Handbuch Kraftfahrzeugelektronik 1 Auflage

Henning Wallentowitz/ Konrad Reif (Hrsg.) Handbuch Kraftfahrzeugelektronik Aus dem Programm Kraftfahrzeugtechnik Hand...

Author: Ulrich Port

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Henning Wallentowitz/ Konrad Reif (Hrsg.)

Handbuch Kraftfahrzeugelektronik

Aus dem Programm Kraftfahrzeugtechnik Handbuch Verbrennungsmotor herausgegeben von R. van Basshuysen und F. Schäfer Lexikon Motorentechnik herausgegeben von R. van Basshuysen und F. Schäfer Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik herausgegeben von H.-H. Braess und U. Seiffert Bremsenhandbuch herausgegeben von B. Breuer und K. H. Bill Nutzfahrzeugtechnik herausgegeben von E. Hoepke und S. Breuer Aerodynamik des Automobils herausgegeben von W.-H. Hucho Verbrennungsmotoren von E. Köhler und R. Flierl Automobilelektronik herausgegeben von K. Reif Automotive Software Engineering von J. Schäuffele und T. Zurawka Motorkolben von S. Zima Bussysteme in der Fahrzeugtechnik von W. Zimmermann und R. Schmidgall Die BOSCH-Fachbuchreihe • Ottomotor-Management • Dieselmotor-Management • Autoelektrik/Autoelektronik • Sicherheits- und Komfortsysteme • Fachwörterbuch Kraftfahrzeugtechnik • Kraftfahrtechnisches Taschenbuch herausgegeben von ROBERT BOSCH GmbH

vieweg

Henning Wallentowitz/ Konrad Reif (Hrsg.)

Handbuch Kraftfahrzeugelektronik Grundlagen, Komponenten, Systeme, Anwendungen Mit 750 Abbildungen und zahlreichen Tabellen

ATZ/MTZ-Fachbuch

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Das Werk entstand mit freundlicher Unterstützung von Siemens VDO.

1. Auflage September 2006 Alle Rechte vorbehalten © Friedr. Vieweg & Sohn Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ewald Schmitt Der Vieweg Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vieweg.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Konzeption und Layout des Umschlags: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Satz und Technische Redaktion: Klementz publishing services, Gundelfingen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN-10 3-528-03971-X ISBN-13 978-3-528-03971-4

Vorwort

Die Kraftfahrzeugelektronik hat sich zu einer eigenständigen Ingenieurdisziplin innerhalb der Fahrzeugtechnik entwickelt. Sie ist damit gleichzeitig ein wichtiges Gebiet innerhalb des Maschinenbaus. Die Inhalte der Kraftfahrzeugelektronik sind elektrotechnischer, elektronischer und regelungstechnischer Natur. In die klassische Aufteilung der Elektrotechnik in: Antriebstechnik, Automatisierungstechnik, Energietechnik, Hochfrequenztechnik usw. lässt sie sich nicht so recht einordnen, vielmehr weist sie mit vielen dieser Gebiete erhebliche Überschneidungen auf. Dazu kommt, dass die Kraftfahrzeugelektronik inhaltlich stark im Wandel begriffen ist und die Inhalte weitgehend durch die Fahrzeughersteller und die Zulieferunternehmen geprägt werden. Eine geschlossene und umfassende Darstellung der Kraftfahrzeugelektronik ist daher ein konsequenter und logischer Schritt. Das Handbuch Kraftfahrzeugelektronik soll helfen, einen prinzipiellen Überblick, in einigen Fällen auch einen tiefen Einblick, über das umfangreiche, manchmal auch unübersichtlich erscheinende Gebiet zu gewinnen. Für die meisten der heute im Kraftfahrzeug wichtigen elektronischen Systeme wird der Stand der Technik beschrieben. Die Herausgeber sind sich bewusst, dass die Auswahl der behandelten Themen einer gewissen Subjektivität unterliegt und dass eine vollständige Abdeckung des Gebietes mit einem Buch im vorliegenden Umfang nicht möglich ist. Nach unserer Erfahrung decken die ausgewählten Kapitel jedoch den wesentlichen Umfang ab, den Fahrzeugtechniker und Elektroniker zu diesem Gebiet kennen sollten. Für die thematische Gliederung der Kraftfahrzeugelektronik bieten sich zwei grundverschiedene Herangehensweisen an: Die fahrzeugtechnische Gliederung in Subsysteme z.B. Antrieb, Fahrwerk, Beleuchtung usw. und die thematische, systemübergreifende Gliederung in Sensorik, Software, Diagnose usw. Beide Gliederungssystematiken sind allgemein gebräuchlich. Daher wurden auch beide im vorliegenden Buch nebeneinander eingesetzt. Zunächst wird die Steuerung und Regelung von Motor, Antrieb und Fahrwerk dargestellt. Die Elektronik in Fahrerassistenzsystemen, Telematik, Infotainment und Multimedia zeigt, welche Funktionen erst durch die Elektronik möglich wurden. Beiträge zu Fahrzeugbeleuchtung, Bordnetz, Diagnose und Softwareentwicklung für die elektronischen Steuerungen runden das Informationsangebot ab. Damit eignet sich das Handbuch für Ingenieure mit dem Aufgabengebiet Kraftfahrzeugtechnik bei Fahrzeugherstellern und Zulieferern, die sich mit Aufbau und Funktion moderner Fahrzeugsysteme und -steuerungen beschäftigen. Den Softwareentwicklern in der Kfz-Industrie bietet es den nötigen Einblick in die Funktion der Fahrzeugelemente, für die Steuerungen erstellt werden. Den Kfz-Meistern, Kfz-Technikern und den Mitarbeitern der Kfz-Werkstätten wird Hintergrundwissen aus erster Hand geboten; Studierende an Universitäten und Fachhochschulen können es während ihres Studiums einsetzen. Besonderer Dank gilt der Firma Siemens VDO für die fachliche und materielle Unterstützung bei der Entstehung des Werkes, ohne die das Handbuch so nicht hätte realisiert werden können. Die Beiträge von mehr als 100 Autoren aus Industrie, Forschung und Hochschule haben es möglich gemacht, dass das Buch entstehen konnte. Den Autoren sei für die termingerechte Ablieferung der hoch aktuellen Informationen besonderer Dank ausgesprochen. Außerdem möchten wir uns bei den Firmen Audi AG, BMW AG, Hella KgaA Hueck & Co. und Robert Bosch GmbH bedanken, die umfangreiches Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben. Die vielen Helfer sollen an dieser Stelle ebenfalls erwähnt werden, ohne deren zuverlässige Hilfe die Herausgabe nicht möglich gewesen wäre. Besonders danken wir Herrn Prof. Dr.-Ing. K. Borgeest, Herrn Dipl.Ing. (FH) Franz Gretzmeier, Herrn Dr.-Ing. R. Hagel, Herrn Dr.-Ing. H. Rosmanith, Herrn Dr.-Ing. K. Weinzierl und Herrn Prof. Dr.-Ing. W. Zimmermann für die fachliche Diskussion und Mithilfe in der Endphase der Buchentstehung. Der Herausgeber Reif dankt seiner Ehefrau, Dipl.-Inf. Evelyn Reif und seinen Kindern Gerold, Karla und Richard, die sehr viel Geduld und Verständnis gezeigt haben.

VI

Vorwort

Der Herausgeber Wallentowitz dankt seinen Mitarbeitern am Institut für Kraftfahrwesen der RWTH, die sich bei der Konzeption des Buches eingebracht haben sowie Frau Kathrin Noreikat aus der Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen mbH Aachen (fka), die vor allem die organisatorischen und koordinierenden Arbeiten übernommen hat, sowie dem Kollegen Prof. Reif, der die Hauptlast bei der Entstehung des Buches getragen hat. Zuletzt sei dem Verlag für die Anregung zu diesem Handbuch, das große Engagement in Lektorat und Druckvorlagenherstellung sowie für die Aufnahme in die renommierte Reihe ATZ/MTZ-Fachbuch gedankt.

Aachen Friedrichshafen Im September 2006

Henning Wallentowitz Konrad Reif

Autorenverzeichnis Dr. Heinz-Bernhard Abel [8]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Babenhausen

Dr.-Ing. Mihiar Ayoubi [3.2]

BMW Group, München

Dr. Claus Baumgartner [2.3]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Joachim Baumgartner [6.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr.-Ing. Bernward Bayer [3.2.6]

Continental Automotive Systems Division, Frankfurt/M.

Dipl.-Math. Michael Beine [17.3]

dSPACE GmbH, Paderborn

Lutz Berentroth [2.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr. Jürgen Bielefeld [4.1]

BMW Group, München

Dipl.-Ing. Christian Billig [3.2]

BMW Group, München

Dipl.-Ing. Otmar Bitsche [4.5]

DaimlerChrysler AG, Sindelfingen

OStD Siegfried Blüml [Anhang A]

Leiter Carl-Benz-Schule BBS Technik, Koblenz

Dr. Heinrich-Jochen Blume [8]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Babenhausen

Prof. Dr.-Ing. Kai Borgeest [13.2]

FH Aschaffenburg

Dipl.-Ing. Gerhard Brösicke [3.2]

BMW Group, München

Dr.-Ing. Gregor Büdding [14]

Brose Schließsysteme GmbH & Co. KG, Wuppertal

Ulrich Deml [2.3]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr.-Ing. Hans-Theo Dorißen [11.1]

Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt

Dr.-Ing. Klaus Dürkopp [11.1]

Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt

Dipl.-Ing. Martin Eckmann [17.2]

dSPACE GmbH, Paderborn

Prof. Dr.-Ing. Klaus Feldmann [14]

Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen

Dr. Tobias Flämig-Vetter [14]

imh-Institut für Motorenbau Prof. Huber GmbH, Stuttgart

Patrick Friba [10.3]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Wetzlar

VIII

Autorenverzeichnis

Dr. Jürgen Fritsch [2.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Horst Gering [4.6]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dirk Geyer [2.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr. Davor Gospodariü [15]

TRIMERICS GmbH, Filderstadt

Dr. Hans-Michael Graf [4.6]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Olaf Graupner [2.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dipl.-Ing. Franz Gretzmeier [2.5, 4.3]

Freiburg

Dr. Günter Gutmann [4.5]

ZSW, Ulm (ausgeschieden)

Dr. Heinz-Dieter Heitzer [3.2.5]

TRW Automotive, Düsseldorf

Dipl.-Ing. Eugen Herb [3.2]

BMW Group, München

Dipl.-Ing. Thomas Heurung [4.7]

Mentor Graphics (Deutschland) GmbH, München

Gerwin Höreth [2.3]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dipl.-Ing. Robert Hupfer [7]

Webasto Roof Systems, Inc., Rochester Hills, MI, USA

Dr. Hans-Ulrich Huss [2.7]

DaimlerChrysler AG, Kirchheim/Teck-Nabern

Dipl.-Ing. Henning Irle [11.1]

Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt

Dr. Michael Kaesbauer [2.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr.-Ing. Bernhard Kirsch [12]

Thomas Magnete GmbH, Herdorf

Dipl.-Ing. Joachim Klesing [7, 14]

Webasto AG Fahrzeugtechnik, Stockdorf

Dipl.-Ing. Wolfram Klimars [15]

EMC Test NRW GmbH electromagnetic compatibility, Dortmund

Dipl.-Ing. Mathias Klumpf [14.3.3]

Audi AG, Neckarsulm

Prof. Dr.-Ing. Peter M. Knoll [9.1]

Robert Bosch GmbH, Leonberg

Dipl.-Ing. Susanne Köhl [17.4]

dSPACE GmbH, Paderborn

Dr. Ulrich Köhler [11.1]

Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt

Dr. Philip Köhn [3.2]

BMW Group, München

Autorenverzeichnis

IX

Dipl.-Ing. Benjamin Konrad [14.3.3]

Audi AG, Neckarsulm

Dipl.-Ing. Alexander Lämmle [13]

ContiTemic microelectronic GmbH, Ingolstadt

Dr.-Ing. Klaus Lamberg [17.5]

dSPACE GmbH, Paderborn

Dr. Arnold Lamm [2.7]

DaimlerChrysler AG, Kirchheim/Teck-Nabern

Dipl.-Ing. Michael Langfermann [14]

Brose Schließsysteme GmbH & Co. KG, Wuppertal

Dr.-Ing. Heinz Leffler [3.2]

BMW Group, München

Dipl.-Ing. Thomas Lorenz [11.1]

Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt

Dipl.-Ing. Christoph Marscholik [16]

Softing AG, Haar

Prof. Dr.-Ing. Hartmut Marwitz [3.3, 9.2]

DaimlerChrysler AG, Stuttgart

Dr. Georg Mentzel [14]

Siemens VDO Automotive AG, Regensburg

Dipl.-Ing. Frank Mertens [17.2]

dSPACE GmbH, Paderborn

Dr.-Ing. Dieter Metzner [14]

Infineon Technologies AG, München

Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Helmut E. Mößmer BMW M GmbH, Garching [4.9] Dr. Christian Mohrdieck [2.7]

DaimlerChrysler AG, Kirchheim/Teck-Nabern

Jörg Molz [2.2]

Borg Warner, Ketsch

Dipl.-Ing. Ingo Nickeleit [4.7]

Agilent Technologies Deutschland GmbH, Böblingen

Dr. Oliver Niggemann [17.1]

dSPACE GmbH, Paderborn

Prof. Karl-Ernst Noreikat [2.6]

DaimlerChrysler Corp., Troy, MI, USA

Dr. Michael Ostertag [9.3]

Siemens AG, Industrial Solutions & Services, München

Dr.-Ing. Rainer Otterbach [17.1]

dSPACE GmbH, Paderborn

Prof. Dr.-Ing. Hans-Christian Pflug [3.3, 9.2]

DaimlerChrysler AG, Stuttgart

Wolfgang Piesch [6.2]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dipl.-Ing. Markus Plöger [17.4]

dSPACE GmbH, Paderborn

Dr. Gotthard Rainer [2.8]

AVL List GmbH, Graz

X

Autorenverzeichnis

Dr. Matthias Rebhan [11.2]

Siemens AG, München

Dr. Günter Reichart [4.1]

BMW Group, München

Prof. Dr.-Ing. Konrad Reif [1, 3.1, 3.2, 14]

BA Ravensburg, Friedrichshafen

Rainer Riecke [2.3]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr.-Ing. Peter E. Rieth [3.2.6]

Continental Automotive Systems Division, Frankfurt/M.

Prof. Dr.-Ing. Georg Rill [3.4]

FH Regensburg, Regensburg

Dipl.-Ing. Bernd Rösch [16]

Softing AG, Haar

Dipl.-Ing. Andre Rolfsmeier [17.6]

dSPACE GmbH, Paderborn

Christoph Roth [9.3]

Siemens AG, Industrial Solutions & Services, München

Dr. Gerhard Ruck [3.2.3, 3.2.4]

ZF Lenksysteme GmbH, Schwäbisch Gmünd

Dr. Heinz Schäfer [4.4]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Würzburg

Christoph Schikora [2.2]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr. Willibert Schleuter [4.8]

Audi AG, Ingolstadt

Dipl.-Ing. Bernhard Schmittner [3.2.6]

Continental Automotive Systems Division, Frankfurt/M.

Dr.-Ing. Mark Schnabel [3.2]

BMW Group, München

Dr. Dirk Schneider [2.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Klaus Schönke [10.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, München

Harry Schüle [2.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr.-Ing. Frank Schütte [17.2]

dSPACE GbmH, Paderborn

Dipl.-Math. (FH) Marcus Schupfner [10.2]

Siemens VDO Automotive AG, Regensburg

Dipl.-Ing. Josef Schwarz [2.4]

ZF Friedrichshafen AG, Friedrichshafen

Wolfgang Sitter [10.3]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Karl Smirra [2.2]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Prof. Dr.-Ing. Gernot Spiegelberg [3.3, 9.2]

Siemens VDO Automotive AG, Regensburg

Autorenverzeichnis

XI

Dipl.-Ing. Markus Steffelbauer [16]

Softing AG, Haar

Dr. Michael Straßberger [3.2]

BMW Group, München

Dipl.-Inf. Joachim Stroop [17.1]

dSPACE GmbH, Paderborn

Dipl.-Ing. Peter Subke [4.2]

Softing AG, Ratingen

Stefan Treinies [2.1]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dipl.-Ing. Gunnar Urbschat [2.6]

DaimlerChrysler Corp., Troy, MI, USA

Univ. Prof. Dr.-Ing. Henning Wallentowitz [1, 3.1]

RWTH Aachen, Institut für Kraftfahrwesen

Dipl.-Ing. MEng Lothar Weichenberger [13]

Autoliv B.V. & Co KG, Dachau

Christian Weinzierl [2.3]

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Prof. Dr. Burkard Wördenweber [5]

Visteon Deutschland GmbH, Kerpen

Dipl.-Ing.Manfred Zuber [4.8]

Audi AG, Ingolstadt

Firmen- und Institutionenverzeichnis Firmen Agilent Technologies Deutschland GmbH, Böblingen

Dipl.-Ing. Ingo Nickeleit

Audi AG, Ingolstadt

Dipl.-Ing. Mathias Klumpf Dipl.-Ing. Benjamin Konrad Dr. Willibert Schleuter Dipl.-Ing. Manfred Zuber

Autoliv B.V. & Co.KG, Dachau

Dipl.-Ing. MEng Lothar Weichenberger

AVL List GmbH

Dr. Gotthard Rainer

BMW Group, München

Dr.-Ing. Mihiar Ayoubi Dr. Jürgen Bielefeld Dipl.-Ing. Christian Billig Dipl.-Ing. Gerhard Brösicke Dipl.-Ing. Eugen Herb Dr.-Ing. Philip Köhn Dr.-Ing. Heinz Leffler Dr. Günter Reichart Dr.-Ing. Mark Schnabel Dr. Michael Straßberger

BMW M GmbH, Garching

Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Helmut E. Mößmer

Borg Warner, Ketsch

Jörg Molz

Robert Bosch GmbH, Leonberg

Prof. Dr.-Ing. Peter Knoll

Brose Schließsysteme GmbH & Co. KG, Wuppertal

Dr.-Ing. Gregor Büdding Dipl.-Ing. Michael Langfermann

Continental Automotive Systems Division, Frankfurt/M. Dr.-Ing. Bernward Bayer Dr.-Ing. Peter Rieth Dipl.-Ing. Bernhard Schmittner ContiTemic microelectronic GmbH, Ingolstadt

Dipl.-Ing. Alexander Lämmle Dipl.-Ing. MEng Lothar Weichenberger (ausgeschieden)

DaimlerChrysler AG, Kirchheim/Teck-Nabern

Dr. Hans-Ulrich Huss Dr. Arnold Lamm Dr. Christian Mohrdieck

DaimlerChrysler AG, Sindelfingen

Dipl.-Ing. Otmar Bitsche

DaimlerChrysler AG, Stuttgart

Prof. Dr.-Ing. Hartmut Marwitz Prof. Dr.-Ing. Hans-Christian Pflug

DaimlerChrysler Corp., Troy, MI, USA

Prof. Karl-Ernst Noreikat Dipl.-Ing. Gunnar Urbschat

Firmen- und Institutionenverzeichnis

XIII

dSPACE GmbH, Paderborn

Dipl.-Math. Michael Beine Dipl.-Ing. Martin Eckmann Dipl.-Ing. Susanne Köhl Dr.-Ing. Klaus Lamberg Dipl.-Ing. Frank Mertens Dr. Oliver Niggemann Dr.-Ing. Rainer Otterbach Dipl.-Ing. Markus Plöger Dipl.-Ing. Andre Rolfsmeier Dr.-Ing. Frank Schütte Dipl.-Inf. Joachim Stroop

EMC Test NRW GmbH electromagnetic compatibility, Dortmund

Dipl.-Ing. Wolfram Klimars

Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt

Dr.-Ing. Hans-Theo Dorißen Dr.-Ing. Klaus Dürkopp Dipl.-Ing. Henning Irle Dr. Ulrich Köhler Dipl.-Ing. Thomas Lorenz

imh-Institut für Motorenbau Prof. Huber GmbH, Stuttgart

Dr. Tobias Flämig-Vetter

Infineon Technologies AG, München

Dr.-Ing. Dieter Metzner

Mentor Graphics (Deutschland) GmbH, München

Dipl.-Ing. Thomas Heurung

Siemens AG, München

Dr. Matthias Rebhan

Siemens AG, Industrial Solutions & Services, München Dr. Michael Ostertag Christoph Roth Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Babenhausen

Dr. Heinz-Bernhard Abel Dr. Heinrich-Jochen Blume

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, München

Klaus Schönke

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Dr. Claus Baumgartner Joachim Baumgartner Lutz Berentroth Ulrich Deml Dr. Jürgen Fritsch Horst Gering Dirk Geyer Dr. Hans-Michael Graf Olaf Graupner Gerwin Höreth Dr. Michael Kaesbauer Dr. Georg Mentzel Wolfgang Piesch Rainer Riecke Christoph Schikora Dr. Dirk Schneider Harry Schüle Dipl.-Math. (FH) Marcus Schupfner Wolfgang Sitter Karl Smirra

XIV

Firmen- und Institutionenverzeichnis

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg

Prof. Dr.-Ing. Gernot Spiegelberg Stefan Treinies Christian Weinzierl

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Wetzlar

Patrick Friba

Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Würzburg

Dr. Heinz Schäfer

Softing AG, Haar

Dipl.-Ing. Christoph Marscholik Dipl.-Ing. Bernd Rösch Dipl.-Ing. Markus Steffelbauer

Softing AG, Ratingen

Dipl.-Ing. Peter Subke

Thomas Magnete GmbH, Herdorf

Dr.-Ing. Bernhard Kirsch

TRIMERICS GmbH, Filderstadt

Dr. Davor Gospodariü

TRW Automotive, Düsseldorf

Dr. Heinz-Dieter Heitzer

Visteon Deutschland GmbH, Kerpen

Prof. Dr. Burkard Wördenweber

Webasto AG Fahrzeugtechnik, Stockdorf

Dipl.-Ing. Joachim Klesing

Webasto Roof Systems, Inc., Rochester Hills, MI, USA

Dipl.-Ing. Robert Hupfer

ZF Friedrichshafen AG, Friedrichshafen

Dipl.-Ing. Josef Schwarz

ZF Lenksysteme, Schwäbisch Gmünd

Dr. Gerhard Ruck

ZSW, Ulm

Dr. Günter Gutmann

Schulen und Hochschulen Berufsakademie Ravensburg, Friedrichshafen

Prof. Dr.-Ing. Konrad Reif

Carl-Benz-Schule BBS Technik, Koblenz

OStD Siegfried Blüml

FH Aschaffenburg, Labor für Fahrzeugmechatronik

Prof. Dr.-Ing. Kai Borgeest

FH Regensburg, Fachbereich Maschinenbau

Prof. Dr.-Ing. Georg Rill

Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik

Prof. Dr.-Ing. Klaus Feldmann

RWTH Aachen, Institut für Kraftfahrwesen

Univ. Prof. Dr.-Ing. Henning Wallentowitz

Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung...................................................................................................................................................

1

2

Motor und Antriebsstrang ....................................................................................................................... 2.1 Motormanagement .......................................................................................................................... 2.1.1 Anforderungen .................................................................................................................. 2.1.1.1 Emissionen, Verbrauch und Fahrbarkeit ............................................................ 2.1.1.2 Brennverfahren und Einspritzverfahren ............................................................. 2.1.1.2.1 Systeme für die Direkteinspritzung.................................................. 2.1.1.2.2 Saugrohreinspritzung ....................................................................... 2.1.1.3 Belastung............................................................................................................ 2.1.2 Funktionen ......................................................................................................................... 2.1.2.1 Übersicht Motorsteuerungsfunktionen ............................................................... 2.1.2.2 Drehmomentbasierte Funktionsstruktur ............................................................ 2.1.2.2.1 Drehmomentenmodell...................................................................... 2.1.2.2.2 Fahrbarkeitsfunktionen .................................................................... 2.1.2.2.3 Drehzahlregelung............................................................................. 2.1.2.2.4 Verbrennungsartumschaltung .......................................................... 2.1.2.3 Füllungssteuerung .............................................................................................. 2.1.2.3.1 Saugrohrmodell................................................................................ 2.1.2.3.2 Ladedruckregelung .......................................................................... 2.1.2.3.3 Abgasrückführung ........................................................................... 2.1.2.3.4 Weitere Aktoren zur Füllungssteuerung........................................... 2.1.2.4 Zündung ............................................................................................................. 2.1.2.4.1 Ermittlung des Sollwerts für den Zündzeitpunkt.............................. 2.1.2.4.2 Klopfregelung .................................................................................. 2.1.2.4.3 Schnittstelle zur Basis-Software ...................................................... 2.1.2.5 Einspritzung ....................................................................................................... 2.1.2.5.1 Ottomotor mit Direkteinspritzung.................................................... 2.1.2.5.2 Ottomotor mit Saugrohreinspritzung ............................................... 2.1.2.5.3 Dieselmotor...................................................................................... 2.1.2.6 Abgasnachbehandlung ....................................................................................... 2.1.2.6.1 Betriebsartenmanager für die Abgasnachbehandlung ...................... 2.1.2.7 On-Board-Diagnose ........................................................................................... 2.1.2.8 E-Gas-Überwachungskonzept ............................................................................ 2.1.2.9 Sonderformen..................................................................................................... 2.2 Getriebesteuerung ........................................................................................................................... 2.2.1 Getriebekonzepte ............................................................................................................... 2.2.1.1 Manuelle Schaltgetriebe ..................................................................................... 2.2.1.2 Automatisierte Schaltgetriebe ............................................................................ 2.2.1.3 Automatische Getriebe ....................................................................................... 2.2.1.4 Stufenlose Automatikgetriebe ............................................................................ 2.2.1.5 Doppelkupplungsgetriebe................................................................................... 2.2.1.6 Allrad-Antrieb .................................................................................................... 2.2.1.7 Hybridantriebe.................................................................................................... 2.2.2 Funktionen und Software ................................................................................................... 2.2.2.1 Funktionsübersicht ............................................................................................. 2.2.2.2 Fahrstrategie....................................................................................................... 2.2.2.3 Fahrfunktionen ................................................................................................... 2.2.2.4 Aktorfunktionen ................................................................................................. 2.2.2.5 Basisfunktionen.................................................................................................. 2.2.2.6 Einbindung in den Antriebsstrang ......................................................................

5 5 5 5 7 7 8 8 8 8 9 10 12 13 14 15 15 16 17 17 18 18 19 19 19 19 21 21 23 24 25 26 27 29 29 30 30 31 32 33 33 33 33 33 33 36 37 38 38

XVI 2.3

2.4

2.5

Inhaltsverzeichnis Steuerungen für Motor und Getriebe............................................................................................... 2.3.1 Konzeptionelle Gemeinsamkeiten bei Motor- und Getriebesteuerungen ........................... 2.3.1.1 Gehäuse- und Aufbautechnik ............................................................................. 2.3.1.1.1 Umgebungsanforderungen ............................................................... 2.3.1.1.2 Stand-alone-Lösungen ..................................................................... 2.3.1.1.3 Verbindungstechnik ......................................................................... 2.3.1.2 Elektronikkonzepte............................................................................................. 2.3.1.2.1 Grundstruktur................................................................................... 2.3.1.2.2 Elektronische Bauelemente und Schaltungen .................................. 2.3.2 Besonderheiten der Motorsteuergeräte-Hardware.............................................................. 2.3.2.1 Zündung ............................................................................................................ 2.3.2.2 Klopfsignalauswertung....................................................................................... 2.3.2.3 Ansteuerung magnetventilbetätigter Injektoren in der Direkteinspritzung ......... 2.3.2.4 Ansteuerung piezogetriebener Injektoren in der Direkteinspritzung ................. 2.3.3 Besonderheiten der Getriebeelektronik .............................................................................. 2.3.3.1 Integrierte Steuerungen ...................................................................................... 2.3.3.2 Elektronik für Getriebesteuerungen.................................................................... 2.3.3.2.1 Stromregler für elektromagnetische Ventile .................................... 2.3.4 Software............................................................................................................................. 2.3.4.1 Funktionale Anforderungen................................................................................ 2.3.4.2 Nicht-funktionale Anforderungen ...................................................................... 2.3.4.3 Software-Architektur.......................................................................................... 2.3.4.4 Infrastrukturelle Software .................................................................................. 2.3.4.4.1 Betriebssystem ................................................................................. 2.3.4.4.2 Signalaufbereitung ........................................................................... 2.3.4.4.3 Signalausgabe .................................................................................. 2.3.4.4.4 Diagnose-Funktionen....................................................................... Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug................................................................................................ 2.4.1 Übersicht über Nutzfahrzeuggetriebe................................................................................. 2.4.1.1 Lastschalt-Automatgetriebe................................................................................ 2.4.1.2 Automatische Getriebe ....................................................................................... 2.4.1.3 Integrierte Getriebebremse ................................................................................. 2.4.2 Automatisierungstechnologien für automatische Getriebe ................................................. 2.4.2.1 Elektromotorische Steuerung für automatische Getriebe ................................... 2.4.2.2 Elektrohydraulische Steuerung für automatische Getriebe................................. 2.4.2.3 Elektropneumatische Steuerung für automatische Getriebe ............................... 2.4.3 Elektronische Steuerung..................................................................................................... 2.4.3.1 Systemanforderungen......................................................................................... 2.4.3.2 Inegrierter Getriebesteller................................................................................... 2.4.3.3 Integrierter Kupplungssteller.............................................................................. 2.4.3.4 Aufbau der Elektronik ........................................................................................ 2.4.4 Funktionen ......................................................................................................................... 2.4.4.1 Kupplungsregelung ............................................................................................ 2.4.4.2 Schaltablaufsteuerung ........................................................................................ 2.4.4.3 Fahrstrategie....................................................................................................... 2.4.4.4 Sonstige Funktionen........................................................................................... 2.4.5 Steuerungssoftware ............................................................................................................ 2.4.5.1 Software-Struktur ............................................................................................... 2.4.5.2 Software-Konfiguration und Applikation........................................................... 2.4.6 Systemintegration im Fahrzeugnetzwerk ........................................................................... 2.4.6.1 Systemschnittstelle im CAN-Systemverbund..................................................... Fahrzeug-Starter.............................................................................................................................. 2.5.1 Einleitung........................................................................................................................... 2.5.2 Elektromotorische Grundlagen .......................................................................................... 2.5.3 Schaltungsarten .................................................................................................................. 2.5.4 Starter für Personenkraftwagen.......................................................................................... 2.5.5 Starter für Nutzfahrzeuge...................................................................................................

39 39 39 39 41 43 43 43 45 46 46 47 48 48 49 49 51 51 52 52 52 53 55 55 56 56 57 58 58 58 59 59 59 59 60 60 61 61 61 62 62 63 63 64 64 65 65 65 65 65 65 66 66 67 68 70 74

Inhaltsverzeichnis 2.5.6 Schraubtrieb-Starter der Motorradtechnik.......................................................................... 2.5.7 Startsteuerungen................................................................................................................. Hybridantriebe ................................................................................................................................ 2.6.1 Motivation zur Entwicklung von Hybridantrieben............................................................. 2.6.2 Hybride Antriebsstrukturen................................................................................................ 2.6.3 Schlüsselkomponenten....................................................................................................... 2.6.4 Betriebsstrategie................................................................................................................. 2.6.5 Antriebsintegration ............................................................................................................ 2.6.6 Fahrzeugbeispiele .............................................................................................................. 2.6.7 Bewertung.......................................................................................................................... Brennstoffzellen .............................................................................................................................. 2.7.1 Einführung ......................................................................................................................... 2.7.1.1 Umfeld und Motivation ...................................................................................... 2.7.1.2 Historie der Brennstoffzelle ............................................................................... 2.7.1.3 Eigenschaften und Grundprinzipien ................................................................... 2.7.2 Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzelle................................................................... 2.7.2.1 Aufbau und Funktionsweise ............................................................................... 2.7.2.2 Technischer Stand und Herausforderungen........................................................ 2.7.2.2.1 Lebensdauer..................................................................................... 2.7.2.2.2 Kaltstarteigenschaften von Brennstoffzellen-Stacks ........................ 2.7.2.2.3 Kosten.............................................................................................. 2.7.3 Brennstoffzellensystem und -antrieb.................................................................................. 2.7.3.1 Kraftstoffe, Kraftstoffaufbereitung und Kraftstoffspeicher ................................ 2.7.3.1.1 Kraftstoffe........................................................................................ 2.7.3.1.2 Kraftstoffaufbereitung...................................................................... 2.7.3.1.3 Mobile Wasserstoffspeicher............................................................. 2.7.3.2 Aufbau eines Brennstoffzellensystems............................................................... 2.7.3.3 Antriebsstrangkomponenten und Hybridisierung ............................................... 2.7.4 Brennstoffzellenfahrzeuge ................................................................................................. 2.7.4.1 Rückblick und aktueller Stand............................................................................ 2.7.4.2 Antriebsstrang Personenkraftwagen ................................................................... 2.7.4.3 Antriebsstrang Nutzfahrzeuge ........................................................................... 2.7.5 Ausblick............................................................................................................................. Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik.................................................................... 2.8.1 Motorenentwicklungsprozess............................................................................................. 2.8.2 Baugruppen des Motors ..................................................................................................... 2.8.3 Berechnungsmethoden und Berechnungsaufgaben ............................................................ 2.8.3.1 Strukturanalyse................................................................................................... 2.8.3.2 System Performance Modeling .......................................................................... 2.8.3.3 Beispiele für thermofluiddynamische Berechnungen ......................................... 2.8.4 Optimierung .......................................................................................................................

76 76 77 77 80 82 84 86 87 88 89 89 89 90 90 91 91 92 92 93 93 94 94 94 95 95 97 99 99 99 100 101 103 103 104 105 105 105 105 109 110

Fahrwerksysteme ...................................................................................................................................... 3.1 Physikalische Grundlagen zur Fahrdynamik-Regelung................................................................... 3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen ............................................................................ 3.2.1 Antriebs- und Bremsregelsysteme...................................................................................... 3.2.1.1 Brems- und Antriebsmomentenregelung ............................................................ 3.2.1.2 Momentenverteilung bei Allradantrieben........................................................... 3.2.1.3 Elektromechanische Feststellbremse .................................................................. 3.2.2 Achsregelsysteme .............................................................................................................. 3.2.2.1 Wankstabilisierung............................................................................................. 3.2.2.2 Elektronisch geregelte Dämpfer ......................................................................... 3.2.2.3 Geregelte Luftfederung ...................................................................................... 3.2.3 Lenkungsregelsysteme ....................................................................................................... 3.2.3.1 Elektrische Hilfskraftlenkung............................................................................. 3.2.3.2 Überlagerungslenkung........................................................................................ 3.2.4 Integration von Fahrwerksregelsystemen........................................................................... 3.2.5 Steer-by-Wire.....................................................................................................................

112 112 115 116 116 124 126 129 129 132 133 134 134 137 142 145

2.6

2.7

2.8

3

XVII

XVIII

Inhaltsverzeichnis 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3

3.3

3.4

Überblick............................................................................................................ Ausfallsichere oder fehlertolerante Systemarchitektur ....................................... Elektronische und elektronische Architektur des fehlertoleranten Steer-by-Wire-Systems ...................................................................................... 3.2.5.4 Fehlertolerante Spannungsversorgung................................................................ 3.2.5.5 Steer-by-Wire-Regelkreis................................................................................... 3.2.5.6 Steer-by-Wire-Anwendungen............................................................................. 3.2.6 Brake-by-Wire ................................................................................................................... 3.2.6.1 Überblick............................................................................................................ 3.2.6.2 Elektrohydraulisches Bremssystem ................................................................... 3.2.6.3 Elektromechanisches Bremssystem.................................................................... 3.2.6.3.1 Zielsetzung....................................................................................... 3.2.6.3.2 Systemaufbau................................................................................... 3.2.6.3.3 Betätigungseinrichtung .................................................................... 3.2.6.3.4 Radbremsmodule ............................................................................. 3.2.6.3.5 Sensorik ........................................................................................... 3.2.6.3.6 Regelkonzepte.................................................................................. 3.2.6.3.7 Energieversorgung ........................................................................... 3.2.6.4 Hybrid-Bremssystem.......................................................................................... 3.2.6.4.1 Motivation ....................................................................................... 3.2.6.4.2 Systemaufbau .................................................................................. 3.2.6.4.3 Neue Funktionen ............................................................................. 3.2.6.4.4 Hinterachs-Aktor ............................................................................. Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge........................................................................................ 3.3.1 Nutzfahrzeug-Bremsanlage................................................................................................ 3.3.1.1 Einleitung ........................................................................................................... 3.3.1.2 Pneumatische Fremdkraftbremsanlage............................................................... 3.3.1.2.1 Bremsanlage für Zugfahrzeuge ........................................................ 3.3.1.2.2 Bremsanlage für Anhängefahrzeuge ................................................ 3.3.1.3 Elektronisch-pneumatische Bremsanlage ........................................................... 3.3.1.3.1 Systemkomponenten einer elektronisch-pneumatischen Bremsanlage .................................................................................... 3.3.1.4 Differenzschlupfregelung................................................................................... 3.3.1.5 Koppelkraftregelung........................................................................................... 3.3.1.6 Ausfallsicherheit ................................................................................................ 3.3.1.7 Dauerbremsintegration ....................................................................................... 3.3.2 Fahrdynamik-Regelung von Sattelzügen ........................................................................... 3.3.2.1 Einleitung ........................................................................................................... 3.3.2.2 Aufbau und Funktion der elektronischen Fahrdynamik-Regelung ..................... 3.3.2.3 Schutz vor Umkippen......................................................................................... 3.3.2.4 Ausblick ............................................................................................................. Simulation von Fahrwerksystemen ................................................................................................. 3.4.1 Modellbildung.................................................................................................................... 3.4.1.1 Anforderungen ................................................................................................... 3.4.1.2 Gesamtfahrzeug.................................................................................................. 3.4.2 Reifen ........................................................................................................................... 3.4.2.1 Kraftübertragung ................................................................................................ 3.4.2.2 Komfort-Modelle ............................................................................................... 3.4.2.3 Halbempirische Modelle .................................................................................... 3.4.3 Rad- und Achskinematik.................................................................................................... 3.4.3.1 Aufgaben............................................................................................................ 3.4.3.2 Kinematische Modelle........................................................................................ 3.4.3.3 Komfort-Modelle ............................................................................................... 3.4.3.4 Allgemeine Modelle........................................................................................... 3.4.3.5 Starrachsen ......................................................................................................... 3.4.4 Aufbaufederung ................................................................................................................. 3.4.4.1 Grundabstimmung.............................................................................................. 3.4.4.2 Nichtlineare Kennlinien .....................................................................................

145 146 148 150 150 152 152 152 152 154 154 154 154 155 156 156 157 157 157 157 157 158 160 160 160 160 160 160 162 163 163 164 164 165 165 165 166 166 167 167 167 167 167 168 168 168 169 170 170 170 171 171 172 172 172 173

Inhaltsverzeichnis 3.4.4.3 Dynamische Kraftelemente ................................................................................ 3.4.4.4 Mechatronische Bauelemente............................................................................. Lenksystem ........................................................................................................................ 3.4.5.1 Minimal-Modell ................................................................................................. 3.4.5.2 Komponenten-Modell ........................................................................................ Simulationsumgebung........................................................................................................ 3.4.6.1 Fahrbahn ............................................................................................................ 3.4.6.2 Fahrer .................................................................................................................

173 174 174 174 175 176 176 176

Bordnetz und Vernetzung ........................................................................................................................ 4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug............................................................................................ 4.1.1 Einleitung........................................................................................................................... 4.1.2 Definition von Systemdesign und Systemarchitektur......................................................... 4.1.3 Gestaltungselemente einer Systemarchitektur.................................................................... 4.1.3.1 Das ISO/OSI-Schichtenmodell........................................................................... 4.1.3.2 Topologien ......................................................................................................... 4.1.3.3 Steuergerätetechnologien ................................................................................... 4.1.3.4 Vernetzungstechnologien ................................................................................... 4.1.3.5 Kommunikationsrouting..................................................................................... 4.1.4 Software-Architekturen...................................................................................................... 4.1.5 Systemdesignprozess ......................................................................................................... 4.1.5.1 Generelle Vorgehenweise................................................................................... 4.1.5.2 Anforderungsmanagement ................................................................................. 4.1.5.3 Funktionale Aufteilung und Vernetzung ............................................................ 4.1.5.4 Partitionierung der logischen Architektur auf eine technische Architektur ........ 4.1.5.5 Vorgaben............................................................................................................ 4.1.6 Architekturbewertung ........................................................................................................ 4.1.7 Zusammenfassung.............................................................................................................. 4.2 Bussysteme, Vernetzung, verteilte Systeme.................................................................................... 4.2.1 Grundlagen der Datenkommunikation ............................................................................... 4.2.1.1 Einführung in die Datenkommunikation ............................................................ 4.2.1.2 Begriffsdefinitionen ........................................................................................... 4.2.2 ISO 9141-2 (K-Leitung) .................................................................................................... 4.2.3 SAE J1850 ........................................................................................................................ 4.2.4 CAN .................................................................................................................................. 4.2.4.1 Übersicht ............................................................................................................ 4.2.4.2 Physical Layer.................................................................................................... 4.2.4.2.1 Highspeed-CAN............................................................................... 4.2.4.2.2 Lowspeed-CAN ............................................................................... 4.2.4.2.3 Single-Wire-CAN ............................................................................ 4.2.4.3 Data Link Layer ................................................................................................. 4.2.4.4 Fehlererkennung................................................................................................. 4.2.4.5 TTCAN .............................................................................................................. 4.2.5 LIN .................................................................................................................................... 4.2.5.1 Einführung ......................................................................................................... 4.2.5.2 LIN Physical Layer Specification....................................................................... 4.2.5.3 LIN Protocol Specification................................................................................. 4.2.5.4 LIN Diagnostic and Configuration Specification ............................................... 4.2.5.5 LIN Application Programming Interface Specification...................................... 4.2.5.6 LIN Node Capability Language Specification ................................................... 4.2.5.7 LIN Configuration Language Specification ....................................................... 4.2.6 FlexRay und TTP............................................................................................................... 4.2.6.1 Einleitung ........................................................................................................... 4.2.6.2 FlexRay .............................................................................................................. 4.2.6.3 TTP .................................................................................................................... 4.2.7 Multimedia-Netzwerke ...................................................................................................... 4.2.7.1 Einleitung ........................................................................................................... 4.2.7.2 MOST ................................................................................................................

179 179 179 180 181 181 181 182 184 185 185 187 187 190 191 193 194 195 195 196 196 196 197 202 204 204 204 205 205 206 207 208 211 212 212 212 213 214 216 216 217 217 217 217 217 221 221 221 222

3.4.5

3.4.6

4

XIX

XX

Inhaltsverzeichnis

4.3

4.4

4.5

4.6

4.2.7.2.1 Übersicht.......................................................................................... 4.2.7.2.2 MOST-Devices ................................................................................ 4.2.7.2.3 MOST-Frames ................................................................................. 4.2.7.2.4 Hardware ......................................................................................... 4.2.7.3 IDB-1394 ........................................................................................................... 4.2.8 Gateway-Strategien............................................................................................................ Fahrzeuggeneratoren ....................................................................................................................... 4.3.1 Einleitung........................................................................................................................... 4.3.2 Aufbau eines Klauenpolgenerators .................................................................................... 4.3.3 Generatorbauart-Varianten................................................................................................. 4.3.4 Dreiphasenwechselspannung ............................................................................................. 4.3.5 Gleichrichtung der Dreiphasenwechselspannung............................................................... 4.3.6 Spannungsregelung in herkömmlichen Systemen .............................................................. 4.3.7 Spezielle Schutzmaßnahmen.............................................................................................. 4.3.8 Generatorsysteme mit Mehrfunktionsregler....................................................................... 4.3.9 Busgesteuertes Generatorsystem........................................................................................ 4.3.10 Leistungserhöhung durch Mittelpunktsdioden ................................................................... 4.3.11 Spannungsregelung bei Schwungmagnet-Generatoren ...................................................... 4.3.12 Diagnosemöglichkeiten der Kfz-Werkstatt ........................................................................ Starter-Generatorem........................................................................................................................ 4.4.1 Der Micro-Hybrid .............................................................................................................. 4.4.2 Der Mild-Hybrid ................................................................................................................ 4.4.3 Elektrische Antriebe für Starter-Generatoren..................................................................... 4.4.3.1 Der indirekte elektrische Antrieb ....................................................................... 4.4.3.2 Der direkte elektrische Antrieb........................................................................... 4.4.4 Die Elektonik ..................................................................................................................... 4.4.5 Anforderngen an elektrische Energiespeicher .................................................................... Batterien und Energiespeicher......................................................................................................... 4.5.1 Überblick: Rolle der Energiespeicher ................................................................................ 4.5.2 Bleibatterie......................................................................................................................... 4.5.2.1 Elektrochemie des Bleiakkumulators ................................................................. 4.5.2.2 Stand der Technik .............................................................................................. 4.5.2.3 Aufbau des Bleiakkumulators ............................................................................ 4.5.2.4 Bauarten ............................................................................................................. 4.5.2.5 Eigenschaften von Bleibatterien......................................................................... 4.5.2.6 Entwicklungstendenzen bei Bleiakkumulatoren für Fahrzeuge.......................... 4.5.3 Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren ................................................................ 4.5.4 Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren................................................................................. 4.5.4.1 Elektrochemie .................................................................................................... 4.5.4.2 Stand der Technik .............................................................................................. 4.5.4.3 Zellendesign ....................................................................................................... 4.5.4.4 Betriebs- und Alterungsverhalten....................................................................... 4.5.5 Lithium-Ionen-Batterien .................................................................................................... 4.5.5.1 Elektrochemie .................................................................................................... 4.5.5.2 Stand der Technik .............................................................................................. 4.5.5.3 Zellenkomponenten............................................................................................ 4.5.5.4 Zellendesign ....................................................................................................... 4.5.6 Anwendung elektrochemischer Speicher in Kraftfahrzeugen ............................................ 4.5.6.1 Bordnetz............................................................................................................. 4.5.6.2 Elektrochemische Speichersysteme für Hybridfahrzeuge .................................. Energiemanagement........................................................................................................................ 4.6.1 Übergeordnetes Energiemanagement................................................................................. 4.6.2 Elektrisches Energiemanagement....................................................................................... 4.6.2.1 Generator-Sensierung......................................................................................... 4.6.2.2 Batterie-Sensierung ............................................................................................ 4.6.2.2.1 Batteriesensor .................................................................................. 4.6.2.2.2 Batteriezustandserkennung .............................................................. 4.6.2.3 Umfassende Strategien der elektrischen Energieverteilung................................

222 223 225 225 226 227 229 229 229 232 233 234 236 239 239 241 242 243 243 244 244 245 246 246 247 248 249 249 249 250 250 252 253 255 257 260 261 263 264 265 265 269 270 271 272 273 275 276 276 278 281 283 284 284 284 285 286 288

Inhaltsverzeichnis 4.7

Simulation von Bordnetzen............................................................................................................. 4.7.1 Grundlagen der Bordnetz-Simulation................................................................................. 4.7.2 Methodenüberblick ............................................................................................................ 4.7.3 Grundlagen von VHDL-AMS............................................................................................ 4.7.4 Simulationsaufgaben.......................................................................................................... 42-V-Bordnetz ................................................................................................................................ 4.8.1 Energienetz ........................................................................................................................ 4.8.1.1 Halbleitertechnologie ......................................................................................... 4.8.1.2 Energiespeicherung ............................................................................................ 4.8.1.3 Generatoren........................................................................................................ 4.8.1.4 Integrierter Startergenerator ............................................................................... 4.8.1.5 Energiemanagement ........................................................................................... 4.8.1.6 Rekuperation ...................................................................................................... 4.8.2 Verbrauchersysteme........................................................................................................... 4.8.2.1 Elektrisch beheizbarer Katalysator..................................................................... 4.8.2.2 Frontscheibenheizung......................................................................................... Entwicklungsprozess und Produktlebenszyklus .............................................................................. 4.9.1. Einführung ......................................................................................................................... 4.9.2 Produktlebenszyklus .......................................................................................................... 4.9.3 Systems Engineering.......................................................................................................... 4.9.3.1 Projektmanagement............................................................................................ 4.9.3.2 Risikomanagement ............................................................................................. 4.9.3.3 Konfigurationsmanagement ............................................................................... 4.9.3.4 Änderungsmanagement ...................................................................................... 4.9.3.5 Testmanagement ................................................................................................ 4.9.3.6 Service-Management und Obsolescence-Management ...................................... 4.9.4 Software-Qualitätssicherung .............................................................................................. 4.9.4.1 Begriffe und Definitionen .................................................................................. 4.9.5 Flaschprozess in der Fahrzeugproduktion ..........................................................................

289 289 289 290 293 301 303 305 305 306 306 307 307 308 308 309 309 309 310 310 311 311 311 311 312 312 312 312 314

Beleuchtung ............................................................................................................................................... 5.1 Lichterzeugung und menschliche Wahrnehmung............................................................................ 5.1.1 Lichttechnische Größen und Einheiten .............................................................................. 5.1.2 Künstliche Lichtquellen ..................................................................................................... 5.1.2.1 Temperaturstrahler ............................................................................................. 5.1.2.2 Halogen-Glühlampen ......................................................................................... 5.1.2.3 Gasentladungslampen......................................................................................... 5.1.2.4 Leuchtioden........................................................................................................ 5.1.3 Elektrische Versorgung und elektronische Ansteuerung.................................................... 5.1.3.1 Vorschaltgeräte für das Betreiben von Lichtquellen........................................... 5.1.3.2 Bussysteme zur Lichtsteuerung .......................................................................... 5.1.3.3 42-V-Bordnetz.................................................................................................... 5.2 Mensch im Verkehr ........................................................................................................................ 5.2.1 Objekte im Verkehrsraum ................................................................................................. 5.2.1.1 Photometrische Parameter ................................................................................. 5.2.1.2 Geometrische Parameter..................................................................................... 5.2.1.3 Kinematische Parameter .................................................................................... 5.2.2 Sehen, wahrnehmen und erkennen .................................................................................... 5.2.2.1 Kontrastempfindung .......................................................................................... 5.2.2.2 Unterschiedsempfindlichkeit.............................................................................. 5.2.2.3 Sehschärfe .......................................................................................................... 5.2.3 Dynamische Phänomene ................................................................................................... 5.2.4 Sichtverhältnisse ............................................................................................................... 5.2.4.1 Blendung ........................................................................................................... 5.2.4.2 Dämmerung und Nacht ...................................................................................... 5.2.4.3 Nebel, Regen, Schnee......................................................................................... 5.2.4.4 Verkratzte oder unsaubere Windschutzscheiben ...............................................

315 315 316 317 317 317 318 320 321 321 322 322 322 323 323 324 324 324 324 324 325 325 325 326 326 326 326

4.8

4.9

5

XXI

XXII

Inhaltsverzeichnis 5.2.5

5.3.

5.4

5.5

Fahrzeug, Straße und Verkehr ........................................................................................... 5.2.5.1 Straßenbelag....................................................................................................... 5.2.5.2 Fahrbahnmarkierungen....................................................................................... 5.2.5.3 Verkehrsdichte und Verkehrsentwicklung.......................................................... 5.2.6 Gesetzliche Zulassungsvorschriften ................................................................................... Scheinwerfer .................................................................................................................................. 5.3.1 Fahrzeuganbau und Funktion ............................................................................................ 5.3.2 Lichttechnischer Aufbau .................................................................................................... 5.3.2.1 Reflexionstechnik............................................................................................... 5.3.2.2 Projektionssystem .............................................................................................. 5.3.2.3 Bi-Xenon und Schwenkmodul ........................................................................... 5.3.3 Konstruktiver Aufbau ....................................................................................................... 5.3.3.1 Bauformen und -systeme.................................................................................... 5.3.3.2 Scheinwerferreinigung ....................................................................................... 5.3.3.3 Leuchtweitenregelung ........................................................................................ 5.3.3.4 Kurvenlichtsteuerung ......................................................................................... 5.3.4 Qualität in Entwicklung und Produktion ............................................................................ 5.3.5 Tag- und Nachtdesign ........................................................................................................ 5.3.6 Adaptives Licht ................................................................................................................. 5.3.6.1 Lichtverteilungen ............................................................................................... 5.3.6.2 Komponenten ..................................................................................................... 5.3.6.3 Lichtsysteme ..................................................................................................... 5.3.7 LED-Scheinwerfer ............................................................................................................. Signalleuchten................................................................................................................................. 5.4.1 Vorschriften zu Anbau und Funktionen ............................................................................. 5.4.2 Konstruktiver Aufbau ........................................................................................................ 5.4.3 Lichttechnische Konzepte .................................................................................................. 5.4.3.1 Reflektive Optiken ............................................................................................. 5.4.3.2 Lichtbrechende Optiken ..................................................................................... 5.4.3.3 Lichtleitoptiken .................................................................................................. 5.4.3.4 Mikrooptiken...................................................................................................... 5.4.4 Formensprache................................................................................................................... 5.4.4.1 Konventionell..................................................................................................... 5.4.4.2 Brillant ............................................................................................................... 5.4.4.3 Linien-Design..................................................................................................... 5.4.4.4 Kontur ................................................................................................................ 5.4.4.5 Farbvariationen .................................................................................................. 5.4.4.6 Zukünftige Stylingkonzepte ............................................................................... 5.4.5 Signale mit höherem Informationsgehalt .......................................................................... 5.4.5.1 Adaptives Signalbild .......................................................................................... 5.4.5.2 Steuerung ........................................................................................................... Innenleuchten ................................................................................................................................. 5.5.1 Innenlicht auch während der Fahrt..................................................................................... 5.5.2 Raumgestaltung mit Licht und Farbe ................................................................................. 5.5.2.1 Lichtfarbe ........................................................................................................... 5.5.2.2 Farbwiedergabe .................................................................................................. 5.5.3 Lichtquellen für den Innenraum......................................................................................... 5.5.3.1 Glühlampen ....................................................................................................... 5.5.3.2 Leuchtdioden ..................................................................................................... 5.5.3.3 Organische Leuchtdioden................................................................................... 5.5.3.4 Elektrolumineszenzfolien ................................................................................... 5.5.3.5 Leuchtstofflampen ............................................................................................. 5.5.4 Komfort durch Beleuchtung............................................................................................... 5.5.4.1 Ein- und Ausstiegsbeleuchtung ......................................................................... 5.5.4.2 Funktionale Beleuchtung.................................................................................... 5.5.4.3 Orientierungsbeleuchtung .................................................................................. 5.5.4.4 Ambiente-Beleuchtung ...................................................................................... 5.5.5 Inszenierung durch intelligentes Innenlicht .......................................................................

326 328 328 328 328 329 329 331 332 333 333 334 334 336 336 337 337 338 338 338 338 339 340 341 341 342 343 343 343 343 344 344 344 344 344 345 345 346 346 346 347 347 347 349 349 349 349 349 349 350 350 350 350 350 351 353 353 354

Inhaltsverzeichnis

XXIII

6

Sicherheitssysteme .................................................................................................................................... 6.1 Passive Sicherheit ........................................................................................................................... 6.1.1 Einleitung........................................................................................................................... 6.1.2 Die Rückhaltesysteme........................................................................................................ 6.1.2.1 Sicherheitsgurt mit Gurtstraffer.......................................................................... 6.1.2.2 Fahrer- und Beifahrerairbag ............................................................................... 6.1.2.3 Das zentrale Airbag-Steuergerät......................................................................... 6.1.2.4 Optimierte Frontairbag- und Gurtsysteme .......................................................... 6.1.2.5 Sitzbelegungserkennung und Innenraum-Überwachung .................................... 6.1.2.6 Seiten-, Kopf- und Knieairbags .......................................................................... 6.1.2.7 Gasgenerator und Zündpille .............................................................................. 6.1.3 Das vorausschauende Insassenschutzsystem...................................................................... 6.1.4 Überrollsensierung ............................................................................................................. 6.1.4.1 Der Drehratensensor........................................................................................... 6.1.4.2 Überschlagschutz bei offenen Fahrzeugen ......................................................... 6.1.5 Fußgängerschutz ................................................................................................................ 6.1.5.1 Der Glasfaser-Biegesensor ................................................................................. 6.1.5.2 Ausblick ............................................................................................................. 6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme........................................................................................ 6.2.1 Systemfunktionen .............................................................................................................. 6.2.2 Technik .............................................................................................................................. 6.2.2.1 System-Architektur im Fahrzeug ....................................................................... 6.2.2.2 Komponenten ..................................................................................................... 6.2.2.3 Sende- und Empfangstechnik ............................................................................. 6.2.2.4 Notlauffunktionen des Systems .......................................................................... 6.2.2.5 Gigahertz-Systeme ............................................................................................. 6.2.2.6 Biometrische Verfahren .....................................................................................

357 357 357 357 357 358 360 361 362 364 365 366 366 367 367 367 368 369 369 370 372 372 373 376 376 377 378

7

Komfortsysteme ........................................................................................................................................ 7.1 Einleitung........................................................................................................................................ 7.2 Bewegliche Dachsysteme................................................................................................................ 7.2.1 Schiebedächer .................................................................................................................... 7.2.1.1 Komponenten und Architektur ........................................................................... 7.2.1.2 Einklemmschutz................................................................................................. 7.2.2 Cabriosysteme.................................................................................................................... 7.2.2.1 Komponenten und Architektur ........................................................................... 7.2.2.2 Systementwurf Zustandsautomat........................................................................ 7.2.2.3 Fehlertolerante Auslegung des Steuergerätes ..................................................... 7.2.2.4 Architektur der Software .................................................................................... 7.3 Heiz- und Klimasysteme ................................................................................................................. 7.3.1 Stand- und Zuheizsysteme ................................................................................................. 7.3.2 Steuergerätefunktionen ...................................................................................................... 7.3.2.1 Systemfunktionen............................................................................................... 7.3.2.2 Gerätefunktionen................................................................................................ 7.3.2.3 Komponentenfunktionen .................................................................................... 7.3.2.4 Systemvernetzung .............................................................................................. 7.3.2.5 Aufbau und Architektur des Steuergeräts........................................................... 7.3.3 Klimasysteme in Nutzfahrzeugen und Bussen ...................................................................

381 381 381 381 381 383 385 385 385 387 387 388 389 389 389 390 390 391 392 393

8

Instrumentierung ...................................................................................................................................... 8.1 Instrumente mit Zeigerantrieben ..................................................................................................... 8.1.1 Drehmagnetquotienten-Messwerk...................................................................................... 8.1.2 Schrittmotor-Messwerk...................................................................................................... 8.2 Digitale Anzeigegeräte.................................................................................................................... 8.2.1 LCD-Aktivmatrix............................................................................................................... 8.2.2 Vakuum-Fluoreszenz-Display............................................................................................ 8.2.3 Organic Light Emitting Diodes .........................................................................................

395 396 397 397 397 398 398 398

XXIV 8.3

Beleuchtung .................................................................................................................................... 8.3.1 Lichtquellen ....................................................................................................................... 8.3.2 Integration in das Instrument.............................................................................................. Instrumentierungsaufbau................................................................................................................. 8.4.1 Head-up-Display ................................................................................................................ 8.4.2 Bordmonitore ..................................................................................................................... Bedienelemente............................................................................................................................... 8.5.1 Zentrale Bedienkonzepte....................................................................................................

399 399 400 400 401 402 402 403

Fahrerassistenzsysteme und Verkehr...................................................................................................... 9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen .............................................................................. 9.1.1 Übersicht............................................................................................................................ 9.1.1.1 Fahrerinformationssysteme ................................................................................ 9.1.1.2 Fahrzeugkommunikationssysteme...................................................................... 9.1.1.3 Prädiktive Fahrerassistenzsysteme ..................................................................... 9.1.1.4 Systeme zur Fahrzeugstabilisierung ................................................................... 9.1.1.5 Systeme zur Erkennung des Fahrerzustands ...................................................... 9.1.2 Unfallursachen und daraus abgeleitete Fahrerassistenzsysteme ......................................... 9.1.3 Kommunikation Fahrzeug-Fahrzeug und Fahrzeug-Infrastruktur ...................................... 9.1.4 Sensoren für prädiktive Fahrerassistenzsysteme ................................................................ 9.1.4.1 Ultraschallsensoren ............................................................................................ 9.1.4.2 Radar .................................................................................................................. 9.1.4.2.1 Grundlagen der Radartechnik .......................................................... 9.1.4.2.2 Nahbereichsradar 24 GHz................................................................ 9.1.4.2.3 Fernbereichsradar 77 GHz ............................................................... 9.1.4.2.4 Radar-Signalverarbeitung ................................................................ 9.1.4.2.5 Mechanischer Aufbau eines Radargeräts ......................................... 9.1.4.2.6 Fahrzeugintegration ........................................................................ 9.1.4.3 Video.................................................................................................................. 9.1.4.3.1 Grundlagen Videotechnik ............................................................... 9.1.4.3.2 Videokamera.................................................................................... 9.1.4.3.3 Bildverarbeitung .............................................................................. 9.1.4.3.4 Videosystem für Kraftfahrzeuge ...................................................... 9.1.5 Rundumsichtsysteme, prädiktive Fahrerassistenzsysteme ................................................. 9.1.5.1 Komfortsysteme ................................................................................................. 9.1.5.1.1 Einparkhilfe-System und Weiterentwicklungen............................... 9.1.5.1.2 Geschwindigkeitsregelung, Limiter ................................................. 9.1.5.1.3 Adaptiver Fahrgeschwindigkeitsregler............................................. 9.1.5.1.4 Fernbereichs-LIDAR ....................................................................... 9.1.5.1.5 Spurwechselassistent........................................................................ 9.1.5.1.6 Systeme zur Verbesserung der Nachtsicht ....................................... 9.1.5.2 Sicherheitssysteme ............................................................................................. 9.1.5.2.1 Prädiktive Sicherheitssysteme.......................................................... 9.2 Fahrerassistenzsysteme in Nutzfahrzeugen ..................................................................................... 9.2.1 Aktuelle Fahrerassistenzsysteme........................................................................................ 9.2.1.1 Rückrollsperre .................................................................................................... 9.2.1.2 Bremsassistent.................................................................................................... 9.2.1.3 Tempomat, Limiter und Abstandsregeltempomat .............................................. 9.2.1.3.1 Antriebs- und Bremstempomat ........................................................ 9.2.1.3.2 Limiter ............................................................................................. 9.2.1.3.3 Abstandsregeltempomat .................................................................. 9.2.1.4 Notbremssystem................................................................................................. 9.2.1.5 Spurwächter ....................................................................................................... 9.2.1.6 Fahrzeugumfeldüberwachung ............................................................................ 9.2.2 In Entwicklung befindliche Fahrerassistenzsysteme .......................................................... 9.2.2.1 Stauassistent ....................................................................................................... 9.2.2.2 Fahrerzustandserkennung...................................................................................

405 405 405 405 405 405 405 406 406 408 408 408 412 412 412 414 417 419 419 420 420 422 422 423 424 425 425 426 427 432 432 433 435 435 437 437 437 438 438 438 439 439 440 440 441 442 442 443

8.4

8.5

9

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

XXV

9.2.2.3 Objekterkennung im toten Winkel ..................................................................... 9.2.2.4 Spurassistent mit Lenkeingriff ........................................................................... Verkehrsleitsysteme ........................................................................................................................ 9.3.1 Verkehrsentwicklung ......................................................................................................... 9.3.2 Strategien der Verkehrsleitung........................................................................................... 9.3.3 Technische Voraussetzungen zur Verkehrsbeeinflussung.................................................. 9.3.3.1 Erfassungssysteme für Verkehrsflüsse ............................................................... 9.3.3.2 Steuerungssysteme ............................................................................................. 9.3.4 Mobilitätsmanagement....................................................................................................... 9.3.4.1 INVENT............................................................................................................. 9.3.4.2 Mobinet .............................................................................................................. 9.3.4.3 Grenzen der Verkehrslenkung............................................................................

443 443 444 444 445 447 447 448 453 453 454 454

10 Telematik ................................................................................................................................................... 10.1 Allgemeines .................................................................................................................................... 10.1.1 Begriffsbestimmung........................................................................................................... 10.1.2 Geschichtliche Entwicklung............................................................................................... 10.1.3 Systemarchitektur im Fahrzeug.......................................................................................... 10.1.4 Systemarchitektur außerhalb des Fahrzeugs....................................................................... 10.1.5 Schwierigkeiten und Herausforderungen ........................................................................... 10.1.6 Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ................................................................... 10.1.7 Angebot und Nachfrage .................................................................................................... 10.2 Navigation....................................................................................................................................... 10.2.1 Geschichte und Marktentwicklung..................................................................................... 10.2.2 Funktionsweise und Systemkomponenten ......................................................................... 10.2.2.1 Hardware zur Positionsbestimmung ................................................................... 10.2.2.2 Navigationsdaten................................................................................................ 10.2.2.3 Hardware und Software für Navigation und Routenplanung.............................. 10.2.2.4 Anzeige und Bedienung ..................................................................................... 10.2.3 Navigation Services ........................................................................................................... 10.3 Multimedia...................................................................................................................................... 10.3.1 Entwicklung und Stand der Technik .................................................................................. 10.3.1.1. Audio-Komponenten.......................................................................................... 10.3.1.2 Visuelle Komponenten ....................................................................................... 10.3.1.3 Kommunikation.................................................................................................. 10.3.1.4 Office-Komponenten.......................................................................................... 10.3.1.5 Antennen und Empfangseinrichtungen............................................................... 10.3.2 Multimedia-Architektur ..................................................................................................... 10.3.3 Vernetzung interner Systeme ............................................................................................. 10.3.4 Vernetzung externer Systemen........................................................................................... 10.3.4.1 Infrarot ............................................................................................................... 10.3.4.2 Bluetooth............................................................................................................ 10.3.4.3 WLAN................................................................................................................

457 457 457 458 459 459 460 461 462 462 462 463 464 466 468 474 476 478 478 479 480 481 481 482 482 483 484 484 484 486

11 Sensorik ..................................................................................................................................................... 11.1 Positions- und Winkelsensorik........................................................................................................ 11.1.1 Überblick und Messprinzipien ........................................................................................... 11.1.2 Klassifizierung ................................................................................................................... 11.1.2.1 Potentiometer ..................................................................................................... 11.1.2.2 Optische Sensoren .............................................................................................. 11.1.2.3 Hallsensoren....................................................................................................... 11.1.2.4 Magnetoresistive Sensoren................................................................................. 11.1.2.5 PLCD-Sensoren.................................................................................................. 11.1.2.6 Induktive Sensoren............................................................................................. 11.1.3 Anwendung........................................................................................................................ 11.1.3.1 Auswahl eines Messprinzips .............................................................................. 11.1.3.2 Elektrische Schnittstellen ................................................................................... 11.1.3.3 Anwendungsbeispiele.........................................................................................

489 489 489 491 492 493 495 496 497 498 500 500 502 503

9.3

XXVI 11.2

Inhaltsverzeichnis Mikrosensoren im Automobil ........................................................................................................ 11.2.1 Einleitung........................................................................................................................... 11.2.2 Mikrosystemtechnik........................................................................................................... 11.2.2.1 Silizium – Ausgangsmaterial der MEMS-Technologie ...................................... 11.2.2.2 Fotolithographie ................................................................................................. 11.2.2.3 Dünnschichttechnik............................................................................................ 11.2.2.4 Bulk- und Oberflächen-Mikromechanik............................................................. 11.2.2.5 Wafer-Bonden .................................................................................................... 11.2.3 Sensoren im Automobil ..................................................................................................... 11.2.3.1 Drucksensoren.................................................................................................... 11.2.3.2 Beschleunigungssensoren................................................................................... 11.2.3.3 Drehratensensoren.............................................................................................. 11.2.3.4 Massenfluss-Sensoren ........................................................................................ 11.2.3.5 Reifendrucksensor.............................................................................................. 11.2.4 Ausblick.............................................................................................................................

505 505 505 505 506 507 507 508 509 509 510 511 513 513 514

12 Elektrische Aktorik................................................................................................................................... 12.1 Einleitung........................................................................................................................................ 12.2 Kenngrößen von Aktoren ................................................................................................................ 12.3 Elektromagnete ............................................................................................................................... 12.3.1 Elektrische Relais............................................................................................................... 12.3.2 Verriegelungsmagnete ....................................................................................................... 12.3.3 Proportionalmagnete für Ventile ........................................................................................ 12.4 Pyrotechnische Aktoren .................................................................................................................. 12.5 Piezo-Aktoren ................................................................................................................................. 12.6 Thermische Aktoren........................................................................................................................ 12.6.1 Peltierelemente................................................................................................................... 12.6.2 PTC-Heizer ........................................................................................................................ 12.6.3 Dehnstoffelemente ............................................................................................................. 12.6.4 Bimetall-Schalter ............................................................................................................... 12.6.5 Magnetschalter...................................................................................................................

517 517 517 519 520 520 522 524 525 526 526 526 527 528 528

13 Elektronik Hardware................................................................................................................................ 13.1. Anforderungen ................................................................................................................................ 13.1.1 Allgemeine Anforderungen und Methoden........................................................................ 13.1.1.1 Qualität und Methoden....................................................................................... 13.1.1.2 Zulässige Ausfallraten........................................................................................ 13.1.1.3 Qualifikationen................................................................................................... 13.1.1.4 Gesetze und Normen .......................................................................................... 13.1.2 Umwelteinflüsse ................................................................................................................ 13.1.2.1 Fehlerursachen elektrischer Ausfälle.................................................................. 13.1.2.2 Umweltbelastungen als Fehlerursachen ............................................................. 13.1.2.3 Ablauf von Zuverlässigkeitsprüfungen und Qualifikationen .............................. 13.1.2.4 Kennzahlen für Zuverlässigkeitsprüfungen ........................................................ 13.1.2.5 IP-Schutzarten .................................................................................................... 13.1.3 Sicherheitssystemspezifische Methoden ............................................................................ 13.1.3.1 Verwendete Begriffe .......................................................................................... 13.1.3.2 Anforderungen an die Spezifikation................................................................... 13.1.3.3 Maßnahmen im Entwicklungsprozess ................................................................ 13.1.3.4 Einkanalige Systemstrukturen zur Beherrschung von Fehlern ........................... 13.1.3.5 Mehrkanalige Systemstrukturen zur Beherrschung von Fehlern ........................ 13.1.3.6 Ausführung der Überwachung und Fehlererkennung ......................................... 13.2 Bauelemente ................................................................................................................................... 13.2.1 Leistungshalbleiter ............................................................................................................ 13.2.2 Netzteilkomponenten ........................................................................................................ 13.2.2.1 Linearregler ....................................................................................................... 13.2.2.2 Schaltwandler..................................................................................................... 13.2.2.3 Zusätzliche netzteilintegrierte Funktionen .........................................................

529 529 529 529 529 529 530 530 530 530 531 531 532 532 533 533 533 534 534 535 537 537 537 537 537 538

Inhaltsverzeichnis

XXVII

13.2.3 Mikrocontroller ................................................................................................................. 13.2.3.1 Zeitlicher Werdegang von Mikrocontrollern ...................................................... 13.2.3.2 Systemarchitektur .............................................................................................. 13.2.3.3 Interne Funktionsblöcke ..................................................................................... 13.2.3.4 Peripherie und Busvarianten .............................................................................. 13.2.4 Stecker und Kabel .............................................................................................................

538 539 539 540 541 544

14 Mechatronische Systeme .......................................................................................................................... 14.1 Einführung und Überblick............................................................................................................... 14.2 Mechatronische Systeme im Antrieb............................................................................................... 14.2.1 Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie............................................................. 14.2.2 Diesel-Einspritzsysteme..................................................................................................... 14.2.3 Mechatronische Getriebesteuerungen ................................................................................ 14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich.................................................................................. 14.3.1 Integrierte mechatronische Auslegung einer Tür-Zuziehhilfe ............................................ 14.3.2 Nutzung mechatronischer Synergiepotentiale bei Dachmodulen ....................................... 14.3.3 Hardware-in-the-Loop-Simulation im Komfortbereich......................................................

545 545 548 548 550 550 553 553 560 563

15 Elektromagnetische Verträglichkeit........................................................................................................ 15.1. Motivation....................................................................................................................................... 15.1.1 Entwicklungstendenzen Automobil ................................................................................... 15.1.2 EM-Systeme und Funktionen im Automobil...................................................................... 15.1.3 Betrachtung der EMV ........................................................................................................ 15.2 Allgemeines zur EMV..................................................................................................................... 15.2.1 Begriffe und Erläuterungen ............................................................................................... 15.2.2 EMV-Komplexität und Schutzziele im Kfz ....................................................................... 15.2.3 EMV Planung .................................................................................................................... 15.2.4 Störquellen, Störsenken, Kopplungsmechanismen............................................................. 15.2.4.1 Galvanische Kopplung ....................................................................................... 15.2.4.2 Feldgebundene Kopplung................................................................................... 15.2.4.2.1 Induktive Kopplung ......................................................................... 15.2.4.2.2 Kapazitive Kopplung ....................................................................... 15.2.4.2.3 Wellenbeeinflussung........................................................................ 15.2.4.3 Strahlungsbeeinflussung..................................................................................... 15.2.4.4 Elektrostatische Entladung ................................................................................. 15.2.5 Störmechanismen und Signale .......................................................................................... 15.2.6 EMV-Verbesserungsmaßnahmen....................................................................................... 15.3 EMV im Fahrzeug........................................................................................................................... 15.3.1 Elektronik und Steuergeräte .............................................................................................. 15.3.2 Mechatronik ...................................................................................................................... 15.3.3 Bordnetz und Kabelbaum .................................................................................................. 15.3.4 Karosserie und Massepunkte.............................................................................................. 15.3.5 Gehäuse, Koppelelemente und weitere Systeme ................................................................ 15.3.6 Antennen............................................................................................................................ 15.3.7 Zündanlagen....................................................................................................................... 15.4 EMV-Simulation und Feldberechnung............................................................................................ 15.4.1 Modellierung und Simulation............................................................................................. 15.4.2 Elektromagnetische Felder und Wellen.............................................................................. 15.4.3 Numerische Analyse elektromagnetischer Felder .............................................................. 15.4.4 Numerische Verfahren ...................................................................................................... 15.4.4.1 Numerische Lösung mit Hilfe der FEM ............................................................ 15.4.4.2 Numerische Lösung mit Hilfe der BEM ............................................................ 15.4.4.3 BEM-FEM-Kopplung ........................................................................................ 15.4.5 Methoden und Werkzeuge ................................................................................................ 15.5 Messtechnik und Messmethoden .................................................................................................... 15.5.1 Komponenten- und Gesamtfahrzeugprüfung .....................................................................

569 569 569 569 569 570 570 571 572 572 572 574 574 575 575 575 576 576 577 577 579 580 581 582 582 583 584 585 586 586 587 588 588 588 588 589 589 590

XXVIII

Inhaltsverzeichnis

15.5.2 Messplätze und Messräume ............................................................................................................ 15.5.2.1 Freifeldmessungen ............................................................................................. 15.5.2.2 Geschirmte Kabinen und Absorberhalle ............................................................ 15.5.3 Nachbildung des Bordnetzes bei Komponentenmessungen ............................................... 15.5.4 Störaussendungsmessungen ............................................................................................... 15.5.4.1 Funkentstörung................................................................................................... 15.5.4.1.1 Breitbandige und schmalbandige Störungen .................................... 15.5.4.1.2 Messempfänger-Detektoren ............................................................. 15.5.4.1.3 Fahrzeug-Nahentstörung.................................................................. 15.5.4.1.4 Fahrzeug-Fernentstörung ................................................................. 15.5.4.1.5 Funkentstörung auf Komponentenebene.......................................... 15.5.4.2 Messung der impulsförmigen Störaussendung ................................................... 15.5.5 Störfestigkeitsprüfmethoden .............................................................................................. 15.5.5.1 Schmalbandige hochfrequente Störquellen außerhalb des Fahrzeugs................. 15.5.5.1.1 Antennenmethode ............................................................................ 15.5.5.1.2 Stromeinspeisung............................................................................. 15.5.5.1.3 TEM-Zelle ....................................................................................... 15.5.5.1.4 Stripline ........................................................................................... 15.5.5.1.5 Direkte Leistungseinkopplung ......................................................... 15.5.5.2 Störfestigkeit gegen Sender im Fahrzeug ........................................................... 15.5.5.3 Niederfrequente magnetische Felder .................................................................. 15.5.5.4 Elektrostatische Entladungen ............................................................................. 15.5.5.5 Kfz-Impulse ...................................................................................................... 15.5.5.5.1 Störfestigkeitsprüfung auf Versorgungsleitungen ............................ 15.5.5.5.2 Störfestigkeitsprüfung auf Nicht-Versorgungsleitungen .................. 15.6 Normen und Richtlinien ................................................................................................................. 15.6.1 Gesetzliche Anforderungen für Fahrzeuge ........................................................................ 15.6.1.1 Die Kfz-EMV-Richtlinie 72/245/EWG .............................................................. 15.6.1.1.1 Das Typgenehmigungsverfahren ..................................................... 15.6.1.1.2 Prüfungen im Rahmen der Typgenehmigung................................... 15.6.1.1.3 Kennzeichnung ................................................................................ 15.6.2 Fahrzeugherstellerspezifische Vorschriften .......................................................................

591 591 591 593 593 593 593 593 594 595 595 595 596 596 596 597 598 600 602 602 603 603 604 604 605 605 605 606 606 607 607 608

16 Diagnose..................................................................................................................................................... 16.1 Was verbirgt sich hinter dem Begriff Diagnose?............................................................................. 16.2 Aufgaben der Diagnose................................................................................................................... 16.2.1 Der Steuergerätelebenszyklus ............................................................................................ 16.2.2 Heutige Anwendungsfälle der Diagnose ............................................................................ 16.2.3 Ein kurzer Blick ins Steuergerät......................................................................................... 16.3 Diagnosekommunikation ................................................................................................................ 16.3.1 Allgemeine Vorbemerkungen ............................................................................................ 16.3.1.1 Onboard-Kommunikation .................................................................................. 16.3.1.2 Offboard-Kommunikation ................................................................................. 16.3.1.3 Client-Server-Prinzip ......................................................................................... 16.3.2 Kommunikationswege im Fahrzeug................................................................................... 16.3.3 Grundlagen der Diagnosekommunikation.......................................................................... 16.3.3.1 Bestätigte und Rundruf-Kommunikation............................................................ 16.3.3.2 Nachrichtenfluss in der Diagnosekommunikation.............................................. 16.3.3.3 Adressierungsarten ............................................................................................. 16.3.3.3.1 Physikalische Adressierung ............................................................. 16.3.3.3.2 Funktionale Adressierung ................................................................ 16.3.3.4 Prinzipien der Diagnosekommunikation ............................................................ 16.3.3.5 Arten der Diagnosenachrichten .......................................................................... 16.3.3.5.1 Anfrage ............................................................................................ 16.3.3.5.2 Antworten ........................................................................................ 16.3.4 Diagnoseprotokolle und das ISO/OSI-Referenzmodell...................................................... 16.3.4.1 Die Schichten des ISO/OSI-Referenzmodelles .................................................. 16.3.4.2 Der Header-Mechanismus des ISO/OSI-Referenzmodells .................................

609 609 611 611 612 613 615 615 615 616 616 616 617 617 618 618 619 619 620 620 620 620 620 622 623

Inhaltsverzeichnis

XXIX

16.3.4.3 Protocol Data Unit.............................................................................................. 16.3.4.4 Normale und erweiterte Adressierung ................................................................ 16.3.4.5 Datensegmentierung........................................................................................... 16.3.4.6 Kommunikationsparameter ................................................................................ 16.3.4.7 Der Diagnosedienst ........................................................................................... 16.3.5 Sicherheit der Diagnosekommunikation ............................................................................ 16.3.6 Diagnoseprotokolle ............................................................................................................ 16.3.6.1 Historie der Diagnoseprotokolle......................................................................... 16.3.6.2 Grundlagen der Keywordprotokolle ................................................................... 16.3.6.3 Begriffsklärung für Diagnoseprotokolle nach den ISO-Normen ........................ Unified Diagnostic Services ........................................................................................................... 16.4.1 Motivation.......................................................................................................................... 16.4.2 Sub-Function...................................................................................................................... 16.4.3 Service-Parameter .............................................................................................................. 16.4.4 Diagnosedienste der UDS-Norm........................................................................................ 16.4.5 Zustandsautomaten am Beispiel UDS ................................................................................ 16.4.5.1 Zustandsübergänge zwischen den Sessions........................................................ 16.4.6 Standardisierte Fehlercodes ............................................................................................... 16.4.7 Beispiel einer Diagnosesitzung mit Unified Diagnostic Services....................................... On-Board-Diagnose ........................................................................................................................ 16.5.1 Historie .............................................................................................................................. 16.5.2 OBD-Funktionalität ........................................................................................................... 16.5.3 Der OBD-Stecker............................................................................................................... Datenaustauschformat und erweitertes V-Modell .......................................................................... 16.6.1 Was ist ein Datenaustauschformat?.................................................................................... 16.6.2 Motivation für einen Datenaustauschstandard.................................................................... 16.6.3 Anforderungen an ein standardisiertes Datenaustauschformat ........................................... 16.6.4 Diagnoseprozesskette und erweitertes V-Modell ............................................................... ODX-Überblick............................................................................................................................... 16.7.1 Aufgaben............................................................................................................................ 16.7.2 Historie des ASAM e.V. .................................................................................................... 16.7.2.1 Das ASAM-MCD-System.................................................................................. 16.7.3 Datenaustauschformate und -prozesse ............................................................................... 16.7.3.1 Datenaustauschformate für normale Kommunikation ........................................ 16.7.3.2 Datenaustauschformat für Diagnose................................................................... 16.7.4 Bestandteile des Standards ODX ....................................................................................... 16.7.4.1 Diagnosedaten .................................................................................................... 16.7.4.2 Flashdaten .......................................................................................................... 16.7.4.3 Fahrzeuginformationen ...................................................................................... 16.7.4.4 Kommunikationsparameter ................................................................................ 16.7.4.5 Steuergeräteübergreifende Abläufe .................................................................... 16.7.4.6 Redundanzvermeidung durch Vererbung ........................................................... 16.7.5 Datenpool und Datenbasis.................................................................................................. 16.7.6 Autorensysteme.................................................................................................................. 16.7.6.1 Konsistenzprüfungen.......................................................................................... 16.7.6.2 MCD-Projekt......................................................................................................

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17 Software-Entwicklung .............................................................................................................................. 17.1 Entwicklungsprozesse, Methoden und Werkzeuge ......................................................................... 17.1.1 Einleitung........................................................................................................................... 17.1.2 Prozessstandards und Software-Qualitätsmodelle .............................................................. 17.1.3 Modellbasierte Funktionsentwicklung ............................................................................... 17.1.4 Software-Komponenten und architekturbasierter Entwurf................................................. 17.2 Rapid Control Prototyping ............................................................................................................. 17.2.1 Überblick ........................................................................................................................... 17.2.2 Fullpass ..............................................................................................................................

651 651 651 651 654 655 656 656 658

16.4

16.5

16.6

16.7

XXX

Inhaltsverzeichnis 17.2.3 Bypassing........................................................................................................................... 17.2.3.1 Hardwartechnische Realisierung ........................................................................ 17.2.3.2 Softwaretechnische Realisierung........................................................................ 17.2.3.3 Steuergeräteinternes Bypassing.......................................................................... 17.2.4 Mischformen von Fullpass und Bypassing......................................................................... 17.2.5 RCP in verteilten Systemen ............................................................................................... Automatische Seriencode-Generierung........................................................................................... 17.3.1 Motivation und Nutzen ...................................................................................................... 17.3.2 Anforderungen und Werkzeugeigenschaften ..................................................................... 17.3.3 Einbindung in den Entwicklungsprozess............................................................................ 17.3.4 Unterstützung relevanter Standards.................................................................................... 17.3.5 Qualität und Support .......................................................................................................... Hardware-in-the-Loop-Simulation .................................................................................................. 17.4.1 Motivation und Nutzen ...................................................................................................... 17.4.2 Rollenverteilung im Test von Steuergeräte-Software......................................................... 17.4.3 Komponenten eines HIL-Simulators.................................................................................. 17.4.3.1 Hardware............................................................................................................ 17.4.3.2 Software ............................................................................................................. 17.4.4 Einbindung in den Elektronik-Entwicklungsprozess.......................................................... Software-Testen .............................................................................................................................. 17.5.1 Grundbegriffe des Testens ................................................................................................. 17.5.2 Klassifikation der Testmethoden........................................................................................ 17.5.3 Funktionales Testen ........................................................................................................... 17.5.4 Strukturelles Testen............................................................................................................ 17.5.5 Nichtfunktionales Testen ................................................................................................... 17.5.6 Formale Verifikation.......................................................................................................... 17.5.7 Testen in der Funktionsentwicklung .................................................................................. 17.5.8 Test von Steuergeräten....................................................................................................... 17.5.9 Testmanagement ................................................................................................................ Steuergeräte-Applikation ................................................................................................................ 17.6.1 Einführung ......................................................................................................................... 17.6.2 Applikation von Motorsteuerungen.................................................................................... 17.6.3 Software-Stand und Beschreibungsdateien für Steuergeräte .............................................. 17.6.4 Mess- und Applikationssysteme......................................................................................... 17.6.4.1 Verstellen und Messen ....................................................................................... 17.6.4.2 Offline- und Online-Applikation ........................................................................ 17.6.4.3 Steuergeräte-Schnittstellen zum Messen und Applizieren.................................. 17.6.5 Ausblick in die Zukunft .....................................................................................................

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Anhang A Schaltzeichen und Schaltpläne................................................................................................................. A1 Einleitung........................................................................................................................................ A2 Klemmbezeichnungen in der Kfz-Technik nach DIN 72552 .......................................................... A3 Gerätekennzeichen nach DIN 40719-2 und DIN EN 61346-2 ........................................................ A4 Schaltsymbole nach DIN EN 60617................................................................................................ A5 Schaltpläne nach DIN 40719........................................................................................................... A 5.1 Übersichtsschaltplan .......................................................................................................... A 5.2 Anschlussplan .................................................................................................................... A 5.3 Stromlaufplan.....................................................................................................................

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17.3

17.4

17.5

17.6

B

EMV-Normenübersicht für Fahrzeuge und Komponenten................................................................... 695

Sachwortverzeichnis........................................................................................................................................ 697

1 Einleitung 1 Einleitung Die Kraftfahrzeugelektronik hat sich in den letzten Jahrzehnten „rasant“ weiterentwickelt. Viele neue Anwendungsfelder wurden erschlossen, die aus der Sicht von vor 50 Jahren geradezu revolutionär erscheinen. Dabei ist ein Ende dieser Entwicklung noch lange nicht abzusehen. Bei dieser stürmischen Weiterentwicklung der Kraftfahrzeugelektronik haben verschiedene Faktoren eine Rolle gespielt. Zum einen sind es die technologischen Voraussetzungen, die jetzt zur Verfügung stehen. Dies sind vor allem die Mikroelektronik, die Leistungselektronik und die Software. Der Fortschritt der Kraftfahrzeugelektronik wurde in der Anfangszeit (70er und 80er Jahre) fast ausschließlich durch die Mikroelektronik in Form von Mikroprozessoren bestimmt. Zunehmend gewinnt aber auch die Software erheblich an Bedeutung. Sie nimmt mittlerweile eine Schlüsselstellung ein. Zum anderen war die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung zwingend gegeben. Gesetzliche Vorschriften in den Bereichen Umweltverträglichkeit und Sicherheit haben wesentliche Veränderungen des Autos notwendig gemacht. Die Emissions-

Bild 1-1: Einparkhilfe [Quelle: BMW]

vorschriften sind ohne elektronische Motorsteuerung nicht erfüllbar. Der Gesetzgeber hat damit die Einführung der Kraftfahrzeugelektronik regelrecht erzwungen. Aber auch die elektronisch gesteuerten Rückhaltesysteme (Gurte, Airbags) und Fahrwerksregelsysteme (ABS, Fahrdynamikregelung) haben der Kraftfahrzeugelektronik großen Schub verliehen. Außerdem wünscht der Kunde viele Zusatzfunktionen im Auto, die entweder von elektronischer Natur (wie z.B. Audiosysteme) oder elektronisch gesteuert sind (z.B. die Klimaautomatik). Auch Fahrerassistenzsysteme (wie z.B. die Einparkhilfe) werden von den Kunden stark nachgefragt. Die hohe und immer weiter steigende Verkehrsdichte spielt bezüglich der Akzeptanz der Systeme eine entscheidende Rolle. Dies wird bei den Fahrerassistenzsystemen wie z.B. der Einparkhilfe (Bild 1-1) deutlich, die vor allem bei knappem Parkraum eine große Unterstützung leistet.

2

1 Einleitung

Bild 1-2: Audi A6 mit Steuergeräten

Eine der technologischen Grundlagen, die die Kraftfahrzeugelektronik am entscheidendsten geprägt haben, ist der Mikroprozessor. Er wurde in den 70er Jahren entwickelt und zunächst in der Motorsteuerung eingesetzt, später aber auch in vielen anderen Anwendungen. Im Laufe der Jahre wurden die Mikroprozessoren immer leistungsfähiger und gleichzeitig immer preisgünstiger. Aus diesem Blickwinkel bedeutet dies geradezu ideale Bedingungen für den Fortschritt der Kraftfahrzeugelektronik. Die sich rasch weiterentwickelnde Halbleiterelektronik ermöglichte immer mehr elektronische Bauteile pro Fläche und gleichzeitig immer weniger Defekte. Dadurch wurden und werden immer größere Halbleiterchips möglich. In den letzten Jahrzehnten wurden diesbezüglich bahnbrechende Fortschritte erzielt, was sich besonders gut an den Speicherchips beobachten ließ. Der Trend geht unvermindert weiter, obwohl die physikalischen Grenzen bald erreicht sein dürften. Neben den Mikroprozessoren nimmt auch die Leistungselektronik spürbar Einfluss auf die Kraftfahrzeugelektronik. Viele der Leistungshalbleiter dienen zur Ansteuerung von elektrischen Antrieben. Das abzudeckende Leistungsspektrum reicht daher bis in den zweistelligen Kilowattbereich beim Starter-Generator. Der Einsatz von Leistungshalbleitern ist meist mit verhältnismäßig hohen Kosten verbunden, so dass bei einfachen Schaltaufgaben nach wie vor meist Relais eingesetzt werden. Außerdem ist zu beachten, dass der Trend der immer weitergehenden Miniaturisierung in der Mikroelektronik nicht direkt der Leistungselektronik zu Gute kommt, weil sich Leistungshalbleiter prinzipbedingt nicht beliebig miniaturisieren lassen. Daher ist hier eine derart dramatische Weiterentwicklung wie bei den Mikroprozessoren und Speichern nicht zu beobachten, aber der rasche Fortschritt der Halbleitertechnologie ermöglicht dennoch eine immer bessere Qualität zu einem immer kleineren Preis.

Die Bedeutung der Software im Auto und auch der prozentuale Anteil an den Gesamtkosten hat in den letzten Jahrzehnten sehr stark zugenommen. Auch hier ist ein weiterer starker Anstieg in der Zukunft zu erwarten. Dadurch ist zunehmend der Einsatz moderner Methoden wie z.B. der modellbasierten SoftwareEntwicklung und der automatischen Code-Generierung notwendig. Seit Einführung der Kraftfahrzeugelektronik stieg die Anzahl der Steuergeräte auf ca. 70 in der oberen Mittelklasse (Bild 1-2) und der Speicherbedarf von wenigen Kilobyte auf etwa zehn Megabyte. Eine aktuelle Motorsteuerung beinhaltet beispielsweise ca. 250000 Zeilen Code. Die daraus resultierende hohe Komplexität wird durch eine Standardisierung der Hard- und Software herabgesetzt, die durch einen modularen Aufbau der Software ermöglicht wird. So wird mittlerweile bei Siemens VDO für Otto- und Dieselmotorsteuerungen eine gemeinsame Architektur verwendet. Dennoch sind zur Beherrschung der verbleibenden Komplexität sehr saubere und durchgehende Prozesse nötig. Ein vielversprechender Ansatz ist der Einsatz von Reifegradmodellen (CMMI). Dabei wird eine erhöhte Produktqualität durch verbesserte Produktentstehungsprozesse angestrebt. Viele Fortschritte in der Automobiltechnik wurden durch Veränderungen in der Gesellschaft und durch das wachsende Umweltbewusstsein forciert. Wichtige Aspekte sind dabei die Resourcenschonung, die Reduzierung der Emissionen, aber auch die Sicherheit von Insassen und Fußgängern trotz steigendem Verkehrsaufkommen. Fortschritte bezüglich Energieersparnis wurden auch durch Gewichtsreduktion erzielt. Vor allem hat hier die elektronische Motorsteuerung sehr positive Einflüsse. Die Kraftstoffeinsparung steht aber gelegentlich im Zielkonflikt zur Reduzierung der Emissionen. Außerdem hilft ein intelligentes Energiemanagement, den Verbrauch von elektrischer Energie an Bord des Kraftfahrzeuges einzuschränken,

1 Einleitung was indirekt auch zur Kraftstoffersparnis beiträgt. Bei alternativen Antrieben (Hybrid, Brennstoffzellen) ist das Energiemanagement zumeist noch aufwändiger. Eine drastische Reduzierung der Emissionen beim Ottomotor gelang durch den Einsatz des Katalysators. Dieser Katalysator wird zwar selbst nicht elektronisch angesteuert, aber er funktioniert nur unter ganz bestimmten Bedingungen (Luft-Kraftstoff-Verhältnis, Temperatur), die nur mit einer elektronischen Regelung eingestellt werden können. Dabei wird das LuftKraftstoff-Verhältnis und das Aufheizen des Katalysators nach dem Start des Motors geregelt. Außerdem wird die Temperatur des Katalysators elektronisch überwacht und der Katalysator gegen Überhitzung geschützt. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Systemen tragen aber auch Sonderausstattungen zum Umweltschutz bei. Ein Beispiel hierfür ist das Navigationssystem, das durch eine zielgerichtete Wegführung unnötigen Verkehr besonders in den Städten vermeidet. Ein Kraftfahrzeug hat nicht nur Auflagen bezüglich der Umweltverträglichkeit, sondern vor allem auch bezüglich der Sicherheit zu erfüllen. Dies gilt für den Schutz der Insassen, aber auch der Fußgänger. Die meisten Vorschriften betreffen die Karosserie und die Gurte. Zusätzlich gehören die Airbags mittlerweile zur Standard-Sicherheitsausstattung eines Kfz. Die Airbags benötigen nicht nur eine elektronische Sensierung des Aufpralls, sondern auch eine elektrische Ansteuerung zu ihrer Auslösung. Die Rückhaltesysteme Gurt und Airbag werden erst bei einem Aufprall aktiv und werden daher den so genannten passiven Sicherheitssystemen zugeordnet.

3 Daneben gibt es auch aktive Sicherheitssysteme, die unfallvermeidend wirken und daher vor einem Aufprall aktiv werden. Das erste war das Anti-BlockierSystem (ABS), ein elektronisches Bremsregelsystem, das das Blockieren der Räder verhindert. Vor allem hat aber die Fahrdynamikregelung (ESP, siehe Bild 1-3), die auf glatten Fahrbahnen ein schleuderndes oder aus der Kurve ausbrechendes Fahrzeug (innerhalb physikalischer Grenzen) wieder auf den korrekten Kurs bringt, zu einer signifikanten Verminderung der Unfallzahlen geführt. Neben dem Schutz der Insassen wird der Schutz der Fußgänger immer wichtiger. Zusätzlich zu konstruktiven Maßnahmen an der Karosserie werden hierbei auch elektronisch sensierte und elektrisch ausgelöste Systeme zum Einsatz kommen, z.B. das Anheben der Motorhaube (Bild 1-4). Es gibt aber auch aufwendige elektronische Systeme im Kraftfahrzeug, die weder gesetzlich vorgeschrieben noch für die eigentliche Fahraufgabe notwendig sind. Dazu zählen u.a. Audio-Systeme, elektrisch betätigte Fenster und Schiebedächer sowie die elektronisch geregelte Klimaanlage. Sie dienen allein dazu, den Fahrkomfort zu steigern. Ein übergreifendes Thema ist in diesem Zusammenhang die Diagnose. Sie soll einerseits im Dienst des Kunden beliebige Fehler (möglichst mit ihren Ursachen) erkennen und eine Reparatur in der Werkstatt erleichtern, andererseits im Dienste der Umwelt emissionsrelevante Bauteile und Funktionen überwachen und im Fehlerfall den Fahrer warnen, so dass er eine Werkstatt aufsuchen kann.

Bild 1-3: Fahrdynamikregelung: Oben geregeltes, unten ungeregeltes Fahrzeug [Quelle: BMW]

4

1 Einleitung

Bild 1-4: Fußgängerschutz durch Anheben der Motorhaube [Quelle: Siemens VDO]

Man unterscheidet die Eigendiagnose, nämlich die ständige Selbstüberwachung der elektronischen Fahrzeugkomponenten während des Betriebs und die OffBoard-Diagnose, nämlich den Funktionstest bestimmter Fahrzeugkomponenten durch ein externes Testgerät, z.B. durch einen Werkstatt-Tester (Bild 1-5). Die Off-Board-Diagnose ist sehr hilfreich für die Reparatur; ohne wäre sie oft gar nicht mit akzeptablem Aufwand durchführbar. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Überwachung aller abgasrelevanten Komponen-

ten während des Fahrbetriebs (On-Board-Diagnose, OBD) und ggf. die Anzeige von Fehlern. Die Elektronik im Kraftfahrzeug ist also kein Selbstzweck. Vielmehr leistet sie einen wesentlichen Beitrag, damit das Auto auch in Zukunft wichtige Anforderungen erfüllen kann. Die in dieser Einleitung genannten und auch viele andere elektronischen Systeme im Kraftfahrzeug werden in den folgenden Kapiteln ausführlich erläutert.

Bild 1-5: Off-Board-Diagnose mit Werkstatt-Tester [Quelle: Audi]

2 Motor und Antriebsstrang 2.1 Motormanagement 2.1.1 Anforderungen Ein modernes Motormanagement koordiniert Zündbzw. Einspritzzeitpunkt, Einspritzmenge, Luftmenge und Ventilstellung in Relation zur Kurbelwellenlage und steuert darüber hinaus weitere Aktoren, abhängig von dem aktuellen Fahrerwunsch sowie externen Lastanforderungen. Die technische Voraussetzung dafür bilden das Motorsteuergerät, die Aktorik und die Sensorik. Der Fahrerwunsch wird anhand der Stellung des elektronischen Gaspedals erkannt und als Drehmomentanforderung interpretiert. Systeme dieses Typs werden als E-Gas (Drive-by-wire) bezeichnet. Eine feste mechanische Kopplung zwischen Fahrpedal und Drosselklappe (beim Ottomotor) existiert dabei nicht mehr. Systeme mit mechanischen Drosselklappen sind inzwischen nur noch im Segment der einfach ausgestatteten Fahrzeuge im Einsatz, verlieren aber auch dort an Bedeutung. Elektronische Regelungen und Steuerungen sind insgesamt die zwingende Voraussetzung, um immer strengere Anforderungen an den Verbrennungsmotor im Hinblick auf Emissionen, Kraftstoffverbrauch, Sicherheit und Komfort erfüllen zu können. In die Entwicklung der Antriebsaggregate fließen mit den gesetzlichen Vorgaben in Form von Grenzwerten einerseits sowie den steigenden Erwartungen der Fahrer (Verfügbarkeit, Leistung, Komfort) andererseits zahlreiche Faktoren ein, die eine laufende Steigerung des innermotorischen Wirkungsgrades sowie teilweise zusätzliche Maßnahmen der geregelten Abgasnachbehandlung erzwingen. Diese Anforderungen haben auf der mechanischen Seite ein extrem gestiegenes feinmechanisches Toleranzniveau bewirkt (etwa bei der Diesel-Hochdruck-Direkteinspritzung), während auf der elektronischen Seite die Genauigkeit der Steuer- und Regelvorgänge laufend zunimmt. Neue Anforderungen an den motorischen Wirkungsgrad und die Emissionen bedingen im Normalfall ein noch leistungsfähigeres elektronisches Motormanagement. Da sich zahlreiche Teilsysteme und Abläufe im Verbrennungsmotor wechselseitig in ihrer Charakteristik beeinflussen, nimmt die Komplexität der Steuer- und Regelvorgänge mit der geforderten Steuerpräzision stark zu. Diese Komplexität auf der Ebene der Soft- und Hardware zu beherrschen, wird auf mittlere Sicht die zentrale Herausforderung bleiben. Weil die Produktion hochgenauer mechanischer Komponenten sehr kostenintensiv ist, treibt der wirtschaftliche Druck, unter dem die Automobilindustrie steht, Strategien voran, die geforderte Präzision bei der Steuerung motorischer Zustandsgrößen

vorzugsweise durch elektronische Regelsysteme zu erzielen. Hinzu kommt, dass Prozesse im Motor, im Ansaugtrakt und im Abgasstrang immer genauer gesteuert und zeitnäher geführt werden müssen. Dafür werden zusätzliche Messgrößen oder neue, leistungsfähige Algorithmen zur ersatzweisen Schätzung von Ist-Werten aus bekannten Größen benötigt, was zu komplexen Rechenvorgängen in Echtzeit führt. Außerdem sind schnellere und präzisere Regeleingriffe notwendig, die schnelle Aktoren verlangen. Weil die Entwicklungszyklen trotz rapide steigender Anforderungen immer kürzer werden, bahnt sich bei der zeitintensiven anwendungsbezogenen Funktionsbedatung (Kalibrierung) von Motorsteuergeräten ([1], [2]) ein Wechsel von kennfeldbasierten Lösungen hin zu modellbasierten Regelungsalgorithmen an ([3], [4], [5], >6@, [7]). 2.1.1.1 Emissionen, Verbrauch und Fahrbarkeit Emissionen und Verbrauch Innermotorische Maßnahmen einschließlich moderner Einspritzsysteme und -steuerungen haben erhebliche Emissionsreduzierungen ermöglicht, wie aus Bild 2-1 ersichtlich. Fortschritte gab es durch höhere Einspritzdrücke (zunächst vor allem beim Dieselmotor), die präzisere und wiederholgenauere Zumessung von Kraftstoff, die immer geringeren Minimalzumessungen sowie durch optimierte Strahlaufbereitung. In der Summe trugen diese Weiterentwicklungen zu einer deutlichen Effizienzsteigerung und Emissionsminderung bei. Insbesondere die aktuellen EU4-Grenzwerte im Pkw-Mittelklasse-Dieselmotor ohne Abgasnachbehandlung einhalten zu können, erschien noch vor wenigen Jahren nicht realistisch. Die künftigen Emissionsgrenzwerte (die Normen EU5, US Federal Tier 2 Bin 5, US CARB LEV II), soweit sie schon konkret definiert sind, stellen dem gegenüber eine noch größere Herausforderung dar, die nur durch integrierte Optimierung des Brennverfahrens, der Luftversorgung, des Einspritzsystems, der Abgasführung und -nachbehandlung zu bewältigen sein wird. Die Verbesserungen am Gesamtsystem und an den Regelstrategien hängen teilweise von den tatsächlich zu erwartenden Grenzwerten ab, weil damit der Umfang der Lösungsmaßnahmen (vor allem der NOx-Speicherkatalysator) massiv beeinflusst wird.

6

Bild 2-1: Entwicklung von Schadstoff- (EU) und CO2Emissionen (ACEA-Selbstverpflichtung)

Die Mitglieder des Verbands der europäischen Automobilhersteller (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles, ACEA) haben als Ziel vereinbart, ab 2008 den CO2-Ausstoß für die neue Fahrzeugflotte auf durchschnittlich 140 g/km abzusenken, was etwa 5,7 Liter Kraftstoff pro 100 km Fahrstrecke oder rund 17,5 km Fahrleistung je Liter Kraftstoff entspricht. Bezogen auf 1995 beinhaltet das eine 25prozentige CO2-Reduktion. Der seit 2003 geltende Zwischenwert von 167 g/km konnte ein Jahr früher als erwartet umgesetzt werden. Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) will den Kraftstoffverbrauch der neuen Fahrzeugflotten bereits im Jahr 2005 um 25 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 senken. Um das ACEA-Gesamtziel ab 2008 zu erreichen, wird neben dem gestiegenen Anteil an verbrauchsgünstigen Dieselfahrzeugen auch die weitere Optimierung des Ottomotors entscheidend wichtig sein. Vor allem die Reduktion der Drosselverluste in der Teillast ist hier ein wesentlicher Bestandteil der weiteren Verbrauchsabsenkung [8].

2 Motor und Antriebsstrang Fahrbarkeit Ein eminent wichtiger Aspekt der modernen elektronischen Motorsteuerung und -regelung ist die Möglichkeit, Einfluss auf das dynamische Ansprechverhalten des Verbrennungsmotors zu nehmen. Dadurch lässt sich die Fahrbarkeit direkt steuern. Unter Fahrbarkeit wird die fahrzeugspezifische Charakteristik des Drehmomentangebots sowie der Momenteneinflüsse im Antriebsstrang verstanden, die für den Fahrer spürbar sind und seine Zufriedenheit mit dem Fahrzeug und seiner Antriebsleistung wesentlich beeinflussen. Da die Kaufentscheidung eng mit diesem Eindruck des Fahrers verknüpft ist, kommt steuerungs- und regelungstechnischen Einflüssen auf die Fahrbarkeit ein hoher Stellenwert zu. Das Drehmomentangebot im unteren Drehzahlbereich (Low End Torque) ist ein besonders wichtiges Kriterium. Für Downsizing-Konzepte markiert das erreichbare Anfahrdrehmoment, insbesondere bei turboaufgeladenen Motoren, eine Grenze [9]. Sowohl beim Beschleunigen aus niedrigen Drehzahlen heraus als auch beim Anfahren ist das jeweils erforderliche Drehmoment ein Auslegungskriterium für die Aufladung des Motors. Bei Fahrzeugkonzepten, die mit einer Hubraumverringerung den Kraftstoffverbrauch senken, kann das geringere Drehmomentangebot des Verbrennungsmotors im unteren Drehzahlband phasenweise durch ein zusätzliches, elektromotorisch erzeugtes Drehmomentangebot ergänzt werden (Boost-Funktion bei Mild-Hybrid-Downsizing-Konzepten). Widersprüchliche Anforderungen, wie die Emissionsminimierung und der Fahrspaß, sind der Grund, warum teilweise auf Biturbokonzepte oder mehrstufige Aufladung gesetzt wird, um das Problem der Turboladerträgheit zu lösen. Insgesamt setzt der aufgeladene Dieselmotor mit seinem Drehmomentpotential derzeit einen gewissen Standard und treibt zunehmend die Aufladung beim Ottomotor voran. Die Reaktionsfreudigkeit (Responsiveness) des Motors beim Übergang vom Schubbetrieb in die Beschleunigung ist eine Teilaufgabe des Drehmomentmanagements, die eine präzise Regelung erfordert, um den bestmöglichen Kompromiss zwischen einem eventuellen Turboloch und einer aus Emissionsgründen begrenzten Kraftstoffzumessung zu erreichen, z.B. um die Rauchentstehung beim Dieselmotor zu begrenzen. Außerdem müssen Sprungfunktionen im Drehmomentwunsch in ihren Auswirkungen im Antriebsstrang gedämpft werden (siehe Abschnitt 2.1.2.2.2). Bei aufgeladenen Motoren mit vollvariabler Nockenwellenverstellung führt eine Überschneidung der Einund Auslassventilöffnungszeiten bei positiver Druckdifferenz zwischen Ansaugseite und Abgasseite dazu, dass der Brennraum mit Ansaugluft (Frischluft) zur Abgasseite durchgespült wird (daher Spüllufteffekt). Mehrere Auswirkungen, zu denen der verringerte Restgasanteil und eine Senkung der Brennraumtemperatur (verminderte Klopfneigung bei Volllast)

2.1 Motormanagement zählen, führen zu einer Leistungszunahme. Auf diesem Weg lässt sich das Drehmoment im niedrigen Drehzahlbereich instationär um 25 % und mehr steigern. Bei Downsizing-Konzepten für Fahrzeuge mit kleinem Hubraum in Verbindung mit Aufladung und verlängerter Hinterachsübersetzung liegt auf der Koordination verschiedener Aktoren ein besonderes Augenmerk. Dazu ist ein zusätzliches Funktionsmodul (z.B. mit der Bezeichnung Boost-Manager) erforderlich, das Einspritzung, variablen Ventiltrieb, Zündung, Waste-Gate und Drosselklappe koordiniert, um auch den in Bild 22 gezeigten Spüllufteffekt (Scavenging) zur Anhebung der Drehmoments im Bereich bis zu etwa 2500 /min optimal auszunutzen [10]. 2.1.1.2 Brennverfahren und Einspritzverfahren 2.1.1.2.1 Systeme für die Direkteinspritzung Im Hinblick auf die Steuer- und Regelungslösungen gleichen sich mittlerweile viele Aufgabenstellungen beim Dieselmotor und beim Ottomotor mit innerer Gemischbildung im Bereich der Brenn- und Einspritzverfahren, auch wenn sich die Aktoren weiterhin unterscheiden. Angesichts des wachsenden Entwicklungsaufwands pro Steuerungs- und Regelungsfunktion und der parallel zunehmenden Variantenvielfalt bei den Fahrzeugen ist ein Punkt erreicht, an dem es sinnvoll erscheint, gleichartige Funktionen im Sinne einer generischen Plattform nach Möglichkeit für beide Motorgattungen nutzbar zu machen. Das bedingt einen neuen Ansatz der hardwareunabhängigen Strukturierung von Funktionen, dessen Hauptaspekte in den Abschnitten 2.1.2.2 und 2.3.4.3 beschrieben werden. Im Kern geht es um eine Kapselung von Funktionen und konfigurierbaren Teilfunktionen, die möglichst wenig Kopplung von Funktionen bedingt und stringent die Schnittstellen definiert.

7 Bei Dieselmotoren bildet die Hochdruck-Direkteinspritzung die Voraussetzung für den motorspezifisch geringen Verbrauch bei hoher Leistungsausbeute und verringerten Emissionen. Dieselmotorische Lösungen basieren entweder auf einem gemeinsamen Kraftstoff-Hochdruckspeicher für alle Zylinder (Common-Rail) in Verbindung mit Injektoren oder auf dem Pumpe-Düse-Prinzip (Unit-Injector). Das sehr hohe Einspritzdruckniveau von bis zu 2000 bar bei Common-Rail und bis über 2200 bar bei PumpeDüse [11] ermöglicht eine sehr feine Zerstäubung des Kraftstoffs und bildet damit die Voraussetzung für einen gleichmäßigeren Abbrand im Zylinder. Innerhalb des engen Zeitfensters für die Mehrfacheinspitzungen, das beispielsweise bei einem 8-Zylindermotor nur 2,5 Millisekunden beträgt, steuert die elektronische Steuerung zylinderindividuell Spritzbeginn und Spritzende und stellt die reproduzierbar genaue Zumessung der erforderlichen Einspritzmengen sicher. Mit weiter steigendem Einspritzdruck werden die Anforderungen an die Zumessgenauigkeit vor allem bei Kleinstmengeneinspritzungen (Piloteinspritzungen) weiter steigen [12]. Das Entwicklungsziel bei den elektronischen Steuerungen und den Injektoren besteht darin, den Einspritzverlauf möglichst präzise und flexibel zu beeinflussen, um alle systemimmanenten Spielräume bei der Gestaltung des Brennverlaufs auszunutzen. Auf längere Sicht ist es durchaus realistisch, dass diese Entwicklungslinie zu einer weitgehend flexiblen Einspritzverlaufsformung führt. Beim Ottomotor dient die Direkteinspritzung (innere Gemischbildung) mit ebenfalls hohem Einspritzdruck in zunehmendem Maße zur Realisierung neuer Brennverfahren, die den Verbrauch weiter absenken sollen [13]. Die Schichtladung (Stratified Injection) im Teillastbereich ist hier zunehmend wichtig, um den Verbrauchsnachteil gegenüber dem Dieselmotor zu mindern.

Bild 2-2: Auswirkung des Spüllufteffektes auf die Drehmomentantwort bei Anforderung eines Lastsprungs

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2 Motor und Antriebsstrang

Während wand- und luftgeführte Brennverfahren bisher nur geringe Verbrauchsabsenkungen auf der Straße ergeben, werden strahlgeführte Brennverfahren den Bereich der Schichtladung bei der Hochdruckdirekteinspritzung voraussichtlich ausweiten können [14] und damit den Verbrauch deutlich senken. Der Schichtladebetrieb mit strahlgeführter Verbrennung erfordert eine hochgenaue elektronische Steuerung des Einspritzvorgangs und sehr schnelle Aktoren, um präzise Mehrfacheinspritzungen mit minimaler Kraftstoffzumessung zu realisieren. Das Steuerziel ist dabei ein sehr fein zerstäubtes, zündfähiges Gemisch mit definierter Eindringtiefe und definiertem Spritzkegel in unmittelbarer Nähe der Zündkerze, ohne dass es zur Benetzung der Kerze kommt.

2.1.1.3 Belastung Der Motorraum stellt für die Elektronik eine widrige Umgebung dar, weil durch stark schwankende Betriebsbedingungen mehrere Einflussgrößen abwechselnd oder gleichzeitig eine potentiell schädliche Charakteristik annehmen können. Für die physikalische Ausprägung der Motorsteuerung in Form des Motorsteuergerätes führt das zu einer Reihe von Anforderungen, zu denen hier auch auf den Abschnitt 2.3.1.1.1 (Steuerungen für Motor und Getriebe) verwiesen sei.

2.1.1.2.2 Saugrohreinspritzung Da die Direkteinspritzung mit erhöhtem Steuerungsaufwand und erhöhten Anforderungen an die feinmechanische Qualität der Aktoren einhergeht, wird auch die Steuerungsentwicklung für Ottomotoren mit Saugrohreinspritzung und äußerer Gemischbildung weitergehen. Das Potenzial dieser Technologie ist noch nicht ausgeschöpft, und es stellt innerhalb enger Kostengrenzen weiterhin eine unverzichtbare Lösungsoption dar.

Die Steuerungs- und Regelungsaufgaben im Kraftfahrzeug lassen sich anlog zur physikalischen Organisationsstruktur des Gesamtsystems Fahrzeug in Funktionspakete gliedern, die jeweils die Algorithmen zur Lösung der einzelnen Aufgabenstellung umfassen, Bild 2-3. Die Funktionen basieren auf dem physikalischen Zusammenhang zwischen einer Zustandsgröße und der zugehörigen Stellgröße und lassen sich als Modell eines dynamischen Systems beschreiben. Ein Beispiel dafür ist die Bestimmung der Drosselklappen-Sollwertposition mit dem Saugrohrmodell, Bild 2-4.

2.1.2 Funktionen 2.1.2.1 Übersicht Motorsteuerungsfunktionen

Bild 2-3: Hierarchische Strukturierung der Steuerungssysteme (ECU Steuergerät)

2.1 Motormanagement

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Bild 2-4: Modell des Saugrohrs (ohne Abgasrückführung): pim Saugrohrdruck, Tim Gastemperatur im Saugrohr, Vim Saugrohrvolumen, m thr Massenstrom über die Drosselklappe, m cyl über die Einlassventile, Rg | 387 J/(kg K) Gaskonstante für Luft

Dieses Verfahren basiert darauf, dass jeder Stellung der Drosselklappe bei einem gegebenem Saugrohrdruck und einer definierten Drehzahl ein mathematisch präzise beschreibbarer Luftmassenstrom entspricht – und umgekehrt, denn das mathematische Modell des Zusammenhangs ist invertierbar. Da jeder definierte Luftmassenstrom wiederum einer bestimmten Zylinderfrischgasfüllung entspricht, eignet sich die mathematische Beschreibung dazu, das physikalische Verhalten des Zusammenhangs zwischen Drosselklappenstellung und erwünschter Frischgasfüllung zu beschreiben. Sensorsignale werden in diesem Fall oft nur noch zum Abgleich mit den Sollwerten genutzt, die das Modell errechnet. Eine dabei eventuell erkannte Abweichung zwischen Modell und Messwerten (z.B. beim Saugrohrdruck, der Abgastemperatur und beim Abgasgegendruck) geht in die Modelladaption und in die Systemdiagnose ein. Um die Nachbildungsgenauigkeit der Modelle zu steigern, wird zur mathematischen Modellierung sowohl die theoretische als auch die experimentelle Systemanalyse verwendet. Die theoretische Systemanalyse als analytischer Ansatz auf Basis bekannter physikalischer, chemischer und anderer Gesetzmäßigkeiten beschreibt die Zusammenhänge innerhalb des Systems. Die experimentelle Systemanalyse ist dagegen der empirische Ansatz auf Basis von Versuchsreihen. Auf der Grundlage der Beobachtungen im Versuch wird das Systemverhalten hier mit Kennfeldern nachgebildet. Ein typisches Beispiel ist der Luftmassenstrom als Funktion von Drehzahl und Saugrohrdruck.

2.1.2.2 Drehmomentbasierte Funktionsstruktur Bei einer drehmomentbasierten Funktionsstruktur werden alle Motorsteuer- und Regelanforderungen, die sich als Drehmoment oder Wirkungsgrad darstellen lassen, auch tatsächlich als physikalische Drehmomentanforderung definiert (>15@, >16@). In Kombination mit einem E-Gas-System erlaubt diese Funktionsstruktur im Ottomotor eine vom Fahrer entkoppelte Steuerung der Frischgasfüllung. Dadurch ist es möglich, den Fahrkomfort zu erhöhen und gleichzeitig eine optimale Balance zwischen Fahrbarkeit, Verbrauch und Emissionen zu erreichen. Den Ausgangspunkt bildet die Stellung des Gaspedals, die als Geber zur Berechnung einer Drehmomentanforderung (Soll-Moment) dient. Dieses Moment versucht die Motorsteuerung entweder auf einem Pfad (Ottomotor mit Schichtladung, Dieselmotor) oder auf zwei Pfaden (Ottomotor mit homogener Ladung) einzustellen. Zu den Einstellgrößen des schnellen Pfades (arbeitsspielsynchrone Momentenbeeinflussung) zählen Zündzeitpunkt, Einspritzmenge (in den Zylinder) und die Zylinderabschaltung. Die Zündverstellung dient beim Ottomotor dazu, Effekte der Füllungsregelung soweit erforderlich zu kompensieren. Als langsamer Pfad gelten Eingriffe in die Frischgasfüllung (Füllungssteuerung durch die Drosselklappe, bei einigen Systemkonfigurationen auch durch Phasensteller der Nockenwelle) beim Ottomotor mit homogener Verbrennung. Beim Dieselmotor und beim Ottomotor mit Schichtladung erfolgt die Momentensteuerung ausschließlich über die Einspritzmenge. Da Lastanforderungen über eine Erhöhung der Einspritzmenge arbeitsspielsynchron umgesetzt

10 werden können, umfasst die Funktionsstruktur hier keinen langsamen Pfad zur Momentensteuerung. Im Ottomotor mit Homogenbetrieb ergibt sich durch diese Aufteilung auf zwei Einstellpfade die Möglichkeit, eine Momentenreserve aufzubauen. Unter Momentenreserve versteht man in diesem Zusammenhang eine kupplungsmomentenneutrale Füllungserhöhung bei gleichzeitiger Verstellung des Zündwinkels in Richtung spät. Der schlechtere Wirkungsgrad führt zu einer höheren Abgastemperatur, die für Heizmaßnahmen von Komponenten (Katalysator, NOx-Speicherkatalysator) im Abgasstrang genutzt werden kann. Gleichzeitig bietet sich die Möglichkeit, durch eine plötzliche Zündwinkelverstellung in Richtung früh aktiv auf diese Momentenreserve zuzugreifen und sie für eine arbeitsspielsynchrone Anhebung des Kupplungsmomentes zu nutzen. Diese schnelle Eingriffsmöglichkeit wird beispielsweise für die Leerlaufregelung und in den Fahrbarkeitsfunktionen genutzt (vgl. Antiruckelregelung in Abschnitt 2.1.2.2.2). 2.1.2.2.1 Drehmomentenmodell Eine Grundeigenschaft der drehmomentbasierten Funktionsstruktur ist die Interpretation des Fahrerwunsches (ausgehend von der Gaspedalposition) und weiterer Anforderungen (z.B. Tempomat, ESP, ASR) als physikalische Anforderung eines Drehmoments an der Kupplung. Hauptaufgabe des Drehmomentenmodells ist es, diesen Wunsch des Fahrers nach einem konkreten Kupplungsdrehmoment unter Berücksichtigung der aktuellen Motorbetriebsbedingungen durch passende Sollwertvorgaben an die momentenbeeinflussenden Aktoren umzusetzen. Dieser Teil des Modells wird wegen der mathematischen Rechenrichtung vom Fahrerwunsch zum Aktor als Rückwärtspfad bezeichnet. Die zweite Aufgabe des Drehmomentenmodells besteht darin, basierend auf den aktuellen Positionen der momentenbeeinflussenden Akto-

2 Motor und Antriebsstrang ren sowie weiterer Betriebsgrößen des Motors ein aktuelles Drehmoment zu schätzen. Wegen der mathematischen Rechenrichtung vom Aktor zum Drehmoment spricht man hier vom Vorwärtspfad. Dieser Modellwert wird in verschiedenen internen und externen Funktionen (z.B. Getriebesteuerung) verwendet (Bild 2-5). Der Vorwärtspfad (also die Abschätzung des aktuellen Drehmoments an der Kupplung) setzt sich aus den Teilmodellen für das Verlustmoment und für das indizierte Moment aus der Hochdruckphase zusammen (Bild 2-6). Das Verlustmoment beinhaltet hierbei die Verluste aus dem Ladungswechsel, der motorischen Reibung (mit den Hauptabhängigkeiten Motordrehzahl, Gesamtgasmassenstrom zum Zylinder incl. Restgas, Kühlwassertemperatur und Öltemperatur) sowie der Nebenaggregate (z.B. Klimakompressor, Generator). Das indizierte Drehmoment ergibt sich als Produkt aus einem optimalen Moment (Kennfeldwert abhängig von Drehzahl und Füllung oder Einspritzmenge) und den Wirkungsgradkorrekturen (z.B. Zündzeitpunkt, relatives Luft-Kraftstoffverhältnis, Zylinderausblendung, Restgasgehalt, Nockenwellenstellung, Einspritzaufteilung). Das optimale Drehmoment repräsentiert hierbei einen Drehmomentwert, der sich bei der aktuellen Drehzahl und bei gegebener Frischgasfüllung bzw. Einspritzmenge einstellen würde, wenn alle anderen momentenbeinflussenden Stellgrößen einen Optimalwert annehmen würden. Die Wirkungsgradkorrekturen beschreiben den relativen Wirkungsgradabfall, der sich bei einer Optimalwert-Abweichung der betreffenden Stellgrößen einstellt. Diese Optimalwert-Abweichungen resultieren zum Teil aus physikalischen Limitierungen (etwa die Klopfgrenze für Zündwinkelfrühstellung) oder aus gewollten Eingriffen (Zündwinkelspätverstellung bei angeforderter Momentenreserve).

Bild 2-5: Rückwärts- und Vorwärtspfad des Drehmomentenmodells (vereinfacht)

2.1 Motormanagement

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Bild 2-6: Grundansatz Vorwärtspfad des Drehmomentenmodells

Im Rückwärtspfad des Drehmomentenmodells erfolgt die Berechnung von Sollwerten für die im jeweiligen Betriebsmodus zur Verfügung stehenden momentenbeeinflussenden Stellgrößen. Unter Berücksichtigung der aktuellen Momentenverluste werden die Drehmomenten-Sollwerte zuvor auf Sollwerte für ein indiziertes Motormoment umgerechnet. Bei einem Ottomotor im Homogenbetrieb erfolgt die Sollwertberechnung für die Momentenrealisierung getrennt auf einem langsamen Pfad (Sollwert Frischgasfüllung) und einem schnellen Pfad (ZündwinkelSollwert). Eine Momentenreserve wird realisiert, indem der Drehmomenten-Sollwert für den langsamen Pfad mit einer additiven Korrektur angehoben wird. Die Sollwertberechnung für die Frischgasfüllung erfolgt mit Hilfe eines invertierten Referenzmomentenkennfeldes (Bild 2-7).

Die Sollwertberechnung für den Zündwinkel erfolgt über den Sollwert des Zündwinkelwirkungsgrads als Zwischengröße. Dazu wird der Quotient aus Drehmomenten-Sollwert und dem aktuellem Basismoment (aktuelles Referenzmoment mit Wirkungsgradkorrekturen für Luft-Kraftstoff-Verhältnis, Restgasgehalt und Zylinderausblendung) gebildet. Der Sollwert für den Zündwinkelwirkungsgrad wird in einem Kennfeld mit invertiertem Zündwinkelwirkungsgradverlauf in einen Sollwert für die Zündwinkelspätverstellung umgerechnet, welcher dann über eine Addition zum Referenzzündwinkel zu einem ZündwinkelSollwert führt (Bild 2-8). Bei einem Ottomotor im geschichteten Betrieb und einem Dieselmotor erfolgt die Realisierung des Drehmomentenwunsches nur über den schnellen Pfad. Hierbei wird der Sollwert für das indizierte Motormoment bei gegebener Motordrehzahl und unter Berücksichtigung etwaiger Wirkungsgradkorrekturen (Luft-Kraftstoff-Verhältnis, EinspritzPhasing, Restgasgehalt) direkt in einen Sollwert für die Einspritzmenge umgerechnet. Die Sollwertpositionen der anderen Aktoren leiten sich aus dem Einspritzmengen-Sollwert ab.

Bild 2-7: Sollwertberechnung für den langsamen Pfad (Frischgasfüllung)

Bild 2-8: Sollwertberechnung für den schnellen Pfad (Zündwinkel)

12 2.1.2.2.2 Fahrbarkeitsfunktionen In die Motorsteuergerät-interne Berechnung des angeforderten Drehmoments gehen neben dem eigentlichen Fahrerwunsch Einflüsse und Begrenzungen aus anderen Steuerungen ein. Zu nennen sind hier beispielsweise die Getriebesteuerung, die Klimatisierung und die Fahrzeugstabilisierung. Der Momentenwunsch des Fahrers wird in einem Kommunikationsprozess mit den Momentenanforderungen anderer, an der Steuerung oder Regelung beteiligter Steuergeräte koordiniert und nach Wichtigkeit priorisiert. Vor dieser Momentenkoordination wird der Momentenwunsch des Fahrers mit den Fahrbarkeitsfunktionen Lastschlagdämpfung und Antiruckelregelung (Antijerk) verarbeitet. Eine Sonderrolle kommt der Fahrbarkeitsfunktion „Sequentielle Zylinderaus- und einblendung“ zu. Sie beeinflusst nicht den Fahrerwunsch, sondern beschreibt die für einen ruckfreien Übergang notwendigen Einspritzmuster beim Eintreten und Verlassen der Schubabschaltung. Lastschlagdämpfung Abrupte Wechsel im Niveau der Momentenanforderung (daher auch Lastwechselschläge oder Lastschläge genannt) machen sich ohne Dämpfung als unangenehme Schwingungen in Fahrzeuglängsrichtung bemerkbar. Um die mögliche Wirkung von Lastschlägen zu minimieren, begrenzen intervenierende Algorithmen im Motorsteuergerät den Gradienten der Drehzahlanstiegsflanke. Wie bei der Antiruckelregelung (vgl. unten) besteht das Steuerziel darin, eine Schwingungsanregung durch Lastsprünge zu glätten. Dazu müssen steile Flanken des Momentenauf- und -abbaus in flachere Rampen überführt werden. Weil die Funktion damit den

2 Motor und Antriebsstrang Fahrerwunsch modifiziert, muss der Eingriff in seiner Wirkung zwischen direktem Fahrerwunsch und Fahrkomfort ausbalanciert sein. Periodendauer und Rampenanstiegs- bzw. abfallsdauer der modifizierten Drehmomentvorgabe werden abhängig vom eingelegten Gang variabel berechnet. Um den Fahrer nicht zu „überregeln“, kann die Lastschlagdämpfung die Schwingungsamplitude im verfügbaren Zeitfenster jedoch nicht restlos minimieren. Antiruckelregelung Um den Fahrkomfort auch bei schnell wechselnden Drehmomentanforderungen zu erhalten, ist der Lastschlagdämpfung eine weitere Momentenkorrektur nachgeschaltet, die den Regelkreis zur gefilterten Momentenanforderung schließt (Bild 2-9). Der Algorithmus der Antiruckelregelung wird dann aktiv, wenn er als Auswirkung einer Schwingung im Antriebsstrang eine Drehzahlabweichung des Motors von der Referenzdrehzahl erkennt. Aus dem Vergleich von Ist und Soll ermittelt der Algorithmus eine Korrektur, die als Einfluss auf die Führungsgröße Momentenanforderung (über den schnellen Momenteneinstellpfad) wirkt. Sequentielle Zylinderabschaltung Erkennt das Motorsteuergerät eine Nulldrehmomentanforderung des Fahrers (Schubbetrieb), so kann die Kraftstoffzumessung unter definierten Rahmenbedingungen unterbrochen werden (Schubabschaltung). In diesem Fall ist eine Funktion erforderlich, die den Übergang von Schub zu Schubabschaltung mit Hilfe von Ausblendmustern sanft gestaltet.

Bild 2-9: Struktur des Momentenmodells zur Reduktion von Schwingungen in der Fahrzeuglängsbewegung bei Lastwechseln

2.1 Motormanagement Beim sequentiellen Verfahren wird die Kraftstoffzufuhr zu einzelnen Zylindern oder Zylindergruppen abwechselnd von einem Arbeitszyklus zum nächsten (d.h. im Rhythmus von 720° Kurbelwinkel) ab- und angeschaltet. Anstelle eines einzigen großen Lastsprungs ergeben sich so mehrere kleinere Lastsprünge, die zeitverzögert aufeinander folgen. Durch die geringere Höhe des Lastsprungs verringert sich auch die Schwingungsanregung im Antriebsstrang. Beim alternativen Zweistufenverfahren erfolgt die Zylinderausblendung in Stufen. Zunächst wird eine Hälfte der Zylinderzahl ausgeblendet (bei einem 4Zylindermotor also zwei Zylinder gleichzeitig). Der plötzliche Motordrehmomentenrückgang an der Kupplung verursacht eine Schwingung im Antriebsstrang. Deshalb wird die zweite Hälfte der Zylinderzahl erst nach einer Zeitverzögerung von der Hälfte der Schwingungsperiode ausgeblendet. Das verursacht einen zweiten Drehmomentrückgang, der kurz vor dem Zeitpunkt stattfindet, an dem sich die erste Schwingung im Antriebsstrang aufbauen will. Damit dämpft der zweite Lastsprung die Auswirkung des ersten. Fordert der Fahrer erneut ein Drehmoment an oder übergibt eine Funktion eine entsprechende Anforderung (z.B. Katalysatorschutz oder Leerlaufdrehzahlregelung), so erfolgt ein Übergang aus der Schubabschaltung zurück in den Zylinderarbeitszyklus mit Einspritzung und Verbrennung. Dieses Wiedereinsetzen erfolgt entweder in Umkehrrichtung mit einem der beiden o.g. Verfahren oder mit einem gemeinsamen Zuschalten aller Zylinder. Das letztere Verfahren dient dazu, das Drehmoment sehr schnell zur Verfügung zu stellen, etwa bei großen Fahrerwunschgradienten. 2.1.2.2.3 Drehzahlregelung Bei vorgegebener Leerlaufnenndrehzahl muss das vom Motor abgegebene Drehmoment mit den Momentenverlusten durch die Reibung des Motors sowie der Nebenaggregate im Gleichgewicht stehen. Die Sollwertvorgabe des Drehmomentes, mit dem die Leerlaufnenndrehzahl einzustellen ist, ergibt sich aus der Schätzung dieser Momentenverluste bei SollDrehzahl und aus dem modellierten Selbststabilisierungsverhalten eines Ottomotors im Homogenbetrieb. Unter Selbststabilisierungsverhalten versteht man hierbei die Eigenschaft des Ottomotors, eine stabile Leerlaufdrehzahl selbstregulierend halten zu können. Durch die im Leerlaufbereich überkritische Strömung über die Drosselklappe bleibt der Frischgasmassenstrom und damit die Leistung bei Drehzahländerungen konstant. Infolgedessen kommt es bei Drehzahlanhebung bzw. -rückgang zu der entsprechenden Drehmomentreduzierung bzw. -erhöhung, welche die Motordrehzahl in Richtung Leerlaufdrehzahlpunkt einstellen.

13 Bei einer durch Störgrößen hervorgerufenen Abweichung der Drehzahl vom Sollwert wird mit einer PIDRegelung jeweils ein Korrekturmoment für den schnellen und den langsamen Pfad (Ottomotor im Homogenbetrieb) der Drehmomentenstruktur ausgegeben. Dieses Korrekturmoment fließt im Motorsteuergerät in die Berechnung des Soll-Drehmoments für die entsprechenden Einstellpfade ein. Das Regelprinzip schließt den langsamen Pfad (elektrisch gesteuerte Drosselklappe, E-Gas-System) und den schnellen Pfad ein (Zündwinkelverstellung). Der Soll-Zustand wird dadurch erreicht, dass bei Drehzahlüberschwingern die Luftzufuhr reduziert und der Zündwinkel in Richtung spät verstellt wird. Bei Drehzahlunterschwingern wird die Luftzufuhr erhöht und der Zündwinkel in Richtung früh verstellt. Bei einem modernen E-Gas-System erfolgt die Anpassung der Frischgasfüllung im Homogenbetrieb direkt über die Drosselklappenposition. Separate Leerlauf-Füllungssteller sind nicht erforderlich. Das Überschreiten einer zulässigen Maximaldrehzahl wird ebenfalls durch eine drehmomentenbasierte Drehzahlregelung verhindert. Die hierbei verwendete Strategie schließt beim Ottomotor neben Zündungs- und Drosselklappeneingriffen auch eine teilweise oder vollständige Einspritzausblendung mit ein. Auch der Dieselmotor benötigt eine Drehzahlregelfunktion, um die Kraftstoffförderung und die Soll-Drehzahl des Motors zu koordinieren, damit beispielsweise bei sinkender Drehzahl oder steigender Belastung eine angepasste Kraftstoffmengenzumessung erfolgen kann. Der Sollwert kann dabei abhängig von der Temperatur (z.B. nach einem Kaltstart) und der Belastung nachgeführt werden, etwa wenn die elektrische Energieanforderung eines Hochstromverbrauchers eine höhere Generatorlast bedingt. Da beim Dieselmotor im Allgemeinen keine Drosselung der zuströmenden Frischluftmenge stattfindet, hängt die vom Motor innerhalb der Grenzen des eingespritzten Kraftstoffes erreichbare Drehzahl allein von der aktuellen Motorbelastung ab. Ohne Belastung und bei hoher Einspritzmenge kann der Motor daher prinzipiell bis zur mechanischen Zerstörung hochdrehen. Wegen dieser mangelnden Eigenstabilität wird bei Pkw-Dieselmotoren sowohl der Leerlauf als auch die zulässige obere Drehzahl geregelt. Eingriffe erfolgen durch den LeerlaufEnddrehzahlregler (auch Fahrzeugregler genannt), der im unteren Drehzahlband die Soll-Drehzahl des Leerlaufs einstellt und am oberen Ende des zulässigen Drehzahlbereichs abregelt [17]. In dem Drehzahlband zwischen unterer und oberer Grenze ist der Regler inaktiv. Hier regelt der Fahrer über seinen Pedalwunsch. Bei Nutzfahrzeugdieselmotoren ist eine permanente Regelung üblich, um eine bestimmte Drehzahl oder Fahrgeschwindigkeit lastunabhängig einhalten zu können. Für Regionen mit stark wechselnden Straßenhöhenprofilen (Passstraßen, Hochge-

14 birge) gleicht ein Algorithmus der Drehzahlregelfunktion die Volllastkraftstoffmenge an den Umgebungsluftdruck an, um ein Übersteigen der Schwarzrauchgrenze durch mangelnde Luftfüllung im Brennraum zu verhindern. Zylindergleichlaufregelung Beim Dieselmotor und beim direkteinspritzenden Ottomotor können Fertigungstoleranzen elektromechanischer Komponenten der Einspritzung sowie Verschleiß wegen der extrem hohen Anforderungen an die Genauigkeit der Einspritzung zu Unterschieden zwischen den Nutzmomenten der einzelnen Zylinder führen. Um daraus resultierende Drehzahlschwankungen und Rauigkeiten auszugleichen, tariert die Funktion der Zylindergleichlaufregelung (Cylinder Balancing) solche Momentenunterschiede innerhalb eines definierten Bereichs aus. Dazu wird die Einspritzmenge im unteren Leistungsbereich zylinderindividuell angepasst. Beim direkteinspritzenden Ottomotor erfolgt zudem eine Auswertung des O-SondenSignals. Durch eine Zuordnung der Sondeninformation zu den einzelnen Zylindern ist eine zylinderselektive Einspritzmengenanpassung möglich. 2.1.2.2.4 Verbrennungsartumschaltung Die drehmomentbasierte Funktionsstruktur (vgl. Abschnitt 2.1.2.2) schafft die Voraussetzung dafür, einen Übergang von quantitativer zu qualitativer Regelung ohne Drehmomentveränderung an der Kurbelwelle zu realisieren. Ein spezieller Softwarebestandteil (Verbrennungsart-Manager, Combustion Manager) schaltet dazu anhand von Drehmomentschwellwerten von einer Verbrennungsform zur anderen um (Bild 2-10).

Bild 2-10: Strukturübersicht der Betriebsarten bei OttoDirekteinspritzung

Von quantitativer Reglung spricht man beim Ottomotor, solange die Motorlast durch Veränderung des Querschnitts für das Einströmen des Luft-KraftstoffGemischs (Drosselklappe) gesteuert wird. Da die Zusammensetzung des Gemischs in erster Näherung konstant ist, bestimmt die einströmende Menge

2 Motor und Antriebsstrang (Quantität) die Last, daher der Begriff Quantitätsregelung. Bei der qualitativen Regelung, wie sie für den Dieselmotor grundsätzlich zutrifft, für den Ottomotor nur bei Schichtladung (siehe unten) oder Mager-Mix, wird dagegen die Zusammensetzung des LuftKraftstoff-Gemischs lastabhängig gesteuert. Dabei wird im homogenen Bereich zwischen stöchiometrischem Betrieb und homogenem Magerbetrieb (O > 1) unterschieden. Die Entscheidungsfindung über die jeweils optimale Betriebsart gehört ebenfalls zum Funktionsumfang des Softwaremoduls Verbrennungsart-Manager. Bild 2-11 zeigt die Entscheidungsketten, die zur Definition der optimalen Verbrennungsform führen. Der geschichtete Betrieb (S) hat dabei grundsätzlich die oberste Priorität. Als geschichteten Betrieb bezeichnet man eine Form der Direkteinspritzung, bei der die Kraftstoffzumessung und Strahlaufbereitung so definiert sind, dass nur in unmittelbarer Nähe zur Zündkerze ein Bereich mit zündfähigem Gemisch entsteht. Diese so genannte Schichtladung dient dazu, den Verbrauch im Schubbetrieb und bei niedriger Teillast zu senken. Solange alle drei Betriebsarten zulässig sind, schaltet der Verbrennungsart-Manager auf Schichtladung (S). Solange homogener Betrieb bei O = 1 (in Bild 2-11 als AFS bezeichnet) und Magerbetrieb (AFL) zulässig sind, schaltet der Manager auf Magerbetrieb. Die Umschaltung auf stöchiometrischen Betrieb (AFS) erfolgt nur, wenn die beiden anderen Verbrennungsarten aufgrund intervenierender Faktoren, wie Drehmomentanforderungen, Diagnosefunktionen etc., nicht zulässig sind. Der Motor wird im stöchiometrischen Betrieb (AFS) gestartet. Wenn keine intervenierenden Faktoren dagegen sprechen, wird die Umschaltung auf Schichtbetrieb (S) vorbereitet. Zündung, Einspritzung, AGR-Rate (Abgasrückführung) und Drallklappen werden auf die Sollwerte für Schichtladebetrieb eingeregelt. Sobald der Luftmassenstrom die erforderliche Schwelle erreicht, wird der Schichtladebetrieb ausgeführt. Die Rückumschaltung der Aktoren auf homogenen Betrieb (AFS) erfolgt, sobald ein Drehmoment angefordert wird, das im Schichtladebetrieb nicht bereitgestellt werden kann. Lassen die zahlreichen Einflussfaktoren der drehmomentbasierten Funktionsstruktur keine Schichtladung, jedoch einen Magerbetrieb zu, erfolgt die entsprechende Umschaltung (AFL).

2.1 Motormanagement

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Bild 2-11: Entscheidungszusammenhänge innerhalb eines Verbrennungsart-Managers: S geschichteter Betrieb, AFL Magerbetrieb, AFS stöchiometrischer Bedtrieb

2.1.2.3 Füllungssteuerung 2.1.2.3.1 Saugrohrmodell Die Frischgasfüllung ist die Haupteinflussgröße auf das Nutzmoment des Ottomotors im stöchiometrischhomogenen Betrieb und Voraussetzung zur Bestimmung der erforderlichen Einspritzmenge. Deshalb besteht eine der zentralen Funktionen des Motorsteuergeräts darin, die Füllungsmenge im Saugrohr und im Zylinder zu erfassen beziehungsweise zu berechnen. Diese Füllungsbestimmung erfolgt mit dem so genannten Saugrohrmodell. Bei der modellbasierten Füllungserfassung des Ottomotors dient die aktuelle Stellung der Drosselklappe im Saugrohr in Relation zur Motordrehzahl dazu, den Luftmassenstrom in das Saugrohr zu berechnen. Als Grundlage dient ein Potentiometersignal, dessen Höhe der jeweiligen Drosselklappenstellung entspricht. Wegen der rechnerischen Richtung spricht man hier vom Vorwärtspfad des Modells. Die in den Zylinder abfließende Luftmasse wird aus einem Kennlinienfeld ermittelt. Der Saugrohrdruck ergibt sich aus der allgemeinen Gasgleichung. Auf Messgrößen (gemessene Luftmas-

se) beruhende Adaptionsverfahren dienen dazu, Modellparameter wie den Umgebungsdruck zu korrigieren. Da das rechnerische Modell des Saugrohrs invertierbar ist (man spricht im invertierten Fall vom Rückwärtspfad), eignet es sich auch zur Bestimmung der Drosselklappen-Soll-Stellung: Dazu wird aus der Drehmomentanforderung rückwärts gerechnet, welche Drosselklappen-Soll-Stellung dem FüllungsSollwert für das erwünschte Drehmoment entspricht. Diese Stellung der Drosselklappe wird durch Ansteuerung des Stellglieds realisiert. Bild 2-12 zeigt die Struktur des Regelkreises. Da die Drehmomentabgabe eines Ottomotors mit homogener Verbrennung direkt und linear von der Füllung abhängt, kann über die Drosselklappenregelung der Momentenwunsch des Fahrers erfüllt werden. Bei aufgeladenen Ottomotoren erfolgt zusätzlich die Berechnung eines für den Füllungs-Sollwert notwendigen Soll-Ladedruckes, der als Führungsgröße in der Ladedruckregelung verwendet wird.

Bild 2-12: Regelkreis der elektronischen Drosselklappenregelung

16 Beim Dieselmotor wird die Füllung primär über das Abgasrückführventil geregelt. Da kein enges Toleranzfenster um O = 1 eingehalten werden muss, sind die Anforderungen an die Zumessgenauigkeit etwas geringer, allerdings ist die Komplexität wegen der Vielzahl an Komponenten (Abgasrückführventil, regelbarer Turbolader, ggf. schaltbarer Abgasrückführkühler und Bypass des Ladeluftkühlers) ungleich größer. Um künftige Abgasanforderungen zu erfüllen, kommt der exakten Luftzumessung im instationären Betrieb eine sehr wichtige Rolle zu. Deshalb, und um den Bedatungsaufwand für das Steuergerät zu reduzieren, wird auch beim Dieselmotor verstärkt auf modellbasierte Strategien zurückgegriffen. Da für jeden Betriebspunkt Vorgaben im Steuergerät hinterlegt werden müssen und die Kennfelder in der Regel mehrdimensional sind (z.B. Sollwerte, abhängig von Druck und Temperatur), steigt der Zeitaufwand für diese Bedatung (Kalibrierung) mit der Systemkomplexität stark an. Bei Ottomotoren mit Schichtladung sowie bei Dieselmotoren ist die Funktion eines Drosselklappenstellglieds erforderlich, um durch Androsseln gezielt Unterdruck im Saugrohr zu erzeugen. Dieser Unterdruck steht dann für den Unterdruckbremskraftverstärker, zur Einspeisung von Blow-by-Gasen aus dem Kurbelgehäuse (Verbrennungsgase, die das dynamische Dichtsystem aus Kolbennuten, Kolbenringen und Zylinderlaufbahn passieren und so ins Kurbelgehäuse gelangen), die Regenerierung eines Aktivkohlebehälters für Kraftstoffdämpfe und zum Ansaugen von Abgas im Zuge der Abgasrückführung zur Verfügung. Die Regel- und Stellaufgaben für dieses Androsseln entsprechen im Wesentlichen denen der Füllungssteuerung. 2.1.2.3.2 Ladedruckregelung Die Aufladung von Motoren mit einem Abgasturbolader (vom Abgas angetriebener Verdichter) dient entweder dazu, ohne Hubraumzunahme eine Leistungs- und Drehmomentsteigerung zu erzielen, oder innerhalb eines Downsizing-Konzepts bei verringertem Hubraum und verlängerter Hinterachsübersetzung Verbrauchsabsenkungen ohne Leistungsverluste zu realisieren. Beim Dieselmotor stellt der Turbolader eine mittlerweile unverzichtbare Maßnahme zur Emissionsreduzierung dar, um ausreichend Luftsauerstoff für eine rußarme Verbrennung anzubieten. Im Ottomotor werden meist kleine Lader verwendet, weil sie bereits bei niedrigen Drehzahlen und geringem Abgasmassenstrom einen relativ hohen Ladedruck liefern und somit schneller ansprechen. Im oberen Drehzahlbereich ist jedoch wegen der großen Spreizung des Abgasmassenstroms über das Drehzahlband eine Funktion im Motorsteuergerät erforderlich, die elektropneumatische Stellglieder ansteuert: Bei zu hohem Ladedruck wird entweder durch ein Schubumluftventil verdichtete Luft abgeblasen oder

2 Motor und Antriebsstrang ein Teil des Abgases durch ein Bypass-Ventil (Waste-Gate) an der Laderturbine vorbeiführt. Die Regelgröße ist dabei meist der Ladedruck. Im Teillastbereich reduziert ein Öffnen des Bypass-Ventils den Abgasgegendruck, der zwischen Brennraum und Turbine herrscht. Die Ladedruckregelung nimmt damit Einfluss auf den Verbrauch in der Teillast, weil die Ausschiebearbeit des Motors sinkt. Beim Dieselmotor erlaubt die im Verhältnis zur ottomotorischen Verbrennung niedrigere Abgastemperatur auch eine Regelung des Ladedrucks mit Hilfe einer verstellbaren Turbinengeometrie in Verbindung mit einem Waste-Gate. Diese ermöglicht einen wesentlich breiteren Betriebsbereich und trägt damit maßgeblich zu der beliebten Drehmomentcharakteristik moderner Dieselmotoren bei. Die elektronische Ladedruckregelung, die auf das Stellglied für die Verstellung der variablen Turbinengeometrie zugreift, ist mit weiteren Funktionen wie der Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung, vernetzt, um Wechselwirkungen zwischen den Systemen koordinieren zu können. Da der Ladedruck großen Einfluss auf das Emissionsverhalten hat, werden künftig auch komplexe Aufladekonzepte, wie Registerturbolader (Aufladung mit zwei oder mehr Ladern, wobei der Abgasstrom bei niedrigen Drehzahlen nur eine Turbine durchströmt, bei höheren Drehzahlen weitere Turbinen), zunehmend Verwendung finden. Der Aufwand für die Funktionsbedatung einer Ladedruckregelung ist erheblich (Funktion und Daten zusammen können bei 18000 Parametern rund 180 kByte RAM belegen), sodass eine modellbasierte Funktion schnellere Anpassungen an einen Motor erlaubt. Modellbasierte Funktionen für die Aufladeregelung sollen zudem helfen, die Komplexität der Steuervorgänge insbesondere unter dem Aspekt der Diagnosefähigkeiten zu beherrschen ([18], [19]). Um die Kalibrierung zu vereinfachen, wird das Verhalten des Abgasturboladers als physikalischer Wirkungszusammenhang vom Verdichtereintritt bis zum Turbinenaustritt in Funktionsblöcken dargestellt. Zur Modellierung der Motorsystemgrößen und zum Abgleich der einzelnen Teilmodelle werden Sensoren genutzt. Die modellbasierte Ladedruckregelung (Bild 2-13), erfasst die relevanten Zustandsgrößen und berechnet deren Auswirkungen im Voraus. Aus den Messgrößen und den Modellparameter werden die Verdichterdrehzahl und die Verdichterkenngrößen errechnet. So werden die markanten Zustandsgrößen des Verdichters erkannt und damit die Möglichkeit eröffnet, kritische Zustände, wie Pumpen (mit typischem Geräusch einhergehende, periodische Strömungsumkehr, verursacht durch zu kleinen Volumenstrom bei zu großem Druckquotienten) und Stopfen (erreicht der Luftstrom im Lader Schallgeschwindigkeit, ist keine weitere Steigerung des Volumenstroms möglich), durch Steuerungseingriffe zu verhindern.

2.1 Motormanagement

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Bild 2-13: Modellbasierte Ladedruckregelung

Die Möglichkeit, Zustandsgrößen des Turboladers zu schätzen, erweitert den Einfluss des Motorsteuergeräts auf Fahrbarkeit und Leistung. Weil die Abbildung der Laderstruktur im Motorsteuergerät modular aufgebaut ist, lässt sie sich gut an unterschiedliche Konfigurationen und Funktionsumfänge anpassen. Dazu zählen beispielsweise unterschiedliche elektrische Ansteuerungen oder variable Turbinenkonzepte, verschiedene Sensorkonzepte, aber auch Anwendungsgebiete wie Stufenaufladung [20] und die Abschätzung des Gesamtwirkungsgrades. 2.1.2.3.3 Abgasrückführung Mit der Rückführung von Abgas in den Ansaugtrakt (Abgasrückführung, AGR; Exhaust Gas Recirculation, EGR) lassen sich die NOx-Emissionen deutlich senken, weil der erhöhte Inertgasanteil im Zylinder durch Ladungsverdünnung sowohl die Brenngeschwindigkeit als auch die Verbrennungsspitzentemperatur senkt. In Motoren mit variabler Ventilsteuerung lässt sich die Abgasrückführung intern realisieren, weil hier die Überschneidung der Einlass- und Auslassventilöffnungszeiten gesteuert werden kann. Sonst erfolgt die Abgasrückführung extern über ein elektrisch angesteuertes Abgasrückführventil. Um im Ottomotor ein Ansteigen der HC-Emissionen und negative Einflüsse auf die Laufruhe durch zu hohe Abgasrückführraten zu vermeiden, muss die Abgasrückführung gesteuert werden. Das kann in Form eines Soll-Kennfelds geschehen, das die Abgasrückführung in Relation zum angeforderten Moment und der Motordrehzahl steuert. Im Schichtladebetrieb kann es erforderlich sein, durch Androsseln einen Unterdruck zu erzeugen, um extern Abgas zuführen zu können.

Im Dieselmotor beeinflusst die Abgasrückführung (Rückführraten liegen hier bis zu 60 %) die Rußemissionen. Deshalb ist das Abgasrückführventil hier überwiegend mit einem Positionssensor ausgestattet, der eine genaue Bestimmung der Ventilposition und damit eine hohe Regelgenauigkeit erlaubt. Als Regelgröße für die Abgasrückführung dient das Signal eines mikromechanischen Luftmassensensors (Näheres in Kapitel 11) im Ansaugtrakt. Da es eine Wechselwirkung zwischen Ladedruck sowie Abgasgegendruck einerseits und der Abgasrückführrate andererseits gibt, muss der Einfluss von Ladedruckschwankungen auf die Abgasrückführung beispielsweise bei Konzepten mit variabler Turbinengeometrie regelungstechnisch ausgeglichen werden. Schon früh wurden dazu Konzepte mit modellgestützter prädiktiver Mehrgrößenregelung [21] vorgeschlagen. Diese Einflüsse werden in modernen modellbasierten Ansätzen berücksichtigt. 2.1.2.3.4 Weitere Aktoren zur Füllungssteuerung Die steigende Komplexität des modernen, elektronischen Motormanagements hängt eng mit der Zahl der möglichen Stelleingriffe und damit der Aktoren zusammen. Im Ottomotor zählt hierzu beispielsweise die kontinuierliche oder diskontinuierliche variable Ventilsteuerung (Variabler Ventiltrieb, VVT), die unter anderem Voraussetzung für die innere Abgasrückführung ist. Um die Richtung und Geschwindigkeit der Ladungsbewegung an die Last und Drehzahl anzupassen, werden neben dem variablen Ventilhub auch Drallklappen als Stellglieder genutzt. Durch das Schließen eines von mehreren Einlasskanälen beispielsweise wird in Betriebsbereichen mit geringem Luftdurchsatz die Drallsteuerung optimiert.

18 Um die Länge und Geometrie des Saugrohrs je nach der Motordrehzahl verstellen zu können, werden so genannte Schaltsaugrohre eingesetzt. Eine gebräuchliche Variante sind zusätzliche Drosselklappen. Entsprechende Lösungen gibt es sowohl im Ottomotor als auch im Dieselmotor [22]. Zusätzliche Schaltklappen für den Ladeluftkühler dienen dazu, die Temperatur der Ladeluft einzustellen. Im Dieselmotor umfasst die Liste der möglichen, weiteren Aktoren ein Stellglied für Turbolader mit variabler Turbinengeometrie sowie ggfs. mehrstufige Aufladungskonzepte und einen Bypass des Ladeluftkühlers. In Niedrigemissionskonzepten wird außerdem zunehmend ein Bypass für den Abgasrückführungskühler eingesetzt. Ferner kommen analog zum Ottomotor auch im Dieselmotor zunehmend Drallklappen als Stellglieder zum Einsatz. Schließlich kann zur Unterstützung hoher Abgasrückführraten und zur Partikelfilterregeneration eine Drosselklappe dienen. 2.1.2.4 Zündung Leistungsfähige elektronische Zündsteuerungssysteme sind Bestandteil eines modernen Motorsteuergeräts. Aktuelle Systeme arbeiten zum großen Teil nach dem Prinzip einer ruhenden Hochspannungsverteilung ohne bewegliche Komponenten (d.h. ohne Verteiler). Aufgabe der Zündsteuerung im Ottomotor ist es, aus externen und internen Zündwinkelanforderungen einen koordinierten Sollwert zu bestimmen und die Zündsignale in der richtigen Folge über die Zündendstufen an die Einzelspulen auszugeben.

2 Motor und Antriebsstrang 2.1.2.4.1 Ermittlung des Sollwerts für den Zündzeitpunkt Beim Ottomotor im Homogenbetrieb wird der Sollwert für den Zündwinkel in der drehmomentbasierten Funktionsstruktur (vgl. Abschnitt 2.1.2.2) bestimmt. Dieser drehmomentbasierte Sollwert wird in der Zündungssteuerung in Richtung früh auf einen Basis-Zündwinkel und in Richtung spät auf einen Minimal-Zündwinkel limitiert (Bild 2-14). Der Basis-Zündwinkel ergibt sich aus dem Kennfeldwert für den maximalen Wirkungsgrad unter Berücksichtigung der Ansauglufttemperatur, des Luft-Kraftstoffverhältnisses, der Abgasrückführung und der Klopfbegrenzung, der Minimal-Zündwinkel aus den begrenzenden Kennfeldvorgaben für die zulässige Temperatur und die erwünschte Laufruhe. Ein übergeordneter Zustandsautomat (dynamischer Drehmomentmanager) kann in definierten Betriebszuständen drehmomentbasierte Zündwinkeleingriffe deaktivieren und den Basis-Zündwinkel als Sollwert vorgeben. Dadurch ist ein verbrauchsoptimierter Motorbetrieb möglich. Die Klopfregelung (vgl. Abschnitt 2.1.2.4.2) wirkt direkt auf den Basis-Zündwinkel und beeinflusst damit die Früh-Limitierung des zulässigen Zündwinkelfensters. Induktions- oder Hallgeber an der Kurbelwelle und an der Nockenwelle liefern die nötigen Informationen, um den Zündzeitpunkt mit dem Kurbelwinkel und dem Arbeitstakt der Zylinder zu synchronisieren. Bei einem Ottomotor, der mit Schichtladung betrieben wird, ist der Sollwert für den Zündzeitpunkt für jeden Lastpunkt des Motors fest in einem Kennfeld definiert, d.h. es liegt für jede gegebene Einspritzmenge ein optimaler Zündwinkel vor. Bei Betrieb mit Ladungsschichtung wird der Zündwinkel-Sollwert aus einem last- und drehzahlabhängigen Kennfeld ermittelt. Die Werte in diesem Kennfeld stehen in enger Wechselwirkung mit den Werten für das Einspritz-Phasing (vgl. Abschnitt 2.1.2.5.1).

Bild 2-14: Ermittlung des Zündzeitpunkt-Sollwertes im Homogenbetrieb

2.1 Motormanagement Da die Drehmomenteneingriffe im Schichtbetrieb über eine Einspritzmengenanpassung dargestellt werden, sind drehmomentenbasierte Zündwinkeleingriffe nicht notwendig. Der Motor kann in dem Fall immer mit dem für die gegebene Einspritzmenge und dem gegebenen Einspritz-Phasing optimalen Zündwinkel betrieben werden. 2.1.2.4.2 Klopfregelung Ein geschlossener Regelkreis verhindert im fremdgezündeten Motor die Selbstzündung (klopfende Verbrennung) mit ihren unerwünscht hohen Druckspitzen. Das Regelziel besteht darin, den Motor möglichst dicht an der Klopfgrenze zu betreiben, weil so der beste Wirkungsgrad erzielt wird. Als Signal kann prinzipiell entweder der Druckverlauf im Brennraum dienen, der Lichtverlauf im Brennraum, der Ionenstrom im Brennraum oder der Beschleunigungsverlauf am Kurbelgehäuse >23@. In der Großserie wird bisher überwiegend das vom Beschleunigungsverlauf erzeugte Körperschallsignal des Zylinderkurbelwellengehäuses als Resultat von Brennraumdruckschwingungen erfasst und (über die Kurbelwinkelstellung) zylinderselektiv ausgewertet. Das Rohsignal eines Piezo-Sensors wird in einem Klopf-IC aufbereitet und in einem Mikrocontroller mit hinterlegten, motorspezifischen Klopfgrenzwerten für den Körperschall verglichen. Erkennt der Mikrocontroller an der Höhe des Klopfsignals eine Grenzwertüberschreitung, gibt er bei nicht aufgeladenen und bei aufgeladenen Motoren ein Korrektursignal für den Zündwinkel Richtung spät aus, das mit der Höhe des Klopfsignals korreliert. Bei aufgeladenen Motoren wird zusätzlich ein Korrektursignal für den Ladedruck ausgegeben. 2.1.2.4.3 Schnittstellen zur Basis-Software In die elektronische Steuerung der Zündung ist eine Schließwinkelsteuerung integriert, die vom errechneten Soll-Zündzeitpunkt aus rückwärts den dazugehörigen Schließbeginn der jeweiligen Leistungstransistorendstufe für den Primärkreis bestimmt, damit bis zum Zündzeitpunkt der nötige Strom im Primärkreis der angesteuerten Zündspule erreicht ist (ausreichende Aufladezeit). Die Schließzeiten sind für alle Betriebspunkte in einem Schließwinkelkennfeld hinterlegt, das Motordrehzahl und Batteriespannung berücksichtigt. Die Schließzeit ergibt sich aus dem Energiebedarf der Zündung, der wiederum von der Zylinderfüllung und der Kompression abhängig ist. Bei bestimmten Betriebszuständen, wie etwa beim Motorstart, bei Magerbetrieb und bei vordefinierten Last- oder Drehzahlbereichen erfolgt eine Mehrfachzündung.

19 2.1.2.5 Einspritzung Das Einspritzsystem spielt für die Senkung des Kraftstoffverbrauchs und die innermotorische Emissionsminderung eine zentrale Rolle. Neue Brennverfahren im Ottomotor und neue Aktoren [24] im Otto- und im Dieselmotor eröffnen hier zusätzliche Verbesserungsmöglichkeiten, stellen aber höhere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Motorsteuergeräts (Rechenkapazität der Prozessoren). Ein Beispiel liefert die Echtzeit-Regelung des Ansteuerstroms, mit der sich der zylinderindividuell geregelte Teilhub einer Injektornadel in einem Dieselmotor mit Piezo-Pumpe-DüseSystem realisieren lässt ([11], [22]). Unabhängig vom Motortyp stellen Piezo-Aktoren höhere Anforderungen an die Steuereinheit, weil die Vorteile der PiezoTechnik nur mit einer leistungsfähigen Steuerung nutzbar sind, die insbesondere optimale Strom- und Spannungsverläufe der Ansteuerung berechnet und unerwünschte Effekte des Aktorprinzips kompensiert [25]. 2.1.2.5.1 Ottomotor mit Direkteinspritzung Soll-Einspritzmenge In Ottomotoren mit Direkteinspritzung umfasst die Einspritzmengenzumessung zwei Betriebszustände: Im homogenen Modus wird quantitativ geregelt. Zu der auf dem Vorwärtspfad des Saugrohrmodells ermittelten Ist-Füllung des Motors wird eine für das gewünschte Luft-Kraftstoffgemisch notwendige Kraftstoffmenge zugemessen. In diesem Betriebsmodus unterscheidet sich der Otto-Direkteinspritzer nicht grundsätzlich vom Saugrohreinspritzer mit stöchiometrischem Betrieb O = 1. Im geschichteten Betrieb bei hohem Luftüberschuss (O > 1,5) wird dagegen qualitativ geregelt. Die Einspritzmenge ist momentenbasiert und eine Ausgangsgröße des Rückwärtspfades des Momentenmodells. Das erforderliche Drehmoment an der Kurbelwelle dient hier zur Definition der Kraftstoff-SollEinspritzmenge. Damit entspricht die Regelaufgabe in diesem Betriebsmodus den Gegebenheiten im Dieselmotor. Einspritz-Phasing Unter Einspritz-Phasing versteht man die Steuerung der kurbelwinkelbezogenen Position des Einspritzpulses vom Spritzbeginn bis zum Spritzende. Beginn und Ende der Einspritzung im Otto-Direkteinspritzer steuert das Motorsteuergerät abhängig von der Verbrennungsart. Im homogenen Betrieb beginnt die Einspritzung früh während des Ansaugtrakts, damit sich Luft und Kraftstoff gut vermischen. Im Schichtladebetrieb erfolgt die Einspritzung dagegen möglichst spät, d.h. erst am Ende des Kompressionstakts. Ein zündfähiges Gemisch entsteht dabei nur in unmittelbarer Nähe zur Zündkerze, sodass Einspritzende und Zündzeitpunkt innerhalb eines sehr kurzen Zeit-

20 fensters liegen. Da Beginn und Ende der Einspritzung davon abhängig sind, welche Menge an Kraftstoff zugemessen werden muss, definieren die Einspritzdauer und der Zündzeitpunkt den spätesten, möglichen Spritzbeginn. Da selbst kleine Änderungen der Einspritzmenge großen Einfluss auf die Rohemissionen haben, sind die Ansprüche an die Regelgenauigkeit bei der Direkteinspritzung mit Schichtladung hoch. Besonders gilt das für strahlgeführte Brennverfahren, bei denen die Kontrolle über den Einspritzvorgang hochgenau sein muss, um einen aussetzerfreien Betrieb, ein optimal niedriges Niveau bei den Rohemissionen und gute Voraussetzungen für die Abgasnachbehandlung zu erzielen. Die Anforderungen an den Einspritzdruck, an die Genauigkeit der Kraftstoffzumessung, an die Strahlaufbereitung, an das stabile Strahlbild. sowie vor allem an die Genauigkeit des Einspritzzeitpunktes haben dazu geführt, dass die beim direkteinspritzenden Dieselmotor bereits seit dem Jahr 2000 in Serie befindliche Einspritzung mit Piezo-Aktor >26@ seit dem Jahr 2006 auch bei Ottomotoren mit Direkteinspritzung zum Einsatz kommt [14]. Die genannte Lösung basiert auf einem 32-Bit-Motorsteuergerät und der in Abschnitt 2.3.4.3 beschriebenen Plattformarchitektur. Eine flexible Gestaltung brennverfahrensrelevanter Parameter ist hier möglich, weil das Motorsteuergerät unter anderem einen weitgehend frei definierbaren Nadelhub (Hubhöhe und -geschwindigkeit) sowie Mehrfacheinspritzungen mit bis zu drei Einspritzimpulsen pro Zylinder und Arbeitszyklus bietet. Die Nadelöffnungs- und Nadelschließgeschwindigkeit kann für jeden Zylinder individuell eingestellt werden, indem die Rampensteilheit während der Ladung und Entladung des Piezo-Aktors entsprechend gesteuert wird. Bei Mehrfacheinspritzungen im unteren und mittleren Lastbereich wird die Lage der Einspritzimpulse an die Erfordernisse des Brennverfahrens sowie der Abgasnachbehandlung angepasst. Weil das Spannungsniveau bei geladenem PiezoAktor mit dem Nadelhub korreliert, kann das Motorsteuergerät den Hub durch Anpassung des Spannungsniveaus bei Ladung und Entladung in einem relativ weiten Bereich einstellen. Auf diese Weise lässt sich über den Teilnadelhub eine präzise und wiederholgenaue Einspritzung von Kleinstmengen darstellen. Fertigungsbedingte Unterschiede in den Injektordurchflüssen lassen sich durch die Nadelhubanpassung auf eine gemeinsame Durchflusskennlinie justieren. Ein wesentlicher Vorteil der Piezo-Aktorik liegt darin, dass die elektrischen Kenngrößen des Aktors erfasst werden können und damit einerseits eine geregelte Ansteuerung möglich ist, andererseits die erforderliche Funktionsüberwachung (On-BoardDiagnose) realisiert werden kann.

2 Motor und Antriebsstrang Kraftstoffdrucksteuerung Mit einem steigenden Einspritzdruck steigt auch die Güte der Kraftstoffzerstäubung. Bei neuen Brennverfahren, wie der strahlgeführten Verbrennung, sind auch im Ottomotor bereits Einspritzdrücke bis zu 20 MPa erforderlich, um im Schichtladebetrieb Sauterdurchmesser von beispielsweise 15 µm und damit ein zündfähiges Gemisch zu erzielen. Der Sauterdurchmesser bezeichnet den Durchmesser eines Tröpfchens, der das gleiche Verhältnis von Volumen zu Oberfläche hat wie der betrachtete zerstäubte Kraftstoff. Da die Antriebsleistung der erforderlichen Hochdruckpumpe jedoch den Kraftstoffverbrauch erhöht, muss das Motorsteuergerät beide Auswirkungen für jeden Betriebszustand ausbalancieren. Da der Vorlaufdruck in der Kraftstoffleitung zur Dosierung konstant gehalten werden muss, ist ein Bypass-Ventil als Kraftstoffdruckregler (Proportionalregler) in den Kraftstoffkreislauf eingebaut. Pulsationen und Einflüsse schneller Lastwechsel, die vom Druckregler nicht ausgeglichen werden können, kompensiert ein zusätzlicher Kraftstoffdruckdämpfer. Startfunktionen Während der Startphase muss das Motorsteuergerät im direkteinspritzenden Ottomotor folgende Aufgaben erfüllen: Synchronisation der Informationen von Kurbelwellen- und Nockenwellensensor und frühestmögliche Bereitstellung der Lageinformationen der einzelnen Zylinder, Berechnung einer von der Starttemperatur abhängigen Korrekturmenge für die Einspritzung (Kaltstartanreicherung), um einen teilweisen Niederschlag des Kraftstoffes auf kalten metallischen Oberflächen zu kompensieren, Berechnung von Einspritzzeit und Einspritz-Phasing, u.a. abhängig von Drehzahl, Last, Kühlwassertemperatur und Anzahl der Arbeitsspiele, unter Berücksichtigung der gewählten Startstrategie (Hochdruckstart, Niederdruckstart) Einbringung der Einspritzmenge in den nächstmöglichen Zylinder. Der Zylinder mit der ersten Einspritzung wird so gewählt, dass ein Einspritzen in ein offenes Auslassventil auf jeden Fall vermieden wird. Zündzeitpunkt und Drosselklappenposition sind in der Startphase fest vorgegeben. Erst nach dem Motorhochlauf und dem Überschreiten einer definierten Drehzahlschwelle erfolgt die Umschaltung auf die Sollwerte der Drehmomentenstruktur. Im Warmbetrieb erfolgt die Kompensation des Wandniederschlags bei der Berechnung der Einspritzmenge basierend auf einem Wandbenetzungsmodell. Will man die Entstehung von HC-Emissionen in der Kaltstartphase innermotorisch begrenzen, so ist eine Steuerung erforderlich, die flexibel auf sich sehr schnell verändernde Randbedingen instationärer

2.1 Motormanagement Vorgänge reagieren kann. Ein vorgeschlagener Lösungsweg besteht in der zylinderdruckverlaufsbasierten Steuerung mit einem thermodynamisch basierten Ansteuermodell für den Kaltstart. Die Kraftstoffmasse wird dabei mit dem Ziel der möglichst geringen Anreicherung zugemessen und der Zündzeitpunkt zyklusindividuell angepasst, um den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen zu senken [27]. 2.1.2.5.2 Ottomotor mit Saugrohreinspritzung Bei einem Ottomotor mit Saugrohreinspritzung erfolgt die Einspritzmengenberechnung analog zu der im direkteinspritzenden Ottomotor im Homogenbetrieb. Beginn und Ende der Einspritzung sind für die verschiedenen Betriebspunkte in Kennfeldern des Motorsteuergeräts abgelegt. Mit einem Betriebsdruck von rund 350 kPa (mit Rücklauf oder rücklauffrei) stellt das Kraftstoffsystem jedoch wesentlich geringere Anforderungen an die elektronische Steuerung als das Hochdrucksystem des direkteinspritzenden Ottomotors. Die Druckregelung erfolgt beim Saugrohreinspritzer über ein Druckregelventil, in dem eine Druckmembran mit dem Saugrohrdruck beaufschlagt wird. 2.1.2.5.3 Dieselmotor Die Fahrbarkeit des Dieselmotors wird maßgeblich von der Einspritzung definiert. Für die Umsetzung des Fahrerwunsches in das erforderliche Motordrehmoment spielt die Steuerung und Regelung der Einspritzung daher eine zentrale Rolle. Auch emissionsund geräuscharme Verbrennungsvorgänge lassen sich beim Dieselmotor nur realisieren, weil immer leistungsfähigere Motorsteuergeräte in Verbindung mit

21 schnelleren Aktoren und hoch entwickelten Steuerund Regelfunktionen mehr Flexibilität bei der Zahl der einzelnen Vor-, Haupt- und Nacheinspritzungen, deren Zumessgenauigkeit (zum Beispiel bei der Voreinspritzung ± 0,5 mm3 je Hub, bei der Haupt- und der Nacheinspritzung ± 0,7 mm3 je Hub [11]) sowie der zeitlicher Anordnung und der Spritzverläufe ermöglichen (Bild 2-15). Bei Euro 4 Piezo-PumpeDüse-Elementen auf dem Entwicklungsstand von 2005 waren beispielsweise bereits flexible Mehrfacheinspritzungen mit 1,5 mm3 Mindesteinspritzmenge (bei Voreinspritzung) und hoher Wiederholgenauigkeit in der Serie realisiert [11]. Zu den hauptsächlichen Entwicklungstreibern bei der Einspritzsteuerung zählen neben der Akustik die Emissionswerte und der Kraftstoffverbrauch. Seit der zunehmenden Verwendung von Injektoren und Pumpe-Düse-Elementen mit Piezo-Aktorik in Vielschichtkeramikbauweise hat sich die Steuerungssituation insofern verändert, als nun nicht mehr die elektromechanischen Grenzen der Magnetventile definieren, wie detailliert der Auslenkungsverlauf und die Endauslenkung der Düsennadel und des Steuerventils gesteuert werden, sondern die Prozessorkapazität des Motorsteuergeräts. Ein Novum stellt die Möglichkeit dar, den Aktor zugleich als Geber zur laufenden Beobachtung des Lastspiels während des Einspritzvorgangs zu verwenden. Dazu sind präzise Simulationsmodelle des genauen elektrischen und mechanischen Aktorverhaltens unter allen Betriebsbedingungen erforderlich, denn die tatsächliche Auslenkung des Aktors ist im Motor aktuell nicht sensierbar.

Bild 2-15: Strategien für Mehrfacheinspritzung: Die rechts oben abgebildete Mehrfacheinspritzung wird unabhängig vom Betriebspunkt zur Regeneration des Partikelfilters (DPF) oder des NOx-Speicherkatalysators (NOx Trap) eingesetzt

22 Der Rückschluss auf die jeweilige Einspritzmenge erfolgt durch Modellierung des Injektorverhaltens bei definierten Rahmenbedingungen [24]. Kompensationsfunktionen Neben der bereits besprochenen Zylindergleichlaufregelung (vgl. Abschnitt 2.1.2.2.3) als Teil der Drehzahlregelung kommen im Dieselmotor weitere Kompensationsfunktionen zum Einsatz, mit denen die Kraftstoffzumessung unter sich verändernden Randbedingungen in engen Toleranzen gehalten werden kann. Die Ansteuerdauer der Injektoren ist für jede SollZumessung als einzelner Einspritzvorgang in einem Kennfeld kalibriert. Bei Mehrfacheinspritzungen wirken sich jedoch Druckwellen aus, die von den vorausgegangenen Einspritzungen erzeugt werden. Damit liegen veränderte Ausgangsbedingungen gegenüber der Kennfeldkalibrierung vor. Ohne eine Kompensationsmaßnahme würde die tatsächlich eingespritzte Menge daher je nach der Phasenlage der Druckschwingung nach oben oder unten vom Sollwert abweichen. Um die Einspritzdauer den Druckverhältnissen anzugleichen, werden die Druckschwingungen charakterisiert und modelliert. In der Einspritzdauerausgleichsfunktion sind entsprechende Korrekturterme hinterlegt, die bei der Steuerung der Einspritzung berücksichtigt werden. Mit dieser Steuerungsmaßnahme lassen sich typische Druckwelleneinflüsse in beliebigen Einspritzprofilen, wie der geteilten Haupteinspritzung (Split-Main), Vor- und Haupteinspritzung (Pilot-to-Main) sowie Haupt- und Nacheinspritzung (Main-to-Post), kompensieren. Mit der Kompressionsarbeit der Hochdruckpumpe, der starken Aufheizung durch die Expansion des vorgespannten Kraftstoffes infolge der Injektorleckage und dem Wärmeaustausch entlang des hydraulischen Kraftstoffpfads (Abstrahlung des Zylinderkurbelwellengehäuses und Konvektionsverhältnisse im Motorraum) bestehen zahlreiche Einflüsse auf die Temperatur und damit auf die Dichte und Viskosität des Kraftstoffs. Schwankungen der Kraftstofftemperatur beeinflussen auch die Emissionen in gewissen Grenzen >28@. Typischerweise steht nur eine Messstelle, entweder am Hochdruckeingang der Pumpe oder auf der Leckageseite, als Informationsquelle zur Verfügung, sodass Abweichungen zwischen der Temperatur an der Messstelle und der tatsächlichen Temperatur am Injektor bestehen können. Eine Kompensationsfunktion berechnet diesen Temperaturunterschied abhängig von der Positionierung des Sensors und passt die Kraftstoffvolumenzumessung entsprechend an. Zum Ausgleich von Fertigungstoleranzen sowie von alterungsbedingten Einflüssen auf das Injektorverhalten dient eine Funktion, mit der sich die Mengenkennlinien der Injektoren für kleinste beziehungsweise kleine Mengen zylinderindividuell einstellen las-

2 Motor und Antriebsstrang sen. Dazu dient ein Rückkopplungsmechanismus, auf dessen Basis der Einspritztreiber für jeden Injektor angepasst wird. Zwei Verfahren sind hier üblich: Entweder wird mit einem Klopfsensor, wie im Ottomotor, die Art und Stärke der Verbrennungsvibration erkannt und in eine Kleinstmengenadaption umgesetzt, oder die zeitliche Veränderung des Drehzahlsignals wird mit statistischen Methoden ausgewertet (Drehzahlabfall über einen bestimmten Bereich), um die Einspritzmenge einschätzen zu können und den Einspritztreiber über eine Modellfunktion anzupassen. Eine andere Strategie zur Kompensation von Fertigungstoleranzen und der Langzeitdrift von Injektoren verwendet das Signal einer O-Sonde im Abgastrakt des Dieselmotors, um den Verbrennungsvorgang im Zylinder zu überwachen. Entsprechende Lösungen in der Serie und in der Entwicklung nutzen das Signal des Luftmassensensors im Ansaugtrakt und die Information über den Restsauerstoffgehalt im Abgasstrom dazu, zurück zu rechnen, welche Kraftstoffmasse tatsächlich eingespritzt wurde. Ergänzend zur Injektorvorsteuerung besteht so die Möglichkeit, den Luftmassen-Sollwert für jeden Betriebspunkt zu adaptieren. Durch Stelleingriffe bei der Abgasrückführung und ggfs. durch Drosselung wird die Luftmasse entsprechend eingeregelt. Abweichungen gegenüber den am idealen Motor ermittelten Luftmassen-Soll-Kennfeldwerten lassen sich mit einem solchen Ausgleichsverfahren in ihrer Auswirkung auf die Emissionen kompensieren. Bei weiter steigenden Emissionsanforderungen gewinnt eine möglichst genaue Regelung des tatsächlichen Brennvorgangs an Bedeutung. In künftigen Lösungen wird möglicherweise der gemessene Druckverlauf als Grundlage für den Übergang von der heute verwendeten Einspritzsteuerung zu einer Regelung der Verbrennung dienen (Closed Loop Combustion Control). Geeignete großserienfähige Sensoren auf Piezo-Basis befinden sich derzeit wahlweise als passives oder als aktives System (mit integriertem ASIC für die Temperaturkompensation, als Speicher für die Kalibrationsdaten und für Diagnosefunktionen) in der Entwicklung. Beide sind zur Integration in die Glühkerze vorgesehen. Die passiven Piezo-Drucksensoren liefern als Resultat der Detektion von Körperschallschwingungen eine Spannung, die als Signal zur Berechnung des Brennraumdrucks verwendet wird. Die aktiven Piezo-Drucksensoren liefern dagegen einen absoluten Wert und benötigen keine Kalibrierung. Mit einer derartigen Sensierung ließe sich die Auswirkung der Einspritzung auf die Verbrennung direkt messen und durch Einfluss auf die Einspritzung auch regeln. Bei ausreichend hoher Sensorgenauigkeit wäre mit dieser Regelschleife auch eine optimale Zylindergleichlaufregelung möglich. In jedem Fall würde die Erfassung des maximalen Drucks im Brennraum einen Beitrag zum Bauteil-

2.1 Motormanagement schutz in hoch belasteten Dieselmotoren leisten. Ebenfalls stark abhängig von der erreichbaren Sensorgenauigkeit ist eine mögliche Regelung des Luftpfades. Startfunktionen Sowohl die Selbstentzündung des Luft-Kraftstoffgemischs als auch die Verbrennung reagieren sensibel auf niedrige Umgebungstemperaturen. Auch wenn der Motor durch längeren Schubbetrieb auskühlt, kommen Maßnahmen der Kaltstartunterstützung zum Einsatz, um die Emissionswerte zu senken. Bereits unterhalb einer Kaltstartgrenztemperatur von 60 °C verändert deshalb das Motorsteuergerät die Einspritzzeiten und -mengen, um die Laufruhe des Motors und die Lastannahme zu verbessern sowie um Schallpegel und Rauchdichte (durch unvollständige Verbrennung) zu reduzieren. Beim Direkteinspritzer ist insbesondere unterhalb von 0 °C Starthilfe durch Glühkerzen als indirekte, lokale Zündhilfe erforderlich. Das Motorsteuergerät muss vorrangig den mit sinkender Temperatur der Zylinderladung stark ansteigenden Zündverzug kompensieren. Gleichzeitig sollten der maximale Druckanstieg und der Brennbeginn nahe am oberen Zünd-Totpunkt liegen. Einspritzung bei einem höheren maximalen Einspritzdruck verbessert die Gemischbildung des niedrig viskosen Kraftstoffs und verringert so den physikalischen Zündverzug. Dies kann durch mehrere Einspritzungen und mehr Kraftstoff unterstützt werden. Bei selbstregelnden Glühkerzen erfolgt die Ansteuerung durch das Motorsteuergerät über ein Relais oder einen elektronischen Schalter, in geregelten Systemen gibt das Motorsteuergerät den jeweiligen Glühbedarf als Sollwert an ein untergeordnetes Glühsteuergerät vor. Anders als beim Ottomotor spielen spezielle Warmlauffunktionen zum schnellen Aufheizen des Katalysators beim Dieselmotor bislang eine eher untergeordnete Rolle, weil die HC- und CO-Rohemission günstiger sind. Zudem wirkt sich die Heizleistung der Vorglühanlage auch nach erfolgtem Motorstart positiv auf das Emissionsverhalten während des Warmlaufs aus. Limitierende Faktoren sind hierbei die thermische Belastung der Glühkerzen sowie der Kraftstoffmehrverbrauch durch die benötigte elektrische Leistung. Es ist dennoch zu erwarten, dass Warmlauffunktionen auch beim Dieselmotor verstärkt Einzug halten, da Ruß- und NOx-optimierte Brennverfahren mehr HC und CO erzeugen. So gibt es bereits Anwendungen, bei denen der Abgasrückführkühler während des Warmlaufs abgeschaltet werden kann [22]. Bedingt durch das ungünstige Kälteverhalten von Dieselkraftstoff stellt der zuverlässige Kaltstart bei Minustemperaturen eine Herausforderung dar. Für einen zügigen Start ist ein schneller Druckaufbau in der Einspritzpumpe wichtig, wozu das Mengenregelventil zunächst auf Vollförderung gestellt wird, bis ein Grenzdruck erreicht ist. Nach erfolgtem Start wird

23 die Verbrennung durch Anpassung von Einspritzzeitpunkt und Abgasrückführrate stabilisiert. Um den Kraftstoff anschließend zügig anzuwärmen und ein Verstopfen des Kraftstofffilters durch auskristallisierte Paraffine zu verhindern, gibt es zwei Verfahren: Entweder wird die durch Kompressionsarbeit erzeugte Wärme des unter Hochdruck stehenden, aber zum Zeitpunkt der Hochdruckabsteuerung von Pumpe und Injektoren nicht eingespritzten Kraftstoffs als Abwärme genutzt, oder es wird ein elektrischer Heizer verwendet. 2.1.2.6 Abgasnachbehandlung Bei Ottomotoren mit äußerer Gemischbildung ist die O-geregelte Abgasnachbehandlung im 3-WegeKatalysator Stand der Technik. Ein geschlossener Regelkreis mit einer O-Sonde im Abgasstrom direkt hinter dem Krümmer dient dazu, die bestmögliche Schadstoffkonvertierung zu gewährleisten. Dazu bewirkt die Regelung abwechselnd eine Sauerstoffaufladung im Katalysator (zur NOx-Reduktion) und eine anschließende Sauerstoffentleerung (zur Oxidation von CO und HC). Regelungstechnisch kann dieser wellenförmige Zyklus auf zwei Weisen realisiert werden: Eine O-Sonde für eine binäre ORegelung nutzt den Vergleich der Nernst-Spannung einer abgasseitigen Elektrode mit der einer Referenzelektrode in Luft als Grundlage für die Kraftstoffmengenkorrektur. Nach dem Prinzip einer Zweipunktregelung mit impliziter Anregung lässt sich eine Schwankungsbreite von etwa 3 % um den stöchiometrischen Punkt (O = 1) einstellen. Bei einer Breitband-O-Sonde für die stetige O-Regelung erfolgt die Messung der Gemischzusammensetzung in Form eines kontinuierlich veränderlichen Wertes [17]. Dies bedeutet, dass diese Regelung nicht grundsätzlich das Regelziel O = 1 verfolgen muss. Daher eignet sie sich besonders gut zur Steuerung mager betriebener Motoren und direkteinspritzender Ottomotoren. Auch ein geregelter Warmlauf ist damit möglich. Um die gewünschte O-Schwankung zu erzielen, bedarf es einer pulsierenden Zwangsanregung, die auf den OSollwert beaufschlagt wird. Anders als bei der binären Regelung, ist diese Zwangsanregung einstellbar und ermöglicht einen höheren Katalysator-Wirkungsgrad. Eine zweite, meist binäre O-Sonde nach dem Katalysator dient sowohl zur Diagnose der Katalysatorfunktion als auch zur Trimmung der Abgas-ORegelung auf der Eingangsseite des Katalysators. Das dort gemessene O wird mit dieser Trimmregelung in einen korrigierten Wert umgerechnet. Aus diesem korrigierten O und einem gefilterten O-Sollwert, der Sekundärlufteinflüsse, die Gaslaufzeit und das Verzögerungsverhalten der O-Sonde berücksichtigt, ergibt sich die Regelabweichung, die in die Einspritzmengenberechnung eingeht.

24 Die Regeneration und Entschwefelung des NOxSpeicherkatalysators bei direkteinspritzenden Ottomotoren erfolgt analog zu der nachfolgend für den Dieselmotor beschriebenen Vorgehensweise. Beim Dieselmotor kann der Partikelfilter zukünftig als Stand der Technik angesehen werden. Um die Komplexität des Gesamtsystems zu begrenzen, wird versucht, eine zusätzliche Maßnahme zur NOxReduktion zu vermeiden. Ob dies für alle Fahrzeugklassen und vor allem für die strengen amerikanischen Abgasgrenzwerte gelingt, ist allerdings noch offen. Der Partikelfilter stellt in seiner ursprünglichen Eigenschaft, der Abscheidung von Rußpartikeln, zunächst ein passives Bauteil dar, welches keine zusätzlichen aktiven Maßnahmen erfordert. Lediglich zum Abbrand der abgeschiedenen Partikel, d.h. zur zyklischen Regeneration, ist ein Eingriff durch die Motorsteuerung notwendig, bei dem die erforderliche Abgastemperatur eingestellt wird. Diese liegt bei beschichteten Filtern (CSF, Catalysed Soot Filter) bei etwa 600 °C und für Systeme mit einem kraftstoffbasierten Abbrandadditiv (FBC, Fuel Born Catalyst) bei etwa 450 °C. Um diese Temperaturen unter allen Betriebsbedingungen erreichen zu können, wird durch Kraftstoff-Nacheinspritzung in die Verbrennung der vorhandene Restsauerstoff exotherm umgesetzt. Dies kann durch weitere Maßnahmen, wie Drosselung der Ansaugluft oder Spätverlagerung der Einspritzung, flankiert werden. Ein limitierender Faktor für die Nacheinspritzung stellt die Verdünnung des Ölfilms auf der Zylinderwand durch unverbrannten Kraftstoff dar. Außerdem muss die thermische Belastung des Turboladers und des Katalysators beachtet werden, sodass eine sorgfältige Verbrennungsabstimmung erforderlich ist. Da eine Anhebung der Abgastemperatur zu einer Verschlechterung des Wirkungsgrads führt, müssen die Regenerationsintervalle optimal gewählt werden. Nachteilig wirkt sich hierbei aus, dass kein echtes Messsignal zum Grad der Beladung des Filters mit Rußpartikeln existiert. Meist wird ersatzweise der Abgasgegendruck verwendet. Da er nur eine schlechte Korrelation zur tatsächlichen Beladung zeigt, wird der Wert üblicherweise durch spezielle Beladungsmodelle verbessert [22]. Zur NOx-Reduktion beim Dieselmotor gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die den erforderlichen Wirkungsgrad besitzen: Entweder es kommt Harnstoff zum Einsatz (Selective Catalytic Reduction, SCR), oder ein NOx-Speicherkatalysator (NOx storage trap). Bei der Harnstoff-SCR-Technologie wird das Reduktionsmittel in den Abgasstrang eingedüst und dort über einen Vorkatalysator zu Ammoniak umgewandelt, der an einem nachgeschalteten SCR-Katalysator abgeschieden wird. Aufgrund seiner hohen Selektivität ist Ammoniak in der Lage, Stickoxide auch im mageren Motorbetrieb unter Anwesenheit von Rest-

2 Motor und Antriebsstrang Luftsauerstoff zu reduzieren. Der NOx-Speicherkatalysator dagegen speichert Stickoxide lediglich im mageren Betrieb und muss, ähnlich einem Partikelfilter, periodisch regeneriert werden. Hierzu wird kurzzeitig eine reduzierende Abgaszusammensetzung, also O < 1, benötigt. Diese Betriebsart ist grundsätzlich beim direkteinspritzenden, magerlaufenden Ottomotor und beim Dieselmotor identisch, jedoch ist sie beim Dieselmotor insbesondere bei höheren Lasten und Drehzahlen deutlich aufwändiger darstellbar. Auch setzt eine mögliche Verdünnung des Ölfilms an der Zylinderwand durch Kraftstoff-Nacheinspritzung dem Fettbetrieb Grenzen. Neben der Alterungsempfindlichkeit bei hohen Abgastemperaturen stellt die hohe Schwefelempfindlichkeit dieser Technologie einen weiteren Nachteil dar. Daher muss nach Unterschreiten einer Restaktivitätsschwelle in gewissen Intervallen eine Entschwefelung des NOx-Speicherkatalysators durchgeführt werden. Die Entschwefelung erfolgt ebenfalls bei O < 1 und zusätzlich bei Abgastemperaturen von rund 650 °C und ist damit der Betriebszustand, der den höchsten Steuerungsaufwand erfordert. Der drehmoment- und geräuschneutrale Übergang zwischen all diesen Betriebsmodi stellt eine hohe Anforderung an die Zumessgenauigkeit der Einspritzung und des Luftpfades dar und wird von einem übergeordneten Betriebsarten-Manager geregelt. 2.1.2.6.1 Betriebsartenmanager für die Abgasnachbehandlung Zu den Funktionen des Motorsteuergeräts gehört ein Betriebsartenmanagement, das je nach Fahrzeug unterschiedliche Aufgaben erfüllt: Um beispielsweise die Aufheizzeit des Katalysators in der Kaltstartphase zu verkürzen, kann der Motor vorübergehend mit einem sehr fetten Gemisch (O = 0,6 bis 0,7) und bei Zündwinkelspätverstellung betrieben werden. Gleichzeitig wird bei Sekundärluftkonzepten zusätzliche Frischluft in den Krümmer eingeblasen, sodass in einem motornahen Katalysator eine hoch exotherme Gasreaktion abläuft, die ihn schnell aufheizt. Das Motorsteuergerät steuert diesen Betriebszustand und koordiniert die dafür erforderlichen Stellglieder. Bei Ottomotoren muss das Motorsteuergerät die NOxReduktion steuern und die dafür realisierten Nachbehandlungssysteme unterstützen. Dazu wird ein motornaher Vorkatalysator für die Grenzwerte im Kaltstart mit einem motorfernen Speicherkatalysator für den Magerbetrieb kombiniert. Die bei Magerbetrieb im motorfernen Speicherkatalysator akkumulierten Stickoxide müssen durch Umschalten auf fetten Fahrbetrieb zyklisch desorbiert und anschließend im Modus eines 3-Wege-Katalysators im Speicherkatalysator reduziert werden. Das Motorsteuergerät nimmt mit seinen Eingriffen dabei Einfluss auf die

2.1 Motormanagement kritische Temperaturführung im Abgastrakt. Bei Dieselmotoren kommt dem Betriebsartenmanager hauptsächlich die Aufgabe der Regeneration des Partikelfilters zu. Durch Nacheinspritzungen und andere Maßnahmen wird hier die Abgastemperatur angehoben. Für künftige Anwendungen erweitert sich der Aufgabenbereich um die NOx-Regeneration wie beim mager laufenden Ottomotor. 2.1.2.7 On-Board-Diagnose Das niedrige Emissionsniveau aktueller Kraftfahrzeuge wird nur durch komplexe Motorsteuerungsfunktionen und eine wirkungsvolle Abgasnachbehandlung erzielt. Die schon lange existierenden, zyklischen Off-Board-Diagnosen (Werkstattuntersuchungen, Hauptuntersuchungen) eignen sich nicht, um bei Fehlern in abgasrelevanten Komponenten und Funktionen zeitnah ein Überschreiten der Emissionsgrenzwerte zu erkennen und den Fehler damit schnell beheben zu können. Dazu ist eine kontinuierliche Überwachung im Fahrbetrieb nötig. Unter der Bezeichnung On-Board-Diagnose (OBD) verlangt der US-Bundesstaat Kalifornien seit 1990 eine solche Diagnose abgasrelevanter elektrischer Komponenten als Teil der Motorsteuerungsfunktionalität („Komponentenüberwachung“). Bei dieser ursprünglichen OnBoard-Diagnose werden Fehler erkannt, die beispielsweise durch fehlende Kontaktgabe, Leitungsbrüche, Kurzschlüsse etc. verursacht werden. Seit 1996 gilt in den USA die erweiterte OBD II, bei der alle abgasrelevanten Komponenten, Funktionen und Prozesse überwacht werden („Funktionsüberwachung“) [29]. Das überwachte Fehlerspektrum umfasst seither auch Plausibilitätsprüfungen für komplette Unterfunktionen, Sensoren und Stellglieder [30]. In Europa gilt seit 1. Januar 2000 für alle neuen Pkw mit Ottomotor die Europäische On-BoardDiagnose (EOBD) Richtlinie [31]. Für neue PkwDieselfahrzeuge gelten EOBD-Bestimmungen generell seit dem 1. Januar 2003. OBD-II- und EOBDSysteme unterscheiden sich von ihren Vorgängern erheblich im Hinblick auf die Emissionsschwellen, den Umfang und die Detaillierung der Funktionsüberwachung sowie die Einstufung eines Fehlers. OBD II Verglichen mit EOBD-Lösungen muss ein OBD-IIkonformes Motormanagement noch strengere und detailliertere Anforderungen erfüllen. Wesentliche Merkmale sind zum einen, dass die OBD-IIGesetzgebung zur Einstufung der Emissionsrelevanz eines Fehlers relative Schwellwerte vorschreibt, die im Allgemeinen bei einem Faktor von 1,5 bis 1,75 (in Einzelfällen auch bis zu 3,5) des jeweils gültigen Grenzwerts liegen. Zum anderen gehört zur OBD-IIDiagnosestrategie der Nachweis, dass auch nicht

25 kontinuierliche Diagnoseroutinen im Fahrbetrieb ausreichend oft vollständig durchgeführt werden konnten, damit sichergestellt ist, dass tatsächlich Fehlerfreiheit erkannt wurde. Dazu wird mit statistischen Methoden überwacht, wie oft Fehlerkontrollen im Verlauf einer Fahrt ausgeführt wurden („In-useperformance ratio“). In den USA diskutiert man derzeit eine neue, dritte Fassung der OBD, die eine selbsttätige Fehlermeldung per Funk über Satelliten samt Angabe der Fahrzeugidentifikationsnummer an eine Behörde beinhalten könnte. Von der so eröffneten Möglichkeit, den Fahrzeughalter zur Reparatur aufzufordern, verspricht man sich, dass fehlerbedingt erhöhte Emissionen auch tatsächlich schnell behoben werden. OBD-II-Funktionsdiagnosen Soweit für den einzelnen Motor zutreffend, müssen sowohl für Otto- als auch für Dieselmotoren im Wesentlichen folgende OBD-II-relevante Funktionen und Systeme überwacht werden: Katalysatorsysteme, Kraftstoffsystem, Ȝ-Sonde(n), Abgasrückführung, Kurbelgehäuseentlüftung (stark systemabhängig), Motorkühlung, Kaltstartstrategien, Klimaanlage, Eingangs- und Ausgangssignale, d.h. elektrische Komponentenüberwachung (Erkennung von Kurzschlüssen und Kabelbrüchen – im Prinzip der Umfang der OBD I) sowie deren Plausibilisierung (Erkennung stark gedrifteter bzw. „hängender“ Signale) und weitere emissionsmindernde Systeme und Emissionsquellen. Auch wenn diese generellen Anforderungen sowohl für Otto- als auch für Dieselmotoren gelten, so unterscheiden sich die Detailanforderungen und die jeweiligen Lösungen aufgrund der unterschiedlichen Systemdefinitionen und Motorkonzepte teilweise sehr stark voneinander. Soweit für den einzelnen Motor jeweils zutreffend, erfordert das OBD-II-Gesetz für Ottomotoren noch zusätzlich die Überwachung von Zündaussetzern (kontinuierlich), des Tanksystems als Verdunstungsquelle, der Sekundärluftzugabe sowie des Timings eines variablen Ventiltriebs. Bei Dieselmotoren sind im Rahmen der OBD II noch Zündaussetzer im Leerlauf und der Diesel-Partikelfilter zu überwachen – soweit für den einzelnen Motor zutreffend: Am Beispiel der Katalysator-Funktionsüberwachung für Ottomotoren soll hier eine zentrale OBD-Funktion technisch kurz erläutert werden: Man setzt dafür die gemessenen Regelschwingungen (vgl. Abschnitt 2.1.2.6) zweier O-Sonden vor und hinter dem Katalysator ins Verhältnis. Bei ordnungsgemäßer Funktion dämpft das hohe Sauerstoffspeichervermögen des korrekt arbeitenden Katalysators deutlich die ausgangsseitige Amplitude der Regelschwingungen im Verhältnis zur eingangsseitigen Amplitude. Wird bei der Bildung des Quotienten aus beiden Signalhöhen

26 dagegen ein Durchschlagen der eingangsseitigen Regelschwingungen auf der Ausgangsseite erkannt (beispielsweise, wenn das Sauerstoffspeichervermögen alterungsbedingt sinkt), so ist die Höhe dieses Effektes das Maß für eine schlechtere Konvertierungsrate. Wird auf diesem Weg eine Schwellwertüberschreitung bei den HC-Emissionen erkannt, erfolgt die Fehlersignalausgabe. Bei Dieselmotoren nimmt der Umfang der Funktionsüberwachung kontinuierlich weiter zu. Heute umfasst die OBD II (abhängig von der Systemauslegung) vor allem die Überwachung des OxidationsKatalysators, von Zündaussetzern im Leerlauf, des Kraftstoffsystems (z.B. Einspritzmengendrift), der O-Sonde(n), soweit verbaut, der Abgasrückführung, der Kurbelgehäuseentlüftung (abhängig vom System), der Motorkühlung, des Diesel-Partikelfilters sowie der elektrischer Funktion von Komponenten (Umfang der OBD I). EOBD Insgesamt sind die Anforderungen der EOBD weniger detailliert als bei OBD II. Anders als die OBD II schreibt die Europäische On-Board-Diagnose absolute Grenzwerte als Schwellen für die Warnung des Fahrers vor. Teilweise liegen diese Grenzwerte deutlich über den jeweils gültigen Emissionsgrenzwerten (EURO 4; TIER 2 BIN 5) und lassen mehr Spielraum als die OBD II. EOBD-Funktionsdiagnosen Im Ottomotor (in der EOBD-Richtlinie „positive ignition engine“ genannt) überwacht die EOBD als Muss-Vorgabe mindestens die Katalysatorwirkung im Hinblick auf die HC-Emissionen, Zündaussetzer innerhalb bestimmter Drehzahl- und Drehmomentgrenzen bzw. an bestimmten Messpunkten innerhalb der Betriebsbedingungen, die O-Sonde(n), die Funktion anderer, mit dem Motorsteuergerät verbundener Komponenten oder Systeme des Antriebsstrangs, die im Fehlerfall abgasrelevant sind, ferner den elektrischen Durchgang anderer, mit dem Motorsteuergerät verbundener Komponenten des Antriebsstrangs sowie den elektrischen Durchgang des Systems zur Tankemissionsdiagnose. Auch für Neufahrzeuge mit Dieselmotor gelten die Bestimmungen der EOBD. Überwacht werden muss mindestens der Katalysator, falls installiert und als emissionsrelevant eingestuft, der Diesel-Partikelfilter, falls installiert, der elektrische Durchgang und die grundsätzliche Funktion der Aktoren für die Kraftstoffzumessung und das Rate-Shaping (Einspritzverlaufsformung), die Funktion anderer, mit dem Motorsteuergerät verbundener Komponenten oder Systeme des Antriebsstrangs, die im Fehlerfall abgasrelevant sind (als Beispiel nennt die EOBD Systeme und Sensoren zur Messung von Luftmassenstrom oder Luftvolumenstrom, zur Ladedruckregelung sowie zur

2 Motor und Antriebsstrang Messung des Luftdrucks im Saugrohr) und der elektrische Durchgang anderer, mit dem Motorsteuergerät verbundener Komponenten des Antriebsstrangs. Fehlerspeicher für OBD II und EOBD Auftretende Fehler werden innerhalb eines OBDSystems erkannt und in einem DIN-ISO-oder SAEentsprechenden, normierten Datenformat gespeichert. Die Fehlerstrategie definiert die an den Fehlerfall anschließende Kette von Systemhandlungen: Bei Fehlern, die in mehreren aufeinander folgenden Fahrzyklen auftreten (bei OBD II in zwei, bei EOBD in drei aufeinander folgenden Fahrzyklen) und eine Grenzwertüberschreitung zur Folge haben, erhält der Fahrer über eine Fehlerlampe im KombinationsInstrument einen Warnhinweis (Malfunction Indicator Lamp, MIL bzw. Check-Engine-Anzeige). Parallel werden die fehlerbezogenen Informationen für die Werkstatt in einem Speicher hinterlegt. Dabei werden zusätzlich zum Fehler mindestens die Motorlast, die Motordrehzahl und die Kühlmitteltemperatur als Rahmendaten (Freeze Frame Data) abgespeichert, um den Betriebszustand beim Auftreten des Fehlers zu dokumentieren. Zusätzlich werden zur Erfüllung der OBD-II-Anforderungen Statistiken über die Häufigkeit des Ablaufs ausgeführter Diagnosen gespeichert. Der Fehlerspeicher muss die Informationen für mindestens 40 Startvorgänge speichern, bei denen der Motor in einem als „kalt“ definierten Zustand gestartet und bis zur Betriebstemperatur aufgeheizt wird. Tritt ein Fehler innerhalb von 40 solcher Startvorgänge nicht wieder auf, kann die Fehlerinformation gelöscht werden. Bei der Fehlersuche in der Werkstatt werden die gemäß den ISO/SAE-Standards relevanten Daten als Mode 1 bis Mode 9 über die genormte Diagnoseschnittstelle an den OBD-Tester oder an das Scan-Tool ausgelesen. 2.1.2.8 E-Gas-Überwachungskonzept Die Motorsteuerung ist ein sicherheitsrelevantes System, da sie Einfluss auf die Längsdynamik des Fahrzeugs nimmt. In Drive-by-Wire-Systemen ohne mechanische Verbindung zwischen Fahrpedal und Drosselklappe ist beispielsweise die Sicherheit der Fahrzeuginsassen direkt von der korrekten Funktion der Motorsteuerung abhängig. Gefährliche Zustände, wie ein ungewolltes Beschleunigen oder Losfahren, müssen durch ein Überwachungskonzept verhindert werden [32]. Das Überwachungskonzept eines elektronischen Systems wie der Motorsteuerung wird daher vor der Fahrzeugtypgenehmigung auf Wirkung und Zuverlässigkeit überprüft. Die Ausarbeitung eines Überwachungskonzepts ist Teil eines definierten Entwicklungsprozesses, da ein hohes Maß an Sicherheit in komplex vernetzten Systemen nur durch einen ausgereiften Entwicklungsprozess mit integrierten Verifikationsmethoden erreichbar ist [33].

2.1 Motormanagement

27

Bild 2-16: Schema des standardisierten E-Gas-Überwachungskonzepts (ADC: Analog-Digital-Wandler)

Im Motorsteuergerät sind umfangreiche Sicherheitsfunktionen enthalten, die Handlungsstrategien für Einzelfehler und in begrenztem Maße auch für Mehrfachfehler umfassen. Im Fehlerfall kann ein sicherer Zustand eingestellt und fehlerabhängig ein Notlauf des Fahrzeugs eingeleitet werden. Bei Einzelfehlern gibt es für die Zeitspanne, innerhalb derer eine Reaktion zur Herstellung eines sicheren Zustands begonnen werden muss, einen Richtwert von 500 ms. Wesentliche Merkmale eines MotorsteuerungsÜberwachungskonzepts sind Redundanz, Fehlertoleranz und Robustheit. Bild 2-16 gibt einen Überblick über das Überwachungskonzept nach VDA. Das Redundanzprinzip zeigt sich beispielsweise darin, dass wesentliche Eingangsgrößen, wie die Pedalstellung und die Drosselklappenstellung, jeweils von zwei unabhängigen Positionssensoren erfasst werden. Fehlertoleranz und Robustheit erreicht man zum einen durch eine laufende Selbstkontrolle, bei der im Hauptprozessor vorrangig solche Steuerungs- und Regelungsfunktionen (Ebene 1 in Bild 2-16) ausgewertet werden, die im Fehlerfall ungewollt das Drehmoment erhöhen. Auch bei diesem Teil der Strategie gilt das Redundanzprinzip, denn die Funktionsüberwachung (Ebene 2 in Bild 2-16) besteht zum Teil in einer unabhängigen Nachrechnung der Sollwerte auf einer getrennten Daten- und Funktionsbasis. Als Schutz vor zu hohen Ist-Werten wird in gleicher Weise der Ist-Wert der betreffenden Wirkungsgröße berechnet und mit dem redundant berechneten Sollwert verglichen. Der Code für diese Überwachung funktionaler Prozesse muss zur Sicherheit diversitär und getrennt implementiert sein. Zum anderen besteht eine zusätzliche Überwachungsebene (Ebene 3 in Bild 2-16) im Aufbau des Steuergeräts

aus einem Hauptprozessor und einer unabhängig arbeitenden Überwachungseinheit. Letztere sendet zyklisch Rechenaufgaben an den Hauptprozessor und erkennt anhand der Ergebnisse die Funktionsfähigkeit der überwachungsrelevanten Bereiche des Hauptprozessors. Die Überwachungseinheit überprüft dort den Programmablauf, die Befehlssätze (Ebene 2’ in Bild 2-16) und die Speicherbereiche. Sollte der A/DWandler des Hauptprozessors ausfallen, wird dieses durch Plausibilitätsprüfung gegen einen Referenzwert aus der Überwachungseinheit erkannt. 2.1.2.9 Sonderformen Bi-Fuel-Fahrzeugantriebe, die sowohl Ottokraftstoff als auch Gas (Erdgas, Compressed Natural Gas, CNG oder Flüssiggas, Liquified Petroleum Gas, LPG) verwenden, benötigen ein Betriebsartenmanagement, das die Umstellung von einer Kraftstoffart auf die andere koordiniert. Die steuer- und regelungstechnische Herausforderung liegt darin, dass der Erdgasbetrieb Veränderungen praktisch aller gasspezifischen Motorsteuerungsfunktionen bedingt. In der Konsequenz muss entweder die Hard- und Software einer bestehenden Motorsteuerung komplett adaptiert werden, oder es wird nach dem Prinzip einer Zweiteilung eine zusätzliche Motorsteuerung für den Gasmodus hinzugefügt. Bei einer aktuellen ErdgasSerienlösung mit einem einzigen Controller sind die Funktionen Motorsteuergerät und Gas-Zusatzsteuergerät zu einer als Hybridsteuergerät bezeichneten Einheit zusammengefasst [34]. Überwiegend wird bisher jedoch der Weg der Zweiteilung verfolgt, weil zusätzliche Sensoren und Aktoren aufwändige Hardwareanpassungen erfordern, die praktisch der Neu-

28 entwicklung eines leistungsstärkeren Steuergerätes entsprechen. Ein zusätzliches Motorsteuergerät als Insellösung, das lediglich die spezifischen Sensoren und Aktoren (z.B. Gasabsperrventile, Gaseinblasventile) für den Erdgasbetrieb steuert, ist weniger aufwändig realisierbar und kann aus Bauraumgründen einfacher im Motorraum zu platzieren sein. Wird die Softwarelösung für die als Interface-Box fungierende zweite, gasspezifische Steuereinheit generisch ausgelegt, so erlaubt dies außerdem eine Wiederverwendung in unterschiedlichen Fahrzeugen. Die aktuellen Emissionsgrenzwerte und die Anforderungen der OBD und EOBD haben inzwischen dazu geführt, dass bei einem Zweiteilungskonzept beide Motorsteuergeräte vernetzt werden und über den CAN-Datenbus miteinander kommunizieren. In einer aktuellen Bi-Fuel-Serienlösung mit einem 4-Zylindermotor beispielsweise wirkt die zweite Motorsteurung dabei als Interface zwischen der Benzinmotorsteuerung und den Gaskomponenten (Bild 2-17) [35]. Solange Benzin verbrannt wird, leitet die Interface-Box die Steuersignale des Benzinmotorsteuergeräts unverändert an die Einspritzventile weiter. Gasspezifische Belange sind dabei als zusätzliche Kennfelder im Benzinmotorsteuergerät hinterlegt. Nur die gasspezifischen Funktionen sind in der Interface-Box realisiert. Der Speicherplatzbedarf und die Laufzeitbelastung des Benzinmotorsteuergeräts lassen sich durch diese Zweiteilung auch im Gasbetrieb konstant halten. Die CAN-Botschaft von der Interface-Box zum Benzinmotorsteuergerät enthält im Wesentlichen die

2 Motor und Antriebsstrang aktuelle Kraftstoffart, den aktuellen Fehlerzustand, den Gasfüllstand und einen Einspritzzeitkorrekturfaktor. Die CAN-Botschaft vom Benzinmotorsteuergerät zur Interface-Box enthält im Wesentlichen den aktuellen Saugrohrdruck, die Fehlerzustände der Benzinmotorsteuerung, einen Umschaltwunsch von einem Kraftstoff zu anderen (Fahrerwunsch und automatisch), die Motortemperatur und die Motorbetriebszustände. Eine weitere zyklische Botschaft von der Interface-Box zum Benzinmotorsteuergerät dient zur Übertragung von komprimierten OBD-Daten (OBD I) über elektrische Fehler der Sensoren und Aktoren, das Ergebnis von Plausibilitäts-Diagnose sowie Umgebungsdaten. Funktionale Fehler von Komponenten (EOBD) werden in dem vorgeschlagenen System nur im Benzinmotorsteuergerät erkannt. Je nachdem, in welcher Betriebsart sich das System befindet, wird der Fehler im entsprechenden Speicherbereich abgelegt. Das umfangreiche EOBD-Konzept schließt bei der oben genannten Lösung mit einem einzigen Controller [34] unter anderem einen Erdgasqualitätsfaktor (der nach jeder Betankung des Fahrzeugs neu gelernt wird) ein. Dieser Korrekturfaktor verhindert, dass es durch die relativ starken, zulässigen, brennwerttechnischen Schwankungen bei Erdgas (in Deutschland zulässige Zumischungen von Butan und Propan bis zu 12 % Volumen und Stickstoff bis zu 16 % Volumen [34]) zu einer Triggerung der Hauptdiagnosen (O-Sonde(n), Katalysator und Zündaussetzer) kommt, deren Adaptionsfähigkeit eigentlich zur Kompensation abgasrelevanter Alterungseffekte in der Hardware dient.

Bild 2-17: Schema eines Gassystems mit einem zweiten Motorsteuergerät

2.2 Getriebesteuerung

29

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2.2 Getriebesteuerung 2.2.1 Getriebekonzepte Seit den Pioniertagen des Automobils sind Vorrichtungen zur geeigneten Drehzahl- und Drehmomentwandlung unverzichtbar. Die Drehmoment- und Leistungscharakteristik eines Verbrennungsmotors bedingt ein mehrstufiges, schaltbares Getriebe, um ein Automobil überhaupt fortbewegen zu können. Das Zugkraftangebot des Motors ist bei Leerlaufdrehzahl sehr niedrig, während die Motorleistung mit steigender Drehzahl – mehr oder weniger kontinuierlich – bis zur so genannten Nenndrehzahl ansteigt. Mit einem mehrstufigen Getriebe wird der Leistungsbedarf eines Kraftfahrzeugs an dessen verbrennungsmotorische Antriebsmaschine angepasst. Da die

30 im Kraftfahrzeug bevorzugt verwendeten Otto- oder Dieselmotoren ihre charakteristischen Werte für Drehmoment und Leistung nicht gleichmäßig anbieten, werden schaltbare Getriebe zum Ausgleich von Drehmomentnachfrage (nach der Zugkrafthyperbel) und Zugkraftangebot (Drehmomentkurve) eingesetzt. 2.2.1.1 Manuelle Schaltgetriebe Im Laufe ihrer Entwicklung hat es für Schaltgetriebe in Automobilen nicht immer gute Kritiken gegeben: „Es ist zwar brutal, aber es funktioniert“, soll der Autopionier Emile Levassor gesagt haben, als er um 1890 das erste Mal mit einem Zahnradwechselgetriebe in Berührung kam. Der Franzose musste miterleben, wie paarweise verbundene Vorgelegeräder zum Zwecke des Übersetzungswechsels hin- und hergerückt wurden. Die alles erleichternde Getriebesynchronisation fand ihren Weg in die Großserie erst um 1930. Damals wie heute kommen weit überwiegend Getriebe mit diskreten Stufen zum Einsatz; in Personenwagen aktueller Bauart üblicherweise mit fünf oder zunehmend auch bereits mit sechs Gängen. Die international verwendete Abkürzung für Handschaltgetriebe ist MT (Manual Transmission). In Europa dominieren manuelle Schaltgetriebe (siehe Bild 2-18) den Automobilmarkt, in der Regel ausgeführt in Stirnradbauweise mit einer, in besonders kurzer Bauform auch mit zwei Vorgelegewellen. In den USA und Japan gehören sie hingegen nicht zu der von Autokäufern bevorzugten Getriebeart. Bei der Wandlung der Motorkraft in Fahrzeugvortrieb stellen sie die Technik mit dem höchsten Wirkungsgrad dar.

Bild 2-18: Manuelles Schaltgetriebe [Quelle: ZF]

2 Motor und Antriebsstrang Zugleich ist das manuelle Handschaltgetriebe die einzige verbliebene Getriebeart, die ohne Steuerungsoder Regelungselektronik auskommt. Mit einer trockenen Reibkupplung, weit überwiegend in Einscheibenausführung, bewerkstelligen Handschaltgetriebe den Anfahrvorgang. Zudem trennt der Fahrer manuell bei jedem Gangwechsel den Zug- oder Schubkraftfluss zwischen Motor und Getriebe, um den Übersetzungswechsel manuell und mit Handkraft vorzunehmen. Gehobene Ansprüche an den Fahrkomfort kann das manuelle Handschaltgetriebe bis heute nicht erfüllen. 2.2.1.2 Automatisierte Schaltgetriebe Das bislang elektronik-resistente manuelle Schaltgetriebe wird dank Verfügbarkeit hochleistungsfähiger Steuerungselektroniken inzwischen in ein umfassendes Antriebsstrang-Management eingebunden. Aus manuell bedienten Handschaltgetrieben werden automatisierte Schaltgetriebe (Automated Manual Transmission, kurz AMT) abgeleitet. In Personenwagen werden sie in speziellen Fahrzeugsegmenten eingesetzt: Besonders kleine Automobile (z.B. Opel Corsa, Ford Fiesta, Smart) sind mit automatisierten Schaltgetriebe lieferbar, die andere Seite des Anwendungsspektrums decken besonders sportliche Kraftfahrzeuge (z.B. BMW M3 oder M5, Ferrari) ab. Als Vorzug des automatisierten Schaltgetriebes gilt sein hoher Wirkungsgrad sowie die Abkoppelung des Fahrereinflusses hinsichtlich möglicher Fehlbedienung bei einem Schaltgetriebe.

2.2 Getriebesteuerung

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Bild 2-19: Automatikgetriebe klassischer Planetensatzbauart [Quelle: ZF]

In Nutzfahrzeugen der oberen Gewichtsklassen gehören automatisierte Schaltgetriebe mit 12- oder 16Gangstufen seit den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Stand der Serientechnik. Hoher Wirkungsgrad und Abkoppelung des Fahrereinflusses haben dem AMT in schweren Nutzfahrzeugen inzwischen einen Marktanteil von – modellabhängig – bis zu 50 Prozent eingebracht. Bei Lastkraftwagen der 40-Tonnen-Klasse stört auch die beim AMT prinzipbedingte Zugkraftunterbrechung beim Übersetzungswechsel nicht. Beim Personenwagen erreichen automatisierte Schaltgetriebe insgesamt eine vergleichsweise geringe Marktdurchdringung. Neueste Konstruktionen für sehr sportliche Limousinen verfügen über sieben Gänge und sind von ihrer Grundkonstruktion her nicht mehr für den manuellen Gangwechsel geeignet. In gleicher Weise nur noch automatisch bedienbar sind Nutzfahrzeug-Getriebe, die über keinerlei äußere Schaltung mehr verfügen. Alle zum Übersetzungswechsel wie auch zum vollautomatischen Betätigen der Anfahr- und Schaltkupplung notwendigen Komponenten sind bei hoch integrierten automatisierten Schaltgetrieben im Getriebegehäuse untergebracht. Auch die zum Steuern der Getriebeaktoren notwendige Steuerungselektronik wird zunehmend vom Steuergerät in Add-On-Ausführung zur in das Getriebe integrierten Mechatronik hin weiterentwickelt.

2.2.1.3 Automatische Getriebe Der Einzug der Elektronik in den Antriebsstrang erfolgte zunächst in Gestalt der MotorsteuerungsElektronik, später als Getriebe-Elektronik. Dadurch wurde eine neue, bis dahin nicht gekannte Qualität eines umfassenden Managements der gesamten Antriebseinheit möglich. Dieser Fortschritt wurde nicht nur von steigenden Ansprüchen an den Antriebskomfort, sondern ganz wesentlich auch von immer ehrgeizigeren Ansprüchen an schadstoffreduzierte und Kraftstoff sparende Automobile getrieben. Er hat zunächst die klassischen Stufenautomatikgetriebe erfasst. Zugleich hat die Elektronik im Antriebsstrang es aber überhaupt erst möglich gemacht, stufenlose Automatikgetriebe in ihrem kundenrelevanten Betriebsverhalten zu vollwertigen Alternativen gegenüber Stufenautomaten zu entwickeln. Automatikgetriebe kamen bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts ohne elektronische Komponenten aus, wurden aber mittels Fremdkraft bedient. Ihre Fahr- und Schaltstrategien folgten im Wesentlichen einfach generierten Last-, Geschwindigkeits- und Drehzahlsignalen, die in einer rein hydraulischen Steuerungseinheit verarbeitet und in Schaltbefehle umgesetzt wurden. Die Energie zum Ausführen der Übersetzungswechsel lieferte – und liefert bis heute – in der Regel der Verbrennungsmotor mit einer Ölpumpe. Seit fast drei Jahrzehnten arbeiten Automatikgetriebe (Automated Transmission, kurz AT) nur noch mit Hilfe von Steuerungselektronik. Dabei wurden die

32 früheren hydraulischen Schaltkästen in mehreren Evolutionsstufen ergänzt und damit von ihrer „Rechnerfunktion“ befreit. Bis zu sieben Schaltstufen werden seit 2002 in Automatikgetrieben klassischer Planetensatzbauart (Bild 2-19) eingesetzt, fünf bzw. sechs Übersetzungsstufen stellen den etablierten Standard dar. Als Anfahrelement dient mehrheitlich ein hydrodynamisch wirkender Wandler, der nach dem eigentlichen Anfahrvorgang, spätestens jedoch in den oberen Gangstufen, von einer elektronisch gesteuerten Überbrückungskupplung abgelöst wird. Anfahr- und Schaltungsregelung und -steuerung obliegt in aktuellen Automatikgetriebe einer hochleistungsfähigen Elektronik. Dabei findet ein permanenter Datenaustausch mit der Motorsteuerung wie auch der vernetzten Gesamtfahrzeugelektronik statt.

2 Motor und Antriebsstrang Schwachpunkt heute bekannter stufenloser Automatikgetriebe ist ihre begrenzte Fähigkeit, größere Drehmomente (> 330 Nm) mit noch akzeptablem Wirkungsgrad zu übertragen. Als Anfahrelement ersetzt bei neuesten Konstruktionen ein Drehmomentwandler die nass laufende, automatisierte Reibkupplung.

2.2.1.4 Stufenlose Automatikgetriebe Neben den weltweit dominierenden Stufengetrieben kommen zunehmend auch stufenlos übersetzende Getriebe (CVT, Continously Variable Transmission) zur Anwendung (Bild 2-20). Sie nähern sich, zumindest von der Theorie her, dem Ideal einer punktgenauen Drehmomentanpassung an die Fahrwiderstandskurve in jedem Betriebszustand am nächsten an.

Bild 2-20: Stufenlos übersetztes Getriebe [Quelle: Ford]

Bild 2-21: Schnitt durch ein Doppelkupplungsgetriebe [Quelle: VW]

2.2 Getriebesteuerung 2.2.1.5 Doppelkupplungsgetriebe Die Zusammenführung der wirkungsgradseitigen Vorzüge eines Handschaltgetriebes mit den Komfortvorteilen des klassisch aufgebauten WandlerPlanetenradsatz-Getriebes hat die alte Idee des Doppelkupplungsgetriebes (DCT: Double-Clutch Transmission) wieder auf den Plan und inzwischen auch in die Serie gerufen. Das Doppelkupplungsgetriebe wie im Bild 2-21 ist ein modifiziertes, automatisiertes Stirnrad-Vorgelegewellen-Getriebe mit all seinen Vorteilen hinsichtlich Wirkungsgrad und Komponenten-Gleichheit zu einem Standard-Handschaltgetriebe. Dank hoch entwickelter Steuerungselektronik, die sowohl das Motor- als auch das Getriebe- und Kupplungs-Management in sich vereint, ist die praktische Umsetzung dieser bereits in die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück reichenden Idee überhaupt erst möglich geworden. Als erster Serienanwender ist Volkswagen 2003 mit einem Doppelkupplungsgetriebe in Serie gegangen. Mit Hilfe zweier Kupplungen – eine bedient die Gänge eins, drei, fünf und den Rückwärtsgang des ersten Teilgetriebes, die andere trennt und verbindet die Gänge zwei, vier und sechs des zweiten Teilgetriebes vom Motor – sind Schaltungen ohne Zugkraftunterbrechungen möglich. Die Doppelkupplung besteht aus zwei im Ölbad laufenden Lamellenpaketen und gehorcht zusammen mit den Aktoren für den Gangwechsel einer vernetzten Motor-GetriebeElektronik. Dadurch gelang es beim Doppelkupplungsgetriebe, den Wirkungsgrad mechanischer Getriebe mit dem Vorteil der unter Last schaltbaren Wandlerautomaten zu verbinden. Verantwortlich dafür sind neben einer intelligenten hydraulischen und elektronischen Getriebesteuerung (Mechatronik) die zwei Nass-Kupplungen.

33 gabe zu. Hybridantriebe verbinden den klassischen Verbrennungsmotor mit dem Elektromotor. Die Zusammenführung beider Antriebseinheiten und deren Leistungs- und Energiemanagement stellt höchste Anforderung an die Steuerungselektronik.

2.2.2 Funktionen und Software Gemeinhin werden Funktionen häufig mit Software gleichgesetzt, was in dieser Form nicht ganz richtig ist. Unter Funktionen versteht man Aktionen, die ein (Getriebe-)System einschließlich dessen integrierter Aktorik ausführen soll. Um diese Aktionen von der Aktorik des Getriebes ausführen zu lassen, muss die Beschreibung der Funktionen mit entsprechender Software in eine für die Steuerelektronik verständliche Programmiersprache transferiert werden. Übliche Programmiersprachen bei automobilen Anwendungen sind C, C++ und Assembler. In der Funktionsentwicklung werden in jüngster Zeit vermehrt moderne Entwicklungswerkzeuge mit grafischer Benutzeroberfläche eingesetzt, um entstehende Algorithmen in sehr kurzer Zeit am zu steuernden System darstellen zu können. Typische Bestandteile einer solchen Rapid-Prototyping-Entwicklungsumgebung sind Simulationswerkzeuge zur Erstellung und Überprüfung von Funktionsmodellen sowie universelle Hardwareplattformen, auf denen die erstellten Modelle direkt in Echtzeit lauffähig sind und die über entsprechende Ein- und Ausgänge verfügen. Das hierbei verfolgte Ziel besteht darin, Funktionen zunächst komplett am Prüfstand oder im Fahrzeug zu entwickeln, bevor zeitaufwändig die Software für das Ziel-Steuergerät erzeugt wird. Der letztgenannte Schritt kann konventionell von Hand oder automatisiert unter Verwendung geeigneter Tools erfolgen (sog. Auto-Coding).

2.2.1.6 Allrad-Antrieb Weitere Anwendungsgebiete der Steuerungs- und Regelungselektronik im Antriebsstrang betreffen die Einbindung des (permanenten) Antriebs aller Räder einschließlich spezieller Berg- und Talfahrthilfen sowie die generelle Anwendung von Fahrsicherheitssystemen wie Anti-Blockier-System (ABS) oder Elektronisches Stabilitäts-Programm (ESP). In allen Fällen wird die Längs- wie auch die Querdynamik eines Kraftfahrzeugs überwacht und gegebenenfalls mit Eingriffen in das Antriebs- und Verzögerungs-Management beeinflusst. 2.2.1.7 Hybridantriebe Darüber hinaus kommt auf die Getriebeelektronik mit der Einbindung einer elektrischen Maschine in den Antriebsstrang eine weitere, sehr anspruchsvolle Auf-

2.2.2.1 Funktionsübersicht Aufgrund der Komplexität werden die Funktionen und die zugehörige Software in kleinere Untereinheiten aufgeteilt. Das Bild 2-22 zeigt eine solche prinzipielle Funktionsstruktur einer typischen Getriebesteuerung. Die Funktionsgruppen werden im Folgenden beschrieben. 2.2.2.2 Fahrstrategie Zentrale Aufgabe der Fahrstrategie ist die kontinuierliche Bestimmung des zur aktuellen Fahrsituation am besten passenden Ganges. Zur Berechnung dieses so genannten „Zielganges“ bedient sich die Fahrstrategie verschiedener Unterfunktionen.

34

2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-22: Übersicht einer typischen Funktions- und Softwarestruktur einer elektronischen Getriebesteuerung (p Druck, T Temperatur, I Strom, U Spannung und f Frequenz)

Dazu gehören die Fahrerschnittstelle zur Auswertung der Bedienelemente (Wählhebel, Lenkradschalter) und Fahrerinformationen (z.B. Gangdisplay), die Fahrer- und Lasterkennung zur Auswahl der passenden Kennlinie und zur Adaption einer solchen, die Bestimmung des Zielganges auf Basis der ausgewählten und adaptierten Kennlinie und die Fahrsituationserkennung zur Korrektur des oben bestimmten Zielganges in bestimmten Situationen (z.B. automatische Rückschaltung beim Bremsen, Schaltungsverhinderung bei schneller Kurvenfahrt). Im Wesentlichen wird der aktuelle Zielgang durch geeignete Schaltkennlinien bestimmt, aus denen bei einer gegebenen Fahrpedalstellung die Fahrzeuggeschwindigkeit ermittelt wird, bei der eine Hoch- oder Rückschaltung zu erfolgen hat. Im einfachsten Fall ist nur ein einziger Satz von Kennlinien hinterlegt; ein Kennliniensatz besteht aus 2(n – 1)-Kennlinien, wo-

bei n die Gangzahl ist. Für ein 4-Gang-Automatikgetriebe sind das also sechs Schaltkennlinien, bei neueren 7-Gang-Automaten entsprechend zwölf. Bild 2-23 zeigt exemplarisch eine Hoch- und eine Rückschaltkennlinie, die nachfolgend erläutert wird. Der Arbeitspunkt (AP) ist durch die Fahrzeuggeschwindigkeit und den Fahrpedalwert charakterisiert. Nimmt nun beispielsweise – ohne dass der Fahrer den Fahrpedalwert verändert – die Fahrzeuggeschwindigkeit ab (z.B. infolge einer Steigung), wird bei Erreichen der Rückschaltkennlinie (A) ein Gang herunter geschaltet, um mehr Radmoment zur Verfügung zu stellen. Entsprechend wird bei Fahrzeugbeschleunigung (z.B. in Folge eines Gefälles) mit Erreichen der Hochschaltkennlinie (C) ein Gang hoch geschaltet, um ein unnötiges Hochdrehen des Motors zu verhindern.

2.2 Getriebesteuerung

35

Bergab zur bevorzugten Nutzung der unteren Gänge, gekennzeichnet durch – auf die Geschwindigkeit bezogen – tendenziell späte Hoch- und frühe Rückschaltungen zur Ausnutzung der Motorbremswirkung, z.B. bei Passabfahrten und weitere Spezialkennfelder, z.B. Winterprogramm, Aufwärmen von Motor und Katalysator.

Bild 2-23: Schaltkennlinien der Fahrstrategie

Erhöht andererseits der Fahrer zur Beschleunigung den Fahrpedalwert, wird bei Erreichen der Rückschaltkennlinie (B) ein Gang herunter geschaltet, wodurch mehr Radmoment zur Verfügung steht und das Fahrzeug schneller beschleunigt werden kann. Entsprechend wird durch Verringern des Fahrpedalwertes bei Erreichen der Hochschaltkennlinie (D) ein Gang hoch geschaltet, um den Verbrennungsmotor – da kein Beschleunigungswunsch (mehr) vorliegt – verbrauchsgünstiger bei niedrigeren Drehzahlen zu betreiben. Fahrstrategien aktueller Getriebesteuerungen sind in der Lage, die Kennlinien der gerade beschriebenen sog. statischen Gangwahl in Abhängigkeit von der momentanen Fahrsituation zu verändern oder zumindest aus einem Satz vordefinierter Kennlinien auszuwählen. Typische hinterlegte Kennlinien können sein: Eco zur verbrauchsoptimierten Auswahl des Zielganges, gekennzeichnet durch – auf die Geschwindigkeit bezogen – tendenziell frühe Hoch- und späte Rückschaltungen zum vorwiegenden Betrieb des Verbrennungsmotors im unteren Drehzahlbereich Sport zur leistungsorientierten Auswahl des Zielganges, gekennzeichnet durch – auf die Geschwindigkeit bezogen – tendenziell späte Hoch- und frühe Rückschaltungen zum Betrieb des Verbrennungsmotors im eher höheren Drehzahlbereich Normal als dazwischen liegendes Kennfeld ohne besondere Ausprägungen Bergauf oder Last zur eher leistungsorientierten Auswahl des Zielganges, gekennzeichnet durch – auf die Geschwindigkeit bezogen – tendenziell späte Hoch- und späte Rückschaltungen zur Vermeidung des sog. Schaltpendelns bei Steigungen oder im Anhängerbetrieb.

Neben dem „harten“ Umschalten zwischen diesen diskreten Kennfeldern ist es möglich, mehrere Kennfelder miteinander zu kombinieren und somit z.B. ein ökonomisches oder sportliches Last-Programm zu realisieren. Dieses stufenlose kontinuierliche Verfahren wird als Kennlinienadaption bezeichnet. Die Basisdaten für die Grenzkennlinien sind dazu in der Getriebesteuerung hinterlegt. Der Gang, der sich aus Fahrpedalwert, Geschwindigkeit und adaptierter Kennlinie ergibt, ist jedoch nicht in allen Fahrsituationen optimal. Vorübergehende Fahrzustände können Bedingungen hervorrufen, die eine Anpassung des statischen Zielganges erforderlich machen, weswegen man hier z.B. von „dynamischen Korrekturen“ spricht (vergleiche Bild 2-24). Typische Beispiele dynamischer Korrekturen sind die Schlupferkennung. Wenn sich also die Antriebsräder infolge mangelnder Haftreibung durchdrehen, „sieht“ die Getriebesteuerung eine erhöhte Fahrzeuggeschwindigkeit, was normalerweise eine Hochschaltung zur Folge hat (der aufgrund der Radmomentreduzierung und der dadurch erhöhten Haftreibung wieder eine Rückschaltung folgt usw.). Dieses Durchdrehen der Antriebsräder wird erkannt und die aus der endgültigen Kennlinie resultierende Hochschaltung wird unterdrückt. Eine ähnliche Funktion kann blockierende Antriebsräder (bei Fahrzeugen ohne ABS) erkennen und etwaige Kennlinienrückschaltungen verhindern. Beim so genannten Fast-Off nimmt der Fahrer den Fuß plötzlich, aber nur kurzzeitig vom Fahrpedal (z.B., weil ein langsames Fahrzeug in einiger Entfernung die Straße kreuzt). Dabei wird normalerweise eine Hochschaltung ausgeführt, der bei erneutem Treten des Fahrpedals wieder eine Rückschaltung folgt. Die Fast-Off-Funktion erkennt solche Situationen und kann die beiden (unnötigen) Schaltungen unterbinden. Werden stärkere Bremsmanöver erkannt, so löst eine Bremsassistenz zur Nutzung der Motorbremswirkung vorausschauend Rückschaltungen aus. Eine Kurvenerkennung kann beim Durchfahren einer Kurve das vom Fahrer unter Umständen als unangenehm empfundene Hoch- oder Zurückschalten innerhalb bestimmter Grenzen (Motordrehzahl) unterbinden oder verzögern.

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2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-24: Vereinfachte Struktur und Signalfluss der Fahrstrategie

In der Fahrstrategie im Allgemeinen, insbesondere aber auch bei den letztgenannten dynamischen Korrekturen, spiegelt sich typischerweise die entsprechende Philosophie des Automobilherstellers wieder, die als Summe einer Vielzahl von Fahrversuchen und Erfahrungen aus dem Feld zu betrachten ist. Eine allgemeingültige Aussage, welche Funktionen Bestandteil einer Fahrstrategie sein müssen und wie diese grundsätzlich abzustimmen sind, ist somit nicht möglich. In den letzten Jahren haben sich neben der klassischen binären Logik auch neuere Berechnungsmethoden – allen voran Fuzzy-Logic – durchgesetzt und ihren Weg in die Großserie gefunden. Fuzzy-LogicSysteme basieren auf dem Ansatz, dass die Erfüllung bestimmter Bedingungen oftmals nicht nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu bewerten ist, sondern auch quantifizierbare Zwischenschritte zulässig sind. Eingangswerte für die Fuzzy-Logic-Systeme sind sowohl direkt gemessene als auch abgeleitete Größen, welche zunächst entsprechend aufbereitet werden. Eine vereinfachte Übersicht der Struktur und des Signalflusses (von links nach rechts) ist im Bild 2-24 gegeben. 2.2.2.3 Fahrfunktionen Die Fahrfunktionen sind integrale Bestandteile der Funktionsstruktur der Getriebesteuerung (Bild 2-22). Durch kontinuierliche Auswertung der getriebebezogenen Daten (Drehzahlen, Positionen, Drücke, Temperaturen, elektrische Ströme) wird der Ist-Zustand des Getriebes ermittelt und durch gezielte Beeinflussung entsprechender Stellelemente der gewünschte Soll-Zustand herbeigeführt oder aufrechterhalten. Funktional wird dies durch Verwendung einer Reihe so genannter Zustandsautomaten erreicht, die – teil-

weise miteinander verknüpft, teilweise voneinander unabhängig – Getriebezustände in vordefinierten Reihenfolgen ineinander überführen und so die gewünschten Kräfte und Momente übertragen werden. Typische Unterfunktionen aus dem Bereich Fahrfunktionen können beispielsweise das Anfahren und Anhalten, das Durchführen von Schaltungen, die Schlupfregelung von Kupplungen, das Erfassen und Steuern des Getriebezustandes über Zustandsautomaten, die Momentenvorgabe für den Verbrennungsmotor während der Schaltung, das Auswerten von Brems- und Fahrpedal sowie charakteristischer Drehzahlen sein. In der Getriebesteuerung ist man heute bestrebt, die Schnittstelle zu den unterlagerten Aktorfunktionen auf Drehmomentenbasis zu definieren, um eine größtmögliche Entkoppelung von Fahrfunktionen und mechanischen Getriebeeigenschaften zu erreichen. Insbesondere wird die Überschneidungsschaltung bei klassischen Automatgetrieben und bei Doppelkupplungsgetrieben derart gesteuert, dass die öffnende und die schließende Kupplung aufeinander abgestimmte Momentenvorgaben erhalten, die von den Aktorfunktionen umgesetzt werden, um möglichst ruckfreie Schaltungen zu erreichen. D.h., genau ein Schaltelement (z.B. eine Nasskupplung) öffnet und zeitgleich schließt genau ein weiteres. Durch das Öffnen eines Elementes wird der ursprüngliche Gang verlassen, durch Schließen des zweiten wird der Momentenfluss durch den neuen Zielgang geleitet und somit der Momentenübergang abgeschlossen. Beide Vorgänge werden durch kontrolliertes Öffnen und Schließen entsprechender Magnetventile gesteuert. In ähnlicher Weise erfolgt auch die Momentenanforderung an die (Trocken-)Kupplung automatisierter Handschaltgetriebe in den Betriebszuständen Anfah-

2.2 Getriebesteuerung ren, Anhalten, Kriechen und Schalten. AllradVerteilergetriebe neuerer Bauart verfügen ebenfalls häufig über Sperrkupplungen, über die entweder das vorhandene Zentraldifferential gesperrt (d.h. überbrückt) oder die normalerweise nicht angetriebene Achse angebunden wird. Bei beiden Varianten erfolgt die Kupplungsansteuerung quasi stufenlos und momentenbasiert und somit unabhängig von der Betätigungsart (z.B. hydraulisch oder elektromotorisch). Trotz der Entkopplung der Fahrfunktionen von den unterlagerten Funktionen durch die Momentenschnittstelle sind doch viele getriebespezifische Eigenschaften der Mechanik zu berücksichtigen, so dass allgemeingültige funktionale Aussagen von vornherein in ihrer Anzahl stark eingeschränkt sind. Exemplarisch wird dies nachfolgend anhand zweier Beispiele verdeutlicht: Im Falle der klassischen Stufenautomaten hängt es von der Anordnung und Kombination der verschiedenen Planetensätze und Schaltelemente des jeweiligen Getriebes ab, welche Direktschaltungen (d.h. Schaltungen ohne kurzzeitiges Einlegen eines Zwischenganges) möglich sind. Direktschaltungen zwischen benachbarten Gängen sind in jedem Fall möglich. Entsprechende Einschränkungen beim Überspringen von Gängen müssen in den Fahrfunktionen hinterlegt sein und beeinflussen somit unmittelbar deren Struktur. Automatisierte Handschaltgetriebe können – bezogen auf die für den eigentlichen Gangwechsel installierte Aktorik – in mehreren Bauarten ausgeführt sein. Varianten mit Schaltwalze (vornehmlich im unteren Preissegment) sind bei der Gangauswahl normalerweise auf die sequentielle Reihenfolge beschränkt, während bei anderen Varianten eine direkte Anwahl des Zielganges möglich ist. Entsprechende Einschränkungen müssen ebenfalls in den Fahrfunktionen berücksichtigt werden. Aus den genannten Gründen werden in der Mehrzahl der Getriebeprojekte die Fahrfunktionen vom Getriebehersteller oder dem Fahrzeughersteller definiert und auch implementiert. 2.2.2.4 Aktorfunktionen Die Aktorfunktionen umfassen die getriebenahen Algorithmen, welche unter Einbeziehung spezifischer Charakteristika für die Betätigung der Getriebeaktoren zuständig sind und somit der physikalischen Regelungsaufgabe nachkommen. Um beispielsweise bei hydraulisch betätigten Systemen einen gewünschten Volumenstrom oder Druck zu erreichen, wird typischerweise ein Zielstrom eingeregelt, welcher der spezifischen Kennlinie der eingesetzten Hydraulikventile entnommen wird.

37 Andere physikalische Größen wie übertragbares Drehmoment bei Kupplungen oder Sperrgrad bei aktiven Allradsystemen werden mit Hilfe von Kennfeldern oder Simulationsmodellen aus fahrzeugspezifischen Parametern und physikalischen Systemgrößen (z.B. Hydraulikdruck) berechnet. Bei entsprechend verbauter Sensorik (Druck, Weg, Drehmoment) kann eine vorhandene Regelabweichung direkt ausgeregelt werden. Die Definition von Aktorfunktionen setzt detaillierte Kenntnisse des Systemverhaltens der Aktorik (Hysterese, Alterung, Wärmeausdehnung, Verschleiß) voraus. Idealerweise sind die Aktorfunktionen der Getriebesteuerung so beschaffen, dass sie – sofern sie zur Betätigung von Kupplungselementen eingesetzt werden – ein Zielmoment als Eingangswert erwarten und dieses dann möglichst zeitnah an der betreffenden Kupplung bereitstellen. Das an einer (Reib-) Kupplung übertragene Drehmoment hängt im Wesentlichen von den Einflussgrößen Kupplungsanpressdruck, Temperatur (signifikante Änderung des Reibwerts bei Trockenkupplungen und geändertes Zähigkeitsverhalten der Hydraulikflüssigkeit bei Nasskupplungen), Schlupf, Drehzahlniveau (insbesondere durch Änderung des Anpressdruckes infolge der Zentrifugalkräfte auf die Kupplungsfedern von Trockenkupplungen) und Verschleiß ab. Die vier erstgenannten Größen lassen sich in der Regel direkt oder indirekt bestimmen, ein angefordertes Kupplungsmoment lässt sich damit über entsprechende abgelegte Kennfelder hinreichend genau einstellen. Demgegenüber lässt sich der Verschleiß normalerweise nicht explizit messen, sondern muss in seinen Auswirkungen anderweitig detektiert und kompensiert werden. Im Falle der Schaltübergänge von automatisierten Getrieben führen unsaubere Momentenübergänge zu Schaltrucken, die vom Fahrer als unangenehm empfunden werden können. Funktional lassen sich diese Schaltrucke an den Verläufen charakteristischer Drehzahlen des Getriebes erkennen und können durch Adaption entsprechender Korrekturfaktoren für nachfolgende Schaltungen deutlich reduziert werden. Diese Lernfunktionen dienen ebenfalls dazu, in der Praxis vorkommenden Fertigungstoleranzen innerhalb bestimmter Grenzen auszugleichen. Weitere typische Aktorfunktionen im Getriebebereich sind das Ein- und Auslegen von Gängen bei automatisierten Handschaltgetrieben sowie Untersetzungsschaltungen und Sperrkupplungsbetätigungen bei Allrad-Verteilergetrieben. In beiden Fällen kann die Betätigung der Aktoren hydraulisch oder elektromechanisch erfolgen, wobei in den meisten Fällen Positionssensoren zur Kontrolle der Betätigung – funktional zur Schließung der Regelschleife – vorhanden sind. Im Bild 2-25 sind Geschwindigkeit und Weg der Schaltklaue mit dem prinzipiellen Ablauf einer solchen Schaltung dargestellt.

38

2 Motor und Antriebsstrang liegt die Entwicklungsverantwortung dieser sehr spezifischen Aktorfunktionen bei den Getriebeherstellern. 2.2.2.5 Basisfunktionen

Bild 2-25: Prinzipieller Ablauf des Gangwechsels eines Schaltgetriebes

Zur Anwendung kommt üblicherweise eine Kombination aus Positions-, Geschwindigkeits- und Kraftregelung: Grundsätzlich sollen – insbesondere zur Minimierung der Zugkraftunterbrechung bei automatisierten Handschaltgetrieben – die Gangwechsel so schnell wie möglich durchgeführt werden. Die Synchronisation des Zielganges hat aus Gründen der Lebensdauer der Synchronisiereinrichtungen kraftgesteuert zu erfolgen. Der Gangwechsel im Bild 2-25 lässt sich demnach in folgende Phasen unterteilen: Beschleunigung der Aktorik aus der Ruhelage (A ĺ B), schnelles Auslegen des ursprünglichen Ganges (B ĺ C), Abbremsen der Aktorik vor Erreichen des Synchronisationspunktes (C ĺ D), kraftgesteuertes Durchfahren der Synchronisation (D ĺ E), Beschleunigung der Aktorik zum Einlegen des Zielganges (E ĺ F), schnelles Einlegen des Zielganges (F ĺ G), Abbremsen der Aktorik vor Erreichen des mechanischen Endanschlages (G ĺ H). Zur Optimierung der o.g. Aktorfunktionen lassen sich Vorsteuerungsalgorithmen einsetzen: das (bekannte) mechanische Verhalten der Regelstrecke (d.h. der Aktorik und der zu betätigenden Getriebeelemente) wird als Modell abgebildet und die Vorsteuerung als Inverse dieses Streckenmodells entworfen. Im praktischen Einsatz hat der eingesetzte (Positions-, Geschwindigkeits-, Kraft-, Strom- etc.) Regler dann „nur“ noch die Aufgabe, die verbleibende Regelabweichung zu eliminieren. Mehr noch als bei den o.g. Fahrfunktionen setzt die Entwicklung adäquater Aktorfunktionen – insbesondere einer effizienten Vorsteuerung – detaillierte Kenntnisse der zumeist mechanischen Regelstrecke voraus. Im Rahmen der meisten Getriebeprojekte

Die Basisfunktionen einer Getriebesteuerung stellen die unterste Ebene der Systemregelung (bzw. -steuerung) dar und werden häufig mit I/O (Input/Output, also Ein- und Ausgabe) bezeichnet. Abhängig von der Philosophie des Herstellers der Getriebesteuerung existieren im Bereich der Basisfunktionen verschiedene Hierarchieebenen, in denen I/O-bezogene Umrechnungen fahrzeugabhängig bzw. unter Berücksichtigung der elektronischen Hardware durchgeführt werden. Zu den fahrzeugspezifischen Basisfunktionen zählen beispielsweise die Kommunikation mit anderen Steuergeräten über CAN oder das Diagnosemanagement (Entprellen und Speichern von Fehlern, Rücksetzen eingetragener Fehler etc.). Beispiele für hardwarespezifische Basisfunktionen sind das Einlesen analoger oder digitaler Eingänge und die Konversion dieser Signale in physikalische Größen. 2.2.2.6 Einbindung in den Antriebsstrang Das Getriebesteuergerät stellt neben der Motorsteuerung die wichtigste elektronische Komponente im Antriebsstrang eines Fahrzeuges mit Automatikgetriebe dar. Die Kommunikation mit Steuergeräten des Antriebsstranges sowie des gesamten Fahrzeuges erfolgt typischerweise über den CAN-Bus. Dabei kann der Getriebesteuerung sowohl die Aufgabe zugeteilt werden, Vorgaben anderer Steuergeräte (d.h. Systeme) umzusetzen, als auch Vorgaben für andere Systeme auszugeben. Im Falle einer Vollbremsung mit dem ABS beispielsweise kann die Getriebesteuerung die Anforderung erhalten, den Antriebsstrang vorübergehend zu öffnen, um für das Gesamtfahrzeug die bestmögliche Bremswirkung zu erzielen. Andererseits existiert eine Drehmomentenschnittstelle zum Motor, über die während einer Schaltung die Getriebesteuerung das Motormoment begrenzen kann, um ein ungewolltes Hochdrehen des Motors zu unterbinden. In modernen Allradfahrzeugen mit elektronisch gesteuertem Verteilergetriebe wird dieses zunehmend zur Stabilisierung des Gesamtfahrzeugs eingesetzt (Verteilung des Antriebsmomentes zwischen Vorderund Hinterachse). In diesem Fall kommt dem Zusammenwirken der (Verteiler-)Getriebesteuerung mit dem Anti-Blockiersystem und dem elektronischen Stabilitätsprogramm besondere Bedeutung zu, um beispielsweise einen eingestellten Sperrgrad zwischen Vorder- und Hinterachse vorübergehend aufzuheben und somit die Regeleingriffe nicht zu behindern.

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe Verschiedene Motorvarianten einer Fahrzeugplattform schlagen sich normalerweise auch in jeweils angepassten Varianten der Getriebesteuerung nieder, wobei die funktionalen Algorithmen identisch sind, jedoch abhängig von der Variante mit unterschiedlichen Datensätzen (Kalibration) versehen werden. Das gleiche gilt für den Einsatz des gleichen Getriebes in verschiedenen Plattformen oder der Allradvariante eines Fahrzeugtyps. Funktionale Algorithmen werden zunehmend zum Ersatz mechanischer Vorkehrungen eingesetzt. Als Beispiel sei hier die Möglichkeit genannt, Überlastungen im Antriebsstrang frühzeitig erkennen und durch Regeleingriffe verhindern zu können. Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten, die Dimensionierung bruchgefährdeter Bauteile teilweise zu reduzieren und so Gewichts- und Kosteneinsparungen zu erzielen.

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe 2.3.1 Konzeptionelle Gemeinsamkeiten bei Motor- und Getriebesteuerungen Die Steuerungselektronik (Hard- und Software) übernimmt die Steuerung und Regelung des Antriebssystems. Dazu verarbeitet sie unterschiedlichste Sensorsignale einschließlich des Fahrerwunschs und errechnet die zugehörigen Stellgrößen für die Aktoren. Heutige Lösungen bieten als wesentliche Vorteile die Möglichkeit zur Implementierung komplexer Funktionen, ein hohes Maß an Konfigurierbarkeit, die Vernetzbarkeit mit anderen Fahrzeugfunktionen, sowie eine Funktionsdiagnose des Antriebssystems. In den folgenden Abschnitten werden die wesentlichen, in den Steuergeräten verwendeten elektronischen Bau-

39 gruppen erläutert und es wird darauf eingegangen, wie Steuergerätegehäuse – abhängig vom Einbauort im Fahrzeug – gestaltet sein können. 2.3.1.1 Gehäuse- und Aufbautechnik 2.3.1.1.1 Umgebungsanforderungen Die Umgebungsanforderungen an AntriebsstrangSteuergeräte werden hauptsächlich von Bedingungen wie Temperatur, Vibration und Schutz gegen bestimmte Medien (Flüssigkeiten, Feststoffe) bestimmt. Verbrauchsoptimierte Verbrennungsmotoren, und hier vor allem moderne Dieselaggregate mit hohem Wirkungsgrad, strahlen im Bereich des Zylinderkurbelwellengehäuses nur noch wenig Wärme ab. Mit dem krümmernahen Katalysator (Close-coupledPrinzip) ist jedoch eine starke Wärmequelle im Motorraum hinzugekommen, die in Verbindung mit der insgesamt hohen Packungsdichte und den komplexen Konvektionsverhältnissen unter der Motorhaube erfordert, dass ein Motorsteuergerät Umgebungstemperaturen bis zu 105 °C bedingt durch Strahlung und Konvektion der umgebenden Komponenten tolerieren muss. Gleichzeitig haben die elektronische Packungsdichte innerhalb der Motorsteuergeräte sowie die Rechenleistung stark zugenommen (typischerweise 10 Millionen Instruktionen pro Sekunde MIPS Prozessorleistung), wodurch die Verlustleistung der Elektronik und damit die Wärmeabstrahlung ebenfalls größer geworden ist. Die räumliche Nähe zur Aufhängung der Verbrennungsmaschine mit ihren betriebspunktabhängigen Kräften und Momenten erfordert im Motorraum eine Vibrationsfestigkeit bis zu 16 g. Hinzu kommt der Einfluss von Medien wie Staub, Salz und Strahlwasser, die eine sichere Kapselung des Steuergeräts mit Schutzgrad IP 65 nach DIN EN 60529 (VDE 0470) oder höher erfordern.

Bild 2-26: Einbauräume für Steuergeräte

40

2 Motor und Antriebsstrang

Tabelle 2-1: Einbauklassen im Pkw Fahrgastraum/ Elektronikbox

Motorraum

Aggregateanbau (z.B. am Motor, am Getriebe, am Luftfilter)

Integration ins Aggregat (z.B. Einbau ins Getriebe)

Vibrationswerte (abhängig von der Frequenz)

bis 5 g

bis 15 g

bis 28 g

bis 40 g

Thermische Klasse (Umgebungstemperatur)

bis 80 °C

bis 105 °C

bis 125 °C

bis 140 °C

Dichtheit

staubdicht

staubdicht, strahlwasserdicht

staubdicht, dampfstrahldicht

getriebeöldicht

Maß und Schwere der Umgebungsbedingungen ergeben sich also in erster Linie durch den Einbauort im Pkw, wie im Bild 2-26 gezeigt, und werden in die Einbauklassen Fahrgastraum, Elektronikbox (E-Box), Motorraum, Aggregateanbau sowie Integration ins Aggregat eingeteilt. Die Definition der verschiedenen Klassen ermöglicht es, zugeordnete Gehäusekonzepte und gesamtintegrierte Konzepte zu entwickeln, beispielsweise für Getriebesteuerungen. Mit dieser Form der Standardisierung lassen sich der projektspezifische Entwicklungsaufwand und die Strukturen einer typischerweise globalen Fertigungsstrategie beherrschen. Für die Auswahl des Einbauortes gibt es neben wirtschaftlichen Zwängen zahlreiche technische Erwägungen, wie Einflüsse auf die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) durch die Länge des Kabelbaums (z.B. bei Einbau im Motorraum oder Aggregateanbau), den möglichen Verbau im Innenraum im Zuge

der Konzentration von Steuergeräten (in einer Elektronikbox), die Möglichkeit zum Getriebe- oder Motortest inklusive Steuergerät vor dem Verbau im Fahrzeug (d.h. Getriebeanbau; Motoranbau) sowie die Frage nach Integrationsmöglichkeiten (Systemansatz), wie bei der integrierten Getriebesteuerung (vgl. Abschnitt 2.3.3.1). Generell kann man seit einiger Zeit einen Trend bei der Auswahl des Anbauortes weg vom Passagierraum und hin zum aggregatnahen Anbau erkennen. Bei den Einbauorten herrschen in der Regel die in Tabelle 2-1 dargestellten Umgebungsbedingungen. Die Umweltbedingungen werden mit zunehmender Nähe zum Aggregat (Getriebe, Motor) für die Gehäuse immer belastender, was sich in der konzeptionellen Auslegung des Gerätes entsprechend niederschlägt. Zu beachten sind hierbei insbesondere die Auswahl der Materialien, die Fertigungsprinzipien sowie die Funktionsweisen der Geräte.

Bild 2-27: Steuergeräte im Antriebsstrang: a) Stand-alone-Lösung, b) integrierte Lösung

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe Bei Steuergeräten wird zwischen „Stand-aloneLösungen“ und „integrierten Lösungen“ unterschieden (Bild 2-27). Stand-alone bezeichnet Steuerungen, die als eigenständige Einheit im Pkw verbaut werden, im Gegensatz zu integrierten Produkten, die mit einer anderen Funktionseinheit (z.B. Getriebe) kombiniert werden. Beide Konzepte sind in den nachstehenden Kapiteln näher beschrieben. Bild 2-27 verdeutlicht am Beispiel einer Getriebesteuerung den Unterschied der beiden Konzepte. 2.3.1.1.2 Stand-alone-Lösungen In der Vergangenheit mussten die Gehäuse hauptsächlich die innen liegende Elektronik vor Umweltbedingungen wie Wasser, Staub und mechanischen Einwirkungen schützen. Wegen des erhöhten Schaltungsumfangs, der steigenden elektrischen Leistungsfähigkeit sowie durch erhöhte Umgebungstemperaturen als Ergebnis der Verlagerung des Anbauorts hin zum Aggregat hat das thermische Management an Bedeutung gewonnen. So sind die thermischen Rahmenbedingungen heute bereits ein entscheidender Faktor für die Konzeptauswahl. Um Verlustleistungen der Elektronik bis zu 40 Watt nach außen abführen zu können, werden bei der Auslegung der Kühlrippen, der thermischen Brücken und der Schaltungsträger Ergebnisse aus thermischen Simulationen und vergleichenden Messungen hinzu gezogen. Die Umgebungstemperatur und die Temperatur an den Befestigungsstellen entscheiden oft über die Auswahl des Schaltungsträgers und somit auch über die Fertigungsverfahren. Die Gehäuse müssen ferner vielfältige Befestigungsmöglichkeiten (Einschub, Schrauben, Klemmen) bieten und den Vibrationsbedingungen

41 genügen. Um dem Trend zur Leichtbauweise im Automobilbau Rechnung zu tragen, nutzt man bei der Entwicklung Festigkeitsberechnungen. Die Dimensionierung der Teile erfolgt dann gemäß der Spannungsverteilung bei unterschiedlichen Lastfällen. Die Bilder 2-28 und 2-29 zeigen exemplarisch jeweils Gehäusetypen für den Verbau im Fahrgastraum und im Motorraum. Bei den Gehäusen für den Verbau im Fahrgastraum besteht das thermische Konzept aus einer Leiterplatte mit einem speziellen Lagenaufbau, der die Weiterleitung der Abwärme der elektrischen Bauteile zu den metallischen Gehäuseteilen übernimmt. Um den Weg des Wärmetransports so kurz wie möglich zu halten, sind die Leistungshalbleiter in der Regel am Rand der Leiterplatte platziert. Da meist mehr als ein Steuergerät in der Elektronik-Box verbaut wird, kann es vorkommen, dass die anfallende Verlustleistung nicht ausschließlich durch freie Konvektion abgeführt werden kann. In diesem Fall ist ein Zusatzlüfter erforderlich. Bild 2-29 zeigt ein Gehäuse für den Motorraumeinbau. Sein Gewicht liegt zwischen 400 und 1200 g, abhängig von Größe und Funktionalität. Die Abmessungen hängen von der Funktionalität ab und liegen bei einer Länge von rund 160 mm, einer Breite von ca. 180 mm und einer Höhe von ca. 40 mm. Dieser Gehäusetyp erfüllt die Randbedingungen hinsichtlich Funktionalität und Einbauort, wie sie von der Mehrzahl der europäischen Fahrzeughersteller heute gefordert werden. Der modulare Aufbau ermöglicht eine Adaption an unterschiedlichste Befestigungsmöglichkeiten bis hin zum integrierten Anbau am Luftsaugtrakt.

Bild 2-28: Gehäusekonzept für den Verbau im Fahrgastraum oder in der Elektronikbox

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Bild 2-29: Gehäusekonzept für den Einbau im Motorraum; Gewicht 400 bis 1200 g (abhängig von Größe und Funktionalität), Länge ca. 150 mm, Breite ca. 180 mm und Höhe ca. 40 mm (abhängig von der Funktionalität)

2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-31: Gehäusekonzept für Aggregateanbau, z.B. am Luftfilter oder Ansaugmodul

[Quelle: Siemens VDO] Der Einbauort am Getriebe-Aggregat als integrierte Getriebesteuerung stellt die größte Herausforderung an Material, Aufbau- und Fertigungskonzept. Die Lösungen unterscheiden sich daher grundlegend von den vorgenannten. Als Substrat werden keramische Materialien benötigt, als elektrische Bauteile kommen „unverpackte“ integrierte Schaltkreise zum Einsatz (Bild 2-32). Bei einem solchen Konzept sind die Möglichkeiten der Miniaturisierung voll ausgeschöpft.

Bild 2-30: Modulares Stecksystem

Mit unterschiedlichen Stiftleisten können bei nahezu unverändertem technischem Aufbau des Steuergeräts verschiedene Funktionalitätsanforderungen (über die Anzahl und Art der Steckerpins) und unterschiedliche Kabelbaumphilosophien (über die Anzahl der Steckmodule) beherrscht werden. Bild 2-30 zeigt ein modulares Stecksystem für das Steuergerät im Bild 2-29, für das mit standardisierter Schnittstelle zum Gehäuse verschiedene Stecker mit identischer Steckrichtung verfügbar sind. Bild 2-31 zeigt ein Motorsteuergerät für den direkten Anbau z.B. am Luftfilter oder Ansaugmodul. Dieses Konzept verbindet die hohe Vibrationsbeständigkeit laminierter Konzepte mit der Möglichkeit, die Leiterplatte partiell zweiseitig mit elektronischen Bauelementen zu bestücken und damit sehr klein zu bauen.

Bild 2-32: Gehäusekonzept für Motor- oder Getriebeanbau

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe 2.3.1.1.3 Verbindungstechnik Die Stiftleiste des Steckverbinders ist das Ergebnis umfangreicher Abstimmungen zwischen dem Fahrzeughersteller und seinen Zulieferern. Stiftleisten unterliegen zahlreichen Randbedingungen. Dazu zählen der Motormanagement-Systemansatz des Fahrzeugherstellers (Aufteilung der Kabelbaumarchitektur für Motor und Chassis), das Kontaktsystem (Querschnitte, Oberflächen), das Dichtkonzept (Einzelader- oder Sammeldichtung), die Frage der Steckkräfte, die Montagerichtung und die Verriegelungsstrategie, die Diebstahlsicherung, die Vibrationsfestigkeit und Biegesteifigkeit, das Montageverfahren (Schwalllöten, Reflowlöten, Einpressen, Bonden) sowie die Materialauswahl und -kombination, um die wichtigsten Kriterien zu nennen. Definiert werden die Verbindungselemente hauptsächlich durch die Anzahl der Pins, die Anzahl der Module (Kammern), die Dichtheit und die Abgangsrichtung des Steckers (senkrecht oder parallel zur Leiterplatte). Da die Entwicklungsaufwendungen angesichts der vielfältigen Einflussgrößen beträchtlich sind, gibt es gemeinsame Bestrebungen von Fahrzeugherstellern und Zulieferern, Anforderungsklassen und Ausführungen zu vereinheitlichen. 2.3.1.2 Elektronikkonzepte 2.3.1.2.1 Grundstruktur Der grundsätzliche Signalfluss und die wesentlichen Funktionen einer zentralen Steuerungseinheit sind in Bild 2-33 in Form eines Blockdiagramms dargestellt: Die Sensorsignale werden über ein Eingangsfilter zum Rechner geleitet. Dort werden die Signale umge-

43 setzt, und es werden Signale generiert, die über Endstufen zur Aktorik fließen. Über digitale Schnittstellen kann eine Verbindung zu anderen Steuergeräten oder zu Werkstattdiagnosetestern hergestellt werden. Ein Spannungsregler stellt die nötige Versorgung der Bauteile sowie verschiedener, an das Steuergerät angeschlossener Sensoren her. Eine Reset-Logik stellt sicher, dass sich das Steuergerät während und nach Spannungseinbrüchen oder fehlerhaftem Verhalten einzelner Baugruppen in einem präzise definierten Zustand befindet. Signalaufbereitung Von den Sensoren, Schaltern und anderen Steuereinheiten, die im Motorraum und im Fahrzeuginnenraum verteilt sind, gelangen analoge und digitale Signale über den Kabelbaum in die Antriebsstrangsteuergeräte. Dort erfolgt eine Umformung der unterschiedlichen Signalformen und -größen in digitale Spannungen und Frequenzen, die für den Mikrocontroller lesbare Informationen sind. Besonders aufwändig gestaltet sich z.B. die Aufbereitung des Eingangssignals von Induktivgebern zur Drehzahlbestimmung von Wellen im Motor oder im Getriebe. Bei Verwendung von Induktivsensoren liegt die Besonderheit in der Abhängigkeit der Signalamplitude von der Drehzahl. Sie reicht von wenigen hundert Millivolt bei niedrigen Umdrehungszahlen bis hin zu mehreren hundert Volt bei hohen Drehzahlen. Die Signalumwandlung in die digitale Rechteckform der zu messenden Frequenz erfolgt durch eine Nulldurchgangsdetektion, wobei Störsignale durch eine variable Gegenkopplung unterdrückt werden.

Bild 2-33: Signalfluss

44 Signalauswertung Die Rechnereinheit selbst umfasst den Hauptrechner, den Festwertspeicher für Programmcode und Kenngrößen, den variablen Datenspeicher und ggf. die Überwachungseinheit für die Funktionsprüfungen bei sicherheitskritischen Systemen. Die Ergebnisse werden in Form einer Pegel- oder Zeitinformation an die Ausgangsports des Mikrocontrollers weitergeleitet. Das Antriebssystem wird als sicherheitskritisches System betrachtet, weil durch eine Fehlfunktion ein unkontrolliertes Beschleunigen des Fahrzeuges verursacht werden könnte (vgl. Abschnitt 2.1.2.8). Um eine solche unkontrollierte Beschleunigung auszuschließen, kommt neben dem Hauptrechner eine Überwachungseinheit zum Einsatz. Hauptrechner und Überwachungseinheit kontrollieren gegenseitig ihren fehlerfreien Betrieb. Werden beim parallelen Abarbeiten von Rechenalgorithmen Abweichungen zwischen Hauptrechner und Überwachungseinheit erkannt, wird das Aggregat in einen unkritischen Zustand (Notlauf) versetzt. Signalausgabe Der logische Pegel der Ausgangsporttreiber des Mikrocontrollers wird als Steuersignal für die jeweilige Endstufe verwendet, die wiederum den im Fahrzeug verbauten Aktor betreibt. Die Endstufen lassen sich in drei Kategorien einordnen. Dazu gehören Low-SideTreiber, High-Side-Treiber und Brückenendstufen. Low-Side-Treiber (Bild 2-34a) steuern induktive und ohmsche Lasten, die an die Batteriespannung angeschlossen sind. Beispiele dafür sind Ventile, Relais und Zündspulen sowie Heizwiderstände und logische

2 Motor und Antriebsstrang Schnittstellen anderer elektronischer Steuerungen. High-Side-Treiber (Bild 2-34b) wiederum schalten den Stromfluss für Verbraucher, die einseitig an Masse liegen. Bei Brückenendstufen liegt der Verbraucher mit beiden Anschlusspolen am Steuergerät (Bild 2-35). Dieses Anschlussprinzip ist insbesondere für den Betrieb von Gleichstrommotoren vorgesehen, die eine kontinuierliche Verstellung von Vorwärts- und Rückwärtsbewegung erfordern. Allen Endstufen gemeinsam ist eine Selbstschutzfunktion, die bei elektrischen Kurzschlüssen nach Batterie oder Masse- oder bei Lastkurzschluss am Ausgang eine Bauteilzerstörung verhindert. Darüber hinaus werden diese Betriebsstörungen schaltungstechnisch detektiert und in einem Fehlerregister zwischengespeichert. Die Recheneinheit hat nun die Möglichkeit, über die serielle Schnittstelle die Fehlercodes aus der Endstufe abzurufen und fest definierte Reaktionen, wie Notlauffunktionen, Ansteuerung einer Fehlerlampe und Eintrag in den internen Fehlerspeicher, auszulösen. Spannungsversorgung Dieser Schaltungsteil übernimmt die Spannungsversorgung für das Steuergerät aus dem Bordnetz des Fahrzeugs. Je nach Zustand und Belastung der Batterie (z.B. durch den Starter) wird dabei eine im Spannungsbereich von 6 bis 16 V variabler in eine konstante Gleichspannung von 5,0 V (bei neuen Systemen zusätzlich auch weitere Spannungen wie z.B. 3,3 V) für den Betrieb der Elektronik umgewandelt.

Bild 2-34: Prinzip einer Treiberschaltung: a) Low-Side-Treiber, b) High-Side-Treiber (UBat bezeichnet die Batteriespannung, gezählt gegen Masse)

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe

45

Bild 2-35: Prinzip einer H-Brückenschaltung (UBat bezeichnet die Batteriespannung, gezählt gegen Masse)

Die Unterdrückung von Störspannungen aus dem Bordnetz (bis zu r150 V) durch Schutzmaßnahmen mit Halbleitern und Kondensatoren trägt zum fehlerfreien Betrieb der Elektronik bei. Darüber hinaus stellt dieser Schaltungsblock weitere Ausgänge mit einer konstanten Spannung von 5 V bereit, um externe Potentiometer oder Sensoren mit Spannung zu versorgen. Diese so genannten Tracking-Ausgänge haben maximal ein Prozent Abweichung von der Spannung des Hauptreglers.

2.3.1.2.2 Elektronische Bauelemente und Schaltungen Exemplarisch sind hier einige typische, in Steuerungen eingesetzte elektronische Bauelemente und Schaltungen genauer erläutert: Endstufenbausteine Häufig werden Mehrfachbausteine verwendet. Diese Mehrfachendstufenbausteine werden direkt vom Mikrocontroller angesteuert und sind in der Lage, die Aktoren anzusteuern. Eine aufwändige Diagnose überwacht die Ausgänge auf Fehlerzustände wie z.B. Überstrom, Kurzschluss, Übertemperatur oder Leitungsbruch (Open Load). Die für jeden Ausgang separat speicherbaren Fehlerbits können vom Mikrocontroller über ein serielles Interface ausgelesen, ausgewertet und gespeichert werden.

Mikrocontroller Verwendet werden Mikrocontroller, die speziell für Anwendungen in der Automobiltechnik konzipiert wurden. Diese Bausteine kombinieren hohe Rechenleistung mit der Integration von Peripheriebausteinen, die zur Auswertung der Eingangssignale und zur Ansteuerung der Endstufen nötig sind. Spannungsregler Dieser Baustein stellt drei Versorgungen zur Verfügung: eine Hauptversorgung und zwei Nebenversorgungen mit deutlich geringerer Leistungsfähigkeit, die der Hauptversorgung (dem Hauptregler) nachgeführt werden. Der Hauptregler ist für die im Steuergerät untergebrachten Bausteine zuständig, während die beiden nachgeführten Tracking-Ausgänge des Reglers beispielsweise zur Versorgung von Sensoren außerhalb des Steuergerätes verwendet werden können. Weiterhin ist eine Überwachereinheit (Watchdog) und eine Freigabelogik mit in den Baustein integriert (Bild 2-36). Redundante Treiberbausteine Manche Lasten werden zwischen einer Low-SideEndstufe und einer High-Side-Endstufe betrieben, um im Fehlerfall (z.B. Kurzschluss des Low-SideTreibers nach Masse, wodurch die Last nicht mehr abgeschaltet werden könnte) noch mit der zweiten Endstufe reagieren zu können und so für das Fahrzeug eventuell kritische Systemzustände mit Hilfe der Elektronik zu verhindern.

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2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-36: Spannungsregler mit Überwachungseinheit und Freigabelogik

Brückenschaltungen für Elektromotoren mit erhöhten Stromanforderungen Bei Verteilergetrieben für Allradantriebe werden häufig Elektromotoren als Aktor für die Aktivierung der Sperrfunktion eingesetzt. Für den Betrieb dieser Elektromotoren sind Spitzenströme bis weit über 25 A nötig. Für solche Belastungen sind integrierte H-Brücken-Bausteine nicht mehr geeignet. Es muss auf diskrete Lösungen zurückgegriffen werden. Dazu wird ein intelligenter Logikbaustein mit vier Leistungstransistoren zu einer H-Brückenschaltung kombiniert (vgl. hierzu Bild 2-35). Der Logikbaustein ist für die Ansteuerung und Überwachung (Diagnose) der Transistoren zuständig, während die Transistoren (i.A. MOSFETs) als Schalter für den Strom genutzt werden. Auch hier wird, falls nötig, der Strom über Mess-Shunts bestimmt. Abhängig vom Regelkonzept liegt der Mess-Shunt entweder im gemeinsamen Strompfad der beiden Halbbrücken, oder es wird jeweils ein Shunt in den Strompfaden der beiden Halbbrücken eingebracht. Letztere Schaltung hat den Vorteil, dass der Strom durch die Last und der Freilaufstrom (vgl. Bild 2-35) unabhängig voneinander gemessen werden können.

2.3.2 Besonderheiten der Motorsteuergeräte-Hardware Die Motorsteuerungselektronik muss für den Verbau im Motorraum thermisch, mechanisch, von den Abmessungen her und im Hinblick auf elektromagnetische Verträglichkeit geeignet sein. Typischerweise ist der thermische Entwurf unter Einbeziehung konstruktiver Merkmale aller Bauteile aufwändig. Wegen der hohen Anforderungen an die Motorfunktionalität sind leistungsfähige Mikrocontroller erforderlich. Teilweise verlangt der Gesetzgeber eine zusätzliche Diagnosefunktion. Zudem muss die Motorsteuerung meist in mehrere Kommunikationsnetze eingebunden werden (insbesondere CAN). Eine (Re-)Programmierbarkeit im Feld ist ebenfalls gefordert. Die nachfolgend dargestellten Systeme sind die elektronische Grundlage für die in Abschnitt 2.1 (Motormanagement) jeweils näher beschriebenen Funktionen. 2.3.2.1 Zündung Bei Ottomotoren wird die Verbrennung durch die Erzeugung eines Zündfunkens eingeleitet. Dazu wird zwischen den Elektroden der Zündkerze eine Hochspannung erzeugt und so das vorhandene Gas ionisiert.

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe

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Bild 2-37: Beispiel einer Zündschaltung

Die Ionisierungsstrecke brennt weiter, auch wenn die Elektrodenspannung wieder zurückgeht. Um eine sichere Entzündung zu gewährleisten, müssen Beginn und Dauer des Brennvorgangs der Zündkerze geregelt werden. Die Hochspannung entsteht an der Sekundärseite eines Übertragers, indem der Primärstrom zum vorgegebenen Zündzeitpunkt unterbrochen wird. Die Ansteuerelektronik besteht aus dem eigentlichen, spannungsfesten Schalter (IGBT), einer Gate-Treiberschaltung, sowie Mess- und Diagnosefunktionen, die das korrekte Erzeugen des Zündfunkens erfassen. Während der oder die Übertrager motornah verbaut sind, kann der IGBT ggf. zusammen mit einem Teil der Diagnoseelektronik innerhalb oder außerhalb des Steuergeräts platziert sein. Die im Bild 2-37 gezeigte Schaltung weist folgende Funktionalitäten auf: Die Primärspannung verändert sich relativ zu einem vorgegebenen Grenzwert, abhängig vom Strom in der Zündkerze. Hieraus wird auf die Brenndauer des Funkens geschlossen. Der Verlauf der Kollektorspannung am IGBT ist davon abhängig, ob die Induktivität des Übertragers vorhanden ist. Dies wird zum

Bild 2-38: Prinzip der Klopfsignalauswertung

Nachweis eines eventuellen Batteriekurzschlusses genutzt. Der Primärstrom kann direkt mit einem Shunt-Widerstand gemessen werden. Aus dem Messergebnis lässt sich auf die korrekte Funktion schließen, und Regeleingriffe für die nächste Zündung können vorgenommen werden. 2.3.2.2 Klopfsignalauswertung Zur Steuerung des Verbrennungsprozesses, insbesondere bei Ottomotoren, wird das im Brennraum erzeugte Klopfgeräusch verwendet. Ein oder mehrere Körperschallaufnehmer erzeugen ein elektrisches Signal, aus dem das charakteristische Klopffrequenzband im relevanten Zeitintervall heraus gefiltert werden muss (Bild 2-38): Das vom Sensor gelieferte Signal wird zunächst vorverstärkt und das Signalniveau neu angepasst. Da die Signalverarbeitung mit Digitalschaltungen implementiert ist, wird das Signal zunächst gefiltert, um ein Aliasing zu verhindern.

48 Weitere Verstärkung und Bandpassfilterung wählt den relevanten Frequenzanteil aus, Gleichrichtung und Integration erzeugen einen von der Klopfregelung verwendeten Signalwert. Verstärkung, Filtermittenfrequenz und Integrationsparameter sind programmierbar und damit auf ein bestimmtes System anpassbar. Für 4-Zylindermotoren wird ein Sensor ausgewertet, für größere Motoren mehrere, um die zylinderselektive Erfassung ohne Überlappung und mit hinreichender Signalqualität sicherzustellen. 2.3.2.3 Ansteuerung magnetventilbetätigter Injektoren in der Direkteinspritzung Direkteinspritzende Otto- und Dieselmotoren stellen hohe Anforderungen an die Leistung und Genauigkeit der Injektoransteuerung. Bei Injektoren mit Magnetventil (Solenoid) wird ein geregelter Strom verwendet, um das Ventil zu betätigen. Zum Öffnen lässt man zunächst einen hohen Strom fließen, indem man eine hohe Spannung anlegt, die von einem Spannungsübersetzer geliefert wird. Nach einer vorgegebenen Zeit wird der Strom dann auf einen Haltewert zurückgesetzt, der aus der Batteriespannung gespeist wird.

2 Motor und Antriebsstrang 2.3.2.4 Ansteuerung piezogetriebener Injektoren in der Direkteinspritzung Mit der hohen Schaltgeschwindigkeit piezogesteuerter Injektoren lässt sich die Einspritzmenge exakt an die momentanen Anforderungen anpassen und eine hohe Wiederholbarkeit gewährleisten. Weiterhin sind aufgrund der kurzen Schaltzeiten kleinere Einspritzmengen und zusätzliche Vor- und Nacheinspritzungen möglich. Das Aktor-Element besteht aus einem Stapel von mehreren hundert übereinander geschichteten Piezokeramikfolien. Nach Aufbringen von Ladung dehnt sich dieser Aktor innerhalb 0,15 ms um einige 10 µm aus. Elektrisch verhält sich der Piezo-Stapel wie ein nichtlinearer, mit Hysterese behafteter Kondensator. In Bild 2-39 erkennt man einen typischen Strom- und Spannungsverlauf. Aufgrund des Ansteuerstroms fließt Ladung auf oder ab und verändert so die Spannung und den gewünschten Nadelhub. Eine genaue Steuerung der Zeitabläufe und der aufgeflossenen Ladung sind Voraussetzung für die exakte, reproduzierbare Kraftstoffzumessung, die wiederum zum anforderungsgerechten Betrieb des Motors notwendig ist. Die Ansteuerung des Piezo-Injektors besteht aus einem Gleichspannungswandler, der eigentlichen Ansteuerelektronik sowie der Software, die für jeden Einspritzzyklus die Ansteuerparameter festlegt.

Bild 2-39: Strom- und Spannungsverlauf am Piezo-Injektor

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe Gleichspannungswandler Die Ansteuerelektronik wird mit einer Eingangsspannung von 60 bis 80 V betrieben, die von einem Spannungsübersetzer in der Motorsteuerung erzeugt wird. Dieser Wandler ist entsprechend den Anforderungen an die notwendige elektrische Leistung sowohl für den stationären Fall (mittlere Leistungsaufnahme bei voller Last) als auch für kurzzeitige Belastung (Mehrfacheinspritzung in einem Zyklus) auszulegen. Während eines Resets muss sich die Ausgangsspannung auf einen voreingestellten Wert einstellen. Störabstrahlung und Verlustleitung werden durch geeigneten Schaltungsentwurf begrenzt. Injektoransteuerung Bei der Ansteuerung müssen die Injektoren gesteuert geladen und entladen werden. Dies geschieht beispielsweise mit einer Schaltung nach dem Resonanzprinzip, wie in den Bildern 2-40 und 2-41 gezeigt. Dabei bilden die im (Ent-)Ladekreis befindlichen Bauelemente Kondensator und Spule zusammen mit der Piezo-Kapazität ein schwingfähiges System. Die zur Piezoansteuerung notwendige Energie pendelt zwischen dem Steuergerät und dem jeweiligen Injektor hin und her. Die im jeweiligen Kreis befindlichen Dioden erzwingen, dass der Ladungstransport immer nur in der jeweils gewünschten Richtung erfolgt. Der Übersichtlichkeit halber sind hier die Low-SideSelect-Schalter, mit denen der jeweilige Injektor ausgewählt wird, nicht dargestellt.

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Bild 2-41: Entladevorgang des Piezo-Injektors

Die Entladephase (Bild 2-41), beginnt durch Schließen des Schalters S2. Die Ladung fließt nun vom Piezo-Injektor auf den Längskondensator C, dessen Spannung sich erhöht. Die zwischengeschaltete Entladediode verhindert, dass dem Piezo-Injektor unmittelbar nach der Entladung erneut Strom zugeführt wird. Befindet sich das System im Reset, muss die Entladung der Piezo-Aktoren sichergestellt sein, um eine unkontrollierte Einspritzung möglicherweise großer Kraftstoffmengen auszuschließen. Dazu wird der Schalter S2 im Reset geschlossen. Im Fall eines sicherheitskritischen Zustands wird die Einspritzung ebenfalls unterbunden.

2.3.3 Besonderheiten der Getriebeelektronik Vielfach wird die Steuerelektronik in das Getriebe integriert. Daraus resultieren deutlich erhöhte Anforderungen (Temperatur, Vibration, Dichtheit etc.) an die verwendeten elektrischen Bauteile und Materialien. 2.3.3.1 Integrierte Steuerungen

Bild 2-40: Ladevorgang des Piezo-Injektors

Bild 2-40 zeigt den Ladevorgang: Eingangsseitig liefert der Gleichspannungswandler eine geglättete Spannung von U1 | 70 V. Mit dem Schließen des Schalters S1 fließt Ladung auf den Piezo-Injektor, an dem schließlich eine Spannung von rund 140 V anliegt. Die Ladediode verhindert, dass während der Ladephase Ladung vom Piezo-Injektor abfließt. Nach Abschluss der Ladephase öffnet S1 und die auf dem Piezo-Injektor befindliche Ladung hält ihn geöffnet. Durch geeignete Spannungsmessungen am Injektor lässt sich die aufgeflossene Ladung errechnen, woraus Werte für die Regelung und die Diagnose der Ansteuerung abgeleitet werden.

Eine Getriebesteuerung umfasst neben der eigentlichen elektronischen Ansteuerung der Aktoren auch die Erfassung wesentlicher Messgrößen über Weg-, Winkel-, Drehzahl-, Temperatur- und Drucksensorik. Eine ins Getriebe integrierte, mechatronische Getriebesteuerung (Mechatronic Transmission Module, MTM) fasst zusätzlich zur elektronischen Steuerung und zur Sensorik auch die Potential- und Signalverteilung, die Kontaktierung zu den Schaltkomponenten und sonstige hydraulische und elektronische Schnittstelleneinrichtungen zusammen, im Idealfall als eigenständiges Modul. Gegenüber Stand-aloneGetriebesteuerungen bieten ins Getriebe integrierte Steuergeräte ein größeres Potential bei den Funktionen, da alle maßgeblichen Eingabe- und Ausgabekomponenten direkt im Getriebe angeordnet sind. Werden Getriebe und integrierte Steuerung bereits ab der Konzeptionsphase gemeinsam entworfen, lässt

50 sich die Anordnung aller erforderlichen Komponenten hinsichtlich Ort, Orientierung und Technologie optimieren und damit ein Höchstmaß an Integration erreichen. Sinnvollerweise wird eine integrierte Getriebesteuerung an die hydraulische Schaltplatte montiert, also an der tiefsten Stelle des Getriebes im Ölsumpf, da hier die Druckregelventile arbeiten und direkt kontaktiert und angesteuert werden können. Das MTM ist dabei extrem widrigen Umgebungsbedingungen wie hohen Dauervibrationsbelastungen und hohen Dauertemperaturen bei mitunter sehr aggressiven Ölen ausgesetzt. Der Aufbau eines MTMs muss deshalb einen hermetisch dichten Elektronikraum bereitstellen, dauerhafte interne und externe Schnittstellenkontaktierungen sicherstellen und eine hohe mechanische Festigkeit und Stabilität gewährleisten, um auftretende Vibrations- und Drucklasten unbeschadet zu überstehen. Außerdem muss er eine hohe und reproduzierbare Präzision aufweisen, um eine genaue Referenz für angebrachte Sensorik zu bilden und 100prozentige Mediumkompatibilität zum eingesetzten Getriebeöl besitzen. Im Bild 2-42 sind der Aufbau und die verwendete Technologie eines MTMs beispielhaft beschrieben. Als Basis und Schnittstellenglied des MTMs zur hydraulischen Schaltplatte des Getriebes fungiert eine Aluminiumbodenplatte, die als Wärmesenke und Wärmeübertragungskörper für das auf ihr mit Wärmeleitkleber aufgebrachte Keramik-Substrat, die so genannte Low Temperature Cofired Ceramic (LTCC) dient. Auf dieser Bodenplatte befindet sich eine auflaminierte, flexible Leiterplatte, die das

2 Motor und Antriebsstrang Signal- und Potentialverteilungselement von der Getriebesteuerungselektronik auf dem LTCCSubstrat zu allen peripheren Sensierungs- und Signalerfassungskomponenten ist. In der Aluminiumbodenplatte sind Drucksensoren mit eigenen Dichtungen eingepresst. Die elektrische Kontaktierung des Substrats zu den Drucksensoren und der flexiblen Leiterplatte erfolgt über 300-µm-AluminiumDickdrahtbondungen. Die gesamte Elektronik und die Drucksensorik wird mit einem Kunststoffdeckel und einer Einlegedichtung gegen die Umwelt hermetisch abgedichtet und vernietet. Die Dichtungskonfiguration in Kombination mit dem Dichtungswerkstoff wird so gestaltet, dass unter allen Toleranzen und den extremen Temperaturbedingungen eine ausreichende und dauerhaft wirkende Dichtrückstellkraft gewährleistet bleibt. Zum Schutz der elektronischen Bauelemente und der Bondungen gegen Vibrationseinwirkungen wird der Elektronikraum noch mit einem Silikongel befüllt. Kontaktierungen der flexiblen Leiterplatte zu den peripheren Komponenten wie Drehzahlsensoren, Regelventilanschlüssen, Wählbereichsschalter, Fahrzeugstecker und interne Stecker, erfolgen über ein qualifiziertes Laserschweißverfahren. Beim Montieren des MTMs auf der Schaltplatte (einem hydraulischen Element zum Schalten der Fahrstufen) werden simultan alle Druckregelventile ankontaktiert, die hydraulische Schnittstelle zu den Drucksensoren geschlossen und alle Sensorreferenzpositionen hergestellt, wobei die Gestaltung der Druckregelkontakte eine 3DFehlstellung der in der Hydraulik eingesetzten Ventile ausgleichen kann.

Bild 2-42: Mechatronische Getriebesteuerung für ein stufenloses Getriebe

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe

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Bild 2-43: Mechatronische Getriebesteuerung für ein 7-Gang-Automatikgetriebe

Als weiteres Ausführungsbeispiel dient hier die mechatronische Getriebesteuerung für ein 7-GangAutomatikgetriebe (Bild 2-43). Die Technologiegeneration dieses Moduls entspricht dem des oben gezeigten für das stufenlose Getriebe. Dieses Gerät integriert die abgedichtete Steuerelektronik, die Sensorik für den Wählbereich sowie für die Turbinen-, Zwischen-, und Abtriebsdrehzahl und die entsprechende Signal- und Potenzialverteilung. Die elektronische Schnittstelle zwischen der mechatronischen Getriebesteuerung und dem Fahrzeug wird von einem öldichten, fünfpoligen Steckverbinder gebildet, der durch das Getriebegehäuse hindurchragt und mit radial wirkenden O-Ringen gegen dieses abgedichtet wird. Aufgrund der eingesetzten flexiblen Leiterplattentechnologie als signal- und potentialverteilendes Element bleibt der Fahrzeugsteckverbinder in definierten Grenzen beweglich und erlaubt es somit, Montagetoleranzen auszugleichen. Ferner können die Druckregelventile mit Federkontakten flach und ohne spezifische Zwischenkontaktierungselemente auf offene, flexible Leiterplattenbereiche gepresst und so mit der Steuerelektronik verbunden werden. Um eine noch höhere Integrationsstufe zu erreichen, kann für zukünftige, integrierte Getriebesteuerungs-Generationen die Druckregelung als weiterer Bestandteil integriert werden, sodass ein elektrohydraulisches Modul (Electro Hydraulic Module, EHM) entsteht.

2.3.3.2 Elektronik für Getriebesteuerungen Bild 2-44 zeigt das Blockdiagramm einer typischen Anwendung der Getriebesteuerung mit Verkoppelung von Vorder- und Hinterachse. 2.3.3.2.1 Stromregler für elektromagnetische Ventile Bei Automatik-Getrieben erreicht man das Einlegen der verschiedenen Gänge über das Öffnen und Schließen von Brems- und Kupplungselementen im Getriebe. Die Betätigung dieser Elemente erfolgt über das Ein- und Ausschalten von elektromagnetischen Proportionalventilen in der Steuerhydraulik des Getriebes. Um einen komfortablen Gangwechsel zu ermöglichen, muss bei Betätigung der Brems- und Kupplungselemente ein genauer Ablauf eingehalten werden. Dieser wird erreicht, indem die Öffnungsquerschnitte der jeweils betroffenen Stromregelventile für die Steuerhydraulik geregelt werden. Als Messgröße dient hier der zum Öffnungsquerschnitt proportionale elektrische Strom durch das entsprechende Ventil. Dieser wird mit Hilfe von Mess-Shunts über den Mikrocontroller bestimmt und dem Sollwert nachgeregelt. Die Bestimmung des Stroms erfolgt durch Messung des Spannungsabfalls an den MessShunts (sehr niederohmige Widerstände). Der gemessene Spannungswert wird dem Mikrocontroller zugeführt. Hier wird ein Vergleich mit dem Sollwert durchgeführt und über Regelstrategien (z.B. PIDRegler) nachgeregelt.

52

2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-44: Exemplarische Getriebesteuerungselektronik

2.3.4 Software Neben der Darstellung der eigentlich benötigten Funktionalität (vgl. Abschnitt 2.1 zu Motorsteuerungen und Abschnitt 2.2. zu Getriebesteuerungen) muss Software für Antriebsstrangsteuergeräte (dazu zählen auch Steuergeräte für Starter-Generatoren sowie für Quer- und Längsdifferential) eine Vielzahl nichtfunktionaler Anforderungen erfüllen. Diese erwachsen zum Teil aus generellen Voraussetzungen für eine effiziente und kostengünstige Software-Entwicklung (u.a. Wiederverwendbarkeit und Wartbarkeit), zum anderen aus den speziellen Echtzeitanforderungen im Antriebsstrang (extrem schnelle Regelkreise, sicherheitskritische Eingriffe in das Fahrzeugverhalten). Die rapide zunehmende Komplexität von Steuergerätesoftware weiterhin zu beherrschen und die Software wartbar zu machen, steht gerade im Bereich des Antriebsstrangs immer mehr im Zentrum des Software-Entwicklungsprozesses. Der Umfang der Software eines typischen Motorsteuergerätes beispielsweise hat in den letzten Jahren exponentiell zugenommen. Etwa alle 3 Jahre verdoppelt sich die CodeMenge. Gleichzeitig steigt die erforderliche Rechenleistung permanent. Inzwischen ist man hier bei 32Bit-Mikrocontrollern (z.B. Motorola MPC5xx, Infineon TriCore) angelangt. Neben neuen Funktionen,

die dem Fahrer zusätzlichen Komfort bieten sollen, schrauben die strengen gesetzlichen Auflagen im Bereich Sicherheit und Umweltverträglichkeit (z.B. Abgasnormen) die Rechenleistung weiter nach oben. Alle diese Anforderungen lassen sich nur durch den Einsatz von Software abbilden. 2.3.4.1 Funktionale Anforderungen Neben den Hauptfunktionen einer Motor- oder Getriebesteuerung ist in heutigen Steuergeräten eine Vielzahl unterstützender Funktionen implementiert, die typischerweise bereits deutlich mehr als 50 % des Software-Gesamtumfangs ausmachen. Tabelle 2-2 gibt Beispiele für benötigte Haupt- und Nebenfunktionen. 2.3.4.2 Nicht-funktionale Anforderungen Zu den nicht-funktionalen Anforderungen gehören unter anderem ein garantiertes Echtzeitverhalten mit schnellen Reaktionszeiten (z.B. für die Ein- und Ausgabe innerhalb 10 µs, auf Funktionsebene 1 ms bis zu 1 s zeitsynchron oder kurbelwellensynchron).

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe Tabelle 2-2: Bestandteile des Softwareumfangs Hauptfunktionen

Unterstützende Funktionen

Einspritzung

Abgaskontrolle

Zündung

Motor- und Getriebeschutz

Luftpfad Fahrerwunschinterpretation

Eigendiagnose mit extensiver Fehlerspeicherung (EURO X, OBD

Gangberechnung

Notlauf

Schaltung

Re-Programmierung

Kupplungslageregelung

Kommunikation mit anderen Steuergeräten und Netzwerkmanagement

Gangaktorik Hydraulikansteuerung weitere

Überwachung der korrekten Funktion der eigenen Hardware (Prozessor-Monitoring, Checksummen-Prüfungen, Watchdog) Kalibration Komfortfunktionen (Geschwindigkeitsregelung, Fahrererkennung usw.) weitere

Eine effiziente Ausnutzung der verwendeten Hardware-Ressourcen, die teilweise speziell für die Anwendung maßgeschneidert sind (z.B. Mikrocontroller mit spezieller On-Chip-Peripherie) und eine trotz allem weitgehende Unabhängigkeit von der verwendeten Hardware bzw. dem verwendeten Compiler sind ebenso notwendig. Insbesondere wird Unabhängigkeit vom Mikrocontroller gefordert, um nicht nur von einem Lieferanten abhängig zu sein (MultiSource-Strategie), somit mehrere HardwarePlattformen einsetzen zu können und eine hohe Wiederverwendbarkeit zu gewährleisten (auch über mehrere Prozessorgenerationen hinweg, da sich die zugrunde liegende Hardware sehr schnell weiterentwickelt). Weitere Anforderungen sind auch eine Abdeckung verschiedener Anwendungen im Antriebsstrang (Ottomotor, Dieselmotor, Automatikgetriebe, automatisiertes Schaltgetriebe, Differentialsperren, Starter-Generator) mit einem hohen Grad an Wiederverwendung zwischen diesen Anwendungen und die Skalierbarkeit, um einen möglichst großen Bereich einer Anwendung mit einer Software-Lösung abdecken zu können (z.B. vom 3-Zylinder- bis zum 12-Zylinder-Motor). Ferner wird die Integrierbarkeit von Fremdsoftware (Schlüsselkomponenten) von Dritten oder vom Fahrzeughersteller, die Nutzung von Standard-Software-Komponenten (z.B. Betriebssystem und Kommunikation nach OSEK-Standard oder AUTOSAR-Komponenten und ein zertifizierbarer Entwicklungsprozess mit vollständiger Dokumentation gefordert.

53 2.3.4.3 Software-Architektur Die Software-Architektur von Antriebsstrangsteuergeräten muss die oben erwähnten, komplexen Anforderungen zuverlässig erfüllen. Unter der Architektur versteht man in diesem Zusammenhang die grobe Gliederung und die allgemeinen Regeln zur Strukturierung (das so genannte „Top-Level-Design“) sowie die Implementierung der Software (z.B. die Codierungs-Richtlinien für Schnittstellen). Man unterscheidet dabei zwischen statischer Architektur (Strukturierung des Codes, der Speicherzuteilung, Zuteilung von Hardware-Ressourcen, Schnittstellen, Konfiguration etc.) und dynamischer Architektur (Strukturierung des zeitlichen Ablaufs, Zuteilung von Laufzeit). Statische Architektur Für die statische (und teilweise auch für die dynamische) Software-Architektur gelten die folgenden Grundforderungen. So muss die Software modular aufgebaut sein. Gekapselte Software-Komponenten mit definierten Schnittstellen sollen möglichst ohne Seiteneffekte und ohne Kenntnisse der inneren Struktur austauschbar sein. Es sind definierte, aber flexible Schnittstellenmechanismen erforderlich, um auch extern entwickelte Funktionen leicht integrieren zu können. Hardware-abhängige Software-Komponenten („Ein-Ausgabe-Schicht“) sollten klar von Hardware-unabhängigen Komponenten getrennt sein, so dass beispielsweise beim Austausch eines Mikrocontrollers möglichst viel Software wieder verwendet (portiert) werden kann. Außerdem sollten die verwendeten Implementierungen laufzeitoptimiert und gleichzeitig auch robust sein (z.B. durch entsprechende Codierungs-Richtlinien). Um spezifische Optimierungen durchzuführen, teilt man die Software-Komponenten, abhängig von den verschiedenen Anforderungen, in Klassen ein. Diese sind das Betriebssystem und die allgemein verfügbaren Bibliotheken, sehr zeitkritische, hardwareabhängige Ein-Ausgabe-Funktionen, Kommunikationsfunktionen und hardwareunabhängige Anwendungssoftware mit rechenintensiven Regelalgorithmen. Dynamische Architektur Um das korrekte Laufzeitverhalten der verschiedenen Software-Komponenten sicherzustellen, wird der ausführbare Code in so genannte „Tasks“ (Aufgaben) aufgeteilt: Ein Task enthält Code, der auf einen bestimmten, einmaligen oder zyklischen Trigger hin als Sequenz ausgeführt werden soll und gleichzeitig bestimmte zeitliche Anforderungen einhalten muss (z.B. maximale Laufzeit oder eine Deadline für die Berechnungsergebnisse). Beispiele für Trigger, zugeordnete Tasks und deren spezifische Rechenzeitanforderungen sind:

54

2 Motor und Antriebsstrang

Zyklische Trigger mit fester Periode (z.B. 1 ms,

10 ms etc.) für verschieden schnelle Signalerfassungen und Regelkreise (z.B. Fahrpedalauswertung, Stromregler). Der Rechenzeitbedarf ist hier relativ konstant. Zyklische Trigger mit variabler Periode (z.B. kurbelwellensynchrone oder nockenwellensynchrone Signalerfassung und Berechnungen in Motorsteuergeräten, wie etwa bei Einspritzung und Zündung). Der Rechenzeitbedarf steigt hier im Allgemeinen mit der Drehzahl. Das System muss daher entweder für die Maximaldrehzahl ausgelegt werden, oder bei hohen Drehzahlen Optimierungen durchführen, indem bestimmte Algorithmen zum Beispiel nur noch bei jedem zweiten Trigger berechnet werden. Einmalige Trigger (z.B. Schaltvorgang in einem Getriebe). Der Rechenzeitbedarf weist kurzzeitige Spitzen auf, für die genügend Laufzeitreserve vorhanden sein muss. Trigger für den Hochlauf oder das Abschalten des Steuergeräts (max. Hochlauf- und Abschaltzeiten sind vorgegeben). Hardware-Trigger (z.B. Fehlerreaktion einer Endstufe, Empfang einer Netzwerkbotschaft) werden häufig speziell behandelt, da sehr kurze Reaktionszeiten (im µs-Bereich) benötigt werden.

Um die Echtzeitanforderungen der einzelnen Tasks zu garantieren, werden sie entsprechend ihrer Deadlines, ihrer Triggerperiode und dem Laufzeitbedarf in Prioritätsstufen eingeteilt. Der Algorithmus zur Zuteilung der Rechenzeit zu den Prioritätsstufen ist im Betriebssystem implementiert und wird „Scheduling“ genannt. In Antriebsstrangsteuergeräten werden Betriebssysteme mit präemptivem Scheduling, kooperativem Scheduling oder einer anwendungsspezifischen Mischform verwendet (siehe Tabelle 2-3). Zusätzlich gibt es hochpriorisierte Hardware-Interrupts, um die oben erwähnten Hardware-Trigger sicher bedienen zu können. Plattformarchitektur für Motorsteuerungen Wegen des permanent steigenden Integrationsgrades mit inzwischen vielen hundert Steuerungs- und Regelungsfunktionen innerhalb einer MotormanagementLösung ist es auf mittlere Sicht eine der größten Herausforderungen, diese wachsende Komplexität trotz kürzerer Entwicklungszeiten zu beherrschen. Grundlegende Weiterentwicklungen, wie die OttoDirekteinspritzung, die variable Ventilsteuerung und Downsizing-Konzepte, erhöhen die Funktionszahl und den Vernetzungsgrad zusätzlich und vergrößern zugleich bei den Funktionsumfängen die Schnittmengen zwischen Otto- und Dieselmotor.

Tabelle 2-3: Prinzipien der zwei Scheduling-Grundformen für Antriebsstrangsteuergeräte Präemptives Scheduling

Kooperatives Scheduling

Definition

Tasks niedriger Priorität können von Tasks höherer Priorität jederzeit unterbrochen werden

Tasks niedriger Priorität können von Tasks höherer Priorität nur an bestimmten Stellen (Scheduling Points) unterbrochen werden

Vorteil

Kurze Antwortzeiten

Bei korrekter Anwendung geringerer Ressourcenbedarf und weniger Probleme mit der Datenkonsisternz

Nachteil

Hoher Ressourcenbedarf (Stack, Laufzeit-Overhead, Probleme mit der Datenkonsistenz)

Längere Antwortzeiten; die Scheduling Points müssen sehr sorgfältig gewählt werden

Diese Entwicklung führt zu starken Bestrebungen, wo immer möglich, standardisierte Algorithmen (und auch Hardware) wieder verwenden zu können, um den erreichten und künftigen Komplexitätsgrad technisch und wirtschaftlich zu meistern. So gibt es unter der Bezeichnung EMS 2 eine skalierbare, anpassungsfähige Lösung, die auf der Basis einer 32-BitMikrocontroller-Generation einen kompletten Steuerungsaufbau aus standardisierten Softwaremodulen realisiert und dabei innerhalb einer Architektur sowohl Otto- als auch Dieselmotoren abdeckt ([1], [2]). Das Konzept einer Plattformarchitektur verbindet die Notwendigkeit zur Standardisierung aus den oben genannten Gründen mit der Forderung der Fahrzeughersteller, sich durch eigene Funktionen im Wettbewerb abzugrenzen. Dabei ist gleichzeitig die Integration von differenzierenden Funktionalitäten seitens der Zulieferer oder des Fahrzeugherstellers vorgesehen. Da die Plattformarchitektur eine große Veränderung in der Realisierung einer Motorsteuerung bedeutet, soll hier näher darauf eingegangen werden. Aufteilung des Gesamtsystems Ein zentraler Unterschied in der Umsetzung der Plattformarchitektur besteht darin, keine lose Kopplung von Funktionen mit vielen Querabhängigkeiten mehr zuzulassen, sondern Funktionen zu entflechten und streng nach ihrer Kohärenz in gut beherrschbaren Subsystemen zusammenzufassen, d.h. in Gruppen zu kapseln, und diese ausschließlich über stringente Schnittstellendefinitionen zu verbinden.

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe

55

Bild 2-45: Regelungstechnische Grundstruktur nach DIN 19226; u Eingang Sollwerteinsteller, w Führungsgröße, e Regeldifferenz, yR Reglerausgangsgröße, y Stellgröße, z Störgröße, x Regelgröße, r Rückführgröße

Als Grundlage der Systemarchitektur dient ein abstraktes Bild der physikalisch definierten Welt, in der auf das gewünschte Verhalten des Motors mit Aktoren Einfluss genommen wird. Diese Komponenten sind über Steckerpins mit dem Steuergerät verbunden und über eine entsprechende Hardware an das Prozessorsystem angeschlossen. Bei der Strukturierung der Aggregate wurde als gemeinsame Regel die allgemeine Regelungsstruktur nach DIN 19226 zugrunde gelegt (siehe Bild 2-45). Alle relevanten Blöcke dieser Strukturierungsvorlage lassen sich den entsprechenden Abstraktionsebenen der Aggregate zuordnen. Funktionsbestandteile In dieser Architektur werden hardwareunabhängige Funktionsbestandteile betrachtet. Typischerweise handelt es sich dabei um modellbasierte Funktionsstrategien. Sie sind nach dem Prinzip des Top-DownAnsatzes hierarchisch innerhalb von Gruppen zu Aggregaten zusammengefasst, wie in Bild 2-3, die sich ihrerseits aus einzelnen Modulen zusammensetzen. Innerhalb einer Konfiguration stellen die Module also die kleinste vollständige Einheit dar. Durch diese standardisierte Partitionierung nach festen Abstraktions- und Kapselungsregeln entsteht ein skalierbares, modulares System, dessen Bestandteile sich auf den Ebenen der Aggregate und Module austauschen und wieder verwenden lassen, sodass die Gesamtarchitektur anpassungsfähig ist. Die EMS-2-Plattform umfasst 19 Gruppen mit rund 65 Aggregaten. Die Aggregate sind so definiert, dass sie als Subsystem jeweils eine komplette Steuerungs- oder Regelungsaufgabe einschließlich der Datenverarbeitung von Sensorsignalen, der Datenaufbereitung, Plausibilisierung, Sensordiagnose und Ersatzwertbereitstellung leisten. Wird eine Aufgabe modifiziert oder erweitert, so muss definiert werden, welche Aggregate und Module dazu gehören. Ein weiteres Merkmal des Aggregats ist seine eindeutig definierte Schnittstelle, in der Namenskonventionen und Datentypen festgelegt sind. Auch die Schnittstellen selbst sind zum Zweck der Skalierung konfigurierbar.

Infrastruktur der Plattformarchitektur Als Infrastruktur wird der Hardware-nahe Funktionsbestandteil der Plattformarchitektur bezeichnet. In der Infrastruktur sind Hardware-Spezifika abgebildet. Diese Ebene ist Service-orientiert und folgt damit anderen Architekturregeln als die höher abstrahierte Anwendung. Die funktionalen Anforderungen an die Schnittstelle zwischen Anwendung und Infrastruktur ist in eigenen Anforderungsspezifikationen beschrieben. Mit dieser definierten Schnittstelle ist innerhalb der Systemarchitektur die Abstraktion der Hardware sichergestellt. So sind die höher abstrahierten Softwarestandteile der Anwendung unabhängig vom Lebenszyklus der Hardware. 2.3.4.4 Infrastrukturelle Software 2.3.4.4.1 Betriebssystem Das Betriebssystem beinhaltet das Rahmenprogramm für die verschiedenen Funktionen, die in Motor- und Getriebesteuergeräten als Software dargestellt sind. Das Betriebssystem übernimmt die Koordination der quasi-parallelen Ausführung von Softwarefunktionen. Dabei unterliegt die Steuergerätesoftware im Automobil speziellen Anforderungen im Hinblick auf die Betriebssicherheit, die Echtzeitfähigkeit und die optimale Nutzung von Ressourcen. Soweit Echtzeitanforderungen bestehen, kommen speziell entwickelte –„eingebettete“– Betriebssysteme zum Einsatz, die innerhalb vorgegebener zeitlicher Grenzen auf externe physikalische und interne logische Ereignisse reagieren. In einem gemeinsamen Projekt der europäischen Automobilindustrie wurde im Rahmen der OSEK/VDXStandardisierung (OSEK bedeutet Offene Systeme und deren Schnittstellen für die Elektronik im Kraftfahrzeug; VDX bedeutet Vehicle Distributed eXecutive) der Betriebssystemstandard OSEK OS (ISO 17356) für ein ereignisgesteuertes Betriebssystem definiert. In Motor- und Getriebesteuergeräten werden hauptsächlich OSEK-OS-konforme Betriebssysteme verwendet. Es sind Ein-ProzessorBetriebssysteme, die zum Zeitpunkt der Compilie-

56 rung skalierbar und konfigurierbar sind. Sie weisen eine prioritätsgesteuerte Prozessorzuweisung auf. Ihr Verhalten ist ein standardisiertes, und sie verfügen über standardisierte Schnittstellen für die Anwendungen (Funktionen, Algorithmen). Typischerweise sind OSEK-Betriebsysteme für Lowend-Anwendungen geeignet und erfüllen die genannten Echtzeitanforderungen. 2.3.4.4.2 Signalaufbereitung In der Infrastruktur werden die Eingangssignale einer Aufbereitung unterzogen, ehe sie in der funktionalen Software ausgewertet werden. Die Erfassung der Signale erfolgt entweder über Peripherien, die direkt auf dem verwendeten Mikrocontroller integriert sind, oder über externe, teilweise spezialisierte HardwareBaugruppen. In jedem Fall ist es Aufgabe der Infrastruktur, auf der Ebene der so genannten HardwareAbstraktion immer die gleichen Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Analoge Signale Analoge Signale lassen sich sowohl mit in den Mikrocontroller integrierten Analog/Digital-Wandlern als auch mit externen Wandlern erfassen, die bei Bedarf über Multiplexer erweitert werden können. Die Konvertierung der Signale kann je nach Bedarf periodisch in einem vorgegebenen Zeitraster erfolgen, oder durch Ereignisse angestoßen werden. Digitale Signale Zur Erfassung digitaler Signale stehen verschiedene, standardisierte Funktionen zur Verfügung. So kann zum Beispiel über standardisierte Schnittstellen (digitale Schalteingänge) die funktionale Software den logischen Zustand der zugeordneten Signale abfragen. Die Infrastruktur berücksichtigt dabei das Verhalten von eventuell zwischengeschalteter Hardware oder die Infrastruktur erfasst und bestimmt unter Berücksichtigung der Eigenschaften des Signals und der zwischengeschalteten Hardware die Tastverhältnisse verschiedener pulsweitenmodulierter Eingangssignale (PWM-Eingänge). Der funktionalen Software werden standardisierte Schnittstellen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus werden Diagnose-Services bereitgestellt (vgl. Abschnitt 2.3.4.4.4). Neben standardisierten Funktionen stehen auch spezialisierte Treiber zur Verfügung. Beispiele sind: Bitserielle Schnittstellen zur Übertragung von Informationen aus anderen Steuergeräten. Der Datenstrom wird in der Infrastruktur ausgewertet, und die Rohdateninhalte der funktionalen Software zur Verfügung gestellt. Je nach Anforderung werden zusätzliche Diagnose-Informationen bereitgestellt.

2 Motor und Antriebsstrang

Zur Bestimmung der aktuellen Position eines Otto- oder Dieselmotors stellt die Infrastruktur einen spezialisierten Treiber zur Verfügung. Dazu werden Signale von der Motorkurbelwelle und den Nockenwellen in der Infrastruktur erfasst. Der funktionalen Software werden über spezifizierte Schnittstellen der Zustand der Synchronisation, die aktuelle Motorposition, eine Vielzahl von Messgrößen sowie verschiedene DiagnoseInformationen zur Verfügung gestellt. 2.3.4.4.3 Signalausgabe Die Infrastruktur ist weiter für die Ausgabe der Stellgrößen verantwortlich, die in der funktionalen Software ermittelt wurden. Die Ausgabe kann sowohl über die auf dem verwendeten Mikrocontroller integrierte Peripherie als auch über externe Baugruppen erfolgen. Auf der Ebene der Hardware-Abstraktion werden standardisierte Schnittstellen zur Verfügung gestellt. Neben einer Reihe von standardisierten Ausgabeformen, die von unterschiedlichen Modulen in der funktionalen Software benutzt werden, stehen auch eine Reihe von spezialisierten Funktionen zur Verfügung, die im Allgemeinen eigenen Modulen der funktionalen Software zugeordnet sind. Beispiele für standardisierte Signalausgabe sind: standardisierte Schnittstellen (digitale Schaltausgänge), die den logischen Zustand des gewünschten Ausgangs (z.B. aktiv oder passiv) aus der Sicht der funktionalen Software in den entsprechenden Zustand der verwendeten Peripherie umgesetzt. Dabei werden die eingesetzten Hardware-Module berücksichtigt. Häufig werden Stellglieder pulsweitenmoduliert angesteuert, um eine bestimmte Stellgröße einzustellen. Die Infrastruktur stellt hierfür eine Funktion zur Verfügung (PWM-Ausgänge), die es der funktionalen Software erlaubt, sowohl das Tastverhältnis als auch die Ansteuerfrequenz einzustellen. Als spezialisierte Funktionen stehen zum Beispiel folgende zur Verfügung: Für die Ausgabe der Einspritzimpulse für Otto- oder Dieselmotoren existiert eine eigene Infrastrukturfunktion. Über eindeutig spezifizierte Schnittstellen ist die funktionale Software in der Lage, alle geforderten Pulsmuster und Betriebsmodi einzustellen. Wie im Falle der Einspritzung stellt die Infrastruktur der funktionalen Software spezifizierte Schnittstellen zur Zündungsansteuerung und Zündungsdiagnose zur Verfügung, welche die funktionale Software in die Lage versetzen, die angeforderten Modi und zugehörigen Timings einzustellen. Zusätzlich werden bestimmte Diagnosefunktionen in der Infrastruktur zur Verfügung gestellt.

2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe 2.3.4.4.4 Diagnose-Funktionen Kraftfahrzeuge und insbesondere Motoren und Getriebe müssen heute elektronisch diagnostizierbar sein. Über einen im Fahrzeug verbauten Diagnosestecker können die Steuergeräte mit einem Diagnosetester (z.B. OBD-Scantool) kommunizieren. Die für die Diagnosekommunikation verwendeten Protokolle basieren auf internationalen Standards wie dem KeyWord-Protokoll 2000 (KWP 2000) oder zukünftig die Unified-Diagnostic-Services (UDS). Dabei werden die K-Leitung oder der leistungsfähigere CAN-Bus als Transportmittel genutzt. Die in der Anwendungsschicht beschriebenen Dienste (Services) erlauben dem Anwender das Auslesen von abgasrelevanten Daten oder das Starten und Beenden von Routinen im Steuergerät. Weiterhin können Logistikdaten, Fehlercodes, Kennungen etc. gelesen oder ins Steuergerät geschrieben werden. Zu Einzelheiten sei hier auf den Abschnitt 2.1.2.7 (On-BoardDiagnose) im Kapitel Motormanagement verwiesen. Auch für die in Zukunft immer wichtiger werdende Steuergeräteprogrammierung werden standardisierte Diagnosedienste, so genannte Download-Dienste, durch die oben genannten Protokolle zur Verfügung gestellt. Die Diagnosekommunikation arbeitet nach dem klassischen Client-Server-Prinzip, wobei der Client (Tester) stets mit einer Anfrage die Kommunikation beginnt und ein oder mehrere Server (Steuergeräte) darauf antworten. Dabei wird zwischen physikalischer und funktionaler Adressierung unterschieden. Bei der physikalischen Adressierung wird vom Client genau ein Server angesprochen. Dieser sendet dann die entsprechende Antwort wieder zurück zum Client. Es ist aber auch möglich, dass der Client mehrere Server gleichzeitig über eine funktional adressierte Anfrage anspricht. Daraufhin antworten alle adressierten Server nacheinander und senden die entsprechenden Daten zurück zum Client. Die Implementierung der Protokollsoftware im Steuergerät basiert auf dem OSI-Schichtenmodell (OSI steht für Open System Interconnection). Dabei wird der Vorgang der Datenübertragung funktional in verschiedene Hierarchieebenen unterteilt. Nur bei einer Implementierung nach dem Schichtenmodell lassen sich einzelne Schichten unabhängig voneinander austauschen. Die Funktionalitäten der einzelnen Schichten sind in entsprechenden ISO-Dokumenten spezifiziert. Bild 2-46 zeigt die verwendeten OSISchichten anhand einer Beispiel-Implementierung von UDS und abgasrelevanten Diensten auf einem CAN-Bus-System. Die Infrastruktur stellt Diagnose-Services zur Verfügung, die von der funktionalen Software ausgewertet werden. Dabei wird zwischen funktionalen DiagnoseServices, die immer in der gleichen Weise zur Verfügung gestellt werden, und so genannten ECU-Selftest-

57 Services zur Prüfung der Steuergeräte-Hardware unterschieden. Zu den funktionalen Diagnose-Services gehören beispielsweise die Endstufendiagnose und die Prüfung von pulsweitenmodulierten Eingangssignalen. Die verwendeten Endstufenbausteine sind in der Regel diagnosefähig. Die Infrastruktur erfasst die von Baustein zu Baustein unterschiedlichen Signale, und bereitet eine Schnittstelle für die funktionale Software vor, die unter Berücksichtigung der individuellen Eigenschaften dieser Bausteine eine Information über die relevanten Fehlerzustände „Kurzschluss nach Masse“, „Kurzschluss nach Batterie“ und „Leitungsunterbrechung“ enthält. Die Infrastruktur überwacht die Periodendauer von pulsweitenmodulierten Signalen, und stellt der funktionalen Software eine standardisierte Schnittstelle zur Erkennung ungültiger Perioden zur Verfügung.

Bild 2-46: OSI-Schichtenmodell eines CAN-Diagnoseprotokolls

Zur Überwachung der steuergeräteinternen Hardware erfolgen ein RAM-Test, ein Programm- und Datenspeichertest sowie die Überwachung interner Schnittstellen. Die verschiedenen Bereiche des RAM-Speichers werden einem Test unterzogen, der teilweise einmalig pro Betriebszyklus, teilweise zyklisch abläuft. Die Testalgorithmen sind üblicherweise auf die Architektur des Mikrocontroller-Speichers und -Bussystems spezialisiert. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt in der funktionalen Software. Das Programm und die Daten werden üblicherweise in Flash Speichern abgelegt. Die Inhalte werden einmalig pro Betriebszyklus oder zyklisch mit einer Prüfsummenberechnung auf Korrektheit überprüft. Die funktionale Software erfasst die Ergebnisse und legt die Auswirkungen fest. Die Hardware-Komponenten werden zum Teil über steuergeräteinterne Schnittstellen mit dem Mikrocontroller verbunden. Diese internen Schnittstellen werden von der Infrastruktur laufend überprüft. Das Diagnoseergebnis wird von der funktionalen Software ausgewertet, den betroffenen Funktionsmodulen zugeordnet und die daraus abgeleiteten Strategien werden festgelegt.

58

2 Motor und Antriebsstrang

Literatur zu Abschnitt 2.3 [1] Berentroth, L,; Eppinger, K.: Plattform versus Flexibilität: Die Siemens VDO EMS 2 Plattform Architektur. Tagung Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [2] Berentroth, L.; Claraz, D.; Eppinger, K.: Reuse Strategy at Siemens VDO Automotive: The EMS 2 Powertrain Platform Architecture. Ingénieurs de l’Automobile, Nr. 767, Ausg. März 2004

2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug 2.4.1 Übersicht über Nutzfahrzeuggetriebe Neben den im Nutzfahrzeug noch weit verbreiteten Handschaltgetrieben kommen derzeit fast ausschließlich Lastschalt-Automatgetriebe oder automatisierte Schaltgetriebe zur Anwendung. Stufenlose Getriebe haben sich wegen der Drehmomentbegrenzung bisher nicht durchgesetzt. Damit ist die Typenvielfalt zwar etwas geringer als im Pkw-Bereich, allerdings gibt es die Getriebe aufgrund der Fahrzeugbandbreite vom Kleintransporter bis zum schweren Lkw in sehr vielen unterschiedlichen Ausführungen und mit verschiedensten Zusatzkomponenten. 2.4.1.1 Lastschalt-Automatgetriebe Elektronisch gesteuerte Automatgetriebe in Planetenbauweise (und damit ohne Unterbrechung der Zugkraft während der Schaltung) sind schon seit langem etabliert. Durch ihren konstruktiven Aufbau als Lastschaltgetriebe sind sie für Einsätze im Personentransport (Stadtbusse) sowie für Fahrten im Gelände (OffRoad-Fahrzeuge) besonders gut geeignet. Sie sind je nach Anwendung für 4 – 6 Gänge ausgelegt. Wie in Bild 2-47 dargestellt, bestehen sie üblicherweise aus einem hydrodynamischen Drehmomentwandler mit Überbrückungskupplung (zur Reduktion der Wandlerverluste) sowie einer Schaltwalze mit mehreren verkoppelten Planetenradsätzen. Der Drehmomentwandler erlaubt ein weiches Anfahren sowie ein weiches Rangieren des Fahrzeuges. Während der Fahrt wird der Wandler überbrückt, um Verluste zu reduzieren. Die Verkopplung der Radsätze erfolgt über schaltbare Kupplungen und Bremsen, die je nach Betriebssituation von der Elektronik angesteuert werden und so die Gesamtübersetzung des Getriebes, also den jeweiligen Gang bestimmen. Häufig besitzen diese Getriebe eingebaute hydrodynamische Bremsen (Retarder) die ohne Bremsverschleiß das Fahrzeug weich abbremsen können.

Bild 2-47: Lastschalt-Automatgetriebe: 1 Drehmomentwandler, 2 Überbrückungskupplung, 3 Planetensätze [Quelle: ZF]

Die Betätigung der Schaltelemente im Getriebe erfolgt hydraulisch mit druckgeregelten Ventilen, um eine von der Elektronik geregelte, weiche und verlustfreie Schaltung zu erzielen. Diese Ventile sind in einem hydraulischen Schaltgerät im Getriebe zusammengefasst. Die elektronische Steuerung, die hier nur sehr kurz dargestellt werden soll, ist abhängig vom Fahrzeugbetriebszustand zuständig für: die Wahl des jeweils richtigen Ganges, das komfortable, ruckfreie Wechseln von Gängen, das bedarfsgerechte Bremsen, das Reduzieren von Verlusten, das Reduzieren von Emissionen, das Gewährleisten einer hohen Fahrsicherheit, das Erleichtern der Getriebe-Bedienung. Dank der elektronischen Steuerung ist das System sehr flexibel konfigurierbar und es wird deshalb bei gleicher Bauweise in verschiedensten Anwendungen verbaut, nicht selten auch in Kommunal- oder Bahnfahrzeugen. Die Elektronik ist aufgrund der extremen Anforderungen (Temperatur, Vibration und Lebensdauer) nicht im Getriebe integriert. Die dafür notwendige Technologie ist derzeit für die begrenzten Stückzahlen kommerziell noch nicht sinnvoll umsetzbar.

2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug 2.4.1.2 Automatische Getriebe Automatische Getriebe (Automatisierte Schaltgetriebe ASG) bauen auf Handschaltgetrieben auf, die mit zusätzlichen Betätigungselementen automatisiert werden. Grundsätzlich gibt es hier sogenannte „Addon-Systeme“ mit auf Handschaltgetrieben aufgesetzten Automatisierungskomponenten oder „Integrierte Systeme“ mit integrierter Automatisierungstechnologie. Für die Breite der Nutzfahrzeug-Anwendungen kommen verschiedenste Basisgetriebe (Synchronoder Klauengetriebe mit verschiedensten Radsätzen von 6 bis 16 Gängen) zum Einsatz. Aufgrund der vielfältigen Fahrzeugtypen und Infrastrukturen werden verschiedene Automatisierungstechnologien (z.B elektro-pneumatische, elektrohydraulische oder elektromotorische Stellsysteme) angewendet. 2.4.1.3 Integrierte Getriebebremse Nutzfahrzeuggetriebe werden häufig um hydrodynamische Bremsen ergänzt. Bei ZF sind dies ins Getriebe integrierte Systeme mit einer typischen Bremsleistung von ca. 300 kW, die auch als „Intarder“ bezeichnet werden. Ihr Vorteil gegenüber den mechanischen Radbremsen liegt in der Verschleißfreiheit und in der feinfühligen Ansteuerung, die mit Unterstützung der Elektronik auch eine Geschwindigkeitsregelung des Fahrzeugs im Schubbetrieb erlaubt. Der Einsatz eines „Intarders“ in Ergänzung zu den normalen Radbremsen spart somit nicht nur Betriebskosten durch eine seltenere Bremswartung, sondern er trägt bei schweren Fahrzeugen indirekt auch zur Fahrsicherheit bei, da heiß gefahrene und damit drehmomentbeschränkte Bremsen in aller Regel nicht mehr auftreten. Die Steuerung des Bremsmomentes erfolgt über die Beeinflussung des Betriebsdruckes mit einer Druck-

59 regeleinheit (Bild 2-48). Für ein schnelles Ansprechen der Bremse wird mit einem Schaltventil ein Druckspeicher betätigt. Zur Sicherstellung eines gesunden Wärmehaushaltes wird bei Erreichung einer kritischen Betriebstemperatur nach einer speziellen Strategie das Bremsmoment zurückgenommen. Die Regelung der Fahrzeug-Geschwindigkeit im „BremsTempomatbetrieb“ erfolgt in einer Regelschleife über die Abtriebsdrehzahl, ähnlich wie beim „AntriebsTempomaten“ im Zugbetrieb.

2.4.2 Automatisierungstechnologien für automatische Getriebe Beim automatischen Getriebe müssen die notwendigen Schaltelemente sowie die Kupplung, die beim Handschalter mit der Hand bzw. mit dem Fuß umgesteuert werden, mit elektrisch steuerbaren Stelleinrichtungen betätigt werden. Leider sind über die gesamte Produktpalette die Anforderungen und die Fahrzeugbedingungen derart unterschiedlich, dass verschiedenste Technologien zum Einsatz kommen. Kommen in kleineren Nutzfahrzeugen wegen der begrenzten Kräfte noch elektromotorische Stellsysteme zum Einsatz, so sind es im schweren Nutzfahrzeug elektropneumatische Stellsysteme, weil Druckluft als Medium bereits im Fahrzeug vorhanden ist. Bei den Fahrzeugen mittlerer Größe findet man zumeist elektrohydraulische Steuersysteme. 2.4.2.1 Elektromotorische Steuerung für automatische Getriebe Die elektromotorische Stelleinheit besteht typischerweise aus einer X-Y-Stelleinrichtung und einem Kupplungssteller (Bild 2-49).

Bild 2-48: Integriertes Retardersystem „ZF-Intarder“: 1 Druckspeicher, 2 Druckregeleinheit, 3 Schaltventil

60

2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-49: Elektromotorisches ASG [Quelle: ZF]

Bild 2-50: Elektrohydraulisches Stellsystem [Quelle: ZF]

Ähnlich wie beim Handschalthebel wird über einen Elektromotor quer zur Fahrtrichtung die Gasse des jeweiligen Ganges gewählt und über einen Elektromotor in Fahrtrichtung der jeweils notwendige Gang eingelegt. Ein Spindelantrieb überträgt die rotatorische Bewegung der Motoren auf eine translatorische Bewegung der einzelnen Schaltschienen im Getriebe. Sensoren zur Rückmeldung der Gangposition sind in den Elektromotoren integriert. Der Kupplungssteller erzeugt ebenfalls eine translatorische Bewegung, die über einen Elektromotor und ein Zahnradsegment erzeugt wird. Der Steller betätigt die heute übliche Kupplungsschwinge am Getriebe. Der Steller beinhaltet zusätzliche Federn zum Kraftausgleich für die Kupplung und eine mechanische Einheit zum Verschleißausgleich. Die Elektromotoren werden dann von einer Elektronik angesteuert, die das komplette Getriebemanagement übernimmt.

2.4.2.3 Elektropneumatische Steuerung für automatische Getriebe Die elektropneumatische Steuerung verwendet Stellzylinder und Schaltventile in vergleichbarer Anordnung zur hydraulischen Systemlösung, jedoch mit pneumatischen Einheiten. Aufgrund der Ausführung als Vielgang-Getriebe mit 10, 12, und 16 Gängen werden bei diesem Getriebetyp zwei weitere Stellzylinder für die benötigt, die ebenfalls mit elektropneumatischen Stellventilen angesteuert werden. Sensoren an den Stellzylindern melden auch hier die aktuelle Position zurück (Bild 2-51). Die Kupplung wird über ein eigenes Stellmodul mit Stellzylinder, Schaltventilen und Sensoreinheit betätigt. Dieser Modul betätigt wiederum die Kupplungsausrückung, wie sie auch von den Handschaltgetrieben her bekannt ist. Die Verschleißkompensation der Kupplung wird in der Elektronik umgesetzt.

2.4.2.2 Elektrohydraulische Steuerung für automatische Getriebe Auch beim hydraulischen Stellsystem wird über eine X-Y-Stelleinheit geschaltet. Hier kommen jedoch Stellzylinder zum Einsatz, die mit elektrohydraulischen Schaltventilen angesteuert werden. Die Position der Stellzylinder wird über geeignete Sensoren zurückgemeldet (Bild 2-50). Die Kupplung wird über einen konzentrischen hydraulischen Stellzylinder ausgerückt, der um die Getriebewelle herumgebaut ist. Er wird über 3 hydraulische schnell schaltende Schaltventile positioniert. Die Kupplungsstellung wird von einem Sensor zurückgemeldet. Der Verschleißausgleich der Kupplung wird in der Elektronik durchgeführt.

Bild 2-51: Elektropneumatisches Stellsystem [Quelle: ZF]

2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug

61

Bild 2-52: Prinzipaufbau des Getriebes AS Tronic von ZF

2.4.3 Elektronische Steuerung 2.4.3.1 Systemanforderungen Bild 2-52 zeigt das Getriebe AS-Tronic von ZF für den Einsatz in Nutzfahrzeugen (über 6 t) im Fernund Reiseverkehr. Diese Getriebe sind vor allem als Vielgang-Getriebe aufgebaut und besitzen aufgrund der wenigen Zahneingriffe und der energiefreien Selbsthaltung der Schaltelemente einen sehr hohen Wirkungsgrad. Der Hauptgetriebeteil ist mit einer Klauenschaltung aufgebaut. Die Schaltung dieser Getriebe mit Zwischengas und Doppelkuppeln war früher derart kompliziert, dass nur Experten damit umgehen konnten. Mit Hilfe der elektronischen

Bild 2-53: Getriebesteller (Mechatronik-Modul)

Steuerung und der funktionalen Vernetzung aller Fahrzeugsysteme untereinander wird diese Aufgabe nun auf die Elektronik verlagert. Schalten, Kuppeln, Motordrehzahl anpassen erledigt die Elektronik selbständig, ohne den Fahrer zu beanspruchen. 2.4.3.2 Integrierter Getriebesteller Das Mechatronik-Modul Getriebesteller (Bild 2-53) ist als eigene Montage-Einheit integriert aufgebaut, um die notwendige Kompaktheit und Zuverlässigkeit zu erzielen, die im Nutzfahrzeug benötigt wird.

62 Es besteht gegenüber früheren Lösungen aus deutlich weniger Einzelteilen bei gleichzeitig höherer Funktionalität. Alle Komponenten wie Elektronik, Stellzylinder, Ventile und Sensoren sind auf engstem Raum montiert, vorgetestet, und sie werden in einem Arbeitsgang in das Getriebe integriert. Dadurch werden Einbaukosten eingespart, und die Zuverlässigkeit wird gegenüber den üblichen Add-On-Steuersystemen erhöht. Die Vor-Ort-Elektronik ist ein entscheidender Schritt, um Schnittstellenaufwand und damit in der Folge Einbauaufwand drastisch zu reduzieren. 2.4.3.3 Integrierter Kupplungssteller Für die automatische Steuerung der Trockenkupplung wird ein Kupplungsstellermodul verwendet, das mit einem pneumatischen Stellzylinder und vier Ansteuerventilen sowie einer eigenen Weg-Sensorelektronik ausgestattet ist. Die Ansteuerung der Kupplungsventile zur Regelung der Kupplungsposition geschieht direkt über die Getriebestellereinheit. Die Ausführung des Kupplungsstellers (Bild 2-54) gewährleistet auch bei Ausfall eines Ventils oder des Wegsensors noch einen ausreichenden Notbetrieb des Systems. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen im Fernverkehr kann mit dem System eine Kupplungslebensdauer von meist über 700 000 Kilometern prognostiziert werden. Dies ist typischerweise eine Verbesserung von mehr als Faktor zwei gegenüber den heutigen Handschalt-Getriebesystemen. Das bedeutet einen ein enormen Beitrag zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, da ein Kupplungswechsel erhebliche Aufwendungen verursacht.

2 Motor und Antriebsstrang 2.4.3.4 Aufbau der Elektronik Zentrales Element ist die elektronische Getriebesteuerung, die oft zusammen mit Stellgliedern und Sensoren als Mechatronik-Modul aufgebaut und direkt ins Getriebe integriert ist. Sie beinhaltet alle Funktionen und Baugruppen, die zur Steuerung des Getriebes benötigt werden (Kupplungssteuerung, Getriebeschaltung und Gangwahlmodul mit Fahrstrategie). Die Elektronik stellt einerseits alle notwendigen Verbindungen zur Getriebeschaltung und zur Kupplungsbetätigung inklusive einiger Zusatzsensoren her, andererseits ist sie zu Peripheriemodulen (Fahrschalter und Display) sowie zu den anderen Fahrzeugsystemen über zwei getrennte CAN-Verbindungen verbunden. Die Getriebeelektronik selbst ist in „Planar-Technologie“ aufgebaut. Hierbei werden dünne KunststoffFolien auf eine Aluminium Grundplatte laminiert, die die gesamte Verdrahtung beinhalten und für eine hervorragende Wärmeabführung sorgen. Diese Technik sorgt für eine ausreichend hohe Temperaturfestigkeit bis 120 °C (Umgebungstemperatur) und Vibrationsfestigkeit bis 30 g, wie dies für den Einsatzfall im Getriebe gefordert ist. Dies ist im Gegensatz zu den im Pkw-Bereich oft verwendeten Hybridsteuerungen eine Technologie, die auch für heutige Stückzahlen und für die nötige Änderungsfreundlichkeit im Nfz-Bereich geeignet ist. Um einerseits die hohen Temperaturgrenzen abdecken zu können, anderseits aber auch die notwendigen Zuverlässigkeitsanforderungen zu erfüllen, wurde ein spezielles Temperaturprofil ausgemessen und definiert, das der Auslegung zugrunde liegt.

Bild 2-54: Kupplungssteller

2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug Ein Temperatursensor auf den Leiterplatte erkennt extreme Temperaturanstiege und veranlasst das System zu Funktionen, die einer weiteren Aufheizung entgegen wirken. Auf der Steuerung versehen zwei 16-Bit-Mikrocontroller ihren Dienst, die mit 750 kByte EPROM und 20 kByte RAM ausgestattet sind. Beide Rechner überwachen sich gegenseitig und aktivieren gegebenenfalls Sicherheitsfunktionen und spezielle Sicherheitsschaltkreise. Systemimmanente Redundanzen und eine Vielzahl von Sonderfunktionen gewährleisten eine sehr hohe Systemverfügbarkeit.

2.4.4 Funktionen Die Funktionen gliedern sich in drei wichtige, ähnlich umfangreiche Funktionsgruppen, nämlich die Fahrzeugfunktionen, die Basisfunktionen und die hardwarenahen Funktionen. Sie bilden sich auch in etwa gleicher Größenordnung in der Software ab (Bild 2-55).

63 Beim Rangierbetrieb, der automatisch erkannt wird oder alternativ auch über einen Schalter gewählt werden kann, wird die Kupplung auf einen definierten Einrückgrad und nicht mehr auf die Drehzahl geregelt. So kann der Fahrer per Gaspedal feinfühlig rangieren (Bild 2-56a). Bei einer Schaltung wird, nachdem am Motor ein Lastwechsel durch Gasrücknahme eingeleitet wurde, die Kupplung geöffnet und der Schaltablauf gestartet (Bild 2-56b). Ist der alte Gang herausgenommen und der neue Gang bereits angewählt, so wird beim Klauengetriebe mit Hilfe der Kupplung und der Motorbeeinflussung die Getriebedrehzahl synchronisiert und der neue Gang eingelegt. Am Ende der Schaltung wird die „Motorkontrolle“ wieder dem Fahrer übergeben, und die Kupplung wird wieder geregelt eingerückt.

2.4.4.1 Kupplungsregelung Die Kupplungsregelung kontrolliert das Anfahren des Fahrzeugs sowie die Schaltvorgänge während der Fahrt. Das für Lkw sehr wichtige Rangieren ist ein Sonderbetrieb im Rahmen des Anfahrens. Ähnlich wie beim Handschaltgetriebe ist für eine bestimmte Anfahrgüte auch die gleichzeitig richtige Betätigung des Gaspedals nötig. Diese Beeinflussung des Gaspedals wird beim automatischen Getriebe ebenfalls von der Kupplungsregelung übernommen. Beim Anfahren des Fahrzeuges wird in aller Regel ein vordefinierter Verlauf für Motor- und Getriebedrehzahl eingestellt, bis die Kupplung ausgehend von der maximalen Drehzahldifferenz eine Drehzahlgleichheit erreicht hat. Danach wird die Kupplung in Endposition gebracht. Leerwege an der Kupplung werden sehr schnell gesteuert durchfahren, um eine hohe Stelldynamik zu erreichen.

Bild 2-56a: Typischer Anfahrvorgang

Bild 2-55: Funktionen eines automatischen Getriebes

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2 Motor und Antriebsstrang Schaltzylinder betätigt, um den neuen Gang einzulegen. Dieser Ablauf gilt für ein relativ einfaches Getriebe. Bei Vielganggetrieben sind diesem Vorgang noch ein oder zwei weitere Schaltabläufe überlagert, so dass ein sehr komplexer Ablauf mit Verschachtelungen und Folgesteuerungsanteilen entsteht. Der Schaltablauf wird während der ganzen Zeit mit Sensoren überwacht, damit einerseits die Abläufe optimal erfolgen können, aber auch um Störungen im Ablauf zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Ein solcher Fall tritt auf, wenn bei der Schaltung am Klauengetriebe die Schaltzähne ungünstig aufeinander treffen und mit zusätzliche Entlastung des Antriebsstranges die Schaltung zu Ende gebracht werden muss. 2.4.4.3 Fahrstrategie

Bild 2-56b: Typischer Schaltvorgang

2.4.4.2 Schaltablaufsteuerung Die Schaltablaufsteuerung sorgt für die richtige Betätigungssequenz zum Einschalten oder Wechseln eines Ganges. Dieser Vorgang ist, wie oben beschrieben, mit der Kupplungsregelung und der Motorbeeinflussung synchronisiert. Ist der Antriebsstrang lastfrei und die Kupplung offen, so wird als erstes der bestehende Gang herausgenommen. Dies erfolgt durch Betätigung des Gangschaltzylinders in Richtung der Getriebe-Neutralposition. Ist das Getriebe in Neutralstellung, wird die Getriebegasse des neuen Ganges angewählt und der

Neben dem Schaltablauf selbst ist die Wahl des jeweils richtigen Schaltzeitpunktes, des Ganges und der zu schaltenden Gangzahl eine besondere Herausforderung. Hier gilt es, das technische Optimum hinsichtlich Kraftstoffverbrauch, Emissionen und Fahrleistung darzustellen und trotzdem noch dem (nicht selten subjektiven) Wunsch des Fahrers gerecht zu werden. Die ist keine einfache Aufgabe, die neben einem Abbild der physikalischen Gegebenheiten in Form von Regelalgorithmen meist noch eine empirische Komponente zur spezifischen Anpassung (Fahrzeugabstimmung) beinhaltet. Wesentlicher Bestandteil der Fahrstrategie ist ein Modul zur Erkennung des aktuellen Fahrzustandes. Hier werden Zustände wie z.B. Stillstand, Beschleunigungsfahrt, Konstantfahrt usw. detektiert. Daneben werden laufend Signale (z.B. Geschwindigkeit, Beschleunigung, Verbrauch, Leistungsüberschuss) erfasst. Zudem laufen Beobachter zur Schätzung verschiedenster Zustandsgrößen wie z.B. Beladung, Steigung oder Fahrwiderstand.

Bild 2-57: Fahrstrategie für ein automatisches Getriebe

2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug Alle diese Informationen werden in einem komplexen Regelwerk analysiert und für den aktuellen Gang und die evt. zu schaltenden Gänge bewertet. Daraufhin wird eine Schaltempfehlung ausgegeben. Für bestimmte Situationen, wo der Fahrer (z.B. aufgrund der Übersicht über die Verkehrssituation, die derzeit noch nicht elektronisch ermittelt wird) anders entscheidet, ist ein manueller Eingriff in die Gangwahl durch den Fahrer möglich (Bild 2-57). Wie bereits erwähnt, gibt es auch noch subjektive Einstellkriterien, in denen sich verschiedene Fahrzeughersteller unterscheiden möchten. Diese werden in Abstimmfahrten gezielt eingestellt. 2.4.4.4 Sonstige Funktionen Neben den bisher erwähnten Basisfunktionen gibt es eine Menge von weiteren Funktionen innerhalb einer Getriebesteuerung. Beispielsweise gibt es eigene Abläufe zur Zuschaltung und Regelung von Nebenabtrieben, Anzeigefunktionen für die Fahrerkommunikation, die Erfassung von Bedieneinheiten und neuerdings auch eine Menge von Funktionen, die auf einem Datenaustausch mit anderen Fahrzeugsystemen beruhen, wie z.B. einer Bergangfahrhilfe. Weitere Funktionen, die mindestens 50 % des Gesamtfunktionsumfangs ausmachen, sind die Diagnose und die Notfahrfunktionen. Diese sollen einerseits helfen, mögliche Fehler an Komponenten schnell und sicher zu finden, andererseits eine hohe Systemverfügbarkeit zu garantieren, wenn nicht besonders kritische Komponenten ausgefallen sind.

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2.4.5 Steuerungssoftware 2.4.5.1 Software-Struktur Die Software ist modular und angelehnt an den Grundsätzen der Objektorientierung ausgeführt. Ein Großteil der Software, insbesondere im hardwarenahen Bereich, ist standardisiert. Die Funktionsmodule sind (soweit möglich) stark gekapselt, um einen hohen Wiederverwendungsgrad zu erreichen (Bild 2-58). 2.4.5.2 Software-Konfiguration und Applikation Da die Getriebe in verschiedensten Nutzfahrzeugen (vom Lkw über den Bus, das Geländefahrzeug bis hin zum Bahntriebwagen) eingesetzt werden, ist eine hohe Anpassbarkeit gefragt. Dies wird mit einem großen Datenfeld erreicht, in dem viele Parameter kalibriert, aber auch komplette Funktionen angepasst werden können.

2.4.6 Systemintegration im Fahrzeugnetzwerk 2.4.6.1 Schnittstelle im CAN-Systemverbund Die Standardisierung von Datennetzen im Nutzfahrzeug ist aufgrund der SAE-Norm J1939 weltweit zwar schon sehr weit gediehen, es müssen jedoch trotzdem unterschiedliche Detailvarianten beherrscht werden. Es bietet sich daher an, einen Schnittstellenumfang zu definieren, der verschiedenste Anwendungen erlaubt. Bild 2-59 zeigt eine Möglichkeit zur Realisierung des Schnittstellenumfangs.

Bild 2-58: Software-Struktur für ein automatisches Getriebe

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2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-59: Fahrzeugsystemschnittstelle [Quelle: ZF]

Neben den Spannungsversorgungen (Klemme 15 und Klemme 30), die trotz unterschiedlicher Funktionen auch eine gewisse Redundanz bei Kabelunterbrechung bieten, sind zwei CAN-Schnittstellen die dominierenden Systemschnittstellen. Typischerweise handelt es sich um einen Anschluss zum FahrzeugSystem-CAN und einen Anschluss, der lokal zum Getriebesystem gehört. Der lokale CAN-Anschluss erlaubt die Anbindung von Display, Fahrschalter, Ein- und AusgabeErweiterung sowie von elektronischem Applikationssystem, unabhängig vom Fahrzeug-System-CAN. In Sonderfällen, vornehmlich bei Fahrzeugen mit Leitrechner, ist eine Reduktion auf den Fahrzeug-SystemCAN möglich. Die CAN-Anschlüsse sind physikalisch derart gestaltet, dass unterschiedliche Kabelkonfektionen ohne Hardware-Änderung adaptiert werden können (z.B. verdrillt, geschirmt). Funktionelle Anpassungen wie auch abgewandelte Applikationsprotokolle werden über Software eingestellt und stehen für viele Anwendungen bereits per Datenapplizierung zur Verfügung. Ein Diagnoseanschluss entsprechend der ISO-Norm 9141 steht zur Verfügung, um die Standard Diagnose zu gewährleisten. Alternativ kann jedoch die Diagnose auch über einen der CAN-Anschlüsse realisiert werden. Ein universelles Interface ist in der Lage, unterschiedliche Funktionen zu übernehmen (Signalein- und -ausgang, Frequenzeingang, bidirektionale Datenschnittstelle). Dieser Anschluss kann als zusätz-

licher Signalpfad verwendet oder in Sonderanwendungen auch als Signalredundanz werden, um bei Teilausfällen ggf. die Verfügbarkeit noch weiter zu steigern. Ein 5-Volt-Spannungs-Ausgang ist zur Versorgung bestimmter Sensoren vorgesehen; ein geschalteter 24-Volt-Ausgang versorgt externe Geräte, die nicht die volle Bordnetzspezifikation erfüllen können, oder selber nicht eigendiagnosefähig sind. Außerdem wurde die Applikationsfunktionalität durch Nutzung eines eigenen lokalen Bus-Systems wesentlich erhöht und von operativen EngpassSchnittstellen wie Diagnoseanschluss und SystemCAN abgekoppelt.

2.5 Fahrzeug-Starter 2.5.1 Einleitung Otto- und Dieselmotoren müssen zur Inbetriebnahme aus dem Stillstand heraus auf ihre Startdrehzahl gebracht werden. In der Startphase muss der Starter hohe Reibungs- und Verdichtungsmomente überwinden. In Fahrzeugen übernimmt ein Elektrostarter diese Aufgabe. Gleichstrommotoren kommen als Elektrostarter deshalb besonders in Frage, weil sie im Einschaltaugenblick ihr größtmögliches Drehmoment entwickeln und deshalb trotz relativ kleiner Nennleistung innerhalb einer Sekunde den Verbrennungsmotor in den Selbstlauf versetzen können. In Grenzsitua-

2.5 Fahrzeug-Starter tionen, insbesondere bei extrem tiefen Temperaturen, kann die Startphase aber auch bis 30 s dauern. Diese Gleichstrommotoren heißen in Verbindung mit ihrer an- oder eingebauten Elektromechanik in der Fachsprache Starter und werden umgangssprachlich auch Anlasser genannt. Einerseits muss der Verbrennungsmotor nur auf eine relativ geringe Startdrehzahl gebracht werden, andererseits ist es vorteilhaft, wenn der antreibende Starteranker gleichzeitig das 20- bis 60-fache dieser Drehzahl erreicht, denn bei hoher Drehzahl ist die Rotationsenergie des Läufers hoch. So werden während der Hochlaufphase kompressions- und dekompressionsbedingte Belastungsschwankungen besser abgefangen. Abgesehen davon kann ein höhertouriger Elektromotor raum-, gewichts- und kostengünstiger die geforderte Nennleistung erbringen. Die hohe Ankerdrehzahl verlangt entsprechende Übersetzungen. Die Maximaldrehzahl des Verbrennungsmotors kann über dem 50fachen seiner Startdrehzahl liegen. Deshalb muss verhindert werden, dass sich die Drehzahl des laufenden Verbrennungsmotors auf den Starter überträgt. Als technische Lösung wird eine meist elektrisch angetriebene EinAusspur-Mechanik gewählt, die sicherstellt, dass das Starterritzel nur während des Startvorganges mit dem Schwungradzahnkranz in Berührung kommt. Diese Ein-Ausspur-Elektromechanik und die beim Einspuren des Ritzels auftretende Vorgänge geben üblicherweise dem Starter den Namen. Die gebräuchlichsten Bezeichnungen sind SchubschraubtriebStarter und Schubtrieb-Starter. Es werden aber auch weitere Startermerkmale, wie beispielsweise Vorgelege oder Permanentmagnete, in die Starterbezeichnungen mit einbezogen. Zunächst ist ein Starter ein einfaches, vom FahrtStart-Schalter aus angesteuertes System. Es sollte jedoch auch sichergestellt sein, dass versehentlich nicht bei laufendem Motor ein Einspurversuch unternommen wird. Sicherheits- und Komfortansprüche, die heute zum Standard gehören, verlangen eine der modernen Technik angepasste Startsteuerung, beispielsweise per Funk.

2.5.2 Elektromotorische Grundlagen Entstehung der Drehbewegung In jedem Elektromotor sind zwei Magnetfelder wirksam. Beim Starter-Gleichstrommotor ist der Stator als Träger des einen Magnetfeldes mit Permanentmagneten oder mit gleichstromdurchflossenen Elektromagneten ausgestattet, während der Rotor (Läufer, Anker) immer ein Elektromagnet ist und das zweite Magnetfeld zur Verfügung stellt. Damit der Anker eine kontinuierliche Drehbewegung ausführt, müssen seine Wicklungen wechselstromdurchflossen sein. Dies wird trotz Gleichstromzufüh-

67 rung dadurch erreicht, dass die Anschlüsse der Einzelspulen des Ankers mit gegenseitig isolierten Lamellen verbunden sind. Bei der Drehbewegung kontaktieren diese Lamellen abwechselnd eine Plusund eine Minuskohle. Auf diese Art entstehen im Anker die erforderlichen elektrischen und magnetischen Umpolungen und als Folge die Drehung. Zusammenhang zwischen Drehmoment, Motordrehzahl und Stromaufnahme Je größer der wirksame Magnetfluss der beiden Magnetfelder und der Radius des Ankers ist, um so größer ist das Drehmoment. Der Wechselstrom, der im rotierenden Anker fließt, ändert seine Frequenz proportional mit der Ankerdrehzahl. Das Magnetfeld dieses Wechselstromes erzeugt in der Ankerwicklung eine frequenzabhängige Gegenspannung (Ankergegenspannung). Im Einschaltaugenblick ist die Drehzahl und damit die Ankergegenspannung null. Es fließt die größtmögliche Stromstärke (Kurzschluss-Stromstärke). Mit steigender Drehzahl reduziert die ebenfalls steigende Gegenspannung die Stromaufnahme des Ankers immer mehr, entsprechend reduziert sich auch das Ankerdrehmoment. Ein Starter läuft jeweils nur sehr kurz niedertourig und nimmt somit auch nur kurze Zeit eine sehr hohe Stromstärke auf. Deshalb sind Starter thermisch nicht für einen niedertourigen Dauerbetrieb ausgelegt. Die Drehzahl-Drehmomenten-Kennlinie ist eine leicht verständliche Darstellung zur Charakterisierung von Motoreigenschaften. Während man bei Verbrennungsmaschinen üblicherweise das mögliche Maximaldrehmoment über der Drehzahl aufträgt, stellt man in der Elektrotechnik im allgemeinen die Motordrehzahl in Abhängigkeit vom abverlangten Lastmoment dar. Bild 2-60a zeigt exemplarisch den Zusammenhang zwischen Drehzahl, Ankergegenspannung und Stromaufnahme, Bild 2-60b den Zusammenhang zwischen Lastmoment und Drehzahl. Bei jedem Antriebsaggregat stellt sich dann eine stabile Drehzahl ein, wenn Lastmoment und Antriebsmoment gleich groß sind. Unmittelbar nach dem Einschalten muss das Antriebsmoment des Starterankers über dem Lastmoment liegen, damit der Anker sich dreht und beschleunigt. Es stellt sich eine stabile Drehzahl ein, wenn das Antriebsmoment auf das Lastmoment abgesunken ist. Tritt eine Lasterhöhung auf, geht die Ankerdrehzahl zurück. Mit ihr sinkt auch die Ankergegenspannung. Deshalb erhöhen sich gleichzeitig Ankerstrom und Antriebsdrehmoment. Die Drehzahl sinkt so weit ab, bis das Antriebsmoment auf das erhöhte Lastmoment angestiegen ist. Der Motor läuft dann mit niedriger Drehzahl stabil weiter. Bei Lastreduzierung sind die Vorgänge umgekehrt. Bei Drehmomentgleichgewicht dreht der Starteranker konstant weiter.

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2 Motor und Antriebsstrang Reihenschlussmotor Beim zweipoligen Reihenschlussmotor ist die Erregerwicklung üblicherweise zweigeteilt. Eine Hälfte ist um den Stator-Nordpol, die andere um den StatorSüdpol gelegt. In der Regel ist der Stator dieser Startermotoren mit vier Elektromagneten ausgestattet, die nach innen abwechselnd als Nord- und Südpol wirken. Unabhängig davon, in welcher Reihenfolge Statorwicklung und Ankerwicklung miteinander verbunden sind, werden im Schaltbild üblicherweise die Statorwicklungen als eine Spule und der Anker nur mit zwei Schleifkontakten dargestellt (siehe Bild 2-61). Weil die Statorspulen das Erregermagnetfeld zur Verfügung stellen, heißen sie auch Erregerspulen. Auf Grund der Reihenschaltung sind Erregerstrom (IErr) und Ankerstrom (IAnker) identisch. Diese Tatsache bestimmt das charakteristische Drehmoment-Drehzahl-Verhalten dieser Maschinenart.

