. Sie eilte zum Wohnzimmer und suchte den Raum ab. Dann rannte sie zur Eingangstür. Eine wunderschöne Frau ging gerade vorbei, blieb stehen und schaute zu ihr auf. Laura war wie benommen. Wovor hatte sie nur so Angst gehabt? Jetzt kehrte das Selbstbewußtsein zurück. „Waren Sie gerade hier?“ fragte Laura. Die Frau starrte sie nur an und hob die Lippen leicht zu einem belustigten Lächeln. Die dunklen Augen konnte man in den tiefen Höhlen kaum sehen. Die Nase war gerade, klassisch geschnitten. Die Haut war dunkel wie die einer Filippina. Das teure Seidenkleid schmiegte sich an den perfekten Körper. Die Frau wirkte in ihrer Erscheinung genauso unpassend wie Laura in ihrem Badetuch. Warum sagte die Frau nichts? Was wollte sie? Wer war sie? Die beiden Frauen starrten sich eine Zeitlang an. Laura fühlte, wie es auf ihrer Haut zu kribbeln begann. Ihre Nackenhärchen begannen sich aufzustellen. „Sie sind es nicht, die ich will“, sagte die Frau in perfektem
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Englisch und drehte sich um. Als sie davonschritt, starrte Laura ihr nach. Sie hatte den Mund vor Überraschung aufgerissen. „Warten Sie!“ rief sie. „Wen suchen Sie? Mister Bulatao?“ Die Frau ging weiter, drehte sich dann um. „Nein“, rief sie. „Ich habe jemand anderen gesucht.“ „Wen? Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Sie haben mich überrascht. Warum haben Sie keine Antwort gegeben, als Sie im Haus waren? Wen haben Sie denn gesucht?“ Laura wußte, daß sie sich am Rand einer Hysterie befand. Ihre Stimme schrillte in ihren Ohren. Sie wollte einfach nicht, daß die Frau wegging, ohne ihr Antworten auf ihre Fragen gegeben zu haben. „Ich habe einen Mann namens Chili gesucht“, sagte die Frau. Jetzt knickten Lauras Knie ein. Der Himmel drehte sich über ihr, die Veranda brach unter ihr ein. Alles um sie herum wurde undeutlich. Dafür blendeten die Farben um so stärker. Laura griff nach dem Geländer der Veranda und versuchte, ihre Sinne unter Kontrolle zu bekommen. Sie hob den Kopf, um die Frau zu suchen, die sich plötzlich in Luft aufgelöst hatte, als ihr Kopf heruntergesackt war. Es mußte nur Einbildung gewesen sein. Laura versuchte sich zu konzentrieren, doch die Frau war verschwunden. Hitzewellen tanzten über der schmutzigen Straße. Sie schillerten in allen Regenbogenfarben. Laura wurde von Entsetzen gepackt. Sie wehrte sich gegen die Wirklichkeit, gegen das reale Bild, das sich ihr bot. Ein Hund trottete gleichgültig die Straße entlang. Er blieb jetzt stehen und schaute sie an. Die Zunge hing aus seinem Maul. Dann hob er leicht die Lefzen, was an das Lächeln der Frau erinnerte. Das war das letzte, was Laura vor ihrem Sturz in die Ohnmacht sah. * Mit großen Tüten beladen stiegen Chili und Felix die Stufen zur Veranda hinauf. Erst jetzt sah Chili die ohnmächtige Laura. „Felix, das ist ja Laura!“ rief er, stellte die Tüten ab und kniete sich neben Laura. „Laura, was ist passiert? Laura!“ Er beugte sich
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über ihren Mund und lauschte auf ihren Atem. „Sie lebt!“ Schnell nahm er sie auf seine Arme und trug sie in ihr Zimmer, während Felix die Lebensmittel aus der Sonne ins Haus trug. Nachdem Chili Laura aufs Bett gelegt hatte, holte er ein Laken aus ihrem Schrank und bedeckte sie damit. Felix kam herein. „Ist sie in Ordnung?“ „Ich denke schon. Aber ich weiß nicht, was passiert ist. Warum ist sie, nur mit einem Badetuch bekleidet, hinausgegangen? Warum ist sie bewußtlos?“ „Sie hat ein Bad genommen“, sagte Felix. „Die Wanne ist immer noch mit Wasser gefüllt.“ Jetzt bewegte Laura sich. „Wach auf, Laura!“ rief Chili und schlug ihr leicht auf die Wangen. Da schlug sie die Augen auf. „Oh, Chili! Du bist es!“ Sie streckte die Arme nach ihm aus. „Ich habe noch nie in meinem Leben solche Angst gehabt.“ „Möchtest du darüber sprechen? Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Jetzt bemerkte sie auch Felix. Sie setzte sich im Bett auf, zog das Laken um sich und sagte: „Ich habe einen gesehen.“ „Einen - was?“ fragte Chili. „Einen Aswang.“ * „Ich weiß genau, daß es ein Aswang war“, bekräftigte Laura. Sie hatte die Geschichte bereits zweimal erzählt, hatte sich inzwischen angezogen und begleitete nun Chili und Felix ins Wohnzimmer. „Schon gut, schon gut, ich glaube dir“, versicherte Chili. „Ich wollte nur sicher sein. Wenn wir keine physische Erklärung haben, müssen wir oft mit einer optischen Täuschung rechnen.“ „Und was ist mit dem Radio, das plötzlich ausgeschaltet wurde?“ fragte Laura. „Mehr Sorgen mache ich mir eigentlich über deine Visionen, die du in der Wanne hattest“, sagte Chili. „Du hast diese Visionen als zukünftige Ereignisse gesehen. Vielleicht bedeuten sie noch mehr Morde. Wir müssen uns dem Übernatürlichen stellen und versuchen, es auszuschalten. Es ist zwar gefährlich, aber auf lange Sicht hat das Böse die Tendenz, stärker zu werden. Wenn
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es nicht von vornherein ausgelöscht wird, blüht es auf.“ „Als Pacos Verlobte getötet wurde, erzählte ich ihm von Ihnen. Ich sagte ihm, daß wir einen Aswang ohne Ihre Hilfe nicht bekämpfen könnten.“ „Und Sie sind überzeugt von der Existenz des Aswang?“ Felix nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Ja. Ich sah die Kreatur über Caridads verstümmeltem Körper. Sie war nicht menschlich. Ich sah, wie Sie auf den Hund geschossen und ihn getroffen haben. Da gab es keine Täuschung, außer von der Seite des Bösen. Ich fürchte, ich bin mehr ein traditioneller Filippino, als ich geglaubt hatte.“ Chilis Respekt für Felix Bulatao wuchs bei diesen Worten. Auch Laura war beeindruckt von Felix’ Ehrlichkeit. „Vielleicht schalten wir besser wieder das Radio ein“, meinte Chili. „Es ist die einzige Möglichkeit, Neuigkeiten zu erfahren.“ „Ich frage mich, wo Felicing steckt“, murmelte Felix. „Gewöhnlich bleibt sie nicht so lange außer Haus.“ „Das habe ich mich auch schon gefragt“, meinte Laura. „Ich werde jetzt das Abendessen herrichten“, erklärte Chili. „Das mache ich am besten allein.“ „Oh, laß dich nur nicht aufhalten, Chili“, rief Laura. „Ich unterhalte mich ohnehin lieber mit Felix.“ Während Laura und Felix sich im Wohnzimmer unterhielten, richtete Chili in der folgenden Stunde das Abendessen her. Danach badete und rasierte er sich und zog frische Wäsche an. * Als Felicing am späten Nachmittag noch nicht gekommen war, gab Felix eine Vermißtenanzeige bei der Polizei in Baguio auf. Während er das Mädchen am Telefon beschrieb, bemerkten Laura und Chili seine aufrichtige Sorge um das Mädchen. Danach lauschte Felix in den Hörer und wurde sichtlich blaß. Seine Hand zitterte, als er den Hörer auflegte. „Was ist los?“ fragte Laura. „Haben sie Felicing gefunden?“ Felix wankte zu einem Stuhl und setzte sich. Chili und Laura warteten, bis er sich wieder gefangen hatte. „Es ist passiert - wie Laura es gesehen hat. Ich habe gerade mit meinem Freund vom Revier gesprochen“, erzählte Felix. „Er hat mich oft als Berater hinzugezogen, und er wußte, daß ich auch zu
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dem Fall der ermordeten Wahrsagerin in Cavite befragt worden war. Jetzt gibt es noch mehrere. In vielen kleinen Dörfern. Alle tot.“ Felix schien unter Schock zu stehen. Seine Stimme versagte immer wieder, und er schien ins Leere zu blicken. Er reagierte wie ein Mann, dem man gesagt hat, daß seine ganze Familie bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. „Was ist passiert, Felix?“ fragte Chili vorsichtig. „Was hat Ihr Freund Ihnen gesagt?“ Chilis Stimme half Felix wieder in die Wirklichkeit zurück. „Es war wie bei der alten Frau. Sie waren alle Wahrsagerinnen. Dudong, mein Freund, hat sofort eine Verbindung gesehen. Die Leute haben Angst. In ein paar Minuten soll eine Erklärung über das Radio abgegeben werden. Man befürchtet eine Panik. Mein Gott, warum? Und wer? Alle Wahrsagerinnen getötet. Es ist wie ein Zeichen vom Himmel, das keiner versteht. Selbst Dudong klang besorgt. Besonders nachdem heute zehn Männer durch die NPA abgeschlachtet wurden. Nur - nur, er sagt, es sei nicht die NPA gewesen. Er ging nicht genauer darauf ein. Er sagte, wir sollten den Radiobericht anhören. Mein Gott, Chili, was geht nur auf meiner Insel vor?“ Felix’ Angst war echt. Laura kniete sich neben seinen Stuhl und drückte Felix die Hand. Durch ihre Geste wurde Felix zu Tränen gerührt. Chili wartete, bis der Mann sich wieder unter Kontrolle hatte. Er konnte Felix gut verstehen. Er war ein Mann, der seine Mitmenschen liebte. „Hören wir uns den Bericht an“, schlug Chili nach einer Weile ruhig vor. „Vielleicht erfahren wir dann genug, um das alles zu verstehen.“ Laura erhob sich und schaltete das Radio ein, das für das Telefongespräch ausgeschaltet worden war. Zuerst hörten sie zwei Männer auf Tagalog sprechen, dann erklärte der Sprecher auf Englisch: „Wir haben gerade den Bericht des Präsidenten gehört. Zuerst gingen aus mehreren Dörfern aus Luzon Meldungen ein, daß verschiedene Morde verübt worden seien. Die Opfer hatten alle mit Hexerei zu tun. Die Polizei wird diese Morde untersuchen. Bis dahin können keine Einzelheiten gegeben werden. Doch vor einer halben Stunde bekamen wir folgenden Bericht: ,Die Philippinischen Inseln stehen unter der Kontrolle eines Diktators, Ferdinand Marcos. Der NPA ist es nicht gelungen,
