Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 503 Die Mausefalle
Schergen der SOL von Peter Terrid
Atlan bei den Pyrriden...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 503 Die Mausefalle
Schergen der SOL von Peter Terrid
Atlan bei den Pyrriden
Die neuen Herren der SOL sahen sich somit endlich in die Lage versetzt, ihre Wünsche zu realisieren. Sie trennten sich von der Menschheit, um ihre eigenen Wege zu gehen. Sie betrachteten den Weltraum als ihren eigentlichen Lebensbereich und das Schiff als ihre Heimatʺ>und die meisten von ihnen scheuten davor zurück, das Schiff zu verlassen und einen Himmelskörper zu betreten. Im Jahr 3791 ist es jedoch soweit und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert. Die chaotischen Verhältnisse auf dem Schiff zwingen den Arkoniden dazu, Maske zu machen und unterzutauchen. Im Zuge dieses Vorgehens kommt er zu den Pyrriden sie sind die SCHERGEN DER SOL …«
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide in der Maske eines Ferraten. Wort Danyl ‐ Ein Ahlnate. Chart Deccon ‐ Schiffsführer der SOL. Kav Wergen ‐ Ein alter Buhrjo. Tordya ‐ Eine Ferratin. Voorn Mekher ‐ Anführer einer Gruppe von Pyrriden.
1. Was immer Khassendy tat, er tat es mit Ruhe. Bedächtigkeit und überlegene Ruhe waren die hervorstechenden Eigenschaften dieses Mannes. Kaum einer der Ferraten in diesem Bereich der SOL war sich der Würde seines Amtes, der erhabenen Höhe seiner Aufgaben so bewußt wie Khassendy. Er genoß infolgedessen sogar bei den Ferraten den Ruf eines arroganten, selbstherrlichen Menschen. Khassendy schritt langsam den Weg zur Halle der Entfesselung entlang. Er war sich des Um Stands bewußt, daß scheele Blicke ihm folgten, aber das scherte ihn nicht. Er setzte einen Fuß vor den anderen, getragen vom Bewußtsein seiner Würde. Was kümmerte es ihn, wenn ihn das Gesindel nicht mochte? War er nicht weit emporgehoben über die Menge der Kleinen und Unwürdigen? War er nicht bestimmt, die Handlungen zu verrichten, die von der Bruderschaft durchgeführt werden mußten, um Heil und Segen an Bord der SOL zu gewährleisten? Gewiß, Khassendy hatte den Preis zahlen müssen, den jeder Ferrate zu zahlen hatte. Auf Nachwuchs durfte er nicht hoffen, aber Khassendy wertete das als Zeichen seiner Einzigartigkeit, nicht als Schandfleck. Es verstand sich von selbst, daß Khassendy seinen Dienst mit jener Pünktlichkeit antrat, die für ihn charakteristisch war. Gesher hatte die Wachstunde vor ihm gehabt. Er sah auf, als Khassendy den Raum betrat.
»Schön, daß du kommst«, sagte Gesher. »Ich sehne mich nach Ruhe.« Khassendy verzichtete darauf, dem jungen Ferraten klarzumachen, daß man die vorgeschriebenen Verrichtungen, die ein Ferrate während seiner Dienststunden vorzunehmen hatte, nicht als lästige Arbeit anzusehen hatte, sondern als heilige Pflicht, deren Erfüllung über das Leben an Bord entschied. Indessen gab es nur wenige Ferraten, die ihren Dienst mit solchem Eifer und solcher Hingabe versehen wie Khassendy. Offen gesagt war Khassendy von brennendem Ehrgeiz erfüllt. Er hoffte insgeheim, sich eines Tages würdig zu erweisen, in eine höhere Wertigkeit übernommen zu werden. »Alles wohl?« fragte er. »Wohl und sauber«, antwortete Gesher. Er sah gar nicht hin, und genau das war es, was Khassendy so erbitterte. Von seinem Standort aus konnte er genau sehen, daß eines der immerwachen Augen leicht beschlagen war. Es hätte nur geringer Mühe bedurft, den Beschlag mit einem Tuch wegzuwischen; es war kennzeichnend für Geshers Einstellung zum Dienst, daß er diese Notwendigkeit nicht einsah. Gesher stand auf. »Ich freue mich bereits auf die Mahlzeit«, sagte Gesher. Er war einen Kopf größer als Khassendy, der Statur nach hätte er keinen schlechten Pyrriden abgegeben – grobschlächtig und rüpelhaft genug dazu war er.. Mit den stets gleichen Bewegungen nahm Khassendy Platz. Er legte sein Essenspaket in die Lade, in der die Mahlzeit während des Dienstes erwärmt wurde. Die Hände legte er flach auf das Instrumentenpult. In dieser Stellung pflegte er im Normalfall zu verharren, bis er abgelöst wurde. »Ich habe gehört, daß Kleena schwanger sein soll«, sagte Gesher. Er machte keinerlei Anstalten zu gehen – offenbar wollte er seine nachlässige Dienstauffassung dadurch krönen, daß er seinen Nachfolger in müßiges Geschwätz verwickelte.
Khassendy sah starr nach vorne. Die Augen vor ihm strahlten in den charakteristischen Farben – einige grün, andere rot, dazwischen gelb und blau. Zwei der Augen waren blind, leere Höhlen, die schamhaft von transparenten Folien bedeckt wurden. Sie mußten bei einem Rostanfall früherer Generationen zerstört worden sein. »Hast du eine Ahnung, von wem?« Jetzt sah Khassendy auf. »Von mir jedenfalls nicht«, stieß er wütend hervor. Dieser Gesher war wirklich unmöglich. Er mußte doch wissen, daß ein Ferrate vom Schlage Khassendys keinen geschlechtlichen Umgang mit einer Schwester der sechsten Wertigkeit haben würde. Daß die Ferratin schwanger war, kam allerdings einer kleinen Sensation gleich – Ferraten waren bekanntlich unfruchtbar, jedenfalls im Regelfall. Kam es dennoch ab und zu einmal zu einer Empfängnis, dann waren die Ergebnisse meist erschreckend – Monstren jeglicher Art wurden geboren. Khassendy starrte weiter auf die Augen des Schreines vor ihm. Er wollte sich von dem geschwätzigen und taktlosen Gesher nicht in seinen Dienstobliegenheiten stören lassen. Es gab noch zwei andere Ferraten in diesem Raum. Sie alle saßen vor den leuchtenden Augen des Schreines und gingen mit Ruhe und Bedacht ihrer verantwortungsvollen Arbeit nach. »Ich habe gehört«, schwätzte Gesher weiter, ohne sich um Khassendys abweisende Miene zu kümmern, »daß wir Besuch bekommen sollen – angeblich soll ein Bruder der dritten Wertigkeit zu uns unterwegs sein.« Khassendy beherrschte sich meisterhaft, obwohl ihn seit Jahren nichts so sehr aufgewühlt hatte wie diese Neuigkeit. Ein paar Schritte weiter fand gerade die Ablösung des Kollegen statt – Ein neuer Ferrate war zum Team gestoßen, ein hochgewachsener Mann namens Jon Tengor. Er begann in diesem Augenblick seinen Dienst. Khassendy hatte ihn heimlich beobachtet
– ‐Tengor konnte Khassendy nicht gefährlich werden. Dafür zeigte der Neue zu wenig Diensteifer, und was die demutsvolle Haltung betraf, wie sie Khassendy meisterhaft beherrschte, so fehlte sie dem Neuen auch. »Ach«, sagte Khassendy. Zu mehr war er in diesem Augenblick nicht fähig.. Dies war der Tag, den Khassendy insgeheim stets herbeigesehnt hatte. Ein Ahlnate, der diesen Bereich der SOL aufsuchte, ein Bruder der dritten Wertigkeit. Vielleicht wollte es das Schicksal, daß es zu irgend einem Zwischenfall kam, den Khassendy bereinigen konnte, geschickt und zuverlässig, wie es die Art des Ferraten war. Schaffte er das, fiel es dem Bruder der dritten Wertigkeit auf angenehme Weise auf – dann konnte der höchste Traum des Ferraten in Erfüllung gehen. Dann nämlich war es möglich, daß der Ahlnate Khassendys Glaubenseifer und unerschütterliche Pflichterfüllung dadurch würdigte, daß er Khassendy höheren Weihen zuführte. Schauder durchrieselte den Ferraten. Khassendy war noch jung, er hatte noch alle Chancen. Wenn man ihn berief, wenn er eine der Seminarschulen besuchen konnte, auf denen die Ahlnaten ihre Vertiefung im Glauben erfuhren, wenn er es danach weiterhin schaffte, sich durch Demut und strengste Pflichterfüllung auszuzeichnen, dann war es sogar denkbar, daß man ihn in den erlauchten Kreis der Magniden berief. Ein Bruder der ersten Wertigkeit zu sein … was für ein Traum. Erhoben zu sein über Ferraten und Ahlnaten, Pyrriden und Vystiden, vom Normalgesindel der SOL ganz zu schweigen … Alles hing davon ab, daß es Khassendy gelang, sich vor den Augen des Ahlnaten auszuzeichnen. »Na, was sagst du, ist das nicht die Gelegenheit, auf die wir alle gewartet haben?« Zum ersten Mal sah Khassendy auf.
Was? Gesher machte sich Hoffnungen, ausgerechnet Gesher? Der Gedanke war doch völlig absurd. Ausgerechnet Gesher …! Wie kam er überhaupt dazu, sich mit solchen Gedanken abzugeben, fragte sich Khassendy. Nur wer zu Höherem geboren war, wie beispielsweise .er selbst, der durfte es wagen, seinen Gedanken Raum zu geben, aber unter keinen Umständen eine so nichtswürdige Kreatur wie Gesher. Gesher sah grinsend in Khassendys Gesicht, das deutliche Verwirrung zeigte. »Habe ich es mir doch gedacht«, spottete Gesher. »Unser stiller Khassendy träumt davon, Ahlnate zu werden. Na meinetwegen. Ich drängle mich nicht darum, ich habe hier genug zu tun. Und wenn schon Aufstieg, dann vielleicht bei den Pyrriden – da hat man mehr Spaß, weißt du?« Khassendy antwortete nicht. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen im Schrein zu. Gesher zögerte noch ein paar Augenblicke, dann zuckte er die Schultern und entfernte sich. Die beiden Ferraten, die in den nächsten Stunden zusammen Dienst tun würden, waren nun allein. Khassendy warf einen Blick auf seinen Nachbarn. Dem fiel es sichtlich schwer, ruhig auf seinem Sitz zu bleiben. Offenbar gebrach es Jon Tengor an Demut und Geduld; weit würde er es bei den Ferraten nicht bringen. Um so weiter gedachte es Khassendy zu bringen, und er hatte auch schon eine Idee, er würde dem Verfahren ein wenig nachhelfen. Nur ein paar Schritte vom Schrein entfernt verlief ein Atemstrang des Heiligtums. Er wurde seit undenklichen Zeiten so genannt, weil es im Innern des hellrot lackierten Stranges zichte und brauste. Es gab noch einen anderen Atemstrang, der ab und zu bedient werden mußte. Dann hatte Khassendy, oder wer immer Dienst tat, an einem Sakralrad einige genau bemessene Umdrehungen vorzunehmen
und dazu die richtigen Texte zu sprechen. Es gab an dem geräuschvollen Atemstrang ebenfalls ein solches Sakralrad. Wenn man unbemerkt daran drehte, dann würde sich wahrscheinlich am Gesichtsausdruck des Heiligtums etwas ändern – einige der leuchtenden Augen am Schrein würden die Farbe wechseln. Geschah das, und war der Ahlnate rechtzeitig zur Stelle, dann konnte Khassendy … ja genau so würde er es machen. Ganz ruhig dasitzen, dann sich ganz langsam erheben, hinüberschreiten zum Sakralrad und die Fehleinstellung korrigieren … das mußte den Ahlnaten beeindrucken, ganz sicher. Vorher aber mußte man diesen neuen Ferraten loswerden. Er trug wie Khassendy eine dunkelblaue Uniform und an den Schultern das Atomsymbol der Ferraten. Einen Augenblick lang sah Tengor nicht hin. Khassendy nutzte blitzschnell die Chance. Mit einem Handgriff hatte er eines der Abzeichen abgerissen und fallen gelassen. Dann hob er das Abzeichen deutlich sichtbar auf. »Oh weh«, sagte Khassendy. »Sieh nur!« Jon Tengor sah auf das Stoffabzeichen und Khassendys Hand. »Es ist losgegangen«, sagte Khassendy. »Und das, wo ein Ahlnate uns besuchen will.« »Und?« »Wenn er mich so sieht, wird er mich nie weiterempfehlen«, sagte Khassendy. Tengor war noch ein Grünschnabel und als Konkurrent ungefährlich, ihm gegenüber konnte man offen sein. »Ich kenne mich hier besser aus und kann daher nicht weg«, sagte Khassendy. »Könntest du …?« Tengor sah ihn einen kurzen Augenblick lang an, dann nickte er und stand auf. »Meinetwegen«, sagte Tengor. »Ich hole dir einen Helfer, der dir das Abzeichen wieder befestigt. Warte, ich bin gleich zurück.« Er stand auf und verließ den Raum. Auf diese Chance hatte Khassendy gewartet. Hastig verließ er seinen Platz. Er eilte hinüber
zum Sakralrad. »Vergib mir, High Sideryt«. murmelte Khassendy, als er das Sakralrad berührte. »Es geschieht nicht um meinetwillen!« Er griff beherzt zu. Seit sehr langer Zeit hatte wohl niemand mehr dieses Sakralrad bewegt, es leistete Widerstand. Khassendy verstärkte seine ʹ Anstrengungen. Endlich, nach einer gewaltigen Anspannung aller Körperkräfte, bewegte sich das Rad unter Khassendys Händen. Er stieß einen leisen Triumphschrei aus. Dann passierte es. Das Heiligtum stieß ein dumpfes Grollen aus, das rasch anschwoll. Khassendy erschrak heftig. Seine Angst steigerte sich zur Panik, als er im gleichen Augenblick sah, wie eine Gestalt die Halle betrat – ein hellblaues langfallendes Gewand war zu sehen, das Khassendy signalisierte, daß der Ahlnate den Raum betrat. Mit feurigen Händen griff das Heiligtum nach dem Frevler. Khassendy spürte einen gräßlichen Schmerz, der ihm einen gellenden Schrei entriß. Er taumelte vorwärts, die Hände vor das Gesicht geschlagen, auf der Haut einen kaum erträglichen Schmerz. »Stehenbleiben!« Khassendy war vor Schmerz halb betäubt, aber er erkannte die Stimme, die da befehlend scharf gerufen hatte, als die des Ferraten Jon Tengor. Ein wenig wich die Hitze von Khassendyʹs Gesicht. Er sah auf. Das Heiligtum war noch immer erzürnt und spie weißes Feuer nach dem Frevler. Weit leckten die siedenden Schwaden in die Halle. Der Ahlnate stand erstarrt. Wieder griff der Schmerz nach Khassendy. Er sah, halbblind vor Qual, wie Tengor auf den Schrein zustürzte und wie irre nach den Instrumenten griff.
Khassendy brach in die Knie. Er wußte, daß er verloren hatte. Er hatte schwer gefrevelt, und die Strafe des Heiligtums traf ihn mit Recht. Erschüttert sah Khassendy zu, wie Jon Tengor das Heiligtum besänftigte. Seine Finger wirbelten förmlich über die Oberfläche des Schreines, die Augen des Schreines zwinkerten heftig, und dann war das Grollen verstummt. Die weißen Feuerzungen wurden schwächer, das Brausen und Zischen hörte mit einem Schlag auf. Khassendys Körper schüttelte sich in mühsam verhaltenen Schluchzern. Er hatte alles gewagt und alles verspielt. Niemals hatte er sich dümmer angestellt als in diesem Augenblick. Er konnte es sehen – der Ahlnate sah Khassendy einen Augenblick lang an. Es war nichts Anerkennendes in diesem Blick – nur grenzenlose Verachtung. »Das war nicht übel, Mann«, sagte der Ahlnate mit seiner leisen Stimme. »Wie ist dein Name? « »Jon Tengor«, antwortete der Ferrate. »Du scheinst fähig zu sein«, sagte der Ahlnate sanft. »Ich werde deine Zukunft ein wenig fördern, aus dir kann etwas werden in der SOLAG.« Khassendy mußte sich gegen einen Pfeiler lehnen, um nicht umzusinken. Er wußte nicht, welcher Schmerz tiefer fraß – die Strafe, die ihm das Heiligtum zuerkannt hatte, oder die grausame Enttäuschung, daß er das Ziel seines Lebens unwiderruflich verpaßt hatte. 2. Nichts liebte Voorn Mekher so sehr wie seine Neuropeitsche. Früher einmal, als er sie empfangen hatte, war es eine völlig neue, ganz normale Neuropeitsche gewesen. Sie konnte Schockstöße aussenden und je nach Stärke einen davon Getroffenen mehr oder
weniger quälen und lähmen. Voorn Mekher hatte seine Waffe verändert, sie seinem Charakter angepaßt. So hatte er zusätzlich einen kleinen Schallgenerator einbauen lassen, der einen knappen Sekundenbruchteil vor dem Schock einen lauten Knall aussendete – derjenige, dem der Schlag mit der Neuropeitsche zugedacht war, sollte vorher noch ein wenig mehr Angst davor empfinden. Im Lager der Pyrriden ging es hoch her. Auf dem Tisch standen Becher mit hochprozentigem Inhalt, zwischen den Stühlen lagen Teller, Geschirr und Essensreste. Die Laune entsprach der Menge der bereits geleerten Flaschen – sie war hervorragend. »Wann kommt das Viehzeug endlich?« schrie einer von Voorns Kameraden. »Die Jagd soll endlich losgehen.« »Nur langsam«, wehrte Voorn Mekher ab. Er leckte sich die Lippen. Seit langem freute sich der Haufen auf diesen Abend. Die gesamte Besatzung dieses Pyrridenstützpunkts – gemeinhin Pyrridenhöhle geheißen – hatte zusammengelegt und sich einen Extra für die Jagd gekauft. Es verstand sich von selbst, daß solche Transaktionen über geheime Schleichwege zu laufen hatten – offiziell durfte man sich solche Späße nicht erlauben. Die Führung hatte in diesen Zeiten nichts dagegen, daß sich die Pyrriden einen rauhen Spaß erlaubten – es hatte in letzter Zeit keine Ausflüge auf fremde Planeten gegeben, bei denen sich die Pyrriden hätten austoben können. »Ich habe keine Lust, länger zu warten«, schrie der Pyrride wieder. Er war neu in der Pyrridenhöhle, Ersatz für einen Mann, der von den Troiliten getötet worden war – man hatte ihn eines Morgens tot aufgefunden, ohne Zeichen von Gewaltanwendung; und das war unverkennbar die Handschrift der Brüder der fünften Wertigkeit. Es gab allerdings auch Menschen an Bord, die schlichtweg bezweifelten, daß es die Troiliten überhaupt gab. Gesehen hatte man eine Schwester oder einen Bruder der fünften Wertigkeit niemals – aber man konnte die Spuren ihrer Arbeit erkennen. Die Brüder der
fünften Wertigkeit verstanden sich vorzüglich auf ihr blutiges Handwerk. Voorn Mekher grinste zufrieden. Er hatte gute Aussichten, und das Weib gefiel ihm. Wenn endlich der Händler mit dem Extra auftauchte und die Jagd losgehen konnte, bestanden gute Aussichten, daß Mekhers Gruppe ihrem Ruf als der roheste Pyrridenhaufen aller Zeiten wieder einmal alle Ehre machte. Voorn Mekher stürzte den Rest seines Schnapses hinunter. Das Zeug schmeckte nicht besonders – es machte sich an allen Ecken und Enden bemerkbar, daß sich überall in der SOL Rost eingenistet hatte. Das , galt nicht nur für die Bewohner des Riesenschiffs, von denen der größte Teil zu stupide war, die Zusammenhänge zu,begreifen, das galt auch für die Einrichtungen der SOL, die teilweise in einem beklagenswerten Zustand waren. Schuld daran waren außer den Bewohnern des Schiffes vor allem natürlich die Ferraten, die viel zu stumpfgeistig waren, um die komplizierten Einrichtungen überhaupt bedienen zu können. Von einer tatsächlichen Verbesserung des Lebensstandards konnte keine Rede sein. Was die Ferraten leisteten, waren lediglich Rückzugsgefechte gegen den allgegenwärtigen geistigen und materiellen Rost. Begeistertes Gebrüll brach los, als sich die Tür öffnete und endlich der Spezialist erschien – ein schmächtiges Männchen, aber sehr geldgierig. Seine Verschlagenheit war hinlänglich bekannt, niemand wagte es, ihm sein Entgeld zu prellen. »Endlich«, rief der vorlaute Pyrride – Tsheker, hieß der Bursche. »Wo bleibst du so lange?« »Ich mußte einen kleinen Umweg machen«, sagte der Spezialist. »Ein paar Brüder der zweiten Wertigkeit waren unterwegs – es gärte wieder einmal.« Voorn Mekher grinste zufrieden. Wenn es gärte, wurden Leute straffällig. Verbrecher dieses Schlages wurden nicht selten zu Landungskommandos zusammengestellt, die von den Pyrriden geleitet wurden. Und das hieß, daß Mekhers wüster Haufen
vielleicht schon bald wieder eine Schar verängstigter Ferraten auf einen Planetenausflug zu führen hatte. Dabei gab es immer sehr viel Spaß mit den Ferraten und den Lebewesen, die sich auf dem besuchten Planeten herumtrieben. »Wo ist der Extra?« fragte Tsheker. »Warum zeigst du ihn nicht?« Der Spezialist verzog sein faltiges Gesicht zu einem Grinsen. »Ich habe ihn schon freigelassen«, sagte er. »Die Jagd kann sofort beginnen.« »Und wie sollen wir den Extra erkennen?« fragte einer. Der ExtraHändler warf ein paar Bilder auf den Tisch. »Das ist er«, sagte er. »Hat mich viel gekostet, schließlich ist der Nachschub unterbrochen.« »Das wissen wir selbst«, maulte Mekher. »Schließlich sind wir seit geraumer Zeit nirgendwo mehr gelandet, also gibt es auch keinen Nachschub an interessanten Extras.« »Ihr werdet an mich denken, wenn ihr das nächste Mal ein Kommando führt.« »Tun wir«, versprach Voorn. »Wir bringen dir ein paar Extras mit, die du verkaufen kannst.« »Hört endlich mit dem Gerede auf!« forderte Tsheker. »Laßt uns die Jagd eröffnen.« Voorn sah den Spezialisten an, dann die Ferratin in der Ecke. »Paßt du auf das Weib auf, bis die Jagd beendet ist?« fragte Voorn. »Du kannst dich an dem bedienen, was da ist – natürlich nicht am Siegespreis.« Der Händler fiel in das Gelächter der Pyrriden ein. Voorn Mekher ließ seine Augen in der Runde wandern. Fast sechzig Brüder und Schwestern der vierten Wertigkeit hatten sich eingefunden – es war eine der kopfstärksten Pyrridengruppen ah Bord der SOL. Voorn Mekher war dank seiner Härte, Rücksichtslosigkeit und Schläue Anführer dieses Haufens rüder Gesellen. »Auf denn!« rief Voorn Mekher. »Die Jagd kann beginnen!«
Die Regeln waren eindeutig. Der Extra mußte aufgestöbert und gestellt werden. Sieger war, wer ihm den entscheidenden Hieb mit der Neuropeitsche versetzen und ihn so zur Strecke bringen konnte – schaffte der Sieger das, ohne den Extra dabei umzubringen, war der Spaß doppelt gut. Dann nämlich konnte die spannende Jagd wiederholt werden – so lange wie der Extra dieses blutrünstige Vergnügen überstand. Voorn Mekher verließ das Transportband und schlug sich in einen der benachbarten Gänge. In diesem Teil des Decks war es ruhig – Normalbürger schliefen, während die Pyrriden sich amüsierten. Es war sicherer für sie. Voorn Mekher hatte sich das Aussehen des Extras genau eingeprägt. Der Extra glich einem roten Ball, der von einem tonnenförmigen gelblichen Körper getragen wurde. Gliedmaßen waren nicht zu erkennen – indessen war Voorn Mekher nicht entgangen, daß ein Extra auch ohne Beine sehr beweglich sein konnte. Irgendwo schlich also dieser Extra durch die Gange und Flure – es fragte sich nur, wo er zu finden war. Der Händler hatte nicht verraten, wo er den Extra ausgesetzt hatte – das hätte die Jagd zu einfach gemacht. Es galt also, das Versteck des Extras herauszufinden – falls er sich überhaupt versteckte. Es gab nämlich ein ungeschriebenes Gebot bei solchen Jagden, das zumindest im Ansatz verhinderte, daß es bei solchen Veranstaltungen zu Metzeleien kam – die Extras, die für solche Jagden bestimmt waren, mußten sich wehren können. Je gefährlicher eine solche Kreatur war, um so höher war dann der Sieg des Pyrriden einzuordnen, der den Extra stellte. »Warte nur, Freundchen«, murmelte Voom Mekher. »Ich werde dich schon erwischen.« Es galt möglichst überlegt zu handeln, wenn man die Jagd gewinnen wollte. Wo hatte der Händler den Extra freigelassen? Weit von der