Bild 2-60: a) Zusammenhang zwischen Drehzahl, Ankergegenspannung und Stromaufnahme, b) Zusammenhang zwischen Lastmoment und Drehzahl; I Stromaufnahme des Ankers, M Ankerdrehmoment, n Ankerdrehzahl, Ui Gegenspannung

2.5.3 Schaltungsarten Bei Elektromotoren, bei denen neben dem Anker auch der Stator mit einem Elektromagneten ausgestattet ist, können die Stromzweige der beiden Magnete in Reihe oder parallel geschaltet werden. Die Motorbezeichnung richtet sich nach der Verschaltungsart (Tabelle 2-4). Die Wahl der Verschaltung bestimmt das Drehzahl-Drehmoment-Verhalten. Allerdings ist eine Änderung der vorhandenen Schaltungsart im Nachhinein nicht sinnvoll, weil sich die Dimensionierung der Spulen nach der Schaltungsart richtet. Tabelle 2-4: Schaltungsmerkmale und Motorbezeichnung Schaltungsmerkmale

Motorbezeichnung

Ankerwicklung und Erregerfeldwicklung in Reihe

Reihenschlussmotor oder Hauptschlussmotor

Ankerwicklung und Erregerfeldwicklung parallel

Nebenschlussmotor

Motor besitzt Reihen- und Nebenschlusswicklung

Doppelschlussmotor oder Compoundmotor

Dauermagnete als Erregung

Permanenterregter Motor

Bild 2-61: Schaltbeispiel für einen Gleichstrom-Reihenschlussmotor: 1 Erregerwicklung(en), 2 Anker IErr Strom in der Erregerwicklung, IAnker Strom in der Ankerwicklung, IErr = IAnker

Im ersten Moment nach dem Einschalten des Elektrostarters ist auf Grund der fehlenden Gegenspannung die Stromaufnahme am größten und damit das Drehmoment am höchsten. Mit zunehmender Drehzahl geht auf Grund der Schaltungsart nicht nur das Ankerfeld zurück, sondern auch das Erregerfeld. Mit steigender Drehzahl erhöht sich die Ankergegenspannung. Weil aber auch das an der Gegenspannung beteiligte Erregerfeld schwächer wird, gehen mit steigender Drehzahl die Stromaufnahme und damit das Antriebsmoment nur abgeschwächt zurück und der Anker wird insbesondere im Leerlauf eine hohe Drehzahl einnehmen. Die folgende im Bild 2-62 für Reihenschlussmotoren typische Kennlinie zeigt das vorteilhaft hohe Antriebsmoment bei hoher Last, sie zeigt aber auch, dass eine sehr hohe Leerlaufdrehzahl zu Stande kommt. Bei großen Startern würde die Leerlaufdrehzahl 10 000/min überschreiten, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen würden.

2.5 Fahrzeug-Starter

Bild 2-62: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie eines Gleichstrom-Reihenschlussmotors M Drehmoment, MN Nennmoment, n Drehzahl, nN Nenndrehzahl

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Im ersten Moment nach dem Einschalten ist die Stromaufnahme des Ankers sehr hoch, weil noch keine Gegenspannung dem Ankerstrom entgegenwirkt. Dabei befinden sich die Zähne des Ankers in der magnetischen Sättigung. Weil aber der Erregerstrom in dieser Phase nicht größer als bei Nenndrehzahl ist, liegt das Anzugsmoment nur wenig über dem Nennmoment. Mit zunehmender Drehzahl entsteht Ankergegenspannung, die stark mit der Drehzahl steigt. Dies bewirkt eine schnelle Abnahme des Ankerstromes und damit Abnahme des Antriebmomentes. Die Leerlaufdrehzahl liegt nur wenig über der Nenndrehzahl (siehe Bild 2-64). Unabhängig von Lastschwankungen ist die Drehzahl sehr stabil. Bei zu hoher Belastung bleibt jedoch der Anker stehen, weil sich die Ankerzähne in der magnetischen Sättigung befinden und der Erregerstrom nicht steigt. Deshalb erhöht sich trotz steigender Stromaufnahme das Drehmoment nur wenig.

Nebenschlussmotor Beim Nebenschlussmotor sind Erregerwicklung und Anker parallel geschaltet. Der reine Nebenschlussmotor findet zwar bei Startermotoren keine Anwendung. Um aber das Verhalten der Starter mit Permanenterregung und den Einfluss der Nebenschlusswicklung bei Startern mit Doppelschlusswicklungen zu verstehen, ist die Kenntnis des Nebenschlusseinflusses erforderlich. Unabhängig von der Polzahl wird im Schaltbild auch hier nur eine Wicklung eingezeichnet und der Anker mit nur zwei Schleifkontakten dargestellt. Bild 2-64: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie eines Gleichstrom-Nebenschlussmotors: M Drehmoment, MN Nennmoment, n Drehzahl, nN Nenndrehzahl

Bild 2-63: Schaltbeispiel für einen Gleichstrom-Nebenschlussmotor: 1 Anker, 2 Erregerwicklung IAnker Ankerstrom, IErr Erregerstrom, IAnker z IErr

Anker und Erregerwicklung liegen an der gleichen Spannung. Ihr Widerstand bestimmt die unterschiedlichen Stromaufnahmen. Während in der Ankerwicklung die drehzahlabhängige Gegenspannung auf die Ankerstromstärke IAnker großen Einfluss nimmt, bleibt die Erregerstromstärke IErr drehzahlunabhängig konstant. Somit ist auch das Erregerfeld drehzahlunabhängig. Mit Rücksicht auf die im Anker entstehende Gegenspannung darf das Erregerfeld nicht zu stark sein, weil sonst der Starteranker nicht die gewünschte Nenndrehzahl erreichen würde. Windungszahl und Spulenwiderstand sind unter diesem Gesichtspunkt aufeinander abgestimmt.

Doppelschlussmotor Der Doppelschlussmotor (Compoundmotor) besitzt Reihenschluss- und Nebenschlusswicklungen (siehe Bild 2-65). Er kombiniert die Vorteile des Reihenschlussmotors und die des Nebenschlussmotors. Im Einschaltaugenblick ist die Stromaufnahme im Reihenschlusszweig hoch, entsprechend hoch ist auch das Antriebsmoment. Mit zunehmender Drehzahl geht die Stromstärke im Reihenschlusszweig zurück und es tritt immer mehr das Nebenschlussverhalten in den Vordergrund. Den Doppelschlussmotor zeichnen das hohe Anzugsmoment und die niedrige Leerlaufdrehzahl aus (siehe Bild 2-66). Der aufwändigere Aufbau kann als Nachteil angesehen werden.

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Bild 2-65: Schaltbeispiel für einen Doppelschlussmotor: 1 Reihenschlusswicklung, 2 Anker, 3 Nebenschlusswicklung IR Stromstärke im Reihenschlusszweig, IN Stromstärke im Nebenschlusszweig

2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-67: Stator eines Gleichstrommotors mit Permanentmagneten als Erregermagneten: N Nordpol nach innen, S Südpol nach innen

2.5.4 Starter für Personenkraftwagen

Bild 2-66: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie eines Gleichstrom-Doppelschlussmotors: M Drehmoment, MN Nennmoment, n Drehzahl, nN Nenndrehzahl

Permanenterregter Startermotor Beim Starter mit permanenterregten Statorpolen entfällt die Erregerwicklung (siehe Bild 2-67). Bedingt durch das konstante Magnetfeld ist er mit einem Nebenschlussmotor vergleichbar. Er hat bezüglich der Leerlaufdrehzahl den gleichen Vorteil. Sein Nachteil besteht im relativ geringen Anzugsmoment, weil Permanentmagnete nicht die Stärke von Elektromagneten erreichen können. Die Herstellungskostenvorteile sind jedoch so groß, dass man hier technische Ausgleichsmöglichkeiten gesucht und gefunden hat. Um das Anzugsdrehmoment beim Start zu erhöhen, wurde der Starter für eine höhere Nenndrehzahl auslegt und gleichzeitig mit einem Planetengetriebe versehen, so dass trotz verringertem Ankermoment das Antriebsmomentes am Starterritzel ausreicht (siehe unten). Permanentmagnete müssen, um für diesen Einsatz geeignet zu sein, eine hohe Remanenz aufweisen, damit sie erschütterungsunempfindlich sind. Außerdem dürfen sich ihre Molekularmagnete unter dem Einfluss des starken Ankerquerfeldes nicht drehen, sie müssen also eine hohe Koerzitivfeldstärke besitzen.

Einleiten eines Startvorgangs Herkömmlicherweise wird bei Personenkraftwagen der Startvorgang durch Betätigen des Zünd-StartSchalters am Lenkradschloss in die Startstellung eingeleitet. Inzwischen sind verschiedene komfortable Lösungen mit gesteigerter Diebstahl- und Wegfahrsicherheit Standard. Der Motor kann beispielsweise über Fernbedienung funk- und datenbusgesteuert elektronisch gestartet werden. Weil in diesem Kapitel die Starter und nicht die Datenübertragungstechniken das Thema sind, wird zum Einleiten und Beenden des Startvorgangs in den Schaltbeispielen jeweils ein herkömmlicher Zünd-Start-Schalter eingezeichnet. Direkttreibende Schubschraubtrieb-Starter Direkttreibende Schubschraubtrieb-Starter (Bild 2-68) sind Starter der untersten Leistungskategorie. Bei kleinen Startern stellen Permanentmagnete das Erregerfeld zur Verfügung. Sie haben kein Vorgelege (daher direkttreibend), deshalb hat das eingespurte Ritzel beim Start Ankerdrehzahl. Die Bezeichnung Schubschraubtrieb deutet darauf hin, dass das Ritzel beim Ein- und beim Ausspuren eine Schub- und eine Schraubbewegung ausführen kann. Der Einspurvorgang beginnt, wenn der Zünd-StartSchalter (S) seinen Eingang 30 mit seinem Ausgang 50 verbindet (Startstellung). Dabei sind die Einzugswicklung (E) und die Haltewicklung (H) des Einrückrelais (K) stromdurchflossen (siehe Bild 2-69).

2.5 Fahrzeug-Starter

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Bild 2-68: Schubschraubtrieb-Starter, stromlos (Ausgangsposition) Klemmenbezeichnungen: G/+ Pluspol der Batterie, G/– Minuspol der Batterie, 15 Ausgang Zünd-Start-Schalter, 30 nichtgeschaltetes Bordnetzplus, 45 Ausgang Hauptkontakt Einrückrelais, 50 Pluseingang Einrückrelaisspulen Bauteile: G Fahrzeugbatterie, K Einrückrelais (Magnetschalter) mit Einzugswicklung (E) und Haltewicklung (H), R, L, C Komponenten des Bordnetzes, S Zünd-Start-Schalter, 1 Einrückhebel, 2 Einspurfeder, 3 Rollenfreilauf, 4 Starterritzel, 5 Schwungradzahnkranz, 6 Anschlagring, 7 Ende der Ankerwelle, gleitlagergeführt, 8 Steilgewinde, 9 Führungsring, 10 blechgeschichteter Anker mit Wicklung, 11 Permanentmagnet, Südpol nach innen, 12 Permanentmagnet, Nordpol nach innen, 13 Minuskohle, 14 Kommutator, 15 Pluskohle, 16 Schließkontakt des Einrückrelais

Bild 2-69: Schubschraubtrieb-Starter, Startbeginn IS/30 Stromstärke, die zum ZündStart-Schalter fließt, IE Stromaufnahme der Einzugswicklung, z.B. 30 A, IH Stromaufnahme der Haltewicklung, z.B. 10 A, 4 Ritzel, 8 Steilgewinde, 16 Schließkontakt des Einrückrelais

72 Die Magnetfelder von Einzugs- und Haltewicklung ziehen den beweglichen Kern im Einrückrelais (K) an. Dieser schiebt das Ritzel (4) auf dem Steilgewinde (8) teilweise in den Zahnkranz. Danach schließt der Kontakt (16) des Einrückrelais und der Starteranker beginnt, sich zu drehen. Nach dem Schließen dieses Kontaktes liegt die Einzugswicklung beidseitig an plus und ist während des restlichen Startvorgangs stromlos. Auf Grund des nun magnetisch besser verstärkenden Ankers des Einrückmagneten genügt eine auf etwa 25 % reduzierte magnetische Erregung, weshalb die Einzugswicklung nach dem Einspuren abgeschaltet werden kann und somit auch nur für Kurzzeitbetrieb ausgelegt werden muss. Bild 2-70 zeigt die Situation nach dem vollständigen Einspuren. Während der ersten 90° bis 120° Ankerdrehung führt das zunächst nur teilweise eingespurte Ritzel eine Schubbewegung in Richtung Anschlagring (6) aus. Erst wenn das Ritzel am Anschlagring ansteht, überträgt sich die Ankerdrehbewegung auf das Ritzel und der Schwungradzahnkranz wird gedreht. Weil das Ritzel auf dem Weg zum Anschlagring den Starteranker noch nicht bremst, kann dieser unbelastet beschleunigen. Das Anfangsdrehmoment des eingespurten Starters heißt Losbrechmoment und wird vom Schwungmoment des Starterankers unterstützt. Bei etwa zwei Drittel aller Startvorgänge trifft der Ritzelzahn nicht die Zahnkranzlücke, sondern zunächst einen Zahnkranzzahn. In diesem Fall überdrückt der Einrückhebel die Einspurfeder (2) und der Kontakt des Einrückrelais schließt trotzdem (siehe Bild 2-71). Nach einer kleinen Ankerdrehbewegung steht der Ritzelzahn vor einer Zahnkranzlücke und spurt ein.

2 Motor und Antriebsstrang Solange der Fahrt-Start-Schalter in Startstellung bleibt, hält die Haltewicklung das Ritzel eingespurt. Bereits beim Hochlauf des Verbrennungsmotors wird auf Grund des herrschenden Übersetzungsverhältnisses das Ritzel vom Zahnkranz angetrieben. Der Rollenfreilauf (3) wirkt als Überholkupplung und verhindert, dass sich die hohe Ritzeldrehzahl auf den Starteranker überträgt. Falls ein mechanisch abgenützter Rollenfreilauf klemmt, wird bei laufendem Verbrennungsmotor die Ankerdrehzahl so hoch, dass die Fliehkraft die Ankerwicklungen aus den Nuten zieht. Unmittelbar nach dem Öffnen des Fahrt-Start-Schalters ist der Relaiskontakt noch geschlossen. Dadurch fließt ein Strom von Klemme 45 über die Einzugswicklung in die Haltewicklung gegen Masse. In der Einzugswicklung hat der Strom gegenüber dem Einspuren entgegengesetzte Richtung. In der Einzugswicklung entsteht somit ein Magnetfeld, das gegen das Magnetfeld der Haltespule wirkt. Auf Grund der gleichen Windungszahl von Einzugs- und Haltewicklung heben sich beide Felder auf und die Rückstellfeder im Einrückrelais bringt den Einrückmechanismus und den Schließkontakt des Einrückrelais wieder in die Ausgangsposition. Falls der Motor nicht in den Selbstlauf übergeht (z.B. aufgrund von Zündproblemen), muss der Startvorgang abgebrochen werden. Dabei können Ritzel und Zahnkranz unter mechanischer Last stehen und ein Ausspuren des Ritzels verhindern. Damit der Relaisanker den zum Öffnen des Relaiskontaktes erforderlichen Schubweg ausführen kann, ist die Einspurmechanik für diese Bewegung mit einem Leerweg versehen.

Bild 2-70: SchubschraubtriebStarter, Ritzel eingespurt IS/30 Stromstärke, die zum ZündStart-Schalter fließt, IH Stromaufnahme der Haltewicklung, z.B. 10 A, I30 Stromaufnahme des Ankers, z.B. 300 A, I Gesamtstrom der Batterie, setzt sich aus I30 und IH zusammen

2.5 Fahrzeug-Starter

73

Bild 2-71: Schubschraubtrieb-Starter, Ritzelzahn trifft auf Zahnkranzzahn

Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege Inzwischen haben sich in Fahrzeugen ab etwa 1,5 Liter Hubraum Schubschraubtrieb-Starter mit Permanentmagneten und Planentengetriebe als Vorgelege durchgesetzt (Bild 2-72). Beim SchubschraubtriebStarter mit Vorgelege sind die Elektromechanik des Einrückrelais, die Einspurmechanik und die Mechanik des Rollenfreilaufs identisch mit dem direkttreibenden Schubschraubtrieb-Starter ohne Vorgelege. Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege finden in Ottomotoren bis etwa 6 l und in Dieselmotoren bis maximal 3 l Hubraum Verwendung.

Beim Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege hat der Anker gegenüber einem direkttreibenden Starter mehr als die dreifache Nenndrehzahl. Ein im Starter integriertes Planetengetriebe reduziert die Ritzeldrehzahl auf die Startdrehzahl. Bei dieser Planetenradkonstruktion verteilt sich das Ankerdrehmoment immer auf drei Zahnflanken gleichzeitig. Außerdem beträgt bei dreifacher Drehzahl und vergleichbarer Leistungsabgabe das Gesamtmoment des treibenden Ankers nur ein Drittel. So kann das Planetengetriebe der kleineren Starter aus Kunststoff gefertigt werden.

Bild 2-72: Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege (Planetengetriebe) 1 Ankerwelle, 2 Sonnenrad auf der Ankerwelle, 3 Planetenräder, 4 Einrückrelais, 5 Einrückhebel, 6 Steilgewinde, 7 Rollenfreilauf, 8 Starterritzel, 9 Anschlagring, 10 Schwungradzahnkranz, 11 Gabel des Einrückhebels

74

2 Motor und Antriebsstrang

Insgesamt gesehen haben diese Starter nicht nur ein kleineres Leistungsgewicht, sondern auch ein kleineres Leistungsvolumen als direkttreibende Schubschraubtrieb-Starter. Beim Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege sind die einzelnen Phasen des Einspurvorganges identisch mit denen des direkttreibenden Schubschraubtrieb-Starters. Schubschraubtrieb-Starter mit Reihenschlusswicklung Für Dieselmotoren ab 2,5 bis 3 Liter Hubraum geht man auf Starter mit Reihenschlussmotor als Antrieb über (siehe Bild 2-73). Die Flussdichte % eines elektrisch erzeugten Polfeldes kann das Mehrfache eines Permanentmagneten erreichen. Somit sind bei etwa gleicher Baugröße erheblich größere Drehmomente möglich. Die Verwendung eines entsprechend ausgelegten Planetengetriebes als Vorgelege bleibt davon unberührt.

Bild 2-73: Schubschraubtrieb-Starter mit Reihenschlusswicklung G Fahrzeugbatterie, K Einrückrelais (Magnetschalter) mit Einzugswicklung (E) und Haltewicklung (H), L Reihenschlusswicklung, M Anker, S Fahrt-Start-Schalter

2.5.5 Starter für Nutzfahrzeuge Schubtrieb-Starter mit Vorwiderstand Diese Starterart wird derzeit bei Motoren bis 16 Liter Hubraum eingesetzt. Damit das Starterritzel möglichst sicher einspurt, wird bereits mit dem Betätigen des Startschalters der Starteranker in eine leichte Drehbewegung versetzt. Es gibt zwei Varianten. Bei der leistungsschwächeren Ausführung bewegt der Einrückhebel nicht nur das Ritzel in Richtung Zahnkranz, sondern auch den Rollenfreilauf. Bei der leistungsstärkeren Variante sind Rollenfreilauf und Planetengetriebe eine Baugruppe ohne Axialverschiebung (siehe Bild 2-74).

Sobald der Fahrt-Start-Schalter S in Startstellung gebracht wird, schließt der Kontakt des Vorsteuerrelais K1 und verbindet die Starterklemme 50 mit dem Dauerplus des Bordnetzes. Die Spule des Einrückrelais K2 ist stromdurchflossenen, so dass der Relaisanker mit Hilfe des Einrückhebels (2) das Ritzel in Richtung Zahnkranz bewegt. Gleichzeitig fließt Strom in der Größenordnung von 100 A bis 200 A über den Vorwiderstand R und den noch geschlossenen Öffnerkontakt (1) des Einrückrelais in den Reihenschlussstromzweig des Starters.

Bild 2-74: Schubtrieb-Starter, zweistufig 1 Öffnerkontakt, 2 Einrückhebel, 3 Baugruppe Planetengetriebe mit Rollenfreilauf, 4 zweigeteilte Reihenschlusswicklung, G Fahrzeugbatterie, K1 Hilfsrelais, K2 Einrückrelais, R Vorwiderstand, S Fahrt-Start-Schalter

2.5 Fahrzeug-Starter Dadurch dreht sich der Starteranker langsam, um sicherzustellen, dass ein Ritzelzahn auf eine Zahnkranzlücke trifft. Nach erfolgtem Einspuren verbindet der Hauptkontakt (Schließerkontakt) im Einrückrelais (K2) über die Anschlüsse 30 und 45 den Reihenschlusszweig des Starters direkt mit dem Batterieplus und der Starter dreht mit vollem Drehmoment. Wenn der Fahrt-Start-Schalter S wieder losgelassen wird, verbindet er nur noch Klemme 30 mit Klemme 15. Dann öffnet das Hilfsrelais K1, das Einrückrelais K2 wird stromlos und sein Hauptkontakt öffnet. Dadurch werden alle Komponenten stromlos und gehen wieder in ihre Ausgangsposition. Schubtrieb-Starter mit elektromotorischer Ritzelverdrehung Hinter der Bezeichnung Schubtrieb-Starter mit elektromotorischer Ritzelverdrehung verbirgt sich der bisherige Klassiker unter den großen Startern, der herkömmlich als zweistufiger Schubtrieb-Starter mit Hohlwelle, Einrückstange (im Bild 2-75 Bauteil 4) und Lamellenkupplung bekannt ist. Diese Starterart ist als Doppelschlussmotor ausgelegt. Um den Einspurvorgang einzuleiten, verbindet der Fahrt-Start-Schalter (S) die Klemme 50 mit dem Bordnetzplus. Dadurch sind die Haltewicklung H des Einrückmagneten (K2) und die Spule des Steuerrelais (K1) stromdurchflossen. Das Steuerrelais bewegt seine Kontakte zunächst nur in Stufe 1, weil der sich mitbewegende Kontakthebel (2) zunächst an der Sperrklinke anschlägt und die Bewegung der Kontakte aufhält. In dieser ersten Stufe verbindet das Steuerrelais die Einzugswicklung des Einrückmagneten und

75 die Nebenschlusswicklung mit dem Bordnetzplus 30. Die Einzugswicklung ist zum Starteranker in Reihe geschaltet. Die vom Einrückrelais angetriebene Einrückstange (4) verläuft durch die Ankerhohlwelle und schiebt das Ritzel in Richtung Zahnkranz. Gleichzeitig führt der Anker eine langsame Drehbewegung aus. Diese Drehbewegung wird über eine Lamellenkupplung auf das Ritzel übertragen, so dass es auch dann einspurt, wenn zunächst ein Ritzelzahn auf einen Zahnkranzzahn stößt. Wenn das Ritzel sicher eingespurt ist, hebt der Auslösehebel (Bauteil 3 in Bild 2-75) die Sperrklinke (1) an, so dass sich die Aussparung des Kontakthebels über die Sperrklinke bewegen kann und die Kontakte des Steuerrelais in Stufe 2 gehen. Der Startermotor entwickelt jetzt als Doppelschlussmotor sein volles Anzugsmoment. In dieser Phase führt die Einzugswicklung des Einrückmagneten nur noch einen reduzierten Strom, weil sie parallel zur niederohmigen Reihenschlusswicklung liegt. Es kann vorkommen, dass sich Ritzelzahn und Zahnkranzzahn verkeilen (Eck-auf-Eck-Stellung). In diesem Fall muss der Startvorgang wiederholt werden (Blindschaltung). Nach dem Loslassen des FahrtStart-Schalters fällt K1 wieder ab und die ganze Einrichtung wird stromlos. Eine Rückstellfeder bringt alle Starterteile wieder in die Ausgangsstellung. Bei diesem Starter werden Ankerwelle und Ritzel über einen Lamellenfreilauf kraftschlüssig. Auf Grund eines Steilgewindes werden mit dem Losdrehen des Anker die Lamellen zusammen gepresst. Eine Tellerfeder stellt zunächst beim Zusammenpressen der Lamellen die Gegenkraft zur Verfügung.

Bild 2-75: Schaltbeispiel für einen Schubtrieb-Starter mit elektromotorischer Ritzelverdrehung 1 Sperrklinke, 2 Kontakthebel mit Aussparung, 3 Auslösehebel, 4 Einrückstange, G Batterie, L1 Reihenschlusswicklung, L2 Nebenschlusswicklung, M Starteranker, K1 Steuerrelais, K2 Einrückmagnet mit Einzugswicklung E und Haltewicklung H, S Fahrt-Start-Schalter

76 Mit dem Erreichen des eingestellten Maximalmomentes überdrückt eine äußere Drucklamelle die Tellerfeder. Das Innengewinde-Kuppelteil erreicht einen Anschlag. Dadurch wird ein weiteres Zusammenpressen der Lamellen verhindert und das übertragbare Moment begrenzt, um die Ritzel- und Kranzzähne vor dem Abscheren zu schützen. Sobald der Motor gestartet wurde, überholt die Ritzeldrehzahl die Ankerdrehzahl. Dieser Kraftrichtungswechsel öffnet die Lamellenverbindung.

2.5.6 Schraubtrieb-Starter der Motorradtechnik Heute sind die Motorräder mit Elektrostartern ausgestattet (siehe Bild 2-76). Allerdings genügt ein Starter kleinerer Leistung. Auf Grund der Ein-AusspurMechanik heißen diese Starter Schraubtrieb-Starter. Der Antrieb ist ein direkttreibender Kollektormotor mit Dauermagneten als Erregermagnete. Die Ankerwelle ist auf der Antriebsseite mit einem Steilgewinde versehen, auf dem sich Ritzel und Rollenfreilauf in Richtung Zahnkranz bewegen können. Der Starter verfügt weder über ein Einrückrelais noch über einen Einrückhebel. Eine Feder hält Ritzel und Rollenfreilauf in ihrer Ausgangsstellung. Mit dem Betätigen des Fahrt-Start-Schalters wird der Starteranker über ein externes Relais mit dem Bordnetzplus verbunden, wenn besondere sicherheitsrelevante Voraussetzungen erfüllt sind. Der Starteranker dreht sofort mit vollem Antriebsmoment und beschleunigt sehr schnell. Auf Grund der Masseträgheit haben Ritzel und Rollenfreilauf zunächst eine langsamere Drehzahl, so dass sie auf dem Steilgewinde auch eine axiale Bewegung in Richtung Zahnkranz machen. Wenn das Ritzel am Zahnkranz ankommt, muss es die Ankerdrehzahl übernehmen. Ein Ritzelzahn wird sicher vor eine Zahnkranzlücke gedreht und das Ritzel spurt ein. Nach dem Starten des Motors treibt der Zahnkranz das Ritzel, so dass dieses auf Grund des Steilgewindes den Zahnkranz verlässt. Eine Feder hält danach das Ritzel in Ausgangsstellung.

2 Motor und Antriebsstrang

2.5.7 Startsteuerungen Es gehört, wie bereits im Kapitel 2.5.4 angesprochen, zum heutigen Standard der Neufahrzeuge, dass Vorkehrungen getroffen wurden, die ein unerwünschtes in Gang setzen des Startvorgangs verhindern, oder dass sie, wenn der Verbrennungsmotor unerwünscht abstellt, den Startvorgang selbsttätig wieder einleiten. In älteren Fahrzeugen trifft man allenfalls eine Startsperre an, die das Starten in den laufenden Motor verhindert. Dazu wurde der Öffnerkontakt eines Relais in die 50er-Leitung geschaltet und die Spulenklemme 86 des Relais mit der Generatorklemme D+ verbunden. Spannung an D+ gilt als Beweis dafür, dass der Motor läuft. Falls im Generator eine Plusdiode nicht mehr sperrt, liegt zwar ein Generatorfehler vor, aber weil dem Relais ein laufender Motor vorgetäuscht wird, kann auch nicht mehr gestartet werden. In modernen Fahrzeugen wird zur Startsteuerung eine ganze Palette von Kriterien und Gesichtspunkten berücksichtigt. Solche Kriterien- und Gesichtspunkte (siehe Bild 2-77) sind beispielsweise: die Überprüfung der Zugangsberechtigung, eventuell mit dauernd wechselnder Codierung, oder Nachweis per Funk-Fernbedienung, per Chipkarte oder per Reserveschlüssel, die Betätigung der Start-Stopp-Taste, die Überprüfung des Batterieladezustandes (Batteriezustandssensor), Überprüfungen, ob der Motor still steht (Motorsteuergerät), das Bremspedal betätigt wird (Steuergerät Beleuchtung), der Wählhebelschalter der Getriebesteuerung in Stellung P oder N (Getriebesteuergerät) steht, die Not-Ein-Funktion, wenn der Motor abstellt (Drehzahlinformation fällt aus), ohne dass zuvor die Start-Stop-Taste betätigt wurde.

Bild 2-77: Beispiel für eine Startsteuerung A Start-Steuergerät, B1 bis B4 Sensor- und Bus-Informationen, K1 Vorschaltrelais, K2 Starter-Einrückrelais, M Starteranker, V Schaltstufe im Start-Steuergerät Bild 2-76: Motorradstarter

2.6 Hybridantriebe Wenn alle Bedingungen für einen Start erfüllt sind, verbindet die Schaltstufe (Bauteil V im Bild 2-77) den Minusanschluss des Vorschaltrelais K1 mit Masse und sein Kontakt schließt. Dann beginnt der Einspurvorgang. Von jeher galten für den Elektrostart in der Motorradtechnik Sicherheitsstandards. So lässt sich auch bisher ein Startvorgang nur dann einleiten, wenn beispielsweise kein Gang eingelegt, der Kupplungsschalter betätigt und der Seitenständer hochgeklappt ist. Inzwischen zieht auch im Bereich Startsteuerung die Motorradelektronik der allgemeinen Fahrzeugelektronik nach. Im Prinzip sind die oben genannten Kriterien auch auf die Motorrad-Startsteuerung übertragbar, wenn sie um spezielle Forderungen (z.B. Seitenständer) ergänzt werden.

2.6 Hybridantriebe 2.6.1 Motivation zur Entwicklung von Hybridantrieben Konventionelle Antriebskomponenten Seit Beginn der Entwicklung des Automobils vor etwas mehr als einem Jahrhundert wurden eine Reihe von Antriebskonzepten erprobt und bis zur Serienreife entwickelt. Für die Massenherstellung von Fahrzeugantrieben haben sich bis heute jedoch nur Kombinationen aus Hubkolben-Verbrennungsmotoren mit Drehzahl- und Drehmomentenwandlern durchsetzen können. Die beiden am weitesten verbreiteten Konzepte der Hubkolben-Verbrennungsmotoren sind Otto- (im englischen Sprachgebrauch auch „Spark Ignition Engines“ genannt) und Diesel-Motoren. Sie unterscheiden sich, neben dem verwendeten Kraftstoff, auch durch die Gemischbildung und durch die Fremdzündung beim Otto- sowie die Selbstzündung beim Diesel-Motor. Otto- und Diesel-Motoren arbeiten in einem bestimmten Drehzahl- und Drehmomentenbereich, der als Arbeitsbereich bezeichnet wird. Sie bedürfen daher einem Drehzahl- und Drehmomentenwandler, d.h. einem Getriebe zur Darstellung einer definierten Drehzahlspreizung, sowie der Anfahr- und der Rückfahrfunktion. Gängige Ausführungsformen sind Handschalt- und Automatgetriebe. Stufenlose und automatisierte Handschaltgetriebe gewinnen erst seit Ende des 20. Jahrhunderts langsam an Bedeutung. Eine Vielzahl umfangreicher und aufwändiger Weiterentwicklungen ist bei der Konstruktion dieser, im Nachfolgenden „konventionelle Antriebe“ genannten, Antriebe eingeflossen. Insbesondere folgende voneinander abhängige Aspekte sind ausschlaggebend: Antriebsleistung, Drehmoment- und Drehzahl-

77 charakteristik, Wirkungsgrad, Absolutverbrauch, Abgasemissionen, Bauform, Gewicht, Volumen, Produktionskosten, Betriebskosten, Komfort bei Bedienung und Betrieb, Lebensdauer und Wartung. Wirkungsgrade, Verbrauch und Emissionen werden anhand reproduzierbarer Geschwindigkeitsprofile überprüft. Diese „Zyklen“ genannten Profile (siehe Bild 2-89) dienen gleichzeitig zur Festlegung der Kfz-Steuer anhand bestehender Abgasgesetzgebungen. Die Ergebnisse dieser zyklusbasierten Messungen bilden je nach Anwendungsfall die Realität aber nur bedingt ab. Ein Grund liegt in dem nicht eindeutig definierbaren Kundenverhalten. Eine erhebliche Streuungsbreite bei unterschiedlichen Fahrern und Lastprofilen ist möglich. Dennoch bieten Zyklen eine gute erste Näherung, um die Charakteristika eines Antriebsstrangs messtechnisch erfassen und vergleichen zu können. Der zur Zeit im europäischen Raum für die Verbrauchs- und Emissionsgesetzgebung verwendete Fahrzyklus ist der „Neue Europäische Fahrzyklus“ (NEFZ). Strikte Abgasgesetzgebungen sind ein wesentliches Motiv bei der Entwicklung neuer Antriebstechnologien. Wirtschaftlich gesehen stellen saubere und sparsame Antriebsstränge einen essenziellen Wettbewerbsvorteil beim Vertrieb neuer Antriebe dar. Otto- und Diesel-Motoren werden in einem breiten Leistungsspektrum angeboten. Der mittlere Wirkungsgrad eines Otto-Motors erreicht dabei im Neuen Europäischen Fahrzyklus bis zu 20 %, Diesel-Motoren liegen bei bis zu 25 %. Der Absolutverbrauch, z.B. in der Kompaktklasse mit einer 75-kW-Motorisierung bei Verwendung eines Otto-Motors, liegt bei ca. 5,5 bis 7,5 Liter auf 100 km, bei einem vergleichbaren Diesel-Modell in der gleichen Leistungsklasse bei ca. 4,5 bis 6,5 Liter auf 100 km (NEFZ, abhängig von Modell und Fahrzeuggewicht). Heutige Antriebe auf Basis von Otto-Motoren sind hervorragend geeignet, um selbst hohe Emissionsanforderungen zu erfüllen. Jedoch ist eine weitere Reduktion der CO2-Bildung bzw. des Verbrauchs notwendig. Diesel-Motoren indessen sind heute Klassenbeste im Verbrauch, aber eine weitere Reduktion der Emissionen ist erforderlich. Der Aufwand zur weiteren Reduktion der Abgasemission von Kohlenmonoxid und -dioxid, Stickoxiden, Kohlenwasserstoffen und Partikeln macht technisch und kostenseitig aufwändige Lösungen notwendig. Es ist absehbar, dass zukünftig im konventionellen Sektor deutlich steigende Entwicklungsaufwände relativ kleinen Verbesserungen gegenüber stehen. Innermotorische Innovationen und Abgasnachbehandlungssysteme, für Otto-Motoren z.B. der Einsatz neuartiger Einspritzsysteme, und bei DieselMotoren z.B. Partikel-, Oxidationsfilter und Harn-

78

2 Motor und Antriebsstrang

stoffkatalysatoren, erhöhen die Antriebssystemkomplexität und damit die Kosten eines Personenkraftwagens oder Nutzfahrzeugs. Eine absehbare Verschärfung der Randbedingungen rückt demzufolge neue und so genannte „alternative Antriebskonzepte“ in den Mittelpunkt der Forschung und Entwicklung.

lutverbrauch und die CO2-Emissionen um bis zu 25 % (auf Basis der NEFZ-Messung) senken. Hybridantriebe, die eine Kombination aus Verbrennungsmotor, einem oder mehrerer Elektromotoren, einem elektrischen Speicher und einem Getriebe darstellen, ermöglichen eine Nutzung der beschriebenen Potenziale.

Drei entscheidende Potenziale Im Hinblick auf eine wirkungsgradoptimale Nutzung der vorhandenen Energie im konventionellen Antriebsstrang werden folgende drei Anteile nicht oder nicht voll genutzt: Bremsenergie Bei der Verzögerung des Fahrzeugs mit Hilfe mechanischer Bremsen wird kinetische Energie in Wärme umgewandelt. Diese Energie ließe sich jedoch wieder für den Vortrieb nutzen. Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors Im Wirkungsgradkennfeld eines Verbrennungsmotors ist zu erkennen, dass der Wirkungsgrad in vielen Fahrsituationen ungenutzte Potenziale aufweist. Für eine Lastpunktverschiebung ist jedoch eine Leistungsverzweigung oder Zwischenspeicherung der zusätzlichen Leistung erforderlich. Verluste im Leerlauf Die benötigte Antriebsleistung bei Fahrzeugstillstand ist, abgesehen vom Bedarf der Nebenaggregate, gleich Null. Dennoch verbraucht der Verbrennungsmotor im Leerlauf Kraftstoff.

Definition Hybridantrieb Der Wortstamm Hybrid, der frei aus dem Griechischen übersetzt „von zweierlei Herkunft“ bedeutet, gibt bereits Auskunft über die Konstruktion eines Hybridantriebs. Nach IEC/TC69 (International Electrotechnical Commission/Technical Committee) verfügt ein Hybridantrieb, nachfolgend kurz Hybrid genannt, über mindestens zwei verschiedene Energiewandler und zwei verschiedene Energiespeicher, die zu Traktionszwecken eingesetzt werden (siehe Bild 2-78; der zweite Energiespeicher, nämlich der Kraftstofftank ist nicht abgebildet). Hybride sind keine neue Erfindung. Bereits im Jahr 1902 konstruiert Ferdinand Porsche auf Basis eines Daimler-Verbrennungsmotors ein Hybridfahrzeug. Sein „Mixte“ getauftes Fahrzeug steht im Zeichen des damaligen Wettbewerbs zwischen batterieelektrisch und verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen (siehe Bild 2-79). Bereits zwei Jahre später, im Jahr 1904, beginnt Henry Ford mit der Massenproduktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Im Jahre 1920 wird der elektrische Starter eingeführt, durch welchen die Elektro- und die Hybridfahrzeuge vorerst an Akzeptanz verlieren.

Bei Nutzung dieser drei Potenziale lässt sich der mittlere Wirkungsgrad anheben und damit der Abso-

Bild 2-78: Prinzipdarstellung eines Hybridantriebs: 1 Verbrennungsmotor, 2 Elektromotor, 3 Batterie, 4 Getriebe, 5 Steuergeräte

2.6 Hybridantriebe

Bild 2-79: F. Porsches serielles Hybridfahrzeug „Mixte“

In den Jahren 1920 bis 1965 finden keine nennenswerten Entwicklungen auf dem Gebiet der elektrischen und der hybriden Fahrzeuge statt. Ab 1966, hervorgerufen durch steigende Ölpreise, bekommt die Entwicklung alternativer Antriebe in den USA wieder neuen Aufwind. In den darauf folgenden dreißig Jahren werden viele Prototypenfahrzeuge, aber auch Kleinserien von z.B. rein batterieelektrisch angetriebenen Fahrzeugen entwickelt. Der Markt für Hybrid-Pkw bekommt neue Impulse mit der Serieneinführung des Toyota Prius 1997 in Japan und des Honda Insights 1999 in den USA. 18000 Fahrzeuge setzt Toyota im ersten Jahr seiner Produktion ab. Seit 2000 ist der Prius weltweit erhältlich und wurde bis 2004 bereits über 250 000-mal verkauft. Verbrauchs- und Emissionsgrenzwerte Ein Motiv für die wachsende Attraktivität des hybriden Antriebskonzepts liegt in den aktuellen Weltmarktbedingungen. Hier sind insbesondere Europa, die USA und Japan, die Triade, zu benennen. In ihrem Einfluss liegen die Festlegung zahlreicher Grenzwerte bzgl. Verbrauch und Emissionen. Diese Grenzwerte sind ein entscheidender Treiber bei der Auswahl zukünftig zu verwendender Antriebstechnologien. Die Motive zur Limitierung der Verbräuche und der Emissionen sind vielfältig und reichen von der primären Reduzierung des CO2-Ausstoßes über die Reduzierung der Abhängigkeit von Ölimporten bis hin zur Wettbewerbsdifferenzierung gegenüber anderen Automobilherstellern. In Europa greift primär die ACEA-Selbstverpflichtung. Der Verband der europä-

79 ischen Automobilhersteller ACEA (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles) hat mit der Europäischen Union eine freiwillige Vereinbarung getroffen. Hierin verpflichtet sich der Verband, die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Pkw, die in der EU neu zugelassen werden, bis zum Jahr 2008 im Vergleich zum Basisjahr 1995 um 25 % zu verringern. Dies bedeutet einen Rückgang von 186 g CO2 pro Kilometer (1995) auf 140 g CO2 pro Kilometer (2008). Im Jahr 2004 überprüfte die Europäische Kommission die erzielten Fortschritte im Hinblick auf das für 2003 vereinbarte Zwischenziel von 165 bis 170 g CO2 pro Kilometer. Dieser Stand konnte von den im ACEA zusammengeschlossenen Herstellern erreicht werden. Erklärtes politisches Ziel der EU ist es jetzt, bis spätestens 2010 einen Grenzwert von 120 g CO2 pro Kilometer zu verwirklichen. Des Weiteren hat sich der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) gegenüber der Bundesregierung verpflichtet, ausgehend vom Basisjahr 1990 den durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch der in Deutschland neu in den Verkehr gebrachten Pkws bis zum Jahr 2005 um 25 % zu senken. In Kalifornien (USA) hingegen gilt ab 2010 das ZEVMandat (Zero Emission Vehicles) und die Verschärfung der CAFE-Grenzwerte (Corporate Average Fuel Economy) steht an. Im japanischen Raum ist eine fahrzeugklassenabhängige CO2-Steuer ab 2010 geplant. Ähnlich der ACEA-Selbstverpflichtung ist eine Selbstverpflichtung des Verbandes der japanischen Automobilhersteller in Kraft getreten, die eine Verbrauchsreduzierung auf 140 g CO2 pro km bis 2009 vorsieht. Die Auflistung der Grenzwerte und Umweltrichtlinien ist hiermit keineswegs vollständig. Weltweit sind eine Reihe weiterer Grenzwerte vorhanden oder in Vorbereitung. Zusammenfassend ist allerdings ein eindeutiger Trend in Richtung einer sich weiter verschärfenden Gesetzgebung und eines erhöhten öffentlichen Drucks zu erkennen. Zusätzlich werden vermehrt staatliche Förderungen für die Entwicklung von Hybridantrieben eingesetzt und weitreichende Steuervorteile für Hybridfahrzeuge eingeräumt. Die Entwicklung hybrider Antriebsstränge wird somit auch in wirtschaftlicher Hinsicht sowohl für die Automobilhersteller wie auch für deren Kunden zunehmend attraktiv. Einsatzszenario Hybride sind für jedes Pkw-Marktsegment geeignet. Darüber hinaus ist eine Anwendung für Stadtbusse und für Güterverteilerfahrzeuge äußerst vorteilhaft. Hybride Antriebskonzepte bieten besondere Vorteile bei Fahrprofilen und Lastkollektiven mit niedrigen Geschwindigkeiten, hohem Leerlaufanteil und häufigen Anfahr- und Bremsvorgängen. Bei hohen, konstanten Geschwindigkeiten ergeben sich dagegen nur

80 geringe Kraftstoffverbrauchseinsparungen. Damit sind Hybride von besonderem Vorteil im innerstädtischen Einsatz. Um unterschiedlichen Marktanforderungen gerecht zu werden, haben die Fahrzeughersteller bei den Hybriden vielfältige Möglichkeiten durch verschiedene Hybridkonzepte und Komponentenauslegungen den spezifischen Marktbedingungen Rechnung zu tragen. Derzeit befinden sich weltweit einige hunderttausend Kraftfahrzeuge mit hybriden Antrieben im Straßenverkehr. Für eine innovative, alternative Antriebstechnologie ist das ein beachtenswerter Erfolg. Bezogen auf die Gesamtstückzahl aller Kraftfahrzeuge handelt es sich jedoch noch um eine Nische. So stellt sich die Frage, wie Hybride besser in den Markt eingeführt werden können. Die Attraktivität eines Hybridantriebs für den Kunden lässt sich, neben dem günstigen Kraftstoffverbrauch und den geringen Abgasemissionen, durch Zusatzfunktionen erheblich steigern. Beispielsweise seien genannt: Verbesserte Beschleunigung durch die gemeinsame Wirkung von Verbrennungs- und Elektromotor, Allradfähigkeit durch Anordnung eines weiteren Elektromotors auf der unabhängigen Achse und einfache Darstellung einer On-Board-Stromversorgung für extern betriebene Werkzeuge und Arbeitsmaschinen auf Baustellen oder bei Freizeitaktivitäten.

2.6.2 Hybride Antriebsstrukturen Grundprinzipien Konventionelle Antriebsstränge lassen sich im Regelfall durch Bezeichnung des Motor- und des Getriebetyps eindeutig definieren. Die Bezeichnung „Hybrid“ steht hingegen für eine ganze Familie möglicher Antriebskonzepte und umfasst technisch sehr unterschiedliche individuelle Lösungen. Um die Anzahl möglicher hybrider Kombinationen sinnvoll einzugrenzen, werden nicht alle technisch verfügbaren Energiewandler und -speicher betrachtet. Im Weiteren sollen nur Otto- und Diesel-Motoren in Kombination mit Batterien oder Kondensatoren diskutiert werden. So genannte „milde“ Hybride und Starter-Generator-Systeme werden hier nicht weiter vertieft, da sie nur einen Teil der genannten Potenziale, insbesondere die Bremsenergierückgewinnung und die Lastpunktverschiebung, ausnutzen. Es gibt drei Grundprinzipien, serielle und parallele Hybride und eine Mischform, die leistungsverzweigten Hybride. Bei seriellen Hybriden (siehe Bild 2-80) wird das Fahrzeug nur mit Hilfe eines oder mehrerer Elektromotoren angetrieben. Der Verbrennungsmotor ist an einen elektrischen Generator gekoppelt. Dieser Generator wandelt die Rotationsenergie komplett in elektrische Energie um und gibt diese an einen oder meh-

2 Motor und Antriebsstrang rere Elektromotoren weiter, welche die Räder antreiben. Die Energie kann auch in Batterien oder Kondensatoren zwischengespeichert werden.

Bild 2-80: Prinzip „serieller Hybrid“

Die Vorteile liegen je nach Einsatzfall in einer drastischen Reduzierung des Verbrauchs und der Emissionen, in zusätzlichen funktionalen Freiheitsgraden (aufgrund der fehlenden mechanischen Kopplung des Verbrennungsmotors und der antreibenden Räder) und in zusätzlichen Freiheitsgraden bezüglich Packaging für den Einsatz in Niederflur- oder weiteren Sonderfahrzeugen. Aufgrund der Entkopplung des Verbrennungsmotors vom Abtrieb kann der Motor stationär im optimalen Drehzahlbereich betrieben werden. Der Gesamtwirkungsgrad verringert sich indessen durch die mehrfache Energiewandlung zwischen chemisch gebundener Energie und kinetischer Energie. Eine Zwischenspeicherung der elektrischen Energie reduziert zusätzlich den maximal möglichen Wirkungsgrad. In Summe ist aber eine Verbrauchsreduzierung je nach gefordertem Lastprofil um bis zu 35 % möglich. Beim parallelen Hybrid (siehe Bild 2-81) sind die Wandlungsketten weitgehend getrennt. Dafür ist eine mechanische Überlagerung der verwendeten Antriebe vorgesehen. Hierbei unterscheidet man Momentenund Drehzahladdition. Eine Momentenaddition kann z.B. über eine Getriebestufe erfolgen, die Drehzahladdition z.B. über ein Planetengetriebe.

Bild 2-81: Prinzip „paralleler Hybrid“

2.6 Hybridantriebe Die momentenaddierte Anordnung lässt eine freie Auswahl des Antriebs zu. Sowohl ein ausschließlich elektrischer oder verbrennungsmotorischer Vortrieb als auch ein kombinierter elektrisch-verbrennungsmotorischer Vortrieb sind hiermit möglich. Weiterhin ist ein Rekuperieren (Rückgewinnung der Bremsenergie) oder eine Verzweigung der Verbrennungsmotorleistung zum Nachladen der Batterie möglich. Das parallele Hybridkonzept kennzeichnet eine parallele Anordnung der Energiewandler. Die elektrische Maschine wird auf eine Maximaldrehzahl ähnlich der des Verbrennungsmotors ausgelegt und besitzt ein hohes Anfahrmoment. Eine weitere elektrische Maschine kann auf der zweiten Achse angebracht werden, womit sich ein Allradantrieb realisieren lässt. Die Antriebsmomente aus Verbrennungs- und Elektromotor lassen sich bei dieser Anordnung zum so genannten „Boost-Betrieb“ überlagern. Der verwendete Elektromotor kann z.B. in Kombination mit einem nahezu konventionellen Getriebe am Verbrennungsmotorausgang, Getriebeeingang, -ausgang oder ausschließlich auf der zweiten Achse angeordnet werden. Vor- bzw. Nachteile der jeweiligen Anordnungen sind gesondert zu betrachten, bieten jedoch je nach Einsatzfall eine Verbesserung des mittleren Gesamtwirkungsgrades oder die Möglichkeit eines lokal begrenzten emissionsfreien Fahrens.

Bild 2-82: Prinzip „leistungsverzweigter Hybrid“

Eine Mischform aus seriellen und parallelen Hybridkonzepten ist der leistungsverzweigte Hybrid (siehe Bild 2-82). Die Leistungsverzweigung kann über ein Differenzialgetriebe, z.B. in Form eines Planetengetriebes erfolgen, über das ein Teil der Ausgangsleistung des Verbrennungsmotors direkt an die antreibenden Räder abgegeben wird. Die übrige Leistung wird, vergleichbar einem seriellen Hybrid, über Generator und Elektromotor, ggf. unter Verwendung einer Batterie zur Zwischenspeicherung an die Antriebsräder abgegeben. Das Verhältnis der Leistungsanteile, die indirekt oder direkt zur Antriebsachse fließen, kann über die Leistungsaufnahme des Generators variiert werden. Ein Differenzial zur Verzweigung der Leistung kann am Getriebeeingang, am Getriebeausgang oder auch gleichzeitig am Getriebeein- und -ausgang platziert werden. Es sind ein- und mehrfache Leistungsver-

81 zweigungen unter Verwendung ein bis mehrerer Planetengetriebe möglich. Der Vorteil der Anordnung des Differenzials am Getriebeeingang liegt in einem niedrigen erforderlichen elektrischen Leistungsanteil beim elektrischen Anfahren. Dagegen ist bei der Anordnung am Getriebeausgang nur ein niedriger elektrischer Leistungsanteil beim freien Stellen des Verbrennungsmotors erforderlich. „Freies Stellen des Verbrennungsmotors“ heißt, dass die Drehzahl bzw. die Last des Motors unter Vorgabe des bestmöglichen Wirkungsgrads weitgehend frei gewählt werden kann. Die Kombination des Differenzials am Getriebeein- und -ausgang ermöglicht bei einem niedrigen elektrischen Leistungsanteil eine hohe Spreizung. Leistungsverzweigte Hybride ermöglichen hohe Verbrauchseinsparungen (20 bis 25 % im NEFZ) bei hohen funktionalen Freiheitsgraden (Stopp-StartBetrieb) und exzellentem Komfort (kein Zugkrafteinbruch). Nachteilig kann sich jedoch die hohe Komplexität des Systems auswirken. Zusätzlich muss in Betracht gezogen werden, dass zu jedem Zeitpunkt ein Teil der Verbrennungsmotorleistung zur Drehmomentunterstützung an den Generator abgegeben wird, selbst wenn der Verbrennungsmotor ohne die Elektromotoren in seinem optimalen Wirkungsgrad betrieben werden könnte. Damit verbunden ist eine Einschränkung der Optimierung des Wirkungsgrades im oberen Lastbereich zu Gunsten besserer Wirkungsgrade im unteren Lastbereich. Beispiele für Hybridkonzepte Eine parallele Anordnung eines relativ kompakten Elektromotors (kleiner Konstantleistungsbereich) am Getriebeeingang ermöglicht hohe Verbrauchseinsparungen von bis zu 20 % (NEFZ) bei kalkulierbaren Mehrkosten. Dieses Konzept wird vielfach mit dem Einsatz in kleinen und mittelgroßen Transportern in Verbindung gebracht.

Bild 2-83: Paralleler Hybrid, Elektromotor auf Getriebeeingangsseite

Weiter reichende Forschungsaktivitäten zielen auf einen den leistungsverzweigten Hybriden vergleichbar hohen Komfort ohne deren Komplexität. Herausforderung ist dabei ein schneller Verbrennungsmotorstart. Demgegenüber stehen die Kosteneinsparungen eines Elektromotors samt Leistungselektronik und kompakte Bauräume.

82 Ein leistungsverzweigtes Konzept (siehe Bild 2-84) findet Verwendung im Toyota Prius. Neben StarterGenerator- und Boost-Funktionalität mit zwei Elektromotoren ermöglicht dieses Konzept einen Betrieb als Zero Emission Vehicle sowie elektrisch-mechanisches Anfahren und Fahren. Der Verbrennungsmotor kann während der Fahrt zugkraftunterbrechungsfrei gestartet und gestoppt werden. Ein wirkungsgradoptimierter Verbrennungsmotorbetrieb ist möglich.

Bild 2-84: Leistungsverzweigter Hybrid, Differenzial auf Getriebeeingangsseite

Einschränkungen dieses Prinzips liegen in seiner begrenzten Skalierbarkeit. Die verwendeten Elektromotoren müssen proportional der Verbrennungsmotorleistung ausgelegt werden. Damit werden für hohe Leistungsanforderungen und Geschwindigkeiten konzeptionelle Änderungen erforderlich. Serielle Hybridantriebe (siehe Bild 2-85) hingegen eignen sich hervorragend für Nischenfahrzeuge wie z.B. Stadtbusse oder Nutzfahrzeuge für spezielle Sonderanwendungen (Forstwirtschaft etc.). Hohe Verbrauchs- und Emissionsreduzierungen sind realisierbar aufgrund eines optimalen Energiemanagements, d.h. Verbrennungsmotorbetriebs im Bestpunkt in Verbindung mit rein elektrischen Fahrphasen.

Bild 2-85: Serieller Hybrid

Die verfügbare Rekuperationsleistung entspricht aufgrund der Auslegung der installierten Fahrleistung. Nachteilig kann sich das auf Grund der dreifach installierten Nennleistung hohe Gewicht auswirken. Eine Boost-Funktion ist nur elektrisch durch Überlast

2 Motor und Antriebsstrang möglich. Bei kleineren Baugrößen resultiert aus dieser Anordnung ein geringerer mittlerer Wirkungsgrad als beim parallelen oder leistungsverzweigten Hybrid, Vorteile ergeben sich aber z.B. bei leistungsstarken Stadtbussen.

2.6.3 Schlüsselkomponenten Zur Auslegung der Hybridkomponenten muss zunächst die gewünschte Zielrichtung bei der Entwicklung des Antriebs festgelegt werden. Neben Zusatzfeatures und Packaging-Aspekten muss auch die Frage geklärt werden, ob eine Verbrauchsreduzierung oder eine Leistungssteigerung präferiert wird. Zu klären ist, ob kurzfristige Spitzenleistungen, hohe Dauerleistungen oder z.B. längere rein elektrische Fahranteile maßgebend sind. Verbrennungsmotoren Aktuelle Verbrennungsmotoren sind für eine konventionelle Betriebsweise ausgelegt, d.h. die abgegebene Drehzahl des Motors steht über die eingelegte Getriebestufe in einem festen Verhältnis zu der am Rad geforderten. Daher gibt es ungenutzte Wirkungsgradpotenziale, die im Rahmen der Hybridisierung genutzt werden können. Typische Modifikationen an konventionellen Verbrennungsmotoren für den Einsatz im hybriden Antriebsstrang sind die Zylinderabschaltung, die bei geringer Lastanforderung ein Teil der vorhandenen Zylinder inaktiv schaltet, die variable Ventilverstellung, die ein Eingriff in den zeitlichen Ablauf und der Höhe des Ventilhubes ermöglicht und der Anwendung des Miller-Atkinson-Prozesses, bei welchem ein Teil des angesaugten Gemischs durch das Einlassventil sofort wieder ausgestoßen wird. Vorteile dieses Prozesses sind Kraftstoffeinsparungen im Teillastbereich des Verbrennungsmotors. Weiterhin kann z.B. auf den Leerlauf verzichtet werden, anhängige Bauteile und Softwaremodule können entfallen. Die Dimensionierung des Verbrennungsmotors ergibt sich aus der Konzeption des Hybridantriebs. Je nach Einsatzfall reicht häufig ein verkleinerter Verbrennungsmotor aus („Downsizing“), um die nur temporär geforderten Leistungsmaxima darzustellen. Der Elektromotor liefert hierbei die notwendige Unterstützung, um die kurzfristigen Leistungsanforderungen abzudecken. Für den Hybridantrieb sind sowohl Otto- als auch Dieselmotoren geeignet. Das Einsparpotenzial beim Otto- ist gegenüber dem Dieselmotor jedoch tendenziell größer, da der Dieselmotor bereits hohe Wirkungsgrade im Teillastbereich aufweist. Die Auswirkungen auf die Auslegung der Abgasnachbehandlung hängen von der Betriebsweise des Hybriden ab. Betriebsweisen mit besonders hoher Schadstoffbelastung können im Hybriden vermieden

2.6 Hybridantriebe werden. Aufgrund neuer thermischer Randbedingungen müssen jedoch entsprechende Anpassungen vorgenommen werden. Elektromotoren und Leistungselektronik Im Gegensatz zum Verbrennungsmotor kann ein Elektromotor die im Bremsbetrieb entstehende Bremsleistung in elektrische Leistung zurück wandeln. Im Zusammenspiel mit einem Speicher wird die erzeugte Bremsenergie wieder für den Antrieb des Fahrzeugs nutzbar. Diese Rückgewinnung von Bremsenergie über den Elektromotor stellt eine wesentliche Eigenschaft von Hybridfahrzeugen dar. Im Laufe der Zeit haben sich unterschiedliche Elektromotor-Technologien für den Einsatz in Pkw- und Nfz-Hybridfahrzeugen durchgesetzt. So werden neben Asynchronmaschinen vor allem permanent erregten Synchronmaschinen und seltener auch geschaltete Reluktanzmotoren eingesetzt. Allerdings zeichnet sich ein deutlicher Vorsprung der permanent erregten Synchronmaschine ab, die mit einer guten Leistungsdichte und einem hohen Bestpunktwirkungsgrad wichtige Kriterien für die Integration in den Triebstrang eines Hybridfahrzeugs erfüllt. Elektromotoren bilden zusammen mit einer leistungselektronischen Steuerungseinheit, einem Umrichter, den elektrischen Antrieb. Dabei wandelt der Umrichter den von einem Energiespeicher üblicherweise bereitgestellten Gleichstrom in ein frequenz- und amplitudengeregeltes Drehstromsystem zur Ansteuerung des Elektromotors um. Die Sollwertvorgaben der einzustellenden Motorströme werden dabei von einem Mikrocontroller entsprechend einer Momentenvorgabe der Fahrzeugsteuerung erzeugt.

83 Wichtige Kennwerte zur Beurteilung und zum Vergleich von elektrischen Motoren im Hybridfahrzeug sind die spezifische Leistung [W/kg], das maximale Drehmoment, der maximale Wirkungsgrad (generatorisch und motorisch), der Drehzahlbereich in dem das maximale Moment verfügbar ist, sowie die maximal zulässige Drehzahl. Elektromotoren weisen im direkten Vergleich mit Verbrennungsmotoren im Bestpunkt einen hohen Wirkungsgrad auf. Gleichzeitig kann ein Elektromotor bei niedrigen Drehzahlen und insbesondere bereits im Stillstand sein maximales Moment abgeben. Darüber hinaus ist die erreichbare Lebensdauer des Antriebs hoch. Diesen Vorteilen stehen zurzeit noch hohe Kosten von Leistungselektronik und Elektromotor gegenüber. Energiespeicher Der Einsatz von elektrischen Speichern ermöglicht entscheidende zusätzliche Freiheitsgrade bei Hybridfahrzeugen. Die sinnvoll für eine Hybridisierung einzusetzenden elektrischen Speicher sind kapazitive (Kondensatoren) und elektrochemische Speicher (Batterien). Als Kennwerte sind die spezifische Energie [Wh/kg] und Energiedichte [Wh/l], die spezifische Leistung [W/kg] und Leistungsdichte [W/l], der Spannungsbereich, der Lade- und Entladewirkungsgrad, die Kosten und die Lebensdauer zu sehen. In der Regel werden Batterienzellen in vielfacher Reihenschaltung zur Energiespeicherung eingesetzt. Nickel-Metallhydrid- und Lithium-Ionen-Batterien gehören derzeit aufgrund ihrer hohen Leistungsfähigkeit auch bei relativen niedrigen oder hohen Ladezuständen zu den favorisierten Typen im Automobilbereich.

Bild 2-86: Wirkungsgradkennfeld eines permanenterregten Synchronmotors

84 Bleibatterien sind nicht für den Einsatz als Hybridbatterien geeignet, da die hohen Energieumsätze im teilentladenen Zustand zu einer deutlich verkürzten Lebensdauer führen. Als Alternative oder Ergänzung zu Batterien können aber auch so genannte Supercaps verwendet werden. Ihre geringe Energiedichte und ihr vergleichsweise hohes Gewicht und Volumen wirken sich jedoch nachteilig aus.

2.6.4 Betriebsstrategie Hybride Pkw-Antriebsstränge sind durch eine im Vergleich zu konventionellen Pkw-Antrieben deutlich höhere Komplexität gekennzeichnet. Das hat zur Folge, dass der Fahrzeugregelung und -steuerung, die den einzelnen Antriebsstrangkomponenten übergeordnet ist, eine besondere Bedeutung zukommt. Die Fahrzeugregelungseinrichtung hat Einfluss auf den Betrieb aller Komponenten des Hybridantriebs. Es wird die logische und zeitliche Abfolge aller Betriebszustände des Hybridantriebs, d.h. wann und wie welche Komponenten des Antriebs betrieben werden, gesteuert. Ziel einer Betriebsstrategie ist in der Regel, durch eine geeignete Kombination und Betriebsweise der Einzelkomponenten den gesamten Antriebsstrang mit möglichst geringem Kraftstoff- bzw. Energieverbrauch und niedrigen Schadstoffemissionen zu betreiben. Die Betriebsstrategie-Software, auch kurz als Betriebsstrategie bezeichnet, ist im zentralen Fahrzeugsteuergerät hinterlegt und kann dadurch auf die Energie- und Stoffumwandlungsprozesse im Fahrzeug einwirken. Die Betriebsstrategie ist Teil eines informationsverarbeitenden Systems, welches auf Basis von Eingangssignalen den aktuellen Zustand der Antriebskomponenten erfasst. Algorithmen regeln entsprechend der definierten Führungsgröße die Ausgabesignale. Die Modularität der Betriebsstrategie-Software erleichtert die Applikation und Adaption an unterschiedliche Hybridantriebskonzepte.

2 Motor und Antriebsstrang Aus der primären Zielsetzung, durch eine geeignete Betriebsweise der Einzelkomponenten den gesamten Antriebsstrang mit einem möglichst hohen Wirkungsgrad zu betreiben, resultiert eine große Anzahl von Lösungsmöglichkeiten. Hierbei führt die Menge der beeinflussenden Parameter auch zu einer Vielzahl von Zielkonflikten. Abzuwägen sind externe Einflussfaktoren wie Leistungsanforderung (Innenstadt, Landstraße, Autobahn), Umgebungsbedingungen (Wetter, Steigung, Gefälle), Fahrercharakteristik und Telematik-Informationen gegen interne Einflussfaktoren, wie Wirkungsgrad- und Emissionskennfelder der Hauptkomponenten, Ladezustand der Batterie, Einschaltdauer des Verbrennungsmotors und Temperaturhaushalt der Komponenten Verbrennungsmotor incl. Abgasnachbehandlung, Elektromotoren, Leistungselektroniken und Batterie. Hybridantriebe müssen sich bzgl. der eingangs genannten Kriterien, wie z.B. Verbrauch, Komfort und Lebensdauer, an modernen konventionellen Fahrzeugantrieben orientieren oder sie übertreffen. Die Betriebsstrategie spielt hierbei eine zentrale Rolle. Der Fahrer eines Hybridfahrzeugs nimmt, wie aus einem konventionellen Fahrzeug gewohnt, mit Hilfe des Gas- und Bremspedals Einfluss auf die Längsdynamik seines Fahrzeugs. Bei einem Hybridfahrzeug entscheidet jedoch die Betriebsstrategie, ob z.B. der Anfahrvorgang (Bild 2-87) allein mit der elektrischen Maschine realisiert, beim bevorstehenden Bremsvorgang der Verbrennungsmotor abgeschaltet oder beim Überholen die elektrische Maschine mit zum Beschleunigen genutzt werden kann. Eine mögliche Abfolge dieser Betriebszustände ist in Bild 2-88 für den NEFZ dargestellt. Für die Beschleunigung und Konstantfahrt bis ca. 15 km/h reicht in diesem Beispiel die Leistung des Elektromotors aus. Der Verbrennungsmotor wird erst bei höheren Geschwindigkeiten automatisch gestartet und zugeschaltet.

Bild 2-87: Darstellung der möglichen Fahrzustände: VM Verbrennungsmotor, EM Elektrische Maschine

2.6 Hybridantriebe

85

Bild 2-88: Der Hybridantrieb im NEFZ: VM Verbrennungsmotor, EM Elektrische Maschine

Bei laufendem Verbrennungsmotor kann die elektrische Maschine bei der Beschleunigung unterstützen oder beim Bremsen die Batterie aufladen. Während der Brems- und Wartephasen kann der Verbrennungsmotor abgeschaltet werden. Die Entscheidung der Betriebsstrategie für eine bestimmte Betriebsweise aller Antriebskomponenten und Nebenaggregate basiert auf heuristischen und empirischen Untersuchungen, analytischen Systemoptimierungen, welche einmalig vor oder laufend während des Betriebs durchgeführt werden und einer prädiktiven, d.h. vorausschauenden Optimierung unter Nutzung von Informationen über Fahrstrecke, Straßenverhältnisse und Fahrer. Alle genannten Verfahren haben zum Ziel, den mittleren Gesamtwirkungsgrad zu erhöhen. Die drei ungenutzten Potenziale konventioneller Antriebe (Rückgewinnung der Bremsenergie, wirkungsgradoptimaler Betrieb des Verbrennungsmotors, Vermeidung der Leerlaufverluste) tragen mit circa je einem Drittel zur Optimierung bei (Basis NEFZ). Je nach Ausprägung der Stillstands-, der Bremsphasen und der Lastanforderungen variieren die Anteile zur Gesamtoptimierung. Die Messungen von Kraftstoffverbrauch und Schadstoffemissionen und damit auch die Bewertungen eines Hybridfahrzeugs mit seiner Betriebsstrategie finden anhand von standardisierten, zum Teil synthetischen Fahrzyklen statt. Zu den Bekanntesten zählen der NEFZ in Europa (Bild 2-88), der FTP-75 (Bild 2-89) in den USA und der japanische 10-15 Mode.

Bild 2-89: Federal Test Procedure City (FTP-75)

Die Akzeptanz von Hybridantrieben hängt aber nicht nur von einem guten Abschneiden innerhalb eines synthetischen Zyklus ab, sondern insbesondere von einer ebenso positiven Bewertung im alltäglichen Fahrbetrieb. Daher werden auch kundennahe Fahrprofile untersucht. Als Beispiel sei der HYZEMZyklus (hybrid technology approaching efficient zero emission mobility) genannt. Dieser Zyklus besteht aus drei Anteilen, nämlich einem städtischen, einem Überlandfahrt- und einem Highway-Anteil und bildet das reale Verhalten eines Hybridfahrzeugs wegen seiner dynamischen Anteile deutlich besser ab als der NEFZ.

86

2.6.5 Antriebsintegration

2 Motor und Antriebsstrang

Hybridkomponenten müssen mechanisch und elektrisch in das Gesamtfahrzeug integriert werden. Zusätzlich muss eine funktionale Einbindung der zugehörigen elektronischen Steuergeräte in die neue Kommunikations- und Steuergeräte-Architektur vorgenommen und der Entwicklungsprozess der komplexen Betriebsstrategie umgesetzt werden.

das Verhalten und die Belastungen auf die Aggregate und Komponenten während eines Unfalls. Zusätzlich müssen die Realisierung zusätzlicher Kühlleistungen bei limitierter Kühlfläche, eine ausreichende Körperschallentkopplung und Geräuschisolierung bei Anschluss und Befestigung zusätzlicher Aggregate (NVH) und die elektromagnetische Verträglichkeit aller Aggregate und Komponenten untersucht werden.

Komponenten (Packaging) Während der Entwicklungsphase moderner Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge mit konventionellen Antriebssträngen werden die Wechselwirkungen zwischen Fahrzeugaufbau, Antrieb und Fahrwerk untersucht und optimiert. Bei der Integration eines Hybridantriebs muss ferner die Adaption und die Integration der elektrischen Maschine(n) und der Leistungselektronik, der Kupplungen und zusätzlichen Getriebeeinheiten und der Traktionsbatterie erfolgen. Des Weiteren sind elektrifizierte Nebenaggregate, die bisher vom Verbrennungsmotor angetrieben wurden, z.B. Getriebeölpumpe, Kompressor der Klimaanlage und Pumpen von Servolenkung und -bremse, sowie das Kühlsystem für Elektromotoren und Batterie als auch die Verbindung Fahrzeugbordnetz und Traktionsnetz über Spannungswandler zu integrieren. Dabei sind neben der Anordnung bei optimaler Raumausnutzung die Wirkung der geänderten Massen, Dämpfungen und Steifigkeiten auf das Resonanz- und Schwingverhalten des Gesamtantriebsstrangs zu berücksichtigen; ebenso wie die Verlagerung des Fahrzeugschwerpunkts durch den Einbau neuer Komponenten, wie z.B. der Batterien, die Zugänglichkeit aller Aggregate und Komponenten für spätere Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten und

Regelungskonzept Die Steuerung und Regelung der Komponenten in konventionellen Fahrzeugantrieben erfolgt weitgehend dezentral. Bei Hybridantrieben ist ein systemorientiertes Regelungskonzept erforderlich, das die unterlagerten Komponentensteuergeräte integriert. Das Hybrid-Steuergerät mit der Betriebsstrategie und die Steuergeräte der Antriebskomponenten sind durch ein CAN-Bussystem vernetzt. Demzufolge ist es möglich, diese parallel zu entwickeln und durch Simulation mit den entsprechenden Komponentenmodellen vor dem Aufbau des Gesamtsystems zu validieren. Der CAN-Bus dient zur echtzeitfähigen Kommunikation der im Fahrzeug verteilten Steuergeräte. Die dezentrale Struktur basiert hauptsächlich auf einem Hybrid-„Master“-Steuergerät und den Steuergeräten der Antriebskomponenten. Bild 2-90 zeigt eine vereinfachte Steuergeräteanordnung eines Hybriden. Der Fahrer regelt Abweichungen zu der von ihm gewünschten Zielgeschwindigkeit aus. Die Stellgröße in dem (Fahrer-) Regelkreis ist eine Drehmomentenanforderung oder die Stellung von Gas- und Bremspedal, die im Hybrid-Steuergerät interpretiert und entsprechend einer verbrauchsgünstigen Betriebsstrategie als Solldrehmoment auf die Antriebsmaschinen verteilt wird.

Bild 2-90: Hybridantrieb als Regelstrecke: vsoll Sollgeschwindigkeit, vist Istgeschwindigkeit

2.6 Hybridantriebe Die jeweiligen Drehmomentenanforderungen stellen Sollwerte für die Komponentensteuerungen dar. Die Steuergeräte setzen die vom Hybrid-Steuergerät erhaltenen Sollwerte an den Antriebsstrangkomponenten um. Entwicklungsprozess der Betriebsstrategiesoftware Zunächst werden die Systemanforderungen des Hybriden analysiert und spezifiziert. Auf der Basis dieser Anforderungen werden eine Softwarestruktur und die verschiedenen Softwarefunktionen entwickelt. Die Validierung der Betriebsstrategiesoftware erfolgt aufgrund Ihrer Komplexität vorab unabhängig von der Steuergerätehardware in einer Software-in-theLoop-Simulation, d.h. Regler und Regelstrecken liegen als Modelle in einer Softwaresimulationsumgebung vor. Anschließend wird die Steuergerätesoftware codiert, compiliert und in die Zielhardware geladen. Die auf der Hardware implementierte Software (embedded Software) wird mit entsprechenden Streckenmodellen in einer Hardware-in-the-LoopTestumgebung validiert. Abschließend erfolgt die Inbetriebnahme, Applikation und Erprobung der Betriebsstrategie im Fahrzeug. Die aus der Fahrzeugerprobung resultierenden Änderungen der Spezifikation und der Software werden in weiteren Iterationen des Entwicklungsprozesses eingepflegt. Aufgrund der hohen Systemkomplexität und der Notwendigkeit Fahrsituationen zuverlässig, sicher und in beliebiger Parameterauslegung zu reproduzieren, sind Software- und Hardware-in-the-LoopMethoden in der Hybridentwicklung unabdingbar.

2.6.6 Fahrzeugbeispiele Hybridantriebe sind nicht auf einzelne Fahrzeugklassen beschränkt, sondern können in einem breiten Spektrum von Fahrzeugen eingesetzt werden. Das derzeit erfolgreichste Hybridfahrzeug ist der Toyota Prius (Bild 2-91), der mittlerweile in der zweiten Generation erhältlich ist.

Bild 2-91: Toyota Prius

87 Der verwendete Hybridantrieb THSII (Toyota Hybrid System) ist ein leistungsverzweigter Hybridantrieb mit einem Ottomotor (1,5 Liter Hubraum und 57 kW Leistung) und zwei permanenterregten Synchronmaschinen. Durch den wechselseitigen Einsatz der Komponenten wird ein Verbrauch von 4,3 Litern pro 100 Kilometer im NEFZ erzielt. Auf der North American International Autoshow 2005 (NAIAS) wurde die neueste Generation des Hybridantriebes in der Mercedes-Benz S-Klasse vorgestellt (Bild 2-92). In dem so genannten P1/2Getriebe des Autos werden Verbrennungs- und Elektromotoren miteinander kombiniert, so dass im Fahrbetrieb ein hochkomfortabler Übergang zwischen den einzelnen elektrischen und hybridischen Fahrmodi möglich ist. Der Achtzylinder-Dieselmotor leistet 191 kW und 560 Nm. Die beiden Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von 50 kW optimieren Fahrkomfort und Beschleunigung.

Bild 2-92: Mercedes S-Klasse

Die Kombination der Elektroantriebe mit dem Automatikgetriebe sorgt dafür, dass der Hybrid stets im Betriebsoptimum fährt – nicht nur beim Anfahren, Einparken, im Stop-and-go-Verkehr und bei langsamer Fahrt durch verkehrsberuhigte Zonen, sondern auch auf Überland- und Autobahnfahrten ermöglicht dieses Hybridkonzept, den Diesel stets im verbrauchsgünstigsten Bereich zu betreiben. Dies erhöht den Gesamtwirkungsgrad bei gleichzeitig gesteigertem Komfort. Herkömmliche Hybrid-Antriebe spielen dagegen ihre Vorteile hauptsächlich im Stadtverkehr aus. In den USA stellte GM den Chevrolet Silverado (siehe Bild 2-93), einen Pickup mit parallelem Hybridantrieb vor. Die Auslegung des verwendeten Hybridantriebs verbessert konsequent den Nutzwert. Eine Verbrauchsreduzierung wurde nicht angestrebt. Der Hybrid betreibt vier Steckdosen mit jeweils 110 V Wechselspannung. Der V8-Ottomotor mit 5,3 Liter Hubraum treibt alleine das Fahrzeug an und betreibt einen Generator für das 110 V Wechselspannungsnetz. Befindet sich der Motor im Leerlauf und wird nicht für Antrieb oder Generator benötigt, so schaltet er sich ab (Idle-Modus).

88

Bild 2-93: GM Chevrolet Silverado

Ähnlich wie der Chevrolet Silverado besitzt auch der Dodge RAM Contractor Special (Bild 2-94) ein 110/220-V-Wechselspannungsnetz für den Betrieb elektrischer Geräte. Für den Verbrennungsmotor stehen mehrere Varianten zur Verfügung, inklusive eines V16-Dieselmotors mit 5,9 Liter Hubraum. Durch die Ausnutzung der Hybridisierung im Fahrerbetrieb verfügt der Contractor Special über ein Plus an Leistung bei gleichzeitig geringerem Kraftstoffverbrauch im Vergleich zur Basisversion des Dodge RAM.

Bild 2-94: Dodge RAM Contractor Special

2.6.7 Bewertung Die funktionalen Vorteile des Hybridantriebs bezüglich des geringen Kraftstoffverbrauchs sind bekannt, aber noch nicht ausreichend, um eine großflächige Marktdurchdringung zu erreichen. Ein Hemmnis sind die höheren Kosten gegenüber Fahrzeugen mit konventionellem Antriebsstrang. Aufgrund der noch geringen Stückzahlen und der Komplexität bei der Entwicklung und Produktion der Hybridkomponenten einerseits und den notwendigen Änderungen am Fahrzeug andererseits addieren sich die Kosten, die als Aufpreis nicht vollständig an den Kunden weitergegeben werden können. Besondere Beachtung ist den unterschiedlichen Rahmenbedingungen auf den einzelnen Weltmärkten zu widmen. Die serienreifen Fahrzeuge mit Hybridantrieben werden in einigen Ländern mit steuerlichen oder anderen finanziellen Anreizen angeboten, um den Fahrzeugmehrpreis ausgleichen zu können. Hier-

2 Motor und Antriebsstrang bei ist die Verschiedenheit der Triaden-Märkte (USA, Europa, Japan) zu beachten. Da die Käufer in den USA und in Japan traditionell Ottomotoren bevorzugen, bietet der Benzin-Hybridantrieb in diesen Märkten deutliche Verbrauchsvorteile. In diesen Ländern werden deutliche finanzielle Anreize durch den Gesetzgeber gegeben. In Japan beispielsweise erhält der Käufer 50 % der durch den Hybridantrieb verursachten Mehrkosten zurück. In den USA werden je nach Bundesstaat Steuernachlässe von ca. 2000 $ gewährt. Damit rechnen sich die Hybridantriebe in absehbarer Zeit. Neben diesen finanziellen Anreizen haben Hybridantriebe auch einen erhöhten Imagewert bei umweltbewussten Besitzern. In Europa ist die Situation gänzlich anders. Hier ist etwa die Hälfte aller neu zugelassenen Pkws mit einem verbrauchsgünstigen Dieselmotor ausgerüstet und der Dieselkraftstoff wird geringer besteuert. Der Benzin-Hybrid ist daher für den Verbraucher zu teuer, zumal keine staatlichen Anreize bestehen. Derzeit ist die Hybridtechnologie bei den Fahrzeugherstellern und Zulieferern in den Ländern angesiedelt, in denen auch eine Marktfähigkeit vorhanden ist. Weltweit ist ein entsprechendes Zulieferersegment aber noch nicht vorhanden. Die notwendigen Entwicklungsarbeiten sind bei den großen Fahrzeugherstellern weit fortgeschritten. Die funktionsgetriebene Weiterentwicklung des Hybridantriebsstrangs sorgt prinzipbedingt für Mehraufwand und Mehrkosten. Parallel dazu sollte aber eine Kostenreduktion durch eine verbesserte Serienentwicklung angestrebt werden. Als Hindernis für eine bessere Marktfähigkeit sind neben den Mehrkosten die noch uneinheitlichen Verhältnisse bei den Gesetzgebern zu nennen. Eine gewisse Zukunftsunsicherheit bei den Hybridantrieben ist noch durch die Förderung verschiedener, konkurrierender Technologien wie der Dieseltechnologie bei den konventionellen und der noch nicht klaren Zukunft der Brennstoffzelle bei den alternativen Antrieben zu sehen. Literatur zu Abschnitt 2.6 [1] Noreikat, K. E. et al.: Hybride Fahrzeugantriebe. Die Evolution zum Mehrwerthybrid, VDI-Bericht 1565, Düsseldorf: 2000 [2] Braess, H.-H.; Seiffert, U.: Handbuch Kraftfahrzeugtechnik, Wiesbaden: Vieweg, 2005 [3] Seiffert, U. et al.: Automobiltechnik der Zukunft, Düsseldorf: VDI Verlag, 1989 [4] Noreikat, K. E.; Neiß, K.: Hybride Fahrzeugantriebe – Marktfähig mit Mehrwert?, Hybrid-, Batterie- und BrennstoffzellenElektrofahrzeuge, Renningen: expert-verlag, 2004 [5] Noreikat, K. E.: Hybride Fahrzeugantriebe – Ein Mehrwert für den Kunden, VDI-Reihe 12, Nr. 84, Düsseldorf 2002, ISBN: 3-18-348412-9 [6] Yaegashi, T.: Toyota Hybrid System – it’s Strategy and Technologies, 16th International AVL Conference „Engine & Environment“, Highly-Flexible Classic Powertrain or Hybrid Concept?, Graz, 9./10. September 2004

2.7 Brennstoffzellen

89

[7] Tenberge, P.: Technical University of Chemnitz, Trendsetting Energy Management with a Hybrid Powertrain – The Multiline-Gear as Basis for an Optimized Hybrid, 16th International AVL Conference „Engine & Environment“, Highly-Flexible Classic Powertrain or Hybrid Concept?, Graz, 9./10. September 2004 [8] Noreikat, K. E.: DaimlerChrysler AG, Diesel-HybridPowertrain, the Ultimate Solution, 16th International AVL Conference „Engine & Environment“, Highly-Flexible Classic Powertrain or Hybrid Concept?, Graz, 9./10. September 2004 [9] Bady, R.; Biermann, J.-W.: Hybrid-Elektrofahrzeuge – Strukturen und zukünftige Entwicklungen, 6. Symposium „Elektrische Straßenfahrzeuge“, Technische Akademie Esslingen, 11./12. Mai 2000 [10] Killmann, G.: Toyota Prius – Development and market experiences, VDI-Berichte 1459, 1999 [11] Antony P.; Krämer M.; Abthoff J.: Der serielle Hybridantrieb von Mercedes-Benz, VDI-Berichte 1418, 1998

2.7 Brennstoffzellen 2.7.1 Einführung 2.7.1.1 Umfeld und Motivation Eine ausreichende, sichere und erschwingliche Bereitstellung von Energie ist für moderne Gesellschaften überlebenswichtig. Dies gilt insbesondere auch für den Verkehrsbereich, weil der Bedarf an Mobilität weltweit weiter ansteigt und der Verkehr heute in hohem Maße von einer einzigen Primärenergiequelle abhängt. Die Zukunft des Verkehrs wird deshalb entscheidend davon bestimmt, ob es gelingt, den Konflikt zwischen dem wachsenden Mobilitätsbedarf und dem damit einhergehenden zunehmendem Kraft-

stoffverbrauch einerseits und der Endlichkeit der fossilen Energiereserven andererseits zu lösen. Zahlreiche Prognosen deuten darauf hin, dass der Gipfel der Erdölförderung bald erreicht werden wird. Es werden zwar noch laufend neue Reserven hinzukommen, andererseits wird es aber immer aufwändiger und teurer werden, die noch verbleibenden Reserven und Ressourcen nutzbar zu machen. Neben der Lösung dieser Energieproblematik müssen zusätzlich noch weiter zunehmende Forderungen nach Emissionsreduktionen, insbesondere die Reduktion von CO2, erfüllt werden. Schon heute gibt es zahlreiche Regionen und Staaten (z.B. Kalifornien) mit entsprechend strengen Vorschriften. Teilweise wird völlig emissionsfreier Betrieb, zumindest für einen Teil der Fahrzeugflotte, verlangt. Diese gesetzlichen Auflagen werden in Zukunft strenger werden und stellen an die zukünftige Technologie der Fahrzeuge große Herausforderungen. Erschwerend kommt hinzu, dass manche Forderungen unter sich nicht immer widerspruchsfrei sind. Die einzelnen Unternehmen der Automobilindustrie verfolgen weltweit ähnliche Technologieszenarien, mit denen diese Forderungen erfüllt werden sollen. Der Weg hin zu einer angestrebten „Nachhaltigen Mobilität“ besteht aus mehreren Schritten, wie in Tabelle 2-5 dargestellt ist. Als ultimative Lösung für völlig emissionsfreie Mobilität gelten Brennstoffzellen-Antriebe in Verbindung mit Wasserstoff. Wasserstoff kann aus allen fossilen Primärenergien und auf regenerativem Wege gewonnen werden, so dass damit die Energieversorgung des Verkehrsbereiches auf eine breite Basis gestellt werden kann.

Tabelle 2-5: Antriebs- und Kraftstoffstrategie; FT-Diesel (Fischer-Tropsch-Diesel) ist ein schwefel- und aromatenfreier Dieselkraftstoff, der über den Weg der Vergasung und der Fischer-Tropsch-Synthese aus Biomasse hergestellt wird heute

morgen

Antriebe und Kraftstoffe

Maßnahmen

Auswirkungen

Weiterentwickelte konventionelle Verbrennungsmotoren

Brennverfahrenoptimierung, weiterentwickelte Abgasnachbehandlung

Reduktion Kraftstoffverbrauch und Schadstoffemissionen

Optimierte konventionelle Kraftstoffe

An Brennverfahren angepasste Kraftstoffkennwerte (Cetan-, Oktanzahlen), Verringerung Schwefelgehalt und Aromatenanteile

Reduktion Rohemissionen

Alternative Kraftstoffe

Erdgas, synthetische Kraftstoffe auf Biomassebasis: FT-Diesel, Biodiesel, usw.

Reduktion CO2-Emissionen, Neutrale CO2-Bilanz, Reduktion Rohemissionen

Hybridantriebe

Kombination von zwei Antrieben mit zwei Energiespeichern (i.A. Kraftstofftank und Batterie)

Wirkungsgradverbesserung, teilweise Nullemissionsbetrieb

Brennstoffzellenantriebe

Wasserstoffbetriebene BrennstoffzellenElektroantriebe

Keine Schadstoff-emissionen, Potential für völlig CO2-freien Betrieb von Fahrzeugen

90

2 Motor und Antriebsstrang

Heute befindet sich diese Technologie noch im Erprobungsstadium in kontrollierten Flotten. Vor einer erfolgreichen Markteinführung von Brennstoffzellenfahrzeugen müssen noch enorme technologische, infrastrukturelle und ökonomische Anstrengungen unternommen werden. Die dazu notwendigen Ziele und Maßnahmen sind definiert und Gegenstand der folgenden Abschnitte. Auch nach erfolgreicher Kommerzialisierung der Brennstoffzellen-Technologie wird es nicht zu einer vollständigen Verdrängung der anderen Antriebe kommen. Man geht heute davon aus, dass zukünftige Mobilität durch eine Vielfalt an Antriebsvarianten gewährleistet werden wird. Die Wahl des jeweiligen Antriebs wird von dem verwendeten Fahrzeug, dem Fahrzweck, der Einsatzregion, den gesetzlichen Vorgaben und natürlich auch den individuellen Ansprüchen der Fahrzeugnutzer abhängen. 2.7.1.2 Historie der Brennstoffzelle In Brennstoffzellen kann chemische Energie mit einer elektrochemischen Reaktion direkt in Strom gewandelt werden. Obwohl Brennstoffzellen in der Wissenschaft bereits eine wesentlich längere Geschichte hinter sich haben, sind sie erst 1994 als reiner Brennstoffzellen-Antrieb für ein im Alltagsverkehr fahrbares Fahrzeug demonstriert worden (DaimlerChrysler NECAR 1). So hat bereits im Jahre 1839 Sir William Grove - ein britischer Wissenschaftler - das Brennstoffzellen-Prinzip entdeckt, als er sich mit Elektrolyse beschäftigte. Der Effekt wurde damals als Laborkuriosität betrachtet, weil das theoretische Verständnis für das Prinzip und die erforderlichen Materialien zu einer praktisch verwertbaren Demonstration fehlten. Als am Ende des 19. Jahrhunderts die Kommerzialisierung des Verbrennungsmotors begann, war die Brennstoffzelle nahezu vergessen. In dieser Zeit wies der Nobelpreisträger Ostwald in Veröffentlichungen zwar in visionärer Weise wieder auf ihre Bedeutung hin, jedoch ohne unmittelbare Auswirkung.

Erst ungefähr 100 Jahre nach der Entdeckung Groves, nämlich 1932, baute Francis Bacon die erste technisch brauchbare Brennstoffzelle und nach einem weiteren Vierteljahrhundert fanden die ersten Brennstoffzellen-Systeme im Leistungsbereich von einigen Kilowatt Anwendung in Raumfahrt-Programmen wie Gemini, Apollo und im Spaceshuttle. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es dann auch die ersten stationären Brennstoffzellen-Anwendungen. Durch Übertragung des Brennstoffzellenwissens aus der Raumfahrt in die Fahrzeugtechnik konnte NECAR 1 realisiert werden. 2.7.1.3 Eigenschaften und Grundprinzipien Die Kernkomponente von Brennstoffzellen ist die Membran-Elektroden-Anordnung (MEA), bei der eine Anode und eine Kathode durch einen Elektrolyten getrennt werden. Die Anode wird mit einem wasserstoffhaltigen Gasgemisch beaufschlagt, die Kathode in der Regel mit Luft, wobei nur der Luftsauerstoff für die Reaktion benötigt wird. Eingeleitet und beschleunigt durch einen Katalysator findet eine Reaktion an der Grenzfläche der Elektroden zum Elektrolyten statt. Entweder wandern durch den Elektrolyten Protonen von der Anode zur Kathode oder negative Ionen von der Kathode zur Anode. In beiden Fällen können die Elektronen den Elektrolyten nicht direkt passieren, sondern fließen als elektrischer Strom über eine externe Verbindung und erzeugen dabei elektrische Arbeit. Bis heute wurden verschiedene Brennstoffzellen-Typen entwickelt, die sich im Wesentlichen durch die verwendeten Elektrolyte und die spezifischen Betriebstemperaturen unterscheiden. Tabelle 2-6 zeigt die charakteristischen Daten für verschiedene Brennstoffzellen-Typen und daraus resultierende Hauptanwendungen. Vereinzelt wurden Phosphoric-Acid-Fuel-Cell-Systeme (PAFC) schon als Busantriebe und Solid-Oxide-Fuel-Cell-Systeme (SOFC) als Stromerzeugungseinheiten (Auxiliary Power Unit, APU) eingesetzt.

Tabelle 2-6: Brennstoffzellen-Typen mit charakteristischen Daten Typ

Elektrolyt

Alkalische Brennstoffzelle

KOH (Kalilauge)

Polymer-ElektrolytMembranBrennstoffzelle

Protonen leitender Polymerelektrolyt

PhosphorsäureBrennstoffzelle

H3PO4 (Phosphorsäure)

KarbonatschmelzeBrennstoffzelle FestkörperoxidBrennstoffzelle

Arbeitstemperatur

Brennstoff

Anwendung

~ 60 °C

H2 (+ O2, kein CO2)

Raumfahrt

~ 80 °C

H2, MeOH

Raumfahrt, Fahrzeuge, Stationäranwendungen

~ 190 °C

H2

Stationäranwendungen, Busse

K/LiCO3 (Schmelze)

~ 600 °C

H2 , CO

Stationäranwendungen (Kraft-Wärme-Kopplung)

Y2O3/ZrO2

> 800 °C

H2, CO

Stationäranwendungen (und Turbinen)

2.7 Brennstoffzellen Für Fahrzeugantriebe wird heute die PolymerElektrolyt-Membran-Brennstoffzelle (PEM) bevorzugt verwendet, weil ihr Betriebstemperaturbereich am besten zu den Randbedingungen im Fahrzeug passt. Im Unterschied zur Batterie, bei der die Energiespeicher- und Wandlerfunktion meistens in einem Gehäuse untergebracht sind, wird die chemische Energie der Brennstoffzelle erst während des Betriebs gasförmig zugeführt. Dadurch hängen die Leistungsdaten der Brennstoffzelle z.B. nicht vom Füllgrad des Energiespeichers ab. Brennstoffzellen sind wie Verbrennungsmotoren Energiewandler, wobei eine wichtige Größe deren Wirkungsgrad ist. Er gibt an, welchen Teil der in den Wandler gespeisten Energie in die gewünschte Energieform gewandelt wird. Im Vergleich zu Verbrennungsmotoren weisen Brennstoffzellen deutlich höhere Wirkungsgrade auf. Der Grund hierfür ist, dass Verbrennungsmotoren als thermische Energiewandler dem maximalen Carnotschen Wirkungsgrad unterliegen. Fahrzeugwirkungsgrade übersteigen dabei deshalb kaum 25 bis 30 %. Dagegen sind Brennstoffzellen in ihrem Wirkungsgrad nicht durch den Carnotschen Wirkungsgrad begrenzt, weil sie chemische Energie direkt in elektrische Energie umwandeln. Das Gleiche gilt übrigens auch für Batterien. Heutige Brennstoffzellen-Antriebe weisen gegenüber verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen einen bis zu doppelt so hohen Wirkungsgrad auf. Im Teillastbetrieb steigt der Wirkungsgrad von Brennstoffzellen noch an, was sich bei den typischen Fahrzyklen besonders positiv auf den Gesamtwirkungsgrad und damit auf den Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs auswirkt. Zusätzlich führt der spezifische Drehmomentverlauf von Elektromotoren im Vergleich zu gleich starken Verbrennungsmotoren zu besseren Beschleunigungswerten. Elektroantriebe benötigen im Allgemeinen auch keine mehrstufigen Getriebe und sind vergleichsweise leise. Dies führt zu einer Steigerung des Fahrkomforts.

2.7.2 Polymer-Elektrolyt-MembranBrennstoffzelle 2.7.2.1 Aufbau und Funktionsweise Bild 2-95 zeigt den Aufbau und die Funktionsweise einer Brennstoffzelle. Im Fall der Polymer-ElektrolytMembran-Brennstoffzelle besteht der Elektrolyt aus einer sehr dünnen Polymer-Membran (Dicke zwischen 18 und 50 Pm). Die Anode wird mit Wasserstoff, die Kathode mit Luft beaufschlagt. Die Membran hält beide Gase voneinander getrennt und steuert die chemische Reaktion. Eine dünne Platinbelegung wirkt als Katalysator und beschleunigt die Reaktions-

91 geschwindigkeit, mit der Wasserstoffatome in ihre Bestandteile zerlegt werden (Elektronen und Protonen). Die Protonen können die Membran passieren und zur Kathode gelangen, die Elektronen dagegen nicht. Daher kommt es zu einer Ansammlung von Elektronen an der Anode und einem Überschuss an positiv geladenen Teilchen an der Kathode, wodurch eine Potentialdifferenz entsteht. Werden beide Elektroden elektrisch außerhalb der Zelle verbunden, fließt ein Strom. Die Elektronen reagieren an der Kathode mit den Protonen und dem Sauerstoff aus der Luft zu Wasser. Bei der Reaktion entsteht gleichzeitig Abwärme, die abgeführt werden muss.

Bild 2-95: Brennstoffzellen-Prinzip

Um Leistungen zu erreichen, die zum Antrieb eines Fahrzeugs ausreichen, müssen einige hundert Brennstoffzellen zu einem so genannten Stack in Serie zusammengeschaltet werden. Die Polymer-ElektrolytMembran ist sehr empfindlich, weshalb einige Betriebsparameter, insbesondere ihre Feuchtigkeit, in wohl definierten Grenzen gehalten werden müssen. Tabelle 2-7 zeigt die für einen optimalen Betrieb von Brennstoffzellen in Fahrzeugen geltenden Betriebsparameter und Anforderungen.

92

2 Motor und Antriebsstrang

Tabelle 2-7: Betriebsparameter und Anforderungen an Brennstoffzellen-Fahrzeuge; der Druck ist als Absolutdruck angegeben Betriebsparameter und Anforderungen

Wert

Gasdruck

1,1 bis 2,2 bar abhängig von elektrischer Leistung Kathode

> 30 % rel. Feuchte

Anode

< 35 % rel. Feuchte

Feuchtigkeit Betriebstemperatur

40 °C bis 95 °C

Kaltstarttemperatur

-25 °C und darunter

Zellstromdichte

1,0 A/cm2 bei 700 mV

Spannungsdegradation

< 10 PV/h

Lebensdauer

> 3000 h

Volumetrische Leistungsdichte des Stacks

> 1700 W/l

Gravimetrische Leistungsdichte des Stacks

> 1300 W/kg

Tabelle 2-8: Schlüsselprobleme von BrennstoffzellenSystemen Problem

Angestrebte Eigenschaften

Technologische Lösung

Lebensdauer

Homogene Wasserverteilung in der Membran-Elektroden-Anordnung

Materialien, Produktionsprozesse, Stack-Aufbau, Hybridisierung

Robustheit

Qualitative hochwertige Elektronik, Sensoren, Ventile

Komponentenherstellung mit FahrzeugProduktionsprozessen

Verbrauch/ elektrischer Wirkungsgrad

Hoher Wirkungsgrad bei Teillast, optimierter Betriebsdruck

Luftversorgung mit Radiallader

Thermo management

Vermeidung von Wasserkondensat, Betriebstemperatur > 90 °C

Fortgeschrittene Kühlsysteme

Kalt-/ Gefrierstart

Vermeidung von Wasserkondensat in der Gasdiffusionsschicht und den Gaskanälen

Materialien, StackAufbau, Hybridisierung

Geräuschemission (Noise, Vibration, Harshness)

Niedriger Geräuschpegel von Kompressor und Antriebsmotor

Luftversorgung mit Radiallader

Kosten

Hohe Leistungsund Stromdichte, niedrige spezifische Kosten

Kostengünstige Materialien, StackAufbau, einfacher Systemaufbau

2.7.2.2 Technischer Stand und Herausforderungen Tabelle 2-8 zeigt die Hauptherausforderungen für Brennstoffzellen-Systeme, die angestrebten Eigenschaften und die daraus folgenden notwendigen Technologieentwicklungen. Standen bisher bei vielen Brennstoffzellen-Entwicklern das gleichzeitige Erreichen technologischer Ziele, wie z.B. Lebensdauer, Robustheit und sicherer, zuverlässiger Kaltstart im Fokus der Aktivitäten, so wird in den nächsten Schritten die Kostenreduktion eine dominierende Rolle spielen. Im Folgenden werden beispielhaft die von der Brennstoffzellen-Allianz zwischen DaimlerChrysler, Ford und Ballard erreichten Fortschritte hinsichtlich Lebensdauer und Kaltstartfähigkeit beschrieben. 2.7.2.2.1 Lebensdauer Die so genannte Membranausdünnung ist der für die Lebensdauer eines Brennstoffzellen-Stacks beschränkende Faktor. Um eine ausreichende Lebensdauer von Brennstoffzellen in automobilen Brennstoffzellen-Antriebssystemen zu erreichen, müssen diese Membranausdünnungen und die dazu führenden Mechanismen verstanden und entsprechende Methoden zur Lebensdauerverlängerung entwickelt werden. Erst mit neuen Haltbarkeitstests, die das hochdynamische Betriebsverhalten in einem Fahrzeug simulieren, konnten die Membranausdünnung und in der Folge die Bildung von Transfer-Lecks in den Zellen sehr viel schneller aufgedeckt werden, als mit den bisher verwendeten potentialstatischen Lebensdauer-Tests, die in einem einzigen Betriebspunkt gefahren werden.

Ein möglicher Mechanismus für die Membranausdünnung ist im Handbook of Fuel Cells [1] beschrieben. Sie beginnt an der Anode, wo durch Sauerstoffionen, die durch die Membran diffundieren, Wasserstoffperoxid gebildet wird. Sind gleichzeitig metallische Ionen, z.B. Fe2+-Ionen vorhanden, werden freie Wasserstoffperoxid-Radikale gebildet, die die Membran schädigen. Bild 2-96 zeigt diese Membrandegradation. Ein ähnlicher Mechanismus wurde für die Kathode in Verbindung mit der Diffusion von Wasserstoff beschrieben. Hohe Temperaturen und geringere Befeuchtung in der Membran beschleunigen den Schädigungsprozess. Auf Basis dieser Erkenntnis wurden Lösungen entwickelt, die es erlauben, den Einfluss dieses Membran-Schädigungsmechanismus selbst bei extremen Betriebsbedingungen zu reduzieren. Ein so modifizierter Stack zeigt erst nach 4facher Zyklenzahl die typische Membranlochbildung, obwohl gleichzeitig dünnere Membranen – Dicke 25 µm anstelle von 50 µm – verwendet wurden.

2.7 Brennstoffzellen

93

Bild 2-96: Membrandegradation: a) Lokale Verringerung der Dicke der Membran (links), b) Verringerte Reißfestigkeit führt zu Membranbrüchen (rechts) [Quelle: Ballard]

2.7.2.2.2 Kaltstarteigenschaften von Brennstoffzellen-Stacks Neben der Erhöhung der Lebensdauer ist ein sicherer, zuverlässiger und reproduzierbarer Gefrierstart der zweitgrößte Problempunkt, um Brennstoffzellen für den Alltagsgebrauch in Fahrzeugen uneingeschränkt zu nutzen. Die hierfür verantwortliche Haupteinflussgröße ist die Wasserverteilung im Stack vor dem Einfrieren und die Balance zwischen dem Aufwärmen des Stacks und der Wasserbildung unterhalb des Gefrierpunktes während des Kaltstarts. Beides muss genau kontrolliert und gesteuert werden. Das erfordert spezielle Zellenbauweisen, die haltbarkeits- und kaltstartkompatible Betriebsbedingungen im Normalbetrieb und bei Kaltstart vereinigen. Bild 2-97 zeigt die bisher erreichten Verbesserungen der Kaltstartzeit, um 50 % Leistung zu erreichen.

Während ein State-of-the-Art-Stack dazu bisher 150 Sekunden benötigte, wird mit der verbesserten Technologie die selbe Leistung bereits innerhalb von acht Sekunden erreicht. 2.7.2.2.3 Kosten Die Kommerzialisierung der BrennstoffzellenTechnologie wird im Wesentlichen davon abhängen, ob die Kosten auf ein akzeptables Niveau gesenkt sowie die Robustheit und die Lebensdauer des Stacks auf die für die Anwendung im automobilen Bereich notwendige Werte gebracht werden können. Studien, z.B. von Arthur D. Little [2], gehen davon aus, dass etwa 75 % der Stack-Kosten allein durch die Membran-Elektroden-Anordnung (MEA) verursacht werden. In dieser wiederum ist die Membran der teuerste Anteil, gefolgt vom Platinkatalysator.

Bild 2-97: Verkürzung der Startzeit bei Gefrierstart (–15 °C) [Quelle: Ballard]

94 Daher konzentrieren sich die Anstrengungen zur Kostenreduktion auf die Membran und auf den Katalysator. Die für die Leitfähigkeit einer perfluorierten Membran wichtige Befeuchtung ist eine sehr kritische Größte, da sie das Betriebsfenster einschränkt und gleichzeitig verhindert, dass die Membran bei höheren Arbeitstemperaturen deutlich über 100 °C betrieben werden kann, da sonst das Wasser in der Membran verdampft. Forschungsanstrengungen konzentrieren sich deshalb auch auf so genannte Hochtemperaturmembranen auf Basis z.B. von Polybenzomiadazol und Schwefelsäure, die wiederum den Nachteil haben, dass sie bei Temperaturen unter 100 °C ein Auswaschen der Schwefelsäure aufweisen und dann betriebsunfähig werden. Es bedarf noch intensiver Forschungsarbeiten, um die Hochtemperaturmembranen auf Basis nicht wässrig ionisch leitender Materialien praktisch nutzen zu können. Ein weiterer Schritt zur Kostenreduktion ist die Verminderung der Platinbelegung. Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass eine immer weiter gehende Senkung des Platingehaltes allein nicht zielführend ist. Vielmehr stellt sich ein Kostenoptimum zwischen Platingehalt und der damit erreichbaren Leistungsdichte ein. Heute wird ein Platingehalt von 0,3 g/kW für möglich gehalten, d.h. ein Platingehalt von 0,05 mg/cm2 auf der Anoden- und 0,25 mg/cm2 auf der Kathodenseite. Damit wäre für die Membranelektrodeneinheit ein Zielkostenbereich von ca. 5 ¼/kW erreichbar. Die Department-of-Energy-Zielwerte 2015 für Stack und Antriebssystem liegen bei 50 ¼/kW. Wie in Abschnitt 2.7.2.1 genannt, müssen Brennstoffzellen-Antriebssysteme für automobile Anwendungen bestimmte Betriebsbedingungen erfüllen. Aus diesen Bedingungen werden Ziele für die Forschung an und die Entwicklung von Stacks abgeleitet, aus denen wiederum Anforderungen an die MembranElektroden-Anordnung resultieren, wie Kaltstartfähigkeit, Leistungsdichte auch bei hohen Temperaturen, Einfachheit des Systems bei extrem niedriger Befeuchtung sowie Dauerhaltbarkeit bei moderaten Temperaturen und hoher Befeuchtung. Da einige dieser Anforderungen zueinander gegenläufig sind, ist die Forschung auf dem Gebiet einer den automobilen Anforderungen genügenden Membran-Elektroden-Anordnung ein besonders komplexes Optimierungsproblem. Am Ende lassen sich alle Randbedingungen auf drei Ziele komprimieren: Vergrößerung der Leistungsfähigkeit bei Einhaltung der Kostenlimits, Steigerung von Robustheit und Zuverlässigkeit sowie Verlängerung der Lebensdauer und Dauerhaltbarkeit. Gerade an den Themen Lebensdauer und Dauerhaltbarkeit kann gezeigt werden, dass es nicht ausreicht, für einzelne Membran-Elektroden-Anordnungen besonders hohe Lebensdauern zu erreichen. Die Gesamtlebensdauer des Stacks hängt zwar von derjenigen Membran-Elektroden-Anordnung mit der niedrigsten

2 Motor und Antriebsstrang Lebensdauer ab, aber genauso wichtig ist die Gesamtverteilung der Lebensdauern. Nicht die durchschnittliche Lebensdauer aller Membran-Elektroden-Anordnungen ist für die Stack-Lebensdauer maßgebend, sondern erst eine schmale Verteilung führt zu höheren Stack-Lebensdauern. Daraus folgen entsprechend hohe Anforderungen an eine möglichst geringe Streuung in der Fertigung. Für die Weiterentwicklung der Membran in Richtung Zielspezifikationen sind folgende Forschungsthemen von herausragender Bedeutung: Es müssen spezifische Radikal-Fänger entwickelt werden, die die Membrandegradation durch z.B. WasserstoffperoxidRadikale verhindern. Mit Hochtemperaturmembranen soll die Betriebstemperatur auf 120 °C und höher gesteigert werden. Gleichzeitig soll die Gasdurchlässigkeit der Membranen reduziert werden. Nanostrukturierungsmethoden sollen helfen, bessere Katalysatoren mit höherem Katalysatorwirkungsgrad, besserer Reaktandenumsetzung pro Fläche und verbesserter Gasdurchlässigkeit zu entwickeln. Generell muss nach geeigneten Werkstoffen mit höherer Korrosionsfestigkeit gesucht werden. Eine verbesserte Diagnostik soll zu einer besseren Kontrolle der Potentialverteilung und Identifizierung ungewöhnlich hoher Potentiale höher als 1,3 Volt beitragen. Mit lokalen Messungen des pH-Wertes an Anode und Kathode sollen die Stabilitätsgrenzen von Wasserstoffperoxid untersucht sowie der Ausnutzungsgrad des Platinkatalysatormaterials unter Last bestimmt werden. Diese grundlagenorientierten Themen sollten im Verbund zwischen akademischer und industrieller, anwendungsorientierter Forschung angegangen werden. Entsprechende Förderprogramme liegen in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch auf EUEbene und in den Vereinigten Staaten sowie Japan vor. Aus der Komplexität der Forschungsthemen ergibt sich, dass die ursprünglich gemachten Annahmen über die Kommerzialisierung der Brennstoffzellen-Antriebstechnologie zu optimistisch waren und deutlich nach hinten verschoben werden müssen. Es ist aber richtig, diese Anstrengungen frühzeitig zu beginnen, damit das Ziel der Kommerzialisierung auf Basis des vorhandenen Know-hows möglichst rasch erreicht werden kann.

2.7.3 Brennstoffzellensystem und -antrieb 2.7.3.1 Kraftstoffe, Kraftstoffaufbereitung und Kraftstoffspeicher 2.7.3.1.1 Kraftstoffe Die für Fahrzeugantriebe am besten geeigneten Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzellen werden mit reinem Wasserstoff oder wasserstoffhaltigen Gasgemischen betrieben. Im Betrieb mit reinem Wasserstoff werden keinerlei Schadstoffe emittiert,

2.7 Brennstoffzellen insbesondere auch kein CO2, was für den Klimaschutz von hoher Bedeutung ist. Für die Gesamtschadstoff- und Energiebilanz müssen die Wasserstoff-Bereitstellungspfade jedoch mit berücksichtigt werden. Wasserstoff kann aus allen Energieträgern und -quellen hergestellt werden. Durch Einsatz von Wasserstoff würde die heutige hohe Abhängigkeit des Verkehrsbereiches von einer einzigen Energiequelle gemindert werden. Wasserstoff wird heute in großen Mengen für petrochemische Verwendung über Dampfreformierung aus Erdgas hergestellt. Bei der Nutzung solchen Wasserstoffs in Fahrzeugen können auch unter Annahme eines sehr guten Wirkungsgrades des BrennstoffzellenSystems nur moderate Energie- und CO2-Einsparungspotentiale realisiert werden. Langfristig hofft man jedoch, hohe Einsparungspotentiale dadurch realisieren zu können, dass die Herstellung von Wasserstoff in großem Stile mit Hilfe regenerativer Energien erfolgt. Dazu gehören neben Wasserkraft vor allem Windenergie, aber auch Solarstrahlungsenergie und Gezeitenenergie bis hin zur Biomasse. Die Gesamtbilanz kann durch Hybridisierung des Brennstoffzellenantriebs noch weiter verbessert werden (siehe Abschnitte 2.7.3.2 und 2.7.3.3). Der Einsatz von Wasserstoff als Kraftstoff setzt den Aufbau einer völlig neuen Infrastruktur, bestehend aus Erzeugungseinrichtungen, Transport und Verteilung, Zwischenspeicherung und einem Tankstellennetz voraus. Für den Aufbau dieser Infrastruktur ist ein abgestimmtes Vorgehen aller Beteiligten wie Energielieferanten, Mineralölfirmen, Kfz-Industrie und Gesetzgeber sowie der Einsatz erheblicher Investitionen notwendig. Die aus zunächst separaten, lokalen Inselanwendungen heraus entstehende und dann zusammenwachsende Infrastruktur kann aber frühestens in zwei bis drei Jahrzehnten flächendeckend ausgebildet sein.

95 etwa 280 °C zu Wasserstoff, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid umgesetzt. Da das Kohlenmonoxid die Katalysatoren in der Brennstoffzelle blockieren würde, wird es z.B. katalytisch aufoxidiert, bevor das Wasserstoff-Kohlendioxid-Gasgemisch der Brennstoffzelle zugeführt wird. Die Reaktion läuft endotherm nach folgender idealer Gleichung ab: CH3OH + H2O o 3 H2 + CO2 Die Dynamik des gesamten MethanolreformierungsProzesses ist für den Fahrzeugbetrieb ausreichend. In Bruchteilen einer Sekunde stehen rund 90 % der maximalen Brennstoffzellenleistung zur Verfügung. NECAR 5 ist deshalb bezüglich Antriebsdynamik einem herkömmlichen Auto mit Benzin- oder Dieselmotor ebenbürtig. Außer Wasserstoff sind die genannten Kraftstoffe bei Umgebungsbedingungen alle flüssig und damit gut speicherbar. Deshalb können ohne Einschränkungen, wie z.B. reduzierter Nutzlast, Reichweiten erzielt werden, die mit denen konventioneller Fahrzeuge vergleichbar sind. Die CO2-Emissionsbilanz eines Brennstoffzellen-Fahrzeugs mit bordeigener Methanolreformierung kann für einige Methanolerzeugungspfade besser als die eines herkömmlichen Autos mit Diesel- oder Ottomotor sein. Höhere Energieverluste bei der Methanolherstellung werden durch die besseren Wirkungsgrade des Brennstoffzellen-Antriebssystems kompensiert. Hauptsächlich aufgrund seiner Toxizität, seinem niedrigeren Wirkungsgrad sowie technologischer Probleme wurde Methanol als Kraftstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge letztendlich aber wieder verworfen. Diesel und Benzin erfordern sehr komplexe und aufwändige Reformierungs-Prozesse. Deshalb konzentrieren sich heute die Aktivitäten aller namhaften Fahrzeughersteller trotz der Infrastrukturproblematik auf reine Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebe.

2.7.3.1.2 Kraftstoffaufbereitung Optimal wäre natürlich der Einsatz von Benzin und Diesel für Brennstoffzellenfahrzeuge, da in diesem Fall die vorhandene Infrastruktur genutzt werden könnte. Diese Kraftstoffe müssen jedoch zuerst in einem Reformer an Bord des Fahrzeuges in ein wasserstoffhaltiges Brenngas umgewandelt werden. Dies trifft genau so für Methanol, Ethanol oder auch Kerosin zu, bei denen aber wegen ihres flüssigen Aggregatzustandes die ebenfalls neu zu installierende Infrastruktur einfacher als für Wasserstoff aufzubauen wäre. Methanol ist derjenige Kraftstoff, der am leichtesten zu reformieren ist. Deswegen wurde Methanol eingehend als Kraftstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge untersucht. DaimlerChrysler hat mehrere Fahrzeuge mit Methanol als Kraftstoff aufgebaut, wie z.B. NECAR 3 und NECAR 5. Beim Methanol-Reformierungsprozess werden Methanol und Wasser verdampft und katalytisch bei

2.7.3.1.3 Mobile Wasserstoffspeicher Um die vom Kunden gewohnten und geforderten Fahrzeugreichweiten realisieren zu können ist die Speicherung von Wasserstoff an Bord eines Fahrzeuges zu einer wichtigen technischen Herausforderung geworden. Für mobile Fahrzeugspeicher müssen die fahrzeugspezifischen Anforderungen, wie z.B. Sicherheitsaspekte, Handling, Gewicht, Einbaumaße, Beschleunigungskräfte, Lade- und Entladezyklen, Lebensdauer und natürlich Kosten berücksichtigt werden. Weitere Beurteilungskriterien sind Energiebilanzen und ggf. die Regenerationsfähigkeit von Stoffen, die extern regeneriert werden müssen, wie z.B. Natriumborhydrid. Umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten wurden bisher in die Speicherung von Wasserstoff in Form von Druckwasserstoff und Flüssigwasserstoff sowie in Metallhydriden investiert (siehe Tabelle 2-9).

96

2 Motor und Antriebsstrang

Intensiv wird derzeit nach neuen Speichermaterialien gesucht. Ein „revolutionäres neues Speichersystem“ scheint derzeit nicht in Sicht zu sein. Charakteristische Größe ist die gravimetrische Speicherdichte, die z.B. in Gewichtsprozent H2, bezogen auf die Gesamtspeichermasse (Strukturmaterial, Speichermaterial, Wasserstoff), angegeben wird. Ein Gewichtsprozent H2 entspricht einer spezifischen Speicherdichte von ca. 330 Wh/kg (Kohlenwasserstoffspeicher, wie etwa Benzintanks besitzen ca. 10 000 Wh/kg). Für das Jahr 2015 hat das Department of Energy Zielwerte für die spezifischen Energieinhalte von Wasserstoffspeichern genannt: 3 kWh/kg (9 Gewichtsprozent) und 2,7 kWh/l. Alle heute bekannten Speicherarten liegen noch unterhalb dieser Zielwerte (Tabelle 2-9). Druckwasserstoffspeicher Druckwasserstoff kann heute üblicherweise in zylindrischen, faserverstärkten Verbundbehältern bis zu Drücken von 700 bar gespeichert werden. Durch Variation des Faser- und Linermaterials sowie der Bauart wird versucht, die heutige Speicherkapazität von ca. 4 % mindestens zu verdoppeln. Mit zunehmendem Speicherdruck wächst der Energieinhalt und die volumetrische Speicherdichte an. Die gravimetrische Dichte durchläuft bei den heute verwendeten Materialien ein Maximum unterhalb von 700 bar. Negativ schlagen vor allem die relativ hohe Verdichtungsenergie, die insgesamt niedrige volumetrische Speicherdichte und eine kritische Gastemperaturerhöhung während des Beladevorgangs zu Buche. Flüssigwasserstoffspeicher Wasserstoff wird unter Umgebungsdruck bei –253 °C flüssig. In dieser Form kann er in thermisch hoch isolierten Doppelwandbehältern gespeichert werden. Heute erreicht man mit diesen Speichern eine gravimetrische Dichte von bis zu 9 %, die durch weitere

Entwicklungsarbeit noch deutlich gesteigert werden sollen. Damit weisen Flüssigwasserstoffspeicher die besten Speicherdaten aller Wasserstoffspeicher auf. Probleme treten vor allem durch das Abdampfen von Wasserstoff in einer Größenordnung von 2 bis 4 % pro Tag auf. Außerdem ist ein sehr hoher Energieaufwand zur Verflüssigung (ca. 1 kWh Primärenergie pro kWh Wasserstoff) notwendig. Metallhydride Bei moderaten Drücken bis etwa 50 bar kann Wasserstoff auch chemisch in Metalllegierungen gebunden werden. Bei der Beladung muss die Bindungsenthalpie als Wärme abgeführt werden. Durch Wärmezufuhr kann der Wasserstoff wieder freigesetzt werden. Je nach Freisetzungstemperatur unterscheidet man Hoch- und Tieftemperaturhydride, wobei die Tieftemperaturhydride bereits in Fahrzeugen (Daimler Benz Berlinflotte 1984 bis 1988) eingesetzt wurden. Die Hochtemperaturhydride haben zwar höhere Speicherdichten, die hohe Bindungsenthalpie (30 % der Wasserstoff-Energie) und vor allem das Temperaturniveau von mehreren 100 °C verbieten ihren praktischen Einsatz in Brennstoffzellen-Fahrzeugen. Man schätzt, die Speicherdichten bei Tieftemperaturhydriden noch marginal auf etwa 2 % anheben zu können. Neuartige Hydridmaterialien Teilweise noch im Grundlagenforschungsstadium befinden sich verschiedene Ansätze, Wasserstoff in weiteren flüssigen oder festen chemischen Verbindungen zu speichern. Hohe Erwartungen werden derzeit z.B. in so genannte Alanate sowie Amide und Hydride gesetzt. Parallel versucht man auch durch Nano-Strukturierung die Speicherkapazität, die Kinetik und die Reaktionstemperaturen von bereits bekannten Hochtemperatur-Hydridlegierungen zu optimieren.

Tabelle 2-9: Wasserstoffspeicher-Typen mit charakteristischen Daten: Speicher ohne Peripherie; Stand 2005; Ziele Department of Energy 2015: 3 kWh/kg (9 %), 2,7 kWh/l Typ

Spezifischer Energieinhalt des Speichers

Druckwasserstoff 350 bar 700 bar Compositebehälter Flüssigwasserstoff (–253 °C) Tieftemperaturmetallhydride Chemische Hydride – Alanate – Amide/Hydride

Bemerkungen

Gew.-% H2

kWh/l

1,2 – 1,5

4–5

0,6

1,3 – 1,6

4,3 – 5,3

1,0

1,4 – 2,7

4,6 – 9

0,8 – 1,5

Angestrebte Abdampfrate 1–2 % pro Tag Verflüssigungsenergie sehr hoch: 1 kWh PE/kWh H2

0,4

1,2

0,7 – 1,3

Hohe Wasserstoffreinheit notwendig; Systemdruck ca. 50 bar

0,3 – 1,4

3-5

1,0 – 1,6

Weitgehend noch im Forschungsstadium; Systemdrücke ca. 50 bis 100 bar

kWh/kg

Spezifische Energie (kWh/l) nimmt mit steigendem Druck zu. Gravimetrische Dichte durchläuft Maximum.

2.7 Brennstoffzellen

97

Bild 2-98: Brennstoffzellensystem auf Basis von reinem Wasserstoffbetrieb: PDU Power-Distribution-Unit; L Leistungselektronik; M Elektromotor

Bei anderen Hydriden (z.B. Lithiumhydrid) wird untersucht, wie durch Reaktion mit Wasser die Wasserstofffreisetzung noch gesteigert werden kann. Bei allen diesen Systemen versucht man mit der Speicherdichte in den Bereich von 5 bis 7 Gew.-% H2 zu kommen. 2.7.3.2 Aufbau eines Brennstoffzellensystems Grundsätzlich kann beim Aufbau eines Brennstoffzellensystems zwischen Systemen mit Reformerbetrieb und mit reinem Wasserstoffbetrieb unterschieden werden (s.a. Abschnitt 2.7.3.1.2). Im Folgenden wird sich die Betrachtung wegen der weltweiten Einstellung der Entwicklungsarbeiten zu Reformierungstechnologien für mobile Anwendungen der Systemtechnologie auf Wasserstoffsysteme beschränken. Bild 2-98 zeigt das Schema eines Brennstoffzellensystems auf Basis von reinem Wasserstoff aus einem H2Speicher. Das System kann in die Module Luftversorgung, Befeuchtung, Anodenversorgung und Stack mit den Zu- und Abführungen für die Anode, die Kathode und den Kühlwasserkreislauf unterteilt werden. Darüber hinaus hat der Stack einen elektrischen Abgang zur Power-Distribution-Unit (PDU). Diese beinhaltet die Schütze, die Strom- und Spannungsregelung, die Isolationsüberwachung und die Monitoringeinheit des Brennstoffzellensystems. Diese Brennstoffzellen-Monitoringeinheit (BZM) ist für das Sicherheitsmanagement des Brennstoffzellensystems zuständig. Die elektrische Verbindung zwischen Brennstoffzellensystem und Fahrzeug wird über die Power-Distribution-Box (PDB) hergestellt, die die Stromverteilung im Fahrzeug übernimmt. An der Power-Distribution-Box sind alle „HochspannungsKomponenten“ (High-Voltage-Komponenten, HVKomponenten) angeschlossen. Dazu gehören der Fahrantrieb mit dem DC/AC-Wandler, die HV-

Batterie mit DC/DC-Wandler, die Hilfsaggregate des Brennstoffzellensystems, ein PTC-Heizer für den Kaltstart als auch die Wasserpumpe des Fahrzeugkühlkreislaufes. Bei Unterbringung der PDU und der PDB im Unterbodenbereich des Fahrzeuges ist eine Ausführung in der Schutzart IP6K7 zu beachten. Das Luftmodul umfasst Luftfilter, Schalldämpfung, den elektrisch angetriebenen Kompressor zur Verdichtung der Luft auf bis zu 2,2 bar absolut unter Volllast, die Energierückgewinnung mit Hilfe eines Expanders oder im Falle einer Strömungsmaschine mit einer geregelten Turbine sowie die Druckregelung für den Brennstoffzellen-Stack auf der Kathodenseite. In der Regel kommen heute Schraubenlader zum Einsatz, die in dem geforderten Druck- und Förderbereich die besten isentropen Wirkungsgrade aller Maschinen mit innerer Verdichtung aufweisen [3]. In Zukunft kann mit der Einführung von ölfrei gelagerten Strömungsmaschinen (äußere Verdichtung) gerechnet werden. Bild 2-99 zeigt einen ölfrei gelagerten Radialverdichter auf dem Prüfstand. Darüber hinaus ist in Bild 2-100 der Vergleich der gemessenen Wirkungsgrade zwischen Schraubenlader und Radialverdichter dargestellt. Der Vergleich zeigt insbesondere eine deutliche Effizienzsteigerung der Verdichtung im Teillastbereich mit dem Radialverdichter. Dies ist bedeutsam für den Verbrauch des Fahrzeuges im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und erhöht gleichzeitig die Reichweite. Das Befeuchtermodul besteht im Kern aus Hohlfaserbündeln, die den Wasserdampfübertrag vom Kathodenaustritt zum Kathodeneintritt sicherstellen. Somit wird die Luft am Eintritt des Stacks befeuchtet. Typische Taupunkte liegen zwischen 50 °C und 85 °C bei einer Stacktemperatur von 85 °C. Ein Bypass stellt den für Temperaturen unter 0 °C geforderten trockenen Betrieb sicher.

98

2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-99: Radialverdichter

Bild 2-100: Kennlinienvergleich zwischen Schraubenlader und Radialverdichter

Das Anodenmodul besteht aus einem geschlossenen Kreislauf mit Rezirkulationsgebläse sowie einer Dosiereinheit und hat folgende Funktionen: Befeuchtung des Kraftstoffmassenstroms durch Rückführung des feuchten Wasserstoffs. Die Rückführung erfolgt über ein Wasserstoffgebläse. Dosierung des Kraftstoffmassenstroms. Aktive Rezirkulation zur Vermeidung von Zonen mit Wasserstoffverarmung auf der Anode des Stackmoduls. Die Ausführung als geschlossener Kreislauf minimiert die Wasserstoffverluste und erhöht somit den Systemwirkungsgrad. Es wird genau die Menge an Wasserstoff in den Kreislauf gebracht, die elektrochemisch verbraucht wird. Nachteil der Kreislaufführung ist unter anderem die Aufkonzentration von Stickstoff, der von der Kathode zur Anode diffun-

diert. Dadurch ist in Abhängigkeit von der Betriebsstrategie von Zeit zu Zeit ein kurzzeitiges Abblasen auf die Kathode notwendig (Purgen). In der Regel erfolgt das Purgen von Restwasserstoff in die Kathodenzuluft zum Abbau der Wasserstoffemissionen im Stackmodul. Die derzeitige Betriebstemperatur der PolymerElektrolyt-Membran-Brennstoffzelle von 85 °C ist im Vergleich zu den Kühlwassertemperaturen von Verbrennungsmotoren (110 – 120 °C) niedrig und stellt eine ganz besondere Kühlungsherausforderung dar. Der Wirkungsgrad des Kühlsystems hängt von der treibenden Temperaturdifferenz am Kühlereintritt und der Umgebungstemperatur ab. Darüber hinaus tragen heutige Verbrennungsmotoren nur ca. 30 % der Verlustwärme über das Kühlwasser aus (der Rest wird über Abgas und Strahlung abgegeben), bei Brennstoffzellensystemen ist der Austrag über das Kühlsys-

2.7 Brennstoffzellen tem ca. doppelt so groß. Die geringere Temperaturdifferenz und der höhere Wärmeeintrag in das Kühlsystem erfordert Kühlsysteme mit einer ca. 3,5fach höheren Effektivität. Aus diesem Grunde ist es wünschenswert, Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzellen zu entwickeln, die auf einem Temperaturniveau von 120 °C arbeiten. Neben der Entwicklung von Membran-ElektrodenAnordnungen (MEA) für den Temperaturbereich von 110 – 120 °C stellt die Systemvereinfachung in der Zukunft ein weiteren wichtigen Schritt zur Kommerzialisierung von Brennstoffzellensystemen dar. Dabei konzentriert man sich einerseits auf die Reduzierung des Befeuchtungsaufwandes auf der Kathodenseite, anderseits auf die Vereinfachung des Anodenkreislaufes. 2.7.3.3 Antriebsstrangkomponenten und Hybridisierung Leistungsfähige Nickelmetallhydrid oder Lithiumionenbatterien mit Energiedichten im Bereich von 1 bis 1,5 kWh und Leistungen bis 40 kW werden heute zur Hybridisierung von Brennstoffzellen-Antriebssträngen eingesetzt. Mag es zunächst so erscheinen, dass das Hinzufügen einer Batterie den ohnehin schon komplexen Brennstoffzellen-Antriebsstrang noch komplizierter macht, so liegen die Vorteile einer Hybridisierung bei genauerer Betrachtung auf der Hand. So kann zum Beispiel die Dynamik des Brennstoffzellenfahrzeuges gleichwertig zu konventionellen Fahrzeugen dargestellt werden. Die Dynamikanforderung an die Stromversorgung liegt in diesem Fall bei ca. 800 A/s. Heutige Stackmodule sind im Bereich von 300 – 400 A ausgelegt. Die Luftversorgung benötigt bei einer Lastanforderung von 10 % auf 90 % der Leistung eine Zeit von ca. 1 s (mit heutigen Schraubenladern). Künftige Radialverdichtiger benötigen für einen entsprechenden Lastsprung aufgrund der geringeren Massenträgheit etwa 500 ms. Somit können künftig Stromrampen von 800 A/s über das Brennstoffzellensystem unter Umständen auch ohne zusätzliche Batterie bereitgestellt werden. Der Einsatz einer Batterie liefert darüber hinaus die Vorteile, dass rekuperierte Energie – z.B. bei der Bremsenergierückspeisung – gespeichert werden kann und der Kaltstart unter –5 °C einfacher darstellbar ist. Dabei sind Li-Ionen-Batterien von Vorteil, da diese bei –15 °C etwa noch 1/3 der Batterienennleistung bereitstellen können. Ferner können die Gesamtkosten für den Antriebsstrang reduziert werden, da in der heutigen Kostensituation eine kleinere Brennstoffzelle einen größeren Kostenvorteil bringt als die zusätzlichen Kosten ausmachen, die durch die Batterie entstehen. Aus den dargestellten Gründen hat DaimlerChrysler bereits mehrere hybridisierte Brennstoffzellen-Fahrzeuge vorgestellt. Das erste war der Jeep Commander

99 II im Jahr 2000 und auch die heutigen A-KlasseBrennstoffzellen-Fahrzeuge weisen eine Hybridisierung auf, die über eine Nickelmetallhydridbatterie in der Reserveradmulde realisiert wird.

2.7.4 Brennstoffzellen-Fahrzeuge 2.7.4.1 Rückblick und aktueller Stand DaimlerChrysler blickt inzwischen auf eine mehr als 10jährige Geschichte intensiver BrennstoffzellenFahrzeugentwicklung zurück. Kein anderer Automobilhersteller hat derzeit mehr BrennstoffzellenDemonstrationsfahrzeuge in Betrieb. Deshalb soll hier am Beispiel von DaimlerChrysler-Fahrzeugen der technologische Stand dargestellt werden. Seit der Vorstellung von NECAR 1, dem ersten Brennstoffzellen-Fahrzeug im Jahre 1994 hat DaimlerChrysler verschiedene Ansätze zur Realisierung von Brennstoffzellen-Antriebssträngen verfolgt. Zu dem Zeitpunkt entstand ein sehr ambitionierter Plan für die Darstellung von Brennstoffzellen-Demonstrations- und -Konzeptfahrzeugen. Die Arbeit an automobiltauglichen Brennstoffzellen-Systemen wurde gestartet, die kontinuierlich kleiner, leichter, leistungsfähiger und effizienter werden sollten. Als schließlich im Jahr 1999 der mit Flüssigwasserstoff betriebene NECAR 4 vorgestellt wurde, zog man eine Zwischenbilanz. Innerhalb von 5 Jahren ist das Brennstoffzellen-System in der Größe um einen Faktor 5 und im Gewicht um einen Faktor 2 reduziert worden. Zur gleichen Zeit ist die Leistung verdoppelt und die Reichweite des Fahrzeugs um einen Faktor 5 gesteigert worden. Mit NECAR 4 konnte auch der hohe Wirkungsgrad eines solchen Fahrzeuges das erste Mal demonstriert werden. Es wurden 37 % Gesamtwirkungsgrad (tankto-wheels) im neuen europäischen Fahrzyklus erreicht. Dies ist aber noch nicht das maximal Erreichbare. Wie eine Studie von Toyota zeigt, können BrennstoffzellenSysteme bis zu 42 % oder sogar 45 % Wirkungsgrad erreichen [4]. Auf dem Weg zur Kommerzialisierung wurden für Brennstoffzellen-Antriebe Zielspezifikationen festgelegt. Für den Antrieb von Fahrzeugen müssen sie strenge ökonomische und technische Anforderungen erfüllen, um mit den verfügbaren bzw. zukünftigen Verbrennungsmotoren wettbewerbsfähig zu sein. DaimlerChrysler hat Erfahrung mit BrennstoffzellenAntrieben für Personenwagen, Transporter und Busse auf Basis verschiedener Treibstoffe, wie Methanol, synthetischem Benzin sowie Flüssig- als auch Druckwasserstoff. Die Methanol-Fahrzeuge NECAR 3 und 5 basieren auf Reformer-Technologien. Reformer sind zurzeit nicht mehr im Fokus der Entwicklung. Das Wassermanagement und die Wasserrückgewinnung für den Reformierungsprozess sind für die Automobilanwendung in Anbetracht der Anforderungen bei Gefrier- und Kaltstart nicht sinnvoll.

100

2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-101: Entwicklung der Leistungsdichte in DaimlerChrysler Fahrzeugen über der Zeit

Ferner liegt der Antriebswirkungsgrad für MethanolBrennstoffzellen-Fahrzeuge im neuen europäischen Fahrzyklus in der gleichen Größenordnung wie zukünftige Dieselmotoren bei ca. 30 %. Methanol hat auch als Treibstoff Nachteile hinsichtlich Toxizität. Deshalb konzentriert sich die Entwicklung bei DaimlerChrysler auf Brennstoffzellen-Fahrzeuge mit Druckwasserstoff. Es werden vier Phasen in der Entwicklung von Brennstoffzellen-Fahrzeugen durchlaufen. In der ersten Phase von 1994 bis 2000 sind Prototypen vorgestellt worden, die das technische Potential von Brennstoffzellen-Antrieben als zukünftige Antriebstechnologie zeigen, wenn Wasserstoff als Treibstoff verwendet wird. In der zweiten „Fit-for-daily-usevehicle-Phase“ werden heute 60 F-Cell A-KlasseFahrzeuge, drei Sprinter-Auslieferungsfahrzeuge und 36 Busse im Flottenbetrieb von ausgesuchten Kunden getestet, die die Fahrzeuge im normalen Tagesbetrieb betreiben. Ein Fleet-Data-Aquisition-System in den A-Klasse-Fahrzeugen und Bussen liefert täglich Daten aus dem Betrieb der Fahrzeuge, die als Basis für die Entwicklung der nächsten Generationen von Brennstoffzellen-Technologie herangezogen werden. In der folgenden „Ramp-Up“ Phase steht die zunehmende Anzahl von Fahrzeugen im Vordergrund, wofür natürlich die Verfügbarkeit einer robusten

Brennstoffzellentechnologie die Voraussetzung ist. In der Vierten, der Kommerzialisierungs-Phase schließlich wird das Thema Kostenreduktion die dominierende Rolle spielen. 2.7.4.2 Antriebsstrang Personenkraftwagen Im Jahr 2004 wurden 60 A-Klasse BrennstoffzellenFahrzeuge an Kunden in 4 Regionen weltweit ausgeliefert: USA, vor allem Kalifornien, Singapur, Japan und Deutschland mit den Standorten Berlin und Stuttgart. Das gesamte Brennstoffzellen-System einschließlich der Wasserstoffspeicher ist vollständig im Unterboden der A-Klasse untergebracht. Daher sind der Fahrgast- und auch der Kofferraum gegenüber der normalen Serien-A-Klasse, die mit Verbrennungsmotoren angetrieben wird, nicht beeinträchtigt. Die Reichweite der Fahrzeuge beträgt bis zu 230 Kilometer, abhängig von der Fahrweise. Im neuen europäischen Fahrzyklus werden z.B. 160 Kilometer erreicht, da der Wasserstoffinhalt der Tanks auf 1,8 Kilogramm Wasserstoff beschränkt ist. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 140 km/h, der Verbrauch im neuen europäischen Fahrzyklus entspricht einem Dieseläquivalent von 3,8 l/100 km. Bild 2-102 zeigt den Antriebsstrang der A-Klasse mit dem Kühlungssystem, dem elektrischen Antrieb, dem

2.7 Brennstoffzellen Getriebe im Vorbau, dem Brennstoffzellen-System mit dem Leistungsmanagement-System und dem Wasserstofftanksystem (350 bar) im Unterboden und dem Batteriesystem (Nickelmetallhydrid) im Heck des Fahrzeugs. Die maximale Leistung des Brennstoffzellen-Systems beträgt 72 kW (97 PS Netto). Der Asynchron-Elektromotor und hat eine Spitzenleistung von 65 kW, eine Dauerleistung von 50 kW und ein maximales Drehmoment von 210 Nm. Die Nickelmetallhydrid-Batterie ist luftgekühlt. Die Dauer- bzw. Spitzenleistung der Batterie beträgt 15 bzw. 20 kW, ihre Kapazität 6,5 Ah und der Energieinhalt 1,4 kWh. Die Betriebsstrategie zwischen Batterie und Brennstoffzellen-System hat einen Einfluss auf die Lebensdauer des Brennstoffzellen-Stacks (siehe Abschnitt 2.7.2.2.1). Die durchschnittliche Fahrleistung der A-KlasseFlotte pro Tag ist etwa 3500 Kilometer. Die akkumulierte Fahrleistung der gesamten Flotte liegt zurzeit (07/2006) bei über 800 000 km. Ähnlich wie bei den Bussen, liegen die Hauptprobleme im täglichen Betrieb bei den elektrischen Komponenten, insbesondere den elektronischen Schaltkreisen und den Steuerungskomponenten (wie z.B. den Ventilen). In der nächsten Generation von Brennstoffzellen-Fahrzeugen sind die Robustheit und die Lebensdauer aller Komponenten einschließlich der Elektronik, der Ventile und der Sensoren usw. zu verbessern. Dabei wird auf die Ergebnisse der derzeit laufenden Flottenversuche zurückgegriffen. Darüber hinaus wird die Komplexität des gesamten Antriebsstrangs zu reduzieren sein. Die Reichweite der Fahrzeuge sollte

Bild 2-102: Brennstoffzellenantriebsstrang A-Klasse

101 durch Verwendung von 700-bar-DruckwasserstoffTanktechnologie und Verbesserungen im Gesamtwirkungsgrad des Systems auf mindestens 400 Kilometer gesteigert werden können. 2.7.4.3 Antriebsstrang Nutzfahrzeuge Der technische Stand der derzeit im Flottenbetrieb getesteten Brennstoffzellen-Busse ist in Tabelle 2-10 zusammengefasst. Das Gewicht des Busses ist länderabhängig. Die Busdimensionen sind gleich zum verbrennungsmotorischen Fahrzeug. Die Nettoleistung am Schaft beträgt 200 kW. Die Beschleunigung von 0 – 50 km/h in unter 12 s ist besser als beim konventionellen Dieselbus. Der Brennstoffzellen-Antriebsstrang, der für die CITARO-Stadtbusse von Mercedes Benz entwickelt wurde, erfüllt folgende Anforderungen. Durch den Einsatz einer minimalen Anzahl von elektrischen Antrieben wurde eine hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit erreicht. Das Leistungsniveau des Antriebsstrangs wurde so dimensioniert, dass die meisten und wichtigsten Kundenanforderung hinsichtlich Höchstgeschwindigkeit, Reichweite, Beschleunigung, Bergsteigfähigkeit und Zuladung erfüllt werden konnten. Auch wurde eine möglichst hohe Anzahl von Standardkomponenten und -subsystemen verwendet.

102

2 Motor und Antriebsstrang

Tabelle 2-10: Technische Daten der CITARO-Brennstoffzellenbuss; Gewicht und Fahrzeugmaße sind länderabhängig Gewicht leer/beladen

14,2 t/18 oder 19 t

Fahrzeugmaße (Länge x Breite x Höhe)

12,0 m x 2,55 m x 3,67 m

Wendekreisdurchmesser

21,5 m

BrennstoffzellenGesamtleistung

> 250 kW

Netto-Antriebsleistung

200 kW

Beschleunigung 0 – 50 km/h

< 12 s

Reichweite

200 km

Passagierkapazität

bis zu 70

Maximale Geschwindigkeit

bis zu 80 km/h

Wasserstoffspeicherdruck

350 bar

Wasserstoffspeicherkapazität

> 40 kg in 9 Druckzylindern

Im ersten Anlauf waren der Systemwirkungsgrad und der Verbrauch des Busses nicht erste Priorität. Es sollten hauptsächlich verschiedene Wasserstoffinfrastrukturen und Betankungsoptionen sowie die Erfüllung verschiedener Sicherheitsanforderungen aus unterschiedlichen Ländern und Kontinenten (EU, Australien) getestet werden. Diese Anforderungen haben zu einem Zentralmotordesign geführt, der die Hilfsaggregate über ein zentrales Getriebe und ein

Bild 2-103: Brennstoffzellenantriebsstrang CITARO-Bus

Standard-6-Gang-Automatik-Getriebe antreibt. Bisher sind keine wesentlichen Schwächen dieses Antriebssystems im täglichen Betrieb identifiziert worden. Die Busse besitzen zwei Brennstoffzellen-Module, die jeweils 150 kW elektrische Leistung liefern. Jedes Modul wiegt 350 Kilogramm und enthält alle für den Betrieb des Brennstoffzellen-Systems notwendigen Hilfsaggregate, wie z.B. Befeuchter, Luftversorgung und Elektronik. Ballard Power System hat für den Anfangseinsatz mehr als 60 000 Zellen produziert. Inzwischen weisen die Busse eine Laufleistung von insgesamt mehr als 1,4 Mio. Kilometer auf (Stand 07/2006). Dabei standen die Busse jeweils 8 Stunden pro Tag für den normalen Linieneinsatz zur Verfügung. Wie bei der Brennstoffzellen-A-Klasse wurden auch hier die Hauptprobleme durch konventionelle Komponenten verursacht, wie z.B. Ventile, Elektronik und Steuergeräte, aber nicht durch den Brennstoffzellen-Stack selber. Es konnten Lebensdauern des Brennstoffzellen-Stacks von weit über 2000 Stunden nachgewiesen werden. Es wurden Lösungen entwickelt, um das Fehlverhalten von Aktoren und Regler im Brennstoffzellen-Antriebssystem zu beheben. In vielen Fällen haben auch Sicherheitskomponenten angesprochen, ohne dass ein Grund für ein Sicherheitsrisiko vorlag. Dieses Problem wurde durch eine Optimierung der Software gelöst.

2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik Entsprechend adaptierte Pkw-Brennstoffzellensysteme wurden in drei Mercedes-Benz-Sprinter-Auslieferungsfahrzeuge eingebaut und im täglichen Betrieb zweier Paketversandunternehmen in Europa und USA eingesetzt. Insgesamt sind die Lieferwagen bisher über 40 000 km im Einsatz gefahren. Der Flottenbetrieb mit abendlicher Rückkehr in einen Betriebshof eignet sich in der jetzigen Phase mit noch nicht vorhandener flächendeckender Wasserstoffinfrastruktur besonders gut, um Erfahrungen mit den Fahrzeugen und den Tankstellen zu sammeln.

2.7.5 Ausblick In zukünftigen Energieversorgungssystemen könnte Wasserstoff langfristig als zusätzlicher Sekundärenergieträger eine wichtige Rolle spielen. Er bietet neben dem prinzipiellen Vorteil einer völlig CO2freien Energiewandlung gleichzeitig auch eine höhere Versorgungssicherheit, da er aus allen anderen Energieträgern und -quellen hergestellt werden kann. Dies ist insbesondere für den Verkehrsbereich wichtig, der heute von einer einzigen Primärenergiequelle abhängt. Bei der Herstellung von Wasserstoff treten im Vergleich zur heutigen Mineralölwirtschaft höhere Energieverluste auf. Durch Nutzung des Wasserstoffs in Brennstoffzellen, die einen deutlich höheren Wirkungsgrad haben, können die Gesamtenergie- und Emissionsbilanzen vorteilhafter gestaltet werden. Deshalb werden weltweit Brennstoffzellenantriebe intensiv erforscht und entwickelt. Die ersten Generationen solcher Antriebe werden derzeit in Kundenhand im Flotteneinsatz erprobt. DaimlerChrysler hat bei allen diesen Aktivitäten eine führende Rolle eingenommen. Parallel dazu werden bereits die nächsten Fahrzeuggenerationen entwickelt. Bevor Brennstoffzellenfahrzeuge aber in den Markt gebracht werden können, muss die Technologie noch erheblich kostengünstiger (Faktor 10 bis 100) und zuverlässiger werden. Auch weitere Fortschritte auf dem Gebiet der mobilen Wasserstoffspeicherung sind notwendig. Szenarien, die im EU-Rahmen erarbeitet wurden, deuten darauf hin, dass bis 2015 die Technologie für die beginnende Kommerzialisierung reif entwickelt sein könnte [5]. Bis dahin müssen aber noch erhebliche finanzielle Anstrengungen zur Technologieentwicklung und Validierung, aber auch zur beginnenden Vernetzung der bis dahin möglicherweise lokal vorhandenen Wasserstoff-Infrastruktur sowie Schaffung von nachhaltigen Wasserstoff-Produktionseinrichtungen unternommen werden. Diese großen Aufwendungen können nur im Europäischen Rahmen durch länderübergreifende langfristige Partnerschaften von öffentlichen und privaten Partnern aufgebracht werden.

103 Literatur zu Abschnitt 2.7 [1] Wolf Vielstich, Arnold Lamm, Hubert A. Gasteiger: Handbook of Fuel Cells, Vol. III, Seite 647, Wiley 2003 [2] E. J. Carlson et al.: Cost Analysis of Fuel Cell Systems for Transportation, Report to Department of Energy, Ref. No. 49739, SFAA No. DESCO2-98EE50526, 2001 [3] Wolf Vielstich, Arnold Lamm, Hubert A. Gasteiger: Handbook of Fuel Cells, Vol. IV, Seite 727, Wiley 2003 [4] H. Watanabe (Toyota) : Fuel Cell Award Lecture, Fuel Cell Seminar, Miami, 2003 [5] www.HFPeurope.org

2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik Bei der Entwicklung neuer Motorkonzepte sind eine Vielzahl teilweise gegenläufiger Ziele zu berücksichtigen. So darf beispielsweise die Geräuschemission nicht zu einer Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte für das Fahrzeugaußengeräusch (beschleunigte Vorbeifahrt) führen. Diesen Anforderungen steht aber die Gewichtsreduktion ebenso entgegen wie die notwendige Garantie der Betriebssicherheit. Die Verwendung von Leichtbauwerkstoffen und die Umsetzung neuer konstruktiver Konzepte bedingt außerdem ein Herangehen an die Grenzwerte zulässiger Beanspruchungen und eine möglichst gleichmäßige Ausnutzung des Werkstoffes. Die vom Kunden erwartete Leistungssteigerung bei gleichzeitiger Verbrauchsreduktion bedingt als weitere Maßnahmen eine signifikante Reduktion der Reibleistung für Einzelkomponenten und das Gesamtsystem. Die Abstimmung aller Parameter ist nur dann erzielbar, wenn es gelingt, ausgewogene gesamtheitliche Motorenkonzepte zu realisieren. Den besten Kompromiss zwischen Fahrleistung, Verbrauch, Emissionen, Akustik und Betriebssicherheit zu finden, ist ohne ein enges Zusammenwirken von Konstruktion, Simulation und Test nicht möglich. Das „Ingenieurgefühl“ versagt wegen der vielen zu berücksichtigenden Parameter. Als weitere Randbedingung kommt hinzu, dass die Entwicklung von neuen Motorkonzepten unter den aktuellen Anforderungen der Automobilindustrie zu erfolgen hat, nämlich einer drastischen Reduktion der Entwicklungszeiten, einer Senkung von Entwicklungskosten, einer Entwicklung von Produkten mit niedrigen Produktionskosten, einer Berücksichtigung einer zunehmenden Anzahl von Produktvarianten und einer Sicherstellung hoher Produktqualität. Die Vernetzung von Konstruktion und Simulation, unterschiedlichen Simulationsverfahren sowie Simulation und Test ist daher zunehmend wichtig, um das optimale Entwicklungsergebnis zu erzielen.

104

2.8.1 Motorenentwicklungsprozess In allen Phasen des Motorentwicklungsprozesses ist es insgesamt notwendig, dass Erfahrungswissen, Ergebnisse der Computersimulation und Ergebnisse der Prototypentests zusammenfließen und optimal für das Erreichen des Entwicklungszieles genutzt werden. Dabei ändern sich die Anteile der einzelnen Beiträge naturgemäß im Laufe des Entwicklungsprozesses [1]. In der Phase der strategischen Entscheidungen dominiert der Anteil des Erfahrungswissens. Unterstützend werden vereinfachte Simulationsmodelle für das Gesamtsystem oder für Teilsysteme eingesetzt, um durch Trendaussagen die grundsätzliche Entwicklungsrichtung vorzugeben. In der Umsetzungsphase nimmt der Anteil der Simulation sprunghaft zu. Parallel zur Auslegung und zur Konstruktion der ersten Motorgeneration, die im wesentlichen der Konzeptabsicherung dient, werden Simulationsmodelle mit hohem Komplexitätsgrad eingesetzt. Sie sollen sicherstellen, dass bereits die ersten Prototypmotoren die bestmögliche Ausgangsbasis für das rasche Erreichen der Entwicklungsziele darstellen. Während der Entwicklungsarbeiten mit den Prototypen der ersten Motorgeneration (Prototypentests) werden sowohl die rechnerische als auch die Prüfstandssimulation intensiv genutzt. Durch die direkte Kopplung von Computer- und Prüfstandssimulation sind hier deutliche Verbesserungen der Prozessqualität zu erreichen. In dieser Phase erfolgt zudem ein intensiver Abgleich der Simulationsmodelle mit Messergebnissen. Während der Versuchsarbeiten mit der zweiten Motorgeneration dominiert die Prüfstandssimulation. Die rechnerische Simulation wird hier vor allem zur raschen Problemlösung und Variantenberechnung eingesetzt. Dabei sind die Anforderungen im Hinblick auf Rechengenauigkeit und rasche Verfügbarkeit der Ergebnisse besonders hoch. Im Zuge der Serienabsicherung, die sich an die eigentliche Motorentwicklung anschließt, geht der Einsatz der Simulationsmethoden deutlich zurück. Hier dominiert der Fahrzeugversuch. Um die Simulation effizient im Motorentwicklungsprozess einzusetzen, ist es notwendig, dass in den verschiedenen Phasen des Entwicklungsprozesses die am besten geeigneten Simulationsmodelle zur Verfügung stehen: Einfache mathematische Modelle ermöglichen es, bereits im ersten Konzept- und Konstruktionsstadium umfangreiche Variantenstudien bis hin zu rein mathematischen Optimierungsrechnungen durchzuführen. Mit zunehmendem Detaillierungsgrad des Produktes nimmt auch die Komplexität der rechnerischen Simulationsmodelle zu. Wegen der Vielzahl an zu berücksichtigenden Parametern ist die experimentelle Absicherung der rechnerischen Ergebnisse im Prototypenstadium eine Voraussetzung

2 Motor und Antriebsstrang für die ständige Weiterentwicklung der Rechenmodelle. Damit gewinnt der Ingenieur die Sicherheit, dass Betriebsbedingungen realitätsnah im digitalen Modell abgebildet werden. Eine andere Dimension des Entwicklungsprozesses stellt das Zusammenwirken von Konstruktion und Simulation, unterschiedlichen Berechnungsverfahren sowie Simulation und Test dar. Für die Bereitstellung von Konstruktionsdaten in den Simulationsprogrammen sind zwei Wege zu beschreiten, nämlich die geometriebasierte Vernetzung und die parameterbasierte Vernetzung. In der geometriebasierten Vernetzung werden aus CAD-Volumenmodellen volumenorientierte Simulationsmodelle erzeugt. Diese Art der Vernetzung von Simulations- und CADProgrammen im Entwicklungsprozess wird im Bereich der Konstruktion immer wichtiger, um möglichst schnell aus CAD-Modellen Berechnungsnetze für Strömungsmechanik und Strukturanalyse generieren zu können. Zusätzlich wird dadurch sichergestellt, dass die Geometrie der verwendeten Berechnungsmodelle den CAD-Modellen entspricht. In der parameterbasierten Vernetzung werden aus parametrisierten CADVolumengeometrien die definierten Parameter an Berechnungsprogramme übergeben, die auf analytischen Modellen oder Mehrkörpermodellen (eindimensional) basieren. Durch diese Übergabe werden eine Vielzahl an Zusatzberechnungen überflüssig, die früher vom Ingenieur durchzuführen waren, wie z.B. die Berechnung von Volumen, Massen, etc. Damit werden zusätzlich zum Zeitgewinn Fehlerquellen stark reduziert. Die Berücksichtigung von Gesamtsystemen erfordert mehr und mehr die Vernetzung von Berechnungsverfahren, die einerseits auf unterschiedlichen physikalischen und chemischen Modellen basieren und andererseits verschiedene Komplexitäten aufweisen. Beispiele für Vernetzungen in der Motorenberechnung sind die Verknüpfung von Strömungsberechnungen mit Strukturanalysen zur Ermittlung von Wärmespannungen sowie die Kopplungen von eindimensionalen und dreidimensionalen Strömungsvorgängen bei der Analyse der Vorgänge des Ladungswechsels. Neben der Optimierung des mechanischen Systems „Motor“ gewinnt die Optimierung der zugehörigen Motorsteuerung (Engine Control Unit, ECU), eine immer größere Bedeutung innerhalb des Motorentwicklungsprozesses. Dies ist dadurch bedingt, dass aktuelle Anforderungen an Kraftstoffverbrauch, Emissionen und Fahrbarkeit nur durch elektronische Regelung einer immer größer werdenden Anzahl an Motor-Steuerungsparametern erreicht werden können. Zur beschleunigten Abstimmung der Motorsteuerung (Kalibrierung) und dessen Umgebung in Form des Fahrzeuges und der zu erwartenden Umwelteinflüsse werden Echtzeit-Simulationssysteme eingesetzt, die das Motor-, Fahrzeug- und Fahrerverhalten

2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik abbilden und so Abstimmung und Test der ECU ohne real vorhandenen Motor erlauben (Hardware in the Loop, HIL). Dadurch werden erhebliche Einsparungen sowohl hinsichtlich der Entwicklungszeit (reale Prototypen müssen noch nicht verfügbar sein) als auch der Entwicklungskosten (reduzierte Entwicklungsarbeit am Prüfstand- und im Fahrzeug) erreicht. Die für die Echtzeitsimulation erforderlichen Rechenmodelle müssen trotz minimaler und garantierter Rechenzeit eine hohe Aussagequalität aufweisen. Die Parametrierung dieser Modelle erfolgt sowohl mit Messdaten (sofern verfügbar, etwa auch von Vormodellen) als auch mit Simulationsmodellen. Die Vernetzung von Computersimulation und Versuch ist noch wenig fortgeschritten, wird jedoch in Zukunft eine stark wachsende Bedeutung erhalten.

2.8.2 Baugruppen des Motors Die Hauptbaugruppen des Motors stellen den Ausgangspunkt für die Festlegung der Berechnungsaufgaben dar, da sie die Funktionseinheiten darstellen. Dies sind: Kurbelgehäuse, Kurbeltrieb, Zylinderkopf, Ventiltrieb, Nockenwellenantrieb, Ölkreislauf, Kühlmittelkreislauf, Kraftstoffsystem, Ansaugsystem, Abgassystem, Motorentlüftung, Zusatzaggregate, Abdeckungen.

2.8.3 Berechnungsmethoden und Berechnungsaufgaben Als Berechnungsmethoden werden analytische Verfahren, numerische Verfahren, Finite Elemente Methode FEM, vorzugsweise Strukturanalyse; Finite Volumen Methode FVM, vorzugsweise Strömungsberechnung (CFD); Randelemente Methode BEM, vorzugsweise Strukturanalyse und Real Time Methoden als Hybridverfahren eingesetzt. In Hinblick auf die Anwendung der Berechnungsmethoden auf die unterschiedlichen Berechnungsaufgaben wird eine Klassifizierung in Strukturanalyse und System Performance Modeling vorgenommen.

105 2.8.3.1 Strukturanalyse Die Strukturanalyse umfasst die quasi-statischen und die dynamischen Berechnungen von Einzelbauteilen in Hinblick auf Festigkeit, Deformation und Stabilität sowie Schwingungsverhalten. Als Berechnungsverfahren werden hier analytische Methoden, die FiniteElemente-Methode und die Randelemente-Methode eingesetzt. Ziel ist die Optimierung der Bauteile in Hinblick auf Gewichtsreduktion, gleichmäßige Materialausnutzung (Vermeidung von Spannungsspitzen) sowie Festlegen der Eigenfrequenzen. Für einfache Geometrien können analytische Verfahren angewendet werden. Diese haben den Vorteil, dass sehr schnell Parametervariationen durchgeführt werden können. Als Standardverfahren für die Untersuchung von Bauteilen mit unterschiedlich komplexen Geometrien und Belastungszuständen hat sich jedoch seit vielen Jahren die FEM [9] etabliert. Die FEM deckt einerseits alle linearen und nichtlinearen Berechnungsfälle in Hinblick auf Spannungsanalysen, Temperaturfeldberechnung und Schwingungsanalysen ab und bietet andererseits die Möglichkeit, die Berechnungsgeometrien direkt aus den dreidimensionalen CAD-Modellen abzuleiten. Für Sonderanwendungen im Bereich der Spannungsanalysen hat sich die BEM [10] bewährt. Voraussetzung für eine effiziente Anwendung ist, dass die berechneten Geometrien möglichst gedrungene Formen aufweisen. Das heißt, dass das Verhältnis von Volumen zu Oberfläche möglichst groß ist. Beispiele hierfür sind Kurbelwellen-Analysen. Vorteil der BEM gegenüber der FEM war, dass anstelle der Netzgenerierung des Gesamtvolumens lediglich die Oberflächen vernetzt werden musste. Durch die gute Einbindbarkeit der FEM in CAD-Systeme ist dieser Vorteil inzwischen weitgehend verloren gegangen. Zur Berechnung von Thermospannungen werden zunehmend Simulationen herangezogen, bei denen die FEM und die CFD [11] gekoppelt werden. Dabei werden die Wärmeentstehung im Zylinder und die Wärmeabfuhr im Kühlwasser mit eindimensionalen und dreidimensionalen CFD-Programmen ermittelt, während die Temperaturverteilung und die Temperaturspannungen im Kontinuum mit der FEM berechnet wird. Als Berechnungsaufgaben mit FEM und BEM werden in der Motorenentwicklung die Komponentenanalyse (Pleuel, Kolben, Kurbelwelle [2], Hauptlagerwand mit Lagerstuhl) und die Subsystem-Analyse (Zylinderkopf-Kurbelgehäuse-Spannungs- und Verzugsberechnungen [3], [4) abgedeckt.] 2.8.3.2 System Performance Modeling System Performance Modeling (SPM) umfasst die instationären Berechnungen von Betriebsbedingungen, Regelungssystemen und Fertigungsprozessen.

106 Als SPM-Verfahren in der Motorenentwicklung werden die Mehrkörpersimulation (MKS) und die CFD (Computational Fluid Dynamics) zur Berechnung von innermotorischen Strömungsvorgängen, von Thermofluiddynamik sowie zur Fertigungssimulation (Guss-Simulation) zusammengesetzt. Die SPM-Verfahren werden in den Bereichen Lebensdauer und Ermüdung, NVH (Noise, Vibration, Harshness) ([5] bis [8]), Kühlung, Verbrennung und Emissionen sowie zur Auslegung kompletter Kontrollsysteme angewendet. Der Vorteil des SPM im Bereich der statischen und dynamischen Berechnungen (Lebensdauer und Ermüdung sowie NVH) mit Hilfe der MKS [12] in Hinblick auf Festigkeit, Deformation und Stabilität sowie Schwingungsverhalten gegenüber der Strukturanalyse besteht darin, dass das SPM die Modellierung von (Teil-)Systemen (z.B. Kurbeltrieb bestehend aus Kurbelwelle, Pleuel, Kolben) mit allen Verbindungen zwischen den einzelnen Bauteilen (z.B. Ölfilm) erlaubt, die Beaufschlagung des modellierten Systems mit den betriebsbedingten Belastungen ermöglicht und daher keine Randbedingungen zur näherungsweisen Abbildung von nicht modellierten Komponenten benötigt und somit die realistische Berechnung der Betriebsbeanspruchungen des (Teil-)Systems ermöglicht. Aus den Analysen können – quasi als Nebenprodukt – die Komponenten des Systems direkt beurteilt werden. Aus den vorgenannten Gründen ersetzt das SPM in zunehmendem Maße die Strukturanalyse. Nachteilig

2 Motor und Antriebsstrang ist, dass die Komplexität der Berechnungsmodelle zunimmt, Rechenzeiten wesentlich länger werden und die Interpretation der Ergebnisse „System-Wissen“ erfordert. Die Mehrkörpersysteme (MKS) werden während des gesamten Motorentwicklungsprozesses in verschiedenen Modellierungstiefen zur rechnerischen Untersuchung der Funktion und der dynamischen Belastung mechanischer Komponenten und Teilsysteme im Motor verwendet. Zur Modellierung von Mehrkörpersystemen wird der reale Mechanismus in Körper und Verbindungen unterteilt. Bild 2-104 zeigt die Aufteilung in Körper am Beispiel eines Ventiltriebsmodells (a), eines Kettentriebes (b) und eines Motormodells (c). Je nach Entwicklungsstadium und Komplexität der modellierten Bauteile werden starre (Bild 2-104a und 2-104b) oder elastische (Bild 2-104c) Körper in den Modellen verwendet. Elastische Körper werden durch die Berechnung von Eigenformen mit FEM-Analysen dargestellt. Die Verwendung elastischer Körper ist eine Voraussetzung zur Erzielung hochwertiger Ergebnisse von Systemen, die Komponenten mit komplexen Geometrien erhalten. Verbindungen bilden Wechselwirkung zwischen den Körpern ab. In mechanischen Systemen werden solche Verbindungen oft durch Kombinationen parallel wirkender Feder- und Dämpfer-Einheiten dargestellt.

Bild 2-104: Darstellung der Körpereinteilung: a) für einen Einzelventiltrieb, b) für ein komplexes Kettentriebsmodell, c) für ein Motormodell

2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik Das Verhalten von Verbindungen kann stark nichtlinear sein (beispielsweise bei allen spielbehafteten Kontakten oder bei Reibung in Kontakten). Neben relativ einfachen Verbindungsmodellen, bei denen nur jeweils ein Punkt der verbundenen Körper gekoppelt wird, kommen für verschiedenste Untersuchungen auch sehr komplexe Verbindungsmodelle zum Einsatz ([16], [20], [22]). Typische Beispiele dafür sind EHD (Elasto-Hydrodynamik) – Modelle für Gleitlager oder für Kontakte zwischen Kolben und Zylinderlaufbuchse. In der Praxis werden in MBS-Rechenmodellen oft starre und elastische Körper gemeinsam eingesetzt. Durch die Verwendung kombinierter Modelle kann die Anzahl der in der Rechnung verwendeten Freiheitsgrade und damit auch die Rechenzeit minimiert werden. Auch zur Auslegung thermofluiddynamischer Prozesse in der Motorentechnik kommen je nach Aufgabenstellung unterschiedliche Simulationswerkzeuge zum Einsatz. Entsprechend der Zielsetzung der Entwicklungsaufgabe und auch abhängig von der jeweiligen Phase im Motorentwicklungsprozess sind dies eindimensionale und dreidimensionale CFD-Simulationsansätze. Die Anwendungsbereiche der eindimensionalen CFD-Simulation liegen insbesondere in der Optimierung von Ladungswechselvorgängen, in der Analyse und der Optimierung von Abgasanlagen und Abgasnachbehandlungssystemen sowie im Rahmen der Auslegung des motorischen Gesamtprozesses in zunehmendem Maße in der Berechnung innermotorischer Verbrennungs- und Schadstoffbildungsprozesse. In der eindimensionalen Simulation wird der Zustand des Arbeitsgases während der Durchströmung des Motors einschließlich des Ansaugsystems

107 und des Abgassystems simuliert ([37], [38]). Dazu wird der Motor in Elemente eingeteilt (z.B. Zylinder, Kühler, Katalysator, Sammler, Rohr). Jedes dieser Elemente wird mit den jeweils spezifischen Eigenschaften im Simulationsmodell abgebildet, wobei zwei Basiselemente unterschieden werden, nämlich Rohre und Volumina. In den Rohren werden die Euler-Erhaltungsgleichungen für Impuls, Energie und Masse gelöst. Als Ergebnis erhält man Druck, Massenstrom und Temperatur an einzelnen diskreten Stützstellen des Rohres. Besonderes Augenmerk wird hier auf eine akkurate Beschreibung der kompressiblen Strömung unter sub- und transsonischen Bedingungen gelegt, um beispielsweise die Füllung des Zylinders richtig beschreiben zu können. In den Volumina wird die Erhaltung von Masse und Energie unter Berücksichtigung der Zu- und Abflüsse zu den angeschlossenen Rohren berechnet. Im Gesamtmodell stellt die Modellierung der physikalischen und chemischen Vorgänge im Zylinder eine besondere Herausforderung dar. Grob kann der Zustand des Zylinders (mit Hilfe von spezifizierten Ventilhubkurven und Durchflusskoeffizienten) in eine Ladungswechselphase und in eine Hochdruckphase eingeteilt werden. In der Ladungswechselphase wird der Massen- und Energieaustausch mit den angeschlossenen Rohren bestimmt. Zur Berechnung des Wärmeübergangs an die Zylinderwand kommen empirische Ansätze zur Anwendung ([39], [40]). Weitere Anwendungsbereiche der eindimensionalen Simulation sind die rechnerische Untersuchung des hydraulischen Verhaltens dieselmotorischer und ottomotorischer Hochdruckeinspritzsysteme (Bild 2-105) oder auch die Systemauslegung des Öl- und Kühlwasserkreislaufes in Motoren, auf welche hier allerdings nicht näher eingegangen wird ([41], [42]).

Bild 2-105: Kavitationsblasenverteilung und Stromlinienverlauf in einem Diesel-Injektor

108

2 Motor und Antriebsstrang

Bild 2-106: Temperatur- (links) und NOx-Verteilung (rechts) in einem Dieselmotor (Segmentmodell) 20° Kurbelwellenwinkel nach Einspritzbeginn

Im Gegensatz zu den eindimensionalen Berechnungsverfahren ermöglicht eine räumlich dreidimensional aufgelöste Betrachtung, eine virtuelle Voroptimierung der innermotorischen Strömungs-, Gemischbildungs- und Verbrennungsprozesse unter Berücksichtigung der Details der Kanal- und Brennraumgestaltung, die entscheidenden Einfluss auf das Motorverhalten hinsichtlich Verbrauch und Schadstoffemissionscharakteristik ausüben. Dieser Anwendungsbreich umfasst auch die Berechnung der Strömungsvorgänge in Einspritzdüsen, welche die Zerstäubung und damit die nachfolgende Verbrennung und Schadstoffbildung im Brennraum wesentlich mitbestimmen ([28] – [30]). Neben der innermotorischen Simulation sind die Analyse und die Auslegung von Abgasnachbehandlungssystemen, wie beispielsweise SCR-Systeme zur NOx-Reduktion oder Dieselpartikelfilter zur Verminderung der Rußemissionen weitere Anwendungsgebiete [32]. Darüber hinaus findet eine intensive Anwendung im Bereich der Berechnung stationärer und transienter Strömungsvorgänge in Einlasssystemen (Bild 2-106) zur Berechnung und Optimierung der Kühlmittelströmung im Wassermänteln aber auch im Bereich der Analyse thermischer Bauteilbelastung ([27], [60], [33]) statt.

Die Basis für die dreidimensionale CFD-Simulation bilden die Navier-Stokes-Gleichungen, ergänzt um die Energiegleichung sowie um zusätzliche Gleichungen für weitere Erhaltungsgrößen, wie beispielsweise chemische Spezies im Falle reaktiver Strömungen. Die Gasgleichung, oder entsprechende Zusammenhänge im Falle inkompressibler Strömung zur Verknüpfung der thermischen Zustandsgrößen, sowie Ansätze zur Erfassung der spezifischen Wärmekapazität als Funktion der Temperatur und Gemischzusammensetzung vervollständigen die relevanten Gleichungen zu Beschreibung der thermofluiddynamischen Prozesse (vgl. Bild 2-107). Die Lösung des nichtlinearen Satzes der – in den meisten Fällen auf Basis eines Finite-Volumen-Ansatzes – entsprechend diskretisierten Erhaltungsgleichungen erfolgt mit geeigneten iterativen Lösungsverfahren oder mit gekoppelten Gleichungslösern als Funktion der Zeit oder des Kurbelwinkelinkrements. CFD-Solver der aktuellen Generation erlauben dabei die Verwendung allgemein unstrukturierter Berechnungsgitter, welche durch den Benutzer sehr einfach und weitestgehend automatisiert erstellt werden können ([43], [44]).

Bild 2-107: Lage der Flammenfront in einem Ottomotor mit Direkteinspritzung 15° Kurbelwellenwinkel (links) und 20° Kurbelwellenwinkel (rechts) nach Zündung unter Volllastbedingungen; im den oberen Bildteilen sind die Umrisse der Zündkerzen zu sehen

2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik

109

Bild 2-108: Geometriemodell und berechnete Gastemperatur mit Stromlinien in einem Diesel-Partikelfilter

Die bei der numerischen Betrachtung turbulenter Strömungen infolge der Reynolds-Mittelung auftretenden Korrelationen unbekannter fluktuierender Strömungsgrößen werden in der Praxis über so genannte Turbulenzmodelle dargestellt. Das gängigste in der industriellen Praxis zur Anwendung gelangende Turbulenzmodell ist das 2-Gleichungs-k-İ-Modell und eine Reihe von daraus abgeleiteten Derivaten [45]. Detailliertere Modelle zur Turbulenzbetrachtung, wie sie beispielsweise die Large Eddy Simulation (LES) oder die Direkte Numerische Simulation (DNS) darstellen, werden auch in den nächsten Jahren auf Anwendungen im Bereich der Forschung beschränkt bleiben. Entscheidend für die Berechnung von innermotorischen Strömungs- und Verbrennungsvorgängen sind die physikalischen Modelle für die Einspritzstrahlausbreitung [46] und den turbulenten Reaktionsumsatz ([47] – [50]). Zur Berechnung der Entstehung und der Emission von Schadstoffen stehen heute eine Vielzahl von Modellen unterschiedlicher Komplexität zur Verfügung. Neben Modellen, welche auf stark reduzierten reaktionskinetischen Modellen oder chemischen Gleichgewichtsapproximationen beruhen, sind, vor allem im Bereich der Rußbildung, halbempirische Ansätze weit verbreitet. Neben den Modellen zur Berechnung der thermischen Stickoxidbildung, welche heute bereits eine qualitative Aussage über die zu erwartenden Schadstoffbildungstrends erlauben, sind Modelle zur Berechnung der Ruß-, CO- und HCBildung (Bild 2-108) in ihrer Vorhersagekraft noch verbesserungswürdig, obwohl für eine Reihe von Anwendungen eine Abschätzung von Trends durchaus bereits möglich ist ([51] – [59]).

Die reaktionskinetischen Modelle im Bereich der dreidimensionalen CFD-Simulation von Abgasnachbehandlungssystemen sind im wesentlichen identisch mit den Modellen in der eindimensionalen Simulation und ermöglichen dadurch eine kombinierte Anwendung beider Simulationsansätze in diesem Bereich ([60] – [61]). 2.8.3.3 Beispiele für thermofluiddynamische Berechnungen Mit den CFD-Methoden werden in der Motorenentwicklung folgende Anwendungen abgedeckt: Ladungswechsel- und Arbeitsprozess-Berechnungen (Düseninnenströmung [28], Gemischbildung [29], Verbrennungssimulation [30], Abgasnachbehandlung [60], Ölkreislauf- Berechnung sowie Kühlkreislaufberechnung [27]. Eine zunehmende Bedeutung gewinnt die Auslegung von elektronischen Steuerungen innerhalb der Motorentwicklung. Die bestmöglichen Werte für Kraftstoffverbrauch, Emissionen und Fahrbarkeit können nur dann erzielt werden, wenn der Anteil der Elektronik im Motor sowie im Getriebe und in anderen Fahrzeug- Teilsystemen weiter erhöht wird. Diese Erweiterung des Einsatzes der Elektronik muss die bisher vorgenommene ingenieurmäßige Abstimmung der Steuerungsfunktionen im Motor ersetzen, da es durch die massive Erhöhung der Freiheitsgrade nicht mehr möglich ist, das optimale Zusammenspiel der verschiedenen Parameter „manuell“ mit Hilfe von einfachen „Trial-and-Error-Methoden“ am Prüfstand vorzunehmen. Die Steuerungssysteme müssen in einem Umfeld entwickelt werden, in dem noch keine Hardware-Komponenten durch Fehlschaltungen beschädigt werden können.

110 Die virtuelle Entwicklung von Steuergeräten für unterschiedliche Zielsetzungen verlangt den Einsatz von Real-Time-Simulationssystemen. Die dafür notwendigen Modelle müssen trotz minimierter Rechenzeit eine hohe Aussagequalität aufweisen. Daher werden hochgenaue Simulationsmodelle verwendet, um Real-Time-Systeme zu parametrieren.

2.8.4 Optimierung Für die Anwendung der beschriebenen Methoden in der Motorenentwicklung spielt deren Kombination mit den Methoden der mathematischen Optimierung eine immer bedeutendere Rolle. Die Zielsetzung ist dabei zunächst die Optimierung der Konstruktion (der Designvariablen) in Bezug auf bestimme Zielkriterien (zusammengefasst in einer Zielfunktion) unter Berücksichtigung von definierten Einschränkungen (Nebenbedingungen) [62]. Die Zielfunktion, wird unter Verwendung der Simulationsmodelle ermittelt. Darüber hinaus werden Optimierungsmethoden auch für die Identifikation von Parametern verwendet, wobei zwei Anwendungsfälle zu unterscheiden sind: Die Identifikation von unbekannten Parametern des Simulationsmodells durch Abstimmung von Simulationsergebnissen mit Messergebnissen sowie die Identifikation von Parametern für vereinfachte, schnell berechenbare Modelle, die als Ersatz für komplexe Modelle innerhalb von Systemsimulationen oder Echtzeitumgebungen dienen [63]. Beispiele für die Anwendung von Optimierung im Motorentwicklungsprozess sind etwa: die Optimierung der Motorleistung durch Variation von Rohrquerschnitten und -längen des Ein- und Auslasssystems; die Optimierung der Motorkühlung durch Variation der Durchtrittsöffnungen in der Zylinderkopfdichtung [64]; die Optimierung des akustischen Verhaltens und des Verschleißes von Nockenprofilen; die Identifikation von kinetischen Reaktionsparametern für die Simulation von Abgasnachbehandlungssystemen [65] und die Identifikation von EchtzeitModellen des Motorverhaltens für den Test von Motorsteuerungen. Die grundlegenden Optimierungsalgorithmen sind vielfältig und können in zwei wesentliche Gruppen eingeteilt werden: Numerische (zumeist lokale, gradientenbasierende) Methoden ([66], [67]) erzeugen eine Folge von Werten für die Designvariablen, die üblicherweise schnell zu einem lokalen Optimum konvergieren. Explorative (globale) Methoden durchsuchen den gesamten Parameterraum nach einem globalen Optimum [64]. Zu dieser Gruppe gehören etwa Genetische Algorithmen [68] und Simulated Annealing [69]. In vielen Fällen ist eine Kombination mehrerer Methoden sinnvoll. Anwendung einer explorativen Methode zur Suche nach einem optimalen Gebiet des Parameterraums und die nachfolgende

2 Motor und Antriebsstrang beschleunigte Suche nach dem lokalen (nicht garantiert globalen) Optimum in einem eingeschränkten Gebiet. Weiterführende Methoden, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, sind die Mehrzieloptimierung ([70], [71], [74]) und stochastiche Optimierungsmethoden ([72], [73], [75], [76]). Zu bedenken ist, dass der Aufwand für die Anwendung von Optimierungsmethoden im wesentlichen vom Aufwand (Rechenzeit) für die einmalige Auswertung der Zielfunktion, also letztlich die Anwendung des oder der Simulationsmodelle für einen Parametersatz, sowie von der Anzahl der notwendigen Auswertungen abhängt. Da die explorativen, die Mehrziel- und die stochastischen Verfahren ein Vielfaches (letztere durchaus das Tausendfache) der Anzahl der Funktionsauswertungen der numerischen (aber lokalen) Verfahren benötigen, sind in der Praxis Maßnahmen zu treffen, um die Probleme noch berechenbar zu halten. Dazu zählen die Verwendung von „schnellen“ Ersatzmodellen, die durch Approximation der genauen Simulationsmodelle ([77], [78]) auf Basis einer optimalen Menge von Auswertungen (bestimmt mit den Methoden des „Design of Experiments“ DOE) ermittelt werden [79], sowie die Parallelisierung und Verteilung der einzelnen Funktionsauswertungen auf Netzwerke von Rechnern.

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3 Fahrwerksysteme 3.1 Physikalische Grundlagen zur Fahrdynamik-Regelung Im Folgenden werden die wichtigsten physikalischen Grundlagen zum Verständnis von FahrdynamikRegelungen behandelt. Die Ausführungen basieren auf dem Buch [1]. Eine kraftschlüssige Verbindung, wie sie zwischen Reifen und Straße gegeben ist, kann nur eine bestimmte maximale Umfangskraft der Größe Fx max

P h Fz

höchste Kraftschluss ist durch den Haftreibungszahl µh gegeben, der zugehörige Schlupf, häufig „kritischer Schlupf“ Sc genannt, liegt etwa bei 0,1. Wird der Schlupf noch weiter gesteigert, so fällt µ wieder ab und erreicht bei S = 1 den Wert µg. Der Verlauf von µh bis µg ist in Bild 3-1 gestrichelt gezeichnet, weil in diesem Bereich keine stationären Vorgänge möglich sind. Dieser Bereich wird z.B. beim Bremsen in Sekundenbruchteilen durchlaufen, wenn aus einem rollenden Rad ein blockierendes wird.

(3.1)

übertragen. Sie ist proportional zur Radlast Fz . Dabei ist µh der höchste Kraftschlussbeiwert oder die so genannte Haftreibungszahl. Wird ein zu großes Moment eingeleitet, so dass diese maximale Kraft Fx max überschritten wird, dann gleitet das Rad auf der Fahrbahn. Es wird dann eine Kraft der Größe Fx g = µgFz übertragen mit der Gleitreibungszahl µg. Es gilt im Allgemeinen µh > µg. Im Folgenden bezeichnet v die Fahrzeuggeschwindigkeit und R0 den dynamischen Halbmesser, der mit dem Abrollumfang U durch U = 2SR0 verknüpft ist. Der Schlupf S ist für das gebremste und das angetriebene Rad mit der Winkelgeschwindigkeit ϕ durch zwei verschiedene Ausdrücke gegeben, und zwar der Bremsschlupf durch S

v R0ϕ v

Bild 3-1: Kraftschluss-Schlupf-Kurve (aus [1])

(3.2)

und der Treibschlupf durch S

v R0ϕ . R0ϕ

(3.3)

Dies ergibt formelmäßig für das gebremste und das angetriebene Rad zwar zwei verschiedene Ausdrücke, dafür aber in beiden Fällen ein positives Vorzeichen und bei drehschleuderndem und gleitendem Rad den Wert S = 1. Weiterhin wird der Rollwiderstand vernachlässigt und die Umfangskraft Fx auf die Radlast Fz bezogen, um auch hier einen dimensionslosen Ausdruck zu erhalten. Man bezeichnet µ = Fx / Fz als Kraftschluss, hier in Umfangsrichtung. In Bild 3-1 ist der Kraftschluss µ als Funktion des Schlupfes S dargestellt. Der Kraftschluss µ ist eine Funktion des Schlupfes S, deren Verlauf für Treiben und Bremsen annähernd gleich ist. Wird also der Latsch, die Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn, durch eine Umfangskraft beansprucht, so tritt Schlupf auf. Der

Nach den Definitionen von Haft- und Gleitreibungszahl, Kraftschluss und Schlupf werden die wichtigsten Einflüsse auf die Kraftschluss-Schlupf-Kurve genannt. Die größte Auswirkung hat dabei die Witterung, wie Bild 3-2a zeigt. Auf trockenen Straßen mit griffiger Fahrbahn liegt die Haftreibungszahl µh bei 1,0 und darüber, bei nassen Straßen bei 0,8 und weniger. Der zugehörige kritische Schlupf Sc liegt auf trockenen Straßen etwas über 0,1, auf nassen Straßen bei 0,1. Das Verhältnis der Haftreibungszahlen µh zwischen eisglatter und trockener Straße beträgt ungefähr 1 : 14. Den Einfluss der Fahrgeschwindigkeit zeigt Bild 3-2b: Die Haftreibungszahl µh ändert sich auf trockenen Straßen wenig, auf nassen Straßen stärker. Bei Kurvenfahrten rollt das Rad nach Bild 3-3 nicht geradeaus in die xR-Richtung, sondern seitlich weg. Den Winkel D zwischen der Richtung von xR und der Geschwindigkeit vR nennt man Schräglaufwinkel. Er wird umso größer, je größer die Seitenkraft Fy ist, wobei die Kraft Fy auf den Reifen in Richtung von yR wirkt (siehe Bild 3-3).

114

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-2: Kraftschluss-Schlupf-Kurven auf ebenen, homogenen Fahrbahnen: a) bei verschiedenen Witterungen, b) bei verschiedenen Geschwindigkeiten (aus [1])

Man trägt deshalb die Seitenkraft Fy direkt über dem Schräglaufwinkel D nach Bild 3-4 auf, mit der Radlast Fz als Parameter. Zur Seitenkraft wird nun folgende prinzipielle Überlegung gemacht: In Gl. (3.1) wurde festgestellt, dass die maximal übertragbare Umfangskraft Fx max = µhFz ist, wobei eine Seitenkraft Fy noch fehlte. Analog dazu kann Fy max = µhFz geschrieben werden. Diese Gleichungen ändern sich nach einer einfachen Überlegung von Kamm beim gleichzeitigen Auftreten der beiden horizontalen Kräfte Fx und Fy: Die vektorielle Summe der beiden Kräfte Fx und Fy darf den Wert µhFz nicht überschreiten, wenn das Rad nicht gleiten, sondern rollen soll: Bild 3-3: Bewegungsrichtung eines schräg rollenden Rades, von oben gesehen (aus [1])

Fx2 Fy2 d P h Fy .

(3.4)

Diese Gleichung lässt sich anhand eines Kreises, des so genannten Kammschen Kreises, darstellen (siehe Bild 3-5). Wird die vektorielle Summe von Fx und Fy größer als der Kreisradius µhFz, dann gleitet das Rad; ist sie kleiner, dann rollt es. Die maximale Seitenkraft Fy ist demnach bei gleichzeitigem Wirken einer Umfangskraft Fx kleiner als für Fx = 0.

Bild 3-4: Seitenkraft Fy als Funktion des Schräglaufwinkels Į (aus [1])

Bild 3-5: Kammscher Kreis: Mit den eingezeichneten Kräften Fx und Fy ist das Rad gerade an der Grenze zwischen Rollen und Gleiten (aus [1])

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

115

Bild 3-6: Prinzipielle Darstellung für den Einfluss der Umfangskraft Fx auf den Seitenkraft-Schräglaufwinkel-Verlauf bei konstanter Radlast Fz (aus [1])

Kombiniert man die Fy-D-Kurve aus Bild 3-4 mit dem Kammschen Kreis nach Bild 3-5, so erhält man bei Fx z 0 über Bild 3-6b in Bild 3-6a eine kleinere maximale Seitenkraft und damit ungefähr den gestrichelten oder strichpunktierten Verlauf. Aus Bild 3-6a ergibt sich eine weitere, für die späteren Betrachtungen des Fahrverhaltens wichtige Aussage: Wirkt auf einen Reifen bei gegebener Seitenkraft Fy eine zusätzliche Umfangskraft Fx, dann vergrößert sich der Schräglaufwinkel D, wenn Fy beibehalten werden soll. Literatur zu Abschnitt 3.1 [1] Mitschke, Wallentowitz, Dynamik der Kraftfahrzeuge, 4. Auflage, Springer-Verlag, 2004

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen Mit dem Einsatz eines Fahrwerksregelsystems werden ein oder mehrere Fahrwerkskomponenten aktiv gestaltet, die beim klassischen Fahrwerk passiv sind. Dadurch können ihre Parameter verändert oder den Lenk-, Beschleunigungs- oder Verzögerungseingaben des Fahrers zusätzliche Stellanteile überlagert werden. Ein Fahrwerksregelsystem umfasst dabei im Normalfall ein Steuergerät mit Kommunikationsschnittstellen, Software, Sensorik und elektrohydraulische oder elektromechanische Aktorik. Bei integrierten Regelsystemen werden einzelne Komponenten möglicherweise auch von verschiedenen Regelsystemen gemeinsam verwendet. Der Fahrer erlebt im Allgemeinen nicht die Wirkung eines einzelnen Re-

gelsystems, sondern bestimmte Eigenschaften oder Sonderfunktionen seines Fahrzeugs. Eine Eigenschaft ist zum Beispiel das querdynamische Verhalten. Dies ist die Art und Weise, wie das Fahrzeug auf die Lenkeingaben des Fahrers reagiert und wie es den Fahrzustand über das Lenkrad an den Fahrer zurückmeldet. Eine Sonderfunktion ist etwa die Unterstützung des Fahrers bei der Stabilisierung des Fahrzeugs in einer instabilen Fahrsituation durch automatische Lenk-, Brems- oder Motormomenteneingriffe. Eine Eigenschaft kann hierbei von mehreren mechanischen Komponenten und den Regelfunktionen mehrer Regelsysteme bestimmt werden und zur Realisierung einer Sonderfunktion können auch mehrere Regelsysteme zusammenwirken. Umgekehrt kann ein bestimmtes Regelsystem auch zur Ausprägung mehrerer Fahrzeugeigenschaften oder zur Realisierung verschiedener Sonderfunktionen beitragen. Die mit Fahrwerksregelsystemen realisierten Regelfunktionen lassen sich in Fahrdynamikfunktionen und Fahrerassistenzfunktionen untergliedern. Fahrdynamikfunktionen verändern durch aktive Stelleingriffe die Art und Weise, wie das Fahrzeug auf Lenk-, Beschleunigungs- oder Verzögerungseingaben des Fahrers oder Veränderungen der Fahrbahnoberfläche in Form und Reibwert reagiert. Je nach Art der Einflussnahme können zwei Kategorien von Fahrdynamikfunktionen unterschieden werden: Dies sind einerseits Funktionen, die ununterbrochen wirken und die Reaktion des Fahrzeugs auf Eingaben des Fahrers oder Veränderungen der Fahrbahn, also das Fahrverhalten des Fahrzeugs mit aktivem Fahrwerk, mitbestimmen. Andererseits sind es auch Funktionen, die in instabilen, kritischen Fahrsituationen den Stelleingaben des Fahrers zusätzliche Stellanteile überlagern, um den Fahrer temporär bei der Stabilisierung des Fahrzeugs zu unterstützen.

116

3 Fahrwerksysteme

Tabelle 3-1: Klassifizierung von Fahrwerksregelsystemen nach ihrem Beitrag zu den verschiedenen Funktionstypen Fahrdynamik Fahrverhalten

Fahrdynamik Stabilisierung

Fahrerassistenz

Bremsdruck, Antriebsmoment

u

u

u

Geregelter Allradantrieb

Antriebsmomentenverteilung

u

u

Wankstabilisierung

Stabilisatortorsionsmomente

u

Elektronisch geregelte Dämpfer

Dämpfkraftniveau

u

Luftfederung

Federbeinhöhenniveau

u

Elektromechanische Feststellbremse

Bremskraft

Elektrische Hilfskraftlenkung

Lenkkraftunterstützung

u

Überlagerungslenkung

Vorderradlenkwinkel

u

System

Stellgrößen

Antriebs- und Bremsregelung zur Stabilisierung

Fahrdynamikfunktionen tragen zur Verbesserung der Fahreigenschaften und der aktiven Sicherheit bei und führen häufig auch zu einer Steigerung des Fahrkomforts. Fahrerassistenzfunktionen unterstützen den Fahrer durch geeignete Meldungen oder durch aktive Stelleingriffe bei der Führung des Fahrzeugs in bestimmten Fahrsituationen, wobei die Eingaben des Fahrers stets Priorität vor den Stelleingriffen der Assistenzfunktion haben. Letzteres ist das entscheidende Merkmal zur Differenzierung zwischen Fahrerassistenzund Fahrdynamikfunktionen. Fahrerassistenzfunktionen dienen zur Erhöhung der aktiven Sicherheit oder des Fahrkomforts. Wird ein Fahrwerksregelsystem hauptsächlich zur Umsetzung von Fahrdynamikfunktionen eingesetzt, spricht man auch von einem Fahrdynamikregelsystem. Analog wird ein Fahrwerksregelsystem, mit dem in erster Linie Fahrerassistenzfunktionen realisiert werden, als Fahrerassistenzsystem bezeichnet. Es handelt sich bei jedem Fahrdynamikregelsystem um ein Fahrwerksregelsystem. Hingegen gibt es Fahrerassistenzsysteme, die nicht zu den Fahrwerksregelsystemen zählen. Fahrwerksregelsysteme mit aktiven Stellmöglichkeiten werden im Bereich der Bremse, des Antriebs, der Achsen und der Lenkung eingesetzt. In Tabelle 3-1 ist zusammengestellt, welche Typen von Funktionen mit den verschiedenen Fahrwerksregelsystemen realisiert werden. Im Folgenden werden diese Fahrwerksregelsysteme näher erläutert. Die Ausführungen basieren auf den Arbeiten [1], [3], [5], [8], [9], [10], [12] und [14].

3.2.1 Antriebs- und Bremsregelsysteme 3.2.1.1 Brems- und Antriebsmomentenregelung

Die Antriebs– und Bremsregelsysteme beeinflussen gezielt den Bremsdruck an den einzelnen Rädern sowie

u u u

u

das vom Motor gelieferte Antriebsmoment. Dadurch kann nicht nur das Blockieren oder Durchdrehen der einzelnen Räder verhindert werden, sondern es wird auch noch eine Verbesserung des fahrdynamischen Verhaltens erreicht. Systemaufbau und -komponenten Die typischen Komponenten eines Bremsregelsystems sind in Bild 3-7 gezeigt und werden im Folgenden näher beschrieben. Das Steuergerät ist direkt an die Hydraulikeinheit angebaut, um Bauraum und Verkabelungsaufwand einzusparen. Bild 3-8 zeigt den Hydraulikplan für ein Fahrzeug mit Hinterachsantrieb. Die schwarz dargestellten Komponenten und Leitungskanäle übernehmen die Bremsdruckmodulation nicht nur im ABS-Regelbetrieb, sondern auch bei aktiven Bremseingriffen zur Antriebsschlupfregelung. Druckabbau, -halten und -wiederaufbau erfolgen jeweils mit den paarweise angeordneten Ein- und Auslassventilen der einzelnen Radbremsen. Die blau hervorgehobenen spezifischen Elemente für die Antriebsschlupfregelung (Trenn- und vorgesteuertes Schaltventil im Hinterachskreis) leiten während Bremseingriffen zur Antriebsschlupfregelung den Volumenstrom der selbstansaugenden ABS-Rückförderpumpe derart um, dass diese über den Hauptzylinder Bremsflüssigkeit aus dem Ausgleichbehälter fördert und dem jeweiligen Hinterrad zuführt. Die Hydraulik für aktive Bremseingriffe zur Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrten umfasst zusätzlich die rot hervorgehobenen Elemente, nämlich die Trennund Schaltventile auch im Vorderachskreis, die an den Vorderrädern ebenfalls einen radindividuellen Bremsdruckaufbau ermöglichen, zwei Drucksensoren sowie zwei Pulsationsdämpfer für den Vorderachsund Hinterachskreis. Die Vorladepumpe sorgt auch im Tieftemperaturbereich bis –30 °C für eine ausreichend hohe Druckaufbaudynamik bei aktiven Bremseingriffen. Sie saugt bei Bedarf Bremsflüssigkeit

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen direkt aus dem Ausgleichbehälter an und erzeugt mit Hilfe einer im Hauptzylinder integrierten Drosselblende einen Staudruck im Vorder- und Hinterachsbremskreis von bis zu 12 bar. Bei modernen Systemen mit leistungsgesteigerter Rückförderpumpe wird auf die Vorladepumpe verzichtet. Je nach Funktionsumfang kommen 32-Bit-Mikroprozessoren mit bis zu 1 MByte Speicher und bis zu 60 MHz Taktfrequenz zum Einsatz. Daneben umfassen die Steuergeräte noch diverse ASICs als Einund Ausgangsbausteine für Magnetventile, Ventilund Motorrelais, Vorladepumpe, CAN- und Diagnose-Bus, Sensoren, Warnlampen, Taster, Handbrems- und Bremslichtschalter sowie Raddrehzahlsensor-Ausgänge, deren Signale für weitere Teilnehmer im Steuergeräteverbund (unter anderem Motorsteuergeräte, Kombiinstrument und Navigationssystem) zur Verfügung gestellt werden.

AVHL AVHR AVVL AVVR BA DK EVHL EVHR VLP EVVL EVVR HA

Auslassventil hinten links Auslassventil hinten rechts Auslassventil vorne links Auslassventil vorne rechts Bremsflüssigkeits-Ausgleichbehälter Dämpferkammer Einlassv. hinten links mit Schaltblende Einlassv. hinten rechts mit Schaltblende Vorladepumpe Einlassv. vorne links mit Schaltblende Einlassv. vorne rechts mit Schaltblende Hinterachse (Hydraulikanschluss)

HL HR PD PDK PSK SK sRFP SV TV VA VL VR

117

Bild 3-7: Komponenten eines Bremsregelsystems: 1 Hydraulikeinheit mit Rückförderpumpe, 2 Anbausteuergerät, 3 Vorladepumpe, 4 Bremsvordrucksensor, 5 Sensor für Gierrate und Querbeschleunigung, 6 Lenkwinkelsensor, 7 Raddrehzahlsensor

Radbremse hinten links Radbremse hinten rechts Pulsationsdämpfer Drucksensor Druckstangenkreis Drucksensor Schwimmkreis Speicherkammerselbstans. Rückförderpumpe Schaltventil Trennventil Vorderachse (Hydraulikanschluss) Radbremse vorne links Radbremse vorne rechts

Bild 3-8: Hydraulikplan eines Bremsregelsystems. Dabei bezeichnet ASC die Automatische Stabilitäts Control, d.h. die Antriebsschlupfregelung und DSC die Dynamische Stabilitäts Control, d.h. die Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrt (die Funktionsweise wird weiter unten erklärt), aus [35]

118 Über die Diagnose-Schnittstelle können neben der Fehlerdiagnose auch die Bandendekontrolle sowie diverse Sensor-Nulleinstellungen durchgeführt und die Steuergeräte codiert (d.h. an die verschiedenen Motor- und Modellvarianten angepasst) werden. Wegen des geringen Bauvolumens (aufgrund der hohen Integration der Elektronik) und der hohen Temperaturbeständigkeit kann das Steuergerät an die Hydraulikeinheit angebaut werden. Es kann im Reparaturfall getrennt ersetzt werden. Dabei sind die elektrischen Bauteile von den hydraulischen getrennt, so dass die „Schnittstelle“ gewissermaßen durch die Magnetventile hindurch verläuft: Während die Ventile mit dem Anker in der Hydraulikeinheit integriert sind, befinden sich die zugehörigen Ventilspulen auf der Steuergeräteseite und umschließen im zusammengebauten Zustand konzentrisch den jeweiligen Anker („magnetischer Stecker“). Die vier Drehzahlsensoren liefern mit den momentanen Radgeschwindigkeiten die Basisinformation für die Regelung. Sie nutzen entweder das induktive Messprinzip oder den Hall-Effekt (siehe hierzu auch Abschnitt 11.1). Beim induktiven Messprinzip bewegt sich ein gewelltes, auf der Radnabe aufgepresstes, ferromagnetisches Impulsrad am Sensor vorbei und induziert in dessen Spule (mit permanentmagnetischem Kern) eine Spannung, die der Änderung des Magnetflusses proportional ist und im Steuergerät ausgewertet wird. Aufgrund des Messprinzips ist eine Geschwindigkeitsauswertung erst ab 1,5 km/h möglich, darunter sind die induzierten Spannungen zu gering. Die Hallsensoren werden an den Radnaben eingebaut, das Impulsrad ist dabei im Radlager integriert (siehe Bild 3-9). Die Hallsensoren arbeiten berührungslos, wie auch die induktiven Sensoren. Die Signalaufbereitung und die Treiber sind meist im Sensor integriert. Im Gegensatz zu den induktiven Sensoren arbeiten die Hall-Sensoren bereits bei beliebig kleinen Drehzahlen. Sämtliche Sensorbauteile sind mit Kunststoff umspritzt und damit auf Dauer gegen Korrosion geschützt. Der Lenkrad-Drehwinkelsensor ist als Potentiometer oder als optischer Sensor mit angebauter Auswerteelektronik ausgeführt (siehe hierzu auch Abschnitt 11.1). Er besteht aus Leitplastik-Winkelaufnehmern mit zwei um 90° versetzten Leiterabgriffen, aus deren Signalspannungen der Lenkrad-Drehwinkel, die Drehrichtung und der Gesamtwinkel bestimmt werden und einer Auswerteelektronik mit einem 8-BitMikroprozessor, der das Sensorsignal aufbereitet und über den CAN-Bus ausgibt. Beim Ersteinbau oder Tausch eines Sensors wird während der Endkontrolle auf dem Achsmessprüfstand bei exakter Geradeausstellung der Vorderräder über die Diagnose-Schnittstelle die Nullstellung in die Auswerteelektronik eingelesen und dem jeweiligen Steuergerät über eine gemeinsame Identifikationsnummer zugeordnet. Sie bleibt auch bei ausge-

3 Fahrwerksysteme schalteter Zündung gespeichert. Ein zusätzlicher Lernalgorithmus ermittelt durch permanenten Vergleich der Vorderradgeschwindigkeiten, die vom Steuergerät bereitgestellt und in der Sensorelektronik statistisch ausgewertet werden, den aktuellen Stand der Lenkradumdrehung und ermöglicht dadurch auch nach Spannungsunterbrechungen ein schnelles Wiederauffinden der Nullstellung.

Bild 3-9: Raddrehzahlsensor, basierend auf dem HallEffekt

Die Bremsdrucksensorik (siehe Bild 3-10) liefert den vom Fahrer über die Bremsbetätigung erzeugten Vordruck und ggf. den an den Rädern eingestellten Bremsdruck. Die Messung erfolgt kapazitiv mit einer auf die Druckmembran aufgedampften Metallschicht, die zusammen mit einer Gegenelektrode einen Kondensator bildet. Druckänderungen der Bremsflüssigkeit verändern die Kapazität und bewirken eine druckproportionale Änderung der Signalspannung. Der Betriebsdruckbereich liegt zwischen 0 und 170 bar.

Bild 3-10: Bremsdrucksensor [Quelle: Bosch]

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen Der Drehraten- und der Querbeschleunigungssensor sind meist mikromechanisch aufgebaut. Aufbau und Wirkungsweise sind in Abschnitt 11.2 genauer beschrieben. Systemfunktionen Einen allgemeinen Überblick über die Funktionsweise und das Zusammenwirken von Bremsregelsystemen vermittelt Bild 3-11. Es zeigt in stark vereinfachter Form, wie die Schlupfregelung und Stabilisierung mit ihren Unterfunktionen in den gesamten Regelkreis einschließlich Fahrer eingebunden sind. Während in Automobilen ohne jegliche FahrwerkRegelsysteme der Fahrer über seine Bedienelemente (Brems- und Gaspedal sowie Lenkrad) direkt auf die Brems-, Motorleistungs- und Lenk-Aktorik zugreift, sind bei einem Automobil mit Schlupfregelung und Fahrzeugstabilisierung verschiedene Hilfsfunktionen zwischengeschaltet, die den Fahrer insbesondere im fahrdynamischen Grenzbereich wirkungsvoll unterstützen. Diese Funktionen sind Software-Module innerhalb der zugehörigen Steuergeräte. Die Plusund Minuszeichen geben an, in welcher Richtung die jeweilige Funktion den Fahrerwunsch beeinflusst; zum Beispiel reduzieren ABS und Cornering Brake Control (siehe unten) bedarfsweise den Bremsdruck, die Antriebsschlupfregelung und die Fahrzeugstabilisierung bauen Druck auf, nehmen aber gleichzeitig auch Motorleistung zurück. Die umfangreichen Verknüpfungen der einzelnen Unterfunktionen untereinander sind aus Übersichtsgründen nicht dargestellt.

119 Antiblockiersystem Die Unterfunktion Antiblockiersystem (ABS) übernimmt die Schlupfregelung bei Bremsvorgängen. Aus den Signalen der vier Raddrehzahl-Sensoren ermittelt der ABS-Regler die jeweiligen Radgeschwindigkeiten und -verzögerungen sowie die Schlupfwerte und stellt an jedem Rad durch Bremsdruckmodulation in der Hydraulikeinheit den optimalen Radschlupf ein, bei dem die maximal möglichen Brems- und Seitenführungskräfte auf die Fahrbahn übertragen werden können. Hierdurch wird das Blockieren der Räder verhindert und die Lenkfähigkeit aufrechterhalten, wenn an einzelnen Rädern die Bremskräfte höher sind, als es die jeweiligen Fahrbahn-Reibwerte zulassen. An der Vorderachse werden die Bremsdrücke radindividuell ausgeregelt. Laufen die Räder in Spuren verschiedener Griffigkeit, sog. µ-Split, z.B. rechts auf nasser, links auf trockener Fahrbahn, so kann man durch die getrennte Regelung mittels ABS an jedem Rad die richtigen Bremsmomente aufbringen (rechts kleine, links große). Dennoch kann dies zu einem instabilen Bremsvorgang führen. Deshalb erfolgt an der Hinterachse die Schlupfregelung ähnlich dem Select-Low-Prinzip. Dabei wird ein Blockieren des Rades auf der rutschigeren Seite durch eine entsprechende Bremsdruckregelung verhindert. Basierend auf dem dort eingestellten Bremsdruck wird der Bremsdruck auf der anderen Seite um einen von der Fahrgeschwindigkeit und von der Fahrzeugstabilität abhängigen Differenzdruck nur so weit erhöht, dass der Fahrer ein Fahrzeugverziehen mit Lenkkorrekturen leicht kompensieren kann. Dadurch wird ein Kompromiss zwischen Bremsleistung und Fahrstabilität erreicht.

Bild 3-11: Übersicht Antriebs- und Bremsregelsysteme. Dabei bezeichnet ASC (Automatische Stabilitäts Control) die Antriebsschlupf- und MSR die Motorschleppmomentregelung, CBC die Cornering Brake Control und DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Fahrzeugstabilisierung (aus [35])

120 Antriebsschlupfregelung Die Antriebsschlupfregelung (ASR), auch Automatische Stabilitäts Control (ASC) genannt, regelt in analoger Weise den Radschlupf an den Antriebsrädern beim Beschleunigen und bedient sich dabei zweierlei Eingriffsmechanismen. Falls das vom Fahrer über das Gaspedal eingestellte Motormoment nicht in vollem Umfang auf die Fahrbahn übertragen werden kann und die Antriebsräder ihre Haftgrenze erreichen, wird die überschüssige Motorleistung abgebaut. Hierzu kommuniziert das zugehörige Steuergerät über den CAN-Datenbus und über die Momentenschnittstelle mit der Motorsteuerung. Dies erfolgt bei Ottomotoren durch Füllungsregelung über die elektrische gesteuerte Drosselklappe sowie durch Zündwinkel-Spätverstellung oder durch zylinderselektive Einspritzausblendung und Zündwinkel-Spätverstellung. Die Dieselmotoren werden direkt über die Einspritzmenge geregelt. Parallel hierzu wird bei Bedarf ein aktiver, radindividueller Bremseingriff an den Antriebsrädern vorgenommen, der ein durchdrehwilliges Rad auf optimalen Radschlupf herunterbremst. Der hierzu erforderliche Bremsdruck wird mit Hilfe der ABS-Rückförderpumpe in der Hydraulikeinheit aufgebaut. Beide Eingriffsmöglichkeiten können derart aufeinander abgestimmt werden, dass beim Gasgeben das Automobil stets stabil bleibt, aber auch die Vorgaben des Fahrers so weit wie möglich umgesetzt werden. So wird zum Beispiel bei forcierter Kurvenfahrt das kurveninnere Antriebsrad, das infolge der dynamischen Radlastverlagerung früher die Haftgrenze erreicht als das äußere, durch einseitigen Bremseingriff am Durchdrehen gehindert, während das äußere Rad sein volles Antriebsmoment beibehält. Da die Motorleistung deutlich weniger zurückgenommen werden muss als bei ähnlichen Systemen ohne Bremseingriff, wird das vorhandene Kraftschlusspotential ohne Stabilitätsverlust voll ausgeschöpft. Andererseits ist aufgrund der moderaten Leistungsreduzierung der Bremseingriff weniger heftig als bei Traktionssystemen ohne Motoreingriff, so dass die Regeleingriffe sehr komfortabel und meist nicht spürbar sind. Eine Signallampe zeigt dem Fahrer an, dass er sich dem fahrdynamischen Grenzbereich nähert. Neben der Aufrechterhaltung der Fahrstabilität wird durch den radindividuellen Bremseingriff somit auch die Funktion einer Differentialsperre mit erfüllt. Sie ermöglicht ein problemloses Anfahren auch bei extremen Reibwertunterschieden zwischen links und rechts durch Einfangen des durchdrehenden Rades bei gleichzeitiger Umverteilung der Antriebsleistung zum Rad auf den höheren Fahrbahn-Reibwert. Die traktionsorientierte Auslegung wird üblicherweise nur im untersten Geschwindigkeitsbereich bis etwa 40 km/h gewählt. Mit zunehmender Fahrgeschwindigkeit gewinnt bei der Reglerauslegung dann die Stabilität rasch Priorität vor der Traktion, so dass die Antriebsschlupfregelung ebenso wie das ABS bei unterschiedlichsten

3 Fahrwerksysteme Fahrbahnverhältnissen einen wesentlichen Beitrag für ein stabiles Fahrverhalten liefert. Motorschleppmomentregelung Als Ergänzung zur Antriebsschlupfregelung optimiert die Motorschleppmomentregelung (MSR) den Schlupf an den Antriebsrädern bei Gaswegnahme. Über die Momentenschnittstelle zum Motorsteuergerät wird hier durch dosierte Leistungszugabe übermäßiger Bremsschlupf verhindert. Ohne Motorschleppmomentregelung kann bei abrupter Gaswegnahme oder bei hartem Einkuppeln das Motorbremsmoment insbesondere in der Kurve starke Lastwechselreaktionen auslösen, die infolge der dynamischen Radlastverlagerungen von Hinter- zu Vorderachse sowie von den kurveninneren zu den kurvenäußeren Rädern zu einer Umverteilung der Seitenführungskräfte und damit zu einer (im Allgemeinen eindrehenden) Gierreaktion führen, die durch blockierende Antriebsräder noch verstärkt wird. Die Motorschleppmomentregelung ist derart ausgelegt, dass sie das Automobil stets auf stabilem Kurs hält, ohne allerdings das Motorbremsmoment, das geübte Fahrer zum Abbremsen und auch zum Mitlenken des Fahrzeugs heranzuziehen gewohnt sind, gänzlich zu unterdrücken. Cornering Brake Control Die Cornering Brake Control verbessert die Fahrzeugstabilität bei Bremsvorgängen in der Kurve. Während die vorgenannten Schlupfregler ABS, Antriebsschlupf- und Motorschleppmomentregelung erst nach Überschreiten ihrer jeweiligen Schlupfschwellen aktiv werden (wenn zum Beispiel die Fahrbahnverhältnisse nicht mehr in vollem Umfang die Übertragung der vom Fahrer gewünschten Brems- und Antriebskräfte zulassen), kann die Cornering Brake Control bereits weit unterhalb dieser Schlupfschwellen in Bremsvorgänge eingreifen und ergänzt somit das ABS im fahrdynamischen Übergangsbereich. Sie wird dann tätig, wenn ein Bremsmanöver unter mittleren und hohen Querbeschleunigungen infolge der daraus resultierenden dynamischen Radlaständerungen (ähnlich wie bei Lastwechselreaktionen) eine Gierreaktion auslösen würde. Die Cornering Brake Control errechnet aus den Raddrehzahlverläufen und den Drehzahldifferenzen zwischen den kurveninneren und -äußeren Rädern die zu erwartenden Radlastverlagerungen und erzeugt durch eine gezielte Umverteilung der Bremskräfte ein gegendrehendes Korrekturmoment, das die Gierreaktion weitgehend kompensiert. Betätigt zum Beispiel der Fahrer bei schneller Kurvenfahrt die Bremse, so wird am kurveninneren Vorderrad und bei Bedarf auch an beiden Hinterrädern der Bremsdruck etwas verzögert aufgebaut, so dass das kurvenäußere Vorderrad (mit dem stärksten Radlastzuwachs) zunächst einen entsprechend höheren Anteil des Bremsdrucks zugeteilt bekommt.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

121

Bild 3-12: Cornering Brake Control bei einem Bremsmanöver in der Kurve (links: aus [35], rechts: [Quelle: BMW])

Das hieraus resultierende Giermoment wirkt der Eindrehtendenz entgegen (siehe Bild 3-12). Die Cornering Brake Control dient zur Fahrzeugstabilisierung, wirkt allerdings ausschließlich präventiv ohne Rückführung fahrdynamischer Größen in einem geschlossenen Regelkreis. Zusammen mit den Schlupfreglern ABS, Antriebsschlupfregelung und Motorschleppmomentregelung unterbindet sie eine Reihe stabilitätskritischer Fahrzustände. Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrten Die Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrten wird auch Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP) oder Dynamische Stabilitäts Control (DSC) genannt. Sie baut meist auf der Antriebsschlupfregelung auf und verfügt daher über die selben Unterfunktionen. Durch die Integration mit der Antriebsschlupfregelung beschränken sich die Regeleingriffe auf ein notwendiges Minimum, außerdem können z.B. gemeinsame Überwachungsroutinen verwendet werden. Wie in Bild 3-11 gezeigt, unterstützt das Regelsystem den Fahrer besonders in solchen Situationen, die für ihn meist unverhofft auftreten und bei denen er nicht über alle optimalen Eingriffsmöglichkeiten verfügt, wie etwa einen gezielten radindividuellen Bremsdruckaufbau. Die beiden wichtigsten Größen zur Beschreibung des Stabilitätszustands, die Giergeschwindigkeit (Drehgeschwindigkeit um die Vertikalachse) und der Schwimmwinkel (Winkelabweichung der Fahrzeuglängsachse von der Bahntangente), sind die Regelgrößen im Regelkreis. Ihr momentaner Wert wird mit Hilfe des Giergeschwindigkeits- und des Querbe-

schleunigungssensors bestimmt und im Giermomentregler, dem Basiselement des Steuergeräts, permanent mit dem vom Fahrer gewünschten Soll-Fahrzustand verglichen. Für dessen Ermittlung verfügt der Regler über ein Echtzeit-Fahrzeug-Simulationsmodell, in dem die relevanten fahrzeugspezifischen Kenndaten wie Schwerpunktlage, Masse, Massenträgheitsmoment, Radstand, Schräglaufsteifigkeiten sowie Lenkübersetzung gespeichert sind und das auf Basis des Lenkwinkelsensorsignals, der Fahrgeschwindigkeit sowie des abgeschätzten Fahrbahn-Reibwerts diejenigen Zustandswerte errechnet, die für den vom Fahrer vorgegebenen Fahrkurs ein stabiles Fahrverhalten gewährleisten. Durch ständigen Vergleich der Sollmit den Istgrößen stellt der Giermomentregler fest, ob sich das Automobil noch auf sicherem Kurs befindet oder ob sich ein Über- oder Untersteuervorgang ankündigt. Ein solcher wird umgehend durch Einleitung eines Gegenmoments unterdrückt, noch bevor er sich negativ auf die Fahrstabilität auswirken kann und deutlich bevor der Fahrer darauf reagieren könnte. Hierbei benutzt der Regler ähnliche Eingriffsmechanismen wie die Antriebsschlupfregelung, nämlich einen aktiven, radselektiven Bremseingriff an allen vier Rädern und die Motorbeeinflussung. Zur Erzeugung eines wirkungsvollen Korrekturmoments reicht es im Allgemeinen nicht aus, nur an den Antriebsrädern Druck aufzubauen. Daher ist die Hydraulikeinheit im Vergleich zur Antriebsschlupfregelung um ein weiteres Paar Trenn- und Schaltventile erweitert, damit auch an der Vorderachse Bremsdruck erzeugt werden kann.

122 a)

3 Fahrwerksysteme b)

Bild 3-13: Bremseingriff zur Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrt: a) bei übersteuerndem Automobil, b) bei untersteuerndem Automobil (aus [35])

Im Bedarfsfall wird, analog zur Antriebsschlupfregelung, zusätzlich zum Bremseingriff über die Momentenschnittstelle mit dem jeweiligen Motorsteuergerät noch die Motorleistung reduziert. Die Wirkungsweise dieser Eingriffe wird anhand Bild 3-13 näher erläutert: In Bild 3-13a ist in überzeichneter Form ein sich anbahnender Übersteuervorgang dargestellt, bei dem das Automobil nach kurveninnen einzudrehen beginnt. Durch Bremsdruckaufbau am kurvenäußeren Vorderrad und fallweise in moderatem Maße auch am äußeren Hinterrad wird ein Gegenmoment erzeugt, das die Giergeschwindigkeit auf den Sollwert reduziert. Beim Untersteuern (siehe Bild 3-13b) erfolgt der korrigierende Bremseingriff umgekehrt an den kurveninneren Rädern (vornehmlich am Hinterrad), bei Bedarf wird er noch durch eine Reduzierung der Motorleistung unterstützt. Da die Cornering Brake Control die selbe Zielrichtung verfolgt, allerdings nur mit den Mitteln des präventiven Bremsdruckabbaus (siehe Bild 3-12) kann bei Bremsvorgängen durch geschickte Abstimmung der Regelschwellen ein harmonisches Übergangsverhalten erreicht werden. Auch die übrigen Softwaremodule können mit dem Regler gut zusammenwirken. Erreicht zum Beispiel ein Rad während einer Giermomentregelung seine Haftgrenze, verhindert das ABS durch dosierten Bremsdruckabbau das Blockieren des Rades. Der anschließende Druckwiederaufbau kann dann bei Bedarf durch den Giermomentregler begrenzt werden. Ebenso können während einer laufenden Antriebsschlupfregelung eventuelle Giermoment-Regeleingriffe eingeschränkt und um-

gekehrt die Eingriffe der Antriebsschlupfregelung dem Giermomentregler angepasst werden. Zusätzliche Funktionen Neben der Schlupfregelung und der Fahrzeugstabilisierung können mit dem Bremsregelsystem noch eine Reihe weiterer Funktionen realisiert werden. Eine Gefahrensituation, in der der Fahrer das Fahrzeug maximal verzögern möchte, lässt sich anhand der Geschwindigkeit des Vordruckaufbaus detektieren. Im Normalfall erzielt der Fahrer nicht die maximale Bremswirkung, da er die hierzu erforderliche Pedalkraft nicht aufbringt. Wird eine derartige Situation erkannt, bringt der so genannte Bremsassistent die maximale Bremskraft automatisch auf und sorgt damit dafür, dass die maximale Verzögerung erzielt wird. Diese Funktion unterstützt den Fahrer bei einer Notbremsung, wobei die Unterstützung durch den Fahrer durch leichtes Zurücknehmen des Bremspedals jederzeit beendet werden kann. Es handelt es sich also um eine Assistenzfunktion. Werden die Räder an Vorder- und Hinterachse gleich stark gebremst, neigen die Räder der Hinterachse im Allgemeinen dazu, zuerst zu blockieren: Die Hinterachse wird „überbremst“. Die elektronische Bremskraftverteilung (EBV) passt die Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterrädern an. Sie stellt sicher, dass die ABS-Regelung immer zuerst an der Vorderachse eingeleitet wird. Ein Gespann bestehend aus Zugfahrzeug und Anhänger kann bei einer zu hohen Geschwindigkeit ins Pendeln geraten; das heißt, Zugfahrzeug und Anhän-

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen ger führen um ihre Hochachsen zueinander gegenläufige Schwingungen aus. Das Bremsregelsystem kann diese Fahrsituation durch Analyse der Lenkwinkelund Giergeschwindigkeitssignale erkennen und gegebenenfalls durch gezielte Bremseingriffe am Zugfahrzeug ausregeln. Dabei werden die Pendelamplituden durch asynchrone Bremseingriffe abgebaut und bei Bedarf die Fahrgeschwindigkeit durch Bremseingriffe und Motormomentenreduzierung verringert, bis sich ein stabiler Fahrzustand einstellt. Durch gezielte radindividuelle Bremseingriffe und Beeinflussung des Antriebsmoments kann es dem Fahrer ermöglicht werden, mit einer im Rahmen der physikalischen Möglichkeiten näherungsweise konstanten Fahrzeuggeschwindigkeit ein Gefälle stabil hinab zu fahren, ohne die Bremse betätigen zu müssen. Bei dieser Systemfunktion handelt es sich um eine Fahrerassistenzfunktion, die z.B. durch die Betätigung eines Tasters aktiviert wird und durch manuelle Betätigung des Brems- oder Gaspedals jederzeit deaktiviert werden kann. Ferner ist es möglich, eine Längs- oder Quersperre beim Allradantrieb über den Einsatz der Bremsen zu emulieren. Wird eine bestimmte Schlupfdifferenz zwischen den beiden Rädern einer Achse festgestellt, so wird der Schlupf der beiden Räder über einen radindividuellen Bremseingriff angeglichen (Emulation der Quersperre). Analog wird mit einer Schlupfdifferenz zwischen den Rädern der Vorder- und Hinterachse umgegangen (Emulation der Längssperre). Bei Bremsungen in den Stillstand erfolgt durch den Übergang der Gleit- in die Haftreibung auf der Bremsscheibe ein so genannter Halteruck, bei dem die Insassen eine erhöhte Verzögerung verspüren. (Geübte Fahrer vermeiden dies, indem sie vor Erreichen des Stillstandes den Bremsdruck verringern). Daher wird bei leichten Bremsungen mit konstantem Druck bis zum Stillstand der Bremsdruck automatisch verringert, indem an der Hinterachse kurz vor Stillstand des Fahrzeuges der Druck abgebaut wird. Bei mittleren und hohen Verzögerungen oder bei einer ABS-Regelung während der Bremsung ist die Funktion inaktiv, um keine Bremswegverlängerung zu verursachen. Bei Nässe werden durch Spritzwasser die Bremsscheiben mit einem Wasserfilm benetzt. Dies führt zu einem verzögerten Ansprechverhalten der Bremse. Bei bisherigen Systemen wurde deshalb empfohlen, bei Nässe von Zeit zu Zeit die Bremse zu betätigen. Um dies zu vermeiden, wird die Stellung des Wischerhebels und ggf. werden die Signale des Regensensors überwacht und bei Bedarf durch zyklisches leichtes Anlegen der Bremsbeläge der Wasserfilm von der Bremsscheibe gewischt. Der Druck in der Bremse ist für den Fahrer nicht spürbar, die Wischdauer ist nur kurz. Die Funktion wird je nach Regenintensität zyklisch aktiv und entfernt den Wasserfilm, sofern der Fahrer nicht selbst bremst. Die Konse-

123 quenz ist ein besseres Ansprechverhalten der Bremsen bei Regen bzw. bei nasser Fahrbahn. Sicherheitskonzept Aufgrund ihres hohen Einflusses auf die Fahrsicherheit wird für die Schlupfregelung und Fahrzeugstabilisierung ein mehrstufiges Sicherheitskonzept eingesetzt. Im Vorfeld der Entwicklung können bereits bei der Konzeption des Gesamtsystems und bei der Auslegung der Einzelkomponenten maximale Sicherheitsanforderungen berücksichtigt werden. Es ist bei derart sicherheitsrelevanten Systemen üblich, in den Steuergeräten jeweils zwei evtl. diversitäre Mikroprozessoren einzusetzen, die sich gegenseitig kontrollieren. Die Steuergeräte überwachen ihrerseits ständig sämtliche elektronischen, elektrischen und elektrohydraulischen Bauteile auf Leitungsunterbrechung, Kurzschluss und größtenteils auch auf Einhaltung der korrekten Funktion. So findet zum Beispiel nach jedem Start ein Kurztest statt, bei dem unbemerkt vom Fahrer Magnetventile und Pumpen kurzzeitig angesteuert und ihre Reaktionen ausgewertet werden. Besonderes Augenmerk ist jedoch auch auf die spezifische Sensorik zur Messung der Fahrzeugdrehrate und –querbeschleunigung zu richten, von deren Signalgüte die sichere Fahrzustandserkennung und der Erfolg der Regeleingriffe abhängen. Dazu wird der Arbeitsbereich der Signalspannung überprüft. Liegen die Werte darunter oder darüber, wird im Steuergerät eine Unterbrechung, ein Kurzschluss oder ein Sensorfehler erkannt. Die Sensor-Nullwerte können bei der Endkontrolle am Bandende oder nach Werkstattaufenthalten im Steuergerät gespeichert werden, um sie während der Fahrt durch Plausibilitäts- und Überwachungsroutinen zu kontrollieren und bei Bedarf über einen Langzeitabgleich nachzuführen. Bei sicherem Erkennen unplausibler Signale wird in ein Notprogramm umgeschaltet oder die betroffene Funktion komplett abgeschaltet und ihre Nichtverfügbarkeit dem Fahrer angezeigt. Ferner muss ein Abschalten auch dann erfolgen, wenn das jeweilige Motorsteuergerät oder der CAN-Bus nicht funktionsbereit sind oder wenn kein Druck für den aktiven Bremseingriff bereitgestellt werden kann. Neben der Bandendkontrolle, bei der diese Sensoren mitsamt den Impulsrädern im zusammengebauten Zustand einer Funktionsprüfung unterzogen werden, erfolgt auch hier eine permanente Plausibilitätskontrolle während der Fahrt durch Vergleich der Drehzahlsignale untereinander. In all diesen Fällen sowie auch bei absichtlichem Ausschalten durch den Fahrer stehen ABS und Cornering Brake Control weiterhin zur Verfügung. Das ABS schaltet sich erst ab, wenn Fehlermeldungen von der Hydraulikeinheit vorliegen oder wenn die Drehzahlsensoren keine plausiblen Signale mehr liefern beziehungsweise ihre Leitungen unterbrochen oder kurzgeschlossen sind. Der ABS-Ausfall wird dann angezeigt. In diesem Fall steht auch keine Cornering

124

3 Fahrwerksysteme

Brake Control mehr zur Verfügung, lediglich die elektronische Bremskraftverteilung zwischen Vorderund Hinterachse wird noch so lange wie möglich aufrecht erhalten. Diese verkraftet noch den Ausfall eines Drehzahlsensors an der Vorderachse, bevor auch sie sich abschaltet. Da durch die Nichtverfügbarkeit der elektronischen Bremskraftverteilung in manchen Fahrsituationen auch das Bremsverhalten beeinflusst werden kann, muss auch dieser Fehler dem Fahrer angezeigt werden. 3.2.1.2 Momentenverteilung bei Allradantrieben

Ein Allrad-Fahrzeug mit konventionellem Verteilergetriebe verteilt das Antriebsmoment immer im gleichen Verhältnis auf Vorder- und Hinterachse. Geregelte Allradantriebe ermöglichen hingegen eine von der Fahrsituation abhängige Verteilung des Antriebsmoments im Sinne optimaler Fahrdynamik und Fahrstabilität. Systemaufbau und -komponenten. Bild 3-14 zeigt ein Verteilergetriebe mit einer Lamellenkupplung, die über einen Stellmotor und eine Kugelrampe betätigt wird. Ist die Kupplung geöffnet, wird das eingangsseitig vom Schalt- oder Automatikgetriebe gelieferte Antriebsmoment vollständig an die Hinterachse übertragen. Durch Schließen der Kupplung lässt sich im Extremfall das komplette Antriebsmoment auf die Vorderachse übertragen. Die für die Fahrdynamik relevante Funktions-Software berechnet das an die Vorderachse zu übertragende Antriebsmoment, das vom Verteilergetriebe-Steuergerät zur Ansteuerung des Stellmotors verarbeitet wird (siehe Bild 3-15).

Bild 3-14: Allrad-Verteilergetriebe mit Stellmotor: 1 vom Schalt- oder Automatikgetriebe, 2 zur Hinterachse, 3 zur Vorderachse

Bild 3-15: Systemverbund Bremsregelung und Regelung des Allradantriebs. Dabei bezeichnet DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Fahrzeugstabilisierung, DME (Digitale Motor-Elektronik) die Motorsteuerung, und VGSG das Verteilergetriebe-Steuergerät

Systemfunktionen Die Antriebs- und Bremsregelung wird mit einem geregelten Allradantrieb um einen zusätzlichen Regelkreis, dem Längsmomenten-Management, erweitert. Das Längsmomenten-Management hat die Aufgabe, über die regelbare Kupplung im Verteilergetriebe die Antriebsmomente zwischen Vorderachse und Hinterachse entsprechend der Fahrsituation optimal einzustellen. Treten gleichzeitig Längs- und Seitenkräfte am Rad auf, kann die resultierende Kraft daraus einen bestimmten reibwert- und radaufstandskraftabhängigen Grenzwert nicht überschreiten. Durch die variable Antriebsmomentenverteilung können die Längskräfte an den Rädern der Vorderachse und der Hinterachse und damit die Seitenkraftpotenziale beeinflusst werden. Ändern sich die Seitenkräfte an den Rädern, ändert sich auch das Momentengleichgewicht um die Fahrzeughochachse. Ein instabiles Fahrzeug kann unter Ausnutzung unterschiedlicher Seitenkraftpotenziale an Vorder- und Hinterachse durch eine Giermomentenkompensation über das Längsmomenten-Management wieder stabilisiert werden. Durch die variable Längsmomentenverteilung zwischen Vorderachse und Hinterachse kann das Eigenlenkverhalten und damit die Fahrdynamik des Fahrzeugs aktiv beeinflusst werden. Die Bremsregelung ist dabei im Hintergrund aktiv. Sie greift aber nur dann ein, wenn die Stabilisierungsmöglichkeiten über das Längsmomenten-Management erschöpft sind. Dadurch erfolgen diese Eingriffe deutlich seltener und der Fahrkomfort wird dadurch insgesamt spürbar verbessert. Die variable Momentenverteilung zur aktiven Fahrdynamikregelung ist für die Fahrsituationen Übersteuern und Untersteuern während einer Kurvenfahrt qualitativ in Bild 3-16 in jeweils fünf Phasen gezeigt.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen a)

125 (b)

Bild 3-16: Kurvenfahrt mit variabler Längsmomentenverteilung: a) Übersteuern, b) Untersteuern

Exemplarisch wird hier der Fall des Untersteuerns erläutert (siehe Bild 3-16b): Das Fahrzeug fährt stabil mit der Momentenverteilung von 40/60 zwischen Vorderachse und Hinterachse in eine Linkskurve ein (Phase 1) und neigt anschließend tendenziell zum leichten Untersteuern (Phase 2). Der Fahrdynamikregler veranlasst das Längsmomenten-Management zur neuen Momentenverteilung von 20/80. Da das Fahrzeug immer noch zu verstärktem Untersteuern (Phase 3) neigt, wird vom Längsmomenten-Management eine neue Momentenverteilung von 0/100 eingestellt. Das Antriebsmoment an der Hinterachse wird dadurch weiter erhöht, das Seitenkraftpotenzial reduziert. An der längskraftfreien Vorderachse erhöht sich das Seitenkraftpotenzial auf den maximal möglichen Wert und das Fahrzeug nähert sich der stabilen Bahnkurve. Die Momentenverteilung wird nun über die Momentenverteilung 10/90 (Phase 4) auf die als ideal angenommene Momentenverteilung von 40/60 zurückgeführt (Phase 5). Das Fahrzeug beschleunigt bahnstabil aus der Kurve. Die Kurvenfahrt wurde hier vereinfacht in jeweils fünf Phasen beschrieben. Tatsächlich wird beim Durchfahren der Kurve die optimale Momentenverteilung kontinuierlich berechnet und eingestellt. Im Fall des Übersteuerns (Ausbrechen des Hecks) wird die Verteilung des Antriebsmoments in Richtung Vorderachse verändert, um Seitenführungspotenzial an der instabilen Hinterachse aufzubauen.

Die regelbare Kupplung im Verteilergetriebe erfüllt neben der variablen Momentenverteilung zur aktiven Fahrdynamikregelung auch noch die Funktion einer Mittensperre zur Verbesserung der Traktionseigenschaften. Im Bedarfsfall können beide Achsen starr verkoppelt werden. Im folgenden Beispiel wird ein Anfahrmanöver von zwei Fahrzeugen mit unterschiedlichen Antriebskonzepten näher betrachtet (siehe Bild 3-17). Die beiden Fahrzeuge stehen jeweils mit der Hinterachse auf niedrigem und mit der Vorderachse auf hohem Reibwert. Das Fahrzeug A mit einer festen Momentenverteilung von 38/62 verfügt über drei offene Differenziale, ein Antriebs- und Bremsregelsystem einschließlich der Emulation der Quer- und Längssperren durch aktive und radindividuelle Bremseingriffe. Das Fahrzeug B besitzt dagegen eine Kupplung im Verteilergetriebe, zwei offene Differenziale, ein Antriebs- und Bremsregelsystem einschließlich der Emulation der Quersperren durch aktive und radindividuelle Bremseingriffe. Beim Beschleunigen des Fahrzeugs A drehen die Räder an der Hinterachse durch, es entsteht Antriebsschlupf und die Bremshydraulik beginnt mit der Druckbereitstellung zur Emulation der fehlenden Längssperre.

Bild 3-17: Anfahrsituation mit verschiedenen Reibwerten für Vorder- und Hinterachse: (A) Emulation der Längssperre (DSC), (B) Geregelte Mittensperre (xDrive)

126 Dieser Vorgang dauert ca. 0,5 s. Die Bremshydraulik stellt den von der Schlupfregelung geforderten Druck-Arbeitspunkt an den Hinterachs-Rädern ein, an der Vorderachse wird Antriebsmoment aufgebaut und das Fahrzeug setzt sich in Bewegung. Der gesamte Vorgang dauert ca. 1 s. Über die Hinterachs-Bremse muss je nach Reibwert bis zu 62 % des eingeleiteten Antriebsmomentes abgestützt werden, damit maximal 38 % des aktuellen Antriebsmoments an der Vorderachse zur Verfügung gestellt werden kann. Im Fahrzeug B wird durch eine intelligente Vorsteuerung des Systems, gestützt durch die Gaspedalvorgabe, die Kupplung im Verteilergetriebe innerhalb von ca. 0,1 s bereits geschlossen, bevor der Drehmomentaufbau an der vorderen und hinteren Gelenkwelle beginnt. In dieser Fahrsituation ist kein zusätzlicher Bremseingriff an der Hinterachse erforderlich und es geht daher auch kein Antriebsmoment durch eine Bremsenabstützung verloren. Das Fahrzeug setzt sich spontan und nahezu ohne Verzögerung in Bewegung. Reglerstruktur Bild 3-18 zeigt eine Möglichkeit zur modularen Aufteilung der Funktionssoftware auf das Steuergerät für Antriebs- und Bremsregelung und das Verteilergetriebe-Steuergerät. Die Hauptfunktionen zur Berechung des erforderlichen Vorderachsmoments sind im Steuergerät für Antriebs- und Bremsregelung implementiert und werden von Traktions- und Fahrdynamikkriterien abgeleitet. Das LängsmomentenManagement zur Ansteuerung der Kupplung besteht im wesentlichen aus den Blöcken PI-Regler, Vorsteuerung und „Korrektur Reifenumfangs-Unterschiede“. Der PI-Regler setzt sich aus den Teilen Schlupfregelung und Fahrdynamikregelung zusammen. Der Schlupfregler stellt das Vorderachs-Moment so ein, dass die Differenzdrehzahlen zwischen Vorderachse und Hinterachse minimiert werden. Der Fahrdyna-

3 Fahrwerksysteme mikregler liefert die Daten über den aktuellen Fahrzustand. Je nach Fahrsituation werden die Längs- und Seitenkräfte der Räder über die variable Momentenverteilung so eingestellt, dass sich ein stabiles Fahrverhalten ergibt. Die Vorsteuerung berechnet aus den Größen Gaspedalstellung, Motormoment, Motordrehzahl, Gangübersetzung und Fahrzeuggeschwindigkeit die aktuelle Vortriebssituation. Über Kennlinienfunktionen wird daraus das Vorderachsmoment bestimmt. Mit den Eingangsgrößen Lenkwinkel und Fahrzeugdrehrate werden Kurvenfahrten erkannt und die Werte der Vorsteuerung entsprechend angepasst. Das Modul „Korrektur Reifenumfangs-Unterschiede“ verhindert bei unterschiedlichen Reifenumfängen mögliche Verspannmomente durch eine modellgestützte Überwachung. Im nachfolgenden Momentenkoordinator wird fahrsituationsabhängig entschieden, wie die Vorsteuerung durch die „Korrektur ReifenumfangsUnterschiede“ angepasst werden muss. Eine weitere Korrektur der Vorsteuerung findet durch die Module Verlustleistung und Verschleiß im VerteilergetriebeSteuergerät statt. Hier wird die aktuelle Belastung von Kupplung und Verteilergetriebe-Aktorik sowie der Verschleiß der Kupplung berücksichtigt und bei Bedarf die Vorsteuerung angepasst. 3.2.1.3 Elektromechanische Feststellbremse

Die elektromechanische Feststellbremse ersetzt die manuell betätigte Feststellbremse. Neben den üblichen Funktionen einer Feststellbremse, dem Feststellen und dem dynamischen Abbremsen, wird sie für eine automatische Haltefunktion zum Anfahren am Berg eingesetzt. Bei dieser Funktion wird das Fahrzeug im Stillstand automatisch festgebremst. Das Lösen der Bremse zum Anfahren geschieht ebenfalls automatisch durch Betätigen des Gaspedals.

Bild 3-18: Modulare Struktur der Funktionssoftware

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen a)

127 b)

Bild 3-19: Elektromechanische Feststellbremse: a) elektromechanische Feststelleinheit, b) Bedienelement

Systemaufbau und -komponenten Bild 3-19a zeigt eine elektromechanische Feststelleinheit, die über Bowdenzüge auf eine Feststellbremse an der Hinterachse wirkt. Manuell wird sie z. B. über einen Taster betätigt (siehe Bild 3-19b). Durch den Entfall des Bremshebels wird zusätzlicher Platz in der Mittelkonsole verfügbar. In der in Bild 3-13a gezeigten Ausführung für den BMW 7er kommt ein Anbausteuergerät zum Einsatz, das sowohl die Steuerelektronik als auch die Schaltung der Leistungselektronik für den Antrieb sowie die Steckerleiste für den Kabelanschluss enthält. Ein Blockschaltbild ist in Bild 3-20 gezeigt. Auf der beidseitig bestückten Platine ist auch das Bürstenelement des Gleichstrommotors angeordnet. Innerhalb des Bürstenelementes sind zwei Hallgeber zur Drehrichtungs-, Positions- und Drehzahlerfassung integriert. Der Motor wird mit einer H-Brücke aus diskreten P-MOS-Feldeffekttransistoren angesteuert. Der Motorstrom wird dabei durch PWM-Taktung geregelt. Ein CAN-Treiber stellt die Verbindung zum Antriebs-CAN des Fahrzeugs her. Der Prozessor besitzt 256 kByte Flash und 12 kByte RAM. Die Flashbarkeit ist durch die Bordnetzstruktur des BMW 7er grundsätzlich gegeben. Sie ermöglicht eine große Flexibilität während der Entwicklungsphase der Software. Auch nach Auslieferung an den Kunden sind so Updates oder Funktionserweiterungen ohne Austausch des Steuergerätes möglich. Die Prozessorfunktion wird durch einen Watch-Dog kontrolliert. Das Steuergerät muss bei Tasterbetätigung aus dem Sleep-Modus aufweckbar sein. Über den Wake-upAusgang wird daraufhin der gesamte Fahrzeug-CAN geweckt. Im Rahmen des Sicherheitskonzepts ist ein diskreter Eingang der Raddrehzahl sowie eine separate Signalleitung zum Bremsregel-Steuergerät vorgesehen. Mit Hilfe dieser Signale wird eine Hardware-Verriege-

lungsschaltung realisiert, deren Ausgangssignale in Abhängigkeit von der Radgeschwindigkeit das Lösen oder Anziehen der Stelleinheit freigeben. In das Steuergerät ist eine Eigendiagnose implementiert, welche erkannte Fehler im EEPROM ablegt. Funktionskritische Signale wie z.B. Fahrzeug-Geschwindigkeit sind durch Redundanzen abgesichert. Mit dem Durchlaufen verschiedener unabhängiger Softwarepfade werden Plausibilitätschecks durchgeführt. Durch das EEPROM ist die Software in der Lage, Betriebsdaten unabhängig von der Spannungsversorgung nichtflüchtig abzulegen. Darüber hinaus können fahrzeugspezifische Daten oder Funktionsumfänge und Parameter durch Codierung flexibel festgelegt werden. In Verbindung mit einem Werkstatt-Diagnose-Rechner kann das Gerät über die CAN-Schnittstelle analysiert und parametrisiert werden. Systemfunktionen Die Darstellung der Systemfunktionalität erfolgt durch eine Kombination aus Bremsydraulik mit Eingriff auf die Betriebsbremse aller vier Räder und einer elektromechanischen Stelleinheit, die über Bremsbowdenzüge auf eine Feststellbremse der Hinterachse wirkt. Der Systemzustand wird dem Fahrer durch eine Kontrollleuchte und gegebenenfalls durch Hinweistexte im Kombiinstrument angezeigt. Das in die Stelleinheit integrierte Anbausteuergerät steht mit dem Bremsregel-Steuergerät und der Fahrzeugperipherie (Kombiinstrument, Motorsteuerung, Getriebesteuerung, ...) über den Fahrzeug-CAN-Bus in Verbindung. Bei abgestellem Fahrzeug-Motor wird das Feststellen des Fahrzeugs durch die elektromechanische Stelleinheit geleistet. Der Antrieb ist durch einen Software-Algorithmus so geregelt, dass eine vorgegebene Soll-Stellkraft erreicht wird.

128

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-20: Blockschaltbild des Steuergeräts. Dabei bezeichnet DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Bremsregelung zur Fahrzeugstabilisierung und DME (Digitale Motor-Elektronik) die Motorsteuerung

Systemveränderungen z. B. durch Verschleiß, Setzerscheinungen oder Teileaustausch werden berücksichtigt. Bei laufendem Fahrzeug-Motor werden alle statischen und dynamischen Feststellbremsvorgänge mit Hilfe der Bremshydraulik umgesetzt. Wird im Stillstand der Parkbrems-Taster betätigt, erfolgt über die Hydraulikpumpe ein Bremsdruckaufbau an allen vier Rädern. Während der hydraulischen Haltephase ist eine Stillstandsüberwachung aktiv, die bei Erkennen einer geringfügigen Fahrzeugbewegung durch die Radsensoren aktiv Druck nachfördert (z.B. bei einer Beladung des Fahrzeugs am Hang). Durch erneuten Tasterdruck wird die Bremse wieder gelöst. Ausgehend von einem betätigten Zustand der Feststellbremse erfolgt beim Starten des Fahrzeug-Motors ein automatischer Übergang von der mechanischen Stelleinheit auf die Hydraulik, beim Abstellen des Fahrzeug-Motors umgekehrt von der Hydraulik auf die mechanische Stelleinheit. Die automatische Haltefunktion steht dem Fahrer bei laufendem Motor zur Verfügung. Das Halten des Fahrzeugs erfolgt automatisch bei Erkennung des Fahrzeugstillstands durch die Radsensoren. Dem Fahrer wird die benötigte Brems-Fußkraft zum Halten des beim Automatikgetriebe typischen LeerlaufKriechens des Fahrzeugs abgenommen. Dadurch wird insbesondere bei Stop-and-Go-Verkehr zur Fahrerentlastung beigetragen. Zunächst wird der Bremsdruck, den der Fahrer mit dem Pedal zum Abbremsen des Fahrzeugs in den Stillstand aufgebracht hat, im Hyd-

rauliksystem „eingesperrt“. Kommt das Fahrzeug ohne Bremsbetätigung zum Stillstand wird es automatisch durch aktiven Druckaufbau mit Hilfe der Bremshydraulikpumpe gehalten. Das Lösen der Bremse geschieht bei eingelegter Getriebefahrstufe automatisch durch Betätigen des Gaspedals. Die Automatisierung des Halte- und Lösevorgangs unterstützt das Anfahren an Steigungen, da ein ungewolltes Rückrollen des Fahrzeugs vermieden wird. Aus Sicherheitsgründen wird die automatische Haltefunktion beim Verlassen des Fahrersitzes, beim Öffnen der Motorhaube oder der Kofferraumklappe in Getriebestellung „R“ und beim Abstellen des Motors selbsttätig in eine automatische Feststellung umgeschaltet. Befindet sich das Fahrzeug in Bewegung, erfolgt unabhängig vom Betriebszustand des Motors bei Betätigung des Parkbrems-Tasters eine definierte Verzögerungsanforderung an die Bremsydraulik. Bei der dynamischen Bremsung muss aus Sicherheitsgründen der Taster für die Dauer des Bremsvorganges betätigt bleiben. Nach Loslassen des Tasters wird der Bremsdruck sofort wieder abgebaut. Wird die Bremsung bis zum Stillstand fortgeführt, wird das Fahrzeug anschließend automatisch festgestellt. Da die Bremsung hydraulisch auf die Betriebsbremse aller vier Räder erfolgt, sind gegenüber herkömmlichen Feststellbremsen wesentlich höhere Verzögerungen bei minimaler Bedienkraft möglich. Der Verzögerungsverlauf ist theoretisch bis zur Schlupf-

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen grenze parametrisierbar. Er wurde z.B. für den BMW 7er so festgelegt, dass die Verzögerung bei einem Wert von 3 m/s2 beginnt und innerhalb 3 s auf 5 m/s2 ansteigt. Der Bremsvorgang wird durch die ABSRegelfunktion überwacht. Dadurch ist die Stabilität des Fahrzeugs während der Bremsung optimal gewährleistet. Wegen der hohen Verzögerungswirkung wird der nachfolgende Verkehr durch Aufleuchten der Bremslichter gewarnt. Die geregelte dynamische Abbremsung trägt zu einer erhöhten aktiven Sicherheit bei. Die Kraft am Bremsseil muss unabhängig von den Einflussgrößen Bordnetzspannung, Temperatur, Motoralterung, Streuung der Motorcharakteristik, Bremsbelagverschleiß und Längenänderungen des Bremsseils reproduzierbar konstant eingestellt werden. Der Antrieb verfügt dazu über ein inkrementelles Sensorsystem. In das Bürstenelement des Elektromotors sind zwei Hall-ICs zur Drehzahl- und Positionserfassung integriert. Durch Messung der Motordrehzahl unter Berücksichtigung der momentanen Betriebsbedingungen wie Motorspannung und Temperatur und unter Einbeziehung der während des Fertigungsprozesses im Steuergerät abgelegten individuellen Motor-Charakteristik kann die am Antrieb anliegende Stellkraft berechnet werden. Veränderungen im Gesamtsystem, die durch Verschleiß, Setzerscheinungen der Kraftübertragungselemente oder Austausch von Teilen im Reparaturfall entstehen, werden durch eine entsprechende Stellwegreserve berücksichtigt. Auf diese Weise ist es möglich, auf Einstellarbeiten am Band zu verzichten. Das oberste Ziel beim Auftreten von Fehlern und Ausfällen ist die Vermeidung sicherheitskritischer Zustände für Fahrzeuginsassen, Umgebung und Fahrzeug. Andererseits soll die Funktionsverfügbarkeit so lange wie möglich aufrecht erhalten bleiben. Das Sicherheitskonzept sieht daher eine gestufte Ab-

129 schaltstrategie vor. In Abhängigkeit von der Art des Fehlers werden bestimmte Funktionen stillgelegt. Für die Grundfunktionen werden als Backup-Systeme die Betriebsbremse und die Parksperre des AutomatikGetriebes herangezogen (siehe hierzu Tabelle 3-2). Die möglichen Fehlerzustände werden durch das Überwachungskonzept erkannt und dem Fahrer zur Anzeige gebracht. Die aufgetretenen Fehler werden im Fehlerspeicher des Steuergerätes abgelegt. Im Service- oder Reparaturfall ist somit eine rasche Fehleranalyse möglich.

3.2.2 Achsregelsysteme 3.2.2.1 Wankstabilisierung

Bei einem konventionellen Fahrwerk wird das bei Kurvenfahrt infolge der Fliehkraft erzeugte Aufbauwankmoment nicht nur durch das aus den Tragfederkräften resultierende Gegenmoment, sondern auch durch die Wirkung von passiven Stabilisatoren reduziert. Die Verteilung des Wankstabilisierungsmoments auf Vorder- und Hinterachse wiederum beeinflusst das Eigenlenkverhalten des Fahrzeugs, das heißt die Unter- oder Übersteuertendenz. Ein Fahrzeug wird aus Gründen der Fahrsicherheit stets untersteuernd bis neutral ausgelegt, indem der vordere Stabilisator gegenüber dem hinteren kräftiger dimensioniert wird. Insgesamt führt dies dazu, dass der Aufbau weniger wankt. Dies bringt aber auch mit sich, dass der Lenkwinkelbedarf steigt und einseitige Fahrbahnunebenheiten stärker auf das Fahrzeug kopiert werden. Dieser für die Auslegung von konventionellen Stabilisatoren vorhandene Zielkonflikt wird durch die aktive Wankstabilisierung gelöst, mit der durch regelbare Stabilisatoren das Eigenlenkverhalten von der Fahrsituation abhängig gesteuert und zusätzlich das Wanken des Fahrzeugs reduziert wird.

Tabelle 3-2: Sicherheitskonzept der elektromechanischen Feststellbremse Fehler

Backup-System

Verfügbarkeit Feststellbremse

Dynamische Notbremsung

Automatische Haltefunktion

CAN-Signal-Fehler

in Ordnung

in Ordnung

nicht verfügbar

Fehler in der Bremshydraulik

in Ordnung

nicht verfügbar

nicht verfügbar

Betriebs- und Hilfsbremse

Fehler in der Stellmechanik

nicht verfügbar

in Ordnung

nicht verfügbar

Parksperre des AutomatikGetriebes

Fehler im Steuergerät der Parkbremse

nicht verfügbar

nicht verfügbar

nicht verfügbar

Parksperre des AutomatikGetriebes

–

130

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-21: Aktiver Hinterachs-Stabilisator mit hydraulischem Schwenkmotor (SM)

Systemaufbau und -komponenten Bild 3-21 zeigt die Wankstabilisierung eines BMW 7ers. Der Stabilisator ist dabei in zwei Hälften geteilt, die über einen hydraulischen Schwenkmotor miteinander verbunden sind. Zusätzliche Komponenten (zu je einem Stabilisator an der Vorder- und Hinterachse) sind ein Ventilblock mit integrierten Sensoren, ein Steuergerät sowie ein eigener Querbeschleunigungssensor. Die Hydraulikversorgung erfolgt durch eine Tandempumpe, wobei eine Flügelzellenpumpe die Lenkkraftunterstützung und eine Radialkolbenpumpe die Wankstabilisierung bedient. Das Steuergerät (siehe Bild 3-22) erfasst die Eingangssignale (Sensor-, CAN-Signale), prüft deren Plausibilität und führt logische sowie mathematische Verknüpfungen durch. Als Ausgangsgröße werden die Spulen der Magnetventile angesteuert. Im Fall

eines Systemfehlers werden die Ausgänge in einen sicherheitsunkritischen Zustand geschaltet. Die Versorgung erfolgt über die Bordnetzspannung im Bereich von 9 bis 16 V. Das Steuergerät wird über eine statische Weckleitung aktiviert. Neben den analogen Sensorsignalen für Vorderachskreis-Druck, Hinterachskreis-Druck, Schaltstellungserkennung und Querbeschleunigung sowie dem digitalen ÖlstandsgeberSignal werden die weiteren Eingangsdaten über den CAN eingelesen. Hierzu zählen Lenkwinkel, Querbeschleunigung aus dem Bremsregelsystem, Gierwinkelgeschwindigkeit, Fahrgeschwindigkeit und Motordrehzahl. Alle diese Eingangssignale werden auf Plausibilität geprüft. Zu den Ausgängen zählt neben den Highside- und Lowside-Treibern der vier Magnetventile auch die Versorgung der vier zugehörigen Sensoren.

Bild 3-22: Steuergerät zur Wankstabilisierung

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen Alle elektrischen Versorgungsausgänge sind gegenseitig entkoppelt, so dass ein Kurzschluss an einem Sensor die anderen nicht beeinflussen kann. Jeder Ausgang der vier Magnetventile ist mit einer Strommessung versehen, um eine Stromregelung zu ermöglichen. Diese Strommessung dient außerdem für alle Ventile zur Überwachung von Kurzschlüssen und Unterbrechungen. Die Strommessung der einzelnen Spulenströme ist redundant ausgelegt, um Messfehler aufgrund von Toleranzen oder Fehlern der Bauteile auszuschließen, und wird permanent auf Plausibilität geprüft. Zusätzliche Ausgangsgrößen werden über den CAN gesendet und hierdurch anderen Steuergeräten zur Verfügung gestellt. Systemfunktionen. Anhand der Ein- und Ausgangsgrößen lässt sich das Zusammenwirken der Komponenten und damit das Funktionsprinzip der Wankstabilisierung erkennen (siehe Bild 3-23). Das Hauptregelsignal des Systems ist die Querbeschleunigung ay, die vom Querbeschleunigungssensor gemessen wird. Daneben werden über den Antriebs-CAN (PT-CAN) Signale zur Quer- und Längsdynamik ausgewertet, um eine bessere und robustere Information zur Quer-

131 dynamik sicherzustellen. Aus diesem berechneten Querdynamiksignal werden die einzustellenden Ventilströme für den Ventilblock ermittelt. Zur Regelung der Ventilströme gibt das Steuergerät jeweils eine pulsweitenmodulierte Spannung aus: uDV an das Druckregelventil vorne, uDH an das Druckregelventil hinten, uRV an das Richtungsventil und uFS an das Fail-Safe-Ventil. Der Ventilblock stellt die Drücke über die Druckregelventile in den aktiven Stabilisatoren ein und gibt über das Richtungsventil die Drehrichtung zur Wankkompensation vor. Die aktiven Stabilisatoren verdrehen sich entsprechend und erzeugen die aktiven Wankstabilisierungsmomente an der Vorderachse und Hinterachse. Das Fail-Safe-Ventil ist im beschriebenen Betrieb der Wankstabilisierung bestromt. Die aktiven Stabilisierungsmomente sind bis auf folgende Einschränkung unabhängig einstellbar: Das aktive Moment (beziehungsweise der aktive Druck) der Vorderachse ist immer größer oder gleich dem aktiven Moment (beziehungsweise dem aktiven Druck) der Hinterachse. Hierdurch soll bei Fehlfunktion des Systems unter keinen Umständen ein übersteuerndes Fahrverhalten auftreten können.

Bild 3-23: Zusammenwirken der Komponenten zur Wankstabilisierung. Dabei bezeichnet ay die Querbeschleunigung, PT-CAN (Powertrain-CAN) den Antriebs-CAN und u pulsweitenmodulierte Spannungen: uDV am Druckregelventil vorne, uDH am Druckregelventil hinten, uRV am Richtungsventil und uFS am Fail-Safe-Ventil

132 Die gemessenen Drücke am Ventilblock für den Vorderachs- und Hinterachsstabilisator sowie die Schaltstellung des Richtungsventils werden dem Steuergerät zurückgemeldet. Dieses prüft anhand dieser Signale die Funktionalität der Hydromechanik. Die Energieversorgung erfolgt über die Tandempumpe, d.h. Wankstabilisierung und Lenkhilfe besitzen einen gemeinsamen Ölbehälter und Ölkühler. Im Ölbehälter ist neben einem Ölfilter ein Ölstandsaufnehmer in Form eines Reedschalters verbaut, der ggf. ein Absinken des Ölstands unter den Minimalstand erfasst. Die umgesetzten Systemfunktionen führen zu einem günstigeren Aufbauwankverhalten und verbessertem Schwingkomfort. Mit der Wankstabilisierung wird der Wankwinkelverlauf über der Querbeschleunigung gezielt beeinflusst. Im Gegensatz zu einem Fahrzeug mit passiven Stabilisatoren, das schon bei geringen Querbeschleunigungen einen deutlichen Wankwinkel aufweist, wird der Wankwinkel bei einem Fahrzeug mit Wankstabilisierung bis zu einer Querbeschleunigung von 0,3 g vollständig kompensiert (Bild 3-24). Erst ab einer Querbeschleunigung von ungefähr 0,6 g steigt der Wankwinkelverlauf kontinuierlich an, so dass der Fahrer über das bevorstehende Erreichen des Grenzbereichs informiert wird. Bei Geradeausfahrt bzw. sehr geringen Querbeschleunigungen sind die Aktoren drucklos, so dass die Drehfederrate der Stabilisatoren die Grundfederung nicht verhärtet und Kopierbewegungen von Fahrbahnunebenheiten des Fahrzeugs deutlich reduziert sind. Abhängig von der Fahrzeuggeschwindigkeit wird das Verhältnis der Stabilisatormomente festgelegt und damit ein neutrales Eigenlenkverhalten bei niedrigen Fahrzeuggeschwindigkeiten und ein zunehmend untersteuerndes Eigenlenkverhalten bei hohen Fahrzeuggeschwindigkeiten eingestellt. Man erreicht damit einen verringerten Lenkwinkelbedarf im niedrigen Geschwindigkeitsbereich und eine hohe Fahrsicherheit bei hohen Fahrgeschwindigkeiten (vgl. Bild 3-25).

Bild 3-24: Wankwinkel über der Querbeschleunigung bei quasistationärer Kreisfahrt (Kurvenradius R = 40 m) für einen BMW 7er: Alter BMW 7er ohne und neuer BMW 7er mit Wankstabilisierung (Normalbeladung und maximale Zuladung)

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-25: Lenkradwinkel über der Querbeschleunigung bei quasistationärer Kreisfahrt (Kurvenradius R = 40 m) für einen BMW 7er mit und ohne Wankstabilisierung (Dynamic Drive)

3.2.2.2 Elektronisch geregelte Dämpfer

Die Auslegung passiver Schwingungsdämpfer erfordert stets einen Kompromiss zwischen einer komfortorientierten, weichen Abstimmung und einer für das Fahrverhalten günstigen, harten Dämpferkennung. Über eine elektronische Ansteuerung lassen sich die Dämpfkräfte kontinuierlich verändern und während des Fahrbetriebs geeignet an die Fahrsituation anpassen. Systemaufbau und -komponenten Die Kernelemente sind vier Gasdruck-Zweirohrdämpfer mit innenliegenden, kontinuierlich regelbaren Ventilen. Bild 3-26 zeigt einen elektronisch regelbaren Dämpfer von ZF-Sachs. Das Regelventil ist jeweils in den Kolben des Dämpfers integriert. Über die Bestromung der Magnetspule wird die Position des Ventilankers und damit der Querschnitt eingestellt, durch den das Betriebsmedium des Dämpfers unter Zug oder Druck strömen muss. In der Nähe der Vorder- und Hinterachsfederbeine sind insgesamt drei Sensoren zur Erfassung der lokalen Vertikalbeschleunigung verbaut. Diese und andere Signale (z.B. von Raddrehzahlsensoren) werden in einem eigenen Steuergerät verarbeitet, um die Ventilströme für eine bedarfsgerechte Dämpfung zu berechnen. Systemfunktion Bild 3-27 zeigt die Leistungsspektren der vertikalen Aufbaubeschleunigung des Fahrzeugs, die sich jeweils beim Befahren einer schlechten Landstraße und einer Autobahn für eine harte bzw. eine weiche Dämpferkennung ergeben. Das Leistungsspektrum der Aufbaubeschleunigung des Fahrzeugs ist ein gebräuchliches, wenn auch vereinfachtes objektives Bewertungsmaß für den Schwingkomfort. Je kleiner die Amplituden des Spektrums sind, umso weniger störende Schwingungen erfahren die Insassen beim Befahren der Straße.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

133

Bild 3-26: Aufbau und Arbeitsweise eines elektronisch geregelten Dämpfers [Quelle: ZF-Sachs]

a)

b)

Bild 3-27: Leistungsspektrum der Aufbaubeschleunigung für unterschiedliche Fahrbahnbeschaffenheiten und Dämpfereinstellungen: a) schlechte Landstraße, b) Autobahn

Da neben dem Komfort weiterhin die Fahrdynamik und die dynamischen Radlastschwankungen zu berücksichtigen sind, ergibt sich folgende prinzipielle Systemfunktion für geregelte Dämpfersysteme: Bei primär aufbaufrequenten Vertikalschwingungen um 1,2 Hz sowie dominanten längs- und querdynamischen Fahrzeugbewegungen werden härtere Dämpfkräfte über die verstellbaren Dämpfer gestellt, die die Aufbaubewegung beruhigen und reduzieren. Bei primär radfrequenten Vertikalschwingungen bei ca. 12 Hz sind ebenfalls höhere Dämpfkräfte notwendig, um eine ausreichende Radbedämpfung zu liefern. Bei Anregungen zwischen diesen beiden Fahrzeugeigenfrequenzen sind weiche Dämpfkräfte für einen guten Fahrkomfort einzustellen. Damit ergibt sich eine Verbesserung des Wank- und Nickverhaltens durch die automatische Einstellung eines höheren Dämpfkraftniveaus. Außerdem resultiert ein spürbar höherer Fahrkomfort, speziell bei gleichzeitig auftre-

tenden hoch- und niederfrequenten Anregungen durch Fahrbahnunebenheiten bei gleichbleibend guten Schwingungseigenschaften bei jeder Beladung und über der gesamten Fahrzeuglebensdauer. 3.2.2.3 Geregelte Luftfederung

Bei der Abstimmung eines konventionellen Fahrwerks besteht ein Zielkonflikt im Bezug auf die Härte der Grundfederung. Eine weiche Federung kann je nach Beladung zu einer großen Niveaudifferenz führen, was sich nachteilig auf das Fahrverhalten auswirkt; ein hartes Fahrwerk hingegen bedeutet Einbußen im Bezug auf den Komfort. Mit einem verstellbaren Luftfedersystem kann dieser Zielkonflikt gelöst werden.

134

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-28: Komponenten der geregelten Luftfederung, VA steht für Vorderachse, HA für Hinterachse

Systemaufbau und -komponenten Eine Zweiachs-Luftfederung ist an allen vier Rädern mit Luftfedern ausgestattet (siehe Bild 3-28), eine Einachs-Luftfederung hingegen nur an den beiden Hinterrädern. Hinzu kommen zwei bzw. vier Höhenstandssensoren, eine Luftversorgungsanlage, ein Druckspeicher mit Ventilblock, ein Steuergerät und ein Bedienschalter zur Wahl des Höhenstands. Systemfunktion Ein Luftfedersystem hat die positive Eigenschaft einer nahezu konstanten Aufbaueigenfrequenz über der Beladung. Darüber hinaus lassen sich damit Niveauausgleich und Höhenstandsvariabilität realisieren. Über die Höhenstandssensoren wird die Position des Aufbaus erfasst. Liegt aufgrund des Beladungszustands eine Niveaudifferenz vor, so wird durch die Anpassung der Menge des Betriebsmediums in den einzelnen Luftfedern ein Ausgleich vorgenommen. Im Fall eines Zweiachs-Luftfedersystems kann auf Wunsch des Fahrers der Höhenstand des Fahrzeugs verändert werden, z.B. um die Bodenfreiheit für den Geländebetrieb zu erhöhen oder durch Absenkung der Karosserie den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren.

3.2.3 Lenkungsregelsysteme 3.2.3.1 Elektrische Hilfskraftlenkung

Speziell beim Einparken und Rangieren muss der Fahrer beim Lenken Kräfte aufbringen. Um diese Kräfte zu reduzieren, werden Hilfskraftlenkungen (Servolenkungen) eingesetzt. Am weitesten verbreitet ist derzeit die hydraulisch unterstützte Zahnstangenlenkung. Oft wird auch eine von der Geschwindigkeit abhängige hydraulische Lenkkraftunterstützung eingesetzt. Bei einer elektrischen Hilfskraftlenkung kommt ein Elektromotor zum Einsatz, um den Fahrer beim Lenken zu entlasten. Der Angriffspunkt des

Elektromotors kann dabei entweder an der Lenksäule, am Lenkgetriebe oder an der Zahnstange liegen. Die elektrische Hilfskraftlenkung führt zu einer signifikanten Kraftstoffersparnis von etwa 0,2 bis 0,3 Liter auf 100 km. Außerdem bietet sie eine hohe Flexibilität bei der Fahrzeugmontage. Bei einer hydraulischen Hilfskraftlenkung sind je nach Motorisierung und gewünschter Fahrwerksabstimmung (komfortorientiert oder sportlich) jeweils andere Komponenten wie z.B. Lenkventile, Schläuche und Rohrleitungen erforderlich. Dagegen wird bei der elektrischen Hilfskraftlenkung die gewünschte Lenkcharakteristik am Ende der Fahrzeugmontage über Softwareparameter appliziert. Dadurch ist der logistische Aufwand während der Fahrzeugherstellung geringer als bei der hydraulischen Hilfskraftlenkung. Systemaufbau und -komponenten Bei der von BMW im Z4 eingesetzten elektrischen Hilfskraftlenkung kommt eine mechatronische Stelleinheit zum Einsatz, die an der Lenksäule angeordnet ist und einen Asynchronmotor, Kraftübertragungselemente, ein Steuergerät und Sensoren zur Erfassung von Drehmoment und Lenkwinkel an der Lenksäule sowie Drehzahl am Elektromotor und weitere Messgrößen umfasst (Bild 3-29). Der verwendete Asynchronmotor (Bild 3-30) ist durch eine hohe Sicherheit, eine hohe Dynamik, keine Nutrastmomente und geringe Reibung gekennzeichnet. Durch eine bauliche Integration des Motors mit dem Steuergerät können die Leitungslängen kurz und damit die Verlustleistungen gering gehalten werden. Darüber hinaus kann die Masse des Elektromotors als Wärmesenke für die Verlustleistung des Steuergeräts genutzt werden. Die geforderte hohe Motordynamik kann mit einer feldorientierten Motorregelung erreicht werden.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

135

Bild 3-29: Komponenten der elektrischen Hilfskraftlenkung

a)

b)

Bild 3-30: Elektromotor für elektrische Hilfkraftlenkung: a) CAD-Modell, b) Seitenansicht

Erst wenn eine Momentenanforderung durch den Lenkungsregler erfolgt, werden die Ströme so geregelt, dass innerhalb weniger Millisekunden das geforderte Moment bereitgestellt werden kann. Im Steuergerät (siehe Bild 3-31) kommen keramische Schaltungsträger zum Einsatz. Durch eine gute thermische Ankopplung der Leistungsendstufen wird man den Leistungsanforderungen auch unter Hochtemperaturbedingungen gerecht. Zur Erfassung des Drehmoments wird ein magnetoresistiver Sensor verwendet (siehe Bild 3-32). Dabei ist auf der Eingangswelle ein mehrpoliges Magnetrad befestigt, während auf der Abtriebswelle, die über einen Torsionstab verbunden ist, der Sensor mit der

zugehörigen Signalaufbereitung befestigt ist. Das aufbereitete Signal wird dann über eine Wickelfeder ins Gehäuse der Servoeinheit übertragen, da sich der Sensor mitdreht. Bringt der Fahrer ein Lenkmoment auf, so verdreht sich der Magnetring relativ zum Sensorbaustein um einen Winkel von bis zu ± 5°. In diesem kleinen Bereich lässt sich die Feldverteilung lokal optimieren. Dadurch erreicht man eine hohe Genauigkeit und Reproduzierbarkeit des Messsignals. Durch eine Kalibrierung der Signale am Ende des Fertigungsprozesses werden mechanische Einflüsse auf ein Minimum reduziert. Darüber hinaus arbeitet das System verschleißfrei.

136

3 Fahrwerksysteme

a)

b)

Bild 3-31: Steuergerät für die elektrische Hilfslenkung: a) interne Kontaktierung durch ins Gehäuse vergossene Stanzgitter, b) Signalelektronik und Leistungsendstufen auf zwei getrennten Ebenen a)

b)

Bild 3-32: Aufbau des Drehmomentsensors: a) CAD-Modell, b) schematischer Aufbau

Systemfunktionen Wie prinzipiell von der hydraulischen Hilfskraftlenkung bekannt, wird das Ausmaß der Unterstützung durch den Elektromotor abhängig von der Fahrzeuggeschwindigkeit variiert: Im Stand ist die Unterstützung maximal, mit zunehmender Geschwindigkeit wird sie im Sinne einer geeigneten Kraftrückmeldung an den Fahrer reduziert. Die elektrische Hilfskraftlenkung ist im Gegensatz zur hydraulischen unabhängig vom Betriebszustand des Verbrennungsmotors. Außerdem kann bei Bedarf zwischen verschiedenen Lenkkraft-Abstimmungen für normalen oder sportlichen Fahrbetrieb umgeschaltet werden. Das Regelungskonzept der elektromechanischen Servolenkung basiert auf einer umfangreichen Signalverarbeitung, die unter anderem die Lenkgeschwindigkeit, den Lenkwinkel, die Drehzahl des Elektromotors, das Lenkmoment, die Fahrzeuggeschwindigkeit und weitere mit dem CAN-Datenbus übertragene Signale berücksichtigt (siehe Bild 3-33). Über die Auswertung der erfassten Größen wird Trägheits- und Reibungseinflüssen im Bereich des Lenkstrangs gezielt entgegengewirkt. Die Lenkrad-Eigenbewegung wird gedämpft, wobei Lenkwinkel, Lenkwinkelgeschwindigkeit, Lenk-

moment und Fahrzeuggeschwindigkeit berücksichtigt werden. Hierdurch wird auch die potentielle Schlingerneigung des Fahrzeugs bei ruckartigen Lenkradbewegungen reduziert. Niederfrequente Fahrbahninformationen werden dosiert an den Fahrer weitergeleitet, mittel- und hochfrequente Störungen dagegen gedämpft, so dass der Fahrer stets die notwendige Straßeninformation erhält, aber keine störenden Ausschläge an seinem Lenkrad spürt. Die Systemträgheit der elektromechanischen Servolenkung wird durch die so genannte Vorhaltefunktion minimiert. Hierbei wird insbesondere die Dynamik des vom Fahrer angeforderten Lenkmomentes ausgewertet. Die Rücklaufdynamik wird entscheidend verbessert und der Restwinkelfehler minimiert. Die aktive Rückstellung des Lenkrades verwertet als Eingangssignale den Lenkwinkel, die Lenkgeschwindigkeit und die Fahrzeuggeschwindigkeit, um hieraus die für die Rückstellung des Lenkrades erforderliche Bestromung zu ermitteln. Die Stabilität des Regelkreises sichert eine PD-Regelung. Diese Funktion sorgt dafür, dass einerseits die Trägheit des Motors kompensiert werden kann und außerdem vorhandene Reibungseinflüsse bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

137

Bild 3-33: Regelungskonzept für die elektrische Hilfskraftlenkung

Bild 3-34: Blockschaltbild des Sicherheitskonzepts

Das Sicherheitskonzept spielt bei dem hier vorliegenden mechatronischen System mit eigener Energieversorgung und Intelligenz eine zentrale Rolle. Es sorgt für die permanente Funktionsüberwachung des Systems und im Störungsfalle für die Überführung in den sicheren Zustand durch eine sofortige Abschaltung der Lenkunterstützung. Die Lenkbarkeit des Fahrzeuges bleibt durch den mechanischen Durchgriff jederzeit vollständig erhalten. Das Sicherheitskonzept der elektrischen Hilfskraftlenkung im BMW Z4 beinhaltet grundsätzlich drei Überwachungsebenen: die Komponenten-Überwachung, die Funktions-Überwachung und die Hardware-Überwachung (siehe Bild 3-34). Die Auslegung und Applikation von Sicherheitskonzepten erfolgt unter dem Aspekt, dass die fahrdynamische Beherrschbarkeit des Fahrzeuges stets gewährleistet bleiben muss. Zur Validierung des Konzeptes werden sowohl theoretische Analysemethoden (z.B. Fehlerbaumanalyse, FMEA) als auch versuchstechnische Absicherungsmethoden (z.B. Software-Test, Hard-

ware-in-the-Loop-Simulation, herangezogen.

Fahrzeugversuche)

3.2.3.2 Überlagerungslenkung

Bei einer konventionellen Lenkung wird der Einschlagwinkel der Vorderräder (Lenkwinkel) im Wesentlichen durch den vom Fahrer vorgegebenen Lenkradwinkel bestimmt. Dies bedeutet unter anderem, dass die Lenkübersetzung für alle Fahrzeuggeschwindigkeiten die selbe ist, auch wenn sie durch die mechanische Auslegung der Zahnstange über dem Lenkradwinkel veränderlich gestaltet werden kann. Mit der Überlagerungslenkung (auch Aktivlenkung genannt) ist es hingegen möglich, dem Lenkwinkel über eine elektronische Ansteuerung einen Zusatzlenkwinkel hinzu zu addieren, und zwar unabhängig von dem vom Fahrer vorgegebenen Lenkradwinkel. Die Überlagerungslenkung erlaubt für jede Fahrsituation die optimale Einstellung des Lenkwinkels.

138

3 Fahrwerksysteme

a)

b)

Bild 3-35: Komponenten der Überlagerungslenkung: a) Prinzipieller Aufbau, b) CAD-Modell

Systemaufbau und -komponenten Die Überlagerungslenkung arbeitet mit einem elektromechanischen Steller, der ein Planeten-AdditionsGetriebe und einen Elektromotor umfasst (Bild 3-35). Eingangsseitig ist das Planetengetriebe über das Servoventil und die Lenkspindel mit dem Lenkrad und über einen selbsthemmenden Schneckentrieb mit dem Elektromotor verbunden. Die Kraftübertragung vom Elektromotor über den Schneckentrieb auf den Planetenträger und das abtriebsseitige Sonnenrad zeigt Bild 3-36. Entsprechend der Auslegung des Getriebes werden Lenkradwinkel und Motorlagewinkel übersetzt und addiert. Ausgangsseitig resultiert ein Summenwinkel am Ritzel. Charakteristisch für die Überlagerungslenkung ist also die Beibehaltung einer mechanischen Verbindung zwischen dem Lenkrad und den Vorderrädern. Da der Fahrer bei diesem

Konzept jede Lenkwinkeländerung am Lenkrad abstützen muss, ist eine authentische Rückmeldung der Lenkung gewährleistet. Lenkradwinkel, Motorlagewinkel und Summenwinkel werden über jeweils einen Sensor erfasst. Über eine elektromechanische Sperre kann der Schneckentrieb blockiert werden. In dieser Rückfallebene verhält sich die Überlagerungslenkung wie eine konventionelle Lenkung: Der Lenkwinkel hängt dann gemäß der passiven, mechanischen Übersetzung ausschließlich vom Lenkradwinkel ab. Durch die geschilderte Anordnung wird eine Lenkung an der Vorderachse ohne Lenktätigkeit des Fahrers möglich. Sowohl der hierdurch ermöglichte Funktionsumfang als auch die sicherheitstechnische Relevanz des fahrerunabhängigen Stelleingriffs an der Vorderachse erfordern ein aufwendiges Ansteuerkonzept.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen a)

139 b)

Bild 3-36: Kraftübertragung im Überlagerungsgetriebe der Überlagerungslenkung: a) Prinzipdarstellung, dabei bezeichnet z die jeweilige Zähnezahl, b) CAD-Modell

Für die Überlagerungslenkung bei der BMW AG wurde ein eigener Steuerrechner mit zwei Prozessoren konzipiert, die über ein Dual-Port-RAM miteinander kommunizieren. Dabei sind den beiden Prozessoren eigene Aufgaben zugeordnet; je ein Prozessor ist für die Ansteuerung des Stellmotors bzw. für die Berechnung des korrekten Stellwinkels aus fahrdynamischen Eingangsdaten zuständig. Sicherheitsrelevante Umfänge werden von beiden Prozessoren redundant berechnet, die Rechenergebnisse werden kontinuierlich miteinander verglichen. Der Bewegungszustand des Lenkgetriebes wird durch je einen Winkelsensor am Lenkritzel (dieser entspricht dem Lenkwinkel bei konventionellen Fahrzeugen) sowie am Stellmotor gemessen. Hinzu kommen das Lenkradwinkelsignal als Sollvorgabe des Fahrers sowie Sensoren für Giergeschwindigkeit, Querbeschleuni-

gung und Raddrehzahlen, die gemeinsam mit dem Bremsregel-Steuergerät genutzt werden. Die Vernetzung des Steuergeräts für die Überlagerungslenkung im Fahrzeug erfolgt über den AntriebsCAN und über den Fahrwerks-CAN, der alle fahrwerksrelevanten Steuergeräte (Überlagerungslenkung, Antriebs- und Bremsregelung, Sensorcluster für Gierrate und Querbeschleunigung sowie Lenkradwinkel) mit der erforderlichen hohen Datenrate miteinander verbindet (siehe Bild 3-37). Im Gegensatz zu anderen neuen Fahrwerkregelsystemen wie z.B. der elektrohydraulischen Bremse benötigt die Überlagerungslenkung keine eigensichere und damit aufwendige elektrische Energieversorgung, da der eigensichere Zustand bei Ausfall der Energieversorgung automatisch erreicht wird.

Bild 3-37: Systemvernetzung der Überlagerungslenkung im Fahrzeug-Bordnetz: Dabei bezeichnet K-CAN den Komfort-CAN, PT-CAN (Powertrain-CAN) den AntriebsCAN, LW den Lenkwinkel, DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Antriebs- und Bremsregelung und Servotronic die geschwindigkeitsabhängige hydraulische Lenkkraftunterstützung. Die mit „Gierrate & Querbeschleunigung“ und „2. Gierrate & Querbeschleunigung“ beschrifteten Blöcke bezeichnen mikromechanische Sensorcluster (siehe hierzu Abschnitt 11.2)

140

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-38: Anordnung und Wirkungsweise der ÜberlagerungslenkungsTeilfunktionen. Dabei bezeichnet į die Lenkwinkel und ψ die Gierraten

Systemfunktionen Mit der beschriebenen Lösung ist eine Vielzahl von Funktionen realisierbar. Lediglich ein fahrerloser Betrieb mit automatischer Querführung ist nicht möglich, weil der Stellmotor nur dann eine Lenkbewegung auslösen kann, wenn sich das von ihm aufgebrachte Moment an der antriebsseitigen Sonne und damit am (vom Fahrer festgehaltenen) Lenkrad abstützen kann (siehe Bild 3-36). Da die Einführung eines vollautomatischen Fahrbetriebs auch mittelfristig kaum zu erwarten ist, stellt diese funktionale Einschränkung jedoch keine wirkliche Beschränkung des Einsatzbereiches dar. Grundsätzlich kann der im Steuergerät der Überlagerungslenkung gebildete Sollwert für den einzustellenden Stellwinkel in einen gesteuerten Teilsollwert und in einen geregelten Teilsollwert aufgeteilt werden. Diese Teilsollwerte werden an einem Summierpunkt zusammengeführt (siehe Bild 3-38). Der gesteuerte Anteil kann vereinfacht als variable Lenkübersetzung gedeutet werden und wird definitionsgemäß nur aus der Führungsgröße, nämlich dem Fahrerlenkwinkel gebildet. Dem geregelten Anteil hingegen liegen zusätzliche Informationen aus der Regelstrecke Fahrzeug zugrunde. Beiden Teilfunktionen ist gemeinsam, dass sie die Reaktion der Regelstrecke Fahrzeug auf Lenkeingaben des Fahrers modifizieren. Die Lenkeingriffe sind dabei in der Regel kontinuierlich und werden vom Fahrer im Gegensatz zu Bremseingriffen nicht oder zumindest nicht als störend wahrgenommen. Indem der Lenkwinkel und damit auch die Lenkübersetzung abhängig vom Lenkradwinkel und der Fahrzeuggeschwindigkeit festgelegt werden kann, lässt sich die Fahrzeugreaktion auf Lenkeingaben des Fahrers für jede Fahrsituation optimal abstimmen. Die Abhängigkeit der Lenkübersetzung von der Fahrzeuggeschwindigkeit ist qualitativ in Bild 3-39 darge-

stellt. Eine Lenkung muss für sehr hohe Geschwindigkeiten grundsätzlich so indirekt ausgelegt sein, dass das Fahrzeug nicht zu empfindlich reagiert und damit gut beherrschbar ist. Bei einer konventionellen Lenkung führt diese relativ indirekte Übersetzung zu Einbußen hinsichtlich Handlichkeit und Komfort bei niedrigen und mittleren Fahrzeuggeschwindigkeiten. Mit der Überlagerungslenkung ergeben sich für den Fahrer mehr Handlichkeit bei niedrigen und mittleren Geschwindigkeiten (kleinere erforderliche Lenkradwinkel, weniger Umgreifen) und gleichzeitig ein stabiler Geradeauslauf und gute Beherrschbarkeit bei hohen Geschwindigkeiten.

Bild 3-39: Variable Lenkübersetzung mit Hilfe der Überlagerungslenkung (Aktivlenkung) gegenüber fester Lenkübersetzung als Funktion der der Fahrzeug-Geschwindigkeit

Durch die Veränderung des vom Fahrer vorgegebenen Lenkwinkels kann das Fahrzeug auch gezielt stabilisiert und die Fahrzeugreaktion an das erwartete Fahrzeugverhalten angenähert werden.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

141

Bild 3-40: Blockschaltbild zum stabilisierenden Eingriff der Überlagerungslenkung. Dabei bezeichnet į die Lenkwinkel und ψ die Gierraten

Prinzipbedingt ist der stabilisierende Eingriff auf übersteuernde Fahrsituationen begrenzt; bei untersteuerndem Fahrzeug ist eine weitere Vergrößerung des Radlenkwinkels nicht sinnvoll. Zur Berechnung des richtigen stabilisierenden Lenkeingriffs werden die Fahrzeugbewegungsgrößen Gierwinkelgeschwindigkeit und Querbeschleunigung zurückgeführt und im Stabilisierungsregler mit der Sollvorgabe des Fahrers verglichen (siehe Bild 3-40). Im Vergleich zur Stabilisierung über die Radschlupfregelung weist die Stabilisierung über den Lenkeingriff an der Vorderachse ein anderes Eigenschaftsprofil auf: Der Lenkeingriff ist für den Fahrer weniger bemerkbar als der auch akustisch deutlich wahrnehmbare Bremseingriff. Damit ergibt sich die Möglichkeit eines früheren Lenkeingriffs und damit der weitgehenden Linearisierung des Gierverhaltens im gesamten Frequenzbereich. Außerdem ist der Lenkeingriff schneller als bei konventionellen Radschlupfregelsystemen, die eine gewisse Schwellzeit zum Druckaufbau benötigen. Damit ergeben sich insbe-

sondere bei höheren Geschwindigkeiten Vorteile für den Lenkeingriff. Ingesamt ist jedoch der Bremseingriff insbesondere bei niedrigen Reibwerten der Lenkung bezüglich der Stabilisierungsleistung überlegen. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Charakteristika zeigt, dass durch die Kombination von Lenkeingriff und Bremseingriff eine optimale Fahrzeugstabilisierung erreicht wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Bremsregelung den Summenwinkel der Überlagerungslenkung und nicht mehr den Lenkradwinkel als Eingangsgröße verwendet. Hierdurch wird eine Verschachtelung der Regler vermieden (siehe Bild 3-41). Im Vergleich zum alleinigen Bremseingriff kann mit der Kombination beider Systeme eine Reduzierung der komfortbeeinträchtigenden Bremseingriffe erzielt werden. Als Nebeneffekt kann bei manchen Fahrmanövern überdies eine höhere Durchfahrtgeschwindigkeit erzielt werden, weil durch den stabilisierenden Lenkeingriff weniger Fahrgeschwindigkeit abgebaut wird.

Bild 3-41: Verknüpfung von Brems- und Lenkungsregler. DSC (Dynamische Stabilitäts Control) bezeichnet dabei die Bremsregelung

142

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-42: Sicherheitskonzept der Überlagerungslenkung

Ein wesentlicher Aspekt des Sicherheitskonzepts für die Überlagerungslenkung ist der stets vorhandene und immer im Eingriff befindliche mechanische Durchtrieb. Dieser stellt sicher, dass der Fahrer bei stillstehendem und arretiertem Stellmotor immer den vollen Durchgriff auf den Lenkeinschlag an der Vorderachse behält. Hierdurch ist eine Fail-SilentAuslegung der Überlagerungslenkung möglich. Eine redundante Systemauslegung ist daher nur dort erforderlich, wo sie zur schnellen Erkennung von Fehlern erforderlich oder zur Erhöhung der Verfügbarkeit des Systems wünschenswert ist. Das Sicherheitskonzept ist schematisch in Bild 3-42 dargestellt. Alle relevanten Eingangssignale werden durch redundante Sensoren abgesichert. Die Berechnung des Sollsignals im Steuergerät erfolgt diversitär durch zwei verschiedene Prozessoren, das Fahrprogramm wird dabei durch diversitäre Implementierungen der Funktionslogik auf verschiedenen Prozessoren berechnet. Die Umsetzung des Sollsignals im elektromechanischen Wandler kann einkanalig realisiert werden, wenn z. B. durch die Wahl eines bürstenlosen Gleichstrommotors keine unerwünschte Stellbewegung in fahrdynamisch relevanter Größenordnung möglich ist. Das Sicherheitskonzept wird durch ein angepasstes Abschaltkonzept ergänzt. Die höchstmögliche Verfügbarkeit aller Teilfunktionen wird durch situationsangepasste Funktionsabschaltungen gewährleistet. Funktionsabschaltungen reichen von der temporären oder dauernden Ausblendung der Fahrstabilisierung (z.B. bei nicht ausrei-

chender Ölversorgung) über einen eingeschränkten Fahrbetrieb mit Ersatzwerten (wenn etwa die Fahrgeschwindigkeit nicht verfügbar ist) bis hin zur Totalabschaltung des gesamten Systems.

3.2.4 Integration von Fahrwerksregelsystemen Die in den vorangehendenen Abschnitten beschriebenen Fahrwerksregelsysteme bilden zusammen mit dem mechanischen Fahrwerk ein aktives Fahrwerk, bei dem es möglich ist, während des Fahrbetriebs die Parameter der einzelnen Fahrwerkskomponenten und damit das Fahrverhalten des Gesamtfahrzeugs optimal der jeweiligen Fahrsituation anzupassen und ferner den Fahrer bei der Führung des Fahrzeugs speziell auch in kritischen Situationen durch zusätzliche Stelleingriffe aktiv zu unterstützen. Die Architektur des Verbunds von Fahrwerksregelsystemen der meisten heute in Serie befindlichen Fahrzeuge ist insofern dezentral aufgebaut, dass mit wenigen Ausnahmen für jedes Regelsystem ein eigenes Steuergerät verwendet wird, wie in Bild 3-43 prinzipiell veranschaulicht ist. Die Signale der Sensoren werden teilweise von mehreren Regelsystemen verwendet, wie zum Beispiel die Signale der Sensoren zur Messung von Gierrate und Querbeschleunigung, die sowohl von der Überlagerungslenkung als auch von der Bremsregelung genutzt werden.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

143

Bild 3-43: Systemarchitektur mit dezentraler Struktur (Buskommunikation nicht explizit dargestellt), dabei bezeichnet AFS (Active Front Steering) die Überlagerungslenkung und DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Bremsregelung

Mit den Möglichkeiten, die ein Verbund an Fahrwerksregelsystemen mit sich bringt, wächst auch die Komplexität des Gesamtsystems, die es zu beherrschen gilt. Aus der Interaktion der Regelsysteme resultieren daher zusätzliche Anforderungen, die im Rahmen des Entwicklungsprozesses zu berücksichtigen sind: Die einzelnen Fahrwerksregelsysteme tauschen verschiedene Informationen miteinander aus. Aus diesem Grund ist eine geeignete Infrastruktur für die Kommunikation zwischen den Steuergeräten, den Sensoren und den Aktoren zu realisieren. Abhängig davon, ob ein Signal für die Verfügbarkeit eines Systems erforderlich oder gar sicherheitsrelevant ist, ist jeweils ein geeigneter Kommunikationskanal vorzusehen, der entsprechende Anforderungen an Zuverlässigkeit und Zeitverhalten erfüllt. Außerdem ist bei der Konzeption der Architektur des System- und Funktionsverbunds zu berücksichtigen, dass eine möglichst hohe Verfügbarkeit der einzelnen Systeme erzielt werden muss. Dies kann beispielsweise dadurch gelingen, dass ein System in seiner Rückfallebene weiterhin die für seine Partnersysteme erforderlichen Signale zur Verfügung stellt, soweit dies möglich ist, oder dass die Partnersysteme selbst in geeigneten Rückfallebenen weiterarbeiten. In einer Rückfallebene ist in der Regel eine Einschränkung der Funktionalität erforderlich. Tragen ferner Systemfunktionen verschiedener Fahrwerksregelsysteme zur Darstellung einer einzigen für den Fahrer relevanten Funktion bei, wie zum Beispiel Systemfunktionen der Bremsregelung und der Überlagerungslenkung zur querdynamischen Fahrzeugstabilisierung, wird eine funktionale Integration erforderlich. Das heißt, es ist sicherzustellen, dass durch die gemeinsame Wirkung beider Systemfunktionen die geforderte Gesamtfunktion den spezifizierten Anforderungen gemäß dargestellt wird. Die Systemfunktionen sind daher entweder jede für sich derart darzustellen, dass beide Funktionen in „friedlicher Koexistenz“ die Gesamtspezifikation erfüllen oder es ist ein geeigneter Signalaustausch zwischen den Systemen zur Kopplung der Algorithmen vorzusehen.

Speziell auch die Sicherheitskonzepte der einzelnen Systeme sind derart auszulegen, dass ein sicherer Betrieb für alle im Systemverbund möglichen Fehlerszenarien gewährleistet ist. Sowohl die Nichtverfügbarkeit von Signalen der Systempartner als auch der Ausfall oder die gestufte Abschaltung von Systemfunktionen der Partner sind hierbei zu berücksichtigen. Unter anderem bestimmt der Fahrwerkstyp, der Motortyp und die Kombination der verbauten Regelsysteme die resultierende Fahrzeugvariante. Bei der Fahrzeugvariantenplanung, also bei der Planung, welche Systeme als Serienausstattung und welche als Sonderausstattung in welcher Kombination (Paketierung) angeboten werden, muss berücksichtigt werden, dass die durch die Variantenvielfalt resultierende Komplexität technisch und wirtschaftlich beherrscht werden kann. Hierbei ist vor allem auch entscheidend, dass die Parametrierung eines Regelsystems teilweise davon abhängt, welche Fahrzeugvariante vorliegt. Die Abstimmprozesse, die sich für das klassische, passive Fahrwerk bewährt haben, sind auf die Anforderungen des aktiven Fahrwerks anzupassen. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die deutliche Erhöhung der Anzahl der Parameter relevant. Auch wird die „Kompromissabstimmung“, bei der ein Parameter so festzulegen ist, dass er für alle Fahrsituationen zu einem akzeptablen Fahrverhalten führt, durch die „situationsabhängige Abstimmung“ abgelöst, bei der die Abhängigkeit eines Parameters von Messgrößen zu definieren ist, die die Fahrsituation beschreiben. Die Komplexität des Systemverbunds erfordert geeignete Prozesse zur Absicherung. Die intensivere Einbindung von Methoden mit einem höheren Automatisierungsgrad, wie zum Beispiel Hardware-in-the-Loop-Simulationen, wird erforderlich. Die einzelnen Fahrwerksregelsysteme kommen in den verschiedenen Fahrzeugbaureihen jeweils in einer aus Sicht der aktiven Sicherheit, der funktionalen Kundenwertigkeit und der Betriebswirtschaftlichkeit sinnvollen Paketierung zum Einsatz.

144

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-44: Fahrwerksregelsysteme in der 5erReihe von BMW: Wankstabilisierung Dynamic Drive, Geschwindigkeitsregelung mit Abstandsregelung ACC (Active Cruise Control), Antriebs- und Bremsregelung zur Fahrzeugstabilisierung DSC (Dynamische Stabilitäts Control) und Überlagerungslenkung (Aktivlenkung)

Die BMW 5er-Reihe ist beispielsweise serienmäßig mit der Brems- und Antriebsregelung zur Fahrzeugstabilisierung DSC ausgestattet und wird mit den Sonderausstattungen Aktivlenkung (Überlagerungslenkung), Dynamic Drive (Wankstabilisierung) und ACC (Active Cruise Control, Geschwindigkeitsregelung mit Abstandsregelung) angeboten (siehe Bild 3-44). Die derzeit umgesetzte dezentrale Systemstruktur resultiert zum einen aus der sukzessiven Einführung

der einzelnen Fahrwerksregelsysteme über die vergangenen Jahre. Zum anderen bietet sie die heute erforderliche Flexibilität zur Kombination von Systemen verschiedener Lieferanten. Für die weitere Evolution von integrierten Fahrwerksregelsystemen (Bild 3-45) wird speziell die Etablierung von Standards und Entwicklungsprozessen für die Integration von Software-Modulen in von Lieferanten bereitgestellte Steuergeräte eine entscheidende Rolle spielen.

Bild 3-45: Aktuelle und zukünftige Fahrdynamik-Regelungssysteme. Dabei bezeichnet FSR-ACC (Full Speed Range Adaptive Cruise Control) die Geschwindigkeitsregelung mit Abstandsregelung über den gesamten Geschwindigkeitsbereich, EPS (Electric Power Steering) die elektrische Hilfskraftlenkung (Elektrolenkung), ÜLL die Überlagerungslenkung, EPB die elekropneumatische Bremse und EHB die elektrohydraulische Bremse; die Pfeile symbolisieren, dass der Übergang zwischen Fahrerassistenzsystemen einerseits und Lenkungs- und Bremsregelsystemen andererseits fließend ist

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

145

Bild 3-46: Systemarchitektur mit zentralem Koordinator. Dabei bezeichnet LDM das Längs-, QDM das Quer- und VDM das Vertikaldynamik-Management, V-Getriebe steht für Verteilergetriebe

3.2.5.1 Überblick

back-Aktor mechanisch entkoppelt und nur durch elektrische Leitungen miteinander verbunden. Beim Vorderachsaktor kann statt des elektromechanischen Antriebs auch ein hydraulischer Servoantrieb eingesetzt werden. Steer-by-Wire-Lenksysteme werden bislang nur in wenigen Spezialfahrzeugen eingesetzt. Den Vorteilen von erweiterten Lenkfunktionen und neuen Gestaltungsmöglichkeiten für das Cockpit steht als Nachteil ein beträchtlicher Aufwand zur Erfüllung der Zuverlässigkeitsanforderungen an sicherheitsrelevante Systeme in Kraftfahrzeugen gegenüber.

Im Gegensatz zu den heute verwendeten hydraulischen oder elektrischen Servolenkungen besteht bei einem „echten“ Steer-by-Wire-Lenksystem keine mechanische Verbindung zwischen der Lenkhandhabe (Lenkrad oder Side Stick) und dem Lenkgetriebe an der Vorderachse. Typischerweise besteht ein Steer-by-Wire-Lenksystem aus zwei elektronisch gesteuerten Aktoren. Bild 3-47 zeigt ein Ausführungsbeispiel für ein System mit elektromechanischen Antrieben. Der Vorderachsaktor (Front Axle Actuator, FAA) ersetzt das konventionelle Lenkgetriebe und setzt die Lenkeingaben des Fahrers an der Lenkhandhabe in eine Lenkbewegung der Vorderräder um. Der Feedback-Aktor (Hand Wheel Actuator, HWA) erzeugt an der Lenkhandhabe eine haptische Rückmeldung für den Fahrer über die Seitenkräfte in den Radaufstandspunkten der Vorderräder beziehungsweise über die Stellkraft des Vorderachsaktors. Die Funktion der beiden Aktoren wird bei diesem Ausführungsbeispiel mit Hilfe eines zentralen elektronischen Steuergeräts (Central Electronic Control Unit, CECU) koordiniert. Die Gestaltung der Lenkhandhabe als Side Stick oder als konventionelles Lenkrad ist für die elektrische und elektronische Architektur des Steer-byWire-Lenksystems von untergeordneter Bedeutung. In beiden Fällen sind Vorderachsaktor und Feed-

Bild 3-47: „Echtes“ Steer-by-Wire-Lenksystem (Prototyp)

Denkbar ist eine Architektur, die sich durch zentrale Steuergeräte für Quer-, Vertikal- und Längsdynamik, eine geeignete Sensorausstattung und unterlagerte intelligente Aktoren auszeichnet. Ein weitergehender Schritt wäre der Einsatz eines einzigen zentralen Koordinators mit Modulen für die Quer-, Vertikalund Längsdynamik (siehe Bild 3-46).

3.2.5 Steer-by-Wire

146 Die Systemarchitektur und die konstruktive Gestaltung der Subsysteme müssen sicherstellen, dass die Ausfallsicherheit des Systems in Bezug auf einen Verlust der Lenkbarkeit des Fahrzeugs zumindest auf dem Niveau konventioneller Lenksysteme liegt. Dabei ist die elektrische Energieversorgung des Systems natürlich in die Zuverlässigkeitsbetrachtungen mit einzubeziehen. 3.2.5.2 Ausfallsichere oder fehlertolerante Systemarchitektur

Ein mechanisches System kann man basierend auf Fachkenntnissen und Erfahrungswerten so auslegen und dimensionieren, dass es bei Einhaltung der spezifizierten Beanspruchungsgrenzen innerhalb seiner vorgesehenen Nutzungsdauer nach menschlichem Ermessen nicht ausfallen wird. Unter der Annahme, dass diese Charakterisierung bei sicherheitsrelevanten Systemen in Kraftfahrzeugen einer theoretischen Ausfallwahrscheinlichkeit von deutlich weniger als 10-7 Ausfällen pro Stunde Betriebszeit entspricht, kann dies für einkanalig aufgebaute elektronische Steuergeräte und mechatronische Subsysteme heute nicht garantiert werden. Um eine zu konventionellen Lenksystemen vergleichbare Ausfallsicherheit zu erreichen, muss man bei einem Steer-by-Wire-Lenksystem also wenigstens singuläre elektrische oder elektronische Fehler in jedem seiner mechatronischen Subsysteme zulassen, ohne dass es zu einem plötzlichen Verlust der Lenkbarkeit des Fahrzeugs kommt. Ein solches Systemverhalten kann auf zwei grundlegend unterschiedliche Weisen erzielt werden: das System kann entweder ausfallsicher oder fehlertolerant ausgeführt werden.

3 Fahrwerksysteme Ein ausfallsicheres Steer-by-Wire-System beinhaltet eine mechanische Rückfallebene. Bild 3-48 zeigt ein Ausführungsbeispiel, bei dem die Lenkwelle zwischen dem Feedback-Aktor und dem Vorderachsaktor im normalen Betrieb des Steer-by-Wire-Systems mit Hilfe einer elektromagnetisch betätigten Kupplung unterbrochen wird. Die mechanische Rückfallebene ermöglicht es, im Falle eines sicherheitskritischen elektrischen oder elektronischen Fehlers in einem der mechatronischen Subsysteme alle elektronisch gesteuerten Funktionen einfach abzuschalten und das Steer-by-Wire-System in den Modus einer konventionellen mechanischen Lenkung zu überführen. Das heißt, für die Systemsicherheit ist es hier ausreichend, wenn die elektronische Steuerung über Fehlererkennungsmechanismen verfügt, die zuverlässig ein selbsttätiges Abschalten im Fehlerfall gewährleisten. Die mechatronischen Subsysteme können somit als Fail Silent Unit (FSU) ausgeführt werden. Eine Fail Silent Unit ist durch ihre Fähigkeit gekennzeichnet, sich kontinuierlich selbst zu überwachen und im Falle eines Fehlers sofort sämtliche Ausgänge in einen passiven Zustand zu überführen. Ein fehlertolerantes ‚echtes’ Steer-by-Wire-System basiert dagegen auf einer Verteilung der zur Aufrechterhaltung der Systemfunktionen erforderlichen Hardware [15]. Die Hardware wird dabei auf mehrere elektronische und mechatronische Subsysteme verteilt, die lokale Redundanzen bilden. Wenn ein Subsystem ausfällt beziehungsweise in Folge der internen oder externen Fehlererkennungsmechanismen abgeschaltet wird, gewährleistet seine lokale Redundanz ein Aufrechterhalten der von diesem Subsystem unterstützen Systemfunktionen.

Bild 3-48: Ausfallsicheres Steer-by-WireLenksystem mit mechanischer Rückfallebene (Prototyp)

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

147

Bild 3-49: Struktur einer fehlertoleranten Architektur mit fehlertoleranten Subsystemen (FTA: Fault Tolerant Architecture, FTU: Fault Tolerant Unit, FSU: Fail Silent Unit)

Die Fehlertoleranz schließt einen plötzlichen Verlust der Lenkbarkeit des Fahrzeugs aus und die Fehlererkennungsmechanismen erlauben eine angemessene Fehlerbehandlung. Eine angemessene Fehlerbehandlung kann zum Beispiel darin bestehen, den weiteren Einsatz eines Fahrzeugs nach Erkennen eines singulären Fehlers im Steer-by-Wire-System dadurch einzuschränken, dass der Fahrer einen Warnhinweis erhält und die maximale Fahrgeschwindigkeit deutlich reduziert wird. In diesem Beispiel wird also die Verfügbarkeit des Fahrzeugs gezielt reduziert, um den vorübergehenden Mangel an Ausfallsicherheit zu kompensieren. Insbesondere bei den mechatronischen Subsystemen einer fehlertoleranten Systemarchitektur bietet es sich an, eine gemeinsame mechanische Basis zu verwenden und redundante Subsysteme zu ‚Fault Tolerant Units‘ (FTUs) zusammenzufassen. Ein einfacher, aber weit verbreiteter Ansatz, eine Fault Tolerant Unit darzustellen, besteht darin, wenigstens zwei Fail Silent Units (FSUs) miteinander zu kombinieren. In Bild 3-49 ist dieses Konzept exemplarisch für ein sehr einfaches fehlertolerantes System dargestellt, das sich aus einer Sensor-, einer Controller- und einer Aktor-Einheit zusammensetzt. Die beiden Sensor-

FSUs bedienen sich einer gemeinsamen mechanischen Schnittstelle, zum Beispiel der Lenkradwelle. Die beiden Aktor-FSUs wirken ebenfalls auf eine gemeinsame mechanische Schnittstelle, zum Beispiel auf die Lenkzahnstange. Jede Fail Silent Unit verfügt über ein lokales elektronisches Steuergerät. Die lokalen Steuergeräte sind durch einen fehlertoleranten echtzeitfähigen Datenbus miteinander vernetzt. Bekannte Beispiele für einen solchen Datenbus sind TTP und Flexray. Im normalen Betrieb tragen beide Fail Silent Units in gleicher Weise zur Funktion ihrer übergeordneten Fault Tolerant Unit bei. Im Fall des Versagens einer Fail Silent Unit weist die übergeordnete Fault Tolerant Unit unter Umständen eine verminderte Leistungsfähigkeit auf, kann aber immer noch einen grundlegenden Funktionsumfang des Gesamtsystems (Fault Tolerant Architecture, FTA) aufrechterhalten. Voraussetzung für die Realisierbarkeit der Fehlertoleranz eines solchen mechatronischen Gesamtsystems ist eine redundante Spannungsversorgung.

148

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-50: Entwicklung der elektrischen und elektronischen Architektur eines Steer-by-Wire-Systems

3.2.5.3 Elektrische und elektronische Architektur des fehlertoleranten Steer-By-WireSystems

Dem klassischen Ansatz der Systementwicklung folgend bilden die für eine Steer-by-Wire-Anwendung eingeplanten und verfügbaren Komponenten wie Sensoren, Steuergeräte und Motoren sowie das Erfahrungswissen des Systementwicklers die Grundlage für das Layout der elektrischen und elektronischen Architektur. Die Fehlertoleranz eines so ausgelegten Systems wird mit Hilfe von FMEA-Methoden (Failure Mode and Effect Analysis) überprüft. Die Architektur muss dann gegebenenfalls iterativ nachgebessert werden. Alternativ kommt ein systematischer Ansatz zur Ermittlung einer geeigneten Architektur zur Anwendung (siehe Bild 3-50). Dazu werden zunächst alle gewünschten externen Systemfunktionen niedergeschrieben. Die externen Systemfunktionen des Steerby-Wire-Systems sind dabei diejenigen, die sich anhand der Eingänge und Ausgänge noch beobachten lassen, wenn das gesamte System als Black Box betrachtet wird. Basierend auf den Ergebnissen einer Gefahrenanalyse für das Steer-by-Wire-System (Top Level Hazard Analysis) wird für jede der externen Systemfunktionen

ihr potentielles Versagen entsprechend der Folgenschwere klassifiziert. Im nächsten Schritt werden die externen Systemfunktionen auf die internen Systemfunktionen heruntergebrochen, die innerhalb der Black Box ausgeführt werden müssen, um die externen Systemfunktionen zu realisieren. Natürlich resultieren viele dieser internen Systemfunktionen aus der zuvor festgelegten Unterteilung des Steer-by-Wire-Systems in zwei mechatronische Subsysteme sowie dem Grobkonzept für die Aktor-Hardware. Der internen Funktionsanalyse folgt eine Fehlerbaumanalyse (Fault Tree Analysis). Im Rahmen der Fehlerbaumanalyse wird für jede der externen Systemfunktionen ihr potentielles Versagen auf mögliche Ursachen in den internen Systemfunktionen zurückgeführt. In Angängigkeit von der zuvor vorgenommenen Klassifizierung des Versagens können nun Zuverlässigkeitsanforderungen für jede interne Systemfunktion postuliert werden. Aus den gewählten Strategien zur Gewährleistung dieser Zuverlässigkeitsanforderungen resultieren schließlich konkrete Vorgaben für das Layout der elektrischen und elektronischen Architektur des Systems und für die Verteilung der Softwarefunktionen auf die miteinander vernetzten Mikrocontroller.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

149

Bild 3-51: Fehlertolerante elektrische und elektronische Architektur eines Steer-by-Wire-Systems, S: Sensor, M: Motor, ECU: Electronic Control Unit (nicht dargestellt ist die redundante Spannungsversorgung der Fault Tolerant Units, FTUs), HWA: Hand Wheel Actuator, FAA: Front Axle Actuator

Bild 3-51 zeigt in vereinfachter Darstellung ein Beispiel für eine nach diesem systematischen Ansatz ermittelte fehlertolerante elektrische und elektronische Architektur eines Steer-by-Wire-Systems. Feedback-Aktor und Vorderachsaktor weisen die gleiche Struktur auf. Beide Aktoren sind als Fault Tolerant Units aufgebaut, bei denen jeweils zwei Motoren und drei Sensoren auf einer gemeinsamen Welle montiert sind. Beide Aktoren enthalten zudem jeweils zwei separate elektronische Steuergeräte. Jedes Steuergerät verarbeitet zwei voneinander unabhängige Sensorsignale und steuert einen Motor. Sämtliche Steuergeräte tauschen über einen fehlertoleranten echtzeitfähigen Datenbus kontinuierlich Sensorsignale, Stellbefehle und Statusinfomationen miteinander aus. Auf die Darstellung der redundanten Spannungsversorgung der Subsysteme wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. Die Strategien zur Gewährleistung der Zuverlässigkeit basieren hier im Wesentlichen auf der Bereitstellung von lokalen Redundanzen für die elektrischen und elektronischen Subsysteme. Für die mechanischen Komponenten des Vorderachsaktors und des Feedback-Aktors gilt dagegen die Annahme, dass

diese entsprechend der bewährten Konstruktionsprinzipien für sicherheitskritische Bauteile im Kraftfahrzeug ausgelegt und dimensioniert werden. Bild 3-52 zeigt den entsprechenden Konstruktionsentwurf für den Vorderachsaktor als fehlertolerantes mechatronisches Subsystem. Die beiden unabhängig voneinander angesteuerten bürstenlosen Hohlwellenmotoren wirken parallel auf einen zentral angeordneten Kugelgewindetrieb, der den Drehwinkel der Motorwelle in eine Translationsbewegung der Lenkzahnstange und das Motormoment in eine Axialkraft an der Lenkzahnstange umwandelt. Die auf den Hohlwellen angeordneten paarweise redundanten Sensoren liefern die Ankerposition für die elektronische Kommutierung der Motoren. Aus der Ankerposition wird außerdem der Verschiebeweg der Lenkzahnstange berechnet, der dem Positionsregelkreis des Vorderachsaktors als Istwert zugeführt wird. Bei dem hier betrachteten Prototyp wurden die beiden elektronischen Steuergeräte weit außen positioniert, um in der in der Mitte des Gehäusedeckels einen möglichst großen Freiraum für das mit einem Hitzeschild umgebene Abgasrohr des Verbrennungsmotors zu schaffen und so die externe thermische Belastung des Vorderachsaktors in Grenzen zu halten.

150

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-52: Vorderachsaktor als fehlertolerantes mechatronisches Subsystem (Prototyp)

3.2.5.4 Fehlertolerante Spannungsversorgung

Unabdingbare Voraussetzung für jedes sicherheitsrelevante „echte“ X-by-Wire-System im Kraftfahrzeug ist eine fehlertolerante elektrische Energieversorgung. Bei einem Mittelklasse-Pkw mit einer Vorderachslast von 900 bis 1100 kg würde die durchschnittliche mechanische Ausgangsleistung des Steer-By-WireVorderachsaktors im normalen Fahrbetrieb zwar weniger als 40 Watt betragen. Zur Darstellung der gewünschten erweiterten Lenkfunktionen muss der Vorderachsaktor bei einigen Fahrmanövern (z.B. beim Lenken im Stand) allerdings wiederkehrend über mehrere Sekunden hinweg eine mechanische Ausgangsleistung von circa 1000 Watt zur Verfügung stellen können. Die grundlegenden Lenkfunktionen zur Aufrechterhaltung der Lenkfähigkeit des Fahrzeugs, die auch im Falle eines singulären Fehlers in einem der Subsysteme des Vorderachsaktors verfügbar sein müssen, erfordern immerhin noch eine kurzzeitige mechanische Ausgangsleistung von circa 600 Watt. Der Leistungsbedarf steigt dabei proportional zur Erhöhung der Vorderachslast. Mit der üblichen Versorgungsspannung von 14 Volt sind für diese Ausgangsleistungen bei konventionel-

ler Ansteuerung der Elektromotoren sehr hohe Ströme über die Leistungstransistoren der Endstufen zu führen. Zum Schutz gegen die dabei aus den Ohmschen Verlusten resultierende Erwärmung der Endstufe müssen aufwendige Maßnahmen zur Kühlung vorgesehen werden. Andernfalls wird die Verfügbarkeit des Steer-By-Wire-Systems beträchtlich eingeschränkt. Wesentlich günstigere Bedingungen würden bei einer Versorgungsspannung von 42 Volt vorliegen. Als Alternative zur 42-Volt-Spannungsversorgung wird die kombinierte Verwendung von Voltage-Boostern zur Erhöhung der Spannungsniveaus an der Endstufe und zusätzlichen kapazitiven Energiespeichern (Supercaps) zu Reduzierung der maximalen Stromaufnahme aus dem 14-Volt-Bordnetz diskutiert. 3.2.5.5 Steer-by-Wire-Regelkreise

Ein Steer-by-Wire-System beinhaltet mehrere hierarchisch angeordnete und aneinandergekoppelte Regelkreise (siehe Bild 3-53).

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

151

Bild 3-53: Kopplung zwischen dem Positionsregelkreis des Vorderachsaktors (FAA) und dem Momentenregelkreis des Feedback-Aktors (HWA) über das zentrale Steuergerät (CECU)

Der Vorderachsaktor wird in einem Positionsregelkreis betrieben und beinhaltet auch einen Kraftsensor oder einen Beobachter für die Lenkkräfte an der Vorderachse. Der Feedback-Aktor wird dagegen in einem Momentenregelkreis betrieben und enthält einen Winkelsensor zur Erfassung der Lenkeingaben des Fahrers an der Lenkhandhabe oder am Lenkrad. Die aktuelle Neufassung der ECE-Regelung R79 für Lenksysteme von Straßenfahrzeugen erlaubt im Hinblick auf automatische Lenkkorrekturen zur Verbesserung der elektronischen Fahrstabilitätsregelung eine gewisse Flexibilität in der Gestaltung der funktionalen Abhängigkeit zwischen den Lenkeingaben des Fahrers und der Lenkbewegung der Vorderräder [16]. Allerdings muss sich der Lenkwinkel der Vorderräder stetig mit der Handbewegung des Fahrers an der Lenkhandhabe ändern. Die Sollwertvorgabe für die Position des Vorderachsaktors ist damit im Wesentlichen eine nichtlineare, aber stetige Funktion des Lenkradwinkels. Die Berechnung der Sollwertvorgabe für das Feedback-Moment erscheint auf den ersten Blick eine ähnlich einfache Aufgabe zu sein. Dem klassischen Ansatz folgend wird die gemessene oder mit Hilfe eines Beobachters geschätzte Lenkkraft an der Vorderachse einem Kennfeld zugeführt, das gemäß der invertierten Unterstützungskurve einer Servolenkung

einen Sollwert für das Reaktionsmoment am Lenkrad ausgibt. Leider führt dieser einfache Ansatz nicht unbedingt zum gewünschten Erfolg. Die direkte Kopplung zwischen dem Positionsregelkreis des Vorderachsaktors und dem Momentenregelkreis des Feedback-Aktors führt aufgrund der hohen Verstärkungsfaktoren insbesondere beim Lenken im Stand und bei losgelassenem Lenkrad (Free Control) zu Stabilitätsproblemen, die sich in oszillierenden Lenkbewegungen widerspiegeln. Dieses Problem kann zwar durch Erhöhen der aktiven Dämpfung reduziert werden, allerdings zu Ungunsten des Lenkgefühls. Komplexere Ansätze zur Generierung der Sollwertvorgabe für das Feedback-Moment, die den Konflikt zwischen einer guten Rückmeldung über den Fahrbahnkontakt am Lenkrad und der Stabilität der Steerby-Wire-Systems besser lösen, wurden in verschiedenen Publikationen bereits veröffentlicht ([17], [18], [19]). Voraussetzung für alle Ansätze ist allerdings eine ausreichende Bandbreite der untergeordneten Regelkreise auf der Ebene der mechatronischen Subsysteme. Diese hängt direkt von der Auflösung und der Genauigkeit der verwendeten Sensoren, der Rechenleistung der Mikrocontroller und dem Leistungsüberschuss der Servoantriebe ab und hat damit starken Einfluss auf die Systemkosten.

152 3.2.5.6 Steer-by-Wire-Anwendungen

Mit dem heutigen Stand der Kraftfahrzeugelektronik sind Steer-by-Wire-Lenksysteme ohne mechanische Rückfallebene technisch realisierbar. Allerdings ergeben sich aufgrund der erforderlichen Redundanzen im direkten Vergleich zu hydraulischen oder elektrischen Servolenkungen erhebliche Kostennachteile, die der Substitution dieser Lenksysteme durch ein Steer-byWire-System entgegenstehen. Daneben soll nicht verschwiegen werden, dass sich die erweiterten Lenkfunktionen in Abhängigkeit von ihrer Ausprägung in prinzipiell konventionell aufgebauten Lenkungen auch entweder durch eine Lenkmomentüberlagerung oder durch eine Lenkwinkelüberlagerung darstellen lassen. Bei der Lenkmomentüberlagerung wirkt ein Servomotor als Momentensteller direkt auf die Eingangswelle des konventionellen Lenkgetriebes. Bei der Lenkwinkelüberlagerung wird der Servomotor als Winkelsteller über ein Summiergetriebe (zum Beispiel ein Planetengetriebe) mit der Lenkwelle der hydraulischen Servolenkung verbunden. Beide Arten der Überlagerungslenkung können als Fail Silent Unit ohne lokale Redundanz ausgelegt werden und lassen sich aufgrund des relativ geringen Leistungsbedarfs problemlos in 14-Volt-Technologie ausführen. Solange neue Package-Strukturen und Innenraumkonzepte für zukünftige Kraftfahrzeuge die mechanische Verbindung vom Lenkrad zum Lenkgetriebe nicht absolut ausschließen, können vor diesem Hintergrund auch die funktionalen Vorteile von Steer-by-WireSystem die Nachteile bei den Systemkosten nicht aufwiegen. „Echte“ Steer-by-Wire-Anwendungen werden daher bis auf weiteres Sonderfahrzeugen vorbehalten bleiben.

3.2.6 Brake-By-Wire In der Entwicklung des Automobils steht die Bremsanlage als Grundbaustein der aktiven Fahrsicherheit vor einem Generationswechsel: Nach Anfängen mit rein mechanisch betätigen Bremsen dominiert heute die hydraulische Bremsanlage mit einem integrierten elektronischen Antiblockiersystem, deren Ablösung durch mechatronische Brake-by-Wire-Anlagen allerdings mittlerweile vorgezeichnet ist. 3.2.6.1 Überblick

In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die hydraulischen Fahrzeugbremsen entwickelt, bei denen durch die Reibungsfreiheit der Flüssigkeit eine gleichmäßige Verteilung der Betätigungskräfte auf die Räder einer Achse sicher gestellt ist. Diese hydraulische Form der Kraftübertragung hat sich weltweit bis zum heutigen Tag als Stand der PkwBremsentechnik etabliert.

3 Fahrwerksysteme Gleichwohl zeichnet sich nunmehr ein Generationenwechsel in der Bremsentechnologie ab, für den es gute Beweggründe gibt. Es handelt sich dabei um elektronische By-Wire-Bremsanlagen, bei denen zwar nach wie vor durch Reibung zwischen Belag und Trommel oder Scheibe gebremst wird, der Stellbefehl zum Zuspannen jedoch elektrisch ausgelöst oder übertragen wird. Zu unterscheiden sind hierbei einerseits fremdeingriffsfähige Hilfskraft- sowie andererseits echte Fremdkraftbremsanlagen. Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge lassen sich Bremsanlagen grundsätzlich in Muskelkraft-, Hilfskraft- und Fremdkraftanlagen differenzieren. Für die Betrachtung von By-Wire-Bremsanlagen spielen die Muskelkraftanlagen ohne jegliche Verstärkung und Fremdeingriffsfähigkeit keine Rolle. Hingegen sind Hilfskraft-verstärkte Anlagen bei Ausstattung mit entsprechender Sensorik und Aktorik in der Lage, z.B. im Fall von Fahrdynamik-Regeleingriffen (elektronisches Stabilitätsprogramm) oder Adaptive Cruise Control (automatische Abstandseinregelung) fremdangesteuert zu agieren – allerdings stets noch mit direkter mechanisch-hydraulischer Durchgriffsmöglichkeit auf die Radbremsen durch den Fahrer. Im Falle des elektrohydraulischen Bremssystems (EHB) und des elektromechanischen Bremssystems (EMB) handelt es sich um echte By-Wire-Anlagen mit reiner Fremdkraftbetätigung (Fahrerwunschübertragung über Strom oder Spannung), wobei beim EHB bei Ausfall der Spannungs- oder Stromversorgung immer noch eine hydraulische Notdurchgriffsmöglichkeit („Rückfallebene“) für den Fahrerfuß gegeben ist. Beim EMB muss von Vornherein mit redundanter Energieversorgung (z.B. zwei Batterien) gearbeitet werden. Das Hybridbremssystem stellt eine Übergangslösung dar, bis die volle elektrische Redundanz im Pkw verwirklicht sein wird: Die konventionell hydraulisch (gegebenenfalls auch mit dem EHB) gebremste Vorderachse wird durch eine elektromechanisch gebremste Hinterachse mit integrierter elektrischer Feststellbremse (Parkbremse) ergänzt. Die wesentlichen Vorteile der Brake-By-Wire-Anlagen bestehen in der vollständigen Fremdansteuerfähigkeit für zukünftige vernetzte Verkehrssysteme sowie in der eleganten Möglichkeit, die Parkbremse inklusive aller Hilfsfunktionen zu implementieren (Anfahrhilfsfunktionen, z.B. in Form von Rückrollverhinderung am Berg). Außerdem sind By-WireBremsanlagen eine Voraussetzung für das Global Chassis Control (kombinierte Regelung von Lenkung, Bremse und Fahrwerk). 3.2.6.2 Elektrohydraulisches Bremssystem

Das elektrohydraulische Bremssystem (EHB) ist sowohl im Normalbrems- als auch im Radschlupfre-

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen gel-Modus ein von der Betätigung (Bremspedal) mechanisch entkoppeltes und dadurch in Bezug auf den Fahrerfuß rückwirkungsfreies Bremssystem. Es besteht aus den Baugruppen (Bild 3-54): Betätigungseinheit (anstelle der klassischen Betätigung, z.B. Vakuum-Booster) mit einem applizierten Bremsgefühlgeber, dem sogenannten Pedal-

153 (gefühl)simulator einschließlich der Fahrerwunscherfassung (Sensorik am elektronischen Bremspedal) Regeleinheiten (elektronisch und hydraulisch, an einem beliebigen Ort im Fahrzeug) vier konventionellen Radbremsen

Bild 3-54: Elektrohydraulisches Bremssystem: a) Systemlayout, b) Komponenten, c) Hydraulikschaltplan

154 Der gemessene Pedalweg und der im Simulator aufgebaute Druck stellen das Maß für die gewünschte Verzögerung dar. Diese Signale werden über Kabel (by wire) an den elektronischen Regler geleitet und mit weiteren, den Fahrzustand und Fremdbremseingriffe beschreibenden Sensorsignalen (z.B. Raddrehzahlen, Gierrate, Querbeschleunigung) verarbeitet. Der elektronische Regler errechnet daraus die Vorgaben für – hinsichtlich Bremsverhalten und Fahrstabilität optimale – radindividuelle Bremsdrücke. Die hydraulische Regeleinheit und das MotorPumpen-Speicher-Aggregat erzeugen die Bremsenergie entsprechend dieser Vorgaben. Eine als Rückfallebene für den Stromausfall installierte hydraulische Verbindung zwischen Betätigungseinheit und hydraulischer Regeleinheit ist dazu durch dauerbestromte elektrische Trennventile – die bei Stromausfall für direkten Fahrerdurchgriff federbetätigt öffnen – unterbrochen. Der Bremsdruck im Rad wird aus der vorgeladenen Speichereinheit über Regelventile eingestellt. Das elektrohydraulische Bremssystem ermöglicht kürzere Anhaltewege durch eine bessere Systemdynamik (insbesondere bei Kälte). Außerdem besteht die Möglichkeit einer verbesserten Anordnung der Pedale und eines verbesserten Packagings mit einer vereinfachten Montage durch Wegfall des Unterdruckverstärkers (Vakuum-Booster) und eine frei im Motorraum positionierbare elektro-hydraulische Regeleinheit. Weiterhin ergibt sich eine einfache Realisierung von Fremdbremseingriffen über externe Signale. Alle heute denkbaren Bremseingriffe und Radschlupf-Regelfunktionen werden dabei mit Hilfe der einheitlichen elektrohydraulischen Regeleinheit und somit ohne zusätzlichen Hardwareaufwand realisiert. Beispiele hierfür sind das Anti-Blockier-System (ABS), die elektronische Bremskraftverteilung, die Antriebsschlupfregelung, das elektronische Stabilitätsprogramm (Fahrdynamikregelung), der Bremsassistent und die automatische Abstandsregelung. 3.2.6.3 Elektromechanisches Bremssystem

Beim elektromechanischen Bremssystem (EMB) findet sowohl für die Signalübertragung (mit einem BusSystem, siehe Abschnitt 4.2) als auch für die Energieübertragung kein Stofffluss (in Form von Bremsflüssigkeit) mehr statt; vielmehr werden die ZuspannStellbefehle und Stellbewegungen rein elektrisch initiiert. 3.2.6.3.1 Zielsetzung

Das elektromechanische Bremssystem (EMB) ist ein bedeutender Schritt in der Weiterentwicklung von Bremssystemen. Da es frei von Bremsflüssigkeit ist, wird es auch „trockenes“ Brake-by-Wire genannt. Es ermöglicht eine chrashentkoppelte und ergonomisch

3 Fahrwerksysteme günstige Position des Bremspedals (möglich durch Pedalgefühlsimulator und Sensorik statt Tandemhauptzylinder und Unterdruckverstärker) und somit einen geringeren Zeitbedarf für das Umsetzen des Fußes. Hieraus ergibt sich ein verkürzter Anhalteweg. Der Entfall der Bremsflüssigkeit verleiht ihm eine erhöhte Umweltverträglichkeit. Außerdem erfordert es nur einen geringen Packaging- und Montageaufwand. Das elektromechanische Bremssystem übernimmt sämtliche Funktionen einer Bremsanlage: Betriebsbremsanlage, Hilfsbremsanlage und elektrische Parkbremse. 3.2.6.3.2 Systemaufbau

Wie beim elektrohydraulischen Bremssystem besteht das Grundprinzip des EMB in der rückwirkungsfreien Kopplung des Pedals (Sollwertvorgabe) mit den Bremsen. Anders als beim EHB existiert jedoch beim EMB keine hydraulische, mit Muskelkraft betätigbare Rückfallebene mehr. Um die Sicherheit des Fahrzeuges zu gewährleisten, benötigt das EMB ein redundantes Signal- und Energienetz (z.B. zwei Batterien, siehe Abschnitt 3.2.6.3.7). Im Gegensatz zum EHB erzeugt das EMB die Betätigungskräfte direkt an den Rädern über rein elektromechanisch betriebene Radbremsen anstelle der konventionellen hydraulisch betätigten Bremssättel. Die Bremsbeläge werden von einem Elektromotor über ein Getriebesystem an die Bremsscheibe gepresst (siehe Bild 3-55). 3.2.6.3.3 Betätigungseinrichtung

Die Betätigung besteht in einem ersten Schritt aus einem „elektronischen“ Bremspedal (denkbar sind auch andere Arten von Betätigungen, z.B. ein Hebel). Dieses kann Bestandteil eines verstellbaren Pedalmoduls sein, das neben dem Brems- auch das Fahrpedal und die zentrale elektronische Regeleinheit enthält (Bild 3-56). Das elektronische Bremspedal setzt sich aus dem Pedalgefühlsimulator und Sensoren zur Fahrerwunscherfassung zusammen. Die PedalwegSignale werden wie beim EHB von der zentralen Regelelektronik mit weiteren Signalen (z.B. Raddrehzahlen, Gierrate, Querbeschleunigung) verarbeitet und in hinsichtlich Bremsverhalten und Fahrstabilität optimale radindividuelle Bremsenzuspannkräfte umgerechnet. Die entsprechenden elektrischen Informationen werden über ein zweikanaliges Bussystem (by wire) an die Radbremsmodule übertragen. Die Pedalcharakteristik (Zusammenhang zwischen Pedalkraft, Pedalweg und Fahrzeugverzögerung) spielt neben den nicht bremssystemspezifischen Gegebenheiten, wie z.B. Stellung des Pedals (Neigung) und relative Position zum Sitz (Ergonomie), die wesentliche Rolle für das sich ergebende „Pedalgefühl“.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

155

Bild 3-55: Elektromechanisches Bremssystem: a) Systemlayout, b) Systemarchitektur

Das Empfinden, wie Betätigungs-Kraft und -Weg in Relation zur Verzögerung harmonieren, ist entscheidend für die sichere, effiziente und komfortable Bedienbarkeit der Bremse. Beim EMB lässt sich das Pedalgefühl in weiten Grenzen durch Software vorgeben. Erweiterungen zu einer veränderlichen (adaptiven) Pedalcharakteristik (z.B. abhängig vom Beladungszustand) sind mit relativ geringem Aufwand durch Software darstellbar. 3.2.6.3.4 Radbremsmodule

Bild 3-56: Verstellbares Pedalmodul

Jedes der Radbremsmodule besteht aus den Grundkomponenten Reibungsbremse, elektromechanischer Aktor und darin integrierter Leistungselektronik (Bild 3-57). Die Faustsattel-Reibungsbremse wird in ihrer Grundfunktion von der hydraulischen Radbremse übernommen. Der Bremskolben wird durch den elektromechanischen Aktor ersetzt. Die Zuspannkraft-Dosierung bei Bremsvorgängen sowie

156 die Bremsmomentenvariation bei Radschlupf-Regelungsvorgängen (z.B. durch ABS) erfolgen ähnlich wie bei der elektrohydraulischen Bremse in der Zentral-Elektronik, von der aus die entsprechenden Anforderungen an die Radbremsen-Leistungselektroniken weitergeleitet werden.

3 Fahrwerksysteme Die Feststellbremsfunktion (elektrische Parkbremse) wird realisiert, indem der Aktorantrieb nach Zuspannen auf einem vorgegebenen Kraftniveau elektromechanisch verriegelt wird. Nach Wegnahme der Bestromung bleibt das System selbsthemmend verriegelt und benötigt lediglich zum Lösen erneut elektrische Energie. 3.2.6.3.5 Sensorik

Zuzüglich zur Fahrdynamik-Regelungs-Sensorik empfiehlt es sich, radindividuelle Zuspannkraftsensoren zu verwenden. Aus heutiger Sicht bietet diese Konstellation die bestmögliche Funktionalität und das bestmögliche Regelungskonzept. Allerdings sind auch kraftsensorlose Strategien mit einer rechnerischen „Rekonstruktion“ des Bremsmomentes und der Zuspannkraft möglich. Als zusätzliche Sensorik gegenüber den hydraulischen Bremssystemen ist in jedem Aktor noch eine Motorlagesensorik enthalten. Dadurch kann bei entsprechender konstruktiver Auslegung nicht nur die Motorkommutierung, sondern auch die genaue Bremsbelagposition (für Belagverschleißerfassung, Lüftspieleinstellung etc.) realisiert werden. Bild 3-57: Radbremsmodul

Die Feststellbremse ist an der Hinterachse in Form einer in den Aktor integrierten Arretiervorrichtung realisiert. Die Aktivierung kann durch einen manuell bedienten Taster mit reiner Signalkopplung an die jeweiligen Rad-Leistungselektroniken erfolgen oder mit einer Ansteuerung der RadbremsenLeistungselektroniken durch die Zentral-Elektronik aufgrund dort ablaufender übergeordneter Zusatzfunktionen. An den elektromechanischen Aktor des elektromechanischen Bremssystems werden besondere Anforderungen gestellt. Er muss durch die Abstimmung seiner Komponenten (Elektromotor und Getriebesysteme) sicherstellen, dass der gewünschte physikalische Effekt, nämlich Aufbau und Modulation einer Spannkraft, in den geforderten Zeiten realisiert werden kann. An den Motor der Aktorik werden unterschiedliche Anforderungen gestellt: Zum einen muss in Verbindung mit dem nachgeschalteten Getriebesystem die maximale Spannkraft sicher erreicht werden, zum anderen müssen der Kraftaufbau und die Kraftmodulation mit einer hinreichenden Dynamik erfolgen. Als sinnvoller elektromechanischer Wandler hat sich aufgrund der sehr hohen Leistungsdichte der bürstenlose, permanenterregte Gleichstrommotor herauskristallisiert. Der Abstimmung der Motorkennlinie und der geometrischen Auslegung (Trägheitsmomente) ist aufgrund der statischen und dynamischen Anforderungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

3.2.6.3.6 Regelkonzepte

Auch das elektromechanische Bremssystem realisiert – wie das elektrohydraulische – alle denkbaren Bremseingriffe und Stabilitätsfunktionen (z.B. ABS, elektronische Bremskraftverteilung, Antriebsschlupfregelung, elektronisches Stabilitätsprogramm, Bremsassistent, automatische Abstandsregelung). Darüber hinaus kann die elektrische Parkbremse mit minimalem Aufwand ergänzt werden. Das elektromechanische Bremssystem kann die Beläge aktiv zurückstellen (lüften). Bei hydraulischen Bremsen wird diese Aufgabe durch die Kolbendichtringe nur annähernd wahrgenommen. Das aktive Zurückstellen gewährleistet schnelles, exakt dosiertes Lüften der Bremsbeläge von der Scheibe. Dadurch werden Restbremsmomente vermieden und der Kraftstoffverbrauch vermindert, Auswaschungen an den Bremsscheiben (DTV, Disc Thickness Variation) verhindert sowie bei ABS-Reglung auf niedrigsten Reibwerten das Wiederbeschleunigen des Rades erleichtert. Das elektromechanische Bremssystem sensiert den aktuellen Belagzustand, insbesondere den Belagverschleiß. Mit dieser Information kann eine rechtzeitige Aufforderung zum Belagwechsel generiert werden. Darüber hinaus ist es möglich, den Belagverschleiß innerhalb gewisser Grenzen stärker auf die bislang schwächer abgenutzten, meist hinteren Beläge zu verlagern. Dies geschieht situationsangepasst durch eine Verschiebung der Bremskraftanteile auf die Bremsen mit dem geringeren Verschleiß.

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen

157

3.2.6.3.7 Energieversorgung

3.2.6.4.2 Systemaufbau

Grundsätzlich ist der Generator die Energiequelle zum Betrieb des elektromechanischen Bremssystems. Die aus Sicherheits- und Redundanzgründen notwendigen beiden Batterien (möglichst von unterschiedlicher physikalischer Bauart) müssen bezüglich Ladezustand (State of Charge, SoC) sowie Alterungszustand (State of Health, SoH) überwacht werden und stellen neben einem Puffer für kurzzeitige Spitzen im Leistungsbedarf die Backup-Lösung für den Notfall sowie für den Zustand „Fahrzeugantrieb ausgeschaltet“ dar. Aus heutiger Sicht kann ein derartiges Bremssystem mit einem 14-V-Bordnetz nicht sinnvoll betrieben werden. Die zum Erreichen der erforderlichen Dynamik benötigte hohe Leistungsaufnahme führt zu inakzeptablen, verlustreichen Spitzenströmen.

Ein Hybrid-Bremssystem (Bild 3-58) besteht aus einer hydraulischen Betätigungseinrichtung, die die Vorderachse mit den bekannten hydraulischen Bremssätteln versorgt. Die Ausführung kann sowohl ein- als auch zweikreisig sein. Die Hydraulik-Anlage ist auf die Regelung nur einer Achse angepasst. Die Erfassung des Fahrerwunsches geschieht mit Sensoren in der Betätigung oder innerhalb des HydraulikSystems. Die beiden hinteren elektromechanischen Aktoren komplettieren die Bremsanlage. Die Sensorik für die Fahrdynamikregelung (Raddrehzahlen, Lenkwinkel, Gierrate, Beschleunigungen) bleibt unverändert. Ein Taster zur Betätigung der elektrischen Parkbremse vervollständigt die Anlage. Die Elektronik des Fahrdynamik-Regelsystems übernimmt wie bisher die Radschlupfregelung, auch bei „externen“ Bremsanforderungen wie z.B. bei der Abstandsregelung. Daneben wird hier auch der Fahrerwunsch ermittelt und entsprechend den Fahr- und Lastbedingungen die optimale Bremskraft als Anforderung über eine Busverbindung an die Hinterachse geschickt. In der Fahrzeugausrüstung ergibt das zunächst keine wesentliche Änderung. Das grundsätzliche Packaging bleibt unverändert.

3.2.6.4 Hybrid-Bremssystem

Die Idee einer Kombination der bewährten hydraulischen Bremse mit der elektromechanischen Bremse entstand bereits in der Frühphase der Entwicklung von By-Wire-Bremssystemen. Durch den raschen Entwicklungsfortschritt bei Kommunikationssystemen und 42-Volt-Komponenten wurde der Ansatz zunächst nur kurze Zeit verfolgt. Hohe Kosten und der fehlende Marktdruck sorgten dann aber für eine zögerliche Umsetzung neuer Fahrzeugarchitekturen und damit für eine Wiederbelebung der Kombination von Elektromechanik (an der Hinterachse) mit Hydraulik (an der Vorderachse), die mit den bekannten Fahrzeugstrukturen darstellbar ist. 3.2.6.4.1 Motivation

Der Einsatz einer elektromechanischen Bremse an der Hinterachse eines Fahrzeuges erfordert aufgrund Baugröße und notwendiger Dynamik im Gegensatz zur Vorderachse deutlich geringere Leistungen, die sich mit 12 Volt Bordnetzspannung darstellen lassen. Einen Teil der Zusatzfunktionen des elektromechanischen Bremssystems wie die integrierte Parkbremse, eine nahezu frei variierbare Bremslastverteilung und die Fremdansteuerung der Bremse im Komfortbereich lassen sich mit dem Hybrid-Bremssystem darstellen. Da nur die Vorderachse hydraulisch versorgt wird, reduziert sich die Baugröße der Betätigungseinrichtung und erlaubt einen deutlich größeren Auslegungsspielraum. Die elektrische Bremse an der Hinterachse lässt nicht nur Bremsleitungen und -schläuche nach hinten entfallen, sie erlaubt auch bei der Achsmontage die Darstellung von komplett geprüften Modulen mit einfachen Schnittstellen.

3.2.6.4.3 Neue Funktionen

Die heute bekannten Regelfunktionen bleiben vollständig erhalten. Dazu kommen Erweiterungen und neue Funktionen: Die Grundbremse wird um eine situationsangepasste Bremslastverteilung erweitert. Damit kann zum einen eine ideale Bremslastverteilung realisiert werden und andererseits können Beladungs- und Fahrzustände berücksichtigt werden. Fahrzeuge, die aus Komfortgründen eine weiche Aufhängung zwischen Aufbau und Achsen haben, neigen bei Bremsungen bis zum Stillstand zu unkomfortablen Aufbaulängsschwingungen. Diese lassen sich durch temporäre Reduzierung der Bremskraft an einer Achse nahezu vollständig vermeiden („Soft-Stop, Ruckverhinderer“). Dies lässt sich auch mit der Hybrid-Bremse so darstellen, dass der Fahrer von dem Eingriff im Pedal nichts spürt. Radschlupfregelfunktionen werden teilweise durch die Möglichkeit optimiert, die Bremskraft an der Hinterachse über die Fahrervorgabe anzuheben. Die Integration der Parkbremse erlaubt neue Regelkonzepte mit völliger Integration von Betriebs- und Parkbremsfunktionen mit hochdynamischen, komfortablen Übergängen.

158

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-58: Hybrid-Bremssystem

Der zunehmenden Forderung für externe Ansteuerungen durch Assistenzsysteme kann das System vor allem im Bereich der Komfortbremsungen (bis etwa 0,3 g) entsprechen. Hier lässt sich durch die Ansteuerungen der Hinterachse alleine bereits eine optimal regelbare Bremsung darstellen. Der Fahrer bemerkt dabei am Bremspedal nichts von einem Eingriff.

Bild 3-59: Hybrid-Bremssystem: Hinterachs-Aktor

3.2.6.4.4 Hinterachs-Aktor

Für den Hinterachseinsatz in einem Hybrid-Bremssystem wird auf den Sattel des elektromechanischen Bremssystems zurückgegriffen. Jedoch steht hier neben der Integration der Parkbremse eine kostenoptimierte Konstruktion mit ausreichender Dynamik im Vordergrund. Die elektrische Versorgung ist auf 12 Volt ausgelegt (Bild 3-59).

3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen Literatur zu Abschnitt 3.2 [1] Ayoubi, M.; Ruck, G.: EPS – Electric Power Steering im BMW Z4. Tagung Fahrkwerktechnik, Haus der Technik, München, 2.–4. Juni 2003 [2] Beiker, S.: Verbesserungsmöglichkeiten des Fahrverhaltens von Pkw durch zusammenwirkende Regelsysteme. Fortschritt-Berichte VDI. Reihe 12, Verkehrstechnik/Fahrzeugtechnik, Nr. 418, 2000 [3] Brösicke, G.: Das Parkbremssystem des neuen 7er-BMW. Brems.tech 2002. 12.–13.12.2002, München [4] Fennel, H.: ABS plus und ESP – Ein Konzept zur Beherrschung der Fahrdynamik. In: ATZ 100 (1998) 4 [5] Fischer, G.; Pfau, W; Braun, H.; Billig, C.: xDrive – Der neue Allradantrieb im BMW X3 und BMW X5. In: ATZ 02 (2004) [6] G. Fischer, R. Heyken, Trächtler, A.: Aktive Gespannstabilisierung beim X5. In: ATZ 4/02, Jahrgang 104 [7] Gaus, H.; Schöpf, H.-J.: ASD, ASR und 4MATIC: Drei Systeme im „Konzept Aktive Sicherheit“ von DaimlerBenz. In: ATZ 88 (1986) 5, 6 [8] Jurr, R.; Behnsen, S.; Bruns, H.; Held, G.; Hochgrebe, M.; Strassberger, M.; Zieglmeier, F.: Das aktive WankStabilisierungssystem Dynamic Drive, ATZ/MTZ-Sonderausgabe: Der neue BMW 7er, 2001 [9] Kohl, G.; Müller, R.: Bremsanlage und Schlupfregelsysteme der neuen 3er-Baureihe von BMW. In: ATZ 100 (1998) Nr. 9, S. 604-615, und Nr.10, S 744-750 [10] Köhn, P.; Wachinger, M.; Fleck, R.; Brenner, P.; Reimann, G.: Aufbau und Funktion der Aktivlenkung von BMW, Tagung Fahrwerktechnik, München, Juni 2003 [11] Müller, A.; Heißing, B.: Das Fahrwerk des Audi A4. 5. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik, Aachen, Oktober 1995 [12] Schnabel, M; Ayoubi, M.; Fischer, G.; Herb, E.; Leffler, H.; Prestl, W.; Straßberger, M.: Elektronisches Chassis Management: Fahrwerksregelsysteme in den Fahrzeugen der BMW Group, 11. Internationale Tagung „Elektronik im Kraftfahrzeug“, Baden-Baden, 25.–26.09.2003, VDIBerichte Nr. 1789, S. 441–465 [13] Schöpf, H.-J.: Mercedes-Benz Fahrdynamik-Konzept, ASR, ASD und 4MATIC. Autec 1986 [14] Straßberger, M.: Elektronisch regelbare Feder- und Dämpfersysteme. BIAS-Tagung „Neue Aspekte der Fahrzeugsicherheit“, Nürnberg, 2003 [15] X-By-Wire Consortium (Brite EuRam III): Safety Related Fault-Tolerant Systems in Vehicles, Publishable Synthesis Report XbyWire-DB-6/6-25, November 1998 [16] Economic Commission for Europe: World Forum for Harmonization of Vehicle Regulations (WP.29). Draft Supplement 3 to the 01 Series of Amendments to Regulation No. 79 (Steering Equipment), TRANS/WP.29/1024, 16.09.2004 [17] Feick, S.; Pandit, M.; Zimmer, M.; Uhler, R.: Steer-by-Wire as a Mechatronic Implementation, SAE Technical Paper 2000-01-0823 [18] Odenthal, D.; Bünte, T.; Heitzer, H.-D.; Eicker, Ch.: How To Make Steer-By-Wire Feel Like Power Steering, 15th IFAC World Congress on Automatic Control, Barcelona 2002 [19] Shoji Asai, Hiroshi Kuroyanagi, Shinji Takeuchi, Toshihirio Takahashi, Shoji Ogawa: Development of a Steer-By-Wire System with Force Feedback Using a Disturbance Observer, SAE Technical Paper 2004-01-1100 [20] Braess, H.-H.; Seifert, U.: Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2000 [21] Breuer, B.; Bill, K.: Bremsenhandbuch. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2003

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160

3.3 Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge 3.3.1 Nutzfahrzeug-Bremsanlage 3.3.1.1 Einleitung

Angesichts der primären Aufgabe einer Bremsanlage, die kinetische Energie von Fahrzeugen schnell und sicher in Reibungswärme umzusetzen, gehört sie zu den sicherheitsrelevanten Systemen eines Kraftfahrzeuges. Während Transporter und leichte Nutzfahrzeuge in der Regel mit Pkw-ähnlichen hydraulischen Hilfskraftbremsanlagen ausgestattet sind, haben Lkw über 6 t Gesamtgewicht und die davon gezogenen Anhängefahrzeuge fast ausschließlich pneumatische Fremdkraftbremsanlagen. Meilensteine des kontinuierlichen Fortschritts von Druckluftbremsanlagen sind die Einführung der EU-Bremsanlage (1973) sowie die Einführung des Anti-Blockier-Systems (ABS) im Jahr 1981, das im Jahr 1991 für schwere Lkw und die zugehörigen Anhänger gesetzlich vorgeschrieben wurde. Erstmals im Schwer-Lkw Actros der Marke Mercedes-Benz wurden 1996 Scheibenbremsen mit elektronischer Regelung der Bremskraft eingeführt. Diese elektronisch-pneumatische Bremsanlage (EPB) löste die bis dahin übliche pneumatische Fremdkraftbremsanlage ab. Damit wurde ein Bremssystem geschaffen, das nicht nur den im Laufe der Zeit erhöhten Sicherheitsanforderungen Rechnung trägt, sondern auch als Basissystem die Plattform für eine Reihe von Fahrerassistenzsystemen (siehe Abschnitt 9.2) bildet. Diese Systeme können zum Teil durch reine SoftwareIntegration in das elektronische Bremssystem integriert werden. Die Marktdurchdringung vollzog sich in Europa vergleichsweise schnell und hat längst auch die Nutzfahrzeuge der mittleren Gewichtsklasse erreicht.

3 Fahrwerksysteme gen verwendet. Dabei werden in der Regel Membranzylinder mit gespeicherter Druckluft beaufschlagt. Moderne Zweikreis-Druckluftbremsanlagen (siehe Bild 3-60) bestehen aus den Hauptgruppen Energieversorgung, Vorrat, Bremsventile, Bremskraftsteuerung, Radbremsen sowie der Steuerung und Versorgung der Anhängerbremsanlage. Das dem Druckregler nachgeschaltete VierkreisSchutzventil schützt bei Defekt eines der Druckluftkreise die restlichen vor Druckverlust und hält somit die Bremsanlage betriebsfähig. Die erste entscheidende Leistungssteigerung dieser pneumatischen Bremsanlage erfolgte durch Einführung des Anti-Blockier-Systems (ABS). Dieses erste elektronische Regelsystem im Nutzfahrzeug, das in die konventionelle Bremsanlage integrierbar ist, hat die Aufgabe, Fahrstabilität und Lenkfähigkeit des Fahrzeuges beim Bremsen auf Fahrbahnoberflächen mit niedrigem oder unterschiedlichem Kraftschluss in den Fahrspuren zu erhalten und gleichzeitig die mögliche Kraftübertragung zwischen Reifen und Fahrbahn an allen Rädern optimal für die Verzögerung des Fahrzeuges zu nutzen. Da die Gesetzmäßigkeiten für die Übertragung von Längskräften zwischen Reifen und Fahrbahn für Brems- und Antriebskräfte gleichermaßen gelten, war die Entwicklung der Antriebsschlupfregelung (ASR) der konsequente nächste Schritt (Bild 3-61). Beim Durchdrehen beider Antriebsräder reduziert die Motorregelung die Antriebskräfte so stark, dass die Räder wieder in optimalen Schlupf kommen und damit die dem Kraftschluss entsprechenden größtmöglichen Vortriebskräfte übertragen können. Bei einseitig durchdrehendem Rad wird dieses Rad so stark eingebremst, dass es wieder in den optimalen Schlupfbereich zurückgeführt wird (Differenzialbremsregelung). Das nicht durchdrehende Rad kann dadurch etwa ebensoviel Vortriebsmoment aufbringen, wie das durchdrehende Rad mit Bremsmoment beaufschlagt wird.

3.3.1.2 Pneumatische Fremdkraftbremsanlage

3.3.1.2.2 Bremsanlage für Anhängefahrzeuge

3.3.1.2.1 Bremsanlage für Zugfahrzeuge

Durch die Anzahl der Verbindungsleitungen vom Zugfahrzeug zum Anhänger oder Auflieger gliedern sich die Bremsanlagen in Ein-, Zwei- oder Mehrleitungsbremsanlagen. Bei Einleitungsbremsanlagen übernimmt eine Leitung sowohl die Druckversorgung (Auffüllen des Vorratsbehälters) als auch die Steuerung des Anhängerbremsventils, das die Druckluft zur Betätigung der Radbremsen freigibt. Die während der stationären Fahrt unter Druck stehende Leitung wird bei Bremsbetätigung entlüftet und damit die Druckluftversorgung des Anhängers unterbrochen. Einleitungsbremsanlagen sind in der EU nicht mehr zulässig.

Bei Nutzfahrzeugen über 6 t Gesamtgewicht ist es für den Fahrer trotz Unterdruckunterstützung nicht mehr möglich, im praktischen Fahrbetrieb mit seiner Fußkraft eine ausreichende Bremskraft zu erzielen. Deshalb werden bei diesen Nutzfahrzeugen fast ausschließlich Fremdkraftbremsanlagen eingesetzt, bei denen die zur Erzeugung der Bremskraft benötigte Energie von einer Energieversorgungseinheit ausgeht. Neben Air-over-Hydraulic-Bremssystemen, bei denen die Radbremsen hydraulisch betätigt werden und die teilweise noch bei mittelschweren Nutzfahrzeugen zum Einsatz kommen, werden Druckluftbremsanla-

3.3 Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge

161

Bild 3-60: Prinzip einer zweikreisigen Druckluft-Fremdkraftbremsanlage; ALB Automatischer lastabhängiger Bremskraftverteiler

Bild 3-61: Anti-Blockier-System (ABS) und Antriebsschlupfregelung (ASR) für ein Nutzfahrzeug mit konventioneller Druckluft-Fremdkraftbremsanlage: 1 Sensor und Polrad, 2 Membranzylinder, 3 Magnetregelventil (ABS), 4 Motorsteuerung, 5 Membran-Federspeicher-Kombinationszylinder, 6 Magnetregelventil, 7 2-Wegeventil, 8 3/2-Wegemagnetventil, 9 Elektronik für ABS und ASR, 10 Kontrollleuchten, 11 Druckluftbehälter (Vorderachsbremskreis), 12 Druckluftbehälter (Hinterachsbremskreis), 13 ABS-Steckdose (Anhängefahrzeuge)

162 Die europäische Standardausführung ist die Zweileitungsbremsanlage. Dabei verbindet eine permanent unter Druck stehende Vorratsleitung die Vorratsbehälter von Zugfahrzeug und Anhänger oder Auflieger. Die zweite Leitung (Bremsleitung) steuert über den Druckanstieg vom Anhängersteuerventil im Zugfahrzeug über das Anhängerbremsventil im Anhänger oder Auflieger die Betätigung der Radbremsen. Das Bremsen des Anhängers oder Aufliegers bei ungewolltem Abreißen erfolgt durch die Vorratsleitung. Strömt aus ihr, z.B. durch Leitungsbruch, Luft aus, aktiviert das Bremsventil im Anhänger oder Auflieger die Bremsen. Mehrleitungsbremsanlagen (drei Leitungen) sind hauptsächlich in Frankreich und England gebräuchlich. Dabei überträgt die dritte Leitung den Bremsdruck für die Hilfsbremsanlage im Anhänger oder Auflieger. Um die Fahrstabilität der unterschiedlichen Zugkombinationen beim Bremsen sicherzustellen, sind die

3 Fahrwerksysteme Bremsanlagen der Einzelfahrzeuge so aufeinander abzustimmen, dass sie den Anforderungen des EGAbbremsbandes genügen (siehe auch Abschnitt 3.3.1.5). 3.3.1.3 Elektronisch-pneumatische Bremsanlage

Die elektronisch-pneumatische Bremsanlage (EPB) basiert auf einer zweikreisig aufgebauten, rein pneumatisch arbeitenden Grundbremsanlage, der die eigentliche elektropneumatische Regelung überlagert wird (Bild 3-62). Den Vorder- und Hinterachsbremsen sowie dem „Kupplungskopf Bremse“ zum Anhänger sind Druckregelkreise zugeordnet, mit denen die im Steuergerät der EPB ermittelten Drucksollwerte in Bremsdrücke umgesetzt werden. ABS- und ASR-Funktionsumfänge sind in der EPB integriert.

Bild 3-62: Systemkomponenten einer elektronisch-pneumatischen Bremsanlage: 1 Steuergerät, 2 ABS-Ventil, 3 Proportional-Relaisventil, 4 Bremswertgeber, 5 Redundanzventil, 6 elektropneumatisches Anhängersteuerventil, 7 Achsmodulator, 8 Belagsverschleißsensor, 9 Drehzahlsensor, 10 Radbremse, 11 Druckluftspeicher

3.3 Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge 3.3.1.3.1 Systemkomponenten einer elektronischpneumatischen Bremsanlage

Im Steuergerät der EPB sind wesentliche Funktionsumfänge, Kommunikationsschnittstellen zu anderen Fahrzeugsystemen und zum Achsmodulator sowie die Druckregelung für Vorderachse und Anhängersteuerkreis realisiert. Zur optimalen Bedienung von Anhängern mit elektronisch-pneumatischer Bremsanlage ist im Steuergerät auch eine elektrische Schnittstelle nach ISO 11992 integriert. Der Bremswertgeber enthält zwei voneinander unabhängige pneumatische Steuerkreise, zwei Bremslichtschalter sowie zwei unabhängig voneinander arbeitende Analogsensoren, die den vom Fahrer ausgesteuerten Pedalweg erfassen und an das Steuergerät weiterleiten. Der Achsmodulator an der Hinterachse enthält zwei radweise zugeordnete Druckregelkreise, die die beiden Hinterradbremsen bei unkritischen Betriebsbremsungen mit dem gleichen Bremsdruck beaufschlagen. Die bei einem ABS- oder einem ASR-Regeleingriff notwendigen, radindividuellen Bremsdrücke werden ebenfalls von den Regelkreisen des Achsmodulators ausgesteuert. Mit dem Redundanzventil der Hinterachse wird sichergestellt, dass bei Ausfall des Achsmodulators die Hinterachsbremsen mit Druck beaufschlagt werden können. Das Proportional-Relaisventil an der Vorderachse ist gegenüber dem Achsmodulator an der Hinterachse einfacher aufgebaut und beaufschlagt beide Vorderradbremsen mit Druck. Der Istdruck wird sensiert und zur Darstellung eines Druckregelkreises an das Steuergerät übertragen. Bei Ausfall der Vorderachs-Elektropneumatik entspricht der Vorderachs-Bremsdruck dem Steuerdruck des Bremswertgebers. Dem ProportionalRelaisventil sind radweise angeordnete ABS-Magnetventile nachgeschaltet, mit denen ein ABS-Regeleingriff an jedem Vorderrad ermöglicht wird. Diese ABS-Magnetventile unterscheiden sich nicht von den in konventionellen Fremdkraftbremsanlagen eingesetzten Komponenten. Das elektronisch-pneumatische Anhängersteuerventil entspricht weitgehend einem konventionellen Anhängersteuerventil mit integrierter Abrisssicherung. Um eine spürbar verbesserte Anhängerregelung auch beim Betrieb mit heute noch in Betrieb befindlichen, konventionell gebremsten Anhängern zu ermöglichen, wird der erste Steuerkreis elektrisch angesteuert. Vorrats- und Steuerdruck des elektronischpneumatischen Anhängersteuerventils werden über die üblichen pneumatischen Schnittstellen „Kupplungskopf Vorrat“ und „Kupplungskopf Bremse“ zum Anhänger übertragen. Der Ausgangsdruck am „Kupplungskopf Bremse“ wird sensiert und – ähnlich wie an der Vorderachse – dem Steuergerät zur Darstellung eines Druckregelkreises übertragen.