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seine Herrschaft niederzuschlagen. Die römisch-katholische Kirche, die evangelischen Kirchen und die Moslem-Minderheiten sind Teil seiner Diktatur. Die alten Hexen sind tot. Eine neue Armee ist da, um das philippinische Volk zu befreien. Wir glauben an die alten Religionen, die alten Götter. Wir glauben an das Gestern. Wir sind die Menschen des Gestern. Wir leben und kämpfen für den Filippino. Wir gebrauchen neue Waffen und alte Wahrheiten. Die Zahl unserer Anhänger wächst. Unsere Macht ist groß. Wir sind Leute des Dschungels. Wir werden die Dörfer einnehmen und bald den Regierungspalast übernehmen. Habt keine Angst vor uns. Wir werden guten Menschen kein Leid zufügen. Wir wollen nur unser Land zurück. Bald werden wir uns in der Nacht erheben und für die Freiheit kämpfen. Wir sind die Bambus-Menschen der alten Zeiten und sind gekommen, um unser Land zurückzuerobern’.“ Der Sprecher machte eine Pause nach diesem Text. „Das Dokument ist unterzeichnet mit Maning, Führer der Bambus-Menschen“, fuhr er dann fort. „Die Antwort von Präsident Ferdinand Marcos lautet wie folgt: ,Diese grausamen Akte von wahnsinnigen Anarchisten werden nicht unbestraft bleiben. Wir bitten Sie, Ruhe zu bewahren. Es besteht keine Gefahr für Sie, wenn Sie nicht in Panik ausbrechen. Einheiten der Polizei und Armee sind bereits im Einsatz. Die Gerechtigkeit wird diese Bambus-Dämonen ausschalten.’ Ende des Berichts. Wir bitten Sie, weiterhin Ihr Radio eingeschaltet zu lassen, damit wir Sie von neuen Entwicklungen unterrichten können. Und nun fahren wir mit unserem Programm fort.“ Felix erhob sich und schaltete das Radio aus. Nur mit Mühe konnte er seine Gefühle beherrschen. Sein Gesicht war rot vor Zorn. „Jetzt begreife ich“, knurrte er. „Sie spielen mit dem Aberglauben der Menschen“, stellte Chili ruhig fest. „Sie töten die Hexen und ersetzen sie mit ihren eigenen Leuten, nehme ich an. Die Stimmung steigert sich.“ „Die Leute werden Angst haben. Das sind keine Guerilleros, die das einfache Volk für sich gewinnen können, damit es sie ernährt und versteckt, während die Armee den Busch absucht. Das sind Dämonen, richtige Dämonen. Ich kenne meine Leute. Sie haben ihren alten Aberglauben nie ganz aufgegeben. Dieser Maning wird von ihren Ängsten leben. So kann er große Macht gewinnen. Er
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hat bereits bewiesen, daß er die PC mit Leichtigkeit schlagen, die alten Hexen töten und dann verschwinden kann. Weder die Armee noch die PC wird ihn finden.“ „Warum haben sie dann Caridad, ein harmloses Mädchen, und Pacos Vater umgebracht?“ fragte Laura. „Das ergibt doch keinen Sinn.“ „Vielleicht doch, Laura“, meinte Chili. „Vielleicht wußte Caridad zuviel. Vielleicht haben in ihrem versteckten Dorf die BambusMenschen trainiert. Die Frau in Cavite wurde ermordet, weil sie unser Kommen vorausgesehen hat. Es sollte eine Warnung für dich und mich sein.“ „Ich glaube, Sie haben recht“, entgegnete Felix. „Aber warum haben sie dann Sie nicht getötet? Warum nicht mich?“ „Ich glaube, sie haben Angst vor uns“, sagte Chili. „Aber sie werden trotzdem versuchen, uns zu töten. Uns drei, vielleicht auch Paco.“ „Wir müssen sie aufhalten. Wir müssen sie besiegen, bevor sie tun können, was sie versprochen haben“, brauste Felix auf. „Machen wir eine kleine Pause“, schlug Chili vor. „Kommen Sie, ich mache das Essen. Ich glaube, wir alle werden uns besser fühlen, wenn wir gegessen haben.“ Paco kam herein. „Die Leute reden nur noch von Aswang und Hexen. Alles hat Angst, besonders nachdem mein Vater getötet wurde.“ „Wir werden morgen gleich nach der Beerdigung Ihres Vaters diesen Maning suchen“, versprach Chili. Paco schaute traurig drein. „Es wird keine Beerdigung geben“, sagte er. „Man hat bereits den Sarg @abgehobelt, in dem mein Vater liegt. Damit will man verhindern, daß der Aswang zurückkommt und ihn auffrißt. Dann wurde der Sarg mit der Leiche darin schnell und heimlich vergraben.“ „Glaubt man das wirklich?“ fragte Chili, und Felix nickte. * Chili schaute auf die Landkarte, die Felix ihm gebracht hatte. Im Hintergrund spielte leise das Radio. „Es ist ganz klar zu sehen“, sagte er dann. „Manila ist jetzt eingekreist. Alle die kleinen Städte drumherum hatten eine
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Wahrsagerin, die ermordet wurde. Nur Manila noch nicht. Ich sehe nur zwei größere Namen auf dieser Karte, die noch nicht erwähnt wurden: Bataan und Corregidor.“ „Bataan ist ein Dschungel“, sagte Felix. „Corregidor ist eine kleine Insel voller Höhlen und Kriegsrückständen. Die Filippinos haben Angst, dorthin zu gehen. Nur die japanischen und amerikanischen Touristen besuchen sie.“ „Doch Bataan und Corregidor liegen in unmittelbarer Nähe von Manila. Sie liegen beide am Eingang der Manila-Bucht.“ „Stimmt. Woran denken Sie, Chili?“ „Ich glaube, daß Maning keine Rebellion von Baguio oder Cawayan oder von Lucena zum Süden führen kann. Er würde in den Städten, die Manila umgeben, gesehen und erkannt werden. Aber er braucht eine Befehlszentrale. Und die muß nahe genug bei Manila und den anderen Städten sein, damit er sie organisieren und terrorisieren kann. Und es muß ein Versteck sein. Würde Bataan sich dazu eignen?“ „Ja.“ „Und Corregidor?“ „Es ist sehr klein und liegt in der Mitte der Manila-Bucht. Man könnte sich dort bei Nacht verstecken, aber bei Tag würde man die Boote sehen.“ Chili dachte kurz nach. „Na schön, versuchen wir es bei beiden Orten. Aber zuerst gehen wir nach Cavite und lassen Laura das Haus sehen, in dem die Wahrsagerin getötet wurde. Vielleicht kann sie dort in Trance etwas sehen. Ich brauche ein paar kleine, aber harte Bambusstäbe. Ungefähr so stark wie ein Finger. Können Sie mir solche besorgen, Paco?“ Paco nickte, schaute Chili aber überrascht an. „Ich erkläre Ihnen später, wofür ich sie brauche. Felix, ich brauche auch noch Schwarzpulver und ein paar Vorderladerpistolen, können Sie mir das beschaffen?“ „Klar.“ „Laura, du kannst schon zu Bett gehen“, schlug Chili vor. „Wir haben morgen einen langen Tag vor uns.“ „So fürsorglich?“ „Ich bin eben wie ein Vater zu dir - oder wie eine Glucke.“ *
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Die drei Männer hatten bis tief in die Nacht hinein gearbeitet, denn Chili versprach sich von ihren Bemühungen eine wirkungsvolle Waffe gegen den Aswang. Er hatte die kleinen Bambusstäbe mit Schwarzpulver gefüllt, die Enden verschlossen und zugespitzt und in Vorderladergewehre eingelegt. Noch in der Nacht hatten sie die Waffe draußen im Garten an einem Baum ausprobiert und sich über ihren Erfolg gefreut. Dann waren sie todmüde ins Bett gefallen. * Die Nacht lag über Baguio, als Charing Felicing sanft wachrüttelte. „Wach auf, Felicing“, rief sie leise, „es ist Zeit.“ Das Mädchen öffnete die Augen, brauchte eine kleine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, und setzte sich dann auf. „Ich habe Hunger“, murmelte sie. „Ich weiß. Und es wird Zeit, daß du dich ernährst. Ich werde dich einreiben.“ Felicing zitterte vor Erwartung. Sie sehnte sich nicht nach Reis oder Schweinefleisch - nein, sie träumte davon, sich an Blut zu laben. Charing rieb die dicke stinkende Flüssigkeit über Felicings nackte Haut. „Bald wirst du bekommen, was du dir wünschst“, tröstete sie. „Sie ist da, die Indianerin. Sie wird schlafen.“ „Wirst du mit mir gehen?“ „Ich werde in der Nähe sein.“ Felicing, die zuerst vor Kälte gezittert hatte, fühlte jetzt, wie die Hitze durch ihren Körper strömte. „Fertig“, sagte Charing. „Du kannst tun, wonach du dich sehnst.“ Felicings Augen glitzerten in der Dunkelheit. In einem wölfischen Lächeln zog sie die Lippen von den Zähnen zurück. Charing war hocherfreut. * Laura erwachte. Die Luft war schneidend in dem Zimmer. Es war stockfinster, so daß Laura nichts sehen konnte.