Pyrridenhöhle entfernt? Vermutlich nicht. Der Extra hatte einen gewissen Vorsprung; Er konnte sich in jede nur denkbare Richtung entfernen. Daraus ergab sich die logische Folgerung, daß die Aussichten, den Extra zu erwischen, mit jedem Meter, der zwischen der Pyrridenhöhle und dem Punkt seines Aussetzens lag größer wurde – und zwar fast in der dritten Potenz. Eine weitere Überlegung stellte der Pyrride an. Je länger der Extra frei herumlief, um so größer wurde die Möglichkeit, daß der Extra irgendeinen Ahnungslosen anfiel und umbrachte – früher war das einige Male geschehen und hatte böses Blut gemacht. Die rauhen Späße gewisser Pyrriden waren ohnehin in der Bevölkerung nicht beliebt. Wenn diese Extrajagd ein halbes Dutzend Ferraten oder andere das Leben kostete, konnte das leicht zu einer scharfen Bestrafung durch den High Sideryt führen – womöglich traten sogar die Troiliten in Aktion. Aus all dem folgerte Voorn Mekher, daß der Händler den Extra wahrscheinlich recht nahe bei der Pyrridenhöhle freigelassen hatte. Mekher erinnerte sich an das Quartier, aus dem der Händler den Extra besorgt hatte. In Gedanken verband er diesen Ort mit der Pyrridenhöhle und bestimmte dann rein gefühlsmäßig danach den vermutlichen Platz, an dem der Extra zu suchen sein würde. Voorn Mekher grinste. Er war ein schlauer Bursche, davon war er überzeugt. Ganz so dumm, wie er jetzt gerade vermutet hatte, würde der Händler wohl nicht gewesen sein – viel eher würde er den Extra auf der anderen Seite der Pyrridenhöhle freigelassen haben. Dort mußte man nach dem bunten Ungeheuer suchen. Voorn Mekher machte sich auf den Weg. Angst verspürte er nicht. Das lag zum einen an einer ungewöhnlichen Furchtlosigkeit, zum anderen an dem mehr als reichlich genossenen Alkohol. Voorn Mekher war bester Laune, als er durch verlassene Winkel der SOL eilte, um nach seinem Opfer
Ausschau zu halten. Ein verspäteter Passant begegnete Mekher und machte einen weiten Bogen um ihn. Mekher grinste wieder. Er mochte es, wenn die Leute offen ihre Furcht zeigten. Mekher war fast zwei Meter groß, sehr stämmig und muskulös, und an seinem Gürtel baumelte die Neuropeitsche mit der Einlegearbeit. Mekher wechselte die Spur. Wieder einmal waren die Transportbänder ausgefallen. Es war ein Kreuz mit diesem Schiff – mal funktionierten die Einrichtungen, mal funktionierten sie nicht, und es gab kein zuverlässiges Mittel, herauszufinden, was wann ausfallen würde. Am Ende des Transportbands blieb Mekher stehen. Er hatte einen Antigravschacht erreicht. Am Rand dieses Schachtes erkannte Mekher etwas Glänzendes. Er trat vorsichtig näher. »Aha«, sagte er zufrieden. »Da bist du ja, Kamerad!« Er wollte nicht Voorn Mekher heißen, wenn die deutlich erkennbare Schleimspur nicht von dem seltsamen Extra stammte. Es fragte sich nur, in welcher Richtung diese Spur zu verfolgenwar. Mekher war in Jagden dieser Art erfahren genug, um nicht auf den Fehler zu verfallen, die Spur zu berühren. Der Extra sah so wehrlos aus wie eine Portion Synthobrei auf einem Teller – wenn sich ein solches Lebewesen überhaupt hatte durchsetzen können, dann mußte es über irgendwelche Methoden verfügen, seine Art gegen Freßfeinde zu behaupten. Mekher tippte auf Gift. Möglich, daß der Schleim ein bösartiges Kontaktgift enthielt – es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß ein Pyrride darauf hereingefallen wäre. Mekher hörte auf seinen Instinkt. Gefühlsmäßig entschied er sich für einen Weg und folgte der Schleimspur. Der Extra entfernte sich von der Pyrridenhöhle, als wisse er, daß man ihn jagen würde. Auch das war möglich – bei ihren grausamen Jagden machten Mekhers Pyrriden wenig Unterschied zwischen
intelligenten und weniger intelligenten Fremdlebewesen. Mekher hatte die Neuropeitsche zur Hand genommen. Er bewegte sich jetzt vorsichtiger. Die deutlich sichtbare Schleimspur führte immer weiter weg vom Quartier der Pyrriden. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ein Bereich der SOL erreicht war, in dem sich etliche hundert Solaner häuslich eingerichtet hatten, die ihre Zeit vornehmlich mit Meditation verbrachten – eine Beschäftigung, der die Pyrriden wenig abgewinnen konnten. Immerhin, die Leutchen waren friedfertig und störten niemanden – wenn der Erzeuger der Schleimspur ausgerechnet hier ein Opfer fand, würden sich die Pyrriden allerlei anhören müssen. Es wurde höchste Zeit, den Extra zu erwischen und zurückzutreiben auf ein verlassenes Gebiet. Voorn Mekher beschleunigte seine Schritte. Die Spur bog ab, genau auf das Quartier der Meditierer zu. »He, du!« Mekher drehte sich um. Eine junge Frau mit einem Kind winkte ihm zu. »Ist dir dieser Extra entlaufen?« »Allerdings«, sagte Mekher. »Hast du ihn gesehen?« »Er ist gerade hier vorbeigekommen«, sagte die Frau. Für Mekhers Geschmack war sie entschieden zu hager ausgefallen. »Aber das Ding da, das würde ich wegstecken. So etwas paßt nicht hierher.« Mekher grinste verächtlich. »Das ist meine Sache«, sagte er. »Ein Pyrride«, sagte sie. »Ihr werdet es wohl nie lernen.« Mekher betätigte seine Neuropeitsche. Jetzt, da er den Extra in der Nähe wußte, hatte er blendende Laune, daher begnügte er sich damit, die Peitsche zu schwingen und laut knallen zu lassen. Die Frau zuckte zusammen, das Kind begann zu schreien. Grinsend marschierte Mekher weiter. Mochte sie ihn hassen, wenn sie ihn nur fürchteten. Mekher ging weiter der Spur nach. Es gab an dieser Stelle ein weites Areal, das grasbewachsen war.
SENECA mochte wissen, wie die Leute das gemacht hatten, aber es gab zwischen den Kabinen einen großen freien Grasplatz. Und mitten auf diesem Platz saß der Extra und rührte sich nicht. Im ersten Augenblick dachte Mekher entsetzt, daß der Extra womöglich schon tot war, dann aber begriff er, daß sein Jagdwild offenbar noch lebte. Um den Extra herum saßen in weitem Kreis mindestens zweihundert Menschen, Männer, Frauen und Kinder. Sie hatten einander an den Händen angefaßt und waren in Meditation versunken. Mekher schluckte. Er hatte mit Aufregung und Gefahren gerechnet, aber nicht mit dieser Situation. Dieser vermaledeite Extra war offenbar nicht nur intelligent, sondern obendrein auch noch in der Lage, die geistigen Bemühungen der Meditierenden zu verstärken. Mekher konnte sehen, wie der rote Ball auf dem Rücken der gelben Tonne in einem seltsamen Rhythmus zu. schrumpfen und wieder zu wachsen begann, obendrein änderte sich kontinuierlich seine Farbintensität. Und dann sah Voorn Mekher, daß jemand sich von der anderen Seite des Platzes her näherte – ein Pyrride, wie die Kleidung eindeutig auswies. Es gab keine Zeit mehr zu verlieren. Wenn Voorn Mekher vermeiden wollte, zum ersten Mal bei einer solchen Jagd geschlagen zu werden, dann mußte er sofort handeln. Voorn Mekher rannte los. Er wollte , den Kreis der Meditierenden durchbrechen und den entscheidenden Schlag landen. Die Neuropeitsche in Mekhers Hand war zum Zuschlagen bereit. Der andere Pyrride – wo zum Teufel kam der her? – sah die Bewegung von Mekhers Hand, und der Bursche war verteufelt schnell. Er schien sofort zu begreifen, was Mekher im Sinn hatte – er rannte ebenfalls los. Mekher rannte, was seine Beine hergaben. Niemand wußte, wer
dieser fremde Pyrride war, wo er herkam und was er wollte – aber offenkundig hatte er vor, Mekher den Triumph zu verderben. Es war ein Wettrennen, das sich im letzten Sekundenbruchteil entschied. Mekher hatte den Kreis der Meditierenden durchbrochen. Einige wurden in ihrer geistigen Konzentration aufgeschreckt und stöhnten leise; offenbar war der abrupte Absturz in die Wirklichkeit mit Schmerzen verbunden. Es hätte Mekher warnen müssen. Es zeigte ihm, daß die Meditierenden und der Extra eine geistige Einigkeit höchster Konzentration gebildet hatten. Ein Schockschlag mit der Neuropeitsche gegen das Zentrum dieser Konzentration konnte verheerende Folgen für die geistige Gesundheit des Extras und der Meditierenden haben. Mochte dem Pyrriden das Los des Extras auch völlig gleichgültig sein – Dutzenden von Menschen schweren Schaden zuzufügen, überschritt auch die Grenzen, die der Wildheit der Pyrriden gesetzt waren. Voorn Mekher interessierte sich dafür nicht. Er holte zum Schlag aus. Der andere Pyrride hatte gerade den Extra erreicht – seltsamerweise ohne den Extra mit der Neuropeitsche zu schocken. Er hielt sie zwar in der Hand, schlug aber nicht zu. »Aus dem Weg!« schrie Mekher. Er wollte den anderen nicht treffen, aber wenn der es so wollte … Die Neuropeitsche schnellte nach vorne. Im Bruchteil einer Sekunde zuckte die Rechte des Fremden hoch. Während über den Platz der Knall der Neuropeitsche hallte, sah Mekher, wie sich das Ende der Peitsche um den Stiel der Waffe des Fremden wickelte. Dann spürte er einen harten Ruck, er verlor seine Neuropeitsche. Noch bevor sich Mekher von dieser Überraschung erholt hatte, hatte der fremde Pyrride die Waffe zu sich herangezogen. Voorn Mekher stand starr. Hinter dem fremden Pyrriden war einer dieser schmierigen Ahlnaten aufgetaucht, die sich immer dort
einmischten, wo sie nichts zu suchen hatten. Ohnmächtiger Zorn erfüllte den Pyrriden. In diesem Augenblick hatte er nur einen einzigen Gedanken. Er würde diesen Fremden töten. 3. »Tsst«, machte Wort Danyl. Für ihn war das ein Ausdruck außerordentlicher Mißbilligung. Was der Ahlnate sah, gefiel ihm überhaupt nicht. »Freunde«, sagte er sanft. »Was soll der Zank – sind wir nicht Diener derselben Aufgabe?« Der entwaffnete Pyrride machte ein finsteres Gesicht. »Er soll mir meine Neuropeitsche zurückgeben«, knurrte er. »Und zwar schnell, sonst werde ich ihm die Knochen brechen!« »Friede«, sagte Wort Danyl sanft. »Eintracht und Harmonie – was würde der High Sideryt zu solchen Szenen sagen.« Neben dem Ahlnaten stand der neugeworbene Pyrride Jon Tengor. Die beiden waren unterwegs, weil Wort Danyl seinen neugefundenen Schützling höchstselbst der Gruppe eines gewissen Voorn Mekher zuführen wollte. Daß eben dieser Voorn Mekher vor ihm stand, konnte der Ahlnate nicht ahnen, auch nicht, daß er in den letzten Augenblicken Zeuge geworden war, wie, eine Todfeindschaft entstand. Die Bewohner der Siedlung fanden langsam in die Wirklichkeit zurück. Der Extra in der Mitte des Meditationkreises blieb ruhig dort liegen. »Was wollt ihr hier?« sagte einer der meist jungen Menschen. »Was habt ihr hier verloren?« »Der da«, sagte Mekher und deutete auf den Extra. »Er gehört mir.« »Du wolltest ihn töten«, sagte Jon Tengor. »Habe ich recht?«
»Und?« fragte Mekher achselzuckend. »Es ist mein Extra, ich habe ihn aufgestöbert.« »Wir möchten ihn behalten«, sagte eine junge Frau. »Er ist sehr freundlich und hilft uns sehr beim meditieren. Du würdest uns eine große Freude erweisen, wenn du ihn bei uns beließest.« »Wie käme ich dazu?« fragte der stämmige Pyrride grimmig. »Bin ich dazu da, euch das Leben zu versüßen? Holt euch eure Extras selbst, wenn ihr sie braucht.« Die junge Frau schüttelte traurig den Kopf. »Du weißt genau, daß wir Solaner den Aufenthalt auf fremden Planeten verabscheuen und fürchten.« Der Pyrride grinste breit. »Dazu braucht ihr uns Pyrriden, nicht wahr?« fragte er boshaft. »Wie du siehst, können wir ganz gut ohne euch leben, aber ihr kommt ohne unsere Hilfe nicht aus.« Jon Tengor mischte sich ein. »Nimm an, du hättest den Extra erschlagen. Nun liegt er tot da. Was willst du mit ihm machen? Ihn verspeisen?« Mekher verzog angeekelt das Gesicht. »Selbstverständlich nicht«, sagte er und fletschte die Zähne. »Ich weiß, worauf du hinauswillst – ob ich ihn tot oder lebend dalasse, macht für mich keinen Unterschied …« »Wohl aber für diese Leute und den Extra«, warf Wort Danyl ein. »Uns Solanern geziemt es, sich untereinander zu helfen, zum Wohle des Ganzen.« »Und das Ganze hört auf den Namen High Sideryt«, versetzte Mekher gehässig. »Was hat er davon, ob diese Spinner ihr Haustier behalten können oder nicht.« Es war Jon Tengor, der die Unterhaltung beendete. Er gab Voorn Mekher die Neuropeitsche zurück. »Gehen wir«, sagte er einfach. Mekher wollte noch einmal zu einem Hieb ausholen, aber der fremde Pyrride hielt einfach seinen Arm fest.
»Gehen wir!« wiederholte er. Mekher barst förmlich vor Wut. Die Frechheiten, die sich dieser schmächtige Bursche herausnahm, weil er sich durch den schleimigen Ahlnaten gedeckt fühlte, waren unerhört. »Dafür wirst du bezahlen«, knurrte Mekher, immerhin laut genug, daß auch Wort Danyl ihn hören konnte. Der Ahlnate schüttelte traurig den Kopf. Es war wahrhaftig eine Schande, wie zerstritten untereinander die Kasten der SOLAG waren. Das galt sowohl für die primitiven Ferraten als auch für die Pyrriden, die Wort Danyl grundsätzlich nicht sehr mochte. Die Troiliten kannte Wort Danyl nur vom Hörensagen; Deren besondere Aufgabe ließ sie bei niemandem sehr vorteilhaft erscheinen. Blieben jene Kasten, die oberhalb des Status eines Ahlnaten angesiedelt waren. Was die Magniden betraf, war Wort Danyl erfüllt von der stillen Hoffnung, eines Tages in diesen erlauchten Zirkel berufen zu werden. Dann war er auch endlich dem kleinlichen Gezänk entwachsen, das die Ahlnaten und Vystiden untereinander austrugen – sinnlose Zänkereien nach Ansicht des Ahlnaten, weil die geistige Leistung der SOLAG durch die Ahlnaten gewißlich höher einzuschätzen war, als die blutvergießende Sicherungstätigkeit der Kriegerkaste der Vystiden und Haematen. Nun, vielleicht ließen sich die beiden Zankhähne wieder miteinander versöhnen. Lange würden sie ohnehin nicht miteinander auskommen müssen. Dieser Bursche Jon Tengor versprach einiges. Er besaß Tatkraft und Durchsetzungsvermögen. Obwohl er körperlich dem bulligen Pyrriden klar unterlegen war, hatte er sich dennoch nicht beeindrucken lassen und seinen Willen durchsetzen können. Offenbar eine Führernatur – und damit für die erlesene Kaste der Ahlnaten wie geschaffen, selbstverständlich unter kundiger Anleitung eines altgedienten Mitglieds dieses Standes. Man konnte schließlich nie wissen, was aus einem ehrgeizigen Mann werden konnte. Es ging sogar in gewissen Kreisen das
Gerücht, der High Sideryt habe, von Brauch und Herkommen abweichend, den Namen eines SO‐LAG‐Mitgliedes in SENECA gespeichert, das nicht zum Zirkel der Magniden gehörte … eines Ahlnaten oder Vystiden. Der Name dieses festgelegten Nachfolgers des High Sideryt war natürlich streng geheim und konnte jederzeit geändert werden … Die Zukunft mußte zeigen, was aus Wort Danyl noch alles werden konnte. »He, aufgepaßt!« Der Ahlnate schrak auf. Er wäre beinahe in einen nicht funktionierenden Antigravschacht gestürzt. »Vielen Dank, Bruder«, sagte Danyl freundlich. Jon Tengor war es gewesen, der ihn vor dem Absturz bewahrt hatte. Wirklich ein sehr guter Mann. »Und wie heißt du?« »Ich bin Voorn Mekher«, sagte der bullige Pyrride. Das war eine kleine Überraschung für den Ahlnaten. »Ich wollte zu dir«, gab er würdevoll bekannt. »Dieser Mann soll zu euch stoßen.« »Wer bestimmt das?« fragte Mekher mit einem scheelen. Seitenblick auf den schmächtigen Pyrriden an seiner Seite. Wort Danyl mußte zugeben, daß Tengor körperlich nicht gerade wie ein Pyrride aussah. »Du kennst die Regeln, Voorn Mekher«, sagte der Ahlnate. Wie immer bemühte er sich, sanft und freundlich zu sein, das ziemte sich für einen Ahlnaten. Auch durch ihr Betragen – so wurde es in den Seminaren gelehrt – sollten die Ahlnaten als die geistige Führungskaste der SOLAG erkennbar sein und sich abheben von den anderen Gruppen. »Heißt das, daß wir bald wieder einen Auftrag bekommen?« fragte der Pyrride. »Wozu das?« »Wir können ihn erst aufnehmen, wenn er eine Planetentaufe hinter sich hat«, erklärte Mekher. »Er war doch sicher früher ein
Ferrate, nicht wahr?« »Führwahr«, sagte der Ahlnate. »Das trifft zu.« »Na, dann hat er doch sicher Angst, das Schiff zu verlassen. Ich bin ganz sicher, daß er fürchterliche Angst hat – und wenn nicht, dann wird er sie garantiert bekommen.« Sein Tonfall verriet, daß er im Bedarfsfall selbst für diese Angstgefühle sorgen würde. Jon Tengor lächelte verbindlich. »Das bleibt abzuwarten«, sagte er. »Gibt es Aussichten für ein Planetenkommando?« »Mir ist nichts bekannt«, sagte der Ahlnate. »Und selbst wenn ich etwas wüßte, dürfte ich es vor der Zeit nicht verraten. Unsere Stellung bringt die Verpflichtung der Geheimhaltung mit sich.« »Schnösel«, murmelte Voorn Mekher. Er schien sich einen Spaß daraus zu machen, seine böswilligen Bemerkungen genau so laut zu machen, daß der Ahlnate ihn gerade noch hören und verstehen konnte. Mekher beäugte mit sichtlichem Mißbehagen den neuen Kameraden: »Ich glaube nicht, daß er die ersten paar Tage bei uns überleben wird«, sagte er geringschätzig. »Ein Gedanke, der dich über die Maßen bedrückt«, gab Tengor zurück. »Man sieht es dir an.« Wort Danyl lächelte. Sein Protege war offenbar nicht aufs Maul gefallen. Man mußte ihn im Auge behalten, nahm sich Wort Danyl vor. Vielleicht konnte man sich einen brauchbaren Verbündeten beim Aufstieg schaffen. Mekher zog die Augenbrauen in die Höhe. »Eines will ich gleich von Anfang an klarstellen«, sagte er. »Damit es keine Mißverständnisse gibt – in der Pyrridenhöhle gilt mein Kommando, wenn es keine eindeutigen Anordnungen von oben gibt.«
»Das habe ich mir bereits gedacht«, sagte Tengor. »Du hast sofort auf mich den Eindruck eines Anführers gemacht.« Das war ironisch gemeint, kam aber bei Voorn Mekher nicht so an. Er zeigt einen kurzen Augenblick lang ein erstauntes Gesicht, dann grinste er wieder. »Wenn du bereit bist, zu parieren, soll es mir recht sein«, sagte er. Tengor verzog das Gesicht zu einem freundlichen Lächeln. »Es wird von den Befehlen abhängen«, sagte er gelassen. Der Ahlnate sah zur Seite. Wie würde Voorn Mekher auf diese Herausforderung, antworten. Er stierte Tengor an und ballte die Fäuste, mehr tat er nicht. Danyl zog Tengor ein wenig zu sich heran. »Du solltest ein wenig auf deine Rede achten, mein Sohn«, sagte er sehr leise. »Die Sitten sind rau genug bei diesen Leuten, ich kann nicht immer in deiner Nähe sein, um meine Hand über dich zu halten.« »Ich werde mir zu helfen wissen«, sagte Tengor ebenso leise. Wort Danyl sah seinen Begleiter an. Ein seltsames Gefühl beschlich den Ahlnaten, eine unbestimmte Ahnung, daß mit diesem Mann etwas nicht stimmte. Es gab da ein Geheimnis, und Wort Danyl empfand sogar ein wenig Furcht davor, an dieses Geheimnis zu rühren. * Die Hälfte der Pyrriden hatte sich eingefunden, der Rest versuchte noch immer, den zur Jagd freigegebenen Extra aufzuspüren. Diejenigen, die sich in der Pyrridenhöhle wieder eingefunden hatten, hatten aus der verstrichenen Zeit gefolgert, daß die Jagd längst beendet war – hatte man einen Extra nach so vielen Stunden immer noch nicht gefaßt, bekam man ihn nie mehr zu Gesicht. »Na? Wo ist er«, schrie Tsheker, als er Voorn Mekher eintreten sah. »Ist er das neben dir?« Brüllendes Gelächter erhob sich, das erst verstummte, als der Ahlnate sichtbar wurde. Wort Danyl hob die Arme und machte eine beschwörende Geste. Das Licht in der Pyrridenhöhle begann zu flackern und verlosch
dann ganz. Mit schnellen Handbewegungen zauberte Wort Danyl leuchtende Zeichen in die Dunkelheit. Aus den Reihen der Pyrriden erklang erschrecktes Stöhnen. Wort Danyl setzte die Vorführung fort. Er lächelte zufrieden. Die alten Tricks funktionierten noch immer, man mußte die Instrumente des Glaubens nur recht zu nutzen wissen. ,Mit einem Befehlsgeber hatte der Ahlnate das Licht verlöschen lassen, und die Leuchtzeichen in der Luft verdankten ihre wunderbare Wirkung der einfachen Tatsache, daß die Lichtspur eines schnell bewegten kleinen Scheinwerfers als optischer Eindruck im Auge recht lange erhalten blieb. Einige Minuten lang bearbeitete der Ahlnate die Pyrriden, dann ließ er die Arme wieder sinken – wenig später funktionierte auch wieder die Be. leuchtung. Die Pyrriden saßen wie gebannt an ihren Plätzen, die Augen weit geöffnet. Sie blinzelten erschreckt, als das Licht plötzlich wieder aufflammte. Die kurze Zeit der Blendung seiner Zuschauer nutzte der Ahlnate, um mit dem Fuß eine kleine Rauchkapsel zu zertreten. Farbige Dämpfe wallten hoch und umhüllten die schlanke Gestalt des Ahlnaten. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Die Pyrriden machten beschwörende Gesten und einige sanken sogar auf die Knie. »Ich freue mich, euch zu sehen, meine Kinder«, sagte der Ahlnate liebenswürdig. Es gab nur drei Personen im Raum, die nicht von seiner Darbietung beeindruckt waren. Das war zum einen der Anführer dieses Haufens, der den Ahlnaten grimmig anstarrte. Das kleine Kunststück hatte Mekher wahrscheinlich etliches an Autorität gekostet. Die zweite Person war ein Ferratenweib, das zusammengekauert in einem Winkel der Pyrridenhöhle lag. Als dritter zeigt sich Jon Tengor von Danyls Darbietung wenig erschüttert.