163 3.3.1.4 Differenzschlupfregelung

Bei Bremsungen ohne ABS-Regeleingriff werden die Drucksollwerte für Vorderachse, Hinterachse und Anhänger durch die Differenzschlupfregelung in der EPB ermittelt (Bild 3-63). Der Sinn dieser Regelung ist die Gesamtbeladung des Zugfahrzeugs und die Achslastverteilung ohne Einsatz eines separaten Lastsensors und ohne Parametrierung fahrzeugspezifischer Größen, wie Radstand oder Schwerpunktlage, zu erkennen. Außerdem wird eine Verzögerungsregelung dargestellt. Das heißt, gleiche Pedalbetätigung bedeutet gleiche Verzögerung, unabhängig von Beladungszustand und Fahrsituation. Ferner wird eine Anhängerregelung realisiert, durch die sich das Zugfahrzeug und der Anhänger stets seinem Gewicht entsprechend an der Bremsarbeit des gesamten Zuges beteiligen. Schließlich wird noch eine Harmonisierung des Bremsbelagverschleißes zwischen den bremsdruckgeregelten Achsen des Zugfahrzeugs bei unkritischen Anpassungsbremsungen auf Basis realer Verschleißdaten der Bremsbeläge dargestellt. Oberste Priorität hat allerdings immer der durch die ABS-Regelung vorgegebene Bremsdruckverlauf an den Rädern bei ABSEingriff.

Bild 3-63: Differenzschlupfregelung in der EPB: zsoll Soll-Abbremsung, zist tatsächliche Abbremsung, vref Fahrzeuggeschwindigkeit, pVA Bremsdruck Vorderachse, pHA Bremsdruck Hinterachse, n Raddrehzahl, U Spannung, sB Dicke Bremsbelag, sP Pedalweg, pn pneumatisch

164 3.3.1.5 Koppelkraftregelung

Je nach Abstimmung der einzelnen Zugkomponenten innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Abbremsbandes (Bild 3-64), kann es im Kupplungspunkt zu Zug- oder Druckkräften zwischen den Zuggliedern kommen. Um die Kräfte vor dem Hintergrund einer optimalen Zugstabilität beim Bremsen zu minimieren, wird der Ausgangsdruck am Kupplungskopf „Bremse“ entsprechend geregelt. Dadurch beteiligen sich Lkw und Anhänger oder Auflieger ihrem Gewicht entsprechend an der Bremsarbeit des Gesamtzugs.

Bild 3-64: Korrektur des Bremsdrucks im Anhängefahrzeug innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Abbremsbandes (g = 9,81 m/s2)

3.3.1.6 Ausfallsicherheit

Die pneumatische Basisbremsanlage ist so ausgelegt, dass die Vorschriften zur Wirkung von LkwBremsanlagen bereits ohne Einsatz der elektropneumatischen Regelkreise erfüllt werden. Wie bei allen modernen, komplexen Fahrzeugsystemen ist der Ausfallsicherheit durch eine ausgefeilte Sicherheitsund Abschaltphilosophie Rechnung zu tragen. Die übergeordneten Ziele bestehen in der Erkennung aller Fehler und einer angemessenen Warnung des Fahrers und in der konsequenten Vermeidung sicherheitskritischer System- oder Fahrzustände; außerdem in der größtmöglichen Verfügbarkeit auch von Subsystemen und Teilfunktionen sowie in der Begrenzung des Speicherbedarfs der Sicherheitssoftware durch Bildung von Fehlergruppen. Die wesentlichen Merkmale der Sicherheitsphilosophie sind im folgenden zusammengefasst: Bei Ausfall der Druckluftversorgung eines Kreises entspricht das Ausfallverhalten der EPB dem einer konventionellen Bremsanlage: Das Vierkreisschutzventil sichert die Vorratskreise für Vorderachse, Hinterachse und Anhängersteuerung gegeneinander ab. Der defekte Kreis selbst kann nicht mehr zur Bremsung beitragen, die beiden verbleibenden Kreise

3 Fahrwerksysteme aber arbeiten mit dem Schließdruck des Vierkreisschutzventils ohne Beeinträchtigung weiter. Bei einem Defekt in der Anhängersteuerung des Zugfahrzeugs steht – wie in einer konventionellen Bremsanlage – für einen gewissen Zeitraum der im Anhänger gespeicherte Druckluftvorrat für Bremsungen zur Verfügung. Beim Totalausfall der Fahrzeug-Elektrik oder des EPB-Steuergeräts kommt die pneumatische Basisbremsanlage in allen Kreisen zum Einsatz. Wie in einer konventionellen ABS-Bremsanlage ist bei einem solchen vollständigen Elektrikausfall auch eine ABS-Regelung nicht mehr möglich. Die pneumatische Basisbremsanlage ist deshalb so ausgelegt, dass einerseits Fahrzeuge mit besonders niedrigem Hinterachs-Lastanteil (beispielsweise Zweiachs-Sattelzugmaschinen im Solobetrieb) trotz fehlenden ABSSchutzes nicht in kritische Fahrsituationen geraten, dass aber andererseits Fahrzeuge mit besonders hohem Hinterachs-Lastanteil (beispielsweise voll beladene Dreiachs-Pritschenfahrzeuge) dennoch über eine ausreichende Bremskraftreserve verfügen. Zur Erreichung beider Ziele wird der vom HinterachsRedundanzkreis aussteuerbare Bremsdruck reduziert. Die Kennung entspricht in etwa der eines ALBVentils (Automatisches lastabhängiges Druck-Begrenzungs-Ventil, siehe Bild 3-60) in Teillaststellung. Die Kennung des Vorderachs-Redundanzkreises wird bei Ausfall der Hinterachs-Elektropneumatik über ein Last-Leer-Ventil im Bremswertgeber angehoben. Der Ausfall des Achsmodulators an der Hinterachse bedeutet auch den Ausfall der ABS-Regelung an der Hinterachse. Zur Sicherstellung einer definierten Blockierreihenfolge wird in diesem Fehlerfall auch die ABS-Regelung an der Vorderachse abgeschaltet. Die elektropneumatische Druckregelung an der Vorderachse und im Anhängersteuerkreis bleiben erhalten. Ein Defekt im Proportional-Relaisventil an der Vorderachse kann zu einem Ausfall der VorderachsDruckregelung führen. Während die Vorderachse über den pneumatischen Redundanzkreis gesteuert wird, bleiben die Druckregelkreise an der Hinterachse und in der Anhängersteuerung ebenso voll verfügbar wie die gesamte ABS-Regelung. Mit dem Ziel größtmöglicher Verfügbarkeit erfolgt bei Defekten an einzelnen Komponenten eine selektive Abschaltung der betroffenen Funktionsumfänge. So führt beispielsweise ein fehlerhaftes Raddrehzahlsignal zur Abschaltung der ABS-Funktion am betroffenen Rad, während die Differenzschlupfregelung und mit ihr die gesamte elektropneumatische Regelung erhalten bleibt. Außerdem führt ein Defekt in der Bremsbelagverschleißsensorik lediglich zur Abschaltung der Bremsbelag-Verschleißharmonisierung, ein fehlerhaftes Drucksensorsignal zum Übergang auf eine elektropneumatische Drucksteuerung und ein defektes Vorderachs-ABS-Drucksteuerventil nur zur Abschaltung der ABS-Funktion des betroffenen Rades.

3.3 Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge

165

Alle Fehler, die durch die in die EPB integrierte Sensorik erkannt werden, erscheinen auf dem Anzeigeinstrument und warnen den Fahrer. Eine Klassifizierung der entdeckten Fehler in drei Schweregrade ermöglicht dem Fahrer eine angemessene Reaktion auf den entdeckten Fehler. Gleiches gilt für die Überwachung der Vorratsdrücke, die direkt im Vierkreisschutzventil erfolgt.

rungsregelung bei betätigter Betriebsbremse wird der Fahrer auch künftig dazu animiert, die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs bei Gefällefahrten nur über die Aktivierung der Dauerbremsen per Lenkstockschalter zu halten oder den Tempomat zu nutzen.

3.3.1.7 Dauerbremsintegration

3.3.2.1 Einleitung

Auf Basis der in der EPB integrierten Differenzschlupfregelung wurde die automatische Aktivierung der im Fahrzeug verbauten Dauerbremssysteme bei Betätigung des Bremspedals möglich. Das Regelziel der Dauerbremsaktivierung besteht darin, durch Aktivierung der Dauerbremsen bei möglichst allen Verzögerungsvorgängen die Bremsbelag-Standzeiten von Zugfahrzeug und Anhänger zu erhöhen. Kritische Fahrsituationen werden durch die in der Differenzschlupfregelung vorliegenden aktuellen Daten automatisch erkannt, ein manuelles Abschalten der Funktion „Dauerbremsaktivierung per Bremspedal“ ist deshalb nicht erforderlich. Die separate Betätigung der Dauerbremsen mit dem Lenkstockschalter bleibt von der neuen Funktion der EPB unberührt. Durch die Beibehaltung der Verzöge-

Insbesondere bei ungünstiger Beladungssituation oder wechselnder Fahrbahnbeschaffenheit kann es bei Kurvenfahrten oder Ausweichmanövern mit Nutzfahrzeugen durch überhöhte Geschwindigkeit zu kritischen Fahrzuständen kommen, welche vom Fahrer unter Umständen nicht mehr kontrollierbar sind. Die elektronische Fahrdynamik-Regelung (Bild 3-65) erkennt drohende Instabilitäten wie Schleudern, Ausbrechen, Einknicken oder Umkippen und wirkt diesen Tendenzen, soweit physikalisch möglich, durch Reduzierung des Motormoments, durch gezielte radweise Eingriffe in das Bremssystem des Zugfahrzeugs und durch Ansteuerung der Aufliegerbremsanlage entgegen. Mit der elektronischen Fahrdynamik-Regelung wird eine Beeinflussung der Querdynamik vorgenommen.

3.3.2 Fahrdynamik-Regelung von Sattelzügen

Bild 3-65: Prinzip der Fahrdynamik-Regelung von Sattelzugmaschinen

166

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-66: Ausregelung des Sollkurses für einen Sattelzug durch situationsabhängigen Bremseingriff: übersteuerndes Fahrzeugverhalten (links), untersteuerndes Fahrzeugverhalten (rechts)

3.3.2.2 Aufbau und Funktion der elektronischen Fahrdynamik-Regelung

Die elektronische Fahrdynamik-Regelung setzt auf der Plattform der EPB auf. Im Steuergerät der Fahrdynamik-Regelung sind die wesentlichen Funktionsumfänge und Sicherheitsmechanismen, mit denen eine sicherheitskritische Betätigung des Bremssystems und anderer Fahrzeugsysteme ausgeschlossen werden kann, sowie die Kommunikationsschnittstelle zum Steuergerät der EPB realisiert. Der Datenaustausch erfolgt über CAN-Datenbus. Weiterhin sind im Steuergerät der Fahrdynamik-Regelung ein Gierratensensor, mit welchem die Drehbewegung um die Hochachse des Fahrzeuges erfasst wird, und ein Querbeschleunigungssensor integriert. Da die Querbeschleunigung im Fahrzeugschwerpunkt benötigt wird, ist das Steuergerät schwerpunktsnah im Rahmen verbaut. Der zwischen Lenkrad und Lenksäule sitzende Lenkradwinkelsensor erfasst den aktuellen Lenkradwinkel und errechnet mit der aus den Raddrehzahlen abgeleiteten Fahrzeuggeschwindigkeit den vom Fahrer gewünschten Soll-Kurs des Zuges. Der fahrdynamische Ist-Kurs wird aus der gemessenen Gierrate und der gemessenen Querbeschleunigung bestimmt. Der aus der Gierrate, Querbeschleunigung und der Fahrzeugreferenzgeschwindigkeit berechenbare Schwimmwinkel des Fahrzeugs dient in Kombination mit der Gierrate als Indikator für sich abzeichnende Instabilitäten wie Schleudern oder Ausbrechen. Bei Überschreiten vorgegebener Schwellwerte wird die vorhandene Regeldifferenz durch die nachfolgend erläuterten unterlagerten Regeleingriffe beseitigt: Radindividuelle Bremseingriffe (Bild 3-66): Durch radindividuelle Bremseingriffe wird ein Giermoment aufgebaut, das das Fahrzeug in die vom Fahrer gewünschte Richtung dreht. Bei untersteuerndem Fahrverhalten wird durch gezieltes individuelles Einbremsen des kurveninneren Rades der Hinterachse ein Giermoment aufgebaut, das das Fahrzeug stabilisierend in die Kurve hineindreht. Bei übersteuerndem Fahrzeugverhalten dagegen wird das kurvenäußere Rad der Vorderachse eingebremst und dadurch der Tendenz des Fahrzeugs entgegengewirkt, sich in die

Kurve hineinzudrehen. Durch die elektrische Ansteuerung der entsprechenden Stellglieder der EPB ist es möglich, den Bremsdruck an den einzelnen Rädern des Zugfahrzeugs sowie im Auflieger – auch ohne Betätigung des Bremspedals – zu beeinflussen. Ansteuerung der Aufliegerbremsanlage: Durch Ansteuerung des EPB-Anhängersteuerventils werden konventionelle wie auch elektropneumatisch gebremste Auflieger im Bedarfsfall über die pneumatische Schnittstelle „Kupplungskopf Bremse“ eingebremst und somit der Sattelzug gestreckt und verzögert. Ein mögliches Aufschieben des Aufliegers und ein damit verbundenes Einknicken des Zuges werden sicher verhindert. Motorregelung: Bei kritischen Fahrzuständen aufgrund überhöhter Geschwindigkeit wird aus der Gierrate eine bei der momentanen Querbeschleunigung optimale Sollgeschwindigkeit berechnet, bei der das Fahrzeug noch stabil ist, und in ein Motormoment umgerechnet. Die Motorsteuerung regelt dieses Motormoment feinfühlig aus. Die Kurvengrenzgeschwindigkeit wird dadurch nicht überschritten. 3.3.2.3 Schutz vor Umkippen

Die hohe Schwerpunktlage von beladenen Sattelzügen ist die Ursache dafür, dass überhöhte Kurvengeschwindigkeiten auf hohen Kraftschlussbeiwerten zwischen Reifen und Fahrbahn weniger zum Schleudern und Ausbrechen, sondern vielmehr zum Umkippen des Zuges führen können. Der Kippschutz erkennt Kipptendenzen des Sattelzuges und verhindert diese durch entsprechende Regeleingriffe. Voraussetzung für die Realisierung eines Kippschutzes ist eine Abschätzung der Schwerpunktshöhe im Auflieger, die sich durch stark variierende Beladungssituationen spürbar verändert. Ohne zusätzliche Sensorik im Auflieger wird die Schwerpunktshöhe anhand der aus der EPB verfügbaren Fahrzeugmasse (unter Annahme einer ungünstigen Gewichtsverteilung) abgeschätzt und daraus die maximal zulässige Querbeschleunigung ermittelt. Bei einem leeren Fahrzeug ergibt sich eine hohe und damit wirkungslose Querbeschleuni-

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Unterschätzte Kurven und plötzliche Ausweichmanöver können auch geübte Fahrer schnell ins Schleudern bringen. Die zukunftsweisenden Stabilitäts-Programme ESP und RSP® von Knorr-Bremse entschärfen kippelige Situationen vollautomatisch – durch intelligente Eingriffe in das Bremsmanagement von Zugfahrzeug und Anhänger. So lassen sich gefährliche Schieflagen deutlich sicherer beherrschen.

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3.4 Simulation von Fahrwerksystemen gungsschwelle; mit zunehmender Beladung fällt die Schwelle bis auf einen definierten Grenzwert ab. Ein Überschreiten dieser massenabhängigen Querbeschleunigungsschwelle wird durch eine Verminderung der Fahrzeuggeschwindigkeit über die Motorsteuerung und das Einbremsen des kompletten Zuges verhindert. Zusätzlich wird anhand der Lenkradwinkelinformation eine Prognose der sich aufbauenden Querbeschleunigung durchgeführt und im Bedarfsfall ebenfalls die Fahrzeuggeschwindigkeit vermindert. 3.3.2.4 Ausblick

Mit Hilfe der in Abschnitt 3.3.2.2 beschriebenen Fahrdynamik-Regelung erfolgt eine Erhöhung der aktiven Sicherheit. Zusätzliches Potenzial zur Erhöhung der Verkehrssicherheit verspricht man sich von der Überlagerung der Fahrdynamik-Regelung mit einem aktiven Lenkeingriff. Grundlage hierfür ist ein elektronisch beeinflussbarer Lenkaktor, der in die Fahrdynamik-Regelung einbezogen wird. Dadurch ist es möglich, die Radkräfte nicht nur in Längsrichtung zu regeln, sondern über den zusätzlichen Lenkwinkeleingriff die Seitenführungskräfte zu beeinflussen. So kann z.B. das Regelpotenzial für die Stabilität des Fahrzeugs bei Kurvenfahrt erhöht werden und auf winterlichen Straßenverhältnissen das Bremsverhalten durch optimiertes Zusammenspiel von Bremse und Lenkung wesentlich verbessert werden. Die endgültige Auslegung des Konzepts lässt eine Verminderung des Bremsweges um ca. 20 % erwarten, wobei der notwendige Lenkeingriff des Fahrers um bis zu 80 % vermindert werden kann. Literatur zu Abschnitt 3.3 [1] Breuer, B.; Bill, K. H.: Bremsenhandbuch, Friedr. Vieweg & Sohn Verlag, Wiesbaden, 2003 [2] Povel, R.; von Glasner, E. C.: Advanced Control Systems for Commercial Vehicles, AVEC´98, Nagoya, Japan, 1998 [3] Robert Bosch GmbH: Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, 21. Auflage, VDI-Verlag GmbH, Stuttgart, 1991 [4] Göhring, E.; von Glasner, E. C.; Pflug, H.-C.: Contribution to the Force Transmission Behavior of Commercial Vehicle Tires. SAE-Paper No 912692 [5] Pflug, H.-C.; von Glasner, E. C.: The Compatibility of Tractor/Trailer-Combinations during Braking Manoeuvers. SAE-Paper No 973282 [6] Göhring, E.; von Glasner, E. C.; Pflug, H.-C.: Einfluss der Bremseigenschaften auf das fahrdynamische Verhalten von Lastzügen. VDI-Berichte Nr. 744, 1989 [7] von Glasner, E. C.; Pflug, H.-C.: Contribution to the Braking and Steering Performance of Commercial Vehicles under Extreme Conditions. SAE-Paper No 9111012 [8] Spiegelberg, G.; Koleszar, P.: Increasing reactive active Safety with ESP including preventive active Steering, AAET 2005, Schrift GZVB, ISBN 3-937655-04-2, Seite 107–118

167

3.4 Simulation von Fahrwerksystemen 3.4.1 Modellbildung 3.4.1.1 Anforderungen

Im Fahrwerk werden zunehmend elektronische Bauelemente eingesetzt. Systeme wie ASR (Antriebsschlupfregelung), ABS (Anti-Blockier-System) und ESP (elektronisches Stabilitätsprogramm) verbessern die Traktion und erhöhen die Sicherheit eines Fahrzeugs. Die Sicherheit und der Komfort eines Fahrzeugs können durch aktive Federelemente und schaltbare Dämpfer verbessert werden. Mit elektrischen Lenkungen greift man direkt in das Zusammenspiel zwischen Fahrer und Fahrwerk ein. Veränderungen im Fahrwerk beeinflussen stets die gesamte Dynamik eines Fahrzeugs. Neben der Entwicklung neuer Systeme muss auch die Kombination verschiedener mechatronischer Komponenten im Fahrzeug getestet werden. Off-Line- und On-LineComputersimulationen bieten dabei eine gefahrlose und kostengünstige Alternative oder Ergänzung zu Prüfstandsversuchen und zum Fahrversuch. 3.4.1.2 Gesamtfahrzeug

Eine komplette Simulationsumgebung für Fahrdynamik-Simulationen beinhaltet neben dem Fahrzeugmodell noch Modelle für die Fahrbahn und den Fahrer. Bei der Modellierung des Fahrzeugs hat sich die Methode der Mehrkörperdynamik bewährt [1]. Dabei wird der Aufbau in die Teilkörper Karosserie, Motor, Passagiere und Ladung zerlegt [14]. Das Fahrwerksystem besteht aus den Komponenten Radaufhängung, Lenksystem, Antriebsstrang, Reifen und Räder. Klassische Mehrkörperprogramme wie MSC.ADAMS, DADS oder SIMPACK ermöglichen dem Benutzer, komplexe Fahrdynamikmodelle selbst zu entwickeln, stellen numerische Lösungsverfahren für die Simulation zur Verfügung und bieten komfortable Möglichkeiten zur graphischen Veranschaulichung der Ergebnisse. Auf Grund der Allgemeingültigkeit der Formalismen sind die Rechenzeiten für komplexe Fahrdynamikmodelle sehr hoch. Elektronische Komponenten zur Verbesserung der Fahrsicherheit werden häufig in Hardware-in-theLoop-Prüfständen entwickelt und getestet. Das Fahrzeugmodell muss hier auf einem Prüfstandsrechner in Echtzeit simuliert werden. Grundsätzlich kann die Rechenzeit durch Vereinfachung der Modelle verringert werden [11]. Nutzt man die spezielle Topologie von Fahrzeugen bei der Modellbildung und verzahnt das numerische Lösungsverfahren mit den Modellgleichungen ([12], [13]), dann sind auch komplexe Fahrzeugmodelle echtzeitfähig. Das Programmpaket

168 veDYNA beispielsweise nutzt diese Technik und stellt dem Anwender eine in MATLAB/SIMULINK eingebettete komfortable Simulationsumgebung zur Verfügung. Das Fahrzeug wird hier aus einzelnen vorprogrammierten Modulen zusammengesetzt. Da verschiedene Teilsysteme in unterschiedlich komplexen Strukturen vorliegen, kann das Modell auf spezielle Anwendungen zugeschnitten werden. Bei neu zu entwickelnden Fahrzeugen sind aber viele Daten noch gar nicht festgelegt. Hier ist es von Vorteil, wenn Teilsysteme, wie z.B. Achsmodelle, in geringerer Modellierungstiefe vorliegen. Vereinfachte Modelle benötigen dann auch weniger Daten. Ein hierarchischer Modellaufbau ermöglicht somit sowohl Konzeptuntersuchungen mit einem einfachen Modell und wenigen Daten in der frühen Entwicklungsphase, als auch Parameterstudien mit einem komplexen Modell und vielen Daten am seriennahen Fahrzeug.

3 Fahrwerksysteme gen Momente um die x- und die y-Achse. Das Kippmoment Mx tritt bei Schrägstellung (Sturz) des Reifens auf. In My ist der Rollwiderstand des Reifens enthalten. Das Moment um die z-Achse ist besonders für die Fahrdynamik von Bedeutung. Es setzt sich aus zwei Anteilen zusammen: Mz

M B MS .

(3.5)

Drehbewegungen des Reifen um die z-Achse erzeugen das Bohrmoment MB. Das Reifenrückstellmoment MS berücksichtigt die Tatsache, dass bei der Querbewegung eines rotierenden Reifens die Wirkungslinie der resultierenden Seitenkraft im allgemeinen nicht durch den Kontaktpunkt läuft.

3.4.2 Reifen 3.4.2.1 Kraftübertragung

Ein moderner Reifen besteht im Wesentlichen aus Festigkeitsträgern (Stahl, Rayon, Nylon), Kautschuk, Füllstoffen (Ruß, Silica, Kohlenstoff, Kreide...) und Vulkanisationszusätzen (Schwefel, Zinkoxid, ...). Diese Mischung aus unterschiedlichen Materialien erschwert die mathematische Beschreibung enorm. Hinzu kommt, dass die Reifenstruktur durch den Innendruck vorgespannt wird. Das Materialverhalten eines Reifens kann deshalb nur durch nichtlineare und dynamische Modelle erfasst werden. Die beim Kontakt mit der Fahrbahn auftretenden Deformationen erfordern zudem eine geometrisch nichtlineare Beschreibung. Schließlich gilt es, das Reibgesetz zwischen dem Reifenprofil und der Fahrbahn nachzubilden. In jedem Punkt, wo der Reifen Kontakt zur Fahrbahn hat, werden Normal- und Reibungskräfte übertragen. Die Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn wird als Latsch bezeichnet. Entsprechend der Profilgestaltung des Reifens bildet der Latsch nicht unbedingt eine zusammenhängende Fläche. Die Wirkung der Kontaktkräfte kann durch einen Kraftund Momentenvektor bezüglich eines Punktes im Latsch, dem „Kontaktpunkt“, vollständig beschrieben werden. Die Vektoren der physikalischen Größen werden zunächst in einem fahrbahnfesten Koordinatensystem dargestellt. Die z-Achse ist dabei normal zur Fahrbahn, die x-Achse ist senkrecht zur z-Achse und senkrecht zur Raddrehachse eyR. Die Forderung nach einem rechtshändigen xyz-System legt dann auch die y-Achse fest. Die Komponenten der Kontaktkraft werden entsprechend der Achsrichtungen bezeichnet (Bild 3-67). Unsymmetrische Druckverteilungen im Latsch erzeu-

Bild 3-67: Kräfte und Momente im Latsch: Fx Längskraft oder Umfangskraft, Fy Seitenkraft, Fz Vertikalkraft, Radlast oder Radaufstandkraft, Mx Kippmoment, My Rollwiderstandsmoment, Mz Rückstell- und Bohrmoment

3.4.2.2 Komfort-Modelle

Dynamisch nichtlineare Reifenmodelle, wie FTire [3], RMOD-K [9] oder SWIFT [10] sind sehr aufwändig. Sie werden in der Regel für Fahrkomfortuntersuchungen und für die Berechnung der durch die Radaufhängungen in den Aufbau geleiteten Belastungen verwendet. Bei dem Reifenmodell FTire (Flexible Ring Tire Model) wird der Reifengürtel aus mehreren speziellen Gürtelelementen aufgebaut, die untereinander und mit der Felge durch Federn und Dämpferelemente verbunden sind. Die Federsteifigkeiten und die Dämpfungsparameter werden vorab aus dem statischen Verhalten und den modalen Reifeneigenschaften gewonnen. Auf den Gürtelelementen sind, je nach Reifen und Modellgüte, bis zu 50 Profilteilchen angebracht. Die Verformung der Profilteilchen folgt aus der lokalen Fahrbahnunebenheit und aus einem nichtlinearen Reibgesetz, das zwischen Gleiten und Haften unterscheidet.

3.4 Simulation von Fahrwerksystemen

169

Bild 3-68: Eigenschwingungen eines unbelasteten Reifens (FTire-Simulation)

Mit diesem Modellansatz kann die Reifendynamik in einem Frequenzbereich bis etwa 120 Hz abgebildet werden (Bild 3-68). Auch das Überfahren von Bordsteinkanten und Schlaglöchern kann simuliert werden. Selbst der Temperatureinfluss auf die Materialeigenschaften und das Reibverhalten sowie die Abnutzung der Profilteilchen können nachgebildet werden. Mit solch komplexen Reifenmodellen sind jedoch derzeit keine Echtzeitsimulationen möglich. 3.4.2.3 Halbempirische Modelle

In der Fahrdynamik greift man deshalb meist auf einfache, halbempirische Reifenmodelle zurück [5]. Bei diesen Modellen wird der Latsch als ebene Fläche betrachtet und die Reifenkräfte und -momente werden durch geeignete mathematische Funktionen approximiert. Mit dem „Magic-Formula-Reifenmodell“ können über geeignete Ansatz-und Gewichtungsfunktionen gemessene Reifenkennfelder approximiert werden [10].

In der Fahrdynamik taucht jedoch häufig das Problem auf, dass für einen speziellen Reifen keine oder nicht alle Messungen vorliegen. Auch Fragestellungen, die den Einfluss von gezielten Veränderungen im Reifenverhalten zum Thema haben, z.B. ein steilerer Anstieg der Reifenkräfte oder ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Maximum treten sehr oft auf. Dazu ist ein Reifenmodell nötig, das bereits mit wenigen Informationen brauchbare Reifenkräfte ergibt und bei dem die Modellparameter eine anschauliche Bedeutung haben. Der typische Verlauf der Längskraft Fx über dem Längsschlupf sx und die Seitenkraft Fy über dem Querschlupf sy können durch die Anfangssteigung dF0, den Ort sM und die Größe F M des Maximums sowie durch Größe F G und Lage sG des Gleitbereiches charakterisiert werden (Bild 3-69). Im Reifenmodell TMeasy [4] beispielweise werden die charakteristischen Kenngrößen jeweils für die Nennlast FzN und die doppelte Nennlast angegeben (Tabelle 3-3).

Bild 3-69: Kenngrößen typischer Umfangskraft- und Seitenkraftkennlinien

170

3 Fahrwerksysteme

Tabelle 3-3: TMeasy-Parameter für Pkw-Reifen mit Nennlast FzN =3,2 kN; zur Erläuterung der Variablen siehe Bild 3-69 Längskraft Fx

Fz dFx0

sxM FxM sxG FxG

3, 2 kN 90 kN 0, 090 3,30 kN 0, 400 3, 20 kN

Fz dFx0

sxM FxM sxG FxG

Seitenkraft Fy

6, 4 kN 160 kN 0,110 6,50 kN 0,500 6, 00 kN

Fz dFx0

sxM FxM sxG FxG

3, 2 kN 70 kN 0,180 3,10 kN 0,600 3,10 kN

3.4.3 Rad- und Achskinematik 3.4.3.1 Aufgaben

Die Modellbildung, eine Vorstufe zur Simulation, ist stets mit Idealisierungen verbunden. Die Hauptaufgaben einer Rad- und Achsaufhängung sind Federung und Dämpfung und im Fall einer gelenkten Achse die Lenkbewegung [6]. Die Radführung erfolgt durch Lenker, die starr oder elastisch am Fahrzeugaufbau oder an einem Hilfsrahmen gelagert sind. Bei vielen modernen Radaufhängungen werden Nachgiebigkeiten in den Lenkerlagern gezielt zur Verbesserung von Fahrkomfort und Fahrsicherheit eingesetzt. 3.4.3.2 Kinematische Modelle

Die Schräglenkerachse (Bild 3-70a) ist eine einfache und robuste Aufhängung für nicht gelenkte Hinterräder. Der Lenker ist hier fest mit dem Radkörper verbunden. Sämtliche Bewegungen des Radkörpers re-

Fz

6, 4 kN

dFx0

sxM

100 kN 0, 200

FxM sxG

5, 40 kN 0,800

FxG

5,30 kN

sultieren aus der Drehung des Lenkers um die Achse A-B, die schräg zur Längs- und Querachse des Fahrzeugs angeordnet ist. Längs- und Querbewegung der Radmitte können dabei nicht unabhängig voneinander beeinflusst werden. Die Lenkerlager in A und B werden in der Regel sehr steif ausgeführt. Damit kann die momentane Lage der Radmitte R und die Orientierung des radkörperfesten Koordinatensystems xR, yR, zR gegenüber einem fahrzeugfesten System xB, yB, zB rein kinematisch in Abhängigkeit vom Drehwinkel ϕ beschrieben werden [12]. Für gelenkte Vorderachsen wird sehr häufig die Federbeinachse (Bild 3-70b) eingesetzt. Ein Dreieckslenker, das Federbein und das Lenkgestänge übernehmen hier die Radführung. Bei genügend steifen Gelenken kann auch hier die Radbewegung rein kinematisch in Abhängigkeit vom Drehwinkel ϕ und der Zahnstangenverschiebung u beschrieben werden.

Bild 3-70: Kinematische Modelle: a) Schräglenker, b) Federbeinachse

3.4 Simulation von Fahrwerksystemen Durch eine problemangepasste Beschreibung können die kinematischen Bindungsgleichungen auf direkt lösbare trigonometrische Beziehungen überführt werden [12]. Bei beiden Achsen kann somit die Kinematik problemlos online berechnet werden. Dies gilt auch für die Doppelquerlenker- und die Verbundlenkerachse. Bei kinematisch komplizierteren Achsen, wie z.B. bei der Mehrlenkerachse, sind die nichtlinearen Bindungsgleichungen nur mehr iterativ zu lösen. Dies kann online oder offline durchgeführt werden. Für jede Radaufhängung wird die momentane Lage der Radmitte R gegenüber dem Ursprung des fahrzeugfesten Koordinatensystems B durch die Komponenten x, y, z des Ortsvektors rBR festgelegt. Die Orientierung der radkörperfesten Achsen xR, yR, zR gegenüber den fahrzeugfesten Achsen xB, yB, zB kann durch eine Drehmatrix angegeben werden, die sich aus Elementardrehungen zusammensetzt. 3.4.3.3 Komfort-Modelle

Bei einigen Radaufhängungen werden zur Verbesserung des Fahrkomforts gezielt relativ weiche Lenkerlager verbaut. So sorgt das „Komfortlager“ bei der Schwertlenkerachse (Bild 3-71a) für eine Längsnachgiebigkeit, die das Überfahren von Einzelhindernissen erleichtert. Durch die sehr steif gelagerten Querlenker werden die sehr guten Radführungseigenschaften praktisch nicht beeinträchtigt. Die Radaufhängung verfügt nun über zwei Freiheitsgrade, die mit der Längsverschiebung u im Komfortlager und durch die Drehung des Federlenkers mit dem Winkel M um die Längsachse beschrieben werden können. Die Berechnung der Radaufhängungskinematik er-

171 fordert hier die Lösung von drei nichtlinearen Bindungsgleichungen. Bei der Federbeinachse wird die elastische Längsverschiebung der Radmitte durch ein in Querrichtung elastisches Lenkerlager realisiert (Bild 3-71b). Der Lenker kann nun neben der Drehung um die Achse A-B mit dem Winkel ϕ noch eine Drehung mit dem Winkel ψ um eine Achse senkrecht zur Lenkerebene ausführen. Eine Entkopplung der Längsdynamik von den restlichen Bewegungen des Radkörpers ist hier nicht gegeben. Mit den beiden Drehwinkeln ϕ und ψ sowie der Zahnstangenverschiebung u hat das Rad nun drei freie Bewegungsmöglichkeiten. Die Kinematik kann auch hier auf direkt lösbare trigonometrische Gleichungen zurückgeführt werden [12]. Der Datensatz für das rein kinematische Modell muss hier lediglich mit der Feder- und Dämpferkennung des Komfortlagers ergänzt werden. Bei einigen Radaufhängungen werden auch Hydro-Lager mit dynamischer Kraftwirkung eingesetzt, wodurch weitere Daten benötigt werden. Längsnachgiebigkeiten bei angetriebenen Achsen können zu unerwünschten Schwingungskopplungen mit dem Antriebsstrang führen. Deshalb werden Komfortlager, die relativ große Längsbewegungen der Radmitten erlauben, in der Regel nur bei nichtangetriebenen Achsen verwendet. 3.4.3.4 Allgemeine Modelle

Bei vielen Fahrzeugen sind die Lenker nicht direkt am Aufbau, sondern zum Teil an einem Hilfsrahmen gelagert. Dieser ist dann wiederum elastisch mit dem Aufbau verbunden. Dadurch werden auch bei Einzelradaufhängung die Bewegungen der Räder gekoppelt.

Bild 3-71: Radaufhängungen mit Komfortlager: a) Schwertlenkerachse, b) Federbeinachse

172

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-72: Starrachsen geführt durch Lenker oder Blattfedern

In einigen Fällen stützt sich auch der Motor zusätzlich am Hilfsrahmen ab. Detaillierte Komfort- und Handling-Untersuchungen erfordern daher auch entsprechend komplexe Achsmodelle. Bei der Federbeinachse mit Hilfsrahmen werden neben den Elastizitäten in den Lenkerlagern noch die Längs- und Quernachgiebigkeit des Federbeinlagers nachgebildet. Auch die Anbindung an die Zahnstange wird elastisch modelliert. Nur das Kugelgelenk zwischen dem Dreieckslenker und dem Radkörper bleibt als nicht elastisches Lager erhalten. 3.4.3.5 Starrachsen

Starrachsen sind robust und kostengünstig. Deshalb werden sie auch heute noch im Nutzfahrzeugbereich und bei Geländefahrzeugen eingesetzt. Die Führung von Starrachsen kann durch Lenker oder durch Blattfedern erfolgen (Bild 3-72). Bei lenkergeführten Starrachsen sind Achsführung und Achsfederung getrennt. In der Regel verwendet man einen Dreieckslenker und zwei Längslenker. Bei ideal starren Lenkern verbleiben als freie Bewegungsmöglichkeiten des Achskörpers das gleichseitige und das wechselseitige Einfedern. Die Konstanz der Lenkerlängen liefert die kinematischen Bindungsgleichungen, die problemlos iterativ gelöst werden können. Die Kinematik, oder genauer die Elasto-Kinematik einer blattfedergeführten Achse ist sehr komplex. Beschreibt man eine Blattfeder durch finite Balkenelemente, dann werden bei Fahrdynamiksimulationen neben den Achsbewegungen auch noch die sehr hochfrequenten Eigenschwingungen der Blattfederelemente mitgerechnet. Dies führt zu unnötig hohen Rechenzeiten. Approximiert man die Blattfedern durch einfache Ersatzlenker, dann werden für die Fahrdynamik wichtige Achsbewegungen, wie das Eigenlenkverhalten oder der S-Schlag, nicht richtig wieder gegeben. Modelliert man die Blattfeder durch ein Mehrkörpermodell, dann kann ein guter Kompromiss zwischen Rechenzeit und Modellgüte erreicht werden [14].

Die Blattfeder wird dabei durch fünf gelenkig miteinander verbundene Teilkörper approximiert.

3.4.4 Aufbaufederung 3.4.4.1 Grundabstimmung

Die Kraftübertragung eines Reifens in Längs- und in Querrichtung hängt von der Größe der Radaufstandskraft oder Radlast ab. Durch dynamische Prozesse beim Aufbau der Umfangs- und der Seitenkraft führen Radlastschwankungen im Mittel zu einer Verringerung der Umfangs- und der Seitenkraft. Eine gute Aufbaufederung und Dämpfung reduziert die Radlastschwankungen und erhöht damit die Fahrsicherheit. Die Aufbaufederung ist jedoch auch für den Fahrkomfort verantwortlich. Bei konventionellen Federelementen wie Schraubenfedern, Torsionsstäben oder Luftfedern können dissipative Effekte gegenüber der Federwirkung vernachlässigt werden. Ein separater Dämpfer mit einer Kraftwirkung, die in erster Näherung durch eine geschwindigkeitsabhängige Funktion beschrieben werden kann, sorgt für das schnelle Abklingen von Schwingungen. Die Wirkung der Aufbaufederung kann bereits mit einem Zwei-Massen-Schwinger recht gut untersucht werden (Bild 3-73). Die Bewegungsgleichungen lauten mA zA

FF FD mA g ,

(3.6a)

mR zR

FF FD FR mR g .

(3.6b)

Für kleine Auslenkungen um die Gleichgewichtslage können die Gleichungen linearisiert werden. Die Kräfte in der Aufbaufederung sind dann durch FF

FF0 cA ( zA zR ) ,

FD

dA ( zA zR )

(3.7a) (3.17b)

3.4 Simulation von Fahrwerksystemen

173 Feder kompensiert. Ein relativ harter Zuganschlag begrenzt das Ausfedern. An Stelle eines harten Druckanschlags verwendet man heute meist Zusatzfedern aus Polyurethan, die in der Addition zur Grundfederrate die gewünschte progressive Kennlinie ergeben. Bei Luftfedern und hydro-pneumatischen Federn kann sehr leicht eine Niveau-Regelung realisiert werden. Beliebige nichtlineare Federkennlinien beschreibt man am einfachsten über Wertetabellen. Bei genügend vielen Stützpunkten kann eine Spline-Interpolation durch eine lineare Interpolation ersetzt werden. Bei Anschlägen oder Zusatzfedern aus Gummi oder Elastomer sind die dissipativen Eigenschaften nicht mehr so einfach zu vernachlässigen. Unter Umständen muss hier die Kraftwirkung sogar dynamisch beschrieben werden.

Bild 3-73: Viertelfahrzeug

gegeben, wobei cA die Federrate bezeichnet, dA die Dämpferkonstante angibt und die Vorspannungskraft in der Feder mit FF0 mA g das Gewicht der anteiligen Aufbaumasse kompensiert. Vernachlässigt man die dissipativen Anteile, dann kann die Radlast durch FR

FR0 cR ( zR zS ) ,

(3.8)

angegeben werden. Die Koordinate zS beschreibt dann die vertikalen Unebenheiten der Fahrbahn, cR ist die radiale Steifigkeit der Reifens und die statische Radlast ist durch das Gewicht FR0 ( mA mR ) g des Viertelfahrzeugs gegeben. Die Bewegungsgleichungen (3.6a/b) können nun als lineare Matrizendifferentialgleichungen 2. Ordnung angeschrieben werden: M D

zA º ª dA dA º ª zA º ª mA 0 º ª « »« »« »« » zR ¼ ¬ dA dA ¼ ¬ zR ¼ ¬ 0 mR ¼ ¬

cA º ª zA º ªc « A »« » cA cA cR ¼ ¬ zR ¼ ¬

ª 0 º « » ¬ cR zS ¼

.

Bild 3-74: Progressive Aufbaufeder

3.4.4.3 Dynamische Kraftelemente

Dämpfer werden in der Regel elastisch gelagert (siehe Bild 3-75). Die Reihenschaltung einer Feder mit einem Dämpferelement ergibt ein dynamisches Kraftelement. Hier können auch reibungsbedingte Blockiereffekte im Dämpfer mit erfasst werden [13].

(3.9)

K

Die Massenmatrix M, die Dämpfungsmatrix D und die Steifigkeitsmatrix K bestimmen die Eigendynamik des Viertelfahrzeugs. Bild 3-75: Elastisch gelagerter Dämpfer

3.4.4.2 Nichtlineare Kennlinien

Die Kennlinie einer Aufbaufeder FF = FF(u) ist in der Regel progressiv gestaltet (Bild 3-74). Bei konventioneller Federung wird die statische Last, nämlich das anteilige Aufbaugewicht, durch eine Vorspannung der

Für detaillierte Komfortuntersuchungen sind dynamische Dämpfermodelle erforderlich. Dabei müssen die Kompressibilität des Hydraulik-Öls beachtet und die Drosselverluste in den Dämpferventilen beschrieben werden.

174

3 Fahrwerksysteme

Bild 3-76: Vorderachse und Zahnstangenlenkung eines BMW 6er

3.4.4.4 Mechatronische Bauelemente

Mit aktiven Aufbaufederungen können gleichzeitig Radlastschwankungen und Aufbaubewegungen reduziert und damit die Fahrsicherheit und der Fahrkomfort gesteigert werden. Bei schaltbaren Dämpferelementen muss praktisch keine Leistung zugeführt werden. Im Nutzfahrzeugbereich, wo Änderungen in der Beladung eine große Rolle spielen, kann so die Dämpferwirkung an die jeweilige Aufbaumasse angepasst werden. Mit schnell verstellbaren Dämpfern kann die Wirkung eines „Sky-Hook-Dämpfers“ nachgebildet werden. Die linearisierte Dämpferkraft wird jetzt durch zwei Dämpfungsparameter dA und dR beschrieben (vgl. Bild 3-73): FD

dA zA dR zR .

(3.10)

von den Absolutgeschwindigkeiten der Aufbau- und Radbewegung ab.

3.4.5 Lenksystem 3.4.5.1 Minimal-Modell

Im Pkw-Bereich werden fast ausschließlich Zahnstangenlenkungen (vgl. Bild 3-76) verwendet. Die Lenkeinschläge an den Rädern sind dabei über den Spurhebel und die Spurstange mit der Querverschiebung der Zahnstange gekoppelt (Bild 3-77). Berücksichtigt man die elastischen Verdrehungen in der Lenksäule, dann beschreibt die Differentialgleichung für den Lenkradwinkel GLR

4 LRGLR

M LR M LS

Sie ist somit nicht mehr nur eine Funktion der Relativgeschwindigkeit v zA zR , sondern hängt jetzt

Bild 3-77: Minimal-Modell einer Zahnstangenlenkung

(3.11)

3.4 Simulation von Fahrwerksystemen

175

die Dynamik der Lenkradbewegung, wobei 4 LR das Trägheitsmoment des Lenkrades und MLR das Lenkmoment bezeichnet. Mit cLS als Drehsteifigkeit der Lenksäule kann das Moment in der Lenksäule durch cLS (G LR iLG uZ )

M LS

(3.12)

angegeben werden, wobei hier zur vereinfachten Darstellung dissipative Anteile unberücksichtigt blieben und die Verschiebung der Zahnstange uZ durch Übersetzung des Lenkgetriebes iLG in einen Drehwinkel umgerechnet wurde. Die Differentialgleichung mZ uZ

FZL FZ1 FZ2

(3.13)

beschreibt die Dynamik der Zahnstangenverschiebung. Durch die kinematische Kopplung mit den Rädern enthält die verallgemeinerte Masse mZ auch Anteile, die aus der Lenkbewegung der Räder stammen. Die an den Rädern angreifenden Kräfte FR1, FR2 und Momente MR1, MR2 werden über das Lenkgestänge auf die Zahnstange übertragen. Die Terme FZ1 und FZ2 bezeichnen ihre Anteile in Richtung der Zahnstangenverschiebung. Die Kraft FZL setzt sich aus der mechanisch erzeugten Kraft FM

iLG M LS ,

(3.14)

der Reibkraft FR und der durch die ServoUnterstützung erzeugten Hilfskraft FH zusammen, die als Funktion von FM dargestellt werden kann: FH

FH ( FM ) .

(3.15)

Mit der Differentialgleichung TS FHdyn

FH FHdyn

Bild 3-78: Komponenten-Modell

(3.16)

kann der dynamische Aufbau der Servo-Unterstützung in erster Näherung nachgebildet werden. Die aus dem statischen Kennfeld berechnete Kraft FH ist dann durch die dynamisch berechnete Kraft FHdyn zu ersetzen. Die Zeitkonstante TS bestimmt dabei die Dynamik der Servo-Unterstützung. Da die Elastizitäten im Lenkgestänge vernachlässigt und der dynamische Aufbau der Servo-Unterstützung nicht im Detail nachgebildet wurden, ist dieses Lenkungsmodell numerisch gut zu beherrschen. Es eignet sich deshalb besonders für zeitkritische Echtzeitanwendungen. Der prinzipielle Modellaufbau ist nicht auf die Zahnstangenlenkung beschränkt. Auch eine mechanische Überlagerungslenkung kann berücksichtigt werden, indem in Gleichung (3.12) der Lenkradmod ersetzt wird. Der modifizierwinkel GLR durch G LR mod te Winkel setzt sich gemäß G LR O1G LR O2G G aus einer Linearkombination des ursprünglichen Lenkradwinkels GLR und dem im Überlagerungsgetriebe erzeugten Winkel GG zusammen. Die Parameter O1 und O2 beschreiben dabei die Übersetzungen im Überlagerungsgetriebe. 3.4.5.2 Komponenten-Modell

Berücksichtigt man die Elastizitäten im Lenkgestänge, dann reduziert sich das Lenksystem auf die Komponenten Lenkgetriebe, Servo-Unterstützung und Lenkrad (Bild 3-78). Die Lenkbewegungen der Räder G1 und G2 sind jetzt nicht mehr kinematisch mit der Zahnstangenverschiebung uZ verbunden und müssen deshalb durch eigene Differentialgleichungen beschrieben werden. Die Kopplung zum Lenksystem erfolgt über die Kräfte in den Spurstangen FS1 und FS2. In den Lenkbewegungen der einzelnen Räder sind jetzt auch höherfrequente Anteile enthalten, die einen größeren Aufwand bei der numerischen Lösung erfordern.

176 Das Lenksystem kann jetzt unabhängig von der jeweiligen Achskinematik modelliert werden. Damit lassen sich komplexe Modelle des Lenksystems separat entwickeln, testen und verifizieren, ehe sie in ein Gesamtfahrzeugmodell integriert werden [8]. Für Hardware-in-the-Loop-Anwendungen können einige Komponenten, wie zum Beispiel das Lenkgetriebe oder die Servo-Unterstützung durch reale Bauteile ersetzt werden. Auch elektrische Lenkungen sowie Steer-by-Wire-Lenksysteme lassen sich damit gut modellieren.

3.4.6 Simulationsumgebung 3.4.6.1 Fahrbahn

Richtung und Größe der Reifenkräfte und -momente werden durch die Topologie und Oberflächenbeschaffenheit der Fahrbahn entscheidend beeinflusst. Ein Fahrbahnmodell muss deshalb dem Reifenmodell die Unebenheit z und den lokalen Reibwert µ in Abhängigkeit von den Ortskoordinaten x und y zur Verfügung stellen (Bild 3-79). Die Modellierung von realen Fahrbahnen kann in mehreren Schritten erfolgen [2]. Zunächst wird die Fahrbahn in Segmente aufgeteilt, deren räumliche Lage über den Verlauf der Mittellinie festgelegt wird, wobei die Mittellinie mit M = M(s) als Funktion einer Wegkoordinate s beschrieben wird. Innerhalb der

3 Fahrwerksysteme Segmente lassen sich dann auch Bereiche mit verschiedenen Reibwerten definieren. Zudem können Einzelhindernisse oder stochastische Fahrbahnunebenheiten überlagert werden. 3.4.6.2 Fahrer

Viele Fahrmanöver erfordern vom Fahrer situationsabhängige Eingriffe am Lenkrad und am Gaspedal. Ein realer Fahrer verarbeitet viele Informationen, die ihm das Fahrzeug und die Umwelt zur Verfügung stellen. Er handelt vorausschauend und kann seine Reaktionen auf das dynamische Verhalten des jeweiligen Fahrzeugs abstimmen. Viele Fahrmanöver können nur mit den steuernden und regelnden Eingriffen eines Fahrers durchgeführt werden. Für Simulationen benötigt man deshalb entweder ein geeignetes Fahrermodell oder man muss, wie das bei Fahrsimulatoren geschieht, den Fahrer in die Simulationsumgebung integrieren. Fahrermodelle werden in der Regel auf der Basis von vereinfachten Fahrzeugmodellen entworfen. Man beschränkt sich dabei auf die Bewegungen des Fahrzeugs in der Fahrbahnebene und fasst die Räder an einer Achse zu einem mittleren Ersatzrad zusammen. Das dynamische Verhalten solcher Einspurmodelle kann dann durch wenige Differentialgleichungen beschrieben werden.

Bild 3-79: Wesentliche Elemente eines Fahrbahnmodells

3.4 Simulation von Fahrwerksystemen

177

Bild 3-80: Zwei-Ebenen-Fahrermodell nach [7]

Klassische Fahrermodelle bestehen aus zwei Ebenen: einer antizipatorischen Steuerung und einer kompensatorischen Regelung (Bild 3-80). Mit Hilfe eines linearen Einspurmodells können dann geeignete Übertragungsfunktionen für die Steuerung und die Regelung abgeleitet werden [17]. In beiden Fällen wird dabei eine Vorausschau berücksichtigt. Darauf aufbauend können auch Fahrermodelle mit adaptiven Eigenschaften entwickelt werden. Das Konzept einer Bahnfolgeregelung wird in [16] verfolgt. Dabei wird ein Zielpunkt längs einer vorgegebenen Bahn bewegt (Bild 3-81). Ein Regler sorgt dann dafür, dass das Fahrzeug dem Zielpunkt optimal folgt. Der Reglerentwurf basiert auf einem nichtlinearen Einspurmodell und verwendet die Theorie der nichtlinearen Systementkopplung und Regelung. Die Fahrereigenschaften werden hier durch Parameter wie die maximale Längsbeschleunigung, die maximale Längsverzögerung und die maximale Querbeschleunigung beschrieben. Ein Vorteil liegt darin, dass das Regelgesetz unabhängig von diesen Parametern ist, da lediglich der Sollpunkt entsprechend bewegt werden muss. Die vorgegebene Bahnkurve kann sich streng an der Fahrbahnmittellinie orientieren oder mit zulässigen Abweichungen zu einer Ideallinie werden.

Bild 3-81: Bahnfolgeregelung

Literatur zu Abschnitt 3.4 [1] Blundell, M.; Harty, D.: The Multibody System Approach to Vehicle Dynamics. Elsevier Butterworth-Heinemann Publications, 2004

[2] Butz, T.; Ehmann, M.; von Stryk, O.; Wolter, T.-M.: Realistische Straßenmodellierung für die Fahrdynamiksimulation in Echtzeit. In: Automobiltechnische Zeitschrift (ATZ), 106, 2, 2004, S. 118–125 [3] Gipser, M.: FTire, a new fast tire model for ride comfort simulations. International ADAMS User Conference, Berlin: 1999 [4] Hirschberg, W; Rill, G. Weinfurter, H.: User-Appropriate Tyre-Modeling for Vehicle Dynamics in Standard and Limit Situations. Vehicle System Dynamics 2002, Vol. 38, No. 2, pp. 103–125. Lisse: Swets & Zeitlinger [5] Lugner, P.; Pacejka, H.; Plöchl,M.: Recent advances in tyre models and testing procedures. In: Vehicle System Dynamics, Vol. 43, No. 67, June-July 2005, pp. 413–436 [6] Matschinsky, W.: Radführungen der Straßenfahrzeuge, 2. Aufl. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York: 1998 [7] Mitschke, M.; Wallentowitz, H.: Dynamik der Kraftfahrzeuge, 4. Aufl. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York: 2004 [8] Neureder, U.: Untersuchungen zur Übertragung von Radkraftschwankungen auf die Lenkung von Pkw mit Federbeinvorderachse und Zahnstangenlenkung. Fortschr.-Ber., VDI Reihe 12, Nr. 518, Düsseldorf: VDI Verlag 2002 [9] Oertel, Ch.; Fandre, A.: Ride Comfort Simulations an Steps Towards Life Time Calculations; RMOD-K and ADAMS. International ADAMS User Conference, Berlin: 1999 [10] Pacejka, H. P.: Tyre and Vehicle Dynamics. ButterworthHeinemann 2002 [11] Pankiewicz, E.; Rulka, W.: From Off-Line to Real Time Simulations by Model Reduction and Modular Vehicle Modelling. In: Proceedings of 19th Biennial Conference on Mechanical Vibration and Noise. Chicago, Illinois: 2003 [12] Rill, G.: Simulation von Kraftfahrzeugen. Vieweg-Verlag, Braunschweig/Wiesbaden: 1994 [13] Rill, G.: A modified implicit Euler Algorithm for Solving Vehicle Dynamics Equations. Special issue of the Journal of Multibody System Dynamics, 2004 [14] Rill, G.; Kessing, N.; Lange, O,; Meier, J.: Leaf Spring Modeling for Real Time Applications. In: The Dynamics of Vehicles on Road and on Tracks Extensive Summaries, IAVSD 03, Atsugi, Kanagawa, Japan: 2003 [15] Seibert, Th.; Rill, G.: Fahrkomfortberechnungen unter Einbeziehung der Motorschwingungen. In: Berechnung und Simulation im Fahrzeugbau, VDI-Bericht 1411. VDI-Verlag Düsseldorf: 1998 [16] Vögel, M.; von Stryk, O.; Bulirsch, R.; Wolter, T.-M.; Chucholowski, C.: An optimal control approach to real-time vehicle guidance. In: W. Jäger, H.-J. Krebs (eds.): Mathematics – Key Technology for the Future, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, 2003, S. 84–102 [17] Weinfurter, H.; Hirschberg, W.; Hipp, E.: Entwicklung einer Störgrößenkompensation für Nutzfahrzeuge mittels Steer-by-Wire durch Simulation. In: Berechnung und Simulation im Fahrzeugbau, VDI-Berichte 1846, S. 923–941. VDI Verlag, Düsseldorf: 2004

4 Bordnetz und Vernetzung 4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug 4.1.1 Einleitung Standen am Beginn des Elektronikeinsatzes im Kraftfahrzeug zunächst einzelne lokal abgegrenzte Anwendungen, so hat sich mit dem zunehmenden Einsatz von Elektronik, der Vielzahl von Steuergeräten und der Einführung von Bussystemen das Bild komplett gewandelt. Mehr als 60 elektronische Steuergeräte unterschiedlicher Zulieferer übernehmen die Steuerungs- und Regelungsaufgaben eines modernen Oberklassefahrzeuges (Bild 4-1). Sie kommunizieren untereinander und mit den Sensoren und Aktoren über verschiedene Bussysteme wie CAN, MOST oder Byteflight. Es hat sich ein komplexer Verbund hoch vernetzter Steuergeräte herausgebildet. Innovationen im Bereich des Infotainment, der Fahrerassistenz oder der aktiven Sicherheit werden in Zukunft sogar noch vermehrt nur über hoch vernetzte und komplexe Systeme zu realisieren sein, wie dies in Bild 4-2 gezeigt wird. Die Systemkomplexität ist dabei durch

das Produkt der Anzahl der Funktionen und der Anzahl der ausgetauschten Informationen definiert. Der Wunsch nach Individualisierung, die breite Spreizung des Ausstattungsumfanges und die länderspezifischen Ausprägungen führen ebenfalls zu steigender Systemkomplexität. Die Funktionalität eines modernen Kraftfahrzeuges lässt sich nur mit Hilfe eines umfassenden Einsatzes von Elektronik realisieren. Circa 90 % aller Innovationen im Kraftfahrzeug erfolgen unter Nutzung elektronischer Systeme. Die Stromversorgung der Elektronik und besonders der Leistungsverbraucher erfordert heute ein extrem leistungsfähiges Energiebordnetz und ein ausgefeiltes Energiemanagement, um neue Funktionen für geringeren Verbrauch und reduzierte Emissionen, wie Motor-Start-Stopp-Systeme oder einen elektrifizierten Antriebsstrang zu ermöglichen. Trotz dieser steigenden Vernetzung und Systemkomplexität muss gleichzeitig eine weiter erhöhte Qualität der Fahrzeuge bereitgestellt und der Kostenanstieg begrenzt werden.

Bild 4-1: Steuergeräteverbund in einem modernen Fahrzeug der Oberklasse; K-CAN: Komfort-CAN, PT-CAN: Antriebs-CAN [Quelle: BMW]

180

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-2: Anstieg der Systemkomplexität in der Kraftfahrzeugelektronik

Die Zahl der Steuergeräte erreicht allein aus Packagegründen zunehmend eine Grenze. Auch aus Zuverlässigkeitsgründen ist eine stärkere Integration der Funktionen in wenigeren, aber leistungsfähigeren Steuergeräten wünschenswert. Dem stehen jedoch die breite Spreizung des Ausstattungsumfanges und der Wunsch nach einem individualisierbaren Funktionsangebot entgegen. Weiterhin muss die Funktionsverfügbarkeit bei stärkerer Zentralisierung sichergestellt bleiben, was zu stark steigenden Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Steuergeräte und der angesteuerten Aktoren führt. Auch unterschiedliche Anforderungen an die Funktionssicherheit und die Verfügbarkeit von Funktionen in einem Steuergerät setzen der Hochintegration hier Grenzen. Es wird aus diesen einleitenden Bemerkungen offenkundig, dass der Entwurf eines anforderungsgerechten Elektrik-Elektronik-Gesamtsystems im Kraftfahrzeug zu einer herausfordernden Aufgabe geworden ist. Lokale Lösungen im jeweiligen Anwendungsgebiet, sei es Antrieb, Karosserie, Multimedia oder Fahrwerk führen nicht zu einer aus Gesamtfahrzeugsicht befriedigenden Lösung. Aus diesem Grund gewinnt die Gestaltung von Systemarchitekturen eine zunehmende Bedeutung. Die zukünftigen Trends, wie eine verstärkte Integration von Softwaremodulen unterschiedlicher Lieferanten in ein Steuergerät und Update- oder Upgrade-Fähigkeit der Fahrzeuge über die gesamte Produktlebenszeit, erzwingen geradezu ein Überdenken heutiger Systemdesign- und System-

integrationskonzepte. Die Gestaltung der Systemarchitektur spielt damit zunehmend eine Schlüsselrolle in der Entwicklung von künftigen Automobilen.

4.1.2 Definition von Systemdesign und Systemarchitektur Unter Systemdesign wird der Prozess der Systemauslegung nach funktionalen und nichtfunktionalen Anforderungen verstanden. Im Systemdesign werden die wesentlichen Merkmale der Hardware und der Software in Bezug auf Einsatzbedingungen, Energieversorgung, Kommunikation der Systemelemente und von Kommunalitäts- und Kompatibilitätsgesichtspunkten festgelegt, daneben aber auch wichtige Qualitätsvorgaben, wie z.B. Vorgaben zur Implementierung hinsichtlich der elektromagnetischen Verträglichkeit festgelegt. Weiterhin werden Festlegungen und Vorgaben der künftigen Steuergerätetechnologien und des physikalischen Bordnetzes getroffen. Zentrales Entwicklungsobjekt ist hier die ElektrikElektronik-Systemarchitektur. Eine Systemarchitektur beschreibt die Struktur eines Systems hinsichtlich des Zusammenwirkens und der Vernetzung der Systemelemente, der Schnittstellen zu anderen Systemen, der Umgebung, des Datenflusses im System und der Daten- und Softwarearchitektur. Zu unterscheiden sind die funktionale Architektur, auch logische Architektur genannt, und die techni-

4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug sche Architektur. Die funktionale Architektur wird durch die Funktionen, ihre Eingangs- und Ausgangsgrößen sowie durch ihre Vernetzung beschrieben. Durch Abbildung dieser Funktionen auf technische Systemkomponenten, meist Steuergeräte, entsteht die so genannte technische Architektur. Der Prozess der Zuordnung von Funktionen zu technischen Komponenten sowie die Zuordnung von Signalen zu Signalträgern wie Bussen und Einzelleitungen wird Partitionierung genannt. Die Hardware-Systemelemente einer Elektrik-Elektronik-Systemarchitektur sind Sensoren, Aktoren, elektronische Steuergeräte, der Kabelbaum als Verbund von Leitungen und Kabeln für Datentransport und Energieversorgung, der Generator, Energiespeicher, Spannungswandler, Sicherungen und elektrische Antriebe. Die Elemente der Hardware werden zusammenfassend auch Bordnetz genannt. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Elektrik-Elektronik-Systemarchitektur aber wesentlich mehr beinhaltet (siehe oben). Dieses Mehr ist nötig, da eine Integration der technischen Komponenten ohne ein umfassendes Verständnis aller Schnittstellen im System nicht mehr gelingt.

4.1.3 Gestaltungselemente einer Systemarchitektur 4.1.3.1 Das ISO/OSI-Schichtenmodell Für den Datenaustausch zwischen Rechnern ist es sinnvoll, eine klare Struktur der verschiedenen Aufgaben vorzugeben. Allgemein durchgesetzt hat sich das ISO/OSI-Schichtenmodell. Das Schichtenmodell kann als Realisierung einer abstrakten Datenstruktur mit definierter Import-Export-Schnittstelle verstanden werden. Der Sinn der Schichtung besteht darin, dass die Aufgabe „Datenübertragung“ in übersichtliche, aber nicht zu viele Teilaufgaben (in diesem Falle die Schichten) zerlegt wird. Bei der Zerlegung in Schichten ist darauf zu achten, dass ähnliche Funktionen in der gleichen Schicht liegen. Das ISO/OSI-Schichtenmodell unterscheidet physikalische Schicht, Datensicherungsschicht, Vermittlungsschicht, Transportschicht, Sitzungsschicht, Darstellungsschicht und Anwendungsschicht. Sowohl für die Anwendung im Kraftfahrzeug als auch in manchen Automatisierungssystemen sind nicht alle Schichten erforderlich. Für die Anwendung im Kraftfahrzeug sind nur die physikalische Schicht, die Datensicherungsschicht, die Vermittlungsschicht und die Anwendungsschicht von Bedeutung. Zusätzlich übernimmt ein Netzwerkmanagement schichtenübergreifend organisatorische Funktionen wie Initialisierung, Organisation des Einschlafens und Aufwachens von Steuergeräten sowie Diagnoseunterstützung.

181 4.1.3.2 Topologien Kennzeichnend für einen Verbund von Steuergeräten ist die Art der Vernetzungsstruktur. In der Praxis vorkommende Lösungen sind die Sternstruktur, die Busstruktur und die Ringstruktur (Bild 4-1). Jede dieser Strukturen hat typische Vor- und Nachteile, die für die jeweiligen Anwendungen sorgfältig abzuwägen sind (siehe Tabelle 4-1). Tabelle 4-1: Die Grundtypen der Vernetzungstopologien Netzwerktopologie

Vorteile

Nachteile

Bus

Einfache Verkabelung, Erweiterbarkeit

Kollisionsrisiko der Buszugriffe, begrenzte Nutzung der Busbandbreite wegen Latenzzeit

Ring

Festgelegte Sender-EmpfängerBeziehung und Abfolge, meist hohe Bandbreite (Lichtwellenleiter)

Ohne Repeater begrenzte Teilnehmerzahl, Ausfall-Sicherheit muss durch spezifische Lösungen gewährleistet werden

Stern

Hohe Übertragungsraten, Endgeräteausfall hat keine Auswirkungen auf Kommunikation des Restnetzes

Ausfall des zentralen Knotens muss spezifisch abgedeckt werden, Verkabelung aufwendig

Es ist durchaus üblich, verschiedene Topologien miteinander zu mischen. Entweder geschieht dies auf Gesamtsystemniveau oder innerhalb einer Bustechnologie. Der erste Fall hängt mit der Tatsache zusammen, dass bestimmte Bustechnologien häufig mit einer Grundtopologie einhergehen. Im Systemdesign werden die Bustechnologien und damit die Grundtopologie wegen ihrer spezifischen Eigenschaften zur Erfüllung der Anforderungen ausgewählt. Damit entsteht dann eine Topologie wie in Bild 4-1 veranschaulicht. Im zweiten Fall, der Nutzung einer Technologie, lassen sich aber auch die Grundtypen der Topologien mischen. Dies ist z.B. bei der FlexRay- Bustechnologie möglich, bei der Stern- und Bustopologie gemischt werden können. Das bedeutet, dass an den Zweigen des Sterns mehrere Steuergeräte angehängt werden können. Mit dieser Mischung der Topologien lässt sich der Verkabelungsaufwand erheblich reduzieren.

182 4.1.3.3 Steuergerätetechnologien Die Steuergeräte sind die zentralen Rechen- und Steuereinheiten der Elektrik-Elektronik-Systemarchitektur, in denen alle wesentlichen Aufgaben im Bordnetz abgearbeitet werden. Die Aufgaben sind Sensorauswertung, Berechnung von Algorithmen, Diagnose sowie Selbsttest und Ansteuerung von Aktoren. Durch Kombination dieser Grundaufgaben können die vielfältigen Funktionen im Kraftfahrzeug abgearbeitet werden. Solche Funktionen sind etwa Ansteuerung der Einspritzventile, Klimatisierungsregelung, Einklemmschutz beim Fensterheber oder Lichtfunktionen wie Dimmen der Innenbeleuchtung. Steuergerä-

4 Bordnetz und Vernetzung te übernehmen in heutigen Kraftfahrzeugen hunderte von Einzelfunktionen. Im Kern eines jeden Steuergerätes befindet sich der Mikrocontroller. Dieser ist im Gegensatz zu den Mikroprozessoren von Personal-Computern als eingebetteter Controller (engl. embedded microcontroller) ausgeführt. Eingebettet heißt, dass sich neben dem Mikroprozessor (heute hauptsächlich 8-Bit-, 16Bit- und 32-Bit-Prozessoren) auch Speicher (RAM, ROM und Flash), Ein- und Ausgabebausteine und häufig auch die Controller für die Busse auf dem selben Siliziumchip befinden. Auf heutigen Generationen von eingebetteten Mikrocontrollern wird der größte Teil des Siliziumchips von den Flashspeichern eingenommen.

Bild 4-3: Technische Architektur des Steuergerätes für eine elektronische Dämpferregelung B-Sensor VL: Radbeschleunigungssensor vorne links; B-Sensor VR: Radbeschleunigungssensor vorne rechts; BSensor HR: Radbeschleunigungssensor hinten rechts; Ventil VR: Dämpferventil vorne rechts; Ventil VL: Dämpferventil vorne links; Ventil HR: Dämpferventil hinten rechts; Ventil HL: Dämpferventil hinten links; ADC: AnalogDigital-Umsetzer; DAC: Digital-Analog-Umsetzer; ESP: Bremsregelungs-Steuergerät; ZGM: zentrales Gatewaymodul; PT-CAN: Antriebsstrang-CAN; Power Supply: Stromversorgung für die Beschleunigungssensoren; SRAM: statisches RAM; A: Aktor; S: Sensor; D: digitale Einheit (engl. Digital Unit); PU: Prozessoreinheit (engl. Processing Unit)

4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug

183

Bild 4-4: Technische Architektur eines Steuergerätes für eine adaptive Geschwindigkeitsregelung (engl. Adaptive Cruise Control ACC) P2P: Punkt-zu-Punkt-Verbindung (engl. Peer-to-Peer); S: Sensor; PU: Prozessoreinheit (engl. Processing Unit); A: Aktor; D: digitale Einheit (engl. Digital Unit); PT-CAN: Antriebsstrang-CAN (engl. Powertrain-CAN); Kl. 30: Klemme 30; BatteriePluspol; Kl. 31: Klemme 31, Masse

Steuergeräte waren in den Anfängen der Elektronik im Kraftfahrzeug gar nicht oder nur sehr wenig mit anderen Steuergeräten vernetzt. Heute haben nahezu alle Steuergeräte einen oder mehrere Busanschlüsse. Mittlerweile lassen sich grob folgende drei Grundtypen von Steuergeräten unterscheiden: Eingebettete Steuergeräte, semi-eingebettete Steuergeräte sowie Rechnerknoten. Eingebettete Steuergeräte zeichnen sich dadurch aus, dass die Hauptaufgaben eines Steuergerätes wie Sensorauswertung und Algorithmenberechnung sowie Ansteuerung von Aktoren und Diagnose sich in einem Steuergerät befinden. Es zeigt sich, dass das Nebeneinander von rechenzeitintensiven Aufgaben sowie dem Schalten oder Treiben von hoher elektrischer Leistung in einem Steuergerät nicht immer unkritisch bezüglich Verfügbarkeits- und Sicherheitsaspekten zu bewerten ist. Ein typischer Vertreter eines eingebetteten Steuergerätes ist in Bild 4-3 gezeigt. In dem Steuergerät befindet sich ein eingebetteter Controller mit dem Prozessorkern, einem statischen RAM und einem Flashspeicher. An das Steuergerät angeschlossen sind drei analoge Sensoren und vier Proportionalventile, die den Druck in den Dämpfern je nach Straßenlage, fahrdynamischem Zustand und vom Fahrer vorgewählten Grundeinstellungen ändern. Zusätzlich besitzt es noch einen CAN-Anschluss mit einer Datenübertragungsrate von 500 kBaud.

In semi-eingebetteten Steuergeräten sind nahezu keine Treiberbausteine vorhanden. Die Sensoren und Aktoren werden meist als mechatronische Einheiten realisiert, die über Subbusse mit dem Steuergerät vernetzt sind. In der Regel haben diese Art von Steuergeräten basierend auf 32-Bit-Controllern hohe Rechenleistungen verbunden mit hohem Speicherbedarf (Bild 4-4). Im ACC-Steuergerät sind nur noch solche Treiber enthalten, die unmittelbar mit der realisierten Funktion zu tun haben. Das sind in diesem Falle der Radarsensor, der für die adaptive Geschwindigkeitsregelung nötig ist und die Linsenheizung für das Radar. Die Systemvernetzung mit anderen Komponenten erfolgt nahezu ausschließlich über Busse, im vorliegenden Fall über den Antriebsstrang-CAN (engl. Powertrain-CAN, PT-CAN). Sonst ist das Steuergerät nur noch mit der Stromversorgung über Klemme 30 (Batterie-Pluspol) und Klemme 31 (Masse) verbunden. In einem nächsten Entwicklungsschritt könnten das Radar und die Linsenheizung in einem Steuergerät separiert werden. Das wäre sicherlich dann der Fall, wenn die Messgrößen des Radarsensor von anderen Steuergeräten zur Realisierung bestimmter Funktionen benötigt oder mit anderen Messgrößen fusioniert werden. In diesem Falle wäre der Übergang zur letzten Kategorie vollzogen: die Rechnerknoten. Zur Umsetzung von Fahrerassistenzsystemen (wie z.B. Spurwechselassistenten) oder By-wire-Systemen (wie z.B. elektromechanische Bremsen) werden die Rechnerknoten

184 häufiger anzutreffen sein. Dies hängt damit zusammen, dass erstens viele neue Funktionen sich nur noch durch Vernetzung von mehreren Steuergeräten realisieren lassen und zweitens erhöhte Verfügbarkeits- und Sicherheitsanforderungen nur durch den gezielten Einsatz steuergeräteinterner oder -externer Redundanzen erfüllt werden können. Grundbegriffe zu sicheren und hochverfügbaren Systemen finden sich in [1]. Das in Bild 4-5 gezeigte Aktivlenkungssystem setzt dies schon heute um.

Bild 4-5: Technische Architektur des Aktivlenkungssystems (Überlagerungslenkung) eines BMW (schematisch) AFS: Aktivlenkungssteuergerät; PC: Mikrocontroller; ESP: Bremsregelungs-Steuergerät; DME: Motorsteuerung; SC 1: Sensorcluster 1; SC 2: Sensorcluster 2; LWS: Lenkwinkelsensor (Lenksäule); LWS-Rad: Lenkwinkelsensor (Rad); PT-CAN: Antriebsstrang-CAN; F-CAN: Fahrwerks-CAN

Die Aktivlenkung basiert auf dem Prinzip der Überlagerungslenkung, bei dem der Lenkwinkel gezielt über einen Elektromotor und ein zusätzliches Getriebe in der Lenksäule verändert werden kann. Das Steuergerät der Aktivlenkung tauscht intensiv Daten mit dem Bremsregelungssteuergerät und der Motorsteuerung über den Systembus AntriebsstrangCAN mit einer Datenübertragungsrate von 500 kBaud aus. Ferner benötigt es die redundante Sensorik: zwei Sensorcluster, die Gierratensensor und Beschleunigungssensoren integrieren, und zwei Lenkwinkelsensoren. Da diese Sensoren auch vom BremsregelungsSteuergerät benötigt werden, sind diese Sensoren an dem Subbus Fahrwerks-CAN mit einer Datenübertragungsrate von 500 kBaud angeschlossen. Das Aktivlenkungssteuergerät ist im Grunde nur noch ein Rechnerknoten mit einer Doppelprozessorarchitektur, wobei der zweite Prozessor die wichtigsten Berechnungsergebnisse des Hauptprozessors überwacht. Sind die Ergebnisse nicht identisch, so zieht sich das Aktivlenkungssystem auf den sicheren Zustand zurück: die Lenkung verhält sich so, als ob eine starre Lenksäule verbaut wäre1. Zu weiteren Erläuterungen 1 Die Aktivlenkung ist als SIL3-System (SIL: Safety Integrity Level,

Sichereinheitseinstufung nach IEC61508) eingestuft. Damit erklärt sich auch der erhebliche konstruktive Aufwand.

4 Bordnetz und Vernetzung zur Bremsregelung und Motorsteuerung sei auf die Abschnitte 2 und 3 sowie auf [2] verwiesen. 4.1.3.4 Vernetzungstechnologien Ein weiteres zentrales Schlüsselelement einer Systemarchitektur sind die Vernetzungstechnologien, das heißt, die Busse mit ihren entsprechenden Übertragungsprotokollen. Man unterscheidet die Busse primär hinsichtlich ihrer zugrunde liegenden Buszugriffsverfahren nach deterministischen (FlexRay, byteflight, TTP) und prioritätsgesteuerten Buszugriffsverfahren (CAN, LIN, MOST). Weiterhin können einige Bussysteme mehrere logische Datenkanäle in einem physikalischen Kanal verwalten, um synchrone große Datenmengen für Audio oder Video zu übertragen (z.B. MOST). Andere Bussysteme hingegen übertragen nur einfache Datenpakete (z.B. CAN). Die zentralen Busse, die heute in Kraftfahrzeugen eingesetzt werden, sind der CAN-Bus in den Bereichen Antrieb, Fahrwerk und Karosserie, der MOST-Bus für Multimedia und neuerdings auch der FlexRay-Bus für Anwendungen im Fahrwerks- und Antriebsbereich. Daneben gibt es noch eine Reihe von Subbussen, die für die lokale Anbindung von einfacheren Steuergeräten zur Anwendung kommen. Hier hat vor allem der LIN-Bus an Bedeutung gewonnen. Auf die Eigenschaften der verschiedenen Busprotokolle wird in Abschnitt 4.2 eingegangen, so dass hier auf eine nähere Betrachtung verzichtet wird. Die wesentlichen Anforderungen an Busse im Kraftfahrzeug sind nachfolgend zusammenfassend dargestellt. Wichtige Anforderungen an Bussysteme sind: Bandbreite: Je nach Anwendung werden unterschiedliche Datenübertragungsraten gefordert. Die Bandbreite definiert die Anzahl der Bits, die pro Sekunde auf dem Übertragungskanal übertragen werden können. Latenzzeiten: Über die Latenzzeit wird die zeitliche Verzögerung zwischen Sendung und Empfang der Nachrichten beschrieben. Bestimmte Anwendungen benötigen ein deterministisches Verhalten, d.h. es muss exakt definiert sein, welche Verzögerung bei der Datenübertragung entsteht. Jitter: Eine Reihe von Anwendungen benötigen sehr genaue Wiederholzyklen des Datenaustauschs. Der Jitter beschreibt dabei die zeitliche Abweichung von nacheinander in einem bestimmten zeitlichen Abstand (z.B. 10 ms) ausgesandten Nachrichten auf dem Bus. Übertragungsmedium: Optische Medien sind derzeit nicht für Hochtemperaturbauräume wie z.B. den Motorraum qualifiziert. Hier muss auf elektrische Leitungen zurückgegriffen werden

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4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug

Leitungslänge: Je nach Kraftfahrzeuggröße ist die erlaubte Leitungslänge eine nicht zu unterschätzende Randbedingung. Übertragung synchroner Daten: Für Audio- und Videoanwendungen ist die synchrone Übertragung von großen Datenmengen zwingend erforderlich.

185 da die Empfänger-Steuergeräte nicht unterscheiden können, ob die empfangenen Daten tatsächlich fehlerbehaftet sind oder durch ein Gateway anderweitig verändert worden sind. Hier bedarf es eines strengen, klar vereinbarten Regelsatzes, damit alle Kommunikationspartner von den gleichen Voraussetzungen im Kommunikationsverbund ausgehen.

4.1.3.5 Kommunikationsrouting Ein weiteres Element einer Systemarchitektur ist das Routing der Kommunikation. Das bedeutet, dass zwei oder mehrere Busse gleicher oder unterschiedlicher Technologie kommunikationstechnisch miteinander zu verknüpfen sind, um Nachrichten vom einen Busnetzwerk auf ein anderes zu übertragen. Dabei wird zwischen Repeater, Router (oder auch mit Bridge bezeichnet) und Gateway unterschieden. Repeater werden dazu verwendet, Busse gleicher Technologie miteinander zu verbinden, um die auf den Leitungen (elektrisch oder optisch) auftretenden Dämpfungsverluste auszugleichen. Der Kommunikationsverkehr wird einfach von einem Bus auf den anderen transferiert. In einem Router wird nur derjenige Anteil der Daten auf einen bestimmten anderen Bus weitergeleitet, der von den Steuergeräten an diesem Bus benötigt wird. Entweder werden ganze Datenpakete (sog. Protocoll Data Units PDUs) oder nur Einzelsignale aus einem Datenpaket transferiert. Ein Gateway hingegen verarbeitet die zu transferierenden Datenpakete z.B. mit Filteroperationen; oder das Gateway sendet Ersatzwerte, wenn die Eingangssignale nicht zur Verfügung stehen. In verteilten Systemen sind Gateways eher kritisch anzusehen,

Bild 4-6: BMW-Standard-Core

4.1.4 Software-Architekturen Auch innerhalb der Software selbst kann man von einer Architektur sprechen, falls ein strukturierter Aufbau der Anwendungsmodule und der so genannten Softwarebasisfunktionen erfolgt. Dabei werden wesentliche Elemente der künftigen Softwarestruktur bestimmt, nämlich die Wiederverwendbarkeit von SoftwareModulen und die Grundstruktur der Software: bezüglich Anwendungen, Betriebssystem, eventueller Middlewareschicht und Hardware-Abstraktion sowie Basisdiensten, wie Netzwerkmanagement, Diagnose oder Flash. Gerade die Zusammenfassung der Systemgrundfunktionen in einem so genannten Standard-Core bietet ein erhebliches Potential für Standardisierung. Diese weitgehende Standardisierung der Basissoftware erlaubt eine schnellere Fehlerfreiheit und eine kürzere Entwicklungszeit. Verschiedene Automobilhersteller haben mit der Standardisierung bereits vor einigen Jahren begonnen. Ein typischer Vertreter wird in Bild 4-6 gezeigt.

186

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-7: Strukturdiagramm der AUTOSAR-Software-Architektur; die einzelnen Blöcke werden im Text erklärt (in der Entwicklungspartnerschaft AUTOSAR werden alle Spezifikationen in Englisch verfasst)

Die Standardisierung konzentriert sich auf einige wenige Elemente: Betriebssystem, Diagnosemodul, Transportschicht, Kommunikationsmdul, Netzwerkmanagement, CAN-Treiber, Bootloader und EEPROM-Treiber. Die Anwendungen greifen dabei über verschiedene Schnittstellen auf die StandardCore-Software-Module und die restliche BasisSoftware zu. In Summe unterliegen die Schnittstellen im Ganzen gesehen nur einem relativ geringen Grad der Standardisierung. Ziel dieser Standardisierung ist es, die Integration der Steuergeräte auf Systemebene zu erleichtern. Deswegen wurden die kommunikationsrelevanten Software-Module standardisiert. Zusätzlich wurden der Bootloader und der EEPROMTreiber standardisiert, um die Flashprogrammierung systemweit zu vereinheitlichen. Insgesamt ergibt sich somit ein vereinheitlichtes Verhalten der Steuergeräte am Bus. Eine Wiederverwendung von Anwendungen wird mit dieser Architektur nicht erzielt, da die Anwendungen weder von der Bustechnologie abstrahieren noch hardwareunabhängig sind. In Bild 4-7 wird die AUTOSAR-Software-Architektur2 gezeigt, die ein aktuelles Beispiel einer modernen Software-Architektur darstellt. 2 AUTOSAR steht für AUTomotive Open System ARchitecture.

Diese wird in einer Entwicklungspartnerschaft von den CorePartnern BMW Group, Bosch, Continental Automotive Systems, DaimlerChrysler, Ford Motor Company, General Motors, PSA, SiemensVDO, Toyota Motor Company und Volkswagen entwickelt.

Diese zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus, siehe hierzu auch [3]: Die Anwendungssoftware wird mit Hilfe der Softwarekomponententechnologie in AnwendungsSoftwarekomponenten (engl. Application Software Component), Aktor-Softwarekomponenten und Sensor-Softwarekomponenten strukturiert. Die einzelnen Softwarekomponenten kommunizieren ausschließlich über die AUTOSAR-Schnittstelle (engl. AUTOSAR Interface) mit der umgebenden anderen Software. AUTOSAR-Schnittstellen genügen dabei den Beschreibungsmitteln der Softwarekomponententechnologie, die in AUTOSAR auf automobile Anwendungen zugeschnitten und standardisiert wurde. Die AUTOSAR-Software-Laufzeitumgebung (engl. AUTOSAR-Runtime-Environment RTE) sorgt dafür, dass die Anwendungssoftware nur über die Laufzeitumgebung mit der darunter liegenden Basis-Software kommuniziert. Das führt dazu, dass die Anwendungen von der gesamten Infrastruktur abstrahiert sind. Sie weisen Unabhängigkeit von der Hardware auf und abstrahieren vollständig die unterliegenden Busund Betriebssystemtechnologien. Hiermit können die AUTOSAR-Softwarekomponenten auf einem anderen Steuergerät mit unterschiedlicher Hardware integriert werden, ohne dass die Anwendungssoftware neu geschrieben oder angepasst werden muss. Es werden die Kommunikationstechnologien CAN, LIN und FlexRay unterstützt. Die Kommunikationsdienste (engl. Communication Services) enthalten

4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug ebenso die Kommunikationsrouter für Datenpakete und Einzelsignale, um Daten von einem Bus auf den anderen zu transportieren. Die Portierung der AUTOSAR-Software-Architektur wird durch die Mikrocontrollerabstraktion (engl. Microcontroller Abstraction) erheblich erleichtert. Im Falle einer Portierung müssen nämlich lediglich die Low-Level-Treiber portiert werden. Unter LowLevel-Treiber versteht man diejenigen Softwaremodule, die unmittelbar Hardwarezugriffe z.B. auf Flashbausteine oder digitale Ein- und Ausgänge ermöglichen. Unter dem Block der Dienste (engl. Services) verbergen sich Speicherverwaltung, Steuergerätestatusmanagement und Watchdogmanagement. D.h., hier werden notwendige Dienste vereinheitlicht, die bisher steuergerätespezifisch und damit lieferantenspezifisch ausgeführt waren. Der Complex-Device-Treiber (engl. Complex Device Driver) ermöglicht einen schnellen Hardware-Zugriff für die Anwendungen. Diese sind z.B. für die Zündung von Airbags oder für die Steuerung von Einspritzventilen notwendig. Da es sich in der Regel um spezialisierte Softwaretreiber für echtzeit-relevante Steuerungs- und Regelungsaufgaben handelt, werden diese im Rahmen der Standardisierung nicht weiter betrachtet. Die einzige wesentliche Anforderung an solche Treiber ist: Diese Module müssen eine AUTOSAR-Schnittstelle haben, damit eine einfache Integration solcher Module in die AUTOSARInfrastruktur möglich ist. Die Steuergeräteabstraktion (engl. ECU Abstraction) ermöglicht den standardisierten Zugriff auf wichtige Daten wie z.B. Spannung und Temperatur. Typischerweise werden die Complex-Device-Treiber und die Steuergeräteabstraktion von den Steuergerätezulieferern implementiert. Aus diesem Grunde wird bei diesen Softwaremodulen auch von ECU-Firmware gesprochen. Die Kommunikation zwischen den Softwaremodulen der Infrastruktur erfolgt über standardisierte Schnittstellen (engl. Standardized Interface). Das sind solche Schnittstellen, deren Inhalt vollständig spezifiziert und bekannt ist. Im Unterschied dazu sind die standardisierten AUTOSAR-Schnittstellen (engl. Standardized AUTOSAR Interface) solche Schnittstellen, deren Inhalt vollständig spezifiziert und bekannt ist und zusätzlich den AUTOSAR-Beschreibungsmitteln für Softwarekomponenten genügt. Die Standardisierung erfolgt firmenübergreifend über die gesamte Automobilindustrie. Die AUTOSAR-Software-Architektur stellt damit de facto einen Industriestandard dar. Im Detail hat die AUTOSAR-SW-Architektur circa 60 Software-Module, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann.

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4.1.5 Systemdesignprozess 4.1.5.1 Generelle Vorgehensweisen Das Systemdesign und die sich daraus ergebende Systemarchitektur haben sich traditionell eher aufgrund von Bottom-up-Vorgehensweisen und über in vielen Fahrzeugprojekten gesammelte Erfahrungen entwickelt. Bottom-up deshalb, weil das Fahrzeugbordnetz im Prinzip aus der Zusammensetzung der einzelnen Komponenten entstanden ist. Durch die starke Vernetzung wurden systemische Aspekte wie z.B. ein einheitliches Kommunikationsverhalten oder das Aufwecken und Einschlafen des gesamten Fahrzeugbordnetzes immer wichtiger. Das Systemdesign und die daraus resultierende Systemarchitektur sind heute in den meisten Firmen erst teilweise formalisiert und hinsichtlich der Prozesse nicht hinreichend beschrieben. Mit steigender Komplexität reicht diese eher empirische Vorgehensweise immer weniger aus und muss um eine Top-down-geprägte Vorgehensweise ergänzt werden. Top-down deshalb, weil der Entwurf prinzipiell zunächst das gesamte Fahrzeugbordnetz, dessen Funktionen und Verhalten im Auge hat und über mehrere Iterationen die Komponenten mit ihren Schnittstellen zum Gesamtsystem festlegt, die die Funktionalitäten und das Verhalten des Gesamtsystems implementieren. Ein derartiger Systemdesignprozess geht von systematisch erfassten Prämissen und Anforderungen aus. Dabei müssen die Lösungsvarianten im Entwurf der Systemarchitektur unter verschiedenen Blickwinkeln analysiert und bewertet werden, wie in Bild 4-8 dargestellt. Prämissen sind dabei Setzungen, die aufgrund bestehender gesetzlicher Vorschriften, Firmenstandards oder sonstiger verbindlicher Vorgaben gültig sind. Wie auch der Architekt eines Gebäudes von bestimmten Prämissen ausgehen muss, z.B. hinsichtlich Infrastrukturanbindung oder städtebaulicher Festlegungen, muss auch der Systemarchitekt eines Fahrzeugbordnetzes von stabilen Prämissen ausgehen können, da sonst der mögliche Lösungsraum praktisch nicht mehr bearbeitbar ist. In vielen Automobilfirmen beruht der Entwurf von Systemarchitekturen aus dem Zusammenwirken erfahrener Entwickler der einzelnen Bereiche, wie Fahrwerk, Antrieb, Karosserie oder Multimedia mit Fachleuten einer Zentralstelle. Letztere wirken als Moderatoren und als neutrale Instanz, um dafür zu sorgen, dass nicht allein lokale Gesichtspunkte den Gesamtentwurf der Systemarchitektur bestimmen. In den Gestaltungsprozess fließen Erfahrungen aus früheren Projekten und laufenden Technologieentwicklungen ein, die in der Regel aus einer Antizipation künftiger Anforderungen initiiert werden. Die wesentlichen Elemente des Systemdesignprozesses zeigt Bild 4-9.

188

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-8: Blickwinkel des Systemdesigns

Bild 4-9: Wesentliche Elemente des Architekturdesignprozesses

Der heutige Systemdesignprozess ist daher primär Bottom-up-getrieben (Bild 4-10), insbesondere sind alle relevanten Interessensgruppen, die so genannten Stakeholder, eines Unternehmens mit in den Entwicklungsprozess einbezogen. Wesentliche Interessengruppen beim Entwurf eines Fahrzeugs und damit auch der Systemarchitektur sind beispielsweise die Entwicklung, das Marketing, die Produktion oder die Serviceorganisation zur Pflege, Wartung und Reparatur eines Automobils. Der Prozess ist in erheblichem Umfang heuristisch und damit von der Verfügbarkeit der Erfahrungsträger abhängig. Die Technologieentwicklung, das heißt die Entwicklung

neuer Kommunikationsprotokolle und neuer physikalischer Busse hängt vielfach von der Initiative einzelner Firmen (Zuliefererindustrie oder Automobilherstellern) ab. Es ist zwingend notwendig, eine systematische und langfristige Technologievorentwicklung zu betreiben. Notwendige Standardisierungs- und Harmonisierungsprozesse sind langwierig und benötigen entsprechenden Vorlauf. Der Systemdesignprozess muss daher in Zukunft stärker um eine Top-downOrientierung (Bild 4-11) ergänzt werden. Dieser ergänzende Ansatz muss sich als normatives und methodenbasiertes Vorgehen etablieren.

4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug

189

Bild 4-10: Bottom-up-Sicht im Architekturdesign; SG: Steuergerät, F-CAN: Fahrzeug-CAN, PT-CAN: AntriebsstrangCAN

Bild 4-11: Top-down-Sicht im Architekturdesign; SG: Steuergerät

190 Das normative Vorgehen ist gekennzeichnet durch das Vorgeben wesentlicher Grundentscheidungen in Form von Prämissen oder Technologieentscheidungen, die im weiteren Designprozess nicht ständig in Frage gestellt werden dürfen. Hier ist aber eine rechtzeitige Einbindung der Zulieferer für die Umsetzbarkeit von entscheidender Bedeutung. 4.1.5.2 Anforderungsmanagement Ein methodenbasiertes Vorgehen wird versuchen, eine saubere Anforderungserfassung mit klarer Strukturierung nach Standardanforderungen, neuen zwingenden Anforderungen und optionalen Anforderungen zu erstellen. Der potentielle Entfall bisher gültiger Anforderungen ist ebenfalls sorgfältig zu prüfen. Durch den zunehmenden Wunsch nach Individualisierung der Produkte und der Besetzung auch kleinster Marktnischen muss bei der Anforderungserfassung auch auf Karosserie-, Motor-, Länder- und Rechts- oder Links-Lenker-Varianten geachtet werden. Die Aufgabe des Anforderungsmanagements ist also, exakt jene Funktionen herauszudestillieren, die der Kunde vom Produkt erwartet und die letztlich im System realisiert werden sollen. Sehr viele Stakeholder stellen im realen Prozess Anforderungen an das System Automobil. Wie oben schon erwähnt, sind das das Marketing (Markt, Marke), der Entwickler (Vorentwicklungsportfolio als Angebot, Umsetzbarkeit), das Werk (Herstellbarkeit), der Vertrieb (Verkauf), der Service (Wartbarkeit, Reparierbarkeit). Bei der Anforderungserfassung wird zwischen funktionalen und nichtfunktionalen Anforderungen unterschieden. Unter funktionalen Anforderungen werden hier Forderungen verstanden, die sich aus der Realisierung erwünschter kundenrelevanter Funktionen ergeben. So bestimmen etwa die Fragen, welche neuen Funktionen und welches Ausstattungsspektrum im Bereich der Multimedia und Telematik angeboten werden soll, sowie wie die zu erwartenden Kaufquoten der Funktionen aussehen werden, zu einem erheblichen Umfang die Architektur in diesem Bereich. Hinzu kommen die Anforderungen, die sich aus dem Datenaustausch innerhalb des Bereiches oder über Bereichsgrenzen hinweg ergeben. Sie bestimmen die Anforderungen an ein eventuell notwendiges Kommunikationsrouting über Busse hinweg und an die Übertragungsbandbreite der Busse. Nichtfunktionale Anforderungen beziehen sich dagegen auf Forderungen, die sich aus der Integrationsfähigkeit (z.B. Diagnostizier- und Testbarkeit), der Produktions- und Service-Fähigkeit (Flashanforderungen) der technischen Systeme ergeben. Auf dem Gebiet der nichtfunktionalen Anforderungen sind zum Beispiel Forderungen nach einem intelligenten

4 Bordnetz und Vernetzung Energiemanagement, das Verbraucher je nach Fahrund Betriebssituation wegschaltet, Stand-by-Funktionen steuert oder als zentrale Instanz über die Versorgung von Verbrauchern entscheidet, von zentraler Bedeutung für die Systemarchitektur. Hingegen ist die Frage einer separaten Starterbatterie oder die lokale Versorgung einer Komponente mit höherem Spannungslevel über einen DC/DC-Wandler unter Architekturgesichtspunkten eher von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist es, in der frühen Phase die architekturbestimmenden Anforderungen herauszudestillieren, da sonst die Gefahr besteht, in einem Meer ungefilterter Anforderungen die Übersicht zu verlieren und zu viel Zeit mit der Diskussion von Forderungen zu verwenden, die nicht entscheidend für die Systemarchitektur sind. Eine der Hauptschwierigkeiten, Anforderungen zusammenzutragen und mit allen am Entwicklungsprozess Beteiligten abzustimmen, ist der relativ gesehen hohe Ressourcenbedarf für die Ersterstellung eines zuverlässigen und stabilen Anforderungsgerüstes. In anderen Zweigen der Wirtschaft, wie der Luftfahrtund Militärindustrie, wird vielfach das Anforderungsmanagement von den Auftraggebern finanziert. Dies ist in der Kraftfahrzeugindustrie nicht möglich, weil der Auftraggeber zur Entwicklung eines Automobils der Vorstand ist und nicht der Endkunde, der später dieses neuentwickelte Fahrzeug kaufen soll. Allerdings wird das Unternehmen sowohl kurzfristig, mittelfristig als auch langfristig belohnt. Kurzfristig, da abgestimmte Anforderungen bei allen Prozessbeteiligten eine stabile Ausgangsbasis für den eigentlichen Entwurf des Elektrik-Elektronik-Systems sind. Die Planungsbasis für parallel zu startende Prozesse wie Test- und Absicherungsmaßnahmen, Implementierungsplanung und Lieferantenauswahl wird hier getroffen und vereinbart. Mittelfristig, weil erstens aufgrund der weiter oben bereits erwähnten Variantenvielfalt klar und für jeden ersichtlich ist, wie sich die einzelnen Produkte einer Baureihe oder Produktlinie ausprägen und von einander differenzieren. Und zweitens, weil sich erhebliche Kosteneinsparungen ergeben – sowohl in Entwicklungsaufwendungen als auch in Herstellkosten. Die durch ein striktes Anforderungsmanagement resultierende Reduktion von Änderungen schlägt sich in der Serienentwicklung durch stabilere Lastenhefte der Automobilhersteller und Pflichtenhefte der Zulieferer nieder. In Summe führt dies zu niedrigeren Kosten bei allen Beteiligten. Langfristig lohnt sich Anforderungsmanagement, weil die Anforderungen im Entwicklungsprozess dann sehr stabil sind. Spät entschiedene Derivatprojekte und Folgeproduktlinien lassen sich hochgradig effizient als Ableitung aus den vorhandenen Anforderungen darstellen. Eine Wiederverwendung von 80 – 90 % aller Anforderungen ist eher die Regel als die Ausnahme.

4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug

191

Der nächste analytische Schritt besteht darin, die so dokumentierten Anforderungen – wie bereits oben beschrieben – daraufhin zu filtern, welche Anforderungen architekturbestimmend sind. Mit diesem Satz der architekturbestimmenden Anforderungen, dies gilt für funktionale und nicht-funktionale Anforderungen gleichermaßen, ergibt sich bereits ein grobes Bild, in welchen Bereichen bisheriger Architekturlösungen die größten Veränderungen entstehen. Anforderungen sind auf ihre Umsetzbarkeit, auf ihre Auswirkungen auf Kosten, Implementierung, Technologie und Lebenszyklus zu bewerten. Funktionale und nichtfunktionale Anforderungen sind absolut gleichrangig zu behandeln.

derung wird einer Karosserievariante oder mehreren Karosserievarianten zugeordnet (siehe Tabelle 4-2). Aus den Anforderungen wird ersichtlich, dass der Ausstattungslevel für die gezeigte Zentralverriegelung erheblich von der gewählten Karosserievariante abhängt. Das Funktionsnetzwerk für die Zentralverriegelung ergibt sich scheinbar natürlich. Alle Teilfunktionen liefern Beiträge zur Erfüllung der Anforderungen 1 bis 7. Aus den Anforderungen lässt sich aber nicht zwingend eine Funktion „Zentralverriegelung Zentrale“ ableiten. Diese Funktion wurde im Rahmen des Systemdesigns hinzugefügt, um eine ständige Plausibilisierung aller Klappenzustände zu ermöglichen.

4.1.5.3 Funktionale Aufteilung und Vernetzung

Tabelle 4-2: Anforderungen; ZV: Zentralverriegelung

Erfasst man die zu realisierenden Funktionen möglichst vollständig und beschreibt ihre Wechselbeziehungen, d.h. Eingangs- oder Ausgangs-Beziehungen zu anderen Funktionen, lässt sich bereits in einer relativ frühen Designphase ein einigermaßen vollständiges Modell des künftigen Funktionsnetzwerkes erstellen. Das Funktionsnetzwerk stellt die erste virtuelle Realisierung des künftigen Bordnetzes dar. Mit geeigneten Methoden und Prozessen lassen sich die Anforderungen durch das Funktionsnetz konkretisieren, d.h., eine oder mehrere Anforderungen werden durch die Funktionen und deren Datenaustausch untereinander realisiert (siehe Bild 4-12). Wie aus dem Bild ersichtlich, erhält jede Anforderung eine eindeutige Identifikationsnummer (ID). Jede Anfor-

ID

Anforderung

Karosserievariante

1

ZV ist vorzusehen

alle 3er

2

ZV wirkt auf Fahrer und Beifahrertür

alle 3er

3

ZV wirkt auf Fahrer- und Beifahrertür hinten

3er Lim. & Touring

4

ZV wirkt auf Tankklappe

alle 3er

5

ZV wirkt auf Heckklappe

alle 3er

6

ZV wirkt auf Handschuhfachklappe

3er Cabrio

7

ZV wirkt auf Heckscheibe

3er Touring

Bild 4-12: Anforderungen für eine Zentralverriegelung (ZV) werden durch ein Funktionsnetzwerk realisiert, die Zahlen sind die Identifikationsnummern (siehe Tabelle 4-2)

192 Werden konsequent die Anforderungen durch entsprechende Funktionsnetzwerke konkretisiert, lassen sich schon sehr früh Vollständigkeits-, Konsistenz- und Plausibilitätsaussagen gewinnen. Im Falle der Zentralverriegelung aus Bild 4-12 ist allerdings die Aussagekraft auf die Vollständigkeit beschränkt. Praktisch bedeutet dies, dass die Umsetzung von Anforderungen eine Konkretisierung durch Funktionen und deren Datenaustausch finden muss. Ist dies nicht der Fall, so kann es sein, dass diese Anforderung schlicht nicht umsetzbar ist oder übersehen wurde. Das Funktionsnetzwerk kann vielfältig genutzt werden. Erstens dient es zum Aufdecken von Spezifikationsfehlern, denn bei der Integration der Funktionen zu einem Funktionsnetzwerk können relativ leicht Spezifikationsfehler aufgedeckt werden. Durch eine geeignete visuelle Darstellung der Zusammenhänge ist für die Prozessbeteiligten der Einstieg in die spezifische Problematik häufig erleichtert. Zweitens lassen sich leichter Funktionsspezifikationen für Lastenhefte erstellen. In der Regel setzt ein Lieferant die Funktionalität in einem Steuergerät um. Mit hinreichend detaillierten Funktions- und Schnittstellenspezifikationen lässt sich für den Entwickler beim Automobilhersteller wesentlich besser artikulieren, was im Steuergerät umgesetzt werden soll. Drittens können die Schnittstellenspezifikationen der Funktionen zur Modellbildung von Verhaltensmodellen der Funktion herangezogen werden. Somit lässt sich dann ein Funktionsnetzwerk im Zusammenhang simulieren. Für eine Reihe von Teilaspekten ist dies zwingend erforderlich wie z.B. bei der Auslegung von Regelkreisen im Fahrwerks- oder Antriebsbereich.

4 Bordnetz und Vernetzung Ein typisches Beispiel für ein Funktionsnetzwerk (häufig auch als Funktionsnetzarchitektur oder logische Architektur bezeichnet) wird in Bild 4-13 gezeigt. Es zeigt die funktionalen Zusammenhänge der Elektronik im Bereich der Lenksäule. Das Steuergerät, das die Funktionen Lenkradelektronik, Lenkradwinkelsensor, Lenkstocktaster und Lenksäulenelektronik umfasst, heißt Schaltzentrum Lenksäule (SZL). Dieses Steuergerät weist eine Schnittstelle zu einem CAN-Bus auf. Die inneren Datenflüsse werden durch die Verbindungen dargestellt. Zusätzlich lassen sich Schnittstellen (engl. Interface) zu anderen Funktionen erkennen; es liegen folgende Schnittstellen in Bild 4-13 vor: Auf der linken Seite benötigt das Schaltzentrum Lenksäule vom CAN-Bus die Signale Klemmenstatus, Radgeschwindigkeit und Radtoleranzabgleich. Auf der rechten Seite liefert das Schaltzentrum Lenksäule Bediensignale an das Gesamtsystem, das an Lenksäulen und Lenkrad die Taster für die Quellenumschaltung Audio und Telefon, für die Bedienung der Geschwindigkeitsregelung (engl. Cruise Control) und der adaptiven Geschwindigkeitsregelung sowie für die Bedienung der Wischer auswertet. Durch das Schaltzentrum Lenksäule werden auf der einen Seite über die Lenkradelektronik die Airbagzündpillen im Lenkrad angesteuert. Auf der anderen Seite werden der Bedientaster im Lenkrad für das Horn, das von der zentralen Karosserieelektronik (ZKE) angesteuert wird, und die Schaltpaddel für das sequentielle, manuelle Getriebe (SMG) ausgewertet.

Bild 4-13: Funktionsnetzwerk der Elektronik im Bereich der Lenksäule LRE: Lenkradelektronik; SZL: Steuergerät Schaltzentrum Lenksäule; SMG: Sequentielles, manuelles Getriebe; ZKE: Zentrale Karosserieelektronik; FAS: Fernlicht-Abblendlicht-Schaltung; CC: Geschwindigkeitsregelung; ACC: Adaptive Geschwindigkeitsregelung

4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug Die Modellierung erfolgte in diesem Beispiel unter Verwendung der Client-Server-Kommunikation. Es wird immer derart modelliert, dass eine ClientFunktion eine Server-Funktion anfordert. Dies wird im Modell über einen Kreis dargestellt. Der Server liefert auf Anforderung, symbolisiert über einen Halbkreis. Aufgrund dieser Modellierungslogik liefert die Funktion Lenkradelektronik die Dienste, den Bedientaster für das Horn und die Schaltpaddel für das sequentielle, manuelle Getriebe auszulesen. Im Gegensatz dazu fordert die Lenkradelektronik den Dienst zur Auslösung der Airbagzündpille im Lenkrad an. In Summe erfüllt dieses Modell, wie oben definiert, ein zentrales Erkennungszeichen von Systemarchitekturen: die Beschreibung des betrachteten Systems, die Funktionen dieses Systems, aber auch der Schnittstellen zur Umgebung. Solch ein detailliertes Modell des Funktionsnetzwerkes liefert deswegen eine gute Grundlage für Partitionierungsentscheidungen. 4.1.5.4 Partitionierung der logischen Architektur auf eine technische Architektur Der Prozess der Partitionierung, das heißt, die Abbildung der Funktionen und ihrer Anforderungen auf eine konkrete technische Lösung, erfordert eine breite und umfassende Erfahrung der zu berücksichtigenden Aspekte. Ein Beispiel für eine Funktionspartitionierung ist in Bild 4-14 gezeigt.

193 Hier wird die Gesamtfunktionalität des ACC-Steuergeräts abgebildet. In diesem Beispiel übernehmen verschiedene Mikrochips die Abarbeitung der Funktionen innerhalb eines Steuergerätes. Beispielsweise übernimmt der DSP (Digitaler Signal-Prozessor) die Berechnung der Verkehrslagenerkennung. Dies ist im Prinzip die gleiche Situation, wie wenn Funktionen auf verschiedene Steuergeräte verteilt werden müssen, die über Busse miteinander vernetzt sind. Neben der Funktionspartitionierung müssen noch die Signale auf die verschiedenen Signalträger (Busse, Multiplexer oder Einzelleitungen) partitioniert werden. Hier spricht man von Signalpartitionierung. Ein Beispiel wird in Bild 4-15 gezeigt. Dies ist ein eminent wichtiger Vorgang, da hier die Schnittstellendaten auf den Bussen festgelegt werden. Die Ein- und Ausgangsbeziehungen der Steuergeräte, die über Busse miteinander verbunden sind, sind nichts anderes als gültig geschlossene Vertragsrelationen von Kunden (der Daten) und deren Lieferanten. Die Abstimmung muss äußerst präzise und umsichtig erfolgen. Semantische Bedeutungen sowie Sendeund Zeitbedingungen der Daten, Datentypen, Defaultwerte sowie Festlegungen, wer welches Signal sendet und erhält, sind vor der Implementierung restlos zu klären. Sonst treten bei der realen Integration mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit signifikante Probleme auf. Die Gesamtheit der Signale und deren Verpackung in Busnachrichten wird typischerweise in so genannten Nachrichtenkatalogen zusammengefasst, um die vollständige Schnittstelleninformation allen am Prozess Beteiligten verbindlich bekannt zu machen.

Bild 4-14: Funktionspartitionierung der Funktionen der adaptiven Geschwindigkeitsregelung auf das ACC-Steuergerät

194

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-15: Signalpartitionierung ESP: Bremsregelungs-Steuergerät; ACC: Adaptive Geschwindigkeitsregelung

Die Vielzahl der Gesichtspunkte bei der Partitionierung und der Gestaltung der technischen Architektur erfordert einen umfassenden Dialog des Systemarchitekten mit allen betroffenen Fachstellen. Wesentliche Gesichtspunkte sind hierbei Kosten, Skalierbarkeit der technischen Architektur3, Übernahme von Gleichteilen aus anderen Produktprojekten, Sicherheitseinstufung der Funktionalität, Ressourcenbedarf an Performance und Speicher der abzubildenden Funktionen der geplanten Steuergeräte oder Bauräume sowie geplante Großmodule wie Türen oder Cockpit, um nur einige wenige zu nennen. Grundsätzlich wird durch Modellbasierung der Entwicklungsaktivitäten im Systemdesign eine zentrale Forderung an den Systemdesignprozess erfüllt: Jeder Entwicklungsschritt ist hinreichend dokumentiert und die Übergänge von einem Schritt zum nächsten sind transparent nachvollziehbar. Es kann ausgehend von

3 Skalierbarkeit ist eine nicht-funktionale Anforderung an die techni-

sche Architektur. Skalierbar werden jene Architekturen genannt, welche ein hohes Maß an Variabilität des in die Architektur integrierbaren Funktionsumfangs aufweisen. Damit sind diese Architekturen – sofern andere Kriterien wie Kosten oder Bauräume dies zulassen – in vielen Fahrzeugprojekten einsetzbar.

einer Anforderung4 geschlossen werden, wo und wie diese im technischen System umgesetzt wird. Weitere wesentliche Schritte eines methodenbasierten Vorgehens sind die fortlaufende Dokumentation der sich – wie oben dargestellt – ergebenden Kommunikationsbeziehungen auf funktional-logischer Ebene und auf physikalischer Ebene in einer zentralen Datenbasis sowie die Analyse und Optimierung der Buslasten. Ein methodenbasiertes Vorgehen kümmert sich auch rechtzeitig um die Bereitstellung von Analyse-, Bewertungs- und Konfigurationstools. 4.1.5.5 Vorgaben Neben dem Entwurf der Systemarchitektur beschäftigt sich ein hinreichendes Systemdesign auch mit wichtigen Vorgaben für spätere Entwicklungsschritte. Diese können sehr vielfältiger Natur sein. So werden Programmierrichtlinien erstellt und erlassen, Standards jeglicher Natur werden bereitgestellt oder es wird der Spannungsbereich im Elektrik-ElektronikSystem festgelegt, bei der reduzierte Funktionalität oder nur noch Startfähigkeit gewährleistet sein muss. 4 Auch Anforderungen stellen in diesem Verständnis Modelle dar.

Die Anforderungen aus Bild 4-12 sind als semi-formal einzustufen.

4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug Darüber hinaus sind die bekannten Vorschriften zur elektromagnetischen Verträglichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren sowie die Temperaturbereiche für die Prüfung des Elektrik-Elektronik-Systems festzulegen. In der wesentlichen Ergänzung zur Schnittstellenfestlegung der Systemarchitektur stellen die Vorgaben des Systemdesigns bestimmte Anforderungen an die Umsetzung und Implementierung, die generell auf das Gesamtsystem wirken. Das Systemdesign kümmert sich somit auch um das „wie“ und nicht nur um das „was“ zu implementieren ist.

4.1.6 Architekturbewertung Wie in den vorhergehenden Abschnitten aufgezeigt, müssen Systemarchitekturen vielfältigen Anforderungen genügen und zahlreiche Zielkonflikte im Sinne eines Kompromisses bewältigen. Es ist daher in der Praxis sehr unwahrscheinlich, dass eine Systemarchitektur alle Anforderungen gleichmäßig gut erfüllen kann. Die Entwicklung einer Systemarchitektur ist ein iterativer Prozess, in dessen Rahmen unterschiedliche Varianten entstehen, die jeweils bestimmte Anforderungsaspekte besser als andere Varianten abdecken. Je mehr Anforderungen berücksichtigt werden, desto unentscheidbarer wird der Vergleich der Varianten, da sich fast für jede Variante eine nahezu gleiche Anzahl positiver und negativer Aspekte für jeweils unterschiedliche Anforderungen finden wird. Es stellt sich damit die Frage, ob es überhaupt möglich ist, die beste Systemarchitektur objektiv zu ermitteln. Der entscheidende Punkt liegt in der Frage: Bezüglich welcher Aspekte ist eine Systemarchitektur die beste Lösung? Es ist also sehr sorgfältig abzuwägen und im Unternehmen abzustimmen, nach welchen Kriterien die Architekturentscheidung letztlich gefällt werden soll. So können zum Beispiel Zukunftsfähigkeit und Erweiterbarkeit einer Architektur im Zielkonflikt mit den Kosten stehen. Eine Entscheidung kann hier nur unternehmerisch gefällt werden, d.h. welche Mehrkosten ist das Unternehmen bereit zu tragen, um die langfristigen Vorteile einer skalierbaren oder erweiterbaren Architektur zu nutzen. Eine bestimmte Architekturlösung kann zu höheren Herstellkosten pro Fahrzeug führen, aber erhebliche Kosteneinsparungen bei Gewährleistungskosten oder im Service bringen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit es in einem Unternehmen möglich ist, die in der Produktlebenszeit anfallenden Kosten gegen die Herstellkosten zu rechnen. In aller Regel werden die Herstellkosten pro Fahrzeug eine erhebliche Rolle für die Entscheidung spielen, da über die meist hohen Stückzahlen und die lange Produktionszeit einer Produktlinie erhebliche Kostenauswirkungen entstehen und zudem diese Kostenauswirkungen leicht und sehr transparent zu bestimmen sind.

195 Die meisten derzeit verfügbaren Tools zur Architekturbewertung konzentrieren sich deshalb auch auf die Bewertung der Herstellkosten. Sie analysieren die Systemarchitektur bezüglich ihrer geometrischen und physischen Realisierung durch Hardwarekomponenten, Kabel, Stecker usw. und ermitteln die sich ergebenden Kosten. Reduktion von Gewährleistungskosten, vermiedene Imageschäden, Einschränkungen bei der Einführung von Innovationen aufgrund fehlender Erweiterbarkeit der Architektur oder langfristige Effekte einer umfassenden Standardisierung sind dagegen weitaus schwieriger zu argumentieren und mit Kosten zu belegen. Für derartige Aspekte gibt es derzeit auch keine Toolunterstützung. Die Aufgabe des Architekten liegt nun nicht darin, diese Entscheidungen selbst zu treffen, sondern darin, den Entscheidungsprozess vorzubereiten, Kriterien aus seiner Sicht vorzutragen, die auftretenden Fragen transparent zu machen, an der Auswahl der Entscheidungskriterien mitzuwirken und zur möglichst objektiven Bewertung der Aspekte beizutragen. Der Vorteil einer Architekturbewertung liegt deshalb gerade darin, dass sie derartige Entscheidungsprobleme transparent macht und getroffene Entscheidungen nachvollziehbar werden.

4.1.7 Zusammenfassung Der Prozess der Gestaltung einer Systemarchitektur erfordert den breiten Diskurs mit einer Vielzahl beteiligter Stellen, sowohl innerhalb des Unternehmens als auch mit den Zulieferern. Der Systemarchitekt muss deshalb neben einem breiten technischen Verständnis eine hohe Kommunikations- und Integrationsfähigkeit wie auch zunehmende Kenntnisse der wirtschaftlichen Zusammenhänge besitzen. Er muss zudem ein breites Repertoire von wichtigen Prozessaufgaben, Projekt- und Risikomanagement, Kompatibilitätsund Konfigurationsmanagement wie auch Entscheidungsmanagement beherrschen. Die Rolle des Systemarchitekten ist deshalb eine zentrale Kernkompetenz eines Automobilherstellers, die in Zukunft aufgrund der steigenden Systemvernetzung und der damit einhergehenden Komplexitätserhöhung noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Literatur zu Abschnitt 4.1 [1] Dorf, R. C. (ed.): The Electrical Engineering Handbook, CRC Press [2] Bosch: Kraftfahrtechnisches Handbuch, 23. Auflage, Vieweg Verlag, 1999 [3] Scharnhorst, T., et al.: AUTOSAR – Challenges and Achievements, Tagungsband, Int. 12. VDI-Kongress Elektronik im Kraftfahrzeug 2005, Baden-Baden, VDI-Berichte Nr. 1907, S. 395–408, 2005

196

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme 4.2.1 Grundlagen der Datenkommunikation 4.2.1.1 Einführung in die Datenkommunikation Mit der Einführung elektronischer Steuergeräte im Kraftfahrzeug können Funktionen realisiert werden, die mit mechanischen, hydraulischen oder elektrischen Komponenten entweder gar nicht oder nur aufwändig und damit teuer umsetzbar sind. Die Realisierung von Funktionen zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und der Schadstoffemissionen sowie zur Erhöhung der Sicherheit und des Fahrkomforts stellen hohe Anforderungen an die technische Kompetenz der Fahrzeugentwickler und ihrer Zulieferer. In den 70er Jahren hatte jede elektrische oder elektronische Komponente eine explizit zugewiesene Funktion, und die Komponenten arbeiteten unabhängig voneinander. Steigende Komplexität der Funktionen machte schließlich den Einsatz softwarebasierter Steuergeräte (Electronic Control Unit ECU) und schließlich den Austausch von Daten (Datenkommunikation) zwischen den Steuergeräten erforderlich. Heute werden viele Funktionen nicht mehr von einem einzelnen Steuergerät realisiert, sondern sind auf mehrere Steuergeräte verteilt. Man spricht von verteilen Funktionen, verteilten Regelungen und verteilten Systemen (siehe Bild 4-16).

Bild 4-16: Datenkommunikation: a) Vernetzung von Steuergeräten, b) verteilte Funktionen (ECU: Steuergerät)

Beispielsweise kommuniziert das Getriebesteuergerät mit dem Motorsteuergerät, um durch Verstellen des Zündzeitpunktes den Komfort beim Schalten zu verbessern oder das Steuergerät für die Antriebs-

4 Bordnetz und Vernetzung schlupfregelung mit dem Motorsteuergerät, um bei Schlupf der Antriebsräder das Drehmoment zu reduzieren. Die Klimaanlage benötigt die Motortemperatur, die Innenraumtemperatur und die Außentemperatur, um den Innenraum des Fahrzeugs entsprechend dem Fahrerwunsch zu klimatisieren. Zudem werden die Temperaturen dem Fahrer angezeigt. Das ACCSteuergerät (Adaptive Cruise Control) kommuniziert mit Motor- und Getriebe-Steuergerät und im Bedarfsfall auch mit dem Bremsregelungs-Steuergerät, um den jeweils erforderlichen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zu regeln. Nicht nur die Umsetzbarkeit verteilter Funktionen spricht für die Datenkommunikation. Viele Informationen (z.B. Fahrzeuggeschwindigkeit, Drehzahlen, Temperaturen) werden als Eingangsgrößen nicht nur für eine, sondern für mehrere Funktionen, also auch von mehreren Steuergeräten benötigt. Durch Datenkommunikation zwischen den Steuergeräten müssen diese Informationen nur einmal berechnet oder erfasst werden, so dass Sensoren und Rechenleistung eingespart werden können. Zum Beispiel wird die vom ABS-Steuergerät aus den Signalen der Raddrehzahlsensoren ermittelte Geschwindigkeit des Fahrzeugs vom Kombi-Instrument zur Anzeige gebracht, aber auch vom Navigationssystem, dem Motorsteuergerät, dem Getriebesteuergerät, der Geschwindigkeitsregelung und vom Radio (zum Einstellen der geschwindigkeitsabhängigen Lautstärke) benötigt. Für die Datenkommunikation müssen die Steuergeräte physikalisch miteinander verbunden werden. Die Verbindung zwischen den Steuergeräten im Fahrzeug wird als Vernetzung bezeichnet. Dabei wird zwischen Netzwerken mit paralleler und serieller Datenkommunikation unterschieden. Vereinfacht dargestellt, wird bei paralleler Datenkommunikation für jedes Bit einer Nachricht eine Übertragungsleitung benötigt, während die Daten bei serieller Datenkommunikation über eine einzelne Leitung hintereinander übertragen werden. Serielle Netzwerke benötigen also weniger Übertragungsleitungen als parallele Netzwerke. Dadurch kann auch die Anzahl der Steckverbinderkontakte reduziert werden. Nur mit seriellen Netzwerken ist die Beherrschung der mit dem zunehmenden Einsatz elektronischer Steuergeräte verbundenen Komplexität der Kabelbäume möglich. Im Folgenden werden ausschließlich Netzwerke mit digitaler, serieller Datenkommunikation behandelt. Netzwerke mit digitaler, serieller Datenkommunikation erlauben die Mehrfachnutzung von Informationen (Daten), reduzieren die Anzahl von Sensoren, Steckverbindern und elektrischen Leitungen, ermöglichen Diagnose und erhöhen durch Redundanz die Ausfallsicherheit. Serielle Netzwerke im Kraftfahrzeug dienen nicht nur der Datenkommunikation zwischen den im Fahrzeug verbauten Steuergeräten, sondern bieten zudem die

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Möglichkeit zum Anschluss intelligenter, externer Kommunikationspartner, die nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehören (external test equipment). So schreibt der Gesetzgeber für alle Kraftfahrzeuge einen international genormten Steckverbinder für die Datenkommunikation des OBD-Systems (OnBoad-Diagnose) mit einem externen OBD-Scantool vor (siehe auch Abschnitt 4.2.2). Bei der Kommunikation des Fahrzeugs mit externen Kommunikationspartnern kommen spezielle Protokolle zum Einsatz. Neben einer Vielzahl fahrzeugherstellerspezifischer (proprietärer) Protokolle finden heute zunehmend standardisierte Protokolle Anwendung. Historisch bedingt werden diese Protokolle auch als Diagnoseprotokolle bezeichnet, obwohl sie heute Anwendungen ermöglichen, die weit über die klassische Diagnose hinausgehen. Beispiele für standardisierte Diagnoseprotokolle sind ISO 15031 (Communication between vehicle and external equipment for emissionrelated diagnostics), ISO 14230 (Diagnostic systems), ISO 15765 (Diagnostics on Controller Area Networks (CAN)) und ISO 14229-1 (Unified diagnostic services (UDS)). Beispiele für externe Kommunikationspartner, die mit dem Fahrzeug über ein Diagnoseprotokoll kommunizieren, sind OBD-Scantools zur Kommunikation mit dem OBD-System, Prüfstandsrechner im Rahmen der Funktionsentwicklung mit HIL, Rollenprüfstände, elektronische Checkout-Systeme in der Fahrzeugproduktion (ECOS), Flashtools und Servicetester in der Werkstatt. Nach den bisherigen Ausführungen müssen FahrzeugSteuergeräte neben der Steuerung oder Regelung von Prozessen durch die Verarbeitung von Eingangsinformationen zu Ausgangsinformationen zusätzlich mit anderen Steuergeräten kommunizieren und die Kommunikation mit externen Kommunikationspartnern über ein Diagnoseprotokoll gewährleisten. Die Kommunikation der Steuergeräte untereinander wird als in-vehicle-communication (GMLAN), normal communication (SAE J1850) oder als Onboard-

197 Kommunikation bezeichnet. Die Kommunikation der Steuergeräte mit externen Kommunikationspartnern unter Verwendung eines Diagnoseprotokolls wird als Diagnose-Kommunikation oder als Offboard-Kommunikation bezeichnet. Dieser Abschnitt stellt serielle Bussysteme für die Datenkommunikation in Kraftfahrzeugen vor. Die Bussysteme können entweder ausschließlich für die Onboard-Kommunikation oder durch Einsatz eines speziellen Diagnoseprotokolls zusätzlich für die Offboard-Kommunikation verwendet werden. Beschrieben werden K-Leitung, SAE J1850, CAN, LIN, TTP und FlexRay, MOST und IDB-1394. Die Darstellung der Bussysteme beschränkt sich – je nach Spezifikation – auf den Physical Layer und den Data Link Layer des ISO/OSI-Schichtenmodells. Protokolle für die Offboard-Kommunikation (Application Layer) werden im Kapitel 16 beschrieben. Vor der detaillierten Darstellung der Eigenschaften einzelner Bussysteme ist es sinnvoll, Begriffe zu erläutern, die für das Verständnis aller digitalen, seriellen Netzwerke erforderlich sind. 4.2.1.2 Begriffsdefinitionen Netztopologien Die Kommunikations- und Informationstechnologie unterscheidet zwischen Bussystemen und Netzwerken. Nach [1] ist ein Bus die Abkürzung für Binary Utility System oder auch abgeleitet vom lateinischen Wort Omnibus („für alle“), ein drahtgebundenes Übertragungsmedium, auf das alle angeschlossenen Steuergeräte Zugriff haben. Im LAN-Bereich (Local Area Network) steht der Begriff auch für eine bestimmte Netztopologie. Die Netztopologie beschreibt die Struktur und den Aufbau eines Netzes zur Verbindung mehrerer Steuergeräte (Nodes, Netzknoten). Es wird zwischen (linearem) Bus, Stern, Baum und Ring unterschieden (Bild 4-17).

Bild 4-17: Netztopologien: a) Bus, b) Stern, c) Baum, d) Ring

198 Bei einem Netzwerk mit linearer Topologie sind die Steuergeräte über eine Stichleitung (Stub) an ein gemeinsames Übertragungsmedium angeschlossen. Beispiele für Bussysteme mit linearer Topologie sind CAN, LIN und die K-Leitung. Diese Topologie wird auch als Bus bezeichnet. Kennzeichen der sternförmigen Topologie ist ein zentraler Sternkoppler, an den die einzelnen Steuergeräte angeschlossen sind. Der Sternkoppler regelt dabei die Datenkommunikation. Ein Beispiel für ein Bussystem mit sternförmiger Topologie ist der byteflight. In Netzwerken mit ringförmiger Topologie erfolgt die Datenkommunikation in einer festgelegten Richtung und wird über ein sogenanntes Token gesteuert. Bei einem Token handelt es sich um eine Art Sendeerlaubnis, die mit einem Datenpaket versehen werden kann und an das jeweils nächste Steuergerät im Ring weitergeleitet wird. Ein Steuergerät im Ring übernimmt die Rolle des Masters, der sicherstellt, dass immer ein gültiges Token im Ring unterwegs ist. Typisches Beispiel für ein Bussystem mit ringförmiger Topologie ist der MOST. Netzwerke mit Baumtopologie bestehen aus einer Kombination von Netzwerken mit Bus- und SternTopologie. Typisches Beispiel ist IDB1394. Logische Verbindungen Neben der physikalischen Netzwerktopologie werden in der Datenkommunikation unterschiedliche Arten der logischen Verbindungen zwischen Funktionen definiert. Bild 4-18 stellt die nachfolgend beschriebenen logischen Verbindungen zwischen Funktionen dar. Die einfachste logische Verbindung ist die 1:1Verbindung (Punkt-zu-Punkt oder peer-to-peer), bei der ein Sender (z.B. ein Schalter) direkt mit einem Empfänger (z.B. einer Lampe) verbunden ist. Andere Funktionen sind bei einer 1:1-Verbindung nicht beteiligt. Bei einer 1:n-Verbindung wird die von einem Sender gesendete Informationen von mehreren Empfängern benötigt. Beispielsweise aktiviert die Stellung

4 Bordnetz und Vernetzung des Zündschlüssels (Klemme 15) mehrere Funktionen. Diese Art der Kommunikation wird auch als Broadcasting bezeichnet. Bei einer n:1-Verbindung erhält ein Empfänger unterschiedliche Informationen von mehreren Sendern, z.B. ein Display im Armaturenbrett, auf dem neben der Außentemperatur auch der eingestellte Radiosender und der Kilometerstand angezeigt werden. Bei einer n:m-Verbindung sind an der Datenkommunikation mehrere n-Sender und mehrere m-Empfänger beteiligt. Physical Layer Die physikalische Verbindung der Steuergeräte zu einem Netzwerk ist nicht an die Verwendung von Kupferleitungen gebunden. Anstelle einzelner, paralleler oder verdrillter Kupferleitungen können auch optische Übertragungsmedien (z.B. Kunststoff- oder Glasfasern) verwendet werden. Ein wesentlicher Vorteil optischer Übertragungsmedien besteht in ihrer hohen EMV (elektromagnetische Verträglichkeit). Nachteile sind mangelnde Temperaturstabilität, geringer Biegeradius und problematische Wartbarkeit der Lichtwellenleiter in der Werkstatt. Neben elektrischen und optischen Übertragungsmedien ist auch der Einsatz von Funktechnologien, zum Beispiel zur Bildung eines Ad-Hoc-Netzwerks möglich. Als Beispiel für ein Ad-Hoc-Funknetz (Piconet, Scatternet) ist im Abschnitt 10.3 (Multimedia) der Bluetooth detaillierter beschrieben. Jedes kommunikationsfähige Steuergerät benötigt neben der physikalischen Busankopplung (z.B. elektrische oder optische Steckverbinder) Komponenten zum Senden (engl.: transmit) und Empfangen (engl.: receive) von Nachrichten. Aufgrund der hohen Stückzahlen, die beim Serieneinsatz im Kraftfahrzeug erreicht werden, ist es für Halbleiter- und Fahrzeughersteller wirtschaftlich sinnvoll, diese Komponenten in einen einzelnen Baustein zu integrieren. Es entstehen kombinierte Transmitter-Receiver-ICs, die als Transceiver bezeichnet werden.

Bild 4-18: Logische Verbindungen

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Datenrate Die Geschwindigkeit, mit der die einzelnen Bits übertragen werden, wird als Datenrate bezeichnet. Die Datenrate definiert die Anzahl der Bits, die innerhalb einer Sekunde übertragen werden können. Die Einheit der Datenrate ist daher „Bit pro Sekunde“ oder daraus abgeleitete Einheiten wie kBit/s oder MByte/s (1 Byte = 8 Bit, 1 kByte = 1024 Byte, 1 MByte = 106 Byte). Neben der Definition des Physical Layer muss für die Datenkommunikation auch der Aufbau der Nachrichten festgelegt werden. Dabei werden Datenrahmen (data frames) definiert, die als Träger der Nutzdaten dienen. Der Sender fügt den Datenrahmen Informationen hinzu, die für die fehlerfreie Datenübertragung benötigt werden. Der Empfänger extrahiert die Nutzdaten aus dem Datenrahmen und leitet sie an die Steuergeräte-Anwendung weiter. Deshalb wird bei der Datenrate zwischen der Bruttodatenrate und der Nettodatenrate unterschieden. Bei der Bruttodatenrate zählen alle Bits einer Nachricht, bei der Nettodatenrate nur die Anzahl der Bits, die Nutzdaten beinhalten. Ein Kennzeichen von Bussystemen ist deren Effizienz, die sich aus dem Verhältnis zwischen Nettodatenrate und Bruttodatenrate in Prozent ergibt. Master-Slave- und Multi-Master-Architektur Neben den physikalischen Verbindungen zwischen den Steuergeräten (Netztopologie) und den logischen Verbindungen zwischen den Funktionen (logical links) wird bei digitalen Kommunikationssystemen zwischen Master-Slave- und Multi-Master-Architektur unterschieden. In einem Netzwerk mit Master-Slave-Architektur (Netztopologie z.B. Stern oder Bus) übernimmt ein Steuergerät die Rolle des Masters und steuert die Kommunikation durch zyklisches Aufrufen (polling) der Slaves. Der Master kommuniziert mit den Slaves zu vorher festgelegten Zeiten und in festgelegter Reihenfolge. Die zyklische Arbeitsweise und damit die Zeitsteuerung, ist ein Kennzeichnen von Netzwerken mit Master-Slave-Architektur. Sie gewährleistet, dass Nachrichten zu vorher festgelegten, und damit vorhersagbaren Zeitpunkten übertragen werden. Die Zeit zwischen der Initialisierung einer Übertragung durch den Sender (Sendewunsch) und dem Eintreffen der Nachricht beim Empfänger ist die Latenzzeit. Systeme mit vorhersagbarer Latenzzeit werden als deterministisch bezeichnet. Bei Netzwerken mit Multi-Master-Architektur sind alle Steuergeräte prinzipiell gleichberechtigt. Ein Beispiel für ein Netzwerk mit Multi-MasterArchitektur ist der CAN-Bus – zumindest, solange er ausschließlich für die Onboard-Kommunikation verwendet wird. Da es keinen Master gibt, hat jedes Steuergerät bei Bedarf das gleiche Recht, einen

199 Datentransfer zu starten, wenn der Bus als frei erkannt worden ist. Dieses Prinzip wird als Ereignissteuerung bezeichnet. In der Realität sind aber nicht alle Steuergeräte und nicht alle Nachrichten gleich wichtig. Daher wird für die Datenkommunikation eine Priorisierung der Nachrichten über Nachrichten-Identifier vorgenommen. Kennzeichen von ereignisgesteuerten Netzwerken ist die nicht vorhersagbare Latenzzeit: Ereignisgesteuerte Systeme sind nicht-deterministisch. Neben den zeitgesteuerten und den ereignisgesteuerten Systemen gibt es Kommunikationstechnologien, die die Vorteile der Zeitsteuerung und die der Ereignissteuerung kombinieren. Ein typisches Beispiel für ein solches System ist der FlexRay.

Zugriffsverfahren Bei der Datenkommunikation in einem ereignisgesteuerten Netzwerk mit Multi-Master-Architektur kann es vorkommen, dass zwei Steuergeräte gleichzeitig Nachrichten übertragen wollen. Dieses Verfahren wird als CSMA (Carrier Sense Multiple Access) bezeichnet. Es wird unterschieden zwischen CSMA/CD (collision detect), bei dem die Datenkollision erkannt wird und CSMA/CA (collision avoidance), bei dem die Datenkollision verhindert wird. Prinzipiell kann es auch bei CSMA/CA zu einer Kollision kommen, doch wird diese durch einen ArbitrierungsMechanismus so aufgelöst, dass letztlich nur ein Steuergerät die Sendeberechtigung behält. Der Arbitrierungsmechanismus basiert auf der Definition unterschiedlicher Signalpegel auf dem Bus. Dabei wird zwischen dominanten und rezessiven Bits unterschieden. Transceiver für ereignisgesteuerte Bussysteme mit CSMA/CA gehen bei Parallelschaltung eine Wired-AND-Verknüpfung ein. Dabei entspricht ein rezessives Bit dem hohen Signalpegel (logisch 1), ein dominantes Bit dem niedrigen Signalpegel (logisch 0). Auf dem Bus tritt ein rezessives Bit nur dann auf, wenn alle angeschlossenen Steuergeräte zeitgleich ein rezessives Bit senden. Sendet nur ein Steuergerät ein dominantes Bit, so überschreibt dieses alle rezessiven Bits, d.h. der Bus führt dann ein dominantes Bit. Die Funktionsweise der Arbitrierung wird im Abschnitt 4.2.4 (CAN) anhand eines Beispiels erläutert. Ein weiteres Zugriffsverfahren ist der TDMA (Time Division Multiple Access). Beim TDMA gibt es einen festen Zeitplan mit Zeitfenstern (Time Slots), in denen die Steuergeräte Nachrichten senden können. Ein Kommunikationssystem mit TDMA als Zugriffsverfahren muss nicht unbedingt eine Master-SlaveArchitektur besitzen. Weitere Informationen zum TDMA werden im Abschnitt 4.2.6 (TTP und FlexRay) gegeben.

200 Synchronität Für eine fehlerfreie Kommunikation müssen die Empfänger in der Lage sein, den Anfang und das Ende eines Datenframes zu erkennen, um die Position der Bits im Datenframe und damit ihre Funktion richtig zuordnen zu können. Es wird zwischen synchroner, asynchroner und isochroner Datenkommunikation unterschieden. Bei der synchronen Datenübertragung wird mit den Daten ein Taktsignal übertragen und vom Empfänger zur Synchronisation aus dem Datenframe extrahiert. Bei der asynchronen Datenübertragung wir die Synchronität nicht durch einen Takt realisiert, sondern z.B. durch Start- und Stopbits. Wenn die zeitlichen Abstände zwischen den TimeSlots in einem TDMA-System unterschiedlich lang sind, wird dies als isochrone Datenübertragung bezeichnet. Codierung Bei den hier beschriebenen Kommunikationssystemen mit Kupferleitungen als Übertragungsmedium bestehen die Daten aus Spannungspegeln (Potentialen). Der Physical Layer des Kommunikationsprotokolls legt fest, wie die Potentiale zu interpretieren sind. Es wird zwischen NRZ-Codierung (Non Return to Zero) und Manchester-Codierung unterschieden. Bild 4-19 zeigt die Bit-Codierung des NRZ- und des Manchester-Codes. NRZ-Codierung liegt vor, wenn sich das Potential für die Dauer eines Bits nicht ändert. Ein Nachteil der NRZ-Codierung besteht darin, dass die Synchronisierung zwischen Sender und Empfänger verloren gehen kann, wenn viele identische Bits aufeinander folgen. Diesen Nachteil behebt der Manchester-Code, der die fallende und die steigende Flanke eines sich ändernden Potentials als Bit interpretiert. Verglichen mit dem NRZ-Code ist aber die Datenrate des Manchester-Codes nur etwa halb so groß.

4 Bordnetz und Vernetzung Datensicherung, Fehlererkennung, Fehlertoleranz Grundsätzlich wird in allen Kommunikationssystemen Fehlerfreiheit bei der Datenübertragung angestrebt. Grundvoraussetzung einer fehlerfreien Datenkommunikation ist ausreichende EMV: Kommunikationssysteme dürfen andere Systeme nicht stören und sollen sich durch andere Systeme nicht stören lassen. Maßnahmen zur Reduzierung der Fehlerwahrscheinlichkeit auf physikalischer Ebene sind die Verwendung abgeschirmter, verdrillter Leitungen, Differenzsignalübertragung, der richtige Busabschluss zur Vermeidung von Reflexionen, potentialfreie Ankopplung über Optokoppler und der Einsatz von Lichtwellenleitern. Dennoch können auch bei sorgfältigster Auslegung des Systems (d.h. hoher EMV) Übertragungsfehler nicht ausgeschlossen werden. Deshalb ist durch zusätzliche Maßnahmen sicherzustellen, dass auftretende Übertragungsfehler erkannt und korrigiert werden. Ziel ist die netzwerkweite Datenkonsistenz. Ein Kriterium für die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Erkennung und gegebenenfalls Korrektur von Fehlern ist die Restfehlerwahrscheinlichkeit. Die Restfehlerwahrscheinlichkeit ist ein Wert, der angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit empfangene Nachrichten trotz Fehlersicherungsmaßnahmen immer noch fehlerhaft sind. Die Restfehlerwahrscheinlichkeit muss so niedrig sein, dass während der gesamten Betriebsdauer eines Fahrzeugs keine sicherheitskritischen Fehler auftreten können. Es gibt eine Reihe verschiedener Verfahren mit unterschiedlicher Wirksamkeit zur Reduzierung der Restfehlerwahrscheinlichkeit, die auch in Kombination eingesetzt werden. Dennoch kann in keinem realen System die Restfehlerwahrscheinlichkeit null sein. Deshalb müssen insbesondere Systeme mit sicherheitsrelevanten Funktionen fehlertolerant sein. Ein Verfahren zur Realisierung fehlertoleranter Systeme ist die redundante Auslegung. Bei redundanten Systemen wird zwischen heterogener Redundanz und homogener Redundanz unterschieden.

Bild 4-19: Bit-Codierung: a) NRZ-Codierung, b) Manchester-Codierung

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Bei der zweikanaligen homogenen Redundanz sind alle Komponenten für die Datenkommunikation (u.a. Transceiver, Übertragungsmedien) doppelt vorhanden. Ein Beispiel für ein Kommunikationssystem mit zweikanaliger homogener Redundanz ist FlexRay (siehe Abschnitt 4.2.6). Bei Systemen mit zweikanaliger heterogener Redundanz sind die beiden Kanäle unterschiedlich aufgebaut. Ein Beispiel für ein System mit heterogener Redundanz ist ein elektrohydraulisches Bremssystem, das neben der elektrischen Übertragung des Bremsbefehls eine hydraulische Rückfallebene besitzt. Dreikanalige Redundanz führt weniger zu einer Steigerung der Sicherheit, sondern in erster Linie zu einer Steigerung der Verfügbarkeit: Fallen zwei Kanäle aus, kann das dritte System den (Not-) Betrieb für eine begrenzte Zeit aufrechterhalten. Dies ist zum Beispiel bei der Steuerung und Navigation von Flugzeugen oder bei der Temperaturregelung atomarer Kraftwerke erforderlich. Adressierung Bei ereignisgesteuerten Systemen wie dem CAN-Bus besitzen die Steuergeräte für die Onboard-Kommunikation keine physikalischen Adressen. Bei der Offboard-Kommunikation bildet das System vorübergehend eine Master-Slave-Architektur, in der der externe Kommunikationspartner den Master darstellt und gezielt mit einzelnen Steuergeräten (Slaves) kommuniziert. Die Offboard-Kommunikation benötigt also auch bei einem ereignisgesteuerten Netzwerk mit MultiMaster-Architektur einen Adressierungs-Mechanismus. Es wird unterschieden zwischen physikalischer und funktionaler Adressierung. Bei der physikalischen Adressierung besitzen sowohl der Master als auch die Slaves jeweils eine physikalische Adresse. Die Datenkommunikation erfolgt ausschließlich zwischen dem Master und einem speziell adressierten Slave. Damit das adressierte Steuergerät antworten kann, benötigt es die physikalische Adresse des Masters. Bei der funktionalen Adressierung kann der Master eine Gruppe von Steuergeräten gleichzeitig ansprechen. Unabhängig davon, dass die einzelnen Steuer-

201 geräte, die zu einer funktionalen Gruppe gehören, individuelle physikalische Adressen haben, wird für die funktionale Gruppe eine funktionale Adresse definiert. Sind alle Steuergeräte eines Netzwerks Bestandteil einer funktionalen Gruppe, so wird die dazu gehörende funktionale Adresse auch als Broadcast-Adresse bezeichnet. Offboard-Kommunikation mit funktionaler Adressierung findet beispielsweise dann statt, wenn der Master (z.B. ein Prüfstandsrechner) den Befehl zum Verriegeln der Türen und Schließen der Fenster an alle Türsteuergeräte sendet, oder wenn der Master (z.B. ein OBD-Scantool) das OBD-System des Fahrzeugs auffordert, Fehlerspeichereinträge zu senden. Bei der funktionalen Adressierung mehrerer Steuergeräte innerhalb eines Netzwerks muss der Systemdesigner sicherstellen, dass die Steuergeräte in geordneter Reihenfolge antworten. SAE-Klassen Die SAE (Society of Automotive Engineers) [2] hat die Anforderungen an Systeme zur seriellen Datenkommunikation in Kraftfahrzeugen in drei Klassen (A, B und C) unterteilt. Diese Aufteilung muss heute um Klassen für sicherheitsrelevante Systeme und MultiMedia-Systeme erweitert werden (Bild 4-20) [3]. Zur Klasse A gehören Systeme, bei denen insbesondere die Fehlerfreiheit und die Übertragungsgeschwindigkeit (Datenrate, s.u.) keine besondere Rolle spielen. Das sind Verbindungen zur Kommunikation zwischen Steuergeräten und daran angeschlossenen Sensoren, Bedienelementen und Aktoren. Bei diesen Sensor-Aktor-Netzwerken genügen Datenraten bis zu 20 kBit/s. Ein typischer Vertreter der SAE-Klasse A ist der LIN-Bus. Zur Klasse B gehören Kommunikationssysteme, die vornehmlich die Steuergeräte aus dem Karosseriebereich, beispielsweise Klimasteuergeräte, Lichtsteuergeräte und Sitzsteuergeräte, miteinander verbinden. Ein typischer Vertreter der Klasse B ist der LowSpeed-CAN, der wegen seiner Zuordnung zur SAEKlasse B auch als CAN-B bezeichnet wird.

Bild 4-20: Klassifizierung von Kommunikationssystemen

202 In der Klasse C spielen Datenrate und Fehlertoleranz eine entscheidende Rolle. Zur SAE-Klasse C gehören Kommunikationssysteme des Antriebs. Hier hat sich der High-Speed-CAN durchgesetzt, der wegen seiner Zugehörigkeit zur SAE-Klasse C auch als CAN-C bezeichnet wird. Der CAN-C vernetzt beispielsweise das Motorsteuergerät mit dem Getriebe- und dem Bremsregelungs-Steuergerät. Obwohl Datenraten bis zu 1 MBit/s zulässig sind, liegt die im Kraftfahrzeug verwendete Brutto-Datenrate des CAN-C bei maximal 500 kBit/s. Die nächste Stufe hinsichtlich der Anforderungen an Datenrate, Determinismus und Fehlertoleranz bilden Kommunikationssysteme, die sicherheitsrelevante Funktionen realisieren. Hierzu gehören zeitgesteuerte, redundante Systeme wie zum Beispiel der FlexRay. Systeme zur Vernetzung von Multimedia-Systemen stellen höchste Anforderungen an die Datenrate. Hier sind MOST und IDB-1394 als Beispiele zu nennen.

4 Bordnetz und Vernetzung bidirektionalen K-Leitung wird eine unidirektionale L-Leitung für die Initialisierung der Kommunikation definiert. Die L-Leitung muss aber nicht explizit vorhanden sein, da die Initialisierung auch ohne die L-Leitung erfolgen kann.

Bild 4-21: OBD-Stecker

4.2.2 ISO 9141-2 (K-Leitung) Um die verkehrsbedingte Luftverschmutzung zu reduzieren, führten die amerikanischen Umweltschutzbehörden CARB (California Air Ressources Board) und später auch die EPA (Environmental Protection Agency) im „Clean Air Act“ verschärfte Emissionsgrenzwerte ein. Um sicherzustellen, dass die Grenzwerte innerhalb der gesamten Lebensdauer eines Fahrzeugs eingehalten werden, wurde zusätzlich vorgeschrieben, dass jedes Fahrzeug das eigene Abgasverhalten überwachen muss. Das System zur Abgasüberwachung wird als OBD-System (On-BoardDiagnose) bezeichnet. Eine weitere Verschärfung der Emissionsgrenzwerte führte 1996 zur OBD II. In der Europäischen Union (EU) werden seit 2001 neue Pkw mit Benzinmotor und seit 2003 auch Pkw mit Dieselmotor nur noch mit einem EOBD-System (Europäische On-Board-Diagnose) für den Straßenverkehr zugelassen. Zur Datenkommunikation des OBD-Systems mit einem externen Kommunikationspartner, dem sogenannten „OBD-Scantool“, besitzen alle OBD-kompatiblen Fahrzeuge einen weltweit genormten OBD-Stecker (Bild 4-21) [4]. Die Anforderungen an die Datenkommunikation zwischen dem OBD-System des Fahrzeugs und einem externen Kommunikationspartner werden in ISO 9141-2 (Road Vehicles – Diagnostic systems – Part 2: CARB requirements for interchange of digital information) beschrieben [5]. Die in ISO 9141 standardisierte Datenkommunikation dient der Inspektion, der Diagnose sowie der Kalibrierung von Fahrzeugen, Systemen und Steuergeräten. ISO 9141-2 wird auch als CARB-Protokoll bezeichnet. Das CARB-Protokoll beschreibt den Physical Layer und den Data Link Layer eines Bussystems mit der Bezeichnung K-Leitung oder K-Line. Neben der

Bild 4-22: Beispiel für ein K-Leitungs-Bussystem; ECU: Steuergerät

Bild 4-22 zeigt beispielhaft ein System, bei dem die bidirektionale K-Leitung als Bussystem für die Initialisierung und die Offboard-Kommunikation mit dem OBD-System des Fahrzeugs verwendet wird. Die K-Leitung dient normalerweise ausschließlich der Offboard-Kommunikation, wird in (durchaus zugelassenen) Ausnahmefällen aber auch für Onboard-Kommunikation verwendet. Neben der Offboard-Kommunikation mit einem OBD-Scantool nach dem CARB-Protokoll gibt es mit dem KWP2000-Protokoll auf der K-Leitung (ISO 14230) einen erweiterten Befehlssatz für eine Vielzahl an zusätzlichen Funktionen. Details zu KWP 2000 auf der K-Leitung werden in Kapitel 16 (Diagnose) beschrieben. Bei der Offboard-Kommunikation auf der K-Leitung bilden der externe Kommunikationspartner und die Steuergeräte ein System mit Master-Slave-Architektur, bei dem der externe Kommunikationspartner den

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Master darstellt. Sowohl der Master als auch die einzelnen Steuergeräte des OBD-Systems besitzen physikalische Adressen, die vom Gesetzgeber nicht festgelegt werden. Um dennoch mit dem OBDSystem kommunizieren zu können, ist mit 33h die funktionale Adresse aller Steuergeräte mit OBDFunktionen festgelegt. In der Initialisierungsphase antworten die funktional adressierten Steuergeräte mit Nachrichten, die ihre physikalischen Adressen beinhalten. Die Kommunikation zwischen dem Master und den Steuergeräten über die K-Leitung kann dann je nach Bedarf entweder mit physikalischer oder mit funktionaler Adressierung erfolgen. Initialisierung am Beispiel des CARB-Protokolls Tabelle 4-3 zeigt die Initialisierung der Kommunikation eines Masters mit dem OBD-System des Fahrzeugs durch funktionale Adressierung. Neben der hier beschriebenen Verfahren gibt es weitere Arten der Initialisierung [5]. Tabelle 4-3: Initialisierung der Kommunikation mit dem OBD-System, die Zeitdifferenz bezieht sich immer auf den vorherigen Schritt Zeitdifferenz

Adresse (33h)

W1

Synchronisation (55h)

W2

Keyword 1

W3

Keyword 2

W4

Keyword 2 invertiert

W4

Adresse invertiert (CCh)

P3

Erster Service Request

Maximaler Wert

Aufbau der Nachrichtenframes Bild 4-23 zeigt den Aufbau einer Nachricht nach dem CARB-Protokoll. Beim CARB-Protokoll besteht der Header aus drei Bytes, die Protocol Data Unit (PDU) aus 1 bis 7 Bytes und der Trailer aus einer 1 Byte langen Checksumme (CS).

Bild 4-23: Aufbau eines Nachrichtenframes nach dem CARB-Protokoll: Fmt Format-Byte, Tgt Target Address, Src Source Address, PDU Protocol Data Unit, CS Checksum

Tabelle 4-4: Zeitdifferenzen bei der Kommunikation mit dem OBD-System (siehe Tabelle 4-3)

Minimaler Wert

gerät sendet nach Ablauf der Zeit W1 (60 bis 300 ms) eine alternierende Bitfolge (55h), die als speed synchronisation pattern bezeichnet wird. Der Tester ermittelt daraus durch Ausmessen der Bitzeiten die Datenrate für die Kommunikation mit dem OBD-System. Die Standard-Datenrate für die Kommunikation mit dem OBD-System ist 10,4 kBit/s. Nach Ablauf der Zeit W2 (5 bis 20 ms) sendet das Steuergerät zwei Keywords mit der zuvor übermittelten Datenrate. Nach Ablauf der Zeit W3 (max. 20 ms) sendet der Tester logisch invertiert das zweite Keyword an das Steuergerät zurück. Nach Ablauf der Zeit W4 (25 bis 50 ms) sendet das Steuergerät die logisch invertierte Initialisierungsadresse an den Tester (CCh). Nach Abschluss der Initialisierungsphase und nach Ablauf der Zeit P3 kann der Tester den ersten Diagnosebefehl (Diagnostic Service Request) senden.

Gesendete Nachricht

W0

Zeitdifferenz

203

W0

W1

W2

W3

W4

2

60

5

0

25

300

20

20

50

Nach dem Einschalten der Zündung befindet sich die K-Leitung im Ruhezustand (Bus Idle, logisch 1). Die Initialisierung der Kommunikation erfolgt in mehreren Schritten. Im ersten Schritt sendet der Tester die funktionale Adresse des OBD-Systems (33h, in hexadezimaler Schreibweise) mit der Datenrate 5 Bit/s an das Fahrzeug. Um Datenkollisionen zu vermeiden, antwortet auf die Initialisierung nur das Steuergerät, das vom Systemdesigner dafür festgelegt wurde. Dieses Steuer-

Das Format-Byte (Fmt) besteht aus 8 Bit. Dabei legen 6 Bit die Länge des Datenfeldes (PDU) fest, und 2 Bit beinhalten Informationen zum Addressierungsmodus. Im CARB-Protokoll werden vom Tester ausschließlich das Format-Byte 68h und vom Steuergerät das Format-Byte 48h verwendet. Der Adressierungsmodus ist in beiden Fällen 01 für CARB. Die Target Address (Tgt) ist die Zieladresse der Nachricht. Sie wird immer zusammen mit der physikalischen Adresse des Masters (Src) verwendet. Bei der Initialisierung der Kommunikation nach dem CARB-Protokoll ist die Zieladresse immer 33h. Die Source Address (Src) ist die physikalische Adresse des Masters. Die vom Protokoll vorgegebene Adresse des Masters ist F1h. Die Protocol Data Unit (PDU) enthält die Nutzdaten. Sie kann zwischen 1 und 7 Byte lang sein. Die Checksumme (CS) am Ende des Datenframes besteht aus einer einfachen 8-Bit-Summe aller Bytes in der Nachricht, ausschließlich der Checksumme. Schon heute wird für die Datenkommunikation mit dem OBD-System anstelle der K-Leitung zunehmend der ebenfalls auf dem OBD-Stecker aufgelegte CANBus verwendet. Ab dem 1.1.2008 schreiben die US-

204

4 Bordnetz und Vernetzung

Behörden für die Kommunikation mit dem OBDSystem ausschließlich den CAN-Bus vor.

4.2.3 SAE J1850 Der SAE-Standard SAE J1850 (-VPW und -PWM) [6] spezifiziert den Data Link Layer und zwei verschiedene Versionen des Physical Layers eines Netzwerks der Class B Data Communication für Fahrzeuge. Die Unterschiede im Physical Layer sind in Tabelle 4-5 gegenübergestellt. Als Netztopologie ist ein linearer Bus mit Multi-Master-Architektur vorgesehen, je nach Version entweder als Eindrahtverbindung mit Spannungssignal gegen Masse (VPW) oder als Zweidrahtverbindung mit Differenzsignal (PWM). Eine SAE-J1850-Nachricht beginnt mit einem Identifier, der die Priorität der Nachricht im Fall eines Buszugriffskonfliktes festlegt. Als Arbitrierungsverfahren wird CSMA-CA verwendet.

Bild 4-24: Aufbau eines Nachrichtenframes nach SAE J1850

Als amerikanisches Pendant zur europäischen KLeitung (siehe Abschnitt 4.2.2) ist auch der SAE J1850 als Bussystem auf den OBD-Stecker für die OBD-Kommunikation mit dem Fahrzeug aufgelegt (Pin 2: SAE J1850+, Pin 10: SAE J1850–). In Zukunft werden auch GM und Ford den CAN-Bus für die Diagnosekommunikation verwenden, so dass bereits heute insbesondere neue Fahrzeuge nicht mehr mit dem SAE J1850-Bus ausgerüstet werden. Ab dem 1.1.2008 verbieten die amerikanischen Behörden neben der K-Leitung (ISO 9141-2) auch die SAE J1850 (ISO 11519-4) für die OBD-Kommunikation.

Tabelle 4-5: Physical Layer des SAE-J1850-Protokolls

4.2.4 CAN SAE J1850

VPW

PWM

Datenrate

10,4 kBit/s

41,6 kBit/s

Signal

Spannung gegen Masse

Differenzsignal

Übertragungsmedium

Eindraht

Zweidraht

Der SAE J1850 ist sowohl für die Datenkommunikation zwischen den Steuergeräten (SAE-Begriff: normal vehicle operation messages), als auch für die Diagnosekommunikation mit externen Kommunikationspartnern (SAE-Begriff: off-vehicle test equipment) vorgesehen. Die normal vehicle operation messages werden in SAE J2178 [7] definiert, die Diagnosekommunikation in SAE J1979 [8], SAE J2190 [9] und SAE J2012 [10]. Die Inhalte der SAENormen wurden auch von der ISO, z.B. in der ISO 11519 [11] und der ISO 15031 [12] international standardisiert. Den SAE J1850 VPW findet man hauptsächlich in Fahrzeugen von General Motors für den amerikanischen Markt, den SAE J1850 PWM in Fahrzeugen der Ford Motor Company. Philips Semiconductor liefert mit dem AU 5780 A einen integrierten Transceiver für den SAE J1850 VPW [13]. Bild 4-24 zeigt den Aufbau einer Nachricht nach SAE J1850. Die Nachricht besteht aus einem Start Of Frame (SOF), dem Header, dem Datenfeld und einer zyklischen Blocksicherung (CRC) für die Datensicherung. IFR steht für In Frame Response Field. Im In Frame Response Field kann der Empfänger einer Nachricht unmittelbar nach dem End Of Data Field (EOD) antworten.

4.2.4.1 Übersicht Der CAN-Bus (Controller Area Network) wurde vom Automobilzulieferer Bosch und dem Chiphersteller INTEL speziell für die Vernetzung von FahrzeugSteuergeräten zu einem „In-vehicle-network“ entwickelt und im Februar 1986 auf dem SAE-Kongress in Detroit (U.S.A.) unter dem Titel "Automotive Serial Controller Area Network" offiziell aus der Taufe gehoben [14]. Bereits ein Jahr später stellte INTEL mit dem 82526 den ersten integrierten CANController vor, 1988 folgte Philips mit dem 82C200. 1992 wurde der CAN-Bus erstmalig von MercedesBenz in der S-Klasse in Serie eingesetzt. Auch im industriellen Umfeld ist der CAN häufig anzutreffen und wird von der 1992 gegründeten Nutzerorganisation CiA (CAN in Automation) unterstützt [15]. Als offener Industriestandard wurde das CANProtokoll im November 1993 von der ISO standardisiert. Die wichtigste ISO-Norm ist die ISO 11898: Road Vehicles – Controller Area Network) [16]. Die ISO 11898 besteht aus 5 Teilen: Part 1: Data link layer and physical signalling Part 2: High speed medium access unit Part 3: Low-speed, fault-tolerant, medium dependent interface Part 4: Time-triggered communication Part 5: High-speed medium access unit with lowpower mode Heute werden jedes Jahr weltweit mehr als hundert Millionen CAN-Controller eingesetzt. So wurden zum Beispiel allein im Jahr 2003 mehr als 12 Millionen ABS-Systeme produziert, von denen mehr als die Hälfte eine CAN-Schnittstelle besitzen.

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

205

Bild 4-25: Prinzipieller Aufbau eines Steuergerätes mit CAN-Bus-Schnittstelle: Tx Transmit Data, Rx Receive Data

Vor allem zur Vernetzung von Steuergeräten mit Funktionen des Antriebs (Motor- und Getriebemanagement) gilt der CAN-Bus in der Fahrzeugindustrie als etablierter Standard für die Onboard-Kommunikation. In Kraftfahrzeugen wird der CAN-Bus heute nicht nur für die Onboard-Kommunikation, sondern auch für die Offboard-Kommunikation verwendet. Neben der Standardisierung der Datenkommunikation mit dem OBD-System des Fahrzeugs in der ISO 15031 [12] wurde auch KWP 2000 von der K-Leitung auf den CAN-Bus portiert und in der ISO 15765 standardisiert [17]. In Lastkraftwagen und mobilen Arbeitsmaschinen (z.B. Landmaschinen) wird mit SAE J1939 [18] ein weiteres Kommunikationssystem mit dem CAN-Protokoll verwendet. Darüber hinaus gibt es fahrzeugherstellerspezifische CAN-Protokolle, beispielsweise „KWP 2000 on TP 2.0“ bei der Volkswagen AG oder „GMLAN“ bei General Motors. Der CAN-Bus ist ein Bussystem mit linearer oder sternförmiger Topologie und Multi-Master-Architektur. Die Kommunikation erfolgt ereignisgesteuert. Beim Standard-CAN können bis zu 2032 verschiedene Nachrichten-Identifier definiert werden. Die maximale Brutto-Datenrate beträgt 1 MBit/s, die Nettodatenrate bis zu 58 %. Die maximale Länge des Übertragungsmediums ist 40 m bei 1 MBit/s (1000 m bei 500 kBit/s). Als Arbitrierungsverfahren wird CSMA/ CA verwendet. 4.2.4.2 Physical Layer Der Physical Layer und der Data Link Layer des CAN-Protokolls sind als integrierte Schaltkreise verfügbar. Es wird zwischen CAN-Transceivern für Highspeed-CAN, Lowspeed-CAN (Fault tolerant CAN) und Single-Wire-CAN unterschieden.

4.2.4.2.1 Highspeed-CAN Bild 4-25 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines Steuergerätes mit CAN-Schnittstelle am Beispiel des INTEL 82527. Zwar ist aufgrund der Verfügbarkeit von Mikrocontrollern mit teilweise mehr als einer integrierten CAN-Schnittstelle der Einsatz eines separaten CAN-Controllers nicht erforderlich, doch ändert das nichts am dargestellten Funktionsprinzip. Der CAN-Protokoll-Controller steuert den Datenstrom zwischen dem internen RAM und dem seriellen CAN-Bus über die Leitungen Rx0, Rx1, Tx0 und Tx1 des CAN-Transceivers. Der Zugriff auf das RAM erfolgt zeitgesteuert entweder durch die CPU-Interface-Logik oder dem CANProtokoll-Controller. Die Interface-Logik bildet die Schnittstelle zur CPU und kann über Steuerleitungen an unterschiedliche Adressierungsmodi angepasst werden. Bild 4-26 zeigt den typischen Aufbau eines CANBus-Systems mit linearer Topologie. In diesem Beispiel sind die CAN-Transceiver der Steuergeräte über Stichleitungen (Stubs) an das Übertragungsmedium in Form einer (verdrillten) Zweidrahtleitung angeschlossen. Zur Reduzierung von Störungen durch Reflexionen an den sonst offenen Leitungsenden sind die Busleitungen (CAN_H und CAN_L) an beiden Enden mit einem Widerstand (120 Ohm) abgeschlossen. Die Länge der Busleitungen ist bei einer Datenrate von 1 MBit/s auf 40 m und die Länge der Stubs auf 30 cm begrenzt. Der in Bild 4-26 dargestellte Bus mit zwei Leitungen wird auch als „Highspeed-CAN“ bezeichnet. Die Spezifikation lässt für den Highspeed-CAN zwar Datenraten bis 1 MBit/s zu, doch hat sich in der Praxis eine Datenrate von 500 kBit/s zum Beispiel für Anwendungen im Antrieb durchgesetzt.

206

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-26: Prinzipieller Aufbau eines CANBus-Systems mit Zweidrahtleitung; ECU: Steuergerät, CAN_H: CAN-High-Leitung, CAN_L: CAN-Low-Leitung

Bild 4-27: Nominelle Potentiale nach ISO 11898-2

Verwendet wird eine (verdrillte) Zweidrahtleitung mit einem differenziellen Signal. Der Vorteil eines differentiellen Signals liegt in der weitgehenden Unempfindlichkeit gegenüber der Einstrahlung von Gleichtaktstörungen. Das CAN-Protokoll verwendet die NRZ-Codierung zur Bitcodierung und definiert einen dominanten und einen rezessiven Buspegel für die bitweise Arbitrierung nach CSMA/CA. Bild 4-27 zeigt die nominellen Potentiale und deren Zuordnung für den Highspeed-CAN. Für ein rezessives Bit ist das Potential von CAN_H nicht höher als das von CAN_L (+ 500 mV), für ein dominantes Bit ist das Potential von CAN_H mindestens 900 mV höher als das Potential von CAN_L.

Die Anzahl der Steuergeräte am Lowspeed-CAN ist auf maximal 32 begrenzt. Neben der im Vergleich zum Highspeed-CAN niedrigeren Datenrate ermöglicht der Lowspeed-CAN durch eine andere Busankopplung zusätzliche Mechanismen zur Fehlererkennung. Wesentliches Merkmal des Lowspeed-CAN ist deshalb seine Fehlertoleranz gegenüber Unterbrechungen und elektrischen Kurzschlüssen zwischen den Leitungen CAN_H und CAN_L. Der Lowspeed-CAN wurde mit ISO/DIS 11898-3 als „low-speed, fault-tolerant, medium dependent interface“ standardisiert und von Halbleiterherstellern in einen Transceiver integriert. Gängige LowspeedTransceiver sind die pinkompatiblen PCA82C252T und TJA 1054 von Philips. Bild 4-28 zeigt die nominellen Potentiale des fehlertoleranten Lowspeed-CAN. Verglichen mit dem Highspeed-CAN weist der Lowspeed-CAN nominell höhere Potentialunterschiede zwischen rezessiven und dominanten Bits auf. Dadurch ergibt sich ein höherer Störspannungsabstand, ein größerer zulässiger Masseversatz und so prinzipiell die Fähigkeit zum Eindrahtbetrieb.

4.2.4.2.2 Lowspeed-CAN Neben dem Highspeed-CAN für die Datenkommunikation zwischen Steuergeräten des Antriebs werden auch Steuergeräte mit Komfortfunktionen über CAN vernetzt. Das sind zum Beispiel Klimasteuergeräte, Lichtsteuergeräte und Sitzsteuergeräte. Dieses eigenständige, vom Highspeed-CAN unabhängige Bussystem wird wegen seiner SAE-Klassenzugehörigkeit als CAN-B und aufgrund seiner auf 125 kBit/s begrenzten Brutto-Datenrate als Lowspeed-CAN bezeichnet.

Bild 4-28: Nominelle Potentiale nach ISO 11898-3 (Lowspeed-CAN)

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

207 on am Bus aufnimmt. Solche Netzwerke kennen nur zwei Zustände: entweder befindet sich das gesamte Netzwerk im aktiven Zustand oder komplett im passiven, ruhestromoptimierten Zustand. Im Gegensatz dazu hält der Single-Wire-CAN mit dem HighLevel-Voltage Wake-up drei Zustände bereit: gesamtes Netzwerk aktiv, gesamtes Netzwerk passiv und Teilnetzbetrieb mit beliebiger Kombination aktiver Steuergeräte (selektiver Sleep-Mode). Über entsprechende Netzwerkdienste der höheren Software-Schichten lassen sich während des Betriebs beliebig einzelne Steuergeräte vom Bus abschalten oder wieder hinzuschalten. Während also einzelne Steuergeräte miteinander kommunizieren, können sich andere Steuergeräte im Sleep-Mode befinden [20]. Bild 4-31 zeigt ein Single-Wire-CAN-Bussystem mit dem Transceiver AU 5790.

Bild 4-29: Busankopplung des Lowspeed-Transceivers TJA 1054

Bild 4-29 zeigt die Busankopplung des LowspeedTransceivers TJA 1054 [19]. Der Transceiver ist in der Lage, eine Unterbrechung von CAN_H oder CAN_L, einen Kurzschluss zwischen CAN_H und CAN_L, einen Kurzschluss von CAN_H oder CAN_L gegen Masse, einen Kurzschluss von CAN_H oder CAN_L gegen Betriebsspannung oder einen Kurzschluss von CAN_H oder CAN_L gegen Batteriespannung zu erkennen. Im Fehlerfall schaltet der Transceiver selbstständig die fehlerhafte Leitung ab und auf Eindrahtbetrieb um. 4.2.4.2.3 Single-Wire-CAN Das Kommunikationsprotokoll GMLAN von General Motors (GM) definiert einen weiteren Physical Layer mit der Bezeichnung Single-Wire-CAN (SWC) [20]. Der Single-Wire-CAN ist ein in-vehicle-network nach der SAE-Klasse B, das von GM als Alternative zu SAE J1850 (Abschnitt 4.2.3) entwickelt und in SAE J2411 standardisiert wurde. Die wesentlichen Merkmale des Single-Wire-CAN sind die Verwendung einer ungeschirmten Eindrahtleitung, eine Brutto-Datenrate von 33 1/3 kBit/s für Onboard-Kommunikation und einer Brutto-Datenrate von 83 1/3 kBit/s für die Offboard-Kommunikation. Es sind maximal 32 Single-Wire-CAN-Knoten je Bussystem zugelassen. Bild 4-30 zeigt die nominellen Potentiale des Single-Wire-CAN nach SAE J2411. Die Vorteile des Single-Wire-CAN liegen nicht nur in Kosteneinsparungen für Kabel und Stecker. Die massebezogene Signalübertragung ermöglicht außerdem die einfache Integration einer zusätzlichen Funktion: dem High-Level-Voltage Wake-up. Weckfunktionen in Systemen mit Differenzsignal basieren auf flankengetriggerten Interrupts, die grundsätzlich in allen Steuergeräten einen Weckvorgang auslösen, sobald ein Teilnehmer die Kommunikati-

Bild 4-30: Nominelle Potentiale beim Single-Wire-CAN (SAE J2411)

Bild 4-31: Busankopplung des SWC-Transceivers AU 5790 (Prinzip); Tx: Transmit Data, Rx: Receive Data

208 4.2.4.3 Data Link Layer An einem CAN-Bus sind alle Steuergeräte gleichberechtigt. Es handelt sich um ein Kommunikationssystem mit Multi-Master-Architektur und ereignisgesteuerter Datenkommunikation. Will ein Steuergerät einen Datenframe senden, so gibt es seinem CAN-Controller den Auftrag dazu. Der CANController sendet die Nachricht, wenn der Bus frei ist und wenn er die Arbitrierung gewinnt. Wie alle anderen ereignisgesteuerten Systeme ist auch der CAN-Bus nicht deterministisch. Die Steuergeräte, die am CAN-Bus angeschlossen sind, benötigen für die Onboard-Kommunikation keine physikalischen Adressen. Stattdessen besitzt jede Nachricht einen eindeutigen Identifier, an dem die Empfänger den Inhalt der Nachricht erkennen können. Der Data Link Layer des CAN-Protokolls spezifiziert unter anderem den Aufbau von CAN-Datenframes. Am Anfang eines CAN-Datenframes steht der CANIdentifier (CAN-ID), der Informationen über die Nutzdaten enthält und gleichzeitig die Priorität des Frames für die Arbitrierung festlegt. Bild 4-32 zeigt ein Beispiel für die Arbitrierung für den Fall, dass zwei CANController gleichzeitig versuchen, Nachrichten mit den Identifiern CAN-ID A und CAN-ID B zu senden. Das Arbitrierungsverfahren ist CSMA/CA.

4 Bordnetz und Vernetzung der gesendete Pegel mit dem empfangenen Pegel übereinstimmt. Erkennt der Sender ein dominantes Bit, obwohl er ein rezessives Bit gesendet hat, verliert er die Arbitrierung und bricht seinen Sendevorgang ab. Im dargestellten Beispiel verliert der CANController A die Arbitrierung im siebten Bit nach SOF. Programmierbare Akzeptanzfilter für die CAN-IDs in den CAN-Controllern sorgen dafür, dass die Steuergeräte-Anwendung nur mit den Daten versorgt wird, die sie benötigt. Neben der Kennzeichnung des Inhalts wird über den CAN-Identifier die Priorität der Nachrichten für die Arbitrierung festgelegt. Der System-Designer kann über die CAN-Identifier in Grenzen auch die Latenzzeiten steuern, eine garantierte Latenzzeit besitzt aber nur die Nachricht mit der höchsten Priorität im Netz. Dabei hat der Identifier mit der niedrigsten Binärzahl die höchste Priorität. Es wird zwischen Nachrichten mit 11 Bit langem CAN-ID (Standard Format, CAN 2.0A) und Nachrichten mit 29 Bit langem CAN-ID (Extended Format, CAN 2.0B) unterschieden. Im Folgenden werden ausschließlich die CAN-Frames im StandardFormat beschrieben. Der Data Link Layer des CANProtokolls 2.0A unterscheidet vier verschiedene CAN-Frames. Das sind Daten-Frames für die Datenkommunikation, Remote-Frames für die Anforderung von Daten, Error-Frames zur Fehlermeldung und Overload-Frames zur Überlastmeldung. Daten-Frames Bild 4-33 zeigt den Aufbau eines Daten-Frames im Standard-Format. Ein Daten-Frame besteht aus sieben Feldern: Start of Frame (SOF), Arbitration Field, Control Field, Data Field, CRC Field, ACK Field, End of Frame (EOF). Im Folgenden werden Aufbau und Funktion der Felder des CAN-Daten-Frames erläutert.

Bild 4-32: Beispiel einer Arbitrierung mit CSMA/CA; CAN-ID: CAN-Identifier

Im Ruhezustand (Bus Idle) führt der CAN-Bus einen rezessiven Pegel. Ein Sendevorgang beginnt immer mit dem Senden eines SOF-Bits (Start Of Frame) mit dominantem Pegel. Alle Steuergeräte am CAN-Bus synchronisieren sich auf die fallende Flanke des SOF. Für die bitweise Arbitrierung überwacht der Sender den Bus, indem er das von ihm gesendete dominante oder rezessive Bit mit dem Pegel auf dem Bus vergleicht. Die Arbitrierung wird fortgesetzt, so lange

1. Start of Frame (SOF) Wenn kein Steuergerät sendet, befindet sich der Bus im rezessiven Zustand. Ein Datenframe beginnt mit einem einzelnen, dominanten Bit, dem SOF. Sender und Empfänger synchronisieren sich auf die fallende Flanke des SOF. 2. Arbitration Field Das Arbitration Field ist 12 Bit lang und besteht aus dem CAN-Identifier (11 Bit) und einem einzelnen RTR-Bit. Das RTR-Bit (Remote Transmission Request) legt fest, ob es sich um einen Daten-Frame (RTR-Bit dominant) oder einen Remote-Frame (RTRBit rezessiv, siehe unten) handelt.

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

209

Bild 4-33: CAN-Daten-Frame im Standard-Format (CAN 2.0 A); die Zahlenwerte geben die Anzahl der Bits an

3. Control Field Das Control Field besteht aus sechs Bits. Es enthält ein Identifier Extension Bit (IDE), ein reserviertes Bit für zukünftige Erweiterungen und vier Bit für die Anzahl der Daten-Bytes im Data Field (Data Length Code DLC). Das IDE-Bit gibt an, ob es sich um einen CAN-Frame im Standard-Format (11 Bit CAN-ID wenn IDE dominant) oder einen CAN-Frame im erweiterten Format (29 Bit CAN-ID wenn IDE-Bit rezessiv) handelt. Diese Zuordnung führt dazu, dass bei gleichzeitigem Senden einer Nachricht im Standard-Format und einer Nachricht im ExtendedFormat bei identischen ersten 11 Bit (dem sog. Base Identifier) der Sender mit dem 29-Bit-Identifier die Arbitrierung verliert. Daher ist es zulässig, in einem CAN-Netzwerk sowohl Standard-Frames als auch Extended-Frames zu verwenden. Bild 4-34 zeigt, wie die Anzahl der Bytes im Data Field durch den Data Lengh Code codiert ist. Der DLC besteht aus den vier Bit (DLC 0 bis DLC 3), d.h. es können eigentlich 16 verschiedene Zustände dargestellt werden. Trotzdem ist die maximale Länge auf 8 Byte begrenzt. Für den Fall, dass Nachrichten mit Nutzdaten von mehr als 8 Byte übertragen werden sollen, müssen die Nutzdaten auf mehrere Nachrichten verteilt werden. Das Verfahren wird als Daten-Segmentierung bezeichnet und in Kapitel 16 beschrieben. Mit einem Daten-Frame ohne Daten kann der Sender den Empfängern beispielsweise mitteilen, dass ein über den Identifier codiertes Ereignis eingetreten ist. 4. Data Field Im Data Field werden die „Nutzdaten“ übertragen. Das Data Field kann 0 bis 8 Byte lang sein. Die Übertragung eines Datenbytes beginnt immer mit seinem höchstwertigen Bit. 5. CRC Field Das CRC Field besteht aus einer 15 Bit langen CRCPrüfsumme und dem CRC-Delimiter, der das Ende mit einem rezessiven Bit markiert.

Bild 4-34: Data Length Code DLC zur Kodierung der Länge des Data Fields

6. ACK Field Das ACK Field (Acknowledge) besteht aus dem ACK-Slot (1 Bit) und dem ACK-Delimiter (1 rezessives Bit). Das Bit im ACK-Slot wird vom Sender rezessiv gesendet und von den Empfängern dominant überschrieben, falls sie eine Nachricht fehlerfrei empfangen haben. Da ein Sender beim Senden den Buspegel überwacht, erkennt er so, dass mindestens ein Empfänger den CAN-Frame korrekt empfangen hat. Ein ACK-Fehler tritt auf, wenn kein Empfänger ein positives Acknowledge meldet, z.B. auch dann, wenn gar kein Empfänger vorhanden ist. 7. End of Frame (EOF) Das End of Frame besteht aus sieben rezessiven Bits. Nach dem End of Frame folgt der Interframe Space (rezessive Bits). Der Interframe Space endet erst, wenn ein Steuergerät ein SOF sendet.

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4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-35: Aufbau eines Remote-Frames

Remote-Frames Bild 4-35 zeigt den Aufbau eines Remote-Frames. Während ein Daten-Frame zum Senden von Daten oder zum Anzeigen von Ereignissen dient, kann jedes Steuergerät durch das Senden eines Remote-Frames bestimmte – durch den Identifier gekennzeichnete – Daten anfordern. Der Aufbau eines Remote-Frames ist bis auf zwei Eigenschaften identisch mit dem eines Daten-Frames: Bei einem Remote-Frame ist das RTR Bit rezessiv und das Data Field ist leer. In einem Remote-Frame muss der Data Length Code DLC mit dem des angeforderten Daten-Frames übereinstimmen. Die CAN-Identifier eines Remote-Frames und des dazu gehörenden Daten-Frames sind identisch. Sendet ein Steuergerät einen CAN-ID mit dominantem RTR (Data Frame) und ein anderes Steuergerät zeitgleich die gleiche CAN-ID mit rezessivem RTR (Remote Frame), so gewinnt das dominante RTR. Daten-Frames haben also Vorrang vor RemoteFrames. Das ist sinnvoll, da mit einem Remote-Frame genau die Daten angefordert werden, die von der Datenquelle gerade gesendet werden. Interframe-Space Daten- und Remote-Frames werden durch einen Interframe-Space voneinander getrennt. Der Interframe-Space besteht aus dem Intermission-Field und dem beliebig langen Bus-Idle. Das Intermission-Field besteht aus drei aufeinanderfolgenden, rezessiven Bits. Der Bus-Idle besteht ebenfalls aus rezessiven Bits und entsteht, wenn kein CAN-Knoten ein dominantes Bit sendet. Im Intermission-Field darf kein CAN-Knoten mit dem Senden eines Daten- oder Remote-Frames beginnen. Mit dem IntermissionField (3 Bit), dem EOF (7 Bit) und dem rezessiven ACK-Delimiter von Daten-Frames und RemoteFrames ergibt sich eine Folge von 11 rezessiven Bits zwischen zwei Nachrichten. Danach gilt der Bus als frei (Bus Idle) und kann sofort wieder durch ein SOF belegt werden. Error-Frames Stellt ein CAN-Controller eine Störung fest, so bricht er die laufende Übertragung durch das Senden eines Error-Frames ab. Ein Error-Frame besteht aus dem

Error-Flag und dem Error-Delimiter (8 rezessive Bits). Das erste Steuergerät, das einen Fehler feststellt, sendet den Error-Flag, der aus 6 dominanten Bits besteht und überschreibt damit alle anderen Bits auf dem Bus. Dadurch wird absichtlich die BitStuffing-Regel (siehe unten) verletzt, so dass weitere Steuergeräte einen Fehler erkennen und ihrerseits Error-Flags absetzen. Es kommt zu einer Überlagerung dominanter Bits auf dem Bus, so dass die Länge des Error-Flags zwischen 6 und 12 Bits variieren kann. Das zweite Feld des Error-Frames ist der ErrorDelimiter. Der Error-Delimiter besteht aus 8 rezessiven Bits, die nach dem Ende eines Error-Flags gesendet werden. Nach dem Error-Flag sendet das Steuergerät zunächst ein rezessives Bit und wartet, bis der Bus rezessiv wird. Erst dann schaltet es weitere 7 rezessive Bits auf den Bus. Error-Flags dienen der systemweiten Datenkonsistenz. Falls nur ein CAN-Controller einen Fehler erkennt, sendet er einen Error-Flag und zeigt damit allen anderen CAN-Controllern an, dass die Nachricht ungültig ist. Systembedingt können fehlerhafte Steuergeräte zum Beispiel durch ständiges Senden von Error-Frames den Bus blockieren. Um dies zu verhindern, definiert das CAN-Protokoll die drei unterschiedlichen Fehlerzustände fehleraktiv (Error Active), fehlerpassiv (Error Passive) und Bus-Off. Jeder CAN-Knoten besitzt einen Sendefehlerzähler mit der Bezeichnung Transmit Error Counter (TEC) und einen Empfangsfehlerzähler mit der Bezeichnung Receive Error Counter (REC). Die Steuergeräte inkrementieren oder dekrementieren die Zähler nach festgelegten Regeln. Je nach Zählerstand wechselt das Steuergerät seinen Fehlerzustand von fehleraktiv über fehlerpassiv nach Bus-Off oder zurück. Bild 4-36 zeigt das Fehler-Zustandsdiagramm für einen CAN-Knoten. Ein fehleraktiver CAN-Controller kann festgestellte Fehler ohne Einschränkungen durch das Senden von Error-Frames anzeigen. Überschreitet einer der beiden Fehlerzähler den Wert 127, so wechselt der CAN-Controller in den fehlerpassiven Zustand und zurück in den fehleraktiven Zustand, wenn beide Zähler den Wert kleiner 128 haben. Fehlerpassive CAN-Controller senden bei erkannten Fehlern eine Folge von 6 rezessiven Bits.

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

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Bild 4-36: Fehler-Zustandsdiagramm für einen CAN-Knoten

Dadurch sind sie nicht in der Lage, Nachrichten zu überschreiben, die von anderen CAN-Controllern fehlerfrei empfangen werden. Ein CAN-Controller wechselt vom fehlerpassiven Zustand in den Zustand Bus-Off, wenn der Sendefehlerzähler den Wert größer 255 erreicht. CAN-Controller im Zustand BusOff sind vollständig vom Busverkehr abgekoppelt. Ob ein Steuergerät im Bus-Off-Zustand noch Nachrichten empfangen kann, hängt von der Implementierung ab. Nach einem Reset befinden sich alle CAN-Controller im fehleraktiven Zustand, falls sie nicht vorher im Zustand Bus-Off waren. Um sicherzustellen, dass ein dauerhaft defekter CAN-Controller auch nach einem Reset den Bus nicht sofort wieder blockiert, darf er erst nach dem Empfang von 128 u 11 (siehe oben: Interframe-Space) rezessiven Bits wieder in den fehleraktiven Zustand zurückkehren. So wird sichergestellt, dass auch bei dauerhaft fehlerhaften CAN-Controllern mindestens 128 Nachrichten zwischen den anderen Steuergeräten ungestört übertragen werden können. Overload-Frames Eine Überlastung (Overload) liegt vor, wenn ein Empfänger nicht bereit ist oder wenn ein CAN-Controller ein dominantes Bit im Interframe-Space erkennt. Empfänger, die beispielsweise zur Verarbeitung von Daten eine Wartezeit benötigen, und dadurch vorübergehend keine weiteren Nachrichten empfangen können, beginnen im ersten Bit des Intermission-Fields mit dem Senden eines Overload-Frames. Ein Overload-Frame besteht aus dem Overload-Flag (6 dominante Bits) und dem Overload-Delimiter. Durch die dominanten Bits des Overload-Flags wird das festgelegte Format des Interframe-Space zerstört: Die anderen CAN-Knoten erwarten im InterframeSpace keine dominanten Bits und senden daher ihrerseits einen Overload-Frame. Es kommt zu einer Überlagerung der Overload-Flags. Nach Übertragung eines Overload-Flags wartet der CAN-Knoten auf die Flanke eines rezessiven Bits. Diese Flanke zeigt das Ende der überlagerten Overload-Flags an. Erst jetzt schalten die CAN-Controller gleichzeitig sieben

weitere rezessive Bits auf den Bus. Daraus ergibt sich eine Sequenz von acht rezessiven Bits im Anschluss an das Overload-Flag, dem sogenannten OverloadDelimiter. Ein Overload-Frame verursacht keine Wiederholung eines vorher gesendeten Daten- oder Remote-Frames. 4.2.4.4 Fehlererkennung Die Übertragung fehlerhafter Daten- oder RemoteFrames kann noch während der Übertragung durch das Senden von Error-Frames abgebrochen werden. Dadurch wird auch bei lokalen Fehlern die systemweite Datenkonsistenz sichergestellt. Die Erholzeit des Gesamtsystems nach einer Fehlererkennung ist kürzer als 30 Bitzeiten (die für das Senden eines Bits benötigte Zeit, abhängig von der Datenrate). Das CAN-Protokoll beinhaltet eine Reihe unterschiedlich wirksamer Fehlererkennungs-Mechanismen, wie die Verwendung eines Cyclic Redundancy Code (CRC), den Message-Frame-Check, dem Acknowledge, dem Monitoring und dem Bit-Stuffing. CRC-Check Daten- und Remote-Frames werden vom Sender mit einer Prüfsumme versehen. Das SOF-Bit, das Arbitration Field, das Control Field und das Data Field werden als Polynom betrachtet und durch ein Generatorpolynom dividiert (Modulo-2-Division). Der Divisionsrest bildet die CRC-Sequenz. Der oder die Empfänger berechnen ihrerseits die CRC-Prüfsumme und vergleichen sie mit der vom Sender übermittelten. Bei fehlerfreier Übertragung ergibt sich dieselbe CRC-Sequenz. Message-Frame-Check Beim Message-Frame-Check werden die Länge und die Struktur des Frames analysiert. Acknowledge Im ACK-Slot wird von mindestens einem Empfänger ein dominantes Bit geschrieben und damit der korrekte Empfang quittiert.

212 Monitoring Alle am CAN-Bus angeschlossenen CAN-Knoten überwachen den Buspegel. Stimmt der gesendete Pegel nicht mit dem empfangenen Pegel überein, liegt ein Bitfehler vor. Bit-Stuffing Bei der NRZ-Codierung bleibt der Signalpegel über die gesamte Bitzeit konstant. Die Nachsynchronisation der CAN-Knoten erfolgt nach dem SOF über die Flanken zwischen unterschiedlichen Bits. Bei einer Folge identischer Bits kann es durch das Fehlen dieser Flanken zu Synchronisationsproblemen kommen. Zur Vermeidung von Synchronisationsproblemen fügt der Sender nach fünf aufeinanderfolgenden, identischen Bits ein komplementäres Bit, das sogenannte Stuff-Bit, in den Datenstrom ein. Das StuffBit wird auch dann eingefügt, wenn nach fünf identischen Bits ohnehin ein komplementäres Bit folgen würde. Der Stuff-Bit-Mechanismus gilt für DatenFrames und Remote-Frames, beginnt beim SOF und endet vor dem CRC-Delimiter. Bei Error-Frames und Overload-Frames wird der Stuff-Bit-Mechanismus nicht verwendet. Die Empfänger folgen der gleichen Regel und entfernen die Stuff-Bits aus dem Datenstrom („Destuffing“). Ein Bit-Stuffing-Fehler liegt vor, wenn ein Empfänger eine Sequenz von mehr als fünf aufeinanderfolgenden, identischen Bits erkennt.

4 Bordnetz und Vernetzung rate hat sich der TTCAN für sicherheitsrelevante Anwendungen im Fahrzeug nicht durchgesetzt.

4.2.5 LIN 4.2.5.1 Einführung Der LIN-Bus (Local Interconnect Network) ist ein serielles Kommunikationssystem, das speziell für die Vernetzung intelligenter Sensoren und Aktoren zu einem Subsystem (LIN-Cluster) entwickelt wurde. Im Vordergrund stand dabei die Reduzierung der Kosten gegenüber einem CAN-Netzwerk. Der LIN soll und kann den CAN aber nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Ein LIN-Cluster kann immer dann eingesetzt werden, wenn die Leistungsfähigkeit des CAN nicht benötigt wird. Gründungsmitglieder des 1998 gegründeten LIN-Konsortiums waren Audi, BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen, Volvo, Volcano und Motorola (heute Freescale). Bild 4-37 zeigt das geschützte Logo des LIN-Konsortiums.

4.2.4.5 TTCAN Die ereignisgesteuerte Kommunikation führt bei hoher Buslast und besonders dann, wenn Nachrichten aufgrund von Fehlern (z.B. aufgrund externer Störungen) wiederholt werden müssen, zu einer nicht vorhersagbaren Latenzzeit der Nachrichten mit niedriger Priorität. Dadurch kann es zu einer Einschränkung der je nach Anwendung erforderlichen Echtzeitfähigkeit kommen. Um Echtzeitfähigkeit sicherzustellen, müssen in ereignisgesteuerten CAN-Netzwerken bis zu 80 % der vorhandenen Bandbreite für mögliche Spitzen-Buslasten reserviert werden [20]. Vor allem bei sicherheitsrelevanten Funktionen sind vorhersagbare Latenzzeiten zwingende Voraussetzung. In allen Betriebszuständen, auch bei maximaler Buslast, muss die Übertragung von sicherheitsrelevanten Nachrichten mit festgelegter Latenzzeit möglich sein. Der in der ISO 11898-4 spezifizierte TimeTriggered-CAN beschreibt ein Protokoll auf dem Session Layer des ISO/OSI-Modells zur Synchronisation der CAN-Knoten, um Nachrichten zyklisch und zu festgelegten Zeiten übertragen zu können. Sicherheitsrelevante Funktionen benötigen aber nicht nur vorhersagbare Latenzzeiten, sondern stellen zudem erhöhte Anforderungen an die Fehlertoleranz (z.B. durch Redundanz) und die Datenrate. Insbesondere aufgrund der auf 1 MBit/s beschränkten Daten-

Bild 4-37: Das Logo des LIN-Konsortiums

Die erste LIN-Spezifikation wurde im März 2000 auf der SAE Convention in Detroit, MI (U.S.A.) vom LIN-Konsortium [22] vorgestellt und bereits ein Jahr später im Mercedes SL, danach auch bei Audi, Toyota, Volkswagen und Volvo in Serienfahrzeugen eingesetzt. Heute gilt der LIN-Bus als etablierter Standard bei nahezu allen Fahrzeugherstellern. Es wird erwartet, dass die Zahl der LIN-Knoten auf 20 pro Fahrzeug und damit auf insgesamt über 1,2 Mrd. Knoten pro Jahr steigen wird [23]. Typische Einsatzgebiete für den LIN-Bus sind Steuergeräte, Sensoren und Aktoren, die sich in einem begrenzten Bauraum (z.B. Tür, Dach, Lenkrad) befinden. In der Regel wird ein LINCluster mit einem übergeordneten Bussystem, z.B. einem Lowspeed-CAN verbunden. Ein LIN-Cluster besteht aus einem LIN-Master, bis zu 16 LIN-Slaves (Single-Master-Multiple-Slave-Architektur) und dem Übertragungsmedium.

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

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Bild 4-38: Beispiel für den Einsatz von LIN-Clustern im Kraftfahrzeug

Die Topologie ist zwar nicht explizit vorgeschrieben, doch findet in der Regel ein linearer Bus Anwendung. Bild 4-38 zeigt beispielhaft den prinzipiellen Einsatz von zwei LIN-Clustern in einem Kraftfahrzeug. Das Tür-Steuergerät auf der Fahrerseite ist über einen Lowspeed-CAN (CAN-B) mit dem Tür-Steuergerät auf der Beifahrerseite verbunden. Beide TürSteuergeräte fungieren als LIN-Master und sind über LIN u.a. mit den Motoren zum Einstellen der Spiegelposition (LIN-Slaves) verbunden. Die Einheit mit den Bedienelementen zum Einstellen der Spiegelposition (LIN-Slave) wird nur auf der Fahrerseite benötigt. Sie ist über LIN an das Tür-Steuergerät links angeschlossen. Betätigt der Fahrer die Bedienelemente zum Einstellen des Spiegels auf der Beifahrerseite, so wird seine Sollwertvorgabe vom Tür-Steuergerät links über CAN an das Tür-Steuergerät rechts übertragen und von diesem über LIN an die Motoren für die Spiegelposition rechts. Dieses Beispiel zeigt auch, dass es je nach Priorisierung der CAN-Nachricht zu nicht vorhersagbaren Verzögerungen kommen kann. Bei der Auslösung von Aktionen (z.B. Schalterbetätigung für Fensterheber) werden jedoch Latenzzeiten bis zu 200 ms vom Menschen in der Regel nicht wahrgenommen. Folgende Übersicht zeigt die wesentlichen Merkmale eines LIN-Clusters: Single-Master-Multiple-Slave-Architektur, Übertragungsmedium: ungeschirmte Eindrahtleitung, zeitgesteuerte Kommunikation mit deterministischen Latenzzeiten, 64 verschiedene Nachrichten-Identifier, maximale Brutto-Datenrate 20 kBit/s (Europa: 19,2 kBit/s, USA: 10,4 kBit/s), maximale Anzahl der Slaves: 16, Anzahl der Datenbytes je Nachricht: 1 bis 8. Im September 2003 veröffentlichte das LIN-Konsortium mit LIN 2.0 die vorerst letzte Version der LIN-

Spezifikation [24]. Sie besteht aus den Teilen LIN Physical Layer Specification (PHY), LIN Protocol Specification (PROT), LIN Diagnostics and Configuration Specification (DIAG), LIN Application Programming Interface Specification (API), LIN Node Capability Language Specification (NCL) und der LIN Configuration Language Specification (CLS). Üblicherweise werden bei der Spezifikation von Kommunikationssystemen der Physical Layer und der Data Link Layer spezifiziert, für OffboardKommunikation kommt noch ein Protokoll auf dem Application Layer hinzu. Das LIN-Konsortium geht einen Schritt weiter und legt mit zusätzlichen Dokumenten u.a. auch den Entwurfsprozess für ein LINNetzwerk fest und vereinheitlicht und vereinfacht so auch die Entwicklung einer durchgehenden Toolkette. Im Folgenden werden die einzelnen Teile der LINSpezifikation beschrieben. Eine detaillierte Beschreibung des LIN-Protokolls liefert [3]. 4.2.5.2 LIN Physical Layer Specification Alle gängigen Mikrocontroller besitzen ein integriertes, serielles Interface (Serial Communication Interface SCI), das aus einem Universal Asynchronous Receiver and Transmitter (UART) besteht. Das SCIUART besitzt zwei Anschlüsse mit den Bezeichnungen RxD (Receive data) und TxD (Transmit data). An diese beiden Anschlüsse werden Sende- und Empfangstreiber der Transceiver angeschlossen. Bild 4-39 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines LINClusters mit zwei Transceivern (ein Master, ein Slave). Die Treiber sind über einen Pull-up-Widerstand mit der internen Versorgungspannung verbunden. In Reihe zum Pull-up-Widerstand befindet sich eine Diode, die verhindert, dass ein LIN-Knoten, der extern nicht an seine Betriebsspannung angeschlossen ist, rückwärts über den LIN-Bus mit Spannung versorgt wird. Der Wert des Pull-up-Widerstands ist bei LIN-Slaves 30 kȍ, beim Master 1 kȍ.

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4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-39: Aufbau eines LIN-Clusters mit einem LIN-Master und einem LIN-Slave

Da bei LIN-Transceivern nicht zwischen Masterund Slave-Transceivern unterschieden wird, muss der 1-kȍ-Widerstand mit einer weiteren Diode beim Transceiver im Master extern angeschlossen werden. Die Treiberstufen des LIN-Transceivers sind so ausgelegt, dass der Low-Pegel bei Parallelschaltung dominant ist. Nur wenn alle LIN-Knoten den Bus in den rezessiven Zustand schalten, führt der LIN-Bus einen rezessiven Pegel. Aufgrund der Master-Slave-Architektur wird dieses Prinzip beim LIN-Bus aber nicht – wie bei CAN – zur Arbitrierung verwendet. Bild 4-40 zeigt die nominellen Signalpegel auf dem LIN-Bus. Der Physical Layer wurde von mehreren Halbleiterherstellern in Hardware realisiert. Es gibt sowohl separate, integrierte LIN-Transceiver, als auch Mikrocontroller mit integrierten LIN-Transceivern. 4.2.5.3 LIN Protocol Specification Die gesamte Kommunikation nach der LIN Protocol Specification (PROT) wird durch den Master gesteu-

ert. Der Master arbeitet zyklisch eine Tabelle (Time Schedule) ab, die festlegt, welche Nachrichten zu welchen Zeitpunkten übertragen werden. Durch die Zeitsteuerung ist der LIN ein determinstisches Kommunikationssystem mit vorhersagbaren NachrichtenLatenzzeiten. Die Länge der Zeitfenster (Slots) ist vom System-Designer so auszulegen, dass eine Nachricht immer sicher übertragen werden kann. Bild 4-41 zeigt den Aufbau eines LIN-Frames. Ein LIN-Frame besteht aus einem Header, einem Response Space und einer Response. Im Ruhezustand (Bus-Idle) führt der LIN-Bus einen rezessiven Pegel. Die Datenkommunikation beginnt mit dem vom Master gesendeten Header. Der Header besteht aus dem SYNC Break, dem SYNC Delimiter, dem SYNC Field und dem Identifier. Der SYNC Break besteht aus einer Folge von mindestens 13 dominanten Bits und wird vom rezessiven Bit des SYNC Delimiter abgeschlossen. Das SYNC Field dient der Synchronisation der Slaves mit dem Master. Es besteht aus einer alternierenden Folge dominanter und rezessiver Bits (01010101 = 55h).

Bild 4-40: Nominelle Signalpegel auf dem LIN-Bus: USUP | UBat – 0,7 V; UBat Batteriespannung

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

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Bild 4-41: Aufbau eines LIN-Frames

Aufgrund der Synchronisation mit jedem einzelnen LIN-Frame brauchen die Slaves keine teuren, externen Oszillatoren (z.B. Quarze). Der Identifier spezifiziert den Inhalt der Nachricht. Er besteht aus einem Nachrichten-Identifier (ID, 6 Bit) und einer Prüfsumme (2 Bit) und wird deshalb auch als „Protected Identifier“ bezeichnet. Die 64 möglichen Identifier zwischen 0x00h und 0x3Fh sind in vier Gruppen unterteilt: 0 bis 59 (0x3Bh) werden zur Datenkommunikation verwendet 60 (0x3Ch) und 61 (0x3Dh) sind für Diagnose reserviert 62 (0x3Eh) ist für proprietäre Erweiterungen reserviert 63 (0x3Fh) ist für zukünftige Erweiterungen reserviert Auf jeden vom Master gesendeten Header reagiert genau ein Slave, indem er den Header um eine passende Anzahl an Datenbytes und ein zusätzliches Checksummen-Byte ergänzt. Dieser Abschnitt des LIN-Frames wird als Response bezeichnet. In der LIN-Spezifikation Version 2.0 ist die Codierung der Datenlänge (Anzahl der Bytes in der Response) durch den Identifier nicht vorgesehen. Stattdessen muss die Anzahl der Bytes in der Response für jeden Identifier im LIN Description File (LDF, siehe unten) angegeben werden. Prinzipiell ist nicht nur der Master, sondern auch jeder Slave im Cluster in der Lage, die von einem Slave gesendete Response zu empfangen und auszuwerten. Eine direkte Datenkommunikation zwischen den LIN-Slaves ohne die Kontrolle durch den Master ist jedoch nicht vorgesehen. Die Response besteht aus einer Folge von 1 bis 8 Datenbytes, die als Data 1, Data 2 usw. bezeichnet werden. Das letzte Feld eines LIN-Frames besteht aus einer Checksumme, die über den Protected Identifier und die Daten-Bytes gebildet wird. Bei Nachrichten mit den Identifiern 60 (0x3Ch)

bis 63 (0x3Fh) wird die Checksumme jedoch nur über die Daten gebildet. Die Kommunikation mit einem UART besteht aus Blöcken zu je 10 Bit: Es werden immer ein dominantes Start-Bit, 8 Daten-Bits und ein rezessives Stop-Bit übertragen. Standard-SCIs sind nicht ohne weiteres in der Lage, das 13 Bit lange BREAK Field des LINProtokolls zu erzeugen. Aus diesem Grund gibt es Controller mit modifizierten LIN-SCIs. Wie mit einem Standard-SCI trotzdem ein 13 Bit langes Break Field erzeugt werden kann, ist detailliert in [3], Seite 92 beschrieben. Die LIN Protocol Specification definiert sechs unterschiedliche Frame-Typen. Das sind Unconditional Frames, Event Triggered Frames, Sporadic Frames, Diagnostic Frames, User-defined Frames und Reserved Frames. Welche Frame-Typen in einem Cluster tatsächlich verwendet werden, hängt von der Anwendung ab und wird vom System-Designer festgelegt. Unconditional Frames Unconditional Frames werden zur Übertragung von Signalen (Daten) verwendet und durch die Identifier 0 bis 59 (0x00h bis 0x3Bh) gekennzeichnet. Event Triggered Frames Die Funktion von Event Triggered Frames soll anhand eines Beispiels erläutert werden: Die Betätigung der Taster zum Einstellen der Spiegelposition wird in der Regel nur bei einem Fahrerwechsel notwendig sein, kommt also vergleichsweise selten vor. Fragt der Master in jedem Zyklus die Taster zum Einstellen der Spiegelposition einzeln ab, wird die Bandbreite unnötig reduziert. Ist andererseits der Abstand zwischen den Abfragen zu groß, kann es zu Verzögerungen kommen, die vom Fahrer nicht akzeptiert werden. Um diesen Zielkonflikt aufzulösen, werden Event Triggered Frames verwendet. Auf eine Anforderung durch einen Event Triggered Frame antworten nur die Slaves, die ein neues Ereignis („Taster betätigt“) mitzuteilen haben.

216 Sporadic Frames Normalerweise werden innerhalb der festgelegten Zeitfenster die durch den Identifier definierten Frames übertragen. Bei entsprechender Auslegung kann ein Zeitfenster aber auch leer bleiben. Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Master entscheidet, welchen Identifier er in dem entsprechenden Zeitfenster sendet. Dadurch wird dem System ein dynamisches Verhalten verliehen, ohne den Determinismus für die verbliebenen Identifier einzuschränken. Diagnostic Frames Diagnostic Frames dienen der Diagnose und der Konfiguration der Slaves durch den Master. Der Identifier 60 (0x3Ch) spezifiziert den Master Request Frame, der Identifier 61 (0x3Dh) den Slave Response Frame. Die Länge des Datenfeldes eines Diagnostic Frames ist stets 8 Byte. Die Interpretation der Daten wird in der LIN Diagnostics and Configuration Specification (DIAG) beschrieben. User-defined Frames User-defined Frames werden durch den Identifier 62 (0x3Eh) gekennzeichnet. Die Framelänge ist nicht festgelegt. Extended Frames Der Identifier 63 (0x3Fh) ist für zukünftige Erweiterungen reserviert. Energiemanagement Das Energiemanagement des LIN-Clusters ist in der LIN Protocol Specification definiert und wird in der Regel von einem separaten Funktionsblock im Transceiver umgesetzt. Bild 4-42 zeigt die verschiedenen Zustände des Energiemanagements. Ein LIN-Knoten befindet sich im Zustand „Power Off“, wenn keine Betriebsspannung anliegt. Sobald die interne Betriebsspannung USUP einen festgelegten Wert überschreitet, wechselt der Transceiver in die Initialisierungsphase und wartet, bis auch der Mikrocontroller seine Initialisierung abgeschlossen hat. Erst dann wechselt der Knoten in den Zustand „Operatio-

4 Bordnetz und Vernetzung nal“. Jeder LIN-Knoten muss in der Lage sein, nach längstens 100 ms auf einen Header zu reagieren. Das gilt auch für den Master, dessen erste Aufgabe es ist, durch das Senden von Headern herauszufinden, durch welches Ereignis der Cluster aufgeweckt wurde. Wenn auf dem Bus mehr als vier Sekunden keine Kommunikation stattfindet (konstanter rezessiver Pegel), dann wechseln die LIN-Knoten automatisch von „Operational“ nach „Stand-by“. LIN-Slaves können vom Master aktiv in den „Stand-by“ versetzt werden. Dazu sendet der Master einen Header mit dem Identifier 60 (0x3Ch) und ein 8 Byte langes Datenfeld, wobei das erste Byte (Data 1) 0x00h sein muss. Die restlichen Bytes (Data 2 bis Data 8) werden nicht verwendet und mit 0xFFh aufgefüllt. Jeder LIN-Knoten kann den Cluster durch einen Wake-up Request vom Zustand „Stand-by“ über „Initializing“ in den Zustand „Operational“ schalten. Dazu sendet er für mindestens 250 Ps (maximal 5 ms) eine konstante Folge dominanter Bits. 4.2.5.4 LIN Diagnostic and Configuration Specification Die LIN Diagnostic and Configuration Specification (DIAG) legt die Konfiguration eines Knotens fest. Das Konfigurations-Verfahren ist für alle Slaves vorgeschrieben und dient dazu, einmal entwickelte Slaves auch in anderen Clustern und sogar in anderen Fahrzeugen wiederverwenden zu können (off-theshelf nodes). Zudem werden drei alternative Methoden zur Behandlung von Diagnose-Daten beschrieben, deren Implementierung aber freigestellt ist. 4.2.5.5 LIN Application Programming Interface Specification Ein LIN-Kommunikations-Treiber kann sowohl in Hardware, als auch in Software realisiert werden. Unabhängig davon sind die Treiber für Slave- und Master-Knoten nicht identisch.

Bild 4-42: Energiemanagement

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Das LIN Application Programming Interface (API) bietet dem Anwendungsprogrammierer eine standardisierte Schnittstelle für die Programmiersprache C. Durch diese Schnittstelle muss sich der Anwendungprogrammierer nicht mit den Details der Datenkommunikation befassen. 4.2.5.6 LIN Node Capability Language Specification Die Node Capability Language (NCL) dient der standardisierten Beschreibung der busseitigen Eigenschaften von LIN-Slaves. Als Ergebnis entsteht ein Node Capability File (NCF). Ein NCF besteht aus der Global Definition, Node Definition, General Definition, Diagnostiscs Definition, Frame Definition, Status Management und der Free Text Definition. Der Entwickler eines LIN-Slaves liefert zusammen mit der Hardware das dazu gehörende NCF in maschinenlesbarer Form. 4.2.5.7 LIN Configuration Language Specification Die LIN Configuration Language Specification (CLS) dient der standardisierten Beschreibung des kompletten LIN-Clusters in Form eines LIN Description Files (LDF). Ein LDF besteht aus der Global Definition, Node Definition, Signal Definition, Frame Definition, Schedule Table Definition und Additional Information. Das LIN Description File (LDF) kann mit Hilfe geeigneter Tools aus den Node Capability Files (NCF) der LIN-Slaves weitgehend automatisch generiert werden.

217 lich durch Hinzufügen von Funktionen und Daten im ereignisgesteuerten Teil der Kommunikation berücksichtigt werden. 4.2.6.2 FlexRay In den Jahren 1996 bis 1999 betrieb BMW mit Kooperationspartnern (u.a. Motorola, Infineon und ELMOS) die Entwicklung eines neuen Bussystems mit der Bezeichnung byteflight [26]. Byteflight wird in Serienfahrzeugen zur Vernetzung von AirbagSteuergeräten eingesetzt. Parallel zu den Aktivitäten von BMW untersuchte DaimlerChrysler zeitgesteuerte Netzwerke auf ihre Verwendbarkeit für sicherheitsrelevante und verteilte Systeme, u.a. auch im Rahmen von EU-Projekten (X-by-Wire: Safety Related Fault Tolerant Systems in Vehicles, TTA: Time Triggered Architecture). Da keines der untersuchten Kommunikationssysteme allen Anforderungen gerecht werden konnte, beschlossen BMW und DaimlerChrysler Mitte 1999 die gemeinsame Entwicklung eines neuen Datenbussystems für sicherheitsrelevante, verteilte Systeme und nannten es FlexRay. Im September 2000 wurde dazu das FlexRay-Consortium aus der Taufe gehoben. Bild 4-43 zeigt das geschützte Logo des FlexRay-Consortiums. Mitte 2004 veröffentlichte das FlexRay-Consortium die vorerst letzte Spezifikation in der Version 2.0 [27] bis [30]. Sie besteht aus der Protocol Specification, der Bus Guardian Specification und der Electrical Physical Layer Specification.

4.2.6 FlexRay und TTP 4.2.6.1 Einleitung Der CAN-Bus besitzt ein ereignisgesteuertes, asynchrones Protokoll und ist nicht deterministisch. Die Latenzzeit kann bestenfalls statistisch bestimmt werden. Probleme kann es besonders dann geben, wenn es zu Störungen kommt und Nachrichten wiederholt gesendet werden müssen. Ein wesentliches Merkmal zeitgesteuerter, synchroner Systeme besteht in den deterministischen Latenzzeiten für die Nachrichten. Solche Systeme müssen vor der Implementierung vollständig geplant werden. Jede Änderung oder Erweiterung hat Einfluss auf den festgelegten zeitlichen Ablauf der Kommunikation, so dass bei Änderungen oder Erweiterungen in der Regel eine Rekonfiguration des Gesamtsystems erforderlich ist. Ideal wäre ein Netzwerk, das die Vorteile von ereignisgesteuerten und die von zeitgesteuerten Netzwerken kombiniert: Wichtige Botschaften mit hoher Priorität werden synchron, zeitgesteuert übertragen, weniger wichtige Botschaften ereignisgesteuert. Ausstattungs- und Funktionsvarianten können nachträg-

Bild 4-43: Das Logo des FlexRay-Consortiums

Ein wesentliches Merkmal eines FlexRay-Netzwerks ist die redundante, zweikanalige Datenkommunikation. Bild 4-44 zeigt ein Netzwerk mit zweikanaliger, passiver Bustopologie. Die Steuergeräte (A bis D) müssen nicht notwendigerweise alle mit beiden Kanälen verbunden werden. So ist im dargestellten Beispiel das Steuergerät B nur mit Kanal A und das Steuergerät D nur mit Kanal B verbunden. Zulässig ist auch die Auslegung als rein einkanaliger Bus. Bei niedrigen Datenraten können für den passiven Bus mit Zweidrahtleitung als Übertragungsmedium auch CAN-HighspeedTransceiver (jeweils einer pro Kanal) verwendet werden.

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Bild 4-44: Beispiel für eine zweikanalige passive Bustopologie; ECU: Steuergerät

Für höhere Datenraten werden aktive Sternkoppler als Repeater eingesetzt (Bild 4-45). Aktive Sternkoppler bestehen im Wesentlichen aus bis zu 16 Bustreibern und einer stabilisierten Stromversorgung mit Energiemanagement. Darüber hinaus ist auch eine Mischung verschiedener Topologien möglich. Beispielsweise könnte das Netzwerk aus einem Kanal A in Form eines passiven Bussystems und einem Kanal B mit einem aktiven Stern bestehen.

4 Bordnetz und Vernetzung Physical Layer Bild 4-46 zeigt stark vereinfacht den internen Aufbau eines FlexRay-Knotens. Jeder FlexRay-Knoten besteht aus einem Host-Prozessor (Mikrocontroller), dem Communication-Controller (CC), der Energieversorgung, zwei Bus Guardians (BG) und zwei Transceivern (Bus Driver BD). Alle FlexRay-Knoten sind dauerhaft mit der Batteriespannung verbunden und besitzen ein eigenes Energiemanagement. Der Host-Prozessor besteht in der Regel aus einem Mikrocontroller, der Daten mit dem Communication-Controller austauscht. Außerdem teilt der Host-Prozessor dem Bus-Guardian mit, welche Zeitfenster der Communication-Controller belegt hat. Der Bus-Guardian erlaubt dem Communication-Controller das Senden von Nachrichten nur in diesen Zeitfenstern. Der Empfang ist jederzeit möglich. Versucht ein Knoten außerhalb des ihm zugewiesenen Zeitfensters zu senden, entzieht der Bus Guardian dem Bus Driver die Sendefreigabe. Der Transceiver (Bus Driver) bildet die Schnittstelle zum Übertragungsmedium und ist für das Energiemanagement des Knotens zuständig. Nachrichten-Format Das Nachrichtenformat (nicht die Länge) ist für alle Nachrichten sowohl im statischen als auch im dynamischen Segment identisch. Bild 4-47 zeigt den Aufbau einer FlexRay-Nachricht. Jede Nachricht besteht aus einem Header-Segment, einem PayloadSegment (Daten) und dem Trailer-Segment. Der Header ist 40 Bit lang und besteht aus mehreren Feldern:

Bild 4-45: Beispiel für ein zweikanaliges Netzwerk mit aktiven Sternkopplern

(1) Reserved Bit (1 Bit) Das Reserved Bit (logisch 0) ist für zukünftige Erweiterungen reserviert.

Bild 4-46: Prinzipieller Aufbau eines FlexRay-Knotens; BG: Bus Guardian

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

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Bild 4-47: Aufbau einer FlexRay-Nachricht

(2) Payload Preamble Indicator (1 Bit) Wird der Payload Preamble Indicator auf logisch 1 gesetzt, so enthalten Nachrichten, die im statischen Segment gesendet werden, einen Netzwerk-Management-Vector. Nachrichten, die im dynamischen Segment gesendet werden, enthalten eine Message-ID. Die Message-ID kann zur Identifikation der Daten-Inhalte verwendet werden. (3) Null Frame Indicator (1 Bit) Der Null Frame Indicator (logisch 1) zeigt an, dass sich im Datensegment gültige Daten befinden. (4) Sync Frame Indicator (1 Bit) Der Sync Frame Indicator (logisch 1) zeigt an, dass die Nachricht zur Uhrensynchronisation verwendet werden soll. (5) Startup Frame Indicator (1 Bit) Ist der Startup Frame Indicator logisch 1, so handelt es sich um einen Startup Frame. (6) Frame ID (11 Bit) Jede Nachricht wird durch einen Frame Identifier (Frame ID) gekennzeichnet. Je Netzwerk können 2047 verschiedene Frame Identifier vergeben werden (0x00 ist nicht zulässig). (7) Payload Lenght (7 Bit) In diesem Feld wird die Länge des Datenfeldes angegeben.

(8) Header CRC (11 Bit) Der Header CRC beinhaltet das Ergebnis eines Cyclic Redundancy Checks über die Felder (4) bis (7). (9) Cycle Count (6 Bit) Der Cycle-Counter ist ein Zähler, der die Kommunikationsrunden zählt. Dieser Zähler ist systemweit in allen Knoten gleich. Das Payload-Segment beinhaltet die Nutzdaten der Nachricht. Es ist in 0 bis zu 127 Zwei-Byte-Worten (max. 254 Byte) organisiert. Der Trailer ist 3 Byte lang und beinhaltet das Ergebnis eines Cyclic Redundancy Checks über das Header Segment und das Payload Segment. Kommunikations-Zyklus Das FlexRay-Protokoll spezifiziert zyklische Datenkommunikation mit festgelegten Zeitrastern (TimeSlots). Jeder Zyklus besteht aus einem statischen und einem dynamischen Segment, einem Symbol Window und der Network Idle Time NIT (Bild 4-48). Ein Kommunikationszyklus beinhaltet immer ein statisches Segment. Die Verwendung eines dynamischen Segments und eines Symbol Window ist optional, die NIT ist vorgeschrieben. Bei einer Datenrate von 10 MBit/s ist die Zykluszeit 250 Ps. Die Time-Slots im statischen Segment werden als „Static Slots“ bezeichnet, die Time-Slots im dynamischen Segment als „Mini Slot“. Static Slots und Mini Slots bestehen aus sogenannten „Macroticks“ identischer Länge.

Bild 4-48: FlexRay-Kommunikations-Zyklus

220 Die Network Idle Time NIT sorgt dafür, dass die Anzahl der Macroticks in jedem Kommunikationszyklus konstant ist. Jede Nachricht innerhalb eines FlexRay-Netzwerks (Cluster) ist durch einen eindeutigen Identifier (Frame-ID) gekennzeichnet. Ein FlexRay-Knoten kann eine oder mehrere Nachrichten (Frame-IDs) senden. Der System-Designer muss sicherstellen, dass die zur Verfügung stehenden Frame-IDs – jeweils für Kanal A und B getrennt – im Cluster nur einmal vorkommen. Jeder FlexRay-Knoten besitzt für jeden Kanal einen internen Zähler (Slot Counter). Mit diesen Zählern werden die Time-Slots gezählt. Am Anfang eines Kommunikationszyklus beginnen die Slot Counter hochzuzählen und werden am Ende des Zyklus zurückgesetzt. Der Zählerstand der Slot Counter korrespondiert mit der Frame-ID der Time-Slots. Wenn die Slotzähler einen Wert erreichen, für den eine Sendeanforderung vorliegt, dann wird die Nachricht mit dieser Frame-ID übertragen. Alle Knoten halten die Slotzähler für die Dauer der Übertragung an und zählen nach dem Ende der Übertragung weiter. Kommunikation im statischen Segment Im statischen Segment wird TDMA (Time Division Multiple Access) als Zugriffsverfahren verwendet. Das statische Segment besteht aus einer festen Anzahl an Static Slots identischer Länge. Jeder Static Slot ist durch eine Nummer gekennzeichnet, die mit der Frame-ID korrespondiert. Erreicht der Slot Counter des FlexRay-Knotens den Wert einer Frame-ID, die er senden darf, so erhält er dazu vom Bus Guardian die Erlaubnis. Bild 4-49 verdeutlicht an einem Beispiel die Kommunikation im statischen Segment. Wird eine Nachricht nicht gesendet, zum Beispiel bei einkanaliger Auslegung, Ausfall eines Steuergerätes

4 Bordnetz und Vernetzung oder bei einer nicht bestückter Sonderausstattung, so verstreicht die Zeit ungenutzt. Kommunikation im dynamischen Segment Beim Übergang vom statischen zum dynamischen Segment werden die Slot Counter zwar nicht zurückgesetzt, doch wird die feste Kopplung zwischen Kanal A und Kanal B aufgehoben. Das Zugriffsverfahren wechselt von TDMA nach FTDMA (Flexible Time Division Multiple Access). Die Zeitfenster im dynamischen Segment werden als Mini Slots bezeichnet. Nur wenn innerhalb eines Mini Slots ein Buszugriff erfolgt, wird der Zeitschlitz um die benötigte Zeit (Anzahl Macroticks) verlängert. Erfolgt innerhalb des Minislots kein Zugriff, so wird nach Ablauf der Zeitdauer des Minislots weitergezählt. Bandbreite wird also nur dann in Anspruch genommen, wenn sie auch tatsächlich benötigt wird. Bild 4-50 zeigt die Kommunikation im dynamischen Segment an einem Beispiel. Uhrensynchronisation Zeitgesteuerte Netzwerke benötigen eine systemweite (globale) Zeitbasis. Der FlexRay verwendet spezielle Algorithmen für die Synchronisation der Zeitbasis anhand von Nachrichten, die im statischen Segment übertragen werden. Energiemanagement Das Energiemanagement wird am Beispiel des FlexRay-Transceivers TJA 1080 (Philips) beschrieben. Der Transceiver unterscheidet zwischen den Betriebsarten Normal-Mode, Standby-Mode und SleepMode. Im Normal-Mode wird der Bustreiber mit Betriebsspannung versorgt. Wenn der HostController aktiv bleiben soll, die Kommunikation aber nicht benötigt wird, kann der Bustreiber in einen stromsparenden Standby-Mode geschaltet werden.

Bild 4-49: Kommunikation im statischen Segment: ECU Steuergerät

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

221

Bild 4-50: Kommunikation im dynamischen Segment

Dabei bleibt die Stromversorgung des Knotens eingeschaltet. Wird die Funktion des ganzen Knotens nicht mehr benötigt, kann er in den Sleep-Mode übergehen. Dann sind nur noch die Teile des Transceivers aktiv, die zum Wecken benötigt werden. Diese Teile werden direkt aus der Fahrzeugbatterie gespeist. Dabei muss der Stromverbrauch so niedrig sein, dass das Fahrzeug auch nach mehreren Wochen Stillstand mit der bordeigenen Batterie gestartet werden kann. Das Wecken kann lokal oder über den Bus erfolgen. Das lokale Wecken geschieht über eine Flanke am WakeEingang des Transceiver-Bausteins. Das Wecken über den Bus erfolgt durch das Erkennen eines speziellen Wake-Symbols. 4.2.6.3 TTP TTP (Time Triggered Protocol) ist ein zeitgesteuertes, fehlertolerantes Protokoll, das gemeinsam von der Technischen Universität Wien und der TTTech Computertechnik AG entwickelt wurde. Die Spezifikation steht im Internet auf der Homepage der TTAGroup [31] zum Download bereit. Als zeitgesteuertes Protokoll mit zweikanaliger homogener Redundanz erfolgt der Buszugriff wie beim FlexRay nach TDMA und FTDMA. Jeder TTP-Datenframe kann zwischen 2 und 240 Byte an Nutzdaten beinhalten. Die Übertragungsrate ist mit 25 MBit/s höher als beim FlexRay. TTP wird in Eisenbahnsystemen und Spezialfahrzeugen in Serie eingesetzt und soll für sicherheitsrelevante Funktionen in Flugzeugen (z.B. Airbus A380) verwendet werden [32]. Prinzipiell sind TTP und FlexRay vergleichbar, und beide sind für sicherheitsrelevante Funktionen im Kraftfahrzeug geeignet.

4.2.7 Multimedia-Netzwerke 4.2.7.1 Einleitung Die erste Entertainment-Komponente im Fahrzeug war das Radio mit Mono-Verstärker und Lautsprecher. Die heute verwendeten Audio-Komponenten besitzen ein Mehrfaches an Funktionalität, zum Beispiel ein CD-Laufwerk, Kommunikation mit einem externen CD-Wechsler im Kofferraum, Steuerung der Funktionen über Tasten im Lenkrad und Anzeige von Informationen im Kombi-Instrument. Das erste Telefon im Auto war eine recht klobige, fest verdrahtete Einheit in der Mittelkonsole. Heute hat nahezu jedermann ein Mobiltelefon (Handy), das selbstverständlich auch im Auto einsetzbar sein soll. Der Gesetzgeber hat aus Sicherheitsgründen den Einsatz von Freisprecheinrichtungen vorgeschrieben und damit auch den Weg zum Anschluss der Mobiltelefone an das Audiosystem geebnet. Da die bisher beschriebenen Bussysteme und Netzwerke für die Vernetzung von Multimedia-Komponenten nicht oder nur eingeschränkt geeignet sind, entwickelte man neue Technologien. Das erste Multimedia-Netzwerk im Serieneinsatz war D2B (Optical) in der S-Klasse von Mercedes-Benz. D2B kann sowohl mit Lichtwellenleitern als auch mit einer unverdrillten Zweidrahtleitung verwendet werden. Heute konkurrieren die im Folgenden beschriebenen Multimedia-Netzwerke MOST und IDB-1394 um die Gunst der Fahrzeughersteller. Dabei hat MOST gegenüber IDB-1394 den Vorteil, dass bereits viele Serienfahrzeuge mit MOST-Netzwerken ausgestattet sind.

222 4.2.7.2 MOST 4.2.7.2.1 Übersicht MOST (Media Oriented Systems Transport) ist eine Weiterentwicklung des D2B Optical und wird als Gemeinschaftsprojekt von der MOST Cooperation [33] entwickelt. Die MOST Cooperation wurde 1998 von BMW, DaimlerChrysler, Harman/Becker und OASIS Silicon Systems gegründet. Heute gehört auch Audi zum Lenkungskreis der Cooperation, die auf 80 Mitglieder (Stand: April 2005) angewachsen ist. Bild 4-51 zeigt das geschützte Logo der MOST Cooperation. Die MOST Cooperation spezifiziert ein Netzwerk für die Datenkommunikation zwischen Geräten (MOST Devices) mit Multimedia-Funktionen unterschiedlicher Komplexität, zum Beispiel einfachen A/D-Wandlern für Mikrofone und D/AWandlern für Lautsprecher, aber auch für VideoDVD-Player, Navigationssysteme und MultimediaPCs.

Bild 4-51: Logo der MOST Cooperation

Heute (Stand: April 2006) wird das MOST-Netzwerk in mehr als 30 Fahrzeugmodellen in Serie eingesetzt, und es wurden mehr als 15 Millionen Steuergeräte mit MOST-Schnittstelle (MOST-Devices) produziert [34]. Dabei beschränkt sich der Einsatz nicht nur auf Fahrzeuge der Oberklasse (7er BMW, Audi A8, SKlasse, Maybach). Auch in der Mittelklasse und sogar im Smart FourFour, in der A-Klasse von DaimlerChrysler, und im 1er von BMW wird MOST in der Serie eingesetzt.

4 Bordnetz und Vernetzung Folgende Übersicht zeigt die wesentlichen Merkmale eines MOST-Netzwerks: Bustopologie: Bus, Ring, Stern oder Kombination, Übertragungsmedium: Lichtwellenleiter oder Kupferleitung, maximale Anzahl der Steuergeräte je Netzwerk: 64, Architektur: Single Master oder Multiple Master, Plug-and-Play-Fähigkeit im Betrieb, synchroner Kanal für Audio und Videodaten (bis 24 MBit/s), asynchroner Kanal für Grafik (bis 14,4 MBit/s), asynchroner Kanal für Steuerdaten (bis 700 kBit/s). Einen Überblick über die MOST-Technologie bietet das Dokument mit der Bezeichnung „MOST Specification Framework“. Eine detaillierte Darstellung der Anwendung, des Netzwerks und der Hardware bietet die MOST-Specification [36], die zudem auf weitere Dokumente verweist. Viele dieser Dokumente stehen im Internet zum Download bereit. Ein Merkmal des MOST-Netzwerks ist seine flexible Topologie. Im einfachsten Fall kann ein MOSTNetzwerk aus zwei MOST-Devices bestehen, wobei das eine als Sender, das andere als Empfänger fungiert. Beispiele sind die unidirektionale Verbindung zwischen einem Audioverstärker und einem Lautsprecher oder einem DVD-Player und einem LCDMonitor. Sollen mehr als zwei MOST-Devices miteinander vernetzt werden, wird in der Regel ein Ring mit Lichtwellenleiter als Übertragungsmedium eingesetzt. Seit Juni 2003 arbeitet eine spezielle Gruppe mit der Bezeichnung ePHY innerhalb der MOST Cooperation an einem Physical Layer, der das Protokoll auf elektrische Leitungen umsetzt [34]. Hauptproblem der Datenkommunikation mit hohen Datenraten über elektrische Leitungen ist die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV). Die MOST-Spezifikation lässt neben Bus und Ring auch Sterne und Kombinationen als Netzwerktopologien zu. Bild 4-52 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines MOST-Rings.

Bild 4-52: Prinzipieller Aufbau eines MOSTRings; ECU: Steuergerät

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Ein MOST-Ring kann zwischen 2 und 64 MOSTDevices miteinander verbinden. Ein dafür bestimmtes MOST-Device fungiert als Gateway zum CAN-Bus. Die Diagnosekommunikation mit dem MOST-Ring erfolgt über dieses Gateway, das dabei die Funktion eines Diagnosemanagers übernimmt. Zudem besitzt jedes MOST-Device eine separate Diagnoseleitung, z.B. zur Ringbrucherkennung. 4.2.7.2.2 MOST-Devices Ein MOST-Device ist ein physikalisches Gerät, das über einen MOST-Transceiver an einen MOST-Ring angeschlossen werden kann. Jedes MOST-Device besitzt eine physikalische Adresse. Bild 4-53 zeigt den internen, logischen Aufbau eines MOST-Device. Es besteht aus Funktionsblöcken (Function Blocks): den Network Services, dem MOST Interface Controller und dem MOST Physical Interface. Im dargestellten Beispiel besitzt das MOST-Device die drei Funktionsblöcke NetBlock, AudioAmplifier und AM/FM Tuner. Die MOST Cooperation verwaltet einen Katalog (MOST Function Catalog), aus dem der Hersteller eines MOST-Device die Spezifikation der von ihm benötigten Funktionsblöcke entnehmen kann. Jeder Funktionsblock besteht aus einzelnen Funktionen. Beim Audio-Verstärker sind das zum Beispiel Funktionen zum Einstellen von Lautstärke, Bass, Höhen und Balance, beim CD-Player Start und Stop, beim Radio der Sendersuchlauf und die Anzeige des Senders. Um Funktionen, die sich in einem Funktionsblock befinden, auch einem anderen Funktionsblock zugänglich zu machen, gibt es Function Interfaces (FI). Ein Function Interface dient der logischen Verbindung zwischen den Funktionen der einzelnen Funktionsblöcke. Ein MOST-Device kann auch aus einer Kombination mehrerer Funktionsblöcke bestehen (z.B. Radio und Verstärker in einem Gehäuse). Unabhängig von

223 der eigentlichen Funktion benötigt jedes MOSTDevice einen Funktionsblock mit der Bezeichnung NetBlock. Dieser Funktionsblock fasst die Funktionen des Netzwerkmanagements zusammen, enthält aber auch gerätespezifische Informationen. Jedes MOST-Device wird einer der drei Gruppen Slaves, Human-Machine-Interfaces (HMI) oder Controller zugeordnet. MOST-Devices, die Funktionsblöcke beinhalten, mit denen andere Funktionsblöcke gesteuert werden können, heißen Controller. Die gesteuerten MOST-Devices werden als Slaves bezeichnet. MOST-Devices mit einer Schnittstelle zum Anwender werden als Human Machine Interfaces (HMI) bezeichnet. Identifier In einem MOST-Netzwerk hat jede Funktion (Fkt) und jeder Funktionsblock (FBlock) einen eindeutigen Namen (Identifier). Mit diesen Identifiern können Funktionen in einem Funktionsblock funktional adressiert werden. Die Identifier für Funktionsblöcke werden als FBlockID, die Identifier für Funktionen als FktID bezeichnet. Beispiele für Identifier von Funktionsblöcken sind 0x01h für den NetBlock oder 0x34h für den DVD Video Player. Der Identifier für Funktionen (FktID) ist 16 Bit lang. Von diesen 16 Bit können auf Anwendungsebene 12 Bit für die Adressierung von bis zu 4096 Funktionen je Funktionsblock verwendet werden. Ein MOST-Netzwerk kann MOST-Devices beinhalten, in denen sich Funktionsblöcke mit vergleichbarer Funktionalität und daher identischer FBlockID befinden. Um diese Funktionsblöcke dennoch voneinander unterscheiden zu können, wird die FBlockID um eine acht Bit lange Instance Identification Number (InstID) ergänzt. Mit der Kombination aus FBlockID und InstID kann jeder Funktionsblock funktional adressiert werden.

Bild 4-53: Logischer Aufbau eines MOSTDevice

224 Properties und Events Properties sind Funktionen, mit denen Eigenschaften eines MOST-Device ausgelesen oder geändert werden können. Properties in einem Audio-Verstärker sind zum Beispiel Lautstärke, Höhen, Bass und Balance. Properties können sich auch ändern, ohne dass ein Befehl dafür gegeben wurde (z.B. die Uhrzeit ändert sich oder das Bandende wird erreicht). Änderungen einer Property können anderen Funktionen über sogenannte Events mitgeteilt werden. Methods Methods werden zur Steuerung eines Funktionsblocks verwendet. Sie werden durch einen method call gestartet und führen nach einer festgelegten Zeit zu einem Ergebnis. Ein Beispiel ist das Starten des automatischen Sender-Suchlaufs im Radio mit dem Parameter „aufsteigend“ (oder „absteigend“) und dem Ergebnis, dass ein Radiosender eingestellt wird. Operations Zu jeder Funktion gehört ein Satz an Befehlen (Operations) mit der Bezeichnung OPType, die wiederum parametrisiert sein können. Die optionalen Parameter eines OPType werden als „Data“ bezeichnet. Dazu wird folgendes Beispiel betrachtet: Funktionsblock: AudioAmplifier (FBlockID 0x22h) Funktion:Volume (FktID 0x400h) OPType (Data): Increment (NSteps) OPType (Data): Decrement (NSteps) Dabei wird die Lautstärke (FktID 0x400) im AudioVerstärker (FBlockID 0x22h) über eine definierte Schrittweite (NSteps) erhöht oder verringert. Es gibt unterschiedliche OPTypes für Properties (z.B. Set oder Get) und Methods (z.B. Start oder Abort). Die Adressierung der MOST-Devices erfolgt über eine DeviceID. Die DeviceID ist 16 Bit lang und

4 Bordnetz und Vernetzung beinhaltet entweder die logische Adresse des Senders (TxAdr oder TxLog) oder die des Empfängers (RxAdr oder RxLog). Mit RxAdr kann auch eine Gruppe von MOST-Devices adressiert werden. Die DeviceID 0x03C8h wird zur Adressierung aller MOST-Devices verwendet (broadcasting). Falls der Sender die Adresse des Empfängers nicht kennt, wird die DeviceID auf 0xFFFFh gesetzt und anschließend durch die Network Services korrigiert. Mit den zuvor beschrieben Komponenten ergibt sich das Schema zur Adresssierung einer Funktion wie folgt: DeviceID . FBlockID . InstID . FktID . OPType . Length (data) Der Zusammenhang zwischen den logischen Adressen der Devices (RxLog oder TxLog), den logischen Adressen der Funktionsblöcke (FBlockID) und der Funktionen (FktID) wird vom Master in einer Registry verwaltet. Die Zuordnung der Adressen wird bei der Initialisierung ermittelt und bei jeder Störung oder Änderung (Plug and Play) überprüft und ggf. korrigiert. Zwischen den Funktionsblöcken und dem MOST Network Interface Controller befindet sich eine Zwischenschicht mit der Bezeichnung Network Services (Bild 4-53). Diese Zwischenschicht vereinfacht die Kommunikation mit dem MOST Network Interface Controller und beinhaltet ein API für die Anwendungsschicht. Die NetServices bilden das Verbindungsglied zwischen der physikalischen Kommunikation auf Netzwerkebene und der virtuellen Kommunikation auf der Anwendungsebene. Die Kommunikation auf Anwendungsebene ist virtuell, weil es hier keine Rolle spielt, in welchem MOST-Device sich die jeweils benötigte Funktion befindet. Die virtuelle und physikalische Kommunikation zwischen den Applikationen in zwei MOST-Devices zeigt Bild 4-54.

Bild 4-54: Virtuelle und physikalische Kommunikation in einem MOSTNetzwerk

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

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Bild 4-55: Aufbau eines MOST-Frames

4.2.7.2.3 MOST-Frames In einem MOST-Netzwerk besitzen alle MOSTDevices einen MOST Network Interface Controller und können über diesen als Master programmiert werden. Alle anderen Devices arbeiten als Slaves. Der Master übernimmt die Funktion eines TimingMasters: Die Datenkommunikation erfolgt in Blöcken, die durch den Timing-Master erzeugt und zyklisch in den Ring eingespeist werden. Die Slaves synchronisieren sich auf den Timing-Master. Jeder Block besteht aus 16 Frames, jedes Frame ist 512 Bit (64 Byte) lang. Bild 4-55 zeigt den Aufbau eines MOST-Frames. Es besteht aus einer Präambel für die Synchronisierung und einem Boundary Descriptor (Byte 1), dem synchronen Kanal und dem asynchronen Kanal für Daten (Byte 2 bis 60), dem Control Frame (Byte 61 und 62) und einem Byte für die Systemsteuerung (Byte 63). Das Datenfeld des MOST-Frames ist 60 Byte lang und in 15 Gruppen zu je 4 Byte (Quadlets) organisiert. Der Boundary Descriptor legt fest, wieviele Quadlets für den synchronen und den asynchronen Kanal zur Verfügung stehen. Der asynchrone Kanal darf maximal 36 Byte (9 Quadlets) lang sein. Ein Boundary Descriptor mit dem Wert 15 zeigt an, dass das gesamte Datenfeld für synchrone Daten reserviert ist. Der Wert des Boundary-Descriptors wird vom Network Interface Controller des Timing-Masters dynamisch verändert. Im synchronen Kanal werden hauptsächlich EchtzeitAudiodaten und komprimierte Videodaten übertragen. Dabei handelt es sich in der Regel um einen kontinuierlichen Datenstrom, wie er zum Beispiel von einem CD-Player zum Audioverstärker gesendet wird. Der synchrone Kanal kann das gesamte Datenfeld (60 Bytes, d.h. 15 Quadlets) eines Frames belegen. Das Zugriffsverfahren für Nachrichten im synchronen Kanal ist TDMA.

Der asynchrone Kanal wird verwendet, um Nachrichten-Pakete zu übertragen. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um einen kontinuierlichen Datenstrom, sondern um große Datenpakete (z.B. eine Landkarte von CD zum Display des Navigationssystems). Das Zugriffsverfahren im asynchronen Kanal ist CSMA, die Datenkonsistenz wird über CRC sichergestellt. Der Control-Kanal wird zur Steuerung von MOSTDevices verwendet, aber auch zur Übertragung von asynchronen Daten mit kleiner Blockgröße. Auch im Control-Kanal wird CSMA als Zugriffsverfahren verwendet. Es wird unterschieden zwischen Control Messages, die Anwendungen steuern und solchen, die systemweite Bedeutung haben. Eine Control Message ist 32 Byte lang. 4.2.7.2.4 Hardware Die Hardware eines MOST-Steuergerätes besteht aus einem (optischen) Interface, dem MOST-FunktionsBereich, dem Mikroprozessor mit Peripherie, der Anwendung und der Energieversorgung.

Bild 4-56: Steckverbinder für optische Übertragungsmedien

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Bild 4-57: Fiber Optical Transceiver

Das Übertragunsgmedium (hier ein Lichtwellenleiter) wird über einen optischen Stecker im Gerätegehäuse (Bild 4-56) an einen Fiber Optical Transceiver (FOT, Bild 4-57) angeschlossen, der seinerseits elektrisch mit dem MOST Network Interface Controller verbunden ist. Derzeit verfügbare MOST Network Interface Controller sind z.B. der OS8104 (NIC) oder der OS 81050 (INIC) von OASIS [37]. 4.2.7.3 IDB-1394 Im Oktober 1998 wurde von DaimlerChrysler, Ford, General Motors, Renault und Toyota die Automotive Multimedia Interface Cooperation (AMI-C) ins Leben gerufen [38]. Ziel war die Standardisierung eines Netzwerks für Multimedia-Komponenten im Fahrzeug. Das vom AMI-C spezifizierte Netzwerk mit der Bezeichnung ITS Data Bus-CAN (IDB-C) basiert auf CAN, besitzt mit 250 kBit/s für Audio- und Videodaten aber nicht genügend Bandbreite. Es kann zur Verbindung des Telefons mit dem PDA und dem

4 Bordnetz und Vernetzung Audio-System verwendet werden. ITS steht für Intelligent Transportation Systems, IDB für Intelligent Data Bus. Das Problem mit der Bandbreite soll IDB-1394 lösen. Die Entwicklung der IDB-1394-Technologie wird vom IDB-Forum [39] in Abstimmung mit der AMI-C und der 1394 Trade Association vorangetrieben. IDB1394 basiert auf dem vor allem in der ConsumerElektronik etablierten IEEE 1394 (genauer IEEE 1394b-2002), das in einer speziellen Version auch als Firewire oder i-link bekannt ist. Firewire wurde schon 1986 von Apple entwickelt. Die Spezifikationen des IDB-1394 besteht aus mehreren Teilen [40]. Teil 8 (IDB1394/8) spezifiert einen Consumer Convenience Port (CCP), an den Geräte aus dem Bereich der Consumer-Elektronik angeschlossen werden können. Das sind zum Beispiel MP3-Player, eine Playstation, digitale Fotoapparate oder Camcorder. Der CCP dient als Übersetzer zwischen IEEE 1394b und IDB-1394 und besitzt darüber hinaus Firewire-Funktionen zum Schutz des fahrzeuginternen Netzwerks. Bild 4-58 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines Multimedia-Netzwerks mit IDB-1394-Technologie [24]. Die Topologie des IDB-1394 kann als Bus, Ring, Stern oder als Kombination daraus ausgeführt sein. Auch das Übertagungsmedium ist freigestellt. Die maximale Anzahl der Steuergeräte je Netzwerk ist 63 (einschließlich CCP). Im Vergleich zum MOST ist der IDB-1394 zwar für höhere Brutto-Datenraten spezifiziert, doch besitzt der MOST eine deutlich bessere Effizienz: Während die Datenkommunikation beim MOST über Lichtwellenleiter mit einer Brutto-Datenrate von 25 MBit/s eine Netto-Datenrate von 23 MBit/s erlaubt, erreicht der IEEE 1394 auch bei 200 MBit/s über Lichtwellenleiter nur eine Netto-Datenrate von 33 MBit/s.

Bild 4-58: Vernetzung im Fahrzeug mit dem IDB-1394

4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme

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Bild 4-59: Beispiel für eine Netzwerktopologie mit dezentralen Gateways

4.2.8 Gateway-Strategien Ein einzelnes, fahrzeugweites Netzwerk, das allen Anforderungen hinsichtlich Datenrate, Determinismus, Fehlertoleranz und vor allem Kosten gerecht wird, ist zumindest mit den heute bekannten Technologien nicht realisierbar. Die beschriebenen Technologien für die Datenkommunikation zwischen Steuergeräten in Fahrzeugen sind in Abhängigkeit von Ihren Eigenschaften jeweils nur für bestimmte Anwendungen geeignet. So dient der CAN-B zum Beispiel der Vernetzung von Steuergeräten im Innenraum, während der CAN-C die Steuergeräte des Antriebs miteinander verbindet. Der LIN bildet ein Subbus-System jeweils unter der CANBusebene. FlexRay und TTP sind prädestiniert für sicherheitsrelevante Anwendungen und MOST sowie IDB für Multimedia. Jedes Netzwerk bildet einen eigenen Vernetzungsbereich. Die Benennung der Vernetzungsbereiche und die Zuordnung von Funktionen zu einem Vernetzungsbereich sind nicht einheitlich geregelt. Beispiele für

Vernetzungsbereiche sind Antrieb (Motor, Getriebe, Fahrwerk, Bremssystem), Karosserie-Elektronik (Klimaanlage, Zentralverriegelung, Innenraumlicht, Sitzverstellung, Spiegelverstellung), Infotainment (Radio, Telefon), Sicherheitssysteme (Gurtstraffer, Airbags) und Fahrerassistenzsysteme (Einparkhilfe, Abstandsregelung). Aufgabe des Fahrzeugentwicklers ist die Integration von miteinander kommunizierenden Funktionen. Ein Problem besteht darin, dass einzelne Steuergeräte von verschiedenen Zulieferern entwickelt werden. Neben der fehlerfreien Kopplung der Netzwerke und Bussysteme auf physikalischer Ebene muss ein Funktionsnetz erstellt werden. In jedem Funktionsbereich können Informationen zur Verfügung stehen, die von Funktionen in anderen Funktionsbereichen benötigt werden. Um diese Informationen im Fahrzeug nicht mehrfach erfassen oder ermitteln zu müssen, ist Datenkommunikation zwischen den Funktionsbereichen erforderlich.

Bild 4-60: Beispiel für eine Netzwerktopologie mit einem zentralen Gateway

228 Für die Offboard-Kommunikation in der Produktion und im Servicefall müssen alle Komponenten über den zentralen Diagnosestecker erreichbar sein. Zudem macht die Notwendigkeit, komplexe Funktionen auf unterschiedliche Steuergeräte und mitunter auch unterschiedliche Funktionsbereiche zu verteilen, vor den Grenzen einzelner Bussysteme und Netzwerke nicht halt. Aus diesen und anderen Gründen werden die Bussysteme und Netzwerke im Fahrzeug physikalisch und logisch über Gateways miteinander verbunden. Gateways stellen Daten netzwerkübergreifend im gesamten Fahrzeug zur Verfügung. Die Gateway-Funktion kann in ein eigens dafür entwickeltes Steuergerät integriert werden, oder ein bereits vorhandenes Steuergerät übernimmt die Gatway-Funktion zusätzlich. Beim LIN übernimmt beispielsweise der LIN-Master gleichzeitig die Funktion eines CAN-LIN-Gateways. Grundsätzlich ist es möglich, jeweils zwischen zwei Vernetzungsbereichen ein dezentrales Gateway einzusetzen. Bild 4-59 zeigt beispielhaft eine Netztopologie mit dezentralen Gateways. Im dargestellten Beispiel übernimmt das Kombi-Instrument zudem die Aufgabe eines Gateways für die Offboard-Kommunikaton. Das Kombi-Instrument leitet Diagnosebefehle an die physikalisch oder funktional adressierten Steuergeräte weiter. Eine andere Strategie ist der Einsatz eines zentralen Gateways für alle Netzwerke, wie es in Bild 4-60 beispielhaft dargestellt ist. Im dargestellten Beispiel (abgeleitet vom Netzwerk des Golf V) wird der MOST nicht verwendet. Zwei vorhandene LINSubbusse sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt. Literatur zu Abschnitt 4.2 [1] Klußmann, Niels: Lexikon der Kommunikations- und Informationstechnik, Hüthig, 2001 [2] Internet: http://www.sae.org [3] Grzemba, von der Wense: LIN-Bus, Franzis-Verlag 2005, ISBN 3-7723-4009-1 [4] ISO 15031-3 (2004) Road vehicles – Communication between vehicle and external test equipment for emissionsrelated diagnostics – Part 3: Diagnostic connector and related electrical circuits, specification and use [5] ISO 9141-2 (1994) Road vehicles – Diagnostic systems – Part 2: CARB requirements for interchange of digital information [6] SAE J1850 – Class B Data Communications Network Interface [7] SAE J2178 – Class B Data Communication Network Messages [8] SAE J1979 – E/E Diagnostic Test Modes [9] SAE J2190 – Enhanced E/E Diagnostic Test Modes [10] SAE J2012 – Diagnostic Codes/Messages [11] ISO 11519 Road Vehicles – Low-speed serial data communication [12] ISO 15031 Road Vehicles – Communication between vehicle and external equipment for emissions-related diagnostics [13] Philips Datasheet: SAE/J1850/VPW transceiver (Juni 2001)

4 Bordnetz und Vernetzung [14] Konrad Etschberger: Controller-Area-Network (Grundlagen, Protokolle, Bausteine, Anwendungen), Hanser-Verlag, ISBN 3-446-21776-2 [15] Internet: http://www.cia.org [16] ISO 11898 – Road Vehicles – Controller Area Network; ISO 11898-1:2003 – Data link layer and physical signalling; ISO 11898-2:2003 – High speed medium access unit; ISO/DIS 11898-3 – Low-speed, fault-tolerant, medium dependent interface; ISO 11898-4: 2004 – Time-triggered communication; ISO/AWI 11898-5 – High-speed medium access unit with low-power mode [17] ISO 15765 Diagnostics on Controller Area Network (CAN) [18] SAE J1939 Recommended Practice for Truck and Bus Control and Communications Network [19] Philips Data Sheet TJA 1054: Fault-tolerant CAN transceiver [20] General Motors GMW 3089: SWC Physical Layer Specification [21] CiA, CAN Newsletter 2/2001 (Seite 12) – Time-triggered CAN [22] Internet: http://www.lin-subbus.org [23] Elektronik Automotive Ausgabe 5/2003, WEKA Verlag [24] J.Zipperer (Texas Instruments): IDB1394 Implementation and Toolkits to start with Euroforum-Konferenz 3.2005, Heidelberg; IDB1394/1 IEEE 1394b automotive; IDB1394/2 Automotive message Set; IDB1394/3 System & Interoperability Layer; IDB1394/4 PHY & header for wake on LAN; IDB1394/5 Audi-video streaming and control profiles; IDB1394/6 Graphical Display profiles; IDB1394/7 System Power Management; IDB1394/8 CCP [25] Elektronik Automotive 1/2004, Seite 36 ff., LIN-Bus – Die Technologie, Teil 4: Hardware- Transceiver und Controller [26] Internet: http://www.byteflight.com [27] Internet: http://www.flexray.com [28] FlexRay Communications System – Bus Guardian Specification, Version 2.0 (30. Juni 2004) [29] FlexRay Communications System – Electrical Physical Layer Specification, Version 2.0 (30. Juni 2004) [30] FlexRay Communications System – Protocol Specification, Version 2.0 (30.Juni 2004) [31] Internet: http://www.ttagroup.org [32] Das zeitgesteuerte Protokoll TTP, Automotive Electronics II/2002, Seite 63, Sonderausgabe von ATZ und MTZ, Vieweg-Verlag [33] Internet: http://www.mostcooperation.com [34] The Hansen Report on Automotive Electronics: Carmakers Seek Copper Alternative to Fiber-Optic MOST, Vol 16, No. 8 (2003), http://www.hansenreport.com [35] Harald Schöpp: MOST – Die zweite Generation, 3. Euroforum-Konferenz, Heidelberg [36] MOST Specification Framework Rev 1.1; MOST Specification Rev 2.3 (08/2004); MOST Dynamic Specification Rev.1.0 (12/2003); MAMAC Specifications (Asynchronous Medium Access Specification) Rev 1.1 (12/2003); MOST Core Compliance Test Specification Rev 1.1 (06/2004); MOST FunctionBlock AudioAmplifier Rev 2.4.2 (09/2003); MOST FunctionBlock AudioDiskPlayer Rev 2.4 (09/2003); MOST FunctionBlock ConnectionMaster Rev 2.3.3 (09/2003); MOST FunctionBlock EnhancedTestability Rev 2.4 (06/2004); MOST FunctionBlock NetBlock Rev 2.3.3 (09/2003); MOST FunctionBlock NetworkMaster Rev 2.3.2 (09/2003) [37] Internet: http://www.oasis.de [38] The Hansen Report on Automotive Electronics, November 2000 [39] Internet: http://www.idbforum.org

4.3 Fahrzeuggeneratoren

4.3 Fahrzeuggeneratoren 4.3.1 Einleitung Fahrzeuggeneratoren haben die Aufgabe, das Bordnetz mit elektrischer Energie zu versorgen, sobald der Verbrennungsmotor gestartet wurde. Zu dieser Versorgung gehört auch das Aufladen der Batterien. Gemeinsam ist allen Generatoren außerdem, dass sie mit Hilfe eines Magnetfeldes die zugeführte mechanische Energie in elektrische Energie umwandeln und dass sie ihre Ausgangsspannung in engen Grenzen nahezu konstant halten sollten. Herkömmlich ist der Generator im Zusammenspiel mit seinem externen oder integrierten Regler ein eigenständiges Regelsystem. Der laufend steigende elektrische Energieumsatz in den Fahrzeugen verlangt inzwischen für den elektrischen Bereich ein gut konzeptioniertes und gut funktionierendes Energiemanagement. Betroffen sind hiervon insbesondere der Motorleerlauf wegen der relativ hohen Drehmomentaufnahme des Generators, die sicherheitsrelevanten Situationen einer Fahrt und der plötzliche Lastwechsel. Ausführlich wird dieses Thema in Abschnitt 4.6 behandelt. Physikalisch gesehen müssen Fahrzeuggeneratoren die Grundformel U = dI / dt umsetzen, wobei U die Spannung an der betrachteten Spule und I der von der Spule umfasste Fluss ist (je nach Wahl der Zählrichtung von U und I ist ein Plus- oder ein Minuszechen vor dI / dt zu setzen). Alle Generatoren realisieren die geforderte Flussänderung mit Hilfe einer Drehbewegung. Diese Drehbewegung wird vom Träger des Erregerfeldes ausgeführt. Ein steuerbarer Elektromagnet stellt das erforderliche Magnetfeld zur Verfügung. Lediglich für Generatoren mancher Motorräder verwendet man Dauermagnete als Erregermagnete. Weil sich die erforderlichen Magnetfeldänderungen periodisch wiederholen, erzeugen alle Generatoren zwangsläufig Wechselspannungen, die zur Versorgung des Bordnetzes und der Batterie gleichgerichtet werden müssen. Alle Generatoren sind als Drehstromgeneratoren konzipiert. Das bedeutet, ein Erregerpolpaar induziert in drei verschiedenen Ankerspulen jeweils eine Wechselspannung. Die Drehzahl der Fahrzeuggeneratoren ist in einem festen Übersetzungsverhältnis an die Motordrehzahl gekoppelt. Um zu verhindern, dass sich die ständig ändernde Drehgeschwindigkeit und die schwankende Leistungsabgabe auf die Spannungshöhe auswirken, muss ein Spannungsregler über den Erregerstrom den Magnetfluss anpassen. Der erforderliche lastabhängige thermische Überlastschutz lässt sich bei Klauenpolgeneratoren über die Auslegung des Magnetkreises konstruktiv berücksichtigen. Für Motorradgeneratoren mit Permanenterregung setzt man eine spezielle Rege-

229 lungstechnik ein. Hierauf wird im Abschnitt 4.3.11 näher eingegangen. Jedes Generatorsystem setzt sich aus einem Bauteil als Träger des Erregerfeldes, einer Drehstromwicklung mit Blechpaket, einer Drehstromgleichrichtung und einer Regeleinrichtung zur Spannungsanpassung zusammen.

4.3.2 Aufbau eines Klauenpolgenerators Alle Pkw-, die meisten Nfz- und inzwischen auch immer mehr Motorradgeneratoren sind als Klauenpolgeneratoren ausgeführt. Aufbau und Ausformung des Polrades legen diese Bezeichnung nahe (siehe Bild 4-61).

Bild 4-61: Klauenpolläufer mit Schleifkohlen: 1 Schleifkohlen, 2 Kohlenhalter, 3 Klauenpolhälfte A, z.B. Nordpol, 4 Klauenpolhälfte B, z.B. Südpol, 5 Erregerwicklung, 6 Schleifringe; die Symmetrieachse der Erregerwicklung fällt mit der Drehachse zusammen.

Die Stirnflächen der stromdurchflossenen Erregerwicklung sind deren Magnetpole. Die beiden Klauenpolhälften verstärken das Erregermagnetfeld und führen es in das Statorblechpaket und nehmen es von diesem wieder auf. Die Polzahl eines Generators ist ein Kompromiss. Je höher die Polzahl gewählt wird, um so höher ist einerseits die Volumenleistung, andererseits steigen mit der Polzahl die Verluste durch magnetische Streuung. Die weitaus meisten Klauenpolgeneratoren sind 12polig ausgelegt, d.h., sie besitzen 6 Polpaare. Klauenpolgeneratoren für hohe Stromabgaben und mit entsprechend großem Durchmesser gibt es auch in 16poliger Bauweise. Das Statorblechpaket mit Statorwicklung und das Erregerpolrad müssen elektromagnetisch und geometrisch aufeinander abgestimmt sein.

230

4 Bordnetz und Vernetzung

4 3 2 1

7 nach Nute 10 usw. Beim 12poligen Generator mit 36 Nuten endet dieser Strang in Nute 34. Dem Abstand A in der Abwicklung entspricht beim 12poligen Generator in der Realität ein Polraddrehwinkel von 360° / 6 (Polpaare) = 60° (pro Polpaar). Deshalb wiederholen sich nach jeweils 60° Drehwinkel die Ummagnetisierungsperioden. Der zweite Strang (V) der ersten Drehstromwicklung beginnt nach 1/3 von 60°, also nach 20°. Somit verläuft Strang V der ersten Drehstromwicklung von Nute 3 nach Nute 6. Der in Reihe geschaltete Strang V der zweiten Drehstromwicklung verläuft von Nute 9 nach Nute 12 usw. Er endet beim 12poligen Generator in Nute 36.

Bild 4-62: Statorblechpaket mit Drehstromwicklung:

1 Statorblechpaket, 2 ein Strang der Drehstromwicklung, 3 Enden der drei Stränge, 4 Anfänge der drei Stränge

Eine Drehstromwicklung setzt sich aus drei Einzelspulen zusammen. Eine Einzelspule heißt Strang. Strang 1 ist die Bezeichnung U, Strang 2 die Bezeichnung V und Strang 3 die Bezeichnung W zugeordnet. Das Statorblechpaket eines 12poligen Generators hat 36 Nuten, für jedes Polpaar sechs. Die Wicklungen sind in der Regel als Wellenwicklung ausgelegt. Der Generator verfügt somit über 6 einzelne Drehstromwicklungen, deren Stränge auf Grund der Wicklungsart zwangsläufig in Reihe geschaltet sind. In den Bildern 4-63 bis 4-65 ist die Abwicklung des Statorblechpaketes dargestellt und der Übersicht wegen auf 18 Nuten begrenzt. Die jeweils eingezeichnete Wicklung verdeutlicht den Begriff Wellenwicklung.

Bild 4-63: Wellenwicklung des Stranges U: 1 Zahn des Statorblechpaketes, 2 Nute im Statorblechpaket, A Bereich der ersten Drehstromwicklung, U1 Anfang des ersten Stranges U, U2 Ende des ersten Stranges U

Strang U der ersten Drehstromwicklung verläuft von Nute 1 nach Nute 4. Der in Reihe geschaltete Strang U der zweiten Drehstromwicklung verläuft von Nute

Bild 4-64: Wellenwicklung des Stranges V: B entspricht beim 12poligen Generator 20° Polraddrehwinkel, V1 Anfang des Stranges V, V2 Ende des Stranges V

Der dritte Strang (W) der ersten Drehstromwicklung beginnt nach 2/3 von 60°, also nach 40°. Somit verläuft Strang W der ersten Drehstromwicklung von Nute 5 nach Nute 8. Der in Reihe geschaltete Strang W der zweiten Drehstromwicklung verläuft von Nute 11 nach Nute 14 usw. Dieser Strang endet beim 12poligen Generator in Nute 2.

Bild 4-65: Wellenwicklung des Stranges W: C entspricht beim 12poligen Generator 40° Polraddrehwinkel, W1 Anfang des Stranges W, W2 Ende des Stranges W

Bild 4-66 zeigt die vollständige Drehstromwicklung und das zugehörende Polrad (der Übersicht wegen auf 18 Nuten beschränkt). Auf drei der sechs in Reihe geschalteten Drehstromwicklungen entfallen drei Polpaare des Polrades.

4.3 Fahrzeuggeneratoren

231

Bild 4-67: Verlauf der Erregerfeldes: 1 Luftspalt zwischen Polrad und Ständerblechpaket, 2 relativ großer Abstand zwischen den Klauen des Polrades, 3 Verlauf des Erregerfeldes durch die Zähne des Ständerblechpaketes, N Nordpolklauen des Polrades, S Südpolklaue des Polrades

Bild 4-66: Vollständige Drehstromwicklung als Wellenwicklung: 1 Klauenpolhälfte als magnetischer Nordpol, 2 Läuferwicklung, radial um die Achse gewickelt, 3 Läuferachse, 4 Klauenpolhälfte als magnetischer Südpol, U1, U2, V1, V2, W1, W2 Stranganschlüsse

Der Strang einer Drehstromwicklung hat etwa zwischen 10 und 30 Windungen. Das bedeutet, bei der Herstellung werden 10 bis 30 Einzelwellenwicklungen unterbrechungsfrei hintereinander eingelegt. Erst das Ende der letzten Windung bildet den Anschluss U2, V2 oder W2. Insgesamt sind Windungszahl, Bordspannungshöhe (14 V, 28 V) und Art der Strangverkettungen (Stern- oder Dreieckschaltung), die maximale Stromabgabe und der Leiterquerschnitt, die Länge des Statorblechpaketes und der Generatordurchmesser (Leistungsabgabe) sowie der Drehzahlbereich aufeinander abgestimmt. Der Strom, der in der Erregerwicklung fließt, heißt Erregerstrom. Er erzeugt den zur Spannungserzeugung erforderlichen Magnetfluss. Dieser verlässt über die Nordpolklauen das Polrad und wird von den gegenüberliegenden Zähnen des Ständerblechpaketes aufgenommen und so durch die Ständerspulen geführt (siehe Bild 4-67). Durch die Blechpaketzähne, denen Südpolklauen des Polrades gegenüberliegen, verlässt der Magnetfluss wieder das Ständerblechpaket und gelangt zurück in die Erregerwicklung. Um einen großen Magnetfluss und damit einen hohen Wirkungsgrad zu erreichen, wird der Luftspalt (1) zwischen Polrad und Statorblechpaket möglichst klein gehalten. Zwischen den Klauen des Polrades dagegen ist der Luftspalt (2) relativ groß, um den magnetischen Streufluss zwischen den Klauenpolen auf ein Minimum zu reduzieren.

Der grundsätzliche Aufbau eines herkömmlichen Drehstromgenerators ist zwar bis heute im Wesentlichen unverändert, aber vielfältige technische Verbesserungen und Optimierungen spielen bei der Konzipierung des Pflichtenheftes neuer Generatorversionen eine wichtige Rolle. Zu diesen Verbesserungen gehören die Erhöhung der Ausgangsleistung im unteren Drehzahlbereich, die Reduzierung der Laufgeräusche (Luftkühlung oder Wasserkühlung) und der magnetisch verursachten Geräusche, die mechanische Stabilität (Schwingungsfestigkeit), das Leistungsvolumen und das Leistungsgewicht, der Wirkungsgrad, die Zahl der angestrebten wartungsfreien Betriebsstunden, die Wärmeableitung, die Variabilität bezüglich der Komponentenzusammenstellung (Wicklungen, Dioden, Regler, eventuell Baukastenprinzip) und die Anpassung der Generatorelektronik an weitere Bordnetzparameter.

Bild 4-68: Compact-Generator: 1 Gehäuse, 2 Drehstromwicklung, 3 Statorblechpaket, 4 Polrad, 5 Erregerwicklung, 6 Lüfter, 7 elektronischer Spannungsregler, 8 Kohlenhalter, 9 Schleifringe, 10 Gleichrichterdiode

232 Moderne Klauenpolgeneratoren werden wegen ihres günstigen Leistungsvolumens (siehe Bild 4-68) häufig Compact-Generator genannt. Ihre Unterschiedsmerkmale gegenüber der herkömmlichen Bauweise sind zwei kleinere, geräuscharme Lüfter, kleinere Schleifringdurchmesser, die eine höhere Maximaldrehzahl zulassen (bis 22000/min) und längere Wartungsintervalle.

4 Bordnetz und Vernetzung wählt werden. Es sind somit große Leistungen bei relativ kleinem Generatordurchmesser möglich.

4.3.3 Generatorbauart-Varianten Die „Schwachstelle“ Schleifkontakt wird umgangen, indem eine Konstruktion gewählt wird, bei der nur die Klauenpole rotieren (Leitstückläufer) und die Erregerwicklung stillsteht. Dadurch besitzt die Erregerwicklung nur feste Anschlüsse. Solche schleifringläuferlosen Generatoren sind in hohem Maße wartungsfrei und somit beispielsweise für den Einsatz in Baumaschinen mit hoher Betriebsstundenzahl und in Nutzfahrzeugen für Langstreckeneinsatz besonderes geeignet. Ein Generator ist zwei Wärmequellen ausgesetzt. Zum einen produziert er viel Eigenwärme und zum anderen strahlt der Verbrennungsmotor große Wärmemengen ab, die auf den Generator einwirken können. Deshalb muss der Kühlung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Während bei kleineren Generatoren ein Lüfterrad genügt, das meist an der Antriebsriemenscheibe angebracht ist, kann bei größeren die Generatorwelle häufig beidseitig mit Lüfterrädern versehen sein. Um das Fahrzeuginnengeräusch leistungsstarker Generatoren der gehobenen Mittelklasse und der Oberklasse wirksam zu senken, wird die Luftkühlung mit zwangsläufigen Lüftergeräuschen durch eine Flüssigkeitskühlung ersetzt. Die Flüssigkeitskühlung ist am Kühlmittelkreislauf des Motors angeschlossen. Dabei schlecht zu kühlende Schleifkontakte (Kohlen und Schleifringe) müssen entfallen. Generatoren sehr großer Leistungen, z.B. Generatoren für Komfortreisebusse, können als Doppelgenerator gebaut sein. Ein Doppelgenerator besteht aus zwei Statoren und zwei Klauenpolläufern auf der Generatorwelle. Die Stränge der beiden Drehstromwicklungen sind parallel geschaltet, die Erregerspulen ebenfalls. Meist taktet eine Reglerendstufe beide Erregerspulen gemeinsam. Jeder Strang hat beispielsweise drei Plus- und drei Minusdioden (siehe Abschnitt 4.3.5). Eine herkömmliche Variante für große 24-VGeneratoren ist eine Maschine mit Einzelpolen. Während ein Klauenpolläufer für alle Polklauen eine gemeinsame Erregerwicklung besitzt, hat beim Einzelpolläufer jeder einzelne Läuferpol seine eigene Wicklung (siehe Bild 4-69). Dadurch erreicht man ein homogeneres Erregerfeld und das Verhältnis Läuferlänge zu Läuferdurchmesser kann größer ge-

Bild 4-69: Polrad eines Einzelpolläufers: 1 einzelner Läuferpol, 2 Wicklung eines Einzelpols, 3 Drehachse

Motorräder haben einen weitaus geringeren Bedarf an elektrischer Energie als Autos. Aus der Tradition heraus werden bis heute in Motorrädern noch häufig Schwungmagnetgeneratoren für die Umwandlung der mechanischen Energie in elektrische verbaut. Allerdings sind die klassischen Klauenpolgeneratoren auch in diesen Fahrzeugen auf dem Vormarsch. Die Schwungmagnetgeneratoren sind Einzelspulengeneratoren. Die innenliegende Grundplatte ist Träger der Einzelspulen.

Bild 4-70: Grundplatte eines Schwungmagnetgenerators mit 18 Einzelspulen

4.3 Fahrzeuggeneratoren Achtzehn Einzelspulen, wie in Bild 4-70 dargestellt, besagen, dass es sich um eine 12polige Drehstromwicklung handelt, denn auf jeden der drei Stränge entfallen sechs Einzelspulen. Jeweils drei nebeneinander angeordnete Einzelspulen bilden eine Drehstromwicklung. Die gleichnamigen Stränge einer Drehstromwicklung sind miteinander verschaltet. Die Drehstromwicklungen können zur Stern- oder zur Dreieckschaltung verkettet sein. Die Dauermagnete des rotierenden Außenpolrades (siehe Bild 4-71) stellen ein konstantes Erregerfeld zur Verfügung. Bei den heutigen Bauweisen sind die zwölf Dauermagnete des Polrades von außen nicht mehr zu erkennen.

233

Bild 4-72: Spannungsverlauf in allen Spulen des Stranges U

Bild 4-73: Spannungsverlauf in allen Spulen des Stranges V

Bild 4-71: Außenpolrad, gleichzeitig auch Schwungrad

4.3.4 Dreiphasenwechselspannung Sinusförmige Dreiphasenspannung Das rotierende Polrad erzeugt in jedem Strang eine eigene Wechselspannung. Die gleichmäßige räumliche Versetzung der drei Stränge hat eine gleichmäßige zeitliche Versetzung der drei Strangspannungen zur Folge. Der Einfachheit halber legen die folgenden Erläuterungen einen sinusförmigen Spannungsverlauf zu Grunde. Meist sind die drei Wechselspannungen jedoch stark von Oberwellen mit lastabhängigen Frequenzen und Amplituden überlagert. Bild 4-72 zeigt den zeitlichen Verlauf der im Strang U erzeugten Wechselspannung UU. Die im Strang V erzeugte Wechselspannung UV ist gegenüber UU auf Grund der räumlichen Versetzung der Strangspulen zeitlich um Z t = 120° nacheilend (siehe Bild 4-73).

Bild 4-74: Spannungsverlauf in allen Spulen des Stranges W

Die Wechselspannung UW im Strang W ist gegenüber UU auf Grund der räumlichen Versetzung der Strangspulen zeitlich um Z t = 240° nacheilend. Wenn alle drei phasenverschobenen Strangspannungen in einem Diagramm dargestellt werden, spricht man vom Drehstromdiagramm, auch wenn Spannungen und keine Ströme dargestellt werden.

234

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-75: Drehstromdiagramm: Darstellung aller drei Wechselspannungen in einem gemeinsamen Diagramm

Wie Bild 4-75 zeigt, haben nach jeweils 45° zwei Spannungen den gleichen Momentanwert. Unabhängig davon, welchen mechanischen Drehwinkel der Rotor des Generators ausführt, um eine Wechselspannungsperiode zu erzeugen, werden einer Sinusperiode 360° zugeordnet. Der oben dargestellte Spannungsabschnitt entspricht in einem 12poligen Drehstromgenerator 60° Rotordrehung und wiederholt sich innerhalb einer vollständigen Umdrehung sechs mal. Verkettung der drei Strangspannungen Drei Stränge haben sechs Anschlüsse. Diese müssen im Zusammenhang mit der Gleichrichtung so verschaltet werden, dass gleichstromseitig zwei Anschlüsse übrig bleiben, nämlich ein Plus- und ein Minusanschluss. Je nach Verschaltung der drei Stränge spricht man von der Stern- oder von der Dreieckschaltung. Bei der zeichnerischen Anordnung der drei Stränge wird dabei häufig auf die zeitliche gleichmäßige Versetzung der drei Strangspannungen zurückgegriffen. Die Zuordnung von Strang- und Anschlussbezeichnung bleibt unabhängig von der Schaltungsart erhalten (siehe Tabelle 4-6). Tabelle 4-6: Anschlussbezeichnungen der drei Stränge Spulenanschluss

Anschlussbezeichnungen Strang U

Strang V

Strang W

Anfang

U1

V1

W1

Ende

U2

V2

W2

Bei der Sternschaltung sind die drei Enden der Stränge miteinander verbunden (Bild 4-76). Der gemeinsame Anschluss heißt Sternpunkt oder Mittelpunkt (MP). Zwischen den wegführenden Leitungen (L1, L2, L3) sind die Leiterspannungen messbar.

Bild 4-76: Vereinfachte Darstellung einer Sternschaltung: U, V, W Stränge der Drehstromwicklung; L1, L2, L3 Leiter, die von den drei Strängen wegführen; MP Sternpunkt oder Mittelpunkt

Bei der Dreieckschaltung ist das Ende des ersten Stranges mit dem Anfang des zweiten verbunden (Bild 4-77). Das Ende des zweiten Stranges mit dem Anfang des dritten und das Ende des dritten Stranges wieder mit dem Anfang des ersten.

Bild 4-77: Vereinfachte Darstellung einer Dreieckschaltung: U, V, W Stränge der Drehstromwicklung; L1, L2, L3 Leiter, die von den drei Strängen wegführen

Vergleichend gilt: Bei der Sternschaltung erhöht sich durch die Verkettung der Stränge die Leiterspannung gegenüber der Strangspannung um den Faktor 3 (Effektivwerte). Bei der Dreieckschaltung erhöht sich der Leiterstrom gegenüber dem Strangstrom um diesen Faktor.

4.3.5 Gleichrichtung der Dreiphasenwechselspannung Sechspuls-Gleichrichtung Unter der Voraussetzung, dass die drei Strangspannungen Sinusform haben, verlaufen auch die drei Wechselspannungen sinusförmig, die zwischen den drei Leitern (L1, L2 und L3) messbar sind. Diese Leiterspannungen sind allerdings gegenüber den Strangspannungen phasenverschoben. Diese Phasenverschiebung hat jedoch auf die Qualität der gleichgerichteten Spannung keinen Einfluss. Für die Gleichrichtung der drei Leiterspannungen wird die Sechspuls-Gleichrichterschaltung angewandt

4.3 Fahrzeuggeneratoren (siehe Bild 4-78). Der mit einem Pluszeichen markierte Ausgang entspricht beim Drehstromgenerator dem Anschluss B+, der mit dem Minuszeichnen markierte dem Anschluss B-, häufig auch mit Gbezeichnet. Dieser Minusanschluss ist mit dem Generatorgehäuse verbunden oder hat eine zusätzliche leitende Verbindung (kleines Masseband) zum Motorblock. Damit ist der Generator-Minusanschluss mit der Fahrzeugkarosserie elektrisch verbunden, die deshalb als Rückleitung zwischen Verbraucher und Generator dienen kann. Hier können allerdings 28-VNfz eine Ausnahme bilden, weil diese Fahrzeuge seltener die Karosserie als Rückleitung benutzen. Für die Minusseite der Stromkreise verwenden diese Fahrzeuge eine isolierte Leitung, deren Querschnitt an die Stromstärken der jeweiligen Verbraucher angepasst ist. Der Starterhauptstromkreis ist bei2 spielsweise mit 70 mm Querschnitt nicht nur für die Plus-, sondern auch für die Minusleitung ausgestattet.

235

Bild 4-79: Sechspuls-Gleichrichterschaltung mit zwölf Dioden: V1...V6 Diodenpaare

Bild 4-80: Sechspuls-Gleichrichtung mit zwölf Z-Dioden

Bild 4-78: Sechspuls-Gleichrichterschaltung: L1, L2, L3 Verbindungsleitungen zur Drehstromwicklung; V1, V2, V3 Diodengruppe plusseitig (Plusdioden); V4, V5, V6 Diodengruppe minusseitig (Minusdioden)

Mit zunehmender Erhöhung der Generatorleistung steigen auch die Ansprüche an die thermische Belastbarkeit der eingebauten Gleichrichterdioden. Wenn beispielsweise die Durchlassspannung einer hoch belasteten Generatordiode bei 1,5 V liegt und der Generator 150 A abgibt, dann liegt die Verlustwärmeleistung PV der kompletten Gleichrichtung bei PV = 2 UV I = 450 W. Diese Wärmeleistung muss sicher an die Umgebung abgeleitet werden. Bekanntlich sind die Stückzahl, die Entwicklungskosten und die Erstellung neuer Fertigungsteile ein ausschlaggebender Faktor bei der Preisgestaltung eines Produkts. Deshalb ist es bei leistungsstarken Generatoren ökonomischer, zwei bewährte, kleinere Dioden parallel zu schalten, als größere neu zu entwickeln und in kleineren Stückzahlen zu produzieren. Entsprechend besteht eine Sechspuls-Gleichrichterschaltung häufig aus zwölf Dioden (siehe Bild 4-79). Die Weiterentwicklung von preisgünstigen Z-Dioden brachte es mit sich, dass zum Überspannungsschutz in der Sechspuls-Gleichrichtung diese Diodenart Standard wurde (siehe Bild 4-80).

Ausgangsspannung einer Sechspuls-Gleichrichtung Die Dioden einer Sechspuls-Gleichrichterschaltung bewirken, dass nur der Leiter Strom in die Plusleitung speisen kann, dessen Potential gerade am positivsten ist und nur der Leiter Strom aufnehmen kann, dessen Potential gerade am negativsten ist. Für die Herleitung der Höhe der Gleichrichter-Ausgangsspannung werden die folgenden Vereinfachungen und Vereinbarungen getroffen: die Strangspannung hat tatsächlich sinusförmigen Verlauf, die Stränge sind als Stern geschaltet, die Amplitude der Strangspannung beträgt 10 V, der Spannungsfall in den Dioden wird vernachlässigt, es ist keine Batterie angeschlossen, die glättend wirkt und der Spannungsregler akzeptiert die Spannungsschwankung, ohne korrigierend einzugreifen. Mit Hilfe des Drehstromdiagrammes nach Bild 4-81 sind die folgenden Zusammenhänge ableitbar: Bei Zt = 0° ist der Momentanwert für UW = 10 V 3 / 2 = 8,666 V und der Momentanwert für UV = –8,666 V, so dass Umax = 17,333 V beträgt. Bei Z t = 30° ist der Momentanwert für UW = UU = 10 V/2 = 5,0 V und für UV = –10,0 V, so dass Umin = 15,0 V beträgt.

236

Bild 4-81: Drehstromdiagramm

Die Ausgangsspannung eines Drehstromgenerators mit sinusförmiger Strangspannung und SechspulsGleichrichtung ist somit eine Mischspannung, die pro Wechselspannungsperiode sechs Impulse abgibt (siehe Bild 4-82). Die Ausgangsspannung schwankt somit zwischen 15,0 V und 17,3 V. Lässt man die Spannungsfälle in den Dioden außer Acht, dann ist der Spannungsmaximalwert Umax in Bild 4-81 gleich dem oberen Wert der Gleichrichter-Ausgangsspannung in Bild 4-82 und der Minimalwert Umin dem unteren.

Bild 4-82: Pulsierende gleichgerichtete Generatorausgangsspannung

Sind die drei Stränge der Drehstromwicklung zu einer Dreieckschaltung zusammengefasst, dann muss der Höchstwert der Strangspannung bereits 17,3 V betragen, damit die Leiterspannungen zwischen 15 V und 17,3 V pulsieren. In der Realität hat die Strangspannung bei FahrzeugDrehstromgeneratoren keinen reinen Sinusverlauf. Unter Berücksichtigung des Spannungsfalls in den jeweils stromführenden Gleichrichterdioden entsteht als Generatorausgangsspannung eine leicht pulsierende Spannung mit beispielsweise etwa 14 V als Mittelwert.

4.3.6 Spannungsregelung in herkömmlichen Systemen Aufgabe der Regeleinrichtung In herkömmlichen Systemen, die ohne computergesteuertes Energiemanagement arbeiten, muss schal-

4 Bordnetz und Vernetzung tungstechnisch ermöglicht werden, dass die Erregerwicklung des Generators mit Beginn des Startvorganges genügend Erregerstrom aufnehmen kann, um gegen Ende des Hochlaufs, kurz vor Erreichen der Leerlaufdrehzahl, in die Eigenerregung überzugehen. Diese Phase heißt Vorerregung. Während des Motorstandlaufs und während der Fahrt muss der Spannungsregler verhindern, dass sich die Generatorausgangsspannung mit der Drehzahl ändert und dass sie von der Generatorbelastung abhängt. Wenn bei Betrieb mit vielen eingeschalteten Verbrauchern oder mit tief entladener Batterie der Generatorausgangsstrom den maximal zulässigen Wert überschreiten will, muss ein Schutzmechanismus durch Reduzieren der Generatorausgangsspannung die Stromaufnahme des Bordnetzes auf den Wert begrenzen, den der Generator thermisch verkraften kann. Der Generatorbetrieb lässt sich somit in die drei Betriebszustände Vorerregung, Regelbetrieb mit I < Imax und Regelbetrieb mit I = Imax unterteilen. Technische Lösung in herkömmlichen Systemen Aus dem folgenden Schaltbeispiel (Bild 4-83) ist ersichtlich, dass die Erregerspule (E) plusseitig ihren Strom über die Erregerdioden (V7 bis V9)aus der Drehstromwicklung beziehen kann. Minusseitig wird sie von V10 gesteuert. Der Anschluss D+ stellt einen von der Batteriespannung entkoppelten zweiten Plusausgang für Mess-, Steuer- und Regelzwecke dar. Die dargestellte Schaltung wird als Minusregelung bezeichnet, weil sich die Regler-Treiberstufe (V10) im Erregerstromzweig zwischen Erregerspule und Minusanschluss befindet. Beim Starten und während des Hochlaufs muss der Generator fremd vorerregt werden, weil der Restmagnetismus im Polradeisen aus Gründen der Regelbarkeit niedrig gehalten wird. Mit dem geringen Restmagnetismus erreicht die erzeugte Spannung im untersten Drehzahlbereich nicht den Durchlassspannungswert der Dioden. Bei geschlossenem Fahrtschalter fließt Vorerregerstrom von G2/+30 über S/30, S/15, H, D+, E, DF, V10, B-, Karosserie (Masse) zurück zu G2/-31. Die Generatorkontrolllampe leuchtet hell. Falls als Generatorkontrolle eine LED eingesetzt wird, wird dieser ein Widerstand parallel geschaltet, damit genügend Vorerregerstrom fließt. Bei großen Generatoren erhalten auch 2-W–Generatorkontrollleuchten aus diesen Grund einen Parallelwiderstand. Wenn der Motor gestartet wurde, geht das System in den Regelbetrieb über. Sobald beim Hochlauf die Wechselspannungen der Drehstromwicklung die Durchlassspannung der Dioden erreichen, erzeugt der Generator selbst den erforderlichen Erregerstrom und er geht in die Eigenerregung über. Dabei erreicht das Potential an G1/D+ etwa den Wert an der Klemme G2/+30 und die Generatorkontrollleuchte H erlischt.

4.3 Fahrzeuggeneratoren

237

Bild 4-83: Regeleinrichtung in herkömmlichen Drehstromsystemen: E Erregerspule im Klauenpolrad, G1 Drehstromgenerator mit integriertem Regler N, G2 Fahrzeugbatterie, H Generatorkontrollleuchte, IC Reglerlogik, L1...L3 Leiter der in Stern geschalteten Drehstromwicklung, N elektronischer Spannungsregler, R, L, C Bordnetz, S Fahrtschalter, V1...V3 Plusdioden der Sechspulsgleichrichtung, V4...V6 Minusdioden der Sechspulsgleichrichtung, V7...9 zusätzliche Dioden zum Anschluss D+ (Erregerdioden), V10 Treiberstufe im Spannungsregler, V11 Freilaufdiode im Spannungsregler

Die momentane Polradstellung, im Drehstromdiagramm, symbolisiert durch Z t, bestimmt, welcher der drei Leiter am positivsten und welcher am negativsten ist. Entsprechend dieser Situation verlässt der Erregerstrom über die am positivsten Leiter angeschlossene Erregerdiode den Drehstrombereich und fließt über die Erregerwicklung E, die Klemme DF, die Treiberstufe V10 und die Minusdiode, deren angeschlossener Leiter gerade am negativsten ist (V4, oder V5, oder V6), zurück zur Drehstromwicklung. Bei herkömmlichen Anlagen überschreitet im unteren Drehzahlbereich der Istwert der Generatorspannung den Sollwert noch nicht. Systeme, wie sie das vorige Schaltbild darstellt, kennen nur einen Sollwert. Er liegt je nach Fahrzeughersteller zwischen 13,5 V und 14,5 V bzw. 27 V und 28 V. Deshalb bleibt im unteren Drehzahlbereich die Treiberstufe V10 dauernd leitend. Es fließt der größtmögliche Erregerstrom. Sobald bei Drehzahlanhebung der Istwert den Sollwert überschreitet, geht V10 in den Sperrzustand über und das Erregerfeld bricht zusammen. Die eingebaute Freilaufdiode V11 verzögert jedoch den Feldabbau in der Erregerwicklung so, dass keine Abschaltspannungsspitze entsteht, sondern das Potential an DF lediglich um den Durchlassspannungswert der Diode V11 über das Potential an D+ ansteigt. Nach beispielsweise 2 bis 3 Millisekunden unterschreitet der

Istwert den Sollwert und V10 leitet wieder. In Bild 4-84 ist das Zusammenspiel zwischen Drehzahl, Ein-und Ausschaltverhältnis sowie mittlerer Erregerstromstärke dargestellt. Der Erregerstrom ändert sich auf Grund der Spuleninduktivität nach einer Exponentialfunktion. Für die Zeitkonstante gilt W = L / R, wobei L die Gesamtinduktivität und R der Gesamtwiderstand des Erregerstromkreises ist. Der Abschnitt (A) zeigt die Verhältnisse, wie sie für den unteren Drehzahlbereich zutreffen. Der Endstufentransistor V10 ist jeweils relativ lange leitend. Es stellt sich ein größerer Erregerstrom und damit ein stärkeres Erregerfeld ein. Der Abschnitt (B) zeigt die Verhältnisse bei hoher Drehzahl, V10 sperrt länger als er leitet. Bei hoher Drehzahl genügt ein schwächerer Magnetfluss. Es stellt sich deshalb ein kleinerer Erregerstrom und damit ein schwächeres Erregerfeld ein. Die unterschiedlichen Zeiten für Sperren und Leiten sind durch die Charakteristik der Exponentialfunktion bedingt, denn die erforderliche Dauer der Einschalt- bzw. Ausschaltzeit hängt davon ab, in welchem Teil der Kurve sich die mittlere Erregerstromstärke befindet. Im unteren Teil der Kurve ist der Anstieg steiler, im oberen das Absinken. Entsprechend sind die Einschalt- oder die Ausschaltzeiten kürzer. Deshalb ist dieses Tastverhältnis ein Maß dafür, wie groß der Erregerstrom ist.

238

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-84: Erregerstrom und Tastverhältnis: (A) Bereich niedriger Generatorendrehzahl, (B) Bereich hoher Generatordrehzahl, IErr Erregerstrom, Imax Maximalwert des Erregerstromes, Im1, Im2 Mittelwerte des Erregerstromes, t Zeit, TE1, TE2 Einschaltzeiten (V10 leitet, siehe Bild 4-83), TA1, TA2 Ausschaltzeiten (V10 sperrt, siehe Bild 4-83)

Zu beachten ist auch, dass die Zeitkonstante W davon abhängt, ob die Treiberstufe V10 leitet oder sperrt, weil bei leitender Treiberstufe der Erregerstromkreis nicht identisch mit dem Erregerstromkreis bei sperrender Treiberstufe ist. Damit beeinflusst auch die zu Grunde liegende Induktivität L und der ohmsche Widerstand R den Verlauf des Erregerstromes. Der Spannungsregler stabilisiert die Generatorausgangsspannung und schützt somit die Verbraucher vor zu hoher Spannung. Der Generator selbst muss in erster Linie vor zu hoher thermischer Belastung geschützt werden. Ursache für die thermische Belastung eines Generators ist hauptsächlich die vom Laststrom verursachte Verlustwärme. Diese lässt sich durch die Begrenzung der maximalen Stromabgabe einschränken, denn die Stromabgabe eines Generators richtet sich nach der Gleichung I = U / R, wobei U die Generatorklemmenspannung und R den Gesamtwiderstand aller eingeschalteten Verbraucher repräsentieren. Bei Klauenpolgeneratoren ist es nicht üblich, dass zur Vermeidung zu hoher Generatoreigenwärme Verbraucher abgeschaltet oder reduziert angesteuert werden, denn der Klauenpolgenerator ist so konstruiert, dass er bei Erreichen der Maximalstromstärke seine Ausgangsspannung soweit wie nötig selbst reduziert. Damit begrenzt er seine Stromabgabe und ist vor zu hoher Eigenwärme geschützt. Um diese Spannungsabsenkung zu realisieren, bieten sich die Ankergegenspannung und die Ankerrückwirkung an. Die Ankergegenspannung wirkt gegen die induzierte Generatorspannung und reduziert somit die Generatorausgangsspannung. Mit zunehmender Stromabgabe erhöht sich die Gegenspannung und deshalb der innere Spannungsfall, d.h. die Ausgangsspannung geht zurück. Das bedeutet aber auch, dass mit

zunehmender Belastung der Erregerstrom steigen muss, damit die Ausgangsspannung konstant bleibt. Man kann den Generator so auslegen, dass exakt mit dem Erreichen der Maximalstromstärke die Generatorausgangsspannung knickartig einbricht. Um dies zu erreichen, wird in Ergänzung zum Effekt der Ankergegenspannung die Ankerrückwirkung ausgenutzt. Das Magnetfeld des Laststromes bildet mit dem Polradfeld ein resultierendes Gesamtfeld, das gegenüber dem reinen Polradfeld räumlich verschoben ist. Einzeln betrachtet, haben Erregerfeld und Polradstellung eine lastabhängige gegenseitige Zuordnung. Dies hat zur Folge, dass in jedem Bereich der mehrfach vorhandenen Drehstromwicklungen in einigen Statorblechpaketzähnen mit steigender Stromabgabe das Erregerfeld und das vom Laststrom erzeugte Magnetfeld sich immer mehr entgegenwirken, insgesamt also eine Feldschwächung eintritt. Gleichzeitig unterstützen sich in anderen Zähnen zwar die beiden Felder, aber weil hier die Zähne bereits in der magnetischen Sättigung sind, erhöht sich das Gesamtfeld nicht. Dieser Effekt heißt Ankerrückwirkung und wirkt sich wie eine Zurücknahme des Erregerstromes aus. Die Ankerrückwirkung verformt und verschiebt, wie oben beschrieben, den Verlauf des wirksamen Erregerfeldes. Dies hat aber auch zur Folge, dass bei hoher Stromentnahme die Magnetfeldänderungen in der Drehstromwicklung einen veränderten zeitlichen Verlauf nehmen und die induzierte Spannung extrem von einem sinusähnlichen Verlauf abweicht. Die Grundschwingung bleibt zwar eine Sinuskurve, aber sie ist von einer Vielzahl unterschiedlicher Oberwellen überlagert. Auf die Konsequenzen wird in Abschnitt 4.3.10 eingegangen.

4.3 Fahrzeuggeneratoren

4.3.7 Spezielle Schutzmaßnahmen Aus dem Bordnetz kommende Spannungsspitzen können die Generatordioden zerstören. Gleiches gilt auch für Spannungsspitzen, die bei plötzlicher Lastabschaltung in der Drehstromwicklung entstehen. Diese Spannungsspitzen würden, wenn sie in das Bordnetz gelangten, dort Schaden anrichten oder die Datenübertragung stören. Um gefährliche Spannungsspitzen zu unterdrücken, trifft man im Wesentlichen drei Maßnahmen. Diese sind: Glättungskondensator zwischen B+ und Masse, Z-Diode zwischen B+ und Masse und Z-Dioden im Generator als Gleichrichterdioden (heute Standard). Falls ein Reglerdefekt eine zu hohe Generatorausgangsspannung zulässt, wird der Wasseranteil der Batterie in hochexplosives Knallgas zerlegt. Zum Einen verliert durch die Wasserreduzierung die Batterie an Kapazität und zum Anderen besteht Explosionsgefahr. Insbesondere bei Fahrzeugen mit hohem Langstreckenanteil (Reisebusse, Nutzfahrzeuge) wird eine zu hohe Bordnetzspannung möglicherweise erst beim Einschalten des Lichts bemerkt, wenn als Folge die Glühlampen durchbrennen. Um eine vorzeitige Information zu erhalten, ist in 28-V-Anlagen häufig ein Überspannungsschutzgerät (ÜSG) verbaut. Für die verschiedenen Generatorausführungen im 28-VBereich gibt es verschiedene Überspannungsschutzgeräte.

Bild 4-85: System mit Überspannungsschutzgerät: F Überspannungsschutzgerät, G1 Generator, G2 Batterie, H Generatorkontrollleuchte, N Spannungsregler, S Fahrtschalter, V Thyristor

239 Das Prinzip ist jedoch bei allen gleich. Sobald die Spannung an G1/D+ einen bestimmten Höchstwert erreicht, z.B. 31 V, verbindet im ÜSG (in Bild 4-85 Baugruppe F) ein Thyristor (im Bild 4-85 Bauteil V) den Anschluss G1/D+ mit Masse. Dadurch fällt die Erregung aus, der Generator erzeugt keine Ausgangsspannung mehr und die Generatorkontrollleuchte (H) leuchtet auf. Der Thyristor V bleibt leitfähig, bis sein Haltestromwert unterschritten wird. Dazu muss der Fahrtschalter S unterbrochen werden.

4.3.8 Generatorsysteme mit Mehrfunktionsregler In der Fahrzeugtechnik steigt laufend der Bedarf an elektrischer Energie. Gleichzeitig ist der konkrete Bedarf situationsbedingt extrem unterschiedlich. Aus ökonomischen Gründen ist der Fahrzeughersteller zunächst daran interessiert, mit der Generator-Nennleistung an die untere Grenze zu gehen, um dann in „Stoßzeiten“ die Batterie zur Abdeckung der Energiebedarfs heranzuziehen. Zurückliegende Erfahrungen zeigen, dass man selbst bei hochtourigen Autobahnfahrten die Batterie „leerfahren“ kann, wenn genügend Verbraucher eingeschaltet sind. Dies könnte sich in sicherheitskritischen Situationen verhängnisvoll auswirken. Um in einem ersten Schritt diesem Dilemma entgegenzuwirken, sind inzwischen viele Fahrzeughersteller dazu übergangen, ein Generatorregelsystem einzusetzen, das dem Energiemanagement (siehe Abschnitt 4.6) wichtige Informationen mitteilen kann und das eigenständig in die Energieverwaltung des Fahrzeugs eingreift. Bei der herkömmlichen Generatorregelung erhält der Spannungsregler über das Potential an der Generatorklemme D+ zwar einen von der Batterie entkoppelten Spannungs-Istwert, aber die Regeleinrichtung kennt nicht den Istwert an der Batterie. Dieser hängt nicht nur von der Generatorausgangsspannung ab, sondern auch vom Gesamtspannungsfall in den Leitungen und den Kontaktstellen des Ladestromkreises. Während der einmal festgelegte Leitungsquerschnitt und die gewählten Verschraubungen im Laufe eines Autolebens meist nicht mehr abgeändert werden, entscheiden jedoch der Batteriezustand über die Ladestromstärke und die mit zunehmendem Fahrzeugalter ebenfalls zunehmenden korrosionsbedingten Übergangswiderstände darüber, wie hoch die Ladespannung an den Batteriepolen letztlich ist. Nachdem zumindest im Pkw-Bereich ausschließlich wartungsfreie Batterien eingesetzt werden, darf die Batteriegasungsspannung unter keinen Umständen erreicht werden. Folglich legt man den Sollwert der Generatorspannung deutlich unter 14,5 V. Die Gasungsspannung wird allgemein mit 2,4 V pro Zelle, also mit 6 u 2,4 V = 14,4 V für eine Batterie angenommen. Bisher betrug der Sollwert der Generatorausgangsspannung insbe-

240 sondere bei Fahrzeugen der Mittel- und der Oberklasse etwa 13,5 V, was häufig zur Folge hatte, dass bei solchen Fahrzeugen die Batterieruhespannung kaum 12 Volt betrug. Mit dem Einsatz eines Mehrfunktionsreglers (Multifunktionsreglers) als Generatorregler wird dem beschriebenen Dilemma deutlich entgegen gewirkt. Das Schaltbeispiel in Bild 4-86) verdeutlicht den abgeänderten Aufbau und erweiterten Umfang einer Generatorregeleinrichtung mit Mehrfunktionsregler verglichen mit einem herkömmlichen System. Generator und Regler sind räumlich getrennt. Den erforderlichen Erregerstrom bezieht der Regler über B+. Es sind somit keine Erregerdioden erforderlich. Neben der Spannungsregelung übernimmt der Regler zusätzliche Funktionen, auf die im Folgenden exemplarisch eingegangen wird. Stand der Technik ist, dass jede Fahrzeugelektronik mit einem Störfilter ausgestattet ist, so auch der Mehrfunktionsregler. Für viele im Nachfolgenden beschriebenen Situationen benötigt die Reglerelektronik die Generatordreh-

4 Bordnetz und Vernetzung zahl als mitentscheidende Information (Leitung V). Bereits mit dem Start ist es wichtig, dass die Reglerelektronik die Drehbewegung des Generatorläufers erkennt. Die Informationsleitung V ist beispielsweise direkt mit dem Strang V der Drehstromwicklung verbunden. Zwischen ihm und der Masse (B-) ist eine immer positiv bleibende Mischspannung messbar, deren Maximalwert dem Höchstwert der Potentialdifferenz zwischen Leiter L2 (siehe Bilder 4-76 und 4-77) und Masse entspricht und deren überlagerte Frequenz sich drehzahlsynchron ändert. Für die Bordnetzelektrik stellt der Regler an Klemme X2/W ein Drehzahlsignal zur Verfügung, das vom abgefragten Strang V der Drehstromwicklung entkoppelt ist. Zwischenzeitlich haben Kfz-Generatoren eine so hohe Nennleistung, dass sie bei konstanter, größtmöglicher Fremderregung zunächst dem Starter und dann beim Hochlauf dem Verbrennungsmotor zu sehr „zur Last fallen“.

Bild 4-86: Generatorregelsystem mit Multifunktionsregler: Bauteilbezeichnungen: A Reglerelektronik (IC), C Entstörkondensator, E Erregerwicklung des Klauenpolrades, G1 Drehstromgenerator, G2 Fahrzeugbatterie, H Meldelampe/Fehlerlampe, K Verbraucher-Steuerrelais, L Drehstromwicklungen im Generator (Stern- oder Dreieckschaltung), N Mehrfunktionsregler (Multifunktionsregler), R/L Bordnetzanlagen, S1 Fahrtschalter, S2, S3 Schalter im Bordnetz, V1, V2 Z-Dioden als Gleichrichterdioden, V3 Steuertransistor (FET) zur Steuerung des Erregerstromes (plusseitige Steuerung), V4 Freilaufdiode, V5 und V6 steuerbarer Spannungsteiler für die L-Leitung, V7 und V8 steuerbarer Spannungsteiler für die W-Leitung, V9 Steuertransistor für das DFM-Signal, X2 Schnittstelle Regler Abkürzungen und Klemmenbezeichnungen: 15 Ausgangsklemme des Fahrtschalters, DF Dynamo-Feld, DFM DFMonitor (DF-Tastsignal), L Anschluss für Steuerleitung, S Sense (Information über die Höhe des Pluspotentials an der Batterie), V Informationsleitung Generatordrehzahl für die Reglerelektronik, W Informationsleitung Generatordrehzahl für das Bordnetz, X1 Plusstützpunkt

4.3 Fahrzeuggeneratoren Um den Erregerstrom in dieser Situation zu reduzieren, taktet der Mehrfunktionsregler den Transistor V3 gerade so, dass der Generator während des Hochlaufs noch in den Zustand der Eigenerregung übergeht. Diesen Eingriff nennt man gesteuerte Vorerregung. Da sich V3 auf der Plusseite der Erregerwicklung befindet, handelt es sich um eine Plusregelung. H (angesteuert von V6) leuchtet, so lange der Generator fremderregt wird. Der Mehrfunktionsregler verfügt über ein weiteres Steuerprogramm, das als Load-Response bezeichnet wird. Dies ist eine vom Betriebszustand abhängige gesteuerte Drehmomentaufnahme des Generators und stellt die Fortsetzung der gesteuerten Vorerregung dar. Zur Load-Response gehört im Hochlauf die gezielte Steuerung des Vorerregerstromes, so dass der Generator erst ab einer bestimmten Drehzahl (Einschaltdrehzahl) Strom abgeben kann. Das Steuerprogramm Load-Response arbeitet auch im Fahrbetrieb, wenn bei plötzlicher Lastzuschaltung der Istwert der Generatorspannung unter den Sollwert sinkt. Auf Grund der Load-Response-Funktion reagiert der Generatorregler verzögert und nicht sprunghaft. Dadurch belastet der Generator bei plötzlichem Leistungsbedarf des Generators den Antriebsmotor nicht sprunghaft. Diese Maßnahme wird auch als „weiche Lastzuschaltung“ oder „Rampenfunktion“ bezeichnet. Während bei der Load-Response-Funktion die mögliche Generatorleistung durch gezielte Erregerstromsteuerung variiert wird, kann der Multifunktionsregler über die Leitung L und das Relais K komplette Anlagenteile drehzahl- und ladespannungsabhängig zuschalten und abkoppeln. Die Leitung, die in Bild 4-86 vom Plusstützpunkt X1 nach X2/S führt, meldet der Reglerelektronik das elektrische Potential, das am Stützpunkt X1 herrscht. Hieraus leitet die Reglerelektronik ab, ob und in welche Richtung die Generatorspannung regelnd korrigiert werden soll, um die Batterie möglichst voll zu laden oder vor Gasung zu schützen. Falls die Sense-Leitung unterbrochen wird, nimmt der Regler die Spannung an B+ als Ist-Richtwert (Notregelung). Bei jedem Generatorregler ist das Tastverhältnis, mit dem der Erregerstrom eingestellt wird, ein Maß für die Generatorauslastung. Der vorliegende Multifunktionsregler stellt für die Auslastungsmeldung ein an X2/DFM messbares Rechteck-Tastverhältnis zur Verfügung (DF-Monitor). Diese Meldung können das Bordnetzmanagement oder das Motormanagement verwerten, beispielsweise zur Stabilisierung der Leerlaufdrehzahl oder zur gezielten Lastzuschaltung oder -wegnahme im Komfortbereich (Sitzheizung usw.). Falls der Spannungsregler über seine integrierte Temperaturmessung erkennt, dass er zu warm wird, reduziert er den Spannungssollwert. Somit gibt der Generator weniger Strom ab und seine Eigenerwärmung geht zurück. Dieser Übertemperaturschutz kann zu Lasten der Batterieladung gehen.

241 Sobald der elektronische Regler einen Fehler erkennt, schaltet V6 gegen Masse durch und die Fehlerlampe H leuchtet. Für den Mehrfunktionsregler sind beispielsweise folgende Fehler erkennbar: Generatorausfall, z.B. bei Keilriemenbruch, Unterbrechung oder Kurzschluss im Erregerstromkreis, Reglerfehler, z.B. Endstufe fehlerhaft, Freilaufkreis fehlerhaft, Bordnetzfehler, z.B. Überspannung, Unterbrechung der Ladeleitung zwischen Generator und Batterie und Unterbrechung oder Masseschluss der Senseleitung. Die Stromaufnahme der am Bordnetzplus (Dauerplus, Kl. 30 oder B+) angeschlossenen Verbraucher muss bei Motorstillstand mit Rücksicht auf die Batterieladung auf ein Minimum reduziert werden. Auch dieser Forderung kommt der immer mit B+ in Verbindung stehende Mehrfunktionsregler nach.

4.3.9 Busgesteuertes Generatorsystem Busgesteuerte Generatorsysteme sind zwar noch nicht Standard, werden aber bereits häufig eingesetzt. Bei dieser Technik reduziert sich nicht nur die Zahl der Generatoranschlüsse, sondern es lassen sich auch alle im Fahrzeug vorhandenen Informationen außerhalb des Generators und dezentral verarbeiten, die in die Generatorsteuerung, Spannungsregelung und Fehlererkennung einzufließen. Bild 4-87 verdeutlicht auch, wie sehr sich der Leitungsaufwand reduziert. Die Möglichkeiten, die diese technische Lösung bietet, gehen durch den Einsatz weiterer Sensoren (z.B. intelligenter Batterie-Sensor) und einen umfassenden Datenaustausch mit relevanten Steuergeräten im Fahrzeug über die des Multifunktionreglers hinaus.

Bild 4-87: Busgesteuertes Generatorsystem: A Steuergerät (Motorsteuergerät oder Steuergerät für das elektrische Energiemanagement), G1 Generator, G2 Batterie, M Starter, W1 Datenleitung, z.B. Bitserielle Schnittstelle, W2 Ladeleitung, W3 Starterhauptleitung

242

4 Bordnetz und Vernetzung

4.3.10 Leistungserhöhung durch Mittelpunktsdioden Unabhängig davon, ob es sich um ein herkömmliches Generatorsystem handelt, ob ein Mehrfunktionsregler eingesetzt wird, oder ob es sich um ein busgesteuertes System handelt, können in Drehstromgeneratoren mittlerer Leistung und sterngeschalteter Drehstromwicklung zur Sechs-Puls-Gleichrichterschaltung noch so genannte Mittelpunktsdioden verbaut sein (siehe Bild 4-88).

Bild 4-89: Oszilloskopbilder, Verlauf der Strangspannung in Abhängigkeit vom Lastbereich: (a) Spannungsverlauf, nur mit dem Restmagnetismus des Klauenpolrades erzeugt, (b) Spannungsverlauf bei hoher Stromabgabe

Bild 4-88: Sechspulsgleichrichtung mit Mittelpunktsdioden: MP Mittelpunkt (Sternpunkt), V3, V4 Mittelpunktsdioden

Aus der Anordnung der Mittelpunktsdioden in Bild 4-88 ist ersichtlich, dass V3 vom Mittelpunkt zum Ausgang B+ Strom fließen lässt, während V4 von der Minusleitung in Richtung Mittelpunkt durchlässig ist. Unter der Voraussetzung, dass in den Strängen der in Stern geschalteten Drehstromwicklung nur sinusförmige Spannungen erzeugt werden, sind diese zwei zusätzlichen Dioden ohne Einfluss. Bild 4-89 zeigt jedoch, dass mit zunehmender Generatorlast die Spannung immer mehr von Oberwellen überlagert werden. Während in Bild 4-89a der Spannungsverlauf starke Sinusähnlichkeit hat, zeigt Bild 4-89b wie sehr sich insbesondere die dreifache Frequenz durch die Ankerrückwirkung auswirkt. Berücksichtigt man die 120°Versetzung der drei Strangspannungen, dann gibt es innerhalb einer Periode drei Zeitabschnitte, in denen keiner der drei Ausgangsleiter L1, oder L2, oder L3 positiver ist als der MP. Ebenso gibt es drei Zeitabschnitte, in denen keiner dieser Leiter negativer ist als der MP. Diesen Zusammenhang zeigt Bild 4-90, wobei der Übersicht wegen reine Sinusspannungen zu Grunde gelegt werden.

Bild 4-90: Dreiphasenwechselspannungen mit überlagerter dreifacher Frequenz

In sechs Abschnitten, die sich abwechseln, kann drei mal Strom vom Mittelpunkt MP zu B+ und drei mal von B- zum MP fließen. Dadurch erhöht sich die mögliche Stromabgabe um 5 bis 15 % und somit die Maximalleistung eines Generators, ohne dass das Statorblechpaket vergrößert werden muss. Ohne diese Dioden würden während einer Periode sechs Situationen entstehen, in denen alle Leiterspannungen unter

4.3 Fahrzeuggeneratoren der Batteriespannung liegen. Auf solche Situationen kann der Erregerstrom nicht korrigierend reagieren, weil sie beim hochtourigen Generatorbetrieb jeweils nur Bruchteile einer Millisekunde dauern, denn eine Periode dauert bei einer Motordrehzahl von 5000/min etwa eine Millisekunde und die genannten sechs Situation jeweils weniger als 0,1 ms. Die beschriebene Oberwelligkeit der induzierten Spannung verändert auch den Verkettungsfaktor zwischen Strang- und Leiterspannung bei Sternschaltung und zwischen Strangstrom und Leiterstrom bei Dreieckschaltung. Während dieser Faktor bei sinusförmigem Verlauf 3 beträgt, wird er bei zunehmender Oberwelligkeit immer kleiner und sinkt bei Höchstlast unter den Wert 1.

4.3.11 Spannungsregelung bei Schwungmagnet-Generatoren Die Schwungmagnet-Generatoren der Motorradtechnik sind permanenterregt (siehe Abschnitt 4.3.3). Somit können drehzahl- oder lastbedingte Spannungsschwankungen nicht durch Anpassen eines Erregerstromes ausgeglichen werden. Die Drehstromwicklungen der Schwungmagnet-Generatoren können als Stern oder im Dreieck geschaltet sein. Der Gleichrichter und der Regler sind nicht im Generator integriert, sondern in einem separaten, mit großem Kühlkörper versehenen Gehäuse untergebracht (Bild 4-91). Unabhängig von der Verkettung der Stränge verwenden diese Generatoren eine einheitliche Spannungsbegrenzungsmethode. Sie besteht darin, dass im Regler eingebaute Thyristoren (siehe Bild 4-92) die Stränge mit Masse verbinden, sobald die Generatorausgangsspannung zu hoch wird.

Bild 4-91: Gleichrichter mit integriertem Spannungsregler eines Schwungmagnetgenerators: 1 Kühlkörper der Gleichrichter-Reglerelektronik, 2 dreipoliger Stecker, von der Drehstromwicklung kommend, 3 Leiter L1, L2, L3 der verketteten Statorwicklung, 4 Stecker zur Batterie und zum Bordnetz, 5 Ausgangsleitungen der Gleichrichtung (2 x Plus und 2 x Minus)

243

Bild 4-92: Prinzipschaltung der Gleichrichtung und der Spannungsbegrenzung: IC Reglerlogik, L1, L2, L3 Leiter aus der Drehstromverkettung, V1 Plusdiodengruppe, V2 Minusdiodengruppe, V3 Thyristoreneinheit

Zur Gleichrichtung wird beispielsweise eine SechsPuls-Gleichrichtung eingesetzt. Erkennt die Reglerlogik (IC) eine erhöhte Spannung, dann steuert sie den Thyristor an, dessen Zuleitung (L1, L2 oder L3) gerade Strom abgibt. Dadurch geht dieser Thyristor in den leitenden Zustand über und verbindet diese Zuleitung mit Minus. Der betroffene Strang kann erst dann wieder Strom an die Batterie liefern, wenn sein zugeordneter Thyristor zuvor in der Sperrzustand übergegangen ist. Dies ist spätestens nach der aktuellen Wechselspannungshalbwelle der Fall.

4.3.12 Diagnosemöglichkeiten der Kfz-Werkstatt Einleitung Bereits in den Abschnitten 4.3.8 und 4.3.9 kam die Fehlererkennung durch die Reglerelektronik zur Sprache. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Eigendiagnose elektronischer Systeme viele Fehler nicht erkennen kann und außerdem Falschmeldungen liefert. Unterbrechungs- und Kurzschlussfehler werden in der Regel richtig erkannt. Eine Anhäufung ungünstiger Toleranzgrenzwerte, also von Werten, die gerade noch in der Toleranz liegen, oder Werte, die falsch sind, aber als solche nicht erkannt werden, weil sie auch in intakten Anlagen vorkommen, können zu störenden Fehlreaktionen eines Systems führen. In solchen Situationen muss die Kfz-Werkstatt mit ihren messtechnischen Möglichkeiten die Ursache suchen. Aber auch dann, wenn die Eigendiagnose einen Fehler richtig erkannt und gemeldet hat, sollte die Werkstatt den Fehler durch eigene Messungen bestätigen. Das Werkstattpersonal kann jedoch nur an messtechnisch zugänglichen Stellen messen und hieraus eine Diagnose ableiten. Am Anfang jeder Diagnose steht die Sichtprüfung, die allerdings häufig schnell beendet ist, weil die relevanten Teile nur nach umfangreicher Demontage

244 von Verkleidungen oder anderen Komponenten eingesehen werden können. Deshalb nimmt die Befragung des Kunden eine immer wichtigere Rolle bei der Auftragsannahme und der Eingangsdiagnose ein. Jede unnötige Demontagearbeit und der anschließende Zusammenbau kosten die Werkstatt Geld, das der Kunde nicht bezahlen will. Bei älteren Fahrzeugen ist eine Sichtprüfung häufig noch in größerem Umfang möglich, aber dafür verfügen deren Generatorsysteme nicht über eine elektronische Eigendiagnose. Lediglich die Generatorkontrolllampe leuchtet auf, wenn der Spannungsunterschied zwischen B+ und D+ den erforderlichen Strom fließen lässt und die Lampe zum Leuchten bringt. Das Aufleuchten dieser Lampe ist für Fahrzeugbesitzer sehr häufig der Grund, eine Fachwerkstatt aufzusuchen. Die Vorgehensweise bei der Fehlersuche in der Werkstatt richtet sich nach verschiedenen Aspekten. Dazu gehören das Alter des Fahrzeugs, bisher gemachte Erfahrungen mit dem betroffenen Modell, vorhandene Serviceunterlagen, die Werkstattausrüstung und nicht zuletzt die Fachkompetenz. Im Folgenden soll gezeigt werden, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, eine fundierte Diagnose mit Hilfe von Messwerten zu erstellen, die in der Generatorperipherie ermittelt werden. Diagnosemöglichkeiten im herkömmlichen Generatorsystem Der Keilriemen und der äußere Zustand aller Anschlüsse sind unverzichtbare Bestandteile der Sichtprüfung. Bereits mit einem einfachen Multimeter lassen sich viele Fehler finden. Ein spezieller Belastungstester, die Strommesszange und das Oszilloskop vervollständigen die Diagnoseausrüstung. Immer mehr Fahrzeughersteller verlangen bei ihren Neufahrzeugen die so genannte „geführte Fehlersuche“. Manche Hersteller schreiben diese Art von Fehlersuche sogar zwingend vor, zumindest dann, wenn es sich um einen Garantiefall handelt. Bei der geführten Fehlersuche werden die häufigsten Fehlersymptome von der Fehlersuch-Software des fabrikatsspezifischen Werkstattsystems vorgegeben. Das Fehlersuchprogramm gibt eine mehr oder weniger umfangreiche Auflistung von Fehlersymptomen vor, aus dem der Monteur das zutreffende Symptombeispiel auswählt. Im dann Folgenden schreibt das Prüfprogramm jeden Schritt und jeden Sollwert vor (aufbauend auf den Zwischenergebnissen). Freier und selbstständiger kann die Fehlersuche bei älteren Systemen erfolgen, für die es keine Fehlersuch-Software gibt.

4 Bordnetz und Vernetzung Diagnosemöglichkeiten einer Generatoranlage mit Mehrfunktionsregler Wie bereits im Abschnitt 4.3.8 beschrieben, verfügen Generatoranlagen mit Multifunktionsregler über eine Eigendiagnose mit Fehlermeldung. Der Informationsgrad der Fehlermeldung und die Zugänglichkeit der Messpunkte bestimmen, in welchem Umfang die Prüfmethoden einer Anlage mit herkömmlichem Regler auf diese Systeme übertragbar sind. Es gilt zu bedenken, dass im Leerlauf mit Rücksicht auf die aktuelle Leistungsaufnahme des Generators (Ladezustand der Batterie) die Generatorausgangsspannung vom üblichen Sollwert abweichen kann. Prüfkriterien für diese Anlage sind die drehzahl- und lastabhängige Höhe der Generatorausgangsspannung, der Spannungsfall auf der Ladeleitung zwischen G1/B+ und X1 bzw. G2/+30, die Drehzahlinformation an X2/W (Oszilloskop), das Potential an X2/L, der Spannungsfall auf der Leitung zwischen X2/15 und S1/15, der Spannungsfall auf der Leitung zwischen X2/S und X1 und das Tastverhältnis an X2/DFM (Oszilloskop).

4.4 Starter-Generatoren Unter einem Starter-Generator wurde ursprünglich ein System verstanden, das mit einem elektrischen Antrieb sowohl den Generator als auch den Starter in einem Kraftfahrzeug ersetzt. Die Einführung des Starter-Generators war eng mit der Einführung des 42-V-Bordnetzes verknüpft. Da die Einführung des 42-V-Bordnetzes z. Zt. noch nicht absehbar ist, haben sich mittlerweile zwei Entwicklungsrichtungen bei den Starter-Generatoren herausgebildet, nämlich der Micro-Hybrid und der Mild-Hybrid.

4.4.1 Der Micro-Hybrid Ein Start-Stopp-System mit einer Bordnetzspannung von 12 V Batterie- und 14 V Generatorspannung wird auch als Micro-Hybrid bezeichnet (siehe Bild 4-93). Die Hauptaufgabe besteht im Starten des Verbrennungsmotors (Kalt- und Warmstart) sowie in der Erzeugung von elektrischer Leistung mit hohem Wirkungsgrad. Der elektrische Antrieb für einen Micro-Hybrid besteht aus einem elektronischen Steuergerät und einer elektrischen Maschine. Die elektrische Maschine ist in der Regel bei einem MicroHybrid über einen Riemenantrieb mit dem Verbrennungsmotor verbunden. Der elektrische Antrieb kann als eine zusätzliche Drehmomentquelle oder Drehmomentsenke betrachtet werden und erhält seine Sollwerte über den CAN-Bus von einem übergeordneten Drehmomentkoordinator.

4.4 Starter-Generatoren

245

Bild 4-93: Starter-Generator für eine Spannung von 12 V als Micro-Hybrid

4.4.2 Der Mild-Hybrid Unter einem Mild-Hybrid versteht man einen StarterGenerator mit einer Nominalspannung von mindestens 42 V, der nicht mehr zwangsläufig an eine bestimmte Bordnetzspannung gebunden ist und gegebenenfalls über einen bidirektional wirkenden Spannungswandler an die bestehende Bordnetzspannung gekoppelt ist (siehe Bild 4-94). Neben der StartStopp-Funktion können zusätzliche Funktionen wie Anfahrunterstützung und regeneratives Bremsen mit übernommen werden. Der elektrische Antrieb für einen Mild-Hybrid besteht aus einem elektronischen Steuergerät und einer elektrischen Maschine. Bei einem Mild-Hybrid ist die elektrische Maschine in der Regel direkt mit dem Verbrennungsmotor mechanisch gekoppelt. Im elektronischen Steuergerät ist ein zusätzlicher bidirektionaler Gleichspannungswandler integriert und mit der 12-V-Batterie verbunden. Für

die zusätzlichen Funktionen wird eine Batterie oder ein Doppelschichtkondensator (Ultracap) mit einer Spannung U t 42V benötigt. Der Starter-Generator als Mild-Hybrid kann als eine zusätzliche Drehmomentquelle oder Drehmomentsenke betrachtet werden. Da der Verbrennungsmotor im unteren Drehzahlbereich sowohl stationär als auch dynamisch nicht sein volles Drehmoment liefern kann (siehe Bild 4-95), wird eine Unterstützung in diesem Bereich sehr begrüßt, zumal die elektrische Maschine im unteren Drehzahlbereich ihr größtes Drehmoment liefern kann (siehe Bild 4-96). Beim regenerativen Bremsen – im Generatorbetrieb – werden aber schon im mittleren Drehzahlbereich spürbare Leistungen gefordert. Die erforderlichen Drehmomentsollwerte beim Beschleunigen bzw. Bremsen erhält der MildHybrid über den CAN-Bus von einem übergeordneten Drehmomentkoordinator (siehe Bild 4-97).

Bild 4-94: Starter-Generator für eine Spannung U t 42 V als Mild-Hybrid

246

4 Bordnetz und Vernetzung quadrant als Generator, um elektrische Leistung bis etwa 4 kW bei einer Bordnetzspannung von 14 V zu erzeugen. Zum anderen kann ein Starter-Generator aber auch als ein elektrischer Antrieb verstanden werden, der als Mild-Hybrid ebenfalls in mindestens zwei Antriebsquadranten arbeitet und zusätzliche Funktionen wie Anfahrunterstützung und regeneratives Bremsen ermöglicht. Hierfür ist allerdings eine Spannung von mindestens 42 V erforderlich, um mechanische Leistungen von 15 kW und mehr im Kurzzeitbetrieb zu erzeugen.

Bild 4-95: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie des Verbrennungsmotors: T Drehmoment, n Drehzahl

Bild 4-96: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie eines elektrischen Antriebes: T Drehmoment, n Drehzahl, G Generatorbetrieb, M Motorbetrieb

4.4.3 Elektrische Antriebe für StarterGeneratoren Die elektrischen Antriebe lassen sich in den unterschiedlichsten Strukturen in den Antriebsstrang integrieren [1]. Der elektrische Antrieb wird hierbei als ein indirekter Antrieb – über ein Getriebe oder Riementrieb – oder als direkter Antrieb eingesetzt. Hieraus resultieren unterschiedliche Anforderungen an die elektrische Maschine und an deren Komponenten. Beim indirekten Antrieb wird die elektrische Maschine meistens als komplette Maschine ausgeführt, während beim direkten Antrieb häufig nur Komponenten der elektrischen Maschine in den Antriebsstrang integriert werden. 4.4.3.1 Der indirekte elektrische Antrieb Dieser Antrieb wird vorwiegend für Start-StoppSysteme als Micro-Hybrid, aber auch als Mild-Hybrid im Doppelkupplungsgetriebe eingesetzt. Man spricht hierbei von einem so genannten seitlich montierten Starter Generator (SSG, siehe Bild 4-98).

Bild 4-97: Übergeordnete Regelungsstruktur; ISG: (integrierter) Starter-Generator

Bild 4-98: Start-Stopp-System mit einem seitlich montierten Starter-Generator

Ein Starter-Generator kann zum einen als ein elektrischer Antrieb verstanden werden, der als MicroHybrid in zwei Antriebsquadranten arbeitet, nämlich im 1. Antriebsquadrant als Motor, um z.B. den Verbrennungsmotor zu starten, und im 2. Antriebs-

Die Anbindung der elektrischen Maschine an den Antriebsstrang erfolgt entweder über einen Riementrieb oder über ein Reduziergetriebe. Aufgrund der Übersetzung kann die elektrische Maschine relativ klein ausgeführt werden, da die Größe der elektrischen

4.4 Starter-Generatoren Maschine vom erforderlichen Drehmoment bestimmt wird. Geht man beispielsweise von einer Getriebeübersetzung von ü = 1:3 aus, so reduziert sich das Drehmoment um den Faktor 3, gleichzeitig muss dann aber auch eine Drehzahl bis zu 24000 min-1 beherrscht werden, wenn man von kurzzeitigen Drehzahlen des Verbrennungsmotors bis zu 8000 min-1 ausgeht. Das Trägheitsmoment der elektrischen Maschine sollte aufgrund der Übersetzung möglichst klein sein. Dies gilt bezüglich der Riemenbelastung aber auch bezüglich des zusätzlichen Trägheitsmomentes für den Antriebsstrang, da das Trägheitsmoment der elektrischen Maschine mit dem Quadrat der Übersetzung auf den Antriebsstrang übertragen wird. Diese Forderung kann durch eine „schlanke“ Bauform der elektrischen Maschine erfüllt werden. Diese Forderungen sind kostengünstig mit schnell laufenden Asynchronmaschinen am besten erfüllbar. Der Aufbau eines Starter-Generators in SSG-Ausführung ist aus der Explosionsdarstellung in Bild 4-99 ersichtlich.

247 züglich des Drehmomentenwandlers aufzubringen. Hierfür sind Antriebssysteme erforderlich, die eine „flache“ Kennlinie nach Bild 4-100 besitzen, um ein zügiges Anfahren zu gewährleisten.

Bild 4-100: Drehmoment-Drehzahlkennlinien von SSGSystemen: n Drehzahl, nZ Zünddrehzahl, nLL Leerlaufdrehzahl, M Drehmoment, MLL Drehmoment bei nLL, MZ Drehmoment bei nZ

Der seitlich montierte Starter-Generator kann neben dem Einsatz als Start-Stopp-System bei einer Spannung von 14 V auch als Hochleistungs-StarterGenerator für Mild-Hybrid-Anwendungen mit einem Spannungsbereich über 42 V, z.B. in Verbindung mit einem Doppelkupplungsgetriebe sinnvoll eingesetzt werden [1], wobei hierbei kurzzeitige Leistungen von bis zu 15 kW gefordert werden. 4.4.3.2 Der direkte elektrische Antrieb

Bild 4-99: Seitlich montierter Starter-Generator (SSG) mit Asynchronmaschine

Ein besonderes Augenmerk verdient auch die Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie des elektrischen Antriebes. Für Kleinfahrzeuge mit Handschaltgetriebe ist es gegebenenfalls zulässig, dass z.B. beim Anfahren an einer Ampel erst der Verbrennungsmotor gestartet wird und anschließend der 1. Gang eingelegt werden kann. Solche Anwendungen können mit herkömmlichen Systemen abgedeckt werden, welche eine „steile“ Kennlinie besitzen (Bild 4-100). Diese Prozedur ist aber in einem Fahrzeug mit Automatikgetriebe im Allgemeinen nicht möglich, da die Wählhebelstellung beibehalten werden soll. Der elektrische Antrieb muss also in der Lage sein, neben dem eigentlichen Drehmoment zum Start des Verbrennungsmotors noch ein zusätzliches Drehmoment be-

Der direkte elektrische Antrieb, auch als integrierter Starter-Generator (ISG) bekannt, wird direkt in den Antriebsstrang des Fahrzeuges integriert (Bild 4-101).

Bild 4-101: Integration eines Starter-Generators in den Antriebsstrang (ISG)

248

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-102: Integrierter Starter-Generator (ISG) mit Asynchronmaschine: a) Schnittmodell, b) Explosionszeichnung

Der integrierte Starter-Generator wird fast ausschließlich für Mild-Hybrid-Anwendungen eingesetzt. Da beim Direktantrieb in der Regel keine Getriebeübersetzung vorhanden ist, wird z.B. für den Start des Verbrennungsmotors ein relativ hohes Drehmoment gefordert, bei äußerst beschränktem Einbauraum für die elektrische Maschine und die Elektronik. Für die Drehmomentbildung in der elektrischen Maschine müssen entsprechend große Ströme von der Elektronik zur Verfügung gestellt werden, wenn auch nur kurzzeitig. Einhergehend mit dem großen Drehmoment bei Drehzahl null werden abhängig von der Maschinenvariante vom Energiespeicher (Batterie, Doppelschichtkondensator) auch unterschiedlich große Aufnahmeleistungen gefordert. In Bild 4-102 ist der typische Aufbau eines integrierten Starter-Generators ersichtlich.

4.4.4 Elektronik Das elektronische Steuergerät (ECU) besteht im Wesentlichen aus den beiden Hauptkomponenten Leistungselektronik und Steuerelektronik (Bilder 4-93 und 4-94). Unter der Leistungselektronik versteht man im Allgemeinen den so genannten Stromrichter. Damit wird eine Gleichspannung aus der Batterie oder dem Doppelschichtkondensator in eine spannungs- und frequenzvariable Wechselspannung zur Versorgung der elektrischen Maschine umgewandelt. Die Steuerelektronik hat die Aufgabe, die über dem CAN-Bus empfangenen Drehmoment-, Drehzahl- oder Spannungssollwerte in entsprechenden Steuersignalen für den Stromrichter zur Erzeugung der gewünschten

Wechselspannung bereitzustellen, damit die elektrische Maschine die erforderlichen Drehmomente und Drehzahlen einstellen kann. Neben der Maschinenregelung sind in der Steuerelektronik auch umfangreiche Diagnosefunktionen sowie sicherheitsrelevante Funktionen softwaremäßig und teils hardwaremäßig integriert. Für Mild-Hybrid Anwendungen wird häufig auch der bidirektional wirkende Spannungswandler (siehe Bild 4-94) im Elektronikgehäuse mit integriert. Wie die elektrische Maschine muss auch die Elektronik auf kleinstem Bauraum – möglichst am Verbrennungsmotor – untergebracht werden. Dies stellt hohe Anforderungen an die Elektronik bezüglich Temperatur und Vibration. Da die Elektronik der elektrischen Maschine Leistungen bis ca. 20 kW für Mild-HybridAnwendungen bereitstellen muss, treten bei einem Wirkungsgrad von 90 % in der Elektronik relativ hohe, kurzzeitige Verluste auf. Die Elektronik wird deshalb in der Regel mit dem Kühlwasser des Verbrennungsmotors gekühlt. Die typische Kühlwassertemperatur liegt in einem Bereich von ca. –40 bis +105 °C. In Bild 4-103 ist eine Elektronikeinheit mit Wasserkühlung für eine Mild-Hybrid-Anwendung dargestellt, in Bild 4-104 eine Elektronikeinheit mit Luftkühlung (z.B. für ein Start-Stopp-System).

4.5 Batterien und Energiespeicher

249 Anwendungen bis ca. 20 kW sind Systemspannungen bis zu 60 V ausreichend. Werden Spannungen bis zu 60 V eingesetzt, sind nach VDE keine zusätzlichen Maßnahmen hinsichtlich Berührungsschutz und Isolation erforderlich. Für größere Leistungen müssen höhere Spannungen gewählt werden, da sonst die Ströme nicht mehr beherrschbar sind. Auch hinsichtlich der Verluste ist es günstig, eine höhere Spannung zu wählen, da die ohmschen Verluste quadratisch vom Strom abhängig sind. Literatur zu Abschnitt 4.4

Bild 4-103: Außenansicht einer Elektronik mit Wasserkühlung

[1] Schäfer, H.: Mögliche Hybridstrukturen des Antriebsstranges für Kraftfahrzeuge mit Starter-Generatoren. In: Schäfer u.a.: Innovative Konzepte für Starter-Generatoren (XSG), expert Verlag, Renningen, 2004

4.5 Batterien und Energiespeicher 4.5.1 Überblick: Rolle der Energiespeicher

Bild 4-104: Außenansicht einer Elektronik mit Luftkühlung

4.4.5 Anforderungen an elektrische Energiespeicher Neben der elektrischen Maschine und der Elektronik ist für einen elektrischen Antrieb auch der Energiespeicher von höchstem Interesse, da er die erforderliche Energie z.B. bei einer Anfahrunterstützung liefern muss und die bei einem regenerativen Bremsvorgang anfallende Energie aufnehmen muss. Hierbei ergeben sich die folgenden Anforderungen an den Energiespeicher für einen Mild-Hybrid: ein hoher Wirkungsgrad während der Energieumwandlung , eine hohe Zyklenfestigkeit, da permanent Entladeund Ladezyklen auftreten können, eine hohe Strombelastbarkeit beim Entlade- und beim Ladevorgang sowie ein großer Umgebungstemperaturbereich. Neben der Wahl der Systemspannung (Gleichspannung) des Energiespeichers, welche normalerweise in Abhängigkeit von der Leistung des elektrischen Antriebes gewählt wird, steht auch der Typ des Energiespeichers selbst zur Auswahl. Für Mild-Hybrid-

Mit dem Begriff „Batterie“ wird zuerst die klassische Blei-Fahrzeug-Starterbatterie assoziiert. Sie hat einen Anteil von etwa 48 % am Umsatz aller wieder aufladbarer Batteriesysteme und ist mit Industriebatterien (25 %) und Batterien für tragbare Geräte (27 %; auch 4-C-Batterien – nach Cellular Phones, Digital Cameras, Camcorders, Cordless Tools – Consumer- oder Verbraucherbatterien genannt) einer der wichtigsten Zweige des Batteriemarktes. 2004 wurden etwa 350 Mio. Starterbatterien hergestellt. Bei einer jährlichen Produktion von ca. 60 Mio. und einem Bestand von ca. 850 Mio. Fahrzeugen weltweit gehen etwa drei Viertel der Starterbatterien in den Ersatzteil- und ein Viertel in den OEM-Markt (Original Equipment Manufacturer). Auf ihm lastet ein hoher Kostendruck, wie auf allen Zulieferermärkten der Fahrzeugindustrie. Die durchschnittliche Lebensdauer der Bleibatterie im Fahrzeug beträgt etwa drei bis fünf Jahre, abhängig von Nutzung und Klima. Trotz der begrenzten Lebensdauer und mäßiger Gebrauchseigenschaften in Bezug auf spezifische Energie (Wh/kg), Energiedichte (Wh/l) und Leistung (W/kg bzw. W/l) hat die Bleibatterie ihren Platz als einziger Bordnetz-Energiespeicher im Kraftfahrzeug seit nahezu 100 Jahren behauptet. Ursache ist der konkurrenzlos niedrige Preis aufgrund der günstigen Kostensituation, die durch verfügbare Blei-Erze, niedrigen Energieverbrauch für die Metallgewinnung und Reindarstellung, eine einfache und energiesparende Fertigungstechnik und einen etablierten Aufarbeitungsprozess gekennzeichnet ist, in den über 95 %

250 der Fahrzeugbatterien nach Gebrauch zurückgeführt werden. Als Energiespeicher für den elektrischen Starter hat der Blei-Starterakku dem Verbrennungsmotor den Erfolg im Kraftfahrzeug geebnet, seit er 1911 erstmals von Cadillac eingesetzt wurde [1]. Heute wird er für etwa 22 % aller Pannen und damit für den Großteil aller Fahrzeugausfälle verantwortlich gemacht [2]. In der Vergangenheit wurde die typische FahrzeugStarterbatterie (auch SLI-Batterie genannt, für Start, Light, Ignition) als geschlossenes System mit frei beweglichem Elektrolyten konzipiert. Die Auslegung wurde zunächst empirisch auf die Kaltstartleistung optimiert. Steigende Ruheströme und leistungshungrige Verbraucher im Bordnetz stellen jedoch zunehmend neue Anforderungen in Bezug auf vermehrten Energiedurchsatz, höhere Leistungs- und Energiedichte und geringe Selbstentladung. Die Herstellung der Starterbatterien ist weitgehend automatisiert und, mit Ausnahme von Nischenprodukten, nur in den effizientesten Fertigungsanlagen konkurrenzfähig. Wegen der stetig steigenden fahrzeugseitigen Anforderungen werden die Grenzen des Bleiakkus, die in seiner Chemie liegen, deutlich [3]. Hybridfahrzeuge beziehen ihre Antriebsenergie zum Teil oder ganz aus Speicherbatterien. Als günstigster Kompromiss hinsichtlich Kosten, Verbrauch und Emissionen zeichnet sich ein Anteil der elektrischen Leistung von bis zu einem Drittel an der gesamten Leistung von Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb ab. Voraussetzung dafür sind extrem leistungsfähige und langlebige Batterien. Die Fahrzeuge Honda „Insight“ und – absatzmäßig erfolgreicher – Toyota „Prius“ nützten erstmals Nickel-Metallhydrid-Systeme als Antriebsspeicher. Für die nächste Hybridgeneration werden noch leistungsfähigere Lithium-Ionenbatterien erwartet, deren Entwicklung weit fortgeschritten ist.

4 Bordnetz und Vernetzung Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren (DSK) für den Fahrzeugeinsatz sind noch im Entwicklungsstadium. Diese zeichnet hohe Lebensdauer und spezifische Leistung aus, die Energiedichte ist jedoch begrenzt. Ihre Einsatzchancen liegen in der Unterstützung der Leistung von Batterien in Bordnetz und Antrieb oder bei Anwendungen, die Stromimpulse für die Dauer weniger Sekunden erfordern.

4.5.2 Bleibatterie 4.5.2.1 Elektrochemie des Bleiakkumulators Schematisch ist die Funktionsweise des Bleiakkumulators in Bild 4-105 dargestellt. Bei der Entladung, d.h. bei Schließen des äußeren Stromkreises über einen Lastwiderstand RL (äußere Pfeile geben die Bewegungsrichtung der Elektronen an) wird Bleidioxid als Aktivmasse der positiven Elektrode zu Bleisulfat reduziert und Blei als Aktivmasse der negativen Elektrode zu Bleisulfat oxidiert. Der Vorgang ist weitgehend reversibel. Bei Umkehr des Stromflusses (innere Pfeile geben die Bewegungsrichtung der Elektronen an) wird der Akkumulator geladen, wobei die maximale Ladespannung im Bordnetz etwa 2,4 V pro Zelle beträgt. Aus der Brutto-Reaktionsgleichung Pb

+ PbO2

+ 2 H2SO4 l 2 PbSO4 + 2 H2O;

207,2 g + 239,2 g + 196,0 g = 642,4 g; UNenn = 2,0 V; Q = 53,6 Ah erhält man mit der Nennspannung UNenn und der geflossenen Ladung Q eine theoretische spezifische Energie von 167 Wh/kg.

Bild 4-105: Funktionsprinzip des Bleiakkumulators (schematisch): die Pfeile geben die Bewegungsrichtung der Elektronen an, wobei sich die inneren Pfeile auf den Ladevorgang und die äußeren Pfeile auf den Entladevorgang beziehen

4.5 Batterien und Energiespeicher Der Gesamt-Reaktionsgleichung kann man ferner entnehmen, dass die Schwefelsäure, die als Elektrolyt dient, an der Entladereaktion teilnimmt und dass sie während der Entladung verdünnt wird. Die mäßige Massenausnützung, d.h. der Anteil von etwa 30 bis 40 % der in der Elektrode insgesamt vorhandenen Aktivmasse, der an der Reaktion teilnimmt, und die notwendigen passiven Bauteile (Masseträger, Zellverbinder, Pole, Separatoren, Gehäuse) verringern die nutzbare Kapazität ebenso wie der erforderliche Elektrolytüberschuss. Deshalb liegt die praktisch erzielte spezifische Energie nur bei etwa 30 bis 40 Wh/kg (siehe Abschnitt 4.5.2.2) Die für ein wässriges System außerordentlich hohe Zellspannung von etwa 2,0 V liegt 0,77 V über der theoretischen Zersetzungsspannung des Wassers und weist damit bereits auf potentielle Probleme des Bleiakkus hin. Das Potential der positiven Elektrode mit PbO2 als Aktivmasse liegt so hoch, dass als kostengünstiger Stromableiter und Masseträger nur Blei einsetzbar ist, das durch seine Deckschicht aus PbO2 vor Korrosion weitgehend geschützt ist. Das Potential der negativen Elektrode liegt 0,35 V unter dem Gleichgewichtspotential der Wasserstoffelektrode. Nur die hohe Überspannung, d.h. die Spannungsdifferenz zwischen thermodynamischer Gleichgewichtsspannung und der Spannung bei Einsetzen der Wasserstoffabscheidung an Blei, hemmt weitgehend die Wasserstoffentwicklung. Blei dient deshalb, meist in Form von Legierungen, auch als Träger der negativen Masse. Dies erklärt die Empfindlichkeit des Bleiakkus gegen Verunreinigungen, die die Wasserstoffoder Sauerstoff-Überspannung herabsetzen, und deren Bedeutung für Funktion und Lebensdauer. Bleisulfat ist im Elektrolyten in nur geringem Ausmaß löslich; dennoch läuft die Elektroden-Reaktion weitgehend über lösliche Zwischenprodukte ab (siehe Bild 4-106). Die Brutto-Reaktionsgleichung lässt sich in Reaktionsgleichungen für die positive und die negative Elektrode aufspalten (hier in Entladerichtung, und unter Berücksichtigung des Dissoziationsgrades des Elektrolyten beschrieben – nur etwa 1 % der Schwefelsäure liegen völlig dissoziiert als 2 H+ und SO 24 vor): Gesamtreaktion: Pb + PbO2 + 2 H+ + 2 HSO4– l 2 PbSO4 + 2 H2O, (4.1) Positive Teilreaktion: PbO2 + 3 H+ + HSO4– + 2 e– l PbSO4 + 2 H2O, (4.2) Negative Teilreaktion: (4.3) Pb + HSO4– l PbSO4 + H+ + 2 e– . Die Gleichgewichtsspannung der Zelle U0 hängt entsprechend der Nernstschen Gleichung

251

U0

U 0, S

a aHSO RT 4 log H nF aH 2O

von der Säurekonzentration ab. Darin bedeutet U0,S = 1,931 V die Ruhespannung unter Standardbedingungen, d.h. bei 25 °C und bei Aktivität von H+ und HSO 4 gleich 1 mol/l, a die Aktivitäten der Reaktionsteilnehmer in mol/l, R die allgemeine Gaskonstante 8,3413 JMol-1K-1, T die absolute Temperatur in K, n die Anzahl der umgesetzten Ladungen und F die Faraday-Konstante 96,486 As. Näherungsweise wird in der Praxis die Beziehung zwischen Ruhespannung U0 und Säuredichte U U0 = (U + 0,84) V verwendet, mit U in g/ml (siehe auch Bild 4-109). Zusätzlich treten im Lade- und Entladebetrieb die kinetisch gehinderten parasitären Reaktionen auf: Positive Elektrode: Pb + 2 H2O ĺ PbO2 + 4 H+ + 4 e–,

(4.4)

Negative Elektrode: 2 H+ + 2 e– ĺ H2.

(4.5)

Reaktion (4.4) führt zur Korrosion des Gitters als Masseträger der positiven Elektrode, Reaktion (4.5) ist gleichzeitig die Überladereaktion an der negativen Elektrode. An der positiven Elektrode führt die Überladung zu Sauerstoff-Entwicklung: Positive Elektrode: 2 H2O ĺ O2 + 4 H+ + 4 e–.

(4.6)

Eine weitere Reaktion ist die Umkehr-Reaktion von (4.6), die Reduktion des an der positiven Elektrode bei Überladung gebildeten Sauerstoffs an der negativen Elektrode (4.7): Negative Elektrode: O2 + 4 H+ + 4 e– ĺ 2 H2O.

(4.7)

Sie ist Voraussetzung für den Bau verschlossener Bleiakkumulatoren und funktioniert in ausreichender Schnelligkeit nur in relativ elektrolytarmen Bleiakkumulator-Typen, in denen der Sauerstoff durch Gaskanäle von der positiven an die negative Elektrode gelangen kann. Dies ist bei den in Abschnitt 4.5.2.3 näher beschriebenen verschlossenen, auch als VRLA-Typen (Valve Regulated Lead Acid) bezeichneten Batterien mit Gelelektrolyt oder mit Glasfaserseparator (Absorptive Glass Mat AGM) der Fall. Gleichzeitig verschiebt Reaktion (4.7), die Sauerstoffreduktion, das Potential der negativen Elektrode zu positiveren Werten. Daher liegt bei spannungskonstantem Laden auch das Potential der positiven Elekt-

252

4 Bordnetz und Vernetzung

roden in verschlossenen Zellen bei positiveren Werten, verglichen zu Zellen mit freiem Elektrolyten.

reaktion – beinhaltet. Die nachfolgende Fällungsreaktion ist eine chemische Reaktion, die in einiger Entfernung vom Ort der elektrochemischen Reaktion ablaufen kann: Pb – 2e + SO24 o Pb2+ + SO24 o PbSO4 Durchtritt Lösung Fällung –

Sie ist von der Säurekonzentration und damit vom Ladezustand abhängig, da die Löslichkeit von PbSO4 ein Maximum bei etwa 10 Gewichtsprozent Schwefelsäure hat, dann aber mit zunehmender Säurekonzentration rasch abnimmt. Ähnlich verläuft die Entladereaktion an der positiven Elektrode: Pb4+ + 2e o Pb2+ + SO 24 o PbSO4 Durchtritt Lösung Fällung –

In der Durchtrittsreaktion nehmen vierwertige Pb4+Ionen zwei Elektronen auf und gehen als Pb2+-Ionen in Lösung, die sofort chemisch zu PbSO4 reagieren. Gleichzeitig bildet sich während der Entladung an der positiven Elektrode Wasser, weil O2–-Ionen aus dem PbO2 freigesetzt werden und mit den Protonen des Elektrolyten zu Wasser reagieren. Die entsprechenden Ladereaktionen sind in Bild 4-106 beschrieben.

Bild 4-106: Ablauf der Ladereaktionen im Blei-Akku (schematisch)

Ladung und Entladung erfolgen beide nach einem zweistufigen Lösungs-Fällungs-Mechanismus. Der erste Schritt der Entladung an der negativen Elektrode ist eine elektrochemische Reaktion, der den Elektronentransfer an der Bleioberfläche – die Durchtritts-

4.5.2.2 Stand der Technik

Blei-Starterakkumulatoren haben alle eine ähnliche Bauweise und unterscheiden sich in den spezifischen Daten nur geringfügig, selbst wenn sie für Ruhestromverbraucher und geringe Entladeraten oder für hohe Startleistung ausgelegt sind (Tabelle 4-7).

Tabelle 4-7: Technische Kenndaten von Bleiakkumulatoren (DOD: Entladetiefe, siehe Abschnitt 4.5.2.4) Eigenschaft

VRLA-AGM prism.

VRLA-AGM zyl.

Hochenergie

Hochleistung

49 Wh/kg

39 Wh/kg

35 Wh/kg

96 Wh/l

96 Wh/l

70 Wh/l

Spezifische Leistung bei 25 °C – gewichtsbezogen – volumenbezogen

10 s Pulslast

10 s Pulslast

10 s Pulslast

227 Wh/kg 445 Wh/l

230 W/kg

310 W/kg 620 W/l

Zyklenlebensdauer (Ladungsdurchsatz als n-faches der Nennkapazität KN)

100 KN (20 % DOD-Zyklen)

300 KN (20 % DOD-Zyklen)

Noch offen

Kalendarische Lebensdauer

2 – 6 Jahre

2 – 6 Jahre

2 – 6 Jahre

Selbstentladung (bei 25 °C)

2 – 3 % pro Monat

2 – 3 % pro Monat

2 – 3 % pro Monat

– In Funktion

–30 bis +70 °C

–30 bis +70 °C

–30 bis +70 °C

– Außer Betrieb

–30 bis +70 °C

–30 bis +70 °C

–30 bis +70 °C

Spezifische Energie bei 25 °C – gewichtsbezogen – volumenbezogen

SLI-Standard

570 W/l

Temperaturbereich

4.5 Batterien und Energiespeicher

253

Größere Unterschiede ergeben sich in der Zyklenlebensdauer und der tolerierten durchgesetzten Energiemenge. Blei-Traktionszellen oder stationäre Zellen, z.B. für die unterbrechungsfreie Stromversorgung, sollen hier nicht betrachtet werden, ebenso wie Hochleistungs-Folienzellen, die spezifische Leistungen bis 1800 W/kg erzielen. Deren Lebensdauer ist allerdings auf maximal ein Jahr begrenzt, weil die Reinblei-Ableiterfolien korrodieren. Sinnvoller erscheint hier der Vergleich von geschlossenen StarterBatterien mit verschlossenen (VRLA-)Typen verschiedener Bauweisen. Die Schwierigkeit für aktuelle Blei-Fahrzeugbatterien ist nicht, die geforderte Leistung im Bordnetz zu erbringen, sondern unter Erhalt der Leistung bei gesteigertem Ladungsumsatz die Lebensdauer zu erhalten. Mit der Einführung der AGM-Batterien ist dies bisher gelungen. 4.5.2.3 Aufbau des Bleiakkumulators Aktive Massen Die aktiven Massen benötigen eine große Oberfläche zum Elektrolyten, damit die Reaktionen bei hohen Lade- und Entladeströmen über die löslichen Verbindungen mit dem erforderlichen Umsatz ablaufen können. Pro Amperestunde Umsatz gehen ca. 8 g Aktivmasse Pb und PbO2 in Lösung oder werden wieder abgeschieden. Sie weisen eine hohe Porosität und große Volumenunterschiede in geladenem und entladenem Zustand auf. Die porösen aktiven Massen Pb und PbO2 werden in Trägergerüste eingebracht, die für Stromleitung und mechanische Stabilität sorgen. Typische Daten sind in Tabelle 4-8 zusammengestellt. In den aktiven Massen müssen Verunreinigungen vermieden werden, die die Überspannungen von Wasserstoff und Sauerstoff herabsetzen. Als Ausgangsmaterial dient Blei mit einer Reinheit von 99,99 %, das anoxidiert, zerkleinert und getrennt für

positive und negative Massen mit Wasser und Schwefelsäure sowie Additiven in einem Kneter gemischt und angeteigt wird. Additive für die positive Masse sind z.B. Glas- oder Polyolefin-Fasern zur Verbesserung der Stabilität sowie Graphitfasern zur Verbesserung der Leitfähigkeit. Der negativen Masse werden Spreizmittel („Expander“) wie Ligninsulfonate, Ruß und Bariumsulfat (BaSO4) zugesetzt. BaSO4 ist isomorph mit dem PbSO4 und bildet Keime für dessen feinkörnige Abscheidung zur Erhaltung einer großen Oberfläche. Ruß und Kohlefasern dienen der Leitfähigkeit der Masse, der Spreizmittelzusatz bewirkt eine Abscheidung des Bleis mit gleichbleibend hoher Oberfläche über viele Zyklen. Unmittelbar an die Pastenfertigung anschließend werden die Gerüste pastiert, d.h. mit Massenpaste gefüllt, und die Pastenoberfläche rasch angetrocknet. Darauf erfolgt in Kammern mit kontrollierter Temperatur und Feuchtigkeit das „Reifen“ der Platten. Es dient der schonenden Trocknung und Weiteroxidation. In der Folge können die Platten in Tanks formiert, gewaschen, getrocknet und imprägniert werden. Sie werden dann zu „trocken vorgeladenen“ Batterien weiter verbaut. Der zweite Weg führt über den Zusammenbau der Platten mit den Separatoren, Einbau in das Gehäuse, Elektrolytfüllung und Formierung im Batteriegehäuse zu „nassen“ Batterien. Bei der Formierung bilden sich die endgültigen Verbindungen und Strukturen in den Massen. Unabhängig von der Geometrie des Masseträger-Gitters, das nur ein sehr weitmaschiger Stromableiter ist, formen sich in der positiven wie in der negativen Masse häufig Mikro- und Makrostrukturen mit unterschiedlich großen Partikeln von 1 bis 10 ȝm Länge und 1 ȝm Durchmesser aus, die eine Art von Leiterskelett ergeben ([4], [5]).

Tabelle 4-8: Einige Eigenschaften der Aktivmassen der Elektroden des Bleiakkumulators; der überwiegende Anteil der positiven Aktivmasse besteht aus E-PbO2 Negative Elektrode

Positive Elektrode

entladen

6,29 g/cm3 PbSO4

6,29 g/cm3 PbSO4

geladen

11,34 g/cm3 Pb

9,87 g/cm3 D-PbO2

Dichte Element/Verbindung

9,3 g/cm3 E-PbO2 Verhältnis der Molvolumina entladen/geladen bzgl. Pb

2,64

2,64/1,4 = 1,89

Elektrische Leitfähigkeit der (geladenen) Massen

104 S cm-1

103 S cm-1

Porosität

50 %

50 %

Spezifische Oberfläche

0,3 – 0,6 m2/g

4 – 6 m2/g

254 Masseträger Als Masseträger und Stromableiter haben sich ausschließlich Bleilegierungen durchgesetzt. Reines Blei weist sowohl eine hohe Wasserstoff-Überspannung als auch die niedrigste Korrosionsrate im Elektrolyten auf. Als Masseträger kann es wegen seiner geringen Festigkeit jedoch nur in kleinen Wickelzellen mit gestützten Elektroden benützt werden. Deshalb werden Blei-Antimon- (Pb-Sb-), Blei-Zinn- (Pb-Sn-) oder Blei-Zinn-Calcium-Legierungen (Pb-Sn-CaLegierungen) verwendet. Gitter mit hohem Antimonzusatz (4 – 11 %) lassen sich einfach gießen und haben eine hohe Festigkeit. Antimon verbessert auch die Zyklenfestigkeit der positiven Masse. Es erhöht jedoch im Laufe des Betriebes den Wasserverbrauch der Zelle, indem Antimon, das an die negative Elektrode gelangt, dort die Wasserstoffentwicklung begünstigt. Für wartungsarme oder verschlossene Zellen sind solche Gitter daher nicht geeignet. Eine Verringerung des Antimongehalts auf 0,5 bis 3 % behebt den erhöhten Wasserverbrauch und erhält die günstige Wirkung für die Lebensdauer der positiven Elektrode. Sie erfordert jedoch den Zusatz weiterer Legierungselemente, wie Zinn und Kupfer sowie von Schwefel oder Selen zur Ausbildung eines feinen Gusskorns. Zur Verringerung des Wasserverbrauchs, wie für wartungsarme oder wartungsfreie Batterien erforderlich, sind Pb-Ca-Legierungen mit einem Calcium-Gehalt unter 1 % und einem Zinn-Gehalt bis zu 3 % besser geeignet. Von den Korrosionsprodukten bleibt Ca2+ in Lösung und stört nicht weiter, Zinn ersetzt teilweise Antimon in seiner Wirkung. Für Anwendungen bei hohen Temperaturen, wie sie unter der Motorhaube von Fahrzeugen auftreten können, verbessert der Zusatz von Silber (Ag) die Lebensdauer.

Bild 4-107: Ausführungen von Masseträgern in Starterbatterien [Quelle: Varta]

4 Bordnetz und Vernetzung Die Formgebung der Ableitergitter erfolgt durch Fallguss oder durch Streckmetallbildung [6] aus gewalzten oder gegossenen Bändern (Bild 4-107). Gussplatten können bis zu einer Mindestdicke von 0,8 mm gefertigt werden. Sie bieten den Vorteil, dass die Geometrie der Stromdichteverteilung leicht angepasst werden kann. Streckmetall ist für hohe Produktionsvolumina geeignet und relativ leicht an verschiedene Zellengrößen anpassbar. Häufig werden im Starterbereich Hybrid-Plattensätze verwendet, d.h. eine Kombination von positiven Gussgittern mit niedrigem Antimongehalt und negativen Pb-Ca-Streckmetallgittern. Ihr Vorteil sind eine hohe mechanische Stabilität und die Verhinderung des früher so genannten Antimon-frei-Effekts, der in den ersten Batterien mit Sb-freien Gittern zu plötzlichem Kapazitätsverlust der positiven Elektrode führte. Dieser Fehler wird heute sowohl dem Kontaktverlust zwischen Masse und Ableiter wie der Massenalterung selbst zugeordnet („premature capacity loss“, PCL). Elektrolyt Die Eigenschaften der Schwefelsäure als Teilnehmer an der Zellreaktion beeinflussen Kapazität, Leistung, Lebensdauer, Korrosion und das Temperaturverhalten der Batterie. Bild 4-108 zeigt den Verlauf der spezifischen Leitfähigkeit über der Konzentration und der Temperatur.

Bild 4-108: Spezifische Leitfähigkeit von Schwefelsäure in Abhängigkeit des Säureanteils und der Temperatur. Die Solidusregion beschreibt den Bereich der Eisbildung (nach Bode [7]).