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Doch sie fühlte etwas - und sie hörte etwas. Sie hörte in der Ferne das Schlagen von Flügeln und Atmen. Irgend etwas kreiste über der Hütte, schnüffelte. Laura lag unbeweglich da. Sie hielt den Atem an, um besser hören zu können. Doch was? Sie mußte sich doch nicht fürchten. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie feststellen, daß sich in ihrem Zimmer nichts verändert hatte. Alles war noch vorhanden und befand sich am selben Platz wie früher. Und die Schatten an der Wand bewegten sich nicht und wirkten nicht bedrückend. Aber was war es dann? Laura strengte alle ihre Sinne an, um zu erfühlen, welche Gefahr sie geweckt hatte. Sie hatte sich jetzt besser in der Gewalt und konnte die wachsende Angst zügeln. Die Geräusche waren jetzt direkt über ihr. Krallen kratzten über das Dach, Flügel flatterten, ein Gewicht ließ sich nieder. Wie würde die Kreatur dort oben angreifen? Würde sie das Dach aufreißen und sich auf Laura herabstürzen? Laura hatte das Bedürfnis, in Chilis Zimmer zu laufen, doch irgend etwas hielt sie gefangen. Unbewußt fuhr ihre Hand an den Hals. Ihr Thunderbird lag auf der Kommode. Warum hatte sie ihn abgestreift? Aus Angst? Warum konnte sie sich nicht bewegen? Wartete sie darauf, Zeugin ihrer eigenen Zerstörung zu werden? Sie mußte abwarten, was geschah. Sie hatte einmal gelesen, daß Tiere, die gejagt wurden, in einen Schockzustand versetzt und schmerzunempfindlich wurden. Das Kratzen verstummte. Plötzlich war es ganz still. Lauras Sinne arbeiteten jetzt verschärft. Sie hatte die Benommenheit abgeschüttelt. Sie wollte nicht mehr das hilflose Opfer sein. Irgend etwas stimmte nicht. Auch wenn die Kreatur nichts mehr von sich hören ließ, wußte Laura, daß sie noch da war. Sie konnte sich die gräßliche Gestalt mit den scharfen Zähnen, den krallenartigen Fingern und riesigen Flügeln vorstellen: eine Frau in ein Biest verwandelt. Und gerade als sie die Kreatur in ihrer Einbildung sah, sah sie noch etwas, das das Blut in ihren Adern zu Eis erstarren ließ. Ein langer, dünner, schlangenartiger Anhang ließ sich langsam
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von der Decke herab. Er zielte geradewegs auf ihren Unterleib. Laura schrie, denn sie wußte, was das war. Die Zunge eines Aswang. * Chili schoß im Bett hoch. Lauras durchdringender Schrei wirkte wie elektrischer Strom auf seine Sinne. Schnell schlüpfte er in seine Hose und rannte auf den Gang hinaus, wo er Paco und Felix auftauchen sah. „Was ist los?“ fragte Felix verschlafen. „Es ist Laura. Irgend etwas ist passiert“, rief Chili, der sich jetzt wünschte, er hätte sich Zeit genommen, eine Pistole mitzunehmen. Paco und Felix folgten ihm, als er in Lauras Zimmer stürzte. Er schaltete das Licht ein und blieb für den Bruchteil einer Sekunde wie angewurzelt stehen. Eine lange dünne Fleischnadel zielte genau auf Lauras Unterleib. Vor Angst wie erstarrt blickte Laura mit weitaufgerissenen Augen auf die Kreatur. Felix und Paco standen vor Entsetzen bewegungslos in der Tür, während Chili auf Lauras Bett zusprang. Er schlug die Kreatur zur Seite, packte Laura an den Armen und warf sie vom Bett. Als er sie zu Paco und Felix schleifte, wechselte ihr Schreien in haltloses Schluchzen. „Bringt sie hier raus!“ befahl Chili den beiden Männern, die sofort seine Aufforderung befolgten. Er selbst rannte an ihnen vorbei in sein Zimmer, fand seine geladene Schwarzpulver-Pistole nicht und nahm dafür seine Luger. Dann jagte er zur Eingangstür. Er sah gerade noch den Schatten auf dem Dach, als er um die Ecke des Hauses lief. Dann hörte er die schrecklichen Schreie der Wut. Chili brachte sich in Positur und hielt die Waffe mit ausgestrecktem Arm in Schulterhöhe. Er legte den Hammer zurück und zielte sorgfältig auf den Schatten. Dann drückte er ab. Eine orangefarbene Flamme schoß aus der Laufmündung. Er hörte, wie die Kugel traf. Dann stöhnte die Kreatur auf. Die Flügel flatterten wild, und das Unwesen stieß einen markerschütternden Schrei aus. Chili hatte keine Zeit, noch einmal auf die Kreatur zu schießen,
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die sich mit mächtigen Schwingen vom Dach abhob und davonflog. Denn hinter sich hörte Chili ein tiefes Knurren. Er fuhr herum, die Waffe noch immer schußbereit. Etwas bewegte sich im Gebüsch. Wieder legte Chili den Hammer zurück. Das Knurren verstummte, dann entfernte sich das Rascheln. Chili atmete tief durch, doch er wartete noch. Er duckte sich und horchte, ob sich noch etwas im Gebüsch tat. Doch es blieb still. „Chili!“ Paco rief vom Hintereingang. „Was ist da draußen?“ „Nichts. Was immer es war, es ist weg“, antwortete Chili, sicherte die Waffe und ging zum Haus zurück. „Ich komme gleich rein.“ Chili ging noch einmal ums Haus herum, dann eilte er in Lauras Zimmer, wo er zusammen mit Felix die Decke absuchte, aber nichts finden konnte. Nicht das kleinste Loch gab es hier, durch das sich die Kreatur hätte durchlassen können. Es war gespenstisch. Laura hatte sich wieder gefangen. Sie saß im Wohnzimmer und nippte an ihrem Tee. Chili setzte sich mit Felix zu ihr und Paco und erzählte, was er gesehen und gehört hatte. „Ich glaube, daß heute nacht zwei Aswangs hier waren“, mutmaßte Felix. „Das ist seltsam. Einer war auf dem Dach, und dann hörten Sie noch einen im Gebüsch. Beide erschienen in verschiedenen Gestalten.“ „Ich werde nie seine Zunge vergessen“, stöhnte Laura noch angewidert. „Sie war wie ein langer Wurm, aber ich wußte, daß ihre Spitze messerscharf war.“ „Es paßt zu dem, was wir über die Eigenschaften des Aswang wissen“, sagte Felix. „Glaubst du, daß der Aswang heute nacht zurückkommt?“ fragte Laura Chili. „Ich weiß es nicht. Was meinen Sie, Felix?“ fragte Chili. Felix lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ich glaube, er wird heute nacht nicht wiederkommen. Der Aswang fürchtet - wie die anderen Dämonen, Geister und Hexen auch Menschenmengen, Lärm und Gewehrfeuer. Ich denke, Sie haben ihn verjagt, Chili. Vielleicht haben Sie ihn sogar verletzt. Wir werden morgen früh auf dem Dach nachsehen, ob Blutspuren vorhanden sind. Ich vermute aber auch, daß dieser Aswang etwas Besonderes war.