»Ich bringe euch ein neues Mitglied der SOLAG«, sagte der Ahlnate. »Jon Tengor, er wird künftig einer der Euren sein.« »Das wird sich zeigen«, murmelte Voorn Mekher, Jon Tengor sah ihn offen an. »Hat jemand etwas gegen mich vorzubringen?« »Du bist zu dürr«, schrie Tsheker. »Mager und ausgehungert. Ich könnte dich zwischen zwei Fingern zerquetsehen.« »Ich bezweifle das«, sagte Tengor. Über Tshekers Gesicht flog hämische Freude. »Darf ich?« fragte er mit einem Seitenblick auf Mekher. Der widerum sah, ebenso wie Tengor, auf den Ahlnaten. »Entsetzlich«, flüsterte Danyl. »Aber so es unausweichlich ist, mögt ihr tun, wonach es euch gelüstet. Wisset aber, daß solche Akte der Rohheit wenig passend sind für ein Mitglied der SOLAG!« »Pah«, machte Mekher. »Komm näher!« rief Tsheker. Er streifte die Überkleidung ab. Gewaltige Muskelbündel waren zu sehen, dazu etliche Narben, die von früheren Raufereien mit wilden Extras herrühren mochten. Jon Tengor legte lediglich die Neuropeitsche zur Seite. Der Gesichtsausdruck, mit dem er Tsheker betrachtete, verriet fast so etwas wie Mitleid – Danyl glaubte aber, daß er sich da irrte. In einem Punkt war sich der Ahlnate allerdings sicher – Angst war in den Zügen des frischgebackenen Pyrriden nicht zu finden. »Wie wird der Kampf geführt? Nach welchen Regeln?« Das laute Gelächter der Meute zeigt, daß es keine Regeln gab. Rasch hatten die Pyrriden einen Kreis um die Kämpfer gebildet. Gewettet wurde nicht – dazu war der Ausgang des Kampfes zu offensichtlich. Das einzige, was noch nicht gewiß war, war die Zahl der Knochen, die Tsheker dem schmächtigen Neuling brechen würde. »Los, fangt an!« schrie Voorn Mekher. Er griff nach einem großen hochgefüllten Glas und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Tsheker griff zu. Entsetzt sah Wort Danyl, daß sich Jon Tengor gar
nicht wehrte. Tsheker nahm den schmächtigen Neuling in die Arme. Er grinste boshaft. »Bekommst du noch Luft?« Man konnte es förmlich knacken hören, als der muskelbepackte Tsheker dem Hageren die Rippen zusammenquetschte. Wort Danyl wandte den Kopf. Er wollte das Ende nicht ansehen. Es dauerte nicht lange, dann erklang ein schmerzliches Stöhnen, wenig später gab es einen Aufschrei der Menge, und dann hörte der Ahlnate in eine plötzlich eintretende Stille hinein, wie ein Körper auf den Boden fiel. Es war totenstill. Danyl wandte sich wieder um. »Wie hast du das gemacht, Kerl?« brüllte Voorn Mekher. Wort Danyl sah fassungslos, daß der riesenhafte Pyrride auf dem Boden lag, wohingegen Jon Tengor ruhig dastand, als ginge ihn die Sache nichts an. »Wie hast du das gemacht?« schrie Voorn Mekher ein zweites Mal. Er riß sich die Jacke vom Leib, und seine Muskelpakete waren womöglich noch ein wenig größer und furchteinflößender als die des besinnungslosen Pyrriden Tsheker. Mit Ungestüm drang Mekher auf den Neuling ein, doch vor den Augen der erschreckten Pyrriden bezog er eine fürchterliche Niederlage. Wie der Hagere das anstellte, blieb sein Geheimnis, aber plötzlich flog der massige Körper des Pyrriden wie eine Gliederpuppe durch die Luft und krachte hart auf den Boden. So gewaltig war der Aufprall, daß es Mekher die Kraft aus den Lungen trieb und ihn ebenfalls ohnmächtig werden ließ.. Während es in der Pyrridenhöhle sehr still wurde, spürte Wort Danyl, wie sein Herz vor Aufregung schneller zu schlagen begann. Seine Ahnung verstärkte sich allmählich.
4. Tordya wußte, daß jetzt ihre Stunde gekommen war. Seit vier Tagen war sie in der Hand dieses Gesindels, und bisher war ihr außer wüsten Beschimpfungen nichts Übles wiederfahren, und beschimpft zu werden, war sie ohnedies gewohnt. Sie kauerte sich in die Ecke und spähte durch eine Lücke in den verschränkten Armen in den Raum. Sie waren wie Tiere. Massig, häßlich, grob. Sie kannten keine Gefühle, es sei denn Aggressivität. Wahrscheinlich standen sie Tieren näher als Menschen, diese Pyrriden. Tordya haßte sie. Sie ekelte sich vor diesen klotzigen Männern, vor den groben Frauen, vor ihrem Benehmen, ihren sogenannten Späßen. Was sich in den letzten Minuten abgespielt hatte, war wieder einmal typisch für den Haufen. Kämpfen konnten sie, sich gegenseitig oder ihre Gefangenen verprügeln, mehr nicht. Kein Wunder. Man mußte schon sehr grob sinnig sein, um es längere Zeit auf einem Planeten aushalten zu können – genau das war das Handwerk der Pyrriden. Von höheren Dingen verstand diese Kaste nichts. Immer wieder hatte sich die Ferratin gefragt, wie es möglich war, daß diesem Haufen die vierte Wertigkeit zugeschrieben worden war – und sie hatte sich auch gefragt, wer diese Ordnung ersonnen hatte. Hastig sah sich die Frau um. Vielleicht hatte sie eine Chance, diesem Gesindel zu entfliehen. Was ihr bevorstand, wenn sie an diesem Ort blieb, wußte sie wohl. Die Gerüchte waren da sehr eindeutig. Noch war die Meute damit beschäftigt, den Neuen zu bestaunen, der sich – typisch für die Pyrriden – dadurch bestens eingeführt hatte, daß er noch heftiger dreinschlagen konnte als die anderen. Zwei Männer hatte er besinnungslos geschlagen – vermutlich war das alles, was so einer zuwege brachte. Niemand beachtete die Ferratin.
Sie schlängelte sich an der Wand entlang. Es gab eine Hoffnung in dieser Wand. Tordya hatte sie schon vor geraumer Zeit gesehen, aber nicht gewagt, hinüberzukriechen. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wohin sie diese Flucht führen würde. Sie wußte nur eines – sie wollte weder zurück in ihre alte Stellung als Ferratin, noch wollte sie mit den Pyrriden auf einem Planeten abgesetzt werden. Beide Vorstellungen bereiteten ihr Übelkeit. Sie erreichte das Loch in der Wand. Es war eine Verkleidungsplatte, die nur noch an einer Kante befestigt war. Man konnte die Platte zur Seite schieben und in den finsteren Hohlraum klettern, der dahinter lag. Tordya zögerte. Diese Flucht konnte leicht tödlich enden. Niemand wußte, was hinter der Platte lag, welche Gefahren dort lauerten. Aber selbst der Tod schien der Frau angenehmer als die Gesellschaft dieser brutalen Bande von Pyrriden. Ein leichter Druck genügte, die Platte schob sich zur Seite. Tordya schlüpfte in den Hohlraum und ließ die Verkleidung in ihre alte Stellung zurückgleiten. Es war stockfinster um sie herum, und dazu roch es alles andere als angenehm. Tordya streckte die Hand tastend aus. Der Raum war ziemlich groß und besaß einen staubbedeckten . Boden aus Metall. Vorsichtig kroch Tordya weiter. Nur weg von den Pyrriden, das war der Gedanke, der die Frau beherrschte. Das Leben als Ferratin war schlimm genug, es wurde unerträglich.wenn man sich den Luxus erlaubte, die Geliebte eines bornierten Ahlnaten zu sein. Dann den Pyrriden in die gierigen Finger zu fallen, bedeutete die Krönung des Unglücks – sehr viel schlimmer könnte es kaum noch kommen. Wenn nur Kav Wergen in der Nähe gewesen wäre. Er kannte sich in den Räumen der SOL besser aus, er hätte vielleicht einen Weg gewußt. Es war. unter Umständen möglich, sie gleichsam außen
herum zu einem Sektor der SOL zu führen, an dem sie niemand kannte. Dort hätte sie von neuem anfangen können. Tordya war sich darüber klar, daß sie mit dieser Flucht die Troiliten auf sich aufmerksam gemacht hatte. Es hieß, daß es niemanden, an Bord der SOL gäbe, der sich dem Zugriff dieser rächenden Gerechtigkeit entziehen könne – nicht einmal die Magniden seien sicher vor den Brüdern und Schwestern der fünften Wertigkeit. Tordya gehörte zu denen, die so etwas nicht glaubten. Sie glaubte überhaupt nicht an die Troiliten, aber jetzt, da sie sich davonmachte, wurde sie dennoch von Furcht gepackt. Wenn sie bei den Pyrriden geblieben wäre, hätte sie immerhin eine Überlebenschance gehabt. So aber war es durchaus denkbar, daß man sie eines Tages irgendwo in der SOL fand, tot, von den Troiliten ermordet, auch wenn die das ganz anders darstellen würden. Tordya kroch weiter. Vorsichtig tastete sie sich vorwärts, sie probierte bei jedem Schritt erst einmal, ob der Boden auch hielt, bevor sie die entsprechende Stelle mit ihrem ganzen Gewicht belastete. Nach einigen Minuten war es still um sie herum geworden. Der Lärm der Pyrridenversammlung lag hinter ihr. Zu hören waren jetzt nur noch ihre hastigen Atemzüge und die Geräusche, die sie beim Kriechen machte. Tordya hatte Angst. Angeblich wimmelte es in den Räumen zwischen den bekannten. Wohngebieten von Monstren aller Art. Angeblich waren es Tausende und angeblich waren sie allesamt höchst gefährlich, sicher war von diesen Angaben so gut wie nichts. Tordya wußte, wie Monstren aussahen. Eine ihrer Freundinnen hatte eines geboren. Tordya hielt inne. Hatte sie etwas gehört? Ein Geräusch, das Scharren von Krallen auf dem Metallboden?
Nichts rührte sich. Sinnestäuschung, sagte sich die Frau. Sie mußte dieser Dunkelheit so schnell wie möglich entfliehen – sie drohte verrückt zu werden vor Angst in diesen finsteren Räumen. Wenig später spürte sie etwas sehr hartes an ihren Knien. Sie hielt an und tastete nach dem Widerstand. Es waren Halteklammern. Offenbarʹ gab es ʹ unter ihr einen Raum. Gerne hätte Tordya gewußt, in welchen Raum sie auf diese Weise eindringen konnte, aber das war nahezu ausgeschlossen. Wahrscheinlich wußte nicht einmal der High Sideryt selbst, wie die SOL in ihrem Innern tatsächlich aussah. Früher einmal … aber das war ferne Vergangenheit. Jetzt jedenfalls gab es ganze Regionen an Bord, die von niemandem betreten werden durften. Es gab gefährliche Sektoren, in denen Menschen und Monstren, Extras und deren Nachkommen hausten und keinen verschonten, der sich bei ihnen sehen ließ. Es gab, so hieß es, verlorene Sektoren, Vakuumeinbrüche, Strahlenhöhlen und dergleichen. Tordya löste die Klammern. Darunter war es hell. Licht war genau das, wonach sich die Frau jetzt sehnte – Licht und Wärme. Unter ihr knisterte es, aber darauf achtete Tordya nicht. Sie schob die Platte zur Seite. Ein Blick zeigte ihr, das sie in irgendeinem bislang verborgenen Bordheiligtum herauskommen würde. Es gab Sakralgerät zu sehen, dazwischen war ein freier Platz, genau unter Tordya. Im gleichen Augenblick brach die Strafe über sie herein. Von allen Seiten griffen dünne blaue Krallen nach ihr und ließen ihren Körper unter fürchterlichen Zuckungen erbeben. Tordya wollte schreien, aber sie brachte keinen Laut über die Lippen. Blaues kaltes Feuer bildete sich um ihrem Körper und hüllte ihn völlig ein. Der Schmerz war eigentlich auszuhalten, wenn auch nicht sehr angenehm. Was Tordya aber noch viel mehr quälte, war die Tatsache, daß sie völlig die Kontrolle über ihren Körper verloren hatte.
Sie wußte, was das bedeutete. Sie würde an diesem Platz bleiben müssen, bis sie entweder verdurstet war, oder von den suchenden Pyrriden aufgestöbert und erneut gefangengenommen wurde. Tordya hätte am liebsten vor Schmerz und Enttäuschung geweint, aber nicht einmal dazu war sie in der Lage. Und der blaue Kokon um sie herum wurde immer dichter. * Sie sah das Gesicht über sich, und sofort begann sie zu schreien. Der Pyrride legte ihr seine Hand auf den Mund. Tordya versuchte ihn zu beißen, sie trat um sich. Sie wußte, was ihr nun bevorstand, aber sie wollte sich wenigstens wehren, bevor der Bursche über sie herfiel. »Was soll der Aufwand«, sagte der Pyrride mit ungewohnt sanfter Stimme. »Dir geschieht nichts, Weib. Also beruhige dich – und sei leise, damit wir nicht entdeckt werden.« Es war jener Pyrride, der – wie lange lag das schon zurück? – zwei bärenkräftige Gegner in kurzer Zeit besinnungslos geprügelt hatte. Tordya dachte nicht daran, sich wehrlos zu ergeben und auf das verlogene Geschwätz des Pyrriden zu achten. Diese Kerle waren alle gleich. Wieder versuchte sie den Mann zu treten, aber er war geschickt genug, sie zum einen festzuhalten und zum anderen ihren Tritten auszuweichen. Nach ein paar Minuten heftiger Gegenwehr ergab sich Tordya in ihr Schicksal. Ihr Körper erschlaffte. Der Pyrride lächelte sanft. Erlöste behutsam seinen Griff. Tordya versuchte aufzuspringen, aber sie schaffte es nicht. Sofort packte der Pyrride wieder zu. Tordya war psychisch zermürbt, sie
gab auf. »Ich bin Jon Tengor«, sagte der Pyrride leise. »Du bist Tordya, nicht wahr?« »Ph«, machte Tordya. »Du hast großes Glück gehabt«, sagte der Pyrrjde. »Hätte ich den Hauptschalter nicht gefunden, wärst du schon tot.« »Na und?« »Es ist ein bißchen früh für dich, an den Tod zu denken«, sagte der Pyrride. »Hast du Hunger, Durst?« Jetzt zum ersten Mal begann Tordya zu glauben, daß der Mann es möglicherweise ernst meinte mit seiner Freundlichkeit. Das war nicht Pyrridenart. Sie nickte. Tengor hatte tatsächlich Nahrung dabei und eine Wasserflasche. Er wartete geduldig ab, bis Tordya den ersten Heißhunger gestillt hatte. »Du warst Gefangene der Pyrriden?« fragte er dann. Er lehnte gegen einen Sakralgegenstand, als sei dies die normalste Sache der SOL. Tordya mußte wider willen lächeln. Gefangener der Pyrriden, das klang geradeso, als rechnete sich dieser Kerl nicht dazu. Hatte er nicht vor kurzem erst mit seiner Gewalttätigkeit den Anführer des rohen Haufens entthront? »Warum?« Tordya zuckte mit den Schultern. »Warum wohl?« fragte sie. »Erzähl mir davon«, bat Jon Tengor. Tordya fand, daß er sein Spiel übertrieb. »Du weißt schon, das übliche«, sagte Tordya kauend. Tengor lächelte. »Daß die SOL nicht das Weltall ist, daß man auch auf Planeten sehr wohl leben kann …« Tordya verzog angewidert das Gesicht. »Ich habe mich strafbar gemacht«, sagte sie. »Aber ich bin
deswegen nicht verrückt.« Tordya sah den Mann etwas genauer an. Sollte sie hier verführt werden, Dinge zu sagen, die sie völlig zu Recht zur Todeskandidatin machen konnten? Was war das für ein Pyrride? Ein Provokateur? Ein Lockspitzel, der den Troilitenin die Hände arbeitete? »Ich habe gesagt, daß man sich künftig etwas eingehender um die Sakralgegenstände kümmern sollte«, fuhr Tordya fort. »Ich habe meinem Lehrmeister widersprochen. Und außerdem …« »Ja?« Tordya sah den Pyrriden an. Sie hatte auf seltsame Weise Angst vor ihm und empfand Vertrauen. Wahrscheinlich war sie tatsächlich verrückt geworden, dachte Tordya. »Ich habe einen Freund«, gestand sie leise und senkte den Kopf. »Das wundert mich nicht«, sagte der Pyrride freundlich. Tordya wurde noch verlegener. »Es handelt sich um keinen Ferraten«, sagte sie stockend. »Sondern?« Tordya preßte die Lippen aufeinander. Wenn sie aussprach, was sie dachte, würde der Pyrride sie wahrscheinlich auf der Stelle erschlagen – bei Voorn Mekher wäre sie absolut sicher gewesen. Aber dieser Pyrride … »Ich bin mit einem Buhrlo befreundet«, sprudelte sie hervor. »Ich weiß, daß sich das nicht schickt, aber ich kann nicht anders. Sie sind seltsam, das weiß ich, aber sie sind schließlich auch von Müttern geboren worden.« »Ich weiß«, sagte der Pyrride. Er schien nicht im mindesten entsetzt oder angeekelt zu sein; er tat genauso, als sei es das Normalste in der SOL, daß ein Ferrate und ein Buhrlo befreundet waren oder gar mehr. »Ich würde diesen Buhrlo gerne einmal sprechen«, sagte der Pyrride sehr leise. Tordya sah den Mann ganz genau an. Wieder flammte Mißtrauen
in ihr auf. War das eine Falle? Der Pyrride lächelte! Es war ein freundliches offenes Lächeln; ein Anblick, der Tordya selten zuteil geworden war. In der Ferratengruppe, in der sie gearbeitet hatte, waren Scheinheiligkeit und ein mürrischer Ton an der Tagesordnung gewesen. »Du kannst mir trauen«, sagte Jon Tengor. »Wie hast du mich überhaupt gefunden?« wollte Tordya wissen. »Und wo sind die anderen?« »Ich habe sie abgehängt«, sagte Tengor. »Willst du mich nun zu deinem Freund führen?« Tordya zögerte lange und schwieg, dann nickte sie. »Komm«, forderte sie Tengor auf. »Du mußt mir aber zeigen, wo wir uns befinden – es ist ein ziemlich weiter Weg zwischen meinem Heiligtum und der Pyrridenhöhle von Voorn Mekher.« Sie verließen den Raum, in dem es seltsam still war. Es hörte sich an, als sei das Heiligtum erloschen – ein erschreckender Vorgang in den Augen der Ferratin. Sie stellte auch fest, daß Tengor die Verkleidungsplatte, durch die sie den Raum betreten hatte, wieder an ihren alten Platz zurückgeschoben hatte. Offenbar legte Jon Tengor keinen Wert darauf, anderen Pyrriden zu begegnen. Das war sehr seltsam, fand Tordya. Sie schritt hinter dem geheimnisvollen Pyrriden durch verlassene Räume. Eine beklemmende Stille lag darin. Nichts rührte sich. Der Boden war sauber – offenbar funktionierten noch ein paar Reinigungsdiener – sonst allerdings nichts. »Ich möchte wissen …«, begann Tordya. »Ja?« Tordya erschrak ein wenig über ihre eigene Kühnheit. Sie sagte sich aber, daß sie schön so viele Regeln und Gebote mißachtet hatte, daß es auf ein paar mehr oder weniger auch nicht mehr ankam. »Ich hätte gerne gewußt, wie alles früher einmal ausgesehen hat«, sagte Tordya. »Es hat mich immer bekümmert, daß wir keine andere Aufgabe haben sollen als die, das Bestehende zu bewahren. Wozu?