4.5 Batterien und Energiespeicher Der Konzentrationsbereich und damit der Widerstand und die verfügbare Leistung sind vom Ladezustand, der Temperatur und von Bauweise und Design der Batterie abhängig. Er muss in einem der Anwendung angemessenen Bereich bleiben. Insbesondere für Starterakkus ist wichtig, dass der Elektrolyt nicht bei niedrigem Ladezustand bei tiefer Temperatur einfriert (Solidusregion). Bestimmte Verunreinigungen in der Schwefelsäure wie Chrom, Mangan, Titan und Chloride, dürfen sowohl in der Fertigung bei der Herstellung der Massenpasten wie im Elektrolyten der fertigen Batterie nicht vorhanden sein, um vorzeitige Gasentwicklung an den Elektroden sowie Korrosion zu verhindern. Die stark temperaturabhängige Löslichkeit des Bleisulfats bei geringer werdender Elektrolytkonzentration, d.h. bei niedrigem Ladezustand (Bild 4-109), fördert das Entstehen grobkörnigen Bleisulfats (Sulfatierung) und ist eine der Hauptausfallursachen von Bleibatterien im Winter. Starterbatterien weisen durch die härtere Beanspruchung einen niedrigeren Ladezustand auf und neigen in diesem Fall bei Zyklenbetrieb und stärkeren Temperaturschwankungen zur Sulfatierung und Kornvergröberung. Startfähigkeit und Ladungsannahme werden dadurch rapid verschlechtert. Zusammenbau Um die spezifizierte Belastbarkeit und Kapazität zu erreichen, werden mehrere positive und negative Platten pro Zelle abwechselnd unter Zwischenlegen eines Separators gestapelt und parallel über eine

255 Polbrücke verbunden. Der Separator ist auf die Bauart der Batterie abgestimmt. Jeder Block aus dem vereinigten positiven und negativen Plattensatz wird in das Batteriegehäuse eingeschoben und durch oder über die Zellwände hinweg über die Zellverbinder in Serie verbunden, z.B. durch Pressschweißen. Die Batterie wird durch Aufschweißen des Deckels auf das Gehäuse (beide meist aus Acrylnitril, Butadien, Styrol-Terpolymer ABS oder Polypropylen PP) geschlossen und, im Fall der trocken vorgeladenen Ausführung, vor Gebrauch mit Elektrolyt gefüllt. 4.5.2.4 Bauarten

Bei Starterbatterien (Bild 4-110) unterscheidet man (Kennzeichnung nach EN 50342, Bild 4-111) zwei Typen: geschlossene Batterien (vented/flooded batteries), die einen Deckel mit einer oder mehreren Öffnungen haben, durch die Gase entweichen können, und verschlossene Batterien (valve regulated batteries, with gas recombination), die unter normalen Bedingungen verschlossen sind, aber ein Ventil aufweisen, das bei vorgegebenem Überdruck das Entweichen von Gas erlaubt. In dieser Batterie ist der Elektrolyt festgelegt; Wasser kann nicht nachgefüllt werden.

Bild 4-109: Abhängigkeit der Löslichkeit von Bleisulfat von der Säuredichte und der Temperatur sowie der näherungsweise Zusammenhang von Säuredichte und Zellspannung

256

4 Bordnetz und Vernetzung

Geschlossene Batterien Die Batterien der Blei-Antimon-Standardtechnologie erkennt man an den aufschraubbaren Zellenstopfen. EN 50342 unterscheidet den Wasserverbrauch der Batterien mit flüssigem Elektrolyten bei 21 Tagen Konstantspannungsladen bei 14,4 V und 40 °C nach „normal“ (größer als 4 g/Ah), gering (kleiner als 4 g/Ah) und sehr gering (kleiner als 1 g/Ah). Geschlossene und verschlossene Bauarten haben heute gewichtsoptimierte Gehäuse aus Polypropylen. Die Zellverbinder werden zur Widerstandsminimierung durch die seitlichen Zellwände hindurchgeführt und verschweißt. Die Plattensätze aus positiven und negativen Elektroden sowie Separatoren unterscheiden sich durch die Art der Separatoranordnung. Separatoren in Taschenform um die positiven Elektroden fangen Schlamm auf und verhindern Bodenkurzschlüsse. Die Endpole sind entsprechend der hohen geforderten Leitfähigkeit dimensioniert. Öffnungen im Zellendeckel zum Druckausgleich sind mit Sintermetall-Flammsperren bestückt, die bei außerhalb der Batterie liegenden Zündquellen ein Rückzünden von austretendem Wasserstoff in die Batterie verhindern. Gehäusedeckel von Batterien mit freiem Elektrolyten vermeiden durch Labyrinthdichtungen Elektrolytaustritt beim Kippen. Verschlossene Batterien Verschlossene Bleibatterien entstanden aus dem Bestreben, ein gasdichtes System herzustellen, was erstmals mit einer Ni-Cd-Batterie 1953 gelang. Ansatz ist das Erzwingen eines internen Sauerstoff-

Kreislaufs im Falle der Überladung (siehe Reaktionen (4.6) und (4.7) in Abschnitt 4.5.2.1). Schlüssel dafür sind eine Bauweise mit Gaspassage-Möglichkeiten zwischen positiver und negativer Elektrode durch geeignete Separatoren oder Gelierung des Elektrolyten mit SiO2 und ein gasdichter Batteriekasten mit Überdruckventil. Die Unterschiede der Bauweisen zeigt Tabelle 4-9. Mit SiO2 gelierte Elektrolyte bilden Gaskanäle aus, durch die der Sauerstoff bei Überladung wandert. Verschlossene Fahrzeugbatterien verwenden meist Glasfaservliese als Separatoren; ihre Plattensätze müssen an den Zellkasten eng anliegend eingebaut werden. Der Druck auf die Plattensätze trägt wesentlich zur verbesserten Lebensdauer gegenüber Batterien mit freiem Elektrolyten bei. Beim Glasfaservlies wird der Separator nicht vollständig (90 – 75 %) gefüllt, so dass nicht elektrolytgefüllte Poren für den Sauerstofftransport zur Verfügung stehen. Glasfaserseparatoren (Absorptive Glass Mat, AGM) sind deutlich teurer als die mikroporösen Separatoren geschlossener Zellen. Auch die Fertigungstoleranzen für verschlossene Zellen mit Glasfaser-Separatoren sind enger, der Preis ist daher nahezu doppelt so hoch wie der von Standard-Starterbatterien. Ihre Stärke ist die Fähigkeit, in ihrer Lebensdauer etwa die dreifache Energiemenge von Batterien geschlossener Bauweise durchsetzen zu können. Die typischen Fehlermechanismen unterscheiden sich etwas (s. Tabelle 4-10).

Tabelle 4-9: Unterschied zwischen geschlossener und verschlossener Batterie Komponente

Geschlossen

Verschlossen

Gehäuseöffnung

Schraubstopfen

Überdruck-Ventil („valve regulated“)

Elektrolyt

Frei

Immobilisiert; mit SiO2 geliert

Separator

Mikroporös, Kunststoff

PE oder Glasfaser-Vlies, teilgefüllt

Positives Gerüst

Pb-Sb

Pb-Ca-Sn

Negatives Gerüst

Sb-arm

Pb-Ca

Tabelle 4-10: Fehlermechanismen: Anfälligkeit geschlossener und verschlossener Systeme; AGM Glasfaserseparator Geschlossen Abschlammen

u

Sulfatierung

u

u

Ladungsbalance pos./neg. u

Gel nicht, AGM etwas u

Thermal Runaway (s. Abschnitt 2.4) Wasserverlust

u u

Gitterkorrosion/Gitterdehnung

Säureschichtung

Verschlossen

u

u

4.5 Batterien und Energiespeicher

257

Bild 4-110: Starterbatterie in verschlossener Ausführung

Der Glasfaser-Separator wurde zuerst für zylindrische Reinbleizellen entwickelt, die Ni-Cd-Batterien als Flugzeugstarter-Akkumulatoren ersetzen sollten. Seine Eigenschaften, die Massen auf den Gittern zu fixieren, sowie die Sauerstoff-Rekombination in der Zelle zu ermöglichen, war Grundlage für das Vordringen der Gitterplatten-Technologie in stationäre Anwendungsbereiche. Tabelle 4-11 zeigt die Gewichtsanteile der Komponenten einer verschlossenen Batterie, wie in Bild 4-110 beispielhaft in Explosionsdarstellung mit ihren Komponenten gezeigt, mit einem gewichtsbezogenen Energieinhalt von 40 Wh/kg bei 20-stündiger Entladung. Ansätze für eine Verbesserung bieten eine höhere Ausnützung der aktiven Massen und die Verringerung des Gewichts der Trägergerüste. Bild 4-111 zeigt die Europäische Typen-Nummer (ETN) für Starterbatterien sowie die in ihr enthaltenen Schlüsseldaten.

Tabelle 4-11: Gewichtsbeitrag der Komponenten zu einer typischen verschlossenen Starterbatterie, AM bezeichnet dabei aktive Massen. Bestanteil

Beitrag zum Batteriegewicht

Beitrag zum Energiegewicht

[%]

[kg/kWh]

Bleigitter

15

3,75

pos. AM

22

5,50

neg. AM

25

6,25

Separator

2

0,50

Elektrolyt

26

6,50

Gehäuse

5

1,25

Pole etc. Gesamt

5

1,25

100

25,00

4.5.2.5 Eigenschaften von Bleibatterien

Bild 4-111: Europäische Typen-Nummer (European Type Number ETN) für Starterbatterien [Quelle: Fa. Moll]

Thermisches Verhalten Für die Starterbatterie im Fahrzeug sind Temperatureinflüsse von außen wichtiger als die Erwärmung durch den Betrieb. Aktive Kühlung ist nicht erforderlich. Die Wärmekapazität der elektrolytärmeren verschlossenen Batterien ist mit 0,75 – 1,0 kJ kg-1 K-1 etwas niedriger als die von Starterbatterien (freier Elektrolyt) mit 0,94 – 1,2 kJ kg-1 K-1, die Dämpfung von Temperaturänderungen bei Wärmeentwicklung daher geringer. Die Wärmekapazität kann aus dem

258

4 Bordnetz und Vernetzung

Gewicht der Komponenten und deren spezifischer Wärmekapazität (Tabelle 4-12) berechnet werden. Tabelle 4-12: Wärmekapazität der Komponenten (d Säuredichte) Komponente

Spezifische Wärmekapazität [kJ kg-1 K-1]

Pb

0,13

PbO2

0,27

PbSO4

0,34

H2SO4 d = 1,24 g/cm3 3

3,10

Polypropylen (PP)

2,10

Polystyrol (PS)

1,20

Glas

0,80

d = 1,28 g/cm

2,80

Die Erwärmung der Zellen erfolgt durch Entropieänderung der Zellreaktion (reversible Wärme) und durch Joulesche Wärme aus Polarisationsverlusten und Ohmschen Verlusten, die meist überwiegen. Die reversible Wärme beträgt Qrev = 13,2 kJ, das sind 3,5 % der umgesetzten Energie, die bei Ladung zusätzlich als Wärme frei wird. Der Temperaturkoeffizient der Ruhespannung beträgt dU0/dT = 0,23 mV/K. Überladen verschlossener Batterien kann dazu führen, dass die Wärmeentwicklung in der Zelle außer Kontrolle gerät („Thermal Runaway“). Während der Überladung wird die gesamte elektrische Energie in Wärme umgewandelt: Sauerstoffentwicklung an der positiven (Reaktion 2.6) und Sauerstoffreduktion an der negativen Elektrode (Reaktion 2.7) sind gleich schnell, die Verlustwärme heizt den Zellelektrolyten auf, so dass sein Widerstand sinkt und bei spannungskonstantem Laden einen weiteren Anstieg des Überladestroms bewirkt. Dazu wird das Potential der negativen und der positiven Elektrode in positive Richtung verschoben, was die Sauerstoffentwicklung weiter begünstigt. Die Wärmeproduktion übersteigt zunehmend die Wärmeabfuhr, so dass die Batterie schließlich thermisch zerstört wird. Daher ist es bei verschlossenen Bleibatterien im Bordnetz erforderlich, Temperatur und Spannung zu überwachen. So wird eine kurzfristige Spannungsanhebung ermöglicht, um den Ladezustand zu erhöhen, ohne die Gefahr des „Thermal Runaway“, insbesondere bei älteren Batterien, zu provozieren. Elektrisches Verhalten (Verhalten unter Last) Kapazitätsangaben für den Blei-Starterakku beziehen sich auf den 20-stündigen Entladestrom, d.h. den Strom, der den Akku in 20 Stunden entlädt. Die so ermittelte „Kapazität“ oder Nennkapazität wird mit

C20 = CN bezeichnet, als Ergebnis der Entladung mit dem Strom 0,05 C20A. Übliche Ströme im Bordnetz sind meist wesentlich höher oder, im Fall der Ruheströme, sehr viel niedriger. Die nutzbare Kapazität ist stark vom Entladestrom (Bild 4-112, oberes Bild) und von der Temperatur (Bild 4-112, unteres Bild) abhängig. Näherungsweise kann die Beziehung zwischen Entladestrom und Entladedauer durch die Peukert-Gleichung wiedergegeben werden: I n t = C, wobei I der Entladestrom, t die Entladedauer und C, n batteriebezogene Konstanten (n § 1,2 bis 1,4) sind. Die Gleichung gilt meist über einen größeren Bereich von Entladeströmen; weicht aber bei hohen Entladeraten vom tatsächlichen Verlauf ab (Bild 4-112). Der Widerstand der Bleibatterie hängt von der Temperatur, dem Ladezustand und der Dauer des Laststroms ab. Bild 4-113 zeigt diesen Zusammenhang. Die Entladetiefe (DOD, „Depth of Discharge“) bezieht sich hier auf die Kapazität, die an der nach Norm geladenen Batterie mit dem 5-stündigen Entladestrom gemessen wurde. Der vollgeladene Zustand wird im Fahrzeug nicht erreicht; er liegt bei etwa 80 % einer nach Norm geladenen Batterie und daher bereits näher am Minimum, das sich bei mittleren Entladetiefen einstellt. Der Ladezustand wird auch mit „State of Charge“ (SOC) bezeichnet und in Prozenten angegeben. SOC und DOD sind komplementäre Werte, die sich auf 100 % ergänzen. Der Widerstand nimmt mit steigender Temperatur ab und mit der Dauer des Laststroms zu (siehe Werte für –18 °C). Bild 4-113 zeigt auch die Abnahme der Kapazität und damit der Massenausnützung mit sinkender Temperatur. Alterungsmechanismen Die Alterung, d.h. Leistungs- und Kapazitätsabnahme, wird durch Sulfatierung, das heißt Kornvergröberung der Aktivmassen, Gitterkorrosion und Wasserverlust hervorgerufen. Wasserverlust führt heute nur mehr bei Fehlbehandlung (zu hohe Ladespannung, Verunreinigungen bei Nachfüllen von Wasser) zu vorzeitigem Altern. Mechanismen, die zu vorzeitigem Kapazitätsverlust (Premature Capacity Loss, PCL) führen, wurden im Zusammenhang mit der Einführung verschlossener Zellen intensiv untersucht und führt zu den in Tabelle 4-13 dargestellten Ergebnissen. Bei Batterien im Bordnetz tritt wegen des stetig steigenden Ladungsumsatzes und aus Folge der ungenügenden Ladungsbilanz der PCL-3-Effekt an der negativen Elektrode vermehrt auf [8].

4.5 Batterien und Energiespeicher

259

Bild 4-112: Entladekurvenscharen einer Starter-Batterie (12 V, 65 Ah) bei 25 °C sowie Peukert-Geraden bei 25 °C, 0 °C und –20 °C Tabelle 4-13: PCL-Effekte (Premature Capacity Loss). Ursachen und Abhilfen Effekt

Ursache

Abhilfe

PCL 1

Widerstandszunahme zwischen positivem Gitter und Masse

Änderung der GitterlegierungsZusammensetzung (Antimon-arm)

Zusatz von Zinn zu den antimonfreien Gitter-Legierungen

PCL 2

Zunehmende Quellung und Verlust des Zusammenhalts der positiven Masse – Erweichung der positiven Masse

Volumenzunahme bei Tiefentladung von PbO2 zu PbSO4

Druck auf die Masse über Gehäuse und Glasfaser-Separator ausüben

PCL 3

Irreversibler Kapazitätsverlust bei Hochstrom-Teilentladebetrieb (Partial State of Charge, PSoC), Sulfatierung der negativen Platte

Unzureichende Ladung der negativen Masse, weil die Sauerstoffreduktion bereits vor Volladung der negativen Elektrode beginnt, so dass das Potential der Platte positiver wird

Auswahl von Art und Menge geeigneter Spreizmittel (s. Abschnitt 4.5.2.3); Kohle-Zusatz

260

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-113: Widerstand Ri einer Bleibatterie mit 12 V, 75 Ah in Abhängigkeit von der Entladetiefe DOD („Depth of Discharge“) und von der Temperatur. Entladestrom 1 C5A = 75 A, Ri berechnet aus 'U nach 10 s

Gitter-Korrosion Eine weitere Hauptursache für den Ausfall von Bleiakkus ist Korrosion der positiven Gitter. Die Korrosionsgeschwindigkeit entspricht dem Korrosionsstrom, der der Korrosionsreaktion (4.4)

Pb + 2 H2O o D-PbO2 + 4 H+ + 4 e– zugeordnet ist. Er beträgt bei einer Ladespannung von 2,2 V etwa 2 PA/cm2, was einer Eindringtiefe von 0,03 mm pro Jahr entspricht. In Starterbatterien im Bordnetz ist die Korrosion jedoch wegen der höheren Spannung von 2,4 V pro Zelle eher dreimal so groß. Säureschichtung Bei der Ladung des Bleiakkus wird in den positiven und negativen Elektroden Säure produziert (Reaktionen (4.2) und (4.3)), die sich wegen ihrer größeren Dichte am Boden des Gehäuses ansammelt. Dies bewirkt im unteren Teil der Platten Sulfatierung der negativen Massen. In geschlossenen Batterien lässt sich die Säureschichtung durch Gasentwicklung mittels Überladen beseitigen. Bei verschlossenen Batterien mit Glasfaserseparator ist die Tendenz zur Säureschichtung gering (siehe Tabelle 4-10). Abschlammung In geschlossenen Akkumulatoren führt das Ausspülen von Aktivmasse-Partikeln und deren Ansammlung am Gehäuseboden zu Kurzschlüssen. Durch Separatoren in Taschenform kann deren Ausbildung vermieden werden. In verschlossenen Batterien tritt dieser Fehler nicht auf, weil die Massepartikel durch den angepressten Separator an ihrem Platz gehalten werden.

Bild 4-114: Aufbau der Korrosionsschicht auf dem positiven Masseträger; Eindringtiefe bei Gitterkorrosion (nach [9])

4.5.2.6 Entwicklungstendenzen bei Bleiakkumulatoren für Fahrzeuge

Der Bleiakkumulator wurde in der Vergangenheit vielfach empirisch optimiert. Seine Chemie ist inzwischen weitgehend verstanden. Verbesserungen sind daher nur in begrenztem Umfang zu erwarten, vor allem unter Beachtung der Kosten, die der Hauptvorteil des Systems sind. Nachteile sind die Zyklenlebensdauer und die Alterung bei Unterschreiten eines

4.5 Batterien und Energiespeicher Ladezustandes von etwa 70 – 80 % und gesteigertem Ladungsdurchsatz. Viele kleine Beiträge durch neue Additive zu den Massen, korrosionsstabilere Gitterlegierungen und neue Separatoren haben in Verbindung mit der verschlossenen (VRLA-)Bauweise und der Wickeltechnik der Elektroden zu nennenswerten Verbesserungen geführt (siehe z.B. Bild 4-115).

261 träger, die auf einer Fläche mit positiver Masse, auf der anderen Fläche, d.h. elektrisch leitend verbunden, mit negativer Masse beschichtet sind. Die Elementbildung erfolgt durch Stapeln der Elektroden mit jeweils entgegengesetzt polaren Seiten unter Zwischenlegen eines Separators und Füllen mit Elektrolyt. Dichtungen um die Kanten der Masseträger müssen Elektrolytschlüsse verhindern. Selbst verhältnismäßig einfache Technologien wie Blei-Kunststoff-Verbundgitter waren nicht erfolgreich, obwohl vielfache Ansätze existierten und weiterhin verfolgt werden. Dagegen kann die Einführung von Batteriemonitoring- und einfachen Management-Systemen mit Spannungs- und Temperaturüberwachung die Lebensdauer des Bleiakkus effektiv verbessern, indem sie ihn in dem günstigsten Betriebsbereich hält, beispielsweise durch gelegentliche Spannungsanhebung der Ladespannung zur Volladung.

4.5.3 Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren

Bild 4-115: Verschlossene Batterie (VRLA-AGM) mit verbesserter Zyklenfestigkeit (Quelle: Exide)

Bipolare Batterien konnten sich dagegen nicht durchsetzen. Sie sind aus bipolaren Elektrodenplatten aufgebaut: Das sind elektrolytdichte, korrosionsfeste Masse-

Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren (DSK, Supercaps), bekannt unter den Bezeichnungen „Supercaps“ oder „Ultracaps“, speichern Ladung im Unterschied zu Batterien elektrostatisch. Bei Anlegen einer Spannung trennen sich die positiven und negativen Ladungsträger im Elektrolyten eines Doppelschichtkondensators und werden an den Elektroden gespeichert (Bild 4-116). Die gespeicherte Ladung wird wie bei gewöhnlichen Kondensatoren in Farad angegeben. Doppelschichtkondensatoren unterscheiden sich lediglich durch das Dielektrikum von anderen Kondensatoren.

Bild 4-116: Prinzip der Ladungsspeicherung in elektrochemischen Doppelschichtkondensatoren: a) entladener Zustand, b) geladener Zustand; 1 Elektrode, 2 Elektrolyt

262

4 Bordnetz und Vernetzung

In Batterien erfolgt die Ladungsspeicherung immer mit Transfer von Elektronen unter Umwandlung von elektrischer in chemische Energie, deren Umsatz in Coulomb ausgedrückt wird und dem Faradayschen Gesetz folgt. In Doppelschichtkondensatoren tritt dagegen Elektronentransfer nicht oder in nicht nennenswertem Umfang auf. Nur bei stärkerer Bindung des Adsorbatmoleküls an das Substrat, wie im Fall der Chemisorption von Anionen mit Elektronendonor-Eigenschaften, kann ein partieller Ladungsübergang erfolgen, der sich durch das Auftreten einer „Pseudokapazität“ zeigt. Die Grundgleichungen für Doppelschichtkondensatoren lauten C

Q U

H

S d

mit der Kapazität C, der Ladung Q, der Spannung U, der Dielektrizitätskonstante H , der Oberfläche S und dem Elektrodenabstand d sowie E

1 CU 2 2

mit der Energie E. In einer idealen Batterie ist die Spannung von der umgesetzten Ladung innerhalb des Arbeitsbereichs nahezu unabhängig. In Doppelschichtkondensatoren ist die Spannung dagegen ein Indikator für den Ladezustand (siehe Bild 4-117). Die speicherbare Ladungsmenge hängt für ein gegebenes System wesentlich von der für die Ladungsträger zugänglichen Elektrodenoberfläche ab. Die gespeicherte Energie ist dem Quadrat der Spannung proportional.

Bild 4-117: Zusammenhang von Spannung und umgesetzter Ladung bei Batterie und Kondensator (nach [10]); der Entladezustand des Kondensators ist die Differenz aus maximaler Ladung und tatsächlicher Ladung bezogen auf die maximale Ladung; der Entladezustand der Batterie ist die Entladetiefe DOD (siehe Abschnit 4.5.2.4)

Von den verschiedenen Doppelschichtkondensatorsystemen haben sich solche mit organischen Elektrolyten und (symmetrischen) Kohle- bzw. Grafitelektroden hoher Oberfläche durchgesetzt. Sie können Ladespannungen von 2,7 V erreichen, im Unterschied zu Systemen mit wässrigen Elektrolyten (Schwefelsäure oder Kalilauge), die unter der Zersetzungsspannung von Wasser (1,23 V) arbeiten müssen. Eine weitere Begrenzung des Energieinhalts von Doppelschichtkondensatoren ist durch die Verfügbarkeit der Ladungsträger gegeben. In organischen Elektrolyten ist sie durch die Löslichkeit der Leitsalze im Lösemittel bestimmt. Stand der Technik sind Doppelschichtkondensatoren mit Acetonitril (AN) als Lösemittel, Tetraethylammoniumtetrafluoborat (TEABF4, Et4N+BF4-) als Leitsalz und graphitierter Kohle mit großer Oberfläche von 1000 bis 2000 m2/g und aktiven Poren von 2 – 5 nm Durchmesser. Die Aktivkohle wird mit gut leitender Kohle, Binder (meist Polyvinylidenfluorid PVDF oder Polytetrafluoretylen PTFE) und einem wässrigen oder organischen Fluid angeteigt, mit einer Rakel auf ein vorgeätztes Aluminiumband aufgetragen und getrocknet. Der Fertigungsprozess entspricht weitgehend dem der Anodenfertigung von Lithiumionenzellen. Acetonitril wird in Japan wegen seiner Toxizität nicht eingesetzt, man verwendet dort Propylencarbonat-basierte Lösemittel. Deren Leitfähigkeit liegt bei etwa der Hälfte der konventionellen AcetonitrilElektrolyte, auch das Verhalten bei tiefen Temperaturen ist schlechter. Doppelschichtkondensatoren mit Acetonitril-Elektrolyt können zwischen –20 °C und 65 °C für Lade- und Entladedauern im Bereich von 20 s ohne wesentliche Leistungs- und Kapazitätseinbuße betrieben werden. Die höchsten Werte werden bei 40 °C erreicht, wo das Maximum der Elektrolyt-Leitfähigkeit liegt; bei –20 °C sind die Daten etwa 25 % niedriger. Doppelschichtkondensatoren können in allen bei Batteriezellen üblichen Bauweisen gefertigt werden. Dennoch dürfte die zylindrische Wickelzelle aus Kostengründen das günstigste Design darstellen. Besonders kritisch ist wegen der hohen Ströme die Dimensionierung der Ableiter und Kontakte (siehe Bild 4-118). Die Entwicklung großer Doppelschichtkondensatoren (1000 – 5000 F) ist nicht abgeschlossen. Aufgrund der Entwicklungsmöglichkeiten der Materialien und Zellkomponenten lässt sich die Entwicklung der Zellendaten jedoch gut abschätzen (Tabelle 4-14).

4.5 Batterien und Energiespeicher

263 Die Zellenkosten selbst liegen derzeit bei etwa 35 ¼/Wh, wobei die Relation von Leistung und Energieinhalt, wie in Tabelle 4-14 angegeben, vorausgesetzt wird. Bei Massenfertigung werden Preise von 10 ¼/Wh erwartet. Die einzige Massenanwendung in Fahrzeugen ist bisher der redundante Energiespeicher für die elektrohydraulische Bremse des Prius 2 von Toyota. Die „16-V-Batterie“ besteht aus 28 Zellen zu je 68 F mit 4 parallelen Strängen von je 7 seriengeschalteten Zellen, entsprechend einem Energieinhalt von 1,4 Wh. Wahrscheinlichste Anwendung für zukünftige Bordnetze ist eine kleine Doppelschichtkondensator-Bank zur Unterstützung und Sicherstellung der Startleistung der Bleibatterie. Sie könnte aus der teilentladenen Bleibatterie geladen werden und die geforderte hohe Startleistung für etwa 3 s liefern. Für Hybridanwendungen ist zurzeit kein Vorteil für Doppelschichtkondensatoren zu erkennen. Nur bei Leistungsabgabe im Bereich bis zu 5 s könnten sie preislich mit Nickel-Metallhydrid- oder Li-IonenBatterien konkurrieren.

Bild 4-118: Ansicht einer DoppelschichtkondensatorWickelzelle mit minimierten elektrischen und thermischen Widerstand durch Schweißverbindungen von Elektrodenfahnen und Poldeckeln und kurzen Stromwegen zwischen Elektroden und Polen [Quelle: EPCOS AG] Tabelle 4-14: Gegenwärtige und für 2010 erwartete Daten von Doppelschichtkondensatoren [11] Verfügbar

Erwartet (2010)

Zellspannung

2,5 – 2,7 V

2,7 – 2,9 V

Spezifische Energie

3,5 – 4,5 Wh/kg

4,5 – 5,5 Wh/kg

Energiedichte

4,3 – 5,6 Wh/l

5,5 – 8 Wh/l

Spezifische Leistung

1 – 2 kW/kg

1,5 – 2,5 kW/kg

Ebenso wie Lithiumbatterien benötigen Doppelschichtkondensatoren elektronische Schutzschaltungen, um ein Überladen zu vermeiden, sowie einen gesteuerten Ladungsausgleich der Zellen untereinander, um Unterschiede in der Selbstentladung auszugleichen. Dafür gibt es aktive und passive (dissipative) Schaltungen. Sie haben zum Ziel, alle Zellen auf die gleiche Spannung zu bringen. In aktiven Schaltungen werden Zellen mit niedriger Spannung auf Kosten höher geladener Zellen geladen. Passive Schaltungen ziehen alle Zellen auf das Spannungsniveau der Zelle mit der niedrigsten Spannung. Die Zusatzkosten pro Zelle werden für Massenfertigung (100 000 Stück) mit 1,67 ¼ für aktive und 0,2 ¼ für passive Elemente angenommen.

4.5.4 Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren Von den klassischen alkalischen Systemen haben NiCd- und Ni-Fe-Batterien eine über 100-jährige Geschichte. Sie wurden etwa gleichzeitig von Jungner und Edison 1899 erfunden, um für den Bleiakku in der Fahrzeug-Traktionsanwendung wegen dessen bekannter Schwächen – mangelnde mechanische Robustheit und Lebensdauer – Ersatz zu schaffen. Ni-Cd blieb bis etwa 1970 das bevorzugte System für zyklenintensiven Betrieb, ferner zur Anwendung bei tiefen Temperaturen (Bahnanwendungen und exponierte Speicher zur unterbrechungsfreien Stromversorgung, so genannte USV-Anlagen in kalten Klimazonen), bei sicherheitskritischen Anwendungen (Flugzeug-Starterbatterien, Raumfahrt) und ist es z.T. heute noch. Nach Vorarbeiten von Dassler (1933) und Neumann (1947) wurde außerdem das erste völlig verschlossene, gasdichte System auf Basis des Sauerstoffkreislaufs verwirklicht und ab 1952 in den Handel gebracht, das Überladen und später auch Umpolen in Grenzen tolerierte. Anstöße für die Weiterentwicklung gaben die hohen Zyklenanforderungen von in erdnahen Umlaufbahnen von 90 bis 100 Minuten Dauer kreisenden Satelliten, deren Energiebedarf im Erdschatten aus photovoltaisch erzeugter, batteriegespeicherter Überschussenergie gedeckt wird. Ni-H2-Zellen kombinieren die stabile Nickeloxidelektrode mit der WasserstoffKatalysatorelektrode. Wasserstoff wird als negative Masse druckgespeichert; sein Druck ist ein Maß für den Ladezustand, erfordert aber ein gegen Druckwechsel (bis 60 bar) und Wasserstoffversprödung widerstandsfähiges Gehäuse.

264

4 Bordnetz und Vernetzung

Ab etwa 1960 wurden Metallhydride als Wasserstoffspeicher für Verbrennungsmotoren intensiv untersucht [12]. Sie erreichen hohe Speicherdichten, so dass eine Volumenreduzierung, wenn auch keine Massereduzierung der Speicher im Vergleich zu Druckgas- oder Flüssigwasserstoff-Speicherung möglich ist. Mit der Entdeckung von LaNi5 [13] wurde die namengebende Legierung einer Legierungsklasse von AB5-Metallen gefunden, die Justi et al. 1970 erstmals als Speicherelektrode einsetzten. Erst 1984 gelang Willems (Philips) die Präparation einer Multikomponenten-Legierung dieser Klasse mit nur mäßiger Korrosion in alkalischen Elektrolyten und einem Gleichgewichtsdruck nahe Atmosphärendruck. Dies sind Voraussetzungen für die Anwendung als Speicherelektrode. Eine andere Klasse von AB2-Multikomponenten-Legierungselektroden wurde von Ovshinski et al. favorisiert [14]. Die weitere Entwicklung erfolgte gezielt in Japan und kam ab etwa 1987 zum Tragen, als steigender Bedarf an Gerätebatterien mit einem gleichzeitigen Bann von Cadmium wegen seiner Toxizität zusammentraf. Mischmetall (Mm), eine an Cermetall reiche Legierung seltener Erdmetalle, erwies sich als kostengünstiges, korrosionsfestes Ausgangsmaterial für die Wasserstoff-Speicherelektrode. So konnten NiMH-Batterien das Ni-CdSystem in vielen Anwendungen ablösen, außer für den Einsatz bei tiefen Temperaturen und für höchste Leistungen. Sowohl Jungner als auch Edison suchten während der Entwicklung des Ni-Cd-Akkus systematisch nach nichtlöslichen Elektrodenmaterialien für die negative Elektrode, wie es Ni(OH)2 für die positive Elektrode ist. Hydrid-Speicherelektroden erfüllen diese Anforderung. 4.5.4.1 Elektrochemie

Die Reaktionsgleichungen der NiMH-Zelle sind: Gesamtreaktion: 1/6 MmNi5H6 + NiOOH l 1/6 MmNi5 + Ni(OH)2 , (4.8) Zellspannung: 1,32 V Positive Elektrode: NiOOH + H2O + e– l Ni(OH)2 + OH– , U0 = +0,490 V

(4.9)

Negative Elektrode: 1/6 MmNi5H6 + OH– l 1/6 MmNi5 + H2O + e– , (4.10) U0 = –0,829 V Aus der Summe der Gleichgewichtsspannungen U0 der Teilreaktionen (4.9) und (4.10), gemessen gegen die Standard-Wasserstoffelektrode, ergibt sich die Zellspannung der Gesamtreaktion.

Wasserstoff liegt während der Ladung in atomarer Form an der Oberfläche der negativen Elektrode vor und wird in der Legierung gemäß Reaktion (4.10) gespeichert. Bei Entladung reagiert der Wasserstoff mit OH– des Elektrolyten wieder zu H2O. OH– wird bei der Entladung (4.9) der NiOOH-Elektrode produziert. Reaktion (4.9) kann auch als Reaktion eines (hydratisierten) Protons H+ mit NiOOH beschrieben werden: NiOOH + H+ + e– l Ni(OH)2 U0 = +0,490 V . H+ diffundiert in das Feststoff-Gitter des NiOOH, so dass ein kontinuierlicher Übergang in der Zusammensetzung von dem geladenen NiOOH zu dem entladenen Ni(OH)2 stattfindet. H2O und OH– treten in der Gesamtbilanz nicht auf, so dass man bei der Zellreaktion von einem „Proton-shuttle“ zwischen den Elektroden sprechen kann. Die Elektrolytkonzentration ändert sich praktisch nicht. Als Elektrolyt dient eine 6- bis 7,6-molare Alkalihydroxid-Lösung, meist KOH mit einem Anteil an LiOH von bis zu 0,4 Mol pro Liter. Aus der Gesamtreaktion (4.8) 1/6 MmNi5H6 + NiOOH l 1/6 MmNi5 + Ni(OH)2 , 1/6 u 440,2 g + 91,7 g = 165,1 g lassen sich für eine theoretische Ruhespannung von 1,32 V und den Umsatz von einem Äquivalent eine theoretische gewichtsbezogene spezifische Energie von 26,8 Ah · 1,32 V / 0,1651 kg = 214,3 Wh/kg berechnen. Praktisch erzielen leistungsoptimierte Zellen unter 45 Wh/kg, energieoptimierte Zellen bis zu 85 Wh/kg. Die Zellspannung ist der des Ni-Cd-Systems sehr ähnlich. Die Reaktionen bei Überladen sind Sauerstoffentwicklung an der positiven Elektrode und Sauerstoffverzehr an der negativen Elektrode: Positive Elektrode: 4 OH– ˇ O2 + 2 H2O + 4 e–, U0 = +0,401 V

(4.11)

Negative Elektrode: O2 + 2 H2O + 4 e– ˇ 4 OH–. U0 = –0,829 V

(4.12)

Gesamt: U0 = +1,230 V Zellspannung: 1,5 V Die Reaktionen sind völlig symmetrisch. Voraussetzung dafür, dass der Sauerstoffkreislauf funktioniert, ist die entsprechende Überdimensionierung der Kapazität der negativen Elektrode. In diesem Fall ist die

4.5 Batterien und Energiespeicher

265

Zelle auch in begrenztem Umfang tiefentlade- und umpolfest, allerdings über einen Wasserstoffkreislauf: Positive Elektrode: 2 H2O + 2 e– ˇ H2 + 2 OH– , U0 = –0,829 V

(4.13)

Negative Elektrode: H2 + 2 OH– ˇ 2 H2O + 2 e–. U0 = –0,829 V

(4.14)

Gesamt: U0 = 0,00 V Zellspannung: –0,3 V An der umgepolten positiven Elektrode entwickelter Wasserstoff wird an der negativen Elektrode zu Wasser oxidiert. Die Abweichungen der gemessenen Zellspannung von den theoretischen Spannungen kommen durch Polarisation und Mischpotentiale zustande. Die negative Elektrode hat somit sowohl eine Speicherfunktion für Wasserstoff im normalen Lade- und Entladebetrieb (Reaktion (4.10)), als auch eine Katalysatorfunktion im Fall des Überladens und des Umpolens: Durch den Separator antransportierter Sauerstoff bzw. Wasserstoff wird an der elektrolytfeuchten Oberfläche der negativen Elektrode zu OH– reduziert (Reaktion (4.12)) bzw. zu Wasser oxidiert (Reaktion (4.14)). An der positiven Elektrode laufen neben der normalen Lade- und Entladereaktion (4.9) die mit Sauerstoffentwicklung verbundene Überladereaktion (4.11) und die mit Wasserstoffentwicklung verbundene Umpolreaktion (4.14) ab.

4.5.4.2 Stand der Technik

Den Stand der Technik für Hochleistungs- und Hochenergiezellen zeigt Tabelle 4-15. 4.5.4.3 Zellendesign

Die Überdimensionierung der negativen Elektrode (siehe Bild 4-119) muss für alle Betriebsbereiche aufrechterhalten werden. Dabei sind Temperatur- und Belastungsverhalten der beiden Elektroden zu berücksichtigen. Bei niedrigen Temperaturen und hohen Entladeraten wird die negative Elektrode begrenzend und bestimmt damit den zulässigen Betriebsbereich der Zelle. Hydrid-Speicherelektrode Wasserstoff-Gleichgewichtsdruck und Korrosionsstabilität der Hydrid-Speicherelektroden lassen sich durch Legierungszusätze beeinflussen. Die Hydrierung der Legierung ist mit Volumenzunahme verbunden. Bei vollständiger Ladung und Entladung beträgt die Volumenänderung etwa 15 – 20 %, je nach Zusammensetzung. Zyklische Hydrierung und Dehydrierung führt durch die mechanische Beanspruchung zum Zerkleinern der Legierung, was verfahrenstechnisch genutzt wird. Gleichzeitig ist dies auch der bestimmende Alterungsmechanismus in der Zelle bei Entladetiefen über 10 %. Im Zuge der Hydridbildung entsteht eine nach innen wachsende ȕ-AB5Hx–Schicht an der Oberfläche der Speicherlegierung. Die Dehydrierung beginnt ebenfalls an der Oberfläche, nur wächst nunmehr die dehydrierte Į-AB5–Schicht nach innen (Bild 4-120).

Tabelle 4-15: Daten von NiMH-Zellen (SOC Ladezustand, state of charge, DOD Entladezustand, depth of discharge; jeweils ausgedrückt in Prozent des vollen Lade- oder Entladezustandes) Eigenschaft bei

Hochenergie-Zellen

Hochleistungs-Zellen

Spezifische Energie bei 25 °C – gewichtsbezogen

75 Wh/kg

45 Wh/kg

– volumenbezogen

180 Wh/l

125 Wh/l

Spezifische Leistung bei 25 °C – gewichtsbezogen

250 W/kg

750/1000 W/kg (50 % SOC)

– volumenbezogen

600 W/l

2100/2800 W/l

Zyklenlebensdauer

> 2500 bei 100 % DOD

> 300 000 bei r 3 % DOD

Kalendarische Lebensdauer

> 12 Jahre

> 12 Jahre

Selbstentladung (bei 25 °C)

20 – 30 % pro Monat (25 °C)

20 – 30 % pro Monat (25 °C)

18 s Pulslast Laden/Entladen

Temperaturbereich – in Funktion

–10 bis +60 °C

– außer Betrieb/Lagerung

–30 bis +70 °C

266

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-119: Elektrodenauslegung in NiMH-Zellen: a) zur Überlade-, b) zur Umpolsicherheit; SOC: Ladezustand

Bild 4-120: a) Zusammensetzung einer Wasserstoff-Speicherlegierung in Abhängigkeit von H2-Druck und Temperatur T (schematisch); der Stabilitätsbereich des Hydrids ist schraffiert dargestellt mit von T3 über T2 und T1 abnehmender Umgebungstemperatur; b) schematischer Reaktionsablauf

Die strichlierte Linie zeigt den Stabilitätsbereich des Hydrids. Mit steigender Temperatur nehmen der Wasserstoff-Gleichgewichtsdruck und damit der Zellinnendruck zu, was bei Betrieb außerhalb der Spezifikation zum Ansprechen des Sicherheitsventils führen kann. Die Kapazität nimmt mit steigender Temperatur ab. Unter den Legierungsbestandteilen ist die Rolle von Kobalt interessant: es verringert die Volumenarbeit und damit die Alterung, trägt aber auch zu höheren Kosten bei. Wegen der guten Leitfähigkeit der Legierung können die Elektroden einfach z.B. durch Aufwalzen von mit Polytetrafluorethylen-Fasern (PTFE), einem chemisch stabilen Elastomer, gebundenen Legierungskörnern auf geeignete Stromableitergerüste hergestellt werden (Bild 4-121). Bild 4-121: Mit Polytetrafluorethylen-Fasern oder Fibriden (helle, fadenförmige Gebilde) gebundene Wasserstoff-Speicherelektrode [Quelle: Hoppecke]

4.5 Batterien und Energiespeicher

267

Bild 4-122: Reaktionsschema der Nickeloxid-Elektrode („Bode-Diagramm“) sowie Struktur und Volumina der Phasen (schematisch); die Volumenänderung ist auf das Volumen 'Vvon ȕ-Ni(OH)2 bezogen

Positive Elektrode ȕ-Ni(OH)2, Į-Ni(OH)2, ȕ-NiOOH und Ȗ-NiOOH gelten als die zwei- bzw. dreiwertigen Modellphasen der Nickeloxidelektrode. Alle Phasen haben Schichtstruktur, wobei der Abstand zwischen den Schichten der ȕ-Ni(OH)2-Phase nur 4,6 Å gegenüber dem der hydratisierten Į-Ni(OH)2-Phase von 8 Å beträgt. Die Elektrodenmasse ist allerdings weitgehend amorph. Nach dem Reaktionsschema von Bode geht die hydratisierte Į-Phase bei Lagerung in KOH in die dehydratisierte ȕ-Phase über. Die normale Lade- und Entladereaktion läuft über die ȕ-Ni+2(OH)2- und ȕNi+3OOH-Phasen ab. Bei Überladen von ȕ-NiOOH

in konz. KOH entsteht Ȗ-NiOOH, das sich zu ĮNi(OH)2 entladen lässt. Im „Bode-Diagramm“ in Bild 4-122 sind die relativen Volumenänderungen der Phasen (vorliegendes Volumen bezogen auf das Volumen von ȕ-Ni(OH)2) vermerkt. Für hohe Zyklenlebensdauer ist die Lade- und Entladereaktion im Bereich der homogenen ȕ-Phasen als Festkörperreaktion erforderlich. Eine Stabilisierung der ȕ-Phasen wird durch Co(OH)2 als Additiv zur positiven Masse (3 – 6 Gewichtsprozent) erreicht [15]. Die Fertigung kann nach verschiedenen Verfahren erfolgen (siehe Tabelle 4-16 und Bild 4-123). Für hochbelastbare Zellen sind Taschenplattenelektroden nicht geeignet.

Bild 4-123: Sinter- und Schaumgerüste sowie imprägnierte Elektroden: a) Nickel-Schaumgerüst, b) Massenpaste der Schaumgerüste; c) Sinterelektrodengerüst, d) Imprägnierte Sinterelektrode; Maßstab a) abweichend [Quelle: ZSW]

268

4 Bordnetz und Vernetzung

Tabelle 4-16: Elektrodensubstrate und Imprägnier-Verfahren, PAN Polyacrylnitril, PTFE Polytetrafluorethylen Masseträger

Porosität des Substrats

Porengröße des Substrats

Füllverfahren

Taschenplatte

nicht anzugeben, (AktivmassenPressling wird von Lochblechstreifen aus Stahl eingeschlossen), Masse-Porosität | 33 %

nicht anzugeben

Ni(OH)2, C- und Ni-Flitter werden als Pressling vorgeformt, nur für niedrige Entladeraten und prismatische Zellen

Faserverbund-Gerüst (PP, Ni)

80 – 90 %

25 Pm

Vibrationsfüllung mit wässriger Massenpaste, für niedrige bis hohe Entladeraten, nur prismatische Zellen

Nickel-Schaumgerüst auf Basis von PANSchaum, Kunststoff pyrolysiert

92 – 95 %

200 Pm

Pastenfüllung mittels Walze oder Rakel, hohe Entladeraten (kleine Zellen)

Sinterplatten aus Carbonylnickel

70 – 75 %

5 Pm

Chemische oder elektro-chemische Fällung aus Lösung, hohe Entladeraten

Kunststoffgebundene Aktivmassen

nicht anzugeben, Aktivmasse wird durch PTFE-Fibride gebunden, Masse-Porosität | 33 %

nicht anzugeben

Aufwalzen mit PTFE-Suspension verkneteter Aktivmasse (Wasser oder Mineralöl als Fluid) auf Streckmetallsubstrat, mittlere Entladeraten

Für hochbelastbare Zellen, z.B. für Hybridanwendungen, werden Sinter- oder Schaumgerüstelektroden bevorzugt. Die Leitfähigkeit der hoch porösen Schaumgerüste muss bei größeren Elektrodendimensionen allerdings durch zusätzliche Nickelstromableiter unterstützt werden. Durch Ni(OH)2–Material hoher Schüttdichte gelang es, den Füllungsgrad der positiven Elektroden zu vergrößern und damit auch die Kapazität der Zellen. Dies kann aber wegen stärkerer Volumen-änderungen zu verringerter Zyklenfestigkeit führen, was für Hybridanwendungen nicht hinnehmbar ist. Separatoren Üblich sind Faservliese aus Polyamid (PA) oder Polypropylen (PP). Polyamid ist besser benetzbar, aber im Kontakt mit der positiven Elektrode weniger oxidationsstabil. Polypropylen-Fasern benötigen Netzmittel oder eine hydrophilisierende Oberflächenbehandlung.

Besonders kritisch ist die Elektrolytfüllung des Separators: Sie muss für gute Leitfähigkeit ausreichen, im Überladefall freie Poren für den Sauerstofftransport von der positiven zur negativen Elektrode ermöglichen, aber auch Reserven für Legierungskorrosion, Hydrolyse des Separators und Alterung der positiven Elektrode (Ȗ-NiOOH-Bildung bei Überladen) aufweisen. Bauweise Zylindrische Zellen sind zur Aufnahme eines höheren Betriebsdrucks geeignet. Die Elementbildung durch Aufwickeln übereinander liegender Bänder aus Separator, positiver Elektrode, Separator und negativer Elektrode ist kostengünstiger herzustellen als durch Aufschichten der Einzelkomponenten zu prismatischen Stapeln. Die Stromtragfähigkeit des Wickels limitiert die Zellenkapazität zylindrischer Zellen auf etwa 30 Ah.

Bild 4-124: NiMH-Module der Prius-Batterie: a) zylindrische Bauweise (alt): 43 Wh/kg, 126,5 Wh/l, 550 W/kg; b) prismatische Bauweise (neu): 45 Wh/kg, 73,5 Wh/l, 1250 W/kg; c) Toyota-Prius-Batterie mit primatischen Modulen

4.5 Batterien und Energiespeicher Prismatische Zellen können keinem hohen Betriebsdruck standhalten. Der Aufbau der Elemente ist aufwendiger, der mechanische Druck auf das Zellenpaket im Betrieb u.U. gleichmäßiger und die Dimensionierung der Stromableiter einfacher. Die Packungsdichte der prismatischen Module in der Batterie ist günstiger und wiegt den Nachteil der geringeren Energiedichte auf. Für die Hybridfahrzeugbatterien ging Panasonic Electric Vehicle Energy Co. (PEVE) von Modulen aus zylindrischen Zellen auf prismatische Zellen über (Bild 4-124), zunächst mit Kunststoffgehäusen, neuerdings mit Metallgehäusen, während Sanyo, als zweiter bedeutender Hersteller für NiMH-Hybridfahrzeugbatterien, bei Modulen aus zylindrischen Zellen blieb. 4.5.4.4 Betriebs- und Alterungsverhalten

Das Betriebsverhalten ist im spezifizierten Leistungsund Temperaturbereich weitgehend durch die positive, kapazitätsbegrenzende Elektrode gekennzeichnet. Die Spannungshysterese beim Laden und Entladen (Bild 4-125) ist eine Eigenschaft der positiven Elektrode und bedingt einen schlechteren EnergieWirkungsgrad (Verhältnis der entnommenen zu den eingeladenen Wattstunden), verglichen z.B. mit dem Bleiakku. Die Ladungsannahme ist bei einstündigem Ladestrom höher als bei zehnstündiger Ladung. Entsprechend muss der Ladefaktor (Verhältnis der eingeladenen zur entnommenen Strommenge; Kehrwert ist der Ah-Ladewirkungsgrad) bei niedrigen Laderaten höher gewählt werden. Er liegt für Vollzyklen typisch zwischen 1,10 und 1,03. Der beste Wirkungsgrad wird bei etwa 10 °C erreicht. Abhängig von der Zusammensetzung der positiven Elektroden und von den Elektrolytzusätzen nimmt die Ladungsannahme über 35 °C deutlich ab, die Selbstentladung dagegen zu.

269 Im Prinzip ist der NiMH-Akkumulator langlebig, sicher, leistungsfähig und zyklenfest. Daher ist er als Hybridfahrzeugbatterie prädestiniert. Einige Grundregeln bei seiner Behandlung müssen jedoch beachtet werden. Im Fahrzeug übernimmt diese Aufgabe das Batteriemanagement. Eine Lagerung bei einer Spannung unter 0,9 V pro Zelle ist zu vermeiden, weil dann CoOOH, das die Leitfähigkeit der positiven Masse sicherstellt, zu schlecht leitenden Verbindungen reduziert wird. Bei dauernder Zyklisierung im Teilentladebereich kann der bekannte Memoryeffekt (Bild 4-126) auftreten, der ein Absinken der Entladespannung bewirkt. Er ist durch eine Volladung zu beheben. Durch gelegentliches Volladen kann auch eine Kapazitätsangleichung der Zellen nach längerer Betriebsdauer erreicht werden, wenn unterschiedliche Selbstentladung zu unterschiedlichen Ladezuständen geführt hat. Massives Überladen ist wegen der Bildung von Ȗ-NiOOH zu vermeiden, weil es zu Quellung der positiven Elektrode, Verringerung der verfügbaren Elektrolytmenge und Auspressen von Elektrolyt aus dem Separator führt. Im Zyklenbetrieb dominiert als Alterungsmechanismus jedoch das Aufbrechen der negativen Speicherlegierung unter Oberflächenvergrößerung und Korrosion sowie Absorption von Elektrolyt. Dadurch wird der Separator in vermehrtem Ausmaß ausgequetscht und trocknet schließlich nahezu aus. Als Folge steigt der Widerstand, die notwendige Überlade- und Umpol-Reserve wird verringert und die Zelle fällt letztlich hochohmig aus. Bei Entladetiefen unter 10 % spielt offenbar die Volumenarbeit der Elektroden bei der Alterung keine Rolle mehr; so werden bei 3 % Entladetiefe nahezu eine halbe Million Zyklen erreicht (Bild 4-127).

Bild 4-125: Hysterese der Ruhespannung einer NiMH-Zelle beim Laden und Entladen [Quelle: ZSW]

270

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-126: Ausbildung (a) und Abbau (b) des Memory-Effekts an einer NiMH-Zelle; DOD bezeichnet den Entladezustand [Quelle: ZSW]

Bild 4-127: Alterungsverhalten von zylindrischen 6,5-Ah-NiMHZellen bei Zyklenbelastung [Quelle: Varta]

Sicherheit Gegen elektrische Fehlbehandlung ist die NiMHZelle in weiten Grenzen inhärent sicher. Zur Beurteilung von Fehlfunktionen genügt eine Spannungsüberwachung von Modulen aus bis zu 12 Zellen. Fehler wie Überladen oder Übertemperaturen müssen durch das Batteriemanagement abgefangen werden. Zellinterner Kurzschluss sowie (bei Fehlfunktion des Batteriemanagements) begrenztes Überladen sind ebenfalls unkritisch. Gegen Deformation und Einwirkung von Feuer von außen (als Folge eines Unfalls) schützen das Batteriegehäuse und ein möglichst Crash-sicherer Einbau im Fahrzeug.

4.5.5 Lithium-Ionen-Batterien Lithium-Batteriesysteme haben die Voraussetzung für höchsten massebezogenen Energieinhalt: Li hat das negativste Normalpotential von –3,05 V gegen Was-

serstoff, das niedrigste Atomgewicht aller Metalle und eine geringe Dichte von 0,534 g/cm3. Es lässt sich mit einer Vielzahl von Kathodenmaterialien zu 2-, 3- und 4-V-Systemen kombinieren, vorzugsweise mit solchen Oxiden und Sulfiden, die mit Lithium Einlagerungsverbindungen bilden (Bild 4-128). Voraussetzung ist allerdings ein nichtwässriger Elektrolyt mit ausreichend großem Stabilitätsfenster, das ist ein Spannungsbereich, in dem der Elektrolyt, also Leitsalz und Lösemittel, chemisch nicht mit Zellkomponenten reagiert. Der hohe Energieinhalt und die Reaktivität sowie der niedrige Schmelzpunkt von 180 °C bedingen jedoch auch Risiken. Seit etwa 1965 wurde intensiv an der Entwicklung von aufladbaren Lithiumbatterien gearbeitet. Folgende Schritte führten letztlich zu einer erfolgreichen Darstellung von Gerätebatterien, die 1991 eingeführt und seitdem in zunehmender Zahl produziert werden:

4.5 Batterien und Energiespeicher

271

Bild 4-128: 3- und 4-V-Lithium-Ionensysteme

1. Die Phlegmatisierung der Li-Elektrode. Sie gelang durch Entwicklung von Interkalationsverbindungen für Lithium, von denen bisher Kohlenstoff den besten Kompromiss aller Eigenschaften zeigte. Das Elektrodenpotential ist nur wenig positiver als das von Lithium-Metall, und Graphit kann Li bis zur Zusammensetzung LiC6 aufnehmen. 2. Elektrolyte mit ausreichendem Stabilitätsfenster. Mischungen organischer Carbonate und Ester als Lösemittel mit LiPF6 als Leitsalz und Additiven zur Beeinflussung der Eigenschaften der Elektroden-Grenzschichten (Solid Electrolyte Interface, SEI) als Überladeschutz sowie als Entflammbarkeits-Hemmer erfüllen die Anforderungen. 3. Separatoren, die dünn, frei von durchgehenden Löchern (pinholes), und oxidationsstabil im Kontakt mit den positiven Elektroden sind. Üblich sind mikroporöse Folien aus Polyolefinen (Polyethylen, Polypropylen) von etwa 25 Pm Dicke. 4. Fertigungsverfahren für dünne (30 bis 100 Pm) Schichten aktiver positiver Massen, um Nachteile der schlechten Leitfähigkeit zu kompensieren und hohe Leistung zu erzielen. Wegen ihrer überlegenen Eigenschaften verdrängen LiIonen-Batterien zunehmend NiMH-Zellen im Markt der Konsumentenbatterien. Die fortschreitende Materialentwicklung bietet gute Aussichten zur Verbesserung von Sicherheit, Energieinhalt, Leistung und Kosten auf Zellebene und kann in eine existierende, ausgereifte Fertigungstechnik eingebracht werden.

4.5.5.1 Elektrochemie

Für eine typische Zelle nach dem Stand der Technik lässt sich folgende Gesamtreaktion angeben: 2 LiMO2 + 6 C l 2 Li0,5 MO2 + LiC6 , 2 × 97,9 g + 72 g = 267,8 g U0 = 4,2 V mit U0 als Ruhespannung in voll geladenem Zustand. Als theoretischen Energieinhalt erhält man 420 Wh/kg bei Annahme von Kobalt als M (alternative Metalle wie Ni oder Mn haben ähnliches Atomgewicht), 0,5 e– Umsatz pro Mol Kathode und einer Ruhespannung von 4,2 V, wie in der Gleichung für die Gesamtreaktion angegeben. Die Elektrodenreaktionen sind: Positive Elektrode: LiMO2 l Li1–x MO2 + x Li+ + x e–

(4.15)

Negative Elektrode: x Li+ + 6 C + x e– l LixC6

(4.16)

Gesamt: LiMO2 + 6 C l Li1–x MO2 + LixC6

(4.17)

Positive und negative Elektrode sind sogenannte Interkalations- oder Einlagerungs-Elektroden. Bei Entladung ist die negative Elektrode die Li+-Ionenquelle, die positive Elektrode die Senke. Die Zellspannung ist die Differenz des chemischen Potentials von Lithium in den beiden Elektroden.

272

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-129: Funktionsprinzip der Li-IonenZellen (schematisch); SEI: Elektroden-Grenzschicht

Bei Eintritt oder Austritt von Li+ in das Wirtsgitter wird zur Aufrechterhaltung der Elektroneutralität ein Elektron e– zugeführt oder abgegeben. Die Ladungsspeicherung erfolgt durch die Redox-Reaktion im Wirtsgitter für das Li+-Ion (siehe Bild 4-129). Die Stabilität der Wirtsgitter begrenzt die Aufnahmefähigkeit für Li+-Ionen. Man beachte, dass metallisches Lithium in Li-Ionen-Zellen nicht vorhanden ist. Eine Besonderheit ist die Passivschicht (Solid Electrolyte Interface, SEI) an der negativen Elektrode. Sie ist für die Anwendungseigenschaften wichtig (siehe Abschnitt 4.5.5.3). Im Unterschied zu Zellen mit wässrigen Elektrolyten fehlen bei Überladen oder Umpolen reversible Ersatzreaktionen, die Ladung aufnehmen und in Wärme umwandeln könnten. Nach dem Ausschöpfen der Zellreaktion erfolgt eine Elektrolytzersetzung, die verhindert werden muss. Dies erfolgt durch Begren-

zen der Lade- und Entladespannung jeder einzelnen Zelle. Es erfordert daher die elektrische Überwachung aller Einzelzellen. Versuche, die Zellchemie überladesicher zu gestalten, waren bisher erst ansatzweise erfolgreich. 4.5.5.2 Stand der Technik

Charakteristische Eigenschaften der Li-Ionen-Zellen nach dem Stand der Technik sind in Tabelle 4-17 aufgeführt. Die Daten gelten für neue Zellen, nicht für Module oder für das Batteriesystem. Herausragend im Vergleich zu anderen Batteriesystemen sind die hohe spezifische Energie und, für Hybride interessant, die hohe spezifische Leistung. Sie beträgt selbst bei –25 °C noch etwa 25 % der Leistung bei 25 °C.

Tabelle 4-17: Eigenschaften aktueller Li-Ionen-Zellen; nach Ablauf der Lebensdauer fällt die Lebensdauer auf 80 % der Anfangskapazität ab oder die spezifizierten Leistungsanforderungen werden nicht mehr erfüllt Eigenschaft

Hochenergie-Zellen

Hochleistungs-Zellen

Spezifische Energie bei 25 °C – gewichtsbezogen

150 Wh/kg

65 Wh/kg

– volumenbezogen

300 Wh/l

130 Wh/l

Spezifische Leistung bei 25 °C – gewichtsbezogen

(30-s-Puls bei 50 % DOD)

(10-s-Puls, Laden/Entladen)

600 W/kg

1200 bis 1500 W/kg (50 % SOC)

– volumenbezogen

1200 W/l

2400 bis 3000 W/l

Zyklenlebensdauer

> 2000 bei 100 % DOD

> 300 000 bei r 3 % DOD

Kalendarische Lebensdauer

7 – 10 Jahre

7 – 10 Jahre

Selbstentladung (bei 25 °C)

2 – 3 % pro Monat (25 °C)

bis

10 % pro Monat (55 °C)

Temperaturbereich – In Funktion

–25 bis +50 °C

–25 bis +50 °C

– Ohne Last

–30 bis +70 °C

–30 bis +70 °C

4.5 Batterien und Energiespeicher Im Batterieverbund benötigen Li-Ionenzellen wie Doppelschichtkondensatoren (siehe Abschnitt 4.5.3) ein Batteriemanagement mit Einzelzellen-Spannungsüberwachung und eine Schaltung für den Ladungsausgleich zwischen den Zellen, die durch unterschiedliche Selbstentladung differierende Ladezustände aufweisen können. Gleichmäßige Temperierung der Zellen sorgt für einen verbesserten Gleichlauf der Zellen. Verpackungsfaktoren, die für Batteriegehäuse, elektrisches und thermisches Management angesetzt werden müssen, liegen volumenbezogen zwischen 1,5 und 2; gewichtsbezogen zwischen 1,3 bis 1,6. Für die Batterieauslegung ist zu berücksichtigen, dass die geforderten Leistungen zu Ende der Lebensdauer noch erfüllt werden müssen.

4.5.5.3 Zellenkomponenten

Zellen nach dem Stand der Technik bestehen aus folgenden Komponenten: 1. Negative Elektroden aus Kohlenstoff (synthetischer Graphit, Naturgraphit, „hard carbon“), in den bei erstmaligem Laden Li-Ionen eingebaut werden. Er wird in dünner Schicht mit Binder und Ruß als Leitmaterial auf eine Kupfer-Folie als Stromableiter aufgetragen. 2. Mikroporöse Separatorfolien aus Polypropylen und Polyethylen, die meist als „Shut-DownSeparator“ ausgebildet sind. Bei Temperaturen über 135 °C schmilzt die Polyethylen-Schicht und unterbricht den Ionentransport. Der Separator wirkt so als zellinternes Sicherheitselement. 3. Elektrolyt aus einem Lösemittelgemisch von Ethylencarbonat (EC), Propylencarbonat (PC), Ethylmethylcarbonat (EMC), Dimethylcarbonat (DMC), Diethylcarbonat (DEC) und anderen, einem darin gelösten Leitsalz, vorzugsweise LiPF6, und funktionellen Zusätzen. 4. Positive Elektroden aus lithiierten Übergangsmetalloxiden auf einer Aluminium-Folie als Ableiter. Für Konsumentenzellen wird meist noch LiCoO2 eingesetzt. Es ist reproduzierbar herzustellen, bietet einen akzeptablen Kompromiss aus spezifischer Kapazität und Leistung, muss jedoch für zukünftige kostensensitive Anwendungen ersetzt werden. Negative Elektrode In den ersten kommerziellen Li-Ionen-Zellen wurde Petrolkoks als Interkalations-Anode verwendet. Das Wirtsmaterial wurde inzwischen in Bezug auf Speichereigenschaften und Kosten vielfach optimiert. Wichtige Eigenschaften sind reversible und irreversible Li-Aufnahme, in der sich polykristalline, graphitische Materialien mit unterschiedlich geordneten Strukturen und „hard carbon“, nicht graphitierbare

273 Kohle, unterscheiden. Physikalische Eigenschaften und Gebrauchseigenschaften sind schwierig zuzuordnen. In geladenem Zustand liegt Lithium als Ion, nicht in metallischer Form im Graphitgitter vor; trotz des nur etwa 50 bis 100 mV negativeren Abscheidungspotentials von Li-Metall (Bild 4-128) wird die Bildung metallischer Dendriten, spießähnlicher Abscheidungen von Lithium, bei nur geringer Spannungseinbuße gegenüber Li-Metall vermieden. Daran ist die Passivschicht (SEI) maßgeblich beteiligt, die sich durch Reduktion des Lösemittels des Elektrolyten bildet. Grenzfläche zwischen Elektrode und Elektrolyt Die Grenzschicht an der Grenzfläche der negativen Elektrode zum Elektrolyten (Solid Electrolyte Interface SEI) entsteht bei der Erstladung der Zelle. Ihre Entstehung kann nicht verhindert werden, die Eigenschaften sind aber durch den Elektrolyten beeinflussbar. Da die Li-Ionen durch die Grenzschicht hindurch müssen, trägt sie durch Erhöhung des Innenwiderstandes wesentlich zur Zellcharakteristik bei und bestimmt Leistung, Alterung und Sicherheit der Zelle mit. Zum Aufbaumechanismus der Grenzschicht gibt es unterschiedliche Vorstellungen [16], [17]. Als Passivschicht ist sie nicht elektronenleitend, jedoch porös und ionenleitend als Voraussetzung für den LiIonentransport, erhöht aber den Zellenwiderstand, und besteht aus einem Partikel-Mosaik von Li2O, LiF, Li2CO3 und organischen Zersetzungsprodukten von Lösemittelmolekülen, die bei dem Miteinbau solvatisierter, d.h. von Lösemittelmolekülen umgebener Li+-Ionen entstehen können. Die Schichtbildung ist durch geeignete Additive, also funktionale Zusätze, zu manipulieren. Die Grenzschicht ist maßgebend für das Funktionieren der reaktiven Anode, indem sie eine weitere Reaktion des Li+ und damit dessen Verbrauch verhindert, und bildet eine Sicherheitsbarriere an der Anode. Sie ist aber auch maßgeblich an der Alterung der Zelle beteiligt. Elektrolyt Der Elektrolyt [18] besteht aus den bereits genannten Lösemittelgemischen und Leitsalz. Von den Lösemitteln wird gutes Lösevermögen, chemische Stabilität gegen die Arbeitselektroden, niedrige Viskosität, ein hoher Flammpunkt, niedriger Schmelzpunkt und hoher Siedepunkt erwartet, sie sollen ferner nicht toxisch und kostengünstig sein. Ein einzelnes Lösemittel kann nicht alle Anforderungen erfüllen, was zu den erwähnten Gemischen von Ethylencarbonat, Propylencarbonat, Dimethylcarbonat und anderen führt. Das Leitsalz muss unter den Zellenbedingungen stabil, vollständig gelöst und dissoziiert sein und + eine gute Beweglichkeit des solvatisierten Li -Ions ermöglichen. LiPF6 bietet in der Summe seiner Eigenschaften den besten Kompromiss, trotz seiner

274 Empfindlichkeit gegen Feuchtigkeit und hohe Temperaturen. Hochreine Lösemittel und Leitsalze sind erforderlich, um Nebenreaktionen zwischen Aktivmaterialien und Elektrolyt zu vermeiden. Insbesondere Spuren von Wasser und Flusssäure (HF) führen zu einer Abnahme der Lebensdauer. Erst die industrielle Herstellung von reinem LiPF6 in Japan ermöglichte die kommerzielle Produktion von Li-Ionenzellen. Die Leitfähigkeit beträgt typisch 5 mS/cm bei Raumtemperatur. Additive, die in geringen Konzentrationen den Lösemittelgemischen zugegeben werden, erfüllen verschiedene Aufgaben. Sie beeinflussen die Bildung der Grenzschicht, verringern die Entflammbarkeit oder können Löslichkeit und Leitfähigkeit oder die Überladesicherheit verbessern. Solche Additive enthaltende Elektrolyte werden deshalb auch Funktionselektrolyte genannt. Polymer-Elektrolyte Die unter der Bezeichnung Li-Polymer im Handel befindlichen Zellen enthalten keinen echten Polymerelektrolyten, sondern eine Polymerstruktur, in der flüssiger Elektrolyt als Gel enthalten ist (Bild 4-130).

Bild 4-130: Aufbau eines Li-Ionen-Zell-Elements mit GelPolymer-Elektrolyt

Der Gel-Elektrolyt besteht aus zwei Komponenten und ersetzt den flüssigen Elektrolyten und den Separator. Polymerkomponenten sind z.B. Polyvinylidenfluorid (PVdF), Polymethylmethacrylat (PMMA),

4 Bordnetz und Vernetzung Polyacrylnitril (PAN); als flüssige Komponenten werden weitgehend die konventionellen Elektrolyte verwendet. Sie haben daher auch einen ähnlichen Leitwert wie Flüssigelektrolyte. Zur Sicherheit kann die Gelschicht auf Separator-Membranen aufgetragen werden. Damit lässt sich die Elektrolytschichtdicke verringern und die „Shut-Down-Funktion“ implementieren. Gel-Polymer-Elektrolyte lassen sich besonders einfach in sogenannte „Coffee-Bag-Zellen“ integrieren (Bild 4-132), das sind Zellen mit Folienhüllen ähnlich vakuumverpacktem Kaffee als Gehäuse. Separatoren Vorzugsweise werden mikroporöse PolyolefinSeparatoren (Polyethylen und Polypropylen) verwendet, weil sie die notwendige chemische Stabilität im Kontakt mit den Elektroden zeigen und die Fertigungsverfahren sicher und etabliert sind [19]. Die Porosität liegt bei 30 – 50 %, die Porengröße bei 0,03 bis 0,5 Pm, die Dicke bei 20 bis 30 Pm. Für GelPolymerzellen werden bereits 9 Pm dicke Membranen gefertigt. Positive Elektrode Positive Elektroden [20] bestehen aus lithiierten Übergangsmetalloxiden als Aktivmasse, die mit Binder und Leitmittel auf Aluminium-Folie als Ableiter aufgetragen werden. Das zunächst eingesetzte LiCoO2 wird wegen seines hohen Preises zunehmend ersetzt. Bevorzugt sind einmal Schichtstruktur aufweisende, fremdmetallsubstituierte lithiierte Nickeloxide LiNiO2 mit der allgemeinen Zusammensetzung Li(Ni1-y-zCoyMz)O2 (M steht für Al, Mg, Mn). Sie weisen, verglichen mit LiCoO2, höhere Energiedichten, niedrigere Kosten und gute Zyklenstabilität auf. Eine Alternative könnten Spinelle auf Basis von lithiiertem Manganspinell LiMn2O4 werden (siehe Bild 4-131). Er ist kostengünstig, bietet höhere Sicherheit, hat jedoch eine niedrigere Energiedichte (–15 %) und niedrigere Lebensdauer als die vorher genannten positiven Massen.

Bild 4-131: Verlauf der Entladespannung und spezifische Kapazität von Kathodenmaterialien [20]; die Kapazität bezeichnet hier im Unterschied zu Kondensatoren die entnehmbare Ladungsmenge in mAh/g [Quelle: ZSW]

4.5 Batterien und Energiespeicher Bild 4-131 zeigt die Entladekurven der wichtigsten positiven Elektrodenmassen. Das Potential gegen die Li/Li+-Bezugselektrode ist nahezu gleich der Zellspannung. LiCoO2, wie kommerziell verwendet, ist das Bezugsmaterial. Substituierte gemischte Nickel-Kobaltoxide wie beispielsweise LiNi1-yzCoyAlzO2 weisen zwar eine etwas niedrigere Entladespannung auf, bieten aber eine ausgezeichnete spezifische Kapazität und Zyklenlebensdauer. Dies gilt auch für die gemischte symmetrische Verbindung Li(Ni0,34Co0,33Mn0,33)O2. Der lithiierte ManganSpinell LiMn2O4 hat bei hohem Ladezustand eine relativ stabile Struktur und geringe Löslichkeit. Die nutzbare Kapazität ist jedoch geringer als bei den Schichtstruktur-Oxiden. Unter den neuen Kathodenmaterialien sind Lithium-Vanadiumphosphat Li3V2(PO4)3 und vor allem Lithium-Eisenphosphat LiFePO4 aussichtsreiche Kandidaten. Sie sind potentiell kostengünstig. LiFePO4 und FePO4 als ge- und entladene Aktivmaterialien bilden ein Zweiphasensystem mit im Wesentlichen gleicher Struktur. Entsprechend der Gibbsschen Phasenregel zeigt es eine konstante Spannung über den gesamten Entladebereich [21]. Die Fertigungstechnik für Li-Ionenzellen ist bekannt und etabliert. Im Unterschied zu wässrigen Systemen sind Trockenräume erforderlich und die Herstellung dünner Masseschichten (30 bis 100 µm) erfolgt durch Rakeln (Auftragen von Pasten) oder Extrudieren. Ferner müssen die Wickeltechnik und das Teilen der dünnen Elektroden- und Separatorbahnen sowie die Anpassung der Materialien und Verfahren am Elektrolyt (Dichtungen, Verschließen) angepasst werden. 4.5.5.4 Zellendesign

Entsprechend den ersten Anwendungen für portable Geräte wurden zunächst Zellen für kleine Kapazitäten von etwa 0,3 bis 2 Ah entwickelt. Neben zylind-

275 rischen Zellen waren dies solche mit Foliengehäusen, insbesondere für Zellen mit Gelelektrolyt (Bild 4-132). Daneben gibt es noch prismatische Zellen mit dem klassischen Metallgehäuse. Vorteile der jeweiligen Bauart sind in Tabelle 4-18 aufgeführt. Tabelle 4-18: Vorteile zylindrischer und prismatischer Zellenbauformen Zylindrisch

Prismatisch

Einfache, sichere Fertigungstechnik (Elektrodenwickel)

Flache Bauweise

Druckfestes Gehäuse (40 bar) Definierter Öffnungsdruck der Berstscheibe

Bessere Wärmeabfuhr, gleichmäßige Temperaturverteilung Flexible Dimensionierung Einfacher Batterieaufbau

Zuverlässige Dichtheit

Schwachstellen der Foliengehäuse sind die Dichtheit der Gehäuse und der Poldurchführungen an den Schweißstellen gegen Wasserdampf, trotz mit Aluminium kaschierten Folien. Li-Ionenzellen bauen im Laufe ihres Lebens durch parasitäre Reaktionen Innendruck auf, der mit zylindrischen Gehäusen besser aufgefangen wird. Dies und der definierte Öffnungsdruck der Berstscheibe sind wesentliche Sicherheitselemente. Nachteile der zylindrischen Zellen sind hohe Temperaturgradienten in der Zelle und schlechte Packungsdichte im Batteriegehäuse. Sicherheit Wegen des Gefährdungspotentials durch den brennbaren Elektrolyten und die reaktiven Elektrodenmassen bei Missbrauch, Fehlfunktionen und Gewalteinwirkung muss bei der Entwicklung einer Fahrzeugbatterie die Sicherheit an erster Stelle stehen.

Bild 4-132: Lithium-Zellen: a) zylindrische Bauart und b) prismatisches Foliengehäuse („coffee-bag“)

276 Die Sicherheitsstrategie für Li-Ionen-Batterien baut Gefahren für Insassen und Umwelt mit mehrstufigen Barrieren vor: auf Zell-Niveau mit Auswahl der sichersten Chemie und der sichersten Zellengestaltung, auf Modul-Niveau, so vorhanden, mit Maßnahmen zum Vermeiden des Lawineneffekts, d.h. Entzünden weiterer Zellen bei Brand einer Zelle und auf BatterieNiveau mit dem Schutz der Zellen und der Batterie durch das Batterie-Management-System (BMS). Es verhindert elektrische und thermische Überlastung für den Fall, dass spezifizierte Betriebsbedingungen (zu hohe oder zu niedrige Einzelzellenspannung, Grenzströme, Grenztemperaturen) überschritten werden, und schaltet bei externem Kurzschluss oder bei Isolationsfehlern die Batterie ab. Bei Unfall oder Fehlfunktion des Batteriemanagementsystems bietet ein stabiles Batteriegehäuse Schutz sowohl für Zellen als auch für die Umwelt vor Feuer oder vor mechanischen Einwirkungen. Es muss daher für die Aufnahme mechanischer Kräfte von innen und außen (wegfliegende Zellenteile, Unfalleinwirkungen, Stoß, Fall), austretender Elektrolytflüssigkeiten oder -dämpfe und zur Beherrschung einer explosiven Atmosphäre durch Lösemitteldämpfe ausgelegt werden. Alterung Für den praktischen Gebrauch ist es wichtig, dass LiIonen-Zellen bei mittlerem Ladezustand am wenigsten altern. Bei hoher Zellspannung, die gut mit dem Ladezustand korreliert, tritt Elektrolytzersetzung, bei niedriger Spannung Ableiterkorrosion auf. Hohe Temperatur beschleunigt die Alterung und schadet insbesondere Zellen mit Mangan-Spinellen. Effekte der Zell-Alterung sind Verlust an verfügbaren Li+Ionen und Aktivmaterialien, was zu Kapazitätsverringerung und Widerstandserhöhung führt [22]. Ausblick Das Lithium-Ionen-System verfügt bereits heute im Vergleich zu anderen Batteriesystemen über die höchste spezifische Leistung und die höchste spezifische Energie. Neue Materialien haben ein großes Potenzial für eine Kostenreduzierung, für eine weitere Steigerung der spezifischen Energie und der Lebensdauer. Gegenüber alkalischen Zellen wird nur 1/3 der Anzahl von Zellen für die gleiche Spannung benötigt, was die Systemzuverlässigkeit erhöht. Herausforderungen sind die Beherrschung des komplexen Batteriesystems und der Aufbau einer Massenfertigung für große Batterien.

4.5.6 Anwendung elektrochemischer Speicher in Kraftfahrzeugen 4.5.6.1 Bordnetz

Die fahrzeugseitigen Anforderungen an Leistung und Energie im Bordnetz steigen ständig. Ursache ist die

4 Bordnetz und Vernetzung Zunahme der Komfortsysteme und die Umwandlung hydraulisch betätigter Dauerverbraucher in sparsamere elektrische, bedarfsgesteuerte Verbraucher, um einen Beitrag zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs und der Emissionen zu erreichen. Treiber dieser Entwicklung sind zum einen Kundenwünsche, zum anderen gesetzliche Auflagen und Konkurrenzdruck. Eine Liste bereits eingeführter und in Zukunft zu erwartender Aggregate zeigt Tabelle 4-19. Die Bordnetz-Durchschnittsleistung lag 1960 bei etwa 300 W und stieg nach 1990 auf 1,5 kW, was als Obergrenze für das 12-V Bordnetz angesehen wurde. Trotz weiter steigendem Leistungsbedarf, der in manchen Modellen bereits 3 kW übersteigt, wird das seitdem geplante und entwickelte 42-V-Bordnetz wegen seiner Komplexität und der Zusatzkosten derzeit nicht weiter verfolgt; sein Spannungsniveau ist gegebenenfalls für den elektrischen Antrieb gering hybridisierter Fahrzeuge interessant. Das 12-V-Bordnetz muss daher die gesteigerten Anforderungen bewältigen. Oberste Priorität im Bordnetz hat die Startsicherheit. Als Problem erweisen sich zunehmend wochenlange Standzeiten von Fahrzeugen, z.B. auf FlughafenParkplätzen. Die gelegentliche Aktivierung „schlafender“ Überwachungsfunktionen bei Inbetriebnahme von in der Umgebung parkenden Fahrzeugen kostet zusätzlich Energie, die über Verluste durch den Ruhestrom hinausgehen, und kann die Batterie nach 6 Wochen unter den auslegungsgemäßen Ladezustand von 50 % entladen. Die Bordnetzbatterie muss demnach einmal die Startleistung unter allen Umständen sicherstellen, die Ruhestromverbraucher ausreichend lang versorgen und die Differenz zwischen der Leistungsbilanz von Verbrauchern und Generator überbrücken. Nach Generatorausfall muss der Fahrzeugbetrieb aus der Batterie ebenfalls für kurze Zeit gewährleistet sein. Batterien können auf hohe Leistung oder hohen Energieinhalt optimiert werden, woraus sich je nach den Anforderungen Funktions- und Kostenvorteile erzielen lassen. Für erweiterte Funktionen (StoppStart, X-by-Wire) ist die Teilung des Bordnetzes in Energie- und Leistungsverbraucher sinnvoll. Die Startfunktion allein kann auch durch einen relativ kleinen Doppelschichtkondensator mit 300 bis 500 F dargestellt werden, der bei Bedarf aus einer schwachen Bordnetzbatterie geladen wird und die Startleistung dennoch sicher erbringt [23]. Für sicherheitskritische X-by-Wire-Systeme ist eine sichere Versorgung unabdingbar. Die Versorgung über Generator und Batterie ist zwar bereits redundant, doch wird für derartige Systeme eine weitere Rückfallebene gefordert. Hier existieren Lösungen mit 12- bis 14-Ah-Bleibatterien mit Überwachung von Ladezustand und Batterie-Lebensdaueranzeige oder mit Doppelschichtkondensatoren.

4.5 Batterien und Energiespeicher

277

Tabelle 4-19: Belastung heutiger und künftiger Bordnetze durch elektrische Aggregate Aggregat

Spitzenlast [W]

Scheinwerfer, Beleuchtung Elektr. Fensterheber

Dauer bis zur Einführung

Ziel

600

eingeführt

Sicherheit

700

eingeführt

Komfort

Heckscheibenheizung

1 500

eingeführt

Komfort

Elektr. Sitzverstellung

1 000

eingeführt

Komfort

Sitzheizung

500

eingeführt

Komfort

Elektr. Kühlerventilator

500

eingeführt

Verbrauchssenkung

Elektr. Wasserpumpe

500

eingeführt

Verbrauchssenkung

1 500

eingeführt

Verbrauchssenkung

Elektr. Zusatzheizung

3 000

eingeführt

Komfort

Frontscheibenheizung

1 500

eingeführt

Komfort

Katalysator-Vorheizung

2 000

eingeführt

Umweltverträglichkeit Umweltverträglichkeit

Elektr. Servolenkung

Elektr. Klimaanlage

3 500

1 – 3 Jahre

Elektromagnet. Ventilsteuerung

4 000

5 – 10 Jahre

Verbrauchssenkung

Elektrische Bremse

2 500

5 – 10 Jahre

Sicherheit

Elektrische Lenkung

1 500

5 – 10 Jahre

Sicherheit

12 000

5 – 10 Jahre

Sicherheit

Aktives Fahrwerk

Die neu eingeführten Aggregate belasten das Bordnetz vor allem mit hohen Lastspitzen. Die höhere Belastung, Temperatureinflüsse, X-by-Wire-Systeme und das kritischere Verhalten von verschlossenen Batterien empfiehlt den Einsatz von einfachen Batteriemanagementsystemen, die Temperatur und Ladezustand berücksichtigen. Mit der Stopp-Start-Funktion dürften die Grenzen des Bleiakkus hinsichtlich Zyklenlebensdauer und Ladungsdurchsatz erreicht sein. Weitere Anwendungen werden das Bordnetz in Bezug auf Ladungsdurchsatz und Entladezyklen noch stärker belasten. Sie erfordern zwingend die Verwendung verschlossener Batterien. Um den Verbrennungsmotor in eingekuppeltem Zustand zu starten und über Leerlaufdrehzahl zu beschleunigen, wurden zur Leistungsunterstützung in ähnlichen Bordnetzarchitekturen bereits Hochleistungs-

a)

b)

Li-Ionen-Batterien in kleiner Serie eingesetzt [24]. Für den Bleiakku ist eine integrierte Batteriesensorik (Spannung, Temperatur und nach Möglichkeit Strom), verbunden mit einem Batteriemanagement im ZweiBatterien-Bordnetz, Voraussetzung für verbesserte Lebensdauer. Integration in das Fahrzeug Die Batterie ist ein großes, schweres Bauteil, das zusätzlich nicht die üblichen fahrzeugspezifischen Temperatur-Anforderungen an mechanische oder elektrische Komponenten erfüllt. Daher muss ein geeigneter Raum im Fahrzeug gefunden werden. Motornahe Unterbringung hat den Vorteil kurzer Kabellängen und den Nachteil hoher thermischer Belastung (Bild 4-133).

c)

Bild 4-133: Anordnung von Batterien in Pkw in Hinblick auf die Temperaturbelastung: a) Kunststoff-Batteriebox im Motorraum eines Kleinwagens, b) hinter der Spritzwand im Motorraum eines Mittelklassefahrzeugs, c) unter dem Gepäckraum eines Kleinwagens (die Auspuffrohre sind beidseitig vorbeigeführt), nach [25]

278 Säurenebel treten im Normalfall bei verschlossenen Batterien nicht mehr auf. Eine Belüftung des Batterieraumes muss jedoch gewährleistet sein. Das Gefährdungspotential durch die Batterie (Funkenbildung, Säureaustritt, Masse) muss auch für den Crash-Fall berücksichtigt werden, beispielsweise durch Abtrennen des Bordnetzes mit einem einmal auslösenden, nicht wieder einschaltenden Sicherheitsschalter. Thermische Belastung Unter der Motorhaube treten im Sommer an der Batterie je nach Unterbringung Temperaturen von 70 bis 85 °C auf, die bei Betrieb in heißen Ländern zu einer Verkürzung der Lebensdauer führen. Alternative chemische Speichersysteme (Nicht-Blei-Systeme) haben meist Temperaturgrenzen von etwa 60 °C und benötigten somit aktive Kühlung. Mechanische Belastung, Vibration Im Pkw-Bereich liegt die Beanspruchung im Normalbetrieb bei Beschleunigungswerten von 2 – 3 g. Der normale Sitz des Plattenpakets im Gehäuse eines Starterakkus nimmt diese Kräfte auf. In Geländefahrzeugen, Baustellen-, landwirtschaftlich und militärisch genutzten Fahrzeugen können Beschleunigungen bis 15 g auftreten. Die Frequenzen liegen bei 10 – 30 Hz. Dafür muss zur Fixierung der Plattenpakete und zur Verstärkung der Gehäuse ein erheblicher Aufwand getrieben werden. Auch die Batteriehalterung im Fahrzeug muss an die auftretenden Kräfte angepasst werden. 4.5.6.2 Elektrochemische Speichersysteme für Hybridfahrzeuge

Elektrochemische Speicher sind eine Schlüsselkomponente des Hybridantriebsstranges [29]. Erst die Entwicklung langlebiger Hochleistungsspeicher mit einer spezifischen Leistung von mindestens 1 kW/kg machte den Einsatz im Hybrid sinnvoll, weil je nach Fahrzyklus der Mehrverbrauch durch das Zusatzgewicht der elektrischen Komponenten des Antriebsstranges, vorzugsweise das der Batterie, durch den besseren Wirkungsgrad des Antriebes überkompensiert wird. Lade- und Entladeraten von mindestens 10 CNA, besser von mehr als 20 CNA sind für Hybridfahrzeugbatterien erforderlich. Der Grad der Hybridisierung, d.h. der Größe der elektrischen Antriebsleistung bzw. deren Anteil an der gesamten Antriebsleistung, bestimmt die Effizienz des Antriebes. Mit der installierten elektrischen Leistung steigt die Möglichkeit zur Bremsenergierückgewinnung. Diese Rekuperationsleistung muss der Energiespeicher aufnehmen können. Die Ladungsannahme der Batterie hängt von ihrem Widerstand und der zulässigen Ladespannung ab. Naturgemäß kann eine Batterie bei hohem Ladezustand eine

4 Bordnetz und Vernetzung geringere Ladeleistung annehmen als bei niedrigem Ladezustand. Auslegungskriterien für Hybridbatterien Das United States Advanced Battery Consortium (USABC) hat im FreedomCAR-Programm Festlegungen getroffen (Tabelle 4-20), die die Spanne sinnvoller unterer und oberer Leistungsgrenzen und Energieanforderungen an Hybridbatterien gut abbilden. Elektrische Anforderungen Der Arbeitspunkt wird zweckmäßig bei einem Ladezustand von 50 – 60% liegen. Die Leistung und die bei dieser Leistung verfügbare Energie werden für den Fahrzeugantrieb festgelegt, für einen Vollhybrid typischerweise im Rahmen der Eckwerte in Tabelle 4-20. Eine Anleitung zur Auslegung der Batterie nach den gewählten Daten ist ebenfalls in [26] beschrieben. Dazu wird die Leistung der Batterie über der entnommenen Energie bei Lade- und Entladepulsen charakterisiert. Zusätzlich wird ein Leistungsverlust durch Alterung vorgehalten, so dass das Leistungsverhalten des Fahrzeugs über die Lebensdauer konstant bleibt. Die verfügbare Energie nimmt über der Lebensdauer ab, muss aber mindestens im gewählten Rahmen bleiben. Wirkungsgrad, Lebensdauer und Selbstentladung sind systemabhängig (vgl. Abschnitte 4.5.2 bis 4.5.5). Die FreedomCAR-Batteriespezifikationen leiten sich direkt von fixierten Hybridfahrzeug-Anforderungen ab. Die Leistung der als partiell emissionsfrei eingestuften Fahrzeuge (Partial Zero Emission Vehicle, PZEV), bestimmt die Bewertung für „Credits“, d.h. Gutschriften, die für den Verkauf konventioneller Fahrzeuge in Kalifornien erworben werden müssen. Nur für Hybridfahrzeuge mit einer Leistung über 10 kW und einer Traktionssystemspannung über 60 V gibt es ab 2012 noch Credits, vermehrte Credits bei Leistungen gleich oder größer als 50 kW. Thermische Anforderungen Hohe Temperatur fördert das Altern der Batterien sowohl im Zyklenbetrieb als bei Stillstandszeiten. Für Lebensdauertests wurden daher Temperaturprofile verschiedener Klimazonen festgelegt. Das USABC verwendet beispielsweise die extremen Profile von Buffalo und von Palm Springs (Tabelle 4-21). Da die Standzeiten im Fahrzeugbetrieb überwiegen, wobei nicht aktiv gekühlt werden kann, altert die Batterie überwiegend in diesen Standzeiten, speziell in heißen Klimazonen. Die Alterung durch die Anzahl der Zyklen tritt bei den geringen Entladetiefen üblicher Auslegungen dagegen in den Hintergrund. Im Betrieb sollte, unabhängig vom verwendeten Batteriesystem, eine Temperatur von 30 °C möglichst nicht überschritten werden.

4.5 Batterien und Energiespeicher

279

Tabelle 4-20: Anforderungen an die Batterie nach USABC [26] Eigenschaft

Einheit

Power-Assist (Minimum)

Power-Assist (Maximum)

Entladeleistung (10-s-Puls)

kW

25

40

Max. Ladepuls (10 s, Rekuperation)

kW

20 (55-Wh-Puls)

35 (97-Wh-Puls)

Gesamte verfügbare Energie (im Bereich der Entladetiefe, der die Leistungsanforderung bedienen kann)

kWh

0,3 (bei C1/1-Entladerate)

0,5 (bei C1/1-Entladerate)

Minimaler Gesamt-Energiewirkungsgrad

%

Kaltstartleistung bei –30 °C (drei 2-sStartimpulse, dazwischen 10 s Pause)

kW

Zyklen-Lebensdauer für spezifizierte Ladezustands-Inkremente

Zyklenzahl

90 (25-Wh-Zyklus)

90 (50-Wh-Zyklus)

5

7

300000

300000

25-Wh-Zyklen

50-Wh-Zyklen

(7,5 MWh Durchsatz)

(15 MWh Durchsatz)

Kalendarische Lebensdauer

Jahre

15

15

Höchstgewicht

kg

40

60

Maximalvolumen

l

32

45

Grenzen der Betriebsspannung

V

max. d 400 , min. t 0,55 Vmax

max. d 400 , min. t 0,55 Vmax

Maximal zulässige Selbstentladung

Wh pro Tag

50

50

Temperaturbereich: Arbeitsbereich zulässige Ruhetemperatur

°C

–30 bis +52 –46 bis +66

–30 bis +52 –46 bis +66

Serienpreis bei 100 000 Einheiten/Jahr

US $

500

800

Tabelle 4-21: Thermische Anforderungen an die Batterie nach USABC [27]; die Zahlenwerte geben die Prozent der Testdauer in den Temperaturbereichen verschiedener Klimate an; T ist die Temperatur Temperaturbereich

Batterien für alle Zonen

Nur heißes Klima

Nur kaltes Klima

Kalt T d –8 °C

10

–

10

Kühl –8 °C < T < 0 °C

15

–

15

Normal 20 °C r10 °C

50

50

60

Warm 30 °C < T < 38 °C

15

40

15

Heiß T t 38 °C

10

10

–

Aktive Kühlung ist erforderlich, weil sich bei den möglichen häufigen und hohen Lade- und Entladeraten die Batterie im Betrieb leicht unzulässig erwärmen kann. Die Kühlmitteltemperatur muss daher unter 30 °C liegen. In den bisher gebauten Fahrzeugen erbringt die Klimaanlage die Kühlleistung mit.

Bei Luftkühlung wird Zapfluft aus dem Passagierraum verwendet. Flüssigkühlung erfordert eine Erweiterung des Kühlkreislaufs der Klimaanlage. Sicherheit Sowohl bei auftretenden Fehlern als auch im Missbrauchsfall darf von der Batterie keine Gefahr ausgehen. Das Batteriemanagement muss jeden möglichen Fehler beherrschen, der während des Betriebs auftreten kann, z.B. internen oder externen Kurzschluss, thermische oder elektrische Überlastung oder Isolationsfehler. Bei Unfällen dürfen Passagiere und Umwelt durch die Batterie nicht zu Schaden kommen. Dies verlangt die Anordnung der Batterie in einer wenig crashgefährdeten Position im Fahrzeug. Meist ist dies der Bereich vor, über oder hinter der Hinterachse. Nach einem Standardcrash muss ein ausreichender Isolationswiderstand gewährleistet sein. Da die Batteriespannung über 60 V liegt, ist eine allpolige Abschaltung erforderlich. Das Batteriegehäuse schützt vor umherfliegenden Teilen und fängt toxische Substanzen auf. Zu den Sicherheitsanforderungen s.a. IEC 69. Sicherheitstests und Einstufungen der Ergebnisse sind in den entsprechenden EUCAR- [28] und USCAR-Sicherheitsvorschriften enthalten.

280

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-134: Blockdiagramm des Batteriesystems

Batteriemanagement Aufgaben des Batteriemanagementsystems (siehe Bild 4-134) sind Betriebsüberwachung und Wahrnehmen der Sicherheitsfunktionen, wie eben beschrieben. Zur Betriebsüberwachung gehört die Kontrolle von Batterie-, Zell- oder Modulspannung, von Zell-Temperatur und Temperaturverteilung, Leistungsprognose, die Einhaltung des Soll-Ladezustands, der Ladungsausgleich der Zellen sowie eine Bewertung des Alterungszustandes. Das Batteriemanagementsystem verfügt über die Algorithmen zur Erfüllung dieser Aufgaben und bekommt die dafür nötigen batterieseitigen Informationen von deren Sensorik (Spannung, Strom, Temperatur), die fahrzeugseitigen Informationen und Anforderungen aus dem HybridSteuergerät.

[11]

[12] [13] [14] [15] [16]

[17] [18]

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[19] [19] [20]

[21]

[22]

[23]

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wer Academic/Plenum Publishers, New York. ISBN 0-30645736-9, p. 21 A. Burke: Key Issues for the Implementation and Marketing of Ultracapacitors in Vehicle Applications. 14th International Seminar on Double-layer Capacitors and Hybrid Energy Storage, Deerfield Beach, Florida, December 6–8, 2004 H. Buchner: Energiespeicherung in Metallhydriden. Springer Verlag, Wien 1982 J. H. N. van Vucht, F. A. Kujipers, H. C. A. M. Bruning in: Philips Research Report 25 (1970) 133 S. R. Ovshinsky, M. A. Fetcenko, J. Ross in: Science 260 (1993) 176 A. K. Shukla, S. Venugopalan, B. H. Hariprakash in: J. Power Sources 100 (2001) 125–148 E. Peled in: J. Electrochem. Society 126 (1979), 2047; E. Peled, D. Golodnitzky, G. Ardel in: J. Electrochem. Society 144 (1997), L208 J. O. Besenhard, M. Winter, J. Yang, W. Biberacher in: J. Power Sources 54 (1993), 228 K. Xu: Nonaqueous Liquid Electrolytes for Lithium-Based Rechargeable Batteries. In: Chemical Reviews 104 (2004), 4303–4417 P. Arora, Z. Zhang: Battery Separators. Chemical Reviews 104 (2004), 4419–4462 M. S. Whittingham: Lithium Batteries and Cathode Materials. In: Chemical Reviews 104 (2004), 4271–4301 P. Reale, S. Panero, B. Scrosati, J. Garche, M. WohlfahrtMehrens, M. Wachtler in: J. Electrochem. Society 151 (12), (2004), A2138; P. Reale, S. Panero, B. Scrosati, J. Garche, P. Axmann, M. Wohlfahrt-Mehrens, M. Wachtler: 2004 Joint International Meeting, October 3–8, 2004, Honolulu, Hawaii M. Winter, R. J. Brodd: What are Batteries, Fuel Cells, and Supercapacitors. In: Chemical Reviews 104 (2004), 4245– 4269; e.g. 4255 J. Vetter, P. Novak, M. R. Wagner, C. Veit, K.-C. Möller, J. O. Besenhard, M. Winter, M. Wohlfahrt-Mehrens, C. Vogler, A. Hammouche: Ageing mechanisms in lithium-ion batteries. In: J. Power Sources 147 (2005), 269–281 R. Korr, A. Schwake, M. Soria, H. Gracia, M. Reimerink, D. Macerata, M. Ullrich: Supercar. Improved Energy Supply for the Integrated Starter Generator with Double Layer Capacitor and Energy Battery for Cars with 42V – New requirements for the lead-acid batteries. In: Proc. 9th European Lead Battery Conference, Berlin, Germany, 21–24 September 2004 H. Takeshita: Worldwide Market Update on NiMH, Li Ion and Polymer Batteries for Portable Applications and HEVS.

4.6 Energiemanagement

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[27]

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4.6 Energiemanagement Physikalisch kann man ein Verbrennungskraftfahrzeug als mobilen Energiespeicher und -wandler betrachten. Die Verfügbarkeit des Gesamtsystems „Automobil“ hängt grundsätzlich davon ab, ob genügend Energie im Fahrzeug zur Verfügung steht. So verstanden, ist das Energiemanagement von jeher eine zentrale automobiltechnische Fragestellung, die prinzipiell auch die Frage nach der Effizienz der Umwandlung von chemisch gebundener Energie (Kraftstoff) in eine andere (mechanische Energie, Wärme, Strom) einschließt. Dieser Abschnitt behandelt das elektrische Energiemanagement im Fahrzeug. Zunehmende Verbraucherzahl Als zunehmend kritisch hat sich vor allem die Erzeugung und Verteilung elektrischer Energie in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und 14-V-Bordnetz herauskristallisiert. Während die Batterie als einziger konstanter Energiespeicher und -puffer an Bord ursprünglich lediglich die Aufgabe hatte, den Startvorgang zu ermöglichen und bei ungenügender Generatorleistung relativ wenige elektrische Systeme zu versorgen, nimmt die Zahl der elektrischen Verbraucher seit Jahren stetig zu. Tabelle 4-22 gibt einige Beispiele für zusätzliche Verbraucher und deren Energiebedarf [1]. Bei Start-Stopp-Betrieb und Drehmomentunterstützung als Teil von Mild-Hybrid-Lösungen kann die benötigte elektrische Leistung Größenordnungen von 5 bis 10 kW erreichen. Künftige Hochstromverbraucher, wie beispielsweise ein elektrischer Wankstabilissator,

281 treiben den Bedarf weiter in die Höhe. In gut ausgestatteten Fahrzeugen wird das 14-V-Bordnetz wegen der zunehmenden Verbraucherzahl bereits heute immer öfter im Grenzbereich seiner Leistungsfähigkeit betrieben, sodass ein elektrisches Energiemanagement nötig ist. Die Lage wird insofern noch verschärft, als sich die für 2008 von den ACEA-Mitgliedern als Selbstverpflichtung angekündigte Senkung des FahrzeugflottenCO2-Ausstoßes auf maximal 140 g CO2 pro km nur durch eine weitere Reduktion des Kraftstoffverbrauches erreichen lassen wird. Tabelle 4-22: Leistungsbedarf zukünftiger Bordnetze [1] Verbraucher Elektrische Frontscheibenheizung

Maximale Leistung [W]

Durchschnittliche Leistung [W]

1500

120

Elektromagnetische Ventilsteuerung (EMVS)

1800–3400

700

Elektrohydraulische Ventilsteuerung (EHVS)

400

200

Elektrisches Kühlergebläse

650

50

Elektrische Wasserpumpe

600

100

Elektrische Servolenkung

900

200

1000–3000

50

Elektromechanische Bremse (EMB) Wankstabilisator

2000

150

Elektrische Benzinpumpe

450

150

Elektrischer Klimakompressor

4000

1000

Batterieausfälle Da viele elektrische Verbraucher entweder sicherheitskritische Funktionen erfüllen oder wesentlich zum Komfort und zur Verbrauchsminderung moderner Fahrzeuge beitragen, ist zu erwarten, dass sich der Trend zu immer größeren Ausstattungsumfängen fortsetzt. Gleichzeitig dokumentieren ADAC-Pannenstatistiken, dass viele Pannen auf Batterieausfall zurückzuführen sind. Mittelfristig ist die Aufgabe, ausreichend elektrische Energie im Fahrzeug bereitzustellen, um die Fahrzeugverfügbarkeit zu sichern und den Komfort zu gewährleisten, eine Entwicklungsherausforderung an die gesamte Automobilbranche. Da sich die Fahrzeughersteller im Wettbewerb zunehmend über steigenden Komfort, höhere Sicherheit und zusätzliche Assistenz-

282 funktionen differenzieren, müssen die entsprechenden Systeme zuverlässig und sofort verfügbar sein. Der Fahrer soll trotz der hohen Verbraucherzahl keine Leistungseinbrüche bei einzelnen Systemen (z.B. eine verminderte Lichtleistung der Scheinwerfer) im 14-VBordnetz hinnehmen müssen. Einen höheren Anteil der im Motor erzeugten Bewegungsenergie in elektrische Energie umzusetzen, widerspricht der ACEA-Selbstverpflichtung. Somit kann der steigende elektrische Energiebedarf nicht generell aus einem höheren Kraftstoffeinsatz gewonnen werden. Auch neue, Kraftstoff sparende Funktionen wie der Start-Stopp-Betrieb des Verbrennungsmotors im Stadtverkehr, erhöhen die Frequenz von Perioden mit gesteigertem elektrischem Energiebedarf (Zyklenzahl) und während ihrer Aktivierung auch den maximalen Gesamtleistungsbedarf. Mild-Hybrid-Konzepte, die elektrische Energie nutzen, um einen sparsamen, hubraumreduzierten Verbrennungsmotor in drehmomentschwachen Betriebssituationen durch elektrisch erzeugte Antriebsleistung zu unterstützen (Boosting), erfordern ein leistungsfähiges Energiemanagement, da hier ein Zielkonflikt zwischen der Startfähigkeit (möglichst hoher Ladezustand der Batterie) und der Fähigkeit der Batterie zur Aufnahme von hohen Ladeströmen aus der Rekuperation (regeneratives Bremsen, regenerative braking) bestehen kann. Unabhängig vom Antriebskonzept setzen der große Kostendruck und der knappe Bauraum im Kraftfahrzeug generell enge Grenzen für größere oder zusätzliche Energiespeicher, auch wenn Zwei-Batteriensysteme in Oberklassefahrzeugen bereits realisiert sind [2][3] (siehe Abschnitt 4.6.2.3), um eine zuverlässige Versorgung mit elektrischer Energie sicherzustellen. Lösungsstrategien Weil die Verfügbarkeit elektrischer Energie im Fahrzeug aktuell und auf lange Sicht nicht im gleichen

4 Bordnetz und Vernetzung Tempo wie die Nachfrage danach gesteigert werden kann, ist das elektrische Energiemanagement eine wichtige Teilfunktion eines umfassenden Fahrzeugenergiemanagements. Zulieferer und Fahrzeughersteller begegnen der „Energieknappheit“ mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen, mit denen die Funktionsfähigkeit des 14-V-Bordnetzes gesichert werden soll. Eine Möglichkeit besteht darin, bisher nicht genutzte Energiequellen im Fahrzeug zu erschließen. So lässt sich beispielsweise Energie während der Bremsvorgänge rückgewinnen. Bei dieser Rekuperation wird ein integrierter Starter-Generator (ISG) an der Kurbelwelle während des Bremsvorgangs auf Generatorbetrieb geschaltet und erzeugt damit für mehrere Sekunden Strom, der zur Batterienachladung zur Verfügung steht. Bild 4-135 zeigt eine 20-minütige Fahrt mit einem Fahrzeug, das über einen ISG und die Funktion „regeneratives Bremsen“ verfügt [4]. Angesichts der Vielzahl von elektrischen Verbrauchern liegt es nahe, den zulässigen Gesamtenergiebedarf im Bordnetz und den jeweils zulässigen Energiebedarf einzelner Systeme zu begrenzen, diese Grenzen zu überwachen und ggf. mit einer Regelungsstrategie einzugreifen, wenn Grenzen überschritten werden. Zu diesem Zweck können Verbraucher vorübergehend in der Leistung reduziert oder abgeschaltet werden. Die Kriterien dazu sind entweder als Daten in Tabellen hinterlegt, oder das Energiemanagement kann so ausgelegt sein, dass die Verbraucher ihre Energieanforderung selbsttätig nach einem laufend aktualisierten Regelfaktor (Preis-Nachfrage-Funktion, siehe Abschnitt 4.6.2.3) und einer im Verbraucher hinterlegten Regelfaktorempfindlichkeit einstellen. Als Schutz vor Energieknappheit können außerdem eine kleine Sicherheitsbatterie (z.B. für X-by-WireFunktionen) oder eine Starterbatterie in Bordnetzen mit zwei Batterien dienen.

Bild 4-135: Beispiel für die Wirkung eines ISG-Energiemanagements; die Antriebsleistungen werden positiv, die Bremsleistungen negativ gezählt; die Leistung des Starter-Generators und der Batterie ist auf maximal 6 kW beschränkt

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Kfz-Wissen aus erster Hand van Basshuysen, Richard / Schäfer, Fred Handbuch Verbrennungsmotor Grundlagen, Komponenten, Systeme, Perspektiven 3., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2005. XLVIII, 980 S. Geb. € 99,00 ISBN 3-528-23933-6 Das Handbuch Verbrennungsmotor enthält auf fast 1000 Seiten umfassende Informationen über Otto- und Dieselmotoren. In wissenschaftlich anschaulicher und gleichzeitig praxisrelevanter Form sind die Grundlagen, Komponenten, Systeme und Perspektiven dargestellt. Über 90 Autoren aus Theorie und Praxis haben dieses Wissen erarbeitet. Damit haben sowohl Theoretiker als auch Praktiker die Möglichkeit, sich in kompakter Form ausführlich über den neuesten Stand der Motorentechnik zu informieren. Darüber hinaus werden zukünftige Trends und Potentiale bezüglich der zentralen Entwicklungsrichtungen von Verbrennungsmotoren aufgezeigt und diskutiert. Die neue Auflage wurde um die Kapitel Motorenmesstechnik, Kraftstoff- und Stromversorgung und Aktuelle Motoren ergänzt. Bilder und Text wurden überarbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht. van Basshuysen, Richard / Schäfer, Fred (Hrsg.) Lexikon Motorentechnik 2., verb., aktual. und erw. Aufl. 2006. XVIII, 1096 S. Mit 1764 Abb. (ATZ-MTZ Fachbuch) Geb. ca. € 99,00 ISBN 3-528-13903-X Das Lexikon Motorentechnik ist ein Nachschlagewerk, das fast 5.000 Stichworte fachlich exakt und mit allen Lösungen der aktuellen Motortechnologie umfassend beschreibt. Es wendet sich an Ingenieure in Studium und Praxis genauso wie an Fachleute der Automobil-, Motoren-, Mineralöl- und Zubehörindustrie. Patentanwälten, dem Kraftfahrzeuggewerbe, Regierungsstellen und Behörden sowie dem technikbegeisterten Autofahrer bietet es ein unerschöpflichen Wissensfundus. Das ausgefeilte System aus Querverweisen führt alle Unterbegriffe zum Hauptbegriff zurück und ermöglicht so eine optimale Benutzerführung. Dadurch stehen die Stichwörter nicht isoliert, sondern es werden thematische Bündelungen und Gruppierungen möglich. So wird das Stichwort in einen größeren, kapitelartigen Zusammenhang gestellt.

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Stand Juli 2006. Änderungen vorbehalten. Erhältlich im Buchhandel oder im Verlag.

4.6 Energiemanagement

283

Bild 4-136: Topologie des Energiebordnetzes [2]

Lösungsansätze auf der Hardware-Ebene Um den Gesamtenergiebedarf im Fahrzeug zu verringern, werden verstärkt effizientere Aktoren eingesetzt. Werden beispielsweise hydraulische Systeme wie die Lenkhilfe, für die permanent Druck vorgehalten werden muss, durch elektrische Systeme ersetzt, die nur im Bedarfsfall aktiv sind und nur während ihrer Aktivierung elektrische Energie benötigen, so kann das die Energiebilanz verbessern. Grundsätzlich sollte immer diejenige Energieform für eine Funktion eingesetzt werden, die den höchsten Wirkungsgrad liefert. Mehr und bessere Sensoren sind nötig, um eine umfangreichere Informationsbasis für die Regelvorgänge innerhalb eines Energiemanagements zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist die Sensierung der Batterie (siehe Abschnitt 4.6.2.2). Außerdem lässt sich der Ruhestrom senken, wenn Steuergeräte mit Ruhestromminimierung zum Einsatz kommen und in der Bordnetzarchitektur in Ruhe nur ein Steuergerät aktiv ist. In vorhandene oder zusätzliche Steuergeräte können hierfür Algorithmen zur Optimierung der Energieverteilung integriert werden. Bei Unterschreiten einer Grenzspannung kann die Lösung z.B. darin bestehen, dass sich einzelne Verbraucher selbsttätig abschalten. Mit der insgesamt steigenden Zahl der elektrischen Verbraucher steigt auch der maximale Strombedarf. Um Verbrauchsspitzen überbrücken zu können, sind unter Umständen zusätzliche Energiespeicher und Energiequellen wie Brennstoffzellen (Auxiliary Power Units, APUs) und Doppelschichtkondensatoren (Ultracaps) erforderlich. Bordnetzarchitekturen mit zwei Batterien, bei denen eine die Funktion der Starterbatterie übernimmt und die andere als Bordnetzbatterie fungiert, haben bisher jedoch nicht den Sprung in die Großserien der Mittelklassefahrzeuge geschafft. Bild 4-136 zeigt das Schema eines solchen Bordnetzes mit zwei Batterien [2]. Diese Architektur bietet zusätzlich die Möglichkeit des ZweispannungsBordnetzes, bei dem ein Teil des Bordnetzes, zu dem

vor allem Hochstromverbraucher gehören können, mit einer höheren Spannung realisiert wird (und die Batterie damit auch als Hochleistungsspeicher zu verwenden), während das übrige Bordnetz weiter bei 14 V betrieben wird. Gerade im Hinblick auf die Forderung nach weiter sinkendem Kraftstoffverbrauch (ACEA 2008) muss das Energiemanagement alle Energieformen in einen Lösungsansatz einbinden und dabei unter Umständen auch zusätzliche Energiequellen erschließen (z.B. Solarzellen, Abwärme des Verbrennungsmotors). Langfristig wird die steigende Zahl von Hochstromverbrauchern (z.B. elektromechanischer Ventilbetrieb) mit dem 14-V-Bordnetz nicht mehr zu versorgen sein. Höhere Spannungen bieten dabei vor allem den Vorteil geringerer Verlustleistungen durch kleinere Ströme. Hybrid-Fahrzeuge mit hoher elektrischer Antriebsleistung erfordern ebenfalls 42 V oder noch höhere Spannungen (z.B. 288 V) zumindest in einem Teil des Bordnetzes.

4.6.1 Übergeordnetes Energiemanagement Die eingangs getroffene Feststellung, dass ein Kraftfahrzeug insgesamt als Energiespeicher und -wandler betrachtet werden kann, ist auch insofern gerechtfertigt, als die zunehmende Komplexität der Energieerzeugung und -verteilung im Automobil ein übergeordnetes Energiemanagement für alle verschiedenen Energieformen erfordert. Es ist typisch für neuere Konzepte, dass sie diesen Aspekt aufgreifen und verstärkt auf der Wandlung einer Energieform in eine andere beruhen. Der integrierte Starter-Generator liefert dafür ebenso ein Beispiel wie PTC-Zusatzheizer für sparsame Dieselmotoren. Ein PTC-Zusatzheizer dient als elektrisches Zuheizaggregat, das die Verlustleistung eines spannungsabhängigen Widerstands mit positivem Temperaturkoeffizienten (Kaltleiter) zur Wärmeerzeugung nutzt.

284 Ein übergeordnetes Energiemanagement muss die Leitfrage beantworten: Wie hoch soll der Energietransfer zwischen verschiedenen Energieformen sein, damit die situationsbezogene Energieverteilung optimal ist? In besonderem Maße gilt das für Hybridfahrzeuge vom Typ Mild-Hybrid (auch Power Assist Hybrid genannt), weil hier die Reichweite zwar durch den Verbrennungsmotor erzielt wird, jedoch ein relativ kleines Batteriesystem (im Vergleich zu reinen Elektrofahrzeugen mit groß dimensioniertem Stromspeicher) genügen muss, um die Drehmomentunterstützung zu leisten [4].

4.6.2 Elektrisches Energiemanagement Um die verfügbare elektrische Energie optimal im Bordnetz verteilen zu können, ist eine geeignete Datengrundlage für Stell- und Regelentscheidungen erforderlich. Nur wenn der Leistungsbedarf und das zur Verfügung stehende elektrische Energievolumen bekannt sind, kann beispielsweise eine nach Prioritäten gestaffelte Abschaltung von Verbrauchern erfolgen. Daher spielt die Sensierung wichtiger Komponenten, wie Batterie und Generator, eine zentrale Rolle für das elektrische Energiemanagement. Erst mit der Sensierung steht ein Signal zur Verfügung, das von geeigneten Diagnosemodulen genutzt werden kann, um sinnvollen Einfluss auf die Stellgrößen zu nehmen (Batteriezustand, Generatorleistung, Verbraucher) [5]. Wie aus Bild 4-137 ersichtlich, basiert ein elektrisches Energiemanagement also auf einem geschlossenen Regelkreis [6]. Zu den Regelaufgaben gehört es, die Energieversorgung zu verbessern, die Bordnetzspannung zu stabilisieren, die Startfähigkeit zu gewährleisten, sicherheitsrelevante Funktionen permanent verfügbar zu halten und die Lebensdauer der elektrischen Komponenten zu steigern (insbesondere die Standzeit der Batterie). Zu einem elektrischen Energiemanagementsystem gehören damit die Sensorik, Softwaremodule zur Diagnose des elektrischen Bordnetzes und seiner Komponenten, die übergeordnete Steuerung sowie Schaltelemente.

4 Bordnetz und Vernetzung 4.6.2.1 Generator-Sensierung

Da die elektrische Leistung von einem Generator erzeugt wird, muss das elektrische Energiemanagement Einfluss auf diese Schlüsselkomponente nehmen. Die Leitfragen sind dabei: Welche Energie wird vom Bordnetz benötigt? Welche möglichen Rückwirkungen auf den Antriebsstrang haben elektrische Leistungsanforderungen an den Generator? Heutiger Stand der Technik ist es, den Generator möglichst auf Konstantspannung zu regeln. Dabei kann die Spannungsvorgabe entweder fest sein, oder sie wird von einem Temperatursensor beeinflusst. Um Spannungseinbrüche im Bordnetz und Drehzahlschwankungen des Verbrennungsmotors beim Zuschalten hoher Lasten zu vermeiden, wird dabei die Erregung des Generators entweder rampenförmig erhöht oder die Lastanforderung wird zunächst über die Motorsteuerung geleitet, sodass der erhöhte Drehmomentbedarf des Verbrennungsmotors errechnet und vorgesteuert werden kann [5]. Der Zeitraum zwischen der Lastanforderung bis zum Erreichen der erforderlichen Generatorleistung wird als Load-Response-Zeit bezeichnet. 4.6.2.2 Batterie-Sensierung

Auch der Ansatz, das elektrische Energiemanagement vom Generator her zu betreiben, kann nicht auf eine Diagnose der Batterie verzichten, denn die Spielräume, auf den Generator Einfluss zu nehmen, werden von der Betriebssituation des Fahrzeugs begrenzt. Bei niedrigen Motordrehzahlen und hohem elektrischen Energiebedarf sowie bei abgestelltem Motor kann das Spannungsniveau im Bordnetz nur mit der Batterie als Energiespeicher stabil gehalten werden. Die dramatische Zunahme der Batterieausfälle um rund 30 Prozent zwischen 1998 und 2002 zeigt deutlich, in welchem Maße Fahrzeugbatterien inzwischen belastet werden. Fahrzeughersteller und Zulieferer haben deshalb Hard- und Softwarewarelösungen zur Erfassung des Batteriezustands entwickelt.

Bild 4-137: Geschlossener Regelkreis zur Stabilisierung des Batteriezustands

4.6 Energiemanagement Typischerweise werden dabei die Parameter Spannung, Strom und Temperatur erfasst, teilweise auch der Innenwiderstand der Batterie. Aus diesen Werten wird der Ladezustand (State of Charge, SoC), die Leistungsfähigkeit (State of Function, SoF) und der Alterungszustand der Batterie (Restlebensdauer, Innenwiderstand und Batteriegröße, State of Health, SoH) berechnet [7][8]. Die Ist-Werte der Batterie dienen als Grundlage für das Management von Batterie, Generator und Verbrauchern. 4.6.2.2.1 Batteriesensor

Es gibt derzeit zwei Verfahren, mit denen Stromfluss und Spannung gemessen wird: Bei dem indirekten Messverfahren setzt man z.B. um das Kabel herum ein magnetoresistives Material ein, das auf das Magnetfeld des Leiters anspricht, oder man nutzt den Hall-Effekt aus. In Europa etabliert sich das direkte Messverfahren mit einem Shunt [9][10][11][12] und ist auch als Sensor mit Datenlogger-Funktion für Testfahrten verfügbar [13]. Diese Sensoren basieren auf einem hochpräzisen, niederohmigen Präzisionswiderstand (aus Manganin) zur Strommessung. Bild 4-138 zeigt das Blockschaltbild eines Batteriesensors.

285 Überwiegend werden die Batteriesensoren dieses Typs einschließlich der Elektronik in die Minuspolklemme der Batterie integriert. Als kompaktes Modul aus Sensor, elektronischem Steuergerät (mit Messwertaufnehmerbaustein), Poklemme und Leitung, wie aus Bild 4-139 ersichtlich, findet der Sensor in der genormten Polnische (DIN 72311) der Batterie Platz, was zum einen fahrzeugunabhängige Packaging-Vorteile hat, zum anderen messtechnisch bedingt ist: Durch die Platzierung des Sensors an der Polklemme wird der Batterie-Gesamtstrom gemessen. Bei der präzisen Messung der Spannung vermeidet die Nähe zum Batteriepol Ergebnisverfälschungen durch ohmsche Leitungsverluste. Um die Temperatur der Batterie ermitteln zu können, ohne dass die Batterie selbst mit einem Temperaturfühler ausgestattet werden muss, ist es zudem erforderlich, einen Temperaturwert in unmittelbarer Nähe der Batterie zu erfassen, um dann auf der Basis eines rechnerischen Modells der herrschenden Wärmeverhältnisse vor Ort (z.B. Konvektion) einen möglichst präzisen Wert für die wahrscheinliche Innentemperatur der Batterie ermitteln zu können.

Bild 4-138: Blockschaltbild eines Batteriesensors [10]

Bild 4-139: Batteriesensor zum Einbau in der Polnische [Quelle: Hella]

286

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-140: Prinzipschaltbild einer Batteriesensorelektronik

Insbesondere beim Einsatz von leistungsfähigen Batterien, in denen der Elektrolyt in einem Glasfaservlies gebunden ist (Absorptive Glass Mat, AGM) [1], spielt die Temperaturmessüberwachung und -führung der Batterie eine große Rolle, weil AGM-Batterien empfindlicher als konventionelle Blei-Säure-Akkus auf hohe Umgebungstemperaturen reagieren und auch mehr Wärme durch parasitäre chemische Reaktionen beim Ladevorgang erzeugen [14]. Bild 4-140 zeigt das Prinzipschaltbild einer Batteriesensorelektronik, die wegen des knappen Bauraums in SMDTechnik mit hoher Packungsdichte auf einer Mulilayer-Platine realisiert ist. Die präzise Strommessung ist anspruchsvoll, weil sich der zu erfassende Messbereich über fünf bis sechs Zehnerpotenzen von zweistelligen mA-Werten in Ruhestromphasen bis zu 800 – 1000 A Startstrom erstreckt. Die Genauigkeit der Messung ist auf den jeweiligen Strombereich abgestimmt: So erfasst das in [12] vorgestellte System Ruheströme mit einer Genauigkeit von ± 10 mA, mittlere Betriebsströme bis 150 A mit einer Genauigkeit von ± 40 mA und Startströme mit einer Genauigkeit von ± 400 mA. Technisch noch anspruchsvoller ist die Batteriespannungsmessung mit einer Genauigkeit von bis zu 10 mV zwischen Batterieminus und der Sensierungsleitung. Im Hinblick auf die engen Kostengrenzen für ein Energiemanagement [14] haben Zulieferer und Fahrzeughersteller skalierbare Systemkonzepte entwi-

ckelt, die auch ohne direkte Strommessung arbeiten können. In diesem Fall wird der Strom ersatzweise aus der Batterietemperatur und dem Batteriespannungsverhalten abgeschätzt. Da die oben genannten Batteriekenngrößen State of Charge (SoC) und State of Health (SoH) ursprünglich aus dem Bereich stationärer Anwendungen kommen, sind sie für sich genommen im Kfz nur bedingt geeignet, um Vorhersagen über das Verhalten der Batterie im nächsten zu erwartenden Belastungsfall zu machen. Das liegt daran, dass sich das tatsächliche Batterieverhalten nach der unmittelbar vorhergehenden Lade-EntladeHistorie richtet, die im Fahrzeug einer großen Veränderungsdynamik unterliegt. Weil die Lade-EntladeHistorie elektrochemische Prozesse (z.B. die Säureschichtung) beeinflusst, die wiederum unmittelbar die entnehmbare Energiemenge bedingen, steigt die Vorhersagegenauigkeit einer Batterieüberwachung, wenn zusätzlich zu den Parametern Strom, Spannung und Temperatur der Innenwiderstand oder die Impedanz der Batterie erfasst wird ([12], [14], [15]). 4.6.2.2.2 Batteriezustandserkennung

Wesentlicher Teil eines Energiemanagement-Systems ist die Batteriezustandserkennung. Sie wird in Echtzeit von einem Auswertealgorithmus geleistet, der in den Sensor oder beispielsweise in ein vorhandenes Karosseriesteuergerät integriert sein kann und der den Signalausgang des Batteriesensors verarbeitet. Das

4.6 Energiemanagement Softwaremodul berechnet die genannten Kenngrößen State of Charge (SoC), State of Health (SoH), State of Function (SoF) sowie den Batterie-Innenwiderstand mit Hilfe eines nichtlinearen Modells ([7], [8]). Am Ende des Auswerteprozesses steht eine Aussage über den aktuellen Zustand der Batterie, die auch als Grundlage für das Batterielademanagement (optimale Ladespannung und optimaler Ladestrom) dient, um die Lebensdauer der Batterie zu maximieren. Ein Ziel der Batterieüberwachung kann etwa darin bestehen, den SoC auf einen Wert oberhalb von 80 Prozent zu steigern. Der in [12] vorgestellte Algorithmus ist darauf programmiert, den SoC bei 75 bis 95 Prozent der Kapazität zu halten. Durch die Vermeidung von Ladenotständen und durch das Lademanagement erhofft man sich eine Verlängerung der Batterielebensdauer um 25 bis 50 Prozent und eine um 70 bis 80 Prozent gesenkte Wahrscheinlichkeit eines Batterieversagens. Batterieprognosen Der Zustand der Batterie bildet die Grundlage für Aussagen, welche Energiemenge der Batterie in der unmittelbaren Zukunft entnommen werden kann, ohne beispielsweise die Startfähigkeit zu gefährden. Die Schwierigkeit bei dieser Prognose liegt darin, dass es im Fahrzeug eine Vielzahl von Variablen (Außentemperatur, Fahrsituation, Motortemperatur, Fahrerwunsch, Verbraucherzahl, Verbraucherbedarf) gibt, die Einfluss darauf nehmen, wie der tatsächliche Strombedarf in der näheren Zukunft aussehen wird. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, um diese Prognoseaufgabe zu erfüllen. So lässt sich die Vorhersage durch einzelne Prädiktoren für Ladung, Lebensdauer und Spannung bestimmen, die anhand von vorgegebenen Belastungen (Lastprofilen) ermitteln, welche Energiemenge die Batterie unter der Maßgabe dieser zu erwartenden Lastprofile bereitstellen kann [7][8]. Ein weiterer Ansatz besteht darin, die Funktionsvorhersage auf der Basis eines neuronalen Netzwerks zu realisieren, das während einer bestimmten Zeitspanne gewonnene Signale interpretiert [16]. Ruhestrommanagement und Standverbrauchermanagement Vor allem bei elektronisch hoch ausgestatteten Oberklassefahrzeugen, die unter anderem über Komfortfunktionen wie Multimedia-Systeme verfügen, ist auch die Überwachung der Ströme bei ausgeschaltetem Motor eine wichtige Aufgabenstellung für das Energiemanagement. Bild 4-141 illustriert die Problematik der Stillstandsverbraucher, die bei längerem Betrieb zu einer Tiefentladung der Batterie bis unterhalb der Startfähigkeitsgrenze führen können, wenn keine geeigneten Gegenmaßnahmen getroffen werden.

287

Bild 4-141: Zeitlicher Verlauf des Batteriestroms [8]; positive Werte bedeuten eine Ladung der Batterie, negative eine Entladung; das Ruhestrommanagement begrenzt den Strom während der Nachlaufphase sowohl zeitlich als auch dem Betrag nach (gestrichelte Linie)

Darüber hinaus benötigen viele Steuergeräte bei ausgeschalteter Zündung weiterhin Strom. Bei langen Stillstandsphasen können auch diese Ruheströme zur Entladung der Batterie führen (z.B. bei fehlerhaft arbeitenden Steuergeräten). Entsprechende Testzyklen wie ein „Flughafentest“ mit 250 – 500 mW Leistung über 30 Tage spiegeln das Problem wider. Die uneingeschränkte Startfähigkeit nach Stillstandszeiträumen von bis zu mehreren Monaten Dauer [4] ist daher das Hauptziel eines Ruhestrommanagements. Im Falle nachlaufender Verbraucher kann das Energiemanagement einzelne Verbraucher aktiv abschalten, reduzieren (z.B. Beleuchtung) und dem Fahrer die Information über das Erreichen eines kritischen Ladezustands anzeigen [9], damit er rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Bild 4-142 zeigt die Funktionsweise eines Stufenkonzeptes zur Energieverbrauchsreduzierung [17]. Auch das Energiemanagementsystem und die Batterieüberwachung selbst gehören zu den Stillstandsverbrauchern. Daher werden sie in das Ruhestrommanagement einbezogen. Ein weckfähiger, zyklischer Sleep-Modus gehört deshalb zur Funktionalität der Batteriesensierung. Zusätzlich können die Ruhestrommessungen auch in einem nichtflüchtigen Speicher gesichert werden, um Diagnosefunktionen zu unterstützen [9]. Im Sleep-Modus kann die Stromaufnahme der Sensorelektronik bei einem der vorgeschlagenen Systeme beispielsweise in die Größenordnung um 100 µA absinken. Erkennt der Versorgungsspannungsbaustein des Aufweck- und Ruhestromkonzeptes eine Flanke am LIN oder einen zu hohen Strom, so schaltet er die Spannungsversorgung ein und verharrt im Stand-by-Modus. Parallel dazu wird der Hauptcontroller durch das Einschalten der Versorgungsspannung aktiviert.

288

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-142: Stufenweise Absenkung des Energieverbrauchs [17]

4.6.2.3 Umfassende Strategien der elektrischen Energieverteilung

Im Einzelfall kann es zum Regelungsspielraum eines elektrischen Energiemanagements gehören, Verbraucher abzuschalten, oder ihren Energiebedarf zu senken. Als Alternative zu einer im zentralen Energiemanager hinterlegten Prioritätenliste wurde ein Ansatz in Form einer Softwarelösung vorgeschlagen, die nach dem Prinzip des Marktgeschehens an der Börse arbeitet: Im 200-ms-Takt errechnet die Software dazu einen aktuellen „Preis“ für elektrische Energie im Fahrzeug. Das Preisniveau richtet sich nach dem Verhältnis von verfügbarer Energie (Generator, Batterie) zu nachgefragter Energie [18]. Die einzelnen Verbraucher reagieren unterschiedlich preisempfindlich und beziehen deshalb je nach der im Verbraucher hinterlegten Preisempfindlichkeit bei einem niedrigen Energiepreis eine höhere Leistung als bei einem hohen Energiepreis. Die in den elektrischen Verbrauchern gespeicherte individuelle Preisempfindlichkeit sorgt dafür, dass die Verbraucher unterschiedlich auf Energieknappheit reagieren: Die geringe Preisempfindlichkeit sicherheitsrelevanter elektrischer Verbraucher wie z.B. ABS oder Licht sorgt dafür, dass solche zentralen Funktionen bei der Energieversorgung eine hohe Priorität haben. Innerhalb dieses Wirksystems reduzieren andere Verbraucher mit höherer Preisempfindlichkeit ihren elektrischen Energiebedarf stärker. So entsteht ein sich selbst regelndes System, dessen Aktivität vom Fahrer weitgehend unbemerkt bleibt. Da die Information über die Preissensibilität im Verbraucher hinterlegt ist, können zusätzliche Verbraucher ohne Anpassung des Systems integriert werden. Zur Kommunikation zwischen Verbrauchern und „Börse“ dient eine Busstruktur, wie etwa ein CAN-Bus. Neben der kurzfristigen Prognose des Batterieverhaltens ist auch die längerfristige Vorhersage des Verbrauchsprofils für ein umfassendes Energiemana-

gement wünschenswert. Heute in der Entwicklung befindliche Lösungen sollen künftig Streckenprofile wieder erkennen, die der Fahrer häufiger fährt (bis zu 80 Prozent aller gefahrenen Strecken wiederholen sich). Gelingt die Erkennung der Strecke, so können die Batteriebelastung und der wahrscheinliche Ladestrom vorhergesagt werden. Durch eine solche vorausschauende Planung würden sich neue Regelungsspielräume etwa für die zulässige Batterieentladung während bestimmter Phasen der Fahrt ergeben. Literatur zu Abschnitt 4.6 [1] Köhler, U.; Kümpers, J.; Meissner, E.: Hochleistungsanwendungen für neue Fahrzeugbatterien, Varta Spezial Report, IIR Fachkonferenz Batterie-Management, Mannheim, 25./26.09.2002 [2] Kille, P. et al.: Das elektrische Bordnetz – Versorgungs- und Informationsnetzwerk, ATZ/MTZ Sonderausgabe VW Phaeton, 2001 [3] Jungmann, T.: Die Elektronik an Bord der neuen SL-Klasse, www.all4engineers.com, 03.08.2001 [4] Willer, B.: Bedeutung eines optimalen Batteriemanagements, IIR Fachkonferenz Batterie-Management, Mannheim, 25./26.09.2002 [5] Robert Bosch GmbH (Hrsg.): Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, 25. Auflage, Wiesbaden, 2003 [6] Olk, J., Rosenmayr, M.: Systematische Entwicklung des Energiemanagements, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [7] Fink, H.; Meissner, E.: Battery Monitoring: Vorhersage der aktuellen und zukünftigen Leistungsfähigkeit, IIR Fachkonferenz Batterie-Management, Mannheim, 25./26.09.2002 [8] Frey, B. et al.: Die Zukunft des 14-Volt Bordnetzes, VDIBerichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, BadenBaden, September 2003 [9] Meir, F.; Traub, F.; Heim, A.: Das innovative Energiemanagement des neuen BMW 5er, ATZ/MTZ Sonderausgabe BMW 5er, 2003 [10] Heim, A.: Intelligenter Batteriesensor: Schlüsselkomponente für das Energiemanagement der Zukunft, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003

4.7 Simulation von Bordnetzen [11] Olk, J.; Rosenmayr, M.; Schöllmann, M.: Intelligenter Batteriesensor, automotive electronics + systems, (Jg. 3), Nr. 5-6, Mai/Juni 2004 [12] Graf, H.-M.: Integrierter Batteriesensor als Basis für ein umfassendes Energiemanagement im Automobil, 24. Tagung Elektronik im Kfz, Haus der Technik, Essen, 29./30. Juni 2004 [13] Stromverbrauch exakt erfassen, automotive electronics + systems, (Jg. 3), Nr. 7-8, Juli/August 2004 [14] Karden, E.; Spijker, E.; Kok, D.: Batteriemanagement im Kraftfahrzeug für Großserienanwendungen, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [15] Bohlen, O. et al.: Startfähigkeitsprognose für Batterien im Kraftfahrzeug, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [16] Álvarez, I. et al.: An Embedded time-series prediction strategy based on ANN for vehicle status definition for Energy, Power & Load management, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [17] Kreipp, A.-M. et al.: Batterie- und Energiemanagement, VDI-Berichte Nr. 1646, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2001 [18] Graf, H.-M.: Offene Softwarelösung für das Energiemanagement, ATZ (Jg. 106) Nr. 1, Januar 2004

4.7 Simulation von Bordnetzen 4.7.1 Grundlagen der BordnetzSimulation Ein zentraler Teil des Bordnetzes ist der Kabelbaum, der die Infrastruktur für die Versorgung der Sensoren, Sollwertgeber, Steuergeräte und Aktoren mit Energie und Daten darstellt. Durch die Einführung neuartiger Funktionen wie Infotainmentsysteme und mechatronischer Komponenten nimmt der Umfang der Funktionen, die elektrisch und elektronisch implementiert werden, stetig zu. Entsprechend steigt auch der Aufwand für die Bordnetzentwicklung. Für den Entwurf eines zuverlässigen und kosteneffizienten Bordnetzes sind strukturierte, softwaregestützte Prozesse notwendig, die reproduzierbare Ergebnisse liefern und die eine Zusammenarbeit verteilter Entwicklungsgruppen ermöglichen. Wesentliche Voraussetzung dafür sind mathematische Modelle und Simulatoren, deren Grundlagen hier erörtert werden. Eine Bedingung für einen modellbasierten Entwurfsund Verifikationsprozess ist die Möglichkeit zur Bildung eines mathematischen Modells des zu analysierenden Systems und dessen Komponenten. Welche Art von Modellbildung und Simulation zum Einsatz kommt, wird durch den Systemtyp und die geforderten Analysearten bestimmt. Für die Entwicklung eines Bordnetzes werden hier nur netzwerkbasierende Simulationsmethoden erörtert, 2- und 3-dimensionale Methoden zur Berechnung von elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Feldern, wie sie zur

289 Untersuchung der elektromagnetischen Verträglichkeit erforderlich sind, werden nicht berücksichtigt.

4.7.2 Methodenüberblick Zur Modellierung und Simulation existieren viele verschiedene Methoden und Softwarewerkzeuge. Im Folgenden werden einige prinzipielle Konzepte kurz vorgestellt. Signalfluss Eine gängige Methode, Systeme zu modellieren, ist die Beschreibung durch Übertragungsfunktionen und Signalflussdiagramme. Dies geschieht unabhängig von der jeweiligen physikalischen Wirkungsweise und kann für mechanische Systeme genauso verwendet werden wie für elektrische. Der Verzicht auf physikalische Details und der Verzicht auf die Lösung von Erhaltungssätzen lassen Abschätzungen über das Verhalten des Gesamtsystems zu. Dieses Verfahren ist für einige Aufgabenstellungen, die auf abstrakter Ebene elektrische, mechanische und thermische Größen miteinander in Verbindung stellen, sehr gut geeignet. Dies ist häufig in der Regelungstechnik der Fall. Zur Simulation elektrischer Schaltungen stehen andere Methoden zur Verfügung, die stärker auf diese Anwendung zugeschnitten sind. SPICE Für die Simulation elektrischer Komponenten und Systeme wird häufig das 1972 von der Berkeley Universität in Kalifornien entwickelte SPICE (Simulation Program with Integrated Circuit Emphasis) eingesetzt. Eine Schaltung wird grafisch als Schaltplan eingegeben oder in einer Textdatei durch eine Netzliste, die angibt, welche Elemente in der Schaltung vorhanden sind und wie diese verbunden sind. Im Falle einer grafischen Eingabe wird die Netzliste automatisch aus dem Schaltbild generiert. Anschließend berechnet der Simulator mit Hilfe der Kirchhoffschen Sätze alle Spannungen und Ströme in der Schaltung. Komplexere Modelle können durch Makromodellierung, also wiederum durch Netzlisten, erzeugt werden. Wenngleich es prinzipiell möglich ist, nichtelektrische Systeme zu beschreiben, ist SPICE dafür nur beschränkt geeignet, da unter anderem die physikalischen Einheiten und die vorhandenen Modelle ausschließlich elektrischer Natur sind. Hardware-Beschreibungssprachen Eine Weiterentwicklung der SPICE-Simulation beruht auf Beschreibungssprachen (HDL, Hardware Description Language), bei denen die Beschreibung der Modelle außerhalb des Simulators erfolgt, die Modelle also nicht fest vordefinierter Teil der Simulationssoftware sind. Die zwei bekanntesten Hardware-Beschreibungssprachen sind VHDL (Very Large

290 Scale of Integration Hardware Description Language) und Verilog [1]. Beide Standards eignen sich ursprünglich nur für zeit- und wertdiskrete Digitalschaltungen. Sie wurden deshalb in Form ihrer Analogund Mixed-Signal-Erweiterungen VDHL-AMS bzw. Verilog-AMS um analoge und gemischt analoge und digitale Funktionen erweitert und erlauben so auch die Modellierung wert- und zeitkontinuierlicher Systeme. Da es VHDL-AMS ermöglicht, sowohl mit Signalflüssen als auch mit Erhaltungssätzen zu modellieren, bietet sich die Verwendung für die Bordnetzsimulation an. Aus diesem Grund fördert der Arbeitskreis 30 der Forschungsvereinigung Automobiltechnik im VDA (Verband der Automobilindustrie) den Einsatz von VHDL-AMS. Durch die Erstellung offener Referenzmodelle und den Aufbau frei verfügbarer Modellbibliotheken von Steuer- und Regelsystemen für Kraftfahrzeuge sollen die Voraussetzungen für einen möglichen Modellaustausch geschaffen werden. Zur Illustration wird hier ausschließlich VHDL-AMS verwendet. Die Methodik ist aber auch auf andere Simulationsmethoden übertragbar.

4.7.3 Grundlagen von VHDL-AMS VHDL-AMS ist eine Erweiterung der digitalen Beschreibungssprache VHDL. Die AMS-Erweiterung (IEEE 1076.1-1999) erlaubt die Beschreibung analoger und gemischt analoger und digitaler (mixedsignal) Aspekte. VHDL-AMS ermöglicht somit, digitale Modellierung (zeitdiskret, ereignisgesteuert) zusammen mit analoger Modellierung (zeitkontinuierlich, Differentialgleichungssysteme) einzusetzen. Ursprünglich als Sprache zur Beschreibung und Dokumentation digitaler Schaltungen konzipiert, ist VHDL und somit ebenfalls VHDL-AMS eine sehr strukturierte Sprache. Ein VHDL-AMS-Modell gliedert sich in die Beschreibung der Schnittstellen (entity) und die Beschreibung des funktionalen Verhaltens (architecture). Diese Trennung erlaubt es, mehrere Varianten in Form verschiedener Architekturen für ein Modell zu erstellen. So können unterschiedliche Aspekte abgedeckt werden, ohne Änderungen in der Struktur des Gesamtdesigns vornehmen zu müssen. Wie zuvor erwähnt, ermöglicht VHDL-AMS eine Modellbildung sowohl mit Signalflüssen als auch mit Erhaltungssätzen. Bei der Signalflussmodellierung wird der Wert eines Ausgangssignals durch Anwendung einer Übertragungsfunktion auf ein Eingangssignal erzeugt. Bei der Modellierung mit Hilfe von Erhaltungssätzen wie dem Kirchhoff’schen Gesetz kommen zwar ähnliche Lösungsmethoden der numerischen Integration wie bei SPICE zum Einsatz, jedoch sind die Modelle nicht Teil des Simulatorkernes. Da die Lösung von derartigen Gleichungssätzen in vielen Ingenieursdisziplinen zum Lösen von Proble-

4 Bordnetz und Vernetzung men verwendet wird, ist es somit möglich, sowohl elektrische als auch mechanische, hydraulische und weitere Systeme mit VHDL-AMS zu beschreiben und zu simulieren. Eine HDL ist keine Programmiersprache, die sequentiell abgearbeitet wird, sondern eine Beschreibungssprache für Hardware, die Nebenläufigkeit in der Simulation ermöglicht, d.h. die parallele Ausführung von Anweisungen. Es kann auch über andere Laufvariablen als die Zeit simuliert werden, z.B. um den Frequenzgang eines Systems zu analysieren. Analoge Simulation Bei der Simulation analoger Systeme unterscheidet man in der Regel zwischen Modellen und Netzlisten. Modelle beschreiben das Verhalten von Komponenten und Netzlisten die Verschaltung der Komponenten. Bild 4-143 zeigt eine einfache Schaltung bestehend aus einer Spannungsquelle, einem Widerstand und einer Diode. Diese Schaltung lässt sich systematisch analysieren und mathematisch beschreiben. Es ist darauf zu achten, dass ein bestimmtes Gleichungssystem vorliegt, also für jede Unbekannte eine unabhängige Gleichung vorhanden ist. Eine Analyse mit Hilfe der Maschen- und Knotenregel ergibt folgendes Gleichungssystem zur Beschreibung der Schaltung in Bild 4-143: I R1

I D1

(4.18)

U V1

U D1 U R1

(4.19)

U D1

k T I D1 ln e IS

(4.20)

U R1

I R1 R1

(4.21)

Bild 4-143: Einfache Beispielschaltung

4.7 Simulation von Bordnetzen

291

entity resistor is generic ( res: real:=10.0e3); port ( terminal p1, p2 : electrical); end entity resistor; architecture ideal of resistor is quantity v across i through p1 to p2; begin v == i res; end architecture ideal; Bild 4-144: Modell eines Widerstands in VHDL-AMS

Die nicht in Bild 4-143 erkennbaren Größen in Gleichung (4.20) sind die Boltzmann-Konstante k, die Temperatur T, die Elementarladung e und der Sättigungssperrstrom der Diode IS. Während das manuelle Erzeugen der Gleichungssysteme für Schaltungen dieser Art trivial ist und sich die Gleichungen algebraisch lösen lassen, steigt die Komplexität bei größeren Schaltungen schnell an und es werden in der Regel numerische Methoden zur Lösung notwendig. Üblicherweise übernimmt ein Simulator diese Aufgabe. Das Verhalten des Widerstands wird durch Gleichung (4.21) beschrieben. In der dazugehörigen VHDLAMS-Syntax sieht das Widerstandsmodell aus wie in Bild 4-144 gezeigt. Das Element entity definiert die beiden Schnittstellen (port) p1 und p2 als elektrische Klemmen (terminal). Durch die Definition als terminal wird angezeigt, dass für diese Schnittstellen Gleichungen in der architecture zur Verfügung stehen, die zur Lösung der Erhaltungssätze benötigt werden. Die Verschaltung der Modelle, also Gleichung (4.18) und Gleichung (4.19), erfolgt mit einer Netzliste. Mit diesen Informationen und der Anwendung von Erhaltungssätzen (hier Kirchhoffsche Gesetze) erzeugt der Simulator die Systemgleichungen. Moderne Software-Werkzeuge erlauben die graphische Erstellung der Schaltungen und können aus der grafischen Darstellung in Bild 4-143 automatisch die Netzliste in Bild 4-145 erzeugen. Es gibt unterschiedliche Varianten von Netzlisten. Typischerweise wird ein Modell (RESISTOR) eingesetzt, mit einem eindeutigen Namen (R1) versehen (Instanz), ein oder mehrere Parameter eingestellt (RES) und die Schnittstellen des Modells (P1, P2) den Knoten des Netzwerks (VOUT, VDIODE) zuge-

wiesen. Die Wahl der Knoten- und Instanznamen ist im Rahmen der Sprachsyntax beliebig. Potentialdifferenz und Flussgröße Zeit- und wertkontinuierliche Schnittstellen werden in VHDL-AMS als terminals bezeichnet. Zweiggrößen (branch quantity) zwischen zwei Terminals stellen die Unbekannten im Gleichungssystem dar. Generell werden Potenziale als across quantities und Flussgrößen als through quantities bezeichnet. Terminals sind einem physikalischen Teilgebiet zugeordnet. Tabelle 4-23 zeigt einige typische physikalische Teilgebiete (Natures) und was unter der jeweiligen Potenzialdifferenz und Flussgröße zu verstehen ist. Über Natures werden die zu den analogen Signalen gehörigen Einheiten definiert und es erfolgt eine vorgeschriebene Überprüfung des Systems auf korrekte Verknüpfung der Modellschnittstellen. Dieser formale Prozess soll einen formal korrekten Entwurfsprozess unterstützen, indem vermieden wird, dass beispielsweise elektrische Schnittstellen an mechanische angeschlossen werden. Tabelle 4-23: Potentialdifferenz und Flussgröße für verschiedene physikalische Teilgebiete Physikalisches Teilgebiet

Potenzialdifferenz

Elektrotechnik

Spannung

Strom

Mechanik

Position

Kraft

Thermodynamik

Temperatur

Wärmefluss

Hydraulik

Druck

Volumenfluss

V_SINE1 : V_SINE port map (POS => VOUT, NEG => GND ); R1 : RESISTOR port map (P1 => VOUT, P2 => VDIODE ) generic map (RES=>10.0); D1 : DIODE port map (P => VDIODE,N => GND ); Bild 4-145: Netzliste der Beispielschaltung

Flussgröße

292

4 Bordnetz und Vernetzung

In VHDL-AMS stehen die Natures in vom IEEE definierten Bibliotheken zur Verfügung und müssen am Anfang eines jeden Modells deklariert werden. Dann sind Größen wie Strom, Temperatur und Widerstand bekannt und können im Modell benutzt werden. Digitale Simulation Während die Simulation des analogen Sprachumfangs von VHDL-AMS durch die Lösung nichtlinearer Differentialgleichungssysteme erfolgt, wird der digitale Teil ereignisgesteuert (event driven) simuliert. Zeitdiskrete Größen werden durch so genannte Signale (signal) abgebildet, die sich nur zum Zeitpunkt eines für sie relevanten Ereignisses ändern. Dazu werden digitale Zustandswechsel in einer „Warteschlange“ verwaltet. Dieses Konzept ermöglicht eine schnelle Simulation digitaler Systeme ohne das zeitaufwändige Lösen von Differentialgleichungssystemen. Mögliche Typen für zeitdiskrete Signale sind unter anderem „real“, „std_logic“ und „boolean“. Diskrete Typen wie std_logic und boolean („true“ und „false“) beschränken nicht nur den Zeitpunkt der Änderung, sondern auch den Wertebereich eines Signals auf diskrete Werte. Gemischte Simulation Gerade die Möglichkeit, Systeme gleichzeitig in verschiedenen physikalischen Teilgebieten, digital und analog, sowie mit Signalfluss zu modellieren, macht diese Art der Beschreibung sehr mächtig. Es muss dafür gesorgt werden, dass der Übergang zwischen den unterschiedlichen Modellierungsarten korrekt erfolgt. Teilweise erfolgt dies automatisch durch das Einfügen von geeigneten Schnittstellenmodellen durch den Simulator; oft muss der Anwender jedoch selbst für den Übergang sorgen. Bild 4-146 zeigt Symbole für die Schnittstellenmodelle zum Übergang von Signalfluss zu Elektrik (a), von Elektrik zu rotatorischer Mechanik (b) und von analoger Elektrik zu digitaler Elektrik (c). Während der Gleichstrommotor eine Komponente ist, die tatsächlich verbaut werden könnte, ist das Modell der steuerbaren Spannungsquelle ein reines Hilfsmodell.

a)

b)

c)

Bild 4-146: Schnittstellenmodelle zwischen verschiedenen physikalischen Teilgebieten: a) Steuerbare Spannungsquelle, b) Gleichstrommotor, c) A/D-Wandler

Analysearten Aus den Informationen der Netzliste und der Modelle erstellt der Simulator die Systemdifferentialgleichungen, die gelöst werden müssen, um die Systemgrößen zu berechnen. Mit der dabei aufgestellten Systemmatrix kann der Simulator verschiedene Analysen durchführen. Die grundlegenden Analysearten sind: Gleichspannungsanalyse (DC) Zeitbereichsanalyse (Tran) Kleinsignal-Frequenzbereichsanalyse (AC)

Bei der Gleichspannungsanalyse wird der Arbeitspunkt des Systems bestimmt. Dabei werden nur zeitlich unveränderliche Größen berücksichtigt, d.h. alle Ableitungen nach der Zeit in der Systemmatrix werden für diese Analyseart zu null gesetzt. Die Ergebnisse dieser Analyse dienen in der Regel als Startpunkt für andere Analysearten wie die Zeitbereichsanalyse und die AC-Analyse. Die KleinsignalFrequenzbereichsanalyse wird in der Bordnetzsimulation hauptsächlich für den Entwurf von Regelschleifen und Übertragungsstrecken eingesetzt. Für den Bordnetzentwurf ist besonders die Zeitbereichsanalyse von Interesse, die das Großsignalverhalten, zum Beispiel von Einschwingvorgängen oder Stromspitzen, analysiert. Ausgehend von einem Systemzustand zum Zeitpunkt null Sekunden werden die Zustände des Systems zu verschiedenen Zeitpunkten durch das Lösen des nichtlinearen Differentialgleichungssystems bestimmt und die Werte der Systemgrößen über der Zeit gespeichert. Diese Signale können mit einem so genannten „Waveform Viewer“ (Bild 4-149) betrachtet und weiter verarbeitet werden. Abstraktion In der Systemsimulation steht die Auswahl entsprechender Abstraktionsebenen in direkten Zusammenhang zur Analyseperformance. Es ist nicht sinnvoll, sämtliche elektrischen Komponenten auf SchaltkreisEbene zu berücksichtigen, um qualitative Aussagen über das Gesamtsystemverhalten abzuleiten. Ähnliches gilt für eine räumliche Betrachtung mechanischer Bauteile. Ziel ist es, die wesentlichen physikalischen Charakteristika in einem Verhaltensmodell mit ggf. verschiedenen Abstraktionsebenen abzubilden. Der SAE-Standard J2546 [8], der vielen Bibliotheken als Grundlage dient, legt hierzu acht funktionale Beschreibungsebenen fest, von denen sich vier zur Simulation von Bordnetzen anbieten. Ebene 3: Die Pfadebene („Paths“) kennt interne Zustände und Verbindungen, allerdings noch kein funktionales Verhalten. Mit Hilfe allgemeiner Zustände wie an oder aus können mit einer Simulation Informationen beispielsweise über Fehlerstrompfade gewonnen werden.

4.7 Simulation von Bordnetzen Ebene 4: Die statische Ebene („Static“) beschreibt das zeitlich konstante oder eingeschwungene Verhalten und berücksichtigt einfache quantitative Eigenschaften. Diese Modelle eignen sich häufig schon für Zeitbereichsanalysen und KleinsignalFrequenzbereichsanalysen. Ein komplexer Verstärker wird durch seine Verstärkung charakterisiert, eine Drahtverbindung durch einen Widerstand idealisiert. Ebene 5: Die dynamische Ebene („Dynamic“) ist die wichtigste und bisher gebräuchlichste Beschreibung. Sie beinhaltet nichtlineare, zeitvariante Charakteristika. Das Modell ist somit hinreichend genau für die Zeitbereichssimulation mit allen wesentlichen physikalischen Merkmalen, gleichzeitig aber einfach und allgemein genug, um von einem Anwender mit vertretbarem Aufwand erstellt oder modifiziert zu werden. Typisch für diese Ebene sind Lampen mit Selbsterhitzung oder Motoren mit Trägheit und Reibung. In VHDL-AMS gibt es eine Vielzahl von Bibliotheken, in denen solche Modelle offen zur weiteren Verfeinerung angeboten werden. Ebene 6: Auf der Präzisionsebene („Precision“) werden sekundäre nichtlineare und parasitäre Effekte berücksichtigt. Ein solches Modell verlangt detaillierte Kenntnis der Komponente und ist meist sehr anspruchsvoll zu erstellen. Ebene 6 kann auch als konkrete Implementierung einer bestimmten Komponentenart (zum Beispiel Bosch LI-E-Generator) interpretiert werden. Diese Modelle können vertrauliche Informationen enthalten. Trotz der internen Komplexität mancher Modelle ist deren Verwendung in der Regel verhältnismäßig einfach. Zur Anpassung eines allgemeinen Modells an eine konkrete Komponente ist idealerweise die korrekte Angabe von Parametern aus dem Datenblatt der Komponente ausreichend. Tabellenbasierte Modellierung Gerade im Bereich der Kfz-Elektronikentwicklung liegen Informationen über Komponenten häufig in tabellarischen Kennlinienfeldern vor, die durch Messungen an der realen Komponente bestimmt werden. Solche Kennlinien beschreiben unter Umständen das Verhalten hinreichend genau und die aufwändige Bestimmung physikalischer Parameter einer Komponente (z.B. IS bei einer Diode) erübrigt sich. Erwünscht ist in diesem Fall die direkte Einbindung der Kennlinien in die Simulation zusammen mit vorhandenen Verhaltensmodellen. VHDL-AMS bietet hierzu einen standardisierten Weg. Benötigt werden hierzu das Standard-Paket „TextIO“ zum Einlesen der Daten und eine Routine zur Interpolation. Im Zusammenhang mit der Wahl der passenden Abstraktionsebene bietet die Verwendung von Kennlinien aus Messungen eine weitere Möglichkeit, ohne

293 großen Aufwand ein simulierbares Verhaltensmodell zu erhalten.

4.7.4 Simulationsaufgaben Die vielfältigen Aufgabenstellungen bei der Bordnetzentwicklung erfordern teils ebenso vielfältige Simulationskonzepte. So kann man unter anderem zwischen Energieverteilung (Energienetz) und Kommunikationsnetzwerk unterscheiden. Nicht nur an die Kommunikationsnetzwerke, bestehend aus verschiedensten Bussystemen, die untereinander durch Gateways verbunden sind, sondern auch an die Energieversorgung werden dabei hinsichtlich Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit hohe Ansprüche gestellt. Um diese stetig steigenden Ansprüche zu erfüllen, ist die Simulation heute in vielen Bereichen ein unverzichtbares Instrument zur Erstellung und zur Absicherung des Systementwurfs im Entwicklungsprozess. In Abhängigkeit von der Aufgabenstellung müssen Modelle und Analysemethoden sinnvoll gewählt werden. Ladebilanz und Energiemanagement Ein Energienetz soll Energie bedarfsgerecht verteilen. Ausgehend von Anforderungen wie Leistungsfähigkeit und Betriebszyklen wird dazu die Energieversorgung ausgelegt. Weil eine einfache Auslegung nach dem maximalen Bedarf nicht kosteneffizient ist, begrenzt ein intelligentes Regelsystem den Verbrauch abhängig von den momentanen Leistungsanforderungen und der verfügbaren Energie. Eine isolierte Betrachtung der statischen Stromverteilung ist zur Entwicklung des Energiemanagements aufgrund der Vernetzung aller Komponenten des Bordnetzes nicht mehr möglich. Erforderlich ist stattdessen eine alle Fachbereiche übergreifende Betrachtung des Gesamtsystems mit allen Aspekten der Elektronik, der Mechanik, der Thermik und der Software.

Bild 4-147: Europäischer Fahrzyklus für Emissions- und Verbrauchsmessungen der Motor Vehicle Emissions Group (MVEG)

Energienetze werden für vergleichbare Resultate üblicherweise mit standardisierten Fahrzyklen wie dem MVEG-Zyklus (Bild 4-147) getestet. Dieser Fahrzyklus beschreibt die Drehzahl des Motors über eine Dauer

294 von 600 Sekunden. Fahrzyklen liegen in der Regel in Tabellenform vor und können in der Simulation verwendet werden. Die Ladebilanzanalyse erfordert darüber hinaus Modelle für Quellen (Batterie, Generator), Senken, Verteilung und Regelung, die relativ abstrakt das zeitliche Verhalten wiedergeben. Die Untersuchung von Lade- und Energiebilanzen soll sicherstellen, dass der Generator alle Leistungsanforderungen erfüllen und dabei die Batterie immer noch laden kann. Während in der Vergangenheit die Berechnungen rein statisch für ausgewählte Betriebszustände erstellt wurden [9], müssen heute anhaltende, aber auch kurzzeitige Betriebszustände mit wechselnden Lasten in der Simulation verifiziert werden. Die für die Simulation benötigten Informationen über Betriebszustände der Komponenten hat in der Regel der Zulieferer. Da der Austausch dieser Daten in Papierform aufwändig und fehlerträchtig ist, gibt es Bestrebungen, diese Daten in Form von Simulationsmodellen auszutauschen. Aus diesem Grund kommt der Verfügbarkeit eines einheitlichen Standards zur Verhaltensmodellierung besondere Bedeutung zu. Ausgehend vom SAE-Standard J2546 beschäftigt sich der Zusammenschluss mehrerer deutscher Automobilhersteller und Zulieferer im VDA FAT AK 30 mit der Etablierung eines solchen Standards. Bereits kurz nach der Verfügbarkeit erster Werkzeuge wurde ein praxisnahes Modell eines

Bild 4-148: Energienetz-Simulation

4 Bordnetz und Vernetzung Bordnetzes zur Ladebilanzsimulation vorgestellt [10]. Bild 4-148 zeigt den konzeptionellen Aufbau dieses Zweispannungsbordnetzes bestehend aus Generator, Batterie, verschiedenen Verbrauchern im 14-V-Netz und einem DC/DC-Konverter für ein 42-V-Subnetz. Die äußeren Rahmenbedingungen der Simulation werden durch den Fahrzyklus und das Lastprofil, das z.B. das manuelle Zuschalten von Verbrauchern beschreibt, festgelegt. In der Simulation kann weiterhin die Umgebungstemperatur verändert werden. Dies ermöglicht eine effiziente und reproduzierbare Verifikation verschiedener Betriebzustände. Verbraucher werden als Energiesenken beschrieben, deren Leistungsaufnahme konstant ist oder sich in Abhängigkeit von Drehzahl, Geschwindigkeit, Auslastung oder Zeit ändert. Das Verhalten des DC/DC-Wandlers wird einfach und effektiv als Energiespeicher beschrieben, der über einen begrenzten Strom aus dem 14-V-Netz versorgt wird und die Energie geregelt über ein PI-Glied an das 42-V-Netz abgibt. Eine wesentliche Kenngröße dieses Systems ist die Generatorauslastung (in Prozent) im Verhältnis zum maximalen Ausgangstrom. Das Generatormodell berechnet den maximal verfügbaren Strom in Abhängigkeit von Temperatur und Generatordrehzahl. Darüber hinaus ermöglicht ein elektrisches Verhaltensmodell der Batterie Aussagen über deren Ladezustand.

4.7 Simulation von Bordnetzen Es existieren Batteriemodelle mit detaillierten elektrochemischen Prozessbeschreibungen, die sehr genau selbst Temperatur und Alterungseffekte wiedergeben. Fahrzyklussimulationen mit dieser Art von Modellen ermöglichen Ladebilanzanalysen in Minuten. Im Vergleich dazu dauern Tests an Fahrzeugen oftmals Tage, da die Batterie zunächst in einen definierten Zustand gebracht werden muss, bevor die Testfahrt erfolgt. Mit diesem Systemmodell zur Bordnetzsimulation lassen sich verschiedene Betriebszustände überprüfen. Die Simulation der ursprünglichen Konfiguration des Bordnetzes aus Bild 4-148 mit gleichzeitigem Betrieb mehrerer Hochstromverbraucher resultiert in den Netzspannungen, die in Bild 4-149 mit gestrichelten Linien gezeigt sind. Im Winterbetrieb mit Kaltstart, Gebläse, Klimaanlage, Scheiben- und Sitzheizungen usw. fallen die Spannungen für längere Zeit unter die zulässigen Minima von 12 V bzw. 36 V und die Batterie entlädt sich. Dies lässt darauf schließen, dass der Generator und die Strombegrenzung des DC/DC-Wandlers falsch ausgelegt sind. Durch Variation der Modellparameter kann das dynamische Verhalten des Systems optimiert werden. Die durchgehenden Linien in Bild 4-149 zeigen einen Test mit einer vergrößerten Auslegung des Generators (150 A statt 60 A) und des DC/DC-Konverters (60 A statt 25 A). Beide Versorgungsspannungen liegen nun

Bild 4-149: Simulationsergebnisse der Ladebilanzanalyse

295 auch beim Betrieb von Hochstromverbrauchern im Leerlauf über 12 V bzw. 36 V. Für die ersten ungefähr drei Sekunden des Fahrzyklus erfolgt ein verzögerter Anstieg der Spannung auf den Nominalwert, der sich aus der Verzögerung des Reglers im Generator auf Lastschwankungen ergibt. Während dessen wird das Bordnetz von der Batterie versorgt. Gut zu erkennen ist die Spannungsspitze im 42-V-Netz zum Zeitpunkt 105 Sekunden. Diese wird durch die geschalteten Lasten verursacht. Die vereinfachten Modelle liefern gute qualitative Ergebnisse, die für die Auslegung des Energiemanagements hinreichend sind. Auslegung elektrischer Komponenten Frühe Analysen der Architekturen verwenden Modelle der Komponenten mit relativ wenigen Detailinformationen. Die Detailinformationen sind in einem frühen Entwicklungsstadium oft nicht vorhanden und in der Regel auch nicht nötig. Die Auslegung von Komponenten hingegen erfordert meist zusätzliche Information zur genaueren Abbildung des Verhaltens. Im Fall einer Blinkerschaltung mit Glühlampen spielt das dynamisch-thermische Verhalten eine wichtige Rolle. Wie Bild 4-150 zeigt, bewirkt der geringe Widerstand eines kalten Glühfadens, dass bei jedem Blinken eine Stromspitze entsteht.

296

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-150: Simulation zur Blinkerauslegung

Beim zweiten Blinken ist diese kleiner, da sich das Filament nicht vollständig abkühlt. Kenntnisse über diese Stromspitzen sind wichtig zur Dimensionierung der Sicherung. Beim einseitigen Linksblinken bleibt die Temperatur der Sicherung immer weit unter dem Schmelzpunkt von 400 °C. Bei Betrachtung der Filamenttemperatur der linken Lampe während der Warnblinkfunktion fällt auf, dass nach zwei Pulsen die Lampe nicht mehr leuchtet. Der Grund liegt beim größeren Strom durch die Sicherung, der zum Zeitpunkt 8,4 Sekunden zum Überschreiten des Schmelzpunktes der Sicherung führt. Die Aufheizung läuft durch den geschalteten Strom über mehrere Blinkzyklen verteilt ab, in diesem Fall über zwei Zyklen. Nur ein dynamisches Modell kann solche nichtstetigen Last- und Temperatureffekte korrekt erfassen.

Leitungen Mit wachsendem Detaillierungsgrad der Simulation im Laufe des Entwicklungsprozesses werden Leitungsmodelle unter anderem für die optimale Auslegung von Kabelbäumen interessant. Dazu reicht für erste Betrachtungen eine DC-Analyse, um Informationen über Spannungsabfälle usw. zu erhalten. Zur Parametrisierung eines Leitungsmodells werden neben der Länge auch Querschnitt und Leitwert benötigt. Üblicherweise werden Leitungen allerdings über Kabeltypen spezifiziert. Mit VHDL-AMS können abstrakte Datentypen definiert und den Modellen in einer Bibliothek zur Verfügung gestellt werden. Ein amerikanisches Kabelmodell beispielsweise kann sich dann lediglich auf den gebräuchlichen AWG-Typ (American Wire Gauge) beziehen, ohne dessen tatsächliche elektrische Charakteristika explizit aufzulisten.

4.7 Simulation von Bordnetzen

297

package wire_physics is type american_wire_gauge is (awg10, awg12, …); function wire_select (selection : in american_wire_gauge) return real; end package wire_physics; package body wire_physics is function wire_select (selection : in american_wire_gauge) return real is begin case selection is when awg10 => return 0.00328; -- Resistance (Ohms per meter) when awg12 => return 0.00521; … end case; end function wire_select; end package body wire_physics; Bild 4-151: Spezifikation von Leitungseigenschaften für die Simulation

Die Verbindung zwischen Typ und Eigenschaften wird nach Bild 4-151 in dem Package „wire_physics“ hergestellt, wobei sich das verwendete Modell zur besseren Übersicht auf den Widerstandsbelag beschränkt. Zunächst wird der Datentyp „american_wire_gauge“ definiert, der später vom Benutzer als Parameter der Modellschnittstelle ausgewählt wird. In der funktionalen Beschreibung der Leitung wird dann mit dem Funktionsaufruf „wire_select“ der eigentliche Widerstandbelag in einer case-Anweisung zugewiesen. Vergleichbare Bibliotheken im deutschsprachigen Raum verwenden anstelle des AWG-Typs meist geometrische Kenndaten wie Querschnittsfläche usw. In der Anwendung kann so der optimale Kabeltyp schnell gefunden werden. Beispielsweise ist für Abblend- und Fernlicht im linken und rechten Scheinwerfer durch die Topologie eine um einen Meter unterschiedliche Verkabelung vorgegeben. Eine DCAnalyse berechnet die Temperaturen der Filamente mit 2544,87 K und 2546,63 K. Dies liegt innerhalb der Spezifikation und die Auslegung der Leitung mit einem AWG12 wurde für die Last der Lampen korrekt dimensioniert. Der Unterschied von ca. 1,8 K, bedingt durch die längere Leitungsführung zum rechten Scheinwerfer, bewirkt keine signifikanten Helligkeitsunterschiede. Eine Betrachtung der Spannung an den Bremslichtern zeigt eine deutliche Spannungsdifferenz von 0,3 V zwischen dem linken und dem rechten Bremslicht. Dies resultiert in einem Unterschied der Filamenttemperatur von ca. 35 K und einer wahrnehmbaren Helligkeitsdifferenz der beiden Bremslichter. Es muss hier also für die längere Leitung ein Kabeltyp mit niedrigerem Widerstand verwendet werden.

Mechatronische Systeme In der Mechatronik wird das Zusammenwirken elektrischer mit nichtelektrischer Funktionalität betrachtet, beispielsweise mit Mechanik oder Hydraulik. Der Entwurf mechatronischer Systeme stellt besondere Anforderungen an die verwendeten Werkzeuge. Unter anderem müssen mechanische Komponenten spezifiziert, Schaltungen entwickelt und Software geprüft werden. Die enge Verkopplung der verschiedenen Ingenieursdisziplinen bedingt einen integrierten Entwicklungsprozess, in dem alle Aspekte berücksichtigt werden können. Aus diesem Grund bietet sich VHDL-AMS für mechatronische Aufgabenstellungen an. Der Aufbau eines Lüftersystems (Bild 4-152) mit Sicherung, thermischem Vorwiderstand, Motor und Gebläse beinhaltet mechanische, elektrische und thermische Aspekte. Zwei Schalter (ein/aus und hoch/niedrig) steuern die Lüftergeschwindigkeit. Die Steuerung erfolgt über einen Vorwiderstand zur Reduzierung der Geschwindigkeit. Das Modell dieses Widerstands berücksichtigt die Effekte der Selbsterhitzung. Wärme, die durch den elektrischen Strom erzeugt wird, wird zum einen über ein thermisches RC-Netzwerk (Bild 4-152 unten) an die Umgebung abgegeben und erhöht zum anderen den elektrischen Widerstand. Der Motor wandelt elektrische in mechanische Energie um. Somit sind elektrische, mechanische und thermische Effekte direkt miteinander verkoppelt. Der gewählte Motor hat bei 12 V und 2 A eine Drehzahl von ca. 2000/min (entsprechend einer Winkelgeschwindigkeit von etwa 200/s), welche mit dem Vorwiderstand von 5 : auf eine Drehzahl von etwa 1400/min (entsprechend einer Winkelgeschwindigkeit von etwa 140/s) gedrosselt wird.

298

Bild 4-152: Lüftersystem

Bild 4-153: Simulationsergebnisse für das Lüftersystem

4 Bordnetz und Vernetzung

4.7 Simulation von Bordnetzen Bild 4-153 zeigt das Zusammenwirken elektrischer, thermischer und mechanischer Größen. Jeder Schaltvorgang zur Erhöhung der Drehzahl bewirkt eine Spitze im Strom durch den Motor. Wird der Lüfter zum Zeitpunkt 7 Sekunden direkt auf Maximaldrehzahl geschaltet, entsteht ein Stromimpuls von 12 A. Dies ist ein 6-mal so hoher Strom wie im stationären Betrieb (2 A). Die durch den kurzen Stromimpuls resultierende maximale Erwärmung der Sicherung auf 220 °C bleibt jedoch weit unterhalb ihres Schmelzpunktes von 400 °C und die korrekte Funktion der Schaltung ist gewährleistet. Zuverlässigkeit Die Simulation ist in der Regel eine Vorstufe zum Versuch am Prüfstand oder am Prototypenfahrzeug. Untersuchungen am Versuchsaufbau sind gut geeignet, um die grundsätzliche Funktion sicherzustellen. Im Gegensatz dazu ist der Nachweis der Zuverlässigkeit durch Messungen deutlich schwieriger, da sich der Einfluss einzelner Parameter auf das Systemverhalten nicht ohne weiteres isolieren lässt.

299 Dies ist jedoch mit Hilfe von Simulationen relativ einfach möglich. Es können der Einfluss bestimmter Parameter auf das Systemverhalten erfasst, der Betrieb in extremen Situationen überprüft und die Toleranzen der Komponenten berücksichtigt werden. Um z.B. den Einsatz eines anderen Lüfters im Lüftersystem aus Bild 4-152 zu untersuchen, wird stufenweise das Trägheitsmoment der Lüfterschaufel erhöht. Die Simulation erzeugt für jedes Trägheitsmoment einen Stromverlauf, der in Bild 4-154a jeweils als Kurve dargestellt ist. Größere Trägheitsmomente bewirken höhere Ströme, die zur Überlastung der Sicherung führen können. Alternativ lässt sich analysieren, wie Fertigungstoleranzen der Sicherung einen Ausfall beeinflussen. Bild 4-154b zeigt die Simulationsergebnisse bei Variation einiger Sicherungsparameter unter Berücksichtigung der dynamischen Systemeigenschaften. Eine WorstCase-Analyse, bei der die möglichen Extremwertkombinationen untersucht werden, zeigt Schwankungen des Temperaturverhaltens. Es kommt in mehreren Fällen zu einem unerwünschten Ausfall des Lüfters.

Bild 4-154: Simulation des Lüfters mit variablen Parametern: a) Verschiedene Trägheitsmomente des Lüfters (die unterste Kurve entspricht dem niedrigsten, die oberste Kurve dem höchsten Trägheitsmoment, die dazwischen liegenden Kurven Werten dazwischen), b) Fertigungstoleranzen der Sicherung

300

4 Bordnetz und Vernetzung

architecture directional of wire is quantity v across i through p to m; constant r : real := wire_resistance_select(gauge); type current_direction is (forward, reverse); signal current_monitor : current_direction := forward; -- Current monitor state begin monitor : process begin wait until not i’ABOVE(-1.0*i_reverse_detect); current_monitor <= reverse; assert current_monitor = forward report “ Current Reversal Detected - Possible Sneak Circuit “ severity warning; wait; end process monitor; v == i*r*length; end architecture directional; Bild 4-155: Kabelmodell zur Fehlerstromanalyse

Fehlerstromanalyse Selbst eine gute geplante und durch Simulation abgesicherte Bordnetzarchitektur kann aufgrund der Komplexität der Verbindungen und eingesetzten Komponenten ein unerwünschtes Verhalten zeigen. Ein möglicher Grund dafür sind Fehlerströme. Ein Fehlerstromkreis liegt vor, wenn im typischen Betrieb, also ohne vorliegende Fehler, ein unerwünschter Strom fließt. Es ist in der Regel nicht einfach festzustellen, ob ein Strom erwünscht ist oder nicht. Falls genau bekannt ist, wann welcher Strom fließen soll, lässt sich dies überprüfen. Wenn der Strom vom Sollwertverlauf abweicht, liegt ein Fehlerstrom vor. Eine andere Möglichkeit ist das Erkennen eines Stromflusses in die falsche Richtung, einer so genannten Stromumkehr. Ein Modell zur Erkennung dieses Zustandes ist in Bild 4-155 gezeigt. Der normale Zustand wird durch den Wert „forward“ des Signals „monitor“ angezeigt. Bei einer Vorzeichenumkehr des Stroms wird der Wert auf „reverse“ gesetzt. Die Anweisung assert überprüft den korrekten Betriebszustand und schreibt beim Wechsel der Stromrichtung eine entsprechende Warnmeldung in das Ausgabefenster der Simulation. Eine Beispielschaltung soll folgende Funktionen abbilden: Der Fahrer kann jederzeit über einen Schalter die Innenraumbeleuchtung einschalten, unabhängig davon, ob der Zündschlüssel steckt. Wird die Tür geöffnet, so wird die Innenbeleuchtung eingeschaltet. Beim Öffnen der Tür mit gestecktem Schlüssel ertönt ein Warnsignal. Bild 4-156 zeigt die Aktionen des Fahrers (Tür, Lichtschalter, Zündschloss) und das Verhalten der Lampe. Die Lampe wird korrekt geschaltet, wenn die Zündung eingeschaltet ist und die Tür geöffnet oder der Lichtschalter betätigt wird. Das Warnsignal

ertönt bei geöffneter Tür, allerdings auch bei betätigtem Lichtschalter und steckendem Schlüssel. Zeitgleich mit dem Auftreten des falschen Warnsignals wird die Stromumkehr vom Monitor-Signal angezeigt. Der Strom fließt also ab dem Zeitpunkt 4,5 Sekunden in die andere Richtung als zuvor, was auf einen möglichen Fehlerstrompfad schließen lässt. Mit den Hinweisen der assert-Anweisung im Kabelmodell über Zeitpunkt und Ort der Stromumkehr ist die Suche nach der Fehlerursache deutlich vereinfacht. Dies ist besonders bei komplexen Schaltungen sehr hilfreich. Modellbasierte Funktionsüberwachung Die Verwendung von Modellen mit Funktionsüberwachung ermöglicht die Automatisierung des Verifikationsprozesses. Nicht nur Fehlerströme können automatisch gemeldet werden, sondern auch vielfältige Zustände außerhalb des Normalzustandes. Statt die simulierten Signalverläufe manuell betrachten zu müssen, werden dem Entwickler unmittelbar Fehlerereignisse als Text mitgeteilt. Auf diese Weise wird verhindert, dass kritische Ereignisse übersehen werden. So wird dem Systementwickler bei der Blinkerauslegung (Bild 4-150) im Ausgabefenster eine Warnung ausgegeben, dass zum Zeitpunkt 8,4 Sekunden die Sicherung der Blinker durchgebrannt ist. Besonders bei der Verifikation komplexer Systeme muss so nicht mehr eine Vielzahl individueller Signale betrachtet werden, sondern die Simulation liefert einen Bericht, der als Grundlage für die detaillierte Fehlersuche dient und die gewünschte Systeminformation beinhaltet.

4.8 42-V-Bordnetz

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Bild 4-156: Simulationsergebnisse der Fehlerstromanalyse; der Monitor gibt die Richtung des Stromes an

Literatur zu Abschnitt 4.7

4.8 42-V-Bordnetz

[1] IEEE 1364-2001, Standard for the Verilog Hardware Description Language (HDL) [2] Robert Bosch GmbH: Autoelektrik Autoelektronik, Systeme und Komponenten, 4. Auflage, Vieweg Verlag, Wiesbaden, 2002 [3] M. Paulini, G. Triftshäuser, P. Willutzki, J. Langenwalter: Aufbau einer Integrationsplattform für physikalische Simulation, VDI Systemengineering in der Systementwicklung, VDI Berichte 1374, Wolfsburg, 1997 [4] Joachim Langenwalter, Thomas Heurung: Automotive System Simulation, Power Window FMEA, SAE Dependability Practices TOPTEC, 1999 [5] Peter J. Ashenden, Gregory D. Peterson, Darrell A. Teegarden: The System Designer’s Guide to VHDL-AMS, Morgan Kaufmann Publishers, San Francisco, 2003 [6] Mentor Graphics Corp.: “Fundamentals of VHDL-AMS for Automotive Electrical Systems”, Mentor Graphics Corp., Wilsonville, 2004 [7] Amtsblatt der Europäischen Union, Regelung 101, 31.3.2004, L95/89 [8] Society of Automotive Engineers (SAE): Model Specification Process Standard, J2546, Warrendale, 2002 [9] Tom Denton: Automotive Electrical and Electronic Systems, 2nd ed., Butterworth-Heinemann, Oxford, 2000 [10] Eduard Moser u.a.: Automotive Power Net and Customer – Supplier Model Exchange, ASIM Conference, Bielefeld, 2002 [11] Ronald K. Jurgen: Automotive Electronics Handbook, 2nd ed., McGraw-Hill, New York, 1999 [12] IEEE: Standard VHDL Analog and Mixed-Signal Extensions – IEEE Std 1076.1-1999, IEEE, 1999

Die Zunahme der elektronischen Systeme stellt die Erzeugung und die Verteilung der steigenden elektrischen Ströme vor neue Herausforderungen, so dass eine Erweiterung des bisherigen 14-V-Energienetzes erforderlich ist. In den 60er Jahren entschied man sich für die Umstellung von 6 V auf 12 V. Die damalige Leistungsanforderung im Bordnetz betrug ca. 200 W und die Umrüstung war einfach, da nur wenige Komponenten betroffen waren, nämlich Generator, Batterie, Starter und Licht. Seitdem ist der Leistungsbedarf auf ca. 2500 W angestiegen (Bild 4-157). Zukünftige Systeme bedingen einen Anstieg auf mehr als 3000 W. Derartige Leistungen können mit sinnvollem technologischen Aufwand nur bei höheren Spannungen erzeugt werden. Ein Argument für eine Spannungserhöhung ist in erster Linie die Tatsache, dass die Stromstärke bei Übertragung der gleichen Leistung sinkt. Das Spannungsniveau 42 V ist dabei so gewählt, dass keine Gefährdung für den Menschen entsteht und somit auf einen Schutz gegen direktes Berühren der spannungsführenden Teile verzichtet werden kann. Im Sprachgebrauch wird mit 42 V das vom Generator erzeugte Spannungsniveau bezeichnet, durch das eine Batterie mit 36 V Nennspannung geladen wird.

302

Bild 4-157: Elektrischer Leistungsbedarf eines Fahrzeugs im Wandel der Zeit

Das heutige Automobil steht vor einem Wandel. Bisher rein mechanisch realisierte Funktionen werden durch elektrische Systeme substituiert, unterstützt und verbessert (Bild 4-158). Davon sind Motor und Abgasnachbehandlung, Fahrwerk sowie Heizung und Kühlung betroffen. Diese Systeme stellen hohe Spitzenlasten für das Energienetz in einer Spanne von 1000 W bis 6000 W dar (Bild 4-159). Durch Verdreifachung des Spannungsniveaus von z.B. 14 V auf 42 V werden bei gleicher Leistung die Ströme auf ein Drittel reduziert. Dies lässt eine Reduzierung des Leitungsquerschnittes zu. Die Leitungen werden damit flexibler und lassen sich im Bauraum besser unterbringen. Die Starterleitung für einen Achtzylinder-Dieselmotor im Audi A8 hat heute einen Querschnitt von 95 mm2 und stellt eine gerade noch handhabbare Größe dar. Ein 42-V-Starter gleicher Leistung benötigt lediglich einen Leitungsquerschnitt von 35 mm2. Im optimierten 42-V-Energienetz werden die Übertragungsverluste und das Gewicht auf ca. ein Drittel reduziert. Zusätzlich können die Kosten für Leitungen reduziert werden. Dieses Potenzial kann bei Leitungen, die hohe Ströme übertragen, voll ausgenutzt

4 Bordnetz und Vernetzung werden. Die Elektrifizierung von Nebenaggregaten wie Klimakompressor und Lenkhilfepumpe machen diese unabhängig vom mechanischen Riementrieb. Sie lassen sich dadurch ortsungebundener ins Fahrzeug integrieren und tragen damit zur Optimierung des Fahrzeugpackage bei. In einer freiwilligen ACEA-Selbstverpflichtung hat die Automobilindustrie Europas zugesagt, die CO2Emission im MVEG-Zyklus von ca. 200 g/km bis 2008 auf 140 g/km zu senken. Der ACEA-Zielwert für das Jahr 2012 beträgt 120 g/km. Diese Limitierung der CO2-Emissionen kann nur dadurch erreicht werden, dass der Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge drastisch reduziert wird. Systeme mit höherer Versorgungsspannung werden dabei zum Umweltschutz durch Kraftstoffeinsparung beitragen. Die Einsparungseffekte ergeben sich aus der Wirkungsgradsteigerung und der intelligenten Steuerung von Spannungsversorgungssystemen: Beispielsweise wird die Lenkunterstützung bedarfsgerecht gesteuert. Ein unnötiger Energieverbrauch, wie er in heutigen hydraulischen Systemen durch permanente Aufrechterhaltung des Lenkdrucks entsteht, wird dadurch vermieden. Daraus ergibt sich ein Einsparungspotenzial von 0,2 l/100 km. Ferner bewirken die (bei 42 V) um den Faktor 3 verringerten Stromstärken eine Reduzierung der Verluste in der Stromerzeugung. Außerdem lässt sich durch eine bedarfsangepasste Steuerung der Stromerzeugung des Generators in Abhängigkeit von Brems- und Beschleunigungsvorgängen die Bremsenergie rückgewinnen und in Batterien oder Kondensatoren zur Energienetzversorgung speichern. Im MVEG-Normzyklus ist damit eine Kraftstoffeinsparung von bis zu 10 % realisierbar. Die Verluste im Leitungssatz von heutzutage ca. 8 % können auf ca. 3 % der vom Generator eingespeisten Energie reduziert werden.

Bild 4-158: Gegenwärtige und zukünftige leistungsstarke elektrische Systeme im Kraftfahrzeug

4.8 42-V-Bordnetz

303

Bild 4-159: Erzeugte und verbrauchte Leistungen im Kraftfahrzeug

Der mittlere elektrische Leistungsbedarf von Oberklassefahrzeugen beträgt derzeit 1000 Watt. Über die Wirkungsgradkette vom Kraftstoff über den Verbrennungsmotor, den Generator und die elektrischen Leitungen hin zum Verbraucher bedeutet dies einen Kraftstoffverbrauch von 0,5 l pro Betriebsstunde. Bei Durchschnittsgeschwindigkeiten im Stadtverkehr von 33 km/h (MVEG-Zyklus) entspricht dies einem Kraftstoffverbrauch für elektrische Verbraucher von 1,5 l/100 km. Durch Einführung höherer Spannungen lässt sich dieser Wert um ca. 20 % auf 1,2 l/100 km reduzieren. Die dem Kunden hieraus resultierende Kraftstoffeinsparung beträgt 0,3 l/100 km. Dieses Einsparungspotenzial ist enorm. Zur Erreichung des gleichen Effektes müsste das Fahrzeuggewicht beispielsweise durch aufwendige Maßnahmen um 100 kg reduziert werden.

4.8.1 Energienetz Die elektrische Energieversorgung im Kfz erfolgt durch einen Generator (Stromerzeugung) und eine Batterie (Speicherung elektrischer Energie) (siehe Bild 4-160a). Die Verteilung der elektrischen Energie erfolgt über isolierte Kupferleitungen. Je nach Höhe des jeweiligen Strombedarfs werden Leitungsquerschnitte von 0,25 mm2 (Steuerleitungen) bis zu

95 mm2 (Starterleitung) eingesetzt. Die Art der Verkabelung – Leitungsquerschnitt, Kabellänge, Anzahl der Kontaktstellen usw. – beeinflusst das Spannungsniveau an den Verbrauchern und damit den Batterieladezustand. So ist zum Beispiel beim Batterieverbau im Kofferraum durch entsprechende Kabelquerschnitte ein zu hoher elektrischer Spannungsabfall zwischen Generator und Batterie zu vermeiden. Um die elektrischen Verbraucher vor generatorseitig erzeugten Spannungsspitzen zu schützen, erfolgt die Anbindung der Verbraucher an die elektrische Energieversorgung batterieseitig. Die Batterie wirkt glättend auf die elektrische Spannung. Durch großvolumige Motoren mit Leistungsverbrauchern wie elektrische Kühlerlüfter und Zuheizelemente erreicht die generatorische Nennleistung heute ca. 2,5 kW. Der mittlere elektrische Leistungsbedarf beträgt in Oberklassefahrzeugen ca. 1 kW. Die Batteriegröße beträgt bis zu 110 Ah. Teilweise setzt man 2 Batterien ein. In Effekten wie Lichtflackern bei hohen Strömen zeigen sich die Grenzen des heutigen Energienetzes. Ein Ausbau der elektrischen Energieversorgung führt zum Übergang auf das 42-V-Bordnetz. Zunächst werden einzelne Verbraucher auf 42 V umgestellt. Ein Beispiel hierfür ist die Frontscheibenheizung. Es ergibt sich ein Zweispannungsbordnetz (Bild 4-160b).

304

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-160: Ausführungen des Bordnetzes zur Umstellung von 14 V auf 42 V: a) 14-V-Einspannungsbordnetz, b) Zweispannungsbordnetz 1. Stufe, c) Zweispannungsbordnetz 2. Stufe, d) 42-V-Einspannungsbordnetz

Die schrittweise Umstellung von 14-V-Verbrauchern auf 42 V ist in den hohen Kosten und dem technischen Aufwand für die Umstellung auf 42 V begründet. Andererseits ist für einige Verbraucher wie z.B. Glühlampen, Kleinmotoren und Magnetventile der Betrieb mit 14 V sogar sinnvoll. Die Umstellung von 14 V auf 42 V erfolgt also zunächst nur dort, wo neuer Kundennutzen ausschließlich durch 42 V ermöglicht werden kann oder technische Zwänge vorliegen. Neben der Frontscheibenheizung erfüllen vor allem elektrische Kühlerlüfter für großvolumige Motoren sowie Zuheizelemente und elektrische Lenkungen für die Premiumklasse diese Kriterien. Diese Systeme haben elektrische Spitzenleistungen von über 1 kW. Um den günstigeren Wirkungsgrad eines Generators zu nutzen, ist es sinnvoll, die elektrische Energie auf 42-V-Niveau zu erzeugen und in einer Batterie auf diesem Spannungsniveau zu speichern. Die Versorgung der 14-V-Verbraucher in einem Zweispannungsbordnetz erfolgt dann durch einen Gleichspannungswandler (DC/DC-Wandler, Bild 4-160c). Der DC/DC-Wandler versorgt die 14-V-Verbraucher-

systeme mit hohem Wirkungsgrad (ca. 0,9), insbesondere Steuergeräte und Glühlampen. Die Lebensdauer von Glühlampen nimmt bei höheren Spannungen ab. Statt des Einsatzes eines zentralen DC/DCWandlers gibt es auch Ansätze, jedem Verbraucher oder jeder Verbrauchergruppe jeweils einen eigenen DC/DC-Wandler zuzuordnen. Eine allgemeingültige Architektur für ein Zweispannungsbordnetz gibt es bisher noch nicht. Für die Zukunft sind noch höhere Spannungen (mehrere hundert Volt) denkbar, wenn es darum geht, auch die Antriebstechnk bei sehr hohen Leistungen († 5 kW) zu elektrifizieren (Hybridfahrzeuge).

4.8 42-V-Bordnetz 4.8.1.1 Halbleitertechnologie

Die Automobilindustrie ist, um das Energienetz zuverlässig und kostengünstig weiterentwickeln zu können, auf Erfolge in der Halbleiterforschung und die Produktpalette von Halbleiterherstellern angewiesen. Transistoren oder Schaltkreise für das 14-V-Netz haben sich nach langjähriger Forschung und Entwicklung etabliert. Neben den Anwendungen im Automobil beansprucht der Sektor Kommunikationselektronik einen großen Anteil der Kapazität der Halbleiterindustrie. Dieser Sektor benötigt allerdings Halbleiter, die sich in Richtung kleinerer Spannungen als 14 V bewegen. Halbleiterhersteller müssen dazu motiviert werden, Bauelemente der Mikroelektronik auch für höhere Spannungen auszulegen. Da dies mit einem beträchtlichen Kosten- und Entwicklungsaufwand verbunden ist, bereitet es bislang Schwierigkeiten, geeignete Halbleiter für 42-V-Anwendungen am Halbleitermarkt ausfindig zu machen. Auch Halbleiter, die mit geringeren Spannungen betrieben werden, müssen diese Forderung nach Spannungsfestigkeit erfüllen. Durch Manipulation oder Kurzschluss in einem Steuergerät können Teile des Energienetzes, die beispielsweise der Signalübermittlung dienen, unbeabsichtigt mit 42 V beaufschlagt werden. Damit die angeschlossene Elektronik nicht in ihrer Funktion beeinträchtigt oder gar zerstört wird, muss diese ggf. komplett auf eine Überspannungsfestigkeit von 42 V entwickelt werden (Bild 4-161) oder

Bild 4-161: Spannungsfestigkeit der Elektronik

305 es wird ein Kurzschlussschutz durch z.B. galvanische Trennung eingeführt. Der Übergang von 14-V- zu 42-V-Komponenten bringt eine Reihe von Vorteilen bezüglich der Halbleiterbaugrößen. Bei gleicher Leistung eines Verbrauchers reduziert sich der aufgenommene Strom auf ein Drittel, wenn von 14 V auf 42 V Versorgungsspannung übergegangen wird. Je nach Anwendung verringert sich die Verlustleistung im Halbleiter auf ca. 10 bis 30 %, was zur Folge hat, dass weniger Wärme aus dem Bauteil abgeführt werden muss. Die Kühlfläche, welche die Größe der Bauelemente maßgeblich beeinflusst, kann somit ebenfalls adäquat reduziert werden. Daraus resultieren beachtliche Platz- und Kosteneinsparungen. 4.8.1.2 Energiespeicherung

Die Einführung des Energienetzes mit höherer Spannung hat den Bedarf an zusätzlichen elektrischen Energiespeichersystemen zur Folge. Hierfür kommen moderne, innovative Systeme in Frage, die alle spezifische Stärken, aber auch Schwächen aufweisen. Lithium-Ionen-Batterien zeichnen sich durch eine besonders hohe Energiedichte (240 Wh/l, 90 Wh/kg) und durch eine hohe Einzelzellenspannung (3,7 V) aus (im Vgl. Blei: 2 V). Neben den bisher mangelnden Kenntnissen über die Zuverlässigkeit dieses Batterietyps bei Anwendungen im Automobil sind die Kosten und der Sicherheitsaspekt Kritikpunkte an diesem System.

306 Bleiakkumulatoren in Wickeltechnik stellen gegenüber den herkömmlichen Blei-Säure-Batterien in Platten- und Nasstechnik eine Innovation dar, die die Stärken der Spiraltechnik (höhere Leistungsdichte bei maximaler Raumausnutzung) mit denen der Vliestechnik (Korrosionsstabilität, verbesserte Zyklisierbarkeit, vollständig verschlossenes System) verbindet. Als problematisch gelten aber die erhöhte Gefahr eines Ausfalls durch Überhitzung sowie der verringerte Masseausnutzungsgrad. Superkondensatoren sind Doppelschichtkondensatoren mit besonders großer Kapazität (10 – 100 Farad). Sie schließen die Lücke zwischen Batterien und traditionellen Kondensatoren und eignen sich hervorragend für die sehr schnelle Aufnahme und Abgabe von elektrischer Energie. In einem Energienetz könnten sie als Hochgeschwindigkeitsleistungsspeicher eingesetzt werden, z.B. für die Rekuperation (Rückspeisung) von Bremsenergie oder für die Spitzenlastversorgung einzelner Verbraucher (z.B. elektrische Bremse, elektrische Lenkung). Ihre Zyklisierbarkeit liegt mit über 100 000 um den Faktor 100 über dem aller bisher bekannter Batteriesysteme. Als Nachteil von Superkondensatoren ist ihre niedrige Energiedichte sowie ihre hohe Selbstentladung zu nennen. Bei den derzeit verfügbaren Systemen kommen Probleme mit der Lebensdauer hinzu. Die geplante Spannungserhöhung im Kfz bedeutet für die Energiespeichersysteme auf Blei-Säure-Basis eine Verdreifachung der Zellenzahl. Dies kann aufgrund der schwierigeren Symmetrisierung der einzelnen Zellen zu vorzeitigen Ausfällen und zu einer Verminderung der Lebensdauer führen, denn die schwächste Zelle innerhalb einer Batterie bestimmt deren Gesamtqualität, d.h. je höher die Zellenzahl in einer Batterie wird, desto größer wird das Risiko, dass eine einzelne schwache Zelle zum Ausfall der gesamten Batterie führt. Die Batterieindustrie muss ihre Aktivitäten in Forschung und Entwicklungsprojekten erheblich forcieren, um in Zusammenarbeit mit ihren Kunden die beschriebenen Probleme zu lösen. Hier wird ein Innovationsschub auf dem Gebiet der Energiespeicher eine entsprechend rapide Anwendung in der Automobiltechnik zur Folge haben. 4.8.1.3 Generatoren

Neben der Energiespeicherung stellt die elektrische Stromerzeugung im 42-V-Energienetz eine Herausforderung für die Automobilindustrie dar. Während 14-V-Generatoren in bisheriger Bauweise bei ca. 3 kW an ihre Leistungsgrenze stoßen, wird im 42-VEnergienetz eine Leistungserhöhung möglich. Ein wesentlicher Grund liegt dabei in der Reduzierung der Verlustleistung der Gleichrichterhalbleiter, da

4 Bordnetz und Vernetzung kleinere Ströme fließen. Eine Steigerung der Leistung von Generatoren heutiger Bauweise auf bis ca. 4 kW wird dadurch im 42-V-Energienetz realisierbar. Die Leistungssteigerung auf Basis heutiger passiv gleichgerichteter Klauenpolmaschinen ist durch Bauraumvorgaben moderner Motorenkonzepte beschränkt. Generatorleistungen von über 4 kW erfordern die Einführung neuer Technologien. Der Weg zu gesteigerter Leistung führt über den Ersatz des passiven Gleichrichters durch einen aktiven Pulswechselrichter. Eine intelligente Elektronik macht hierbei Leistungen von bis zu 5 kW möglich. Gleichzeitig wird durch den Einsatz des Pulswechselrichters ein motorischer Betrieb möglich. Für weitere Leistungssteigerungen über 5 kW hinaus ist der Riemenantrieb des Verbrennungsmotors nicht mehr geeignet. Solche Anforderungen bedingen die Kraftübertragung direkt über die Kurbelwelle. Diese Ausführungsart des integrierten Startergenerators (ISG) wird als Kurbelwellenstartergenerator (KSG) bezeichnet. Mit dem Einsatz neuer Technologien wird auch der Generatorwirkungsgrad gesteigert. Während herkömmliche Klauenpolmaschinen auf 14-V-Basis Wirkungsgrade von ca. 65 % erreichen, erhöht der Umstieg auf 42 V bei gleicher Technologie den Wirkungsgrad um ca. 5 bis 10 %. 4.8.1.4 Integrierter Startergenerator

Wie bereits dargestellt, wird in zukünftigen Fahrzeuggenerationen der elektrische Energiebedarf stark steigen. Die Einführung einer neuen Stromerzeugungstechnologie bildet dabei die Voraussetzung zur Erfüllung dieser Anforderungen. Die elektrische und elektronische Infrastruktur im 42-V-Bordnetz ist die Basis für diese Technologie. Der Einsatz einer neuen Stromerzeugungstechnologie wird ab einem elektrischen Leistungsbedarf von über 5 kW zwingend erforderlich. Das heute bestehende, getrennt ausgeführte Start- und Generatorsystem wird dabei zu einem Startergeneratorsystem zusammengeführt. Aus zwei elektrischen Maschinen wird eine Maschine, die zusätzliche Funktionalitäten bietet. Startergeneratoren besitzen Vorteile in Bezug auf Kraftstoffeinsparung und Abgasreduktion. Die Kraftstoffeinsparung ergibt sich zunächst aus einem verbesserten Wirkungsgrad im Generatorbetrieb (Bild 4-162). Zusätzliches Potenzial ergibt sich außerdem durch einen Start-Stopp-Betrieb, bei dem der Motor in Stillstandsphasen, z.B. an der Ampel, abgeschaltet wird. Ein schneller und geräuschloser Start ermöglicht dann ein nahezu verzögerungsfreies Weiterfahren. Realisierbar wird dieser sog. Komfortstart durch eine sehr gute und geräuschlose Kraftübertragung. Durch diesen komfortablen Start-Stop-Betrieb sind Kraftstoffeinsparungen von bis zu 7 % möglich.

4.8 42-V-Bordnetz

Bild 4-162: Wirkungsgrade verschiedener Generatoren bei Volllast: 1 Kurbelwellenstartergenerator 42 V, 2 integrierter Startergenerator 42 V, 3 Klauenpolgenerator 42 V, 4 Klauenpolgenerator 14 V

Für den integrierten Startergenerator gibt es verschiedene Einbauvarianten, z.B. als seitlicher Anbau, zwischen Motor und Getriebe oder auf der Kurbelwelle vorne am Motor. Ein wesentlicher Unterschied der Ausführungsformen besteht dabei im benötigten Bauraum, der bei verschiedenen Fahrzeugherstellern unterschiedlich ausgenutzt werden kann. Der Seitenanbau zeichnet sich durch das Ausnutzen des in heutigen Fahrzeugen für den herkömmlichen Generator zur Verfügung stehenden Bauraumes aus. Bei dieser Variante ist ein Zusatzgetriebe auf der Kurbelwelle nötig, um das zum Start erforderliche Drehmoment zur Verfügung zu stellen. Der zur Kraftübertragung verwendete Riemen stellt hier das limitierende Bauteil dar. Insgesamt bereitet die Akustik beim Seitenanbau größere Probleme als bei der Anordnung zwischen Motor und Getriebe. Dabei findet die Kraftübertragung direkt über die Kurbelwelle statt. Nachteilig wirkt sich die nötige Aggregateverlängerung aus. Die Batteriebelastung – und damit die Batterieverfügbarkeit – stellt bei einer Startübersetzung von 1 : 1 allgemein ein großes Problem dar. Dies gilt analog für einen Einbau vorne am Motor. Voraussetzung für die Anordnung vorne am Motor ist außerdem der Entfall des heutigen Riementriebes, wobei der Einfluss der auftretenden Torsionsschwingungen auf die Kurbelwellenhaltbarkeit zu beachten ist. 4.8.1.5 Energiemanagement

Viele der neuen Systeme (z.B. elektrische Lenkung, elektrischer Turbolader) stellen hohe Spitzenlasten für das Energienetz dar und sind nur kurzzeitig in Betrieb. Die Schere zwischen der mittleren Leistungsaufnahme im Energienetz und der maximal

307 erforderlichen öffnet sich. Einige dieser Hochleistungssysteme (z.B. Heizsystem) lassen jedoch zu, dass sie zur Vermeidung von unzulässig hohen Spitzenlasten kurzzeitig und vom Kunden unbemerkt abgeregelt werden können. Bei abgestelltem Fahrzeug wird eine wachsende Anzahl an Stillstandsverbrauchern wie Radio, Fax und TV betrieben. Die Ruhestromaufnahme bei abgestelltem Fahrzeug steigt durch zunehmende elektronische Systeme stetig an. Die Anforderungen an das zukünftige Bordnetz umfassen eine Abdeckung der Spitzenströme, eine Versorgung der Standenergieverbraucher und die Startfähigkeit zu jedem Zeitpunkt. Das zugehörige Energiemanagement umfasst daher eine Batteriediagnose (durch Messung von Batteriespannung, Batterietemperatur und Batteriestrom) zur Berechnung und Anzeige des Batterieladezustandes sowie eine Generatorschnittstelle zur Regelung der Batterieladespannung und zur Diagnose der Generatorfunktion. Außerdem ist ein Ruhestrommanagement zur Überwachung und Reduktion der Ruheströme im Bedarfsfall bei zu geringem Batterieladezustand und ein dynamisches Energiemanagement zur Priorisierung und Regelung der Hochlastsysteme und zur Anhebung der Leerlaufdrehzahl im Bedarfsfall implementiert. Das Energiemanagement wird dabei zu einem wichtigen und integralen Bestandteil der Energieversorgung, insbesondere zur stabilen elektrischen Energieversorgung. Der Mindestladezustand für den Start wird sichergestellt und die Zuverlässigkeit des Fahrzeuges gesteigert. 4.8.1.6 Rekuperation

Die Rückgewinnung der Bremsenergie stellt eine wirkungsvolle Maßnahme zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs dar. Hierbei wird die Erzeugung der elektrischen Energie vorzugsweise während der Bremsphasen durchgeführt. Zur Umsetzung der hohen Bremsenergien (z.B. ca. 2000 kWs im MVEGZyklus bei Mittelklassewagen) sind leistungsstarke Generatoren und Speichersysteme erforderlich (Bild 4-163). Bei Einsatz eines Generators mit 42 V und 100 A und eines 50-F-Superkondensators lassen sich im MVEG-Zyklus ca. 30 % der Bremsenergie rückgewinnen. Ein DC/DC-Wandler setzt die Kondensatorspannung zur Versorgung des Energienetzes und zum Laden der Batterie um. Im MVEG-Zyklus ergibt sich so für einen Mittelklassewagen eine Leistungsausbeute von ca. 300 W. Weiterhin werden bevorzugte Generatorbetriebsbereiche im Motorkennfeld festgelegt, so dass der Systemwirkungsgrad gesteigert wird. Insgesamt sind so im MVEG-Zyklus 10 % Kraftstoffeinsparung realisierbar.

308

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-163: Bordnetz zur Rückgewinnung der Bremsenergie

4.8.2 Verbrauchersysteme 4.8.2.1 Elektrisch beheizbarer Katalysator

Die Forderungen der Gesetzgeber nach immer saubereren Fahrzeugen hat einen starken Einfluss auf das Motorenkonzept. Das Beispiel der Schadstoffgrenzwerte wie Kohlenwasserstoffe und Stickoxide in Kalifornien macht deutlich, dass die Technik ständig verbessert werden muss, um die geforderten Abgasemissionen einhalten zu können. Um diesen harten Anforderungen zu genügen, bietet ein elektrisch heizbarer Katalysator in der Kaltstartphase des Motors ein hohes Potenzial zur Abgasreduzierung. Zur optimalen Ausnutzung des Katalysatorpotenzials durch elektrische Beheizung und damit zur größten Abgasreduktion ist ein schnelles Aufheizen (in ca. 6 s) nötig. Dies wiederum hat eine Heizleistung von bis zu 6 kW zur Folge. Das Gesamtsystem umfasst dabei die Komponenten

elektrischer Heizkatalysator, Leistungssteuergerät, Kabel und Energiebereitstellung mittels Zusatzbatterie und DC/DC-Wandler (Bild 4-164). Die erforderliche hohe Heizleistung innerhalb kürzester Zeit erzwingt dabei ein vom 14-V-Netz entkoppeltes 42-V-Teilnetz. Erst mit erhöhter Spannung wird es möglich, die hohe Leistung bei verträglichen Leitungs- und Schaltverlusten zu übertragen und eine Rückwirkung auf das 14-VBordnetz zu vermeiden. Die Energiemenge für einen Heizzyklus ist aufgrund der kurzen Heizzeit verhältnismäßig gering. Dies bedeutet, dass der Einfluss auf die Ladebilanz nur gering ist. Allerdings setzt eine hohe Anforderung an Leistungs- und Zyklenfähigkeit der Zusatzbatterie gezielte Entwicklungstätigkeiten voraus. Das Laden der Zusatzbatterie erfolgt über einen regelbaren DC/DC-Wandler.

Bild 4-164: Bordnetz mit elektrisch heizbarem Katalysator

4.9 Entwicklungsprozess und Produktlebenszyklus

309

Bild 4-165: Frontscheibenheizung eines Audi A8 mit zugehöriger Energieversorgung

Er steuert den Ladevorgang der Batterien optimal, erhöht dadurch die Lebensdauer des Energiespeichers und überprüft die Einsatzbereitschaft der Heizmaßnahme. Als Schalter ist ein Leistungshalbleitermodul erforderlich, das den Heizvorgang einleitet und den Katalysator nach dem Beheizen wieder von der Zusatzbatterie trennt. Hohe Zuverlässigkeit bei kompakter Bauweise für eine abgasrelevante Komponente erfordern besonderes Augenmerk bei der Entwicklung. 4.8.2.2 Frontscheibenheizung

Selbst bei modernen Fahrzeugen stellt eine vereiste Frontscheibe im Winter heute noch ein lästiges Übel und ein Sicherheitsrisiko dar. Eine freigekratzte Scheibe kann nach kurzer Fahrstrecke wieder beschlagen und man fährt „blind“ im Straßenverkehr. Einige Fahrzeughersteller bieten deshalb drahtbeheizte Frontscheibenheizungen mit vergleichsweise bescheidenen Heizleistungen von etwa 500 W an. Mit diesen Heizleistungen kann man eine Scheibe beschlagsfrei halten, ein Abtauen in akzeptabler Zeit ist jedoch nicht möglich. Außerdem wird die Sicht durch Lichtbeugung an den feinen Drähten besonders nachts bei Nässe und Gegenlicht beeinträchtigt. Aus diesen Gründen hat Audi eine drahtlose 1000-WFrontscheibenheizung auf 42-V-Basis in Serie gebracht. Als Heizelement dient die bei Dämmglas bereits vorhandene dünne Metallfolie zwischen Innen- und Außenglas. Am oberen und unteren Scheibenrand ist die Folie mit unsichtbaren Sammelschienen verbunden, an denen die Spannungsversorgung angeschlossen wird (Bild 4-165). Damit die Lichtdurchlässigkeit der Frontscheibe nicht unzulässig eingeschränkt wird, muss die zur Beheizung eingebrachte Metallfolie hinreichend dünn sein, so dass der Anschlusswiderstand mindestens 1,75 : beträgt. Für eine Heizleistung von 1000 W ist deshalb eine elektrische Spannung von 42 V notwendig. Mit

1000 W lässt sich eine vereiste Scheibe bei –4 °C innerhalb von einer Minute vollständig abtauen. Bei tieferen Temperaturen verlängert sich die Abtauzeit um 8 s/°C. Die Aktivierung der Heizung erfolgt automatisch, abhängig von der Umgebungs- und Kühlwassertemperatur. Ein manuelles Zuschalten durch Betätigen der Defrost-Taste ist ebenfalls möglich. Mit 1000 W stellt die Frontscheibenheizung hohe Anforderungen an das Bordnetz. Ein intelligentes Energiemanagement im DC/DC-Wandler verhindert zuverlässig die Entladung der Batterie in den Heizphasen. Bei drohender Überlastung des Bordnetzes wird die Ausgangsspannung des Wandlers stufenlos reduziert und damit die Heizleistung vermindert. Eine Entladung oder übermäßige Beanspruchung der Fahrzeugbatterie während der Heizphasen wird somit verhindert.

4.9 Entwicklungsprozess und Produktlebenszyklus 4.9.1 Einführung Steigende Innovationsgeschwindigkeiten, verkürzte Produktlebenszyklen und eine anhaltende Diversifizierung der Produktpalette kennzeichnen die derzeitige Situation der Automobilindustrie. Über 90 Prozent der Innovationen im Automobilbereich sind von Elektrik und Elektronik getrieben. In den heutigen Fahrzeuggenerationen werden Funktionen realisiert, die noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären. Neuartige Fahrwerksregelsysteme, Navigationssysteme, Bedieneinheiten und Motorsteuergeräte sind nur einige Beispiele der Innovationen der letzten Jahre. Bedingt durch die steigende Anzahl an Steuergeräten und Funktionen in einem Fahrzeug ist die Komplexität dazugehöriger Softwaresysteme stark angestiegen.

310

4 Bordnetz und Vernetzung

Bild 4-166: Systematische Übersicht der einzelnen Phasen des Produktentstehungsprozesses

Die Beherrschung der Fahrzeugentwicklung avanciert so zu einem bedeutenden Erfolgsfaktor deutscher Unternehmen. Dabei spielt die Tatsache, wie schnell ein Fahrzeug entwickelt wird, eine wichtige Rolle. Bei der BMW AG wird der Prozess von der ersten Idee bis zur Serienproduktion mit „Produktentstehungsprozess“ (PEP) bezeichnet. Er unterscheidet sich wesentlich von der früheren Vorgehensweise in der Automobilentwicklung. Statt nacheinander werden möglichst viele Aufgaben simultan erledigt. Dabei gilt es nicht nur, ein Fahrzeug zu entwickeln. Die eigentliche Kunst im PEP liegt in der parallelen Entwicklung von immer mehr Funktionen und neuen Fahrzeuggenerationen in immer kürzerer Zeit. Die hohe Komplexität im PEP spiegelt sich in der Vielzahl von parallelen und seriellen Teilprozessen wieder. Die Beherrschung dieser komplexen und vernetzten Prozesse befähigt die Unternehmen, sich im weltweiten Markt besser zu positionieren.

4.9.2 Produktlebenszyklus In den frühen Phasen eines Produktentstehungsprozesses (siehe Bild 4-166) liegen sehr wenig Informationen vor; weder über den Verlauf des Entwicklungsprozesses noch über die spätere Lösung, über Produkteigenschaften oder das fertige Produkt selbst. Dies ist bei Aufgabenstellungen mit einem hohen Innovationsgrad und bei komplexen Aufgabenstellungen besonders ausgeprägt, bei denen Neuland betreten werden muss (z.B. beim Einsatz neuer Technologien). Das Wissen und die Erfahrung auf diesem Gebiet nehmen erfahrungsgemäß erst im Laufe des Projekts zu und erreichen gegen Ende der Entwicklung und bei der Umsetzung des Produktes ihr höchstes Niveau. Die frühen Phasen der Produktentstehung stellen aufgrund der Chance der frühen Weichenstellung für das gesamte Entwicklungsprojekt auch eine große Herausforderung dar. Ihre Bedeutung kann nicht hoch genug eingestuft werden. Zum einen sind sie sehr wichtig, da hier ein Großteil der Kosten und der Produkteigenschaften festgelegt wird, obwohl die vorhanden Informationen über das zu entwickelnde Produkt noch gering sind. Die zu Beginn eines Produktentstehungsprozesses getroffenen konzeptionellen Entscheidungen beeinflussen Qualität, Kosten und Entwicklungszeit eines zukünftigen Produktes in

höchstem Maße. Zum anderen können Fehlentscheidungen in dieser Phase zu katastrophalen Spätfolgen führen, die erst bei der Entwicklung, Herstellung, Kontrolle oder Nutzung entdeckt werden und dadurch auch hohe Kosten verursachen können. Aus diesem Grunde sollen speziell die frühen Phasen (vgl. Bild 4-166) der Produktentstehung intensiv bearbeitet werden, wobei auf eine geeignete methodische Untersuchung besonderer Wert gelegt wird.

4.9.3 Systems Engineering Unter Systems Engineering ist ein strukturierter Entwicklungsprozess zu verstehen, der zunächst lösungsneutral alle Aspekte einer oder mehrerer zu realisierenden Funktionen über den gesamten Produktlebenszyklus unter unternehmerischen und kundenorientierten Gesichtspunkten analysiert, nachvollziehbar dokumentiert und unter Berücksichtigung des Anforderungsmanagements eine Auswahlentscheidung der besten Lösungsalternative trifft. Um eine effiziente Umsetzung zu realisieren, werden alle Instrumente eines modernen Entwicklungsprozesses genutzt: Projektmanagement, Risikomanagement, Konfigurationsmanagement, Änderungsmanagement, Testmanagement, Service-Management, Obsolescence-Management. Weitere Kennzeichen eines Systems-EngineeringAnsatzes sind eine konsequente Top-down-Entwicklung (architekturzentrierter Entwicklungsansatz) in Ergänzung zu der bisher eher vorherrschenden Bottum-up-Entwicklung (komponentenorientierter Entwicklungsansatz) und der konsequente Einsatz modellbasierter Entwicklungsmethodik. Systems Engineering beschränkt sich dabei keineswegs auf das Gebiet der Elektrik und Elektronik, sondern umfasst den Gesamtprozess der Produktentwicklung, auch wenn die Prozesse der Elektrik und der Elektronik derzeit eine gewisse Vorreiterrolle in der Automobilentwicklung übernehmen.

4.9 Entwicklungsprozess und Produktlebenszyklus 4.9.3.1 Projektmanagement

Am Beginn jeder Produktentwicklung steht die Ermittlung und die Festlegung der Produktziele und der Anforderungen, welche an das entsprechende Produkt gestellt werden. Die Anforderungen sind entweder implizit in den technischen Lösungswegen enthalten oder sind in wenigen Fällen auch explizit aus dem Erfahrungspotenzial von Vorgängerprojekten ableitbar. In Bild 4-167 ist in Form einer Pyramide ein hierarchisches Anforderungsmanagement dargestellt. Die Prüfung der Anforderungen auf Konsistenz und Vollständigkeit ist nach wie vor ein anstrengender Prozess, der einerseits Erfahrung und andererseits auch den entsprechenden Überblick erfordert. Deshalb kommt im Rahmen des Produktentstehungsprozesses einem konsequenten Projektmanagement eine wesentliche Rolle zu.

311 turn“ festzulegen und die Entscheidungsprozesse darauf abzustellen. Das Risikomanagement kann eigentlich als ein wichtiger Teilaspekt eines Projektmanagements verstanden werden. Hier hat sich das Coaching durch ein kleines Team von Experten bewährt. 4.9.3.3 Konfigurationsmanagement

Inhalt des Konfigurationsmanagements ist die Zuordnung der festgelegten Anforderungen zu den Systemelementen, die dabei zugrunde liegende Hardwareund Softwarekonfiguration sowie die Vernetzung und die Schnittstellen der Systemelemente. Diese Methode erlaubt ein systematisches Verfolgen der Konfigurationsstände und arbeitet eng mit dem Änderungsund dem Testmanagement zusammen. 4.9.3.4 Änderungsmanagement

4.9.3.2 Risikomanagement

Aufgrund der Systemkomplexität ist bei Fahrzeugprojekten immer mit entsprechenden Risiken zu rechnen, welche durch ein konsequentes Risikomanagement bewältigt werden müssen. Dabei sind zum einen die Risiken zu analysieren und mit Maßnahmen zu belegen. Zum anderen sind die „Points of no Re-

Bild 4-167: Hierarchisches Anforderungsmanagement

Nur ein gut funktionierendes Konfigurationsmanagement ist die Grundlage eines wirksamen Änderungsmanagements. Zwar sind technische Änderungen unvermeidliche Begleiter jeder technischen Entwicklung. Von entscheidender Bedeutung ist aber, in welchem Umfang es gelingt, die Auswirkungen von Änderungen vollständig zu analysieren und in einer Änderungsentscheidung zu berücksichtigen.

312 4.9.3.5 Testmanagement

Das Testmanagement muss bereits in einer sehr frühen Systementwicklungsphase damit beginnen, die Teststufen und ihre Zeitpunkte sowie die jeweiligen Testumfänge festzulegen, die dazu notwendigen Konfigurationen zu definieren, den Abgleich der Testbedingungen mit den Inhalten des Anforderungsmanagements vorzunehmen und gegebenenfalls die Entwicklung neuer Testmethoden und Tools rechtzeitig anzustoßen. 4.9.3.6 Service-Management und ObsolescenceManagement

Häufig unterschätzt man die Bedeutung einer frühen Betrachtung der Serviceanforderungen hinsichtlich Diagnose, Programmierdauer, Reparatur oder Kompatibilitäts- und Ersatzteilstrategie. Versäumt man diese Aspekte schon früh im Systemdesign zu berücksichtigen, ergeben sich meist erhebliche Auswirkungen auf die Folgekosten. Andererseits führt die starke Fokussierung der Entwickler auf die Realisierung der kundensichtbaren Funktionen tendenziell dazu, dass den so genannten Systembasisfunktionen wie Netzwerkmanagement, Speichermanagement oder Systemdiensten wie Diagnose, Flash, Energiemanagement weitaus weniger Gewicht im Rahmen der Entwicklung zukommt.

4.9.4 Software-Qualitätssicherung Qualitätssicherung im Softwarebereich bedarf – abgeleitet von den gängigen bekannten Methoden des Qualitätsmanagements – einer verfeinerten Vorgehensweise, um die speziellen Qualitätsmerkmale von Software zu berücksichtigen und effizient abzuarbeiten. Zur Erreichung eines „Qualitätsgefühls für Software“ werden beginnend die Definitionen beschrieben und darauf aufbauend entsprechende Maßnahmen zur Qualitätssicherung vorgestellt. 4.9.4.1 Begriffe und Definitionen

Qualität ist die Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen eines Produkts oder einer Tätigkeit, die sich auf deren Eignung zur Erfüllung gegebener Erfordernisse bezieht. Das Qualitätsmanagement umfasst alle Tätigkeiten der Gesamtführungsaufgabe, welche die Qualitätspolitik, Ziele und Verantwortungen festlegen sowie diese durch Mittel wie Qualitätsplanung, Qualitätslenkung, Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung verwirklichen. Es ist damit die systematische Ausrichtung und Steuerung aller Aktivitäten eines Unternehmens auf die Qualität, also auf das Erfüllen

4 Bordnetz und Vernetzung von Kundenanforderungen. Die Ziele des Qualitätsmanagements sind kundengerechtes Arbeiten sowie das ständige Zufriedenstellen der Kunden; das Vermeiden von Fehlern und das Beseitigen von Risiken. Außerdem umfassen die Ziele das zielorientierte Handeln, die ständige Verbesserung und das Streben nach Innovation sowie motivierte und qualifizierte Manager und Mitarbeiter. Die Qualitätssicherung betrifft alle geplanten und systematischen Tätigkeiten, die notwendig sind, um ein angemessenes Vertrauen zu schaffen, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung die gegebenen Qualitätsanforderungen erfüllt. In Bezug auf die Software bedeutet dies die Gesamtheit aller Maßnahmen und Hilfsmittel, die mit dem Ziel eingesetzt werden, die gestellten Anforderungen an den Entwicklungs- und Wartungsprozess sowie an das Softwareprodukt zu erreichen. Die Maßnahmen zur Qualitätssicherung können in analytische und konstruktive Maßnahmen, prozessorientierte und produktorientierte Maßnahmen sowie statische und dynamische Prüfungen anhand der produktorientierten Maßnahmen eingeteilt werden. Zur effizienten Zielerreichung ist es notwendig, dass sämtliche Maßnahmen je nach Anforderungsprofil angewendet und vernetzt genutzt werden. Nachfolgend werden die oben beschriebenen Maßnahmen detailliert dargestellt. Bei den analytischen Maßnahmen wird primär die Verifikation der Ergebnisse und die Plausibilisierung der Prozesse verfolgt. Bei den konstruktiven Maßnahmen geht es um die optimale Gestaltung der Rahmenbedingungen zur Erreichung der Projektziele, wie z.B. das Einhalten von Normen und Standards. Welche Methoden und Verfahren hierbei Anwendung finden, können dem Bild 4-168 entnommen werden. Im Rahmen der prozess- und produktorientierten Maßnahmen geht des primär um die Absicherung des Tagesgeschäftes (Prozessabsicherung) und die Verifikation auf die erstellten Produkte, wie am Beispiel der FMEA (Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse). Einen Auszug aus der möglichen „Toolbox“ kann dem Bild 4-169 entnommen werden. Aufgrund der immer komplexeren und dynamischeren Umfeldbedingungen reichen rein statische Analysen nicht mehr aus. Da die Ergebnisse dieser Verfahren aufgrund der sich ständig veränderten Rahmenbedingungen nicht lange Bestand haben, müssen die Verfahren durch dynamische Prüfungen erweitert oder ersetzt werden. Einen Überblick zeigt Bild 4-170.

4.9 Entwicklungsprozess und Produktlebenszyklus

313

Bild 4-168: Maßnahmen zur Qualitätssicherung

Bild 4-169: Prozess- und produktorientierte Maßnahmen (FTA Fault Tree Analysis, FMEA Failure Mode and Effect Analysis)

Bild 4-170: Aufteilung der produktorientierten Maßnahmen

314

4.9.5 Flashprozess in der Fahrzeugproduktion Die Anzahl und Komplexität von Steuergeräten im Automobil und ihre Funktionen sind in den letzten Jahren rapide gestiegen. Deren Funktionalität ist meist von der vom Kunden gewählten Fahrzeugausstattung oder dem Fahrzeugtyp abhängig. Wettbewerb und steigende Kundenanforderungen führen mehr und mehr dazu, dass die Fahrzeugausstattung individueller und damit auch sehr viel variantenreicher wird. Neunzig Prozent aller Innovationen im Fahrzeug resultieren direkt oder indirekt aus dem Einsatz von Elektronik und Software. Mit wachsender Anzahl der Steuergeräte haben auch die Komplexität und der Entwicklungsaufwand der elektronischen Komponenten stark zugenommen. Die Forderung nach schneller Implementierung von Funktionsänderungen und -erweiterungen führt zum verstärkten Einsatz von FlashSpeichern in Kfz-Steuergeräten. Das Programmieren („Flashen“) eines Steuergeräts ermöglicht es, dass Programme und Daten in das Steuergerät geladen werden können. Für den Automobilhersteller bedeutet dies eine Trennung von Software und Hardware. Die Software selbst wird zum eigenständigen Teil, identifiziert durch eine Teilenummer. Bis kurz vor der Fahrzeugproduktion werden dem Steuergerät die neuen Funktionen durch die Flashprogrammierung zugeführt. Die Möglichkeit, Steuergeräte gezielt mit der aktuellen Software zu programmieren, ist zwar auch nach der Fahrzeugproduktion durch einen Gesamtfahrzeugflash gegeben, doch ist diese Möglichkeit zeit- und kostenintensiver. Es wird das Ziel verfolgt, bei bekannt werden einer Softwareänderung eines Steuergeräts so schnell wie möglich den neuen Softwarestand in die „alten Steuergeräte“ zu transferieren, um so wenig Steuergeräte wie möglich mit altem Softwarestand in die Fahrzeuge einbauen zu müssen. Die „alten Steuergeräte“ werden so lange von den Autoherstellern geflasht, bis der Lieferant Steuergeräte mit der neuen Software liefern kann. Damit der Flashverantwortliche einen Überblick bekommt, welche Fahrzeuge bei einer Aktualisierung der Steuergerätesoftware betroffen sind und wie die vorhandenen Ressourcen optimal eingesetzt werden können, ist die Anwendung eines Simulationstools zur simulationsbasierten Optimierung des Flashprozesses notwendig. Dieses Tool prognostiziert für die nächsten Tage, welche Fahrzeuge mit welchen Steuergeräten voraussichtlich in die Montage eingesteuert werden, wie viele Steuergeräte in welcher Reihenfolge geflasht werden müssen und ermittelt anschließend die optimale Flashplatzbelegung.

4 Bordnetz und Vernetzung Der Einsatz von Software als „Bauteil“ erfordert ein Umdenken in allen Ebenen der betroffenen Unternehmen. Die Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter müssen sich ändern, die Prozesse und Methoden müssen auf die nicht fassbare Software angepasst werden. Die Rolle der Information sowie der Informationsverteilung und -steuerung im Entwicklungsund Produktionsablauf steigt dramatisch. Um diese Innovation erfolgreich implementieren zu können, müssen verschiedene Abläufe in der Automobilindustrie betrachtet, analysiert und neu definiert werden. Einen Betrag dazu kann ein simulationsbasiertes Optimierungstool leisten. Es werden Zeit und Kosten gespart, indem man einerseits durch die Simulation frühzeitig einen Überblick der Fahrzeuge erhält, die von der Funktionserweiterung der SteuergeräteSoftware betroffen sind und zusätzlich durch die Optimierung die vorhandenen Ressourcen (Personal, Flasharbeitsplatz) optimal einsetzt. Das Tool wird in der Fertigung eingesetzt, um bei Einführung neuer Softwarepakete den Umfang der betroffenen Fahrzeuge im Voraus zu ermitteln. Weiterhin wird durch dieses Tool die Planungsschwierigkeit für den Flashverantwortlichen bewältigt, indem er dem einen genauen Überblick erhält, wie er seinen Flashplatz optimal belegen kann.

5 Beleuchtung Die Lichttechnik im Kraftfahrzeug hat eine lange Geschichte (siehe Tabelle 5-1). Vor über hundert Jahren wurde die Beleuchtung der Kutschen für die ersten Kraftfahrzeuge übernommen. Die Kerzenlampe und Gaslampen dienten in den Pferdedroschken und in den Kraftfahrzeugen gleichsam, bis in den zwanziger Jahren zum ersten Male die elektrische Beleuchtung Einzug nahm. Der Strom stammte aus der „Lichtmaschine“, dem heutigen Generator für die vielen elektrischen Nutzer im Kraftfahrzeug. Schon in den dreißiger und vierziger Jahren waren mitlenkende Scheinwerfer und Projektionssysteme auf der Straße zu sehen. Die fünfziger Jahre sahen den Beginn der gesetzlichen Regelungen und der ersten Vorschriften auch für die Fahrzeugbeleuchtung. In den sechziger Jahren kamen das Halogenlicht und das 12-Volt-Bordnetz, welche zusammen zunächst von einigen als zu helles Licht und Fluch der Technik verdammt wurden, sich jedoch schnell einer umfassenden, breiten Beliebtheit erfreuten.

Tabelle 5-1: Einige markante Ereignisse aus der Geschichte der Kfz-Lichttechnik Jahr

Ereignis

1908

elektrische Lichtquellen im Automobil (Lichtmaschine, Scheinwerfer, Positionslicht und Kennzeichenlicht)

1915

Einführung roter und gelber Signalleuchten

1919

Einführung des Abblendlichts zur reduzierten Blendung des Gegenverkehrs

1925

erste Zweifadenlampe für Fern- und Abblendlicht

1938

Reflektorlampe (sealed beam lamp)

1940

blinkendes Abbiegesignal vorn und hinten mit automatischer Rückstellung

1945

Schweinwerfer in der Karosserie integriert

1962

Halogenlampen für Scheinwerfer in Europa

1979

Einführung der Halogen-Reflektorlampe in den USA (halogen sealed beam)

1983

erste „aerodynamische Scheinwerfer“ mit austauschbaren Lampen in den USA

1991

erste Scheinwerfer mit Gasentladungslampen (Xenon) in Europa

1993

LED-Heckleuchten

1996

Leuchtweitenregelung vorgeschrieben für alle Fahrzeuge in Europa

2003

Abblendlicht lenkt mit in die Kurve

In den achtziger Jahren bekam der in den USA und in Skandinavien weit verbreitete Scheinwerfereinsatz (sealed beam) Konkurrenz mit den aerodynamischen und jedem Fahrzeug angepassten kompositiven Scheinwerfern. In den neunziger Jahren wurde das wiederum deutlich hellere Licht der Gasentladungslampen, auch „Xenon-Lampen“ genannt, im Fahrzeug eingeführt. Die Leuchtweitenregelung wurde in Europa zum Standard. Mit der Wende zum 21. Jahrhundert zeigten sich wiederum neue Trends ab. Durch die zunehmende Fahrzeugnutzung nach Sonnenuntergang bekam das Nachterscheinungsbild von Fahrzeugen eine größere Bedeutung. Das adaptive, dem Kurvenverlauf folgende Licht wurde eingeführt, während die nächste technologische Revolution, die Einführung der Leuchtdiode als Lichtquelle auch für den Scheinwerfer gerade bevorsteht und die Nachtsicht mit Infrarotscheinwerfern die ersten, noch zögerlichen Gehversuche macht. Die Entwicklung scheint noch lange nicht zu Ende zu sein. Die Lichttechnik ist ein spannendes Gebiet nicht nur für Design und Technik. Im folgenden Text soll auf die Lichttechnik und ihren Dienst für die Mobilität des Menschen eingegangen werden. Nacheinander werden die Lichterzeugung, der Mensch im Verkehr, Scheinwerfer, Leuchten und Innenleuchten genauer betrachtet. Einen tieferen Einblick in die Fahrzeugbeleuchtung und das menschliche Sehen findet man in [10].

5.1 Lichterzeugung und menschliche Wahrnehmung Der Mensch ist ein „Augentier“. Sehen ermöglicht die Wahrnehmung der Umwelt und damit, auf Veränderungen der Umwelt zu reagieren. Seit mehreren Millionen Jahren strahlt die Sonne Licht auf die Erde. Der Sehsinn hat sich im Laufe der Evolution an das Sonnenlicht und den Rhythmus von Tag, Dämmerung und Nacht angepasst. Oft wird die Bedeutung der verschiedenen Sinne an der Anzahl der Nervenfasern festgemacht, die für jeden einzelnen Sinn zur Verfügung stehen. Der Unterschied ist markant: 3 Mio. Nervenfasern für die Informationsaufnahme durch den Sehsinn, 20 000 für Geräusche, 2000 für Geruch, 2 000 für Geschmack und zusammen 1 Mio. Nervenfasern für die Wahrnehmung von Druck, Schmerz, Hitze oder Kälte über die Haut. Menschen nehmen mehr als 90 % der Informationen durch das Sehen auf. Der Großteil der Information wird unterbewusst verarbeitet.

316 Die große Bedeutung des Sehens für den Menschen hat dazu geführt, dass heute Fragen rund um das Licht mit unterschiedlichen Schwerpunkten in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen behandelt werden. So fasst die Physik das Licht mit der angrenzenden infraroten und ultravioletten Strahlung zusammen und untersucht es in der Optik, die heute ein Teilgebiet der Elektrodynamik ist. Die Zusammenfassung der Strahlungsbereiche wird auch in anderen Disziplinen vorgenommen. Die Kombination der Optik und der Ingenieurwissenschaften hat sich aufgrund ihrer großen Bedeutung international als eigenständige Disziplin mit der Bezeichnung „optical engineering“ etabliert. Die Lichttechnik ist die wissenschaftliche Disziplin, in der optische und physiologische Aspekte gemeinsam bearbeitet werden. Im Vordergrund stehen Fragestellungen der Wahrnehmung des Lichtes durch den Menschen. Weitere Schwerpunkte sind die Strahlungserzeugung im optischen Bereich, die Beleuchtungstechnik sowie die Lichtmesstechnik. In diesem Abschnitt wird auf die Lichterzeugung und auf die Lichtmesstechnik genauer eingegangen. Die physiologischen und psychologischen Vorgänge für die Wahrnehmung werden nur gestreift.

5 Beleuchtung grünen Wellenlängenbereich (555 nm). Für die Nachtsicht ändert sich die Empfindlichkeit und das Maximum rutscht in Richtung des blauen Wellenlängenbereichs (507 nm). Mit den Empfindlichkeitskurven und dem photometrischen Strahlungsäquivalent Km als Normierungsfaktor ergeben sich aus den strahlungsphysikalischen die lichttechnischen Größen, mit denen Lichtquellen und Lichtwirkungen beschrieben werden. Die Einheiten werden hier anschaulich dargestellt; die exakten Definitionen finden sich in der Fachliteratur [3], [7]. Die gesamte von einer Lichtquelle abgegebene Lichtleistung wird als Lichtstrom ) in der Einheit Lumen (lm) angegeben. Bild 5-1 verdeutlicht diese Größe. Der Quotient aus dem Lichtstrom, der in eine Richtung und damit in einen Raumwinkel abgestrahlt wird, und dem zugehörigen Raumwinkel : in Steradiant (sr) ist die Lichtstärke I. Für reale Lichtquellen wird die Lichtstärkverteilung oft in Schnittdarstellungen, den so genannten Lichtstärkeverteilungskurven oder LVK abgebildet (siehe Bild 5-2). Lichtstärken werden in Candela (cd = lm/sr) angegeben. Die gesetzlichen Bestimmungen für Leuchten enthalten Vorschriften für die Lichtstärkewerte.

5.1.1 Lichttechnische Größen und Einheiten Im wissenschaftlichen Sinn ist Licht der für das menschliche Auge sichtbare Teil der elektromagnetischen Strahlung. Licht besitzt gleichzeitig Welleneigenschaften wie auch Teilcheneigenschaften. Man spricht vom Welle-Teilchen-Dualismus des Lichtes. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Wellenlängenbereich von rund 380 bis 780 nm. Der Mensch ist für Licht verschiedener Wellenlängen oder Energien unterschiedlich empfindlich. Bei Tageslichtbedingungen reicht die spektrale Empfindlichkeit V(O) vom tiefen Blau bis in den hohen Rotbereich von über 700 nm und zeigt sein Maximum im

a)

Bild 5-1: Lichtstrom )

b)

Bild 5-2: a) Lichtstärke I = ): , b) Lichtstärkeverteilungskurven (LVK); die Lichtstärke ist radial nach außen aufgetragen

5.1 Lichterzeugung und menschliche Wahrnehmung

317 5.1.2.1 Temperaturstrahler

Bild 5-3: Beleuchtungsstärke E = )$

Fällt Licht, wie in Bild 5-3 skizziert, auf eine Fläche, so wird diese beleuchtet. Das Verhältnis aus dem Lichtstrom und der Fläche wird Beleuchtungsstärke E genannt und in Lux (lx = lm/m2) angegeben. Für die Beleuchtung von Arbeitsplätzen oder die Beleuchtung der Straße durch Scheinwerfer sind bestimmte Beleuchtungsstärkeniveaus gesetzlich vorgeschrieben. Die bisher dargestellten Größen kann der Mensch nicht wahrnehmen. Dagegen kann das Licht, das von einer selbstleuchtenden oder einer beleuchteten Fläche abgestrahlt wird, als Helligkeit wahrgenommen werden. Die gemessene Größe heißt Leuchtdichte L und ergibt sich bei senkrechter Betrachtung einer leuchtenden Fläche als der Quotient aus der Lichtstärke und der Größe der Fläche, wie Bild 5-4 verdeutlicht. Der Eindruck wird als Helligkeit empfunden.

Bild 5-4: Leuchtdichte L einer selbstleuchtenden Fläche

5.1.2 Künstliche Lichtquellen Heute gibt es für die verschiedensten Zwecke optimierte Lichtquellen, wobei das Prinzip der Lichterzeugung immer das selbe ist: Energie wird in Form von elektromagnetischer Strahlung frei, wenn geladene Teilchen (im Folgenden wird von Elektronen ausgegangen), von einem Zustand höherer Energie in einen Zustand geringerer Energie übergehen. Zuvor müssen die Elektronen durch Energiezufuhr in diesen höheren Zustand gelangen. Im Folgenden sollen exemplarisch verschiedene Lichtquellentypen und die Art und Weise der jeweiligen Energiezufuhr näher beschrieben werden.

Die meisten der uns vertrauten Lichtquellen sind Temperaturstrahler, sei es eine Kerze, bei der chemische Energie in Wärme umgesetzt wird, oder elektrische Glühlampen, bei denen der elektrische Strom lediglich zur Erwärmung der Glühwendel dient. Alle Temperaturstrahler unterliegen einem physikalischen Funktionsprinzip, welches genau durch die von Max Planck im Jahre 1900 entwickelte Strahlungsformel beschrieben wird. Danach gibt jeder Festkörper permanent Strahlung ab, deren kontinuierliche spektrale Zusammensetzung im Wesentlichen von seiner Temperatur abhängt. Bei einer Temperatur von 25 °C (298 K) liegt praktisch die gesamte abgegebene Strahlungsleistung unsichtbar im Infraroten. Je höher die Temperatur eines Körpers wird, umso größer wird der Anteil im kurzwelligeren und damit auch im sichtbaren Spektralbereich. Außerdem steigt die insgesamt abgegebene Lichtleistung mit der Temperatur an. Bei einer Temperatur von 1000 K erscheint das abgegebene Licht rötlich, wie man es vom Glühen von Holzkohle oder einer heißen Bremsscheibe kennt. Bei 3000 K, einer Temperatur, bei der die meisten Metalle bereits geschmolzen sind, erscheint die Glut weiß, obwohl sie immer noch weit vom Farbeindruck des Sonnenlichtes (ca. 6000 K) entfernt ist. Da elektrische Glühlampen thermische Strahler sind, wächst ihr lichttechnischer Wirkungsgrad mit der Temperatur der Glühwendel. Aufgrund des Schmelzpunktes entsprechender Materialien sind hier natürliche Grenzen vorhanden. So liegt der Schmelzpunkt von Wolfram bei 3650 K. Ein thermischer Strahler emittiert bei dieser Temperatur maximal 24 % seiner insgesamt abgegebenen Strahlung als Licht. Die 24 % sind ein theoretischer Maximalwert, der in der Praxis nie erreicht wird, sondern nur Werte darunter. Ohne entsprechende Vorkehrungen hat eine Glühlampe, die bei derart hohen Temperaturen betrieben wird, nur eine kurze Lebensdauer. Unter diesen Bedingungen dampft im Betrieb eine beträchtliche Menge des Glühwendelmaterials ab und das führt zu einer deutlich erkennbaren Schwärzung des Glaskolbens. Es muss also ein Kompromiss zwischen Lebensdauer und Lichtausbeute eingegangen werden. Die Wendeltemperatur und damit die Lichtausbeute kann durch das Einbringen von Füllgasen erhöht werden. Die durch die Füllgase auftretende Wärmeabfuhr von der Wendel kann durch Verwendung schwerer Edelgasatome wie zum Beispiel Xenon reduziert werden. 5.1.2.2 Halogen-Glühlampen Durch das Hinzufügen geringer Mengen von Halogenatomen, wie zum Beispiel Jod, kann die Schwärzung des Lampenkolbens durch abgeschiedenen Wolframdampf weiter reduziert werden. Bei gleicher

318 Lebensdauer können Halogenglühlampen bei höheren Temperaturen betrieben werden und bieten dementsprechend einen höheren Wirkungsgrad. Weil der Halogen-Kreisprozess nur bei einer Glaskolbentemperatur oberhalb von 250 °C funktioniert, besitzen Halogenglühlampen einen relativ kleinen Glaskolben (Bild 5-5).

5 Beleuchtung Die Lebensdauer und die Lichtausbeute hängen unter anderem stark von der vorliegenden Versorgungsspannung ab. Als Faustregel gilt: Erhöht man die Versorgungsspannung einer Lampe um 5 %, so steigt der Lichtstrom um 20 %, die Leistungsaufnahme nimmt um 8 % zu, aber gleichzeitig wird die Lebensdauer halbiert. Für typische Kfz-Glühlampen wird der Zusammenhang in Bild 5-6 dargestellt. Aber auch der Bereich, in dem die Nennspannung einer Glühlampe angesiedelt ist, bestimmt Lebensdauer und Wirkungsgrad. Konstruiert man eine Glühlampe für eine Betriebsspannung von 42 V statt der üblichen 12 V, so hat dies Auswirkungen auf die Glühwendelgeometrie. Soll die ursprüngliche Leistungsaufnahme beibehalten werden, muss die Länge des Glühdrahtes enorm vergrößert oder der Durchmesser deutlich reduziert werden. Durch beide Änderungen sinkt die Lebensdauer. Die Anforderungen an die mechanischen Eigenschaften für den Einsatz im Fahrbetrieb können nicht oder nur sehr viel schwieriger erfüllt werden. Für eine längere Glühwendel sind außerdem die Abbildungseigenschaften und die Leuchtdichte schlechter als für eine kurze Wendel. 5.1.2.3 Gasentladungslampen

Bild 5-5: Glühlampe P21W , ) = 450 lm (links); Halogenglühlampe H21W, ) = 600 lm (rechts)

Der abgegebene Lichtstrom einer Glühlampe lässt sich über die Versorgungsspannung nur begrenzt steuern. Vermindert man die Versorgungsspannung, sinken auch die Wendeltemperatur und damit der abgegebene Lichtstrom. Zusätzlich sinkt auch der Wirkungsgrad der Lampe und der Farbort des Lichts bewegt sich ins Rote. Erhöht man die Versorgungsspannung, steigen zwar der abgegebene Lichtstrom und auch der Wirkungsgrad, aber die Lebensdauer wird drastisch reduziert. Die Lebensdauer oder die Ausfallquote eines Leuchtmittels ist von großer Bedeutung.

Typische Lichtquellen dieser Kategorie sind Leuchtstofflampen und Metallhalogenid-Hochdruckentladungslampen, die so genannten Xenon-Lampen, welche verstärkt für Kfz-Scheinwerfer benutzt werden. Das Prinzip der Lichterzeugung ist in beiden Lampen gleich. Allerdings unterscheiden sie sich in der konkreten Ausführung und den damit verbundenen Eigenschaften. In Gasentladungslampen werden gasförmige Atome durch elektrische Entladungen angeregt. Kehrt das Atom (oder Ion) in seinen Grundzustand zurück, strahlt es die Energie in Form von Licht wieder ab. Hierbei handelt es sich im Allgemeinen um ein Linienspektrum, da Atome nur über diskrete Anregungszustände verfügen.

Bild 5-6: Lebensdauer und prozentualer Lichtstrom in Abhängigkeit von der Versorgungsspannung, bezogen auf die Nennspannung der Glühlampe

5.1 Lichterzeugung und menschliche Wahrnehmung Typischerweise besteht eine Gasentladungslampe aus einer Glasröhre, an deren beiden Enden sich Elektroden befinden. In der Röhre befindet sich ein verdünntes Gas, das mit Quecksilber- oder Natriumdampf versetzt sein kann. Im Gegensatz zu Glühlampen besitzen Gasentladungslampen besondere Zündvorrichtungen, welche die zum Stromfluss nötigen freien Elektronen erzeugen. Beim Einschalten wird eine Spannung an die Elektroden angelegt und ein Zündfunken ausgelöst. Die dabei entstehenden freien Elektronen werden im Feld zwischen den Elektroden beschleunigt und treffen dann auf die gasförmigen Atome in der Röhre. Je nach Energie werden diese Atome in einem angeregten Zustand hinterlassen oder ionisiert. Durch letzteren Prozess entstehen weitere, freie Elektronen, die wiederum beschleunigt werden, usw. Damit kommt es zu einer lawinenartigen Ionisierung des Gases, was zu einem immer weiter steigenden Strom durch die Lampe führt. Um eine Zerstörung der Lampe durch den unkontrolliert anwachsenden Strom zu vermeiden, werden elektronische Vorschaltgeräte mit Strombegrenzung eingesetzt. Nach diesem Zündvorgang stellt sich aufgrund der Strombegrenzung ein konstanter Strom durch die Röhre ein. Damit liegt ständig ein gewisser Bruchteil der Gasatome im angeregten oder ionisierten Zustand vor. Ein Teil dieser Atome fällt spontan in den Grundzustand zurück oder rekombiniert mit den freien Elektronen. Beide Prozesse setzen Energie in Form von Strahlung frei, die ja nach Gasfüllung und Gasdruck im ultravioletten oder sichtbaren Spektralbereich liegen kann.

Bild 5-7: Xenon-Gasentladungslampe D1S, ĭ = 3200 lm (links), Halogenglühlampe H7, ĭ = 1500 lm (rechts)

Die in Xenon-Scheinwerfern eingesetzten Gasentladungslampen (Bild 5-7) beruhen auf der HochdruckGasentladung. Der Abstand zwischen den beiden Elektroden ist mit der Wendellänge einer H7-Lampe vergleichbar, das heißt, die Abmessungen des leuchtenden Volumens sind sehr klein und es werden sehr

319 hohe Leuchtdichten erreicht (Bild 5-8). Dies ist gerade für die Anwendung in Scheinwerfersystemen von Vorteil, bei der es auf präzise Abbildungsverhältnisse ankommt.

Bild 5-8: Vergleich des Plasmabogens einer Gasentladungslampe (unten) mit dem Wendel einer Halogenlampe (oben)

Verglichen mit thermischen Strahlern besitzen Gasentladungslampen einen höheren Wirkungsgrad und bieten deutlich mehr Spielraum bei der Farbkomposition des abgestrahlten Lichts. Durch Zugabe geeigneter Stoffe wie Xenon oder Argon lässt sich das Auftreten und der Beitrag verschiedener Spektrallinien in weiten Bereichen steuern, so dass bei geeigneter Komposition aller Bestandteile auch die Erzeugung von Licht mit einem tageslichtähnlichen Farbeindruck möglich ist. Entsprechend ist die Farbe der Xenon-Scheinwerfer tageslichtähnlich ausgelegt; sie erscheinen bei Dunkelheit nur im Vergleich bläulich, weil die verbreiteten Halogen-Scheinwerfersysteme einen gelblichen Farbton besitzen. Das abgestrahlte Spektrum der Gasdrucklampen in Xenon-Scheinwerfern enthält auch Anteile von ultravioletter Strahlung, wodurch zum Beispiel Scheinwerferscheiben aus Kunststoff angegriffen werden können. Aus diesem Grund ist der Glaskolben moderner Xenon-Lampen mit entsprechenden Farbstoffen dotiert, die diese unerwünschten UV-Anteile herausfiltern. Der Wirkungsgrad ist verglichen mit konventionellen Glühlampen enorm, da bei diesen Lampen keine starke Infrarotstrahlung auftritt.

320

5 Beleuchtung

Bild 5-9: Leuchtdiode als SMD (surface mount device) (links) [Quelle: Osram]; Prinzipbild Leuchtdiode (rechts)

Speziell für Signalfunktionen mit roter Farbe haben Leuchtdioden einen hohen effektiven Wirkungsgrad, da sie unmittelbar die vorgeschriebene Farbe abstrahlen. Konventionelle Glühlampen benötigen einen roten Farbfilter, der ca. 75 % des einfallenden Lichtstroms „vernichtet“. Charakteristische Größen wie die Lebensdauer werden für typische Lichtquellen der Kfz-Beleuchtung in Tabelle 5-2 nebeneinander gestellt. Ein großer Vorteil gängiger Leuchtdioden für die Kfz-Signalbeleuchtung ist, dass sie sofort die gewünschte rote oder gelbe Signalfarbe liefern. Benötigt man aber blaues oder weißes Licht, ändern sich die Verhältnisse. Noch vor 1990 waren praktisch keine effizienten Halbleitermaterialien verfügbar, die im blauen Spektralbereich emittieren. Das Licht der verbreiteten roten Leuchtdioden kann aber nicht mit Photolumineszenz in blaues Licht überführt werden, da blaues Licht energiereicher ist als rotes Licht.

5.1.2.4 Leuchtdioden Auch bei Halbleiter-Leuchtdioden (LED) wird elektrische Energie direkt genutzt, um Elektronen in angeregte Zustände zu bringen, die dann unter Aussendung von Licht wieder in den Grundzustand zurückkehren. Eine Leuchtdiode ist eine klassische elektrische Diode, die in Durchlassrichtung betrieben wird. Bild 5-9 verdeutlicht den prinzipiellen Aufbau und stellt eine häufig eingesetzte Bauform dar. Im Bereich des pn-Übergangs können Elektronen und Löcher unter Aussendung von Licht rekombinieren. Leuchtdioden haben eine ausgesprochen kleine Bauform und werden mit geringen Spannungen betrieben. Im abgestrahlten Spektrum tritt Licht eines engen Wellenlängenbandes auf, das bei einfachen Leuchtdioden charakteristisch für das verwendete Halbleitermaterial und dessen Dotierung ist. Die Lichtausbeute hängt wesentlich von der Betriebstemperatur (je niedriger, umso besser) und der Qualität des Halbleiterkristalls ab.

Tabelle 5-2: Typische Eigenschaften verschiedenartiger Kfz-Lichtquellen Wirkungsgrad [lm/W]

mittlere Lebensdauer [h]

Ansprechzeit [ms]

VersorgungsSpannung [V]

Glühlampe für Blinklicht (P21W)

18

400

200

13,5

Halogen-Glühlampe für Blinklicht (H21W)

25

440

200

13,5

Halogen-Glühlampe für Scheinwerfer (H7)

25

550

200

13,5

Xenon-Gasentladungslampe Hochdruck (D2S)

90

2000

2

LED

20

10000

2

85 (Zündspannung 23 kV) 2

5.1 Lichterzeugung und menschliche Wahrnehmung Mit dem Aufkommen blauer Leuchtdioden hat sich das geändert. Hier können in die transparente Kappe Materialien eingebracht werden, welche einen Teil des blauen Lichts absorbieren und stattdessen grünes und rotes Licht abgeben. Die Mischung aus grünem, rotem und dem Rest des ursprünglichen blauen Lichts schafft durch additive Farbmischung einen weißen Farbeindruck. Die rasante Entwicklung gerade der blauen Leuchtdioden und der Phosphormaterialien für die Konvertierung in längerwelliges Licht führt in absehbarer Zeit zur Machbarkeit von leistungsfähigen Scheinwerfern mit Leuchtdioden. Es bestehen jedoch noch einige gravierende technische und kommerzielle Nachteile, wie zum Beispiel geringe Leuchtdichte, Degradation der Leistung bei Temperaturanstieg, relativ niedrige Grenzen der Betriebstemperatur und die Farbstabilität in der Produktion.

321 schalt- zu Ausschaltzeit, kann die effektiv an den Glühlampen anliegende Spannung variiert werden. Gasentladungslampen benötigen aber andererseits aufwendigere Vorschaltgeräte für die Spannungsversorgung. Das Vorschaltgerät (siehe Bild 5-10) muss zum einen die Betriebs-Wechselspannung von etwa 80 V (400 Hz) im normalen Betrieb zur Verfügung stellen, zum anderen den Zündimpuls von bis zu 23 kV erzeugen. Eine elektronische Regelung sorgt für die Stabilisierung der von der Lampe aufgenommenen elektrischen Leistung.

5.1.3 Elektrische Versorgung und elektronische Ansteuerung Für den Elektrotechniker sind die künstlichen Lichtquellen nichts anderes als Aktoren. Im Fahrzeug sind die Scheinwerfer und die Leuchten ein integraler Bestandteil des Bordnetzes, historisch gesehen sogar einer der ersten, wie das Wort „Lichtmaschine“ für den Generator im Fahrzeug noch zeigt. Bild 5-10: Xenon-Vorschaltgerät

5.1.3.1 Vorschaltgeräte für das Betreiben von Lichtquellen Das elektrische Schalten der Lampen erfolgte bis zu den 90er Jahren vorrangig über die Schaltkontakte von Lichtschaltern oder Relais. Im Extremfall heißt das, dass für jede Lichtfunktion mindestens ein Kabel in den Fahrgastraum zum Schalter geführt werden muss, über den oft der insgesamt benötigte Strom fließt. In zunehmenden Maße erfolgt die Lichtschaltung heute elektronisch mit kostengünstigen Transistoren (typischerweise MOSFETs) oder speziellen Halbleiterbauelementen, den so genannten HighSide-Schaltern, die neben dem geräuschlosen, verschleißfreien Schalten auch die Diagnose der Lampenfunktion ermöglichen. In vielen Fällen sind die Lichtschaltfunktionen codiert und werden am Bandende programmiert, um länderabhängige Varianten, z.B. für das Tagfahrlicht, oder Ausstattungsmerkmale, z.B. für Nebelscheinwerfer, zu implementieren. Mit der elektronischen Lichtschaltung werden auch das Dimmen von Lampen und eine Begrenzung der Lampenbetriebsspannung zum Erreichen höherer Lebensdauern möglich. Diese Funktionen werden üblicherweise durch schnelles Ein- und Ausschalten der Glühlampen realisiert, dem so genannten pulsweitenmodulierten Betrieb (PWM). Durch die Veränderung des Tastverhältnisses, dem Verhältnis von Ein-

Bild 5-11: Kennlinie und Betriebsbereich einer Leuchtdiode

Leuchtdioden werden in der Regel mit Spannungen um die 2,5 V und konstantem Strom im Milliamperebereich betrieben. Sie dürfen nur über einen kleinen Bereich betrieben werden und sind empfindlich gegen Temperaturüberlast (Bild 5-11). Für viele Signal- und Innenbeleuchtungsfunktionen reicht es aus, die Leuchtdioden mit einer entsprechenden Widerstandsschaltung in das Bordnetz zu integrieren. Schutzdioden werden hinzugefügt und vermeiden Ausfall bei Spannungumkehr im Bordnetz. Für

322 Hochleistungsleuchtdioden, die mit hohem Strom bis zu 1 A betrieben werden, würde über die Widerstände zu viel Leistung verbraucht. Deshalb ist es notwendig, Vorschaltgeräte einzusetzen, die einen konstanten Strom ohne hohe Verluste liefern und auf das komplexe Temperaturverhalten der Leuchtdioden eingehen können. Diese basieren typischerweise auf Pulsweitenmodulierung (PWM), Linearregler- oder Schaltreglerprinzip. 5.1.3.2 Bussysteme zur Lichtsteuerung Das Konzept der „dezentralen Lichtschaltung“ basiert auf der Busvernetzung von Scheinwerfer- und Leuchtensteuergeräten, zum Beispiel mit CAN oder LIN. Die Schaltsignale werden in herkömmlicher Weise über Lichtschalter erzeugt und direkt vor Ort in ein Bussignal übersetzt. Dezentrale Lichtschaltung im Kfz bedeutet Integration aller Lichtschalt- und sonstiger Funktionen, die mit der Beleuchtung im direkten oder indirekten Zusammenhang stehen. Dieser Lösungsansatz, den Verbraucher vor Ort zu schalten, ergibt sich aus Fahrzeugrahmenbedingungen, die insbesondere die Komplexität und die Vielfalt der geplanten Scheinwerfer- und Leuchtenfunktionen betreffen und eine Reihe von Vorteilen bieten: vereinfachte Verkabelung und gezielte Diagnosefähigkeit; Flexibilität und Individualisierung des Fahrzeugs hinsichtlich lichttechnischer Funktionsumfänge (als Software als auch als Hardware implementiert); Verringerung des Kabelbaumaufwandes, da zum Beispiel pro Scheinwerfer nur noch zwei Versorgungsleitungen sowie zwei Leitungen für das Bussignal benötigt werden, und kurze und störunempfindliche Verbindungswege zwischen Verbrauchern und deren Ansteuerung sowie Sensoren und deren Auswertung. Diese Entwicklung bedeutet in erster Linie eine Trennung von Energie- und Informationsfluss. Während man bisher die Information zum Einschalten eines Verbrauchers zusammen mit der zum Betrieb notwendigen Energie über eine Leitung führte, stehen nun einerseits Leitungen zur Verfügung, die permanent die Energieversorgung sicherstellen, und andererseits Leitungen, die ausschließlich der Informationsübertragung dienen. Das sind vor allem Busleitungen wie der CAN oder der LIN. Der Umfang der Informationen wird deshalb nicht mehr durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Leitungen begrenzt. Neben einer immensen Vergrößerung der Informationsübertragungskapazität ist damit auch ein bidirektionaler Datenaustausch (Steuerinformationen zum Verbraucher hin, Statusinformationen vom Verbraucher zurück) möglich.

5 Beleuchtung 5.1.3.3 42-Volt-Bordnetz Seit 10 Jahren wird die Einführung eines Kfz-Bordnetzes mit einer Spannung von 42 V diskutiert, weil Hochlastverbraucher wie elektrischer Ventilantrieb und elektrische Bremse (brake by wire) ein Bordnetz mit 12-V-Nennspannung aufgrund der notwendigen hohen Ströme überfordern würden. Daraus ergibt sich die Frage, wie dann die Lichtquellen im Fahrzeug versorgt werden. Während zunächst in jedem Falle ein Zweispannungs-Bordnetz mit eigenem 12-VZweig vorgesehen ist, ist die langfristige Entwicklung noch nicht absehbar. Folgende Optionen bieten sich für den Fall, dass die Lichtquellen aus einem reinen 42-V-Netz versorgt werden müssen: Da Xenon-Lampen heute schon ein Vorschaltgerät benötigen, muss dieses lediglich neu dimensioniert werden. Dies ist ohne Mehraufwand möglich. Leuchtdioden werden in der Mehrzahl der Leuchten mit vorgeschalteten Widerständen versorgt. Bei einer entsprechenden Dimensionierung der Widerstände ergeben sich vergrößerte Verlustleistungen. Erfolgt die Versorgung hingegen mit Hilfe elektronischer Bausteine, ist wiederum eine Neudimensionierung ausreichend. Das größte Problem ergibt sich für Glühlampen. Wendeln für eine Betriebsspannung von 42 V sind so lang, dass sie mit ihren mechanischen Eigenschaften für eine Kfz-Beleuchtung nicht verwendbar sind. Für eine größere Wendel wird die optische Abbildung für die meisten Funktionen deutlich schlechter. Folglich muss vor Ort eine geeignete Versorgungsspannung erzeugt werden, wozu DC/DC-Wandler zum Einsatz kommen könnten, die 12 V Gleichspannung erzeugen. Nach wie vor wird auch für diesen Einsatzfall der vorher genannte PWM-Betrieb diskutiert. Es gibt allerdings eine Reihe von offenen Fragen, die das Verhalten der Glühlampen unter diesen speziellen Bedingungen betreffen und derzeit noch nicht ausreichend geklärt sind. Die Tatsache, dass die meisten Lichtquellen im Fahrzeug in Zukunft eigene Vorschaltelektroniken benötigen, vergrößert die Bedeutung der dezentralen Lichtsteuerung. So lässt sich die Erzeugung der geeigneten Versorgungsspannung und die Ansteuerung der Lichtquelle ideal in einem Steuergerät vereinigen.

5.2 Mensch im Verkehr In diesem Abschnitt werden die Sehfunktionen und die Sehleistung erläutert, die für die Wahrnehmung im Straßenverkehr von zentraler Bedeutung sind. Zuerst wird die Frage geklärt, welche Objekte im Verkehrsraum wahrgenommen werden und welche Eigenschaften sie besitzen.

5.2 Mensch im Verkehr

323

Bild 5-12: Sehobjekte im Verkehrsraum

5.2.1 Objekte im Verkehrsraum

5.2.1.1 Photometrische Parameter

Unter Sehobjekten versteht man sowohl andere Verkehrsteilnehmer als auch Tiere, Pflanzen und alle Arten von Gegenständen, die sich im Verkehrsraum befinden. Sie besitzen charakteristische photometrische, geometrische und kinematische Eigenschaften. Bild 5-12 zeigt eine Einteilung dieser Sehobjekte nach den Kategorien selbstleuchtend, retroreflektierend (Katzenaugen) und reflektierend. Scheinwerfer und Leuchten sollen im Verkehrsraum gesehen werden und sie gehören zu den selbstleuchtenden Sehobjekten. Für Scheinwerfer ist diese Funktion nur sekundär, primäre Funktion ist die Beleuchtung des Verkehrsraumes.

Die Leuchtdichten dieser Sehobjekte liegen je nach Situation mehrere Zehnerpotenzen auseinander, wie Bild 5-13 zeigt. Während das linke Bild Leuchtdichten zwischen 80 und 8000 cd/m² aufweist, werden an gleicher Stelle nachts (rechtes Bild) nur noch 0,004 cd/m² bis 40 cd/m² gemessen. Für das Wahrnehmen von Sehobjekten ist nicht ihre Leuchtdichte, sondern ihr Leuchtdichteunterschied zur Umgebung entscheidend (Bild 5-14). Deshalb werden die Sehobjekte photometrisch fast ausschließlich über ihren Leuchtdichtekontrast beschrieben. Es wird zwischen dem Positivkontrast (>) und dem Negativkontrast (<) unterschieden.

Bild 5-13: Leuchtdichtebilder der selben Straße bei Tag und bei Nacht

Bild 5-14: a) Positivkontrast, b) Tarnung und c) Negativkontrast

324

5 Beleuchtung

Beim Positivkontrast erscheint ein Gegenstand hell vor dunklem Hintergrund. Dieser Kontrastart schreibt man mehr Informationsgehalt zu, da das Objekt auch seine innere Struktur erkennen lässt und das Formensehen zum Tragen kommt (Bild 5-14a). Typische Beispiele für den Positivkontrast sind Hindernisse auf der Fahrbahn oder Fußgänger am Rande der Fahrbahn im Licht der Scheinwerfer. Dagegen tritt Negativkontrast (Bild 5-14c) häufig bei Gegenständen auf der Fahrbahn auf, die durch ortsfeste Straßenbeleuchtung beleuchtet werden. Das dunkle Objekt erscheint dann vor einem hellen Hintergrund. Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Radfahrer, parkende Fahrzeuge und Hindernisse werden unter solchen Bedingungen als Silhouette gegen die aufgehellte Fahrbahn wahrgenommen.

kennen sind. Eine breite und homogene Vorfeldausleuchtung wird vom Fahrer als komfortabel empfunden, eine magere Vorfeldausleuchtung bedeutet hingegen Stress bei längeren Fahrten. Viele der heutigen Erkenntnisse zu menschlichen Wahrnehmungsprozessen sind aus statistischen Untersuchungen abgeleitet. Dynamische Versuche sind deutlich aufwendiger und wurden bislang nur bedingt durchgeführt. Mit neuen Techniken wie dem „EyeTracking“, bei dem die Blickrichtung während der Fahrt ständig erfasst wird, werden jetzt dynamische Versuche im Fahrbetrieb oder Simulator möglich. Der zu erwartende Erkenntnisgewinn wird sich auf Komfort und Sicherheit der Beleuchtungssysteme auswirken.

5.2.1.2 Geometrische Parameter

5.2.2 Sehen, wahrnehmen und erkennen

Alle Sehobjekte im Verkehrsraum weisen eine bestimmte geometrische Größe auf, die üblicherweise in Bogenminuten (60’ sind 1°) angegeben wird. Ein typisches Schild, z.B. das Verkehrszeichen für eine 70 km/h-Geschwindigkeitsbegrenzung auf einer Landstraße, ist 60 cm groß, besitzt eine Zeichenbreite von 14 cm und eine Strichbreite von 7 cm. Die Strichbreite der Ziffern 7 und 0 entspricht bei einer Entfernung von 20 Metern rund 5 Bogenminuten, bei 60 Metern rund zwei Bogenminuten. Der Sehwinkel des Verkehrszeichens sinkt in einer Entfernung über 120 m unter einer Bogenminute. Damit kann eine normalsichtige Person mit einer Sehschärfe von eins dieses Verkehrszeichen unter optimalen Sichtbedingungen bei Tag nicht mehr erkennen. Neben der geometrischen Größe des Sehobjektes spielt bei der Wahrnehmung seine Lage im Verkehrsraum eine wichtige Rolle. Die Wahrnehmungswahrscheinlichkeit ist deutlich größer, wenn das Objekt im Mittelpunkt des Gesichtsfeldes erscheint (foveal), anstatt im peripheren Gesichtsfeld (am Rand). Für viele Sehobjekte kann der Ort nicht eindeutig festgelegt werden. Dennoch zeigen Häufigkeitsauszählungen für die Wahrnehmung von Objekten im Gesichtsfeld, dass Scheinwerfer, Leuchten, Überkopfverkehrsschilder vorwiegend foveal wahrgenommen werden, während Fußgänger, Radfahrer und Verkehrzeichen in der Regel peripher erscheinen.

Wie an den folgenden Beispielen zu sehen, sind die Sehfunktionen von der Adaptionsleuchtdichte, der Sehobjektgröße und der Geschwindigkeit der Darbietung abhängig. Die wichtigste Unterscheidung ist zunächst die Trennung nach Tag, Dämmerung und Nacht. Da mit dem Berufsverkehr in der Dämmerung ein bedeutender Anteil an Verkehrsleistung erbracht wird, muss diesem Adaptionszustand und dem sehr langsam vor sich gehenden Adaptionsprozess bei der Betrachtung der Wahrnehmungsprozesse ebenfalls Aufmerksamkeit gewidmet werden.

5.2.1.3 Kinematische Parameter Bei Bewegungsabläufen spielen zwei Sehvorgänge eine Rolle. Als „tracking“ wird der Ablauf bezeichnet, der es dem Beobachter ermöglicht, sich selbst sicher zu bewegen. Unter „detection“ versteht man das Aufspüren von Objekten in der beweglichen Szenerie. Beide Abläufe haben ihre eigenen Mechanismen. So gestaltet sich das Fahren eines Autos für den Fahrer leichter, wenn die Fahrbahnmarkierungen im Vorfeld deutlich zu sehen und in der Entfernung noch schwach zu er-

5.2.2.1 Kontrastempfindung Die Kontrastempfindung stellt eine der wichtigsten Sehfunktionen im Straßenverkehr dar. Für jedes Sehobjekt kann die Leuchtdichtedifferenz zu seinem Umfeld angegeben werden. Die Scheinwerfer in Bild 5-15 und die Mittellinie im Vorfeld weisen eine hohe Leuchtdichtedifferenz auf. In 80 m Entfernung ist der Leuchtdichteunterschied auf der Fahrbahn bereits so gering, dass man ihn nicht mehr wahrnehmen kann. Das heißt, die Mittellinie ist unsichtbar. 5.2.2.2 Unterschiedsempfindlichkeit Der Schwellenkontrast eines Sehobjektes bezeichnet den Leuchtdichteunterschied zum Umfeld, der gerade noch wahrnehmbar ist. Der Schwellenkontrast hängt sowohl vom Sehwinkel und damit der Objektgröße, als auch von der Adaptionsleuchtdichte des Beobachters ab. Den Kehrwert des Schwellenkontrastes nennt man Unterschiedsempfindlichkeit oder auch Kontrastempfindlichkeit. In der Nacht ist daher ein deutlich größerer Leuchtdichteunterschied als am Tag notwendig, um ein Objekt noch erkennen zu können. Liegt die Leuchtdichtedifferenz eines Objektes im Verkehrsraum unter der Schwellenleuchtdichtedifferenz, so kann dieses vom Kraftfahrer nicht wahrgenommen werden.

5.2 Mensch im Verkehr

325

Bild 5-15: Leuchtdichtebild einer Straße

Weiterhin haben dynamische Untersuchungen des Schwellenkontrastes gezeigt, dass der Schwellenkontrast neben der Adaptionsleuchtdichte auch von der Relativgeschwindigkeit, mit der ein Objekt gesehen wird, abhängt. Danach besitzen sich langsam bewegende Objekte einen geringeren Schwellenkontrast als statische Objekte. Das heißt, ein sich bewegender Fußgänger wird früher wahrgenommen, als ein stehender Fußgänger. Dagegen steigt der Schwellenkontrast für sich schnell bewegende Objekte mit der Geschwindigkeit rasch an, so dass Objekte mit hohen Geschwindigkeiten deutlich später wahrgenommen werden als statische Objekte. 5.2.2.3 Sehschärfe Jeder Kraftfahrer weiß, dass es nicht ausreicht, ein Verkehrszeichen nur wahrzunehmen. Es ist notwendig, die Zeichen auf einem Verkehrsschild zu erkennen, das heißt, man muss die Form erkennen. Ein Sonderfall der Formempfindlichkeit ist die Sehschärfe. Die Wahrnehmungsbedingungen lassen sich durch zwei Faktoren verbessern: durch eine höhere Adaptionsleuchtdichte und durch eine geringere Geschwindigkeit. Dies bedeutet, dass dort, wo häufig Fußgänger am Straßenverkehr teilnehmen, die Straßen durch eine ortsfeste Straßenbeleuchtung beleuchtet sein sollten. Außerorts bewirkt eine weite Ausleuchtung, insbesondere des rechten Fahrbahnrandes, nachweislich eine Steigerung der Verkehrssicherheit. Dies ist beispielsweise leichter durch einen Xenon-Scheinwerfer mög-

lich als mit einem konventionellen Halogensystem. Wenn man die Wahrnehmungsbedingungen nicht verbessern kann, muss der Kraftfahrer um die gleichen Informationen aufnehmen zu können, bei einer geringeren Sehschärfe entsprechend langsamer fahren.

5.2.3 Dynamische Phänomene Untersuchungen sowohl bei Tages- als auch bei Nachtlicht, haben gezeigt, dass die erste Phase im Reaktionsablauf zu einer gefährlichen Situation – die psychophysische Reaktion – den größten Zeitanteil der Reaktionsdauer ausmacht. Bei Dunkelheit kommt es zudem noch zu unterschiedlich starken Reaktionsaufforderungen. So erzeugt ein helles Bremslicht bei Dunkelheit aufgrund seiner großen Auffälligkeit und seines hohen Leuchtdichtekontrastes eine wesentlich stärkere psychophysische Reaktion als ein dunkel gekleideter Fußgänger. Zahlreiche Objekte erfordern Blickzuwendungen und erzeugen Reaktionsaufforderungen.

5.2.4 Sichtverhältnisse Die Bedingungen für unsere Wahrnehmung sind nicht immer optimal. Unterschiedliche Licht- und Witterungsverhältnisse führen grundsätzlich auch zu unterschiedlichen Wahrnehmungsbedingungen. Bei Tageslicht und bei künstlicher Beleuchtung ist dies auf das unterschiedliche Informationsangebot aus der Umwelt zurückzuführen. Man darf jedoch nicht vergessen, dass es auch bei Tageslicht physiologisch-optisch bedingte Wahrnehmungsprobleme geben kann. Beispiele für

326 solche Probleme können der Kontrast zwischen Verkehrszeichen oder Lichtsignalen einerseits und der Himmelsleuchtdichte andererseits sein, oder die Änderung der Kontrast- und Blendungsverhältnisse in Abhängigkeit vom Sonnenstand. Letzteres Problem zeigt sich bei ungünstigen Sonnenständen an Ampelanlagen, so dass der Fahrer nicht mehr sicher ausmachen kann, ob die Ampel rot oder grün zeigt. Aus diesem Grund werden dunkle Blenden um die Signalflächen der Ampeln gesetzt. Neben der bisher behandelten Beeinträchtigung der Erkennung während einer Nachtfahrt gibt es weitere Faktoren, die sich häufig gegenseitig überlagern und zu einer weiteren drastischen Verschlechterung der Wahrnehmungsbedingungen führen. Dazu zählen physiologische und psychologische Blendung, Regen, Nebel und Schnee. 5.2.4.1 Blendung Wie weiter oben beschrieben, ist der Leuchtdichteunterschied einer der wichtigsten Parameter für die Wahrnehmung zwischen Objekt und Umfeld. Die Blendung wird als ein Sehzustand definiert, der durch ungünstige Leuchtdichteunterschiede oder zu hohe Leuchtdichtekontraste als unangenehm empfunden wird. Zugleich können aber auch die Sehfunktionen wie die Unterschiedsempfindlichkeit oder die Formempfindlichkeit herabgesetzt sein. Um die Blendung so gering wie möglich zu halten, ist vieles in den letzten Jahrzehnten geschehen. Vor rund 40 Jahren wurde das asymmetrische Abblendlicht eingeführt und vor 15 Jahren die automatische Leuchtweitenregelung. Für Xenon-Scheinwerfer sind zusätzlich Scheinwerferreinigungsanlagen (SRA) vorgeschrieben. Außerdem gab es zahlreiche Versuche zur Einführung von Polarisationsscheinwerfern und polarisierten Windschutzscheiben, um die Blendung zu reduzieren. Bei Dunkelheit führen bereits relativ geringe Blendbeleuchtungsstärken am Auge zu einer Verminderung der Unterschiedsempfindlichkeit. Da die Verminderung der Unterschiedsempfindlichkeit ein Maß für die physiologische Blendung ist, können so unterschiedliche Scheinwerfer auf ihre Blendung hin untersucht und miteinander verglichen werden. In Untersuchungen über die Auffälligkeit von Schlussleuchten wurde festgestellt, dass auf Grund von Blendung durch den Gegenverkehr die Auffälligkeit der Schlussleuchten deutlich reduziert wurde. Diese Untersuchungen sind insbesondere für die Auslegung neuer Xenon-Scheinwerfer von Bedeutung. Durch ihren dreifachen Lichtstrom steht einerseits ausreichend Licht für die Beleuchtung der Straße zur Verfügung, anderseits sind aber auch deutlich höhere konstruktive Anforderungen für einen blendungsarmen Scheinwerfer notwendig.

5 Beleuchtung 5.2.4.2 Dämmerung und Nacht Die Übergangsphasen zwischen der vollständigen Nachtdunkelheit und der Tageshelligkeit werden Morgendämmerung bzw. Abenddämmerung genannt. In diesen Phasen nimmt die Helligkeit mehr oder weniger schnell zu bzw. ab. Während der Dämmerung ändern sich die Wahrnehmungsbedingungen schnell. Positiver und negativer Kontrast wechseln häufig. Objekte verlieren ihren Kontrast leicht. Unter den wechselnden Bedingungen ist das frühzeitige Einschalten der Fahrzeugbeleuchtung zu empfehlen. 5.2.4.3 Nebel, Regen, Schnee Nebel, Regen und Schnee haben je nach Intensität einen erheblichen Einfluss auf die Verkehrssicherheit. Licht wird grundsätzlich durch Partikel in der Atmosphäre abgeschwächt. Maßgeblich sind dabei zwei Effekte: die Absorption, das ist die Schwächung des Lichtes im Medium des Partikels, und die Streuung, die ungerichtete Ablenkung des Lichts an der Grenzfläche zwischen Partikel und Luft. Anders als bei Rauch- oder Staubwolken kann bei Wasserpartikeln wie Regen, Nebel oder Schnee die Absorption vernachlässigt werden. Bei Regen ergibt sich eine nicht unerhebliche Einschränkung der Sichtweite. Nebel oder auch Schnee stellen je nach betrachteten Breitengraden ein eher seltenes Ereignis dar, dementsprechend sind die Verkehrsteilnehmer beim Auftreten dieser Situation umso verunsicherter. Schneeflocken besitzen anders als Regentropfen eine feinstrukturierte, facettenreiche Oberfläche, die zu einer Vielfachstreuung des auftreffenden Lichtes führt. Ein großer Teil des Lichts wird diffus zurückgestreut. Schneeflocken erscheinen daher weiß und lassen kein gerichtetes Licht durch. 5.2.4.4 Verkratzte oder unsaubere Windschutzscheiben Unabhängig von der individuellen, physiologischen Sehleistung des Fahrers wirken sich bei der Windschutzscheibe Alterungs- oder Abnutzungserscheinungen erheblich auf die visuelle Aufnahmefähigkeit des Fahrers aus [9]. Die Windschutzscheibe wird zum Sicherheitsrisiko, wenn sie stark verkratzt ist und somit die ungestörte Sicht des Fahrers verhindert.

5.2.5 Fahrzeug, Straße und Verkehr Haben Augen und Gehirn schon am Tage im Wahrnehmungsprozess eine Menge zu leisten, so stellt eine Dämmerungs- oder Nachtfahrt noch wesentlich höhere Ansprüche an unsere Augen und an unsere Konzentration. Erschwerend wirken oft die Witterungsverhältnisse, die jahreszeitenbedingt sehr unterschiedlich sind. Jeder Fahrer fühlt, dass eine Nachtfahrt

5.2 Mensch im Verkehr wesentlich ermüdender ist als die vergleichbare Tagfahrt. Umso mehr stellt der Fahrer bewusst und unbewusst hohe Erwartungen an die Gestaltung des ihn umgebenden Verkehrsraums, um gerade bei einer Nachtfahrt nur wesentliche Informationen aus dem unmittelbaren Fahrumfeld zu erhalten. Diese Informationen müssen den Kraftfahrer so früh wie möglich erreichen, damit er eine Gefahrensituation rechtzeitig erkennen kann. Daraus lassen sich Anforderungen an die Fahrzeugbeleuchtung (Bild 5-16), die Innenraumbeleuchtung sowie an die Straßenbeleuchtung ableiten.

327 Bei der Einteilung der Leuchten des Fahrzeugs (siehe Bild 5-17) kann zwischen vorderem, rückwärtigem und seitlichem Signalbild unterschieden werden. Diese Beleuchtungseinrichtungen haben die Aufgabe, anderen Verkehrsteilnehmern Informationen über Position, Größe und beabsichtigte Bewegungsänderung des eigenen Fahrzeugs zu geben. An die Fahrzeuginnenleuchten (Bild 5-18) wird vor allem der Anspruch gestellt, dem Fahrer alle wichtigen Informationen zum Status der Fahrzeuginneneinrichtung zur Verfügung zu stellen und für ein allgemeines Wohlbefinden zu sorgen. Gleichzeitig dürfen sie den Fahrer aber nicht blenden oder sein Adaptionsniveau erhöhen. Entsprechend müssen auch die Kontrollleuchten ein Höchstmaß an präziser Information vermitteln, ohne sich störend auf das Gesichtsfeld des Fahrers auszuwirken.

Bild 5-16: Scheinwerferlichtfunktionen am Fahrzeug

Bild 5-17: Signalleuchtenfunktionen am Fahrzeug. Rückstrahler werden als Leuchten behandelt

Bild 5-18: Innenleuchtenfunktionen

328 Für die Beleuchtung der Innenräume von Fahrzeugen können vier Innenlichtfunktionsgruppen unterschieden werden. Neben der mehr zweckgebundenen Einund Ausstiegsbeleuchtung, der Funktionalbeleuchtung und der Orientierungsbeleuchtung hat die Ambiente-Beleuchtung im Wesentlichen die Aufgabe, das Wohlbefinden des Fahrers zu steigern. Abhängig von der Geschwindigkeit und dem befahrenen Straßentyp kann bei Nacht das Erkennen des Straßenverlaufs, der Straßenbegrenzung, der Verkehrszeichen sowie möglicher Hindernisse ein Problem für den Fahrer darstellen. Damit dem Fahrer insbesondere in Gefahrensituationen ausreichend Informationen zur Verfügung zu stehen, werden an die Lichtverteilungen von Scheinwerfern und Leuchten besondere Anforderungen gestellt.

5 Beleuchtung 5.2.5.3 Verkehrsdichte und Verkehrsentwicklung Betrachtet man die Verkehrsentwicklung der vergangenen Jahre in Deutschland und Europa, so ist auch in den nächsten Jahren ein deutliches Wachstum der Fahrleistung zu erwarten. Bedenkt man, dass insbesondere in Ballungsgebieten bereits heute für viele Straßen am Tage die Aufnahmefähigkeit erschöpft ist, so kann dieser zusätzlich zu erwartende Verkehr nur nachts rollen. Mehr Verkehr in der Nacht bedeutet eine höhere Belastung für die Kraftfahrer, was wiederum zu verstärkter Ermüdung führen wird. Es ist daher dringend geboten, die Ausleuchtung der Straße mit der fahrzeugeigenen Beleuchtung so gut wie möglich zu gestalten. Dies kann durch den Einsatz neuer Halogenscheinwerfer und besonders durch den verstärkten Einsatz von Xenon-Scheinwerfern erreicht werden.

5.2.5.1 Straßenbelag Straßendeckenschichten weisen aufgrund ihres Aufbaus und der Verkehrsbelastung sehr unterschiedliche Leuchtdichten auf. Typische Leuchtdichtewerte sind daher auch nur schwer anzugeben. Ist die Straßendecke neu (raue Oberfläche), ergeben sich aufgrund der starken Streuung der Reflexion nur niedrige Werte für die Leuchtdichtekoeffizienten. Nach starker Verkehrsbelastung hat sich die Straßendecke verdichtet, dass heißt, die Gesteinsteilchen an der Oberfläche befinden sich in einem polierten Zustand. Daher erfolgt zwar eine Streuung des einfallenden Lichtes, allerdings mit einem deutlichen Richtungscharakter von der Beleuchtungsrichtung weg. Bei Regen füllen sich die Unebeneinheiten mit Wasser und es zeigen sich auf der glatten Oberfläche Spiegelbilder aller Lichtquellen aus dem Umgebungsraum. Der Alterszustand, der Befahrenheitsgrad und die Zusammensetzung der Straßendeckenschicht sind somit maßgeblich für die Sichtbedingungen bei unterschiedlichen Witterungsverhältnissen. 5.2.5.2 Fahrbahnmarkierungen Bei Außerortsunfällen in der Dunkelheit stellt die Fehleinschätzung des Straßenverlaufs eine sehr häufige Unfallursache dar. Das Informationsangebot für den Fahrer aus dem Verkehrsraum ist bei Nacht sehr gering. Gerade bei Straßen ohne Beleuchtung leisten daher Leitsysteme einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit des Fahrers. Die Hauptaufgabe der Straßenmarkierung ist in der Führung des Fahrers zu sehen. Der Fahrer soll den Straßenverlauf und gefährliche Stellen, beispielsweise Einmündungen, rechtzeitig und sicher erkennen können.

5.2.6 Gesetzliche Zulassungsvorschriften Die Verhaltensregeln für alle Verkehrsteilnehmer sind in der Straßenverkehrsordnung festgeschrieben. Werden diese nicht eingehalten, gefährdet man fast immer auch andere. Weniger bekannt ist hingegen, dass es entsprechende Regelungen auch für jeden Scheinwerfer oder jede Leuchte gibt. Bei Abweichungen davon erhält ein Hersteller in Europa keine Zulassung und läuft Gefahr bei in den USA verkauften Geräten infolge Produkthaftung mit erheblichen finanziellen Belastungen konfrontiert zu werden. Es ist von zentraler Bedeutung, die entsprechenden Regelungen zu kennen und richtig auszulegen. Will man darüber hinaus innovative Geräte entwickeln, so reicht allein die Kenntnis dieser Regelungen nicht aus. Die aktive Mitarbeit in nationalen und internationalen Gremien ist unumgänglich, um darauf hinzuwirken, dass gesetzliche Regelungen angepasst oder erweitert werden. Für jede neue Lichtquelle, für jedes neue Gerät oder für neue Technologien benötigt man eine entsprechende internationale Zulassung. Damit soll garantiert werden, dass bei allen Veränderungen ein möglichst selbsterklärendes und eindeutiges Signalbild erhalten bleibt. Bild 5-19 zeigt, wie sich die Scheinwerferleistung kontinuierlich den Möglichkeiten der Technologie angepasst hat.

5.3 Scheinwerfer

329

Bild 5-19: Entwicklung der Leistung von Abblendscheinwerfern (Zukunftswerte extrapoliert); die aufgetragene Beleuchtungsstärke bezieht sich auf 25 m Entfernung

5.3 Scheinwerfer Scheinwerfer an Kraftfahrzeugen haben primär die Aufgabe, die Umgebungsszenerie in Fortbewegungsrichtung auszuleuchten. Die Unterstützung des Menschen bei der nächtlichen Wahrnehmung gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer modernen Lichttechnik. Eine ausreichende Beleuchtung des Verkehrsraums über die verschiedenen Lichtfunktionen ist sicherzustellen, ohne den Gegenverkehr zu blenden. Darüber hinaus sollen Scheinwerfer das Fahrzeug kenntlich machen.

5.3.1 Fahrzeuganbau und Funktion Durch die Gesetzgebung sind Art und Anbauort der Lichtfunktionen am Fahrzeug, sowie deren Aufbau, Lichtquellen, der Farbort und die photometrischen Werte reglementiert. Bild 5-20 zeigt exemplarisch die Beleuchtungseinrichtungen an der Front des Fahrzeugs, für die es europäische Anbauvorschriften gibt. Gesetzlich gefordert für Pkw-Scheinwerfer sind z.B. Abblendlicht und Fernlicht sowie Begrenzungs- und Blinkleuchten. Nebelscheinwerfer, Rückstrahler, Parkund Seitenmarkierungsleuchten sind dagegen optional zulässig. Für die zwei Abblendscheinwerfer sind unter

anderem die Lichtfarbe weiß und der Anbau in einer Höhe von mindestens 500 und maximal 1200 Millimeter vorgeschrieben. Seit 1990 ist eine automatische Leuchtweitenregelung in Europa Pflicht, in Ausnahmen reicht auch eine statische Leuchtweitenregelung. Die photometrischen Vorgaben und Messvorschriften für die verschiedenen Lichtfunktionen werden für Europa durch die ECE (Economic Commission for Europe) und für die USA durch den FMVSS (Federal Motorvehicle Safety Standard) festgelegt. Die heute in Europa zulässigen Scheinwerfer erlauben dem Fahrer die situationsabhängige Wahl zwischen Abblendlicht, Fernlicht und Nebellicht. Während in Deutschland das Fernlicht in weniger als 5 % der Verkehrssituationen zur Anwendungen kommt, ist das Abblendlicht mit über 95 % die am meisten genutzte Lichtfunktion auf der Straße. Nebellicht wird optional bei Schlechtwettersituationen wie Nebel oder starkem Regen genutzt. Beginnend zunächst in den skandinavischen Ländern und in Kanada wird zur besseren Erkennbarkeit zusätzlich ein Tagfahrlicht an der Front des Fahrzeugs gefordert, welches entweder mit einer separaten Leuchte, der Tagfahrleuchte, oder durch den Einsatz der standardgemässen Beleuchtung, z.B. gedimmtes Fernlicht oder Abblendlicht, realisiert werden kann.

Bild 5-20: Beleuchtungseinrichtungen an einer Pkw-Front nach europäischen Anbauvorschriften

330

5 Beleuchtung

Bild 5-21: Abbiegelicht [Quelle: Audi]

Optional zunächst in den USA, jetzt aber weltweit, ist ein Abbiegelicht („cornering light“), das beim Abbiegen für eine zusätzliche Ausleuchtung des Straßenraums sorgt (Bild 5-21). Weitreichende Änderungen für eine adaptive Frontbeleuchtung (AFS: Advanced Frontlighting System) sind in Vorbereitung und werden eine angepasste Beleuchtung z.B. für das Fahren im urbanen Bereich und für die Autobahnfahrt anbieten. Weitere Lichtfunktionen an der Fahrzeugfront sind das Positionslicht und das Blinklicht. Mit diesen Funktionen wird nicht die Straße beleuchtet, sondern das Fahrzeug kenntlich gemacht. Lichtverteilungen werden anhand von Beleuchtungsstärke- und Lichtstärkeverteilungen dargestellt. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben werden die Be-

leuchtungsstärkewerte in 25 m Entfernung gemessen (nicht in Japan oder USA). Als zusätzliche Hilfe zur Diskussion und Interpretation der Eigenschaften der Lichtfunktionen wird die Beleuchtungsstärkeverteilung auf einer Wand in 10 m Entfernung vor dem Scheinwerfer beurteilt. Winkelbereiche in den Lichtverteilungen werden durch die Horizontale H und Vertikale V vorgegeben. Der Schnittpunkt HV (0° horizontal und 0° vertikal) markiert dabei exemplarisch einen relevanten Messpunkt. Bild 5-22 stellt schematisch die Ausbreitung des Scheinwerferlichtes im Straßenraum mit den Beleuchtungsstärkeverteilungen auf der 10 m entfernten Wand und der Straße dar. Die Linien verbinden Punkte mit gleichen Beleuchtungsstärken (IsoluxDiagramm).

Bild 5-22: Isolux-Diagramm einer Abblendlichtverteilung: a) im Straßenraum und b) auf der 10 m entfernten Messwand; die Linien verbinden Punkte mit gleichen Beleuchtungsstärken (HDG: Hell-Dunkel-Grenze)

5.3 Scheinwerfer

331

Bild 5-23: Leuchtdichteverteilung auf der Straße bei einem Xenon-Abblendlicht: in Graustufen (links), als Falschfarbbild (rechts)

Unter Berücksichtigung des Reflexionsgrads der Straße ergeben sich die für den Fahrer wahrnehmbaren Leuchtdichten. Leuchtdichtebilder lassen sich inzwischen mit moderner Kameratechnik aufnehmen [4]. Bild 5-23 zeigt beispielhaft die gemessenen Leuchtdichten aus der Fahrerposition für ein Xenon-Scheinwerfersystem. In Bild 5-24 sind die Lichtverteilung für Abblendlicht, für die Kombination von Abblend- und Nebellicht und Fernlicht gegenübergestellt.

Eine scharfe Hell-Dunkel-Grenze (HDG) in der Lichtverteilung verhindert die Blendung des Gegenverkehrs. Gleichzeitig gibt es aber auch Minimalanforderungen an die Beleuchtungsstärke oberhalb der HDG, um eine ausreichende Beleuchtung von zum Beispiel Schilderbrücken zu gewährleisten. Der 15°Anstieg der HDG zum rechten Fahrbahnrand (bei Rechtsverkehr) gewährleistet die gute Ausleuchtung der eigenen Fahrbahn und das frühzeitige Erkennen von Fußgängern, Verkehrszeichen und Radfahrern. Die Abstrahlrichtung des Abblendlichtes ist um mindestens 0,57° nach unten geneigt, das Licht „fällt“ also um 1 %. Damit korreliert eine maximale Sichtweite des Scheinwerferlichtes auf der Gegenfahrbahn von ca. 60 m. Auf der eigenen Fahrbahn liegt sie je nach Scheinwerfer zwischen 80 m und 120 m. Das Fernlicht ist für maximale Reichweite ohne Gegenverkehr ausgelegt. Dazu wird das Licht stark gebündelt mit vertikalen Streubreiten von ±10° ohne Vorneigung in den Straßenraum abgestrahlt. Das Nebellicht zeichnet sich durch eine große horizontale Streubreite aus (mehr als ± 35°). Durch die vorgeschriebene Vorneigung von 2 % ist seine maximale Reichweite auf ca. 35 m begrenzt. Beim Nebellicht werden insbesondere die Seitenbereiche und das Vorfeld ausgeleuchtet, was zu einer besseren Führung im Straßenraum bei eingeschränkter Sicht führt.

5.3.2 Lichttechnischer Aufbau

Bild 5-24: Vergleich von Abblendlicht (oben), Abblendund Nebellicht (Mitte) und Fernlicht (unten)

Aus diesem rein visuellen Vergleich werden aber die detaillierten Anforderungen an die verschiedenen Lichtverteilungen nur andeutungsweise ersichtlich. Diese werden daher im Folgenden genauer dargestellt. Das Abblendlicht gibt dem Autofahrer in erster Linie eine große Sichtweite auf der eigenen Fahrbahn, ohne den Gegenverkehr zu blenden.

Die Erzeugung der Lichtfunktionen bei heutigen Scheinwerfern basiert auf zwei unterschiedlichen lichttechnischen Konzepten, nämlich der Reflexions- und der Projektionstechnik. In Bild 5-25 sind zwei Scheinwerfer mit Abblend- und Fernlichtfunktionalität gegenübergestellt, die exemplarisch Kombinationen und Ausführungsformen der Konzepte verdeutlichen. Während sich Reflexionssysteme durch großflächige Reflektoren hinter einer klaren oder optikbehafteten Abschlussscheibe auszeichnen, besitzen Projektionssysteme einen kleinen Lichtaustritt mit einer charakteristischen Linse, der durch eine Umfeldaufhellung vergrößert werden kann.

332

5 Beleuchtung

Bild 5-25: Reflexionstechnik für die Abblendlicht- und Fernlichtfunktion (links), Projektionstechnik für die Abblendund Reflexionstechnik für die Fernlichtfunktion (rechts)

Reflexionssysteme zeichnen sich gegenüber Projektionssystemen durch vergleichsweise geringe Bautiefen aber größere Höhe und Breite aus. Als Lichtquellen dienen die für den Scheinwerferbereich zugelassenen Halogen- und Xenon-Lampen. Bild 5-26 zeigt in Falschfarbendarstellung vermessene Beleuchtungsstärkeverteilungen für ein Halogenund ein Xenonsystem. Hier wird deutlich, dass der 2,5-fache Lichtstrom, der durch Verwendung einer Gasentladungslampe gegenüber einer Halogenlampe zur Verfügung steht, dem Lichttechniker größeren Spielraum bei der Verteilung des Lichtes auf der Straße lässt. Im Vergleich wird insbesondere die bessere Seitenausleuchtung deutlich, die das periphere Sehen unterstützt.

5.3.2.1 Reflexionstechnik Beim Reflexionssystem wird das Licht der Lampe über die Geometrie des Reflektors und optionaler Optiken in der Abschlussscheibe im Straßenraum verteilt. Eine vor der Lampe positionierte Strahlenblende kann die direkte Abstrahlung von Licht der Lampe und die unkontrollierte Beleuchtung von optisch passiven Umfeldflächen wie Zierrahmen verhindern. Beides könnte zu nicht tolerierbarer Blendung oberhalb der Hell-Dunkel-Grenze führen. Derzeit im Trend sind Systeme mit klarer Abschlussscheibe, bei denen glatte, segmentierte oder facettierte Reflektoren zum Einsatz kommen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Systemen, bei denen die Lichtverteilung über den Reflektor und abschließend über Zylinder- oder Prismenoptiken erzeugt wird, befinden sich hierbei keinerlei Streuoptiken auf der Abschluss- oder einer zwischen Abschlussscheibe und Reflektor positionierten Zwischenscheibe.

Bild 5-26: Beleuchtungsstärke auf der Straße für Halogen- (oben) und Xenon-Scheinwerfer (unten)

5.3 Scheinwerfer

333

Bild 5-27: Prinzipielle Funktionsweise des Reflexionssystems; die zur Verdeutlichung eingezeichnete senkrecht stehende Ebene wird „von hinten“ beleuchtet

Die Lichtverteilung wird ausschließlich über die Reflektorgeometrie und die Strahlenblende erzeugt. Während heute mit dem Computer berechnete FreiForm-Reflektorflächen zum Einsatz kommen, wurden früher einfache parabolische Regelgeometrien eingesetzt. Bild 5-27 verdeutlicht das Prinzip. 5.3.2.2 Projektionssystem Das Projektionssystem arbeitet nach einem grundsätzlich anderen Prinzip, das in Bild 5-28 verdeutlicht wird. Das Licht der Lampe wird zunächst über einen annähernd elliptischen Reflektor in der Brennebene der Linse fokussiert. Eine Blende begrenzt hier das Lichtbündel zur Erzeugung der Hell- Dunkel-Grenze. Die nachgeschaltete plankonvexe, asphärische Linse mit typischen Durchmessern im Bereich von 40 – 75 mm projiziert das Licht auf die Straße.

Eine charakteristische Eigenart des Projektionssystems ist der Farbsaum an der scharfen Hell-DunkelGrenze. Er resultiert aus dem Farbfehler der Linse. 5.3.2.3 Bi-Xenon und Schwenkmodul Der Einsatz moderner, hochleistungsfähiger XenonLampen bietet die Möglichkeit zum Aufbau hochintegrierter und multifunktionaler Systeme. Diese bieten sich unter anderem zur Realisierung der leistungsfähigen Beleuchtungskonzepte für das AFS an. Bild 5-29 zeigt ein Bi-Xenon-Projektionsmodul. Bei diesem System wird das Licht der Gasentladungslampe mit einem beweglichen Schatter in der Blendenebene für Abblendlicht und Fernlicht genutzt. Das Schalten des Schatters erfolgt über einen spezifisch ausgelegten Elektromagneten. So werden auf engstem Bauraum zwei Lichtverteilungen mit großem Lichtstrom realisiert.

Bild 5-28: Grundprinzip der Projektionstechnik

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5 Beleuchtung keit), Fahrzeugintegration (Gewicht, Baugröße, Zugänglichkeit, Einbindung in das elektronische Fahrzeugnetz), Entwicklungszeit und Entwicklungskosten. Durch jahrzehntelange, kontinuierliche Entwicklung und zahlreiche Erfindungen haben sich die Konstruktionsprinzipien, gesetzliche Anforderungen und das „Know-how“ für Scheinwerfer etabliert. Innovationen weisen den Weg zu Scheinwerfern, die mit Hilfe einer hohen Integration von Elektronik situationsabhängig ihre Lichtverteilung verändern und adaptieren. 5.3.3.1 Bauformen und -systeme

Bild 5-29: Bi-Xenon-Projektionsmodul

Eine noch höhere Funktionsintegration ist durch den Aufbau so genannter Schwenkmodule möglich. Das Projektionssystem wird auf einen Schwenkmechanismus gesetzt, der es ermöglicht, das Licht bewusst nach rechts oder links zu schwenken (Bild 5-30).

Bild 5-30: Schwenkmodul

Das Schwenkmodul im rechten und linken Scheinwerfer kann dabei entweder synchron geschwenkt werden oder unabhängig voneinander die Straße ausleuchten. Gemeinsam mit der dynamischen Leuchtweitenregelung ermöglicht das Schwenkmodul eine völlig freie Bewegung des Lichtbildes rechts und links. Hierdurch sind die verschiedensten adaptiven Lichtverteilungen möglich, vom einfachen Kurvenlicht bis hin zum vorausschauenden Licht und Schlechtwetterlicht.

5.3.3 Konstruktiver Aufbau Die Scheinwerferentwicklung hat die Aufgabe, konstruktiv den optimalen Kompromiss zwischen folgenden Hauptanforderungen umzusetzen: lichttechnische Qualität (Lichtstrom, Effizienz, Lichtverteilung), Design (Aussehen beleuchtet und unbeleuchtet), Qualität (Prozesssicherheit, Haltbarkeit, Zuverlässig-

Durch die Variation der Anzahl, der Gestalt, der Verbindungsstruktur und der Eigenschaften der Konstruktions- und Verbindungselemente von Streuscheibe, Reflektor und Gehäuse oder Tragrahmen entstehen verschiedene Baustrukturen. Die Neigung eines Scheinwerfers relativ zur Straße muss angepasst werden können. Dazu muss der Scheinwerfer so aufgebaut werden, dass der Reflektor alleine oder zusammen mit weiteren Teilen des Scheinwerfers bewegt werden kann. In einem Gehäusescheinwerfer wird der Reflektor innerhalb des Gehäuses bewegt. Eine Leuchtweitenregelung kann im Gehäuse integriert werden. Die Bewegung verändert die Spalte zwischen Scheinwerfergehäuse und Fahrzeugkarosserie nicht. Gehäusescheinwerfer bieten deshalb den Vorteil eines sauberen Abschlusses zur Karosserie mit relativ kleinen Spaltmaßen. Scheinwerfer, in denen die Einheit aus Reflektor und Streuscheibe bewegt wird, werden Tragrahmenscheinwerfer genannt. Sie ermöglichen einen insgesamt einfacheren Aufbau. Allerdings verändern sich bei der Bewegung die Spalte zur Karosserie. Eine Hybridbauform mit teils karosseriefester Streuscheibe und teils einstellbarem Reflektor kommt zum Beispiel bei mehreren Nebelscheinwerfern zum Einsatz. Der Reflektor wird bewegt und gegen das Gehäuse durch eine sich anpassende Dichtung abgedichtet. Je nach Anzahl der eingesetzten Lichtquellen und Reflektoren unterscheidet man zwischen einem Zweioder Vielreflektorsystem. In einem Zwei-Reflektorsystem – die Zahl gibt jeweils die Anzahl der Scheinwerferreflektoren an der Fahrzeugfront an – wird jeder der beiden Reflektoren für die Fern- und die Abblendlichtfunktion genutzt. Solche Systeme werden typischerweise mit H4-Lampen bestückt. An sehr vielen Fahrzeugen wird mit zwei Reflektoren das Abblendlicht oder ein kombiniertes Abblend-Fernlicht erzeugt und mit zwei weiteren Reflektoren das Fernlicht aufgebaut oder vervollständigt. Solche Systeme werden folglich als Vier-Reflektorsysteme klassifiziert. Bei einem Sechs-Reflektorsystem sind zusätzlich Nebelscheinwerfer oder eine weitere Funktion in den Hauptscheinwerfer integriert.

5.3 Scheinwerfer

335

Bild 5-31: Funktionsbereiche von Scheinwerfern

Je nachdem, ob die Kontaktierungen der Lichtquellen zum Fahrzeugbordnetz einzeln oder über einen Zentralstecker erfolgt, ergeben sich außenkontaktierte Bauformen oder zentralkontaktierte Scheinwerfer, die über einen internen Kabelbaum und nur einen Stecker verfügen. Ein Scheinwerfer kann seine primäre Aufgabe, eine Lichtverteilung zu schaffen, nur erfüllen, wenn Komponenten eingesetzt werden, mit denen auch die Nebenfunktionen des Scheinwerfers sichergestellt werden. Wesentliche Nebenfunktionen sind: die Anbindung des Scheinwerfers an die Fahrzeugkarosserie, die Grundeinstellung der optischen Systeme zum Fahrzeug, die Abdichtung und Belüftung der Scheinwerfer, die Streuscheibenreinigung, die Möglichkeit zum Austausch der Lichtquellen, der elektrische Anschluss der Lichtquellen, die Leuchtweitenregelung und gegebenenfalls Elektroniken für die Versorgung der Lichtquellen. In Bild 5-31 ist die Baustruktur eines Scheinwerfers dargestellt. Gehäuse und Karosserie sind dunkel, Verbindungselemente grau und Funktionsteile und -gruppen hell gekennzeichnet.

Viele Gründe sprechen dafür, nicht jedes Gerät von Grund auf neu zu entwickeln, sondern Bauteile und Komponenten in ein modulares Konzept einzufügen und dieses Konzept gezielt weiterzuentwickeln und anzuwenden. So können neue Technologien schneller vorgestellt werden, Varianten leichter realisiert werden, Entwicklungsrisiken reduziert werden, Synergien durch Stückzahleffekte genutzt werden, Konzepte vielfältiger und schneller betrachtet werden und etablierte Spezifikationen und Schnittstellen genutzt werden. Im Folgenden sind wichtige konstruktive Aspekte zu einigen Scheinwerferkomponenten zusammengestellt: Reflektor Reflektoren werden aus Kunststoff (Duroplast, Thermoplast), Blech, Glas, Aluminium oder Magnesium gefertigt. Je nach Oberflächenbeschaffenheit des Werkstoffs wird der Reflektor nach einer entsprechenden Vorbehandlung direkt mit Aluminium bedampft oder zuvor zusätzlich grundiert. Abschließend wird er mit einer Schutzschicht versehen.

336 Projektionsmodule Aufgrund des genau abgegrenzten Strahlenganges und des hohen Lichtstromes gewinnen Projektionsmodule zunehmend an Bedeutung. Mit unterschiedlichen Linsendurchmessern, Lichtfunktionen und Anbindungssystemen entsteht ein Baukasten, aus dem bei hoher Standardisierung der Module sehr individuelle Scheinwerferkonzepte generiert werden können. Gehäuse Als Gehäusematerial kommt überwiegend Polypropylen mit unterschiedlichen Füllstoffen, unter anderem auch glasfaserverstärkt, zum Einsatz. Wesentliche Optimierungsmöglichkeiten hinsichtlich Gewicht, Materialeinsatz und Zykluszeit ergeben sich durch Mould-Flow-Analysen und Steifigkeitsberechnungen mit Hilfe von FEM-Berechnungen. Streuscheibe, Abschlussscheibe Glasstreuscheiben, vor allem aus Kalk-Natron-Gläsern, werden aus der Schmelze in die gewünschte Form gepresst und sind seit langem im Einsatz. Mit der Entwicklung optikfreier Abschlussscheiben haben sich heute jedoch Polycarbonat-Scheiben als Standard etabliert. Kratzfeste und UV-beständige Beschichtungssysteme ermöglichen den Einsatz dieser Polycarbonat-Scheiben nach den ECE- und SAE-Vorschriften. Kunststoffscheiben bieten gegenüber Glas die Vorteile von hoher Schlagfestigkeit, geringem Gewicht, kleinen Fertigungstoleranzen und wesentlich größerer gestalterischer Freiräume durch die Möglichkeit von Hinterschneidungen. Einstellelemente, Justage und Scheinwerferbefestigung Hoch standardisierte Komponenten und etablierte Prozessschritte dienen zur schnellen, präzisen und sicheren Montage und ermöglichen die Nachjustierung, falls sich die Hell-Dunkel-Grenze über das

5 Beleuchtung Fahrzeugleben oder nach einem Lampenwechsel verlagern sollte. 5.3.3.2 Scheinwerferreinigung Seit über 30 Jahren werden Scheibenreinigungsanlagen (SRA) gebaut, welche die Scheinwerferscheiben durch einen Hochdruck-Wasserstrahl oberflächenschonend gründlich und effektiv reinigen. Ein Reinigungssystem besteht aus ortsfesten oder über Teleskope ausfahrbaren Wirbelkammerdüsen, die unterschiedliche Wasserverteilungen erzeugen; verlustarmen, druck- oder weggesteuerten Schaltventilen, einer Schlauchgruppe, einem Wasserbehälter mit Kreiselpumpe und einer Verbrauchssteuerung in Form eines elektronischen Zeitsteuergerätes oder eines Relais. Die Scheinwerferreinigungsanlage arbeitet üblicherweise bei eingeschaltetem Abblendlicht und Betätigung der Windschutzscheiben-Waschpumpe. 5.3.3.3 Leuchtweitenregelung Sicheres Fahren bei Dunkelheit ist nur mit Scheinwerfern möglich, deren Neigungswinkel stets richtig eingestellt ist. Mit der heute in Europa gesetzlich vorgeschriebenen Leuchtweitenhandverstellung für Halogenscheinwerfer hat der Fahrer die Möglichkeit, mit einem Bedienelement am Armaturenbrett die Scheinwerferneigung dem jeweiligen Beladungszustand anzupassen. Das Verfahren der Reflektoren oder des reflektortragenden Rahmens im Scheinwerfergehäuse erfolgt in der Regel über elektromotorische Steller. Die in der Folge entwickelten automatischen Leuchtweitenregelungssysteme passen den Neigungswinkel der Scheinwerfer an die Straßenlage des Fahrzeuges an, ohne dass der Fahrer eingreifen muss. Derartige Systeme sind für Xenon-Scheinwerfer ebenso wie die Scheinwerferreinigung vorgeschrieben.

Bild 5-32: Prinzipbild der dynamischen Leuchtweitenregelung und Kurvensteuerung

5.3 Scheinwerfer Die statische automatische Leuchtweitenregelung korrigiert Neigungsänderungen auf Grund von Beladungsänderungen. Die dynamische Leuchtweitenregelung reagiert zusätzlich auf Neigungsänderungen aufgrund von Beschleunigungs- und Bremsvorgängen. Sensoren an den Achsen liefern das Signal der Einfederung an ein Steuergerät. Dieses berechnet unter Berücksichtigung des Fahrzustandes die Sollneigung der Scheinwerfer und steuert die Leuchtweitensteller an den Scheinwerfern entsprechend an (Bild 5-32). Hierdurch wird eine optimale Sichtweite des Fahrers erreicht und die Blendung des Gegenverkehrs vermieden. 5.3.3.4 Kurvenlichtsteuerung Durch das seit 2003 erlaubte mitlenkende Abblendlicht kommt eine neue Steuerungskomponente in das Fahrzeug. Bis 2003 war es lediglich zugelassen, das Fernlicht mit in die Kurven lenken zu lassen. Hierfür war eine recht einfache Steuerung, z.B. durch eine mechanische Kupplung an die Lenkbewegung der Vorderachse, völlig ausreichend. Die Steuerung des Abblendlichts muss laut der Sicherheitsvorschrift deutlich feinfühliger reagieren. Neben der Lenkbewegung, die durch einen Winkelsensor an der Lenksäule aufgenommen wird, sind z.B. auch die Geschwindigkeitssignale für die Steuerung nötig. Mit der zunehmenden Detailauflösung des digitalen Kartenmaterials ist es jetzt auch möglich, das Kurvenlicht schon in die Kurve lenken zu lassen, noch bevor der Fahrer mit dem Einschlag des Lenkrads in die Kurve beginnt.

Bild 5-33: Illustration des Sicherheitsgewinns durch aktives Kurvenlicht

337

5.3.4 Qualität in Entwicklung und Produktion Neben der lichttechnischen Auslegung und der entwicklungsbegleitenden Simulation sowie der Mustererprobung der optischen Systeme neuer Scheinwerfer wird die lichttechnische Qualität der Erzeugnisse vor allem durch hohe Fertigungsqualität in allen Bereichen eines Entwicklungs- und Produktionsunternehmens realisiert. Zusätzlich sichern Zulassungsprüfungen, stichprobenartige serienbegleitende Prüfungen und zum Teil vollautomatisierte Bandendkontrollen in der Produktion die Qualität von Beleuchtungsprodukten. Eine lichttechnische Berechnungssoftware erlaubt die optimierte Auslegung und die frühzeitige Betrachtung der lichttechnischen Systeme. Das Programmpaket versteht sich als virtuelles Lichtlabor und umfasst verschiedene Berechnungs-, Modellierungs-, Simulations- und Analyse-Werkzeuge. Die Grundbausteine eines virtuellen Lichtlabors sind aus den wichtigsten, optisch wirksamen Bauteilen des Scheinwerfers abgeleitet. In der Regel sind dies: Lichtquellen, Reflektoren, Blenden, Linsen, Streu- und Zwischenscheiben sowie Umfeldgeometrien. Mit einem Editor wird das Szenarium aus den Grundbausteinen aufgebaut. Hinzu kommen „Detektoren“ überall dort, wo Lichtströme, Beleuchtungs- und Lichtstärken oder Leuchtdichten gefragt sind. Ausgehend von der Lichtquelle werden Lichtstrahlen entlang des Strahlengangs simuliert und „auf den Detektoren registriert“. Die Ergebnisse können visualisiert und mit den Anforderungen verglichen werden. Expertensysteme erlauben darüber hinaus, die Leistungsfähigkeit von Scheinwerfern und Leuchten in Abhängigkeit von Abmessungen und Randbedingungen frühzeitig abzuschätzen. Dauerschaltprüfungen und Schwingungsversuche sind wesentliche Elemente für die mechanische Erprobung von Scheinwerfern. Je nach Kundenspezifikation werden dabei insbesondere Dauerschaltprüfungen häufig in Kombination mit Temperatur- und Klimaprüfungen durchgeführt. Schwingungsversuche testen die Festigkeit der Geräte und werden auf Schlagschütteleinrichtungen gefahren. Die Aufweitung des Lichtbandes im Fahrbetrieb und andere Kriterien werden mit gezielt variierten Frequenzen und Amplituden erprobt. Im Zuge immer kleiner werdender Bauräume und steigender Temperaturen in Motorräumen schenken die Scheinwerferentwickler der Temperaturverteilung in ihren Geräten besondere Beachtung. Temperaturprognosen auf Basis von Berechnungen haben einen hohen Zuverlässigkeitsgrad erreicht. Dennoch werden alle Geräte in ausführlichen Tests unter realitätsnahen Bedingungen nach Kundenspezifikation qualifiziert. Klimaprüfungen ermitteln das Materialverhalten bei hohen Luftfeuchtigkeitsanteilen und Sonneneinstrahlung und dienen der Optimierung der Scheinwerfer-

338 belüftung, um eine Betauung der Streuscheibe im Betrieb, auch unter kritischen Witterungsbedingungen, nachhaltig zu vermeiden. Die immer kompakter werdende Bauweise mit engsten Luftspalten im Scheinwerferinnern und die enge Kapselung von Scheinwerfern in der Karosserie machen es schwierig, eine gute Belüftung zur Vermeidung der Streuscheibenbetauung zu gewährleisten.

5.3.5 Tag- und Nachtdesign Aufbau und Ausgestaltung eines Scheinwerfers werden zunehmend durch das Design bestimmt. Als „Augen des Fahrzeugs“ sind sie wichtiges Stilelement der Fahrzeugfront und unterstreichen den Charakter des Fahrzeugs. Einfluss auf die Wirkung eines Scheinwerfers haben die verwendeten Lichtsysteme, aber auch die Form und die Ausgestaltung der Umfeldgeometrien. Auch die Umsetzung der Leuchtenfunktionen wie Positionslicht und Blinklicht bietet zusätzliches Differenzierungspotential. Neben der Tagerscheinung bietet insbesondere die nächtliche Inszenierung des Scheinwerfers Gestaltungsmöglichkeiten.

5.3.6 Adaptives Licht Primäre Zielsetzung innovativer Scheinwerfersysteme ist es, die Verkehrssicherheit – insbesondere bei Nacht – zu erhöhen. Dazu werden je nach Fahr- und Umweltsituation optimale Lichtverteilungen für die Fahrbahnausleuchtung bereitgestellt. Insbesondere Helligkeitsverhältnisse, Witterung, Straßenzustand, Verkehrssituation, Straßenart, Fahrzeuggeschwindigkeit und Beschleunigungsverhalten finden im Rahmen des AFS (Advanced Frontlighting System) Berücksichtigung. 5.3.6.1 Lichtverteilungen Der Wunsch nach situationsabhängiger Anpassung der Lichtverteilung führt zu technisch hochintegrierten Konzepten im Frontendbereich. Ihre Realisierung ist nur durch Synergien bei der Entwicklung von optischen, elektronischen und mechanischen Komponenten möglich. Dabei bekommt die Forderung nach geringem Bauraumbedarf immer mehr Gewicht.

5 Beleuchtung Besondere Aspekte sind die Bereitstellung von Sensorik zur Erfassung des Verkehrsraumes, die Entwicklung von Mechatronik zur Verstellung optischer Komponenten und die Erarbeitung neuer Scheinwerferkonzepte zum Aufbau modularer Lichtverteilungen. Bild 5-34 zeigt beispielhaft zukünftige Lichtverteilungen, die an die Verkehrssituationen Stadtfahrt, Linkskurve, Rechtsabbiegen und Autobahnfahrt angepasst sind. Die Lichtverteilungen für das AFS umfassen: Landstraßenlicht (CL: Country Light), Autobahnlicht (ML: Motorway Light), Fernlicht (HB: High Beam), vorderes Nebellicht (FFL: Front Fog Light), Schlechtwetterlicht (AWL: Adverse Weather Light), Stadtlicht (TL: Town Light) und Kurvenlicht (BL: Bending Light). In Bild 5-34 ist nur das statische Kurvenlicht gezeigt. Charakteristisch für die Stadtlichtverteilung ist die breite Ausleuchtung der Fahrbahn, der reduzierte asymmetrische Anteil zur generellen Entblendung anderer Verkehrsteilnehmer und die gute Vorfeldausleuchtung. Bei Kurvenfahrten bietet es sich an, die Abblendlichtverteilung dynamisch dem Straßenverlauf folgen zu lassen. Beim Abbiegen wird das Abblendlicht um einen zusätzlichen Lichtanteil (statisches Kurvenlicht) zur besseren Ausleuchtung der einmündenden Straße ergänzt. Für das Autobahnlicht führt die angehobene, symmetrische Hell-DunkelGrenze zu einer deutlich größeren Reichweite, ohne aber den Gegenverkehr unnötig zu blenden. Des Weiteren wird ein Schlechtwetterlicht diskutiert, das insbesondere bei Regen und nasser Straße zu mehr Sicherheit führen soll. 5.3.6.2 Komponenten Um die gewünschten dynamischen und adaptiven Lichtfunktionen automatisieren zu können, ist es erforderlich, Sensorinformationen über die Fahrdynamik, die Umwelt sowie das Fahrzeugverhalten zu verarbeiten. Im Einzelnen sind dies zum Beispiel Informationen über Geschwindigkeit und Beschleunigung, Kurvenfahrt und -radius, Umfeldlichtstärke, Witterungsbedingungen, Straßenzustand und Straßenart.

Bild 5-34: Lichtverteilungen für adaptive Frontbeleuchtungssysteme (AFS); die Abkürzungen werden im Text erklärt

5.3 Scheinwerfer

339

Bild 5-35: Sensoren und Aktoren im Dienste der Lichttechnik

Auf dem CAN-Bus stehen diese Informationen schon heute teilweise zur Verfügung, so etwa Signale von Fahrzeugniveausensoren, ABS, Lenkwinkelsensoren, Gierratensensoren und Regen-Licht-Sensoren. Für die Umsetzung der Signale in Lichtfunktionen sowie für die zur Implementierung notwendige Elektronik-Hardware werden spezifische Schnittstellen, Sicherheitsszenarien sowie Algorithmen entwickelt. Gemeinsam mit der Auslegung der lichttechnischen Konzepte und der regelnden Algorithmen müssen insbesondere auch die zur Realisierung der Funktion notwendigen Antriebe und Schalter entwickelt werden. Dabei treten über Randbedingungen wie geforderte Stellwege, zu bewegende Massen, Schwingungsstabilität, Präzision und Temperatureinsatzbereich Wechselwirkungen mit dem optischen System auf, die spezifische Lösungen zwingend erforderlich machen. Neben den Lampen, die hier im Sinne der Ansteuerung auch als Aktoren betrachtet werden, sind insbesondere elektromagnetische Antriebe (Gleichstrommotoren, Schrittmotoren und Schaltmagnete) als Wandler von elektrischer Energie in Bewegungsenergie systembestimmend. Bild 5-35 zeigt eine Übersicht einsetzbarer Sensoren, grund-

sätzliche Elektronikfunktionen sowie Beispiele für anzusteuernde Aktoren. 5.3.6.3 Lichtsysteme Bild 5-36 zeigt den typischen Aufbau eines multifunktionalen Scheinwerfers. Eine Scheinwerfereinheit besteht aus mehreren Systemen, die den Straßenraum für verschiedene Situationen optimal ausleuchten. Ein elektronisches System steuert die unterschiedlichen Lichtfunktionen automatisch. Herzstück des Scheinwerfers ist ein Bi-XenonProjektionssystem [5]. Es erlaubt die Erzeugung von Abblendlicht und Fernlicht aus einem Modul und schafft so Raum für die Positionierung der zusätzlichen Lichtsysteme für Stadtverkehr, Landstraßenund Autobahnfahrten.

340

5 Beleuchtung

Bild 5-36: Prototyp eines multifunktionalen Scheinwerfersystems [Quelle: Visteon]

5.3.7 LED-Scheinwerfer Seit kurzem ist es technisch möglich, Scheinwerfer auch in LED-Technik auszuführen. Sie bieten im Vergleich zu den konventionellen Systemen neue Möglichkeiten bezüglich Design, Bauraum und Multifunktionalität. Bei Scheinwerfern mit LED wird das Licht der Leuchtdiode über die unterschiedlichsten optischen Systeme auf die Straße abgebildet. Die LED bringt besondere Eigenschaften, wie „kaltes Licht“, Lebensdauer, Effizienz und Ansprechverhalten mit, die den Aufbau gänzlich neuer Scheinwerfersysteme in Zukunft ermöglichen. Die LED strahlt Licht nur in bestimmte Wellenlängen aus. Man kann vermeiden, dass mit dem sichtbaren Licht auch immer infrarote Strahlung ausgesandt wird. Das damit kalte Licht kann direkt in einen Lichtleiter eingekoppelt werden. Der Lichtleiter führt den Lichtstrom durch Totalreflexion effizient zu den Auskopplungselementen, welche dann die unterschiedlichsten Formen annehmen können. Die LED besitzt eine Lebensdauer, welche deutlich über der eines Fahrzeugs liegt. Man kann mit ruhigem Gewissen die LED fest in den Scheinwerfer oder die Leuchte bauen und von einer Möglichkeit des Wechselns absehen. Dies spart wertvollen Bauraum ein.

Ohne den bei Temperaturstrahlern hohen Infrarotanteil im Licht ist die LED in der Regel auch ein deutlich effizienterer Stromverbraucher. Dies ist heute schon für gelbe und rote Signalfunktionen der Fall, wo Werte von 50 lm/W nicht unüblich sind. Durch die separate Steuerung mehrerer LEDLichtquellen sind hochdynamische, adaptive Lichtsysteme realisierbar. LED-Scheinwerfer können bei Kurvenfahrten die Lichtverteilung dem vorausliegenden Straßenverlauf anpassen, ohne dass Scheinwerferelemente bewegt werden müssen. Der Übergang verschiedener Lichtfunktionen wie z.B. Positionslicht, Tagfahrlicht und Fernlicht kann kontinuierlich geschaltet werden. Durch LED-Scheinwerfer wird sich das Nachtdesign der Fahrzeuge markant ändern (Bild 5-37). Zum ersten Mal wird es möglich, die traditionelle Form des Scheinwerfers zu verlassen. Die deutlich flexiblere Gestaltung des Bauraums wird kaum noch einen Designwunsch offen lassen. Vom Zwei-AugenGesicht über konturfolgende Lichtleisten bis hin zu vollständig verdeckten Scheinwerfern werden die unterschiedlichsten Formen machbar. Das nächtliche Erscheinungsbild reicht von Perlenketten bis zu gleichmäßig erleuchteten Lichtleisten.

5.4 Signalleuchten

341

Bild 5-37: Tag- und Nachterscheinungsbild eines LED-Scheinwerfers [Quelle: Visteon]

5.4 Signalleuchten Signale von verschiedenen Fahrzeugen sind oft unterschiedlich deutlich zu erkennen. Manchmal sind sie für das Fahrzeug selbst charakteristisch. Neue Technologien bieten Möglichkeiten für die Signalsprache mit Form und Farbe. Im Folgenden gehen wir auf die Trends bei der Gestaltung von Leuchten ein, illustrieren neue Sicherheitstechnik und zeigen den Bedarf an menschgerechter Information im Verkehr.

5.4.1 Vorschriften zu Anbau und Funktionen Entscheidend für die Sicherheit im Straßenverkehr ist das zuverlässige Erkennen einer Fahrsituation. Signalleuchten – ob vorn, seitlich oder hinten am Kraftfahrzeug angebracht – informieren andere Verkehrsteilnehmer. Rückwärtiges Signalbild Die Schlusslichtfunktion (S) signalisiert dem rückwärtigen Verkehr die Präsenz eines Fahrzeugs, insbesondere bei schlechten Sichtverhältnissen. Die Bremslichtfunktion (B) weist nachfolgende Verkehrsteilnehmer darauf hin, dass die Geschwindigkeit eines vorausfahrenden Fahrzeugs – eventuell bis zum Stillstand – aktiv vermindert wird. Die Nebelschlussleuchte (NES) dient der Fahrzeugerkennung durch nachfolgende Fahrzeugführer bei besonders schlechten Witterungsverhältnissen wie Nebel, Schneefall, starkem Regen oder auch Staubwolken – immer dann, wenn die Sichtweite den vom Gesetzgeber vorgegebenen Schwellenwert von 50 m unterschreitet. Die Zusatzrückleuchte (ZR) signalisiert die beabsichtigte oder tatsächliche Rückwärtsbewegung eines Fahrzeugs und beleuchtet in dieser Situation den Fahrweg. Der Betrieb dieser Funktion, die heute nur noch Rückfahrleuchte heißt, ist an das Einlegen des Rückwärtsganges gekoppelt.

Die zusätzliche zentrale Bremsleuchte (ZB) ist simultan dem Bremslicht zugeschaltet und erhöht für nachfolgende Verkehrsteilnehmer durch das entstehende Signalbild (Dreieck) die Erkennbarkeit eines Bremsvorgangs. Der Anbauort dieser Leuchtenfunktion gewährleistet die frühzeitige Wahrnehmung der Fahrzeugverzögerung – insbesondere bei Kolonnenverkehr – durch die Heckscheiben vorausfahrender Fahrzeuge. Hochgesetzte Bremsleuchten können im Innenraum hinter der Heckscheibe oder außen am Fahrzeug angebracht werden. Für die Beleuchtung des Kennzeichenschildes ist in Abhängigkeit von der ein- oder zweizeiligen Ausführung die Leuchtdichteverteilung vorgeschrieben. In der Regel sind in Europa ein oder zwei Kennzeichenleuchten (K) entweder seitlich, oberhalb oder unterhalb des Schildes angebracht. Sie können in die Karosserie, in Heckblenden oder in andere Anbauteile wie den Stoßfänger integriert werden. Nachder SAE ist die Beleuchtung des Kennzeichens nur von oben gestattet. Die Anbausituation ist grundsätzlich so zu wählen, dass kein Licht unmittelbar nach hinten abgestrahlt wird. Durch die besondere Optikauslegung des Rückstrahlers (R) wird das auftreffende Scheinwerferlicht eines nachfolgenden Fahrzeugs in die Ursprungsrichtung reflektiert und somit von dessen Fahrzeuglenker als leuchtende Fläche wahrgenommen. Es handelt sich dabei um eine passive, also nicht selbstleuchtende Funktion. Seitliches Signalbild Nach europäischen Zuslassungsvorschriften müssen Zusatzblinkleuchten (ZBL) im vorderen Fahrzeugbereich angebracht werden. Die amerikanischen Zulassungsbestimmungen schreiben diese Funktion nicht zwingend vor, tolerieren sie aber. Seitenmarkierungsleuchten (SML) stellen einen zusätzlichen Sicherheitsgewinn dar. Diese Signalfunktion ist in den USA für Pkw und Nkw vorgeschrieben. In Europa ist sie nur für Nkw verpflichtend, sie ist aber auch für Pkw zulässig. Die Funktionsweise des Seitenmarkierungsrückstrahlers (SMR) entspricht der des Rückstrahlers

342 (s.o.). Es handelt sich ebenfalls um eine passive Funktion. Die Anbringung des Seitenmarkierungsrückstrahlers unterliegt den gleichen Bestimmungen wie die Seitenmarkierungsrückleuchte. Häufig werden beide Funktionen in einem Gerät zusammengefasst. Vorderes Signalbild Vordere Blinkleuchten (BL) können separat im Stoßfänger, in der Karosserie, neben dem Schweinwerfer oder im Scheinwerfer integriert sein. Die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen für den vorderen Fahrtrichtungsanzeiger werden abhängig vom Abstand zu den Scheinwerferfunktionen „Abblendlicht“ und „Nebellicht“ in Kategorien eingeteilt. Das Positionslicht (PO) macht im Betrieb ein abgestelltes Fahrzeug kenntlich. Es ist von der Funktion anderer Beleuchtungseinrichtungen unabhängig und muss auch bei ausgeschalteter Zündung funktionsfähig sein. Die ECE-Regelung Nr. 87 – 3/1992 definiert die Tagfahrleuchte als eine nach vorn wirksame Leuchte, durch die das Fahrzeug bei Tagfahrten leichter erkennbar ist. Nach Auffassung vieler Experten kann das Tagfahrlicht (TFL) eine Steigerung der Verkehrssicherheit bewirken. In Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Polen, Ungarn und Kanada ist das Tagfahrlicht bereits heute vorgeschrieben – in Australien und den USA zulässig. Es kann als gesonderte Leuchte realisiert oder je nach länderspezifischen Vorschriften aus vorhandenen Funktionen, wie beispielsweise aus dem Abblend- oder Fernlicht (gegebenenfalls mit reduziertem Lichtstärkepegel) generiert werden. Da es sich beim Tagfahrlicht um eine Dauerfunktion handelt, kommt der Betrachtung des Energiebedarfs eine besondere Bedeutung zu.

Bild 5-38: Separates Tagfahrlicht (rechts) in LEDTechnik [Quelle: Audi]

Die Signale zeigen an, ob ein Fahrzeug vorhanden ist und wie es positioniert ist (PO, SML, S, NES, R, SMR), ein Fahrzeug bremst (B, ZB), ein Fahrzeug die

5 Beleuchtung Fahrtrichtung ändert (vorderes und hinteres BL, ZBL) oder ein Fahrzeug rückwärts fährt (ZR). Um die Erkennbarkeit und Eindeutigkeit zu gewährleisten, unterscheiden sich die Signalfunktionen am Kraftfahrzeug durch ihr Lichtstärkeniveau, ihre relative Lichtstärkeverteilung, ihre Farbe und teilweise auch durch ihre Frequenz. Aus Gründen der Einheitlichkeit des Signalbildes sind Kraftfahrzeug-Signalleuchten in gesetzlichen Regelungen festgeschrieben. Beispielhaft fordert die europäische Gesetzgebung (ECE) für den Anbauort am Fahrzeug, für die Signalfarbe, für die Signalfrequenz und für den Sichtbarkeitsbereich eindeutige Werte. Die zulässigen Lichtstärkewerte sind je nach Funktion unterschiedlich groß. Grundsätzlich werden Veränderungen der Bewegung (BL, B) durch stärkere Signale angezeigt, als die Position und Orientierung (S, PO, SML). Die minimalen Lichtstärkewerte in zentraler Abstrahlrichtung unterscheiden sich für das Brems- und das Schlusslicht mit 60 cd bzw. 4 cd beispielsweise um den Faktor 15.

5.4.2 Konstruktiver Aufbau Nahezu ein Siebtel der Verkehrsteilnehmer fahren mit defekten Beleuchtungseinrichtungen. Woran liegt das? Bei einer Fahrzeuglaufleistung von 150 000 km kann man von einer Betriebsdauer für das Abblendlicht von ca. 1500 h, für das Blinklicht von rund 100 h, für das Bremslicht von durchschnittlich 600 h und für das Rückfahrlicht von max. 30 h ausgehen. Beispielsweise hat eine Zweifaden-Standard-Glühlampe mit einer elektrischen Leistungsaufnahme von 21 Watt für eine kombinierte Brems-Schlusslicht-Funktion eine Lebensdauer von ca. 100 h. Bei einer mittleren Betriebsdauer von 540 h muss das Leuchtmittel für das Bremslicht statistisch gesehen 5 mal ausgewechselt werden. Überwiegen Nachtfahrten, was insbesondere in den nordischen Ländern oder für Taxen und Lkw zutrifft, erhöht sich die Zahl der Glühlampenwechsel auf 18. Der Einsatz von Longlife-Glühlampen reduziert bei der gleichen Funktion die Service-Häufigkeit auf etwa die Hälfte. Beim Einsatz von Leuchtdioden mit einer mittleren Lebensdauer, die größer als 10000 h ist, entfällt das Auswechseln des Leuchtmittels. Auch hinsichtlich des Energieverbrauchs sind Halbleiterlichtquellen vorteilhafter als Glühlampen. Wird die Schlusslichtfunktion beispielsweise mit vier roten Leuchtdioden an Stelle von zwei 5-Watt-Glühlampen umgesetzt, dann reduziert sich die Leistungsaufnahme von 10 Watt auf 600 mW etwa um den Faktor 17. Die Auswahl der Leuchtmittel stellt nur einen Konstruktionsparameter dar. Zusätzlich ergibt sich der Rahmen für die Entwicklung von Signalleuchten auch aus den gesetzlich vorgeschriebenen lichttechnischen Anforderungen für die verschiedenen Signalfunktio-

5.4 Signalleuchten

343

nen, den spezifischen Kundenanforderungen zur mechanischen Festigkeit, Dichtigkeit, Beständigkeit bei Umweltbelastungen, den kundenspezifischen Stylinganforderungen und den verfügbaren Materialien. Eine konventionelle Pkw-Signalleuchte besteht im Prinzip aus drei Baugruppen: Der Lampenträger positioniert eine oder mehrere Lichtquellen relativ zum optischen System der Leuchte; das Gehäuse enthält die Reflektoren, die in der Regel angeformt sind; die Abschlussscheibe sorgt durch zusätzliche Optikstrukturen für die Verteilung des Lichts. Moderne Leuchtenbauformen setzen teilweise andere Konzepte um und integrieren dann entsprechende optische Bauteile wie Zwischenscheiben oder Lichtleiter (siehe weiter unten). Wichtig ist dabei auch der jeweilige Einfluss auf die elektrische Kontaktierung. Die Designvorstellungen der Kunden erfordern zum Teil neuartige optische Systeme. Der Rahmen zur Auslegung und Gestaltung von Leuchten wird durch eine Vielzahl von Kundenvorgaben bestimmt. Diese Restriktionen betreffen unter anderem die Form und die Begrenzung, die einoder zweiteilige Ausführung mit eventuell beweglichen Teilen in der Kofferraumklappe, die Anbaulage mit Neigung und Pfeilung, den Bauraum und das Zulassungsland: ECE, USA, Japan, u.a. Dabei ist auch die gleichzeitige Zulassung für mehrere Länder möglich.

tierte oder facettierte Reflektoren und Kombinationen aus den o.g. Reflektorgeometrien.

5.4.3 Lichttechnische Konzepte

5.4.3.3 Lichtleitoptiken

Neben der Forderung nach neuartigen Designausprägungen macht der vermehrte Einsatz alternativer Lichtquellen wie neuer Glühlampen, Leuchtdioden oder Laser in Kfz-Leuchten die Entwicklung innovativer und hocheffizienter Systeme notwendig. Durch den Einsatz andersartiger optischer Komponenten differenzieren sich diese Leuchten dann auch im Erscheinungsbild und im Bauraum. Unabhängig von der Wahl der Leuchtmittel lassen sich die verschiedenen Optiksysteme wie folgt grob klassifizieren [8]:

Bei Leuchten in Lichtleittechnik unterscheidet man zunächst zwischen der reinen Lichtleitung und der Lichtauskopplung. Die Lichtleitung basiert auf der Totalreflexion, die am Grenzflächenübergang vom optisch dichteren zum optisch dünneren Medium auftritt.

Bild 5-39: Leuchte mit Freiformreflektor im unteren Bereich des Scheinwerfers [Quelle: Visteon]

5.4.3.2 Lichtbrechende Optiken Leuchtensysteme mit ausschließlich lichtbrechenden (refraktiven) Elementen finden sich beispielsweise bei Schlusslicht- oder Blinklichtfunktionen. In der Regel kommen hier Fresnel-Optiken auf gekrümmten Flächen in Zwischen- oder Abschlussscheiben zum Einsatz. Diese Systeme kommen ohne zusätzliche Reflektoren aus.

5.4.3.1 Reflektive Optiken Leuchten mit rein reflektiven Eigenschaften beinhalten in der Regel Freiformflächen-Reflektoren in Kombination mit optiklosen Abschlussscheiben. Bei den meisten zur Zeit verwendeten Leuchten handelt es sich um so genannte Misch- oder Hybridoptiken, bei denen zum größten Teil reflektive Elemente in Kombination mit anderen (zum Beispiel lichtleitenden oder lichtbrechenden) Optikprinzipien Verwendung finden. Beispiele der gängigsten Reflektorformen in einer Leuchte sind Parabelreflektor, Ellipsoid-Reflektor, Stufenreflektor, Freiformflächen-Reflektor, segmen-

Bild 5-40: Leuchte mit Lichtleittechnik im rechten Segment und diskreten LEDs im oberen Segment

344 Der Grenzwinkel, bis zu dem Lichtleitung möglich ist, wird durch den Unterschied zwischen den Brechungsindizes der beiden Materialien bestimmt. Treffen Strahlen steiler auf die Grenzfläche, dann werden sie ausgekoppelt. Zur gezielten Lichtauskopplung werden beispielsweise verspiegelte Prismen in oder auf den Lichtleiter ein bzw. aufgebracht. Dieses Prinzip wird bereits in der Serie umgesetzt (siehe Bild 5-40). 5.4.3.4 Mikrooptiken Lichtbrechende Mikrooptiken liegen von ihrer Strukturgröße her im Submillimeterbereich, aber noch deutlich oberhalb der Lichtwellenlänge. Zur mathematischen Beschreibung solcher Systeme und zu deren lichttechnischen Simulation kann auf die Gesetzmäßigkeiten der Strahlenoptik zurückgegriffen werden. Lichtbeugende (diffraktive) Optiken basieren auf Strukturen, die in der Größenordnung der Lichtwellenlänge oder darunter liegen. Bei diesen Größenverhältnissen überwiegt der Anteil von Beugungserscheinungen dem Effekt der Lichtbrechung. Deshalb reicht hier zur mathematischen Beschreibung die geometrische Strahlenoptik nicht mehr aus. Hier muss auf die Wellentheorie des Lichts zurückgegriffen werden.

5 Beleuchtung der Abschlussscheibe besitzen, so dass ein freier Einblick von außen in die Leuchte verwehrt bleibt. In der Regel besitzen diese Leuchten Glühlampen als Lichtquellen im optischen System. 5.4.4.2 Brillant Die Verwendung von hochglanz verspiegelten Reflektoren mit Optikelementen und einer darauf abgestimmten Lichtscheibe lässt eine Leuchte brillant erscheinen (Bild 5-41). Die Brillanz wird durch Reflexe an verspiegelten Reflektoren oder an reflexionsverstärkenden Strukturen erzeugt. Die verspiegelten Reflektoren können mit oder ohne Oberflächenstruktur ausgeführt werden. Die geforderte Lichtverteilung wird allein durch den Reflektor erzielt. Die optikfreie Abschlussscheibe ermöglicht einen uneingeschränkten Blick auf den verspiegelten Reflektor. Dagegen wird bei transparenten Scheiben mit reflexionsverstärkenden Strukturen wie Prismen, kleinen Radien etc. das brillante Aussehen nicht nur durch den Reflektor, sondern auch durch die zum Teil von konventionellen Abschlussscheiben abweichenden Streuoptiken erreicht. Grundsätzlich sind mit der Auslegungssoftware neben Anordnungen mit horizontalen oder vertikalen Segmenten auch Aufteilungen mit Kreissektoren im Reflektor oder fast beliebige Reflektorunterteilungen möglich.

5.4.4 Formensprache Außenleuchten prägen das individuelle Aussehen eines Fahrzeuges. Sie setzen Akzente und können Karosserieformen formal unterstützen oder bewusst aufbrechen. Durch neue Fertigungstechnologien, wie optiklose Abschlussscheiben oder Freiformflächenreflektoren, und neue Leuchtmittel, wie Lichtleiter oder Leuchtdioden, sind dem Designer vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten gegeben. Viele Kunden der Kraftfahrzeugerstausrüstung legen immer größeren Wert auf ein marken- oder sogar fahrzeugspezifisches Tag- und Nachterscheinungsbild. Dabei bietet die individuelle Gestaltung von Signalleuchten am Fahrzeug besondere Möglichkeiten, den Wiedererkennungswert nachhaltig zu steigern, was zu einer großen Variantenvielfalt führt. Nachfolgend wird diese Vielfalt beschrieben und klassifiziert. Nicht jede Signalleuchte lässt sich eindeutig einer der unten aufgeführten Stylingvariationen zuordnen. Oft erfüllt sie mehrere Klassifizierungskriterien gleichzeitig. Neben der seriennahen Arbeit zeigen Stylingstudien Visionen, die erst in der Zukunft realisierbar werden. 5.4.4.1 Konventionell Unter konventionellem Leuchtendesign werden hier die Geräte zusammengefasst, die Optikstrukturen auf

Bild 5-41: Beispiel für eine brillante Leuchte

5.4.4.3 Linien-Design Für das Linien-Design (Line-Design) ist ein schmales, langgestrecktes Erscheinungsbild der Leuchtenfunktion charakteristisch (Bild 5-42). Hierbei kann es sich auch um eine linienförmige Aneinanderreihung von Lichtpunkten oder um eine flächige Ausleuchtung des jeweiligen Signalfeldes handeln.

5.4 Signalleuchten

Bild 5-42: Linien-Design (Line-Design)

5.4.4.4 Kontur Die Konturbeleuchtung ist eine Erweiterung des Line-Designs, die auch die Nachbildung von gebogenen oder geschwungenen Konturen zulässt. Wartungsfreiheit durch Leuchtdioden-Einsatz und Exklusivität können kombiniert werden. In einer Stylingstudie für das Fahrzeugheck sind bereits Lichtmuster für eine das Heck überspannende zusätzliche Bremsleuchte sowie eine komplette Heckleuchte aufgebaut worden. Auch für die Fahrzeugfront gibt es erste Serienprojekte mit Signalfunktionen in Lichtleittechnologie (Bild 5-43).

345 on von Glühlampen mit entsprechend eingefärbten Abschlussscheiben erzeugt, die als Farbfilter dienen. Abschlussscheiben solcher Leuchten zeigen auch im unbeleuchteten Zustand die Farben ihrer Signalfunktionen. Auf die Funktion separater Farbfilter – beispielsweise in Gelb für die Blinklichtfunktion – kann bei Einsatz von entsprechend lackierten oder interferenzbeschichteten Glühlampen verzichtet werden. Bei der PY21W-Glühlampe zum Beispiel übernimmt eine gelbe Lackschicht die Funktion eines Absorptionsfilters, während bei Glühlampen auf Basis des Interferenzprinzips der Farbort durch Anzahl und Dicke der Interferenzschichten eingestellt wird. In beiden Fällen verlässt das Licht den Glaskolben der Lampe bereits mit dem für Blinkleuchten vorgeschriebenen Farbort, so dass beispielsweise eine klare Abschlussscheibe eingesetzt werden kann. Auch bei Leuchtdioden oder Leuchtstofflampen sind keine zusätzlichen Farbfilter notwendig, da die Lichtquelle selbst bereits in der entsprechenden Farbe abstrahlt. Durch Kaschierungstechniken lassen sich bei Glühlampensystemen noch ganz andere Farbeindrücke erzielen. Beispielsweise lässt sich die Zahl der Farben im unbeleuchteten Zustand von den drei Farben Rot, Gelb und Weiß auf zwei oder sogar nur eine Farbe reduzieren. Bild 5-44 gibt eine Modellauswahl wieder.

Bild 5-44: Farb-Varianten von Leuchten

Bild 5-43: Positionslicht mit Lichtleittechnik

Eine Symbiose aus Kontur- und flächiger Beleuchtung stellt das so genannte „edge-lighting“ dar. Hierbei handelt es sich um die visuelle Betonung von Signalfeldumrissen im eingeschalteten Zustand. Dies kann durch unterschiedliche Leuchtdichten von Signalfeld und Berandung erreicht werden. Zur Hervorhebung der Kontur bietet sich dabei insbesondere die Lichtleittechnik an. Zum Konturdesign zählen im weitesten Sinne auch indirekte Beleuchtungskonzepte für Karosserieteile und Fahrzeugsilhouetten. 5.4.4.5 Farbvariationen Signalleuchten an Kraftfahrzeugen müssen Licht in einer bestimmten Farbe abstrahlen. Häufig wird die Farbe des abgestrahlten Lichts durch die Kombinati-

Vorteilhaft ist, dass durch Farbkontrast-Leuchten die Reaktionszeit eines Kraftfahrers verringert werden kann. Dies wird durch den Farbunterschied vom ausgeschalteten zum eingeschalteten Zustand – insbesondere bei der Bremsleuchte – hervorgerufen. Mit Masken wird die in der Regel klare Abdeckscheibe – typischerweise bei der Rückfahrleuchte – teilweise abgedeckt, so dass im ausgeschalteten Zustand ein anderer Farbeindruck als die Signalfarbe erzeugt wird. Zum Aufbau einer kompletten Unicolor-Heckleuchte werden sowohl Farb- als auch Masken-Techniken miteinander kombiniert. Masken werden meist dann eingesetzt, wenn der vorgeschriebene Farbort – beispielsweise bei der Rückfahrleuchte – nicht über multiplikative Farbmischung mit der Farbe der Abschlussscheibe realisiert werden kann oder wenn die Absorptionsverluste in Filter und Abschlussscheibe zu groß werden. Eine Heckleuchte in unicolorgrau erhält das gleichmäßige Aussehen durch eine getönte Abschlussscheibe mit einem Transmissionsgrad von 50 %.

346

5 Beleuchtung Tagerscheinung eröffnet insbesondere die nächtliche Inszenierung von Leuchten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten.

5.4.5 Signale mit höherem Informationsgehalt

Bild 5-45: Heckleuchte in unicolorrot

Eine Heckleuchte in unicolorrot ist in Bild 5-45 gezeigt. Es können auch andere transparente Einfärbungen als rot und grau gewählt werden, wie zum Beispiel blau, grün, gelb oder orange. Das Aussehen der Leuchte im ausgeschalteten Zustand kann auf diese Weise an die Wagenfarbe angepasst werden. 5.4.4.6 Zukünftige Stylingkonzepte Die Gestaltung von Leuchten wird zunehmend durch Designaspekte dominiert. Ähnlich wie Scheinwerfer für die Fahrzeugfront sind Leuchten ein wichtiges Stilelement bei der Gestaltung des Fahrzeughecks und unterstreichen den Charakter des Fahrzeugs. Die Leuchtenfunktionen der Fahrzeugfront – wie Positions- und Blinklicht – bieten im Zusammenspiel mit dem Scheinwerfer Differenzierungspotenzial für das vordere Erscheinungsbild des Fahrzeugs. Neben der

Bild 5-46: Tag und Nachterscheinung

Die Grundzüge der Hecksignalbeleuchtung beruhen auf Funktionalitäten, die etwa 50 Jahre alt sind. Modifikationen haben sich nur durch die Anpassung von Lichtstärkepegeln und die Integration der Funktionen Nebelschlusslicht und Zusatzbremslicht ergeben. Gerade die Diskussion um das häufig missbräuchlich eingeschaltete Nebelschlusslicht zeigt die Problematik des historisch gewachsenen Signalbildes. Um die Sichtbarkeit des Fahrzeuges auch bei dichtem Nebel zu ermöglichen, wurde gegenüber dem Schlusslicht eine um den Faktor 50 höhere Lichtstärke gewählt. Nicht nur die Blendung des nachfolgenden Verkehrs durch versehentliches Einschalten, sondern auch der Umstand, dass die Nebelschlussleuchte eine höhere zentrale Lichtstärke als das Bremslicht aufweist, deuten auf ein erhebliches Verbesserungspotential hin [2]. Im Folgenden werden einige Beispiele für ein verbessertes Signallicht gegeben. 5.4.5.1 Adaptives Signalbild Durch den Einsatz einer adaptiven Steuerung kann bei der Planung eines zukünftigen Heckleuchtensignalbildes die Erkennbarkeit unter folgenden Einflüssen verbessert werden: Umfeldbeleuchtungsstärken (Tag, Nacht, Dämmerung, ...), Witterung (Regen, Schnee, Nebel, ...), Fahrsituationen (Abbiegen, Bremsen, Warnen, ...).

5.5 Innenleuchten Während die heutige Signalbeleuchtung nur den letztgenannten Punkt und auch nur binär umsetzt, können mit adaptiven Systemen umfassendere Konzepte realisiert werden. Ziel muss es sein, die gleiche Wirkung des vorderen, seitlichen und rückwärtigen Signalbildes unabhängig von der Verkehrssituation und den Sichtbedingungen sicherzustellen. Signalflächen-Veränderung Wird eine Signalfläche durch mehrere Lichtquellen (hier vornehmlich Leuchtdioden) aufgebaut, ergibt sich die Möglichkeit, durch unterschiedliche Signalfeldgrößen zusätzlich qualitative Informationen an den nachfolgenden Verkehr weiterzuleiten. Mit der Anzahl der eingeschalteten Leuchtensegmente erhöht sich die Gesamtlichtstärke der Leuchte entsprechend. Erste Fahrzeuge zeigen diese technische Lösung. Lichtstärke- und Leuchtdichteregelung der Signalfunktion Bei konstant gehaltener Signalleuchtenfläche kann die Lichtstärke der Leuchte nach Umfeldfaktoren geregelt werden. So sollte zum Beispiel ein Bremslicht bei dunkler Nacht mit einem reduzierten Lichtstärkepegel betrieben werden, während bei strahlendem Sonnenschein eine mehrfache Leuchtdichte benötigt wird, um das Signal sicher zu erkennen. Entsprechend werden die Zwischenstadien kontinuierlich nachgeregelt. 5.4.5.2 Steuerung Die vorhandene Bordnetz-Struktur moderner Fahrzeuge bietet heute schon einen Teil der Informationen, die für ein adaptives Signalleuchten-System erforderlich sind. Neben der Erfassung von Bewegungszuständen wird bei einigen Pkw die Umfeldbeleuchtungsstärke für die Lichtsteuerung der Scheinwerfer und die Innenbeleuchtung erfasst. Abhängig von der Wahl des Konzeptes und den gesteuerten Funktionen sind gegebenenfalls noch weitere Parameter aufzunehmen. Je nach Einsatz der Leuchtmittel (Glühlampen oder Leuchtdioden) werden unterschiedliche Ansteuerungen benötigt. Grundsätzlich können neben geregelten Spannungsquellen insbesondere PWM-Schaltungen eingesetzt werden.

347 Trend ab, dass neue Lichtquellen und Gestaltungen Einzug in das Fahrzeuginnere halten.

5.5.1 Innenlicht auch während der Fahrt Wer sich heute in ein Auto setzt, hat in den meisten Fahrzeugen den Eindruck, Innenleuchten beschränkten sich auf eine einzige Lichtaustrittsfläche. Ein Grund dafür ist, dass bis vor einigen Jahren die Innenraumbeleuchtung in fast allen Fahrzeugen tatsächlich durch nur eine zentrale Hauptleuchte im Fahrzeughimmel realisiert wurde. Vor allem in Fahrzeugen der kleineren Fahrzeugklassen ist dies zum Teil immer noch der Fall (siehe Bild 5-47).

Bild 5-47: Innenbeleuchtung in einem typischen Kleinwagen

Innenleuchtensysteme werden auch in ihrer technischen Komplexität unterschätzt, weil die integrierten Elektronik-Komponenten von außen nicht zu erkennen sind. Dabei haben sich aufgrund steigender technischer Möglichkeiten aus vormals einfachen Beleuchtungseinrichtungen bereits erste intelligente Innenlichtsysteme entwickelt. Aber auch die Ansprüche an das Aussehen der Innenleuchten sowie die lichttechnischen Anforderungen wachsen, wie der Vergleich mit einer aktuellen, mehrfunktionalen Innenleuchte in Bild 5-48 zeigt.

5.5 Innenleuchten In den vergangenen Jahren haben sich im Bereich der Lichttechnik von Kraftfahrzeugen enorme Veränderungen ergeben. Im Bereich der Frontbeleuchtung wurde die Gasentladungslampe eingeführt. Für die rückwärtige Signalbeleuchtung haben Leuchtdioden ihren Erfolgszug angetreten. Im Bereich der Innenraumbeleuchtung zeichnet sich aktuell ein ähnlicher

Bild 5-48: Mehrfunktionale Innenleuchte [Quelle: Hella]

348

5 Beleuchtung

Bild 5-49: Verschiedene Innenleuchten in modernen Fahrzeugen

In modernen Fahrzeugen findet man mehr als eine Innenleuchte (Bild 5-49). Funktionen wie Ambiente-Permanentbeleuchtung und blendfreie Arbeitsplatzbeleuchtung sind nicht mehr selten. Ambiente-Beleuchtung schafft für den Fahrer eine angenehme „Arbeitsatmosphäre“ und berücksichtigt dazu auch physiologische Aspekte. Die Orientierung im Fahrzeug wird, wie in Bild 5-50 dargestellt, deutlich erleichtert. Damit wird sowohl ein Beitrag zum Sicherheitsempfinden als auch zur Verkehrssicherheit geleis-

tet. Selbstverständlich darf eine Fahrzeuginnenraumbeleuchtung die Aufmerksamkeit und die Sehleistung des Fahrers nicht einschränken. Eine Ambiente-Permanentbeleuchtung muss deshalb so umgesetzt werden, dass sie keine Störleuchtdichte auf den Fahrzeugscheiben verursacht, die die Unterschiedsempfindlichkeit verringern. Zusätzlich ist zu beachten, dass zu hohe Leuchtdichten im Fahrzeuginneren eine Anhebung des Adaptionsniveaus bewirken können.

Bild 5-50: Ansicht einer Mittelkonsole ohne (links) und mit Ambiente-Beleuchtung (rechts)

5.5 Innenleuchten

5.5.2 Raumgestaltung mit Licht und Farbe Blendfreiheit und ansprechendes Design von Leuchten sind in der architektonischen Gebäudebeleuchtung seit langem Qualitätskriterien. Die direkte Übertragung aller Erfahrungen auf die Fahrzeuginnenbeleuchtung ist schwierig, da im Fahrzeug ein signifikant anderes Beleuchtungsstärkeniveau vorherrscht. 5.5.2.1 Lichtfarbe Neben dem Leuchtdichteniveau spielt auch die Lichtfarbe eine wesentliche Rolle. Die Farbe der Innenraumbeleuchtung kann sowohl Einflüsse auf die subjektive Beurteilung als auch auf die tatsächliche Wahrnehmung der Fahrzeuginsassen haben. Bei der Innenraumgestaltung in der Architektur wird berücksichtigt, dass Farben charakteristische Gedankenverbindungen herstellen und ganz bestimmte psychologische Wirkungen auf Menschen haben. Die Farben haben entsprechenden Assoziationen [6]. Der Farbbereich „gelb“ (von rötlich-orange bis gelblich-grün) wird mit „Sonne“ und „Feuer“ assoziiert und erscheint als warme Farbe, wahrend „blau“ (von grünlich-blau bis bläulich-purpur) uns eher an eisblaue Bergseen oder die bläuliche Farbe des Stahls erinnert und uns kalt vorkommt.

349 gedimmte Glühlampe, ruft dagegen bei gleichzeitig niedrigem Beleuchtungsstärkeniveau ein gemütliches, wohnliches Gefühl hervor. Auf das Empfinden von Farbe haben mehrere Faktoren Einfluss. Zu diesen gehören insbesondere die Leuchtdichte, die Größe und Art der ausgeleuchteten Fläche und der Farbort der Lichtquelle. 5.5.2.2 Farbwiedergabe Neben der subjektiven Wahrnehmung hat aber auch die Wahl der Lichtquelle einen großen Einfluss auf die Erkennbarkeit und das Aussehen von Objekten. Farbige Gegenstände erscheinen unterschiedlich, wenn sie mit Licht von verschiedenen Quellen beleuchtet werden. Speziell in der Innenbeleuchtung stellt dies eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Fahrzeuginsassen und die Wirkung des Interieurs dar. Damit die im Fahrzeuginnenraum eingesetzten Materialien wie Holzdekore, Stoffe, Karbon- oder gebürstete Metalloberflächen nachts in ihrer Optik und Struktur als solche erkannt werden können, sind Lichtquellen mit guter Farbwiedergabe einzusetzen. Lichtquellen mit schmalbandigem Spektrum bieten dagegen nur begrenzte Farbwiedergabemöglichkeiten.