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Denn zwei auf einmal ist sehr ungewöhnlich. Sie fühlen sich selbst untereinander als Ausgestoßene. Außer…“ „Außer?“ fragte Laura. „Außer der Aswang hat seine Gewohnheiten geändert.“ Chili atmete tief durch. „Beunruhigt Sie die Tatsache, daß die Morde organisiert, vorausgeplant wirken?“ Felix’ Gesicht erhellte sich. „Ja, genau das ist es. Der Aswang pflegt für gewöhnlich kein Familienleben, und er meidet sie bei seinen Angriffen. Er zieht junge Menschen vor. Ich habe das Gefühl, daß dieser Aswang hinter uns allen her ist.“ * In Cavite wimmelte es von Hunden, Seeleuten und deren Angehörigen. Es war später Nachmittag, als sie verschwitzt und erschöpft im offenen Jeep dort ankamen. Paco parkte den Wagen neben dem Gebäude, das zur Zeit die Polizei beherbergte. Dann betraten die vier das Büro. Major Hector Saavedra begrüßte sie in einem Raum, in dem das Chaos herrschte. Leere Cola-Dosen, zerknülltes Papier, Pappbecher und Pappteller, alles lag hier durcheinander. Im Hintergrund krächzten Stimmen aus einem Radio. Major Saavedra winkte die vier zu den Stühlen vor seinem Schreibtisch und ließ sich selbst auf einem Stuhl dahinter nieder. Er wirkte mitgenommen, und das war er auch, denn ständig kamen Männer mit neuen Nachrichten herein, bis er ihnen befahl, draußen zu bleiben. Aus großen Augen blickte der Major seine Besucher an. Der dunkle Schnurrbart schien das einzig Gepflegte an ihm zu sein. „Sie möchten das Haus besichtigen, in dem die alte Wahrsagerin getötet wurde?“ begann er endlich. „Kein Problem. Das Haus ist noch immer unbewohnt. Wer will auch schon dort leben? Felix, wußten Sie schon, daß hier letzte Nacht zwei Hexen getötet wurden? Die Leute drehen langsam durch. Jeder hat Angst vor jedem. Die Bambus-Dämonen haben Luzon erobert, ohne einen Schuß abzugeben. Es herrscht das totale Chaos. Ich muß Präsident Marcos anrufen, wenn ich nicht möchte, daß auch mir die Kehle durchgeschnitten wird. Das wird nämlich passieren, wenn ich heute nacht in Cavite die Benny-Boy-Parade verbiete. Das hat mir gerade noch gefehlt: Eine Horde Verrückter, die in
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Frauenkleidern die Straße bevölkern. Ständig gibt es Demonstrationen. Doch bei Nacht ist Cavite wie ausgestorben, wie ein Friedhof. Sie alle wollen also zu dem bewußten Haus. Fein. Aber demonstrieren Sie nicht, bleiben Sie nicht zu lange und lassen Sie sich nicht töten. Ich habe mittlerweile so viele durchgeschnittene Kehlen gesehen, daß mir meine eigene schon weh tut.“ Saavedra legte den Kopf in den fetten Nacken zurück und rollte die Augen. Laura mußte lachen. „Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Felix. Sie sind der einzige normale Mensch, den ich seit zwei Tagen gesehen habe. Und das Lachen der jungen Dame ist das einzige, was ich seit Wochen gehört habe. Und Sie sind Doktor Chillders. Sehr berühmt. Geisterjäger. Und wer ist das? Ein Student? Er ist zu jung für einen Kriminellen. Ist er Ihr Fahrer?“ „Er ist mein Freund und heißt Paco“, erklärte Felix. „Seine Verlobte wurde auch ermordet.“ Hectors Gesichtsausdruck schmolz dahin. „Okay, Paco. Gehen Sie nicht zur Armee. Gehen Sie nicht zur Polizei. Gehen Sie nicht zu den Rebellen. Bleiben Sie bei Felix.“ Paco grinste. Auch er war von Saavedras Redefluß beeindruckt. „Danke, Hector“, sagte Felix. „Es war schön, Sie wiederzusehen.“ „Möchten Sie eine kalte Orange? Ich wünschte, ich könnte nach Hause gehen. Seit über vierundzwanzig Stunden habe ich nun ununterbrochen Dienst. Wollen Sie nichts essen?“ „Nein, danke“, sagte Felix und erhob sich. Die anderen folgten seinem Beispiel. Auch Saavedra erhob sich. Er reichte Felix die Hand. „Dieser Maning Kahapon ist schon überall gesehen worden. Der scheint Flügel zu haben. Aber er hat auch ein Gesicht, von dem wir eine Fotografie besitzen, die morgen in den Zeitungen erscheinen wird.“ Die vier verabschiedeten sich und eilten hinaus. „Ich bin ganz erledigt vom Zuhören“, sagte Laura. „Aber er scheint intelligent zu sein.“ „Das ist er auch - und einsam“, sagte Felix. „Ich glaube, er redet noch immer da drinnen“, sagte Chili, als sie das Haus verließen. Auf der Straße patrouillierten bewaffnete Polizisten.
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Die vier stiegen in den Jeep und fuhren los. Chili hatte das Gefühl, als würden sie verfolgt, und auch Laura drehte sich immer wieder um. Düster und dunkel stand das Haus neben den anderen. Auf Felix’ Geheiß parkte Paco den Wagen zwei Häuser weiter. Dann stiegen sie aus. Felix betrat als erster das Haus und ließ die nackte Glühbirne aufleuchten. „Deprimierend“, bemerkte Laura. Sie alle starrten auf den Tisch, von dem man das Blut abzuschrubben versucht hatte, doch die dunklen Flecken waren geblieben. Chili schob einen Stuhl an den Tisch und drückte Laura sanft darauf. Er hatte das Glitzern in ihren Augen bemerkt und wußte, daß Laura bereit war, in Trance zu fallen. Laura schloß die Augen, während die Männer sie beobachteten. „Chili, es ist so stark“, murmelte Laura. „Sie - sie ist hier. Sie hält mich fest. Gen? Bist du da?“ Chili nahm ihre Hand und drückte sie, um Laura zu zeigen, daß er auf sie aufpaßte. Gen war Lauras Mutter, die bei Lauras Geburt gestorben war. Gen war Lauras Kontaktperson auf der anderen Seite. Laura vertraute Gen, und Gen paßte auf, daß Laura nichts geschah. Denn es war immer gefährlich, wenn Laura sich in anderen Dimensionen verlor. Lauras Geist tauchte immer tiefer in jene andere Welt ein und ließ nur noch die sterbliche Hülle zurück. „Doktor Chillders, wie geht es Ihnen?“ „Es geht mir gut, Gen. Ich mache mir nur Sorgen um Laura. Ist sie in Ordnung?“ „Ja. Hier ist jemand, der Sie sprechen möchte. Sie ist sehr wütend. Sie wurde so plötzlich von drüben weggerissen, daß sie es noch nicht verarbeiten konnte. Vielleicht können Sie ihr helfen. Warten Sie einen Augenblick.“ Die Stimme aus Lauras Mund war nicht ihre eigene. Es war die ihrer toten Mutter. Paco beobachtete wie ein Kind den unheimlichen Vorgang. Felix studierte Laura voller Skepsis. „Laura schläft“, erklärte Chili. „Das eben war die Stimme ihrer Mutter, die Lauras Kehle benutzte. Gen starb vor ungefähr dreißig Jahren. Haben Sie keine Angst. Wenn Lauras Gesicht oder ihre
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Stimme sich verändert, denken Sie daran, daß sie ein Medium ist. Ihr Körper wird also nur von jemandem benutzt, der keinen irdischen Körper mehr hat.“ „Ja“, sagte Gen wieder. „Die Wesenheit ist nun hier. Sie will sprechen. Der Mann dort drüben, der Professor, wird Ihnen die Worte übersetzen.“ Vor ihren Augen begann Laura zu altern. Das Gesicht verzerrte sich, die Haut erschlaffte, die Lippen fielen ein. An den äußeren Augenwinkeln zeichneten sich Krähenfüße ab. Laura begann zu sprechen, und Felix übersetzte die TagalogWorte: „Es ist lange her, als ich Maning Kahapon zum letztenmal sah. Er kam aus den Bergen hierher. Er wollte, daß ich für ihn in seine Zukunft sah. Ich habe ihn gewarnt. Ich habe Sie in den Karten und in dem Rauch meiner Zigarette gesehen. Ich sah Sie beide kommen, den amerikanischen Mann und die indianische Frau. Ich sah Gefahr für Maning, seinen Untergang. Die Karten fielen so auf den Tisch. Sie zeigten mir die Gesichter und warnten. Maning ist ein Hexer. Er ist Aswang.“ Laura zog die Lippen in den Mund, als ob sie eine Zigarette rauchen würde. „Er zog sein Messer. Verdammt er und seine Mutter. Er ist ein stinkendes Biest. Er schlitzte meine Kehle auf. Ich konnte nicht mehr atmen. Ich hustete. Ich fühlte mein Blut. Ich konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr schreien. Dann fiel ich in mein eigenes Blut. Maning hat mich getötet. Mein Name ist Alicing. Ich habe nie jemandem etwas getan. Warum hat er mich getötet?“ Felix war beim Namen der Frau leicht zusammengezuckt, denn er hatte niemandem den Namen der Frau verraten. Paco zitterte, holte sich aber die Kraft aus Chilis ruhigen Gesichtszügen. „Sie müssen hingehen. Heute nacht. Dann werden die Karten recht haben. Sie hatten recht, und mein Blut klebt an ihnen. Ich verstehe das nicht. Gehen Sie hin, Amerikaner. Töten Sie Maning Kahapon. Töten Sie den Aswang - viele Aswangs.“ Chili beugte sich vor. „Wohin gehen?“ Laura begann auf ihrem Stuhl zu zittern. „Ich bin Alicing. Maning ermordete mich mit seinem Messer. Sagen Sie es ihm, Professor. Alicing Porragas.“ „War das der Name der Frau, die hier getötet wurde?“ fragte Chili den Professor. Felix nickte.