Für wen und was?« »Du stellst kühne Fragen«, sagte Tengor lächelnd. Tordya zuckte mit den Schultern. »Bestraft werde ich ohnehin, wenn ihr … sie …« Tengor lächelte. »… wenn die Pyrriden mich zu fassen bekommen«, stieß Tordya hervor. Irgendwie war dieser Mann kein richtiger Pyrride. Er war freundlich und sanft, während Pyrriden – im günstigsten Fall – als mürrisch, wortkarg und verschlossen galten. Nun ja, das war in ihrem Gewerbe nicht weiter verwunderlich. »Ich möchte wissen, wie es früher gewesen ist und was die Zukunft bringen wird«, sagte Tordya energisch. Weißt du etwas?« Tengor schüttelte den Kopf. »Ich weiß sehr wenig«, sagte er; es klang, als spräche er mehr zu sich selbst als zu Tordya. »Ich werde noch sehr viel lernenmüssen.« »Diese Ecke kenne ich«, sagte Tordya. »Hier müssen wir uns nach links wenden und dann immer geradeaus.« »Zeige du mir den Weg«, sagte der Pyrride, der keiner war. Ein letztes Mal zögerte Tordya! Um sich selbst hatte sie in diesem Augenblick wenig Angst; sie dachte mehr an die Gefahren für ihre Freunde, die sie heraufbeschwor, wenn sie sich in dem Pyrriden irrte. Doch nach diesem Zögern setzte Tordya den Weg energisch fort. Es tat gut, diese Strecke zurückzulegen. Mit jeder Wegstunde, die sie sich von der Pyrridenhöhle entfernte, fühlte sich die Feratin wohler. »Wohin führst du mich?« fragte Jon Tengor. »Zu einem Quartier nahe der Haut der SOL«, antwortete Tordya. »Du weißt, daß die Buhrlos lieber außerhalb der SOL leben als darinnen. Deswegen werden sie von vielen Solanern verabscheut, von manchen sogar gehaßt.« »Das weiß ich«, sagte Jon Tengor. »Das ist einer der Gründe, aus denen ich mit deinem Freund reden möchte.«
Tordya erreichte die geheime Abzweigung. Es gab einen bestimmten Klopfkode, der eine sonst versperrte Tür öffnete. Dahinter führte eine Treppe hinab auf das Deck, auf dem sich einige Buhrlos, Ferraten und normale Solaner eingenistet hatten. Das Kodezeichen war noch gültig. Die Tür öffente sich geräuschlos. »Tritt ein«, sagte Tordya hastig. Sie sah sich um. Auf dem Gang war niemand zu sehen. Wenig später schloß sich die Tür hinter den beiden. 5. Was Chart Deccon zu sehen bekam, gefiel ihm überhaupt nicht. Es hatte sich wenig getan in der letzten Zeit. Noch immer hing die SOL in dem Zugstrahl fest, über den sich wenig mehr aussagen ließ, als daß er die SOL unbarmherzig hineinzog in das Sonnensystem, das Deccon ebenso schlicht wie zutreffend Mausefalle getauft hatte. Deccon wälzte seinen massigen Körper auf dem Sessel in eine bequeme Lage. Die Bildschirme zeigten seit Wochen ein unverändertes Bild – die SOL wurde in die Mausefalle hineingezerrt, mal schneller, mal langsamer. Ein System war dabei noch immer nicht erkennbar. Nur eines hatte sich vor kurzer Zeit geändert. Es gab eine Hochrechnung von SENECA die den mutmaßlichen Zielpunkt diese unfreiwilligen Fahrt betraf. Mit leidlicher Sicherheit hatte SENECA ermittelt, daß der siebte Planet des Systems Mausefalle jenen rätselhaften Sog aussandte, gegen den bislang kein Mittel gefunden worden war. Ein Summton verriet dem High Sideryt, daß jemand ihn zu sprechen wünschte. Deccon stellte die Verbindung her. Er war der Chef der Vystiden, der sich beim High Sideryt meldete. Aksel von Dhrau machte ein finsteres Gesicht.
»Wir haben ihn noch immer nicht«, sagte er grimmig. Chart Deccon wußte sofort, wer damit gemeint war – der Fremde, dessen Ankunft an Bord beobachtet worden war. Deccon stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Das ist, reicht viel«, sagte der High Sideryt. »Das weiß ich«, grollte der Vystide. Er machte eine wilde Geste. »Wir haben schließlich auch andere Sorgen.« »Das wiederum ist niemandem so bekannt wie mir«, sagte Chart Deccon. »Warum ist der Fremde noch immer nicht festgenommen?« »Ein Mann ist verflixt klein, und dieses Schiff ist verdammt groß«, versetzte Dhrau mürrisch. »Er kann sich Hunderttausende von kleinen und großen Räumen aussuchen, um sich darin zu verstecken. Es gibt größere Männer als den Fremden, die man an Bord nicht aufstöbern kann.« Chart Deccon erlaubte sich ein Lächeln. Die Bemerkung zielte natürlich auf ihn, der für die SOLAG‐ Mitglieder schier unerreichbar war. »Sucht weiter«, bestimmte der High Sideryt. »Unermüdlich.« »Weswegen ist dieser Fremde so wichtig?« Chart Deccon gab keine Antwort. Was hätte er dem Vystiden sagen können? Daß er etwas ahnte, auf nicht genau beschreibbare Art? Daß er … Chart Deccon überprüfte sich selbst für einen kurzen Augenblick. Nein er empfand keine Furcht vor diesem Fremden. Aber vor dem, was er auslösen konnte, empfand er etwas Unbehagen. Chart Deccon war ein Mann, der seinen Verstand ebenso souverän einsetzen konnte, wie sein Fingerspitzengefühl für die Zusammenhänge und Unwägbarkeiten des Lebens. Schon nach dem allerersten Auftauchen dieses Fremden hatte er geglaubt, daß sich irgend etwas an Bord geändert hatte. Und dieses Gefühl war stärker und stärker geworden. »Vielleicht sollten wir angesichts der Lage …«, fuhr von Dhrau fort. »Noch nicht«, sagte Deccon sofort. Es war noch nicht die rechte
Zeit, die Machtmittel der SOLAG zu mobilisieren. Und doch. Seit Stunden hatte der High Sideryt immer wieder den selben Gedanken gewälzt. Der Schläfer der SOL. Gleichsam die letzte Reserve. War es soweit? Deccon wußte es noch nicht. Vor allem wußte er nicht, was aus der Sache wurde, wenn die Schläfer geweckt wurden. Das ganze Problem dieses Riesenschiffs lief darauf hinaus, daß auf fast nichts wirklich Verlaß war. Die Nachrichtenlage war jämmerlich; Legenden, wilde Gerüchte aus der Vergangenheit ersetzten die lebensnotwendigen Informationen. Der High Sideryt konnte nicht einmal sicher sein, daß die SOL nicht einfach explodierte, wenn er die Schläfer zu1 wecken versuchte. Die Chance für eine solche Katastrophe war unendlich klein – aber angesichts der mannigfaltigen Fehlfunktionen an Bord nicht mit absoluter Gewißheit auszuschließen. »Wir werden diesen Atlan schon finden, es wird ein wenig länger dauern.« »Pah«, machte der High Sideryt. Wahrscheinlich würde der arrogante Vystide den Gesuchten nicht einmal erkennen, wenn er unmittelbar vor ihm stand. »Was sollen wir tun?« fragte von Dhrau.. »Weitermachen«, bestimmte Deccon. »Ich möchte über jede Nachricht, die Atlan betrifft, inforrmiert werden.« Er trennte die Verbindung. Atlan. Was wollte der Bursche an Bord? Chart Deccon besaß Phantasie, aber er vermochte sich nicht vorzustellen, was im Gehirn des Gesuchten vorgehen mochte. Wo kam der Mann überhaupt her? Einfach so aus dem Weltraum? Eine lächerliche Vorstellung. Trotzdem: da trieb einer im Raum herum, und zufällig kam die SOL vorbei, zufällig fischten ein paar Buhrlos den Raumfahrer auf,
zufällig nannte der sich Atlan, zufällig war das eine der Hauptfiguren des längst überwunden geglaubten Terra‐Rhodan‐ My‐thos, zufällig sah der Schwindler dann auch noch dem realen Atlan aus der Frühzeit der SOL ähnlich … es waren der Zufälle ein wenig zuviel, entschied der High Sideryt. Es steckte ein System dahinter, ein raffinierter Plan. Und das Übelste an diesem Plan war der Umstand, daß Chart Deccon bei allen Bemühungen vom Netzwerk dieses Planes nicht das kleinste Fädchen zu fassen bekam. Atlan war tot. Seit Jahrhunderten, und damit hatte es sich. Wer war gleichzeitig so gerissen, sich für eine jahrhundertealte Leiche auszugeben – und dabei raffiniert genug, sich dem Zugriff der SOLAG auf so geschmeidige Art zu entziehen. »Wir werden reden miteinander, du Atlan«, murmelte Chart Deccon. Er ahnte, daß er es mit einem Gegenspieler von Format zu tun hatte, nicht mit einem Narren und Träumer. Der High Sideryt stellte eine Verbindung zur SENECA her und leitete der Positronik die jüngsten Daten zu. »Läßt sich aus dem Material irgend etwas ableiten?« Die Antwort fiel anders aus, als Deccon es erwartet hatte. »Das läßt sich jetzt noch nicht sagen«, antwortete die Positronik. »Es müssen mehr Daten gesammelt werden.« Der Bursche mußte gefaßt werden, dachte Chart Deccon, und zwar schnell. Wenn sich an Bord herumsprach, daß die SOL in einer Mausefalle festsaß, daß nicht einmal die SOLAG in der Lage war, dagegen etwas zu unternehmen, dann waren Ansehen und Einfluß der SOLAG dahin. Die Leute hatten zum Teil nicht genug zu tun, zum Teil wurden sie materiell vom Schicksal hart gebeutelt. Wenn sich die Gelangweilten mit den Unzufriedenen zusammentaten, konnte es zu einer Revolution kommen, die die Macht der SOLAG binnen weniger Tage hinwegfegte. Chart Deccon war ein einsamer, energischer Alleinherrscher über die SOL und ihre Bewohner, aber er war kein Menschenfeind. Er wußte von dem Humbug, den die Ahlnaten und Ferraten trieben,
von der Pseudorelir gion der SOLAG. Deccon wußte, wie verkrustet und erstarrt dieses Kastensystem war – er wußte aber auch, daß nur dieses künstliche Korsett den Leib der SOL noch zusammenhielt. Und ausgerechnet in diese Situation, in der das Schicksal der Solaner auf des Messers Schneide stand – ausgerechnet da mußte ein Bursche kommen und leichtfertig mit dem Feuer spielen. Nur einen Trost hatte der High Sideryt. Aus einem völlig unerklärlichen Grund versuchte der Psydo‐Atlan, mit unglaublicher Konsequenz gegen den Strom zu schwimmen. »Was verspricht er sich davon«, murmelte Deccon. »Und woher kennt dieser Bursche überhaupt den Namen Atlan?« * Es gab noch einen, der sich Gedanken machte. Dieser Mann war niemand anderes als Wort Danyl, und Gegenstand seiner Betrachtungen war gleichfalls ein Fremder, von dem zwar der Name bekannt war, der sich aber nicht so verhielt, wie man es erwarten durfte. Der Ahlnate grübelte über Jon Tengor nach. Der frischgebackene Pyrride hatte sich heimlich davongemacht und schien wie vom Decksboden verschwunden zu sein. Jedenfalls hatte seit etlichen Stunden niemand mehr etwas von Jon Tengor gehört oder gesehen. Auffällig war, daß fast gleichzeitig mit dem Pyrriden noch jemand verschwunden war – das Ferratenweib, das als Preis dem Sieger der ExtraJagd vorgesehen gewesen war. Wort Danyl konnte zwei und zwei zusammenzählen – er war sich fast sicher, daß beider Verschwinden keinerlei kausalen Zusammenhang hatte. Jon Tengor war nicht der Mann, der seine Karriere wegen eines Ferratenmädchens opferte – dafür hatte er sich als zu gewitzt herausgestellt. Wie er es geschafft hatte, die beiden
stämmigen Pyrriden buchstäblich aufs Kreuz zu legen, blieb das Geheimnis des Verschwundenen – es stand aber fest, daß er der Anführer des Pyrridenhaufens sein würde, wenn er zurückkehrte und es schaffte, den vorhersehbaren Mordversuch des früheren Anführers zu überleben. Für Wort Danyl ergab sich aus diesem Zusammentreffen allerlei – er fand den Gedanken reizvoll, als. Freund und Helfer des geschickten Tengor dessen Ergebenheit ausnützen zu können. Mit einer so schlagfertigen Truppe in der Hinterhand, wie sie eine von Tengor geführte Pyrridengruppe sein würde, hatte Danyl als Ahlnate eine erstklassige Stellung. Der High Sideryt würde Danyl fast zwangsläufig zum Magniden ernennen müssen, wollte er seine Stellung nicht gefährden. Zwar gebot der High Sideryt über die Vystiden, aber die wurden allenthalben zum Niederschlagen größerer und kleinerer Revolten dringend gebraucht. Was dem High Sideryt an schlagfertiger Truppe tatsächlich verblieb, war nicht sehr viel – mit Tengors rauflustigen Pyrriden hatte Danyl eine echte Chance. Nur mußte man dazu erst einmal diesen verflixten Pyrriden aufstöbern. Niemand wußte, wo er steckte. Niemand hatte ihn gehen sehen, nicht einmal Danyl selbst. Daß er sich mit dem Ferratenmädchen herumtrieb, hielt Danyl für ausgeschlossen – solche Umtriebe hätten Tengors Karriere sehr geschadet, und der Ahlnate vermochte sich keinen Mann vorzustellen, der nicht nach Ruhm und Einfluß strebte. Trotzdem setzte sich Wort Danyl mit dem Sektor in Verbindung, in dem man die Ferratin aufgegriffen hatte. Es gab dort eine kleine Abteilung Fer, raten, die sich natürlich beeilten, jeden Wunsch des Ahlnaten zu erfüllen. Die Nachrichten verblüfften den Ahlnaten ein wenig – die Ferratin war dort nicht aufgetaucht. Zwei Verschwundene, das war ein wenig zu viel. Wort Danyl beschloß, sieh selbst umzusehen.
Er ließ ein Fahrzeug kommen und sich in den Bereich des Decks fahren, in dem die Flüchtige gelebt hatte. »Wir haben sie nicht mehr gesehen, seit sie verhaftet worden ist«, beteuerte der Ferrate, der Wort Danyl erwartete. »Sie war schon immer aufsässig, daher tut es uns nicht leid, daß man sie abgeholt hat. Sie war, verzeiht den Ausdruck, durch und durch rostig.« Wort Danyl winkte ab. »Gibt es sonst noch etwas über das Mädchen zu wissen?« Der Ferrate, ein hagerer Bursche mit einem Kahlkopf, wiegte den Kopf. »Nun ja«, druckste er herum. »Es hat geheißen, aber man weiß ja nie, was an solchen Gerüchten dran ist …« »Rede«, herrschte Danyl den Ferraten an. »Meine Zeit ist kostbar.« »Sie soll mit einem von diesen Leuten befreundet gewesen sein«, stieß der Ferrate hervor. »Mit einem von den Buhrlos.« Danyl stutzte. Das gab der Sache einen gänzlich neuen Aspekt. Rostgedanken, nun ja, das gab es alle Tage. Aber eine Ferratin, die sich mit einem Buhrlo zusammentat, das roch nach mehr. Steckte vielleicht doch dieser Jon Tengor dahinter? Ausgeschlossen. Der Mann hätte irre sein müssen, und das war er mit Sicherheit nicht. Sein Verhalten hätte überhaupt keinen Sinn ergeben. Mit den Buhrlos zusammenzugehen, das kam bei den Brüdern der SOLAG dem Hochverrat gleich – wenn das herauskam, konnte sich Tengor niemals rechtfertigen. Es sei denn … Der Gedanke war vermessen, tollkühn, aber er drängte sich dem Ahlnaten immer heftiger auf. Er hatte ihn schon einmal gewälzt, dann aber wieder verworfen. War es möglich, daß dieser Jon Tengor.? Nein, sagte sich Wort Danyl, das war zu absurd. Wanjm sollte der High Sideryt … ausgerechnet in diesem vergessenen Winkel der SOL …?