5.5.3 Lichtquellen für den Innenraum Für die technische Umsetzung von Innenlichtkonzepten mit neuen Lichtfunktionalitäten ergeben sich auch neue Anforderungen an die einzusetzenden Lichtquellen und Optiken. So existieren Vorgaben für minimale Einbaumaße bei zu generierenden hohen Beleuchtungsstärken oder die Forderung nach einer homogen erscheinenden flächigen Beleuchtung bei möglichst geringer Bautiefe. Thermische Belastungen, Bauraumforderungen und Designvorgaben erfordern innovative Leuchtenkonzepte. 5.5.3.1 Glühlampen

Bild 5-51: Ambiente-Beleuchtung durch kühl wirkende Lichtfarbe [Quelle: Visteon]

Diese Assoziationen mit kalten und warmen Farben haben im Fahrzeug eine große Bedeutung. Man beachte dabei, dass sich die „kalte“ und „warme“ Wirkung der Farben genau entgegengesetzt zur Farbtemperatur verhält: Die kalt wirkenden Farben haben eine hohe, die warm wirkenden Farben eine niedrige Farbtemperatur. Eine Beleuchtung mit hoher Farbtemperatur, wie sie mit weißen Leuchtdioden, Elektrolumineszensfolien oder durch Leuchtstofflampen erzielt wird, vermittelt nüchternes und technisches Ambiente (Bild 5-51). Eine Beleuchtung mit niedriger Farbtemperatur, zum Beispiel durch eine

Glühlampen sind für funktionale Lichtanwendungen wie Innenlicht und Leselicht heute noch die vorherrschenden Lichtquellen im Fahrzeuginnenraum. Vorteilhaft sind das breitbandige Spektrum, die zur Verfügung stehenden hohen Lichtströme sowie die geringen Kosten. Auf der anderen Seite erfordern die geringe Lebensdauer und die Effizienz, der große Bauraumbedarf und die generierten hohen Temperaturen alternative Lichtquellen. 5.5.3.2 Leuchtdioden Leuchtdioden sind aufgrund ihrer kleinen Baugröße, der hohen Lebensdauer, geringen Stromaufnahme, minimalen Wärmeentwicklung und schnellen An-

350 sprechzeit besonders für kleine Orientierungslichtfunktionen geeignet. Die verfügbaren Lichtfarben und Lichtströme decken heute bereits einen Großteil der Funktionalitäten ab. 5.5.3.3 Organische Leuchtdioden Organische Leuchtdioden (OLED) verwenden im Gegensatz zu den bekannten und oben beschriebenen anorganischen Leuchtdioden organische Materialien zur Lichterzeugung. Für die Gestaltung eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten, weil es sich hier nicht um kristalline Strukturen, sondern um polymere Verbindungen handelt. Besonders gut geeignet sind sie für Hinterleuchtungen und selbstleuchtende Displays. Derzeit ist der Einsatz dieser neuen Technologie noch mit hohen Kosten verbunden. Ein weiterer Nachteil ist die derzeit noch mit der Betriebsdauer abnehmende Lichtausbeute. Weiterentwicklungen lassen jedoch erwarten, dass damit mittel- bis langfristig auch flächige Lichtlösungen im Fahrzeuginnenraum realisiert werden können. 5.5.3.4 Elektrolumineszensfolien Elektrolumineszensfolien (EL-Folien) zeichnen sich durch kleine Einbautiefen, geringe Stromaufnahme, homogene Leuchtdichten und die Vielzahl herzustellender Farben aus. Aufgrund der dürftigen Lichtleistungen, der relativ schlechten Farbwiedergabe, des bei weißer Lichtfarbe ungünstigen rosa Erscheinungsbildes im Tagdesign und des kritischen Temperatur- und Feuchteverhaltens (das heißt Kurzschlüsse beim Eindringen von Feuchtigkeit) ist ein Einsatz für funktionale Innenlichtanwendungen wenig geeignet. Für flächige, Ambiente- oder auch diverse Orientierungslicht-Funktionen ist ein Einsatz von EL-Folien jedoch denkbar. Die EL-Folien werden üblicherweise bei einer Frequenz von 400 Hz mit einer Spannung von 115 V angesteuert. Um die EMV (elektromagnetische Verträglichkeit) im Kfz-Bordnetz zu gewährleisten, ist ein genau dimensioniertes Vorschaltgerät erforderlich. 5.5.3.5 Leuchtstofflampen Leuchtstofflampen (Cold Cathode Flurescent Lamp CCFL) zeichnen sich durch eine hohe Lichtausbeute bei relativ niedriger Leistungsaufnahme aus. Mit unterschiedlichen Leuchtstoffen an der Innenwandung der Röhre ist eine Vielzahl von Farb- und Weißvarianten verfügbar. Im Fahrzeug muss die für den Betrieb der CCFL notwendige Vorschaltelektronik (Wechselrichter) genau dimensioniert werden, um EMV-Probleme auszuschließen. CCFL sind nur begrenzt dimmbar. Bei

5 Beleuchtung niedrigen Temperaturen ist der Betrieb unzuverlässig, so dass für den Start eine separate Vorheizung der Röhre gewährleistet werden muss. Problematisch ist das in der Lampe enthaltene Quecksilber, das für den Betrieb jedoch notwendig ist. Die Lichtausbeuten bisher entwickelter quecksilberfreier Lampen erreichen nur 50 % der Werte konventioneller CCFL.

5.5.4 Komfort durch Beleuchtung Für die Beleuchtung von Fahrzeuginnenräumen existieren keine verbindlichen gesetzlichen Regelungen. Die verschiedenen Innenlichtfunktionen werden in einem Abstimmungsprozess zwischen Fahrzeughersteller und Lieferant unter Beachtung folgender Beleuchtungs-Gütekriterien auf das jeweilige Fahrzeug zugeschnitten: Die Sehleistung ist abhängig vom Helligkeitsniveau, Kontrast und einer möglichst geringen Blendung, der Sehkomfort steigt mit der Farbwiedergabe und den gestuften Helligkeitsniveaus im zentralen, direkten und peripheren Gesichtsfeld (idealerweise 10:3:1) und das visuelle Umfeld wird durch Lichtfarben, Beleuchtungsrichtung und Schattenwurf bestimmt. Aus der Analyse typischer Fahrzeugsituationen lassen sich – wie nachfolgend dargestellt – vier InnenlichtFunktionsgruppen (siehe Tabelle 5-3) unterteilen. In einem „Logical-Lighting-Konzept“ können mehrere Einzelfunktionen schaltungstechnisch zu logisch miteinander verknüpften Gruppen zusammengefasst werden. Als Einstiegshilfen können beispielsweise zusätzlich zur Beleuchtung des Türvorfeldes die Fußraumbeleuchtung hoch gedimmt sowie die Schwellerbeleuchtung und das dem Sitzplatz zugeordnete Leselicht zugeschaltet werden. 5.5.4.1 Ein- und Ausstiegsbeleuchtung Zur Orientierung und zur Sicherheit soll das Fahrzeug bei nächtlicher Annäherung an das Fahrzeug durch eine geeignete Beleuchtung optisch hervorgehoben, sowie Türgriffe und Kofferraumbetätigung beleuchtet werden. „Going-Home-Beleuchtung“ Gerade bei Dunkelheit und in unbekannter Umgebung bietet eine „führende“ Aufhellung des Fußweges zum oder vom Fahrzeug Sicherheit. Technisch kann diese Funktion durch eine Verzögerungsschaltung von bereits vorhandenen Scheinwerfern oder Leuchten wie Positions- oder Abblendlicht sowie Rückfahrscheinwerfer realisiert werden. Vorfeldbeleuchtung Die Beleuchtung des direkten Einstiegsvorfeldes und der Griffmulde bevor die Tür geöffnet wird, ist als eigenständige Lichtfunktion oder funktionale Kopplung an die „Going-Home-Beleuchtung“ sinnvoll.

5.5 Innenleuchten

351

Tabelle 5-3: Innenlicht-Funktionsgruppen mit Lichteigenschaften

Beispiele

Ein-/Ausstiegsbeleuchtung

Funktionsbeleuchtung

Orientierungsbeleuchtung

AmbienteBeleuchtung

„Going-HomeBeleuchtung“

Zentrale Innenleuchte

Ablagefachbeleuchtung

Konsolenauflicht

Leselicht (Front)

Schalterbeleuchtung

Türauflicht

Vorfeldbeleuchtung

Arbeits-/Spiellicht

Griffbeleuchtung

Schwellerbeleuchtung

Kosmetikspiegelbeleuchtung

Fußraumbeleuchtung

Türwarnleuchte

Handschuhfachleuchte Kofferraumleuchte

Eigenschaften

Schattenfreiheit

Schattenfreiheit

Geringe Leuchtdichte

Mittlere Beleuchtungsstärke (1–10 lx)

Klare Abgrenzung der Ausleuchtung

Fondpassagiere: 1 cd/m2

Neutrale Lichtfarbe

Gleichmäßige Ausleuchtung

Beleuchtungsstärke gemäß Interieurfarbe

Mittlere Farbwiedergabe

Beleuchtungsstärke Lese-/ Arbeits-/Spiellicht: 50–100 lx

Lichtfarbe: warmweiß, gelbgrün oder orangerot

Geringe Blendung

Beleuchtungsstärke Kosmetikspiegelbeleuchtung: 10–20 lx

Absolute Blendfreiheit

Gleichmäßige Ausleuchtung

Fahrer: 0,1 cd/m2

Neutrale Lichtfarbe Hohe Farbwiedergabe Absolute Blendfreiheit

Sie kann bei Annäherung an das Fahrzeug und nach Aufschließen der Tür mit der Fernbedienung aktiviert werden. Als Leuchten-Einbauorte bieten sich der Türgriff, die Türgriffmulde oder der Außenspiegel an. Bei geöffneter Tür ist eine zusätzliche Beleuchtung des direkten Ein- und Ausstiegsbereiches aus Komfort- und Sicherheitsgründen gewünscht, um eventuell vorhandene Unebenheiten, Pfützen oder ähnliches zu erkennen. Diese Leuchten können optimal unterhalb der Türtasche oder unterhalb der Tür angebracht werden. Schwellerbeleuchtung Eine bei geöffneter Tür sichtbare Markierung des Türschwellers, die nachts über den Türkontakt geschaltet wird, ist in zweierlei Hinsicht vorteilhaft. Zum einen wird auf eine mögliche Stolperfalle im Einstiegsbereich hingewiesen und damit ein Sicherheitsbedürfnis erfüllt. Insbesondere bei Vans, Geländewagen und Nutzkraftwagen können diese Schwellen sehr hoch liegen. Zum anderen kann ein leuchtender Schriftzug oder die Darstellung des Fahrzeuglogos die Wertigkeit des Fahrzeuges unterstreichen und die Markenidentifikation des Kunden verstärken. Für die Realisierung bieten sich im Schweller integrierte Lichtleiter, Auflichtlösungen aus dem Bereich der A-, B- oder C-Säulen oder die Hinterleuchtung abgesetzter Bereiche mit Elektrolumineszenzfolien an. Flexible, seitlich auskoppelnde Lichtleiter oder „Elektrolumineszenz-Streifen“ ermöglichen darüber

hinaus die Darstellung von Konturen und die Markierung der kompletten Türöffnung. Türwarnleuchte Die Signalisierung geöffneter Türen und Ladeöffnungen ist bei einem stehenden Fahrzeug für den nachfolgenden Verkehr von großer Bedeutung, auch wenn es bisher keine entsprechenden gesetzlichen Vorschriften gibt. So wird beim Ein- und Ausstieg die durch die geöffnete Tür vergrößerte Fahrzeugbreite durch ein an der Tür angebrachtes, rotes Warnlicht angezeigt. Aufgrund des variablen Türöffnungswinkels müssen die Türwarnleuchten einen sehr breiten und eher flachen Ausleuchtbereich hoher Intensität abdecken. Rote Leuchtdioden mit vorgesetzter Linsenoptik bieten sich auch wegen des geringen Bauraumbedarfs als Lichtquellen an. Eine passive Signalisierung ist durch die zusätzliche Integration eines Rückstrahlers möglich. 5.5.4.2 Funktionale Beleuchtung Funktionale Innenlichtanwendungen erfüllen grundsätzliche Lichtbedürfnisse im Fahrzeug. Die Instrumentenbeleuchtung muss nachts unter anderem das Ablesen wichtiger Informationen ermöglichen, das Leselicht das Betrachten der Straßenkarte und die Laderaumausleuchtung die Erleichterung der Suche nach dem Reserverad im Pannenfall oder nach Gepäckstücken.

352 Zentrale Innenleuchte Die üblicherweise im Fahrzeughimmel angebrachte zentrale Innenleuchte hatte in den letzten Jahrzehnten sowohl lichttechnisch als auch bezüglich Design eher einen untergeordneten Stellenwert. In den letzten Jahren hat hier jedoch ein Prozess der Wandlung eingesetzt. Als Blickfänger für die Fahrzeuginsassen werden die Formgebung und die optische Erscheinung der Leuchten immer stärker auf die gesamte Fahrzeuggestaltung abgestimmt. Designwünsche nach einem brillanten Erscheinungsbild wie bei Scheinwerfern und Leuchten werden für den Innenraum übernommen. Allgemeine Trends nach diffuser oder flächiger Ausleuchtung des Innenraumes ohne unmittelbar sichtbare Lichtquellen werden auch auf diese Anwendung übertragen. Die funktionale Weiterentwicklung der zentralen Innenleuchte begann mit einer einfachen Verzögerungsschaltung, die ein sanftes Auf- oder Abdimmen („soft on“, „soft off“) des zentralen Innenlichtes steuert. Die Augen erhalten so nach dem Schließen der Tür eine Unterstützung für den Adaptionsvorgang und der Fahrer kann sich somit schnell im Fahrzeug orientieren. Außerdem ist bei der zentralen Innenleuchte neben der Beleuchtungsfunktion die Integration von komplexen Elektronikfunktionen hinzugekommen. Dazu zählen Klima-, Licht- und Regensensoren, Innenraumüberwachung, automatischer Notruf, funkgesteuerter Garagentoröffner, Ansteuerung für abblendbare Innenspiegel und die Motorsteuerung für die Schiebe- oder Hebedachfunktion. Durch die Anbindung an die Fahrzeug-Busvernetzung und die Integration der entsprechenden Elektronik muss man bei der zentralen Leuchte bereits von einer komplexen Bedieneinheit sprechen, die durch die integrierte „zentrale Leuchtenintelligenz“ auch andere Leuchten ansteuern kann. In Zukunft werden auch Komponenten aus dem Infotainment wie Telefon-Freisprecheinrichtung, Infodisplays, Empfänger für drahtlose Kopfhörer oder Anschlussmöglichkeiten für Spielkonsolen Einzug in die immer komplexeren Dachknoten finden. Lese-, Arbeits- und Spiellicht Derzeit ist die Lesebeleuchtung in vielen Fahrzeugen, speziell im Fond, ungenügend und ergonomisch nicht den Bedürfnissen angepasst. Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass das Leselicht besonders im Fond als Arbeitslicht oder „Spiel-Beleuchtung“ für Kinder verwendet wird, wachsen die Anforderungen an eine optimal ausgelegte Lesebeleuchtung. Blendfreie Leuchten mit einem klar abgegrenzten und homogenen Ausleuchtbereich hoher Intensität erhalten für den Fahrer die Sicht nach vorn oder hinten, die durch direkte Blendung oder Reflexe in den Scheiben gestört würde.

5 Beleuchtung Kosmetikspiegelbeleuchtung Zwar finden sich Kosmetikspiegel für Beifahrer, Fahrer und zum Teil auch für die Fondpassagiere heute in vielen Fahrzeugen, aber eine integrierte funktionale Beleuchtung ist hierfür noch lange nicht Standard geworden. Eine Kosmetikspiegelbeleuchtung muss die Blendung des Fahrers vermeiden, das Gesichtsfeld homogen und blendfrei ausleuchten und sich durch eine sehr gute Farbwiedergabe auszeichnen. Gerade die sehr guten Farbwiedergabemöglichkeiten von Glühlampen schließen den Einsatz anderer, schmalbandiger Lichtquellen für diese Funktionalität derzeit noch aus. Instrumentenbeleuchtung Die Beleuchtung des Instrumentenfeldes ist in letzter Zeit für den Fahrzeughersteller immer mehr zu einem Firmen-Identifikationsmerkmal geworden. Neben dem eigentlichen Sinn, die Instrumente auch nachts erkennen zu können, differenziert man sich durch eine farbige Instrumententafelbeleuchtung vom Wettbewerb. Die technologisch mittlerweile zur Verfügung stehenden Lichtfarben von Leuchtdioden (zum Beispiel blaues oder weißes Licht) eröffnen dafür die entsprechenden Möglichkeiten. Ablagefachausleuchtung Die Ausleuchtung des Handschuhfachs ist bei den meisten Fahrzeugen Standard. Durch einen Kontakt wird beim Öffnen der Klappe die Beleuchtung geschaltet. Weitere Ablagefächer in den Türen oder im Fond mit Schiebe- oder Klapp-Öffnungsmechanismen können zur Erleichterung des Suchvorganges nach dem gleichen Prinzip ausgeleuchtet werden. Einfach aufgebaute Glühlampen-Leuchten kommen heute hauptsächlich für diese Funktionalität zur Anwendung. Denkbar sind aber auch weiße oder der Interieurfarbe angepasste farbige Leuchtdioden. Laderaumbeleuchtung Die Kofferraumbeleuchtung gehört in vielen Fahrzeugen zur Serienausstattung und wird üblicherweise beim Öffnen des Kofferraumdeckels durch einen Kontakt geschaltet. Um auch im beladenen Zustand und bei Berücksichtigung möglicher Abschattung, beispielsweise durch Gepäckstücke, eine ausreichende Ausleuchtung zu erhalten, müssen mehrere Lichtquellen im Kofferraum verteilt werden. Da sich in den vergangenen Jahren mehrere tragische Unfälle von im Kofferraum eingesperrten Kindern ereignet haben, sind in den USA gesetzliche Regelungen zum Auffinden der innen liegenden Notentriegelung in Vorbereitung. Verzögerungsschaltungen für bestehende Kofferraumleuchten oder eine separate Griffbeleuchtung stellen lichttechnische Realisierungsmöglichkeiten dar.

5.5 Innenleuchten Motorraumbeleuchtung Eine wenig verbreitete, jedoch durchaus sinnvolle Funktion, ist die Ausleuchtung des Motorraumes bei geöffneter Motorhaube. So ist beispielsweise in nächtlicher Umgebung bei Bedarf die Kontrolle des Sicherungskastens oder das Nachfüllen von Öl oder Scheibenwischwasser möglich. Die in diesem Bereich eingesetzten Leuchten müssen aus temperaturbeständigem Material bestehen und weitestgehend gekapselt sein, damit sie resistent gegen verschiedene Substanzen wie Öl, Kraftstoff, Wasser und Tausalz sind. 5.5.4.3 Orientierungsbeleuchtung Die Orientierungslicht-Funktionen lassen sich im Einzelnen nicht scharf von Ambiente-Lichtfunktionen abgrenzen. Der Übergang zwischen ihnen ist fließend und bei einigen Funktionalitäten werden gleichzeitig Orientierungs- und Ambiente-Lichtaspekte erfüllt. Im Hinblick auf eine steigende Anzahl von Bedienfunktionen im Innenraum steigt auch die Verwechselungsgefahr und die Irritation für den Fahrer. Eine optimale Orientierungsbeleuchtung soll dem Fahrer erlauben, die Bewegung seiner Hand auf der Suche nach einem Bedienelement zu erkennen und damit den Bewegungsablauf schnell und sicher zu koordinieren. Durch die nächtliche Beleuchtung von Fußraum und Ablagefächern können aber auch zusätzlich Komfortgesichtspunkte berücksichtigt werden. Bedienelemente Für den Fahrer notwendige Schalter und Bedienelemente müssen nachts so beleuchtet sein, dass die aufgebrachten Symbole klar erkannt werden und somit deren zweckbestimmter Gebrauch ohne ablenkende Suchaktion möglich ist. Eine Konturdarstellung oder eine Durchleuchtung der Schalter und Bedienelemente, gekoppelt mit einem geringen Auflichtanteil, stellen hierfür ergonomisch günstige Lösungen dar. Als Teil der Orientierungs- aber auch der Ambiente-Beleuchtung kann ein sanftes Auflicht ähnlich einem „Wasserfall“ dezent den Bereich der Mittelkonsole erhellen. Durch Schattenwurf der Schalter wird eine räumliche Tiefe erzeugt und Strukturen werden wahrnehmbar. Somit können Entfernungen zu Bedienelementen besser abgeschätzt werden, beleuchtete Symbole „schweben“ nicht mehr undefinierbar im Raum und die Hand des Bedieners wird visuell geleitet. Unter Komfort- und Sicherheitsaspekten können für die Fahrzeuginsassen auch andere Bedienelemente wie die Markierung zur Betätigung des Aschenbechers oder des Becherhalters, die Öffnungsmarkierung diverser Ablagefächer oder die Markierung des Gurtschlosses sinnvolle Beleuchtungsoptionen sein. Da es sich bei vielen dieser Funktionen um die Beleuchtung sehr kleiner, begrenzter Bereiche handelt

353 und somit nur geringe Lichtströme benötigt werden, erscheint der Einsatz von Leuchtdioden ideal. Dies begründet sich auch aus der hohen Lebensdauer von Leuchtdioden, die geringe Servicekosten mit sich bringen. Fußraumbeleuchtung Bei der Beleuchtung des Fußraumes werden neben der reinen Orientierungshilfe auch AmbienteGesichtspunkte angesprochen. Zum einen wird eine Einstiegshilfe für Fahrer und Mitfahrer zur Verfügung gestellt und das Sicherheitsrisiko bei der Suche nach eventuell in den Fußraum gefallenen Gegenständen verringert. Zum anderen wird durch die dezente Beleuchtung ein Beitrag zur Vermittlung eines Raumgefühls geleistet. Der sonst dunkle, nicht erkennbare untere Bereich im Fahrzeuginnenraum wird nun wahrnehmbar. Bei der Gestaltung einer optimalen Fußraumbeleuchtung sind steile Anleuchtungswinkel zu vermeiden, da sich störende Reflexe und Leuchtdichten auf der Kleidung oder auf den Schuhen ergeben können. Bei entsprechend flacher Anleuchtung wird nur der Boden mit einem „Lichtschleier“ belegt. Beispielsweise kann die Fußraumbeleuchtung beim Öffnen der Tür hoch geregelt werden und somit als zusätzliche Einstiegshilfe zur Verfügung stehen. Nach dem Schließen kann die Beleuchtungsstärke wieder auf ein Ambiente-Niveau gedimmt werden. Geeignete Positionen stehen zur Montage der Fußraumleuchten entweder im Bereich unterhalb der Instrumententafel, der Sitze, oder im Bereich des Mitteltunnels und der seitlichen Schweller zur Verfügung. Als Lichtquellen bieten sich sowohl Glühlampen geringer Leistung als auch zunehmend Leuchtdioden an. 5.5.4.4 Ambiente-Beleuchtung Zum Führen eines Fahrzeuges sind AmbienteLichtfunktionen im Gegensatz zur Beleuchtung von wichtigen Bedienelementen nicht unbedingt notwendig. Es existiert hierfür kein Regelwerk. Die nächtliche Wahrnehmungsfähigkeit des Fahrers darf natürlich nicht durch störende Effekte wie Reflexe in den Scheiben herabgesetzt werden. Eine physiologisch und psychologisch optimale Ambiente-Innenbeleuchtungsatmosphäre sollte sowohl ein Sicherheitsgefühl, Komfort als auch Wertigkeit vermitteln. So kann die indirekte Beleuchtung des Dachhimmels, eine Beleuchtung von B- und CSäulen oder ein Lichtschleier auf den Türseitenflächen zu einer Steigerung des Wohlbefindens beitragen, denn die Ermüdung von Fahrer und Passagieren bei Nachtfahrten wird durch die erzielte Kontrastreduktion zwischen Fahrzeuginnenraum und Außenbereich vermindert.

354 Der Fahrzeuginnenraum wird spezifischer, erscheint größer und strukturierter durch die Ausleuchtung bestimmter Bereiche. Das Ziel ist die Schaffung einer Möglichkeit, auch während der Fahrt den Innenraum als Ganzes wahrnehmen zu können und sich auch auf langen Fahrten darin wohl zu fühlen.

5.5.5 Inszenierung durch intelligentes Innenlicht Mit der Weiterentwicklung der Fahrzeugtechnik auf der einen und der Informationstechnik auf der anderen Seite steigt auch die Menge der visuellen Information ständig an, die dem Fahrzeugführer zur Aufnahme dargeboten wird. Zum Radio mit Verkehrsfunk, den Anzeigen von Geschwindigkeit, Drehzahl, Temperatur und Kraftstoffreserve kommen heute noch als Sonderausstattung Autotelefon, Mobilfunk und Displayflächen für Navigationshilfen, Klimaanlage oder Bordcomputer hinzu. In den oberen Fahrzeugklassen werden zudem im Fondbereich mehr Bedienelemente eingesetzt, wodurch sich auch dort vermehrt Lichtquellen verbreiten. Dynamik und Automatisierung sind wesentliche Bestandteile zukünftiger Fahrzeug-Innenlichtkonzepte. Da der Fahrzeugführer durch eine Handsteuerung der immer vielfältigeren Innenbeleuchtungen überfordert wäre und dies auch keinerlei Komfort darstellt, ist die Minimierung der erforderlichen manuellen Eingriffe zwingend notwendig. Erreicht werden kann dies zum Beispiel durch das in Bild 5-52 dargestellte Steuersystem, welches die einzelnen Lichtquellen oder -gruppen automatisch in bestimmten Situationen schaltet oder dimmt.

Bild 5-52: Modell einer dynamischen Innenlichtsteuerung

5 Beleuchtung Da das menschliche Auge nach jeder plötzlichen Änderung der Lichtsituation einen gewissen Zeitraum benötigt, um sich auf die neue Situation einzustellen, sollte die Steuerung die Schaltvorgänge verzögern und „weiche“ Übergänge schaffen, die die Adaption des menschlichen Auges berücksichtigen. Damit wird zum einen eine Irritation des Fahrzeugführers durch die große Anzahl geschalteter Lichtquellen vermieden, und zum anderen bleibt bei Dunkelheit ein wahrnehmbarer optischer Kontrast zwischen den beleuchteten Objekten und der Umgebung vorhanden. In einem Innenlicht-Steuerungssystem können durch die Integration verschiedener Sensoren und Aktoren wichtige, auf Fahrer und Passagiere einwirkende mittel- oder unmittelbare Einflüsse und Größen wie Witterungsverhältnisse, Geschwindigkeit, Fahrzeugbelegung, Fahrzustand, oder auch persönliche Präferenzen Berücksichtigung finden. Damit ist in mehrfacher Hinsicht die Möglichkeit zur dynamischen Veränderung der Innenbeleuchtung im Kraftfahrzeug eine wünschenswerte Ausstattung. Immer kürzer werdende Entwicklungszyklen erzwingen es, neue Beleuchtungskonzepte bereits im Vorfeld der Umsetzung visuell, perspektivisch auch durch Virtual Reality bewerten und gegebenenfalls ändern zu können. Dafür stellt ein Steuerungsmodell eine gute Basis dar. Eine intelligente Steuerung kann außerdem überflüssige Signale unterdrücken. Beispielsweise sollten die Bedienelemente für Standlicht oder Feststellbremse nur beim Fahrzeugstillstand beleuchtet werden. Die dynamische Anpassung der Intensität der AmbienteInnenbeleuchtung in Abhängigkeit von der Umgebungshelligkeit, beispielsweise der unterschiedliche Umfeldeindruck bei der Fahrt durch beleuchtetes Stadtgebiet und unbeleuchtete ländliche Umgebung, ist ein weiteres Komfort- und Sicherheitsmerkmal.

5.5 Innenleuchten Neben den Ein- und Ausgangsgrößen sowie den Steuerungsfunktionen sollte bereits beim Systementwurf das geplante Hardwarekonzept für eine effektive Ausnutzung der Ressourcen berücksichtigt werden. Da Innenlichtkomponenten über das gesamte Fahrzeug verteilt sind, trifft dies hier in besonderem Maße zu. Im Folgenden wird ein für die Innenlichtsteuerung in Frage kommendes Hardwarekonzept genauer erläutert. Die Funktionalität der Innenleuchtensteuerung wird auf mehrere Steuergeräte verteilt. Diese Steuergeräte arbeiten zum Teil für Licht, aber auch für weitere Fahrzeugfunktionen. Sie sind an verschiedenen Positionen im Fahrzeug untergebracht, nehmen Messwerte der im Umfeld befindlichen Sensoren auf, verarbeiten sie und steuern die Aktoren in der Nähe des jeweiligen Steuergeräts an. Die Leistungsanpassung der Signale für die Aktoren findet in dem betreffenden Steuergerät statt. Die Steuergeräte können zur effektiveren Ausnutzung der Ressourcen parallel die Funktionen mehrerer verschiedener Steuerungssysteme enthalten. Die Kommunikation zwischen den Steuergeräten sowie mit der Programmieroberfläche erfolgt über den LIN-Bus. Eines dieser Steuergeräte hat für die Innenlichtsteuerung die Master-Funktion und enthält die zentrale Ablaufsteuerung. Die verschiedenen Slave-Steuergeräte haben nahezu identische Einund Ausgänge (digitale und analoge Eingänge, PWM-Ausgänge) sowie Funktionen [1]. Der seit einiger Zeit beginnende Bewusstseinswandel und das gewachsene Interesse am Produktbereich

355 Innenleuchten einerseits sowie andererseits das Potenzial, das sich aus den im Fahrzeug immer umfangreicher verfügbar werdenden Informationen ergibt, versprechen eine dynamische Entwicklung in diesem Segment. Somit wird die Bedeutung des Themas Licht für die Konzeptentwicklung automobiler Innenräume zukünftig steigen und sich zu dessen integralem Bestandteil entwickeln. Literatur [1] Abel, B; Labahn; Pietzonka, S.: System Development for Purpose-built Interior Lighting, ATZ Special Interior Partners, February 2000 [2] Eichhorn, K.; Labahn, N.; Decker, D.: Adaptive Lichtsteuerung im Kraftfahrzeug, Adaptronic Congress 2000, Potsdam, 2000 [3] Gall, D.: Grundlagen der Lichttechnik – Kompendium, Pflaum Verlag, 2004 [4] Gall, D.: Cameras – measuring tools of the future and artificial eyes, Hella R & D Review, 1999 [5] Hendrischk, W.; Kalze, F.-J.: Damasky, J.; Bi-Xenon bringt Leistung und neue Gestaltungsmöglichkeiten für Scheinwerfer, ATZ Special System Partners, 1997 [6] Keller, M.: Faszination Licht, Prestel Verlag, 1999 [7] Reif, K.: Automobilelektronik, Vieweg Verlag, 2006 [8] Ruths, T.: Eichhorn, K.; Integration of Direction Indicators into Headlamps, ATZ, November 1999 [9] Westermann, H.; Wördenweber, B.: Ways out of stress – active safety and vision comfort, Hella R & D Review, 1995 [10] Wördenweber, B. et al.: Human Vision and Automotive Lighting, Springer Verlag, 2006

6 Sicherheitssysteme 6.1 Passive Sicherheit 6.1.1 Einleitung Die passive Sicherheit eines Automobils wird von zahlreichen Faktoren bestimmt, die exakt aufeinander abgestimmt werden müssen. Neben der KarosserieStruktur mit definierten Lastpfaden haben insbesondere die Rückhaltesysteme großen Einfluss auf die passive Sicherheit der Passagiere. Zu den Rückhaltesystemen gehören im Wesentlichen das Gurtsystem mit dem Gurtstraffer und dem Gurtkraftbegrenzer sowie die verschiedenen Airbags. Aber auch Lenksäule, Lenkrad, Sitze und Kopfstützen sind wichtige Komponenten im Bereich der passiven Sicherheit. Ohne die Fortschritte bei der Elektronik wäre die Abstimmung der Rückhaltesysteme auf die Karosserie-Struktur nicht möglich. Erst durch geeignete Sensoren sowie die rasche Signalverarbeitung und Bewertung der Messwerte im Steuergerät können beispielsweise die Airbags ihre volle Schutzwirkung entfalten. Durch die Vernetzung verschiedener Systeme ergeben sich neue Funktionen und Möglichkeiten. So werden etwa bei dem 2002 in der Mercedes S-Klasse eingeführten vorausschauenden System Pre-Safe die Gurte mit elektromotorischen Gurtstraffern vorsorglich gestrafft und der Beifahrersitz wird in die Sicherheits-Position (so genannte Safety-Position) gebracht. Durch diese Maßnahmen werden die Folgen eines Unfalls gemindert. Neben den genannten Systemen für die passive Sicherheit der Passagiere im Fahrzeug hat auch der Schutz anderer Verkehrsteilnehmer zunehmende Bedeutung. So spielt die Elektronik auch beim Fußgängerschutz eine zentrale Rolle: Von der Erkennung des Unfalls bis hin zur darauf abgestimmten Auslösung entsprechender Systeme. Eine Vision der Fahrzeug-Entwickler ist die Unfallvermeidung. Durch ADAR- und IDAR-Sensoren sowie Kamerasysteme kann zukünftig auch das Fahrzeugumfeld sensiert werden. Mögliche Gefahren werden früher erkannt. Der Fahrer kann dann mit passiven oder auch aktiven Eingriffen (Warnton oder starkes Bremsen) vor einem unmittelbar drohenden Unfall gewarnt werden. Diese Systeme werden im Kapitel 9 ausführlich beschrieben.

6.1.2 Die Rückhaltesysteme 6.1.2.1 Sicherheitsgurt mit Gurtstraffer Der Sicherheitsgurt ist auch über 40 Jahre nach seiner Einführung ein wichtiger Bestandteil zum Schutz der

Passagiere bei Unfällen. Im Fall eines Aufpralls soll er die Insassen im Sitz zurückzuhalten, so dass diese frühzeitig an der Verzögerung des Fahrzeugs beteiligt werden. Das Gurtsystem wurde stetig weiter verbessert [1]: zunächst vom Zweipunkt- zum Dreipunkt-Sicherheitsgurt, in der Folgezeit bei der Gurtführung, z.B. durch Höhenverstellung, und beim Komfort z.B. durch Aufrollautomatik. Wichtige Schritte waren die Einführung von Gurtklemmer, Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer. Während Gurtklemmer und Gurtkraftbegrenzer rein mechanisch arbeiten, handelt es sich beim Gurtstraffer um ein elektronisch angesteuertes System. Ein – zum Beispiel wegen Winterkleidung – nur locker anliegender Gurt führt zu einer Gurtlose und vermindert die Schutzwirkung, da der Passagier nicht rechtzeitig an der Verzögerung des Fahrzeugs beteiligt wird. Neben der durch die Bekleidung verursachten Nachgiebigkeit tragen auch die zeitlich verzögerte Wirkung der Aufrollautomatik (Filmspulen-Effekt) sowie die systembedingte Gurtbanddehnung zur Gurtlose bei. Um diese zu beseitigen und eine Vorverlagerung des Körpers – und die damit verbundene Gefahr des Aufschlagens auf Lenkrad oder Armaturenbrett – zu minimieren, muss der Gurt gestrafft werden. Durch den Einsatz des Gurtstraffers wird eine Verkürzung des Gurtbands erreicht, die Schutzwirkung des Sicherheitsgurts setzt entsprechend früher ein. Je nach Bauart unterscheidet man zwischen Aufrollerstraffer, der zunächst eine Verkürzung des Schultergurtbands vornimmt, und dem Gurtschlossstraffer [2]. Dieser verkürzt gleichzeitig das Gurtband am Schulter- und am Beckengurt. Die zum Straffen des Gurtbands erforderliche Energie kann rein mechanisch durch eine vorgespannte Feder aufgebracht werden, meist kommt jedoch eine pyrotechnische Treibladung zum Einsatz. Beim pyrotechnischen Gurtstraffer wird zum Beispiel im Falle einer Frontalkollision eine Treibladung (Nitrozellulose) aktiviert. Die dabei frei werdende Gasladung wirkt auf einen Kolben, der über ein Stahlseil mit dem Gurtschloss beim Schlossstraffer oder mit der Gurtspule des Gurtautomaten beim Aufrollerstraffer verbunden ist und das Gurtband verkürzt. Das Gurtband wird somit bereits vor Beginn der InsassenVorverlagerung gestrafft. Moderne pyrotechnische Gurtstraffer können rund 18 cm Gurtauszuglänge in nur 5 ms beseitigen. Die Entscheidung über die Zündung des Treibsatzes muss schnell und abgesichert erfolgen, denn im Falle eines Unfalls bleibt nicht viel Zeit und der Vorgang ist irreversibel.

358

6 Sicherheitssysteme

Bild 6-1: Systemübersicht Insassenschutz: 1 Airbagsteuergerät, 2 Airbags, 3 Gurtstraffer, 4 Gurtkraftbegrenzer, 5 Frontsensoren, 6 Seitensensoren, 7 Gewichtssensoren

Mit Hilfe der Sensorik wird eine bestimmte Unfallschwere erkannt und der Straffvorgang ausgelöst. Dabei können die pyrotechnischen Gurtstraffer mit elektronischen oder auch mechanischen Sensoren aktiviert werden. Elektronische Sensoren liefern das Signal an die Auswerteeinheit im Airbag-Steuergerät. Dort findet ein Vergleich mit der SollVorgabe statt. Wird diese überschritten, liefert die Airbag-Elektronik ein elektrisches Aktivierungssignal, mit dessen Hilfe die Verbrennung der pyrotechnischen Treibladung ausgelöst wird. Diese setzt über ein aufgewickeltes Seil die Automatenwelle des Gurtstraffers in Rotation und strafft den Gurt. Bei den zum Teil eingesetzten mechanischen Sensoren wird durch das Überwinden der Trägheit der Sensormasse ein Schlagbolzen freigegeben, der dann die explosionsartige Verbrennung der Treibladung auslöst. Die Auslösung erfolgt hier – ähnlich wie bei einer Pistole – mechanisch ohne Einwirkung der Airbag-Elektronik. Das Gurtssystem und die Airbags sind in ihrer Wirkungsweise aufeinander abgestimmt: Die Gurtlose ist bei einem Aufprall mit 50 km/h bereits rund 20 ms nach Aufprallbeginn beseitigt. Das Gurtsystem unterstützt damit den nach rund 50 ms voll aufgeblasenen Airbag. Die Gurtstraffer werden zunehmend auch bei Rollover-Vorgängen und bei Seitenkollisionen aktiviert, denn auch bei diesen Unfallarten kann die Verletzungsgefahr der Passagiere durch den straffer anliegenden Sicherheitsgurt verringert werden. Um die Passagiere vor Verletzungen durch Belastungsspitzen des Gurtsystems zu schützen, wird die Gurtkraft begrenzt. Bei neuesten sogenannten „Smart Restraint Systems" erfolgt die Kraftbegrenzung in Abhängigkeit vom Gewicht des Insassen. Dieses wird über Sensoren im Sitzunterbau erfasst.

6.1.2.2 Fahrer- und Beifahrerairbag Statistisch gesehen ist der Frontalcrash die häufigste Unfallart. Die Frontairbags sollen dabei Fahrer und Beifahrer auffangen und vor Verletzungen schützen. Ihre Größe richtet sich nach Fahrzeugart und Einbauort. Auch hier sorgt eine pyrotechnische Treibladung für das explosionsartige Füllen des schützenden Luftsacks, wobei neuere Systeme den Druckaufbau an die Schwere des Unfalls anpassen. Bild 6-1 zeigt eine Systemübersicht [3]. Damit der Airbag seine volle Schutzwirkung entfalten kann, muss er vor dem Auftreffen des Insassen gefüllt sein. Trifft der Oberkörper auf den Luftsack auf, entleert sich das Luftkissen durch gezielt eingebrachte Abströmöffnungen und das poröse Gewebe. Der Passagier wird sanft aufgefangen, Verletzungen an Kopf und Brust werden minimiert oder gar ganz verhindert. Der gesamte Vorgang von der AirbagAuslösung bis zum Abfangen des Passagiers und der gezielten Entleerung dauert nur etwas mehr als eine Zehntelsekunde [4]. Minimale Zeitfenster und die geforderte absolute Zuverlässigkeit des unter Umständen lebensrettenden Systems stellen hohe Anforderungen an die Sensierung und Datenaufbereitung. Die Entscheidung über die Unfallschwere und die Auslösung der pyrotechnischen Gurtstraffer sowie der Airbags erfolgt über das zentrale Insassenschutz-Steuergerät. In der Regel sind die Sensoren zum Detektieren von Frontalunfällen im Wesentlichen im zentral angeordneten Steuergerät untergebracht (Bild 6-2). Diese Sensoren übergeben ihre Signale an einen Mikroprozessor, der die Informationen auswertet und über eine Airbagauslösung entscheidet. In Europa wurde Anfang der 1990er Jahre auf diese Technik umgestellt. In den USA erfolgte die Umstellung etwas später.

6.1 Passive Sicherheit

359

Bild 6-2: Zentrales Auslösesystem: Anordnung im Fahrzeug (links): 1 Airbag-Steuergerät, 2 Fahrerairbag, 3 Beifahrerairbag, 4 Warnlampe; Prinzipschaltbild (rechts): 1 Airbag-Steuergerät, 2 Beschleunigungssensor, 3 Safing-Sensor (wird in Abschnitt 6.1.2.3 erklärt), 4 Elektronischer Schalter, 5 Aktor

Steigende Anforderungen hinsichtlich des Auslöseverhaltens erfordern zusätzliche Sensoren (siehe Bild 6-3). Diese werden aus dem zentralen Steuergerät ausgelagert, in eigenen Gehäusen untergebracht und als so genannte Satelliten im Fahrzeug verbaut. Der Anwendungsfall entscheidet über die Anzahl und Ausführung der Satelliten, wobei zwischen Front- und Seitensatelliten für den Seitenairbag unterschieden wird. Die zusätzlichen Sensoren kommen direkt im Bereich der Deformationszone zum Einsatz. Sie liefern somit frühzeitig, noch vor einer möglichen Zerstörung, zuverlässige Beschleunigungssignale, aus denen das Auslösegerät die Geschwindigkeit der Fahrzeugdeformation und die Energieabsorption im Crash bewertet.

Mit diesen zusätzlichen Informationen über die Crash-Schwere können kritische Unfälle schneller und robuster von Situationen unterschieden werden, die keine Airbag-Aktivierung erfordern. In Verbindung mit zweistufigen Gasgeneratoren und Innenraum-Sensierungssystemen tragen Satelliten oder Front-Sensoren zu einem deutlich verbesserten Insassenschutz bei. Die Kommunikation zwischen den Sensoren und dem Steuergerät erfolgt dabei in der Regel über separate Zweidraht-Leitungen. Teilweise kommt auch ein CAN-Bus zum Einsatz, zukünftig wird auch das FlexRay-Konzept zur Anwendung kommen.

Bild 6-3: Verschiedene alternative Sensorpositionen: 1 Airbag-Steuergerät, 2 Seitensensoren, 3 Frontsensor, 4 Bidirektionaler Sensor für Seitenaufprall

360 Die Bus-Vernetzung des Insassenschutzsystems ermöglicht einen raschen Datenaustausch, und die Sensorsignale können für verschiedene Funktionen eingesetzt werden. Außerdem ist eine Diagnosefunktion möglich und sekundäre Sicherheitssysteme wie etwa die Aktivierung des Warnblinkers oder das Abschalten der Kraftstoffpumpe nach einem Unfall können über den Datenbus problemlos integriert werden. Nach einem Unfall kann das AirbagSteuergerät über die Zentralverriegelung auch die Türen frei geben, damit das Bergungspersonal seine Arbeit schneller aufnehmen kann. 6.1.2.3 Das zentrale Airbag-Steuergerät Die beste Schutzwirkung bei Frontalunfällen wird durch eine optimale Abstimmung von Gurt- und Frontairbagsystem erzielt. Beide werden von einem gemeinsamen Steuergerät, das im Fahrgastraum untergebracht ist, zeitoptimiert aktiviert. Das Airbag-Steuergerät bekommt von einem oder mehreren Beschleunigungssensoren Informationen über die Geschwindigkeitsänderung und berechnet daraus die Aufprallverzögerung. Außerdem nimmt es eine Bewertung des Aufpralls vor. So darf etwa das Überfahren einer Bordsteinkante oder eines Schlaglochs nicht zur Auslösung des Airbags führen. Zur Auslösung der Frontairbags werden die Signale zweier unabhängiger Systeme herangezogen. Dabei kam bisher häufig ein sogenannter Safing-Sensor zum Einsatz [5]. Dies ist ein elektromechanischer Sensor, der nach dem Feder-Masse-System arbeitet und im Zündkreis liegt. Durch die zunehmende Vernetzung können jedoch die Signale verschiedener Sensoren kombiniert werden, so dass der Safing-Sensor inzwischen immer seltener eingesetzt wird. Stattdessen wird ein zusätzlicher Beschleunigungsaufnehmer im

Bild 6-4: Prinzipieller Aufbau von Airbagsteuergeräten

6 Sicherheitssysteme Airbag-Steuergerät untergebracht und zudem werden die Signale der Front- und Seitensensoren für die abgesicherte Airbag-Auslösung genutzt [6]. Dabei werden die Signale der unterschiedlichen Sensoren vollelektronisch über mindestens zwei voneinander getrennte Pfade ausgewertet. Damit ist eine abgesicherte Aktivierung von Airbags und Gurtstraffer gewährleistet. Bild 6-4 zeigt den prinzipiellen Aufbau von AirbagSteuergeräten. In den anwendungsspezifischen integrierten Schaltungen (ASICs) kommen unterschiedliche Fertigungstechnologien wie bipolare Strukturen, CMOS-Technik oder eine Kombination beider Techniken auf einem Chip zum Einsatz. Die Strukturbreiten liegen derzeit bei 1,2 bis 0,8 mm, sie werden aber zukünftig etwa 0,5 bis 0,4 mm betragen. Während heute rund 1500 Elemente pro Quadratmillimeter üblich sind, werden zukünftig bis zu 13000 digitale Elemente pro Quadratmillimeter möglich sein. Die Chipflächen werden bis zu 100 Quadratmillimeter betragen, die Herstellungsschritte umfassen 15 bis 22 Masken. Für den Anwender stehen verschiedene Gehäuse und Pin-Raster zur Verfügung, die Zahl der Anschlusspins liegt im Bereich von 24 bis 80. Die Spannungsfestigkeiten liegen bei etwa 50 Volt, die Stromtreiberfähigkeit im Amperebereich. Die Datenübertragung erfolgt über den CAN-Bus. Die Taktfrequenzen der Airbag-Steuergeräte liegen bei bis zu 40 MHz. Der ROM-Speicherbedarf stieg in den letzten Jahren von etwa 70 bis 90 Kilobyte im Jahr 2002 auf aktuell 128 Kilobyte – und er wird noch weiter steigen. Auch der Bedarf an FlashSpeicher nimmt weiter zu. Während früher 8-BitProzessoren Standard waren, sind heute 16-BitProzessorkerne die Regel. Teilweise kommen auch schon 32-Bit-Prozessoren zum Einsatz.

6.1 Passive Sicherheit

361

Bild 6-5: Auslöse-Algorithmus

Die für die Auslöse-Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeiten sind extrem knapp: Beim Frontalaufprall wird die erste Auslöseschwelle für die Frontairbags zwischen etwa 20 und 50 ms erreicht, beim Seitenaufprall stehen teilweise weniger als 5 ms zur Verfügung. Das Signal des Beschleunigungssensors wird dem Mikroprozessor zugeführt. Der dort zur Auslöseentscheidung ablaufende Rechenvorgang wird als Auslöse-Algorithmus bezeichnet (Bild 6-5). Um das unterschiedliche Verhalten verschiedener Fahrzeuge mit einem Auslöse-Algorithmus abdecken zu können, kann der gesamte Berechnungsablauf durch konfigurierbare Parameter (sogenannte Crash-Parameter) beeinflusst werden. Diese Parameter müssen durch Crash-Versuche und deren anschließende Auswertung für jeden einzelnen Fahrzeugtyp ermittelt werden. Die Crash-Parameter werden meistens in einem mehrfach beschreibbaren Speicher, zum Beispiel einem EEPROM, untergebracht. Beschleunigungssensoren Bei der Sensorik für die Auslösung der Rückhaltesysteme kommen heute hauptsächlich kapazitive mikromechanische Beschleunigungssensoren zum Einsatz [7]. Mikromechanische Beschleunigungssensoren folgen dem klassischen Feder-Masse-Prinzip und messen die durch eine Beschleunigung auf die träge Masse ausgeübte Kraft. Mikromechanische Sensoren werden sowohl in Oberflächen- als auch in Volumentechnik hergestellt. Sie sind extrem klein und kompakt, was sie für den Einsatz im Automobil mit seinem begrenzten Einbau- und Platzverhältnissen prädestiniert (sie werden in Abschnitt 11.2 ausführlich behandelt). Dies gilt insbesondere für die oberflächenmikromechanischen Beschleunigungssensoren, die mit einer Kantenlänge von rund

100 bis 500 Mikrometer im Vergleich zu den in Volumentechnik hergestellten Sensoren nochmals kleiner sind. Die mikromechanischen Beschleunigungssensoren sind zusammen mit der Auswerteelektronik (ASIC) in einem wasserdichten Gehäuse untergebracht. 6.1.2.4 Optimierte Frontairbag- und Gurtsysteme Die lebensrettende Wirkung des Airbags ist unbestritten, doch das System kann in seltenen Fällen, insbesondere wenn die Insassen nicht angeschnallt sind oder sich gerade in einer ungünstigen Position (Out of Position) befinden, durch seine explosionsartige Entfaltung zu Verletzungen der Passagiere führen. Bei Reboard-Kindersitzen (diese werden entgegen der Fahrtrichtung montiert, so dass die Rückenlehne des Kindersitzes zum Armaturenbrett weist) muss die Auslösung des Airbags sogar ganz unterbunden werden. Dies kann entweder mit einem einfachen manuellen Deaktivierungsschalter, einem speziellen Kindersitz mit Transponder oder einer Sitzbelegungserkennung und -klassifizierung erfolgen. Aktuelle Lösungen für so genannte „Smart Airbags“ erfassen das Gewicht und die Gewichtsverteilung der Person auf dem Beifahrersitz. Das kann z.B. mit einer Sitzmatte mit integrierten Drucksensoren geschehen, die je nach Personentypus definierte Druckprofile liefert und damit eine Klassifikation dieser Profile erlaubt. Auf dieser Basis kann zwischen einem unbelegten und einem belegten Sitz unterschieden werden. Ferner kann die Art der Belegung, z.B. durch Personen mit stark unterschiedlicher Statur oder durch nichtmenschliche Objekte klassifiziert werden. Insbesondere in den USA sind viele Pkw-Passagiere ohne Sicherheitsgurt unterwegs. Die Airbags müssen deshalb ein größeres Volumen haben und sich mit

362 hoher Geschwindigkeit öffnen. Dies erhöht die Verletzungsgefahr. Durch so genannte „Depowered Airbags“ mit etwa 20 bis 30 Prozent weniger Gasgeneratorleistung wird die Aufblasgeschwindigkeit und -härte entsprechend verringert. Dadurch verringert sich auch die Verletzungsgefahr durch den Airbag – insbesondere bei den so genannten „Out-of-PositionFällen“. Bei großen und schweren Personen besteht bei den Depowered Airbags allerdings die Gefahr, dass die Personen trotz Luftsack im Falle eines starken Frontal-Unfalls Kontakt mit dem Lenkrad oder dem Cockpit haben können. Die logische Weiterentwicklung führt zum „intelligenten Airbagsystem“, das durch zusätzliche Sensierung und Steuerung mehr Sicherheit bietet. FrontSensoren, die in der Knautschzone – etwa auf dem Kühlerquerträger – angebracht sind, ermöglichen eine bessere Analyse des Unfalls, etwa indem sie eine weiche Barriere oder Pfahl- und Unterfahrunfälle schneller erkennen. Bei weniger schweren Unfällen, bei denen die Schutzwirkung des Gurtes ausreicht, kann somit die Auslösung der Airbags unterbunden werden. Dies führt zu erheblichen Einsparungen bei den Reparaturkosten. In Kombination eines zweistufigen Airbags mit zwei getrennten Treibgassätzen, die einzeln, gemeinsam zeitgleich oder zeitversetzt aktiviert werden können, lässt sich die Aufblasgeschwindigkeit der Airbags auf die Schwere des Unfalls abstimmen. Zum Teil kommen auch Airbags mit Hybridgenerator zum Einsatz. Hier wird in der ersten Stufe pyrotechnisch ein Kalt-

6 Sicherheitssysteme gastank geöffnet, die zweite Stufe dient als zusätzliche Leistungsunterstützung. Weitere Informationen für die optimale AirbagAuslösung ermöglicht ein Sensor im Gurtschloss. Dieser meldet dem Auslösegerät, ob der Passagier den Sicherheitsgurt überhaupt angelegt hat. Eine noch besser angepasste Airbag-Auslösung ermöglicht die Sitzbelegungserkennung und Gewichtsklassifizierung der Passagiere auf dem Beifahrersitz. Moderne Airbag-Steuergeräte haben bis zu zehn Auslöseschwellen. Sie können die Aufblasgeschwindigkeit und -härte der Airbags somit gezielter an die Unfallschwere und an die Art des Unfalls anpassen. 6.1.2.5 Sitzbelegungserkennung und InnenraumÜberwachung Eine weitere Verbesserung des passiven Rückhaltesystems ist durch eine Sitzbelegungserkennung und eine Gewichtsklassifizierung der Passagiere auf den vorderen Sitzen möglich. Die ersten Systeme für die Sitzbelegungserkennung sollten zunächst bei nicht besetztem Beifahrersitz „nur“ ein Zünden des Airbags vermeiden, um so im Falle eines Unfalls keine unnötigen Reparaturkosten zu verursachen. Heutige Sensorsysteme verbessern jedoch durch eine angepasste Airbag-Auslösung die Insassensicherheit wesentlich. Bild 6-6 zeigt den prinzipiellen Aufbau von Systemen für die Sitzbelegungserkennung.

Bild 6-6: System zur Sitzbelegungserkennung: Funktionsprinzip und Aufbau

6.1 Passive Sicherheit Bei der einfachsten Form der Sitzbelegungserkennung kommt eine Matte mit Zellen zum Einsatz, die ihren Widerstandswert bei Druckbelastung ändern. Die Widerstandsänderung wird von der Auswerteelektronik erfasst, mit einem Algorithmus bewertet, und die Information wird dem Airbag-Steuergerät als digitales Signal zur Verfügung gestellt. Versieht man die Matten zur Sitzbelegungserkennung zusätzlich mit geeigneten Antennen, so kann man die reine Sitzbelegungsfunktion um eine KindersitzErkennung erweitern (Bild 6-7). Dazu müssen in den Kindersitzen sogenannte Transponder (EmpfangsSendegeräte) untergebracht werden. Über die im Sitz untergebrachte Antenne wird dann Kontakt mit den Transpondern aufgenommen. Die ausgetauschten Signale werden bewertet, die resultierende Information wird wieder zum Airbag-Steuergerät gesandt und dort ausgewertet.

Bild 6-7: Automatische Kindersitzerkennung: 1 Transponder (zweimal), 2 Sitzmatte mit Sende- und Empfangsantenne

363 Zweck der so genannten Occupant-ClassificationSysteme ist es, Insassen in verschiedene Gewichtsklassen einzuteilen, bestimmte Gegenstände zu differenzieren und in Folge dessen die Auslösung der Rückhaltesysteme zu steuern. Das Prinzip der Occupant-Classification-Systeme ähnelt jenem der Sitzbelegungserkennung, allerdings ist die Anzahl der Sensoren in der Matte höher. Die Sensoren sind in Form einer Matrix angeordnet und werden einzeln erfasst. So wird für verschiedene Bereiche der Sitzfläche die jeweilige Gewichtsbelastung gemessen und das System erkennt, ob sich ein Kind, ein besonders leichter oder ein schwerer Erwachsener, oder nur ein Gegenstand auf dem Sitz befindet. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mit vier Sensoren in den Befestigungsschienen des Sitzes das jeweils aufliegende Gewicht zu messen. Bild 6-8 zeigt die möglichen Einbauorte. Eine Metallfeder im Sensor verformt sich entsprechend der auf dem Sitz lastenden Kräfte (Bild 6-9). Der Sensor misst diese Verformung und gibt diese Daten an das Steuergerät weiter, wo die Software die gesamte Gewichtsbelastung ermittelt. Das System wurde inzwischen in der zweiten Generation so weit verfeinert, dass insgesamt fünf Gewichts-Klassifizierungen vom Kleinkind bis zum 95-Kilo-Mann möglich sind. Die Sensoren zeichnen sich durch kompakte Abmessungen und die leichte Integration in unterschiedliche Fahrzeugtypen und deren Sitzvarianten aus. In Zukunft sollen die Sensoren auch erkennen, ob sich die Insassen im Moment des Unfalls außerhalb einer normalen Sitzposition befinden. So wird verhindert, dass sich der Front-Airbag mit maximaler Energie öffnet, wenn sich der Beifahrer zum Beispiel gerade weit nach vorne beugt. Neben der exakten Auswertung über die Gewichtsverteilung können hier auch optische Systeme zusätzliche Informationen liefern – etwa eine Videokamera auf CMOS-Basis, die mehrmals pro Sekunde den Fahrgastraum aufnimmt.

Bild 6-8: Einbauorte der Sensoren zur Gewichtsmessung (Pfeile)

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6 Sicherheitssysteme

Bild 6-9: Aufbau des Sensors zur Gewichtsmessung von Insassen (LVDT: Linearer Variabler Differentieller Transformator)

Über die Software des Bildverarbeitungssystems wird dann erkannt, ob sich auf dem Sitz ein Kind oder ein Erwachsener befindet. Außerdem kann auch die Position des Passagiers im Moment des Unfalls ermittelt werden. Eine weitere Möglichkeit zur Innenraumüberwachung könnte zukünftig mit einem sehr schwachen LaserLichtpuls entstehen, der den Innenraum kontinuierlich abtastet. Das System berechnet aus der Laufzeit der Lichtreflexionen ein dreidimensionales Bild des Innenraums. 6.1.2.6 Seiten-, Kopf- und Knieairbags Die großen Erfolge und die guten Erfahrungen mit den Front-Airbags führten zu einer Erweiterung des Einsatzgebiets für die Luftsäcke. Da Seitenkollisionen nach dem Frontaufprall die zweithäufigste Unfallart sind, wurde zunächst der Thorax-Seitenairbag eingeführt. Dieser ist in der Regel in den Sitzlehnen untergebracht. Moderne Automobile haben heute bis zu zehn Airbags. Zum Schutz des Kopfs gibt es langgezogene Luftsäcke in Form eines Vorhangs, Inflatable Curtain (IC), oder einer Wurst, Inflatable Tubular Structure (ITS). Außerdem kommen inzwischen – insbesondere für den US-Markt – auch Knieairbags zum Einsatz, die unter dem Armaturenbrett angebracht sind. Die zusätzlichen Airbagsysteme erfordern auch einen höheren Aufwand bei den Sensoren. Da beim Seitencrash nur wenig Deformationsweg zur Verfügung steht, muss – je nach Art und Schwere des Aufpralls – das System oft schon in weniger als 5 ms entscheiden, ob eine Auslösung erforderlich ist.

Je nach Hersteller und Philosophie kommen bei der Sensierung für die Seitenairbags unterschiedliche Sensor-Konstellationen zum Einsatz [8, 9]. Einfacher aufgebaute Systeme kommen mit einem zusätzlichen Drucksensor in der Tür aus. Dieser sendet das Auslösesignal zum zentralen Airbag-Steuergerät, das die Airbags aktiviert. Andere Systeme kombinieren das Drucksensorsignal mit weiteren Signalen zum Zweck der Safing-Funktion. Diese Safing-Funktion beschreibt eine Auslösestrategie, bei der die Aktivierung der Sicherheitsmittel nur dann erfolgt, wenn die Auslöseentscheidung gleichzeitig aus zwei unabhängigen Sensorsignalen getroffen wurde. Diese weiteren Signale können aus Sensoren in der zentralen AirbagElektronik kommen oder auch von weiteren Beschleunigungssensoren (Satelliten). Darüber hinaus kann die Auslöseentscheidung je nach Aufprallort auch von den unterschiedlichen Satelliten-Sensoren (Bild 6-10) für die Messgrößen Druck und Beschleunigung abgeleitet werden. Bei Unfällen mit Fahrzeugen, die bereits eine sehr gute Sicherheitsausstattung mit Frontairbags und umfassenden Gurtsystemen haben, sind bei einem Frontalunfall dennoch Verletzungen der unteren Extremitäten zu beklagen. Diese sind zwar in der Regel nicht lebensgefährlich, führen jedoch häufig zu einer langwierigen und für die Patienten schmerzhaften Behandlung. Durch den Einsatz von Knieairbags können auch in diesem Bereich die Verletzungsgefahren verringert werden [10]. Der Knieairbag entfaltet sich vor den Knien im unteren Bereich der Armaturentafel. Er soll eine Kolission der Beine mit der Fahrzeugstruktur verhindern oder, wenn dies auf Grund der Schwere des Unfalls nicht möglich ist, deren Auswirkungen mindern. Knieairbags werden bereits in einigen Fahrzeugen auf dem US-Markt angeboten.

6.1 Passive Sicherheit

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Bild 6-10: Satelliten-Sensoren: Drucksensor (links) und Beschleunigungssensor (rechts)

Ein weiterer Vorteil des Knieairbags liegt in einem optimierten Bewegungsablauf. Durch den Knieeairbag wird – unter Mithilfe der Gurtstraffer – die Vorwärtsbewegung des Insassen frühzeitig verringert und der Oberkörper in Rotation gebracht. Dies ist zum Beispiel bei Fahrzeugen mit einer niedrigen Dachlinie – etwa Sportwagen oder Roadstern – von Bedeutung, um einen Kopfkontakt mit der Fahrzeugstruktur zu vermeiden. Die Sensierung für die Knieairbags baut auf die vorhandene Infrastruktur für den Frontcrash auf und ist grundsätzlich identisch mit der Sensierung beim Frontaufprall. Damit der Knieairbag sich im richtigen Moment schützend ausbreiten und durch eine zusätzliche Krafteinleitung in den Oberschenkel den Oberkörper in Rotation versetzten kann, muss er zuerst aufgeblasen sein. Dadurch wird eine Drehbewegung des Körpers ausgelöst, der Oberkörper bewegt sich nach vorne und fällt in den Frontairbag, der genau zu diesem Zeitpunkt vollständig aufgeblasen sein sollte. Da der Knieairbag wesentlich kleiner ist als der Frontairbag, können beide Luftsäcke zugleich gezündet werden. Bei zweistufigen Frontairbags wird der Knieairbag in der Regel mit der zweiten Stufe des Frontairbags gezündet. Für den Knieairbag ist damit keine gesonderte Auslöseschwelle erforderlich. 6.1.2.7 Gasgenerator und Zündpille Die pyrotechnischen Treibladungen in den Gasgeneratoren für den Gurtstraffer und die verschiedenen Airbags werden elektrisch gezündet. Dabei kommt die so genannte Zündpille (Bild 6-11) zum Einsatz. Die Zündpille besteht aus einem mit einer Treibladung gefüllten Behälter und einem Zünddraht. Sie ist mit der Zündungseinheit ausgestattet und über Zweidraht-Leitungen mit dem Airbag-Steuergerät verbunden. Der Strom fließt von der Steuerelektronik kommend durch den Zünddraht, dieser verglüht und aktiviert so den Zündsatz und die Treibladung.

Bild 6-11: Zündpille für die Airbagauslösung: 1 Treibladung, 2 Zündsatz, 3 Kappe, 4 Ladungshalter, 5 Zünddraht, 6 Zündkopf, 7 Gehäuse, 8 Pins

Den Auslösebefehl für die Zündung erteilt der Mikroprozessor mit Hilfe der Zündendstufen. Aus Sicherheitsgründen gibt es zwei Stromquellen: Neben der Batteriespannungsquelle steht auch eine in einem Kondensator gespeicherte Ladung zur Verfügung. Für kleinere Gasmengen gibt es sogenannte HybridGasgeneratoren, die jedoch grundsätzlich auf die gleiche Weise gezündet werden.

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6 Sicherheitssysteme

Auch nach einem airbagrelevanten Unfall können nicht aktivierte Airbags im Fahrzeug sein – etwa die Seiten- oder Kopfairbags bei einem Frontaufprall oder ein über die Sitzbelegungserkennung deaktivierter Beifahrerairbag. Um das Rettungspersonal bei der Bergung von Passagieren vor möglichen Verletzungen durch plötzlich explodierende Airbags zu schützen, wird durch geeignete elektronische Maßnahmen sichergestellt, dass es nach einem Unfall nicht zu einer weiteren Airbag-Auslösung kommen kann.

6.1.3 Das vorausschauende Insassenschutzsystem Mercedes-Benz führte 2002 bei der S-Klasse das vorausschauende System Pre-Safe ein. Es stellt eine Synergie aus aktiver und passiver Fahrzeugsicherheit dar. Bereits vor dem drohenden Aufprall werden präventive Schutzmaßnahmen eingeleitet. Das System greift dabei auf Sensor-Signale von Bremsassistent und Bremsregelung zu. Erkennt das System eine Notbremssituation oder ein Über- beziehungsweise Untersteuern (Schleudern) des Fahrzeugs, leitet es vorbeugende SicherheitsMaßnahmen ein: Die vorderen Gurte werden durch reversible, elektromotorische Gurtstraffer (Bild 6-12) vorsorglich gestrafft und der Beifahrersitz und die Fondeinzelsitze werden in eine Sicherheitsposition gebracht. Beim Über- oder Untersteuern, das zu einem Überschlag führen könnte, wird zusätzlich das Schiebedach geschlossen. Ist die Gefahr vorüber, werden die Gurte wieder entspannt und auch die anderen Systeme lassen sich in ihre Ausgangsposition zurückstellen. Ein weiteres System, das nach dem Vorsorge-Muster agiert, ist der automatische sensorgesteuerte Überrollbügel (Bild 6-13). Dieser wurde 1989 im Mercedes SL erstmals eingeführt. Bei diesem System wird in kritischen Fahrsituationen, in denen ein Fahrzeugüberschlag droht, der Überrollbügel ausgefahren. Das System arbeitet reversibel, so dass der Bügel bei unnötiger Aktivierung wieder in seine Ausgangslage zurückgedrückt werden kann und für eine weitere Auslösung zur Verfügung steht.

Bild 6-12: Elektromotorischer Gurtstraffer (Mercedes Pre-Safe System)

6.1.4 Überrollsensierung Laut Statistik sind rund 20 Prozent aller tödlichen Unfälle mit einem Überschlag des Fahrzeugs verbunden. Die rechtzeitige Aktivierung von Gurtstraffern, Seiten- und Kopfairbags und des Überrollbügels bei offenen Fahrzeugen schützt die Insassen vor Verletzungen. Der Nutzen besteht unter anderem darin, dass ein teilweises oder vollständiges Herausschleudern von Insassen verhindert wird.

Bild 6-13: Sensorgesteuerter Überrollbügel (Mercedes CLK Cabrio)

6.1 Passive Sicherheit Die Überrollsensierung ist ebenfalls in die zentrale Auswerte- und Auslöseelektronik integriert [11]. Das Sensierungskonzept basiert auf einem mikromechanischen Drehratensensor und einem Sensor, der geringe Beschleunigungen in Hoch- und Querachse (y- und zRichtung) erfasst. Um kritische Fahrsituationen, wie Fahrten auf verschmutztem Untergrund mit Überschlagrisiko zuverlässig zu erkennen, kann das System mit der Fahrdynamikregelung (ESP) vernetzt werden. Durch die Anbindung an die Fahrdynamikregelung über den CAN-Bus werden Synergien zwischen der Überschlag-Vermeidung und dem Überschlag-Insassenschutz – Straffen der Gurte, Schließen des Schiebedachs etc. – möglich. 6.1.4.1 Der Drehratensensor Der Drehratensensor erfasst die Drehbewegungen des Fahrzeugs um seine Längsachse und kann auch als Überrolldetektor eingesetzt werden. Das Messprinzip beruht auf Trägheitskräften in einem rotierenden System (siehe Abschnitt 11.2). Während früher feinmechanische Sensoren nach dem Prinzip eines schwingenden Zylinders verwendet wurden, kommen heute mikromechanische Drehratensensoren zum Einsatz, die deutlich kleiner und kostengünstiger sind. 6.1.4.2 Überschlagschutz bei offenen Fahrzeugen Um auch bei Roadstern und Cabriolets im Falle eines Überschlags die Passagiere möglichst gut zu schützen, haben immer mehr offene Modelle einen reversibel ausklappenden Überschlagschutz. Herzstück des Sicherheitssystems ist auch hier ein mikromechanischer Drehratensensor, der im Airbagsteuergerät untergebracht ist. Außerdem werden hochauflösende Beschleunigungssensoren genutzt. Diese messen Bewegungen in der Fahrzeugquerund -hochrichtung und sichern so die Entscheidung über die Auslösung des Überrollschutzes ab.

6.1.5 Fußgängerschutz Mehr Sicherheit im Straßenverkehr erfordert auch große Anstrengungen beim Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer. In Europa sind pro Jahr über 6000 Tote und fast 75 000 schwerverletzte Fußgänger und Radfahrer zu beklagen. Nachdem die Fahrzeuginsassen mit aufwändigen aktiven und passiven Sicherheitssystemen immer besser geschützt sind, achten Gesetzgeber und Automobilhersteller jetzt verstärkt auf die „Sicherheit mit Außenwirkung“. Das Europäische Parlament hat in einer für den Fußgängerschutz erlassenen Richtlinie [12] den Einführungszeitraum sowie alle einzuhaltenden Testvorschriften und Verletzungswerte festgeschrieben. Schon seit Oktober 2005 müssen alle neu eingeführten Fahrzeugplattformen Tests bestehen, bei denen Testobjekte

367 (Bein, Kopf) auf den Stoßfänger und die Motorhaube geschossen werden, wobei festgelegte Grenzwerte für Kopf- und Beinverletzungen eingehalten werden müssen. Zum Jahr 2010 tritt die sogenannte Phase 2 des Gesetzes mit zwei weiteren Testprozeduren sowie verschärften Testlimits in Kraft. Außerdem wurde im Jahr 2003 vom Europäischen Parlament ein Vorschlag für eine Richtlinie über die Verwendung von Frontschutzbügeln vorgelegt. Der Fußgängerschutz ist eine große Herausforderung, denn eine nach außen weiche und damit für Fußgänger verletzungsfreundliche Fahrzeugstruktur läuft mitunter dem Ziel des Insassenschutzes entgegen. Dennoch gibt es Lösungsansätze wie etwa mehr Freiraum unter der Motorhaube, wodurch das Verletzungsrisiko für Fußgänger erheblich verringert werden kann. Außerdem können besonders stabile und deshalb gefährliche Fahrzeugkomponenten wie die Batterie, das Haubenschloss oder Teile des Motors durch konstruktive Änderungen aus der Gefahrenzone gebracht werden. Sollbruchstellen an Wischern, Versteifungsstreben oder Spiegeln reduzieren das Verletzungsrisiko für die Verkehrsteilnehmer ebenfalls. Mittelfristig wird es außerdem Polsterelemente aus speziellen Schaumstoffen oder auch zusätzliche Außen-Airbags geben, um die Gefahr von Verletzungen für die Fußgänger weiter zu minimieren. Parallel dazu werden auch spezielle Systeme zum Unfallschutz für Fußgänger und Radfahrer entwickelt. Um die Auswirkungen eines Kopfaufpralls auf der Motorhaube zu mildern, ist es vorteilhaft, wenn die Motorhaube kurz vor dem Aufprall um etwa sechs bis zehn Zentimeter angehoben wird. Bei entsprechend ausgelegter Motorhaube kann dann ein Großteil der Aufprallenergie aufgenommen werden, ohne dass ein Durchschlagen auf harte Bauteile unterhalb der Haube erfolgt. Das Anheben der Haube kann auf verschiedene Weise geschehen. Derzeit werden für die Auslösung der Aktorik zwei Varianten verfolgt: Zum einen die Auslösung durch Magnetschalter (reversibel) und zum anderen eine Auslösung mit einer pyrotechnischen Ladung (irreversibel). Die Mechanik für das Anheben der Haube besteht beispielsweise aus Federsystemen, die durch das „Freisprengen“ eines Ankers (Verriegelung) aktiviert werden können. In jedem Fall muss jedoch zunächst der Fußgänger als Unfallbeteiligter sicher erkannt werden. Die Sensorik dafür muss – mit möglichst großem Vorlauf – nicht nur einen Unfall zweifelsfrei erkennen, sondern auch den potenziellen Unfallgegner eindeutig identifizieren. Dabei muss sie etwa zwischen einen Laternenpfahl oder einem Baumstamm und einem Fußgänger oder Radfahrer unterscheiden können. Möglich wird dies mit einem im Stoßfänger integrierten GlasfaserBiegesensor (siehe Abschnitt 6.1.5.1). Dieser ist über den CAN-Bus mit dem zentralen Airbagsteuergerät verbunden, das nach Prüfung der Sensorsignale den Befehl zum Anheben der Motorhaube gibt.

368

6 Sicherheitssysteme

Bild 6-14: Bauform des Glasfaser-Biegesensors: Glasfaser mit Lichtumlenkung, Lichtquelle und Sensor (links); Lichtquelle und Sensor im gemeinsamen Gehäuse (oben)

Umfassende Maßnahmen für den Fußgängerschutz erfordern zukünftig eine nochmalige Erweiterung der Sensorik im Fahrzeug. Dabei könnten auch Radar, Video und Ultraschall-Sensoren weiter helfen, um die Fahrzeug-Umgebung zu erfassen. 6.1.5.1 Der Glasfaser-Biegesensor Beim Glasfaser-Biegesensor (Bild 6-14) wird die durchgeleitete Lichtmenge als Maß für die Verformung genutzt [13]. Er besteht aus einer Glasfaser mit einer Lichtquelle und einem Sensor, der die durch die Faser geleitete Lichtmenge misst. Die in die Glasfaser eintretenden Lichtstrahlen werden in der Faser durch Totalreflexion geführt, sofern sie unter einem Winkel einfallen, der größer als der Grenzwinkel der Totalreflexion ist. Die Oberfläche ist an einzelnen Stellen gezielt uneben ausgeführt, so dass dort der Grenzwinkel der Totalreflexion unterschritten wird und das Licht austritt (siehe Bild 6-15). Wird die Glasfaser in eine bestimmte Richtung gekrümmt, tritt – je nach

Richtung der Krümmung – weniger oder mehr Licht aus. Die am Lichtsensor ankommende Lichtmenge ist somit ein Maß für die Richtung und die Stärke der Durchbiegung. Da keine eindeutigen Messwerte der absoluten Lichtstärke vorliegen, arbeitet man mit einer Mess- und einer Referenzeinheit. Zur Signalauswertung können somit differenzielle Unterschiede zwischen Messund Referenzeinheit herangezogen werden. Der Glasfaser-Biegesensor ist in die Stoßstange eingebettet und biegt sich beim Eindringen eines Körpers durch, was sich in den Veränderungen der Lichtstärke bemerkbar macht. Für den Fußgängerschutz werden mehrere Glasfasern eingesetzt, wodurch man definierte Zonen quer über die Stoßstange aufbauen kann. Die Anzahl der Zonen liegt zwischen 8 und 16. Damit kann sowohl der Ort des Aufpralls als auch die Breite des getroffenen Objekts bestimmt werden.

6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme

369

Bild 6-15: Glasfaser-Biegesensor: a) Funktionsprinzip, b) bei positiver Krümmung tritt weniger Licht durch die Öffnung aus, c) bei gerader Ausrichtung tritt eine definierte Lichtmenge durch die Öffnung aus, d) bei negativer Krümmung tritt mehr Licht durch die Öffnung aus

6.1.5.2 Ausblick Mit den hier vorgestellten Systemen für die passive Sicherheit im Fahrzeug wurde bereits ein hohes Niveau für den Schutz der Passagiere bei einem Unfall erreicht. Weitere Optimierungen im Detail, wie etwa ein zur Zeit in Entwicklung befindlicher akustischer Crash-Sensor, der Körperschallsignale auswertet, können zu weiteren Verbesserungen führen [14]. Ein gewaltiges Potenzial zur Verringerung von Toten und Verletzten im Straßenverkehr – und zwar sowohl im Fahrzeug als auch außerhalb – eröffnet sich, wenn Unfälle vermieden werden können. Für das große Ziel der Unfallvermeidung werden neue Sensoren zur Umfeldüberwachung des Fahrzeugs wie etwa RADAR, LIDAR oder Kamerasysteme benötigt. Sollte sich trotzdem ein Unfall ereignen, so können zumindest die Unfallfolgen verringert werden. Ein erster Schritt in Richtung der vorbeugenden Schutzmaßnahmen wurde von Mercedes-Benz mit dem PreSafe-System sowie dem ausfahrbaren Überrollbügel bereits gemacht. Die Systeme zur Umfeldüberwachung werden im Kapitel 9 beschrieben.

6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme Bei der Art und Weise, wie ein Fahrer sein Auto aufschließt, die Zündung einschaltet und den Antrieb startet, hat die Elektronik einen Systemwechsel herbeigeführt. Traditionellen Türschlössern, die rein mechanisch mit einen herkömmlichen Autoschlüssel betätigt werden, sagten Analysten deshalb schon 2001 faktisch das Verschwinden vom Markt voraus [15]. Während

die Fernbedienung (Remote Keyless Entry, RKE) eines elektromotorischen Türschlosses über Funk und Infrarot in Verbindung mit einem traditionellen Zündschloss an der Lenksäule wohl noch geraume Zeit die am weitesten verbreitete Technologie bleiben wird, hat die Entwicklung bereits die nächste Stufe erreicht: passive, elektronische Systeme, die dem Fahrer schlüssellos und ohne eigene Betätigung eines Senders den Zutritt zum Fahrzeug geben und ihm den Motorstart ermöglichen (Passive-Keyless-Entry-System, PKE-System). Diese Entwicklung liefert ein gutes Beispiel dafür, wie schnell sich neue elektronische Lösungen im Fahrzeug etablieren können. Entsprechende Systeme wurden erstmals 1999 unter der Fahrzeugherstellerbezeichnung „Keyless-Go“ in einem Oberklassefahrzeug von DaimlerChrysler eingeführt. Lediglich vier bis fünf Jahre nach der ersten Markteinführung waren Systeme dieses Typs bereits in fast allen Fahrzeugklassen einer ganzen Reihe von Herstellern vertreten. Bedingt durch die Aktualität der Entwicklung konzentriert sich dieser Abschnitt auf den letzten Stand bei passiven Zugangsund Fahrberechtigungssystemen und gibt einen Ausblick auf konstruktive und funktionale Weiterentwicklungen im Gigahertzbereich. Aktuelle Situation In passiven Zugangs- und Fahrberechtigungssystemen übernimmt ein elektronischer Identifikationsgeber (ID-Geber) die Autorisierungsfunktion des Schlüssels mit Metallbart. Die ID-Geber sind typischerweise entweder als Smart Card (Chipkarte im Kreditkartenformat mit integriertem Transponder) oder als Key-Fob (Schlüsselgriff ohne sichtbaren Metallbart, siehe auch Bilder 6-17 und 6-23) ausge-

370 führt. Die Bezeichnung als „passives“ System rührt daher, dass der Fahrer vor und während des Öffnungsvorgangs keine schlüsselbezogene Aktivität ausführen muss. Als Grundvoraussetzung genügt es, dass der Fahrer den ID-Geber bei sich trägt, wenn er das Fahrzeug öffnen will. Anders als bei der Fernbedienung muss er dazu keinen Sendeknopf betätigen, was den ergonomischen Vorteil hat, dass beide Hände für andere Aufgaben frei bleiben.

6.2.1 Systemfunktionen Die Funktion eines passiven Zugangs- und Fahrberechtigungssystems kann weit über die traditionelle Funktion „Auf/Zu“ und „An/Aus“ des mechanischen Schlüssels hinausgehen. Insbesondere werden Türschließsysteme zunehmend mit anderen Komfortund Sicherheitsfunktionen kombiniert. Im Hinblick auf diese Funktionsvielfalt sind hier zunächst die typischen, bereits in der Serie realisierten Funktionen am Beispiel des Passive-Keyless-Entry-Systems (PKE-System) von Siemens VDO [16] dargestellt.

6 Sicherheitssysteme Passiver Zugang zum Fahrzeug Am Anfang des Entriegelungsprozesses muss ein Zugangs- und Fahrberechtigungssystem zunächst aktiviert werden. Bild 6-16 zeigt einige Möglichkeiten, wie dies realisiert werden kann: entweder mit einem kapazitiven oder mit einem optischen Näherungssensor (Infrarot), der die Hand des Benutzers mit einer Reichweite von 1 bis 2 cm vor der Berührung mit dem Türgriff erkennt, mit einem Ziehschalter im Türgriff, oder mit einem Taster am Türgriff. Eine andere Lösungsmöglichkeit für dieselbe Aufgabenstellung ist eine Annäherungssensorik mit einem Hochfrequenzsensor, in dem ein Impulsgenerator sowie jeweils eine Sende- und Empfangsantenne verbaut sind. Nach dem Prinzip eines Radarsystems erkennt dieser Sensor anhand des Signalvergleichs zwischen empfangenem und gesendetem Signal ein sich annäherndes Objekt sowie dessen Materialeigenschaften. Der Abgleich zwischen den aus- und eingehenden Signalen erfolgt durch einen Mischeralgorithmus [17].

Bild 6-16: Passive-Keyless-Entry-System, Möglichkeiten der Systemaktivierung: 1 Näherungssensor, 2 Ziehschalter, 3 Taster im Türgriff

6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme Nachdem das System durch Präsenz der Hand oder Betätigung des Türgriffs oder Türtasters aktiviert ist, beginnt ein Kommunikationsprozess, der in weniger als 100 ms abläuft: Zunächst startet das System eine Anfrage, um zu erkennen, wie viele ID-Geber sich im Sende- und Empfangsbereich befinden. Sollte mehr als ein Geber erkannt werden, beginnt das PassiveKeyless-Entry-System mit der Autorisierungsprozedur, indem es nach einem festgelegten AntiCollision-Vorgehen den vorrangigen ID-Geber auswählt. Das Fahrzeug sendet über eine Niederfrequenzaußenantenne (z.B. im Türgriff, in der hinteren Stoßstange oder in den Heckleuchten) ein amplitudenmoduliertes Signal zur Anfrage an den ID-Geber. Dieses Anfragesignal ist gleichzeitig der Trigger, um den UHF-Empfänger im PKE-Steuergerät aufzuwecken. Der ID-Geber berechnet die Antwort, und der Transponder im ID-Geber antwortet auf die LFAnfrage mit dem verschlüsselten Antwortsignal im MHz-Bereich. Im UHF-Empfänger des Steuergeräts oder des Steuermoduls wird das Signal demoduliert und die Antwort auf Übereinstimmung geprüft. Bei einem gültigen Schlüsselcode wird die Autorisierung für die aktivierte Funktion erteilt. Im beschriebenen Fall wird das Türschloss entriegelt ([18], [19]). Die Tür kann durch den Zug am Türgriff geöffnet werden. Bei einem mechanischen Schloss greift die Türgriffmechanik dabei direkt über ein Gestänge oder einen Bowdenzug auf die Drehfalle im Türschloss zu. Verfügt die Tür über ein elektrisches Schloss mit Öffnungsfunktion, bedarf es eines elektrischen Triggers am Türgriff, um die Entriegelung auszulösen. Passiver Start des Motors Ausgelöst durch einen Trigger, (z.B. Fuß auf dem Brems- oder Kupplungspedal und gleichzeitiger Druck auf den Startknopf wie in Bild 6-17 oder Betätigung

371 eines Dreh-Startschalters) sucht das Zugangs- und Fahrberechtigungssystem nach einem ID-Geber. Dazu startet das Passive-Keyless-Entry-System eine Innenraumanfrage. Befindet sich der Fahrer mit dem IDGeber im Fahrzeug und damit in Reichweite der Innenantennen, die sich beispielsweise in der Türinnenverkleidung, im Fahrzeugboden oder der Mittelkonsole befinden können, sendet der ID-Geber als Reaktion ein verschlüsseltes Antwortsignal. Bei einem gültigen Schlüsselcode wird daraufhin die elektrische Lenkradsperre entriegelt. Die Wegfahrsperre wird freigegeben, das Motorsteuergerät erhält ein OK-Signal vom PKE-Steuergerät und startet den Motor. Um einen ungewollten Motorstart, etwa durch im Fahrzeug spielende Kinder, zu verhindern, gehört zur Systemauslegung eine Sicherheitsfunktion, die etwa darin besteht, dass der Motor grundsätzlich nur gestartet wird, wenn der Fuß des Fahrers gleichzeitig das Bremspedal oder des Kupplungspedal betätigt. Passives Verriegeln Nachdem der Fahrer die Fahrzeugtür von außen geschlossen hat, kann er über einen Taster am Türgriff oder einen kapazitiven Nährungsschalter die Funktion "Verriegeln" auslösen. Bei einem Fahrzeugmodell des Herstellers BMW beispielsweise, muss der Fahrer Druck auf den Türgriff ausüben, der von einem Hallsensor erkannt wird. Wenn die Verriegelungsfunktion nach einem dieser Verfahren aktiviert ist, sendet die Türantenne, die dem betätigten Türaußengriff zugeordnet ist, das Anfragesignal. Erst nach Eingang des gültigen Antwortsignals vom ID-Geber außerhalb des Fahrzeugs werden die Türen über die Zentralverriegelung verriegelt. Das Steuergerät des passiven Zugangsund Fahrberechtigungssystems startet parallel eine Kontrollanfrage im Fahrzeuginnenraum, um eventuell im Fahrzeug gefundene Schlüssel vorübergehend zu sperren (s.u. „Sperren von ID-Gebern“).

Bild 6-17: Start-Stopp-Knopf und Aufnahme für den Funkschlüssel [Quelle: BMW]

372 Als zusätzlicher Komfort kann in das PKE-System die Funktion integriert sein, dass bei fortgesetztem Druck auf den Türaußengriff die Seitenscheiben und gegebenenfalls das Schiebedach geschlossen werden ([18] [19]). Passives Kofferraumöffnen Nach dem gleichen Prinzip wie bei der oben beschriebenen Funktion „Passiver Zugang zum Fahrzeug“ kann das PKE-System das Schloss des Kofferraums entriegeln, sobald der Fahrer durch Betätigen des Griffs, der als kapazitiver Sensor wirkt, oder eines Tasters am Kofferraumdeckel, die Entriegelungsfunktion aktiviert. Bei dem Fahrzeugmodell eines japanischen Herstellers wird das System aktiv, wenn sich der Fahrer dem Kofferraum nähert und der ID-Geber damit in die Erfassungs- und Kommunikationszone gelangt. Passive Kofferraumverriegelungssperre In den Bereich der Komfortfunktionen gehört die Detektion des ID-Gebers im Kofferraum, beispielsweise, wenn er mit einem Kleidungsstück oder in einem Gepäckstück unbemerkt oder auch bewusst vom Fahrer oder einem Passagier im Kofferraum deponiert worden ist. Sobald der Kofferraumdeckel geschlossen wird, startet das Zugangs- und Fahrberechtigungssystem eine Anfrage über die Kofferraumantenne. Wird dabei als Reaktion auf das Anfragesignal von der Antenne ein Antwortsignal im Kofferraum geortet (anhand der Signalpegelhöhe und Feldabgrenzung, vgl. Abschnitt 6.2.2.2), dann entriegelt das System das Kofferraumschloss selbsttätig sofort wieder, nachdem der Fahrer oder ein Passagier den Kofferraum geschlossen hat. Das Geräusch des Schlossmechanismus in Verbindung mit dem teilweisen Aufspringen der Kofferraumklappe durch Federkraft macht die Person am Heck des Fahrzeugs auf die Verriegelungssperre aufmerksam. Sperren von ID-Gebern Im Fahrzeug vom Nutzer bewusst oder unbewusst zurück gelassene ID-Geber werden nach Verriegeln des Fahrzeugs erkannt und können aus Sicherheitsgründen deaktiviert werden. So wird verhindert, dass bei unautorisiertem Zugang zum Fahrzeug eine nutzbare Fahrberechtigung vorgefunden wird. Erst nach einem autorisierten Entriegeln des Fahrzeugs werden die ID-Geber im Innenraum reaktiviert und stehen dem Nutzer wieder uneingeschränkt zur Verfügung. ID-Geber als Informationsträger Auf dem ID-Geber können fahrerspezifische und fahrzeugspezifische Informationen abgelegt werden. Zu den bereits realisierten fahrerspezifischen Informationen gehört zum Beispiel die vom Fahrer gewählte statische Sitzkontur. Verfügt das Fahrzeug über eine elektronische Sitzverstellung mit Speicher,

6 Sicherheitssysteme so kann der ID-Geber das Aktivieren der gespeicherten Sitzkontur auslösen. Weitere fahrerbezogene Einstellungen können je nach Fahrzeug und Ausstattung die Lenksäulenposition, die Position der Außenspiegel, die Aktivierung der selektiven Zenralverriegelungsfunktion oder die Anzeigesprache der Instrumentierung sein. Diese fahrerspezifischen Einstellungen werden in einem Steuergerät im Fahrzeug abgespeichert und als Datensatz einer bestimmten IDGebernummer zugeordnet. Beim passiven Zugang zum Fahrzeug können die im Steuergerät für den betreffenden ID-Geber gespeicherten Einstellungen abgerufen und von Aktoren angefahren werden. So können mehrere Fahrer oder Nutzergruppen ein und dasselbe Fahrzeug individualisieren, ohne jedes Mal die Einstellungen anderer Nutzer ändern zu müssen. Der interne Speicher im ID-Geber kann außerdem fahrzeugspezifische Daten (etwa Fehlermeldungen und Kilometerstand) zur späteren Diagnose festhalten.

6.2.2 Technik 6.2.2.1 System-Architektur im Fahrzeug Die Platzierung der Komponenten eines passiven Zugangs- und Fahrberechtigungssystems ist mit Ausnahme des Steuergerätes (bzw. der Integration der Steuerung in einem bereits existierenden Karosseriesteuergerät) überwiegend durch die jeweilige Aufgabe der Komponenten vorgegeben: Geeignete Sensoren oder Taster zur Aktivierung des Systems sind im äußeren Zugangsbereich angeordnet (Türe oder Kofferraum). Auch der Einbauort der Aktoren zur Schlossbetätigung ist durch ihre Funktion determiniert. Dasselbe gilt für die Antennen. Um eine scharfe Trennung zwischen Innen- und Außenraum zu erzielen, platziert man die Antennen so, dass die Form der Antennenfelder folgende zentrale Anforderung an ein Passive-Keyless-Entry-System erfüllt: Antennen zur Kommunikation nach außen sind in der äußeren Peripherie des Fahrzeugs untergebracht und nach außen fokussiert, damit sie die erforderliche Reichweite zwischen 0,8 und 2 m erzielen. Antennen zur Innenraumüberwachung sind dagegen zentral im Fahrzeug platziert, wo sie einerseits den gesamten Innenraum abdecken, andererseits aber möglichst nicht nach außen abstrahlen. Die einzelnen Innenraumantennen und Türmodule mit den Türantennen und der Türgriffsensierung sind entweder diskret oder durch einen Subbus mit dem KommunikationsBordnetz des Fahrzeugs verbunden. Bei der Türaußengriffelektronik erfolgt die Anbindung über eine serielle, unidirektionale Eindrahtverbindung. Je nach geforderter Reaktionszeit und Auslegung des Systems wird durch das Signal eines Türgriffsensors entweder nur das PKE-Steuergerät oder auch die dahinter liegenden Steuergeräte geweckt.

6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme

373

Bild 6-18: Systemkomponenten eines Passive-Keyless-Entry-Systems

Sollte der Autorisierungsprozess negativ verlaufen, wird der Bus und das PKE-Steuergerät wieder in den Ruhezustand zurück versetzt, um den Ruhestrombedarf des Fahrzeugs zu begrenzen. Während des Zugangs zum Fahrzeug erfolgt ein großer Teil des Signalaustausches zwischen den Komponenten über den CAN-Bus. Anstelle eines Zündschlosses verfügt das Fahrzeug über einen Start-Stopp-Taster, der an der Armaturentafel, in der Mittelkonsole oder auf dem Schalthebel platziert sein kann. Die Wegfahrsperrenantenne für den Notlauf ist in der Schlüsselaufnahme integriert (siehe unten).

Geber Positionierungen links oder rechts vom Fahrzeug sowie im Fahrzeuginnenraum oder Kofferraum sicher unterschieden werden kann. Bild 6-19 illustriert die Sendereichweiten der Außen- und Innenantennen.

6.2.2.2 Komponenten Im Folgenden wird näher auf die in Bild 6-18 hervorgehobenen Hauptkomponenten eines Zugangs- und Fahrberechtigungssystems eingegangen. Antennenkonzepte An die Antennen werden innerhalb eines passiven Zugangs- und Fahrberechtigungssystems besonders hohe Anforderungen gestellt, da die Berechtigung des Fahrzeugnutzers über eine störsichere bidirektionale Kommunikation zwischen den On-Board-Anteilen des Systems und dem ID-Geber erkannt wird. Die gesamte Kommunikation erfüllt dabei zwei Aufgaben: Zum einen sendet der ID-Geber den Schlüsselcode im MHz-Band an einen UHF-Empfänger im Systemsteuergerät, zum anderen muss der ID-Geber von den Antennen im Außenbereich des Fahrzeugs und denen im Innenraum bis auf wenige Zentimeter genau lokalisiert werden können, damit zwischen ID-

Bild 6-19: Sendereichweiten der Außen- und Innenantennen

Neben funktionalen Gründen ist diese Forderung auch im Hinblick auf die Sicherheit begründet. Beispielsweise darf es je nach spezifischer Marktanforderung nicht möglich sein, das Fahrzeug von außen zu öffnen, wenn der Fahrer im Fahrzeug sitzt und den ID-Geber bei sich hat. Im Innenraum wird die Funkverbindung zum ID-Geber über zwei induktive Niederfrequenzantennen aufgebaut. Sie decken die gesamte Fahrgastzelle ab, strahlen jedoch nicht oder nur innerhalb enger Toleranzen nach außen. Eine weitere induktive Niederfrequenzantenne im Kofferraum bestrahlt ausschließlich dessen Innenraum. Das magnetische Feld dieser 125-kHz-Antennen nimmt mit

374 einem Faktor von 1/s3 (s bezeichnet die Distanz zur Antenne) ab, weil hier aufgrund der großen Wellenlänge das Nahfeld (der Dipolstrahlung) zu betrachten ist. Es ist damit besser räumlich abgegrenzt als das Feld eines UHF-Senders mit wesentlich kürzerer Wellenlänge, das nur um 1/s mit der Distanz abnimmt, weil in dem Fall das Fernfeld entscheidend ist. Aufgrund dieser guten Feldabgrenzung lässt sich die Position des ID-Gebers neben oder im Fahrzeug hinreichend präzise bestimmen. Prinzipiell eignen sich die bekannten magnetischen Antennenbauformen wie Luftspulen und Ferritantennen, wie sie anfänglich auch tatsächlich in passive Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme eingebaut wurden. Die fahrzeugspezifische Entwicklung hat jedoch in der zweiten Systemgeneration ab 2002 zu einer leichten FlexAntenne geführt, die im Kern aus mehreren amorphen Metallstreifen mit jeweils nur 20 µm Stärke besteht, welche zu einem Paket gebündelt und mit Kupferlackdraht bewickelt werden. Bild 6-20 zeigt den schematischen Aufbau. Als flexible Komponenten können solche Antennen den Konturen des zur Verfügung stehenden Einbauraums gut folgen. Flexible Antennen lassen sich daher beispielsweise gut in einen Türgriff integrieren und unterstützen so die wirtschaftlich-technische Anforderung, die zahlreichen Antennen eines Zugangs- und Fahrberechtigungssystems möglichst leicht an verschiedene Fahrzeuge und Plattformen adaptieren zu können. Leistungsstufen Zur Ansteuerung aller Niederfrequenzantennen im Fahrzeug dient inzwischen bereits eine kompakte, zentrale Niederfrequenzleistungsendstufe, die entweder in einem Stand-alone-Steuergerät untergebracht ist oder mit der kompletten Zugangs- und Fahrbe-

6 Sicherheitssysteme rechtigungssystemfunktion in einem KarosserieSteuergerät (Bodycontroller) integriert werden kann. Vor allem bei Mittelklassefahrzeugen spricht der wirtschaftliche Aspekt für einen möglichst hohen Integrationsgrad in ein vorhandenes Steuergerät. Im Zuge der laufenden Weiterentwicklung werden die kompakten Leistungsstufenbaugruppen von ASICs abgelöst. Bei der Umsetzung auf Silizium können Funktionen, wie die Leistungsverteilung auf verschiedene Antennenkreise, sowie eine hoch auflösende Leistungseinstellung im ASIC integriert sowie die Datenübertragung mit Datenraten von bis zu 8 kBaud ermöglicht werden. Eine möglichst hohe Übertragungsgeschwindigkeit auf dem Niederfrequenzkanal ist sinnvoll, um die Reaktionszeiten zwischen der Annäherung der Hand an den Türgriff und der Ansteuerung der Türschlösser kurz zu halten. Bild 6-21 zeigt, wie sich mit einer Datenrate von 8 kBaud Kommunikationszeiten von 55 ms realisieren lassen. Zwar würde der Fahrer auch längere Reaktionszeiten im dreistelligen ms-Bereich nicht wahrnehmen, aber je schneller die Funkkommunikation abläuft, desto länger wird das zulässige Zeitfenster für die Komponenten Türschloss und Türgriffsensorik. Eine möglichst feine Leistungsabstufung und die Möglichkeit, die Endstufe sowohl resonant (Schwingkreis mit einer Güte größer als eins) als auch nicht resonant (Schwingkreis mit einer Güte eins) betreiben zu können, sind wichtig, um den Innenraum des Fahrzeugs zentimetergenau abzudecken, ohne dabei beim passiven Motorstart kritische LF-Überreichweiten in der näheren Umgebung und damit einen Fahrzeugstart ohne gültige Fahrberechtigung im Fahrzeuginnenraum zuzulassen. Im Interesse der elektromagnetischen Verträglichkeit verfügen neuere ASICs und Treiberstufen über ein SinusAusgangssignal.

Bild 6-20: Aufbau einer flexiblen Antenne aus amorphen Metallstreifen

6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme

375

Bild 6-21: Zeitlicher Ablauf bis zur Türentriegelung

ID-Geber Der „Schlüssel“ eines passiven Zugangs- und Fahrberechtigungssystems nutzt prinzipiell die UHFKommunikationstechnik herkömmlicher Fernbedienungen. Auch bei passiven Systemen enthält der IDGeber daher einen UHF-Transmitter-Chip. Dieser Chip sendet (je nach Ländervariante) in den ISMFrequenzbändern (Industrial, Scientific and Medical) 868 MHz, 434 MHz, 315 MHz (USA) sowie 315 MHz mit reduzierter Sendeleistung (Japan). Er überträgt den Schlüsselcode nach dem Frequenzmodulations- bzw. dem Amplitudenmodulationsverfahren (Frequency Shift Keying, FSK, Amplitude Shift Keying, ASK) mit einer Datenrate von 2 bis 10 kBaud in der jeweils geforderten Verschlüsselungstiefe. Bei den ID-Gebern für passive Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme ist zusätzlich zur Fernbedienung ein Niederfrequenzbereich-Empfänger-Chip in den Schlüssel integriert, der auf die Schlüsselcodeanforderung der Niederfrequenztürantennen und Innenraumantennen anspricht. Für den Notlauf (vgl. Abschnitt 6.2.2.4) ist in den ID-Geber außerdem ein Niederfrequenz-Transponder-Chip integ-

riert, wie er aus den heutigen Wegfahrsperren bekannt ist. Mit dem in Bild 6-22 dargestellten, anwendungsspezifischen LF-Vorstufen-Chip (ASIC) samt Mikrocontroller, der drei kleine, in den ID-Geber integrierte Niederfrequenzantennen auswertet, ist es möglich, die empfangene Antennenfeldstärke in allen drei Raumrichtungen genau zu messen. Auf diese Weise lässt sich zum einen eine lückenlose Erfassung des Niederfrequenzsignals, zum anderen eine funktionsbezogene Reichweiteneingrenzung realisieren: Für das automatische Entriegeln und Verriegeln des Fahrzeugs beispielsweise können unterschiedliche Zonen definiert werden. Da die Aktivierung des Schlüssels nur innerhalb des Fahrzeugs, bei der unmittelbaren Annäherung an das Fahrzeug sowie innerhalb der Niederfrequenzreichweite von maximal 2 m (passive Verriegelung) erfolgt, kann der Schlüssel außerdem mit den gewohnten Sendetasten zur aktiven Fahrzeugent- und Fahrzeugverrriegelung aus bis zu 50 m Entfernung ausgerüstet sein.

Bild 6-22: Schematischer Aufbau eines anwendungsspezifischen Niederfrequenz-VorstufenChips (ASIC)

376 Weiter ist in dem ID-Geber die Transponderfunktion zur Freigabe der Wegfahrsperre integriert. Um den Ruhestrombedarf des Schlüssels gering zu halten, verhindern spezielle Aufweckalgorithmen, dass beispielsweise Funkstörungen aus dem Umfeld den Schlüssel unnötig wecken und damit die Batterie zusätzlich belasten. Phasenweise nicht genutzte Zweit- oder Reserveschlüssel können beispielsweise durch einen integrierten Tageszähler in einen PowerDown-Modus versetzt werden. Schlüsselaufnahme Da Autofahrer es gewohnt sind, ihr Fahrzeug mit dem Schlüssel zu betreiben, gibt es Systemkonzepte, bei denen der passive Zugang zum Fahrzeug mit einem Schlüsselbetrieb kombiniert ist. Um den Motor zu starten, führt der Fahrer den ID-Geber in eine Aufnahme ein (Key-Holder, Schlüsselaufnahme, siehe Bild 6-17). Allerdings kommuniziert der ID-Geber dann nicht batteriegestützt über den Niederfrequenzund UHF-Pfad, sondern verhält sich wie ein gängiges Wegfahrsperrensystem. Ein passives Zugangs- und Fahrberechtigungssystem kann so ausgelegt sein, dass wesentliche Bestandteile des Systems, wie die elektrische Lenkradverriegelung, der Startknopf und der Key-Holder, sowohl für die schlüssellose Bedienung als auch für konventionelle Fahrberechtigung geeignet sind. Dabei wird der Motor stets über den Druck auf einen Startknopf gestartet. Verfügt das Fahrzeug nicht über eine passive Zugangsfunktion, muss der Fahrer zuvor seine Fahrberechtigung über eine Chipkarte in einen Kartenleser eingeben. Ist ein passives Zugangs- und Fahrberechtigungssystem vorhanden, genügt es, wenn sich der ID-Geber im Fahrzeuginnenraum befindet. Steuergerät Heutige passive Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme sind entweder mit einem eigenständigen Steuergerät realisiert, das über den CAN-Bus mit dem Karosserie-Steuergerät und dem Motorsteuergerät kommuniziert, oder als Steuerungsmodul in ein existierendes Karosserie-Steuergerät integriert. Eines der aktuell verbreiteten Passive-Keyless-EntrySystem-Module beispielsweise schließt den MHzEmpfänger, den Niederfrequenzantennentreiber und die Wegfahrsperrenfunktion ein. Da der Trend in der Kfz-Elektronik zu höherer Integration und zu kompakteren Bauformen geht, ist es wahrscheinlich, dass die Integration von Passive-Keyless-Entry-SystemModulen in existierende Steuergeräte die Regel werden wird. In der Passive-Keyless-Entry-SystemSteuerung sind die relevanten Softwaremodule hinterlegt. Dazu gehört das Einlesen und Priorisieren der Eingänge, die Ansteuerung des Niederfrequenztreibers, die Steuerung der Zentralverriegelung und die Innenlichtsteuerung. Ein weiterer, wesentlicher Teil

6 Sicherheitssysteme des Steuermoduls sind die Algorithmen für die Entschlüsselung des Schlüsselcodes vom ID-Geber. 6.2.2.3 Sende- und Empfangstechnik In der Kommunikation vom Fahrzeug zum Schlüssel dient ein Signal in dem Niederfrequenzbereich von 125 kHz dazu, den ID-Geber anzusprechen. Signale bei dieser Frequenz werden – anders als Frequenzen im MHz- oder GHz-Bereich – vom menschlichen Körper nicht gedämpft oder beeinflusst. Niederfrequenzsignale erreichen den IDGeber ungedämpft, auch wenn der Fahrer seinen „Schlüssel“ in einer dicken Brieftasche oder auf der fahrzeugabgewandten Körperseite bei sich führt, etwa in einer der hinteren Hosentaschen. Zudem verursachen 125-kHz-Signale aufgrund ihrer Ausbreitungscharakteristik wesentlich weniger Rauschen und Störungen als UHF-Signale bei den Frequenzen 315 MHz, 433 MHz oder 886 MHz. Sollten UHF-Störgeräusche aus der Umgebung einwirken, so kann auch die gesamte (bidirektionale) Kommunikation zwischen ID-Geber und Systemsteuergerät bei 125 kHz stattfinden, wenn der ID-Geber dicht an die Notlaufantenne (siehe Abschnitt 6.2.2.4) gehalten wird. Auch bei einer leeren Batterie im IDGeber erfolgt die Kommunikation auf diesem Weg: Der ID-Geber wird in diesem Fall durch das magnetische Feld der Notlaufantenne versorgt. Im Normalfall antwortet der ID-Geber auf das Niederfrequenzsignal der Türantenne jedoch mit einem verschlüsselten Signal auf einer UHF-Frequenz (315 MHz, 433 MHz oder 886 MHz) und überträgt dabei den Schlüsselcode. 6.2.2.4 Notlauffunktionen des Systems Da die Funktionsfähigkeit eines passiven Zugangsund Fahrberechtigungssystem von der Versorgung mit elektrischer Energie aus dem Bordnetz abhängt, kann eine schwache oder leere Fahrzeugbatterie zum Ausfall des Systems führen. Im Interesse der Sicherheit und der Systemakzeptanz beim Fahrer benötigt ein solches System daher eine Notlaufstrategie. Sie muss sicherstellen, dass sich entweder eine Tür oder aber die Motorhaube mechanisch von außen öffnen lassen, damit die Fahrzeugbatterie zugänglich wird. Aus diesem Grund verfügen Fahrzeuge mit einem passiven Zugangs- und Fahrberechtigungssystem zumindest noch über ein konventionelles Schloss (mechanische Redundanz). Der Metallbart für dieses Schloss kann im Key-Fob untergebracht sein und wird im Notfall herausgeklappt oder herausgeschoben (vgl. Bild 6-23). Eine zweite, mögliche Fehlerquelle ist eine leere Batterie im ID-Geber, die verhindert, dass der Transmitter im ID-Geber den Schlüsselcode senden kann. In diesem Fall dient der mechanische

6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme Notfallschlüssel im Key Fob dazu, das Fahrzeug zu öffnen. Um das Fahrzeug zu starten, gibt es zwei Fallback-Lösungen: Bei halbautomatischen Lenkradschlössern kann die Notlaufantenne wie bei einer Wegfahrsperre in das Lenkradschloss integriert sein. Wird der mechanische Notfallschlüssel in einen Drehschalter (Key Holder, siehe oben) eingeführt, der das konventionelle Zündschloss an der Lenksäule ersetzt, kann der Motor gestartet werden. Ist das Fahrzeug mit einem Startknopf und einer elektronischen Lenksäulenverriegelung ausgestattet, muss die Notlaufantenne an einem anderen Ort in der Armaturentafel oder in der Mittelkonsole platziert werden. Typischerweise ist sie als Halterung (KeyHolder) mit integrierter Ringspule ausgeführt, in der der ID-Geber (Smart Card oder Key-Fob) verbleibt, solange der Motor läuft.

Bild 6-23: Herausschiebbarer Notfallschlüssel

6.2.2.5 Gigahertz-Systeme Der Hochfrequenzbereich (Mikrowellenbereich, RADAR) wird für die weitere Entwicklung passiver Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme eine Rolle spielen, weil dieser Frequenzbereich den Entwicklern die Möglichkeit gibt, weitere Komfortfunktionen und Sicherheitskonzepte zu gestalten. Gegenüber den in Serie befindlichen Systemen kann der Einsatz von GHz-Funktechnik die virtuellen Funktionszonen um das Fahrzeug herum wesentlich erweitern und die Datenübertragungsgeschwindigkeit auf über 60 kBaud erhöhen. Gleichzeitig würde mit der hohen Kanalzahl (mehr als 50) die Übertragungssicherheit steigen. Bei einer Frequenz im GHz-Bereich ließen sich außerdem Schnittstellen zu anderen, drahtlosen Kommunikationssystemen im Fahrzeug realisieren, die auf demselben physikalischen Layer arbeiten (z.B. Bluetooth bei 2,45 GHz). Während die oben beschriebenen kHzund MHz-Systeme lediglich eine geringe Reichweite von 1,5 bis 2 m im Halbfeld vor den Türen und der Kofferraumklappe haben, ermöglicht ein GHz-System

377 zusätzliche Funktionszonen bis zu einem Radius von etwa 10 m rund um das Fahrzeug. Der heutige Kommunikationsprozess bei der Annäherung an das Fahrzeug ließe sich innerhalb dieser zusätzlichen Zonen auf eine längere Zeitspanne ausdehnen und um neue Funktionen ergänzen. Unter anderem sollen solche GHz-Systeme die Möglichkeit der Entfernungsmessung mittels Laufzeitmessung reflektierter Wellen nutzen, sodass die Annäherung des Fahrers an sein Fahrzeug vom System mitverfolgt werden kann. Bei einem derzeit in der Entwicklung befindlichen Hochfrequenz-Passive-Keyless-Entry-System in einem der lizenzfreien ISM-Frequenzbänder bei 2,4 GHz, 5,8 GHz, 24 GHz und 77 GHz beginnt ab einem 10m-Radius die so genannte Erfassungszone ([16], [20]. Schon hier wird der ID-Geber über eine unidirektionale Kommunikationsstrecke aus dem Sleep-Mode aufgeweckt. Ab etwa 5 bis 6 m Entfernung zum Fahrzeug erstreckt sich die Authentifikationszone, in der die bidirektionale Kommunikation und die Entfernungsmessung beginnen. In dieser Phase werden die kryptologischen Daten ausgetauscht und der Träger des ID-Gebers nach dem für heutige Seriensysteme gültigen Prinzip als berechtigter Fahrzeugnutzer autorisiert. Als Komfort für den Fahrer kann in dieser Zone beispielsweise das Innenlicht des Fahrzeugs oder eine Vorfeldbeleuchtung aktiviert werden. Komfortfunktionen, wie das Öffnen oder Schließen von Fenstern und Schiebedach sind ab dieser Zone erlaubt, da der Fahrer in der Authentifikationszone mit großer Wahrscheinlichkeit Sichtkontakt zu seinem Fahrzeug hat. Die Türen lassen sich aus Sicherheitsgründen jedoch erst öffnen, wenn der Fahrer die Zugangszone ab 2 m Entfernung zum Fahrzeug erreicht hat. Befindet sich der Träger des ID-Gebers in dieser Zone, werden die Türen entriegelt und lassen sich durch Zug am Türgriff öffnen. Ab dem Einsteigen ins Fahrzeug befindet sich der Fahrer in der Innenraumzone. Weil die Aktivierung und Autorisierung des Fahrers bei einem Hochfrequenz-PKESystem wesentlich früher beginnt, wären die Anforderungen an die Reaktionsgeschwindigkeit der elektromechanischen Komponenten im Türschlossmechanismus deutlich geringer. Die Schlossmechaniken würden sich vereinfachen und die Annäherungssensorik im Türgriff könnte ganz entfallen. Gleichzeitig können bevorzugte Einstellungen des Fahrers früher angefahren werden, sodass sich das Fahrzeug bereits vollständig in dem von Fahrer gewünschten Zustand befindet, wenn er einsteigt [21]. Mit HochfrequenzPassive-Keyless-Entry-Systemen wird es zudem möglich sein, eine automatische Verriegelung der Türen beim Verlassen des Fahrzeugs (so genanntes Walk-away-Locking) intelligent und komfortabel zu realisieren. Nach dem Schließen der Türen könnte das System per Entfernungsmessung erkennen, ob sich der ID-Geber vom Fahrzeug entfernt. Ab einer definierten Entfernung werden dann automatisch die

378

6 Sicherheitssysteme

Türen verriegelt. Auch andere Funktionen, wie die Abschaltung der Vorfeldbeleuchtung und die Aktivierung der Diebstahlwarnanlage, könnten mit Hilfe der Entfernungsmessung automatisch aktiviert werden. Im Außenbereich sind dafür Messungen mit einer Genauigkeit im Dezimeterbereich erforderlich, um eindeutig zwischen den einzelnen Zonen unterscheiden zu können. Mit Hilfe von EMV-Messungen an einem in der Entwicklung befindlichen GHz-PassiveKeyless-Entry-System wurden Abstrahlleistungen ermittelt, die weniger als 1/100 eines heutigen Mobiltelefons betragen.

geringe Falschakzeptanz unberechtigter Benutzer, andererseits aber auch eine möglichst geringe Falschrückweisung berechtigter Benutzer sicherzustellen [22]. Die Definition geeigneter Schwellwerte, ab denen das System eine Person anhand des Übereinstimmungsgrades der Minuzien zwischen gespeicherten Benutzerdatensätzen und erkanntem Fingerabdruck autorisiert, ist daher diffizil. Aus wirtschaftlichen Gründen erscheint die gelegentlich vorgeschlagene Lösung mit multimodalen Systemen, die mehrere anthropomorphe Merkmale verwenden, als schwerlich realisierbar [24].

6.2.2.6 Biometrische Verfahren

Literatur

Bei den bisher realisierten Passive-Keyless-EntrySystemen wird der Fahrer anhand seines ID-Gebers erkannt. Der Autorisierungsprozess erfolgt zwar personenbezogen, jedoch mittelbar über eine Schlüsselalternative, also nicht personengebunden [22]. Vor allem der Wunsch nach mehr Komfort ist ein Argument für eine Lösung, die ohne Transpondermedium auskommt. Entsprechende biometrische Systeme nutzen unveränderliche, anthropomorphe Merkmale als „Schlüsselcode“. Als prinzipiell marktreife Erkennungsverfahren gelten vorrangig die Papillarlinienmuster (Minuzien, Linienendpunkte und y-förmige Verzweigungen) einer oder mehrerer Fingerkuppen, das Irismuster des Auges, die Gesichtserkennung und die Spracherkennung als technische Optionen für die Entwicklung [23]. Bereits Mitte 2002 liefen entsprechende Testreihen bei allen drei großen deutschen Oberklassefahrzeugherstellern. Vor allem bei der Zugangsberechtigung zum Fahrzeug ist viel Entwicklungsarbeit zu leisten, denn äußere Einflüsse, wie Stöße, Abrasion, Verunreinigungen, Nässe, Kälte (Vereisung, Handschuhe), Lichtverhältnisse bei der Iriskamera und Störeinflüsse (z.B. Umgebungslärm bei Spracherkennung), machen die Realisierung des Fahrzeugzugangs durch Sensorflächen für biometrische Merkmale zu einem anspruchsvollen Ziel. Im Fahrzeuginnenraum sind dagegen Lösungen für die Startberechtigung vorgesehen, die den Fingerabdruck des Fahrers als biometrisches Merkmal zur Autorisierung verwenden, wie z.B. im Audi A8. Die Funktion dieser biometrischen Erkennung ist zudem auf die Personalisierung von Fahrzeugeinstellungen eingeschränkt. Langfristig könnte ein solcher Fingerabdrucksensor beispielsweise Teil des Start-StoppTasters auf einem Fahrwählschalter sein, oder auch in die Armaturentafel integriert werden. Der Prozess der Autorisierung gleicht dem Ablauf beim PKE-System mit Transponder: Wird der Fahrer anhand seines Fingerlinienmusters als berechtigt erkannt, wird der Motor gestartet. Eine der zentralen technischen Herausforderung bei der Entwicklung biometrischer Systeme liegt in dem Zielkonflikt, einerseits eine

[1] Seeberger, F.: Erhöhung des Sicherheitspotentials von Gurtsystemen durch die Einführung verbesserter Komponenten. Tagung „Bedeutung der Rückhaltesysteme in der passiven Fahrzeugsicherheit“. Haus der Technik, Essen, 1992. [2] Hallweger, B., Hochmuth, K.-H.: Entwicklung mechanischer Gurtschlossstrammer für BMW-Personenkraftwagen. ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 92 (1990) [3] Wech, L., Hupfer, P., Ostmann, B.: Unterschiedliche Rückhaltesysteme im Crash-Test, VDI Berichte Nr. 1046, 1993 [4] Frauenhofer-Institut für Chemische Technologie ICT. Ein Luftsack macht Karriere; Sonderdruck aus: Der Frauenhofer 4/1992 [5] Mader, G.: „Einsatz von mikromechanischen Sensoren in Airbagsteuergeräten“: Mikrosystemtechnik, Innovationen für das 21. Jahrhundert, Kongress und Ausstellung 28./29. Juni 1999, Maritim Hotel, Bonn [6] Hanley, R., Haase, A.: Principles of Side Impact Occupant Protection: An Investigation into Occupant to Vehicle Coupling Regimes with Respect to the Euro NCAP Barrier Loadcase. VDI Berichte Nr. 1794, 2003 [7] Sulouff, B. (Analog Devices Inc.): Micromachined Sensors for Advanced Microsystems. [8] Härtl, A.; Mader, G.; Muhr, R.; Pfau, L.: New Sensor Concept for Reliable Detection of Side Impact Collisions; Proceedings to the 14th Conference on Enhanced Safety of Vehicles Volume II, pp.1035; (1994) [9] Stierle, Th.; Winkler, G.; Pfau, L.: Fast Pressure-Based Sensing Systems for Side Impact Restraint Systems (1999) SAE 1999-01-3184 [10] Hoffmann, J.; Hashimoto, M.; Shinga, I.; Asaoka, M.: A Knee Airbag for Enhancing Frontal Impact Protection. Airbag 2004, Karlsruhe [11] Berg, F. A.; Egelhaaf, M.; Krehl, M.; Niewöhner, W.: Rollover – Crashtest und Unfallanalysen. VDI Berichte Nr. 1794, 2003 [12] Richtlinie 2003/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. November 2003 zum Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern vor und bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen und zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG des Rates [13] Scherf, O.; Bardini, R.: Ein faser-optisches Sensorsystem für die Ansteuerung aktiver Systeme zum Fußgängerschutz. VDI Berichte Nr. 1794, 2003 [14] Feser, M.; Wieland, CH.; Schmidt, C.; Brandmeier, Th.: Crash Impact Sound Sensing (CISS) – Higher Crash Discrimination Performance at Lower Cost, Airbag 2004, Karlsruhe [15] Markt- und Technologiestudie für Türschließsysteme, A.T. Kearney, Studie Nr. 70, Dezember 2001

6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme [16] Piesch, W.: Vehicle Access – Passive Zugangskontrollsysteme, 23. Tagung Elektronik im Kraftfahrzeug, Haus der Technik, Essen, Juni 2003 [17] Stupplich, A.: Sesam öffne dich! automotive systems + electronics, (Jg. 3), Nr. 3-4, März/April 2004 [18] Schmerer, R.; et al.: Elektrische und elektronische Assistenz- und Komfortsysteme, BMW 7er Sonderausgabe von ATZ und MTZ, 2001 [19] Fuchs, M.; Schmerer, R.; Zeller, A.: Comfort and Convenience Features in Luxury Cars, SAE Technical Paper, 200221-0052 [20] Matschi, H.; et al.: Zugangskontroll- und Security-Systeme, VDI-Berichte Nr. 1646, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2001

379 [21] Christoffel, J.: Mein Hund erkennt mich, mein Auto nicht, Automobilwoche, 08.07.2002 [22] Lichtermann, J.: Komfort und Sicherheitsgewinn durch Biometrische Systeme – Eine Standortbestimmung, VDIBerichte Nr. 1646, Elektronik im Kraftfahrzeug, BadenBaden, September 2001 [23] Thönnes, W;, Kruse, S.: Elektronische Fahrberechtigungssysteme – wie sicher ist noch sicher? VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [24] Mayerhöfer, A.; Dittmann, J.: Wie sicher ist ein Fingerabdruck? Computerwoche Extra Nr. 2, 28.03.2002 .

7 Komfortsysteme 7.1 Einleitung

7.2 Bewegliche Dachsysteme

Komfortsysteme in Kraftfahrzeugen haben generell die Aufgabe, ein Wohlbefinden der Insassen zu erzeugen oder zu steigern. Komfort ist ein wichtiges Merkmal, das die Kaufentscheidung für ein Fahrzeug beeinflusst. Die Zufuhr von Licht, eine angenehme Klimatisierung und Frischluft sind dabei ebenso wichtige Faktoren wie Sicherheit, Design und Lifestyle. Dazu gehört auch die Entlastung des Fahrers durch die Automatisierung von Bedienabläufen, die in der Vergangenheit manuell durchgeführt wurden und die ihn von wichtigeren Aufgaben abgelenkt haben. Man denke dabei beispielsweise an die Betätigung einer Drehkurbel zum Öffnen oder Schließen eines Schiebedaches oder eines Fensters im Vergleich zu dem kurzen Antippen eines Schalters. Die angesprochenen Funktionalitäten werden durch elektronische Steuerungen erst ermöglicht. An diese Baugruppen werden hohe Anforderungen gestellt, um etwaige Risiken zu minimieren oder ganz auszuschließen. Diese reichen von Fehlfunktionen, die zu einem Werkstattaufenthalt führen, bis zu Verletzungen der Insassen durch automatisch bewegte Karosserieflächen. In diesem Kapitel werden beispielhaft die elektronischen Komfortsysteme „bewegliche Dachsysteme“ und „Standheizungen in Kraftfahrzeugen“ sowie „Klimaanlagen in Nutzfahrzeugen“ vorgestellt. Es werden Merkmale, Technologien und Werkzeuge diskutiert, die für diese Bereiche der Fahrzeugelektronik typisch sind und die sich auf andere Komfortsysteme übertragen lassen: Verfügbarkeit und Vernetzung von Komfortfunktionen, Absicherung bewegter Flächen durch Einklemmschutz sowie Personalisierung von Bedienfunktionalitäten.

Die Bandbreite von Produkten, die zu den beweglichen Dachsystemen zählen, ist in Bild 7-1 dargestellt. Sie reicht von Panaroma-Schiebedächern über Cabrio-Verdecke bis hin zu flexiblen Karosseriesystemen. Letztere ermöglichen beispielsweise die Verwandlung einer Limousine in einen Pick-up. Die Aufgaben der elektronischen Steuergeräte umfassen im Wesentlichen die Auswertung von Bedienelementen, die Ansteuerung von Aktoren zum Verstellen von Karosserieflächen und die Erfassung der Position der Karosserieflächen mit Sensoren. Die Funktionalität und der Bewegungsablauf werden durch einen Zustandsautomaten gesteuert, der als Software auf einem Mikrocontroller implementiert ist.

7.2.1 Schiebedächer 7.2.1.1 Komponenten und Architektur Permanenterregte Gleichstrommotoren werden heute standardmäßig als „Aktoren“ für Fensterheber, Sitzversteller, Heckklappen und Schiebedächer angewendet. Bei einem Schiebedach wird durch den Antrieb über ein Zug- und Druckkabel eine Kraft auf den Glasdeckel übertragen. Eine angeschlossene Kinematik (s. Bild 7-2) bestimmt das Bewegungsverhalten beim Öffnen, Schließen und Ausstellen. Ein Rahmenteil dient als Träger für die Komponenten. Ein solcher Antrieb zur Positionierung von beweglichen Karosserieelementen ist typischerweise aus den in Bild 7-3 dargestellten Komponenten aufgebaut.

Bild 7-1: Panaroma-Schiebedach (links), Cabrio mit Hartschalen-Verdeck (Mitte), flexibles Karosseriesystem (rechts)

382

7 Komfortsysteme

Bild 7-2: Aufbau eines Schiebedachs

Ein Poltopf mit Dauermagneten stellt das Erregerfeld zur Verfügung und nimmt die Ankerwelle auf. Die Ankerwelle setzt sich aus Anker, Kommutator und einem mehrpoligen Ringmagnet für die Positionserfassung zusammen. Ein Getriebegehäuse nimmt ein Schneckenrad auf, das über eine Welle mit dem Abtriebsritzel verbunden ist. Eine Getriebeabdeckung verhindert ein Verschmutzen der Elektronikplatine durch Getriebefett. Die Platine wird in einem Gehäuse integriert, das über Clips mit dem Getriebegehäuse verbunden ist.

Bild 7-3: Komponenten eines Verstellantriebes

Das Steuergerät (Bild 7-4) hat zwei Schnittstellen mit dem Motor: Die erste Schnittstelle umfasst zwei Hallsensoren, die in Abhängigkeit der Lage des mehrpoligen Ringmagneten schalten. Damit können inkrementell die Lage, die Drehgeschwindigkeit und die Drehrichtung des Ankers erfasst werden. Die Polzahl des Ringmagneten bestimmt dabei die erreichbare Auflösung. Zwei Hallsensoren haben darüber hinaus den Vorteil einer Redundanz, mit der Störungen oder Ausfälle besser diagnostiziert werden können. Die zweite Schnittstelle besteht aus zwei Motorkontakten, die den Anker mit Strom versorgen. Bei dem Stellglied handelt es sich typischerweise um ein Doppelrelais. Damit ist sowohl ein Ein- und Ausschalten als auch ein Umschalten der Drehrichtung möglich. Auch wenn bereits erste Anwendungen mit Halbleitervollbrücken in Steuergeräten verfügbar sind, so stellen Relais immer noch die kostengünstigste Alternative dar. Die inkrementelle Positionserfassung erfordert eine Normierung auf eine bekannte Position. Dies erfolgt standardmäßig über eine Normierfahrt in eine Endlage bis zum Blockieren des Motors. Diese Position ist dann die Nulllage für alle weiteren Bewegungen. Die jeweils aktuelle Position wird fortan in einem nicht-flüchtigen Speicher gehalten. Die Positionierung und Ablaufsteuerung geschieht über einen Mikrocontroller. Dieser übernimmt die Auswertung, Plausibilisierung und Entprellung eines Schalters, mit dem das Dach bedient wird. Die Kommunikation mit anderen Steuergeräten erfolgt über ein Bussystem (z.B. CAN oder LIN). Fahrzeugsignale wie Temperatur, Fahrzeuggeschwindigkeit, Freigabesignale und Fernbedienung werden zur Schiebedachsteuerung übertragen. Diagnosedaten von Schiebedach, Antrieb und Steuerung werden in die andere Richtung gesendet. Das System bleibt dauerhaft mit der Batteriespannung verbunden. Über den Bus kann es in einen Stromsparzustand versetzt werden. In diesem Zustand sinkt der Ruhestrom auf einen Wert kleiner als 100 PA.

7.2 Bewegliche Dachsysteme

383

Bild 7-4: Architektur elektronisches Steuergerät (UB Batteriespannung)

7.2.1.2 Einklemmschutz Eine wichtige System-Funktionalität ist der Schutz vor Einklemmen oder Verletzen von Körperteilen durch bewegte Teile. Die wichtigsten gesetzlichen Anforderungen an einen Einklemmschutz bei automatisch betätigten Fensterhebern und Schiebedächern sind in den Vorschriften EU 74/60 der Europäischen Union und FMVSS118 der USA geregelt. Eine Gegenüberstellung von Wirkungsbereichen und Prüfverfahren ist in Tabelle 7-1 ersichtlich. Bei den Schutzvorrichtungen wird zwischen direkten und indirekten Verfahren unterschieden. Die direkten Verfahren umfassen taktile, kapazitive und optischen Sensoren, die auf eingeklemmte Körper reagieren. Die indirekten Verfahren hingegen messen nicht die Klemmkräfte, sondern berechnen sie indirekt aus den

Messgrößen Motorstrom oder Ankerdrehzahl. Letztere Variante ist kostengünstiger, da sie als Algorithmus in Software implementiert wird. Sie wird vor allem bei Fensterhebern und Schiebedächern standardmäßig eingesetzt. Im Folgenden wird daher nur die letztere Variante diskutiert. Die indirekten Verfahren erfordern eine regelungstechnische Nachbildung der gesamten Wirkungskette im mechatronischen System vom Klemmkörper über die gesamte Mechanik mit Kabelzügen bis zum Motor (siehe Bild 7-5). Die Herausforderung besteht in der Separierung von Klemmkräften und parasitären Kräften, die beispielsweise durch Vibration, Temperaturänderungen, Verschmutzung oder Änderung der Bordnetzspannung entstehen können. Die regelungstechnischen Zusammenhänge werden in Bild 7-6 veranschaulicht.

Tabelle 7-1: Gegenüberstellung der Wirkungsbereiche und Prüfverfahren EU 74/60 und FMVSS118 EU 74/60

FMVSS118

Wirkungsbereich

4 .. 200 mm Öffnungsweite

4 .. 200 mm Öffnungsweite

Prüfanordnung

Zylindrischer Prüfkörper, der von innen durch die Öffnung gesteckt wird

Zylindrischer Prüfkörper, der von innen durch die Öffnung gesteckt wird

Federrate des Prüfkörpers

10 r1 N/mm

> 20 N/mm (Öffnungsweite > 25 mm) > 65 N/mm (Öffnungsweite < 25 mm)

Zulässige Klemmkraft

100 N

100 N

Reversierweg

Öffnung 200 mm oder bis zum Ausgangspunkt oder 50 mm hinter der Reversierposition Hebebewegung immer max. Öffnung

Öffnung 200 mm oder bis zum Ausgangspunkt oder 125 mm hinter der Reversierposition

384

7 Komfortsysteme

andere Kräfte

Klemmkraft

Windabweiser, Schiebehimmel ...

Deckelmechanik Mechanik Schiebeschlitten

Kabelführung

Kabel Reibung, Spiel ...

Kabelzüge Ritzel

Antrieb Moment Rundlauffehler, Verluste …

Motorkennlinie

Drehzahl Strom Änderung

Bild 7-5: Wirkungskette beim indirekten Einklemmschutz

Bild 7-6: Regelungstechnische Modellierung der Wirkungskette; die Variablen werden im Text erklärt

Das dynamische Verhalten des Motors wird durch die elektrische Zeitkonstante des Ankerstromkreises Ta und die mechanische Zeitkonstante Tm, in die das Massenträgheitsmoment des Ankers eingeht, bestimmt. Der Ankerstrom und damit die Kraft am Schiebeschlitten ergibt sich aus der an den Motorkontakten angelegten Spannung Ua und einer der Motordrehzahl proportionalen gegeninduzierten Spannung Ea. Über ein Getriebe mit der Zeitkonstanten Tg wird aus der Motordrehzahl N schließlich eine Verfahrposition XKabel. Das gesamte mechanische Spiel in der Wirkungskette Ritzel, Antriebskabel und Verfahrschlitten wird in dem nichtlinearen Funktionsblock „Spiel“ zusammengefasst. Der ebenfalls nichtlineare Funktionsblock „Dach“ charakterisiert alle in der Wirkungskette auftretenden Einflüsse durch mechanische Reibung. Damit ergibt sich auf den Deckel ein Kräftegleichgewicht, bestehend aus einer durch den Antrieb hervorgerufenen Kraft Fa, einer die parasitären Umwelteinflüsse repräsentierenden Kraftkomponente FUmwelt und schließlich der durch einen eingeklemmten Körper erzeugten Klemmkraft FKlemm.

Der Einklemmschutz-Algorithmus in Bild 7-7 nutzt diese Zusammenhänge, um die auf einen eingeklemmten Körper wirkende Kraft FKlemm zu berechnen. Er schließt aus den Eingangsgrößen Periodendauer einer Motorumdrehung oder dem Ankerstrom Ia auf eine Kraftänderung dF´, die auf das gesamte System wirkt. Äußere parasitäre Einflüsse, wie beispielsweise eine sich ändernde Batteriespannung, Reibungseinflüsse oder Vibration müssen ebenfalls berechnet und kompensiert werden. Die Integration der resultierenden Kraftänderung dF führt zu der gesuchten Klemmkraft FKlemm, die einem Entscheider zugeführt wird. Übersteigt dieser Wert eine voreingestellte Schwelle, so erhält der Antrieb den Befehl zu reversieren, d.h., das Dach wird wieder geöffnet. Damit wird ein eingeklemmter Körper schließlich wieder freigegeben.

7.2 Bewegliche Dachsysteme

385

Bild 7-7: Prinzipdarstellung Algorithmus „Indirekter Einklemmschutz“

7.2.2 Cabriosysteme

7.2.2.2 Systementwurf und Zustandsautomat

7.2.2.1 Komponenten und Architektur

Das V-Modell hat sich als Vorgehensmodell für die Durchführung von Software-Projekten bewährt. Es besteht aus den beiden Zweigen „Spezifikation und Zerlegung“ sowie „Realisierung und Integration“, die sich wiederum aus mehreren Vorgehensbausteinen zusammensetzen. Einer dieser Bausteine aus dem ersten Zweig ist der Systementwurf. Er wird unter Anwendung der „Unified Modelling Language“ (UML) in Bild 7-9 vorgestellt. Auf der Basis von so genannten Anwendungsfällen werden bei diesem objektorientierten Vorgehen vier Phasen (Anforderungen, Analyse, Entwurf und Implementierung) durchlaufen, die schließlich zu dem implementierten Software-Code führen. Die dabei entstehenden Diagramme beschreiben ein statisches Modell, das die Objektstruktur abbildet und ein dynamisches Modell für das Objektverhalten.

Moderne Hartschalen-Verdecke bestehen aus zwei bis fünf beweglichen Karosserieflächen (siehe Bild 78). Bei komplexen Systemen werden an ein Steuergerät (neben der Kommunikation mit anderen Steuergeräten) typischerweise folgende Anforderungen gestellt: Eine Signalverarbeitung muss bis zu 14 Sensoren und Endlagenschalter auswerten. Der Verdeckbetrieb erfordert die Ansteuerung von acht Aktoren (Hydraulikelemente, Elektromotoren). Alle Komponenten verfügen über eine Eigendiagnose. Um trotz der hohen Anzahl von Aktoren und Sensoren eine hohe Systemverfügbarkeit zu gewährleisten, muss das Steuergerät fehlertolerant ausgelegt werden. Diese Funktionalitäten werden in der Steuergeräte-Software durch Zustandsautomaten abgearbeitet.

Dach C-Segment

Kabelbaum Hydraulikzylinder Verriegelung Hydraulikzylinder Tonneau Hydraulikzylinder Verdeckkasten

Sensoren

Bild 7-8: Typischer Systemumfang Cabrioverdeck

Steuergerät

Hydraulikpumpe und -ventile

386

Statisches Modell

7 Komfortsysteme

Anwendungsfälle

Dynamisches Modell

Aktivitätsdiagramme

Anwendungsfalldiagramm Anforderungen

Klassendiagramm Analyse

Sequenzdiagramme Analyse

Zustandsdiagramme

Klassendiagramm Entwurf Entwurf

Operationen Attribute Protokolle

Implementierung

Software

Die folgenden beiden Abbildungen zeigen beispielhaft Diagramme des dynamischen Modells. Sie schaffen eine einheitliche Kommunikations- und Verständnisschnittstelle, die Reibungsverluste zwischen den Projektbeteiligten minimiert. Bild 7-10 zeigt einen vereinfachten Ablauf der Vorwärtsfunktion. Ausgangspunkt ist der Aktor „User“, der mit dem Bedienknopf „Button Roof“ die Aktivität Drücken („Push“) ausführt. In der Folge werden zunächst die Seitenscheiben „Windows“ abgesenkt, bevor zeitgleich die Hydraulik den Windlauf und der Antrieb „E-Drive B/W“ das C-Segment entriegeln. Nach Abschluss dieser Aktivitäten werden wieder zwei Aktivitäten parallel ausgeführt. Die Hydraulik öffnet das Dach („Roof“) und der Antrieb „E-Drive“ schließt das

Action-Code Condition-Code Triggerbedingungen

Bild 7-9: Vorgehensbaustein Systementwurf mit UML

Tonneau. Schließlich werden noch durch die Hydraulik die Aktivitäten Kofferraumdeckel schließen („Trunk“) und Windlauf verriegeln („Lock“) durchgeführt. Außerdem werden die Seitenfenster wieder geschlossen („Close“), bevor der Bediener den Bedienknopf wieder freigibt („Release“) und damit den Bewegungsvorgang beendet. Dieser so beschriebene Ablauf wird in einem folgenden Entwurfsschritt in einem Zustandsautomaten abgebildet (siehe Bild 7-11). Dieser setzt sich aus hierarchisch strukturierten Zuständen, den Zustandsübergängen, und dem so genannten „Action code“ zusammen. Letzterer umfasst die während einem Zustandsübergang ausgeführten Aktionen.

Bild 7-10: UML-Aktivitätsdiagramm

7.2 Bewegliche Dachsysteme

387

Initial

Unconfigured

Zustände Configured

Zustandsübergänge DriveUp

Action code

Timeout Communicate DriveUp

Run

Communicate Run

ShutDown

Hierarchische Zustände

ShutDown EDriveStopped

OwnUnexpectedEvent CatchIncommingUnexpectedEvent

Bild 7-11: Zustandsautomat

7.2.2.3 Fehlertolerante Auslegung des Steuergerätes Beim Betreiben des Verdecks existieren zwei definierte sichere Zustände: a) Das Verdeck ist komplett geschlossen und verriegelt. b) Das Verdeck ist komplett geöffnet und verriegelt. Das Fail-Safe-Konzept soll sicherstellen, dass einer dieser beiden Zustände – vorzugsweise Zustand a) – auch nach dem Ausfall einzelner Komponenten erreicht werden kann. Ein Zustandsbeobachter überwacht während des gesamten Betriebs die komplette Situation des Verdecksystems. Die Informationen hierzu stammen aus den Positionssensoren, der Aktorik und Informationen über die Umgebung, die von anderen Steuergeräten im Fahrzeug-Netzwerk geliefert werden. Aus all diesen Informationen errechnet die Software ständig einen aktuell gültigen Zustandsvektor. Zu jedem einzelnen Schritt der Verdeckbewegung wird ein erwarteter Wert des Zusandsvektors festgelegt. Dieser wird dann mit

dem aktuellen Wert verglichen. Stimmen Zustandsvektor und erwarteter Wert nicht überein, wird der laufende Bewegungsschritt abgebrochen. Im Folgenden wird ein Notfall-Szenarium eingeleitet, das ggf. durch Diagnose-Meldungen an den Bediener ergänzt wird. 7.2.2.4 Architektur der Software Die Software-Architektur in Bild 7-12 unterteilt sich in die folgenden Hauptbestandteile: Die AnwendungsSoftware beinhaltet neben der Bedienlogik und der Ablaufsteuerung den Zustandsbeobachter. Fahrzeugweit standardisierte hardwarenahe Softwareschichten zum Einlesen und Ausgeben von digitalen und analogen Signalen (I/O-Treiber und I/O-BIOS) sowie Softwarekomponenten, die eine Kommunikation zwischen den Steuergeräten im Fahrzeug ermöglichen (Kommunikationstreiber und CAN-BIOS), stellen die Basissoftware dar. Beide Bestandteile kommunizieren über ein so genanntes „Real Time Environment“ miteinander und sind in ein Echtzeitbetriebssystem eingebettet.

Bild 7-12: Architektur der Steuergeräte-Software

388

7 Komfortsysteme

Diese Modul-Architektur ermöglicht eine Standardisierung, die mehrere Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller umfasst. Damit werden nicht nur die Entwicklungskosten reduziert. Gleichzeitig erhöht sich die Software-Qualität durch den vielfachen Einsatz und Test von vordefinierten, wieder verwendbaren Modulen.

7.3 Heiz- und Klimasysteme Die vollautomatische Fahrzeugklimatisierung hat bereits den Weg von der Sonderausstattung zur Serienausstattung vorgegeben. Standheizsysteme (siehe Bild 7-13) sind inzwischen von der Nachrüstung über die Sonderausstattungsliste der Oberklasse bis in die Kompaktwagenklasse vorgerückt. Die Auslegung eines Stand- und Zuheizsystems wird durch verschiedene Anforderungen bestimmt. Das System muss eine sehr hohe Startgeschwindigkeit aufweisen, damit sich der Fahrgastraum in möglichst kurzer Zeit erwärmt. Durch die Verbrennung eines Luft-Kraftstoffgemisches in einem möglichst kleinen Bauraum wird der Wasserkreislauf erwärmt und sorgt über den Wärmetauscher für die Erwärmung des Fahrzeuginnenraumes. Dabei entstehende Emissionen und Geräuschentwicklungen müssen auf ein Minimum reduziert werden. Stand- und Zuheizsysteme sind in den Wasser- und Kraftstoffkreislauf des Fahrzeugs integriert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer funktionalen Vernetzung mit anderen Fahrzeugkomponenten. Zur Klimatisierung in Kraftfahrzeugen gehört neben der Erzeugung von Wärme und Kälte sowie dem Transport des Wärme- und Kälteträgers insbesondere auch die Temperaturregelung im Innenraum: Nutzfahrzeuge umfassen einen großen Fahrerarbeitsplatz und Schlafkabinen (siehe Bild 7-14). Busse mit vielen Sitzplätzen und evtl. zwei Stockwerken erfordern eine Temperaturregelung in mehreren Zonen. Heizund Klimasysteme erhöhen dabei im Nutzfahrzeug nicht nur den Fahrkomfort – Standheizung und Standklimatisierung tragen auch bei Fahrzeugstillstand erheblich zur Erhöhung des Schlafkomforts bei.

a)

b)

Bild 7-13: Stand- und Zuheizsysteme im Pkw

Bild 7-14: Heizen und Klimatisieren im Nutzfahrzeug

Eine zentrale Stellung nimmt die Bedienung und Kommunikation des Nutzers mit den entsprechenden Komfortsystemen ein. Verschiedene Varianten sind in Bild 7-15) aufgeführt. Hierbei sind besonders die Erwartungen des Kunden nach nachvollziehbarer und klarer Funktionalität zu berücksichtigen.

c)

d)

Bild 7-15: Bedienen via Displayfunktionen, Funk- und GSM-Netz: a) Vorwahluhr, b) Funkfernbedienung (868 MHz), c) Funkfernbedienung mit Rückmeldung und Anzeige der Fahrzeuginnenraumtemperatur (868 MHz), d) GSM-Modem mit Sprachrückmeldung

7.3 Heiz- und Klimasysteme

389

Wasser

Brennluftgebläse

Steuergerät

Wärmetauscher Elektrische Kontaktierung

Abgas Brennluft

Brennstoff

7.3.1 Stand- und Zuheizsysteme Zur Steuerung und Regelung des Systems werden zahlreiche Sensoren und Aktoren benötigt, um aus der Verbrennung des Luft-Kraftstoff-Gemisches den optimalen Wärmeaustausch zum Wasserkreislauf zu erreichen. Wechselwirkungen des Systems mit Motormanagement, Klimamanagement, Kraftstoffsystem, Wassermanagement, aktiven Sicherheitssystemen und Bordnetzmanagement ergänzen die Funktionsanforderungen. Bild 7-16 zeigt ein Heizsystem nach dem VenturiPrinzip. Der Kraftstoff wird mit Hilfe einer Kraftstoffdosierpumpe zugeführt und dann durch eine so genannte Venturi-Düse zerstäubt. Ein Brennluftgebläse führt Luft zu, so dass ein Luft-KraftstoffGemisch entsteht, das dann an einem Glühstift entzündet wird. Um eine optimale Durchmischung zu erreichen, wird der Kraftstoff vor dem Zerstäubungsprozess erwärmt. Der Verbrennungsvorgang findet an einem Wärmetauscher statt, der in den Wasserkreislauf des Fahrzeugs integriert ist. Eine Umwälzpumpe fördert den Wasservolumenstrom. Die Wassertemperatur wird über einen NTCWiderstand gemessen und geregelt. Je nach Höhe der Temperatur nimmt der Brenner verschiedene Leistungsstufen ein. Die Verbrennungsabgase entweichen über einen eigenen Abgasaustritt. Die für diese Vorgänge erforderlichen Regel-, Steuer- und Sicherheitsfunktionen sind in dem Steuergerät integriert.

Bild 7-16: Schnittbild eines modernen Heizsystems nach dem Venturi-Prinzip

7.3.2 Steuergerätefunktionen Die Funktionen sind hierarchisch gegliedert und teilen sich in die Systemfunktionen Temperatur- und Sicherheitsmanagement, die Gerätefunktion Brennerablaufsteuerung sowie die Funktionen der Komponenten Gebläse, Kraftstoffpumpe, Glühstift und Kraftstoffvorwärmung auf. 7.3.2.1 Systemfunktionen Die Hauptbestandteile der Systemfunktionen sind das Temperaturmanagement mit der Wassertemperaturregelung und der Umwälzpumpensteuerung sowie das Sicherheitsmanagement. Letzteres umfasst den Überhitzungsschutz, die Flammsignalauswertung, das Batterie-, Fehler- und Verriegelungsmanagement sowie die Crash-Abschaltung im Falle einer Fahrzeugkollision. Temperaturmanagement Die Wassertemperatur wird mit einem NTC-Widerstand für die Wassertemperaturregelung und den Überhitzungsfall erfasst. Dieser Sensor misst die Wassertemperatur am Wärmeübertrager im Bereich des Wasseraustritts. Die Wassertemperaturregelung ist als Dreipunkt-Regler aufgebaut, d.h. abhängig von der Wassertemperatur nimmt das Heizgerät drei verschiedene Leistungsstufen ein (Volllast, Teillast und Heizpause). Beim Versagen der Temperaturregelung oder bei einer Überhitzung z.B. infolge von Wassermangel schaltet der Überhitzungsschutz die Heizung aus. Der Volumenstrom des Kühlmittelkreislaufes wird durch die Umwälzpumpe bestimmt. Durch eine Regelung des Volumenstromes kann man den Wärmeeintrag am

390

7 Komfortsysteme

Motor und am Wärmetauscher entsprechend steuern. Die Wasserpumpe besteht aus einem elektronisch kommutierten Motor, der pulsweitenmoduliert angesteuert werden kann. Alternativ kann auch eine Pumpe mit einem Permanentmagnetmotor und einer einstufigen Kreiselpumpe eingesetzt werden. Sicherheitsmanagement Zur Erhöhung der Funktionssicherheit des Überhitzungsschutzes ist ein zweiter Temperatur-Sensor (PTC-Widerstand) vorgesehen. Dieser redundante Sensor bewirkt, dass die Dosierpumpenansteuerung bei Auftreten extrem hoher Temperaturen im Steuergeräteeinbauraum unterbrochen wird, d.h. es wird kein Kraftstoff mehr gefördert. Zur Überwachung der Flamme im Brennraum wird die durch die Flammtemperatur am Glühstift hervorgerufene Widerstandsänderung ausgewertet. Nach dem Glühbetrieb während der Startphase wird die Änderung des Widerstandswerts des Glühstiftes berechnet. Die Unterschreitung eines vorgegebenen Grenzwertes bedeutet Flammabbruch oder keine Flammbildung und führt zur Einleitung einer Störroutine. Das Bordnetz wird kontinuierlich überwacht und bei einem kritischen Zustand wird die Heizung abgeschaltet. Die Standoder Zuheizung wertet hierfür die entsprechenden Signale aus dem CAN-Netzwerk aus. Alternativ kann die Batteriespannung direkt am Versorgungsspannungseingang des Steuergerätes gemessen werden und die Stand- oder Zuheizung bei Unterschreiten eines entsprechenden Grenzwertes nach einer skalierbaren Bewertungsdauer abgeschaltet werden. Das Fehlermanagement gewährleistet, dass sämtliche im System auftretenden Fehler diagnostiziert und in einem Fehlerspeicher abgelegt werden. Die Stand- oder Zuheizung verriegelt, wenn Störungen ohne zwischenzeitlichen ordnungsgemäßen Betrieb aufgetreten sind. Dieser Ablauf wird als Verriegelungsmanagement bezeichnet. Bei einem Fahrzeugunfall muss das Heizgerät abgeschaltet werden. Die nötigen Informationen werden durch den Fahrzeugbus übermittelt. 7.3.2.2 Gerätefunktionen Die Gerätefunktionalität umfasst die Brennerablaufsteuerung. Bild 7-17 zeigt den Zustandsautomaten mit den Zuständen Initialisierung, Startablauf, Brennablauf, Nachlauf- und Störungsmanagement. 7.3.2.3 Komponentenfunktionen Die Komponentenfunktionen umfassen die folgenden Steuerungen: Gebläseansteuerung Die Versorgungseinheit besteht aus einem Gleichstrommotor mit Gebläserad für das Ringkanalgebläse.

Initialisierung

Aus

Nachlauf

Start

Störung

Heizvorgang

Bild 7-17: Zustandsautomat einer Brennerablaufsteuerung (vereinfacht)

Kraftstoffpumpensteuerung Die Kraftstoffdosierpumpe ist eine elektromagnetisch angetriebene Hubkolbenpumpe. Die Fördermenge ist näherungsweise proportional zur Taktfrequenz. Die Dauer der Dosierpumpenförderung wird permanent überwacht. Die Anzahl der Hübe wird während des Betriebes zur Verbrauchsermittlung erfasst. Die Kraftstoffpumpenansteuerung erfolgt in Abhängigkeit von der Eingangsspannung und der gewünschten Drehzahl des Brennluftgebläses. Zur Reduzierung der Schallabstrahlung in der Dosierpumpe wird die Spannung pro Takt auf einen definierten Spannungswert begrenzt. Glühstiftansteuerung Als Führungsgröße für die Glühtaktung dient die am Steuergerät anliegende Versorgungsspannung und die direkt am Glühstift gemessene Spannung (siehe hierzu Bild 7-18). Zunächst wird die maximal mögliche Spannung für einen definierbaren maximalen Widerstandsgradienten anlegt. Danach wird die Leistung am Glühstift konstant gehalten. Kurz vor Einsetzen der Dosierpumpe wird dann der aktuelle Widerstandswert des Glühstiftes abgespeichert. Dann wird dieser Widerstandswert per Regelung konstant gehalten. Auch die Schwellen für die Flammwächterfunktion werden von diesem Widerstandswert als Verhältniszahl abgeleitet.

Strom, Temperatur

7.3 Heiz- und Klimasysteme

391

Glühstifttemperatur

R variabel

P = const

R = const

tz Vorglühphase

Strom durch den Glühstift t

Zündphase

Um gefährliche Betriebszustände zu vermeiden, wird der Referenzwiderstand, der kurz vor der Treibstoffförderung oder alternativ im Nachlauf abgespeichert wird, auf Plausibilität überprüft. Die im Speicher abgelegten Grenzwerte werden mit dem abgespeicherten Referenzwiderstandswert verglichen. Kraftstoffvorwärmung Zur Kraftstoffvorwärmung wird ein Heizleitermaterial mit PTC-Effekt verwendet. Der Widerstand steigt dabei mit steigender Temperatur an. Der Verbraucher

Bild 7-18: Prinzip der Glühstiftansteuerung R Widerstand des Glühstiftes, P Heizleistung, tz Zündzeitpunkt, t Zeit

hat induktives Verhalten. Die Ansteuerung erfolgt mit Pulsweitenmodulation. 7.3.2.4

Systemvernetzung

Die Integration in Gesamt-Fahrzeugarchitekturen erfordert ein hohes Maß an Abstimmung der beteiligten Fahrzeugsysteme. Im Fall der Standheizfunktion (siehe Bild 7-19) betrifft dies das Motormanagement, aktive Sicherheitssysteme (z.B. Fahrwerk), das Kombiinstrument, die Klimaautomatik, das Bordnetzmanagement, Displays und Bedienfelder.

Bild 7-19: Beispiel einer Netzwerkstruktur mit der Integration einer Stand- oder Zuheizfunktion

392

7 Komfortsysteme

Gebläsegehäuse Platine Dichtung Steckerplatte Abdeckung Steckerplatte

Bild 7-20: Gebläsegehäuse mit Steuergerät

7.3.2.5 Aufbau und Architektur des Steuergerätes Bild 7-20 zeigt den Einbau des Steuergerätes in das Gebläsegehäuse. Die zugehörige Hardware-Architektur ist in Bild 7-21 dargestellt. Sie zeigt eine Mikrocontrollereinheit mit CPU, die mit dem jeweiligen Leistungsschalter die Aktoren Glühstift, Brennluftgebläse, Dosierpumpe, PTC-Element zur

Kraftstoffvorwärmung, Fahrzeuggebläse, Umschaltventil Kühlmittelkreislauf, Kraftstoffabsperrventil und Umwälzpumpe ansteuert. Als Eingangssignale stehen die Temperatursensoren für das Wasser und den Überhitzungsschutz sowie der Hauptschalter und ein Schalter für die Umschaltung zwischen Sommer und Winter zur Verfügung.

Bild 7-21: Blockschaltbild Hardware

7.3 Heiz- und Klimasysteme

393

Datensatz

OSEK Systemfunktionen Scheduler Counter Timer services

Temperaturregelung

Sicherheitsfunktionen

Gerätefunktionen

Komponentenfunktionen

BasisSoftware

Startup, Timer, Operating Modes, Interrupt Handling, Software Security

Memory & Drivers Management EEPROM, FLASH Reprogramming

...

Bedienfunktionen

Startablauf

Brennablauf

Glühstift

Gebläsemotor

I/O Drivers Filtering, Debouncing, D/A, PWM

Nachlauf

Störung

Kraftstoffvorwärmung

...

Communication Drivers SPI, SCI, CAN, LIN

Bootloader

Bild 7-22: Software-Architektur für Stand- und Zuheizsysteme

Das Steuergerät kommuniziert über LIN mit dem HFTransceiver für die Funkfernbedienung. Die Anbindung an die anderen Steuergeräte im Fahrzeug erfolgt über CAN. Neben den bereits diskutierten System-, Geräte- und Komponentenfunktionen sowie einem Echtzeitbetriebssystem besteht die Software aus den folgenden Bestandteilen (siehe Bild 7-22): Der Bootloader ermöglicht ein Laden der Software in den FlashSpeicher des Steuergerätes. Die Basis-Software besteht aus hardwarenahen Treibern, BIOS und Kommunikationsschichten. Ferner gibt es noch den Datensatz, der sämtliche Parameter, Kennlinien und Kennfelder umfasst.

7.3.3 Klimasysteme in Nutzfahrzeugen und Bussen Die Klimatisierung der Fahrerkabine eines Nutzfahrzeuges oder des Fahrgastraumes in einem Reisebus ist zu einer unverzichtbaren Komforteinrichtung der Fahrzeuge geworden. Die in Bild 7-23 dargestellte Anlage arbeitet nach dem Prinzip eines Kaltwassersatzes. Bei dem Kühlmittel handelt es sich um ein Wasser-Glykol-Gemisch. Es wird durch einen Verdichter komprimiert und dann weiter an die Energiestation geleitet. In der Energiestation kühlt ein Plattenwärme-

tauscher zentral das Kühlmittel. Das abgekühlte Kühlmittel strömt zu den Verbraucher-Wärmetauschern in den Dachboxen und in der Frontbox, in denen die in den Fahrzeuginnenraum strömende Luft abgekühlt wird. Dieses Prinzip ermöglicht kurze Kältemittel führende Leitungslängen mit wenigen Verbindungsstellen. Im Heizungsbetrieb wird das Kühlmittel über den Motor geleitet und erwärmt. Zur Steuerung und Regelung der Systeme werden zahlreiche Sensoren und Aktoren verwendet. Die erzeugte Wärme oder Kälteleistung wird mit Gebläseeinheiten verteilt und an den Fahrzeuginnenraum bzw. an den jeweiligen Sitz- und Schlafplatz abgegeben. Dabei besteht die zentrale Aufgabe darin, eine exakte Temperaturregelung in den verschiedenen Regelzonen eines Reisebusses (z.B. Fahrerarbeitsplatz, Sitzplätze der Passagiere, Einstiegsbereiche) oder eines Nutzfahrzeuges im Stand und während der Fahrt zu gewährleisten.

394

7 Komfortsysteme

Dachbox Verdichter Vorwärmgerät Energiestation

Einstiegsheizer Seitenwand Gebläseeinheit

Bedienteil mit Regelung Frontbox

Bild 7-23: Beispiel einer Klimaanlage in Reisebussen

Bild 7-24: Blockschaltbild der Steuerung einer Nutzfahrzeug-Klimaanlage

Das elektronische Steuergerät in Bild 7-24 erfasst über verschiedene Temperatursensoren alle wichtigen Einfluss- und Störgrößen. Der vom Benutzer über das Bedienteil eingestellte Temperatur-Sollwert wird mit diesen Istwerten verglichen. Aus der Differenz werden die Führungsgrößen für die Heizungs-, Kühlungs- und Luftmengenregelung ermittelt. Eine weitere Funktion aktiviert die Klappensteuerung zur Luftverteilung. Außerdem steht das System in Wechselwirkung mit dem Motormanagement, dem Klimamanagement, dem Kühlmittelkreislauf, den Anzeigeund Bediensystemen und dem Bordnetzmanagement. Um die steigende Komplexität der Klimatisierungsfunktionen zu beherrschen, werden zur Darstellung der Funktionalität die in Abschnitt 17.1 beschriebenen Methoden eingesetzt. Die Entwicklung und Veri-

fikation des Funktionsmodells setzt die Kopplung mit einem entsprechend detaillierten Fahrzeugmodell voraus. Dieses Modell beinhaltet neben dem Übertragungsverhalten sämtlicher Komponenten und Kreisläufe auch eine Nachbildung der Luftströme. Entwicklungsbegleitende Steuergerätetests können aufgrund der Vielzahl von angesteuerten Komponenten mit großem Bauraumbedarf nur schwer in der Fahrzeugumgebung durchgeführt werden. Die in Abschnitt 17.4 diskutierte Hardware-in-the-Loop-Simulation stellt eine bewährte Lösung dar. Die Testumgebung ist nicht real vorhanden, wird aber vollständig in Echtzeit simuliert. Ein weiterer Vorteil liegt in der leichten Nachbildung von Fehler- und Ausnahmesituationen wie der Überhitzung einzelner Komponenten.

8 Instrumentierung Die steigende Zahl elektronischer Systeme im Fahrzeug bedeutet für den Menschen am Steuer einerseits mehr Sicherheit und Komfort, andererseits muss er situationsbezogen eine immer größere Menge an gezielten Informationen verarbeiten und mit Bedienvorgängen darauf reagieren. Da sich die „Steuereinheit“ Mensch auf die eigentliche Fahraufgabe und die Straßenverkehrssituation konzentrieren muss, eignet sich für den primär fahrrelevanten Teil einer MenschMaschine-Schnittstelle (HMI, Human Machine Interface) ausschließlich die Platzierung in der Blickrichtung des Fahrers. Soweit es um unmittelbar fahrrelevante Systeme und Parameter geht, erfüllt das Kombinations-Instrument in Verbindung mit Bedienelementen, die in seinem Umfeld in Reichweite des Fahrers angeordnet sind (Lenkrad, Lenksäule, Armaturentafel, Mittelkonsole), diese Rolle der primären Mensch-Maschine-Schnittstelle im Kraftfahrzeug. Im Hinblick auf den Informationsumfang ist hier inzwischen bei höher ausgestatteten Fahrzeugen der Begriff Fahrerinformationssystem angebracht. Auch wenn viele visuellen Anzeigen im Kombinations-Instrument wie Tachometer, Drehzahlmesser, Kraftstoffanzeige etc. auch nach über 100 Jahren Automobilgeschichte in ihrer Charakteristik als analoges Zeigerinstrument (Rundanzeige) sofort erkennbar sind, hat die Elektronik die technische Realisierung der Mensch-Maschine-Schnittstelle revolutioniert und damit die Integration zahlreicher neuer Informationsinhalte ermöglicht. Leistungsfähige Kombinations-Instrumente sind heute grafikfähige Steuergeräte (z.B. teilweise in Master-Slave-Architektur), mit deren Hilfe der Fahrer den Überblick über eine hochkomplexe Funktionalität behält [1]. Als herausragendes Merkmal für moderne Instrumentierungen fällt der hohe Vernetzungsgrad mit stark wachsendem Softwareanteil an der Gesamtlösung auf. Bild 8-1 zeigt diese Entwicklung beispielhaft am Vergleich einiger Systemmerkmale im BMW 5er (2003) und in seinem Vorgängermodell. Das Kombinations-Instrument selbst besteht aus integrierten Subsystemen zur Anzeige der Messgrößen und stellt gleichzeitig einzelne Größen auch anderen Systemen innerhalb des Bordnetzwerkes zur Verfügung. Zu den zentralen technischen Trends in der Informationsdarstellung gehört der Einsatz von immer größeren und zunehmend oft auch farbfähigen Displays im Kombinations-Instrument. Die hohen Freiheitsgrade in der alphanumerischen und bildhaften Darstellung machen konfigurierbare Anzeigeflächen zunehmend unentbehrlich. Auch zur Integration von Rundanzeigen und Displays kommen zunehmend

anspruchsvolle Lösungswege zum Einsatz (siehe Abschnitt 8.4). Jüngste Entwicklungen wie das Headup-Display (HUD) ergänzen und erweitern das bisherige Verständnis einer primären Mensch-MaschineSchnittstelle im Auto grundlegend. Ebenfalls typisch für moderne Anzeige- und Bedienkonzepte ist die Mehrkanalkommunikation: Visuelle Signale werden immer öfter durch fühlbare (haptische) und hörbare (akustische) Signale ergänzt, die der Fahrer parallel zur optischen Informationsebene verarbeiten kann.

Bild 8-1: Zunahme der Komplexität von Software und Funktionen eines Kombinations-Instrumentes

Neben den unmittelbar fahrrelevanten Informationen und Funktionen stehen dem Fahrer und dem Beifahrer (sowie teilweise auch den Fond-Passagieren) eine gleichfalls wachsende Zahl von Komfort- und Infotainment-Funktionen zur Verfügung. Auch hier spielt die schnell fortschreitende Displaytechnik und dabei insbesondere die voll farbfähige AktivmatrixTechnologie (TFT-LCD) eine zentrale Rolle für die Systemgestaltung. Um die Gefahr der Ablenkung für den Fahrer zu begrenzen, unterscheiden ergonomische Mensch-Maschine-Schnittstelle-Konzepte zwischen dem primären, fahrrelevanten Anteil der Mensch-Maschine-Schnittstelle und weiteren, sekundäre Anzeigen und Bedienelementen. Diese Aufteilung zeigt sich deutlich in der Anordnung der Anzeige- und Bedienelemente in Zonen, wie Bild 8-2 illustriert. Manche Komfortfunktionen, die zur sekundären Anzeige- und Bedienzone gehören, sind von vorne herein so programmiert, dass sie während der Fahrt nicht aktiviert werden können (z.B. E-Mail und Internet).

396

8 Instrumentierung

Bild 8-2: Anzeige- und Bedienkonzept mit Fahrzone (links) und Komfortzone (Mitte)

8.1 Instrumente mit Zeigerantrieben Die Darstellung fahrrelevanter Messgrößen im Fahrzeug bis hin zu ihrer Anzeige erfolgt durch Antriebe (Messwerke) im Kombinations-Instrument, die beispielsweise eine Zeigerfahne oder einen Scheibenzeiger über einem Zifferblatt bewegen und damit die klassische analoge Anzeigeweise in einem Rundinstrument ermöglichen. Da sich die Lage des Zeigers über einer konzentrischen oder exzentrischen Skala bereits mit einem schnellen Blick in etwa erfassen lässt, dominiert diese Darstellungsform vor allem in Kombinations-Instrumenten deutscher Fahrzeughersteller. Alternative Darstellungsformen auf Displaybasis, horizontale Skalen, Skalenausschnittsanzeigen (moderne Interpretationen des „Lupentachos“), Trommelanzeigen und andere sind dagegen eher in den Fabrikaten anderer Automobilnationen vertreten. In Motorrädern findet sich bis heute noch vielfach das ursprüngliche Messprinzip, bei dem eine analoge Größe (z.B. die Drehzahl) durch elektromagnetische Effekte direkt den Antrieb der Zeigerachse des Instruments bewirkt. Das Wirbelstrom-Messwerk hat sich hier seit dem entscheidenden Patent im Jahr 1902 als Messwerk für Tachometer erhalten [2]. Deshalb sei die Funktionsweise kurz erläutert: Die Drehbewe-

gung einer mechanischen Welle, die vom Getriebe zum Tachometer verläuft, versetzt einen Permanentmagneten in Rotation, über dem sich, durch einen Luftspalt getrennt, eine drehbar gelagerte Metallscheibe oder -glocke befindet, auf der die Zeigerachse befestigt ist. Das Magnetfeld des Permanentmagneten durchdringt die Metallscheibe und induziert dort bei der Rotation Wirbelströme. Die Wechselwirkung zwischen drehendem Magnetfeld und den Wirbelströmen in der Scheibe erzeugt ein Drehmoment, das auf die Scheibe wirkt und sie entgegen der Rückhaltekraft einer Feder auslenkt. Der Ausschlagwinkel von Scheibe und Zeiger ist proportional zur Drehgeschwindigkeit der mechanischen Welle, weil die Umdrehungszahl die Stärke der induzierten Wirbelströme weitgehend linear bedingt. Einschließlich einer geeigneten Maßnahme zur Temperaturkompensation leistet ein ausgereiftes Wirbelstrom-Messwerk eine Messgenauigkeit von r 2 %. Im Automobil spielt das Wirbelstrom-Messwerk, abgesehen von wenigen, länderspezifischen Modellen und natürlich Oldtimern, kaum noch eine Rolle. Hier ist die Messung einer äquivalenten Größe an die Stelle des direkten Antriebs getreten: Die Messwerke setzen ein elektrisches Signal in eine entsprechende Zeigerbewegung um. Der technische Entwicklungspfad führte vom Drehspul-Messwerk über das noch verbreitete Drehmagnetquotienten-Messwerk (oft als

8.2 Digitale Anzeigegeräte Drehmagnet-Messwerk bzw. wegen der um 90° versetzten Anordnung seiner beiden Spulen als Kreuzspul-Messwerk bezeichnet) zum heutigen Schrittmotor-Messwerk [3].

8.1.1 Drehmagnetquotienten-Messwerk Im Drehmagnetquotienten-Messwerk richtet sich ein Rotor im Inneren des Wickelkörpers nach dem Bestromungsverhältnis zweier Spulen und der daraus resultierenden magnetischen Feldverhältnisse aus. Ein solches Messwerk kann entweder direkt durch das Messsignal angesteuert werden oder es findet zuvor eine Aufbereitung des Signals in einem Mikroprozessor statt. Bei der direkten Ansteuerung wird die Messgröße im Sensor (z.B. NTC oder Hebelgeber am Messort) in einen dem Messwert entsprechenden Widerstandswert gewandelt. Dieser beeinflusst, wie der Stromfluss zwischen den beiden Spulen verteilt wird. Mit der direkten Ansteuerung lassen sich allein stehende Anzeigen mit Skalenwinkeln von typischerweise bis zu 100° realisieren. Ursprünglich wurde dieses Verfahren zur Anzeige von Messgrößen wie Füllstand, Temperatur, Druck und Bordspannung genutzt. Für konzentrische Skalen mit Zeigerausschlägen von bis zu 320° (Tachometer) wird das Messsignal (meist Spannung) in einem Mikroprozessor digitalisiert und rechnerisch aufbereitet. Der Mikroprozessor verändert die Bestromung der beiden Spulen und steuert das Messwerk über Leistungsendstufen an. Das jeweilige Ansteuerprogramm bestimmt die Dynamik des Instruments.

397 netzspannung aus anderen Gründen zu stark abfallen sollte. Bei der Synchronisation wird der Rotor in 90°Schritten Richtung Anzeigenullposition bewegt. In der jeweils nicht bestromten Statorspule induziert diese Bewegung eine messbare Spannung. Ist der mechanische Anschlag am Abtriebsrad des Untersetzungsgetriebes erreicht, stoppt die Bewegung, und das Ausbleiben der Spannungsinduktion wird erkannt. In dieser Position ist die Synchronisation erreicht. Der letzte Entwicklungsstand bei Anzeigeschrittmotoren ist unter anderem von der Anforderung geprägt, die Messwerke in Flachbau-Kombinations-Instrumente zu integrieren, dem Wunsch, die Zeigerfahne zentral und damit drehwinkelunabhängig aus der Zeigerachse heraus beleuchten zu können, sowie von der Notwendigkeit einer vollautomatischen Fertigung auf einem hohen, konsistenten Qualitätsniveau [4]. Durch Weiterentwicklung der Statorgeometrie weisen aktuelle Antriebe einen höheren magnetischen Fluss der Erregerspulen zum Luftspalt und damit ein größeres Rotordrehmoment auf. Im Hinblick auf den Flachbau ist die Rotorwelle herstellerspezifisch horizontal angeordnet. Schrittmotoren werden entweder mit Ansteuer-ICs oder einem modularen, kundenspezifischen Controller kombiniert. Zeigerantrieb und IC können zu einem Modul auf einer Leiterplatte mit Kontaktierung integriert sein, was es ermöglicht, räumlich getrennte Anzeigekomponenten beliebig im Cockpitbereich anzuordnen und über ein Bus-System zu vernetzen.

8.2 Digitale Anzeigegeräte 8.1.2 Schrittmotor-Messwerk Wegen ihrer höheren Genauigkeit bei geringeren Maßtoleranzen und der insgesamt kompakteren Bauform lösen Antriebe auf Schrittmotorbasis die bisherigen Drehmagnetquotienten-Messwerke zusehends ab. Bei Anzeigeschrittmotoren besteht der Antrieb aus einem zweipoligen Drehmagneten innerhalb einer Kreuzspulanordnung. Ein nachgeschaltetes Untersetzungsgetriebe sorgt für eine hohe Schrittauflösung und für ein hohes Einstellmoment, das Zeigermassen von beispielsweise bis zu 5 g erlaubt. Bedingt durch eine hohe Schrittauflösung, die im Einzelfall bis zu 0,056° am Zeiger erreichen kann, nimmt das Auge den Fortschritt der Zeigerfahne als gleichmäßige Bewegung wahr. Weil der Rotor über den Anzeigebereich des Zeigers zahlreiche Umdrehungen durchläuft, ist keine eindeutige Zuordnung zwischen der Stellung der Zeigerachse und der Rotorstellung gegeben. Schrittmotoranzeige und Ansteuerung werden daher synchronisiert, sobald das Fahrzeug gestartet wird, das Kombinations-Instrument initialisiert wird, oder aber die Bord-

Analoge Anzeigeformen (Rundinstrumente) in einem Tubus oder mehreren Tuben in Verbindung mit (gesetzlich vorgeschriebenen) Status-Anzeigen in Form von Kontrolllampen prägen zwar in den meisten Fällen die Gestaltung des Kombinations-Instruments, viele der neu hinzu gekommenen Informationsumfänge lassen sich jedoch nicht mit weiteren, eigenen Anzeigen darstellen, weil weder die Abmessungen der geeigneten Sichtfläche innerhalb des Lenkradauschnitts noch ergonomische Überlegungen eine steigende Zahl von Einzelanzeigen zulassen würden. Aus dieser Situation erklärt sich die rapide gewachsene Bedeutung digitaler Anzeigen (Displays) im Kombinations-Instrument. Durch ihre Integration in Kombinations-Instrumenten wird es möglich, die sichtbare Komplexität der primären Mensch-MaschineSchnittstelle zu reduzieren, während die „darunter“ liegende Systemkomplexität und der Leistungsumfang immer weiter zunehmen. Durch situationsbezogene Nutzung der Displayfläche wird dem Fahrer so viel Information angeboten wie jeweils erforderlich, insgesamt jedoch so wenig wie möglich. Ohne Dis-

398 plays in der primären Mensch-Maschine-Schnittstelle wären viele neuartige Funktionen, wie beispielsweise ein elektronisch geregelter Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug (Adaptive Cruise Control, ACC) oder Navigationshinweise, für den Fahrer nicht komfortabel zu bedienen und zu beobachten. Neben der grafischen Darstellung von Informationen spielt hier die Möglichkeit der Informationsgliederung und -priorisierung durch farblich unterschiedene Signale eine wesentliche Rolle. Bei hochwertigen Fahrzeugen hat deshalb die Integration von Aktivmatrix-Displays (TFT-LCD, vgl. Abschnitt 8.2.1) im Kombinations-Instrument bereits begonnen [5]. Einfache Flüssigkristallanzeigen (Liquid-Crystal-Display, LCD) in Segmentausführung, mit denen die Displaytechnik ursprünglich Einzug ins Kraftfahrzeug hielt, verlieren entsprechend an Bedeutung. Aktuell sind in Fahrzeugen überwiegend passive LCD-Punktmatrix-Anzeigen der Arten Twisted Nematic (TN), Enhanced Twisted Nematic (ETN), Super Twisted Nematic (STN), Modulated Twisted Nematic (MTN), Modified Automotive STN (MASTN) und Double Super Twisted Nematic (DSTN) sowie weitere zu finden. Für den LCD-Einsatz im Kraftfahrzeug sind besondere Maßnahmen im Hinblick auf stark schwankende Temperaturen und die enorme Dynamik der Lichtverhältnisse nötig. Bei niedrigen Umgebungstemperaturen müssen die Displays aufgeheizt werden, um den Kontrast und die Reaktionszeit zu erhalten. Als Schutz vor einem Überstrahlen der Anzeige durch direktes Sonnenlicht (Wash-out-Effekt) dient beispielsweise eine zusätzliche Folienschicht mit transflektiven Eigenschaften ([1], [6]). Für das Licht der Hinterleuchtung hat die Folie transmissive Eigenschaften, an den aktivierten Pixeln weist sie reflektive Eigenschaften für das einfallende Umgebungslicht auf. Das einfallende Licht verstärkt somit den Kontrast der Darstellung durch Reflexion an den aktivierten Pixeln.

8 Instrumentierung formationsgehalt der Darstellung liegt die Größe der aktuell im Fahrzeug verwendeten TFT-Displays typischerweise bei zwischen 6,5“ und über 8“ Diagonale. Um die relativ teure TFT-Displaytechnik auch außerhalb von Oberklasselimousinen realisieren zu können, werden die Displays teilweise sowohl hinsichtlich ihrer Größe als auch im Hinblick auf den Leistungsumfang des Anzeigesystems modellübergreifend skaliert [1].

8.2.2 Vakuum-Fluoreszenz-Display Vakuum-Fluoreszenz-Anzeigen (Vacuum Fluorescence Display, VFD) werden im Kraftfahrzeug aus mehreren Gründen genutzt: Sie haben eine sehr hohe Leuchtdichte, so dass die Anzeige vom menschlichen Auge als besonders brillant wahrgenommen wird. Der Betriebstemperaturbereich ist weit und die Lebensdauer lang. Der große Kontrast eines VFD bei schwachem Umgebungslicht erleichtert zudem die Integration in das Nachtdesign eines Cockpits. Vakuum-Fluoreszenz-Displays basieren auf dem Prinzip der Elektronenstrahlröhre: Eine beheizte Kathode sendet Elektronen aus, die beim Passieren eines mit Strom angesteuerten Gitters stark beschleunigt werden und auf eine unter Spannung stehende, phosphorbeschichtete Anode auftreffen, wobei die Elektronen eine Lichtemission erzeugen. Wegen des Aufbaus in einem Vakuum zwischen zwei Glasplatten haben Vakuum-Fluoreszenz-Displays eine größere Einbautiefe als LC-Anzeigen. Die erforderliche Heiz- und Steuergitterspannung wird meist von einem Transformator geliefert. Inzwischen wurden erste PowerSupply-Chips entwickelt, die bei Vakuum-Fluoreszenz-Displays den Transformator ersetzen und sowohl die Verlustleistung als auch die elektromagnetische Abstrahlung verringern sollen [7]. Anders als die LCD-Technik, die weltweit automobiler Stand der Technik im Kraftfahrzeugcockpit ist, kommen Vakuum-Fluoreszenz-Anzeigen verstärkt in den USA und in Fernost zum Einsatz.

8.2.1 LCD-Aktivmatrix In Dünnschichttransistortechnik angesteuerte LCDisplays (Thin Film Transistor, TFT-LCD) dienen im Fahrzeug dazu, große Informationsgehalte übersichtlich und visuell attraktiv (hoch auflösend, farbig) darzustellen. Die Mehrzahl der Anwendungen liegt deshalb im Bereich der Komfort- und InfotainmentBildschirme in der Mittelkonsole, in den Rückenlehnen der Vordersitze oder unter dem Dachhimmel. Die Pixelmatrix eines TFT-Displays besteht aus Dünnschichttransistoren (meist Metalloxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren), die einzeln aktiv angesteuert werden. TFT-Displays liefern hohe Kontraste, hohe Leuchtstärken, eine hohe Farbreinheit und zeigen ein schnelles Schaltverhalten. Im Hinblick auf den In-

8.2.3 Organic Light Emitting Diodes Selbstleuchtende Anzeigen des Typs „organische lichtemittierende Diode“ (Organic Light Emitting Diodes, OLED) stellen einen technologisch neuen Weg zur Realisierung von Anzeigen im Fahrzeug dar. Sie nutzen die Eigenschaft bestimmter organischer Moleküle, bei angelegter Spannung zu leuchten. Entsprechende Moleküle lassen sich praktisch in allen Farben herstellen. Da OLEDs selbstleuchtend sind und eine hohe Lichtausbeute haben, entfällt die Ebene der Hinterleuchtung, wodurch die Bautiefe der Anzeige geringer ist als bei LC-Displays oder Elektronenstrahlanzeigen. Weitere OLED-Vorteile sind der große Betrachtungswinkel, die hohen Kontraste und

8.3 Beleuchtung der energiesparende Betrieb mit geringen Gleichspannungen. Als erstes kommerziell verfügbar waren Passivmatrixausführungen. In diesen Anzeigen fließen Ladungsträger von parallel verlaufenden Leiterbahnen durch einen mehrschichtigen organischen Aufbau. Die Ladungsträger rekombinieren in der Emissionsschicht des OLEDs und geben dabei Photonen (Lichtquanten) ab. Die Kreuzungspunkte der Leiterbahnen bilden die Pixelmatrix des Displays [8]. Für die Anwendung im Fahrzeug anstelle von LCDPassivmatrixanzeigen spricht die Möglichkeit, solche OLEDs eines Tages nicht nur auf starre, sondern auch auf flexible Substrate aufbringen zu können. Damit ließen sie sich selbst in gewölbte Zonen der Armaturentafel integrieren. Die erste automobile Serienanwendung (Autoradio-Display zur Nachrüstung) basiert dagegen auf der OLED-Technologie der „kleinen Moleküle“: Dabei werden organische Moleküle auf ein starres Trägersubstrat aufgedampft. OLEDAnzeigen durch Beschichtung eines Substrates mit Polymeren in einer Flüssigkeit zeigen noch große Unterschiede bei der Lebensdauer der einzelnen Farben. Zum Zeitpunkt der Drucklegung wiesen die Prototypen gelbgrüner Polymer-Monochrom-OLEDs die längste Lebensdauer auf. Voll farbfähige OLEDAktivmatrix-Ausführungen werden vor allem für den Einsatz im Kraftfahrzeug noch erheblichen Entwicklungsaufwand erfordern. Für die Realisierung größerer Displays (128 Zeilen und mehr) sind sie jedoch Voraussetzung, da die zeilenbezogene PulsmodusAnsteuerung von Passivmatrix-OLEDs hier an elektrische Grenzen stößt (Pre-Charging und steigende Leistungsaufnahme durch parasitäre Verluste) [9].

8.3 Beleuchtung Wegen der stark wechselnden Umgebungslichtverhältnisse in unterschiedlichen Straßenverkehrssituationen hat die Beleuchtung der Anzeigen und Bedienelemente im Fahrzeug einen hohen Stellenwert. Lichtquellen und ggfs. Lichtleiter sind daher wesentliche Bestandteile des konstruktiven Aufbaus einer Instrumentierung. Zentrale Anforderungen an die Beleuchtung automobiler Instrumentierung sind hohe Farb- und Helligkeitskontraste, eine hohes Dimmverhältnis, ein weiter Temperaturbereich von –40 bis zu 85 °C und eine Lebensdauer von über 10 000 Stunden. In die Entwicklung ergonomisch günstiger, blendfreier Instrumentenbeleuchtungen, die bei allen Umgebungslichtverhältnissen ablesbar sind (Tag- und Nachtdesign), fließt großer Aufwand, der insbesondere der gleichmäßigen Lichtverteilung, der ergonomisch günstigen Farbwahl und der Farbhomogenität gilt.

399

8.3.1 Lichtquellen Standard in der Beleuchtung der Fahrzeuginstrumentierung und vor allem des Kombinations-Instrumentes sind Leuchtdioden (Light Emitting Diodes, LEDs) [10]. Neben ihrer langen Lebensdauer und dem hohen Wirkungsgrad zählen sowohl die Freiheit bei der LEDPlatzierung und der Verteilung (kompakte SMDLEDs) auf einer Lichtleiterplatte (Backlight-Leiterplatte) als auch das große Spektrum der Lichtfarben zu den Haupttreibern des Trends: Durch die Nutzung von blauen LEDs in Verbindung mit Fluoreszenzbildnern lässt sich mit blauen LEDs ein helles, kaltweißes Licht für die Hinterleuchtung von Displays und für Kontrollanzeigen erzeugen. Im Vergleich zu Glühlampen mit darüber liegenden Farbfiltern zeigen LED-Beleuchtungen eine höhere Farbsättigung und Brillanz. Lediglich bei sehr hohen Leuchtdichteanforderungen unterlagen LEDs lange Zeit Einschränkungen. Zur Hinterleuchtung von großen TFT-Displays mit mehr als 8“ Diagonale dienen deshalb überwiegend noch Kaltkathodenlampen (Cold Cathode Fluorescent Lamp, CCFL), für die wegen ihres Quecksilbergehaltes von 10 bis 20 mg je Lampe in naher Zukunft eine Alternative benötigt wird. Mit der permanent weiter steigenden Leuchtdichte von LEDs findet hier ein Übergang zur LED-Technologie statt. Auch Black-Panel-Kombinations-Instrumente – früher ein weiterer Einsatzbereich der Cold Cathode Fluorescent Lamps – lassen sich mit den inzwischen erreichten LED-Leuchtdichten realisieren ([11], [12]). Bei dieser Variante des Kombinations-Instruments liegen die Anzeigen unter einer durchgehenden, getönten Deckglasscheibe und sind bei ausgeschalteter Zündung nicht zu erkennen. Um die Ablesbarkeit bei Tageslicht zu gewährleisten, erfordern die Anzeigen bei einem Black-Panel-Design Leuchtdichten von über 2 200 cd/m , damit die Instrumente unter der getönten Deckglasscheibe mit einer Transmission von typischerweise 20 bis 30 % gut ablesbar sind. Ein TFTDisplay mit 7“ Diagonale erfordert in einem Instrument dieses Typs bereits eine Hinterleuchtung mit 2 450 cd/m Leuchtdichte entsprechend einem Lichtstrom von mehr als 1000 lm. Die Darstellung weist einen hohen Kontrast auf, weil die Filterwirkung der Scheibe den Einfluss des Umgebungslichts verhindert. Eine neue Option ist die Verwendung von nur 0,3 bis 0,5 mm starken Elektrolumineszenzfolien (EL-Lampe) als Bestandteil der Beleuchtung eines Kombinations-Instruments ([11], [13]). Die neu entwickelte, selbst leuchtende Kunststofffolie wird als Laminat auf Teilbereichen der Skalen aufgebracht und sie gibt unter Spannung kaltweißes Licht ab (nicht das bekannte blaugrüne Licht), das den Skalenring eines Rundinstruments gleichmäßig beleuchtet, wenn eine Darstellungsform mit schwarzen Ziffern auf weißem Grund gewählt wird.

400

8 Instrumentierung

Bild 8-3: Zeigerbeleuchtung durch die Achse; rechts der im Kreis markierte Ausschnitt

EL-Lampen werden vor allem dann eingesetzt, wenn eine relativ geringe Leuchtdichte von beispielsweise 2 10 cd/m mit großer Gleichmäßigkeit (z.B. für ein Zifferblatt) sowie ein sehr flacher Aufbau erforderlich sind.

einen störenden Lichthof um die Zeigernabe ausschließen, eignet sich ultraviolettes Licht, das in der Zeigerfahne von einem lumineszierenden Material in sichtbares Licht umgewandelt wird.

8.3.2 Integration in das Instrument

8.4 Instrumentierungsaufbau

Aktuelle Beleuchtungskonzepte für das Kombinations-Instrument basieren auf dem seit Mitte der 80er Jahre genutzten Durchlichtprinzip (Backlight), bei dem das Instrument (Display, Kontrollleuchten) von der Rückseite her beleuchtet wird. Die kompakte LED-Technik erlaubt inzwischen auch Konzepte ohne Lichtleiter, wenn die oberflächenmontierbaren Leuchtdioden in größerer Zahl auf der Leiterplatte platziert werden. Da sich LEDs auch auf Flexleiterplatten montieren lassen, wird oft eine Trennung zwischen starrer Funktionsleiterplatte (Mainboard mit Mikrocontroller und Zeigerantrieben) und flexibler Backlight-Leiterplatte im Kombinations-Instrument vollzogen. Dieses Bauprinzip erlaubt Designänderungen innerhalb des Modellzyklus, ohne dass die Funktionsleiterplatte geändert werden muss. Teilweise wird in Kombinations-Instrumenten anstelle eines reinen Durchlichts auch Mischlicht eingesetzt: Bei analogen Rundinstrumenten beispielsweise kann ein ergänzender Lichtaustritt seitlich am Skalenrand bestehen (Spaltlicht). Dieses Beleuchtungsverfahren reicht entwicklungsgeschichtlich weit zurück und diente vor allem dazu, die Skala und den Zeiger zu beleuchten. Hier wurden inzwischen große Fortschritte mit neuen Konstruktionen zur direkten Zeigerbeleuchtung erzielt: Bei modernen Schrittmotormesswerken wird zur Beleuchtung der Zeigerfahne an der unteren Lagerstelle der Zeigerachse Licht über eine LED in die transparente Achse eingestrahlt. Bild 8-3 zeigt den Aufbau einer solchen Lösung. Will man

Bei der Konstruktion der primären MenschMaschine-Schnittstelle im Fahrzeug geht der Trend zu einer immer höheren Integration und höheren Packungsdichte auf den Leiterplatten (MultilayerTechnologie) bei geringerem Gewicht und vor allem geringerer Einbautautiefe. Gleichzeitig muss immer häufiger mindestens ein Display zusätzlich in das Kombinations-Instrument integriert werden, was den konstruktiven Aufbau komplexer macht. Meist wird das Display im Zentrum des KombinationsInstrumentes zwischen den dominanten Rundinstrumenten angeordnet. Alternativ sind Serienlösungen realisiert, bei denen ein Teil der Rundanzeige(n) als Displayfläche genutzt wird. Bild 8-4 zeigt ein Instrument mit Zentraldisplay als Teil der Tachometerfläche. Bei der gezeigten Lösung ist die Zeigerfahne des Tachometers an einem Ring aufgehängt, der den äußeren Umfang des Tachometers umspannt. Der innere Teil des Zifferblatts wird als Fläche für zwei hintereinander liegende Displays (Segmentanzeige und Punktmatrix) genutzt. Ein anderer Weg zur Display-Integration besteht darin, die Zeigerachsen durch die Displayfläche durchtauchen zu lassen. Bild 8-5 zeigt ein monochromes LC-Punktmatrix-Display, das im Einbauzustand hinter dem Tachometer und dem Drehzahlmesser liegt.

8.4 Instrumentierungsaufbau

401

Bild 8-4: Kombinations-Instrument mit Display als Bestandteil der Tachometerfläche

Bild 8-5: Bei diesem Display tauchen die Zeiger der Instrumente durch die Anzeigefläche hindurch

8.4.1 Head-up-Display Ein ergonomisch günstiger Weg, dem Fahrer Informationen visuell anzubieten, besteht in einer Anzeigeform, bei der er den Blick möglichst nicht vom Verkehrsgeschehen abwenden muss. Das Head-upDisplay (HUD) bezieht seinen Namen von diesem Effekt: Anstatt den Blick (und damit unmerklich auch den Kopf) auf das Kombinations-Instrument zu senken, betrachtet der Fahrer beim HUD eine zusätzliche Anzeige in Blickrichtung. Während es einfarbige, segmentierte HUDs in vereinzelten Fahrzeugen schon länger gibt, sind vollfarbige Darstellungen erst seit 2003 in Serie ([14], [15]). Dabei wird die Darstellung im Bildformat 2:1 (ca. 5° u 2,5°) auf einem transmissiven TFT-Display im Inneren der Armaturentafel (hinter dem Kombinations-Instrument) erzeugt und über mehrere Spiegel reflektiert, bis der Bildinhalt schließlich an der Frontscheibe in das Auge des Fahrers gespiegelt wird. Das HUD basiert nicht auf einem Projektionsvorgang, sondern auf einer Anord-

nung, bei der die Frontscheibe als Bestandteil eines optischen Spiegelsystems genutzt wird. Bild 8-6 zeigt die wesentlichen Komponenten und den Strahlengang eines Head-up-Displays. Die horizontale Bildlage der Anzeige ist fest, die vertikale Position kann der Fahrer nach Wunsch einstellen. Der Fahrer nimmt die Anzeige in einer scheinbaren Entfernung von 2 bis 2,5 m wahr. Ein großer Vorteil liegt darin, dass die Zeitspanne für das Ablesen der Anzeige einschließlich der Akkomodationsvorgänge im Auge um die Hälfte verkürzt wird. Im Vergleich zum Ablesen des Kombinations-Instrumentes verringert sich die Ablesezeit beim Head-up-Display um ca. 0,5 s, was bereits bei einem Tempo von 100 km/h einer Fahrstrecke von 14 m entspricht. Die verringerte Akkomodationsleistung der Augen ermüdet den Fahrer zudem weniger. Um Doppelbilder durch zweifache Reflexion an beiden Seiten der Scheibe zu unterdrücken, ist die Windschutzscheibe mit einer Zwischenlage keilförmig ausgeführt. Wegen der relativ schlechten Reflexionseigenschaften der Frontscheibe sind die Anforderungen an die Lichtquelle enorm: Die erste frei programmierbare, vollfarbige Head-up-Display-Lösung verwendet eine Lichtquelle mit 128 LEDs, aufgeteilt in 32 muldenförmige Lichtpunkte zu je vier LEDs. Auf der Streuscheibe unter dem TFT-Display erzeugt diese Licht2 quelle eine Leuchtdichte von rund 600 000 cd/m , die letztlich vom Fahrer als Darstellung mit einer 2 Leuchtdichte von 8000 cd/m wahrgenommen wird und damit bei fast allen Umgebungslichtbedingungen ablesbar ist.

402

8 Instrumentierung

Bild 8-6: Head-up-Display: Strahlengang von der TFT-Anzeige in der Armaturentafel über mehrere Umlenkspiegel und die Windschutzscheibe bis zum Auge des Fahrers. Die Bildquelle besteht aus den Komponenten Lichtquelle, Reflektor, Diffusor und Anzeige.

Während der Fahrer beim Kombinations-Instrument die Helligkeit seiner Instrumenten-Beleuchtung fest einstellt, muss die Leuchtintensität der TFT-Anzeige im Head-up-Display permanent in Abhängigkeit von der Helligkeit des Hintergrunds nachgeregelt werden. Neben ihrer hohen Leuchtdichte hat die HUDLichtquelle deshalb mit einem Verhältnis von 1 : 1000 eine hohe Dimmrate. Die Nachführung des Lichtstroms erfolgt auf der Basis eines Messsignals, das von einem Sensor stammt, der meist in der Nähe des Innenrückspiegels angeordnet ist. Die weitere Entwicklung geht unter anderem zu Lösungen, in denen sich der virtuelle Bildabstand durch Verschieben der TFT-Bildquelle verändern lässt. Bei höheren Geschwindigkeiten würde die Anzeige damit vom Fahrer als weiter entfernt wahrgenommen und wäre wegen der ausgesprochenen Fernakkomodation der Augen noch schneller erfassbar.

sehen. Zur besseren Integration der Displays im Innenraum kommen teilweise mechanisch recht komplizierte Klapp- und Faltmechanismen zum Einsatz. Bei zentralen Displays in der Mittelkonsole kann die Größe des TFT-Bildschirms je nach Ausstattung (Skalierung) Diagonalabmessungen von 5,8 bis 8,8“ und Auflösungen zwischen 400 u 240 bis zu 480 u 800 Pixel haben. In der Mittelkonsole finden sich auch aufklappbare TFT-Monitore mittlerer Größe (z.B. 6,5“) mit 400 u 240 Pixeln. In Fahrzeugen für Märkte, die dem Infotainment einen besonders hohen Stellenwert zumessen (z.B. USA), stehen den Beifahrern auf den Rücksitzen teilweise bereits Monitore mit 6,5“ Diagonale und 400 u 240 Bildpunkten Auflösung in den Kopfstützen der Vordersitze zur Verfügung (Rear Seat Entertainment).

8.4.2 Bordmonitore

8.5 Bedienelemente

Bei Displays in der Komfortzone (im Gegensatz zur Fahrzone) hat sich die TFT-LCD-Technologie durchgesetzt. Fortschritte beim Betrachtungswinkel haben das Potenzial für Anwendungen im automobilen Infotainment erheblich vergrößert. Blickwinkel zwischen 90° und 160° horizontal sowie 40° bis 90° vertikal bei TFT-Displays sind beispielsweise wichtig für den Einsatzort Mittelkonsole, weil weder der Fahrer noch der Beifahrer senkrecht auf die Anzeige

Einen wesentlichen Teil der Aufgabenstellung „Beobachten und Bedienen“ erfüllt der Fahrer mit Hilfe von Bedienelementen zur Eingabe. Neben spezifischen Schalterformen wie dem Lenkstockschalter, der als Multifunktionseingabegerät die Zahl der einzelnen Bedienelemente reduziert, dient eine Reihe von Schiebeschaltern, Drehschaltern, Wippschaltern und Drucktastern an der Armaturentafel sowie auf der Mittelkonsole zur Eingabe. Auf den dabei erreichten,

8.5 Bedienelemente hohen technischen Stand wird hier nicht näher eingegangen. Zwei Entwicklungsbereiche fallen jedoch auf. Auf der Ebene der elektromechanischen Weiterentwicklung spielen vor allem solche Aspekte weiterhin eine Rolle, die mit den besonderen ergonomischen Anforderungen in einem mobilen System mit wechselnder Geräuschkulisse zusammenhängen: Ein geeignetes Betätigungsgeräusch meldet dem Fahrer die erfolgreiche Eingabe auf dem akustischen Kanal zurück, ausreichend hohe Betätigungskräfte (KraftWeg-Verlauf) und Rastmomente schützen vor Fehlbedienung und geben dem Fahrer eine taktile Rückmeldung. Auch eine Dämpfung bei der Betätigung erleichtert die kontrollierte Eingabe. Wegen der Vielzahl der im Fahrzeug zu bedienenden Funktionen ist außerdem ein Trend zu konfigurierbaren Bedienelementen erkennbar, bei denen die Schalter nicht mehr fest mit ihrer Schaltaufgabe verdrahtet sind, sondern über ein Bus-System an eine programmierbare Steuereinheit angeschlossen und so mit ihrer Stellaufgabe verknüpft werden. Bei sicherheitsrelevanten Schaltern (z.B. Warnblinkanlage, Betätigung der Nebelschlussleuchte) gelten besondere gesetzliche Vorschriften, die diesen Bedienelementen eine Sonderrolle geben.

8.5.1 Zentrale Bedienkonzepte Zu den neuen Entwicklungen im Fahrzeug zählen zentrale Bedienkonzepte, die auf multifunktionalen Bedienelementen in Verbindung mit Bildschirmmenüs basieren oder zumindest mehrere Steuerungsfunktionen in einem selbstständigen Bediengerät zusammenfassen [19][20]. Damit steht dem Fahrer bei reduzierter Komplexität ein Bediensystem zur Verfügung, das viele neue Komfort- und Infotainment-Systeme beherrschbar macht. Schaltwippen, Rollschalter (Barrel Switches), Drucktaster am Lenkrad, Drehsteller oder Dreh-Drück-Steller an der Mittelkonsole liefern aktuelle Beispiele. In einem zentralen Bedienkonzept benötigt das Bedienelement für jede Bedienaufgabe ein zugehöriges, programmierbares Schaltverhalten [21]. Abhängig vom aktivierten Menü und der aktuellen Position des Drehstellers (Winkellageerfassung z.B. durch einen inkrementalen Drehgeber) steuert ein Informationssystem das Verhalten des Bedienelements. Die zugehörigen Drehmomentkennlinien sind in einem Mikrocontroller gespeichert. Erzeugt werden die entsprechende Mitund Gegenmomente von einem Schrittmotor im Dreh-Drück-Steller. Bild 8-7 zeigt das Funktionsprinzip. Weil sich das Verhalten des Bedienelements je nach Bedienvorgang anpasst (taktile Rückmeldung), spürt der Fahrer, welche Aktion er ausführt, ohne den Blick vom Verkehrsgeschehen abwenden zu müssen (wenig Auge-Hand-Koordination). Auch die Möglichkeit,

403 den Drehsteller zusätzlich als Ausgabeelement zu nutzen, unterscheidet das Konzept von konventionellen Bedienelementen. Eine programmierbare haptische Rückmeldung kann den Fahrer beispielsweise warnen, wenn er eine während der Fahrt gesperrte Funktion wählt oder einen Regelbereich verlässt [21]. Im Vorserienstadium befinden sich DrehstellerLösungen mit berührungsempfindlicher Oberfläche (Touchpad), die dem Fahrer „handschriftliche“ Eingaben (Buchstaben, Symbole) erlauben [22].

Bild 8-7: Dreh-Drück-Steller mit Schrittmotor

Literatur [1] Würtenberger, M., et al.: Systemarchitektur der Fahrerinformations- und Anzeigesysteme der neuen 5er Baureihe: Moderne Bordnetztopologie und ergonomisches HMI zur Beherrschung von Komplexität und Informationsflut, VDIBerichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, BadenBaden, September 2003 [2] Patentschrift Nr. 146134, Klasse 42 d., Kaiserliches Patentamt, Berlin, 7.Oktober 1902 [3] Blume, H.-J.; Wesner, G.: 100 Jahre Tacho – Geschichte und Zukunft der Fahrerinformation, Hrsg. Siemens VDO Automotive AG, Regensburg/Schwalbach, 2002 [4] Blume, J.: Methodisches, vernetztes Entwickeln mit Hilfe moderner Simulationswerkzeuge anhand eines vollautomatisch produzierten Zeigerantriebssystems, VDI-Berichte Nr. 1547, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2000 [5] Hamberger, W.; Deutler, P.; Bouaziz, T.: Audi Multi Media Interface (MMI) – von der Idee zum Produkt, Interdisziplinär – Prozessorientiert – Modellreihenübergreifend, VDIBerichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, BadenBaden, September 2003 [6] Wagner, U. et al.: Die Instrumentenkombination im neuen 7er BMW: Anzeigephilosophie und Technik, VDI-Berichte Nr. 1646, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2001 [7] VFD ohne Transformator, automotive systems + electronics, (Jg. 3), Nr. 1/2, Januar/Februar 2004 [8] Blankenbach, K.: Raus aus den Kinderschuhen – Organische Leuchtdioden halten Einzug in den Massenmarkt, Elektronikpraxis Sonderheft Displays & Optoelektronik, S. 26–30, Mai 2004 [9] Reif, K.; Senner, B.; Thiemer, M.: Einsatz von OLED-Anzeigeelementen. Automotive Engineering Partners, Nr. 3/4, Mai 2005

404 [10] Wallaschek, J.: Die Renaissance der Lichttechnik im Kraftfahrzeug: Entwicklungen, Trends, Herausforderungen, 3. CTI-Fachkonferenz Automobil-Lichttechnik, Stuttgart, 21./22. Juni 2004 [11] Noll, H.: Trends bei der Instrumentenbeleuchtung, 3. CTIFachkonferenz Automobil-Lichttechnik, Stuttgart, 21./22. Juni 2004 [12] Brohm, T.; Blume, H.-J.: Mit einem Zeiger fing es an – Anzeige-Technologien im Automobil, Elektronik, (Jg. 52), Sonderheft Automotive, S. 70–75, März 2003 [13] Goppelt, G.: Fahrerinformationssystem, ATZ, (Jg. 104), Nr. 4, April 2002 [14] Blume, H.-J.; Mayer, R.; Schmidt, F.-P.: Head-up-Displays mit vollfarbigen, grafischen Bildinhalten als ergonomische Fahrerinformationssysteme, VDI-Berichte Nr. 1646, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2001 [15] Blume, H.-J.; et al.: HUD – eine skalierbare Technik für alle Fahrzeugklassen, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003

8 Instrumentierung [16] Eichhorn, K.; Abel, B.; Burg, M.: Verbesserte Nachtsicht mit Infrarot-Scheinwerfern, ATZ, (Jg. 103), Nr. 9, September 2001 [17] Kesseler, W.; Kleinkes, M.; Könning, Th.: Nachtsichtsysteme kurz vor der Serienreife, ATZ, (Jg. 107), Nr. 1, Januar 2005 [18] AutoTechnology, (Jg. 4), Nr. 5, Oktober 2004 [19] Neue Haptic Commander, automotive systems + electronics, (Jg. 3), Nr. 11–12, November/Dezember 2004 [20] Schaare, R.: Mehr als Ein/Aus – Interieurdifferenzierung mit haptischen Systemen, automotive systems + electronics, (Jg. 3), Nr. 7–8, Juli/August 2004 [21] Hautnah am Geschehen – Automobil Produktion, Sonderheft Innenraum, März 2003 [22] Das Auto lernt lesen. In: automotive systems + electronics, (Jg. 2), Nr. 6, November/Dezember 2003 .

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr Bereits Ende der 1980er Jahre wurden im europäischen Forschungsprogramm PROMETHEUS (Programme for a European Traffic with Highest Efficiency and Unlimited Safety) die Visionen für einen Straßenverkehr mit höchster Effizienz und mit höchstem Sicherheitsniveau entwickelt [1]. Allerdings waren damals die notwendigen Komponenten, wie z.B. Sensoren zur Umfelderfassung und zur Erfassung der Fahrzeugdynamik und kompakte Hochleistungsrechner nicht verfügbar. Heute sind sie da und rücken die Vision vom „sensitiven Fahrzeug“, das sein Umfeld erfasst und aus der Lage und der Relativgeschwindigkeit von Objekten zum eigenen Fahrzeug Warnungen und Fahrzeugeingriffe zur Vermeidung von Unfällen ableitet, immer näher.

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen Was versteht man unter Fahrerassistenz? Es gibt eine Vielzahl von Fahrerassistenzsystemen, die den Fahrer in allen Verkehrssituationen unterstützen und ihm ein entspanntes, stress- und unfallfreies Fahren ermöglichen sollen. Der Begriff wird vielfach genutzt. Zur Veranschaulichung soll Bild 9-1 dienen.

Bild 9-1: Zur Definition von Fahrerassistenzsystemen

9.1.1 Übersicht 9.1.1.1 Fahrerinformationssysteme Sie wirken im Vorausschau-Bereich. Moderne Navigationssysteme erlauben den Empfang von Satellitendaten zur eigenen Positionsbestimmung und liefern dem Fahrer Daten über seine Route. Sie gestatten weiterhin den Empfang von Verkehrsinformationen und erlauben die Kommunikation über das Mobilfunknetz. Diese Systeme wirken über sehr große Entfernungen.

Beispiele hierfür sind Navigation mit GPS (Global Positioning System), Verkehrszustandsmeldungen über TMC (Traffic Message Channel), DAB (Digital Audio Broadcast) und das Mobilfunknetz GSM. Sie sind nicht Gegenstand dieses Kapitels. 9.1.1.2 Fahrzeugkommunikationssysteme Die rasche Verbreitung von Funksystemen im Heimund Bürobereich (WLAN, Wireless LAN) macht solche Systeme auch für die Anwendung im Fahrzeug interessant. Anwendungen liegen im Bereich der Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation (C2CC, Car to Car Communication) und der Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktureinrichtungen (C2IC, Car to Infrastructure Communication). Solche Systeme wirken typischerweise in einem Umkreis von etwa 2 km. Sie befinden sich noch im Entwicklungsstadium. 9.1.1.3 Prädiktive Fahrerassistenzsysteme Diese vorausschauenden Assistenzsysteme tasten mit Hilfe von Rundumsichtsensoren die Umgebung des Fahrzeugs ab und erfassen Objekte im Fahrzeugumfeld. Aus Relativgeschwindigkeit und Abstand der Objekte zum eigenen Fahrzeug werden Gefahrenzustände erkannt. Der Fahrer kann gewarnt werden, oder es werden Fahrzeugeingriffe durch den Rechner vorgenommen. Beispiele sind Ultraschall-Einparkhilfesysteme und das ACC (Adaptive Cruise Control). Erstere erfreuen sich zunehmender Kundenakzeptanz. Das ACC wurde 1999 in den Markt eingeführt. Auf Basis des ACC werden neue Funktionen mit hoher Relevanz für Sicherheit und Komfort entwickelt. Den prädiktiven Fahrerassistenzsystemen gilt der Schwerpunkt dieses Buchkapitels. Sie werden in den Abschnitten 9.1.4 und 9.1.5 behandelt. 9.1.1.4 Systeme zur Fahrzeugstabilisierung Fahrzeugstabilisierende Systeme greifen in die Fahrzeugdynamik ein. Mit Hilfe von Sensoren werden kritische Fahrzeugzustände ermittelt und das Fahrzeug wird durch Eingriffe in Bremse und Antrieb (zum Teil auch Lenkung) wieder in einen stabilen fahrdynamischen Zustand gebracht. Beispiele hierfür sind das ABS (Antiblockiersystem), das ESP (Elektronisches Stabilitätsprogramm) und die ASR (Antriebsschlupfregelung) u.a.

406 Ende 2001 wurde eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes [2] veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Unfallhäufigkeit von den sog. Fahrunfällen (Verlust der Kontrolle über das eigene Fahrzeug) bei Fahrzeugen, die mit dem Elektronischen Stabilitätsprogramm ausgerüstet sind, signifikant gesunken ist. Diese bisher einmalige Einführung eines Fahrerassistenzsystems zu einem definierten Zeitpunkt erlaubte eine klare statistische Zuordnung des Systems zur Unfallreduktion und bestätigte damit die lange bezweifelte These, dass Fahrerassistenzsysteme ein hohes Unfallvermeidungspotenzial besitzen und ihre Wirkung nicht durch riskante Fahrweise kompensiert wird („Risikokompensation“). Bild 9-2 verdeutlicht die Auswirkung der Einführung des ESP und macht zugleich das hohe Unfallvermeidungspotenzial dieses Systems deutlich.

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr ausgelöst. Typische Reaktionszeiten des Systems liegen bei 5 ms. Trotz der extrem kurzen Zeit für die Auslösung Unfall mildernder Maßnahmen tragen Airbags signifikant zur Verminderung der Unfallschwere und von Unfallfolgen bei. Aber wegen dieses extrem kurzen verfügbaren Zeitintervalls ist das Potenzial heutiger Systeme begrenzt. Dieses hohe Unfallvermeidungspotenzial ist in noch höherem Maße auf prädiktive Fahrerassistenzsysteme übertragbar, da diese vorausschauend auf eine gefährliche Situation reagieren können. Sie erweitern den Detektionshorizont des Fahrzeugs durch Einsatz von Umfeldsensoren. Damit können Objekte und Situationen im Umfeld des Fahrzeugs in die Berechnung von Unfall vermeidenden und Unfall mildernden Maßnahmen einbezogen werden. 9.1.1.5 Systeme zur Erkennung des Fahrerzustands Fahrerzustandserkennungssysteme sollen in Zukunft der häufigen Unfallursache „Fahrermüdigkeit“ entgegenwirken. Sie befinden sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Während einer längeren Autofahrt durchläuft der Fahrer unterschiedliche Wachund Müdigkeitszustände. Sekundenschlaf führt immer wieder zu Unfällen mit zahlreichen Verkehrstoten. Künftig soll es möglich sein, die Müdigkeit des Fahrers durch Lidschlagbeobachtung oder durch Überwachung verschiedener Fahrzeugparameter festzustellen. Ist der Fahrer müde, werden Maßnahmen zur adaptiven Gestaltung von Warnungen und Fahrzeugeingriffen eingeleitet.

Bild 9-2: Einfluss des ESP auf die Häufigkeit von Fahrunfällen [2]

Zusätzliche Verbesserung wird von der Verknüpfung von Systemen der aktiven und passiven Sicherheit erwartet. Kritische Situationen mit erhöhtem Unfallrisiko werden noch besser durch präventive Sicherheitsmaßnahmen am Fahrzeug bewältigt, die die Sensorsignale des ESP und des Bremsassistenz-Systems nutzen. Die Fahrzeuginsassen können hierdurch bestmöglich auf einen eventuell bevorstehenden Unfall vorbereitet werden, indem reversible Rückhaltemittel (Gurtstraffer) aktiviert werden, die Lehnen der Sitze senkrecht gestellt werden und Fenster sowie Schiebedach geschlossen werden. Denn ebenso wie das Eingreifen in die Fahrzeugdynamik beim ESP kann das Auslösen von Unfall vermeidenden Maßnahmen oder von Maßnahmen zur Milderung von Unfallfolgen immer erst dann erfolgen, wenn eine Größe am Fahrzeug gerade außer Kontrolle geraten ist oder wenn ein Unfall gerade geschieht. Heute werden Airbags erst durch die Sensierung eines bereits eingetretenen Zusammenstoßes

9.1.2 Unfallursachen und daraus abgeleitete Fahrerassistenzsysteme Im statistischen Mittel stirbt auf der Welt jede Minute ein Mensch an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Im Jahr 2002 wurden in der Triade (Europa, USA und Japan) im Straßenverkehr mehr als 90 000 Personen getötet, was zu einem volkswirtschaftlichen Schaden von mehr als 400 Mrd. Euro führte (siehe Bild 9-3). Allein in Europa betrug er etwa 160 Milliarden Euro pro Jahr bei fast 40 000 Verkehrstoten. Die EU–Kommission hat es sich daher zum Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten in Europa drastisch zu senken. Hierzu hat sie das Road-SafetyProgramm gestartet, das zu einer Reduktion der Verkehrstoten auf etwa 20 000 bis zum Jahre 2010 führen soll. Auch in den USA und in Japan wurden zwischenzeitlich staatliche Programme zur Reduzierung von Verkehrstotenzahlen gestartet.

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

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Bild 9-3: Getötete Personen und volkswirtschaftlicher Schaden durch Verkehrsunfälle im Jahr 2002 [3]

Der zunehmend hohe Standard an passiver Sicherheit in unseren Fahrzeugen hat in der Vergangenheit trotz etwa gleich bleibender Zahl an Unfällen zu einem kontinuierlichen Absinken der Zahl der Verkehrstoten geführt. Airbag oder Gurtstraffer tragen neuerdings wesentlich zur weiteren Erhöhung der passiven Sicherheit in unseren Fahrzeugen bei. Während diese Systeme Unfallfolgen mindern können, helfen aktive Sicherheitssysteme wie das ABS, das Elektronische Stabilitätsprogramm und der hydraulische Bremsassistent dem Fahrer in kritischen Situationen, einen Unfall zu vermeiden. Dennoch wird allein mit den genannten Systemen das Ziel der EU nicht erreicht werden können. Entscheidend bei der Entwicklung zukünftiger aktiver und passiver Fahrerassistenzsysteme wird die Fähigkeit des Fahrzeugs sein, seine Umgebung wahrzunehmen und zu interpretieren, gefährliche Situationen vorausschauend zu erkennen und den Fahrer bei seinen Fahrmanövern bestmöglich zu unterstützen. Um Schwerpunkte bei der Entwicklung solcher Systeme setzen zu können, die das höchste Unfallvermeidungspotenzial besitzen, liegt es nahe, sich an der Häufigkeit der verschiedenen Unfallarten oder Unfallursachen in der Unfallstatistik zu orientieren (siehe Bild 9-4).

Rund ein Viertel aller Unfälle ist durch Spurwechsel und durch unbeabsichtigtes Verlassen der Fahrspur verursacht. Etwa 30 % der Unfälle ist durch Auffahren, durch Frontalzusammenstöße und Kollisionen mit Hindernissen auf der Fahrbahn verursacht. Kollisionen mit Fußgängern machen 7 % der Unfälle in Deutschland aus, während Kollisionen an Kreuzungen etwa 31 % ausmachen. Systeme, die den genannten Unfallursachen entgegenwirken, können z.B. sein: 1. Spurverlassenswarner und Systeme zum Einblick in den toten Winkel 2. Kollisionswarnsysteme wie Einparkhilfen oder der adaptive Fahrgeschwindigkeitsregler (ACC). Im Laufe der weiteren Entwicklung werden prädiktive Sicherheitssysteme durch Fahrzeugeingriffe Kollisionen vermeiden oder deren Folgen mildern. Ultraschall-Einparkhilfesysteme erfreuen sich zunehmender Kundenakzeptanz und ACC-Systeme sind in der Hochlaufphase. Weitere Sensoren und Systeme befinden sich in einem raschen Entwicklungsprozess. Auf ihrer Basis werden neue Funktionen mit hoher Relevanz für Sicherheit und Komfort entwickelt

Bild 9-4: Unfälle in Deutschland innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften [3]

408 3. Zur Vermeidung von Fußgängerunfällen sind komplexe Bildverarbeitungsverfahren in Entwicklung 4. Kreuzungsunfällen kann aufgrund ihrer hohen Komplexität mit vernetzten Sensorsystemen mit Szeneninterpretationen begegnet werden. Diese Arbeiten befinden sich im frühen Entwicklungsstadium Die Wirkung aktueller aktiver und passiver Sicherheitssysteme ist umso effizienter, je besser es gelingt, zuverlässige Informationen über die Umgebung des Fahrzeugs einzubeziehen. Denn je früher die Systeme einen möglichen Autounfall erkennen, desto wirkungsvoller können sie ihre Aufgabe erfüllen. Durch frühzeitige Warnung des Fahrers kann eine Vorverlegung der Fahrerreaktion herbeigeführt werden. Schon 1979 hat Enke [18] quantitativ aufgezeigt, dass durch Vorverlegung der Fahrerreaktion bestimmte Unfallarten drastisch gemindert werden können, z.B. Auffahrunfälle um 75 % bei Vorverlegung der Fahrerreaktion um 0,5 Sekunden. Bei „aktiven“ Fahrerassistenzsystemen, bei denen vom Rechner in die Fahrzeugdynamik eingegriffen wird, erfolgt eine schnellere Fahrzeugreaktion als dies mit der normalen Reaktion des Fahrers auf einen erkannten Gefahrenzustand möglich wäre.

9.1.3 Kommunikation Fahrzeug-Fahrzeug und Fahrzeug-Infrastruktur Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation (C2CC, Car to Car Communication) und die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktureinrichtungen (C2IC, Car to Infrastructure Communication) sind attraktive Möglichkeiten zur Erhöhung der Verkehrssicherheit durch situationsgerechte Übermittlung aktueller Verkehrsdaten an andere Verkehrsteilnehmer. Im Bereich der Fahrerassistenzsysteme sind neben dem Unterhaltungsbereich vor allem Sicherheitsanwendungen von hohem Interesse. Die Fahrzeug-FahrzeugKommunikations-Anwendungen liegen im Bereich der Übermittlung von akuten Warnungen bei Unfällen und Staumeldungen. Im Fahrzeug-Infrastruktur-Bereich wird an Kommunikationsmethoden mit Ampeln, Verkehrsschildern oder Schranken gearbeitet, aber auch der Download von aktuellen Verkehrsinformationen ist angedacht [4]. Hierzu werden zwischen den Fahrzeugen und den Infrastruktureinrichtungen hochdynamische ad-hocNetzwerke aufgebaut. Voraussetzung für die Schaffung eines solchen Systems ist zunächst ein Standard für die Kommunikation. Bisher ist lediglich das 5GHz-Frequenzband festgelegt, ein Standard für die Datenübertragung wird gegenwärtig in einem Konsortium erarbeitet, dem die großen deutschen Automobilhersteller angehören. Ständige Verfügbarkeit des Netzes und die Sicherheit gegen das Eindringen von unberechtigten Nutzern ist von hoher Bedeutung.

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr

9.1.4 Sensoren für prädiktive Fahrerassistenzsysteme Für die Erkennung von Objekten im Fahrzeugumfeld ist eine Reihe von Sensoren erforderlich. Für die Fahrzeug-Abstandsmessung eignen sich UltraschallLaufzeitverfahren (Nahbereich 0,5 bis 5 m), Laufzeitoder Triangulationsverfahren mit Strahlung des nahen Infrarotbereichs (Lidar; Mittelbereich bis 50 m) und Mikrowellen-Radar (Fernbereich bis 200 m). Ultraschallsensoren sind seit etwa 1993 für Einparkhilfen im Einsatz, Radarsensoren für den adaptiven Fahrgeschwindigkeitsregler („Intelligenter Tempomat“) seit 1999. Neue Sensoren befinden sich in Entwicklung. Mit ihnen werden Objekte erfasst und ihre Position und Relativgeschwindigkeit zum eigenen Fahrzeug errechnet. Hieraus lassen sich Gefahrenzustände ermitteln. Die Detektionsbereiche sind in Bild 9-5 dargestellt. Durch eine elektronische „Rundumsicht“, also eine Sensierung und Erfassung des Fahrzeugumfeldes, lassen sich zahlreiche Fahrerassistenzsysteme realisieren. Wegen der eingeschränkten Verfügbarkeit von Sensoren haben sich bis heute nur wenige Systeme am Markt etablieren können. Neue Systeme werden bei Verfügbarkeit geeigneter Sensoren in zukünftigen Fahrzeugen Einzug halten. Ihr Spektrum reicht von warnenden Systemen bis hin zu Systemen mit Fahrzeugeingriff. In den folgenden Unterabschnitten werden die verschiedenen Sensoren für prädiktive Fahrerassistenzsysteme vorgestellt. Hierbei wird auch die sensorspezifische Signalverarbeitung behandelt, da sie sehr eng mit der Sensorik verknüpft ist. In heutigen Fahrerassistenz-Sensoren ist häufig ein Teil der Intelligenz, zuweilen die gesamte Signalverarbeitung bis hin zum Fahrzeugeingriff enthalten [5]. 9.1.4.1 Ultraschallsensoren Rückfahrhilfe und Einparkhilfen benutzen heute Ultranahbereichssensoren in Ultraschalltechnik. Sie haben eine hohe Akzeptanz beim Kunden gefunden und sind mittlerweile weit verbreitet. Ultraschallsensoren sind in den Stoßfängern von Kraftfahrzeugen integriert und dienen zur Ermittlung von Abständen zu Hindernissen und zur Überwachung eines Raumes z. B. beim Ein- und Ausparken bzw. beim Rangieren. Mit dem großen Erfassungswinkel, der sich bei der Nutzung mehrerer Sensoren ergibt (Fahrzeugheck und Fahrzeugfront mit jeweils bis zu sechs Sensoren), können mit Hilfe der „Triangulation“ Entfernung und Winkel zum Hindernis bestimmt werden. Beim Annähern an ein Hindernis erhält der Fahrer eine akustische oder optische Anzeige.

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

409

Bild 9-5: Erfassungsbereiche von Umfeldsensoren

Ultranahbereichssensoren in Ultraschalltechnik Heutige Ultranahbereichssensoren in Ultraschalltechnik besitzen eine Reichweite von etwa 2,5 m. Die Sensoren werden im Stoßfänger angebracht. Bild 9-6 zeigt einen Ultraschallsensor mit unterschiedlichen Steckerabgängen. Die Ansteuerelektronik und die Signalauswertung sind im Sensor integriert ([6], [7]).

gangs laufend Hinweise zum optimalen Einparken in die jeweilige Parklücke gibt. Bei zukünftigen Systemen geht man auch von einem halbautomatischen Einparken aus, bei dem der Fahrer nur noch die Längsführung des Fahrzeugs übernehmen muss, während die Lenkung vom Rechner betätigt wird. Arbeitsweise von Ultraschallsensoren Analog zum Echolotverfahren senden die Sensoren Ultraschallimpulse mit einer Frequenz von etwa 43,5 kHz aus und detektieren das Zeitintervall zwischen dem Aussenden der Impulse und dem Eintreffen der von Hindernissen reflektierten Echoimpulse. Der Abstand d zum nächstgelegenen Hindernis ergibt sich aus der Laufzeit des zuerst eintreffenden Echoimpulses te und der (temperaturabhängigen) Schallgeschwindigkeit cs in Luft mit ca. 340 m/s: d = 0,5 te cs .

Bild 9-6: Ultraschallsensor [Foto: BOSCH]

Die nächste Generation von Ultraschallsensoren wird eine Reichweite von über 4 m besitzen. Dies eröffnet eine Reihe neuer Anwendungen für diesen Sensor, so etwa eine Parklückenvermessung und einen Einparkassistenten, der dem Fahrer während des Einparkvor-

(9.1)

Der Ultraschallsensor empfängt vom Steuergerät einen digitalen Sendeimpuls. Danach regt die elektronische Schaltung die Aluminiummembran mit Rechteckimpulsen bei der Resonanzfrequenz in typisch etwa 300 µs zum Schwingen an. Ultraschallimpulse werden ausgesendet. Der vom Hindernis reflektierte Schall versetzt die inzwischen wieder beruhigte Membran wiederum in Schwingungen (während der Abklingdauer von ca. 900 µs ist kein Empfang möglich).

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Bild 9-7: Blockschaltbild eines UltraschallSensors [6]

Diese Schwingungen werden von der Piezokeramik als analoges elektrisches Signal ausgegeben und von der Sensorelektronik verstärkt und in ein digitales Signal umgewandelt. Bild 9-7 zeigt das Blockschaltbild eines Ultraschallsensors. Aufbau von Ultraschallsensoren Ein Ultraschallsensor besteht aus einem Kunststoffgehäuse mit integrierter Steckverbindung; einem Ultraschallwandler, dies ist ein Aluminiumtöpfchen mit einer Membran, auf deren Innenseite ein Piezoschwinger eingeklebt ist, und einer Platine mit Sendeund Auswerteelektronik (Bild 9-8). Der elektrische Anschluss an das Steuergerät erfolgt über drei Leitungen, von denen zwei der Spannungsversorgung dienen. Über die dritte, bidirektionale Leitung wird die Sendefunktion eingeschaltet und das ausgewertete Empfangssignal an das Steuergerät zurückgemeldet.

Um möglichst viele Hindernisse im Erfassungsbereich zu erkennen, andererseits aber auch Bodenunebenheiten zu ignorieren, muss die Detektionscharakteristik der Sensoren asymmetrisch ausgebildet sein. Sie besitzen eine selektive Abstrahlcharakteristik mit breiter horizontaler und schmaler vertikaler Erfassungskeule. Dies wird durch eine asymmetrisch ausgebildete Sensormembran oder vorzugsweise mit einem selektiven, länglichen dünnen Membranbereich erreicht. Bild 9-9 zeigt das Antennenabstrahldiagramm. Der Sensor besitzt damit einen Erfassungswinkel von ± 60° in der Horizontalen, in der Vertikalen ist er auf ± 30° eingeengt. Spezifisch angepasste Einbauhalter fixieren die Sensoren an den jeweiligen Positionen innerhalb des Stoßfängers. Für die Erstausrüstung werden die Halterungen in den Stoßfänger integriert.

Bild 9-9: Antennenabstrahldiagramm eines Ultraschallsensors; 1 horizontal, 2 vertikal [6]

Bild 9-8: Schnittbild Ultraschallsensor

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Bild 9-10: Einbau des Sensors in den Stoßfänger

Bild 9-11: Blockschaltbild des Steuergeräts einer Ultraschall-Einparkhilfe [7]

Der Einbauwinkel und die Abstände der Sensoren zueinander werden fallweise und fahrzeugspezifisch ermittelt. Bild 9-10 zeigt ein Einbaubeispiel. Der kurze Aufbau des Sensors kommt insbesondere den erhöhten Anforderungen an den Fußgängerschutz im Bereich der Stoßfänger entgegen, da er das Eintauchen des Sensors nach innen bei einem Unfall begünstigt.

Die Software übernimmt folgende Aufgaben: Sensoransteuerung und Echoempfang, Laufzeitauswertung und Berechnung des Hindernisabstands, Ansteuerung der Warnelemente, Auswertung der Eingangssignale, Überwachung der Systemkomponenten, Fehlerspeicherung und Diagnose.

Ansteuerung und Signalauswertung von Ultraschallsensoren Das Steuergerät enthält eine Spannungsstabilisierung für die Sensoren und den eingebauten Mikrocontroller sowie alle erforderlichen Interface-Schaltungen zur Anpassung der unterschiedlichen Ein- und Ausgangssignale (siehe Bild 9-11).

Warnelemente Über die Warnelemente wird der Abstand zu einem Hindernis angezeigt. Ihre Ausführung ist fahrzeugspezifisch geprägt und besteht in der Regel aus einer Kombination von akustischer und optischer Anzeige. Aktuell kommen optische Anzeigen sowohl mit LEDals auch in LCD-Technik zum Einsatz. In dem hier gezeigten Beispiel eines Warnelements (siehe Bild 9-12) ist die Anzeige des Abstandes zum Hindernis in mehrere Hauptbereiche eingeteilt.

Bild 9-12: Warnelement einer Ultraschall-Einparkhilfe [6]: Mercedes S-Klasse (links) und BMW 5er, Graphikdisplay oberhalb der Mittelkonsole (rechts)

412

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr

Die Geometrie-Daten des Fahrzeugs werden in einem Speicher abgelegt. Da der einzelne Sensor lediglich eine direkte Entfernungsmessung ohne Richtungsinformation durchführen kann, wird zur Berechnung des kürzesten Abstands zwischen Fahrzeug und Hindernis eine Triangulationsrechnung durchgeführt. In diese Rechnung fließen die Geometrie-Daten des jeweiligen Fahrzeugs ein. 9.1.4.2 Radar Die vom Radargerät ausgesendeten Wellenpakete werden an Oberflächen aus Metall (oder anderem Material) reflektiert und können vom Empfangsteil des Radars wieder aufgenommen werden. Aus der Laufzeit dieser elektromagnetischen Wellen kann er Abstand zu den Objekten gemessen werden. Zur Messung der Relativgeschwindigkeit bietet sich der Doppler-Effekt an. 9.1.4.2.1 Grundlagen der Radartechnik Die empfangenen Signale werden bezüglich Zeit oder Frequenz mit dem ausgesendeten „verglichen“. Gerade bei der Art dieses „Vergleichs“ unterscheiden sich die bekannten Verfahren erheblich. Damit der Vergleich zu den erwünschten Interpretationen verwendet werden kann, wird das auszusendende Wellenpaket im Frequenz-Zeit-Verlauf moduliert. Die bekanntesten Arten sind die Puls-Modulation, bei der Pulse in der Größenordnung von 10 bis 30 ns (entsprechend einer Länge von 3 bis 10 m) gebildet werden, und die Frequenz-Modulation, die beim Aussenden die (Momentan-) Frequenz der Wellen zeitlich ändert. Laufzeitmessung Damit das empfangene Signal die gewünschte Information liefern kann, wird es demoduliert. Bei einem pulsmodulierten Signal wird die Laufzeit W zwischen Aussenden und Empfang gemessen. Über die Lichtgeschwindigkeit kann aus dieser Zeitdifferenz der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug bestimmt werden. G Diese Zeitdauer W ist bei direkter Reflexion durch den Abstand d zum Reflektor und die Lichtgeschwindigkeit c gegeben:

W

2

d G c

(9.2)G

Bei einem Abstand von 150 m beläuft sich die Laufzeit auf W 1 µs.G Bei der Frequenz-Modulation wird während des Aussendens die Frequenz verändert. Bei linearer Veränderung ist das um die Laufzeit verzögert eintreffende Signal im Vergleich zum aktuell ausgesen-

deten Signal in seiner Frequenz verschoben. Der Frequenzunterschied ist proportional zum Abstand. Doppler-Effekt Obwohl sich aus aufeinander folgenden Messungen des Abstands die Relativgeschwindigkeit des Messobjekts bestimmen lässt, kann diese Messgröße schneller, zuverlässiger und genauer durch die Nutzung des Doppler-Effekts gemessen werden. Für ein sich relativ zum Radar-Sensor bewegendes Objekt (Relativgeschwindigkeit vrel) erfährt das Signalecho gegenüber dem abgestrahlten Signal eine Frequenzverschiebung fD. Diese beträgt bei den hier relevanten Differenzgeschwindigkeiten: fD

2

f c v rel , c

(9.3)

wobei fc die Trägerfrequenz des Signals ist. Bei der für das ACC gebräuchlichen Radar-Frequenz von fc = 76,5 GHz ergibt sich eine Frequenzverschiebung von fD – 510 vrel/m, also 510 Hz bei 1 m/s Relativgeschwindigkeit (Annäherung).G Als dritte Basisgröße wird die seitliche Lage des Radarobjekts gesucht. Diese kann nur bestimmt werden, wenn der Radar-Strahl in verschiedene Richtungen abgestrahlt wird und aus den Signalen die Richtung mit der stärksten Reflektion bestimmt wird. Dazu ist entweder ein schnelles Schwenken („Scannen“) eines Strahls oder eine mehrstrahlige Antennenordnung notwendig. Das Prinzip des Pulsradars wird am Beispiel eines Nahbereichsradars in Abschnitt 9.1.4.2.2 erläutert, das Prinzip des FMCW-Radars (Frequency Modulated Continuous Wave, Frequenzmoduliertes Dauerstrich-Radar) in Abschnitt 9.1.4.2.3. 9.1.4.2.2 Nahbereichsradar 24 GHz Beim Pulsradar werden sehr kurze Impulse ausgesendet. Objekte reflektieren diese Signale zum Sensor zurück. Die Laufzeit dieser Signale muss gemessen werden. Bei der Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen (Lichtgeschwindigkeit) ist dies keine einfache Messaufgabe. Die prinzipielle Funktionsweise wird in Bild 9-13 deutlich. Ein Oszillator, der mit einer Frequenz von z.B. 24 GHz schwingt, gibt seine Signale auf einen Leistungsteiler (Power-Splitter). Dessen Ausgänge münden auf zwei Hochgeschwindigkeits-Schalter in den beiden im Diagramm gezeichneten Kanälen. Im oberen Pfad werden die Signale eines Impulsgenerators zunächst moduliert und dann auf den Hochgeschwindigkeitsschalter (HF-Modulationsschalter) gegeben. Von dieser Baugruppe gehen die Signale zur Sendeantenne.

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

413

Bild 9-13: Blockschaltbild eines Pulsradars [8]

Im unteren Parallelpfad erzeugt eine einstellbare Verzögerung Bezugssignale, die auf einen Hochgeschwindigkeitsschalter im Empfangspfad münden. Das empfangene Echosignal wird mit dem Ausgangssignal des Oszillators gemischt, der als kohärenter Bezug dient, um Frequenzänderungen im empfangenen Echosignal zu erkennen. Kohärenz bedeutet hier, dass die Phase des gesendeten Impulses im Referenzsignal gespeichert bleibt. Die Frequenzänderung wird durch das Doppler-Filter ermittelt [8]. Bild 9-14 zeigt die NF-Platine eines 24-GHz-Nahbereichs-Radarsensors. Die HF-Schaltung ist auf der gegenüberliegenden Seite der Platine, man sieht jedoch die sog. Antennenpatches (quadratische Flächen auf der linken und der rechten Seite der Platine), die zu einer selektiven Abstrahlcharakteristik von ± 45° horizontal und ± 15° vertikal führen. Bild 9-15 zeigt den prinzipiellen Aufbau des Nahbereichs-Radar-Sensors. Im Kunststoffgehäuse befinden sich zwei Platinen, die obere trägt die Hochfrequenzbauelemente. Sie besteht aus einem speziellen HFgeeigneten Material auf Teflonbasis. Die HF-Bauteile

werden über ein metallisches Einlegeteil untereinander und vom Rest der Elektronik abgeschirmt. Die untere Platine (siehe auch Bild 9-14) trägt die NFBauteile, die die Ansteuerung des HF-Teils und die Signalverarbeitung der empfangenen Signale vornehmen. Die Verbindung der beiden Platinen erfolgt durch eine Steckverbindung.

Bild 9-14: Nahbereichsradar-Sensor: Blick auf die NF-Platine mit Antennenpatches (quadratische Flächen auf der linken und der rechten Seite der Platine)

Bild 9-15: Nahbereichsradar-Sensor: Explosionsdarstellung (links), montierter Sensor (rechts)

414 Bei einer abgestrahlten Spitzenleistung von 20 dBm EIRP (effective isotropic radiated power, effektiv isotrop ausgestrahlte Leistung) ergibt sich eine Messentfernung von 20 bis 50 m, je nach Größe und Reflexionseigenschaften des Objekts. Die minimale Messentfernung beträgt etwa 25 cm. Die Messgenauigkeit eines solchen Sensors ist hoch und liegt im Bereich weniger Zentimeter bei einer Objekttrennfähigkeit von etwa 1,5 m. Die mit solchen Sensoren angedachten Sicherheitsfunktionen (z.B. Precrash-Sensorik zur frühzeitigen Detektion einer bevorstehenden Kollision) erfordern kurze Messzyklen; sie liegen im Bereich von 2 ms und darunter. Funk-Zulassung Für den Betrieb von Radarsensoren ist eine Funkzulassung erforderlich. Wegen der Verfügbarkeit von kostengünstigen HF-Komponenten wurde aus Kostengründen das 24-GHz-Band gewählt. Schmalbandig emittierende Sensoren können ohne spezielle Funkzulassung betrieben werden, wenn sie im ISM-Band bleiben. Hochauflösende Sensoren benötigen jedoch eine höhere Bandbreite, typischerweise 5 GHz. Damit überstreichen diese Sensoren aber den geschützten Frequenzbereich von 23,6 bis 24 GHz („all emissions are prohibited“ zum Schutz der Radioastronomie). Nach langen Verhandlungen wurde das beantragte Frequenzband von 24,125 ± 2,5 GHz unter folgenden Auflagen frei gegeben: Maximalleistung –41,3 dBm/MHz, Laufzeit bis zum 30.06.2013 bei einer maximalen Durchdringung von 7 % je europäischem Land. Die Nachfolgefrequenz von 79 ± 2 GHz wurde mit der Auflage der Kompatibilität mit den etablierten Nutzern ohne weitere Auflagen frei gegeben. G 9.1.4.2.3 Fernbereichsradar 77 GHz Das Abstandsregelradar misst den Abstand, die Relativgeschwindigkeit und die seitliche Lage von vorausfahrenden Fahrzeugen. Dazu sendet das Radar Wellenpakete von mm-Wellen aus. Für den Einsatz im Straßenverkehr aller wichtigen Automobilmärkte ist dazu das Frequenzband 76-77 GHz (Wellenlänge ca. 4 mm) freigegeben worden. G Die Funktion des Abstandswarnradars geht über eine reine Abstandsregelung hinaus. Sie hat die englische Bezeichnung Adaptive Cruise Control (ACC) und steht für eine Fahrgeschwindigkeitsregelung, die sich dem vorausfahrenden Verkehr anpasst. Eine der Basisfunktionen ist zunächst die herkömmliche Fahrgeschwindigkeitsregelung, bei der eine einmal eingestellte Soll-Geschwindigkeit konstant gehalten wird. Diese ist immer dann aktiv, wenn kein vorausfahrendes Fahrzeug detektiert wird, das langsamer fährt als die vom Fahrer eingestellte Wunschgeschwindigkeit. Wird aber im Detektionsbereich des Radars (bis etwa 200 m) ein Fahrzeug erkannt, das die Fortsetzung der Fahrt mit der Wunschgeschwin-

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr digkeit behindert, wird die Geschwindigkeit an die des vorausfahrenden Fahrzeugs angepasst. Bei leichten Geschwindigkeitsdifferenzen kann dies allein durch die Wegnahme von Gas geschehen, bei größeren Differenzen ist hierzu ein Bremseingriff notwendig. Ist der Geschwindigkeitsausgleich geschehen, folgt das ACC-Fahrzeug dem vorausfahrenden mit weitgehend konstantem Abstand. Die größte technische Herausforderung für die Signalverarbeitung innerhalb des ACC-Steuergerätes (ACC-SCU; SCU, Sensor & Control Unit) stellt die Auswahl des „richtigen“ Zielfahrzeugs dar. So gilt es zunächst, aus den vielen Radar-Reflexionen diejenigen wieder zu erkennen, die zu vorher bekannten vorausfahrenden Fahrzeugen gehören. Dann ist abzuschätzen, ob diese Fahrzeuge auch wirklich in der gleichen Spur fahren. Diese Frage ist wegen des begrenzten seitlichen Auflösungsvermögens (siehe weiter unten) des Radarsensors insbesondere vor und in Kurven nicht einfach zu lösen, obwohl die Sensoren der Fahrdynamikregelung ESP wichtige Vergleichsgrößen liefern. FMCW-Modulation Eine direkte Laufzeitmessung, wie sie in Abschnitt 9.1.4.2.1 beschrieben wurde, ist aufwändig. Einfacher ist eine indirekte Laufzeitmessung. Das Verfahren ist als FMCW (Frequency Modulated Continuous Wave) bekannt. Statt des Vergleichs der Zeiten zwischen Sendesignal und Empfangsecho werden beim FMCW-Radar die Frequenzen zwischen dem Sendesignal und dem Empfangsecho verglichen. Die Voraussetzung für eine sinnvolle Messung ist eine zeitlich veränderte Sendefrequenz (siehe Bild 9-16). Beim FMCW-Verfahren werden linear in der Frequenz modulierte Radar-Wellen mit einer Dauer von typischerweise einigen Millisekunden und einem Hub von einigen hundert MHz ausgesandt ( fs, durchgezogene Kurve in Bild 9-16). Das an einem vorausfahrenden Fahrzeug reflektierte Signal ist entsprechend der Signal-Laufzeit verzögert ( fe, gestrichelte Linie in Bild 9-16), d.h. in der ansteigenden Rampe von niedrigerer Frequenz, in der abfallenden Rampe von einer um den gleichen Betrag höheren Frequenz. Die Frequenzdifferenz ' f ist ein direktes Maß für den Abstand. Besteht zusätzlich noch eine Relativgeschwindigkeit zwischen den Fahrzeugen, so wird die Empfangsfrequenz fe wegen des Dopplereffektes sowohl in der aufsteigenden als auch in der abfallenden Rampe einen bestimmten Betrag ' fd erhöht (siehe gepunktete Linie in Bild 9-16). Hierdurch ergeben sich zwei unterschiedliche Frequenzdifferenzen ' f1 und ' f2. Ihre Addition ergibt den Abstand, ihre Subtraktion die Relativgeschwindigkeit der Fahrzeuge zueinander.G

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

415

Bild 9-16: FMCW-Verfahren ([9], [17])

Die Signalverarbeitung im Frequenzbereich liefert somit für jedes Objekt eine Frequenz, die sich als Linearkombination je eines Terms für Abstand und Relativgeschwindigkeit ergibt. Aus den gemessenen Frequenzen von zwei Rampen mit verschiedener Steigung lassen sich somit für ein Objekt Abstand

und Relativgeschwindigkeit bestimmen. Für Szenarien mit mehreren Zielen sind mehrere Rampen unterschiedlicher Steigung erforderlich. Bild 9-17 zeigt das vereinfachte Blockschaltbild eines FMCW-Radars (Hochfrequenzteil).

Bild 9-17: Blockschaltbild eines 4-Kanal-FMCW-Radars [17]; die Abkürzungen werden im Text erklärt

416 Der Hochfrequenzteil lässt sich in vier funktionale Gruppen unterteilen. 1. Der Bereich HF-Erzeugung und Regelung stellt die Hochfrequenz für die Aussendung zur Verfügung. Die HF-Leistung wird dabei mit einem spannungsgesteuerten Oszillator (VCO, VoltageControlled Oscillator), bestehend aus einer Gunn-Diode in einem mechanischen Resonator, zwischen 76 und 77 GHz erzeugt. Ein kleiner Teil der erzeugten Leistung wird mit einem dielektrischen Resonanz-Oszillator (DRO) mit harmonischem Mischer in ein ZwischenfrequenzBand heruntergemischt und der Regelelektronik (PLL-ASIC, Phase Locked Loop) zugeführt. Letztere steuert über einen Leistungstreiber den VCO an und sorgt für die Frequenzstabilisierung und -modulation. 2. Im Bereich der Sende- und Empfangs-Schaltung wird die HF-Leistung über drei Wilkinson-Teiler auf die vier Sende-Empfangs-Kanäle aufgeteilt. Über so genannte „Durchblase“-Mischer wird einerseits diese Leistung der Antenne zugeführt, andererseits wird das Empfangssignal ins Basisband heruntergemischt. 3. Die Verstärkung der Signale im Basisband erfolgt in einem ASIC. Er besitzt vier Kanäle, eine umschaltbare Verstärkung und eine spezielle Kennlinie. Diese kompensiert einen Teil der großen Signaldynamik, indem hohe Frequenzen (entsprechend hohen Abständen) stärker verstärkt werden. Außerdem ist in der Kennlinie ein Tiefpass-AntiAliasing-Filter für die nachfolgende Abtastung integriert. 4. Das Antennensystem ist monostatisch ausgelegt. Es besteht aus vier kombinierten Sende- und Empfangs-Patches auf dem HF-Substrat, vier Polyrods (Kunststoffkegel) zur Vorfokussierung und einer Kunststoff-Linse zur Strahlbündelung, siehe auch Bild 9-21. Als Teil des Gehäuses dient die Linse gleichzeitig als radaroptisches Fenster und als Ab-

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr schirmung. Die Radar-Wellen werden von den vier Antennenpatches gleichzeitig und kohärent abgestrahlt, sodass sich eine resultierende Sendewelle ergibt. Die eigentliche Trennung in die vier separaten Strahlen findet erst auf der Empfangsseite statt. Hier werden vier getrennt aufgebaute Empfangskanäle eingesetzt. Die Sendefrequenz wird über den spannungsgesteuerten Oszillator (VCO), wie in Bild 9-16 dargestellt, rampenförmig linear mit der Steigung m = d f / dt moduliert. Während das empfangene Signal nach der Laufzeit W = 2d / c wieder eintrifft, hat sich die Sendefrequenz in der Zwischenzeit um die Differenzfrequenz fD = W m verändert. So kann die Laufzeit und damit die Entfernung indirekt über die Bestimmung der Differenzfrequenz zwischen Empfangs- und Sendesignal ermittelt werden. Die Differenzfrequenz kann wiederum mit einem Mischer und einer anschließenden Tiefpassfilterung gewonnen werden. Für die Bestimmung der Frequenz wird das Signal digitalisiert und mit Hilfe einer FFT (Fast Fourier Transformation) in ein Frequenz-Spektrum gewandelt. Die Information der Differenzfrequenz enthält jedoch nicht nur die Information für die Laufzeit, sondern auch noch die Doppler-Verschiebung. Dieser Umstand bedeutet zunächst eine Mehrdeutigkeit bei der Auswertung. Sie lässt sich durch die Anwendung mehrerer FMCW-Modulationszyklen mit unterschiedlichen Steigungen auflösen. Winkelbestimmung Zur Bestimmung des Winkels, unter dem das Radar ein Objekt ortet, werden mehrere „Radar-Keulen“ ausgesendet und ausgewertet.

Bild 9-18: Antennendiagramm [9]

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

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Bild 9-19: Blockschaltbild des Niederfrequenzteils der Radareinheit [17]

Um den Winkel messen zu können, sind mindestens zwei Radar-Strahlen erforderlich, die sich überlappen. Die Verhältnisse der Amplituden, die für ein Objekt in benachbarten Strahlen gemessen werden, lassen einen Rückschluss auf den Sichtwinkel zu. Werden z.B. vier Radar-Strahlen eingesetzt, deren horizontale Winkelabhängigkeit in Form eines Zweiwege-Antennendiagramms beispielhaft in Bild 9-18 gezeigt ist, so kann der horizontale Sichtwinkel durch Vergleich von Amplitude und Phase der gemessenen Radarsignale mit dem Antennendiagramm ermittelt werden. Aus den drei direkt ermittelten Größen Abstand, Relativgeschwindigkeit und Horizontalwinkel werden anschließend abgeleitete Größen wie z. B. Relativbeschleunigung, relativer Querversatz und relative Quergeschwindigkeit berechnet. Neben der Hauptfunktion, Positionen von Objekten zu bestimmen, werden auch verschiedene Zusatzfunktionen ausgeführt. Hierzu zählen die Unterstützung der Sensorjustage und verschiedene Diagnosefunktionen, wie zum Beispiel die Erkennung von Sensor-Dejustage und -Blindheit sowie Funktionsausfällen. 9.1.4.2.4 Radar-Signalverarbeitung Bild 9-19 zeigt das Blockschaltbild für das Niederfrequenzteil eines FMCW-Radargerätes. Es besteht aus mehreren Komponenten: Für die digitale Datenverarbeitung wird ein Prozessor mit zwei Rechnerkernen (Dual-Core-Prozessor) eingesetzt. Der in diesem Baustein enthaltene Digitale

Signal-Prozessor (DSP) wird zur Datenerfassung, Berechnung der FFT und zur weiteren Basis-Signalverarbeitung eingesetzt. Daneben ist in dem Prozessor ein Mikrocontroller enthalten, in dem die weitere Signalverarbeitung, die Anwendungssoftware sowie Steuergeräte-Funktionen ausgeführt werden. Weiterhin sind diverse Peripherieeinheiten im Dual-CoreProzessor integriert: Serielle Schnittstellen, zwei CAN-Controller, ein Analog-Digital-Wandler sowie verschiedene digitale Ports. Um den Prozessor sind verschiedene PeripherieBausteine angeordnet. Die analogen Radarsignale von der HF-Platine werden in einem Analog-DigitalWandler (ADC) in digitale Abtastwerte umgesetzt. Dies geschieht parallel für vier Kanäle. In diesem Baustein ist auch noch ein digitales Tiefpass-Filter integriert, das für eine Begrenzung auf die NyquistBandbreite sorgt. Als externer, nichtflüchtiger Speicher wird ein EEPROM eingesetzt. Hier werden Applikationsparameter und ggf. Fehlereinträge gespeichert. Ein Multifunktions-ASIC dient zur Erzeugung der Versorgungsspannungen (verschiedene Gleichspannungen) und als Leistungstreiber (KLeitung, CAN, Linsenheizung). Daneben ist noch ein Watchdog integriert. Mit einem Temperatursensor kann die Innentemperatur des Systems gemessen werden. Die Verbindung des Gerätes mit dem Fahrzeug erfolgt über einen achtpoligen Stecker. Darüber werden die Batteriespannung, Masse, zwei CAN-Busse, alternativ eine Wake-up- oder K-Leitung und ebenfalls alternativ eine Linsenheizung oder ein Zeitlückensignal geführt.

418 Die Niederfrequenzschaltung kann in Standard-Leiterplatten-Technologie ausgeführt werden. Bild 9-21 zeigt einen Blick in das Gerät.

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr Messung und einer neuen Messung fortbewegt und sollte jetzt im erwarteten Abstand 'e

Detektion von Hindernissen im Erfassungsbereich Die Detektion ist die Suche nach den charakteristischen Frequenzsignalen der Radar-Objekte. Wegen der stark unterschiedlichen Signalstärken der verschiedenen Objekte, aber auch desselben Objekts zu verschiedenen Zeiten, muss ein Detektor verwendet werden, der einerseits möglichst alle Signale findet, die von realen Objekten stammen, aber andererseits unempfindlich gegen Signalanteile ist, die durch Rauschen oder Störsignale entstanden sind. So ist z.B. das im Radar selbst entstehende Rauschsignal im Spektrum nicht konstant, sondern frequenz- und zeitabhängig. Für jedes Spektrum wird zunächst eine Rauschanalyse durchgeführt. Abhängig von der spektralen Verteilung der Rauschleistung wird eine Schwellwertkurve festgelegt. Nur Signalspitzenwerte, die oberhalb dieser Schwelle liegen, werden als Zielfrequenzen interpretiert. Objekterkennung Die Echosignale in den einzelnen Modululationszyklen beinhalten zwar die Information über Abstand und Relativgeschwindigkeit der Objekte, können aber nicht eindeutig den Objekten zugeordnet werden. Erst durch die Verknüpfung der Detektionsergebnisse der Modulationszyklen ergeben sich die Ergebnisse für Abstand und Relativgeschwindigkeit der Objekte. Eine gefundene Zielfrequenz setzt sich aus einem abstandsabhängigen und einem relativgeschwindigkeitsabhängigen Anteil zusammen. Um also Abstand und Relativgeschwindigkeit zu ermitteln, müssen Zielfrequenzen aus mehreren Modulationsrampen zueinander passen. Für das Mehrrampen-FMCWMessprinzip muss für ein physikalisch vorhandenes Radar-Objekt in jeder Modulationsrampe eine Zielfrequenz gefunden worden sein, die sich aus dem Abstand und der Relativgeschwindigkeit des Objekts ergeben muss. Die Zuordnung wird schwierig, wenn sehr viele Zielfrequenzen in den Spektren enthalten sind. Die Winkellage eines Radar-Ziels zur Achse des Fahrzeugs wird aus dem Vergleich der Amplitudenwerte geschätzt, die sich für ein Zielobjekt in den vier benachbarten Radar-Strahlen ergeben. Tracking Unter Tracking versteht man die weitere Verfolgung eines zuvor erkannten Zielobjekts. Damit werden die Messdaten der aktuell detektierten Objekte mit den Messdaten aus der vorherigen Messung verglichen. Ein Objekt, das bei der letzten Messung im Abstand d mit einer Relativgeschwindigkeit vrel gemessen wurde, hat sich in der Zeit 't zwischen der vorherigen

d v rel 't

(9.4)

gemessen werden. Berücksichtigt man, dass das gemessene Objekt auch beschleunigen oder verzögern kann, gibt es einen Unsicherheitsbereich um den Abstand 'e, in dem der neu gemessene Abstandswert erwartet werden darf. Wird in der neuen Messung tatsächlich ein Objekt im Erwartungsbereich für Abstand und Relativgeschwindigkeit gefunden, kann man davon ausgehen, dass es sich um das selbe Fahrzeug handelt. Das bereits zuvor gemessene Objekt wurde also in der aktuellen Messung wieder gefunden. Die Messdaten werden unter Berücksichtigung der historischen Messdaten gefiltert. Wird ein zuvor gemessenes Objekt in der aktuellen Messung nicht mehr wieder gefunden, z.B. weil es sich außerhalb des Radar-Strahls befindet oder ein zu geringes Signalecho erzeugt, werden die prädizierten Objektdaten trotzdem weiter verwendet. Zusätzliche Maßnahmen bei der Objektverfolgung sind erforderlich, wenn von einem Objekt mehrere Echosignale aus verschiedenen Abständen entstehen. Typischerweise ist das bei Nutzfahrzeugen wegen ihrer zerklüfteten Fahrzeugstrukturen der Fall. Diese müssen zu einem Objekt zusammengefasst werden. Die Signalechos werden darüber hinaus bezüglich einer Blindheitserkennung sowie zur Erkennung von Fehlfunktionen der Radar-Komponenten analysiert. Objektauswahl Für die Auswahl der relevanten Objekte wird in einem ersten Schritt die laterale Position dyc relativ zum vorhergesagten Kurs des eigenen Fahrzeugs bestimmt. Sie ergibt sich entsprechend Bild 9-20 aus dem Lateralversatz dyv bezogen auf die Fahrzeugachse. Hierbei werden die vom Radarsensor bestimmten Lateralversätze relativ zur Sensorachse über den Sensorversatz dyS auf die Fahrzeugachse transformiert. Über eine Beschreibung des vorhergesagten Kurses dy, z.B. über einen Parabelansatz als Kreisbogenannäherung, ergibt sich der Kursversatz zu dyc = dyv + dy. Die Bestimmung von dyc ist somit abhängig von der Art der Beschreibung des eigenen Kurses. In einem zweiten Schritt wird für jeden Messzyklus eine Spurwahrscheinlichkeit berechnet, die die Wahrscheinlichkeit angibt, mit der sich das voraus liegende Radarobjekt auf der eigenen Spur befindet. Die eigene Spur wird hierbei über geometrische Ansätze beschrieben, die sowohl die Fahrspurbreite als auch Größen wie die Ungenauigkeit der Kursbestimmung mit einbeziehen. Diese Spurwahrscheinlichkeit ist Eingangsgröße für die Plausibilität eines Objektes.

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

419

Bild 9-21: Explosionsdarstellung eines FMCW-Radargeräts mit integrierter Signalverarbeitungseinheit

Bild 9-20: Bestimmung der lateralen Objektposition dyc [9]

Diese Größe bestimmt als Kennzahl die Güte und Sicherheit, dass es sich bei dem Objekt um ein relevantes Objekt handelt und trägt den Sensoreigenschaften wie Genauigkeit der Winkelbestimmung und Detektionseigenschaften Rechnung. Eingang in die Zielobjektauswahl kann das Objekt finden, wenn eine Mindestplausibilität für die eigene Spur erreicht wird. Bei den heutigen bekannten ACCSystemen werden hierbei nur fahrende Objekte mit gleicher Fahrtrichtung berücksichtigt. Aufgrund der Gefahr von Fehldetektionen und derzeit einer mit Radar nicht möglichen Objektklassifikation (z.B. Cola-Dose oder stehendes Fahrzeug), werden stehende Objekte ausgeblendet.

9.1.4.2.5 Mechanischer Aufbau eines Radargeräts Bild 9-21 zeigt eine Explosionsdarstellung eines FMCW-Radargeräts der zweiten Produktgeneration der Robert Bosch GmbH mit den Baugruppen HFPlatine (unten) und NF-Platine (oben). Erstere enthält die Komponenten aus dem in Bild 9-17 dargestellten Blockschaltbild, letztere die mit den Komponenten der Signalverarbeitung aus Bild 9-19. Das Gehäuse besteht aus drei Komponenten und erfüllt eine Vielzahl von Funktionen. Es ist wasserdicht und schützt damit gegen das Eindringen von Wasser und Schmutz.

Gleichzeitig wird über ein spezielles Druckausgleichselement im Gehäuseboden der Ausgleich von Druckschwankungen möglich, ohne Wasser einzulassen. Der so genannte Zwischenträger – das zentrale Teil – wird aus Aluminium-Druckguss hergestellt. Er dient gleichzeitig als Träger für die beiden Leiterplatten und als Kühlkörper zur Abführung der Wärme von den elektronischen Bauteilen. An den Ecken des Zwischenträgers erkennt man außerdem die Lagerpunkte, mit denen das Gerät an der Halterung befestigt wird. Das Gehäuse-Unterteil enthält neben dem Druckausgleichselement auch noch den Gerätestecker. Außerdem dient es als Abschirmung, indem es in Verbindung mit dem Zwischenträger die HF-Platine einkapselt. Dadurch wird die Übertragung möglicher Störfrequenzen nach außen und nach innen unterbunden. In das Gehäuseoberteil ist eine Linse integriert, welche die Radar-Strahlen bündelt. Weiterhin ist in die Linse eine Heizung integriert, mit der eine Vereisung verhindert werden kann. Insgesamt ergibt sich im zusammengebauten Zustand eine sehr kompakte Einheit mit Abmessungen von nur 73 u 70 u 60 mm3. 9.1.4.2.6 Fahrzeugintegration Der Radarsensor muss, abgestimmt auf die Anforderungen durch die Anwendung, im Fahrzeug angebracht werden. Für die Funktion des ACC befindet sich der bevorzugte Einbauort vorne in der Mitte des Fahrzeuges. Damit die Radar-Wellen möglichst ungehindert zum Zielobjekt und zurück gelangen können, dürfen keine störenden Strukturen im optischen Weg liegen. Die beste Variante hierfür ist ein Ein-

420 bauort mit freier Sicht des Sensors. Die zweite mögliche Variante ist der verdeckte Einbau hinter einer speziellen Abdeckung mit geringer Dämpfung. In beiden Fällen ist darauf zu achten, dass ein Wasserbelag durch geeignete Materialwahl und entsprechendes aerodynamisches Design vermieden wird, da er zu einer starken Dämpfung der Radarwellen führen würde. Bild 9-22 zeigt das Prinzip eines justierbaren Halters.

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr 9.1.4.3 Video Bilder besitzen für den Menschen den höchsten Informationsinhalt. Er nimmt seine Eindrücke von der Fahrzeugumgebung mit seinen Augen auf, und wertet die Verkehrssituationen mit seiner Intelligenz und Erfahrung aus. Folglich ist es für die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen nahe liegend, Bilder aufzunehmen, relevante Details daraus zu extrahieren und gefährliche Situationen über Bildverarbeitungsmethoden zu ermitteln. In einem ersten Schritt werden neue, videobasierte Funktionen wie z.B. Spurverlassenswarner, Systeme zur Nachtsichtverbesserung oder zur Abstandswarnung in den Markt eingeführt. In einem zweiten Schritt folgen Funktionen, die (auch durch Zusammenwirken mehrerer Sensoren) durch Einwirkung auf Bremse, Lenkung und Gas in die Fahrzeugdynamik eingreifen und damit neue Perspektiven für Unfallvermeidung und Unfallfolgenminderung eröffnen. 9.1.4.3.1 Grundlagen Videotechnik

Bild 9-22: Beispiel für einen Halter mit Justagemöglichkeit [17]

Für Funktionen wie das ACC ist es notwendig, dass die Radar-Achse auf die Fahr-Achse ausgerichtet ist. Aufgrund von Toleranzen der Fahrzeug-Karosserie ist es daher notwendig, den Sensor nach dem Einbau zu justieren. Dazu dienen spezielle Dreipunkt-Halterungen mit einem Festlager und zwei justierbaren Lagern.

Bild 9-23 zeigt die grundlegenden Bestandteile eines Kamera-Systems und den Signalfluss in einem Bildverarbeitungssystem bis hin zur Mensch-MaschineSchnittstelle. Ein Videosystem besteht aus den in Bild 9-23 dargestellten Elementen. Die Optik bildet eine Bildquelle, zum Beispiel einen beleuchteten Gegenstand, auf einen Bildsensor ab. Dieser wandelt die gesammelte Strahlung in den einzelnen Bildpunkten des Bildsensors (Imager) in eine elektrische Ladung um, die wiederum elektronisch weiter verarbeitet werden kann. Sofern es sich um eine Analog-Kamera handelt, wird diese Information mit einem Analog-DigitalWandler (ADC, Analog-Digital Converter) in digitale Signale zur weiteren Verarbeitung in einem Bildverarbeitungsrechner gewandelt.

Bild 9-23: Signalfluss in einem KameraSystem [11]; ADC: Analog-Digital-Wandler

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen Im Falle eines Automobilsystems unterscheidet man zwei verschiedene Aufgaben: Geht es darum, ein besonders kontrastreiches und brillantes Bild zu erzeugen, wie es bei Nachtsichtsystemen gefordert wird, wird mit dem Bildverarbeitungsrechner eine Bildbearbeitung durchgeführt. Das bearbeitete Bild wird dann einem Display direkt zugeführt. Im anderen Fall besteht die Aufgabe darin, bestimmte Bildinhalte unter Verwendung spezieller Algorithmen zu extrahieren (Bildverarbeitung). Die so gewonnene Information kann dann dazu verwendet werden, eine Warnung für den Fahrer über das Display oder einen Fahrzeugeingriff über den Aktor zu erzeugen. Bildsensoren Ein Bildsensor (Imager) besteht aus einer Vielzahl einzelner Bildpunkte. Typische Auflösungen liegen heute bei VGA (640 u 480 Bildpunkte bzw. Pixel). Einfallende Photonen dringen in den Halbleiter ein, wobei die meisten von ihnen Elektron-Loch-Paare erzeugen. Diese Ladungs-Paare erzeugen einen Fotostrom, der zur Intensität des einfallenden Lichts über viele Größenordnungen proportional ist. Es gibt eine starke spektrale Abhängigkeit der Absorptionstiefe der Photonen im Halbleiter. Strahlung mit kurzer Wellenlänge wird an der Oberfläche überwiegend absorbiert, während langwellige Strahlung (rot, infrarot) tief in den Halbleiter eindringt. Folglich sinkt die erreichbare räumliche Auflösung erheblich mit zunehmender Wellenlänge. Bilder, die im roten oder infraroten (z.B. für Nachtsichtsysteme) aufgenommen wurden, zeigen viel geringeren Kontrast als solche, die mit grünem oder blauem Licht aufgenommen wurden. Für reine Taganwendungen werden daher häufig optische Filter vor die Linse gesetzt, die den einfallenden Infrarotteil abschneiden. Im Konsumbereich, z.B. bei Videokameras, ist diese Filterung üblich. Der Wirkungsgrad eines Fotoempfängers wird üblicherweise durch den Quantenwirkungsgrad K beschrieben. Er gibt an, wie viele Ladungsträgerpaare pro Photon erzeugt werden. Die wichtigsten Fotodetektoren sind Fotodioden und Kondensatoren in MOS-Technik (Metall-Oxyd-Halbleiter). Letztere werden in den sog. CCD-Sensoren (Charge Coupled

421 Device) verwendet. Beide Sensoren können mit Standard-Halbleiterprozessen hergestellt werden. Der klassische Sensor für Videokameras ist der CCD-Imager. Diese Technik hat während der letzten 30 Jahre eine hohe Produktreife erreicht und CCD-Benutzer haben sich vielfach mit den Einschränkungen bezüglich Auflösung, Helligkeitsdynamikbereich und Temperaturverhalten abgefunden. CCD-Sensoren neigen zum sog. „Blooming“, einem Überstrahlen einzelner Bildpunkte oder Bildpunktbereiche bei starker Lichteinstrahlung. Das Blooming ist durch ein Überlaufen der Ladung auf benachbarte Punkte bedingt. CMOS-Sensoren haben hingegen einige Vorteile gegenüber CCD-Sensoren. Da sie in Standard VLSITechnologie (Very Large Scale Integration) hergestellt werden, kann die weitere elektronische Beschaltung auf dem gleichen Halbleiterchip untergebracht werden. Sie benötigen weniger Leistung für die Ansteuerung, da jeder Bildpunkt nur während des Ausleseprozesses aktiv ist. Wegen dieser Eigenschaften sind CMOS-Sensoren die bevorzugte Technologie für anspruchsvolle Anwendungen im Fahrzeug. Das menschliche Auge besitzt eine nichtlineare Empfindlichkeitscharakteristik über die Helligkeit, die etwa logarithmisch verläuft. Es liegt daher nahe, dieses Verhalten auch in einem Fotosensor zu realisieren. Neuere Entwicklungen von CMOS-Sensoren zeigen eine Helligkeitsdynamik von mehr als 120 dB. Man spricht auch von sog. HDRC-Sensoren (HDRC, High Dynamic Range Camera). Mit dieser Dynamik erscheinen im Falle eines entgegenkommenden Fahrzeugs die Scheinwerfer als helle Punkte mit nur geringen Überstrahlungseffekten. Die CMOS-Technologie ist daher den herkömmlichen CCD-Sensoren weit überlegen. Bild 9-24 zeigt einen Vergleich der beiden Technologien am Beispiel einer Tunnelausfahrt. Das linke Bild ist mit einer CCD-Kamera aufgenommen, das rechte Bild mit einer HDRC-Kamera mit großem Dynamikbereich. Man sieht deutlich, dass die CCD-Kamera fast keine Graustufen in der Tunnelöffnung auflösen kann, während im rechten Bild alle Details (Bäume, entgegenkommende Fahrzeuge) erkennbar sind.

Bild 9-24: Bilder einer CCD-Kamera (links) und einer HDRC-Kamera (rechts); Vergleich der Abbildungseigenschaften

422

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr

Bild 9-25: CMOS-Kamera für Automobilanwendungen

Heutige Videosensoren sind bezüglich Auflösung, Empfindlichkeit und Helligkeitsdynamik noch weit von der Leistungsfähigkeit des menschlichen Sehapparates entfernt, aber moderne Methoden der Bildverarbeitung in Kombination mit neu entwickelten hochdynamischen Bildsensoren lassen bereits heute das enorme Potenzial dieser Sensorik erkennen [5]. Mit CMOS-Sensoren wird mittlerweile eine gute räumliche Auflösung erreicht. Die Größe der Bildpunkte ist normalerweise im Bereich von 5 u 5 µm2. Auflösung und Chipgröße sind letztlich eine Frage der gewünschten Empfindlichkeit des Sensors; ein kleiner Bildpunkt oder eine hohe Auflösung bedeuten eine niedrige Empfindlichkeit und umgekehrt. Der Entwurf eines Imager-Designs für Automobilanwendungen stellt heute noch einen Kompromiss dar: Eine hohe räumliche Auflösung kann nur durch Beschränkung der Pixelgröße und damit auch des Füllfaktors erreicht werden. Niedrigere Empfindlichkeit ist die Folge.

9.1.4.3.2 Videokamera Bild 9-25 zeigt eine automobiltaugliche Videokamera. Dieser Kamerakopf enthält den Bildsensor-Chip und die Optik (Detailbild links) sowie eine Elektronik zur Ansteuerung der Kamera. Die Bildverarbeitung erfolgt in einem separaten Hochleistungsrechner. Heutige Kameras sind weitestgehend in monochromer Form realisiert, da interne Farbfilter zu einer nicht akzeptablen Reduktion der Empfindlichkeit, insbesondere für Nachtanwendungen, führen würden.

9.1.4.3.3 Bildverarbeitung Bildverarbeitung ist die Grundlage für videobasierte Systeme. Je nach Komplexität der Bildverarbeitung unterscheidet man verschiedene Stufen. Sie sind in Bild 9-26 dargestellt. Die einfachste Stufe wird durch die reine Bildwiedergabe gebildet, wobei bei anspruchsvollen Funktionen wie Nachtsichtverbesserung mit Bildwiedergabe durchaus sehr hohe Anforderungen an Bildqualität, Kontrast und Brillanz der dargebotenen Bilder gestellt werden. Dies bedeutet, dass auch für solche Systeme nicht auf einen Rechner mit hoher Rechenleistung verzichtet werden kann. Im zweiten Schritt werden relevante Teile des Bildes basierend auf einem Modell oder auf bestimmten Eigenschaften extrahiert. Beispiele sind Spurerkennung oder die Erkennung eines Verkehrszeichens. Verkehrszeichenerkennung setzt voraus, dass die zu erkennenden Muster zuvor dem Rechner eingelernt wurden. Objektdetektion ist wichtig zur Größenabschätzung von Objekten, die beispielsweise von einem Radargerät detektiert wurden. Sie ist eine wirksame Methode, um Objekte zu bestätigen und auf ihre Relevanz für Fahrzeugeingriffe zu überprüfen. Objektklassifikation ist im militärischen Bereich im Einsatz, jedoch im Automobil mit vertretbaren Kosten zurzeit nicht darstellbar. Mit zunehmender Leistungsfähigkeit von Mikrorechnern sind in den kommenden Jahren einige Anwendungen zu erwarten. Szeneninterpretation, also die Deutung von Szenen und Voraussagen der möglichen Bewegungsabläufe anderer Verkehrsteilnehmer, stellt die höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit eines Bildverarbeitungsrechners. Im Fahrzeug wird darauf noch einige Jahre zu warten sein.

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

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Bild 9-26: Stufen der Bildverarbeitung

9.1.4.3.4 Videosystem für Kraftfahrzeuge Bild 9-27 illustriert das grundlegende Prinzip eines Bildverarbeitungssystems für die Kraftfahrzeuganwendung. Der Bildverarbeitungsrechner (ECU, Electronic Control Unit) extrahiert verschiedene Prädikate in Form von Objektlisten aus dem aufgenommenen Bild wie z.B. Spurverlauf, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder die Entfernung zu Gegenständen vor dem Fahrzeug. Diese Merkmale erlauben es, ein virtuelles Modell der Fahrzeugumgebung zu erstellen. Aus diesen Objektlisten können die in Bild 9-27 dargestellten Informationen abgeleitet werden. Hieraus können wiederum verschiedene Informationen oder Warnungen an den Fahrer oder Fahrzeugeingriffe abgeleitet werden. Die Informationen können über einen Datenbus anderen Komponenten im Fahrzeug zur Verfügung gestellt werden. Im gezeichneten Beispiel wird die vom Bildverarbeitungsrechner erkannte und als solche interpretierte Geschwindigkeitsbeschränkung vom Kombiinstrument übernommen und als Symbol im Graphikdisplay des Instruments angezeigt. Beachtet der Fahrer die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht, so kann ihn das System zusätzlich akustisch oder haptisch, beispielsweise durch Erschweren der Gaspedalbetätigung, warnen.

Das enorme Potenzial der Videosensierung ist intuitiv aus der Leistung des menschlichen Sehapparates abzuleiten. Obwohl Computersehen noch weit von dem Leistungsvermögen des menschlichen Sehapparates entfernt ist, kann heute schon eine ansehnliche Zahl videobasierter Funktionen dargestellt werden, wie z.B. Spurerkennung, Spurverlassenswarnung, Verkehrszeichenerkennung (Geschwindigkeit, Überholverbot, ... ) mit entsprechender Warnung an den Fahrer, Erkennung von Hindernissen vor dem eigenen Fahrzeug, Kollisionswarnung oder Fahrzeugneigung (Nickwinkel) zur adaptiven ScheinwerferHöhenverstellung. Beste Ergebnisse der Bildverarbeitung sind mit einer Stereokamera möglich. Für Automobilanwendungen ist dies in der Praxis jedoch heute noch zu kostspielig, sodass die Tendenz hin zum Einsatz einer Monokamera geht. Dies gestattet jedoch nur eine 2D-Bildauswertung, die einige Einschränkungen mit sich bringt. Funktionen wie Spurerkennung und Verkehrszeichenerkennung sind Beispiele, die gut mit einem Monosystem dargestellt werden können. Weiterhin ergänzt die Videotechnik in idealer Weise die Unzulänglichkeiten der Radarsensorik, die heute nicht oder nur sehr eingeschränkt in der Lage ist, eine Objektklassifikation durchzuführen.

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9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr

Bild 9-27: Bilderfassungs- und -verarbeitungssystem [5]

9.1.5 Rundumsichtsysteme, prädiktive Fahrerassistenzsysteme Unter Verwendung der zuvor beschriebenen Sensoren lässt sich eine Vielzahl von Systemen der Fahrerassistenz realisieren. Während der Einführungsphase werden die Systeme gewöhnlich auf Basis einer einzigen Sensortechnologie realisiert, Beispiele sind die Ultraschall-Einparkhilfe oder der adaptive Fahrgeschwindigkeitsregler ACC. Mit zunehmenden Anforderungen und Ansprüchen an die Leistungsfähigkeit der Systeme werden die Funktionen durch Fusion mehrerer Sensortechnologien realisiert oder mit anderen Systemen, z.B. mit einem Navigationssystem, kombiniert. Dies ist in Bild 9-28 durch den Ring zwischen den Komponenten und der Navigation angedeutet. Die Fusion führt zu einer sichereren Aussage über die Art, die Beschaffenheit und die Relevanz eines erkannten Hindernisses,

eine Fusion mit dem Navigationssystem ermöglicht außerdem die Verknüpfung der Daten der prädiktiven Sensoren mit Daten der Straßengeometrie. Bild 9-28 zeigt eine Übersicht. Das Bild zeigt das vielfältige Einsatzgebiet von Fahrerassistenzsystemen auf dem Weg zum Unfall vermeidenden Fahrzeug. Sie lassen sich zunächst untergliedern in Komfortsysteme mit dem möglichen Fernziel „Semiautonomes Autofahren“, sowie in Sicherheitssysteme mit dem Ziel „Unfallvermeidung“. Weiter wird zwischen den aktiven Systemen, die in die Fahrzeugdynamik eingreifen und den passiven Systemen differenziert, die den Fahrer lediglich warnen. Bei den Komfortsystemen geht es darum, die Fahrerreaktion vorzuverlegen und durch eine vorgezogene Reaktion des Fahrers Unfälle zu vermeiden oder die Unfallfolgen zu mindern.

Bild 9-28: Sicherheits- und Komfortfunktionen auf der Basis von Rundumsicht-Sensoren: Einparkhilfe: Hinderniserkennung, Abstandswarnung; Einparkassistent: Parklückenvermessung, Empfehlung Lenkradeinschlag; ACC plus: Folgen bei niedrigen Geschwindigkeiten und Bremsen bis in den Stillstand; ACC LSF: Staufolgefahren

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen Bei den Sicherheitssystemen geht es um zum Teil heftige Eingriffe durch den Fahrzeugrechner, wenn der Fahrer in einer Gefahrensituation spät oder gar nicht reagiert. Auch hier besteht das Ziel der Unfallvermeidung oder der Unfallfolgenminderung. Die den Fahrer unterstützenden Systeme warnen den Fahrer vor Gefahren im Fahrzeugumfeld oder schlagen Fahrmanöver vor. Beispiele hierfür sind die Einparkhilfe oder Systeme zur Verbesserung der Nachtsicht. Solche Systeme besitzen ein hohes Unfallvermeidungspotenzial. Auch Spurverlassenswarner und Systeme zur Detektion von Objekten im toten Winkel können einen hohen Beitrag zur Unfallvermeidung leisten, da etwa ein Drittel aller Unfälle auf unbeabsichtigtes Verlassen der Fahrspur oder Fahrspurwechsel zurückzuführen sind. Die Systeme zur Fahrzeugführung führen vom ACCSystem und seinen Folgegenerationen bis zur vollständigen Längsführung auch in urbanen Bereichen oder bei hohen Fahrzeuggeschwindigkeiten. Hierbei geht man von einer Fusion von Radardaten mit Videodaten aus. Ergänzt man die Längsführung um ein – ebenfalls videobasiertes – System zur Querführung (Spurhalteassistent), ist eine autonome Fahrzeugführung im Prinzip denkbar. Heutige passive Sicherheitssysteme können in ihrer Wirkung durch vorausschauende Erkennung möglicher Crash-Situationen (Precrash) verbessert werden. Bei erkannter Gefahr kann das Airbag-Steuergerät vorbereitet werden, Gurte können straff gezogen werden, um die Passagiere auf einen möglichen Unfall vorzubereiten. Beim Fußgängerschutz ist daran gedacht, bei einem Unfall die Motorhaube einige Grad hoch zu stellen um den Fußgänger weich abzufedern. Auch an Außenairbags wird gearbeitet. An die Funktionen der aktiven Sicherheit werden die höchsten Anforderungen bezüglich Leistungsmerkmalen und Zuverlässigkeit gestellt. Sie reichen vom einfachen Parkstop, der das Fahrzeug beim Einparken vor einem Hindernis automatisch abbremst, bis hin zu den prädiktiven Sicherheitssystemen. An dieser Stelle geht die Perspektive bis hin zum Unfall vermeidenden Fahrzeug mit rechnergestützter Durchführung von Fahrmanövern zur Kollisionsvermeidung [12]. Komfortsysteme unterstützen den Fahrer, und in den Betriebsanleitungen finden sich zahlreiche Hinweise auf mögliche Funktionseinschränkungen. Um Produkthaftungsfälle auszuschließen, wird stets darauf hingewiesen, dass sich der Fahrer nicht blind auf das System verlassen darf, sondern stets selbst für die Führung des Fahrzeugs verantwortlich ist. Bei den Sicherheitsfunktionen ist dies anders. Eine Einschränkung für die Systemauslegung ist heute durch das Wiener Weltabkommen gegeben. Es regelt, dass kein Fahrzeugeingriff gegen den Fahrerwillen vorgenommen werden darf. Weiterhin ist es aus Produkthaftungsgründen wichtig, dass der Fahrer

425 die Aktion eines Fahrerassistenzsystems jederzeit versteht. Andernfalls wäre die Gefahr zu groß, dass er erschrickt und falsch reagiert und dadurch eventuell sogar einen Unfall riskiert. 9.1.5.1 Komfortsysteme Die Einführung von Fahrerassistenzsystemen erfolgt zunächst über die Komfortsysteme. Davon ausgehend werden unter Nutzung derselben Sensorsignale sukzessive die Sicherheitsfunktionen erschlossen. In den folgenden Kapiteln werden beispielhaft einige dieser Funktionen und Systeme näher beschrieben. 9.1.5.1.1 Einparkhilfe-System und Weiterentwicklungen Bei nahezu allen Fahrzeugen ist die Sicht beim Rangieren stark eingeschränkt. Dies liegt vor allem an den modernen Fahrzeugkarosserien, mit denen möglichst niedrige Luftwiderstandsbeiwerte erreicht werden, um den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren. In der Regel entsteht dadurch eine leichte Keilform. Vorhandene Hindernisse sind somit häufig nur schlecht oder überhaupt nicht erkennbar. So sieht der Durchschnittsfahrer beim Blick durch die Heckscheibe die Straßenoberfläche erst in einem Abstand von 8 bis 10 Metern. Auch direkt vor dem Fahrzeug befindliche Hindernisse entziehen sich dem Blick des Fahrers, da sie durch den Fahrzeugvorbau verdeckt werden. Um die Sicht des Fahrers um eine „elektronische Sicht“ zu erweitern, sind Einparkhilfen auf Basis der in Abschnitt 9.1.4.1 beschriebenen Ultraschallsensoren gut geeignet. Sie haben mittlerweile eine hohe Akzeptanz beim Endkunden, dem Fahrzeugführer, gefunden. Einparkhilfen überwachen einen Bereich von ca. 20 bis 250 cm hinter oder vor dem Fahrzeug (siehe Bild 9-29). Andere Fahrzeuge und Hindernisse werden erkannt und durch optische oder akustische Mittel angezeigt.

Bild 9-29: Einparkhilfesystem (Maximalkonfiguration)

426 Es gibt verschiedene Ausführungsformen der Einparkhilfe. Einfachere Systeme nutzen drei bis vier Sensoren am Fahrzeugheck, aufwändigere Lösungen nutzen bis zu zwölf Sensoren am Fahrzeug (sechs vorn, sechs hinten). Hierbei kann durch Anbringen von Sensoren an den Fahrzeugecken auch eine wirkungsvolle Eckenabsicherung realisiert werden. Neben den Ultraschallsensoren besteht das Gesamtsystem noch aus den Komponenten Steuergerät und Warnelement. Die Aktivierung des Systems erfolgt selbsttätig mit dem Einlegen des Rückwärtsgangs bzw. bei Systemen mit zusätzlicher Frontabsicherung mit dem Unterschreiten einer Geschwindigkeitsschwelle von ca. 15 km/h. Während des Betriebes gewährleistet die Selbsttestfunktionalität eine permanente Überwachung aller Systemkomponenten. Weitere Entwicklungsschritte Eine zukünftige Anwendung des Ultraschallsensors kommt für eine Parklückenvermessung und eine Einpark-Assistenzfunktion in Frage. Parklückenvermessung Nach Aktivierung des Systems durch den Fahrer misst ein seitlich am Fahrzeug angebrachter Sensor die Länge der Parklücke aus. Nach einer Plausibilisierung des Messwertes mit den Signalen des Radimpulszählers gibt das System ein Signal an den Fahrer, ob die Parklücke groß genug ist (Bild 9-30). Auch Hindernisse in der Parklücke werden erkannt und dem Fahrer signalisiert.

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr zum Einparken (siehe Bild 9-31). Während des Einparkvorgangs wird die Trajektorie ständig nachberechnet. So wird aus der Einparkhilfe ein Einparkassistent.

Bild 9-31: Einparkassistent

Um ein gutes Einparken entlang des Randsteins sicherzustellen, ist es nötig, dass er mit guter Sicherheit erkannt wird. Hierzu sind Sensoren mit noch höherer Reichweite (bis etwa vier Meter) und höherer Empfindlichkeit notwendig. Auf der nächsten Evolutionsstufe steht ein System mit elektrischer Lenkungsbetätigung. Der Fahrer muss dann nur noch Gas geben und bremsen. Das Lenken übernimmt der Computer. 9.1.5.1.2 Geschwindigkeitsregelung, Limiter

Bild 9-30: Parklückenvermessung

Einparkassistent In einem weiteren Entwicklungsschritt kann während des Einparkvorgangs eine Empfehlung an den Fahrer ausgegeben werden, wie er das Lenkrad optimal einschlagen soll, um möglichst elegant in die Lücke einzuparken. Hierzu berechnet der Mikrorechner im Steuergerät aus den Signalen zweier seitlich angebrachter Ultraschallsensoren die optimale Trajektorie

Geschwindigkeitsregler (im angloamerikanischen Sprachgebrauch: Cruise Control) sind Komfortsysteme, die den Fahrer insbesondere bei langen Fahrten mit relativ gleich bleibender Geschwindigkeit entlasten. Da solche Verhältnisse außerhalb geschlossener Ortschaften vor allem in den USA vorkommen, haben sich diese Systeme vor allem dort stark verbreitet und gehören fast bei allen Fahrzeugen zur Serienausstattung. In Europa liegt die Fahrzeugdurchdringung hingegen nur im Bereich von 20 bis 30 %. Cruise-Control-Systeme griffen früher per Seilzug oder pneumatisch auf die Drosselklappe zu. Heute wird die Drosselklappe nur noch elektrisch angesteuert. Die vom Fahrer über einen Bedienhebel am Lenkrad eingestellte Geschwindigkeit wird vom Fahrzeug solange beibehalten, bis der Fahrer bremst oder eine andere Wunschgeschwindgkeit wählt. Die sog. Limiterfunktion wird meist mit dem gleichen Bedienelement aktiviert. Mit ihr kann eine Maximalgeschwindigkeit eingestellt werden. Der Fahrer kann nicht schneller fahren, auch wenn er mehr Gas gibt, als der gefahrenen Geschwindigkeit entspricht. Beide Systeme können jederzeit durch den Fahrer übersteuert werden.

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

427

Bild 9-32: ACC-Systemstruktur [6]

9.1.5.1.3 Adaptiver Fahrgeschwindigkeitsregler Der adaptive Fahrgeschwindigkeitsregler (ACC, Adaptive Cruise Control) misst die Entfernung zu vorausfahrenden Fahrzeugen und regelt die Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs so, dass der vorgeschriebene Mindestabstand nicht unterschritten wird. Hierzu greift das ACC in Bremse und Antrieb ein. Zur Messung des Abstandes und der Geschwindigkeit dieser Fahrzeuge wird der in Abschnitt 9.1.4 beschriebene Abstandssensor benötigt. Für die Veränderung und Regelung der Geschwindigkeit wird auf bestehende, allerdings für das ACC modifizierte Subsysteme zurückgegriffen. Dies kann eine Motorsteuerung mit elektronischer Momentensteuerung sein, oder man nutzt eine elektronische Bremsmodulation mit aktivem Druckaufbau, i.A. auf Basis eines Elektronischen Stabilitätsprogramms (ESP). Neben der Verzögerungsfähigkeit stellt das ESP für die ACC-Funktion wichtige Sensorsignale über fahrdynamische Größen bereit, die dem ACC auch in Kurven eine zuverlässige Funktion ermöglichen. Wünschenswert für den vollen Komfort ist die Kombination des ACC mit einer Getriebeautomatik. Für Bedienung und Anzeige findet der Fahrer Schalter zur Aktivierung der Funktion sowie zur Einstellung der Wunschgeschwindigkeit und der Wunschzeitlücke. Im Kombiinstrument werden ihm die eingestellten Werte und weitere ACC-Informationen präsentiert. Bild 9-32 zeigt die Systemstruktur des ACC. Systemarchitektur Da das ACC eine Funktion über mehrere Subsysteme hinweg ist, kommt der Systemarchitektur eine Schlüsselrolle zu. Nur mit einer geeigneten Systemarchitektur lassen sich die Teilfunktionen miteinander so verknüpfen, dass sich eine harmonische und sichere Gesamtfunktion ergibt. Eine besondere Herausfor-

derung an die Systemarchitektur ergibt sich aus dem Umstand, dass die beteiligten Subsysteme oft von verschiedenen, häufig im Wettbewerb stehenden Zulieferern entwickelt werden und z.T. im gleichen Fahrzeugmodell variieren. Die ACC-Gesamtfunktion lässt sich als Funktionshierarchie beschreiben, die sich über drei Ebenen erstreckt: ACC-Fahrzeugführung In dieser obersten Funktionsebene wird die Sollbewegung des Fahrzeugs berechnet. Die Berechnung der Sollbewegung erfolgt modular in den Blöcken für die Wunschgeschwindigkeitsregelung (Set Speed Control), die eigentliche ACC-Folgeregelung (Follow Control) und die Geschwindigkeitsanpassung an die Kurve (Curve Speed Control). Weitere Funktionalitäten können sowohl in den einzelnen Blöcken als auch durch weitere Blöcke hinzugefügt werden. Basis-Ergebnisgröße für jeden Block ist eine aufgabenspezifische Fahrzeugsollbeschleunigung. Beschleunigungsregelung Der Beschleunigungskoordinator ermittelt aus den verschiedenen Beschleunigungssollwerten eine ACCSollbeschleunigung. Nachdem die Fahrzeugsollbewegung durch den Beschleunigungssollwert beschrieben ist, gilt es in der nächsten Ebene, diese Sollbewegung auch einzuregeln. Im ersten Schritt ist dabei auszuwählen, ob der Sollwert über den Antriebsstrang (i.A. bei positiven und betragsmäßig kleinen negativen Beschleunigungen) oder über das Bremssystem (für stärkere Verzögerungen) eingestellt werden soll. Nach dieser Entscheidung erfolgt die Umsetzung auf Momentengrößen.

428 Momentenstellung Diese Momentensollgrößen kommen den direkten Stellgrößen wie Einspritzmenge oder Bremsdruck schon recht nahe. Da die Stellsysteme noch weitere „Aufträge“ bedienen, werden die verschiedenen Auftragsflüsse koordiniert. Das Ausgangsergebnis dieses Koordinators wird dann direkt mit den Stellern umgesetzt und wirkt auf das Fahrzeug. Netzwerkstruktur Da die ACC-Funktion nicht autark als eigenständiges System dargestellt ist, müssen die verschiedenen Subsysteme untereinander vernetzt werden. Für die Datenübermittlung wird der Steuergerät-Bus CAN eingesetzt (siehe Bild 9-32). Dieser verbindet Motorsteuerung, Getriebesteuerung, ESP-Steuergerät und Kombiinstrument. Oft sind auch noch weitere Geräte angeschlossen oder über Gateway-Funktionen erreichbar. Neben der Art der Datenübermittlung ist die Konvention über die Dateninhalte der Netzwerk-Signale festzulegen. Diese ergibt sich aus der Funktionsaufteilung. Die aktuellen Bosch-ACC-Systeme verwenden die Motormomentenschnittstelle zur Motorsteuerung und die Schnittstelle zum ESP-Steuergerät. Die Sensorsignale der einzelnen Steuergeräte stehen als physikalische Größen allen am Netz befindlichen Steuergeräten zur Verfügung. Sicherheitskonzept Ziel des Sicherheitskonzepts ist es, ACC-bedingte kritische Fahrsituationen und Fahrzeugzustände zu vermeiden, gleichzeitig jedoch die von den Sicherheitsmaßnahmen ausgehenden Einschränkungen der Verfügbarkeit zu minimieren. Das Sicherheitskonzept muss bei Eintritt von Fehlerzuständen zwei grundlegende Forderungen erfüllen. Die erste verlangt vom Steuergerät ein Fail-SafeVerhalten, d.h. im Falle eines erkannten Fehlers darf keine Radarabstrahlung erfolgen und die Aktoren dürfen nicht mit einem Sollwert beaufschlagt werden. Als zweite Forderung darf das Steuergerät den restlichen Steuergeräteverbund zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigen. Allgemein anerkannte Verfahren zur Überwachung sicherheitsrelevanter Systeme sind Diversität und Redundanz. Für das ACC-Steuergerät wurde ein Überwachungskonzept entwickelt, das auf der ACCspezifischen Rechnerstruktur aufsetzt und gleichermaßen der Komplexität der Aufgaben und den spezifischen Sicherheitsanforderungen Rechnung trägt. Hinzu kommen außerhalb des ACC-Steuergeräts lokalisierte Plausibilisierungen, die von den Partnersteuergeräten ausgeführt werden, indem diese die ACC-Botschaften auf Konsistenz und Plausibilität überprüfen. Ebenso findet auch im ACC-Steuergerät eine Plausibilisierung der Partnersteuergeräte durch

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr Überprüfung der eingehenden Botschaften statt ([9], [10]). Antriebssteuerung Das beim ACC am häufigsten zum Einsatz kommende Aktorsystem ist die Motorleistungssteuerung. Für diesen Zweck wird bei Ottomotoren eine Drosselklappenverstellung benötigt. Die meisten heute eingesetzten Motorsteuerungen haben diese Funktion integriert. Damit ist es möglich, ohne Kenntnis von Motorkennfeldern den Antriebsstrang auf Basis von Motor-Drehmomenten anzusteuern. Bremseingriff Sollte die Schleppverzögerung des Antriebsstrangs nicht mehr ausreichen, um die vom ACC-Regler angeforderte Sollverzögerung zu realisieren, so wird die aktive Bremse angesteuert. Für die Umsetzung sind zwei Stellerkonzepte bekannt. Aktiver Booster Erweitert man einen herkömmlichen Bremskraftverstärker um die Möglichkeit, das Pedalgestänge elektronisch gesteuert zu verschieben, so ergibt sich die Möglichkeit, anstatt des Fahrerfußes zu bremsen. Dafür sind ein geändertes Membrandesign und ein zusätzliches pneumatisches Ventil mit proportionalem Stellcharakter notwendig. Für die Bremslichtansteuerung kann weiterhin der Bremslichtschalter am Pedal benutzt werden. Für die Erkennung, dass der Fahrer bremst, steht ein zusätzlicher Schalter, ein sog. Löseschalter, zur Verfügung. Kann ein Drucksensor am Hauptzylinderausgang zur Druckmessung herangezogen werden, so wird die aktive Bremsung für das ACC oft auch über eine Druck- oder Momentenschnittstelle gesteuert. Hydraulischer Bremsensteller (Hydraulic Brake Actuator) Elektronisch gesteuerte Brems-Aktoren werden schon bei Systemen zur Antriebsschlupfregelung (ASR) und Systemen zur Fahrdynamikregelung verbreitet eingesetzt. Allerdings werden diese in stabilitätsgefährdeten Situationen und nicht unter normalen Fahrbedingungen eingesetzt. Mit verbesserten Ansteuertechniken lassen sich die Hydrauliksteller (i.A. Motorpumpen und Ventile) so ansteuern, dass damit auch eine komfortable Bremsenansteuerung möglich wird. Für die Bremslichtansteuerung wird zum bestehenden, vom Pedal ausgelösten Bremslichtschalter ein weiteres Schaltsignal erzeugt, damit auch bei einer aktiven Bremsung das Bremslicht leuchtet. Als Schnittstelle wird die Verzögerung (über Grund) verwendet. Gänzlich ohne Zusatzhardware kommt die elektrohydraulische Bremse aus. Sie ist als Brake-by-WireSystem geradezu ideal für das ACC. Die ACCAnforderung ist für dieses System nur ein zusätzlicher Sollwertzweig.

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen Kurvensensorik Bei den bekannten ACC-Systemen werden für die Beschreibung der Fahrzeugtrajektorie ESPSensorsignale verwendet. Die Messgrößen werden hierbei typischerweise über CAN von einem ebenfalls im Fahrzeug vorhandenen ESP-Steuergerät an das ACC-Steuergerät übertragen, um Zusatzkosten für eine exklusive Sensorik für das ACC zu vermeiden. Folgende ESP-Sensoren sind bekannt und im Einsatz (siehe auch Bild 9-32): 1. Drehratensensor: Er erfasst die Drehbewegung des Fahrzeugs um seine Hochachse. Das physikalische Messprinzip beruht auf der Messung der Corioliskraft auf eine schwingende Masse unter dem Einfluss einer Drehbewegung (siehe Abschnitt 11.2). 2. Lenkradwinkelsensor: Das physikalische Messprinzip beruht auf der Winkelmessung am Lenkrad. Je nach Aufgabenstellung messen diese Sensoren über Schleifkontakt oder berührungslos (siehe Abschnitt 11.1). 3. Querbeschleunigungssensor: Das physikalische Messprinzip beruht auf der Messung der Auslenkung einer elastisch gelagerten Masse bei wirkenden Trägheitskräften quer zur Fahrzeugachse (siehe Abschnitt 11.2). 4. Drehzahlsensor: Aus den Signalen der Drehzahlsensoren leitet das zugehörige Steuergerät die Raddrehzahl ab. Hierbei kommen folgende Sensortypen zum Einsatz: (a) induktive Drehzahlsensoren mit einem mit der Radnabe verbundenen Zahnrad. (b) aktive Drehzahlsensoren mit an einem mit der Radnabe verbundenen Multipolring, auf dem Magneten mit wechselweiser Polarität angeordnet sind. Das Messelement erfasst hierbei die Veränderung des magnetischen Flusses. Um zu schnelle Kurvenfahrten auszuschließen, werden die Signale dieser Sensoren einbezogen. Das ACC reduziert ggf. automatisch die Geschwindigkeit. Bedienung und Anzeige Bedien- und Anzeigeelemente stellen die unmittelbare Schnittstelle vom ACC zum Fahrer dar. Die Betätigung und die Interpretation sollen möglichst einfach, eindeutig und intuitiv sein. Gerade bei den Bedien- und Anzeigeelementen gibt es einen großen Gestaltungsfreiraum, den der Hersteller unterschiedlich nutzt. Es wird im Folgenden nicht auf eine bestimmte Ausgestaltung eingegangen, sondern es werden die typischen Elemente und deren Funktionen wiedergegeben. Da häufig die Bedienung mit einer Anzeigefunktion quittiert wird, werden Bedienung und Anzeige zusammengefasst. Aktivierung Obwohl das ACC eine häufig genutzte Funktion ist, ist sie vom Fahrer aktiv einzuschalten. Bei einigen Fahrzeugmodellen ist sie zunächst durch einen

429 Hauptschalter erst einmal freizuschalten. Bei anderen Modellen befindet sie sich gleich nach dem Einschalten der Zündung im passiven Wartezustand. Sobald die Bedingungen für eine Aktivierung erfüllt sind und der Fahrer einen für die Aktivierung vorgesehenen Bedienknopf betätigt, beginnt das ACC zu regeln. Wichtige Voraussetzung für die Aufnahme dieser Regelung ist natürlich eine für den Anfangszeitpunkt definierte Wunschgeschwindigkeit und -zeitlücke. Daher ist eine Anzeige dieser Werte zumindest bei der Aktivierung absolut notwendig, damit der Fahrer sofort eine Rückmeldung über die eingestellten Wunschgrößen erhält und sie ggf. noch modifizieren kann. Setzen und Anzeige der Wunschgeschwindigkeit Alle bisher bekannten Bedienkonzepte kombinieren Aktivierung und Setzen der Wunschgeschwindigkeit, d.h. sobald der Fahrer das erste Mal aus dem Wartezustand heraus den Schalter für die Wunschgeschwindigkeitseinstellung benutzt, wird das ACC aktiviert. Obwohl oft die gleichen Schalter wie für den herkömmlichen Fahrgeschwindigkeitsregler verwendet werden, so unterscheidet sich die Einstellung doch erheblich. Insbesondere hat es sich gezeigt, dass für den Fahrer beim ACC eine gröbere Abstufung sinnvoll ist. Statt etwa 1 km/h beim herkömmlichen Fahrgeschwindigkeitsregler haben sich Stufen von 5 oder 10 km/h bewährt. Mit diesen gröberen Stufen fällt es leichter, die Wunschgeschwindigkeit über größere Geschwindigkeitsbereiche anzupassen, z.B. beim Wechsel von einer Baustelle zur „freien“ Fahrt auf der Autobahn und umgekehrt. Abhängig vom Fahrzeughersteller werden auch beide Einstellmodi angeboten. Setzen des Wunschabstands (Zeitlücke) Der Wunschabstand hängt von den persönlichen Vorlieben ab, aber auch von der Verkehrslage und den Wetterbedingungen. Um dieser Variation nachzukommen, werden mindestens drei verschiedene Einstellungen im Bereich von 1,0 s bis etwa 2,0 s (Zeitlücke) angeboten. Hier gibt es verschiedene Bedienphilosophien. Neben einer kontinuierlichen Verstellung mit einem Drehrädchen im Mittelkonsolenbereich oder am Stellhebel für den Fahrgeschwindigkeitsregler werden Stufenschalter oder Taster zum Durchsteppen einer Programmsequenz (z.B. lang, mittel, kurz, lang, mittel, ...) verwendet. Bei Änderung der Zeitlücke sollte der Fahrer eine Rückmeldung über die gewählte Einstellung in einer Anzeige erhalten. Objekt-erkannt-Anzeige Neben den absolut notwendigen Anzeigen für Wunschgeschwindigkeit und Wunschabstand hat sich die „Objekt-erkannt-Anzeige“ bewährt. Sie informiert den Fahrer darüber, ob der ACC-Sensor ein relevan-

430 tes Objekt erkannt hat, dem gefolgt wird, wenn es langsamer ist als die aktuell gesetzte Wunschgeschwindigkeit. Deaktivierung Die Deaktivierung erfolgt ähnlich wie beim herkömmlichen Fahrgeschwindigkeitsregler über einen Ausschalter oder durch die Betätigung des Bremspedals. Eine Teildeaktivierung ist nach Eingriffen der Schlupfregelsysteme (ESP, ASR) vorgesehen. Dabei wird nur noch die Bremse angesteuert, eine Beschleunigung findet nicht mehr statt. So bleibt die Möglichkeit des Abschlusses eines Verzögerungsmanövers, für eine Fortsetzung der Folgefahrt muss jedoch der Fahrer die volle Funktionalität manuell reaktivieren ([9], [10]). Die ACC-Funktion Bild 9-33 zeigt die prinzipielle Funktion des ACC. Bei freier Fahrbahn fährt das Fahrzeug mit der vorgewählten Geschwindigkeit (Tempomat-Modus, Bild 9-33, oben). Bei Erfassung eines vorausfahrenden Fahrzeugs passt das ACC die Fahrgeschwindigkeit automatisch an und folgt im festgelegten Sicherheitsabstand (Bild 9-33, Mitte). Die gesetzte Wunschgeschwindigkeit und der Sicherheitsabstand werden durch Eingriff in Antrieb und Bremse eingehalten. Bei zu hoher Annäherungsgeschwindigkeit wird der Fahrer gewarnt. Verlässt das vorausfahrende Fahrzeug die eigene Spur (Bild 9-33, unten) so beschleunigt das eigene Fahrzeug wieder auf die zuvor eingestellte Wunschgeschwindigkeit. Heutige Systeme funktionieren bei Geschwindigkeiten oberhalb 30 km/h. Um Falschalarme zu vermeiden, werden stationäre Hindernisse unterdrückt.

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr Das Anzeige- und Bedienkonzept heutiger ACCSysteme bringt es mit sich, dass es zwei Situationen gibt, in denen eine große Differenz zwischen aktueller Fahrzeuggeschwindigkeit und gewünschter Setzgeschwindigkeit auftreten kann, die vom Fahrer nicht beabsichtigt ist: 1. Eine Wiederaufnahme der Fahrgeschwindigkeitsregelung mit Resumetaste (Resume-Funktion) aktiviert die zuletzt gesetzte Wunschgeschwindigkeit als aktuelle Wunschgeschwindigkeit. Unter Umständen kann der Fahrer durch eigenes Gasgeben eine weit höhere Geschwindigkeit als die Setzgeschwindigkeit erreichen, bevor er mit der ResumeTaste den ACC-Betrieb wieder aufnimmt. 2. Im laufenden ACC-Betrieb kann der Fahrer durch eigenes Gasgeben die ACC-Regelung aussetzen. Er kann damit eine weit höhere Geschwindigkeit als die gesetzte Wunschgeschwindigkeit erzielen. In beiden Fällen ist sich der Fahrer unter Umständen nicht der großen Differenz zwischen Ist- und Setzgeschwindigkeit bewusst. Die ACC-Geschwindigkeitsregelung unterstützt den Fahrer in diesen Situationen durch eine moderate Regelreaktion. Folgeregelung Im zweiten Schritt gilt es, das relevante vorausfahrende Fahrzeug auszuwählen. Dazu werden die Objektdaten mit der Geometrie des vorhergesagten Kurses verglichen. Sind mehrere Fahrzeuge im Bereich des vorhergesagten Kurses, so ist es meistens das nächste Fahrzeug, das für die Regelung relevant ist. Ideal ist die Auswahl desjenigen Fahrzeugs, das die niedrigste Sollbeschleunigung am Reglerausgang liefert. Dazu ist allerdings eine Rückkopplung des Reglerwerts auf die Zielfahrzeugauswahl notwendig. Ist das Zielfahrzeug ausgewählt, so wird auf Basis des Abstands und der Relativgeschwindigkeit eine Sollbeschleunigung berechnet. Der Sollabstand ergibt sich dabei aus der Fahrzeuggeschwindigkeit vF und der vom Fahrer eingestellten Sollzeitlücke WSet: dSet

Bild 9-33: Funktionsweise des ACC-Systems

Geschwindigkeitsregelung Nachdem der Fahrer über die Bedienelemente eine gewünschte Fahrzeuggeschwindigkeit eingestellt hat, berechnet die Regelung im ersten Schritt einen Sollwert, um die Fahrzeuggeschwindigkeit an diese Wunschgeschwindigkeit anzugleichen.

W Set v F .

(9.5)

Die Sollzeitlücke liegt meist im Bereich von 1 bis 2 s mit einer Tendenz zu größeren Werten bei kleineren Geschwindigkeiten. Viele Fahrer wählen bei dichtem Verkehr, bei dem mit kleineren Sicherheitsabständen gefahren wird, eine kleinere Zeitlücke, um der Gefahr vorzubeugen, dass andere Fahrzeuge überholen und sich in die Lücke vor dem eigenen Fahrzeug setzen. Kurvenregelung Obwohl das ACC hauptsächlich für den Einsatz auf Autobahnen entwickelt wurde, kann das System auch auf kurvigen Strecken eingesetzt werden. Als Komfortsystem darf das ACC den Fahrer nicht durch

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen unkomfortable Beschleunigungen im Kurvenbereich überraschen. Wegen des eingeschränkten Winkelbereichs des Radarsensors passt das ACC die mögliche Beschleunigung des Systems an die begrenzte Sichtweite in engen Kurven an. Der begrenzte Sichtbereich des Sensors führt in engen Kurven auch zu Situationen, in denen ein ausgewähltes Zielfahrzeug vom Sensor nicht mehr erfasst werden kann. In dieser Situation verhindert das ACC eine sofortige Wiederbeschleunigung. Weiterentwicklungen Heutige ACC-Systeme besitzen noch gewisse Einschränkungen im Funktionsumfang, die durch die eingeschränkte Funktionalität von Sensorik und Aktorik bedingt sind. Dies hat zur Folge, dass das ACC nur oberhalb 30 km/h funktioniert, also nicht bis in den Stillstand bremst und auch nicht auf stehende Objekte regelt. Stehende Objekte Grundsätzlich ist das ACC in der Lage, stehende Objekte von fahrenden Objekten zu unterscheiden. Das Radarsystem misst die Relativgeschwindigkeit vrel,j eines Objekts, und die Addition der Eigengeschwindigkeit vF des ACC-Fahrzeugs ergibt die Absolutgeschwindigkeit vj des Objekts: vj

v F v rel, j .

431 wenn stehende Objekte in der eigenen Fahrspur erkannt werden ([9], [10]). Diese Produkteigenschaften eröffnen die Perspektive für ACC-Folgegenerationen. Im Rahmen der Produktpflege werden die zukünftigen Systeme eine höhere Zuverlässigkeit bei der Zielauswahl und eine noch bessere Erkennungsleistung von Objekten im Nahbereich zeigen. Dies wird den Einsatz des ACC auch in Stausituationen zulassen. Für den Einsatz in Stausituationen werden dem heutigen ACC in den kommenden Jahren die beiden folgenden Funktionsstufen folgen: ACC plus Ausschließlich auf Basis des ACC-Sensors wird das ACC plus in der Lage sein, das Fahrzeug in einem Geschwindigkeitsbereich zwischen 0 und 200 km/h zu regeln, d.h., auch bis in den Stillstand abzubremsen. Um Komfortbremsungen zu ermöglichen, muss das Fahrzeug mit einem komfortoptimierten Bremssystem ausgerüstet sein, das wegen der stärkeren Bremsenbelastung auch über ein höheres zulässiges Lastkollektiv verfügen muss. Als Wiederanfahr-Strategie bietet sich vor allem an, dass der Fahrer beginnt und das ACC-System den Vorgang übernimmt. Aus Produkthaftungserwägungen ist ein automatisches Wiederanfahren möglicherweise nicht sinnvoll.

(9.6)

Berücksichtigt man dabei Messabweichungen und zeitliche Verzögerungen der Signale, so wird ein Objekt dann als stehendes Objekt betrachtet, wenn die Geschwindigkeit unterhalb einer Schwelle von ca. 5 km/h liegt. Stehende Objekte werden von der ACC-Folgeregelung generell ausgeschlossen. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: 1. Das ACC ist ein Komfortsystem. Die Verzögerungsfähigkeit ist deshalb nicht dazu ausgelegt, das Fahrzeug rechtzeitig vor stehenden Objekten abzubremsen. 2. Es ist derzeit technisch nicht möglich, eine ausreichend genaue Entscheidung darüber zu fällen, ob ein Objekt sich in der eigenen Fahrspur befindet oder nicht. Bei der Vielzahl stehender Objekte am Fahrbahnrand wäre es deshalb sehr wahrscheinlich, dass das ACC auf ein solches Objekt ungewollt reagiert. Aus diesen Gründen werden derzeit stehende Objekte von der Sensorik nur im niedrigen Geschwindigkeitsbereich berücksichtigt und ausgewertet. Nur fahrende oder abbremsende Objekte werden von der Folgeregelung berücksichtigt. Damit ist eine ungewollte Verzögerung wegen eines stehenden Objekts am Fahrbahnrand nahezu ausgeschlossen. Ferner wird verhindert, dass das ACC das Fahrzeug beschleunigt,

ACC mit Funktion „Staufolgefahren“ Die nächste Stufe der Funktionserweiterung erfolgt mit der Funktion Staufolgefahren (Low Speed Following, LSF), bei der eine Fusion der Daten des Long Range Radar und eines Mittelbereichssensors oder eines Nahbereichssensors vorgenommen wird. Diese Funktion erlaubt es, das Fahrzeug bis zum Stillstand abzubremsen und bei freier Fahrt auf Fahrerwunsch wieder zu beschleunigen.

Bild 9-34: Systemarchitektur eines ACC für die Längsführung in allen Geschwindigkeitsbereichen

432 Durch Ergänzung des ACC LSF mit einer Videosensorik wird es möglich sein, eine vollständige Längsführung in allen Geschwindigkeitsbereichen und auch im Stadtverkehr vorzunehmen. Bild 9-34 zeigt die Systemarchitektur. Die Überlappung der Bereiche von einzelnen Sensortypen erlaubt eine Steigerung der Detektionszuverlässigkeit. Kopplung des ACC mit der Navigation Auf Basis von digitalen Karten ist prinzipiell die Bestimmung von prädiktiven Krümmungsinformationen in definierten Abständen möglich. Hierbei lässt sich über Interpolationsverfahren auf Basis der vorhandenen Stützstellen z.B. 50 m voraus die Krümmung bestimmen. Prinzipbedingte Probleme verursachen z.B. Ungenauigkeiten in den digitalen Karten selbst oder nicht dem aktuellen Straßenverlauf entsprechende Karten. Weitere Informationen wie z.B. die Anzahl der Spuren oder der Straßentyp lassen zukünftig weitere Anwendungen zu. 9.1.5.1.4 Fernbereichs-LIDAR LIDAR-Sensoren für ACC-Anwendungen sind in Japan seit einigen Jahren im Einsatz, wenngleich mit gegenüber Radar reduziertem Leistungsvermögen. LIDAR (Light Detection and Ranging) benutzt elektromagnetische Wellen im infraroten Wellenlängenbe-

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr reich zwischen 800 und 1000 nm. LIDAR-Strahlen werden durch Nebel und schlechte Sichtverhältnisse, vor allem Gischt, mitunter erheblich gedämpft. Die Messreichweite kann dadurch entsprechend reduziert werden. Dies macht sie für Sicherheitsanwendungen weniger gut geeignet als Radarsensoren. 9.1.5.1.5 Spurwechselassistent Unbeabsichtigte Spurwechsel gehören mit zu den häufigsten Unfallursachen (siehe Bild 9-4). Sie sind zumeist durch Müdigkeit (Sekundenschlaf) oder durch Ablenkung verursacht. Ein Spurwechselassistent soll dieser Unfallursache entgegenwirken, indem er die voraus liegenden Fahrbahnbegrenzungen detektiert und den Fahrer warnt, wenn die Gefahr besteht, dass eine Begrenzungslinie überfahren wird, ohne dass der Blinker gesetzt wurde. Systeme zur Spurverlassenswarnung (LDW, Lane Departure Warning) benutzen Videokameras und können sowohl in Mono- als auch in Stereotechnik aufgebaut werden. Die Reichweite eines Monosystems liegt bei VGA-Auflösung des Imagers, bei guten Wetterverhältnissen und guten Spurmarkierungen im Bereich von knapp über 40 m; beim Stereosystem sind es etwa 10 – 20 % mehr. Bisher konnten sich aus Kostengründen nur Monosysteme am Markt etablieren. Bild 9-35 zeigt das Prinzip der Fahrspurerkennung.

Bild 9-35: Prinzip der Fahrspurerkennung

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen Wie in Bild 9-35 dargestellt, sucht das Bildverarbeitungssystem nach Fahrspurmarkierungen vor dem Fahrzeug, indem Kontrastunterschiede zwischen Straßenbelag und Spurmarkierung ausgewertet werden. Lücken in den Spurmarkierungen werden durch Kalman-Filterung überbrückt. Das obere Bild zeigt das Kamera-Bild mit Suchlinien (siehe Detail im zweiten Teilbild von oben) und die Kreuze im oberen Bild markieren den Spurverlauf, der vom Bildverarbeitungsrechner berechnet wird. Um eine Linie zu detektieren, wird das Luminanzsignal innerhalb der Suchlinie analysiert. Durch Hochpassfilterung werden die Grenzen der Fahrspurmarkierung detektiert. Aus diesen Signalen kann eine Warnung für den Fahrer abgeleitet werden, wenn er die Fahrspur verlässt. Verschiedene Warnmodalitäten sind hierbei denkbar: Akustische Warnungen in Form eines Warntons aus dem Fahrzeuglautsprecher (ein Stereoton vermittelt zusätzlich eine Richtung) oder ein sog. „Nagelbandrattern“ haben sich als wirksame Formen der Warnung erwiesen. Neuerdings erschließt man für diese Warnung den haptischen Sinneskanal. Ein Vibrieren des Sitzes (mit Richtungsinformation) wurde Ende 2004 auf den Markt gebracht. Vibrieren des Lenkrads oder Beaufschlagung der Lenkung mit einem leichten Gegenmoment werden derzeit auf ihre Signifikanz untersucht. Der Vorteil der Warnung über das Lenkrad besteht in der direkten Assoziation der Gefahr mit der Lenkung für den Fahrzeugführer. 9.1.5.1.6 Systeme zur Verbesserung der Nachtsicht Systeme zur Verbesserung der Nachtsicht können einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion von Unfällen leisten, da mehr als 40 % aller Todesfälle bei Nachtunfällen geschehen, obwohl nur 20 % aller Fahrten bei Nacht stattfinden. Neben schlechten Wetterverhältnissen kommt eine beschränkte Sicht bei Nacht vor allem bei Gegenverkehr vor. Zur Beseitigung dieses Problems wurden in der Vergangenheit zahlreiche Anstrengungen unternommen. Schon vor einigen Jahrzehnten wurden Versuche mit polarisiertem Licht durchgeführt, die aber wegen der hohen Transmissionsverluste der

433 Polarisatoren gestoppt wurden. Adaptives Kurvenlicht wurde in den 1960er Jahren eingeführt (mechanische Kopplung der Scheinwerfer mit der Lenkung) und intelligente Frontscheinwerfer, die ihre Lichtverteilung an bestimmte Verkehrsverhältnisse anpassen, sind mittlerweile verfügbar. Es gibt zwei Typen von Nachtsicht-Verbesserungssystemen: 1. Ferninfrarot-basierte Systeme. Sie wurden erstmals im Jahre 2000 am Markt eingeführt, 2. Nahinfrarot-basierte Systeme. Eine erste Markteinführung erfolgte im Herbst 2005. Bild 9-36 zeigt den prinzipiellen Unterschied zwischen den beiden Verfahren. Ferninfrarot-Systeme Nachtsichtverbesserungssysteme auf Basis von Ferninfrarot (FIR) werden für militärische Anwendung seit Jahren verwendet. Sie empfangen Wärmestrahlung im Wellenlängenbereich zwischen 7 und 12 µm, die von Gegenständen ausgestrahlt wird. Sie sind demzufolge passive System, die keine zusätzlichen Strahlungsquellen zur Beleuchtung der Objekte benötigen. Die pyroelektrische Wärmebildkamera oder Mikrobolometerkamera ist nur im oben angegebenen Wellenlängenbereich sensibel. Beide Kameratypen benötigen eine Temperaturregelung. Da Windschutzscheibenglas diese Wellenlängen nicht durchlässt, muss die Kamera im Außenbereich des Fahrzeugs, üblicherweise hinter einem Silizium-Fenster, verbaut werden. Wärmebildkameras verwenden Germaniumoptiken. Tex-Glas mit hohem Germaniumanteil und entsprechendem Durchlassbereich ist in Entwicklung. Aktuell verfügbare Kameras besitzen QVGAAuflösung (320 u 240 Bildpunkte). Die Signale der Kamera werden über ein Steuergerät (ECU), das ein Videosignal erzeugt, auf ein Display (HMI) gegeben. Warme Gegenstände zeichnen sich im Bild als helle Konturen deutlich im dunklen (kalten) Umfeld ab. Die Bild-Darstellung ist jedoch für den normalen Beobachter eher ungewöhnlich, da das Erscheinungsbild nicht dem eines normalen Reflexionsbildes entspricht.

Bild 9-36: Nahinfrarot-System (links) und Ferninfrarot-System (rechts); IR: Infrarot, HMI: Display, ECU: Steuergerät

434

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr

Bild 9-37: NIR-System (Zeichnung nicht maßstabsgetreu); HUD: Head-upDisplay, siehe Kapitel 8

Nahinfrarot-Systeme Die andere Möglichkeit zur Realisierung eines Nachtsichtsystems ist die Verwendung von Infrarotstrahlung im nahen Spektralbereich zwischen 800 nm und 1000 nm, d.h. nahe dem sichtbaren Spektrum. Da Gegenstände keine Strahlung in diesem Wellenlängebereich aussenden, müssen sie mit speziellen Scheinwerfern bestrahlt werden, damit sie von einer Videokamera aufgenommen werden können. Imagerchips aus Silizium sind in einem Wellenlängenbereich bis etwa 1000 nm sensibel und damit neben dem Empfang von Bildern im sichtbaren Wellenlängebereich auch für Nachtsichtsysteme sehr gut einsetzbar. Halogenlampen, wie sie üblicherweise für Automobilscheinwerfer verwendet werden, besitzen einen hohen Anteil an Infrarotstrahlung, die von der Grenze des sichtbaren Spektrums (780 nm) bis zu Wellenlängen jenseits 2 µm reicht mit einem Maximum zwischen 900 and 1000 nm. Die Obergrenze der nutzbaren Wellenlänge bei Verwendung einer Videokamera liegt bei 1100 nm, der Empfindlichkeitsgrenze für Silizium. Durch die Nähe des NIR-Spektrums zum sichtbaren Spektrum reflektieren natürliche Objekte NIR-Strahlung ziemlich ähnlich wie sichtbares Licht, d.h. das Bild erscheint dem Betrachter natürlich. Das Prinzip des NIR-Systems ist in Bild 9-37 dargestellt. Das normale Abblendlicht strahlt den querenden Fußgänger nicht an, er wird vom Fahrer übersehen. Die modifizierten Frontscheinwerfer emittieren zusätzlich zum Abblendlicht NIR-Strahlung mit Fernlichtcharakteristik. Sie trifft den Fußgänger, er reflektiert IR-Strahlung zum Fahrzeug zurück. Die dort im Bereich der Windschutzscheibe angebrachte Videokamera nimmt die Szene vor dem Fahrzeug auf und sie kann in einem Display im Cockpit angezeigt werden. Dies kann ein Head-up-Display sein oder ein Bildschirm in der Mittelkonsole oder im Kombiinstrument. Um zu einem

brillanten und kontrastreichen Bild zu gelangen, ist es i.A. notwendig, die Kameradaten in einem Bildverarbeitungsrechner zu bearbeiten, siehe hierzu auch Abschnitt 9.1.4.3.1. In der Praxis werden zur Realisierung des NIRSystems zusätzliche NIR-Module in den Frontscheinwerfer integriert. Sie bestehen aus einem Halogenscheinwerfer mit vorgesetztem optischen Filter, der die sichtbaren Anteile des emittierten Spektrums herausfiltert. Bezüglich der Transmissionscharakteristik des Filters sind strenge gesetzliche Vorgaben zu beachten, die vorschreiben, dass keine rot erscheinende Lichtquelle an der Fahrzeugfront verbaut werden darf. Das Licht entgegenkommender Fahrzeuge wird durch die Nichtlinearität des Imagers so stark reduziert, dass es zu keiner Überstrahlung im Display kommt. Vergleich von NIR- und FIR-Systemen Bild 9-38 zeigt die Bilder eines NIR-Systems (links) und eines FIR-Systems (rechts). Im linken Bild ist deutlich der gute Ausleuchtbereich der IR-Scheinwerfer zu sehen. Außerdem fällt auf, dass die Reichweite des FIR-Systems deutlich größer ist, da alle Objekte erfasst werden, deren Temperatur höher als die Umgebungstemperatur ist. Im NIR-Bild ist hingegen nur das zu sehen, was von den IR-Scheinwerfern angestrahlt wird. Folgende Eigenschaften fallen dem Betrachter im NIR-Bild auf: 1. Vertrautes Erscheinungsbild von Personen und Objekten 2. Deutlich sichtbare Spurmarkierungen

9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen

435

Bild 9-38: Erscheinungsbild eines NIR-Systems (links) und eines FIR-Systems (rechts)

Im FIR-Bild fällt auf: 1. Personen und Gegenstände zeigen ein fremdartiges Erscheinungsbild (warme Zonen am Körper oder die Fahrzeugreifen erscheinen im FIR-Bild hell) 2. Unklare, fast nicht sichtbare Fahrspurmarkierungen 3. Verkehrszeichen zeigen oft nur sehr geringen Kontrast, da sie ihre Eigentemperatur relativ schnell der Umgebungstemperatur anpassen [13]. Displays für Nachtsichtsysteme Für die Darstellung von Nachtsichtinformation (sowohl NIR als auch FIR) bietet sich zunächst die direkte Bilddarstellung an. Bisherige Systeme benutzen hierzu ein Head-up-Display (HUD), bei dem die monochrome Information auf die Windschutzscheibe projiziert wird. Entsprechend den Gestaltungsrichtlinien für Fahrerinformationssysteme sollte das Bild an der unteren Scheibenwurzel dargestellt werden. Wenn es gelänge, eine sog. „kontaktanaloge“ HUD-Anzeige zu realisieren, bei der sich das projizierte Bild genau mit dem natürlichen Bild überdeckt, welches der Fahrer durch die Windschutzscheibe sieht, wäre dies eine ideale Darstellungsform. Solche Lösungen erfordern aber einen hohen technischen Aufwand wie z.B. die Erkennung der Kopfposition zum „Nachfahren“ des HUD in den Sichtstrahl des Fahrers und große Projektionsoptiken, für die der Raum im Cockpit nicht zur Verfügung steht. Neben der Darstellung im HUD bietet sich die Darstellung in einem Graphikdisplay im Cockpit an. Hierbei ist allerdings darauf zu achten, dass der Bildschirm möglichst nahe der Windschutzscheibe und nicht zu weit von der normalen Blickrichtung des Fahrers entfernt ist, um lange Blickabwendungen zu vermeiden. Auf längere Sicht werden Nachtsichtsysteme über Möglichkeiten der Objekterkennung und Objektklassifikation verfügen, so dass es in Zukunft möglich sein wird, auf die Bilddarstellung zu verzichten und den Fahrer nur dann situationsbezogen zu warnen,

wenn sich ein (relevantes) Hindernis auf der Fahrspur oder in ihrer Nähe befindet. 9.1.5.2 Sicherheitssysteme Die passiven Sicherheitssysteme (Insassenschutz) befinden sich bereits auf einem hohen Niveau und haben durch ständig sinkende Zahlen bei den Verkehrstoten ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt. Durch prädiktive Systeme, die vorausschauend einen bevorstehenden Unfall erkennen, lässt sich wichtige, zusätzliche Zeit gewinnen, um Maßnahmen zur optimalen Vorbereitung von Insassen und Fahrzeug auf den Unfall einleiten. Die Einführung von aktiven Sicherheitssystemen führt zunächst über die Komfortsysteme, da ein Fahrzeugkäufer eher bereit ist, für ein Komfortsystem Geld auszugeben als für ein Sicherheitssystem, von dem er ohnehin ein hohes Niveau erwartet. Bei diesem Übergang geht man davon aus, dass die Signale der Sensoren für Komfortsysteme und Sicherheitssysteme gleichzeitig genutzt werden. Der Weg zu den aktiven Sicherheitsfunktionen für die höchsten Ansprüche, wie aktive Unfallvermeidung in allen Situationen, führt über die prädiktiven Sicherheitssysteme. Sie werden in drei Stufen ausgebaut [12]. 9.1.5.2.1 Prädiktive Sicherheitssysteme Auf dem Weg zur Unfallvermeidung mit vollem Eingriff in die Fahrzeugdynamik gelangen prädiktive Fahrerassistenzsysteme zum Einsatz. Sie stützen ihre Funktionsumfänge auf die Signale neuer Sensoren, die eine Einbeziehung des Fahrzeugumfeldes gestatten. Aus der Messung der Relativgeschwindigkeit zwischen den erkannten Objekten und dem eigenen Fahrzeug können gefährliche Situationen frühzeitig erkannt werden. Aus ihnen lassen sich Warnungen und stufenweise Fahrzeugeingriffe ableiten. In 68 % aller Auffahrunfälle ist Unachtsamkeit die Ursache. In weiteren 11 % kommt zur Unaufmerksamkeit noch zu dichtes Auffahren hinzu, in 9 % aller

436 Auffahrunfälle ist zu dichtes Auffahren die alleinige Ursache [14]. 88 % der Auffahrunfälle können somit durch Fahrerassistenzsysteme zur Längsführung beeinflusst werden [15]. Bild 9-39 zeigt die Analyse des Bremsverhaltens bei Unfällen. In nahezu der Hälfte aller Kollisionen wird überhaupt nicht gebremst. Eine echte Notbremsung erfolgt nur in 39 % aller Fahrzeug-Fahrzeug-Unfälle bzw. in 31 % der Unfälle, bei denen kein zweites Fahrzeug beteiligt war. In allen anderen Fällen wird nur eine Teilbremsung gemacht, bei der Bremsweg verschenkt wird [16].

Bild 9-39: Bremsverhalten bei Unfällen [16]

Diese Analyse bestätigt, dass Unaufmerksamkeit die häufigste Ursache für Auffahrunfälle ist und macht deutlich, welch hohen Beitrag prädiktive Fahrerassistenzsysteme zur Vermeidung von Unfällen oder zur Milderung von Unfallfolgen leisten können, wenn es gelingt, mit ihnen das Bremsverhalten des Fahrers zu unterstützen, zu beschleunigen oder die Bremsung durch einen Rechnereingriff vornehmen zu lassen. Für die Einführung von Fahrerassistenzsystemen zur Längsführung folgt man einem dreistufigen Vorgehen, wobei ein erster, wichtiger und vorbereitender Schritt in diese Richtung mit dem weiter oben beschriebenen adaptiven Fahrgeschwindigkeitsregler (ACC) bereits getan wurde. Stufe 1: Vorbereitung der Bremsanlage In der ersten Stufe (PBA, Predictive Brake Assist, Predictive Safety System der 1. Generation, ging 2005 in Serie) bereitet das System die Bremsanlage auf eine mögliche Notbremsung vor. In unfallkritischen Situationen baut es dazu Bremsdruck auf, legt die Bremsbeläge unmerklich an die Scheiben an und passt den hydraulischen Bremsassistenten an. Der Fahrer gewinnt so wichtige Sekundenbruchteile, bis die volle Bremswirkung eintritt. Macht er nun eine Notbremsung, so erhält er die schnellstmögliche Bremsreaktion bei optimalen Verzögerungswerten und damit den kürzestmöglichen Anhalteweg. Bleibt die Bremsung aus, werden diese Fahrzeug vorbereitenden Maßnahmen zurückgenommen. Kommt es zu einem Unfall, kann das System die Folgen mindern und dabei auch Leben retten.

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr Eine typische unfallträchtige Situation ist das Einscheren eines erheblich langsameren Fahrzeugs vor dem eigenen auf der Autobahn. Ist das eine Fahrzeug 140 Kilometer pro Stunde schnell und das nur 40 Meter davor einscherende Automobil 80 Kilometer pro Stunde, bereitet das Predictive Safety System in nur 0,2 Sekunden die Notbremsung vor. Bei einer Notbremsung profitiert der Fahrer vom schnelleren Ansprechen der Bremsanlage, die bei trockenen Bremsscheiben etwa 30 ms beträgt. Allein hierdurch wird die Unfallwahrscheinlichkeit für den Auffahrunfall um einige Prozent reduziert. Bei nassen Bremsscheiben, die durch die Vorbefüllung trocken gewischt werden, kann diese Reduktion noch deutlich höher sein. Zudem werden alle zu zaghaften Bremsvorgänge (siehe Bild 9-39, mittlere Balken) bei noch vorhandener Gefahrensituation im Bremsfall positiv beeinflusst, wodurch eine weitere Reduktion der Unfälle erreicht wird. In ungefähr der Hälfte aller Kollisionen prallen die Fahrer ungebremst auf das Hindernis auf. Dieser Art von Unfällen können die zwei Folgegenerationen des Predictive Safety Systems, nämlich das PCW (Predictive Collision Warning) und das PEB (Predictive Emergency Braking) entgegen wirken. Stufe 2: Warnung bei drohenden Auffahrunfällen Das PCW-System (Predictive Safety System der 2. Generation, Serieneinführung 2006) bereitet nicht nur die Bremsanlage (Funktionsumfang von PBA) vor, sondern es warnt den Fahrer zudem rechtzeitig vor kritischen Verkehrssituationen und kann damit in vielen Fällen Unfälle verhindern. Dazu löst das System einen kurzen, starken Bremsruck aus. Wie Fahrerstudien gezeigt haben, lenkt der Bremsimpuls die Aufmerksamkeit des Fahrers am besten auf das Fahrgeschehen, da der Mensch auf diese haptische Warnung am schnellsten reagiert. Alternativ oder zusätzlich kann das System den Fahrer auch durch optische oder akustische Signale sowie durch Anziehen des normalerweise lose anliegenden Sicherheitsgurtes alarmieren. Dadurch lassen sich zusätzlich auch die in Bild 9-39 dargestellten Fälle günstig beeinflussen, bei denen gar nicht gebremst wird (ca. 49 % der Auffahrunfälle). Beim eben dargestellten Beispiel mit dem einscherenden Fahrzeug bereitet das erweiterte Predictive Safety System der 2. Generation in nur 0,2 Sekunden die Notbremsung vor. Im Unterschied zur 1. Generation des Sicherheitssystems wird der Fahrer jedoch zusätzlich gewarnt, falls er in den folgenden 0,3 Sekunden nicht ausweicht oder bremst. Der Fahrer kann in diesem Fall den Aufprall noch durch Ausweichen abwenden. Bremst er nur, kann er sein Fahrzeug zumindest noch erheblich verzögern: Während die Fahrzeuge ohne Fahrerwarnung ungebremst aufeinanderprallen, reduziert das Predictive Safety System

9.2 Fahrerassistenzsysteme in Nutzfahrzeugen die Aufprallgeschwindigkeit und damit die Unfallschwere wesentlich. Abhängig von den Sensorinformationen wird das System den Fahrer in vielen Situationen sogar so frühzeitig warnen, dass der Unfall auch durch alleiniges Bremsen vermieden werden kann. Stufe 3: Notbremsung bei unvermeidbaren Kollisionen Das PEB-System, die dritte Ausbaustufe des Predictive Safety Systems, wird nicht nur eine unvermeidbare Kollision mit einem vorausfahrenden Fahrzeug erkennen, sondern auch in diesem Fall eine automatische Notbremsung mit maximaler Fahrzeugverzögerung auslösen. Damit reduziert es insbesondere die Schwere eines Unfalls, wenn der Fahrer nicht oder nur unzureichend auf die vorausgegangenen Warnungen reagiert hat. Die automatische Steuerung der Fahrzeugfunktion verlangt eine sehr hohe Sicherheit bei der Erkennung von Objekten und der Abschätzung des Unfallrisikos. Um die Unvermeidbarkeit der Kollision noch sicherer zu erkennen, können weitere Messsysteme, beispielsweise Videosensoren, die Radarsensorik unterstützen [12]. Damit würde das PEB die gleiche Systemstruktur besitzen wie in Bild 9-34 dargestellt. Für derart schwerwiegende Eingriffe in die Fahrzeugdynamik wird es noch erforderlich sein, die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz des Systems im öffentlichen Straßenverkehr zu schaffen. Literatur zu Abschnitt 9.1 [1] Braess, H. H.: “Das intelligente Auto auf der intelligenten Straße – Was hat PROMETHEUS gebracht?”, 5. Stuttgarter Symposium Kraftfahrzeuge und Verbrennungsmotoren, 18.-20.02.2003 [2] Anonymisierte Stichproben aus Unfalldaten des Statistischen Bundesamtes (1998 – 2001) [3] Unfallstatistiken Deutschland 2002 (Statistisches Bundesamt), USA (NHTSA), Japan (Jama) [4] Lübke, L.: “Car-to-Car Communication – Technologische Herausforderungen, Tagungsband VDE-Kongress, Berlin, 18. – 20.10.2004 [5] Knoll, P. M.: „Vorausschauende Sicherheitssysteme – die Schritte zur Unfallvermeidung“, VDA Technischer Kongress, Rüsselsheim (2004) [6] Bosch: Sicherheits- und Komfortsysteme, Vieweg-Verlag (2004) [7] Bosch: “Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, 25. Auflage, Vieweg-Verlag (2003) [8] Marek, J.; Trah, H.-P.; Suzuki, Y; Yokomori, I.: „Sensors for Automotive Technology“, Kap. 7.7 (Knoll), Wiley-VCH (2003) [9] Bosch: „Adaptive Fahrgeschwindigkeitsregelung“, Gelbe Reihe (2003) [10] Kühnle, G.; Mayer, H.; Olbrich, H.; Steffens, W.; Swoboda, H.-C.: “Low-Cost Long-Range-Radar für zukünftige Fahrerassistenzsysteme“, 11. Aachener Kolloquium Fahrzeugund Motorentechnik, Aachen, 2002

437 [11] Marek, J.; Trah, H.-P.; Suzuki, Y; Yokomori, I.: „Sensors for Automotive Technology“, Kap. 7.8 (Knoll), Wiley –VCH (2003) [12] Schäfer, B. J.: Prädiktive Fahrerassistenzsysteme – Vom Komfortsystem zur aktiven Unfallvermeidung, Proc. VDIKongress „Integrierte Sicherheit und Fahrerassistenzsysteme“, Wolfsburg, 27.– 28.10.2004 [13] Beutnagel-Buchner, U.; Knoll, P. M.: “Evolution of Night Vision Functions”, Proc. 11th World Congress on IST, Nagoya Aichi (2004) [14] NHTSA: Accident Statistics (2001) [15] Rollmann, G.; Schmid, V.; Mekhaiel, M.; Knoll, P. M.: “Short Range Radar (SRR) – System for Automotive Applications”, Proc. AMAA-Conference (Advanced Microsystems for Automotive Applications), Berlin (2003) [16] Langwieder: „Analyse des Bremsverhaltens bei Verkehrsunfällen“, Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (2001) [17] Hilsebecher, J.; Kühnle, G.; Olbrich, H.: „Long-RangeRadar Sensor für Fahrerassistenz-Systeme“, Elektronik Automotive, Heft 6/2004, S. 58–62 [18] Enke, K.: „Possibilities for Improving Safety within the Driver Vehicle Environment Loop, 7th Intl. Technical Conference on Experimental Safety Vehicle, Paris (1979)

9.2 Fahrerassistenzsysteme in Nutzfahrzeugen Unter dem Begriff „Fahrerassistenzsysteme“ sind Systeme zusammengefasst, die automatisch Funktionen aktivieren, die den Fahrer unterstützen und entlasten. Die Basis für die Aktionen der Assistenzsysteme bildet eine kontinuierliche Analyse der Fahrund Verkehrssituation, die parallel zu der durch den Fahrer vorgenommenen Situationsinterpretation abläuft und zudem die Fahrerhandlungen einbezieht. Dabei haben die Systeme Komfort-, Informationsoder Warnfunktionen. Niemals soll dabei der Fahrer aus seiner individuellen Verantwortung entlassen werden. Die Systeme haben allerdings den Anspruch, Fehler des Fahrers zu erkennen, sie ggf. zu korrigieren oder deren Auswirkungen abzumildern.

9.2.1 Aktuelle Fahrerassistenzsysteme 9.2.1.1 Rückrollsperre Die Zielsetzung einer Rückrollsperre ist die Entlastung des Fahrers beim Anfahren in der Ebene und besonders an Steigungen. Die aktivierte Rückrollsperre sichert das Fahrzeug ohne Betätigung der Feststellbremse vor einem Wegrollen. Dabei werden die Vorder- und die Hinterachse des Lkw mit dem zuletzt eingesteuerten Bremsdruck selbsttätig gehalten. Der Abbau des Bremsdrucks kann entweder zeitgesteuert, z.B. 10 s nach Abbremsung des Fahrzeugs bis zum Stillstand, oder durch den Einkuppelvorgang ausge-

438 löst werden. Der Komfort bei der Aktivierung des Systems kann mit Hilfe einer Neigungs- sowie Vorwärts- und Rückwärtsgangerkennung und durch gestuften Bremsdruckabbau verbessert werden. 9.2.1.2 Bremsassistent Mit dem Bremsassistenten wird eine Funktion realisiert, die den Fahrer bei zu vorsichtiger Bremspedalbetätigung in Notfallsituationen unterstützt. Aus Untersuchungen geht hervor, dass vor allem „Normalfahrer“ in kritischen Bremssituationen das Verzögerungspotenzial ihrer Fahrzeuge nicht voll ausnutzen. Tatsächlich zeigte sich, dass das Bremspedal fast immer mit einer hohen Betätigungsgeschwindigkeit angetreten wird, nur selten wird jedoch diese hohe Pedalbetätigungsgeschwindigkeit bei steigender Gegenkraft des Pedals gehalten und das Pedal voll durchgetreten. Der Einsatz eines Bremsassistenten im Lkw bedeutet keine Mehraufwendungen in der Hardware. Den Verzögerungssollwert ermittelt das elektronisch-pneumatische Bremssystem (EPB) ohnehin aus zwei unabhängig voneinander arbeitenden Wegsensoren im Bremswertgeber. Deshalb kann der Bremsassistent im EPB als reine Softwarefunktion realisiert werden, die den Verzögerungssollwert, wie nachfolgend beschrieben, modifiziert. Aus dem vom Fahrer angeforderten Verzögerungsollwert, abgeleitet aus der Pedalstellung und seiner Änderungsgeschwindigkeit, wird eine Notfallsituation erkannt und der Verzögerungssollwert wird angehoben. Der Bremsassistent wird erst aktiv, wenn eine Mindestverzögerung von 2,5 m/s2 vom Fahrer angefordert wurde und der Anstieg des Abbremsungswunsches 20 m/s2 überschreitet. Abhängig von Pedalstellung und Pedalbetätigungsgeschwindigkeit liegt die ausgelöste Brems-Sollwertüberhöhung zwischen 25 % und 100 %. Dieser modifizierte Sollwert wird über die im EPB-Bremssystem bereits vorhandenen Druckregelkreise für Vorderachse, Hinterachse und Anhängersteuerkreis in Istdrücke, Bremsmomente und die gewünschte Fahrzeugabbremsung umgesetzt. Der Sicherheitszugewinn durch Einsatz des Bremsassistenten ist beträchtlich: Messungen mit einer 40-tZugkombination haben gezeigt, dass gegenüber einer schnell angetretenen Bremsung, bei der das Pedal nicht voll durchgetreten wurde, mit Hilfe des Bremsassistenten Bremswegverkürzungen von mehreren Metern erreicht werden können. 9.2.1.3 Tempomat, Limiter und Abstandsregeltempomat Der Tempomat ist ein elektronisches Regelsystem, das dafür sorgt, dass eine durch den Fahrer gesetzte Geschwindigkeit gehalten wird. In vielen Nutzfahr-

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr zeugen kann der Tempomat grundsätzlich in regelndem oder in begrenzendem Modus betrieben werden. Im regelnden Modus stehen ein Antriebs- und ein Bremstempomat zur Verfügung. Der Abstandsregeltempomat beeinflusst die Fahrzeugbeschleunigung derart, dass ein vorgegebener Mindestabstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug nicht unterschritten wird. Wird in diesem Zustand in den Bremstempomat umgeschaltet, darf von der Tempomatsoftware für eine begrenzte Zeit auch die Betriebsbremse angefordert werden. Der Limiter verhindert das Überschreiten einer durch den Fahrer eingestellten Höchstgeschwindigkeit. Die Systeme Tempomat, Limiter und Abstandsregeltempomat steigern den Fahrkomfort und entlasten den Fahrer. Diese werden nachfolgend eingehender behandelt. 9.2.1.3.1 Antriebs- und Bremstempomat Die Umschaltung zwischen Antriebs- und Bremstempomat erfolgt unabhängig vom Fahrer. Ist die aktuelle Fahrgeschwindigkeit kleiner als die Summe aus Sollgeschwindigkeit (im Antriebsmodus) und einem Hysteresewert, regelt der Antriebstempomat das Motordrehmoment zwischen Schleppmoment (Nulleinspritzung) und maximalem Moment.

Bild 9-40: Hysterese zwischen Antriebs- und Bremsmodus bei Einfahrt in ein Gefälle [27]: v Fahrzeuggeschwindigkeit, vSA Sollgeschwindigkeit im Antriebsmodus, vSB Sollgeschwindigkeit im Bremsmodus, t Zeit, T Drehmoment, TS Schleppmoment

9.2 Fahrerassistenzsysteme in Nutzfahrzeugen Überschreitet die aktuelle Fahrgeschwindigkeit im Gefälle diese Summe, wird in den Bremstempomat umgeschaltet. Dieser regelt das Bremsmoment mit Hilfe der Motorbremse und eines evtl. vorhandenen Retarders, ebenfalls beginnend beim Schleppmoment, bis zum maximalen Bremsmoment. Die Sollgeschwindigkeit im Bremsmodus ist die Summe aus Sollgeschwindigkeit im Antriebsmodus und Hysteresewert. Die Rückschaltung in den Antriebsmodus erfolgt erst, wenn die Sollgeschwindigkeit im Antriebsmodus wieder unterschritten wurde. Durch diese Hysterese, deren Verhalten in Bild 9-40 dargestellt ist, können Schwungspitzen aus einem Gefälle für die nachfolgende Steigungsfahrt genutzt werden, sodass sich der Kraftstoffverbrauch verringert. 9.2.1.3.2 Limiter Im begrenzenden Modus wird das über das Fahrpedal angeforderte Antriebsdrehmoment so begrenzt, dass die eingestellte Sollgeschwindigkeit nicht überschritten wird. Der Fahrer hat die Möglichkeit, durch kurze Betätigung von Kickdown den Begrenzungsmodus zu unterbrechen und durch Loslassen des Fahrpedals wieder zu aktivieren. Bei Fahrt im Gefälle erfolgt eine automatische Umschaltung in den Bremstempomat analog zum regelnden Modus, sodass ein zum Halten der Sollgeschwindigkeit erforderliches Bremsmoment ohne Fahrereingriff eingestellt wird. Der Hysteresewert beträgt in

439 diesem Modus nur 2 km/h, was insbesondere für Gefahrguttransporte wichtig ist. 9.2.1.3.3 Abstandsregeltempomat Der Abstandsregeltempomat (ART) ist ein elektronisches Assistenzsystem, das die Fahrgeschwindigkeit automatisch der Verkehrssituation anpasst. Mit Hilfe eines Radarsensors, der den Abstand und die Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs bestimmt, kann ein eingestellter konstanter Abstand mit Hilfe einer entsprechenden Regelalgorithmik eingehalten werden. Der Abstand orientiert sich dabei an der Grundeinstellung, welche von der jeweiligen Geschwindigkeit sowie den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabständen abhängig ist. Zusätzlich kann der Fahrer über einen Drehtaster den Abstand individuell verändern (Bild 9-41). Zur Abstandsmessung sendet der Radarsensor Signale aus und empfängt die an den Hindernissen reflektierenden Signale wieder. Dabei arbeitet er im Bereich von ca. 77 GHz und sendet alle 50 ms drei Radarsignale mit einem Austrittswinkel von jeweils 3,4° ab, die sich teilweise überlappen (Bild 9-41). Aus den empfangenen Signalen werden über die Signallaufzeiten die Abstände und mittels Dopplerverschiebung die Relativgeschwindigkeiten zu dem vorausfahrenden Fahrzeug ermittelt. Erfasst werden mobile Objekte und stationäre Hindernisse in einer Entfernung bis ca. 150 m.

Bild 9-41: Abstandsregeltempomat (ART): Erfassungsbereich (links), Anzeige und Bedienung (rechts)

440 Wird der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zu gering, dann greift die Elektronik in die Geschwindigkeitsregelung ein, indem sie entweder die Motorbremse, den Retarder oder gegebenenfalls auch die Betriebsbremsanlage für kleinere Abbremsungen aktiviert. Aus Sicherheitsgründen ist der automatische Bremseingriff auf ca. 2 m/s2 begrenzt. Ist mehr Bremsleistung erforderlich oder besteht die Gefahr einer Kollision, wird der Fahrer durch eine Abstandswarnung in Form eines Warnsymbols und eines doppelten Signaltons aufgefordert, das Bremssystem zu betätigen. Ist die Fahrspur wieder frei, beispielsweise aufgrund eines Fahrspurwechsels des vorausfahrenden Fahrzeugs, so wird die eingestellte Geschwindigkeit wieder eingeregelt, wenn es die Motorleistung zulässt. Die Abstandswarnfunktion ist auch bei ausgeschaltetem Abstandsregeltempomaten aktiv. 9.2.1.4 Notbremssystem Eine Weiterentwicklung des Abstandsregeltempomaten ist das Notbremssystem. Das System ermittelt radargestützt den Abstand und die Differenzgeschwindigkeit zu einem vorausfahrenden Fahrzeug. Erkennt die Logik des Systems, dass ein Auffahrunfall droht, löst es zunächst eine Warnung an den Fahrer aus. Kann das System keine Reaktion des Fahrers auf die Warnung erkennen, erfolgt eine haptische Warnung. Diese besteht aus einer Teilbremsung mit ca. 2 m/s2. Reagiert der Fahrer weiterhin nicht auf die kritische Situation, wird eine Notbremsung eingeleitet. Betätigt der Fahrer während der haptischen Warnung unter anderem z.B. den Blinker, das Fahroder Bremspedal, so wird die haptische Warnung des Notbremssystems (begrenzte Verzögerung) abgebrochen. Die Vorgaben des Fahrers werden nun ausgeführt. Selbst im Notbremsfall hat der Fahrer die Hoheit über das Fahrzeug. Da der Bremsweg eines Fahrzeuges sehr stark von dem zwischen Reifen und Fahrbahn zur Verfügung stehenden Kraftschluss abhängt, müsste der Einsatz-

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr punkt der Notbremsung kraftschlussabhängig gesteuert werden, um bei jeder Kraftschlussbedingung den drohenden Auffahrunfall zu vermeiden. Solange aber eine Kraftschlusserkennung noch nicht in das System integriert werden kann, wird, genauso wie auf Grund der Komplexität der Verkehrssituationen, eine Notbremsung noch nicht in jedem Fall einen Unfall vermeiden. Aber auch in den Fällen, in denen es zum Unfall kommt, wird das Notbremssystem die Unfallfolgen drastisch reduzieren. 9.2.1.5 Spurwächter Der Spurwächter ist ein bildverarbeitendes Sicherheitssystem, das dem Fahrer hilft, die Fahrspur einzuhalten. Um den Fahrer rechtzeitig davor zu warnen, wenn er unbeabsichtigt die Fahrspur verlässt, wurde der Spurwächter, oft auch als Spurassistent bezeichnet, entwickelt. Herzstück der Anlage ist eine kleine Kamera, die hinter der Windschutzscheibe angebracht ist (Bild 9-42). Sie erfasst die unmittelbar vor dem Fahrzeug liegende Fahrbahn in einem Bereich von 6 bis 10 m. Dieser Fahrbahnbereich wird zeilenförmig abgetastet. Die Helligkeitswerte werden gespeichert. Damit können Muster gesucht und mit einer vorgegebenen Struktur verglichen werden. Hieraus berechnet das System die Position des Fahrzeugs relativ zur Fahrbahnmarkierung. Aus der Fahrzeuggeschwindigkeit und der erkannten Position relativ zur Spurmarkierung wird permanent errechnet, ob der Lkw Gefahr läuft, die Fahrspur zu verlassen. Bei der Berechnung der aktuellen Fahrzeugposition werden u.a. der Nickwinkel des Fahrzeuges, die Krümmung der Fahrbahn, der seitliche Versatz des Fahrzeuges und der Gierwinkel berechnet (Bild 9-43). Darüber hinaus ist die Auslösung des Warnsignals von der Annäherungsgeschwindigkeit an die Fahrbahnmarkierung und von der Fahrspurbreite abhängig.

Bild 9-42: Funktionsweise des Spurassistenten: Erfassung der Fahrbahn durch eine Kamera (links), zeilenförmige Abtastung der Helligkeitswerte im Fahrbahnbereich (rechts)

9.2 Fahrerassistenzsysteme in Nutzfahrzeugen

441 biegung fahrenden Sattelzug bei der derzeit noch geltenden Richtlinie 71/127/EWG neun tote Winkel (Bild 9-44). Selbst bei Beachtung der neuen Richtlinie 2003/97/EG, die einen Weitwinkelspiegel auch auf der linken Fahrzeugseite sowie einen Frontspiegel vorschreibt, der den Bereich 2 m vor dem Fahrzeug und 2 m zur Beifahrerseite abdeckt, sind diese Felder zum Teil so groß, dass sich hierin Personen oder gar ein ganzer Pkw unbemerkt aufhalten können, obwohl die gesetzlichen Anforderungen für die direkte und indirekte Sicht erfüllt werden.

Bild 9-43: Einfluss von Nickwinkel, seitlichem Versatz, Fahrspurkrümmung und Gierwinkel auf das Kamerabild (schematisch)

Wird dabei ein kritischer Wert über- oder unterschritten, wird der Fahrer gewarnt. Es ertönt ein Nagelbandrattern – ein Geräusch, wie man es beim Überfahren von Markierungspunkten an Baustellen kennt. Dieses Geräusch wird über die Fahrzeug-Audioanlage ausgegeben, so dass der Fahrer den Ton aus dem rechten Lautsprecher hört, wenn er rechts von der Spur abzukommen droht, oder entsprechend von der anderen Seite. Intuitiv lenkt der Fahrer dann das Fahrzeug in die entgegengesetzte Richtung und fährt wieder innerhalb der Fahrbahnmarkierungen. Während des Warnvorgangs wird das Radio stumm geschaltet. Untersuchungen haben gezeigt, dass jeder Fahrer beim Ertönen dieses Nagelbandratterns sein Fahrzeug ganz automatisch, ohne Zeitverlust durch Nachdenken, zurück zur Spurmitte lenkt. Der Spurwächter hilft so direkt, kritische Situationen im Straßenverkehr zu verhindern. Auch ein Fahrer im Sekundenschlaf wird davon geweckt und reagiert durch angemessene Fahrkorrekturen. Bei eingeschaltetem Blinker oder bei Geschwindigkeiten unter 60 km/h, also im Stadtverkehr, wird die Warnung unterdrückt. Ebenso wird das Betätigen der Betriebsbremse als bewusstes Fahrmanöver ausgelegt und die Auslösung des Warnsignals unterbrochen. 9.2.1.6 Fahrzeugumfeldüberwachung Der Fahrer eines Nutzfahrzeuges hat aufgrund seiner erhöhten Sitzposition einen sehr guten Überblick über das Verkehrsgeschehen in weiter Entfernung vor seinem Lkw. Viele Schäden am Fahrzeug bis hin zu Personengefährdungen erfolgen aber durch Berührung des Fahrzeugs mit dem unmittelbaren Umfeld. Hier kann der Fahrer heute Bereiche nicht vollständig einsehen und hat auch keine sonstigen Informationen aus diesen toten Winkeln, die z.B. aus akustischen Warnsignalen bestehen könnten. Aus der Vogelperspektive betrachtet, gibt es z.B. bei einem in eine Ab-

Bild 9-44: Neun tote Winkel eines abbiegenden Sattelzuges

Der Fahrer benötigt in jeder Fahrsituation eine Vielzahl ganz bestimmter Informationen. Diese muss er aufnehmen, verarbeiten und in Handlungen umsetzen. Untersuchungen haben ergeben, dass sich das Fahren mit einem Lkw im Wesentlichen durch 21 charakteristische Fahrvorgänge abbilden lässt. Dabei handelt es sich vor allem um verschiedene Spurwechsel, Rangiermanöver und Situationen im Kreuzungsbereich. Jede dieser 21 Fahrsituationen wurde genau analysiert. Es wurde die Frage nach den benötigten Informationen beantwortet. Welche Handlungen der Fahrer in jeder einzelnen Situation ausführt, wurde genauso ermittelt wie seine freie Kapazität, um sowohl zusätzliche Handlungen auszuführen als auch weitere Informationen aufzunehmen. Schließlich wurde die verfügbare Zeit in jeder Situation ermittelt. Die konzeptionelle Lösung des Problems besteht aus einer Kombination von Spiegel-, Videoüberwachung und Nahbereichsradarsensorik. Die erzielte Verbesserung der Rundumsicht nur durch Spiegel ist in Bild 9-45 festgehalten. Dort sind die vom Fahrer einsehbaren Bereiche skizziert.

442

Bild 9-45: Realisierte und nach 2003/97/EG vorgeschriebene Sichtfelder

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr

Bild 9-47: Management der Anzeigen bei verschiedenen Fahrsituationen

Die Informationen, die der Fahrer nicht auf einen Blick erfassen kann, werden ihm automatisch zur Verfügung gestellt. Hierzu wurde eine Steuerung entwickelt, welche die jeweilige Fahrsituation erkennt und dem Fahrer die benötigte Information auf dem Bildschirm projiziert. Dieses „Management“ (Bild 9-47) arbeitet automatisch oder kann bei Bedarf vom Fahrer gesteuert werden.