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„Laura und ich kannten ihren Namen nicht. Ich vermute, auch Paco hört ihn heute zum erstenmal.“ „Ich weiß“, erwiderte Felix. „Paco wußte ihn nicht. Ich habe ihn niemandem verraten. Jetzt bin ich überzeugt. Und Sie?“ Paco nickte. Laura sprach weiter: „Sie wissen jetzt Bescheid. Ich versuche, mich selbst zu finden. Sie müssen den Aswang töten, dann kann ich überall hingehen. Ihr Name ist Chili. Gehen Sie morgen nacht dorthin. Passen Sie auf. Zehn cuidado. Felix spricht Spanisch.“ „Wohin sollen wir gehen?“ drängte Chili. Die Stimme, die aus Laura sprach, wurde so leise, daß Chili kaum etwas verstand. Aber er hatte es gehört, und Felix mußte nicht übersetzen. „Corregidor.“ * Die Parade zwängte sich durch die Straßen von Cavite. Eine Unzahl von Jungens hielt brennende Kerzen in der Hand. Junge Männer hatten sich geschminkt und mit teuren Abendkleidern geschmückt. Sie flirteten mit den Zuschauern, die fasziniert vom Straßenrand aus dem Geschehen folgten. Da in diesem Trubel ein Fortkommen unmöglich war, hatte Paco den Jeep in einer Seitenstraße geparkt. Laura und Chili sahen zum erstenmal so eine Parade, entsprechend groß war ihr Interesse an diesem Spektakel. „Sie sehen wie Frauen aus“, sagte Laura. „Das ist der Sinn der Sache“, meinte Felix. Immer wieder brandete Applaus auf, doch plötzlich vermischte er sich mit Schüssen. Der Applaus erstarb, als das Gewehrfeuer sich verstärkte. Polizisten und Armeeangehörige drängten sich geduckt durch die Menge, die schreiend in alle Richtungen zu laufen begann. „Wir müssen zum Jeep zurück und feststellen, was passiert ist“, rief Chili. Der Jeep war im Augenblick der sicherste Ort für sie. Außerdem lagen dort ihre Waffen. Als sie den Jeep erreicht hatten, fragte Felix: „Wo möchten Sie hin?“ „Zum Polizeigebäude. Vielleicht können wir dort etwas
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feststellen.“ Paco fuhr los, ohne die Beleuchtung des Jeeps eingeschaltet zu haben. Sie bewegten sich zwar von der Schießerei weg, doch Sicherheit schadete jetzt nicht. Nur hin und wieder fanden sich kleine Gruppen auf den Straßen, die über das Geschehen diskutierten. Als sie das Gebäude erreicht hatten, von dem aus Major Saavedra seine Befehle erteilte, sprach Felix zu einem Polizisten, der mit seinen Kollegen Stellung um das Gebäude bezogen hatte. Felix wurde mit seinen Freunden sofort eingelassen. Major Saavedra hielt eine Fotografie in den Händen und rief seinen Männern Befehle zu. Er erblickte seine Besucher und reichte Felix das Foto. „Hier, schauen Sie sich das an“, sagte er. „Das ist Maning. Die Schweine schießen auf die Bevölkerung, jagen Häuser in die Luft und schlachten meine Männer ab. Sie haben uns völlig überrascht. Haben Sie ihn schon einmal gesehen? Er ist der Führer der Bambus-Dämonen. Die sind alle verrückt. Wir haben sie doch eingekreist. Uns kommt es so vor, als würden wir auf Ratten schießen. Doch sie sind nicht leicht zu fangen.“ Chili warf ebenfalls einen Blick auf das Foto und erkannte sofort den Mann, den er im Dschungel in der Nähe von Cawayan gesehen hatte. Laura erblaßte, als sie das Foto betrachtete. Chili legte seinen Arm um ihre Schultern, um sie zu stützen. Saavedra kritzelte etwas auf ein Blatt Papier, reichte es Felix und nahm ihm die Fotografie ab. „Hier, damit können Sie aus Cavite herauskommen“, sagte er. „Gehen Sie jetzt. Es wird ziemlich heiß hier. Sie und Ihre Freunde sind hier nicht sicher. Wir werden schon auf diese BambusBastarde aufpassen. Rufen Sie mich morgen an.“ Felix nahm das Schreiben und verließ mit den anderen das Büro. Unterwegs wurden sie ein paarmal von Männern in Uniform angehalten, durften aber passieren, sobald sie das Blatt vorzeigten. Als sie die Straße nach Manila erreicht hatten, sagte Felix: „Wir fahren zu meinem Haus, falls wir durch diesen Verkehr durchkommen.“ In der Tat kamen sie nur langsam voran, denn die Straßen waren bevölkert mit Flüchtlingen aus Cavite. Kurz vor Manila lichtete sich dann der Flüchtlingsstrom, so daß sie nicht mehr
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lange brauchten, bis sie Felix’ Haus erreichten. Hier schalteten sie sofort das Radio an, um eventuelle neue Informationen zu erfahren, doch die Informationen waren so undeutlich, daß sie bald vermuteten, daß sie nur zensiert über den Sender gingen. Felix war über den moralischen Verfall seines Landes äußerst betrübt, so daß Chili versuchte, ihn von seinen Gedanken über den politischen Aspekt abzulenken. „Das sind die Dinge, die ich bei meinem heimlichen Besuch in der Hütte gefunden habe“, sagte er und legte die Kleinigkeiten auf den Tisch. „Vielleicht schauen Sie sich die einmal an.“ Als Paco den Anhänger sah, schrie er wütend auf. „Das ist der Anhänger, den ich Caridad schenkte“, rief er. „Den hatte ich ganz vergessen.“ Chili und Laura wechselten traurige Blicke, als Paco den Anhänger öffnete und das winzige Foto betrachtete, das Caridads und Pacos Kopf zeigte. Er schloß den Deckel schnell wieder und umklammerte den Anhänger. Laura legte ihm tröstend die Arme um den Hals. „Warum mußte das passieren“, schluchzte Paco. „Sie war so gut, so schön. Sie hat nie jemandem etwas getan.“ „Beruhigen Sie sich“, sagte Felix sanft. „Es gibt keinen Grund für all das. Es ist einfach eine Tragödie.“ Laura führte Paco aus dem Zimmer. „Sie wird auf ihn aufpassen“, sagte Chili. „Wir haben also den Beweis, daß der Aswang in jenem Dorf lebte. Wir müssen unbedingt die Aufforderung der toten Frau befolgen und morgen abend nach Corregidor fahren. Kann uns jemand dorthin fahren?“ „Ich kann das arrangieren. Ich muß heute nacht sowieso noch nach Manila. Wollen Sie mitkommen?“ „Nein, ich bleibe lieber hier und schaue mir ein paar von Ihren Büchern über die Mythologie auf den philippinischen Inseln an. Außerdem muß ich nachdenken.“ „Dann werde ich die anderen fragen, ob sie mitkommen wollen. Es wäre immerhin eine interessante Abwechslung für sie.“ Felix verließ den Raum. In diesem Augenblick gab der Sprecher im Radio die Nachricht vom Tod des Rebellenführers bekannt. „Felix! Laura! Kommt schnell herein!“ rief Chili. Zu dritt hörten sie sich den Bericht an, demzufolge Einheiten der philippinischen Polizei unter Führung von Major Hector