Andererseits … warum nicht? Schließlich war doch bekannt, daß der Bruder ohne Wertigkeit insgeheim an Bord herumwanderte, um die Stimmung zu prüfen, stille Gerechtigkeit zu üben und dergleichen mehr. Und niemand wußte, wie der High Sideryt aussah – höchstens die Zehntschaft der Magniden, und auch nur die, die bereits in Amt und Würden gewesen waren, als der High Sideryt Tineidbha Daraw gestorben war. Das lag erst wenige Jahre zurück. Damals war Danyl noch einfacher Ferrate gewesen und hatte sich um Dinge höherer Wertigkeit nicht gekümmert. Es war also denkbar und vorstellbar, daß es sich bei Jon Tengor um einen Decknamen handelte, daß Wort Danyl es mit dem High Sideryt persönlich zu tun hatte. »Geht!« sagte der Ahlnate und schickte die Ferraten aus seinem Quartier. Fieberhafte Erregung hatte ihn erfaßt. Natürlich, der High Sideryt hatte Autorität und Durchsetzungsvermögen genug, um auch mit einem Rüpel vom Schlage eines Jon Tengor fertig zu werden. Und der High Sideryt konnte, wenn es ihm einfiel, auch Kontakt zu Ferratenfrauen aufnehmen – die Brüder der höheren Wertigkeit sollten, wie an Bord der SOL geklatscht wurde, ab und zu solche Anwandlungen haben. Das galt besonders für die Vystidin Zlava, der zahlreiche solcher Affären nachgesagt wurden. Und der High Sideryt konnte natürlich auch den Kontakt zu einem Buhrlo aufnehmen, wer hätte ihn daran hindern sollen. Wenn man die Sache so betrachtete, bekam die Angelegenheit Hand und Fuß, dann paßten die einzelnen Teile bestens zusammen. Wort Danyl verzog das Gesicht zu einem selbstgefälligen Lächeln. Man mußte schon ein so scharfes Auge haben wie er, um darauf zu kommen. Daß sich der Ferrate Jon Tengor nicht bewegte wie ein Ferrate, daß seine ganze Körperhaltung nicht zu dieser Rolle paßte, sondern einen Bruder sehr hoher Wertigkeit verriet, dies zu bemerken, bedurfte es eines sehr hohen Maßes an Scharfsinn und
Einfühlungsvermögen. Es verstand sich von selbst, daß Wort Danyl, nun Mitwisser dieses wichtigen Geheimnisses, sofort daran dachte, dem High Sideryt zu helfen in seiner schweren verantwortungsvollen Arbeit. Das Inkognito wollte der Ahlnate einstweilen nicht lüften – aber es konnte nicht schaden, wenn er dem High Sideryt sehr diskret zu verstehen gab, daß er mit aller Täuschungskunst nicht die überragende Intelligenz eines Wort Danyl hatte übertölpeln können. Ein solcher Hinweis war durchaus angebracht – schließlich sollte der High Sideryt nicht darüber im unklaren gelassen werden, was für hervorragende Mitarbeiter er besaß. Wort Danyl verließ seine Unterkunft und suchte das Heiligtum auf. Ein paar Ferraten saßen dort, die Körper starr ausgerichtet, ein Musterbild peinlich genauer Pflichterfüllung. Wort Danyl sah es mit Wohlgefallen. »Hört zu, meine Kinder«, sagte er salbungsvoll. »Ich suche nach einem ganz bestimmten Mann, einem Pyrriden.« Niemand wagte es, die vorgeschriebene Haltung zu verlassen, sie hörten zu, aber sie rührten sich nicht. »Ich werde euch diesen Mann genau beschreiben, und ihr werdet mir dann sagen, ob ihr ihn kennt.« Er versprach sich viel von diesem Vorgehen – es mußte klappen. 6. Es tat weh, aber Kav Wergen unterdrückte das Schmerzgefühl. Er wußte, daß er nicht mehr lange würde leiden müssen. Kav Wergen hatte ein hohes Alter erreicht. Er wußte, daß die Zeit zu sterben nahe war. Bei einem Buhrlo ließ sich das vergleichsweise leicht ablesen – in dem Maße, in dem die spezielle Haut der Weltraumgeborenen ihren Dienst versagte, näherte sich das Ende. Kav Wergen wußte, daß er nur noch wenige Wochen, vielleicht nur
noch ein paar Tage zu leben hatte. Einer der Vorteile dieses Wissens war der Mut, der daraus erwuchs. Kav Wergen konnte nichts mehr zustoßen, er hatte nichts mehr zu verlieren außer einem Leben, das von den immer stärker werdenden Unbilden des Alters geprägt war. Daher war Kav Wergen derjenige von den Buhrlos, der es auf sich nahm, den Kontakt zu jenem Pyrriden herzustellen, den Tordya angeschleppt hatte. Kav Wergen und Tordya waren seit langem befreundet. Der Buhrlo traute der Ferratin, obwohl üblicherweise zwischen den Mitgliedern der SOLAG und den. Weltraumgeborenen keine sehr gute Beziehung bestand. Wären nicht die Buhrlos die einzigen gewesen, die den Magniden und dem High Sideryt E‐Kick beschaffen konnten, wäre die Abneigung vermutlich noch größer gewesen. »Er wird dir gefallen«, sagte Tordya, »Langsam, Kind«, bat der Buhrlo: »Meine Glieder sind nicht mehr so jung und geschmeidig wie deine.« »Er ist ganz anders als die anderen Pyrriden, weißt du«, erzählte Tordya. »Freundlich und höflich, nicht alt und abweisend.« Der Buhrlo lächelte verhalten. »Du hast dich in diesen Burschen vergafft, nicht wahr? « Tordya machte eine abwehrende Geste, strafte sich aber durch leichte Röte deutlich sichtbar Lügen. »Ich hoffe, du weißt, auf was du dich da eingelassen hast«, sagte der Buhrlo sanft. »Sieh ihn und urteile dann«, versetzte Tordya. »Ich bin sicher, du wirst ihn mögen.« »Daran besteht wenig Zweifel«, sagte der Buhrlo. »Er ist ein Mensch, und ich mag Menschen. Es fragt sich nur, ob er Buhrlos mag?« »Da ist er«, sagte Tordya. »Jon, dies ist mein Freund Kav Wergen.« Der Pyrride drehte sich langsam herum. Er war Kav Wergen auf den ersten Blick sympathisch. Offenbar hatte sich Tordya keinen
schlechten Kerl als Freund ausgesucht. »Ich bin Jon Tengor«, sagte der Pyrride. Er grüßte den Buhrlo. »Was führt dich in unsere Abgelegenheit?« fragte Kav Wergen. »Neugierde«, sagte Jon Tengor offen. »Ich will soviel wie möglich in Erfahrung bringen.« »Ach ja? Womöglich gar hinaus in den Raum?« Der Pyrride lächelte. »Warum nicht?« Der Buhrlo erwiderte das Lächeln. »Komm, ich werde dich den anderen vorstellen«, sagte er und nahm den Pyrriden bei der Hand. »Warum versteckt ihr euch?« fragte Tengor unterwegs. »Leben Buhrlos und die anderen Solaner nicht friedlich zusammen?« »Nicht in unserem Sektor«, sagte Kav Wergen. Interessiert betrachtete Jon Tengor den Weltraumgeborenen. Auf den ersten Blick war zu sehen, daß der Buhrlo ein alter Mann war. Normalerweise schimmerte die Haut der Buhrlos in einem gläsern wirkenden Rot; ihr verdankten sie die Fähigkeit, sich ohne Raumanzug im Weltraum aufhalten zu können. Bei Kav Wergen hatten sich weite Bereiche der sichtbaren Haut getrübt; das bedeutete, daß die Hautatmung bei Kav Wergen nicht mehr ausreichend funktionierte. Per tödliche Kreislauf war damit geschlossen – mangelnder Sauerstoff und eine zunehmende Vergiftung des Blutes durch jene Abfallstoffe, die sonst durch die Haut ausgeschieden wurden, mußten binnen kurzer Frist dazu führen, daß sich der Buhrlo‐Hautpan‐zer auch ohne Vakuumbedingungen schloß. Das bedeutete den Tod des betreffenden Buhrlos. Kav Wergen konnte, nicht mehr weit von diesem Schicksal entfernt sein. Tordya sah ihn von der Seite an. »Du siehst nicht gut aus«, sagte sie halblaut. In ihrer Stimme schwang eine fast kindliche Zuneigung mit. »Ich werde alt«, sagte Kav Wergen – er lächelte. »Irgendwann
kommt für jeden der Zeitpunkt, wenn er nicht gerade eine Portion E‐Kick erhält. Du weißt davon?« »Ich habe darüber reden hören. E‐Kick ist etwas, was ihr Buhrlos im Weltraum besorgt und den Magniden und dem High Sideryt überlaßt.« »Richtig. E‐Kick wirkt lebensverlängernd, sagt man wenigstens. Richtig ausprobieren konnte man das bislang nicht, es ist noch niemand alt genug dafür geworden.« Sie erreichten endlich einen Raum, in dem mehrere Buhrlos in ein Gespräch vertieft waren. Sie sahen unwillig auf, als die Ferratin und Kav Wergen den Raum betraten. Als dann auch noch die Pyrridentracht Jon Tengors sichtbar wurde, verzogen sich die Gesichter in deutlichem Unwillen. »Wen bringst du da mit?« fragte einer böse. »Was hat der bei uns zu suchen?« »Ich komme als Freund«, sagte Jon Tengor. »Du kommst als Pyrride, und das ist nicht gut.« Tengor lächelte. Kav Wergen sah diese Gelassenheit mit großer Genugtuung. Er gehörte zu jener Sorte von Menschen, die in der Hauptsache ihrem Intellekt vertrauten, aber er war auch in der Lage, seinen Gefühlen zu gehorchen – ohne sie rational zu hinterfragen. Es war nichts als Gefühl. Vertrauen, von Kav Wergen über Tordya übertragen auf den Pyrriden Jon Tengor. Es gab keinen sichtbaren Grund für dieses Gefühl, man konnte es nicht erklären oder begründen. Es war da, und Kav Wergen war stark genug, es dabei zu belassen. »Ich vertraue ihm«, sagte Wergen einfach. »Danke«, sagte Jon Tengor. * Damit war der Anfang gemacht. Jon Tengor blieb einige Tage bei den Buhrlos, und mit jedem Tag, der verstrich, wuchs das Vertrauen, das die Weltraumgeborenen in den Pyrriden setzten. Sie wunderten sich zwar ab und zu über den seltsam geringen
Kenntnisstand des Pyrriden, stellten aber selbst keine Fragen. Besonders einer der Buhrlos hatte Vertrauen zu dem Pyrriden – Kav Wergen. Er war es auch, der Tengor mit zwei sensationellen Neuigkeiten überraschte. »Zweierlei«, sagte der Buhrlo und lächelte dabei. »Etwas Gutes und etwas, von dem ich noch nicht weiß, ob es gut ist oder schlecht.« Jon Tengor lächelte zurück. Tordya, neben ihm lächelte ebenfalls. Sie schien sehr glücklich zu sein. »Wenn du willst«, sagte der alte Buhrlo langsam und bedeutungsvoll, »dann gehe ich hinaus für dich.« »Hinaus? Und wieso für mich?« Tordya streichelte Kav Wergen die Wange. »Das ist zauberhaft«, sagte sie. Zu Jon Tengor gewandt, fuhr sie fort: »Begreifst du nicht? Er will hinausgehen in den Raum, um für dich E‐Kick zu besorgen.« Tengor zeigte sich gerührt von dieser Geste. Er wußte inzwischen, wie riskant es für einen alternden Buhrlo war, sich mit einer möglicherweise nicht mehr voll funktionierenden Glashaut hinauszuwagen ins All. »Ich brauche dergleichen nicht«, sagte er. »Aber habe Dank dafür. Und die zweite Überraschung?« »Irgend jemand schleicht um unser Quartier herum«, sagte der Buhrlo. Er hatte einen Augenblick gezögert, und wer ihn genau kannte, hätte ein wenig Unwillen aus seiner Stimme heraushören können. Mehr als dieses Geschenk hätte Kav Wergen nicht bringen können, und nun wurde die Gabe zwar freundlich, aber dennoch zurückgewiesen. »Wer?« »Das konnten wir nicht feststellen«, sagte Kav Wergen, Tordya preßte Tengors Arm. »Die Pyrriden«, stieß sie ängstlich hervor. »Sie suchen nach uns.«
»Oder die Troiliten«, warf Tengor ein. Der Buhrlo schüttelte den Kopf. »Dann hätten wir nichts bemerkt«, sagte er entschieden. »Die Troiliten arbeiten anders, die bekommt man nie zu Gesicht.« »Wer dann? Und woher wißt ihr überhaupt …« »Wir haben Spuren gefunden«, sagte Kav Wergen. »Eindeutige Spuren. Es sucht jemand nach uns – er hat uns ʹ bislang noch nicht gefunden, aber er ist uns auf der Spur.« Tengor zog die Brauen in die Höhe. »Dann sollten wir uns diesen Jemand einmal aus der Nähe besehen«, sagte er. »Bring dich nicht in Gefahr«, drängte Tordya. »Wenn sie dich bekommen, werden sie dich töten.« »Vermutlich«, sagte Jon Tengor. »Aber ich habe gelernt, mit diesem Risiko zu leben, und ich bin ziemlich alt dabei geworden.« Kav Wergen sah Tengor verwundert an, denn sehr alt wirkte der Pyrride wahrhaftig nicht. »Wir werden dem Schnüffler eine Falle stellen«, sagte Jon Tengor. Er stand auf. »Du wirst mir alles zeigen, Kav. Und dann werden wir uns einmal ansehen, wer da seine Neugier nicht bezähmen kann.« Tordya blieb zurück, während die beiden so verschiedenen Männer sich entfernten. »Um noch einmal darauf zurückzukommen«, sagte Kav Wergen halblaut. »Es war mir ernst mit meinem Angebot.« »Das weiß ich«, sagte Jon Tengor. »Es war mir auch ernst mit meiner Ablehnung. Zum einen brauche ich das E‐Kick tatsächlich nicht …« »Eine vermessene Behauptung«, sagte Kav Wergen scharf. »Vermessen, aber zutreffend, glaube mir«, sagte Jon Tengor lächelnd. »Und zum zweiten möchte ich nicht, daß du dein Leben dafür aufs Spiel setzt.« »Pah«, machte der Buhrlo. »Unsere Gruppe lebt im Gegensatz zur offiziellen Ansicht der SOLAG – da sind schon Kleinigkeiten
lebensgefährlich. Möglich, daß manch einer anderer Ansicht ist, ich bin sogar ziemlich sicher, aber die hierzulande hausenden Pyrriden sind die reinste Mörderbande, wenn es darum geht, die Regeln der SOLAG zu interpretieren.« »Ihr mögt die SOLAG nicht? « Der Buhrlo wiegte den Kopf. »Sie werden gebraucht, das ist es. Ohne die Dienste der Ferraten könnte die SOL nicht fliegen. Auf der anderen Seite hält dieser Mystizismus die Solaner in ihrer Unwissenheit gefangen. Sie kümmern sich nicht um das, was draußen vorgeht. Viele sind der Meinung: wir haben das Schiff, alles funktioniert, was will man mehr.« Jon Tengor lächelte zurückhaltend. Der Buhrlo hatte mit einer Offenheit geredet, die sich gegenüber einem Pyrriden sehr seltsam ausnahm. »Hier sind wir richtig«, sagte der Buhrlo plötzlich. »Siehst du etwas?« Jon Tengor sah sich kurz um. Er schüttelte den Kopf. »Hier hinter diesem Stück Glas sitzt vermutlich eine Kamera«, sagte der Buhrlo. »Im Augenblick ist sie ausgeschaltet, aber sie kann in jedem Augenblick wieder aktiviert werden.« Der Verdacht des Buhrlos bestätigte sich. Die Kamera war rasch gefunden und freigelegt. Jon Tengor zögerte einen Augenblick, dann riß er eine der Leitungen herab. Die Kamera war funktionsuntüchtig. »Die Ferraten werden das merken«, sagte der Buhrlo. Jon Tengor nickte freundlich. »Sie werden herkommen, um der Angelegenheit auf den Grund zu gehen«, fuhr Kav Wergen fort. »Genau das sollen sie auch«, sagte Tengor gelassen. »Du hast wohl wenig Angst?« vermutete der Buhrlo. »Vielleicht nur Mut genug«, gab der seltsame Pyrride zurück. Kav Wergen wurde beim besten Willen nicht schlau aus ihm. Fast bekam
Kav Wergen ein wenig Angst vor diesem Mann, der sich in keine üblichen Vorstellungen einpassen wollte. »Wo können wir uns verstecken«, fragte Tengor. Wergen spähte umher. Der Gang, auf dem die beiden Männer standen, gehörte bereits zu jenem Bereich des Decks, in dem sich die Buhrlos heimlich trafen. Die Tatsache, daß ihr Kommen und Gehen von der Kamera heimlich beobachtet worden war, ließ das Schlimmste ahnen – daß nämlich das sorgsam gehütete Geheimnis gar keines mehr war, vielmehr längst den SOLAG‐Leuten bekannt. Dies zu wissen, war demütigend für den Buhrlo; es besagte, daß man die heimlichen Treffs zwischen Ferraten und Buhrlos für nicht wichtig genug erachtete – die Kommenden wurden beobachtet, Maßnahmen wurden hingegen nicht ergriffen. »Dort vorn gibt es einen leerstehenden Raum«, stieß Kav Wergen hervor. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und er wußte, daß damit die Gefahr für ihn wuchs. Dennoch wollte er dieses Abenteuer vom Anfang bis zum Ende erleben, und sollte es sein Leben kosten. »Kennst du noch ein Versteck«, fragte Tengor. »Wenn einer kommt, sollten wir ihn in die Zange nehmen.« Kav Wergen huschte in die leere Kammer. Er wußte nicht, was man in den früheren Zeiten dort aufbewahrt hatte; der Raum war einem größeren Schrank ähnlicher als einem Zimmer. Es gab nicht einmal Licht darin, nur eine sehr abgestandene Luft, durchsetzt von Staub, der sich seit Jahrzehnten dort gesammelt haben mochte. Die Tür fiel hinter dem Buhrlo zu. Er war allein mit sich und seinen Gedanken. Es erschreckte ihn die Aussicht, jetzt in diesem Augenblick vom Tode überrascht zu werden – er hatte sich ein ganz bestimmtes Ziel gesetzt, sich einen Tod erträumt. Wenn es das Schicksal zuließ, wollte er so sterben, wie er es sich erdacht hatte. Seltsam, daß ausgerechnet jetzt, nach einem Leben ohne besondere
Aufregungen und Abenteuer Ereignisse über ihn hereinstürzten, die er sich vor wenigen Wochen noch gar nicht hatte vorstellen können. Kav Wergen legte ein Ohr an die Tür. Draußen war nicht das geringste Geräusch zu hören. Nun, damit war zu rechnen gewesen. Die Kamera war nicht in Aktion, sie wurde vermutlich nur zu bestimmten Zeiten eingeschaltet. Dann erst würde man den Defekt bemerken und jemanden herschicken, der die Verbindung wieder herstellte. Das bedeutete, daß die beiden womöglich Stunde um Stunde in ihrem Versteck würden zubringen müssen. Kav Wergens Befürchtungen bestätigten sich. Es vergingen Stunden, ohne,daß etwas geschah. * Er erwachte und schrak zusammen. Eingeschlafen, wie peinlich! Fast schämte er sich, hinauszugehen und nachzusehen, wo Tengor wohl geblieben war. Indessen hatte der Buhrlo keine andere Wahl. Er legte das Ohr an die Tür. Nichts. Draußen war es ruhig. Vorsichtig öffnete Kav Wergen die Tür. Der Gang war verlassen. Wieviel Stunden mochten vergangen sein? Kay Wergen wußte es nicht. Es war noch hell auf dem Gang – entweder es war noch nicht Dämmerzeit, oder er hatte wesentlich länger geschlafen, als er angenommen hatte. Es war in jedem Falle eine arge Blamage. Hastig suchte Kay Wergen die versteckte Kamera auf. Ein Blick genügte, um ihm zu zeigen, daß sich nichts geändert hatte. Wo konnte Tengor nur stecken? War er einfach davongegangen und hatte den Buhrlo zurückgelassen, schlafend, gedemütigt? Kav Wergen konnte sich das nicht vorstellen. Er ging ein paar Schritte weiter.
Früher einmal mochte hier Farbe die Wände bedeckt haben; jetzt gab es Überall Rostflecken – ein Anblick, der jeden Solaner erschrecken mußte. Es war selbstverständlich kein richtiger Rost; die SOL war nicht aus Gußeisen gebaut worden. Sie bestand aus hochwertigem Material, aber lange Zeit der Vernachlässigung konnten auch dort zu Schäden führen. Es gab kein Material, das für ewig und alle Zeiten gegen jeden nur denkbaren Umwelteinfluß resistent war. Niemand wußte, woraus die Flecken an der Wand bestanden, ob sie mehr der Chemie zu verdanken waren oder der Biologie. In jedem Fall beinhalteten sie die Geschichte der SOL – früheren Glanz ebenso wie jetzige Schäbigkeit und den schier unaufhaltsamen Verfall selbst der unzerstörbar geglaubten Dinge. Es gab Buhrlos, die diesen Zerfall als Wink des Schicksals deuteten, als notwenigen Schritt auf dem Gang der Evolution – in dem Maß, in dem sich das Schiff von selbst auflöste, zerfiel und verging, lebensfeindlich wurde, im selben Maß mußte der neue Typus Mensch, der weltraumgeborene Buhrlo, das veraltete Konzept ablösen. Gedanken dieser Art beschlichen für einen Augenblick den Buhrlo, dann hastete er weiter – bevor ihn der allenthalben sichtbare Verfall an den eigenen Tod denken ließ. Dann vermeinte er Stimmen zu hören. Zwei Stimmen, die von Männern. Der Buhrlo zögerte einen Augenblick, schlich dann weiter, bog um eine Ecke und sah, quer durch den sieh öffnenden Gang, hinein in einen Nebenraum in dem, hell erleuchtet und in aufrechter Haltung, jedem Vorbeikommenden sichtbar, zwei Männer standen und redeten. Kav Wergen glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er sah, daß der eine der beiden Männer, schlank und hochgewachsen, stehenblieb, während der andere, gekleidet in die Tracht eines Ahlnaten und damit seinem Gesprächspartner an Rang und Würde
nicht nur ebenbürtig, sondern fast überlegen, niederkniete, den Kopf neigte und die Rechte des Stehenden ergriff und sich auf den Kopf legte. »Verzeih mir«, hörte Kav Wergen den Ahlnaten sagen. Es war ein unglaublicher, unerhörter Anblick. Kav Wergen schüttelte den Kopf, als wolle er das Traumbild vertreiben, weil das, was er sah, so nicht sein durfte. Ein Ahlnate kniete nicht vor einem Pyrriden, noch weniger vor einem so jungen wie Jon Tengor – und ein Pyrride, selbst wenn er jung, vielleicht überheblich, auf jeden Fall aber selbstbewußt wie Jon Tengor war, selbst dann blieb er nicht stehen und nahm die Geste des Ahlnaten an, einer Huldigung gleich. »Warum hast du mir nachspioniert?« fragte Jon Tengor. Es war erstaunlich, mit welcher Sicherheit er den herrischen Ton traf, der dem Ahlnaten imponieren mußte. »Nicht nachspioniert«, stammelte der Ahlnate, in dem Kav Wergen zu seinem Staunen Wort Danyl erkannte. »Es ist Zufall, daß ich erkannte, wer du wirklich bist, und ich vermag nichts anderes, als mein Haupt zu verneigen vor dem Mann, der dieser Welt gebietet. Ich grüße dich, High Sideryt!« Jon Tengor lächelte. Wort Danyl lächelte zurück. Er hatte also nicht geirrt. Dieser vermummte Pyrride war niemand anderes als der High Sideryt selbst, und Wort Danyl fühlte heißen Stolz. Sein Plan war bis in das kleinste Stück aufgegangen. Einem Mann seiner Intelligenz konnten die Umtriebe gewisser Ferraten und Buhrlos nicht verborgen bleiben. Sie aufzustöbern, war ein Werk weniger Tage gewesen. Etwas schwieriger war es gewesen, die Nachforschungen so anzustellen, daß sie im rechten Maß entdeckt werden konnten. Daß er den High Sideryt in gewissem Maß sogar überlistet hatte – ja er war sogar so dreist gewesen, den höchsten Mann der SOLAG an der defekten Kamera auf das vermeintliche Opfer warten zu
lassen – erfüllte den Ahlnaten mit Zuversicht. Sein weiteres Schicksal schien ihm klar – dem High Sideryt blieb nun kaum etwas anderes übrig, als die Karriere des Ahlnaten voranzutreiben. »Gut gemacht«, sagte der Pyrride, der sich als High Sideryt verkleidet hatte. »Berichte weiter.« »Es gibt nicht viel zu sagen«, behauptete der Ahlnate. Der High Sideryt forderte ihn auf, sich zu erheben. »Nachdem ich das Geheimnis gelüftet hatte, wollte ich nicht verfehlen, klarzustellen, daß dieses Geheimnis bei mir sicher aufgehoben ist. Ich vermag zu schweigen.« »Es freut mich, das zu hören«, sagte Jon Tengor, alias Chart Deccon. »So du einen Wunsch hast, laß ihn hören«, sagte Wort Danyl. »Dein getreuer Diener steht bereit, dem leisesten Wink deiner Hand zu gehorchen.« Wort Danyl lächelte pfiffig. »Sollen wir dieses Verräternest mit Waffengewalt ausheben?« fragte er. »Es bedarf dessen nicht«, entschied der High Sideryt. Jetzt, da er entlarvt war, bemühte er sieh gar nicht mehr, das Gehabe eines Pyrriden zu zeigen. Jeder Zoll verriet den Bruder ohne Wertigkeit, den Gebieter der SOL. »Ich habe eine andere Idee«, sagte der High Sideryt. »Führe mich zu den Schläfern!« »Ich …«, stammelte er. »Wieso …?« Er verstand nicht, wieso der High Sideryt dazu kam, an ihn, einen einfachen Ahlnaten, ein solches Ansinnen zu stellen. Woher sollte ausgerechnet er das Geheimnis der Schläfer wissen – er war zufrieden damit, daß er überhaupt von ihrer Existenz wußte. »Hast du mich nicht verstanden?« fragte Jon Tengor. Wort Danyl schüttelte den Kopf. Natürlich hatte er die Forderung verstanden, aber er konnte sie unmöglich erfüllen. Nur der High Sideryt selbst – und wenn nicht er
dann SENECA – wußten wirklich etwas über die Schläfer. Ansonsten gab es nicht mehr als Gerüchte, müßige Spekulationen, Gerede. »Ich kann nicht«, murmelte Danyl. »Das mußt du doch wissen.« Jon Tengors Gesicht behielt das freundliche Lächeln bei. »Wie recht du hast«, sagte er. »Vergiß die Frage, ich wollte dich nur ein wenig auf die Probe stellen.« Wort Danyl nickte. So etwas begriff er, das gehörte zum Alltag. Er fiel in Tengors Lachen ein, obwohl ihm nicht danach zumute war – irgendwie war ihm das Ansinnen des High Sideryt doch etwas albern vorgekommen. Ebensogut hätte er den Ahlnaten auffordern können, ihn zu seiner Unterkunft zu führen – auch dies war ein Geheimnis, das nur dem High Sideryt selbst bekannt war. Indessen war dies nicht der einzige Schock, den der High Sideryt seinem treuen Gefolgsmann zumutete, wie sich wenige Augenblicke später herausstellte. »Wie gut bist du ausgebildet?« fragte der High Sideryt. »Sehr gut«, antwortete Wort Danyl, und er war sichtlich stolz, daß er nicht einmal zu lügen brauchte. »Ich war der Beste meiner Abteilung.« »Sehr schön«, sagte der High Sideryt. »Dann wird es dir sicher möglich sein, für mich eine Verbindung zu SENECA herzustellen.« Wort Danyl glaubte sich verhört zu haben. Sollte er einmal mehr gefoppt werden? Wie kam Chart Deccon alias Jon Tengor auf diesen Gedanken? Er allein konnte sich mit SENECA in Verbindung setzen, jederzeit und überall, dafür war er der High Sideryt. »Aber …«, stammelte der verblüffte Ahlnate. Wieder lächelte der High Sideryt. Wort Danyl fand, daß er seine Scherze ein wenig zu weit trieb. Mit solchen Fangfragen konnte man Ferraten übertölpeln und verwirren, bei einem hervorragend in Glaubensdingen geschulten Ahlnaten war derlei mehr als abgeschmackt.
»Darf ich fragen …?« Der High Sideryt nickte. »Was suchst du ausgerechnet in diesem Teil des Schiffes?« fragte der Ahlnate. »Das weißt du nicht?« antwortete Jon Tengor. »Hm«, machte der Ahlnate. Er hatte das dumpfe Gefühl, daß er geleimt werden sollte. Diese Taktik, jede seiner Fragen mit einer Gegenfrage zu beantworten, gefiel ihm ganz und gar nicht. Aber immerhin, der Mann, der vor ihm stand, war der legendenumwobene High Sideryt, und solche Herren mochten ihre Schrullen haben. Dann verklärte sich das Gesicht des Ahlnaten. »Natürlich«, sagte er. »Das ich daran nicht gedacht habe. Soll ich dich hinführen?« »Warum nicht?« fragte der High Sideryt zurück. »Gehen wir!« 7. »Potz Bull«, murmelte der Lauscher. »Wer hätte das gedacht?« Er sah hinter dem Ahlnaten und dem vermeintlichen Pyrriden her, der sich als der High Sideryt zu erkennen gegeben hatte. Die Sache gefiel dem Buhrlo überhaupt nicht. Dieser Jon Tengor war nie und nimmer der High Sideryt. Dazu wußte er zu wenig. Kav Wergen verließ sich ganz auf sein Gefühl, und das sagte ihm, daß in dieser Angelegenheit zur Zeit gar nichts stimmte.‐ Hier belog jeder jeden, die Verwirrung konnte nicht vollständiger sein. Kav Wergen zögerte nicht lange, Es galt zu handeln, schnell und entschlossen. Er hatte eine vage Ahnung, welchen Fleck der Ahlnate aufsuchen würde, daher konnte es sich der Buhrlo erlauben, Verstärkung herbeizuholen. Kav Wergen schlüpfte in das Buhrlo‐Ver‐steck.