9.2.2 In Entwicklung befindliche Fahrerassistenzsysteme 9.2.2.1 Stauassistent

Bild 9-46: Spiegelanordnung Beifahrerseite nach 2003/97/EG

Auf der Beifahrerseite ist ein Flügelspiegel montiert (Bild 9-46). Mit seiner Hilfe kann der gesamte Bereich vor und rechts neben dem Fahrzeug lückenlos eingesehen werden. Es gibt dort keinen nennenswerten toten Winkel mehr. Der heute verwendete Rampenspiegel wird damit nicht mehr benötigt. Auf der Fahrerseite ist dagegen ein zusätzlicher Weitwinkelspiegel angebracht. Im Heckbereich des Aufliegers sind oben drei Kameras installiert. Eine befindet sich an der Rückseite, die beiden anderen jeweils rechts und links an der hinteren Seitenwand. Die Bilder werden dem Fahrer je nach Fahrsituation auf einem Monitor angezeigt.

Das System Stauassistent ist eine Erweiterung des heute verbauten Abstandsregeltempomaten. Es ermöglicht automatisches Anfahren und Abbremsen bis zum Stillstand im Stop-and-Go-Verkehr. Neben den Komponenten für den Abstandsregeltempomaten ist ein weiterer Radarsensor mit 24 GHz für den Nahbereich notwendig (Bild 9-48). Die Vorteile sind die Fahrerentlastung in monotonen Fahrsituationen wie Staus sowie die erhöhte Verkehrssicherheit durch den automatisch eingehaltenen Sicherheitsabstand zum Vordermann und der frühzeitige Bremseneingriff.

9.2 Fahrerassistenzsysteme in Nutzfahrzeugen

443

Bild 9-48: Erkennung des vorausfahrenden Fahrzeuges [Quelle: Siemens VDO]

9.2.2.2 Fahrerzustandserkennung Eine videobasierte Überwachung des Fahrers erkennt Schläfrigkeit und Unachtsamkeit durch Beobachtung der Gesichtspartie (Bild 9-49). Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit einer Fahreridentifikation. Neben der Kamera ist eine Infrarot-Beleuchtung notwendig, um auch nachts den Ermüdungszustand des Fahrers zu erkennen.

eine optische Warnung im Seitenspiegel statt. Neben einem 24-GHz-Nahbereichsradarsensor für die Erfassung der angrenzenden Verkehrsräume ist ein Algorithmus für die Objektidentifizierung notwendig. Daraus resultiert eine erhöhte Verkehrssicherheit bei Fahrspurwechseln und Abbiegemanövern.

Bild 9-50: Erkennung eines Fahrradfahrers im toten Winkel [Quelle: Siemens VDO]

9.2.2.4 Spurassistent mit Lenkeingriff Bild 9-49: Erkennung des Fahrerzustands [Quelle: Siemens VDO]

Die Vorteile dieses Systems sind neben der Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Warnung bei Übermüdung und Unachtsamkeit auch eine Komforterhöhung mit der Personalisierung von Fahrzeugeinstellungen durch Fahreridentifikation.

9.2.2.3 Objekterkennung im toten Winkel Mit der Objekterkennung werden andere Verkehrsteilnehmer im so genannten „toten Winkel“ erkannt (Bild 9-50). Neben der Erkennung von Objekten führt das System eine Klassifizierung durch. Wird ein Verkehrsteilnehmer im toten Winkel erkannt, findet

Eine Weiterentwicklung des Spurwächters ist der Spurassistent mit Lenkeingriff. Mit der in Abschnitt 9.2.1.5 beschriebenen Sensorik und der nachgeschalteten Auswertung ermittelt auch der Spurassistent mit Lenkeingriff die aktuelle Position des Fahrzeuges relativ zur Fahrspur. Die notwendige Kurskorrektur des Fahrzeuges wird errechnet und einem Lenkaktor als Sollvorgabe vorgegeben. Somit stabilisiert sich das Fahrzeug zentriert innerhalb der vorgegebenen Fahrspurmarkierung. Damit wird der Spurwächter zu einem aktiven Spurhaltesystem, das nicht nur warnt, sondern die Lenkkorrekturen auch ausführen kann. Für diese automatische Lenkkorrektur ist allerdings ein aktives Lenksystem wie z.B. Steer by Wire notwendig.

444 Literatur zu Abschnitt 9.2 [1] Scheffels, Gerald, Spiegelberg, Gernot: Vom Airbus lernen – elektronische Assistenz entlastet den Fahrer, AutomobilIndustrie Ausgabe 3/2004, S. 68–73 [2] Spiegelberg, Gernot; Koleszar, Peter; Palkovics, Laszlo: Increasing reactive active Safety with ESP including preventive active Steering, AAET 2005, Schrift GZVB, ISBN 3-937655-04-2, Seite 107-118. [3] Wünsche, Mario; Elser, J.; Dorner, J.; Wahner, U.; Kanamüller, B.: Modellbasierte Entwicklung eines Tempomat für Mercedes-Benz Trucks, VDI-Fachtagung Nutzfahrzeuge, Böblingen 6/2005, VDI-Berichte 1876, S. 123–136 [4] Pflug, H.-C.; Marwitz, H.: Intelligente Systeme im Lkw zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr. 2. Grazer Nutzfahrzeug Workshop, 12.05.2005, Graz, Österreich [5] Marwitz, H.; Pflug, H.-C.: Aktive Sicherheit auf unseren Straßen: ein Überblick. Teil 2: Nutzfahrzeuge. 1. DEKRASymposium „Aktive Fahrzeugsicherheit“, 26.–27.04.2005, Klettwitz

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr

9.3 Verkehrsleitsysteme 9.3.1 Verkehrsentwicklung Seit 1953 ist das Straßennetz in Deutschland, gemessen an der Anzahl der Straßenkilometer, um 37 Prozent gewachsen. Das Verkehrsaufkommen stieg im gleichen Zeitraum um annähernd 1200 Prozentpunkte. Alleine für Deutschland prognostiziert der Mineralölkonzern Shell in einer Studie des Jahres 2004 einen Pkw-Bestand von 49 Millionen im Jahr 2020. Das sind immerhin vier Millionen Autos mehr als zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches. Erst nach 2030 wird die Zahl der Kraftfahrzeuge in Deutschland auf Grund der demoskopischen Entwicklung wieder sinken. Hinzu kommen ebenso rasch wachsende Transittransporte auf den früher wenig genutzten Ost-West-Routen und eine generell steigende Zahl der Nutzfahrzeuge auf den Straßen. Eine schnell wachsende Fahrzeugzahl trifft also auf eine nur unmerklich wachsende Infrastruktur. Die Folge dieser Verkehrsentwicklung ist, unter anderem, eine ebenso rapide zunehmende Zahl von Staus. Vor allem in den Ballungsgebieten rund um die Großstädte bewegt sich häufig nichts. Eine Entwicklung, die in den meisten Industrieländern und den Metropolen der Welt ähnlich verläuft. Im Jahr 2000 lebte rund die Hälfte der Menschheit in Städten, wobei weltweit 19 Städte mehr als 10 Millionen Einwohner hatten. Die Zahl dieser so genannten Mega-Cities wird sich nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis 2015 auf 26 erhöhen (vgl. Tabelle 9-1). Das führt vor allem in den Entwicklungsländern mit einem fünfmal so schnell wachsenden Verkehrsaufkommen wie in den Industrieländern zu erheblichen Aufgaben bei der Verkehrssicherheit. Weltweit werden heute noch jährlich eine Million Menschen im Straßenverkehr getötet und rund 50 Millionen bei Unfällen verletzt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt die wirtschaftlichen Folgen dieser Unfälle auf 518 Milliarden Dollar pro Jahr und sieht eine Zunahme um bis zu 65 Prozent voraus, wenn keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. In den Industrieländern, vor allem in Europa, ist die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Menschen rückläufig, und sie soll durch verschiedene Aktivitäten noch weiter reduziert werden. Ein größer werdendes Problem der wachsenden Mobilität in den Industrieländern sind die Staus. Das World Business Council for Sustainable Development kommt in seiner Studie „Mobility 2001“ zu dem Ergebnis, dass Staus in Europa einen wirtschaftlichen Schaden von 120 Milliarden Euro pro Jahr verursachen. Das ist etwa ein Prozent des kumulierten Bruttoinlandproduktes der 15 alten EU-Staaten. In den USA belaufen sich die durch Staus verursachten jährlichen Kosten auf 72 Milliarden US-Dollar oder 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

9.3 Verkehrsleitsysteme

445

Tabelle 9-1: Bevölkerungsentwicklung von Städten mit über 10 Millionen Einwohnern (in Millionen) 1950

1975

2000

2015

Stadt

Anz.

Stadt

Anz.

Stadt

Anz.

Stadt

Anz.

New York

12,3

Tokio New York Shanghai Mexico City Sao Paulo

19,8 15,9 11,4 11,2 10,0

Tokio Mexico City Mumbai Sao Paulo New York Lagos Los Angeles Calcutta Shanghai Buenos Aires Dhaka Karachi Delhi Jakarta Osaka Metro Manila Peking Rio de Janeiro Kairo

26,4 18,1 18,1 17,8 16,6 13,4 13,1 12,9 12,9 12,6 12,3 11,8 11,7 11,0 11,0 10,9 10,8 10,6 10,6

Tokio Mumbai Lagos Dhaka Sao Paulo Karachi Mexico City New York Jakarta Calcutta Delhi Metro Manila Shanghai Los Angeles Buenos Aires Kairo Istanbul Peking Rio de Janeiro Osaka Tianjin Hyderabad Bangkok

26,4 26,1 23,2 21,1 20,4 19,2 19,2 17,4 17,3 17,3 16,8 14,8 14,6 14,1 14,1 13,8 12,5 12,3 11,9 11,0 10,7 10,5 10,1

9.3.2 Strategien der Verkehrsleitung Die oben angeführte Entwicklung trifft auf weitgehend leere öffentliche Kassen. Es fehlen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vielfach die Mittel, um in den Straßenbau zu investieren. Außerdem ist ein weiterer Ausbau vielerorts nicht gewünscht oder politisch nur schwer durchsetzbar. Systeme, um der wachsenden Verkehrsbelastung Herr zu werden, müssen sich also an der besseren Nutzung der vorhandenen Verkehrswege orientieren. Dabei ergeben sich unterschiedliche Strategien für die Verkehrsleitung durch die Differenzierung zwischen Nah- und Fernverkehr. Der Einsatz von Telematiktechniken wird von den Verkehrsforschern des Bundesministeriums für Wirtschaft und Verkehr als „additives Element zu langfristig notwendigen nachhaltigen Strategien auf regionaler und überregionaler Ebene“ betrachtet [1]. Das Ziel ist die effizientere Nutzung der vorhandenen Verkehrswege. Für die Verkehrsbeeinflussung im Straßenverkehr stehen zwei Systeme zur Verfügung: kollektive Steuerungssysteme und individualisierte Systeme. Zu den kollektiven Systemen zählen verkehrsabhängige Lichtsignalsteuerungen, Strecken und Netzbeeinflussungsanlagen, Parkleitsysteme, der Verkehrsfunk und zukünftig auch mit den einzelnen Fahrzeugen vernetzte Systeme. Individualisierte Systeme sind Rou-

tenplanung, Radio-Daten-Systeme und TrafficMessage-Channel-Datenauswertung im Fahrzeug via Navigation, individuelle, dynamische Zielführung und Road-Pricing. Die Karte im Bild 9-51 zeigt die amerikanische Stadt Seattle mit den durch RoadPricing unterstützten Straßen und der vorherrschenden Verkehrsdichte auf den Hauptverbindungsadern von Nord nach Süd und von Ost nach West. (Advanced-) Road-Pricing ist eine elektronische Maut, welche die Benutzungsgebühren der Straße in Abhängigkeit von der Nachfrage und der Tageszeit berechnet: Wer zur Hauptverkehrszeit fahren möchte, zahlt mehr als jemand, der das Straßensystem nachts oder zu wenig frequentierten Zeiten benutzt. Auch die Auslastung der Fahrzeuge – alle Plätze oder nur der Fahrerplatz besetzt – kann in die Berechnung mit einfließen. So läuft beispielsweise in Seattle ein elektronisches Satellitenmautsystem von Siemens mit 500 Teilnehmern, um die Akzeptanz von nutzungszeitbezogener Maut zu testen. Erst im zweiten Anlauf mit zwei Jahren Verspätung startete das deutsche Mautsystem Toll-Collect fehlerlos. In der nächsten Stufe sollen Strecken je nach Auslastung unterschiedlich bemautet werden können, um zum Beispiel das Umfahren von mautpflichtigen Autobahnen auf Landstraßen zu verhindern. Grundsätzlich bietet das System die technischen Vorraussetzungen, um nun auch eine streckenbezogene Pkw-Maut einzuführen.

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9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr Mautsysteme, welche die Nutzungsgebühren der Straße nach Kilometern und Belastung berechnen, sind ein probates Mittel, die Auslastung des vorhandenen Straßennetzes optimal zu steuern. Sie fördern somit nicht nur Geld in öffentliche Kassen, mit dem dann irgendwann später neue Straßen gebaut werden können, sondern bieten auch die Chance, über den Preis Verkehrsströme zu verlagern und entsprechend Straßen besser auszulasten. Privat finanzierte neue Straßen, die über Maut-Systeme gegenfinanziert werden, könnten langfristig zusätzliche Erleichterung schaffen. Bis dato muss der vorhandene Verkehrsraum besser verteilt werden. Die Idee, vor allem den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, um damit das Straßennetz zu entlasten, scheitert an der (vermeintlich) mangelnden Flexibilität der Schiene und dem weiter steigenden Güterverkehr. Vor allem seit der EUErweiterung nach Osten nahm der Lkw-Verkehr stark zu. Etwa zeitgleich entwickelte sich in der Industrie der Trend, Lagerkapazitäten abzubauen und zu Justin-Time-Produktionsverfahren überzugehen. Wege aus dem Stau zeigen regional und lokal angelegte Projekte zum Verkehrsmanagement. Für den einzelnen Autofahrer bieten Telematikdienstleistungen wie Navigation mit TMC und andere aktuelle Systeme individuelle Lösungen zur Stau-Umgehung. Bild 9-52 zeigt ein optisches Zeichen des integrierten Verkehrsmanagements am Münchener Ring. Die beleuchteten Abschnitte stehen für hohes Verkehrsaufkommen.

Bild 9-51: Übersichtskarte für Road-Pricing-Projekt in Seattle

Bild 9-52: Verkehrsmanagement am Münchner Ring

9.3 Verkehrsleitsysteme

9.3.3 Technische Vorraussetzungen zur Verkehrsbeeinflussung Um den Verkehr steuern zu können, muss zuerst erfasst werden, welcher Verkehr überhaupt fließt (oder steht). Das wichtigste Steuerungskriterium sind möglichst zeitnah erhobene Daten. Dabei unterscheidet man zwischen mikroskopischen und makroskopischen Daten. Mikroskopische Daten sind beispielsweise Tempo und Richtung eines einzelnen Fahrzeugs; makroskopische Daten ergeben sich aus den Verkehrszuständen, die alle Verkehrsteilnehmer kollektiv erzeugen. Zur Datenerfassung dienen Induktionsschleifen und Sensoren, die beispielsweise Informationen über die Verkehrsdichte geben. Bild 9-53 zeigt beispielhaft das Durchlaufen eines Regelkreises für Signalanlagen. Es geht dabei um die optimierte Steuerung der Signalfolgen durch Datenerfassung (1), Datenanalyse (2), Optimierung (3), Steuerung (4) mit Rückwirkung auf den Verkehrsverlauf. So gelangen zunächst Zählwerte und Belegungswerte von den wichtigsten Zu- und Ausfahrten zum System. Diese Daten werden von den Steuergeräten bereits aufbereitet. Anschließend werden die Werte analysiert und vervollständigt. So erzeugen die Daten ein konsistentes Abbild der Verkehrssituation. Nun geht es an die Optimierung der Verkehrssituation. So wird beispielsweise ein Netz von grünen Wellen konstruiert. Das System stellt die Signale bereit und überträgt sie zu den Steuergeräten für die Verkehrszeichen vor Ort; allerdings nur dann, wenn die Änderungen eine spürbare Verbesserung des Verkehrsablaufs bewirken.

Bild 9-53: Regelkreis für die Signalsteuerung zur Verkehrsbeeinflussung

9.3.3.1 Erfassungssysteme für Verkehrsflüsse Auf den nächsten Seiten zeigen wir Systeme auf, die Verkehrsströme messen und damit die Grundlage für nachfolgende Verkehrssteuerungen schaffen.

447 Unter dem Markennamen Sitraffic bietet beispielsweise Siemens die Überwachung und Instandhaltung sowie die Implementierung kompletter Verkehrsmanagement-Systeme an. Im Folgenden beschreiben wir exemplarisch dieses Verkehrsmanagement-Modell als Beispiel für die technischen Grundlagen der Verkehrsplanung. Die Ziele des Systems sind klar umrissen: Die Reduzierung vermeidbaren Verkehrs, die Verlagerung nicht vermeidbaren Verkehrs und die umweltverträglichere Gestaltung von Verkehr. Verschiedene Dienstleistungen, die z.B. vor und während einer Reise abgerufen werden können, stehen zur Verfügung. In einer Zentrale werden die unterschiedlichen Informationen entsprechend gesammelt, ausgewertet und miteinander verknüpft. Dabei muss das System ständig und flexibel an veränderte Bedingungen angepasst werden und sich den Bedürfnissen des Betreibers anpassen und mit diesen wachsen. So wurden eine Reihe von Software-Tools entwickelt, die sowohl die stationäre Messung verkehrsrelevanter Daten durch Induktionsschleifen und Überkopfdetektoren als auch die mobile Messung durch Messfahrzeuge und Luftbeobachtung nutzen, um möglichst umfangreiche Testergebnisse zu erhalten. Neben der Option, ausgewählte und repräsentative Verkehrssituationen an ausgewählten Punkten ins verarbeitende Netz zu stellen, können weitere Informationen bis hin zur Emissionsmessung innerhalb dieses Managementsystems gewonnen und als strategische Planungsgrundlagen eingebracht werden. Zu diesem Mobilitätsmanagement gehören die Übertragungen per Funk oder Mobilnetz, um möglichst ohne Zeitverzug die aktuellen Informationen weiterzugeben. Wichtig sind solche Informationsnetze zum Beispiel an Baustellen. Aufgrund exakt spezifizierter Eckdaten, wie Anzahl und Breite der Fahrspuren, Baustellenlänge und -typ sowie des Gültigkeitszeitraums und der Art der Baumaßnahme führen die Auswertungen zu einer Stauprognose und einer idealen Routenführung, um diese Mobilitätsbremse weiträumig zu umfahren. Eigene Forschungen und enge Kooperationen mit renommierten wissenschaftlichen Instituten und industriellen Anwendern geben richtungsweisende Impulse für die Praxis. Mobilität bedeutet aber keineswegs nur die individuelle Fortbewegung mit dem Automobil. Verkehrsmanagement-Systeme bewerkstelligen beispielsweise auch die effiziente Vernetzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Dadurch wird ein optimales Zusammenspiel der öffentlichen Netze bewirkt, was letztlich zu höherem Komfort der Nutzer solcher Systeme führt. Dabei entstehen Verkehrslösungen mit vollständig kompatiblen und integrationsfähigen Komponenten für alle Bereiche des Straßenverkehrs.

448 Detektoren und optische Sensoren Das Sammeln von Informationen steht am Anfang jeder Form von Verkehrssteuerung. Für spezifische Probleme stehen auf die Anwendung zugeschnittene Detektoren bereit. Hierzu gehören sowohl der klassische Schleifendetektor, aber auch die variablen Einsatzmöglichkeiten, die der passive InfrarotDetektor (PIR) bietet. Durch die Kombination von Infrarot- und Ultraschalltechnik ist ein Überkopfdetektor entwickelt worden, der sowohl stehende Fahrzeuge über längere Zeiträume, als auch jede Bewegung von Objekten im Detektorenfeld erkennt und die Ergebnisse entsprechend auswertet. Besonders praxisnah und kostengünstig sind autarke Erfassungssysteme, die den Betrieb mit Solarenergie gestatten. Sie lassen sich problemlos an beliebigen Standorten installieren. Die Stromspeisung durch Sonnenenergie und die Pufferung durch Batteriestrom sowie die Weitergabe der Daten über Mobilfunk (GSM) ermöglichen die Installation an fast allen denkbaren Standorten. Durch eine exakt vorprogrammierbare individuelle Einstellung der relevanten Daten liefert das System lediglich jene Informationen, die für ein ergebnisorientiertes Meldeverfahren von Belang sind. Sowohl auf Autobahnen als auch im innerstädtischen Bereich kommen Videodetektoren zum Einsatz (Bild 9-54). Sie übertragen Live-Bilder der Verkehrssituation direkt in die Verkehrszentralen.

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr Neben der reinen Verkehrsüberwachung dienen sie an Schilderbrücken beispielsweise auch der Erfassung von Abstandssündern. Die bislang verwendete Videotechnik stößt bei wechselnder Beleuchtung und Schatten allerdings an ihre Grenzen. Floating Car Data Unter Floating Car Data versteht man Daten, die nicht von stationären Sensoren gesammelt werden, sondern vom rollenden Fahrzeug direkt abgegeben werden. Diese können mittels Radar oder Kurzwellenfunksignalen direkt an die nachfolgenden Fahrzeuge geleitet und mit einem GSM-Signal an die Verkehrsleitzentralen übermittelt werden. Verkehrstechniker erwarten von Floating Car Data spätestens mit der Installierung des europäischen Satellitensystems Galileo bedeutende Fortschritte für die Verkehrslenkung. Schwieriger ist die Umsetzung der direkten Kommunikation von Fahrzeugen im selben Verkehrsraum über Short Range Radar oder Infrarotsysteme. Fortschritte auf diesem Feld scheitern an Nutzungsvorbehalten des einzelnen Autofahrers. Als besonders gut geeignet für die Lieferung zuverlässiger Floating-Car-Daten erweisen sich Taxiflotten. Diese Autos bewegen sich fast ständig im urbanen Umfeld und geben permanent ihre Position an die Einsatzzentrale weiter. Das geschieht heute über GPS-Daten der Navigationssysteme. Der GPSEmpfänger im Taxi sendet regelmäßig seine Position über den Betriebsfunkkanal der Taxizentrale. Aus den Positionsdaten und der verbrauchten Zeit aller Fahrzeuge ergeben sich recht genaue Daten über die Verkehrssituation auf den befahrenen Streckenabschnitten.

9.3.3.2 Steuerungssysteme Damit die Verkehrsmanager in der Leitzentrale (siehe Bild 9-55) die eingehenden Informationen verarbeiten können, bedarf es leistungsfähiger Verkehrsrechner, die als modulare, erweiterbare Systeme mit offener Schnittstellenarchitektur in nahezu jede vorhandene Infrastruktur passen. Der modulare Aufbau bietet flexible Anpassungsmöglichkeiten an jede Verkehrssituation und macht die Systeme darüber hinaus intelligent, da sie teilweise selbst lernend ausgelegt sind. Die Präzision und Funktionalität der Steuersysteme erfüllen auch künftige Datenerfassungs- und Übertragungsstandards. Die Kompatibilität mit bestehenden Systemen und die modulare Erweiterungsfähigkeit sind Voraussetzungen für einen Kosten sparenden Betrieb. Bild 9-54: Mit Solarenergie betriebener Videodetektor

9.3 Verkehrsleitsysteme

449

Bild 9-55: Verkehrsleitzentrale Berlin

Damit auch die Tools mit den Systemen harmonieren – jedes Tool ist nur so gut wie die Software, die es betreibt – bietet der Hersteller anwenderorientierte Software an. Die Zukunft der Verkehrstechnik wird zudem mehr und mehr durch offene, standardisierte Schnittstellen geprägt. Koordination von Verkehrsleitung Verkehrsmanagement findet auf Seite der Kommunen, Kreise und Länder statt. Diese Systeme der öffentlichen Hand sind breit gestreut und versuchen, den Verkehr räumlich und zeitlich zu entzerren. Dazu zählen beispielsweise die Wechselzeichen an Autobahnen, die die erlaubte Geschwindigkeit den Verkehrsverhältnissen anpassen oder vor Staus warnen. Auch „Grüne-Wellen-Steuerungen“ städtischer Ampelanlagen gehören zur öffentlichen Verkehrsteuerung. Man spricht bei solchen Systemen von kollektiven Verkehrsmanagementsystemen, weil ihre Informationen und Leitungsfunktionen alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen betreffen. Sie stoßen an ihre Grenzen, wenn

es darum geht, Teil-Verkehrsströme umzuleiten oder einzelne Fahrer kontinuierlich zu informieren. Kollektive Verkehrsbeeinflussung betrifft alle Fahrer. Mit der Zunahme der Navigationssysteme nimmt die privat organisierte Verkehrsleitung zu. Solche privaten Dienstleister suchen für den einzelnen Fahrer die schnellste oder kürzeste Route. Dabei greifen aktuelle Navigationssysteme auf die via Traffic Message Channel (TMC) versendeten Meldungen der Radiostationen zurück und planen ihre Routen anhand dieser Informationen um. Grundsätzlich agieren Navigationssysteme dabei kleinräumig und kurzfristig. Sie können derzeit noch keine Informationen des kollektiven Verkehrsmanagements, wie beispielsweise grüne Ampelphasen, in die Routenplanung mit einbeziehen. Auch laufen ihre individuellen Lösungsansätze häufig übergeordneten Verkehrsstrategien entgegen. So ist es in der Regel innerhalb der Kommunen nicht gewünscht, dass Navigationssysteme Fahrer durch verkehrsberuhigte Wohngebiete führen, um dem Stau auf der Umgehung auszuweichen.

450

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr

Bild 9-56: Verkehrslenkungsschema durch öffentliche Hand und private Anbieter [Quelle: INVENT]

9.3 Verkehrsleitsysteme Öffentliche Hand und private Dienstanbieter werden, so legt es eine Studie von INVENT nahe, künftig vernetzter zusammenarbeiten (siehe Bild 9-56). Dazu gehört ein Datenaustausch über die aktuellen Verkehrssituationen, aber auch über die Verkehrsstrategien. Die Verkehrszentralen der Kommunen und die Zentralen der Navigationsanbieter können online Daten austauschen. Dadurch erhält die Verkehrsleitzentrale Informationen über die Routenplanung der privaten Dienstanbieter und kann diese in ihre Verkehrsstrategien mit einbeziehen. Umgekehrt verarbeitet die jeweilige Navigationszentrale Daten der Verkehrsstrategie wie Ortsumfahrungen, grüne Wellen oder Wohngebiete in ihrem individualisierten Angebot. Letztlich profitieren davon alle Beteiligten. Das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS; Karlsruhe) hat in Simulationsrechnungen zu ausgewählten Telematiktechniken herausgefunden, dass schon ein relativ kleiner Nutzerkreis von individualisierter Verkehrsführung über Navigationssysteme genügt, um den gesamten Verkehrsfluss zu entlasten [2]. Basis der Untersuchung war der Großraum München, der verkehrstechnisch durch verschiedene Studien und die Zahlen des Stadtplanungsamtes recht gut erforscht ist. Schon ab einer Ausstattungsquote von 20 Prozent der Berufspendler mit Navigationssystemen und aktiver Routenplanung verringert sich die durchschnittliche Reisezeit aller Verkehrsteilnehmer um bis zu zehn Prozent. Eine weitere Steigerung der Ausstattungsquote bringt darüber hinaus nur noch relative geringe Zeitgewinne für alle. Hier kommt die Verkehrslenkung an ihre Grenzen. Lichtsignalanlagen und variable Anzeigen Lichtsignalanlagen müssen bei allen Witterungsbedingungen einwandfrei erkennbar bleiben. Die LEDTechnik ist hier nicht nur sehr energiesparend, sondern überzeugt vor allem durch gute Ablesbarkeit selbst bei schlechtem Wetter (Bild 9-57). So wird insbesondere das gefürchtete Phantomlicht bei niedrigem Sonnenstand vermieden, das eine Ampelphase vorspiegeln kann, die nicht vorhanden ist. LEDs haben zudem eine höhere Lebensdauer als Glühlampen. Diese Technik ist in nahezu allen bereits vorhandenen Signalanlagen verwendbar. Streckenbeeinflussungsanlagen Streckenbeeinflussungsanlagen kommen auf Bundesautobahnen und vereinzelt auf Bundesstraßen zum Einsatz. In der Regel werden Wechselverkehrszeichen an Schilderbrücken eingesetzt (Bild 9-58). Diese stehen in Abständen von 500 m bis 1500 m und regeln situationsangepasst den Verkehr auf längeren Streckenabschnitten. Zweck der Wechselanzeigen ist die Harmonisierung des Verkehrsflusses und die Gefahrenwarnung beispielsweise bei Stau oder Nebel. Außerdem dienen die Systeme durch Fahrstreifenzu-

451 teilung als Sortier- und Verflechtungshilfen und unterstützen den Autobahnbetriebsdienst durch eine Baustellensteueroption.

Bild 9-57: Lichtsignalanlage mit LED-Technik

Bild 9-58: Wechselverkehrszeichen am Münchener Ring

Netzbeeinflussungsanlagen Netzbeeinflussungsanlagen schlagen weiträumig andere Routen auf Autobahnen vor. Man unterscheidet additive und substitutive Netzbeeinflussungsanlagen. Bei additiven Systemen wird beispielsweise weiträumig mit orangefarbenen Pfeilen auf eine Umleitungsstrecke verwiesen. Dabei bleibt die herkömmliche Beschilderung erhalten. Die Information ist zusätzlich, also additiv. Bei der substitutiven Netzbeeinflussung wird die Ortsbezeichnung an den Schilderbrücken geändert. Ortsfremde Autofahrer

452 bemerken die Umleitung oft gar nicht und die Akzeptanz ist damit entsprechend höher. Vorraussetzung für diese Netzbeeinflussung ist natürlich eine freie Alternativroute und ein hoher Anteil von Durchgangsverkehr. Knotenbeeinflussungsanlagen Knotenbeeinflussungsanlagen dienen der verkehrsabhängigen Regelung einzelner Fahrstreifen an Autobahnkreuzen oder Autobahndreiecken. Dazu geben über Kopf angebrachte Fahrstreifensignale einzelne Spuren für den Verkehr frei oder sperren diese. Dadurch wird es beispielsweise dem einfädelnden Verkehr erleichtert, auf die Autobahn aufzufahren. Zuflussregelanlagen Unter einer Zuflussregelanlage versteht man ein Ampelsystem, das die Auffahrt zur Autobahn in Verkehrsspitzenzeiten regelt. Wird der Verkehr nur „tröpfenchenweise“ auf die Autobahn gelassen, funktioniert das Auffahren reibungsloser. Der fließende Verkehr wird weniger beeinträchtigt. Dadurch kann die Verkehrsstärke unterhalb der Überlastungsgrenze gehalten werden. Temporäre Seitenstreifennutzung Mit Fahrstreifensignalen wird auf neuralgischen Streckenabschnitten bei drohender Überlastung der Seitenstreifen als Fahrspur freigegeben. Da der Seitenstreifen ein Sicherheitsbestandteil der Autobahn ist, wird die seit Januar 2002 erlaubte Möglichkeit der Verkehrssteuerung nur sehr zurückhaltend eingesetzt. Die Nutzung des Seitenstreifens geht in der Regel mit einer allgemeinen Geschwindigkeitsreduzierung einher. Beides setzt Wechselverkehrszeichen voraus. Steuerung von Verkehrsbeeinflussungsanlagen Wie bereits erwähnt, werden Verkehrsstärke und Geschwindigkeit in der Regel durch Induktionsschleifen, durch Radardetektoren oder optische Detektoren erfasst. Zusätzlich messen Witterungssensoren an ausgewählten Stellen die Helligkeit, den Niederschlag oder die Sichtweiten bei Nebel. Die Datenübertragung zur Schaltzentrale und zur Auswertung erfolgt meist über Streckenfernmeldekabel, die neben der Autobahn liegen. Diese dienen auch der Übertragung von Steuerbefehlen an Wechselkennzeichen und andere Beeinflussungsanlagen. Mittlerweile kommt auch Funkübertragung zum Einsatz. In so genannten Unterzentralen werten Rechner minütlich die eingehenden Daten automatisch aus und erstellen auf Basis vorgegebener Programme die Steuerbefehle für die Wechselverkehrszeichen. In Ausnahmesituationen wie Unfällen oder Baustellenbetrieb wird die Anlage von Hand gesteuert. Die Koordination solcher Unteranlagen in einer Region oder einem Bundesland übernimmt eine Verkehrsrechenzentrale. Diese verfügt durch die weiter-

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr geleiteten Informationen der Unterzentralen über einen Gesamtüberblick über die Verkehrssituation und die jeweiligen Schaltzustände der Verkehrssteuerungssysteme. Von hier werden Telematikanwendungen gesteuert und etwaige nötige Umleitungsempfehlungen an die Polizei, die Rundfunkanstalten und die Telematikdienstleister weitergegeben. Parkleitsysteme Die Suche nach Parkplätzen verursacht ein nicht unbeträchtliches Verkehrsaufkommen. Bis zu 40 Prozent der Autofahrer, die heute in den Städten unterwegs sind, befinden sich auf der Suche nach einem Parkplatz. Parkleitsysteme, die freie Parkplätze schnell und effektiv erfassen können, reduzieren die Verkehrsbelastung in den Städten deutlich. Moderne, dynamische Parkleitsysteme stellen sich auf die augenblickliche Parkraumsituation ein. Dadurch wird unnötiger Verkehr vermieden und die Kapazität der Verkehrswege besser genutzt. Zudem sorgen sie für eine bessere Auslastung vorhandener Parkplätze, steigern die Wirtschaftlichkeit der Parkplatzanlagen und senken die Verkehrs- und Umweltbelastung. Mit Hilfe dynamischer Parkwegweiser wird der Autofahrer zielgerecht zu einem freien Parkplatz seiner Wahl geführt. Die Informationen im Straßenraum können mit LCD-Restplatzanzeigen oder Prismenwendern dargestellt werden. Der Autofahrer sieht also, wo wie viele Parkplätze frei sind und kann seine Zielentscheidung entsprechend gestalten. Die Parkplätze in den Parkhäusern werden von Ultraschallsensoren überwacht, die die Belegungszustände an die Zentralsteuerung weiterleiten. Auf dem Markt gibt es eine Reihe solcher Systeme. Parkraum-Management Wer den Verkehrsfluss in der Stadt im Auge behalten will, muss vornehmlich auf die Probleme der Verkehrsteilnehmer bei der Parkplatzsuche achten. Auch hier müssen sämtliche vorhandenen Technologien so in Einklang gebracht werden, dass eine effiziente Einsatzmöglichkeit der Leitsysteme gewährleistet wird. Es nützt wenig, wenn zwar das Leitsystem auf freie Parkplätze hinweist, allerdings außer Acht lässt, das der Rückstau beim Einfahren ins Parkhaus eine wichtige und belebte Kreuzung verstopft und damit die Einfahrt ins Parkhaus unmöglich oder zumindest enorm zeitraubend macht. Parkraummanagement und Parkraumbewirtschaftungssysteme müssen in das Verkehrsmanagement integriert sein. Solche Komplettlösungen sind bereits in der Peripherie der Städte hilfreich, um den Verkehr zum frühest möglichen Zeitpunkt entsprechend zu lokalisieren und in die verfügbaren Parkräume zu dirigieren. Auch die Bezahlung der Parkgebühren gehört zum Parkraummanagement. Es existieren Systeme, die beispielsweise bargeldlosen Zahlungsverkehr für Parktickets über das Mobilfunknetz und Mobiltelefone ermöglichen.

9.3 Verkehrsleitsysteme

9.3.4 Mobilitätsmanagement Projekte zur Verkehrsplanung Im Folgenden erläutern wir exemplarisch zwei Projekte zur Verkehrssteuerung und Planung. Darüber hinaus gibt es allein im europäischen Raum eine Vielzahl von Untersuchungen von Techniken, Verkehrsflüssen und Zukunftsperspektiven der Mobilität unter dem Überbegriff europäische Verkehrstelematik. Die bearbeiteten Grundprobleme dieser Studien sind ähnlich, entsprechend gleichen sich auch die Lösungsansätze. 9.3.4.1 INVENT INVENT ist eine Initiative, in der 24 Unternehmen aus der Automobil-, Zuliefer-, Elektronik-, Telekommunikations- und IT-Industrie, Logistikdienstleister, Softwarehäuser sowie Forschungsinstitute zusammenarbeiten. Dabei stehen drei Projekte zu den Themen Sicherheit, Verkehrsmanagement (Bild 9-59) und Logistik im Mittelpunkt der Arbeit. INVENT steht für „Intelligenter Verkehr und nutzergerechte Technik“. Im Themenbereich Sicherheit forscht die Initiative an intelligenten

453 Fahrzeug- und Fahrassistenzsystemen wie automatischer Spurhaltung, Stop-and-Go-Assistenten oder Mensch-Maschine-Interaktionen. Im Bereich Verkehrsmanagement wurden Studien zum Stauverhalten und zur Stauauflösung betrieben und die Möglichkeiten intelligenter, individueller Routenplanung via Navigationssystem und Verkehrsleittechnik erforscht. Das Ziel der Initiative ist eine Optimierung des Verkehrsflusses bei erhöhter Verkehrssicherheit und die Selbstorganisation des Verkehrs durch Informationen im Verkehrsnetzwerk. Außerdem soll ein Ausgleich zwischen individuellen und gesellschaftlichen Zielen bei der Verkehrsabwicklung geschaffen werden. Mit dem Problem des Verkehrsflusses hat sich INVENT im Rahmen der Verkehrsleitsysteme befasst. Schwerpunkte lagen in der Stauauflösung und der Stabilisierung des Verkehrsflusses. Gesteuert werden soll beispielsweise der Abfluss des Verkehrs aus einem Stau heraus. So ergaben Forschungen, dass die Fahrzeuge nach einem Stau deutlich langsamer losfahren und später reagieren als beispielsweise an einer Ampel. Dadurch ist der mittlere Verkehrsabfluss auf etwa 1800 Fahrzeuge pro Stunde und Fahrspur begrenzt.

Bild 9-59: Schematischer Ablauf zum Verkehrsmanagement; GSM: Global System for Mobile Communications (digitales Mobilfunknetz), DAB: Digital Audio Broadcasting (digitaler terrestrischer Hörfunk-Übertragunsstandard) [Quelle: INVENT]

454 Das sind etwa ein Drittel Fahrzeuge weniger als bei freier Strecke möglich wären. Bei 1800 bis 2000 Fahrzeugen in der Stunde spricht man von mittlerem bis erhöhtem Verkehrsaufkommen. Ein Stau unter diesen Bedingungen kann sich erst auflösen, wenn entweder der Zufluss neuer Fahrzeuge in den Stau hinein begrenzt wird, oder der Abfluss aus dem Stau hinaus beschleunigt wird. Einen besseren Verkehrsfluss verspricht ein möglichst synchronisierter Verkehr. Durch Verkehrsleittechnik kann der Zufluss vor dem Stau reduziert werden, indem die Fahrgeschwindigkeit verringert wird. Da in gleichem Maße die Abstände der Fahrzeuge untereinander sinken, führt nach INVENT erst eine Vernetzung mit den Abstandsregeltempomaten in den Fahrzeugen hier tatsächlich zu sofort greifbaren Ergebnissen. Aus dem Stau heraus reagieren die Fahrer schneller, wenn sie kurz vor Stauende informiert werden und sich auf schnelles Anfahren konzentrieren können. Entsprechende Informationen können über Sensoren wie Floating Car Data in die Navigation eingespielt werden. 9.3.4.2 Mobinet Mobinet ist ein Verkehrsprojekt für den Großraum München. Von 1998 bis 2003 erforschte Mobinet die Mobilität im Ballungsraum München und bezog dabei Autofahrer, ruhenden Verkehr, öffentlichen Verkehr sowie Fußgänger und Radfahrer mit ein. Im dicht besiedelten München ist ein beliebiger Ausbau der Straßeninfrastruktur nicht mehr möglich. So wurden intelligente Lösungsansätze erarbeitet, um in den Ballungsräumen eine dauerhafte und stadtverträgliche Mobilität zu erhalten. Ziel der Studie war es, Verkehrsmittel effizienter einzusetzen, um die Mobilität in der Stadt weiterhin zu erhalten. Im Zuge der Mobinet-Arbeit wurden einzelne Verkehrsleitprojekte installiert. Im Süden und Südwesten Münchens informieren zwei Ring-Info-Tafeln Autofahrer bereits auf der Autobahn über die Verkehrslage auf dem Mittleren Ring. Richten sich nur zehn Prozent der motorisierten Verkehrsteilnehmer nach den Hinweisen, führte das zu einer messbaren Reduzierung der Gesamtfahrzeit. Die dynamische Info-Tafel vor dem Autobahnkreuz München-Ost verschafft Autofahrern einen schnellen Überblick über die aktuelle Verkehrslage auf den wichtigen Zufahrtsstraßen des östlichen Ringsystems. Vor allem ortskundige Pendler können damit Staus umfahren. Der Verkehr auf überlasteten Haupteinfallstraßen wird entzerrt, und es wird erwartet, dass sich Stauzeiten deutlich verkürzen. Über den Datenverbund laufen Informationen aus unterschiedlichen Quellen in der Verkehrzentrale zusammen, zum Beispiel Verkehrszustandsdaten der Stadt und der Autobahnen, Daten aus der Park-Informations-Zentrale und vom Verkehrswarn-

9 Fahrerassistenzsysteme und Verkehr dienst der Polizei. Die Datenbasis ermöglicht einen integrierten Verkehrslageüberblick im Ballungsraum. Seit 1. Januar 2004 werden die in Mobinet entwickelten Anwendungen in der Münchner Verkehrszentrale im 24-Stunden-Betrieb bedient. Für die aktuelle Parkplatzsituation in München wurde der Multimedia-Dienst PARK-Info entwickelt, den man vor Antritt der Reise über die Parkplatzsituation befragen kann. Erstmals in Deutschland wird auch die aktuelle Parkplatzsituation im Straßenraum angezeigt, und es sind Prognosen für Parkmöglichkeiten in den nächsten Stunden und Tagen möglich. Bei konsequenter Einführung und Nutzung der PARK-Info-Dienste könnte der innerstädtische Parksuchverkehr um bis zu 50 Prozent verringert werden. Mobinet hat den Verkehr ganzheitlich betrachtet. Dazu gehören auch eine Ursachenforschung und die Optimierung von Abläufen in Unternehmen. So entwickelte und realisierte man im Vermessungsamt der Landeshauptstadt ein Konzept zur Optimierung betrieblicher Mobilitätsabläufe, unter anderem eine Optimierung der Wegeketten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz, eine Analyse der Dienstfahrten und Trainings für Energie sparendes Fahren der Mitarbeiter im Außendienst. Im Rahmen einer Fördermaßnahme der Stadt München konnten die gewonnenen Erfahrungen bereits in drei weiteren Unternehmen wirkungsvoll umgesetzt werden. Würden 50 Prozent aller Münchner Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitern ein betriebliches Mobilitätsmanagement einführen, würde sich ein Einsparpotenzial von 21 Millionen Euro jährlich ergeben ([3], [4]). 9.3.4.3 Grenzen der Verkehrslenkung Wie schon in Abschnitt 9.3.3.2 angedeutet, gibt es praktische Grenzen der Verkehrslenkung. Eine davon ist die schiere Masse des Verkehrs, eine andere die Akzeptanz von Navigations- und Leitungssystemen. Streckenbeeinflussungsanlagen haben, nach Informationen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen erheblich zur Reduzierung von Unfällen beigetragen. So seien an Unfallschwerpunkten bis zu 30 Prozent weniger Unfälle gezählt worden. Diese Ergebnisse begründet das Ministerium mit der Stabilisierung des Verkehrsflusses durch gleichmäßigere Geschwindigkeiten der einzelnen Fahrzeuge auf unfallträchtigen Strecken und bei dichterem Verkehr. Diese Steuerung führt auch zu einem späteren Auftreten von Staus, die dann auch weniger lang sind oder im günstigsten Falle ganz vermieden werden können. Das Ministerium geht davon aus, durch Wechselverkehrszeichen und intelligente Steuerungen die Kapazität auf Autobahnen um etwa fünf bis zehn Prozent erhöhen zu können. Allerdings hat sich das Bundesministerium in seinen Untersuchungen vornehmlich um die Steuerung von Autobahnverkehr gekümmert.

9.3 Verkehrsleitsysteme Eine Grenze setzt auch die Akzeptanz der Systeme beim Kunden. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) und das Institut für Verkehrsforschung (IVF) sehen hierin das größte Hemmnis bei der flächendeckenden Verbreitung von Telematikdiensten und Verkehrslenkungssystemen. Beide Institute haben im Sommer 2004 in einer repräsentativen Umfrage mit INFAS (Institut für angewandte Sozialforschung) die tatsächliche und die mögliche Nutzung von Verkehrsinformationsdiensten und Verkehrslenkungssystemen erforscht. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass Verkehrsinformationen bei den Verkehrsteilnehmern eher als „nice to have“ eingestuft werden und das allgegenwärtige Radio mit den halbstündigen Verkehrsdurchsagen für straßenverkehrsbezogene Informationsdienste eine Durchsetzung individualisierter und kostenpflichtiger Verkehrsinformationsdienste erschwert. Die Verkehrsteilnehmer nutzen Telematikdienste, um ihr tradiertes Verkehrsverhalten zu optimieren, ändern aber das Verhalten selbst nicht. Immerhin 40 Prozent der Verkehrsteilnehmer gehen davon aus, durch die Nutzung von Verkehrsinformationen in Telematikdiensten via Navigation, Handy oder Internet Zeit sparen zu kön-

455 nen. Etwa gleich viele lassen sich dadurch in ihrem täglichen Verhalten gar nicht beeinflussen. Nur bei seltenen Reiserouten planen über 80 Prozent der Verkehrsteilnehmer die Strecke vorher mit Hilfe von verfügbaren Verkehrsinformationen durch. Ein Umstieg von Autofahrern auf andere Verkehrsmittel beispielsweise durch eine bessere Vernetzung von Verkehrssystemen und den Informationen darüber ist derzeit nicht zu erwarten. Literatur zu Abschnitt 9.3 [1] Forschungsbericht Europäische Verkehrstelematik: Stand der Verkehrstelematik in Deutschland im europäischen Vergleich; Universität Kassel/FG Verkehrstechnik; Heinz Zackor u.a., S. 10 [2] Simulationsrechnungen zu ausgewählten Telematiktechniken und Diensten im Ballungsraumverkehr: Halbritter, Bräutigam, Kupsch, Forschungszentrum Karlsruhe; Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) [3] Pressekonferenz Mobinet, November 2003, Schlussbericht Mobinet, Mobilität im Ballungsraum München [4] Abschlussbericht Mobinet, November 2003, Schlussbericht Mobinet, Mobilität im Ballungsraum München

10 Telematik 10.1 Allgemeines 10.1.1 Begriffsbestimmung Telematik ist ein Kunstwort, das sich aus den zwei Begriffen Telekommunikation und Informatik herleitet. In den Anfängen der Entwicklung lag es nahe, einen neuen Begriff zu finden, der die verwendeten Technologien miteinander verknüpft. Tatsächlich nutzt die Telematik die Kommunikationstechnik der drahtlosen Telekommunikation und die Rechenleistung der Informatik. Im Folgenden sprechen wir ausschließlich über die Verwendung des Begriffes Telematik im Zusammenhang mit Verkehr und Fahrzeugen. Daneben gibt es eine Reihe weitere Einsatzgebiete für Telematik. Im Verkehrsbereich gibt es heute neben der oben beschriebenen Interpretation des Kunstwortes Telematik eine zweite, die Telematik aus den Worten Telemetrie und Informatik zusammensetzt. Diese Auslegung erklärt sich aus der Möglichkeit, Informationswege nicht nur für den Fahrer bereitzustellen, sondern auch direkt Fahrzeugdaten auszulesen und zu beeinflussen. Man unterscheidet zwischen den (be)nutzerbezogenen und den fahrzeugbezogenen Telematikdiensten. Unter der nutzerbezogenen Telematik sind alle Bereiche zusammengefasst, die dem Fahrer einen unmittelbaren Nutzen bringen. Dazu zählen beispielsweise die Navigation oder die Einbindung eines Telefons in die Kommunikations- und Unterhaltungstechnik seines Fahrzeugs. Es zählt auch jede Form von aktiver Online-Anbindung dazu, die den Fahrer via Short Message Service (SMS) oder E-Mail kommunizieren lässt, oder ihm interessante Streckenpunkte, die so genannten Points of Interest (POI) in sein Navigationssystem oder sein Telefon überträgt. Nutzerbezogen sind natürlich auch die Telematikdienste, die der Fahrer mit PDA, Notebook oder Mobiltelefon auch außerhalb des Fahrzeugs nutzen oder konfigurieren kann. Die fahrzeugbezogene Telematik vereint Techniken, die dem Fahrzeug direkt dienen. Dazu zählt der integrierte Notruf via Telemetriemodul und fest eingebauter GSM-Karte und die Möglichkeit des ServiceUpdates von Fahrzeug-Software. Weitere Anwendungen umfassen beispielsweise die Anzeige von Tankstellen bei zur Neige gehendem Treibstoffvorrat, oder das Auffinden des Fahrzeugs bei Diebstahl über GPS-Ortung. Auch das automatische Buchen fälliger Service-Termine in der Werkstatt oder ein automatisch abgesetzter Serviceruf bei Systemstörungen und Pannen gehört zur telemetrischen Telematik.

Verkehrsinformationen sind eine Schnittmenge, die sowohl zur nutzer- als auch zur fahrzeugbezogenen Telematik gehören können: je nach dem, ob der Fahrer diese bewusst auswählt, oder sie via TraficMessage-Channel- oder Radio-Data-System-Daten im Hintergrund zur Navigation verwendet werden. Mit dem Radio-Data-System-Daten (RDS) werden Zusatzinformationen beim Rundfunk übermittelt. Die am meisten genutzten Funktionen sind Programmkennung, Verkehrsfunk und Alternativfrequenzen, die dem gewählten Programm beim Verlassen eines Sendebereichs automatisch auf eine neue Frequenz folgen. Viele Sender nutzen diese Möglichkeiten nur fragmentarisch und viele Geräte unterstützen dies auch nur zum Teil. Der Traffic Message Channel (TMC) ist ein kostenloser, digitaler Radio-Datendienst, der im RDS ausgestrahlt wird und zur Übertragung von Verkehrsstörungen an ein geeignetes Empfangsgerät verwendet wird. Da das Signal ständig übertragen wird, ist der Benutzer weniger von den nur halbstündlich ausgestrahlten Verkehrshinweisen abhängig. Außerdem können wichtige Informationen wie z.B. Falschfahrer sofort weitergegeben werden. Moderne Navigationssysteme verwenden den TMC zur automatischen Umfahrung von Verkehrsstaus und Behinderungen (dynamische Zielführung). In diesen Schnittmengenbereich gehört auch die Verkehrslenkung über Verkehrsleitsysteme, die man als Flächentelematik interpretieren kann. Diesem Thema ist der Abschnitt 9.3 gewidmet. Die weiteste Verbreitung haben Telematikdienste derzeit bei Nutzfahrzeugflotten. Im Fahrzeugmanagement werden über die Telematik Verbrauchs- und Verschleißanalysen durchgeführt. Die Fahrweisen der einzelnen Fahrer werden bewertet und ökonomisch und ökologisch optimiert, indem den Fahrern eine möglichst kraftstoffsparende Fahrweise auferlegt wird. Über die Telematik können diese fahrspezifischen Auflagen überprüft werden. Ferner wird auch die Fahrzeugwartung geplant. Ebenfalls in den Bereich Telematik bei Nutzfahrzeugen gehört das Auftrags- und Tourenmanagement. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine online-gesteuerte, schriftliche Kommunikation zwischen Einsatzzentrale und Fahrzeug beziehungsweise Fahrer. Die Fahrzeug-Ortung via GPS spielt in die Tourenplanung hinein. Der Flottenbetreiber kann via Telematikmodul die aktuellen Standorte und Fahrtrouten seiner Fahrzeuge verfolgen und entsprechend neue Aufträge und Routen planen.

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10.1.2 Geschichtliche Entwicklung Seit 1996 steigt die Kurve der Hardware-Entwicklung und Verbreitung kontinuierlich an. Der Markt für Telematik-Geräte wächst, einer Studie von Roland Berger zur Folge, von etwa zwei Milliarden USDollar (etwa 1,6 Milliarden Euro) im Jahr 1996 auf knappe acht Milliarden Dollar 2004 (knapp 6,4 Milliarden Euro). Der Markt für Anwendungen und Servicedienstleistungen rund um die Telematik wuchs in den ersten Jahren nur sehr langsam, schießt aber seit 2000 nach oben. Hier wurden 2004 schon mehr als 10 Milliarden Dollar (8 Milliarden Euro) umgesetzt. Im Jahr 2010 sollen es 30 Milliarden Dollar sein (vgl. Bild 10-1). Dann erzeugen Anwendungen und Telematik-Services weltweit dreimal so viel Umsatz wie die dazugehörige Hardware. Telematik-Services für Sicherheit, Komfort und Erhöhung der Produktivität, wie z.B. Fracht- und Flottenmanagement, tragen zu dieser Entwicklung bei.

10 Telematik Einbindung von Verkehrsinformationen über den Trafic Message Channel (TMC) in die Navigation. Gleichzeitig wurde das Auto onlinefähig. Internet mittels Wireless Application Protocol (WAP) und GPRS machte das Abrufen von E-Mails und Internetseiten in das zur Kommunikationseinheit weiterentwickelte Audiosystem möglich. Während sich die ersten elektronischen Systeme an Bord noch mit wenigen Programmzeilen und entsprechend geringer Rechenleistung begnügten, haben aktuelle Kommunikationssysteme Software-Anteile mit einer Million Programmzeilen. Die Rechenleistung der Bordcomputer verdoppelt sich etwa alle zwei bis drei Jahre. Für die Hersteller bieten sich deshalb interessante Vermarktungsmöglichkeiten von Zusatznutzen im Auto. Das mobile Büro mit Fax und Internet, digitaler Fernsehempfang oder das automatische Schließen des Schiebedaches beim Durchfahren eines Tunnels, den das Auto via Navigation ortet, sind nur einige Möglichkeiten der Telematik. Telematik-Angebote sind eine Möglichkeit für die Autohersteller, sich vom Wettbewerber (zumindest für kurze Zeit) zu unterscheiden. Deshalb wurden in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre und mit Beginn des neuen Jahrtausends viele Möglichkeiten der Online-Anbindung im Auto umgesetzt: In klassischer Top-Down-Manier zuerst in der Oberklasse, dann in weniger aufwändigen Fahrzeuggattungen. So bot beispielsweise der Automobilhersteller Opel das System OnStar mit Call-Centern und On-Demand-Navigation an (Bild 10-2). Volkswagen folgte mit einem ähnlichen System. Beiden gemeinsam war die Möglichkeit, per Knopfdruck über ein GSM-Telefon mit dem Service-Center des Herstellers verbunden zu werden.

Bild 10-1: Globale Marktentwicklung der Telematik

Die Möglichkeiten der Telematik steigen mit der Entwicklung der Technik. Diese hängt, anders als im klassischen Automobilbau, sehr eng an der Entwicklung von konsumentenorientierter Elektronik wie Computern, Mobiltelefonen oder HiFi-Geräten. Erste Ansätze boten beispielsweise Trip-Computer, die um 1980 Einzug in die Fahrzeuge hielten. Sie hatten zwar keine Möglichkeit, Daten zu senden, erfassten aber Weg- und Fahrzeugdaten elektronisch. Deshalb kann man streng genommen noch nicht von Telemetrie sprechen. Trotzdem bildeten diese Geräte eine erste Plattform, auf der später Telematikanwendungen aufbauen konnten. Der erste richtige Schritt zur breiteren Kommunikation im Fahrzeug waren Audiosysteme mit der Möglichkeit, Telefone einzubinden. Der Begriff der Telematik kam dann mit den ersten GPSNavigationsgeräten auf. Der nächste Schritt war die

Bild 10-2: Call-Center für On-Demand-Navigation [Quelle: OnStar]

Die erste Welle der Telematik im Pkw erreichte mit der Vorstellung des Maybach im Jahr 2003 ihren Höhepunkt. Das Luxus-Auto bietet 30 passive und 40 aktive Telematikkomponenten. Dazu zählen unter anderem zwei fest eingebaute Telefone mit Sprach-

10.1 Allgemeines steuerung, Notruf, WAP, E-Mail, so genannte Maybach-Diensteprogramme mit fahrzeuginterner Kommunikation für Chauffeurfahrzeuge und ein Multimedia-System mit zwei getrennten Bildschirmen im Fond. Die zentrale Bedieneinheit ist eine Weiterentwicklung des Commandsystems, wie es aus Mercedes-Pkws bekannt ist. Die Vielzahl an Möglichkeiten führt nicht nur zu einem prinzipiell größeren Kundennutzen, sondern auch zu Herausforderungen bei der Umsetzung. So bedingen beispielsweise immer mehr elektronische Unterhaltungs- und Kommunikationseinrichtungen im Pkw auch immer mehr Batterieleistung und ein leistungsstärkeres Bordnetz. Die Vernetzung der einzelnen Systeme verlangt nach einer neuen Systemarchitektur. Die schnelle Entwicklung der Mobiltelefone und Unterhaltungsmedien im Markt führt dazu, dass diese Systeme der viel längerfristig angelegten Autoelektronik „aufgepfropft“ wurden, was zu Betriebsstörungen führen kann. Das große Angebot an zusätzlichen Dienstleistungen wird sukzessive auf die Funktionen reduziert, die auch vom Kunden angenommen werden. Beispielsweise wurden beim OnStar-System seit dem Start 1997 bis 2004 insgesamt 20000 Kunden für die Systemdienste wie Navigation, Hotelservice, Ticketservice und weitere Reiseangebote gewonnen. Dabei wurden 120000 OnStar-fähige Geräte in die Fahrzeuge eingebaut. Eine größere Akzeptanz scheiterte an den Betriebskosten, obwohl diese im Laufe der Entwicklung zu reinen Verbindungskosten ohne Grundgebühr wurden. OnStar wurde 2004 eingestellt.

10.1.3 Systemarchitektur im Fahrzeug In den bestehenden Lkw-Flotten sind OnboardRechner mit Modem eingebaut, wenn es sich um Fahrzeuge handelt, die für FahrzeugmanagementDienste ausgerüstet sind. Der Fahrzeugrechner verfügt über ein integriertes GSM- und GPS-Modul. Über Kurzruftasten kann der Fahrer mit der Einsatzzentrale beziehungsweise dem angeschlossenen CallCenter in Verbindung treten. Die Identifikation erfolgt über eine spezielle Fahrer-Karte. Per GSM kann Software durch den Service im so genannten RemoteVerfahren, also fernbedient, aktualisiert werden. Nutzt der Flottenbetreiber die Option des Transportmanagements, hat der Lkw einen so genannten Dispo-Piloten an Bord. Dabei handelt es sich um ein Kombigerät mit Farbdisplay und Touchscreen. Über einen integrierten Scanner kann der Fahrer damit die Barcodes der Fracht einlesen. Navigationsdaten werden mit Hilfe einer Speicherkarte eingespielt. Die Daten dafür stellt das Transportunternehmen mit der Auftragsvergabe zusammen. Über GSM werden Aufträge aktualisiert und die Fahrdaten abgerufen.

459 Jedes Fahrzeug, das Telemetriedaten empfangen will, benötigt ein Kommunikationsmodul mit einem fest installierten GSM-Modem. Der Dienst-Anbieter schließt einen Rahmenvertrag mit dem Servicenutzer und stellt die zentrale Serverstruktur zur Verfügung, die nötig ist, um die ein- und ausgehenden Informationen der Flottenfahrzeuge zu verwalten.

10.1.4 Systemarchitektur außerhalb des Fahrzeugs Die Dienstleistungen müssen zentral über Call-Center und Provider umgesetzt werden. Zentrale Bedeutung kommt daher dem Auf- und Ausbau gut strukturierter Provider mit einem großen Hardware-Serverangebot zu. Dieses Geschäftsfeld wird teilweise vom Hersteller direkt durchgeführt, aber auch über Serviceanbieter. So arbeitete Opel bei OnStar beispielsweise eng mit dem ADAC zusammen. Die Provider benötigen vor allem Computersysteme, Telefone und Server mit gepflegten Datenbanken. Hinzu kommen Abrechnungssysteme. Hier liegt der Aufwand vor allem in der Nutzerverwaltung und ihrer sicheren Authentifizierung. Bei On-DemandRoutensystemen werden die Daten über normale Internetdienste in ein Funknetz gespielt und landen via GSM-Karte beim Nutzer. Den gleichen Weg nehmen Zusatzinformationen und Dienstleistungen wie Hotel- oder Ticket-Services. Die Qualität von Dienstleistungen hängt auch von der Erreichbarkeit von Ansprechpartnern ab. Allerdings sind die Vorlieben der Kunden regional höchst verschieden. Während sich in den USA TelematikKunden ganz selbstverständlich an einen Operator wenden, um sich Routen anzeigen zu lassen oder ein Hotel zu reservieren, bevorzugen die deutschen Telematik-Kunden bislang eine Hardware-gestützte Eingabe statt des direkten Gesprächs. Technisch stellt das Call-Center oder ein Operator keine neuen Anforderungen. Computer mit OnlineZugang, Headsets, Modem und die Möglichkeit, per Email über WAP und GPRS Informationen an das Fahrzeug zu senden, sind gegeben. Ebenso besteht die Möglichkeit der Informationsübermittlung per SMS, wie sie im Nutzfahrzeugflottengeschäft derzeit betrieben wird. Allerdings sind SMS-Nachrichten bezüglich Geschwindigkeit und Datenmenge der Datenübertragung per WAP und GPRS klar unterlegen. Das Global Positioning System (GPS) wird derzeit im Bereich der Telematik für die Positionsbestimmung von Fahrzeugen benutzt. Neben der Orientierung privater Pkws und deren fahrzeuginterner Abstimmung mit dem Navigationssystem (Bild 10-3 links) dient das GPS in seiner technisch einfachsten Form als Informationsquelle, um beispielsweise gestohlene Pkw zu orten.

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10 Telematik

Bild 10-3: Kommunikation bei Telematikanwendungen: links für Pkw (OnStar), rechts für Nutzfahrzeugflotten

In den Nutzfahrzeugflotten werden über GPS die Standorte der einzelnen Fahrzeuge erfasst (Bild 10-3 rechts). Die Genauigkeit der GPS-Ortung liegt bei wenigen Metern. Zukünftig wird auch das europäische Sattelitensystem Galileo zur Fahrzeugortung und Navigation eingesetzt.

10.1.5 Schwierigkeiten und Herausforderungen Fahrzeugtelematiksysteme sind komplexe, softwareintensive Systeme. Ihre Entwicklung hängt weniger an der Entwicklung der Fahrzeuge selbst, als am Fortschritt der elektronischen Komponenten. Im Bereich der mobilen Telefone und der Unterhaltungselektronik sind die Entwicklungszyklen, wie auch im PC-Bereich, bedeutend kürzer als im Fahrzeugbau. Entsprechend kurz sind die Lebenszeiten der Geräte. Im IT-Bereich und bei konsumentenorientierter Elektronik liegen die Lebenszyklen der Geräte zwischen 6 und 18 Monaten. Eine Autogeneration dauert hingegen im Schnitt sieben Jahre, das einzelne Fahrzeug läuft im Schnitt 15 Jahre. Grundlagen der Systementwicklung Telematiksysteme für die Autoindustrie unterliegen härteren Anforderungen als im privaten Konsumelektronik-Bereich. Sie müssen durch ihren Einsatzort im Auto bei Hitze, Kälte und großen Vibrationen viel stärkeren Belastungen trotzen als ein normaler Computer. Hinzu kommen häufige Start- und abrupte Stopp-Vorgänge; also Betriebszustände, die herkömmliche, softwaregestützte Geräte selten erleben. Ein hoher Kostendruck seitens der Autoindustrie verhindert, dass hardwareseitig Puffer an Reserverechenleistung oder zusätzlichem Speicher eingebaut werden. Obwohl die Telematikgeräte für den Einsatz im Auto entwickelt werden, können die äußeren Umstände wie klimatische Veränderungen oder Spannungsschwankungen zu Fehlern führen, die im Autoumfeld nicht toleriert werden. Gleichzeitig müs-

sen die Geräte ein Autoleben von bis zu 15 Jahren halten und zumindest eine Autogeneration lang aktuell sein. Dem gegenüber stehen zum Beispiel die Hersteller der Mobiltelefone, die alle sechs Monate mit neuen Geräte-Generationen aufwarten und in Stückzahlen produzieren, die weitaus höher liegen als die der Autohersteller. Entsprechend gering ist deren Neigung, ein bestimmtes Mobiltelefon mit allen passenden Schnittstellen nur wegen eines Autoherstellers und ein paar zehntausend Einheiten länger zu produzieren und entsprechend Support zu gewährleisten. Eine Lösung dieses Entwicklungskonflikts bieten Bluetooth-Verbindungen im Auto, die es ermöglichen, beliebige Mobiltelefone mit dem Telematiksystem zu verbinden (siehe Bild 10-4 und Abschnitt 10.3). Im Bereich der Nutzfahrzeugflotten arbeitet man verstärkt mit Update-fähiger Hardware, um Konflikte wie die oben beschriebenen zu minimieren. Damit erreichen Hersteller eine sicherere Haltbarkeit der Systeme von drei bis fünf Jahren, was im Flottenumfeld für ausreichende Investitionssicherheit sorgt. Softwareentwicklung Die Zahl der Programmzeilen von Software im Fahrzeug hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren von null auf über eine Million erhöht. Auch das Speichervolumen ist kontinuierlich gestiegen. Den größten Anteil daran haben Telematiksysteme, die mit ihrer komplexen Struktur herkömmlichen Computersystemen am nächsten kommen. Um die Fehlerquote der Systeme nicht wesentlich höher werden zu lassen als beispielsweise die von Motoren oder Bremsen, arbeiten die Autoindustrie und ihre Zulieferer verstärkt mit ausgetesteten Softwaremodulen. Als zusätzliche Sicherung entwickelt man selbstheilende Systeme, wie sie schon bei Servern Verwendung finden. Unter dem Stichwort Autonomic Computing wird an der Handhabbarkeit von Rechnersystemen mit immer größerer Komplexität gearbeitet.

10.1 Allgemeines

461

Bild 10-4: Telematik-Architektur mit Bluetooth-Anbindung von Endgeräten

Wichtige Rechnersysteme sollen in die Lage versetzt werden, auch längere Zeit autonom zu agieren und sich selbst zu regulieren und zu schützen. Während das bei Serverstationen mit permanenter Online-Anbindung relativ einfach geht, bietet ein Fahrzeug eben keinen permanenten Zugang zum Internet oder zur Werkstatt, wo eine Online-Diagnose und Reparatur durchgeführt werden könnte. Auch ein Systemneustart während der Fahrt ist nur bedingt möglich. Entsprechend wichtig ist die Systemfähigkeit, tolerant mit Fehlern umzugehen und fehlerhafte Programmteile bis zur Reparatur auszuschalten oder zu ignorieren. Natürlich gilt das im Fahrzeug nur für Systeme wie Telematik und Unterhaltung. In dem Maße, wie Telematikfunktionen im Fahrzeug mit anderen Systemen interagieren, zum Beispiel, indem per Navigation eine Kurve erkannt wird und das Fahrzeug in Zukunft selbsttätig bremst oder einlenkt, wird das Funktionieren der Telematiksoftware sicherheitsrelevant. Steuergeräte heutiger Fahrzeuge überwachen sich beim Start und in der Laufphase selbst. Mögliche Fehler werden gespeichert und können über eine Diagnoseschnittstelle abgerufen werden. Kompatibilität Um die vielfältigen Möglichkeiten der Hardware eines Telematiksystems mit integrierten CD-, DVDoder MP3-Spielern, Radio, Fernsehen, Navigation, Telefon und Borddatenrechner zu nutzen, bedarf es einer ausgeklügelten Kommunikation der einzelnen Geräte untereinander. Die Autoindustrie hat dafür den MOST-Standard entwickelt (siehe Abschnitt 4.2). MOST steht für Media Oriented Systems Transport. Der MOST-Standardbus regelt die synchrone Übertragung von Multimediadaten, wie zum Beispiel das

Abspielen eines Musiktitels im MP3-Format und ist gleichzeitig in der Lage, asynchron benötigte Massendaten zu überspielen. Dafür steht insgesamt eine Bandbreite von 25 MBit/s zur Verfügung. Zu diesem internen Datenbus kommen weitere Schnittstellen, die es erlauben, extern auf die Telematik zuzugreifen. So setzen Speditionen auf den SOAP-Standard (Simple Object Access Protokoll) zur Anbindung von Speditionssoftware anderer Hersteller, um im Fuhrparkalltag größtmögliche Kompatibilität zu erhalten. Gleiches gilt für die Telematikgeräte der Speditionen, die mit allen Fahrzeugen durch FMS-Schnittstellen (Fleet Management Standard) verknüpfbar sind.

10.1.6 Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine Während sich Computernutzer mit der latenten Fehlerhaftigkeit eines Systems abfinden und sich selbsttätig um Updates kümmern, geht der Telematikanwender vom Funktionieren des Systems aus. Er will sein Telematiksystem genauso einfach bedienen können wie sein Autoradio oder den Lichtschalter. Zur Akzeptanz von Telematiksystemen durch den Nutzer gehört deshalb auch eine einfache und logische Bedienung. Nur wer das System ohne langes Nachdenken und ohne Gebrauch eines Handbuchs versteht, wird es auch nutzen. Ein Dreh-Drück-Regler für die Menüsteuerung wird bei den meisten Herstellern eingesetzt. Auch Touchpad-Lösungen oder Touchscreen-Varianten sind in der Entwicklung und teilweise schon im Einsatz. Die Bedienung während der Fahrt darf den Fahrer nicht ablenken. Er muss intuitiv agieren können.

462 Die Entwicklung geht zu unterschiedlichen markenspezifischen Bedienoberflächen mit gleichartiger Systemarchitektur dahinter. Eine gleichbleibende Systemarchitektur mit wechselnden Bedienoberflächen, Designs und haptischen Elementen erleichtert auch modellspezifische Anpassungen innerhalb einer Baureihe oder einer Marke. Erleichtert wird die Bedienung durch Sprachsteuerung. Für einfache Funktionen wie Lautstärkereinstellung gibt es erprobte Steuerelemente.

10 Telematik Gleichzeitig gewinnt der Flottenbetreiber einen Überblick über die Einsätze seiner gesamten Fahrzeuge und vermindert den Kommunikationsaufwand. Im Nutzfahrzeugbereich ist der Nutzen der Telematik also für den Kunden letztlich in Euro messbar und die Akzeptanz des Systems gegeben.

10.2 Navigation 10.2.1 Geschichte und Marktentwicklung

10.1.7 Angebot und Nachfrage Die Autoindustrie bietet den Nutzern überwiegend Angebote, die mit der Routenführung und Reiseplanung zusammenhängen. Neben der Navigation werden Dienstleistungen wie Hotel- oder Restaurantbuchungen online, Theater- oder Konzertkarten, Hinweise auf die nächste Tankstelle oder den nächsten Servicebetrieb und eine Notruffunktion angeboten. Zusätzlich kann direkt mit einem Servicecenter ein Inspektionstermin vereinbart oder ein Pannenservice gerufen werden. In der Praxis sind vor allem fahrzeugrelevante Services und natürlich die Notruffunktion über eine fest eingebaute GSM-Karte im Telemetriemodul des Autos ohne zusätzliche Kosten nutzbar. Andere Dienste werden über Telefongebühren abgerechnet, wenn sie nicht in einem Dienstpaket mit erworben wurden. Allen diesen Diensten ist gemein, dass sie dem einzelnen Autofahrer direkt nutzen. Am Telematikangebot beteiligen sich nicht nur Autohersteller, sondern auch Zulieferer und Drittanbieter. Vor allem zu Beginn der Telematik-Angebote im Fahrzeug standen Angebot und Nachfrage in einem Missverhältnis. Serverstrukturen, Call-Center und Datenverbindungen mussten seitens der Anbieter vorgehalten werden, auch wenn keine Nachfrage vorhanden war. Zu den Telefongebühren kamen anfangs noch relativ hohe Servicegebühren, was die Dienstleistung „Routenplanung“ oder „Kartenreservierung“ für den normalen Kunden zu teuer werden ließ. Außerdem boten die Telematikgeräte selbst nur wenig Bedienkomfort. Entsprechend niedrig war die Nachfrage, was wiederum durch kleine Stückzahlen die Geräte relativ teuer machte. Erst der aktuelle Siegeszug von Mobiltelefonen und PDAs in Verbindung mit neuen technischen Möglichkeiten zur Einbindung mobiler Geräte ins Auto macht Telematik wieder zu einem interessanten Geschäftsfeld. Im Nutzfahrzeugbereich liegt der Kundennutzen von Telematiksystemen in der Reduzierung von Kraftstoffkosten durch die Optimierung von Touren und dem Fahrstil des jeweiligen Fahrers. Ferner werden Werkstattaufenthalte durch bessere Planbarkeit reduziert und auch die Zahl der Leerfahrten lässt sich durch vernetzte Routen und Tourenplanung senken.

Navigation ist die „Steuerkunst“ zu Wasser, zu Land und in der Luft. Allgemeiner bezeichnet sie das „sich Zurechtfinden“ in einem geografischen Raum, um einen bestimmten Ort zu erreichen. Die Tätigkeit des Navigierens besteht aus drei Teilbereichen: Dem Bestimmen der geografischen Position durch Ortung nach verschiedensten Methoden, dem Berechnen des Weges und dem Führen des Fahrzeugs zu diesem Ziel. Im Jahr 1994 wurde in Europa das erste werkseitig montierte Navigationssystem in der damals neuen Siebener-Reihe von BMW (Bild 10-5) vorgestellt. Ein knappes Jahr später gab es die ersten Geräte auch für die Nachrüstung.

Bild 10-5: Navigationssystem für den 7er BMW [Quelle: Siemens VDO]

Zehn Jahre nach der Premiere hat sich das Navigationssystem in Pkw zu einem weit verbreiteten Ausstattungsmerkmal entwickelt und ist mittlerweile in fast allen Modellen von der Luxuslimousine bis hinab zum Kleinwagen verfügbar. Auch in Lkw und Bussen gehören die Systeme vielfach zum Standard. Rechengeschwindigkeit, Datenkapazität und Leistungsumfang haben sich vervielfacht, während die Zahl der Bauteile trotz zahlreicher zusätzlicher Funktionen mehr als halbiert wurde. Die Endpreise der Geräte sind innerhalb von zehn Jahren auf weniger als ein Viertel gesunken. Während BMW 1994 noch einen Aufpreis von umgerechnet fast 4000 Euro verlangt hat, beziffert die Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu) den Durchschnittspreis solcher Systeme im Jahr 2004 mit 1300 bis 1500 Euro. Günstige Einstiegsmodelle sind bereits für Preise zwischen 700 und 900 Euro verfügbar.

10.2 Navigation Bei der Betrachtung des Navigationsmarktes muss grundsätzlich zwischen zwei Systemen und damit einhergehend zwischen zwei Vertriebskanälen unterschieden werden. Auf der einen Seite sind dies die OEM-Systeme, die ab Werk im Fahrzeug montiert werden, tiefgreifend mit der Kfz-Elektronik vernetzt sind und vom Kunden bei der Konfiguration des Autos wie Ledersitze oder Fensterheber mitbestellt werden müssen. Auf der anderen Seite stehen die Nachrüstsysteme (Aftermarket-Systeme) wie im Bild 10-6, die über den Kfz-Handel und Elektronikmärkte verkauft und jederzeit nachgerüstet werden können. Zumeist montiert im 1-DIN-Schacht für das Radio und dem Monitor als Stand-alone-Gerät auf dem Armaturenbrett ist ihre Integration in die Fahrzeugtechnik weniger tief.

463 Routenplaner ausgeliefert. Insgesamt sind rund 2,5 Millionen Fahrzeuge entsprechend ausgerüstet. Für Europa geht der ADAC von einem Bestand von vier Millionen Geräten aus. Etwa zwei Drittel des Absatzes entfallen laut gfu auf die OEM-Systeme, ein Drittel wird von den Kunden in eigener Regie nachgerüstet. Das jährliche Wachstum beziffern die Marktbeobachter für ganz Europa mit rund 20 Prozent: Während 1996 in Europa insgesamt lediglich 60 000 und im Jahr 2000 rund 740 000 Navigationssysteme verkauft wurden, ist der Absatz bis 2004 auf rund 1,8 Millionen OEM- und Nachrüstgeräte gestiegen. Für das Jahr 2008 wird mit fast vier Millionen Einheiten gerechnet. Zum Vergleich: Für die USA sieht diese Prognose 1,4 Millionen und für Japan 3,6 Millionen Geräte vor.

10.2.2 Funktionsweise und Systemkomponenten

Bild 10-6: Navigationssystem zur Nachrüstung

Seit dem Debüt im Jahr 1994 ist der Markt für Navigationssysteme enorm gewachsen. So wird in Deutschland nach Angaben des ADAC im Jahr 2004 jeder zehnte Neuwagen mit einem elektronischen

Das Navigationssystem im Fahrzeug erfüllt im Wesentlichen drei Aufgaben: Es bestimmt den aktuellen Standort, berechnet davon ausgehend nach teilweise individuell wählbaren Kriterien den Weg zum vorgegebenen Ziel und führt den Fahrer mit akustischen und grafischen Hinweisen entlang dieser Route. Sobald der Fahrer von der Strecke abweicht, wird automatisch ein neuer Weg zum Ziel berechnet. Außerdem berücksichtigen die Systeme auch die über den Traffic Message Channel (TMC) der Radiosender oder andere externe Datenquellen übermittelte Verkehrslage und führen die Route dynamisch um Staus oder Behinderungen herum. Darüber hinaus verwalten die Navigationssysteme individuelle oder gewerbliche Datenbanken mit speziellen Zieladressen und Reisehinweisen (z.B. Guide Michelin).

Bild 10-7: Architektur eines Navigationssystems [1]

464 In Zukunft werden Navigationssysteme über eine noch tiefere Vernetzung mit der Fahrzeugelektronik auch ein integraler Bestandteil vielfältiger Fahrerassistenzsysteme. Zuerst wird die Fahrzeugposition bestimmt, dann die Route berechnet. Anschließend wird der Fahrer mit der Kartendarstellung und Routenempfehlung zum Ziel geführt. Für Positionsbestimmung, Streckenberechnung und Routenführung benötigt das Navigationssystem Sensoren, Hard- und Software, Schnittstellen zur Fahrzeugelektronik sowie Bedien- und Anzeigeelemente (siehe Bild 10-7). Während die ersten Systeme noch aus rund 1000 Bauteilen bestanden haben, werden die aktuellen Geräte aus nur noch ca. 50 Komponenten gefertigt. Aufbau und Funktion werden in den folgenden Abschnitten dargestellt.

10 Telematik Dienst wurde verschlüsselt ausgestrahlt und ist ursprünglich auf eine Genauigkeit von 22 Metern ausgelegt worden. Seit Mai 2000 wurden alle Daten freigegeben und damit eine Genauigkeit von zehn Metern in mindestens 90 Prozent der Messungen ermöglicht.

10.2.2.1 Hardware zur Positionsbestimmung Die Bestimmung des Fahrzeugstandortes erfolgt im Navigationssystem stufenweise mit zunehmender Genauigkeit. Dabei werden die Positionsdaten zunächst mit Satellitenpeilung berechnet und danach mit den Bewegungssignalen des Fahrzeugs korreliert und verfeinert. Über den Abgleich mit der digitalisierten Straßenkarte und einer permanenten Plausibilitätsprüfung lässt sich so die exakte Fahrzeugposition ermitteln. Der erste Schritt ist die Satellitenpeilung: Sie basiert auf dem Global Positioning System (GPS), das 1973 vom amerikanischen Verteidigungsministerium geplant wurde und seit 1995 komplett installiert ist. Das von Beginn an auch für die zivile Nutzung freigegebene System besteht aus insgesamt 24 Satelliten, die in einer geostationären Umlaufbahn mit einem Radius von 26 560 Kilometern um die Erde kreisen (Bild 10-8). Jeder Satellit ist mit einer Cäsium-Atomuhr ausgestattet und sendet permanent ein Signal mit einem „Zeitstempel“ zur Erde. Dieses Signal wird von einem Empfänger im Navigationssystem, dem so genannten „GPS-Receiver“ aufgezeichnet und analysiert. Dabei berechnet das System aus der Differenz der Angaben der Atomuhr und der Uhr im System die Laufzeit des Signals und damit die Distanz zwischen Fahrzeug und Satellit. Ist die Entfernung zu mindestens drei Satelliten bekannt, lässt sich daraus auch die geographische Länge, die geographische Breite und die Höhe des Empfängers und damit die Position des Fahrzeugs ermitteln. Weil das GPS vor allem militärischen Zwecken dient, hat die US-Regierung zunächst zwei Dienste angeboten: Den frei verfügbaren „Standard Positioning Service“ (SPS) mit künstlich verschlechterten Ergebnissen, als „Selektive Availability“ (SA) bezeichnet, und einer Genauigkeit von etwa 100 Metern sowie den „Precise Positioning Service“ (PPS). Dieser zunächst der militärischen Nutzung vorbehaltene

Bild 10-8: Zur Positionsbestimmung dienen 24 geostationäre GPS-Satelliten.

Eine weitere Steigerung der Genauigkeit ermöglicht das Verfahren „Differential GPS“ (D-GPS): Dabei nutzt das System einen stationären Empfänger mit bekannter Position als Referenz. Dieser Empfänger bestimmt analog zum mobilen System seine Position und ermittelt aufgrund der Abweichung zwischen dem bekannten Ist- und dem berechneten Sollwert einen Korrekturfaktor. Dieser Korrekturfaktor wird an das Navigationssystem übermittelt und steigert die Genauigkeit auf etwa fünf Meter. Noch präziser und vor allem schneller soll die Positionsbestimmung mit dem „Assisted GPS“ (AGPS) werden, die auf dem Datenaustausch zwischen einem Telefonchip, dem GPS-Receiver und der MobilfunkSendezelle basiert. Dabei stützt sich die Navigation auf die Netzstruktur der Mobilfunkbetreiber: Weil das Mobilfunknetzwerk in Funkzellen gegliedert ist und jede Basisstation nur eine gewisse Anzahl von Zellen versorgt, ist bereits die ungefähre Position des Nutzers bekannt. Startet man daraufhin eine AGPSLokalisierung, übermittelt die Basisstation dem Navigationssystem den ungefähren Aufenthaltsort des Empfängers. Damit wird die Berechnung deutlich vereinfacht und beschleunigt. Einige Netzbetreiber versenden dabei sogar die so genannten „AlmanachDaten“ der amerikanischem Raumfahrtbehörde NASA, die Aufschluss über die aktuelle Konstellation der GPS-Satelliten im jeweiligen Empfangsbe-

10.2 Navigation reich geben. Außerdem denkbar sind zusätzliche Sender am Boden, mit denen die GPS-Signale einzelner Satelliten zeitsynchron wiederholt werden. Dann wäre die Positionsbestimmung auch unter erschwerten Umweltbedingungen und sogar innerhalb von Gebäuden möglich. Ein weiterer Vorteil von AGPS vor allem für mobile Anwendungen ist der geringere Datentransfer zwischen Satellit und GPS-Receiver, der die Energieaufnahme minimiert. Trotz der aktuellen Daten-Freigabe und unabhängig von der Optimierung mit GPS oder AGPS behalten sich die amerikanischen Behörden in Krisenfällen eine künstliche Störung des Systems vor, die man als „Selective Availability“ bezeichnet. Auch eine völlige Deaktivierung für die zivile Nutzung ist möglich. Um diese Abhängigkeit von der politischen Situation zu lockern, entsteht deshalb parallel zum GPS-Netzwerk unter der Regie der Europäischen Union für rund 3,5 Milliarden Euro das Projekt Galileo, das deutlich genauer und zuverlässiger arbeiten soll. Mit den konkreten Vorbereitungen hat die EU-Kommission im Frühjahr 2002 begonnen, die ersten Satelliten sollen im Sommer 2006 auf ihre Umlaufbahn geschossen werden, und bis zum Jahr 2008 rechnet man mit der vollständigen Installation des Verbundes. Insgesamt will die europäische Raumfahrtbehörde ESA dafür 30 Satelliten ins All bringen, die auf drei verschiedenen Umlaufbahnen in einem Winkel von 56 Grad zum Äquator um die Erde kreisen sollen. Jeweils neun Satelliten verteilen sich in gleichmäßigen Abständen auf einer Umlaufbahn, für die sie 14 Stunden benötigen werden. Der zehnte Satellit dient als Reserve. Nach den Berechnungen der ESA können dann überall in der Welt zu jeder Zeit die Signale von mindestens vier Satelliten empfangen werden. Meistens soll es sogar Sichtkontakt zu sechs bis acht Sendern geben, so dass die Positionsbestimmung bis auf wenige Zentimeter genau werden kann. Weil Galileo ausschließlich für die zivile Nutzung konzipiert ist, wird es weder künstliche Störungen noch Abschaltungen geben. Die Hersteller von Satellitenempfängern und Navigationssystemen haben sich auf Galileo bereits vorbereitet und die neuen Daten in die Produktentwicklung einbezogen. Dabei wird es keine komplementären Systeme geben. Stattdessen werden die Navigationssysteme der Zukunft beide Satellitensysteme nutzen. Die Satellitenpeilung alleine ist aus verschiedenen Gründen nicht hinreichend präzise für die Navigation im Automobil. Außerdem ist das GPS-System in dicht bebauten Gegenden anfällig für Reflexionen und Streuungen, sowie in Tiefgaragen oder Tunnels teilweise überhaupt nicht zu empfangen. Darum erfasst ein Drehratensensor (siehe Abschnitt 11.2) zusätzlich jede Winkeländerung des Fahrzeugs. Hinzu kommen noch Sensoren im Getriebe und an den Rädern, die Strecken und Geschwindigkeitsinformationen erfassen. Daraus werden Vektoren berechnet, die Distanz und Winkel-

465 ausrichtung pro Zeiteinheit umfassen. Diese Vektoren werden verbunden und beschreiben so den zurückgelegten Weg aufgrund der Sensorsignale. Diese Zusammenführung dieser Daten nennt man Dead Reckoning. Die per Dead Reckoning errechneten Wegdaten sind oft so präzise, dass mit ihnen etwa drei Stunden lang fehlerfrei navigiert werden kann. Erst dann summieren sich die kleinen Toleranzen so weit auf, dass Fehler auftreten. Um dies zu verhindern, werden die Wegdaten permanent mit den GPS-Informationen kalibriert. Zusätzlich überprüft das System bei der Kalibrierung auch die Plausibilität der Sensoren. Das ist wichtig, da sich die Raddrehzahlen mit dem Umfang der Reifen ändern und das Drehraten-Signal von der Alterung des Sensors und der Umgebungstemperatur abhängt. In einem weiteren Schritt erfolgt der Abgleich der GPS- und Dead-Reckoning-Informationen in einem so genannten Kalman-Filter, um durch die absoluten Werte des GPS eine weitere Verbesserung der Sensorinformationen zu bewirken (Bild 10-9).

Bild 10-9: Abgleich der Dead-Reckoning-Informationen mit dem GPS

Der nächste Schritt sieht den Abgleich der digitalisierten Daten aus der Navigationsstraßenkarte mit den vom Kalman-Filter aufbereiteten Werten vor. Dieses „Map Matching“ genannte Verfahren berücksichtigt auch die Vorgeschichte der bereits ermittelten Messwerte sowie Messfehler und bestimmt die endgültige Fahrzeugposition. Die bei diesem mathematischen Verfahren errechneten Aufenthaltswahrscheinlichkeiten werden immer wieder in die Berechnungen zur Ermittlung der besten Position mit einbezogen. Daraus ergibt sich in der Regel nur ein plausibler Standort. Stehen mehrere Alternativen zur Wahl, wird mit den Wegdaten der nächsten Sekunden die richtige Alternative gewählt. In Zukunft wird man von der zweidimensionalen auf eine dreidimensionale Positionierung übergehen. Ein weiterer Sensor misst dabei die Fahrzeugneigung. Dann weist das Navigationssystem auch auf mehrstöckigen Straßen zuverlässig den Weg.

466 10.2.2.2 Navigationsdaten Für Routenplanung und -führung unerlässlich ist neben der ständig aktualisierten Positionsbestimmung und der Analyse sämtlicher Fahrzeugbewegungen eine digitalisierte Straßenkarte, die als Basis der Streckenberechnung dient. Anders als ein gedruckter Autoatlas enthält diese Datenbank nicht nur die Straßen und ihre Namen, sondern auch zahlreiche Informationen zur Verkehrsführung, Abbiegehinweise und -restriktionen sowie die codierten Daten zu wichtigen Wegpunkten und potenziellen Zielen. In ihr werden gescannte Landkarten, Luftaufnahmen, die Beobachtungen von Geo-Scouts sowie zahlreiche Listen wichtiger Wegpunkte zusammengeführt. Datendichte und Abstraktionsgrad können je nach Anwendung variiert werden. Für diese generalisierte Darstellung der Realität verwendet zum Beispiel der Kartenhersteller Teleatlas über 240 Features (Objekte), denen mehr als 150 Attribute (Merkmale) zugewiesen werden. Ausgangsbasis der digitalen Datenbanken und der daraus generierten Karten sind neben Luftbildern oder Satellitenaufnahmen und umfangreichen Verzeichnissen mit so genannten Points of Interest (POI) wie Tankstellen, Werkstätten, Krankenhäusern oder Flughäfen vor allem die topographischen Landkarten bis hinunter zu einem Maßstab von 1 : 5000. Bei diesem Verkleinerungsgrad benötigt man allerdings allein für Deutschland noch immer etwa 100 000 Karten-Blätter. Diese Grundlagen werden von kartographischen Experten aufbereitet und mit dem so genannten Arteriennetzwerk durchzogen, auf dem sich die wesentlichen Verkehrsströme bewegen sollen. Orientiert an der Klassifikation der Behörden entscheiden die Kartographen dabei, welche Routen dem Rechner später als Durchgangs-, Sammel- und Verteilerstraßen empfohlen werden. Im nächsten Schritt werden diese überarbeiteten Karten gescannt und digitalisiert. Dabei zerlegen Programmierer die Wegstrecken in viele einzelne Abschnitte zwischen Kurven oder Kreuzungen. Daraus setzt der Rechner eine erste digitale Straßenkarte zusammen, bevor jedem Punkt auf der Karte bis zu 150 Zusatzinformationen von der Hausnummer bis zur erlaubten Höchstgeschwindigkeit zugewiesen werden. Mittlerweile ist diese Arbeit für das westliche Europa weitgehend abgeschlossen. Denn während anfangs nur die Hauptverkehrsrouten und die wichtigen Durchgangstraßen in den Ländern mit dem größten Marktvolumen erfasst waren, sind heute weite Teile Europas, der USA und Asiens zu 100 Prozent digitalisiert. Mit „Digital Mobile Mapping“ sammeln Fahrzeuge mit bis zu acht Digitalkameras Informationen, die später in digitale Datenbanken integriert werden. Allein die Datenbank für Deutschland enthält deshalb etwa 1,3 Millionen Kilometer Straßen und Wege sowie mehr als 200 000 Points of Interest (POI). So

10 Telematik können etwa 290 Millionen Europäer in 21 Ländern ihre Adresse mit Hilfe eines Navigationssystems finden, fast 60 Prozent der Bevölkerung wird sogar direkt über den Hausnummern-Bereich erreicht. Allerdings sind diese Datenbanken nicht statisch. Weil sich zum Beispiel in Deutschland pro Jahr rund 15 Prozent der Navigationsdaten ändern, müssen die digitalen Landkarten ständig aktualisiert werden. Dafür beschäftigen die Provider so genannte GeoScouts, die jährlich mehr als zwei Millionen Kilometer zurücklegen, um die Kartendaten für Europa zu pflegen und zu erweitern. Während dies bislang zumeist im Schritttempo mit Laptops erfolgte, nutzen die ersten Hersteller jetzt das Konzept „Digital Mobile Mapping“ und fahren das Terrain mit deutlich höherer Geschwindigkeit mit einem Messwagen ab, der digitale Videokameras zum Aufzeichnen der Daten nutzt. Über die Aktualisierung und die Erfassung neuer Regionen hinaus stellen auch neue Funktionalitäten der Navigationssysteme neue Anforderungen an die Datenbanken. So müssen zum Beispiel für die Sprachsteuerung sämtliche Adressen auf der digitalen Karte auch akustisch mit so genannten Phonemen hinterlegt werden. Dabei werden akustische Signale in eine digitale Lautschrift übersetzt, die das System bei der Zieleingabe mit dem Kommando des Fahrers vergleicht. Weil dabei eine Adresse gleich mit mehreren Phonemen belegt werden kann, versteht das System bei entsprechender Programmierung mehrere Sprachen und Dialekte. Die Entwicklung von Navigationssystemen mit dreidimensionaler Kartendarstellung erfordert ebenfalls eine Erweiterung der Datenbanken. Neben der digitalen Straßenkarte benötigt das Navigationssystem für die Berechnung der Strecke auch noch Informationen zur Verkehrslage. Seit 1997 gibt es die so genannte „dynamische“ Routenführung, die Autofahrer auf Wunsch automatisch an Staus und Verkehrsbehinderungen vorbei führt. Dafür benutzt das Navigationssystem eine Reihe von TelematikQuellen, auf die bereits in Abschnitt 10.1 eingegangen wurde. Am weitesten verbreitet sind die Informationen aus dem „Traffic Message Channel“ (TMC), die über das Radio-Daten-System (RDS) im UKWBand ausgestrahlt werden. Die Rundfunkanstalten übermitteln während ihres Programms permanent einen Code, der alle Verkehrsbehinderungen im Sendegebiet enthält. Diese codierten Daten werden je nach Bauart von einem eigenen, so genannten TMCReceiver im Navigationssystem oder vom dem werkseitig montierten Radio empfangen und in die Routenplanung integriert. In Deutschland stützen sich diese Daten auf die Meldestellen der Polizei, die Verkehrsrechenzentralen, die Daten der variablen Verkehrsbeeinflussungsanlagen und die Informationen der Staumelder von Automobilclubs und Radiosendern. Sobald eine dieser

10.2 Navigation Stellen eine Verkehrsstörung erkennt und weitergibt, wird diese Information in der TMC-Zentrale umgewandelt und sofort gesendet. Im Gegensatz zum konventionellen Verkehrsfunk stehen diese Daten permanent und nicht nur im Halbstunden-Takt der Verkehrsdurchsagen zur Verfügung. Außerdem empfängt das Fahrzeug alle sieben Minuten aktualisierte Nachrichten über den TMC. Weil die Meldungen nicht wörtlich, sondern als Zahlencodes übertragen werden, kann jedes Gerät seine akustischen Verkehrsmeldungen selbst für den Fahrer generieren und entsprechend übersetzen, so dass auch ausländische Autofahrer kein Verständnisproblem haben. Auf diese Weise werden neben akuten Verkehrsstörungen auch Wintersperren auf Passstraßen oder andere saisonale Routenkriterien erfasst und codiert. Knapp zehn Jahre nach dem Start des Systems ist der TMC heute ein nahezu europaweites Serviceangebot. Die Abdeckung zeigt Bild 10-10. In Deutschland ist der Dienst längst flächendeckend verfügbar, jede ARD-Anstalt hat mindestens ein Programm mit entsprechenden Zusatzdaten, und viele private Rundfunkanstalten strahlen die Informationen aus. Allerdings wird der TMC nicht in allen Ländern kostenfrei angeboten: In Großbritannien zum Beispiel werden die Verkehrsdaten nur gegen Gebühr weitergegeben. Auch für die USA wird es ein kostenpflichtiges Konzept geben. In vielen europäischen Ländern entstehen ebenfalls „Pay-TMC-Dienste“, weil mit diesem Service eine wesentlich bessere Qualität und eine größere Aktualität erreicht werden kann.

Bild 10-10: Abdeckung des TMC in Europa

467 Untersuchungen etwa des ADAC haben den Vorteil „dynamischer Navigation“ bestätigt. So haben Probanden während der Ferienreisewelle im Sommer 2001 durch die automatische Umfahrung von Staus und Verkehrsbehinderungen einen Zeitvorteil von rund zehn Prozent erreicht. Auf einer Strecke von 625 Kilometern wurden dabei gegenüber dem Referenzmodell ohne TMC-Navigation bis zu 15 % Zeit eingespart. Alternativ zu TMC-Diensten gibt es in einigen Ländern weitere, zumeist kostenpflichtige Informationsdienste, die mit eigenen Sensoren Daten zu Verkehrslage und Verkehrsfluss erfassen, sammeln und dann vornehmlich über den Short Message Service (SMS) im Mobilfunknetz an das Navigationssystem übermitteln. Außerdem ist eine TMC-Funktion auch im Digitalradio DAB vorgesehen. In der zweiten Generation wird der TMC-Dienst voraussichtlich ab Ende 2006 zusätzliche Inhalte erhalten: Während bislang vor allem die Verkehrslage auf den Überlandstrecken codiert wird, gibt es dann auch Informationen für die Innenstädte. Außerdem ist ein zweiter Sendekanal geplant, auf dem so genannte RTTI-Daten bereit gestellt werden. Diese „Real-Time Traffic and Travel Info“ enthält deutlich mehr Informationen, ist nicht an den Ort gebunden und deshalb überall verfügbar. Eine Weiterentwicklung des TMC ist der Dienst der Transport Protocol Experts Group (TPEG), die seit 1997 einen neuen und offenen internationalen Standard zum Aussenden von sprachunabhängigen und multimodalen Verkehrs- und Reiseinformationen für Straße, Bus, Bahn und viele andere Verkehrsträger entwickelt. Zur Verteilung dieser Daten setzt das von der Europäischen Rundfunkunion (EBU) geförderte TPEG auf Digitales Audio oder Video Broadcasting (DAB und DVB) sowie auf das Internet. Im Endgerät werden die Codes dann wie beim TMC-Dienst entschlüsselt, in der Navigation verarbeitet und als Sprachmeldung oder als Overlaysymbol auf der Digitalkarte angezeigt. Größter Vorteil von TPEGDiensten gegenüber TMC-Diensten ist das Georeferencing-Verfahren für einen wesentlich vereinfachten Abgleich mit der digitalisierten Karte. Im Gegensatz zu TMC-Diensten kommen bei TPEG-Diensten keine speziellen Location Codes mehr zum Einsatz. Die Positionsbestimmung erfolgt stattdessen anhand von allgemein gültigen WGS84-Koordinaten und kann deshalb zum Beispiel auch von Handys geleistet werden. Darüber hinaus sprechen die Datendichte und die Bandbreite der Informationen, die auch die Verfügbarkeit von Parkraum, die Abfahrtszeiten des öffentlichen Nahverkehrs oder den Wetterbericht enthalten können, für TPEG-Dienste. Außerdem können die TPEG-Daten im Gegensatz zu den TMCDaten problemlos von zahlreichen Endgeräten vom Navigationssystem bis zum Mobiltelefon verarbeitet und dargestellt werden. Dabei ist die Struktur so gewählt, dass eine kostenfreie Übertragung ebenso

468 möglich ist wie eine kommerzielle Nutzung, bei der entweder eine Service-Pauschale oder eine Gebühr pro Meldung erhoben wird. Über die für die Kernaufgaben der Navigation benötigten Informationen zum Streckennetz und zur Verkehrslage hinaus können moderne Navigationssysteme auf einen umfangreichen Pool weiterer Daten zurückgreifen und den Autofahrern zahlreiche Zusatzinformationen zu potentiellen Reisezielen vermitteln. Diese so genannten „Third Party Data“ werden von renommierten Informations- und Fachverlagen zugeliefert (Bild 10-11). Sie reichen vom digitalen Reise-, Hotel oder Restaurantführer bis hin zum Branchenverzeichnis mit Adressen von Behörden, Ärzten oder Unternehmen. Außerdem sind zum Beispiel die Tempolimits auf Bundesstraßen und Autobahnen sowie die Standorte stationärer Geschwindigkeitskontrollen und Ampelkreuzungen mit Kameraüberwachung in der Datenbank enthalten. Sämtliche Navigationsdaten inklusive der POI wurden bei den ersten Systemgenerationen noch auf einer konventionellen CD-ROM gespeichert. Um das gesamte Straßennetz und alle POI in Europa zu speichern, wurden bisher sechs CDs benötigt. Weil dieser Datenträger mit seiner Kapazität von 700 MB nicht genügend Speicherplatz für alle Informationen eines

10 Telematik Landes, geschweige denn für das gesamte Straßennetz Europas bietet, setzen sich seit etwa 2002 zusehends die DVD und – in den neusten Generationen – Festplatten (HDD) als Medium für die digitale Straßenkarte durch. 10.2.2.3 Hardware und Software für Navigation und Routenplanung Ein Navigationssystem umfasst neben den eingangs beschriebenen Sensoren zur Bestimmung von Fahrzeugposition und -bewegung sowie der digitalen Straßenkarte Hard- und Software-Komponenten, deren Aufbau, Funktion und Wirkungsweise in diesem Abschnitt beschrieben werden soll. Die Navigationssoftware ist so angelegt, dass eine weitgehend standardisierte Entwicklungsumgebung genutzt werden kann. Sie läuft auf allen gängigen Workstations und ist kompatibel mit den meisten Betriebssystemen. So unterstützten etwa die Navigationssysteme von Siemens VDO Workstations von Intel und Sun SPARC und können in Linux, Sun Solaris und Windows NT entwickelt werden. Auch der Einsatz ist sehr offen konzipiert.

Bild 10-11: Navigationssystem mit touristischen Hinweisen [Quelle: BMW]

10.2 Navigation

469

Bild 10-12: Projektstruktur eines Navigationssystems; OEM: Autohersteller

Die Systeme unterstützen die CPUs aller führenden Hardware-Hersteller und laufen auf Win32-Betriebssystemen und auf Echtzeitbetriebssystemen wie VxWorks oder QNX. Allerdings muss die Hardware folgende Mindestanforderungen erfüllen: Der Prozessor benötigt eine Leistung von mindestens 200 MIPS (englisch: Million Instructions per Second; Millionen Anweisungen pro Sekunde) und der Speicher muss mindestens 16 MByte RAM, 8 MByte ROM und 8 MByte Datenspeicher bieten. Entscheidend für den Ausbau ist der geforderte Leistungsumfang: So benötigen Systeme mit Kartendarstellung mehr Speicher als so genannte Turn-by-Turn-Systeme, die nur mit einer Piktogrammdarstellung arbeiten. Bei der Konzeption der Navigationssysteme verdient das so genannte „Lifecycle-Verhalten“ eine besondere Beachtung. Darunter versteht man die Funktionsweise des Geräts beim Ein- („Start up“) und Ausschalten („Run down“) der Fahrzeugelektronik. Damit der Nutzer beim Start der Navigation nicht unkomfortabel lange auf das Hochfahren des Systems warten muss, erfolgt der eigentliche Start unbemerkt vom Verbraucher deutlich früher, oft sogar vor dem Einschalten der Zündung. Deshalb werten OEM-Navigationssysteme in der Regel zum Beispiel die Sensoren der Schließanlage aus und werden schon beim Öffnen der Türen aus dem „Tiefschlaf“ geweckt. Eine ähnliche Lösung erfordert der Run-DownProzess. Damit bei einem neuerlichen Systemstart keine erneute Positionsbestimmung und keine Wiederholung der Zieleingabe nötig werden, schaltet das Navigationssystem zeitlich verzögert ab. Auch wenn der Fahrer bereits den Zündschlüssel gezogen und den Wagen verlassen hat, werden im System noch die Daten gespeichert und zur Wiederverwendung bereitgehalten. Diese Funktion nutzt das System auch zur Überbrückung kurzer Betriebspausen, wenn der Wagen etwa am Bahnübergang oder an der Tankstelle ausgeschaltet wird. Gemäß den Forderungen der Endkunden sind sämtliche Navigationssysteme so konstruiert und programmiert, dass nachträgliche Updates möglich sind. Das Software-Update kann beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Einsatz einer neuen Karten-CD oder -DVD erfolgen, und das Werkstatt-

Update wird über die Diagnoseschnittstelle und die CAN- oder MOST-Bus-Systeme im Fahrzeug ausgeführt. Für eine ressourcenschonende Entwicklung und eine wirtschaftlich sinnvolle Vermarktung von Navigationssystemen hat sich eine dreistufige Projektstruktur etabliert (Bild 10-12). Als Basis dient die generische Navigation. Diese wird üblicherweise sowohl in eine High-End-Plattform mit besonders großer Funktionalität als auch in einer High-Volume-Plattform mit reduziertem Funktionsumfang und großen Produktionsstückzahlen implementiert. Aus diesen beiden Plattformen generiert der Systemlieferant dann die jeweiligen Kundenprojekte für den Fahrzeughersteller oder jene Geräte, die unter dem eigenen Namen auf dem Nachrüstmarkt angeboten werden. Vor allem in der Erstausrüstung ist das Navigationssystem kein autarker Baustein, sondern auf vielen Ebenen mit der Hard- und Software der Fahrzeugsteuerung verknüpft (siehe Bild 10-13). So gibt es für die Darstellung der Informationen und die Eingabe der Bedienbefehle eine Schnittstelle zum Anzeige- und Bediensystem des Fahrzeugs. Für die Sprachausgabe und -steuerung ist der Rechner mit dem Audio-System verbunden. Eine Kommunikationsschnittstelle öffnet die Navigation für eingehende Informationen über Radio und Mobilfunk. Über eine Schnittstelle zur System-Software erfolgen Energiemanagement, Speichermanagement (die Verwaltung der Speichermedien), Diagnose und Datenpflege. Weitere Schnittstellen binden die Sensoren ein. Über eine Anbindung an den CAN- und den MOST-Bus ist das System mit anderen Steuergeräten im Fahrzeug verbunden. Mit dem stetig wachsenden Funktions- und Ausstattungsumfang von Unterhaltungs-, Informations- und Kommunikationselektronik wird die Integration des Navigationssystems in das Fahrzeug zunehmend schwieriger. Deshalb haben Systemlieferanten so genannte Plattform- oder Framework-Lösungen entwickelt, die auf Dauer ein problemloses Zusammenspiel dieser Komponenten gewährleisten und die Funktion einzelner Elemente auch bei der nachträglichen Änderung oder Ergänzung anderer Bauteile erhält (siehe hierzu auch Abschnitt 10.3).

470

10 Telematik

Bild 10-13: Blockschaltbild eines Navigationssystems; HUD: Head-upDisplay, DAB: Digitalradio, SDARS: satellitengestütztes Radiosystem

Diese Plattformen sind unabhängig vom Betriebssystem und der zugrunde liegenden Hardware. Um dies zu erreichen, wird das Betriebssystem von den Anwendungen durch eine zusätzliche Abstraktionsschicht getrennt (vgl. Bild 10-14). Oberhalb dieser Software-Schicht laufen die Anwendungsprogramme für Autoradio, E-Mail oder Navigation, die allesamt in einer standardisierten Programmiersprache geschrieben sind. Diese einzelnen Anwendungen können über definierte Soft-

ware-Schnittstellen miteinander kommunizieren. Den fehlerfreien Austausch der Informationen stellt ein Rahmen nach z.B. dem Standard der Open Services Gateway Initiative (OSGI) sicher. Dieser Rahmen garantiert, dass sich E-Mail-Programm oder Web-Browser und Navigationsanwendungen „verstehen“, also beispielsweise Ortskoordinaten aus dem Internet an das Navigationsgerät übergeben werden können.

Bild 10-14: Standard-Architektur eines Navigationssystems

10.2 Navigation Herzstück des Navigationssystems (siehe Bild 10-14) ist der Navigations-Kern: Er beinhaltet alle wesentlichen Funktionseinheiten wie Toureingabe, Validierung der Zieladressen, Routenberechnung, Manövererzeugung, Positionierung, dynamische Navigation, Datenbankzugriff, Kartenerzeugung und Zielführung. Außerdem überwacht der Kern ständig die Position des Fahrzeugs und das Verhalten des Fahrers. Weicht dieser z.B. von einer geplanten Route ab, oder liegen Verkehrsstörungen auf dem Weg, wird im Hintergrund automatisch eine neue Route berechnet. Hier werden auch alle Systemzugriffe der Navigation abgehandelt wie z.B. Speichermanagement, Daten lesen und schreiben sowie Fehlerbehandlungsroutinen für defekte Massenspeicher (CD oder DVD). Da das System ständig verfügbar sein muss und Arbeiten wie z.B. eine Routenberechnung parallel zu anderen Aufgaben durchgeführt werden müssen, ist das System intern in einzelne Arbeitsabläufe, so genannte Tasks, aufgeteilt. Diese Tasks kommunizieren miteinander, um Befehle oder Daten auszutauschen. Aufgrund der hohen Anforderungen an Geschwindigkeit und Verfügbarkeit werden viele Teilschritte asynchron verwaltet. Das bedingt zwar einen höheren Grad an Komplexität, ermöglicht dafür aber parallele Abläufe, die sonst nur sequenziell angeboten werden könnten. Derzeit können in einem Navigationskern viele solcher Arbeitseinheiten gleichzeitig laufen. Eine zentrale Bedeutung bei der Entwicklung des Navigationskerns haben neben dem Funktionsumfang vor allem Kenngrößen wie Geschwindigkeit, Stabilität und Zuverlässigkeit. Im Allgemeinen werden vom Fahrer Fehlfunktionen oder zu späte Hinweise des Systems nicht toleriert. Das System muss über sehr lange Strecken fehlerfrei laufen und darf auch keine Probleme mit der Ressourcenverwaltung (z.B. Speicher) bekommen. Bild 10-14 zeigt eine modulare Struktur der Software. Der Navigationskern ist klar von der Benutzerschnittstelle getrennt und verfügt über eine Programmierschnittstelle, die eine flexible Anwendungsentwicklung ermöglicht. Dabei liefert der Navigationskern die Informationen allerdings nicht nur an das Bediensystem, sondern auch an andere Systemkomponenten. Es werden zusätzliche Anzeigeinstrumente wie das Kombi-Instrument oder das Head-up-Display (HUD) mit Daten versorgt. Der Navigationskern greift zwar auf das Betriebssystem zurück, wird aber bei modernen Navigationssystemen durch eine Abstraktionsschicht vom Betriebssystem getrennt. Diese zusätzliche Softwareschicht macht die Kopplung zwischen Betriebssystem und Anwendung transparent und unabhängig, so dass der Einsatz einer Navigation auf unterschiedlichen Hardware-Plattformen und Betriebssystemen ermöglicht wird. Außerdem verwaltet diese Zwischenschicht den Speicher und optimiert damit die Zugriffe der Navigation auf die Hardware.

471 Eine ähnliche Abstraktionsschicht trennt das System auch von der Navigations-Datenbank der digitalisierten Landkarte. Auch diese Abstraktionsschicht garantiert Transparenz und gewährleistet damit die Kompatibilität im Zeitverlauf. Dank dieser Abstraktion können neue Navigationssysteme auch mit alten Karten-CDs und alte Systeme mit neuen Karten-CDs benutzt werden. Außerdem managt diese Abstraktionsschicht den Cache-Speicher und den Zugriff auf den Datenträger. Bei einigen Geräten für weniger umfangreiche Navigationssysteme oder für die Nachrüstung können die Informationen aus der Datenbank auf Wunsch zwischengespeichert werden. Dann können im CDLaufwerk parallel zur Navigation auch Audio-Dateien abgespielt werden. Diese Funktion wird am Markt als „Route and Sound“ und von den Entwicklern als „Korridor“ bezeichnet. Die Systeme bekommen dann einen üblicherweise 64 oder künftig 128 Megabyte großen Flashspeicher, in dem ein Navigationskorridor mit den wichtigsten Daten entlang der geplanten Fahrstrecke abgelegt wird. Der dabei verwendete Speicher kann sich dabei – je nach gewünschter Größe des Korridors – von 6 MByte bis zu 120 MByte füllen. Dabei entscheiden Kompressionsrate, Speicherkapazität und die intelligente Auswahl der Daten über die Breite dieses Korridors. Der Vorgang selbst dauert nur wenige Sekunden und wird oft im Hintergrund durchgeführt. Danach ist das Laufwerk wieder frei für Audio-CDs. Kleine Umleitungen oder kurze Alternativrouten werden direkt aus diesem Speicher heraus berechnet. Bei größeren Abweichungen wird der Fahrer zur Speicheraktualisierung mit Hilfe der Daten-CD aufgefordert. Basierend auf der ermittelten Position und dem ausgewählten Ziel berechnet das Navigationssystem die Route. Dabei zeigt sich der technische Fortschritt vor allem in der Rechengeschwindigkeit. Während die ersten Systeme für die Berechnung einer Strecke von 400 Kilometern oft noch 30 Sekunden und mehr benötigt haben, stehen die Informationen heute fast in Echtzeit zur Verfügung. Bei der eigentlichen Routenberechnung folgen die Hersteller von Navigationsgeräten zwei Zielen: höchstmögliche Geschwindigkeit der Routenberechnung und optimale Qualität der Route. Sie nutzen dafür aber unterschiedliche Algorithmen. Einige Systeme berechnen die Route vom Start weg, andere, wie die von Siemens VDO, gleichzeitig von Start und Ziel aus, so dass sich die Route in der Mitte trifft. Bei beiden Ansätzen beginnt die Zielführung in der Regel schon, bevor der Rechner die gesamte Route ermittelt hat. Möglich wird eine schnelle Routenberechnung durch eine Klassifizierung des Straßennetzes in fünf Ebenen von der Anliegerstraße (Ebene 0) bis zur Autobahn (Ebene 4). Das sehr dichte Netz der unteren Ebenen verlängert die Rechenzeit erheblich – die höheren Ebenen gewährleisten eine rasche Berechnung.

472

10 Telematik

Bild 10-15: Untersuchung von Straßensegmenten in zwei elliptischen Flächen (Expansionsgebiete A und B) entlang einer geraden Verbindungslinie zwischen Start und Ziel [1]

Mit der Klassifizierung des Straßennetzes geht eine Zuweisung von fiktiven Kosten für jedes Straßensegment einher. Die Kosten sind abhängig von der Straßenklasse und der durchschnittlich erzielbaren Reisegeschwindigkeit im betreffenden Segment. Kleine Straßen verursachen hohe Kosten, große Straßen geringe Kosten. Die Software sucht immer die „kostengünstigste“ Route, die dann zwangsläufig auf weiten Strecken über das höherklassige Netz führt. Künftig kommen weitere Faktoren hinzu: etwa eine zeitabhängige Komponente, falls die Straße – etwa in Innenstädten – nur zu bestimmten Zeiten befahren werden darf oder eine Fähre mit festem Fahrplan. Auch die „Verlässlichkeit“ der Straßen wird bewertet, da manche Straßen zwar digitalisiert, aber noch nicht klassifiziert sind. Um die Berechnungszeit kurz zu halten, schränkt man den in Frage kommenden Routenkorridor ein. Häufig wird ausgehend von Start und Ziel eine kreisförmige Zone bearbeitet. Es ist aber auch möglich, zwischen Start und Ziel eine gerade Verbindungslinie zu ziehen und darüber zwei jeweils elliptische Flächen zu legen, in deren Grenzen die Straßensegmente genauer untersucht werden (siehe Bild 10-15). Daraus werden die heuristischen Kosten dieser Ideallinie ermittelt. Die Kosten für jedes Segment werden nun mit den idealen heuristischen Kosten verglichen, so dass die ausgewählten Segmente – und somit die empfohlene Route – immer möglichst nahe an der geographischen Ideallinie bleiben. Die heuristischen Kosten sind abhängig von der Gewichtung der vom Fahrer gewünschten Routenkriterien. Standardeinstellung ist die kürzeste Fahrzeit, alternativ können aber auch Strecken mit besonders hohem oder niedrigem Autobahnanteil ermittelt wer-

den. Viele Systeme bieten zudem die Option, Tunnel, Brücken, Fähren oder mautpflichtige Straßen zu meiden. Einige Automobilhersteller treiben die Individualisierung weiter in Form von Routen für vordefinierte Nutzerprofile – etwa für touristisch Interessierte, für Geschäftsreisende oder für Speditionen. Die Gesamtkosten ergeben sich nun aus den Kosten der Straßenklassen und den heuristischen Kosten. Die Route mit den minimalen Kosten ist die Route, die dem Fahrer dann vorgeschlagen wird. Die Zielführung ist bei heutigen Navigationssystemen nicht statisch, sondern in der Regel dynamisch: Die einmal ausgewählte Route wird dann nicht zwingend bis zum Ende verfolgt, sondern unter bestimmten Umständen weicht das System von der ursprünglichen Empfehlung ab und berechnet eine alternative Strecke zum Ziel. Für diese Neuberechnung im Rahmen der dynamischen Routenplanung gibt es drei Anlässe. Dies sind zum ersten Staus und Verkehrsbehinderungen: Dynamische Navigationssysteme bieten dem Autofahrer eine Umfahrung von Verkehrsbehinderungen an. Sobald im System eine digitalisierte Verkehrsmeldung etwa über den TMC-Empfänger einläuft, wird diese Information im Navigations-Kern decodiert und lokalisiert. Wenn dabei eine Beeinträchtigung der gewählten Route erkannt wird, sucht der Rechner nach einer alternativen Streckenführung, während parallel die ursprüngliche Zielführung weiter läuft. Dabei ist zwischen zwei Ansätzen zu unterscheiden: Während einfache Systeme häufig nur das einzelne Hindernis umfahren, betrachten weiterentwickelte Navigationssysteme das gesamte Streckennetz der geplanten Route und wählen deshalb mitunter eine großräumigere Alternative, bei der alle bekannten TMC-Informationen berücksichtigt werden.

10.2 Navigation

a)

473

b)

c) Bild 10-16: Zur Routenberechnung [1]: a) Aufteilung des Straßennetzes auf verschiedene Ebenen mit unterschiedlichem Abstraktionsgrad, b) Aufteilung der Wegstrecke auf die verschiedenen Ebenen, c) Zusammensetzung der Teilstücke zur Ergebnisroute

Berechnung und Auswahl der alternativen Streckenführung erfolgen je nach Auslegung des Systems semioder vollautomatisch: Bei einer vollautomatischen Dynamik wird die Route ohne Nachfrage neu berechnet. Einheiten mit semi-automatischer Dynamik lassen dem Fahrer die Wahl zwischen ursprünglicher und alternativer Route und nennen als Entscheidungshilfe eine detaillierte Beschreibung der Störung sowie die erwartete Verzögerung auf der einen und den zu fahrenden Umweg auf der anderen Strecke. Einen entsprechenden Hinweis zeigt Bild 10-17. Ein weiterer Anlass ist die manuelle Streckensperrung: Die Planung einer alternativen Route kann nicht nur von Verkehrsmeldungen, sondern auch vom Fahrer selbst initiiert werden. Dafür bieten ihm die Systeme eine Funktion, mit der er kommende Streckenabschnitte in einer frei konfigurierbaren Länge von wenigen hundert Metern bis zu mehreren Kilometern selbständig sperren kann. Geht ein solcher Befehl im System ein, wird automatisch eine alternative Route berechnet, die nach dem zu sperrenden Abschnitt allerdings nicht zwingend wieder auf die ursprüngliche Strecke zurück führt. Ebenfalls eine Form der dynamischen Routenplanung ist die Routine „Deviation“ (Abweichung) oder „Detour“ (Umleitung), die immer dann einsetzt, wenn der Fahrer bewusst oder unbewusst die vorausberechnete

Route verlässt. Üblicherweise versucht das System dabei zunächst, den Fahrer auf die ursprüngliche Strecke zurück zu führen. Übersteigt der Abstand zum geplanten Routenverlauf einen bei der Programmierung festgelegten Wert, wird eine neue Zielführung gestartet.

Bild 10-17: Hinweis bei der dynamischen Routenplanung

Für die Routenführung selbst zerlegen die Navigationssysteme die geplante Fahrstrecke in einzelne Manöver, für die jeweils synchron entsprechende optische und akustische Kommandos generiert werden. Die Erzeugung dieser Kommandos erfolgt in Abhängigkeit vom Straßentyp, der Straßengeometrie, von Abbiegerestriktionen, der Geschwindigkeit und der Entfernung bis zum Manöver in bis zu drei Stufen: Einer ersten Vorankündigung („demnächst rechts

474 abbiegen“), der präzisen Ankündigung („in 500 Metern rechts abbiegen“) und der dem letztlichen Kommando („jetzt rechts abbiegen“). Die Wiedergabe der Manöver-Kommandos steuert das Mensch-MaschineInterface, das im folgenden Abschnitt beschrieben wird. 10.2.2.4 Anzeige und Bedienung Die Bedienung des Systems auf der einen und die Ausgabe der Routenanweisungen auf der anderen Seite erfolgt bei integrierten Navigationsrechnern über ein Mensch-Maschine-Interface (MMI), das in die gesamte Fahrzeugbedienoberfläche eingebettet ist. Dabei stützt sich die Kommunikation in der Richtung Mensch-Maschine auf zwei Kanäle: Die haptische Bedienung über Taster, Touchscreen, Rändelräder oder andere Schaltflächen und die akustische Eingabe von Kommandos über die Sprachsteuerung. In der umgekehrten Richtung von Maschine zu Mensch werden derzeit folgende Kanäle genutzt: Rückmeldung über haptisches Feedback, die optische Darstellung von Routenkarten oder Navigationshinweisen und die gesprochene Wegführung. Vor allem die haptische Bedienung der Navigationssysteme hat sich in den letzten Jahren gravierend verändert. An die Stelle einzelner Tasten und Räder rücken bei vielen Herstellern zentrale Controller, die als Dreh-, Schiebe- und Drücksteller mit variablem Ausschlag und taktiler Rückmeldung zahlreiche Bedienfunktionen vereinen können (Bild 10-18).

Bild 10-18: Haptischer Bedienregler [Quelle: BMW]

Im Zusammenspiel mit einem auf dem Navigationsbildschirm dargestellten Menü können sie im Extremfall sämtliche weiteren Bedienelemente ersetzen. Um wichtige Funktionen aber direkt abrufen zu können, gibt es parallel zu den „Softkeys“ mit variabler Belegung auch weiterhin eine reduzierte Zahl von „Hardkeys“, denen eine spezielle Funktion fest zugeordnet ist. Außerdem erhält fast jedes System eine Rück-

10 Telematik sprung- oder Escape-Taste, über die der Bediener eine Menüebene zurück geführt wird. Alternativ zur Bedienung über separate Tasten haben sich vor allem bei den japanischen Herstellern in den letzten Jahren auch Systeme mit TouchscreenSteuerung etabliert. Dort werden virtuelle Schaltflächen direkt auf dem Bildschirm generiert. Die Vorteile dieser Technik liegen in der flexiblen Programmierung der Bedienelemente und in den größeren Freiheitsgraden für die Designer der Cockpits. Doch bemängeln zum Beispiel Ergonomen das Fehlen einer taktilen Rückmeldung: Der Fahrer kann nicht auf Anhieb erkennen, ob sein Kommando auch angenommen wurde. Dieser Mangel wird durch eine neueste Generation von Touch-Screens behoben, die über elektrische Signale Feedbacks an den Benutzer geben können. Außerdem erfordert das Anvisieren der Bildschirmtasten während der Fahrt eine vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit. Unabhängig von der Art der Kommandoeingabe ist die Bedienung der Navigationssysteme mit dem Anstieg der Rechenleistung und dem wachsenden Informationsgehalt der digitalen Landkarten deutlich einfacher geworden. Das zeigt exemplarisch die Eingabe des Fahrziels: Während die Adresse bei den Systemen der ersten Generation meist noch komplett buchstabiert werden musste, bieten die aktuellen Geräte fast immer einen Negativ-Ausschluss an und stellen nicht sinnvolle Buchstaben- oder Silbenkombinationen gar nicht erst dar. Außerdem kann die Auswahl der Zielorte heute per Postleitzahl oder über die Ersteingabe der Straße eingeschränkt werden. Die Kommunikation zwischen Maschine und Mensch erfolgt bei der Navigation in aller Regel auf zwei Wegen: Mit akustischen Kommandos eines Sprachgenerators und den von Grafikprozessoren generierten Piktogrammen oder Landkarten. Eine technische Herausforderung ist dabei die Synchronisierung dieser beiden Kanäle, damit Sprache und Bild zeitgleich gestartet werden. Die Sprachführung enthält Kommandos, die immer auf die Art des Manövers („abbiegen“), die Richtung („rechts“) sowie die Entfernung zum Manöver selbst („demnächst“, „in 300 Metern“, „jetzt“) hinweisen. Weiter entwickelte Systeme gehen über diese Grundfunktionalität noch hinaus und nennen auch den Straßennamen, die Straßennummer oder die auf der realen Wegweisung angegeben Ziele: „Jetzt rechts abbiegen auf die Autobahn A5 in Richtung Frankfurt“. Außerdem können die Navigationssysteme zwei unmittelbar aufeinander folgende Manöver auch zu einem einzigen Manöver zusammenfassen: „Jetzt rechts abbiegen, danach sofort geradeaus fahren“. Die akustischen Navigationshinweise werden von einem System erzeugt, in dem sämtliche Kommandos als so genannte Sprach-Tokens hinterlegt sind. Diese Bausteine entsprechen einzelnen Zahlen, Buchstaben oder ganzen Wörtern und werden bei der Manöver-

10.2 Navigation generierung nach zuvor festgelegten Regeln (der „Grammatik“) zu sinnvollen Anweisungen zusammengefügt. Diese Grammatik managt auch Formulierungsunterschiede in einzelnen Sprachen. Dabei gibt es zwei verschiedene Techniken der Sprachgenerierung: Entweder die Tokens werden aufgenommen und als akustische Bausteine gespeichert, oder sie werden von einem Text-to-Speech-Generator elektronisch erzeugt. Allein für eine Sprache benötigen die Systeme etwa 200 bis 450 Tokens und bis zu 1000 Grammatik-Regeln. Bei den optischen Navigationshinweisen ist grundsätzlich zwischen zwei Systemen zu unterscheiden: der so genannten Monochromen- und der Color-Navigation. Zwar weist die Begrifflichkeit lediglich auf einen ein- oder mehrfarbigen Bildschirm hin, doch der Unterschied ist sehr viel größer. Monochrome Navigationssysteme nutzen ein deutlich kleineres, schlechter aufgelöstes Display und führen den Fahrer lediglich mit Piktogrammen und schriftlichen Kommandos zum Ziel. Eine Kartendarstellung findet nicht statt. Sowohl die OEM- als auch die Aftermarket-Systeme sind oft mit Audiosystemen kombiniert und nutzen deshalb das Display des Radios. Bei diesen Systemen spricht man von Turn-byTurn-Navigation. Color-Navigationssysteme dagegen haben einen separaten Monitor mit farbiger Bildschirmdarstellung und sehr viel höherer Auflösung. Dieser in aller Regel im Format 16 : 9 ausgeführte Monitor wird meist sehr weit oben in oder auf der Mittelkonsole integriert, so dass er vom Fahrer jederzeit gut einsehbar ist. Vor allem bei werkseitig montierten Systemen dient er auch als Display für den Bordcomputer und die Infotainment-Komponenten. Stand der Technik für die grafische Darstellung der Navigations- und Routeninformationen ist der Bildaufbau mit vier unabhängigen, übereinanderliegenden Schichten („Layern“), der von einem Grafik-DisplayController gesteuert und generiert wird. Die erste dieser Bildschirmschichten ist der Basis-Layer. Er bildet die Grundlage für die Darstellung von grafischen Informationen und ist in zwei Bereiche mit variabler Unterteilung gesplittet. So können zwei funktionell getrennte Darstellungen etwa mit Richtungspfeilen und Landkartenansichten auf einem Bildschirm realisiert werden. Darüber liegt als Ergänzung der Mittel-Layer, der ebenfalls in zwei Bereiche unterteilt werden kann. Mit ihm können Zusatzinformationen wie Stauwarnungen, Entfernungsangaben oder POI auf einer Karte dargestellt werden, ohne dass diese bei jeder Veränderung der Zusatzdaten neu gezeichnet werden müssen. Als dritte Schicht liegt darüber der Window-Layer, auf dem hochauflösende Grafiken wie die Fotos aus einem digitalen Reiseführer oder Videoeinspielungen dargestellt werden können. Den Abschluss bildet in der vierten Lage der Konsolen-Layer. Auf ihm werden all jene Elemente

475 angezeigt, die unabhängig von der Kartendarstellung immer vorhanden sind – also zum Beispiel Bedienelemente, Schaltflächen oder Rahmen und Linien. Die Darstellung von Karten, Routen und Navigationsund Zusatzinformationen variiert bei den ColorSystemen stark. Bei allen Fabrikaten sind so genannte „Split-Screens“ üblich, mit denen die Grafik geteilt werden kann: So erscheint auf der einen Seite weiterhin die Landkarte, während auf der anderen ein Piktogramm das nächste Manöver ankündigt. Unterschiede dagegen gibt es in den Menüs zur Skalierung des Kartenmaßstabes und zur Auswahl der Zusatzinformationen innerhalb der Kartendarstellung. HighEnd-Geräte bieten zudem einen so genannten „Intersection-Zoom“, bei dem in einem weiteren Kartenfenster eine einzelne, komplizierte Verkehrsituation wie die direkte Folge mehrerer Kreuzungen vergrößert dargestellt wird. Der Autofahrer wird dann grafisch durch diese Situation geführt. Der Aufwand für diese zusätzlichen graphischen Berechnungen ist vielfach sehr groß, so dass sie meist direkt im Navigationskernbereich erfolgen. Am weitesten differieren die Perspektiven, aus denen die Karten gezeichnet werden: Während bislang die klassische Draufsicht im Stil eines Atlas dominiert hat, etablieren sich gerade so genannte BirdviewKarten mit einem Blick aus der Vogelperspektive bis zu Höhenmodellen mit Satellitenbildern. Ziel ist aber eine wirklich dreidimensionale Navigation, die etwa in der Stadt in perspektivisch korrekter Darstellung die Straße sowie als zusätzliche Orientierungshilfe Modelle aller Gebäude anzeigt. Sehenswürdigkeiten werden sogar fotorealistisch dargestellt. Je nach Grad der Integration in das jeweilige Fahrzeug und nach Konfiguration des entsprechenden Cockpits werden die Navigationshinweise allerdings nicht nur auf dem Display in der Mittelkonsole angezeigt. Viele Fahrzeuge verfügen auch über ein weiteres Display im direkten Sichtbereich des Fahrers, auf dem die Informationen für die Routenführung noch einmal wiederholt werden. Im Cockpit des Audi A8 beispielsweise kommt ein Anzeigekonzept mit einem Fünf-Zoll-TFT-Monitor zum Einsatz (Bild 10-19). Weil auf diesem Display jeder einzelne der 320 mal 240 Bildpunkte in den drei Grundfarben rot, grün und blau mit einem eigenen Transistor angesteuert wird, ermöglicht das System eine große Brillanz und Präzision in der Darstellung. Darüber hinaus wurde eine Informationsgrafik entwickelt, die mit perspektivischer Darstellung, fließenden Farbwechseln und bewegten Schattierungen eine künstliche Tiefenwirkung erzeugt. Die Navigation arbeitet mit einem Megabyte Bilddaten. Es werden bewegte Animationen mit Warnhinweisen nach einer fest vorgegebenen Hierarchie auf dem Display eingeblendet. Gesteuert wird das Display über einen eigenen 32-Bit-Prozessor und rund zwei Megabyte Software.

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10 Telematik

Bild 10-19: Je nach Grad der Integration des Navigationssystems werden Abbiegehinweise direkt im Cockpit eingeblendet. Beim Audi A8 wird dafür ein TFT-Display eingesetzt

Ähnlich ist das Kombiinstrument des Siebeners von BMW aufgebaut, wo in Tacho und Drehzahlmesser zwei LCD-Displays mit jeweils 640 mal 270 Pixeln integriert worden sind. In der Mercedes E-Klasse wurden die Eigenschaften von Punktmatrix- und Segmentdarstellung durch den Einsatz zweier aktiver Zellen verbunden. Die vordere Zelle besitzt 64 kreisförmig angeordnete Leuchtsegmente, mit denen ein Kreisbogen für die Anzeige von Tempomat, Geschwindigkeitsbegrenzer und die Abstandsregelung unter die Tachoskala gelegt werden kann. Dahinter steht in der zweiten Lage eine herkömmliche Punktmatrix mit 120 mal 126 Bildpunkten, mit der Warntexte, Hinweise und Zusatzinformationen angezeigt werden können. Weil aber auch der Blick auf das Kombiinstrument eine Ablenkung für den Fahrer ist, werden die Navigationsinformationen in einigen Fahrzeugen mit einem Head-Up-Display (HUD) auf die Frontscheibe projiziert (Bild 10-20). Die HUD-Einheit befindet sich im Cockpit hinter den Instrumenten. Das dort erzeugte Bild wird auf der Windschutzscheibe reflektiert. Wie beim Blick in einen Spiegel sieht der Fahrer

das Bild nicht an der Glasoberfläche, sondern in etwa zwei Meter Abstand frei schwebend über der Motorhaube.

10.2.3 Navigation Services Navigation hat sich für Fahrzeug- und Systemhersteller in den letzten Jahren von der reinen Funktion zur klassischen Dienstleistung entwickelt. Im Verständnis der Unternehmen steht der Begriff deshalb nicht mehr ausschließlich für ein Gerät, sondern für einen Service, der viel mehr umfasst als die Berechnung des besten Weges zum Ziel. Für die Navigationssysteme bedeutet dies im Idealfall den Zugriff auf eine erweiterte und regelmäßige aktualisierte Datenbasis. Der Autofahrer profitiert durch zusätzliche Informationen und Services. Der Fahrzeughersteller kann die Kundenbindung festigen und zusätzlichen Umsatz generieren. Inhaltlich folgen daraus spezielle Navigations- und Telematikplattformen, mit denen der Fahrer online oder per Telefon kommuniziert.

Bild 10-20: Das Head-up-Display stellt wichtige Navigationsinformationen direkt im Blickfeld des Fahrers dar [2]

10.2 Navigation

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Bild 10-21: Verschiedene Ansätze der Navigation im Vergleich

Diese Dienste wie ASSIST bei BMW, COMMAND APS bei Mercedes, OnStar bei Opel und General Motors oder CONNECT bei Fiat boten bzw. bieten über die Hilfe bei der Zielführung hinaus auch automatisierte Notrufe und Reiseservice von der Flugbuchung bis zur Hotelauskunft. Außerdem ermöglichen diese Dienste mit der Navigationstechnik auf Wunsch auch Ortung und Tracking der Fahrzeuge, etwa um Diebstählen vorzubeugen. Darüber hinaus haben viele Fahrzeug- und Systemhersteller Notfallfunktionen integriert: Löst der Fahrer im Falle einer Panne einen B-Call (Break down Call) aus, werden die aktuellen Positionsdaten direkt an das verbaute Telefon geliefert, das wiederum eine Verbindung zum ServiceDienstleister aufbaut. Das gleiche geschieht auch automatisch im Falle eines E-Calls (Emergency Call), wenn das System etwa durch die Auslösung der Airbags einen Unfall erkennt. Technisch ist bei diesen Navigation Services mit Blick auf die Routenplanung zwischen drei Varianten zu unterscheiden: Bei der On-Board-Navigation (Bild 10-21a) befinden sich Informationen zur Routenplanung auf der CD oder DVD im Fahrzeug. Der Vorteil dieses Prinzips ist die ständige Funktionsbereitschaft ohne Verbindung zu einem Provider. Das Gerät ist autark und jederzeit ohne zusätzlichen Aufwand und weitere Kosten einsetzbar. Weitere Dienstleistungen sind lediglich ein unabhängiger Mehrwert. Nachteilig dagegen ist die statische Datenbasis: Die Daten sind nur für kurze Zeit aktuell. CD oder DVD müssen deshalb regelmäßig ausgetauscht werden. Die Offboard-Navigation (Bild 10-21b) setzt nicht auf eine digitale Karte im Fahrzeug, sondern auf eine ständig aktualisierte, dynamische Datenbasis, die auf

dem Zentralrechner des Dienstleisters installiert ist und dort regelmäßig gepflegt wird. Über eine Mobilfunkverbindung kann das Navigationssystem eine Routenanfrage über SMS übermitteln und eine entsprechende Streckenempfehlung empfangen. Der Vorteil dieses Systems ist die ständig aktualisierte Datenbasis. Außerdem werden für den Endkunden die Investitionen geringer, weil er keine digitale Karte mehr vorhalten muss. Nachteile dieser Lösung sind die Abhängigkeit von einer Mobilfunkverbindung, die Übertragungszeit, die dauerhaften Kosten für jede einzelne Routenabfrage sowie für die Berechnung von alternativen Strecken und Zwischenzielen. Denn sobald das Fahrzeug einen bestimmten Navigationskorridor verlässt, verliert das System die Datengrundlage der digitalen Karte und muss mit einer erneuten Abfrage eine weitere Routenberechnung einholen. Die Breite dieses Korridors hängt vor allem von den zur Verfügung stehenden Übertragungsraten ab. Doch selbst für den UMTS-Standard wären die Datenmengen zu groß, um auf diese Weise in der gebotenen Geschwindigkeit die digitalen Karten ganzer Länder ins Fahrzeug zu übertragen. Die Hybrid-Navigation (Bild 10-21c) kombiniert interne und externe Datenquellen. Die digitale Karte befindet sich weiterhin auf CD, DVD oder einer eingebauten Festplatte (Mikrodrive) im Fahrzeug („onboard“); aktuelle Informationen einer Dienstzentrale werden von außen („offboard“) hinzugeladen. Diese Lösung kombiniert die Vorteile der beiden eingangs beschriebenen Varianten. Die Navigation arbeitet weiterhin autark und ist nicht zwingend auf eine Mobilfunkverbindung angewiesen. Gleichzeitig hat der Autofahrer Zugriff auf eine ständige Aktualisierung seiner Kartendaten oder auf zusätzliche In-

478 formationen wie die Verkehrslageberichte in Echtzeit, Wetterwarnungen oder Baustellenhinweise. Entsprechende Datentransfers haben ein sehr viel geringeres Volumen. Daraus folgen kürzere Übertragungszeiten und geringere Verbindungskosten als bei der permanenten Offboard-Übermittlung eines ganzen Kartenausschnitts. Außerdem können auf diese Weise neben Navigationsdaten auch Software-Updates für das Navigationssystem und für andere elektronische Komponenten ins Fahrzeug übertragen werden. Um veraltete Datenbestände auf den digitalen Straßenkarten von Onboard-Konzepten zu aktualisieren, haben vor allem die Anbieter von Navigationssystemen für den Aftermarket einige Geschäftsmodelle entwickelt, die dem Endverbraucher über Abonnements oder andere Vertragsregelungen eine ständig aktualisierte Datenbasis bereit stellen. Beispielsweise erhalten die Kunden regelmäßig einen ständig aktualisierten Satz CDs oder DVDs mit sämtlichen Kartendaten und allen Informationen kostenlos. Vor der Nutzung müssen diese Daten dann mit einem Code freigeschaltet werden. Diese Codes werden individuell bei einer Servicezentrale gebucht und gelten dann jeweils für einzelne Länder oder Dienste. So können Autofahrer ihr Navigationssystem in jeder Region für einzelne Tage, Monate oder Jahre freischalten lassen und nutzen dafür stets die aktuellste Datenbasis. Literatur zu Abschnitt 10.2 [1] M. Schupfner, K. Artmann: Optimierte Routenkalkulation bei Navigationssystemen. In: ATZ elektronik, 01/2006 [2] H.-B. Abel, A. Adamietz, B. Leuchtenberg, N. Schmidt: Integration von Night-Vision und Head-up-Display im Kraftfahrzeug. In: ATZ, 11/2005

10 Telematik

10.3 Multimedia 10.3.1 Entwicklung und Stand der Technik Der Mensch verbringt aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu mehr persönlicher Mobilität auf der einen und der wachsenden Verkehrsdichte auf der anderen Seite immer mehr Zeit im Auto. Damit gehen steigende Ansprüche an das Fahrzeug und seine Ausstattung einher. Denn damit sie die zusätzliche Zeit sinnvoll nutzen oder komfortabel verbringen können, erwarten die Insassen im Idealfall auch unterwegs dieselbe Infrastruktur, die ihnen zu Hause oder im Büro zur Verfügung steht. Rund 80 Jahre nach der Erfindung des Autoradios (1922) sind moderne Fahrzeuge mit einer hohen Ausstattung deshalb zu mobilen Multimedia-Zentralen (siehe Bild 10-22) geworden. Radio und CD-Player gehören bei vielen Modellen längst zum Standard, fest integrierte Telefone mit eingebauten GSM-Modulen oder Freisprechanlagen für externe Mobiltelefone sind ebenso üblich wie Navigationssysteme. Und auch TVEmpfang, E-Mail-Kommunikation oder Internetzugang sind nicht mehr nur der Oberklasse vorbehalten. Für diese komplexen und vielfach intern vernetzten Fähigkeiten und Funktionen hat sich der Begriff „Infotainment“ als Zusammenfassung von Information und Entertainment (Unterhaltung) etabliert. Bei der Betrachtung des Multimedia-Angebots im Fahrzeug ist vor allem zwischen vier Bereichen zu unterscheiden, die verschiedene Kanäle der Kommunikation nutzen und verschiedene InfotainmentAufgaben erfüllen: Audio, Video, Kommunikation und Office-Komponenten. Diese Bereiche werden im Folgenden genauer behandelt.

Bild 10-22: Fond eines gestreckten BMW 7er, ausgerüstet mit Monitoren, Tastatur und Schreibtischen [Quelle: BMW]

10.3 Multimedia 10.3.1.1 Audio-Komponenten Das älteste Audio-Medium im Fahrzeug ist das analoge Radio. Es empfängt ein analoges Signal, das von einem Sender auf einen hochfrequenten Träger aufmoduliert und dann kabellos ausgestrahlt wird. Im Gerät selbst werden die Signale wieder demoduliert und nach elektronischer Verstärkung über die Lautsprecher wiedergegeben. Radios sind heute bei mehr als 95 Prozent aller Fahrzeuge in Westeuropa Bestandteil der Serienausstattung. Dennoch hat sich ein großer Markt für Nachrüstlösungen entwickelt, auf dem allein in Deutschland pro Jahr rund eine Million Geräte verkauft werden. Einen problemlosen Gerätewechsel ermöglicht dabei das Format des genormten DIN-Schachtes im Armaturenträger (ca. 180 mal 52 mal 160 mm), das allerdings gerade in der Erstausrüstung immer seltener eingehalten wird. Ausgestrahlt werden die Programme heute mehrheitlich mit frequenzmodulierten Wellen (FM), die in Deutschland als Ultra-Kurz-Welle (UKW) bekannt sind. Nicht mehr ganz so weit verbreitet ist die amplitudenmodulierte Welle (AM), auf deutsch Mittelwelle (MW), die mit geringer Sendeleistung eine größere Reichweite hat, dafür aber nur eine eingeschränkte Klangqualität bietet. Nahezu ohne Bedeutung sind heute Lang- und Kurzwelle (LW, KW), die wegen ihrer großen Reichweite nur noch in sehr dünn besiedelten Ländern ausgestrahlt werden. Während die ersten Radiogeräte nur Langwelle empfangen konnten, sind heute Geräte mit mindestens zwei Empfängern für alle Wellenlängen Standard. Über diese Verbindung werden allerdings nicht nur Musik und Sprache übertragen, sondern auch Daten in das Fahrzeug übermittelt. Dafür wurde 1974 als erster Rundfunkzusatzdienst der Autoradio-Informationsdienst (ARI) eingeführt, den 1987 das von der European Broadcast Unit entwickelte Radio-DatenSystem (RDS) ablöste. Mit ihm werden neben Sender- und Musikinformationen auch codierte Verkehrsnachrichten ausgestrahlt. Näher beschrieben ist dieser Aspekt in den Abschnitten 10.1 und 10.2. Seit 1987 wird alternativ zum analogen Radio auch das Digital Audio Broadcasting (DAB) aufgebaut. Die Audioinformationen der Programme und programmbegleitende Daten wie Verkehrsinformationen werden dafür mit Hilfe digitaler Komprimierungsverfahren (MUSICAM) auf Datenraten von 32 bis 256 kBit/s reduziert. Anschließend werden für die Übertragung mehrere Audiodatenströme zusammen mit ebenfalls möglichen reinen Datendiensten zu einem so genannten Ensemble mit hoher Datenrate zusammengeführt und dann mit einem Verfahren zur redundanten Signalkodierung (Coded Orthogonal Frequency Division Multiplexing, kurz COFDM) moduliert. Auf diese Weise kann beim Digital Audio Broadcasting ein hoher Wirkungsgrad, eine große Reichweite und ein sehr viel besse-

479 rer Fehlerschutz erreicht werden. Die Bandbreite des Übertragungssignals beträgt 1,536 MHz und bietet eine Nutzbitrate von rund 1,5 MBit/s. In Deutschland können weit über 100 öffentlichrechtliche und private Hörfunkprogramme digital empfangen werden; einige werden ausschließlich für Digital Audio Broadcasting (DAB) produziert. Auch in Teilen der West- und Deutschschweiz, Südtirol, Belgien und Großbritannien ist das DAB im Jahr 2005 fast flächendeckend verfügbar. Neben dem Empfang und der Wiedergabe der Radioprogramme wird die Technik der Radiogeräte auch zum Abspielen von Tonträgern genutzt. Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts war die Compact Cassette (CC) am weitesten verbreitet, die mittlerweile aber weitgehend von der Compact Disc (CD) abgelöst worden ist. Die CD bietet eine sehr viel höhere Klangqualität und ist weniger anfällig für mechanische Beschädigungen. Aufgrund dieser Vorteile und dem wachsenden Marktanteil gibt es bereits eine ganze Reihe von Fahrzeugherstellern, die in ihren Fahrzeugen in Westeuropa gar keine Kassettenlaufwerke mehr anbieten. Weil die Compact Disc zudem nur einseitig abspielbar ist und weniger Platz benötigt als eine Kassette, wurden so genannte CDWechsler entwickelt. Sie sind entweder direkt in der Mittelkonsole oder an anderen gut zugänglichen Stellen im Fahrzeug montiert und nehmen zwischen drei und zehn CDs auf, die dann per Tastendruck gewechselt werden. Am Markt offensichtlich nicht durchgesetzt hat sich dagegen die Minidisk (MD), auf der Audiodaten in einem komprimierten Format gespeichert werden. Auf diese Weise passen die Daten einer normalen Musik-CD (650 bis 700 MB) auf eine MD (164 bis 177 MB). Einen Siegeszug erlebt dagegen derzeit das Musikformat MP3, das seit Anfang des neuen Jahrhunderts auch im Auto abgespielt werden kann. Mit diesem vom Fraunhofer Institut entwickelten und heute vor allem für den Musik-Download aus dem Internet eingesetzten Verfahren können einzelne Musikstücke ohne merklichen Qualitätsverlust soweit komprimiert werden, dass auf eine einzelne Daten-CD bis zu zehn Musikalben, also etwa 150 Lieder, oder ein über zehn Stunden langes Hörbuch passen. Kombiniert mit einem Wechsler für zum Beispiel sechs CDs ergibt das einen Musikvorrat von rund 900 Titeln, der etwa 60 Stunden Unterhaltung ohne Wiederholung ermöglicht. Deshalb wurden Schnittstellen entwickelt, über welche die digitalen MP3-Player mit dem Audio- und Bediensystem des Fahrzeugs verbunden werden. Getrieben wird diese Entwicklung vor allem von der anhaltend hohen Nachfrage nach MP3-Playern, für die seit 2005 Einbausätze für das Fahrzeug angeboten werden (Bild 10-23). Als Alternative zur physisch festen Verbindung mit dem Fahrzeug gibt es für derartige Geräte auch eine Anbindung über Bluetooth (siehe Abschnitt 10.3.4.2).

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10 Telematik

Bild 10-23: Seit 2005 gibt es Schnittstellen für die Integration externer MP3Player; die digitalen Abspielgeräte können direkt mit dem Soundsystem und der Bedienoberfläche des Fahrzeugs verbunden werden [Quelle: DaimlerChrysler]

10.3.1.2 Visuelle Komponenten Zu den visuellen Medien im Fahrzeug zählen vor allem DVD-Player und TV-Receiver. Die DVDPlayer werden meist als autarke Einheiten im Fahrzeug verbaut und oft direkt mit einem ausklappbaren Monitor am Dachhimmel montiert (Bild 10-24 links). Sie sind zur Wiedergabe von Videodaten auf einem LCD-Bildschirm konzipiert, die zuvor auf eine Digital Versatile Disc (DVD) gebrannt wurden. Diese DVD bietet gegenüber der CD eine etwa siebenfach höhere Speicherkapazität und gegenüber den bis Ende der neunziger Jahre gebräuchlichen Videobändern eine sehr viel höhere Wiedergabequalität bei gleichzeitig sinkendem Platzbedarf und erhöhter Widerstandsfähigkeit. Für den Anschluss externer Abspielgeräte wie digitalen Videokameras oder Spielkonsolen, deren Daten dann ebenfalls auf dem LCD-Monitor im Fahrzeug wiedergegeben werden können, bieten die DVD-Player im Fahrzeug häufig zusätzliche Interfaces. Eine gebräuchli-

che Alternative zum Monitor am Dachhimmel sind in der Rückseite der vorderen Kopfstützen integrierte Bildschirme (Bild 10-24 rechts). Neben dem DVD-Player gibt es im Pkw schon seit einigen Jahren auch Fernsehsysteme, die allerdings bislang meist eine schlechte Empfangsqualität aufweisen. Aus diesem Grund und um den Fahrer nicht abzulenken, können die werkseitig installierten TVReceiver nur im Stand oder bei Schritttempo genutzt werden. Eine bessere Empfangsqualität ermöglicht, ähnlich wie beim Radio, die schrittweise Einführung des digitalen Fernsehens (Digital Video BroadcastingTerrestrial, DVB-T). Wesentliche Vorteile für die TVKonsumenten sind die deutlich höhere Bildqualität des digitalen Fernsehens und das größere Programmangebot. Die Umstellung des terrestrischen Fernsehempfangs in Deutschland hat bereits im Sommer 2003 begonnen, doch mit einer flächendeckenden Versorgung ist erst in einigen Jahren zu rechnen.

Bild 10-24: DVD-Player mit ausklappbarem Monitor, am Dachhimmel montiert (links), in die vorderen Kopfstützen integrierte Bildschirme (rechts) [Quelle: BMW]

10.3 Multimedia Deshalb haben verschiedene Automobilhersteller gemeinsam eine so genannte Settop-Box entwickelt, die zusätzlich den Empfang digitaler Sendungen ermöglicht. In Gebieten mit konventioneller TVVersorgung kann nach wie vor der vorhandene analoge TV-Empfänger verwendet werden. Eine drahtlose Fernbedienung dient zur Steuerung des Digitalempfängers. Im Gegensatz zu Heimgeräten haben mobile Systeme zwei Empfangsteile und zwei Demodulatoren. Damit sind sie in der Lage, einen Sender zu empfangen und gleichzeitig nach weiteren Sendern mit höherer Feldstärke zu suchen. Das System wählt immer die Frequenz mit dem besten Empfang. Darüber hinaus nutzen mobile Systeme die Signale mehrerer Antennen. Dieses MRC-Diversity (Maximum Ratio Combining) genannte Verfahren ist als einziges vollständig mobiltauglich und bietet insbesondere den Vorteil, dass auch bei schwachen Sender-Signalen noch ein Bild wiedergegeben werden kann. Verrauschte oder unscharfe Bilder gehören mit dem Digitalfernsehen der Vergangenheit an. Wird die Versorgung zu schlecht, wird das letzte vollständig empfangene Bild zum Standbild eingefroren. Während der Fahrt ist das TV-Bild des Frontmonitors aus Sicherheitsgründen nach wie vor gesperrt. 10.3.1.3 Kommunikation Als Kommunikationsmedien im Fahrzeug bezeichnet man neben den mittlerweile weitgehend abgelösten und nur noch im gewerblichen oder behördlichen Verkehr eingesetzten Funkgeräten vor allem das Auto- und Mobiltelefon und die damit möglichen Zusatzdienste. Das erste Autotelefon wurde bereits 1935 vorgestellt. Das Sende- und Empfangsgerät war damals im Kofferraum des Autos montiert und füllte dessen Platz komplett aus. In der Geschichte der Telekommunikation stellt das Autotelefon den Übergang vom leitungsgebundenen Festnetz- zum Mobiltelefon dar. Für die Übertragung wurde bereits, wie beim Mobiltelefon, eine Funkstrecke verwendet. Allerdings blieb wegen der aufwendigen Technik die Kommunikation an das Fahrzeug gebunden und war noch nicht transportabel. Das erste Netz für derartige Telefone war das A-Netz, das in Deutschland 1958 freigeschaltet wurde und 11000 Teilnehmer hatte, die allerdings nur über eine Vermittlung telefonieren konnten. 1972 folgt das B-Netz mit Selbstwählverbindungen und 27000 Teilnehmern, das 1985 vom CNetz abgelöst wurde. Obwohl die ersten Geräte noch ca. 6000 Euro kosteten, waren in diesem Netz insgesamt 850000 Teilnehmer angemeldet. Mit dem Wechsel auf das digitale D- und E-Netz ab 1992 konnten die Geräte so weit verkleinert werden, dass sie vom Auto- zum Mobiltelefon wurden und nicht mehr fest ins Fahrzeug integriert werden mussten.

481 Aus Gründen der Verkehrssicherheit schreibt der Gesetzgeber in fast allen europäischen Ländern allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts vor, dass Telefone während der Fahrt nur noch benutzt werden dürfen, wenn sie bedient werden können, während die Hände am Lenkrad bleiben. Daraus folgen zahlreiche Festeinbauten sowie die Einführung von speziellen Konsolen und Schnittstellen, über welche die Telefone mit dem Fahrzeugsystem verbunden werden können. Als neue Alternative bietet sich dafür statt der mechanischen Verbindung auch die drahtlose Übertragung nach dem Bluetooth-Standard an, auf den in Abschnitt 10.3.4.2 eingegangen wird. Mit einer solchen Integration des Telefons kommt der Fahrer allerdings nicht nur den Anforderungen des Gesetzgebers nach, sondern steigert auch die akustische Qualität und den Bedienkomfort. So erfolgt die Bedienung je nach Integrationstiefe über das MenschMaschine-Interface des Fahrzeuges, zum Beispiel über Tasten am Multifunktionslenkrad. Dabei bringt diese Integration nicht nur Telefonate und Kurznachrichten aus dem Short Message Service (SMS) ins Auto, sondern ermöglicht je nach Auslegung auch EMail-Kommunikation oder Internetzugang. Um die noch geringen Datentransferraten auszugleichen, die Darstellung der Inhalte an die verhältnismäßig kleinen Monitore anzupassen und um die Ablenkung des Fahrers zu minimieren, haben einige Fahrzeughersteller eigene Internetportale für den mobilen Zugang eingerichtet. Dort werden die Informationen gefiltert und entsprechend aufbereitet. Eine tiefer gehende Vernetzung vorausgesetzt, können die über das Mobiltelefon ins Fahrzeug übertragenen Daten auch für andere Systeme genutzt werden. So gibt es vielfach eine Schnittstelle zum Navigationssystem und bei einigen Herstellern auch spezielle Telematik-Portale, die den Fahrer bei seiner Reise mit Telefonaten und Online-Verbindungen unterstützen. Außerdem ermöglicht die Telefonintegration auch manuelle oder automatische Notrufe bei Pannen und Unfällen. Näher erläutert werden diese Anwendungen in den Abschnitten 10.1 und 10.2. Noch sind die Möglichkeiten der mobilen Telekommunikation und der mobilen Datenverbindungen wegen der geringen Datenübertragungsrate von 14,4 kBit/s im GSM-Standard stark eingeschränkt. Bereits in den UMTS-Netzen stehen aber seit 2004 Übertragungsraten von 384 kBit/s zur Verfügung. Mittelfristig wird der Standard High Speed Downlink Packet Access (HSDPA) mit Datenraten von 14,4 MBit/s zahlreiche neue Funktionen und Dienstleistungen ermöglichen. 10.3.1.4 Office-Komponenten Von mobilen Office-Lösungen im Fahrzeug spricht man vor allem beim Einbau von Computern, Note-

482 books, Faxgeräten oder Druckern. Derartige Lösungen werden aber in den seltensten Fällen direkt vom Fahrzeughersteller, sondern meist von Tunern und Nachrüstunternehmen angeboten. Eine über die Stromversorgung hinaus gehende Integration im Fahrzeug findet in der Regel nicht statt. Deshalb werden diese Systeme hier nicht weiter beschrieben. 10.3.1.5 Antennen und Empfangseinrichtungen Von den Office-Lösungen einmal abgesehen, benötigen nahezu alle Multimedia-Komponenten im Fahrzeug spezielle Antennen, mit denen die elektromagnetischen Wellen der Sender wieder in hochfrequente Wechselströme umgewandelt werden. Am weitesten verbreitet ist bei den Fahrzeugen die Rundfunkantenne, die als stehende Metallrute ausgeführt ist. Häufig wird statt des Stabes aber auch ein Empfangsdraht direkt in die Scheiben eingearbeitet. Für den TV-Empfang kommen meist mehrere Fernsehantennen zum Einsatz, denn um die Bild- und Tonqualität zu verbessern, besitzen die Receiver bis zu vier Antennen („Antennen-Diversity“), die sternförmig ausgerichtet sind. Eine Elektronik schaltet dann etwa im Schatten eines Berges oder unter einer Brücke jeweils auf die Antenne mit dem stärksten Empfang und vermeidet auf diese Weise Qualitätsschwankungen. Mobilfunkgeräte haben zwar meist eine eigene Antenne, sie werden aber beim Einbau im Fahrzeug in aller Regel an eine zusätzliche Telefonantenne angeschlossen. Weil diese in der Regel auf dem Dach oder an der Heckscheibe montiert ist, erreicht sie eine bessere Abstrahlung. Außerdem ermöglichen derartige Antennen eine Sendeleistung von bis zu zwölf Watt, während die Telefone selbst im D-Netz mit zwei und im E-Netz nur mit einem Watt senden. Wird das Fahrzeug mit einem Navigationssystem ausgerüstet, benötigt es zudem eine spezielle GPSAntenne zum Empfang der Positionsdaten, die von einem geostationären Satellitensystem gesendet werden.

10.3.2 Multimedia-Architektur Alle diese zuvor beschriebenen MultimediaKomponenten sind in der Regel keine autarken „Stand-Alone-Lösungen“. Vor allem wenn sie nicht nachgerüstet, sondern bereits im Werk eingebaut werden, sind sie von einem wachsenden Grad der Integration in sämtliche Fahrzeugsysteme gekennzeichnet: Die Bedienung erfolgt – zum Beispiel mit den Lenkradtasten – über das MMI (MenschMaschine-Interface, der Benutzerschnittstelle), die Audio-Informationen werden über ein gemeinsames Lautsprecher-System wiedergegeben, zur Anzeige

10 Telematik werden der zentrale Monitor in der Mittelkonsole oder das Kombiinstrument genutzt, und bei der Steuerung greifen dieses Systeme auf die Sensoren des Fahrzeugs zurück. So regelt etwa das Audiosystem die Lautstärke auf Basis der Fahrzeuggeschwindigkeit. Dabei werden die einzelnen Multimedia-Komponenten nicht nur mit dem Fahrzeug, sondern auch untereinander zunehmend vernetzt. So lässt sich eine Telefonnummer aus dem Adressspeicher des Navigationssystems auf das Mobiltelefon übertragen. Zielempfehlungen aus einer E-Mail können direkt in die Routenplanung übernommen werden, und in Zukunft können MP3-Player möglicherweise die Musik direkt aus dem Internet herunterladen. Eine Ausnahme in dieser Vernetzung machen nur die Office-Lösungen. Sie sind zwar physisch zum Beispiel über Konsolen und über das Spannungsnetz an Bord mit dem Fahrzeug verbunden, greifen aber nicht auf die Informationen der Fahrzeugelektronik zurück und nutzend diese umgekehrt auch nicht für ihre Zwecke. Die Integration derartiger Multimedia-Systeme in das Fahrzeug stellt die Automobil- und Systemhersteller vor zahlreiche Herausforderungen. So arbeiten auf diesem Sektor Unternehmen aus Branchen zusammen, die früher völlig voneinander unabhängig aufgetreten sind: Auf der einen Seite die Automobilhersteller und ihre Zulieferer und auf der anderen Seite die Unterhaltungs- und Telefonindustrie. Über die neuen Partnerschaften hinaus muss die Fahrzeugindustrie weit auseinander klaffende Entwicklungs- und Produktlebenszyklen synchronisieren und sinnvoll in Einklang bringen. Während die Entwicklung eines Fahrzeugs heute noch immer etwa drei Jahre in Anspruch nimmt, das Modell dann mit einer technischen Aktualisierung nach drei bis vier Jahren insgesamt sechs bis acht Jahre lang produziert und danach im Durchschnitt noch etwa zehn Jahre genutzt wird, altern Infotainment- und Kommunikationssysteme sehr viel schneller. Ihre Entwicklungszeit liegt oft bei wenigen Monaten, das Produktprogramm der Hersteller wird häufig sogar zweimal im Jahr komplett ausgewechselt, und der Kunde behält ein Mobiltelefon oder einen PDA selten länger als ein oder zwei Jahre. So muss der Entwickler in der Automobilindustrie einen Zeithorizont von etwa 20 Jahren bedenken; seine Kollegen aus den Infotainment-Unternehmen dagegen blicken oft nur 20 Monate weit. Dennoch stellt man mit einem hohen Aufwand sicher, dass ständig die neueste Technik und die aktuellsten Service-Angebote ab Werk im Fahrzeug integriert oder zumindest vom Kunden nachgerüstet werden können. Eine weitere Hürde für die Integration der Multimedia-Komponenten in die Fahrzeuge sind die unterschiedlich hohen Anforderungen an Sicherheit und Stabilität. So haben Anwender im Büro oder im Wohnzimmer eine deutlich höhere Fehlertoleranz als

10.3 Multimedia im Auto. Während bei einem PC über „Abstürze“ und andere Ausfälle hinweg gesehen wird, verlangen Autofahrer in der Regel einen absolut fehlerfreien Betrieb. Außerdem sind die Konsequenzen möglicher Fehler im Fahrzeug sehr viel weitreichender: So geht zum Beispiel im Büro bei einer Störung eventuell eine E-Mail verloren. Im Fahrzeug jedoch könnte ein fehlerhaftes Mailprogramm möglicherweise auch die Navigation stören. Um solche Risiken auszuschalten, die Entwicklungszyklen anzupassen und gleichzeitig eine ebenso stabile wie flexible Basis für die Integration der Multimedia-Komponenten im Fahrzeug zu schaffen, arbeiten Autohersteller und Zulieferer an so genannten Plattform-Konzepten, die unabhängig vom Betriebssystem und der zugrunde liegenden Hardware sind. Um dies zu erreichen, wird das Betriebssystem von den Anwendungen durch eine so genannte Middleware getrennt. Oberhalb dieser Software-Schicht laufen die Anwendungsprogramme für Autoradio, E-Mail oder Navigation, die häufig in der Programmiersprache Java geschrieben sind. Damit entfällt das aufwendige Anpassen der Software an das vom Autohersteller benutzte Betriebssystem und den zugrunde liegenden Prozessor; Entwicklungszeiträume und -kosten werden reduziert. Ein Beispiel für eine solche Lösung ist die TopLevel-Architektur (TLA), eine Java-basierte Software-Plattform für Infotainment von Siemens VDO. Dabei sind Hardware und Software über standardisierte Schnittstellen verknüpft (Bild 10-25). Die TLA ist eine Software-Struktur, die aus drei Hauptebenen besteht. Die Schnittstelle mit der Hardware bindet die Softwaretreiber ein. Das Betriebssystem und die Java Virtual Machine bieten eine Java-Umgebung, die – unabhängig von der Hardware-Plattform – besonders für das offene Konzept der Top-Level-Architektur geeignet ist. Schließlich verbinden die OSGi-Services die in Java geschriebenen Grundelemente und bilden

483 die Struktur für die Einbindung neuer Dienste nach dem OSGi-Standard (Open Services Gateway Initiative). Dank der Übereinstimmung mit dem von einem Konsortium der führenden Hersteller und Zulieferer festgelegten OSGi-Standard ist es möglich, neue Anwendungen herunterzuladen und sie mit den bereits vorhandenen Funktionen zu verknüpfen (beispielsweise ein neues Displaydesign für das Autoradio). Außerdem sind dadurch Software-Updates oder Änderungen an der Hardware mit geringem Aufwand während des Modell-Lebenszyklus möglich. Der Autokäufer erhält damit bessere Technik zu einem geringeren Preis, auch wenn er sich für ein Modell entscheidet, das bereits einige Jahre in Produktion ist. Die TLA ermöglicht es der Automobilindustrie, ihre Entwicklungszeiten an die besonders kurzen Produktund Servicezyklen der sich ständig wandelnden Multimedia-Industrie anzupassen. Die InfotainmentLösungen sind ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen den Fahrzeugmarken und -modellen. Ausgehend von einer gemeinsamen Softwarebasis kann der Automobilhersteller jedes Modell seiner Fahrzeugpalette personalisieren. Über die AnwenderSchnittstellen kann er sein Angebot erweitern. Der Fahrer hat die Möglichkeit, nach seinem Geschmack und nach seinen Bedürfnissen das Design, die Ästhetik und die Ergonomie der Multimedia-Anwendungen in seinem Fahrzeug auswählen.

10.3.3 Vernetzung interner Systeme Bei der Vernetzung der Multimedia-Komponenten muss grundsätzlich zwischen internen und externen Systemen unterschieden werden: Während interne Systeme meist mit einem Verbindungskabel in das Fahrzeug eingebunden sind, werden externe Systeme häufig kabellos im Fahrzeug integriert.

Bild 10-25: Top-Level-Architektur (TLA)

484 Die dafür gebräuchlichen Verfahren werden in Abschnitt 10.3.4 erläutert. Die Verbindung von internen Systemen im Fahrzeug erfolgt in der Regel mit einem Bus-System: Die Bezeichnung Bus ist die umgangssprachliche Abkürzung von Datenbus und steht für ein Leitungssystem mit zugehörigen Steuerungskomponenten, das zum Austausch von Daten zwischen einzelnen Hardware-Komponenten dient. Während viele Steuergeräte dafür den CAN-Bus nutzen, wurde 1998 für die Multimedia-Umgebung im Fahrzeug der MOST-Bus eingeführt (siehe hierzu auch Abschnitt 4.2). Er dient zur Kommunikation der MultimediaKomponenten. Es verbindet zum Beispiel den Rundfunkempfänger, die Lautsprecher, das Mikrofon für die Sprachsteuerung, das Navigationssystem und weitere Komponenten im Fahrzeug (vgl. Bild 10-26). MOST-Netzwerke werden meistens als Ring ausgeführt, bei sicherheitskritischen Anwendungen kommen Doppelringe zum Einsatz. In einem solchen Ring können bis zu 64 MOST-Geräte eingebunden werden. Weil das System auf Plug & Play hin konzipiert worden ist, können einzelne Geräte mühelos entfernt oder hinzugefügt werden. In einem MOST-Netzwerk übernimmt ein MOST-Gerät die Rolle eines TimingMasters, der kontinuierlich MOST-Frames in den Ring einspeist. Die zu Beginn der Übertragung eines MOST-Frames versendete Präambel dient den Timing-Slaves zur Synchronisation. Über die der synchronen Übertragung zugrunde gelegten BiphasenCodierung können sich die Timing-Slaves ständig nachsynchronisieren. Insgesamt steht der Übertragung von Streaming-Daten (synchrone Datenübertragung) und von Paketdaten (asynchrone Datenübertragung) eine Bandbreite von circa 23 MBaud zur Verfügung. Diese ist in 60 physikalische Kanäle gegliedert, die vom Anwender selektiert und konfiguriert werden können. Zur Allokation (und Deallokation) der physikalischen Kanäle stellt der MOST zahlreiche Dienste und Mechanismen zur Verfügung. Der MOST unterstützt bis zu 15 unkomprimierte Stereo-Audio-Kanäle in CD-Qualität oder bis zu 15 MPEG1-Kanäle zur Audio-Video-Übertragung. Die Übertragung von hochauflösenden, unkomprimierten Videodatenströmen ist mit dem MOST allerdings noch nicht möglich. Gleichzeitig bietet der MOST einen Kanal zur Übertragung von Steuerungsbotschaften. Dazu steht eine Bandbreite von 768 kBaud zur Verfügung. Pro Sekunde können damit fast 3000 Steuerungsbotschaften übertragen werden. Mit Hilfe der Steuerungsbotschaften können die MOST-Geräte sowie die synchrone und die asynchrone Datenübertragung konfiguriert werden.

10 Telematik

10.3.4 Vernetzung externer Systeme Die Vernetzung externer Systeme im Fahrzeug erfolgt in Zukunft in der Regel drahtlos. Zwar sind heute einzelne Komponenten wie das Mobiltelefon oder der PDA mehrheitlich noch über Kabel mit den fahrzeugeigenen Multimedia-Komponenten verbunden, doch wachsende Komfortansprüche, die schnellen Wechselintervalle der mobilen Endgeräte und eine steigende Zahl der Systeme machen eine Umstellung dringend erforderlich. Für die kabellose Verbindung stehen grundsätzlich drei Techniken zur Wahl, die in den kommenden Abschnitten vorgestellt werden. 10.3.4.1 Infrarot Eine Möglichkeit zur kabellosen Vernetzung bietet die Infrarot-Technik. Dafür haben vor allem Unternehmen aus der Computerindustrie in den neunziger Jahren die Infrared Data Association (IrDA) gegründet und die physische Spezifikationen sowie die Standards für Kommunikationsprotokolle einer Schnittstelle definiert, die mit infrarotem Licht den Austausch von Daten ermöglicht. In der fortschrittlichsten Spezifikation werden damit Datenraten von 16 MBit/s erreicht. Ein Vorteil dieser Technik ist der preisgünstige Aufbau der Systeme. Nachteilig sind aber die geringe Übertragungsentfernung, die in der Spezifikation mit 100 cm festgelegt ist, sowie die zwingend benötigte Sichtverbindung zwischen Sender und Empfänger. Daher kommen Infrarot-Übertragungen im Fahrzeug allenfalls bei Fernbedienungen zum Einsatz. 10.3.4.2 Bluetooth Eine Schlüsselrolle bei der Vernetzung der internen und externen Komponenten im Fahrzeug kommt dagegen der Bluetooth-Technologie zu. Dieser relativ neue Standard für die drahtlose Vernetzung von Geräten über kurze Distanz definiert eine drahtlose Schnittstelle, über die sowohl mobile Kleingeräte wie Mobiltelefon und PDA, als auch Computer oder Peripheriegeräte in einem Netzwerk miteinander kommunizieren können. Ein solches Netzwerk wird auch als „Wireless Personal Area Network“ (WPAN) bezeichnet. Die Entwicklung von Bluetooth begann 1994 beim Mobiltelefonhersteller Ericsson mit dem Ziel, die Kabel zwischen Mobiltelefonen und Zusatzgeräten zu ersetzen. Zusammen mit anderen Industriepartnern wurde 1998 die Bluetooth Special Interest Group (SIG) gegründet, der mittlerweile über 2000 Unternehmen angehören, um Bluetooth als einen Standard zu etablieren. Dafür setzte man sich das Ziel, einen Transceiver mit geringen Herstellungskosten, flexiblen Einsatzmöglichkeiten und niedrigem Energieverbrauch zu

10.3 Multimedia spezifizieren, der Daten für multimediale Anwendungen überträgt und robust gegenüber Störungen ist. Der Bluetooth-Standard ist inzwischen von der Arbeitsgruppe IEEE (Institute of Electrical and Electronic Engineers) als Protokoll 802.15.1 adaptiert und normiert worden. Der Name Bluetooth stammt vom dänischen König Harald Blatand (910 bis 987), dem es im Mittelalter als erstem gelungen ist, große Bereiche Skandinaviens unter seiner Herrschaft zu vereinen. So, wie dieser König „Blauzahn“ die Völker im Norden geeint hat, so soll Bluetooth die Landschaft der Kommunikation elektrischer Kleingeräte einen. Die Basis eines Bluetooth-Systems ist ein Mikrochip, das Bluetooth-Modul. Es benötigt wenig Energie, bietet integrierte Sicherheitsmechanismen und ist günstig herzustellen. Somit kann es in einer breiten Palette von elektronischen Geräten eingesetzt werden.

485 Prinzipiell besteht ein Bluetooth-Modul aus einem HFTeil und einem Basisband-Controller, der die Schnittstelle zum Hostsystem, zum Beispiel dem PC, Laptop oder Handy darstellt. In der Norm sind drei Sendeleistungsklassen mit 1 mW (0 dbm), 2,4 mW (4 dBm) und 100 mW (20 dBm) definiert, die Reichweiten von 10 m bis 100 m zulassen. Die Stromaufnahme ist gering, liegt im Standby-Betrieb bei 0,3 mA und erreicht maximal 300 mA. Die Empfangsteile besitzen eine Empfindlichkeit von bis zu –70 dBm und arbeiten mit einer Zwischenfrequenz von 1 MHz. Die Reichweite von Bluetooth-Systemen liegt je nach Klassifizierung bei zehn bis 100 Metern, hängt aber stark von der jeweiligen Umgebung ab. Ein direkter Sichtkontakt zwischen Sender und Empfänger ist nicht nötig. Beim Einsatz im Fahrzeug ist vor allem die Reflexion der Funkwellen am Metall zu berücksichtigen.

Bild 10-26: Multimedia-Kommunikation im Fahrzeug: die Vernetzung über den MOST-Bus ist rot, die Anbindung über Bluetooth blau gezeichnet [Quelle: Audi]

486 Bluetooth-Geräte dürfen weltweit zulassungsfrei betrieben werden und senden im 2,4-GHz-ISM-Funkband (Industrial, Scientific and Medical). Dabei nutzt Bluetooth keine feste Frequenz. Vielmehr wird zur Verminderung der Störanfälligkeit ein spezielles Frequenzsprungverfahren eingesetzt, bei dem die Übertragung nach einem festgelegten Schema 1600 Mal in der Sekunde zwischen insgesamt 79 Kanälen von 2,402 GHz bis 2,480 GHz wechselt. Am unteren und oberen Ende gibt es jeweils ein Frequenzband als Sicherheitsband (Guard Band) zu benachbarten Frequenzbereichen. Theoretisch kann eine Datenübertragungsrate von 732,2 Kilobyte pro Sekunde beim Herunterladen bei gleichzeitigen 57,6 Kilobyte pro Sekunde beim Heraufladen erreicht werden. Mit der Version 1.2 – auch EDR (Enhanced Data Rate) genannt – können Daten etwa dreimal so schnell übertragen werden. Zur Verfügung stehen dann rund 2,2 Megabyte pro Sekunde. Ein Bluetooth-Gerät kann gleichzeitig bis zu sieben Verbindungen aufrechterhalten, wobei sich diese Geräte die verfügbare Bandbreite teilen müssen. Dabei unterstützt Bluetooth die Übertragung von Sprache und Daten. Eine Verschlüsselung der transportierten Daten ist ebenfalls möglich. Ein Bluetooth-Netzwerk (auch Piconet genannt) kann aus bis zu 255 Teilnehmern bestehen, wovon acht Geräte gleichzeitig aktiv sein können. Ein Gerät übernimmt die Rolle des Masters und kann bis zu sieben weitere Teilnehmer (Slaves) ansprechen. Der Master steuert die Kommunikation und vergibt Sendeslots an die Slaves. Ein Bluetooth-Gerät kann in zwei Bluetooth-Netzwerken angemeldet sein, allerdings nur in einem Netz als Master. Bis zu zehn Bluetooth-Netzwerke bilden ein so genanntes ScatterNetz, in dem alle Teilnehmer untereinander in Kontakt treten können. Hierbei wird jedes BluetoothNetzwerk durch eine unterschiedliche Systematik beim Frequenzwechsel identifiziert. Sobald Bluetooth-Geräte in Betrieb gesetzt werden, identifizieren sich die einzelnen Bluetooth-Controller innerhalb von zwei Sekunden über eine individuelle und unverwechselbare 48 Bit lange Seriennummer. Im Standby-Modus lauschen unverbundene Geräte in Abständen von 1,28 s nach Nachrichten und kontrollieren dabei 32 der 79 Frequenzen. Eine Verbindung kann von einem beliebigen Gerät ausgehen, das sich dadurch zum Master erhebt. Der Kontakt zu den Slaves wird durch eine Inquiry-Nachricht und danach durch eine Page-Message hergestellt, falls die Hardware-Adresse der Geräte unbekannt ist. Bei bekannter Adresse fällt der erste Schritt weg. Im Page-Zustand sendet der Master 16 identische Page-Telegramme auf 16 unterschiedlichen Hopping-Frequenzen, die für die Slaves bestimmt sind. Danach befinden sich die Stationen im Status „verbunden“. Durchschnittlich wird eine Verbindungsaufnahme innerhalb von 0,6 s erreicht.

10 Telematik Da Bluetooth universell einsetzbar ist und in zahlreichen Geräten von der Maus bis zum Mobiltelefon verbaut wird, hat die Bluetooth Special Interest Group (SIG) etwa 20 so genannte Profile definiert, die als Bindeglied zwischen der Anwendungen und der Bluetooth-Hardware fungieren. Diese Profile werden von drei Expertengruppen innerhalb der Bluetooth-Organisation entwickelt und betreut, die eine zielgerichtete Anwendungsentwicklung ermöglichen sollen. Den automobilen Bereich betreut die „Automotive Expert Group“ (AEG), die künftige Anwendungsszenarien erkennen und in die Definition neuer Profile einarbeiten soll. Dabei steht Bluetooth für zweierlei: den Datenaustausch zwischen portablen Endgeräten und dem Fahrzeug sowie den drahtlosen Transport von Audio- und Videosignalen für Unterhaltung und Information. Die Integration von Bluetooth in die Fahrzeuge hat bereits 2003 begonnen. So verfügen einige Modelle vor allem in der Mittel- und Oberklasse über eine Bluetooth-Schnittstelle für Mobiltelefone (Bild 10-26). Außerdem werden entsprechende Freisprecheinrichtungen auch für die Nachrüstung angeboten. Weil Mobiltelefon und Freisprecheinrichtung dann kabellos sicher und schnell über Funk miteinander kommunizieren, wird der Installationsaufwand im Fahrzeug minimiert: Die Elektronik kann statt in einem Adapter vor der Mittelkonsole montiert werden, und das Handy bleibt im Handschuhfach, in der Jackenoder Aktentasche. Kabelverbindungen und spezielle Halterungen für das Mobiltelefon sind nicht mehr erforderlich. Dabei erkennt das System automatisch alle Bluetooth-Telefone, die die entsprechenden Profile unterstützen und stellt bei eingehenden Anrufen eine Verbindung her. Eine weitere typische Anwendung ist die Anbindung von MP3-Playern (siehe Bild 10-26). 10.3.4.3 WLAN Eine Alternative oder Ergänzung zur BluetoothKommunikation ist vor allem für den Datenexport aus dem Fahrzeug heraus die WLAN-Technologie. Dieser Begriff steht für Wireless Local Area Network und bezeichnet ein drahtloses Funknetzwerk verschiedener Rechner oder Steuereinheiten, dem in der Regel ein Standard der IEEE 802.11-Familie zugrunde liegt. Auch WLAN-Netzwerke funken wie Bluetooth-Anwendungen auf dem weltweit verfügbaren 2,4 GHz-Band und erreichen je nach Standard eine Datenübertragungsrate von 11 MBit/s (Protokoll 802.11b) bis 54 MBit/s (Protokoll 802.11g). Im Vergleich zum WPAN (Wireless Personal Area Network) haben WLANs eine deutlich größere Sendeleistung und damit größere Reichweiten. So können Daten im Idealfall über rund 300 Meter übertragen werden.

10.3 Multimedia

487

Bild 10-27: Drahtlose Kommunikation zwischen verschiedenen Fahrzeugen [Quelle: BMW]

Nach aktueller Einschätzung wird die WLANVerbindung allerdings auch mittelfristig nicht annähernd so weit verbreitet sein wie die BluetoothTechnologie. Sie ist teurer, aufwendiger und vor allem bei den zu integrierenden Endgeräten weniger weit verbreitet. Denkbar ist deshalb derzeit allenfalls der parallele Einsatz beider Übertragungstechnologien: Innerhalb des Fahrzeugs kommunizieren die Infotainment-Komponenten über ihre BluetoothSchnittstelle, und nach außen erfolgt etwa der Download neuer Musiktitel oder aktueller Verkehrsinformationen über ein WLAN-Netzwerk. Um diese externe Vernetzung zu beschleunigen, haben verschiedene Automobilhersteller wie BMW, DaimlerChrysler, Volkswagen oder Renault und Zulieferer wie Siemens VDO im Jahr 2005 das Car 2 Car Communication Consortium (C2C CC) gegründet. In diesem Forschungsverbund soll auf Basis von WLAN auf europäischer Ebene möglichst schnell ein offener Industriestandard für die Kommunikation

zwischen Fahrzeugen untereinander und zwischen Fahrzeugen und Infrastruktureinrichtungen erarbeitet werden. Diesen neuen Kommunikationspfad kann man vor allem zur Optimierung der Verkehrsflüsse und zur Steigerung der Sicherheit nutzen: So könnte zum Beispiel ein Fahrzeug, das plötzlich in Stau, Nebel, Glatteis oder einen Unfall gerät, eine Information an alle betroffenen Verkehrsteilnehmer im unmittelbaren Umkreis der Gefahrenstelle weitergeben. Dann könnte der nachfolgende Verkehr rechtzeitig gewarnt werden und entsprechend auf die neue Situation reagieren. Damit kann jedes Fahrzeug in diesen ad-hoc-Netzwerken die Rolle des Senders, Empfängers oder Vermittlers (Routers) übernehmen. Diese Netzwerke bauen sich spontan zwischen den Fahrzeugen auf, organisieren sich selbst und erfordern keine weitere externe Infrastruktur (Bild 10-27). Auf diese Weise entsteht eine Informationskette, die auch weite Entfernungen überbrücken kann.

11 Sensorik 11.1 Positions- und Winkelsensorik 11.1.1 Überblick und Messprinzipien Positionssensoren stellen einen elementaren Baustein für eine ganze Reihe von innovativen Fahrzeugfunktionen dar. Mit dem zunehmenden Einsatz der Mechatronik wächst deren Anzahl und Bedeutung weiter. Diese Entwicklung ist mit dem Begriff By-Wire verbunden, der das Ersetzen mechanischer Verbindungen durch elektrotechnische Systeme bezeichnet. Die Schwerpunkte der By-Wire-Systementwicklungen liegen in den Bereichen Antriebsstrang und Fahrwerk und werden allgemein unter dem Begriff „Drive-By-Wire“ zusammengefasst. Mit Hilfe von Positionssensoren werden mechanische Größen in elektrische Signale umgewandelt, die als Steuergrößen in den By-WireSystemen Eingang finden. Herkömmliche mechanisch, hydraulisch oder pneumatisch gekoppelte Systeme übertragen häufig nicht nur Lageinformationen, sondern auch Kräfte, Momente oder Drücke. In By-Wire-Systemen werden diese Größen häufig auf Positionen oder Positionsänderungen zurückgeführt. Ein Beispiel dafür ist der Lenkmomentensensor, der die Verdrehung eines Torsionselementes aufgrund des einwirkenden Drehmomentes detektiert. Wie in Bild 11-1 zu erkennen ist, befinden sich Positionssensoren in By-Wire-Systemen einerseits in der Mensch-Maschine-Schnittstelle (auch MMI, MenschMaschine-Interface genannt) und detektieren die Fahrer- bzw. die Bedienerintention (z.B. Lenkwinkelund Gaspedalsensor oder Drehdrücksteller für Lenkstockmodule sowie Multimediaanwendungen), andererseits dienen sie zur Erkennung des Zustandes des

Fahrzeuges oder von Teilsystemen. Beispiele hierfür sind Drosselklappen- oder Fahrzeugniveausensoren. In heutigen Automobilen sind Positionssensoren über das gesamte Fahrzeug verteilt. So lassen sich durch die unterschiedlichen Anforderungsprofile aus der Messaufgabe und den Integrationsbedingungen am Anwendungsort eine Vielzahl von Ausführungsformen finden. Im Folgenden wird zunächst auf unterschiedliche Grundprinzipien genauer eingegangen; anhand ausgewählter Beispiele werden dann im Fahrzeug realisierte Sensoranwendungen aufgezeigt. Eine Übersicht über wichtige Anwendungsorte und -beispiele gibt Tabelle 11-1. Die ersten Sensoren zur Positionserfassung im Fahrzeug waren Schleifpotentiometer. Sie zeichnen sich durch ihren einfachen Aufbau und damit auch durch niedrige Kosten sowie durch ihre Flexibilität aus. Aktuell werden diese heute noch in weiten Bereichen etablierten Sensoren durch kontaktlose Positionssensoren teilweise ersetzt. Die wesentlichen Gründe für die Ablösung der Potentiometer liegen in den Vorteilen des berührungsfreien Messens (Vermeidung von Verschleiß). Außerdem wird der Messvorgang von der Signalübertragung entkoppelt. So lassen sich unter gleichen Einsatzbedingungen höhere Lebensdauern und eine verbesserte Funktionalität und Zuverlässigkeit erreichen. Der Trend zu berührungslosen Sensoren korrespondiert mit dem Trend zu By-Wire-Systemen. Sie stellen erheblich erhöhte Anforderungen. So muss ungünstigen Umgebungsbedingungen wie z.B. hohen Temperaturen oder Vibrationen widerstanden werden. Gleichzeitig sind aber auch eine hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit gefordert. Auch die einfache Anpassung und Integrationsfähigkeit spielen eine Rolle.

Bild 11-1: Schematischer Aufbau eines ByWire-Systems; die Pfeile symbolisieren jeweils eine elektrische, optische oder drahtlose Verbindung zur Signalübertragung

490

11 Sensorik

Tabelle 11-1: Überblick über Positionssensoren im Fahrzeug Anwendungsort Innenraum

Bild

Beispielanwendungen Fahrpedalgeber Sitzverstellung Wählhebel

Karosserie

Fensterheber Schiebedach Spiegel

Scheinwerfer

Kurvenlicht-Schwenkmodul Variable Lichtverteilung

Lenkung

Lenkwinkel Lenkmoment

Motorraum

Drosselklappen Sonstige Klappensteller Turbolader

Fahrwerk

Fahrzeugniveausensor

11.1 Positions- und Winkelsensorik Für den Automobilbereich lassen sich mehrere berührungslos messende Prinzipien anwenden. Nicht alle physikalischen Wirkprinzipien, die aus industriellen Anwendungen bekannt sind, haben jedoch eine vergleichbar relevante Stellung im Kraftfahrzeug erreicht, so beispielsweise kapazitive Messverfahren oder Prinzipien mit aufwendigen Spulenkonstruktionen. Die Gründe sind oft mangelnde Großserientauglichkeit, hohe Kosten und die fehlende Robustheit gegenüber den mitunter rauen Betriebsbedingungen im Fahrzeug. Auch lassen sich industrielle Sensoren im Rahmen von Wartungsarbeiten regelmäßig rekalibrieren, was im Kfz so nicht möglich ist. Abgrenzung Im Allgemeinen messen Positionssensoren die Relativposition zweier Sensorbauteile, z.B. Magnet und Hallsensor oder Codescheibe und Photodetektor, entlang vorgegebener linearer oder rotatorischer Freiheitsgrade, d.h. sie nehmen Wege und Winkel auf. Demgegenüber wird bei Distanzmessungen die Position voneinander unabhängiger (bewegter) Elemente – meist auf wesentlich größeren Skalen – bestimmt. Somit grenzen sich Positionssensoren von Abstandssensoren ab. Letztere verwenden i.A. Laufzeitmessungen oder Frequenz-Dopplerverfahren auf Basis von Ultraschall oder Radar, es gibt aber auch laserbasierte Abstandssensoren. Positionssensoren, die im Automobilbereich Verwendung finden, sind mehrheitlich infolge der Sicherheitsrelevanz ihres Einsatzes auf die Absolutmessung ausgerichtet, so dass die Lageinformation nach dem Einschalten oder nach einer auftretenden Störung (Reset) ohne zusätzliche Referenzierungen zur Verfügung steht. Insbesondere bei Winkelsensoren sind aber auch häufig Ausführungen zu finden, bei denen einfache Hallsensoren die Änderungen des Magnetfeldes detektieren, die von den Zähnen des als Drehgeber eingesetzten Zahnrades verursacht werden – eine Variation des inkrementellen Positionssensors, auf die im weiteren nicht weiter eingegangen werden soll. Beispiele solcher Sensoren finden sich im KfzBereich bei Kurbelwellengebern. Weiterhin unberücksichtigt bleiben ebenso Positionssensoren, die lediglich die Funktion eines Schalters übernehmen, wie z.B. Hallsensoren in Gurtschlössern.

11.1.2 Klassifizierung Zur Einteilung der Sensoren lassen sich unterschiedliche Klassifizierungskriterien verwenden. So ist es verbreitet, die Zählweise der zu messenden Größe heranzuziehen, nämlich Inkremental- oder Absolutmessung. Dabei wird bei der ersteren der Messbereich in diskrete Schritte (Inkremente) unterteilt. Diese In-

491 kremente geben gleichzeitig die Auflösung an. Unter Umständen verfügen Inkrementalsensoren über eine Referenzmarke, mit deren Hilfe die Relativposition in einen absoluten Bezug gesetzt werden kann. Demgegenüber ist bei Absolutgebern jeder Messwert eindeutig und liegt unmittelbar ohne vorherige Bewegung über eine Referenzmarke vor. Eine andere Möglichkeit der Differenzierung liegt beispielsweise in der Art und Weise der Kommunikation mit der Umgebung, ob drahtgebunden oder drahtlos, analog oder digital. Eine weitere Klassifizierung ist in Bild 11-2 dargestellt. Dabei lassen sich verschiedene Ebenen der Einteilung unterscheiden: Art der Erfassung, physikalisches Funktionsprinzip, Effekt. Anhand dieser Einteilung werden im Folgenden die einzelnen Sensortypen vorgestellt. Aus dieser Darstellung ist ersichtlich, dass für ein physikalisches Prinzip mehrere Ausführungen existieren. So sind sowohl halleffektbasierte als auch magnetoresistive Sensoren unter den magnetostatischen Sensoren einzuordnen, d.h. beide Sensoren detektieren die Position eines Dauermagneten. In der induktiven Weg- und Winkelmessung werden z.B. eine variable induktive Kopplung oder bewegliche Teile, welche durch induzierte Wirbelströme zu einer Feldveränderung führen, genutzt. Allen induktiven Sensoren gemein ist die Tatsache, dass sie mit Wechselstrom betrieben werden. Magnetostatische Positionssensoren, vor allem Hallsensoren, werden im Kfz-Bereich sehr oft lediglich als inkrementale Zähler oder zur Detektion binärer Schaltzustände eingesetzt, d.h. nicht als Positionssensor im hier verwendeten Sinne. In der Entwicklung befinden sich neuartige Messanordnungen mit Hallsensoren (vgl. Abschnitt 11.1.2.3), die weitergehende Einsatzmöglichkeiten offerieren. Widerstandsbasierte Sensoren in Form von kontaktbehafteten Potentiometern sind heute im Fahrzeug noch sehr weit verbreitet. Demgegenüber werden elektrostatisch wirkende Positionssensoren, d.h. kapazitive Sensoren, aufgrund ihrer Empfindlichkeit gegenüber Umgebungseinflüssen im Kfz-Bereich praktisch nicht eingesetzt. Bei induktiven Wegsensoren wird häufig nach dem Tauchspul-Prinzip gearbeitet, bei dem die Induktivität einer Spule durch einen bewegten Kern aus ferromagnetischem Material verändert wird. Eingebettet in eine Schwingkreisanordnung wird die Frequenz als Veränderung über den Weg ausgewertet. Setzt man statt einer einzelnen Sekundärspule eine Differenzanordnung ein (Differentialtransformator), so wird dies in der Regel als LVDT (Linearer Variabler Differentialtransformator) bezeichnet. Die Differenzanordnung ermöglicht eine ratiometrische Auswertung, so dass externe Einflüsse weitestgehend eliminiert werden, die gleichartig auf beide Spulen wirken.

492

11 Sensorik

Bild 11-2: Klassifizierung von Positionssensoren (CIPOS: Contactless Inductive Position Sensor; PLCD: Permanent Magnetic Linear Contactless Displacement; MR: magnetoresistiv)

Nachteilig ist in Tauchspulsensoren oft das Verhältnis zwischen der Länge der gesamten Anordnung und dem erzielbaren Messweg. Bei einer einfachen Tauchspulanordnung beträgt das Verhältnis der Länge der Anordnung zum Messweg ca. zwei, wenn der Kern komplett innerhalb oder außerhalb der Spule sein kann.

Bereich von PA. Die Kontaktierungsstellen sind daher besonders sensibel und bedürfen sorgfältiger Auslegung. Bild 11-3 zeigt ein Beispiel für den einfachen Schaltungsaufbau, der üblicherweise durch bedruckte Leiterkarten realisiert werden kann, die ohne zusätzliche Bestückung auskommen.

11.1.2.1 Potentiometer Bis vor einiger Zeit wurden für die Weg- und Winkelmessung sowohl in fahrzeugtechnischen als auch in sonstigen messtechnischen Anwendungen meist Potentiometer eingesetzt. Ihr Einsatz in bestimmten Anwendungen wird bis heute wesentlich durch die niedrigen Kosten bestimmt. Prinzip Schleifpotentiometer-Positionssensoren bestehen aus elektrisch leitenden Bahnen, die von den namensgebenden Schleifkontakten abgefahren werden. Das Messsignal ist dementsprechend direkt proportional zur jeweiligen Position, d.h. mit Potentiometern werden Absolutpositionen bestimmt. Die beim Messen auftretenden Ströme bewegen sich je nach Beschaltung im Bereich bis ca. 10 mA bei den im Automobil üblichen Sensorversorgungsspannungen von 0 bis 5 Volt. Die über die Schleifkontakte fließenden Ströme sind jedoch wesentlich kleiner – sie liegen im

Bild 11-3: Prinzipieller Aufbau eines Schleifpotentiometers: UB Sensorversorgungsspannung, UA Sensormessspannung, RV Vorwiderstand, RÜ Übergangswiderstand durch Kontakteffekte, RS Sensorwiderstand

Ausführung Mit Potentiometern lassen sich ratiometrische Messungen durchführen, d.h. die Messungen weisen inhärent einen hohen Grad an Unempfindlichkeit gegenüber externen Einflüssen auf. Ebenso sind

11.1 Positions- und Winkelsensorik flexible Kennlinien mit variablen Bahnbreiten leicht zu verwirklichen. Variable Geometrien sind ebenfalls leicht realisierbar, so dass Schleifpotentiometer sowohl in linearen Messanordnungen als auch als Winkelgeber eingesetzt werden. Ausgewählte Beispiele für die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten geben die Bilder 11-4 und 11-5.

Bild 11-4: Kreissegment-Schleiferbahnen bei einem Potentiometer für Fahrpedalgeber

493 schen Aufwand (auch hinsichtlich der Signalauswertung) folgen dementsprechend geringe Kosten. Da das elektrische Signal direkt vorliegt, weist das Potentiometer keine Verzögerungszeit auf. Große Signalhübe und nahezu beliebige Messbereiche sind ebenfalls zu realisieren. Potentiometer bieten gute Eigenschaften bezüglich Linearität, Auflösung, Temperatur- und Feuchtekoeffizienten. Weiterhin zeichnen sich Potentiometer durch Störspannungsfestigkeit und geringe Störemission (EMV), sowie einfache Anpassung an unterschiedliche Geometrien aus – z.B. gerade oder gekrümmte Messwege einschließlich der Winkelmessung. Auch eine Redundanz ist durch Verdopplung der Schleiferbahnen ohne weiteres möglich. Andererseits folgen aus der Einfachheit des Aufbaus ebenso gravierende Nachteile: Prinzipbedingt unterliegen die Schleifkontakte einem mechanischen Verschleiß, der zu Veränderungen des Übergangswiderstandes zwischen Schleifer und Kontaktbahn, also zur Verfälschung der Messung über der Lebensdauer führt. Weiterhin sind Potentiometersensoren empfindlich gegenüber Vibration und Beschleunigung. Auch dabei kann sich der Übergangswiderstand infolge der unterschiedlichen Anpresskräfte der Schleifkontakte verändern, was zu einer Verfälschung des Messsignals führt. Um diese Einflüsse aus den mechanischen Belastungen klein zu halten, ist entsprechend mehr Aufwand bei der Montage und für konstruktive Maßnahmen erforderlich, wie z.B. enge Toleranzen, Versteifungen oder Abdichtungsmaßnahmen. Hinzu kommt der erforderliche Bauraum für die Schleifbahnen, der die Integration eines Potentiometers im Einzelfall erschwert. In Zukunft wird ein weiterer Aspekt die Einsatzmöglichkeiten eines Potentiometers zunehmend einschränken: Die analogen Signale bieten zwar eine einfache Auswertung, sind aber ohne weitere Bearbeitung inkompatibel mit den heute häufig geforderten digitalen Schnittstellen (vgl. Abschnitt 11.1.3.2). 11.1.2.2 Optische Sensoren

Bild 11-5: Drehpotentiometer für Drosselklappen

Auch heute werden Schleifpotentiometer hinsichtlich der Lebensdauer weiterentwickelt, wobei vor allem bei den Materialien angesetzt wird: das Graphit der Kontaktbahn, Füllmaterial, Bindeharz und das Kontaktmetall gewährleisten optimierte Reibpaarungen von Schleifer und Bahn. Verschleiß und Messwertverfälschung lassen sich durch einen möglichst wenig belastenden Abgriff, exakt eingehaltene Kontaktkräfte und eine dichte Kapselung verringern. Einordnung Die Attraktivität potentiometrischer Sensoren resultiert aus ihrem einfachen Konzept. Aus dem einfachen Aufbau und dem daraus folgenden geringen techni-

Prinzip Optische Positionssensoren bestehen im Allgemeinen aus den Einzelbestandteilen Sendeelement, Übertragungselement und Empfangselement (Bild 11-6). Auf der Empfängerseite finden unterschiedliche lichtempfindliche Bauelemente Verwendung wie Fotodiode oder Fototransistor in Form diskreter Bauelemente, aber auch als Arrays, CMOS-Zeilen oder OptoASICs. Als Sendeelement werden meistens Leuchtdioden (LED) eingesetzt, wobei unter Umständen Sender und Empfänger auf einer Platine untergebracht sind oder ein einziges Bauteil bilden. Die Lage des Übertragungselementes relativ zum Empfänger enthält in dieser Anordnung die jeweilige Positionsinformation. Dazu ist das Übertragungselement in unterschiedlicher Art und Weise codiert.

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11 Sensorik

Bild 11-6: Prinzipdarstellung optischer Positionssensoren: Das von einer LED (unten) erzeugte Licht wird vom Detektor hinter der beweglichen Codescheibe (links) oder auf der gleichen Seite (reflektiv, rechts) aufgenommen

Ausführung Generell lässt sich in der technischen Verwirklichung zwischen transmissiven und reflektiven Übertragungselementen unterscheiden. Transmissiv arbeitende Codescheiben besitzen unterschiedliche transmissive und absorbierende Bereiche, während reflektive Codescheiben reflektierende und absorbierende Anteile aufweisen. Die Scheiben können aus unterschiedlichen Materialien wie Metall, Glas oder Kunststoff bestehen. Im einfachen Fall des inkrementalen Sensors weist das Übertragungselement eine gleichmäßige Unterteilung beispielsweise in Striche auf. Werden zwei leicht gegeneinander verschobene Empfänger eingesetzt, kann zusätzlich zu den Zählimpulsen auch – über die Phasenverschiebung – die Drehrichtung bestimmt werden. Im Gegensatz dazu sind absolute Optosensoren mit komplexeren Codegebern und Empfängern ausgestattet, die meistens das Auslesen eines Bitmusters ermöglichen, das wiederum mit der Lage eindeutig verknüpft ist. Bekanntestes Beispiel hierfür ist der Gray-Code, bei dem jede Position sich um lediglich ein Bit von der vorhergehenden und von der nachfolgenden unterscheidet. Im Fahrzeug sind heute optische Sensoren vor allem im Bereich der Lenkung zu finden. Zumeist sind sie im Lenkstockmodul im Fahrzeuginnenraum integriert. Bild 11-7 zeigt solch einen Sensor, der mit vier LEDs und zwei Sensorspuren eine eindeutige Winkelzuordnung über 360° ermöglicht. Die im Bild erkennbare äußere Spur dient zusammen mit der inneren inkrementellen Spur zur Berechnung der Absolutposition. Allerdings wird dafür eine Drehbewegung um einen bestimmten Mindestwinkel benötigt, um die Sequenz auf der äußeren Spur vollständig auszulesen. Weiterhin ist in Bild 11-7 unten links ein Getrieberad mit integriertem Magneten zu sehen, das

aufgrund der Untersetzung eine Positionsbestimmung über mehrere Lenkradumdrehungen (multiturn) gestattet.

Bild 11-7: Optischer Lenkwinkelsensor

Einordnung Als kontaktlose Sensoren weisen optische Sensoren gegenüber Schleifpotentiometern vor allem den Vorteil auf, den mechanischen Verschleiß zu vermeiden. Der Aufbau lässt sich relativ einfach gestalten. Durch die Gestaltung des Code-Gebers und evtl. des Empfängers (z.B. Opto-ASIC) kann eine große Bandbreite bzgl. der Auflösung erreicht werden. Mit der Verwendung von transmittierenden oder reflektiven Anordnungen ist die Anpassung des Sensors an unterschiedliche Umgebungen möglich. Ebenso lassen sich – je nach Anforderung – inkrementale oder absolute Positionssensoren verwirklichen. In einigen Ausführungen sind Inkrementalsensoren mit einer oder mehreren Referenzmarken versehen, um die Vorteile beider Varianten zu verbinden.

11.1 Positions- und Winkelsensorik

495

Nachteilig wirkt sich jedoch beim Einsatz optischer Übertragungswege aus, dass die Sensoren gegenüber Verschmutzung gut gekapselt werden müssen. Die Kapselung erfordert einen erhöhten konstruktiven Aufwand, da der Sensor über bewegliche Teile verfügt. Dementsprechend sind optische Sensoren auch eher im Fahrzeug-Innenraum anzutreffen. Die Degeneration der Lichtquelle durch Alterungsprozesse und Temperatureinflüsse stellten ebenfalls einen Nachteil optischer Sensoren dar. 11.1.2.3 Hallsensoren Prinzip Der diesen Sensoren Namen gebende Halleffekt beruht auf der Ablenkung eines Stromes I in einerJGdazu senkrecht stehenden magnetischen Flussdichte B . Wie aus Bild 11-8 hervorgeht, ist die Messanordnung sehr leicht in einer flächigen Geometrie abzubilden, die sich in einem Standard-Halbleiterherstellungsprozess fertigen lässt.

Bild 11-8: Prinzipdarstellung der Geometrie des HallEffektes

Bild 11-9: Beispiel-Layout eines Hall-Sensors [Quelle: Fraunhofer IIS]

In der einfachsten Form werden Hallsensoren mit einer geeigneten Kennlinienlinearisierung als Positionssensoren eingesetzt, indem die Stärke der magnetischen Flussdichte am Ort des Sensors als Maß für den Abstand zwischen Magnet und Sensor interpretiert wird. Analog lässt sich in der Anwendung als Drehwinkelsensor aus der senkrecht zum Chip stehenden Komponente der magnetischen Flussdichte der Winkel bestimmen, den der als Geber fungierende Magnet einnimmt, wobei hier die Drehachse in der Chipoberfläche liegt. Bild 11-10 zeigt ein Beispiel dieser Ausführung. Hier ist jedoch in der Regel ein zusätzlicher Aufwand notwendig, die Feldlinien des Magneten durch entsprechende Flusskonzentratoren zu bündeln, um das Signal-Rausch-Verhältnis und damit die Sensorqualität bezüglich Genauigkeit und Linearität zu verbessern. Zusätzlich sind eventuell Schutzbleche vorzusehen, die externe Einflüsse abschirmen.

Dabei können nur diejenigen Komponenten der Flussdichte gemessen werden, die senkrecht zur Strombahn und zu den Kontakten der Hallspannung stehen. Die Hallspannung UH ist direkt proportional zu der einwirkenden Flussdichte und hängt von der geometrischen Ausführung der Hallstruktur ab. Ausführung Die Hallstrukturen sind im Allgemeinen in symmetrischer Form als Hallkreuze ausgelegt (Bild 11-9). Durch systematisches Vertauschen der Stromrichtung (spinning current) lassen sich damit Probleme mit eventuellen Inhomogenitäten der Chips oder des Offsets weitgehend umgehen. Da die Strukturen in CMOS-Prozessen gefertigt werden, ist es einfach, entsprechende Signalauswerteeinheiten ebenfalls auf denselben Chip zu integrieren und durch diese Integration Kostenvorteile zu erarbeiten.

Bild 11-10: Komponenten eines Hallsensors zur Winkelmessung

496 Weiterhin werden Sensoren so aufgebaut, dass mehrere Hallelemente auf einem Chip realisiert werden, so dass auch räumliche Variationen des Magnetfeldes – innerhalb der Chipebene – sensiert werden können. Dies ermöglicht die Verwendung von Hallsensoren als Winkelgeber, wobei die Drehachse senkrecht zur Chipoberfläche ausgerichtet ist. Die Messung von Magnetfeldkomponenten parallel zur Chipoberfläche lässt sich mit so genannten vertikalen Hallsensoren (VHS) verwirklichen, die senkrecht zur Oberfläche ausgeformt, d.h. um 90° verkippt sind, so dass ein Kontakt im Substrat vergraben ist. Dies kann beispielsweise durch die Ausbildung von Ätzgräben geschehen, auf deren Grund der senkrechte Kontakt gebildet wird. Diese Herangehensweise ist jedoch relativ aufwendig. Ihre Empfindlichkeit ist vergleichbar mit denen herkömmlicher Hallsensoren. Eine neue Ausführung von Hallsensoren gestattet das Messen der parallelen Komponenten mit herkömmlichen planaren Hallelementen, indem zusätzlich sogenannte Flusskonzentratoren – ausgeformt als runde ferromagnetische Scheiben – eingesetzt werden (siehe Bild 11-11). Diese formen den Verlauf des magnetischen Flusses. Die dadurch entstehenden Flusskomponenten senkrecht zur Chipoberfläche sind mit herkömmlichen Hallelementen messbar.

11 Sensorik Als alternative Methode der Messung von Magnetfeldern parallel zur Chipoberfläche wurde vorgeschlagen, den Steuerstrom I in zwei gleich große Komponenten aufzuteilen, die zueinander antiparallel fließen (Bild 11-12). Dadurch entstehen zwei antiparallele Hallspannungen der Größe UH/2 jeweils zwischen den Abgreifkontakten und dem Substrat, die zusammen die Hallspannung UH ergeben. Diese Methode besitzt den Vorteil der Kompatibilität mit StandardHerstellungsprozessen ohne den Einsatz von Flusskonzentratoren. Einordnung Als Positionssensoren sind Hallsensoren erhältlich, die z.B. bis zu 212 Schritte Auflösung bei einem Messbereich von einer Umdrehung ermöglichen. Allgemein ist jedoch zu bemerken, dass Auflösung und Genauigkeit sehr stark von der messbaren Feldstärke beeinflusst werden. Die Feldstärke hängt stark vom Abstand zwischen Sensor und Magnet und den herrschenden Temperaturen ab, wobei die Temperatur sowohl das Chip-interne Rauschen als auch die Feldstärke des Permanentmagneten beeinflusst. Der Abstand zwischen Magnet und Sensor hängt von den Gesamttoleranzen des Endproduktes einschließlich möglicher Verkippung und Lage- oder Justagetoleranzen ab. 11.1.2.4 Magnetoresistive Sensoren Prinzip Der magnetoresistive Effekt (kurz MR-Effekt) bezeichnet die Änderung des elektrischen Widerstandes eines Materials unter dem Einfluss eines Magnetfeldes. Verschiedene Ausprägungen dieses Effektes werden allgemein mit dem Oberbegriff XMR-Effekt bezeichnet.

Bild 11-11: Hallsensor mit Flusskonzentrator

Bild 11-13: Schematische Darstellung der Geometrie der Anisotropen Magnetoresistenz

Bild 11-12: Schema eines vertikalen Hallsensors

Beim anisotropen magnetoresistiven Effekt hängt der elektrische Widerstand des Leiters nicht nur von der Stärke eines externen Magnetfeldes ab, sondern auch vom Winkel D zwischen dem Magnetfeld und der Stromrichtung (Bild 11-13). Dies bewirkt eine Ände-

11.1 Positions- und Winkelsensorik rung des Widerstandes um wenige Prozent (d 5%). Das häufig verwendete Permalloy (Ni80Fe20) besitzt ein Sättigungsfeld von wenigen Millitesla. Oberhalb ist der Sensor unempfindlich gegenüber Änderungen der Stärke des angelegten Magnetfeldes. Mit AMRSensoren können hohe Empfindlichkeiten erreicht werden. Außerdem wird der „Giant Magnetoresistive Effect“ (GMR-Effekt) ausgenutzt. Bei diesem Effekt spielt die Kopplung zwischen dünnen ferromagnetischen Schichten eine große Rolle. Ausführung Generell sind für den Einsatz zwei Betriebsarten möglich: unterhalb und oberhalb der Sättigung. Wenn noch keine Sättigung erreicht ist (oder erreicht werden soll, entsprechend dem Design des Sensors), wird einfach die jeweilige Stärke des Magnetfeldes detektiert und der Sensor funktioniert analog zu einem einfachen Hallsensor, jedoch mit wesentlich höherer Empfindlichkeit (in etwa um den Faktor 100). Werden die Sensoren im Sättigungsbereich betrieben, kann die Ausrichtung des externen Magneten ermittelt werden, so dass Positionssensoren in dieser Betriebsart verwendet werden. Typischerweise werden dazu mehrere Sensorbrücken auf einem Chip verwendet, die zueinander einen Winkel einschließen. Abhängig von der Verschaltung und der Winkelzuordnung der Sensorbrücken zueinander werden Messbereiche von 180° und 360° erreicht. Im Automobil werden magnetoresistive Sensoren in Lenkwinkel-, Lenkmoment-, Fahrzeugniveau- und Drosselklappensensoren verwendet. Ferner kommen AMR-Sensoren analog zu Hallsensoren auch als Drehzahlsensoren zum Einsatz. In Bild 11-14 ist ein Fahrzeugniveausensor beispielhaft dargestellt.

497 Einordnung AMR-Sensoren sind etwa um den Faktor 100 empfindlicher als Hall-Sensoren und damit vorteilhafter bei kleinen Feldstärken anwendbar. Das Verfahren zum Aufbringens des Permalloys ist jedoch mit der CMOSFertigung schwer vereinbar. Demzufolge besteht ein AMR-Sensor in der Regel aus separaten SiliziumChips; dem Sensor-Chip mit den Mäanderstrukturen aus Permalloy auf Silizium und einem weiteren Chip zur Signalauswertung, wodurch die Kosten des Gesamtsystems höher sind als bei einem einfachen Hallsensor. Die GMR-Strukturen weisen eine hohe Temperaturstabilität über den Bereich –40 °C bis +150 °C auf. Die gegenüber Hallsensoren erhöhte Empfindlichkeit kann nicht nur dahingehend genutzt werden, das Signal-Rausch-Verhalten der Sensoren zu verbessern oder diese in raueren Umgebungen einzusetzen, sondern auch, um den Luftspalt zwischen Magnet und Sensor signifikant zu vergrößern. Damit wird die Integrationsfähigkeit deutlich verbessert und die Montage- und Justagetoleranz erhöht. 11.1.2.5 PLCD-Sensoren Prinzip PLCD steht als Abkürzung für Permanent-magnetic Linear Contactless Displacement. Bei dieser Technologie wird zur Positionsmessung die Verstimmung eines Magnetkreises genutzt. Diese ergibt sich aus der Lage eines als Gebermagneten dienenden Permanentmagneten relativ zu einem Spulensystem. Der Gebermagnet wird dazu auf dem bewegten Bauteil befestigt.

Bild 11-14: Beispiel eines Fahrzeugniveausensors mit magnetoresistivem Sensor

498 Der in Bild 11-15 zur besseren Verdeutlichung lediglich schematisch dargestellte konstruktive Aufbau besteht im Wesentlichen aus einem weichmagnetischen Kern, auf den auf der gesamten Länge eine Primärspule aufgewickelt ist. An beiden Enden befindet sich jeweils eine kurze Sekundärspule. Über die Primärspule wird jeweils ein magnetischer Wechselfluss in die beiden Sekundärspulen aufgebaut. Der weichmagnetische Kern stellt den Positionsmaßstab dar. Die Bewegung eines Dauermagneten entlang des Sensors führt jeweils zur lokalen Sättigung des Kernmaterials, verdeutlicht durch die weiße Zone. Der magnetische Fluss wird an dieser Stelle unterbrochen und in zwei Teilflüsse )1 und )2 aufgeteilt, deren Größe von der Position der Sättigungszone abhängt. Die Differenz U1 – U2 der induzierten Spannungen U1 und U2 in den Sekundärspulen in Folge der Flüsse )1 und )2 ist eine lineare Funktion der Lage der Sättigungszone und der Lage des ansteuernden Permanentmagneten.

11 Sensorik Einordnung Prinzipbedingt ist die absolute Feldstärke des Permanentmagneten nicht entscheidend, da lediglich die Differenz der Sekundärspulenspannungen die auszuwertende Sensorgröße darstellt. PLCD-Sensoren sind daher unempfindlich gegenüber Einflüssen, die eine Veränderung der Magnetfeldstärke bewirken können, wie z.B. Temperatur- und Alterungseinflüssen über der Lebensdauer oder Abstandsänderungen des Ansteuermagneten. Weiterhin gelten diese Sensoren als robust hinsichtlich Vibrationen. Im Vergleich zu Hall-Sensoren müssen sie nur grob justiert werden. Der Sensoraufbau ermöglicht ratiometrische Messungen, so dass eine gute Messgenauigkeit und Auflösung erreicht wird. Nachteilig bei PLCD-Sensoren ist der Aufwand bei der Herstellung der Spulenkonstruktion und der benötige Bauraumbedarf. Prinzipiell können auch rotatorische Sensoren nach diesem Prinzip gebaut werden. Der konstruktive Aufwand ist dann jedoch nochmals höher, weshalb PLCD-Sensoren für lineare Messaufgaben prädestiniert sind. 11.1.2.6 Induktive Sensoren

Bild 11-15: Prinzipieller Aufbau eines PLCD-Sensors

Ausführung Die Auswertung der Sekundärspulenspannungen und die Weiterverarbeitung kann in einem ASIC erfolgen. Der ASIC ermöglicht gleichzeitig weitere Funktionen wie Selbstüberwachung sowie Parametrier- und Abgleichfunktion. Das analoge oder digital umgewandelte Ausgangssignal ist dann dem Messweg direkt proportional. PLCD-Sensoren werden als lineare Wegsensoren u. a. im Bereich von Getriebe und Kupplung verwendet. Zum Einsatz kommen sie z.B. als Wählbereichssensor im Automatikgetriebe und bei der Gang-, Gassen- und Neutralstellungserkennung von automatisierten Schaltgetrieben. Auch als Kupplungs-Positionssensor, bei einer elektrischen Parkbremse oder zur Erfassung der Position am Kupplungsgeber- und -nehmerzylinder werden sie eingesetzt. In Allradfahrzeugen werden PLCD-Sensoren zur Regelung des Verteilergetriebes eingebaut.

Der Einsatz induktiver Sensoren ist im industriellen Bereich in Form von so genannten Resolvern bereits seit Jahrzehnten etabliert. Bedingt durch einen vergleichsweise komplexen mechanischen Aufbau und notwendige Präzisionsspulen war der Einsatz als Positionssensor im Automobil aufgrund hoher Kosten jedoch bis vor wenigen Jahren nur eingeschränkt gegeben. Heute lassen sich die Spulen jedoch auch kostengünstig, sehr genau und mit hoher Prozesssicherheit und Präzision mit der im Automobilbereich weit verbreiteten Leiterplattentechnologie fotolithographisch planar herstellen (vgl. Bild 11-19). Die heute im Fahrzeug verwendeten Sensoren basieren auf dieser Technologie. In den nachfolgenden Ausführungen wird zugunsten der Klarheit vorwiegend das Beispiel des Drehwinkelsensors diskutiert. Die Zusammenhänge gelten jedoch auch analog für lineare Wegsensoren nach dem beschriebenen induktiven Prinzip. Prinzip Die Nutzung ratiometrischer Effekte ist für induktive Sensoren insgesamt fast immer realisierbar. Wichtig ist, dass sich weitestgehend alle Einflüsse wie zum Beispiel Temperatur, Alterung, Variation des Luftspalts zwischen Stator und Rotor, Variation der Erregung sowie der allgemeinen Koppelfaktoren gleichgewichtig auf die zwei gleichzeitig gemessene Größen auswirken. Ist dies gegeben, so kürzen sich durch Verhältnisbildung alle die Genauigkeit beeinträchtigen den Faktoren heraus.

11.1 Positions- und Winkelsensorik Wenn hier von Ratiometrie die Rede ist, so bedeutet dies nicht die Ratiometrie des Ausgangs, wie zum Beispiel bei Potentiometern. Dort wird die Ausgangsspannung im Verhältnis zur Versorgungsspannung an ein Steuergerät gemeldet. Die analoge, ratiometrisch zur Versorgungsspannung gestaltete Übertragung ist hier nur eine von vielen Optionen. Alternativen wären serielle Übertragung, PWM, CAN oder LIN. Hier liegt hingegen der Fokus auf der zuverlässigen Erfassung und Verarbeitung der Eingangssignale, nicht auf der Übertragung des Sensorsignals. Die Empfangsspulen werden in einer Sternschaltung betrieben. In Bild 11-16 sind es drei Spulen. Die Geometrie des Sensors ist symmetrisch, so dass alle Empfangsspulen ohne Hinzunehmen des beweglichen Teils, des Rotors, gleichmäßig durch die Erregerwicklung induktiv durchflutet werden. Ohne den Rotor befindet sich das System in einem Gleichgewicht, da die Differenz der einzelnen Spulenspannungen zueinander (Ux,y zwischen den Punkten Px und Py mit zyklischer Vertauschung x,y = 1,2,3) gleich Null sind.

499 Sensors. Die Methode, Induktivitäten als Strukturen auf einer Leiterkarte herzustellen, stammt aus der Hochfrequenz-Technik. In der Regel handelt es sich hierbei um sogenannte Luftspulen, die keinerlei Kerne aus Weicheisen oder Ferriten benötigen. Allerdings sind die erzielbaren Induktivitäten klein, weshalb mit vergleichsweise hohen Frequenzen im Megahertz-Bereich gearbeitet wird. In Bild 11-17 ist der prinzipielle Aufbau eines 120°-Drehwinkelsensors dargestellt. Der Sensor lässt sich auf unterschiedliche Messbereiche gezielt auslegen. Bei einem Drehwinkelsensor hängt die Anzahl der Leiterschleifen des Rotors vom Messbereich ab. Die räumliche Anordnung der Sensorkomponenten eines 120°-Sensors zueinander ist in Bild 11-18 gezeigt.

Bild 11-17: Prinzipieller Aufbau eines 120°-Drehwinkelsensors in CIPOS-Technologie (links: Stator, rechts: Rotor)

Bild 11-16: Schaltbild eines induktiven Sensors; die grauen Pfeile symbolisieren die Flusskopplung, der schwarze Pfeil die Bewegungsrichtung des „Rotors“

Komplettiert wird der Winkelsensor durch die Hinzunahme des Rotors. Er bewirkt induzierte Differenzspannungen Ux,y ungleich null in Abhängigkeit vom zu messenden Winkel. Die Erregerspulen werden von einem Wechselstrom durchflossen. Dadurch wird ein elektromagnetisches Feld erzeugt, welches die Leiterschleifen des Rotors durchsetzt. Im Rotor fließt daher ebenfalls ein Wechselstrom, welcher wiederum ein elektromagnetisches Feld mit einer Rückwirkung auf die Empfangsspulen erzeugt. In die Empfangsspulen werden Spannungen induziert, die von der Position des Rotors abhängig sind und von der Elektronik ausgewertet werden. Ausführung Bei dem Verfahren mit der Bezeichnung CIPOS (Contactless Inductive Position Sensor) kommen drei Empfangsspulen zum Einsatz. Hierbei bildet die Anzahl einen Kompromiss zwischen Wirtschaftlichkeit und gewünschter Genauigkeit und Auflösung des

Bild 11-18: Beispiel für die räumliche Anordnung der Komponenten eines 120°-Drehwinkelsensors

Der Realisierungsaufwand ist gering, da der Aufbau einfach ist: Der Stator setzt sich aus planaren Erreger- und Empfangsspulen sowie einer Auswerteelektronik zusammen und besteht aus einer Standardleiterplatte und einem ASIC. Der Rotor ist allein aus Leiterschleifen in einer bestimmten Geometrie aufgebaut und lässt sich z.B. durch ein Stanzteil aus elektrisch leitfähigem Material oder ebenfalls durch ein Leiterplattenelement realisieren. Eine Auswahl von möglichen Stator- und Rotorausführungsformen zeigt Bild 11-19.

500

11 Sensorik

Bild 11-19: Beispiele für unterschiedliche Rotor- und Statorausführungen (links: Drehwinkelsensor, Mitte: Linearsensor, rechts: Bogensegmentsensor)

Die Signalauswertung geschieht mit speziell hierfür entwickelten integrierten Schaltkreisen (ASIC). Unter Verwendung der gleichen ASICs lassen sich sowohl Weg- als auch Winkelmessungen realisieren (vgl. Bild 11-19). Da günstige Koppelverhältnisse erst im MegahertzBereich vorhanden sind, ist auf eine räumliche Nähe des Auswerte-Chips zu den Empfangsspulen zu achten. Eine ideale Anordnung ist dabei auf der Leiterplatte unmittelbar neben den planaren Spulen gegeben. Die Auswertung innerhalb des ICs ermöglicht eine frühe Digitalisierung der analogen Signale und somit eine gute Signalqualität. Einordnung Durch die stringente Anwendung ratiometrischer Signalgenerierung und Auswertung gelingt es, sehr hohe Sensorgenauigkeiten und sehr hohe Auflösungen zu erzielen. Durch die Verwendung von Standard-CMOSProzessen für die ASICs, Standard-Leiterplatten für den Stator sowie z.B. einfacher Stanzbiegeteile für den Rotor sind kostengünstige technische Realisierungen möglich. Diese Realisierungen können an viele Positionsmessaufgaben angepasst werden und sind ähnlich flexibel wie das Potentiometer. Es sind Wege, Winkel und Segmente möglich. Am weitreichendsten ist jedoch die Flexibilität, über die Anzahl der „Flügel“ des Rotors den Messbereich anzupassen. Wird beispielsweise der Rotor als 10Flügler gestaltet, ergibt sich ein Messbereich von 36°, wobei die Auflösung nach wie vor 12 Bit beträgt. Im Vergleich würde ein AMR-Sensor hier den Faktor 5 und ein GMR-Sensor den Faktor 10 an Auflösung verlieren. Durch die flächige Ausgestaltung wird eine gute Robustheit gegenüber mechanischen Toleranzen wie Achsverschiebungen und Luftspaltschwankungen erzielt, die zu der gewünschten einfachen Konstruktion z.B. mit Kunststoffteilen passt. Weitere Vorteile bietet die Integration in die Leiterkarte immer dann, wenn weitere Elektronik platziert werden soll. So wird im Anwendungsbeispiel eines elektromotorischen Stellers (vgl. Bild 11-23) der Sensor vollständig in eine Steuergeräteplatine integriert. Die Eigenschaften bzgl. der elektromagnetischen Verträglich-

keit können durch spezielle schaltungstechnische Maßnahmen den hohen Anforderungen im Automobil angepasst werden. Allerdings können Positionssensoren mit diesem Prinzip nicht durch Metalle (z.B. Aluminiumkolben) hindurch arbeiten. Weiterhin sind einer Subminiaturisierung dieses Prinzips gewisse Grenzen gesetzt, so dass bestimmte extrem enge Bauräume zu Problemen führen.

11.1.3 Anwendung Die optimale Integration von Positionssensoren in das Fahrzeug ist von der Anwendung abhängig. Zum einen sind Lösungen möglich, bei denen der Sensor in einem eigenen, separaten Gehäuse eingebaut ist. An anderen Stellen kommen individuell an die spezifischen Einbauverhältnisse eingepasste Sensorstrukturen zum Einsatz. Neben der räumlichen Integration ist die Optimierung der funktionalen Aufteilung der Systembestandteile entscheidend. Sensorlösungen können zum einen als funktionaler Bestandteil einer Steuereinheit dienen. Zum anderen sind sie in der Lage, auch selbst Funktionen, wie beispielsweise Diagnosen, zu übernehmen. Bei der Auswahl eines Sensorprinzips besteht das Ziel darin, die größtmögliche Flexibilität hinsichtlich Einbaugegebenheiten und Integrationsstufen unter Berücksichtigung von Kostengesichtspunkten zu erzielen. 11.1.3.1 Auswahl eines Messprinzips Generell lassen sich Messaufgaben im Fahrzeug mit verschiedenen konkurrierenden Positionssensorprinzipien lösen. Welche Kriterien sind also bei der Auswahl eines geeigneten Messprinzips wichtig? Uneingeschränkt muss die Erfüllung der technischen Anforderungen gegeben sein. Dann ist aber vor allem der Aufwand und damit der Preis des Sensorsystems zu berücksichtigen. Bei Verwendung analoger Schnittstellen für die Signalübertragung sind Potentiometer aufgrund ihres einfachen kostengünstigen Aufbaus hinsichtlich des Preises im Vorteil. Sensoren nach dem induktiven CIPOS-Prinzip lassen ebenfalls

11.1 Positions- und Winkelsensorik

501

preiswerte Gesamtlösungen zu, da hier sowohl der Aufwand für den Sensor selbst als auch der Integrationsaufwand für die jeweilige Anwendung im Vergleich gering ist. Bei den technischen Kriterien hat die Genauigkeit eine herausragende Bedeutung. Nicht nur die absolute Genauigkeit ist entscheidend, sondern auch die Verfälschung bei mechanischer Belastung, unter magnetischer Beeinflussung oder bei Temperaturschwankungen. Hier sind Verfahren vorteilhaft, die entweder unabhängig von diesen Einflussgrößen sind oder von sich aus z.B. durch Verhältnisbildung der Signale eine Kompensation dieser Effekte ermöglichen. Ratiometrisches Messen ist bei Potentiometern möglich. Es wird auch bei den MR-Sensoren, neueren HallPrinzipien und seit jeher bei induktiven Sensoren

nach dem CIPOS-Prinzip eingesetzt. Andere Verfahren versuchen durch zusätzliche Kompensationsalgorithmen, den Fehler zu minimieren, was prinzipbedingt aber nur eingeschränkt gelingt und mit Kosten verbunden ist. Bei Betrachtung der Verfügbarkeit und der Zuverlässigkeit sind Lebensdauer- und Umgebungseinflüsse zu berücksichtigen. Es stellt sich die Frage, ob das Sensorsystem zum Beispiel durch Verschmutzung, Verschleiß oder elektromagnetische Störungen gestört werden kann (EMV, Elektrosmog). Bezüglich Verschmutzung und Verschleiß haben Potentiometer prinzipbedingt einen Nachteil gegenüber allen kontaktlosen Sensorprinzipien. Verschmutzungseinflüsse sind auch bei der Ausgestaltung optischer Sensoren zu berücksichtigen.

Genauigkeit (bei mechanischer Belastung, magnetischer Beeinflussung, Temperaturdrifts, EMV)

Verfügbarkeit (über Lebensdauer)

Flexibilität (bzgl. Messaufgabe: Messbereich, rotatorische/translatorische Messung)

Integrationsfähigkeit (konstruktiv und funktional)

Serienreferenz (Verbreitung, Erfahrung im Automobil, unterschiedliche Anwendungen)

Kosten

Tabelle 11-2: Vergleich der Positionssensorprinzipien anhand ausgewählter Kriterien. Die neuartigen Hallsensoren sind noch nicht oder neu im Serieneinsatz. Es ist eine Bewertung bei erfolgreicher Etablierung angegeben.

+

–

+

o

++

++

–...o

o

o

o

+

–...o

konventionelle

o

+

–

o

++

o

vertikale (VHS)

+

o

–

+

o

+

magnetoresistive Sensoren

+

+

–

+

+

o

PLCD-Sensoren

o

+

o

o

+

o

CIPOS-Induktivsensorik

+

+

+

+

++

+

Potentiometer

Hallsensoren

optische Sensoren

Erläuterung zur Bewertung: Maßstab ist der verallgemeinerte heutige Stand der Anforderungen an die Positionssensorik in der Automobilindustrie. Auf einen einzelnen Anwendungsfall bezogen kann eine Bewertung naturgemäß abweichend ausfallen. Die Bewertungen bedeuten im einzelnen: ++ Das Sensorprinzip erfüllt diese Anforderung sehr gut und bietet sich für die meisten Anwendungen im Automobil in diesem Punkt an. + Das Sensorprinzip erfüllt diese Anforderung gut und ist in vielen Anwendungen im Automobil bezüglich dieses Auswahlkriteriums einsetzbar. o Das Sensorprinzip erfüllt diese Anforderung und ist für mehrere Anwendungen im Automobil bezüglich dieses Auswahlkriteriums geeignet. – Das Sensorprinzip erfüllt diese Anforderung nicht, nur eingeschränkt oder ist nur mit erhöhtem Gestaltungsaufwand einsetzbar.

502 Bei der Auswahl der Basistechnologie für eine Positionsmessaufgabe ist auch die Flexibilität ein entscheidender Faktor. Einige Verfahren sind nur für bestimmte Messaufgaben geeignet. So sind PLCD-Sensoren für lineare Messaufgaben prädestiniert, Hall- und MRbasierte Sensoren hingegen für Drehbewegungen. Zwar sind mit Hall- und MR-Sensoren prinzipiell auch lineare Wegmessungen möglich, jedoch ist die Umsetzung sehr aufwendig. Diese Lösungen sind auch nicht so robust und genau wie die für Drehbewegungen. Induktive Sensorik (CIPOS) bietet neben Potentiometern sowohl bei linearen als auch bei rotatorischen Messaufgaben gut geeignete Lösungen für den Serieneinsatz. Beide Sensorprinzipien bieten auch eine hohe Flexibilität beim Anpassen an verschiedene Messbereiche. Durch individuelle Gestaltung der Spulengeometrien bzw. der Schleiferbahnen können mit einfachen Mitteln Sensoren für bestimmte Winkel- oder Wegbereiche optimal ausgelegt werden. Die Integration in das Fahrzeug oder in die Fahrzeugsysteme ist ein weiterer wichtiger Schlüssel bei der Auswahl eines Messprinzips. Eine Sensorlösung kann beispielsweise als funktionaler Bestandteil in eine Steuereinheit oder in einen Aktuator integriert sein oder auch eigenständige Diagnoseaufgaben übernehmen. Weitere Kriterien für die Integrationsfähigkeit eines Sensorprinzips sind die konstruktiven Ansprüche an den mechanischen Einbau. Hier sind die aus konstruktiven Gründen erforderlichen Toleranzen oder der benötigte Einbauraum wichtig. Tabelle 11-2 stellt die wichtigsten Aspekte in einer Vergleichsbetrachtung gegenüber. Sie betrachtet nur die Basistechniken. Der im Einzelfall notwendige Aufwand zur Adaption muss je nach Anwendungsfall getrennt bewertet werden. 11.1.3.2 Elektrische Schnittstellen Die Integration von Sensoren in ein FahrzeugGesamtsystem erfolgt über standardisierte Schnittstellen. Dies gilt ganz allgemein und nicht nur für Positionssensoren. Die einfachste Verbindung ist die analoge Schnittstelle, wie sie sich beispielsweise bei Potentiometern automatisch ergibt. Analoge Schnittstellen verursachen zunächst nur geringen Aufwand. Sie lassen sich jedoch auch leicht stören, da sich alle Einflüsse auf die Leitungsverbindung direkt auch auf das Signal auswirken. Die zunehmende Verbreitung von kontaktlosen Sensoren ermöglicht alternative Schnittstellen. Ein kontaktloser Sensor setzt üblicherweise einen ASIC und damit eine digitale Signalverarbeitung voraus, in den mit relativ geringem Mehraufwand auch eine Schnittstelle integriert werden kann. Die bekannteste Alternative zur analogen Schnittstelle ist heute die PWMSchnittstelle (Pulsweitenmodulation). Bei ihr wird auf der Datenübertragungsstrecke nur zwischen zwei Spannungspegeln („high“ und „low“) unterschieden.

11 Sensorik Dies macht PWM-Schnittstellen entscheidend unempfindlicher gegenüber Störungen. Die Information über einen Datenwert wird durch das Verhältnis der Zeitspanne eines Pegelzustandes zu einer festgelegten Periodendauer bestimmt (Bild 11-20). Die PWMFrequenz lässt sich je nach Anwendung variieren. Sie liegt im Fahrzeug etwa zwischen 1 Hz und 5 kHz, wobei die erforderliche minimale Datenrate die untere Grenze bestimmt und die EMV-Anforderungen die Frequenz nach oben beschränken. Die PWM-Übertragung ist robust und hat sich inzwischen in vielen Anwendungen bewährt. Weiteres Kennzeichen der PWM-Übertragung sind der geringe technische Aufwand auf Sensor- und Empfängerseite. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass jede Art einer digitalen Schnittstelle das Signal immer mit einer mehr oder weniger großen Zeitverzögerung (Latenz) weitergibt. Dieser Nachteil tritt bei der analogen Schnittstelle nicht auf.

Bild 11-20: PWM-Schnittstelle mit TL und TH als den Zeitdauern der Signalpegel „low“ und „high“

In den überwiegenden Fällen werden Positionssensoren unidirektional mit dem direkt korrespondierenden Steuergerät verbunden. Nur in einzelnen Anwendungsfällen werden Positionssensoren selbst auch mit einer Bus-Schnittstelle ausgestattet und stellen so ihre Positionsinformation mehreren Systemen unmittelbar zur Verfügung. So können beispielsweise Lenkradwinkelsensoren über einen CAN-Bus ihre Information sowohl für das Lenksystem selbst als auch für die Fahrdynamikregelung bereitstellen.

Bild 11-21: Erweiterte Sensorschnittstelle in Anlehnung an die PWM-Technologie, bei der verschiedene Daten mit unterschiedlichen Frequenzen (Periodendauern TP,1, TP,2 usw.) assoziiert werden.

11.1 Positions- und Winkelsensorik

503

Eine Alternative zu den Bus-Systemen stellt eine erweiterte Schnittstelle (Bild 11-21) in Anlehnung an die PWM-Technologie dar. Bei Verwendung eines Protokolls für das PWM-Signal lassen sich mehrere Sensorsignale und auch Zusatzinformationen wie Status- oder Diagnosedaten sequentiell auf einer Leitung übertragen. Eine solche Schnittstelle lässt sich mit vorhandenen standardisierten Hardwarekomponenten auf der Sender- und Empfängerseite allein durch Software realisieren. Dadurch wird eine höhere Funktionalität ohne Mehrkosten erreicht. In redundanten Systemen ergibt sich darüber hinaus durch die Einsparung einer Signalleitung eine mögliche weitere Kostenersparnis, indem die redundanten Signaldaten über eine Leitung gesendet werden. Eine Standardisierung dieses technologischen Ansatzes wird in einem SAE-Arbeitskreis erarbeitet.

11.1.3.3 Anwendungsbeispiele Die Einführung von neuen mechatronischen Systemen orientiert sich oft an den vorhandenen rein mechanischen Lösungen. Die Regel sind mehrere Entwicklungsschritte und -stufen. In der ersten Generation werden Sensoren oft als Anbauten an vorhandene Komponenten eingesetzt. Im nächsten Schritt erfolgt dann die Integration in die Systemkomponenten. Ein gutes Beispiel sind die elektrisch betätigten Drosselklappen. Zunächst waren die Positionssensoren an Drosselklappen und Fahrpedalgeber als Anbausensoren ausgeführt. Heute ist die vollständige Integration der Positionssensoren in die Drosselklappe beziehungsweise in den Fahrpedalgeber Stand der Technik (Bild 11-22). Die Vorteile einer räumlichen Integration liegen auf der technischen Seite im geringeren Bauraum, niedrigeren Gewicht und dem Entfall von zusätzlichen Gehäusen und Verbindungselementen. Beim oben vorgestellten Induktivsensor kommt durch die Zusammenführung der Sensorstrukturen und der Elektronik auf einer Leiterplatine eine höhere Zuverlässigkeit durch den Entfall von elektrischen Steckkontakten und Verbindungsleitungen hinzu. Auf der Kostenseite sind der Entfall von Bauteilen und reduzierte Montagekosten bei der Herstellung des Bauteils zu erwähnen. Zusätzlich reduzieren sich die Logistikkosten, da weniger Einzelteile zu verbauen sind und Produkt- sowie Montagevarianten in den ASIC verlagert werden können. Ein Beispiel für eine sowohl optimale räumliche als auch funktionale Integration einer Positionssensorik in einen elektromotorischen Steller zeigt Bild 11-23. Die informationsverarbeitende Einheit wird durch eine in Hybrid- oder Leiterplatten-Technologie aufgebaute Elektronik realisiert. Sie ist direkt mit der Deckelgruppe des Aktors verklebt.

Bild 11-22: Aggregate mit integrierter Positionssensorik (oben: Fahrpedal mit Potentiometer, Mitte: stehendes Fahrpedal mit Linearsensor, unten: Drosselklappe mit in der Deckelgruppe integrierter Sensorplatine)

504

Bild 11-23: Elektromotorischer Steller für variable Turbolader

Die Elektronik enthält den Stator der Sensorik für die Erfassung der Ist-Position, einen ASIC zur Auswertung der Sensorsignale, einen weiteren ASIC mit Mikrocontroller und Leistungsendstufe für die Motoransteuerung sowie die Bausteine für die CANSchnittstelle. Der Sensor ist damit nicht nur räumlich, sondern auch funktional in die Stellerelektronik eingebunden. Die Vorteile der funktionalen Integration liegen hier in der gezielten Verhaltensverbesserung des Stellers. Die Messwerte können direkt vor Ort verarbeitet werden. Dadurch lassen sich die Dynamik und die Präzision des Stellers durch Adaptionsverfahren und Kompensation von Störgrößen gezielter beeinflussen. Positiv sind weiter die verbesserte und einfachere Prüfung des Gerätes schon bei der Endmontage und eine gute Diagnosefähigkeit im Fahrzeugbetrieb. Ein weiteres Beispiel für eine Zusammenführung einer Steuereinheit mit dem zugehörigen Positionssensor ist in Bild 11-24 gezeigt. Es handelt sich um einen Sensor zur Erfassung der Fahrzeugneigung, der in das Steuergerät für die Leuchtweitenregulierung integriert ist. Hier entfallen die Zwischenverbindungen. Nur eine Komponente muss montiert werden. Das Gerät wird zudem im Chassis verbaut.

Bild 11-24: Einheit zur Erfassung der Fahrzeugneigung, verbaut mit dem Steuergerät für die Leuchtweitenregulierung

11 Sensorik Die Integration von Elektronik unter Motorraumbedingungen erfordert eine besondere Aufbau- und Verbindungstechnik. Oft ist zusätzlicher Aufwand erforderlich, um die elektronischen Komponenten an das Einsatzfeld der mechanischen Komponenten anzupassen. Kriterien sind dabei Arbeitstemperaturen, Medieneinflüsse und mechanische Belastungen. Maßnahmen zur Kopplung, Kühlung oder spezifische Aufbau- und Verbindungstechniken sind dabei nötig. Dieser Aufwand zieht in der Regel Kosten nach sich, die die genannten Einsparpotentiale im Einzelfall wieder aufwiegen können. Ein weiterer Nachteil ist, dass sich die Ersatzteilkosten im Reparaturfall erhöhen können. In den beschriebenen Fällen ist es zum Beispiel nicht mehr möglich, elektronische oder mechanische Baugruppen einzeln auszutauschen. Der Grad der möglichen und sinnvollen Integrationstiefe muss sich also stets an der zu erzielenden Kosten-Nutzen-Relation orientieren. Sie ist in einer frühen Phase der Produktentwicklung zu ermitteln. Interessant ist die Zusammenfassung verschiedener Sensoren zu einem Sensorcluster. Ein gutes Beispiel dafür sind Lenkradwinkelsensoren. Hier ist die Kombination eines Lenkmomentensensors und eines Lenkradwinkelsensors sinnvoll (Bild 11-25). Für elektrisch unterstützte Lenkungen wird die Information über die Betätigungskraft des Fahrers am Lenkrad sowie, je nach Ausstattungsvariante, auch die absolute Stellung des Lenkrades benötigt. Üblich ist die Bestimmung des Lenkmomentes durch Messung der Verdrehung eines Torsionsstabes, der in den Lenkstrang integriert ist. Typischerweise wird dabei eine Verdrehung von bis zu r 4° gemessen. Dies entspricht einem Lenkmoment von ca. r 8 Nm, ist jedoch unmittelbar abhängig von der Drehsteifigkeitsauslegung der Lenkung. Die Genauigkeitsanforderungen liegen bei bis zu 0,15° Verdrehung, entsprechend etwa 0,3 Nm. Typische Anforderungen an die Lenkwinkelsensorik sind die absolute Erfassung der Lenkwinkelstellung über den kompletten Drehbereich eines Lenkrades von rund ± 800°, entsprechend 4,5 Lenkradumdrehungen.

Bild 11-25: Integration eines Lenkradwinkel- und eines Lenkmomentensensors in eine Baueinheit

11.2 Mikrosensoren im Automobil Die Information der Lenkradstellung wird auch für die Fahrdynamik-Regelung benötigt. Dessen Lenkwinkelsensorik wird oft im Lenkstockmodul im Fahrzeuginnenraum montiert. Hier werden optische Sensoren, MR-Sensoren und teilweise noch Potentiometer eingesetzt. Generell wird die Verlegung der kompletten Lenksensorik in Richtung des Lenkgetriebes bevorzugt, wobei die Sensorik dort zum Teil unter Motorraumbedingungen zum Einsatz kommt. Literatur zu Abschnitt 11.1 [1] Robert Bosch GmbH (Hrsg.), Autoelektrik, Autoelektronik. 4. Auflage, Vieweg, Braunschweig 2002. [2] Robert Bosch GmbH (Hrsg.) Kraftfahrtechnisches Taschenbuch. 25. Auflage, Vieweg, Braunschweig 2003. [3] Costin, M. et al.: SENT: An Encoding Scheme for Reporting Sensor Values. SAE 2005 World Congress & Exhibition, April 2005, Detroit, MI, USA, Paper #2005-01-1366. [4] W. J. Fleming: Overview of Automotive Sensors. In: IEEE Sensors Journal, Vol. 1, (2001) pp. 296–308. [5] W. Göpel, J. Hesse, J. N. Zemel (Eds.), Sensors. Wiley 19891996. [6] P. Hauptmann: Sensoren: Prinzipien und Anwendungen. Hanser, München 1991. [7] W. Heywang (Hrsg.): Sensorik. 4. Auflage Springer, Berlin 1993. [8] Dorißen, T.; Hobein, D.; Irle, H.; Kost, N.: Berührungslose Weg- und Winkel-Sensorik / Innovative Lösungen für automobiltechnische Anwendungen. In: ATZ, Nr. 100, (1998) S. 720–727. [9] Dorißen, T.; Dürkopp, K.: Mechatronics and Drive-By-Wire Systems / Advanced Non-Contacting Position Sensors. In: Control Engineering Practice 11 (2003), pp. 191–197. [10] Dorißen, T.; Dürkopp, K.; Irle, H.: Non-contact Measuring – A Comparison of Position Sensors. In: Auto Technology 2 (2005) pp. 68–71. [11] Marek, J. et al.: Sensors for Automotive Technology – Sensors Applications. Volume 4, Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2003. [12] Thiemann, M.; Stryschik, D.; Hobein, D.: Neue Konzepte der automatischen Leuchtweiteregelung auf Basis eines innovativen, induktiven Drehwinkelsensors. In: ATZ, Nr. 100, (1998) S. 820–826.

11.2 Mikrosensoren im Automobil 11.2.1 Einleitung Seit einigen Jahren drängen immer mehr miniaturisierte Sensoren in die Fahrzeuge ([21], [24]) wie z.B. für Airbags, Gurt-Straffer und Bremsregelsysteme. Ihr primäres Einsatzgebiet liegt in der Fahrsicherheit. Darüber hinaus erhöhen miniaturisierte Sensoren inzwischen den Komfort der Insassen z.B. durch Temperaturmessung in Klimaanlagen. Neben dem Betriebszustand erfassen die Sensoren auch die Umgebung des Fahrzeugs. Die Außentemperatur-Messung gehört inzwischen zur Standardausrüstung eines Pkws. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt weist die Auswer-

505 teelektronik den Fahrer gegebenenfalls auf Frost und Glätte hin. In der gehobenen Klasse unterstützen Abstandssensoren den Fahrer beispielsweise beim Einparken, in dem sie ihn auf Hindernisse aufmerksam machen. Das Einsatzgebiet mikromechanischer Sensoren im Automobil wächst ständig. Dabei müssen die Sensoren hohe Anforderungen erfüllen ([26], [9]): Sie müssen während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs zuverlässige Signale liefern. Außerdem müssen sie robust gegenüber unterschiedlichen Umgebungsbedingungen sein, wie z.B. starken Vibrationen, Temperaturwechseln z.B. zwischen –40 °C und 85 °C, korrosiven Umweltbedingungen und Stoßbelastungen. Die Messwerte müssen sehr genau sein (für anspruchsvolle Regelfunktionen). Ferner müssen die Sensoren klein, leicht und kostengünstig sein. Anfänglich waren miniaturisierte mikromechanische Sensoren ein Nischenprodukt in Oberklassenfahrzeugen; jedoch haben sie inzwischen ihren Einzug auch in die Kleinwagen gehalten. Mit wachsender Stückzahl und zunehmender Miniaturisierung sinkt auch der Sensorpreis. Somit öffnet sich der Automobilmarkt immer stärker diesen Mikrosensoren.

11.2.2 Mikrosystemtechnik Sehr viele Sensoren im Automobil werden in der so genannten MEMS-Technologie gefertigt (MEMS: Mikro-Elektro-Mechanische Systeme). Sie bestehen aus einem elektromechanischen Sensor, der ein elektrisches Signal an eine Auswerte-Einheit weitergibt. 11.2.2.1 Silizium – Ausgangsmaterial der MEMSTechnologie Das Ausgangsmaterial der MEMS-Technologie ist das Halbleitermaterial Silizium (Si). Durch geeignete Kombination aus Schichtabscheidungen, fotolithographischer Strukturierung und Ätzverfahren lassen sich komplexe dreidimensionale Strukturen erzeugen. Die dabei erzielten kleinsten Strukturen reichen von wenigen Mikrometern bis hin in den NanometerBereich. Die MEMS-Technologie hat sich aus der Halbleiter-Technologie entwickelt, mit deren Hilfe Chips und Speicher hergestellt werden. Dadurch überlappen sich die Technologien beider Felder sehr stark. Während die CMOS-Technologie zur Herstellung von elektrischen Komponenten wie Dioden, Widerständen und Kondensatoren für Logik- und Speicherbausteine verwendet wird, dient die MEMSTechnologie dazu, dreidimensionale Sensoren und Aktoren zu erzeugen. Zur Herstellung von mikromechanischen Systemen werden polykristallines Silizium oder Siliziumverbindungen wie Siliziumnitrid und Siliziumoxid auf Silizium abgeschieden. Die Abscheidung erfolgt meist durch

506

11 Sensorik

CVD (Chemical Vapour Deposition, Schichtabscheidung aus der Gasphase) oder PE-CVD (Plasma Enhanced CVD, Plasma-unterstützte CVD). Ferner nutzt man die hohe Selektivität der verschiedenen Ätzverfahren, nämlich beim isotropen oder anisotropen Trockenätzen der verschiedenen Siliziumverbindungen und der verschiedenen Siliziummodifikationen untereinander sowie beim anisotropen nasschemischen Ätzen von Silizium-Einkristallen bezüglich der Orientierung der Kristalloberfläche. Die hohen Anforderungen, die in der Halbleiter-Technologie an das Silizium gestellt werden, kommen auch der MEMS-Technologie zu gute, nämlich die sehr hohe Qualität der verfügbaren Si-Einkristall-Wafer (TrägerHalbleiterscheibe) und der relativ geringe Preis der SiWafer aufgrund der großen Nachfrage in der CMOSIndustrie. Bei der Sensor-Herstellung werden die physikalischen und chemischen Eigenschaften kombiniert, indem beispielsweise mehrere Schichten aufeinander abgeschieden werden. Diese werden anschließend strukturiert und selektiv entfernt (Opferschichten). Damit lassen sich beispielsweise frei stehende Zungen, Membranen und Spitzen erzeugen. Im Folgenden werden die zentralen Technologien und Prozesse zur Erzeugung von MEMS-Strukturen erläutert. 11.2.2.2 Fotolithographie Die Fotolithographie wird eingesetzt, um die gewünschten Strukturen auf der Oberfläche zu erzeugen ([1], [4], [5], [7]). Ausgehend von einem Si-Wafer mit typischen Formaten von 4 Zoll (100 mm), 6 Zoll (150 mm) oder 8 Zoll (200 mm) wird ein Fotolack auf die Oberfläche aufgebracht. Dies kann mit verschiedenen Methoden realisiert werden wie Spincoating, Sprühbelacken oder elektrophoretische Abscheidung. Spincoating eignet sich insbesondere, wenn die Oberflächen plan und eben sind. Dazu wird auf den ruhenden oder langsam rotierenden Wafer Fotolack aufgegeben. Anschließend wird die Rotationsgeschwindigkeit des Wafers auf den Zielwert erhöht. Dadurch breitet sich der Lack über den gesamten Wafer aus. Gleichzeit verdunstet ein erheblicher Anteil des Lösemittels im Lack und es stellt sich nach wenigen Sekunden eine homogene, gleichmäßig dicke Lackschicht ein. Die Schichtdicke G ergibt sich als ([1], [3], [6])

G

Kf Z

Wenn die Oberfläche jedoch eine starke Topographie besitzt und deren Höhenunterschiede etwa genauso groß sind wie die Lackdicke, dann bietet sich Sprühbelacken an. Dabei wird der Lack z.B. durch Ultraschall-Anregung in feine Tröpfchen zerstäubt. Die Sprühdüse wird über das Substrat geführt, um somit eine gleichmäßige Bedeckung zu erzielen. Die Schichtdicke kann beispielsweise durch die Anzahl der Sprühzyklen eingestellt werden. Alternativ kann die elektrophoretische Abscheidung genutzt werden, um auch starke Topographien zu beschichten. Das Substrat, das eine leitfähige Oberfläche besitzen muss, wird in das betreffende Bad getaucht. Durch Anlegen einer Spannung scheidet sich der Lack auf der Oberfläche ab. Bei diesem Verfahren kann die Schichtdicke des Lacks nur in engen Grenzen variiert werden. Nach der Abscheidung wird das Substrat auf einer Hotplate oder im Umluftofen geheizt (Softbake). Im nächsten Schritt wird der Lack mit einem Maskaligner oder einem Stepper belichtet. Dazu wird das Substrat unter einer Fotomaske bzw. einem Reticle positioniert und dazu ausgerichtet. Bei der anschließenden Belichtung mit monochromatischem Licht (beispielsweise UV-Strahlung) wird eine chemische Reaktion im Lack photoinduziert. Diese Reaktion führt dazu, dass sich die Löslichkeit des Lacks im Entwicklermedium stark ändert, so dass sich die belichteten Bereiche selektiv zu den unbelichteten entwickeln lassen. Bei positiven Fotolacken werden die belichteten Stellen wegentwickelt; bei negativen Lacken bleiben die belichteten Bereiche stehen. Mit Hilfe der Belichtung lassen sich somit die gewünschten Strukturen in das Lackbild übertragen. Oft folgt nach dem Entwickeln ein Hardbake, der den Lack gegenüber Ätzprozessen widerstandsfähiger macht. Der fotolithographische Prozess ist in Bild 11-26 zusammengefasst.

(11.1)

mit der Lackviskosität K , der Rotationsgeschwindigkeit Z und dem Feststoff-Anteil im Fotolack f. Bei einem vorgegebenen Lacktyp kann somit die Lackdicke über die Rotationsgeschwindigkeit eingestellt werden.

Bild 11-26: Fotolithographie: Eine monochromatische Lichtquelle beleuchtet eine strukturierte Maske (schwarz/ weiß). Der Fotolack (orange) des sich darunter befindenden Substrats (blau) wird an den Stellen belichtet, an denen die Maske transparent ist.

11.2 Mikrosensoren im Automobil 11.2.2.3 Dünnschichttechnik Neben den verschiedenen Siliziummodifikationen und Siliziumverbindungen werden weitere Materialien benötigt, insbesondere elektrisch leitfähige Substanzen für die elektrische Verbindung. Die Schichten können im Wesentlichen durch drei Verfahren aufgebracht werden ([5], [7]), nämlich Sputtern, Aufdampfen oder Chemical Vapour Deposition. Die ersten beiden Verfahren werden unter dem Begriff Physical Vapour Deposition (PVD) zusammengefasst. Damit lassen sich nahezu alle Elemente des Periodensystems und viele binäre Verbindungen stöchiometrisch abscheiden. Die Schichteigenschaften wie Kornstruktur, Porosität, elektrische Leitfähigkeit und intrinsische Spannungen hängen sowohl vom gewählten Verfahren als auch von den AbscheideParametern ab. Wenn die Substrate während der Abscheidung nicht gekühlt werden, so können diese über 100 °C heiß werden. Die PVD-Abscheidung eignet sich insbesondere bei flachen Oberflächen oder geringen Topographien. Im Gegensatz dazu ist die CVD-Abscheidung nahezu unabhängig von der Topographie, wobei die Beschichtung bei weit über 100 °C erfolgt. Die Schichten können addivtiv oder subtraktiv strukturiert werden: Beim subtraktiven Verfahren wird

507 zuerst die Schicht ganzflächig abgeschieden. Anschließend wird darüber ein Fotolack so strukturiert, dass die Stellen mit Lack bedeckt sind, an denen die Schicht erhalten bleiben soll. An allen anderen Positionen wird der Lack weg entwickelt, so dass die darunter liegende Schicht weggeätzt werden kann. Schließlich wird der Fotolack entfernt. Das subtraktive Verfahren kann bei allen drei oben beschriebenen Schichterzeugungsverfahren angewandt werden. Im Gegensatz dazu wird beim additiven Prozess der Fotolack invers strukturiert. Diejenigen Stellen, an denen später die Schicht stehen soll, werden frei entwickelt. Anschließend wird das Material abgeschieden und dann der Lack durch Lift-off entfernt. Hierbei kommt die CVD-Abscheidung nicht zum Einsatz, da Fotolacke den hohen CVD-Temperaturen nicht Stand halten (Bild 11-27). 11.2.2.4 Bulk- und Oberflächen-Mikromechanik Für die Erzeugung von dreidimensionalen MEMS werden zwei sich ergänzende Verfahren eingesetzt: zum einen die Bulk- und zum anderen die Oberflächen-Mikromechanik ([2], [7], [20]).

Bild 11-27: Additive (b) und subtraktive (c) Schichterzeugung: a): Ein Fotolack wird lithographisch strukturiert (Belacken, Belichten und Entwickeln; diese Schritte sind bei der additiven und der subtraktiven Schichterzeugung gleich). b): Anschließend wird die Schicht, die sich unter dem Fotolack befindet, subtraktiv weggeätzt. c) Alternativ kann eine Schicht additiv aufgebracht werden. In beiden Verfahren (b) und c)) wird abschließend der Fotolack entfernt.

508

11 Sensorik

Bild 11-28: Bulk-Mikromechanik, Ätzen einer V-Grube: Auf die Si-Oberfläche (grau) wird eine Hartmaske (blau) z.B. aus Si3N4 aufgebracht und strukturiert (links). Anschließend wird das Si geätzt (Mitte) bis die gewünschte Tiefe erreicht ist. Schließlich wird die Hartmaske entfernt (rechts).

In der Bulk-Mikromechanik wird das anisotrope Ätzverhalten von Silizium ausgenutzt. Unter geeigneten Bedingungen ist die Ätzrate von Si[100]-Oberflächen in Kalilauge (KOH) um mehr als den Faktor 20 größer als beispielsweise von Si[111]-Oberflächen. Dadurch lassen sich V-förmige Gruben im Bulkmaterial erzeugen. Der Neigungswinkel der V-Gruben ist mit 54,74° durch den Winkel zwischen der [100]- und der [111]Ebene des Siliziums vorgegeben. Als Ätzmaske dient beispielsweise fotostrukturiertes Si3N4, das in KOH im Gegensatz zu Fotolack nicht angegriffen wird. Die Ätztiefe kann bei bekannter Ätzrate über die Ätzdauer festgelegt werden. Alternativ können vergrabene Schichten, Dotierungen und pn-Übergänge bei angelegter Spannung als Ätzstopp dienen. Nachdem die gewünschte Struktur erzielt ist, wird die Si3N4-Ätzmaske entfernt (siehe Bild 11-28). Daneben können auf dem Wafer Schichten aus unterschiedlichen Siliziumverbindungen oder polykristallinem Silizium aufgebracht werden. Jede einzelne Ebene wird fotolithographisch strukturiert. Um letztlich die gewünschte dreidimensionale Struktur zu erhalten, werden im Herstellungsprozess einige der Schichten wieder entfernt, da diese als Opferschichten nur dem Aufbau der darüber liegenden Ebenen dienen. Dieses Verfahren kommt in der so genannten Oberflächen-Mikromechanik zum Einsatz. Somit lassen sich freistehende Strukturen erzeugen, die mit dem Substrat nur an bestimmten Stellen verankert sind (Bild 11-29).

11.2.2.5 Wafer-Bonden Wafer-Bondprozesse ([2], [7]) werden genutzt, um beispielsweise Kavitäten zu schaffen. Dazu werden zwei strukturierte Wafer zueinander justiert, in Kontakt gebracht und anschließend im Bondprozess miteinander verbunden. So können Röhren erzeugt werden, durch die Flüssigkeiten oder Gase strömen, Membranen über Gruben positioniert werden oder hermetisch dichte Einheiten geschaffen werden. Beim anodischen Bonden wird ein Silizium-Wafer mit einem Na+-haltigem Glas (z.B. Pyrex, Borosilikat-Gläser) verbunden. Wenn anschließend bei hohen Temperaturen (300 °C – 500 °C) eine negative Spannung ans Glas gelegt wird, dann migrieren die Natrium-Ionen an der Grenzfläche. Dieser Prozess führt über mehrere Zwischenschritte zu einer stabilen Si-OSi-Verbindung zwischen dem Silizium und dem Glas. Beim Silicon Fusion Bonding werden zwei SiliziumWafer miteinander verbunden. Dazu wird die Oberfläche nasschemisch aktiviert, so dass die Si-Atome zur Grenzfläche hin mit OH-Gruppen gesättigt sind. Wenn die beiden Wafer anschließend in Kontakt kommen, entstehen beim Tempern (1000 °C für 1 Stunde) stabile Si-Si-Bindungen. Für beide Bondverfahren sind hohe Temperaturen notwendig (300 °C – 1000 °C), die weit über dem Temperaturbereich liegen, der bei der Herstellung von Chips erlaubt ist (CMOS-Prozesse). Um diese Technologie mit der MEMS-Technologie kompatibel zu machen, wird derzeit intensiv am so genannten „cold bonding“ gearbeitet, bei dem die Substrattemperaturen 200 °C nicht überschreiten.

Bild 11-29: Oberflächen-Mikromechanik, frei stehender Steg mit Anker: Eine Opferschicht (blau) wird auf die SiOberfläche (grau) aufgebracht und strukturiert (links). Anschließend wird eine zweite Schicht (grau) abgeschieden und strukturiert (Mitte). Schließlich wird die Opferschicht weggeätzt, um den frei stehenden Steg zu erhalten (rechts).

11.2 Mikrosensoren im Automobil

509

11.2.3 Sensoren im Automobil 11.2.3.1 Drucksensoren Membranen können sich durchbiegen, wenn eine Druckdifferenz zwischen den beiden Seiten der Membran besteht. Als MEMS-Drucksensoren kommen zwei verschiedene Typen zum Einsatz: piezoresistive und kapazitive ([8], [9]). In beiden Fällen spielt die Geometrie der Membran (Dicke, Durchmesser) eine sehr große Rolle für den Messbereich und die Genauigkeit des Sensors. Piezoresistive Materialien ändern ihren elektrischen Widerstand R mit ihrer Länge l: 'R R

'll , Ht l

'lt , l

beschrieben, wobei r0 den Membranradius, E den EModul, h die Membrandicke und Q das Poisson-Verhältnis aus transversaler zu axialer Spannung darstellt (Bild 11-30).

(11.2)

Bild 11-30: Drucksensor: Die Durchbiegung d der Membran hängt vom Abstand r zum Membranmittelpunkt ab

wobei 'R die Widerstandsänderung und 'l die Längenänderung bezeichnet; kl und kt sind Konstanten. Dieser Effekt kann zusätzlich von der Kristallorientierung des Materials abhängen, was durch die Indizes l für die longitudinale und t für die transversale Richtung berücksichtigt wird. Die Proportionalitätskonstante k (auch k-Faktor genannt) hat bei Metallen einen typischen Wert von 2. Im Vergleich dazu ist k bei Halbleitern größer als 100. Somit eignen sich Halbleiter wesentlich besser als Metalle für piezoresistive Sensoren. Zudem kann der k-Faktor wie im Falle von Silizium von der Kristallorientierung abhängen. Zusammenfassend ist die Widerstandsänderung des piezoresistiven Sensors direkt proportional zur Längenänderung der Leitungsbahn, was sehr günstig für die Signalauswertung ist. Nachteilig hingegen ist, dass eine Längenänderung auch durch eine Temperaturänderung verursacht werden kann. Dies muss somit bei der Auswertung der Messwerte berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird für die oben beschriebene Widerstands-Messung eine Spannungsquelle benötigt, was ein Nachteil im Vergleich zum kapazitiven Sensor ist (s.u.). Bei kapazitiven Drucksensoren wird die Membran als Elektrode geschaltet. Unter der Membran befindet sich eine Kavität, deren Boden die zweite Elektrode dieses Kondensators bildet. Die Membran biegt sich unter Druck durch, wobei die Durchbiegung d ortsabhängig ist. Sie ist maximal in der Membranmitte (r = 0) und verschwindet am Rand der Kavität (r = r0). Bei einem Druckunterschied 'p zwischen der Oberund Unterseite der Membran wird die Ortsabhängigkeit der Durchbiegung gemäß [2] durch

Entscheidend für den Messbereich und die Qualität des kapazitiven Sensors sind h, r0 und E. Somit ist für die Herstellung der Membran eine sehr genaue Prozessführung notwendig, um h homogen und reproduzierbar zu erhalten. Zudem spielt die Schichtkristallinität eine zentrale Rolle für deren Elastizität E. Mit der Grundgleichung des Plattenkondensators für die Kapazität

d (r)

H l kl H t kt mit H l

3 'p

(1 Q 2 )( r02 r 2 )2 16 E h2

(11.3)

C

H0 Hr

A d0 d

(11.4)

(H0 elektrische Feldkonstante, Hr Dielektrizitätszahl, A Membranfläche, d0 Abstand der beiden Elektroden bei 'p = 0) und der Gleichung (11.3) ist sofort ersichtlich, dass beim kapazitiven Sensor eine Kapazitätsänderung nicht linear vom Differenzdruck 'p abhängt. Kleine Drücke führen nur zu geringer Kapazitätsänderung und damit zu einem geringen Signal. Jedoch kann der kapazitive Sensor auch im „Touch-Mode“ genutzt werden, wenn sich bei hohen Drücken die Membran so stark durchbiegt, dass sie die Gegenelektrode berührt. Auf diese Weise wird auch verhindert, dass die Membran reißt und der Sensor zerstört wird. Ein weiterer großer Vorteil des kapazitiven Drucksensors liegt darin, dass die Kapazitätsänderung stromlos gemessen werden kann. Weiterhin ist die Temperaturabhängigkeit des Messsignals vernachlässigbar im Vergleich zum piezoresitiven Sensor. Der Differenzdruck 'p geht bei kapazitiven Drucksensoren nach den Gleichungen (11.3) und (11.4) direkt in das Messsignal ein. Daher muss die Kavität unterhalb der Membran hermetisch gegen die Umgebung abgedichtet sein, um als Referenzdruck (z.B. Luft bei 1 bar oder Vakuum) dienen zu können. Alternativ kann bei piezoresistiven Drucksensoren die Kavität unter der Membran geöffnet sein, um Differenzdrücke zwischen der Membranobersei-

510 te und -unterseite zu bestimmen. In diesem Fall ist der Raum oberhalb der Membran hermetisch abgedichtet (Bild 11-31).

Bild 11-31: Piezoresitiver Drucksensor: Der Druck wird von unten über einen Kanal (blau) an die Membran gekoppelt. Um den gekapselten Sensor befindet sich Vakuum als Referenzdruck. Das Messsignal der Piezowiderstände auf der Membranoberseite wird über die rot gezeichneten Leitungen zur Auswerte-Elektronik geführt.

Entscheidend für die Qualität des Drucksensors ist seine Membran. Diese lässt sich durch die beiden Methoden Bulk- und Oberflächen-Mikromechanik herstellen [3]. Im Falle der Bulk-Mikrochemanik wird von der Rückseite des Wafers her ein Graben so tief in das Substrat geätzt, bis ein geeigneter Ätzstopp den Prozess unterbricht und eine dünne Membran an der Waferoberfläche stehen bleibt. Bei der Oberflächen-Mikromechanik endet der Ätzvorgang an einer Poly-Silizium-Schicht, die in einem vorhergehenden Prozessschritt aufgebracht worden ist. Das Substrat wird von der Rückseite mit Glas gebondet. Durch eine Öffnung im Glas gelangt das Gas oder die Flüssigkeit in Kontakt mit der Membran. Auf diese Weise ist die Oberfläche des Substrats

11 Sensorik beispielsweise vor aggressiven Gasen geschützt. Dort befinden sich die Piezo-Widerstände. Hingegen wird bei kapazitiven Sensoren ein weiterer strukturierter Wafer aus Silizium oder Glas auf die Oberfläche gebondet, wobei eine Kavität unter der Membran entsteht. Am Boden der Kavität befindet sich die zweite Elektrode des Kondensators (Bild 11-32). Drucksensoren werden im Automobil für verschiedene Zwecke eingesetzt ([8], [9]), nämlich als Saugrohr- und Ladedrucksensoren (MAP manifold absolute pressure), als Umgebungsdrucksensoren (BAP barometric air pressure), als Öl- und Kraftstoffdrucksensoren oder zur Reifendruck-Messung [10]. Saugrohr- und Ladedrucksensoren bestimmen den Absolutdruck (typischerweise bis 2,5 bar) zwischen Lader und Motor gegenüber einem Referenzvakuum. Umgebungsdrucksensoren (Atmosphärendrucksensoren) messen den Luftdruck, um beispielsweise die Abgasrückführung und den Ladedruck in Abhängigkeit von der absoluten Höhe zu regeln. Ihr Arbeitsbereich liegt zwischen 0,6 und 1,15 bar. In Öl- und Kraftstofffiltern sind Drucksensoren eingebaut, um den Absolutöldruck zu messen (0,5 bis 10 bar) bzw. um den Verschmutzungsgrad von Kraftstofffiltern zu ermitteln (0,2 bis 4 bar). Zur Datenauswertung werden die Drucksensoren in Hybridtechnologie mit dem IC verbunden. Im Reifen sind Sensoren integriert, die den Absolutdruck (bis 6 bar) detektieren und drahtlos an eine Auswerte-Einheit senden. 11.2.3.2 Beschleunigungssensoren Mit Hilfe der Oberflächenmikromechanik können dreidimensionale Strukturen erzeugt werden, die sich relativ zum Substrat bewegen können. Somit lassen sich Feder-Masse-Systeme herstellen [2].

Bild 11-32: Kapazitiver Drucksensor: REM-Aufnahmen [Quelle: SIEMENS AG]

11.2 Mikrosensoren im Automobil

511

Bild 11-33: Beschleunigungssensor: kapazitiver Sensor in Kammstruktur (oben), kapazitiver Sensor mit seismischer Masse zwischen zwei Elektroden (unten links), frei schwingende Membran mit Piezowiderstand (rot) (unten rechts)

Beschleunigungssensoren werden typischerweise als Doppel-Kammstrukturen (Bild 11-33) aufgebaut, wobei ein Kamm auf dem Substrat fixiert ist, der zweite Kamm als seismische Masse in eine Richtung frei beweglich ist [9]. Die Kämme bilden die beiden Elektroden eines Kondensators. Eine laterale Beschleunigung führt zu einer Auslenkung der Kämme relativ zueinander und damit zu einer Kapazitätsänderung. Bei geeigneter Verschaltung ist das Sensorsignal direkt proportional zur Beschleunigung. Alternativ zu diesem „wegmessenden“ Prinzip können die Kondensatorenkämme elektrisch so geregelt werden, dass ihr Abstand immer gleich bleibt. Die resultierende Rückstellkraft kompensiert gerade die beschleunigungsbedingte Auslenkung. Dieses Regelungsverfahren ist weniger empfindlich gegenüber Quereinflüssen und besitzt eine höhere Linearität als die sich frei bewegenden Kämme. Neben diesem am weitesten verbreiteten System gibt es noch andere Typen an Beschleunigungssensoren [3]. Beispielsweise wird für das Feder-Masse-Prinzip eine seismische Masse genutzt, die zwischen zwei Elektrodenplatten frei aufgehängt ist. Alternativ dazu kann eine frei bewegliche Zunge genutzt werden, auf der ein Piezo-Widerstand aufgebracht ist. Wird die Zunge ausgelenkt, so ergibt sich eine Widerstandsänderung 'R aus der Dehnung oder Stauchung des Piezo-Widerstands (Bild 11-33). Beschleunigungssensoren werden in folgende Kategorien eingeteilt [9]: Sensoren für niedrige Beschleunigungen bis 10 g, Sensoren für mittlere Beschleunigungen von 25 bis 100 g und Sensoren für hohe

Beschleunigungen von 100 bis 250 g. Sensoren für niedrige Beschleunigungen werden eingesetzt, um die Fahrdynamik zu verbessern. Sensoren für mittlere Beschleunigungen detektieren den Frontal-Aufprall, Sensoren für hohe Beschleunigungen werden für den gleichen Zweck eingesetzt und auch für das Erkennen eines seitlichen Aufpralls. 11.2.3.3 Drehratensensoren Ein Drehratensensor (Gyroskop) nutzt den CoriolisEffekt zur Detektion von Rotationen. Danach erfährt ein Körper der Masse m, der sich mit einer Geschwindigkeit v bewegt, in einem rotierenden System (Winkelgeschwindigkeit Z) die Coriolis-Kraft FC

2 mZ v .

(11.5)

Diese Coriolis-Kraft FC steht senkrecht zur Drehachse und zur Bewegungsrichtung. Mikromechanische Drehratensensoren werden meist als Schwingungsgyrometer in einer Kombination aus Bulk- und Oberflächen-Mikromechanik ausgeführt (Bild 11-34). Die Sensoren sind aus Masseplatten aufgebaut, die zu lateralen Schwingungen angeregt werden ([8], [9]). Dazu sind auf den Masseplatten Leitungsbahnen aufgebracht (Bild 11-34 links). Ein Permanent-Magnet oberhalb des Sensors erzeugt ein Magnetfeld senkrecht zur Chipoberfläche und induziert dadurch eine Auslenkung der Elektronen, die sich in den Leitungsbahnen bewegen (LorentzKraft).

512

11 Sensorik

Bild 11-34: Gyroskop, links: Über einer Masseplatte (grau) befindet sich ein Magnet (nicht gezeichnet). Dieser verursacht eine Hall-Kraft auf die Elektronen in den elektrischen Leitungen (rot) und induziert somit eine Schwingung (blauer Pfeil). Rotiert der Sensor mit der Winkelgeschwindigkeit Z, so detektiert der kammförmige Beschleunigungs-Sensor die resultierende Coriolis-Kraft FC. Rechts: Ausschnitt aus einem Gyroskop, das in einer Kammstruktur aufgebaut ist (1 Kammstruktur, 2 schwingende Masse). Die Coriolis-Kraft kippt einen der beiden Kämme, was eine darunter liegende Elektrode detektiert. [Quelle: [8]]

Die daraus resultierende Schwingung der Masseplatte wird so geregelt, dass sich die Resonanzfrequenz der Platte einstellt, um eine maximale Amplitude und damit eine maximale Empfindlichkeit des Sensors zu erzielen. Anderseits wird die Geschwindigkeits-Amplitude konstant gehalten. Eine Rotation um eine Achse senkrecht zur Chipoberfläche führt zu einer Coriolis-Kraft senkrecht zur Bewegungsrichtung der Platte. Auf den Masseplatten befindet sich jeweils ein kapazitiver Beschleunigungssensor, der diese Coriolis-Kraft registriert. Die Auflösung der Drehratensensoren liegt bei 0,1°/s bei Drehraten von 100°/s. Querempfindlichkeiten wie externe Beschleunigungen werden minimiert, indem zwei Masseplatten gegenphasig schwingen. Alternativ können Drehratensensoren als Kammstrukturen in Oberflächemikromechanik aufgebaut werden (Bild 11-34 rechts). Die Kämme werden elektrostatisch zu Schwingungen angeregt und dabei über einen kapazitiven Regelkreis so eingestellt, dass deren Amplitude konstant gehalten wird. Die Coriolis-Kraft bewirkt eine Kippung des beweglichen Kamms aus der Ebene heraus. Diese Kippung detektiert ein kapazitiver Sensor unterhalb dieser Elektrode. Um eine starke Dämpfung durch die Luft zu vermeiden, wird die Sensorumgebung evakuiert. Dieser Sensortyp kann jedoch nicht beliebig verkleinert werden, ohne dabei an Empfindlichkeit einzubüßen. Zudem stellt der geringe Messeffekt höhere Anforderungen an die Elektronik. In einer anderen Realisierung werden die

schwingenden Masseplatten am Rand in x-Richtung mit Kammstrukturen ausgestattet ([18], [11]). Die Coriolis-Kraft lenkt die Platte senkrecht zur Schwingungsebene aus, was von integrierten Elektroden detektiert wird. Alternativ kann das Gyroskop auch in Form einer Stimmgabel aus Quarzglas aufgebaut werden [9], wobei die piezoelektrischen Eigenschaften des Quarzes genutzt werden. Diese Sensoren haben eine sehr hohe Auflösung, benötigen eine geringe Versorgungsspannung und die Auswerte-Elektronik kann relativ einfach gestaltet werden. Allerdings erfordert die Herstellung komplizierte und damit kostspielige Spezialprozesse mit geringen Fertigungstoleranzen. Hauptanwendungsgebiete der Gyroskope sind die Fahrdynamikregelung, der Überrollschutz und die Navigation. Bei der Fahrdynamikregelung werden die Bewegungen um die vertikale Achse gemessen. Die tatsächliche Fahrtrichtung wird mit der geplanten Richtung verglichen und ggf. stabilisierend eingegriffen. Beim Überrollschutz (ROSE, rollover sensing) [13] detektieren zwei Drehraten-Sensoren die Rotation um die Längs- und die Querachse des Fahrzeugs. Gegebenenfalls werden Sicherheitssysteme wie z.B. KopfAirbags aktiviert. Außerdem unterstützen die Drehratensensoren zusammen mit den Raddrehzahlsensoren das Navigationssystem zur Abgleichung der vom GPS ermittelten Position mit der zurückgelegten Distanz.

11.2 Mikrosensoren im Automobil

513

Bild 11-35: Massenflusssensor: Der Strom durch einen Platinmäander wird so geregelt, dass dessen Temperatur konstant ist, auch wenn ein Gas darüber strömt. Aus dem fließenden elektrischen Strom wird der Massenfluss berechnet [Foto: SIEMENS AG]

11.2.3.4 Massenfluss-Sensoren Massenfluss-Sensoren werden meist als HitzdrahtAnemometer realisiert ([8], [9]). Eine dünne Metallschicht fungiert als elektrischer Widerstand, der sich erhitzt, wenn eine Spannung angelegt wird. Wenn ein Gas oder eine Flüssigkeit über diesen Widerstand strömt, wird ein Teil der Wärme durch das Medium abgeführt. Es stellt sich also ein Gleichgewicht zwischen zugeführter elektrischer Leistung und abgeführter thermischer Leistung ein: I 2R

c1 O 'T

(11.6)

mit

O U v c2 ,

(11.7)

der Stromstärke I, dem elektrischen Widerstand R, den Konstanten c1 und c2, der Wärmeleitfähigkeit O, der Dichte U, der Geschwindigkeit v und der Temperaturdifferenz 'T. Im Betrieb wird 'T konstant gehalten, indem der Heizstrom I reguliert wird und der temperaturabhängige Widerstand R konstant gehalten wird. Als Widerstand werden dünne Platinwiderstände verwendet, die in Dünnschichttechnik auf dem Substrat aufgebracht werden. Ein zweiter Widerstand dient als Referenz, um Messfehler zu korrigieren, die beispielsweise auftreten, wenn die Flüssigkeit oder das Gas erhitzt sind (Bild 11-35). Massenflusssensoren werden z.B. zur Erfassung des Luftstroms am Verbrennungsmotor eingesetzt. 11.2.3.5 Reifendrucksensoren Sensoren wandeln physikalische oder chemische Umgebungsbedingungen in elektrische Signale um. Diese werden an ein Auswertesystem weiter geleitet, das die Daten verarbeitet und dem Fahrer z.B. auf

einem Display anzeigt. Gegebenfalls greift das System direkt in das Fahrgeschehen ein. Im Folgenden werden anhand des Reifendrucksensors die einzelnen Komponenten, die im Fahrzeug integriert sind, und ihr Zusammenspiel erläutert. Seit 1.10.2005 müssen in den USA 20 % aller Neuwagen und ab dem 01.09.2007 sogar 100 % mit einem Reifendruck-Kontroll-System (TPMS Tire Pressure Monitoring System) ausgerüstet sein. Zudem ist absehbar, dass die EU und andere Staaten ähnliche Systeme gesetzlich vorschreiben werden. Dies eröffnet einen erheblichen Markt, weshalb inzwischen verschiedene Firmen Batterie betriebene Druck- und Temperatur-Sensoren für Reifen anbieten. Zudem ist die Reifen-Überwachung vorteilhaft für den Fahrer, da ein schlecht eingestellter Reifendruck zu erhöhtem Kraftstoffverbrauch führt. Außerdem beeinflusst dieser die Fahrdynamik negativ und erniedrigt die Fahrsicherheit. Zur Messung des Reifendruckes gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, nämlich die direkte und die indirekte Messung [17]. Indirekt messende Systeme ermitteln beispielsweise den Radius des Reifens aus der Raddrehzahl. Daraus wird der Reifendruck berechnet. Somit können diese Systeme in vorhandene ABS-Systeme integriert werden. Allerdings ist dieses indirekte Verfahren ungenau, da es erst einen Druckunterschied von ca. 0,5 bar detektiert. Zudem kann es nur die relativen Druckänderungen der Fahrzeugreifen untereinander erkennen. Ein gleichmäßiger Druckabfall an allen vier Rädern wird mit einem solchen System nicht detektiert. Daneben wurden Systeme entwickelt, die sowohl den Druck als auch die Temperatur direkt im Reifen messen und über Funk an einen Empfänger senden (siehe Bild 11-36). Dadurch kann jeder Reifen einzeln überwacht werden. Die am Rad oder im Reifen montierte Radelektronik ist mit einem Mikrochip ausgestattet, der die physikalischen Daten auswertet.

514

11 Sensorik

Bild 11-36: TPMS: An Stelle des Ventils wird eine so genannte Radelektronik angebracht (links). In dieser Radelektronik sind Druck- und Temperatur-Sensor, Mikrochip und Batterie eingehäust. Die gemessenen Daten werden an einen Empfänger per Funk übertragen (rechts).

Zudem befinden sich darin ein RF-Sender (RF radio frequency: USA 315 MHz, EU 434 MHz, Japan 315 MHz ), eine RF- und LF-Antenne (LF low frequency, 100–150 Hz) und schließlich noch eine Batterie als Energiequelle. Die Temperatur- und Drucksensoren werden in herkömmlicher MEMS-Technologie gefertigt. Ein Mikrochip steuert die Einheit und bestimmt, in welchen Intervallen Messwerte erfasst und übertragen werden. Dies geschieht beim fahrenden Auto wesentlich häufiger als beim stehenden. Zudem überwacht der Mikrochip die meist notwendige Batterie und die Funktionsfähigkeit der Sensoren. Wird der Sensor von einer Batterie mit Strom versorgt, so liegt eine wesentliche Aufgabe des Mikrochips darin, den Energieverbrauch sparsam zu regeln, um eine lange Lebensdauer der Batterie zu gewährleisten. Der Mikrochip gibt die Messwerte an den Sender weiter, der diese auf ein RF-Signal aufmoduliert und zur RF-Antenne überträgt. Zur Gestaltung der RF-Antennen gibt es zwei Möglichkeiten: das Ventil wird als Antenne verwendet oder die Antenne wird in der Radelektronik integriert. Darüber hinaus dient eine LF-Antenne vor allem dem Hersteller oder dem Service-Personal in der Werkstatt, um den Mikrochip zu programmieren oder zur Identifikation des Rads. Nutzt der Sensor eine Batterie als Stromquelle, so muss sie den extremen Betriebstemperaturen (von –40 °C bis 150 °C) Stand halten. Außerdem muss sie ausreichend Energie über die ganze Lebensdauer des Reifens liefern. Im Vergleich zur Radelektronik sind die Anforderungen an die Empfänger-Auswerte-Einheit niedriger. Die LF-Antennen werden im Radkasten angebracht; RF-Antennen werden aus Kostengründen meist in Leiterplatten integriert. Der dazugehörige Mikrochip

wertet die Druck- und Temperaturdaten aus und gibt ggf. eine Warnung bei starkem Druckverlust oder Unter- bzw. Überdruck an den Fahrer weiter. Direktmessende Systeme sind mit 1 bis 2 % Genauigkeit deutlich präziser als indirekte. Zudem kann jedes Rad unabhängig von den anderen überwacht werden. Neuere Entwicklungen zielen darauf ab, batterielos agierende Sensoren zur Messung des Reifendrucks zu nutzen. Bei Transceiver-Systemen strahlt ein Sender im Radkasten eine elektromagnetische Welle aus. Diese wird im Reifen empfangen und beispielsweise genutzt, um einen Quarz zum Schwingen anzuregen. Dessen Frequenz ist wiederum temperatur- und druckabhängig. Diese Information wird dem Signal aufmoduliert, das zum Empfänger bzw. zur SignalAuswertestation gesendet wird. Darüber hinaus gibt es Überlegungen, Mikro-Generatoren aus Piezoelementen einzusetzen [17]. Diese wandeln die Vibration des Reifens in elektrische Energie um, die zum Messen, zum Senden und zum Empfangen verwendet wird.

11.2.4 Ausblick MEMS-Sensoren erobern immer stärker das Automobil. Navigationssysteme sind inzwischen in Pkws sehr weit verbreitet. Neben der Sprachausgabe wird die Route auf einem Display dargestellt. Dieses befindet sich meist in der Mittelkonsole. Somit ist der Fahrer von der Straße abgelenkt, wenn er sich auf dem Display orientieren will. Dieses Unfallrisiko kann minimiert werden, wenn die entsprechenden Daten in das Blickfeld des Fahrers vor die Windschutzscheibe projiziert werden. Dazu wird ein Head-up-Displays installiert, das die gewünschten Daten wie Orientierungshilfen, Ge-

11.2 Mikrosensoren im Automobil schwindigkeit usw. projiziert. Die Darstellung muss bei unterschiedlichen Witterungen erkennbar sein und darf den Fahrer vom eigentlichen Fahrgeschehen nicht ablenken. Im Head-up-Display wird ein schwacher Laserstrahl über eine MEMS-Optik auf die Frontscheibe projiziert. Dadurch entsteht ein helles, scharfes und kontrastreiches Bild. Neuere Entwicklungen gehen dahin, mit einem einzigen Sensor Beschleunigungen in allen drei Raumrichtungen zu bestimmen ([25], [23], [13]). Die FederMasse-Systeme werden kapazitiv vermessen und sind bis zu r 20 g ausgelegt. Aufgrund ihres geringen Platzbedarfs von ca. 1 mm2 bieten sie ein großes Potential für preisgünstige Sensoren. Zukünftig können biometrische Sensoren in Automobilen integriert werden. Der Fahrer identifiziert sich z.B. durch einen Finger-Tip-Sensor oder er wird von einem optischen Sensor erkannt. Erst dann lässt sich das Fahrzeug starten. Ziel dieser Technologie ist, eine erhöhte Diebstahlsicherheit zu erzielen. Diese Sensoren lassen sich auch nutzen, um den Fahrkomfort zu steigern. Sobald der Fahrer oder die Begleiter erkannt sind, könnten die Sitze in die Position (z.B. Höhe, Neigung der Rückenlehne) gebracht werden, die von der jeweiligen Person gewünscht wird und vorher festgelegt wurde. Darüber hinaus werden derzeit MEMS-Sensoren entwickelt, die das Zünden der Airbags verbessern [19] oder verschiedene Gase wie z.B. COx und NOx im Innenraum detektieren [14]. Arrays aus tausenden von Mikro-Spiegeln (DMD, Digital Micro mirror Devices) werden in die Frontscheinwerfer integriert, um eine adaptierbare und damit bessere Ausleuchtung der Straße zu erreichen ([11], [12]). Historisch betrachtet hat sich die MEMS-Technologie zwar unter anderem aus der Halbleiter-Technologie für die Chip- und Speicherherstellung entwickelt. Aufgrund von unterschiedlichen Temperaturbereichen der Prozessführung, verschiedenen eingesetzten Materialien und anderen Unterschieden schienen die beiden Technologien lange Zeit nicht miteinander kompatibel zu sein. Jedoch benötigt ein MEMS einen Chip, der die Messsignale verarbeitet und auswertet. Dies führte zu hybriden Aufbauten, bei denen das MEMS und der Chip separat gefertigt und später durch Verbindungstechnik und Packaging zu einem System zusammengeführt wurden. Dies erhöht die Gesamtausbeute und ist gerade für kleine Stückzahlen interessant. Außerdem können auch Materialien als Sensoren eingesetzt werden, die nicht CMOStauglich sind. Somit erschließen sich mehr Sensoranwendungen und damit größere Anwendungsfelder. Bei der monolithischen Integration werden der MEMS-Sensor und der Chip auf dem gleichen Substrat in einem gemeinsamen Prozessablauf gefertigt. Dies ist insbesondere bei großen Stückzahlen kostengünstig. Zusätzliche Aufbau- und Verbindungstech-

515 niken sowie Packaging für MEMS-Sensor und Auswerteelektronik entfallen. So wurden inzwischen CMOS-kompatible Fertigungsverfahren zur Herstellung von Beschleunigungssensoren [16] und Gyroskopen [27] evaluiert. Die beiden Integrationsverfahren konkurrieren miteinander in Hinblick auf Preis, Ausbeute und Performance. Ein genereller Trend zu einem der beiden Verfahren kann derzeit nicht festgestellt werden. Die Anforderungen an die Sensoren werden bezüglich Genauigkeit, Temperaturstabilität, Zuverlässigkeit, Eigendiagnose und letztlich vor allem bezüglich des Preises erheblich steigen. Dank des Fortschritts in der Silizium-Technologie werden in Zukunft konventionelle Sensoren immer mehr von Mikrosensoren verdrängt. Sie sind eine Schlüsseltechnologie der Automobiltechnik. Dies zeigt sich auch in der jährlichen Wachstumsrate der Sensoranzahl im Automobil von ca. 10 % [14]. Die MEMS-Sensoren werden sich auf Grund ihrer geringen Dimension und ihres geringen Preises zukünftig weitere Felder im Automobil erobern ([15], [10], [11], [22]). Literatur zu Abschnitt 11.2 MEMS und MEMS-Technologie [1] W. Ehrfeld (Hrsg.): Handbuch Mikrotechnik, HanserVerlag, München, 2002 [2] M. Gad-el-Hak (Hrsg.): The MEMS-Handbook, CRC Press, London 2002 [3] J. W. Gardner et al.: Microsensors, MEMS and Smart Devices, John Wiley & Sons, New York, 2001 [4] J. A. Jackson, W. Schröter (Hrsg.): Handbook of Semiconductor Technology Vol. 2, Wiley-VCH, Weinheim 1998 [5] Y. Nishi, R. Doering (Hrsg.): Handbook of Semiconductor Manufacturing Technology, Marcel Decker Inc., New York, 2000 [6] S. M. Sze: Semiconductor Devices – Physics and Technology, John Wiley & Sons, New York, 1985 [7] F. Völklein, Th. Zetterer: Einführung die Mikrosystemtechnik, Vieweg, Braunschweig, 2000 Mikrosensoren im Automobil [8] BOSCH: Autoelektrik Autoelektronik, 4. Auflage, Vieweg Braunschweig, 2002 [9] J. Marek et al. (Hrsg.): Sensors for Automotive Technology – Sensors Applications Vol. 4, Wiley-VCH, Weinheim, 2003 [10] S. Krueger, W. Gessner (Hrsg.): Advanced Microsystems für Automotive Applications 2001, Springer-Verlag, Berlin, 2001 [11] S. Krueger, W. Gessner (Hrsg.): Advanced Microsystems für Automotive Applications – Yearbook 2002, SpringerVerlag, Berlin, 2002 [12] H. Reichl (Hrsg.): Micro System Technologies 2003, Franzis-Verlag, Poing, 2003 [13] J. Valldorf, W. Gessner (Hrsg.): Advanced Microsystems für Automotive Applications 2004, Springer-Verlag, Berlin, 2004 [14] VDI: vdi-Berichte 1866, Fahrzeugelektronik im Fokus, vdiVerlag, Düsseldorf, 2004

516 Weiterführende Literatur [15] Milliarden mit dem Mikrokosmos, Automobil-Elektronik, 2/2003 [16] J. Chae et al., in: J. Micromech. Microeng. 15 (2005), 336 [17] M. Fischer: Tire Pressure Monitoring, Die Bibliothek der Technik Vol. 243, Verlag moderne Industrie, Landsberg 2003 [18] W. Geiger: Mikrotechnische Drehratengyroskope mit hoher Genauigkeit, Dissertation, Stuttgart, 2002 [19] Th. Gessner: Nanofair 2004, Internat. Symp., Karlsruhe 23.24.11.2004, Bd. 1839 (2004), 77

11 Sensorik [20] G. T. A. Kovacs et al.: Proc. IEEE, Vol. 86 No. 8 (1998), 1536 [21] S. Krueger, in: Elektronik 6/2001, 64 [22] S. Krueger, F. Solzbacher, in: mstnews 1/2003, 6 [23] T. Lehtonen, in: Sensor 2003 Proceedings, 41 [24] C. Meth, in: Electronic Design, 2/1996, 67 [25] R. Reichenbach et al., in: Sensor 2003 Proceedings, 35 [26] H.-P. Trah, R. Müller-Fiedler, in: Physik Journal 1 (2002) Nr. 11, 39 [27] H. Xie, G. K. Fedder, in: J. Aerospace Eng., 4/2003, 65 .

12 Elektrische Aktorik 12.1 Einleitung Die „Pferdestärken“ unserer Kraftfahrzeuge zügeln wir zwar immer noch mit Lenkrad und Bremse, aber zunehmend beeinflussen auch elektromechanische Wandler die Umsetzung unserer Ansprüche an Sicherheit, Komfort, Umweltschutz und niedrige Betriebskosten. Während bei Motoren die effektive Wandlung elektrischer, chemischer oder hydraulischer Energie in Bewegungsenergie im Vordergrund steht, ist die Anwendung elektromechanischer Wandler auf die präzise und schnelle Steuerung oder Aktivierung elektrischer, pneumatischer, hydraulischer, thermischer oder mechanischer Energieflüsse ausgerichtet. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit den Bauprinzipien, den Funktionsweisen und den Rahmenbedingungen für den Einsatz dieser elektromechanischen Wandler ([1], [2]). In die Ausführungen sind thermische Wandler und so genannte „neue Aktoren“ [3] eingeschlossen, da sie die betrachteten Anwendungen sinnvoll ergänzen. Elektroakustische Wandler arbeiten nach ähnlichen Prinzipien wie die unten aufgeführten Aktoren, sind aber nicht Gegenstand der Betrachtungen. Eine weitere Abgrenzung soll auch gegenüber den „Muskeln“ der Hydraulik und Pneumatik vorgenommen werden. Pneumatik- und Hydraulikzylinder werden in der speziellen Fachliteratur ebenfalls als Aktoren bezeichnet. Bei einer Beschränkung auf elektrische Aktoren werden daher Ventile zur Betätigung der Zylinder besprochen, aber nicht die Zylinder selbst.

12.2 Kenngrößen von Aktoren Um das Verhalten von Aktoren in technischen Systemen zu beschreiben, benötigt man eine einheitliche mathematische Darstellung, die jedem Satz an Eingangswerten die Ausgangswerte zuordnet. Für die quantitative Beschreibung des Betriebsverhaltens bietet sich die aus der Elektrotechnik bekannte Netzwerktheorie an (siehe zum Beispiel [3], Seite 177). Hier werden Quellen und Verbraucher als Netzwerkelemente deklariert, die nach Anzahl der äußeren Anschlüsse als Zweipole, Vierpole usw. bezeichnet werden. Danach kann ein Aktor durch einen Vierpol mit zwei Eingangsklemmen und zwei Ausgangsklemmen beschrieben werden, wie in Bild 12-1 dargestellt. Der Vierpol ist dabei ein Bauelement, dessen innere Struktur und Funktionsweise nicht betrachtet wird. Beim Vierpol ist nur der Zusammenhang zwischen

Eingangs- und Ausgangsgrößen bekannt, er wird in Form mathematischer Funktionen dargestellt. Die Bedeutung dieser abstrakten Darstellung ist in Bild 12-1 an einem Elektromagneten gezeigt.

Strom

Hub des Stößels Spannung

Strom

Kraft am Stößel Hub des Stößels

Bild 12-1: Vierpoldarstellung eines Hubmagneten; der Hub des Stößels ist auf den stromlosen Zustand bezogen

Die Parameter derjenigen Funktionen, die Strom und Spannung am Eingang mit den Kräften und Hüben am Ausgang verknüpfen, bezeichnet man als Merkmale des Elektromagneten. Um Aktoren möglichst universell einsetzen zu können, ist man bei der Entwicklung der Aktoren bestrebt, einen eindeutigen und einfachen Zusammenhang zwischen den Betriebskenngrößen herzustellen. Man wird versuchen, durch geeignete Auslegung die Abhängigkeit der Parameter von Umweltbedingungen (beispielsweise Temperaturdrift) minimal zu halten. Technische Systeme sollen außerdem robust sein, damit sich die Merkmale der Aktoren nach einer möglichen Überlastung (beispielsweise kurzzeitige Übertemperatur) nicht dauerhaft ändern. Eine lange Lebensdauer und ein geringer Verschleiß der Aktoren bei normalem Gebrauch wird ebenfalls angestrebt. Der einfachste denkbare Zusammenhang zwischen den beiden Eingangsgrößen und den beiden Ausgangsgrößen ist ein System von zwei linearen Gleichungen. In der Elektrotechnik bezeichnet man die Koeffizienten dieses Gleichungssystems als Vierpolparameter. Bezogen auf einen Proportionalmagneten (siehe Abschnitt 12.3.3) werden in Datenblättern die vier Merkmale Spulenwiderstand (Zusammenhang zwischen Strom und Spannung), Induktion (nur bei dynamischer Ansteuerung wichtig), Strom-KraftKennline bei fester Stößelposition (auch als Verstärkung bezeichnet) und Kraft-Hub-Kennlinie bei festem Strom (entspricht der Steifigkeit) angegeben. Da Elektromagnete nur in einem eingeschränkten Betriebsbereich ein lineares Verhalten aufweisen, gibt man üblicherweise nicht das Merkmal „Steigung der Kennlinie“ an, sondern man trägt der Nichtlinearität insofern Rechnung, indem man die gesamte Kennlinie (Bild 12-2) angibt und einen linearen Bereich spezifiziert, in dem der Anwender die Nichtlinearitäten vernachlässigen kann.

518

12 Elektrische Aktorik

Bild 12-2: Nichtlinearer Zusammenhang zwischen Haftkraft und Spulenstrom für drei verschiedene Elektromagnete (wenn Kolben oder Stößel am Konus anliegt, vgl. Bild 12-4)

Die Vierpoldarstellung wird bei der Systemauslegung zur Berechnung des Betriebsverhaltens genutzt. Falls man bei der Modellierung von Systemen auch noch das Zeitverhalten (die Dynamik) der Aktoren berücksichtigen möchte, ersetzt man die linearen oder nichtlinearen Gleichungen der Vierpoldarstellung durch Differentialgleichungen. Da diese Differentialgleichungen nur Ableitungen und Integrale nach der Zeit enthalten, bezeichnet man sie als „gewöhnliche Differentialgleichungen“ im Unterschied zu den „partiellen Differentialgleichungen“, die zur Simulation physikalischer Systeme mit der Methode der finiten Elemente (FEM) dienen. Eingangs wurde erwähnt, dass die Vierpoldarstellung sich universell auf Aktoren anwenden lässt. Dies wird anhand der Tabelle 12-1 deutlich, die für die in den folgenden Abschnitten besprochenen Aktoren die entsprechenden Eingangs- und Ausgangsgrößen

auflistet. Auch wenn auf Elektromotoren in diesem Kapitel nicht eingegangen wird, wurden sie zum Vergleich in der Tabelle 12-1 aufgenommen. Diejenige der beiden Eingangsgrößen, die direkten Einfluss auf eine der beiden Ausgangsgrößen nimmt, bezeichnet man als steuernde Größe. Das wichtigste Merkmal eines Aktors ist die Verstärkung, das ist das Verhältnis zwischen der gesteuerten Ausgangsgröße und der steuernden Eingangsgröße. Die Wahl der steuernden und der gesteuerten Größen hängt stark von dem physikalischen Wirkprinzip des Aktors ab. Deren geeignete Wahl vereinfacht die mathematische Darstellung und das Verständnis der Arbeitsweise des Aktors erheblich. Da den Aktoren verschiedene Wirkprinzipien zugrunde liegen, empfiehlt sich die Verwendung der steuernden und der gesteuerten Größen gemäß Tabelle 12-2.

Tabelle 12-1: Eingangs- und Ausgangsgrößen verschiedener Aktoren Aktortyp

Eingangsgröße 1

Eingangsgröße 2

Ausgangsgröße 1

Ausgangsgröße 2

Hubmagnet

elektr. Spannung

elektr. Strom

Kraft

Hub, Weg

Pyroaktor

elektr. Spannung

elektr. Strom

Kraft

Hub, Weg

Elektromotor

elektr. Spannung

elektr. Strom

Drehmoment

Drehzahl

Proportionaldruckregelventil

elektr. Spannung

elektr. Strom

hydr. Druck, pneum. Druck

Volumenstrom

Proportionalwegeventil

elektr. Spannung

elektr. Strom

hydr. Druck, pneum. Druck

Volumenstrom

Piezoaktor

elektr. Spannung

elektr. Ladung

Kraft

Hub, Weg

Peltierelement

elektr. Spannung

elektr. Strom

Temperaturdifferenz

Wärmestrom

PTC-Heizer

elektr. Spannung

elektr. Strom

Absoluttemperatur

Wärmestrom

Dehnstoffelement

Temperaturdifferenz

(Wärmestrom)

Kraft

Hub, Weg

12.3 Elektromagnete

519

Tabelle 12-2: Zuordnung der steuernden Eingangsgröße zur gesteuerten Ausgangsgröße für die Aktoren gemäß Tabelle 12-1 Aktortyp

steuernde Eingangsgröße

gesteuerte Ausgangsgröße

Hubmagnet

elektr. Strom

Kraft

Pyroaktor

elektr. Strom

Hub

Elektromotor

elektr. Spannung

Drehzahl

Proportionaldruckregelventil

elektr. Strom

hydr./pneum. Druck

Proportionalwegeventil

elektr. Strom

Volumenstrom

Piezoaktor

elektr. Ladung

Längenausdehnung, Hub

Peltierelement

elektr. Strom

Wärmestrom

PTC-Heizer

elektr. Spannung

Wärmestrom

Dehnstoffelement

Temperaturdifferenz

Volumenausdehnung, Hub

Im Detail soll aber auf die Besonderheiten der einzelnen Aktoren in den folgenden Abschnitten eingegangen werden.

12.3 Elektromagnete Elektromagnete beruhen auf der Wirkung elektromagnetischer Felder. Obwohl Magnete schon seit dem Altertum bekannt sind, bleibt das Magnetfeld aufgrund seiner Wirbelstruktur der Anschauung schwer zugänglich. In elektromagnetischen Wandlern und hier in der speziellen Bauform „Hubmagnet“ wird die in Magnetfeldern gespeicherte Energie zur Erzeugung von Stellbewegungen und zum Halten einer Position mit definierter Kraft genutzt. Zur Erzeugung des magnetischen Feldes dient eine zylinderförmige Spule aus einem isolierten Kupferdraht, die auf einen Träger gewickelt wurde. Zum Schutz vor Umwelteinwirkungen wird diese Spule meistens mit Kunststoff umspritzt, wobei an den Kontakten zugleich ein Steckergehäuse angeformt wird. Speist man diese Spule mit einem elektrischen Strom, so bildet sich im Innern und um die Spule herum ein rotationssymmetrisches Magnetfeld. Betrachtet man sich die Magnete in Bild 12-4 und Bild 12-5 genauer, so erkennt man, dass der Eisenkreis nicht ganz geschlossen ist, sondern dass der bewegliche Ankerkolben von dem festen Konus durch einen Luftspalt getrennt ist. Allerdings ragt der Kolben ein Stück weit über das Joch hinaus, damit auch bei einer Bewegung des Kolbens der Magnetfluss nicht unterbrochen wird. Die Kraft können wir mit Hilfe eines Stößels abgreifen. Falls man der Magnetkraft „nachgibt“, wird dem Magnetfeld Energie entnommen und in mechanische Arbeit gewandelt [2].

Das Betriebsverhalten von Elektromagneten lässt sich auf mehrere Arten beschreiben. Üblich ist die Herleitung aus den Maxwell-Gleichungen. Um das nichtlineare Verhalten des Magneten zu beschreiben, greift man aber auch auf Elemente der Netzwerktheorie zurück. Diese Vorgehensweise hat bei der Synthese neuer Magnetkonstruktionen auch heute noch eine Berechtigung; mit der weiteren Verbreitung von FEM-Simulationsprogrammen hat diese Methode jedoch an Bedeutung verloren [2]. Mit Hilfe von Simulationsprogrammen berechnet man den Energieinhalt eines Magneten W(x, n I) als Funktion des Luftspaltes x und der elektrischen Durchflutung n I (n Anzahl der Windungen der Spule; I Strom durch die Spule). Die zum Luftspalt komplementäre Größe ist die Kraft F, die der Anker des Magneten beim Bestromen der Spule auf den Stößel ausübt. Die zur Durchflutung des Ankers komplementäre Größe ist der magnetische Fluss <. Das heißt, diese Größen können über die partielle Ableitung der Energie W berechnet werden: F ( x, nI )

wW ( x, nI ) , < ( x, nI ) wx

wW ( x, nI ) . w( nI )

Die Kraft-Hub-Kennfelder und die FlussDurchflutungs-Kennfelder werden tabelliert und können als so genannte „Look-up-Tables“ zur Simulation des Betriebsverhaltens verwendet werden. Wie man in Bild 12-3 erkennt, ändert sich die Kraft und der Fluss (außer bei sehr kleinen Luftspalten) nur langsam mit dem Luftspalt und dem elektrischen Strom. Daher kommt man mit relativ wenigen Stützstellen in den Tabellen aus und interpoliert die Zwischenwerte.

520

12 Elektrische Aktorik

a)

b)

Bild 12-3: a) Magnetkraft eines Hubmagneten als Funktion von Luftspalt und Bestromung; für sehr kleine Luftspalte wird die Magnetkraft sehr hoch, dieser Bereich wird durch eine Antiklebscheibe unzugänglich gemacht und ist hier nicht dargestellt; b) Fluss eines Hubmagneten als Funktion von Luftspalt und Bestromung

Die Änderung des Magnetflusses mit der Zeit induziert eine elektrische Spannung U an den Klemmen (je nach Orientierung der Zählrichtungen von < und U zueinander erhält man ein positives oder negatives Vorzeichen): U

d< ( x, nI ) . dt

Für die Kräftebilanz muss noch die Reibung, beschrieben durch den Viskositätsbeiwert K und die Reibkraft F ( x ) , und die Kraft zum Spannen der Rückstellfeder (Federkonstante c; siehe hierzu auch Bild 12-4) berücksichtigt werden. Außerdem treten im Stromkreis ohmsche Verluste am Widerstand R auf: mx K x cx F ( x ) , d< ( x, nI ) RI . dt

F ( x, nI ) U

Diese beiden Differentialgleichungen beschreiben das „quasistatische“ Betriebsverhalten von Elektromagneten und können unter Verwendung der Kennfelder numerisch gelöst werden. Die Koeffizienten in der Differentialgleichung sind die Vierpolparameter des Elektromagneten. „Quasistatisch“ bedeutet, dass bei der Berechnung des Magnetflusses die Wirbelstromverluste vernachlässigt werden. Diese Wirbelstromverluste entstehen durch Induktion von Spannungen in Teilen des Eisenkreises. Für Schaltvorgänge, die schneller als etwa 10 ms sind, müssen diese Effekte berücksichtigt werden; in den üblichen Elektromag-

neten, wie sie in der Praxis zum Einsatz kommen, spielen Wirbelstromverluste jedoch eine untergeordnete Rolle. Die Anwendungsgebiete von Magneten in Kraftfahrzeugen lassen sich grob in elektrische Relais, Verriegelungsmagnete und Proportionalmagnete für Ventile einteilen.

12.3.1 Elektrische Relais Elektrische Relais sind überwiegend Klappankermagnete. Der bewegliche Klappanker [2] bildet den Mittenkontakt eines elektrischen Schalters; beim Bestromen der Relaisspule bildet der Kontakt am Klappanker eine niederohmige elektrische Verbindung mit einer feststehenden Kontaktzunge. Relais sind in der Lage, sehr hohe Ströme zuverlässig und verlustarm zu schalten. Ebenso werden sehr hohe Spannungen auch im Fehlerfall zuverlässig galvanisch getrennt. In diesen Anwendungsbereichen sind elektromechanische Relais auch heute noch Transistorschaltern überlegen. Ein Beispiel dafür ist die Betätigung des Starters, der kurzzeitig einen Strom von bis zu 200 A benötigt. In anderen Anwendungen, z.B. dem „Blinkrelais“, dessen Schaltgeräusch den Fahrer über eine Blinkerbetätigung informierte, sind Relais teilweise durch verschleißfreie Elektronik verdrängt oder in der Funktion ergänzt worden.

12.3.2 Verriegelungsmagnete Verriegelungsmagnete dienen dem Unterbrechen oder der Freigabe eines mechanischen Kraftschlusses. Dies lässt sich an einem Pkw-Türschloss verdeutlichen.

12.3 Elektromagnete Die Tür bleibt so lange geschlossen, bis ein Insasse die Tür mechanisch am Türgriff öffnet. Schaltmagnete in der Zentralverriegelung unterbrechen beim Verriegeln die mechanische Verbindung zwischen dem Türgriff und dem Riegel im Schloss. Schaltmagnete für Verriegelungen sind ziehende oder drückende Hubmagnete (Bild 12-4). Diese Magnete sind so ausgelegt, dass sie eine bestimmte Hubarbeit zum Betätigen der Verriegelung erbringen. Das bedeutet, dass ein nichtlinearer Verlauf der Magnetkraft über dem Hub in gewissen Grenzen zulässig ist, solange die vom Magneten erbrachte Hubarbeit größer als die benötigte Hubarbeit ist. Das Verhältnis der vom Magnet erbrachten Arbeit zur der benötigten Arbeit ist ein Maß für die Auslösesicherheit der Verriegelung. Das Verhältnis der zur Aktivierung benötigten Energie zu der in das System eingebrachten Fremdenergie, die zu einer Fehlauslösung der Verriegelung führt, bezeichnet man als Störsicherheit. Hubmagnete zeichnen sich durch eine hohe Störsicherheit bezüglich elektrischer Störungen aus; weitere Störgrößen sind Vibrationen oder Schläge, die den Anker des Hubmagneten beschleunigen und die für die Beurteilung der Störsicherheit berücksichtigt werden müssen. Diese Beschleunigungen können durch eine vorgespannte Feder zuverlässig unterdrückt werden. Auch ein entsprechend ausgelegtes Hebelsystem zur Übertragung der Stellbewegung entkoppelt den Magneten von mechanischen Rückwirkungen und vermeidet Fehlauslösungen.

Bild 12-4: Aufbau eines ziehenden Hubmagneten [Quelle: Thomas Magnete]

Besonderes Augenmerk muss den beiden Endlagen des Verriegelungsmagneten gewidmet werden. Der zum Erreichen der Auslösesicherheit nötige Überschuss an kinetischer Energie muss in den beiden Endanschlägen abgebaut werden, ohne dass ein mögliches Prellen die Verriegelungsfunktion beeinträchtigt. Der „Aufschlag“ erzeugt ein deutlich hörbares Geräusch, das sich im Innenraum des Fahrzeugs

521

störend bemerkbar macht. Beim häufigen Betätigen des Magneten kann es zusätzlich zu Lebensdauerproblemen kommen, da die Schaltschläge hohe Materialbeanspruchungen darstellen. Die Reduzierung der Materialbelastung muss je nach Anwendung durch eine entsprechende Detailkonstruktion gelöst werden. Die beiden Endpositionen sollen je nach Anwendung sehr lange Zeit gehalten werden, während unter Umständen nur eine kurze Schaltzeit von wenigen Millisekunden erwünscht ist. Dies stellt besondere Anforderungen an das Energiemanagement der Anwendung. Kurze Schaltzeiten erfordern Konstruktionen, die niedrige mechanische und magnetische Trägheit aufweisen. Da die erreichbare Magnetkraft an das Bauvolumen des Magneten gekoppelt ist, hat ein „kräftiger“ Magnet auch eine lange Schaltzeit. Um kurze Schaltzeiten zu erreichen, muss man mit einer möglichst hohen Erregerspannung die Trägheit des Magnetfeldes überwinden und anschließend den Maximalstrom begrenzen, um eine thermische Überlastung des Magneten zu verhindern. Während der langen „Haltezeit“ des Magneten entstehen laufend elektrische Verluste am Kupferwiderstand der Spule, die aus der Spannungsquelle ergänzt werden müssen, um das magnetische Feld aufrecht zu erhalten. Ein Ansatz, diese Verluste zu minimieren, besteht darin, die „Haftkraft“ des Magneten zu nutzen. Wie man es von Permanentmagneten kennt, haften diese mit sehr großer Kraft aneinander. Auch Elektromagnete zeigen einen extrem nichtlinearen Zusammenhang zwischen Kraft und Hub bei sehr kleinen Luftspalten. Dieses Verhalten nutzt man bei Haftmagneten aus, um den Haltestrom (bei einem kleinen Luftspalt) bis zu einem Faktor 10 gegenüber dem für das sichere Betätigen des Magneten (bei einem großen Luftspalt) nötigen Arbeitsstrom abzusenken (siehe auch Bilder 12-2 und 12-3a). In anderen Anwendungen wird der Magnet nur zum Betätigen einer mechanischen Umschaltvorrichtung eingesetzt. Diese mechanische Vorrichtung arbeitet ähnlich wie ein Kugelschreiber; damit bleibt der Magnet während der Haltephase stromlos und benötigt keine elektrische Leistung. Ein interessanter Ansatz ist die Verwendung von Permanentmagneten. Die mechanische Vorrichtung wird durch einen Magneten ergänzt, der mit seinem remanenten magnetischen Fluss den Anker in einer oder beiden Endpositionen hält. Erzeugt man ein entgegengesetzt gepoltes Magnetfeld durch eine oder zwei Kupferdrahtspulen, so kann man den magnetischen Fluss kompensieren oder umkehren. Je nach Richtung des eingeprägten Stromes kann man damit den „bistabilen Hybridmagneten“ zwischen den beiden Positionen hin und her schalten. Basierend auf diesen Konstruktionsprinzipien haben Schaltmagnete eine weite Verwendung gefunden. Nicht nur zum Verriegeln von Türschlössern, Klap-

522 pen, Faltverdecken oder für andere Schließfunktionen werden heute Magnete eingesetzt. Auch in der klassischen Anwendung, bei der das Ritzel des Starters in die Antriebswelle eingekuppelt wird, kommt ein Hubmagnet zum Tragen. Besondere Bedeutung haben sie über Komfortanwendungen hinaus in der Sicherheitstechnik gefunden. Die Überrollschutzbügel von Cabrios sind heute hinter den Sitzen versenkt und können beim Überschlag schnell durch Federpakete ausgefahren werden. Um diese Überrollschutzsysteme oder auch andere Personenschutzsysteme zu aktivieren, kommen überwiegend Entriegelungsmagnete zum Einsatz. Ein weiterer, kommender Markt sind so genannte ByWire-Systeme mit mechanischer Rückfallebene. Bei Ausfall oder Störung der Elektronik muss dabei eine feste Kopplung beispielsweise zwischen Lenkrad und Lenkung oder zwischen Bremspedal und Bremszylinder hergestellt werden. Diese Aufgabe übernehmen Verriegelungsmagnete, die im Fehlerfall oder bei bestimmten Betriebszuständen die mechanischen Rückfallsysteme einkoppeln. In Steer-by-Wire-Systemen stellt beispielsweise ein ziehender Hubmagnet (siehe auch Bild 12-4) im stromlosen Zustand die feste mechanische Kopplung zwischen Lenksäule und Zahnstange des Lenkgetriebes her. Nur wenn die Elektronik störungsfrei funktioniert, wird der Magnet bestromt, die Lenksäule entriegelt und anschließend der Haltestrom des Magnets auf Werte von wenigen hundert Milliampere abgesenkt.

12.3.3 Proportionalmagnete für Ventile Proportionalmagnete sind Hubmagnete, die sich durch eine besondere Kraft-Hub-Charakteristik auszeichnen. Durch eine entsprechende Gestaltung des Konus erreicht man, dass innerhalb bestimmter Grenzen die Kraft vom Hub unabhängig ist und oberhalb eines Schwellenstroms fast linear vom Spulenstrom abhängt. Konstruktiv gesehen unterscheiden sich Proportionalmagnete nur in einigen Details von Schaltmagneten (siehe Bild 12-5). Diese Details beziehen sich hauptsächlich auf Maßnahmen, um die Reibung des beweglichen Ankerkolbens und der Ankerstange in den Lagern zu minimieren. Denn in der Anwendung ist es erwünscht, dass die Ankerposition mit sehr hoher Auflösung und reproduzierbar angefahren werden kann, um damit präzise Stellglieder zur Verfügung zu haben. Die Wiederholgenauigkeit, die Auflösung, die Hysterese und die Dynamik der Magnete bestimmt in der Regel die Performance der gesamten Regelstrecke, in welcher der Proportionalmagnet das Stellglied ist. Die oben genannten Einschränkungen im Stellglied können durch den Regelkreis nur teilweise ausgeregelt werden. Dynamik bedeutet dabei, dass die Ankerposition bei einer sprunghaften Änderung der Spulenspannung genügend schnell und ohne Überschwingen dem

12 Elektrische Aktorik Eingangssignal folgt. Ebenso dürfen im Gesamtsystem keine Instabilitäten auftreten, etwa der Art, dass bei konstantem Eingangssignal der Anker um eine Gleichgewichtslage schwingt. Die Anforderungen erfüllt man, indem man durch geeignete Lagerung und durch die Entkopplung von Querkräften ein Haften und Kleben vermeidet, aber eine definierte Dämpfung erreicht.

Bild 12-5: Schnittbild eines Drosselventils mit Proportionalmagnet [Quelle: Thomas Magnete]

Proportionalmagnete werden in Kraftfahrzeugen überwiegend zum Betätigen von hydraulischen oder pneumatischen Ventilen eingesetzt. Klappen, wie zum Beispiel im Abgastrakt, in der Luftmengensteuerung und der Klimatechnik eingesetzt, sind nur in weiterem Sinn als Ventile zu betrachten. Zur Betätigung der Klappen dienen thermische Aktoren (siehe unten), Elektromotoren oder spezielle Magnetbauformen. Der überwiegende Anteil der auf dem Markt befindlichen Ventile sind so genannte Cartridge-Ventile. Hier wirkt der Stößel des Magnetankers auf einen beweglichen Schieber ein. Dieser Schieber läuft in einer Hülse, die entweder durch eine Fügestelle mit dem Magneten verbunden ist, oder aber der Magnetkonus und die Hülse sind entsprechend Bild 12-5 aus einem Stück gefertigt. Damit wird eine hohe Präzision in der Führung des Schiebers bei einer kleinen Baulänge erreicht. Hülse und Schieber sind in der Regel rotationssymmetrisch; eine Reihe von Nuten und Bohrungen bilden Kammern, die vom Fluid durchströmt werden. In Bild 12-5 bildet der grüne Schieber im Innern der Hülse eine Kammer, die durch Bohrungen mit dem Ablauf verbunden ist. In der Wand der Hülse befindet sich eine kleine Bohrung (beim Zulauf), die mit dem Ölreservoir verbunden ist. Je nach Position des Schiebers wird diese Bohrung teilweise verdeckt und bildet eine variable Blende, die den Volumenstrom vom Zulauf androsselt. Bild 12-6 zeigt den Volumenstrom durch diese Drossel bei einer festen Druckdifferenz über dem Ventil als Funktion des Spulenstroms.

12.3 Elektromagnete

523

Bild 12-6: Durchfluss-Strom-Kennlinie eines Drosselventils mit Proportionalmagnet bei festem Differenzdruck; die Hysterese ist kleiner als 0,07 l/min [Quelle: Thomas Magnete]

Weiter oben wurde erwähnt, dass die von Proportionalmagneten erzeugte Kraft proportional zum Spulenstrom ist. Lässt man den Ankerstößel über den Schieber gegen eine Drahtfeder drücken, so wird die Feder zusammengedrückt. Der Weg der Feder ist proportional zur Magnetkraft und damit proportional zum Strom. Da die Magnetkraft weitgehend unabhängig vom Hub ist, hängt der Magnethub nur von dem Strom und der Steifigkeit der Feder ab. Die Kennlinie in Bild 12-6 bildet somit über die Blendenöffnung den Spulenstrom in einen Volumenstrom (Durchfluss) ab. Die Form der Kurve ist damit über die Abhängigkeit der (von den „Steuerkanten“ des Schiebers) freigegebenen Fläche vom Ankerhub definiert. Durch entsprechende Gestaltung der Steuerkanten und der Öffnungsquerschnitte in Form von Bohrungen, Schlitzen, Kerben (so genannter Feinsteuerkanten) lässt sich die Durchflusskennlinie in weiten Grenzen beeinflussen. Da der Durchfluss vom Weg des Schiebers abhängt, spricht man hier von Wegschieberventilen. Eine andere Klasse von Ventilen erhält man, wenn der Schieber die radialen Steuerbohrungen nicht axial überfährt, sondern eine axiale Steuerbohrung verschließt oder öffnet. In diesem Fall spricht man von Sitzventilen, die überwiegend als Schaltventile, Rückschlagventile oder als Druckregler zum Einsatz kommen. In Bild 12-5 ist ein grüner Schieber dargestellt, der von einer Längsbohrung durchsetzt ist. Diese Bohrung sorgt dafür, dass an beiden Stirnflächen des Schiebers der gleiche hydraulische Druck herrscht. Falls die Bohrungen im Schieber so angeordnet sind, dass über den Stirnflächen des Schiebers ein Differenzdruck entsteht, so wirkt die Druckkraft am Schieber parallel zur Magnetkraft. Diese Druckkraft wirkt

sich auf die Bewegung des Schiebers aus. Wenn die Druckkraft die Magnetkraft überschreitet, kann man die Steuerbohrung so anordnen, dass der Zulauf von Drucköl unterbunden wird. Der Druck in der Kammer baut sich dann über Lecköl zum Tank hin ab und die Gegenkraft zur Magnetkraft sinkt solange, bis wieder Drucköl in die Kammer einströmen kann. Der Druck regelt sich in der Kammer des Schiebers auf ein Niveau ein, das proportional zum Quotienten aus der Magnetkraft und der Stirnfläche des Schiebers ist. Nach diesem Prinzip lassen sich Druckregelventile bauen. Wegeschieberventile, Druckregelventile und Sitzventile kommen überall dort im Kraftfahrzeug zum Einsatz, wo hohe Kräfte zur Unterstützung des Fahrers benötigt werden. Dies gilt für Bremsen, Lenkunterstützung (Servolenkung), Automatikgetriebe, automatisierte Schaltgetriebe, Kupplungen und Fahrwerk (Federung, Stoßdämpfer, aktive Fahrwerke). Auch im Bereich des Motormanagements finden Hydraulikventile für die Nockenwellenverstellung, bei der Schmierölverteilung und bei der Kraftstoffdosierung (z.B. bei Common-Rail-Systemen) Anwendung. Weitere mögliche Anwendungen liegen in der Klimatechnik. Hier ist die Minderung von Schadstoffemission bei kaltem Motor sowie der Ersatz von FCKWhaltigen Kältemitteln das Ziel. Da vor allem Dieselmotoren wegen des hohen Wirkungsgrades nicht mehr genügend Wärmeleistung zur Verfügung stellen, deutet sich bei Klimaanlagen und Zuheizern ein weiterer Bedarf an Aktoren und insbesondere an präziseren Stellelementen an (siehe auch Abschnitt 12.6). Hydraulische Systeme sind durch erhebliche Entwicklungsanstrengungen heute ausgereifte, zuverlässige, preisgünstige und sichere Systeme. In Kombination mit Sensoren, elektronischen Steuergeräten und

524 ergänzend zu mechanischen Rückfallsystemen unterstützen Hydrauliksysteme den Fahrer in vielen Bereichen. Selbst Komfortfunktionen wie das Öffnen der Kofferraumklappe und die Faltdachverstellung in Cabrios werden von Hydrauliksystemen übernommen. Dynamik, Zuverlässigkeit und Feinfühligkeit hängen dabei sehr stark von den elektromechanischen Aktoren ab, die für die Umsetzung der Steuersignale in mechanische Stellbewegungen sorgen.

12.4 Pyrotechnische Aktoren Pyrotechnische Aktoren werden in vielen Sicherheitssystemen, wie beispielsweise dem Airbag, eingesetzt. Sie nutzen die in Explosivstoffen gespeicherte chemische Energie, um sehr schnell heiße Gase zu erzeugen, was wiederum hohe Drücke aufbaut. Das Kernstück eines solchen Aktors ist ein so genannter Anzünder. Dieses Element besteht aus einem elektrischen Widerstand, der in einem Plastikgehäuse hermetisch dicht eingekapselt ist. Der Widerstand besteht aus einem kleinen Keramikplättchen, das mit einer dünnen, leitfähigen und hochtemperaturbeständigen Schicht versehen ist. Die Schicht wird mit zwei Metallstiften kontaktiert, die über einen speziellen Stecker, den Retainer, mit einem elektrischen Steuergerät verbunden werden (Bild 12-7). Dieser Stecker schließt die Anschlüsse des Zünders kurz, solange keine elektrische Verbindung zum Steuergerät besteht. Sobald bei der Montage die Kontaktierung erfolgt, werden die Kurzschlussbügel mechanisch gespreizt und der Kurzschluss wird aufgehoben. In der Ausgangsstufe des Steuergerätes sorgt ein hochohmiger Ableitwiderstand dafür, dass keine kritischen elektrostatischen Spannungen aufgebaut werden. In dem Gehäuse sind wenige Milligramm einer explosiven Substanz eingebracht. Durch einen Stromstoß wird der Zündwiderstand auf Temperaturen über 1000 °C erhitzt und zündet das Pulver. Dabei entsteht ein Gas, das eine sehr hohe Temperatur aufweist und hohe Drücke aufbaut. Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass die „Zündbereitschaft“ des Anzünders nicht vorab getestet werden kann. Daher werden sehr hohe Anforderungen an die hermetische Dichtheit der Kapsel und an die Qualitätssicherung bei der Fertigung gestellt. Auch seitens des Anwenders muss sorgfältig abgewogen werden, wie man einen tragbaren Kompromiss zwischen der Auslösesicherheit, dem Auftreten von Fehlauslösungen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten findet. In Kraftfahrzeugen werden diese Anzünder in zwei Anwendungsarten eingesetzt. In Airbags sind um die Kapsel des Anzünders herum Pellets des „Gasgenerators“ angeordnet. Die Pellets bestehen aus einem Material, das nicht explosiv ist, aber bei definierten Temperaturen schnell unter Entwicklung eines hohen

12 Elektrische Aktorik Gasvolumens abbrennt. Die Pellets sind von einem Filtervlies umgeben, das den eigentlichen Airbag vor Beschädigung durch Funken schützt. Das beim Abbrennen freiwerdende Gas bläst den Airbag auf, der um den Gasgenerator zusammengefaltet ist. Je nach Anwendung ist es sinnvoll, Abbrenngeschwindigkeit, Gastemperatur und Volumen zu beeinflussen. Hohe Temperaturen und ein explosionsartiges Aufblasen des Airbags können die Insassen schädigen. Daher werden die Pellets oft aus einer Mischung verschiedener Stoffe hergestellt. Ein Teil setzt durch exotherme Reaktionen Energie frei, ein anderer Teil zersetzt sich durch endotherme Reaktionen unter Bildung großer Gasvolumina und verlangsamt die Abbrenngeschwindigkeit. Durch Schichtung dieser Stoffe im Generator wird der Druckaufbau und damit die „Härte“ des Airbags zu verschiedenen Zeitpunkten nach dem Zünden beeinflusst. Man erreicht damit eine schnelle Entfaltung des Airbags und danach einen Druckabfall. Damit kann man den Insassen weich abfangen, sobald er in Kontakt mit dem Airbag gekommen ist. Teilweise sind die Explosivstoffe im Gasgenerator giftig oder wassergefährdend. Daher ist es wichtig, dass vor der Entsorgung von Altautos der Airbag ausgelöst wird, damit während der Verwertung eine Gefährdung von Menschen vermieden wird und keine giftigen Stoffe in die Umwelt gelangen können. Im „Windschatten“ der Airbaganwendungen kommt der Anzünder heute auch in weiteren Sicherheitseinrichtungen zum Einsatz. Die im Anzünder frei werdende Energie reicht nämlich aus, um einen kleinen Metallkolben zu betätigen (vgl. Bild 12-7). Der Metallkolben kann zum Entriegeln mechanischer Federn benutzt werden, die beispielsweise zum Ausfahren von Überrollschutzbügeln genutzt werden. Eine weitere, weit verbreitete Anwendung ist der Batterietrenner, der bei Unfällen die Batterie vom Bordnetz trennt. Damit werden unkontrollierbare Kurzschlüsse vermieden und die Brandgefahr bei Unfällen gemindert. Diese Anwendungen stehen in einem gewissen Wettbewerb zu Magnetaktoren. Da Magnetaktoren reversibel sind und eine wesentlich höhere Störfestigkeit aufweisen, ist bei den Magnetaktoren sowohl die Folge einer Fehlauslösung als auch die Gefahr einer Nichtauslösung geringer. Dem steht der kleinere Bauraum, das geringere Gewicht und die niedrigere Ansteuerenergie der Pyroaktoren entgegen. Daher kommen heute beide Techniken zum Einsatz. Die Entscheidung für das eine oder andere System wird dabei von wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt.

12.5 Piezo-Aktoren

525

beweglicher Kolben Expansionsraum für heißes Gas

druckfestes Gehäuse Anzünder Retainerstecker

Bild 12-7: Pyrotechnischer Aktor zum Entriegeln der Überrollschutzbügel in Cabrios [Quelle: Thomas Magnete]

Eine wichtige Forderung an Sicherheitssysteme ist eine vom Bordnetz unabhängige Energieversorgung (Energieautarkie). Durch den Unfall kann es zum Ausfall des Bordnetzes kommen, weil die Batterie vom Bordnetz getrennt wurde. Ein weiterer Aspekt sind Kurzschlüsse, wenn Kabel durchtrennt werden. Daher sind Steuergeräte für Sicherheitsanwendungen mit Kondensatoren ausgerüstet, die nach Einschalten der Zündung aufgeladen werden und dadurch die Energieautarkie herstellen. Da die in einem Kondensator geladene Energie quadratisch zur Ladespannung ansteigt, lädt man zuweilen die Kondensatoren mit einer Ladungspumpe auf eine Spannung oberhalb der Bordnetzspannung auf. Beim Einsatz von Magnetaktoren kann dadurch die Schaltzeit verkleinert werden; bei Pyroaktoren wird so der Bauraum für die Kondensatoren verringert.

Bild 12-8: Piezo-Aktor: a) ohne Isolierung, b) mit Isolierung, c) mit umgebender Rohrfeder [Quelle: Siemens VDO]

Ein Stapel mit einer Höhe von 50 mm ist damit in der Lage, einen Hub von etwa 50 Pm zu bewerkstelligen. Dieser Hub kann mit sehr hoher Geschwindigkeit ausgeführt werden; die damit erzielbare Kraft ist nur durch die Steifigkeit des sehr harten Keramikmaterials begrenzt. Der Stapel ist sehr druckfest; beim Auftreten von Zug- oder Querkräften kann der Stapel allerdings brechen. Ebenso können die hohen Beschleunigungen, die im Betrieb auftreten, dynamische Zugkräfte bewirken, die auf die Dauer Delaminationseffekte im Stapel verursachen. Dies wird dadurch kompensiert, dass der Stapel durch eine Rohrfeder vorgespannt wird (Bild 12-8c).

12.5 Piezo-Aktoren Ein Piezo-Aktor besteht aus dünnen Scheiben aus Keramik, die mit Metallelektroden versehen sind. Diese Scheiben sind aufeinandergestapelt, laminiert und kontaktiert (siehe Bild 12-8a). Legt man an die Elektroden eine elektrische Spannung an, so bewirkt das elektrische Feld eine Dehnung von maximal 1/1000 der Höhe senkrecht zu den Elektrodenflächen. Die elektrische Feldstärke, die diese Dehnung bewirkt, liegt in der Größenordnung von 2000 V/cm. Deswegen versucht man trotz des damit verbundenen Aufwandes möglichst dünne Scheiben herzustellen, damit die nötige Ansteuerspannung auf Werte um die 100 V begrenzt bleibt [3]. Die zum Betrieb des Aktors benötigten Feldstärken liegen nahe der Durchbruchfeldstärke von Luft. Daher muss man besondere Sorgfalt bei der Isolierung des Stapels walten lassen, um Kurzschlüsse und Kriechströme entlang der Oberfläche zu unterdrücken (Bild 12-8b).

Bild 12-9: Injektor zur Kraftstoffeinspritzung mit PiezoAktor [Quelle: Siemens VDO]

Zum Halten einer Position benötigen Piezo-Aktoren keine elektrische Leistung. Außerdem zeichnen sie sich durch eine gute Dynamik aus. Dem steht die relativ hohe Ansteuerspannung als Nachteil entgegen. Damit ist die Piezotechnik nur schwer in Batterie gestützten Anwendungen einsetzbar. Da PiezoAktoren elektrisch gesehen kapazitive Lasten darstellen, nehmen bei schnellen Ansteuersignalen auch die elektrischen Verluste zu. Die damit verbundene Er-

526 wärmung und Probleme mit der Haltbarkeit der Piezostapel sind erst in den letzten Jahren gelöst worden. Damit haben sich die Piezo-Aktoren eine wichtige Anwendung als Injektoren zur Kraftstoffeinspritzung in Motoren erschlossen. Die großen Nichtlinearitäten des Piezoeffektes fallen bei den Schaltanwendungen nicht ins Gewicht. Die gute Reproduzierbarkeit und der kleine Hub erlauben jedoch eine präzise Dosierung kleinster Kraftstoffmengen (Bild 12-9). Aufgrund der hohen Kraft der Stapelaktoren ist es möglich, die Treibstoffe unter hohem Druck in den Zylinder einzuspritzen und dadurch sehr fein zu zerstäuben.

12.6 Thermische Aktoren 12.6.1 Peltierelemente Als Peltiereffekt bezeichnet man die Erscheinung, dass ein elektrischer Strom durch ein so genanntes Peltierelement eine Temperaturdifferenz an den beiden Platten des Elements hervorruft. Der Peltiereffekt ist damit der inverse Thermoeffekt, bei dem eine Temperaturdifferenz an den Enden des Thermoelementes einen elektrischen Strom verursacht. Je nach Richtung des Stroms erwärmt sich eine der Platten, während sich die zweite Platte abkühlt. Die pro Zeiteinheit transportierte Wärmemenge ist dabei proportional zum elektrischen Strom. Ein Wärmetransport baut immer eine Temperaturdifferenz auf. Umgekehrt hat eine Temperaturdifferenz immer einen Wärmetransport zur Folge. Daher wird sich die Temperaturdifferenz nur solange erhöhen, bis die inneren und äußeren Wärmeflüsse gleich dem durch den Peltiereffekt erzeugten Wärmefluss sind. In der Anwendung wird das Peltierelement durch eine Stromquelle gespeist. Die elektrische Leistung wird zum einen am Bahnwiderstand des Elements in Wärme umgesetzt, zum anderen in einen Wärmestrom von der kalten zur warmen Seite. Parallel zu diesem Strom erfolgt aber eine Wärmeleitung in die Gegenrichtung von der warmen zur kalten Seite. Diese Wärmeleitung mindert die Kühlleistung des Peltierelements und kann nur bis zu einem gewissen Grad beeinflusst werden, denn physikalisch ist eine gute elektrische Leitfähigkeit an eine gute Wärmeleitfähigkeit gekoppelt. Der Wirkungsgrad von Peltierelementen ist damit prinzipiell sehr klein. Handelsübliche Peltierelemente bestehen aus zwei Keramikscheiben, die jeweils auf der einen Seite metallisiert sind, um einen besseren Wärmeübergang zu gewährleisten (siehe Bild 12-10). Auf der Innenseite befinden sich zwei strukturierte Halbleiterschichten, die Träger des Peltiereffektes sind. Die beiden Keramikscheiben werden über Stege miteinander verbunden. Die metallisierten Außenseiten sind dann je nach Stromrichtung der heiße und der kalte

12 Elektrische Aktorik Pol. Zwischen den Stegen befinden sich die elektrischen Anschlusskabel.

Bild 12-10: Peltierelement, Abmessungen: 30 mm u 30 mm u 3,6 mm; Kühlleistung bis zu 34,5 W, Temperaturdifferenz bis zu 71 K [Quelle: Quick-Ohm]

Peltierelemente werden oft zur Kühlung thermisch hoch belasteter Halbleiterbauelemente eingesetzt, z.B. der CPU von Rechnern. Das Peltierelement wird hierbei direkt mit einer Wärmeleitpaste auf das zu kühlenden Bauelement geklebt. Die „heiße“ Seite des Peltierelements ist mit einem Kühlkörper versehen, dessen Oberfläche durch Rippen und Stege stark vergrößert ist. Um im engen Gehäuse die Wärme besonders effektiv abzuführen, werden die Rippen mit einem Miniaturventilator angeblasen. Gebräuchlich sind auch Getränkekühler, die z.B. über den Zigarettenanzünder betrieben werden können. Das Peltierelement ist im Deckel des Kühlschranks eingebaut. Dabei muss darauf geachtet werden, dass keinerlei mechanische Spannungen oder Stöße auf das Peltierelement übertragen werden, da diese Elemente sehr leicht brechen. Auf der warmen Seite des Peltierelementes wird die Wärme über einen Kühlkörper mit großer Oberfläche abgeführt. Um den Wirkungsgrad des Kühlers zu verbessern, wird mit einem Gebläse an diesem Kühlkörper eine Konvektion erzwungen. Peltierelemente zeichnen sich durch eine geringe Baugröße aus und sind einfach anzuwenden. Trotzdem haben sie in der Klimatechnik aufgrund ihres sehr kleinen Wirkungsgrades über die oben genannten Anwendungsfälle hinaus keine weite Verbreitung gefunden.

12.6.2 PTC-Heizer Der elektrische Widerstand der Metalle erlaubt es, über eine Drahtwicklung überall, wo Wärme benötigt wird, entsprechend Heizleistung zuzuführen. Die erzeugte Wärmeleistung ist dabei gleich dem Produkt aus dem elektrischen Strom und der Spannung. Allerdings ist die damit erzeugte Temperatur nur schlecht steuerbar, so dass vielfach aufwändige Temperaturregelungen benötigt werden, um eine Überhitzung zu

12.6 Thermische Aktoren vermeiden. Die weiter unten erwähnten Bimetallschalter und Dehnstoffelemente erlauben in Kombination mit einem elektrischen Schalter eine einfache Temperaturregelung. Eine andere Möglichkeit bietet sich durch den Einsatz modifizierter Piezokeramiken, die einen starken positiven Temperaturkoeffizienten (PTC) aufweisen. Basismaterial der Heizer sind dotierte PerowskitKeramiken, die auch als Basismaterialien für PiezoAktoren verwendet werden. Die Dotierung ist durch bestimmte Verfahrensschritte inhomogen in den Materialien verteilt. Der PTC-Effekt beruht auf einer Wechselwirkung der elektrischen Ladungsträger mit den piezoelektrischen Eigenschaften des Materials. Die Keramiken sind bei Temperaturen oberhalb der so genannten Curietemperatur schlecht leitend und haben einen Widerstand von mehreren Kiloohm. Bei fester Betriebsspannung beträgt damit die in diesen Elementen erzeugte Wärmeleistung nur wenige Milliwatt. Unterhalb der Curietemperatur entstehen in der Keramik Polarisationsladungen, die die Barrieren für den Ladungsträgertransport kompensieren. Der Widerstand der Heizelemente sinkt daher schon wenige Grad unterhalb der Curietemperatur auf Werte um wenige Ohm. Bei fester Betriebsspannung steigt damit die im Heizelement erzeugte elektrische Leistung auf mehrere hundert Watt an. Diese Wärmeleistung wird teilweise an die Umgebung abgegeben; sie dient aber auch dazu, das Heizelement an sich zu erwärmen – solange, bis die Curietemperatur wieder überschritten ist. Damit regelt sich die Temperatur am Heizelement auf die Curietemperatur ein, ohne dass ein externer Regler benötigt wird. Eine Überhitzung wird auch im Fehlerfall zuverlässig vermieden. Die Datenblätter geben diese Temperatur an, und als zusätzliche Information die abgegebene Leistung bei fester Betriebsspannung und definierten Umgebungsbedingungen bezüglich der Wärmeabfuhr. In Kraftfahrzeugen steht über die Abwärme des Motors meist ausreichend Wärme zur Verfügung. Nur für den Kaltstart benötigt man Zuheizer, z.B. zum Enteisen von Scheiben. Für diese Zuheizer werden

527 aus den Keramiken zylinderförmige Heizelemente gefertigt, die an den Stirnflächen metallisiert werden; diese Zylinder werden in die Lamellen einer gitterförmigen Struktur eingebaut. Der Lüfter bläst diese Lamellen an, um die angesaugte Luft bei Bedarf zu erwärmen. Die gewünschte Regeltemperatur des PTCElementes kann man durch Variation der Materialzusammensetzung in weiten Grenzen beeinflussen.

12.6.3 Dehnstoffelemente Dehnstoffelemente sind keine elektrischen Aktoren in dem Sinn, dass sie elektrische Energie in Stellbewegungen umsetzen. Sie nutzen Festkörpereffekte, um bei einer Temperaturänderung eine mechanische Stellbewegung auszuführen. Festkörper, die man erhitzt, dehnen sich aus. Bei einigen Wachsen ist dieser Effekt groß; diese Stoffe haben keine bestimmte Schmelztemperatur, sondern einen weiten „Erweichungsbereich“. Die beim Schmelzen von Stoffen auftretende große Volumenänderung ist bei diesen Wachsen über einen größeren Temperaturbereich verteilt und wird zur Herstellung von Thermostaten benutzt. In Kraftfahrzeugen wird beispielsweise ein Mischerventil im Kühlkreislauf durch ein solches Dehnstoffelement betätigt. Es sorgt für eine schnelle Erwärmung des Motors auf Betriebstemperatur und für eine Regelung der Motortemperatur während der Fahrt. Das Wachs ist in einem Behälter eingeschlossen und verdrängt bei höheren Temperaturen einen Stößel (siehe Bild 12-11). Über diesen Stößel erreicht man eine Übersetzung des verdrängten Volumens in eine Stellbewegung von einigen Millimetern; in Datenblättern wird dieser Weg als Funktion der Temperatur ausgewiesen. Die Stellbewegung kann zum Betätigen eines Ventilschiebers genutzt werden. Da die thermische Dehnung sehr große Kräfte bewirkt, kann man mit Dehnstoffelementen sehr zuverlässig wirkende Aktoren bauen.

Bild 12-11: Aufbau von Dehnstoffelementen verschiedener Ausführungen: Arbeitsweise des Dehnstoffarbeitselements mit Elastomereinsatz (links), Arbeitsweise des Dehnstoffarbeitselements mit Membrane (rechts) [Quelle: Behr Thermot-tronik]

528

12.6.4 Bimetall-Schalter Bimetall-Schalter nutzen die unterschiedliche thermische Dehnung von Metallen [3]. Zwei dünne Streifen von Blechen mit stark unterschiedlicher thermischer Dehnung werden aufeinander laminiert. Bei der Bezugstemperatur haben die beiden Streifen die gleiche Länge. Erhitzt man das Bimetall-Element, so dehnt sich ein Blechstreifen in Längsrichtung stärker als der andere. Da diese Dehnung durch die Verbindung der beiden Bleche behindert wird, treten Biegespannungen auf, so dass sich die beiden Streifen in Form eines Kreisbogens krümmen. Diese Elemente können keine großen Kräfte aufbringen; in der „vorelektronischen Zeit“ waren sie wegen ihres einfachen Aufbaus z.B. in der Drosselklappenverstellung von Vergasern weit verbreitet. Eine Variante dieses Prinzips sind Elemente, bei denen man aus Bimetallen Membranen formt, die einen „Knackfroscheffekt“ zeigen. Erhitzt man diese ausgebeulten Membranen über eine Schwellentemperatur, springt die „Beule“ plötzlich in die andere Richtung. Solche Schaltelemente lassen sich in miniaturisierter Bauform herstellen und werden zum Beispiel als Übertemperaturschutz von Elektromotoren eingesetzt.

12.6.5 Magnetschalter Thermische Magnetschalter nutzen den Phasenübergang vom paramagnetischen Zustand in den ferromagnetischen Zustand. Diejenige Temperatur, unterhalb der ein Stoff spontan eine remanente Magnetisierung entwickelt, bezeichnet man als Curietemperatur. Zur Herstellung von Temperaturschaltern werden zwei stabförmige Permanentmagnete in ei-

12 Elektrische Aktorik nem Rohr angeordnet; die beiden Magnete werden dabei durch eine Druckfeder auf Distanz gehalten. Einer der beiden Magnete hat eine Curietemperatur, die sehr viel höher als die des zweiten Magneten ist. Die Curietemperatur des zweiten Magneten wird durch Variation der Materialzusammensetzung so beeinflusst, dass sie bei der gewünschten Schalttemperatur liegt. Bei hohen Temperaturen ist die Anziehungskraft der beiden Permanentmagnete schwach, da sich der eine Magnet im paramagnetischen Zustand befindet. Die Feder hält die beiden Magnete auf Distanz. Unterhalb der Curietemperatur wird der zweite Magnet durch den Magneten mit der hohen Curietemperatur magnetisiert und die beiden Magnete ziehen sich an, bis sie aneinander haften. Diese Stellbewegung kann man zum Betätigen elektrischer Kontakte nutzen; die möglichen Stellkräfte sind jedoch beschränkt. Die Vorteile solcher Aktoren sind die im Vergleich mit anderen Elementen relativ hohen möglichen Schalttemperaturen und eine geringe Anfälligkeit gegen Oxidation und Warmrisse. Ein typisches Anwendungsgebiet sind beispielsweise Zigarettenanzünder, obwohl dafür auch Bimetalle als Temperaturschalter eingesetzt werden. Literatur [1] Linsmeier, Greis: Elektromagnetische Aktoren, Bibliothek der Technik 197, Verlag moderne Industrie, 2003 [2] Kallenbach, u. a.: Elektromagnete, Teubner Verlag, 2. Auflage, 2003 [3] Jendritza und 16 andere Autoren: Technischer Einsatz neuer Aktoren; Kontakt & Studium, Band 482, 2. Auflage, Expert Verlag

13 Elektronik Hardware 13.1 Anforderungen 13.1.1 Allgemeine Anforderungen und Methoden Zu den Basisanforderungen gehört bei sichtbaren oder bedienbaren Elementen ein ergonomisches Design. Weiteres Ziel ist eine einfache Montage und Demontage sowie die Sicherheit gegen Fehlmontage (gültig für Stecker sowie für Baugruppen). Die Designanforderungen beinhalten Definitionen nach geringem Gewicht und Volumen. Auch eine umweltschonende Herstellung und die Schadstofffreiheit (z.B. von Blei) sind heute Standardanforderungen. Hinzu kommen Recyclingrichtlinien, die eine leichte Demontage und Zerlegung sicherstellen sollen. Die Zuverlässigkeit wird später noch ausführlich erläutert. Eine hohe Priorität hat die Wirtschaftlichkeit. Das bedeutet neben niedrigen Herstellungskosten auch wettbewerbsfähige Stückkosten. 13.1.1.1 Qualität und Methoden Auswertungen ergeben, dass 80 % aller entstehenden Fehler auf unzureichende Planung, Entwicklung und Konstruktion zurückzuführen sind. 60 % aller Produktausfälle haben ihren Ursprung in unreifer, unfertiger oder fehlerhafter Entwicklung. Dies führt zur Notwendigkeit, Qualitätstechniken anzuwenden. In der Planungsphase zählt dazu beispielsweise das Quality Function Deployment (QFD), eine Methode, Kundenanforderungen und Lösungen systematisch zu bewerten und die optimale Lösung, auch in Bezug zum Wettbewerb, zu ermitteln. Eine andere eingesetzte Technik ist das Design of Experiments (DOE), ein Verfahren, mit wenigen Versuchen möglichst aussagekräftige Informationen über die Funktion und Zuverlässigkeit einer Einheit zu erhalten. Auch die Fault Tree Analysis (FTA) zählt dazu, eine grafische Darstellung von Ursache und Wirkung mit einer Wahrscheinlichkeitsbewertung des Auftretens. Ein weiteres Verfahren ist die Failure Mode and Effect Analysis (FMEA) [21], ein Werkzeug zum Auffinden möglichst vieler Fehlerfälle und zur vergleichenden Bewertung nach Schwere, Wahrscheinlichkeit und Entdeckbarkeit. Außerdem kommen weitere statistische Werkzeuge (Pareto-Diagramm, UrsacheWirkung-Diagramm, Prozessfähigkeitsindex, Abweichungsprotokoll) zum Einsatz. Das Total Quality Management (TQM) umfasst neben den Werkzeugen zur Bewertung und zur Verbesserung der Qualität noch den ganzheitlichen organisatorischen Ansatz als Basis hoher Qualitätsziele.

13.1.1.2 Zulässige Ausfallraten Kfz-Systeme müssen die folgende Lebensdaueranforderung erfüllen: Sowohl über 150 000 km Laufleistung als auch über 17 Jahre Einsatzzeitraum sowie über 15 000 Betriebsstunden ist die geforderte Qualität und Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Die Maßzahl für die Zuverlässigkeit einer Menge wird Ausfallrate O genannt und ist wie folgt definiert:

O

z ª1º , nt «¬ h »¼

(13.1)

wobei z die beobachteten Ausfälle im Zeitraum t sind. n ist die Anzahl der im Zeitraum t überwachten Prüflinge. Typische Ausfallraten bei Halbleitern liegen zwischen 10–5/h und 10–6/h. Der in anderen Bereichen oft verwendete Wert MTBF (Mean Time Between Failures) ist die mittlere Zeit zwischen zwei Fehlern. Die MTBF ist als Kehrwert der Ausfallrate definiert. ppm steht für „parts per million“ (1 ppm entspricht 0,0001 %). Die Größe wird verwendet, um die Anlieferqualität von Komponenten, Modulen und Baugruppen zu beschreiben. FIT steht für „Failure In Time“ und stellt die Größe zur Beschreibung von Ausfällen im Einsatz dar. Die Einheit 1 FIT bedeutet 10–9 Ausfälle pro Stunde oder 1 Ausfall in 109 Stunden. So liegen beispielsweise die zulässigen Ausfallraten im Kfz für Steuergeräte im Feld bei weniger als 50 FIT. Der Anteil fehlerhafter Steuergeräte bei Anlieferung ist kleiner als 15 ppm (von einer Million Steuergeräten sind also weniger als 15 fehlerhaft), der Fehleranteil kundenspezifische Halbleiter-ASICs (Application Specific Integrated Circuits) liegt bei Werten unter 3 ppm, bei Standard-ICs (Integrated Circuits, integrierte Halbleiterschaltung) und für diskrete Komponenten (Widerstände, Kondensatoren, Spulen) sogar viel kleiner als 1 ppm. Im Vergleich hierzu liegt der zulässige Anteil fehlerhafter Mobiltelefone bei etwa 5000 ppm. 13.1.1.3 Qualifikation Die Qualifikation stellt den Prozess zum Nachweis dar, ob ein Produkt oder eine Einheit die spezifizierten Anforderungen erfüllt. Wir wollen uns hier auf die Produktqualifikation beschränken, die Qualifikation von Prozessen und Strukturen wird nicht weiter ausgeführt. Qualifikationen finden auf allen technischen Ebenen vom einzelnen elektronischen Bauelement bis hin zum Fahrzeug statt. Bis auf die Steuergeräteebene herab sind die Qualifikationsanforderungen kundenspezifisch vorgegeben. Auf der Bauteil-

530 ebene existieren anwendbare, allgemein akzeptierte Standards. Zu erwähnen ist hier beispielhaft die AEC Q100 [4]. Diese beschreibt Qualifikationsprüfungen und -parameter, die für Halbleiterbauelemente anzuwenden sind (siehe Umweltanforderungen in Abschnitt 13.1.2.4). Abhängig von der Art der Veränderung in Weiterentwicklungsschritten sind auch reduzierte Qualifikationsumfänge ableitbar. In der Qualifikation ist die Einhaltung der spezifizierten Eigenschaften des Bauteils unter den Einsatzanforderungen nachzuweisen. Das bedeutet zum Beispiel den Nachweis der geforderten Funktion über den definierten Versorgungsspannungsbereich mit den zulässigen Störsignalen. Zudem ist der Nachweis über den zulässigen Temperaturbereich unter elektromagnetischer Beaufschlagung und über die Betriebsdauer zu führen.