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Saavedra den Rebellenführer Maning Kahapon in dem Haus der von ihm ermordeten Wahrsagerin in Cavite gestellt und bei seinem Fluchtversuch getötet hatten. Man forderte auch die Bewohner von Cavite auf, in ihre Häuser zurückzukehren. Felix schaltete das Radio aus und meinte: „Kahapon ist also tot. Vielleicht bedeutet das das Ende der Bambus-Dämonen.“ „Ich bezweifle das. Das klingt mir zu einfach. Felix, erinnern Sie sich, als wir das Dach Ihres Hauses in Baguio heute morgen untersuchten, fanden wir keinen Tropfen Blut. Wir haben verschiedentlich versucht, einen Mann, der ein Aswang ist, zu töten. Aber es gelang uns nie. Und nun hören wir im Radio, daß ein paar Soldaten ihn von hinten erschossen haben und er tot sei. Irgendwie paßt das nicht zusammen. Es würde mich wirklich interessieren, was wir morgen abend in Corregidor finden.“ „Gut. Wir könnten alle heute abend in Manila essen gehen und uns anschließend um ein Boot kümmern. Wollen Sie nicht doch mitkommen, Chili?“ „Nein, nein. Gehen Sie nur ruhig. Ich kann hier eine Kleinigkeit essen.“ Kurz darauf fuhren die drei davon und ließen Chili allein im Haus. Da er nicht hungrig war, ging er sofort zu Felix’ Bücherschrank und wählte ein paar Bände aus, die ihm bei diesem Fall helfen könnten. Nach einer Weile stand er auf, überbrühte sich eine Tasse Tee und widmete sich wieder seiner Lektüre. Plötzlich klopfte es an der Haustür. Verwirrt legte Chili das Buch weg und ging zur Tür. „Wer ist da?“ fragte er und erinnerte sich daran, daß er die Vorderladerpistole mit der Bambusladung in seinem Zimmer vergessen hatte. „Felix, ich bin’s, Charing. Sind Sie da?“ Erleichtert öffnete Chili die Haustür. Die Stimme gehörte offenbar einem Freund des Professors. „Doktor Bulatao ist nicht hier“, sagte er, während er die Tür öffnete. Dann riß er den Mund auf. Vor ihm stand die schönste Frau, die er je in seinem Leben gesehen hatte. *
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Die wunderschöne Eurasierin betrat das Zimmer, und Chili schloß die Tür hinter ihr. Heimlich betrachtete er die Frau. Schmeichelnd legte sich die Seide ihres Kleides um ihre perfekte Figur. Die zarten Füße steckten in hochhackigen Schuhen. Das schwarze Haar glänzte seidig. „Ich habe Felix in Manila getroffen. Er bat mich, ihn hier zu besuchen. Sie sind sein Freund, Chili. Ich bin Charing.“ „Es - es freut mich, Sie kennenzulernen. Wo war Felix?“ „Oh, Sie trinken gerade Tee? Hätten Sie eine Tasse für mich übrig? Felix und seine Freunde waren im Manila-Hotel beim Luneta-Park. Sie hatten es eilig. Felix und ich sind alte Freunde. Er erzählte mir von Ihnen. Ihre Freundin Laura ist wunderschön. Ich soll Ihnen sagen, daß Sie sich keine Sorgen machen sollen.“ „Sehr schön. Sie möchten also Tee? Ich bringe Ihnen sofort eine Tasse.“ Damit verschwand Chili in der Küche. Als er zurückkam, hatte Charing alle Lichter bis auf eine Lampe gelöscht. In dem Halbdunkel sah sie noch hübscher aus. Chili beobachtete sie, wie sie von dem Tee nippte. Ihr weinrotes Seidenkleid schimmerte in dem spärlichen Licht. Bei dem Anblick dieser Schönheit wurde es Chili abwechselnd heiß und kalt. Er zwang sich, die Frau nicht so auffällig anzustarren. „Tut mir leid, aber Professor Bulatao hat nie von Ihnen gesprochen“, bemerkte Chili. „Wir kennen uns trotzdem schon seit langem.“ „Arbeiten Sie mit ihm zusammen?“ „So kann man es auch sagen. Ich interessiere mich sehr für seine Arbeiten.“ In Chili schrillte plötzlich ein Alarmsignal. „Sie kennen Laura Littlefawn, meine Assistentin?“ fragte er. „Ja. Wir haben uns kennengelernt. Ich freue mich schon, sie wiederzusehen. Ich glaube, sie ist ein Medium.“ „Ja.“ Woher wußte diese Frau das? Hatte Laura ihr das erzählt? Oder Felix? „Wie schmeckt Ihnen der Tee?“ „Sehr gut. Mir gefällt die rote Farbe.“ „Rot muß Ihre Lieblingsfarbe sein.“ „Hm. Rot ist die Farbe des Lebens - und des Todes.“ Die Art, mit der sie das sagte, ließ Chili frösteln.
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„Sie sitzen so weit weg von mir“, beschwerte sich die Frau, stellte ihre Tasse ab und streckte die Arme nach Chili aus. „Ich glaube, ich bleibe lieber hier, von wo aus ich Sie bewundern kann“, meinte Chili ausweichend. „Ich habe noch nie eine so schöne Frau gesehen.“ „Danke, aber ich hoffte, unsere Bekanntschaft könnte intensiver werden. Sie sind auch ein schöner Mann, und ich mag Amerikaner. Sie mag ich besonders.“ Chili bemerkte die plötzliche Hitze im Raum. Und als die Frau ihn aus geradezu hypnotischen Augen anschaute, fühlte er sich immer stärker zu ihr hingezogen. Er fühlte sich wie in einem Wasserstrudel, der ihn immer tiefer ziehen wollte. Jetzt hörte er, wie die Frau mit ihm leise sprach. Doch sie bewegte dabei die Lippen nicht. Träumte er, oder war es der Nebel, der plötzlich vor seinen Augen tanzte? Chili schloß die Augen, öffnete sie wieder und sah die lächelnde Frau vor sich. „Nicht“, flüsterte er. Doch Charing lächelte ihn an. * Laura verharrte mit ihrer Gabel plötzlich über dem Teller. Sie legte die Stirn in sanfte Falten. Ihre Augen verengten sich. „Was ist los?“ fragte Paco, der Lauras veränderten Gesichtsausdruck als erster bemerkte. Felix folgte seinem Blick und schaute Laura besorgt an. „Geht es Ihnen nicht gut? Oder sehen Sie irgend etwas?“ fragte er. Laura schüttelte den Kopf und gelangte wieder in die Wirklichkeit zurück. „Wo war ich?“ „Es war, als ob Sie einen Geist gesehen hätten“, sagte Felix. „Vielleicht - sah oder fühlte ich etwas. Ich weiß nicht mehr, was es war… Doch, es war Chili.“ „Was genau?“ fragte Felix. „Es hatte etwas mit Chili zu tun. Es war wie ein Blitz.“ „War es etwas Schlimmes?“ „Ja“, sagte sie laut. „Es war etwas Schlimmes. Chili ist in Gefahr. Wir müssen sofort zu Ihrem Haus zurück. Sofort!“ Felix warf einen Geldschein auf den Tisch, während die beiden
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anderen aufsprangen. Dann folgte er ihnen zum Wagen. Während sie die Straße entlangrasten, fragte Felix: „Was ist mit Chili?“ „Ich weiß nicht genau. Ich weiß nur, daß mir schlecht ist vor Angst. Er ist in schrecklicher Gefahr. Das ist sicher.“ * Chili kämpfte um sein Gleichgewicht. Schwindelgefühl wollte ihn lähmen. Er sah den Hals der Frau, der zart und zerbrechlich wie Glas war. „Wer - wer sind Sie?“ fragte Chili und versuchte, sich zu erheben. „Charing, deine Geliebte“, hauchte sie. „Küß mich, Chili.“ „Ich - ich fühle mich krank. Vielleicht war der Tee nicht in Ordnung. Oder die Hitze bekommt mir nicht.“ Charings Augen wurden kalt. Sie ließ die Hände in den Schoß fallen, während ihr Gesicht zu einer Maske des Ärgers erstarrte. „Wer, zum Teufel, sind Sie?“ fragte Chili, während er einen großen Bogen um Charing machte. „Nein, was, zum Teufel, sind Sie?“ Die gefährliche Grazie, mit der sie sich um den Tisch bewegte, alarmierte ihn. Und während sie sich ihm näherte, veränderte sie sich. Das Zimmer glänzte wie poliertes Mahagoni. Stimmen wisperten an Chilis Ohren. Die Möbel schienen sich zurückzuziehen. Als die Frau dann nur noch einen Meter von ihm entfernt stand, schmolz ihre Schönheit wie Wachs. Die Luft wurde immer dicker. Die Pistole! Chili rannte los, doch Charing blockierte seinen Weg. Nur - es war nicht mehr Charing. Ihr Gesicht war animalisch geworden. Ihre Fingernägel wuchsen zu knochenweißen scharfen Krallen. Ihr Haar wirbelte um ihr zerfallendes Gesicht. Auf ihren Armen begann der Wolfspelz zu wachsen. „Küß mich“, forderte das Wesen mit krächzender Stimme. „Du sollst mein sein. Ich will dich zu einem von uns machen. Aswang!“ Charing duckte sich wie zum Sprung. Dabei wurden ihre Augen rotglühend. Sie konzentrierte sich auf den tödlichen Angriff.