Er war nicht der einzige gewesen, der lange gewartet hatte. Tordya kam dem Buhrlo entgegen. »Wo hast du ihn gelassen?« fragte sie erregt. »Ist ihm etwas zugestoßen?« »So kann man es nennen«, stieß der Buhrlo hervor. »Komm mit, wir müssen ein paar Leute auftreiben und dazu Waffen.« »Was ist geschehen? Wo hast du ihn gelassen?« »Er lebt, keine Sorge deswegen«, sagte Kav Wergen im Gehen. »Du wirst dich wundern, Kindchen, was aus ihm geworden ist. Rate, wer dieser Jon Tengor in Wirklichkeit ist?« Tordya sah ihn wütend an. »Das ist nicht die Zeit für blöde Rätselspiele«, zischte sie. »Das solltest du ihm sagen«, gab Kav Wergen zurück. Die beiden hatten einen Versammlungsraum erreicht. Ein Dutzend Buhrlos und Ferraten saßen dort. Kav Wergens Eintreten scheuchte sie auf. »Hört zu«, sagte der Buhrlo schnell. »Schnappt eure Waffen und folgt mir. Es ist wichtig – unser Freund Jon Tengor wird gerade von einem Ahlnaten spazieren geführt.« »Und weshalb sollen wir uns bewaffnen?« »Weil der Ahlnate unseren Freund für den High Sideryt hält.« Tordya sah Kav Wergen an, fassungslos zuerst, dann schüttelte sie den Kopf und begann zu lachen. »Das ist ein Witz«, sagte sie. »Ein abgeschmackter, blöder Spaß.« »Das ist es nicht«, gab Kav Wergen zurück. Er bewaffnete sich mit einem Impulsstrahler, eine zweite Waffe schob er Tordya zu. »Nun, was ist? Kommt keiner mit?« »Es ist dein Freund, Kav Wergen«, sagte einer der Ferraten. »Du weißt, daß wir nicht besonders gut mit der offiziellen SOLAG, stehen. Wer sagt uns, daß draußen nicht eine Schar Haematen wartet, um uns niederzumetzeln.« »Ich«, erklärte Kav Wergen. »Also vorwärts, Leute: Wir haben nicht viel Zeit zu verlieren – wir müssen den Kontakt zu den beiden
halten.« Es dauerte nicht lange, dann war ein Stoßtrupp formiert – siebzehn Mann, relativ gut bewaffnet, von Kav Wergen angeführt. Die Gruppe verließ das geheime Quartier und setzte sich Jon Tengor und dem Ahlnaten auf die Fersen. Tordya hielt sich neben Kav und schüttelte immer wieder den Kopf. »Das darf nicht wahr sein«, murmelte sie. »Es ist nicht möglich!« »Warum nicht«, sagte Kav Wergen. »Bekümmert es dich so, daß du dich ausgerechnet in den High Sideryt vergafft hast – es gibt Hunderte von Männern in der SOL, aber du mußt dir den verkleideten High Sideryt aussuchen.« »Er ist nicht der High Sideryt«, stieß Tordya hervor. »Du weißt, wie die Brüder der zweiten und der fünften Wertigkeit zuschlagen – und der Mann, der mich vor den Pyrriden gerettet hat, ist keiner, der solche Burschen kommandiert.« »Ich hoffe, du hast recht«, sagte Kav Wergen. »Paßt auf, Leute, hier wird es gefährlich.« Nur wenige Leuchtkörper gaben Licht. Eine riesenhafte Halle war zu erkennen, in der allerlei Gerümpel wild durcheinander gewürfelt lag. »Hier treiben sich Monster herum«, murmelte Wergen. »Damit werden wir fertig«, stieß Tordya hervor. »Es ist besser, wir müssen uns den Weg nicht freikämpfen«, sagte Wergen. »Nicht wegen der Gefahr – ein Kampf kostet Zeit.« Dennoch ließ er den Vormarsch der Gruppe langsamer werden. Es war schwierig, sich einen Weg durch das Gerümpel zu bahnen, zumal nur sehr wenig zu sehen war. Es war dies einer der Bereiche der SOL, in denen die Beschädigungen so gewaltig ausgefallen waren, daß man praktisch nichts mehr retten konnte. Eine metallene Wüstenei, mehr war dieser Dreck nicht. Ein Glück, daß es wenigstens ein wenig Licht gab – in völliger Dunkelheit hätte man den Weg nicht finden können.
»Kannst du irgendein Monster sehen?« »Bis jetzt noch nicht«, murmelte Kav Wergen. Irgendwie taten ihm diese Kreaturen leid; sie konnten schließlich nichts dafür, daß ihre Eltern mit radioaktiver Strahlung oder mutagenen Chemikalien in Berührung gekommen waren. Früher, in den Zeiten, in denen SOL‐Legenden noch – angeblich – wahr gewesen waren, hätte man den Gen‐Schäden vielleicht abhelfen können. Schließlich waren die Solaner mit allem ausgerüstet gewesen, was moderne Heilkunst zu bieten hatte. Doch das lag lange zurück. Heutzutage wurden solche Kreaturen ausgesetzt, ihrem Schicksal überlassen – und es waren meistens die erwachsenen Monster, die dafür sorgten, daß die ausgesetzten Kinder gefunden und großgezogen wurden. Hauptbevölkerungsquelle für die Monster an Bord waren sie allerdings selbst – da sie zu keiner Art von Empfängnisverhütung in der Lage waren, vermehrten sie sich außerordentlich rasch. Monster zu jagen und zu töten, war für viele Solaner ein Spaß; die Verbreitung dieser Jagd an Bord ließ Empfindsame deutlich erkennen, wie weit sich die Solaner von ihrem Idealbild inzwischen entfernt hatten, eine andere, neuartige Lebensform zu bilden. »Halt!« Die Gruppe verharrte. Hatte sich da etwas gerührt? Kav Wergen ging voran, in der Rechten die entsicherte Waffe. Mitleid hin, Verständnis her – wenn er einem Monster in die Krallen geriet, hatte seine letzte Stunde geschlagen. Sonnenheiß fegte der Strahlschuß an ihm vorbei, so knapp, daß er die Hitze deutlich spüren konnte. Getroffen brach eine Kreatur zusammen, die sich dank ihres dunklen Pelzes vom Hintergrund kaum abgehoben hatte. Und im gleißenden Licht des Strahlenschusses hatte Kav Wergen sehen können, daß die Gruppe förmlich umzingelt war – überall zwischen den Trümmern standen Monster auf Lauer. »Schließt euch zusammen!« schrie Kav Wergen.
Es war genau das eingetreten, was er befürchtet hatte; die beiden Männer hatten diesen Bezirk nahezu unbeschadet durchqueren können. Jetzt aber waren die Monster aufgewacht und hielten nach neuen Opfern ausschau. Kav Wergen feuerte und traf. Ein Teil der Monster geriet in Panik, die anderen griffen an. Kav Wergen schoß ein ums andere Mal, er zielte und drückte ab, und er konnte nur hoffen, daß er tatsächlich etwas traf. Die Monster waren in der günstigeren Lage – sie kannten sich in diesem Durcheinander aus, vor allem waren ihre Augen der allgemeinen Dunkelheit besser angepaßt. Ein gellender Schrei bewies Kav Wergen, daß auch moderne Bewaffnung kein Allheilmittel bei einem solchen Kampf war. Die Monster hatten einen seiner Begleiter zu fassen bekommen. »Wir versuchen durchzubrechen«, schrie Wergen. »Alles andere hat keinen Sinn.« »Wir können uns zurückziehen«, kam die Gegenrede. »Kommt nicht in Frage«, rief Wergen zurück. Er mußte schreien, um die Kampfgeräusche übertönen zu können. »Wir können unseren Freund nicht im Stich lassen.« »Dafür verlieren wir hier unsere Freunde«, kam die Antwort. Kav Wergen marschierte weiter. Das pausenlose Feuer der Kämpfer erhellte den Raum mit einem gespenstischen Flackerlicht, in dem die Schatten der Monstren ihrerseits noch einmal monströs verzerrt an den Wänden erschienen, Schreckgemälde, die sich kein Künstler hätte ausdenken können. Schritt für Schritt rückten die Menschen vor, kämpften sie sich den Weg frei. Eine Pranke kam aus dem Dunkeln herangefegt und fetzte dem Buhrlo den Ärmel auf, ein wenig auch die darunterliegende Haut. Tordya stolperte und wäre der Länge nach hingefallen, hätte Kav sie nicht aufgefangen. »Vorsicht«, schrie eine sich überschlagende Stimme. »Sie werfen mit Gegenstän …« Der Schrei erstarb, Kav Wergen preßte die Zähne aufeinander. Der
Preis, den die Gruppe zahlen mußte, war entsetzlich hoch – und dazu peinigte den Buhrlo die Frage, ob der Einsatz solche Mühen überhaupt wert war. »Weiter!« drängte Tordya. Sie hob die Waffe und traf eine pelzige Kreatur, die sich gerade auf einen Solaner stürzen wollte. Tödlich getroffen fiel das Monstrum zurück. »Ich glaube, wir schaffen es«, rief Kav Wergen. »Sie allen gegenseitig über sich her.« Nahrungsbeschaffung, das war das Hauptproblem der Monstren; in ihrer Gier machten sie auch vor den eigenen Artgenossen nicht halt. Es war entsetzlich, ansehen zu müssen, welchen Preis der Mensch zu zahlen bereit war, nur um technischen Fortschritt erzielen zu können – die Vorfahren dieser Schreckensgeschöpfe hatten sich Wohlstand und Annehmlichkeiten geschaffen oder erhalten wollen. Auf ihre Gene, die Lebensgrundlage ihrer Nachkommen, hatten sie dabei nicht geachtet. Die Monster und ihre Opfer zahlten jetzt den Preis für diese Einstellung. Kav Wergen griff nach Tordyas Arm. Sie strauchelte, fiel schwer gegen den Buhrlo, aber dadurch entging sie dem Zugriff eines langen Armes, an dessen Pranke lange Krallen zu sehen waren. Mit der freien Hand feuerte Kav Wergen in diese Richtung, und der Arm verschwand. »Dort vorn wird es heller!« rief Tordya. »Dort gibt es wieder Licht!« Der helle Fleck an der Grenze des Sichtbereichs war das Ziel, auf das die Menschen hingearbeitet hatten. Das Licht versprach Sicherheit vor den pausenlosen Angriffen der monströsen Kreaturen, die noch immer von allen Seiten auf die Menschen eindrangen. Es war schwierig, diesen Weg zu gehen. Überall lagen Trümmerstücke herum, immer wieder strauchelte man beim Gehen, blieb der Fuß an irgendeinem Vorsprung hängen. »Endlich«, seufzte Tordya auf. Sie konnten den glatten Boden
sehen, die metallenen Wände, das helle Licht. Sie zog Kav Wergen hinter sich her auf das Licht zu. Hinter den beiden stolperten die anderen der Rettung entgegen. Am Eingang blieb Kav Wergen stehen. Er wandte den Blick zurück. Sie standen im Dämmerlicht, in der Schattenzone zwischen den hell erleuchteten Gängen und der Düsternis ihres Lebensraums. Es waren erschreckende Kreaturen, riesenhafte und verzwergte, allen gemeinsam waren entsetzliche körperliche Deformationen – so wie sie dastanden, waren sie wilden Tieren ähnlicher als den Menschen, von denen sie abstammten. Sie wagten nicht, die Dämmerzone zu übertreten. Ihr Leben vollzog sich im Halbdunkel; es war kurz und häßlich, gezeichnet von wildem Kampf. Kav Wergen musterte seine Schar. Drei seiner Begleiter fehlten. Die Monstren hatten sie erwischt. Die Kreaturen des Grauens verharrten noch eine Zeitlang, dann wandten sie sich ab und verschwanden in der Dunkelheit. »Entsetzlich«, flüsterte Tordya. Kav Wergen holte tief Luft. Es gab vieles, was man hätte überlegen und sagen können, aber es gab unter diesen Umständen keine Zeit für solche geistigen Auseinandersetzungen. »Sie sind hier vorbeigekommen«, sagte Torday. »Du kannst die Spuren sehen.« Eine Staubschicht lag auf dem Boden, darin zeichneten sich die Fußspuren zweier Männer deutlich ab. »Hinterher«, bestimmte Kav Wergen. »Wir müssen Jon Tengor finden.« Sie machten sich auf den Weg. Keiner der Männer und Frauen wußte, was diese Suche ergeben würde, auch nicht Kav Wergen. Er ahnte nur, daß er einem Geheimnis auf der Spur war, das nicht nur für ihn von Wichtigkeit war.
8. Ein kastenförmiger Kopf mit Auswüchsen an den Seiten und oben. Zwei Augen, umgeben von erloschenen Lichtern. Eine kreisrunde Öffnung mitten in dem Gesicht, darunter, gerade noch erkennbar, eine schmale Queröffnung. Kastenförmig der Körper, grob und ungeschlacht die Beine. Ein Roboter. Die Karikatur eines Roboters. So verschroben hatten nicht einmal die allerprimitivsten Maschinen ausgesehen, die Wort Danyl jemals zu Gesicht bekommen hatte. Und doch war dieser Roboter einmalig. Er hatte einen Namen. Man konnte ihn auf seinem Körper und auf seinem Kopf lesen. Romeo. »Sieh an«, sagte der High Sideryt. »Der gute alte Romeo.« Wort Danyl lächelte selbstzufrieden. Also hatte er richtig getippt. Daß der High Sideryt ihn nach den Schläfern befragt hatte, war dem Ahlnaten nicht recht geheuer gewesen. Die Frage nach einer Verbindung mit SENECA hatte ihn noch mehr verwirrt. Dann aber hatte sich der Ahlnate erinnert und seinen Begleiter an das Ende dieses langen Korridors geführt. Dort stand, wie Wort Danyl sich erinnert hatte, Romeo. Der Roboter konnte sich nicht von der Stelle rühren, denn er war in seiner ganzen Größe von zweieinhalb Metern in einen massiven Block eines glasähnlichen Materials eingegossen worden. Das der High Sideryt den Roboter sofort erkannt hatte, erfreute den Ahlnaten. Die nächste Reaktionen des verkleideten Bruders ohne Wertigkeit aber erschreckte Wort Danyl. Beiläufig fragte Jon Tengor: »Warum hat man das gemacht?« Wenn er es nicht wußte … wer dann? Jetzt begriff Wort Danyl gar
nichts mehr. Sollte er sich geirrt haben? War dieser Mann gar nicht der High Sideryt? Und wenn sich der Ahlnate geirrt hatte, wer war der Fremde dann? Ein Ferrate unter keinen Umständen, dazu war er zu erfahren im Umgang mit Saltralgegenständen. Es fehlte ihm die nötige Demut, die ein Ferrate wegen seiner Unwissenheit stets gezeigt hatte. Ein Fremder. Einer, der sich eingeschlichen hatte in die SOLAG. Jon Tengor hatte sich als Ferrate verkleidet. Wozu das? Wo kam der Mann überhaupt her? Zunächst aber mußte Wort Danyl eine Antwort auf die Frage des vermeintlichen Bruders ohne Wertigkeit geben. »Ich weiß es nicht«, sagte er langsam. »Kann man diesen Überzug entfernen?« »Ich glaube«, sagte Wort Danyl. »Vielleicht gibt es in einem der benachbarten Räume einen Hinweis. Soll ich nachsehen?« , »Tu das«, sagte Jon Tengor. Er ging langsam um den Roboter herum/Der Gesichtsausdruck deutete an, daß er diesen Roboter kannte – so fremd also konnte der rätselhafte Mann nicht sein. Wort Danyl zog sich zurück, in Gedanken versunken. Ein Fremder in der SOLAG, ein seltsamer Gedanke. Es würde ratsam sein, die Brüder zu verständigen. Man mußte den Eindringling festsetzen und befragen, dann würde er schon erzählen, was er mit dieser Maskerade bezweckte. In einem der benachbarten Räume gab es einen Interkomanschluß, der noch funktionierte. Der Ahlnate stellte eine Verbindung zu seiner Dienststelle her. Es war ein Ferrate, der sich meldete und unterwürfig grüßte. »Trommelt alles zusammen, was ihr finden könnt«, sagte Wort Danyl. »Ich habe hier einen sehr seltsamen Burschen aufgetrieben, der behauptet, ein Ferrate namens Jon Tengor zu sein.« »Wie sieht der Mann aus? Groß, schlank, weißes Haar, rötliche Augen?«
»Nein, eigentlich ganz normal – er ist allerdings schlank und recht hochgewachsen. Wie kommst du dazu, so zu fragen?« »Wir haben eine dringende Aufforderung von oben bekommen«, sagte der Ferrate. »An Bord treibt sich einer herum, der Atlan heißt und fieberhaft gesucht wird. Alles ist in Aufregung wegen dieses Burschen, die Vystiden sind unterwegs … der Mann scheint recht gefährlich zu sein.« »Hm«, mächte Wort Danyl. Wenn sich ein weißhaariger, rotäugiger Fremder als Ferrate verkleidete, konnte er durchaus aussehen, wie jener Jon Tengor. Sollte der Zufall es wollen, daß der Gesuchte ausgerechnet Wort Danyl in die Arme gelaufen war? »Stell die Verbindung zum High Sideryt durch«, bestimmte Wort Danyl. Wenn er sich meldete, dann war zumindest eines klar – Jon Tengor war nicht der Bruder ohne Wertigkeit. Die Verbindung kam zustande. Der High Sideryt zeigte sich nicht, aber damit hatte Wort Danyl auch gar nicht gerechnet. Es war einer der Magniden, zu dem das Gespräch geleitet wurde. »Was willst du.« Der Magnide war kurz angebunden. Offenbar herrschte im Führungsgremium der SOLAG eine hektische Betriebsamkeit. »Ich habe Grund zu der Annahme, daß ich den gesuchten Mann gefunden habe«, sagte der Ahlnate unterwürfig. »Mein Name ist …« »Bleib, wo du bist«, entschied der Magnide, der an Wort Danyls Name nicht interessiert war. »Bist du allein?« »Vorläufig ja«, sagte Danyl. »Ich habe aber Leute angefordert, damit wir diesen Atlan unschädlich machen können.« »Wir brauchen ihn lebend, verstehst du. Also paßt auf. Ich schicke euch Verstärkung. Wo steckst du?« Der Ahlnate gab Auskunft. Der energische Tonfall des Magniden gefiel ihm nicht, aber daran ließ sich nichts machen. »Bleib, wo du bist, beobachte den Mann und warte, bis genügend
Brüder beisammen sind, um ihn mit Sicherheit greifen zu können. Ende.« Die Verbindung war unterbrochen, noch bevor Wort Danyl dazu gekommen war, seinen Namen zu nennen. Das verdroß den Ahlnaten nicht wenig, hoffte er doch, auf diesem Wege die erwünschte Karriere machen zu können. Nun, später, wenn der Schurke überwältigt wurde, war dazu immer noch Gelegenheit. Es stellte sich allerdings die Frage, ob sich dieser Atlan gutwillig ergeben . würde. Für sich beantwortete Wort Danyl die Frage mit nein – es würde zu einem Kampf kommen, und vermutlich würde der eine oder andere Bruder daran glauben müssen. Wort Danyl nahm sich vor, nicht zu diesen Brüdern zu gehören. * »Dort ist er!« Tordya hatte den Gesuchten als erste erkannt. Sie riß sich los und rannte ihm entgegen. Kav Wergen und die anderen kamen langsam nach. Die Begrüßung fiel etwas weniger herzlich aus, als Tordya gehofft hatte. Jon Tengor wirkte nachdenklich. Die Tatsache, daß die Ankömmlinge Waffen in den Händen hielten, nahm er kommentarlos zur Kenntnis. »So trifft man sich wieder«, sagte Kav Wergen. Er sah Jon Tengor in die Augen und steckte die Waffe weg. »Eine Frage – wer bist du wirklich?« »Der Unbekannte lächelte.« »Atlan«, sagte er einfach. »Und? Weiter? Ferrate, Terra‐Idealist? Zu welcher Gruppe gehörst du?« »Einstweilen zu keiner«, sagte Atlan.