13 Elektronik Hardware

13.1.2 Umwelteinflüsse 13.1.2.1 Fehlerursachen elektrischer Ausfälle Mögliche Ursachen elektrischer Störungen sind offene Verbindungen, Kurzschlüsse, Wackelkontakte und elektromagnetische Störungen. Ursachen für offene Verbindungen sind Korrosion, Kriechvorgänge und Bonddefekte oder auch Abrisse von Leitungen oder Steckverbindern. Kurzschlüsse können durch Verschiebung von Bondanschlüssen, Migration oder auch Oxidbruch verursacht werden. Unter Migration versteht man das Eindringen von Ladungsträgern, wie Ionen oder Radikalen, durch die vorgesehenen Schutzschichten, wie Modulgehäuse, Schutzlack oder Halbleitergehäuse auf elektrisch aktive Strukturen. 13.1.2.2 Umweltbelastungen als Fehlerursache

13.1.1.4 Gesetze und Normen Gesetze und Normen in Bezug auf Kfz-Elektronik beschreiben Anforderungen an die Beschaffenheit von Produkten und Vorgehensweisen bei deren Entwicklung und Herstellung. Ergänzt werden diese Schriften durch Verträge und Verbandsregeln sowie durch den Stand der Technik, der sich z.B. aus Patentschriften und Veröffentlichungen ableiten lässt. Die Einhaltung und Erfüllung dieser Forderungen muss gegebenenfalls auch nachgewiesen werden. In Gesetzen sind beispielsweise Forderungen beschrieben, die den Entstehungsprozess eines Fahrzeugs oder seiner Komponenten bis zur Verkehrszulassung beschreiben. Diese gesetzlichen Forderungen sind allerdings nur als Mindestvoraussetzung in Form einer Rahmenforderung beschrieben und auch so zu verstehen. Eine Nachweisführung ist darin nicht definiert. Deshalb sind Art und Umfang der Nachweisführung, der Dokumentation des Prozesses und die Einhaltung der Forderungen auch in Form einer Risikobetrachtung im Einzelfall von den Verantwortlichen zu bestimmen. Zu den Gesetzen zählen unter anderem die Straßenverkehrszulassungsordnung [18], das Produkthaftungsgesetz [16], internationale Sicherheitsvorschriften ([7], [13]) und Richtlinien zum Umweltschutz ([1], [8], [6]). Zusätzliche Kundenanforderungen sind auch die Einhaltung von Verbandsregelungen (z.B. Verband der Automobilindustrie VDA) und Normen zur Qualitätssicherung und zum Qualitätsmanagement sowie die Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik. Zu diesen Anforderungen zählen beispielsweise Normen zum Qualitätsmanagement [11], Verbandsfestlegungen zum Qualitätsmanagement ([22], [17]), militärische Forderungen zum Qualitätsmanagement [3] und industriespezifische Prozessabläufe [2].

Um den Umweltanforderungen gerecht zu werden, müssen mögliche Ausfallmechanismen und Wirkungen durch Umwelteinflüsse verstanden werden. Eine Hauptbelastung ist eine hohe Temperatur, die zu Diffusion, Bildung intermetallischer Phasen und Zersetzungsvorgängen führt. Ein weiterer Einflussfaktor sind Temperaturzyklen. Sie führen zu Materialermüdung, Bruch und Delamination. Bei der Delamination lösen sich benachbarte Schichten durch Kräfte ab, die über die Differenz von Materialparameter der beiden Schichten, wie z.B. Temperaturausdehnungskoeffizienten und E-Modul, entstehen und die Haltekräfte zwischen den Schichten überschreiten. Beaufschlagung mit Feuchte und Medien (z.B. Wasser, Öle, Salze, Schadgase) führt zur ionischen Verunreinigung und zu daraus resultierenden Kriechströmen, Migration, Korrosion und Delamination. Weitere Faktoren sind Stöße und mechanische Spannungen. Sie führen zu Materialermüdung, Bruch und Delamination. Zudem kann ein elektrisches Feld noch dielektrische Durchbrüche, Sticking und Latch-up verursachen. Beim Sticking nähern sich Mikrostrukturen so nahe einander an, dass Kapillarkräfte, elektrostatische Kräfte oder molekulare Kräfte zu einem unerwünschten Zusammenkleben (Sticking) führen. Latch-up wird ein Effekt genannt, bei dem benachbarte Strukturen im Halbleiter unerwünschterweise wie ein Thyristor wirken und leitende Schaltzustände herstellen, die über thermische Effekte zur Zerstörung führen können [14]. Für den Nachweis der Zuverlässigkeit müssen die über die Betriebs- und Lebensdauer möglichen Ausfallmöglichkeiten nachgebildet werden. Um diese Belastungen in anwendbarer Zeit abprüfen zu können, sind Beschleunigungsverfahren anzuwenden. Beispielhaft sei hier das ArrheniusGesetz [20] erwähnt. Mit ihm wird mit einer Temperaturerhöhung eine höhere Einwirkdauer simuliert. Es ist aber darauf zu achten, durch die Temperaturerhöhung keine abweichenden Ausfallmechanismen zu

13.1 Anforderungen generieren. Die maximale Beschleunigung der Ausfallmechanismen ist somit limitiert. 13.1.2.3 Ablauf von Zuverlässigkeitsprüfungen und Qualifikationen Um eine gute Aussagekraft von Prüfungen und somit einen brauchbaren Nachweis der Zuverlässigkeit zu erhalten, sind die zu untersuchenden Baugruppen und Komponenten gemäß aktuellem Entwicklungsstand unter Anwendung von möglichst seriennahen Fertigungsprozessen anzufertigen. Die Prüflinge durchlaufen eine visuelle Kontrolle sowie eine Eingangsfunktionsprüfung, bei der alle relevanten und spezifizierten Parameter erfasst und dokumentiert werden. Anschließend können die entsprechenden Umwelttests angewendet werden, welche die oben genannten Ausfallmechanismen und andere funktionsspezifische Einflüsse nachbilden, z.B. Temperaturlagerungen und Temperaturzyklen, mechanische Stoß-, Vibrationsund Verspannungsprüfungen, elektromagnetische Ein- und Abstrahlung und elektrostatische Entladungen (siehe Abschnitt 13.1.2.4). Die Auswirkungen werden teilweise durch Messungen während der Beaufschlagung überwacht. Abschließend findet die der Eingangskontrolle äquivalente Endbeurteilung statt. Dabei werden zusätzlich mögliche Veränderungen der spezifizierten Funktionsparameter der Baugruppe bewertet. Hieraus lässt sich die Qualität und die Zuverlässigkeit beurteilen. 13.1.2.4 Kennzahlen für Zuverlässigkeitsprüfungen Exemplarisch sollen hier Kennzahlen für die Halbleiterprüfungen angegeben werden, wie sie vergleichbar auch in AEC Q100 definiert sind. Folgende mechanische Tests werden zum Anregen der in Abschnitt 13.1.2.2 beschriebenen Ausfallmechanismen angewendet: Ein mechanischer Stoß in Form einer halbsinusförmigen Pulsbeschleunigung mit einer Amplitude 2 von 500 g (g = 9, 81 m/s ) und einer Pulsdauer von einer Millisekunde sowie mit einer Amplitude von 1500 g und einer halben Millisekunde Pulsdauer wird in allen Raumrichtungen ausgeübt. Eine weitere mechanische Beanspruchung ist eine Vibration mit einer Spitzenbeschleunigung von 20 g als Sinusschwingung über den Frequenzbereich 20 Hz bis 2000 Hz in allen drei Raumrichtungen. Um mit vertretbaren Kosten eine statistische Aussagekraft zu erhalten, werden die Versuche an jeweils 30 Probanden aus drei Losen durchgeführt. Zur Prüfung der Stabilität von Bondverbindungen werden der BondShear-Test (Abscherversuch) und der Bond-Pull-Test (Abzugversuch) angewendet. Hier werden Kräfte von 0,1 N bis 0,9 N auf jede Bondverbindung eines Bau-

531 teils ausgeübt. Getestet werden hier fünf Bauelemente aus einem Los. Zur Vorbehandlung für thermische Tests werden alle Bauteile einer künstlichen Alterung (Preconditioning) unterzogen. Diese besteht aus Temperaturzyklen und Temperaturlagerung, einer Feuchtebeaufschlagung und einem Lötprozess. Zu den thermischen Tests zählen Temperaturzyklen und Temperaturschocks. Bei den Temperaturzyklen werden die Probanden von –40 °C auf 125 °C und zurück auf –40 °C temperiert. Die Umlagerung findet 1000-mal statt, wobei die Änderungsgeschwindigkeit der Temperatur 4 K/min beträgt. Beim Schock wird das Bauteil 15-mal zwischen den extremen Temperaturniveaus umgelagert. Für die Aussagekraft werden aus drei Losen je 77 Stück verwendet. Abhängig von der Wärmekapazität des Bauteils wird eine Verweildauer bei den Hochund Tieftemperaturen definiert, die ein Durchtemperieren sicherstellen. Auch wird die Zuverlässigkeit der Funktion beim Lötvorgang (durch Eintauchen in flüssiges Lot) und der beschleunigte Alterungsprozess (durch Hochtemperaturlagerung über 1000 Stunden bei 125 °C) nachgebildet. Wieder werden je 77 Stück aus drei Losen verwendet. Elektrostatische Entladungen (Electro Static Discharge, ESD) werden durch ungeschützten Kontakt mit Personen oder Maschinen verursacht, die sich vorher auf ein vom Bauelement abweichendes elektrisches Potential aufgeladen haben. Für den Test zur Nachbildung dieser Situation werden je Testspannung drei Bauelemente aus einem Los verwendet. Es gibt drei gebräuchliche Nachbildungen der Entladungssituation. Sie werden als Human Body Model (HBM), Machine Model (MM) und Charged Device Model (CDM) bezeichnet. Die Unterschiede liegen im Wesentlichen in der Größe des Ladungsspeichers und in der Impedanz des Entladepfades. Die Entladungen werden auf zwei Arten durchgeführt, nämlich durch Kontaktentladung bis 8 kV ohne externe Beschaltung des Bauelementes auf alle externen Pins und durch Luftentladung bis 25 kV. Dabei wird die Testspitze des Modells an das Bauelement angenähert, bis es zur Entladung kommt. Im Autoklav (Hochdruck-Dampfsterilisator) werden je 77 Bauelemente aus drei Losen einer Umgebung mit 121 °C, einer relativen Luftfeuchte von 100 % und einem Umgebungsdruck von 2100 hPa ausgesetzt. Die Einlagerungsdauer beträgt je nach Anforderung 48 Stunden bis 96 Stunden. Bei „Feuchte Wärme zyklisch“ werden wie auch beim Autoklav wieder je 77 Bauelemente aus drei Losen Temperaturzyklen ausgesetzt. Diese finden unter Einfluss von feuchtem Klima statt. Die Extremtemperaturen von –40 °C bis 125 °C und zurück werden über einen Zeitraum von mindestens 1000 Zyklen über einen definierten Temperaturgradienten von 4 K/min angesteuert. Bei den Extremtemperaturen wird jeweils für mehr als zwei Stunden verweilt, um eine Temperaturveränderung

532 im Inneren des Bauelementes auch bei größeren Wärmekapazitäten zu gewährleisten. Dabei wird ein kontinuierlicher oder zyklischer Betrieb verlangt. Die elektrische Charakterisierung dient dem statistischen Nachweis der Datenblatttoleranzen im Anlieferzustand. Dazu werden 30 Stück je Los aus bis zu drei Losen verwendet. Alle spezifizierten Parameter sind zu messen, ausgenommen mechanische Abmessungen. Auf Baugruppenebene sind vergleichbare Anforderungen und Prüfungen zu finden. Zusätzlich sind hier auch noch die mechanischen und elektrischen Schutzeigenschaften nachzuweisen, z.B. Dichtigkeitsanforderungen gegen Feuchte und Nässe, Beständigkeit gegen Öle, Säuren und Salze und die Funktionssicherheit bei Bordnetzschwankungen (Load-Dump, Unterspannung, Überspannung, Welligkeit) und elektrischen Einzelfehlern. Außerdem ist die elektromagnetische Verträglichkeit, die Einhaltung von Recyclinganforderungen auf leichte Demontage und Zerlegung und die Schadstofffreiheit (z.B. von Blei) zu prüfen. 13.1.2.5 IP-Schutzarten Die IP-Schutzart definiert die Schutzanforderung bezüglich Fremdkörpern und Feuchtigkeit. Die Klassifizierung erfolgt nach [9] gemäß IPab mit a als Anforderung für Fremdkörperschutz und b als Anforderung für Feuchtigkeitsschutz (siehe Tabelle 13-1).

13.1.3 Sicherheitssystemspezifische Methoden Als Sicherheitssystem soll hier eine Funktionseinheit verstanden werden, die in einer Anwendung eingesetzt wird, um Gefahren oder Schäden von Personen und Sachen abzuwenden oder zu reduzieren. Ein Ausfallen dieses Systems kann, allein durch das Versagen oder durch das Versagen in einer bestimmten Gefahrensituation, von sich aus Schaden verursachen oder die geforderte Schutzfunktion nicht mehr erfüllen. Die Anforderungen an das System (siehe Bild 13-1), bedingt durch das zu beherrschende Risiko, werden über folgende Eigenschaften bestimmt [10]: Schadensausmaß: leichte Verletzung bis viele Tote, Aufenthaltsdauer im Wirkungsbereich des Systems: selten bis dauernd, Möglichkeit der Gefahrenabwendung (im Fehlerfall oder bei Ausfall) durch den Betroffenen: möglich bis kaum möglich, Eintrittswahrscheinlichkeit des Fehlers oder des Ausfalls: sehr gering bis relativ hoch.

13 Elektronik Hardware Tabelle 13-1: Anforderungen an Fremdkörperschutz und Feuchtigkeitsschutz a

Fremdkörperschutz

0

Kein Schutz

1

Schutz gegen Fremdkörper mit Durchmesser > 50 mm

2

Schutz gegen Fremdkörper mit Durchmesser > 12 mm

3

–

4

Schutz gegen Fremdkörper mit Durchmesser > 1 mm

5

Schutz gegen Staubeindringung

b

Feuchtigkeitsschutz

0

Kein Schutz

1

Schutz gegen senkrecht fallendes Tropfwasser

2

Schutz gegen fallendes Tropfwasser bis zu 15° zur Senkrechten

3

Schutz gegen Sprühwasser bis zu 60° zur Senkrechten

4

Schutz gegen Spritzwasser aus allen Richtungen

5

Schutz gegen Strahlwasser aus allen Richtungen

6

Schutz bei Überflutung

7

Schutz bei Eintauchen unter definierten Druck- und Zeitbedingungen

8

Schutz beim Untertauchen unter definierten Druckund Zeitbedingungen

9K

Schutz gegen Hochdruckreinigung

Der erste Schritt zur Systemdefinition ist die Risikoabschätzung anhand der oben beschriebenen Eigenschaften. Daraus lassen sich die Systemanforderungen festlegen. Aus dem Maßnahmenbündel werden dann den einzelnen Systemkomponenten und der Systemarchitektur Maßnahmen zugeordnet. Als Hilfestellung können anwendungsspezifische Normen und Definitionen verwendet werden ([10], [5], [15]). Im Folgenden sollen Maßnahmen dargestellt werden, die bei gebräuchlichen Systemkomponenten angewendet werden können.

13.1 Anforderungen

533

Bild 13-1: UVW-Kette (Ursache, Vermittlung, Wirkung) zur Ermittlung des Risikos

13.1.3.1 Verwendete Begriffe Folgende Begriffe finden sich wiederholt in den Normentexten und in den Regelwerken: Ausfall: Ein Ausfall ist die Unterbrechung der Ausführung einer festgelegten Aufgabe durch eine systeminterne Ursache und unter Einhaltung der „zulässigen“ Beanspruchung. Fehler: Ein Fehler ist die Nichterfüllung einer Anforderung oder Eigenschaft. Betriebsbewährt (erprobt): Betriebsbewährt ist ein System dann, wenn es im Wesentlichen unverändert über einen ausreichenden Zeitraum in der Anwendung betrieben wurde, ohne dass wesentliche Fehler auftreten. Cyclic Redundancy Check (CRC): Der Cyclic Redundancy Check ist eine einfache und sehr zuverlässige Methode zur Datensicherung. Der Sender hängt dabei hinter jeden Informationsblock eine Checksumme an, was dem Empfänger eine Fehlererkennung oder sogar eine Fehlerkorrektur erlaubt. Der CRC ist eine der gebräuchlichsten Fehlererkennungsverfahren in der Kommunikationstechnik. Risiko: Als Risiko wird die Wahrscheinlichkeitsaussage über das Eintreten eines schädlichen Ereignisses unter Berücksichtigung des erwarteten Schadensausmaßes bezeichnet. Sicherheit: Sicherheit ist die Bezeichnung eines Zustandes, in dem das Risiko innerhalb eines definierten Bereichs liegt. Sicherheitsgerichtet (fail safe): Ein System ist sicherheitsgerichtet, wenn es bei Auftreten eines Ausfalls in einen definierten sicheren Systemzustand übergeht. Redundanz: Wenn mehrere Komponenten parallel die gleiche Aufgabe so erfüllen, dass sich das Systemverhalten bei Ausfall einer Komponente nicht ändert, sind diese redundant. Es gibt zwei prinzipielle Arten der Redundanz, nämlich die homogene Redundanz, die die Mehrfachausführung mit gleichartigen Mitteln realisiert und die diversitäre Redundanz, die

die Mehrfachausführung mit ungleichartigen Mitteln realisiert. Robustheit: Die Systemeigenschaft, auch bei Überschreiten der zulässigen Beanspruchung die festgelegte Aufgabe oder Funktion zu erfüllen, heißt Robustheit. Spezifikation: Die Spezifikation ist die Beschreibung der Systemeigenschaften bezüglich Funktion, Qualität und Sicherheitsanforderungen.

13.1.3.2 Anforderungen an die Spezifikation Eine verbindliche und vollständige Systemspezifikation ist die unumgängliche Voraussetzung für die Umsetzung von Systemen, die den Sicherheitsanforderungen genügen müssen. Die Spezifikation muss die Funktion und die Eigenschaften des geplanten Systems implementierungsunabhängig beschreiben. Die sicherheitstechnischen Anforderungen werden genauso wie die zu berücksichtigenden Umgebungsbedingungen beschrieben. Zudem sind die Rahmenbedingungen für Betrieb und Instandhaltung und weitere Gestaltungsvorgaben enthalten. Eine verbindliche Spezifikation muss fehlerfrei, widerspruchsfrei, nachprüfbar und vollständig sein. 13.1.3.3 Maßnahmen im Entwicklungsprozess Organisatorische und technische Maßnahmen sind nötig, um eine ausreichende Fehlervermeidung im Entwicklungsprozess zu erreichen. Die technischen Maßnahmen sind beispielsweise die Verwendung von geeigneten Entwicklungswerkzeugen, die Qualitätssicherung der Hilfsmittel und Materialien sowie die Prüfung sicherheitsrelevanter Funktionen und Merkmale. Organisatorische Maßnahmen sind vor allem ein funktionierendes Projektmanagement bezüglich Terminen, Preisen, Verantwortlichkeiten und auch Befugnissen. Dokumentation der Entwicklungsdetails und die Organisation der Qualitätssicherung ergänzen diese Maßnahmen.

534

13 Elektronik Hardware

13.1.3.4 Einkanalige Systemstrukturen zur Beherrschung von Fehlern

13.1.3.5 Mehrkanalige Systemstrukturen zur Beherrschung von Fehlern

Als Basis soll zuerst eine einkanalige Systemstruktur, wie in Bild 13-2 dargestellt, angenommen werden. Im Folgenden werden diverse Maßnahmen aufgezeigt, die diese einkanalige Struktur geringen Sicherheitsanforderungen genügen lässt (Bild 13-3). Die Kreise stellen die Eingangsdaten und die durch die Funktionseinheit bearbeiteten Daten dar. Mit 1 ist hier die Systemstruktur zum Ausführen der spezifizierten Funktion bezeichnet. Die Prüfeinheit (2) stellt die Sicherungsmaßnahme dar, die zur Funktionsabschaltung (3) führen kann. Die Prüfeinheit (2) kann verschieden ausgeführt werden: Bei der Ausführung als Funktionstest werden typische Eingangswerte (A) vor dem Betrieb appliziert und mit der spezifizierten Reaktion (C) verglichen. Während des Betriebs wird keine Prüfung vorgenommen. Dagegen wird der zyklische Selbsttest (B) parallel zum Datenfluss im System durchgeführt, ohne den Datenstrom zu verändern. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Einhaltung von gültigen oder richtigen Daten- und Funktionsbereichen B und C zu überwachen. Im Fehlerfall wird eine Fehlermeldung ausgegeben und eine Reaktion eingeleitet, z.B. ein Abschalten der fehlerhaften Funktion oder des fehlerhaften Systems über D. Dies ist nur dann möglich, wenn es sich nicht um einen Fehler in der Prüfeinheit (2) oder in der Funktionsabschaltung (3) handelt.

Sicherheitsgerichtete Systemstrukturen (Bild 13-4) verfolgen eine andere Entscheidungsbildung. Wird Block 4 als Vergleicher realisiert, müssen alle Kanäle das gleiche Ergebnis liefern, um die gewünschte Funktion einzuleiten. Bei einer Abweichung kann die Funktion abgeschaltet werden, abhängig davon, welcher Zustand sicherheitsgerichtet ist, oder es kann eine Fehlermeldung ausgegeben werden. Ausschließlich sicherheitsgerichtete Strukturen werden von Systemen der Struktur n von n (z.B. 2 von 2) abgebildet. Das bedeutet, zwei Kanäle von zwei vorhandenen Kanälen müssen die gleiche Entscheidung treffen. Dies entspricht einer logischen UNDVerknüpfung. Alternativ dazu kann Block 4 in Bild 13-4 als Mehrheitsentscheider ausgeführt werden. Diese Anordnung wird bei sicherheitsgerichteten und gleichzeitig fehlertoleranten Systemen eingesetzt. Sie bedürfen der Struktur m von n mit 2 dm n (z.B. 2 von 3). Das bedeutet, dass zwei von drei vorhandenen Kanälen die gleiche Entscheidung treffen müssen. Die „mehrheitliche“ Entscheidung wird als die richtige angenommen. Die Verfügbarkeit dieser Systemstrukturen ist höher als derjenigen mit Vergleicher. Durch diversitäre Redundanz ist eine verbesserte Absicherung gegen systematische Fehler möglich (z.B. durch unterschiedliche Steuerrechner mit unterschiedlichen Betriebssystemen). Dies erhöht aber die Entwicklungs- und die Herstellungskosten.

Bild 13-2: Einfache einkanalige Systemstruktur ohne Sicherungsmaßnahme (die einzelnen Blöcke werden im Text erklärt)

Bild 13-3: Einfache einkanalige Systemstruktur mit Sicherungsmaßnahmen (die einzelnen Blöcke werden im Text erklärt)

13.1 Anforderungen

535

Bild 13-4: n-kanalige Mehrfach-Systemstruktur (die einzelnen Blöcke werden im Text erklärt)

13.1.3.6 Ausführung der Überwachung und Fehlererkennung Die in den Abschnitten 13.1.3.4 und 13.1.3.5 beschriebenen Systemstrukturen werden meist mit diskreten elektronischen Bauteilen sowie mit programmierbaren Steuereinheiten, Controllern und zugehörigen Datenund Programmspeichern umgesetzt. Ein Beispiel der sicherheitsgerichteten Realisierung dieser Komponenten wird später erläutert. Der grundsätzliche Ansatz, Maßnahmen zur Fehlerbeherrschung zu definieren, leitet sich aus den möglichen Fehlermechanismen der verwendeten Komponenten ab. Diese Fehlermechanismen gilt es mit den Maßnahmen sicher zu erkennen,

zu korrigieren oder die Fehler anderweitig sicherheitsgerichtet zu behandeln. Der Selbsttest kann, wie schon für die Systemstruktur, in diversen Abstufungen implementiert werden. Beim Funktionstest in Bild 13-5 werden typische Eingangswerte (1) vor dem Betrieb eingespeist und mit der spezifizierten Reaktion (2), die z.B. abgespeichert vorliegt, in 3 verglichen. Während des Betriebs wird keine Prüfung vorgenommen. Diese Art der Funktionsüberprüfung ist nur dann sinnvoll, wenn sich der zu erkennende Fehlermechanismus langsam bezüglich der Betriebsdauer ausprägt, wie zum Beispiel die Verschiebung elektrischer Parameter von Halbleitern durch Alterung. Im Vergleich dazu sind Betriebszyklen im Kfz (d.h. die Zeiten, in denen

536 das System ohne Unterbrechung als Sicherheitssystem betrieben wird) sehr kurz.

Bild 13-5: Funktionstest: 1 typische Eingangswerte, 2 spezifizierte Reaktion, 3 Vergleicher

Der zyklische Selbsttest (4 in Bild 13-6) erfolgt parallel zum Datenfluss zum Erkennen vorhandener Fehler in Funktionseinheiten (z.B. Speicher oder CPU) des Systems, ohne den Datenstrom zu beeinflussen.

Bild 13-6: Zyklischer Selbsttest

Die Überwachungseinheit prüft die Einhaltung von gültigen oder richtigen Daten- und Funktionsbereichen (siehe Bild 13-7), z.B. mit Grenzwertvergleichen, durch die Verwendung von Prüfbits oder durch Zeitüberwachung (Watchdog).

Bild 13-7: Überwachungseinheiten: 5, 6 und 7

In Speichern sind Maßnahmen anzuwenden, die ein unzulässiges Verändern von Informationen verhindern, erkennen oder korrigieren. In jedem Fall muss die Systemreaktion sicherheitsgerichtet sein.

13 Elektronik Hardware Zur Prüfung von ROM und anderen statischen Speichern kommt die wortweise Sicherung mit einfacher Redundanz zum Einsatz. Hier wird beispielsweise jede im Speicher abgelegte Information um ein Paritätsbit ergänzt. Die Parität wird derart gesetzt, dass die Summe aller Bits des Datums inklusive des Paritätsbits je nach Definition gerade oder ungerade ist. Eine Verfälschung eines einzelnen Bits kann somit erkannt werden. Es ist jedoch keine Datenkorrektur oder Mehrfachfehlererkennung möglich. Der Speicherbedarf erhöht sich um je ein Bit je Datum. Daneben wird auch das wortweise Sicherungsverfahren mit mehrfacher Redundanz verwendet. Hier werden mehrere Sicherungsbits pro Datum im Speicher abgelegt, die bei einem Datenzugriff überprüft werden. So kann eine Veränderung der Daten erkannt werden. Der zusätzliche Speicherbedarf entspricht der Anzahl der Sicherungsbits. Bei Fehlererkennung ist unbedingt eine Fehlermeldung zu generieren. Das ebenfalls eingesetzte Blocksicherungsverfahren berechnet durch logische Verknüpfung aller Datenfelder im Speicher eine Prüfsumme und vergleicht sie mit einer vorher abgelegten Prüfsumme. Bei Abweichungen wird eine Fehlermeldung generiert. Beim Blocksicherungsverfahren mit Blockreplikation ist der erste vollständige Datensatz in einem weiteren Speicher abgelegt. Die beiden Speicherbereiche werden verglichen. Bei Abweichungen wird eine Fehlermeldung generiert. Um auszuschließen, dass gleichartige Fehler beide Speicher gleichartig verändern, sind die Daten im zweiten Speicher andersartig abzulegen, z.B. invertiert. Die Prüfung von RAM und anderen variablen, veränderbaren Speichern ist etwas komplexer. Es sind hier wie beim statischen Speicher Fehler im Speicher selbst zu erkennen. Hierzu kommen noch Fehler in Schreibzugriffen sowie Adressfehler. Die Fehler werden hier mit Testmustern detektiert: Bei Anwendung der Checkerboard-Methode werden 01-Folgen in die Speicheradressen geschrieben („Schachbrettmuster“). Anschließend werden die Adressen paarweise verglichen. Nach einem ersten Durchlauf durch den Speicherbereich wird der Vorgang mit invertiertem Muster wiederholt. Die March-Methode belegt die Speicherzellen einheitlich vor, prüft und invertiert deren Inhalt in aufsteigender Reihenfolge. Danach wird der Vorgang mit dem entstandenen Speicherbild abwärts durchlaufen. Eine Wiederholung mit invertierter Vorbelegung ist möglich. Eine Einbeziehung dynamischer Fehler ist durch die Walkpath-Methode möglich. Hier wird eine Prüfschablone auf einen kleinen Teil des Speichers (Bit, Byte, Wort) gelegt und über den Speicherbereich geschoben. Dabei wird jeweils der maskierte Bereich verglichen und der nicht betroffene Speicher auf Veränderungen durchsucht. Die Maskierung wird beseitigt, überprüft und die Maske verschoben. Außerdem werden auch die Prüfmaß-

13.2 Bauelemente nahmen zur Prüfung von ROM und anderen statischen Speichern verwendet. Die Überwachung der Ein- und Ausgabeeinheiten stellt eine besondere Herausforderung dar, da diese anwendungsspezifisch stark variieren und die Maßnahmen entsprechend angepasst oder entworfen werden müssen. Denkbar sind hier Testmuster, mehrkanalige Ausführungen mit Vergleichern, rückgelesene Ausgaben und Plausibilitätsprüfungen.

13.2 Bauelemente Alle im Kfz verwendeten Bauelemente sind nach den beschriebenen Anforderungen zu prüfen. Die Lieferanten müssen entsprechende Qualifikationen bezüglich ihrer Prozesse und Produkte nachweisen. Eingesetzt werden passive Bauelemente wie Widerstände (R), Spulen (L) und Kapazitäten (C) und eine große Zahl aktiver Bauelemente. Als aktive Bauelemente werden alle Varianten von Halbleitern bezeichnet. Diese lassen sich nach ihrer Anwendung und Komplexität unterscheiden in: Diskrete Halbleiterbauelemente: Diode, Transistor, Thyristor, Fototransistor, Fotodiode, Laserdiode Integrierte Schaltungen (IC): Operationsverstärker, Logik-Gatter, ASICs mit digitalen, analogen oder gemischten Schaltungsblöcken Mikromechanische Sensorstrukturen: mikromechanische Sensoren, thermische Sensoren

13.2.1 Leistungshalbleiter Die Aufgabe von Leistungshalbleitern in der KfzElektronik ist vor allem die Ansteuerung von Aktoren, z.B. von Heizwiderständen, magnetischen Stellern oder kleinen Elektromotoren. Die Anforderungen an Leistungshalbleiter sind kleine Verlustleistungen, hohe Zuverlässigkeit, geringe Kosten und manchmal auch kurze Schaltzeiten. Zu bedenken ist, dass der Leistungshalbleiter seine höchste Verlustleistung weder im ein- noch im ausgeschalteten Zustand, sondern dazwischen hat. Dadurch wirkt sich auch häufiges, langsames Schalten auf die Verlustleistung aus. Thyristoren finden aufgrund hoher Kosten kaum Anwendung im Fahrzeug. Ein weiterer Nachteil von Thyristoren sind längere Schaltzeiten als bei Transistoren. Deswegen werden fast ausschließlich Transistoren als Leistungshalbleiter verwendet, obwohl ihr Einschaltwiderstand größer ist als der von Thyristoren. In den letzten Jahren sind die Einschaltwiderstände bei MOSFET kontinuierlich gesunken. Damit haben sie die bipolaren Transistoren als Leistungshalbleiter in Automobilanwendungen verdrängt. Der IGBT

537 (Insulated Gate Bipolar Transistor), der die Vorteile beider Transistortypen kombiniert, scheidet im Fahrzeug aus Kostengründen aus. Die im Fahrzeug eingesetzten Leistungstransistoren besitzen im Transistorgehäuse oder gar auf dem gleichen Chip zusätzliche Funktionen wie Überlastschutz, Eigendiagnose und Aufbereitung des Ansteuersignals. Daher kann man sie als integrierte Schaltungen betrachten.

13.2.2 Netzteilkomponenten Netzteilkomponenten ermöglichen die Spannungsversorgung mehrerer Verbraucher, die unterschiedliche Spannungen benötigen. Die evtl. kurzzeitig stark schwankende Versorgungsspannung des Fahrzeugs soll verlustarm in konstante Ausgangsspannungen umgesetzt werden. Einfache Linearregler (vgl. Abschnitt 13.2.2.1) sind wegen ihrer Verlustleistung für viele Anwendungen ungeeignet. Weniger Verluste erzielt man mit so genannten Schaltwandlern (vgl. Abschnitt 13.2.2.2). Dieser Vorteil wird aber durch höhere Kosten, höheres Gewicht und evtl. durch EMV-Probleme erkauft. 13.2.2.1 Linearregler Der Linearregler ist ein Abwärtsregler, bei dem die Differenz 'U zwischen Eingangsspannung und niedrigerer Ausgangsspannung an einem Stellglied (Leistungstransistor) geregelt abfällt [19]. Je größer dieser Spannungsabfall und die Belastung durch die Schaltung (und damit der Strom I, der sowohl den Transistor als auch die Last durchfließt) ist, desto größer ist die Verlustleistung P = 'U I am Stellglied. Wird beispielsweise die Ausgangsspannung auf die halbe Eingangsspannung geregelt, dann wird im regelnden Transistor die gleiche Verlustleistung wie im Verbraucher umgesetzt. Da die Ansteuerschaltung des Regeltransistors auch noch etwas Strom aufnimmt, liegt der Wirkungsgrad dann knapp unter 50 %. 13.2.2.2 Schaltwandler Je nachdem, ob die Ausgangsspannung kleiner oder größer als die Eingangsspannung ist, nennt man einen Schaltwandler Abwärtswandler (Buck-Converter) oder Aufwärtswandler (Boost-Converter). Ein Sonderfall sind invertierende Wandler, bei denen außerdem die Ausgangsspannung eine der Eingangsspannung entgegengesetzte Polarität hat. Der Wirkungsgrad wird durch ohmsche, magnetische und Umschalt-Verluste eingeschränkt. Es lässt sich ein Wirkungsgrad bis zu 90 % erreichen.

538

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Bild 13-8: Schaltwandler: Abwärtswandler (links) und Aufwärtswandler (rechts)

Abwärtswandler Um den Wirkungsgrad gegenüber Linearreglern zu verbessern, wird das Stellglied (z.B. Leistungstransistor und Diode) periodisch umgeschaltet (Bild 13-8 links). Durch Modifikation des Tastverhältnisses oder der Schaltfrequenz lässt sich die Ausgangsspannung einstellen. Die gepulste Spannung hinter dem Schalter wird durch L und C geglättet. Aufwärtswandler Die Spule in Bild 13-8 (rechts) erzeugt beim Umschalten des Stromes durch einen Transistor eine Gegeninduktionsspannung, so dass der Strom eine gewisse Zeit in die gleiche Richtung weiterfließt. Die Bemerkungen zum Tastverhältnis und zur Glättung gelten analog. Ein Einsatzbeispiel ist die SpannungsHochsetzung für Piezo-Einspritzventile. 13.2.2.3 Zusätzliche netzteilintegrierte Funktionen Zusätzlich zur Spannungsversorgung diverser Verbraucher werden meist weitere Funktionen in ein Netzteil integriert. Um Volumen und Gewicht beim Pufferkondensator zu sparen, kann die Spannung zunächst hochgesetzt werden, bevor daraus die niedrigeren Verbraucherspannungen erzeugt werden. Für die erhöhte Spannung genügt als Energiereserve ein relativ kleiner Pufferkondensator, da die speicherbare Energiemenge W gemäß W

CU 2 2

(13.2)

in quadratischer Abhängigkeit zur Spannung U am Kondensator mit der Kapazität C steht. Diese Reserve kann im Falle eines Batterieabrisses zur kurzzeitigen Überbrückung der Spannungsversorgung herangezogen werden. Ein Spannungsverlust sollte von einem Mikrocontroller bemerkt werden, damit dieser das System in der verbleibenden Zeit in einen definierten Zustand versetzen und Daten in einem nichtflüchtigen Speicher sichern kann. Häufig wird eine Schnittstelle im Netzteil implementiert, um weitere Funktionen, wie z.B. Temperaturüberwachung, Strombegrenzung

oder Prüfung der Kapazität am Pufferkondensator vom Controller aus zu steuern. In Kombination mit einem Mikrocontroller sind mindestens zwei weitere Grundfunktionen von Interesse, die sehr gut in eine Netzteilkomponente integriert werden können, nämlich die Watchdog-Funktion zur Überwachung des korrekten Controllerbetriebs und die Überwachung des geregelten Hochfahrens des Controllers. Ein Watchdog erwartet in regelmäßigen Zeitabständen eine Rückmeldung vom Controller. Fehlt diese Rückmeldung, ist sie fehlerhaft oder wird sie nicht im definierten Zeitfenster zur Verfügung gestellt, geht der Watchdog von einer Fehlfunktion des Controllers aus. Typischerweise wird in diesem Fall ein Reset (vgl. Abschnitt 13.2.3.3) durchgeführt, um den Controller wieder in einen definierten Zustand zu versetzen. Geregeltes Hochfahren wird zumindest bei jedem Einschalten des Controllers benötigt, bis alle Versorgungsspannungen stabilisiert sind und die Taktgeber sich im eingeschwungenen Zustand befinden. Erst wenn alle nötigen Systemfunktionen initialisiert und stabil sind, wird der Controller für den eigentlichen Betrieb freigegeben. Unterspannungserkennung Mit Hilfe einer internen Spannungsreferenz kann die Versorgungsspannung des Controllers zyklisch durch Vergleichsmessung überwacht werden. Liegt die Spannung während einer vorher definierten Anzahl von Prozessorzyklen unterhalb einer Vergleichsschwelle, kann z.B. ein Registerbit gesetzt werden oder ein Reset ausgelöst werden. Nach dem Setzen des Registerbits sind weitere Maßnahmen möglich, z.B. ein definiertes Herunterfahren mit Hilfe einer Energiereserve.

13.2.3 Mikrocontroller Unter Mikrocontrollern werden Mikroprozessoren verstanden, die einen Großteil an Peripherie wie z.B. A/D-Wandler gemeinsam mit dem Rechnerkern auf dem Chip integriert haben. Dadurch eignen sie sich für die Überwachung, Steuerung und Regelung von mechanischen oder elektrischen Prozessen. Die steigende Integrationsdichte verschiedenster Komponenten bei sinkendem Preis begünstigt den Einsatz von

13.2 Bauelemente Mikrocontrollern in immer weiteren Bereichen. Fast jedes der zahlreichen Steuergeräte im Fahrzeug enthält inzwischen einen Mikrocontroller, nicht selten werden auch mehrere Mikrocontroller in einem Gerät verbaut, um z.B. Redundanz oder eine gegenseitige Überwachung zu erreichen. 13.2.3.1 Zeitlicher Werdegang von Mikrocontrollern Ähnlich wie die Mikroprozessoren im PC haben sich auch die Mikrocontroller weiterentwickelt. Durch immer feinere Mikrostrukturen konnten immer mehr Funktionen auf der vorhandenen Chipfläche untergebracht werden. Dieser Zuwachs an Leistungsfähigkeit kam bei Mikrocontrollern sowohl der Verarbeitungsgeschwindigkeit des Rechnerkerns als auch der Anzahl und der Vielseitigkeit der integrierten Peripherie zugute. Viele Mikrocontroller sind Weiterentwicklungen von Mikroprozessoren, einige wurden jedoch von vorn herein als Controller für bestimmte Anwendungen entwickelt. Ein wesentliches Kriterium ist die Breite des Datenbusses. Wenn ein heute üblicher Mikroprozessor in einem PC wie z.B. ein Pentium IV eine Busbreite von 32 Bit hat, dann kann er mit einer Operation 32 Bit pro Operand verarbeiten [12]. Für PCs sind bereits die ersten 64-Bit-Prozessoren auf dem Markt, z.B. der Opteron von AMD. Die ersten Controller, die mit dem Einzug der Mikroelektronik im Fahrzeug eine Rolle spielten, hatten eine Busbreite von 8 Bit. In „kleineren“ Steuergeräten (z.B. für ein elektrisches Schiebedach) werden diese aufgrund ihres günstigen Preises noch heute eingesetzt. Typische Vertreter dieser Gruppe sind die Mitglieder der 8051-Familie, die aus frühen 8-BitProzessoren von Intel entwickelt wurden und heute in zahlreichen Varianten von unterschiedlichen Herstel-

539 lern angeboten werden. In der Kfz-Elektronik sehr verbreitet sind inzwischen 16-Bit-Controller, wie die C16X-Familie von Infineon. In Fahrzeug-Steuergeräten mit hohen Anforderungen (z.B. Fahrdynamikregelung oder Motorsteuerung) geht der Trend zu 32-Bit-Controllern, z.B. dem Tricore von Infineon oder die vom PowerPC (Apple, IBM, Freescale) abgeleitete MPC-Familie von Freescale. 64-BitController haben dabei noch keine Bedeutung. Ein erhöhter Entwicklungsaufwand durch Adaption immer aufwendiger werdender Software bei begrenzter Controller-Leistung kann durch den geringeren Preis neuer Technologien und hohen Stückzahlen schnell kompensiert werden. Ungeachtet der Typenverteilung und unter dem Blickwinkel des Einsatzzwecks betrachtet wird augenscheinlich, welchen hohen Stellenwert der Automobilbereich für den Einsatz von Mikrocontrollern hat. Zumindest in den USA und Europa stellt dieser Bereich den höchsten Anteil dar. 13.2.3.2 Systemarchitektur Zur Definition der Systemarchitektur können zwei Grundstrukturen herangezogen werden, nämlich die von-Neumann-Architektur und die Harvard-Architektur. Bild 13-9 zeigt beide Architekturen, die sich in der Speicherverwaltung unterscheiden. Die HarvardArchitektur verwendet zwei getrennte Speicherblöcke für Daten und Programmcode und einen getrennten Daten- und Befehlsbus. Zu finden ist diese Architektur in manchen Signalprozessoren. Häufiger anzutreffen ist allerdings die Struktur nach von Neumann, in der Daten und Programmcode nebeneinander im selben Speicherbereich untergebracht werden können. Der Zugriff erfolgt über eine gemeinsame Busarchitektur.

Bild 13-9: Darstellung der prinzipiellen Rechnerarchitekturen: Harvard-Architektur (oben) und von-Neumann-Architektur (unten)

540

13 Elektronik Hardware

Tabelle 13-2: Hauptmerkmale verschiedener Speichertypen Speichertyp

Eigenschaften

RAM

Random Access Memory – sehr schnell schreib- und lesbar – Speicherinhalt flüchtig

ROM

Read Only Memory – sehr schnell lesbar – nur lesbar, nicht flüchtig – maskenprogrammiert vom Hersteller – Speicher- und Lebensdauer nahezu unbegrenzt

E2PROM

Electrically Erasable and Programmable ROM – langsam schreib- und lesbar – nicht flüchtig – elektrisch schreibbar vom Anwender – etwa 100000 Schreib-Lösch-Zyklen

Flash

schnelles E2PROM – schnell lesbar – nicht flüchtig – elektrisch schreibbar vom Anwender – kleinste Löscheinheit 1 Block (z.B. 128 Byte) – etwa 10 000 Schreib-Lösch-Zyklen

13.2.3.3 Interne Funktionsblöcke Speicher Tabelle 13-2 zeigt, welche Speichertypen hauptsächlich in Verbindung mit Mikrocontrollern verwendet werden. Erste Mikrocontroller hatten beispielsweise neben einem Rechenwerk und einem Steuerwerk sehr wenig internen Speicher und Peripherie-Leitungen. Der auszuführende Programmcode musste aufwendig in ein E2PROM „gebrannt“ werden. Für Anwendungen mit mehr als 100 000 Stück pro Jahr, wie im Automobilbereich der Fall, ist der Einsatz von Controllern mit ROM aus Kostengründen vorteilhaft. Allerdings muss die gesamte Entwicklungsphase mit abweichender Hardware-Konfiguration durchgeführt werden, um kurzfristige Software-Änderungen testen zu können. Das Erstellen der ROM-Masken ist zeitaufwendig, teuer und kann nur vom Chiphersteller durchgeführt werden. Erst die Möglichkeit, ausreichend Flash-Speicher im Mikrocontroller unterzubringen, erschließt die Möglichkeit, die erstellte Software schnell und flexibel am Zielobjekt zu testen. Die kürzeren Entwicklungszeiten während der Musterphasen und die sofortige Testbarkeit am ZielController sind zumindest zeitlich von Vorteil, da auf den zusätzlichen Schritt der Maskenerstellung verzichtet werden kann, und somit ca. 2–3 Monate Zeit bis zur Verfügbarkeit gewonnen wird. Auf einen kleinen Anteil an ROM und E2PROM wird aber

selbst bei Einsatz von Flash nicht immer verzichtet, da dort Monitor-Programme hinterlegt werden können, die einfache Ein- oder Ausgabesteuerungen übernehmen. Oft ist auch ein so genannter „Bootstrap“-Programmteil im ROM hinterlegt, der automatisch nach jedem Einschalten des Controllers gestartet wird. Oder aber der Anwender wünscht Parameter und Statusinformationen in einem eigenen, nichtflüchtigen Speicherbereich unterzubringen. Unbedingt zu bedenken ist, dass auch nichtflüchtige Speicher (außer ROM) Inhalte über einen langen Zeitraum von z.B. 10 Jahren verlieren können. Interne Steuerung Takt (Clock) Im Gegensatz zur analogen Schaltungstechnik erfolgt die Verarbeitung im Mikrocontroller „getaktet“ in kleinen Zeiteinheiten. Um zeitlich vorhersagbare Aktionen durchführen zu können, wird darauf geachtet, dass die getakteten Zeiteinheiten möglichst gleich lang sind. Die Länge dieser Zeiteinheiten wird durch den Takt vorgegeben, der von einem Oszillator erzeugt wird. Zugunsten der Genauigkeit werden fast ausschließlich Quarzoszillatoren benutzt. Ein Grund für die Verwendung möglichst genauer, langzeitstabiler Taktsignale ist die Notwendigkeit, Sensorsignale äquidistant und in bekannten Zeitabständen einzulesen und zu verarbeiten. Für digitale Filterung, beispielsweise zur Nachbearbeitung gewonnener Signaldaten, hängt die resultierende Charakteristik der implementierten Filter stark von der Abtastrate und somit von der Genauigkeit des verfügbaren Taktes ab. Zeitgeber (Timer) Meist sind mehrere Timer mit unterschiedlichen Funktionen im Controller vorhanden. Über Register wird die Taktrate der Timer, also die Zeiteinheit pro Bit, eingestellt und das zugehörige Timer-Register mit einem Ziel-Zählerwert vorbelegt. Nach dem Start des Timers wird, je nach Einstellung, zu jedem Takt ein Zählerwert um „1“ inkrementiert oder dekrementiert. Beim Erreichen des eingestellten Zählerstandes können unterschiedliche Aktionen ausgeführt werden. Man kann z.B. einen periodischen Ablauf von Software-Routinen durch Einsatz eines sogenannten Programmable Interrupt Timers (PIT) erzwingen. Hierbei wird bei jedem Erreichen des Ziel-Zählerwertes ein interner Interrupt (siehe unten) ausgelöst, der einen vordefinierten Programmteil startet. Weitere vom Zeitgeber abgeleitete Aktionen können sein: Ausgabe eines pulsweitenmodulierten Signals am Timerausgang, Speichern des Zählerstandes beim Erkennen von vordefinierten Flankenwechseln an Timer-Pins mit anschließender Interrupterzeugung, Steuern von Übergängen des implementierten Zustandsautomaten (Betrieb/Warten/Stopp).

13.2 Bauelemente Reset Nach erfolgreicher Abarbeitung einer Reset-Funktion befindet sich der Controller in einem definierten Grundzustand. Alle Register werden mit Startwerten vorbelegt, und mit der Abarbeitung des Benutzerprogramms wird an einer Startadresse begonnen, die über die Lebenszeit des Controllers unverändert bleibt. Prinzipiell kann zwischen drei Reset-Ursachen (Quellen) unterschieden werden, nämlich dem Reset beim Einschaltvorgang, dem Reset aufgrund einer Anforderung von außen und dem Reset durch Anforderung einer Controller-internen Funktion. Ein Reset beim Einschalten des Mikrocontrollers bewirkt den umfangreichsten Funktionsablauf, weil nicht nur der oben beschriebene Grundzustand wieder hergestellt, sondern evtl. auch ein Selbsttest durchgeführt wird. Die Ursachen 2 und 3 bewirken lediglich die Rückkehr in den Grundzustand (Recovery). Eine Anforderung von außen kann durch geeigneten Pegelwechsel am Reset-Pin des Controllers angeregt werden. Controller-interne Funktionen, die zu einem Reset führen können, sind je nach Art des Controllers unterschiedlich. Beispiele hierfür sind unerlaubter Programmcode, eine Unterspannungserkennung oder eine Watchdog-Funktion.

Bild 13-10: Programmablauf bei der Bearbeitung eines Interrupts

541 Interrupt Unter einem Interrupt wird die Unterbrechung des vorgesehenen Programmablaufs verstanden. Interrupts können durch Software, durch interne Logik (z.B. Zeitgeber) oder durch externen Quellen ausgelöst werden. Im ersten Fall werden z.B. Funktionsblöcke so konfiguriert, dass bei Erreichen einer Bedingung ein interner Interrupt angestoßen wird. Außerdem ist es möglich, durch speziellen Programmcode gezielt einen Interrupt auszulösen. Im zweiten Fall wird auf Pegelwechsel an externen Pins reagiert, wobei häufig eine Priorisierung der externen Quellen angeboten wird. Bild 13-10 zeigt die Unterbrechung an beliebiger Stelle des Programmablaufs, die Abarbeitung der Interrupt-Routine und die anschließende Rückkehr an die Unterbrechungsstelle im Programm. Wird während der Interrupt-Routine ein höher priorisierter Interrupt ausgelöst, wird auch diese Abarbeitung unterbrochen, und die entsprechend höher priorisierte Routine abgearbeitet.

13.2.3.4 Peripherie und Busvarianten Digitale Ein- und Ausgänge (I/O) Digitale Ein- und Ausgänge sind Anschlüsse am Gehäuse elektrischer Komponenten, die logisch in Gruppen zusammengefasst sind (so bilden z.B. 8 I/OPins einen Port). Jeder Pin kann als Ein- oder Ausgang programmiert werden. Die Bezeichnung „digital“ bedeutet, dass keine Zwischenwerte, sondern nur zwei Zustände bekannt sind. Als Eingang programmiert, werden am Pin anliegende Spannungspegel (UEin) als logisch „low“ interpretiert, falls eine von der Versorgungsspannung abhängige Schwelle unterschritten wird. Überschreiten einer anderen Schwelle führt zu einem logischen „high“. Für die exakte Bestimmung, in welchen Bereichen sich die Pegel für ein logisches „low“ oder „high“ befinden müssen, sei auf die gängigen Datenblätter verwiesen. Um die Robustheit zu erhöhen und alternierende Fehlinterpretationen bei Spannungen nahe dem Schwellpegel zu vermeiden, wird bei einigen Bausteinen eine Hysterese (siehe Bild 13-11) implementiert. Bewegt sich der Eingangspegel von niedrigen zu höheren Spannungen, liegt die Schaltschwelle, bis „high“ erkannt wird, höher (Übergang 1) als die Schaltschwelle für die „low“-Erkennung beim Absinken der Spannung, falls bereits „high“ erkannt wurde (Übergang 2). Wenn ein Pin als Ausgang programmiert wird, generiert der Controller Spannungspegel nahe an GND (negative Versorgungsspannung des Controllers, bezeichnet auch mit USS), falls ein logisches „low“ ausgegeben werden soll. Die Ausgangsspannung bei der Ausgabe eines logischen „high“ liegt nahe an der

542

13 Elektronik Hardware

positiven Versorgungsspannung des Controllers UCC. Diese Zielwerte gelten nur, falls die maximal zulässige Treiberfähigkeit (Fan-Out) des jeweiligen Ausgangspins nicht durch zu viele folgende Eingangspins oder andere Lasten überschritten wird.

Abbildung 13-11: Schaltverhalten mit Hysterese

Pulsweitenmodulation Unter Pulsweitenmodulation (PWM) wird die durch Zeitgeber gesteuerte Ausgabe von zyklischen Logikpegeln „high“ und „low“ verstanden. Hierbei ist es möglich, sowohl die Periodendauer der Pegelwechsel, als auch die Pulsweite zu variieren, wie Bild 13-12 zeigt. Das Tastverhältnis (Duty-Cycle) ist definiert als D

th tg

mit der Pulsweite th und der Periodendauer tg. Wichtigster Parameter ist die mögliche Bitauflösung der PWM-Stufe. Eine 8-Bit-PWM-Stufe erlaubt z.B. die maximale Abstufung von 28 Inkrementen für die Einstellung der Pulsweite und der Periodendauer. Konkret bedeutet dies z.B., dass eine maximale Periodendauer von 256 Takten verwendet werden kann; minimale Auflösung ist ein Taktzyklus. Der beschriebene Takt (hier mit PWM-Takt bezeichnet)

wird über Einstellen eines Teilerwertes direkt vom Controller-Takt abgeleitet. Der maximale PWM-Takt ist deshalb genau der Controller-Takt. Typische Teilerwerte sind Zweierpotenzen, da dies die Umsetzung durch sehr einfache Hardware ermöglicht. Wird ein niedriger PWM-Takt gewählt, können zwar niedrigere PWM-Frequenzen eingestellt werden, die erreichbare Frequenzauflösung wird dadurch allerdings schlechter. Ähnlich verhält es sich mit der Einstellung des Tastverhältnisses. Die maximale Verweilzeit innerhalb der Periodendauer auf dem „high“- oder dem „low“Pegel ist gerade die Periodendauer und wird durch den Maximalwert von 255 vorgegeben. Der Wert 128 stellt somit ein symmetrisches Verhältnis von „high“ und „low“ dar. In Bild 13-12 ist ein asymmetrisches Verhältnis dargestellt. Eingesetzt werden PWM-Ausgänge zum Beispiel für die Kommunikation mit intelligenten Sensoren und Aktoren. Die PWM-Übertragung ist im Vergleich zu einem Spannungssignal unempfindlich gegenüber Störungen. Ein weiterer Einsatzbereich ist das Erzeugen analoger Spannungen aus digitalen Werten als Ersatz für einen Digital-Analog-Wandler (DAC). Das erzeugte PWM-Signal konstanter Periodendauer bildet das Eingangssignal für einen RC-Tiefpass, dessen Ausgangssignal proportional zum Tastverhältnis ist. Bei ungünstiger Dimensionierung des Tiefpasses muss mit Überlagerung von Störsignalen gerechnet werden, da immer ein Kompromiss aus Bandbreite und ausreichendem Abstand der PWM-Frequenz zur Grenzfrequenz gesucht werden muss. Die Bandbreite des RC-Tiefpasses soll zum Einen möglichst groß sein, um ausreichende Signaldynamik zu gewährleisten, zum Anderen soll die PWM-Frequenz ein Vielfaches dieser Grenzfrequenz sein, um die Welligkeit im Signal möglichst klein zu halten. Außerdem kann eine hochohmige Ankopplung an den RC-Tiefpass, z.B. über einen nachgeschalteten Operationsverstärker als Impedanzwandler notwendig werden, da sonst Spannungsabfälle über dem RCTiefpass nicht mehr vernachlässigt werden können.

Bild 13-12: Beispiel eines PWM-Signals

13.2 Bauelemente Analog-Digital-Wandler (ADC) Eine Vielzahl von Sensoren liefert im Betrieb eine veränderliche Spannung als Funktion der Zeit. Der kontinuierliche Wertebereich, z.B. von 0 bis 5 V, wird in eine vorgegebene Anzahl von ZwischenBereichen unterteilt (quantisiert), die zur digitalen Weiterverarbeitung jeweils durch eine bestimmte Binärzahl repräsentiert werden. Die Feinheit der Quantisierung bestimmt, wie genau der ursprüngliche Analogwert dargestellt werden kann und nennt sich Auflösung. Wird z.B. angegeben, dass der AnalogDigital-Wandler mit n = 10 Bit Auflösung arbeitet, ergeben sich daraus N =2n = 1024 darstellbare Spannungsstufen, die den Binärzahlen 00 0000 0000 (dezimal 0) bis 11 1111 1111 (dezimal 1023) zugeordnet werden. Als Bezugspunkt für den maximal darstellbaren Spannungswert wird ein Referenzspannung Uref verwendet, die von außen an den Analog-Digital-Wandler angelegt werden muss, oder intern aus der Versorgungsspannung erzeugt wird. Beim Anlegen von Uref an den Eingang des Analog-Digital-Wandlers wird das digitale Ergebnis der maximal darstellbare Zahlenwert sein, mit 10 Bit also 1023. Von einpoliger Referenzspannung wird gesprochen, falls die minimale Eingangsspannung des Analog-Digital-Wandlers bezogen auf Masse 0 V ist. Bei Verwendung einer zweipoligen Referenzspannung wird nicht nur die maximale Referenzspannung Uref+ , sondern auch die (eventuell von der Masse abweichende) minimale Referenzspannung Uref– vorgegeben. Mit einer Referenzspannung von z.B. 5 V gegen Masse erhält man bei 10 Bit Auflösung eine Quantisierung in 1024 Bereiche, die jeweils eine Breite von 4,883 mV abdecken. Beim Anlegen der minimalen Referenzspannung (Masse oder Uref–) an den Eingang, wird der ermittelte Zahlenwert 0 ergeben, beim Anlegen der maximalen Referenzspannung Uref+ an den Eingang der Wert 1023. Der zweite Hauptparameter ist die zeitliche Diskretisierung (Abtastung), also der Zeitabstand zwischen zwei aufeinander folgenden Digitalwerten. Auch hier sind lineare und nichtlineare Lösungen denkbar und technisch umgesetzt. Gleichmäßige zeitliche Quantisierung kann durch zyklische Analog-Digital-Wandlung erreicht werden. Ein eventuell zur Wandlung nötiger Takt wird an den Analog-Digital-Wandler angelegt, und in äquidistanten Abständen eine Wandlung gefordert. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass der Analog-Digital-Wandler nur auf Bedarf und nicht zwingend äquidistant eine Wandlung durchführt. Nach dem Anstoßen einer Wandlung vergeht je nach Wandlertyp und Einstellung eine gewisse Zeit, bis der korrekt gewandelte Wert in digitaler Form am Ausgang vorliegt und an ein Rechenwerk übermittelt werden kann.

543 Tabelle 13-3: Kenngrößen bekannter Analog-DigitalWandler. Die Auflösung in Bit wird mit n bezeichnet. Wandlerart

Kenngrößen

SA-Wandler (Sukzessive Approximation)

n Wandelschritte nötig, aber auch nur n benötige Vergleichsspannungen, wird häufig im Mikrocontroller integriert

6'-Wandler (Sigma-DeltaWandler)

Technische Umsetzung zu etwa 90 % digital, inklusive benötigter Filterung, die ebenfalls digital erfolgen kann, Anwendung v.a. in der Unterhaltungselektronik

Flash-Wandler (Parallelumsetzer)

Schnellstes Wandlerverfahren mit nur 1 Wandelschritt, aber sehr aufwendig, da 2n getrimmte Widerstände nötig sind

Dual-SlopeWandler (Zwei-RampenWandler)

Sehr langsames (integrierendes) Verfahren, höchste Genauigkeit, wird in präzisen Messgeräten eingesetzt

Tabelle 13-4: Charakteristische Fehler von AnalogDigital-Wandlern Fehlertyp

Beschreibung

Quantisierungsfehler

Rundungsfehler der Digitalisierungsstufen

Offsetfehler

Verschiebung der Kennlinie, die zu einer systematischen Spannungsdifferenz führt

Verstärkungsfehler

Abweichung der Kennliniensteilheit

Integrale Nichtlinearität

Maximale Abweichung des digitalisierten Wertes vom tatsächlichen Wert

Differentielle Nichtlinearität

Maximaler Spannungsunterschied zwischen zwei aufeinander folgenden Digitalisierungsstufen

Falls der Analog-Digital-Wandler in einem Controller integriert ist, kann die Fertigstellung der Wandlung entweder durch Setzen eines Statusbits (Flags), oder durch Ausführen eines Interrupts angezeigt werden. Die wichtigsten Kenngrößen gängiger Typen von Analog-Digital-Wandlern sind in Tabelle 13-3 gegenübergestellt, charakteristische Fehler sind in Tabelle 13-4 genannt. Voraussetzung für die korrekte Wandlung analoger Spannungen in einen digitalen Wert ist, dass die Eingangsspannung während der vom Analog-DigitalWandler benötigten Wandelzeit konstant ist. Diese Bedingung ist bei Temperaturmessungen meist prinzipbedingt erfüllt, bei dynamischen Signalen (z.B. eines Beschleunigungssensors) kann jedoch nicht immer davon ausgegangen werden. Deshalb werden gängige Analog-Digital-Wandler bereits häufig mit

544 vorgeschalteten Abtast- und Halte-Gliedern (SampleHold) angeboten, die das Eingangssignal während der Wandlung „einfrieren“. Damit im digitalisierten Signal keine Frequenzanteile vorkommen, die im Originalsignal nicht vorhanden sind (Aliasing), muss die Abtastfrequenz mindestens doppelt so hoch sein wie die höchste im Signal vorkommende Frequenz. Für eine saubere digitale Darstellung empfiehlt es sich, das Signal noch häufiger abzutasten.

13 Elektronik Hardware den elektrisch und mechanisch durch Ultraschallschweißen oder Crimpen verbunden. Kabelbaumtester (Prüftische) dienen der elektrischen Prüfung auf Kurzschlüsse oder Vertauschung, wobei wasserdichte Stecker zusätzlich einer Dichtigkeitsprüfung unterzogen werden. Bei diesem Standardtest wird auf den entsprechenden Stecker ein Überdruck aufgebracht und der Druckabfall über der Zeit bewertet. Der Druckabfall darf spezifizierte Grenzen nicht überschreiten. Bezüglich elektrischer und mechanischer Umwelteinflüsse gelten ebenfalls die in Abschnitt 13.1.2 beschriebenen Forderungen.

13.2.4 Stecker und Kabel In der Kabelbaumfertigung werden „Kunststoffstecker“ unterschiedlichster Größe, Farbe, Polung, mit und ohne Verriegelung usw. verwendet. Ausnahmen gelten für Sonderanschlüsse (z.B. Antennen, Telefone, Navigation, Radio), bedingt durch den Einsatz von Koaxial- oder Lichtwellenleitern, die die Verwendung von metallischen Werkstoffen erfordern. Die Kabelbaumgröße ist sehr stark kundenabhängig, Fahrzeuge durchschnittlicher Ausstattung werden heute schon mit bis zu 3 km an Einzeldrähten bestückt, in großen Fahrzeugen sogar bis zu 5 km. Die verwendeten Leiterquerschnitte liegen zwischen 0,35 mm2 und 16 mm2, für Batterieanschlüsse zwischen 50 mm2 und 95 mm2. Letztere werden aus Gewichtsgründen teilweise aus Aluminium gefertigt. Für den Einsatz in feuchter Umgebung, z.B. außerhalb der Fahrgastzelle, kommen wasserdichte Stecker zum Einsatz. Da die Anschlussdrähte ausschließlich gecrimpt werden und aufwendiges Vergießen zur Abdichtung vermieden wird, sind für den wasserdichten Verbau Dichttüllen zum Schutz gegen Feuchtigkeit und Schmutz vorgesehen, die jeden einzelnen Anschlussdraht umschließen und so die Abdichtung zwischen Einzeldraht und Steckergehäuse bilden. Vertausch- und Verdrehsicherung wird über die Steckerform, Position und Form der Anschlusspins sichergestellt. Die Steckerkontakte sind mit einer Oberfläche aus Gold, Silber oder Zinn beschichtet. Zu beachten ist hierbei, dass die Oberflächenbeschichtung des jeweiligen Gegensteckers die gleichen Werkstoffe enthält, da sonst Ionenwanderungen zur Korrosion führen (galvanisches Element). Leitungen für den CAN-Bus werden zur einfachen Störunterdrückung verdrillt. Die Anzahl der Leitungskreuzungen pro Meter wird als Schlagzahl bezeichnet. Typische Abstände zwischen zwei Leitungskreuzungen sind 20 mm, 25 mm oder 30 mm. Unterschiedliche Bandagierverfahren (Klebeband, Kunststoffrohr, Kabelkanal oder Glasseidenschlauch) werden verwendet, um vor Temperatur, Feuchte und mechanischen Belastungen zu schützen. Höchsten Ansprüchen genügt der Glasseidenschlauch, der selbst Temperaturen bis 180 °C standhält, und somit auch Motorraumanforderungen erfüllt. Abzweige ohne Steckerübergänge wer-

Literatur [1] Europäische Gemeinschaft: Rahmenrichtlinie Abgas, 70/220/EWG, 1970 [2] Advanced Product Quality Planing (APQP) – Status Reporting Guideline [3] NATO: AQAP2000e – NATO Policy on an Integrated Systems Approach to Quality Through the Life Cycle, Version 1, 2003 [4] AEC Q100 Rev-F.2, Stress Test Qualification for Integrated Circuits, http://www.aecouncil.com/AECDocuments.html [5] EASIS – Electronic Architecture and System Engineering for Integrated Safety Systems. Deliverable D0.1.2, Version 1.0. The EASIS Consortium, 5.8.2004 [6] USA, Environmental Protection Agency: Title 40, Chapter 1, Subchapter C – Air Programs [7] USA: Federal Motor Vehicle Safety Standards (FMVSS) [8] Europäische Gemeinschaft: Rahmenrichtlinie Geräuschimmissionen, 70/157/EWG, 1970 [9] IEC-EN-60529 - Schutzarten durch Gehäuse (IP-Code) [10] IEC 61508 – Functional safety of electrical/electronic/programmable electronic safety-related systems. 1998–2000. Part 1-7 [11] Normen zum Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9000 ff [12] Christian Märtin: Einführung in die Rechnerarchitektur, Hanser, 2003 [13] USA: National Traffic and Motor Vehicle Safety Act, 1966 [14] R. Paul: „MOS-Feldeffekt-Transistoren“ in Halbleiterelektronik, Bd. 21, Springer, 1994 [15] MISRA - Motor Industry Software Reliability Association: Development Guidelines for Vehicle Based Software. Version: 1994, http://www.misra.org.uk [16] Bundesrepublik Deutschland: Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ProdHaftG), 1989, zuletzt geändert 2002 [17] Chrysler, Ford, GM: QS 9000, 1998 (Qualitätsstandards basierend auf ISO) [18] Bundesrepublik Deutschland: Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO), 1937, zuletzt geändert 2006, §30 [19] U. Tietze, Ch. Schenk: Halbleiter-Schaltungstechnik, Springer, 12. Auflage, 2002, ISBN 3-540-42849-6 [20] Verband der Automobilindustrie e.V.: Qualitätsmanagement in der Automobilindustrie – ZuverlässigkeitsMethoden und -Hilfsmittel, Band 3.2, 2000, 4. Auflage [21] Verband der Automobilindustrie e.V.: Qualitätsmanagement in der Automobilindustrie – System FMEA, Failure Mode and Effects Analysis, Band 4.2, 1996, 4. Auflage [22] Verband der Automobilindustrie e.V.: Qualitätsmanagement in der Automobilindustrie – QM Systemaudit, Band 6.1, 1998, 4. Auflage

14 Mechatronische Systeme Die Automobilentwicklung ist im Vergleich zu anderen Branchen in hohem Maße durch den zunehmenden Einsatz dezentraler Elektronikbaugruppen gekennzeichnet. Um den besonderen Anforderungen gerecht zu werden, die sich hieraus ergeben, müssen innovative Produktkonzepte effizient umgesetzt werden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Aufbau mechatronischer Systemlösungen zu. Die funktionale und stoffliche Integration von Mechanik, Elektronik und Software in eine räumliche Baueinheit bietet ein enormes Rationalisierungspotential und stellt den Entwickler gleichzeitig vor völlig neue Herausforderungen in der Projektierung. In den meisten Fahrzeugen werden bereits heute eine Vielzahl mechatronischer Systeme eingesetzt. Der schnell wachsende Anteil der Elektronik im Kraftfahrzeug schafft ein breites, zusätzliches Innovationsfeld für integrierte Elektronikbaugruppen. Diese Entwicklung wird maßgeblich durch die Bereitstellung und die Nutzung neuer Entwurfssysteme gestützt. Die erfolgreiche technische Umsetzung erfordert verstärkt die Bildung interdisziplinärer Arbeitsgruppen sowie den Einsatz neuer Einführungsstrategien.

schen Sensoren (siehe Abschnitt 11.2) über Komponenten bis zu über das ganze Fahrzeug verteilten Systemen. Bild 14-1 zeigt ein Türschlossmodul mit integrierten Mikroschaltern als Beispiel für eine mechatronische Komponente. Die Herstellung durch Folienhinterspritzen ermöglicht eine Reduzierung der Montageschritte. Das in Bild 14-2 gezeigte Steer-by-Wire-System (siehe hierzu auch Abschnitt 3.2.5) ermöglicht ein verbessertes Fahrverhalten bei gleichzeitiger Gewichtsersparnis durch Reduzierung von mechanischen Elementen.

14.1 Einführung und Überblick Die große Bandbreite mechatronischer Lösungen bietet ein vielfältiges Potential für Innovation und Rationalisierung. Beispiele hierfür sind auf allen „Größenskalen“ zu finden, von den mikromechani-

Bild 14-1: Türschlossmodul mit integrierten Mikroschaltern [Quelle: Freudenberg/Quarder]

Bild 14-2: Steer-by-Wire-System [Quelle: TRW]

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14 Mechatronische Systeme

Durch die Integration mechanischer und elektronischer Funktionen kombiniert mit intelligenter Informationstechnik bietet sich dem Konstrukteur eine enorm hohe Gestaltungsfreiheit zur Entwicklung komplexer und leistungsfähiger Baugruppen. Die Mechatronik verknüpft in unterschiedlich strukturierten Systemen mechanische, elektronische und softwaretechnische Funktionen zur Verbesserung der Gesamtfunktionalität der Endprodukte. So können mechatronische Systeme durch Sensorik Signale erfassen, verarbeiten und interpretieren sowie mit der entsprechenden Aktorik situationsangepasst reagieren. Die Mechatronik ermöglicht es, bestehende Grenzen, die aus einer separaten Betrachtung der Einzeldisziplinen resultieren, zu erweitern. Die optimale Nutzung der spezifischen Potentiale ist jedoch nur durch eine ganzheitliche Betrachtung des Problemfeldes möglich. Die Kombination unterschiedlicher Funktionen aus den Feldern Mechanik, Elektronik und Software in integrierten Produktstrukturen wird damit immer mehr zu einer Schlüsseltechnologie. Im Bereich der Sicherheitselektronik können beispielsweise Fahrfehler oder plötzlich auftretende Gefahrensituationen durch entsprechend reagierende Steuerelektronik und intelligente Software kompensiert oder entschärft werden. Der mechatronische Ansatz bietet zudem die Möglichkeit zur Entwicklung völlig neuer, innovativer Produkte, die zu einer deutlichen Erhöhung des Nutzwertes bei gleichzeitiger Kostensenkung beitragen.

a)

b)

rigen Elektronik, wodurch Kabel und Steckverbindungen zum Teil entfallen. Elektronische Baugruppen übernehmen zunehmend Funktionen, die bisher mit rein mechanischen Aufbaukonzepten umgesetzt wurden. Im Vergleich zu konventionellen Produkten zeichnen sich integrierte mechatronische Systeme im Fahrzeug durch technische Vorteile wie höhere Zuverlässigkeit und eine deutliche Miniaturisierung aus. Durch die Einsparung einzelner Bauteile und Komponenten reduziert sich die Anzahl der notwendigen Verbindungsstellen bei der Montage. Dies führt zu einer Verringerung der erforderlichen Prozessschritte und ermöglicht dadurch eine Steigerung der Produktqualität sowie deren Zuverlässigkeit. Gerade der weite Bereich dezentraler Elektronikbaugruppen im Fahrzeug bietet die Chance für die Umsetzung innovativer Produktkonzepte. Die zunehmende Integrationsdichte bei gleichzeitiger Forderung nach Gewichtsreduzierung und Miniaturisierung bedingt den Einsatz alternativer Lösungsansätze. Die stoffliche Integration von Leitungsstrukturen z.B. auf Kunststoffoberflächen sowie der Einsatz funktionaler Oberflächen ermöglicht neue Lösungen für intelligente Sensor-, Aktor- und Steuersysteme in peripheren Elektronikbaugruppen im Fahrzeug. Die Verarbeitung konventioneller Leitungssysteme stößt sowohl im Blick auf die Funktionserfüllung als auch hinsichtlich der Verarbeitbarkeit zunehmend auf technologische Grenzen. Die derzeit immer noch vorherrschende manuelle Montage von Leitungsstrukturen bei gleichzeitiger Zunahme des Energiebedarfs einzelner Module und der Anzahl von Einzelleitungen erfordert innovative Konzepte mit neuen Trägermaterialien. Einen zentralen Stellenwert nimmt hierbei der sich verstärkt abzeichnende Einsatz von flexiblen Flachbandkabeln ein (Flexible-Flat-Cable FFC, siehe Bild 14-4). Die hohen Potentiale bei der Einsparung von Bauraum und Gewicht sowie neue, vereinfachte und automatisierbare Montageverfahren sind die Motivation zur verstärkten Nutzung dieser Technologie.

c)

Bild 14-3: Schematische Anordnungen eines Sensors oder Aktors und der zugehörigen Elektronik: a) über Leitungen verbunden; b) räumliche Einheit; c) alle Komponenten durch einen gemeinsamen Designprozess zu einem optimalen System zusammengefasst

Die rasante Entwicklung sowie der technologische Fortschritt im Bereich der elektronischen Aufbauund Verbindungstechnik unterstützen eine immer enger werdende Integration elektronischer Funktionalitäten in den Modulen und Komponenten eines Fahrzeugs. Bild 14-3 zeigt schematisch das „Zusammenwachsen“ von Sensoren und Aktoren mit der zugehö-

Bild 14-4: Flexible Flachbandkabel

14.1 Einführung und Überblick Ergänzend gewinnt der Einsatz thermoplastischer Schaltungsträger (z.B. flexible Folien, siehe Bild 14-5), begünstigt durch die erweiterte Gestaltungsfreiheit dieser Systeme, zunehmend an Bedeutung. Gerade Starr-Flex-Verbindungen können in idealer Weise zur Umsetzung räumlich integrierter Elektronikbaugruppen herangezogen werden. Die Realisierung von Echtzeitanwendungen sowie hohe Übertragungsleistungen führen darüber hinaus zum Einsatz von Lichtwellenleitern (siehe Bild 14-6) in Zusammenhang mit optischen Bussystemen (vgl. Abschnitt 4.2). Kosteneffiziente Fertigungsprozesse und neue Lösungskonzepte in der Verbindungstechnik schaffen eine breite Basis zur zunehmenden Verbreitung dieser alternativen Leitungskonzepte. Gegenüber konventionellen Leitungen wird damit eine deutlich höhere Flexibilität zur Gestaltung mechatronischer Produktkonzepte erreicht.

547 Der Einsatz der Molded Interconnect Devices bietet dem Konstrukteur ein hohes Maß an Rationalisierungspotentialen. Durch die Integration elektronischer und mechanischer Funktionselemente verringert sich die benötigte Teilezahl und führt dadurch zu einer Verkürzung der Montageabläufe und damit zu einer weiteren Kostensenkung. Weniger Bauteile bedeutet gleichzeitig reduzierten Materialeinsatz und eine verringerte Zahl an Montageschritten bei gleichzeitiger Minimierung von Fehlerpotentialen, sodass für den gesamten Herstellungsprozess eine höhere Zuverlässigkeit erreicht wird. Mit Hilfe der Spritzgusstechnik sind beliebige Formen realisierbar, die mit der damit verbundenen Gestaltungsfreiheit eine hohe Miniaturisierung der Baugruppe ermöglichen.

a) Bild 14-5: Thermoplastischer Schaltungsträger

Bild 14-6: Lichtwellenleiter

Räumliche spritzgegossene Schaltungsträger, sog. Molded Interconnect Devices (MID), nutzen die strukturierte Metallisierung thermoplastischer Werkstoffe zur Integration mechanischer und elektronischer Funktionen. Nahezu beliebig geformten Leiterstrukturen ermöglichen völlig neue Funktionen und helfen bei der Miniaturisierung von Produkten (siehe Bild 14-7).

b)

Bild 14-7: Schaltungsaufbau im Vergleich: a) konventionelle Leiterplattentechnik; b) Molded Interconnect Device

In den letzten Jahren erfolgten Serienanwendungen z.B. in Türschlossmodulen (siehe Bild 14-1), Ölstandssensoren, Gurtschlossschaltern (siehe Bild 14-8), Leuchtweiternregulierungen (siehe Bild 14-9), Turboladerverstellungen (siehe Bild 14-14) und Funkfernbedienungen für Zentralverriegelungen (siehe hierzu Bild 14-10). Sie zeigen, dass mit Hilfe der Molded Interconnect Devices komplexe räumliche Verdrahtungsaufgaben kostengünstig umgesetzt werden können. Dabei ersetzen sie nur selten konventionelle Leiterplatten. Vielmehr ergänzen sie diese und ermöglichen die Gestaltung völlig neuer Funktionen, die mit konventionellen Aufbautechnologien nicht realisierbar wären. Die optimale Kombination von Mechanik, Elektronik und Informationstechnik in mechatronischen Systemlösungen erfordert auch ganz neue Entwurfsmethoden und Planungswerkzeuge. Eine wesentliche Herausforderung ist die Verknüpfung der verschiedenen CADSysteme zu einem integrierten Konzept der Produktund Technologieplanung. Der besondere Anspruch an die Entwurfsysteme ergibt sich aus der direkten stofflichen Verbindung des elektronischen Systems mit dem mechanischen Grundkörper.

548

14 Mechatronische Systeme

Bild 14-8: Molded Interconnect Device im Gurtschlossschalter [Quelle: VOGT/FUBA]

Bild 14-9: Molded Interconnect Device in der Leuchtweitenregulierung [Quelle: Oechsler AG]

Stützplatine

Membrane

Schnappscheibe Kontaktleiste

Leiterplatte

a)

Kontaktleiste

b)

Bild 14-10: Funkfernbedienungen für Zentralverriegelung: a) Stützplatine; b) Aufbau [Quelle: Marquardt/MIDID]

Um den hohen Anforderungen einer Entwicklung hochintegrierter Baugruppen gerecht zu werden, ist die Bildung interdisziplinärer Teams unerlässlich. Die Umsetzung funktional integrierter Produktkonzepte erfordert eine Zusammenarbeit sehr unterschiedlicher Spezialisten zur Entwicklung und Fertigung von mechatronischen Baugruppen. Dies bedingt gleichzeitig die frühzeitige Einbindung aller betroffenen Bereiche in den Konstruktionsprozess. Neben der rein mechanischen Konstruktion sind die Belange der elektronischen Schaltungsentwicklung, aber auch die Randbedingungen einer prozessgerechten Aufbauund Verbindungstechnik zu berücksichtigen. Somit betrifft der interdisziplinäre Kreis nicht nur Entwickler, vielmehr müssen Fachkräfte der nachgeschalteten Bereiche Arbeitsvorbereitung und Fertigung frühzeitig bei der konstruktiven Auslegung des mechatronischen Produktes beteiligt werden. Für die Unternehmen bedeutet dies die Festlegung geeigneter Einführungsstrategien. Fehlende Fachkompetenz bei einzelnen Aufgabenfeldern kann den Gesamterfolg einer mechatronischen Produktentwicklung frühzeitig negativ beeinflussen. Für die effiziente Projektierung sind alternative Projektstrukturen zu schaffen, die sowohl fach- als auch hierarchieübergreifend alle betroffenen Bereiche einbinden.

Im Folgenden werden einige ausgewählte Beispiele für mechatronische Systeme im Kraftfahrzeug näher beschrieben.

14.2 Mechatronische Systeme im Antrieb 14.2.1 Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie In der Auslegung von Verbrennungsmotoren werden aus thermodynamischen Gründen zur Steigerung der Zylinderfüllung zunehmend Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie eingesetzt (siehe Bild 14-11). Durch sie erfolgt eine Übertragung der Energie vom Abgasstrom in den Frischluftstrom des Verbrennungsmotors. Auf diese Weise lassen sich sowohl die Leistung als auch der Wirkungsgrad von Antrieben steigern. Leitschaufeln, die das Abgas auf das Turbinenrad leiten, steuern die dem Abgasstrom entnommene Energie. Diese thermodynamisch auf die Verdichterseite zugeführte Energie erzeugt den Ladedruckaufbau in der Luftzuführung des Verbrennungsmotors.

14.2 Mechatronische Systeme im Antrieb

a)

b)

Die Steuerung des Luftpfades erfolgt dabei mittelbar durch die auf der Turbinenseite angeordneten Leitschaufeln. Um eine dem Fahrerwunsch entsprechende Erhöhung des Ladedrucks z.B. beim Beschleunigen des Fahrzeuges möglichst schnell umsetzen zu können, müssen die Leitschaufeln in eine neue Position gebracht werden. Ein schneller und präziser Antrieb der Leitschaufeln zur Regelung der Sollposition ist für den Fahrer als ein harmonischer, seinem Wunsch direkt folgenden Drehmomentenaufbau spürbar. Pneumatische Steller (siehe Bild 14-12), wie sie bisher vielfach zur Betätigung von Klappen und Ventilen im Antriebsstrang eingesetzt wurden, üben eine durch Unterdruck erzeugte Stellkraft auf die Leitschaufeln aus. Eine exakte Steuerung kann dabei nur durch die Montage eines zusätzlichen Positionsmess-Systems erfolgen. Die Steuerung des Unterdrucks in dem pneumatischen Aktor erfolgt durch ein mit der Elektronik verbundenes elektro-pneumatisches Ventil. Diese gesamte elektro-pneumatische Funktionskette kann nur geringe Stellgeschwindigkeiten erreichen, nämlich ca. 1 s zum Öffnen und ca. 0,14 s zum Schließen. Neue, durch einen Elektromotor angetriebene Steller (siehe Bild 14-13) erreichen eine um den Faktor acht kürzere Öffnungszeit. Mit der im Stellergehäuse integrierten Lagerückmeldung ist zusätzlich eine gute Vorsteuerung der Leitschaufelposition realisierbar, so dass mit der Reglerauslegung ebenfalls ein Dynamikgewinn gegenüber einer ausschließlich ladedruckgeführten Regelschleife erreicht werden kann. Die Schnittstelle des elektrischen Stellersystems ist eine bidirektionale, elektrische Informationsübertragung, die als Pulsweitenmodulation, CAN o.a. ausgeführt wird. Der Turbolader wird oft als eine geschlossene, gekapselte Funktionseinheit an den Fahrzeughersteller geliefert und in das Antriebssystem integriert.

549

Bild 14-11: Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie: a) Leitschaufeln in Position für geringe Abgasdurchsätze, b) Leitschaufeln in Position für hohe Abgasdurchsätze [4]

Bild 14-12: Pneumatischer Steller zur Betätigung von Turbinenleitschaufeln

Bild 14-13: Elektrischer Steller zur Betätigung von Turbinenleitschaufeln

550

14 Mechatronische Systeme

1

a)

2

3

b)

c)

14.2.2 Diesel-Einspritzsysteme Diesel-Einspritzsysteme sind hoch entwickelte mechatronische Systeme im Antriebsstrang. Mit Einführung der Direkteinspritzung kamen schnell Forderungen nach mehr Flexibilität in der Kraftstoffzumessung auf (Mehrfacheinspritzung mit Voreinspritzung). Dies führte zu einem Wechsel von den druckgesteuerten Injektoren (siehe Bild 14-14a) zu elektromagnetisch betätigten Common-Rail-Injektoren (siehe Bild 1414b). Eine weitere Verringerung der Emissionen des Dieselverbrennungsprozesses ist durch eine Erhöhung der Nadelöffnungs- und Schließgeschwindigkeit möglich. Dabei zeigte sich, dass die bisher realisierte Genauigkeit und Flexibilität auch weiterhin sichergestellt werden muss. Der Einsatz von Piezo-Aktoren (siehe Bild 14-14c) an Stelle der elektromagnetischen Aktoren als elektromechanisches Koppelglied weist ein deutliches Potenzial zur Steigerung der Signalbandbreite von Einspritzsystemen auf. (Die Signalbandbreite ist definiert als das Produkt von Stellgeschwindigkeit und Stellgenauigkeit [8].) Dafür reicht jedoch das reine mechanische Ersetzen des elektromagnetischen Aktors durch einen Piezo-Aktor nicht aus. Vielmehr muss die gesamte mechatronische

Sensoren, Aktoren

Getriebe

Bild 14-14: Möglichkeiten zur Betätigung von Injektoren zur Diesel-Einspritzung (schematisch): a) druckgesteuerter Injektor, 1 Hydraulikpumpe, 2 Feder, 3 Injektor; b) Elektromagnet; c) Piezo-Aktor

Funktionskette vom Steuergerät mit Hard- und Software über Piezo-Aktor und Hydraulik bis zur Düse optimal auf die Verbrennung abgestimmt sein. Die Entwicklung dieser komplexen mechatronischen Systeme erfolgt in Kooperation zwischen dem Fahrzeughersteller und den Zulieferern. Die Verantwortung für das Einspritzsystem als Gesamtsystem liegt beim Fahrzeughersteller. Insbesondere die Spezifikations- und Integrationskompetenz sind von zentraler Bedeutung für die Qualität des verbrennungsmotorischen Antriebs als Gesamtsystem. Die Verantwortung für mechatronische Subsysteme, z.B. der Hochdruckerzeugung oder der Injektoren liegen beim jeweiligen Zulieferer.

14.2.3 Mechatronische Getriebesteuerungen Neben den klassischen, elektronischen Getriebesteuerungen, die im Motorraum verbaut werden, haben sich seit einigen Jahren integrierte Getriebesteuerungen auf dem Markt etabliert (siehe Bild 14-15). Diese können vollständig in das Getriebe integriert [1] oder als Baugruppe von außen sichtbar in das Getriebegehäuse mit einbezogen werden.

Integrierte Getriebesteuerung mit Sensoren, Aktoren und Steckern

Stecker Getriebe Stecker

Getriebesteuerung

a)

b)

Bild 14-15: Getriebesteuerung a) klassisch, vom Getriebe getrennt; b) Mmechatronisch, in das Getriebe integriert

14.2 Mechatronische Systeme im Antrieb

Hall-IC

Leiterplatte

a)

551

Mikrocontroller

Stecker

Kabel

Flexible Folie

Keramischer Schaltungsträger

b)

Beiden Konzepten gemeinsam ist, dass die integrierten Steuerungen sowohl elektronische als auch mechanische Eigenschaften aufweisen. Daher werden diese Baugruppen als mechatronische Getriebesteuerungen oder Module (Mechatronic Transmission Module, MTM) bezeichnet. Die Komplexität der mechatronischen Getriebesteuerungen wird im Wesentlichen durch die implementierten Bestandteile wie Hardware, Software, Sensorik, Aktorik, mechanische Bauteile sowie die internen und externen Schnittstellen bestimmt. Darüber hinaus kann die Funktionalität durch hydraulische Schalt- und Regelventile oder elektromotorische Komponenten weiter gesteigert werden [2]. Einer der Hauptkostentreiber der mechatronischen Getriebesteuerungen sind die integrierten Sensoren. Beispiele in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die integrierte Drehzahl- und Positionssensorik (auf HallIC-Basis) in Summe ca. 20 % der gesamten Kosten betragen. Dahingegen beträgt die Summe der darin enthaltenen Hall-ICs inklusive der Magnete lediglich ca. 5 % der gesamten Kosten, also nur ein Viertel der Gesamtsensorkosten. Von entscheidender Bedeutung ist dabei das Integrationskonzept, d.h. die Art und Weise, wie die Sensoren in die mechatronischen Getriebesteuerungen integriert werden. Die Integrationskonzepte der Sensoren können entsprechend ihrer Integrationstiefe in verschiedene Stufen eingeteilt werden, deren Abgrenzung jedoch fließend ist. Im Folgenden werden einige Merkmale dieser unterschiedlichen Integrationsstufen aufgezählt: Bei der ersten Integrationsstufe (siehe Bild 14-16a) handelt es sich um einen einzelnen getrennten Sensor mit elektrischer Steckverbindung, der nicht fest mit der

Bild 14-16: Drehzahlsensoren in mechatronischen Getriebesteuerungen a) einzelner getrennter Sensor mit elektrischer Steckverbindung; b) Sensormodul fest mit der mechatronischen Getriebesteuerung verbunden; c) integriert in die flexible gedruckte Schaltung (Folie) der mechatronischen Getriebesteuerung

c)

mechatronischen Getriebesteuerung verbunden und daher öldicht gehäust ist. Die zweite Integrationsstufe (siehe Bild 14-16b) umfasst ein Sensormodul ohne elektrische Steckverbindung, das fest mit der mechatronischen Getriebesteuerung verbunden und nicht notwendigerweise öldicht gehäust ist. Dagegen sieht die dritte Integrationsstufe (siehe Bild 14-16c) vor, das nicht oldicht gehäuste sensierende Element (z.B. HallIC) direkt zu verbauen und in den Schaltungsträger der mechatronischen Getriebesteuerung (flexible Folie oder Stanzgitter) zu integrieren. Bei der 1. Integrationsstufe verbaut der Getriebehersteller die Sensoren. Design-, Funktions- und Qualifikationsverantwortung trägt der Sensorlieferant. Zwischen Sensor- und Getriebesteuerungs-Zulieferer werden die elektrischen Schnittstellen und Funktionsparameter abgestimmt, wohingegen die mechanischen Schnittstellen durch den Getriebehersteller definiert werden. Bei der 2. Integrationsstufe muss unterschieden werden, ob öldicht oder nicht öldicht gehäuste Sensormodule verbaut werden. Öldicht gehäuste Module können als Anbaukomponenten betrachtet werden. Design-, Funktions- und Qualifikationsverantwortung trägt wieder der Sensorlieferant. Anbauvorrichtungen (z.B. Nietauge) und elektrische Kontaktierung (z.B. Laserschweißung) müssen im verbauten Zustand mit der mechatronischen Getriebesteuerung zusammen qualifiziert werden. Werden ungehäuste Sensormodule verbaut, nimmt die Integrationstiefe auf Getriebesteuerungs-Ebene zu und ein Teil der Funktions- und Qualifikationsverantwortung wird auf den Getriebesteuerungs-Lieferanten übertragen.

552

14 Mechatronische Systeme

Bild 14-17: Drucksensorchip, ungehäust auf einem Schaltungsträger verbaut; links: Seitenansicht des Sensors; rechts: gesamte Platine, Sensor markiert

Beiden Konzepten gemeinsam ist, dass der Sensorlieferant den Sensor vollständig oder zumindest teilweise kalibriert. Wird die Integrationstiefe weiter gesteigert, d.h. die sensierenden Elemente direkt auf GetriebesteuerungsEbene verbaut, übernimmt der GetriebesteurungsLieferant noch mehr Funktions- und Qualifikationsverantwortung. Ein Drucksensorchip, der ungehäust auf einem Schaltungsträger verbaut wird, kann praktisch nur noch vom Getriebesteuerungs-Lieferanten kalibriert und qualifiziert werden (siehe Bild 14-17). Dabei wird das Kalibrationswissen und die Systemverantwortung (Sensor und Getriebesteuerung) fast vollständig an den Getriebesteuerungs-Lieferanten übertragen. Eine vergleichbare Situation ergibt sich bei der Positionssensorik, wenn die einzelnen Sensorelemente (z.B. Hall-ICs, Sensorspule) auf dem Schaltungsträger implementiert werden. Die Einstellung der Sensorgenauigkeit erfolgt dabei beim Getriebesteuerungs-Lieferanten durch eine exakt aufeinander abgestimmte Platzierung der Sensorelemente zu einer mechanischen Schnittstelle, die z.B. eine Führungsschiene für einen Magnetschlitten oder eine Welle mit Magnet sein kann.

Einfacherer gestaltet sich die Integration der Hall-ICs zur Drehzahlerkennung und der Temperatur-ICs, die beide als vollständig abgestimmte Bauteile zu erhalten sind. Außer dem öldichten Verbauen dieser Sensorchips müssen die Hall-ICs zusätzlich auf der Getriebesteuerung bezüglich der Getriebegeberräder korrekt platziert werden. Diese Verantwortung ist bereits ab dem Verbau von Sensormodulen (2. Integrationsstufe) vom Getriebesteuerungs-Lieferanten zu tragen. Die Reduktion von Komponenten ist mit der Erhöhung der Integrationstiefe eng verknüpft und kann durch den Übergang von der 1. Integrationsstufe auf die 3. Integrationsstufe leicht nachvollzogen werden (siehe Bild 14-18). Eine weitere Reduktion erfolgt durch das Zusammenfassen verschiedener Komponenten, z.B. kann an die Drehzahlsensoren der Gehäusedeckel angespritzt werden, der die Elektronik öldicht abdeckt (siehe Bild 14-19). Vorteilhaft bei diesem Konzept ist, dass zu einer gegebenen festen Kundenanforderung eine optimale Lösung entwickelt werden kann. Kann nicht auf ein bestehendes Design oder eine bestehende Technologie zurückgegriffen werden, startet die Entwicklung von neuem.

Bild 14-18: Temperatursensor; links: 1. Integrationsstufe, einzelner Sensor mit Steckverbindung; rechts: 3. Integrationsstufe, Temperaturmesschip (Markierung) direkt auf keramischem Schaltungsträger gebondet

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich

553

Sperrklinke

Drehriegel

Schließbügel

Bild 14-20: Mechanische Grundelemente eines PkwSchließsystems

Drehzahlsensoren Bild 14-19: Gehäusedeckel für mechatronische Getriebesteuerung mit angespritzten Drehzahlsensoren

Ein anderer Trend besteht darin, mehrere unterschiedliche Getriebesteuerungen oder unterschiedliche Varianten mit gleichen Sensorkomponenten zu bedienen. Dabei ist es vorteilhaft, baukastenartige Systeme zu entwickeln, die durch einfache Adaption an unterschiedliche Anforderungen angepasst werden können. Ein wesentliches Charakteristikum dieser standardisierten Lösungen ist die Miniaturisierung der Sensormodule, so dass ein Höchstmaß an Flexibilität erreicht werden kann. Die Integrationstiefe steht bei diesen Lösungen nicht im Vordergrund, sondern die Modularisierung.

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich

Während des Schließvorgangs baut sich eine Gegenkraft aufgrund der zusammengedrückten Türdichtung auf, die bei geschlossener Türe zwischen Drehriegel und Schließbügel wirkt. Zur Realisierung der Zuziehfunktion sind verschiedene Konzepte denkbar. Durch den rotatorischen Antrieb des Drehriegels lässt sich ein automatisches Schließen der Tür realisieren, wie auch durch einen translatorischen Antrieb des Schließbügels im Türrahmen. Im Folgenden soll das letztere Konzept näher untersucht werden. In Bild 14-21 ist ein dreidimensionales CAD-Modell der Zuziehhilfe dargestellt. Die verschiebbar gelagerte Schließbügelplatte wird von einem exzentrisch rotierenden Nocken angetrieben, der sich in einer vertikalen Führungsnut der Schließbügelplatte bewegt. Der Exzenter in Kombination mit der Nocke und der vertikalen Führungsnut wandelt die Drehbewegung aus dem Schneckengetriebe in eine Linearbewegung um. Das Schneckengetriebe wird von einem Gleichstrommotor angetrieben.

14.3.1 Integrierte mechatronische Auslegung einer Tür-Zuziehhilfe Die Zuziehhilfe ist eine Komfortfunktion, die vor allem bei Seitentür- und Kofferraumschließsystemen zum Einsatz kommt. In Bild 14-20 sind die am Öffnungs- und Schließvorgang beteiligten Grundelemente dargestellt: Der Drehriegel und die Sperrklinke bilden das Sperrwerk und sind im Schließsystem auf dem Rückblech drehbar gelagert befestigt. Das Schließsystem ist in der Regel mit seinem Rückblech in der Tür befestigt. Der Schließbügel ist am Türrahmen, also an der B- oder C-Säule bzw. am Heckklappenrahmen befestigt. Beim Zuschlagen der Tür oder der Klappe wird der Drehriegel von der geöffneten Position in die Überhubposition gedreht und ermöglicht der mit einer Feder vorgespannten Sperrklinke einzufallen und den Drehriegel zu fixieren.

Nocke

Schießbügelplatte Schneckengetriebe Gleichstrommotor

Bild 14-21: Dreidimensionales CAD-Modell der Zuziehhilfe

554

14 Mechatronische Systeme y

h

y

j = 90° h

j = 0° x

x

x x

s0

s1

a)

b) y

j = 180° x x s2

h

c)

In Bild 14-22 sind die einzelnen Schritte des Zuziehvorganges gezeigt: In der Ausgangsposition ist die Schließbügelplatte ausgefahren. Zu Beginn des Zuschlagens entstehen zunächst keine Reaktionskräfte durch die Türdichtung. Der Drehriegel umgreift den Schließbügel. Hierfür genügt ein leichtes Zuschlagen der Türe. Bild 14-22a zeigt diese Grundposition (Exzenterwinkel M = 0°, Verschiebung der Schließbügelplatte s = s0), die durch einen Miniaturschalter erfasst wird. Nach dem Einsetzen der Motorbestromung beginnt sich die Schließbügelplatte zu bewegen. Hierfür muss nun eine näherungsweise linear zunehmende Gegenkraft aus der Türdichtung überwunden werden. In Bild 14-22b (M = 90°, s = s1) ist die Mittelstellung gezeigt, in welcher die Hälfte des Weges zurückgelegt ist und in Bild 14-22c die Endposition (M = 180°, s = s2). Beim Erreichen der Endposition muss der Motor so schnell wie möglich gestoppt werden. Dies kann auf zwei Arten geschehen: Die erste Möglichkeit besteht in einem mechanischen Endanschlag bei M = 0° und M = 180°. Hat das Schneckenrad die Position M = 180° erreicht (siehe Bild 14-22c), fährt es in den mechanischen Anschlag. Dadurch wird der Motor blockiert, und er kann abgeschaltet werden. Beim Öffnen der Türe fährt der Motor in die gegenüberliegende Position zurück und wird dort ebenfalls durch einen Endanschlag blockiert. Für diese Variante ist zu prüfen, ob der Motor für die entstehenden Kurzschlussströme geeignet ist. Die zweite Möglichkeit

Bild 14-22: Phasen des Schließvorganges, dabei bezeichnet M den Exzenterwinkel; s0, s1, s2 die Verschiebung der Schließbügelplatte; x und y das ruhende sowie K und [ das gedrehte Koordinatensystem; a) geöffnete Stellung; b) Mittelstellung; c) geschlossene Stellung

besteht darin, den Motor beim Erreichen der Stellung M = 180° durch eine Kurzschlussbremsung schnellstmöglich zum Stillstand zu bringen. Hierbei muss das Nachlaufverhalten des Schneckengetriebes untersucht werden, welches durch die Wicklungsinduktivität des Motors und das Trägheitsmoment des Ankers sowie des Getriebes bedingt ist. Beim Öffnen der Türe muss das Erreichen der Position M = 0° sichergestellt werden. Der Kern des mechatronischen Systemmodells besteht aus einem elektrischen Teil mit einem Verhaltensmodell einer intelligenten H-Brücke für Motoranwendungen (Infineon BTS 7710G), einem Gleichstrommotor als elektromechanische Komponente und schließlich dem mechanischen Modell der Zuziehhilfe. Das mechanische Modell wird anhand des Mehrkörpersimulationsprogramms ADAMS erklärt. Danach wird auf das Konzept der H-Brücke und ihre Modellierung näher eingegangen. Die Implementierung und Simulation des mechatronischen Gesamtsystems wird schließlich anhand des Mixed-Signal-Multi-Domain-Simulators Saber (Synopsys) näher ausgeführt. Bild 14-23 zeigt das mechanische Modell der Zuziehhilfe: Die Schließbügelplatte wird in Längsrichtung durch zwei prismatische Führungen gelagert, die einander diagonal gegenüberliegen. Die mechanischen Verluste in den Führungen werden durch normalkraftabhängigige Reibungsmodelle berücksichtigt.

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich

555

Bild 14-23: Mehrkörpersystem-Modell der Zuziehhilfe

Die aus der Türdichtung resultierende Kraft wird als Einzelkraft betrachtet und aufgebracht. Das Schneckenrad mit dem exzentrischen Nocken ist drehbar gelagert. Die Berührung zwischen der Verschlussbügelplatte und dem Nocken wird durch zwei ZylinderEbenen-Kontakte beschrieben. Diese übertragen die Kontaktkräfte zwischen Nocken und Platte. Die Rotationsbewegung des Schneckengetriebes wird durch eine eingeprägte Winkelgeschwindigkeit vorgegeben. Da die auftretenden Lastkräfte wesentlich größer als die Trägkeitskräfte im System sind, wird für das mechanische Teilsystem quasistatisches Verhalten vorausgesetzt. Die vergleichsweise geringen Trägheitskräfte resultieren aus der geringen maximalen Verfahrgeschwindigkeit vp = 10 mm/s der Platte. Durch Verringerung

der Masse der Verschlussbügelplatte von 155 g auf 15,5 g würde (bei einer Türdichtungskraft von 300 N) nur ein relativer Fehler von 0,004 % hinsichtlich des maximal nötigen Antriebsmomentes resultieren, so dass die Annahme quasistatischen Verhaltens gerechtfertigt ist. Unter dieser Annahme können Lastkennlinien bezogen auf das Schneckenrad berechnet werden. Sie geben das benötigte Antriebsmoment als Funktion des Drehwinkels des Schneckenrades wieder. Die Ermittlung dieser Kennlinien erfolgt mit dem Mehrkörpersimulationsprogramm ADAMS, mit dem das in Bild 14-23 gezeigte Modell simuliert wurde. In Bild 14-24 ist das Lastmoment in Abhängigkeit des Schneckenradwinkels bei einer Lastkraft von 300 N dargestellt.

Drehmoment [Nm]

0,8

0,4

0,0

0,9

2,2

3,5

4,7

6,0

–0,4

–0,8

Schneckenradwinkel [rad]

Bild 14-24: Lastmoment als Funktion des Schneckenradwinkels bei einer Lastkraft von 300 N

556

14 Mechatronische Systeme dellierung existierender Produkte, sondern auch zur Konzeptentwicklung neuer Produkte verwendet wird. Um die Vielzahl der möglichen Anwendungsfälle ausreichend genau simulieren zu können, wird zur Modellierung ein Konzept angewendet, welches zwei Ansätze kombiniert: Zur Beschreibung der nichtlinearen Schaltdynamik und der elektrothermischen Wechselwirkungen in den Leistungstransistoren werden physikalisch basierte Modellgleichungen verwendet. Dies ermöglicht zum Einen die genaue Wiedergabe der Einschwingvorgänge bei Schaltvorgängen für die Auslegung von Überspannungen, EMV-Verhalten und Verzögerungszeiten; zum Anderen wird die Auslegung der Wärmeabfuhr und der Strombelastbarkeit ermöglicht. Für die Schutz- und Diagnosefunktionen, die Gatetreiberblöcke und die (digitalen) Ein- und Ausgangspins wird eine reine Verhaltensbeschreibung verwendet, d.h. abstrahierte Strom-SpannungsKennlinien und geschaltete Widerstände.

Bild 14-25: Intelligente H-Brücke BTS 7710GP; die Zahlen bezeichnen die Pin-Nummern, S Source, D Drain, H Highside, L Lowside und I Input

Bild 14-25 zeigt das Blockschaltbild der intelligenten H-Brücke BTS 7710GP. Es handelt sich um eine Brückenschaltung für die Ansteuerung von Gleichstrommotoren. Zwei konventionelle MOS-Transistoren werden als schnell schaltbare (PWM-fähige) LowsideSchalter benutzt, während ein monolithischer DoppelHighside-Schalter alle Diagnose- und Schutzfunktionen enthält. Da die Highside-Schalter durch eine integrierte Ladungspumpe angesteuert werden (es muss zur Ansteuerung der MOS-Gates ein Potential von 5 V über der Batterie erzeugt werden), werden diese zur Umkehr der Laststromrichtung eingesetzt. Als Freilaufdioden werden die Inversdioden der MOS-Transistoren genutzt. Auf diese Weise können acht Elementfunktionen (vier Schalter und vier Freilaufdioden) mit drei Halbleiterchips realisiert werden. Verglichen mit der konventionellen Relaislösung ermöglicht der Einsatz intelligenter Halbleiterschalter die Steigerung der Zuverlässigkeit im System. Gleichzeitig sind zusätzlicher Funktionalitäten wie Pulsweitenmodulation (PWM), Kurzschlussstrombegrenzung und Sicherungsfunktionen verfügbar. Durch die Möglichkeit, das Anfangsdrehmoment beim Motoranlauf zu reduzieren, erhöht sich außerdem die Lebensdauer der mechanischen Komponenten. Wie bei allen Verhaltensmodellen für intelligente Leistungshalbleiter wurde auch hier ein modularer Modellierungsansatz gewählt, mit dem die Entwicklungszeiten für Modelle kurz gehalten werden können. Dies setzt allerdings eine Modellbibliothek von Grundfunktionalitäten voraus, die nicht nur zur Mo-

Zur Beschreibung des thermischen Verhaltens wird zunächst von der Wärmediffusionsgleichung ausgegangen, einer partiellen Differentialgleichung, welche durch ein Netzwerk aus konzentrierten Elementen diskretisiert wird. Die Herausforderung besteht darin, mit einer begrenzten Zahl von Grundelementen (in Analogie zu elektrischen Netzwerken thermische Widerstände und Kapazitäten) eine möglichst genaue Beschreibung der Übergangs-Wärmewiderstände zu erreichen. Hierfür wird zunächst eine Finite-Elemente-Simulation der Selbsterwärmungseffekte sowie auch der Wärmekopplungen durchgeführt (siehe Bild 14-26a). Das Ergebnis ist das instationäre Verhalten bei Erwärmung. Als nächstes wird ein Netzwerk aus thermischen Widerständen und Kapazitäten gebildet, welches die wesentlichen Wärmepfade in der Struktur wiedergibt. Es enthält sowohl laterale als auch vertikal orientierte Elemente, deren Werte jedoch zunächst nur grob aus den geometrischen Verhältnissen abgeschätzt werden (siehe Bild 14-26b). Nun kann mit allgemeinen Netzwerkparametern mit symbolischer Computeralgebra (Mathcad, Mathematica, etc.) ein geschlossener Ausdruck für die thermischen Sprungantworten an den Sperrschichten ermittelt werden, der mit geeigneten Optimierungsalgorithmen denjenigen Satz an Netzwerkparametern ermittelt, für den das Verhalten der FEM-Simulation am ähnlichsten ist. Alternativ kann die Optimierungsroutine auch einen kommerziellen Netzwerksimulator aufrufen, um die gewünschten Sprungantworten durch numerische Integration zu berechnen. Auch für die Entwicklung von elektrothermischen Kompaktmodellen von Leistungshalbleiter-Bauelementen bietet sich die Nutzung von Ergebnissen der Finite-Elemente-Simulation (z.B. Medici oder Dessis) an, um eine korrekte Simulation der Durchlass- und Schalteigenschaften zu ermöglichen.

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich

a)

557

Bild 14-26: Extraktion eines thermischen Kompaktmodells (b) aus der Finite-Elemente-Simulation (a)

b)

Source

Gate Kanal Raumladungszone

Äquipotentiallinien

Stromflusslinien

Drain Bild 14-27: Potential und Stromflusslinien in einer DMOS-Transistor-Zelle

Wie in Bild 14-27 gezeigt können in den verschiedenen Betriebszuständen von Halbleiterbauelementen Potential- und Stromverteilungen berechnet werden, die eine Aufteilung in konzentrierte Elemente (z.B. gesteuerte Quellen, nichtlineare Widerstände, Kapazitäten) erleichtern. Die Parametrisierung erfolgt allerdings weitestgehend anhand von Geometrie- und Technologiedaten, basierend auf den Grundgleichungen der Halbleiterphysik.

Batterie

Elektronische Steuerung mit Leistungs-H-Brücke

Diese schließen temperaturabhängige Effekte wie Ladungsträgertransport oder Rekombination ein. Zusammen mit dem thermischen Kompaktmodell ist so eine gekoppelte Beschreibung der thermischen und elektrischen Größen möglich. Diese Beschreibungsform findet für Teilfunktionen Verwendung, welche nicht unmittelbar über physikalische Schnittstellen mit der Aussenwelt des ICs in Verbindung stehen. Beispiele hierfür sind Gatetreiber, auch mit Strombegrenzungsfunktionalitäten, Operationsverstärker, viele Schutz- und Diagnosefunktionen usw., die mit gesteuerten Quellen und zustandsgesteuerten Schaltern modelliert werden können. Moderne Hardware-Beschreibungssprachen wie VHDL-AMS, Verilog-AMS oder wie im vorliegend Fall MAST für den Simulator SABER, ermöglichen hier einfache Implementierungen von vielfältigen abstrakten Beschreibungen sowohl im digitalen als auch im analogen oder gemischten („mixed-signal“) Kontext. Durch die Verbindung digitaler, ereignisgesteuerter Module mit analogen Blöcken ist somit eine sehr zeiteffiziente Simulation möglich. Bild 14-28 zeigt eine schematische Darstellung des Gesamtsystems. Die Leistungs-H-Brücke treibt einen Gleichstrommotor an, welcher sein Antriebsmoment auf das Schneckengetriebe überträgt.

Mechanik mit Gleichstrommotor und Winkelsensor

Bild 14-28: SABER-Modell des mechatronischen Gesamtsystems

558 Das Lastmoment wird am Schneckengetriebe als winkelabhängige Momentenquelle aufgebracht, deren Charakteristiken in Tabellenform hinterlegt werden. Die Erzeugung der Kurvenscharen wurde bereits erläutert. Durch kubische Spline-Interpolation werden schließlich im Modell stetig differenzierbare Verläufe generiert, um numerische Probleme bei der Simulation zu vermeiden. Der Drehwinkel des Schneckenrades wird von Sensoren erfasst. Die folgenden Ergebnisse zeigen die Anwendung der Simulation zur Analyse der Komponentenbelastungen: Die beiden alternativen Konzepte zur Bremsung des Motors werden hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Belastung der Halbleiterbrücke gegenübergestellt. Bild 14-29 zeigt den Motorstrom, die Sperrschichttemperatur der Halbleiter und die Winkelgeschwindigkeit des Elektromotors für einen Schließvorgang. Während der Beschleunigungsphase (0 bis 0,05 s) fließt ein hoher Motorstrom, da die induzierte Gegenspannung noch gering ist. Da die HighsideSchalter etwas geringere aktive Flächen besitzen als die Lowside-Schalter, wird der Highside-Schalter Nr. 1 am stärksten um etwa 25 K erwärmt. Ist der Motor auf seine stationäre Geschwindigkeit angelaufen, klingen Strom und Temperatur entsprechend ab. Nun wird die Motorgeschwindigkeit vor allem durch die nichtlineare Charakteristik der mechanischen Last bestimmt. Bis zum Zeitpunkt t = 0,48 s besteht kein Unterschied zwischen beiden Konzepten. Mit Beginn der Abbremsphase jedoch ist im vergrößerten Zeitausschnitt in Bild 14-29b erkennbar, dass beim Konzept der Kurschlussbremsung eine Umkehr der Stromrichtung im Motor stattfinden muss, um das Abbremsmoment zu erzeugen (gestrichelte Linien). Dafür wird der Highsideschalter 2 geschlossen, welcher sich infolge des Motorstroms ebenfalls um ca. 25 K erwärmt (Tjh2). Die durchgezogenen Linien, die das Konzept mit Endanschlag und verzögerter Motorabschaltung beschreiben, zeigen davon deutlich verschiedene Ergebnisse: Sobald der Anker zum Stillstand kommt, steigt aufgrund der fehlenden induzierten Gegenspannung der Motorstrom auf 12 A. Die Folge ist ein Anstieg der Temperatur Tjh1 bis zum Erreichen der Schwelle für Übertemperaturabschaltung. Es beginnt ein sich wiederholender Prozess von Übertemperaturabschalten und Wiedereinschalten nach Abkühlung des integrierten Temperatursensors. Obgleich bei derartigen Betriebszuständen eine unmittelbare Zerstörung ausgeschlossen ist, muss der möglichen Degradation nach vielen Tausenden von Schaltzyklen besondere Beachtung geschenkt werden. Aufgrund der relativ geringen zu erwartenden Zyklenzahl in der vorliegenden Konfiguration ist diese unkritisch, jedoch lassen sich unter Umständen problematischere Fälle konstruieren. Ein weiterer Aspekt bei der Auslegung des Systems ist die Belastung und die Auslegung des Scheckenge-

14 Mechatronische Systeme triebes. Bei der Variante mit Endanschlag treten relativ große Spitzenmomente auf. Im Gegensatz dazu zeigt die Variante mit Kurzschlussbremsung keine Spitzen in der Momentenbelastung. Wiederum können Lebensdaueranforderungen die Entscheidung beeinflussen, welche Variante gewählt wird. Bild 14-30 verdeutlicht den Temperatureinfluss auf die Auswahl des Elekromotors: Grundsätzlich kann ein leistungstarker Motor aufgrund seiner hohen Anlaufströme die Brückenschaltung leicht in den Kurzschlussfall mit dem sog. „thermischen Toggling“ (siehe auch Bild 14-29) zwingen. Andererseits kann ein zu schwacher Motor unter Umständen nicht in allen Extremfällen das nötige Antriebsmoment liefern. Für die Simulation wurde die Umgebungstemperatur in diskreten Schritten über den spezifizierten Temperaturbereich des Systems variiert (Umgebungstemperatur TU = –40 °C, 20 °C und 85 °C). Die wichtigsten Einflüsse der Temperatur auf die Motorparameter, die Halbleiterbrücke, die Batterie sowie die Elastizität der Türdichtung wurden in den jeweiligen Modellen berücksichtigt. Bild 14-30 zeigt die Verläufe der Sperrschichttemperaturen Tjh1 und Tjh2 der beiden Highside-Schalter der Brücke, des Motorstroms iM und der Winkelgeschwindigkeit Z für verschiedene Umgebungstemperaturen TU = –40 °C, 20 °C und 85 °C. Die wesentlichen Ergebnisse sind dabei folgende: Die maximale Sperrschichttemperatur tritt im Highsideschalter 1 auf (Tjh1 = 120 °C bei TU = 85 °C). Bei extrem niedrigen Umgebungstemperaturen (TU = –40 °C) führt die hohe Steifigkeit der Türdichtung in Verbindung mit der geringen Batteriespannung von 9 V dazu, dass das Antriebsmoment des gewählten Motors nicht ausreicht. Der Motor kommt zum Stillstand, bevor die Endposition erreicht ist, der Strom jedoch fließt in einer Höhe von 11 A weiter. Ohne weitere Maßnahmen wird so – je nach Kühlverhältnissen – eventuell die Übertemperaturabschaltung aktiviert. Da hiermit deutlich wird, dass der Motor ungeeignet für die vorliegende Anwendung ist, kann ein Optimierungsprozess gestartet werden, der die Belastung der Halbleiter berücksichtigt.

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich

559

a)

b) Bild 14-29: Verläufe des Motorstroms iM, der Sperrschichttemperatur Tjh des Highside-Schalters und der Winkelgeschwindigkeit Z des Elektromotors für einen Schließvorgang mit Endanschlag (durchgezogen) und mit Kurzschlussbremsung (gestrichelt): a) gesamter Schließvorgang; b) Ausschnitt nahe Endposition. Für die Kurzschlussbremsung ist die Sperrschichttemperatur für beide Highside-Schalter eingezeichnet, weil die Stromrichtung dabei umgekehrt wird.

560

14 Mechatronische Systeme

Bild 14-30: Verläufe der Sperrschichttemperaturen Tjh1 und Tjh2 der beiden Highside-Schalter der Brücke, des Motorstroms iM und der Winkelgeschwindigkeit Z für verschiedene Umgebungstemperaturen TU = í40 °C, 20 °C und 85 °C

14.3.2 Nutzung mechatronischer Synergiepotentiale bei Dachmodulen In den Kraftfahrzeugen gibt es heute einen Trend zur Montage vorgefertigter Module mit dem Ziel, die Fertigungstiefe und Komplexität der Fahrzeugendmontage zu verringern. Beispiele sind Cockpit-, Tür-, Stossfänger-, Sitz- Heckklappen- und Dachmodule (siehe Bild 14-31). Ein Dachmodul umfasst sämtliche in einem Festdach befindlichen Funktionalitäten. Durch die Modularisierung wird in der Fahrzeugendmontage die Anzahl der zu montierenden Komponenten reduziert (siehe Bild 14-32). Die Montage der Module kann damit wesentlich ergonomischer und damit auch kostengünstiger gestaltet werden. So entfällt beispielweise eine Überkopfmontage von Baugruppen im Dach. Ferner haben unterschiedliche Varianten keinen Einfluss auf die Taktzeit in der Fahrzeugendmontage.

Bild 14-31: Modulbildung im Fahrzeug

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich

561

Bild 14-32: Dachmodul in der Fahrzeugendmontage: 1) Entnahme aus Transportrack; 2) Kleberauftrag; 3) Verklebung auf der Karosserie

a)

b)

Bild 14-33: Dachmodul: a) Aufbau. FPC (Flexible Printed Circuit) bedeutet flexible integrierte Schaltung; b) Innenansicht mit Elektrik- und Elektronikumfängen

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14 Mechatronische Systeme

Die Variantenlogistik übernimmt der Modullieferant, welcher die Module an die Fahrzeugendmontage liefert. Die Module sind im Allgemeinen Komponententräger mit hohen Integrationspotentialen. Zu den Komponenten beim Dachmodul zählen u.a. Antennen, Innenbeleuchtung, Kabelbaum, Bildschirme, Lautsprecher, Bedienelemente, Sensorik sowie Stecksysteme. Die Bestandteile des Dachmoduls umfassen eine aus Kunststoff gefertigte Außenhaut, einen Innenhimmel inklusive Griffschalen und Sonnenblenden sowie die gesamten Elektrik- und Elektronikumfänge. Diese bestehen beispielsweise aus einem Antennensystem, einer zentralen Steckerrampe, einem FPC-Kabelbaum (Flexible Printed Circuit, flexible gedruckte Schaltung), der Beleuchtung, einer Innenraumüberwachung sowie einem zentralen Dachknotenrechner (siehe Bild 14-33). Neben ihren notwendigen elektrischen und mechanischen Funktionen haben die aufgeführten Komponenten zusätzliche elektrische und mechanische Eigenschaften, die durch die Handhabung am Endmontageband bedingt sind. Diese Eigenschaften können in einer Dachmodulmontage entfallen oder von anderen Dach-

bestandteilen übernommen werden. Dadurch entstehen kostenrelevante Synergiepotentiale. In der gegenwärtigen Entwicklung wird der Fokus zunächst auf die im Folgenden beschriebenen Elemente gelegt. Heutige Antennensysteme für Radio, Mobilfunk und Navigation werden beispielsweise als Stab-, Scheibenoder als Cavity-Antenne aufgebaut. Diese Systeme werden jeweils in eigenen Prozesschritten vormontiert, bevor sie in das Fahrzeug eingebaut werden. CavityAntennen für Telefonanwendungen bestehen aus flächig ausgeformten Stanz-Biegeteilen, die in einem definierten Abstand voneinander angeordnet sind. Die Aufgabe dieser Stanz-Biegeteile ist einerseits, den darin angeordneten Telefonantennen die notwendige mechanische Stabilität zu verleihen, und andererseits den Fahrzeuginnenraum gegen Strahlungen der Telefonantenne abzuschirmen. Dies kann jedoch auch von einem entsprechend ausgeformten und beschichteten Innenhimmel und der Dachhaut übernommen werden. Ferner besteht die Möglichkeit, Radio-Antennen in einen FPC-Kabelbaum zu integrieren, wenn das Dachmodul eine Kunststoff-Außenhaut besitzt (siehe Bild 14-34).

AM/FM-Struktur GSM inkl. Schirmfläche

GPS

Bild 14-34: Im Dachmodul integrierte Antennen: schematische Anordnung: AM/FMStruktur für Radio, GSM für Mobilfunk und GPS für Navigation (oben); Innenansicht (unten)

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich Dabei werden Dachbestandteile zum Aufbau der Antennen mitgenutzt. Der Montageaufwand wird reduziert, die Dachoptik wird dadurch verbessert, dass die Antennen nicht mehr sichtbar sind und durch Nutzung der Flächen im Dach erschließen sich neue Freiheitsgrade bei der Auslegung der Antennen. Integrierte Dachantennen können derart gestaltet werden, dass zukünftig auf Scheibenantennen vollständig verzichtet werden kann. Dabei bietet es sich an, komplexe Antennensysteme modular aufzubauen. Die Gestaltung der Antennen und die Positionierung der Vorverstärker kann ohne Rücksicht auf das Erscheinungsbild erfolgen. Dies ermöglicht ein optimales Empfangsverhalten, was bei Scheibenantennen oft nur mit Einschränkungen gilt. Die integrierte und unsichtbare Anordnung der Antennen im Dachmodul erlaubt eine bessere Nutzung der verfügbaren Flächen gegenüber Systemen, welche auf Scheibenantennen basieren. Die Aufgabe der Gehäuseteile von Dachelektroniken besteht vor allem in der Gewährleistung von mechanischer Stabilität und dem Schutz vor elektrostatischen Entladungen und Beschädigung bei Transport und Montage. Diese Funktionalität kann auch von Dachhaut und Innenhimmel übernommen werden. Die Voraussetzung dafür ist die Verlagerung der Montage dieser Komponenten in eine adäquate und damit geschützte Umgebung. Die Fertigung eines Dachmoduls findet ohnehin unter Reinraumverhältnissen statt, so dass Schwierigkeiten erst im Reparaturfall entstehen. Da in den Werkstätten in der Regel keine Reinraumbedingungen geschaffen werden können, wird es für Austauschelektroniken Sonderlösungen geben, die ausreichend geschützt sind. Heute werden die im Dach befindlichen Baugruppen, je nach Ausstattungsvariante, durch mehrere Steckverbindungen mit dem Fahrzeugkabelbaum verbunden. Die Herstellung der Verbindung erfolgt meist manuell. Durch eine Vormontage der Komponenten im Dachmodul können diese Stecksysteme zu einem zentralen Steckverbinder oder einer Steckerrampe zusammengefasst werden.

563 Ferner können die elektrischen Kontakte so in das Dach integriert werden, dass die mechanischen Eigenschaften des Steckers durch das Dach selbst bestimmt werden. Zu diesen Eigenschaften gehört die Aufnahme und Zentrierung der Kontakte. Damit wird bei der Dachmodulmontage gleichzeitig und ohne zusätzlichen Prozesschritt die Kontaktierung an den Fahrzeugkabelbaum hergestellt (siehe Bild 14-35). Eine wesentliche Rolle spielt dabei ein Toleranzausgleich sowohl während der Montage als auch im eingebauten Zustand vom Dach. Er ist erforderlich, um die Steckverbindung von auftretenden Kräften zu isolieren, unter denen die Verbindung oder die Kontakte leiden könnten.

14.3.3 Hardware-in-the-Loop-Simulation im Komfortbereich Im Analysebereich der Qualitätssicherung werden Steuergeräte sowie deren Sensoren und Aktoren an einem Brettaufbau des elektronischen Gesamtsystems betrieben und getestet. Dabei sind von den meisten Steuergeräten die physikalischen Lasten und Regelstrecken als Hardware vorhanden. Um die Analysetiefe voll auszuschöpfen, werden die physikalischen Lasten durch parametrierbare Simulationsmodelle ersetzt oder ergänzt (siehe hierzu auch [9] [10] [11]). Hier wird als System exemplarisch der elektrische Heckdeckelantrieb des Audi A6 Avant herangezogen. Am Brettaufbau sind das Heckdeckelsteuergerät sowie die Elektromotoren mit Getriebestufen vorhanden, die den Heckdeckel öffnen und schließen. Es ist jeweils ein Motor mit zwei Getriebestufen auf der Fahrer- und der Beifahrerseite vorhanden. Die Motoren erfahren beim Betrieb am Brettaufbau jedoch keine Belastung durch den Heckdeckel, da hier der Heckdeckel nicht vorhanden ist. Für dieses Lastmoment wird ein Modell erstellt, das das Lastmoment fahrer- und beifahrerseitig simuliert. Elektronik-Brettaufbau Der Elektronik-Brettaufbau (siehe Bild 14-36) ist in die Bereiche Antrieb, Komfort und Infotainment aufgeteilt. Die drei Teile können sowohl allein stehend als auch gemeinsam im Verbund betrieben werden. An dem Brettaufbau sind alle Steuergeräte des Fahrzeugs vorhanden; teilweise auch mehrfach, um verschiedene Länder- und Ausstattungsvarianten prüfen zu können. Es können Fehlerfälle reproduziert werden, um deren mögliche Ursachen zu lokalisieren. Auch Steuergeräte, die beim Kunden Probleme bereiten, können betrieben werden, um festzustellen, ob die Fehlerursache im Steuergerät selbst oder in einem anderen, interagierenden Teilsystem des Fahrzeugs liegt.

Bild 14-35: Zentrale Schnittstelle zum Fahrzeugkabelbaum (rote Markierung)

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14 Mechatronische Systeme

Bild 14-36: Elektronik-Brettaufbau

Elektrischer Heckdeckelantrieb Die mechatronische Einheit des elektrischen Heckdeckelantriebs, auch Power Closure System (PCS) genannt, besteht aus dem Heckdeckelsteuergerät und dem Elektromotor mit Magnetkupplung und zwei nachfolgenden Getriebestufen. Es ist jeweils eine dieser Antriebseinheiten für die Fahrer- und für die Beifahrerseite vorhanden. Diese sind in Bild 14-37 dargestellt. Das Heckdeckelsteuergerät ist ein Busteilnehmer am Komfort-CAN (100 kBaud). Es ist so gestaltet, dass es direkt mit der Antriebseinheit des Heckdeckels verbunden ist und damit längere elektrische Verbindungen nicht erforderlich sind. Das Steuergerät regelt die Geschwindigkeit der Öffnungs- und der Schließbewegung durch eine Pulsweitenmodulation in der Versorgung des Elektromotors. Bei dem Elektromotor handelt es sich um einen permanenterregten Gleichstrommotor. Das nachfolgende Getriebe hat zwei Übersetzungsstufen. Durch die sehr große Gesamtübersetzung kann der Elektromotor verhältnismäßig klein dimensioniert werden. Die Magnetkupplung hat die Aufgabe, den Heckdeckel in seiner jeweiligen Position zu halten, wenn er von den Antriebsmotoren nicht bewegt wird. Dies ist bei der vollständig geöffneten und bei der durch den Anwender eingestellten Endlage der Fall. Dadurch müssen zum Halten des Heckdeckels die Elektromotoren

nicht bestromt werden, sondern das Haltemoment wird durch die Kupplung übertragen. Der Antrieb verfügt außerdem über eine Sensoreinheit, die den Öffnungswinkel und die Öffnungsgeschwindigkeit des Heckdeckels misst. Die Steuergeräte der beiden Antriebseinheiten sind in einen Master (Fahrerseite) und einen Slave (Beifahrerseite) eingeteilt. Lediglich das Master-Steuergerät hängt am Fahrzeug-CAN-Bus. Die Kommunikation zwischen Master und Slave ist über einen privaten Eindrahtbus realisiert.

Bild 14-37: Antriebseinheiten für den Heckdeckelantrieb: 1 Fahrerseite, 2 Beifahrerseite

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich Öffnungs- und Schließbewegung Die Öffnungsbewegung wird über einen Befehl vom Bus initiiert, die Schließbewegung über das Signal vom Klappeninnentaster oder ebenfalls über ein Bussignal. Wenn der Befehl akzeptiert wurde, wird zuerst die Kupplung angezogen. Anschließend wird der Motor mit einer Geschwindigkeitsregelung angesteuert. Der Inkrementengeber dient zur Erfassung der Position und der Geschwindigkeit, sowohl für die Geschwindigkeitsregelung als auch für die Hinderniserkennung. Die Öffnungsbewegung wird nach einem definierten Winkel („wählbarer Öffnungsstopp“) beendet. Sie kann auch durch ein Hindernis unterbrochen werden. In diesem Fall bleibt der Heckdeckel in der Position stehen, in der das Hindernis erkannt wird. Die Schließbewegung wird beendet, wenn das Schloss geschlossen ist, ein Hindernis erkannt wurde oder die Schließbewegung durch Tastendruck unterbrochen wurde. Bei einer Hinderniserkennung in Richtung Schließen wird der Heckdeckel um vier Grad reversiert. Der angesprochene „wählbare Öffnungsstopp“ kann durch den Fahrer programmiert werden. Die auftretenden Momente der Bewegung sind von der Position des Heckdeckels, dessen Öffnungsgeschwindigkeit und der Fahrzeuglage abhängig. Um diese wechselnden Momente und auch die Motortoleranzen auszugleichen, wird für die Bewegung eine Geschwindigkeitsregelung eingesetzt, welche die aktuelle Motorgeschwindigkeit einem vorgegebenen Verlauf nachführt.

565 Mit Hilfe dieses Koordinatensystems werden die zur Modellierung benötigten Längen und Abstände berechnet. Die Drehmomente in Öffnungsrichtung werden positiv, die Momente in Schließrichtung negativ gezählt. Die Geometrie des Heckdeckels wird für die Modellbildung vereinfacht durch die in Bild 4-39 gezeigten Abstände und Winkel beschrieben.

Bild 14-39: Vereinfachte Geometrie des Heckdeckels. Die Verdickung der Linie symbolisiert die Gasdruckfeder des Heckdeckels: ĳ aktueller Öffnungswinkel des Heckdeckels, S Schwerpunkt des Heckdeckels (abhängig von ĳ), S0 Lage des Schwerpunkts bei geschlossenem Heckdeckel, D Drehachse, l Abstand zwischen Drehachse und Schwerpunkt, Į0 Winkel des geschlossenen Heckdeckels gegenüber der Horizontalen

Drehmomente an der Heckklappe Geometrie des Heckdeckels Im Fahrzeug ist ein kartesisches Koordinatensystem definiert, dessen Ursprung in einem Aufhängungspunkt der Vorderachse liegt (siehe Bild 4-38).

Bild 14-38: Skizze der Heckansicht eines Audi A6 Avant

Das Ziel der Modellbildung ist es, das momentane Drehmoment in Abhängigkeit des gemessenen Öffnungswinkels und der Öffnungsgeschwindigkeit zu ermitteln, das die Elektromotoren in jedem Zustand des Systems zum Öffnen oder zum Schließen des Heckdeckels aufbringen müssen. Dabei sind der Neigungswinkel des Fahrzeugs und von außen am Heckdeckel angreifende Kräfte zu berücksichtigen. Der elektrische Heckdeckelantrieb verfügt, wie bereits angesprochen, über zwei Antriebseinheiten, jeweils eine für die Fahrer- und eine für die Beifahrerseite. Der Schwerpunkt des Heckdeckels befindet sich jedoch nicht exakt auf der x-Achse des Fahrzeugkoordinatensystems (y = 0), sondern etwas versetzt in Richtung Beifahrerseite. Dieser außermittige Schwerpunkt ist unter anderem durch die Ausstattung des Heckdeckels mit einem optionalen Heckrollo und seinem Antrieb, einem Warndreieck und dem Elektromotor für den Heckwischer bedingt. Der Angriffspunkt einer äußeren Krafteinwirkung kann auch stark von der Fahrzeugmittelachse abweichen, so dass es notwendig ist, im nächsten Schritt das gesamte Lastmoment des Heckdeckels in zwei Teilmomente aufzuteilen: eines für die Fahrer- und eines für die Bei-

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14 Mechatronische Systeme

fahrerseite. Bei dem Öffnungs- und dem Schließvorgang ist kein hundertprozentiger Gleichlauf beider Antriebseinheiten gewährleistet, so dass der Heckdeckel sowohl hierdurch als auch durch die oben angesprochenen außermittigen Krafteinflüsse ein Torsionsmoment erfährt. Der Heckdeckel bildet keine starre Verbindung zwischen beiden Scharnieren, sondern weist eine gewisse Elastizität auf, die bei der Modellierung berücksichtigt werden muss. Die Verbindung beider Seiten wird durch eine Welle mit der Eigenschaft einer gedämpften Torsionsfeder modelliert. Zur Bestimmung des Drehmoments MM, das von einer Antriebseinheit aufgebracht werden muss, wird die Drehmomentenbilanz aufgestellt. Dies muss für die Fahrer- und für die Beifahrerseite separat erfolgen, wird aber hier exemplarisch nur einmal durchgeführt. Man erhält J M

MM MG MF MK ME ,

wobei J das Trägheitsmoment, MG das Gewichtsmoment, MF das Moment durch die Gasdruckfeder (Federkraft und Dämpfung), MK die Kopplung zwischen Fahrer- und Beifahrerseite und ME der jeweilige Anteil des extern am Heckdeckel angreifenden Moments ist. Das Gewichtsmoment MG hängt vom momentanen Öffnungswinkel ĳ und vom Neigungswinkel į des Fahrzeugs ab: MG

m g l cos(D 0 M G ) .

Hierbei ist į positiv, wenn das Fahrzeug nach unten geneigt ist. Da die Modellierung des Drehmomentes MG der Gasdruckfeder um die Drehachse des Heckdeckels verhältnismäßig umfangreich ist, soll hier nur ein kurzer Überblick über die einzelnen Schritte gegeben werden. Als erstes wird die Federkraft ermittelt. Idealisiert hat diese den Verlauf wie in Bild 14-40.

Bild 14-40: Vereinfachte Kennlinie einer Gasdruckfeder

Es muss also zunächst die Federlänge in Abhängigkeit des Öffnungswinkels ermittelt werden. Im Anschluss wird die Federkraft als Geradengleichung mit einer Steigung und einem Offset so aufgestellt, dass sie zwischen der Einschub- und der Ausschubkraft liegt. Im nächsten Schritt wird die dynamische Reibkraft, also die Parallelverschiebung der Federkraft zwischen Ein- und Ausfahrbewegung berücksichtigt. Als weitere Einflussgröße wird dann die Dämpfung der Gasdruckfeder modelliert, welche die Federkraft geschwindigkeitsabhängig beeinflusst. Außerdem kommt noch die Temperaturabhängigkeit hinzu, da sich der Stickstoff im Druckrohr der Feder mit zunehmender Temperatur ausdehnt. Für das aus dieser Federkraft resultierende Drehmoment wird im nächsten Schritt der senkrechte Abstand der Gasdruckfeder zur Drehachse in Abhängigkeit des Öffnungswinkels ermittelt. Wenn sich der Heckdeckel in der oberen oder der unteren Endlage befindet, dann muss das Lastmoment des Heckdeckels nicht von den elektrischen Antriebseinheiten kompensiert werden, da hier die Gegenkräfte vom Schloss bzw. von der Karosserie aufgebracht werden. Daher wird hier auch im Modell das Drehmoment zu null gesetzt. In den Endlagen ist grundsätzlich die Öffnungsgeschwindigkeit M 0 . Modellvalidierung

Da vom Hersteller der Gasdruckfeder eine direkte Vermessung vorlag, konnte das Teilmodell für die Federkraft separat validiert werden. Dazu wurde dieses Teilmodell isoliert und verschiedene Ein- und Ausfahrgeschwindigkeiten vorgegeben. Die durch eine Nut im Druckrohr hervorgerufene Dämpfung bewirkt teilweise eine Parallelverschiebung der Federkraft. Dies wurde im Modell genau so umgesetzt. Im Bereich der dynamischen Dämpfung, wo sich die Nut verjüngt, wurde der Dämpfungsfaktor erhöht, so dass die Federkraft in entsprechendem Verlauf abnimmt. Der dadurch entstehende Modellierungsfehler bei höherer Geschwindigkeit ist nicht relevant, da dieser Geschwindigkeitsbereich nicht erreicht wird. Zur Durchführung statischer Lastmomentmessungen des Heckdeckels wurde eine digitale Federwaage verwendet. Es wurden bei Öffnungswinkeln zwischen 0° und 90° in 10°-Abständen die Kräfte gemessen, die erforderlich waren, um den Heckdeckel in seiner jeweiligen Position zu halten. Zur Darstellung des Verlaufs des Lastmomentes während der Öffnungsbewegung des Heckdeckels wurde der Strom gemessen, der vom Heckdeckelantrieb aufgenommen wurde. Anhand der Parameter des Elektromotors sowie der Getriebestufen wurde das Drehmoment ermittelt, welches die Elektromotoren am Abtrieb aufbringen. Die Kraftübertragung von den Antriebseinheiten auf den Heckdeckel erfolgt über einen Bügel, in den der

14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich Getriebeausgang des Antriebes eingehängt ist. Diese Kopplung enthält eine Lose, die jeweils beim Beginn einer Bewegung überbrückt werden muss. Auch nach dem angesprochenen Vorzeichenwechsel des Lastmomentes kommt der Einfluss der Losestrecke zum Tragen. Hier reicht das positive Moment der Gasdruckfeder aus, um den Heckdeckel vollständig zu öffnen. Die Antriebseinheiten laufen dann innerhalb der Losestrecke mit, ohne ein Drehmoment an den Heckdeckel zu übertragen. Da die Herstellung der Antriebsmotoren und deren Sensorik mit gewissen Toleranzen behaftet ist, treten sowohl bei der Stromaufnahme als auch bei der Geschwindigkeitsregelung Schwankungen zwischen den unterschiedlichen Motoren auf. Bei der Vermessung des dynamischen Verhaltens wurden daher verschiedene Motorpaare in den Fahrzeugaufbau eingebaut und jeweils genau die gleichen Messungen unter identischen Umgebungsbedingungen durchgeführt. Umsetzung auf einen Bremsmotor

Das hier vorgestellte Modell wird an einem Elektronik-Brettaufbau eingesetzt. Die daran vorhandenen Antriebseinheiten werden mit Hilfe dieses Modells mit dem Moment belastet, das am realen Fahrzeug der Heckdeckel aufbringt. Dazu wird das Modell auf ein Echtzeit-Target aufgespielt. Die über separate Sensoren zu messende Winkelgeschwindigkeit wird in das Modell eingespeist und das daraus errechnete Lastmoment ausgegeben. Die Winkelgeschwindigkeit dient als Führungsgröße für eine Regelung, die auch direkt mit in die Modellbildung integriert werden kann. Über eine Leistungselektronik wird ein Elektromotor angesteuert, der das vorgegebene Drehmoment aufbringt und die Antriebseinheiten damit belastet. In Bild 14-41 ist der Regelkreis für die Motorbremse schematisch dargestellt.

Bild 14-41: Schematischer Regelkreis mit Bremsmotor: M1 Bremsmotor, M2 Antriebsmotor, Msoll Sollmoment Bremsmotor, Mist Istmoment Bremsmotor, M Öffnungsgeschwindigkeit

Bewertung des Einsatzes

Das Modell zur Berechnung des Lastmomentes wird eingesetzt, um physikalische Lasten und Regelstrecken durch Simulationen realitätsnah nachzubilden. In der Fahrzeuganalyse kann mit Hilfe solcher

567 Simulationen die Analysetiefe deutlich gesteigert werden. Die einfach parametrierbaren Umgebungsbedingungen sind hier stets reproduzierbar, was für den Vergleich von Analyseergebnissen sehr wichtig ist. Das Verhalten eines Teilsystems unter schwer realisierbaren Umgebungsbedingungen, wie z.B. extreme Temperaturen, wozu bisher der Einsatz von Klimakammern notwendig war, kann auch am Elektronik-Brettaufbau untersucht werden. Es können grenzwertige Zustände beliebig oft angefahren werden, ohne die zu testende Baugruppe zu verschleißen, und sicherheitskritische Zustände können gefahrlos geprüft werden. Das gezielte Auslösen eines Fehlerzustands von defekten Bauteilen lässt sich ebenfalls in die Modellbildung integrieren, so dass für derartige Tests keine Komponenten manipuliert oder zerstört werden müssen. Der Einsatz von Simulationsmodellen bringt einen erheblichen Zeitgewinn beim Testen mit sich, da durch einfache und schnelle Variation von Parametern ein breites Analysespektrum erreicht werden kann. Demgegenüber steht der Aufwand für die Erstellung und die Pflege der Simulationsmodelle, sowie die Parameteridentifikation und die Modellvalidierung. Das hier ausgewählte Teilsystem „Lastmoment Heckdeckel“ stellt dabei noch ein relativ einfaches Teilsystem dar.

Literatur [1] Girres, G., Loibl, J., Ulm, M.: Mechatronische Steuerungen im Getriebe; VDI-Berichte Nr. 1393, Getriebe in Fahrzeugen 1998, Friedrichshafen [2] Mechatronische Getriebesysteme: Mechatronik und Design moderner Kfz-Getriebe; in: Oberhauser, M., Vetter, H., u.a.: Kontakt und Studium Band 595, expert-Verlag 2001, Renningen-Malmsheim [3] Noebauer, G.: Creating Compact Models Using Standard Spreadsheet Software, Proc. of 17th IEEE Semiconductor Thermal Measurement & Management Symp., 2001 [4] Christian Ertl, Rudi Müller, Günter Schenkermayr: Der neue BMW 330d – Fahrdynamik und Stabilitätsregelung, ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 101 (1999) 10 [5] Metzner; Schäfer: Architecture Development of Mixed Signal ICs for Automotive Application with VHDL-AMS, BMAS 2002, Santa Rosa CA, USA [6] Metzner; Schäfer; Genta; Manzone; Santero: Investigations of a Direct Injection System with a Simulatable Specification of Smart Bridge Driver ICs., SAE Conference 2003 [7] Lindenmeier, H.; Hopf, J.; Reiter, L.; Brose, J.; Kronberger, R.: Multimediafähige Antennensysteme für Kraftfahrzeuge VDI Berichte Nr. 1547, 2000 [8] Flämig-Vetter, T.: Innovative-Motorsteruerungen – Piezoaktorik als eine Schlüsseltechnologie im Fahrzeugantrieb. TAE Symposium Elektronik im Kraftfahrzeugwesen 2004 [9] Robert Bosch GmbH (Hrsg.): Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, 25. Aufl. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2004 [10] Reif, Konrad: Automobilelektronik, 1. Aufl., Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2006 [11] Schäuffele, Jörg; Zurawka, Thomas: Automotive Software Engineering, 3. Aufl., Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2006

15 Elektromagnetische Verträglichkeit 15.1 Motivation 15.1.1 Entwicklungstendenzen Automobil Die Kraftfahrzeugtechnik zeigt in den letzten Jahren aufgrund neuer Entwicklungen und Funktionen eine enorme Zunahme an EM-Systemen. EM steht abkürzend für Einrichtungen elektrischer, elektronischer, elektromagnetischer und elektromechanischer (E) sowie magnetischer und mechatronischer (M) Art. Viele dieser Komponenten und Systeme sind direkte oder indirekte Ursachen für Störungen der elektromagnetischen Verträglichkeit, der EMV. Dies gilt für hochfrequente, aber auch für die im Niederfrequenzbereich arbeitenden EM-Komponenten und Systeme, wobei Komponenten im Inselbetrieb oder auch erst nach der Fahrzeugintegration EMV-Probleme hervorrufen können. EMV-Effekte verschiedener Frequenzbereiche werden nachfolgend erläutert. Dabei wird mehr die Verständlichkeit und nicht der Anspruch wissenschaftlicher Vollständigkeit betont. Neben Empirie, Simulation und Messtechnik im Fahrzeug werden auch Aspekte des Vorgehens, des Managements und der Konzeption im Bereich der EMV behandelt.

15.1.2 EM-Systeme und Funktionen im Automobil Innovationsbestrebungen und gesetzliche Vorschriften bezüglich Kraftstoffverbrauch und Emissionen, die ohne moderne EM-Systeme nicht erreichbar wären, sind Gründe für die Zunahme von EMSystemen im Fahrzeug. Dies ist eine Tendenz, die herstellerunabhängig beobachtet werden kann. Innovationen werden im Automobil zunehmend über verschiedene komplexe Funktionen aus den Bereichen der Wirtschaftlichkeit, der Mobilität, des Komforts und der Sicherheit realisiert. Die Funktionsimplementierung geschieht dabei häufig in Form von EM-Systemen. Dies führt zu einem immensen Anstieg an Bordrechnern und Steuergeräten mit verschiedenen Taktfrequenzen und Bussystemen mit Transceivern (CAN, LIN, FlexRay). Beispiele hierfür sind komplexe Motor- und Getriebesteuerungen, ebenso wie Antriebs- und Verstellsteuerungen. Der Anteil des Infotainment hat im Bereich Audio, Video und TV sowie der Visualisierung durch prozessorbasierende Instrumentierung stark zugenommen, ebenso wie die Telekommunikation mit bordeigenen und bordfremden Sendern für Mobilfunk, Navigation, Telemetrie- und Telematikfunktionen. Zusammen mit Spezialanwendungen mit sehr hohen

Sendeleistungen wie dem Behörden-, CB- und Amateurfunk hat die Telekommunikation dazu geführt, dass immer mehr komplexe Antennensysteme in den beengten Verhältnissen des Fahrzeugs integriert werden. Des Weiteren werden zunehmend mechanische, hydraulische und pneumatische Komponenten durch EM-Systeme ersetzt, sei es aus Kostengründen, sei es aus Gründen der bedarfsabhängigen Energiebereitstellung und Energieeinsparung durch bessere Steuerund Regelbarkeit. Hierzu gehören auch neuartige EM-Systeme, wie beispielsweise elektromagnetische Ventiltriebe oder Hybridantriebsstränge mit weiterführenden, über den reinen Starter-Generator-Betrieb hinausgehenden Zusatzfunktionen der elektrischen Maschine. Bei diesen vielfältigen mechatronischen Lösungen, bei denen aufgrund gemischter Technologie nicht nur Effekte aus dem Bereich der Elektronik und der Sensorik, sondern insbesondere auch der Aktorik auftreten, spielt die EMV eine entscheidende Rolle. In der Elektronik werden von der Bauteile- über die Leiterplatten- bis zur Steuergeräte- und Verbindungsebene höhere Ausnutzungen, Miniaturisierungen und Integrationsdichten angestrebt, woraus sich neben EMV-Problemen auch Schwierigkeiten thermischer und konstruktiver Art ergeben. Höher werdende Taktfrequenzen resultieren in kürzeren Anstiegs- und Abfallzeiten der Signale, was zusammen mit immer niedrigeren Versorgungsspannungen zu weiteren EMVHerausforderungen führt. Erschwerend kommen im Fahrzeug verstreute Steuergerätearchitekturen hinzu, ebenso wie komplexe Kabelbaum- und Leitungstopologien. Die massive Fahrzeugelektrifizierung hat zudem zu verteilten Massepunkten geführt, so dass zusammen mit der komplexen Massestruktur der Karosserie und dem Kabelbaum dem Massegesamtkonzept eine entscheidende EMV-Rolle zukommt. Aber nicht nur die EM-Systeme selbst, sondern die dazugehörige Software und die physikalischen und virtuellen Diagnoseverfahren können die EMV beeinträchtigen und erfordern deren Betrachtung, ebenso wie die verschiedenen nationalen und internationalen Normen und Regularien.

15.1.3 Betrachtung der EMV Eine detaillierte Betrachtung der EMV im Automobil ist aufgrund der genannten EM-Tendenzen, der verringerten Produktentwicklungszeiten und mancher spezifischer Topologien von Fahrzeugsystemen geboten. Alle EM-Systeme unterliegen EMV-An-

570 forderungen, so dass sowohl deren Design als auch deren Integration hinsichtlich des Abstrahlungs- und Einstrahlungsverhaltens sowie der Signalintegrität betrachtet werden muss. Insbesondere in der Automobiltechnik stellt sich bezüglich der EMV die Frage nach der Fertigbarkeit, Testbarkeit und Zuverlässigkeit des Produkts selbst, besonders auch vor dem Hintergrund des Zusammenspiels und der Prozessorganisation zwischen Zulieferer und Fahrzeughersteller. Die Entwicklungs- und Herstellkosten eines Fahrzeugs werden sich zukünftig noch mehr durch den Anteil an EM-Systemen definieren, so dass das Thema EMV auch künftig sowohl kunden- als auch herstellerseitig in den Bereichen Komfort, Sicherheit und Mobilität omnipräsent sein wird. Entsprechend den in Fahrzeugen eingesetzten Systemen, der Normung sowie der Gesetzgebung ist der EMV die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie den anderen Entwicklungsdisziplinen im Fahrzeug, wenn auch derzeit die praktische Umsetzung noch nicht immer adäquat gegeben ist.

15.2 Allgemeines zur EMV Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) ist der Zustand des „harmonischen“ Nebeneinanders verschiedener EM-Komponenten und EM-Systeme. Dies bedeutet, dass diese sich nicht selbst oder gegenseitig unzulässig beeinflussen. Ebenso impliziert ist die Tatsache, dass sie nicht durch ihre Umgebung gestört werden oder selbst diese auf eine nicht tolerierbare Weise stören. Auf das Fahrzeug übertragen bedeutet dies die Fähigkeit seiner vielfältigen EM-Systeme, in ihrer elektromagnetischen Umgebung, zu der auch andere Fahrzeuge und Einrichtungen gehören, zufriedenstellend zu funktionieren, ohne diese unzulässig zu beeinflussen.

15.2.1 Begriffe und Erläuterungen Da sich die elektromagnetische Verträglichkeit oder Kompatibilität (EMC: electromagnetic compatibility) mit der Erkenntnis und der Erfassung von externen und internen elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Beeinflussungen (EMB: elektromagnetische Beeinflussbarkeit) von Systemen beschäftigt, beinhaltet der Oberbegriff der EMV auch die Emissionen, d.h. die Abstrahlungen (EME: electromagnetic emission, EMR electromagnetic radiation), die Interferenzen (EMI: electromagnetic interference), die Störfestigkeit und die Suszeptibilität (EMS: electromagnetic susceptibility), sowie die Einhaltung der EMV. Die Störfestigkeit ist die Fähigkeit einer elektrischen Einrichtung, Störgrößen einer bestimmten Höhe ohne Funktionsstörung zu

15 Elektromagnetische Verträglichkeit ertragen. Sie bezieht sich im Fahrzeug auf die Sicherheit des Fahrers und anderer Verkehrsteilnehmer. Fahrzeugfunktionen sind zunächst nur dann EMV-technisch zu überprüfen, wenn sie Einfluss auf die Kontrolle des Fahrzeugs haben. Bei der Störaussendung geht es im Gesamtfahrzeug darum, dass andere Verkehrsteilnehmer beim Betrieb nicht gestört werden. Ein Sachmangel liegt also nur dann vor, wenn andere in Mitleidenschaft gezogen werden. Störungssimulationen und -prüfungen können aufgrund vielfältiger möglicher Fahrzeugzustände nur anhand weniger exemplarischer Betriebszustände nachgebildet werden. Eine Funktionsstörung, d.h. eine unerwünschte Beeinträchtigung der Fahrzeug- oder der Fahrzeugeinrichtungsfunktion, umfasst dabei die Begriffe Funktionsminderung, Fehlfunktion und Funktionsausfall. Die Funktionsminderung ist eine nicht vernachlässigbare Beeinträchtigung, die aber als zulässig akzeptiert wird und die mit dem Abklingen der sie verursachenden Störgröße endet. Eine Fehlfunktion dagegen tritt bei einer nicht mehr zulässigen Beeinträchtigung auf, sie endet aber ebenso mit dem Abklingen der zugehörigen Störgröße. Anders verhält es sich bei einem Funktionsausfall, bei dem die Funktionsbeeinträchtigung nicht mehr zulässig ist und diese nur durch technische Maßnahmen wie Reparatur, Wiedereinschalten oder Neustart wiederhergestellt werden kann. Der reversible Funktionsausfall kann oft durch einen schnellen, einfachen technischen Eingriff (reset) behoben werden, nicht jedoch der irreversible Funktionsausfall. Kundenseitig sind Funktionsstörungen im Fahrzeug, zumal wenn sie sporadisch auftreten und gerechtfertigterweise beanstandet werden, dann besonders schwer zu akzeptieren, wenn der Diagnosefall eines nicht gefundenen Fehlers vorliegt. Als besonders kritisch werden im Fahrzeug EMV-Aspekte allerdings erst dann angesehen, wenn die Kontrolle über das Fahrzeug verloren geht. Unabhängig vom Funktionsbeeiträchtigungsgrad wird grundsätzlich zwischen interner und externer EMV unterschieden (Bild 15-1). Die interne EMV bezieht sich auf die fahrzeuginnere Störsicherheit, das bedeutet zunächst das sichere Arbeiten aller für den Fahrbetrieb nötigen Systeme. Die Fahrzeugsysteme dürfen also keine Störungen an das Bordnetz und das Fahrzeug abgeben, welche Reaktionen anderer Komponenten hervorrufen. Die äußere EMV dagegen beschreibt die Wechselwirkung zwischen dem Fahrzeug und seiner Umgebung, also typischerweise auch die Funkentstörung, so dass das Fahrzeug beispielsweise nicht Rundfunk und Fernsehen stört. Die externe Fahrzeug-EMV ist nicht mehr so kritisch wie früher, da die Anforderungen an die Eigenentstörung sehr hoch sind, so dass die Funkentstörung in diesem Rahmen meistens schon erfüllt wird.

15.2 Allgemeines zur EMV

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Bild 15-1: Prinzipdarstellung der internen und der externen EMV; zu ESD (electronic discharge, elektrostatische Entladung) siehe Abschnitt 15.2.4.4 [Quelle: Audi AG]

Grundsätzlich gibt es immer sowohl natürliche als auch künstliche Quellen und Rezeptoren für elektromagnetische Interferenzen. Im Automobilumfeld können beide unabhängig oder auch in Kombination auftreten. Sind schon die natürlichen Störquellen nur schwer vorhersehbar, so kommt bei künstlichen Quellen erschwerend hinzu, dass sich eine Komponente oder ein Subsystem im eingebauten Zustand elektromagnetisch anders verhalten kann als im Inselbetrieb. Das bedeutet, dass eine zertifizierte Einzelkomponente kein Garant für ihre Funktionstüchtigkeit im Gesamtsystem im Sinne der EMV ist.

15.2.2 EMV-Komplexität und Schutzziele im Kfz Die EMV-Komplexität in Fahrzeugen bedingt, dass bei der Analyse und Lösung von EMV-Aufgaben ein entsprechendes EMV-Management notwendig ist. Durchgängige EMV-Untersuchungen sollten auf drei Säulen aufbauen: auf der Empirie, der Simulation und der Messtechnik. Traditionell ist die EMV hauptsächlich durch das Prüffeld und die Empirie geprägt, mittlerweile übernimmt auch die Simulation eine tragende Rolle. Werden nicht alle drei Elemente beim Lösungsansatz im durch die Aufgabe erforderlichen Verhältnis eingebunden, ist eine wirtschaftliche und umfassende

Lösung der EMV-Aufgabe meistens nicht möglich. Da jede EMV-Aufgabe eine Lösungsbandbreite aufweist, gibt es nicht nur eine Lösung mit nur einem EMV-Konzept. Vielmehr ist das Konzept meistens fahrzeugspezifisch, was häufig mit dem Wunsch nach Baureihen- und Markenunabhängigkeit der Komponenten kollidiert. Das EMV-Konzept muss auf der jeweils kritischsten Anforderung aufsetzen. Diese ist jedoch häufig a priori nicht bekannt, oder sie ändert sich während der Systemintegration im Fahrzeug. Eine hundertprozentige EMV im Fahrzeug wird praktisch nicht erreicht. Das Optimum berücksichtigt immer neben den technischen auch wirtschaftliche Aspekte. Ohnehin beziehen sich die nominellen Schutzziele im Fahrzeug hauptsächlich auf die externe EMV, im Rahmen der Störaussendung also die Nah- und Fernentstörung des gesamten Fahrzeugs. Im Rahmen der Störfestigkeit wird in praxi lediglich darauf geachtet, dass keine Beeinträchtigungen des Fahrverhaltens und keine sichtbaren Kontrolldefizite des Fahrers über das Fahrzeug auftreten, sowie ein störungsfreier Radioempfang ermöglicht ist. Umfassendere EMV-Schutzziele im Fahrzeug können nur durch umfangreiche EMV-Konzepte und ein EMVManagement erreicht werden, was entsprechenden Aufwand und Kosten zur Folge hat.

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15.2.3 EMV-Planung Eine konsequente Umsetzung der EMV-Entwicklung und des EMV-Managements mit fest eingeplanten Kosten- und Zeitrahmen ist eine absolute Voraussetzung für erfolgreiche EMV-Projekte in der Automobiltechnik. Für das System Fahrzeug mit vielen Zulieferteilen und -subsystemen ist ein strukturiertes EMV-Konzept ohne Rückfallösungen, ohne „CrashAktionen“ vor oder während der Serie und ohne teuere „Last-Minute-Lösungen“ wie beispielsweise zusätzliche Bauteile, Filter und Ferrite ein unabdingbarer Punkt, um Kosten zu senken und kostspielige Rückrufaktionen mit Vertrauensverlust beim Kunden zu vermeiden. Aktuelle Beispiele moderner Fahrzeuge belegen dies. Durch das Streben nach Baureihenunabhängigkeit der EM-Systeme bekommt die Konzeptentwicklung und die Systembetrachtung auch ein internes, entwicklungs- und kostenorientiertes Gewicht. Auch wenn ein reales EMV-Konzept sehr weite Umfänge abdeckt, seien an dieser Stelle wenigstens einige typische, kritische Projektpunkte genannt: Das EMV-Projekt ist durch alle Partner gemeinsam aufzusetzen und zu verabschieden. Modellierungs- und Simulationsstrategien sind zwischen Hersteller und Zulieferer zu vereinbaren und auch einzuhalten. Es ist darauf zu achten, dass die EMV-Projektschritte bei allen Partnern strikt umgesetzt werden. Eine Aufweichung der EMV-Betrachtung a priori im Produktentstehungsprozess resultiert häufig in späteren Problemen und ist daher nicht zuzulassen. Nach der Festlegung der EMV-Anforderungen am Projektbeginn sollten die EMV-kritischen und die noch unklaren Anforderungen und Randbedingungen definiert werden. Sodann sind die Kfz-spezifischen Details festzulegen. Eine Überprüfung der möglicherweise notwendigen Fahrzeug- und Kabelbaummodifikationen ist besonders in einer sehr frühen Projektphase wichtig. Dies wird häufig durch Designvorgaben und durch andere Ingenieursdisziplinen auf Kosten der EMV vernachlässigt. Die Suche und Definition der härtesten EMV-Anforderung im System stellt im Fahrzeug eine sehr große Herausforderung dar, ebenso wie die Aufstellung und Definition der „EMVReview-Aspekte“. Hier ist es hilfreich, die einzelnen EMV-Parameter des aktuellen Projektes mit ähnlich gelagerten, bereits durchgeführten Projekten zu vergleichen. Schließlich muss das EMV-Konzept an den zuvor definierten, härtesten Anforderungen ausgerichtet sein. Bei der EMV-Durchführung gilt sowohl für die Messtechnik als auch für die Simulation, dass eine akkurate Vorbereitung die Rüst- und Preprocessingzeiten minimiert. Bei der Durchführung ist auf sinnvolle und strukturierte Prüf- und Simulationsinhalte zu achten, was in effektiven Bearbeitungszyklen resultiert. Eine kritische Analyse der Mess- und Si-

15 Elektromagnetische Verträglichkeit mulationsergebnisse ermöglicht dabei eine weitere Effizienzsteigerung. Immer ist jedoch darauf zu achten, dass die EMV-Betrachtung in Phase mit der Produktentwicklung und den einzelnen Produktentstehungsschritten ist, sonst ist das übliche „Endloading“ kurz vor Serienstart auf Komponenten-, Subsystem- und Fahrzeugebene unvermeidbar.

15.2.4 Störquellen, Störsenken, Kopplungsmechanismen Zu Beginn der Entwicklung einer Fahrzeugkomponente oder eines Systems existiert zumeist eine Vorstellung über deren Funktionsweise, jedoch keine geeignete Hardware, so dass Tests nicht möglich sind. Um bereits hier erfolgreich simulieren und die Geräte-EMV berücksichtigen zu können, sind Kenntnisse über Entstehung, Ausbreitung und Auswirkungen elektromagnetischer Felder und Wellen sowie über die Beeinflussungsmodelle und Kopplungsmöglichkeiten notwendig. Die Störsignalausbreitung von der Störquelle, also dem Ursprung von Störgrößen, zur Störsenke, also der elektrischen Einrichtung, deren Funktion durch Störgrößen beeinflusst werden kann, erfolgt über ein Koppelmedium. Dieser Weg kann über ein Beeinflussungsmodell beschrieben werden. Eine Störgröße ist dabei eine elektromagnetische Größe, die in einer elektrischen Einrichtung eine unerwünschte Beeinflussung hervorrufen kann. Die verschiedenen Kopplungsmöglichkeiten, die in Bild 15-2 schematisch dargestellt sind, werden nachfolgend kurz beschrieben, wobei die Wirkungsanteile der nichtgalvanischen Kopplungsarten schwer vorherzusagen sind. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Frequenz, den Impedanzen der Störquellen und -senken, der Beschaltung, der räumlichen Lage sowie den Leitungslängen und dem Leiterplattenlayout. Üblicherweise wird bis zu einigen oder einigen zehn MHz davon ausgegangen, dass der größte Anteil der Störenergie ein Gerät auf den (ungeschirmten) Leitungen verlässt, also nur eine geringe Abstrahlung auftritt. Darüber hinaus ergeben sich auch direkt abgestrahlte elektromagnetische Wellen und Störfeldstärken. Welche Mechanismen jedoch dominieren, ist für jeden Fall separat zu quantifizieren. 15.2.4.1 Galvanische Kopplung Störsignale, die sich auf galvanischem Wege ausbreiten, werden vorwiegend auf Versorgungsleitungen weitergeleitet. Die galvanische Kopplung kommt dann zustande, wenn für einen oder mehrere Stromkreise gemeinsame Netze vorhanden sind, wie beispielsweise Rückleiter, der Innenwiderstand der Stromversorgung oder Bezugs- und Masseleiter.

15.2 Allgemeines zur EMV

573

E, H

E, H

Im Kfz ist es beispielsweise die Versorgung einer Störquelle und -senke mit Strom über eine Impedanz. Eine unzureichende Entstörung der Quelle erzeugt einen Spannungsabfall an der gemeinsamen Impedanz Zk (vgl. Bild 15-3). Diese Störspannung überlagert sich der Versorgungsspannung und wird von anderen Systemen „gesehen“. Wenn auch die Senke geringe Siebmaßnahmen hat, findet sich die Störspannung dort wieder. Der gemeinsame Teil kann schaltungstechnisch über eine Koppelimpedanz Zk dargestellt werden, bestehend aus einem ohmschen und einem induktiven Anteil nach Zk = Rk + j Z Lk . Die Impedanz hängt von der Kreisfrequenz Z ab.

Bild 15-2: Kopplungsarten elektromagnetischer Felder: G EG elektrisches Feld, H magnetisches Feld

Bild 15-3: Prinzip der galvanischen Kopplung (graue Markierung)

574 Bei kleineren Kreisfrequenzen dominiert der ohmsche Anteil Rk, bei größeren Kreisfrequenzen der induktive Anteil Z Lk. Bei zeitlich veränderlichen Strömen ist dabei der frequenz- und materialabhängige Skineffekt, d.h. die Verdrängung der Ströme zur Außenhaut des Leiters hin, zu beachten. Die Wirkmechanismen sind einfach zu verstehen und die Möglichkeiten zur galvanischen Entkopplung sind üblicherweise schaltungstechnisch relativ einfach durchzuführen, da der störende Stromkreis mit dem gestörten elektrisch verbunden ist, was bei den anderen Kopplungsarten nicht der Fall ist. 15.2.4.2 Feldgebundene Kopplung Andere Verhältnisse herrschen bei kapazitiven, induktiven und Wellenkopplungen, die häufig zwischen benachbarten Leitungen auftreten und ihren Ursprung in Störgrößen wie Spannung, Strom und leitungsgeführten Wellen haben, ursächlich also im elektromagnetischen Feld. Zwar lassen sich die feldgebundenen Kopplungen bei einfachen Anordnungen ana-

15 Elektromagnetische Verträglichkeit lytisch bestimmen, sie sind jedoch bei komplexeren Komponenten nicht einfach quantifizierbar. 15.2.4.2.1 Induktive Kopplung Die induktive Kopplung ist vorwiegend im nicht zu hochfrequenten Bereich niederohmiger Systeme zu finden, da sie auf magnetischen Feldern und somit auf Stromfluss basiert (Bild 15-4). Der Wirkmechanismus besteht darin, dass ein Strom einen magnetischen Fluss erzeugt. Die Flussverkettung zwischen verschiedenen Leitern in einem Kabelbaum ist in Bild 15-4 über das zweidimensionale Magnetfeld visualisiert. Durch die Verkettung wird in einer benachbarten Leitung über die Gegeninduktivität Mk eine Spannung uk = Mk di1/dt induziert, die zu einem Störstrom führt, womit Signale in der Nachbarleitung verfälscht werden. Die induktive Kopplung hängt von der Gegeninduktivität Mk ab, welche wiederum von der Koppelstreckenlänge, dem Abstand, dem Material, sowie von der Frequenz abhängig ist. Die Form der einzelnen Leiter spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

a)

b)

c)

d)

Bild 15-4: a) Prinzip der induktiven Kopplung, b) bis d) zweidimensionales Magnetfeld bei Stromfluss in drei Leitern eines Kfz-Kabelbaums: b) Stromfluss: 1 Strom fließt in die Zeichenebene hinein, 2 Strom fließt aus der Zeichenebene heraus, 3 Karosserie; c) Feldlinien; d) magnetische Feldstärke

15.2 Allgemeines zur EMV Beispiele für Ursachen induktiver Kopplungen im Kfz sind impulsförmige Verbraucherströme oder getaktete Spannungsversorgungen elektronisch kommutierter Motoren. Eine ursächliche Verminderung der induktiven Kopplung an der Störquelle kann lediglich über die nicht ganz einfache Abschirmung der magnetischen Felder mit magnetisch gut leitenden Materialien erfolgen. Sonst sind Maßnahmen wie die Vermeidung paralleler Leitungsführung, Abstandsvergrößerung, Abstandsreduktion zwischen Leiter und Rückleiter, kurze Leitungslängen und verdrillte Leitungen anzuwenden. 15.2.4.2.2 Kapazitive Kopplung Bei kapazitiver Kopplung erzeugt das von den störenden Leitern hervorgerufene elektrische Feld eine Spannung in der gestörten Leitung. Die Schaltungsmodellierung erfolgt durch eine Kopplungskapazität. Dies ist die parasitäre Größe Ck zwischen den einzelnen Leitern in Bild 15-5.

575 zierung des Abstandes zwischen Leiter und Rückleiter, Vergrößerung des Abstandes zwischen störender und gestörter Leitung, Vermeidung paralleler Leitungsführung, kurze Leitungen und Schirmmaterial (beispielsweise Drahtgeflecht oder Karosserieteile) erreicht werden. 15.2.4.2.3 Wellenbeeinflussung Entlang einer Leitung wird die Energie in Form von elektromagnetischen Wellen transportiert. Entscheidend für den Grad der Wellenkopplung ist das Verhältnis der Wellenlänge zur Leitungslänge. Die Störspannung hängt vom Koppelfaktor ab, ebenso wie von den zeitlichen Änderungen der Spannung und des Stromes. Die Wellenkopplung beeinflussende Größen sind Wellen- und Abschlusswiderstände (betrifft Laufzeiten und Reflexionen) sowie die Größen der Koppelelemente. Eine Verminderung der Wellenkopplung kann durch größere Abstände, Vermeidung paralleler Leitungsführung, Verdrillung, Koaxialleitungen, Leitungsschirmungen und Verbindung von Durchführungen mit Gehäusen erreicht werden. 15.2.4.3 Strahlungsbeeinflussung Den Übergang von der Wellenkopplung zur Strahlungsbeeinflussung kann man sich als einen größer werdenden Abstand zwischen Leiter und Rückleiter vorstellen, wobei elektromagnetische Energie in den Raum abgestrahlt wird. Die Ausbreitung im freien Raum erfolgt nach dem Wellenausbreitungsprinzip durch freie elektromagnetische Wellen, das in Bild 15-6 illustriert ist. Die eingekoppelte Spannung kann gemäß uk | Eh heff abgeschätzt werden, wobei Eh die Komponente des elektrischen Feldes in Richtung der „Antenne“ ist.

Bild 15-5: Prinzip der kapazitiven Kopplung

Die Störspannung uk, die sich aus der kapazitiven Kopplung ergibt, hängt von der Gegenkapazität Ck und von der Änderung du1/dt der Spannung am störenden Leiter ab, d.h. es gilt uk = f (Ck, du1/dt) mit einer nichtlinearen Funktion f. Die Koppelkapazität wiederum hängt von der Geometrie und den Materialeigenschaften ab. Ein Beispiel für eine kapazitive Kopplung im Kfz ist eine Anordnung, bei der ein Datenstrom zu einem Busteilnehmer (Störquelle) auf einer Busleitung parallel zu einer hochohmigen Sensorleitung (Störsenke) geführt wird. Die störende Leitung bildet mit der gestörten eine parasitäre Kapazität und somit mit den Innenwiderständen von Quelle und Senke ein RC-Hochpassfilter, über welches hochfrequente Ströme fließen können. Eine Verminderung der kapazitiven Kopplung kann durch Redu-

H,E

Bild Strahlungsbeeinflussung: G 15-6: Prinzip der K H Magnetfeld, E elektrisches Feld, heff „Antennenlänge“, uk eingekoppelte Spannung

576 Die Ausbreitungsbedingungen hängen von verschiedenen Faktoren ab wie Frequenz, Abstrahlcharakteristik der Sendeantenne, Dämpfung durch Hindernisse sowie Material- und Geometrieverhältnisse. Der Effekt tritt mit zunehmender Frequenz ungewollt bei Leitungen jeglicher Art auf. Die Antennenwirkung erfolgt durch Umwandlung von leitungsgeführten Wellen in Raumwellen. Besonders übertragungsintensive Abstrahl- und Empfangsbedingungen erhält man für „Antennen“, deren Länge in die Größenordnung der Wellenlänge der Störstrahlung kommt. Da die Längen einzelner Kabelbaumzweige im Fahrzeug bei bis zu 10 m liegen können, ergeben sich übertragungsintensive Bedingungen bei bereits relativ niedrigen Frequenzen. Der Übergang vom Nah- zum Fernfeld außerhalb des Fahrzeugs geschieht beim Kfz bei geringen Frequenzen, was bei analytischen EMV-Überlegungen zu beachten, in der Feldsimulation aber implizit berücksichtigt ist. Strahlungskopplung ist im Kfz mit externen oder bordeigenen Systemen möglich, es wirken aber auch elektrisch leitende Teile wie Auspuff, Bremsleitungen oder Elemente der Motorhaube als Störgrößentransformatoren. Im Bereich der Strahlungsbeeinflussung sind Verbesserungsmaßnahmen bedeutend schwieriger zu realisieren als bei anderen Kopplungsarten, was an dem selten ungestörten Rundfunkempfang und Kommunikationsverkehr praktisch erfahren wird. 15.2.4.4 Elektrostatische Entladung Die elektrostatische Entladung (ESD: electrostatic discharge), eine schlagartige Entladung von Oberflächenladungen ab bestimmten elektrischen Feldstärken, tritt nach einer zuvor erfolgten Aufladung von Komponenten auf. Zwei Effekte sind zu unterscheiden. Beim ersten spricht man von Berührungselektrizität (triboelektrischer Effekt), wobei Teile der Oberflächen der sich berührenden Materialien eine chemische Reaktion erfahren (Isolatoren), oder eine Minimierung der Systemarbeitsfunktion erfolgt (Metalle). Nach der Trennung der beiden Stoffe bleibt ein Ungleichgewicht von positiven und negativen Ladungen an den Oberflächen. In Isolatoren bleiben die Ladungen an den Orten der Kontaktflächen, in Leitern verteilen sie sich gleichmäßig auf der gesamten Oberfläche. Beim Influenzeffekt, der Ladungstrennung in metallisch leitfähigen Materialien wirkt im elektrischen Feld auf die frei beweglichen Elektronen eine Kraft entgegengesetzt zur Feldrichtung, wodurch sich die Elektronen an einem Ende des Leiters sammeln. Dies führt wiederum zur Ausbildung eines elektrischen Feldes im Inneren des Leiters, bis zum Gleichgewicht zwischen den Kraftwirkungen des äußeren und inneren Feldes. Die Höhe und die Polarität der elektrischen Durchschlagsspannung hängt von verschiedenen Faktoren

15 Elektromagnetische Verträglichkeit wie Materialeigenschaften, Oberflächenbeschaffenheit, Luftfeuchtigkeit und elektrischer Kapazität des aufgeladenen Gegenstandes gegenüber dem Bezugspotenzial ab. Die eigentliche Entladung ist die Folge der Überschreitung der Durchschlagsfeldstärke im vorgegebenen Medium. Die maximal mögliche Aufladespannung wird dabei durch die Durchschlagsfeldstärke und die Randbedingungen bestimmt. Die schlagartige Entladung geschieht mit Stromanstiegszeiten, die im Bereich von Pikosekunden bis zu einigen Nanosekunden liegen, während die Stromamplituden bis zu einige hundert Ampere betragen können. Während des Entladungsvorgangs werden transiente elektromagnetische Felder aufgebaut und Wellen abgestrahlt, die sich in Form von kurzzeitigen Störungen bemerkbar machen können. Die hauptsächliche Bedrohung durch die ESD liegt aber in der direkten Zerstörung moderner elektronischer Bauelemente und Halbleiter. Spannungsspitzenwerte größer als ca. 2 – 3 kV sind für den Menschen spürbar, ab 10 kV werden sie als störend empfunden, ab 20 kV als sehr unangenehm.

15.2.5 Störmechanismen und Signale Im Fahrzeug treten prinzipiell alle Koppel- und Störmechanismen auf. Die am häufigsten auftretenden Koppelwege für Störspannungen sind jedoch neben gestrahlten Effekten die galvanische Kopplung auf Stromversorgungsleitungen und die kapazitive Kopplung zwischen Stromversorgungsleitungen einerseits und Daten-, Signal-, sowie Sensorleitungen andererseits. Die Störmechanismen werden maßgeblich durch die Bordnetztopologie und die darin vernetzten Systeme beeinflusst. Entstehungsmechanismen für Störgrößen im Kfz sollen nachfolgend exemplarisch beschrieben werden. Zunächst sind Übergangsvorgänge beim Schalten von parallelen und seriellen Induktivitäten zu nennen, wobei schnelle Transienten entstehen. Große Induktivitäten sind häufig in Komponenten mit Spulen und magnetischen Kreisen mit geringem magnetischen Widerstand zu finden, beispielsweise in elektromagnetischen Aktoren und Starter-Generatoren. Hohe Stromänderungen entstehen auch in verschiedenen Leistungselektroniken durch Einschaltimpulse, wodurch sich Versorgungsspannungseinbrüche ergeben. Durch die große zeitliche Stromänderung treten Spannungsabfälle auch an betragsmäßig kleineren Leitungsinduktivitäten auf. Einbrüche in der Versorgungsspannung aufgrund hoher Ströme treten auch bei Starterbetätigungen oder beim Zuschalten anderer starker Verbraucher auf, ebenso wie durch Kurzschlüsse im Bordnetz. Energiereiche Störimpulse, die durch Kurzschluss oder auch durch Blitz entstehen, bilden eine Störquelle mit hoher Zerstörungswahrscheinlichkeit und sind häufig mit einer Funktionsstö-

15.3 EMV im Fahrzeug rung verbunden. Lichtbogenbildungen oder Glimmentladungen an Schaltkontakten können infolge von verteilten Kapazitäten und Induktivitäten im Bordnetz zu hochfrequenten Schwingungen oder Impulsgruppen führen. Die digitale Signalverarbeitung mit ihren möglichst kurzen Schaltzeiten und somit steilen Flanken ist eine weitere Quelle von Störfaktoren. Hier seien Steuergeräte mit speziellen quarzstabiliserten, digitalen Schaltungen zur Schwingungserzeugung genannt, die in den Prozessortaktsignalen entsprechende Oberschwingungen aufweisen. Alle elektrischen Signale oder Impulse werden in Form elektromagnetischer Wellen übertragen, wobei jedes Signal aus einem Nutz- und einem Störanteil besteht. Der Störanteil ist nicht funktional verwertbar, entsteht aber ungewollt aufgrund physikalischer Gesetze. Beispiele hierfür sind Oberwellen von Rechtecksignalen, Überschwinger bei Schaltvorgängen und ungewollte Abstrahlungen von Leitungen jeder Art. Störanteile haben andere Frequenzen als Nutzanteile. In der Regel sind die transienten Störgrößen die größere Bedrohung, die periodischen (oft harmonischen) bilden dagegen ein geringeres Störpotential.

15.2.6 EMV-Verbesserungsmaßnahmen Für die auftretenden elektromagnetischen Effekte können üblicherweise Maßnahmen zur Verbesserung der EMV abgeleitet werden. Unabhängig von der gewählten Vorgehensweise nach Abschnitt 15.2.2 können Verbesserungsmaßnahmen an drei Stellen durchgeführt werden: an der Störquelle, an der Senke und auf dem Übertragungsweg. Die EMV sollte frühzeitig betrachtet werden, da eine Produktentwicklung „in die EMV hinein“ grundsätzlich sinnvoller ist als nachträgliche Entstörungsmaßnahmen. So sind bereits in der Konzept- und Entwicklungsphase geeignete Layouts, Leitungsführungen, Schaltungen, Installationen und Integrationsmöglichkeiten im Fahrzeug zu finden. Während in der Konstruktions- und Designphase bei noch relativ geringen Kosten vielfältige Eingriffsmöglichkeiten zur Verbesserung der EMV gegeben sind, entstehen in der Produktions- und Betriebsphase hohe Kosten und auch Imageschäden bei gleichzeitig geringen Beeinflussungsmöglichkeiten. Zu den ersten Maßnahmen gehört die Begrenzung der Störgröße an der Quelle. Dies ist häufig die Zuständigkeit des Komponentenzulieferers, der ein fundiertes elektromagnetisches Basisverständnis und eine fundierte EMV-Entwicklung unter Einsatz hochwertiger Simulationsverfahren etablieren muss. Die Verbesserung der EMV an der Störsenke ist typischerweise eine schadensbegrenzende Maßnahme mit Hilfe von Filtern. Sie erfordert aber eigentlich störfeste Komponenten und deren geeignete Integra-

577 tion im System. Das Ableiten von Störgrößen und das Ausnutzen von Sperrwirkungen sind weitere Verbesserungsmaßnahmen. Die Optimierung an der potentiellen Störsenke und -quelle hat immer einen positiven Effekt, egal wie die einzelnen Komponenten und Systeme während der Gesamtproduktentstehung weiterentwickelt und integriert werden. Auch das Erschweren der Übertragung auf dem Kopplungsweg ist in allen Phasen des Produktentstehungsprozesses möglich, wobei sich hier die Verbesserungsmaßnahmen meistens direkt aus dem Verständnis über die wirksamen Koppelwege im entsprechenden System ergeben. Deshalb ist ein geeignetes Systemdesign mit einer entsprechenden Berücksichtigung und Vermeidung verschiedener Kopplungsmöglichkeiten und Kopplungswege wichtig. Auf alle Punkte (Quelle, Senke, Koppelweg) können verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der EMV angewendet werden. Dies ist zum einen die Konstruktion mit einem möglichen Schutz vor Immissionen und ESD, Unterstützung der Eigenfestigkeit, geeignetem Packaging sowie Filterung. Die Schaltungstechnik bietet zum anderen Möglichkeiten für die Eigenstörfestigkeit, den Schutz gegen leitungsgebundene Störungen, Vermeidung von Emissionen und Netzrückwirkungen, während die Softwareebene die Möglichkeiten der Abschaltung und des Neustarts bietet, sowie die Erkennung von leitungsgebundenen Störsignalen, die Fehlerprüfung und umfangreiche Diagnose. Manche Verbesserungsmaßnahmen schließen sich in der Fahrzeugtechnik aus, da nicht immer Einfluss auf die Umgebung oder externe Störer genommen werden kann, sowie auch die Lage oder die Mobilität des Fahrzeugs nicht eingeschränkt werden kann. Daher sind Wirkungen von Hochspannungsleitungen, Rundfunksendern, Radar und NF-Feldern besonders zu untersuchen. Bei Komponentenbetrachtungen ist die Berücksichtigung des späteren Zielsystems und die Berücksichtigung von Systemintegrationsaspekten von entscheidender Bedeutung. Auf Grund der vielfältigen Möglichkeiten unterliegt der Grad und die Weise der EMV-Verbesserung einer technischen und wirtschaftlichen Abwägung der Kosten und des Aufwands unter Berücksichtigung von Randbedingungen wie Einsatzzweck, Umgebung und spätere Erweiterungsmöglichkeiten.

15.3 EMV im Fahrzeug Nicht selten wird der EMV ein geringer Stellenwert zu einem späten Zeitpunkt im Fahrzeugentwicklungsprozess zugestanden, nämlich nach dem Design, der Konstruktion, der Mechaniksimulation (Crash) und der Akustik, häufig auch nur bei akuten Problemen.

578

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

Bild 15-7: Betrachtung der EMV beim Zulieferer und beim Autohersteller (i.O.: in Ordnung, n.i.O.: nicht in Ordnung)

Ähnlich wie bei der Phasenbewertung eines Elektronikfehlers kann auch bei der EMV festgestellt werden, dass in späteren Phasen der Aufwand zur Korrektur dramatisch steigt. Daher ist ein „Frontloading“ der EMV-Entwicklung im Produktentstehungsprozess im Sinne eines zuverlässigen Serienanlaufs dringend anzustreben. Die EMV-Überprüfung von Kfz-Komponenten und -Subsystemen geschieht auf zwei Ebenen: zunächst beim Zulieferer, sodann während der Integration beim Automobilhersteller, beispielsweise nach dem in Bild 15-7 angegeben Schema. Für eine zügige Freigabe sollte beides, nämlich sowohl die Zulieferer- als auch die Herstellerprüfung positiv verlaufen. Alle anderen Wege führen nicht zur endgültigen Freigabe und zu aufwendigen EMVKorrekturmaßnahmen, verlängern zugleich die Entwicklungszeiten und führen möglicherweise zu späteren Problemen. Bei der Betrachtung der Kfz-Systeme sind praktisch alle bisher beschriebenen Effekte von Relevanz: Emissionen, Immissionen, gegenseitige Beeinflussungen und ESD. Aber auch sekundäre Auswirkungen sollten betrachtet werden, wie beispielsweise Wirbelströme in Blechteilen, verursacht durch ungünstige Verlegung der Ladeleitung, die als Sekundärwirkung Erwärmungen oder auch unerwünschte Geräuschentwicklungen verursachen können. Technische Ursachen für EMV-Probleme in Fahrzeugen liegen generell in der hohen Anzahl, der Komplexität und den Wechselwirkungen der EM-Systeme

bei gleichzeitig geringer Transparenz und eingeschränkten Beherrschungsmöglichkeiten. Verstärkt müssen aufgrund der Qualitäts- und Kostenforderungen gleiche EM-Systeme baureihenübergreifend in immer mehr Fahrzeugtypen eingesetzt werden, was eine möglichst universelle EMV-Komponentenentwicklung zur Folge hat. Darüber hinaus beeinflussen auch das Zusammenspiel zwischen Automobilhersteller, Zulieferer und Unterlieferant sowie deren Entwicklungsprozesse und Projektstrukturen indirekt die EMV-Qualität des Fahrzeugs. Beispiele für Probleme der inneren EMV im breitbandigen Bereich sind Systeme wie Zündung, Generator, elektrische Antriebe und Aktoren, Relais, Schalter und Kontakte, Zentralverriegelung, Signalhorn und Ladeleitung. Die stark computergestützten oder mit Steuergeräten betriebenen Systeme wie ABS, ASC, Mobilkommunikation, Navigation, Kombiinstrument und Rundfunkempfänger sind mit ihren Störungen eher im schmalbandigen Bereich angesiedelt. Gründe für die äußere EMV sind in Anlagen wie Sendern und Telekommunikationssystemen, Freileitungen, Funk-, Radar- und Mikrowellengeräten, medizinischen Geräten, Induktionsschleifen oder anderen Kfz zu finden, aber auch in Effekten wie Blitzentladungen oder ESD. Hierzu gehören auch spezielle Tests im Rahmen von HPM-Untersuchungen (High Power Microwave). Häufige Störsenken im Fahrzeug sind Sensoren, LED-Anzeigen, Lampen, Elektronik, ABS, AirbagSysteme, Funkempfangsanlagen, Datenbussysteme

15.3 EMV im Fahrzeug aller Art und außerhalb des Kfz Rundfunk- und Fernsehempfänger, EDV-Einrichtungen sowie mobile Funkanlagen. Der Einsatz EMV-relevanter Komponenten und Systeme hat im Fahrzeug seit Einführung der elektronischen Zündung sowohl zahlen- als auch komplexitätsmäßig dramatisch zugenommen. Eine durchgängige Betrachtung vom Bauteil über die Komponente und das System, letztlich bis zu möglichen physiologischen Auswirkungen ist daher bei einer umfassenden EMV-Betrachtung durchzuführen. Dabei sind Störungen an technischen Geräten leicht feststellbar und oft erklärbar, am Menschen jedoch schwierig zu zeigen und gesundheitsgefährdende Wirkungen nur in Extremfällen ableitbar und meist nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Daher wird dieser Bereich der EMV meistens vertraglich abgesichert und nur in seltenen Fällen betrachtet. Nachfolgend soll daher lediglich auf einige der im Fahrzeug eingesetzten technischen Systeme übersichtsmäßig eingegangen werden.

15.3.1 Elektronik und Steuergeräte Bei der EMV-Untersuchung sind alle Steuergeräte, wie beispielsweise auch diejenigen zum Betrieb von einfacheren mechatronischen Systemen, zu betrachten. Sicherheitsaspekte der EMV beginnen heute schon bei Anordnungen wie Verkabelung oder Multiplexverdrahtung und nicht erst bei sicherheitsrelevanten Systemen wie ABS und Airbag. Die EMV der Steuergeräte beginnt auf Leiterplattenebene, da bereits beim Festlegen des Layouts verschiedene Parameter wie Datenübertragungsgeschwindigkeit, Entkopplung der Spannungsversorgung und spezielle Anforderungen an Masseverteilungen berücksichtigt werden. Dabei wird die Leiterplatte auch anhand verschiedener Regeln geprüft, wobei so genannte „Soft Rules“ aus Wissensdatenbanken und „Hard Rules“ aus technischen Daten abgeleitet werden. Bei der Elektronikentwicklung sind neben schnelleren Bauelementen immer mehr Verbindungen und Bauelemente mit höherer Pinzahl sowie höheren Packungs- und Leistungsdichten (schlechtere Temperaturbedingungen) bei gleichzeitig höherer Systemperformance zu berücksichtigen. Die Baugröße der Elektronik nimmt dabei ab, die gesetzten Grenzen an Störemission und Suszeptibilität werden immer ungünstiger. Man fokussiert sich sowohl auf elektrische Themen wie Signalqualität, Singallaufzeitverhalten, Reflexionen, Übersprechen, Impedanzverhältnisse und Abschlüsse als auch auf layouttechnische wie Masseflächen und Rückpfade sowie Leiterbahnen und Übertragungselemente, da bei den hohen Verarbeitungsgeschwindigkeiten deren parasitäre Anteile zunehmen.

579 Da die Übertragung auf Leitungen durch elektromagnetische Effekte bestimmt ist, müssen Größen wie charakteristische Impedanzen, Phasengeschwindigkeit und Verzögerungszeiten betrachtet werden, die sich deutlich von den idealen Werten für eine verlustlose Leitung unterscheiden. Reflexionen treten typischerweise an Geometrieänderungen, Steckverbindungen, Durchkontaktierungen, Abschlüssen und Verbindungselementen auf, also an Diskontinuitäten und Änderungen der charakteristischen Impedanzen. Das Übersprechen wird durch die Geometrie (Abstände, Koppelweglängen), das zeitliche Verhalten (Signaländerungen) und Materialeigenschaften (Dielektrizitätszahlen) beeinflusst. Emissionen entstehen dadurch, dass bei höher werdenden Frequenzen kürzere Leitungen wie Antennen wirken. Zur Verbesserung der EMV von Steuergeräten sind die üblichen Schritte durch EMV-Aspekte zu erweitern. Das bedeutet, dass bereits die Studie, das Logicund Pre-layout-Design einen Schaltungsentwurf mit optimierter und getesteter Komponentenauswahl als Voraussetzung für erfolgreiches Entflechten beinhaltet. In der darauf folgenden Layoutphase sollte bereits eine Optimierung mit EMV-orientierten Designrules und EMV-Simulation, begleitet von Expertenwissen, erfolgen. Funktionelle Bauteileplatzierungen, Massekonzepte, Spannungsverteilerpunkte einschließlich der Kennzeichnung der Funktionsgruppenzugehörigkeit der Bauteile sollten dort vorhanden sein. Die Wahl der Bezugspunkte für jede Funktionsgruppe erleichtert eine spätere Fehlereingrenzung bei EMVTests, was auch für die spätere Zuordnung einer Funktion zu einer EMV-Auffälligkeit wichtig ist. Die EMV-Simulation und die Wahl von Massekonzepten (vermascht, sternförmig, flächig, lagig, ...) ist nicht nur auf Leiterplattenebene, sondern auch später im Gesamtfahrzeug wichtig. Nach der physikalischen Realisierung schließt sich das Testen und das Optimieren der Schaltung mit Simulationen und Leiterplattenscanning an, ebenso wie das Testen und Optimieren der einzelnen Module. Die Integration sowie das Testen und das Optimieren im Fahrzeug ist der letzte Schritt vor der Freigabe nach Bild 15-7. In der Praxis erfolgen in jeder dieser Stufen Fehlerkorrekturen und Änderungen in verschiedenen Iterationsschleifen. In der Regel ist es die Aufgabe des Zulieferers, dies auf Komponentenebene zu leisten. Der Autohersteller kann bei der Freigabe einen gewissen Beitrag im Rahmen der Elektronikintegration mit EMV-unterstützenden Methoden leisten. Bei der Integration der Elektronik im Fahrzeug (Herstellerverantwortlichkeit) spielen neben den EMV-Aspekten auch thermische und umwelttechnische Kriterien bei der Platzierung von Steuergeräten eine wichtige Rolle. Um eine möglichst gute Störfestigkeit zu erzielen, sollten im Fahrzeug günstige Einbauorte gesucht werden, sowohl bezüglich anderer Elektroniksysteme als auch bezüglich externer Störquellen, was wegen

580 der gewünschten Baureihenunabhängigkeit von EMKomponenten eine weitere Schwierigkeit darstellt. Solche Einbauorte können durch Ab- und Einstrahlungssimulation im Gesamtfahrzeug gefunden werden. Dies ist mit der Detailgenauigkeit und notwendigen Parameterseparation über Messmethoden nur schwer durchführbar.

15.3.2 Mechatronik Häufig ist ein Steuergerät im Fahrzeug Bestandteil eines mechatronischen Systems. Ein mechatronisches System besteht aus dem zu Grunde liegenden physikalischen (oft mechanischen) System, einer Steuerelektronik mit Software, einer Leistungselektronik, den Zuleitungen, Aktoren und Sensoren sowie häufig bei modernen Systemen auch noch aus einem elektronischen Bedienelement. Zu solchen Systemen zählen nicht nur kleine Hilfsantriebe, sondern auch Leistungssysteme wie moderne Starter-Generatoren oder auch Hybridantriebe. Bei mechatronischen Systemen kommen die einzelnen Komponenten und deren Verbindungselemente als Verursacher und als Rezeptoren für unerwünschte EMV-Effekte in Frage. Durch deren Zusammenspiel können sich aber auch komplexere EMV-Effekte ergeben, die die Einleitung von Verbesserungsmaßnahmen deutlich erschweren. Im Aktor, der die Last darstellt, ist die Eingangsimpedanz entscheidend für die Form des Laststromes. Sie ist nichtlinear und variiert stark mit dem Lastzustand. Als Beispiele sind Hilfsantriebe im Fahrzeug (bis zu 100 Stück je Pkw) wie Sitzverstellungen, Scheibenwischer- und Lüfterantriebe, Generator, Starter sowie Magnetventile, Relais und Linearaktoren zu nennen. Die Leistungen erstrecken sich bei

15 Elektromagnetische Verträglichkeit modernen Hybrid- und Elektrofahrzeugen bis weit in den zweistelligen kW-Bereich hinein. Die gesamte Antriebstechnik und Aktorik ist eine der potentiellen Ursachen für EMV-Probleme. Zu nennen sind hierbei Funkstörungen durch den Kommutierungsvorgang in Kollektormotoren (Bürstenfeuer), aber auch Beeinflussungen durch entsprechende Ansteuerschaltungen und Leistungselektroniken moderner Antriebe. Bei den Leistungsschaltern sind Effekte wie Schaltverzögerungen und Packagingauswirkungen auf die Anstiegs- und Abfallzeiten relevant, die neben EMV- auch Performance-Probleme verursachen können. Emittierte Störungen mechatronischer Systeme haben häufig ihre Ursache im entsprechenden Bussystem oder in den Leitungen, die modulierte Leistungsströme führen, wobei die Kabelimpedanzen und die Induktivitäten sowie die Kapazitäten der Übertragungselemente die Anstiegs- und Abfallzeiten deutlich beeinflussen können. Elektromagnetische Geber und Sensoren können sowohl als Einzelkomponenten als auch im mechatronischen Gesamtsystem gestört werden. Hierbei treten Störungen sowohl in der Sensorfunktion (beispielsweise Magnetfelder beim ABS- oder Gaspedalsensor) als auch in den Signalverläufen auf. Da Sensoren mit niedrigen Pegeln arbeiten, ist bei räumlicher Verteilung der jeweilige Spannungsversatz zwischen Sensor und Aktor, aber auch Einkopplungsmöglichkeiten durch externe Systeme zu berücksichtigen, wie dies in Bild 15-8 für die Beeinflussung von Radsensorsignalen durch ein Lenksystem schematisch dargestellt ist. Bei mechatronischen Systemen sind vielfältige Wechselwirkungen mit dem Bordnetz möglich und auch EMV-technisch zu betrachten.

Bild 15-8: Beispiel der externen Beeinflussung von Sensorleitungen

15.3 EMV im Fahrzeug

a)

581

b)

Bild 15-9: Magnetisches Feld im Kabelbaum: a) bei offener und b) bei Karosserieteile nutzender Verlegungsvariante; zur Erläuterung siehe Bild 15-4

15.3.3 Bordnetz und Kabelbaum Das Bordnetz eines modernen Fahrzeugs weist eine komplexe und stark gefächerte Topologie auf. Es besteht aus dem Leistungsnetz zur elektrischen Stromversorgung einschließlich Batterie und Generator und aus Leitungen zur Übermittlung von Signalen und Daten. Gesamtkabelbaumlängen von bis zu 2500 m mit einem Gewicht von 60 kg, 2500 Steckkontakten, Durchmessern von 70 mm und mittleren Leitungslängen von 1 – 3 m (0,3 m bis zu 10 m Einzellängen) bilden dabei die Verbindungstechnik. Hinzu kommt eine große Variantenvielfalt in den Ausstattungen mit individuell ausgeprägten Bordnetztopologien. EMV-Maßnahmen erfordern hier eine sinnvolle Aufteilung des Kabelbaums in Teilgruppen, Module und geeignete Einbauorte. Dies geschieht nicht nur nach topologischen und konstruktiven Packagingaspekten, so dass der Verbund miteinander vernetzter Komponenten wie Steuergerät, Sensor und Aktor oft aufgelöst wird. Aufgrund der engen Versorgungslage im Fahrzeug werden umfangreiche Energiebetrachtungen durchgeführt. Genauso wichtig ist jedoch auch die EMVAbstimmung des Bordnetzes, die nur mit sorgfältiger Auslegung des Kabelbaums zu erreichen ist. So sollten grundsätzlich Signal- und Energieleitungen separat ausgeführt werden, beispielsweise Ladelei-

tung und Stromversorgungen auf einer Fahrzeugseite, Signalleitungen auf der anderen und sensible Leitungen wie NF-, Telefon- und Antennenleitungen mittig. Weitere Designmaßnahmen sind möglichst kleine Leitungslängen bei speziellen Störern und Störfrequenzen, kleine Flächen zwischen Hin- und Rückleitern sowie geeignete Leitungsabschlüsse. Wenige Diskontinuitäten oder Übergänge zwischen unterschiedlichen Leitungsarten minimieren dabei Reflexionen. Eine Verdrillung zur Vermeidung von Einkopplungen und eine niederohmige Ausführung von Kupferleitungen, die Verwendung geringer Dielektrizitätszahlen zur Verringerung von Koppelkapazitäten sowie von Lichtwellenleitern (sofern möglich) verbessern die Gesamt-EMV weiterhin. Signalleitungen von Sensoren mit geringen Spannungen unter einem Volt sollten als Zweidrahtleitung entlang günstiger Verlegungspfade und verdrillt gegen Einkopplung ausgeführt werden. Generell ergeben symmetrische Signalleitungen gegenüber massebezogenen Systemen geringere Abstrahlung und höhere Einstrahlsicherheit. Niederohmig abgeschlossene Audioleitungen oder Leitungen mit niederfrequenten Signalen sind empfindlich gegen magnetische Einkopplungen, daher ist eine Verdrillung und ein großer Abstand zu Versorgungsleitungen hier besonders wichtig. Wegen der direkten Wahrnehmbarkeit von Störeffekten in der Audioanlage ist bei

582 den einzelnen Komponenten, Verbindungen und Einbauorten besonders auf die Leitungs-, aber auch die direkte Komponenteneinkopplung zu achten. Weitere EMV-kritische Beispiele sind Signalleitungen mit statischen Signalen (> 5 V), bei denen die Signale wegen geringer Kosten über Schalter an Masse geführt werden, oder Datenleitungen mit höheren Spannungen (12 V) und großem Pegelunterschied, aber mit Abstrahlungsproblemen bei steilen Flanken. Versorgungsleitungen (Ladeleitung, Antriebszuleitungen) weisen häufig einen mehr oder weniger stark pulsierenden Stromanteil auf, so dass diese entlang der Karosserie verlegt werden sollten. Entstörelemente (Widerstände, Dioden, Varistoren, Drosseln, Filter), die dem Ableiten von Störgrößen oder dem Umwandeln von Störenergie und zusätzlichen Sperrwirkungen, vorrangig an der Störquelle oder -senke dienen, sind, ebenso wie Leitungsabschirmungen (elektrisch und magnetisch) aus Kostengründen zu vermeiden. Bei Leitungen für Antennen und Telefon, die geschirmt ausgeführt sind, werden die Schirmeigenschaften und die Schirmanbindung an das Gehäuse über Simulationen optimiert. Hierbei kann auch ein nichtideales Verhalten der Schirme nachgebildet werden, ebenso wie die Massepunktkonfigurationen für direkte elektrische Leitungsabschirmungen. Bei entsprechendem Layout können jedoch auch konstruktive Karosserieelemente zur Verbesserung der EMV herangezogen werden. Dies ist am Beispiel der Magnetfeldstreuung bei einer offenen und einer Karosserieteile nutzenden Leitungsverlegung in Bild 15-9 exemplarisch verdeutlicht. Aus solchen „Placementanalysen“ und der statistischen Betrachtung von Leitungsbündeln kann über die Erstellung von Schaltungsmodellen die Bordnetzsimulation im Zeitbereich einschließlich mechatronischer Komponenten durchgeführt werden. Durch weiterführende Feldsimulation kann zudem die Abstrahlung von verschiedenen Leitungen im Gesamtfahrzeug untersucht werden und die Störpegel durch Einkopplung in die fahrzeugeigene Antenne als Qualitätsmaß für den Radioempfang frequenzabhängig gerechnet werden. Aus den Ausführungen wird deutlich, dass die prüftechnische Betrachtung der Bordnetze alleine nicht möglich ist, sondern dass Simulationsmethoden, Designregeln und Expertensysteme auf Softwarebasis zum Einsatz kommen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der kostenmäßigen Optimierung verschiedener Kabelbaumtopologien und Leitungsstrukturen.

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

15.3.4 Karosserie und Massepunkte Die Fahrzeugkarosserie dient den meisten Verbrauchern als Rückleiter. Sie ist somit als stromführender Teil des Bordnetzes mit verschiedenen, betriebsabhängigen Stromverteilungen zu betrachten, ohne dass sie eine definierte Masse (potentialfreier Punkt) darstellt. Die Stromverteilungen in einer Karosserie können über die Vorgabe der Struktur und die Berechnung von Strömungsfeldern belastungsabhängig ermittelt werden. Die Karosserie ist aus verschiedenen verbundenen Einzelblechen aufgebaut. Die elektrischen Eigenschaften der Verbindungen können sich aber korrosions- und alterungsbedingt ändern. Neben dem Kabelbaum kann das Gesamtsystem Bordnetz also durch zwei elektrische Netzwerke beschrieben werden (Bild 15-10), die über diskrete Punkte verbunden sind. Über die Karosseriestruktur ist neben den räumlichen Stromverteilungen auch das diskrete Ersatznetzwerk für die Karosserie ermittelbar, das in der Zeitbereichssimulation verwendet werden kann. Aus den ermittelten Karosserieströmen werden Designregeln abgeleitet, die Hinweise für Auswahl und Platzierung von diskreten Massepunkten geben. Diese Auswahl von Massepunkten, beispielsweise an Stellen mit möglichst wenig Rahmenunterbrechungen und Stromdichten oder die Verwendung von Massebändern ergibt zusammen mit elektrisch einwandfreien Blechverbindungen ein günstiges Massepotential mit geringen Potentialunterschieden über die gesamte Karosserie. Trotzdem sollten Geräte im gleichen Verbund vom gleichen Massepunkt (auch gleichem PlusStützpunkt) aus versorgt werden. Dabei sollte jedoch möglichst eine Trennung der Masseleiterpfade zwischen Leistungs- und Elektronikteilen sowie zwischen digitalen und analogen Gruppen erfolgen. Abgriffe vom Ladestromkreis sowohl vom Hinleiter als auch dem Karosserierückpfad sind zu vermeiden. Dabei ist von Fall zu Fall zu entscheiden, wie eine Komponente an Masse geht. Immer ist es jedoch im Sinne der EMV günstig, die Fläche zwischen Hin- und Rückpfad klein zu halten und mögliche Überlagerungen an gemeinsamen Karosserieimpedanzen zu vermeiden.

15.3.5 Gehäuse, Koppelelemente und weitere Systeme Elektronikgehäuse übernehmen verschiedene Aufgaben und müssen diverse Kriterien erfüllen. Zum einen bieten sie Schutz gegen Umgebungsbedingungen und ermöglichen die Verbindungstechnik zur Leiterplatte, gleichzeitig führen sie aber auch Verlustleistungen ab und bieten elektromagnetische Abschirmung. Sie müssen preiswert und gut herstellbar sein.

15.3 EMV im Fahrzeug

583

Bild 15-10: Bordnetz und Karosserienachbildung (schematisch)

Gehäuselüftungsschlitze sind immer ein Kompromiss zwischen Kühlwirkung und elektromagnetischer Abschirmung. Generell sind viele kleine Öffnungen besser als wenige große, da die Ein- und Abstrahlung größer wird, je näher die Öffnungsdimension der Wellenlänge kommt. Es gibt verschiedene Ausführungsmaterialien und Behandlungsmethoden für Gehäuse. Eine pauschale Auswahl des Materials ist aber nicht möglich. Sie hängt davon ab, gegen welche Felder die Gehäuseabschirmung wirken soll. Magnetfelder werden mit hochpermeablen Materialien und geeigneten Magnetkreisauslegungen abgeschirmt, während elektrisch leitende, niederohmige Oberflächen und gute Teileverbindungen gegen elektrische Felder abschirmen. Für die Kfz-Technik scheiden viele Gehäuseprinzipien aus Kostengründen aus oder sie erfüllen nicht die Qualitätsansprüche bezüglich thermischer und chemischer Belastbarkeit sowie Dauerhaltbarkeit. Werden Gehäuse wegen der Schirmwirkung in das Massekonzept einbezogen, dann ist die Kontaktierung zur Elektronik, zum Bordnetz oder zur Karosserie stets ein kritischer Punkt, ebenso wie die Ausführung der Kabeldurchführungen in das Gehäuse. Sind die Leitungen abgeschirmt, so sollte eine gute Verbindung zum Gehäuse vorhanden sein. Dies gilt auch für die Steckverbinder, die normalerweise in ihrem Pinlayout und dem strukturellen Aufbau als Komponente schon vor der Integration EMV-optimiert sein sollten. Dabei werden im Rahmen der Komponentenoptimierung Schaltungsmodelle von Steckerstrukturen ermit-

telt und die Steckerkomponente entweder als Individualausführung oder auch als modulares Steckerkonzept unter den Aspekten der Signalintegrität und der EMV strukturell optimiert. Auf jeden Fall sollten sich die Gehäuse- und Steckverbinderteile, soweit metallisch, gleichmäßig über Kontaktflächen berühren und anhand der Spannungsreihe günstig ausgewählt sein. Die sich über die Lebensdauer verändernden Eigenschaften spielen eine ähnliche Rolle wie bereits bei den Karosserieteilen erwähnt. Neben Gehäusen und Koppelelementen sind auch passive Strukturen wie Displayausschnitte oder Fahrzeugfenster für die EMV von Bedeutung. Dazu werden spezielle Probleme wie Abschirmgewebe in Acrylscheiben simuliert. Eine ähnliche EMV-Simulationsaufgabe stellen die Metallschichten zur thermischen Isolation in Windschutzscheibe und Fenstern dar. Diese können stark dämpfende Wirkungen haben, was für die gegenseitige Beeinflussung von Elektroniksystemen oder für das Abstrahlverhalten von Mobiltelefonen signifikante Auswirkungen haben kann.

15.3.6 Antennen Moderne Kommunikations-, Navigations- und Telemetriesysteme erfordern vielfältige Antennenkonfigurationen im Kfz. Sie sind in beengten Platzverhältnissen in verschiedenen Ausführungen zu integrieren, wie beispielsweise PCB- (Printed Circuit Board), Scheiben- oder Karosserieantennen. Neben der elektromagnetischen Nutzwirkung haben die Antennen

584 generell eine Rezeptorfunktion für Störgrößen, so dass sie auf verschiedene Bauarten sowie Einsatzund Integrationszwecke hin untersucht werden müssen, wobei generell zwischen Nutz- und Störeffekten zu unterscheiden ist. Im Rahmen der Komponentenanalyse und unter Berücksichtigung von Einbaumaßnahmen werden Impedanzen, Feldausbreitungen, Abstrahl- und Empfangscharakteristika simuliert. Empfangsseitig wird die Quantifizierung sowohl der Nutz- als auch Störsignale durchgeführt. Auf der Komponentenebene wird zunächst das Antennendesign und das dazugehörige Abstrahlverhalten optimiert. Nach der Optimierung der Antenne selbst wird die Effektivität im eingebauten Zustand in der Automobilkarosserie optimiert. Solche Gesamtmodelle von Fahrzeugen mit integrierten Antennen werden auch zur Beurteilung der Störeinkopplung verschiedener Elektroniksysteme in die Antennen über die Ermittlung der Störpegel herangezogen, so dass eine umfassende Analyse und Beurteilung der Antennensysteme möglich ist.

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

15.3.7 Zündanlagen Die elektronische Zündung ist auch in modernen Fahrzeugen kritisch hinsichtlich Störaussendung. Dies ist in den verwendeten Komponenten, in der mechatronischen Integration und in verschiedenen Topologien von Zündanlagen begründet. So kann beispielsweise die Zündspule an der Zündkerze im Zylinderkopf integriert werden (vgl. Bild 15-11), was zur Folge hat, dass sich neben veränderten Leitungsströmen auch die elektromagnetisch wirksame Umgebung der einzelnen Komponenten und somit die parasitären Parameter der Gesamtschaltung verändern. Dies hat direkte Auswirkungen auf das Signalund das EM-Emissionsverhalten. Darüber hinaus wachsen, bedingt durch hochdrehende und aufgeladene Motoren, die Ansprüche an Zündenergie, Zündspannung und Zündabfolge, so dass durch schnelle transiente Vorgänge bei hohen Spannungen und diversifizierten Leitungstopologien das Signalverhalten noch ungünstiger wird. Praktisch alle Komponenten der Zündanlage nach Bild 15-11 haben eine mehr oder minder starke Auswirkung auf das EMV-Gesamtverhalten des Systems. Diese sind von der Seite des Bordnetzes her zunächst die Ansteuerlogik, die in der Motorelektronik integriert sein kann, darauf folgend die Leistungsschalter und der Steckverbinder. Als Verbindungselement haben die Zuleitungen einen großen EMV-Einfluss.

Bild 15-11: Prinzipielle Anordnung der wichtigsten Komponenten einer Zündanlage [Quelle: BMW]

15.4 EMV-Simulation und Feldberechnung Brennraumseitig ist es wiederum der Steckverbinder zur Spule, die Verbindung Zündspule-Zündkerze, die Zündkerze mit den Elektroden und letztlich der Zündfunke, dessen Verhalten und Rückwirkung von den Arbeitsbedingungen wie Brennkammerstruktur, Temperatur, Druck und Strömungsgeschwindigkeit abhängt. Die einzelnen Hardwarekomponenten der Zündanlage und deren Integrationstopologie lassen sich strukturell darstellen und daraus entsprechende Schaltungsäquivalente ableiten, was sowohl eine Performance- als auch eine Signalintegritätsanalyse erlaubt. Die Untersuchung der gesamten Zündanlage und deren Abstrahlung wird durch die strukturelle Integration im Motorraum und im Gesamtfahrzeug mit einer numerischen Feldanalyse durchgeführt.

15.4 EMV-Simulation und Feldberechnung Neben der Messtechnik und der Empirie ist die Simulation elektromagnetischer Effekte ein unverzichtbarer Ansatz zur Darstellung und Verbesserung der EMV und zur Reduktion von Entwicklungszeiten und Prototypen gegenüber der immer noch üblichen „Trial-and-Error-Vorgehensweise“. Die Simulation bietet ein Vorgehen im Sinne virtueller Prototypen zur Vorhersage der EMV ohne Hardware-Prototyping in vielen fahrzeugtechnisch relevanten Struktur- und Frequenzbereichen. Dadurch sind Beiträge zur Qualitätssicherung, zur Beurteilung von Toleranzen und eine Reduktion der Zeit bis zur Marktreife möglich. Bei einer entsprechenden Synchronisation und Integration der Entwicklungsdaten im Designprozess kann auch das Zusammenspiel zwischen Zulieferer und Hersteller effizienter als auf der Hardware- und Messobjektebene gestaltet werden. Viele der beschriebenen EMV-Effekte im Automobil können heute durch die moderne Rechnertechnik, schnelle Lösungsalgorithmen und entsprechende Softwarewerkzeuge sehr genau simuliert werden. Dabei sind elektromagnetische Simulationen und Optimierungen auf folgenden Ebenen möglich: Bauteil, Komponente, Subsystem und System. Neben einer genauen Vorausberechnung von Komponenten ist über die Kopplung der Feldberechnung mit der Schaltungssimulation eine detaillierte Analyse von mechatronischen Systemen möglich. Dies geschieht entweder auf der Ebene der kombinierten Simulation oder über die Generierung von exakten Schaltungsmodellen mit einer Feldberechnung. Im Gegensatz zur reinen prüffeldgestützten und empirischen EMVUntersuchung bietet die EMV-Simulation die Möglichkeit, die einzelnen Einflussgrößen und deren Auswirkungen durch Parameterseparation eindeutig zu identifizieren und das Basisverständnis für elekt-

585 romagnetische Vorgänge durch Grundsatzuntersuchungen aufzubauen. Einschränkungen der Simulation liegen meist in der Anzahl von Netzen oder im Verhältnis zwischen Frequenz und Strukturgröße sowie Strukturdetail, die sich in Limitierungen bezüglich Speicher, Rechengeschwindigkeit und Lösungsalgorithmen manifestieren. Die Klassifizierung von EM-Simulationsdisziplinen kann in drei Gruppen erfolgen: Feldsimulation, Schaltungssimulation und Systemsimulation. Dabei kann die Systemsimulation in gemischter Technologie und mit gemischten Signalen (digital und analog) erfolgen und sich bis in den Bereich des Antriebsstrangs und des Gesamtfahrzeugs erstrecken. Mit heutigen Werkzeugen kann das komplette EMSpektrum von der niederfrequenten mechatronischen Komponente, über das „High Speed Design“ bis zur Lösung von Emissions- und Störfestigkeitsaufgaben abgedeckt werden. Dabei werden Strukturen vom Submikrometerbereich (Chips) bis in den Meterbereich (Kabelbaum) oder Freifeldbereich (Antennen, Freileitungen) abgedeckt. Die Frequenzen der Anwendungen im Automobil bewegen sich von Gleichstrom bis zu 77 GHz (RADAR-Sensor zur Abstandsmessung). Die wesentliche Voraussetzung für die EMVSimulation ist der Übergang von analytischen zu numerischen Methoden und die Verfügbarkeit geeigneter Simulationsverfahren hinsichtlich Frequenzbereich, Genauigkeit und Numerik. Umfassende Analyseverfahren müssen dabei die Modellierung und die Simulation auf verschiedenen Ebenen zulassen, sei es diskret, funktional oder kontinuierlich (elektromagnetische Felder und Wellen). Unabhängig von der gewählten Methode und dem Verfahren ist die Vorgehensweise bei allen numerischen Verfahren ähnlich (Bild 15-12). Sie teilt sich in drei wesentliche Schritte auf, nämlich in die Modellierung (Preprocessing), die Berechnung (Processing, Solving), sowie die Analyse und Auswertung der Ergebnisse (Postprocessing), wobei der größte manuelle Simulations- und Software-Programmieraufwand in der ersten und dritten Phase liegt, während der größte mathematische und numerische Aufwand in der Processingphase steckt. Neben der reinen Analyse und Optimierung von Komponenten und Systemen ist es möglich, die Simulation im Bereich der Signalintegrität und der EMV auch zum Ableiten von Designregeln einzusetzen. Diese können nicht nur im Bereich der Elektronikentwicklung aufgestellt werden, sondern auch beispielsweise für das Kabelbaumdesign und die Verlegung sowie die Integration von Elektronikkomponenten und Antennen.

586

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

Bild 15-12: Bearbeitungsstufen numerischer Verfahren

Der wichtigste Vorteil liegt darin, dass die Regeln nicht empirisch sind. Sie können ohne aufwendige Messungen erstellt werden und in entsprechende Entwicklungsrichtlinien eingearbeitet werden.

simulation verwendbar. Nachfolgend soll auf die numerischen Feldberechnungsmethoden und die zugrundeliegenden Felder weiter eingegangen werden.

15.4.1 Modellierung und Simulation

15.4.2 Elektromagnetische Felder und Wellen

Trotz der Wichtigkeit der Feldanalyse für die EMV ist zur umfassenden Lösung komplexer EMVProbleme eine Kopplung verschiedener Modellebenen und Verfahren notwendig. Auf dem Weg von der Komponente bis zum virtuellen Produkt Fahrzeug müssen also verschiedene Modellierungen und Integrationen der verschiedenen Verfahren und Tools in geeigneter Weise durchgeführt werden. Da jede Modellierung eine Realitätsvereinfachung darstellt, die Genauigkeit der Ergebnisse also maßgeblich von ihr abhängt, kommt ihr unabhängig vom Simulationsverfahren eine entscheidende Rolle zu. Die drei wichtigsten Ebenen sind die physikalische Ebene, die Makromodellierung und die Verhaltensmodellierung. Die physikalische Ebene ist die direkte Umsetzung der Maxwellschen Theorie in umfangreiche und komplexe, aber sehr genaue Modelle auf struktureller Basis. Daraus werden in einem weiteren Schritt aktive und passive Elemente und Ersatzmodelle der zweiten Ebene generiert, die beispielsweise in der Ersatzschaltung ihre Anwendung finden. Die Genauigkeit dieser Ebene hängt stark vom Modellierungsaufwand und dem gewählten Verfahren ab. Die Verhaltensmodelle die in der Abstraktion nah am virtuellen Fahrzeug liegen, basieren auf mathematischen Modellen, Funktionen oder Kennfeldern (ggf. abgeleitet aus den vorangehenden Ebenen) und sind nur in einem eingeschränkten Bereich genau, dafür aber sehr einfach und im Rahmen der Gesamtsystem-

Elektromagnetische Felder und Wellen als Ausgangsbasis für alle EMV-Betrachtungen beschreiben einen Zustand des physikalischen Raumes. Sie haben ihre Ursachen in skalaren und vektoriellen Größen wie Ladungen, Strömen, Magnetisierungen und Verschiebungsströmen. Ihre Auswirkungen sind Größen wie induzierte Spannungen und Ströme, Entladungen, Verluste, magnetische Flüsse und Potentiale sowie mechanische Größen (Kräfte, Momente). Hauptschwierigkeiten elektromagnetischer Felder liegen in ihrer nur indirekten Messbarkeit sowie der diffizilen Modellierung, Analyse, Synthese und Optimierung. Die Klassifizierung erfolgt in statische Felder (elektrisch, magnetisch), stationäre und quasistationäre sowie instationäre Felder. EMV-Effekte im Fahrzeug können immer einer oder mehreren dieser Klassen zugeordnet werden. Die vollständige mathematische Beschreibung ist durch die Maxwellschen Gleichungen gegeben. Das komplexe Verhalten elektromagnetischer Felder wird zur Lösung häufig durch stark diskretisierende Modelle wie beispielsweise elektrische und magnetische Ersatznetzwerke oder diskrete HF-Schaltungen ohne parasitäre Effekte nachgebildet. Dies führt oft zu ungenauen Ergebnissen, eine Vorausberechnung ist unzuverlässig und die Ergebnisse der Bauteileoder Systemanalyse weisen deutliche Unterschiede

15.4 EMV-Simulation und Feldberechnung zum Verhalten des späteren Produkts auf, so dass eine Feinoptimierung nicht möglich ist. Die generellen Lösungsansätze der Maxwellschen Gleichungen reichen von dem in seiner Allgemeingültigkeit stark eingeschränkten Feldanalogon über grafische und analytische Lösungen für einfache Strukturen bis zu numerischen Verfahren, die durch moderne Rechner, grafische Oberflächen und numerische Methoden zur Lösung realer Anordnungen herangezogen werden. Als Lösungsmethoden haben sich insbesondere die Finite-Elemente-Methode (FEM), die BoundaryElement-Methode (BEM) und die Finite-DifferenzenMethode (FDM) etabliert. Signifikanter Unterschied zu Aufgabenstellungen der Mechanik, woher diese Verfahren stammen, ist, dass sich elektromagnetische Felder nicht nur zwischen den Strukturen, sondern auch weit darüber hinaus ausbreiten. Die numerischen Feldberechnungsverfahren arbeiten sehr nahe an der physikalischen Modellebene. Die Diskretisierung erfolgt im Strukturbereich, so dass zur Feldanalyse die Vorgabe von Geometrie, Material und Randbedingungen notwendig ist.

15.4.3 Numerische Analyse elektromagnetischer Felder Die numerischen Integral- und Differentialgleichungsverfahren stellen im Rahmen der Feldanalyse die wichtigste Grundlage zur Simulation von EMVAufgaben dar. Sie sind sehr allgemeingültig bezüglich der zu untersuchenden Strukturen, Materialeigenschaften und Feldtypen. Gleichzeitig erfordern sie aber einen hohen Rechenzeit- und Speicherplatzbedarf. Die Vorteile von Differentialgleichungsverfahren sind spärlich besetzte Matrizen mit effizienten Lösungsalgorithmen, während die Diskretisierung teilweise sehr aufwendig ist und im gesamten Be-

587 rechnungsgebiet erfolgen muss, so dass sie zunächst nur für geschlossene Feldprobleme geeignet sind. Die Vorteile von Integralgleichungsverfahren liegen dagegen in kleinen Gleichungssystemen und einer geringen Anzahl von Unbekannten. Sie sind für offene und geschlossene Feldprobleme geeignet und bieten eine einfache Berechnung von integralen Größen mit exakter Methode, insbesondere auch die direkte Lösung offener Feldprobleme. Die Modellierung und Diskretisierung ist dabei einfach. Nachteile liegen bei der Behandlung von inhomogenen, nichtlinearen, anisotropen Medien und in den vollbesetzten, meist unsymmetrischen Matrizen, woraus ein hoher Speicherplatzbedarf resultiert. Die drei wichtigsten Verfahren sind in Tabelle 15-1 gegenübergestellt. Die FEM hat sich generell bei der numerischen Analyse elektromagnetischer Felder etabliert, da sie nicht auf bestimmte Geometrien und Materialeigenschaften, d.h. auf definierte Strukturtypen und wohl konditionierte Problemstellungen limitiert ist. Durch ihre allgemeinen Ansätze und Algorithmen ist die FEM in der Lage, komplexe Aufgabenstellungen zu lösen; allerdings, ebenso wie die FDM, in geschlossenen Berechnungsgebieten, was bei der Betrachtung offener Feldprobleme eine Einschränkung bedeutet, oder zusätzliche Algorithmen und Randbedingungen erfordert. Im Gegensatz zur FEM liegt ein wesentlicher Nachteil der FDM in der Darstellung komplex geformter Strukturen (Tabelle 15-1), was in der Notwendigkeit regelmäßiger Zellenform bei möglichst äquidistanter Diskretisierung begründet ist. Durch verschiedene Kopplungen der einzelnen Methoden, beispielsweise FEM mit BEM wird versucht, die Vorteile verschiedener Methoden zusammenzuführen. Generell kann gesagt werden, dass für jede gegebene Aufgabenstellung sowohl das geeignete Verfahren als auch das entsprechende Werkzeug sorgfältig ausgewählt werden muss.

Tabelle 15-1 Vergleich numerischer Feldberechnungsverfahren

Problembereich

Finite-Elemente-Methode

Finite-Differenzen-Methode

Boundary-Element-Methode

Geschlossen

Geschlossen

Offen

(offen) Geometrie

Beliebig

Eingeschränkt

Beliebiger Rand

Materialeigenschaften

Beliebig (auch nichtlinear)

Beliebig (auch nichtlinear)

Linear (nichtlinear)

Geschlossener

Überall

Rand

Indirekt (Differentiation)

Indirekt

(Differentiation) Zwei- oder dreidimensionale beliebig komplexe Strukturen

Zwei- oder dreidimensionale eingeschränkte Strukturen

Offene Probleme, Mischung mit FEM

Diskretisierung

Problembereich Ermittlung der Feldgrößen Anwendungsbereich

Indirekt

(Integration)

588

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

15.4.4 Numerische Verfahren

15.4.4.2 Numerische Lösung mit Hilfe der BEM

Der Analyseablauf bei der numerischen Feldberechnung verläuft nach ähnlichen Bearbeitungsschritten und ist hier am Beispiel der FEM zusammengestellt: I Modellierung der zu untersuchenden Struktur durch Geometrie, Materialeigenschaften und Vorgabe der Anregungen und des zu lösenden Feldtyps sowie der Rand-, Symmetrie- und Anfangsbedingungen. II Diskretisierung der vorgegebenen Struktur durch finite Elemente (beispielsweise Dreiecke und Vierecke in zwei Dimensionen, Tetra- und Hexaeder in drei Dimensionen) III Detaillieren und Verfeinern des FiniteElemente-Netzes IV Elementweise Approximation des Feldes über Formfunktionen V Aufbau der Systemmatrix und des globalen Gleichungssystems VI Vorgabe von Lösungsparametern und Lösen des linearen oder nichtlinearen Gleichungssystems VII Auswertung der Feldergebnisse und Ableitung sekundärer Informationen wie Störpegel und Stromverteilungen. VIII Feld- und fehleradaptive Verfeinerung der Diskretisierung – danach erfolgen die nächsten Iterationen durch Wiederholen der Schritte IV-VIII

Hat man den Fall vorliegen, dass die Streuung allein an einem gut leitfähigen Körper, beispielsweise einer geschlossenen Automobilkarosserie erfolgt, so bietet sich als Alternative zur FEM ein Integralgleichungsverfahren zur Lösung des Feldproblems an. Im Gegensatz zur FEM, bei der das auf unbeschränktem Außenraum definierte Randwertproblem künstlich beschränkt und mit ebenso künstlichen Randbedingungen versehen werden muss, wertet man bei der Randelementemethode eine exakte Formulierung aus, deren Lösung bestimmte Bedingungen bereits aufgrund des Ansatzes erfüllt. Ein weiterer Vorteil bei der Anwendung des Verfahrens ist darin zu sehen, dass allein der Rand des Streukörpers diskretisiert werden muss. Bei der Beschreibung der Randelementmethode kann man von der Darstellung des von einem Flächenstrom auf einer Körperoberfläche erzeugten elektrischen Feldes ausgehen. Mit dieser Vorgabe des elektrischen Streufeldes ergibt sich die Randintegralgleichung für den das Streufeld darstellenden Strom. Ist durch Lösen dieser Gleichung der Flächenstrom bekannt, so erhält man das gesuchte Streufeld an jedem beliebigen Aufpunkt. Ist die Randintegralgleichung gelöst, so kann man, sofern man die Strombelegung speichert, bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt daraus noch an beliebigen weiteren Stellen das Feld berechnen. Dies ist ein weiterer Vorteil der BEM. Ist die Annahme unendlich großer Leitfähigkeit für einen Streuer nicht gerechtfertigt, so lassen sich auch Impedanzrandbedingungen implementieren, die dann einen leitfähigen Körper besser modellieren.

Bei einer geschickten Wahl des Softwarewerkzeugs werden diese einzelnen Schritte automatisiert, so dass der manuelle Aufwand überschaubar wird. 15.4.4.1 Numerische Lösung mit Hilfe der FEM Das Prinzip der FEM besteht darin, eine zu untersuchende komplexe Anordnung in einfache, endlich große Teile (Finite Elemente) zu zerlegen (Vernetzung), das Feld in diesen einzelnen Elementen durch Polynome zu approximieren und ein zugehöriges Funktional durch Variationsmethoden zu minimieren, um damit die bestmögliche Feldlösung zu einer Aufgabenstellung zu erhalten. Die Anwendung der reinen FEM-Lösungstechnik auf ein EMV-Problem erfordert die Vernetzung eines großen Gebietes, das sowohl die Strahlungsquelle als auch sämtliche zu betrachtende Streuer umfasst, bis zu einem möglichst fern aller Objekte künstlich einzuführendem Rand. Auf diesem Rand ist mit Hilfe einer künstlichen Randbedingung (beispielsweise „Absorbing Boundary Condition“ ABC) zu verhindern, dass größere Reflexionen am Rand des FEMNetzes auftreten.

15.4.4.3 BEM-FEM-Kopplung Da beide Verfahren BEM und FEM Vor- und Nachteile aufweisen, kann es zur Lösung einer Aufgabe durchaus sinnvoll sein, die Vorteile der beiden Methoden durch Kopplung von FEM mit BEM zu kombinieren. Diese Hybrid-Technik hat gegenüber den einzelnen angewandten Lösungsverfahren verschiedene Vorteile. So wird bei offenen Problemen der unendliche Außenraum schon im Ansatz berücksichtigt. Die Berücksichtigung von stromführenden Gebieten und von Bereichen inhomogener oder nichtlinearer Materialeigenschaften erfolgt einfach durch Deklaration der entsprechenden Körper als FEMGebiet. Es ergeben sich weitere Vereinfachungen bei der Vernetzung, insbesondere von Luftspalten. Liegen bewegte Körper vor, so kann die Kopplung starrer und sich bewegender Teile über den leeren Raum hinweg mit Hilfe der BEM auf relativ einfache Weise erfolgen. Die mathematische und softwaretechnische Kopplung der beiden Verfahren erfordert aber einen nicht unerheblichen Aufwand.

15.5 Messtechnik und Messmethoden

15.4.5 Methoden und Werkzeuge Die möglichst weitgehende Realisierung des virtuellen Produkts Automobil als ein Schlüsselthema in der Entwicklung erfordert alleine schon für den Bereich der EMV eine Vielfalt an Simulationsmethoden und werkzeugen für die Komponenten- und Systemanalyse der Mechatronik, Elektronik und Feldberechnung. Eine integrierte EMV-Entwicklungs- und Simulationsumgebung, deren Einführung ein umfangreiches, fundiertes Konzept voraussetzt, ist somit sehr hohen Anforderungen ausgesetzt, von denen einige nachfolgend benannt werden sollen. Neben der Anbindung an CAD- und PDM-Systeme (Produktdatenmanagement) sollten zumindest die numerische Feldanalyse, die Schaltungssimulation einschließlich EMV-orientierter Signalintegritätsanalyse, die Systemsimulation und die Strahlungsthematik beinhaltet sein. Im Bereich der Elektronik sollten der Schaltungsentwurf und „Pre-Layout-Konzepte“ nach EMVKriterien und unter Einbeziehung von EMVrelevanten Parametern unterstützt werden. Während der „Placement-Analyse“ sollte eine statistische Netzlängenanalyse (technologieabhängig) möglich sein, ebenso wie die Abschätzung der Signalverzögerungen und der Reflexionen. Das Routing erfolgt ebenso entsprechend den Anforderungen mit Hilfe der EMV-Analyse. Im Rahmen der Leitungssimulation (verlustlos und verlustbehaftet) werden, wiederum mit Hilfe der Feldsimulation, charakteristische elektrische Größen einzelner und gekoppelter Leitungen aufgrund der Topologie ermittelt. Diese gehen zusammen mit der Analyse von diskreten Bauelementen wie Transistoren und Dioden, Durchkontaktierungen und anderen Diskontinuitäten in die Reflexions- und Übersprechanalyse ein. Dreidimensionale Werkzeuge zur Lösung der Wellengleichung komplettieren ab höheren Frequenzen die Palette zur Simulation von Störfestigkeit- und Störabstrahlung. Die Simulationswerkzeuge sollten die Möglichkeit der Schaffung einer möglichst homogenen Entwicklungsumgebung mit einer fehlertoleranten Bedieneroberfläche bieten, so dass auch eine sporadische Benutzung keinen zu großen Aufwand darstellt. Dies ist nur dann möglich, wenn möglichst viele Schritte der Modellierung, der geometrie-, feld- und feldfehleradaptiven Diskretisierung und der Auswertung durch Algorithmen und Prozeduren sowie Plausibilitätsprüfungen und Voranalysen automatisiert sind oder durch „Teach-in-Verfahren“ implementiert werden können. Idealerweise ist der Benutzer dann lediglich mit der Vorgabe der Anordnung durch Geometrie, Materialeigenschaften, Rand- und Symmetriebedingungen, des entsprechenden Feldproblems und insbesondere der Auswertung der Ergebnisse beschäftigt.

589 Wichtig ist eine möglichst hochgradige Datenkonsistenz mit harmonisiertem Datenmanagement und Versionsverwaltung sowohl auf Projekt- als auch auf System-, Komponenten- und Bauteileebene. Eine moderne, homogene Simulationslandschaft standardisiert dabei den Designflow, bietet aber auch Einstellmöglichkeiten für Designprozesse mit speziellen Anforderungen. Neben transfiniten Ansätzen und einer möglichst direkten Integration der Schaltungs- und der Systemsimulation ist die Kopplung mit anderen Disziplinen wie Mechanik und thermischer Analyse notwendig. Neben den Integrations- und Simulationsaspekten der Tools sind Schnittstellen zu CAD-, EDA- (Electronic Design Automotion, z.B. beim Chipentwurf) und PDM-Werkzeugen (Produktdatenmanagement) besonders wichtig, wodurch objektorientiertes Datenmanagement mit Baukastensystemen und Variantenmanagement möglich wird, ebenso wie das Erstellen von Baukastenelementen während der Bearbeitung. Eine Toolkommunikation in programmeigenen Formaten oder über Simultanverarbeitung ist aufgrund des übermittelten Informationsumfangs sehr effizient. Trotzdem lassen sich so genannte Standardformate im CAD-Bereich (beispielsweise DXF, STL, STEP, UNV, ACIS) und im EDA-Bereich (Gerber, GDSII, Spice) nicht vermeiden, so dass der Übertragungsund Modellierungsaufwand immer noch einen sehr hohen Anteil an der Simulation aufweist. In der Definition eines einheitlichen Formats, das neben den Simulations- und Messinformationen zusätzlich auch Systemeigenschaften und Modellierungsregeln definiert, steckt ein enormes Einsparpotential in der EMV-Entwicklung und dem Produktentstehungsprozess.

15.5 Messtechnik und Messmethoden Die Kombination zwischen Prüffeld und Simulation, begleitet durch Empirie, stellt den effizientesten EMVEntwicklungsprozess dar, verschiedenste EMV-Aufgaben im Fahrzeug zu lösen. Alle Effekte, leitungsgebunden und strahlungsgebunden, Störfestigkeit sowie Aussendung können sowohl simuliert als auch messtechnisch überprüft werden (Bild 15-13). Zudem können Messeinrichtungen auf simulativem Wege verbessert und andererseits Simulationsergebnisse messtechnisch validiert werden. Die Entscheidung, was bei einer EMV-Aufgabe dominiert (Messung oder Simulation), hängt immer von der Frage ab, welches Vorgehen für die gestellte Aufgabe mit welcher Effizienz und welcher Genauigkeit möglich ist, was nachfolgend auch für die Messtechnik erläutert werden soll.

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15 Elektromagnetische Verträglichkeit

Bild 15-13: Elektromagnetische Effekte, die durch Simulation und Messung betrachtet werden können

15.5.1 Komponenten- und Gesamtfahrzeugprüfung Für die Freigabe einer Komponente im Fahrzeug ist in der Regel die Prüfung am Gesamtfahrzeug ausschlaggebend. Trotzdem sind geeignete Komponentenmessungen erforderlich, um frühzeitig feststellen zu können, ob das Produkt voraussichtlich den EMV-Anforderungen im Fahrzeug genügen wird. Meist lässt der Fahrzeughersteller Komponenten erst dann für die Freigabeerprobung im Fahrzeug zu, wenn sie vorher den Komponententest erfolgreich bestanden haben (vgl. Bild 15-7). Im Komponententest kann der Hersteller leichter Modifikationen am Produkt vornehmen. Der Aufwand, um die Umgebung der Komponente zu simulieren (z.B. bei Steuergeräten mit sehr vielen Anschlüssen), kann jedoch sehr groß sein. Häufig ist dies gar nicht mehr komplett möglich, oder es muss eine spezielle Prüfsoftware im Prüfling implementiert werden, die dann zu einem geänderten EMV-Verhalten des Prüflings führen kann. Verfügt die Komponente über ein Bussystem wie z.B. CAN, können die anderen Teilnehmer, die mit dieser Komponente Daten austauschen, gegebenenfalls durch einen Computer mit CAN-Schnittstelle und entsprechender Software simuliert werden. Die Ergebnisse der Komponentenprüfungen lassen sich nicht 1:1 auf Fahrzeugprüfungen übertragen, da die genormten Komponentenprüfungen nicht den realen Gegebenheiten am Fahrzeug entsprechen können. Gleichwohl lassen sie aber Rückschlüsse auf das EMV-Verhalten des Prüflings am Fahrzeug zu. Hierbei spielen Erfahrungen mit Vergleichsmessungen an ähnlichen Produkten und Erfahrungen mit den gewählten Komponentenprüfmethoden eine wichtige Rolle. Für den Komponentenhersteller stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang er in eigenes Prüfequipment und Personal investieren will, wobei eine Viel-

zahl von Kriterien zu berücksichtigen sind wie z.B. Investitionskosten und Unterhalt (Kalibrierung, Wartung, Anpassung an veränderte Normung, Reparatur), eigenes EMV-Know-How, Schulungskosten, Auslastung des Equipments, schnelle Verfügbarkeit von Prüfterminen, etc. Tabelle 15-2: Basis-Messmethoden zur EMV-Fahrzeugprüfung Störaussendung

Störfestigkeit

Fernstörmessung mit einer externen Antenne

Bestrahlung mit einer Antenne oder Streifenleitung

Nahstörmessung mit einer Fahrzeugantenne

Bestrahlung mit einer Antenne im oder am Fahrzeug Einkopplung in Kabelbäume (BCI)

Tabelle 15-3: Basis-Messmethoden zur EMV-Komponentenprüfung Störaussendung

Störfestigkeit

Messung der Störfeldstärke in der Absorberhalle

Bestrahlung mittels Antenne in der Absorberhalle

Messung der Störfeldstärke in der TEM-Zelle

Bestrahlung in der TEMZelle

Messung der Störfeld-stärke in der Streifenleitung

Störeinkopplung in der Streifenleitung

Störspannungsmessung

Signaleinkopplung mittels Stromzange (BCI)

Störstrommessung

Direkte HF-Einkopplung

Messung von Störimpulsen

Störfestigkeit gegen Magnetfelder Störfestigkeit gegen Störimpulse

15.5 Messtechnik und Messmethoden Sollen im eigenen Labor auch Abnahmeprüfungen durchgeführt werden, so sind meist spezielle Akkreditierungen erforderlich (z.B. nach EN/ISO 17025 oder herstellerspezifisch). Bei Komponentenprüfungen sind die Investitionen für das Prüfequipment geringer als für Gesamtfahrzeugprüfungen, wo größere Hallen, ein Rollenprüfstand und wesentlich höhere Verstärkerleistungen erforderlich sind. Aus diesem Grund findet man Prüfmöglichkeiten für Gesamtfahrzeuge meist nur bei großen Fahrzeugherstellern und Zulieferern sowie bei unabhängigen Dienstleistungsunternehmen. EMV-Prüfungen auf Fahrzeugebene lassen sich in wenige Basis-Messmethoden klassifizieren, während bei Komponentenprüfungen eine Vielzahl von Messmethoden etabliert sind. Entsprechend dem Technologiefortschritt werden stetig weitere Verfahren entwickelt, die sich hinsichtlich Anwendungsbereich und Effizienz gegenüber etablierten Verfahren als vorteilhaft erweisen. Daher kann die Zusammenstellung in den Tabellen 15-2 und 15-3 keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

15.5.2 Messplätze und Messräume 15.5.2.1 Freifeldmessungen Früher wurden Störaussendungsmessungen üblicherweise im Freifeld durchgeführt. Durch die dichte Belegung der Frequenzbänder und immer neue Funkdienste ist es schwierig, Störungen des Prüflings von denen der Umgebung zu unterscheiden und die Abstrahlung von Prüflingen bei Frequenzen zu bewerten, bei denen bereits Umgebungsstrahler vorhanden sind (siehe Bild 15-14). Bei sehr großen Prüflingen, oder wenn ein Betrieb im Labor nicht möglich ist, z.B. bei elektri-

591 schen Bussen (Trolley-Bussen), ist die Freifeldmessung aber immer noch die einzig mögliche Methode. 15.5.2.2 Geschirmte Kabinen und Absorberhalle Um bei den im Folgenden beschriebenen Messmethoden unabhängig von äußeren elektromagnetischen Einflüssen zu sein und bei den Störfestigkeitsprüfungen keine anderen Geräte oder Systeme zu stören, werden die Prüfungen in der Regel in einer geschirmten Kabine (Schirmkabine, Bild 15-15) oder einer Absorberhalle (Bild 15-16) durchgeführt. Die geschirmte Kabine besteht meist aus Aluminium oder Stahl und wird häufig in Modulbauweise ausgeführt, um eine kostengünstige Fertigung zu ermöglichen. Die Türen sind mit leitfähigen Dichtungen versehen. Leitungen, die von außen in die Kabine geführt werden, sind entsprechend gefiltert. Als Gütekriterium gilt das Schirmdämpfungsmaß einer Kabine. Die Absorberhalle ist ein vollständig geschirmter Raum, dessen Wände und Decke (in einigen Fällen auch zusätzlich der Boden) mit absorbierendem Material ausgekleidet sind. Diese so genannten Absorber sollen Reflexionen der Wellen an den Wänden und an der Decke und ggf. auch am Boden verhindern. Der Frequenzbereich, in denen die Absorber wirksam sind, ist abhängig von ihrem Material und ihrer Geometrie. Ist der Boden der Absorberhalle leitfähig und besitzt keine Absorber (semi-anechoic chamber), so entspricht dies einer Freifeld-Umgebung. Ist auch der Boden mit Absorbern ausgestattet (fully-anechoic chamber), so spricht man von einer Freiraumumgebung. Für Gesamtfahrzeugprüfungen ist eine Absorberhalle (z.B. mit Pyramidenabsorbern) mit reflektierendem Boden (ground plane) üblich (Bild 15-16).

Bild 15-14: Umgebungsstörer auf einem Freifeldmessplatz (links vertikale, rechts horizontale Polarisation) mit eingeblendeten Typprüf-Grenzwertlinien für Schmalbandstörer gemäß EMV-Kfz-Richtlinie G(72/245/EWG) bei 3 m (obere Linie), und Gbei 10 m (untere Linie) Messabstand; aufgetragen ist der Pegel 20 log (~E~/ (1 PV/m)) der elektrischen Feldstärke E

592

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

Bild 15-15: Geschirmte Kabine [Quelle: EMC Test NRW GmbH]

Bild 15-16: Absorberhalle [Quelle: EMC Test NRW GmbH]

15.5 Messtechnik und Messmethoden

593

Bild 15-17: Schematischer Aufbau und Impedanzverlauf der CISPR-Netznachbildung (Comitè International Spécial des Pertubations Radioélectriques), gemessen zwischen den Prüflingsanschlüssen P und B, eingangsseitig (A und B) kurzgeschlossen. Bei einigen ISO-Standards ist der 1-PF-Kondensator und der 1-k:-Widerstand (noch) nicht Bestandteil der Netznachbildung. Bei fehlendem 1-k:-Widerstand konvergiert der Impedanzverlauf gegen 50 :. Die Koax-Buchse dient zum Anschluss für einen Messempfänger oder Spektrumsanalysator mit 50 : Impedanz.

15.5.3 Nachbildung des Bordnetzes bei Komponentenmessungen Bei Komponentenmessungen und -prüfungen soll zum Einen eine Entkopplung von Prüfling und Versorgung und zum Anderen eine Impedanznachbildung der realen Fahrzeugimpedanzen erfolgen. Da die Impedanzen aber je nach Fahrzeugtyp, Ausstattung und Leitungsverlegung variieren, hat man sich für die Komponentenmessungen auf eine standardisierte Netznachbildung geeinigt, die bei nahezu allen Komponentenmessverfahren zum Einsatz kommt und für höhere Frequenzen eine Impedanz von 50 : aufweist (bzw. 50 : parallel zu 1 k:, siehe Bild 15-17). Ist die Masseleitung des Prüflings im Fahrzeug länger als 20 cm, so wird auch diese Leitung in der Regel durch eine Netznachbildung geführt.

15.5.4 Störaussendungsmessungen Bei der Störaussendung erfolgt die Betrachtung sowohl im Frequenzbereich (die klassische Funkentstörung), als auch im Zeitbereich (Bewertung impulsförmiger Störgrößen auf Versorgungs-, Steuer- und Datenleitungen).

15.5.4.1 Funkentstörung 15.5.4.1.1 Breitbandige und schmalbandige Störungen Bei den Messungen zur Funkentstörung werden nach derzeit gültiger Normlage breit- und schmalbandige Störquellen unterschieden und unterschiedlich gemessen und bewertet. Diskussionen bei der Arbeit zur Weiterentwicklung der Störaussendungsnormen lassen aber erkennen, dass dieses Prinzip in Zukunft wohl zugunsten eines effizienteren Prüfablaufs aufgegeben werden wird. 15.5.4.1.2 Messempfänger-Detektoren Zur Messung schmal- und breitbandiger Störquellen kommen verschieden bewertende Detektoren zum Einsatz: der Spitzenwertdetektor (Peak), der Mittelwertdetektor (Average) und der Quasi-Spitzenwertdetektor (Quasi-Peak). Während die ersten beiden nahezu selbsterklärend sind, besitzt der Quasi-Peak-Detektor eine schnelle Auflade- und eine langsame Entladezeitkonstante, die dem physiologischen Höreindruck, den die Störquelle im Radio erzeugen würde, angepasst wurden. Der

594 Quasi-Peak-Detektor benötigt jedoch auf Grund seiner langen Einschwingzeiten eine Messzeit von mindestens 1 s pro Frequenzschritt, was zu sehr langen Gesamtmesszeiten führt. Im Automobilbereich wird der Quasi-Peak-Detektor nur für die Bewertung breitbandiger Störgrößen herangezogen. Meist werden Vormessungen mit dem schnellen Peak-Detektor durchgeführt und bei Grenzwertüberschreitungen mit dem Quasi-Peak-Detektor nachgemessen (Bild 15-18). Teilweise werden breitbandige Störer aber auch nur mit dem Peak-Detektor gemessen und bewertet. Die Messung der schmalbandigen Störquellen erfolgt üblicherweise mit dem Peak- oder dem Average-Detektor. Bei der Messung eines konstanten schmalbandigen Störers würden alle drei Detektoren den gleichen Pegel anzeigen. Bei der Messung breitbandiger Störquellen ist dies nicht der Fall. Diesen Umstand, ob ein gemessenes Störsignal schmal- oder breitbandigen Charakter aufweist, macht man sich bei der Bewertung zu Nutze, da in der Praxis häufig beide Arten von Störquellen gleichzeitig auftreten und sich ihre Aussendungspegel überlagern. Die Messungen im Frequenzbereich sind speziell bei kleiner Schrittweite sehr zeitintensiv. Deshalb gibt es Bestrebungen, diese Messungen durch Zeitbereichsmessungen zu ersetzen. Mit Hilfe mathematischer Methoden (Fourier-Transformation) wird dann das Frequenzspektrum berechnet.

15 Elektromagnetische Verträglichkeit 15.5.4.1.3 Fahrzeug-Nahentstörung Im Fahrzeug werden verschiedene Komponenten auf engem Raum betrieben, die sich gegenseitig beeinflussen können. Für den Kunden am ehesten wahrnehmbar sind Störgeräusche im Radio, die z.B. durch das Zündsystem oder einen Gebläsemotor verursacht werden. Durch die Eigenentstörung sollen potenzielle Störquellen entsprechend begrenzt werden. Der Grad der Entstörung einzelner Komponenten sowie die relevanten Frequenzbereiche sind hierbei mit dem Fahrzeughersteller abzustimmen, um eine KostenNutzen-optimierte Entwicklung zu ermöglichen (vgl. Abschnitt 15.2.3). Um die Funk-Empfangsqualität zu überprüfen, werden an der Fahrzeugantenne (und an zusätzlichen am Fahrzeug montierten abgestimmten Messantennen) die Spannungspegel am Antennenfußpunkt frequenzselektiv mit einem Messempfänger oder einem Spektrumanalysator gemessen und mit den geforderten Grenzwerten verglichen (siehe Bild 15-19). Je nach Frequenzbereich kann der Einsatz eines Impedanzkonverters zur Anpassung der Antenne an den Messempfänger oder Spektrumanalysator erforderlich sein. Das Messverfahren und Vorschläge zu den Grenzwerten sind in der CISPR-Norm 25 (Comitè International Spécial des Pertubations Radioélectriques) beschrieben. Die dort angegebenen Grenzwerte haben keinen verbindlichen Charakter, sondern sie dienen lediglich als Anhaltspunkte für die Vereinbarungen zwischen Fahrzeughersteller und Komponentenhersteller.

Bild 15-18: Störspannungsmessung an einem Wischermotor mit verschiedenen Detektoren. Aufgetragen ist der Pegel 20 log (U / 1 PV) der Störspannung U und die Grenzwerte nach Klasse 4 der CISPR-Norm 25 (Comitè International Spécial des Pertubations Radioélectriques)

15.5 Messtechnik und Messmethoden

595

Bild 15-19: Messung an der Fahrzeugantenne

15.5.4.1.4 Fahrzeug-Fernentstörung Durch das Fahrzeug mit seinen Komponenten und Systemen dürfen andere in der Nähe befindliche Funkempfänger (z.B. Radio im Nachbar-Fahrzeug, Mobilfunknetze, Fernseher in einer benachbarten Wohnung) nicht gestört werden. Um dies zu überprüfen, wird mit externen kalibrierten Antennen im Abstand von 10 m (wahlweise auch 3 m) die Aussendung frequenzselektiv gemessen und anschließend mit entsprechenden Grenzwerten verglichen. Messverfahren und Grenzwerte sind in CISPR 12 beschrieben. Für Fahrzeughersteller, die hohe Anforderungen an die Eigenentstörung des Fahrzeuges haben, ist die Fernentstörung in der Regel kein Problem. 15.5.4.1.5 Funkentstörung auf Komponentenebene Auf Komponentenebene wird der Prüfling mit seinem Prüfkabelbaum und der erforderlichen Peripherie entsprechend der Prüfvorschrift isoliert auf einem Tisch mit metallischer Grundplatte angeordnet und mit einer davor befindlichen kalibrierten Antenne vermessen. Alternativ kommen TEM-Zellen oder Streifenleitungen für die Messung zum Einsatz. Bei den Komponentenprüfungen wird der Prüfling über die zuvor beschriebene CISPR-Bordnetznachbildung versorgt. Das Gehäuse des Prüflings wird nicht mit der Grundplatte verbunden, außer wenn beabsichtigt ist, eine spezielle Fahrzeugkonfiguration zu simulieren. Zusätzlich werden frequenzselektiv die leitungsgeführten Störaussendungen auf den Versorgungsleitungen gemessen oder mit einer Strommesszange die Störströme des Kabelbaums erfasst. Auch diese Messverfahren und die hierzu vorgeschlagenen Grenzwerte und Grenzwertklassen sind in CISPR 25 beschrieben.

15.5.4.2 Messung der impulsförmigen Störaussendung Schaltvorgänge im Fahrzeug, geschaltete Induktivitäten oder nachlaufende Gleichstrommotoren können Spannungsspitzen auf dem Bordnetz erzeugen, die zu einer Gefährdung anderer sicherheitsrelevanter Elektroniken im Fahrzeug führen können. Aus diesem Grund dürfen Komponenten während des Betriebs oder beim Abschalten nur Impulse erzeugen, die unterhalb eines definierten Spannungspegels liegen. Dieser Spannungspegel ist abhängig von der Charakteristik des Impulses. Grenzwerte und Messverfahren sind in ISO 7637-2 beschrieben. Die Messung erfolgt mit einem hinreichend schnellen Oszilloskop an der Bordnetznachbildung. Für die Messung der Abschaltimpulse des Prüflings wird ein zusätzlicher Bordnetzschalter benötigt. Dies kann der reale Schalter eines Fahrzeugs, ein der Spezifikation entsprechendes Relais oder ein elektronischer Schalter sein. Das Abschaltverhalten des Schalters hat einen Einfluss auf das Messergebnis. Sollen schnelle Impulse detektiert werden, so muss sich der Schalter zwischen Bordnetznachbildung und Prüfling befinden (siehe Bild 15-20a). Für die Messung langsamer Impulse wird er zwischen Batterie und Bordnetznachbildung platziert (Bild 15-20b).

596

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

Bild 15-20a: Position des Bordnetzschalters für die Messung langsamer Impulse (ms-Bereich und langsamer)

Bild 15-20b: Position des Bordnetzschalters für die Messung schneller Impulse (ns- bis Ps- Bereich)

15.5.5 Störfestigkeitsprüfmethoden

henden Kalibrierung ohne Prüfling bestimmt, in dem der Zusammenhang zwischen Störgrößenamplitude und Verstärkerausgangsleistung gemessen und in einer Kalibrierdatei abgelegt wird. Während der eigentlichen Prüfung wird dann die Ansteuerleistung bei jedem Frequenzschritt so lange eingeregelt, bis die zuvor ermittelte Verstärkerausgangsleistung erreicht wird.

15.5.5.1 Schmalbandige hochfrequente Störquellen außerhalb des Fahrzeugs Die im folgenden aufgeführten Prüfmethoden sollen die Störbeeinflussungen auf Komponenten und Fahrzeuge simulieren, wie sie z.B. in der Nähe von Rundfunksendern, Amateurfunksendern oder anderen Funkdiensten auftreten können. Neben Frequenz und Amplitude ist die Art der Modulation ein weiteres Charakteristikum eines Senders. Zusätzlich zu den bekannten Modulationsarten unmoduliert (CW), amplitudenmoduliert (AM), frequenzmoduliert (FM) und pulsmoduliert (PM) sind durch den Einzug der digitalen Funktechnik komplexere Modulationsverfahren hinzugekommen, die eine optimale Nutzung der Bandbreite bei hoher Übertragungssicherheit und Flexibilität gewährleisten. Bei den Störfestigkeitsprüfungen ist die Nachbildung dieser komplexen Modulationen ökonomisch nicht sinnvoll. Es zeigte sich auch bei einer Vielzahl von Untersuchungen, dass die Signalformen unmoduliert (CW), amplitudenmoduliert (AM), pulsmoduliert (PM) und teilweise noch frequenzmoduliert (FM) für die Beurteilung der im Fahrzeug eingebauten elektronischen Komponenten ausreichend sind. Das Störsignal wird in der Regel von einem Signalgenerator erzeugt, durch einen Leistungsverstärker verstärkt und dann der Antenne oder der Koppeleinrichtung zugeführt. Ein Teil der eingespeisten Leistung wird dabei wieder reflektiert. Je nach Definition des Prüfverfahrens wird auf die eingespeiste Leistung (Vorwärtsleistung) oder die Nettoleistung (Vorwärtsminus Rückwärtsleistung) referenziert. Zur Messung der Vorwärts- und der Rückwärtsleistung werden Richtkoppler in Verbindung mit Leistungsmessern eingesetzt. Beim „Closed-Loop-Verfahren“ wird der Ansteuerpegel zur Erzielung der gewünschten Störgrößenamplitude während der Prüfung im geschlossenen Regelkreis auf Basis der gemessenen Störgrößenamplitude eingeregelt. Beim „Substitutionsverfahren“ wird der erforderliche Ansteuerpegel während einer vorherge-

15.5.5.1.1 Antennenmethode Oberhalb ca. 20 MHz wird die Störfestigkeit gegen externe schmalbandige elektromagnetische Störquellen außerhalb des Fahrzeugs meist mit Hilfe von logarithmisch periodischen Antennen geprüft. Der Abstand zwischen Sendeantenne und Fahrzeug soll dabei groß sein, um eine möglichst homogene Bestrahlung des Prüflings zu erreichen. Die Wunschvorstellung, dass sich das Fahrzeug im Fernfeld der Antenne befindet, ist allerdings bei den niedrigeren Frequenzen nur eingeschränkt zu verwirklichen, da am Ort des Prüflings möglichst hohe Feldstärken (typ. 100 – 200 V/m) erzielt werden sollen, die wiederum den maximal möglichen Abstand begrenzen. In der Praxis werden meist Abstände zwischen 3 und 5 m bei Verstärkerleistungen von bis zu 10 kW gewählt. Die Closed-Loop-Methode wird heute kaum noch verwendet, da der Ort der Feldsonde – in Verbindung mit den Feldverzerrungen und Reflexionen, die durch das Fahrzeug verursacht werden – einen erheblichen Einfluss auf die erzeugte Prüfstörgröße und damit auf das Prüfergebnis hat. Die Standard-Einstrahlung erfolgt auf die Frontseite des Fahrzeugs (in der Regel Sitz des Motors mit seiner Elektronik), teilweise wird das Fahrzeug dann anschließend schrittweise um jeweils 90 Grad gedreht. Das Fahrzeug selbst befindet sich während der Prüfung im Stillstand (etwa zur Überprüfung der Alarm- und Wegfahrsperrenfunktion), oder wird auf einem Rollenprüfstand betrieben (mit konstanter Geschwindigkeit, im Bremszyklus oder durch die Vorgabe spezieller Geschwindigkeitsprofile, z.B. zur Simulation von ABS-Zyklen, vgl. auch Bild 15-21).

15.5 Messtechnik und Messmethoden

597

Bild 15-21: Störfestigkeitsprüfung mit externer Antenne auf dem Rollenprüfstand [Quelle: EMC Test NRW GmbH]

Bei sehr langen Fahrzeugen wird die Antenne an mehreren Positionen entlang des Fahrzeuges positioniert. Ein Betrieb auf einem Rollenprüfstand ist dann häufig nicht mehr möglich. Alternativ dazu wird das Fahrzeug dann aufgebockt oder es werden Antriebswellen abgekoppelt. Beides führt aber in der Regel zu Fahrzeugfehlermeldungen (z.B. des ABS-Systems). Beim Komponententest wird meist ein Holztisch mit einer metallisch leitenden Grundplatte benutzt. Diese Grundplatte simuliert dabei die Nähe zum Chassis im realen Fahrzeugeinbau. Sie muss niederohmig mit dem Erdungssystem oder der Schirmung verbunden sein und bestimmte Anforderungen hinsichtlich minimaler Dicke, Größe und Materialart erfüllen. Prüfling und Verkabelung werden 5 cm oberhalb der Grundplatte isoliert platziert und über die Bordnetznachbildung versorgt. Ist der Prüfling im Fahrzeug direkt am Chassis montiert, so kann zusätzlich eine leitende Verbindung vom Prüfling zur Grundplatte geschaffen werden. 15.5.5.1.2 Stromeinspeisung Bei der Stromeinspeisung (Bulk Current Injection BCI) wird mit einer Koppelzange (Clamp) ein hochfrequenter Strom in den Kabelbaum eingeprägt. Die Stromeinspeisungsmethode ist für den auf der BCI-Clamp spezifizierten Bereich anwendbar. Nach ISO 11452-4 ist sie für den Bereich 1 bis 400 MHz spezifiziert. Der Prüfaufbau erfolgt in einer geschirmten Kabine auf einem Tisch mit einer metallischen Grundplatte. Die Versorgung des Prüflings und der Prüflingsperipherie erfolgt über Bordnetznachbildungen. Die genaue Anordnung des Prüflings und seiner Peripherie können fahrzeugherstellerspezifisch variieren. Der Normaufbau ist in ISO 11452-4 beschrieben (Bild 15-22).

Auch hier ist die Prüfung auf zwei verschiedene Arten möglich und üblich: Bei der Substitutionsmethode wird vor der eigentlichen Prüfung eine Kalibrierung der Koppelzange (BCI-Clamp) in einem speziellen Kalibrier-Adapter (Calibration Jig) durchgeführt. Der Adapter repräsentiert dabei eine Leitung mit 50 Ohm Impedanz, die beidseitig mit 50 Ohm abgeschlossen ist. Es wird ermittelt, welche (Vorwärts-) Leistung in die BCI-Clamp eingekoppelt werden muss, um im Calibration Jig den gewünschten Strom zu erzeugen. Bei der eigentlichen Prüfung wird dann die zuvor ermittelte Leistung an der BCI-Clamp eingespeist, unabhängig von der realen Impedanz des Prüflings und des Aufbaus. Der dabei tatsächlich eingekoppelte Strom weicht mehr oder weniger stark von dem in den Kalibrieradapter eingespeisten ab, was aber der Eigenschaft des Prüflings zugeordnet werden kann. Mit Hilfe einer Strommesszange über dem Kabelbaum in der Nähe des Prüflings kann der eingekoppelte Strom ermittelt werden. Die Prüfung wird bei drei verschiedenen Abständen der Koppelzange zum Prüfling durchgeführt, um nicht Gefahr zu laufen, durch Resonanzerscheinungen bei bestimmten Frequenzen nahezu keinen Strom in den Prüfling einzukoppeln. Beim Closed-Loop-Verfahren wird der in den Kabelbaum über die BCI-Clamp eingekoppelte Störstrom während der Prüfung mit einer Strommesszange gemessen und die Leistung so lange nachgeregelt, bis der gewünschte Störstrom erreicht wird. Die in den Prüfling eingekoppelte Leistung ist stark abhängig von der Impedanz des Prüflings.

598

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

a)

b)

c)

Bild 15-22: Die BCI-Prüfung (vereinfacht ohne Strommesszange): a) Prinzipieller Aufbau, b) Prinzipschaltbild, c) Koppelzange

Für Prüflinge mit hoher Impedanz kann eine sehr hohe Eingangsleistung erforderlich sein, um den gewünschten Strom einkoppeln zu können. Um den Prüfling in einem solchen Fall nicht hoffnungslos zu übertesten, sollte auf jeden Fall die maximal in die BCI-Clamp eingekoppelte Leistung begrenzt werden. Um diese maximale Leistung zu definieren, wird hier ebenfalls vor der Prüfung eine Kalibrierung mit einem Kalibrieradapter durchgeführt. Dabei wird die Leistung aufgezeichnet, die benötigt wird, um bei der 50-Ohm-Kalibrier-Anordnung den gewünschten Strom einzukoppeln. Die maximale Prüfleistung wird dann als Vielfaches dieser Kalibrierleistung definiert. Bei Fahrzeugen, die zum Beispiel auf Grund ihrer Größe nicht in einer Absorberhalle geprüft werden können, wird die BCI-Methode auch zur Störfestigkeits-Prüfung am Fahrzeug benutzt. Dabei wird die BCI-Clamp in der Nähe einer zu untersuchenden Komponente am Kabelbaum platziert und die Prüfung durchgeführt (Bild 15-23). Es handelt sich also strenggenommen um eine Komponentenprüfung im Fahrzeug. Da die Peripherie (das Fahrzeug) vorhanden ist, erübrigen sich spezielle Prüfaufbauten. Es lassen sich

Betriebszustände prüfen, die sich direkt am Fahrzeug einstellen lassen oder durch einfache Manipulationen am Fahrzeug erzeugt werden können. Bei Fahrzeugen mit Bussystemen (CAN) können ggf. durch zwischengeschaltetes Prüfequipment einzelne CAN-Botschaften manipuliert oder sogar ganze Funktionalitäten simuliert und Betriebszustände gezielt eingestellt werden. Prüfaufbau und Durchführung der Prüfungen sind in ISO 11451-4 näher beschrieben. 15.5.5.1.3 TEM-Zelle Bei der TEM-Zelle handelt es sich um einen aufgeweiteten Koaxialleiter, bei dem zwischen Innen- und Außenleiter ein Prüfling platziert werden kann (siehe Bild 15-24). Das äußere Gehäuse der TEM-Zelle bildet dabei den Schirm. Der innere Leiter – das so genannte Septum – ist mittig in der TEM-Zelle angeordnet, so dass die TEM-Zelle geometrisch in zwei gleiche Bereiche geteilt wird. Der Prüfling selbst wird in der unteren Hälfte zwischen Septum und Boden (Schirm) platziert und über ein Buchsenfeld mit der Peripherie und der Betriebsspannung verbunden.

15.5 Messtechnik und Messmethoden

599

Bild 15-23: BCI-Prüfung am Gesamtfahrzeug (vereinfachte Darstellung ohne Strommesszange)

Das Prüfsignal wird auf der einen Seite der TEM-Zelle eingespeist, auf der anderen Seite erfolgt ein Abschluss mit dem Wellenwiderstand der TEM-Zelle, um Reflexionen durch Impedanzsprünge zu vermeiden. Zwischen Septum und Schirmung bildet sich ein elektromagnetisches Feld aus, bei dem die Vektoren des elektrischen Feldes, des magnetischen Feldes und der Ausbreitungsrichtung der Wellen senkrecht aufeinander stehen (sogenannte TEM-Wellen, transversale elektromagnetische Wellen), wie dies im Fernfeld eines Senders auch der Fall ist. Der Feldwellenwiderstand, d.h. das Verhältnis von elektrischer Feldstärke und magnetischer Feldstärke beträgt bei der TEM-Zelle ebenso wie im Fernbereich eines Rundfunksenders 377 Ohm. Der Wellenwiderstand der TEM-Zelle, d.h. das Verhältnis aus Spannung und Strom darf nicht mit dem Feldwellenwiderstand verwechselt werden. Er beträgt bei den im Automobil-Bereich üblichen TEMZellen-Auslegungen 50 Ohm.

Oberhalb einer von der Zellengeometrie abhängigen Grenzfrequenz kommt es zu Resonanzen innerhalb der TEM-Zelle (Anregung höherer Ausbreitungsmoden). Erkennbar sind diese Moden z.B. durch eine Feldkomponente in Ausbreitungsrichtung. Durch Einbringung von absorbierendem Material auf der Innenseite der Schirmung kann die Grenzfrequenz noch einmal nach oben verschoben werden. Der nutzbare Frequenzbereich typischer TEM-Zellen ist ca. 200 MHz ohne Auskleidung und 400 MHz mit Auskleidung der Zellenwände. Da HF-Verstärker immer auch Oberwellenanteile produzieren, sollte ein Tiefpassfilter im Verstärkerausgang vorgesehen werden, um eine unerwünschte Anregung höherer Ausbreitungsmoden zu verhindern. Nach ISO 11452-1 ist die TEM-Zellen-Methode (ISO 11452-3) für den Frequenzbereich von 0,01 MHz bis 200 MHz definiert.

Bild 15-24: TEM-Zelle

600

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

Bild 15-25: Einkopplung a) auf Prüfling und b) auf Prüfling und Kabelbaum: 1 Außenhülle, 2 Septum, 3 Durchführung und Anschlussfeld, 4 Prüfling, 5 Stecker, 6 isolierte Unterlage, 7 Kabelbaum, h Höhe unterhalb des Septums

Das Einbringen des Prüflings in die TEM-Zelle ist nicht rückwirkungsfrei auf die Feldausbildung und führt zu Verzerrungen des Feldes, die sich von den Verzerrungen in einem in der Absorberhalle erzeugten Feld unterscheiden. Aus diesem Grund ist die maximal zulässige Prüflingsgröße in der Höhe auf ein Drittel des Abstands zwischen Septum und Schirmung begrenzt. Werden die Prüflingsanschlussleitungen am Buchsenfeld hochfrequenzmäßig gefiltert, so ist keine geschirmte Kabine erforderlich. Um eine hohe Reproduzierbarkeit der Messungen zu erzielen, wird für die Verbindung vom Prüfling zu den Anschlüssen der TEM-Zelle meist eine gedruckte Leiterplatte statt eines Kabelbaums verwendet. Je nach Anordnung des Kabelbaums oder der Leiterplatte im Innern der TEM-Zelle erfolgt die Einkopplung vorwiegend nur auf den Prüfling oder auf Prüfling und Kabelbaum (Bild 15-25). Die Prüfung in der TEM-Zelle erfolgt üblicherweise im Closed-Loop-Verfahren, wobei die Feldmesssonde mittig in der oberen – wenig durch den Prüfling beeinflussten – Hälfte der TEM-Zelle angeordnet wird. Der Prüfaufbau bei der TEM-Zelle kann (abhängig von der Anzahl der Prüflingsanschlüsse) die eigentliche Prüfung zeitmäßig bei weitem überschreiten, da alle Anschlussleitungen jeweils einmal aufzutrennen und innerhalb und außerhalb der Zelle wieder anzuschließen sind. Die Gesamtanzahl der verfügbaren Anschlüsse ist durch das Buchsenfeld begrenzt.

pedanz des Leistungsverstärkers ab, so ist ein Anpassnetzwerk erforderlich. Die Impedanz der Stripline ist vom Verhältnis der Septumbreite zu ihrer Höhe über der Grundplatte abhängig. Für die Komponentenprüfung haben sich zwei Ausführungen etabliert: die 50-Ohm- und 90-OhmStripline (Bild 15-26). Bei der 90-Ohm-Stripline sind Impedanzanpassungen notwendig, da die benutzten Verstärker üblicherweise eine Impedanz von 50 Ohm aufweisen. Die Höhe des Septums einer typischen 50-Ohm-Stripline ist mit 150 mm Abstand zur Grundplatte geringer als bei einer typischen TEM-Zelle mit 50 Ohm Impedanz, deren Septum sich ca. 300 mm über dem Boden der TEMZelle befindet. Dies führt zu einem geringeren Leistungsbedarf der Stripline, um gleiche Feldstärken zu erzielen. Der Abstand selbst geht bei davon invarianter Feldstärke linear in den Spannungsbedarf und damit quadratisch in den Leistungsbedarf ein. Meist wird der Prüfkabelbaum auf einer Länge von mindestens 1 m parallel unter dem Septum platziert. Es ist jedoch auch möglich, den Prüfling (ggf. mit Kabelbaum) dem Feld auszusetzen, solange der Prüfling hinreichend klein ist (maximal 1/3 der Höhe unter der Streifenleitung). Die Kalibrierung nach der Substitutionsmethode kann rechnerisch nach der Beziehung E

15.5.5.1.4 Stripline Bei der Stripline handelt es sich ebenfalls um einen TEM-Wellenleiter, allerdings umschließt der „Schirm“ anders als bei der TEM-Zelle nicht mehr das Septum, sondern ist als metallische Grundplatte unterhalb des Septums ausgeführt (Bild 15-26). Da diese Konstruktion somit über keine geschlossene Schirmung verfügt, muss sie in einem geschirmten Raum betrieben werden. Die Stripline wird ähnlich wie die TEM-Zelle einseitig gespeist. Auf der gegenüberliegenden Seite wird sie mit ihrem Wellenwiderstand abgeschlossen. Weicht die Stripline-Impedanz von der Ausgangsim-

PZ h

erfolgen, wobei E der Betrag der elektrischen Feldstärke, P die Nettoleistung, h die Höhe des Septums über der Grundplatte (siehe Bild 15-26) und Z die Impedanz der Stripline bezeichnet. Alternativ kann die Feldstärke auch mit einer Feldsonde gemessen werden. Je nach Größe der Sonde kommt es dabei aber zu mehr oder weniger starken Feldverzerrungen. Deren Einfluss kann, wenn nötig, über die Simulation quantifiziert werden.

15.5 Messtechnik und Messmethoden

601

Bild 15-26: Prüfung mit der Komponenten-Stripline: a) schematischer Prüfaufbau, b) Prinzipschaltbild; übliche Werte sind h = 150 mm, w = 740 mm, Z = 50 :, l = 1,5 m oder 1 m

Die Stripline ist auch eine beliebte Methode zur Störfestigkeitsprüfung von Gesamtfahrzeugen. Sie wird im Frequenzbereich von einigen hundert kHz bis zu max. 30 MHz eingesetzt. Das für die Komponenten-Stripline Gesagte gilt auch für die FahrzeugStripline. Als Grundplatte der Anordnung dient dabei der metallische Boden der Absorberhalle, in der üblicherweise auch die Prüfungen in den höheren Frequenzbereichen sowie die Fahrzeugstöraussendungsmessungen durchgeführt werden. Der nutzbare Teil des Septums der Stripline befindet sich dabei – je nach Konstruktion – in einer Höhe von 2,5 bis zu 5 m oberhalb des Hallenbodens. Um bei diesen Höhen noch Feldstärken bis zu 120 V/m zu erzielen, sind Verstärkerleistung in der Größenordnung von bis zu 10 kW erforderlich. Da der Wellenwiderstand in der

Regel nicht 50 Ohm beträgt, sollte die Stripline mit entsprechenden Impedanzanpassungen betrieben werden, um Reflexionen zu vermeiden. Auf Grund der hohen Leistungen wird abhängig vom Frequenzbereich oft bewusst darauf verzichtet. Ein spezielles Beispiel einer Streifenleitung zeigt Bild 15-27. Sie verfügt über einen als Flächenwiderstand ausgelegten Abschluss (rechts) und eine Mehrfacheinspeiseeinheit (links). Durch den flächigen Abschlusswiderstand ist die Abfuhr der Leistung von 10 kW ohne zusätzliche Kühlungsmaßnahmen möglich. Die Mehrfacheinspeisung verkürzt die Aufweitungskonstruktion etwa um den Faktor vier und sorgt gleichzeitig für die notwendige Anpassung der Impedanz der Stripline an den Verstärker.

Bild 15-27: Spezielle Fahrzeug-Stripline [Quelle: EMC Test NRW GmbH]

602

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

Bild 15-28: Breitband-Netznachbildung; die Induktivitäten L1, ..., L5 werden abhängig vom Strombedarf und signalabhängig angepasst

15.5.5.1.5 Direkte Leistungseinkopplung Die direkte Leistungseinkopplung ist ähnlich zur BCIKopplung. Anstelle eines induktiven Koppelelements in Form der BCI-Zange wird jedoch hier ein kapazitives Koppelelement verwendet. Der Einsatzfrequenzbereich liegt nach Norm bei 0,25 bis 500 MHz, wobei die Begrenzung hauptsächlich auf Resonanzen und parasitäre Kapazitäten in der Koppel- und Entkoppeleinrichtung zurückzuführen ist. Die Methode ist auf alle Leitungen mit Ausnahme der Hochfrequenz-Messleitung anwendbar. Im Gegensatz zur BCI-Methode kann durch Einkopplung auf einzelne Leitungen die Ursache einer unzureichenden Störfestigkeit leicht ermittelt werden. Die Einspeisung erfolgt direkt an den Steckerpins. Zur Einkopplung und zur Entkopplung werden Breitband-Netznachbildungen (BAN: Broadband Artifical Network, Bild 15-28) eingesetzt. Diese können jedoch auch dazu führen, dass das eigentliche Nutzsignal zu stark gedämpft wird, so dass die Funktion auch ohne Störgröße nicht mehr gegeben ist. In Bild 15-28 werden die Induktivitäten L1 bis L5 abhängig vom Strombedarf und signalabhängig angepasst. Bei der HF-Einspeisung ist der Verstärker über einen 10-dB-Abschwächer und einen DCEntkopplungskondensator zu betreiben. Prüflingsleitungen, die nicht beaufschlagt werden, sind ebenfalls über BANs anzuschließen, der HF-Eingang bleibt dann unbeschaltet. Der Leistungsbedarf bei der direkten Leistungseinkopplung ist sehr gering, der Rüstaufwand bei vielen Anschlüssen jedoch sehr hoch und der Anwendungsbereich auf Grund des Einsatzes der BANs eingeschränkt. 15.5.5.2 Störfestigkeit gegen Sender im Fahrzeug Nicht nur externe elektromagnetische Felder können eine Bedrohung für die Fahrzeugelektronik darstellen, sondern auch Sender innerhalb des Fahrzeugs, die mit oder ohne Außenantenne betrieben werden

(Bild 15-29). Vom Fahrzeughersteller werden entsprechende Vorgaben für den nachträglichen Einbau und den zulässigen Betrieb von Funkequipment im Fahrzeug gemacht. Dies beinhaltet Angaben zu den zulässigen Sendeleistungen (frequenzabhängig), Antennenstandorten, der Güte der Antenne sowie Montage- und Verlege-Anleitungen. Die räumliche Nähe von (Sende-) Antenne, Fahrzeugelektronik und Kabelbaum sowie die Gefahr von Resonanzüberhöhungen durch das benachbarte metallische Chassis stellen dabei die Hauptgefahren dar. Zudem gibt es bei Geräten ohne Außenantenne (wie zum Beispiel Handys) eine unendliche Anzahl von Positionen innerhalb des Fahrzeugs, an denen sich ein solches Gerät befinden kann (Stand by mit Handy in der Ablage oder sogar mit der Antenne im Lüftungsschlitz, Telefonbetrieb am Ohr, Fallenlassen bei plötzlich notwendiger Lenkbewegung, Umherfliegen bei starkem Abbremsen oder Beschleunigen, ...). Ein eingeschaltetes Handy sendet in gewissen Abständen auch wenn kein aktives Gespräch stattfindet, um mit der jeweiligen Basisstation Daten auszutauschen. Aus diesem Grund ist in den meisten Betriebsanleitungen der Handybetrieb ohne externe Außenantenne verboten. Bei vielen einfachen, im Nachrüstmarkt erhältlichen Freisprechanlagen wird keine externe Antenne verwendet, so dass dabei ebenfalls eine entsprechende Feldbelastung im Fahrzeuginneren entsteht. Neben den Mobilfunktelefonen mit den GSM-Frequenzen werden weitere Funktechnologien (geringer Leistung) eingesetzt, die ohne Außenantenne betrieben werden (z.B. Bluetooth). Um eine Aussage über zulässige Sendeleistungen und optimale Antennenstandorte machen zu können, werden Tests am Fahrzeug durchgeführt, bei denen mit konstanter HF-Leistung in Fahrzeugantennen (oder zusätzlich am Fahrzeug montierte Antennen) eingespeist wird. Teilweise werden diese Prüfungen auch unter Nutzung von käuflichen oder modifizierten Funkgeräten durchgeführt. Um einen gewissen Schutz auch gegen missbräuchliche Nutzung von Funkgeräten ohne Außenantenne zu

15.5 Messtechnik und Messmethoden ermöglichen, werden zusätzlich Prüfungen an einigen ausgewählten Positionen im Inneren des Fahrzeugs mit Funkgeräten oder Funkgerätenachbildungen durchgeführt. Nähere Informationen zu Prüfverfahren, relevanten Frequenzbereichen, typischen Leistungen und Modulationsarten sind der ISO 11451-3 zu entnehmen.

603 Spulen ein nahezu homogenes Magnetfeld aus. Der Prüfling wird dann mittig zwischen den beiden Spulen platziert. Er darf max. 2/3 des Abstandes der Spulen lang sein und in der Höhe max. 2/3 des Radius nicht übersteigen. Bei der Prüfung mit der handgeführten Feldspule wird diese nacheinander jeweils an allen Seiten des Prüflings mit einem definierten Abstand (typ. 5 cm) entlanggeführt. 15.5.5.4 Elektrostatische Entladungen

Bild 15-29: Simulation eines Senders im Fahrzeug ohne Außenantenne

15.5.5.3 Niederfrequente magnetische Felder Magnetische Wechselfelder können magnetfeldempfindliche Bauteile (wie zum Beispiel Sensoren oder Festplatten) beeinflussen oder unerwünschten Spannungen und Ströme in Leiterkarten und Kabeln induzieren. Die klassischen Quellen niederfrequenter Magnetfelder sind im Bereich der Energieversorgung mit 50 Hz, 60 Hz oder im Bahnbereich mit 16 2/3 Hz angesiedelt. Im Rahmen der nachfolgend beschriebenen Prüfmethoden wird der Frequenzbereich von 15 Hz bis 150 kHz abgedeckt, um auch magnetische Felder (Grundschwingungen und Oberwellen) von Leistungselektroniken zu berücksichtigen. Die Prüfung zur Störfestigkeit gegen niederfrequente magnetische Felder erfolgt üblicherweise an Komponenten – entweder in der Helmholtz-Spule (zur Nachbildung homogener Magnetfelder bis ca. 2 kHz), oder mit einer handgeführten Feldspule (zur Erzeugung konzentrierter nichthomogener Felder). Die Helmholtz-Spule besteht aus zwei in Reihe geschalteten kreisförmigen Spulen gleicher Abmessung und Windungszahl, die sich koaxial gegenüberstehen und deren Abstand zueinander gleich ihrem Radius ist. Wird diese Anordnung gleichsinnig von einem Strom durchflossen, so bildet sich zwischen den

Jeder kennt jenen unangenehmen „Stromschlag“ , den man beim Aussteigen aus Fahrzeugen bisweilen beim anschließenden Berühren der Tür oder anderer metallischer Karosserieteile erhält. Dabei findet eine Entladung statischer Elektrizität statt (ESD, vgl. Abschnitt 15.2.4.4 und Bild 15-1). Die Ladung hat sich zuvor durch die Reibung verschiedener Materialien auf dem Fahrzeug akkumuliert. Berührt eine auf dem Boden stehende und dabei geerdete Person das Fahrzeug, kommt es zur Entladung und damit zu einem kurzzeitigen (transienten) Stromfluss. Ebenso kommt es zur Aufladung von Personen, wenn diese entsprechende (meistens synthetische) Kleidung oder Schuhe tragen. Elektrostatische Entladungen können zu Funktionsstörungen oder sogar zu Zerstörungen von elektronischen Bauteilen führen. Dies kann auch bei der Handhabung elektronischer Komponenten z.B. bei der Montage passieren. Aus diesem Grund wird die ESD-Prüfung an Komponenten auch im nicht angeschlossenen Zustand durchgeführt (so genannte Packaging-Handling-Tests). Durch den extrem steilen Strom-Anstieg im ESDImpuls kommt es zur Ausbildung eines elektromagnetischen Feldes. Um solchen Effekten Rechnung zu tragen, wird nicht nur auf den Prüfling selbst entladen, sondern auch auf vertikale oder horizontale Koppelplatten in der Nähe des Prüflings oder des Kabelbaums. Bei nichtmetallischen Flächen des Prüflings kommt die Luftentladung zur Anwendung. Hierbei nähert man sich bei aufgeladener Prüfspitze dem Prüfling, bis ein Überschlag stattfindet. Da die Form des Stromimpulses wesentlich von den Versuchs- und Umgebungsbedingungen wie Luftdruck, Temperatur und Annäherungsgeschwindigkeit abhängt, hat sich für eine höhere Reproduzierbarkeit der Prüfung die „Kontaktentladung“ durchgesetzt, die bei metallischen Oberflächen anwendbar ist. Es erfolgt der Entladevorgang bei aufgesetzter ESD-Spitze. Dazu muss der Generator über ein gekapseltes Hochspannungsrelais verfügen, das es ermöglicht, die interne RC-Kombination auf Knopfdruck mit der Prüfspitze zu verbinden.

604

15 Elektromagnetische Verträglichkeit

a)

b)

Charakteristische Größen für den Entladeimpuls sind Amplitude, Polarität sowie Impulsanstiegs- und Impulsrückenzeit. Die prinzipiellen Verläufe sind (stark vereinfacht) in Bild 15-30 dargestellt. 15.5.5.5 Kfz-Impulse Im Fahrzeugbordnetz können Störimpulse in erheblichem Maße auftreten und Funktionsstörungen oder sogar Elektronikausfälle hervorrufen. Die Impulse selbst können direkt über die Versorgungsleitungen zum Prüfling gelangen oder von gestörten Leitungen aus überkoppeln. Prüftechnisch unterscheidet man die Störfestigkeitsprüfung auf Versorgungsleitungen von denen auf Bus-, Signal- und Steuerleitungen. Im Rahmen der Normung werden solche Impulse anhand ihrer Impulsparameter klassifiziert und durch typisierte Impulse nachgebildet. Die Normenreihe ISO 7637 beinhaltet typische Impulsformen und Prüfschärfegrade, die bei Komponentenprüfungen zu berücksichtigen sind. Herstellerspezifisch gibt es aber immer noch eine Vielzahl von verschiedenen Prüfimpulsparametern.

Bild 15-30: Elektrostatische Entladung: a) Versuchsanordnung: Für Entladungen durch Personen im Fahrzeuginneren wird R = 2 k: und C = 330 pF gewählt; für Entladungen durch Personen, die außerhalb des Fahrzeugs stehend ins Fahrzeuginnere hineinreichen R = 2 k: und C = 150 pF; b) Prinzipieller Verlauf beim Entladeimpuls: i Entladestrom, Ip1 Strom im 1. Maximum, Ip2 Strom im 2. Maximum, t Zeit, tr < 5 ns Anstiegszeit

15.5.5.5.1 Störfestigkeitsprüfung auf Versorgungsleitungen Eine mögliche Ursache von Störimpulsen auf Versorgungsleitungen sind induktive Lasten, die im Abschaltmoment (z.B. Zündung aus) auf Grund der in ihnen gespeicherten Energien einen Störimpuls in parallel geschalteten Elektroniken erzeugen können. Auch die Induktivität des Kabelbaums selbst kann die Ursache von Störimpulsen sein, wenn ein niederohmiger Verbraucher abgeschaltet wird (z.B. Heckscheibenheizung). Ebenso können generatorisch nachlaufende Gleichstrommotoren (z.B. Lüfter) Störimpulse auf der Versorgungsleitung erzeugen. Sehr steilflankige Störimpulse entstehen durch verteilte Kapazitäten und Induktivitäten speziell beim Schalten mechanischer Schalter. Wird eine stark entladene Batterie vom Generator mit hohem Strom geladen und kommt es dabei zu einer Unterbrechung der Verbindung zur Batterie (Wackelkontakt, Korrosion) kann dies den gefürchteten LoadDump-Impuls erzeugen, der ungeschützte Elektroniken leicht zerstören kann. Impulsamplitude, Innenwiderstand und Zeitverlauf sind dabei von Generator und Drehzahl abhängig. Um nicht alle Elektroniken mit entsprechenden Schutzbeschaltungen versehen zu müssen, werden die Generatoren meistens mit einer

15.6 Normen und Richtlinien Schutzbeschaltung versehen, die die maximal mögliche Impulsspannung begrenzt. Bei der Dimensionierung von Schutzbeschaltungen in Komponenten sollte deren Ansprechschwelle auf jeden Fall oberhalb der Begrenzung des Generators liegen. Zur prüftechnischen Erzeugung von Störimpulsen werden spezielle Impulsgeneratoren benötigt. Die Einkopplung erfolgt direkt auf die Versorgungsleitung. Für einige der Prüfimpulse muss zusätzlich die Spannungsversorgung des Prüflings zeitsynchron unterbrochen werden. Liegt die Spannungsversorgung während des Impulses an, so wird geräteintern oder über eine entsprechende Koppelmatrix ein Kurzschluss des Impulses über die Spannungsversorgung verhindert. Im Rahmen der Bordnetzdefinition gibt es weitere Phänomene, die prüftechnisch abzudecken sind, wie zum Beispiel der Spannungsverlauf beim Startvorgang oder kurzzeitige Versorgungsunterbrechungen (micro interrupts). 15.5.5.5.2 Störfestigkeitsprüfung auf Nicht-Versorgungsleitungen Bei Nicht-Versorgungsleitungen geht man davon aus, dass die Störungen von anderen Leitungen überkoppeln. Deshalb werden die Störimpulse prüftechnisch durch geeignete Koppeleinrichtungen mit Impulsen beaufschlagt. Die Einkopplung der schnellen Impulse mit Anstiegen im ns-Bereich erfolgt mit einer kapazitiven Koppelzange (Bild 15-31). Da die Koppelkapazität dieser Anordnung jedoch nur 100 bis 200 pF beträgt, ist dieses Verfahren bei langsamen Impulsen nicht sinnvoll anwendbar. In den Normungsgremien werden zur Zeit Möglichkeiten diskutiert, die Impulse mit einer BCI-Zange auf den Kabelbaumstrang oder mit einem Kondensator direkt in jede einzelne Leitung einzukoppeln. Das zweite Verfahren ist bei vielen Leitungen sehr zeitintensiv und nicht auf alle Leitungen anwendbar (z.B. beim CAN).

Bild 15-31: Kapazitive Koppelzange

605

15.6 Normen und Richtlinien 15.6.1 Gesetzliche Anforderungen für Fahrzeuge Die allgemeinen gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der elektromagnetischen Verträglichkeit sind für die Europäische Gemeinschaft in der Richtlinie (RL) 89/336 EWG (einschließlich nachfolgender Änderungen) definiert. Ab Juli 2007 wird diese dann verbindlich von der Richtlinie 2004/108/EG abgelöst. Richtlinien richten sich grundsätzlich an die Mitgliedsstaaten, die sie dann in nationales Recht umsetzen müssen. In Deutschland ist dies im Rahmen des EMV-Gesetzes erfolgt. In der Richtlinie selbst sind nur allgemeine Schutzanforderungen und Schutzziele definiert, deren Einhaltung u.a. dann vermutet wird, wenn harmonisierte Normen angewandt werden. Für den Fahrzeugbereich interessant sind die EN/ISO 14982 (EMV in land- und forstwirtschaftlichen Maschinen), die EN 13309 (EMV von Baumaschinen) und ggf. noch die EN 12895 (EMV von Flurförderzeugen) sein. Für diese Produkte ist eine Konformitätserklärung durch den Hersteller oder durch den in der EU verantwortlichen Importeur und eine CE-Kennzeichnung erforderlich. Die allgemeine EMV-Richtlinie oder das allgemeine EMV-Gesetz ist jedoch dann nicht mehr anzuwenden, wenn es spezielle Produktrichtlinien gibt, die spezifische EMV-Anforderungen beinhalten, wie dies z.B. bei folgenden Richtlinien der Fall ist: Richtlinie 72/245/EWG für die EMV von Pkw, Bussen, Lkw und deren Anhänger (Fahrzeuge der Klassen M, N und O) sowie deren Komponenten, Richtlinie 97/24/EWG Kapitel 8 für die EMV von zwei- und dreirädrigen Fahrzeugen sowie deren Komponenten und Richtlinie 75/322/EWG für die EMV von Traktoren und deren Komponenten. Fällt ein (Serien-) Produkt in den Anwendungsbereich einer der Richtlinien mit den dort genannten Randbedingungen (z.B. Mindestgeschwindigkeit, Art der Bereifung, etc.) und unterliegt es einem Typgenehmigungsverfahren bei einer Genehmigungsbehörde (in Deutschland ist dies das KraftfahrtBundesamt), ist anstelle der CE-Kennzeichnung eine e-Kennzeichnung erforderlich (siehe Abschnitt 15.6.1.1.3). Näheres hierzu sei nachfolgend am Beispiel der Richtlinie 72/245/EWG erläutert. Für Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen sind außerdem die Anforderungen der Richtlinie 99/5/EG (R&TTE-Richtlinie) zu erfüllen. „Funkanlage“ im Sinne der R&TTE-Richtlinie ist ein Erzeugnis oder ein wesentliches Bauteil davon, das in dem für terrestrische oder satellitengestützte Funkkommunikation zugewiesenen Spektrum durch Aussendungen oder Empfang von Funkwellen kommunizieren kann, sofern es nicht nur für den reinen Empfang von Rundfunk und Fernsehsendungen bestimmt ist.

606 15.6.1.1 Die Kfz-EMV-Richtlinie 72/245/EWG 15.6.1.1.1 Das Typgenehmigungsverfahren Fahrzeuge der Klassen M, N, O (Fahrzeuge zur Personen oder Güterbeförderung und Anhänger – Definition gemäß Richtlinie 70/156/EWG) und ihre Komponenten unterliegen bezüglich der EMV der Typgenehmigung nach Richtlinie 72/245/EWG. Das Typgenehmigungsverfahren stellt Mindestanforderungen hinsichtlich der gestrahlten und leitungsgeführten Störaussendung und Störfestigkeit, um einen freien Warenverkehr innerhalb Europas zu ermöglichen. Formal handelt es sich um ein Antragsverfahren bei einer europäischen – frei wählbaren – Genehmigungsbehörde. Die Prüfungen müssen bei einem anerkannten (akkreditierten) „Technischen Dienst“ erfolgen. Im Rahmen einer so genannten Anfangsbewertung hat der Hersteller den Nachweis zu erbringen, dass er in der Lage ist, Fahrzeuge oder Komponenten serienmäßig entsprechend den geforderten Beschreibungsunterlagen zur Typgenehmigung mit gleichbleibender Qualität zu fertigen. Die Genehmigung eines Fahrzeuges kann entweder durch Prüfung eines Gesamtfahrzeuges erlangt werden (in diesem Fall brauchen die einzelnen Komponenten

15 Elektromagnetische Verträglichkeit keine eigene Typzulassung) oder indem für alle EMVrelevanten Komponenten einzelne Typgenehmigungen vorgelegt werden und der Einbau entsprechend den Vorgaben der Komponentenhersteller erfolgt. Die Richtlinie 72/245/EWG wurde durch die Richtlinie 2004/104/EG grundlegend überarbeitet. Seit 1. Juli 2006 ist sie verbindlich für neue Typgenehmigungen von Fahrzeugen und deren Komponenten anzuwenden (siehe hierzu auch Bild 15-32). Für bereits typgenehmigte Produkte auf Basis der Vorgängerversion (Richtlinie 95/54/EG), die weiterhin produziert werden, gilt eine Übergangsfrist bis einschließlich 31.12.2008. Inzwischen ist die Richtlinie 72/245/EWG durch weitere Änderungsrichtlinien ergänzt worden (Richtlinie 2005/49/EG, Richtlinie 2005/83/EG, 2006/28/EG – Stand März 2006) Komponenten, die als Nachrüstteile verkauft werden, unterliegen nur noch der Typgenehmigung, wenn Sie „störfestigkeitsrelevante“ Funktionen beinhalten oder beeinflussen, wie zum Beispiel Funktionen, die die direkte Kontrolle des Fahrzeugs betreffen (hierunter werden auch Funktionen mit Auswirkung auf die Position und Sicht des Fahrers verstanden), und Funktionen, die dem Schutz von Fahrer, Beifahrer oder anderer Verkehrsteilnehmer dienen.

Bild 15-32: Anwendbarkeit der Richtlinie 72/245/EWG in der Fassung 2004/104/EG auf elektronische Unterbaugruppen (EUB: elektronische Unterbaugruppe, RL: Richtlinie)

15.6 Normen und Richtlinien

607

Außerdem sind davon Funktionen betroffen, die im Fehlerfall den Fahrer oder andere Verkehrsteilnehmer verwirren können und Funktionen, die den Fahrzeugdatenbus oder gesetzlich relevante Fahrzeugdaten beeinflussen. Ist dies nicht der Fall, so ist zukünftig eine CE-Kennzeichnung mit HerstellerSelbst-Erklärung ausreichend, allerdings müssen die in der Richtlinie genannten Anforderungen hinsichtlich der gestrahlten Störaussendung und der leitungsgeführten Störaussendung und -festigkeit vom Produkt erfüllt und in der Herstellererklärung bescheinigt werden. Die Entscheidung, ob ein Produkt störfestigkeitsrelevant (und damit typprüfpflichtig) im Sinne der Kfz-EMV-Richtlinie ist, ist (zumindest) bis zum 3.12.2008 nicht dem Hersteller selbst überlassen, sondern hat durch einen anerkannten (akkreditierten) technischen Dienst zu erfolgen. Die Richtlinie 72/245/EWG (wie auch andere EWGoder EG-Richtlinien) sind Teil eines Regelwerkes, das seinen Ursprung in den römischen Verträgen von 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat. Die vereinten Nationen haben mit dem Genfer Übereinkommen von 1958 die Wirtschaftskommission für Europa (Economic Commission for Europe) geschaffen. Auf Basis dieses Übereinkommens entstand das ECE-Regelwerk, dessen einzelne Regelungen auch von nichteuropäischen Ländern anerkannt und übernommen werden können. Die ECE-Regelung 10 (zur Zeit noch in der Revision 2) wird als gleichwertig zur Richtlinie 72/245/EWG (in der Fassung 95/54/EG) angesehen. Sie wird jedoch in Kürze an die neuen Anforderungen angepasst. 15.6.1.1.2 Prüfungen im Rahmen der Typgenehmigung Die prüftechnischen Anforderungen der Richtlinie umfassen die gestrahlte Störaussendung und Störfes-

tigkeit. Für Komponenten ist zusätzlich die Störfestigkeit gegen leitungsgeführte Störimpulse auf den Versorgungsleitungen zu berücksichtigen, sowie die von der Komponente selbst auf der Versorgungsleitung erzeugten Störimpulse. Hinsichtlich der Prüfverfahren verweist die Richtlinie auf CISPR- oder ISO-Normen. Besonderheiten bei der Prüfung von Funkempfängern und Sendern werden zusätzlich berücksichtigt. Dabei geht es zum Beispiel um die Ausblendung der Senderfrequenz von Sendefunkgeräten bei der Störaussendungsmessung, die Nebenbandaussendung oder das Fehlverhalten des Empfängers, wenn die Frequenz des Prüfsignals in das Nutzsignalband des Empfängers fällt. 15.6.1.1.3 Kennzeichnung Jede nach der Richtlinie 72/245/EWG typgenehmigte elektronische Unterbaugruppe (EUB) muss ein EGGenehmigungszeichen tragen. Das Genehmigungszeichen besteht aus einem Rechteck, in dem der kleine Buchstabe „e“ eingetragen ist, gefolgt von der Kennnummer des Mitgliedstaats, der die Typgenehmigung für das Bauteil erteilt hat. An Hand der Kennnummern kann man ersehen, welcher Mitgliedsstaat die Typgenehmigung erteilt hat (siehe Tabelle 15-4). In der Nähe des Rechtecks folgen dann die Nummer der letzten größeren technischen Änderung der Richtlinie sowie durch ein Leerzeichen getrennt die auf dem Typgenehmigungsbogen angegebene Bauartgenehmigungsnummer (Grundgenehmigungsnummer). Der Versionsstand 95/54/EG wurde durch die Nummer 02 gekennzeichnet, der Versionsstand 2004/104/EG durch die Nummer 03. Das EG-Typgenehmigungszeichen ist an einem wesentlichen Bauteil der EUB (z. B. dem elektronischen Steuergerät) deutlich lesbar und unauslöschlich anzubringen, jedoch braucht es im Fahrzeug eingebaut nicht direkt sichtbar sein.

Tabelle 15-4: Kennnummern der EU-Mitgliedsstaaten 1

Deutschland

11

Vereinigtes Königreich

26

Slowenien

2

Frankreich

12

Österreich

27

Slowakei

3

Italien

13

Luxemburg

29

Estland

4

Niederlande

17

Finnland

32

Lettland

5

Schweden

18

Dänemark

36

Litauen

6

Belgien

20

Polen

49

Zypern

7

Ungarn

21

Portugal

50

Malta

8

Tschechische Republik

23

Griechenland

9

Spanien

24

Irland

608 Wurde die Genehmigung für das Gesamtfahrzeug erteilt, so ist für die elektrischen und elektronischen Systeme im Fahrzeug keine Aufschrift erforderlich. Dies gilt auch für Ersatzteile, wenn sie durch eine Identifikationsnummer eindeutig als Ersatzteil gekennzeichnet sind und wenn sie mit dem Originalsystem identisch sind und vom Originalgerätehersteller eines bereits typgenehmigten Fahrzeugs stammen.

15.6.2 Fahrzeugherstellerspezifische Vorschriften Die EMV-Anforderungen der Fahrzeughersteller (OEM) sind aus Produkthaftungsgründen in der Regel wesentlich höher als gesetzlich gefordert und variieren von Hersteller zu Hersteller. So werden beispielsweise im gestrahlten Störfestigkeitsbereich Feldstärken in der Größenordnung von 100 – 200 V/m für sicherheitsrelevante Funktionen gefordert, während die EURichtlinie „nur“ 30 V/m verlangt. Auch der Frequenzbereich ist gegenüber den gesetzlichen Anforderungen erweitert. Die meisten Anforderungen sind aus den ISO- oder den CISPR-Standards abgeleitet, vereinzelt gibt es aber auch abweichende oder ergänzende Prüfverfahren, wie zum Beispiel Störfestigkeitsprüfungen gegen Magnetfelder am Gesamtfahrzeug, Störfestigkeit gegen Radarimpulse oder die messtechnische Bewertung der Eigenentstörung des Fahrzeugs unter Einbeziehung des Audioequipments. Im Komponentenbe-

15 Elektromagnetische Verträglichkeit reich ist die Vielfalt der herstellerspezifischen Prüfverfahren größer. Speziell im Bereich der leitungsgeführten Störfestigkeit gibt es eine Reihe von abweichenden Prüfverfahren; angefangen von abweichenden Pulsparametern bei dem Standard „Kfz-Impulse“ gemäß ISO 7637 bis hin zu Impulsen, die durch Zündfunken und Relais erzeugt werden und die kapazitiv eingekoppelt werden. Teilweise sind die Gründe für abweichende Prüfverfahren historisch begründet, teilweise ließen sich aber auch bestimmte herstellerspezifische Phänomene am Fahrzeug nicht mit den normierten Prüfverfahren nachbilden. Neue Erkenntnisse zu vorhandenen Normen oder sinnvolle neue Prüfverfahren werden bisweilen in Herstelleranforderungen bereits umgesetzt, bevor sie den langwierigen Normungsprozess durchlaufen haben. Andererseits sind etablierte Herstellerverfahren auch Anstoß zu Modifikationen in der Normung. Die OEM-Anforderungen unterliegen bei manchen Herstellern der Geheimhaltung, bei anderen Herstellern sind sie sogar im Internet öffentlich verfügbar. Einige Hersteller (Ford, GM, DaimlerChrysler) erkennen Abnahmeprüfungen nur von speziell akkreditierten Laboren an. Die Erfüllung der EMVAnforderungen der Fahrzeughersteller ist ein wichtiger Vertragbestandteil für Zulieferer und ist bei den Kosten für Entwicklung, Prüfung und den Kosten für das Serienprodukt zu berücksichtigen.

16 Diagnose 16.1 Was verbirgt sich hinter dem Begriff Diagnose? Wer den Begriff Diagnose hört, denkt sicherlich zunächst an eine medizinische Diagnose. Wenn die Gesundheit angeschlagen ist, der Kopf schmerzt, das Kreuz zwickt, eine klaffende Wunde zu versorgen ist oder sonstige Schmerzen plagen (die im besten Fall lediglich die Laune verderben), wird der Besuch einer ärztlichen Praxis notwendig. Dort ist der Arzt mit einer Fülle unterschiedlicher Symptome konfrontiert – sowohl mit recht offensichtlichen (z.B. Husten) als auch mit weniger konkreten (z.B. Schwindel). Ihre Aufgabe besteht zunächst einmal darin, die Informationen des Patienten aufzunehmen, eigenes Wissen über die Krankheitsgeschichte zu aktivieren und durch eine mehr oder weniger tiefgehende Untersuchung geeignete Hinweise zu erhalten, um aus dieser Vielzahl von Informationen auf die Krankheitsursache zu schließen. Dieser Vorgang beschreibt die eigentliche Diagnose und ist Voraussetzung für den anschließenden, vor allem für Patienten bedeutsamen Vorgang – die Behandlung. Wichtig ist in jedem Fall, dass Ärzte sehr umfassende Kenntnisse vom Gesamtsystem Mensch haben und diese auch jederzeit vernetzen können; denn andernfalls ist eine Diagnose nicht möglich oder führt – vielleicht noch schlimmer – zu falschen Ergebnissen. Oft scheinen Symptome und Krankheitsursache in keinem direkten Zusammenhang zu stehen. Kopfschmerzen zum Beispiel können von Verspannungen im Rücken herrühren, Rückenschmerzen wiederum von Gelenkproblemen in den Beinen. Soweit möglich, sollte die Behandlung aber immer der Ursache und nicht den Symptomen gelten. Voraussetzung dafür ist jedoch die richtige Diagnose. Im Brockhaus nachgeschlagen lautet die Auskunft zum Eintrag Diagnose: „... das Feststellen, Prüfen und Klassifizieren von Merkmalen mit dem Ziel der Einordnung zur Gewinnung eines Gesamtbildes“. Dies lässt sich leicht mit den o.g. medizinischdiagnostischen Aufgaben in Einklang bringen. Die Allgemeingültigkeit der Aussage impliziert aber auch, dass es weitere Bereiche gibt, die diesen Begriff ebenso verwenden können (und es auch tun). So zum Beispiel die Automobilbranche: Hier wird Diagnose ebenfalls im o.g. Sinn verwendet. D.h. auch hier sind die „Behandelnden“ mit verschiedensten Symptomen konfrontiert – teils offensichtlicher Natur (z.B. Auspuffklappern), teils auch unklaren Ursprungs. Vernetztes Wissen ist durchaus erforderlich. Das Stottern des Motors wird nicht zwangsweise zum Austausch des Motors führen, kann somit

nicht durch eine Behandlung der Symptome beseitigt werden. Durch gründliches Untersuchen der eigentlichen Ursache sind in der Regel sehr viel nachhaltigere und kostengünstigere Maßnahmen möglich. Wenn die Behandelnden, die hier nicht Arzt sondern Mechaniker sind, die Fahrzeughalter gründlich befragen, können sie entscheidende Details erfahren. Zum Beispiel, dass das Problem nur bei kaltem Wetter und langer Fahrt auftritt. Nach einer näheren Untersuchung der temperaturempfindlichen Komponenten rund um den Motor lässt ihre Erfahrung die Profis erkennen, dass das Vereisen des Luftmengensensors zu falschen Eingabegrößen des Motorsteuergeräts führt und dadurch der Motor falsch geregelt wird. Während also de facto der Luftmengensensor repariert werden muss, gibt andernorts, nämlich am Motor und dem zugehörigen Motorsteuergerät, eine ganze Kette von Symptomen Hinweise auf diesen möglichen „Krankheitsherd“. Erst die gründliche Diagnose ermöglicht eine einwandfreie Reparatur. Die Einführung zeigt bereits zweierlei: Einerseits existiert die Diagnose in der Automobiltechnik bereits so lange wie das Automobil selbst, andererseits ist die Diagnose durch die zunehmende Bedeutung der Automobilelektronik aber noch wichtiger geworden. Wurde anfangs noch eine reine Sichtprüfung bei mechanischen Teilen durchgeführt, wandelte sich mit der Einführung elektrischer Komponenten die Art der Diagnose erheblich. Es wurden zusätzliche Werkzeuge nötig, um die Funktion neuer Bauteile, wie zum Beispiel elektrischer Zündanlagen, zu überprüfen. Typischerweise handelte es sich dabei um Messgeräte, deren Ergebnisse von Mechanikern nochmals zu interpretieren waren. Die breite Einführung elektronischer Komponenten erzwang eine Änderung dieses Ansatzes. War anfangs lediglich ein Steuergerät im Fahrzeug verbaut, um den Motor zu regeln, stieg die Anzahl dieser Kleincomputer in den letzten Jahren kontinuierlich an. Es wurden Sicherheitsfunktionen wie ABS, Traktionssteuerung und der Airbag eingeführt. Der Komfort wurde durch automatische Klimaanlagen und Schaltgetriebe, Navigationssysteme und elektrische Fensterheber erhöht. All diese Funktionen erfordern Steuergeräte, welche die Regelung dieser Funktionen übernehmen. Die Funktionen arbeiten nicht etwa unabhängig voneinander, sondern benötigen Informationen aus anderen Systemen – z.B. einen von einem anderen Steuergerät ermittelten Messwert, so dass hier zusätzlich eine Vernetzung der Steuergeräte stattfinden muss. Und schließlich sind neue Funktionen, wie eine funkgesteuerte Zentralverriegelung, generell über eine Reihe von Steuergeräten verteilt, da hier Türsteuergeräte, die Innenraumbe-

610 leuchtung und je nach Hersteller noch weitere Funktionen betroffen sind. In der Medizin sind für die Untersuchung derartig unterschiedlicher Aufgaben eine Vielzahl von Ärzten zuständig. Sobald sich Hausärzte mit ihrer Diagnose unsicher sind oder nicht mehr weiterkommen, überweisen sie ihre Patienten an Orthopäden, Dermatologen, Internisten und Neurologen etc. Das Kraftfahrzeug hingegen kommt immer in die selbe Werkstatt, so dass den Mechanikern eine entsprechende Wissensquelle zur Verfügung gestellt werden muss, mit deren Hilfe sie die enorme Komplexität beherrschen können: Das Diagnosesystem. Dabei muss zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Methoden unterschieden werden, nämlich der Eigendiagnose und der Fremd- oder OffboardDiagnose. Bei der Eigendiagnose überprüfen die Steuergeräte im Fahrzeug sich selbst und ihre Umgebung permanent. Dies erfolgt entweder zyklisch in einer entsprechenden Programmschleife, kann aber auch beim Eintreten einer entsprechenden Randbedingung genau dann erfolgen, wenn das Auftreten eines Problems wahrscheinlich ist. Ein typisches Beispiel für die Eigendiagnose ist die ursprünglich durch den amerikanischen Gesetzgeber initiierte OBD (On-Board Diagnostics), die im Betrieb eine laufende Überprüfung abgasrelevanter Informationen vorschreibt. Dabei müssen vorgegebene Messgrößen auf die Einhaltung bestimmter Schwellenwerte in ebenfalls vorgegebenen Betriebssituationen getestet werden. Ein Verletzen dieser Schwellwerte wird dann über eine eigene Warnleuchte im Kombiinstrument, der MIL (Malfunction Indicator Light), an den Fahrer gemeldet, damit dieser das Problem so schnell wie möglich beseitigen lässt – vor dem Hintergrund der Luftverschmutzung z.B. in Los Angeles ein verständliches Ziel. Die Fehler werden außerdem im Steuergerät gespeichert, um Probleme auch später noch nachvollziehen zu können. Damit die Fahrzeugführer die Störungen auch wirklich schnell beseitigen lassen, wird die amerikanische Polizei mit Werkzeugen (Scantools) ausgerüstet, mit deren Hilfe die gespeicherten Fehler aus dem so genannten Fehlerspeicher ausgelesen werden können. Bei Nichtbeachtung der Kontrollleuchte werden entsprechend empfindliche Strafen verhängt. Das Auslesen von Fehlerinformationen mit Hilfe eines Scantools ist ein Beispiel für die Fremd- oder Offboard-Diagnose. Sie befasst sich immer mit dem Auslesen von Informationen aus dem Fahrzeug und einer entsprechenden Nachverarbeitung. Die ersten Diagnosesysteme wurden noch recht einfach realisiert, indem über eine Blinklampe (als externes Gerät oder über die ABS-Warnlampe) und entsprechende Blinkcodes die Fehlerursache dargestellt wurde.

16 Diagnose Diese Art der Fehlerdarstellung erlaubte eine gewisse Fehlereingrenzung. Das Teilsystem, in dem ein Fehler erkannt wurde, wurde über einen vorgegebenen Blinkcode bezeichnet, so dass die Mechaniker anschließend den Fehler nur noch in einem eng eingegrenzten Bereich suchen mussten. Mit etwas Erfahrung konnte der Fehler dann schnell gefunden werden. Komplexere Systeme mit einer Vielzahl von Steuergeräten und einer Vielzahl unterschiedlicher Sensoren und Aktoren verlangten in der Folge weitergehende Diagnosemöglichkeiten. Ab diesem Zeitpunkt reichte die Fehlereingrenzung nicht mehr aus, sondern es wurde eine klare Fehlererkennung verlangt. Dazu mussten eindeutige Regeln definiert werden, welches Symptom zu welchem Fehlereintrag führt. Dies waren zunächst Fehlerbeschreibungen der Art „wenn Unterspannung am Eingang XY, dann ist Sensorleitung beschädigt“. Diese Form der Fehleraufbereitung erlaubte bereits eine erste Handlungsanweisung, da ein solcher Fehler auch gleich als „Sensorleitung XY prüfen“ dargestellt werden kann. Diese Diagnosesysteme wurden in der Regel bereits als computergestützte Tester implementiert. Heutige verteilte Systeme mit einer Vielzahl von Steuergeräten, die über unterschiedliche Bussysteme miteinander kommunizieren, von verschiedenen Herstellern entwickelt werden und sogar Funktionen besitzen, die über mehrere Steuergeräte verteilt sind (wie die bereits erwähnte Zentralverriegelung) stellen aber noch viel weiter reichende Anforderungen an die Diagnose. Zur Verdeutlichung der Problematik kann folgendes Beispiel dienen (siehe Bild 16-1): Ein Steuergerät erkennt einen Sensorfehler. In der Folge wird durch die Routine, die den Sensor überprüft, ein Fehlerspeichereintrag vorgenommen. Nachdem der entsprechende Messwert von mehreren Funktionsroutinen im Steuergerät verwendet wird, können diese ebenfalls nicht korrekt arbeiten. Die entsprechenden Selbsttests führen ebenfalls zu Fehlerspeichereinträgen. Gleichzeitig sind mehrere andere Steuergeräte auf Ergebnisse dieser Funktionsroutinen angewiesen. Nachdem aber die entsprechenden Nachrichten nicht mehr oder nicht mehr richtig auf den Bus gelegt werden können, werden auch dort entsprechende Fehlerspeichereinträge vorgenommen. Das Diagnosewerkzeug liest also zu einem realen Fehler eine ganze Reihe von Fehlereinträgen aus, die von unterschiedlichen Routinen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingetragen wurden und die weder zeitlich noch inhaltlich in irgendeiner Weise korrelieren müssen. Die Aufgabe eines Diagnosewerkzeugs ist es dann, aus dem Auftreten dieser Fehler auf die eigentliche Ursache zu schließen.

16.2 Aufgaben der Diagnose

611

Bild16-1: Auswirkungen eines Sensorfehlers, SG: Steuergerät

Die unterschiedlichen Fahrzeughersteller verfolgen dabei sehr unterschiedliche Ansätze. Einige Systeme arbeiten mit einer reinen Matrixdarstellung („Wenn dieser Fehlereintrag unter diesen Bedingungen auftritt, dann ...“), andere gehen bereits in die Richtung eines echten Expertensystems („Wenn dieser Fehlereintrag unter diesen Bedingungen auftritt, wird wahrscheinlich ...“). Der Erfolg der angewandten Methodik wird in jedem Fall von der Modellierung der Fehlerketten und der Qualität der Fehlerbeschreibung abhängen. Das Ziel ist klar: Die Reparatur muss in kürzester Zeit erfolgen und soll beim ersten Versuch schon erfolgreich sein. Das Gesamtziel ist natürlich noch weit höher gesteckt: Die Zahl der „Liegenbleiber“, also der Fälle, in denen das Fahrzeug wegen einer Panne nicht mehr einsatzfähig ist, soweit wie möglich zu reduzieren – und somit die Verfügbarkeit des Fahrzeugs zu maximieren. Die Zuverlässigkeit muss hier also klar im Fokus aller Beteiligten stehen, die einwandfreie Diagnose der Fehlerursachen stellt dabei einen immens wichtigen Baustein dar.

16.2 Aufgaben der Diagnose 16.2.1 Der Steuergerätelebenszyklus Um sich dem Ziel der Fehlerverhinderung anzunähern, muss konsequenterweise nicht erst in den Werkstätten angesetzt werden, sondern bereits sehr früh im Lebenszyklus der Steuergeräte (der von der Idee bis zur Entsorgung des Gesamtfahrzeugs reicht) – idealerweise bereits in der Planung: Bei der Anforderungsdefinition wird die Hardware in Bezug auf mechanische und elektrische Eigenschaften festgelegt und die Eigenschaften der Software im Zusammenspiel mit der Umgebung (andere Steuergeräte, Sensoren und Aktoren, mechanische Komponenten) definiert. Die Diagnosefunktionen sowie die Zugriffsmöglichkeiten für ein Diagnosegerät werden hier ebenfalls bereits festgelegt. In der Entwicklung werden die Anforderungen in ein reales Steuergerät umgesetzt. In vielen Fällen erfolgt die Entwicklung von Hardware und Software parallel. Etliche Softwarekomponenten werden in der Regel ebenfalls parallel entwickelt. Beim Test werden die verschiedenen Funktionen eines Steuergeräts geprüft. Diese Tests finden auf sehr verschiedenartige Weise statt, z.B. mit simulierter Umgebung, in einem Prüfstand innerhalb eines Teilsystems (Motorprüfstand) oder innerhalb eines Komplettfahrzeugs. Wäh-

612 rend der Kalibrierung werden Steuergerätedaten, Kennlinien und Kennfelder auf die Steuergeräteumgebung angepasst. Durch dieses Vorgehen kann ohne Änderung des eigentlichen Programms im Steuergerät quasi in Echtzeit eine präzise Einstellung der Arbeitspunkte vorgenommen werden. In der Produktion des Fahrzeugs werden die Steuergeräte eingebaut, teilweise wird der Steuergerätecode in den Flashspeicher programmiert und entsprechend der Fahrzeugvariante parametriert. Beim Service werden Fehlereinträge aus dem Steuergerät ausgelesen und aus der Summe der Fehlereinträge wird auf die Ursache geschlossen, um daraus eine Reparaturanweisung zu generieren. Zum Schluss werden die Steuergeräte entweder einer Wiederverwendung (Recycling) zugeführt oder – insbesondere bei solchen, die sicherheitskritische Funktionen realisieren – unbrauchbar gemacht. Innerhalb dieses Lebenszyklus werden durch die Diagnose heute unterschiedlichste Aufgaben erfüllt. Diese werden anschließend näher erläutert, zunächst soll aber der Zugriff auf die Steuergeräte durch ein Testsystem näher betrachtet werden. Dieser ist nämlich innerhalb des Lebenszyklus keineswegs konstant. Zunächst ist die Hardware eines Steuergeräts in der Entwicklung lediglich eine Platine. Es kann also auf alle Elemente (Speicher und Prozessor etc.) mit Spezialwerkzeugen wie Emulatoren und Tastköpfen problemlos zugegriffen werden. Diese erlauben den Zugriff auf Daten und Code und werden in der Steuergeräteentwicklung ohnehin häufig benötigt. Der Vorteil ist der Zugriff auf Informationen quasi in Echtzeit. Sobald der Einbau der Platine in ein Gehäuse erfolgt ist, kann nur noch über die entsprechende Steckverbindungen und somit über die Kommunikationsverbindungen (heute meist der CAN-Bus) und entsprechende Kommunikationsprotokolle, die an anderer Stelle im Detail besprochen werden, auf das Innenleben der Steuergeräte zugegriffen werden.

16.2.2 Heutige Anwendungsfälle der Diagnose War die ursprüngliche Aufgabe der Diagnose das bereits beschriebene Auslesen des Fehlerspeichers, so werden dieselben Mechanismen heute für eine Reihe weiterer Aufgaben verwendet. Diese werden im Allgemeinen ebenfalls unter dem Begriff Diagnose zusammengefasst, auch wenn sie streng genommen nicht unter obige Definition des Begriffs fallen. Kalibrierung dient der Anpassung von steuergerätespezifischen Werten. Über die Diagnose werden in der Regel Kalibrierwerte für Sensoren (z.B. Verstärkung oder Offset) eingestellt. Für die Einstellung von Kennlinien und Kennfeldern über die Kommunikationsleitung existieren Spezialprotokolle, die hier nicht näher betrachtet werden.

16 Diagnose I/O-Control erlaubt es, die an den Eingängen angeschlossenen Sensoren und über die Ausgänge erreichbaren Aktoren eines Steuergeräts anzusteuern. Dies ist insbesondere im Testumfeld nötig, denn hier muss die Funktion auch im Zusammenspiel von Teilsystemen überprüft werden. Starten von Routinen wird verwendet, um Steuergerätefunktionen direkt zu Testzwecken auszuführen. Es wird aber ebenfalls genutzt, um spezielle Testroutinen auszuführen, die z.B. einen Selbsttest des Steuergeräts durchführen und die in der Regel vorher extra in den Speicher geladen werden. Messen wird ebenfalls häufig über die Kommunikationsleitung durchgeführt. Dies ist immer dann sinnvoll, wenn über die am Steuergerät angeschlossenen Sensoren Informationen ermittelt werden können, für die sonst teuere Spezialmesstechnik verwendet werden müsste. Variantenkodierung wird zur Anpassung der Steuergerätesoftware an die vorherrschenden Standardbetriebsbedingungen verwendet. Typischerweise erfolgt dies in der Fahrzeugproduktion. Hier werden z.B. Umschaltungen für das entsprechende Verkaufsland durchgeführt (Rechtslenker oder Linkslenker, Dauerfahrlicht in skandinavischen Ländern etc.). Variantenkodierung dient aber auch der Parametrierung von Ausstattungsvarianten, wie den Einbau einer Klimaanlage, die durchaus für verschiedene Steuergeräte innerhalb eines Fahrzeugs von Bedeutung ist. Nachdem heute etliche Funktionen (z.B. Fernsehfunktion im Display des Navigationsgeräts) sogar ganz in Software verwirklicht sind, wird es in Zukunft auch normal sein, diese Funktionen gegen Bezahlung in der Werkstatt freizuschalten. Flashprogrammierung erlaubt das Austauschen von Steuergerätecode oder -daten auch nach dem Verbau im Fahrzeug. Dies wird sowohl in der Werkstatt als auch in der Produktion eingesetzt. In der Produktion kann zu jeder auf dem Band ankommenden Fahrzeugvariante der entsprechende Programmstand „geflasht“ werden. Es ist zudem möglich, nach Änderungen des Steuergeräteprogramms die jeweils aktuelle Variante zu verwenden und direkt am Band in bereits verbaute Steuergeräte zu programmieren, ohne dabei geänderte Steuergeräte einbauen zu müssen. Dies ist auch in der Werkstatt nützlich und kann zum einen den Austausch des Steuergeräts verhindern, erlaubt zum anderen aber auch die nachträgliche bezahlte Erweiterung der Steuergerätefunktionen. Diagnose – genauer gesagt Diagnosekommunikation – stellt also eine Methodik zur Verfügung, die heute für sehr unterschiedliche Aufgaben verwendet wird. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn der Verbauzustand des Steuergeräts im Fahrzeug einen anderen Zugriff auf das Steuergerät unmöglich oder zumindest sehr aufwendig macht.

16.2 Aufgaben der Diagnose

16.2.3 Ein kurzer Blick ins Steuergerät Aus Diagnosesicht ist der Aufbau eines Steuergeräts im Wesentlichen in drei Teile gegliedert, nämlich in Steuer- und Regelfunktionen, Diagnosefunktionen und Kommunikation. Die Steuer- und Regelfunktion stellen die eigentliche Aufgabe des Steuergeräts dar, nämlich das Steuern einer Komponente über gewisse Algorithmen unter Zuhilfenahme bestimmter Parameter. Diese werden entweder als feste Größen im Steuergerät gehalten (Anpassungswerte, Kennlinien, Kennfelder), über Sensoren aus der Umgebung des Steuergeräts ermittelt oder über die Kommunikationsleitung von anderen Steuergeräten empfangen. Ein Beispiel ist die ABS-Funktion, bei der beim Bremsen das Rutschen der Räder überwacht wird und bedarfsgerecht die Bremse angezogen und wieder gelöst wird. Die Diagnosefunktionen enthalten die Eigendiagnose des Steuergeräts. In der Regel werden zumindest die Ein- und Ausgänge des Steuergeräts, die Steuer- und Regelfunktionen und die Kommunikationsleitungen überwacht (einfache Diagnose). In vielen Fällen ist es zusätzlich nötig, geschlossene Regelkreise des Steuergeräts mit anderen Bedingungen in Relation zu stellen (erweiterte Diagnose). Die Kommunikation erlaubt den Austausch von Daten mit externen Geräten. Dies sind in der Regel entweder andere Steuergeräte oder ein angeschlossenes Testgerät. Mit anderen Steuergeräten werden Daten ausgetauscht, die zur Regelung, zur korrekten Funktion ganz allgemein oder einfach zur Anzeige von Werten für die Benutzer des Fahrzeugs benötigt werden. Dieser Datenaustausch wird in der Regel Onboard- oder normale Kommunikation genannt. Im Gegensatz dazu läuft die Diagnosekommunikation immer auf Veranlassung eines Testgeräts. Dies kann ein externes Diagnosegerät sein, das Informationen von einem oder mehreren Steuergeräten anfordert, oder ein anderes Steuergerät, meist ein Gateway, das zumindest teilweise die Funktion eines OnboardTesters übernimmt und somit einem externen Diagnosetester aufbereitete oder gefilterte Informationen zur Verfügung stellt, die dann eine entsprechend einfachere Ermittlung der Fehlerursache erlauben. Gerade der Bereich der Steuergerätekommunikation bereitete in den letzten Jahren – auch aufgrund der gestiegenen Anzahl der Steuergeräte und der gewachsenen Komplexität – immer wieder Probleme. Diese Probleme resultierten aus ganz unterschiedlichen Bereichen und betrafen sowohl die Diagnosekommunikation als auch die Normalkommunikation (Kommunikation innerhalb des Fahrzeugs). Nachdem Anfangsschwierigkeiten der physikalischen Übertragung durch entsprechende Chips gelöst wurden, gab es weitere Probleme bei der Steuergeräteintegration und bei der Funktionsintegration. Diese wurden durch verschiedene Maßnahmen reduziert, in die insbeson-

613 dere die Zulieferer integriert wurden (z.B. Integrationsworkshops mit allen beteiligten Zulieferern). Schließlich wurde ein spezialisiertes Betriebssystem für die Automobilelektronik entwickelt, das es den Steuergerätelieferanten heute ermöglicht, ihre Implementierung für verschiedene Automobilhersteller immer auf demselben Funktionsumfang aufzusetzen: OSEK (Offene Systeme und deren Schnittstellen für die Elektronik im Kraftfahrzeug). Dieses Betriebssystem enthält heute auch Funktionen für das Netzwerkmanagement und die Kommunikation verschiedener Steuergeräte, so dass hier ebenfalls Probleme minimiert werden konnten. Das Zusammenspiel der verschiedenen Steuergeräte bezüglich der Kommunikation funktioniert durch diese Maßnahmen heute weitgehend reibungslos, die Funktionsintegration im Steuergerät ist erheblich vereinfacht worden und damit kostengünstiger und sicherer geworden. War vor einigen Jahren die Steuer- und Regelfunktion noch der wesentliche Teil des Steuergeräts, so nimmt heute oft die Diagnosefunktion einen größeren Teil des Gesamtcodes eines Steuergeräts ein. In Ausnahmefällen wurden sogar schon Steuergeräte in Fahrzeugen verbaut, die ausschließlich Diagnoseaufgaben wahrnehmen. Auch dies verdeutlicht die gestiegene Bedeutung der Diagnose. Es wurde bereits ein zentrales Element der klassischen Diagnose angesprochen: Der Fehlerspeicher. Sein grundsätzlicher Aufbau ergibt sich aus den heute verwendeten Diagnoseprotokollen. Sie definieren im Wesentlichen drei Bereiche eines einzelnen Eintrags, nämlich den Fehlercode, die Statusinformation und die Umgebungsbedingungen. Eine Reihe von Fehlercodes ist heute durch den Gesetzgeber vorgeschrieben. Dabei handelt es sich um alle abgasrelevanten Fehler, die – wie oben beschrieben – von Scantools ausgelesen werden können. Diese Fehlercodes gehören zu den so genannten P-Codes (Powertrain Codes: alle Fehlercodes, die den Antriebsstrang betreffen). Neben diesen standardisierten P-Codes werden von den Fahrzeugherstellern in der Regel auch noch eine Reihe von Fehlercodes frei vergeben, die dann natürlich nicht von Scantools, sondern nur von herstellerspezifischen Diagnosetestern ausgelesen und interpretiert werden können. Neben den P-Codes existieren noch Fehlercodes für die Fahrzeugbereiche Chassis (C), Body (B) und Network Communication (NC), wie in Tabelle 16-1 aufgeführt. Fehlercodes sind in der Regel zwei Bytes lang (16 Bit), von denen die ersten zwei Bit für die P-, C-, B- und NC-Codierung verwendet werden, so dass also pro Bereich über 16 000 Fehlercodes zur Verfügung stehen (216 – 2 = 214 = 16 384). Jeder dieser Fehlercodes kann einer eindeutigen Fehlerursache zugeordnet werden, es können also insgesamt ca. 65 000 Fehler im Fahrzeug identifiziert werden. Allerdings wird heute bereits ein Großteil dieser Fehlercodes verwendet, so dass bei neuen Diagnoseprotokollen auf drei Byte lange Feh-

614

16 Diagnose

lercodes übergegangen wird (224–2 = 222 = 4 194 304). Die Anzahl der überwachten Fehler ist von Steuergerät zu Steuergerät stark unterschiedlich und auch die Anzahl der Fehler, die abgespeichert werden können, hängt vom Steuergerät ab. Hier ist – gerade im Hinblick auf die oben beschriebene Verkettung von Fehlern – die Strategie des Fehlereintrags (Bild 16-2) und der Ersetzung bereits eingetragener Fehler von entscheidender Bedeutung für die Qualität der Diagnose. Tabelle 16-1: Codierung der Fehlercodebereiche Fehlercode

Abkürzung

Art des Fehlers

00

P

Powertrain

01

C

Chassis

10

B

Body

11

U

Network Communication

Statusinformationen beschreiben den aktuellen Zustand eines Fehlers. Dieser kann z.B. permanent vorhanden sein, aber auch nur sporadisch auftreten. Die Diagnose wird dazu unter Umständen jeweils unterschiedliche Reparaturanweisungen ausgeben, weil z.B. ein Leitungsbruch als permanenter Fehler angezeigt wird und zu einer Erneuerung des Kabels führen muss. Ein Wackelkontakt am Stecker dagegen wird zu dem gleichen Fehlereintrag führen, aber mit einer Statusinformation „sporadisch“; die Reparaturanweisung lautet in diesem Fall „Stecker überprüfen“. In vielen Fällen laufen Diagnosefunktionen über einen längeren Zeitraum oder mehrschrittig ab und setzen dabei mannigfaltige Betriebsbedingungen des Fahrzeugs voraus. In diesem Fall wird im Fehlereintrag gekennzeichnet, dass die Diagnosefunktion noch

nicht vollständig durchgeführt werden konnte. Es kann jetzt einerseits noch keine Fehlerursache ermittelt werden, da ja noch kein Fehler erkannt wurde. Andererseits kann der Fehlercode aber auch nicht in der Diagnose mit anderen Fehlercodes verknüpft werden, da der Fehlerfall prinzipiell gegeben oder nicht gegeben sein kann. Dadurch werden andere Fehlerpfade im Diagnosesystem relevant. Über die Statusinformation Fehlersymptom dagegen kann auf sehr einfache Weise festgestellt werden, wodurch ein Fehlereintrag ausgelöst wurde. Es wird über diese Statusinformation mitgeteilt, ob ein Toleranzband für einen Wert nach oben oder unten verlassen wurde und ob ein Signal gar nicht vorhanden oder ungültig ist. Neben den genannten Statusinformationen, die im Wesentlichen durch die Standardisierung der Diagnoseprotokolle gegeben sind, existieren noch herstellerspezifische. Ein typisches Beispiel für eine solche Statusinformation ist der Verlernzähler. Er ermöglicht es, einen Fehler wieder zu löschen, wenn er nach mehreren Durchläufen der Diagnosefunktion nicht mehr zu ermitteln ist. In diesem Fall ist eine Reparatur nicht angezeigt, da Kunden nicht mit überflüssigen Reparaturen belastet werden sollen. Nach wie vielen Durchläufen der Fehler wieder gelöscht werden kann, ist bei abgasrelevanten Fehlern durch den Gesetzgeber festgelegt, kann aber für herstellerspezifische Fehler auch individuell festgelegt werden. Entsprechend wird auch vielfach ein Häufigkeitszähler eingesetzt, der anzeigt, dass ein Fehler von hoher Priorität ist, da er häufig erkannt wurde. Zusätzlich zu diesen Statusinformationen werden vielfach auch noch Umgebungsbedingungen eingetragen. Oft sind dies Messwerte, die genauer anzeigen, unter welchen Bedingungen ein Fehler eingetragen wurde.

Bild 16-2: Fehlereintrag

16.3 Diagnosekommunikation Diese unterstützen die Diagnosefunktionalität im Tester dabei, die Fehlerursache genauer einzukreisen. Beispiele für solche Messwerte sind im Motorbereich die Motordrehzahl und die Öltemperatur, die etwa eine Fehlerursache zu ermitteln helfen, welche unterhalb der Betriebstemperatur und bei sehr niedrigen oder hohen Drehzahlen auftritt. Der Umgang mit diesen Umgebungsbedingungen ist von Hersteller zu Hersteller sehr unterschiedlich. Teilweise werden immer die gleiche Anzahl von Umgebungsbedingungen und manchmal sogar die selben Umgebungsbedingungen für jeden Fehlercode eingetragen, bei anderen Herstellern dagegen werden von Fehlercode zu Fehlercode völlig unterschiedliche Umgebungsbedingungen und eine unterschiedliche Anzahl eingetragen. Gerade die abgasrelevanten Fehler erlauben einen guten Einblick in die Probleme, welche sich für die Implementierung der Diagnose im Steuergerät ergeben. Zunächst schreibt der Gesetzgeber Randbedingungen vor. Dazu gehört z.B. der Stickoxidausstoß, der nicht über einem vorgegebenen Wert liegen darf. Dies stellt einen Vergleichswert dar, der durch das Steuergerät entsprechend zu überprüfen ist. Es wird aber genauso vorgeschrieben, dass der Schadstoffausstoß unter bestimmten Betriebsbedingungen einzuhalten ist, damit nicht unter idealen, sondern unter realen Bedingungen der Schadstoffausstoß optimiert wird. Es muss also eine Messung unter verschiedenen Lastbedingungen mit einer vorgegebenen Dauer, unter der die Bedingung anlag, vorgenommen werden. Dazu gehört auch der Schubbetrieb, bei dem für eine gewisse Zeit (mehrere Sekunden) kein Kraftstoff eingespritzt wird. Gerade diese Bedingung ist aber schwer zu erreichen, da dazu in der Regel das Fahrzeug über eine längere Strecke rollen wird. Konsequenterweise darf für diese Diagnosefunktion kein Fehlereintrag erfolgen, solange der vorgeschriebene Zyklus nicht durchlaufen ist, der Test also als vollständig im Steuergerät hinterlegt wurde. Beim Auslesen des Fehlerspeichers wird ein Scantool dementsprechend keinen Fehler melden, bei einer genaueren Prüfung des speziellen Fehlers zeigt sich aber, dass es die entsprechende Statusinformation „Test nicht vollständig“ ausgibt. Es muss jetzt also durch den Hersteller einerseits sichergestellt werden, dass die Diagnose durchgeführt werden kann, andererseits kann durch unglücklich gewählte Testbedingungen aber eine Undurchführbarkeit des Tests eintreten.

16.3 Diagnosekommunikation 16.3.1 Allgemeine Vorbemerkungen Die Diagnosekommunikation ist eine Teilaufgabe der Diagnose, die sich mit der Transformation von maschinenlesbarer Information in die menschliche

615 Sichtweise und umgekehrt beschäftigt. Die Diagnosekommunikation bestimmt auch, wie maschinenlesbare Information zwischen Maschinen ausgetauscht wird, welcher Syntax die Information unterliegt und welche Semantik die Information transportiert. Die maschinenlesbare Information, ihre Syntax und Semantik wird als Codierung und Protokoll bezeichnet. Folgende Kommunikationsanordnungen und Kommunikationskanäle sind im Mensch-Maschine-Kontext für die Diagnosekommunikation relevant: Mensch – Maschine, z.B. Testingenieur und Fahrzeug oder Maschine – Maschine, z.B. Werkstatttester und Motorsteuergerät. Für beide Kommunikationsanordnungen sind geeignete Mittel gefordert, damit die Grundaufgabe der Kommunikation erfüllt werden kann, nämlich dass Informationen ausgetauscht und richtig verstanden werden können. In der Mensch-Maschine-Kommunikation sind geeignete Übersetzungsmethoden gefragt, einerseits um die Ausgaben der Maschine für menschliche Anwender verständlich zu gestalten, andererseits damit mit Hilfe von Übersetzungsmethoden Eingaben der Menschen für die Maschine eindeutig aufbereitet werden können. Maschine-Maschine-Kommunikation hingegen benötigt vereinbarte Daten-Austauschformate und -protokolle mit semantischen Festlegungen für die auszutauschenden Daten. Diese Formate und Festlegungen sollten sinnvollerweise standardisiert sein, um eine umfassende Austauschbarkeit zwischen den Prozessteilnehmern zu ermöglichen. Beide Kommunikationsszenarien werden durch den Einsatz von Normen einfacher und sicherer realisiert. Dabei geht es um die Standardisierung von Austauschformaten und Kommunikationsprotokollen für Diagnosedaten und um Umsetzungsvorschriften für die Konvertierung von Diagnosedaten zwischen von Menschen verwendeter Symbolik und Maschinensprache (Hexadezimal-Werten). Normen von Bedeutung für diese Aufgabenstellung sind u.a. Open Diagnostic Data Exchange und Unified Diagnostic Services. Hierauf wird weiter unten noch genauer eingegangen. 16.3.1.1 Onboard-Kommunikation Die Steuergeräte eines Fahrzeugs sind über Netzwerke miteinander verbunden und tauschen Daten miteinander aus. Analysewerkzeuge ermöglichen die Beobachtung dieser sog. Onboard-Datenkommunikation (normale Kommunikation). Abhängig von der Gesamtsystemarchitektur kann auf Onboard-Daten über ein Gateway zugegriffen werden. Ein Sonderfall ist die OBD-Diagnose, die teilweise innerhalb des Fahrzeugs abläuft, also „on board“. Diese besondere Form der Diagnosekommunikation ist eine Vorbereitung der Diagnosekommunikation nach außen.

616 16.3.1.2 Offboard-Kommunikation Von der Offboard-Kommunikation (Diagnosekommunikation) wird gesprochen, wenn Steuergeräte innerhalb des Fahrzeugs mit externen Systemen, z.B. Prüfständen, Werkstatttestern usw. kommunizieren. Beim Sonderfall OBD-Diagnose handelt es sich um eine Kommunikation des Fahrzeugs mit einem OBDScantool über spezielle Diagnoseprotokolle, welche die im Fahrzeug gespeicherte Information bzgl. emissionsrelevanter Messwerte transportiert. Diese Kommunikation wird meist als die (klassische) Diagnosekommunikation bezeichnet und somit von der Onboard-Kommunikation differenziert. 16.3.1.3 Client-Server-Prinzip Das Client-Server-Prinzip (siehe Bild 16-3) spielt für die Diagnosekommunikation eine wichtige Rolle, da fast alle Informationen mit Hilfe dieser Rollenverteilung ausgetauscht werden. Die Rollen haben folgende Bedeutung: Server stellen zentrale Dienste und Ressourcen bereit und Clients können auf diese Dienste und Ressourcen zugreifen.

Bild 16-3: Client-Server-Kommunikation

16 Diagnose

Ein Client wird von menschlichen Benutzern typischerweise manuell, von Anwendungen immer programmatisch zur Lösung der Diagnoseaufgaben verwendet. Ein typisches Beispiel für das ClientServer-Prinzip ist ein Netzwerkdrucker, der seine Druckdienste als Server den im Netzwerk befindlichen Computern (Clients) bereitstellt.

16.3.2 Kommunikationswege im Fahrzeug Die Topologie der Fahrzeugnetzwerke hat einen Komplexitätsgrad erreicht, der geeignete Mittel zur Bewältigung erforderlich macht. Aktuelle Oberklasse-Pkw verfügen über bis zu 80 Steuergeräte, die in fünf bis zehn Subnetzwerken vernetzt sind. Damit diese Topologie besser beherrschbar wird, ist in ODX (siehe Abschnitt 16.7) eine Kategorie „Fahrzeuginformationen“ eingeführt worden, welche die Beschreibung der Topologie aus Diagnosekommunikationssicht in standardisierter Form ermöglicht. Damit die Diagnosekommunikation für Testwerkzeuge überschaubar bleibt, d.h. nicht durch weitere Kommunikationsmechanismen überlagert wird, kommt oft die Gateway-Technik (siehe Bild 16-4) zum Einsatz. Dabei kommuniziert ein Testwerkzeug mit einem Gateway über eine einfache 1:1-Verbindung. Das Gateway ist der verantwortliche Netzknoten, der die vom Testwerkzeug (Client) gesendeten Nachrichten an das Zielsteuergerät (Server) weiterleitet. Genauso wird in der anderen Richtung verfahren, d.h. das Gateway vermittelt die Antwort des Steuergeräts an das Testwerkzeug weiter.

Bild 16-4: Kommunikation über Gateway

16.3 Diagnosekommunikation In Bild 16-4 wird eine Anfrage des Clients vom Gateway an das Steuergerät E weitergeleitet, das in diesem Fall der für die Beantwortung der Anfrage zuständige Server ist. Die Antwort des Servers liefert das Gateway ebenso wieder an das Testwerkzeug. Das Testwerkzeug sieht diese nachgelagerten Datentransfers (in Bild 16.4 grau markiert) nicht und muss somit auch nicht auf möglicherweise andere Bussysteme angepasst werden (Elektrik, Protokolle). Die Kommunikation aus Sicht des Testwerkzeugs besteht also nur aus den in Bild 16-4 mit weißen Pfeilen markierten Datenströmen auf dem ihm bekannten Bussystem. Das Vermitteln der Nachrichten kann auf Basis von definierten Adresstabellen, die im Gateway gespeichert sind, oder mit Hilfe des sog. Extended Addressing erfolgen. Die Adressierungsprinzipien werden in Abschnitt 16.3.4.5 näher erläutert. Auch die Diagnosefunktionalität eines Fahrzeugs wird meist von einem Gateway, dem sog. Diagnose-Gateway, bereitgestellt. Damit steht ein zentraler Zugang mit den oben erwähnten Vorteilen zur Verfügung, über den die Diagnosekommunikation zentral abgewickelt werden kann. Hier wird dann auch vom zentralen Gateway gesprochen.

16.3.3 Grundlagen der Diagnosekommunikation 16.3.3.1 Bestätigte und Rundruf-Kommunikation Die Diagnosekommunikation der Kraftfahrzeuge folgt dem Grundsatz der bestätigten Kommunikation (siehe Bild 16-5), d.h. auf eine Anfrage (Request) an einen Kommunikationspartner muss eine Antwort (Response) erfolgen. Dies gilt insbesondere für die Anwendungsschicht nach dem ISO/OSI-Referenzmodell. Es findet bei der bestätigten Kommunikation ein bidirektionaler Datenaustausch, also ein Fluss von Daten in beide Richtungen, statt.

617 Es existieren allerdings Ausnahmen in der Diagnosekommunikation für die funktionale Adressierung, das periodische Senden von Messwerten durch das Steuergerät und die Antwort-bei-Ereignis-Methode (Response on Event). Die 1:1-Relation zwischen Anfrage und Antwort wird in diesen Fällen nicht erfüllt, damit die Buslast reduziert werden kann. Wiederholte, inhaltlich redundante Diagnoseanfragen werden unterdrückt. Bestätigte Kommunikation darf nicht mit quittierter Kommunikation (acknowledged communication, z.B. durch das Acknowledge-Bit des CAN gleichgesetzt werden. Bei quittierter Kommunikation wird lediglich eine Bestätigung gesendet, die das Erhalten der Anfrage quittiert. In Bild 16-5 sendet das Testwerkzeug eine Anfrage an das Steuergerät B und das Steuergerät B eine Antwort an das Testwerkzeug. In beide Richtungen fließen Daten, d.h. Nachrichten, die einen Bezug zueinander haben. Die sog. normale Kommunikation in einem Kraftfahrzeug, die den Steuergeräten zur Mitteilung von Prozessdaten an andere Steuergeräte dient, basiert gegenüber der bestätigten Kommunikation auf dem Rundruf-Prinzip (Broadcast). Hier sind Antworten prinzipiell nicht vorgesehen. Im Diagnoseprotokoll Unified Diagnostic Services (ISO/DIS 14229-1) wird diese Kommunikationsart als Normal Communication bezeichnet. In Bild 16-6 sendet das Steuergerät C Informationen auf den Bus. Jeder Knoten am Bus hört diese Nachricht mit und kann entscheiden, ob diese Nachricht für ihn relevant ist. Die Steuergeräte A und B sowie das Testwerkzeug bestimmen also selbst, ob die Daten für sie relevant sind. Als Beispiel für die bestätigte Kommunikation kann das Telefongespräch mit seinen Fragen und (im Regelfall) passenden Antworten dienen. Beide Kommunikationsteilnehmer sprechen und hören abwechselnd. Die Rundruf-Kommunikation hingegen entspricht dem Senden eines Fernsehprogramms über eine Antenne. Ein Kommunikationspartner spricht, viele andere hören.

Bild 16-5: Bestätigte Kommunikation

618

16 Diagnose

Bild16-6: Broadcast-Prinzip

Bild16-6: Broadcast-Prinzip

16.3.3.2 Nachrichtenfluss in der Diagnosekommunikation Bei der bestätigten Kommunikation werden Antworten auf Anfragetelegramme erwartet. Diese Antworten können positiv, negativ oder auch fehlend sein. Aus der Art und dem Vorhandensein der Antwort können Schlüsse auf den Zustand der Kommunikationsqualität (Verbindung) oder den Zustandsautomaten der Steuergeräte gezogen werden. Der AnfrageVersender (Client) ist typischerweise ein Testwerkzeug, z.B. Werkstatt- oder Entwicklungstester, das aus Hardware und Software besteht. Die ClientSoftware enthält Algorithmen zur Kommunikation entsprechend den spezifizierten Diagnoseprotokollen. Sie prüft die Kommunikation auf Verletzung der Protokollvorschriften, z.B. überwacht sie die Einhaltung von Antwortzeiten (Timeouts). Der antwortende Kommunikationsteilnehmer (Server) wird durch ein oder mehrere Steuergeräte – also einem Fahrzeugteil – repräsentiert. Die Rolle der Kommunikationsteilnehmer lässt keine Schlüsse darauf zu, wer die größere Datenmenge überträgt. Technisch betrachtet handelt es sich dabei um eine asymmetrische und nichtdeterministische Kommunikation, da die Zahl der Antworten und ihre Inhalte vom Zustand des Fahrzeugs, d.h. der Summe der von der Kommunikation betroffenen Steuergeräte, abhängen. Sind beispielsweise Fehlerspeichereinträge in einem oder mehreren

Steuergeräten vorhanden, können diese Inhalte übertragen werden, ohne deren Länge zu kennen. Außerdem können sie deutlich mehr Volumen enthalten als die Anfrage. Bei leerem Fehlerspeicher ist jedenfalls die Anfrage länger als die Antwort. In der Diagnosekommunikation wird nicht immer von einem Client und einem Server gesprochen. Im Gegensatz zu den in den Diagnosenormen definierten Begriffen werden im täglichen Sprachgebrauch oft andere Begriffe verwendet. Diese sind in der Tabelle 16-2 zusammengefasst. 16.3.3.3 Adressierungsarten Die Adressierung in der Diagnosekommunikation erfolgt aus Sicht der Steuergeräte. Dies bedeutet, dass für das Steuergerät festgelegt wird, unter welcher Kennung es für Diagnoseanfragen ansprechbar ist und mit welcher Kennung es seine Diagnoseantworten verschickt. Das Testwerkzeug muss diese Adresse kennen, damit es das Steuergerät richtig ansprechen kann. Es muss die Kennung der Diagnosenachrichten verstehen, die vom angesprochenen Steuergerät über den Diagnosebus gesendet werden, damit es diese Nachrichten als potentielle Antworten auf seine Anfragen identifizieren kann. Nur so kann die Diagnoseantwort der Diagnoseanfrage erfolgreich zugeordnet werden. Am Beispiel des CAN soll dies verdeutlicht werden.

Tabelle 16-2: Kommunikationspartner-Begriffe Umgebung

Kommunikationspartner 1

Kommunikationspartner 2

ISO/OSI-Referenzmodell

Instanz Schicht N

Instanz Schicht N

ISO 14229-1 (UDS)

Client

Server

Allgemeiner Sprachgebrauch: Deutsch

Testwerkzeug, Tester, Computer, PC ...

Steuergerät, Fahrzeug, Auto, Teilsystem ...

Allgemeiner Sprachgebrauch: Englisch

Tester, Tool, PC ...

ECU, Vehicle, Car, Subsystem ...

16.3 Diagnosekommunikation

Bild 16-7: Kommunikation über CAN, ID: Kennung des Steuergeräts

16.3.3.3.1 Physikalische Adressierung Die Anfrage- und die Antwortkennungen werden auf dem CAN-Bus auch als CAN-Identifier (CAN-ID) bezeichnet. Das Testwerkzeug muss seine Anfrage auf dem CAN-Identifier $202 über CAN senden, damit das Steuergerät auf diese Diagnoseanfrage reagiert (siehe Bild 16-7). Das Steuergerät sendet dann, da es korrekt adressiert wurde, seine Antwort auf dem CAN-Identifier $512. Das Testwerkzeug muss diese Adresse $512 kennen und als gültige Antwortkennung für das zuvor angesprochene Steuergerät gespeichert haben, damit es die Zuordnung dieser Nachricht zu seiner vorherigen Diagnoseanfrage treffen kann. Diese paarweise Zuordnung der Adresse des Steuergeräts zu der Kennung der Steuergerät-Antwort wird physikalische Adressierung (Physical Addressing) genannt, wenn sich durch den CAN-Identifier genau ein Steuergerät angesprochen fühlt. Das Beispiel aus dem vorherigen Abschnitt ist von physikalischer Adressierung ausgegangen, d.h. der Absender einer Anfrage sendet diese an genau einen Empfänger, der im Kommunikationsgesamtsystem, also z.B. in einem Fahrzeug, über die sog. physikalische Adresse eindeutig identifizierbar sein muss. Das Ziel wird quasi „namentlich“ angesprochen. Das Paar aus Diagnoseanfrage und Diagnoseantwort wird aus Sicht des Diagnoseprotokolls und der Datenbeschreibung als Diagnosedienst bezeichnet. 16.3.3.3.2 Funktionale Adressierung Ein weitere Adressierungsart ist die funktionale Adressierung (Functional Addressing). Bei der funktionalen Adressierung wird ein Gruppe von Empfängern angesprochen, die alle eine Gemeinsamkeit besitzen: Sie bedienen eine Funktionalität. Der klassische Fall der funktionalen Adressierung ist die On-BoardDiagnose für die Analyse der abgasrelevanten Fahrzeuginhalte (Daten). Die Anfrage an das Gesamtfahrzeug lautet entsprechend „Liegen abgasrelevante

619 Einträge im Fehlerspeicher vor?“. Es ist allerdings für das Testwerkzeug irrelevant, wen es konkret anspricht, da es nur die Funktion „Abgasrelevante Fehler“ adressiert. Deshalb wird diese Kommunikationsart auch funktionale Adressierung genannt. Ob diese Funktionen von einem Steuergerät oder einer Gruppe von Steuergeräten bedient wird, ist nicht bedeutend. Wichtig ist, dass die im Fahrzeug gespeicherten Fehlerspeicherinhalte geliefert werden. Bei der funktionalen Adressierung wird die sog. funktionale Adresse für die Anfrage verwendet. Steuergeräte, welche die mit dieser Adresse verknüpfte Funktion bedienen können, beantworten die Anfrage mit ihrer jeweiligen physikalischen Antwort-Kennung. Das Testwerkzeug muss daher eine Zuordnung der gesendeten funktionalen Anfragen zu den mit physikalischen Kennungen versehenen Antworten durchführen können und es muss Antworten einer Reihe von Steuergeräten verarbeiten können. Vergleich der Adressierungsarten Bei der physikalischen Adressierung einer Diagnoseanfrage erwartet das Testwerkzeug von genau einem Steuergerät eine Antwort. Bei funktionaler Adressierung der Anfrage können mehrere Steuergeräte antworten. Es sollte in beiden Fällen jedoch mindestens eine Antwort erfolgen, damit das Testwerkzeug eine zur Anfrage passende Antwort bearbeiten kann. Bild 16-8 zeigt, dass sich bei der physikalischen Anfrage über die Adresse $202 nur ein Steuergerät angesprochen fühlt und mit einer Antwort über die physikalischen Kennung $512 antwortet. In Bild 16-9 wird die Anfrage mit der funktionalen Adresse $20F gesendet. Die Adresse $20F ist in den Steuergeräten A und B hinterlegt, so dass die richtige Reaktion erfolgt. Die Antworten werden mit der jeweiligen physikalischen Kennung versendet. Das Testwerkzeug muss diese Antworten intelligent zuordnen. Es kann passieren, dass trotz funktionaler Adressierung nur eine Antwort vom Gesamtsystem gesendet wird. Beispielsweise hat nur ein Steuergerät Fehler gespeichert und die anderen angesprochenen Steuergeräte senden deshalb keine Nachrichten über den CAN-Bus. Oder ein Steuergerät mit zentraler Funktion sammelt alle Fehler und liefert diese Fehler als Zusammenfassung, um die Buslast auf dem Diagnosebus zu minimieren. Typischerweise wird diese Aufgabe oft vom Diagnose-Gateway hinter dem OBD-Stecker ausgeführt. Ein Steuergerät darf mehr als eine funktionale Adresse besitzen und ist somit vielfältig ansprechbar. Das kann beispielsweise das zentrale OBD-Steuergerät sein oder eines, das zur Gruppe Antriebsstrang (Powertrain) gehört. Außerdem ist es physikalisch, also individuell, ansprechbar.