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Chili rannte von der einen Richtung in die andere, jedesmal gefolgt von der Kreatur. Er riß Rattanstühle hoch und schmetterte sie zu Boden. Doch das kräftige Bambus widerstand den Angriffen. Immer wieder knallte er die Stühle zu Boden - ohne Ergebnis. Dann war Charing auf ihm. Sie nahm seinen Körper wie eine Liebende und suchte seinen Mund. Chili warf den Kopf hin und her, um ihr zu entgehen. Er rammte seine Arme in ihren Rücken, doch der war seltsam glatt. Immer wieder rutschte Chilis Schlag ab und wurde wirkungslos. Jetzt hatte sie seine Lippen gefunden und preßte ihren Mund darauf. Ihr Haar wickelte sich um seinen Kopf, wuchs in seine Ohren, in seine Nase. Chili öffnete den Mund, um Luft zu holen, und erkannte sofort seinen Fehler. Jetzt wuchsen die Haare auch in seinen Mund. Chili begann zu würgen, seine Knie wurden weich. Er kämpfte mit letzter Macht und drehte seinen Körper unter dem Aswang weg. Ihr Haar glitt von seinem Gesicht, und Chili konnte wieder nach Luft ringen. Er sprang auf, doch Charing warf sich erneut über ihn, und beide stürzten über einen Rattanstuhl zu Boden. Endlich brach das Bambusholz. Chili hielt ein spitzes, zackiges Bambusende in der Hand und stach zu. „Küß“, hauchte der Dämon, dann legte sich der Frost des Todes über seine Augen. In diesem Augenblick flog die Tür auf, und Laura stürzte mit den beiden Männern herein. Der entsetzliche Anblick machte sie für einen Augenblick handlungsunfähig, doch dann rannte sie zu Chili hinüber und schüttelte ihn. Chili brauchte eine Weile, bis er in die Wirklichkeit zurückkam und den Stuhl losließ. „O Chili, ich bin so froh, daß du noch lebst“, hauchte Laura. Aber sie alle wußten, daß der Alptraum noch nicht vorüber war. Etwas Schreckliches erwartete sie auf Corregidor. * Sie warteten südlich von Sangley Point am Eingang der ManilaBucht. Das Leben des Dschungels pulsierte um sie herum. Lauras Hand lag auf dem Griff ihrer Pistole, was ihr ein
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beruhigendes Gefühl gab. Sie blickte zu Chili hinüber und bewunderte ihn wegen seiner Ruhe nach dem schrecklichen Erlebnis von letzter Nacht. Er war dem Tod so nahe gewesen, und doch hatte diese Erfahrung sein Gleichgewicht nicht stören können. Paco schien sich hier an der Küste mit dem Dschungel im Rücken zu Hause zu fühlen. Felix schaute auf die Lichter von Manila und wartete auf das Boot, das sie nach Corregidor bringen sollte. Paco wollte nicht, daß die anderen merkten, wieviel Angst er hatte. Aber er konnte den Anblick des sterbenden Aswang gestern abend nicht aus seiner Erinnerung verbannen. Noch immer verehrte er Chili wegen seiner Gelassenheit und wegen seines Mutes. In Pacos Augen war er jetzt ein Held. Der Yankee hatte praktisch mit nackten Händen einen Aswang getötet. Paco konnte es kaum erwarten, das seinen Freunden und Verwandten zu erzählen. Dann würde auch er ein Held sein, weil er einen Mann wie Chili kannte. Er hatte ihn schließlich beobachtet, wie er den Dämon bekämpft und bezwungen hatte. Doch was erwartete sie nun auf jener Insel? Wie viele Aswangs würde es dort geben? Chili war der erste, der das Boot sah. Es war ein großes Fischerboot, mit einem Außenbordmotor angetrieben. Das Boot glitt näher, dann wurde die Leine ausgeworfen, die Chili auffing und um den Anlegepfosten wickelte. Zuerst sprang Laura ins Boot, nach ihr Felix und Paco, am Schluß wickelte Chili die Leine wieder los, warf sie ins Boot und sprang hinterher. Der Motor wurde eingeschaltet und das Steuer auf Corregidor gerichtet. Felix stellte seine Freunde Dudong Caluya vor, dem Bootsbesitzer. „Man spricht in Manila wieder über diesen Maning“, erzählte Dudong. „Es soll Schießereien und Angriffe gegeben haben. Ich habe sogar mit einem gesprochen, der Maning heute gesehen hat. Er war ganz sicher, daß es der Mann war, der heute in den Zeitungen abgebildet war.“ „Wo ist dieser Mann gesehen worden?“ fragte Felix. „In Lico. Heute morgen. Der Mann wollte mir nicht genau sagen, wo. Er hatte Angst.“ Lico, erklärte Felix seinen Freunden, war das Verbrecherviertel
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von Manila. Ein Platz, wo sich ein Mann wie Maning verstecken konnte. Selbst die Polizei habe Angst, nach Lico zu gehen. „Ich glaube, daß dieser Mann gar nicht tot ist“, sagte Laura. „Und ich höre immer wieder dasselbe Wort in meinem Kopf. Doch es ergibt keinen Sinn.“ „Welches Wort?“ fragte Chili aufmerksam. „Gestern. Immer wieder höre ich dieses Wort. Gestern.“ Die Filippinos drehten sich um und schauten Laura aus ängstlichen Gesichtern an. „Was ist denn los?“ fragte Laura. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Dudong hustete und sagte: „Kahapon bedeutet ,gestern’.“ Ein paar Minuten später glitt das Boot in eine Grotte. Dudong schaltete den Motor aus und warf Anker. „In der Manila-Bucht gibt es zwei Gezeiten“, erklärte er. „Wir müssen bei der nächsten auslaufen, oder wir stranden hier. Sie müssen also vor Mitternacht zurückkommen.“ Die vier verglichen die Zeit. Es war fast neun Uhr. Dudong holte seinen Karabiner aus einem Verschlag, legte die Munition ein und setzte sich mit dem Gewehr in der Hand hin, während die anderen über Bord sprangen und über dem nassen Sand zu dem Pfad liefen, der in den Dschungel führte. „Was suchen wir eigentlich?“ fragte Laura, als sie die Mitte der Insel erreicht hatten. „Nach etwas, das sich wahrscheinlich in einer der Höhlen befinden muß“, meinte Felix, der sich auf dieser Insel ganz gut auskannte. „Bevor Bataan gefallen war, kämpften amerikanische und philippinische Truppen einen Monat lang. Dann wurden sie von japanischen Kriegsschiffen besiegt. Damals versteckten sie sich in Höhlen und Tunnels.“ Sie bewegten sich vorsichtig weiter, die Waffen ständig im Anschlag. „Dort vorn sind die Höhlen“, flüsterte Felix nach einer Weile. „Während der Bombardierung lebten die Menschen hier drin. Jetzt geht allerdings niemand mehr hinein.“ Vorsichtig schlichen sich die vier an die Haupthöhle heran. Chili und Felix knipsten ihre Taschenlampen an und betraten, von Laura und Paco gefolgt, die Haupthöhle. Sofort hörten sie das dumpfe Geräusch von Trommeln im Inneren der Höhle. Chili wunderte sich, daß man am Eingang
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keinen Wachtposten aufgestellt hatte. Waren sich die Leute ihrer selbst so sicher? „Wie tief sind diese Höhlen?“ fragte Chili leise. „Sehr tief. Sie enden in großen Räumen, die man früher zur Krankenversorgung und Waffenlagerung benutzte.“ Chili legte eine Hand auf Pacos Schulter. „Ich muß Sie hier als Wachtposten zurücklassen, damit Sie uns warnen können, wenn jemand aus dieser Richtung kommt. Als Signal feuern Sie dann einmal. Versuchen Sie nicht auf eigene Faust eine Schwierigkeit zu meistern, und schießen Sie nur, wenn Sie angegriffen werden und es nicht vermeiden können.“ „Ich würde lieber mit Ihnen gehen, aber ich bleibe hier“, fügte Paco sich. Chili schlug dem jungen Mann auf die Schulter und bewegte sich mit den beiden anderen langsam weiter. Immer wieder schreckten sie Fledermäuse auf, die dann zwischen ihren Köpfen hindurch das Weite suchten. Plötzlich verstummten die Trommeln. Die Gruppe blieb sofort stehen und lauschte. Chili kroch vorsichtig weiter, bis er im Schutz einer dunklen Ecke einen Raum überblicken konnte. Felix und Laura waren ihm gefolgt und stellten sich seitlich von ihm auf. In der Mitte des Raumes brannte ein Feuer, um das mehrere Filippinos herumsaßen und einem Mann zuhörten. Ein paar Frauen in dunkler Kleidung waren unter ihnen. Die Brust des Sprechers war unbekleidet. „Das ist Maning Kahapon“, flüsterte Chili. Chili hatte recht. In dem Feuerschein glänzte eine große Brandwunde auf der Brust des Mannes. Er war mit einer .45er Automatik bewaffnet. Eindringlich sprach er auf die Zuhörer ein. „Er sagt“, übersetzte Felix, „daß sie diejenigen sind, die Angst und neue Gesetze über das Volk bringen werden. Sein Bruder sei geopfert worden, damit sie alle leben könnten. Im Augenblick würden sich Truppen der Bambus-Menschen zum Angriff auf die Dörfer um Manila versammeln. Bevor sie morgen den Angriff starten, würden sie sich heute nacht an Menschen laben, um die erste Phase der Angst und Verwirrung einzuleiten.“ „Das ist teuflisch“, fand Laura. Chili dachte nach. Sie waren nicht genügend ausgerüstet, um die Gruppe dort anzugreifen. Doch er konnte Verwirrung stiften,