»Das ist ein bißchen wenig«, versetzte Kav Wergen. »lch weiß«, versetzte Atlan gelassen. »Ihr habt mich gesucht? Habt ihr irgendwo Wort Danyl gesehen, den Ahlnaten?« »Der dich für den High Sideryt hält?« »Den«, bestätigte Atlan. »Ein lustiger Irrtum, nicht wahr? Ich glaube aber, daß er bald wissen wird, daß ich nicht der bin für den er mich hält. Er wird sehr traurig sein, fürchte ich.« Einer der Ferraten drängelte sich nach vorne. »Du bist Atlan? Weißt du, daß man dich überall sucht?« »Ich habe es mir gedacht«, sagte Atlan. »Wer sucht mich?« »Die ganze SOLAG«, sagte der Ferrate. »Der Befehl soll von ganz oben kommen, vom High Sideryt selbst.« »Es freut mich, daß der High Sideryt mit meinem Namen etwas anzufangen weiß«, sagte Atlan. »Es ist lange her, daß man mich an Bord der SOL gesehen hat.« »Wir sollen dich lebend ergreifen«, sagte der Ferrate. »Was hast du vor? Was willst du eigentlich?« »Für welches Ziel arbeitest du?« fragte Kav Wergen. Tordya sah zu Atlan auf. Sie wirkte niedergeschlagen. »Aufgepaßt!« rief ein Buhrlo. »Es sind Leute im Anmarsch, Haematen, Ahlnaten, Ferraten. Ein großes Aufgebot.« »Das gilt dir!« stieß Tordya hervor. Atlan nickte. Kav Wergen wandte sich um. »Wie viele sind es?« fragte er den Späher. »Mindestens hundert Mann«, sagte der. »Ich habe noch nie so viele SO‐LAG‐Leute auf einen Haufen gesehen.« »Dieser Übermacht haben wir nichts entgegenzusetzen«, sagte Kav Wergen. »Verschwinden wir von hier.« Er faßte Atlan ins Auge. »Brauchst du eine Waffe?« Atlan nickte, und Kav Wergen holte den Impulsstrahler aus dem Gürtel. »Nimm und schütz dich damit.«
»Ich bleibe hier«, sagte Atlan. »Zieht euch zurück, ihr könnt mir nicht helfen. Ich will versuchen, diesen Roboter aus dem Synthoquarz zu befreien.« »Ich bleibe auch«, sagte Tordya energisch. Atlan und Kav Wergen wechselten einen kurzen Blick, dann faßte der Buhrlo nach dem Arm der Ferratin. »Komm, wir werden die Meute ein wenig aufhalten«, befahl er. »Atlan kümmert sich um den Roboter, und danach treffen wir uns im bekannten Versteck.« »Soll das alles sein?« fragte einer der Buhrlos. »Haben wir dafür drei Leute verloren?« »Er ist Atlan«, sagte Kav Wergen. »Na und?« Kav Wergen lächelte. »Ich komme aus einer Familie, in der viele Märchen erzählt werden«, sagte er halblaut. »Aus einer dieser Geschichten kenne ich diesen Namen. Mehr weiß ich nicht, aber ich fühle, daß es jetzt anders werden wird mit der SOL.« Der Buhrlo runzelte die Stirn. »Eine Märchengestalt stelle ich mir anders vor«, sagte er trocken. »Aber wie du willst, Kav. Wir werden tun, was du gesagt hast. Reden können wir danach immer noch.« Die Gruppe zog sich zurück, den anrückenden SOLAG‐Leuten entgegen. Kav Wergen mußte Tordya fast gewaltsam mitzerren. Er wußte, was Tordya ahnte – die Wege des seltsamen Mannes Atlan und des kleinen Haufens von Ferraten und Buhrlos würden sich niemals wieder kreuzen. »Jetzt zu dir, alter Freund«, sagte Atlan. Der Arkonide hob die Waffe und feuerte. Er wollte den Glasblock zerstören, um Romeo freilegen zu können. Der Roboter konnte von überall her Kontakt zu SENECA aufnehmen – im Grunde war er nichts anderes als eine bewegliche Außenstation der Riesenpositronik. Atlan fragte sich, welche
Ereignisse dazu geführt haben mochten, daß man – wer auch immer – Romeo eingeschmolzen hatte. Es war eines der vielen Rätsel, die es zu lösen galt. Eines stand jetzt schon fest – in der SOL ging es drunter und drüber. Kaum etwas war geblieben von der alten SOL, überall hätten sich Verfall und Zerstörung breitgemacht. Vor allem, und dieser Gedanken peinigte den Arkoniden besonders, mußte auch SENECA in hohem Maß angegriffen sein – anders ließ es sich nicht erklären, daß die Riesenpositronik das Schiff derart herunterkommen ließ. Der Synthoquarz zerfloß nicht, er zerbröckelte. Aber Stück für Stück konnte Atlan den Roboter freilegen. Er fragte sich, wo Julia stecken mochte, das Gegenstück zu Romeo. Ob es wohl irgend jemanden an Bord gab, der mit diesen Namen etwas anzufangen wußte, der sich an das Bühnenstück erinnerte, das diesen Namen geliefert hatte. Atlan war sich der skurrilen Ironie bewußt: er hätte theoretisch die Uraufführung von Shakespeares Bühnenstück erleben können, wäre er zu dieser Zeit nicht anderweitig beschäftigt gewesen. Und nun stand er hier, Lichtjahrmillionen von der Erde entfernt und befreite einen lächerlichen Roboter aus einem Glasgefängnis, der nach dem Helden dieses Bühnenstückes benannt worden war. »Komm schon, alter Bursche, rühre dich!« sagte Atlan. Der Oberkörper war frei, aber Romeo bewegte sich nicht. Die Sprechöffnung, blieb stumm, die leuchtenden Augen waren tot. Aus beträchtlicher Entfernung klang Kampflärm. Die Truppen der SOLAC rückten heran. Viel Zeit blieb dem Arkoniden nicht. Atlan nahm sich die Knie vor. Er hoffte, daß er es noch schaffen konnte, bevor die SOLAC‐Leute eintrafen – Romeo mußte wissen, wer Atlan war, und ungeachtet ihres heiterkeitserregenden Äußeren verfügten die beiden Roboter des Pärchens Romeo und Julia über hoch wirksame Verteidigungs‐ und Angriffswaffen. Mit Romeo als Hilfe würde es Atlan erheblich einfacher haben, seine Pläne
durchzusetzen, Jetzt waren nur noch die Füße zu befreien. Dann mußte es sich entscheiden. In diesem Augenblick traf ihn der Schlag. Ein aberwitziger Schmerz zuckte von der linken Schulter durch den ganzen Körper. Die Muskeln verkrampften sich. Atlan brach in die Knie. Neuropeitsche, diagnostizierte der Extrasinn. Wort Danyl. Ein zweiter Hieb traf den Arkoniden. Er wußte: zehn Treffer mit der Neuropeitsche konnten den Tod herbeiführen, auch bei einem Zellaktivatorträger. Atlan brach in die Knie. Im Fallen drehte er sich halb. Über ihm erschien das grinsende Gesicht des Ahlnaten, der in der Rechten die Peitsche hielt. Atlan fiel auf die Seite. Zu einer Gegenwehr war er nach diesen beiden Treffern nicht in der Lage. Das schien auch Wort Danyl zu begreifen. Den dritten Schlag landete er nicht mehr. »So, das genügt«, sagte Wort Danyl. In Atlans schmerzgepeinigtem Gehirn erschien die Stimme wie ein Meckern. »Und bald.wirst du uns alles erzählen, was du weißt.« Er grinste und entfernte sich, vermutlich um zu den heranrückenden Ferraten und Haematen zu stoßen. Der Kampflärm ebbte ab. Wahrscheinlich zogen sich Kav Wergen und seine Leute jetzt zurück. Atlan war allein. In seinen Gliedern tobte der Schmerz. Er könnte sich kaum rühren. Mit aller Kraft seines Willens konzentrierte sich der Arkonide auf die Waffe, die vor ihm auf dem Boden lag. Er brauchte nur noch ein oder zwei Schüsse, um den letzten Rest des Synthoquarzes wegzuschießen. Atlan bekam die Waffe zu fassen. Es war höllisch schwer, sie ruhig zu halten. Atlans Muskeln zitterten unkontrolliert unter der Wirkung der beiden Schocktreffer. Atlan zog den Abzug durch. Ein Schuß lößte sich und ging
daneben. Der Arkonide stieß einen ärgerlichen Knurrlaut aus. Ein zweiter Schuß. Diesmal war es ein Treffer. Glasbrocken flogen umʹher. Noch einmal, dachte der Arkonide. Noch ein Treffer, dann kann Romeo mir zur Hilfe kommen. »Dort liegt er«, konnte er den Ahlnaten sagen hören. Die SOLAG‐ Truppe kam, um ihren Gefangenen einzubringen. Atlan schoß. Im nächsten Augenblick traf ihn Danyls Neuropeitsche zum dritten Mal. Atlan verlor fast die Besinnung. Die Waffe fiel aus seinen zuckenden Händen. Aber vor den Augen des Arkoniden begann sich etwas zu bewegen. Romeo war erwacht. »Julia«, schrie der Roboter. »Geliebte Julia, ich will zu Julia.« Atlan erschlaffte. Der Roboter war offenkundig defekt. Auch das noch. Vermutlich war er deswegen eingegossen worden. »Vorsicht!« schrie eine gellende, sich überschlagende Stimme. »Er wird wild!« Atlan konnte nicht genau sehen, was um ihn herum geschah. Er konnte aber hören, wie Romeo unentwegt nach seiner Julia rief, dazwischen die Entsetzensschreie der verwirrten SO‐LAG‐Leute. Ab und zu war das Zischen eines Strahlschusses zu hören. Atlan unternahm einen letzten Versuch, sich zu bewegen. Er wälzte sich herum. Romeo hatte an Kampfkraft wenig eingebüßt. Atlan war sehr froh zu sehen, daß die Programmierung des Roboters nicht völlig außer Funktion geraten war. Romeo hatte seinen HÜ‐Schirm eingeschaltet, der ihn gegen die Waffen der Angreifer völlig abschirmte. Er selbst hatte beide Multizweckwaffenarme ausgefahren, mit denen er auf die Ferraten und Haematen feuerte. Zum Glück versuchte er nur, sie zurückzudrängen – er hätte mit seinen Möglichkeiten auch ein furchtbares Blutbad unter den Solanern anrichten können. Atlan versuchte den Mund zu öffnen, Romeo einen Befehl zu
geben, aber über seine Lippen kam nur ein unverständliches Krächzen. Es wurde ruhig. Die Solaner hatten sich zurückgezogen. Offenbar sahen sie keine Aussicht, gegen diesen Roboter anzutreten. Atlan stemmte den rechten Arm auf den Boden. Er versuchte sich aufzurichten. Romeo kam herangesaust, mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Wenn er nicht abstoppte, würde er Atlan überrollen – und das bedeutete, beim Gewicht der Maschine den sicheren Tod. Romeo jammerte und schrie, er hatte wenig Ähnlichkeit mit einem normalen Roboter. Unmittelbar vor dem Arkoniden blieb Romeo stehen. Die beiden Waffenarme bewegten sich langsam auf und ab, nach rechts und links … 9. Chart Deccon erwachte. Unwillig nahm er zur Kenntnis, daß man ihn geweckt hatte. Ein Anrufer. Der High Sideryt schaltete. die Sprechanlage ein. Brooklyn meldete sich. »Was gibt es?« fragte Deccon. Er gähnte ausgiebig. »Habt ihr ihn endlich?« »Ungefähr«, sagte Brooklyn. »Was heißt denn, ungefähr.« »Ein Ahlnate hat ihn erkannt«, berichtete der Magnide. »Wir haben sofort die Leute in Marsch gesetzt, um ihn gefangenzunehmen.« »Habt ihr ihn?« »Gefunden, ja, wir wissen jetzt, wo er sich herumgetrieben hat. Bei
Romeo.« »Die Sternenpest über ihn«, knurrte Deccon. Er war verärgert. »Es kommt aber noch besser. Dieser Atlan hat den Quarzblock entfernt, in den der Roboter eingeschlossen war.« Chart Deccon schüttelte den Kopf. Er wußte, daß es SENECAS Werk gewesen war, die beiden Roboter einzugießen – eine der letzten vernünftigen Maßnahmen der Positronik, bevor sie vor einhundertsechsundvierzig Jahren teilweise unberechenbar geworden war. Romeo hatte einen Platz in der SZ‐1 gefunden, während Julia, seine Gefährtin, in der SZ‐2 eingeschlossen worden war. »Weiter«, drängte Chart Deccon. »Unsere Leute sind von Romeo zurückgedrängt worden«, berichtete der Magnide. »Verluste?« »Keine, Romeo hat hauptsächlich Betäubungswaffen eingesetzt.« »Wo ist Romeo jetzt?« »Verschwunden, zusammen mit Atlan.« »Es ist wirklich erstaunlich, wie sich gewisse Personen gleichsam in Luft auflösen«, sagte Chart Deccon mit ätzendem Spott. »Manchmal wünsche ich mir, meine besonders fähigen Mitarbeiter auf gleiche Art und Weise entfernen zu können.« »Ist das alles, was du mir mitzuteilen hast?« »Es erschien mir wichtig genug«, sagte Brooklyn mit erstaunlicher Gelassenheit. »Im übrigen ist da ein Ahlnate, der dich sprechen will – er hat Atlan entdeckt und hofft jetzt auf eine Belohnung.« »Die kann er haben«, knurrte der Hüne in seiner Geheimzentrale. »Er kann kegeln mit den Köpfen derjenigen, die für diese unglaubliche Schlamperei verantwortlich sind. Es ist ungeheuerlich, was sich dieser Bursche Atlan herausnehmen kann – und keiner meiner fähigen Mitarbeiter ist in der Lage, diesen Hochstapler aufzugreifen.« Brooklyn hörte sich den Wutausbruch geduldig an. Er wußte, daß
Deccon nur seine Wut über die Pannen abreagierte; der High Sideryt war nicht annähernd so blutrünstig, wie er sich ab und zu bei entsprechenden Anlässen gab. »Und ich darf diese Misere wieder ausbaden«, murmelte Chart Deccon. »Man sollte euch den E‐Kick für Jahre entziehen.« »Das schafft Atlan auch nicht her«, sagte Brooklyn gelassen. »Was mache ich mit dem Ahlhaten?« »Schick ihn sonstwohin, er soll uns in Ruhe lassen. Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich um karrieresüchtige Ahlnaten zu kümmern. Er soll von mir aus Roboter zum Wahren Glauben bekehren.« Deccon trennte die Verbindung. Es war hart, in dieser Zeit zu leben; die Pannen und Fehler häuften sich, es gab kaum noch etwas zu entscheiden. Irgendwo im Schiff trieb sich dieser Aufrührer herum – und die SOL war groß. Wie ihn finden? Draußen – eine Kurzkontrolle zeigte es – hatte sich nichts verändert. Die SOL wurde hineingezerrt ins Mausefallensystem und war nach wie vor unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Und Chart Deccon liebte es überhaupt nicht, wenn man ihn jeglicher Handlungsfähigkeit beraubte – er haßte es, untätig zu sein und darauf zu warten, daß sich etwas veränderte. Nun, vielleicht ließ sich über SENECA etwas in die Wege leiten … * Langsam wichen die Schmerzen aus Atlans geschundenem Körper. Romeo trug ihn auf den Armen und wiegte ihn hin und her. »Du kannst mich absetzen«, sagte der Arkonide, als der letzte Schmerz vergangen war. Romeo hielt an. Atlan hatte nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand.
Während Romeo ihn durch die SOL geschleppt hatte, war er für etliche Minuten besinnungslos gewesen – kein Wunder nach drei schweren Neurotreffern. »Ich kenne dich«, sagte Romeo. »Ich erkenne dich wieder.« Atlan stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Wenn er künftig mit Romeo zusammenarbeiten konnte, standen seine Chancen gar nicht einmal schlecht. Vor allem mußte er dann in der Lage sein, Kontakt zu SENECA aufnehmen zu können. »Du bist einer der Schläfer«, fuhr Romeo fort, »Nein«, wehrte Atlan ab. »Das stimmt nicht.« Tiefe Enttäuschung ergriff den Arkoniden. War Romeo so stark beschädigt, daß er Atlan nicht mehr erkennen konnte – oder war, ein noch schrecklicherer Verdacht, vielleicht SENECA so schwer angeschlagen? Denn wenn Romeo mit SENECA per Hyperfunk in Verbindung stand, mußte die Riesenpositronik Romeos Fehler augenblicklich korrigieren. »Doch, du bist einer der Schläfer«, beharrte Romeo. »Führe mich hin.« »Wohin?« »Zu Julia«, schrie Romeo. »Du bist einer der Schläfer, du weißt, wo Julia ist.« »Ich weiß es nicht«, versetzte Atlan, obwohl er längst begriffen hatte, daß sich mit dem Roboter nicht vernünftig reden ließ. Und Romeos Waffenarme waren noch immer ausgefahren. »Du bist einer der Schläfer …« »Das bin ich nicht. Ich bin Atlan. Erinnerst du dich nicht an mich? Ist dein Speicher beschädigt?« »Ich funktioniere einwandfrei«, be hauptete Romeo, und wie zum Beweis ließ er seine Augen aufleuchten. »Siehst du? Nun führe mich zu Julia.« »Ich weiß nicht, wo sich deine Gefährtin aufhält«, behauptete Atlan. »Du weißt es«, behauptete Romeo ungerührt. »Und wenn du es
nicht weißt und mich nicht hinführst, bist du ein Verräter.« Aha, daher wehte der Wind, dachte der Arkonide. Jetzt saß er in der Falle – weder konnte er Romeo weglaufen, noch konnte er mit dem Roboter kämpfen. Die Lage war verfahren. »Julia!« seufzte Romeo. Er nahm Atlan wieder auf die Arme. »Los, gehen wir!« »Hast du wenigstens eine Ahnung, wo sich deine Gefährtin aufhalten könnte?« fragte Atlan, während sich der Roboter in Bewegung setzte. »Nein«, lautete Romeos kategorische Antwort. »Aber du mußt es wissen, du bist einer der Schläfer.« Atlan murmelte eine Verwünschung. In einer ausgesucht hübschen Zwickmühle saß er jetzt fest. Helfen konnte er Romeo nicht, sich selbst zu helfen vermochte er ebenfalls nicht. Hilflos mußte er sich von der Maschine herumschleppen lassen, bis Romeo die Geduld verlor und irgend eine Entscheidung traf, die dann vermutlich wenig friedfertig sein würde. Eine alte Geschichte fiel Atlan ein. Sie spielte in der Frühzeit der Erde. Im Serail eines Sultans wurde ein junger Mann als Eindringling verhaftet; natürlich wurde er des Frevels wegen zum Tode verurteilt. Indessen erbat der junge Mann ein Jahr Aufschub der Hinrichtung – in dieser Zeit wollte er das Lieblingspferd des Sultans das Sprechen lehren. »Es gibt viele Möglichkeiten«, soll der junge Mann gesagt haben. »Der Sultan kann in diesem Jahr sterben, daß Pferd kann sterben. Vielleicht kann ich im Lauf des Jahres entkommen, vielleicht kann ich dem Sultan einen so wichtigen Dienst erweisen, daß er mich freiläßt – und wer weiß, vielleicht lernt das dumme Pferd in diesem Jahr wirklich sprechen.« »Wer weiß«, murmelte Atlan. »Vielleicht finden wir Julia tatsächlich – so entsetzlich groß ist eine SOL‐Zelle nun auch wieder nicht.« Ein kurzer Impuls des Extrahirns erinnerte Atlan daran, daß eine
SOL‐Zelle einen Inhalt von 15,625 Kubikkilometern hatte. Selbst wenn jedes Deck eine Höhe von einhundert Metern gehabt hätte, wären immerhin 156,25 Quadratkilometer Fläche abzusuchen gewesen, wohlgemerkt nur in einem der drei Teile des Riesenraumschiffes. Es gab noch eine zweite Zelle und das Mittelstück. Wie wahr, gab der Logiksektor durch. Wenn du die ganze Fläche abschreitest, wirst du einem jeden nur denkbaren Raum finden – zum anderen wirst du unterwegs verhungern oder verdursten! Atlans Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Er war dem Extrahirn für seine spöttische Bemerkung dankbar, hatte er ihm doch einen Weg aufgezeigt, den verrückten Roboter zu entkommen. »He, Romeo, ich habe Hunger.« »Interessiert mich nicht«, gab der Roboter gelassen zurück. »Das stimmt nicht«, antwortete Atlan. Es kam jetzt darauf an, ein Wenig Logik zu betreiben – dabei ging es buchstäblich um Kopf und Kragen. »Wie soll ich dir Julia zeigen, wenn ich unterwegs vor Hunger und Durst sterbe? Schon jetzt hat der Durst mich so geschwächt, daß ich gar nicht mehr richtig denken kann.« »Das kann nicht stimmen. Ich kann auch nicht mehr richtig denken, und ich habe keinen Durst. Infolgedessen kann Durst nicht ursächlich an gestörtem Denken beteiligt sein.« »Umph«, machte Atlan, der auf diese Art der Psycho‐Logik nicht gefaßt war. Er faßte sich aber rasch wieder. »Dein Gedankengang war einwandfrei logisch, er beweist daher, daß dein Denkvermögen noch nicht gelitten hat.« Daran mochte der Roboter ein wenig herumknabbern. Atlan wußte natürlich, daß er eine hochwertige Positronik nicht mit derlei Firlefanz übertölpeln konnte, aber Romeo war offenkundig geschädigt. Man mußte in seinen Gedanken die Schwachstelle finden, dann konnte man seine Schaltungslogik aufbrechen. Atlan
pries sich glücklich, daß Romeo und Julia ausnahmsweise ohne Bioplasma ausgerüstet waren – in diesem Fall hätte er sich schwerer getan. »Das ist richtig, und auch wieder nicht«, antwortete Romeo. »Wohin gehen wir nun?« »Nach rechts«, antwortete Atlan. »Und dann immer geradeaus, bis neue Anweisungen kommen.« Er war gespannt, wie lange er dieses Spiel durchhalten konnte. Im Grunde war die Angelegenheit grotesk. Da wurde er, der am Bau des Schiffes beteiligt gewesen war, der die SOL befehligt hatte, von einem defekten Robter durch verlassene Gänge geschleppt, ohne die Möglichkeit, sich gegen den harten Griff der Metallhände zu wehren. »Ich möchte etwas essen«, sagte der Arkonide. »Und ich brauche auch Flüssigkeit.« »Ich brauche Julia«, sagte Romeo entwaffnend. Atlan war sich der Tatsache bewußt, daß dieses Logik‐Spielchen sehr leicht gefährlich werden konnte. Niemand konnte abschätzen, wie schwer Romeos Schaltkreise gestört waren. »Ich weigere mich, dir weitere Hinweise zu geben«, sagte Atlan. »Meine Logik sagt mir, daß die Erhaltung meines eigenen Lebens und meiner Gesundheit Vorrang hat. Ich muß essen und trinken.« Da kam die Antwort, mit der Atlan gerechnet hatte: »Ich werde dich töten, wenn du mir nicht zeigst, wo Julia steht.« »Wenn du das tust, kann ich dir Julia erst recht nicht zeigen.« »Du weißt, wo sie ist?« »Natürlich.« Romeo blieb stehen. »Dann iß und trink«, sagte er und setzte Atlan ab. Es war ein Korridor, weißlackiert, sauber und menschenleer. Die Leuchtkörper funktionierten einwandfrei. »Ich muß suchen«, sagte Atlan, während er sich kurz umsah. »Vielleicht in einem dieser Räume …?«
»Geh und suche, ich werde hier auf dich warten. Wenn du nicht zurückkehrst, werde ich dich suchen.« »Ich weiß diese Fürsorge zu schätzen«, sagte Atlan trocken. Er entfernte sich langsam. Seine einzige Hoffnung bestand darin, den Roboter abzuhängen, und das dürfte keine leichte Aufgabe sein – wahrscheinlich waren eben fatalerweise die Eigenschaften nicht gestört, die Romeo zu dieser Suche brauchte, beispielsweise die Infrarotoptik seiner Augen, die ihm jeden Fußabdruck des Arkoniden noch nach Stunden zeigen konnte. Atlan kannte sich in solchen Lagen aus – es kam immer eines zum anderen. »Ein Kind müßte man sein«, seufzte der Arkonide. Die Kinder, die an Bord der SOL geboren worden waren, sie hätten ihm jetzt helfen können. Erwachsene abzuhängen, das war eines der Hauptvergnügen der wilden Rangen gewesen. Von einem Laufband auf das andere, in voller Fahrt gewechselt. In den Antigravschacht hinein, wieder hinaus – kreuz und quer durch die SOL. Man konnte dieses Spiel Stunde um Stunde spielen. Jetzt ließ sich das nicht mehr sagen. Es gab zwar noch Antigravschächte und Laufbänder, aber die Zerstörung im Innern, der allgemeine Zerfall, er hatte auch davor nicht haltgemacht. Wahrscheinlich waren bei einem Teil der Antigravschächte auch jene Kontrollsicherungen ausgefallen, die Übereifrige davor bewahrt hatten, in den Schacht hineinzustürzen. Atlan war sicher, daß es an Bord der SOL eine Anzahl von offenen Röhren gab, in die man hineinfallen konnte. Atlan betrat einen der Räume, die auf den Korridor mündeten. Es war wichtig, daß er jetzt irgendeinen Hinterausgang entdeckte; der es ihm ersparte, Romeo wiederzubegegnen. Schon im zweiten Raum fand sich eine solche Tür. Sie öffnete sich leicht. Die Räumlichkeiten dahinter waren leer und verlassen. In einem Winkel lag eine tote Ratte, sonst war nichts zu sehen. Wer sich wie Atlan an das unaufhörliche Gewimmel früherer Zeiten an