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16 Diagnose

Bild 16-8: Physikalische Adressierung über CAN

Bild 16-9: Funktionale Adressierung über CAN

16.3.3.4 Prinzipien der Diagnosekommunikation Die Kommunikation in der Diagnose folgt drei verschiedenen Prinzipien: Es wird zwischen synchroner, ereignisgetriebener und periodischer Diagnosekommunikation unterschieden. Bei der synchronen Diagnosekommunikation (siehe Bild 16-10) muss in einem präzise vordefinierten Zeitrahmen eine Antwort des Steuergeräts auf eine Anfrage des Testwerkzeugs erfolgen. Dies kann das Auslesen eines statischen Wertes wie der Fahrgestellnummer sein. Bei Überschreitung des Zeitrahmens (Timeouts) wird von einem Kommunikationsfehler gesprochen. In Bild 16-10 liegt keine Zeitüberschreitung vor, da die Antwortzeit kleiner als der Timeout ist. Die ereignisgetriebene Diagnosekommunikation (siehe Bild 16-11) wird typischerweise durch ein synchrones Anfrage-Antwort-Paar eingeleitet. Bei positiv verlaufener Vorbereitung sendet das Steuergerät zu einem späteren, unbestimmten Zeitpunkt zusätzliche Diagnoseantworten, wenn das durch die Einleitung bestimmte Ereignis – z.B. das Unterschreiten der minimal zulässigen Bordspannung – eingetroffen ist. Es wird hier von einer ereignisgetriebener Antwort (Response On Event) gesprochen.

Bild 16-10: Synchrone Diagnosekommunikation

Ein drittes Prinzip stellt die periodische Diagnosekommunikation (siehe Bild 16-12) dar. Durch die synchrone Einleitung werden m Antworten des Steuergeräts ausgelöst, die z.B. Messwerte in festgelegten Zeitabständen liefern, ohne dass weitere Diagnoseanfragen des Testwerkzeugs erforderlich sind.

16.3 Diagnosekommunikation

621 Positive Antwort Eine positive Antwort des Steuergeräts (Servers) signalisiert die erfolgreiche Bearbeitung eines Diagnosedienstes durch den Server. Der Dienst-Identifier der Anfrage wird dabei meist in geeigneter Form wiederholt, d.h. bestätigt. Zusätzlich können im Antworttelegramm Daten vom Steuergerät an das Testwerkzeug übertragen werden.

Bild 16-11: Ereignisgetriebene Diagnosekommunikation

Bild 16-12: Periodische Diagnosekommunikation

16.3.3.5 Arten der Diagnosenachrichten 16.3.3.5.1 Anfrage Die Anfragen an das Steuergerät durch das Testwerkzeug enthalten einen den Typ der Anfrage spezifizierenden Code, der Dienstidentifikation (Service-ID) genannt wird. Darüber hinaus dürfen Diagnoseanfragen Daten als optionale Parameter transportieren. 16.3.3.5.2 Antworten Das Antwortverhalten lässt konkrete Aussagen abhängig von der Art der Antwort zu. Die möglichen Antworten werden im Folgenden dargestellt.

Negative Antwort Eine negative Antwort signalisiert typischerweise eine abgelehnte Anforderung. Ein Grund für die Ablehnung eines Dienstes könnte ein unzureichendes Sicherheitsniveau des Clients sein. Als global wird die Antwort bezeichnet, wenn die Definition der Antwortbedeutung für mehr als einen Diagnosedienst Gültigkeit besitzt. Es wird der im Diagnoseprotokoll festgelegte Antwort-Identifier verwendet, der in den ISO-Normen meist den Wert $7F hat. Der abgelehnte Dienst-Identifier wird mit Angabe eines codierten Grundes für die Ablehnung als Ergebnis des Dienstes im Datenblock der Antwort geliefert, damit die negative Antwort der DiagnoseAnfrage zugeordnet werden kann. Über die globale, negative Antwort hinaus können Designer eines proprietären (fahrzeugherstellerspezifischen) Diagnoseprotokolls spezifische Antworten für einzelne Diagnosedienste definieren. Diese können komplett anders gestaltet sein als die standardisierten negativen Antworten der ISO-Normen. Es können z.B. ganz spezielle Dienst-Identifier verwendet werden. In der Praxis ist das allerdings relativ selten anzutreffen. Keine Antwort Empfängt ein Client keine Antwort, kann dies vielfältige Ursachen haben. Die Busphysik ist evtl. aufgrund eines unzureichenden Busabschlusses gestört – mit der Folge, dass Anfragen oder Antworten nicht korrekt gesendet oder empfangen werden können. Auch bei funktionierendem Bus erfolgt möglicherweise keine Antwort, weil die Adressen falsch sind oder das Steuergerät defekt ist. In diesen Fällen sind die Botschaften gestört oder nicht vorhanden. Der Inhalt ist somit nicht auswertbar und führt nur zu einer pauschalen Fehlererkennung. Fehlerursachen können nicht wie bei den negativen Antworten ermittelt werden.

16.3.4 Diagnoseprotokolle und das ISO/OSI-Referenzmodell Ein Diagnoseprotokoll ist die Vereinbarung darüber, wie die relevanten Diagnoseinformationen zwischen zwei oder mehr Teilnehmern eines Diagnosesystems ausgetauscht werden können. Es gibt normierte und proprietäre (fahrzeugherstellerspezifischen) Diagnose-

622

16 Diagnose

protokolle. Die meisten Protokolle folgen dem ISO/OSI-Referenzmodell, das im Folgenden unter dem Aspekt der Diagnosekommunikation vorgestellt wird. 16.3.4.1 Die Schichten des ISO/OSI-Referenzmodelles Von den sieben Schichten des Modells (Bild 16-13) finden bei der Diagnosekommunikation nach dem UDS-Standard alle Schichten außer Schicht 6 (Darstellungsschicht, Presentation) Anwendung.

Bild 16-13: ISO/OSI-Referenzmodell

Die für die Diagnosekommunikation relevanten Schichten sind folgendermaßen charakterisiert: Schicht 7: Ermöglicht die Kooperation zwischen verteilten Anwendungsprozessen, wie zwischen Diagnosetester und ASAM-MCD-3D-Objektmodell. Schicht 5: Steuert das Wiederaufsetzen von Verbindungen (Kanälen). Dadurch werden unnötige „retransmissions“ von Teilen der Datenpakete vermieden. Schicht 4: Führt Adressierung der Datenpakete durch, z.B. durch Nutzung der 2-, 3- oder 4-Byte-Header auf der K-Leitung.

Sichert die Übertragung der Daten zwischen zwei Endgeräten.

Verantwortlich für QoS (Quality of Service), z.B. durch Kanalbündelung zur Bereitstellung einer Mindestbandbreite. Kann dadurch ungenügende Leistungen der Schichten 1-3 ausgleichen. Schicht 3: Transportiert Datenpakete über Teilstrecken des Netzes und führt das so genannte Routing durch. Sie ist damit verantwortlich, einen optimalen Weg durch das Netz zu finden. Schicht 2: Sichert Datenpakete durch Checksummen (z.B. Cyclic Redundancy Check). Ist für Arbitrierung, Bit-Stuffing usw. des CANBusses nach ISO 11898-1 zuständig. Auf der K-Leitung meist die Definition des Datenpakets, z.B. 8N1 für 8 Datenbits, No-Parity und ein Stoppbit. Schicht 1: Liefert ungesicherte Verbindungen für die Übertragung von Bits auf dem physikalischen Medium, z.B. durch Modulation und Demodulation. Legt Pegel und Übertragungsarten fest (z.B. seriell oder parallel, differentiell oder massebezogen). Als Beispiel für die Verwendung des ISO/OSIReferenzmodells durch die Diagnosekommunikation soll die Transportschicht herausgegriffen werden. Das Protokoll dieser Schicht wird auch als Transportprotokoll bezeichnet, welches keine Interpretation der zu transportierenden Nutzdaten vornimmt, aber z.B. Datensegmentierung als Hilfsmittel zur Übertragung langer Nachrichten anbietet. Dabei wird diese Aufgabe von dem Transportprotokoll selbstständig und unabhängig von der Anwendung erfüllt. Erst durch das Transportprotokoll für Diagnose auf CAN (ISO 157652) ist eine Übertragung von mehr als 8 Byte pro Nachricht für die Schicht 7 der Diagnosekommunikation möglich. Tabelle 16-3 gibt einen Überblick darüber, anhand welcher Normen die jeweiligen Schichten der Diagnosekommunikation standardisiert wurden.

Tabelle 16-3: Einordnung der Diagnoseprotokolle in das ISO/OSI-Referenzmodell „Keyword 2000 auf K-Leitung“

„Keyword 2000 auf CAN“

UDS auf CAN

Schicht 7: Anwendung

ISO 14230-3

ISO 15765-3

ISO/DIS 14229-1 ISO 15765-3

Schicht 6

–

–

–

Schicht 5: Session

–

ISO 15765-3

ISO 15765-3

Schicht 4: Transport

–

ISO 15765-2

ISO 15765-2

Schicht 3: Network

–

ISO 15765-2

ISO 15765-2

Schicht 2: Data Link

ISO 14230-2

ISO 11898-1

ISO 11898-1

Schicht 1: Physical

ISO 14230-1

ISO 11898-2/3

ISO 11898-2/3

16.3 Diagnosekommunikation 16.3.4.2 Der Header-Mechanismus des ISO/OSIReferenzmodells Das ISO/OSI-Referenzmodell – auch Schichtenmodell genannt – baut auf dem Grundsatz auf, dass innerhalb einer Schicht logisch kommuniziert wird, also von Anwendung zu Anwendung. Es wird somit von Partnerinstanz zu Partnerinstanz in der „gleichen Sprache“ – dem Protokoll dieser Schicht – gesprochen. Dies ist die abstrakte, horizontale Kommunikation, d.h. eine logische Verbindung zwischen zwei Instanzen gleicher Hierarchieebene. Da für die Übertragung der zu transportierenden Nutzdaten eine physikalische Kommunikation benötigt wird, müssen diese Nutzdaten an tiefer liegende Schichten übergeben werden. Dafür sind „Verpackungen“, sog. Header notwendig. Das Modell besteht aus sieben Schichten, die eine jeweils genau festgelegte Aufgabe erfüllen. Die Namen der Header der Schichten 3 bis 7 sind durch einen Buchstaben für die jeweilige Schicht präzise bezeichnet. Ein Nutzdatensatz der Anwendungsschicht erhält beim Durchlaufen mehrerer Protokollschichten in Richtung der physikalischen Schicht pro Schichtübergang einen neuen zusätzlichen Header zur Kapselung der Nutzdaten. Dabei muss die durch das Protokoll festgelegte Verpackungsvorschrift der jeweiligen Schicht eingehalten werden. Diese „Zwiebelschalen“ müssen auf der Empfängerseite beim Durchlaufen der Schichten (von der physikalischen Schicht bis zur Anwendungsschicht) wieder „abgeschält“ werden, damit die empfangende Anwendung nur die ursprünglichen Nutzdaten erhält. Diese prozessierten Nutzdaten kann die Anwendung dann auch „verstehen“, da diese Nutzdaten gemäß dem Protokoll dieser Schicht (Anwendung) organisiert sind. 16.3.4.3 Protocol Data Unit Der Begriff der Protocol Data Unit (PDU) ist einerseits eindeutig, andererseits abhängig von der Kommunikationsschicht, auf der gerade eine Betrachtung stattfindet. Die PDU leitet sich aus dem ISO/OSIReferenzmodell ab und beschreibt das komplette Datenpaket einer Schicht inklusive Header. Die Nutzdaten des Datenpakets innerhalb der PDU werden dagegen als Service Data Unit (SDU) der Schicht bezeichnet, d.h. hier handelt es sich um den verwertbaren Inhalt der Nachricht. Beim Header handelt es sich also um eine Verpackung, die u.a. Längen- und Adressierungsinformationen enthält. Der Header wird auch Protocol Information Header oder PCI-Byte (Protocol Control Information) genannt. Die Annahme, dass es sich um genau ein Byte handelt ist allerdings nicht immer richtig, da

623 die Länge des PCI-Byte, z.B. auf dem CAN-Bus, abhängig von der Länge der Nutzdaten ist. Eine ISO/OSI-Schicht besteht aus einer Service-Sicht und einem Protokoll. Serviceseitig ist das verwendete Protokoll irrelevant, d.h. ein Diagnosedienst befüllt die Service Data Unit mit seinem Dienst-Identifier und den für den Dienst nötigen Daten, z.B. Messgrößen. Der für die Realisierung des Kommunikationsprotokolls dieser Schicht notwendige Kommunikationsinformationsblock (PCI) wird dagegen nicht von der Serviceschicht befüllt, sondern von der Protokoll-Ebene dieser Schicht. Da dies im täglichen Umgang mit den Diagnoseprotokollen nicht immer berücksichtigt wird und der Begriff Service Data Unit kaum verwendet wird, ist oft nur von Protocol Data Units die Rede. Dies ist durchaus legitim, wenn berücksichtigt wird, dass die Service Data Unit der Schicht n die Protocol Data Unit der Schicht n + 1 ist. Deshalb ist es wichtig, dass die Protocol Data Unit mit der zugehörigen Schicht als Ganzes betrachtet wird, denn nur so ist die Bedeutung der Protocol Data Unit eindeutig zu bestimmen. 16.3.4.4 Normale und erweiterte Adressierung Bei der normalen und der erweiterten Adressierung (Normal and Extended Addressing) handelt es sich um zwei Mechanismen der Diagnosekommunikation, die beide mit Vor- und Nachteilen behaftet sind. Die normale Adressierung führt zu einer Adressierung rein über die Protocol Control Information, ermöglicht aber die vollständige Nutzung des Datenblocks eines CAN-Frames, d.h. der vollen acht Bytes (abzüglich der PCI-Bytes). Wird das Extended Addressing verwendet, kann durch Nutzung eines Teils des Datenblocks weitere Adressinformation übertragen werden. Diese kann zur Realisierung einer GatewayFunktionalität (z.B. zur Abstraktion der Topologie) über den Datenblock der PDU dienen. Da hier die Adresse, die in der Protocol Control Information enthalten ist, durch einen Teil des Datenblocks gewissermaßen verlängert wird, wird von Extended Addressing gesprochen. Der Nachteil ist der Verlust eines Teils des CAN-Frames für die erweiterte Adressinformation und damit ein kürzerer Block für die Nutzdaten. Dies führt zu einer höheren Anzahl von zu übertragenden CAN-Frames und kann insbesondere bei zeitkritischen Anwendungen zu PerformanceProblemen auf dem Bus führen. Bei der Entscheidung für eine der Adressierungsarten muss also zwischen kurzen Adressen und langem nutzbaren Datenblock oder längeren Adressen mit reduziertem Datenblock abgewogen werden. Die beiden Adressierungsarten werden in Bild 16-14 anhand eines Single Frames auf dem CAN-Bus vergleichend dargestellt.

624

16 Diagnose

Bild 16-14: Normale und erweiterte Adressierung

Eine Nachricht dieser Transportschicht enthält die Diagnoseadresse, die Protocol Control Information (PCI), bestehend aus Datenblocklänge, Sequenznummer usw. und dem Datenblock. Aus diesen drei Komponenten werden die CAN-Nachrichten zusammengesetzt. Dieser Nachrichten-Aufbau ist in der Transportschicht der Diagnose auf CAN in der Norm ISO 15765-2 beschrieben. 16.3.4.5 Datensegmentierung Datensegmentierung (Data Segmentation) ist ein Mechanismus, der eingesetzt wird, wenn mehr Daten (z.B. mit der Transportschicht), übertragen werden sollen, als es die Sicherungsschicht in ihrem Datenblock zulässt. Prinzipiell kann die Datensegmentierung auf verschiedenen Schichten vorgenommen werden. Sie ist nicht auf eine Schicht des ISO/OSIReferenzmodells beschränkt. Sind die zu transportierenden Nutzdaten kürzer als acht Byte, genügt eine CAN-Botschaft zum Transport der Daten (siehe Bild 16-15). Es wird dann ein sog. Single Frame (SF) gesendet. Diese Art der Kommunikation wird als unsegmentiert bezeichnet. Sind die Nutzdaten allerdings länger als 7 Byte, dann wird die Datensegmentierung notwendig (Bild 16-16). Es wird eine einleitende CAN-Nachricht, der sog. First Frame (FF), von dem Sender auf den Bus gelegt. Er bestimmt mit Hilfe der Kontrollinformationen (PCI) u.a. die Gesamtlänge der Nutzdaten. Nach dem First Frame antwortet der Empfänger mit einem Flow Control (FC), welches die Parameter „Blocksize“ und „Minimal Separation Time“ an den Sender übergibt. D.h. der Empfänger bestimmt die Kommunikationsparameter der temporären Verbindung für die Übertragung eines Nutzdatenblocks.

Bild 16-15: Transport der Nutzdaten mit einem Single Frame

Bild 16-16: Datensegmentierung zum Transport der Nutzdaten

16.3 Diagnosekommunikation Als Antwort auf den Flow Control werden vom ursprünglichen Sender n Consecutive Frames (CF) in Blöcken der Länge „Blocksize“ verschickt, die den Rest der Nutzdaten enthalten. Die Blocksize gibt dabei die Anzahl der Consecutive Frames an, die der Sender vor Erhalt eines weiteren Flow Controls senden darf. Consecutive Frames sind mit Ausnahme des letzten genau 8 Byte lang. Dieser überträgt das Schlussfragment der Nutzdaten, das 1 bis 8 Bytes umfassen kann. Eine weitere Längenabweichung kann auch den letzten Block aus Consecutive Frames betreffen, dessen Anzahl von Consecutive Frames kleiner oder gleich der Blocksize sein kann. Der Flow-Control-Mechanismus verhindert Pufferüberläufe im Empfänger, die durch die Übertragung größerer Datenmengen verursacht werden können. Die Kommunikationspartner (Sender und Empfänger) einigen sich auf eine Blockgröße (Anzahl an CANBotschaften des Typs Consecutive Frame), nach denen der Empfänger ein Flow Control senden muss. Erst nach Empfang des Flow-Control-Frames darf der Sender mit dem Senden weiterer Consecutive Frames fortfahren. Dadurch bestimmt der Empfänger die verfügbare Bandbreite für die Übertragung dieses Nutzdatenblocks. Der Sender muss hier nicht zwangsweise das Testwerkzeug sein, vielmehr gilt das Prinzip der Datensegmentierung für Übertragungen in beide Richtungen. Wenn die Datenlängen für eine Diagnoseanfrage und die zugehörige Diagnoseantwort beide größer als sieben sind, findet die Datensegmentierung gleich zweimal statt. Der resultierende Datenstrom auf ByteNiveau des CAN ist in diesem Fall verhältnismäßig komplex, da die Botschaften ineinander verschachtelt sein können. 16.3.4.6 Kommunikationsparameter Diagnoseprotokolle benötigen Kommunikationsparameter. Diese Parameter bestimmen die Kommunikation auf physikalischer Ebene, allerdings auch die Adressierung, die auf höheren Schichten stattfindet. Die Parameter sind drei Klassen zugeordnet, da ihre Änderbarkeit zur Laufzeit der Diagnosekommunikation unterschiedlich eingeschränkt sein soll: Physikalische Parameter werden nur einmal für einen physikalischen Bus gesetzt und können nur bei einem nicht aktivierten, physikalischen Bus geändert werden. Der Bus muss also inaktiv sein. Parameter dieser Klasse sind z.B. die Baudrate, die Busphysik (CANHighspeed oder CAN-Lowspeed) oder der Abtastzeitpunkt. Fixed Parameter können für jede logische Verbindung auf dem gemultiplexten, physikalischen Bus separat eingestellt werden – aber nur, bevor die

625 logische Verbindung hergestellt wurde. Die CANIdentifier zählen zu dieser Klasse. Floating-Parameter sind jederzeit änderbar. Diese Parameter können z.B. die Periodendauer „TesterPresentTime“ oder die maximale Antwortzeit „ResponseTimeout“ betreffen. Im Bereich Diagnose ist derzeit der CAN die am weitesten verbreitete Kommunikationstechnologie. Deshalb beziehen sich die folgenden Themen exemplarisch auf den CAN. Der CAN, oft auch als CANBus bezeichnet, liegt in zwei Ausprägungen elektrischer Art, den sog. Bus-Physiken vor: dem CANHighspeed-Bus und dem CAN-Lowspeed-Bus. Typische Anwendungsfelder für den CAN-Highspeed-Bus sind das Infotainment, der Antrieb und die Diagnosekommunikation. Hier sind die Anforderungen an die Ausführung typischerweise höher als im Bereich der Komfortfunktionen, wo deshalb bevorzugt die kostengünstigere Ausführung CAN-Lowspeed eingesetzt werden. Die Bedeutung der CAN-Identifier aus Sicht der CAN-Spezifikation kann wie folgt beschrieben werden: CAN-Knoten (z.B. Steuergeräte am CAN-Bus) haben keine physikalische Adresse. Stattdessen besitzt ein CAN-Frame einen Identifier (CAN-ID), an dem jeder empfangende CAN-Knoten den Inhalt des CANFrames erkennen kann. Außerdem wird über den CAN-Identifier die Wichtigkeit (Priorität) des CANFrames festgelegt. Es wird zwischen CAN 2.0 A mit 11-Bit-CAN-Identifier und CAN 2.0 B mit 29-BitCAN-Identifier unterschieden. Demgegenüber werden in der Diagnosekommunikation CAN-Identifier zu Adressierungszwecken eingesetzt. Für die Diagnoseanfrage und die Diagnoseantwort wird jeweils ein Identifier unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Adressierungsarten festgelegt. Gleichzeitig kann die Übertragung segmentiert oder unsegmentiert erfolgen. Typischerweise werden Diagnoseanfragen und -antworten als nicht quittierte, aber segmentierte Nachrichten versendet und empfangen. Dies wird Unackknowledged Segmented Data Transfer (USDT) genannt. In einigen Protokollen existiert auch der UUDT (Unackknowledged Unsegmented Data Transfer), der beispielsweise die Service-ID der Anfrage nicht spiegelt, sondern nur Messwerte überträgt. USDT-Nachrichten werden primär für Diagnosedienste verwendet, wohingegen UUDT-Nachrichten primär zur Übermittlung von Messwerten in den Diagnoseprotokollen Unified Diagnostic Services und GMLAN (GMW 3110) eingesetzt werden. UUDT-Nachrichten sind Platz sparender als USDT Nachrichten, da hier u.a. auf Protokollkontrollinformationen (PCI) verzichtet wird.

626

16 Diagnose

Bild 16-17: Adressierung zur Diagnosekommunikation

Das folgende Beispiel soll die Adresszuordnung in einem Diagnosesystem erläutern: Den Steuergeräten A und B werden z.B. die physikalischen Anfragekennungen (Physical Request CAN-IDs) $201 und $202 zugeordnet. Ferner wird einem Steuergerät A je eine Antwortidentifikation für USDT- und UUDTNachrichten (z.B. $511und $311) und einem Steuergerät B wird je eine Antwortidentifikation für USDTund UUDT-Nachrichten (z.B. $512 und $312) und einer bestimmten Menge von Steuergeräten {A,B} eine funktionale Anfrageidentifikation (z.B. $20F) zugeordnet (siehe Bild 16-17). Eine mögliche Diagnosekommunikation in diesem skizzierten Diagnosesystem könnte nun wie folgt ablaufen: Das Testwerkzeug sendet eine Diagnoseanfrage an das Steuergerät über den Anfrage-Identifier $202, woraufhin das Steuergerät B, das sich über

diese „Adresse“ angesprochen fühlt, ein CAN-Frame mit dem UUDT-Antwort-Identifier $312 als Diagnoseantwort sendet. Die UUDT-Nachricht liefert ein Byte mehr an Informationen pro Frame als die USDT-Nachricht, ist allerdings auf dem CAN auf maximal 8 Byte beschränkt – bei Verwendung der normalen Adressierung. Durch geschickte Wahl der CAN-Identifier kann den UUDTNachrichten eine höhere Priorität gegenüber den USDT-Nachrichten eingeräumt werden. Somit ist eine – auch periodische – Übertragung von Messwerten mit UUDT-Nachrichten inmitten einer USDT-Übertragung des laufenden Diagnosedienstes möglich (Interleaving). Die CAN-Frames der USDT- und UUDT-Nachrichten für die Anordnung in Bild 16-17 werden in Bild 16-18 anhand dreier Beispielszenarien verglichen:

Bild 16-18: CAN-Frames zur Anordnung in Bild 16-17, SG: Steuergerät

16.3 Diagnosekommunikation

627

16.3.4.7 Der Diagnosedienst

Kommunikationskontrollinformation (PCI) und den Anwendungsdaten (Service Data Unit). In der UDSNorm gibt es zwei prinzipiell zu unterscheidende Strukturen. Die Anfragen an die Server und die positiven Antworten der Server sind gleich aufgebaut. Nach einem Byte Kontrollinformationen sind die 0 bis n Byte an Nutzdaten im Telegramm zu finden. Die Kontrollinformation ist hier die Dienstidentifikation (Service-Identifier, SID) und die Nutzdaten sind die Parameter des Dienstes. Der Antwort-ServiceIdentifier berechnet sich aus dem Anfrage-ServiceIdentifier plus $40. Wird jedoch die Anfrage des Clients vom Server abgelehnt, wird dies durch eine andere Kontrollinformation signalisiert. Nach der Kontrollinformation folgt der Service-Parameter. Die Kontrollinformation trägt hier eine reservierte Service-ID, um den negativen Status dieser Nachricht zu dokumentieren. Dies ist die ID $7F in den Unified Diagnostic Services. Weiterer Anteil der Kontrollinformation ist eine Wiederholung der Service-ID der fehlgeschlagenen Diagnoseanfrage. Schließlich folgt im Parameterbereich (Datenblock) der Grund für die Ablehnung in einem Byte mit Hilfe der standardisierten Antwortcodes.

Diagnosedienste sind die Anwendungsschnittstelle eines Diagnosesystems. Sie definieren die Anwendungsschicht (Schicht 7) eines Client-ServerDiagnosesystems, das dazu verwendet wird, einen Server zur Durchführung von Funktionen (wie Messwerte senden und Routinen starten) zu veranlassen. Der Client fordert hierbei ein oder mehrere Steuergeräte zu Aktionen auf und verwertet die Resultate dieser Aktionen. Der Client kann außeroder innerhalb des Steuergeräteverbunds angesiedelt sein und dennoch seine Rolle gleichwertig erfüllen. Weiterhin sind auch mehrere Clients auf dieser Anwendungsschicht möglich (Multi-Client-Szenarien). Diese erfordern leistungsfähige Kommunikationsbasissysteme (Communication Server COS), die Multi-Client- und Multi-Session-Betrieb ermöglichen. Aus Sicht der Anwendung kann aber auch das Kommunikationsbasissystem (der COS) der Server sein. Dieser Server beschafft sich dann in der Rolle eines Clients von den Steuergeräten die von der Anwendung geforderte Information. Es existiert also ein kaskadiertes Client-Server-Szenario. Für den Diagnose-Client (die Anwendung) ist es nicht relevant, welche Komponente im Fahrzeug die angeforderten Daten liefert, um eine gewünschte Funktion abzuarbeiten. Es wird lediglich die der Aufgabe zugehörige Information erwartet. Dabei wird die funktionale Adressierung eingesetzt, um die zwei möglichen Szenarien zu realisieren, nämlich die 1-zu1-Kommunikation und die 1-zu-n-Kommunikation. Das klassische Beispiel für funktionale Sichtweise ist die On-Board-Diagnose. Für den Zugriff auf die Dienste der Anwendungsschicht eines Kommunikationssystems sind strukturierte Telegramme notwendig, die alle einen prinzipiell gleichartigen Aufbau haben. Es wird auch von Dienstprimitiven gesprochen. In der Diagnosekommunikation und im Standard Open Diagnostic Data Exchange wird für die gleichen Objekte auch der Terminus Kommunikationsdienste (Communication Services) verwendet. Für die weitere Betrachtung werden die Dienstprimitiven Request (Anfrage) und Response (Antwort) und ihre Verknüpfung, der Diagnostic Service (Diagnosedienst) näher beleuchtet. Typischer Aufbau von Kommunikationstelegrammen der Diagnose Der Aufbau der Anfrage- und Antworttelegramme aus den vorigen Abschnitten soll im Folgenden anhand des Diagnoseprotokolls Unified Diagnostic Services (UDS) erläutert werden. Der grundlegende Aufbau der Nachrichten ist auch auf die K-LeitungsProtokolle wie das KWP 2000 vom Prinzip her anwendbar. Wie Telegramme aller ISO/OSI-Schichten besteht auch das Telegramm der Anwendungsschicht aus der

16.3.5 Sicherheit der Diagnosekommunikation Die Sicherheit der Diagnosekommunikation setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Die beiden Hauptmerkmale sind die Übertragungssicherheit und die Sicherung der Dateninhalte. Die Übertragungssicherheit findet auf den unteren Schichten des ISO/OSI-Referenzmodelles statt. Dazu gehören die Busphysik und die Checksummen der Nachrichten. Beispielsweise erhöht die Datenübertragung auf dem CAN die Bitsicherheit, da ein differentielles Signal verwendet wird. Dies führt zu einem höherem Störabstand. Weiterhin können über Block-Checksummen die Übertragungen größerer Datenmengen sicherer und effizienter gestaltet werden. Die Sicherung der Dateninhalte nutzt die Mittel von Verschlüsselung, Security Access und Benutzerauthentifizierung. Sie führt außerdem Kohärenztests nach dem Programmieren von Sub-Systemen der Steuergerätesoftware durch. Darüber hinausgehende Prozessprobleme von Anwendern bzgl. Sicherheit löst die Diagnosekommunikation nicht, d.h. Anwender sind wie bei anderen Daten der Steuergeräte (z.B. Steuergeräteanwendungs- oder Steuergerätebootsoftware) selbst in der Verantwortung, den Transport von Daten zu sichern. Die Daten der Diagnosekommunikation (Protokolle, Steuergerätebeschreibungen, auch in ODX) müssen also von Anwendern gegen Missbrauch und Verlust gesichert werden. Dies kann durch verschlüsselte Übertragung (PGP o.ä.) und konventionelle Datensi-

628

16 Diagnose

cherung geschehen. Dabei sind weniger kritische Teile (z.B. Auslesen des Fehlerspeichers) von den kritischen (u.a. Varianten-Codierung und Flash-Programmierung) zu differenzieren. Fehlerhafte Daten im Varianten-Codier-String könnten beispielsweise zur Stilllegung des Fahrzeugs führen, da eine inkompatible oder unplausible Kombination erkannt wird. Noch ernster wären fehlerhafte Kalibrierdaten einer Bremsregelung, die nicht mehr korrekt arbeitet oder sogar negativ auf das Fahrverhalten einwirken könnte. Wenn die Datensicherheit durch die oben beschriebenen Maßnahmen erhöht wurde, müssen zur weiteren Erhöhung der Datensicherheit auch Vorkehrungen gegen noch massivere Angriffe (wie z.B. Diebstahl von Werkstatttestern) getroffen werden. Dies sind z.B. Einmal-Schlüssel aus dem Stammwerk per E-Mail oder Fax, die nur für 24 Stunden Gültigkeit besitzen. Letztlich ist die Einigung auf standardisierte Protokolle, Semantik und Austauschformate ein Risiko, das gegen die Vorteile abgewogen werden muss. Wer die Daten und die Semantik versteht, versteht auch die Kommunikation.

16.3.6 Diagnoseprotokolle Nach der Erläuterung der Kommunikationsmechanismen wird nun auf deren Anwendung durch Diagnoseprotokolle eingegangen. 16.3.6.1 Historie der Diagnoseprotokolle Nach anfänglichen proprietären Systemen auf der KLeitung und dem SAE J1850 (siehe Tabelle 16-4) wurden die ersten Diagnosenormen (u.a. ISO 9141-2, ISO 14229) auf den Weg gebracht (Tabelle 16-5). Diese Entwicklung ist über diverse Zwischenschritte bis zu dem heutigen Entwurf der ISO/DIS 14229-1 – Unified Diagnostic Services (UDS) – fortgeschritten (siehe Bild 16-19). Die UDS-Norm hat damit eine ausreichende Stabilität erreicht, so dass in Zukunft der Aufwand für Entwicklungen auf die Diagnosefunktionalität der Steuergeräte und nicht mehr auf die Basisprotokollentwicklung für Steuergeräte konzentriert werden kann. Einige wichtige Standards – internationale, wie firmeninterne – sind in den Tabellen 16-4 und 16-5 aufgeführt.

Bild 16-19: Historie der Diagnoseprotokolle

Tabelle 16-4: Meilensteine der internationalen, normierten Protokollstandards (Auszug) Jahr

Norm

Kurzbeschreibung

1989

ISO 9141

Road vehicles – Diagnostic Systems Requirements for Interchange of Digital Information

1996

ISO 9141-2

CARB Requirements (u.a. Dienste für die Überprüfung des Abgassystems von Fahrzeugen)

1998

ISO 14230

KWP 2000 auf K-Leitung

2003

ISO 15031

OBD (On-Board Diagnostics)

2004

ISO 15765

Diagnose auf CAN

2004

ISO/DIS 14229-1

UDS Unified Diagnostic Services

16.3 Diagnosekommunikation Tabelle 16-5: Kundenspezifische Protokolle (Auszug), SWC: Single-Wire-CAN, siehe Abschnitt 4.2 Protokoll

Ursprung des Protokolls

Keyword 81, 82

Opel (K-Leitung)

Keyword 1281

VAG (K-Leitung)

KWP 2000 light plus

VAG (K-Leitung)

KWP 2000 on TP 1.6

VAG (CAN)

KWP 2000 on TP 2.0

VAG (CAN)

KWP 2000

Rover (K-Leitung)

GMLAN

GM/Opel (CAN, SWC)

SCP

Ford (SAE J 1850 PWM)

DS-2

BMW (K-Leitung)

Keyword FB

Mercedes-Benz (K-Leitung)

Keyword 588/589

Mercedes-Benz Nfz (K-Leitung)

Ford-ISO

Ford (K-Leitung)

SDA

Siemens Automotive (K-Leitung, CAN)

D2

Volvo (K-Leitung, CAN)

SAE J 1939

MAN, Scania (CAN)

SAE J 2190

DaimlerChrysler (SAE J1850)

Firmeninterne Standards haben über das jeweilige Unternehmen hinaus Bedeutung, da auch die Zulieferer diese Protokolle mit ihren Steuergeräten unterstützen müssen. Da ein Zulieferer typischerweise mehrere Kunden hat, muss er mehrere Protokolle für eine Steuergeräte-Plattform unterstützen. Diese Protokollvielfalt ist aufwendig und anfällig für Fehler. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit eines internationalen und herstellerübergreifenden Standards – wie z.B. Unified Diagnostic Services – für eine Reduktion des Aufwands.

629 Wie bereits im Abschnitt über das ISO/OSI-Schichtenmodell besprochen, ist in jeder der bis zu sieben Schichten ein Protokoll zu finden. Im Folgenden interessiert vornehmlich das Protokoll der Anwendungsschicht mit den bereitgestellten Diensten. Da es sich um Dienste für die Fahrzeugdiagnose handelt, wird auch von dem Diagnoseprotokoll oder Keywordprotokoll gesprochen. Auszeichnendes Merkmal eines jeden KWP-2000-Dienstes ist, dass er einen eindeutigen Service-Identifier besitzt. Das Diagnoseprotokoll ist somit eine Sammlung von Definitionen der Diagnosedienste und beschreibt die Bytekodierung und die hexadezimalen Werte der Dienst-Identifier, die Bytekodierung der Parameter der Diagnoseanfragen des Testwerkzeugs an das Steuergerät, außerdem die Bytekodierung der Parameter der Diagnoseantworten des Steuergeräts an das Testwerkzeug und die hexadezimalen Werte der Standardparameter. Es existieren viele „Dialekte“ des ursprünglichen KWP 2000, das wiederum von der ISO 14229 als sog. Recommended Practice abgeleitet wurde. Diese Dialekte sind firmenspezifische Ausprägungen, aber auch Umsetzungen in nationale Standards und Normen. Auch die weiterentwickelten Normen, wie Unified Diagnostic Services, sind prinzipiell Dialekte der „Ur-Norm“. Die Diagnosedienste der Diagnoseprotokolle dienen dem Management der Diagnosekommunikation, der Datenübertragung aktueller Messwerte und gespeicherter Informationen, der Programmierung der Steuergeräte und der Steuerung der Steuergeräte-Peripherie sowie der in die Steuergeräte eingebauten (Test-) Routinen. In den weiteren Abschnitten dieses Kapitels werden die Datenbytes der Telegramme, welche die Schichten 5 und 7 repräsentieren, erläutert. Header, Prüfsummen und Timings sind in Abschnitt 4.2 näher erläutert. Ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung der Diagnoseprotokolle soll in dem folgenden Abschnitt gegeben werden.

16.3.6.2 Grundlagen der Keywordprotokolle In der frühen Fahrzeugdiagnose über die K-Leitung wurden die Fähigkeiten der Kommunikationspartner (Testwerkzeug und Steuergerät) über spezielle BitMuster auf der seriellen Leitung dem jeweils anderen mitgeteilt. Diese Bit-Muster werden in Keybytes transportiert und als „Schlüsselwörter“ (Keywords) bezeichnet. Sie begründen damit den Begriff für die auf dem Medium K-Leitung transportierten Diagnoseinformationen, die einem Diagnoseprotokoll folgen. Da dieses Protokoll Keywords verwendet, wird es auch als Keywordprotokoll (KWP) bezeichnet. Auf der Sicherungsschicht der ISO 14230-2 basieren die Diagnosedienste des ISO 14230-3 und werden daher als KWP-2000-Diagnosedienste (kurz KWP-Dienste) bezeichnet.

16.3.6.3 Begriffsklärung für Diagnoseprotokolle nach den ISO-Normen Wichtige Fachbegriffe zur Beschreibung der Keywordprotokolle, die hier zum Teil schon verwendet wurden, werden in Tabelle 16-6 zusammengefasst. Funktionale Klassen Seit dem „Keyword Protocol 2000 – Recommended Practice“ aus dem Jahre 1997 hat sich an den sog. „Funktionalen Klassen“ (Functional Units), auch Diagnoseklassen genannt, nichts Wesentliches geändert. Diese Klassen sind ein Ordnungskriterium, um die Diagnosedienste nach Funktionalität zu gruppieren. Es sind damit Kategorien für Dienste. Sie sind nicht mit den funktionalen Gruppen des Standards Open Diagnostic Data Exchange zu verwechseln.

630

16 Diagnose

Tabelle 16-6: Begriffe der ISO-Diagnosenormen O.S.I.

Open Systems Interconnection – Das ISO/OSI-Modell basiert auf dem O.S.I.-Modell, das in der Norm ISO 7498-1 beschrieben ist.

Tester

Ein System, das den Test, die Überwachung, die Diagnose oder die Untersuchung von in Fahrzeugen verbauten Steuergeräten ermöglicht. Es kann für eine Gruppe von Anwendern optimiert sein, z.B. für die Anwendung in einer Werkstatt durch Mechaniker oder als Teil einer Fertigungsanlage. Oft wird der Tester auch als Client bezeichnet, welches er nicht immer ist.

Testwerkzeug

Steuergerät (ECU)

Electronic Control Unit – eine elektronische Baugruppe mit Steuerungsfunktionen für Fahrzeugkomponenten – wird oft als Server bezeichnet, welches sie nicht immer ist. Steuergeräte sind beispielsweise Motorsteuerungen und Navigationssysteme.

Client

Aus Diagnoseprotokollsicht ist dies die Funktion des Testwerkzeugs, welches die Diagnosedienste nutzt. Dies ist eine Untermenge der Funktionalität eines Testwerkzeugs, da das Testwerkzeug z.B. auch andere Funktionen wie Datenbankzugriffe oder die Bedienung von Benutzerschnittstellen bereitstellt.

Server

Der Teil des Steuergeräts, der die Diagnosefunktion bereitstellt.

Functional Unit Funktionale Klasse

Als Functional Unit wird eine Gruppe von Diagnosediensten mit ähnlicher oder komplementärer Funktion zusammengefasst. Sie ist damit ein Ordnungskriterium für Diagnosedienste.

Diagnostic Session Diagnosesitzung

Ein erreichter Grad an Funktionalität, der durch das Steuergerät bereitgestellt wird; beschreibt zulässige Diagnosedienste

Diagnostic Service Diagnosedienst

Ein Informationsaustausch zu Diagnosezwecken, der von dem Testwerkzeug initiiert wird, um Daten vom Steuergerät zu erhalten oder um das Verhalten des Steuergeräts zu beeinflussen.

Diagnostic Routine Diagnoseroutine

Eine Diagnoseroutine ist eine im Steuergerät implementierte Funktionalität, die vom Steuergerät auf Anforderung durch das Testwerkzeug gestartet wird.

Diagnostic Data Diagnosedaten

Daten, die im Speicher des Steuergeräts vorhanden sind und gelesen (ggf. auch geändert) werden können. Diese durch das Testwerkzeug veränderbaren Daten sind: analoge Ein- und Ausgänge, digitale Ein- und Ausgänge, Zwischenresultate und Statusinformationen Beispiele hierfür sind: Fahrzeuggeschwindigkeit, Drosselklappenstellung und Systemzustand des Fahrzeugs oder Steuergeräts. Es gibt drei Typen von Diagnosedaten: Aktuelle Werte (Current Value): Eine Größe, die in normaler Betriebsart des Steuergeräts einen aktuellen Wert beschreibt Gespeicherte Werte (Stored Value): Kopien der aktuellen Werte, zu ausgezeichneten Zeitpunkten erstellt, um z.B. die Bedingungen bei Auftreten eines Fehlverhaltens im Steuergerät zu dokumentieren. Es können auch durch periodische Ereignisse bedingte Kopien sein. Statische Werte (Static Value): z.B. die Fahrzeug-Identnummer

Diagnostic Trouble Code – DTC

Ein numerischer Identifier, der eine Fehlerbedingung angibt, die durch das On-BoardDiagnosesystem erkannt wurde.

Record

Eine datentechnische Zusammenfassung mehrerer Diagnosedaten zu einem einzigen Datensatz analog zu dem Konstrukt vieler Programmiersprachen. Beispiele sind Umgebungsbedingungen für Fehlerspeichereinträge oder Datensätze für mehrere Messgrößen eines Motors.

SI oder SID

Service-Identifier

NR_SI

Negative Response Service-Identifier

NRC oder RC

Negative Response Code oder Response Code

16.3 Diagnosekommunikation Die funktionalen Klassen sind: Diagnose- und Kommunikationsmanagement Diese Klasse enthält Diagnosedienste, die zur Realisierung von Managementfunktionalitäten zwischen dem Testwerkzeug und dem Steuergerät dienen. Datenübertragung (Data Transmission) Die Diagnosedienste dieser Klasse übertragen aktuelle Daten vom und zum Steuergerät. Übertragung gespeicherter Daten (Stored Data Transmission) Die Diagnosedienste dieser Klasse übertragen gespeicherte Daten (insbesondere Fehlerspeicherinhalte und Umgebungsbedingungen) vom und zum Steuergerät Ein- und Ausgabesteuerung (Input Output Control) Die Peripherie des Steuergeräts kann angesteuert und eingelesen werden, wenn diese Dienste angewendet werden. Fernaktivierung von Funktionen (Remote Activation of Routine) Im Steuergerät abgelegte Funktionen können mit Hilfe dieser Klasse von Diagnosediensten vom Testwerkzeug aus angestoßen werden.

631

Übertragung von Speicherinhalten des Steuergeräts (Upload, Download) Diagnosedienste für den Transport von Inhalten größerer Speicherbereiche des Steuergeräts zum Testwerkzeug und vom Testwerkzeug zum Steuergerät sind in dieser Kategorie enthalten. Die Gruppierung der Diagnosedienste hat in den ISONormen zu jeweils einem Kapitel für eine funktionale Klasse geführt. Der Service-Identifier Der Service-Identifier hat eine zentrale Bedeutung für die Kommunikationsprotokolle und ihre Diagnosedienste, da er die Aufgabe eines Dienstes in codierter Form beschreibt. Er ist die Protokollkontrollinformation (PCI) des ISO/OSI-Modelles der Anwendungsschicht. In den Keywordprotokollen ist der Wertebereich der Service-Identifier von $00 bis $FF in Bereiche verschiedener Bedeutung eingeteilt worden.

Tabelle 16-7: Vergaberichtlinien für die Werte von Service-Identifiern Service-Identifier (hexadezimaler Wert)

Servicetyp

Definition erfolgt durch

00 – 0F

OBD-Diagnoseanfragen

ISO 15031-5

10 – 3E

Diagnoseanfragen nach ISO 14229-1

ISO 14229-1

Nicht erlaubt

Reserviert

3F 40 – 4F

OBD-Diagnoseantworten

ISO 15031-5

50 – 7E

Positive Diagnoseantworten nach ISO 14229-1

ISO 14229-1

7F

Negative Diagnoseantwort

ISO 14229-1

80

Nicht erlaubt

Reserviert für ISO 14229-1

81 – 82

Nicht erlaubt

Reserviert für ISO 14230

83 – 87

Diagnoseanfragen nach ISO 14229-1

ISO 14229-1

88 – 9F

Diagnoseanfragen

Reserviert für zukünftige Erweiterungen

A0 – B9

Diagnoseanfragen

Definition durch Fahrzeughersteller

Diagnoseanfragen

Definition durch Systemanbieter

Nicht erlaubt

Reserviert

BA – BE BF C0

Nicht erlaubt

Reserviert für ISO 14229-1

C1 – C2

Nicht erlaubt

Reserviert für ISO 14230

C3 – C7

Positive Diagnoseantworten nach ISO 14229-1

ISO 14229-1

C8 – DF

Positive Diagnoseantworten

Reserviert für zukünftige Erweiterungen

E0 – F9

Positive Diagnoseantworten

Definition durch Fahrzeughersteller

FA – FE

Positive Diagnoseantworten

Definition durch Systemanbieter

Nicht erlaubt

Reserviert

FF

632

16 Diagnose

Diese Definition legt die semantische Bedeutung bzw. Zugehörigkeit zu den relevanten Normen fest. Es sind allerdings auch Bereiche für Fahrzeughersteller und Systemanbieter (z.B. Steuergeräte-Zulieferer) reserviert, damit in diesen Bereichen Erweiterungen der standardisierten Protokolle ohne Kompatibilitätsverlust erfolgen können. Dies wurde z.B. von GMLAN (GMW 3110) mit den Service-Identifiern $A9 und $AA durchgeführt. Tabelle 16-7 zeigt, dass die Service-Identifier für abgasrelevante Diagnosedienste in ISO 15031-5 im Detail festgelegt werden. Weiterhin sind die Definitionen der Diagnosedienste für die Unified Diagnostic Services in ISO 14229-1 zu finden, welche den Kern der Diagnosedienste darstellen und in den folgenden Abschnitten genauer betrachtet werden.

16.4 Unified Diagnostic Services Die Keywordprotokolle liegen in verschiedenen normierten und nicht normierten Ausprägungen vor. In ISO/DIS 14229-1 Unified Diagnostic Services (UDS) sind die relevanten, in der Praxis eingesetzten Standards und „Recommended Practices“ ISO 15765, ISO 14230 und GMLAN, die aus der Norm ISO 14229 von 1998 abgeleitet wurden, nach intensiven Verhandlungen 2004 zu einer Workgroup-Release zusammengeführt worden. Die Unified Diagnostic Services beschreiben sowohl die synchrone, periodische als auch die ereignisgetriebene Diagnosekommunikation nach o.g. Definitionen, da die zugrunde liegenden Standards (ISO 15765, ISO 14230 und GMLAN) diese Diagnosemethoden eingebracht haben. Adaptionen für verschiedene Bussysteme und Netzwerkarchitekturen sind für UDS vorgesehen. Die Adaption der Unified Diagnostic Services auf den CAN wurde bereits vorgenommen. Die Definition der UDS-Norm folgt dem ISO/OSI-Referenzmodell und die Schichten des Modells können wie folgt zugeordnet werden. Die UDS-Norm spezifiziert insbesondere die Diagnosedienste der Schicht 7 und bedient sich für tiefere Schichten bereits vorhandener Normen. Tabelle 16-8: ISO/OSI-Referenz des ISO/DIS 14229-1 ISO/OSI-Schichten

Diagnosenormen

Application (Layer 7)

ISO 14229-1 ISO 15765-3

Presentation (Layer 6)

---

Session (Layer 5)

ISO 15765-3

Transport (Layer 4)

ISO 15765-2

Network (Layer 3)

ISO 15765-2

Data Link (Layer 2)

ISO 11898

Physical (Layer 1)

ISO 11898

16.4.1 Motivation Die Norm UDS, die aus der Zusammenführung der ISO-Standards 14230-3 (KWP 2000) und 15765-3 (Diagnostics on CAN) sowie der General-MotorsSpezifikation GMLAN entstanden ist, hat das Ziel, Kosten zu sparen. Dank der Zusammenführung kann der Aufwand, der für die Entwicklung der Diagnosekommunikation durch eine heterogen geprägte Protokoll-Landschaft bei Fahrzeugherstellern und Zulieferern entsteht, wesentlich reduziert werden. Für die Diagnose von Steuergeräten stellt der Standard einen vereinheitlichten Satz von Diagnosediensten zur Verfügung. Die Diagnose-Services wurden für den CAN bereits auf diese neue Basis adaptiert. Für weitere Kommunikationsarchitekturen wie FlexRay und WLAN ist dies in Planung. Die UDS sind deutlich leistungsfähiger aber auch komplexer als ihre Vorgänger. Dem Anwender wird wesentlich mehr Diagnosefunktionalität bereitgestellt. Für den Standard werden derzeit Empfehlungen für die Umsetzung in die tägliche Praxis erarbeitet. Durch die Unified Diagnostic Services wird auch der Aufwand für die Erstellung der Testanwendungen verringert. Im Idealfall kann das Diagnosewerkzeug im Anschluss ohne Änderung (Programmieraufwand) mit anderen Steuergeräten und Fahrzeugen kommunizieren. Dazu ist lediglich das Laden einer anderen Beschreibungsdatei, z.B. im Format ODX (Open Diagnostic Data Exchange) erforderlich. Die Unified Diagnostic Services werden bereits bei Neuentwicklungen von Fahrzeugen eingesetzt. Durch die Unified Diagnostic Services wird eine konzernweite und firmenübergreifende Umsetzung eines einzigen, gemeinsamen Protokoll-Standards erleichtert. Die Welt der Diagnosekommunikation kann dadurch einfacher und kostengünstiger gestaltet werden.

16.4.2 Sub-Function Die UDS-Norm kennt Diagnosedienste mit und ohne sog. Sub-Function (siehe Bild 16-20). Eine Sub-Function dient bei komplexen Diagnoseaufgaben zu einer tiefergehenden Spezifizierung der gewünschten Diagnosefunktionalität im Diagnoseanfrage-Telegramm. In den positiven Diagnoseantworten ist die SubFunction nicht vorgesehen, da sie nicht immer benötigt wird. In etlichen Diagnosediensten wird die SubFunction allerdings als Wert eines Parameters in der Antwort gespiegelt, um eine positive Bearbeitung der Sub-Function anzuzeigen.

16.4 Unified Diagnostic Services

633

Bild 16-20: Diagnosedienstanfragen der UDS mit und ohne Sub-Function-Byte

Die Sub-Function erfüllt noch eine weitere Aufgabe über die Spezifizierung der Diagnoseanfrage hinaus. Sie legt fest, ob im Falle einer positiven Bearbeitung der Anfrage durch das Steuergerät eine positive Antwort des Steuergeräts erfolgen soll. Durch das Unterdrücken von positiven Antworten, insbesondere bei funktionalen Anfragen mit mehreren positiven Antworten, kann Bandbreite eingespart werden.

Wenn für einen Diagnosedienst obligatorische Parameter definiert sind, bedeutet es jedoch nicht automatisch, dass dieser Diagnosedienst von dem betreffenden Steuergerät unterstützt wird. Falls das Steuergerät den Diagnosedienst implementiert, muss es allerdings unbedingt die obligatorischen Parameter liefern können, sonst läge eine Protokollverletzung vor.

16.4.4 Diagnosedienste der UDS-Norm 16.4.3 Service-Parameter Wie jede Norm definieren auch die Unified Diagnostic Services die zu transportierenden Nutzdaten (Service-Parameter) in den Diagnosediensten. Dies ist wesentlicher Umfang eines jeden Diagnoseprotokolls. In der ISO-Norm zu den Unified Diagnostic Services – und den anderen Keywordprotokollen – finden sich Parameter, die Pflichtelemente eines Diagnosedienstes sind. Darüber hinaus kann es optionale Parameter geben. Die vier Parametertypen sind in folgender Liste zusammengefasst: Obligatorisch (M – Mandatory) Dieser Parameter ist zwingend erforderlich, um das Protokoll nicht zu verletzen. Auswahl (S – Selection) Dieser Parameter ist zwingend erforderlich, um das Protokoll nicht zu verletzen und muss mit einem Wert aus einer Auswahl an Vorgaben belegt werden. Bedingt (C – Conditional) Dieser Parameter kann vorhanden sein. Sein Erscheinen und Inhalt ist meist von anderen Werten und Bedingungen, wie dem Inhalt des Fehlerspeichers, abhängig. Benutzerdefiniert (U – User Option) Dieser Parameter kann vorhanden sein und hängt nur von dem Verwendungszweck der Anwender des Protokolls ab.

Die Unified Diagnostic Services enthalten 25 Diagnosedienste, die für unterschiedliche Aufgabenstellungen optimiert sind. Die Diagnosedienste sind in Tabelle 16-9 nach den funktionalen Klassen sortiert. Weiterhin wird die Verfügbarkeit der Diagnosedienste in der Default Session, d.h. nach dem Einschalten des Steuergeräts, angezeigt.

16.4.5 Zustandsautomaten am Beispiel UDS Ein Steuergerät (Diagnose-Server) hat einen Zugriffszustand, d.h. es erlaubt den Zugriff auf eine gewisse Funktionalität des Steuergeräts, wenn sich das Steuergerät in einer bestimmten Session befindet. Das Steuergerät befindet sich nach dem Einschalten in der sog. Standard-Session (Default Session), die einen Standardumfang an Diagnosediensten und -funktionen bereitstellt. Sollen weitergehende Funktionalitäten, wie Schreiben in den Speicher, ermöglicht werden, dann muss in eine höherwertige Session umgeschaltet werden. Dieses Umschalten ist ohne vorhergehenden Security Access selten möglich, damit die kritische Funktionalität nicht allen Diagnoseanwendern und jeder Diagnoseanwendung, die das Steuergerät verwenden, bereitgestellt wird. Dadurch werden Manipulationen an Steuergeräten unterbunden.

634

16 Diagnose

Tabelle 16-9: Übersicht der normierten Diagnosedienste der Unified Diagnostic Services Service-Identifier (Hexadezimal)

In Default Session verfügbar

10

Ja

DiagnosticSessionControl

11

Ja

ECUReset

Funktionale Klassen

Name des Diagnosedienstes

Mnemonic

DSC ER

27

SecurityAccess

SA

28

CommunicationControl

CC

3E

Ja

TesterPresent

Diagnose- und Kommunikationsmanagement

83 84 85 86

ATP

SecuredDataTransmission

SDT

ControlDTCSetting

CDTCS

Ja

ResponseOnEvent

ROE

Ja

ReadDataByIdentifier

87 22

TP

AccessTimingParameter

LinkControl

LC RDBI

23

Ja

ReadMemoryByAddress

RMBA

24

Ja

ReadScalingDataByIdentifier

RSDBI

ReadDataByPeriodicIdentifier

RDBPI

Datenübertragung

2A 2C

Ja

DynamicallyDefineDataIdentifier

DDDI

2E

Ja

WriteDataByIdentifier

WDBI

3D

Ja

WriteMemoryByAddress

WMBA

14

Ja

ClearDiagnosticInformation

CDTCI

ReadDTCInformation

RDTCI

InputOutputControlByIdentifier

IOCBI

Übertragung gespeicherter Daten 19

Ja

2F 31

Ein- und Ausgabesteuerung Ja

Fernaktivierung von Funktionen

34 35 36

Übertragung vom Speicherinhalt des Steuergeräts

37

Das Umschalten in eine spezielle Session kann auch zu einer Anpassung der Kommunikationsparameter der Sicherungsschicht führen. Der Diagnosedienst DiagnosticSessionControl kann in seiner Diagnoseantwort die für die gerade aktivierte Session gültigen Kommunikationsparameter an die aufrufende Anwendung berichten. Für jede Session muss in einem Diagnoseprotokoll festgelegt werden, welche Untermenge der Diagnosedienste eines kompletten Diagnoseprotokolls erlaubt sind. Typischerweise stehen in der Default-Session am wenigsten Dienste zur Verfügung, jedoch sind die Dienste der Default-Session in jeder anderen Session auch zulässig. Die Spezifikation der Funktionsumfänge der Sessions nimmt der Fahrzeughersteller vor.

RoutineControl

RC

RequestDownload

RD

RequestUpload

RU

TransferData

TD

RequestTransferExit

RTE

16.4.5.1 Zustandsübergänge zwischen den Sessions Nach dem Einschalten ist das Steuergerät in der Default-Session und verweilt in diesem Zustand, bis es ausgeschaltet wird, wenn keine andere Session mit einem Diagnosebefehl angefordert wird. Wird eine Session angefordert, die bereits aktiv ist, wird die Anfrage quittiert und das Steuergerät verbleibt in der aktiven Session. Wenn das Aktivieren einer Session nicht möglich ist (z.B. wegen zu geringer Sicherheitsstufe oder falscher Diagnoseadresse des Anfragenden), wird die Anfrage mit einer negativen Diagnoseantwort beantwortet und das Steuergerät verbleibt in der gerade aktiven Session. Es darf nur genau eine Session gleichzeitig im Steuergerät aktiv sein.

16.4 Unified Diagnostic Services

635

Bild 16-21: Zustandsübergänge zwischen den Sessions

Je nach Implementierung des Zustandsautomaten des Steuergeräts kann das periodische Senden eines besonderen Diagnosedienstes notwendig sein (siehe Bild 16-21). Dies ist typischerweise der Dienst TesterPresent, der z.B. alle 500 ms an das Steuergerät geschickt werden muss, damit es in der ProgrammierSession verbleibt und nicht in die Default-Session zurückfällt.

16.4.6 Standardisierte Fehlercodes Ein weiteres wichtiges Element der UDS-Norm sind die standardisierten Fehlercodes. Fehlercodes werden bei negativen Antworten auf Diagnoseanfragen vergeben. Dabei sind die standardisierten von den benutzerspezifischen Fehlercodes zu unterscheiden. Die wichtigsten der standardisierten Fehlercodes (ISO-Norm-Terminologie: Response Codes oder RC, auch Negative Response Code oder NRC) werden im Folgenden zusammen gefasst. Die zugrunde liegende Norm für die hier dargestellten Negative Response Codes ist der Standard Unified Diagnostic Services (ISO/DIS-14229-1 – Anhang A). In der Norm sind die Werte im Wertebereich von $00 bis $FF fast vollständig mit Bedeutungen belegt. Einige Werte sind für zukünftige Erweiterungen reserviert. Diese Menge an Fehlern, die bei der Diagnosekommunikation auftreten können, sind für die jeweiligen Diagnosedienste näher zu spezifizieren, d.h. auf eine für den jeweiligen Diagnosedienst sinnvolle Untermenge zu reduzieren. Folglich wird jedem Diagnosedienst seine private Untermenge der zulässigen Fehlercodes zugewiesen. Diese Festlegung betrifft allerdings nur den UDSStandard und die oben definierten Diagnosedienste, d.h. andere, auch kundenspezifische Protokollnormen können eigene Fehlercodes festlegen und Diagnosediensten zuweisen, da sie nicht an die ISO-Norm gebunden sind. Negative Response Codes sind nicht mit den Diagnostic Trouble Codes (DTCs) zu ver-

wechseln, welche die gespeicherten Fehler im Fehlerspeicher des Steuergeräts kodieren.

16.4.7 Beispiel einer Diagnosesitzung mit Unified Diagnostic Services Im folgenden Ablauf wird eine typische Diagnosesitzung zum Programmieren der Variantenkennung eines Steuergeräts erläutert. Nach Abschluss der Änderung des Steuergeräte-Speicherinhaltes wird typischerweise auch noch das Kalenderdatum der Programmierung in das Steuergerät geschrieben. Der Ablauf geht von dem günstigen Fall aus, dass der richtige Steuergeräte-Typ vorliegt und dass die Antworten des Steuergeräts jeweils positiv ausfallen. Die in Bild 16-22 gezeigten sieben Schritte werden nun im Detail erläutert: 1. Einschalten der Spannungsversorgung des Steuergeräts Zuerst wird das Steuergerät eingeschaltet, z.B. indem die Zündung des Fahrzeugs aktiviert wird. Das Steuergerät initialisiert die Anwendungssoftware, auch ECU-Software genannt, und startet die Diagnosefunktion des Steuergeräts (den Diagnose-Server). Der Diagnose-Server ist nun in der Default Session. 2. Security Access Da zur Programmierung des Steuergeräts eine höhere Sicherheitsstufe erreicht werden muss als es die Default Session bietet, wird ein Security Access durchgeführt. Zuerst muss ein sog. Seed vom Steuergerät per Diagnoseanfrage angefordert werden. Das Steuergerät sendet daraufhin den Seed in der Diagnoseantwort. Dieser Seed dient der Initialisierung einer Berechnung für einen Schlüssel (Key), der mit einem zweiten Diagnosedienst an das Steuergerät gesendet werden muss. Ist die Berechnung des Keys mit Hilfe eines im Testwerkzeug gespeicherten Algorithmus korrekt erfolgt, wird das Steuergerät eine positive Antwort mit der Bedeutung „security access allowed“ senden.

636

16 Diagnose 5. Variantenkennung schreiben Nun wird das Byte-Feld für die Variantenkennung von z.B. 16 Byte Länge, in dem Ausstattungsmerkmale wie Klimaanlage, Auslieferungsland, Schiebedach usw. bitweise kodiert sind, in das Steuergerät geschrieben. 6. Programmierdatum schreiben Abschließend wird das Kalenderdatum der Programmierung in das Steuergerät geschrieben. Danach ist der Programmierprozess beendet. 7. Reset des Steuergeräts Der Diagnosedienst EcuReset wird an das Steuergerät zur Beendigung der Programming-Session gesendet. Danach sollte sich das Steuergerät wieder in der Anwendungssoftware und somit in der DefaultSession befinden.

16.5 On-Board-Diagnose Die On-Board-Diagnose (OBD) ist eine auf mehrere Steuergeräte verteilte Funktion des Fahrzeugs. Das OBD-System überwacht die Komponenten und Systeme des Fahrzeugs, die für die Abgas-Emission verantwortlich sind, z.B. den Katalysator über die OSonden.

16.5.1 Historie

Bild 16-22: Ablauf einer Diagnosesitzung

Nach dem erfolgreichen Security Access können nun die Funktionen zum Programmieren und Abfragen geschützter Daten vom Testwerkzeug initiiert werden. 3. Identifikation lesen Bevor die Programmierung der Seriennummer begonnen wird, ist der Typ des Steuergeräts zu prüfen. Ist die Überprüfung erfolgreich, d.h. der Typ des Steuergeräts ist der erwartete Typ, wird die Session für die Programmierung eingeleitet. 4. Umschalten in den Programmiermodus Nach erfolgreicher Prüfung des Steuergerätetyps wird das Steuergerät in die Programmiersitzung versetzt. Das Erreichen der gewünschten Session wird vom Steuergerät bestätigt.

Um die verkehrsbedingte Luftverschmutzung zu reduzieren, führten die amerikanischen Umweltschutzbehörden California Air Resources Board (CARB) und Environmental Protection Agency (EPA) im „Clean Air Act" (CAA) verschärfte Emissionsgrenzwerte ein und schrieben zusätzlich die Fähigkeit des Fahrzeugs, das eigene Abgasverhalten zu überwachen, nämlich die On-Board-Diagnose OBD, gesetzlich vor. Eine weitere Verschärfung der Emissionsgrenzwerte führte 1996 zu OBD II. In der Europäischen Union (EU) werden seit 2001 neue Pkw mit Benzinmotor und seit 2003 auch Pkw mit Dieselmotor nur noch mit der Europäischen On-BoardDiagnose (EOBD) nach der Direktive 98/69/EC zugelassen. Der Artikel 4 der EU-Richtlinie 98/69/EG sieht vor, dass die „OBD-Bestimmungen" auf alle sicherheitsrelevanten Bauteile ausgeweitet werden.

16.5.2 OBD-Funktionalität Die OBD-Funktion führt u.a. folgende Aufgaben durch: Kontinuierliche Überwachung der abgasrelevanten Komponenten (z.B. O-Sonden) Nicht-flüchtiges Speichern von Fehlern als Diagnostic Trouble Code (DTC) im Fehlerspeicher

16.5 On-Board-Diagnose der Steuergeräte oder des Fahrzeugs, wie der Status der Serviceintervalle oder die Fehlzündungen des Motors im letzten Betriebszyklus Kommunikation mit dem Fahrer durch Anzeige von Fehlern über die Malfunction Indicator Light (MIL). Diese Leuchte stellt meist einen Motorblock schematisch dar Kommunikation mit einem externen Testwerkzeug, genannt „OBD-Scantool" Zur Kommunikation des OBD-Systems im Fahrzeug mit dem externen OBD-Scantool besitzen alle OBDkompatiblen Fahrzeuge einen weltweit einheitlichen Steckerverbinder, den OBD-Stecker. Der OBDStecker muss im Innenraum des Fahrzeugs in der Nähe des Lenkrades angeordnet werden. Oft ist ein Gateway direkt hinter dem OBD-Stecker im Fahrzeug verbaut und wird als „zentrales Gateway“ bezeichnet. Durch diese Anordnung kann das Gateway auch Ansprechpartner für OBD-Scantools sein. Die Anwendbarkeit von OBD-Scantools ist verbindlich vorgeschrieben und somit ist ein nach OBDnormierter Kommunikationszugang für die Diagnose abgasrelevanter Informationen zwingend bereitzustellen. Der Hersteller garantiert die OBD-Konformität des Fahrzeugs.

637

16.5.3 Der OBD-Stecker In allen Fahrzeugen neuester Bauart ist der OBDStecker (SAE J1962, ISO 15031-3) zur Überprüfung abgasrelevanter Systeme zu finden (Bild 16-23). Da die Personenkraftwagen mit Ottomotoren einen erheblichen Marktanteil in den USA ausmachen und somit auch einen großen Teil der Emissionen verursachen, wurde auf sie als erste Bezug genommen. Daher wurde der Verbau eines OBD-konformen Systems (inkl. des OBD-Steckers) für die Erteilung der allgemeinen Betriebserlaubnis gesetzlich vorgeschrieben. Von den drei alternativen Bussystemen, die am OBDStecker zu finden sind, ist genau eines vom Fahrzeug zu unterstützen (siehe Bild 16-24 und Tabelle 16-10). Daher muss das externe Testwerkzeug diese drei Möglichkeiten nacheinander testen (scannen), um den in dem jeweiligen Fahrzeug unterstützten Bus zu finden. Aus diesem Grund wird dieses Testwerkzeug auch OBD-Scantool genannt. Nicht verwendete Pins der drei alternativen Diagnosebussysteme (CAN, K-Leitung und J1850) können für andere Zwecke genutzt werden, dürfen aber die Funktion eines OBD-Scantools nicht beeinträchtigen, d.h. sie dürfen nur „elektrisch kompatibel“ belegt werden, um das Scantool nicht zu zerstören, wenn es diese Pins scannt. Die Pins 1, 3, 8, 9, 11, 12 und 13 stehen Fahrzeugherstellern ebenfalls frei zur Verfügung.

Bild 16-23: Topologie mit OBD-Stecker

638

16 Diagnose

16.6 Datenaustauschformat und erweitertes V-Modell 16.6.1 Was ist ein Datenaustauschformat? Bild 16-24: OBD-Stecker

Tabelle 16-10: Pin-Belegung des OBD-Steckers Pin 1

Beschreibung Freie Verwendung durch Fahrzeughersteller

2

Positive Leitung des Busses nach SAE J1850

3

Freie Verwendung durch Fahrzeughersteller

4

Fahrzeugmasse

5

Signalmasse (für die Diagnosebusse, daher evtl. gefiltert)

6

CAN_H-Leitung nach ISO 15765-4

7

K-Leitung der ISO 9141-2 und ISO 14230-4

8 Freie Verwendung durch Fahrzeughersteller 9 10

Negative Leitung des Busses nach SAE J1850

11 12

Freie Verwendung durch Fahrzeughersteller

13 14

CAN_L-Leitung nach ISO 15765-4

15

L-Leitung der ISO 9141-2 und ISO 14230-4

16

Permanente, positive Spannung

Die Anzahl der frei definierbaren Pins ist hoch und ermöglicht viele Sonderlösungen. Es bedeutet aber auch, dass die jeweilige OBD-Stecker-Belegung für das Aufsetzen eines Diagnosesystems bekannt sein muss, damit es ohne Einschränkungen funktionieren kann. Wenn das Testwerkzeug allerdings nur die genormten Pins verwendet, dann muss es uneingeschränkt funktionsfähig sein oder es gilt als nicht OBD-konform. Für die Arbeit mit aktuellen OBD-Systemen ist die Norm ISO 15031 anzuwenden. Dabei haben die Teile 3 bis 5 besondere Wichtigkeit. Es kann allerdings auch mit Testwerkzeugen, welche die Norm für ein OBD-Scantool nicht erfüllen, nach der ISO 15031-5 Diagnose durchgeführt werden, z.B. in Laboraufbauten, in denen die OBD-Konformität einzelner Steuergeräte außerhalb des Fahrzeugs isoliert vor einem Sub-System- oder Fahrzeugtest geprüft wird.

Datenaustauschformate beschreiben Datenformate für den Austausch zwischen verschiedenen Systemen. Datenformate selbst beschreiben die Struktur der Daten und enthalten Informationen über das Dateiformat, in dem der Datentyp festgelegt ist, den Aufbau, den Inhalt und die zeitliche Abfolge. Die Datenaustauschformate sind systemunabhängig. Daraus folgt, dass die einmal getätigte Investition (der Erstellungs- und Bearbeitungsaufwand) in die Daten, die darin enthaltenen Informationen sowie die Integrität der Daten erhalten bleiben. Auch erneute Freigabeprozesse der einmal erstellten Daten sind nicht notwendig und entfallen daher.

16.6.2 Motivation für einen Datenaustauschstandard Die Diagnoselandschaft ist übersät von einer unüberschaubaren Vielzahl von individuellen und inkompatiblen Lösungen. Bis dato wurde viel Energie darauf verwandt, proprietäre Protokolle und Bustechnologien zu entwickeln. Auch die im Einsatz befindlichen Werkzeuge setzen auf unterschiedliche proprietäre Exportformate mit der Folge, dass während des Datenaustauschprozesses Informationen verloren gehen können. Zusätzlich nimmt der Umfang der Diagnosedaten und die Komplexität der Austauschbeziehungen von Diagnosedaten einzelner Steuergeräte immer mehr zu. Der Austausch von Daten zwischen Autohersteller und Zulieferer, das Zusammenspiel von Teilsystemen unterschiedlicher Zulieferer und der Vergleich von Ergebnissen unterschiedlicher Werkzeuge ist nicht mehr gewährleistet. Der Abstimmungsaufwand wird zum treibenden Kostenfaktor. Es ist offensichtlich, dass dieser Kostenfalle nur durch eine weltweite Standardisierung des Datenaustauschformats und einer darauf basierenden Werkzeuglandschaft entgegengewirkt werden kann. Dies ermöglicht, die klaren Forderungen der Unternehmen nach durchgängigen Entwicklungsprozessen zu erfüllen. So können Diagnoseprozesse vereinfacht und zuverlässig ausgelegt werden. Diagnosedaten können dadurch mit geringstem Abstimmungsaufwand zwischen Steuergerätehersteller, Automobilzulieferer und Fahrzeughersteller ausgetauscht werden. Das standardisierte Datenaustauschformat kann somit in gleicher Weise wiederverwendet und flächendeckend über die gesamte Diagnoseprozesskette (von der Entwicklung bis zum Recycling) eingesetzt werden.

16.6 Datenaustauschformat und erweitertes V-Modell

16.6.3 Anforderungen an ein standardisiertes Datenaustauschformat Welche Anforderungen werden an ein standardisiertes Datenaustauschformat gestellt? Es lassen sich mehrere grundsätzliche Anforderungen definieren: Hersteller- und Werkzeugunabhängigkeit Maschinenlesbarkeit Korrekte Abbildung jedes Zwischenschritts im Diagnoseentwicklungsprozess Unterstützung unterschiedlicher Arbeitsabläufe Unterstützung von Datenbankkonzepten Ausführliche Beschreibung der übertragenen Informationen (das Datenformat muss neben den übertragenen Nutzdaten explizite Beschreibungen über den Aufbau, die Art und die Struktur der Daten beinhalten). Flexibilität und Erweiterbarkeit (für alle zukünftigen Entwicklungen von Werkzeugen und für alle durch neue Steuergeräte entstehenden Anforderungen). Langzeitverfügbarkeit

16.6.4 Diagnoseprozesskette und erweitertes V-Modell Die Diagnoseprozesskette wurde bereits mehrfach erwähnt. Sie soll im Folgenden erläutert werden. Die Diagnoseprozesskette basiert auf den Grundgedanken des V-Modells und wurde um Gedanken des ProductLife-Cycle-Managements (PLM) erweitert. Es wird deshalb auch von dem erweiterten V-Modell gesprochen. Um das Rad bei Softwareprojekten nicht jedes Mal neu zu erfinden, sollen standardisierte Vorgehensmodelle die unterschiedlichen Entwicklungsprojekte

639 durchschaubarer und kalkulierbarer machen, indem sie auf bereits erprobtes und bewährtes Wissen zur Entwicklung von Systemprojekten aufsetzen. Das VModell ist ein solches Vorgehensmodell für die Softwareentwicklung. Es wurde ursprünglich im Auftrag des Bundesministeriums für Verteidigung und des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung erstellt. Im wehrtechnischen Bereich ist es schon seit 1991 eine verbindlich anzuwendende Vorschrift für die gesamte Softwareentwicklung. In der Zwischenzeit ist das V-Modell zum Stand der Technik für die Softwareentwicklung geworden und wird auf breiter Front in der Automobilelektronik als flexibles Modell zum Planen und Durchführen von Systemprojekten eingesetzt. Mit Hilfe des V-Modells werden die Aktivitäten (Tätigkeiten) und Produkte (Ergebnisse) festgelegt, die während der Entwicklung von Systemen durchzuführen oder zu erstellen sind, und die Verantwortlichkeiten, wer wann was in einem Projekt zu tun hat, geregelt. Das PLM beschreibt eine Lösung, die industriespezifische Geschäftsverfahren abbildet und die Integration von Prozessen und die Verfügbarkeit von Informationen über den gesamten Produktlebenszyklus sicherstellt. Das erweiterte V-Modell nimmt den PLMGedanken auf. Dadurch wird der gesamte Lebenszyklus eines Steuergeräts betrachtet, d.h. von der Entwicklung über Versuch und Produktion bis hin zum Service und Recycling. Die Unterstützung des erweiterten V-Modells bedeutet, dass einheitliche Vorgehensweisen und durchgängige Prozesse gewährleistet werden und sämtliche Diagnosedaten über den gesamten Lebenszyklus eines Steuergeräts verfügbar sind. Die Diagnosedaten können als Ergebnis der Entwicklung in der Produktion z.B. für das Flashen von neuen Softwareständen, im Service für das Auslesen von Fehlerspeichern oder im Recycling für das Auslösen des Airbags verwendet werden.

Bild 16-25: Erweitertes V-Modell (vereinfacht)

640

16.7 ODX-Überblick 16.7.1 Aufgaben Die zwei Hauptaufgaben des ODX (Open Data Exchange) sind im Wesentlichen: die Definition des Datenaustauschformats für Diagnosebeschreibungen und die Definition der Semantik und Syntax von Diagnosebeschreibungen. Damit diese Aufgaben im richtigen Kontext eingeordnet werden können, ist zunächst der Blick auf die Wurzeln des ODX (ASAM MCD-2D V 2.0) sinnvoll. Danach werden das Austauschformat und die Definition von Diagnosebeschreibungen in ODX skizziert.

16 Diagnose vorhandener Prozesse kann durch die Anwendung von ASAM-Normen effizient unterstützt werden. Die Arbeitsgruppe ASAM MCD (Measurement, Calibration and Diagnosis) ist für die Diagnose von Fahrzeugsystemen von großer Bedeutung und hat als Zielsetzung die Bereitstellung von kompatiblen und austauschbaren Daten, Werkzeugen und Methoden für jede Phase der Steuergeräte-Entwicklung. Dadurch werden Datenmanagement, Testsystem-Automatisierung, Messdaten-Auswertung, Simulation und die Entwicklung von Steuergeräten umfassend unterstützt. Dieser Arbeitskreis wird zukünftig als ASAM AE (Automotive Electronics) geführt. Der ASAM MCD hat eine MCD-Systemarchitektur definiert, die im folgenden Abschnitt näher betrachtet wird.

16.7.2 Historie des ASAM e.V. Der ASAM e.V. (Association for Standardisation of Automation and Measuring Systems) ist aus einer Initiative von 33 deutschen Fahrzeugherstellern und Zulieferern entstanden. Da im Bereich der Fahrzeugelektronik viele inkompatible und proprietäre Systeme im gesamten Herstellungsprozess von Fahrzeugen und im Fahrzeug selbst eingesetzt wurden und somit hohe Kosten und auch Abhängigkeiten entstanden waren, bot sich die Standardisierung als Lösung an. Vor der ASAM-Initiative existierten keine firmenübergreifenden Standards. Daher war es notwendig, für Fahrzeugkomponenten und -systeme Standards zu entwickeln, die einheitliche Schnittstellen spezifizieren und modular aufgebaut sind. Eine weitere zentrale Aufgabenstellung des ASAM e.V. ist es, diese Standards zu internationalen Normen zu entwickeln. Der ASAM e.V. spezifiziert weder die eingesetzten Werkzeuge noch die zugrunde liegenden Prozesse, da diese nicht vorgeschrieben werden sollen. Vorhandene Prozessprobleme können also durch ASAMNormen nicht gelöst werden, aber eine Neugestaltung

16.7.2.1 Das ASAM-MCD-System Das in Bild 16-26 abgebildete System wird als MCDSystem bezeichnet. Die drei Funktionsgruppen Measurement (Messen – M), Calibration (Kalibrieren – C) und Diagnosis (Diagnose – D) des Standards folgen der selben Architektur eines MCD-Systems. Ziel ist es, die drei Funktionsgruppen als eigenständige Teilsysteme verwenden zu können. Die Funktionsgruppen können allerdings auch über standardisierte Schnittstellen kombiniert werden. Ein reales technisches System kann je nach Anwendung eine oder mehrere dieser Funktionsgruppen implementieren. Beispielsweise können bei Kalibriersystemen die Funktionsgruppen M, C und D, bei Testsystemen die Funktionsgruppen M und D und bei Servicetestern in der Werkstatt nur die Funktionsgruppe D zum Einsatz kommen. Ein MCD-System besteht aus den drei Komponenten Laufzeitsystem, Datenbeschreibung und Interface-Hardware. Die Anwendung setzt auf dem MCD-System auf.

Bild 16-26: MCD-System

16.7 ODX-Überblick

641

Das MCD-System zeichnet sich durch das zentrale Laufzeitsystem (Communication Server – COS) aus, das drei ASAM-MCD-Schnittstellen bereitstellt und bedient. Die Schnittstellen und ihre ASAM-Bezeichnungen sind in Tabelle 16-11 aufgeführt.

den die in Tabelle 16-12 aufgeführten Teil-Standards bereitgestellt. Tabelle 16-12: Schnittstellen eines D-Systems und ihre ASAM-Bezeichnungen

Tabelle 16-11: Schnittstellen des Laufzeitsystems und ihre ASAM-Bezeichnungen Schnittstelle für

Standard

Programmierung von Anwendungen

ASAM MCD-3

Beschreibung von Daten

ASAM MCD-2

Kommunikationsprotokolle und gerätespezifische Schnittstellen für Steuergeräte

ASAM MCD-1

Außerhalb des MCD-Systems – auf der anderen Seite dieser Schnittstellen – befinden sich die Anwendungen zum Messen, zum Kalibrieren und zur Diagnose von Fahrzeugsystemen, die Steuergeräte und ein Editor für die Befüllung des Systems mit Daten. Häufig werden die Funktionsgruppen Messen und Kalibrieren zusammengefasst, da sich die Aufgabenstellungen gleichen, und somit die benötigten Daten und anderen Hilfsmittel gleichartig gestaltet werden können. Unterstützt ein ASAM-MCD-System nur die Funktionsgruppe Diagnose des ASAM-MCD-Standards, wird das System auch D-System genannt. Zur Beschreibung der Schnittstellen eines D-Systems wer-

Schnittstelle für

Standard

Entwicklung von Diagnoseanwendungen

ASAM MCD-3D

Beschreibung von Diagnosedaten

ASAM MCD-2D

Anwendung von Diagnosebussystemen und -protokollen für Steuergeräte

entfällt

Für die Diagnose existieren keine ASAM-Standards an der Schnittstelle zu den Bussystemen, da bereits existierende Standards (wie ISO 14230 und ISO 15765) diese Schnittstelle in ausreichender Weise für unterschiedliche Bussysteme spezifizieren. In ASAM MCD-2D werden die Datenaustauschprozesse und die Definition der Diagnosedaten beschrieben. Die Schnittstelle zu den Diagnoseanwendungen wird in ASAM MCD-3D definiert. Die Software-Prozessoren des D-Systems Innerhalb des Laufzeitsystems (COS) wird die Diagnose von vier Komponenten abgearbeitet, die Prozessoren genannt werden. Diese Prozessoren sind SoftwareKomponenten und besitzen jeweils eine spezielle Aufgabe bei der Durchführung der Diagnoseaufgaben und der Diagnosekommunikation (siehe Bild 16-27).

Bild 16-27: Software-Prozessoren innerhalb des Laufzeitsystems

642 Der Kommunikations-Prozessor sorgt für die Umsetzung zwischen Rohdaten (Hexadezimale Protocol Data Units) und den Bussystemen. Er ist somit verantwortlich für das Senden von Diagnoseanfragen zum Steuergerät und das Empfangen der Diagnoseantworten vom Steuergerät. Der DiagnosedatenProzessor ist verantwortlich, die Konvertierung zwischen Rohdaten (PDUs) und symbolischer Darstellung der Diagnoseanfragen und -antworten vorzunehmen. Die Rohdaten bekommt der Prozessor von dem Kommunikationsprozessor oder er liefert sie an denselben. Er stellt somit Parameter und Ergebnisse in physikalischer Darstellung bereit und greift dazu auf die ASAM-MCD-2D-Datenbeschreibung zu. In die andere Richtung liefert der DiagnosedatenProzessor symbolische Daten an die Anwendung oder die Jobs. Der Job-Prozessor bietet die Möglichkeit, komplexe Diagnoseabläufe, die in Java beschrieben sind, zu interpretieren und auszuführen. Dazu wird vom Job-Prozessor auf die ASAM-MCD-3DSchnittstelle zugegriffen. Die Java-Jobs sind in der ODX-Datenbasis hinterlegt. Der Job-Prozessor kann auch auf die anderen Prozessoren zugreifen. Der Flashdaten-Prozessor ist eine Erweiterung des JobProzessors, der spezielle Abläufe – für in Java spezifizierte Flash-Sessions nach ODX – ausführt. Er dient damit zum Transport von Programmen und Daten in den Speicher der Steuergeräte. Diese Flash-Daten sind Bestandteil der ODX-Datenbeschreibung. Besonders zu beachten ist, dass ASAM eine Laufzeitdatenbank vorgesehen hat. Diese Datenbank ist in dem internen Laufzeitdatenformat des jeweiligen DSystems verfügbar. Sie bietet über die ASAM-MCD2D-Daten hinaus Möglichkeiten zur Performancesteigerung, da dieses Format laufzeitoptimiert sein darf und somit keiner strengen XML-Syntax und -Semantik unterliegt, Diese Datenbank muss also zur Laufzeit nicht im XML-Quelltextformat verhältnismäßig langsam „geparst“ werden.

16.7.3 Datenaustauschformate und -prozesse Ein D-System muss natürlich Daten transportieren und verarbeiten können. Das D-System kann als Vermittler von Informationen verschiedener Welten betrachtet werden, also zur Umsetzung von menschlicher Symbolik zu Busdaten und von Busdaten in symbolische Darstellung. Das D-System ist damit ein intelligenter Übersetzer von Aufgabenstellungen in die Steuergerätewelt. Zur Durchführung dieser Übersetzungen greift das D-System auf die ODXDatenbank lesend zu und nutzt die Datendefinitionen, Dienstbeschreibungen und Umrechnungsmethoden, die in dieser Datenbank vorliegen (siehe Bild 16-28).

16 Diagnose

Bild 16-28: D-System als ODX-Übersetzer

Damit diese Übersetzungen möglichst standardisiert ablaufen können, ist die Festlegung einer Norm zur Spezifikation von Diagnosedatenströmen und ein standardisiertes Austauschformat für die Beschreibung dieser Datenströme erforderlich. Dazu dient die ODX-Norm. Der Datenaustauschprozess war in der Vergangenheit von Heterogenität geprägt. Dies soll anhand eines Beispiels skizziert werden: Die Entwicklungsabteilung eines Herstellers entwickelt ein Steuergerät für eine Fahrzeugplattform. Dieses Steuergerät wird zuvor durch Spezifikationen mit Hilfe von Textverarbeitungsprogrammen beschrieben. Nach Steuergeräte-Abnahme, -Test und -Freigabe wird das Steuergerät inklusive der „Papier-Spezifikation“ an die Versuchsabteilung übergeben. Diese erstellt eigene Unterlagen zum Steuergerät und testet u.a. im dynamischen Fahrversuch weitere zugesicherte Eigenschaften des Steuergeräts im Fahrzeugverbund. Ist dieser Prozessschritt abgeschlossen, wird das Steuergerät mit den neu erstellten Unterlagen an die Produktion weitergereicht. Auch dort wird an produktionsrelevanten Ergänzungen der Steuergerätedokumentation gearbeitet und diese anschließend an den Service-Bereich weitergeleitet. Auch der ServiceBereich muss ggf. für Wartungsarbeiten an den Fahrzeugen zu diesem Steuergerät Anpassungen in der Dokumentation vornehmen. Erschwerend kann hinzukommen, dass die einzelnen Abteilungen des Fahrzeugherstellers verschiedene, für ihre Belange optimierte Werkzeuge benutzen, die elektronische Umsetzungen der Papierdokumente erfordern (csvDateien, ini-Files etc.). Da die Werkzeuge unterschiedlich sind, sind es die eingespeisten Daten und Datenformate mit hoher Wahrscheinlichkeit auch. Daraus ist ersichtlich, dass in der Vergangenheit das Papier im Vordergrund stand, und die elektronischen Formate nur eine zweitrangige Rolle gespielt haben.

16.7 ODX-Überblick

643

Bild 16-29: Diagnosedatenaustausch in der Vergangenheit

Der Datenfluss ist dabei wenig kontrolliert und kann zu den in Bild 16-29 dargestellten Querbeziehungen und Austauschvorgängen zwischen den Bereichen führen. Da in diesem Prozess außerdem weder Beschreibungs- und Austauschformate festgelegt sind, noch syntaktische oder semantische Regeln automatisiert überprüft werden können, ist der Prozess sehr fehleranfällig, aufwendig und schwer zu pflegen. Beispielsweise ist die Rückführung von Erkenntnissen in dem Bereich Service in die Ent-

wicklungsdokumentation mit hohem Aufwand verbunden oder sogar unmöglich. Diese Situation stellt die Motivation für die Schaffung des Austauschprozesses, basierend auf elektronischen Dateien dar. Dazu wird das Austauschformat, das Datenbeschreibungsformat (Syntax) und die Bedeutung der Datenbeschreibung (Semantik) festgelegt. Damit wird der in Bild 16-30 dargestellte, neue Prozess möglich.

Bild 16-30: Diagnosedatenaustausch heute

644 Die Beschreibung der Steuergeräte erfolgt in einem standardisiertem Format. Alle Prozessbeteiligten greifen auf die selbe Datenbasis zu und ändern die Daten nur in dieser einen Quelle. Dieses „SingleSource“-Prinzip führt zu besserer Datenqualität, da alle gefundenen Fehler behoben und die Problemlösungen rückgeführt werden. Die Datenbeschreibung ist eindeutig und wird von allen Prozessbeteiligten mit der gleichen Bedeutung verstanden. Anwendungen und Werkzeuge, basierend auf diesem Format, sind kostengünstiger zu erstellen, da die Kenntnisse nicht für mehr als ein Format erlernt werden müssen. Über die Vergabe von Lese- und Schreibrechten auf diese Datenbasis wird das Datenmanagement einfacher und effektiver. Sollten Papierdokumente nötig sein, können jederzeit Ausdrucke angefertigt werden, die allerdings nur temporäre Bedeutung haben (dürfen). Das Single-Source-Prinzip muss erhalten bleiben. Dieses Prinzip findet nicht nur innerhalb eines Fahrzeugherstellers zwischen seinen Bereichen statt, sondern gilt auch für die Prozesse mit Werkzeuganbietern, Steuergeräte- und Systemlieferanten. Durch die Einbindung von Zulieferern und Systempartnern kann mit diesem Austauschformat das gesamte erweiterte V-Modell unterstützt werden. Durch das standardisierte Austauschformat können für die Prozessschritte des V-Modells Protokollund Steuergerätespezifikationen, Steuergerätefunktions-Implementierung, Steuergerätetest und die Systemintegration einheitliche Daten in einem Format zur Verfügung gestellt sowie in diesem Modell erzeugt und gepflegt werden. Die bisherigen Probleme werden somit deutlich reduziert. Darüber hinaus können die Prozesse zwischen den Fahrzeugherstellern für Kooperationen optimiert werden, womit die Vorteile des normierten Austauschformats zur Adaption der unterschiedlichen Prozesse innerhalb der Fahrzeughersteller genutzt werden können. Beispielsweise wird in einem Projekt eine gemeinsame Fahrzeugplattform hergestellt. Die Karosserie stellt Autohersteller 1 her und stattet das Fahrzeug komplett mit dem gesamten Bordnetz, Diagnosebussen und Steuergeräten aus. Der Autohersteller 2 übernimmt diese Plattform, versieht sie mit seinen Markenmerkmalen, Logos und seiner eigenen Motorenpalette. Dazu ist die Integration seiner Steuergerätebeschreibungen zumindest für das Motorsteuergerät erforderlich. Diese sollten idealerweise in dem gleichen Format (ODX) vorliegen, damit für die Integrationstests vor Serienstart das komplette Fahrzeug mit der Karosserie des Autoherstellers 1 und dem Motor des Autoherstellers 2 im Verbund untersucht werden kann. Für die anschließende Wartung der Fahrzeuge in den Vertragswerkstätten sind für die jeweiligen Werkstatttester entsprechend angepasste Datenbasen zu schaffen. Somit kann ein maximierter Anteil des gesamten Herstellungsprozesses mit einheitlichen

16 Diagnose Daten vorangetrieben und Synergien genutzt werden. Die Kosten der gemeinsamen Entwicklung werden geteilt und ein für beide Seiten in der Herstellung günstigeres Fahrzeug entsteht. 16.7.3.1 Datenaustauschformate für normale Kommunikation Für die Beschreibung von Daten der normalen Kommunikation (Onboard-Kommunikation) kommen vorwiegend proprietäre Lösungen zum Einsatz. Es wird häufig von einer sog. CAN-Matrix gesprochen, welche die Onboard-Kommunikationsströme und Inhalte auf dem CAN beschreibt. Diese liegt oft als Tabelle, z.B. in Excel-Format zur Beschreibung der Onboard-Messages mit begleitenden Textdokumenten vor. Ein noch immer verwendetes, elektronisches Format ist das proprietäre dbc-Format für den CAN. Die Beschreibungsmöglichkeiten des dbc-Formats werden im Rahmen von Standardisierungsaktivitäten des ASAM e.V. in den FIBEX-Standard integriert. Das ASAM Field Bus Exchange Format Das Onboard-Austauschformat des ASAM e.V. wird FIBEX genannt. Es wurde im Januar 2004 in der Version 1.0 veröffentlicht und ist seit Januar 2005 in einer erweiterten Version 1.1 verfügbar. Dieser Standard deckt nicht nur den CAN ab, sondern auch den Flexray. Weitere Feldbusse (LIN, byteflight, TTCAN, MOST usw.) sind für zukünftige Versionen des Standards vorgesehen. Der FIBEX-Standard basiert auf XML-Dateien und lehnt sich in vielen Bereichen der Datenbeschreibungen an ASAM MCD-2D (ODX) an. Dadurch werden Synergien zwischen den Standards geschaffen. Die Schnittmenge der Datenbeschreibungen für Onboardund Diagnosedaten muss nur einmal spezifiziert werden und kann danach für beide Funktionsbereiche eingesetzt werden. Die Norm enthält Festlegungen und Beispiele, die den Standard verständlich erläutern. 16.7.3.2 Datenaustauschformat für Diagnose Für die Diagnosedatenbeschreibung ist die Ausgangssituation kaum anders als für die Onboard-Daten. Es existieren viele konkurrierende, proprietäre Systeme, die viel Aufwand in den Prozessen erfordern. Diagnosedienste werden häufig in Textverarbeitungsprogrammen beschrieben und während der Entwicklung eines Fahrzeugs in werkzeugtaugliche Formate umgesetzt. Ziel dieser Diagnosedatenbeschreibungen ist die Datenprozessierung, d.h. die Umsetzung zwischen den Welten (Mensch und Maschine). Anfragen an Steuergeräte (Bordspannung lesen) werden in hexadezimale Datenströme auf dem Diagnosebus umgesetzt und die Antworten in lesbarer physikalischer Darstellung präsentiert.

16.7 ODX-Überblick

645

Bild 16-31: ASAM-ODX-Historie

Dazu müssen u.a. die Diagnosedienste, die Kommunikationsparameter und die Umrechnungsmethoden beschrieben sein. Diese Daten müssen weiterhin in geeigneter, elektronischer Form für ein Diagnosewerkzeug bereitgestellt werden und zwischen Prozessteilnehmern ausgetauscht werden können. Daraus ergibt sich wieder die Forderung nach Standardisierung der Austauschformate und Datenbeschreibungsmechanismen. Beschreibungsformate für symbolische Interpretation Die Vorgängerstandards ASAM MCD-2D Version 1.0 und 1.2 der Jahre 1999 und 2000 haben die ersten internationalen Normierungen für ein Diagnoseaustauschformat vorgenommen. Basierend auf den Erfahrungen mit den 1.x-Standards wurden Anforderungen der Daten- und Anwendungsschnittstelle (ASAM MCD-2D und ASAM MCD-3D) für eine neue Version aufgestellt (siehe Bild 16-31). Weiteren Einfluss auf die Gestaltung der Version 2.0 hatte die Arbeitgruppe zur Harmonisierung der Datenbeschreibungsobjekte der ASAM MCD-2D und -2MC und eine parallele Standardisierungsgruppe, die sich mit der Normierung von Flash-Programmierprozessen von Steuergeräten beschäftigt hat (ECU-MEM). Aus diesen vielfältigen Eingaben wurde der Standard in der Version 2.0 erstellt und mit dem Namen ODX – Open Diagnostic Data Exchange versehen.

ODX ist also ein Synonym für ASAM MCD-2D Version 2.0 und ist in der internationalen Norm „ISO/AWI 22901-1 – Road vehicles – Open diagnostic data exchange (ODX) Part 1: Data model specification“ detailliert dargelegt. Die im Diagnoseaustauschprozess relevanten Punkte für den Austausch und die Datenbeschreibung (Austauschformat, Syntax und Semantik) werden durch Festlegungen im ODX abgedeckt. ODX liefert ein Datenmodell für Diagnose- und Programmierdaten von Steuergeräten, das in UML spezifiziert ist und ein Datenaustauschformat, basierend auf XML und Kompressionsverfahren. Damit ist ODX eine Beschreibungssprache für die Steuergerätediagnose auf Basis von XML (Extensible Markup Language), die in Textdateien die strukturierte, hierarchische Beschreibung der Daten enthält. Mit diesen Mitteln des ODX werden die Nutzdaten der Diagnosedienste, die zwischen Testwerkzeugen und Steuergeräten fließen, spezifiziert. ODX enthält jedoch keine Beschreibung der Header, Prüfsummen etc., d.h. nur die PDU (Protocol Data Unit) der Anwendungsschicht wird definiert. ODX erlaubt also die Beschreibung der in Bild 16-32 dargestellten Diagnosedienst-Nutzdaten (Service-Identifier und Dienstparameter) für die Diagnosekommunikation. Der Aufbau und die Details des ODX-Standards werden im folgenden Abschnitt detailliert erläutert.

646

16 Diagnose

Bild 16-32: Datenfluss bei einer Diagnosekommunikation, SID: Service Identifier

Die auszeichnenden Merkmale einer ODX-Datenbasis sind:

Die Diagnose-Informationen sind in einem Schichtenmodell organisiert

Die Schichten (Layer) können Informationen erben Sie enthält die Beschreibung von Diagnose-Infor

mationen, wie Diagnosedienste mit Diagnoseanfragen und -antworten Die Schichten sind hierarchisch geordnet (Protokoll, funktionale Gruppe, Basissteuergerät und Steuergerätevariante) Bibliotheken werden angeboten (ECU-SharedData) ODX unterstützt die Programmierung von Steuergeräten ODX erlaubt die Spezifikation von Kommunikationsparametern, für die verschiedenen Schichten, wie Protokolle, Steuergeräte oder Varianten Wiederkehrende Diagnoseabläufe sind in JavaSequenzen definierbar Die Fahrzeuginformationen bzgl. der Diagnosebussysteme können in ODX gespeichert werden Die Verwendung als Quelle für (Papier-)Dokumentation ist möglich Die Beschreibung ist statisch, d.h. stabil Autorenrichtlinien können eingesetzt werden Erweiterungsmöglichkeiten sind vorgesehen über Special Data Groups und Special Data, z.B. für die Beschreibung von den Bedingungen für Fehlereinträge

Diese vielfältigen Informationen werden im ODXFormat gespeichert und im ODX-Format ausgetauscht. Es ist daher das Ablage- und Austauschformat für Diagnosebeschreibungen von Fahrzeugen und Steuergeräten.

16.7.4 Bestandteile des Standards ODX Der ODX-Standard besteht formal aus folgenden Dokumenten: UML-Modell XML-Schema Dokumentation Checkerregeln Beispiel-XML-Dateien Teile dieser Dokumente sind für den Einsatz und die Integration in Werkzeugen vorgesehen, andere für die Anwender als Lektüre. Die Checkerregeln beispielsweise werden typischerweise in Werkzeugen umgesetzt, da es zu aufwendig ist, alle Regeln auf eine ODX-Datenbasis manuell anzuwenden. Die Bestandteile des ODX-Standards werden gemäß Tabelle 16-13 in fünf Kategorien organisiert. Die Notation des ODX-Standards und seiner Kategorien erfolgt in der Unified Modelling Language (UML). Tabelle 16-13: Bestandteile des ODX-Standards Kategorie

ODX-Begriff

Diagnose

DIAG-LAYER-CONTAINER

Flashdaten

FLASH

Fahrzeugtopologie

VEHICLE-INFO-SPEC

Kommunikationsparameter

COMPARAM-SPEC

Steuergeräteübergreife nde Abläufe

MULTIPLE-ECU-JOB-SPEC

16.7.4.1 Diagnosedaten Die Elemente der Kategorie Diagnose enthalten Diagnoseprotokoll- und Steuergerätebeschreibungen, Diagnosedienste, Diagnosevariablen, komplexe Diagnoseabläufe und –jobs sowie Datentypdefinitionen. Die Vererbung ist aus ASAM MCD-2D Version 1.2.2 übernommen worden, d.h. ein Layer einer tieferen Schicht kann von Layern höherer Schichten erben.

16.7 ODX-Überblick Zusätzlich zur Vererbung der Vorgängerversion bietet ODX einen weiteren Datencontainer, die sog. ECU-Shared-Data. Dieser Layer stellt Bibliotheksobjekte bereit. Die einmalige Beschreibung von Diagnoseinformationen, die von anderen Layern (wieder)verwendet werden ist somit möglich. Beispielsweise kann eine Fehlercodetabelle, die über mehrere Steuergeräte gleich aufgebaut ist, mehrmals verwendet werden, und zwar durch einfache Referenzierung des ECU-Shared-Data-Layers. Ein Diagnose-Layer enthält also immer genau ein Element der Typen: ECU-Shared-Data, Diagnoseprotokoll, Funktionale Gruppe, Basissteuergerät oder Steuergerätevariante. 16.7.4.2 Flashdaten Die Flashdaten beschreiben die Daten, die in ein Steuergerät geladen werden können. Sie enthalten eine strukturierte Festlegung der physikalischen Speicheradressen und die Speichermodularität (Segmentierung) der einzelnen Flashbereiche von elektronischen Bauteilen (Speicherchips). Weiterhin wird in den Flashdaten die logische Speicherarchitektur beschrieben. In der logischen Speicherarchitektur der Softwaremodule wird die genaue Verteilung der Komponenten Code, Daten usw. auf die Speicherbausteine definiert. Damit bei Flashprozessen sinnvolle Softwarestände in dem Speicher der Steuergeräte erzeugt werden können, enthalten die Flashdaten Beschreibungen und Identifikationen von Steuergeräten und Softwaremodulen sowie Tabellen, die diese Identifikationen in

647 einer Art Kompatibilitätsmatrix für Programmieranwendungen nach ASAM MCD-3D zur Verfügung stellen. Es wird also festgelegt, welche Softwarekomponente zu welchem Steuergerät kompatibel ist; jedoch wird auch die Kompatibilität unter den Softwaremodulen beschrieben. 16.7.4.3 Fahrzeuginformationen Die Fahrzeuginformationen umfassen im wesentlichen zwei Bereiche. Einerseits sind dies die Kommunikationswege und -parameter zu den Steuergeräten. Andererseits können Fahrzeugvarianten aus der Gesamtmenge aller Steuergeräte einer Fahrzeugbaureihe oder -plattform zusammengestellt und die Verbindungstopologie der Steuergeräte beschrieben werden. Die Beschreibung erfolgt aus diagnosetechnischen Gesichtspunkten. Durch diese Festlegungen ergibt sich, dass die Konfiguration von Testwerkzeugen entfallen kann. Im Betrieb muss lediglich der Fahrzeugtyp und das zu untersuchendes Steuergerät ausgewählt werden. Die Diagnosehardware (Bus-Interface) wird automatisch vom Diagnosesystem (D-System) anhand der gewählten Datenbeschreibung gefunden und eingeschaltet. Die notwendigen Resourcen müssen allerdings vorhanden sein. Damit dienen die Fahrzeuginformationen der Bereitstellung einer passenden Laufzeitdatenbank für das D-System im Rahmen einer Diagnosesitzung. Bild 16-33 veranschaulicht, dass über die Fahrzeuginformationen aus der Menge aller Steuergeräte Fahrzeugkonfigurationen gebildet werden können. Alle Steuergeräte sind in der ODX-Datenbasis beschrieben, die in einer Fahrzeugplattform verbaut werden können.

Bild 16-33: Fahrzeugkonfigurationen

648 Im Beispiel enthält die Fahrzeugkonfiguration Sport vier Steuergeräte, wobei die Steuergeräte Soundsystem und Kombiinstrument auch in der Konfiguration Cabriolet enthalten sind. Die Steuergeräte Schiebedach und Dieselmotor sind in den beiden Konfigurationen Sport und Cabriolet jedoch nicht enthalten. Da der Maximalausbau der Topologie der Fahrzeugplattform festliegt, sind bei einer gewählten Konfiguration implizit auch die physikalischen Kommunikationswege über die Fahrzeugbussysteme definiert. Die Bildung dieser Fahrzeugkonfigurationen dient auch der Redundanzvermeidung in den Datenbasen, da die Steuergeräte nicht mehrmals – für jede Konfiguration einmal – beschrieben werden müssen. 16.7.4.4 Kommunikationsparameter Die ODX-Kategorie Kommunikationsparameter (COMPARAM-SPEC) dient zur strukturierten Beschreibung von Kommunikationsparametern. Dies können z.B. Diagnoseadressen von Steuergeräten, Timings des Testwerkzeugs oder SteuergeräteTimeouts sein. Das Kommunikationsverhalten des DSystems, wie automatische Wiederholungen und Segmentierung, wird darüber hinaus in dieser Beschreibung festgelegt. Dabei wird zwischen standardisierten und fahrzeugherstellerspezifischen Kommunikationsparametern unterschieden. Diese Kategorie beschreibt die Kommunikationsparameter eines Diagnoseprotokolls und daher werden die Kommunikationsparameter auch Protokollparameter genannt. Über die Festlegungen der Kommunikationsparameter wird die werkzeugunabhängige Verwendung der ODX-Diagnosedaten erst ermöglicht, da in dieser Kategorie die Anhängigkeiten von der Hardware und dem Kommunikationsprotokoll gekapselt werden. Da die Festlegungen der Parameter tief in das D-System eingreifen, werden diese Spezifikationen von den Testwerkzeuganbietern bereitgestellt. Ein Satz von Kommunikationsparametern wird in einem speziellem Datenmodell COMPARAM-SPEC definiert. Standardisierte ODX-Protokollparametersätze Für einige weit verbreitete Diagnoseprotokolle sind standardisierte Protokollparametersätze von der ODXNormierungsgruppe festgelegt worden. Diese Protokollparametersätze werden COMPARAM-SPEC genannt. Die Parameter haben jeweils einen fest definierten SHORT-NAME und festgelegte Default-Werte (siehe Tabelle 16-14). Da nach dem ISO/OSI-Referenzmodell auf jeder Schicht ein oder mehrere Protokolle existieren können, ist der Begriff des Protokolls präzise anzuwenden. In ODX existiert der Layer-Typ Protocol, der die Diagnosedienste beschreibt. Diese Beschreibung muss jedoch keine Festlegung eines Kommunikationsparametersatzes enthalten. Was sie definieren

16 Diagnose muss, ist eine Vaterbeziehung (PARENT-REF) zu einer COMPARAM-SPEC, über welche die Kommunikationsparameter geerbt werden können. Tabelle 16-14: ODX-Protokollparametersätze Diagnoseprotokoll

ODX SHORTNAME

Norm

KWP 2000 auf K-Leitung

KWP2000_CPS

ISO 14230

KWP 2000 auf CAN

KWP_ON_CAN_CPS

ISO 15765

Unified Diagnostic Services

UDS_CPS

ISO 14229-1

GMLAN

noch nicht definiert

GMW 3110

Class 2

noch nicht definiert

GM Protokoll basierend J1850

16.7.4.5 Steuergeräteübergreifende Abläufe Durch Vernetzung von Steuergeräten werden neue Software-Funktionen für Fahrzeuge realisierbar. Diese sind von besonderer Relevanz für alle aktiven und passiven Sicherheitssysteme im Fahrzeug. Die Überprüfung dieser Elektroniksysteme in der Entwicklung oder in den Werkstätten wird durch die Vernetzung jedoch immer komplexer. Deshalb sieht die Kategorie steuergeräteübergreifende Abläufe vor, um Spezifikationen von komplexen Abläufen (sog. Jobs) vornehmen zu können, die mehrere Steuergeräte einbeziehen. Da die Abläufe mehrere Steuergeräte (d.h. Diagnose-Layer) involvieren, ist die Spezifikation innerhalb eines Diagnose-Layers nicht möglich. Sie erfordert daher eine eigene Kategorie für diese Art der Abläufe. Die Spezifikationen eines steuergeräteübergreifenden Ablaufs (MULTIPLE-ECU-JOB) kann mit Hilfe von ODX erstmals standardisiert definiert werden. Die Beschreibung umfasst u.a. Java-Jobs für die Spezifikation der Abläufe und Referenzen zu DiagnoseLayern, um die dort definierten Diagnosedienste in den Abläufen verwenden zu können. 16.7.4.6 Redundanzvermeidung durch Vererbung Die Daten treiben das gesamte ASAM-System und sind deswegen von zentraler Bedeutung. Damit der Umfang an Daten nicht unnötig hoch und das Datenbanksystem pflegbar bleibt, ist unbedingt auf Redundanzvermeidung zu achten. Deshalb wurden in ASAM MCD-2D vier Ebenen (Schichten) und die Bibliotheken eingeführt. Innerhalb dieser vier Ebenen wird automatisch von der jeweils darüber liegenden Schicht geerbt. Die Bibliotheken stehen als allgemein

16.7 ODX-Überblick verwendbare Container für alle vier Schichten zur freien Verfügung und können über eine Referenzierung geerbt werden. Die Schichten des ODX-Standards Das ODX-Schichtenmodell besteht aus vier Schichten, nämlich Protokollschicht, funktionale Gruppe, Steuergeräte-Basisvariante und Steuergerätevariante. Eine Protokollschicht enthält die protokollrelevante Information. Diese (Diagnosedienst-) Protokollspezifikation kann nach einer allgemeinen Norm – wie ISO 14229-1 – oder nach hausinternen Normen der Fahrzeughersteller und Steuergerätezulieferer erfolgen. Anwendung für zuliefererspezifische Protokolle sind u.a. im Nachrüstmarkt zu beobachten, beispielsweise für nachgerüstete Standheizungen. Eine funktionale Gruppe beschreibt eine Gruppe von Steuergeräten mit ähnlicher oder gleicher Funktion. Diese Steuergeräte sind meist als Gruppe über eine funktionale Adresse zu erreichen, z.B. alle Türsteuergeräte in einem Fahrzeug. Die Steuergeräte-Basisvariante beschreibt die Grundversion eines Steuergerätetyps, z.B. das Diesel4-Zylinder-Motorsteuergerät. Es bezieht sich also oft auf eine Hardware-Plattform. Die SteuergeräteBasisvariante wird typischerweise über die physikalische Adresse angesprochen. Eine Steuergerätevariante ist eine spezielle Ausprägung der Steuergeräte-Basisvariante, z.B. ein bestimmter Software-Stand in eine Hardware-Plattform. Die Erkennung einer Steuergerätevariante erfolgt über sog. Variantenerkennung mit Hilfe der Variant Patterns. Dazu ist mindestens ein Diagnosedienst als Steuergerätevariantenidentifikation (Variant Identification Service) in der ODX-Datenbasis zu bestimmen. Es darf nur entweder eine Variante der Steuergeräte-Basisvariante oder die Steuergeräte-Basisvariante selbst zur Laufzeit aktiv sein.

16.7.5 Datenpool und Datenbasis Als ODX-Datenpool (Data Pool) wird eine Menge von ODX-Daten (Instanzen) bezeichnet, die über ODX-Links erreichbar sind. In einem Datenpool gelten Regelungen zum Namensraum, um Eindeutigkeit zu erreichen. Ein Datenpool kann eine lauffähige Datenmenge umfassen, oder auch nur eine nichtlauffähige Untermenge einer Datenbasis. Er kann konsistent oder nicht konsistent sein. Um eine lauffähige Datenmenge (Laufzeit-Datenbasis) zu bilden, wird mindestens je eine Instanz der Kategorien Kommunikationsparameter (ComparamSpec), Diagnose (DiagLayerStructure) und Fahrzeuginformationen (VehicleInfo) benötigt.

649

16.7.6 Autorensysteme Die Bedeutung der Autorensysteme (Editoren) für die effiziente Anwendung von Austauschformaten begründet sich darin, dass die maschinenlesbaren Formate für den menschlichen Anwender oft nur schwer verständlich sind. Daher werden Formate wie XML von Autorensystemen vor dem Anwender „versteckt“. Ein leistungsfähiges Autorensystem liefert dem Anwender eine Präsentation der wesentlichen Informationen, die für die Diagnosekommunikation relevant sind. Dadurch wird der Autor durch das ODX-Modell geführt. Aus dem Autorensystem heraus können zu jedem gewünschten Zeitpunkt Papierkopien der elektronischen Spezifikation erstellt werden. 16.7.6.1 Konsistenzprüfungen In Autorensystemen sind Datenüberprüfungen sinnvoll eingebettet. Dies ist einerseits die Prüfung auf Konsistenz einer Datenbasis gegenüber dem ODXStandard, andererseits die Überprüfung der Kommunikationsdateninhalte auf symbolische Interpretation (Semantik der Dateninhalte). Die Semantik der Dateninhalte wird von einem symbolischen Interpreter überprüft. Dazu wird in dem Autorensystem die Kommunikation beispielhaft ohne reales Steuergerät getestet. Die Datenströme, die in der realen Kommunikation existieren würden, werden symbolisch interpretiert (Pre-Interpretation). Dies erhöht damit die Qualität in der Fehlersuche, da bei überprüfter Spezifikation ein Kommunikationsproblem in der realen Kommunikation eindeutig dem Steuergerät zuzuordnen ist. 16.7.6.2 MCD-Projekt Das Autorensystem ist notwendig, um einen Datenpool und eine Datenbasis zu generieren. Weiterhin muss ein MCD-Projekt zusammengestellt werden, da ein MCD-Projekt die Basis jedes Diagnosevorganges nach ASAM MCD ist. Es ist erforderlich, um ODXDaten anwenden zu können. Ein lauffähiges MCDProjekt muss eine lauffähige und konsistente Datenbasis enthalten. Das MCD-Projekt stellt dem Communication Server (COS) die ODX-Daten im Laufzeitformat zur Verfügung. Das Laufzeitformat wird durch einen geeigneten Transformator generiert.

650 Literatur [1] ISO/DIS 14229-1.2 Road vehicles, Unified diagnostic services (UDS), Part 1: Specification and requirements, 5. August 2004 [2] Introduction to ASAM MCD Version 1.0, 1. April 2001 (www.asam.net) [3] ASAM MCD-2D (ODX) Version 2.0, Data Model Specification, 4. Mai 2004 (www.asam.net) [4] ASAM MCD-3 Version 2.00.01, Application Programmer’s Interface Specification, 16. Dezember 2004 (www.asam.net) [5] ISO 7498-1, ISO/OSI International Standard Organization's Open System Interconnection, 17. November 1994 [6] ISO/DIS 14230 Road vehicles, Diagnostic Systems Keyword Protocol 2000, Part 3: Implementation, 16. Dezember 1996 [7] Keyword Protocol 2000, Implementation of Diagnostic Services Recommended Practice, Version 1.5, 1. Oktober 1997

16 Diagnose [8] GMW 3110 Version 1.5, GMLAN Enhanced Diagnostic Test Mode Specification, 4. Februar 2004 [9] ISO/DIS 15031-5.4 Road vehicles, Communication between vehicle and external equipment for emission-related diagnostics, Part 5: Emission-related diagnostic services (s. a. SAE J 1979), 24. November 2004 [10] ISO/DIS 15031-3.6 Road vehicles, Communication between vehicle and external equipment for emission-related diagnostics, Part 3: Diagnostic connector and related electrical circuits, specification and use, (s.a. SAE J 1962), 31. Oktober 2002 [11] ISO/DIS 15031-4.3 Road vehicles, Communication between vehicle and external equipment for emission-related diagnostics, Part 4: External test equipment (s.a. SAE J 1978), 11. Dezember 2003 [12] ISO/DIS 15031-6.4 Road vehicles, Communication between vehicle and external test equipment for emissions-related diagnostics, Part 6: Diagnostic trouble code definitions (s. a. SAE J 2012), 14. Januar 2003 [13] Zimmermann, W.; Schmidgall, R.: Bussysteme in der Fahrzeugtechnik. Wiesbaden, Vieweg Verlag, 2006

17 Software-Entwicklung 17.1 Entwicklungsprozesse, Methoden und Werkzeuge 17.1.1 Einleitung Bis vor einigen Jahren wurde Software in der Automobilindustrie kaum als eigenständiges Thema wahrgenommen. Stattdessen wurde sie als Bestandteil des Bauteils „Steuergerät“ quasi „nebenher“ mitentwickelt. Inzwischen ist eine starke Zunahme des Software-Anteils an den Herstellkosten eines Fahrzeugs und der Trend zur Realisierung gerade auch wettbewerbsdifferenzierender Funktionen durch Software unverkennbar. Ursachen dafür finden sich sowohl in neuen oder verschärften Anforderungen des Gesetzgebers, zum Beispiel im Bereich der Emissionsreduzierung, als auch in den zunehmenden Komfort- und Sicherheitsansprüchen des Autokäufers. Als Folge fällt der Software-Entwicklung mittlerweile eine Schlüsselrolle innerhalb der bisher eher maschinenbaugeprägten Fahrzeugentwicklung zu. Der Entwicklungs-, Integrationsund Testaufwand steigt überproportional zu der Menge der Software und stellt sich zunehmend als eigenständiges Problem heraus, das der Innovationsfähigkeit des Automobilherstellers Grenzen setzt. Bei sinkenden Markteinführungszeiten und unverändert hohen Qualitätsansprüchen stehen Fahrzeughersteller und -zulieferer vor der Herausforderung, die interdisziplinären Entwicklungsprozesse und -methoden unter Einbeziehung der Software-Entwicklung anzupassen und durch geeignete Werkzeuge zu unterstützen. Die Komplexität der Software-Entwicklung für Automobil-Anwendungen kann unter anderem an folgenden „Kenngrößen“ festgemacht werden: Anzahl der elektronischen Steuergeräte im Fahrzeug, Software-Umfang und Speicherkapazität der einzelnen Steuergeräte, Anzahl und Bandbreite der verwendeten Kommunikationsbusse sowie Umfang der hierüber ausgetauschten Daten. Viele für den Fahrer wahrnehmbare Funktionen wie Abstandsregelung, Überlagerungslenkung oder adaptives Kurvenlicht beruhen auf der Vernetzung der Steuergeräte, auch über bisher getrennte Bereiche im Fahrzeug hinweg. Der erhöhte Vernetzungsgrad erzeugt Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Steuergeräten und den darauf implementierten Software-Modulen, bewirkt eine Fortpflanzung von Fehlern durch das Gesamtsystem und erfordert eine Gesamtsicht auf das Funktionsnetzwerk sowie den Test von Steuergeräte-Netzen zusätzlich zum Test der Einzelsteuergeräte.

Die Kernanforderung an den Software-Entwicklungsprozess besteht also darin, die Komplexität der einzelnen Steuergeräte mit ihren steigenden SoftwareUmfängen sowie das Zusammenspiel der Steuergeräte in einem hochgradig vernetzten Gesamtsystem zu beherrschen. Die bisher eingesetzte Entwicklungsmethodik wird als unzureichend für steuergeräte- und domänenübergreifende Fahrzeugfunktionen betrachtet, insbesondere aufgrund der fehlenden Funktionsnetzwerksicht. Zu den häufig genannten Problemfeldern gehören auch die Schnittstellen in der Zusammenarbeit zwischen Fahrzeughersteller und Zulieferer. Aufgrund der späten Systemintegration und des insgesamt noch zu wenig systematischen Testens in den frühen Entwicklungsphasen werden Fehler im Zusammenspiel der Steuergeräte sehr spät entdeckt. Daraus resultieren Software-Änderungen kurz vor Produktionsstart, deren Folgen und Seiteneffekte oft nicht mehr überblickt werden können. Nicht zuletzt werden erhebliche Anforderungen an das Software-Variantenmanagement gestellt, die aus der Vielzahl der Fahrzeug-, Motor-, Getriebe- und Ausstattungsvarianten resultieren. Bereits entwickelte und getestete Software-Komponenten werden noch in zu geringem Maß wiederverwendet. All dies führt zu langen Projektlaufzeiten, hohen Entwicklungskosten und gefährdet die Qualität der elektronischen Systeme im Fahrzeug. Der Einsatz von Modellierungs-, Simulations- und Code-Generierungswerkzeugen auf Basis definierter und gelebter Entwicklungsprozesse kann als Grundvoraussetzung betrachtet werden, um diese Herausforderungen in den Griff zu bekommen.

17.1.2 Prozessstandards und SoftwareQualitätsmodelle Zur Beschreibung von Software-Entwicklungsprozessen wird häufig das V-Modell herangezogen ([1], [2]), das zwar die in der Realität unterschiedlichen Vorgehensweisen meist nicht exakt wiedergeben kann, aber doch eine Art „normierte“ Diskussionsgrundlage bietet. Auch der Automobilelektronik-Entwicklungsprozess kann anhand eines solchen V-Modells veranschaulicht werden (Bild 17-1), wobei zu berücksichtigen ist, dass die Elektronikentwicklung das gesamte elektrische und elektronische System des Fahrzeugs umfasst, einschließlich Steuergeräte-Hardware, Kabelbaum, Busverbindungen, Sensoren, Aktoren usw. Aus der engen Verzahnung von Hardware- und Software-Entwicklung resultieren einige Besonderheiten. Durch Analyse der Anforderungen erhält man im ersten Schritt eine Spezifikation auf der Ebene des gesamten elektronischen Fahrzeugsystems.

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17 Software-Entwicklung

Bild 17-1: V-Modell des Software-Entwicklungsprozesses für Automobil-Anwendungen

Aus dem Systementwurf ergibt sich die Spezifikation der einzelnen Hardware-Komponenten (Steuergeräte, Sensoren, Aktoren, Busse) und der auf diesen Einheiten zu realisierenden Software-Funktionen. In der klassischen Aufgabenteilung findet dieser Schritt noch beim Fahrzeughersteller statt. Die Aufgabe des Zulieferers besteht anschließend in der Umsetzung der Hardware- und Software-Spezifikationen, wobei der Bereich der Hardware in Bild 17-1 nicht weiter dargestellt ist. Auf Software-Ebene ergeben sich durch weitere Zerlegung der Software- und schließlich der Modulentwurf für ein Steuergerät. Auf dem rechten Ast des V-Modells findet eine zunehmende Integration der Software und Hardware statt. Damit einher gehen die Testschritte vom Modultest (oder „Unit Test“) bis hin zur abschließenden Integration im Fahrzeug und der damit verbundenen Steuergeräte-Applikation. Neben dem eigentlichen Entwicklungsprozess werden unterstützende Prozesse wie Anforderungs- und Konfigurationsmanagement, Management-Prozesse wie Projekt- und Qualitätsmanagement sowie Kundenund Lieferantenprozesse benötigt. All diese Prozesse müssen im Hinblick auf die Qualitätssicherung einer ständigen Bewertung und Verbesserung unterliegen. Dazu werden in der Automobilindustrie vor allem zwei Software-Qualitätsmodelle herangezogen: SPiCE [3] und CMMI ([4], [5]). Die in der „Herstellerinitiative Software“ (HIS, [6]) zusammengeschlossenen deutschen Automobilhersteller fordern von ihren Zulieferern ein Assessment gemäß einem der beiden Qualitätsmodelle. Dazu wurde eine Auswahl der

relevanten Prozesse spezifiziert [7]. Die grundsätzliche Vorgehensweise bei der Reifegradbestimmung und Prozessverbesserung soll nachfolgend am Beispiel von SPiCE aufgezeigt werden. Einen Vergleich mit CMMI findet man in der Literatur [8]. Die Reifegradbestimmung mit Hilfe eines Assessments soll einem Auftraggeber nicht nur eine zuverlässige Basis für die Auswahl von Zulieferern bieten, sondern auch die Grundlage zur Durchführung von Prozessverbesserungen bei allen Beteiligten bilden, indem sie eine vollständige Beschreibung des gegenwärtigen Zustands liefert. Aus ihr lassen sich dann Stärken, Schwächen und Risiken einzelner Prozesse erkennen, woraus wiederum Prioritäten und Maßnahmen zur Prozessverbesserung abgeleitet werden können. Diese Ziele werden von SPiCE durch die Vorgabe eines Prozessreferenzmodells und eines AssessmentProzesses erreicht. Das Prozessreferenzmodell beschreibt einzelne Arbeitspraktiken, die als unverzichtbar für einen guten Software-Entwicklungsprozess angesehen werden. Das Modell schreibt keine einzelnen Techniken oder Methoden für einen Prozessschritt vor, sondern legt nur fest, dass bestimmte Prozessschritte existieren müssen und gibt einige Anforderungen an diese vor. Die jeweilige Organisationseinheit definiert für sich ein kompatibles Prozessmodell, das den Anforderungen des Prozessreferenzmodells entspricht. Das kompatible Modell ist dann die Grundlage des Assessments. Dessen Ergebnis ist eine Bewertungsmatrix, auch „Prozessprofil“ genannt.

17.1 Entwicklungsprozesse, Methoden und Werkzeuge

653

Die Bewertung nach SPiCE erfolgt in zwei Dimensionen: in Prozessen und in Fähigkeiten. Jeder Prozess wird einzeln nach seinen Fähigkeiten bewertet. Ein generisches, zu SPiCE kompatibles Prozessreferenzmodell kann der Norm ISO/IEC 12207 [9] entnommen werden. In dieser Norm sind die Prozesse in verschiedene Gruppen aufgeteilt, darunter die Prozessgruppe Engineering, die aus folgenden Prozessen besteht: ENG.1 Development ENG.1.1 System requirements analysis and design ENG.1.2 Software requirements analysis ENG.1.3 Software design ENG.1.4 Software construction ENG.1.5 Software integration ENG.1.6 Software testing ENG.1.7 System integration and testing ENG.2 System and software maintenance Bild 17-3: Einfaches Beispiel für ein Prozessprofil mit den Erfüllungsgraden N (Not), P (Partially), L (Largely) und F (Fully)

Bild 17-2: Capability Levels nach SPiCE

Orthogonal zu der Prozessdimension steht die Dimension der Fähigkeiten. Die Bewertung erfolgt anhand der in Bild 17-2 dargestellten Capability Levels. Jede der Ebenen beschreibt einen Satz von Prozessattributen, die zusammen genommen einen bedeutenden Schritt in Richtung eines reiferen Entwicklungsprozesses bedeuten. Ein Assessor „misst“ die Fähigkeiten eines Prozesses mittels sogenannter Indikatoren. Dabei kann es sich um nachvollziehbare Basistätigkeiten wie den Gebrauch eines Konfigurationsmanagement-Systems, um Eingabedokumente in den Prozess, zum Beispiel Anforderungsspezifikationen, und um Ausgabedokumente wie Testreports handeln. Entsprechend den Erkenntnissen, die der Assessor aus den Indikatoren ziehen kann, vergibt er für jeden Prozess pro Prozessattribut einen Erfüllungsgrad. Die ausgefüllte Bewertungsmatrix stellt dann das Prozessprofil dar (Bild 17-3). Hieraus kann ein Gesamtreifegrad für die bewertete Organisationseinheit abgeleitet werden.

Da im Automobil zunehmend sicherheitskritische Systeme zu entwickeln sind, stellt sich auch hier die Frage nach entsprechenden Normen und Prozessen. Sicherheitsnormen definieren einen Katalog von Maßnahmen, die eingehalten werden müssen, um die angestrebte Sicherheit zu erreichen. Die Maßnahmen können generell in drei Kategorien unterteilt werden: die Auswahl von Entwicklungsmethoden und Werkzeugen, die Implementierung sowie die Verifikation und Validierung des Systems. Die verfügbaren Normen unterscheiden sich bezüglich ihrer Blickwinkel auf das zu entwickelnde System. Einige befassen sich mit der Entwicklung des Gesamtsystems. Dazu gehört z.B. die in der Automobilelektronik bisher verwendetete IEC 61508 [10]. Diese Norm ist ein anwendungsbereichsunabhängiger Standard für elektrische und elektronische Sicherheitssysteme, der die Entwicklung spezifischer Normen erleichtern soll und übergangsweise in Bereichen angewendet wird, in denen es noch keine spezifische Normen gibt. Teil 3 der Norm beschäftigt sich mit Anforderungen an die Softwareentwicklung. Andere Normen wie die RTCA DO-178B [11] und die DoD-2167A behandeln ausschließlich die Entwicklung der Software, sind dafür aber detaillierter und damit konkreter. Auch im Bereich der sicherheitskritischen Systeme bieten die modellbasierte Entwicklung und die automatische Code-Generierung weitreichende Möglichkeiten zur Beherrschung von Komplexität und zur Effizienzsteigerung. Mit ihrer verstärkten Nutzung ist die Frage nach der Qualifizierung der Entwicklungswerkzeuge für solche Entwicklungsprojekte und die Anwendbarkeit der bisher existierenden Normen verbunden. Dies betrifft analog zur Zertifizierung von Compilern insbesondere den Code-Generator, der das Modell in CCode übersetzt [12]. Die auftretenden Fragestellungen

654 sind bisher nicht abschließend beantwortet, werden aber derzeit in den einschlägigen Fachkreisen der Automobilindustrie diskutiert, so dass in absehbarer Zukunft mit allgemein akzeptierten Vorgehensweisen zu rechnen ist. Im Rahmen der FAKRA (Fachausschuss Kraftfahrzeuge) wurde der Entwurf einer sektorspezifischen Ausprägung der IEC 61508 für den Automobilbereich erarbeitet („Automotive 61508“). Dieser wurde Anfang November 2005 als Working Draft ISO/WD 26262 mit dem Ziel der Standardisierung an die ISO übergeben und enthält u.a. Teile zur Softwareentwicklung sowie zu übergreifenden Aktivitäten wie die Zertifizierung von Entwicklungswerkzeugen [13].

17.1.3 Modellbasierte Funktionsentwicklung Branchenexperten haben in den letzten Jahren ermittelt, dass zwischen 15 und 40 % aller Software-Fehler in der Automobilelektronik ihre Ursache in unvollständigen und mehrdeutigen Spezifikationen hatten. Zwischen 40 und 60 % aller Probleme entstanden durch Programmierfehler während der SoftwareImplementierung, davon die Hälfte aus sukzessiven Änderungen. Mit der Verwendung mathematischer Modelle und hochwertiger Beschreibungsformen wie Blockdiagrammen – die letztlich ausführbare (simulierbare) Spezifikationen sind – lässt sich ein Großteil der durch mehrdeutige und unvollständige Spezifikationen hervorgerufenen Probleme ausräumen. Verständlichkeit und Transparenz innerhalb des Entwicklungsprozesses steigen für alle Beteiligten erheblich. Aus diesem Grund hat sich die modellbasierte Funktionsentwicklung in den letzten zehn Jahren in weiten Bereichen der Automobilindustrie etabliert, häufig zunächst „nur“ mit dem Ziel, die Software-Funktionen der elektronischen Steuergeräte eindeutig spezifizieren und die Spezifikation durch Simulation überprüfen zu können. Der modellbasierte Funktionsentwurf erfolgt typischerweise als grafische Blockdiagrammbeschreibung von Steuerungs- und Regelungsalgorithmen in einer entsprechenden Modellierungs- und Simulationsumgebung wie zum Beispiel MATLAB, Simulink und Stateflow (Bild 17-4). Modelle können auf allen Ebenen des Software-Entwurfs eingesetzt werden. Das heißt, sie können Funktionen auf System-, Steuergeräte- oder Modulebene beschreiben. Durch Simulation, die in Form des Rapid Control Prototypings (Abschnitt 17..2) auch im realen Fahrzeug oder am Prüfstand unter Echtzeitbedingungen erfolgen kann, werden Entwurfsfehler bereits in einem frühen Stadium aufgedeckt. Test- und Validierungswerkzeuge bieten die Möglichkeit, Funktionsmodelle – zum Teil automatisiert – auf Korrektheit bezüglich der Anforderungsspezifikation zu überprüfen. Die Vorteile wie verringerte Entwicklungszeit und Entwicklungskosten sowie verbesserte Qualität liegen auf der Hand.

17 Software-Entwicklung Die modellbasierte Funktionsentwicklung wird seit einigen Jahren durch die automatische Code-Generierung für Seriensteuergeräte unterstützt. Code-Generatoren wie TargetLink erzeugen aus einem Blockdiagramm hocheffizienten und zuverlässigen C-Code in Produktionsqualität. Die automatische Code-Generierung steht derzeit an der Schwelle zum breiten produktiven Einsatz mit entsprechenden Rollouts in großen Entwicklungsprojekten (Abschnitt 17.3). Damit ist eine enge Kopplung zwischen Funktionsmodellierung und Software-Erstellung für das in großen Stückzahlen gefertigte Endprodukt (Steuergerät oder Fahrzeug) möglich, so dass der modellbasierte Entwurf eine neue, zentralere Rolle im Entwicklungsprozess des Automobils einnehmen kann und muss. Die Herausforderung besteht in der optimalen Integration der modellbasierten Funktionsentwicklung einschließlich der automatischen Code-Generierung in die Prozesse der Serienentwicklung bei Herstellern und Zulieferern. Besondere Bedeutung gewinnen in diesem Zusammenhang das systematische Management von Anforderungen und deren Verknüpfung mit dem Testprozess, die Kombination des modellbasierten Entwurfs mit klassischen Methoden des Software-Designs sowie die durchgängige Anwendung der Simulation auf der Basis von Architektur-, Software- und Funktionsmodellen. Auch Themen wie Konfigurations-, Varianten- und Datenmanagement müssen im Zusammenhang mit Funktionsmodellen neu betrachtet werden. Für den Test der Steuergeräte-Funktionen wird ebenfalls seit vielen Jahren die Hardware-in-the-LoopSimulation (HIL-Simulation) erfolgreich eingesetzt. Ihr Anwendungsgebiet reicht vom frühen Test einzelner Funktionen (Modultestebene) bis hin zum Freigabetest des Gesamtsystems (Abschnitt 17.4). Die HIL-Simulation begleitet damit den gesamten Bereich der Software-, System- und Fahrzeugintegration auf dem rechten Ast des V-Modells (Bild 17-1). In der modellbasierten Funktionsentwicklung können Testaktivitäten auch schon in früheren Entwicklungsphasen einsetzen, das heißt, in den linken Teil des V-Modells verlegt werden. Konkret bedeutet dies, dass Spezifikationen, die in Form simulierbarer (ausführbarer) Funktionsmodelle vorliegen, weit vor der Implementierung systematisch getestet werden können (Abschnitt 17.5). Das Gesamtverhalten eines Fahrzeugs wird letztlich nicht nur durch die eigentlichen Software-Funktionen im Steuergerät beeinflusst, sondern hängt auch maßgeblich von der Einstellung der Steuer- und Regelparameter ab. Durch Abstimmung dieser Parameter im Rahmen der Steuergeräte-Applikation (Abschnitt 17.6) werden die Software-Funktionen so angepasst, dass das Gesamtverhalten die Lastenheftvorgaben erfüllt. In einem modellbasierten Entwicklungsprozess sind die dazu notwendigen Mess- und Applikationswerkzeuge eng mit anderen Tools, beispielsweise Modellierungswerkzeugen und Datenmanagementsystemen, zu koppeln.

17.1 Entwicklungsprozesse, Methoden und Werkzeuge

655

Bild 17-4: Funktionsmodellierung mit Block- und Zustandsdiagrammen

17.1.4 Software-Komponenten und architekturbasierter Entwurf Eine deutliche Effizienzsteigerung der SoftwareEntwicklung erreicht man durch einen hohen Grad der Wiederverwendung von Software-Komponenten, wodurch die Entwicklungs- und vor allem die Testaufwände reduziert werden. Als SoftwareKomponenten werden einzelne Module bezeichnet, die unabhängig von der Umgebung wie Hardware und Betriebssystem eingesetzt und über vordefinierte Schnittstellen mit anderen Komponenten gekoppelt

werden können, wodurch sich – baukastenähnlich – die Gesamtfunktion ergibt. Ein typisches Wiederverwendungsszenario findet sich bei einem Zulieferer, der eine bestimmte SoftwareKomponente mehrfach für verschiedene Steuergeräte und Kunden verwenden will. Verfügen Software-Komponenten über standardisierte Schnittstellenbeschreibungen, wie dies in der AUTOSAR-Initiative [15] angestrebt wird, sind weitergehende Wiederverwendungsszenarien denkbar. Automobilhersteller können zum Beispiel höherwertige Funktionen selbst entwickeln und als

656 Software-Komponente einem oder – im Rahmen verschiedener Baureihen – auch mehreren Zulieferern zur Integration in ein Steuergerät übergeben. Auch die Austauschbarkeit von Software-Komponenten wird dadurch erleichtert. Begleitet werden solche Bemühungen von Standardisierungsaktivitäten für nichtwettbewerbsdifferenzierende Basisfunktionen wie Betriebssysteme und I/O- oder Kommunikationstreiber [6], [14]. Weiterhin bilden komponentenbasierende Ansätze die Grundlage für die durchgängige Erfassung und Planung des Gesamtsystems. Damit kann ein explizites softwaretechnisches Design des zu entwickelnden Systems etabliert werden. Dies umfasst zum einen die bereits erwähnte Verschaltung der Software-Komponenten zur funktionalen Architektur des Systems. Diese kann für eine virtuelle Systemintegration einschließlich einer frühen ersten Überprüfung der funktionalen Eigenschaften des Gesamtsystems verwendet werden. Durch die Festlegung der Software-Schnittstellen wird außerdem die spätere Integration von separat entwickelten Systembestandteilen wie Software-Komponenten, Treibern oder auch ganzen Steuergeräten erleichtert. Zum anderen umfasst das System-Design die Beschreibung der verwendeten Hardware-Architektur, also der Steuergeräte, Sensoren, Aktoren, Busse und Netzwerk-Topologie, auf welche die funktionale Architektur abgebildet wird. Die Verbindung zwischen hardwareunabhängigen Software-Komponenten und spezifischer Hardware wird durch die Generierung von Verbindungscode (Middleware, Runtime Environment) hergestellt. Spezifiziert man in einem solchen SystemDesign zusätzlich das Verhalten der einzelnen Software-Komponenten – wie in Abschnitt 17.1.3 beschrieben – mit Hilfe von Modellen, zum Beispiel in MATLAB, Simulink und Stateflow, können die modellbasierte Funktionsentwicklung mit klassischen Methoden des Software-Architekturentwurfs verbunden und die Vorteile aus beiden Welten optimal genutzt werden. Beispiele für Architekturbeschreibungen sind in der Literatur zu finden ([15], [16], [17], [18], [19]). Literatur zu Abschnitt 17.1 [1] Dröschel, W. (Hrsg.): Das V-Modell 97. Oldenbourg Verlag, München, 1999. [2] Fennel, H.; Judaschke, U.; Weis, O.: Automotive Open System Architecture. Elektronik Automotive, Ausgabe 3/2004, WEKA Fachzeitschriften-Verlag, Poing. [3] ISO/IEC TR 15504:1998, Information technology – Software Process Assessment. ISO/IEC, Switzerland, 1998. [4] Paulk, M.; Curtis, B.; Chrissis, M.; Weber, C.: Capability Maturity Model for Software (Version 1.1). SEI Technical Report, CMU/SEI-93-TR-024, ESC-TR-93-177, 1993. [5] Paulk, M.; Weber, C.; Garcia, S.; Beth, M.; Bush, C. M.: Key Practices of the Capability Maturity Model SM, Version 1.1. SEI Technical Report, CMU/SEI-93-TR-025, ESC-TR-93-178, 1993.

17 Software-Entwicklung [6] Herstellerinitiative Software (HIS), www.automotive-his.de. [7] Hehn, U.: Softwaretest und -prüfung im Zeichen von SPICE. Automotive Electronics and Systems, Ausgabe 6/2003, Carl Hanser Verlag, München. [8] Thomsen, T.: Integration of International Standards for Production Generation. SAE Technical Paper Series 200301-0855, SAE World Congress 2003. [9] ISO/IEC 12207:1995, Information technology – Software Life Cycle Processes. ISO/IEC, Switzerland, 1998. [10] IEC 61508 Functional Safety of Electrical/Electronic/Programmable Electronic Safety Related Systems. IEC, 1998. [11] RTCA/DO-178B Software Considerations in Airborne Systems and Equipment Certification. RTCA Inc., 1992. [12] Beine, M.; Otterbach, R.; Jungmann, M.: Development of Safety-Critical Software Using Automatic Code Generation. SAE Technical Paper Series 2004-01-0708, SAE World Congress 2004. [13] Conrad, M.; Dörr, H.: Einsatz von modell-basierten Entwicklungstechniken in sicherheitsrelevanten Anwendungen: Herausforderungen und Lösungsansätze. DagstuhlWorkshop, Modellbasierte Entwicklung eingebetteter Systeme II, Informatik Bericht TU Braunschweig 2006-01, 2006 [14] OSEK/VDX, www.osek-vdx.org. [15] AUTOSAR, www.autosar.org. [16] ITEA Projekt EAST-EEA, www.east-eea.net. [17] EU Projekt EASIS, www.easis.org. [18] Eppinger, K.; Berentroth, L.: Plattform versus Flexibilität: Die Siemens VDO EMS 2 Plattform Architektur. VDI Berichte Nr. 1789, 2003. [19] Kraft, D.; Lapp, A.; Schirmer, J.: Elektrik/ElektronikArchitektur – Die Herausforderung für die Automobilindustrie. VDI Berichte Nr. 1789, 2003.

17.2 Rapid Control Prototyping 17.2.1 Überblick Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über den Stand der Technik des Rapid Control Prototyping (RCP) und stellt aktuelle Weiterentwicklungen dieser Technologie vor. Mit Rapid Control Prototyping können neue Konzepte und Ideen für regelungs- und steuerungstechnische Funktionen in frühen Phasen der Entwicklung an der realen Regelstrecke effizient getestet und verifiziert werden. Die Methode ist weithin anerkannt und trägt entscheidend zur Beschleunigung des modellbasierten Software-Entwicklungsprozesses (Abschnitt 17.1.3) für Fahrzeugsteuergeräte bei ([1], [2], [8]). Ausgangspunkt für Rapid Control Prototyping sind grafische Repräsentationen (Modelle) der zu entwickelnden Funktionen, die häufig schon zuvor in einer Software-Simulation getestet wurden. Um diese Modelle in der realen Umgebung testen zu können, muss eine Anwendung mit geeigneten I/O-Schnittstellen aus dem Modell generiert, auf einer Echtzeit-Hardware zur Ausführung gebracht und mit dem zu steuernden oder zu regelnden System verbunden werden. In frühen Entwicklungsphasen stehen für den Regelungstechniker typischerweise noch nicht die Einzel-

17.2 Rapid Control Prototyping heiten der späteren Software-Implementierung auf dem Seriensteuergerät im Vordergrund, auch wenn hier schon Modellierungsrichtlinien eingehalten werden sollten, um die spätere Generierung von effizientem Seriencode zu ermöglichen (Abschnitt 17.3). Durch die Verwendung von RCP-Systemen im Entwurfsprozess sind geringe Iterationszeiten garantiert. Am Ende der RCP-Phase steht dann eine sogenannte „ausführbare Spezifikation“ in Form des grafisch modellierten Reglers zur Verfügung, die als Referenz für weitere Simulationen dient und in der nachfolgenden Implementierungsphase die Basis für die automatische Seriencode-Generierung bildet. Typische RCP-Systeme sollten in Bezug auf Rechenleistung, Speicherkapazität sowie Leistungsfähigkeit der I/O und Instrumentierungsmöglichkeiten zum Messen und Applizieren keinen wesentlichen Einschränkungen unterliegen. Hier haben sich PowerPCbasierte Prozessoren auch unter rauen Umgebungsbedingungen bewährt, die aufgrund ihrer Architektur auch komplexe Algorithmen in Mikrosekunden verarbeiten können. Weiterhin bieten sie genügend Reserven zum Messen von Signalen und zum Verstellen von Parametern, um das Verhalten des Reglers zu analysieren. Neben flexiblen, modularen Systemkonfigurationen, die je nach Anwendung und Aufgabenstellung individuell mit leistungsfähigen Prozessor- und I/OKarten zum Beispiel zur Verarbeitung analoger, digitaler oder auch Bus-Signale ausgestattet werden können, stehen auch kompakte, fest vorkonfigurierte Systeme zur Verfügung. Letztere werden häufig direkt im Fahrzeug unter rauen Umgebungsbedingungen an Stelle des Seriensteuergeräts eingesetzt und müssen über entsprechende elektrische und mechanische Eigenschaften verfügen. Die dazugehörige Software-Werkzeugkette kann wie folgt charakterisiert werden:

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standardisierte grafische Beschreibungssprache zur Implementierung der Regelalgorithmen,

automatische Code-Generierung für den in grafischer Form (Block- und Zustandsdiagramme) modellierten Regler inklusive Taskhandling, Echtzeitbetriebssystem und I/O, möglichst umfangreiche Unterstützung von Standard-I/O, zum Beispiel Analog-, Digital- und BusSignale, sowie anwendungsspezifischer I/O, zum Beispiel für Motoranwendungen, einfach integrierbare und parametrierbare I/OSchnittstellen zum Modell, intuitiv bedienbare und leistungsfähige Experimentierumgebung zum Visualisieren, Messen von Signalen und Verstellen von Parametern zur Laufzeit. Generell wird beim RCP zwischen zwei Ansätzen unterschieden: Fullpass und Bypassing. Beim Fullpass sind alle Aktoren und Sensoren direkt mit dem RCP-System verbunden. Dieses ersetzt das Steuergerät komplett und hat die vollständige Kontrolle über die Regelstrecke (Abschnitt 17.2.2). Bypassing stellt einen effizienten Ansatz zur Entwicklung neuer Steuergeräte-Funktionen sowie zur Optimierung bereits existierender Reglerfunktionen dar. Beim Bypassing werden Teilfunktionen aus dem Steuergerät auf das RCP-System ausgelagert, das seinerseits über eine Echtzeitschnittstelle mit dem Steuergerät synchronisiert wird und Daten austauscht (Abschnitt 17.2.3). Das RCP beschränkt sich dabei aber nicht nur auf die Entwicklung einzelner Reglerfunktionen in isolierten Steuergeräten, sondern wird sich auch immer auf vernetzte Funktionen erstrecken, die in einem Steuergeräte-Verbund realisiert werden sollen (Abschnitt 17.2.5). Bild 17-5 gibt einen Überblick über die verschiedenen Systemkategorien und zeigt deren Verwendung beim Fullpass und Bypassing.

Bild 17-5: Überblick über die verschiedenen Systemkategorien und deren Verwendung beim Fullpass und Bypassing

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17 Software-Entwicklung

Bild 17-6: Flexible Signalkonditionierung und Leistungsendstufen für RCP-Systeme

17.2.2 Fullpass Die Signale der meisten Sensoren und Wandler müssen aufbereitet werden, bevor ein RCP-System diese präzise erfassen und verarbeiten kann. Die dazu notwendige Signalkonditionierung beinhaltet z.B. Funktionen wie Schutzbeschaltung, Verstärkung, Abschwächung, Filterung und galvanische Trennung. Aktoren wie elektrische Motoren, Ventile, Relais oder ohmsche Lasten benötigen dagegen Leistungsendstufen wie Vollbrücken und High- oder LowSide-Treiber mit umfangreichen Schutz- und Fehlererkennungsmechanismen für beispielsweise Übertemperatur, Kurzschluss, Unterspannung und Überstrom. Aufgrund der großen Vielfalt der in der Fahrzeugtechnik verwendeten Sensoren und Aktoren muss die notwendige Signalanpassung ein hohes Maß an Flexibilität bereitstellen. Wesentliche Vorteile bietet hier ein modularer Ansatz, der es erlaubt, eine auf die jeweilige Aufgabenstellung zugeschnittene Lösung zu realisieren. Zusätzlich kann die Anpassungsfähigkeit durch Hardware- und Software-Konfigurierbarkeit der Module weiter erhöht werden. Mit Verfügbarkeit und Wiederverwendbarkeit derartiger kommerzieller Produkte können so projektspezifische Entwicklungen und Implementierungen vermieden und damit Zeit und Kosten gespart werden. Ein solches flexibles Konzept, bestehend aus Signalkonditionierung und Leistungsendstufen sowie RCP-Systemen, ist in Bild 17-6 dargestellt. Mit zunehmender Anzahl der verwendeten Sensoren und Aktoren und steigender Funktionalität muss die

Elektronik einerseits größere Datenmengen verarbeiten, andererseits wird die Erfassung und Generierung der I/O-Signale, wie beispielsweise in Motoranwendungen, immer komplexer. In solchen Fällen werden häufig Master-Slave-Konzepte verwendet, in denen zusätzlich zum Hauptprozessor (Master) ein für solche Anwendungen geeigneter Mikrocontroller als reiner I/O-Controller (Slave) eingesetzt wird. Dieser erfasst und generiert komplexe I/O-Signale, zum Beispiel von Kurbelwellen- und Nockenwellensensor für Zündung und Einspritzung, unabhängig vom Hauptprozessor und von der zeitdiskreten Abarbeitung des Regelalgorithmus. Der I/O-Controller kann dabei entweder in das RCPSystem selbst integriert sein, oder aber auch als zusätzliche externe Einheit an das RCP-System angekoppelt werden. In beiden Fällen erfolgt der Datenaustausch zwischen Master und Slave über eine schnelle Kopplung wie zum Beispiel ein Dual-Port-Memory. Bei räumlicher Trennung ist zusätzlich eine Kommunikationsschnittstelle zwischengeschaltet. Diese sollte nicht nur unempfindlich gegen Störungen sein, sondern auch über eine hohe Bandbreite und geringe Latenzen verfügen. Die klare Trennung zwischen I/O und Modellberechnung führt zu einer Entlastung des Hauptprozessors und erhöht damit die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems. In der modellbasierten Entwicklungsumgebung erfolgt die Unterstützung der Slave-I/O genau wie die restliche I/O in der Regel durch Bereitstellung von grafischen I/O-Blöcken. Diese sollten sowohl um-

17.2 Rapid Control Prototyping fangreiche Basis-I/O, zum Beispiel A/D-, D/A-, PWM- oder Bit-I/O, als auch komplexe anwendungsspezifische I/O-Funktionalitäten unterstützen, die sonst nur durch sehr aufwendige Handprogrammierung realisiert werden könnten. In Motoranwendungen ist dies beispielsweise die Erfassung und Generierung von winkelbasierten Signalen. In Fällen, in denen Hardware-Kosten eine übergeordnete Rolle spielen, oder wenn der Fokus bereits während der Prototyping-Phase auf der späteren Serienimplementierung liegt, wird oft auf Serien-Hardwareund -Software-Komponenten zurückgegriffen. Zentrales Element dieser Systeme ist ein kostengünstiger eingebetteter Mikrocontroller, wie er auch in SerienSteuergeräten eingesetzt wird. Dieser enthält neben Mikroprozessor und Speicher auch die notwendige I/O-Funktionalität auf einem Chip, bietet aber nicht die Rechenleistung und Speicherkapazität der im Vorangegangenen diskutierten RCP-Systeme. Des Weiteren sind Umfang und Leistungsfähigkeit der I/O durch den verwendeten Mikrocontroller begrenzt. Allerdings verfügen derartige Systeme gegenüber Seriensteuergeräten in der Regel über mehr externen Speicher und oft auch über eine leistungsfähigere Schnittstelle zum Messen und Applizieren (Abschnitt 17.6). Außerdem sind Signalkonditionierung und Leistungsendstufen oft wie bei Seriensteuergeräten integriert. Um die Hardware einfach und schnell optimal an die jeweilige Anwendung und Aufgabenstellung anpassen zu können, ist auch hier ein modularer und konfigurierbarer Aufbau wünschenswert. So können individuelle kompakte Systeme kosteneffizient aufgebaut werden. Aufgrund der geringeren Rechenleistung und des gegebenenfalls geringeren Speichers des Mikrocontrollers sollte der zu implementierende Code in Bezug auf Laufzeit und Speicherbedarf optimiert sein. Heutige Produktions-CodeGeneratoren erfüllen diese Anforderungen. Weiterhin bieten diese den Vorteil, sowohl das beim Prototyping eingesetzte Modell als auch den Code-Generator selbst für die spätere Serienimplementierung direkt weiterzuverwenden, was wiederum Kosten und Zeit spart und die Durchgängigkeit verbessert.

17.2.3 Bypassing Im Gegensatz zu Fullpass-Anwendungen, bei denen das RCP-System das Steuergerät vollständig ersetzt, werden beim Bypassing nur einzelne Teilfunktionalitäten, die modifiziert oder neu hinzugefügt werden sollen, auf das RCP-System ausgelagert. Alle anderen Funktionen werden unverändert auf dem Steuergerät ausgeführt. Dabei bleiben die ursprüngliche I/O, das Betriebssystem, die Diagnose und das NetzwerkManagement erhalten. Das verwendete Steuergerät kann zum Beispiel der Vorgänger eines neu zu entwickelnden Steuergeräts sein. Damit kann auf bewährte

659 Serien-Hardware und bereits verifizierte Funktionsmodule zurückgegriffen werden, die nicht erst aufwendig auf dem RCP-System reproduziert werden müssen. Der Funktionsentwickler kann sich somit voll auf seine eigentliche Aufgabe – die Entwicklung neuer Funktionen – konzentrieren. Während der Entwicklung und Verifikation einer Funktion werden häufig zusätzliche Prozessinformationen benötigt. Deshalb sollten in der Experimentierumgebung sowohl Mess- und Verstellvariablen der Bypassing-Funktion des RCP-Systems als auch steuergeräteinterne Variablen zeitsynchronisiert dargestellt werden können. Für das Bypassing werden zur Instrumentierung daher häufig Applikationssysteme eingesetzt (Abschnitt 17.6). Typische Bypassing-Schnittstellen sind in Bild 17-7 dargestellt. Im Wesentlichen unterscheiden sich diese durch Datentransferrate und Latenzen, Wiederverwendbarkeit und Standardisierungsgrad sowie dem Anpassungsaufwand der Software und der Hardware. Im Folgenden wird auf die hardware- und softwaretechnische Realisierung dieser Schnittstellen näher eingegangen. 17.2.3.1 Hardwaretechnische Realisierung Im Wesentlichen kommen für den Datenaustausch zwischen RCP-System und Steuergerät folgende typische Hardware-Schnittstellen zum Einsatz, die zum Teil auch für die Steuergeräte-Applikation (Abschnitt 17.6) verwendet werden: Mikrocontroller-Bus basierte Schnittstelle In Anwendungen, in denen leistungsfähige Steuergeräte mit beispielsweise 32-Bit-Mikrocontrollern und hohen Taktfrequenzen zum Einsatz kommen, spielen Latenzzeiten und Datendurchsatz eine bedeutende Rolle. Hier werden unter anderem auf Dual-PortMemory (DPMEM) basierende Lösungen verwendet, die diese Anforderungen optimal erfüllen. Da das DPMEM direkt mit dem Mikrocontroller-Bus (Adress-, Daten- und Steuerbus) verbunden wird, bedeutet dies immer einen spezifischen Eingriff in die Steuergeräte-Hardware. Das DPMEM selbst ist üblicherweise Bestandteil eines sogenannten Plug-onDevice (POD), das sowohl die notwendigen Pegelanpassungen als auch eine leistungsfähige Kommunikationsschnittstelle zum RCP-System beinhaltet. Das Plug-on-Device muss für die am Steuergerät gegebenen Umgebungsbedingungen ausgelegt sein und wird häufig sogar direkt im Steuergeräte-Gehäuse integriert. Mit solchen auf einem Mikrocontroller-Bus basierenden Schnittstellen können zum Beispiel Übertragungszeiten unter 20 µs für die Übertragung von 20 Byte Daten zwischen Steuergerät und RCPSystem erreicht werden.

660

17 Software-Entwicklung

Bild 17-7: Typische Bypassing-Schnittstellen; die Abkürzungen werden im Text erklärt (Abschnitte 17.2.3.2 und 17.2.3.2)

On-Chip-Debug-Schnittstellen Mikrocontroller in künftigen Steuergeräten mit Taktfrequenzen über 100 MHz und zunehmender I/OFunktionalität führen dazu, dass der externe Adress-, Daten- und Steuerbus des Mikrocontrollers nicht mehr oder nicht mehr exklusiv für den Anschluss von DPMEM-basierten Bypass-Schnittstellen zur Verfügung steht. On-Chip-Debug-Schnittstellen wie Nexus [3], NBD/AUD oder OCDS/JTAG gewinnen in diesem Zusammenhang mehr und mehr an Bedeutung, insbesondere für anspruchsvolle Bypass-Aufgaben, bei denen auf dem Steuergerät vorhandene Busschnittstellen wie CAN keine ausreichende Bandbreite bieten. Busschnittstellen Eine weitere Möglichkeit besteht darin, bereits auf dem Mikrocontroller und auf dem RCP-System vorhandene Busschnittstellen wie CAN für das Bypassing zu benutzen. Ein Eingriff in die SteuergeräteHardware oder zusätzliche Hardware ist somit nicht erforderlich. Dies führt zu Kosten- und Aufwandsersparnis. Allerdings ist bei dieser Methode die Datentransferrate deutlich geringer als bei den vorangegangenen Lösungen.

17.2.3.2 Softwaretechnische Realisierung Unabhängig von der eigentlichen Bypassing-Hardware-Schnittstelle ist eine Modifikation des Steuergeräte-Codes notwendig, um eine Funktion auf das RCP-System auszulagern. Hierzu werden so genannte Freischnitte (spezifische Code Patches) an entsprechenden Stellen in den bestehenden SteuergeräteCode eingebracht. Aufgabe dieser Code Patches ist es, dem RCP-System benötigte Eingangsgrößen verfügbar zu machen und die Ausgangsgrößen des RCP-Systems wieder in den Programmablauf des Steuergeräts einzubringen. Das Einfügen des Freischnitts erfordert in der Regel genaue Kenntnis über die Strukturen der Steuergeräte-Software, so dass diese Aufgabe üblicherweise vom Steuergeräte-Zulieferer übernommen wird. Der eingeführte Freischnitt sollte für den Anwender transparent sein und möglichst geringe Auswirkungen auf das Laufzeitverhalten des Steuergeräte-Codes haben. In Bild 17-8 ist als Beispiel ein DPMEM-basiertes Bypassing-Szenario abgebildet. Das Steuergerät liest die Sensorsignale der Regelstrecke ein und berechnet gegebenenfalls erste steuergeräteinterne Funktionen. Die für die neu zu entwickelnde Funktion benötigten Eingangsgrößen werden in das DPMEM übertragen (Code Patch #1).

17.2 Rapid Control Prototyping

661

Bild 17-8: DPMEM-basiertes Bypassing-Szenario

Nach vollständiger Übertragung erzeugt das Steuergerät einen Interrupt am RCP-System, das daraufhin die Werte aus dem DPMEM einliest. Anschließend wird auf dem RCP-System die neue Funktion berechnet. Die Ergebnisse werden zurück in das DPMEM übertragen, vom Steuergerät ausgelesen (Code Patch #2) und weiterverarbeitet. Ist eine möglichst kleine Latenzzeit bei der Datenübertragung ausschlaggebend, sollten die nötigen Freischnitte fest und statisch in den SteuergeräteCode eingebracht werden. Der Nachteil eines solchen festcodierten Freischnitts liegt jedoch darin, dass dieser modifiziert werden muss, wenn im Laufe der Funktionsentwicklung erkannt wird, dass zum Beispiel ein Eingangssignal fehlt oder ein weiteres Ausgangssignal zum Steuergerät übertragen werden muss. Da dafür der Steuergeräte-Code angepasst werden muss, was häufig nur mit Unterstützung des Steuergeräte-Zulieferers möglich ist, sind automatisch mehrere Personen in die Realisierung einer solchen Modifikation eingebunden. Dieses führt in der Regel zu einem erneuten Abstimmungsaufwand, zusätzlichen Verzögerungen und letztlich zu Kosten. Will man diese Nachteile umgehen oder als Fahrzeughersteller nahezu unabhängig vom SteuergeräteZulieferer arbeiten können, muss die Bypass-Schnittstelle zuverlässig konfigurierbar sein. Das heißt, Eingangs- und Ausgangssignale des BypassingModells müssen flexibel über das RCP-System ausgewählt werden können. Um dies zu erreichen, ist es möglich, einmalig sogenannte Services anstelle der festcodierten Code Patches im Steuergerät zu implementieren. Diese können dann mit dem RCP-System flexibel aktiviert, deakti-

viert oder parametriert werden, ohne den Steuergeräte-Code neu übersetzen zu müssen. Ist ein Service deaktiviert, so darf er nahezu keinen Einfluss auf das Laufzeitverhalten des Steuergeräte-Codes haben. Aufgrund der geringen Auswirkungen und aus Gründen der Aufwandsminimierung verbleiben derartige Bypassing-Services sogar häufig im späteren Seriencode. Steigender Kostendruck auf die Steuergeräte-Entwicklung hat in letzter Zeit verstärkt dazu geführt, dass die Fahrzeughersteller generische, wiederverwendbare Lösungen basierend auf standardisierten Schnittstellen und Protokollen den kundenspezifischen Bypass-Lösungen vorziehen. Die XCP-Aktivitäten (Universal Measurement and Calibration Protocol, XCP) des ASAM e.V. [5] sind ein wichtiger Schritt in Richtung eines allgemein anerkannten Protokolls für die Steuergeräte-Applikation und Funktionsentwicklung. Dieses Protokoll ist unabhängig vom physikalischen Übertragungsmedium und kann an zahlreiche Schnittstellen wie CAN, FlexRay, Ethernet und USB angepasst werden. 17.2.3.3 Steuergeräteinternes Bypassing Beim steuergeräteinternen Bypassing wird im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen externen BypassingLösungen die Bypassing-Funktion nicht mehr auf einem RCP-System, sondern direkt auf dem Steuergerät implementiert und ausgeführt. Zunächst ist die vorliegende Funktion per Handcodierung oder unter Anwendung eines Seriencode-Generators in C-Code zu realisieren, mit Hilfe der Steuergeräte-Entwicklungsumgebung zu übersetzen (Compiler und Linker)

662 und in einem ungenutzten Speicherbereich des bestehenden Steuergeräts einzufügen. Indem die BypassServices im ursprünglichen Steuergeräte-Code die Eingangs- und Ausgangssignale der Funktion sowie die internen Sprungbefehle zu der neuen Funktion bereitstellen, kann diese im sogenannten steuergeräteinternen Bypass ohne Verwendung zusätzlicher Hardware ausgeführt werden. Bei einer solchen Implementierung auf einem Seriensteuergerät spielt Code-Effizienz eine wichtige Rolle, da anders als bei RCP-Systemen Speicher und Rechenleistung begrenzt sind. Der wesentliche Vorteil beim internen Bypassing ist die Target-Nähe und die Kostenersparnis, da die Steuergeräte-Hardware unverändert übernommen werden kann und keine RCPspezifische Software und Hardware erforderlich ist.

17.2.4 Mischformen von Fullpass und Bypassing Reicht für die zu entwickelnde Funktion die I/OFunktionalität des Steuergeräts nicht aus, besteht beim Bypassing mit einem RCP-System weiterhin die Möglichkeit, weitere Sensoren und Aktoren wie im Fullpass additiv anzuschließen (Bild 17-6). Diese Mischform kommt oft zum Tragen, wenn die zu entwickelnde Funktion bislang nicht benötigte Messwerte verlangt, zum Beispiel weitere Temperaturen oder aber wenn bisher nicht vorgesehene Aktoren angesteuert werden sollen. Da die I/O des Steuergeräts in der Regel nicht oder nur mit sehr großem Aufwand modifiziert werden kann, liegt der gleiche Fall vor, wenn bisher eingesetzte Sensoren und Aktoren gegen leistungsfähigere oder aber kostengünstigere Varianten mit modifizierten Schnittstellen ersetzt werden sollen.

17.2.5 RCP in verteilten Systemen Heutige Regelfunktionen sind nicht nur auf einzelne isolierte Steuergeräte beschränkt, sondern erstrecken sich auch auf vernetzte Funktionen, die in einem Steuergeräte-Verbund realisiert werden. Die Regelfunktionen sind dabei häufig von Zustandsgrößen wie Statusinformationen oder auch Sensorgrößen anderer Steuergeräte abhängig. Hierbei werden für die Kommunikation je nach Anforderung unterschiedliche Fahrzeugbussysteme eingesetzt. Dabei hat sich der CAN als weltweiter Standard durchgesetzt, da die Eigenschaften dieses Bussystems die Anforderungen von Regel- und Steuersystemen im Bereich Antriebsstrang und Karosserieelektronik besonders gut erfüllen. In kostensensitiven Anwendungen hat sich der LIN als geeignete Lösung erwiesen. In verteilten, geschlossenen Fahrzeugregelsystemen für sicherheitskritische Anwendungen kommen dagegen zeitgesteuerte Bussysteme, insbe-

17 Software-Entwicklung sondere der FlexRay [6] zum Einsatz. Im Gegensatz zu ereignisgesteuerten Systemen, in denen die Aktivitäten durch zeitlich nicht vorhersehbare Ereignisse ausgelöst werden, müssen in zeitgesteuerten Systemen die Aktivitäten vorab zu bestimmten Zeitpunkten definiert (geplant) werden. Zur Entwicklung solcher vernetzter Funktionen, die in einem Steuergeräte-Verbund realisiert werden, muss das RCP-System sowohl die entsprechenden Bussysteme als auch die dazu notwendigen Protokolle und gegebenenfalls das Entwurfsverfahren unterstützen. Literatur zu Abschnitt 17.2 [1] Hanselmann, H.: Development Speed-Up for Electronic Control Systems, Convergence International Congress on Transportation Electronics, Dearborn, 1998. [2] Hanselmann, H.; Schütte, F.: Control System Prototyping and Testing with Modern Tools, PCIM, Nürnberg, 2001. [3] The Nexus 5001TM Forum, www.nexus5001.org. [4] Rolfsmeier, A.; Richert, J.; Leinfellner, R.: A New Calibration System for ECU Development, SAE World Congress, Detroit, 2003. [5] ASAM e.V., www.asam.net. [6] FlexRay Konsortium, www.flexray.com. [7] Otterbach, R., et al.: Rapid Control Prototyping – neue Möglichkeiten und Werkzeuge, VDI-Berichte 1828, 2004. [8] Otterbach, R.; Schütte, F.: Effiziente Funktions- und Software-Entwicklung für mechatronische Systeme im Automobil. 2. Paderborner Workshop „Intelligente mechatronische Systeme“, 2004.

17.3 Automatische SeriencodeGenerierung 17.3.1 Motivation und Nutzen Die Software-Entwicklung für Steuergeräte wird in zunehmendem Maße mit modellbasierten Entwicklungswerkzeugen durchgeführt. Steht die Spezifikation unter Zuhilfenahme dieser Werkzeuge fest, beginnt die Arbeit der Codierung. Die grafisch beschriebenen Funktionen müssen nun in C-Code umgewandelt und auf dem Steuergerät implementiert werden. Für diese Aufgabe werden vermehrt automatische Code-Generatoren eingesetzt. Entgegen den ersten Generationen von Code-Generatoren sind die Methoden der Code-Erzeugung heute so ausgereift, dass sie in der Lage sind, die Brücke vom modellbasierten Funktionsentwurf hin zur Seriensoftware-Entwicklung zu schlagen. Gute CodeGeneratoren reduzieren dabei nicht nur die Entwicklungszeit, sondern sie bringen auch eine erhöhte Software-Qualität hervor und verhindern menschliche Programmierfehler.

17.3 Automatische Seriencode-Generierung Zur Zeit werden automatische Code-Generatoren primär für neue funktionale Software-Bestandteile, also für die Steuerungs- und Regelungsfunktionen, in elektronischen Steuergeräten eingesetzt. Die hardwarenahe Software und die Software-Infrastruktur werden manuell erstellt. Da der Funktionscode in Steuergeräten einen Großteil der Software einnimmt, hat die Verwendung automatischer Code-Generatoren in der Automobilelektronik sehr an Bedeutung gewonnen. Sie ermöglichen sowohl eine Erhöhung der Code-Effizienz und -Qualität in Steuergeräten als auch eine Verbesserung der Sicherheit elektronischer Steuergeräte.

17.3.2 Anforderungen und Werkzeugeigenschaften Der modellbasierte Funktionsentwurf und damit verbunden die automatische Code-Generierung ist im Rapid-Control-Prototyping (Abschnitt 17.2) schon seit einigen Jahren eine etablierte Technologie. Die Tatsache, dass die Seriencode-Generierung erst jetzt an der Schwelle zum breiten produktiven Einsatz steht, hat mit den besonderen Eigenschaften zu tun, die von einem Seriencode-Generator gefordert werden. Insbesondere sind sowohl die Anforderungen an den generierten Code selbst als auch die an die Einbindung in den Seriensoftware-Entwicklungsprozess zu nennen. Darüber hinaus müssen der Code-Generator sowie der Werkzeughersteller für den Einsatz in Serienprojekten Anforderungen hinsichtlich Qualität, Support und Wartung erfüllen. Code-Effizienz Seriencode-Generatoren müssen automatisch Code mit äußerst hoher Effizienz erzeugen. Mangelnde Effizienz war der Hauptgrund, warum Code-Generatoren zwar im Bereich des Rapid Control Prototypings, jedoch nicht für die Seriencode-Generierung eingesetzt wurden. Um einen Mangel an Effizienz auszugleichen, kam und kommt der Einsatz von schnelleren, mit mehr Speicher bestückten Prozessoren aus Kostengründen nicht in Frage. Lange Zeit mochten manche Software-Spezialisten nicht glauben, dass Seriencode-Generatoren einmal so gut wie menschliche Programmierer sein oder diese sogar übertreffen würden. Schlechte Erfahrungen mit früheren Code-Generatoren haben diese Skepsis gefördert. Heute können Seriencode-Generatoren sehr wohl die Effizienz von handprogrammiertem Code für die funktionalen Bestandteile von Steuergeräten erreichen. Denn während der Seriencode-Generator zu jeder Zeit den Code optimiert, haben menschliche Programmierer oft nicht die Zeit, um nach wiederholten

663 Modelländerungen immer wieder den Code zu optimieren. Es gibt Code-Generatoren, die für verschiedene Compiler-Mikrocontroller-Kombinationen jeweils automatisch das optimale Codierungsmuster auswählen können. Das kann geschehen, ohne vom ANSI-CStandard abzuweichen oder, falls erlaubt, abweichend vom Standard. Dabei können zur Verfügung stehende Compiler-Erweiterungen genutzt oder auch vereinzelte und gut begründete Einfügungen in AssemblerSprache vorgenommen werden. Dies geschieht jedoch nur, wenn die Effizienz des Codes dadurch erheblich gesteigert werden kann. Durch solche „Target-Optimierungen“ werden besonders für kleinere Mikrocontroller mit beschränkten Ressourcen sowie für Prozessoren mit spezieller Hardware, zum Beispiel integrierten Leistungsmerkmalen für digitale Signalverarbeitung, hervorragende Optimierungsergebnisse erzielt. Vergleichstests haben gezeigt, dass sich die Effizienz von automatisch generiertem Code hinsichtlich Laufzeit und Speicherbedarf ohne weiteres mit handprogrammiertem Code messen kann. Oft wurden sogar die Ergebnisse der handcodierten Software übertroffen (Tabelle 17-1). Tabelle 17-1: Effizienz von automatisch generiertem TargetLink-Code im Vergleich mit handprogrammiertem Code für Antriebsstrang- und Chassis-Anwendungen [Quelle: Delphi] ROM

RAM

Stack

Geschwindigkeit

0,96–1,1

0,97–1,2

1,2–1,25

0,75–1,2

Festkomma-Unterstützung Auch bei der Festkomma-Implementierung bietet ein guter Seriencode-Generator dem Anwender umfangreiche Unterstützung. Der Übergang von Fließkomma- zu Festkomma-Arithmetik ist auch für den erfahrenen Entwickler ein aufwendiger und fehleranfälliger Schritt. Der Seriencode-Generator versetzt den Anwender insbesondere durch automatische Skalierungsoptionen in die Lage, auch für große Modelle schnell zu einer ersten Skalierung zu kommen. Eine Simulation des generierten Codes gibt dem Anwender die Möglichkeit, direkt Festkomma-Implementierung und Fließkomma-Verhalten des Modells miteinander zu vergleichen. Quantisierungseffekte können so einfach analysiert werden. Überlauferkennung und entsprechende Warnungen während der Simulation und der Code-Generierung bieten zusätzliche Hilfestellungen. Um die notwendige Effizienz zu erreichen, ist ein Code-Generator mit dedizierter Festkomma-CodeGenerierung unabdingbar.

664 Software-Konfiguration und -Integration Automatisch generierter Funktionscode wird in hardwarenahe Software und in die Gesamt-SoftwareInfrastruktur des Steuergeräts integriert. Etablierte Software-Funktionen, zum Beispiel existierende Look-up-Tabellenfunktionen, müssen in den automatisch generierten Code integriert werden. Die Code-Partitionierung muss vom Anwender frei vorgegeben werden können, um Funktionen wiederverwenden und Multitasking durchführen zu können. Das Layout des Codes muss nach bestimmten Projekterfordernissen und vorhandenen Konventionen beeinflussbar sein. Variablen müssen für die Steuergeräte-Applikation in bestimmten Speicherbereichen abgelegt werden. All dies verlangt nach einem Maximum an Flexibilität und umfangreichen Konfigurationsmöglichkeiten bei der Code-Generierung. Geeignete Seriencode-Generatoren erfüllen diese Anforderungen. Die freie Vergabe von Variablenund Funktionsnamen, die Vorgabe der SoftwareStruktur, die vollständige Spezifikation von Funktionsschnittstellen und die Beeinflussung der CodeAusgabeformatierung sind möglich. Die grafische Oberfläche ist auf die Bedürfnisse des Seriensoftware-Entwicklers abgestimmt. Lesbarkeit Schließlich ist auch die Lesbarkeit des generierten Codes von Bedeutung. Die Seriencode-Generierung ist eine relativ junge Technologie, weshalb das Vertrauen in die eingesetzten Code-Generatoren noch wachsen muss. Daher sind heute Code-Inspektionen als endgültige Qualitätskontrolle üblich. Aber auch wenn diese Code-Inspektionen zukünftig mehr und mehr abnehmen und verschwinden werden, bleibt die Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit des erzeugten Codes für dessen Integration, das Debuggen im Fehlerfall und das tägliche Arbeiten mit dem Code wichtig. Zahlreiche erfolgreich abgeschlossene Serienprojekte in den letzten Jahren haben gezeigt, dass diese Anforderungen an den generierten Code von geeigneten Seriencode-Generatoren erfüllt werden [1], [2].

17.3.3 Einbindung in den Entwicklungsprozess Für einen Gewinn bringenden Einsatz ist die automatische Seriencode-Generierung optimal in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Die Unterstützung von Entwicklerteams, ein projektweites Management von Steuergeräte-Variablen, die Anbindung an Versionskontroll- und Konfigurationsmanagementsysteme, die Handhabung von Varianten und die Automatisierbarkeit von Arbeitsschritten sind zentrale Aspekte, um die Seriencode-Generierung in hohem Maße produktiv einsetzen zu können.

17 Software-Entwicklung Datenmanagement und Variantenhandhabung Ein so genanntes Data Dictionary erlaubt ein modellübergreifendes Management von Steuergerätedaten. Durch eine enge Kopplung an den Code-Generator können diese Daten einfach und komfortabel für die Code-Generierung herangezogen werden. Über geeignete Import- und Export-Filter und eine dem Anwender zugängliche Programmierschnittstelle kann der Anschluss an bereits existierende Datenbanklösungen erfolgen. Letztlich ist so die Verwendung bestehender Steuergerätedaten durch den SeriencodeGenerator möglich. Darüber hinaus bietet ein Data Dictionary Unterstützung für den Umgang mit Datensatz-Varianten. Versionskontroll- und Konfigurationsmanagementsysteme Eine Anbindung an Versionskontroll- und Konfigurationsmanagementsysteme ist möglich, wenn beispielsweise alle anfallenden Daten in separaten Dateien im Dateisystem abgelegt werden. Eine weitergehende Unterstützung und hochwertigere Anbindung, welche die einfache Verwaltung von Code-Generierungsprojekten ermöglicht, steht jedoch noch aus. Verifikation und Validierung des erzeugten Codes Ein wesentlicher Vorteil der modellbasierten Entwicklung ist die Möglichkeit der frühen Verifikation durch Simulation. Eine konsequente Ausnutzung der in der verwendeten Entwicklungsumgebung zur Verfügung stehenden Simulationsmöglichkeiten ermöglicht dem Anwender eine schnelle und einfache entwicklungsbegleitende Überprüfung der erzielten Ergebnisse sowie der vorgenommenen Änderungen und Anpassungen. In verschiedenen Modi können das Funktionsmodell, der generierte Code auf dem Entwickler-PC und der generierte Code auf einem Evaluierungsboard simuliert werden. Die Überprüfung kann somit schrittweise erfolgen (Bild 17-9): Die Simulation des Funktionsmodells als ausführbare Spezifikation wird üblicherweise als Modelin-the-Loop-Simulation bezeichnet (Bild 17-9a). Die Model-in-the-Loop-Simulation liefert Referenzergebnisse, die mit den Ergebnissen der Simulation des generierten Codes verglichen werden können. Zur Simulation des generierten Codes auf dem Entwickler-PC, die als Software-in-the-Loop-Simulation bezeichnet wird (Bild 17-9b), wird der generierte Code mit einem Host-Compiler übersetzt. Die Simulation des erzeugten Codes auf einem Evaluierungsboard, das typischerweise den im Steuergerät verwendeten Prozessor enthält, wird als Processor-in-the-Loop-Simulation bezeichnet (Bild 17-9c). Der erzeugte Code wird mit dem im Projekt verwendeten Target-Compiler übersetzt.

17.3 Automatische Seriencode-Generierung

665

Bild 17-9: Simulationen ermöglichen eine schnelle Überprüfung der Arbeitsergebnisse und unterstützen den Steuergeräte-Test: a) Model-in-the-Loop, b) Software-in-the-Loop, c) Processor-in-the-Loop

Ursprünglich bezeichneten die Begriffe „Model-inthe-Loop“, „Software-in-the-Loop“ und „Processorin-the-Loop“ nur den Test im geschlossenen Regelkreis (Loop, siehe Bild 17-9). Mittlerweile wird die Bezeichnungsweise sinngemäß auch für reine Steuerungsanwendungen (ohne geschlossenen Regelkreis, „Open Loop“) verwendet. Geeignete Werkzeuge bieten die Möglichkeit, in allen unterstützten Simulationsmodi Signalverläufe aufzuzeichnen. Diese können gespeichert und direkt miteinander verglichen werden. Sie geben direktes, visuelles Feedback und ermöglichen weitergehende Analysen. Auch die Möglichkeit zur Ermittlung der Code-Überdeckung (Code Coverage) in Software-in-the-Loop- und Processor-in-the-Loop-Simulationen wird heute bereits unterstützt. Die Bereitstellung dieser Möglichkeiten ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur angestrebten Qualitätsverbesserung, Fehlerreduzierung und Zeitersparnis durch den Einsatz von automatischer Code-Generierung in Verbindung mit modellbasierter Entwicklung. Idealerweise erfolgen dann auch systematische Tests in der gleichen Umgebung. Model-in-the-Loop-, Softwarein-the-Loop- und Processor-in-the-Loop-Simulation bilden dabei unter anderem die Grundlage für Backto-Back-Tests (Abschnitt 17.5) und schlagen somit die Brücke zum systematischen Software-Test. Software-Dokumentation und Beschreibungsdatei für die Steuergeräte-Applikation In den Aufgabenbereich des Code-Generators fällt auch die auf die Bedürfnisse des Software-Entwicklers abgestimmte Dokumentation des erzeugten Codes sowie die Generierung von Beschreibungsdateien für die Steuergeräte-Applikation. Damit werden bei Einsatz eines entsprechenden Code-Generators das Modell als ausführbare Spezifikation, der erzeugte Code, die Dokumentation und die Datei mit Beschreibungsdaten zur Steuergeräte-Applikation in

jedem Stadium der Entwicklung automatisch konsistent gehalten. Automatisierung von Arbeitsschritten Die Automatisierung von Arbeitsschritten in einem iterativen Prozess hilft Flüchtigkeitsfehler zu vermeiden und sorgt somit für eine höhere Qualität und Zeitersparnis. Modellierungsumgebung und CodeGenerator bieten eine dokumentierte Programmierschnittstelle. Durch die Erstellung von Skripten durch den Anwender können somit immer wiederkehrende manuelle Arbeitsschritte automatisiert und letztlich auch reproduzierbar gemacht werden. Der Aufbau einer auf die Anwenderbedürfnisse abgestimmten, skriptbasierten Werkzeugkette ist damit möglich.

17.3.4 Unterstützung relevanter Standards Unabdingbar für den Aufbau einer durchgängigen Werkzeugkette, ein reibungsloses Zusammenspiel der eingesetzten Werkzeuge und eine nahtlose Integration in den Entwicklungsprozess sind klar definierte und idealerweise standardisierte Schnittstellen. Standards unterstützen und vereinfachen die Wiederverwendbarkeit von einzelnen Software-Modulen, die Integration der Funktionssoftware in das Steuergerät sowie das Zusammenspiel von verschiedenen im Entwicklungsprozess eingesetzten Werkzeugen und SoftwareAnteilen [3]. ANSI-C Ein für die Seriencode-Generierung relevanter Standard ist naturgemäß die Norm der Ausgabesprache. In der Regel ist dies die Sprache C, die durch die ISO/IEC 9899 international genormt wurde und identisch mit der ANSI X3.159 ist. Die Einhaltung des ANSI-CStandards ermöglicht die projektübergreifende Wiederverwendung sowie die Portierung von SoftwareFunktionen auf andere Prozessorplattformen.

666

17 Software-Entwicklung

Bild 17-10: Portierung einer ESP-Implementierung – Vergleich von handprogrammiertem ANSI-C-Code und automatisch mit TargetLink generiertem ANSI-C-Code für vier verschiedene Mikrocontroller

Da hinsichtlich der Portabilität das Ziel darin bestehen sollte, Modelle zu portieren und nicht den Code selbst, spielen Abweichungen vom ANSI-C-Standard für die automatische Code-Generierung eigentlich keine große Rolle. Solche Abweichungen entsprechen zwar nicht den im Allgemeinen vorzufindenden bisherigen Programmierrichtlinien, jedoch wurden diese zur Unterstützung der menschlichen Programmierer eingeführt. Der Code kann aber zu jeder Zeit passend für einen neuen Mikrocontroller oder eine neue SteuergeräteUmgebung wieder generiert werden („Just-in-TimeGenerierung“). Es kann dann sogar Code für einen Festkomma-Controller erzeugt werden, wenn vorher für einen Fließkomma-Controller entwickelt wurde und umgekehrt. Ein japanischer Automobilelektronikzulieferer hat eine Evaluierung des Seriencode-Generators TargetLink mit Blick auf die Portierung von Reglerfunktionen zwischen verschiedenen Mikrocontrollern durchgeführt (Bild 17-10). Für die mit Simulink und Stateflow beschriebenen Funktionen eines elektronischen Stabilitätsprogramms (ESP) wurde mit TargetLink Code für vier verschiedene Mikrocontroller erzeugt. Selbst ohne zielprozessorspezifische Optimierung konnten hinsichtlich der Effizienz des Codes exzellente bis akzeptable Ergebnisse erreicht werden. Der zeitliche Aufwand reduzierte sich hierbei um 75 % gegenüber einer manuellen Portierung. MISRA C Es gibt eine Reihe von die ANSI-C-Norm ergänzenden Standards und Publikationen, die dem Zweck der Qualitätssicherung dienen. Die von der britischen Motor Industry Software Reliability Association (MISRA) herausgegebenen „Guidelines for the Use

of the C Language in Vehicle-based Software“ [4], allgemein unter dem Schlagwort MISRA C bekannt, haben sich zu einer in der Automobilindustrie viel beachteten Norm für die Verwendung von C-Code in Steuergeräte-Projekten bis zu Safety Integrity Level 3 entwickelt. Diese Richtlinien wurden ebenfalls mit Blick auf den menschlichen Programmierer eingeführt. Nicht alle Regeln sind daher auch für CodeGeneratoren sinnvoll. Vor diesem Hintergrund wird von den Fahrzeugherstellern und Zulieferern eine MISRA-C-Version für Code-Generatoren angestrebt. Viele Seriencode-Generatoren halten einen Großteil der MISRA-Regeln ein. Abweichungen von der Norm sind ausdrücklich erlaubt, solange diese technisch begründet und dokumentiert sind. Mit Bereitstellung eines Dokuments, in dem die Abweichungen zu MISRA dargestellt sind, lassen sich SeriencodeGeneratoren bereits heute MISRA-konform einsetzen. OSEK Die direkte Unterstützung des von der Automobilindustrie initiierten und mittlerweile weltweit akzeptierten Betriebssystemstandards OSEK/VDX [5] durch Code-Generatoren ermöglicht die einfache Integration und Wiederverwendbarkeit von Funktionscode-Modulen. Schon auf Modellebene können entsprechende Einstellungen für eine OSEK/VDX-konforme CodeGenerierung vorgenommen werden. Die Informationen zu verwendeten oder zu verwendenden Betriebssystemobjekten und Einstellungen werden über OILDateien (OSEK Implementation Language) ausgetauscht. Für eine Integration des erzeugten Codes mit dem Betriebssystem sind dann keine manuellen Nacharbeiten und Anpassungen mehr notwendig.

17.4 Hardware-in-the-Loop-Simulation MSR- und AUTOSAR-Software-Beschreibungen Eine geeignete Dokumentation von Modell und erzeugtem Code beinhaltet eine vollständige Beschreibung der Schnittstellen des generierten Codes, der dazugehörigen Dateien und Funktionen, der globalen Variablen, der applizierbaren Parameter und der messbaren Signale. Ein existierender Standard für eine auf die Bedürfnisse des Software-Entwicklers abgestimmte XMLbasierte Beschreibung des erzeugten Codes ist die vom MSR-Konsortium (Manufacturer Supplier Relationship) [6] erarbeitete MSR-Software-DTD (Document Type Definition). Auch im Rahmen von AUTOSAR [7] entsteht eine solche XML-basierte Software-Beschreibung. ASAM-MCD 2MC Eine weitere Pflichtübung eines Code-Generators ist die enge Verknüpfung mit Applikationssystemen. Vom Anwender spezifizierte Variablen oder Parameter sollen in diesen Systemen zur Verfügung stehen. Dieses wird dem Applikationssystem über eine Beschreibungsdatei nach dem ASAM-MCD-2MC-Standard [8] bekannt gegeben. Alle wichtigen Applikationssysteme unterstützen heute diesen Standard und der Code-Generator kann die Datei parallel zum generierten Code erzeugen.

17.3.5 Qualität und Support Die Entwicklung sicherheitsrelevanter Systeme ([10], [11], [12]), Fragen der Produkthaftung sowie die immensen Kosten und der damit verbundene ImageSchaden einer Rückrufaktion rücken den Aspekt der Qualitätssicherung in den Mittelpunkt (Abschnitt 17.1) [9]. Auch die Software-Verifikation, wie in Abschnitt 17.3.3 beschrieben, ist ein wichtiger Ansatzpunkt, um die geforderte Produktqualität sicherstellen zu können. Die Einhaltung von Produktentwicklungszielen und Time-to-Market-Anforderungen verlangen darüber hinaus nach schnellem und kompetentem Support. Ebenso ist eine langfristige Unterstützung und Pflege auch von nicht mehr aktuellen Code-GeneratorVersionen zu gewährleisten, um einen Umstieg in laufenden Serienprojekten zu vermeiden. Für den Anwender ist der Zugriff auf die Beschreibung von aktuell bekannten Werkzeugproblemen hilfreich, um zu verhindern, dass man sich an bereits bekannten Problemen aufhält, für die eine Umgehungsmöglichkeit existiert.

667 Literatur zu Abschnitt 17.3 [1] Weckenmann, H.: DaimlerChrysler setzt bei Motorsteuerungen auf TargetLink, dSPACE NEWS, 2/2003. [2] Diehm, J.; Günther, S., Dr.: Schneller ans Ziel: TargetLink bei Conti Temic, dSPACE NEWS, 2/2003. [3] Thomsen, T.: Integration of International Standards for Production Code Generation. SAE Technical Paper Series 2003-01-0855, SAE World Congress 2003. [4] MISRA Guidelines for the Use of the C Language in Vehicle-Based Systems, April 1998. [5] OSEK/VDX, www.osek-vdx.org. [6] Manufacturer Supplier Relationship (MSR), www.msr-wg.de. [7] AUTOSAR, www.autosar.org. [8] ASAM e.V. Association for Standardization of Automationand Measuring Systems, www.asam.de. [9] Beine, M.; Otterbach, R.; Jungmann, M.: Development of Safety-Critical Software Using Automatic Code Generation. SAE Technical Paper Series 2004-01-0708, SAE World Congress 2004. [10] Alaoui, A.: C Code Reaches New Heights at Nord-Micro, dSPACE NEWS, 1/2002. [11] Tschiskale, E.: Active Control Retractor with TargetLink at TRW, dSPACE NEWS, 1/2003. [12] Dick, W.; Holle, M.: Entwicklung einer Überlagerungslenkung, ATZ 5/2003.

17.4 Hardware-in-the-LoopSimulation 17.4.1 Motivation und Nutzen Mit Hilfe der Hardware-in-the-Loop-Simulation (HIL) wird die Steuergeräte-Funktionalität inklusive der Diagnosefunktionalität getestet. Die HILSimulation hat sich inzwischen als integraler Bestandteil des Steuergeräte-Entwicklungsprozesses der Zulieferer und der Automobilhersteller etabliert. Damit wurde im Elektronik-Entwicklungsprozess ein weiterer Meilenstein zur Erhöhung der Qualität im Fahrzeug durch Eliminierung von Fehlern verankert. Der Test am HIL-Simulator reicht vom frühen Funktionstest einzelner Funktionen bis hin zum Freigabetest des Gesamtsystems. Es gibt hier keinen wesentlichen Unterschied in Bezug auf die Anwendung: Steuergeräte für den Antriebsstrang, für die Fahrdynamik und für den Bereich Innenraum, Komfort, Sicherheit werden durch HIL-Simulation getestet. HIL-Simulation ist heute Bestandteil der Freigabevoraussetzung des Fahrzeugs.

668

17 Software-Entwicklung

Bild 17-11: Signalfluss im realen Fahrzeug (links) und in der HIL-Simulation (rechts)

Die HIL-Simulation ermöglicht den Test von Steuergeräten in einer realistischen Testumgebung während der Steuergeräte-Entwicklung, ohne dass die Umgebung (Fahrzeug, andere Steuergeräte, angeschlossene Aktoren und Sensoren) real vorhanden ist. Statische und dynamische Vorgänge der Umgebung des Steuergeräts werden in Echtzeit simuliert. Testobjekt und Simulationsumgebung bilden einen geschlossenen Kreislauf (Bild 17-11). Die Ausgangssignale des Steuergerätes sowie seine Bussignale werden in Echtzeit vermessen. Nach einer eventuellen Simulation der Aktoren werden die Signale als Eingangsgröße dem Echtzeitsimulationsmodell der Regelstrecke zugeführt. Basierend auf dem Zustand dieses Streckenmodells werden die Sensorsignale erzeugt, die das Steuergerät für seinen Betrieb erwartet. Parallel dazu werden die Bussignale (CAN, LIN, FlexRay, MOST, seriell...) erzeugt, die im wirklichen Fahrzeug von anderen Steuergeräten gesendet werden. Diese Simulation des Kommunikationsnetzwerks nennt man auch Restbussimulation. Folgende Unterschiede bestehen zwischen HIL und anderen Testmethoden: Reine Brettaufbauten und Fahrversuche sind teuer, aufwendig und nicht automatisierbar und können damit auch nicht reproduziert werden. Das Testen von Grenzbereichen im Fahrversuch ist gefährlich. Entgegen dem Testen auf dem Prüfstand erlaubt das Testen mit HIL ein beliebiges Einstellen von Betriebspunkten, zum Beispiel die

Ausnutzung des kompletten Motordrehzahlbereichs. Zumindest für die Reproduzierbarkeit kann mit HIL eine deutlich höhere Präzision erreicht werden. Kosten werden durch Einsparen von Testfahrzeugen reduziert. Letztlich werden Regressionstests durch Automatisierung erst möglich. Des Weiteren erlaubt eine Automatisierung einen Test rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche (24/7-Test).

17.4.2 Rollenverteilung im Test von Steuergeräte-Software Eine Aufgabe der Automobilhersteller ist, das Zusammenspiel von Steuergeräten verschiedener Zulieferer im Gesamtsystem zu überprüfen (SteuergeräteVerbundtest). Zu diesem Zeitpunkt des Tests sollten die Einzelsteuergeräte bereits durch die Zulieferer auf Erfüllung der Spezifikation getestet worden sein (Abschnitt 17.1.2). Bisher haben die Automobilhersteller häufig auch Funktionstests der Steuergeräte übernommen. Um Aufwand und damit Zeit und Kosten zu sparen, muss sichergestellt sein, dass der Hersteller nicht erst zum Zeitpunkt des Verbundtests noch Fehler im Komponentenbereich aufdeckt. Deshalb findet derzeit ein intensiver Austausch bezüglich der zukünftigen Rollenverteilung und deren Verankerung in den jeweiligen Entwicklungsprozessen statt.

17.4 Hardware-in-the-Loop-Simulation

669

Bild 17-12: Schematische Darstellung der Steuergeräte-Schnittstellen auf Signal- und Busebene

Tabelle 17-2: Rollenverteilung im Entwicklungsprozess bei der HIL-Anwendung Wer?

Funktionsentwickler

Steuergeräteverantwortlicher

Systemverantwortlicher

Wo?

Steuergerätehersteller (evtl. auch Automobilhersteller)

Automobilhersteller oder auch Steuergerätehersteller

Automobilhersteller

Phase

Steuergeräte-Funktionstest

Test eines einzelnen Steuergerätes

Test des Steuergeräteverbundes

Ziel

Validierung der Regelstrategie

Software-Integrationstest

Test verteilter Funktionen

Abnahme- und Freigabetest

Test vernetzter Systeme

Regelstrategie

„Zusammenspiel“

Diagnoseverfahren

Gesamtfunktionalität des Steuergerätes

Entwicklungssteuergerät

Gesamter Betriebsbereich

Netzwerkmanagement

Kritische Fahrzustände

Stromaufnahme

Charakteristika der Tests

Busverhalten

Diagnosefunktionen Messungen aus Fahrversuch Restbussimulation

Für den Test auf Komponentenebene beim Zulieferer muss der Fahrzeughersteller unter Umständen eine Restbussimulation der übrigen Steuergeräte zur Verfügung stellen (Bild 17-12). Im Folgenden werden die Rollenverteilung in den verschiedenen Entwicklungsphasen und die sich daraus ergebenden Anforderungen an das HILSystem erläutert [4]. Tabelle 17-2 gibt einen Überblick. Funktionsentwickler beim Zulieferer (oder beim Fahrzeughersteller) Der Funktionsentwickler testet in diesem Schritt einzelne Funktionen und die Regelstrategien. Typischerweise ist die Funktionsabnahme das Ziel dieser Phase. Daraus ergeben sich folgende Anforderungen an das HIL-System: Häufig ist es üblich, dass Zulieferer einen Regelalgorithmus in verschiedenen Steuergeräten wiederverwenden. Das erfordert eine flexible Simulator-Hardware, die leicht an die entsprechenden Steuergeräte-Varianten angepasst werden kann. Eine entsprechende Verwaltung der HIL-SoftwareKomponenten wie Teilmodelle und Testskripte ist notwendig. Außerdem ist eine flexible, interaktive Bedienbarkeit der Simulator-Software ist gewünscht.

Üblicherweise ist nur ein geringer Grad an Automatisierung nötig (Testskripte werden oft erst parallel zur Steuergeräte- und Funktionsentwicklung erstellt). Da die Steuergeräte-Diagnose von Signalwerten abhängig ist, die erst zu einem späteren Zeitpunkt appliziert werden (können), findet in dieser Phase der Funktionstest häufig an einem Steuergerät mit deaktivierter Diagnose statt. Um Aufwand zu sparen, sollten Tests, die erfolgreich während der Funktionsentwicklung durchgeführt wurden, nicht in der Integrationstestphase wiederholt werden müssen. Steuergeräte-Verantwortlicher beim Fahrzeughersteller (oder Zulieferer) Sobald die Funktionen zusammen mit den unteren Software-Schichten (Betriebssystem, I/O-Treiber) auf der Ziel-Hardware integriert sind, muss das Steuergerät makroskopische Tests durchlaufen. Dazu gehören auch Tests auf überlappenden administrativen Ebenen, zum Beispiel der Umgang mit dem Diagnosespeicher. Entweder führt der Hersteller oder der Zulieferer den Freigabetest für das Steuergerät durch. Ziel ist, das komplette Steuergerät einschließlich Diagnosen ohne Fehler freizugeben.

670 In dieser Phase ist automatisiertes Testen unverzichtbar. Ein interaktiver Einsatz ist nur für die Testentwicklung erforderlich oder dann, wenn die Ursache für einen entdeckten Fehler gefunden werden soll. Setzen Hersteller Steuergeräte unterschiedlicher Zulieferer mit identischer Funktionalität ein (SecondSource-Prinzip), müssen sie die Tests für beide Systeme am besten mit Hilfe von Regressionstests durchführen. Beim Steuergeräte(integrations)test kommt der Administration der Software-Komponenten des Simulators (Teilmodelle, Testskripte usw.) noch größere Bedeutung zu als während des Funktionstests. System-Verantwortlicher beim Fahrzeughersteller Wie bereits erwähnt, sollten Tests, die bereits auf Komponentenebene durchgeführt wurden, aus Effizienzgründen nicht beim (Sub-)Systemtest wiederholt werden müssen. Bei der Durchführung der Freigabetests mit HIL für die komplette Fahrzeugelektronik liegt der Schwerpunkt explizit auf den Tests der verteilten Funktionen und der Buskommunikation. In diesem Zusammenhang wird auch das Netzwerkmanagement getestet. Testziel ist ein einschließlich der Diagnosen fehlerfreies Gesamtsystem für die HIL-Freigabe. Häufig müssen hier verschiedene Fahrzeug-Konfigurationen getestet werden. Länderspezifische Varianten sowie verschiedene Ausstattungsvarianten und Sondermodelle machen den Umgang mit unterschiedlichen Konfigurationen erforderlich. Folglich werden kombinatorische Tests gebraucht. Das HIL-System muss eine Vielzahl an Streckenmodellen und I/OKanälen sowie die Buskommunikation unterstützen. An dieser Stelle ist automatisiertes Testen unverzichtbar. Für das System ausgelegte Tests können leicht für alle Steuergeräte- und Fahrzeugvarianten wiederholt werden. Je höher der Automatisierungsgrad, desto höher ist auch die Testabdeckung. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Tests, die während der Serienentwicklung die Funktionalität verifiziert haben, nach Beginn der Serienproduktion auch dafür eingesetzt werden können, Gewährleistungsansprüche zu untersuchen. Es gilt an dieser Stelle zu erwähnen, dass bei der Simulation immer ein Restrisiko durch Ungenauigkeiten der Simulationsmodelle und durch nicht berücksichtigte Situationen bleibt. Risiken durch Vernachlässigung in der Modellbildung sind beim Systemtest im Fahrzeug nicht vorhanden. Fahrversuche bleiben aus diesem Grund unverzichtbar. Die endgültige Freigabe eines kompletten Systems muss deshalb im Fahrzeug erfolgen [3].

17.4.3 Komponenten eines HIL-Simulators Trotz unterschiedlicher Detailanforderungen abhängig von den Anwendungsfeldern (Abschnitt 17.4.2) sind wesentliche Komponenten des HIL-Simulators immer

17 Software-Entwicklung in ähnlicher Ausprägung vorhanden. Im Folgenden werden die einzelnen Komponenten eines HILSimulators und die Anforderungen an sie genauer beschrieben [6]. Bild 17-13 zeigt alle wesentlichen Komponenten eines HIL-Simulators für ein einzelnes Steuergerät. 17.4.3.1 Hardware Echtzeitprozessoren Die HIL-Simulation mit ihren immer komplexeren und genaueren Modellen (siehe Abschnitt 17.4.3.2) stellt besonders hohe Anforderungen an die Rechenleistung der Echtzeitprozessoren. Üblicherweise werden die Modelle mit einer Schrittweite von 1 ms gerechnet, um die Anforderungen an das Echtzeitverhalten zu erfüllen. In Motorsportanwendungen liegen die Rechenzeiten mit 50 bis 250 Ps vielfach noch darunter [9]. Da in den letzten Jahren die Komplexität der benötigten Modelle ständig gestiegen ist, ist parallel auch der Bedarf an Rechenleistung gewachsen. Neben den seit langem eingesetzten PowerPC-Prozessoren mit RISCTechnologie gewinnen in letzter Zeit PC-Prozessoren auch in der HIL-Technologie eine immer stärkere Bedeutung, weil sie ihnen in Bezug auf die Rechenleistung inzwischen fast ebenbürtig sind. Für die Verwendung noch komplexerer Modelle oder für die Verkopplung mehrerer einzelner Simulatoren zu einem Verbundsystem lassen sich die einzelnen Prozessoren zu einem verteilten Multiprozessorsystem zusammenschließen. Auf diese Weise werden heute HILSimulatoren für Steuergeräte-Verbünde zum Test von 50 oder mehr Steuergeräten realisiert ([7], [8], [10]). Erzeugung und Erfassung von Signalen Für die Nachbildung von Sensorsignalen und die Erfassung von Aktoransteuersignalen vom Steuergerät sind I/O-Komponenten aus der allgemeinen Messund Regelungstechnik oft ungeeignet. Spezielle Anforderungen ergeben sich für die Erzeugung und Erfassung von Signalen im Antriebsstrang in Echtzeit. Hier ist es die Kombination von winkelbasierten und zeitbasierten Signalen, die besondere Vorkehrungen erfordert: Zünd- und Einspritzsignale müssen sowohl bezüglich der Kurbelwellenposition als auch in Bezug auf die Zeitdauer genau erfasst werden. Signalformen für Positionsgeber müssen beliebig vorgebbar sein und ebenfalls mit einer hohen Genauigkeit winkelsynchron generiert werden. Klopfsignale, Ionenstrom- oder zukünftig Zylinderinnendrucksensorsignale müssen zeitbasiert und teilweise auch winkelbasiert generiert werden. Besondere Charakteristiken der Signale (Dämpfung, Abhängigkeiten von der aktuellen Motorlast usw.) müssen dabei online im Simulationsraster geändert werden können.

17.4 Hardware-in-the-Loop-Simulation

671

Bild 17-13: Komponenten eines HIL-Simulators

Mit speziellen Hardware-Architekturen (FPGA oder Slave-DSP-Prozessoren) können diese Anforderungen erfüllt werden. Auflösungen in der Größenordnung von 0,01 Grad Kurbelwelle über den gesamten Drehzahlbereich von 0 bis 30 000/min sind dabei heute kein Problem mehr. Darüber hinaus ist die Unterstützung aller Bussysteme im Kfz aus dem Echtzeitsystem heraus grundlegend. Momentan die größte Bedeutung hat der CAN-Bus in verschiedenen Ausprägungen, zum Beispiel highspeed, low-speed, single-wire fault tolerant oder 24 V trailer. Für den HIL-Betrieb einzelner oder weniger Steuergeräte ist es zunächst wichtig, die vom Steuergerät gesendeten CAN-Botschaften in Echtzeit, typischerweise im 1-ms-Rhythmus, einzulesen. Zur Simulation der Umgebung der zu testenden Steuergeräte ist es jedoch auch bedeutsam, den CAN-Busverkehr der nicht real existierenden Steuergeräte in Echtzeit nachzubilden und mit dem Testobjekt zu koppeln (Restbussimulation). Sollen mehrere oder gar alle Steuergeräte eines CAN-Busses im Verbund getestet werden, kann es für eine Reihe von Tests erforderlich sein, CANBotschaften zwischen real existierenden Steuergeräten zu manipulieren. Dies kann mit Hilfe eines CANFehler-Gateways realisiert werden. Neben dem CAN finden in der Fahrzeugindustrie auch weitere Bussysteme zunehmend Verwendung.

Diese müssen natürlich auch von den HIL-Systemen unterstützt werden. Außer dem LIN-Bus (besonders im Innenraum-Komfortbereich) sind das vermehrt auch zeitgesteuerte Busse wie FlexRay sowie der MOST-Bus aus dem Bereich Infotainment. Signalkonditionierung Die Hauptaufgabe der Signalkonditionierung besteht darin, die unterschiedlichen Signalpegel zwischen Steuergeräten und den I/O-Boards anzupassen. Eingelesene analoge Signale müssen in der Regel in ihrer Amplitude reduziert werden. Da manche echte Sensoren nur sehr kleine Signalspannungen ausgeben, muss für ihre Simulation durch das HIL-System die Ausgangsspannung des I/O-Kanals entsprechend reduziert werden, ohne dass die Auflösung verloren geht. Grundsätzlich ist besonders bei analogen Signalen darauf zu achten, dass die Signale differentiell zum Steuergerät geführt werden. Damit lassen sich Fehler aufgrund von Masseverschiebungen vermeiden. Bei digitalen Signalen muss die Signalkonditionierung die Charakteristik der realen Signale nachbilden. So müssen beispielsweise die digitalen Ausgänge des HILSystems zwischen Open Collector, Pull-down und Pull-up umkonfiguriert werden können. Weiterhin dient die Signalkonditionierung auch der Filterung analoger Signale sowie dem Schutz der I/O-Karten vor

672 Überspannung und -strom. Sehr spezielle Sensoren, zum Beispiel lineare Breitband-O-Sonden oder LVDTSensoren (siehe Abschnitt 11.1), deren vollständige Nachbildung in Software schwierig ist, erfordern besondere Signalkonditionierungsschaltungen. In diesen Schaltungen wird das zum Teil komplexe Verhalten der Sensoren direkt in Hardware nachgebildet, wobei wesentliche Kenngrößen über Software in Echtzeit veränderbar sind. Bei einigen I/O-Boards, die speziell für den Einsatz in HIL-Systemen entwickelt worden sind, ist die Signalkonditionierung bereits integriert. Für den Fall der zur I/O additiven Signalkonditionierung sollte sie möglichst modular, flexibel und erweiterbar ausgeführt werden. Lastsimulation Jedes Steuergerät überwacht seine Ausgänge dahingehend, ob elektrische Fehler wie z.B. Kurzschlüsse oder Kabelbrüche vorliegen. Damit im Test des Normalbetriebs des Steuergeräts kein Kabelbruch erkannt wird, muss an jeden Steuergeräte-Ausgang eine passende Echtlast oder Lastsimulation angeschlossen werden. Je nach Empfindlichkeit der jeweiligen Diagnose gibt es hier verschiedene Ansätze: Im einfachsten Fall, der heute immer noch der überwiegende Fall ist, reicht es, eine im Vergleich zur realen Last hochohmige Ersatzlast anzuschließen. Dies kann oft direkt auf den so genannten Lastkarten erfolgen. Hier ist im Normalfall auch keine Kühlung erforderlich. Überprüft das Steuergerät an einem kritischen Ausgang auch den fließenden Strom, so muss im HIL-Simulator zumindest eine elektrisch äquivalente Last verbaut und angeschlossen werden. Das kann beispielsweise ein auf einem Kühlkörper montierter Lastwiderstand sein. In besonderen Fällen ist es notwendig, die realen Lasten zu verbauen. Ein Beispiel hierfür sind stromgeregelte Hydraulikventile, deren Induktivität nur schwer nachzubilden ist. Die Ansteuersignale werden vom HIL-Simulator in der Regel direkt an der Last vermessen und als Eingangsgrößen des Echtzeitsimulationsmodells verwendet. In Fällen von stromgeregelten Lasten muss im Simulator der Laststrom mit einem geeigneten Wandler (Hallsensor oder Shunt-Widerstand) zunächst in eine Spannung gewandelt und gefiltert werden, bevor er eingelesen werden kann. Elektrische Fehlersimulation Neben der Untersuchung der Steuergeräte-Funktionen im Normalbetrieb ist die Untersuchung der Diagnosefunktionen ein wichtiger Einsatzbereich für die HILSimulation. Hierbei wird zunächst geprüft, ob ein Fehler, beispielsweise ein defekter Sensor, richtig erkannt wird. Anschließend wird getestet, ob das Steuergerät die zugehörige Notlauffunktion aktiviert, also zum Beispiel einen Ersatzwert für den ausgefallenen Sensor berechnet. Voraussetzung für diese Tests ist eine leistungsfähige, automatisierbare elekt-

17 Software-Entwicklung rische Fehlersimulation. Sie sollte zumindest folgende Fehlerfälle abdecken können: Leitungsunterbrechung, Kurzschluss nach Masse, Kurzschluss zur Batterie sowie Kurzschlüsse zwischen SteuergerätePins. Für die Nachbildung schlechter Kontakte kann es erforderlich sein, veränderbare Leitungswiderstände zwischen zwei Steuergeräte-Pins oder zwischen einem Steuergeräte-Pin und einer Referenz (Masse, Batteriespannung) zu schalten. Wackelkontakte an Schaltereingängen können mit hochfrequenten Pulsmustern simuliert werden. Steuergeräte mit integrierter Sensorik Manche Steuergeräte haben Sensoren im Steuergeräte-Gehäuse integriert, die für einen Betrieb des Steuergeräts stimuliert werden müssen. Beispielsweise gibt es Getriebesteuergeräte, die direkt im Getriebe verbaut sind. Sie detektieren die Eingangs- und Ausgangsdrehzahlen mit integrierten Hall-Sensoren. In Steuergeräten für die elektrische Parkbremse sind Neigungssensoren integriert. In diesen Fällen können Sensorsignale vom HIL-System nicht direkt elektrisch stimuliert werden. Das Gleiche gilt für Sensoren, die mit dem Steuergerät über ein geheimes Protokoll kommunizieren. Dies ist zum Beispiel bei Crash-Sensoren oder beim Geschwindigkeitssensor eines Fahrtenschreibers der Fall. In diesen Fällen gibt es zwei Möglichkeiten, diese Sensoren in der HIL-Simulation zu behandeln: Eine Möglichkeit ist, den Sensor mit der echten physikalischen Größe zu stimulieren. So kann ein integrierter Drehzahlsensor durch ein magnetisches Wechselfeld angeregt werden, das durch Elektromagnete erzeugt wird. Ist dieses nicht möglich, muss durch ein Öffnen („Cracken“) der Steuergeräte oder der Sensoren auf die elektrische Schnittstelle zugegriffen werden. Dies ist beispielsweise bei den Beschleunigungssensoren eines Airbag-Steuergeräts ein geeigneter Weg. 17.4.3.2 Software Von der Software-Seite her betrachtet unterscheidet man beim HIL-System die Echtzeit-Software auf der einen und die Experimentier- und Testautomatisierungssoftware auf der anderen Seite (Bild 17-14). Echtzeit-Software allgemein Die Software, die auf dem Echtzeitprozessor (Abschnitt 17.4.3.1) ausgeführt wird, ist üblicherweise CCode, der aus blockorientierten grafischen Simulationsumgebungen heraus mit automatischer CodeGenerierung erzeugt wird. In der Regel laufen die Programme in einem Echtzeit-Betriebssystem oder zumindestens in einem speziellen Echtzeit-Rahmen (Echtzeit-Frame). Dieser sollte echtes Multitasking bieten sowie Timer-, Software- oder HardwareInterrupts unterstützen.

17.4 Hardware-in-the-Loop-Simulation

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Bild 17-14: Software-Komponenten in der HILSimulation. Die unbeschrifteten Pfeile markieren einen Datenaustausch

Neben den eigentlichen Streckenmodellen werden auf dem Echtzeitprozessor auch die kompletten I/OFunktionen inklusive der Restbussimulation berechnet. Selbstverständlich lässt sich auch die gesamte Inter-Prozessor-Kommunikation für einen eventuellen Multiprozessorbetrieb über eine grafische Benutzeroberfläche für den Anwender transparent implementieren [5]. Echtzeitmodelle Die Anforderungen an mathematische Streckenmodelle sind je nach Anwendungsbereich sehr verschieden. Für Funktions- und Diagnosetests sollten die Modelle so genau wie nötig sein, um das Steuergerät in allen Betriebszuständen mit plausiblen Signalen zu versorgen, das heißt, alle Regelkreise so zu schließen, dass die Steuergeräte-Diagnose keine Fehler erkennt. Mit steigender Empfindlichkeit der Diagnosefunktionen wachsen auch die Anforderungen an die Modellkomplexität. So erfordern die OBD-II-Funktionen der neuesten Motorsteuergeräte eine relativ genaue dynamische Modellierung der abgasführenden Komponenten inklusive Temperaturen und Drücken sowie ein präziseres Katalysatormodell, als es noch vor wenigen Jahren notwendig war. Noch komplexer werden die Modelle, wenn am HILSimulator nicht nur Funktionen oder die Eigendiagnose getestet werden sollen, sondern auch eine Vorapplikation der Steuergeräte-Parameter durchgeführt werden soll. In diesem Fall steigt natürlich auch der Aufwand für die Parametrierung der Modelle. Bediensoftware Die manuelle Bedienung des Testsystems, die Visualisierung und Speicherung der Echtzeitgrößen sowie das Verstellen von Modellparametern erfolgt gewöhnlich vom Host-PC aus. Speziell für den Test fahrdynamischer Funktionen oder der AdaptiveCruise-Control-Funktionalität reichen rein numeri-

sche Anzeigen oder einfache Plotterinstrumente nicht mehr aus. Hier bietet ein 3D-Echtzeitanimationswerkzeug eine wesentlich bessere Möglichkeit, die Bewegung des Fahrzeugs zu visualisieren und auf einen Blick zu beurteilen. Erst durch eine systematische und vollständige Automatisierung aller ihrer Komponenten kann die HILSimulation ihren vollständigen Nutzen ausspielen (Abschnitt 17.5.8).

17.4.4 Einbindung in den Elektronik-Entwicklungsprozess Der erfolgreiche Test am HIL-Simulator ist inzwischen für viele Fahrzeughersteller Bestandteil der Freigabevoraussetzung des Fahrzeugs. Aufgabenverteilung zwischen Fahrzeughersteller und Zulieferer Bevor ein neuer Steuergeräte-Stand durch den Zulieferer an den Fahrzeughersteller geliefert wird, ist dieser Stand durch den Zulieferer in einem Komponententest abzusichern. Die anschließende Integration der von externen Lieferanten entwickelten Komponenten in ein (Sub-)System ist eine kritische Phase im Entwicklungsprozess. Missverständnisse und fehlerhafte Spezifikationen können dazu führen, dass Fehler erst beim Fahrzeughersteller während der Tests des Sub- oder Gesamtsystems gefunden werden [2]. Eigentliches Ziel des Systemtests beim Fahrzeughersteller ist jedoch lediglich die Absicherung von Funktionen, die über mehrere Bussysteme hinweg implementiert sind. Denn diese verteilten Funktionen – zentraler Algorithmus, Sensoren und Aktoren sowie Bedien- und Anzeigeelemente sind in verschiedenen Steuergeräten untergebracht – können nur im Zusammenspiel aller beteiligten Steuergeräte abgesichert werden.

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17 Software-Entwicklung

Bild 17-15: Funktionsreifegrad und Testabdeckung im ElektronikEntwicklungsprozess

Setzen Zulieferer und Fahrzeughersteller kompatible Testsysteme ein, erlaubt dies, Tests und Testergebnisse zu vergleichen und auszutauschen. Gemeinsame Konzepte vermeiden unnötige Redundanzen und führen zu erhöhter Testfallabdeckung durch klare Aufteilung von Zuständigkeiten. Ziele Die Kosten je Fehler steigen, je später im Entwicklungsprozess der Fehler entdeckt wird (Bild 17-15). Je früher die Probleme erkannt und beseitigt werden, desto schneller kann ein hoher Reifegrad des Fahrzeugs während der Entwicklung erreicht werden. Durch den konsequenten Einsatz von HIL-Testsystemen zum frühest möglichen Zeitpunkt im Entwicklungsprozess kann ein möglichst hoher Reifegrad erreicht werden [2]. Voraussetzung für eine schnelle Fehlerbehebung ist die enge Verzahnung von Entwicklung, Inbetriebnahme und Verifikation der Steuergeräte. So müssen zum Beispiel bei neuen Software-Ständen Informationen zu den implementierten Änderungen bekannt gegeben werden, so dass die Tests bei Bedarf entsprechend erweitert werden. HIL-Prozess Für eine effiziente Einbindung in den Gesamtentwicklungsprozess ist die HIL-Simulation als Teilprozess zu betrachten. Dieser Teilprozess beginnt zunächst mit einer Spezifikation des benötigten Systems auf Basis der zu dem Zeitpunkt vorliegenden Kenntnis über das Fahrzeug und die verbauten Steuergeräte. Nach dem vorbereitendenden Aufbau aller steuergeräteunabhängigen Komponenten kann die Anpassung des Simulators an das Steuergerät ohne Zeitverlust erfolgen, sobald die Spezifikationen existieren. Dies beinhaltet zum Beispiel die Implementierung von Lastsimulationen. Iterationen bei geänderten Steuer-

geräte-Spezifikationen bleiben möglich. Nach der Inbetriebnahme des Simulators mit der vorgesehenen Anzahl von Steuergeräten ist der Simulator funktionsbereit und die Prüflinge können getestet werden. Bei einer Steuergeräte-Aktualisierung erfolgt (nach eventuell vorangegangener Adaption des Simulators) eine erneute Inbetriebnahme des Simulators, bevor Regressionstests durchgeführt werden. Testablaufpläne und Testfälle werden basierend auf der Steuergeräte- oder Funktionsspezifikation entwickelt. Neben den Lastenheften dienen vor allem bereits implementierte Testfälle von Vorgängermodellen sowie die Erfahrung der Entwickler als Grundlage. Rückmeldungen aus der Erprobung oder aus Werkstätten fließen ebenfalls ein. Erst in der zweiten Hälfte des Entwicklungszyklus wird eine hohe Testabdeckung erreicht (Bild 17-15). Integration von HIL-Simulationen in den Entwicklungs- und Testprozess Die Fahrzeug-Serienentwicklung beginnt in der Regel spätestens 30 Monate vor dem geplanten Produktionsstart. Die Software-Entwicklung beginnt oft schon mit der Funktionsspezifikation und deshalb bereits innerhalb einer der Serienentwicklung vorgelagerten Design- und Vorbereitungsphase. Der HIL-Test ist in der Software-Entwicklung ein fester Bestandteil des Steuergeräte-Integrationstests. Die Fahrzeughersteller, die die HIL-Simulation derart in ihrem Prozess verankert haben, haben ständig eine Vielzahl von HIL-Simulatoren für den Subsystem- und Systemtest für die aktiv in der Entwicklung befindliche Produktpalette im Einsatz. Diese Systeme arbeiten 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche. Bild 17-15 zeigt den angestrebten Funktionsreifegrad über die Dauer eines Entwicklungszyklus. Der Funktionsreifegrad beschreibt den Prozentsatz der getesteten Spezifikationsanforderungen, die einen Test

17.5 Software-Testen erfolgreich bestanden haben. Bei Serienanlauf dürfen keine Fehler mehr vorhanden sein (100 % Reifegrad). Nachdem alle spezifizierten Tests bezogen auf die definierten Anforderungen implementiert sind (100 % Testabdeckung), kann eine hohe Automatisierung erreicht werden. Nun werden alle Fehler sukzessive eliminiert, bis zum Zeitpunkt des Serienanlaufs keine Fehler mehr bekannt sind. Ankopplung an das Anforderungsmanagement Werkzeuge wie DOORS oder TestDirector werden häufig genutzt, um Anforderungen und Spezifikationen zu sammeln und zu verwalten. Testspezifikationen und Ergebnisse können ebenfalls sehr gut damit verwaltet werden. Gleiches gilt für Testpläne und Testausführung aus den Werkzeugen heraus. Eine direkte Anbindung der HIL-Testumgebung ist deshalb ein konsequenter Schritt innerhalb der Prozessintegration. Literatur zu Abschnitt 17.4 [1] Lamberg, K.: Methodik zur systematischen Bereitstellung von HIL-Testsystemen für Kfz-Steuergeräte, Dissertation, Herbert Utz Verlag, 2001. [2] Honisch, A.; Hutter, A.; Schmid, H.: Vollautomatisierter Test von Steuergeräte-Netzwerken, ATZ-MTZ extra Mercedes-Benz A-Klasse, 2004. [3] Schäuffele, J.; Zurawka, T.: Automotive Software Engineering, ATZ-MTZ-Fachbuch, Wiesbaden, 2003. [4] Köhl, S.; Jegminat, D.: How to Do Hardware-in-the-LoopSimulation Right, SAE-Paper No. 2005-01-1657, Detroit, USA, 2005. [5] Solutions for Control, Catalog 2005, www.dspace.de, Paderborn, Deutschland, 2004 [6] Schütte, H.; Plöger, M.; Diekstall, K.: Wältermann, P.; Michalsky, Th.: Testsysteme im Steuergeräte-Entwicklungsprozess, Automotive Electronics, S. 16–21, März 2001 [7] Gehring, J.; Schütte, H.: Automated Test of ECUs in a Hardware-in-the-Loop Test Bench for the Validation of Complex ECU Networks, Proc. of the SAE World Congress, Detroit, USA, März 2002 [8] Köhl, S.; Lemp, D.; Plöger, M.: Steuergeräte-Verbundtests mittels Hardware-in-the-Loop Simulation, S. 948–955, ATZ, Wiesbaden, Deutschland, Oktober 2003 [9] Wältermann, P.; Michalsky, T.; Held J.; Hardware-in-theLoop Testing in Racing Applications, Proc. of the SAE Motorsports Engineering Conference and Exhibition, Paper Nummer: 2004-01-3502, Dearborn, USA, Dezember 2004 [10] Wältermann, P.; Schütte, H.; Diekstall, K.; Hardware-in-theLoop Test verteilter Kfz-Elektroniksysteme; S. 416-425, ATZ, Wiesbaden, Deutschland, Mai 2004

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17.5 Software-Testen 17.5.1 Grundbegriffe des Testens Testen ist eine Entwicklungsaktivität mit dem Ziel, Fehler zu finden. Somit dient Testen im Allgemeinen dazu, die Qualität eines Systems zu erhöhen. Testen ist erlernbar und kann auch auf sehr komplexe Systeme angewendet werden. Obwohl Testen recht aufwändig sein kann, zum Beispiel bei den Anschaffungskosten für ein HIL-Simulationssystem, stellt sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis in der Regel sehr positiv dar. Nichtsdestotrotz kann die Korrektheit oder Fehlerfreiheit eines Systems damit nicht vollständig nachgewiesen werden. Entsprechend dem jeweiligen Testziel wird zwischen Validierung und Verifikation unterschieden. Validierung ist der Test gegenüber den Anforderungen an das zu entwickelnde System. Anforderungen sind das Ergebnis der Anforderungsanalyse (Abschnitt 17.1). Anforderungen können funktional, also auf den eigentlichen Zweck des Systems ausgerichtet, oder nichtfunktional sein, z.B. hinsichtlich Performance, Echtzeit, Speicherverbrauch usw. Die Verifikation meint den Test eines Objekts (Testobjekts) gegenüber seiner Spezifikation. Das Testobjekt ist dabei Teil des zu entwickelnden Gesamtsystems. Die Spezifikation beschreibt die technischen Anforderungen an das Objekt. Das sind häufig die Schnittstellen und das gewünschte Verhalten des Objekts an diesen Schnittstellen. Das Testobjekt kann auf allen Systemebenen (Unit, Modul, Komponente, Subsystem) liegen, je nachdem, auf welcher Ebene die Spezifikation vorliegt und überprüft wird. Die Verifikation selbst ist jedoch kein Nachweis der allgemeinen Fehlerfreiheit gegenüber den Systemanforderungen, da bereits die Spezifikation fehlerhaft sein kann.

17.5.2 Klassifikation der Testmethoden Testmethoden lassen sich nach dem in Bild 17-16 gezeigten Schema klassifizieren. Grundsätzlich wird zwischen statischem und dynamischem Testen unterschieden. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass das Testobjekt beim dynamischen Testen ausgeführt wird, beim statischen jedoch nicht. Eine weitere Methodenklasse bildet die formale Verifikation. Im Folgenden wird nur auf das dynamische Testen und die formale Verifikation eingegangen, da diese im Rahmen der modellbasierten Entwicklung primär zum Einsatz kommen.

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Bild 17-16: Klassifikation von Testmethoden

17.5.3 Funktionales Testen Beim funktionalen Testen, also dem Testen des funktionalen Verhaltens des Testobjekts, wird das Testobjekt üblicherweise mit vorgegebenen Signalverläufen (Testdaten) stimuliert und das Antwortverhalten wird erfasst und hinsichtlich des Sollverhaltens (Erwartungswerte) bewertet. Dabei werden keinerlei Informationen über den internen Aufbau des Testobjekts benötigt und verwendet. Daher wird funktionales Testen auch als Black-Box-Testen bezeichnet. Beispiele für die Anwendung des funktionalen Testens sind RequirementsBased Testing, Äquivalenzklassentests (Klassifikationsbaummethode) und Back-to-Back-Tests. Klassifikationsbaummethode Die Klassifikationsbaummethode ist eine Black-BoxMethode, bei welcher der Eingaberaum des Testobjekts (Menge der Eingabewerte und -kombinationen) unter bestimmten Aspekten zerlegt wird. Die entstehenden Partitionen, die sogenannten Klassifizierungen, werden wiederum in Äquivalenzklassen unterteilt. Ziel der Partitionierung ist es, die einzelnen Klassen so zu wählen, dass sie sich einheitlich (uniform) in Bezug auf die Aufdeckung potenzieller Fehler verhalten. Das heißt, das Testobjekt verhält sich für alle Werte einer Klasse entweder korrekt oder fehlerhaft (Uniformitätshypothese) [1].

Bild 17-17 zeigt einen Klassifikationsbaum. Der Name des Testobjekts (hier „VDC“) bildet die Wurzel des Baums, die Eingangssignale definieren die Klassifikationen unterhalb des Wurzelknotens. Darunter finden sich die Äquivalenzklassen. Basierend auf der so erfolgten Partitionierung des Eingaberaums lassen sich nun Testsequenzen definieren. Die Testsequenzen ergeben sich durch gezielte Kombination einzelner Klassen: Jede Zeile der Kombinationstabelle beschreibt einen Testschritt innerhalb der Testsequenz. Grenzwertanalyse Die Grenzwertanalyse hat zum Zweck, das Testobjekt mit Daten zu stimulieren, die unzulässige oder andere kritische Eingabegrößen darstellen könnten. Basierend auf der Zerlegung des Eingaberaums mit Hilfe der Klassifikationsbaummethode wird das Testobjekt beispielsweise mit den Werten, die die Äquivalenzklassen begrenzen, und Werten in deren Nähe stimuliert. Auch die Stimulation des Testobjekts mit Werten außerhalb des zulässigen oder spezifizierten Wertebereichs gehört zur Grenzwertanalyse. Auf diese Weise lässt sich das Verhalten des Testobjekts in Bereichen testen, die bei der Spezifikation übersehen wurden oder die typische Fehlerquellen darstellen.

Bild 17-17: Klassifikationsbaum für das Testobjekt „VDC“

17.5 Software-Testen Back-to-Back-Tests Back-to-Back-Tests nutzen aus, dass die Spezifikation eines zu testenden Systems – z.B. Programmcode – in einer modellbasierten Entwicklung als ausführbares Simulationsmodell vorliegt. Das Modell und der Programmcode werden mit denselben Testdaten stimuliert. Das Ausgangsverhalten des Programmcodes bezogen auf die Testdaten lässt sich dann unmittelbar mit dem der ausführbaren Spezifikation vergleichen (siehe Bild 17-18). Die Tatsache, dass das Verhalten des Programmcodes direkt mit dem der Spezifikation verglichen wird, macht deutlich, dass es sich bei der Anwendung von Back-to-Back-Tests in der Regel um eine Verifikation handelt.

677 Messungen auf Modellebene durchgeführt, spricht man von Modellüberdeckung (Model Coverage); auf Programmcode-Ebene von Code-Überdeckung (Code Coverage, Abschnitt 17.3.3). Mit Hilfe von Modellund Code-Überdeckungsmessungen lassen sich zum Beispiel Modell- und Programmteile identifizieren, die trotz einer Vielzahl von Tests gar nicht ausgeführt wurden. Für diese Teile können dann gezielt weitere Testfälle definiert werden. Im Einzelfall kann es sogar sein, dass bestimmte Modell- und Programmteile entfernt werden können, wenn sie nicht erreichbar und somit überflüssig sind (Dead Code).

Für den Vergleich lassen sich unterschiedliche Kriterien heranziehen. Meistens wird überprüft, ob sich das Differenzsignal innerhalb eines definierten Toleranzbandes bewegt. Dabei können sowohl absolute als auch relative Toleranzen von Interesse sein. Modernere Auswertealgorithmen können sogar zeitliche Verschiebungen oder Amplitudenabweichungen getrennt voneinander erkennen und bewerten [2].

Automatische Testvektorgenerierung Bei der automatischen Testvektorgenerierung werden Informationen zum internen Aufbau des Testobjekts systematisch ausgenutzt, um automatisiert Testfälle zu erzeugen, so dass ein bestimmtes Kriterium erreicht wird. Beispiele für derartige Kriterien sind vorgegebene Überdeckungsmaße (Model oder Code Coverage) oder das Erreichen eines bestimmten Systemzustands (Drive to State oder Drive to Transition, Drive to Property). Dabei besteht ein Testfall immer aus Anregungssituationen und erwartetem Ausgangsverhalten. Der Einsatz der automatischen Testvektorgenerierung ist insbesondere in Zusammenhang mit Back-toBack-Tests (s.o.) sinnvoll, bei denen das Ausgangsverhalten des Testobjekts mit den Ausgangssignalen seiner Spezifikation für eine Vielzahl automatisch generierter Anregungssituationen verglichen werden kann. Auf diese Weise kann beispielsweise das Verhalten manuell oder automatisch erzeugter Codes mit dem Verhalten des zugrunde liegenden Simulationsmodells verglichen werden. In diesen Fällen spricht man von dem Modell auch als einem „Testorakel“.

17.5.4 Strukturelles Testen

17.5.5 Nichtfunktionales Testen

Im Gegensatz zum funktionalen Testen werden beim strukturellen Testen Informationen über den internen Aufbau (Struktur) und die Eigenschaften des zu testenden Systems berücksichtigt und für die Entwicklung von Testfällen verwendet. Aus diesem Grund wird strukturelles Testen auch als White-BoxTesten bezeichnet. Durch die Kenntnis des internen Aufbaus eines Systems ist es zum Beispiel möglich, gezielt Testfälle zu definieren, die dazu führen, dass bestimmte Strukturelemente des Testobjekts wie Anweisungen und Verzweigungen durchlaufen werden. Dadurch lassen sich bestimmte Teile des Testobjekts gezielt anregen und testen.

Nichtfunktionales Testen bedeutet, die nichtfunktionalen Anforderungen an ein System zu testen. Nichtfunktionale Anforderungen sind Eigenschaften, die ein System erfüllen muss, die jedoch nicht primär auf die eigentliche Funktion des Systems – den Systemzweck – ausgerichtet sind. Nichtfunktionale Anforderungen gemäß ISO/IEC 9126 sind zum Beispiel Anforderungen hinsichtlich Zuverlässigkeit, Benutzbarkeit, Effizienz, Änderbarkeit und Übertragbarkeit. Möglichkeiten, nichtfunktionale Anforderungen zu testen, sind beispielsweise Stresstests: Dabei wird untersucht, wie sich ein Steuergerät bei sehr hoher Last (hohes Datenaufkommen) auf dem CAN-Bus verhält.

Bild 17-18: Prinzip des Back-to-Back-Tests

Modell- und Code-Überdeckung Umgekehrt ist es möglich, während der Durchführung von Tests die Häufigkeit zu erfassen, mit der bestimmte Systemteile durchlaufen wurden. Werden derartige

678

17.5.6 Formale Verifikation Während die Validierung und die Verifikation im obigen Sinne bestimmte Anregungssituationen erzeugen, um bestimmte Systemeigenschaften zu testen, dient die formale Verifikation dem Nachweis bestimmter Eigenschaften des Systems. Damit ist es zum Beispiel möglich, die Korrektheit eines Systems, das heißt, die Erfüllung der Anforderungen im mathematischen Sinne zu beweisen. Der Unterschied zum dynamischen Testen liegt demnach in der Vollständigkeit und Konsistenz der Methode. Für die formale Verifikation existieren zwei grundlegende Ansätze: Model Checking und Theorem Proving, die sich unter anderem in dem Grad der möglichen Automatisierung, den notwendigen Vorkenntnissen und der Art der verifizierbaren Modelle unterscheiden. Notwendig für die formale Verifikation ist, dass das zu testende System in einer formalen Repräsentation vorliegt. Beispiele für formale Repräsentationen sind Blockdiagramme, Zustandsautomaten oder auch Programm-Code. In der Praxis der Entwicklung von Software im Automobil ist die Anwendung der formalen Verifikation noch eher selten. Sie wird vorwiegend bei der Entwicklung sicherheitskritischer Software gemäß ISO 61508 (Abschnitt 17.1.2) eingesetzt.

17.5.7 Testen in der Funktionsentwicklung Für das Testen innerhalb der Funktionsentwicklung für Automobilelektronik stehen eine Reihe von Werkzeugen zur Verfügung, welche die unterschiedlichen Testansätze und -methoden unterstützen. So existiert beispielsweise für die modellbasierte Entwicklung auf Basis von Simulink, Stateflow und TargetLink das Testwerkzeug MTest. Mit Hilfe des darin enthaltenen Klassifikationsbaumeditors können Funktions- und Reglermodelle per Äquivalenzklassentest validiert werde [3]. Die Unterstützung der unterschiedlichen Testmodi von der Model-in-theLoop- über die Software-in-the-Loop- bis hin zur Processor-in-the-Loop-Simulation (Abschnitt 17.3) ermöglicht den direkten Vergleich der Testobjekte in den unterschiedlichen Prozessphasen (Back-to-BackTests, Verifikation). Während der Testdurchführung auf Modellebene oder auf Code-Ebene können unterschiedliche Modellund Code-Überdeckungsmaße ermittelt werden, die für das White-Box-Testen notwendig sind. Tabelle 17-3 enthält exemplarische Beispiele für das Testen in der Funktionsentwicklung zum Einsatz kommender Werkzeuge und deren methodischer Zuordnung.

17 Software-Entwicklung Tabelle 17-3: Methodische Zuordnung von Testwerkzeugen (Beispiele) Werkzeug

Methodenzugehörigkeit

MTest

Äquivalenzklassentest, Grenzwertanalyse, Requirements-based Testing, Black-Box-Testing

Model-, Software-, Processor-in-the-Loop

Back-to-Back-Tests

Simulink Model Coverage

Strukturelle Tests (White-Box-Testing)

TargetLink Code Coverage

Strukturelle Tests (White-Box-Testing)

Embedded Validator

Formale Verifikation

17.5.8 Test von Steuergeräten Für den Test von Steuergeräten und SteuergerätePrototypen innerhalb der Entwicklung hat sich die Hardware-in-the-Loop-Technologie (Abschnitt 17.4) mittlerweile etabliert. Immerhin lassen sich mit Hilfe der HIL-Simulation bis zu 90 % aller im Fahrversuch auftretenden Fehler nachbilden. Die zentrale Herausforderung für einen effizienten Einsatz von HILSystemen liegt dabei in der automatisierten Durchführung von Tests. Die dazu notwendigen Testspezifikationen werden ausgehend von den Steuergeräte-, Funktions- und Systemspezifikationen entwickelt [4]. Beim HIL-Testen von Steuergeräten handelt es sich daher üblicherweise um Requirements-Based Testing und somit um funktionale, also Black-Box-Tests. Rollenverteilung Um die Komplexität im Spannungsfeld SteuergeräteEntwicklung – HIL-Simulation zu beherrschen, existiert häufig eine klar getrennte Aufgabenverteilung zwischen System- bzw. Funktionsverantwortlichem, Testsystemexperten, Testentwickler und Testanwender. Der Testsystemexperte ist oft schon an der Projektierung des Testsystems und dessen Inbetriebnahme beteiligt. Häufig ist er auf Seiten des HIL-Testsystemlieferanten zu finden. Zunehmende Bedeutung bekommen die Rollen des Testentwicklers und des Testanwenders. Der Testentwickler erarbeitet gemeinsam mit dem System- oder Funktionsverantwortlichen die Testspezifikation und den Testplan. Darauf basierend erstellt der Testentwickler die eigentliche Testimplementierung und stellt diese für die Testdurchführung bereit. Die Durchführung der Tests obliegt dem Testanwender. Für eine bestimmte Testaufgabe stellt dieser die notwendigen Tests zusammen, parametriert sie gegebenenfalls und führt sie durch.

17.6 Steuergeräte-Applikation Testbeschreibungen In Verbindung mit der HIL-Simulation sind die Testaufgaben sehr vielfältig und erfordern daher flexible und vielseitige Möglichkeiten der Testbeschreibung. Aus diesem Grund sind in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Werkzeugen und Lösungen entstanden, die unterschiedliche Formen der Testbeschreibung ermöglichen. Sehr weite Verbreitung im Zusammenhang mit dem automatisierten Testen mit Hilfe der HIL-Simulation finden Skriptsprachen. Für die Skriptsprache Python [5] existiert beispielsweise eine Vielzahl von Bibliotheken (APIs) zur Automatisierung von HIL-Simulatoren. Testskripts können in Python implementiert werden und greifen über diese APIs auf die verschiedenen Testsystemkomponenten wie Echtzeitmodell, Fehlersimulationshardware, Diagnose- und Applikationssystem zu. Die Anwendung von Skriptsprachen ist äußerst flexibel, erfordert jedoch einen vergleichsweise hohen Einarbeitungsaufwand. Daher sind Skriptsprachen häufig nur für Testentwickler geeignet, nicht für Testausführer. Aus diesem Grund sind verschiedene Lösungen entstanden, die einen einfacheren Benutzerzugang für die spezifische Testart bereitstellen sollen. Auf diese Weise muss sich ein Testausführer nicht mit der Skriptsprache an sich befassen, sondern kann seine Tests über Benutzeroberflächen mit entsprechenden Eingabemöglichkeiten komfortabel parametrieren. Doch auch die Testentwicklung muss heute nicht mehr ausschließlich skriptbasiert erfolgen. Moderne Werkzeuge wie AutomationDesk bieten zusätzlich die Möglichkeit der grafischen Testbeschreibung, wie sie auch aus der Unified Modelling Language (UML, [6]) bekannt ist. Regressionstests Die Häufigkeit von Änderungen, die sich durch eine Vielzahl neuer Hardware- und Software-Stände der Einzelsteuergeräte ergibt, macht es notwendig, Tests wiederholt durchzuführen. Diese wiederholten Tests werden als Regressionstests bezeichnet. Mit Hilfe von Regressionstests lässt sich feststellen, ob neue Hardware- oder Software-Versionen zusätzliche, bisher nicht aufgetretene Fehler enthalten, die sich beispielsweise durch die Behebung älterer Fehler eingeschlichen haben. Gerade die exakte und automatisierbare Reproduktion von Testszenarien macht den wesentlichen Effizienzgewinn durch Einsatz der HILSimulation aus.

17.5.9 Testmanagement Schon für einzelne Funktionen, aber auch für ein einzelnes Steuergerät sind in der Regel Hunderte bis Tausende von Tests durchzuführen, beim Test von

679 Steuergeräte-Verbünden geht die Zahl der Tests in die Zehntausende. Diese Tests laufen normalerweise innerhalb einiger Stunden oder einiger Tage automatisch ab (häufig nachts). Diese immense Anzahl von Tests macht zusammen mit den Testdaten und den Testergebnissen ein Testmanagement notwendig [7]. Ein solches Testmanagement schafft einen einheitlichen und strukturierten Zugang zu der Vielzahl von Tests. Gleichzeitig erfolgt durch ein Testmanagement eine Zuordnung der Testdaten und der erzeugten Testergebnisse zu den Tests. Auf Basis der Testergebnisse lassen sich schließlich Testreports in verschiedenen Formaten und mit unterschiedlichen Detaillierungsgraden erzeugen. Solche Reports dienen der nachhaltigen Dokumentation von Testergebnissen, zum Beispiel für entsprechende Freigabeentscheidungen. Literatur zu Abschnitt 17.5 [1] Grochtmann, M.; Grimm, K.: Classification Trees for Partition Testing. Software Testing, Verification and Reliability, 3, 63–82, 1993. [2] Wiesbrock, H.-W.; Lim, M.: Automatische Signalanalyse – Bessere Qualität durch automatisierte Testauswertung. Elektronik Automotive 2/2004. [3] Lamberg, K.; Beine, M.; Conrad, M.; Eschmann, M.; Fey, I.; Otterbach, R.; Model-based testing of embedded automotive software using MTest. SAE-Paper No. 2004-01-1593, Detroit, USA, 2004. [4] Sax, E.; Schmerler, S.: Qualitätssteigerung in der KFZSteuergeräte-Entwicklung. Test Guide Design & Verification, 2004. [5] Python, www.python.org. [6] UML Resource Page, www.uml.org. [7] Lamberg, K.; Richert, J.; Rasche, R.: A New Environment for Integrated Development and Management of ECU Tests. SAE 2003-01-1024, Detroit, USA, 2003.

17.6 Steuergeräte-Applikation 17.6.1 Einführung Im Entwicklungsprozess moderner Steuergeräte stellt die Bedatung der Steuergeräte-Software einen wesentlichen Meilenstein dar. Dieser Vorgang wird als Steuergeräte-Applikation oder -Kalibrierung bezeichnet und erfolgt in der Regel erst relativ spät im Entwicklungsprozess, wenn der Motor oder das Fahrzeug bereits als Prototyp zur Verfügung steht. Moderne Kraftfahrzeuge werden in zunehmendem Maße von elektronischen Steuer- und Regelsystemen bestimmt. Steigende Anforderungen an das Verbrauchs-, Leistungs- und Emissionsverhalten sowie höhere Kundenerwartungen bezüglich Komfort, Sicherheit und Variantenvielfalt führen zur Entwicklung immer komplexerer Steuergeräte-Algorithmen und damit zu einer rasanten Zunahme des Software-

680 Umfangs. In gleichem Maße gestaltet sich die Applikationsaufgabe immer anspruchsvoller und aufwendiger. Neben den eigentlichen Software-Funktionen beeinflusst die Einstellung der jeweiligen Steuer- und Regelparameter (die sogenannten Kennwerte, Kennlinien und Kennfelder) maßgeblich das Gesamtverhalten eines Fahrzeugs. Ziel der SteuergeräteApplikation ist es, die Software-Funktionen durch Abstimmung dieser Kenngrößen an Motor- oder Fahrzeugvarianten anzupassen, so dass das Gesamtverhalten die Lastenheftvorgaben erfüllt. Die Algorithmen der Steuer- und Regelfunktionen sind dabei fest in der Steuergeräte-Software einprogrammiert, lediglich die Kenngrößen, auch Applikationsparameter genannt, werden in dieser Entwicklungsphase in ihrem Wert verändert. Auf Steuergeräteebene erfolgt somit die Variantenbildung bei Kraftfahrzeugen, also die Kombination von verschiedenen Motor-, Getriebe-, Fahrwerk- und Karosserieoptionen, über eine unterschiedliche Bedatung der Applikationsparameter. Dabei spielen ebenfalls länderspezifische Kriterien wie Abgasrichtlinien oder präferierte Fahrstrategien eine wesentliche Rolle. Die Steuergeräte-Applikation erfolgt üblicherweise beim Automobilhersteller oder bei beauftragten Entwicklungsdienstleistern durch Experten und Regelungstechniker, so genannte Applikateure, und nicht durch Software-Entwickler.

17.6.2 Applikation von Motorsteuerungen Bedingt durch wachsende Komplexität und Variantenvielfalt moderner Motoren sowie durch steigende Diagnoseanforderungen gestaltet sich die Applikationsaufgabe bei Motorsteuergeräten sehr anspruchsvoll. Motorsteuerungen mit über zehntausend Applikationsparametern, darunter mehrere hundert, teilweise über tausend Kennlinien und Kennfelder, sind heute bereits Realität. Eine typische Bedatung durchläuft dabei verschiedene Applikationsphasen [1]. In der ersten und sehr wichtigen Phase erfolgt die Grundbedatung des Steuergeräts, die so genannte stationäre Grundabstimmung am Motorprüfstand, um einen sicheren und zuverlässigen Betrieb des Motors zu gewährleisten. Mit modernen Prüfstandsystemen und Parameteroptimierungsverfahren lässt sich dabei ein Großteil der Applikationsaufgaben automatisieren. Aufgrund der hohen Anzahl von Freiheitsgraden moderner Antriebskonzepte werden zur Beherrschung der Komplexität zunehmend mathematisch-statistische Ansätze im automatisierten Prüfstandbetrieb eingesetzt [1], [2]. Die Ergebnisse aus der stationären Grundabstimmung am Motorenprüfstand sind zwar häufig hinsichtlich bestimmter Kriterien optimiert, weisen aber bezüglich

17 Software-Entwicklung Fahrbarkeit meist noch große Defizite auf. Die Grundbedatung wird daher in der zweiten Phase an die Fahrzeugapplikateure weitergegeben. Diese müssen aufgrund der mangelhaften Fahrbarkeit in die Grundbedatung eingreifen und verlassen dadurch zwangsläufig das zuvor gefundene stationäre Optimum. In den weiteren Phasen sind das Emissionsund Verbrauchsverhalten des Motors sowie diagnoserelevante Funktionen, zum Beispiel zur On-BoardDiagnose (OBD), anzupassen. Abschliessend erfolgt die Validierung der Abstimmung im Flottenversuch. Üblicherweise werden 30 bis 50 % aller Einstellarbeiten am Prüfstand und entsprechend 50 bis 70 % im Fahrzeug durchgeführt [3]. Bei einer Gesamtapplikation ist es dabei wichtig, die richtige Reihenfolge in der Abstimmung der einzelnen Software-Funktionen einzuhalten. Der Zeitaufwand für den Applikationsprozess kann dabei je nach Antriebskonzept und verwendeten Applikationsmethoden bis zu 27 Monate betragen.

17.6.3 Software-Stand und Beschreibungsdateien für Steuergeräte Ein Software-Stand für ein elektronisches Steuergerät besteht in der Regel aus dem Programmstand, also den eigentlichen Software-Funktionen, und dem Datenstand, den Applikationsparametern. Der Datenstand wird häufig auch als Datensatz bezeichnet. Programmstand und Datenstand sind bei Seriensteuergeräten im nichtflüchtigen Lesespeicher (ROM oder Flash) abgelegt. Software-Stände moderner Motorsteuerungen erfordern Flash- oder ROM-Speichergrößen von typischerweise 1 bis 2,5 MByte. Dazu wird üblicherweise das interne Flash des Mikrocontrollers und, falls erforderlich, ein externer ROM- oder Flash-Baustein verwendet. Der Datenstand befindet sich dabei in einem bestimmten, vom Programmstand getrennten Adressbereich des Steuergeräts. Dem Applikateur ist in der Regel nicht bekannt, wie die teilweise sehr komplexen Software-Funktionen im Steuergerät im Detail funktionieren. Der Software-Stand umfasst daher zusätzlich eine SoftwareDokumentation in Form von Blockschaltbildern oder verbalen Beschreibungen über die in der Steuergeräte-Software realisierten Fahrzeugfunktionen. Diese Dokumentation gibt zudem Aufschluss über die Bezeichner der Applikationsparameter, deren Bedeutung sowie den Ablauf der Funktionsbedatung. Darüber hinaus steht eine steuergerätespezifische Datenbeschreibung zur Verfügung. Darin sind Informationen zu den in der Steuergeräte-Software verfügbaren Applikations- und Messgrößen, deren Speicheradressen und Konvertierungsmethoden sowie Speicherlayout und Datenstrukturen abgelegt. Zusätzlich werden an dieser Stelle die für die Mess- und

17.6 Steuergeräte-Applikation Applikationsschnittstelle erforderlichen Kommunikationsparameter festgehalten. Steuergeräte-Beschreibungsdateien entstehen im Rahmen des Software-Entwicklungsprozesses und liegen typischerweise im standardisierten Format ASAMMCD 2MC vor [4]. Dieses Format kann in der Regel von Mess- und Applikationswerkzeugen eingelesen und interpretiert werden. Es standardisiert somit den Austausch von Steuergeräte-Beschreibungsdateien innerhalb der Prozesskette zwischen den einzelnen Entwicklungspartnern. Ergänzend stehen häufig Dateien zur Verfügung, die die Signale auf dem Fahrzeugbus sowie die Vernetzung der Steuergeräte beschreiben.

17.6.4 Mess- und Applikationssysteme Ein Mess- und Applikationssystem besteht im Wesentlichen aus dem Mess- und Applikationswerkzeug auf einem PC, den entsprechenden Schnittstellen zum Steuergerät und zum Fahrzeugbus sowie der Zusatzmesstechnik (siehe Bild 17-19). Mess- und Applikationswerkzeuge werden während der Steuergeräte-Entwicklung zu sehr unterschiedlichen Aufgabenstellungen herangezogen. Zu den Hauptaufgaben zählen das Verstellen von Steuergeräte-Parametern, die Messdatenaufzeichnung und das Speichern der Verstellergebnisse in Datenständen. Darüber hinaus dient das Werkzeug häufig auch zum Verwalten, Vergleichen und Zusammenführen von Datenständen, zur Auswertung und Dokumentation von Verstell- und Messergebnissen sowie zur Steuergeräte-Flash-Programmierung.

Bild 17-19: Mess- und Applikationssysteme

681 Prinzipiell kann man zwei Anwendungsszenarien unterscheiden: die manuelle Durchführung von Messund Verstellaufgaben, wie es in der Regel im Fahrzeug praktiziert wird, und die automatisierte Steuergeräte-Applikation, zum Beispiel am Prüfstand. Bei der Kennfeldbedatung am Prüfstand wird das Mess- und Applikationswerkzeug vorwiegend automatisiert betrieben, so dass der Prüfstandfahrer und der Applikateur in erster Linie mit dem Automatisierungssystem und den dort zur Verfügung gestellten Komponenten zur automatisierten Parameterverstellung und -optimierung arbeitet. Die Kopplung erfolgt in der Regel über eine Automatisierungsschnittstelle gemäß dem Standard ASAM-MCD 3MC (ASAP3) oder ASAM-MCD 3 [4]. Üblicherweise wird für den gesamten Applikationsprozess, also von der Vorbereitung im Büro, der Inbetriebnahme im Labor, der Grundapplikation am Prüfstand bis hin zur Serienabstimmung im Fahrzeug ein und dasselbe Mess- und Applikationssystem verwendet. 17.6.4.1 Verstellen und Messen Steuergeräte-Funktionen sind von der Struktur her fest im Programmstand des Steuergeräts abgebildet. Um das Gesamtverhalten des Fahrzeugs entsprechend den Anforderungen anzupassen, müssen die Parameter der Steuergeräte-Funktionen, also die Kennwerte, Kennlinien und Kennfelder verändert werden. Die Parameterwerte werden dabei in einem Datensatz oder Datenstand abgelegt.

682 Software- und Datenstände liegen üblicherweise als Hex-Code vor. Dieses Format kann vom Applikateur nicht unmittelbar interpretiert werden, so dass es in eine lesbare Form zu überführen ist. Diese Aufgabe übernehmen Mess- und Applikationswerkzeuge, indem die Parameterwerte und Messvariablen an den Speicheradressen im Code in physikalische Größen umgewandelt werden. Die auf dem Steuergerät zugänglichen Verstell- und Messgrößen sowie deren Umrechnungsformeln und Einheiten sind in der Steuergeräte-Beschreibungsdatei gemäß ASAM-MCD 2MC abgelegt. Zudem kann die Datei gemäß ASAM-MCD 2MC eine Kennung enthalten, die eine Konsistenzüberprüfung zwischen Beschreibungsdatei und Software- bzw. Datenstand durch das Applikationssystem erlaubt. Für die Verstellaufgabe stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, zum Beispiel Editoren für Kennlinien und Kennfelder, die sowohl eine numerische als auch ein grafische Verstellung erlauben. Zur Überprüfung der Wirksamkeit und Gültigkeit von Parameterverstellungen müssen steuergeräteinterne Variablen und Fahrzeugdaten bei laufender Ausführung der Software-Funktionen, des sogenannten Fahrprogramms, erfasst werden. Dies erfordert häufig den Einsatz von Zusatzmesstechnik zum Aufzeichnen weiterer physikalischer Größen wie Temperaturen, Drücken, Spannungen oder Abgaswerten. Daneben wird die Kommunikation auf dem Fahrzeugbus erfasst. Das Mess- und Applikationswerkzeug hat dabei die Aufgabe, sämtliche Messgrößen zeitlich zueinander korreliert darzustellen und aufzuzeichnen. Für eine unmittelbare Bewertung der Messungen ist es zudem erforderlich, sämtliche Messsignale als physikalische Größen in einem Zeitschrieb oder einer numerischen Anzeige zu visualisieren und grundlegende Auswerteoptionen zur Messdatenanalyse zur Verfügung zu stellen. 17.6.4.2 Offline- und Online-Applikation Bei der Offline-Applikation werden Parameteränderungen zunächst nur im Mess- und Applikationswerkzeug auf dem PC durchgeführt und erst anschließend in Form eines neuen Daten- oder Software-Stands auf das Steuergerät geladen oder in das Flash programmiert. Die Online-Applikation hingegen setzt voraus, dass die zu applizierenden Parameter vom ROM- oder Flash-Bereich des Steuergeräts in einen vom Software-Programm nicht verwendeten, freien RAMBereich kopiert werden. Zudem muss durch Modifikation der Steuergeräte-Software oder -Hardware der Mikrocontroller auf die Daten im RAM zugreifen, um während des Fahrprogramms Verstellungen wirksam durchzuführen. Der entsprechende RAM-Bereich im

17 Software-Entwicklung Steuergerät wird häufig als Calibration RAM oder Cal-RAM bezeichnet. In einigen Fällen kann aufgrund der eingeschränkten Größe des Cal-RAM-Bereichs der Datenstand nicht vollständig kopiert werden, so dass während der Online-Verstellung nur auf eine Untermenge aller Applikationsparameter zugegriffen werden kann. Der Datenstand im Cal-RAM des Steuergeräts trägt häufig die Bezeichnung „Arbeitsseite“, der Datenstand im ROM oder Flash-Speicher die Bezeichnung „Referenzseite“. Das Konzept von Arbeits- und Referenzseite erlaubt es, Datenstände während des laufenden Fahrprogramms konsistent umzuschalten. Anwendungen dafür sind zum Beispiel die Vorgabe von Sollwertsprüngen, der unmittelbare Vergleich von Parametereinstellungen oder das Zurückschalten auf einen „sicheren“ Datensatz bei plötzlichen Ausnahmesituationen. 17.6.4.3 Steuergeräte-Schnittstellen zum Messen und Applizieren Für Mess- und Applikationsaufgaben stehen unterschiedliche Schnittstellen im Steuergerät zur Verfügung (Bild 17-20). Grundsätzlich sind für eine geeignete Auswahl verschiedene Kriterien zu berücksichtigen. Dazu zählen der Messdatendurchsatz, die Größe des geforderten Cal-RAM-Speichers, das Kaltstartverhalten, die mechanischen und elektrischen Voraussetzungen des Steuergeräts sowie die Umgebungsbedingungen am Verbauort des Steuergeräts. Darüber hinaus spielen die Kosten für die Mess- und Applikationsschnittstelle und der damit verbundene Integrationsaufwand eine wichtige Rolle. Der Speicheremulator, zum Beispiel der Generic Memory Emulator (GME) von der Firma dSPACE, bietet in Bezug auf Datendurchsatz, Kaltstartfähigkeit und Größe des Cal-RAMs die höchste Leistungsfähigkeit. Er wird direkt mit dem Mikrocontrollerbus des Steuergeräts verbunden, was einen im Vergleich zu seriellen Schnittstellen hohen Integrationsaufwand im Steuergerät bedeutet. Der Speicheremulator wird ausschließlich während der Entwicklungsphase verwendet. Häufig steht der Mikrocontrollerbus zur Ankopplung externer Werkzeugschnittstellen nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung. In diesem Fall muss der Zugriff auf das Steuergerät über eine serielle Schnittstelle erfolgen. Ein grundsätzliches Unterscheidungsmerkmal ist dabei, ob die Schnittstellentechnologie auch im Seriensteuergerät zur Verfügung stehen soll, wie zum Beispiel die Diagnoseschnittstelle. Typische Implementierungen dafür sind das Keyword Protocol (KWP) 2000, basierend auf der K-Leitung [5] oder dem CAN [6] und zukünftig dessen Weiterentwicklung unter der Bezeichnung Unified Diagnostic Services (UDS) [7].

17.6 Steuergeräte-Applikation

683

Bild 17-20: Steuergeräte-Schnittstellen zum Messen und Applizieren; die Abkürzungen werden im Text erklärt

Moderne Prozessorarchitekturen bieten zunehmend leistungsfähige On-Chip-Debug-Schnittstellen wie Nexus, JTAG oder AUD/NBD für die SoftwareEntwicklung an [8]. Diese Schnittstellen stehen in der Regel nur in der Entwicklungsphase im Steuergerät zur Verfügung und eignen sich gleichermaßen für Software-Debugging, Applizieren, Messen, Bypassing und Flash-Programmierung. Insbesondere die Bemühungen im Rahmen des Nexus-5001-Forums, einen prozessor- und herstellerübergreifenden OnChip-Debug-Standard zu etablieren, lassen für die Zukunft erwarten, gleiche Werkzeugschnittstellen in unterschiedlichen Projekten einsetzen zu können [9]. In heutigen Fahrzeugen findet eine Vielzahl von Steuergeräten unterschiedlicher Hersteller Anwendung. Die Steuergeräte können sich dabei durch verschiedenste Schnittstellen auszeichnen. Aus wirtschaftlichen Überlegungen sind Automobilhersteller mehr und mehr daran interessiert, standardisierte Lösungen einzusetzen. Neben dem Nexus-Standard rücken daher Mess- und Applikationsschnittstellen auf Basis standardisierter Protokolle zunehmend ins Blickfeld. Das Universal Measurement and Calibration Protocol XCP stellt die Weiterentwicklung des bereits etablierten Protokollstandards CAN Calibration Protocol CCP dar [4]. Durch die konsequente Trennung von Protokoll- und Transportschicht werden dabei künftige Kommunikationsstandards im Fahrzeug berücksichtigt. In heutigen Entwicklungssteuergeräten werden vorwiegend Implementierungen auf CAN (XCP on CAN) und USB (XCP on USB) zur Steuergeräte-Applikation eingesetzt. Daneben existieren XCP-Implememtierungen auf Ethernet und LIN, die schwerpunktmäßig als Messschnittstelle genutzt werden [10]. Mit der Etablierung von FlexRay in zukünftigen Steuergeräten wird auch eine XCP-Unterstützung zum Messen und Applizieren für diese Kommunikationstechnologie an Bedeutung gewinnen [11].

Grundsätzlich ist man bei seriellen Applikationsschnittstellen auf das im Steuergerät zur Verfügung gestellte Cal-RAM beschränkt. Dieses befindet sich häufig im On-Chip-RAM des Mikrocontrollers und ist kleiner als der komplette Datenstand, was eine entsprechende Einschränkung für die Applikation bedeutet. Bei modernen Mikrocontrollern in Seriensteuergeräten beträgt die Größe des Cal-RAMs in der Regel nur wenige Kilobytes. Daneben bieten einige Halbleiterhersteller Prozessor-Varianten mit deutlich größerem On-Chip-Speicher speziell für die Steuergeräteentwicklung an. Steht der externe Mikrocontrollerbus zur Verfügung, kann alternativ ein zusätzlicher RAM-Baustein für die Applikationsphase im Steuergerät verbaut werden.

17.6.5 Ausblick in die Zukunft Bedingt durch den Wettbewerbsdruck in der Automobilindustrie und den daraus resultierenden Forderungen nach einer Reduktion von Entwicklungskosten und Entwicklungszeiten ist man zunehmend bestrebt, den Applikationsprozess effizienter zu gestalten. Ein Aspekt in diesem Zusammenhang ist das Bestreben, die Anzahl der Versuchsfahrzeuge zu verringern. Daraus folgt, dass möglichst viele Applikationsaufgaben, die heute noch im Fahrzeug durchgeführt werden, auf den Prüfstand oder in frühere Entwicklungsphasen verlagert werden müssen und die im Fahrzeug absolut notwendige Arbeit effizienter ablaufen muss. Ansätze dazu sind die Applikation von fahrbarkeitsrelevanten Kenngrößen an dynamischen Prüfständen, eine verstärkte Automatisierung von Standardaufgaben sowie die Software-Bedatung mit Hilfe der Motor- und Fahrzeugsimulation. Ein weiteres Ziel ist es, im Rahmen der Applikation möglichst seriennahe Steuergeräte am endgültigen Verbauort im Fahrzeug einzusetzen, um Zusatzauf-

684 wände für die Bereitstellung spezieller Applikationssteuergeräte einzusparen. Gesamtkosten und Wirtschaftlichkeit werden auch bei Mess- und Applikationssystemen an Bedeutung gewinnen. Der Einsatzbereich der Werkzeuge wird sich daher nicht mehr auf die reine SteuergeräteBedatung beschränken, sondern auch auf Bereiche wie Funktionsentwicklung, Steuergeräte-Diagnose und Validierung erstrecken. Darüber hinaus ist eine engere Integration der Messund Applikationswerkzeuge in den Gesamtentwicklungsprozess zu erwarten. Dazu zählen Aspekte wie die Verzahnung mit Modellierungswerkzeugen, die Ankopplung an Datensatz-Managementsysteme und die Verwendung von gleichen Steuergeräte-Beschreibungsdaten für Applikation und Diagnose. Daneben gewinnt die geführte Funktionsbedatung und die engere Integration der Steuergeräte-Dokumentation in den Applikationsablauf an Bedeutung. Mit der zunehmenden Verteilung einzelner Funktionen auf mehrere Steuergeräte im Fahrzeug wird darüber hinaus eine stärkere Funktions-orientierte Arbeitsweise in den Werkzeugen gefordert werden.

17 Software-Entwicklung Literatur zu Abschnitt 17.6 [1] Lütkemeyer, G.; Von Reth, A.; Kinoo, B.; Weinowski, R.: Effektive Strategien für Motorsteuerungsapplikationen, MTZ 7-8/2002. [2] Buschbaum, G.; Röpke, K.: Optimierung der Motorenentwicklung durch neue Wege in der Entwicklungssystematik, Automotive Engineering Partners 4/2002. [3] Miller, G.; Hall, K.; Willis, W.; Pless, W.: The Evolution of Powertrain Microcontrollers and its Impact on Development Processes and Tools, White Paper, The Nexus 5001TM Forum. [4] ASAM e.V., Association for Standardisation of Automation and Measuring Systems, www.asam.net. [5] ISO International Organization for Standardization: ISO 14230 – Road vehicles – Diagnostic systems – Keyword Protocol 2000. [6] ISO International Organization for Standardization: ISO 15765 – Road vehicles –Diagnostics on Controller Area Networks (CAN). [7] ISO International Organization for Standardization: ISO 14229-1 – Road vehicles – Unified Diagnostic Services. [8] Rolfsmeier, A.; Leinfellner, R.; Limberg, H.; Franzen, O.: Future-proof Interfaces for ECU Calibration and Function Development, JSAE Annual Congress, Japan, 2004. [9] The Nexus 5001TM Forum, www.nexus5001.org. [10] LIN Local Interconnect Network, www.lin-subbus.org/ [11] FlexRayTM, www.flexray-group.com.

Anhang A Schaltzeichen und Schaltpläne A 1 Einleitung In der gesamten elektrischen und elektronischen Anlage eines Kraftfahrzeugs arbeiten viele Bauelemente (Schalter, Relais, Widerstände, elektronische Bauteile, Kondensatoren etc.), Baugruppen (Warnblinkgeber, Kühlmitteltemperatursensor etc.) und Systeme (Startsystem, Stromversorgungssystem, Zündsystem, Gemischbildungssystem, Beleuchtungssystem etc.) zusammen. Die elektrischen Schaltpläne zeigen durch verschiedene Darstellung der Stromwege die Wirkungsweise der Einzelaggregate und Gesamtanlage. Ein Schaltplan muss folgende Bedingungen erfüllen: Klemmenbezeichnung nach DIN 72552 in der Kfz-Technik oder Anschlusskennzeichnung nach DIN EN 60445 in der Elektrotechnik Gerätekennzeichnung nach DIN 40719-2 oder DIN EN 61346-2 Schaltung mit Schaltzeichen nach DIN 60617 Bild A-1 zeigt die Beleuchtungs- und Signalanlage als Stromlaufplan in zusammenhängender Darstellung, Bild A-2 den Stromlaufplan für die Innen- und Außenbeleuchtung in aufgelöster Darstellung.

E3 E5 E11 E12

Innenleuchte Rückfahrscheinwerfer Standlicht links Schlusslicht links

E15 R4

Scheinwerfer links Helligkeitssteller für die Armaturenbeleuchtung,mit Auskaontakt

Bild A-2: Stromlaufplan für die Innen- und Außenbeleuchtung

Bild A-1: Stromlaufplan einer Beleuchtungs- und Signalanlage

686

Anhang

A 2 Klemmenbezeichnungen in der Kfz-Technik nach DIN 72552 Tabelle A-1: Klemmenbezeichnungen (Kl: Klemme) Klemme

Bezeichnung

1

Zündspule Primärkreis Niederspannung

4

Zündspule, Zündverteiler Sekundärkreis Hochspannung

7

Signal vom Hall-Geber oder Induktivgeber Zündanlage

8h

Versorgungsspannung Hall-Geber Zündanlage

15

Geschaltetes Plus, Ausgang des Zünd-Fahrt-Schalters

C

30

Batterie Plus direkt

BM, +P

30a

Batterieumschaltrelais 12 V/24 V, Eingang von Batterie 2 Plus

31

Batterie Minus direkt oder Masse

31a

Batterieumschaltrelais 12 V/24 V Rückleitung an Batterie 2 Minus

31b

Rückleitung an Batterie Minus über Schalter oder Relais

31c

Batterieumschaltrelais 12 V/24 V Rückleitung an Batterie 1 Minus

31d

Masse Hall-Geber oder Induktivgeber Zündanlage

33h

Elektromotoren, für 4. kleinere Drehzahlstufe

33L

Elektromotoren, Drehrichtung links

33R

Elektromotoren, Drehrichtung rechts

45

Starter, getrenntes Startrelais Ausgang

48

Kl. am Starter und Startwiederholrelais, Überwachung des Startvorgangs

49

Blinkgeber Eingang

49a

Blinkgeber Ausgang

49b

Blinkgeber Ausgang 2. Blinkkreis

49c

Blinkgeber Ausgang 3. Blinkkreis

50

Starter, Startersteuerung

50a

Batterieumschaltrelais, Ausgang für Startersteuerung

50b

Startersteuerung, Parallelbetrieb von 2 Startern mit Folgesteuerung

50d

Startsperrrelais, Eingang

Herstellerspez.

M, D, MP, MV

A Schaltzeichen und Schaltpläne Klemme

Bezeichnung

50f

Startsperrrelais, Ausgang

50g

Startwiederholrelais, Eingang

50h

Startwiederholrelais, Ausgang

52

Anhänger-Signale: weitere Signale vom Anhänger zum Zugfahrzeug

53

Wischermotor Eingang (+)

53a

Wischermotor (+) Endabstellung

53c

Elektrische Scheibenspülmittelpumpe

53i

Wischermotor mit Permanentmagnet und 3. Bürste für höhrere Drehzahl

687 Herstellerspez.

54

Anhänger-Signale, Anhänger-Steckvorrichtungen, Bremslicht

54g

Anhänger-Signale, Druckluftventil für Dauerbremse im Anhänger

55

Nebelscheinwerfer

PB

56

Scheinwerferlicht

PR, P

56a

Scheinwerferlicht, Fernlicht und Fernlichtkontrolle

56b

Scheinwerferlicht, Abblendlicht

56d

Scheinwerferlicht, Lichthupe

57

Standlicht Krafträder (im Ausland auch bei Pkw und Lkw)

57a

Parklicht

57L

Parklicht links

57R

Parklicht rechts

58

Begrenzungslicht, Schlusslicht, Kennzeichenbeleuchtung und Instrumentenbeleuchtung

58b

Schlusslichtumschaltung bei Einachsschleppern

58c

Anhänger-Steckvorrichtung für einadrig verlegtes und im Anhänger abgesichertes Schlusslicht

58d

Einstellbare Instrumentenbeleuchtung, Schlussleuchte und Begrenzungsleuchte

58L

Begrenzungsleuchte links

58R

Begrenzungsleuchte rechts

59

Wechselstromgenerator (Magnetzünder-Generator), Wechselspannung Ausgang bzw. Gleichrichter Eingang

59a

Wechselstromgenerator, Ladeanker Ausgang

59b

Wechselstromgenerator, Schlusslichtanker Ausgang

59c

Wechselstromgenerator, Bremslichtanker Ausgang

PC

V

688

Anhang

Klemme

Bezeichnung

61

Generatorkontrolle

71

Tonfolgeschaltgerät, Eingang

71a

Tonfolgeschaltgerät, Ausgang zu Horn 1 + 2 (Tiefton)

71b

Tonfolgeschaltgerät, Ausgang zu Horn 3 + 4 (Hochton)

72

Alarmschalter (Rundumkennleuchte)

75

Radio, Zigarettenanzünder

76

Lautsprecher

77

Türventilsteuerung

85

Schaltrelais, Ausgang Antrieb Wicklungsende (Minus)

86

Schaltrelais, Eingang Antrieb Wicklungsanfang

B+

Batterie Plus

B-

Batterie Minus

D+

Dynamo Plus

D-

Dynamo Minus

DF

Dynamo Feld (Generator-Erregerstrom)

U

Drehstromgenerator, Drehstromklemme

V

Drehstromgenerator, Drehstromklemme

W

Drehstromgenerator, Drehstromklemme, Dieseldrehzahl

C

Fahrtrichtungsanzeige (Blinkgeber) 1. Kontrollleuchte

C0

Hauptanschluss für vom Blinkgeber getrennte Kontrolllampe

C2

Fahrtrichtungsanzeige (Blinkgeber) 2. Kontrollleuchte

C3

Fahrtrichtungsanzeige (Blinkgeber) 3. Kontrollleuchte (z.B. bei Zwei-Anhänger-Betrieb)

L

Blinkleuchte links

R

Blinkleuchte rechts

Herstellerspez.

L

A Schaltzeichen und Schaltpläne

689

A 3 Gerätekennzeichen nach DIN 40719-2 und DIN EN 61346-2 Alle elektrischen und elektronischen Geräte oder Bauelemente der Kfz-Technik sind in den Schaltplänen mit einem Kennbuchstaben nach Tabelle A-2 und einer Zahl angegeben (z.B. F6). Die Kennbuchstaben bleiben für die jeweiligen Bauelemente immer dieselben (z.B. F für Sicherungen), nur die Zahlen geben konkret das Element an.

Tabelle A-2: Gerätekennzeichen Kennbuchstaben

Geräte/Bauelemente

A

Anlage, Baugruppe, Teilbaugruppe, Empfänger, Sender

B

Umsetzer von nichtelektrischen Größen in elektrische Größen und umgekehrt, Geber und Sensoren

C

Kondensator

D

Binäres Element, Speicher, z.B. Impulszähler, CD-ROM

E

Verschiedene Geräte und Einrichtungen, Lampe usw.

F

Schutzeinrichtung, Sicherung

BF, BMF

G

Stromversorgung, Generator, Akku

BB

H

Kontrollgeräte, Signalgeräte

I

nicht vergeben

J

nicht vergeben

K

Relais, Schütz

L

Spule, Induktivgeber

M

Motor, Starter, Gebläse, Stellmotor

N

Regler, Verstärker, Steuergerät

O

nicht vegeben

P

Meßgerät

Q

nicht vergeben

R

Widerstand, regelbarer Widerstand, Potentiometer

S

Schalter einfach, Schalter mehrstufig und Taster jeglicher Art

T

Transformator, Zündspule

U

Modulator, Umsetzer, z.B. Analog-Digital-Wandler

V

Halbleiter, Diode, Transistor, Tyristor

W

Leitung, Übertragungsweg, Antenne, z.B. Leitungsbaum CANBus

X

Klemme, Stecker, Buchse, Steckverbindung

Y

elektrisch betätigte mechansiche Einrichtung, Ventil, z.B. Einspritzventil, AGR-Ventil

Z

elektr. Filter, z.B. Entstörfilter, Entstörglieder

Herstellerspezifisch

L, M

S K

J P

U

P f. Poti E, F

S L

690

A 4 Schaltsymbole nach DIN EN 60617 Tabelle A-3: Schaltsymbole (Schaltzeichen)

Anhang

A Schaltzeichen und Schaltpläne

691

692

Anhang

A 5 Schaltpläne nach DIN 40719 A 5.1 Übersichtsschaltplan Der Übersichtsschaltplan oder Blockschaltplan ist die vereinfachte Darstellung einer Schaltung. Damit soll ein schneller Überblick über Aufgabe, Aufbau, Gliederung und Funktion einer elektronischen Anlage gegeben werden. Die Einzelgeräte sind durch Quadrate, Rechtecke oder Kreise mit eingezeichneten Kennzeichen nach DIN 40900 dargestellt.

A1

Steuergerät

D2

Adressbus

M1

Elektrokraftstoffpumpe

B1

Sensor für Drehzahl

D3

Arbeitsspeicher (RAM)

N – N3

Leistungsendstufen

B2

Sensor für Bezugsmarke

D4

Programm-Datenspeicher (ROM)

S1

Zündstartschalter

B3

Sensor für Luftmenge

D5

Eingang – Ausgang

S2

Kennfeldumschalter

B4

Sensor für Ansauglufttemperatur

D6

Datenbus

T1

Zündspule

B5

Sensor für Motortemperatur

D7

Mikrocomputer

U1 – U2

Impulsformer

B6

Drosselklappenschalter

G1

Batterie

U3 – U6

Analog-DigitalUmsetzer

D1

Recheneinheit (CPU)

K1

Pumpenrelais

Y1

Einspritzventil

Bild A-3: Übersichtsschaltplan Motronic-Steuergerät [Quelle: Bosch]

A Schaltzeichen und Schaltpläne

693

A 5.2 Anschlussplan Der Anschlussplan zeigt die elektrischen Bauelemente, Baugruppen und Systeme mit ihren Anschlusspunkten und den daran angeschlossenen äußeren und evtl. inneren leitenden Verbindungen (Leitungen). Anschlussklemmen und Steckverbindungen werden mit den am Gerät vorhandenen Klemmenbezeichungen benannt.

Bild A-4: Zusammenhängende Darstellung eines Anschlussplanes

Bild A-5: Komponenten eines Anschlussplanes aufgelöst dargestellt

694

Anhang

A 5.3 Stromlaufplan Die ausführlichste Darstellung einer elektrotechnischen oder elektronischen Schaltung mit allen Einzelheiten ist im Stromlaufplan realisiert. In der zusammenhängenden Darstellung sind alle Teile einer Baugruppe zusammenhängend dargestellt (siehe Bilder A-6 und A-7). Diese Darstellung kann für einfache, nicht sehr umfangreiche Schaltungen verwendet werden, ohne dass die Übersichtlichkeit verloren geht.

E1 E2 E3 E4 E5

Scheinwerfer links Scheinwerfer rechts Schlussleuchte links Kennzeichenleuchte links Kennzeichenleuchte rechts

E6 F G S1 S2

Zur besseren Erkennung der Funktion einer Schaltung sind bei der aufgelösten Darstellung (Bilder A-8 und A-9) die Schaltzeichen von Teilen elektrischer Geräte getrennt dargestellt und so angeordnet, dass jeder Stromweg möglichst leicht zu verfolgen ist. Eine möglichst geradlinige, klare und kreuzungsfreie Anordnung der einzelnen Stromwege hat den Vorrang. Auf die räumliche Zusammengehörigkeit einzelner Baugruppen oder deren Bauelemente wird keine Rücksicht genommen.

Schlussleuchte rechts Sicherungen Batterie Lichtschalter Umblendschalter

Bild A-6: Stromlaufplan einer Außenbeleuchtung in zusammenhängender Darstellung

E15 E16 E17 E18 E19 E20 Fxx

Scheinwerfer links Scheinwerfer rechts Nebelscheinwerfer links Nebelscheinwerfer rechts Nebelschlussleuchte links Nebelschlussleuchte rechts Sicherungen

H12 H13 K15 S19 S20 S23

Fernlichtkontrolle Nebelschlusslichtkontrolle Entlastungsrelais Umblendschalter Lichthupenschalter Nebellicht – Nebelschlusslichtschalter

Bild A-8: Stromlaufplan einer Beleuchtungseinrichtung mit Nebelscheinwerfer in aufgelöster Darstellung

K1 Steuerrelais K2 Einrückrelais, Haltewicklung und Einzugwicklung

M1 Startermotor mit Reihenschluss- und Nebenschlusswicklung

Bild A-7: Stromlaufplan für einen Startermotor Typ KB für Parallelbetrieb in zusammenhängender Darstellung

K1 Steuerrelais K2 Einrückrelais, Haltewicklung und Einzugwicklung

M1 Startermotor mit Reihenschluss- und Nebenschlusswicklung

Bild A-9: Stromlaufplan für einen Startermotor Typ KB für Parallelbetrieb in aufgelöster Darstellung

B EMV-Normenübersicht für Fahrzeuge und Komponenten

695

mungen sowie durch die festgelegten Verfahrensregeln kommt es dabei aber zum Teil zu mehrjährigen Verzögerungen. Erfolgt bei EMV-Anforderungen ein undatierter Verweis auf eine Norm, so ist sie in der aktuellsten Version anzuwenden. Ist ein Ausgabedatum oder Revisionsstand angegeben, so ist dieser bindend. Die genannten Normenausgaben basieren auf dem Stand von März 2006. Gegebenenfalls sind inzwischen schon neuere Ausgaben oder Normenteile erschienen. Ein großer Teil der für Fahrzeuge und Komponenten relevanten EMV-Störfestigkeits-Normen werden von der „International Organization for Standardization“ (ISO) herausgegeben und verwaltet. Der aktuelle Stand der Norm kann über das Internet abgerufen und bestellt werden (http://www.iso.ch). Deutsche Ausgaben internationaler Normen (DIN ISO, DIN EN, ...) sind über den Beuth-Verlag bestellbar.

B EMV-Normenübersicht für Fahrzeuge und Komponenten Normen kennzeichnen den Stand der Technik. Ihre Anwendung ist in der Regel freiwillig – es sei denn, sie werden zur Konformitätsbewertung herangezogen oder die Anwendung ist durch Richtlinien gefordert. Werden sie jedoch nicht beachtet und kommt es aus diesem Grund zu einem Störfall, so setzt man sich dem Vorwurf aus, nicht entsprechend dem allgemeinen Stand der Technik entwickelt und geprüft zu haben. Schadensersatzansprüche können die Folge sein. Da Normen den Stand der Technik repräsentieren, werden sie immer wieder dem technischen Fortschritt und dem fortschreitenden Erkenntnisstand angepasst. Durch die erforderlichen nationalen und internationalen Abstim-

Tabelle B-1: Fahrzeug-Prüfverfahren gemäß ISO 11451: Störfestigkeit gegen gestrahlte schmalbandige elektromagnetische Energie Teil der ISO 11451

Anwendbarer Frequenzbereich [MHz]

Einkopplung

Teil 1 (2005)

Prüfstörgröße

Einschränkungen

Allgemeines und Definitionen

Teil 2 (2005) Störstrahlungsquellen außerhalb des Fahrzeugs

0,1 ... 18 000

Gesamtfahrzeug und Kabelbaum

elektrische Feldstärke [V/m]

Absorberhalle erforderlich

Teil 3 (1994) Simulation eines Senders im Fahrzeug

1,8 ... 1300

Gesamtfahrzeug und Kabelbaum

Leistung [W]

Absorberhalle erforderlich

Kabelbaum

Strom [mA]

geschirmter Raum erforderlich

Teil 4 (1995) Stromeinspeisung (BCI)

1 ... 400

Tabelle B-2: Komponenten-Prüfverfahren gemäß ISO 11452: Störfestigkeit gegen gestrahlte schmalbandige elektromagnetische Energie Teil der ISO 11452

Anwendbarer Frequenzbereich MHz

Teil 1 (2005) Teil 2 (2004) Absorberhalle Teil 3 (2001) TEM-Wellenleiter (TEM-Zelle) Teil 4 (2005) Stromeinspeisung (BCI)

Feldkoppelmechanismus

Prüfstörgröße

Einschränkungen

Allgemeines und Definitionen 200 ... 18 000 0,01 ... 200

1 ... 400

Teil 5 (2002) Streifenleitung

0,01 ... 400

Teil 7 (2003) Direkte Einspeisung von Hochfrequenzleistung

0,25 ... 200

auf Prüfling und Kabelbaum

elektrische Feldstärke [V/m]

Absorberhalle erforderlich

auf Prüfling und Kabelbaum oder auf den Prüfling

elektrische Feldstärke [V/m]

Größe von Prüfling und/oder Kabelbaum eingeschränkt

auf den Kabelbaum

Strom [mA]

geschirmter Raum erforderlich

auf Prüfling und/oder Kabelbaum

elektrische Feldstärke [V/m]

geschirmter Raum empfohlen; Größe des Prüflings eingeschränkt

(Teil 6 wurde zurückgezogen: Parallelplatten-Antenne) auf den Kabelbaum

Leistung [W]

(Teil 8 ist in Vorbereitung: Störfestigkeit gegen Magnetfelder)

Einfluss des Einkoppelgliedes auf Sensorsignale des Prüflings

696

Anhang

Tabelle B-3: Komponenten-Prüfverfahren gemäß ISO 7637: Störfestigkeit gegen leitungsgeführte und gekoppelte impulsförmige Störgrößen Teil der ISO 7637

Beschreibung

Teil 1 (2002)

Definitions and general considerations

Teil 2 (2004)

Electrical transient conduction along supply lines only

Teil 3 (1995 mit Korrektur 1:1995)

Vehicles with nominal 12 V or 24 V supply voltage – Electrical transient transmission by capacitive and inductive coupling via lines other than supply lines

Fahrzeug und Komponenten-Prüfverfahren, die die Störfestigkeit gegen elektrostatische Entladungen betreffen, sind in ISO 10605 (2001) „Road vehicles – Test methods for electrical disturbances from electrostatic discharge“ beschrieben. Die wichtigsten Störaussendungsnormen werden von der „International Electrotechnical Commission“ (IEC) herausgegeben und vom „Comité International Spécial des Perturbations Radioélectriques“ (CISPR) erarbeitet. Der aktuelle Stand der Publikationen kann im Internet auf den Seiten der IEC (http://www.iec.ch/) abgerufen werden. Die Norm CISPR 16-1, 2nd edition 2002 wird

zwar in der Kfz-Richtlinie referenziert, wurde jedoch offiziell zurückgezogen und durch CISPR 16-1-1 2003, CISPR 16-1-2 2003, CISPR 16-1-3 2003, CISPR 16-1-4 2003 und CISPR 16-1-5 2003 ersetzt. Im außereuropäischen Raum existieren weitere Normen (Standards), die (teilweise) EMV-Anforderungen beinhalten, zum Beispiel von den Organisationen SAE (Amerika) und JASO (Japan). Auch ist beim Export in die betroffenen Länder zu prüfen, ob dort eventuell anderweitige gesetzliche Vorschriften bezüglich der elektromagnetischen Verträglichkeit zu beachten sind.

Tabelle B-4: Störaussendungsnormen für Fahrzeuge und Komponenten CISPR-Norm

Beschreibung

CISPR 12 - Consol. Ed. 5.1 (2005-04)

Vehicles, boats, and internal combustion engine driven devices – Radio disturbance characteristics –Limits and methods of measurement for the protection of receivers except those installed in the vehicle/boat/device itself or in adjacent vehicles/boats/devices

CISPR 25 - Ed. 2.0 (2002-08) und Corrigendum 1 (2004-03)

Radio disturbance characteristics for the protection of receivers used on board vehicles, boats, and on devices – Limits and methods of measurement

CISPR 16-1

Specifications for radio disturbance and immunity measuring apparatus and methods – Part 1: Radio disturbance and immunity measuring apparatus

Sachwortverzeichnis

A Abbiegelicht 330 Abgasemission 6 Abgasnachbehandlung 23 ff. Abgasreduzierung 308 Abgasrückführung (AGR) 17 Abgasturbolader 548 f. Ablagefachbeleuchtung 352 Abläufe, steuergeräteübergreifende 648 ABS 119 ABS-Funktion 164 ABS-Regler 119 Abscheidung, elektrophoretische 506 Abschlussscheibe 336 Absorberhalle 591 f. Abstandsregeltempomat 438, 439 Abstrahlung 570 Abstraktionsebene 292 Abtastung 543 Abwärtswandler 538 ACC-Folgegeneration 431 ACC-Funktion 428, 430 ACEA 6 ACEA-Selbstverpflichtung 6, 79, 302 ACEA-Zielwert 302 Achse, kinematisches Modell 170 Achskinematik, 170 ff. Achsregelsysteme 129 ff. ACK Field 209 Acknowledge 211 Adaptive Cruise Control (ACC) 427 Adresse, funktionale 619 –, physikalische 619 Adressierung 201 –, erweiterte 623 –, funktionale 619 –, normale 623 –, physikalische 619 Adressierungsarten 618, 623 Adressing, Extended 623 –, Normal 623 Aggregateanbau 40 Airbag 358 –, Aktivierung 359 –, Auslöse-Algorithmus 361 –, Auslöse-Entscheidung 361 –, Auslöseverhalten 359 –, Auslösung 358 –, Knie- 364 f. –, Kopf- 364 f. –, Satelliten 359

–, Satelliten-Sensoren 365 –, Seiten- 364 f. –, Smart 361 –, Steuergerät 359, 360 f. Airbagsystem, Front- 360 Aktor, elektromechanischer 155 –, Hinterachs- 158 Aktoren, Piezo- 525 –, pyrotechnische 524 f. –, thermische 526 ff. Aktorfunktionen 37 Aktorik 38 –, elektrische 517 ff. Aliasing 544 Allradantrieb 33, 124 Alterungsmechanismen 258 Alterungsprozess 531 Alterungsverhalten 270, 276 AM 479 Ambiente-Beleuchtung 348, 353 Ambiente-Permanentbeleuchtung 348 Analog-Digital-Wandler (ADC) 543 Änderungsmanagement 311 Anfahrsituation 125 Anfahrvorgang 63 Anforderungen, funktionale 190 –, nichtfunktionale 190 Anforderungsanalyse 675 Anforderungsmanagement 190, 675 –, hierarchisches 311 Anhängefahrzeug 160 Anhänger, gebremster 163 Anker 67 Ankergegenspannung 238 Ankerrückwirkung 238 Ankerspule 229 Ankerstrom 67 Anodenmodul 98 Anschlussplan 693 Ansteuerung, elektronische 321 Antenne 482, 583 f. –, integrierte 562 –, Karosserie- 583 –, Scheiben- 583 Antennenabstrahldiagramm 410 Antennendiagramm 416 Antennenmethode 596 Antennensystem 416, 562 Antiblockiersystem (ABS) 119, 160 Antiruckelregelung 12 Antrieb, elektrischer 83

698 Antriebskonzept, alternatives 78 Antriebsmomentenverteilung 124 Antriebsregelsysteme 116 ff., 119 Antriebsschlupfregelung (ASR) 120, 160 Antriebsstrang 670 Antriebsstrategie 89 Antriebstempomat 438 Antwort, ereignisgetriebene 620 Antwort-Identifier 621 Anwendungssoftware 186 Anzeige, Zeigerbeleuchtung 400 Anzeigegeräte, digitale 397 ff. Anzeigen, TFT- 398 Anzeigen, Vakuum-Fluoreszenz- 398 Anzeigeschrittmotoren 397 Anzugsmoment 69 Anzünder 524 Applikation 679 ff. –, Offline- 682 –, Online- 682 Applikationsaufgaben 680 Applikationsparameter 680 Applikationsprozess 681 Applikationssysteme 681 ff. Applikationswerkzeug 681 Äquivalenzklassen 676 Arbeitslicht 352 Arbitration Field 208 Arbitrierung 208 Arbitrierungsmechanismus 199 Architektur, funktionale 181 Architekturbewertung 195 Architekturdesignprozess 188 Architekturlösungen 191 ASAM 640 ASAM-Initiative 640 ASAM-MCD-2MC 667 ASAM-MCD-System 640 Assembler-Sprache 663 Asynchronmaschine 247 Asynchronmotor 134 Aufbau- und Verbindungstechnik 504 –, elektronische 546 Aufbaubeschleunigung 133 Aufbaufeder, Kennlinie 173 Aufbaufederung 172 ff. Aufbautechnik 39 ff. Aufbauwankverhalten 132 Aufenthaltsdauer 532 Aufrollstraffer 357 Aufwärtswandler 538 Ausfall 533 Ausfallrate 529 Ausfallsicherheit 164 f. Außenleuchte 344 Ausstiegsbeleuchtung 350 Autoklav 531 Automatikgetriebe 31

Sachwortverzeichnis –, Lastschalt- 58 –, stufenloses 32 Autorisierungsprozess 371 AUTOSAR 186 AUTOSAR Interface 186 AUTOSAR Runtime Environment (RTE) 186 AUTOSAR-Schnittstelle 186 AUTOSAR-Software-Architektur 186 AUTOSAR-Software-Laufzeitumgebung 186 Autotelefon 481 B Back-to-Back-Tests 677 Bahnfolgeregelung 177 Ballungsraum 454 Bandbreite 184 Batterie 249 ff. –, Anordnung 277 –, geschlossene 255 f. –, verschlossene 255 f., 261 Batterieausfälle 281 Batteriemanagement 280 Batterieprognose 287 Batterie-Sensierung 284 Batteriesensor 285 –, Einbau in der Polnische 285 Batteriezustand 284 Batteriezustandserkennung 286 f. Bauteileplatzierung, funktionelle 579 BCI-Clamp 597 BCI-Prüfung 598 Bedienelemente 353, 402 ff. Bediensoftware 673 Beeinflussungsmodell 572 Beifahrerairbag 358 f. Belagverschleiß 156 Beleuchtung 315 ff., 399 ff. –, Ablagefach- 352 –, Ambiente- 348, 353 –, funktionale 351 –, Fußraum- 353 –, Instrumenten 352 –, Kosmetikspiegel- 352 –, Laderaum- 352 –, Motorraum- 352 –, Orientierungs- 353 Beleuchtungseinrichtungen 329 Beleuchtungsstärke 317, 329 Berechnungsverfahren 105 Berührungselektrizität 576 Beschleunigungskoordinator 426 Beschleunigungssensor 359, 361, 510 f. Beschreibungsdateien, Steuergeräte 680 Beschreibungsformate 645 Betankungsoptionen 102 Betrieb, geschichteter 11 –, Homogen- 11 –, homogener Mager- 14

Sachwortverzeichnis –, Mager- 15 –, Schichtlade- 14 –, stöchiometrischer 14 Betriebsarten 14 Betriebsartenmanager 24 betriebsbewährt (erprobt) 533 Betriebsstrategie 84 Betriebsstrategiesoftware 87 Betriebssystem 55 Bevölkerungsentwicklung 445 Bi-Fuel-Fahrzeugantrieb 27 Bildsensor 421 Bildverarbeitung 422 Bimatell-Schalter 528 Biomasse 95 Bit-Stuffing 212 Black-Box-Testen 678 Bleiakkumulatoren 306 Bleibatterie 250 ff. –, Eigenschaften 257 f. –, Elektrochemie 250 f. Bleisulfat 255 Blendung 3326 Blinkerauslegung 296 Blocksicherungsverfahren 536 Bluetooth 484 –, Anbindung 461 –, Geräte 486 –, Netzwerk 486 –, Standard 481 Bondung 50 Boost-Funktionalität 82 Bordmonitor 402 Bordnetz 179 ff., 181, 276 –, 42-Volt- 301 ff., 322 –, Einspannungs- 304 –, Zweispannungs- 304 Bordnetz-Simulation 289 ff. Bordnetztopologie 581 bottom-up Vorgehensweise 187 Boundary-Element-Methode (BEM) 587 Brake-by-Wire 152 ff. Breitband-O-Sonde 23 Bremsanlage, elektronisch-pneumatische 162 Bremsanlagen, Nutzfahrzeug- 160 Bremsassistent 438 Bremsdruckaufbau, radindividueller 116 Bremsdruckmodulation 116 Bremsdrucksensor 118 Bremseingriff 141 –, aktiver 116 –, automatischer 440 –, radindividueller 166 Bremsen, regeneratives 282 Bremsenergie 78, 307 Bremskraftverteilung, elektronische (EBV) 122 Bremslastverteilung 157 Bremspedal, elektronisches 154

699 Bremsregelsystem 116 ff., 119 –, Hydraulikplan 117 –, Komponenten 117 Bremsschlupf 113 Bremssystem, elektrohydraulisches (EHB) 152 ff. –, elektromechanisches 154 ff. –, Hybrid- 157 –, rückwirkungsfreies 153 Bremstempomat 438 Bremsverhalten 436 Brennerablaufsteuerung 390 Brennstoffzellen 89 ff. –, Busse 101 f. –, Fahrzeuge 99 –, Prinzip 91 –, Technologie 90 –, Stack 93 Brennstoffzellenantrieb 94 ff., 99 Brennstoffzellenantriebsstrang 102 Brennstoffzellensystem 94 ff., 97 Broadcast-Prinzip 618 Brückenendstufe 44 Brückenschaltung 46 Bulk-Mikromechanik 507 f. Bürstenfeuer 580 Bus 197 –, Schnittstellen 660 Busankopplung 207 Bussysteme 184, 196 ff. Bustopologie, zweikanalige 217 Bypassing 657, 659 Bypassing, Schnittstelle 660 –, Services 661 –, steuergeräteinternes 661 –, Szenario 661 C Cabriosysteme 385 ff. Cabrioverdeck 385 CAD-Programm 104 Calibration Protocol (CCP) 683 Calibration RAM (Cal-RAM) 682 Call-Center 459 CAN 204, 683 –, Fahrwerks- 139 –, Highspeed- 205 –, Lowspeed- 206 –, Single-Wire- 207 CAN-Bus 204 CAN-Controller 204 CARB-Protokoll 203 Carrier Sense Multiple Access (CSMA) 199 Cartridge-Ventil 522 CCD-Imager 421 CCD-Sensor 421 CD-Player 478 Chemical Vapour Deposition (CVD) 506 Client 616

700 Client-Server-Prinzip 616 CMMI 652 CMOS-Kamera 422 CMOS-Sensor 421 Code Coverage 677 –, Effizienz 663 –, Generatoren 663 –, Generierung 654 Code-Ebene 678 Code-Überdeckung 677 f. Codierung 200 –, Manchester- 200 –, NRZ- 200 Cold Cathode Fluorescent Lamp (CCFL) 399 Common-Rail 7 Communication Server (COS) 627 Compact Disc (CD) 479 Computersimulation 104 Consecutive Frame (CF) 625 Contactless Inductive Position Sensor (CIPOS) 499 Continuously Variable Transmission (CVT) 32 Control Field 209 Controller Area Network (CAN) 204 Coriolis-Kraft 511 Cornering Brake Control 120 Crash 359 CRC Field 209 CRC-Check 211 CSMA 199 CSMA/CA 199 CSMA/CD 199 Curietemperatur 527, 528 Cyclic Redundancy Check (CRC) 533 D Dachelektronik 563 Dachknotenrechner, zentraler 562 Dachmodule 560 ff. Dachsysteme 381 ff. Dämpfer 132 f. Data Field 209 Data Frames 199 Data Length Code 209 Data Link Layer 208 Data Segmentation 624 Datenaustauschformat 638 ff., 642 f., 645 Datenaustauschprozesse 642 f. Datenbeschreibung 643 Datenbeschreibungsformat 643 Datenbus, echtzeitfähiger 147 Daten-Frames 208 Datenkommunikation 196 f. –, parallele 196 –, serielle 196 Datenpool 649 Datenrahmen 199 Datenrate 199 –, Brutto- 199

Sachwortverzeichnis –. Netto- 199 Datensatz 680 Datensegmentierung 624 Datensicherung 200 Datenstand 680 Datenübertragung, asynchrone 200 –, synchrone 200 Dauerbremsintegration 165 Dauerhaltbarkeit 94 Dauerschaltprüfung 337 DC/DC-Wandler 304, 322 Dead Reckoning 465 Dehnstoffelemente 527 Diagnose 3, 609 ff. Diagnosebefehl 634 Diagnosedaten 646 f. Diagnosedatenbeschreibung 644 Diagnosedaten-Prozessor 642 Diagnosedienst 57, 627, 633 Diagnosedienst-Nutzdaten 645 Diagnosefunktionen 57, 613 Diagnose-Gateway 617 Diagnosekommunikation 612, 615 ff. –, ereignisgetriebene 620 –, periodische 620 –, synchrone 620 Diagnosemöglichkeiten 243 Diagnoseprotokoll 197, 613, 622, 628 f. –, fahrzeugherstellerspezifisches 621 –, proprietäres 621 Diagnoseprozesskette 638 f. Diagnosesitzung 635 Diesel-Einspritzsysteme 550 Diesel-Einspritzung, Injektoren zu 550 Diesel-Partikelfilter 109 Differential-GPS (D-GPS) 464 Differenzschlupfregelung 163 f. Digital Audio Broadcasting (DAB) 479 Digital Versatile Disc (DVD) 480 Digitaler Signal-Prozessor (DSP) 417 Direkteinspritzung 7, 19 –, Hochdruck- 7 Diskretisierung 587 Diskretisierung, zeitliche 543 DMOS-Transistor 557 D-Netz 481 Doppel-Kammstrukturen 511 Doppelkupplungsgetriebe 32 Doppelschichtkondensator 261 –, Wickelzelle- 263 Doppelschlussmotor 69 Doppler-Effekt 412 Dopplerverschiebung 439 Downsizing 7 Dreh-Drück-Regler 461 Dreh-Drück-Steller 403 Drehmagnetquotienten-Messwerk 397 Drehmomentanforderung 9

Sachwortverzeichnis Drehmomentenmodell 10 Drehmomentkoordinator 244 Drehmomentsensor 136 Drehmomentwandler 58 Drehpotentiometer 493 Drehratensensoren 511 ff. –, mikromechanische 511 Drehstromdiagramm 234 Drehstromwicklung 230 Drehwinkelsensor 498 f. Drehzahl-Drehmomenten-Kennlinie 67 Drehzahlregelung 13 f. Drehzahlschwankung 14 Drehzahlsensoren 551 Dreieckschaltung 234 Dreiphasenwechselspannung 233 f. Drive-by-wire 5 Drosselklappe 8 Drosselklappenregelung 15 Drosselventil 522 Druckluftbremsanlage 160 Druckluft-Fremdkraftbremsanlage 161 Druckregelventile 523 Drucksensoren 509 f., 552 –, kapazitive 509 –, piezoresistive 509 Druckwasserstoffspeicher 96 D-System 641 Dual-Port-Memory (DPMEM) 659 Dünnschichttechnik 507 Durchfluss-Strom-Kennlinie 523 Durchflutung 519 Durchtritt 252 DVD-Player 480 E Echtzeit 670 Echtzeitanforderungen 54, 56 Echtzeitmodelle 673 Echtzeitprozessor 670 Echtzeit-Software 672 Effekt, Influenz- 576 –, magnetoresistiver 496 –, parasitärer 586 –, triboelektrischer 576 E-Gas 5 E-Gas-System 9 E-Gas-Überwachungskonzept 26 Eigendiagnose 610, 613 Eigenerregung 236 Eigenschwingung 169 Einbauklasse 40 Einklemmschutz 383 Einklemmschutz, indirekter 385 Einparkassistent 426 Einparkhilfe-System 425 Einrückrelais 71 Einspritz-Phasing 19

701 Einspritzsystem 19 Einspritzung 19 ff. Einspritzvorgang 20 Einspurvorgang 70 Einstiegsbeleuchtung 350 Eintrittswahrscheinlichkeit 532 Einzelpole 232 Einzelpolläufer 232 Einzugswicklung 72 Elastomereinsatz 527 Electromagnetic Compatibility (EMC) 570 Electromagnetic Emission (EME) 570 Electromagnetic Interference (EMI) 570 Electromagnetic Radiation (EMR) 570 Electromagnetic Susceptibility (EMS) 570 Electrostatic Discharge (ESD) 576 elektrisch-mechanisches Fahren 82 elektrochemischer Doppelschichtkondensator (DSK) 261 Elektrode 251, 264, 267, 271, 273 Elektrodenauslegung 266 elektrohydraulisches Modul 51 Elektrolumineszensfolie 350 Elektrolyt 254, 273 –, gelierter 256 –, Polymer- 274 Elektromagnete 517, 519 ff. elektromagnetische Beeinflussbarkeit (EMB) 570 elektromagnetische Felder 586 f. –, numerische Analyse 587 elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) 569 ff. elektromagnetische Wellen 586 f. elektromechanische Feststellbremse 126 ff. Elektromotor 67, 80, 83, 135 Elektronikbaugruppen, dezentrale 545 –, integrierte 545 Elektronikbox 40 Elektronik-Brettaufbau 563 Elektronikgehäuse 582 elektronische Unterbaugruppe (EUB) 607 elektropneumatische Steuerung 60 elektropneumatisches Stellsystem 59 Elektrostarter 66 elektrostatische Entladungen 603 f. Emission 5 f. Emissionsgrenzwerte 79 Emissionsvorschriften 1 Empfindlichkeitskurve 316 EMV 569 ff. –, Anforderungen 572 –, Durchführungen 572 –, externe 571 –, interne 571 –, Konzept 571 –, Messmethoden 589 ff. –, Messtechnik 589 ff. –, Normenübersicht 695 f. –, Planung 572

702 –, Schutzanforderung 605 –, Schutzziele 571, 605 –, Simulation 579, 585 ff. –, Verbesserungsmaßnahmen 577 End of Frame (EOF) 209 Endstufenbausteine 45 Energie, spezifische 263 Energiebilanz 294 Energiemanagement 216, 220, 281 ff., 293, 307 –, elektrisches 284 Energiespeicher 83, 249 ff. Energieverbraucher 288 Energieversorgung 303 Energiewandler 91 E-Netz 481 Entladekurve 259 Entladung, elektrostatische 576, 603 f. Entladungsvorgang 576 Entriegelungsmagnete 522 Entriegelungsprozess 370 Entscheidungsprozess 195 Entwicklungsansatz, architekturzentrierter 310 Entwicklungsprozess 309 ff. –, Funktionsreifegrad 674 –, HIL-Simulationen 674 –, Rollenverteilung 669 –, Testabdeckung 674 Entwicklungstester 618 EOBD-System 202 Erdgas 28 Ereignissteuerung 199 Erfüllungsgrad 653 Erregerfeld 231, 237 Erregerstrom 237 Erregerwicklung 68, 231, 236 Error-Frames 210 Ersatzmodelle 586 Europäische On-Board-Diagnose (EOBD) 25 f. Exhaust Gas Recirculation (EGR) 17 F Fahrbahn 176 Fahrbahnmodell 176 Fahrbahnunebenheiten 176 Fahrbarkeit 6 Fahrbarkeitsfunktionen 12 f. Fahrberechtigungssysteme 369 ff. Fahrdynamikfunktionen 116 Fahrdynamikregelsystem 116 Fahrdynamikregelung 113 ff. –, Nutzfahrzeuge 160 ff. –, Personenkraftwagen 115 ff. –, Sattelzug 165 Fahrer 176 Fahrerairbag 358 f. Fahrerassistenzfunktionen 116 Fahrerassistenzsysteme 405 ff. Fahrerassistenzsysteme in Nutzfahrzeugen 437 ff.

Sachwortverzeichnis Fahrerassistenzsysteme, prädiktive 405, 424 ff. Fahrerzustandserkennung 443 Fahrfunktionen 34, 36 f. Fahrgeschwindigkeitsregler 427 Fahrsituation, übersteuernde 141 Fahrspurerkennung 432 Fahrstrategie 33 f., 64 Fahrwerks-CAN 139 Fahrwerksregelsysteme 115 Fahrwerksysteme 113 ff. Fahrzeugeigenfrequenz 133 Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation 408 Fahrzeug-Fernentstörung 595 Fahrzeugführung 426 Fahrzeuggeneratoren 229 ff. Fahrzeuginnenleuchten 327 Fahrzeugintegration 419 Fahrzeugklimatisierung 388 Fahrzeugkonfiguration 647 Fahrzeugmanagement-Dienste 459 Fahrzeugmodell 167 Fahrzeug-Nahentstörung 594 Fahrzeug-Prüfverfahren 695 Fahrzeugstabilisierung 121 Fahrzeug-Starter 66 ff. Fahrzeug-Stripline 601 Fahrzeugumfeldüberwachung 441 Fahrzustände 84 Fahrzustandserkennung 123 Fahrzyklus 293 Fail Silent Unit (FSU) 146 Fail-Silent-Auslegung 142 Failure In Time (FIT) 529 Federbeinachse 170 f. Fehler 533 Fehlercodebereiche 614 Fehlercodes 613 f. Fehlereintrag 614 Fehlererkennung 200, 211, 535 f. Fehlersimulation, elektrische 672 Fehlerspeicher 26, 613 Fehlerspeichereinträge 610 Fehlerstromanalyse 300 Fehlersuche 244 –, geführte 244 Fehlersuche-Software 244 Fehlertoleranz 148, 200 Fehlertyp 543 Fehlerursachen 530 Feldberechnung 585 ff. Feldsimulation 585 Feldstärke, elektrische 525 Feldverzerrungen 600 Fernbereichsradar 414 Ferninfrarot-System (FIR) 433 f. Fernsehen, digitales 480 Festkomma, Implementierung 663 –, Unterstützung 663

Sachwortverzeichnis Feststellbremse 127 –, elektromechanische 126 ff. Feststellbremsfunktion 156 Feststelleinheit, elektromechanische 127 Feuchtigkeitsschutz 532 Fiber Optical Transceiver (FOT) 226 Finite-Differenzen-Methdoe (FDM) 587 Finite-Elemente-Methode (FEM) 587 First Frame (FF) 624 Flachbandkabel, flexibles 546 Flammenfront 108 Flashdaten 647 Flashdaten-Prozessor 642 Flashprogrammierung 612 Flashprozess 314 Flexible Flat Cable (FFC) 546 FlexRay 217 ff. FlexRay-Knoten 218 Floating Car Data 448 Flottendurchschnitt 6 Flow Control (FC) 624 Flow-Control-Mechanismus 625 Fluss-Durchflutungs-Kennfelder 519 Flussgröße 291 Flüssigwasserstoffspeicher 96 Flusskonzentratoren 495 FM 479 FMCW-Modulation 414 FMCW-Radargerät 419 FMCW-Verfahren 414 Folgeregelung 430 Format, erweitertes 209 –, Standard- 209 Fotolithographie 506 Freifeldmessung 591 Freischnitt 661 Fremdiagnose 610 Fremdkörperschutz 532 Fremdkraftbremsanlage 160 Frequency Modulated Continuous Wave (MCW) 414 Frischgasfüllung 9, 15 Frontairbagsystem 360 Frontbeleuchtungssystem, adaptives 338 Frontscheibe, vereiste 309 Frontscheibenheizung 309 Fullpass 657 ff. Füllungssteuerung 15 ff. Funkanlagen 605 Funkentstörung 570, 593 Funkgerätenachbildung 603 funktionale Architektur 181 funktionale Gruppe 649 funktionale Klassen 629 funktionale Zusammenhänge 192 Funktionsabschaltungen, situationsangepasste 142 Funktionsdiagnosen 26 Funktionsentwicklung, modellbasierte 654 Funktionsentwurf, modellbasierter 662

703 Funktionsmodell, Simulation 664 Funktionsnetzwerk 191 f. Funktionspartitionierung 193 Funktionsstörung 570 Funktionsstruktur, drehmomentbasierte 9 f. Funktionsüberwachung 26 –, modellbasierte 300 Funk-Zulassung 414 Fußgängerschutz 367 ff. Fußraumbeleuchtung 353 Fuzzy-Logic 36 G Galileo 465 Gangwählmodus 62 Gangwechsel 38 Gas 27 Gasdruckfeder 566 Gasentladungslampen 318 Gasgenerator 359, 365 f. Gassystem 28 Gateway 185, 616 –, dezentrales 227 –, Funktion 228 –, Strategie 227 f. –, zentrales 227, 617 Gefahrenabwehr 532 Gefahrenanalyse 148 Gegeninduktivität 574 Gehäuse 41, 583 Gehäuseabschirmung 583 Gehäusekonzept 41 Gehäusescheinwerfer 334 Gehäusetechnik 39 ff. Generator 306 –, Funktionalität 82 –, Schwungmagnet- 243 Generatorsystem 241 Gerätekennzeichen 689 Gesamtwirkungsgrad 85 geschichteter Betrieb 11 geschirmte Kabine 591 f. Geschwindigkeitsregelung 426, 430 Gesetze 530 gesetzliche Zulassungsvorschriften 328 gesundheitsgefährdende Wirkungen 579 Getriebe, automatisches 31 f., 59 Getriebebremse, integrierte 59 Getriebeelektronik 49 getriebenahe Funktionen 34 Getriebeschaltung 62 Getriebesteller 61 –, integrierter 61 Getriebesteuerung 29 f.. –, mechatronische 49 Getriebesteuerungselektronik 50 Gewichtsklassifizierung 362 Giant Magnetoresistive Effect (GMR-Effekt) 497

704 Giergeschwindigkeit 121 Giermoment 166 Giermomentregler 122 Gitter-Korrosion 260 Glasfaser 368 Glasfaser-Biegesensor 368 f. Gleichrichtung 234 ff. Gleichspannungsanalyse 292 Glimmentladung 577 Global Positioning System (GPS) 464 Glühlampen 349 Glühstiftansteuerung 390 GMR-Effekt 497 GPS-Receiver 464 Graphikdisplay 435 Gray-Code 494 Grenzwertanalyse 676 Grundabstimmung 680 Grundbedatung 680 Grundlagen, technologische 2 Grundstruktur, regelungstechnische 55 Gruppe, funktionale 649 GSM-Standard 481 Gurtbanddehnung 357 Gurtklemmer 357 Gurtkraftbegrenzer 357 Gurtlose 357 Gurtschlossstraffer 357 Gurtstraffer 357 f., 366 Güterverkehr 446 Gyroskop 512 H Halbbrücke 46 Halbleiterelektronik 2 Halbleitertechnologie 305 Halbleiter-Technologie 506 Hallsensoren 495 Halogen-Glühlampe 317 f. –, Glühwendel 319 –, Lebensdauer 318 –, Lichtausbeute 318 Halogen-Scheinwerfer 332 Haltedruck 123 Haltefunktion, automatische 128 Haltewicklung 72 Hardware 529 ff. –, Architektur 671 –, Beschreibungsphasen 557 –, Beschreibungssprachen 289 –, Schnittstellen 659 Hardware-in-the-Loop-Simulation (HIL) 563 ff., 667 ff. Hartschalen-Verdeck 385 Harvard-Architektur 539 H-Brücke 556 –, Leistungs- 557 H-Brückenschaltung 45

Sachwortverzeichnis HDRC-Kamera 421 HDRC-Sensor 421 Header 623 Head-up-Display (HUD) 401, 435, 476 Heckdeckel 565 Heckdeckelantrieb, elektrischer 564 Heckdeckelsteuergerät 563 f. Heckklappe 565 Heizleistung 308 Heizsysteme 388 ff. Hell-Dunkel-Grenze 330 f. Helmholtz-Spule 603 Herstellerprüfung 578 High-Side-Treiber 44 Hilfskraftlenkung, elektrische 134 ff. HIL-Simulation 667 ff. HIL-Simulator 667, 670 ff. Hinterachs-Stabilisator, aktiver 130 Hitzdraht-Anemometer 513 Hochdruck-Direkteinspritzung 7 Hochfrequenzteil 415 Hochschaltbereich 35 Hochspannung 47 Hochstromverbraucher 283, 295 Homogenbetrieb 10 f. homogener Magerbetrieb 14 Hubmagnet 517 Hubmagnet, ziehender 521 Human Machine Interface (HMI) 395 Hybrid, leistungsverzweigter 81 f. –, Micro- 244 –, Mild- 245 f. –, paralleler 80 f. –, serieller 80, 82 Hybridantrieb 33, 77 ff. Hybridbatterien 278 Hybridbremssystem 157 Hybridentwicklung 87 Hybridfahrzeug 78, 87, 278 Hybridfahrzeugbatterien 269 Hybridisierung 99 Hybrid-Navigation 477 Hybrid-Steuergerät 86 Hydraulikventile 523 –, stromgeregelte 672 Hydride, chemische 96 Hydridmaterialien 96 Hydrid-Speicherelektrode 265 I IDB-1394 226 Identifier 223 Identifikationsgeber (ID-Geber) 369, 375 Influenzeffekt 576 Infrared Data Association (IrDA) 484 Infrarot-Detektor, passiver (PIR) 448 Injektoransteuerung 48 f. Injektoren, magnetventilbetätigte 48

Sachwortverzeichnis –, piezogetriebene 48 Innenleuchten 347 ff. –, mehrfunktionale 347 –, zentrale 351 Innenleuchtenfunktionen 327 Innenlicht, intelligentes 354 Innenlichtsteuerung, dynamische 354 Innenraumantenne 372 Innenraumüberwachung 362, 364 Insassenschutz-Steuergerät 358 Insassenschutzsystem, vorausschauendes 366 Instrument, Kombinations- 401 Instrumente mit Zeigerantrieb 396 ff. Instrumentenbeleuchtung 352 Instrumentierung 395 ff. Instrumentierung, Aufbau 400 ff. Integration 546 –, funktionale 503 –, mechatronische 584 –, monolithische 515 –, räumliche 503 Integrationstiefe 552 Interferenzen 570 Interframe-Space 210 Interrupt 541 IP-Schutzarten 532 ISO 9141-2 202 ISO/OSI-Referenzmodell 622 ISO/OSI-Referenzmodell, Header-Mechanismus 623 ISO/OSI-Schichtenmodell 181 Isolux-Diagramm 330 J Jitter 184 Job-Prozessor 642 K Kabel 544 Kabelbaum 581 f. Kabelbaumanfertigung 544 Kabelbaumtester 544 Kabeldurchführungen 583 Kabine, geschirmte 591 f. Kalibrier-Adapter 597 Kalibrierung 612 Kaltstarteigenschaften 93 Kamera-System 420 Kammscher Kreis 114 Kammstrukturen 512 Kapazität 262 –, parasitäre 575 Karosseriepfad 582 Karosserieströme 582 Kartendarstellung 464 Katalysator, elektrisch beheizbarer 308 –, Funktionsüberwachung 25 Kennfelder 680 Kenngrößen 543

705 Kennlinien 680 –, nichtlineare 173 Kennwerte 680 Keramik-Substrat 50 Keywordprotokolle 629 Kfz-EMV-Richtlinie 606 Kfz-Lichttechnik 315 Kindersitz 361 Kindersitz-Erkennung 363 Klasse, funktionale 629 Klassifikationsbaum 676 Klassifikationsbaummethode 676 Klauenpolgenerator 229 Kleinsignal-Frequenzanalyse 292 Kleinstmengeneinspritzung 7 Klemmenbezeichnungen 686 ff. Klemmkräfte 383 Klimaanlage 394 Klimaanlage in Nutzfahrzeuge 394 Klimasysteme 388 ff. Klimasysteme in Nutzfahrzeugen 393 ff. Klimatisierung 388, 393 Klimazonen 278 Klopfgrenze 19 Klopfregelung 19, 48 Klopfsignal 19 Klopfsignalauswertung 47 f. K-Leitung 202 Knieairbag 364 f. Knotenbeeinflussungsanlage 452 Koaxialleiter 598 Koexistenz 143 Kofferraumöffnen 372 Kofferraumverriegelungssperre 372 Kollisionswarnsysteme 407 Komfortlager 171 Komfortsysteme 381 ff., 425 Kommerzialisierungsphase 100 Kommunikation, bestätigte 617 –, normale 617 –, Offboard- 616 –, Onboard- 615 –, quittierte 617 –, Rundruf- 617 Kommunikationsanordnung 615 Kommunikationskanal 615 Kommunikationsparameter 625, 634, 648 Kommunikationsprozessor 642 Kommunikationsrouting 185 Kommunikationsweg 616 Kommunikationszyklus 219 Kommutierungsvorgang 580 Kompatibilität 461 Kompensationsfunktionen 22 Komponentenprüfung 590 Komponentenprüfverfahren 695 Komponenten-Stripline 601 Kompromissabstimmung 143

706 Konfigurationsmanagement 311 Konfigurationsmanagementsysteme 664 Kontaktierung, elektrische 50 Kontrastempfindung 324 Koordinator, zentraler 145 Kopfairbag, 364 f. Koppelelemente 575 Koppelkraftregelung 164 Koppelmechanismen 576 Koppelweg 577 Koppelzange 597 Kopplung, feldgebundene 574 –, galvanische 572 f. –, induktive 574 –, kapazitive 575 –, Wellen- 574 f. Kopplungsmechanismen 572 ff. Körperschallaufnehmer 47 Körperschallsignal 19 Kosmetikspiegelbeleuchtung 352 Kraftfahrzeugelektronik 1 Kraft-Hub-Kennfelder 519 Kraftschluss 113 Kraftschlusspotential 120 Kraftschluss-Schlupf-Kurve 113 Kraftstoffaufbereitung 94 Kraftstoffdruckregler 20 Kraftstoffdrucksensoren 510 Kraftstoffdrucksteuerung 20 Kraftstoffeinsparungen 82 Kraftstoffkreislauf 20 Kraftstoffstrategie 89 Kraftstoffverbrauch 6, 85 Kraftstoffzufuhr 13 Kühlkörper 526 Kühlsystem 98 Kupplung 37 Kupplungsmoment 37 Kupplungsregelung 63 Kupplungssteller 59 Kupplungssteller, integrierter 62 Kupplungssteuerung 62 Kurbelwelle 307 Kurvenlichtsteuerung 337 Kurvenregelung 430 Kurzschluss 672 L Ladebilanz 293 f. Ladebilanzanalysen 295 Ladedruck 16 Ladedruckregelung 16 f. Ladedrucksensoren 510 Ladeluftkühler 18 Laderaumbeleuchtung 352 Ladereaktionen 252 Ladungsspeicherung 261 Ladungstrennung 576

Sachwortverzeichnis Lambda-Regelung 23 Lambda-Sonde 23 Lane Departure Warning (LDW) 432 Längsmomenten-Management 126 Längsmomentenverteilung 124 Lastprofil 294 Lastschalt-Automatikgetriebe 58 Lastschlagdämpfer 12 Lastsimulation 672 Lastwechsel 12 Lastwechselreaktionen 120 Latenzzeit 184, 199 Laufzeitmessung 412 LCD-Aktivmatrix 398 LCD-Display 398 LCD-Monitor 480 Lebensdauer 94 LED, organische 350, 398 LED-Scheinwerfer 340 Leelaufnenndrehzahl 13 Leistung, spezifische 263 Leistungsbedarf 281 –, elektrischer 302 Leistungseinkopplung, direkte 602 Leistungselektronik 2, 83, 248 Leistungsendstufe 658 Leistungserzeugung 303 Leistungshalbleiter 2, 537 Leistungshalbleiter, intelligente 556 Leistungsspektrum 132 Leistungsverbrauch 303 Leitungsabschluss 581 Leitungseigenschaften 297 Leitungslänge 185 Leitungsmodelle 296 Leitungsunterbrechung 672 Leitzentrale 448 Lenkeingriff, stabilisierender 141 Lenkgestänge 175 Lenkhandhabe 145 Lenkradbewegung 136 Lenkrad-Eigenbewegung 136 Lenkradwinkelsignal 139 Lenkregelsysteme 134 ff. Lenksystem 174 ff. Lenkübersetzung, variable 140 Lenkungsregler 141 Lenkwinkel 137 Lenkwinkelsensor, optischer 494 Leselicht 352 Leuchtdichte 317 Leuchtdichteunterschiede 323 Leuchtdichteverteilung 331 Leuchtdioden 320 f., 349 –, Halbleiter- 320 –, organische 350 Leuchtstofflampe 350 Leuchtweitenregelung 336

Sachwortverzeichnis Licht, adaptives 338 Lichtbogenbildung 577 Lichterzeugung 315 ff. Lichtfunktionen 331 Lichtleitoptiken 343 Lichtleittechnik 343 Lichtquellen 349 f. –, künstliche 317 Lichtschaltung, dezentrale 322 Lichtsignalanlage 451 Lichtstärke 316 Lichtstrom 316 lichttechnische Berechnungssoftware 337 lichttechnische Größen 316 ff. Lichtverteilung 338 LIDAR-Sensor 432 LIDAR-Strahlen 432 Light Detection and Ranging (LIDAR) 432 Limiter 426, 438 f. LIN 212 ff. –, Cluster 213 –, Frames 214 –, Master 213 –, Slave 213 Linearer Variabler Differentialtransformator (LVDT) 491 Linearregler 537 Linienspektrum 318 Lithium-Ionen-Batterie 270 ff., 305 –, Eigenschaften 272 Lithium-Ionensystem 271 Load-Dump-Impuls 604 logische Architektur 181 logische Verbindungen 198 Low-Side-Treiber 44 Lüftersystem 298 Luftfedersystem 134 Luftfederung 133 Luft-Kraftstoffgemisch 19 Luftmassenstrom 9 Luftspalt 231, 519 Luftspaltschwankungen 500 LVDT 364 M Magerbetrieb 15 Magnete, Entriegelungs- 522 –, Proportional- 522 ff. –, Verriegelungs- 520 ff. Magnetfelder 67 magnetische Felder, niederfrequente 603 magnetischer Fluss 519 magnetoresistiver Effekt 496 Magnetschalter, thermischer 528 Magnetventil 118 Map Matching 465 Maschine, elektronische 244 Masse, aktive 253

707 Massekonzept 579 Massenflusssensoren 513 Massepunkte 582 Masseträger 254 Master-Slave-Architektur 199 Materialien, piezoresistive 509 Maut 445 Maxwellsche Theorie 586 MCD-Projekt 649 MCD-System 640 Mean Time Between Failure (MTBF) 529 Mechatronic Transmission Module (MTM) 49, 551 Mechatronik 580 –, Modul 61 mechatronische Auslegung 553 ff. mechatronische Baugruppen 548 mechatronische Getriebesteuerungen 550 mechatronische Integration 584 mechatronische Produktkonzepte 547 mechatronische Synergiepotentiale 560 ff. mechatronische Systeme 297, 545 ff. mechatronische Systemlösungen 545 Mehrfacheinspritzung 20 f. Mehrfunktionsregler 239 ff. Mehrkörpersimulationsprogramm 554 Mehrkörpersysteme (MKS) 106 Mehrkörpersystem-Modell 555 Mehrleitungsbremsanlage 162 Membran 91, 527 Membranausdünnung 92 Membrandegradation 92 Membran-Elektroden-Anordnung 90 Memoryeffekt 269 MEMS-Technologie 505 Mensch-Maschine-Interface (MMI) 474 Mensch-Maschine-Schnittstelle 395 Message-Frame-Check 211 Messsysteme 681 ff. Messung, ratiometrische 492 Metallhydride 96 –, Tieftemperatur- 96 Methanol 95 Methanol-Reformierungsprozess 95 methodenbasiertes Vorgehen 194 Micro-Hybrid 244 Mikrocontroller 43, 45, 182, 538 ff. Mikro-Elektro-Mechanische Systeme (MEMS) 505 mikromechanische Drehratensensoren 511 ff. Mikrooptiken 344 Mikroprozessoren 2, 538 Mikrosensoren 505 ff. Mikrosystemtechnik 505 ff. Mild-Hybrid, 245 f. Mindestabstand 439 MISRA C 666 MISRA, Regeln 666 Mittelpunktsdioden 242 Mittelwertdetektor 593

708 Mobilfunktelefon 602 Mobilität 447 Mobilitätsmanagement 447, 453 f. Mobiltelefon 484 Mobinet 454 Model Checking 678 Model Coverage 677 Model-in-the-Loop-Simulation 664 f. Modelle 290 Modellgleichungen 556 Modellierung 586 f. –, tabellenbasierte 293 Modellierungsstrategie 572 Modellüberdeckung 677 Modellvalidierung 566 Modulbildung 560 Molded Interconnect Devices (MID) 547 Momentenanforderungen 12 Momentenregelkreis 151 Monitoring 212 MOST 222 ff. –, Bus 484 –, Devices 222 f. –, Frames 225 –, Netzwerk 212 –, Ring 222 Motorentwicklungsprozess 104 f. Motorhochlauf 20 Motormanagement 5 Motorradstarter 76 Motorraumbeleuchtung 352 Motorschleppmomentregelung 120 Motorsteuergeräte-Hardware 46 ff. Motorsteuerungsfunktion 8 MP3 479 MP3-Player 479 MR-Effekt 496 Mulit-Master-Architektur 199 Multi-Client-Betrieb 627 Multimedia 478 ff. –, Anwendungen 483 –, Architektur 482 f. –, Komponenten 483 –, Netzwerke 221 ff. Multi-Session-Betrieb 627 MW 479 N Nachlaufphase 287 Nachrichten-Format 218 Nachrichtenframe 203 Nachrüstgeräte 463 Nachrüstteile 606 Nachtdesign 338 Nachtsicht 433 Nachtsichtsysteme 435 Nahbereichsradar 412 Nahbereichsradar-Sensor 413

Sachwortverzeichnis Nahinfrarot-System (NIR) 433 f. Navigation 462 ff. –, Hybrid- 477 –, Offboard- 477 –, Onboard- 477 Navigation Services 476 Navigationsdaten 466 Navigations-Kern 471 Navigationsstraßenkarte 465 Navigationssystem 453, 462 –, Color- 475 –, monochromes 475 Nebenschlussmotor 69 Negative Response Code (NRC) 635 Negativkontrast 323 Nenndrehzahl 69 Nennmoment 69 Netzbeeinflussungsanlage 451 Netzlisten 290 Netznachbildung 593 Netzteilkomponenten 537 f. Netztopologien 197 Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren 263 ff. –, Elektrochemie 264 Nickelmetallhydridbatterie 99 Niederfrequenzteil 417 Normen 530 Notbremsfall 440 Notbremssituation 366 Notbremssystem 440 Notbremsung 437 Notruf 481 NOx-Emission 6 NOx-Reduktion 242 NOx-Speicherkatalysator 24 NOx-Verteilung 108 NRZ-Codierung 200 numerische Lösung 588 numerische Verfahren 588 Nutzfahrzeugflotte 457 Nutzfahrzeuggetriebe 58 O OBD II 25, 202 –, Diagnose 202 –, Funktionalität 636 f. –, Scantool 202, 637 –, Stecker 202, 637 f. –, System 202 Oberflächen-Mikromechanik 507 f. Objektauswahl 418 Objektdetektion 422 Objekterkennung 418, 443 Objektklassifizierung 422 Objektposition 419 Objektverfolgung 418 Obsolescence-Management 312 Occupant-Classification-System 363

Sachwortverzeichnis ODX-Datenbasis 646 –, Diagnosedaten 648 –, Protokollparametersätze 648 –, Standards 646 Offboard-Diagnose 610 Offboard-Kommunikation 197, 202, 228, 616 Offboard-Navigation 477 Öffnungsbewegung 565 Öldrucksensoren 510 On-Board Diagnostics (OBD) 610 On-Board-Diagnose (OBD) 25 f., 202, 636 ff. Onboard-Kommunikation 197, 615 On-Board-Navigation 477 On-Chip-Debug-Schnittstelle 660 Open Data Exchange (ODX) 640 ff. Open Services Gateway Initiative (OSGi) 483 Optik, lichtbrechende 343 –, Lichtleit- 343 –, Mikro- 344 –, reflektierende 343 Optimierung 110 Optimierungsalgorithmen 110 Optosensoren, absolute 494 Organic Light Emitting Diodes (OLED) 350, 398 organische LED (OLED) 350, 398 Orientierungsbeleuchtung 353 OSEK 55, 613, 666 OSEK OS 55 OSEK/VDX 55 OSEK/VDX 666 OSGi-Service 483 OSGi-Standard 483 OSI-Schichtenmodell 57 Otto-Direkteinspritzer 19 Overload-Frames 211 P paralleler Hybrid 80 f. Parameter, photometrische 323 parasitärer Effekt 586 Parkbremse 157 Parkleitsystem 452 Parklückenvermessung 426 Parkplatzsituation 454 Parkraum-Management 452 Parkraumsituation 452 Partikel-Emission 6 Partikelfilter 24 Partitionierung 193 Passive-Keyless-Entry-System (PKE-System) 369, 373 PDA 484 Peltiereffekt 526 Peltierelemente 526 Periodendauer 542 Peripherie 541 f. Permanent-magnetic Linear Contactless Displacement (PLCD) 497

709 Perowskit-Keramik 527 Peukert-Gleichung 258 Pfad, langsamer 9, 11 –, Rückwärts- 10 –, schneller 9, 11 –, Vorwärts- 10 f. Physical Layer 198, 204 Physical Vapour Deposition (PVD) 507 Piconet 486 Piezo-Aktoren 49, 525 Piezo-Injektoren 48 Piezo-Kapazität 49 Piezokeramik 410 piezoresistive Drucksensoren 509 Piezotechnik 525 Piezo-Widerstand 511 Planetengetriebe 73 Plasmabogen 319 Platinwiderstand 513 Plattformarchitektur 54 PLCD-Sensoren 497 Polymer-Elektrolyt 274 Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzelle 90 Polzahl 229 Positionsbestimmung 464 Positionsregelkreis 151 Positionssensorik 489 ff. Positivkontrast 323 Potentialdifferenz 291 Potentiometer 492 Prämissen 187 Preconditioning 531 Predictive Brake Assist (PBA) 436 Predictive Collision Warning (PCW) 436 Predictive Emergency Braking (PEB) 436 Premature Capacity Loss (PCL) 259 Primärenergiequellen 89 Processor-in-the-Loop-Simulation 664 f. Product-Life-Cycle-Management (PLM) 639 Produktentstehungsprozess (PEP) 310 Produktlebenszyklus 309 ff. Programmstand 680 Projektionsmodule 336 Projektionssystem 332 f. Projektmanagement 311 Proportionalmagnete 520, 522 ff. Protocol Data Unit (PDU) 623 Protokollkontrollinformation (PCI) 625, 631 Protokollschicht 649 Provider 459 Prozessprofil 653 Prozessstandards 651 f. Prüfequipment 590 Prüfstandssimulation 104 PTC-Heizer 526 f. Pull-up-Widerstand 213 Pulsradar 413 Pulsweite 542

710 Pulsweitenmodulation 502, 542 Pumpe-Düse-Element 21 Pumpe-Düse-Prinzip 7 PWM-Schnittstelle 502 PWM-Signal 503, 542 pyrotechnische Treibladung 358 Q Qualifikation 529, 531 Qualität 529 Qualitätssicherung, analytische Maßnahmen 312 –, konstruktive Maßnahmen 312 Quasi-Spitzenwertdetektor 593 Quelle 577 Querbeschleunigung 167 R Radar 412 Radargerät 412 Radar-Signalverarbeitung 417 Radartechnik 412 Radaufhängung 171 Radbremsmodul 154 f. Raddrehzahlsensor 118 Radialverdichter 98 Radio 478, 479 Radkinematik 170 ff. Radschlupf 120 Randwertproblem 588 Rapid Control Prototyping (RCP) 656 ff. Raumwellen 576 RCP-Systeme 657 Reaktionsgleichung 250 Rechenleistung 39 Rechnerknoten 183 Redundanz 184, 533 –, einfache 536 –, heterogene 200 –, homogene 200 –, mehrfache 536 Redundanzvermeidung 648 Reflektor 335 Reflexionssystem 332 Reflexionstechnik 332 Regeleinheit, hydraulische 154 Regelungsstruktur 55 Regeneration 21 Reglerelektronik 240 Reglerfunktionen 657 Regressionstests 679 Reifegradbestimmung 652 Reifegradmodell (CMMI) 2 Reifen 168 f. Reifendrucksensoren 513 f. Reifenkennfelder 169 Reifenkräfte 169 Reifenmodelle 168 Reihenschlussmotor 68

Sachwortverzeichnis Rekuperation 307 Rekuperationsleistung 82 Relais 520 Relativgeschwindigkeit 412, 439 Remote Keyless Entry (RKE) 369 Remote-Frames 210 Reparatur 609 Reparaturanweisungen 614 Reset 541 Response Code (RC) 635 Restfehlerwahrscheinlichkeit 200 Retardersystem, integriertes 59 Riemenantrieb 244 Risiko 533 Risikoabschätzung 532 Risikomanagement 311 Ritzel 71 Robustheit 533 Routenberechnung 471, 473 Routenempfehlung 464 Routenplanung 453 Rückfallebene 138, 143, 146 Rückhaltesysteme 357 ff. Rückrollsperre 437 Rückschaltbereich 35 Rückwärtspfad 10 Ruhestrommanagement 287 Rundumsicht, elektronische 408 Rundumsichtsysteme 424 ff. S SAE J1850 204 SAE-Klassen 201 Safing-Sensor 360 Satellitenpeilung 464 Satelliten-Sensoren 365 Saugrohr 9 Saugrohreinspritzung 8, 21 Saugrohrmodell 15 Saugrohrsensoren 510 Säureschichtung 260 Schadensausmaß 532 Schadstoffemission 85 Schaltablauf 64 Schaltablaufsteuerung 64 Schaltelemente 59 Schalter, Formen 402 Schaltgetriebe, automatisiertes 30 –, manuelles 30 Schaltkennlinien 34 Schaltpläne 685 ff. Schaltsymbole 690 f. Schaltungsmodell 592 Schaltungssimulation 585 Schaltungsträger, keramischer 135 –, thermoplastischer 547 Schaltvorgang 64 Schaltwandler 537

Sachwortverzeichnis Schaltzeichen 685 ff. Scheduling, kooperatives 54 –, präemptives 54 Scheinwerfer 329 ff. –, Funktionsbereiche 335 –, LED- 340 –, reflektierende 323 –, retroreflektierende 323 –, selbstleuchtende 323 Scheinwerferleistung 328 Scheinwerferlichtfunktionen 327 Scheinwerferreinigung 336 Schichtladebetrieb 8, 14 Schichtladung 7 Schiebedach 381 ff. –, Panorama- 381 Schirmanbindung 582 Schirmdämpfungsmaß 591 Schirmeigenschaften 582 Schirmung 599 Schleiferbahn 502 Schleifkontakte 493 Schleifpotentiometer 492 Schließbewegung 565 Schließsystem 553 Schließvorgang 553 Schlupf 113 Schlupfschwellen 120 Schlüsselcode 371 Schnittstelle, PWM- 502 –, elektrische 502 Schnittstellenfestlegung 195 Schräglaufwinkel 113 Schraubtrieb-Starter 76 Schrittmotor-Messwerk 397 Schubschraubtrieb-Starter 70 Schubtrieb-Starter 74 f. Schutzbeschaltung 604 Schwefelsäure 254 Schwellenkontrast 324 Schwellerbeleuchtung 351 Schwenkmodul 333 Schwenkmotor, hydraulischer 130 Schwimmwinkel 121 Schwingungsversuche 337 Schwungmagnetgenerator 232, 243 SCR-Katalysator 24 Sechspuls-Gleichrichtung 234 Security Access 635 Segment, dynamisches 220 –, statisches 220 Sehschärfe 325 Seitenairbag 364 f. Seitenkollision 364 Seitenstreifennutzung 452 Selbsttest 610 –, zyklischer 536 Select-Low-Prinzip 119

711 Senke 577 Sensor, Beschleunigungs- 359, 362, 510 f. –, biometrischer 515 –, Bremsdruck- 118 –, CCD- 421 –, CMS- 421 –, Drehmoment- 136 –, Drehraten- 511 ff. –, Drehwinkel- 498 f. –, Drehzahl 551 –, Druck- 509 f., 552 –, Hall- 495 –, HDRC- 421 –, induktiver 498 ff. –, inkrementaler 494 –, Integrationskonzepte 551 –, integrierter 551 –, Kraftstoffdruck- 510 –, Ladedruck- 510 –, LIDAR- 432 –, magnetoresistiver 135, 496 f. –, Massenfluss- 513 –, mikromechanischer 505 –, miniaturisierter 505 –, Nahbereichsradar- 413 –, Öldruck- 510 –, optischer 493 ff. –, optischer Lenkwinkel- 494 –, PLCD 497 –, Raddrehzahl- 118 –, Reifendruck- 513 f. –, Safing- 360 –, Saugrohr- 510 –, Temperatur- 552 –, Ultraschall- 408 –, Umgebungsdruck- 510 Sensorcluster 504 Sensorik 489 ff. –, Einbaugegebenheiten 500 –, Genauigkeit 501 –, integrierte 672 –, Verfügbarkeit 501 –, Zuverlässigkeit 501 Separator 255, 268, 274 –, Glasfaser- 257 Septum 599 serieller Hybrid 80, 82 Serienausstattung 143 Seriencode-Generierung 664 –, automatische 662 ff. Server 616 –, Identifier 631 Service-Management 312 Service-Parameter 633 Sicherheit 3, 275, 279, 533 –, passive 357 ff. Sicherheitsanforderungen 184 sicherheitsgerichtet (fail safe) 533

712 Sicherheitsgurt 357 f. Sicherheitskonzept 123, 137, 142 Sicherheitssysteme 3, 357 ff. –, prädiktive 435 Sichtverhältnisse 325 ff. Signalaufbereitung 43, 56 Signalausgabe 44, 56 Signalauswertung 44 Signalbild, adaptives 346 f. –, rückwärtiges 327, 341 –, seitliches 327, 341 f. –, vorderes 327, 342 Signalfluss 43, 289 Signalintegrität 585 Signalkonditionierung 658, 671 f. Signalleuchten 341 ff. Signalleuchtenfunktionen 327 Signalpartitionierung 193 Simple Object Access Protokoll (SOAP) 461 Simulation 554 –, analoge 290 –, digitale 292 –, Fahrwerksysteme 167 ff. –, gemischte 292 Simulationsmodell 567 Simulationsstrategie 572 Simulationsumgebung 167, 176 Single-Source-Prinzip 644 Single-Wire-CAN 207 Sitzbelegungserkennung 361, 362 ff., Sitzbelegungsfunktion 363 Sitzbelegungsklassifizierung 362 Sitzventile 523 Skineffekt 574 Sky-Hook-Dämpfung 174 Smart Airbags 361 SOAP-Standards 461 Software 2, 33, 52 ff. –, Entwicklung 651 ff. –, Implementierung 657 –, Komponenten 655 f. –, Qualität 662 –, Qualitätsmodelle 651 f. –, Qualitätssicherung 312 –, Stand 680 f. –, Test 675 Softwareänderung 314 Software-Architektur 53, 185 ff. –, dynamische 53 –, statische 53 Software-Entwurf 654 –, architekturbasierter 655 f. Software-in-the-Loop-Simulation 664 f. Softwareparameter 134 Software-Prozessoren 641 Sonderausstattung 143 Spannung, eingekoppelte 575 Spannungsfestigkeit 305

Sachwortverzeichnis Spannungsregelung 236 ff. Spannungsregler 45 Spannungsspitze 239 Spannungsversorgung 44 –, fehlertolerante 150 Speicherkatalysator 24 Spezifikation 533 SPICE 289 SPiCE 652 SPiCE, Capability Level 653 Spiegelüberwachung 441 Spiellicht 352 Spincoating 506 Spitzenwertdetektor 593 Sprühbelacken 506 Spulengeometrie 502 Spüllufteffekt 7 Spurassistent 440, 443 Spurverlassenswarner 407 Spurverlassenswarnung 432 Spurwächter 440 Spurwechselassistent 432 Stabilisierungsmoment 132 Stand-alone-Lösungen 41 f. Standard-Einstrahlung 596 Standardisierung 186 Standheizsystem 388, 389 ff. Standverbrauchermanagement 287 Stapel 525 Starrachse 172 Start of Frame (SOF) 208 Starter 66 ff. –, Motorrad 76 –, Nutzfahrzeuge 74 ff. –, Personenkraftwagen 70 ff. Starter-Funktionalität 82 Starter-Generator 244 ff. –, integrierter 247,282, 306 –, seitlich montierter 245 Startermotor, permanenterregter 70 Startfunktion 20, 23 Startsteuerungen 76 f. Startvorgang 70 Statorblechpaket 230 Statorspule 68 Statusinformationen 614 Stauassistent 442 Staufolgefahren 431 Stecker 42, 544 Stecksystem 42 Steckverbinder 43, 583 Steer-by-Wire 145 ff. –, Lenksystem 145 –, Regelkreis 150 Steller, elektrischer 549 Steller, pneumatischer 549 Sternkoppler 218 Sternschaltung 234

Sachwortverzeichnis Steuergeräte, Applikation 679 ff. –, Beschreibungsdateien 680 f. –, eingebettete 183 –, elektronische 244 –, Kalibrierung 679 –, Schnittstellen 683 –, semi-eingebettete 183 Steuergeräteabstraktion 187 Steuergeräte-Basisvariante 649 Steuergerätelebenszyklus 611 Steuergerätetechnologien 182 Steuergerätevariante 649 Steuergeräte-Verbund 179, 662 Steuergeräte-Verbundtest 668 Steuerung, elektrohydraulische 60 –, elektropneumatische 60 Steuerungselektronik 39 Steuerungssoftware 65 Stiftleiste 42 Stillstandsüberwachung 128 Stopp-Start-Funktion 277 stöchiometrischer Betrieb 14 Störaussendung 590, 595 –, leitungsgeführte 595 Störaussendungsmessungen 593 ff. Störaussendungsnormen 696 Störfestigkeit 570, 590, 602, 696 Störfestigkeit gegen Sender 602 f. Störfestigkeitsprüfmethoden 596 Störfestigkeitsprüfung 596, 601, 605 störfestigkeitsrelevant 607 Störfrequenzen 581 Störgrößenamplitude 596 Störmechanismen 576 f. Störquellen 572 ff. Störsenken 572 ff. Störsicherheit 521, 570 Störspannung 573 Störung 581 –, breitbandige 593 –, schmalbandige 593 Strahlungsbeeinflussung 575 Strangspannung 234, 242 Straßenkarte, digitale 466 Straßennetz 472 Straßensegment 472 Streckenbeeinflussungsanlage 451 Streckenberechnung 466 Streckenführung 472 Streckenmodell 673 Streckensperrung 473 Streifenleitung 601 Streuscheibe 336 Stripline 600 Stromanteil, pulsierender 582 Stromeinspeisung 597 Stromlaufplan 694 Strommessung 286

713 Stromumkehr 300 Strukturanalyse 105 Sub-Function 632 Subsystem, fehlertolerantes mechatronisches 149 Suszeptibilität 570 Synchronisation 38, 215 Synchronität 200 System Engineering 310 f. System Performance Modeling (SPM) 105 f. Systemarchitektur 143, 179 f. –, ausfallsichere 146 –, fehlertolerante 146 f., 149 Systemdesign 180, 187 Systemdesignprozess 187 ff. Systeme, baukastenartige 553 –, deterministische 199 –, mechatronische 297 –, mechatronische 545 ff. Systemintegrationskonzepte 180 Systemkomplexität 180 Systemsimulation 585 Systemstrukturen, dezentrale 143 f. –, einkanalige 534 –, mehrkanalige 534 f. Szeneninterpretation 422 T Tagdesign 338 Tagfahrlicht 342 Takt (Clock) 540 Tauchspul-Prinzip 491 TCM 467 TCM-Navigation 467 TDMA 199 technische Architektur 181 Telefon 481 Telekommunikationsendeinrichtungen 605 Telematik 457 ff. –, fahrzeugbezogene 457 –, nutzerbezogene 457 Telematikanwendungen 458 Telematikarchitektur 461 Telematiksoftware 461 Temperaturkoeffizient, positiver 527 Temperaturmanagement 389 Temperatursensor 552 Temperaturstrahler 317 Temperaturverteilung 108 Tempomat 438 TEM-Zelle 598 f. Testabdeckung 674 Testablaufplan 674 Testalgorithmen 57 Testanwendungen 632 Testbeschreibungen 679 Testen, Black-Box- 678 –, dynamisches 675 –, funktionales 676

714 –, nichtfunktionales 677 –, Software 675 ff. –, statisches 675 –, strukturelles 677 –, White-Box- 677 Testfälle 674 Testmanagement 312, 679 Testplan 678 Testprozess, HIL-Simulationen 674 Tests, makroskopische 669 Testspezifikation 678 Testvektorgenerierung, automatische 677 Testwerkzeug 616, 618 TFT-Display 398 Theorem Proving 678 thermofluiddynamische Berechnungen 109 Thin Film Transistor (TFT-LCD) 398 Tieftemperaturmetallhydride 96 Time-Slot 219 Tire Pressure Monitoring System (TPMS) 513 TMC-Dienste 467 Top-Down-Vorgehensweise 187 Top-Down-Entwicklung 310 Topologien 181 toter Winkel 441 Touchpad-Lösungen 461 Tracking 418 Traffic Message Channel (TMC) 449, 463 Tragrahmenscheinwerfer 334 Traktionsbatterie 86 Transceiver 198 –, Lowspeed- 207 –, Systeme 514 Transponder 363 Treiberbausteine 45 Treibschlupf 113 triboelektrischer Effekt 576 TTCAN 212 TTP 217 ff. Türantenne 372 Turbinengeometrie, variable 548 f. Turbolader 16 Türschloss 369 –, Fernbedienung 369 Türwarnleuchte 351 TV-Receiver 480 Typgenehmigung 607 Typgenehmigungsverfahren 606 U Überbrückungskupplung 32 Überhitzungsschutz 389 Überlagerungslenkung 137 Überrollbügel 366 Überrollsensierung 366 f. Überschlagschutz 367 Übersichtsschaltplan 692 Überspannungsschutzgerät 239

Sachwortverzeichnis Übersteuerung 122, 125, 166 Übertragung synchroner Daten 185 Übertragungsmedium 184 Überwachung 137, 535 f. Überwachungseinheit 27, 536 Überwachungskonzept 26 UDS-Norm 632 Uhrensynchronisation 220 UKW 479 Ultranahbereichssensoren 408 Ultraschall-Einparkhilfe 411 Ultraschallimpuls 409 Ultraschallsensoren 408 ultraviolette Strahlung 319 Umfeldsensor 409 Umgebungsanforderungen 39 f. Umgebungsbedingungen 40 Umgebungsdrucksensoren 510 Umgebungsstörer 591 Umgebungstemperaturen 39 Umkippschutz 166 f. Umrichter 83 UMTS-Netz 481 Umweltanforderungen 530 Umweltbelastungen 530 f Umweltbewusstsein 2 Umwelteinflüsse 530 ff. Umweltverträglichkeit 3 Unackknowledged Segmented Data Transfer (USDT) 625 Unackknowledged Unsegmented Data Transfer (UUDT) 625 Unaufmerksamkeit 436 Unfallstatistik 407 Unfallursachen 406 Unified Diagnostic Services (UDS) 632 Unified Modelling Language (UML) 385 Universal Measurement and Calibration Protokoll (XCP) 683 Unterschiedsempfindlichkeit 324, 326 Unterspannungserkennung 538 Untersteuerung 122, 125, 166 UVW-Kette 533 V Vakuum-Fluoreszenz-Display 398 Validierung 675 Variantenkodierung 612 VDX 55 Verbindung, 1 : 1- 198 –, 1 : n- 198 –, n : m- 198 Verbindungselemente 43 Verbindungstechnik 43 Verbrauch 5 f. Verbrauchsspitze 283 Verbrauchswerte 79 Verbrennungsart-Manager 14

Sachwortverzeichnis Verbrennungsartumschaltung 14 Verfügbarkeit 164 Verhaltensbeschreibung 556 Verifikation 675 Verifikation, formale 675, 678 Verkehrsbeeinflussung 447 Verkehrsentwicklung 444 Verkehrsfluss 447 Verkehrsleitsystem 444 ff. Verkehrsleittechnik 453 Verkehrsleitung 445, 449 Verkehrslenkungsschema 450 Verkehrsmanagement 446 Verkehrsplanung 453 Verkehrsstrom 449 Verkehrsunfälle 407 Verlegungspfade 581 Verlustleistung 41, 305 Vernetzung 179 ff., 196 ff. Vernetzungsbereich 227 Vernetzungstechnologien 184 f. Verriegelungsmagnete 520 Versionskontrolle 664 Versorgung, elektrische 321 Verteilergetriebe 38, 124 –, Steuergerät 126 verteilte Systeme 196 ff. Verzögerungsregelung 163 VHDL-AMS 290 VHDL-AMS-Syntax 291 Vibrationsfestigkeit 39 Video 420 Videodetektor 448 Videokamera 422 Videosystem 420 Videotechnik 420 Videoüberwachung 441 Vierpol 517 Vierpoldarstellung 518 V-Modell, erweitertes 639 von-Neumann-Architektur 539 Vorderachsaktor 146, 150 Vorfeldbeleuchtung 350 Vorgelege 73 Vorschaltgerät 319, 321 Vorwärtspfad 10 f. W Wafer-Bonden 508 Wählhebel 34 Wahrnehmungsbedingung 325 Wandlerart 543 Wankstabilisierung 129 ff. Wankstabilisierungsmoment 129 Wärmebildkamera 433 Wärmekapazität 258 Warmlauffunktion 23 Wasserfilm 123

715 Wasserstoffbetrieb 97 Wasserstoffinfrastrukturen 102 Wasserstoffinhalt 100 Wasserstoffspeicher, mobile 95 Wasserstoff-Speicherbelegung 266 Watchdog 538 Wechselspannung 229 Wechselverkehrszeichen 451, 454 Wegeschieberventile 523 Wellen, leitungsgeführte 576 Wellenbeeinflussung 575 Wellenlänge 340 Wellenlängenbereich 316 Wellenleiter 600 Wellenwiderstand 599 f. Werkstatttester 618 White-Box-Testen 677 Wiederverwendbarkeit 185 Wiederverwendungsszenario 655 Winkelbestimmung 416 Winkelsensorik 489 ff. Wireless Local Area Network (WLAN) 486 Wireless Personal Area Network (WPAN) 484 Wirkungsgrad 80, 307 Wirkungsgradkennfeld 83 Wirkungsgradpotenziale 82 WLAN 486 Wunschabstand (Zeitlücke) 429 Wunschgeschwindigkeit 429 X Xenon-Abblendlicht 331 Xenon-Gasentladungslampe 319 Xenon-Scheinwerfer 332 XMR-Effekt 496 Z Zahnstangenlenkung 174 Z-Diode 235 Zeitbereichsanalyse 292 Zeitgeber (Timer) 540 Zeitsteuerung 199 Zellendesign 265, 275 Zellspannung 251, 263 Zentralverriegelung 191, 371 Zielobjektauswahl 419 Zuflussregelanlage 452 Zugangssysteme 369 ff. Zugriffsverfahren 199 Zugstabilität 164 Zuheizer 527 Zuheizsystem 388, 389 ff. Zulassungsvorschriften, gesetzliche 328 Zuliefererprüfung 578 Zündanlagen 584 ff. Zündendstufen 18 Zündfunke 46 Zündkerze 47, 584

716 Zündpille 365 f. Zündspule 584 Zündsteuerung 18 Zündsteuerungssystem 18 Zündung 18 f., 46 f. Zündwinkel 18 Zündwinkelfenster 18 Zündzeitpunkt 18 f. Zusammenhänge, funktionale 192 Zustandsautomat 386, 633 Zustandsbeobachter 387

Sachwortverzeichnis Zustandsübergänge 634 Zuverlässigkeit 149, 299 Zuverlässigkeitsanforderungen 145, 148 Zuverlässigkeitsprüfung 531 Zuziehfunktion 553 Zuziehhilfe 553 Zweidrahtleitung 206, 217 Zyklenfestigkeit 254 Zylinderabschaltung 12 Zylinderausblendung 13 Zylindergleichlaufregelung 14,