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indem er Felix auf jeden schießen ließ, der versuchte, an die Gewehre in der Ecke zu kommen. Doch er wollte nicht töten, wenn es sich vermeiden ließ. Nur ein Mann verdiente den Tod: Kahapon. Seine Pistole mit der Bambuspatrone würde nur aus der Nähe Wirkung erzielen. Irgendwie mußte er an Kahapon herankommen. Denn sobald dieser tot war, würde Verwirrung unter seinen Anhängern entstehen. Chili wußte jetzt, daß dies der Mann war, den er in dem Dorf gesehen hatte. Der Mann, der getötet wurde, mußte sein Zwillingsbruder gewesen sein. Der Sprecher mußte der Aswang sein, der Caridad und Pacos Vater getötet hatte. Die Wunde auf der Brust dieses Mannes mußte mit dem weißen Fleck auf der Brust des Aswang verwandt sein. „Er sagt, daß Sie tot seien“, flüsterte Felix weiter. „Daß seine Schwester Charing Sie getötet habe und keine Gefahr mehr von Ihnen bestünde. Offenbar haben sie Angst vor Ihnen und Laura.“ Auf Kahapons Befehl erhob sich ein Mädchen und kam auf den Sprecher zu. Nachdem er ihr etwas zugeflüstert hatte, drehte das Mädchen sich um. Die drei Eindringlinge hielten den Atem an. Das Mädchen war Felicing. „Das ist jetzt unser Dämonenkind“, übersetzte Felix die Rede Kahapons. „Sie ist die Hoffnung unserer Bewegung. Sie wurde in unsere Gruppe eingegliedert, wie ihr andere eingliedern müßt. Sie wird jetzt die Tötung vornehmen, und ihr werdet euch von dem Blut nähren, das sie euch reicht. Bringt die Gefangene!“ Zwei Guerilleros schleiften ein junges Mädchen herbei, das sich schreiend gegen die Männer zu wehren versuchte. „Chili, du mußt sie aufhalten!“ flüsterte Laura. Kahapon riß Felicings Kleid vom Leib und begann die nackte Haut mit einer Paste einzureiben. Kurz darauf veränderte sich der Körper des Mädchens. Lange Haare begannen zu wachsen, und das Gesicht verzerrte sich ekelhaft. Chili wußte, daß er handeln mußte, solange die Gruppe sich auf Felicings Veränderung konzentrierte. „Felix, Sie müssen unter allen Umständen die Leute von den Gewehren weghalten“, flüsterte er. „Laura, du gehst mit Paco zurück und wartest mit schußbereiter Waffe für den Fall, daß wir nicht die ersten sind, die zurückkommen. Wenn ihr uns kommen seht, rennt ihr zum Ausgang vor.“ „Was ist mit Ihnen?“ fragte Felix leise.
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„Ich kümmere mich um Kahapon“, sagte Chili und wartete, bis Laura gegangen war. „Jetzt!“ rief Chili und raste auf Kahapon zu. Er feuerte einen Schuß über die Köpfe der Versammelten und hörte kurz darauf Felix auf einen Rebellen schießen, der an die Gewehre heranzukommen versucht hatte. Ein Guerillero wollte sich Chili in den Weg stellen. Er wurde von der Kugel getroffen. Felicing erhob sich wie eine Fledermaus und flog auf den Ausgangstunnel zu. Kahapon begann sich zu verändern. Ein schwarzer Pelz mit einem weißen Fleck auf der Brust bedeckte seinen Körper. Laura hörte plötzlich Flügelschlagen hinter sich und rannte los. Ohne sich umzudrehen, wußte sie, daß es Felicing war. Wo war Paco? Vor sich hörte sie Stimmen, dann einen Schuß. Plötzlich krallte sich etwas in ihre Schulter. Laura warf sich zur Seite und stürzte dabei zu Boden. Als sie aufblickte, sah sie ein Wesen - halb Fledermaus, halb Frau - auf sich herabstürzen. Trotz der gräßlichen Veränderung erkannte sie sofort Felicings Gesicht. Zischend bleckte das Unwesen seine scharfen weißen Zähne. „Nein, nicht!“ schrie Laura. Dann fühlte sie Haare in ihrem Gesicht. Sie suchten ihre Nase, ihren Mund. Laura versuchte, sich nicht auf das Ringen nach Luft zu konzentrieren, sondern auf die Waffe, über deren Hammer ihr Finger immer wieder abrutschte. Sie schaffte es endlich, den Hammer zurückzuziehen. Dann hörte sie einen Schuß. * Paco hörte näherkommende Schritte. Er feuerte einen Warnschuß ab. „Wer ist da?“ rief er. Mit gezogenen Waffen kamen sie auf ihn zugerannt. Paco erkannte sofort das Gesicht. Hector Saavedra. Auch Hector erkannte ihn. Die beiden Männer sprachen kurz miteinander, dann führte Paco die Gruppe Polizisten ins Innere der Höhle. Sie stießen auf Laura, die von einer unheimlichen Kreatur angegriffen wurde. Sie sahen, wie die mit dem Tod ringende Frau ihre Pistole hob, die Mündung an die Brust des
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Unwesens setzte und mit letzter Kraft einen Schuß abfeuerte. Schreiend fiel die Kreatur von Laura und zog damit ihre Haare aus Lauras Nase und Mund. Immer schwerfälliger flatterte sie davon. „Chili braucht uns. Schnell!“ rief Laura, als sie aufsprang. Gemeinsam stürzten sie in den Raum und sahen, daß es Felix nicht ganz gelungen war, die Männer von den Waffen fernzuhalten, denn inzwischen wurde sein Feuer erwidert. Chili feuerte gerade einen Schuß aus seiner Luger auf Kahapon, doch der lachte nur. Da zog Chili seinen Vorderlader, zielte und drückte ab. Der Aswang flog in die Ecke und sackte tot zu Boden. Laura rannte auf Chili zu, umarmte ihn und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Sie sprach auf Chili ein, doch der konnte in dem Lärm kein Wort verstehen. Sicher sagte sie ihm, daß alles in Ordnung war. Also nickte er lächelnd und küßte Laura auf den Mund. * Nachwort Chili und Laura zu Ehren wurde ein Tanz der Bevölkerung abgehalten, den Polizeichef Saavedra veranlaßt hatte. Die zuschauende Menge schrie dabei vor Begeisterung und Freude. Nach dem Tanz drängten sich Paco, seine Mutter und seine Schwester durch die Menge zu ihnen, um sich zu verabschieden. „Hier“, sagte Paco und öffnete die Hand. „Ich möchte, daß Sie das haben - in Erinnerung an uns alle.“ Er reichte Laura Caridads goldenen Anhänger. Laura mußte vor Rührung gegen Tränen ankämpfen. Sie umarmte Paco und dankte ihm. „Kommen Sie bald zu den Philippinen zurück“, bat er. „Nach Baguio.“ „Das werden wir“, versprach Laura. „Ich glaube, es wird Zeit, daß wir nach Manila fahren. Unser Flugzeug wartet nicht auf uns“, meinte Chili. „Sofort“, sagte Felix. „Aber zuerst möchte ich Ihnen beiden auch von mir ein Erinnerungsgeschenk geben.“ Chili öffnete sein Päckchen und fand darin die
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Vorderladerpistole, mit der er Kahapon getötet hatte. Sie lag in einem mit Samt ausgeschlagenen Kästchen. Neben der Pistole lag eine Bambuspatrone. In Lauras Päckchen befand sich ein wunderschönes Kleid, wie es die Frauen auf den Philippinen trugen. „Es ist wunderschön, Felix“, schwärmte sie. „Man sagt, wenn man so ein Kleid einer Fremden schenkt, dann kommt sie bestimmt wieder“, erklärte Felix. „Wir kommen wieder“, versprach Laura erneut. „Ja, wir kommen wieder“, versprach auch Chili. „Und danke, Felix. Für Ihr Geschenk und für alles. Wir waren sehr glücklich, Ihr Gast sein zu dürfen in einem so schönen Land. Ich kann Ihnen von mir leider nur eines meiner geliebten Sesamstäbchen anbieten. Sie sind meine persönlichen Glücksbringer.“ „Versuchen kann man’s ja mal“, meinte Felix lachend. „Dann gib mir auch gleich eins“, bat Laura. „Wieso? Siehst du irgendwelche Dämonen hier?“ fragte Chili. Laura blinzelte Felix grinsend zu und sagte zu Chili: „Na klar. Dich, du Teufel.“
ENDE Lesen Sie in der nächsten Woche VAMPIR-Roman Band 448
Der trojanische Götze von Brian Ford
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