Bord erinnern konnte, den mußte beim Anblick dieser trostlosen technischen Einöde das Grausen ankommen. Der Arkonide suchte weiter. Er trat auf einen halb erleuchteten Flur und suchte weiter. Nur weg von Romeo, wobei sich Atlan darüber im klaren war, daß man sein Verhalten keineswegs uneingeschränkt gutheißen konnte. Schließlich überließ er einen schwer gestörten Roboter sich selbst. Wehe dem Unglücklichen, der Romeo über den Weg lief, für einen Schläfer gehalten wurde und dann Julia suchen mußte. Er mußte auf allerhand gefaßt sein. genauso wie Atlan. Der Arkonide bog um die Ecke – und da stand er. »Du hast versucht, mich zu täuschen«, stellte Romeo fest. »Komm her und erfülle dein Versprechen.« Atlan hatte keinen anderen Ausweg. Wieder nahm Romeo ihn in die Arme und schleppte ihn davon. Atlan überlegte fieberhaft, wie er der Maschine entkommen konnte – denn Romeos Energievorräte reichten wahrscheinlich so lange, bis der Roboter nur noch Atlans Skelett herumtrug. »Ich habe eine Idee«, sagte Atlan. Romeo ließ sich dadurch nicht beirren. »Wohin?« »Ich kenne jemanden, der eigentlich genau wissen sollte, wo Julia zu finden ist.« »Du weißt es, und das genügt mir«, entgegnete der Roboter. »Der Jemand, den ich meine, hat mir gegenüber einen Vorzug – er kann nicht irren.« »Und wer wäre das?« »Nun, vielleicht kommst du von selbst darauf. Versuch doch einfach mal, dich mit SENECA in Verbindung zu setzen. SENECA wird wissen, wo du Julia finden kannst – und du kannst SENECA bei dieser Gelegenheit auch mitteilen, daß du mich gefunden hast. Du erinnerst dich an meinen Namen?« »Du bist einer der Schläfer, du mußt wissen, wo Julia ist, und du
wirst es mir zeigen.« Damit war der Fall für Romeo offenbar erledigt; zu weiteren Erörterungen konnte Atlan ihn nicht bewegen. Eine Stunde verging, und nach Ablauf dieser sechzig Minuten, trug Romeo noch immer Atlan in den Armen. Der Roboter hatte große Geduld, der Arkonide nicht mehr – aber er wußte nicht, was er unternehmen sollte. Atlan fand beim besten Willen keinen Trick, mit dem er seinen unnachsichtigen Aufpasser los wurde. Um so verwunderter war er, als Romeo plötzlich einfach stehenblieb. »He!« rief Atlan, als er sich wieder aufgerappelt hatte. Romeo hatte ihn einfach fallen gelassen. Romeos Augen waren erloschen. Der Roboter stand still, als sei er abgeschaltet worden. SENECA? 10. Atlan gab die Versuche, Romeo zu reaktivieren, auf, bevor er richtig damit begonnen hatte. Zu absonderlich war das Betragen des Roboters gewesen, als daß man ihn hätte wiedererwecken dürfen. Im Grunde konnte Atlan froh sein, dieses nicht ungefährliche Problem gelöst zu haben. Auf der anderen Seite war er sich darüber klar, daß er keinen einzigen Schritt weitergekommen war. Gewiß, er kannte sich jetzt etwas besser in dem Kästensystem der SOLAG aus, er wußte nun, daß Romeo und Julia beschädigt waren – aber am Kern des Problems änderte sich dadurch wenig. Wer oder was trug die Verantwortung für die teilweise chaotischen Zustände an Bord der SOL? Etwa der High Sideryt, der sich für Atlan immer mehr als Autokrat herausschälte, der aus einem geheimen Versteck heraus die SOL nach Gutdünken regierte
– noch dazu reichlich unvollkommen, wie jeder zweite Blick bewies. Ein Laut drang an Atlans Ohr. Schrittgeräusche. Der Arkonide suchte sich hastig ein Versteck. Wenig später erschienen Roboter auf der Bildfläche. Offenbar wußten sie genau, wo sie Romeo zu suchen hatten. Ihre Befehle waren eindeutig. Ziemlich erstaunt, aber irgendwie auch erleichtert, sah Atlan zu, wie der rebellische Romeo ein zweites Mal in seinen transparenten Schrein verpackt wurde. Die Roboter gossen einen neuen Quarzblock um Romeo. Von Romeo war folglich selbst im günstigsten Fall keine Hilfe mehr zu erwarten. »Schon wieder allein«, seufzte der Arkonide. Er kannte die Situation zur Genüge. In gewisser Weise ähnelte sie sogar den Zuständen, die er vor mehr als zehn Jahrtausenden auf der Erde angetroffen hatte. Es gab keine einige Bevölkerung, nur miteinander verfeindete Gruppen und Grüppchen. Logischwissenschaftlich gearbeitet wurde kaum mehr; pseudoreligiöse Schwärmerei war vorherrschend. In ihrer fanatischen Beschränktheit erinnerten die Ahlnaten, die Priester der SOLAG, an die Tempeldiener früherer Jahrtausende, dabei war der Ritus wichtiger gewesen, als was geglaubt wurde. Die Luft schien dumpf und träge geworden zu sein an Bord, stickig. Man atmete nicht frei, es wurde nicht offen geredet. Dazu kam, daß der Einsame wußte, daß er an Bord wenig Freunde finden würde – mochten die Buhrlos und die SOLAG‐Leute, die Terra‐Idealisten oder die anderen Gruppen, deren es sicher noch eine Menge gab, untereinander verfeindet sein, in einem Punkt waren sie sich jedoch einig – sie waren Solaner, geboren in dem Schiff, und weder willens noch fähig, diese Welt aufzugeben. Ließ sich unter diesen Umständen das verwirklichen, was Atlan aufgetragen worden war? Die Ordnung an Bord wiederherzustellen, die SOL aus dem Zugstrahl zu befreien, der sie unablässig tiefer in das Mausefallen‐System hineinzog? Und dann, drittens und
oberstes Ziel: Die SOL ihrer Bestimmung zuzuführen. Es schien mehr zu sein, als ein einziger in der Lage war zu verwirklichen. Doch in dem Arkoniden gab es genug Zuversicht, daß er auch diese Aufgabe würde lösen können. Sein Mut war noch lange nicht gebrochen, und solange es an Bord der SOL Menschen wie Kav Wergen oder Tordya gab, die es wert waren, daß man sich um ihrer Freiheit wegen bemühte, war Atlan bereit zu wagen, was immer er einzusetzen hatte. * Chart Deccon hatte seine schlechte Laune noch nicht verloren. Die Nachrichten, die ihm zugespielt wurden, waren alles andere als erfreulich. Kein Fortschritt, was den Zugstrahl betraf. Kein Fortschritt, was den Aufrührer anging, der sich an Bord der SOL herumtrieb. Der Bursche hatte es geschafft, den gleichsam eingesargten Romeo zu befreien und mit ihm zu verschwinden. Niemand wußte, was der Kerl mit dem verrückten Roboter zu bereden gehabt hatte. Ein Glück, daß man Romeo hatte stoppen und wieder einfangen können, dachte Chart Deccon. Das Leben als High Sideryt hatte er sich auch einmal anders vorgestellt. Er hatte geglaubt, Dinge in Bewegung bringen zu können; statt dessen war er den weit größten Teil seiner Arbeitszeit damit beschäftigt, die Mißstände an Bord zu verwalten. Der SOL und den Solanern ein Ziel zu weisen – was für ein Anspruch. Er konnte zufrieden sein, wenn ihm das Schiff und die Sozialstruktur nicht unter den Fingern zerbröselteh. Ohne den altmodischen Kult der SOLAG wäre das Leben an Bord längst unmöglich geworden. Es war in gewisser Weise für jeden High Sideryt eine Demütigung, daß keiner der Amtsträger jemals so weit gekommen war, diese verkrusteten Strukturen aufzubrechen.
Statt dessen war es um des lieben Friedens willen ab und zu nötig, dem Fußvolk der SOLAG Zugeständnisse zu machenj die bestenfalls dazu beitrugen, diesen lächerlichen Aberglauben auch noch zu festigen und weiterzutreiben. »Suchen!« ordnete der High Sideryt an. »Unablässig suchen. Ich will diesen Kerl haben – lebend versteht ihr.« Er bekam keine Antwort. Es gab nichts zu sagen. Atlan hatte sich davongemacht. Er hatte den desaktivierten Roboter im Stich gelassen. Zur Zeit wurde von einigen Dutzend Robotern und Menschen die Gegend abgesucht, in der er zuletzt gewesen sein mußte – mit nur geringer Aussicht auf Erfolg. Es gab mehr als genug Mittel und Wege, sich gleichsam unsichtbar zu machen, und der Aufrührer war geschickt und wendig. Er konnte sogar Chart Deccon noch zu schaffen machen. Wahrscheinlich würde er jetzt seine Rolle als Ferrate oder Pyrride Jon Tengor aufgeben. Die Maske nutzte nichts mehr. Was würde Atlan als nächstes unternehmen? Chart Deccon hätte es teilweise vorhersagen können, wenn er auch nur ein Zipfelchen der Psyche seines Gegners hätte erfassen können. Aber die Gedanken eines Mannes, der sich als ein längst Verstorbener ausgab, waren für Deccon nicht kalkulierbar. »Eine Herausforderung an mein politisches Fingerspitzengefühl«, murmelte Chart Deccon schläfrig. »Man wird sehen – ich nehme die Herausforderung jedenfalls an.« Es blieb ihm auch gar nichts anderes übrig, dachte er, bevor er einschlief. In dieser Nacht träumte er davon, daß ein Mann namens Atlan in einer Mausefalle saß und hilflos darin zappelte. Und ein großer Kater, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Chart Deccon hatte, schlich schnurrend um die gefangene Maus herum und malte sich aus, wie Sie diesen Happen verspeisen würde … »Lebe wohl«, sagte Kav Wergen. Tordya nickte unter Tränen. Sie tat seit Stunden nichts anderes
mehr. Kav Wergen hätte nie geglaubt, daß in einem einzigen, dazu noch recht zierlichen Frauenkörper soviel Wasser gespeichert sein könnte. Der Trupp hatte keine weiteren Verluste hinnehmen müssen. Alle waren unverletzt in ihre Quartiere zurückgekehrt. Äußerlich unversehrt, innerlich jedoch schwer angeschlagen war Tordya. Sie hoffte immer noch, daß sich Atlan würde durchschlagen können, aber sie wußte auch, daß sie ihn nicht wiedersehen würde. Das Ergebnis waren immer neue Tränenfluten. Kav Wergen verließ den Raum. Er konnte Tordya nicht weiterhelfen. Sobald die Tür hinter ihm zugefallen war, lehnte er sich gegen eine Wand und stieß einen Seufzer aus. Es wurde höchste Zeit. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Der Buhrlo hatte es in den letzten Stunden spüren können. Seine Glashaut wurde zusehends undurchsichtiger, und er verlor an Flexibilität. So oder so war die Zeit für Kav Wergen gekommen. Eine Buhrlo‐Haut war ein Organ, nicht einfach eine biologische Schicht. Sie mußte vielfältige Aufgaben erfüllen – sie mußte ihren Träger vor der Kälte und Leere des Weltraums schützen, sie mußte aber auch in der Lage sein, die Hautatmung zu ermöglichen. Es war ein äußerst kompliziertes Spiel mit den Umweltbedingungen, das von der Buhrlo‐Haut gespielt wurde: Solange ein Buhrlo jung und aktiv war, kümmerte er sich nicht sonderlich darum. Die meisten waren damit zufrieden, daß die Haut funktionierte, sie taten lediglich das, was nötig war, um eine einwandfreie Funktion zu gewährleisten. Gefährlich wurde es erst im Alter. Dann nämlich konnte es jederzeit zum Ausfall einiger Papillos kommen. Das waren jene speziellen Muskeln, die gleichsam als Dichtventile dafür sorgten, daß die gläserne Buhrlo‐Haut beiden Funktionen gerecht wurde. Das Versagen der Papillos kam einem Leck im Raumanzug gleich
– Tod durch explosive Dekompression war die Folge. Vor diesem Schicksal versuchten die Buhrlos sich natürlich zu schützen, meist durch offen oder versteckt getragene Druckmasken, die jenen Körperteil vor Druckverlust schützen sollten, der vom Papillo‐Versagen am meisten bedroht wurde. Indessen hatte diese Vorsichtsmaßnahme einen entscheidenden Haken. Die Buhrlos waren nicht nur deshalb ohne Raumanzug im freien Weltraum, weil ihnen das behagte – sie waren darauf angewiesen. Denn nur die extreme Belastung der Körperoberfläche, wie sie im freien Raum gegeben war, führte zu jenem Maß an Abnutzung der Haut, das nötig war, um das einwandfreie Funktionieren unter Schiffsbedingungen zu gewährleisten. Kav Wergen hatte jenes kritische Alter erreicht. Er hatte nun zwei Möglichkeiten. Er konnte an Bord bleiben, bis sich sein Hornpanzer auch ohne Vakuumeinwirkung schloß. Dann starb er mangels ärztlicher Versorgung an Stoffwechselvergiftung. Oder er ging hinaus in den Raum mit seiner alten Haut – und riskierte, daß Papillos versagten und er an explosiver Dekompression starb. Für Kav Wergen war diese Entscheidung längst getroffen. Er wollte hinaus in den Raum. Er wußte, daß er dort nicht lange leben würde. Aber er wollte dort sterben, wo Sich ein Buhrlo am wohlsten fühlte. Frei im Raum. Kav Wergen setzte sich in Bewegung. Seine Glieder waren schon deutlich alterssteif geworden. Er begegnete niemandem, als er sich langsam zur Schleuse schleppte. Es dämmerte auf den Gängen, die Nachtzeit brach heran. Für Kav Wergen war es ein Symbol. Eigentlich, so hatte er gehofft, sollten einige seiner Freunde in der Nähe sein, wenn er starb; das gab dem Ende mehr Würde. Wenn er
hinüberging in jenes Kontinuum, aus dem es keine Nachrichten gab, dann wollte er wenigstens die Illusion mitnehmen, daß sein Verschwinden von irgendjemand bedauert wurde. Nichts erschien dem Buhrlo peinigender als das Gefühl, im Grunde überflüssig gewesen zu sein. Er sollte nicht darum herumkommen. Da er nicht den Mut aufbrachte, seine Freunde zu rufen, mußte er den letzten Gang alleine gehen. Kav Wergen legte die Hand auf die Bedienungsinstrumente der kleinen Schleuse. Ein heftiger Schmerz zuckte durch seine Schulter. Er hatte es befürchtet. Schon wieder ein Teil der Hornschicht so verhärtet, daß er fast bewegungslos war. Kav Wergen wußte, daß er nur noch ein paar Stunden bestenfalls hatte – und mit jeder Minute schwand die Aussicht, das letzte Ziel noch erreichen zu können. Er schaffte es, die Schleuse zu öffnen. Er fiel in den kleinen Raum förmlich hinein. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Kav Wergen stöhnte leise auf. Er zog die Beine an den Körper und wälzte sich vorwärts. Kav war ungewöhnlich willensstark, das zeigte sich auch jetzt. Andere hätten vielleicht aufgegeben, nicht dieser Buhrlo. Wergen brauchte sehr viel Zeit, um seinen ganzen Körper in die Schleuse hineinschleppen zu können. Als er es geschafft hatte, war er völlig erschöpft. Noch war sein Problem nicht gelöst. Er mußte die Schleuse wieder schließen, die Luft absaugen lassen, das äußere Tor öffnen, und dann endlich konnte er hinaustreiben in die Weite. Er schaffte es nicht. Tränen der Wehmut stiegen ihm in die Augen, als er zum wiederholten Mal versuchte, sich hochzuziehen. Er brauchte nur einen ganz bestimmten Knopf zu drücken, einen lächerlichen Knopf. Aber er schaffte es nicht. Er war zu schwach und ungelenk
geworden. Kav Wergen sank in sich zusammen. Also doch, Tod durch Stoffwechsel Vergiftung. Es war nicht angenehm, so zu sterben. Immerhin, dachte Kav Wergen fatalistisch, geschafft hat es bisher noch jeder. Dann tauchte in seinem Blickfeld ein Gesicht auf. »Ich habe dich gesucht, Kav«, sagte die junge Ferratin. »Und hier finde ich dich. Du willst hinaus, nicht wahr?« Kav Wergen machte eine zustimmende Geste – er formte mit der linken Hand einen Kreis aus Daumen und Zeigefinger: Zustimmung und Zeichen der Zuneigung in einem. Tordyas Gesicht war naß vor Tränen. Sie nickte und lächelte. Dann verschwand das Gesicht wieder aus Kav Wergens Gesichtsfeld. Er konnte hören, wie das innere Schleusentor zufiel. Sie hilft mir, dachte der Buhrlo. Die Pumpen begannen ihre Arbeit. Sie saugten die Luft aus der Schleusenkammer. Der wertvolle Sauerstoff sollte dem Haushalt der SOL nicht verlorengehen. Mit einem Gefühl des Wohlbehagens empfand Kav Wergen, wie sich seine Haut auf die Vakuumbedingungen einzustellen begann. Er wälzte sich herum. Das Gefühl, es trotz allem noch schaffen zu können, gab ihm die Kraft dazu. Er sah auf die äußere Schleusentür. Er konnte nur den unteren Rand sehen, mehr nicht. Sein Körperwar jetzt fast ganz erstarrt, bewegungsunfähig. Dann öffnete sich vor dem Buhrlo der Weg ins Freie. Für die Buhrlos stimmte dieser Ausdruck genau – dort draußen war die Freiheit, die größte nur denkbare Unbeschränktheit, deren ein Lebewesen sich erfreuen konnte. Draußen war das Nichts. Es gab einen winzigen Rest Atemluft in der Schleuse, und mit
diesem Lufthauch wurde Kav Wergen aus der Schleuse herausgeweht – brave Tordya, sie hatte die Schwerkraft in der Schleuse abgeschaltet, um Kav Wergen zu helfen. Der Lufthauch reichte gerade aus, um ihn herauszuziehen – hinein in die Weite des Raumes. Der Körper drehte sich ein wenig. Der schimmernde Leib der SOL tauchte vor den Augen des Buhrlos auf. Von außen sah das Schiff herrlich aus. Das grelle Licht der Sonne, das völlige Fehlen von lichtsteuernder Atmosphäre schuf auf der Oberfläche des Schiffes ein hartes Spiel von Licht und Schatten, schwarz und weiß. Es gab keine Übergänge, nur geometrisch exakte Strukturen. Sehr langsam entfernte sich der Körper des Buhrlos von seiner Heimat, dem Schiff, das er so lebensnotwendig gebraucht und wie alle Buhrlos auch verabscheut hatte. Er würde die SOL niemals wieder betreten müssen. Es war still. Vielleicht war das der größte Unterschied zwischen Solanern und Buhrlos. Einzig die Buhrlos waren fähig, stundenlang ohne das geringste Geräusch auszukommen. Vielleicht lag es daran, daß die Solaner, wenn sie in den Raum gingen, Anzüge brauchten, daß das stete Zischen des Sauerstoffs ein so wichtiger Klang war, daß sie ohne Geräusch fast wahnsinnig wurden. Der Buhrlo liebte diese Stille. Sie machte es möglich, tief in sich selbst hineinzuhorchen, auf das Schlagen des eigenen Herzens zu hören. Ein stetiger gleichmäßiger Klang. Immer weiter entfernte .sich Kav Wergen von der SOL. Die Buhrlos hatten eine Art sechsten Sinn für feinste Schwerkraftveränderungen. Sie brauchten das, um den Kontakt zu Mutterschiff nicht verlieren zu müssen. Es war dies das große Paradoxon im Leben der Buhrlos – für den
Weltraum geboren Zu sein und doch nicht gänzlich fähig, aus ihm und in ihm zu leben. Die Buhrlos konnten es an Bord der SOL nicht aushalten. Ohne wiederholte Aufenthalte im Raum wären sie gestorben – waren aber auch nicht fähig, auf das Schiff zu verzichten. So betrachtet, stellten sie eine Zwischenform des Lebens dar – vielleicht nur den ersten in einer langen Reihe von evolutionären Schritten, die nötig waren, um ein echtes Weltraumleben zu ermöglichen. Auf der anderen Seite schuf eine Weiterentwicklung in dieser Richtung einen so großen, so fundamentalen Unterschied zwischen Buhrlos und Menschen, daß man die Weltraumgeborenen praktisch nicht mehr als Menschen bezeichnen konnte. Noch aber war es nicht soweit. Noch stellte die SOL den Mittelpunkt im Leben eines Buhrlos dar. Kav Wergen konnte bei der nächsten Umdrehung seines Körpers das Schiff wieder sehen. Fast glaubte er sogar, an der gigantischen Hülle die kleine, immer noch offene Schleuse sehen zu können, durch die er die SOL für immer verlassen hatte. Wahrscheinlich war es eine Sinnestäuschung. Er konnte ohnehin, wegen der Drehbewegung, die sein steifer Körper vollführte, nur alle paar Minuten einen Blick auf die SOL werfen. In der restlichen Zeit sah er hinaus in die Weite des Weltalls. Es war, als sehe er hinaus in die Zukunft. Konnte es die SOL schaffen, sich aus dem Zugstrahl zu befreien, der sie am Fortfliegen hinderte? Kav Wergen würde dies nicht mehr betreffen, aber er war dennoch sicher, daß die SOL bald weiterfliegen würde. Ein grenzenloses Vertrauen hatte den Buhrlo ergriffen, seit er Atlan begegnet war – auch wenn er sich nicht zu erklären vermochte, was an diesem Gefühl dran war. Nicht, daß Kav Wergen dem seltsamen Mann Atlan gottgleiche Fähigkeiten angedichtet hätte. Wohl aber hatte der Buhrlo das
sichere Gefühl gehabt, daß dieser Mann seinen Weg gehen würde, und daß er dabei sehr erfolgreich sein würde. Das Herz des Buhrlos hörte langsam auf zu schlagen. Kav Wergen lächelte, als er langsam und sanft eintauchte in die immerwährende Stille und den Frieden, den die Macht des Bösen selbst nicht zu brechen imstande sein würde. Endlich hatte er sein Ziel erreicht – er war eins geworden mit der Unendlichkeit. Fast bedauerte er die, die hinter ihn zurückbleiben mußten. Sie würden viel zu tun haben bis zu einem ver gleichbaren Augenblick. ENDE Wer nicht zu den Privilegierten gehört und keine gute Verbindung zur SOLAG besitzt, der führt an Bord der SOL ein bedauernswertes Leben. Atlan, der auf der Flucht vor seinen Häschern verschiedene Bereiche der SOL durchstreift, wird dies eindringlich vor Augen geführt. Er kommt zusammen mit MENSCHEN ZWEITEN GRADES … MENSCHEN ZWEITEN GRADES – so heißt auch der Titel des nächsten Atlan‐Bandes. Autor des Romans ist Horst Hoffmann.